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German Pages [992] Year 2015
Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung
Band 19 Herausgegeben von Stephan Meder und Arne Duncker
Oda Cordes
Marie Munk (1885–1978) Leben und Werk
2015 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Marie Munk in den 1930-er bis 1940-er Jahren. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch das Landesarchiv Berlin (LAB B Rep. 235-FS Nr. 133 im Nachlass Marie Munk B Rep. 235-12 auf MF-Nr. 3513
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Inhalt
Vorwort .......................................................................................................
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Wer war Marie Munk? Erste Spuren .......................................................... I. Einleitung ........................................................................................ II. Ziel, Methode und Aufbau der wissenschaftlichen Studie ................ 1. Aufbau der wissenschaftlichen Studie ......................................... 2. Die Methode und das Ziel der wissenschaftlichen Studie ........... III. Quellen und Quellenkritik ............................................................... IV. Gegenwärtiger Forschungsstand und Literatur . . ...............................
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1. Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19) . I. Das Elternhaus .. ............................................................................... 1. Marie Munks Vater: Wilhelm Munk .......................................... 2. Marie Munks Mutter: Paula Munk .. ........................................... 3. Marie Munks Geschwister: Gertrud Munk und Ernst Munk ..... 4. Marie Munks erste Erfahrung von Differenz .............................. 5. Fazit ........................................................................................... II. Schul-, Berufs- und Universitätsausbildung (1892 – 1911) .................... 1. Schulbesuch und Ausbildung zur Kindergärtnerin ...................... 2. Sozialausbildung und Berufserfahrung bei Alice Salomon .......... 3. Hochschulreife .. .......................................................................... 4. Studium durch Reisen ................................................................ 5. Universitätsstudium und Promotion (1907 – 1911) ......................... 6. Fazit ........................................................................................... III. Berufsausübung bis zum Ersten und Zweiten Staatsexamen (1911 – 1919) ........................................................................................ 1. Erste juristische Berufserfahrungen (Oktober 1911–August 1916) . 2. Entscheidung zur Ehelosigkeit und Rückkehr nach Berlin ......... 3. Juristische Hilfsarbeiterin (März 1917–Februar 1919) ................... 4. Die berufliche Situation der Juristin während des Ersten Weltkrieg und danach ................................................................. 5. Fazit ...........................................................................................
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Inhalt
2. Kapitel Die Weimarer Zeit (1919 – 1932) ................................................................... I. Berufliche Profilierung ..................................................................... 1. Juristische Staatsexamina und Preußisches Justizministerium (Sommer 1919–April 1924) .. ......................................................... 2. Anwaltliche Tätigkeit (Mai 1924–April 1929) .............................. 3. Bewerbung in die Richterschaft .................................................. 4. Richterliche Tätigkeit (ab Mai 1929) ........................................... 5. Fazit: Marie Munk als eine der ersten Juristinnen, eine „neue Frau“? ...................................................................... II. Rechtspolitisches Engagement (1914 – 1933) ....................................... 1. Der Deutsche Juristinnenverein .................................................. 2. Die bürgerliche Frauenbewegung .. .............................................. 3. Marie Munk und die International Federation of Business and Professional Women (ab 1931) ................................ 4. Marie Munk und die German Federation of Business and Professional Women (ab 1931) ..................................................... 5. Fazit ........................................................................................... III. Marie Munks Einfluss auf die Reform im Unehelichenrecht , Eherecht, Scheidungsrecht, Familienrecht und Ehegüterrecht (1918 – 1932) .. ...................................................................................... 1. Das Recht der ledigen Mutter und das Recht des unehelichen Kindes im Vergleich zum Recht der Ehefrau nach dem BGB von 1896 ......................................... 2. Marie Munks Vorschläge zum Ehe- und Ehegüterrecht (1921) .. .. 3. Marie Munks Vorschläge zum Scheidungsrecht und seine Folgen für die elterliche Gewalt (1923) ........................................ 4. Marie Munks Vorschläge zum Ehegüterrecht auf dem 33. Deutschen Juristentag (1924) .................................................. 5. Die Reformbestrebungen in Parlament, Regierung und auf dem 35. Deutschen Juristentag zum Scheidungsrecht (1922 – 1931) ........ 6. Das Ende der Weimarer Reform (1931 – 1932) . . ............................. 7. Schlussbetrachtung: Marie Munks Anfänge ihrer originären Ethik des Rechts . . ....................................................................... 8. Resümee zu Marie Munks Ethik der Familienbeziehung zu Weimarer Zeit ............................................................................ IV. Das wissenschaftliche Profil Marie Munks (1914 – 1933) . . ................... 1. Vorträge und Rechtskundeunterricht (1914 – 1933) ........................ 2. Bücher der Jahre 1923 und 1929 ................................................... 3. Merkblätter zur Berufsberatung „Die Juristin“ ............................
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Inhalt
4. Rezensionen und fachwissenschaftliche Aufsätze (1918 – 1933) . . .... 266 5. Schlussbetrachtung ..................................................................... 286 3. Kapitel Flucht aus Nazideutschland: Forschungsgast in den USA (1933 – 1934) .... 289 I. Nach der Machtergreifung Hitlers: Ausschluss aus dem Beruf, dem Unterricht und aus der Rechtspolitik ........................................ 289 1. Der berufliche Ausschluss ........................................................... 290 2. Der Ausschluss von Vortrag und Unterricht .. .............................. 292 3. Der rechtspolitische Ausschluss .................................................. 292 4. Fazit ........................................................................................... 296 II. Der Gastaufenthalt im Jahr 1933 ....................................................... 297 1. New York City ............................................................................ 297 2. Washington ................................................................................ 298 3. The International Congress of Women in Chicago ..................... 298 4. The American Federation of Business and Professional Women’s Clubs and the International Federation of Business and Professional Women .............................................. 301 5. Der Besuch von Einrichtungen für jugendliche Straftäter und schwer erziehbare Mädchen ................................................. 304 6. Schlussbetrachtung: Exil, Emigration oder Migration? ............... 308 III. Die New York State Training School for Girls (10. Mai–Dez. 1934) . . .. 311 1. Schutz von Jugendlichen: Das Probation- und Parole-System in Amerika .......................................................... 312 2. Die Fürsorgeerziehungsanstalt für Mädchen des Staates New York: „New York Training School for Girls” .. ...................... 313 3. Marie Munks wissenschaftliche Tätigkeit als Hausmutter .. ......... 315 4. Ergänzende Schlussbetrachtung .. ................................................ 319 5. Marie Munks Abschied .............................................................. 323 6. Die Lancaster School for Girls ................................................... 325 7. Bewertende Schlussbetrachtung . . ................................................ 326 8. Rückkehr nach Deutschland (1934 – 1936) und Ausblick auf Amerika . . .................................................................................... 328 4. Kapitel Beruflicher Werdegang in den USA ........................................................... I. Erste Studien und Kontakte (1936 – 1938) .. ......................................... 1. Studien an der Pennsylvania University bei Thorsten Sellin und erste wissenschaftliche Begegnungen ................................... 2. Berufliche Einstiegsversuche als weibliche Immigrantin .............
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Inhalt
3. Fazit ........................................................................................... 339
II. Dozentin im Hood College und im Sophia Smith College
(1938 – 1940) . . ..................................................................................... 1. Hood College, Frederick (1938 – 1939) .......................................... 2. Sophia Smith College, Northampton/Massachusetts (1939 – 1941) . 3. Fazit ........................................................................................... III. Amerikanische Staatsbürgerschaft und Bar-Examen (1942 – 1943) ..... 1. Vorbereitung auf das Bar-Examen .............................................. 2. Examen (1942) ............................................................................ 3. Die amerikanische Staatsbürgerschaft ......................................... 4. Anwaltszulassung und Bestellung zur Notarin ............................ 5. Beruflich in der United Nations Relief and Rehabilitation Administration? ................................................... 6. Fazit ........................................................................................... IV. Marriage Counselor in Toledo/Ohio (1944) ...................................... 1. Am Court of Domestic Relations in Toledo/Ohio ...................... 2. Marie Munk als Marriage Counselor .......................................... 3. Marie Munks Renommee als Marriage Counselor . . .................... 4. Fazit ........................................................................................... V. Cambridge/Massachusetts (ab 1945) ................................................. 1. Studien und beruflicher Neueinstieg ........................................... 2. Marie Munk als amerikanische Anwältin .. .................................. 3. Art Degree in Harvard (1948 – 1953) ............................................. 4. Die Harvard Alumni Association (1953) ...................................... 5. Fazit ........................................................................................... VI. Hilfe beim Aufbau deutscher Demokratie (1946 – 1956) ..................... 1. Familienkontakte und Einblicke in die deutsche Frauenbewegung . . ....................................................................... 2. Zusammenarbeit mit Eugen Schiffer in Deutschland? ................ 3. Rückkehr nach Deutschland für die deutsche Familienrechtsreform? .................................................. 4. Der Deutschlandbesuch 1950 ...................................................... 5. Deutschlandbesuch im Jahre 1956 ............................................... 6. Munks transnationaler Vergleich: Die Beziehung des Bürgers zu seinem Staat ........................................................ 7. Marie Munks kulturelle Integration als Amerikanerin ................ 8. Schlussbetrachtung ..................................................................... 9. Überleitung zum 5. Kapitel .........................................................
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Inhalt
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5. Kapitel Beziehungen ............................................................................................... 407 I. Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Institutionen ....................... 408 1. National Association of Women Lawyers (seit 1938) ................... 408 2. International Federation of Women Lawyers .............................. 409 3. Legal Sorority (ab 1938) .............................................................. 410 4. Die National Conference on Family Relations (ab 1940) ............. 411 5. Mitglied im Committee on Family Law in der National Association of Family Relations (ab Dezember 1939) .................. 414 6. Marie Munks Beitrag zur Reform der Juristenausbildung und zu einer anderen Funktion des Gerichts ( Juni 1944) . . ........... 415 7. Biennial Convention of the National Federation of Business and Professional Women (1952) ................................................... 439 8. Schweiz: Das letzte Treffen mit der deutschen Frauenbewegung (1965) ............................................................... 439 9. Fazit zu Ziffer I: Institutionen .................................................... 439 II. Persönliche Beziehungen in Deutschland und in Amerika ............... 440 1. Beziehungen in Amerika ............................................................ 440 2. Beziehungen nach Deutschland .................................................. 450 3. Fazit ........................................................................................... 467 6. Kapitel Forschungen und Forschungsaufträge ...................................................... 469 I. Amerikanische Forschungsaufträge über Deutschland (1940er-Jahre) . 470 1. Bürgerrechte in Nazi-Deutschland (ca. 1939/1940) ...................... 470 2. Die Rechtsstellung der deutschen Frau während des Ersten Weltkriegs und während des Wiederaufbaus (ca. 1939/1940) .. ...... 470 II. Forschungsaufträge über die Verhältnisse in Amerika (1936 – 1954) .... 482 1. Eine Strafanstalt für Philadelphia (1936 – 1938) . . ........................... 483 2. Marie Munks Forschungen als Ehe- und Eherechtsberater (Marriage Counselor 1944) . . ........................................................ 483 3. Gesetzesvergleichende Studie über das Eherecht, das Ehegüterrecht, das Erbrecht und die Adoption in Nordamerika und in Südamerika (1953 – 1954) .. .................................................. 496 4. Schlussbewertung ....................................................................... 506
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Inhalt
7. Kapitel Schriften und Manuskripte ........................................................................ 509 I. Einleitung ........................................................................................ 510 II. Zur neuen Wissenschaft der Kriminologie (ca. 1937 – 1938) ................ 512 1. What are we heading? – Crime or Social Welfare (ca. 1937 – 1938) . 512 2. Schlussbewertung ....................................................................... 515 III. Nationalsozialistische Einflüsse auf Familie, Frau und Kirche (1939/1940) ..................................................................... 517 1. Die nationalsozialistische Ideologie und die christliche Kirche – Nazi Ideology and the Christian Church (1939) .......................... 517 2. Die deutsche Familie im Nationalsozialismus (Family under Nazism 1939/1940) .. .............................................. 519 3. Die Rolle der Frau in Diktaturen: Die Rezension Marie Munks zu Kirkpatricks „Nazi Germany: Its Women and Family Life“ (1939) . 524 IV. Der Weg der Deutschen aus dem Nationalsozialismus in eine Demokratie (1942 – 1956) ................................................................... 525 1. Der Nationalsozialismus und die junge Generation (1942 – 1943) . 526 2. Salvage for Peace (nach 1945) ...................................................... 527 3. Beware of Nazism as a New Creed in German Reconstruction (nach 1945) .................................................................................. 527 4. Rezension zu Wilhelm Pueschels und Friedrich Buchwalds Publikationen (1948) ................................................................... 528 5. Der Aufsatz „Earnest Efforts of German Women Directed to Solving Problems of Nation and World“ (1948) ........................... 529 6. „Modern Ambassadors for Peace“ (1950er-Jahre) .. ....................... 531 7. German Womenpower: Its Present and Future Role for Stabilization and Peace (1950) ..................................................... 532 8. Der Remer-Prozess (1952) ........................................................... 533 9. New Waste in Salvage Drives (1956) .. .......................................... 535 10. Schlussbewertung zu Ziffer III und IV ....................................... 535 V. Frauenrechte (1939 – 1942) . . ................................................................ 536 1. First American Appeal for Half of the Increase in Property (1939) . 537 2. Das Manuskript „Family Law and Procedure“ (1938 – 1940, 1942) . 537 3. Das Manuskript „Family Lawyer“ ............................................... 551 4. Der Aufsatz „Husband and Wife and Their Property Rights in the Laws of Domestic Relations“ (Herbst 1940) . . ........................ 552 5. Das Manuskript „Marriage and the Law“ (1940 – 1942) ................ 557 VI. Transnationales – Transatlantisches .................................................. 564 1. Pressemeldungen zu Marie Munks Vorträgen (1936 – 1941) .......... 565 2. Child Care in Germany ( Juni 1937) . . ........................................... 569
Inhalt
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3. The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany ( Juni 1937) ........................................................ 570 4. Iota Tau Tau: Legal Training in Germany – ein transnationaler Vergleich weiblicher Jurisprudenz ( Juli 1938) .. ............................. 571 5. Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America? (1942) . 573 6. Leitbilder für ein demokratisches Deutschland: Ehe- und Familienrechte in den USA? (1950) ............................................. 574 7. Schwedische Vorbilder (1950) . . .................................................... 575 8. Das neue Rollenverständnis: Vorbilder aus Amerika für Deutschland (1950) ..................................................................... 584 9. Schlussbetrachtung zu Ziffer VI ................................................. 584 VII. Manuskripte über das Problem Scheidung (1945 – 1954) . . ..................... 587 1. Einleitung: Die Eheschließungs- und Scheidungszahlen der Jahre 1940 – 1945 ........................................................................... 587 2. Weitere Publikationsversuche ..................................................... 589 3. Der Aufsatz „Putting the Brakes on Divorce“ (März 1946) . . ........ 591 4. Rezension zu Edmund Berglers „Unhappy Marriage and Divorce“ (Dezember 1946) .......................................................... 596 5. “Re-Evaluate the American Family” (Nov. 1947) ......................... 597 6. Fazit zu 3 bis 5 . . ........................................................................... 599 7. Do We Need Better Enoch Arden Laws? (Oktober 1948/ September 1949) .. ........................................................................ 600 8. Das Projekt „Elements of Love and Marriage“ (1945 – 1954) ......... 603 9. Der Aufsatz mit dem Titel „Uniform Divorce Bill“ (1954) ........... 635 8. Kapitel Beteiligung Marie Munks an der deutschen und amerikanischen Rechtsentwicklung (1951 – 1954) .. ............................. 636 I. Marie Munks Einfluss auf die deutsche Rechtsentwicklung der 1950er-Jahre . . .............................................................................. 637 1. Der Einfluss Margarete Berents und Marie Munks auf die Reform zum deutschen Ehe- und Ehegüterrecht ........................ 638 2. Die Gleichberechtigung bei Marie Munk/ Emmy Rebstein-Metzger/Marianne Weber im Vergleich zu Maria Hagemeyer und der Diskurs um die Gleichberechtigung im Gesetz von 1957 ........................................................................... 639 3. Bewertung der Unterschiede im Eherecht: Marie Munk/ Margarete Berent/Emmy Rebstein-Metzger/ Marianne Weber – Maria Hagemeyer – im Vergleich zum ausgewählten Forschungsstand ......................................................................... 642
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Inhalt
4. Bewertung der Unterschiede im Ehegüterrecht: Marie Munk/ Margarete Berent/Emmy Rebstein-Metzger/ Marianne Weber – Maria Hagemeyer – im Vergleich zum ausgewählten Forschungsstand ......................................................................... 5. Bewertung der Unterschiede im Rechtsverhältnis der Eltern zu ihren Kindern: Marie Munk/Emmy Rebstein-Metzger/ Marianne Weber – Maria Hagemeyer – im Vergleich zum ausgewählten Forschungsstand ................................................... II. Beteiligung an der amerikanischen Rechtsentwicklung .................... 1. Historischer Einblick in die Uniform-Law-Bewegung ............... 2. Uniform Divorce Bill ( Juni 1954) ................................................ 3. Die Bestimmungen des Uniform Divorce Bill .. ........................... 4. Vergleich mit dem bisherigen Verfahren bezogen auf die Scheidungsgründe .. ..................................................................... 5. Das neue Verfahren .. ................................................................... 6. Entscheidungen über die Scheidungsfolgen ................................ 7. Persönliche Rechtswirkungen und Eigentumserwerb nach der Scheidung .. ................................................................... 8. Kosten, Auslagen und Anwaltsgebühren ..................................... 9. Missachtung gerichtlicher Entscheidungen (Contempt of Court) .. ................................................................................... 10. Auswirkungen des Todes auf die Ehescheidung und auf die Rechtsinstitute Dower und Courtesy .......................................... 11. Entscheidungen und Anordnungen der Gerichte anderer Bundesstaaten ............................................................................. 12. Heirat nach einer Scheidung . . ..................................................... 13. Widersprechende Bestimmungen und ihre Unwirksamkeit .. ....... 14. Marie Munks Vergleich: Uniform Divorce Bill (1954) und Proposed Bill (1952) .. ................................................................... 15. Schlussbetrachtung: Vergleich mit der gegenwärtigen amerikanischen Rechtslage ......................................................... 9. Kapitel Scheinbar vergessen: Die Dissertation Marie Munks – Ansatz für ein anderes Wiedergutmachungsrecht? ................................. I. Einleitung ........................................................................................ II. Lohn- und Gehaltsansprüche Marie Munks .................................... 1. Die Rechtslage . . .......................................................................... 2. Der Streit um den hypothetischen Berufsweg ............................. 3. Schluss des Verfahrens ................................................................
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Inhalt
III. Zur Enteignung des Eigentums ....................................................... 717
1. Vermögensenteignung im Nationalsozialismus ........................... 2. Marie Munks Enteignung während eines lebensgefährlichen Aufenthalts in Deutschland (1938) .............................................. 3. Das deutsche Wiedergutmachungsrecht ..................................... 4. Die vermögensrechtlichen Restitutions- und Entschädigungsverfahren Marie Munks ..................................... 5. Das Verfahren nach Erlass des Bundesrückerstattungsgesetzes (BRÜG) . . .................................................................................... 6. Fazit zu den Kernproblemen der Wiedergutmachung von NS-Unrecht ................................................................................ 7. Schlussbetrachtung: Der NS-Kollektivzwang – auch Individualzwang? ................................................................
10. Kapitel Schlussbetrachtung . . .................................................................................. I. Zusammenfassung: Leben und Werk in Deutschland .. ..................... II. Zusammenfassung: Leben und Werk in den Vereinigten Staaten von Amerika ........................................................................ III. Marie Munks autobiografischer Nachlass: Gegenstand der Biografieforschung? .................................................................... 1. Weibliche Autobiografien – zwei unterschiedliche Motivationen . 2. Die weibliche Autobiografie als Lebens- und Kulturgeschichte: Eine Differenz im weiblichen Sein .. ............................................ 3. Das Problem wissenschaftlicher Erkenntnis aus einer Autobiografie oder die Frage nach der Differenz der Gültigkeit . 4. Die wissenschaftliche Erkenntnis aus der jüdischen Herkunft Marie Munks . . ............................................................................ 5. Wissenschaftliche Erkenntnis aus Gender: Erfahrung und/ oder Werk? ................................................................................. 6. Fazit zu Ziffer III ....................................................................... IV. Schlusswort ......................................................................................
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Inhalt
Die Marie-Munk-Büste und die Marie-Munk-Plakette ............................. 758 Bibliografie der Schriften von Marie Munk ............................................... 760 Kompendium der persönlichen Begegnungen mit Marie Munk ............. 776 Literatur- und Quellenverzeichnis ............................................................. 942 Literatur ................................................................................................. 942 Gedruckte Quellen ................................................................................. 961 Deutsche Gesetzesblätter und Verordnungsblätter .................................. 978 Deutsche Entscheidungssammlungen ..................................................... 978 Bundestagsdrucksachen .......................................................................... 978 Ungedruckte Quellen .. ............................................................................ 978 Sachverzeichnis .......................................................................................... 981
Vorwort
Zunächst wirkte die Autorin im DFG-Projekt „Reformforderungen zum Familienrecht und zur Rechtstellung der Frau in der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik 1975 – 1933“ mit. Ihre veröffentlichte Arbeit über die Reformforderungen der ersten deutschen Juristinnen in der Weimarer Republik regten sie zu weiterer Forschung an. Es folgten die hilfreichen Anregungen des Doktorvaters Stephan Meder und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter, begleitet von Werner Schuberts Rezension in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Die wohlwollenden Hinweise des Zweitgutachters, Professor Wolfgang Wurmnest, nunmehr Universität Augsburg, machten der Autorin Mut, den transnationalen und transatlantischen Kontext der Arbeit zu schärfen. Schließlich forderte Gerhard Köblers Rezension in der Zeitschrift integrativer europäischer Rechtsgeschichte über eingangs erwähnte Arbeit auf, die interdisziplinären Ansätze in Leben und Werk Marie Munks näher zu betrachten und ein für den Juristen unwegsames Gelände zu betreten. Die vorliegende werkbiografische und rechtshistorische Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Gottfried-Wilhelm-Leibniz Universität Hannover als Inauguraldissertation angenommen. Für den Blick aus verfassungsgeschichtlicher Expertise und das konzi liante Prüfungsverfahren in diesem werkbiografisch breiten Forschungsansatz ist dem Prodekan der Juristischen Fakultät, Professor Hermann Butzer, aufrichtig zu danken. Die Arbeit eröffnet den Blick zum einen auf die transnationalen und transatlantischen Einflüsse in den historischen und rechtshistorischen Entwicklungen, zum anderen auf eine Novellierung des Rechts, die mit einer Novellierung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, der Gerichtsstruktur und juristischer Ausbildungsstrukturen verbunden ist. Weiterhin wird mit dieser Werkbiografie eine Persönlichkeit vorgestellt, die bereits vor fast hundert Jahren die nationalen Grenzen und die fachdisziplinären Grenzen des wissenschaftlichen Umgangs mit dem Recht empirisch und methodisch transzendiert hat: Marie Munk, jüdischer Herkunft, evangelischer Konfession, eine der ersten Juristinnen Deutschlands, war eine der ersten und wenigen Wissenschaftlerinnen die nach ihrer Emigration in die Vereinigten Staaten im Sinne von Diversität in der Wissenschaft gemeinsam mit anderen deutschen emigrierten und amerikanischen Wissenschaftlern über nationale Grenzen hinweg zusammen arbeitete. Ausgewählte Literatur wurde bis zum Frühjahr 2014 berücksichtigt. Der Margaret Storrs Grierson Award des Sophia Smith College in Northampton (Massa chusetts) hat die Arbeit großzügig und anerkennend vorangebracht. September 2014 Oda Cordes
Wer war Marie Munk? Erste Spuren
Marie Munk ist werkbiografisch ein „noch unbeschriebenes Blatt“. Die Verfasserin der vorliegenden wissenschaftlichen Studie fand zu Beginn ihrer Arbeit folgende Quellensituation vor: Nur wenige Publikationen enthalten an einigen Textstellen biografische Daten, die jedoch bis heute ergänzungsbedürftig sind.1 Biographische Hinweise gibt es über Munks Leben, doch nur fragmentarische Einblicke in ihr Lebenswerk.2 Die Zeitschrift „The Daily Times Star“ vermeldete am 20. November 1937, dass sie die dritte Frau in Deutschland gewesen sei, die jemals das juristische Handwerk praktiziert habe.3 Die Vossische Zeitung vom 29. Juni 1924 berichtete über Marie Munk als ersten weiblichen Rechtsanwalt vor der 6. Zivilkammer des Landgerichts.4 Einer Quelle in der Sekundärliteratur lässt sich entnehmen, Marie Munk sei am 1. Juli 1926 zur Landgerichtsrätin in Berlin ernannt worden.5 Ein Jahr zuvor (1925), so ein elektronisches Archiv, habe sie als erste Juristin in Berlin die Anwaltszulassung erhalten.6
1 Vgl. die Rezension von Andrea Czelk in: www.querelles.net zu Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon zu Leben und Werk, Baden-Baden 2005, S. 275 – 279. 2 Zum rechtspolitischen Engagement zur Reform des Ehegüterrechts in Weimarer Zeit, Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen: Eine Geschichte ihrer Professionlaisierung und Emanzipation 1900 – 1945, Köln/Weimar/Wien 2011, S. 577, 582 – 589, 593, 596, 599, 604 – 606; Harriet Pass Freidenreich, Female, Jewish and Educated. The Lives of Central Europe University Women, Bloomington/Indiana 2002, S. 13, 24, 27, 63 – 64, 79 – 80, 98, 111, 150; Ursula Köhler-Lutterbeck, Lexikon der 1000 Frauen, Bonn 2000, S. 253; Hiltrud Häntzschel, Justitia – eine Frau? Bayerische Positionen einer Geschlechterdebatte, in: Hiltrud Häntzschel und Hadumod Bußmann, Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern, München 1997, S. 194 – 213; Marion Kaplan, Jüdisches Bürgertum. Frau, Familie und Identität im Kaiserreich, Hamburg 1997, S. 184 – 185, 228 – 229, 240 – 241, Fußnote 161 auf S. 238; Claudia Huerkamp, Bildungsbürgerinnen. Frauen im Studium und in akademischen Berufen 1900 – 1945, Göttingen 1996, S. 11 – 12, 14 – 15, 20 – 21, 110 – 111, 156, 281, 285, 287, 361 – 362; Ernst Stiefel und Frank Mecklenburg, Deutsche Juristen im amerikanischen Exil (1933 – 1950), Tübingen 1991, S. 75 – 77; Horst Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im Dritten Reich. Entrechtung und Verfolgung, 2. Auflage München 1990, S. 305. 3 Woman Attorney From Germany Gives Address At Dinner Meeting, in: Wabash Plain Dealer and The Daily Times Star, Saturday, November 20, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 4 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3528. 5 Alexandrea Przyrembel, ‚Rassenschande‘. Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus, Berlin 2001, S. 161 Fußnote 102 ohne Quellenangabe. 6 http://www.smith.edu (15. 01. 2011): Marie Munk Papers, 1901 – 1976, Biographical Notes.
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Wer war Marie Munk? Erste Spuren
Nach einer anderen elektronischen Quelle wurde sie im Jahr 1929 zum Kammergericht Berlin als Anwältin zugelassen.7 Das Blatt „Daheim“ berichtete am 31. Mai 1924 von der ersten preußischen Gerichtsassessorin in Preußen.8 Der Kreuzzeitung vom 14. Januar 1924 zufolge war sie bereits „Der erste weibliche Richter in Preußen.“9 Wie kann Marie Munk zur selben Zeit Assistentin des ehemaligen Justizministers Eugen Schiffer gewesen sein?10 Die mangelnde Aufarbeitung von Leben und Werk von Marie Munk hat bis heute an den widersprüchlichen Informationen zu ihrem beruflichen Werdegang festhalten lassen. Dies liegt mit großer Wahrscheinlichkeit auch daran, dass Horst Göppinger während der Konzeption seines Buches über Juristen jüdischer Abstammung die fehlerhafte Information mitgeteilt bekam, Marie Munk sei die erste Richterin Deutschlands gewesen.11 Ohne weitere Quellenforschung fand dann diese Information Eingang in die neuere Literatur.12 Es wäre sonst bei Durchsicht der Entschädigungsakte im Wiedergutmachungsverfahren zu dem an Marie Munk begangenen nationalsozialistischen Unrecht aufgefallen, dass Maria Hagemeyer 13 am 13. Juni 1956 schrieb, dass Marie Munk „als erste Frau in P reussen zum Gerichtsassessor“14, aber nicht zur Amts- oder Landgerichtsrätin ernannt worden war. Gerichtsassessoren wurden in Preußen auch nicht in eine etatmäßige Planstelle des Haushaltsplans eingewiesen 15, denn über eine dauerhafte 7 http://www.smith.edu (15. 01. 2011): Marie Munk Papers, 1901 – 1976, Biographical Notes. 8 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2, Folder 1 – 2. 9 GStA PK I. HA. Rep. 84 a, Justizministerium, Akten-Nr. 580, Bl. 111. 10 So auf der Homepage der Zeitschrift Recht und Politik www.rup-online.de unter dem Titel „Frauenrechtlerin Marie Munk geehrt“. Die Redaktion der genannten Zeitschrift reflektiert nicht, dass Eugen Schiffer zu keinem Zeitpunkt preußischer Justizminister war, sondern in der fraglichen Zeit (25. März 1919 bis 5. März 1927) nur Dr. Hugo am Zehnhoff in dieser Funktion tätig gewesen sein kann. 11 Schreiben von Alice Prausnitz an Horst Göppinger am 30. Januar 1980, in: Nachlass Horst Göppinger, Zentrum für Antisemitismusforschung, Berlin. 12 Horst Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“, S 305. 13 In den Jahren 1955 bis 1958 Autorin der Publikation zum Entwurf des Familiengesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik und zum Familienrecht in der Sowjetzone im Deutschen Bundesverlag / Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen. Kompendium, S. 835. 14 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 6. Kursive Hervorhebungen nicht im Original. 15 § 49 der RHO bestimmte, dass die Verleihung eines Amtes (Ernennung eines Richters oder Beamten) mit der Einweisung in eine freie und besetzbare Planstelle verbunden sein muss. Darüber hinaus war der Haushaltsgesetzgeber gem. § 17 Abs. 5 RHO verpflichtet, nur für solche Aufgaben Planstellen im Haushaltsplan einzurichten, die für die Begründung eines Beamtenverhältnisses bzw. für die Ernennung von Richtern zulässig sind.
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Verwendung im Richterdienst sollte erst in Zukunft entschieden werden.16 Die Verfasserin fand zu Beginn ihrer Arbeit Quellen darüber vor, dass Marie Munks berufliche Stellung als gebildete Frau und Juristin zu Weimarer Zeit zum Anlass genommen wurde, um zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum sozialpolitisch zu polarisieren: „Was die bürgerliche Frau sozial geworden, verdankt sie der Revolu tion: wofür sie Jahrzehntelang in eigener Ohnmacht gekämpft, fiel ihr als reife Frucht in den Schoß. Mit Arbeiterblut aber war der Boden gedüngt, dem die Saat entsproß. Dem arbeitenden Volke hat die bürgerliche Frau diese Schuld abzutragen.“17 Es fanden sich in den Archiven diskriminierende Hinweise über die jüdische Herkunft Marie Munks, obgleich sie am 26. März 1901 konfirmiert worden war.18 Die Kreuzzeitung wollte „darauf aufmerksam machen, daß das erste Fräulein Assessor eine Jüdin ist. Die Aufgabe dieser deutschnationalen Damen 19 scheint es uns zu sein, dafür zu sorgen, daß das christliche Element nicht auch auf diesem Gebiete ins Hintertreffen gerät.“20 Alte Vorurteile, nur scheinbar mit der Emanzipationsgesetzgebung begraben, verstärkten die Diskriminierung gebildeter Frauen jüdischer Herkunft. Diesem Bild setzt die heutige neue Sekundärliteratur entgegen, Marie Munk sei zusammen mit anderen Frauen jüdischer Herkunft weibliches Vorbild erfolgreicher jüdischer Akkulturation in damaliger Zeit: „Female, Jewish & Educated.“21 Marie Munk
16 In Preußen dauerte der Assessor-Dienst 5 bis 6 Jahre. Die Assessoren wurden in verschiedenen Funktionen eingesetzt, beispielsweise als juristische Sekretäre im Gerichtsschreiberdienst, jedoch nur ausnahmsweise in der Funktion als Hilfsrichter. In: Hartung, Die Aussichten der preußischen Gerichtsassessoren auf entgeltliche Verwendung, in: Deutsche Richterzeitung 2/1910, Heft 1, S. 29; Leeb, Zum Geleit, in Deutsche Richterzeitung 1/1909, Heft 1, S. 4; „Ass. mit ‚gut‘ oder ‚sehr gut‘ wurden nach Ermessen, aber nicht vor 2 Jahren eingestellt.“ Die Warte zeit betrug in allen Ländern von 2 bis 12 Jahren; in: Dr. E., Besoldungs- und Anstellungsverhältnisse der Gerichtsassessoren in deutschen Bundesländern. Ergebnis einer Umfrage, in: Deutsche Richterzeitung 2/1914, Heft 8, S. 375; Ungewitter, Die Richteramtsanwärter, in: Deutsche Richterzeitung, 6/1914, Heft 13, S. 583 – 585. 17 Zeitungsartikel vom 13. Januar 1924 mit dem Titel „Die erste weibliche Gerichtsassessorin“, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3514. Hervorhebung nicht im Original. 18 Konfirmationsschein vom 26. März 1901 mit dem Spruch aus Offb. 2, Vers 10: Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 10. Weiterer Nachweis in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, N orthampton, Mass., Box 1 Folder 9. 19 Mit den deutschnationalen Damen waren die Frauenrechtlerinnen gemeint. 20 GStA PK I. HA. Rep. 84 a, Justizministerium, Akten-Nr. 580, Bl. 111. Kursive H ervorhebung nicht im Original. 21 So Harriet Pass Freidenreich unter dem gleichnamigen Titel, Bloomington 2002.
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wird der „New Jewish Women in Weimar Germany“22 zugedacht. Die Verfasserin der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit wird nicht nur Quellen erhellen und Marie Munks Leben mit dem Ausgangspunkt ihres Werks, der Stellung der Frau im Recht, verknüpfen. Darüber hinaus wird die Verfasserin dieser Arbeit dem Leser den wissenschaftlichen Weg, den Marie Munk im Vorgriff auf eine spätere interdisziplinäre Profilierung der Rechtswissenschaft gegangen ist, bis hin zu dem heutigen jungem und neuem Forschungsfeld: der Diversität, nachzeichnen. Diesem Weg sind rechtsgeschichtliche Entwicklungen vorgeschaltet, auf die im Folgenden eingegangen wird.
I. Einleitung Mit Marie Munk, geboren am 4. Juli 1885 in Berlin, sind drei wesentliche rechts geschichtliche Entwicklungen verbunden: Erstens der erste Erfolg von Frauen in der deutschen Jurisprudenz und die Eheund Familienrechtsreformforderungen der Weimarer Zeit. Nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland verbindet sich mit ihrer Person zum Zweiten das wissenschaftliche Wirken von deutschen Emigranten im amerikanischen Rechtskreis. Drittens der rechtsgeschichtliche Einfluss amerikanischer deutschstämmiger Staatsbürger auf die Rechtsentwicklung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Die letzten beiden Aspekte stehen in einem heute noch jungen Forschungsgebiet der historischen Arbeit: der transnationalen Geschichte. Ein wissenschaftlicher Untersuchungsansatz, der zum einen die Grenzen der deutschen Nation und der bisherigen Geschichtsschreibung überschreitet, zum anderen den selektiven Transfer zwischen verschiedenen Staaten untersucht.23 Marie Munk ergänzte ihren Blick über den nationalen Zaun, indem sie nicht nur gesetzliche Bestimmungen anderer Staaten in ihre eigenen Reformüberlegungen aufnahm, sondern darüber hinaus sozialpolitische Programme anderer Staaten für ihre Reformüberlegungen fruchtbar machte und diese sogleich in andere wissenschaftliche Disziplinen überführte. In diesem Wirken erhielt Munks Werk eine originäre transatlantische Perspektive und einen originären diversen Forschungsansatz, auf den im Weiteren eingegangen werden wird.
22 Claudia Prestel, The “New Jewish Women” in Weimar Germany, in: Wolfgang Benz, Arnold Pauker und Peter Pulzer (Hg.), Jüdisches Leben in der Weimarer Republik. Jews in the Weimar Republic, Tübingen 1998, S. 135 – 156. 23 Einführend: Margrit Pernau, Transnationale Geschichte, Göttingen 2011.
Einleitung
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Das Leben und Werk Marie Munks verheißt, an ein weiteres historisches Forschungsfeld anzuknüpfen: an die Biografieforschung.24 Diese hat zum sozial wissenschaftlichen, kulturwissenschaftlichen, literaturwissenschaftlichen, kunstwissenschaftlichen und historischen Diskurs aufgerufen und sich die Frage gestellt, ob die von Personen erzählte Lebensgeschichte für die Forschung valide ist oder unter w elchen Bedingungen sie es für die Forschung sein kann, um sich nicht dem Vorhalt der Konstruktion auszusetzen.25 Marie Munk als eine der ersten Juristinnen Deutschlands emigrierte in die Vereinigten Staaten, dies forderte zu einem Diskurs über personale Identität in einer Biografie auf. Aus ihrer maschinenschriftlichen Autobiografie wurden bereits erste Ansatzpunkte der wissenschaftlichen Biografik zu ihrer nationalen Identität, ihrer jüdischen Identität, ihrer Gender-Identität und ihrer Identität als Juristin erörtert.26 Diese Ansätze27 wurden der Öffentlichkeit vorgestellt, nachdem die wissenschaft liche Studie „Marie Munk und die Stellung der Frau im Recht“ im Spätsommer des Jahres 2011 erstmals präsentiert wurde. In dieser bereits veröffentlichten Arbeit, als auch in der mit diesem Buch vorliegenden Arbeit werden Ansätze der Biografie forschung nicht weiter vertieft, weil sich diese Ansätze vom Werk Marie Munks allzu weit entfernen könnten.
24 Zum neuesten Forschungsstand: Winfried Marotzki, Qualitative Biographieforschung, Reinbek 2012; Lena Inowlocki, Das forschende Lernen in der Biographieforschung: Europäische Erfahrungen, in: Zeitschrift für qualitative Forschung, Band 11, Leverkusen 2010, S. 183 – 195; Birgit Griese, Subjekt – Identität – Person? Reflexionen zur Biographieforschung, Wiesbaden 2010; Jutta Ecarus, Typenbildung und Theoriegenerierung, Methoden und Methodologie qualitativer Bildungs- und Biographieforschung, Opladen 2010; Werner Fusch-Henritz, Biographieforschung. Handbuch spezieller Soziologie, Wiesbaden 2010; Bettina Völker, Biographieforschung, Wiesbaden 2009; Hede von Felden, Methodendiskussion in der Biographieforschung: Klassische und innovative Perspektiven rekonstruktiver Forschung, Mainz 2007; Reinhard Sackmann, Lebenslaufanalyse und Biographieforschung: Eine Einführung, Wiesbaden 2006; Hans Erich Bödeker (Hg.), Biographie schreiben, Göttingen 2003. 25 Claus-Dieter Crohn, Erwin Rotermund, Lutz Winckler und Wulf Koepke (Hg.), Autobiografie und wissenschaftliche Biografik, München 2005; Wolf-Dietrich Bukow und Susanne Spindler, Die biographische Ordnung der Lebensgeschichte. Eine einführende Diskussion, in: http://www.hwf.uni-koeln.de/data/eso22/File/7081_ws0809/biographische_ordnung_der_ lebensgeschichte.pdf (11. 01. 2014). 26 Marion Röwekamp, Doing Gender, Doing Law, Doing Biography: Marie Munk (1885 – 1978), in: BIOS Zeitschrift für Biografieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, Heft 1/2010, S. 99 – 113. 27 Marion Röwekamp, Von der Schwierigkeit, ein Frauenleben zu erzählen. Zum Projekt einer Marie Munk-Biografie, in: Susanne Blumesberger und Ilse Korotin (Hg.), Frauenbiografieforschung. Theoretische Diskurse und methodologische Kenzepte, Wien 2012, S. 458 – 487.
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Es geraten hinter ausschließlich biografiewissenschaftlichen Ansätzen die Implika tionen von Munks Forderungen zur deutschen Rechtsreformentwicklung in Weimarer Zeit, ihre wissenschaftlichen Beiträge in rechtspolitischen und wissenschaft lichen amerikanischen Vereinigungen und Gesellschaften, als auch ihr Einfluss auf die deutsche Rechtsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Blick. Darüber hinaus muss in der wissenschaftlichen Biografik eine Frage im Vorweg immer gestellt werden, ob sich Leben und Werk Marie Munks als Projekt für die Biografieforschung überhaupt eignen. Die Verfasserin geht dieser Frage in einer Schlussbetrachtung nach. Mit der vorliegenden wissenschaftlichen Werkbiografie werden nicht ausschließ lich gesellschaftliche Strukturen und Prozesse der deutschen Rechtsgeschichte aus der Weimarer Zeit historisch untersucht. Die vorliegende Arbeit kann auch nicht nur dem institutionellen Wirken amerikanischer wissenschaftlicher Verbände und Vereinigungen verpflichtet sein. Vielmehr wurde das institutionelle Wirken von wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und rechtspolitischen Vereinigungen und Verbänden und die hiermit in Gang gesetzten Entwicklungen um die Einflussnahme Marie Munks ergänzt. Ebenso erfolgte eine Einflußnahme auf Marie Munk durch die Mitglieder und Mitwirkenden aus Wissenschaft und Rechtspolitik, so dass sich die gegenseitig befruchtenden Entwicklungen von Werk und Wirken bei Marie Munk aus einem Kompendium der persönlichen Begegnungen mit Marie Munk in einem werkbiographischen Anhang nachvollziehen lassen. Die vorliegende Arbeit wagt den notwendigen Schritt weg von einer menschenleeren (Rechts)-Strukturgeschichte. Makrohistorisch ist das Ziel dieser Arbeit nicht bestimmt. Die Verfasserin dieser wissenschaftlichen Arbeit beschreibt das Leben Marie Munks nicht als Teil einer sozialen Gruppe, zum Beispiel jüdischer Emigrantinnen in den USA. Die Verfasserin verwandelt das Leben und das Werk Marie Munks nicht in einen Gegenstand eines historischen Systems, zum Beispiel in das System der Emigra tion. Hiergegen spricht allein schon die Tatsache, dass Marie Munk ihr Leben in den Dienst einer Sache stellte, wie sie es in ihrer Autobiografie für die Zeit ihrer aktiven Mitarbeit in der deutschen Bürgerlichen Frauenbewegung beschrieb: “I wanted to use my own life only as a background for describing the German Feminist Movement in which I had taken an active part.”28 So sind die drei eingangs in dieser Einleitung genannten Aspekte mikrohistorisch 29 zu einer Subjektgeschichte vereint und bestimmen Methode und Aufbau dieser wissenschaftlichen Arbeit. 28 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Foreword, S. I. 29 Hans Medick, Mikro-Historie, in: Winfried Schulze (Hg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion, Göttingen 1994, S. 40 – 53; Hans Medick, Mikrohistorie,
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II. Ziel, Methode und Aufbau der wissenschaftlichen Studie Das Ziel und die Methode dieser wissenschaftlichen Studie sind mit ihrem Aufbau verknüpft.
1. Aufbau der wissenschaftlichen Studie Es wird mit dieser wissenschaftlichen Studie die erste Werkbiografie über Marie Munk vorgelegt: Leben und Werk Marie Munks in Deutschland befindet sich in Kapitel 1 bis 3. Ausgehend von ihrem Elternhaus wird in historisch-kultureller Pers pektive über ihre Schul-, Berufs- und Universitätsausbildung bis zu ihren ersten juristischen Berufserfahrungen berichtet,30 gefolgt von der Weimarer Zeit und ihrer Zulassung für den juristischen Beruf.31 Ihrem rechtspolitischen Engagement und ihren herausragenden wissenschaftlichen Beiträgen zu den ehe- und familienrecht lichen Reformforderungen in der Weimarer Zeit ist das 2. Kapitel, Ziffer II und III gewidmet. Beide Engagements waren mit ihrer wissenschaftlichen Profilierung auch auf anderen Rechtsgebieten eng verbunden, sodass es ihre Publikationen verdienen, in einer eigenen Ziffer IV im 2. Kapitel vorgestellt zu werden. Nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland und ihrem beruflichen Ausschluss orientierte sich Marie Munk neu.32 Sie besuchte als Gast die Vereinigten Staaten und knüpfte erste Kontakte, die sie in einem beruflichen Neuanfang beförderten. Neue Überlegungen für die wissenschaftliche Arbeit folgten in den USA.33 Sechs weitere Kapitel widmen sich ihrem beruflichen, rechtspolitischen und wissenschaftlichen Wirken in den Vereinigten Staaten von Amerika. In vier dieser sechs Kapitel werden vor dem Hintergrund Marie Munks weiteren beruflichen Werdegangs (4. Kapitel), ihren wissenschaftlichen Beziehungen zu amerikanischen Institutionen und deutschen sowie amerikanischen Wissenschaftlern (5. Kapitel), dem Leser ihre Forschungen und Forschungsaufträge (6. Kapitel) vorgestellt. Besondere Aufmerksamkeit erfahren Marie Munks veröffentlichte Schriften und unveröffent lichten Manuskripte (7. Kapitel). Dieses Kapitel gliedert sich in die wissenschaftlichen Forschungsfelder ein, denen Marie Munk auch in einer transatlantischen Perspektive nachgegangen ist:
30 31 32 33
in: Stefan Jordan (Hg.), Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Begriffe, Stuttgart 2002, S. 215 – 218. 1. Kapitel, Ziffer I.–Ziffer III. 2. Kapitel, Ziffer I. 3. Kapitel, Ziffer I. 3. Kapitel, Ziffer II. und III.
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Dazu gehören die zu damaliger Zeit noch junge Wissenschaft der Kriminologie 34 und die neuesten Entwicklungen im amerikanischen Strafvollzug, welche sich in Marie Munks Forschungsauftrag über eine Strafanstalt für Philadelphia 35 und in dem persönlichen Kontakt zu Nigley K. Teeters 36 widerspiegelten.37 Marie Munk publizierte über die Rechtsstellung der Frau im Bildungssystem und arbeitete über die Ausbildung und Stellung der Juristin in einem deutsch-amerikanischen Vergleich,38 angeregt durch den Kontakt zur National Association of Women Lawyers und der International Federation of Women Lawyers.39 Frisch emigriert berichtete Marie Munk nicht nur in öffentlichen Vorträgen über die Bedeutung der Rolle der Frau in der Familie und die Bedeutung der Familie für die Demokratie.40 Vielmehr untersuchte Marie Munk die nationalsozialistischen Einflüsse auf Familie, Frau und Kirche 41 und zog einen Vergleich zur amerikanischen Gesellschaft.42 Beide Arbeiten waren aus der Zusammenarbeit mit Norman E. Himes 43 entstanden,44 als Marie Munk erstmals eine Anstellung als wissenschaftliche Dozentin am Hood College und am Smith College erhielt.45 Nach dem Beitritt der Amerikaner zur Allianz gegen Hitler wies sie schon früh den Weg für die Deutschen aus dem National sozialismus in eine Demokratie 46 und stellte die Rolle der Frau in den Mittelpunkt der Demokratisierung.47 Vor dem Erstarken deutscher demokratischer Strukturen, zu einem sehr frühen Zeitpunkt, als sich aus ihrer Sicht der Untergang des Dritten Reichs bereits abzeichnete, stellte sie die mutige Frage, ob das deutsche öffent lich finanzierte Wohlfahrtssystem Vorbild für das privat finanzierte amerikanische Gesundheits- und Ehe-Familie-Beratungssystem sein könne.48 Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg trug Marie Munk mit ihren Deutschland reisen dazu bei, den Deutschen die Augen für die Demokratie zu öffnen,49 und ging in einem Manuskript der Frage nach, ob das amerikanische Vorbild über die Rolle 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49
7. Kapitel, Ziffer II. und Ziffer VI. Nr. 1.1. und 3. 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 1. Kompendium der persönlichen Begegnungen mit Marie Munk, S. 923. 5. Kapitel, Ziffer II. Nr. 1.1. 7. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 1.2., 1.3. und Nr. 4. 5. Kapitel, Ziffer I. Nr. 1. und Nr. 2. 5. Kapitel, Ziffer I. Nr. 1.1. und Ziffer II. Nr. 2.1. und Nr. 3. 7. Kapitel, Ziffer III. 7. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 1.4. Kompendium, S. 843. 5. Kapitel, Ziffer II. Nr. 1.3. und 7. Kapitel, Ziffer III. Nr. 2.1. 4. Kapitel, Ziffer II. 7. Kapitel, Ziffer IV. 7. Kapitel, Ziffer IV. Nr. 10. 7. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 2. und 5. 4. Kapitel, Ziffer VI.
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der Frau in Familie und Gesellschaft nach Deutschland adaptiert werden könne.50 Schwedische Vorbilder für Marie Munks Modell eines Marriage Counseling Service und einer Family Education rundeten ihre transatlantische Perspektive ab.51 Ihre Manuskripte und Veröffentlichungen über das Scheidungsrecht 52 entstanden während ihrer beruflichen Erfahrung als Marriage Counselor in Toledo (Ohio)53 und wurden in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit der National Conference on Family Relations 54 interdisziplinär geschärft. Die wissenschaft liche Arbeit Max Rheinsteins 55 wurde durch Marie Munk geprägt. Beide Wissenschaftler haben sich in ihrer wissenschaftlichen Forschung unterstützt.56 Vor diesem Hintergrund ist Marie Munks Beitrag in der National Conference on Family Relations zur Reform der Juristenausbildung und einer amerikanischen Gerichtsstrukturreform für das Familienrecht zu betrachten.57 Auf die berufliche Erfahrung als Marriage Counselor blickte sie in dem Aufsatz „Putting the Brakes on Divorce“ im März 1946 zurück.58 Marie Munk rief dazu auf, die Familie und das Recht, also die normative Ordnung und ihre sozialen Bedingungen, zu evaluieren.59 Aus Sicht Marie Munks war dies geradezu eine der wichtigsten Grundbedingungen für die Implementierung neuen Rechts in eine Rechtsordnung. Die Folgezeit des Lebens Marie Munks prägte das unvollständig gebliebene Manuskript „Elements of Love and Marriage“. Marie Munk fragte, welche interdisziplinären Informationen für ihre Leser als ein ihre Ehe erhaltender Faktor bedeutsam nachgefragt werden könnten.60 Mit d iesem Manuskript, das sich sowohl an Ehepaare als auch an Sozialarbeiter wenden sollte, setzte Marie Munk einen Schlusspunkt unter ihre langjährige Forschung.61 Es wäre sowohl für den Literaturbestand der damaligen Zeit, als auch für den gegenwärtigen Forschungsstand eine wesentliche Bereicherung gewesen, wenn d ieses Manuskript Marie Munks damals veröffentlicht worden wäre.62 Zumal sich bei Marie Munks Forschung zu diesem Komplex „Elements of Love and Marriage“ ein originärer 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62
7. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 8. 7. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 7. 7. Kapitel, Ziffer VII. 4. Kapitel, Ziffer IV. 5. Kapitel, Ziffer I. Nr. 4. und Nr. 5. Kompendium, S. 901. 5. Kapitel, Ziffer II. Nr. 1.4. 5. Kapitel, Ziffer I. Nr. 6. 7. Kapitel, Ziffer VII. Nr. 3. 7. Kapitel, Ziffer VII. Nr. 5. 7. Kapitel, Ziffer VII. Nr. 8. 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2. 7. Kapitel, Ziffer VII. Nr. 8.5.
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Ansatz fand, der sich zur soziologischen Jurisprudenz, zum therapeutischen Ansatz und zu Max Rheinsteins Kritik am therapeutischen Ansatz abgrenzte.63 Mit einem Forschungsauftrag zu einem Gesetzesvergleich süd- und nordamerikanischer Bestimmungen über das Eherecht, das Ehegüterrecht, das Erbrecht und die Adoption 64 rundete sich die transatlantische Perspektive Marie Munks Wirkens ab und mündete im Jahre 1954 in ihre letzte Publikation mit dem Titel „Uniform Divorce Bill“ ein.65 Ihre Arbeiten zur amerikanischen Rechtsvereinheitlichung nahmen in ihrem transatlantischen Blick die amerikanische Gerichtsstrukturreform, eine familienrechtliche Verfahrensreform und eine Reform zur Juristenausbildung mit auf.66 Bis in die heutige Zeit gibt es unerfüllte Punkte im amerikanischen Scheidungsrecht, die aus der Munk’schen Perspektive dem bereits eingeleiteten oder erreichten Fortschritt hinderlich im Wege stehen.67 Das gleiche Fazit kann für die Beteiligung Marie Munks an der deutschen Rechtsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg im Vergleich zu einem ausgewählten Forschungsstand gezogen werden.68 Dieser Lebensabschnitt in Marie Munks Wirken wurde durch den Kalten Krieg geprägt. Marie Munk konnte nur durch Besuche in Deutschland, aber nicht, wie ursprünglich von dem damaligen ersten Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Walter Strauß 69, für die Rechtsentwicklung der damaligen Bundesrepublik geplant, hauptberuflich in Deutschland am Wiederaufbau mitwirken.70 Schon gar nicht, wie von Marie Munk erwünscht, in einer persönlichen Zusammenarbeit mit dem damaligen Leiter der Justizverwaltung der sowjetisch besetzten Zone Eugen Schiffer.71 Dies ist Grund dafür, dass Marie Munks Kontakt zu Anni (Irmela) Ackermann 72, die ihr Material über die Rechtsentwicklung in beiden Teilen Deutschlands übersandte, auf das Diskurse mit deutschen Wissenschaftlern und Juristen aus ihren Nachlässen, vorwiegend in Briefen, wie zum Beispiel mit G ertrud Schubart-Fikentscher,73 Eugen Schiffer, Fritz Bauer,74 Robert M. W. Kempner 75, Wal-
63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75
6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2.3. 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 3. 7. Kapitel, Ziffer VII. Nr. 9. 8. Kapitel, Ziffer II. 8. Kapitel, Ziffer II. Nr. 15. 8. Kapitel, Ziffer I., insbesondere Nr. 2.–5. Kompendium, S. 920. 4. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 2., Nr. 3. und Nr. 5. Kompendium, S. 911. Kompendium, S. 776. Kompendium, S. 917. Kompendium, S. 790. Kompendium, S. 850.
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ter C. Schwarz 76 und Alfred Karpen 77 sichtbar wurden.78 Die Stellung der Wissenschaftlerin nach dem zweiten Weltkrieg wird in der Korrespondenz mit Gertrud Schubart-Fikentscher nachvollziehbar. In der Beziehung zu Fritz Bauer und Robert M. W. Kempner arbeitete Marie Munk den Nationalsozialismus auf.79 Im Kontakt mit dem deutschen Anwalt Walter C. Schwarz, der ihr Verfahren zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, wie Alfred Karpen, begleitete, arbeitete Marie Munk nicht nur den eigenen, sondern weitere Sachverhalte der Vermögensenteignung in Amerika lebender emigrierter Deutscher jüdischer Herkunft für eine Rechtsverfolgung in Deutschland auf.80 Eine Hilfe, mit der Marie Munk als amerikanische Anwältin kein Vermögen verdienen konnte. Erst nach Bewilligung einer monatlich gezahlten Wiedergutmachungsrente lebte sie in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen.81 Es wird Marie Munks Beitrag vor dem Hintergrund amerikanischer Hilfe für einen demokratischen Wiederaufbau in Deutschland betrachtet.82 Wichtig für ein Resümee der Autorin der vorliegenden Arbeit wurden die Betrachtungen Munks über die Schuld der so als Täter bezeichneten Elterngeneration. Durch eine Begegnung mit der neuen deutschen Juristengeneration entdeckte Marie Munk eine falsch verstandene Vorstellung der in Deutschland wiedergewonnenen demokratischen Freiheit, die die neue deutsche Juristengeneration an einer (vollständigen) Solidarität mit den Opfern des Nationalsozialismus hinderte.83 Diese Erkenntnis regte die Autorin der vorliegenden Arbeit dazu an, an die Dissertation von Marie Munk anzuknüpfen, um im Wiedergutmachungsrecht erste Überlegungen einer Alternative für eine Wiedergutmachung im Zivilrecht anzustellen. Es wäre sonst die Disserta tion Marie Munks dem Vergessen anheimgefallen 84 und Marie Munks Leitbilder ihres Schaffens wären im Schaffen der Autorin dieser Arbeit unvollendet geblieben. Auf diese Leitbilder soll im 10. Kapitel näher eingegangen werden. Es soll an Marie Munks Vorwort zu ihrer Autobiografie angeknüpft und, im Sinne der Leitbilder Recht, Unrecht, Gleichheit, Gerechtigkeit und Differenz, Leben und Werk Marie Munks abschließend betrachtet werden. Dem Ergebnis dieser Schlussbetrachtung soll an dieser Stelle nicht vorgegriffen werden. Deshalb bleibt zunächst nur festzuhalten, dass Marie Munk die deutsche und amerikanische Rechtskultur veränderte, was sie aber nicht allein tat und tun konnte. 76 77 78 79 80 81 82 83 84
Kompendium, S. 918. Kompendium, S. 850. 5. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2. 7. Kapitel, Ziffer III. 4. Kapitel, Ziffer III., Nr. 1.–4., Ziffer V. Nr. 2., 5. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2.4.–2.6. 9. Kapitel, Ziffer II. und III. Nr. 1.–5. 4. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 4.2.–Nr. 4.2.1. 4. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 5.2.–8. 9. Kapitel, Ziffer III. Nr. 7.
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Das ist der Grund, warum sich in einem Kompendium der persönlichen Begegnungen mit Marie Munk dem Leser die Daten von Personen zu Marie Munks Lebzeiten und ihrer Weggefährten eröffnen. Marie Munk ist mit den biografischen und werkbiografischen Daten dieser Personen in den jeweiligen Institutionen, der Deutschen Bürgerlichen Frauenbewegung oder der rechtspolitisch einflußreichen National Conference on Family Relation, um nur zwei rechtspolitische und wissenschaftliche Institutionen herauszugreifen, verflochten. Marie Munk wirkte in einem sozialen und intellektuellen Umfeld. Es begegneten ihr Menschen und Wissenschaftler unterschiedlicher Provenienz und Profession, die ihr Schaffen, wie in dieser Arbeit geschildert oder benannt, direkt oder indirekt beeinflussten. Diese Personen erfordern es, in einem eigenen werkbiografischen Kompendium, je nach originärer und sekundärer Quellenlage, skizziert oder ausführlich beschrieben zu werden. Mittels dieser werkbiografischen Implikationen werden zugleich ergänzende Einblicke in die politischen, rechtlichen und sozialen Fragen damaliger Zeit möglich. Es wird ein Blick in die Bedingungen des rechtspolitischen und sozialpolitischen Handelns Marie Munks und ihre Beweggründe persönlicher Begegnungen mit Weggefährten und Begleitern eröffnet. Diese erschlossen sich aus ihren Nachlässen bei vielen Personen, wie zum Beispiel in der Beziehung zu Max Rheinstein und Norman E. Himes. Nicht immer ohne Weiteres lagen diese wissenschaftlichen Kontakte in einer akademischen Zusammenarbeit transparent vor, sondern eröffneten sich über die wissenschaftliche Wahlverwandtschaft zur deutschen, englischen und amerikanischen Settlement- Bewegung, wie bei Sophonisba Breckinridge, Jane Addams und Alix Westerkamp.85 Letztere orientierte sich in ihren Forschungen zu einer deutschen Settlementbewegung an dem englischen Modell.86 Bei Hans von Hentig 87 war es die Mitgliedschaft Marie Munks in der National Conference on Family Relations (5. Kapitel, Ziffer I Nr. 4.3) und der Briefkontakt zu seinem Bruder, Werner Otto von Hentig.88 In der Beziehung zu Karl Loewenstein 89 war es die besondere Lebenssituation ihrer Einbürgerung.90 Ignaz Emil von Hofmannsthal 91 regte sie zu ihrem letzten Manus kript an: „Elements of Love and Marriage“. 85 Kompendium, S. 781, 812, 933. Breckinridge in ihrer Wahlverwandtschaft zu Marie Munks sozialwissenschaftlicher Forschung in den Vereinigten Staaten, Marie Munk in Abgrenzung zum Forschungsansatz bei Jane Addams; siehe 3. Kapitel, Ziffer III. Nr. 4.1. 86 3. Kapitel, Ziffer III. Nr. 4.1. 87 Kompendium, S. 838. 88 Kompendium, S. 841. 89 Kompendium, S. 868. 90 Siehe 4. Kapitel, Ziffer III. Nr. 3. 91 Kompendium, S. 843.
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Soziale Kontakte ergaben sich nicht nur über Briefe an und von Marie Munk. Pfade rechtspolitischer und wissenschaftlicher Kommunikation ergaben sich aus Berichten Dritter in Briefen, Zeugnissen und Erklärungen, ebenso aus Protokollen und Verbandsnachrichten der Gremien und Kommissionen, in denen sie Mitglied war. Weitere soziale Bezüge boten sich aus veröffentlichten Quellen an. So ist es beispielsweise aus Sicht der Verfasserin für den Leser von Interesse, zu erkennen, dass Marie Munk ihr Rechtslehrbuch für s oziale Berufe mit dem Titel „Recht und Rechtsverfolgung im Familienrecht“ im Jahr 1929 bei Otto Liebmann 92, dem Herausgeber und Begründer der Deutschen Juristen-Zeitung, veröffentlichte. Munk hatte Otto Liebmann zu seinem sechzigsten Geburtstag ein Gedicht gewidmet, das in einem Sonderheft der Deutschen Juristen-Zeitung veröffentlicht wurde.93 Aus den Dokumenten und Protokollen der rechtspolitischen Arbeit in den Rechtskommis sionen der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung erschlossen sich s oziale Bezüge zwischen Marie Munk und Max Hachenburg, dem Kommentator zum Handelsgesetzbuch und Mitherausgeber des seinerzeit legendären Düringer-Hachenburg.94 Aus einem fachwissenschaftlichen Disput über die Frage, ob Frauen zum Richteramt zugelassen werden sollten, ließ sich das ambivalente Verhältnis zwischen Marie Munk und Max Hachenburg erkennen.95 Die Weimarer Reformphase von ministerieller Seite gesteuert haben Curt Joel als Staatssekretär im Reichsjustizministerium, sein Ministerialdirektor Joseph Oegg und dessen Nachfolger Volkmar. Rechtspolitisch die Referentenentwürfe vorbereitet hat der Referatsleiter Ernst Brandis 96, dessen wissenschaftliche Publikation Marie Munk rezensierte und nicht nur damit den Reformdiskurs prägte. Marie Munk meldete sich auf dem 33. Deutschen Juristentag als erster weiblicher Berichterstatter zu Wort, sodass aus der gedruckten Quelle des Schriftführeramtes des Deutschen Juristentages auf einen sozialen Bezug zu den übrigen Berichterstattern, Prof. Kipp und Prof. Alfred Wieruszowski 97, geschlossen werden muss. Beide, sowohl Prof. Kipp, wie auch Prof. Wieruszowski würdigten Munks Reformvorstellungen und wissenschaftlichen Leistungen, auch und gerade dann, wenn sie nicht in allen Punkten mit Marie Munks Auffassungen überein stimmen mochten.98 Zu Marie Munks schärfsten Kritikern in Weimarer Zeit gehörte Rudolf Henle.99 Angeknüpft 92 93 94 95 96 97 98 99
Kompendium, S. 864. 2. Kapitel, Ziffer I. Nr. 2. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 1.1.2.; Kompendium, S. 830. 2. Kapitel, Ziffer I. Nr. 2. Kompendium, S.808, 846, 886, 926. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 4.; Kompendium, S. 852, 935. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 4.4. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 3.7.; Kompendium, S. 836.
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Wer war Marie Munk? Erste Spuren
an Marie Munks Reformvorschläge aus Weimarer Zeit hat Maria Hagemeyer 100 nach dem zweiten Weltkrieg für eine Reform des Ehe- und Familienrechts. Die Leitbilder und Lebenslinien dieser Personen besitzen einen Eigenwert, der eine Darstellung in dieser Arbeit rechtfertigt. Gleiches trifft zu auf Marie Munks Studien in Philadelphia bei Thorsten Sellin.101 Es ist wichtig für den Leser zu erfahren, was Thorsten Sellin als Wissenschaftler in der damaligen Zeit heraus stellte und welchen Projekten er sich widmete, als er Marie Munk begegnete. In der wichtigen Zeit der Einbürgerung, in der es für Marie Munk um Alles oder Nichts ging, waren es die eidesstattlichen Erklärungen und persönlichen Bürgschaften gegenüber dem Department of Justice, die Zeugnis ablegten über soziale Kontakte zwischen Marie Munk und amerikanischen und emigrierten deutschen Wissenschaftlern.102 Gleiches trifft auf Mitglieder der National Conference on Family Relations und auf freundschaftliche Begegnungen Marie Munks, wie zum Beispiel mit Louisa Leonard, zu.103 Darüber hinaus sind es die indirekten sozialen Bezüge zu Marie Munk, die nicht beiseite gelassen werden dürfen. Diese erfordern weise Zurückhaltung vor dem voreiligen Schluss, es bestünde keine persönliche und/oder wissenschaftliche gegenseitige Einflussnahme. In diesen Fokus gehören, in Bezug zum fachlich- juristischen Erörterungsgegenstand, die herausgehobenen Weggefährten Munks und zeitgenössischen Mitglieder dieser Institutionen. Es sind diese sozialen indirekten Bezüge des wissenschaftlichen Backgrounds von Marie Munks Leben und Werk, die sich aus dem wissenschaftlichen Profil der jeweiligen Vereinigung und/ oder der wissenschaftlichen Gemeinschaft ergeben. Deshalb runden werkbiogra fische Exkurse das Bild über Marie Munks Beziehungen und damit über ihr Leben und Werk in einem Kompendium der persönlichen Begegnungen mit Marie Munk soziologisch ab. Hierzu gehören nicht nur die in der folgenden Nr. 2 genannten Personen der Weimarer Republik, sondern auch Personen, denen Marie Munk während ihres beruflichen Werdegangs begegnete, wie Muthesius.104 Ebenso gehörte dazu Felix Frankfurter,105 mit dem sie in Briefkontakt stand. Den werkbiografischen Skizzen in einem Kompendium der persönlichen Begegnungen mit Marie Munk folgt ein Dokumentenanhang. 100 Kompendium, S. 835. 101 4. Kapitel, Ziffer I. Nr. 1 und Kompendium, S. 910. 102 Norman E. Himes, Karl Loewenstein, John N. Pattersen, Lena Madesin Phillips, Magdalena Schoch, Henry I. Stahr, Nigley K. Teeters, Frieda Wunderlich, in: 5. Kapitel, Ziffer II. Nr. 1.1., Nr. 1.3.; Kompendium, S. 843, 868, 890, 893, 914, 920, 923, 936. 103 5. Kapitel, Ziffer II. Nr. 1.2. 104 Kompendium, S. 884 und 1. Kapitel, Ziffer III. Nr. 3. 105 Kompendium, S. 821.
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Der Leser soll wesentliche Texte und Forderungen Marie Munks aus dem Nachlass ergänzend nachvollziehen können. Mit dem Kompendium der persönlichen Begegnungen mit Marie Munk und mit dem Dokumentenanhang, der ergänzend zu diesem Buch als PDF -Datei auf www.boehlau-verlag.com zum kostenlosen Download bereit gestellt ist, ist eine deutliche Aufforderung zu weiterer Forschung verbunden. Dieser subjektgeschichtliche Ansatz der vorliegenden wissenschaft lichen Arbeit über Leben und Werk von Marie Munk verknüpft Ziel und Methode.
2. Die Methode und das Ziel der wissenschaftlichen Studie Das Ziel der wissenschaftlichen Arbeit über Marie Munk ist a) eine Analyse ihrer Lebensgeschichte und b) eine erste ausführliche Untersuchung ihres Lebenswerks zu dokumentieren. Für ihr Leben und Wirken in Deutschland ist auf die kulturelle Sozialisa tion von Mädchen jüdischer Herkunft im Kaiserreich 106 sowie auf die sozioökonomische und rechtliche Stellung von Juristinnen in der Weimarer Zeit bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung in der deutschen Jurisprudenz 107 hinzuweisen. Munks Einstieg in die berufliche Selbstständigkeit fußte zunächst auf jüdisch-kulturellen Zielen eines wohlfahrtsorientierten Beitrags der Frau in der Gesellschaft, der durch Bertha Pappenheim 108 maßgeblich begründet wurde. Ihre ersten Ausbildungen wurden durch die Pädagogik von Lina Morgenstern 109 und durch die soziale Arbeit bei Alice Salomon 110 geprägt. Ihr Weg zur Hochschulreife wurde durch die Helene-Lange-Kurse 111 zur Vorbereitung von jungen Frauen auf das Abitur begleitet.112 In ihrer Studienzeit begegnete sie herausragenden Wissenschaftlern.113 Nicht nur Gustav Radbruch und Josef Kohler 114,
106 Im Sinne jüdischer Alltagsgeschichte einer Minderheit in der deutschen Bevölkerung vgl. die Forschungen von Monika Richarz und anderen internationalen Wissenschaftlern, die im 1. Kapitel, Ziffer I. Nr. 1 gestreift werden. 107 1. Kapitel, Ziffer III. Nr. 4.; 2. Kapitel, Ziffer I. Nr. 2. 108 Kompendium, S. 888. 109 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 1.; Kompendium, S. 880; vgl. auch zur praktischen Anwendung von Lina Morgensterns Pädagogik das Lebensbild zu Fröbel und Diesterweg im Kontext von Frauen- und Mädchenbildung, Kompendium, S. 825. 110 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2.; Kompendium, S. 902. 111 Kompendium, S. 861. 112 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 3. 113 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 5. 114 Kompendium, S. 856.
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sondern auch Leopold Perels 115 beförderten ihr „desire for clear, logical thinking and analysis“.116 Munk widmete sich dem damals noch neuen Gebiet des Sozial rechts.117 Ihre Ausführungen zur Mutterschaftsversicherung gründeten sich auf Henriette Fürths 118 Überlegungen. Marie Munks erste selbständige juristische Berufsausübung begann mit einer Zusammenarbeit in einer der ersten Rechtsschutzstellen für Frauen, bei Sophie Goudstikker 119 in München. Die Rechtsschutzvereine für Frauen verfolgten originäre ethische Grundsätze und grenzten sich so von den Grundsätzen des Wirkens der kommunalen Rechtshilfevereine ab. Eine ihrer herausragenden Protagonistinnen war neben Anita Augspurg, Cäcilie Dose 120, die in einem ihrer wegweisenden Vorträge den Vergleich herausarbeitete 121 und deshalb werkbiographisch gewürdigt werden muss. Marie Munk war in gemeinsamer beruflicher Tätigkeit mit dem „Vater“ des späteren Bundessozialhilfegesetzes, Hans Muthesius, verbunden.122 Marie Munks rechtspolitische Programmatik „What is justice?“ 123 erhielt im Kontakt mit den Mitgliedern des Deutschen Juristinnen-Vereins ihre Profilierung. An dieser Stelle sind zu nennen: Margarete Berent, Aenne Kurowski (verh. Schmitz), Erna von Langsdorff, Anna Margarete Elisabeth Mayer, M argarete Meseritz (verh. Edelheim, später verh. Mühsam) mit ihrem damaligen Ehemann John Edelheim, Mathilde Möller-Bing, Maria Otto, Marie Raschke, Emmy Rebstein-Metzger, Lilli Sarah Seligsohn (geb. Werthauer) und Gertrud Schubart-F ikentscher.124 Marie Munk und die Mitglieder des Deutschen Juristinnen-Vereins beeinflußten die Kommissionen der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung in ihrer rechtspoli tischen Programmatik.125 Hier arbeiteten zusammen und es gab Kontakt, auch im strittigen Diskurs, zu Anita Augspurg, Gertrud Bäumer, Marie Baum, Emmy Beckmann, Alice Bensheimer, Lily Braun, Minna Cauer, Emma Elisabeth Ender, Camilla Jellinek, Käthe Lindenau (Sekretärin des Reichstagsabgeordneten Anton Erkelenz), Marie-Elisabeth Lüders, Marianne Weber und Emmy Wolff. 126 115 116 117 118 119 120 121 122 123
Kompendium, S. 890. 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 5. 1. Kapitel, Ziffer III. Nr. 1.2. Kompendium, S. 827. Kompendium, S. 830. Kompendium, S. 816. 1. Kapitel, Ziffer III. Nr. 1.3.1. 1. Kapitel, Ziffer III. Nr. 1.3. und Nr. 3. LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VI A Girl Enjoy Academic Freedom and Become a Doctor of Law, S. 36. 124 Kompendium, S. 797, 817, 859, 863, 875, 876, 880, 887, 893, 898, 908, 917. 125 2. Kapitel, Ziffer II. und Ziffer III. 1 26 Kompendium, S. 784, 788, 791, 793, 796, 811, 814, 818, 844, 866, 871, 928, 936.
Ziel, Methode und Aufbau der wissenschaftlichen Studie
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Auf dem internationalen Fauenkongreß der International Federation of Business and Professional Women erhielt Marie Munk erstmals Gelegenheit zu interna tionalen Beziehungen: die von Clara (Klara) Mleinek und Hilde Oppenheimer maßgeblich beeinflußt wurden.127 Ab dem Jahr 1931 gründete Marie Munk die German Federation of Business and Professional Women und stützte ihre berufspolitischen Aktivitäten auf internationale Kontakte,128 so zu Marianne Beth und Lena Madesin Phililips. 129 Die englischsprachige Vereinsbezeichnung für diese deutsche Vereinigung ist bis zum heutigen Tage beibehalten worden.130 Besondere Aufmerksamkeit erfährt Marie Munks Beitrag zu den familienrecht lichen Reformforderungen der Weimarer Republik.131 Ihre Reformforderungen lagen im Disput zu den Reformentwürfen herausragender Persönlichkeiten, wie Wilhelm Kahl und Christian Jasper Klumker.132 Erstmals wird aus den Archiven das konstruktive Zusammenspiel z wischen der Frauenbewegung und der Oberlandesgerichte in den Reformfragen des Ehegüterrechts sichtbar.133 Deshalb erfolgt ein Einblick in die rechtspolitische Verbindung z wischen dem Preußischen Justizministerium, dem Reichsjustizministerium und dem Kammergericht. Es bestimmte das Meinungsbild in der Familienrechtsreform wesentlich. Allen voran sein Präsident, Eduard Tigges 134, der Marie Munk in ihrem beruflichen Werdegang unterstützte, beeinflußte nicht nur die personelle Besetzung im Reichsjustizministerium, sondern auch das ministerielle Meinungsbild in der Familienrechts reform.135 Es wird neben den parteipolitischen Verhältnissen ein zweiter Grund für das Scheitern der Familienrechtsreform in der Weimarer Zeit erkennbar: Regierungs politisches Kalkül und politische Trickserei waren es, die den Reichstagsabgeordneten Hanemann veranlassten, seinen Gesetzentwurf zur Reform des gesamten Ehe- und Familienrechts zurückzunehmen.136 Auf diesen Ereignissen gründete sich der Weg des weiteren Verbleibs von Marie Munk und der Reformvorschläge ihrer Weggefährtinnen aus Weimarer Zeit.137 Der Leser erfährt, dass es gerade nicht nur die parlamentarischen parteipolitischen Verhältnisse waren, die ein Scheitern der Reform begünstigten.138 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138
Kompendium, S. 878, 886. 2. Kapitel, Ziffer II. Nr. 3 und 4. Kompendium, S. 802, 893. http://www.bpw-germany.de/ueber-uns/ (14. 04. 2013). 2. Kapitel, Ziffer III. Kompendium, S. 848, 854. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 4.7.3. Kompendium, S. 925. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 4.7.4. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 5.5. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 5 und Nr. 6. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 5.5.1.
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Marie Munks Werk und Beitrag in der Weimarer Zeit wurden begleitet von ihren wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu aktuellen Rechtsfragen, die ergänzend vorgestellt werden.139 In diesem Wirken wurde die wissenschaftliche Vermittlung in Text und Unterricht ebenfalls zur Basis der Weimarer Reform.140 Nach der Machtergreifung Hitlers und Marie Munks Vorbereitungen für ein Leben in den Vereinigten Staaten 141 verdienen ihre Einflüsse auf herausgehobene Felder der Rechtspolitik in den USA beachtet zu werden. Darüber hinaus wird der Leser durch ihre unveröffentlichten Manuskripte mit ihrer Ideengeschichte bekannt gemacht.142 Wären ihre Ansätze und Überlegungen der Öffentlichkeit vorgestellt und weiter verfolgt worden, hätte durch diese Forderungen die weitere amerika nische Rechtsentwicklung forciert und folgenreich geprägt werden können. Ob die spätere Rechtsentwicklung der 1970er- und 1980er-Jahre vorweggenommen worden wäre, muss Spekulation bleiben. Es wird aber eine originäre „Moderne im Recht“, eine Multidisziplinarität sichtbar, wenn der Leser den Worten von Marie Munk in ihren unveröffentlichten Manuskripten folgen will, weshalb die Verfasserin dieser Arbeit Ein- und Ausblicke in ihren Stellungnahmen zu diesen disziplinär grenzüberschreitenden Aspekten 143 und zum übrigen Werk Marie Munks anbietet.144 In der Reflexion der weiteren deutschen Rechtsentwicklung mit Blick auf das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 und der gegenwärtigen amerikanischen Rechtslage im Kontext zu Marie Munks unerfüllten Forderungen 145 eröffnet sich dem Leser die weitere Rechtsentwicklung. Gleichwohl musste der Ausblick auf die spätere Rechtsentwicklung für beide Kontinente begrenzt werden, damit in der vorliegenden Arbeit eben jene werkbiografischen Grenzen beibehalten werden können, die Marie Munk selbst in ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis setzte: „The law and the courts are helpmaids toward such ends, but not an end in themselves.”146 Diese Worte kennzeichnen den Endpunkt des ideengeschichtlichen Verlaufs im Werk Marie Munks. Am Beginn ihres wissenschaftlichen Wirkens stand die rechtspolitische Programmatik „What is justice?“ Anknüpfend an diese beiden Sätze wird deutlich, dass Marie Munk am Beginn ihres wissenschaftlichen Wirkens das Verhältnis von Gleichheit und Gleichberechtigung und das Verhältnis von Recht und Unrecht zu dem Postulat der Gerechtigkeit untersuchte und später ihr 139 140 141 142 143 144
2. Kapitel, Ziffer IV. 2. Kapitel, Ziffer IV. Nr. 5. 3. Kapitel, Ziffer I.–Ziffer III. 7. Kapitel. 3. Kapitel, Ziffer III. Nr. 4.; 5. Kapitel, Ziffer II. Nr. 1.4.3. und 7. Kapitel, Ziffer VII. Nr. 8. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 7; 7. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2., Ziffer III. und IV. Nr. 10., Ziffer V., Nr. 2.5., Nr. 4.4., Nr. 5.5., Ziffer VI. Nr. 9., Ziffer VII. Nr. 6., Nr. 7.4. und Nr. 8.5. 145 8. Kapitel, Ziffer I. Nr. 3.–5. und Ziffer II. Nr. 15. 1 46 Marie Munk, What are we heading?, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542.
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wissenschaftliches Wirken um einen interdisziplinären Ansatz ergänzte. Deshalb wird die vorliegende wissenschaftliche Studie nicht alles fachwissenschaftlich umfassen können, was sich dem Betrachter an interdisziplinären Implikationen bietet. Die Worte Marie Munks sind daher freigehalten von fachdisziplinärer Interpretation und wissenschaftlicher Konklusion, wie von einer amerikanischen Wissenschaftlerin gefordert: „Der zukünftigen Forschung fällt die Aufgabe zu, diese massive Sammlung von Informationen zu analysieren und die Bedeutung von Munks Leben außerhalb der Jurisprudenz zu untersuchen.“147 Marie Munk vermochte am Ende ihres Lebensweges weit mehr als nur ihre Reformforderungen und die Reformforderungen ihrer Weggefährtinnen aus der deutschen Bürgerlichen Frauenbewegung der Weimarer Zeit in der Novellierung des deutschen Ehe- und Familienrechts nach dem Zweiten Weltkrieg wiederzuerkennen. Dieses diverse M E H R ist Marie Munks realer Nachlass, den sie in ihren unveröffentlichten Manuskripten der wissenschaftlichen Nachwelt überantwortet hat. Diese Diversität in Marie Munks Werk mit dieser wissenschaftlichen Arbeit aufarbeiten zu wollen, würde über das hinaus gehen, was eine Werkbiografie ausmacht und wird nach dem Willen Marie Munks 148 den Kollegen der rechtswissenschaft lichen und anderer wissenschaftlicher Disziplinen gemeinsam überantwortet. Mit dieser (rechts-)historischen Arbeit werden Munks Werk und Person erstmals umfassend beleuchtet. Werk und Person einer Wissenschaftlerin, die ihrem Menschsein in wissenschaftlicher und persönlicher Atmosphäre durch das Wort Ausdruck verlieh. Die Sprache als kommunikatives Mittel erster Wahl bringt höchstpersönliche Empfindungen, persönliche und wissenschaftliche Erfahrungen und ihre geistigen Wahrnehmungen aus den verschiedenen Lebenssituationen beider Kontinente in unterschiedlicher Art und Weise zur Geltung. Entscheidend ist, wie die Sprache aus der Erinnerung heraus und für die Gegenwart des Schreibens als Handwerk des biografischen und wissenschaftlichen Ausdrucks benutzt wurde. Diese Authentizität im Sinne eines Linguistic Turns musste für neue wissenschaftliche Ansätze für die Nachwelt erhalten bleiben.
147 Kurzrezension zu Oda Cordes, Marie Munk und die Stellung der Frau im Recht, in: Gergana Karadzhova, Fräulein Doktor Marie Munk – Erste Richterin Deutschlands. Eine Fallstudie über das jüdische Bewusstsein und die Pionierarbeit einer Frau am Anfang des 20. Jahrhunderts, Department of German Studies am Mount Holyoke College, South Hadley, Massachusetts, Mai 2012, S. 14 – 15. 148 Wie Munk es in einer Schlussbetrachtung zu ihren unveröffentlichten Manuskripten verdeut lichte: “Although I may have wasted more than ten years of my life on this project, I do not regret them, even if no other scholar will ever use my research material.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge, Mass., My New Home, S. 4 – 5.
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Wer war Marie Munk? Erste Spuren
Deshalb wurden die englischsprachigen Zeugnisse Marie Munks, wie beispielsweise ihre Briefe und Auszüge aus ihren Manuskripten oder ihrer Autobiografie, nicht in allen Abschnitten und Kapiteln der vorliegenden Arbeit in das Deutsche übersetzt, sondern in ihrem Wortlaut belassen (nebst kleinerer orthografischer und semantischer Fehler), da dieser für die weitere Forschung erhaltenswert ist. Für Abkürzungen wird auf das Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache von H ildebert Kirchner verwiesen.
III. Quellen und Quellenkritik Für diese wissenschaftliche Studie wurden insgesamt sechs umfangreiche Nachlässe ausgewertet und mehrere weitere Nachlässe gesichtet. Zwei Nachlässe umfassen allein das Leben und Werk Marie Munks. Ein Nachlass befindet sich im Helene- Lange-Archiv des Landesarchivs Berlin, der das autobiografische Manuskript Marie Munks aus dem Jahre 1961 sowie weitere maschinenschriftliche Korrespondenz und Aufzeichnungen enthält.149 Einige Jahre vor ihrem Tod hatte Marie Munk etliche Korrespondenz und weitere Unterlagen an Käthe Lindenau in Berlin abgegeben, die diese umsichtig aufbewahrte, bis diese Papiere schließlich über den Berliner Frauenbund in das Helene-Lange-Archiv im Landesarchiv Berlin aufgenommen wurden.150 Ein weiterer Nachlass befindet sich in der Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Massachusetts.151 Es handelt sich hierbei um die im Testament vom 5. April 1967152 getroffene Verfügung, veröffentlichte und unveröffentlichte Manuskripte, Forschungsmaterialien, Bücher, Briefe und persön liche Dokumente, nach dem letzten Willen Marie Munks dem Women’s Archives at Radcliffe College of Cambridge oder dem Sophia Smith College zu übergeben. Diese Materialien wurden nach dem Tode Marie Munks zunächst in der Schlesinger Library im Radcliffe College aufbewahrt, bis die sieben angesehensten Colleges 153 ein zentrales Frauenarchiv gründeten: die Sophia Smith Collection. Die beiden Nachlässe umfassen ca. 30.000 Seiten Material. Als weitere Quelle wurde 149 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk. 150 Marie Munk, Schreiben vom 12. August 1971, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith C ollection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 6 Folder 10. 151 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. 152 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 13. 153 Mount Holyoke College, South Hadley, Massachusetts; Vassar College, Poughkeepsie, New York; Wellesley College, Wellesley, Massachusetts; Sophia Smith College, Northampton, Massachusetts; Radcliffe College, Cambridge, Massachusetts; Bryan Mawr College, Bryan Mawr, Pennsylvania; Barnard College, Morningside Heights, Manhattan, New York.
Quellen und Quellenkritik
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der umfangreiche Bestand des Bundes der deutschen Frauenbewegung 154 genaues tens auf Bezüge zu Marie Munk durchgearbeitet: Sitzungsunterlagen, Briefkorres pondenz, Gutachten, Entwürfe, Dokumente und Berichte boten die Chance, das rechtspolitische Wirken Marie Munks im Kreise ihrer Weggefährten in der deutschen Frauenbewegung ausführlich erfassen zu können. Die Arbeit in beiden Archiven führte zu Schnittstellen. Das heißt, der Befund ließ weitere Dokumente in anderen Nachlässen vermuten. Hierfür kam in Deutschland die Durchsicht weiterer Nachlässe des Helene-Lange- Archivs zu Persönlichkeiten der Bürgerlichen Frauenbewegung in Betracht, zum Beispiel der Nachlass Dorothee von Velsens 155 und der Nachlass Helene Langes 156. Darüber hinaus waren Regierungsakten über die Weimarer Zeit im Bundesarchiv (Außenstelle Lichterfelde) und im Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem zu sichten. In den Vereinigten Staaten eröffnete sich über den Aufenthalt am Leo Baeck Institute in New York und einen Aufenthalt am Special Research Center der University of Chicago der Zugang zu emigrierten Juristinnen und Juristen, Wissenschaftlerinnen und Weggefährten Marie Munks, wie zum Beispiel Margarete Berent,157 Margarete Meseritz-Edelheim-Mühsam,158 Max Rheinstein 159 und Sophonisba Breckinridge 160. In den verschiedenen Nachlässen arbeitete die Verfasserin der vorliegenden Arbeit mit unterschiedlichen Arten von Selbstzeugnissen: mit Manuskripten, Proto kollen und Beschlüssen aus Verbandsakten, Briefen und vor allem mit den beiden Autobiografien 161 Marie Munks als Quellengruppe der Geschichte. Für die Frage, wie diese Quellen zu verwerten sind, verfügt die historische Wissenschaft bis heute über keine einheitliche Methode. Mit der subjektiven Wahrheit in autobiogra fischen Aufzeichnungen geht die historische Wissenschaft bis heute unterschied lich um. Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, 154 155 156 157 158 159 160 161
LAB B Rep. 235 – 01. LAB B Rep. 235 – 15 NL Dorothee von Velsen. LAB B Rep. 235 – 11 NL Helene Lange. Margarete Berent Collection, AR 2861, 2862 MF 592, Leo Baeck Institute at the Center for Jewish History, New York. Margaret T. Muehsam Collection, AR 720, Leo Baeck Institute at the Center for Jewish History, New York. Max Rheinstein Papers 1869 – 1977, Special Collection Research Center, University of Chicago Library, Chicago, Illinois. Sophonisba Breckinridge Papers, Special Collections Research Center, University of Chicago, Chicago, Illionois. „Reminiscences of a Pioneer Woman Judge in Pre-Hitler Germany. The Rise and Fall of German Feminism“ wurde von Marie Munk in den Jahren 1941 und 1942 verfasst. Die Autobiografie mit dem Titel „Memoirs“ entstand 1961.
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lässt ihren Lehrer Ernst E. Hirsch über seine Zeit als Rechtsgelehrter im Lande Atatürks unkommentiert aus autobiografischen Quellen sprechen.162 Sekundäre Quellen 163 und von der Person eigenhändig verfasste Briefe und Aufzeichnungen werden in den meisten Fällen nicht kritisch betrachtet 164 oder ihr Zustandekommen nicht hinterfragt,165 obgleich sich in diesen Befunden die Selbst- oder Fremdverkleinerung oder die Selbst- oder Fremdvergrößerung einer Person für Werk und Wirken verbergen können. Den Verfassern geht es vorrangig, und das ist an den Titeln erkennbar, um die rechtshistorische Struktur und um die Programmatik der ihnen zur wissenschaft lichen Beurteilung angedienten Schriften 166 sowie auch um eigene bzw. fremde wissenschaftliche Erfahrung.167 Letzteres bestimmte die Arbeit der Verfasserin der hier vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit über Marie Munk in einem doppelten Sinn: über das Leben und über das Werk. Es ging der Verfasserin um den Wahrheitsgehalt von Tatsachen, die durch subjektives Empfinden in ihrem sprachlichen Ausdruck verändert werden können. Allerdings können diese ebenso charakteristisch werden für die Persönlichkeit Marie Munks, die sie beschreiben. Doch zunächst musste sich die Verfasserin der vorliegenden Studie aus den beiden Autobiografien eine geeignete Grundlage für ihre Arbeit schaffen. Die Verfasserin entschied sich gegen die Fassung der autobiografischen Aufzeichnungen aus den Jahren 1941/1942 und für die autobiografische Fassung aus dem Jahr 1961 aus folgenden Gründen: Das Manuskript der Jahre 1941/1942 mit dem Titel „Reminiscences of a Pioneer Woman Judge in Pre-Hitler Germany: The Rise and Fall of German Feminism“ war schlecht lesbar, unterschiedlich nummeriert und 162 Ernst E. Hirsch, Als Rechtsgelehrter im Lande Atatürks (mit einer Einführung von Reiner Möckelmann und einem Vorwort von Jutta Limbach), Berlin 2008. 163 Bezug auf die Biografie von Ferdinand Frensdorff, einem Freund Gottlieb Plancks, in: Stephan Meder, Gottlieb Planck und die Kunst der Gesetzgebung, Baden-Baden 2010, S. 17 Fußnote 38. 164 Vgl. zu Karl Larenz: Ralf Frassek, Von der „völkischen Lebensordnung“ zum Recht. Die Umsetzung weltanschaulicher Programmatik in den schuldrechtlichen Schriften von Karl Larenz (1903 – 1993), Baden-Baden 1996, S. 15 – 22. 165 Nadine Rinck, Max Rheinstein – Leben und Werk, Hamburg 2011, Einleitung, S. XIII–XXV. 166 Exemplarisch: Nadine Rinck, Max Rheinstein – Leben und Werk; André Depping, Das BGB als Durchgangspunkt. Privatrechtstheorie und Privatrechtsleitbilder bei Heinrich Lehmann (1876 – 1963), Tübingen 2002; Rüdger Brodhun, Paul Ernst Wilhelm Oertmann (1865 – 1938). Leben, Werk, Rechtsverständnis sowie Gesetzeszwang und Richterfreiheit, Baden-Baden 1999; Wilhelm Wolf, Vom alten zum neuen Privatrecht. Das Konzept der normgestützten Kollektivierung in den zivilrechtlichen Arbeiten Heinrich Langes (1900 – 1977), Tübingen 1998; Joachim Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny, Ebelsbach 1984; Michael Stolleis, Die Moral der Politik bei Christian Garve, München 1967. 167 Exemplarisch: Ernst E. Hirsch, Als Rechtsgelehrter im Lande Atatürks, S. 191 – 236.
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Quellen und Quellenkritik
lückenhaft. Es endete mit der nationalsozialistischen Machtergreifung. Schon der gewählte Titel ließ den Schluss zu, dass Marie Munk ihre erinnerten Ereignisse in der deutschen Frauenbewegung in den Vordergrund stellen wollte und weniger auf ihre rechtspolitischen und persönlichen Beweggründe im Zentrum ihres Lebens und Werks fokussierte. Eine vergleichende Durchsicht beider Manuskripte bestätigte: „Memoirs“ aus dem Jahre 1961, ein maschinenschriftlich verfasster biografischer Text, kontinuierlich durchnummeriert wie ein abgeschlossenes Ganzes, enthielt auch weitere Informa tionen aus der Zeit nach der Emigration in die USA. Dieses Manuskript kam auch dem von Marie Munk bewusst gewählten Ziel näher, sich von ihrem Manuskript aus dem Jahre 1941/1942 gedanklich zu lösen und sich auf ihr eigenes Lebenswerk zu konzentrieren: “By trying to talk about myself as little as possible, my reminiscences became neither a s cholarly
description of the struggle for equal rights by German Women nor was it a biography. Now,
some twenty years later, much of what weighed me down then has been liftet. The world is 168
no longer the same, nor am I.”
Diese Synthese des Lebens verhieß für die Verfasserin der vorliegenden Arbeit die Chance, den Beweggründen und Ansätzen Marie Munks Denkens und damit ihren Reformforderungen auf die Spur zu kommen. Auf den ersten Blick schien Marie Munk in ihrer Autobiografie aus dem Jahr 1961 Ereignisse und Personen zu schildern, was den Titel „Memoirs“ rechtfertigte. Auf den zweiten Blick fanden sich gleichwohl immerfort recht ausführliche Passagen über das eigene Selbst bei Marie Munk. Der Text aus dem Jahre 1961 war als eine Mischung aus Memoiren und Autobiografie besonders interessant. Hinzu kam die zeitliche Distanz zu den Ereignissen, die jedoch aus Sicht der Verfasserin auch die Gefahr einer „besonnten Vergangenheit“ bieten konnten. Deshalb sind die Angaben Marie Munks über ihre geschilderten Ereignisse aus ihrer im Jahre 1961 verfassten Autobiografie anhand des Behördenarchivbestandes 169 und des Korrespondenzbestandes aus Marie Munks Nachlässen für die Zeit vor dem Jahr 1961 inhaltlich, zeitlich und durch Handschriftvergleich beurteilt worden. Für die Zeit nach dem Jahr 1961 wurden die Briefe, Entwürfe und Aufzeichnungen zu einem Lebensverlauf nach ihrem Datum historisch 168 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Foreword, S. I–II. 169 Protokolle aus den Verbandsakten des Bundes Deutscher Frauenvereine, K orrespondenzen und Briefe aus den Verbandsakten, Korrespondenz aus der Entschädigungsakte Munk, eidesstattliche Versicherungen von Marie Munk und eidesstattliche Versicherungen anderer Personen.
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geordnet, mit den vorhandenen Urkunden, Briefen und Mitteilungen verglichen und auf ihren Wahrheitsgehalt und ihren Verfasser hin geprüft und beurteilt. In ihrem Ergebnis hat die Verfasserin in ihrer wissenschaftlichen Arbeit auf einige Erinnerungsfehler in der Autobiografie 170 und auf Übertragungs- und Interpreta tionsfehler in der Sekundärliteratur 171 hingewiesen. Marie Munk schilderte in ihren autobiografischen Aufzeichnungen ihre Erlebnisse weder besonders gefühlsbetont noch impulsiv, geschweige denn affektbetont, sodass sich aus ihren autobiografischen Aufzeichnungen fehlerhafte Perspektiven nicht ergaben. Marie Munk wählte einen zurückhaltenden und nüchternen Blick, der allerdings warmherzige Worte in der Beziehung zu ihren nächsten Angehörigen und zu Ereignissen, die sie beeindruckten, nicht missen ließ. Ihre autobiografischen Aufzeichnungen verfolgten den Zweck, ihre Lebenserfahrungen zukünftigen Genera tionen darzulegen und diese zu einem selbstbestimmten Leben zu ermutigen: “When I was in my teens, I read Beatrice Harraden’s book ‘Ships that Pass in the Night’ which made a deep impression on me. It seems to me that that the ‘Travellers’ climb to the
‘Temple of Knowledge’ was, without my knowing it, symbolic of my own attempt to master life and the ‘Temple of Knowledge’. In this book, the traveller climbs a high and forbidding
mountain only to learn that the ‘Temple of Knowledge’ was not built and could not be found
on such an isolated and dangerous spot, but down in the plains where people work and toil.
Exhausted, wearily and with little hope to ever find the Temple, he began his return journey.
There-upon the Author says: ‘But whether he reached them (the plains) or not, still he had started. And not many travellers do that.’ This is a message which I should like to convey by telling of my own experiences from the end of the 19th Century through the upheavals of two World
Wars in the Twentieth Century. I am writing at a time when we do not know if mankind is
going to survive an atomic war, when satellites have been sent into space and are circling our small planet, and when men hopes to land on the moon before long. We do not know what
we are heading. But everyone has to do his duty which God has assigned to him, whoever he may be and wherever he may toil.”
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170 Exemplarisch für die berufliche Situation 1920: 2. Kapitel, Ziffer I. Nr. 1.; Exemplarisch für die persönliche Beziehung z wischen Margarete Berent und Marie Munk zum Zeitpunkt des Todes von Margarete Berent. 171 Exemplarisch für die persönliche Beziehung z wischen Margarete Berent, Margarete Meseritz und Marie Munk in der Vorbereitung auf das 1. Staatsexamen vgl. 2. Kapitel, Ziffer I. Nr. 1.; exemplarisch für das Datum der Anwaltszulassung von Marie Munk vgl. 4. Kapitel, Ziffer III. Nr. 4.; exemplarisch für das Prüfungsdatum Bar Examen: 4. Kapitel, Ziffer III. Nr. 2.; exemplarisch für die als „Exil“ bezeichneten beruflichen Jahre 1934 – 1936 in den USA: 3. Kapitel, Ziffer II. Nr. 6. 172 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Foreword, S. I II–IV.
Quellen und Quellenkritik
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Hinweise auf eine jüdisch-religiöse Praxis fanden sich in den Nachlässen nicht. Ihre Eltern waren bereits konvertiert, als Marie Munk das Licht der Welt erblickte. In ihren autobiografischen Aufzeichnungen fanden sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass Marie Munk ihrer jüdischen Herkunft besondere Bedeutung beigemessen oder die christliche Religion in den Vordergrund gerückt hätte. Als Hemmnis für die berufliche Karriere ihres Vaters nahm Marie Munk seine jüdische Herkunft wahr: “Had he not been of Jewish descent, he would certainly have been appointed to the Supreme Court of Germany.”173 Marie Munk sah sich während ihrer amerikanischen Lebenszeit rückblickend auf Deutschland als Nichtarierin 174 sozialisiert. Allerdings ging sie an keiner Stelle in ihren autobiografischen Aufzeichnungen auf den Holocaust ein. In einer vergleichenden Analyse beider autobiografischer Texte aus den Jahren 1941/1942 und 1962 zu ihrem jüdischen Bewusstsein wird auf ein unverarbeitetes Trauma geschlossen.175 Es ist bekannt, dass deutsche Immigranten, die während des und nach dem Zweiten Weltkrieg die amerikanische Staatsbürgerschaft anstrebten, genauestens auf eine nationalsozialistische Vergangenheit geprüft wurden. Eine Tortur für die Opfer des Nationalsozialismus, die sich auch im Leben Marie Munks wiederfand.176 Unabhängig von diesen ersten Hinweisen, die auch eine tiefenpsychologische Textaufarbeitung ermöglichen und zwei Monate nach der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit über Leben und Werk von Marie Munk und die Stellung der Frau im Recht erschienen, sind es die Anhaltspunkte bildungsbürgerlicher Lebenspraxis, die den autobiografischen Aufzeichnungen Marie Munks entnommen werden können. Diese sind im Kontext bereitliegender Forschungsergebnisse über die Sozialisation bürgerlicher Familien jüdischer Herkunft 177 von besonderem Interesse für eine gesellschaftliche Integration der bürgerlichen Bevölkerung jüdischer Herkunft zu damaliger Zeit. Diese Lebens praxis bewahrte die kulturellen (nicht religiösen) jüdischen Leitbilder des sozialen Zusammenlebens: Bildung 178, Besitz und Nationalität.179 Diese sozio-kulturellen 173 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel I Childhood, S. 2. 174 Sie benutzte dieses Wort, als es um ihre amerikanische Einbürgerung und ihre deutsche Vergangenheit ging. 175 Gergana Karadzhova, Fräulein Doktor Marie Munk, S. 89. 176 4. Kapitel, Ziffer III. Nr. 3. 177 Nicht bürgerlicher Familien jüdisch-religiöser Praxis. 178 Marion A. Kaplan and Deborah D. Moore, Gender and Jewish History, Bloomington/Indiana 2011, p. 202 – 208. 179 Als den wissenschaftlichen Weg weisend muss an dieser Stelle auf die Pionierforschung von Monika Richarz hingewiesen werden, vgl.: Beate Meyer, Statt einer Laudatio: Monika Richarz – Zum Lebensweg einer Pionierin der deutsch-jüdischen Geschichtsschreibung, in: Marion Kaplan und Beate Meyer (Hg.), Jüdische Welten. Juden in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, Göttingen 2005, S. 9 – 28.
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Wer war Marie Munk? Erste Spuren
Anzeichen jüdischer Akkulturation schlichtweg dem nichtjüdischen oder christlichen Bürgertum zuzuschreiben, wäre verfehlt gewesen, weil diese sich, von Marie Munk autobiografisch betont, als Signaturen des Alltags fanden.180 Allerdings ließ sich in Marie Munks autobiografischen Aufzeichnungen gar keine emotionalen Intentionen oder Intentionen aus gelebten oder erfahrenen Ereignissen zu ihren rechtlichen Reformforderungen und ihrer wissenschaftlichen Arbeit finden. Dies lag zum einen darin begründet, dass Marie Munk aus einem privilegierten Elternhaus stammte und sie schon früh ihre Entscheidung zur Ehelosigkeit zugunsten der Wissenschaft getroffen hatte.181 Ihrem zur Objektivität verpflichteten Berufsbild entsprechend, eröffneten sich Marie Munks Beweggründe wissenschaftlichen Wirken aus ihren unveröffentlichten Manuskripten bzw. in ihren objektiven Begründungen zu den verschiedenen Sach- und Rechtsgebieten. Für die Weimarer Zeit sind es die Begründungen zu den Gesetzentwürfen aus den Beständen des Landesarchivs Berlin oder entsprechenden Publikationen, gefolgt von den Protokollen der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung, die in das Blickfeld der Verfasserin gelangten. Marie Munks Buchveröffentlichungen und ihre Rezensionen, die fachlichen Dispute oder anerkennenden Würdigungen sind ebenfalls als Quellen ausgewertet worden.182 Einige innerhalb der Reformphase von Marie Munk veröffentlichte Quellen sind für den Leser im Fachdisput an geeigneter Stelle verortet worden.183 In den Blick genommen hat die Verfasserin dieser Studie auch die geringe Zahl wissenschaftlicher Dissertationen von Juristinnen zu den aktuellen Reformfragen in der Weimarer Zeit 184, wie zum Beispiel von Elisabeth Selbert. 185 Vorwiegend nutzte die deutsche bürgerliche Frauenbewegung jeden Weg der Kommunikation als Teil ihrer politischen Strategie 186, allen voran mit der Verbandszeitung „Die Frau“. Über Artikel in Tageszeitungen stellte sich in der damaligen Zeit die Frau in der noch neuen Öffentlichkeit dar, um ihre rechtspolitischen Forderungen an den Mann und an die Frau zu bringen. Die Verfasserin hat sich deshalb nicht auf den Disput zwischen 180 181 182 183
1. Kapitel, Ziffer I. Nr. 1 – 5. 1. Kapitel, Ziffer I. und Ziffer III. Nr. 2. 2. Kapitel, Ziffer IV. So zum Beispiel Marie Munks Publikation zum Scheidungsrecht und zur elterlichen Gewalt: 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 3.3. oder Munks Rezension zu Ernst Brandis Publikation zum Unehe lichenrecht: 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 1.4.5. Ebenso Marie Munks Publikation zu Recht und Rechtsverfolgung im Familienrecht aus dem Jahre 1929: 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 5.5.3. Auch ihr letzter deutscher Aufsatz in Deutschland über die Stellung des unehelichen Kindes aus dem Jahre 1933 ist berücksichtigt im 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 6.3. 184 Zum Ehegüterrecht die Dissertation von Margarete Berent: 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 2.3. und Kompendium, S. 796; zur Ehescheidung, die Dissertation von Elisabeth Selbert: 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 5.5.3. 185 Kompendium, S. 907. 1 86 2. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2.2.
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männlicher und weiblicher Jurisprudenz aus den Fachzeitschriften beschränken können. Zumal ein reich bestücktes Scrapbook 187 im amerikanischen Nachlass auch auf die Medienwirksamkeit Marie Munks hinwies. Artikel in den Tageszeitungen dienten ihrem persönlichen Bekanntheitsgrad und dieser wiederum als Multiplikator für ihr rechtspolitisches Engagement im In- und Ausland.188 Gleichwohl blieb es Marie Munk nach der Emigration in die USA und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht vergönnt, einen festen Platz im fachwissenschaft lichen Diskurs der bekannten Printmedien einzunehmen. In den Vereinigten Staaten von Amerika haben sich die allgemeine Presse und die Fachpresse seit dem Ende der vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts einschneidend verändert. Umsatzzahlen bestimmten die amerikanische Presse schon früher als es in Deutschland geschah.189 Publiziert wurde Marie Munk in den fünfziger Jahren nur noch in Zeitschriften wie dem Christian Science Monitor, der Independent Woman oder dem Survey. Diese Zeitschriften bevorzugten immigrantenspezifische Themen und Berichte über die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland und Europa.190 Mit der Folge, dass mehr unveröffentlichte Manuskripte und Artikelentwürfe Marie Munks, jedoch weniger wissenschaftlicher Diskurs aus der Fachpresse für ihr Leben und Werk in den USA aufgearbeitet werden konnte. Über ihre Haltung zu ausgewählten rechtspolitischen Themen, sowohl kurz nach ihrer Emigration in die USA als auch später anlässlich ihrer Deutschlandbesuche, lagen die Interviews 191, Zitate, ihre Publikationen in Zeitschriften für einen ausgewählten Leserkreis und Berichte in regionalen Zeitungen als Befund bereit und waren von besonderem Interesse.192 Für die Zeit von 1933 bis zur ersten Fassung ihrer Erinnerungen in den Jahren 1941/1942 kamen die Zeitungsartikel und Interviews als einzige Bezugsquelle für Marie Munks Selbstwahrnehmung, aber auch für eine Fremdwahrnehmung durch die amerikanische Bevölkerung in Betracht. Diese gaben Auskunft über ihre erste Zeit in der Neuen Welt.193 Ohne ein Zeitungsinterview wären die Einzelheiten 187 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 188 Exemplarisch: für Marie Munks berufliche Profilierung: 2. Kapitel, Ziffer I. Nr. 2.; für ihre im Jahre 1923 erschienene Publikation über das Ehescheidungsrecht und die elterliche Gewalt: 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 3.6. 189 7. Kapitel, Ziffer I. 190 Sigrid Schneider, Zwischen Scheitern und Erfolg: Journalisten und Publizisten im amerika nischen Exil, in: Gesellschaft für Exilforschung (Hg.), Publizistik und Exil und andere Themen, Band 7, München 1989, S. 53 – 54. 191 Vgl. den Vortrag während eines Deutschlandaufenthalts vom 28. Juni 1950 in Frankfurt im Dokumentenanhang sowie 4. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 5. und 5.1. 192 Exemplarisch: 4. Kapitel, Ziffer I. Nr. 1.1., Ziffer II. Nr. 1.–Nr. 2.1., Ziffer III. Nr. 3., Ziffer IV. Nr. 3., Ziffer VI. Nr. 4.2.2. und Nr. 5.1. 193 Zu den Lectures Trips vgl. 4. Kapitel, Ziffer I. Nr. 1.1.
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Wer war Marie Munk? Erste Spuren
der lebensgefährlichen Fahrt Marie Munks nach Deutschland im Jahr 1938 nicht bekannt geworden. In ihren autobiografischen Aufzeichnungen schwieg sie sich hierüber aus. Die Entschädigungsakte erbrachte die Bestätigung.194 In den späteren Jahren wurden die Zeitungsberichte und ihre Manuskripte, Munks kulturelle und rechtliche Reflexion über Deutschland und Europa aus Sicht einer Amerikanerin, Grundlage für weitere wissenschaftliche Auswertungen der Verfasserin.195 Das rechtspolitische Schaffen Marie Munks aus der Weimarer Zeit wirkte in der Ehe- und Familienrechtsreform nach dem Zweiten Weltkrieg in Form des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957 und in der daran anschließenden Rechtsentwicklung fort, weshalb ihre Reformforderungen in einen Vergleich zu den Weggefährtinnen der Weimarer Zeit und der damals wegweisenden Denkschrift Maria Hagemeyers gestellt werden.196 Diese Betrachtung schließt mit einem Blick auf einen ausgewählten gegenwärtigen Forschungsstand.197 Also konnten vergleichsweise wenige wissenschaftliche Veröffentlichungen für die Zeit nach der Emigration Marie Munks ausgewertet werden. Umso mehr war den in Munks Schublade verbliebenen schriftlichen Überlegungen, das amerikanische Ehegüterrecht und Scheidungsrecht zu reformieren und das amerikanische Modell des Marriage Counselor weiterzuentwickeln, Aufmerksamkeit zu schenken. Darüber hinaus wird ihr Modell eines Life Adjustment Centers vorgestellt. Ihr Vorschlag für eine familienrechtliche Mediation sowie ihre Family Education für alle Schularten werden beschrieben. Marie Munk wollte familienrechtliche Inhalte in der Juristenausbildung stärken und sie um sozialwissenschaftliche und medizinische Inhalte ergänzen.198 Zwischen diesem Modell Munks hat die Autorin einen Vergleich zum Marriage Guidance Council in England und zur deutschen und amerikanischen Entwicklung der Gerichtsreform und der Juristenausbildungsreform gezogen.199 Marie Munks Engagement in der Uniform-Law-Bewegung rundete ihr wissenschaftliches Werk ab.200 Munks graue Literatur wirkte sich auf die Sekundärliteratur aus. Für die vorliegende wissenschaftliche Arbeit geriet die amerikanische Sekundärliteratur für die Zeit nach der Emigration Marie Munks aus dem Blickfeld, denn die amerikanische und deutsche Wissenschaft verlor an Leben und Werk Marie Munks, und damit an ihren wissenschaftlichen Manuskripten, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vorübergehend das Interesse. 194 9. Kapitel, Ziffer III. Nr. 2. 195 4. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 4.2.2., Nr. 8. und 7. Kapitel. 196 8. Kapitel, Ziffer I. 197 8. Kapitel, Ziffer I., Nr. 3 – 5. 198 5. Kapitel, Ziffer I. Nr. 6. 199 5. Kapitel, Ziffer I. Nr. 6.7. und 6.8. 200 8. Kapitel, Ziffer II.
Gegenwärtiger Forschungsstand und Literatur
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IV. Gegenwärtiger Forschungsstand und Literatur Das Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, herausgegeben von Herbert A. Strauss und Werner Röder, enthält keine biografischen Informationen über Marie Munk.201 Horst Göppinger ist es zu verdanken, dass die biografischen Daten von „Juristen jüdischer Abstammung im Dritten Reich“ im Jahr 1990 dem Leser erstmals biografische Hinweise über Marie Munk anbieten. Allerdings sind die Angaben zu Marie Munks Leben bekanntermaßen sehr kurz 202, was ein Zeichen dafür war und ist, dass es die Wissenschaft noch nicht vermocht hat, Leben und Werk im Nationalsozialismus geächteter oder emigrierter jüdischer Juristen und Wissenschaftler in Gänze aufzuarbeiten. Nach dem ersten Bonner Symposium über den Einfluss deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland wurden diese im September 1991 gehaltenen Vorträge in einem Sammelband dokumentiert.203 Für die folgende Zeit finden sich keine weiteren transatlantischen Kompendien. Darüber hinaus wird am Titel dieser Publikationen sichtbar, dass für die Jurisprudenz des 20. Jahrhunderts der Genderaspekt noch gar nicht in den Blick genommen wurde. Hierzu war aber bereits bescheiden, jedoch nicht bedeutungslos, in der Deutschen Juristenzeitung im Jahr 1984 aufgerufen worden.204 Mit der Gründung der Gesellschaft für Exilforschung im selben Jahr 205 erhielt die biografische Forschung unter der Gender-Perspektive Anschub. Gleichwohl blieben Leben und Werk emigrierter erster Juristinnen jüdischer Herkunft zunächst ein unbestelltes Forschungsfeld. Es folgten einige Aufsätze oder Beiträge in Sammelbänden 206 und 2 01 Werner Röder und Herbert A. Strauss, Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, München 1999, S. 518 – 519. 202 Vgl. die Ausführungen zu dem vorhergehenden Abschnitt „Wer war Marie Munk? Erste Spuren“. 203 Marcus Lutter, Ernst C. Stiefel und Michael H. Hoeflich, Der Einfluss deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland, Tübingen 1993. 204 Sigrun von Hasseln, Die Zulassung der Frau zum Richteramt – Thema des Vierten Richter tages 1921, in: Deutsche Richterzeitung 1984, S. 12 – 15. 205 Die Gesellschaft für Exilforschung e. V. wurde im April 1984 gegründet, um die komplexe Problematik des Exils aus den deutschsprachigen Gebieten Mitteleuropas nach dem Januar 1933 interdisziplinär und unter geschlechterdifferenzierender Perspektive aufzuarbeiten, in: http://www.exilforschung.de/index.php?p=3 (19. 03. 2013). 206 Ernst C. Stiefel und Frank Mecklenburg, Deutsche Juristen im amerikanischen Exil, S. 75 – 77; Sybille Quack, Zuflucht Amerika. Zur Sozialgeschichte der Emigration deutsch-jüdischer Frauen in den USA 1933 – 1945, Bonn 1995, S. 187; Frank Mecklenburg, The Occupation of Women Emigrees. Women Lawyers in the United States, in: Sybille Quack (Hg.), Between Sorrow and Strength. Women Refugees of the Nazi Period, Cambridge/New York 1996, S. 289 – 299.
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Wer war Marie Munk? Erste Spuren
im Jahr 1997 weitere knappe Hinweise auf Marie Munks Leben in der Neuen Deutschen Biografie.207 Der Deutsche Juristinnenbund verwies ein Jahr später in seiner Verbandsgeschichte auf Marie Munk als Mitbegründerin seines Vereinsvorläufers, des Deutschen Juristinnen-Vereins.208 Eine Arbeit am Lehrstuhl für Zivilrecht und Rechtsgeschichte an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover aus dem Jahr 2000 widmete sich dezidierter dem Lebenslauf von Marie Munk und ihren Reformforderungen zur Weimarer Zeit. Es wurde der Archivbestand im Helene-Lange-Archiv des Landesarchivs Berlin erstmals gesichtet und Literatur der Weimarer Zeit exemplarisch ausgewertet, sodass neben ersten skizzierten biografischen Bezügen Marie Munks zu ihren Weggefährten aus der Deutschen Bürgerlichen Frauenbewegung bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung auch ihr rechtspolitisches Werk aus der Weimarer Zeit in deutlichen Konturen sichtbar wurde,209 während eine Neuauflage der Verbandsgeschichte des Deutschen Juristinnenbundes aus dem Jahre 2003 nichts Neues über Marie Munk berichtete.210 Womöglich war das in Herausgeberschaft des Deutschen Juristinnenbundes geplante Lexikon über Leben und Werk von (fast allen) Juristinnen Deutschlands bereits in Vorbereitung 211, während das Bundesministerium der Justiz mit einer Dokumentation über „Richter und Staatsanwälte jüdischer Herkunft in Preußen im Nationalsozialismus“ Marie Munk und ihre Kollegen mit einem ausführlichen Lebenslauf ehrte.212 Nach Durchsicht des im Jahre 2005 veröffentlichten Lexikons zu Leben und Werk der Juristinnen in Deutschland schienen die Archive gesichtet, Interviews geführt und die biografischen Informationen zahlreich und differenziert. Allerdings blieben Fragen um das rechtsgestalterische und wissenschaftliche Werk der weiblichen Jurisprudenz offen. Es war auch zunächst der Frage nachzugehen, unter w elchen Bedingungen Frauen überhaupt die juristische Profession ergreifen und verwirklichen konnten. „Die Frau als Organ der Rechtspflege?“ war zu 2 07 Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hg.), Neue Deutsche Biographie, 18. Bd., Berlin 1997, S. 595 – 597. 208 Deutscher Juristinnenbund (Hg.), Juristinnen in Deutschland. Die Zeit von 1900 bis 1998, Baden-Baden 1998, S. 15. 209 Oda Cordes, Geschichte und Forderungen des deutschen Juristinnenvereins von seiner Gründung bis zu seiner Auflösung in den 1930ger Jahren, Hannover 2000, S. 29 – 93. Diese Arbeit ist im Februar 2010 auf Vorschlag des Diplomica Verlags in Hamburg als E-Book mit der ISBN 978 – 3 – 8366 – 4108 – 1 veröffentlicht worden. 210 Deutscher Juristinnenbund (Hg.), Juristinnen in Deutschland, Die Zeit von 1900 bis 2003, Baden-Baden 2003, S. 14, 29. 211 Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon. 212 Hans Bergemann und Simone Ladwig-Winters, Richter und Staatsanwälte jüdischer Herkunft in Preußen im Nationalsozialismus. Eine Dokumentation des Bundesministeriums der Justiz, Bundesanzeiger Jg. 56, Nr. 82a vom 30. April 2004, S. 264 – 265.
Gegenwärtiger Forschungsstand und Literatur
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Beginn des 20. Jahrhunderts eine berechtigte Frage, die mit dem Wortlaut des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Januar 1877 von der männlichen Jurisprudenz konsequent verneint wurde. Der Zugang zur juristischen Profession musste von den Frauen erst erkämpft werden.213 Bis zu einer umfassenden Aufarbeitung dieser in einem doppelten Sinne als historisch zu bezeichnenden Geschlechterfrage im Herbst 2010 hielt sich auch die Verbandszeitung des deutschen Juristinnenbundes über die Einflussnahme der ersten deutschen Juristinnen auf die Geschichte des Deutschen Juristentages vor 1933 mit ausführlichen wissenschaftlichen Ergebnissen zurück. Es ging dem Berufsverband offensichtlich darum, erste Juristinnen der eigenen Verbandsgeschichte in ihrem Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter vorzustellen und ihre Wortbeiträge auf den Deutschen Juristentagen knapp zu skizzieren.214 Die wissenschaftliche (Nicht-)Beachtung der weiblichen Jurisprudenz, und damit die stiefväterliche Würdigung der Genderrechtsfrage, schien sich in der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Rechtsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zu wiederholen. Entweder verblieben die Autoren in dem reformpolitischen und damit in dem dominant männlich geprägten parlamentarischen Diskurs des Reformprozesses stecken und erwähnten den Beitrag der ersten deutschen Juristinnen nur am Rande 215 oder es wurden die Grenzen, die den weiblichen Akteuren zur Weimarer Zeit zugewiesen worden waren, die außerparlamentarische Opposition in ihren Verbänden und ihr rechtspolitisches Umfeld, nicht überschritten.216 Von diesem Minimalfokus abgewandt, verdienen die Publika tionen von Steffen Baumgarten 217 und Jens Lehmann 218 aus den Jahren 2006 und 2007 beachtet zu werden.
213 Oda Cordes, Die Frau als Organ der Rechtspflege? Über die historisch wichtigsten Stationen der Zulassung von Frauen in der deutschen Rechtspflege, in: Stephan Meder, Arne Duncker und Andrea Czelk (Hg.), Frauenrecht und Rechtsgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2006, S. 279 – 301. 214 Marion Röwekamp, Juristinnen in der Geschichte des Deutschen Juristentages vor 1933, in: Zeitschrift des Deutschen Juristinnenbundes Heft 4/2010, S. 181 – 183. 215 Zum Beispiel: Michael Humphrey, Die Weimarer Reformdiskussion über das Ehescheidungsrecht und das Zerrüttungsprinzip, Göttingen 2006, S. 129 – 130. 216 Zum Beispiel: Marion Röwekamp, Gedachte Grenzen. Ehescheidungsforderungen als Grenze innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung 1918 – 1933, in: Anne-Laure Briatte-Peters und Kerstin Wolff, Über die Grenzen. Wie Frauen(-bewegungen) mit Grenzen umgehen, A riadne, Heft 57, Mai 2010, S. 14 – 21. 217 Steffen Baumgarten, Die Entstehung des Unehelichenrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, Köln/Weimar/Wien 2007. 218 Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen. Reformforderungen der bürgerlichen Frauen bewegung zum Ehegüterrecht um 1900, Köln/Weimar/Wien 2006.
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Die Publikation von Jens Lehmann widmet sich der Entstehung der ehegüter rechtlichen Bestimmungen zum BGB von 1896. Steffen Baumgarten schildert die Entstehung des Rechts für nichteheliche Kinder und ihrer Mütter zum BGB von 1896. Die Publikationen befassen sich also mit einer Zeit, die vor Leben und Werk Marie Munks lag, jedoch für die Reformphase der Weimarer Zeit rechtspolitisch bedeutungsvoll war. Durch Art. 119 der Weimarer Verfassung vermochte die deutsche bürgerliche Frauenbewegung an ihre zur Zeit der Entstehung des BGB gescheiterten Reformforderungen rechtspolitisch erneut anzuknüpfen. Beide Autoren bieten durch ihre rechtshistorischen Nachweise aus den Quellen im Diskurs um die erste deutsche Rechtsvereinheitlichung der ersten deutschen bürgerlichen Frauenbewegung wissenschaftlich ausführlich Raum. Jens Lehmann geht noch einen kleinen Schritt weiter. Er eröffnet einen ersten Ausblick auf die Weimarer Reformphase, indem er am Schluss seiner Arbeit an die bereits im Jahre 2000 eingeholten rechtshistorischen Nachweise zu den Reformforderungen des deutschen Juristinnen-Vereins 219 werkbiografisch anschließt.220 Bieten beide Arbeiten zu ausgewählten Rechtsgebieten, nämlich zu denen des Ehegüterrechts und des Rechts der nichtehelichen Kinder und ihrer Mütter, rechtshistorisch die Positionen der ersten deutschen bürgerlichen Frauenbewegung im rechtspolitischen Diskurs zur Zeit der Entstehung des BGB an, so umfasst das Handbuch von Tanja-Carina Riedel 221 eine Chronologie des juristischen Diskurses herausragender Persönlichkeiten und ihrer rechtspolitischen Beiträge für alle aus Sicht der ersten deutschen Frauenbewegung wichtigen Rechtspositionen im 19. Jahrhundert. Diese rechtspolitischen weiblichen Einlassungen zur Zeit der Entstehung des BGB von 1896 waren in ihrer „laienhafte[n] Herangehensweise“222 im damaligen Ausschluss der Frauen vom juristischen Studium und von den juristischen Berufen begründet. Dieser historische Wendepunkt harrte bis 2011 einer umfassenden Aufarbeitung. Zwei Aufsätze über die professionelle weibliche Anwaltschaft 223 und 219 Oda Cordes, Geschichte und Forderungen des deutschen Juristinnenvereins, S. 29 – 93. Diese Arbeit ist im Februar 2010 auf Vorschlag des Diplomica Verlags in Hamburg als E-Book mit der ISBN 978 – 3 – 8366 – 4108 – 1 veröffentlicht worden. 220 Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 307 – 315. 221 Tanja-Carina Riedel, Gleiches Recht für Frau und Mann. Die bürgerliche Frauenbewegung und die Entstehung des BGB, Köln/Weimar/Wien 2008. 2 22 http://www.koeblergerhard.de/ZRG 126Internetrezensionen2009/RiedelTanja-Carina- GleichesRecht.htm. Rezension von Werner Schubert (18. 03. 2013). 223 Marion Röwekamp, Die Zulassung von Frauen zur Anwaltschaft: Die erste Rechtsanwältin wurde 1922 zugelassen – und nach elf Jahren war fast schon wieder alles aus, in: Anwaltsblatt Band 61, Berlin 2011, S. 414 – 424; Dies., Die Zulassung von Frauen zur Anwaltschaft, in: Deutscher Anwaltsverein (Hg.), Anwälte und ihre Geschichte: zum 140. Gründungsjahr des Deutschen Anwaltsvereins, Tübingen 2011, S. 237 – 261.
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eine umfassende Untersuchung über die historische Entwicklung weiblicher juris tischer Professionalisierung der Jahre 1900 bis 1945 erschien Mitte Oktober 2011.224 Letztere war verbunden mit einem Einschub über den Beitrag der ersten deutschen Juristinnen zum Reformdiskurs im Ehegüterrecht in der Weimarer Zeit 225, der sich in einem Kurzporträt über das Leben Marie Munks bereits ankündigte.226 Dies geschah nachdem die erste Fassung der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit über Leben und Werk von Marie Munk und die Stellung der Frau im Recht abgeschlossen und der juristischen Fakultät zur Annahme vorgelegt wurde. Die wissenschaftliche Untersuchung über den Zugang von Frauen zu den juristischen Berufen,227 wie alle zeitlich folgenden Veröffentlichungen, werden in der vorliegenden Fassung der Arbeit der Autorin berücksichtigt, soweit es als historischer Hintergrund zu Leben und Werk Marie Munks notwendig ist. Dies liegt darin begründet, dass sich die vorgenannte Veröffentlichung über den Zugang von Frauen zu den juristischen Berufen ausschließlich diesem berufszulassenden Aspekt der weiblichen Jurisprudenz und den sie einenden Merkmalen widmet. In dieser und einer weiteren Arbeit wird Material aus Marie Munks Autobiografie in deutscher Übersetzung oder aus dem englischen Dokument bezogen und aus anderen Quellen zitiert, um die berufliche Professionalisierung von Juristinnen 228, ihre Bedeutung für die Rechtspolitik im Ehegüterrecht zur Weimarer Zeit 229 und die Bedingungen der Auswanderung der ersten Juristinnen zur Zeit des Nationalsozialismus in andere Länder sowie ihren beruflichen Erfolg 230 auf zuvor gestellte Thesen begründen zu können. In diesen vorgenannten Veröffentlichungen mussten zwangsläufig umfassende Aspekte zu Leben und Werk Marie Munks sowie weitere wichtige Gebiete des deutschen Ehe- und Familienrechts (das Scheidungsrecht, das nacheheliche Sorge- und Umgangsrecht und der amerikanische rechtliche Diskurs) ausbleiben, um nicht den eigenen gesteckten Rahmen zu verlassen. 224 Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen: Eine Geschichte ihrer Professionalisierung und Emanzipation 1900 – 1945, Köln/Weimar/Wien 2011. 225 Ebd., S. 538 – 612. 226 Marion Röwekamp, Juristin im Porträt: Marie Munk (1885 – 1978): Führende Rechtspolitikerin der Weimarer Republik und „Frau ohne Land“, in: Recht und Politik, Bd. 47 (2011), S. 109 – 112. 227 Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen. 228 Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen: Eine Geschichte ihrer Professionalisierung und Emanzipation 1900 – 1945, Köln/Weimar/Wien 2011. 229 Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, S. 538 – 612. 230 Marion Röwekamp, Erzwungenes Exil – beruflicher Neustart? Deutsche Juristinnen in England, Palästina und den USA, in: Inge Hansen-Schaberg und Hiltrud Häntzschel (Hg.), Alma Maters Töchter im Exil. Zur Vertreibung von Wissenschaftlerinnen und Akademikerinnen in der NS-Zeit, München 2011, S. 147 – 165.
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Den rechtshistorisch bedeutsamen und bisher unbehandelten Punkten aus Marie Munks Leben und Werk geht die vorliegende wissenschaftliche Studie nunmehr nach. Darüber hinaus eröffnet die vorliegende Studie den interdisziplinären Zugang zu Marie Munks wissenschaftlicher Arbeit in historisch-biografischen Schritten ihres Lebens in ihrem jeweiligen sozialen und rechtlichen Kontext. Sie greift Zeugnisse über und von Marie Munk auf und stellt ihre Selbstentwürfe vor. Es ist Marie Munks Herangehensweise, die sich nicht nur auf den Umgang mit dem Recht beschränkt, um Reformen im Recht und außerhalb des Rechts zu implementieren, und die den rechtlichen und sozialen Konstruktionen der damaligen Gesellschaft einen Spiegel vorhielt.
1. Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
Marie Munk wurde am 4. Juli 1885 in Berlin geboren. Betrachtet der Leser das Elternhaus Marie Munks in ihren autobiografischen Aufzeichnungen, werden Unterschiede zwischen dem christlichen und jüdischen Bürgertum der Kaiserzeit auf den ersten Blick nicht sichtbar. Es ist vielmehr die Rolle von Mann und Frau in der Familie, die, kulturhistorisch betrachtet, in ihrer geschlechtsspezifischen Differenz verändert wird. Marie Munks autobiografische Schilderungen über ihr Elternhaus, ihre Kindheit und frühe Jugend lesen sich wie Vorboten eines neuen Rollenverständnisses der Frau in der Gesellschaft. Auf ihrem weiteren Lebensweg als junges Mädchen ersetzte Marie Munk nicht ein traditionelles Rollenbild durch die berufliche Erwerbsarbeit der Frau, wie dies die Generation ihrer Eltern wegen der sozioökonomischen Veränderungen für ledige Frauen revidieren musste. Vielmehr forderte Marie Munk in ihrer frühen Jugend das weibliche Teilhaberecht auf Bildung für ihren zukünftigen Lebensweg ein. Die Hochschulreife folgte, nachdem sie mit einem für die damalige Zeit bemerkenswert analytischen Verstand erkannte, dass es ihrer Kindergärtnerinnenausbildung wie auch ihrer Sozialausbildung an theoretischen Grundlagen mangelte. Marie Munk war eine der ersten Studentinnen und Promovendinnen der Rechtswissenschaften. Ihre ersten juristischen beruflichen Erfahrungen sammelte sie während des Ersten Weltkriegs. Sie ersetzte ihre in den Krieg einberufenen männlichen Kollegen, ohne nach dem damals geltenden Recht als Frau das erste und zweite juristische Staatsexamen ablegen zu können. Nach der Rückkehr der Männer aus dem E rsten Weltkrieg wurde ihr infolge der Wirtschaftsdepression, wie vielen anderen berufstätigen Akademikerinnen auch, gekündigt.
I. Das Elternhaus Kernstück sozialer Herkunft ist das Elternhaus: ein Ursprung der Selbstidentität. Selbstidentität wurde aus dem autobiografischen Nachlass Marie Munks zum einen in einem sozialen Bezug erkennbar:
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
“I was born in a four family apartment house which was owned by my father. It was located in one of the best residential districts in Berlin.”
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Zum anderen übten ihre Eltern auf ihre Persönlichkeit einen starken Einfluss aus: “It seems to me that I have become a kind of mixture of many characteristics of both, my father and my mother. It may therefore be helpful to explain myself and my attitude toward life by characterizing my parents and my family.”2 Ihre Eltern waren zur evangelischen Konfession konvertiert. Gleichwohl wurde die Familie Munk dem Judentum zugerechnet, weil die Vorfahren Wilhelm Munks dem Judentum angehörten, das sich in den Jahren 1671 bis 1815 in Preußen herausgebildet 3 hatte.
1. Marie Munks Vater: Wilhelm Munk Wilhelm Munk (10. Februar 1844 – 4. Januar 19294), Sohn eines Kaufmanns, kam aus Posen (Polen). Er war ein sehr guter Schüler und studierte Rechtswissenschaften in Heidelberg.5 In Heidelberg gehörten die Väter der meisten Studenten zur sozialen Schicht der Großkaufleute.6 Die Universität Heidelberg hatte eine herausragende kulturelle Bedeutung für die deutsche Bevölkerung jüdischer Herkunft. 1 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel I Childhood, S. 15. 2 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel I Childhood, S. 1. 3 Das preußische Judentum wurde durch zwei Kategorien geprägt. Zum einen gab es in Preußen Juden, die, von außen kommend, um eine Niederlassungserlaubnis im preußischen Staat nachsuchten, weil sie aus ihrer bisherigen Heimat vertrieben worden waren, wie z. B. aus Wien. Zum anderen gab es die jüdische Bevölkerung, die durch preußische Annexion anderer Staatsgebiete als neue Bevölkerung hinzukam. Die rechtliche und wirtschaft liche Unterscheidung zwischen diesen beiden Gruppen im Niederlassungs-, Berufs- und Handelsrecht wurde anhand ökonomischer Überlegungen, die nur zum Vorteil der nichtjüdischen Bevölkerung waren, getroffen. Steffi Jersch-Wenzel, Die Herausbildung eines „preußischen“ Judentums 1671 – 1815, in: Peter Freimark (Hg.), Juden in Preußen – Juden in Hamburg, Hamburg 1983, S. 11 – 31. 4 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 5 und Box 8 Folder 1. 5 Paul Hintzelmann (Hg.), Die Matrikel der Universität Heidelberg, bearbeitet von Gustav Toepke, Sechster Teil von 1846 bis 1870, Heidelberg 1907, S. 434, Matrikel-Nr. 164 für die Zeit Ostern 1862 bis 1863. 6 Monika Richarz, Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe. Jüdische Studenten und Akademiker in Deutschland 1678 – 1848, Tübingen 1974, S. 134.
Das Elternhaus
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1.1 Die Universität Heidelberg Die Universität zu Heidelberg war, neben Breslau, die am stärksten von Juden frequentierte Universität. Bereits seit dem badischen Konstitutionsedikt von 1807 wurden den Juden in Heidelberg Staatsbürgerrechte gewährt. Von diesem Zeitpunkt an war nicht nur eine Immatrikulation von Juden in allen Studienfächern, sondern auch eine Zulassung von Juden zur Promotion und zur Privatdozentur erlaubt, im Gegensatz zur Gesetzgebung in Preußen. Dort wurden Juden bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht zur Promotion an der juristischen Fakultät zugelassen.7 Deshalb übte die Heidelberger Universität eine große Anziehungskraft auf jüdische Studenten aus. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts überstieg die Zahl der immatrikulierten Juden die Zahl der jüdischen Einwohner, im Jahre 1825 gar um mehr als 20 Prozent. Judenfeindliche Bestrebungen wurden an der Heidelberger Universität im Keim erstickt. Der Fall Fries im Jahre 1819 war eindrucksvollster Beweis dieser Praxis.8 In d iesem liberalen Umfeld begann Wilhelm Munk seine Karriere. Zum Einblick in jüdische Berufskarrieren der damaligen Zeit sei an dieser Stelle vorausgeschickt: Mit dem Emanzipationsedikt von 1812 waren die Juden zu „Einländern“ und „Staatsbürgern“ erklärt worden. Es fielen mit dieser staatsrechtlichen Gleichstellung nur die scharfen Berufsbeschränkungen. Vorrangigstes Ziel war: Die Juden sollten sich vom Handel abwenden. Hiervon versprach man sich eine besonders erzieherische und assimilierende Wirkung.9 Allerdings kam es nur zu 7 Ebd., S. 92 – 96, 99, 110 – 111. 8 Die Proteste der Studenten und des übrigen Lehrkörpers gegen judenfeindliche Bestrebungen und die Konfiszierung judenfeindlicher Schriften des Professors Fries durch die Regierung zwangen denselben, einem Ruf nach Jena zu folgen, in: Monika Richarz, Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe, S. 109, 111 – 112. Von Jakob Friedrich Fries war die prinzipielle Unvereinbarkeit von Deutschtum und Judentum behauptet worden. Ähn lich artikulierten sich auch Friedrich Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndt und Friedrich Rühs. Zu den Formen der Judenemanzipation vgl.: Walter Grab, Obrigkeitliche und revolutionäre Formen der Judenemanzipation, in: Shulamit Volkov und Frank Stern, Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Tel Aviv 1991, S. 127 – 134. 9 Ein Gedanke, der bereits in der im Jahre 1781 erschienenen Publikation „Über die bürger liche Verbesserung der Juden“ von Christian Wilhelm Dohm als ein „langwieriger Erziehungsvorgang“ angesehen wurde. In: Monika Richarz, Der Eintritt der Juden in die akade mischen Berufe, S. 83 und 86. Worte in Anführungszeichen aus: Avraham Barkai, Jüdische Minderheit und Industrialisierung. Demographie, Berufe und Einkommen der Juden in Westdeutschland 1850 – 1914, Tübingen 1988, S. 32 unter Hinweis auf Reinhard Rürup, Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur „Judenfrage“ der bürgerlichen Gesellschaft. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 15, Göttingen 1975, S. 16; vgl. zur Einführung in eine Diskussion um Ansätze wirtschaftshistorischer Forschung über Juden: Avraham Barkai, Zur Wirtschaftsgeschichte der Juden in Deutschland. Historiographische Quellen und Tendenzen vor und nach 1945, in: Shulamit Volkov und Frank Stern,
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einer zögerlichen Veränderung der jüdischen Berufsstruktur.10 Diese Entwicklung wirkte sich auf die s oziale und rechtliche Stellung der Juden aus. Erst im Jahr 1847 kam ein einheitliches preußisches Judengesetz zustande, weil die Frage, ob Juden auch Staatsämter bekleiden sollten, eine wichtige Rolle spielte. Mit knapper Mehrheit sprach sich die Kurie der drei Stände für Juden in allen Staatsämtern aus, wenn sie „nicht mit der Leitung christlicher Kultus- und Unterrichtsangelegenheiten im Zusammenhang“11 stünden. Wohl deshalb wurden Juden in den Bewerbungsverfahren nach wie vor benachteiligt.12 Zu Richtern wurden Juden in Preußen erst ab 1870 vereinzelt ernannt. Man „fürchtete, daß Juden als Beamte nach der offenen oder verborgenen Herrschaft über Christen streben könnten“.13 Tatsächlich gab es aber zu diesen Befürchtungen gar keinen Anlass. Untrügliches Kennzeichen hierfür war, dass die jüdische Bevölkerung keine jüdischen,14 sondern typisch deutsche Vornamen – wie auch Marie Munks Vater den Vornamen Wilhelm – trug.
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Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Band 20, Tel Aviv 1991, S. 195 – 214; Jakob Katz, Zur jüdischen Sozialgeschichte: Epochale und überepochale Geschichtsschreibung, in: Shulamit Volkov und Frank Stern, Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Band 20, Tel Aviv 1991, S. 429 – 436. Die historische Forschung hält an fünf Bestimmungsfaktoren fest, die sich mit einer Beschreibung von Eva Gabriele Reichmann in ihrem Buch „Flucht in den Hass. Die Ursachen der Judenkatastrophe“, 7. Auflage, Frankfurt a M. 1969, S. 17 – 81, decken: Der innere Zusammenhalt und das Anschlussbedürfnis der jüdischen Bevölkerung, überlieferte berufliche Tätigkeiten und wirtschaftliche Gewohnheiten, die Anpassung an eine neue Umgebung und neue Bedingungen, die Einstellung der Mehrheitsbevölkerung und schließlich die Wirtschaftsentwicklung der Umwelt erschwerten den Übergang der jüdischen Erwerbstätigen vom Handel in andere Berufssparten. Auch 1895 bis in die Weimarer Zeit hinein war immer noch knapp die Hälfte aller erwerbstätigen Juden im Handelsbereich tätig. Nach der Statistik für Preußen waren im Jahr 1882 nur 1,08 % der Erwerbstätigen im Öffentlichen Dienst jüdischer Abstammung. Gleichwohl muss darauf hingewiesen werden, dass die Statistik der damaligen Zeit noch keine Trennung zwischen dem subjektiven Beruf und dem Beschäftigungsbetrieb vorsah. Hinzu kommt, dass erst für das Jahr 1925 in jeder Statistik für den Bereich des Öffentlichen Dienstes auch die Rechtspflege ausdrücklich genannt wurde. In: Avraham Barkai, Jüdische Minderheit und Industrialisierung, S. 45 – 46, 87 – 89, 134 sowie: Avraham Barkai, Hoffnung und Untergang. Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Hamburg 1998, S. 16 – 20. Monika Richarz, Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe, S. 166. Barbara Strenge, Juden im preussischen Justizdienst 1812 – 1918. Der Zugang zu den juristischen Berufen als Indikator der gesellschaftlichen Emanzipation, München 1996, S. 79 – 286. Monika Richarz, Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe, S. 166 Fußnote 10, S. 170. Hervorhebung nicht im Original. Wie Chaim für Heimann oder Moses für Moritz.
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Das Elternhaus
1.2 Die akademische Karriere Marie Munk berichtete über ihren Vater: “Since he passed all his professional examinations with honors he became one of the youngest judges in Prussia and was called to the bench to Berlin at an early age. Had he not been of
Jewish descent, he would certainly have been appointed to the Supreme Court of Germany.
When this offer finally was made he declined. […] He studied chemistry all by himself long 15
after he was past the seventy years of age.”
Diese besondere Beziehung zur Bildung bis in das hohe Alter hinein ist historisch begründet. Juden wurden in und nach der Emanzipationsphase zu gesellschaftlichen und geistigen Initiatoren und begründeten den hohen Standard deutscher Kultur.16 Meyer’s Enzyklopädie war Symbol eines abgeschlossenen Säkularisierungsprozesses und soziales Zeichen gebildeter bürgerlicher Existenz.17 Dieses Buch wurde zu einem herausragenden Merkmal gebildeten Bürgertums jüdischer Herkunft im Deutschen Kaiserreich.18 In der Familie Munk war Meyer’s Enzyklopädie Signet Wilhelm Munks in der Beziehung zu seinen Kindern: “Although he was the autocrat at the dining table, he devoted as much time as possible to the training and pleasure of his family. […] When his children asked him a question which he
could easily have answered because of his universal knowledge, he told us to look the answer
up in Meyer’s Encyclopedia which stood in the dining room, and he saw to it that we did. He 19
would then explain to us what we did not understand.”
Während seines aktiven Berufslebens pflegte Wilhelm Munk zu veröffentlichen. Seine aus dem Jahre 1892 stammende Abhandlung zu den „Mißbräuchen an den Börsen“ ist im Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums (GV) 1700 – 1910 15 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel I Childhood, S. 2. 16 Shulamit Volkov, Jüdische Assimilation und jüdische Eigenart im Deutschen Kaiserreich. Ein Versuch, in: Geschichte und Gegenwart: Historische Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Band 9, Göttingen 1983, S. 339 – 340, 348. 17 Monika Richarz, Der jüdische Weihnachtsbaum – Familie und Säkularisierung im deutschen Judentum des 19. Jahrhunderts, in: Michael Grüttner (Hg.), Geschichte und Emanzipation: Festschrift für Reinhard Rürup, Frankfurt a. M. 1999, S. 276. 18 Shulamit Volkov, Jüdische Assimilation und jüdische Eigenart im Deutschen Kaiserreich. Ein Versuch, in: Geschichte und Gegenwart: Zeitschrift für historische Sozialwissenschaften, Band 9, Göttingen 1983, S. 345. 19 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel I Childhood, S. 4 – 5.
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enthalten 20 und in zwei Exemplaren der Jetztzeit erhalten geblieben.21 Hervorzuheben ist seine auf der Grundlage gesetzgebender Materialien im Jahre 1880 erschienene Erläuterung über „Das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz und das Einführungsgesetz, das Preußische Ausführungsgesetz und die Preußischen Ergänzungsgesetze, Verordnungen und Ministerialverfügungen“. Diesem Buch folgte ein Beitrag zur Erläuterung des deutschen Rechts im Jahre 1882 unter dem Titel „Gehen Recht und Pflicht aus der Feuerversicherung mit der Veräußerung der versicherten Sache von selbst auf den Erwerber über?“22. In seiner Eigenschaft als Landgerichtsrat äußerte sich Wilhelm Munk im Jahr 1896 „Zur Kritik des Entwurfs eines Handelsgesetz buches“23. Im Jahre 1898 veröffentlichte Wilhelm Munk schließlich in seiner Eigenschaft als Landgerichtsdirektor „Zum Entwurfe eines Reichsgesetzes betr. die Sicherung der Bauforderungen“24, seinen (vermutlich) letzten fachwissenschaft lichen Aufsatz. Wilhelm Munk starb am 4. Januar 1929.25
2. Marie Munks Mutter: Paula Munk Paula Munk kam aus Stargard in Pommern 26 und übte – entgegen allgemeiner bürgerlicher Konvention – vor der Heirat den Beruf der Restauratorin aus.27 Nach ihrer Heirat blieb sie Ehefrau und Mutter. Paula Munk widmete sich dem Haushalt und der Kindererziehung: “Everything ran so smoothly that you did not notice that she kept the strings in her hands. This was particularly apparent when we had large parties.”28 Die Markteinkäufe trug Paula Munk stets selbst. Den einzigen Luxus, den sie sich gönnte, war der tägliche Besuch eines Friseurs und „ that she took a nap after the midday meal in a comfortable armchair.“29 Mehr wird über Paula Munk in den autobiografischen Aufzeichnungen von Marie Munk nicht berichtet. 20 Hilmar Schmuck und Willi Gorzny, Geamtverzeichnis des deutschen Schrifttums (GV) 1700 – 1910, Band 101 Mum–Nap, München 1984, S. 55. 21 Heymann Verlag Berlin. Im Bestand des Seminars für Handels-, Schifffahrts- und Wirtschaftsrecht der Universität Hamburg oder in der Universitätsbibliothek Göttingen einzusehen. 22 In: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts Jg. 26 = 3. F. Jg. 6, S. 648 – 662. 23 In: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts Jg. 40 = 5. F. Jg. 5, S. 697 – 774. 24 In: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts Jg. 42 = 6. F. Jg. 2, S. 396 – 413. 25 Trauerfeier für Wilhelm Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 5. 26 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel I Childhood, S. 8. 27 Ebd., S. 13. 28 Ebd., S. 11a. 29 Ebd., S. 10 und 11.
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Das Elternhaus
3. Marie Munks Geschwister: Gertrud Munk und Ernst Munk Gertrud Munk, das älteste der Kinder, wurde am 15. Dezember 188030 geboren. Sie heiratete im Jahre 1901 einen Professor für Pharmakologie der Berliner Universität. Gertrud Munk betätigte sich als Künstlerin. In den Jahren 1911 bis zur Machtergreifung Hitlers hatte sie freundschaftliche Verbindungen zum sogenannten Sera-Kreis aus der Wandervogelbewegung. Nach ihrer Emigration in die USA hatte Gertrud Munk verschiedene Ausstellungen in den USA.31 Über den Bruder Marie Munks, Ernst Munk, sind die Informationen ausführlicher erhalten geblieben. Marie Munk beschrieb das Leben ihres Bruders in einem Brief an den Direktor Dr. Stahl im Bundesarchiv, in den sie einige Fotos von ihm einlegte:32 „Ernst Munk, geb. 28. 7. 1883 in Berlin, gestorben bei Wilmar 26. 8. 1915. Er besuchte das Prinz
Heinrich Gymnasium in Berlin, das er nach Ablegung des Abiturs 1901 verliess. Er studierte Jurisprudenz, und bestand beide Staatsexamen mit Praedikat gut. Er nahm einen, ich glaube
sechsmonatigen Urlaub, um das englische Rechtswesen zu studieren. Sofort nach Kriegs-
ausbruch meldete er sich als Kriegsfreiwilliger und wurde in das, glaube ich, 126. oder 162.
Feldartellerieregiment aufgenommen. Er rueckte allmaehlich zum Unteroffizier auf und
war bei seinem Tode vorgeschlagen als Offizier und zum Eisernen Kreuz. Als Student hat er der Burschenschaft Allemania in Heidelberg angehoert. Er wurde durch einen Kopfschuss
getoetet. Wie wir hoerten, sollte der kommandierende Offizier ohne genuegende vorhe-
rige Erkundigung eine Artelleriemannschaft ueber ein freies Gelaende geschickt haben.
Sie wurden vom Feind angegriffen und eine Anzahl Pferde, ebenso wie Menschen, wurden
getoetet, darunter Ernst Munk. Kurz vor seinem Tode war Ernst Munk zum Amtsrichter
beim Amtsgericht Berlin-Mitte ernannt worden.“
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Ihr Bruder gab den Anstoß für ihre Erkenntnis über die Differenz von Mann und Frau.
30 Brief von Hildegard Uhlmann an Gertrud Müller-Munk vom 15. Dezember 1967, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 26. 31 Kompendium, S. 882. 32 Aus dem Dankschreiben Dr. Stahls vom 19. August 1970, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 1. 33 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 1.
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
4. Marie Munks erste Erfahrung von Differenz Als Marie Munks Bruder Ernst sein Jurastudium 34 an der Universität Heidelberg aufnahm, wurde Marie Munk als Schülerin erstmals bewusst, dass ihr der akademische Weg als Frau verschlossen blieb: “I, the girl was unable to take up academic studies without supplementary studying which was necessary for the Abitur, the entrance examination to the University. What was I to do with myself ? How could I live a useful life? Could this be achieved only by marriage? What could
I do in the meantime? And what was to become of me if I did not find the right partner? My childhood had been carefree. I did not realize it then how carefree it was because it was not 35
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that different from that of my friends.”
Es waren die damaligen Gesetze, die Frauen nicht zum Abitur und zum Studium zuließen. Folge war, dass im Bürgertum Mädchen beruflich hinter ihren Brüdern zurückstanden: „Hauptziel ihrer Erziehung“ war „die Ehe“.37 Die wirtschaftliche Versorgung unverheirateter Frauen „zwang“ die Generation von Paula und Wilhelm Munk, eine berufliche Tätigkeit vor der Ehe für ihre Töchter zu akzeptieren.38 Wilhelm Munk versuchte, seine Tochter auf einen standesgemäßen, das hieß selbstlosen und gemeinnützigen, Beruf vorzubereiten: “My father made it clear to me that I should not prepare for a job in which I would get a salary which I would then take away from someone who needed it. It had to be a ‘genteel’ work, suitable for the daughter of a judge.”39 Wilhelm Munks Ziel impliziert christliche Überzeugungen bezüglich der Rolle der Frau im Bürgertum. Ebenso knüpfen seine Vorstellungen an jüdische Tradi tionen an. Schon vor der Jahrhundertwende berichtete P. Berthold alias Bertha Pappenheim in der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“, dass bei den „erwerbsuchenden Mädchen“ das „Wie der geleisteten Arbeit über den Menschen entscheidet und nicht gewisse Aeußerlichkeiten, die mit einem Amte oder einer Stellung 34 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel I Childhood, S. 3. 35 Hervorhebung nicht im Original. 36 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel II School, S. 12 und 13. 37 Marion Kaplan, Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland in Deutschland im 17. Jahrhundert bis 1945, München 2003, S. 261. 38 Monika Richarz, Frauen in Familie und Öffentlichkeit, in: Steven M. Lowenstein, Paul Mendes-F lohr, Peter Pulzer und Monika Richarz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Band 3, Umstrittene Intergation 1871 – 1918, München 1997, S. 74 – 75, 91. 39 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel III Years of Groping, S. 1.
Das Elternhaus
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zusammenhängen“40. Die Anführungsstriche Marie Munks um das Wort „genteel“ in ihrem autobiografischen Manuskript enthielten nicht nur Kritik an dieser väter lichen Auffassung. Vielmehr markierten ihre Worte den Wandel von dem bisherigen Leitbild, der Versorgung der Frau in der Ehe, zu einem neuen Leitbild ihrer Generation: der akademisch gebildeten Frau in der Erwerbsarbeit. Dieses war aber aus ihrer Sicht ohne eine fundierte Ausbildung der Frau nicht zu verwirklichen.
5. Fazit Für das Elternhaus Marie Munks lassen sich die Betrachtungen wie folgt abschließen: Der Richter Wilhelm Munk gehörte zu den weniger als 20 % der jüdischen Erwerbstätigen und 1,08 % aller Erwerbstätigen 41, die es geschafft hatten, im Staatsdienst eine Anstellung zu finden. Wilhelm Munks Berufsweg war ein Beleg dafür, dass zur damaligen Zeit der berufliche Werdegang eines jüdischen Staatsbürgers nicht durch eine Konvertierung zum christlichen Glauben befördert werden konnte. Das lag an der grundsätzlichen Ablehnung der Deutschen ihren Mitbürgern jüdischer Herkunft gegenüber. Eine Diskrepanz tat sich auf, weil die jüdischen Integrationsbestrebungen von christlicher Seite als „bürgerliche Verbesserung“42 der Juden bewertet, jedoch als Emanzipation von ihrer jüdischen Religion kulturell verkannt wurden.43 Auf die jüdische Sozialisation des 19. Jahrhunderts wirkte in den Großstädten ein Spannungsfeld z wischen neuem Judentum und bürgerlichem Patriotismus ein.44 Dieses 40 P. Berthold, Frauenfrage und Frauenberuf im Judenthum, in: Allgemeine Zeitung des Judentums, 61/1897, Heft 41, S. 484 – 485, S. 484. Hervorhebung nicht im Original. 41 Avraham Barkai, Jüdische Minderheit und Industrialisierung, S. 133. 42 So betitelte der Berliner Staatsrat Christian Wilhelm von Dohm seine Forderungen nach einer Emanzipation der Juden in seiner Publikation „Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden“, Berlin und Stettin 1783. 43 Mit den Begriffen „bürgerliche Verbesserung“ und „Emanzipation“ waren im 18. und 19. Jahrhundert keine genau definierten sozialpolitischen Grundsätze verbunden. Vgl. Jacob Toury, Emanzipation und Assimilation, in: Julius H. Schoeps (Hg.), Neues Lexikon des Judentums, München 1992, S. 134. 44 Patriotismus ist in d iesem Kontext als ein Phänomen zu verstehen. „Die Liebe zu einer Kultur und einem Land, das die jüdische Bevölkerung seit Jahrhunderten aus religiösen und später antisemitischen Gründen diskriminierte und verfolgte. […] Deutschland galt einer zunehmenden Zahl von Juden seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts als Heimat und Vaterland. Der Bezug zu Jerusalem und Zion war eher religiös verbrämt und besaß keine politische Bedeutung. […] Da eine ganze Anzahl der deutschen Nationalheroen aus der Zeit der Aufklärung stammten, der Epoche also, in der erstmals Toleranz als grundsätz liches Ideal angesehen worden war, lag die Identifikation mit der deutschen ‚Kulturna tion‘ für Juden nahe. […] Es bestand auf Seiten der jüdischen Gemeinschaft während des
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Spannungsfeld 45 wurde in der Familie Munk nicht sichtbar, so die autobiografischen Aufzeichnungen: “My brother was proud and happy when he was accepted by the artillery. He went to war with shining eyes.”46 Diese Zeilen Marie Munks über ihren Bruder Ernst könnten ebenso ein Beleg dafür sein, dass die Familie Munk voll und ganz am im christlichen Bürgertum assimiliert war, allerdings nicht verortet in einer ausgeprägt religiös-christlichen Lebenspraxis. Die Geschlechterrollen in der Familie Munk waren, wie im damaligen deutsch- christlichen Bürgertum üblich, traditionell verteilt. In dieser traditionellen Rollenverteilung fanden sich Frauen und Kinder sozial und wirtschaftlich „behütet“. Diesem Leitbild hatte sich auch Marie Munks Bruder verschrieben. Ernst Munk berichtete in seinen Briefen von der Front nichts, was seine Schwester mit Sorgen erfüllt hätte.47 Dieses traditionelle Rollenverständnis von Mann und Frau im jüdischen Bürgertum reflektiert Tradition und Wandel in der Verbürgerlichung der Juden. Der jüdische Mann, historisch betrachtet ehemals die religiöse Autorität in der jüdischen Gemeinde, übernahm den Erwerb der Familie ganz. Die Frau war Ehefrau und M utter. Die Familienstruktur war patriarchalisch und behandelten Zeitraums ein Identitätsbedürfnis, das im zeitlichen Fortgang seine Befriedigung vorrangig auf der gesellschaftlichen Ebene fand. Als Deutsche kultivierten die Juden die säkulare Geisteshaltung des Patriotismus oder auch Nationalismus, während sie ihre jüdische Identität durch den Glauben bewahrten, soweit dies individuell Bedeutung besaß.“ In: Erik Lindner, Patriotismus deutscher Juden von der napoleonischen Ära bis zum Kaiserreich: z wischen koporativem Loyalismus und individueller deutsch-jüdischer Individualität, Frankfurt a. M. 1997, S. 13, 344, 345, 354. 45 Toni Cassirer, die Ehefrau von Ernst Cassirer, umschrieb dieses Spannungsfeld, indem sie Hermann Cohens Verhältnis zum Judentum mit ihrem und dem Verhältnis ihres Mannes zum Judentum verglich: „Für uns gab es jüdische Deutsche, jüdische Polen, jüdische Russen usw. Für Cohen lag der Akzent an einer anderen Stelle. Für ihn gab es deutsche Juden, polnische Juden, russische Juden usw. Wir waren in liberalen Familien aufgewachsen mit jüdischer Familientradition, aber mit ungenauer Kenntnis der jüdischen Geschichte. Cohen hingegen war der Sohn eines jüdischen Lehrers, seiner Begabung wegen schon als kleiner Junge für das Studium der Theologie auserwählt und zum Rabbiner bestimmt. Später entdeckte er seine Begabung zur Philosophie und entschloss sich, der theologischen Laufbahn zu entsagen. Aber er war auf einem anderen Boden gewachsen als wir, und […] was noch viel merkwürdiger war, […] schließlich zu einem fanatischen, kurzsichtigen, deutschen Patrioten“ geworden, so „blieb er [dennoch] mit seinen tiefsten Wurzeln seiner Herkunft aufs innigste verbunden.“ In: Toni Cassirer, Mein Leben mit Ernst Cassirer, Hamburg 2013, S. 95. 46 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VIII Impressions and Activities during World War I, S. 2. 47 Schreiben von Ernst Munk an Marie Munk vom 18. Dez. 1914, 1. Febr. 1915, 23. Febr. 1915, 25.–27. Febr. 1915, 2. März, 3. März, 5. März, 8. März und 9. März 1915. In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 7 Folder 7.
Das Elternhaus
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konnte sich in der „typischen bürgerlichen Form“48 verorten. Blieb Paula Munk gesellschaftlich im Hintergrund, so vereinigte Wilhelm Munk die außerfamiliären und die kulturellen Werte in sich. Er vermittelte seinen Kindern den Bezug zur Bildung als Lehrer in der Familie, nur jetzt mit a-religiösen Bildungsinhalten. Paula Munk hatte ihren Vorteil vor der Heirat, eine berufliche Ausbildung als Restauratorin, genutzt. Dieser Vorteil einer beruflichen Ausbildung vor der Heirat war im Vergleich zum christlichen Bürgertum ein entscheidender Unterschied in der Sozialisation von jungen Mädchen jüdischer Herkunft. Dieser Unterscheid ist historisch zu erklären: Eine jüdische Frau konnte das Studium der Literatur nur für sich in Anspruch nehmen, weil sie in die Religionspraxis der jüdischen Gemeinde nicht eingebunden wurde. Hierüber verschaffte sich die jüdische Frau einen Zugang zur nichtjüdischen bürgerlichen Kultur, der begleitet wurde von einer guten weib lichen Ausbildung vor der Heirat. Ein Vorsprung, aber der einzige Vorteil jüdischer junger Frauen gegenüber den jungen Frauen des damaligen christlichen Bürgertums.49 Nach der Eheschließung blieb Paula Munk einem traditionellen Rollenbild als Ehefrau und Mutter verbunden. Um nicht voreilig auf eine gleiche Entwicklung eines traditionellen Rollenverständnisses im christlichen wie im jüdischen Bürgertum 50 schließen zu wollen, muss an dieser Stelle folgender Hinweis gestattet sein: Allgemein war die jüdische Frau nach der Französischen Revolution stärker von den rechtlichen Veränderungen betroffen als die nichtjüdische Frau. Jede Frau verlor Rechtsstellungen, die mit einem Ausnahme- oder Berufsrecht verbunden waren 51, weil mit der Revolution 48 Monika Richarz, Familie und Verbürgerlichung, in: Michael A. Meyer (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Band 3, Umstrittene Integration 1871 – 1918, München 1997, S. 71. 49 Monika Richarz, In Familie, Handel und Salon. Jüdische Frauen vor und nach der Emanzipa tion der Juden, in: Karin Hausen und Heide Wunder (Hg.), Frauengeschichte – Geschlechter geschichte, Frankfurt a. M. 1992, S. 59 – 60. 50 Eine historische Quelle schilderte die Situation der jüdischen Frau in der Familie so: „Das Haus ist der eigentliche Tempel der Frau, die Erziehung der Kinder ihr Gottesdienst, und die Familie ihre Gemeinde.“ In: Nahida Remy, Das jüdische Weib, Leipzig 1892, S. 100. „Der jüdische Familienvater des Kaiserreichs vertrat die Interessen seiner Familie in der Öffent lichkeit, wurde Mitglied von Vereinen und Parteien und übernahm Ämter in jüdischen und allgemeinen Organisationen. Der individuelle Kontakt zu Nichtjuden war weitgehend das Monopol des Ehemannes und fand außerhalb des Hauses statt.“ In: Monika Richarz, Familie und Verbürgerlichung, in: Michael A. Meyer (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Band 3, Umstrittene Integration 1871 – 1918, München 1997, S. 71. 51 Vor der französischen Revolution waren die weibliche Berufsausübung in den Zünften und das Laienrichteramt der Frau miteinander verbunden, weil mit einer weiblichen Mitgliedschaft in den Zünften gesetzgebende, gewerbepolizeiliche und richterliche Tätigkeiten verbunden waren. In: Wilhelm Behaghel, Die gewerbliche Stellung der Frau im mittelalterlichen Köln, in: Below, Finke und Meinecke (Hg.), Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte, Heft 23, Berlin 1910, S. 84 – 85; Clamor Neuburg, Zunftgerichtsbarkeit und Zunftverfassung in
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
jegliches Sonderrecht beseitigt wurde. Mit dem Recht auf Erwerb war für Frauen nicht mehr zwangsläufig eine Zulassung zu den Kaufmanns- und Gewerbegerichten verbunden. Schließlich konnten nach der Lesart des Gesetzes nur männliche Mitglieder das aktive und passive Wahlrecht ausüben.52 Die jüdische Frau aber verlor darüber hinaus ihr bereits seit der Neuzeit verankertes Recht auf das selbstständige Führen eines Handelsgeschäftes und ihre Beteiligung an der jüdischen Gerichtsbarkeit.53 Deshalb blieb die jüdische Frau während der Emanzipation im 19. Jahrhundert nicht nur unter dem traditionellen historischen Blickwinkel im Vergleich zum jüdischen Mann zurückgestellt. Vielmehr wurde die jüdische Frau im Vergleich zur christlichen Frau des Bürgertums stärker diskriminiert.54 Es war aber nicht die innerfamiliäre Rollenverteilung, die Marie Munk zu einem ersten Nachdenken über die geschlechtliche Differenz anregte, sondern, im Vergleich zu den Bildungsmöglichkeiten, die ihrem Bruder Ernst offenstanden, ihr weibliches Recht auf Bildung: ein typisches Teilhaberecht.
II. Schul-, Berufs- und Universitätsausbildung (1892 – 1911) Die Bildungsangebote veränderten sich zum Ende des 19. Jahrhunderts besonders in der schulischen Ausbildung von jüdischen Mädchen. Sie genossen im Vergleich zu deutschen Mädchen im Allgemeinen eine bessere Ausbildung. „In Preußen besuchten um die Jahrhundertwende 21 Prozent der jüdischen Mädchen und nur zwei Prozent der nichtjüdischen Mädchen eine höhere Mädchenschule.“55 Dies war Resultat einer im 17. Jahrhundert in der jüdischen Oberschicht von Moses Mendelssohn begonnenen und im 18. Jahrhundert um die „bürgerliche Verbesserung
52
53
54 55
der Zeit vom 13. bis 16. Jahrhundert: ein Beitrag zur ökonomischen Geschichte des Mittel alters, Jena 1880, S. 89 – 156. § 1 Halbsatz 1 des Wahlgesetzes für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869 lautete: „Wähler für den Reichstag des Norddeutschen Bundes ist jeder Norddeutsche“, in: Ernst Rudolf Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Band 2, Deutsche Verfassungsdokumente 1851 – 1918, Stuttgart 1961, S. 243. Vor der Industrialisierung hatte die Frau das Handelsgeschäft bei Abwesenheit des Mannes selbstständig weitergeführt. Für das 13. Jahrhundert weisen historische Quellen die Beteiligung der Frau an der jüdischen Gerichtsbarkeit aus. Jacob Katz, Tradition and Crisis. Jewish Society at the End of the Middle Ages, New York 1993, S. 145. Monika Richarz, In Familie, Handel und Salon. Jüdische Frauen vor und nach der Emanzipa tion der Juden, in: Karin Hausen und Heide Wunder (Hg.), Frauengeschichte – Geschlechter geschichte, Frankfurt a. M. 1992, S. 58. Marion Kaplan, Geschichte des jüdischen Alltags, S. 261.
Schul-, Berufs- und Universitätsausbildung (1892 – 1911)
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der Juden“ fortgeführten jüdischen Bildungsreform. Diese war durch Erziehungsund Unterrichtsprogramme jüdischer Aufklärer beeinflusst worden. 56
1. Schulbesuch und Ausbildung zur Kindergärtnerin Marie Munk war bereits zu Beginn ihrer Schulzeit privilegiert. Zunächst wurde sie durch einen Privatlehrer unterrichtet, später wechselte sie an eine private Mädchenschule. Dort erhielt sie von gut ausgebildeten Lehrerinnen Unterricht in den Naturwissenschaften, deutscher Literatur und in Fremdsprachen. Darüber hinaus sorgte Wilhelm Munk für privaten Unterricht in Englisch, Französisch und Italie nisch.57 “I believe that our school was more advanced in many ways than other schools for girls at the time”58, erinnerte sich Marie Munk. Sie absolvierte bis Ostern 1901 eine höhere Mädchenschule bis zur 10. Klasse.59 Bereits seit der Kindheit hatte sie sich zum Lehrerinnenberuf hingezogen gefühlt.60 Dieser Berufswunsch stand an erster Stelle.61 Eine Wahl, die auch im konservativen christlichen und jüdischen Bürgertum gleichermaßen Zustimmung gefunden hätte.62 56 Mendelssohn verwendete in seiner Schrift mit dem Titel „Ueber die Frage: Was heißt aufklären?“ die Begriffe „Kultur“ und „Bildung“ im Kontext des neuzeitlichen Vervollkommnungsstrebens des Menschen. Vgl. hierzu: Britta L. Behm, Moses Mendelssohn und die Transforma tion der jüdischen Erziehung in Berlin. Eine bildungsgeschichtliche Analyse zur jüdischen Aufklärung im 18. Jahrhundert, Band 4 der Schriftenreihe „Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland“, Münster 2002, S. 252 – 257; siehe auch: Britta L. Behm, Uta Lohmann, und Ingrid Lohmann (Hg.), Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, Band 5 der Schriftenreihe „Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland“, Münster 2002; zur jüdischen Mädchenerziehung im 17. und 18. Jahrhundert vgl. Mordechai Eliav, Jüdische Erziehung in Deutschland im Zeitalter der Aufklärung und der Emanzipation, Band 2 der Schriftenreihe „Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland“, Münster 2001, S. 348 – 361. 57 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel II School, S. 1 und 2. 58 Ebd., S. 2. 59 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel III Years of Groping, S. 1. 60 Ein Berufswunsch, der Marie Munk in einem jüngst publizierten Lebensverlauf unerfind lich abgesprochen wird: vgl. Marion Röwekamp, Marie Munk –Rechtsanwältin-Richterin- Rechtsreformerin, Berlin 2014, S. 15 – 16. 61 „Teaching came first to my mind“, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel III Years of Groping, S. 1. 62 Monika Richarz, Frauen in Familie und Öffentlichkeit, in: Steven M. Lowenstein, Paul Mendes-F lohr, Peter Pulzer und Monika Richarz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, S. 87.
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
Der weitere Schulbesuch über die 10. Klasse hinaus wäre jedoch nicht nur mit einem anstrengenden Schulweg bis weit in die Abendstunden verbunden gewesen, sondern hätte ihr auch erhebliches an körperlichen und geistigen Kräften abverlangt. Vor diesen Strapazen und weil eine 4-jährige Vorbereitung auf die Hochschulreife in den Gymnasialkursen für Mädchen in Berlin ihre Freundschaften und Bekanntschaften eingeschränkt hätte, an denen ihr so viel lag, entschied Marie Munk: “I did not want to be a failure.”63 Sie traf ihre Wahl: “My next idea was social work which I could do as a volunteer. I suggested to my father enrollment in the Pestalozzi Froebelhaus in Berlin which prepared Kindergarten teachers. […] My father made no objections, nor did he or anybody else stop me in my growing.”64 Marie Munk absolvierte von Oktober 1901 bis Ostern 1903 eine Kindergärtnerinnenausbildung im Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin. 1.1 Die Fröbel-Systempädagogik und die Stellung der Frau nach Lina Morgenstern Ihre Ausbildung zur Kindergärtnerin basierte auf einem für die damalige Zeit fortschrittlichen pädagogischen Konzept, das seine Basis in der jüdischen Frauen bewegung hatte.65 Diese reformpädagogische Ausbildung war nicht nur „ein neuer außerhäuslicher Aufgabenbereich für Frauen“, sondern auch „eine Teillösung für die ‚Frauenfrage‘“66, charakteristisch für die s oziale Stellung Wilhelm Munks. Das jüdische Bürgertum sah die s oziale Notwendigkeit weiblicher Berufsbildung mit dem jüdischen Interesse an Kindererziehung und Pädagogik 67 vereint. Ähnliche Ziele beruflicher Verwirklichung junger Mädchen bis zu ihrer Heirat ließen sich auch im christlichen Bürgertum der damaligen Zeit finden. Das theoretische 63 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel III Years of Groping, S. 2 – 3. 64 Ebd., S. 3a. 65 Der Gedanke der Kleinkindförderung wurde den Konzepten damaliger Kleinkindaufbewahrung entgegengesetzt. Der sogenannte Vorschulgedanke des Kindergartens tauchte erstmals auf, weil zur Arbeit verpflichtete alleinerziehende Mütter weder das Geld noch die Zeit hatten, ihre Kinder angemessen zu fördern. Hierin könnte die Geburtsstunde bürger licher Sozialpädagogik gesehen werden. Als Apostel der Fröbel-Lehre galten Bertha von Marenholtz und Henriette Schrader-Breymann. Darüber hinaus darf auf das Engagement von Johanna Goldschmidt (1806 – 1884) und Henriette Goldschmidt (1825 – 1920) verwiesen werden, auf das an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann, weil im Lebenslauf Marie Munks Lina Morgensterns Konzept weit mehr im Vordergrund steht. Vgl. zu dem Fröbel-Konzept und zu Leben und Werk von Johanna und Henriette Goldschmidt: Irmgard Maya Fassmann, Jüdinnen in der deutschen Frauenbewegung 1865 – 1919, Hildesheim 1996, S. 129 – 178. 66 Ebd., S. 133. 67 Marion Kaplan, Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland, S. 258.
Schul-, Berufs- und Universitätsausbildung (1892 – 1911)
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und praktische Ausbildungskonzept 68 Lina Morgensterns fußte auf der fröbelschen Systempädagogik. Diese Systempädagogik orientierte Lina Morgenstern an Adolf Diesterweg 69 im Kontext von Leben und Werk Friedrich Fröbels: „Hier können die Kinder von reich und arm, von vornehm und gering, von Protestant, Katholik und Jude, glücklich und gesegnet neben einander sein, eins durch das andere sich
bildend, eins nach dem andern sich entwickelnd, daß jeder, der es vorurteilsfrei beachtet,
unwillkürlich ausrufen muß: ‚Fürwahr, hier sieht man, es sind Kinder eines Vaters, einer menschlichen Familie.‘“
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Dieses Erziehungskonzept war in der nachemanzipatorischen Ära besonders für das jüdische Bürgertum, aber auch für ein nach Unabhängigkeit von der Amtskirche strebendes Christentum von Interesse. Schließlich bot dieses Konzept die Plattform eines überkonfessionellen Engagements.71 Lina Morgenstern bezog ihre Pädagogik aber nicht nur auf das Kind, sondern auch auf die Frau als M utter und zukünftige Ehefrau. Das wurde besonders in ihrem Lehrbuch an den Stellen deutlich, die ihre Ausführungen über die Pädagogik Friedrich Fröbels in Kindergärten beschließen. Sie favorisierte eine naturgemäße Kindheitsbeschäftigung (Bewegungsspiele, Gedichte, Lieder und Erzählungen)72 und zugleich einen „Erziehungsauftrag der Frau“73. Für die Familie brachte der Kindergarten „seine reichsten Früchte nicht allein den Kleinen, sondern er ist eine Bildungsanstalt für das ganze weibliche Geschlecht“74. Darüber hinaus strebte Lina Morgenstern danach mit ihrer Ausbildung der ihr von den Eltern anvertrauten jungen Mädchen generationenübergreifende pädagogische Ziele zu verwirklichen: „Eine Hauptaufgabe der mütterlichen Erziehung ist es, daß das Kind in allem, was es
treibt und umgibt, einen inneren Zusammenhang finde. Es soll zeitig von der sinnlichen
68 Getreu ihrem Lehrbuch „Das Paradies der Kindheit. Lehrbuch für Mütter, Kindergärtnerinnen und Erzieherinnen nach Friedrich Froebel System“, 6. Auflage, Regensburg und Leipzig 1904. 69 Enthalten in der biografischen Darstellung zu Fröbel, Kompendium, S. 825. 70 Lina Morgenstern, Das Paradies der Kindheit, 6. Auflage, Leipzig 1904, S. 37 und 38. 71 Irmgard Maya Fassmann, Jüdinnen in der deutschen Frauenbewegung 1865 – 1919, S. 135. 72 Lina Morgenstern, Das Paradies der Kindheit, S. 67 – 121, 122 – 255, 256 – 274, 275 – 291, 292 – 304. 73 Lina Morgenstern, Der Beruf des Weibes. Vortrag, gehalten des 5. December 1871 zum Besten einer zu gründenden Freistelle in obiger Anstalt, in: dies: Akademie zur wissenschaftlichen Fortbildung für Damen in Berlin, Berlin 1872, S. 22; Irmgard Maya Fassmann, Jüdinnen in der deutschen Frauenbewegung 1865 – 1919, S. 179 – 216, S. 188. 74 Lina Morgenstern, Das Paradies der Kindheit, S. 41. Hervorhebung nicht im Original.
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Empfindung zur sittlichen Betrachtung, zum Gehorsam angeleitet werden und sich als
ein von der Familie, der Gesellschaft und Natur abhängiges Wesen fühlen. – Die Eltern
müssen es durch ihr Beispiel belehren, daß das Gute auch das Wahre, d. h. das Sittenge75
setz des Lebens ist. In jeder Familie herrscht die Übertragung des Hergebrachten wie eine 76
mündliche Offenbarung . Darum muss eine Mutter nie vergessen, dass sie Trägerin zukünf-
tiger Geschlechter ist.“
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Dieses Leitbild schloss nicht aus, dass sich Schwierigkeiten in der Praxis einstellten. Diese waren bereits zu erahnen, wenn man sich die Ausführungen über die Ausbildung der Kindergärtnerinnen genauer anschaute: „Der Kindergarten ist die Pflanzstätte nicht nur für das Kind, sondern auch für die Jungfrau, die hier die Lehrzeit ihres mütterlichen Berufes durchmachen 78 soll.“79 Dieses „durchmachen“ wurde von Lina Morgenstern in besonderer Art und Weise für die praktische Ausbildung der jungen Frau interpretiert. Neben ausgewiesenen „Charakterzügen einer echten Kindergärtnerin […] muß sie andererseits sich nicht nur
oberflächlich mit allen Fröbelschen Spielbeschäftigungen und dem System bekannt machen, sondern wirklich eingehende Erziehungsstudien gemacht und das Fröbelsche Material selbst 80
81
und schulgemäß durchgearbeitet haben“ .
Dieses „Durcharbeiten“ war nach Lina Morgenstern der Leitgedanke des Umgangs mit den fröbelschen Spielgaben: „Die Erziehende muß selbst erst mit diesen Spielen umzugehen lernen, und dies ist das ganze Geheimnis der Kindergärtnerei!“82 Nach dieser zweieinhalbjährigen Ausbildung 83 arbeitete Marie Munk in einem von Lina Morgenstern geführten Berliner Kinderpflegerinnen-Institut.84
75 76 77 78 79 80 81 82 83
Hervorhebung nicht im Original. Hervorhebung nicht im Original. Lina Morgenstern, Das Paradies der Kindheit, S. 57. Hervorhebung nicht im Original. Lina Morgenstern, Das Paradies der Kindheit, Vorwort S. 5 und 6. Hervorhebung nicht im Original. Lina Morgenstern, Das Paradies der Kindheit, S. 58 – 59. Ebd., S. 123 und 124. LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel III Years of Groping, S. 3a. 84 Lina Morgenstern, Erinnerungen an den 1859 begründeten Frauenverein zur Beförderung Fröbelscher Kindergärten als Ausgangspunkt der Frauenbewegung in Berlin, in: Deutsche Hausfrauen-Zeitung, 26/1899, S. 475.
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Schul-, Berufs- und Universitätsausbildung (1892 – 1911)
1.2 Marie Munks Erfahrungen mit Lina Morgensterns Ausbildungskonzeption Spätestens jetzt blickte Marie Munk zurück auf ihre erste berufliche Ausbildung als ein misslungenes didaktisches Konzept. Offensichtlich wurden im Pestalozzi- Fröbel-Haus in Berlin theoretische erziehungswissenschaftliche Seminare, die Didaktik und die historische Entwicklung der Kindergartenbewegung weniger unterrichtet und praktiziert, die Methodik gestalterischer Tätigkeiten dafür umso penibler. Marie Munk resignierte: “I was not agile enough with my hands, and I also protested inwardly and perhaps also outwardly against this type of pedantry, which seemed to me a waste of time and energy. […]
This training did not give me the feeling of achievement.”
85
Ein besonderer Erfolg dieser Ausbildung stellte sich bei Marie Munk nicht ein: “I finally got my certificate, but it qualified me only as a helper, not as a director of kindergarten.”86 Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass die sozialen Ziele dieser Ausbildung eine wirkungsvolle Persönlichkeitsentwicklung der Frau beförderten, welche bereits „auf der Schwelle zur sozialen Arbeit“87 stand. So auch bei Marie Munk: “What could I do next? I decided to join the groups of Social Works under Dr. Alice Salomon.”88
2. Sozialausbildung und Berufserfahrung bei Alice Salomon Alice Salomon (19. April 1872 – 30. August 1948)89 war eine zum christlichen Glauben konvertierte Jüdin. Ein unter Leitung von Dr. Alice Salomon stehender Verein – „Mädchen= und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ – bildete in Kursen, durch Besichtigungen und weitere ergänzende Bildungsangebote in der Wohlfahrtspflege aus. Seine arbeitenden Mitglieder wurden Anstalten und Vereinen 90, die Hilfskräfte 85 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel III Years of Groping, S. 3a und 3b. 86 Ebd., S. 3a. 87 So Irmgard Maya Fassmann in ihrer zusammenfassenden Betrachtung über das sozialpoli tische Wirken Lina Morgensterns, in: dies., Jüdinnen in der deutschen Frauenbewegung 1865 – 1919, S. 207 – 222. 88 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel III Years of Groping, S. 3b. 89 Irmgard Maya Fassmann, Jüdinnen in der deutschen Frauenbewegung 1865 – 1919, S. 250 – 269. 90 Diese Überweisung fand ausschließlich an Einrichtungen statt, die sich an fröbelschen Anschauungen orientierten. In: Iris Schröder, Arbeiten für eine bessere Welt. F rauenbewegung und Sozialreform 1890 – 1914, Frankfurt a. M. 2001, S. 85.
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
benötigten, überwiesen. Der Verein führte seine Helferinnen systematisch in die Arbeit ein.91 Der Gründungsaufruf „Mädchen= und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ ging auf einen Initiativvortrag von Helene Lange während der 16. Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins und auf Minna Cauers praktische Anleitungen für bürgerliche Mädchen zur Hilfeleistung für Blinde zurück.92 Mit d iesem Aufruf wurden „Mädchen und Frauen der besitzenden Klassen“ aufgefordert, sich an der Arbeit in Wohlfahrtseinrichtungen zu beteiligen. Die „Berliner Vereinigung“ bezweckte, „1. die Mädchen und Frauen, die sich sorgloser äußerer Lebensbedingungen erfreuen, mit der Not der ärmeren Volksklassen bekannt zu machen und sie zur thatkräftigen Unterstützung
all der Wohlfahrtsunternehmungen heranzuziehen, die diese Not zu lindern bestrebt sind; zur
Unterstützung nicht durch Geld, sondern durch eigene persönliche Fürsorge. 2. die Mädchen und Frauen, welche einem Beruf nachgehen, mit der Überzeugung zu erfüllen, daß auch die
Frau als Bürgerin Pflichten im Gemeinwesen hat, und daß deshalb auch die berufsthätige Frau einen Teil ihrer freien Zeit zur Förderung des Gemeinwohls verwenden sollte. 3. den
Mädchen und Frauen, die Wunsch und Willen haben zu helfen, Gelegenheit zu bieten, sich 93
die zu einer wirksamen Hilfeleistung notwendigen Kenntnisse anzueignen.“
Bei diesen Vorläufern der späteren Sozialen Frauenschule handelte „es sich um keinerlei ‚Emanzipationsbestrebungen‘“94. Vielmehr handelte es „sich lediglich darum, junge Mädchen und Frauen zu ernster Pflichterfüllung im Dienste der Gesamtheit 91 Liane Becker, Die Frauenbewegung. Bedeutung, Probleme, Organsiation, München 1911, S. 183. 92 Dora Peyser, Alice Salomon-Ein Lebensbild, in: Hans Muthesius (Hg.), Alice Salomon – Die Begründerin des sozialen Frauenberufs in Deutschland. Ihr Leben und ihr Werk, Köln 1958, S. 9 – 121, S. 22 – 23, 26. Eine Quelle der Sekundärliteratur macht die Gründung der M ädchenund Frauengruppen für s oziale Hilfsarbeit an einem Aufruf des Komitees des Vereins für Socialpolitik fest, vgl.: Rüdiger Baron und Rolf Landwehr, Von der Berufung zum Beruf. Zur Entwicklung der Ausbildung für die soziale Arbeit, in: Rüdiger Baron (Hg.), Sozialarbeit und Soziale Reform. Zur Geschichte eines Berufs z wischen Frauenbewegung und öffent licher Verwaltung. Festschrift zum75-jährigen Bestehen der Sozialen Frauenschule Berlin- Schöneberg/Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Berlin, Weinheim 1983, S. 3 – 4. Klarstellend: Iris Schröder, Arbeiten für eine bessere Welt, S. 82 – 83. 93 Alice Salomon, Settlementbewegung und Gruppen für s oziale Hilfsarbeit, in: Die Jugendfürsorge, 2/1901, Heft 8, S. 453 – 460, nachgedruckt in: Adriane Feustel (Hg.), Alice Salomon. Frauenemanzipation und soziale Verantwortung, Ausgewählte Schriften, Band 1: 1896 – 1908, Neuwied 1997, S. 82 – 83. 94 Abdruck des Aufrufs des Komitees zur Begründung der „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ November 1893, in: Emmy Beckmann und Elisabeth Kardel, Quellen zur Geschichte der Frauenbewegung, Frankfurt a. M. 1955, S. 48. Hervorhebung nicht im Original.
Schul-, Berufs- und Universitätsausbildung (1892 – 1911)
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heranzuziehen“95. Es war der „wirtschaftliche und kulturelle Notstand in großen Bevölkerungsschichten des Vaterlandes, die zunehmende Verbitterung innerhalb weiter Kreise des Volkes“96, die „Frauen gebieterisch zu sozialer Hilfstätigkeit“97 aufrief. Nicht eine Zuwendung zu oder Abwenden von der Frauenbewegung 98, sondern die Ausbildungsinhalte in den Mädchen- und Frauengruppen für s oziale Hilfsarbeit entsprachen jüdischer, wie christlich bürgerlicher Wohltätigkeitstradition. Darüber hinaus konnte mit einem überkonfessionellen Ansatz „sowohl die Bereitwilligkeit der jungen Mädchen als auch die Einwilligung ihrer Eltern“99 gewonnen werden. Margarete Berent, eine spätere Weggefährtin Marie Munks, berichtete 40 Jahre später in der Zeitschrift „Aufbau“ über die weitere Entwicklung dieser aus den Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfstätigkeit hervorgehenden sozialreformerischen Bewegung: „Die Hilfstätigkeit in den sozialen Frauengruppen führt zu dem Wunsch besserer Einsicht in
Ursachen sozialer Hilfsbedürftigkeit, zu der Erkenntnis, dass bei der komplizierten Struktur der industriellen Gesellschaft die alten Formen der Wohlfahrtspflege nicht ausreichen und 100
Ausbildung und Schulung notwendig sind.“
Das Fächerspektrum dieser sozialen Ausbildung erstreckte sich auf die National ökonomie, die Bürgerkunde, die Staatslehre, die Gesetzeskunde, auf Erziehungslehre/Pädagogik, Soziale Ethik, Hauswirtschaft, Hygiene, Armenpflege und Jugendfürsorge.101 Alice Salomon griff in ihren ab 1899 eingeführten Jahreskursen 102 „auf einen erprobten Stamm jüdischer Wissenschaftler“103, und somit auch auf Hans Muthesius zurück, der, wie viele seiner Kollegen auch „den Unterricht gegen ein geringes Honorar übernahmen“104. Zur Jahreswende 1903/04 waren ausweislich 95 Ebd. 96 Ebd. 97 Ebd. 98 Vgl. Iris Schröder, Arbeiten für eine bessere Welt, S. 87 in Fußnote 172. 99 Dora Peyser, die 1927 bis 1934 persönliche Assistentin und Sekretärin Alice Salomons war, in: Carl Ludwig Krug von Nidda, Biographisches Personenverzeichnis, in: Hand Muthesius (Hg.), Alice Salomon – Die Begründerin des sozialen Frauenberufs in Deutschland. Ihr Leben und ihr Werk, Köln 1958, S. 307 – 348, S. 334 – 335. 100 Margarete Berent, Leben und Arbeit Alice Salomons, in: Aufbau, 14/1948, Heft 37, S. 24. 101 Vgl. zu den Inhalten: Iris Schröder, Arbeiten für eine bessere Welt, S. 238 – 267. 102 Iris Schröder, Arbeiten für eine bessere Welt, S. 86. 103 Hans Muthesius in seiner Vorrede zu dem von ihm herausgegebenen Buch „Alice Salomon – Die Begründerin des sozialen Frauenberufs in Deutschland. Ihr Leben und ihr Werk, Köln 1958, S. 6. 104 Wie z. B. auf Emil Münsterberg und Albert Levy, in: Irmgard Maya Fassmann, Jüdinnen in der deutschen Frauenbewegung 1865 – 1919, S. 261 – 262. Siehe auch: Iris Schröder, Arbeiten
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eines Berichts 300 Mitglieder dieser weiblichen Hilfsgruppen in sozialen Brennpunkten tätig: ein Drittel in der Armen- und Waisenpflege, rund 18 % in der Blindenfürsorge, ca. 44 % in der Kinderfürsorge und Jugendpflege und rund 8 % in der Krankenpflege.105 Mit ihrer Entscheidung für eine unentgeltliche Tätigkeit in einer Mädchen- und Frauengruppe für s oziale Hilfsarbeit entsprach Marie Munk ganz dem Wunsch des Vaters und der jüdischen Tradition. Diese bot seit 1893 bürgerlichen jüdischen jungen Frauen die Gelegenheit, sich außerhalb des Elternhauses oder der Ehe wohltätig zu engagieren.106 Munk nutzte diese Zeit für ihre Allgemeinbildung und Persön lichkeitsentwicklung. Sie erlebte die sozialen Probleme damaliger Zeit hautnah. Was Margarete Berent mit den Worten „komplizierte Struktur der industriellen Gesellschaft“ nur angedeutet hatte, schilderte der Verlag „Hilfe“ in einem Buch mit dem Titel „Was Frauen erdulden – Berichte aus dem Leben von Star“107 eindringlich: „Die in d iesem kleinen Band gesammelten Skizzen […] sprechen von Not und Elend, von
stumpfem Dulden und Ertragen, von bestialischer Brutalität und unkontrolliertem Triebleben.
Sie sprechen von krassester Unkenntnis von Recht und Gesetz, von mangelndem Verantwort lichkeitsgefühl bei den wichtigsten Entschließungen und Handlungen – und auch von einer 108
fast unglaublichen Verkümmerung aller natürlichen Begriffe von Sittlichkeit.“
Die sozioökonomischen Bedingungen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erforderten diese sozialen Tätigkeiten in Berlin dringend. Marie Munk wurde am 22. Oktober 1904 von einer Leiterin der sozialen Frauengruppen beurteilt: „Sie waren mir die liebste unter meinen jungen Helferinnen.“109 Doch Marie Munk erlebte die „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ als verfehltes sozialpolitisches Konzept: “As a member of the group, I worked at the Berlin State Employment Agency, and I volunteered in a kind of settlement work with underprivileged children. […] I also made home
investigations for social agencies who, in the basis of my reports, decided what type of relief
für eine bessere Welt, S. 267 – 272. 1 05 Iris Schröder, Arbeiten für eine bessere Welt, S. 84. 106 Irmgard Maya Fassmann, Jüdinnen in der deutschen Frauenbewegung 1865 – 1919, S. 261 – 262; Marion Kaplan, Jüdisches Bürgertum: Frau, Familie und Identität im Kaiserreich, S. 185, 228. 107 Berlin-Schöneberg 1910. 108 Geleitwort von Alice Salomon, in: Was Frauen erdulden – Berichte aus dem Leben von Star-, Berlin-Schöneberg 1910, S. 5. 109 Bestätigung von Anna Plothow vom 22. Oktober 1904, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9.
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was needed. These home visits were highly depressing to me. I felt that we were relieving the 110
111 112
symptoms of distress but not the causes .”
Mit diesen Worten kennzeichnete Marie Munk neue sozialpolitische Überzeugungen ihrer Generation. Die jungen Frauen wollten von einem „Kurieren an Symptomen“113 loskommen. Zudem hätte sie erst nach einer mehr als zehnjährigen Berufstätigkeit in eine verantwortliche Position aufrücken können.114 Ihre Worte implizieren auch, dass sie sich aus d iesem beruflichen Milieu sozialer Symptome lösen wollte. Marie Munk hatte während dieser Ausbildungszeit bereits umfassenden Kontakt mit den reformerischen Bildungskonzepten der Frauen bewegung erhalten. Deren Bedeutung war ihr jedoch im Alter von 19 Jahren noch nicht zu Bewusstsein gekommen: “My first personal encounter with the feminist movement happened in 1904, when the Interna tional Council of Women held its International Congress in Berlin in 1904. Countries all over the
world had sent their representative women to Berlin. I was at that time a member of the Groups
of Social Work and served as usher at the Congress. I could therefore go to every meeting and
hear and see the delegates at close range. I was particularly impressed with Rev. Anna Howard
who had been the minister at a church in Cape Cod. The idea of having a female minister was
almost unthinkable for us Germans at that time, and she was an excellent speaker and an impressive personality. Many of the delegates and speakers I met again in later years, when I attended congresses and conferences of women’s organizations and submitted myself, proposals for the
improvement of women right’s. At that time, such an idea did not even cross my mind. Although
I was the joyous recipient of the opportunities which the first feminists had been fighting for […]
115
I did not take particular interest or an active part in the feminist movement for quite some time.“
Marie Munk bereitete sich auf die Hochschulreife vor. Der Zugang junger Mädchen zu einer gymnasialen Ausbildung und zur Hochschulreife war zu damaliger Zeit keine Selbstverständlichkeit. Dies muss für den werkbiografischen Werdegang von Marie Munk im Kontext der Immatrikulation von Frauen an den Universitäten in ihrer historischen Entwicklung betrachtet werden. 110 Hervorhebung nicht im Original. 111 Hervorhebung nicht im Original. 112 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel III Years of Groping, S. 3c. 113 Irmgard Maya Fassmann, Jüdinnen in der deutschen Frauenbewegung 1865 – 1919, S. 222. 114 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel III Years of Groping, S. 3c. 115 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel IX Participation in the Feminist Movement and Inflation, S. 2.
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
3. Hochschulreife Es war nicht ein von der Frauenbewegung mobilisierter Druck der Öffentlichkeit 116, aufgrund dessen sich schließlich auch Frauen an den Universitäten immatrikulieren durften. Vielmehr erfolgte der Einstieg über die erfolgreiche Berufspraxis von Frauen in zunächst „weiblichen“ Berufen wie der Sozialarbeit und Medizin und setzte sich fort über Schulreformen, die, wenn auch zunächst schleppend, aufgrund der sozioökonomischen Veränderungen die Mädchenbildung in den Blick nahmen. Dieses wiederum bewirkte – wenn auch zunächst nur vereinzelt sichtbar – eine Abkehr von einer geschlechtsspezifischen Argumentation gegen eine Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium.117 Allen voran bestimmten junge Mädchen die weitere positive Entwicklung. Sie stellten ihre geistige Leistung erstmals 1892/1893 als Absolventinnen der Realkurse für Frauen und im Jahre 1896 als erfolgreiche Absolventinnen der Gymna sialkurse vor der staatlichen Schulaufsicht unter Beweis.118 Diese Kurse für junge Mädchen, die erstmals in Deutschland mit naturwissenschaftlicher Bildung und Fremdsprachen die Vorbereitung auf die Hochschulreife für Frauen vollumfänglich ermöglichten, waren von Helene Lange und ausgewiesenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens 119 und somit auch von bedeutenden Männern begründet wor 116 Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, S. 26. 117 Ebd., S. 35, 45, 49, 51, 53. 118 Vorstand der Vereinigung zur Veranstaltung von Gymnasialkursen für Frauen (Hg.), Bericht verfaßt von Gertrud Bäumer unter dem Titel „Geschichte der Gymnasialkurse für Frauen“, Berlin 1906. 119 So z. B. Prof. Dr. L. von Bar, Göttingen; Karl Baumbach, Oberbürgermeister von Danzig; Frau Prof. Bohn, Königsberg i. Pr.; Frau Schulrat Cauer, Berlin; Prof. Dr. Hans Delbrück, Berlin; Prof. Dr. Hermann Diehls, Berlin; Prof. Dr. Wilh. Dilthey, Berlin; Prof. Dr. A. Döring, Berlin; Prof. Dr. Gustav Eberlein, Berlin; Geheimrat Prof. Dr. Karl Finkelnburg, Bonn; Geheimrat Prof. Dr. Wilhelm Förster, Berlin; Frau Dr. E. Gnauck-Kühne, Berlin; Wirkl. Geheimrat Prof. Dr. Udolf von Gneist, Berlin; Prof. Dr. Adolf Harnack, Berlin; Prof. Dr. Max H aushofer, München; Wirkl. Geheimrat Prof. Dr. Hermann von Helmholtz, Berlin und Frau Anna von Helmholtz, Berlin; Prof. Joseph Joachim, Berlin; L. Kalisch, Stadtverordneter Berlin; Prof. Dr. Herm. Krause, Berlin; Geh. Sanitätsrat Dr. Kristaller, Berlin; Dr. Paul Langerhans, Stadtverordneten-Vorsteher, Berlin; Frau Alma Lessing, Berlin; Frau Geheimrat Lippmann, geb. Symons, Berlin; Marie Loeper-Houssette, Ispringen in Baden; Geheimrat Prof. Dr. Viktor Meyer, Heidelberg; Frau Emile Mosse, Berlin; Dr. Hans Natge, Berlin; Luise Otto-Peters, Leipzig-Reudnitz; Prof. Dr. Friedrich Paulsen, Berlin; Prof. Dr. Otto Pfleiderer, Berlin; Prof. Dr. Julius Pierstorff, Jena; Anna Poppe, Berlin; Frau Hermine Rathenau, Berlin, Reichstagsabgeordnete; Heinrich Rickert, Berlin; Auguste Schmidt, Leipzig; Prof. Dr. Gustav Schmoller, Berlin; Henriette Schrader, geb. Breymann, Berlin; Geheimrat Prof. Dr. Hermann Settegast, Berlin; Frau Spielhagen, Berlin; Dr. Franziska Tiburtius, Berlin, Reichstagsabgeordnete; Albert Träger, Berlin; E. Vely, Berlin; Prof. Anton von Werner, Berlin; Ernst von
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Schul-, Berufs- und Universitätsausbildung (1892 – 1911)
den.120 Deren Grundsätze waren „Vorurteile durch Leistungen zu überwinden […] für die besondere Art“ und für „die spezifischen Aufgaben des Frauengeistes in unserer Kultur Verständnis zu erwecken. […] Mit d iesem letzten Ziele der geistigen Befreiung der Frau ist die Arbeit der Kurse von Anfang an verknüpft gewesen“121, erinnerte sich später Gertrud Bäumer, die Lebensgefährtin Helene Langes, beide Führerinnen der deutschen Frauenbewegung. In Marie Munks weiterer Bildungsbiografie schien es jedoch zunächst so, als würden sich die Ereignisse gegen Marie Munks Pläne, die Hochschulreife zu erlangen, unheilvoll verzahnen: “Although my father did not like my frequent change of mind, he made no objections when I asked him to let me take private lessons in preparation for the ‘Abitur’. This decision was
made easier because a friend of mine was willing to join me. […] My father did not consider
it proper that a male teacher should tutor his daughter and unchaperoned. Besides, the tuition
was now more expensive. Whenever I asked my father for money, he made remarks that hurt my feelings and gave me the impression that I was putting a financial burden upon him. Too
late did I realize that he did not mean it that way. To make it more easy for him, I enrolled
in a kind of cramming course, a preparatory academy. The teachers were not half as good as 122
my previous ones and I did not get the same individual attention.”
Marie Munk entwickelte sich in „einer Gesellschaft, in der jede Bildung, die über die Volksschule hinausging, enorm teuer war“. Das Streben von Eltern jüdischer Herkunft war nicht nur darauf ausgerichtet „ihren Söhnen, sondern in zunehmenden Maße auch ihren Töchtern eine akademische Ausbildung zu ermöglichen“123. Waren die Hürden vor den anstrengenden Phasen des Lernens glücklich überwunden, eröffnete sich den Mädchen anderweitige Diskriminierung: “We ‘outsiders’ were assigned to a boys’ school. […] The boys knew therefore what would
be expected of them and the teachers knew the students. […] Our papers were graded by
the teachers whose preferences were unknown to us and by representatives of the Board of
120 121 122 123
Wildenbruch, Berlin; Prof. Dr. Theobald Ziegler, Straßburg i. E., in: Vorstand der Vereinigung zur Veranstaltung von Gymnasialkursen für Frauen (Hg.), Bericht über die Geschichte der Gymnasialkurse für Frauen, Berlin 1906, S. 27 – 28. Ebd., S. 28 – 32. Ebd., S. 65. LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel III Years of Groping, S. 3c und 4. Shulamit Volkov, Jüdische Assimilation und jüdische Eigenart im Kaiserreich, in: Geschichte und Gesellschaft: Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft, Band 9, Göttingen 1983, S. 344.
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
Education. It was the unwritten policy at that time to grade the papers in such a manner that 124
not more than one third of the candidates met the requirements.”
Die Noten in den Zeugnissen bestätigten Munks Befürchtungen. Am Leibniz- Gymnasium in Berlin erreichte Marie Munk im Zeugnis der Reife für Prima in den Fächern Deutsch und Mathematik die Note „sehr gut“, in den Fächern Latein, Griechisch, Französisch und Physik die Note „gut“.125 Im Zeugnis der Reife vom 7. September 1907 erhielt sie in der Hälfte der genannten Fächer nur noch ein „genügend“, mit Ausnahme von Mathematik, Physik und Französisch, die mit „gut“ beurteilt wurden.126 Marie Munk bestand im September des Jahres 1907 ihr Abitur und berichtete über diesen für sie bewegenden Moment: “It was one of the happiest days in my life when I held this diploma in my hands. I could now drink from the fountain of knowledge and choose my profession.”127 Zur persönlichen Bildung von Marie Munk kam, ganzheitlich betrachtet, ein Signet hinzu: Eine neue, private Kultur, eine „nicht-traditionelle, aber dennoch spezifisch jüdische Kultur“128. Das Lernen durch Reisen.
4. Studium durch Reisen Marie Munk wusste von vielen Reisen mit ihren Eltern in die Schweiz, nach Tirol, Frankreich, England, Italien und Norwegen zu berichten, die sie wohl bis in das Erwachsenenalter mit ihnen unternahm. Hierauf bereiteten sich alle Mitreisenden eingehend vor.129 Marie Munk kam, im Gegensatz zum nichtjüdischen weiblichen Teil der Bevölkerung, als Mitreisende bereits von Kindheit an in den Genuss s ozialer Chancen, die vorwiegend Männern eröffnet waren. Auch der Zugang zum Hochschulstudium war von Männerdominanz geprägt.
124 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel III Years of Groping, S. 5. 125 Zeugnis der Reife für Prima vom 7. März 1907, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9. 126 Zeugnis der Reife, unterzeichnet von der Königlichen Prüfungskommission am Kgl. Kaiserin Augusta-Gymnasium zu Charlottenburg vom 7. September 1907, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9. 127 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel III Years of Groping, S. 6. 128 Claudia Huerkamp, Bildungsbürgerinnen, S. 25 – 26. 129 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3505 und 3506, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel IV.
Schul-, Berufs- und Universitätsausbildung (1892 – 1911)
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5. Universitätsstudium und Promotion (1907 – 1911) Im Hinblick auf den Erfolg von jungen Mädchen in den Gymnasialkursen von Frauen in Berlin 130 darf aus der weiteren historischen Entwicklung als erfolgreiches Fazit gezogen werden: Seit dem Jahre 1908/1909 wurden Frauen reichsweit an den deutschen Hochschulen uneingeschränkt für jedes Studienfach immatrikuliert.131 Bis zur Machtergreifung Hitlers stiegen die Zahlen weiblicher Studierender an. Allerdings waren Studentinnen der Rechtswissenschaft die Ausnahme.132 Dies darf als ein Nachweis dafür gesehen werden, dass sich Teilhaberechte, insbesondere Bildungsangebote und die ihnen nachfolgenden Berechtigungen, in ihrem Annahmeverhalten widerspiegeln. Waren diese für bestimmte Rechtsinhaber ausgeschlossen, so wirkte dieser Ausschluss auf die Zeit, nach dem Zugang nach – gerade, wenn dieser nur bedingt eröffnet war.133 Das zeigte sich bereits im Bereich wissenschaftlicher Weiterquali fizierung signifikant. Weiblichen Promotionen und Habilitationen blieb der Erfolg versagt. Das belegen die in den Quellen erhalten gebliebenen und zur Verfügung stehenden Zahlen.134 Anhand der von Elisabeth Boedeker geführten Statistik über die Jahre 1908 bis 1933 können folgende prozentuale Anteile weiblicher Promovenden in den verschiedenen wissenschaftlichen Fachbereichen ausgemacht werden: für die Rechtswissenschaft 9,02 %, für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaft 21,39 %, für die Naturwissenschaft 30,99 % und für die Sprach-, Literatur-, Kunst-, Musik- und Erziehungswissenschaft sowie für die verwandten Fächer (Philosophie, Geschichte und Religionswissenschaft) 38,57 %.135 Allerdings ist im Hinblick auf die Datengrundlage bei statistischen Feststellungen Vorsicht geboten, weil die Quellenlage der boedekerschen Auswertung aus heutiger Sicht wegen des schwierigen Zugangs 130 Vgl. Ziffer II. Nr. 3. in diesem Band. 131 Deutscher Juristinnenbund (Hg.), Juristinnen in Deutschland. Die Zeit von 1900 bis 2003, S. 13. 132 Oda Cordes, Frauen als Wegbereiter des Rechts. Die ersten deutschen Juristinnen und ihre Reformforderungen in der Weimarer Republik, Hamburg 2012, S. 22 – 24. 133 Petra Hoffmann, Der Übergang vom universitären Ausbildungs- ins Wissenschaftssystem: Das Beispiel der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, in: Ulrike Auga, Claudia Bruns, Levke Harders und Gabriele Jähnert (Hg.), Das Geschlecht der Wissenschaften, Zur Geschichte von Akademikerinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2010, S. 157 – 182; Christine Altenstraßer, Umstrittene Anerkennung: Habilitation und Geschlecht. Das Beispiel der Berliner Staatswissenschaften 1920 – 1933, in: Ulrike Auga, Claudia Bruns, Levke Harders und Gabriele Jähnert (Hg.), Das Geschlecht der Wissenschaften, S. 237 – 257. 134 Oda Cordes, Frauen als Wegbereiter des Rechts, S. 24 – 26. 135 Nähere Auswertung der Verfasserin anhand der Quelle: Elisabeth Boedeker, 25 Jahre Frauen studium in Deutschland – Verzeichnis der Doktorarbeiten von Frauen 1908 bis 1933, Hannover 1939, Tafel 1 im Anschluss an S. LXXII.
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
zu Zahlen aus Ostdeutschland vor der deutschen Einheit lückenhaft bleiben musste. Fest steht, dass die Nummer 4 des ministeriellen Erlasses betreffend die Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium wörtlich praktiziert wurde. Nummer 4 des bezeichneten Erlasses lautete: „Es versteht sich von selbst, daß durch die Immatrikulation Frauen ebenso wenig wie die
Männer einen Anspruch auf Zulassung zu einer staatlichen oder kirchlichen Prüfung, zur
Doktorpromotion oder Habilitation erwerben. Für diese Zulassung sind vielmehr die ein136
schlägigen Prüfungs-, Promotions- und Habilitationsordnungen allein maßgebend.“
Das Wort „Promovend“ in den Bestimmungen der Promotionsordnungen wurde offensichtlich dem männlichen Geschlecht zugeordnet.137 Geschlechtsspezifische Strategien in der Zulassung 138 verstärkten die diskriminierende Praxis. Marie Munk begann ihr Universitätsstudium in Berlin. Hier konnte sie sich zunächst nur als Gasthörerin einschreiben.139 Wohl deshalb wechselte sie im Oktober 1907140 nach Freiburg, weil sie sich dort vollimmatrikulieren konnte.141 Es waren vielfältige Interessen, die ihrem Studium der Rechtswissenschaft vorausgingen. Psycho logie hatte nach ihrer Einschätzung noch keinen praktischen Berufsbezug. Nach einigen Semestern des Medizinstudiums kam sie zu dem Schluss: “I was not gifted to the natural sciences.”142 Jedoch erkannte sie bereits für das neue Spezialgebiet der Psychiatrie: “We knew little – we still do – of the causes 143 of mental disorders, and little could be done for the treatment.”144 Nach einer kurzzeitigen Beschäftigung 136 Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, Nr. 8 vom 18. August 1908, S. 692. 137 Im Hintergrund stand offenbar der Gedanke, das Gesetz könne klüger sein als der Gesetzgeber: Stephan Meder, Mißverstehen und Verstehen, S. 106. 138 Patricia Mazón, Die erste Generation von Studentinnen und die Zulassung der „besseren Elemente“ 1890 – 1914, in: Ulrike Auga, Claudia Bruns, Levke Harders und Gabriele Jähnert (Hg.), Das Geschlecht der Wissenschaften. Zur Geschichte von Akademikerinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2010, S. 113 – 125. 139 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3506, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VI A Girl Enjoy Academic Freedom and Become a Doctor of Law, S. 2. 140 Marie Munks Angaben im Lebenslauf in ihrer Dissertation. 141 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3506, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VI A Girl Enjoy Academic Freedom and Become a Doctor of Law, S. 2; Immatrikula tionsurkunde der Freiburger Universität vom 16. Mai 1908, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9. 142 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3506, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VI A Girl Enjoy Academic Freedom and Become a Doctor of Law, S. 5. 143 Hervorhebung nicht im Original. 144 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3506, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VI A Girl Enjoy Academic Freedom and Become a Doctor of Law, S. 4.
Schul-, Berufs- und Universitätsausbildung (1892 – 1911)
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mit der Logik und der Geschichte der Philosophie entschied Marie Munk, die Philosophie nicht zu ihrem zukünftigen Arbeitsgebiet zu machen: “Since my brother had also taken up legal studies, I felt that I should try economics. This
subject, as taught at that time, did not satisfy my intellectual curiosity, nor my desire for clear,
logical thinking and analysis. After studying economics for one term at the University of 145
Berlin, I switched over to law.”
Nach dem Sommersemester 1908 wechselte Marie Munk nach der am 1. August 1908 erfolgten Ausstellung eines „Studien- und Sitten-Zeugnisses“146 an die Universität Bonn. Sie blieb dort zunächst nur bis zum 3. August 1909.147 In dieser Zeit (WS 1908/1909) eröffnete sich ihr durch den Zivilrechtler Prof. Zitelmann der Blick für das, wonach sie eigentlich suchte: “[to] think logically and in legal terms”148. Während dieser Zeit besuchte sie auch Vorlesungen bei Landsberg und Cosack zum Bürgerlichen Recht und Handelsrecht. Bei Erdmann hörte sie „Logik, Elementarund Methodenlehre“, aber auch Vorlesungen über das Geld- und Bankwesen sowie volkswirtschaftliche Übungen.149 Marie Munk war an der Universität Bonn die erste vollimmatrikulierte Studentin der Rechte.150 Die männlichen Hochschulprofessoren beseitigten den ersten Studentinnen der Rechtswissenschaften gegenüber die geschlechtsspezifischen Bildungsüberzeugungen nicht. Marie Munk glaubte, „that the advantages of being the first female student of law in Bonn outweigh the disadvantages“151. Während einer Besichtigung der Krupp-Werke wurde nur ihr, aber nicht ihren männlichen Kommilitonen, das Angebot gemacht, die sozialen Einrichtungen der Arbeiter zu besuchen, während ihre Kommilitonen im offiziellen Besucherprogramm fortfuhren.152 Während dieser Zeit in Bonn begegnete sie erstmals Werner Otto von 145 Ebd., S. 5. 146 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9. 147 Abgangszeugnis der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn vom 3. August 1909, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9. 148 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3506, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VI A Girl Enjoy Academic Freedom and Become a Doctor of Law, S. 13 und 14. 149 Anmeldebuch mit der Nr. 162, abgezeichnet von Zitelmann, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9. 150 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3506, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VI A Girl Enjoy Academic Freedom and Become a Doctor of Law, S. 2. 151 Ebd., S. 14a. 152 Ebd.
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
Hentig; ob im elterlichen Haus in Berlin oder in Bonn, das geht aus einem Briefwechsel nicht eindeutig hervor.153 Vermutlich war Munk aber nicht nur mit Werner Otto von Hentig, sondern auch mit seinem Bruder, Hans von Hentig, der damals noch an der Berliner Universität studierte, bekannt. Zu vorgerückten Studien wechselte sie zum Sommersemester 1909 an die Universität Heidelberg. Marie Munk lebte in Heidelberg in den beiden Zimmern, die zuvor Karl Jaspers vor seiner Eheschließung in Heidelberg bei einer Dame namens Roth zu Kost und Logis angemietet hatte.154 Karl Jaspers arbeitete damals an seiner Habilitation.155 „He was engaged to the cousin of one of my friends“156, erinnerte sich Marie Munk. In dieser Zeit (WS 1909/1910 bis zum Ende des SS 1911) lernte sie auch ihren späteren Doktorvater H einsheimer während der bürgerlichen und familienrechtlichen sowie zivilprozessrechtlichen Übungen kennen. Sie besuchte die Vorlesungen von E ndemann und hörte Zwangsvollstreckungsrecht bei Radbruch. Ein staatswissenschaftliches Seminar bei Georg Jellinek ließ sie nicht aus und verwaltungsrechtliche Vorlesungen/Übungen bei Fritz Fleiner sind mehrfach in ihrem Studienbuch bestätigt. Dem Strafrecht galt nicht ihr Hauptinteresse: Sie hörte nur zwei Vorlesungen bei Lilienthal und J agemann. Das Schifffahrtsrecht bei Dr. Leopold Perels (einem Verwandten des s päter von 1970 – 2000 an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover lehrenden Politikwissenschaftlers Joachim Perels 157) folgte. Schifffahrtsrecht: eine für Frauen der damaligen Zeit ungewöhnliche Veranstaltung und nur an der liberalen Universität Heidelberg für Frauen ohne männ liche Kommentierung ermöglicht. So setzte sich nicht nur in der Person Leopold Perels die liberale Tradition an der Heidelberger Universität gegenüber Juden fort, sondern eröffnete auch Frauen ungehinderte Bildungschancen. Das Heidelberger Klima wurde zu jener Zeit ganz besonders durch die Forscherpersönlichkeiten Georg Jellinek, Gustav Radbruch, Fritz Fleiner und Max Weber bestimmt. Ob Marie Munk die volkswirtschaftlichen Übungen bei Max Weber im Wintersemester 1910 besucht hat, ist nicht klar aus dem Testat-Buch zu erkennen. Im Gegensatz zu den anderen Vorlesungen war diese Vorlesung honorarfrei und die Einzeichnung des Professors erfolgte nach geleisteter Zahlung, weshalb die Unterschrift Max 153 „I believe that we met in the winter of 1908. Am I right?“, in: Schreiben Marie Munks an Otto von Hentig vom 9. August 1976, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 18. 154 Schreiben Marie Munks an Franz und Margot vom 5. November 1970, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 25. 155 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3506, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VI A Girl Enjoy Academic Freedom and Become a Doctor of Law, S. 25, 27. 156 Ebd. 157 Verwandtschaftstafel Ernst Perels, in: Ines Oberling, Ernst Perels (1882 – 1945). Lehrer und Forscher an der Berliner Universität, Bielefeld 2005, Anhang, Nr. 5, S. 351.
Schul-, Berufs- und Universitätsausbildung (1892 – 1911)
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Webers im Testat-Buch fehlt. Der Titel der Vorlesung ist nachträglich gestrichen worden.158 Marie Munk engagierte sich in ihrer Studienzeit in einer unabhängigen Studentinnenorganisation und gab Unterricht an der Volkshochschule.159 Antikoedukativen Verhaltensweisen war Marie Munk in Heidelberg offensichtlich nicht ausgesetzt. Gleichwohl wurde das Hochschulstudium von Frauen durch eine einseitige Geschlechtsstruktur des Wissenschaftspersonals bestimmt. Zu Marie Munks Studienzeit gab es keine einzige Professorin der Rechtswissenschaften in Deutschland!160 Erst 9 Jahre nachdem Marie Munk ihr Studium beendet hatte, wurde mit dem Schreiben des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 21. Februar 1920161 zumindest in Preußen eine geschlechtsbegründete Ablehnung der Habilitation von Frauen unmöglich gemacht.162 Am Ende ihres Studiums konnte Marie Munk aufgrund der misogynen Lesart des § 1 des Gesetzes über die juristischen Prüfungen und die Vorbereitung zum höheren Justizdienste vom 6. Mai 1869163 das erste Staatsexamen nicht ablegen. Sie promo vierte. Im Jahr 1911 legte Marie Munk zu dem Thema „Die widerrechtliche Drohung des § 123 BGB in ihrem Verhältnis zu Erpressung und Nötigung“ bei Prof. Karl Heinsheimer 164 an der Großherzoglichen Badischen Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg ihre Dissertation vor. Prof. Gustav Radbruch war der Zweitgutachter.165
158 Anmeldungs-Buch der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg vom WS 1909/1910 bis einschließlich zum SS 1911, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9. 159 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3506, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VI A Girl Enjoy Academic Freedom and Become a Doctor of Law, S. 21. 160 Elisabeth Boedeker und Maria Meyer-Plath, 50 Jahre Habilitation von Frauen in Deutschland, Eine Dokumentation über den Zeitraum 1920 bis 1970, Göttingen 1971, S. 3, 5 – 8, 191 – 194. 161 Elisabeth Boedeker und Maria Meyer-Plath, 50 Jahre Habilitation von Frauen, S. 5. Die Autorinnen bezeichnen das Schreiben des Preuß. Ministeriums als Erlass und indizieren damit zwangsläufig das Bestehen geschlechtsspezifischer Habilitationsordnungen an den Universitäten. 162 Hiltrud Häntzschel, Zur Geschichte der Habilitation von Frauen in Deutschland, in: Hiltrud Häntzschel und Hadumod Bußmann, Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern, München 1997, S. 86, 87. 163 § 1 lautete: „Zur Bekleidung der Stelle eines Richters, Staatsanwalts, Rechtsanwalts […] oder Notars ist die Zurücklegung eines dreijährigen Rechtsstudiums auf einer Universität und die Ablegung zweier juristischer Prüfungen erforderlich“, in: Georg August Grotefend, Die Gesetze und Verordnungen nebst den sonstigen Erlassen für den preußischen Staat und das Deutsche Reich (1806 – 1875): aus den Gesetzessammlungen für das Königreich Preußen, den Norddeutschen Bund und das Deutsche Reich, Band 3: 1868 – 1875, Köln-Neuss 1876, S. 160 – 161. 164 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3506, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VI A Girl Enjoy Academic Freedom and Become a Doctor of Law, S. 28. 165 Angaben zum Lebenslauf in der Dissertation, Heidelberg 1911.
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
Mit diesem Thema – „a borderline problem of civil and penal law“166 – ging Marie Munk der Frage nach, wann, wie und unter welchen Umständen eine Vertragspartei durch Drohung eingeschüchtert oder durch Erpressung zu einem rechtsrelevanten Verhalten gebracht werden kann, das in keinerlei Beziehung zum Vertrag steht. „I tried to work out a chart which would indicate the permissible or non permissible relationship between the threats used and the contractual obligation obtained.“167 Ihre Thesen während der mündlichen Doktorprüfung bezogen sich auf „Diffe rences between Intimidation in Civil Contracts and Criminal Extortion“168. Ihre Hoffnung, während der Disputation am 15. Juli 1911169 in dem von ihr ungeliebten Rechtsgebiet des Immobiliarsachenrechts nicht geprüft zu werden, erfüllte sich allerdings nicht. Mit der Folge, dass Marie Munk so aufgeregt wurde, dass ihre Prüfer ihre Gesamtleistungen nur mit einem „cum laude“ beurteilten.170 Munks Promotionsfeier im Jahre 1911 richtete Karl Jaspers aus. Marie Munk blickte auf ihre Studienzeit zurück. Sie hob in einer vergleichenden Betrachtung zum deutschen und amerika nischen Universitätssystem in ihren autobiografischen Aufzeichnungen die Freiheit des deutschen Studiensystems besonders hervor. Ihre juristischen Fähigkeiten, die frühe Veröffentlichung einer kleinen Abhandlung zu den Rechten der Frau 171 wie auch ihren späteren Richterberuf verdankte Marie Munk dem freien Studieren an den deutschen Universitäten.172 Kunsttheorie bei Prof. Wölflin oder die Homer- Vorlesung bei Prof. Wilamowitz-Möllendorf wäre für Law Studenten in den USA 166 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3506, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VI A Girl Enjoy Academic Freedom and Become a Doctor of Law, S. 29. 167 Ebd., S. 29 und 30. 168 Aufstellung von Marie Munk als Anlage zu einem Befürwortungsschreiben anlässlich der Prüfung zur Vergabe der amerikanischen Staatsbürgerschaft an Marie Munk vom 22. April 1943, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 11. 169 Lebenslauf von Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 170 “Although the professor tried to help me and almost put the answers in my mouth, I was so scared, that I was a complete blockhead.” LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3506 und 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VI A Girl Enjoy Academic Freedom and Become a Doctor of Law, S. 30 und 31; Lateinische Doktorurkunde der Heidelberger Universität, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 12. 171 Hiermit könnte ihr Entwurf für den Bund Deutscher Frauenvereine gemeint gewesen sein: „Die Rechtslage der Unehelichen“ aus dem Frühjahr des Jahres 1918. Ebenso könnten aber auch die „Vorschläge zur Abänderung des Familienrechts und verwandter Gebiete“ des Sommers 1921 gemeint gewesen sein. 172 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VI A Girl Enjoy Academic Freedom and Become a Doctor of Law, S. 31 und 32.
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Schul-, Berufs- und Universitätsausbildung (1892 – 1911)
und für Rechtsstudenten nicht obligatorisch gewesen. Schließlich hörte Marie Munk Philosophievorlesungen bei Prof. Simmel.173 “In summing up, I should like to say that my studies at the university gave me far more than
knowledge of the law and the enjoyment of academic freedom. I know full well, and I wish
to stress it here, that I owe it to my teachers if I have been able to make a small contribution in the field of women’s rights and in my practice of law as attorney and judge. What I learned
from them was not so much the knowledge of the law itself, but its interpretation, its philo-
sophy to look for the answer to the age-old question: ‘What is justice?’”
174
6. Fazit Marie Munk war seit ihrer Schulzeit privilegiert. Sie verfügte nicht nur über eine gute Schulausbildung, sondern betrachtet werden müssen an dieser Stelle auch die Reisen mit ihren Eltern. Reisen heißt, die „Welt erfahren. Reisen als kulturelle Begegnung.“175 Es kommt einem „Studium“ schon recht nahe. Aber während „einige Reiseformen – etwa die Wallfahrt oder die Badereise – von der Geschlechtszugehörigkeit weitgehend unabhängig waren, gibt es andere, die allein den Männern offen standen, die mit der Vergabe sozialer Chancen, der Ausprägung von Eliten und persönlichem Bildungsstreben zusammenhängen.“176 Dieses bildungsbewusste Reisen erlebte Marie Munk in ihrer Jugend. Ihr Resümee über ihre ersten Berufserfahrungen als junges Mädchen zeigte Ansätze zu analytischem Denken, einer wichtigen ersten Kontur des wissenschaftlichen Arbeitens. Aus ihrer Sicht mangelte es der Reformpädagogik an fundierter Theorie. Die Sozialarbeit damaliger Zeit ging den Ursachen sozialer Notlagen und gesellschaft licher Fehlentwicklungen nicht auf den Grund. Ihre Freude am logischen Denken prädestinierte sie für die Rechtswissenschaften. Marie Munk war eine der wenigen promovierten Juristinnen der damaligen Zeit. An dieser Stelle sei auf eine „Knäbin mit dem Doktortitel“177 besonders hingewiesen: Alix Westerkamp. Sie war im Jahr 1903 die erste weibliche „Ausnahme“ an der Juristischen Fakultät der Universität 173 Ebd., S. 34. 174 Ebd., S. 36. Kursive Hervorhebungen durch die Verfasserin. 175 Teil des Titels des von Arnd Bauerkämper, Hans Erich Bödeker und Bernhard Struck heraus gegebenen Buches, Frankfurt a. M. 2004. 176 Hans Erich Bödeker, Arnd Bauerkämper und Bernhard Struck, Reisen als kulturelle Praxis, in: Arnd Bauerkämper, Hans Erich Bödeker und Bernhard Struck (Hg.), Die Welt erfahren. Reisen als kulturelle Begegnung, Frankfurt a. M. 2004, S. 9 – 30, S. 11. 177 Britta Lohschelder, „Die Knäbin mit dem Doktortitel“. Akademikerinnen in der Weimarer Republik, Pfaffenweiler 1994.
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Marburg.178 Westerkamp war zur Doktorprüfung durch die Fakultät zugelassen und diese Zulassung durch das Preußische Ministerium am 5. November 1903 genehmigt worden. Jedoch wurde Westerkamp erst am 3. September 1907 an der Universität Marburg zum Doktor der Rechtswissenschaften promoviert.179 Es war konsequent, dass sich im Jahre 1926 die ersten Promovendinnen im Akademikerinnenbund zusammenschlossen. Munk wurde Mitglied des Deutschen Akademikerinnenbundes und trat der International Association of University Women im Jahre 1933 und der American Association of University Women im Jahre 1938 bei.180
III. Berufsausübung bis zum Ersten und Zweiten Staatsexamen (1911 – 1919) Recht und Gesetz als strukturelle Faktoren recht-fertigen und be-recht-igen. Die biografische Situation eines Menschen als individueller Faktor ist in seinem recht lichen Interesse nicht immer deckungsgleich mit Recht und Gesetz als Struktur. Marie Munks Staatsexamina – ihr langersehnter Wunsch gibt Anlass, auf die historischen Ereignisse juristischer weiblicher Professionalisierung zurückzublicken. In den USA wurden seit dem Jahre 1879 Frauen zur Advokatur zugelassen. In Frankreich praktizierten seit dem 1. Dezember 1900 Frauen in der Anwaltschaft. St. Gallen in der Schweiz bahnte der Frau den Weg zur Praxis juristischer Rechts erkenntnis im Jahr 1901. Holland, Dänemark, Schweden und Norwegen hatten – wie auch Island – in den Jahren 1905 bis 1909 die rechtlichen Hürden für eine Zulassung von Frauen zu den juristischen Berufen bereits überwunden. Baselstadt (1910), Genf (1911) und Neuenburg (1914) in der Schweiz standen einer Justizreform in der weiblichen Professionalisierung in den Jahren 1910 bis 1914 nicht nach.181 Doch in Deutschland wurden Frauen bis zum Jahre 1922 nicht zu den juristischen Berufen zugelassen. Zu den juristischen Staatsexamina wurden Frauen erst nach einem harten 178 Kompendium, S. 933. 179 Ihr Dissertationsthema lautete „Muß sich der zur strafrechtlichen Verschuldung erforderliche Bewußtseinsinhalt auf die rechtliche oder sittliche Wertung der Handlung erstrecken?“, in: Schriften der Universitätsbibliothek (Hg.), Margret Lemberg, Es begann vor hundert Jahren. Die ersten Frauen an der Universität Marburg und die Studentinnenvereinigungen bis zur „Gleichschaltung“ im Jahre 1934, Marburg 1997, S. 87 und 89. 180 Schreiben Marie Munks an die American Association of University Women vom 23. September 1974, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 1. 181 Margarethe Freiin von Erfa und Abogada Ingeborg Richarz-Simons, Der weibliche Rechtsanwalt, in: Julius Magnus, Die Rechtsanwaltschaft, Leipzig 1929, S. 478 – 482; Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, S. 180 – 190.
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Kampf 182 zugelassen.183 Warum dies so war, begründet die Sekundärliteratur 184 mit der zu damaliger Zeit praktizierten Lesart des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Januar 1877. Zwar waren nach dem Wortlaut des § 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes Frauen gerade nicht von den beiden Staatsexamina ausgeschlossen,185 allerdings wurden Frauen per interpretatio zu den juristischen Staatsprüfungen schlichtweg nicht zugelassen.186 Für die Ursachen dieser Rechtspraxis lässt sich an dieser Stelle das Argument konstruierter Bildungspraxis 187 aufgreifen. Junge Mädchen konnten sich auf das Abitur nicht vorbereiten und es demzufolge auch nicht ablegen. Erst zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eröffnete sich jungen Mädchen diese Chance. Gertrud Bäumers Worte 188 seien an dieser Stelle meiner Ausführungen sinngemäß verwendet: 182 Stefan Bajohr und Kathrin Rödiger-Bajohr, Die Diskriminierung der Juristin in Deutschland bis 1945, in: Kritische Justiz, 1980, Heft 1, S. 40 – 44; Sibylla Flügge, Der lange Weg in die Gerichte. Von der Männlichkeit des Staates und vom Ende holder Weiblichkeit, in: STREIT, 2/1984, Heft 4, S. 149 – 151; Reglindis Böhm, Der Kampf um die Zulassung der Frauen als Rechtsanwältinnen und zum Richteramt, in: Deutsche Richterzeitung, 64/1984, Heft 10, S. 365 – 374, S. 366 – 370; Annelies Kohleiss, Frauen in und vor der Justiz. Der lange Weg zu den Berufen der Rechtspflege, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1988 Heft 2, S. 118 – 121; Roswita Eggert, Rechtsanwältinnen im Bezirk der Rechtsanwaltskammer Frankfurt a. M., in: Rechtsanwaltskammer Frankfurt a. M. (Hg.), Rechtsanwälte und ihre Selbstverwaltung 1878 – 1998, Frankfurt a. M. 2006, S. 137 – 140; zum Gesetzgebungsverfahren: Deutscher Juristinnenbund (Hg.), Juristinnen in Deutschland. Die Zeit von 1900 bis 2003, S. 19 – 22. 183 Oda Cordes, Die Frau als Organ der Rechtspflege? Über die historisch wichtigsten Stationen der Zulassung von Frauen in der deutschen Rechtspflege, in: Stephan Meder, Arbe Duncker und Anrea Czelk (Hg.), Frauenrecht und Rechtsgeschichte, S. 279 – 301. 184 Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, S. 197; Oda Cordes, Die Frau als Organ der Rechtspflege? Über die historisch wichtigsten Stationen der Zulassung von Frauen in der deutschen Rechtspflege, in: Stephan Meder, Arne Duncker und Andrea Czelk (Hg.), Frauenrecht und Rechtsgeschichte, S. 279. 185 § 2 Satz 1 des GVG lautete: „Die Fähigkeit zum Richteramte wird durch die Ablegung zweier Prüfungen erlangt.“ 186 Oda Cordes, Die Frau als Organ der Rechtspflege? Über die historisch wichtigsten Stationen der Zulassung von Frauen in der deutschen Rechtspflege, in: Stepahn Meder, Arbe Duncker und Andrea Czelk (Hg.), Frauenrecht und Rechtsgeschichte, S. 280. Im Hintergrund stand offenbar der Gedanke, das Gesetz könne klüger sein als der Gesetzgeber, vgl. Stephan Meder, Mißverstehen und Verstehen. Grundlegung der juristischen Hermeneutik, Tübingen 2004, S. 106. 187 Stefan Bajohr und Kathrin Rödiger-Bajohr, Die Diskriminierung der Juristin in Deutschland bis 1945, in: Kritische Justiz, 1980 Heft 1, S. 41. 188 Das „Kernproblem der Frauenbildung“ hatte Gertrud Bäumer im Geschlechterverhältnis wie folgt dargelegt: Es „Weiblichkeit darf keine Bildungsidee werden. Sie kann eine höchste Form des Seins, aber nicht ein Ideal des Sollens sein“. In: Gertrud Bäumer, Das Problem der Frauenbildung, in: dies., Die Frau und das geistige Leben, Leipzig 1911, S. 355.
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Weiblichkeit sei zur Bildungsidee geworden und hatte nicht ihre höchste Form des Seins, sondern eine höchste Form, die des Sollens, erreicht. Das führte zu damaliger Zeit in Deutschland und führt noch heute in den unterschiedlichsten Kulturen in die Diskriminierung. Aus dem sozialhistorisch-reflektierenden Blickwinkel betrachtet, weniger um an dieser Stelle auf eine rechtsphilosophische Dialektik von Recht und Unrecht eingehen zu wollen, sind die Ursachen eines Leitbildes einer geschlechtsspezifischen Bildungsidee in den Debatten um die Zulassung von Frauen zu den juristischen Staatsexamina bis zum Ende des Ersten Weltkriegs nachweisbar. Die männliche Jurisprudenz sprach sich für die Frau in ihrer Rolle in ehrenamtlichen Berufs feldern, wie z. B. in der Jugendgerichtshilfe, aus. Als Gegenargument für eine professionelle Zulassung von Frauen zu den Gerichten, Verwaltungen und Staatsanwaltschaften wurde ins Feld geführt, dass eine Zulassung zu den juristischen Prüfungen den Frauen deshalb versagt werden müsse, weil mit der Zulassung der Nachweis einer wissenschaftlichen Qualifikation für den Staatsdienst verbunden sei und staatliche Funktionen die Autorität ihrer Vertreter voraussetzten. Darüber hinaus könnten Frauen eine „Unparteilichkeit der Rechtspflege“ in ihrer Funktion als Berufsrichter nicht erlangen. Die Anwaltskammern fürchteten wirtschaftliche weibliche Konkurrenz.189 Aus d iesem rechtspolitischen Dilemma befreite sich die Frauenbewegung strategisch. Das Argument weiblicher Aufgabenfelder für die Justiz griff sie unter Hinweis auf die neu eingerichteten Jugendgerichte, Fürsorgeausschüsse, Schöffenund Geschworenenämter auf. Die Frau könne soziales Recht und die rechtlichen Bestimmungen zum Schutz von Frauen und Kindern zum Leben erwecken. Eine Frau könne sich in den jeweiligen Einzelfall besser einfühlen.190 Es blieb dem Reichstag nur noch das Argument des Sessionsschlusses 191, um eine Petition des Bundes deutscher Frauenvereine im Jahre 1914 für erledigt zu erklären. In den deutschen Ländern zeigte sich ein ablehnendes Meinungsbild. Nur Bayern ließ Frauen nach der Prüfungsordnung vom 4. Juli 1899 zum ersten Staatsexamen zu. Ein Anspruch auf Zulassung zum Vorbereitungsdienst und zum zweiten Staatsexamen war mit der Zulassung zum ersten Staatsexamen nicht verbunden. Einem Recht der Frau, den gewählten Berufsweg durch Ausbildung ordnungsgemäß abschließen zu können, war auch in Bayern ein Riegel vorgeschoben.192 Während des E rsten Weltkriegs wurden Frauen nach der Bundesratsverordnung vom 14. 12. 1916 als Gerichtsschreiber beschäftigt, um die einberufenen Männer in 189 190 191 192
Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, S. 200, 223, 224, 230 – 231. Ebd., S. 225 – 228. Ebd., S. 215. Ebd., S. 233 – 238.
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den Verwaltungen und Gerichten zu ersetzen. Wie das Wort Gerichtsschreiber verdeutlicht, blieb mit dieser weiblichen Berufstätigkeit nach wie vor die Rechtsprechung vor weiblicher Einflussnahme geschützt. Das zeigte sich auch im weiteren Berufsweg von Marie Munk. Doch zunächst, nach ihrer Promotion, spendierte ihr Vater ihr einen mehrmonatigen Parisaufenthalt. Nach dieser Reise folgten die ersten beruflichen Erfahrungen Marie Munks in der Jurisprudenz.
1. Erste juristische Berufserfahrungen (Oktober 1911–August 1916) Für erste Schritte auf dem noch unbekannten Parkett juristischer Praxis bot sich die Rechtsanwaltschaft an. 1.1 Kanzlei Schmitt und Leyendecker in Bonn Marie Munk arbeitete von Oktober 1911 bis Mai 1912 als Volontärin in der Kanzlei Schmitt und Leyendecker in Bonn. “Being denied this apprenticeship training, I felt that I needed to see the law in action before I should accept any responsible posi tion. I saw my only opportunity by clerking in a good law office.”193 Ihr 18-seitiges, am 16. April 1912 erstelltes und von Schmitt und Leyendecker gegengezeichnetes Geschäftsverzeichnis aus dieser Tätigkeit umfasste das gesamte Spektrum des Zivilrechts, einschließlich der Zwangsvollstreckung.194 Während dieser Zeit besuchte sie bei Zitelmann die Übungen zum Bürgerlichen Recht und das Seminar zum Internationalen Recht und bei Wygodczinski ein volkswirtschaftliches Seminar an der Universität Bonn.195 Darüber hinaus studierte sie das Recht der Frau im s ozialen Kontext. In den Mittelpunkt Munks Interesses rückte das neue Rechtsgebiet Sozial recht und damit ein Rechtsgebiet, das jede Frau zu ihrem Schutz kennen muss.
193 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VII A Doctor of Jurisprudence Before and During World War I, S. 2. 194 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 195 Abgangszeugnis der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn vom 10. August 1912, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9 sowie die maschinenschriftliche Aufstellung besuchter Vorlesungen Marie Munks in Box 1 Folder 3.
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1.2 Studium in Bonn – Erste Reformvorstellungen zur Mutterschaftsversicherung Aus dieser Zeit sind Aufzeichnungen über die sozialrechtliche Übung bei Stier- Somlo 196 und Munks Klausur über die Mutterschaftsversicherung mit der Note „sehr gut“ erhalten geblieben.197 In dieser Klausur plädierte Marie Munk für die Einrichtung einer gesetzlichen „Zwangsversicherung“, indem sie sich auf Henriette Fürth und deren Publikation „Die Mutterschaftsversicherung“198 berief. In dieser Zwangsversicherung sollten Personenkreise versichert sein, die unter 3000 RM jähr lich verdienten; aber auch Hausfrauen und ganz besonders „außereheliche Mütter“. 199 Aus dieser Versicherung könnten, so Munks Vorstellungen in ihren schriftlichen Ausführungen in der sozialrechtlichen Übung, zukünftig Stillprämien, Geburtshilfe, Arznei- und Hebammendienste, die Anstaltspflege, die Familienpflege und die Wöchnerinnenunterstützung geleistet werden. Die Wöchnerinnenunterstützung sei als volle Lohnersatzfunktion auf 12 Wochen auszudehnen. Finanzielle Mehrbelastungen sollten auf alle Versicherten verteilt werden, „weil dadurch die vom Einzelnen zu tragenden Lasten sich vermindern“. Unter bezug auf Fürth war der Solidaritätsgedanke Munks wegweisendes Prinzip: „[W]eil an einem ausreichenden Mutterschutz sämtliche Volksgenossen, Mann und Frau, beteiligt sind u. interessiert. Auch wirke sich die s oziale Versicherung, „wenn sie einen Teil des Lohnes für sich in Anspruch nimmt u. dabei nicht nach den verschiedenen Altern oder nach dem Familienstand unterscheidet, sozialisierend auf den Lohn aus; sie führe einen Teil der Leistungen der Ledigen über in den Nutzen der Verheirateten und einen Teil des Lohnes der jüngeren Altersklassen in den Nutzen der hohen Altersklassen.“ Die Höhe der Leistung errechnete Munk anhand eines Durchschnittsverdienstes. Der finanzielle Mehrbedarf für die Leistungen sollte durch eine Erhöhung des Anteils der Versicherungspflichtigen oder durch eine geringfügige Erhöhung der Versichertenbeiträge um ein bis zwei Prozentpunkte erzielt werden. 200 Gemeinsam könnten so die Versicherten über den sogenannten Kassensatz die Leistungen finanzieren, argumentierte Munk, während in allen übrigen F ällen der Staat für diese Leistungen aufkommen müsse. Nur für die Hauspflege, die als persönlicher Dienst die M utter in ihrer Haus- und Erziehungsarbeit ersetze, würden wohltätige Vereine Leistungen erbringen, die sich nach den Vorstellungen Munks 196 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3: Maschinenschriftliche Aufstellung besuchter Vorlesungen Marie Munks. 197 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 10. 198 Henriette Fürth, Die Mutterschaftsversicherung, Jena 1911. 199 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 10. 200 Ebd.
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aus Mitgliedsbeiträgen, Zuschüssen von Ämtern und Schenkungen speisten. Durch eine Erhöhung der Einkommensteuer würde eine Anstaltspflege für „verstoßene“, einkommenslose und obdachlose uneheliche Mütter zu finanzieren sein. Den sozialpolitischen Charakter ihrer Vorschläge beschrieb Marie Munk am Beispiel der Leistung der Stillprämie. Diese sei „keineswegs eine Belohnung für eine selbstverständ liche Mutterpflicht, sondern sie ermöglicht in den meisten Fällen erst ihre Erfüllung“. Darüber hinaus ergäbe sich die Notwendigkeit, die sozialen Berufe, insbesondere den Beruf der Hebamme, in ihrem sozialen Ansehen anzuheben. Die Gemeinden müssten die Hebammen mit einem Fixum, steigendem Gehalt und Pensionsberechtigung ausstatten.201 Diese unerschrocken konsequenten rechtspolitischen und sozialpolitischen Forderungen führten Marie Munk zu ihren ersten selbstständigen juristischen Berufserfahrungen: einer Tätigkeit in einem Rechtsschutzverein. 1.3 Juristische Tätigkeit in der Rechtsauskunftsstelle für Frauen in München Die Rechtsauskunftsstelle für Frauen in München war durch Sophie Goudstikker begründet worden. Sophie Goudstikker wurde am 15. Januar 1865 als Tochter eines Geschäftsmanns in Amsterdam geboren. Nachdem sich die Familie erst in Hamburg, dann in Dresden niedergelassen und sich die Eltern getrennt hatten, begann Sophie Goudstikker ihre Ausbildung in einer privaten Malschule. Später avancierte sie zur Hoffotografin Bayerns, war Mitglied in standesrechtlichen Organisationen der Fotografen und gründete gemeinsam mit Anita Augspurg das Fotoatelier „Elvira“ in München. Seit 1898 arbeitete sie in der Rechtsschutzstelle des Vereins für geistige Interessen der Frau. 1899 hielt sie in München den ersten bayerischen Frauentag ab. 1908 verpachtete sie ihr Fotoatelier. Fortan widmete sie sich ganz der Arbeit in der Rechtsschutzstelle. Ihr Engagement in der Frauenbewegung wurde durch weitere Beziehungen zu anderen Persönlichkeiten aus der Frauenbewegung geprägt (Ika Freudenberg, Gertrud Bäumer).202 Sophie Goudstikker gehörte, neben Anna Schultz in Hamburg und Marianne Menzner in Dresden, zu den ersten Frauen, die als Rechtsbeistand vor Gericht für Frauen plädierten.203 Die Rechtsschutzstelle für Frauen hatte, wie alle Beratungsstellen für Frauen, eine besondere Bedeutung für die Rechtsstellung der Frau. 201 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 10. 202 Beate Knappe, Die Atelier-Fotografin: ein Frauenberuf im 19. Jahrhundert z wischen Modeerscheinung und Profession, Düsseldorf 1995, S. 93 – 94; Eva Maria Volland, Frauenleben und Frauenbewegung in München, München 1988, S. 35 – 37. 203 Beatrix Geisel, „Die eigenste Einrichtung deutscher Frauen“ Die Rechtsschutzvereine bzw. Rechtsschutzstellen der ersten deutschen Frauenbewegung, in: STREIT, Heft 3/1994, S. 120 und 121; dies., Klasse, Geschlecht und Recht – Vergleichende sozialhistorische Untersuchung der Rechtsberatungspraxis von Frauen und Arbeiterbewegung (1894 – 1933), Baden-Baden 1997, S. 76 – 93, S. 76 – 77.
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1.3.1 Rechtsschutzvereine: Charakteristikum der Rechts- und Frauenfrage Cäcilie Dose legte in ihrem Vortrag am 1. Juni 1894 im Allgemeinen Deutschen Frauenverein in Leipzig die besondere Bedeutung der Rechtsschutzvereine dar: Es sei die „ethische Bedeutung der Rechtsfrage“204 die geistige Basis der Tätigkeit in einem Rechtsschutzverein. Das Rechtsbewusstsein des Individuums sei nicht allein im juristischen, sondern auch im allgemein menschlichen Sinne 205 zu befördern. Vorurteile, die Frauen „lediglich auf das Gebiet des Gefühlslebens“206 verwiesen, galt es zu bekämpfen. Die „gesamten Beziehungen zu Staat und Gesellschaft“207 sollten im Interesse der Frau reformiert werden. Die Rechtsschutzvereine beteiligten sich an den rechtspolitischen Debatten im Ehe- und Familienrecht zur Zeit der Entstehung des BGB. Darüber hinaus boten die Rechtsschutzstellen Rat und Hilfe durch autodidaktisch geschulte Laien an.208 Entscheidend in der personellen Auslese und in der Auslese der zu bearbeitenden Fälle war „die prinzipielle Bedeutung der ethischen und praktischen Rechtsschutzbestrebungen vom Standpunkt der allgemeinen Frauenfrage.“209 Den größten prozentualen Anteil der Geschäftsbesorgung bildeten Ehescheidungsverfahren und „Streitfragen rein pekuniärer Natur“210. Gerade in den letzten genannten Fällen traten die rechtliche und geschäftliche Unerfahrenheit und Unkenntnis der weib lichen Klienten deutlich zutage.211 Die engagierten Frauen bewegten sich auf d iesem schwierigen zivil- und familienrechtlichen Terrain unter einem erzieherischen Aspekt, sowohl selbstreflektierend als auch mit Blick auf ihre Klienten galt es, die „subjektive Auffassung der Dinge“ zu meiden. Es sollten die Frauen sich „zwingen, die trockenen, kalten Buchstaben des Gesetzes als außerhalb jeder subjektiven Gemütssphäre stehend zu betrachten“212. Allerdings wurde es als ein Fehler erachtet, wenn die Verfahren ausschließlich aus dem Blickwinkel gebildeter juristischer, zudem womöglich noch männlicher Profession betrachtet wurden.213 Nur die ersten deutschen Juristinnen schienen beides zu erfüllen: juristisch ausgebildeten Sachverstand und Empathie für den zu betreuenden Einzelfall. Alix Westerkamp wurde 204 Cäcilie Dose, Rechtsschutzvereine für Frauen, Vortrag gehalten am 1. Juni 1894 im Allgemeinen Deutschen Frauenverein in Leipzig, Leipzig 1894, S. 3. 205 Ebd., S. 5. 206 Ebd., S. 15. 207 Ebd., S. 4. 208 Ebd., S. 5, 6, 9 und 13. 209 Ebd., S. 6 und 7. 210 Ebd., S. 18 und 16. 211 Ebd. 212 Ebd., S. 14 und 13. 213 Es gab herbe Kritik gegenüber dem Rechtsschutzverein in Breslau. Dieser hatte für die Rechtsvertretung einen Anwalt eingestellt. In: Cäcilie Dose, Rechtsschutzvereine für Frauen, S. 8.
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als erste Juristin im Rechtsschutzverein Frankfurt am 1. April 1907 angestellt.214 In der Zusammenarbeit empfanden die autodidaktisch herangebildeten Rechtsvertreterinnen die Professionalität ihrer juristisch ausgebildeten Kolleginnen womöglich als Eindringen in ein ausschließlich ihnen zugedachtes berufliches Territorium. Zudem wurden mit den ersten Juristinnen in Deutschland die Beziehungen unter den Frauenrechtlerinnen in den Rechtsschutzvereinen von den Auseinandersetzungen um die Frage des Rechtskampfes und die Funktionen des Rechts überschattet. Ausweislich neuerer Forschung wurden die fachlichen Differenzen z wischen der Wiederherstellung des Rechts im konkreten Unrecht und einer Reformbedürftigkeit des Rechts unüberwindbar. Mit der Publikation über die „Frauenforderungen zur Strafrechtsreform“ von Julie Eichholz (1908) kam es in der Diskussion über eine Strafbarkeit der Abtreibung zwischen den Frauenrechtlerinnen und einer der führenden Juristinnen der Rechtsschutzbewegung, Marie Raschke, zum persön lichen Bruch.215 Zugleich hatten die freien Rechtsschutzstellen mit den seit 1904 in kommunaler Trägerschaft geführten Rechtsschutzstellen zu konkurrieren. Auch bei Marie Munk, der ersten hauptamtlich eingestellten Juristin in der Rechtsschutzstelle (Legal Aid Clinic) in München, wirkten sich diese vereinsinternen Querelen auf die beruflichen und die persönlichen Beziehungen aus. 1.3.2 Die Beziehung Marie Munk – Sophie Goudstikker Marie Munk arbeitete ihren eigenen Angaben zufolge von September 1912 bis Weihnachten 1914 als 2. Vorsitzende in der Rechtsschutzstelle für Frauen und Mädchen in München.216 Ausweislich des Zeugnisses der Rechtsschutzstelle für Frauen und Mädchen dauerte ihre Tätigkeit jedoch bis Weihnachten 1915 an.217 Seit dem 18. September 1913 leitete Marie Munk die Rechtsschutzstelle, wenn Sophie Goudstikker, die 1. Vorsitzende, verhindert war.218 Die von „Sophie Goudstikker 214 Beatrix Geisel, Garantinnen gegen „Männerjustiz“? Die ersten deutschen Juristinnen im Zwiespalt z wischen frauenfeindlichen Rechtsnormen und Frauenbewegung, in: Elisabeth Dickmann und Eva Schöck-Q uinteros, Barrieren und Karrieren: Die Anfänge des Frauen studiums in Deutschland, Dokumentationsband der Konferenz 100 Jahre Frauen in der Wissenschaft im Februar 1997 an der Universität Bremen, Berlin 2000, S. 338. 215 Beatrix Geisel, Garantinnen gegen „Männerjustiz“? Die ersten deutschen Juristinnen im Zwiespalt z wischen frauenfeindlichen Rechtsnormen und Frauenbewegung, in: Elisabeth Dickmann und Eva Schöck-Q uinteros, Barrieren und Karrieren: Die Anfänge des Frauenstudiums in Deutschland, Berlin 2000, S. 333 – 337. 216 Lebenslauf von Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 217 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 10. 218 Handschriftliches Schreiben von Sophia Goudstikker vom 18. September 1913, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1
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geleitete R echtsschutzstelle für Frauen […] war […] ein Musterbeispiel von Volks tümlichkeit. […] Sie hatte – ganz Laie und Autodidakt – eine geniale Begabung: nicht für das Formale des Gesetzes, das ihrem Temperament schwer einging, aber für die menschlichen Situationen und für die Verteidigung Schutzloser.“ 219 Goudstikker „war die erste Frau, die in München zur Verteidigung, sogar in der zweiten Instanz, zugelassen wurde und schlug die Bresche, lange ehe die erste Juristin auftrat. In den ersten 25 Jahren ihres Bestehens hat die Rechtsschutzstelle über 60.000 Frauen geholfen; eine Hilfe, die weit über eine reine Auskunft oder Adresse hinausreichte. Die Rechtsschutzarbeit erweiterte sich zu einer Seel- und Leibsorge umfassender Art. Die Bevölkerung brachte dem „Fräulein Doktor“ – der freiwillige Respektausdruck der Klienten, den sich die Leiterin gefallen ließ, weil er zweckmäßig war – unbegrenztes Vertrauen entgegen. Schutzlose Mädchen, misshandelte Frauen dachten getröstet an sie, und säumige Kindesväter folgten erschrocken der Vorladung, die sie durchaus wie eine amtliche respektierten. Der Gast konnte erleben, wie die Dinge prompt und geschickt erledigt wurden. Immer mit dem Ziel, die Klienten, die ja eigentlich immer nur eine menschliche Beratung und den Schiedsspruch einer menschlichen Autorität in ihren verwirrten Angelegenheiten suchten, soweit irgend möglich vor dem Gericht zu bewahren. Es war das Vorbild eines praktischen, schnellen volkstümlichen Betriebs ohne Schwerfälligkeiten und Unsicherheiten.“220 In dieser vom „Verein für Fraueninteressen“ finanzierten Rechtsberatungsstelle betreute Marie Munk Klienten im Familienrecht und vertrat unverheiratete Mütter gemeinsam mit Sophie Goudstikker und assoziierten Rechtsanwälten. Mietrechtsund Pachtrechtsstreitigkeiten vertrat Marie Munk selbstständig. Darüber hinaus widmete sie ihr Engagement der Bewährungshilfe straffällig gewordener Jugend licher. Über diese erste selbstständige berufspraktische Zeit berichtete Marie Munk: “My salary at the Legal Aid Clinic was nominal. I could have earned far more money in other types of employment. But the work itself was highly rewarding. Unfortunately, my personal 221
relationships with Sophia Goudstikker forced me to resign, after about 22 years.”
Weitere Dokumente oder persönliche Berichte über die Beziehung Goudstikker – Munk fehlen. Goudstikker war Mittelpunkt der nach Unabhängigkeit strebenden Folder 10. 219 Gertrud Bäumer, Ika Freudenberg, in: Gestalt und Wandel, -Frauenbildnisse-, Berlin 1939, S. 401 – 425, S. 413. 220 Ebd. 221 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VII A Doctor of Jurisprudence Before and During World War I, S. 11.
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jungen Frauen der damaligen Zeit. Über die Berichte von Gertrud Bäumer vermag man, den Ereignissen näher zu kommen. Gertrud Bäumer hatte einige Jahre vor Munks Ankunft in München gemeinsam mit Ika Freudenberg in dem vom „Architekten Endell gebauten phantastischen kleinen Haus“222 mit Sophie Goudstikker in München gewohnt. In dem „Kreis der Münchner Frauen“ wuchs „der neue Wille nicht angesichts irgendeines theoretischen Prinzips oder eines einzelnen neuen Zwecks: etwa des Berufs oder des Rechtes.“ Vielmehr „wuchs er aus dem Herzblut starker, lebensvoller Menschen, die sich einen Zugang zu reicherem und freierem Dasein bahnen wollten. Aus enger, ängstlicher Bürgerlichkeit
heraus in eine reinere klarere Luft. Aus Konvention zu unbefangener Lebensgestaltung. Aus
der Gedrücktheit und dem mannigfachen Ausgeschaltet sein zu einer stolzen, selbständigen
und lebendigen Teilnahme. Starke Temperamente, künstlerische Naturen, warme leidenschaft liche Herzen, feurige Seelen – eine lebendige bewegte Anbruchsstimmung voll Kraft, Humor,
Geist und Geschmack. Eine temperamentvolle Emanzipation voll Herzensanteil, ein tapferes
und zugleich frohes Erschaffen neuer Lebensformen. Etwas menschlich Ganzes, nach allen
Seiten Strahlendes.“
223
Es ist kein Wunder, dass die damals lebenshungrige und junge Marie Munk das Angebot Sophie Goudstikkers gern ergriff, mit ihr das Haus zu teilen. Die anfangs gute Beziehung wurde jedoch durch die Dominanz der Persönlichkeit Sophie Goudstikkers gestört. Marie Munk zog aus und verzichtete auf eine weitere Mitarbeit in der Rechtsschutzstelle. Es mag zu einem fachlichen Streit zwischen der professionellen Juristin Munk und der autodidaktischen Juristin Goudstikker in der Rechtsauskunftsstelle in München gekommen sein, wie dies vermehrt in weiteren Rechtsauskunftsstellen in der deutschen Frauenbewegung nachgewiesen werden kann.224 Auf die unerfreulichen Ereignisse blickte Marie Munk zurück mit den Worten: “It had been for me a kind of unhappy marriage. I had learned a great deal from Miss Goudstikker, and I don’t for one moment regret my tribulations. Many others were still to come. I have often
thought of the Greek proverb which my father liked to quote and which Wolfgang von Goethe
uses as motto for the First Part of his autobiography ‘Truth and Fiction’: Man does not grow 225
up unless he goes through sufferings and tribulations.” 222 223 224 225
Gertrud Bäumer, Lebensweg durch eine Zeitenwende, Tübingen 1933, S. 182. Ebd., S. 183. Vgl. Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, S. 541 – 542. LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VII A Doctor of Jurisprudence Before and During World War I, S. 13 – 14.
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
Diese Worte markieren eine wichtige Bedingung weiblicher Persönlichkeits entwicklung, die für die damalige Zeit nicht selbstverständlich war: den Ausstieg der Frau aus einer behüteten bürgerlichen Sozialisation. Doch das setzte elterliche Toleranz statt Diskriminierung voraus. Insofern war Marie Munk nach wie vor privi legiert. Nur so vermochte sie, als Leiterin der gemeinnützigen Rechtsberatungsstelle bei Max Rheinstein Eindruck zu hinterlassen.226 Beide sollten sich s päter bei weit wichtigeren Anlässen erneut begegnen. 1.3.3 Weiteres Studium, Lehrtätigkeiten und Dienst beim Roten Kreuz Vor dem Hintergrund ihrer ersten weiblichen Berufserfahrung hielt Marie Munk im Verein für Fraueninteressen in München am 5. März 1913 einen Vortrag zu dem Thema „Ausbildung und Anstellungsmöglichkeiten der Juristin“.227 In ihrer Münchner Zeit arbeitete sie in der städtischen Frauenschule im Rechtskundeunterricht (September 1913 bis Juli 1915).228 „Auf Veranlassung des Vereins für Fraueninteressen und des Instituts für soziale Arbeit in München“ gab sie „Einführungskurse in das Bürger liche Recht unter besonderer Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der Frau“.229 Sie war auch Studierende der Staatswissenschaft an der Universität München 230 (18. Oktober 1912 bis zum Ende des Sommersemesters 1915). Sie besuchte die Vorlesungen Brentanos. Bei Doeberl unterzog sie sich historischen Übungen und suchte Anleitungen zur Unterweisung in der Staatsbürgerkunde am Beispiel der staatsrecht lichen Entwicklung Bayerns im 19. Jahrhundert. Diese Vorlesungen rundete sie ab durch den Besuch eines pädagogischen Seminars bei Foerster zur staatsbürgerlichen Erziehung und zum staatsbürgerlichen Unterricht. Über die Entwicklung des Deutschen Nationalbewusstseins hörte sie bei Joachimsen und ergänzte so die Vorlesung zum Allgemeinen Staatsrecht, zur Allgemeinen Soziallehre des Staates und zur Politik bei Dyroff. Sie unternahm bei Mayer Führungen durch die alte Pinakothek. Bei Hollier hörte sie zur Anatomie am Lebenden. Bei Woelflin besuchte sie Vorlesungen zur abendländischen Kunst im Zeitalter des Rubens sowie zu Rembrandt-Typen des 2 26 Rheinstein ordnete die Begegnung mit Marie Munk einem falschen Jahrzehnt (1924) zu. Schreiben von Max Rheinstein an den Rechtsanwalt Dr. Karpen vom 1. November 1956, dem Rechtsvertreter Munks im Wiedergutmachungsrecht, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 6. 227 Programm der Veranstaltungen bis Ostern 1913 des Vereins für Fraueninteressen in München, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 228 Lebenslauf von Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton Massachusetts. Box 1 Folder 3. 229 Ebd. 230 Immatrikulationsurkunde der Münchner Universität vom 16. Mai 1912, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9.
Berufsausübung bis zum Ersten und Zweiten Staatsexamen (1911 – 1919)
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Deutschen Städtebaus. Munk erfuhr etwas zu den architektonischen Stilbildungen des Mittelalters und der neueren Zeit. Bei Woelflin unternahm sie Übungen in der stilistischen Analyse.231 Zugleich wurde sie bis zum Kriegsbeginn im Frauenverein des Deutschen Roten Kreuzes mit der Einrichtung einer Heimarbeitsabteilung betraut.232 Im August 1916 erhielt sie von König Ludwig von Bayern das Ludwigskreuz. Die Kriegsereignisse holten sie zurück nach Berlin.
2. Entscheidung zur Ehelosigkeit und Rückkehr nach Berlin Der Tod ihres Bruders (26. 8. 1915) war der Grund, warum sie im September 1916 nach Berlin zu ihren Eltern zurückkehrte 233: “I was afraid that their loneliness and grief would be too much for them. I therefore decided
to give up my work in Munich and my independent way of life in order to live with them. My
parents’ unselfish devotion to their children can hardly be expressed much more eloquently
than by quoting my father’s words when I told him of my decision. I still hear him say: ‘Think 234
it over; if you had married, you would not be able to do it.’”
Mit diesen Worten charakterisierte Wilhelm Munk die Wirkung der Ehe auf die Frau. Munk war sich bereits vor Beginn des Ersten Weltkriegs darüber im Klaren gewesen, wie weit sie sich mit einer Eheschließung in ihrem zukünftigen Leben festlegen würde: “Moreover I felt instinctively, and even more after I studied and practiced law, that my quest for
knowledge and for leading a useful life would hardly be fulfilled by being a wife, a housekeeper, 235
and even a mother. I needed other outlets.“
231 Kollegienbuch der Universität München nebst Zeugnis zum Abgang von der Universität vom 20. Dezember 1915, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9 sowie maschinenschriftliche Aufstellung der Vorlesungen Marie Munks, in Box 1 Folder 3. 232 Lebenslauf von Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 233 Ebd. 234 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VIII Impressions and Activities during World War I, S. 7 – 8. Hervorhebung nicht im Original. 235 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel V Social and Cultural Life before World War I, S. 16.
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
Diese Quintessenz differenzierte sie in einem doppelten Sinne: “I had a passion for freedom and could not have taken any restrictions in my friendships 236
with men and
women. Jealousy of any kind would have made me extremely unhappy. An
unhappy or dissatisfied wife and mother is not a good companion and does not fill her role.”
237
Ihr späterer langjähriger Weggefährte, Eugen Schiffer, erkannte mehr als vierzig Jahre s päter in einem persönlichen Brief an Marie Munk an, sie habe „sich damit begnügt, immer nur geachtet zu werden.“238 Marie Munk wurde von Schiffer als „Liebstes Nonnchen“ oder „Liebe Nonne“ angeschrieben. Eine Anrede, die auch andere Freunde verwendeten. Das nahm Marie Munk kritiklos, vielleicht auch ein wenig schmunzelnd hin. Sie wollte sich nach ihrer Münchner Zeit voll und ganz auf die Sachfragen und ihre geistigen Interessen konzentrieren, was ihr in Berlin aus persönlichen Gründen zeitweise nicht gelang. Ihre Beschäftigung als Bürger- und Sozialkundelehrerin an einer höheren Mädchenschule musste sie innerhalb kurzer Zeit aufgeben: “Instead of being a comfort to my bereaved parents, I became a source of great concern and
almost a fatality. It may be that the emotional strain during the preceding months had been
so much for me. At any rate, the intestinal troubles from which I had been suffering for a long
time, reached such a stage that an operation was inevitable. The appendectomy did not relieve
239
my other ailments. I was unable to do any kind of professional work for more than a year.”
Marie Munk verbrachte ihre Rekonvaleszenz im Sanatorium des Westens 240, bevor sie sich im Frühjahr 1917 wieder einer beruflichen Tätigkeit zuwenden konnte.
236 Hervorhebung nicht im Original. 237 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel V Social and Cultural Life before World War I, S. 16. 238 Schiffer teilte Munk die folgenden Worte mit: „[W]ie lang hab ich geschmachtet, wie lange Dich geliebt – wie oft sang ich es zum Klang der Zither. Und immer haben Sie höhnisch gelispelt: Die wird gar rasch verachtet, die sich so schnell ergibt. So haben Sie sich denn nicht ergeben, sondern sich damit begnügt, immer nur geachtet zu werden.“ In: Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk anlässlich einer Danksagung zu seinem 94-jährigen Geburtstag vom 27. Februar 1954, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 6 Folder 25. 239 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VIII Impressions and Activities during World War I, S. 9. 240 Schreiben Marie Munks vom 16. und 19. Dez. 1915 an ihre Eltern, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 7 Folder 8.
Berufsausübung bis zum Ersten und Zweiten Staatsexamen (1911 – 1919)
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3. Juristische Hilfsarbeiterin (März 1917–Februar 1919) Marie Munk trat im März 1917 in den Dienst der Stadtgemeinde Berlin-Schöneberg. Zunächst arbeitete sie ehrenamtlich vom 1. Mai 1917 bis 1. Februar 1919 als juristische Hilfsarbeiterin. Hier beschäftigte sie sich, zeitweise in der Funktion einer Dezernentin, mit der Kriegswohlfahrtspflege, der Sammelvormundschaft, der K ohlen- und Gasversorgung, der Kleider- und Möbelversorgung, der Säuglings- und Schulversorgung.241 Einige Monate später wechselte sie in die Rechtsabteilung der Stadt, in der sie mit der Koordination der Bevölkerungsversorgung betraut wurde. Ihre Beschäftigung war kriegsbedingt, wie ihr juristisches Aufgabenfeld: “Under the law which was then in effect, and later changed, many legal problems arose when
indigent persons moved from one community to another. The financial responsibility rested
on the community in which they had resided for a certain period of time. The city of Berlin-
Schoenberg had to help them temporarily, but could send them back from where they came
or if this would have meant too much of a hardship, perhaps because they were living with
close relatives, the city could require reimbursement from the community which was legally
responsible to dispense dole in the particular case. Sometimes, the question of responsibility
had to be decided in a special legal procedure, in which I acted occasionally as representative of the City of Berlin-Schoeneberg.”
242
Die Frauenpresse stellte freudig fest: „Auch beim Zweckverband Groß=Berlin arbeitet neuerdings ein weiblicher Dr. iuris.“243 Der Stadtrat Prof. Dr. Kaskel zweifelte „nicht, dass Marie Munk sich auch an anderer Stelle gut bewähren“ würde.244 Einige Zeit später setzte Marie Munk beim Stadtrat Dr. Muthesius ihre Arbeit fort. Muthesius war zu damaliger Zeit beruflicher Wegbegleiter von und Dozent bei Alice Salomon. Er bekleidete später eine Professur in Frankfurt am Main und wurde Herausgeber der Alice-Salomon- Werkbiografie.245 In seinem Ressort hatte Marie Munk „sämtliche Prozesssachen selbständig zu erledigen und häufig Prozessvertretungen bei den hiesigen Gerichten 241 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 242 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VIII Impressions and Activities during World War I, S. 10. 243 Margarete Meseritz, Die Juristinnen im Kriege, in: Die Staatsbürgerin, 6/1917, Heft 6, S. 86. 244 Bestätigung mit unleserlichem Datum über eine Beschäftigung im Bezirk Berlin-Schöneberg für die Zeit vom 1. Juni 1918 bis zum 1. Februar 1919, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 11. 245 Mit dem Titel „Alice Salomon. Die Begründerin des sozialen Frauenberufs in Deutschland“, Köln 1958.
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
zu übernehmen.“246 Marie Munk leistete in den Kriegsjahren nicht nur beruflich für eine Frau Außergewöhnliches. Im Alltag litten sie, ihre Schwester mit ihren zwei Kindern und ihre Eltern unter der schlechten Versorgung. Marie Munk musste sich und ihre Angehörigen über den Schwarzmarkt oder durch ländliche „Hamsterfahrten“ versorgen: “I felt relieved when I got home without incident.”247 Dr. Muthesius ließ seinem guten Zeugnis vom 31. Januar 1919248 am 20. Februar 1919 einen persön lichen Brief an Marie Munk folgen: „Nachdem Sie leider infolge der Rückkehr unserer Magistrats-Assessoren aus dem Felde
aus unserer Verwaltung ausscheiden mußten, drängt es mich, Ihnen auch noch schrift
lich für die wertvolle Hilfe, die Sie mir geleistet haben, zu danken. Ihre Tätigkeit in der
Armenpflege, Waisenpflege und Kriegswohlfahrtspflege war infolge Ihrer Kenntnisse und
Ihres Geschickes auch in neuen Gebieten sich rasch einzuarbeiten, so fruchtbar, daß ich Sie sehr vermisse!“
249
4. Die berufliche Situation der Juristin während des Ersten Weltkrieg und danach Statistisches Material über den Einsatz von Juristinnen aus damaliger Zeit ist bis heute nicht aufzufinden. Zum einen, weil sich nach den ersten drei Berufszählungen (1882, 1895 und 1907) Aufbau und Organisation dieser Statistik erst in den Nachkriegsjahren entwickelte.250 Zum anderen auch deshalb, weil Arbeiterinnen nur über den Nationalen Frauendienst und die Arbeitsdepartments des Kriegsamtes organisiert eingesetzt und statistisch erfasst wurden.251 Die Juristinnen der damaligen Zeit waren bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über die Zulassung von Frauen zu allen juristischen Berufen (1922) zunächst gut genug, um die ins Feld einberufenen 246 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 247 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VIII Impressions and Activities during World War I, S. 14. 248 Zeugnis des Magistrats vom 31. Januar 1919, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 11. 249 Schreiben Muthesius’ vom 20. Februar 1919, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 11. 250 Roderich Plate, Die Berufsstatistik, in: Friedrich Burgdörfer (Hg.), Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand (Ehrengabe für Friedrich Zahn), Band II, Berlin 1940, S. 654 – 655. 251 Vgl. Marie-Elisabeth Lüders, Das unbekannte Heer. Frauen kämpfen für Deutschland 1914 – 1918, Berlin 1937, S. 7 – 12, 85 – 92.
Berufsausübung bis zum Ersten und Zweiten Staatsexamen (1911 – 1919)
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männlichen Kollegen während des Ersten Weltkriegs (1914 – 1918), mit allen Vollmachten versehen, zu vertreten. Die erste ordentlich zugelassene Rechtsanwältin, Maria Otto, übernahm „in den Jahren 1916 – 1919 Hunderte von Pflichtverteidigungen“.252 Die Männer hätten sonst ihre Anwaltspraxen nach dem Krieg erneut aufbauen müssen. Ihnen fehlten häufig die Partner, um die Praxis während des Krieges aufrechtzuerhalten. Es herrschte mit Fortschreiten des Krieges ein derart großer Mangel an Rechtsvertretern, dass man mit Duldung der Anwaltskammern dazu überging, den Schreiber oder Lehrling der Kanzlei mit dem Schriftsatz in der Hand zum Gericht zu schicken, um den Antrag von einem sich dort zufällig aufhaltenden Anwalt im Termin verlesen zu lassen.253 Die gleiche Mangelsituation herrschte in den anderen Berufsbereichen der Justiz. Darüber hinaus hatten die ersten weiblichen Juristinnen mit den katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Kriegsverhältnissen zu kämpfen.254 Das Engagement des Staatsministers Dr. von Hentig gilt es an dieser Stelle hervorzuheben. Unter der Schirmherrschaft der Kaiserin richtete er als Vorsitzender des Kuratoriums des Viktoria-Studienhauses „Praktische Kurse für Juristinnen“ ein. „Zwei hervorragende Richter und ein gesuchter Rechtsanwalt“ ergänzten die „Universitätsstudien durch Übungen“ in denjenigen Gebieten, die zum Zwecke der Berufsausübung beherrscht werden müssen, „weil der Staat die hierzu notwendige praktische Ausbildung im Rahmen seiner Einrichtungen versagte.“255 Von Hentig konstatierte, dass die Frauen durch die uneingeschränkte Neigung für ihr Studium den Männern überlegen s eien.256 Dem weiblichen juristischen Berufseinsatz in einer Männerdomäne war an der Heimatfront des E rsten Weltkriegs Erfolg beschieden: „Das Schlagwort von der Ungeeignetheit der Frau zum juristischen Studium und Beruf
wegen Mangel an Objektivität hat sich als durchaus falsch erwiesen. […] Uebrigens war in Bayern infolge des Richtermangels einer Juristin auch bereits eine Hilfsarbeiterinstelle
für Vormundschaftswesen an einem Gericht angeboten worden. […] [V ]erschiedene
252 Margarethe Freiin von Erffa und Abogada Ingeborg Richarz-Simons, Der weibliche Rechtsanwalt, in: Julius Magnus (Hg.), Die Rechtsanwaltschaft, Leipzig 1929, S. 473. 253 So berichtet in der Dissertation von Brunhilde Haack, Die Anwaltschaft in Hamburg während der Weimarer Republik, Hamburg 1990, S. 94 – 95. 254 „Jeder entschuldigt sich damit, daß er sich selbst der Nächste ist, und Not kein Gebot kennt.“ Tagebucheintrag Paul Mühsams vom 21. Dezember 1917. Auch eine vortrefflich rechtspoli tische Schilderung der Kriegsereignisse. In: Paul Mühsam, Mein Weg zu mir, Konstanz 1978, S. 21 – 25, S. 23. 255 Von Hentig, Das Rechtsstudium der Frau und seine Verwertung, in: Juristische Wochenschrift, 46/1917, Heft 14, S. 844. 256 Unter Bezug auf von Hentig: Oda Cordes, Frauen als Wegbereiter des Rechts, S. 24 – 25.
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Kapitel Vom wohlbehüteten Mädchen zur promovierten Juristin (1885 – 1918/19)
Industrieunternehmungen, die jetzt Juristinnen […] beschäftigen, haben sich dahin ausgesprochen, daß sie geneigt sind dieselben auch nach dem Kriege in ihren Posten zu belassen. […]
Bei der Beurteilung der Arbeit der Juristin ist übrigens immer im Auge zu behalten, daß es ihr
bisher nicht vergönnt ist, die gleiche Ausbildung wie die männlichen Kollegen durchzumachen, 257
sondern daß sie sich mühsam die fehlenden praktischen Kenntnisse zusammenholen muß.“
Die Juristin versah verschiedene Tätigkeiten, gleichwie ein Referendar seine Aus bildungsstationen durchläuft.258 Der weibliche Einsatz an der Heimatfront wurde jedoch finanziell nicht honoriert. Die meisten Fürsorgestellen wurden von den Gemeindeverwaltungen ausgeschrieben. Deshalb waren die Gehälter weit geringer, „als bei den Kriegsgesellschaften“259. In den Kommunen wurden mit „Erlaß des Kriegsministers über Verwendung weiblicher Kräfte in der Heeresverwaltung vom 15. März 1917“ nur „2/3 der niedrigsten Stellengebührnisse (Gehalt, Wohnungsgeldzuschuß und Kriegszulage)“ als „Höchstgrenze der im Heeresdienst stehenden Akademikerin“260 ausgezahlt. Zum einen, weil Frauen wie Marie Munk nicht über die juristischen Staatsexamina verfügten. Zum anderen, weil sich der Staat die weibliche Konkurrenz volkswirtschaftlich zunutze machen konnte. „Die Kriegsämter, Kriegsgesellschaften und Industrie brauchen so viel vorgebildete Kräfte, daß ihr Bedarf bei weitem nicht gedeckt werden kann. Gerade in diesen Stellen tritt die Konkurrenz von Juristinnen, Na tionalökonominnen und Schülerinnen sozialer Frauenschulen ein“261, stellte Margarete Meseritz, eine Weggefährtin Marie Munks, fest. Marie Munks männliche Kollegen durften als Ernährer der Familie nahtlos da anschließen, wo Marie Munk und andere erste Juristinnen aufgehört hatten. Zu diesem Zweck waren mit der Demobilmachungsverordnung 262 sonderrechtliche Bestimmungen für Beamtinnen erlassen worden: „Art. 128 Abs. 2 [der WRV] schließt nicht jede unterschiedliche 257 Hilde Oppenheimer und Hilde Radomski, Die Probleme der Frauenarbeit in der Uebergangswirtschaft (im Auftrag des Bundes Deutscher Frauenvereine und des ständigen Ausschusses zur Förderung der Arbeiterinneninteressen), Mannheim 1918, S. 208 und 209. 258 Ebd. 259 Margarete Meseritz, Die Juristinnen im Kriege, in: Die Staatsbürgerin, 6/1917, Heft 6, S. 87. 2 60 Hilde Oppenheimer und Hilde Radomski, Die Probleme der Frauenarbeit in der Uebergangswirtschaft, S. 223. 261 Margarete Meseritz, Die Juristinnen im Kriege, in: Die Staatsbürgerin, 6/1917, Heft 6, S. 87. 262 Die Demobilmachungsverordnung enthielt Hauptrichtlinien, die Frauen aus dem Arbeitsprozess heraus- und in die Familie zurückdrängten. Durch diese Richtlinien entstand eine geschlechtliche Erwerbshierarchie. Es gibt Stimmen in der neueren Forschung, die die Einführung des Wahlrechts nach der WRV als Ausgleich für die weiblichen Massenentlassungen der damaligen Zeit werten. Siehe: Silke Neunsinger, Die Arbeit der Frauen – die Krise der Männer. Die Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen in Deutschland und Schweden 1919 – 1939, Uppsala 2001, S. 48 – 53.
Berufsausübung bis zum Ersten und Zweiten Staatsexamen (1911 – 1919)
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Behandlung der verheirateten weiblichen Beamten und der sonstigen Beamten aus“263, konstatierte die Kommentierung zur Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919. Weibliche Angestellte und weibliche Beamte wurden nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entlassen.
5. Fazit Marie Munk trat in die juristische Berufswelt ein, als es in juristisch spezialisierten Berufsfeldern an männlichen Arbeitskräften mangelte. Grundlage für Marie Munks erste Berufserfahrungen war nicht ein Recht auf weibliche akademische Erwerbsarbeit oder gar ein Recht auf Gleichberechtigung von Mann und Frau im Beruf. Es war die Not des Krieges, der staatlicherseits begegnet werden musste. Marie Munk praktizierte in Aufgabenfeldern, in denen sie nicht nur unterschied liche juristische Problemstellungen, sondern auch soziale Aufgabenfelder für den Bürger bedienen musste. Für diese doppelte Funktion juristischer Praxis war für Marie Munk die Rechtsauskunftsstelle prägendes Beispiel eines anderen Umgangs und Verständnisses mit dem Recht geblieben. Der zurückliegende Lebensabschnitt Marie Munks regt dazu an, einen vorläufigen Schlusspunkt unter die historischen Entwicklungslinien zu setzen. Die Demobilmachungsverordnung war aus heutiger Sicht dreierlei: erstens eine beruf liche Diskriminierung tüchtiger, mit dem Recht für das Recht sich einsetzender Frauen. Zweitens war die Demobilmachungsverordnung Zeichen einer verfehlten Arbeitsmarktpolitik der Vorkriegsjahre. Diese beiden sozioökonomischen Ereignisse fußten jedoch drittens auf einer verfehlten Bildungspolitik. Eine geschlechtsspezi fische Bildungsidee, beginnend mit einer wissenschaftsfernen Schulbildung für Mädchen, verschloss jungen wissbegierigen Frauen den Zugang zum Abitur und zum Hochschulstudium. Mit der Folge, dass die männliche Jurisprudenz in ihrer selbst verursachten Not ihren Rechtsgrundsatz „Frauen sind zu den juristischen Staatsprüfungen nicht zugelassen“ in seiner diskriminierenden Wirkung noch verschärfte. Sie ersetzte den kriegsbedingten Ausfall der männlichen juristischen Profession auf staatlich geprüften Positionen durch (ungeprüfte) Frauen, um absolutes Staatsversagen kaschieren zu können und um nach tatkräftiger weiblicher Hilfe in der Krise die Frauen nach der Rückkehr der Männer wieder entlassen zu können. Geschlechtsspezifische Entscheidungen sind immer auch Kennzeichen eines Versagens der Entscheidenden. 263 Arthur Brand, Artikel 128 – 131, Rechte und Pflichten der Beamten, in: Hans Carl Nipperdey (Hg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Kommentar zum zweiten Teil der Reichsverfassung, Zweiter Band: Artikel 118 – 142, Berlin 1930, S. 221.
2. Kapitel Die Weimarer Zeit (1919 – 1932)
Marie Munk musste um ihre beruflichen Positionen in der Rechtspflege kämpfen. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften blieb ihr als Frau das Ablegen des ersten juristischen Staatsexamens zunächst versagt. Nach der Zulassung von Frauen zum ersten juristischen Staatsexamen in Preußen (1919) blieben Marie Munks Anträge, ihr die rechtspraktische Tätigkeit für während des ersten Weltkriegs in den Kriegsdienst berufene Juristen einer Anwaltskanzlei, in der Verwaltung und die informatorische Beschäftigung bei Gericht als praktische Dienstzeit für das juristische Referendariat anzuerkennen, erfolglos. Es kam hinzu, dass bis zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes im Jahre 1922 Frauen zum zweiten juristischen Staatsexamen eh nicht zugelassen waren. Nach Zulassung von Frauen zu den juristischen Berufen hatte die Anwaltschaft in Deutschland bereits die Wirtschaftsdepression ereilt, als Marie Munk nach dem Ablegen des zweiten Staatsexamens als erste Frau Preußens ihre juristische Profession als Anwältin ausüben konnte. Einige Jahre s päter musste ihre Bewerbung in die Richterschaft namhaft unterstützt werden, sonst wäre sie womöglich nicht erfolgreich gewesen. Das Recht der Frau war nicht nur Inhalt der von der Richterin Munk betreuten Verfahren, sondern auch ihres rechtspolitischen Engagements im Deutschen Juristinnenverein, einem Vorläufer des heutigen Deutschen Juristinnenbundes. Mit ihrer Arbeit in den Rechtskommissionen des Bundes deutscher Frauenvereine bereitete Marie Munk die Reformforderungen von Frauenseite zur Änderung des Ehe- und Ehegüterrechts, des Nichtehelichenrechts, des Familienrechts und des Scheidungsrechts vor. Zu diesen Rechtsgebieten bestimmte Marie Munk den rechtspolitischen und fachjuristischen Diskurs der durch die Weimarer Reichsverfassung ausgelösten Reformphase in juristischen Fachkreisen und in den fachlichen Publikationsorganen. Allein auf diese Rechtsgebiete blieben ihre wissenschaftlichen Veröffentlichungen nicht beschränkt. Diese umfassten ebenfalls den Strafvollzug, die Strafvollstreckung und die Resozialisierung von Straftätern, Probleme einer Justizreform und einer juristischen Ausbildungsreform, auch unter dem Blickwinkel der Rechtsstellung der Frau.
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Die Weimarer Zeit (1919 – 1932)
I. Berufliche Profilierung Die Frauenbewegung hatte mit der Personalnot des E rsten Weltkrieges argumentiert, um in mehreren Petitionen zu fordern, dass Frauen zu den juristischen Staatsprüfungen und als Organ der Rechtspflege zuzulassen sind.1 Mit Inkrafttreten der Art. 1092 und 1283 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) argumentierte die deutsche Frauenbewegung für eine Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) unter Hinweis auf Verfassung und Recht.4 Zwingendes Recht könne die Frauen von den juristischen Prüfungen nicht mehr ausschließen beziehungsweise wäre Frauen, wenn diese den Nachweis über eine ordnungsgemäße Ausbildung erbracht hätten, eine Zulassung zu gewähren. Ein rechtspolitischer Ansatz mithilfe dessen erstmals der badischen Frauenvereine im Mai 1908 in seinem Antrag argumentiert hatte.5 Diese Argumente forderten im Kontext der Weimarer Reichsverfassung die Länderjustizverwaltungen auf, über ihre Lesart gerichtsverfassungsrechtlicher Bestimmungen gebührend nachzudenken. Das Reichsjustizministerium fragte bei den Landesjustizverwaltungen an, ob „an der Ausschaltung der Frau von der Rechtspflege festgehalten werden kann, oder ob nicht vielmehr der Frau eine Betätigung auch auf d iesem Gebiete zu eröffnen sein wird“6. Für eine ehrenamtliche Tätigkeit in der Rechtspflege sprachen sich fast alle Länder aus. Allerdings wurde die Hürde für die Berufsrichterin nicht überwunden. In diese Länderumfrage platzte die allgemeine Verfügung des preußischen Justizministers Hugo am Zehnhoff vom 5. Mai 1919.7
1. Juristische Staatsexamina und Preußisches Justizministerium (Sommer 1919–April 1924) Auf der Grundlage der allgemeinen Verfügung des preußischen Justizministers vom 5. Mai 1919 legte Marie Munk am 24. Januar 1920 das erste juristische Staatsexamen mit dem Prädikat „gut“ ab. Zur Vorbereitung hatte sie im Sommersemester 1919 an 1 Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, S. 238 – 242. 2 Art. 109 WRV lautete: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ 3 Art. 128 WRV lautete: „Alle Staatsbürger ohne Unterschied sind nach Maßgabe des Gesetzes und entsprechend ihrer Befähigung und Leistung zu den öffentlichen Ämtern zugelassen. Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt. Die Grundlagen des Beamtenverhältnisses sind durch Reichsgesetz zu regeln.“ 4 Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, S. 243 – 247. 5 Ebd., S. 201 – 202 Fußnote 112. 6 Ebd., S. 247. 7 JMBl. (1919), S. 288.
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Berufliche Profilierung
der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin juristische Vorlesungen besucht:8 bei Triepel die Übungen im Staats- und Verwaltungsrecht mit schriftlichen Arbeiten, bei Kipp die Übungen im Bürgerlichen Recht, bei Nussbaum die zivilprozessualen, das Bürgerliche Recht umfassenden Übungen sowie schließlich bei Goldschmidt die strafrechtlichen Übungen 9 und bei Stammler Übungen im römischen Recht.10 Munks Vorbereitungszeit auf das Examen soll mit Margarete Meseritz erfolgt sein, wie der Leser der Sekundärliteratur entnehmen kann.11 Es war aber Margarete Berent die treibende und stützende Kraft für Marie Munk, die ihr nach der langen Zeit das zurückgab, woran es Munk damals mangelte: Selbstvertrauen. “At that time, I had been out of law school for some time. I doubt that I would have had the
initiative and the courage to brush up on many of the forgotten subjects, had not my colleague
Margarete Berent prompted me to do so. I recall vividly how she talked to me about it when
we walked through our garden. She suggested that both of us and another friend should take
a Bar review course which one of her lawyer friends was willing to give us. After I thought it over, I decided that she was right. The three of us took this review course, and we passed the 12
exam with honors in 1920.”
Nach ihrem ersten Staatsexamen wurde sie auf ihren Antrag an den Senatspräsidenten des Kammergerichts vom 7. Februar 1920 zur informatorischen Beschäftigung dem Amtsgericht Berlin-Schöneberg mit Wirkung vom 16. Dezember 1920 zugewiesen.13 Mit dieser Beschäftigung war kein Referendariat verbunden, denn Preußen und die übrigen Länder trugen ein weiteres, neues Argument gegen eine Zulassung von Frauen zum Referendariat vor: Sie hielten eine reichsrechtliche Regelung für notwendig.14 8 Abgangszeugnis der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 26. August 1919, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9. 9 Abgangszeugnis der Friedrich-W ilhelms-Universität Berlin vom 26. August 1919 nebst Anmeldebuch, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9 sowie maschinenschriftliche Aufstellung der besuchten Vorlesungen Marie Munks, Box 1 Folder 3. 10 Abgangszeugnis der Friedrich-W ilhelms-Universität Berlin vom 26. August 1919 nebst Anmeldebuch, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 9 sowie maschinenschriftliche Aufstellung der besuchten Vorlesungen Marie Munks, in Box 1 Folder 3. 11 Marion Röwekamp, Juristinnen, Lexikon, S. 275 – 279, S. 276. 12 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel X The Final Road to the Bar, S. 1 – 2. 13 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 69257, Bl. 4, 9 – 9R d. A. 14 Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, S. 249 – 257.
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Die Weimarer Zeit (1919 – 1932)
Marie Munks Antrag vom 30. Januar 1920, sie zum Referendar zu ernennen, wurde mit Hinweis auf die in der Verfügung vom 5. Mai 1919 enthaltene Bestimmung, „daß eine Ernennung weiblicher Personen zum Referendar nicht“ stattgegeben werden kann, abgelehnt.15 Munks Erinnerung nach vom April 192016 an, ausweislich des Zeugnisses jedoch vom 29. März 1920 bis zum 31. Dezember 192017, übernahm sie eine Tätigkeit als Dezernentin in der Rechtsabteilung bei der Mineralölgesellschaft- mbH in Berlin. „Ihr oblagen die Beratung der einzelnen Abteilungen“ sowie „die Begutachtung von Streit fällen, die Mitwirkung bei Verträgen und der schriftliche Verkehr mit Zivil- und Strafgerichten sowie Behörden. Ihre Tätigkeit war in der Regel vollkommen selbständig, bei prinzipiellen
Fragen und besonders wichtigen Angelegenheiten erfolgte die Bearbeitung nach Erforschung 18
der Intentionen der Geschäftsleitung.“
Leider endete diese Tätigkeit „infolge der fortgeschrittenen Liquidation“.19 Während dieser Zeit, genau genommen ab dem September 1920, bereitete sich Marie Munk im juristischen Vorbereitungsdienst auf die zweite juristische Staatsprüfung vor.20 Obgleich Marie Munk im Vorbereitungsdienst „umfassende Rechtskenntnisse, grosse Gewandtheit in mündlichem und schriftlichem Ausdruck und ein sehr scharfes juristisches Urteil“21 unter Beweis stellte, darüber hinaus ihre gefertigten Relationen „praktisch brauchbar“22 und die „Ergebnisse“ allesamt „gut begründet“23 15 Schreiben des Kammergerichtspräsidenten an den Reichsjustizminister vom 11. Februar 1920, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 69257, Bl. 3 d. A. 16 Lebenslauf von Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 17 Zeugnis der Mineralölgesellschaft Berlin vom 31. Dezember 1920, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 11. 18 Zeugnis der Mineralölgesellschaft Berlin vom 31. Dezember 1920, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 11. 19 Lebenslauf von Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 20 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3 und Folder 11. 21 Abschrift des Zeugnisses der IV. Kammer für Handelssachen am Landgericht I Berlin vom 9. Dez. 1921, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 10. 22 Abschrift des Zeugnisses der IV. Kammer für Handelssachen am Landgericht I Berlin vom 6. Dez. 1921 und 9. Dezember 1921, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 10. 23 Abschrift des Zeugnisses der IV. Kammer für Handelssachen am Landgericht I Berlin vom 6. Dezember 1921 und 9. Dezember 1921, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection,
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waren, wurde sie mit Rücksicht auf die neueste Verfügung des Reichsjustizministers vom 17. Januar 1921 und § 14 der Prüfungsordnung vom 17. Juni 191324 doch erst am 28. Februar 1921 zum Referendar ernannt.25 Damit aber nicht genug. Mit Schreiben vom 7. März 1921 wurde ihr außerdem mitgeteilt, dass ihre bisherigen beruflichen Tätigkeiten und ihre informatorische Beschäftigung bei Gericht auf die Vorbereitungszeit zum zweiten juristischen Staatsexamen nicht angerechnet würden.26 Schließlich setzte sich das Generalsekretariat der Deutschen Zentrumspartei, vertreten durch H. Katzenberger, mit Schreiben vom 26. März 1921 beim Preußischen Justizminister für Marie Munk ein und forderte, die bisherigen beruf lichen Tätigkeiten anzurechnen.27 Dies geschah mit Schreiben vom 5. April 1921 in vollem Umfange.28 Offensichtlich hatte Marie Munk noch weitere Fürsprecher; unter anderem den Reichsjustizminister, der, nachdem Marie Munk bereits zum Referendar ernannt worden war, über die Reichstagsabgeordnete Marie-Elisabeth Lüders gebeten worden war, sich auch für sie einzusetzen. Für „die erneute Störung“29 entschuldigte sich Munk in einem persönlichen Schreiben an den Preußischen Justizminister am 21. April 1921.30 Gleichwohl musste Marie Munk an die Festsetzung der Anrechnung ihrer bisherigen Tätigkeiten mit Schreiben vom 21. Dezember 1921 erinnern. Sie argumentierte, dass ihre juristischen Tätigkeiten der Tätigkeit der männlichen Referendare an der Front gleichwertig gewesen seien. Folglich sei auch eine Verkürzung des Vorbereitungsdienstes für sie, wie für die rückkehrenden Kriegsteilnehmer, anwendbar. Die Sekundärliteratur verweist für die Zulassung von Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege auf Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 10. 24 Schreiben des Kammergerichtspräsidenten an den Reichsjustizminister vom 17. Februar 1921, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 69257, Bl. 9 – 9R d. A. 25 Urkunde vom 28. Februar 1921, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 12. 26 Schreiben des Reichsjustizministers an den Kammergerichtspräsidenten, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 11 d. A. 27 „Auch scheint die Befürchtung, durch einen günstigen Bescheid einen Präzedenzfall zu schaffen, nach den letzten Bestimmungen nicht zuzutreffen.“ In: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 13 – 13R d. A. 28 Schreiben des Reichsjustizministers, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 14 d. A. 29 Schriftverkehr z wischen dem Preußischen Justizminister und dem Reichsjustizminister vom 9. April und 30. April 1921 sowie Schreiben von Marie Munk vom 21. April 1921, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 15, 16, 17 – 18 d. A. 30 Schreiben an den Preußischen Justizminister vom 21. April 1921, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 17 – 18 d. A.
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den persönlichen Einsatz des damaligen Reichsjustizministers Gustav Radbruch.31 Radbruch habe unter großem Widerstand seines Ressorts die Begründung für ein Gesetz vom 11. Juli 1922 über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege selbst verfasst.32 Widerstand im Ressort hat es zweifelsohne gegeben. Jedoch der zweite (vergleichende) Blick in die Archive eröffnet, dass das am 22. Juli 1922 in Kraft getretene Gesetz 33 fast wortgleich mit der von Margarete Berent verfassten und am 31. Mai 1921 übergebenen Eingabe des Deutschen Juristinnenvereins 34 nebst Gesetzentwurf übereinstimmte. So konnte Marie Munk für ihre Berufssituation bereits im Dezember 1921 in einem Schreiben an das Reichsjustizministerium hervorheben, es sei „durch die neue Gesetzgebung auf Zulassung von Frauen bekundet“, dass „die bisherige veraltet war. Es dürfte daher eine Forderung ausgleichender Gerechtigkeit sein, wenn der Schaden“, den sie „durch jene frühere Gesetzgebung erlitten habe, auf das irgend mög liche Mass herabgemindert“35 würde. Am 22. Dezember 1922 ergänzte sie, dass ihr Fall ein typisches Beispiel für „die Notwendigkeit von Uebergangsbestimmungen oder Uebergangsmassnahmen bei Aenderung der Gesetzgebung“ sei.36 Ihre Sta tionen im Vorbereitungsdienst wurden auch in der Presse wahrgenommen. In der Täglichen Rundschau vom 10. und 16. März 1922 wurde ihr ein Gedicht gewidmet, das sie in der Rolle eines unerbittlichen Staatsanwalts beschrieb.37 Der Direktor der Märkischen Elektrizitätswerke AG schickte ihr ein paar poetische Verse mit den Worten: „[F]alls Sie noch nicht wissen, was für eine Berühmtheit Sie geworden sind“.38 31 Roswita Eggert, Rechtsanwältinnen im Bezirk der Rechtsanwaltskammer Frankfurt a. M., in: Rechtsanwaltskammer Frankfurt a. M. (Hg.), Rechtsanwälte und ihre Selbstverwaltung 1878 – 1998, Frankfurt a. M. 2006, S. 132 – 170, S. 139. 32 Reglindis Böhm, Der Kampf um die Zulassung der Frauen als Rechtsanwältinnen und zum Richteramt, in: Deutsche Richterzeitung 64/1986, Heft 10, S. 365 – 374, S. 368. 33 Verhandlungen des Reichstags. I. Wahlperiode 1920, Band 372. Anlagen zu den Stenographischen Berichten. Nr. 3760 bis 4192, Berlin 1924, Nr. 4175, S. 4507 – 4509; RGBl. 1922, Teil I, Nr. 51, S. 573 – 574. 34 Margarete Berent Collection, AR 2861, 2862 MF 592, Leo Baeck Institute at the Center for Jewish History, New York. 35 Schreiben von Marie Munk an den Reichsjustizminister vom 21. Dezember 1921, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 19 – 21R d. A. 36 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 22 – 23R, 22R d. A. 37 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 2. 38 Schreiben von M. Ebbecke, Direktor der Märkischen Elektrizitätswerke vom 31. März 1922, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2.
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Ihre Station beim Anwaltsbüro Schweitzer in Berlin ließ sie auch in die Rolle des Strafverteidigers schlüpfen. Deshalb folgte am 16. Mai 1922 ein Artikel über das „Fräulein Verteidiger“39. Gar aus Philadelphia erreichte Munk ein Brief von der Zeitschrift „The Public Ledger“. Man teilte ihr am 31. Mai 1922 mit: „Anbei erlaube ich mir, Ihnen meinen Bericht ueber Ihre erste Verteidigung, die wohl die erste eines weiblichen Verteidigers in Deutschland war, zu uebersenden. Von der ‚Einrahmung‘ werden Sie ersehen, dass er in Amerika besonderes Interesse erregt hat.“40 Am 7. Januar 192441 legte Marie Munk die zweite Staatsprüfung mit „vollbefriedigend“ ab und wurde am 15. Januar 1924 zur Gerichtsassessorin am Kammergericht Berlin ernannt.42 Ihr Vater würdigte d ieses Ereignis an seinem 80. Geburtstag mit den Worten: „Das Jahrzehnt des Mißvergnügens scheint zu Ende zu sein. Schon ist in unserm Hause die Morgenröte neuen Glücks aufgegangen, in der ersten preus sischen Gerichtsassessorin. Ich nehme das als ein Zeichen, dass der allgemeine Aufstieg nahe ist, dass die Rentenbank wieder Rente, die Goldnotenbank wieder Gold in das Land und zu uns allen bringen werde.“43 Die Zeitschrift „Vorwärts“ fragte anlässlich dieses Ereignisses: „Ob aber am Ende nicht auch auf dieser ihrer Bahn schon die Forderung des Eheverzichts listig lauert oder die Drohung des Beamtenabbaus?“44 Doch als erste weibliche Ausnahme in der Jurisprudenz Preußens hatte sie vorübergehend Glück. Mit Verfügung vom 15. Januar 1924 wurde Marie Munk ab dem 16. Januar 1924 dem Justizministerium zugewiesen.45 Nach kurzer Zeit holte die desolate Volkswirtschaft aber auch sie ein: “The ‘Assessor’ who remained in civil service, had to serve another position in a remote-place – the length depended on his record and whether he wanted to accept a period of probation before he could expect to be appointed to a judgeship position. […] When I passed the Bar, I could not expect to be appointed in this manner because the government tried to cut 39 Zeitungsausschnitt aus der Berliner Morgenpost vom 16. Mai 1922, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 40 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2 oder Box 1 Folder 2. 41 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. I d. A. 42 Schreiben des Preußischen Justizministers vom 15. Januar 1924 und Patent, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 12. 43 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 5. 44 Die erste Gerichtsassessorin, in: Vorwärts, Januar 1924, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3514. 45 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257 Bl. II und 27 – 27R d. A.
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down expenditures as far as possible”46, erinnerte sich Munk. Ihre Arbeit im preu ßischen Justizministerium endete zum 31. März 1924.47 Nach ihren autobiografischen Erinnerungen habe sie erst Mitte des Jahres 1924 wegen der desolaten Haushaltslage Preußens ihre Entlassung erwarten müssen. Zuvor habe sie auf Anraten des damaligen Staatssekretärs Fritzsche 48 den Anwaltsberuf erwählt und gekündigt.49 Aus ihrer Personalakte beim Reichsjustizministerium geht jedoch hervor, dass sie mit Schreiben vom 4. April 1924 einen Antrag auf Entlassung aus dem Staatsdienst gestellt hatte, verbunden mit der Möglichkeit auf Wiedereinstellung.50 Aus einer handschriftlichen Randnotiz in den Akten kann entnommen werden, dass Marie Munk auch einen Antrag auf Zulassung zur Anwaltschaft gestellt hatte.51 Nach dienstinternen Beratungen im Ministerium wurde deshalb eine Zusage auf Wiedereinstellung nicht befürwortet und auch nicht abgegeben.52 Deshalb erfolgte ihre Entlassung einen Monat später, zum 30. April 1924.53 Bis zu diesem Zeitpunkt aber waren auf der Grundlage der Demobilmachungsverordnung ungeachtet reichsgerichtlicher Rechtsprechung 54 Verordnungen auf Grundlage von Ermächtigungsgesetzen erlassen worden, deren Inhalt dem Reichstag und dem Reichsrat lediglich zur Kenntnis zu bringen waren. Diese Rechtslage beinhaltete einschneidende Folgen für die Arbeitsverträge von Juristinnen. Im Reichs-, Landes- und Kommunaldienst wurden mit Art. 14 der Personal-Abbau-Verordnung 55 46 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel X The Final Road to the Bar, S. 4 – 11, erste S. 4. 47 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257 Bl. II und 27 – 27R d. A. 48 Eidesstattliche Versicherung Marie Munks vom 13. März 1957 im Entschädigungsverfahren, in: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60798, Bl. E 68. 49 “Before I decided to leave civil service, I talked about my future with the Secretary of State in the Department of Justice (Staatssekretär). He told me: ‘You have a better chance to be appointed to a judgeship position if you prove yourself in private legal practice.’” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel X The Final Road to the Bar, S. 4 – 11, S. 11. 50 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 28 – 28R d. A. 51 Ebd., Bl. 28 d. A. 52 Ebd., Bl. 29 – 30 d. A. 53 Ebd., Bl. 30 d. A. 54 RGZE, 99. Band 1920, Nr. 78 vom 8. Juli 1920, S. 261 – 263; RGZE, 102. Band 1921, Nr. 39 vom 10. Mai 1921, S. 145 – 151; RGZE, 106. Band 1923, Nr. 40 vom 5. Jan. 1923, S. 154 – 157. 55 Art. 14 lautete: „Das Dienstverhältnis verheirateter weiblicher Beamter und Lehrer im Dienste des Reichs, der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) kann jederzeit am 1. Werktag eines Monats zum Monatsende gekündigt werden, sofern nach dem Ermessen der zuständigen Behörde die wirtschaftliche Versorgung des weiblichen Beamten gesichert erscheint. Dies gilt auch bei lebenslänglicher Anstellung. Entgegenstehende längere vereinbarte oder
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in der Zeit von Oktober 1923 bis Anfang 192556 13,9 Prozent aller Reichsbeamten, davon 20 Prozent Frauen, 45,1 Prozent der Angestellten, davon 30 Prozent Frauen, und 24,7 Prozent der Arbeiter entlassen.57 Diese prozentuale Verteilung der entlassenen Berufsgruppen war durch die Verordnung und haushaltsrechtliche Wiederbesetzungssperren für Planstellen vorgegeben.58 Der hohe Anteil der Entlassungen im Angestelltenbereich und damit der höchste Frauenanteil unter den aus dem öffentlichen Dienst entlassenen Berufsgruppen wurde durch Art. 15 der Personal- Abbau-Verordnung vom 30. Oktober 1923 festgelegt: „Angestellte sind zu entlassen.“59 Für diese diskriminierenden Vorschriften hätte ein parlamentarisches Aufhebungsverfahren nur der Reichstag nach zwei Lesungen überhaupt erst in Gang setzen können.60 Zugleich kam es unter den noch im öffentlichen Dienst verbliebenen Beschäftigten zu einer Lohnkürzung von 50 Prozent 61, die auch gemäß Art. 10 und 11 der Verordnung für Versorgungsbezüge und in einer Änderung des Besoldungsrechts umgesetzt wurde.62 Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnungen aber hatte die Zahl der Familienernährer seit dem E rsten Weltkrieg bereits abgenommen. Durch diese arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nahm ihre Zahl weiterhin ab.63 Zum Zeitpunkt des Einstiegs in dieses volkswirtschaftliche
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gesetzliche Kündigungsfristen treten außer Kraft; bestehende kürzere Kündigungsfristen bleiben wirksam. Abs. 1 und 2 finden auf verheiratete weibliche Beamte und Lehrer im einstweiligen Ruhestand sinngemäß Anwendung.“ In: Verordnung zur Herabminderung der Personalausgaben des Reichs (Personal-Abbau-Verordnung) vom 27. Oktober 1923, RGBl. Teil 1, Nr. 108, S. 999 – 1010, S. 1008. Verordnung zur Herabminderung der Personalausgaben des Reichs (Personal-Abbau- Verordnung) vom 27. Oktober 1923, RGBl. Teil 1, Nr. 108, S. 999 – 1010 aufgrund des Ermächtigungsgesetzes vom 13. Oktober 1923, RGBl. I, S. 943; Verordnung über die Änderung der Personal-Abbau-Verordnung vom 28. Januar 1924, RGBl. I, Nr. 6, S. 39 – 40 aufgrund des Ermächtigungsgesetzes vom 8. Dezember 1923, RGBl. I, S. 1179. Silke Neunsinger, Die Arbeit der Frauen – die Krise der Männer, S. 55. Art. 8 der Verordnung zur Herabminderung der Personalausgaben des Reichs (Personal- Abbau-Verordnung) vom 27. Oktober 1923, RGBl. Teil 1, Nr. 108, S. 999 – 1010, S. 1002 – 1003. Art. 15 § 1 Absatz (a) Satz 1 der Verordnung zur Herabminderung der Personalausgaben des Reichs (Personal-Abbau-Verordnung) vom 27. Oktober 1923, RGBl. Teil 1, Nr. 108, S. 999 – 1010, S. 1006. Vgl. zum Beispiel § 1 des Ermächtigungsgesetzes vom 8. Dezember 1923 zur Verordnung über die Änderung der Personal-Abbau-Verordnung vom 28. Januar 1924, RGBl. I. Nr. 126, S. 1179. Silke Neunsinger, Die Arbeit der Frauen – die Krise der Männer, S. 55. Art. 10 und 11 der Verordnung zur Herabminderung der Personalausgaben des Reichs (Personal- Abbau-Verordnung) vom 27. Oktober 1923, RGBl. Teil 1, Nr. 108, S. 999 – 1010, S. 1003 – 1005. Der Anteil der unter 15-jährigen ging in Deutschland z wischen den Jahren 1890 und 1939 um ca. 12 Prozent zurück. Zugleich stieg der Anteil der über 64-jährigen an. Diese Veränderung wies auf weniger potenzielle Ernährer im erwerbsfähigen Alter und auf eine vermehrte Zahl
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esaster war der Anwaltsberuf bereits überfüllt – es dürfte auch Marie Munk D bewusst gewesen sein, dass sie nicht mit offenen Armen empfangen werden würde. In der ohnehin überfüllten Anwaltschaft kam es aufgrund der wirtschaftlichen Depression zu einer wirtschaftlichen Notlage, weil die Prozesse an den Oberlandesgerichten rückläufig waren, die Streitwerte sanken und die Armenrechtsbewilligungen nahmen zu. Die Zuständigkeit der Amtsgerichte war wegen der Wirtschaftskrise um das doppelte ausgeweitet worden.64 Die wirtschaftliche Bedrängnis der Anwälte wurde noch um ein Vielfaches gesteigert. Der Anwalt war zur damaligen Zeit von den Rechtsvertretungen in der Arbeitsgerichtsbarkeit und Zwangsvollstreckung ausgeschlossen. Die Anwaltsgebühren waren herabgesetzt und die Konkurrenz durch Rechtskonsulenten verschärft worden.65 Paul Mühsam, ein Anwalt aus Görlitz und Weggefährte Marie Raschkes, konstatierte: „Die Anwälte und noch manche andere Schichten der Bevölkerung haben den zehnten Teil
des Vorkriegseinkommens, müssen aber alle Lebensmittel um das Doppelte der damali-
gen Preise bezahlen. Andere Anschaffungen zu machen, ist dadurch zur Unmöglichkeit geworden.“
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Gleichwohl war die Anwaltszulassung für Marie Munk ein weiblicher Triumph.
wirtschaftlich abhängiger Personen hin. In: Silke Neunsinger, Die Arbeit der Frauen – die Krise der Männer, S. 113. 64 Nach der Reichsstatistik war ein Rückgang der Prozesse vor den Oberlandesgerichten in Höhe von 20 – 40 % zu verzeichnen. Zugleich stiegen die Zulassungen in der Anwaltschaft in den Jahren 1924 bis 1932 um 44 %. Kamen im Jahre 1926 auf einen Anwalt 10.000 Einwohner, so belief sich die Anzahl im Jahre 1932 nur noch auf 3480 Einwohner. In den Großstädten gar, wie zum Beispiel in Berlin, kam auf 1200 Einwohner und in München auf 800 Einwohner ein Anwalt. Hatten im Jahre 1928 nur 7 % der Anwälte ein Jahreseinkommen von unter 3000 RM, so waren es im Jahre 1931 mehr als 30 %, in manchen Städten gar 60 %, in: Deutscher Anwaltverein (Hg.), Rechtsanwalt Dr. Freiherr von Hodenberg, Celle, Lage und Schicksal der deutschen Anwaltschaft. Bericht, erstattet der 29. Abgeordneten-Versammlung des Deutschen Anwaltvereins in Berlin am 4. Dezember 1932, Dezember 1932, Beilage zu Heft 51/52 der Juristischen Wochenschrift, S. 1 – 16, S. 2, 4 – 5. 65 Ebd., S. 3, 4, 8, 11; für Hamburg beispielsweise: Brunhilde Haack, Die Anwaltschaft in Hamburg während der Weimarer Republik, S. 27 – 41. 66 Tagebucheintrag des Rechtsanwalts Paul Mühsam vom 15. November 1923, in: Paul Mühsam, Mein Weg zu mir, S. 102.
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Berufliche Profilierung
2. Anwaltliche Tätigkeit (Mai 1924–April 1929) Der Mitgliedsausweis der Anwaltskammer im Nachlass Marie Munks 67 ist Ausdruck ihres Berufsstolzes. Ebenso belegt dies ein von ihr aus Anlass des 60. Geburtstags von Otto Liebmann in der Sonderausgabe „Jus und Jux“ der Deutschen Juristen-Zeitung veröffentlichtes Gedicht.68 Am 23. Mai 1924 trug der Justizbeamte sie in die Liste der beim Amtsgericht Berlin-Mitte zugelassenen Rechtsanwälte ein. Für die Landgerichte I, II und III erfolgte Munks Eintragung am 2. Juni 1924 und 9. August 1924.69 Ihre Kanzlei eröffnete sie im April 1924 allein: „I did not want to enter a partnership because it has many pitfalls, just as marriage.“70 Marie Munk bevorzugte nicht nur privat, sondern auch beruflich den Alleingang, während sich ihr Bekanntheitsgrad steigerte. In den Monaten Mai bis Juni 1924 berichtete die Presse vom ersten weiblichen Rechtsanwalt.71 Derweil legte Marie Munk eine Karte mit ihrer Adresse und einem Foto in den Gerichten aus: „Euer Hochwohlgeboren, zeige ich mit der Bitte um freundliche Inanspruchnahme im
Bedarfsfalle und um Empfehlung in Bekanntenkreisen ergebenst an, daß ich mich in Berlin als erster weiblicher Rechtsanwalt niedergelassen habe und bei den Groß-Berliner
Landgerichten zugelassen bin. SPEZIALGEBIET: Neben allgemeinen, insbesondere auch
kaufmännischen u. gewerblichen Rechtsangelegenheiten: Familien- u. Erbrecht (Ehe- u.
Vormundschaftssachen); Internationales Recht, Jugendgerichtssachen u. Strafsachen weib licher Angeklagter.“
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67 Ausweis Nr. 263 vom 7. November 1927, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 12. 68 Deutsche Juristen-Zeitung, Sonderausgabe: JUS und JUX vom 24. April 1925, S. 41.. 69 Verfügung des Kammergerichtspräsidenten vom 23. Mai 1924, 14. Mai 1924 und 9. August 1924, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 10 sowie Mitteilung des Präsidenten des Landgerichts I vom 3. Juni 1924, in Box 1 Folder 12. 70 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel X The Final Road to the Bar, S. 12; Kapitel XI. Experiences as an Attorney at Law, S. 1. Hervorhebung nicht im Original. 71 Zeitungsausschnitt des 8 Uhr-Abendblatts vom 3. Juni 1924, vom Illustrierten Blatt vom 10. Juni 1924 und vom 28. Mai 1924 in der Berliner Morgenpost, vom 27. Juni 1924 in der Berliner Morgen-Zeitung sowie der Vossischen Zeitung vom 28. Mai 1924 und der Berliner Allgemeinen Zeitung vom 28. Mai 1924, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 72 Werbekarte, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2.
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Die Weimarer Zeit (1919 – 1932)
Daraufhin wurde sie vom Vorstand der Anwaltskammer in einem an ihre Kanzlei in der Friedrichstraße 71 gerichteten Schreiben im August 1924 aufgefordert, zukünftig ein werbendes Verhalten zu unterlassen. Es würde den „im Bezirk herrschenden Sitten widersprechen“. Man wies Munk an: „Sie wollen in Zukunft vermeiden, durch Mitteilung des Tages und Ortes Ihres Auftretens
derartige Zeitungsberichte zu fördern, da hierdurch der Anschein erweckt werden kann, als 73
sollte für Ihre Person Reklame gemacht werden.“ Es sei „unzulässig“, noch „dazu in der
reklamehaften Aufmachung, wie es geschehen ist, Spezialgebiete zu bezeichnen. Es widerspricht
den im Anwaltsstande herrschenden Sitten, dass der Anwalt sich überhaupt als Spezialist
auf gewissem Gebiete ausgibt. Keinesfalls aber kann es zulässig erscheinen, Berufszweige, die
jedem Anwalt geläufig sind, wie kaufmännische und gewerbliche Sachen, Familien-, Erbrecht 74
und Strafsachen als Spezialgebiet anzukündigen.“
Das hinderte nicht Marie Munks Renommee. Engagierte Mitglieder des Reichswirtschaftsrats widmeten ihr Gedichte aus Freude über ihren weiblichen Erfolg.75 Obgleich Marie Munk in ihrem ersten freiberuflichen Jahr kritische wie auch positive Resonanz erhielt, wirkten sich diese Bewertungen nicht auf ihre anwaltliche Tätigkeit aus. Den Grund meinte sie, trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten, im Wandel geschlechtlicher A nschauungen in der Anwaltschaft zu erkennen: “During my private practice, I never had any disagreeable encounter with any of my male colleagues. The legal profession was evidently ready to accept women as their equals.”76 Gleichwohl konnte auch Marie Munk von wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht verschont bleiben. Das zeigte der häufige Wechsel des Sitzes ihrer Kanzlei. Sie befand sich in den Jahren 1928 bis 1930 in der Motzstraße 22, „direkt neben der Bundesgeschäftsstelle“ des Bundes
73 Schreiben des Vorstands der Anwaltskammer, ohne Datum, Geschäftszeichen: I. P. 667/24/192, Stempel des Briefumschlages 19. 8. 1924, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 10. Ein Bild der Postkarte befand sich in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 74 Schreiben des Vorstands der Anwaltskammer, ohne Datum, Geschäftszeichen: I. P. 667/24/192, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 10. Ein Bild der Postkarte befand sich in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 75 Schreiben von Margarete Marcus vom 4. November 1924, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 76 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XI Experiences as an Attorney at Law, S. 7.
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deutscher Frauenvereine 77, nachdem sie zuvor eigene Räumlichkeiten in der Kronen straße 56 gehabt hatte.78 Munk arbeitete für mittellose Kläger oder Beklagte als gerichtlich bezahlter Pflichtanwalt für Familienrecht, insbesondere im Scheidungs-, Sorge- und Adop tionsrecht. Sie vertrat die Interessen nichtverheirateter Eltern, die – als leibliche Mutter oder als leiblicher Vater – das volle elterliche Sorgerecht erhalten wollten.79 Gerade diese Mandanten bevorzugten die Beratung durch weibliche Anwälte, wenn weibliche Tugenden gefragt waren.80 Doch gänzlich zufrieden schien sie der Anwaltsberuf offensichtlich nicht zu machen: “I could not overcome my desire to be a judge.”81 Das hatte auch ihre Umgebung bemerkt. Bereits am 4. November 1924 widmete ihr Margarete Marcus ein Gedicht, das Marie Munk bereits im Richteramte begrüßte.82 Doch die männliche Jurisprudenz befürchtete, dass ihre gesetzgeberische Vormacht durch die Praxis weiblicher Judikatur nachhaltig verändert würde. Als ginge es um den „Non sunt judicandae leges“-Grundsatz, verteidigten sie den Richterberuf als eine der wichtigsten männlichen Berufsdomänen. Das zeigten die Ereignisse um einen Zeitungsartikel Marie Munks. In der Zeitschrift „Tages-Fragen“ erschien am 10. März 1927 ein Artikel mit dem Titel „Ist die Frau für den Richterberuf befähigt?“83. Munk machte in diesem Beitrag deutlich, dass zwischen der gesetzlichen Zulassung der Frau zu allen juristischen Berufen und der Zulassung in der Praxis ein großer Schritt lag. Nicht nur, weil den meisten Frauen das juristische Studium zu trocken erscheinen würde, weshalb nur diejenigen übrig blieben, die „hierfür im allgemeinen vermutlich eine besondere Eignung besitzen“84 würden. Auch deshalb, weil von männlicher Seite Frauen im Richteramt immer noch zurückhaltend begegnet würde. Dies stellte die Reaktion Hachenburgs auf Munks Aufsatz unter Beweis: „Interessant sind ihre Ausführungen nicht nur, weil sie von einer Frau dargelegt sind. Frl. Dr. Munk verfügt auch über praktische 77 Das geht aus einer Lebenserinnerung von Käthe Lindenau hervor, in: dies., Der Krieg ist ein großer Lehrmeister, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 10. 78 Branchentelefonbuch der Stadt Berlin der Jahre 1928 und 1929, in: Online-Ressource des LAB. 79 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XI Experiences as an Attorney at Law, S. 4 – 6. 80 Ebd., S. 2 – 4. 81 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 1. 82 Schreiben von Margarete Marcus vom 4. November 1924 an Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 83 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 2. 84 Ebd.
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Erfahrungen über die Eigenart der Frau für die Berufe, in denen sie noch nicht tatsächlich gearbeitet hat.“85 Darüber hinaus gab Hachenburg Munks Quelle nicht preis, sodass sich der kri tische oder geneigte Leser nur mit einigen Mühen eine objektive Auseinandersetzung mit diesem Disput eröffnen konnte. Übrig blieb Hachenburgs süffisante Einstellung gegenüber dem Berufsbild Richterin. Eine in der Jurisprudenz weitverbreitete Meinung, sodass Marie Munk in ihrem weiteren beruflichen Weg außergewöhnlich unterstützt werden musste.
3. Bewerbung in die Richterschaft Im Oktober 1928, vier Jahre nach der Anwaltszulassung Munks, berichtete das Preußische Justizministerium dem Reichsjustizministerium von einem Wiedereinstellungsgesuch Marie Munks in den Staatsdienst.86 Einen Monat später setzte sich der Kammergerichtspräsident Eduard Tigges für Marie Munk in einem Schreiben vom 24. November 1928 beim Preußischen Justizminister ein. Zu diesem Zeitpunkt beteiligte er sich nicht nur an der Reform der Justizverwaltung.87 Vielmehr war er zum damaligen Zeitpunkt bereits ein bedeutender Befürworter einer Reform des Ehe- und Güterrechts. Eduard Tigges’ rechtspolitische Bedeutung resultierte aus seiner Beziehung zum Staatssekretär im Reichsjustizministerium, Dr. Curt Joel. Dieser hatte nicht nur mit Tigges in der Justizverwaltungsreform zielführend zusammen gearbeitet, sondern Joel hatte Tigges als Favorit für das Amt des Staatssekretärs auserwählt, für den Fall, dass er einmal Justizminister werden würde.88 Um so mehr konnte das Befürwortungsschreiben Tigges’ an den Preußischen Justizminister aus dem Jahre 1928 Einfluß haben. Darüber hinaus war es Ausdruck Tigges‘ fachlicher Verehrung für Marie Munk In seinem persönlichen Engagement versuchte Tigges das ministerielle Argument, die Anwaltstätigkeit von Marie Munk sei nicht allzu umfänglich gewesen, zu entkräften.89 Tigges räumte ein, dass Marie Munk sich vorwiegend als Lehrerin und 85 Max Hachenburg, Juristische Rundschau, in: Deutsche Juristenzeitung, 32/ 1927, Heft 24, S. 1668 – 1672, S. 1669. Hervorhebung nicht im Original. 86 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 36 – 36R d. A. 87 Eduard Tigges, Die Reform im Kammergerichtsbezirk, in: Preußisches Justizministerium (Hg.), Reformen in der Preußischen Justizverwaltung, Berlin 1928, S. 42 – 51. 88 Klaus-Detlev Godau-Schüttke, Rechtsverwalter des Reiches – Staatssekretär Dr. Curt Joel, Frankfurt a. M. 1981, S. 151 – 152. 89 Schreiben des Kammergerichtspräsidenten vom 24. November 1928, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 37 – 38R d. A.
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als Schriftstellerin betätigt habe, aber „dass sie erst nach mehrjähriger Tätigkeit als Rechtsanwalt ihre Wiederaufnahme beantragt, braucht dem Gesuche nicht entgegen zu stehen, weil bei ihr die Verhältnisse anders zu werten sein dürften als bei männlichen Rechtsanwälten“90. In diesem Schreiben wurden Tigges’ Schlussworte „Ich befürworte daher ihr Gesuch“ handschriftlich gestrichen und maschinenschrift lich ersetzt durch die Worte „Ihre Wiederaufnahme ist daher erwünscht“91. Doch stimmte das Finanzministerium der Wiedereinstellung zunächst nicht zu. Eine Wiedereinstellung träfe nur auf ganz besondere Ausnahmefälle zu und sei nur bei solchen Anwälten vertretbar, „die nur kurze Zeit als Anwälte tätig gewesen“ wären. Das Preußische Finanzministerium befürchtete, es könnten sich weitere Bewerber auf die Einstellung Munks berufen 92 und eine Wiedereinstellung unter allen Umständen einfordern. Hiergegen wandte sich ein handschriftlicher Vermerk des Preußischen Justizministeriums: „[I]n Übereinstimmung mit dem Kammergerichts präsidenten“ ließe sich „noch in keiner Weise übersehen, wie sich die Aussichten im Anwaltsberuf für eine Frau gestalten würden. Insofern liegen die Verhältnisse bei ihr wesentlich anders, als bei männlichen Rechtsanwälten.“93 Es erfolgte der Hinweis, dass Marie Munk „überhaupt die erste Frau“ gewesen sei, „die das Assessor examen bestanden habe“ und deshalb für das Justizministerium nur ein Gewinn sein könne.94 Schließlich stimmte das Preußische Finanzministerium am 4. Februar 1929 der Wiedereinstellung von Marie Munk zu.95 Allerdings konnte diese erst erfolgen, als Marie Munk aus der Anwaltsliste gelöscht war.96 Am 23., 25. und 30. April wurden die Löschungen aus den Anwaltslisten der zuständigen Landgerichte vorgenommen.97 In diesen Monaten erschien Munks Beitrag über das Berufsbild der „Juristin“ in den von Agnes Zahn-Harnack und Prof. Dunkmann herausgegebenen „Merkblättern zur Berufsberatung“. Munk 90 Ebd., Bl. 37 und 38 d. A. 91 Ebd., Bl. 37R d. A. 92 Schreiben des Preußischen Finanzministeriums vom 17. Januar 1929, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 39 d. A. 93 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 41 – 41R d. A. 94 Schreiben des Preußischen Justizministeriums vom 29. Januar 1929 an das Preußische Finanzministerium, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 40 – 41R d. A. 95 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 42 d. A. 96 Schreiben an Marie Munk vom 7. Februar 1929 vom Preußischen Justizministerium, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 43 – 43R d. A. 97 Handschriftlicher Vermerk, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 44 d. A.
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verdeutlichte ihren Leserinnen: Eine Frau müsse „eine weit über dem Durchschnitt hinausragende Begabung und starke Willens- und Tatkraft besitzen, um sich ihre Stellung zu erobern.“98 Gleichwohl: -bis in die Jetztzeit- männliche Unterstützer braucht sie auch.
4. Richterliche Tätigkeit (ab Mai 1929) Ab dem 1. Mai 1929 war Marie Munk der Zivilprozessabteilung des Amtsgerichtes Berlin-Charlottenburg zugewiesen.99 Am 22. Mai 1929 meldete das Reichsjustizministerium an die Leitung der Ausstellung „Die Frau in Heim und Beruf“ (Berlin) auf Anfrage: „Im preußischen Justizdienst ist gegenwärtig 1 Juristin als Richterin planmäßig angestellt.“100 Es hat sich hierbei jedoch nicht um Marie Munk gehandelt: “My first assignment was to Magistrate or Municipal Court of Berlin-Charlottenburg. My
jurisdiction applied to civil claims of, at that time, not more than 500 Reichsmark (approximately $ 25.00) and to certain types of cases irrespective of the amount of money involved, e. g. landlord and tenant, illegitimacy, breach of promise and a few others. […] Although I had just 101
been reinstated in civil service, I got a so-called ‘commission’
so that I drew a salary. […] I
did not have to wait long for my final appointment. About a year after I had been readmitted
to judicial service, I received my life-long appointment as judge at the Municipal Court and 102
the Superior Court of Berlin-Charlottenburg.”
Diese lebenslängliche Anstellung war keine Selbstverständlichkeit. Ihre Bewerbung für eine Stelle als Landgerichtsrat am Landgericht III in Berlin ging am 14. April 1930 beim Justizministerium ein.103 In dieser Bewerbung berief sie sich auf die 98 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 2. 99 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 47 d. A. 100 GStA PK I. HA. Rep. 84 a, Justizministerium, Akten-Nr. 580, Bl. 168. 101 „Commission“ war das sogenannte Kommissorium. Eine andere Juristin, Erna Proskauer, berichtete in ihren Erinnerungen „Wege und Umwege. Erinnerungen einer Berliner Rechtsanwältin“, Frankfurt a. M. 1996, S. 41: „Das hatte die Bedeutung einer Rechtspflegetätigkeit mit einem Gehalt, das etwa dem einer Anwaltssekretärin entsprach.“ 1 02 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 1 und 5. 103 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 46 – 47R d. A.
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Zusage des Staatssekretärs Fritzsche, der ihr im Jahre 1924 mitgeteilt hatte, dass eine anwaltliche Tätigkeit förderlich sei für die Wiederaufnahme in den Justizdienst.104 Ein Personal- und Befähigungsnachweis wurde am 5. Mai 1930 vom Kammergerichtspräsidenten Eduard Tigges erteilt. Anschließend erfolgten mehrere mündliche Rücksprachen zwischen dem Reichsjustizminister a. D. Eugen Schiffer und dem Ministerialdirektor Hartwig. Diese belegten zum einen, dass Schiffer von Hartwig darüber informiert worden war, dass Marie Munk „bei Bewährung nach etwa 3 Monaten zur ständigen Hilfsarbeiterin ernannt“ worden wäre. Zum anderen hatte Marie Munk die dreimonatige Bewährung in ihrer einjährigen Kommission bereits erfolgreich durchlaufen, weshalb befürchtet wurde, dass Marie Munk, in Kenntnis der Auskunft von Hartwig, sich auf diese berufen könne.105 In der Sache Munk wuchs der rechtliche und politische Druck, als sich der amtierende Staatssekretär nach dem Stand der Dinge erkundigte.106 Als Eugen Schiffer am 9. August 1930 schriftlich mitgeteilt wurde, Marie Munk sei bereits zur Landgerichtsrätin ernannt worden, stand die Ernennung Munks jedoch erst kurz bevor.107 Am 11. August 1930 wurde Marie Munk zur Landgerichtsrätin und zugleich zur Amtsgerichtsrätin in Berlin mit Wirkung zum 1. Oktober 1930 ernannt.108 Doch die ersten Monate Munks richterlicher Tätigkeit waren den Befähigungs-, Leistungs- und Führungsbeurteilungen des Präsidenten des Landgerichts III, Kirschstein, nach zu urteilen nicht leicht: „Befähigt, kenntnisreich, ausgeprägtes Berufsinteresse und Pflichteifer, aber Leistungen recht
ungleich, manchmal gut, öfters auch unsorgfältig; sie ist etwas doktrinär und unpraktisch.
Während ihrer Tätigkeit als Prozeßrichter am Amtsgericht Charlottenburg war die große
Zahl der Beschwerden der Anwälte, die z. T. begründet waren, auffallend. Führung ohne Tadel; 109
sehr selbstbewußt. Gesund.“
Nur von den Nachteilen, die einst die Richterschaft durch weibliche Richter für die Jurisprudenz befürchtete, spürte Marie Munk in ihrer neuen praktischen Tätigkeit nichts: “The public accepted my new responsibility surprisingly well. Neither parties 104 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 47 d. A. 105 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 49 d. A. 106 Ebd., Bl. 52 d. A. 107 Ebd., Bl. 53. d. A. 108 Urkunde vom 11. August 1930, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 12. 109 Beurteilung vom 30. Oktober 1930, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personal akte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. IV d. A.
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nor witnesses made any difficulties. I presume that the velvet-trimmed black robe which I was wearing helped me a great deal.”110 Marie Munk berichtete in der Deutschen Richterzeitung, wie sie sich in ihrer richterlichen Tätigkeit für übervorteilte Frauen einsetzte.111 Durch eine schlecht lesbare und für den Laien unverständliche vertragliche Nebenabrede zum Gerichtsstand verfolgten Frauen ihre Rechte vor einem unzuständigen Gericht. Sie erschienen vor ihrem wohnortansässigen Gericht und nicht vor dem, das sich im Bezirk des Wohnsitzes des Klägers befand. Mit der Folge, dass in den meisten Fällen auf Antrag des Klägers ein Versäumnisurteil erging und diese Frauen als Beklagte nicht nur die Ansprüche zu erfüllen, sondern auch alle Kosten des Verfahrens zu tragen hatten. Der eigentliche Grund für die Gerichtsstandnebenabrede war jedoch, dass sich der Verkäufer der Sachmängelhaftung entziehen wollte. Ohne auf die berechtigten Forderungen des Käufers einzugehen, erhob der Verkäufer regelmäßig Klage auf Zahlung. Marie Munk änderte daraufhin ihre Verfahrensführung. Sie meldete derartige Fälle der Verbraucherberatung und bat um eine Auskunft, wenn sie eine gewerbsmäßig unlautere Geschäftspraxis vermutete, um in der Zwischenzeit den Beklagten Prozesskostenhilfe und einen Pflichtanwalt anzubieten. In den meisten Fällen zog dann der Kläger seine Klage auf Zahlung zurück.112 Diese Erfahrungen machte sie zum Thema eines Aufsatzes.113 Diese Verfahren sind ein gutes Beispiel dafür, warum Marie Munk die richterliche Tätigkeit in einer Zivilkammer gegenüber einer Tätigkeit in der Strafkammer immer vorzog. Welche Fragen hätten Munk als Strafrichterin belastet? “Was the defendant really guilty? Even if he was, was my sentence perhaps too severe? Should I have allowed probation? What would happen to the defendant and his family while he s erved his sentence and how would he get along afterwards? The responsibility of being a judge did 114
not weigh as heavily on me in the civil court.”
110 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 6. 111 Marie Munk, Schwindelfirmen und Versäumnisverfahren, in: Deutsche Richterzeitung, 22/1930, Heft 1, S. 21 – 22. 112 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 3 – 4. 113 Marie Munk, Schwindelfirmen und Versäumnisverfahren, in: Deutsche Richterzeitung, 22/1930, Heft 1, S. 21 – 22. 114 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 5a.
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Marie Munk musste allerdings die konservativen Einstellungen der Richterschaft über die Gleichbehandlung der Ehefrau in ihrer Zivilkammer hinnehmen. Ganz besonders stark erlebte Marie Munk dies in der Urteilsfindung über das Recht der Ehefrau, frei über das Haushaltsgeld zu verfügen, geschweige denn Ersparnisse zu bilden: “This approach was contrary to the proposals which had been made for a long time by those of us who advocated more equal rights for women in marital relationships.”115 Munk offenbarte die schwierigen Momente ihrer richterlichen Tätigkeit viele Jahre später einer Freundin. Es ist eine Botschaft an nachfolgende Generationen junger Juristinnen: „Ich habe in meiner richterlichen Taetigkeit manchmal Urteilsbegruendungen machen
muessen fuer Urteile, die nicht meiner Auffassung entsprachen. Das ist schwierig und auch aufregend. Du wirst in Deiner Stelle ausharren muessen, um Deine Pensionsansprueche
nicht zu gefaehrden.“
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Doch Munks erste praktische Richtertätigkeit währte von ihrem Beginn an zunächst nicht allzu lang. Bereits im ersten Vierteljahr kam es zu einer längeren Erkrankung.117 Für die dann nachfolgende Zeit ließen sich weitere Informationen aus der Personalakte Marie Munks nicht entnehmen. Für den „Wert der Zusammenarbeit von Frau und Mann in den akademischen Berufen“ gab Marie Munk zu der „Frau als Juristin“ ihren Kolleginnen mit auf den Weg: „Wir Frauen wollen uns den Weg zur Jurisprudenz nicht rauben lassen. Wir behaupten nicht
überheblich, daß Frauen als Anwälte und Richter Besseres erreicht hätten. Wir wollen aber das stärkere Einfühlungsvermögen der Frau, ihre Fähigkeit, sich die psychologischen und
sozialen Konsequenzen ihres Urteils genauer klar zu machen, als ergänzendes Moment in die
Rechtspflege aufnehmen. Das Problem lautet nicht, ob Mann oder Frau bessere Juristen seien, 118
sondern: der tüchtige Mann u n d die tüchtige Frau sollen Juristen werden.“
War Marie Munk eine sogenannte „neue Frau“ der Weimarer Zeit? 115 Ebd., S. 6 – 8. 116 Schreiben von Marie Munk an Carola, 3. Mai 1971, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 19. 117 Schreiben des Kammergerichtspräsidenten Eduard Tigges vom 7. 2. 1931, dass Marie Munk seit dem 7. Januar 1931 im Dienst fehle und bis zum 22. Februar 1931 dienstunfähig sei. In: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 54 d. A. 118 Zeitungsartikel „Die Frau als Juristin“ in der Berliner Zeitung am Mittag vom 13. Januar 1933, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2.
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Die Weimarer Zeit (1919 – 1932)
5. Fazit: Marie Munk als eine der ersten Juristinnen, eine „neue Frau“? Das Bild der sogenannten „Neuen Frau“ in der Weimarer Republik wurde bestimmt durch den Wandel der Kultur dieser Jahre: Avantgarde und Massenkultur.119 Der kulturelle Wandel folgte dem wirtschaftlichen und sozialen Wandel der Nachkriegszeit. Beides griff in das traditionelle Verhältnis „zwischen den Generationen“ und „zwischen den Geschlechtern“ ein.120 Das Bild der Frau in der Weimarer Republik, das sich im Allgemeinen bis in den Beginn des 21. Jahrhunderts an den Stereotypen Bubikopf, kurze Haare, kurze Kleider, tiefe Dekolletés, Charleston und Freikörperkultur 121 orientierte, stimmte nicht vollständig mit der Wirklichkeit überein. Genauer betrachtet bezog die Frau der Weimarer Republik ihr Selbstbild aus ihrer sozialen Herkunft. Gleichwohl dennoch nicht, denn die Massenkultur bot eine Identitätsbildung an, die von der sozialen Herkunft unabhängig machen konnte. Allerdings nur scheinbar: Die Arbeiterin und die weibliche Angestellte arbeiteten hart und kamen nicht in den Genuss des Weimarer Lifestyles: einer weiblichen Avantgarde, der Journalistinnen, der Wissenschaftlerinnen, der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen. Die Arbeiterinnen bezogen ihr Selbstbild bisweilen aus einem weiblichen Fremdbild der Medien. Sie schufen sich ein Image. Mit der Folge, dass rückblickend betrachtet nicht festgemacht werden kann, wer eigentlich die „Neue Frau“ war.122 Die Frage danach WAS – die „neue Frau“ – eigentlich sei, muss individuell/biografisch, kulturell und schichtspezifisch gestellt werden.123 Denn zum einen war die sogenannte „neue Frau“ als Autofahrerin, Pilotin, Sportlerin, Künstlerin, Schriftstellerin und Schauspielerin, verbunden mit den Symbolen für „Freiheit, Ungebundenheit und Luxus“, ein gesellschaftliches Phänomen.124 Nach den Fotos aus dieser Zeit hat Marie Munk diesen Lifestyle nicht gepflegt. Zum anderen stellte sich mit Blick auf Marie Munk und auf ihre biografische Entwicklung in jenen Jahren die Frage nach einer neuen Weiblichkeit und einer 119 Werner Faulstich (Hg.), Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, Einleitung, S. 13 – 18. 120 Jens Flemming, „Neue Frau“? Bilder, Projektionen, Realitäten, in: Werner Faulstich (Hg.), Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S. 55 – 56. 121 Werner Faulstich (Hg.), Die Kultur der zwanziger Jahre, Einleitung, S. 13 – 18, S. 17. 122 Petra Bock, Zwischen den Zeiten – Neue Frauen und die Weimarer Republik, in: Petra Bock und Katja Koblitz (Hg.), Neue Frauen zwischen den Zeiten, Berlin 1995, S. 21 – 25. 123 Vgl. hierzu Ebba Witt-Brattström, The New Woman and the Aesthetic Opening: Unlocking Gender in Twentieth-Century Texts, Södertörn högskola 2004. 124 Petra Bock, Zwischen den Zeiten – Neue Frauen und die Weimarer Republik, in: Petra Bock und Katja Koblitz (Hg.), Neue Frauen zwischen den Zeiten, Berlin 1995, S. 23.
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neuen Sachlichkeit im Sinne Marianne Webers, nämlich einer „Hingabe an die Sache um der Sache willen“.125 Angekündigt hatte diese neue „Kultur“ Art. 109 der Weimarer Reichsverfassung, der den Männern und Frauen „grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte gewährt“126. Doch dieses neue Verfassungsrecht eilte den Realitäten voraus 127, wie der Kampf der Frau um die Zulassung zu den juristischen Staatsprüfungen gezeigt hatte. Marie Munks professioneller Werdegang beweist ihr Leitbild „What is justice?“ in einem doppelten Sinne: in der juristischen Profession und im Kampf um die juristische Profession. Zum einen als Kampf um das Recht für sich selbst; zum anderen als Kampf um das Recht für andere Frauen, mit dem Ziel, dass sie als Anwältin und Richterin zugelassen werden.128 Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage blieb die Zulassung von Frauen in der Jurisprudenz allemal eine „positive Tendenz“129, sogar in Großstädten betrieben nur wenige ihre Zulassung zur Anwaltschaft.130 Es war nicht erst die Machtergreifung Hitlers, die eine weibliche berufliche Jurisprudenz verhinderte 131, sondern die parallel zu dem Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege seit 1922 praktizierten Personalabbauverordnungen. Diese hinderten letztendlich den in Art. 128 WRV verankerten verfassungsrecht lichen Erfolg, gar entgegen reichsgerichtlicher Rechtsprechung. Insofern setzte die diskriminierende verordnungsrechtliche Praxis nicht erst mit der Machtergreifung Hitlers, sondern bereits in den 1920er-Jahren bei den berufstätigen Frauen ein, vornehmlich bei den ersten Juristinnen und Akademikerinnen. Die neue Sach lichkeit, die die ersten Juristinnen und Akademikerinnen herausforderte, verlangte 125 Jens Flemming, „Neue Frau“? Bilder, Projektionen, Realitäten, in: Werner Faulstich (Hg.), Die Kultur der zwanziger Jahre, S. 57 unter Bezug auf Marianne Weber, Die Besonderen Kulturaufgaben der Frau, in: dies., Frauenfragen und Frauengedanken, Tübingen 1919, S. 244. 126 Fritz Stier-Somlo, Artikel 109. Gleichheit vor dem Gesetz, in: Hans Carl Nipperdey (Hg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Kommentar zum zweiten Teil der Reichsverfassung, Erster Band: Allgemeine Bedeutung der Grundrechte und die Artikel 102 – 117, Berlin 1929, S. 158. 127 Jens Flemming, „Neue Frau“? Bilder, Projektionen, Realitäten, in: Werner Faulstich (Hg.), Die Kultur der zwanziger Jahre, S. 63. 128 1. Kapitel, Ziffer III., S. 65 – 67; 2. Kapitel, Ziffer I. Nr. 1. 129 Deutscher Juristinnenbund (Hg.), Juristinnen in Deutschland. Die Zeit von 1900 bis 2003, S. 22 – 23. 130 Roswita Eggert, Rechtsanwältinnen im Bezirk der Rechtsanwaltskammer Frankfurt a. M., in: Rechtsanwaltskammer Frankfurt a. M. (Hg.), Rechtsanwälte und ihre Selbstverwaltung 1878 – 1998, Frakfurt a. M. 2006, S. 140. 131 So könnte aber suggeriert werden in: Ulrike Schultz, The Status of Women Lawyers in Germany, in: dies. und Gisela Shaw (Hg.), Women in the World’s Legal Professions, Oxford 2003, p. 273.
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Die Weimarer Zeit (1919 – 1932)
nach einer neuen Weiblichkeit: einem ganzen Menschen.132 Dieser einer Sache dienende ganze Mensch Marie Munk konnte in einem traditionellen Rollenverständnis nicht verhaftet sein, wie ihre recht frühe Entscheidung zur Ehelosigkeit beweist.133 Das juristische weibliche Handwerk, der Beruf der Juristin, war keine Selbstverständlichkeit, sondern Rechtspolitik.
II. Rechtspolitisches Engagement (1914 – 1933) Nach ihrer Promotion und in den ersten Jahren ihrer juristischen Tätigkeit entschied Marie Munk gemeinsam mit anderen Weggefährtinnen, dass Juristinnen eine eigene Interessenvertretung brauchten. Marie Munk setzte sich zusammen mit Marie Raschke und Margarete Berent über das diskriminierende Vereinsrecht der damaligen Zeit hinweg. Sie gründete die erste berufspolitische Vereinigung, die sich durch den Beitritt in den Bund Deutscher Frauenvereine rechtspolitisch betätigte, den Deutschen Juristinnenverein, einem Vorläufer des Deutschen Juristinnenbundes. Der Beitritt des Vereins in den Bund Deutscher Frauenvereine begründete das rechtspolitische Engagement Marie Munks und der ersten Juristinnen Deutschlands während der Weimarer Zeit. Zugleich macht sich der Deutsche Juristinnenverein die medienprofessionelle Strategie des Bundes deutscher Frauenvereine zu Eigen, was auf die Beachtung der Reformvorstellungen der ersten Juristinnen im Reichstag in der Politik hoffen ließ. Mit der German und der International Federation of Business and Professional Women begründete Marie Munk die ersten Berufsorganisationen für die akademische Frau. Für die damalige Zeit ein Novum, aber ein notwendiger Schritt für eine bessere Stellung der Frau, nicht nur im Berufsleben. Rechtspolitik ist eine Querschnittsaufgabe: „Unter allen socialen, politischen und wirtschaftlichen Fragen giebt es keine, die so tief in das Leben der menschlichen Gesellschaft und deren Beziehungen eingreift, wie die Frauenfrage.“134
1. Der Deutsche Juristinnenverein In den Anwaltsverein wurden während des Ersten Weltkriegs Juristinnen noch nicht aufgenommen, weil sie die Staatsexamina noch nicht ablegen konnten. An eine Mitgliedschaft im Richterbund war aus denselben Gründen überhaupt nicht zu denken. 132 Jens Flemming, „Neue Frau“? Bilder, Projektionen, Realitäten, in: Werner Faulstich (Hg.), Die Kultur der zwanziger Jahre, S. 61. 133 1. Kapitel, Ziffer III. Nr. 2. 134 Irma von Troll-Borostyáni, Das Recht der Frau: Eine sociale Studie, Berlin 1894, S. 1.
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Rechtspolitisches Engagement (1914 – 1933)
“During the war, after I had moved to Berlin, a sufficient number of women had completed
their legal studies, so that it was possible for them to join together in an association of women in the legal profession, in which I became and remained vice-president for many years. This
organization became affiliated with the German Association of University Women and with 135
the German National Council of Women.”
Der Deutsche Juristinnenverein war der Vorläufer des deutschen Juristinnenbundes.136 Die Vereinsunterlagen sollen infolge eines Bombenangriffs im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden sein.137 Mit einigen Lebensbildern 138 endeten die Ausführungen des heutigen Deutschen Juristinnenbundes über seine geschichtliche Entwicklung. Dieser Erkenntnisstand konnte durch die Sekundärliteratur in den Jahren 2011139 und 2012140 ergänzt werden. Der Deutsche Juristinnenverein wurde von Marie Munk, Margarete Berent, Margarete Meseritz und Marie Raschke im Jahr 1914 gegründet.141 Erste Vorsitzende war Margerete Meseritz.142 Ein erster offizieller Hinweis über den Deutschen Juristinnenverein fand sich im Jahrbuch 1917 des Bundes Deutscher Frauenvereine.143 Ein Jahr später vermeldete das Jahrbuch des Bundes 135 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel IX Participation in the Feminist Movement and Inflation, S. 4. 136 Deutscher Juristinnenbund (Hg.), Juristinnen in Deutschland. Die Zeit von 1900 bis 1998, S. 14. Aus der Weimarer Zeit geht ein gemeinsames Vorgehen mit der Vereinigung der Nationalökonominnen Deutschlands in Fragen des Status als Verband aus den Unterlagen des Helene-Lange-Archivs hervor. Dieser enge Kontakt mag später auch Einfluss auf die heutigen Mitgliedschaftsstatuten des Deutschen Juristinnenbundes nach dem Zweiten Weltkrieg gehabt haben, der neben Juristinnen auch Volkswirtinnen und Betriebswirtinnen als Mitglieder aufnimmt. Aus der Tatsache, dass in einer Veröffentlichung aus der Weimarer Zeit deutlich kritisiert wurde, dass die Nationalökonominnen nur promovierte Berufsangehörige aufgenommen haben, könnte geschlossen werden, dass der Deutsche Juristinnenverein zur damaligen Zeit auch nur promovierte Juristinnen nach seinen Statuten aufgenommen hat. In: Helene Simon, Geistige Arbeiter, in: Die Frau, 28/1920, Heft 2, S. 45. 137 Deutscher Juristinnenbund (Hg.), Juristinnen in Deutschland. Die Zeit von 1900 bis 1998, S. 14. 138 Ebd., S. 177 – 220 sowie in der 4. Auflage Juristinnen in Deutschland (2003), S. 191 – 248. 139 Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen., S. 546 – 552. 140 Oda Cordes, Frauen als Wegbereiter des Rechts, S. 33 – 50. 141 Oda Cordes, Frauen als Wegbereiter des Rechts, S. 41, 45 – 47 mit Hinweis auf Archivquellen; Christiane Berneike, Die Frauenfrage ist Rechtsfrage. Die Juristinnen der deutschen Frauenbewegung und das Bürgerlichen Gesetzbuch, Baden-Baden 1995, S. 79 mit Hinweis auf die Publikation von Frau M. Kado in der Zeitschrift „Die Frau“ 1935; Deutscher Juristinnenbund (Hg.), Juristinnen in Deutschland. Die Zeit von 1900 bis 2003, S. 16. 142 Margaret T. Muehsam Collection, AR 720, Folder I. Persoenliches, Leo Baeck Institute at the Center for Jewish History, New York. 143 Elisabeth Altmann-Gottheiner (Hg.), Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine, Berlin 1917, Anhang, S. 112.
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Deutscher Frauenvereine, dass der Deutsche Juristinnenverein im März 1916 dem Bund Deutscher Frauenvereine beigetreten sei.144 Den Vorsitz im Vorstand hatte später Margarete Berent. Es erweiterte sich der Vorstand um eine Schatzmeisterin, Dr. Maria Hagemeyer, zu damaliger Zeit Assessorin in Berlin, nach dem Zweiten Weltkrieg die vermutlich erste Richterin in Nordrhein-Westfalen.145 Es wurde eine Schriftführerin gewählt: Dr. Lilli Seligsohn, ebenfalls Berlin.146 Nach dem Titel „Die Juristin“ der Merkblätter für Berufsberatung der Deutschen Zentralstelle für Berufsberatung der Akademiker e. V. (1928) kann der Sitz des Vereins in Berlin, in der Wielandstraße 32, festgestellt werden.147 Die einzig erhalten gebliebene Mitgliederliste vom August 1919 enthält weitere Namensangaben von Juristinnen:148 Alix Westerkamp und Erna von Langsdorff. Darüber hinaus waren Mitglied im Deutschen Juristinnenverein Maria Otto, die erste Rechtsanwältin Bayerns 149, und Anna Mayer. Hervorzuheben ist die (damalige) Referendarin Aenne Schmitz (später verheiratete Kurowski). Als außerordentliches Mitglied war der Mann von Margarete Meseritz, der Verleger John Edelheim, dem Deutschen Juristinnenverein beigetreten. Er verfügte als Verleger über Kontakte zur Presse und über seine Frau auch zum Ullstein Verlag. Wer nicht in der einzig erhalten gebliebenen Mitgliederliste des Deutschen Juristinnenvereins genannt ist, jedoch sich dazu bekannte Mitglied zu sein, war Gertrud Schubart-Fikentscher.150 Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie die erste Professorin der Rechtswissenschaften und Dekanin an der Universität in Halle an der Saale. Der Deutsche Juristinnenverein verstand sich als eine Berufsorganisation der berufstätigen Juristinnen der Weimarer Republik.151 Ziel des Deutschen Juristinnenvereins war die Förderung der beruflichen und wissenschaftlichen Fortbildung 144 Elisabeth Altmann-Gottheiner (Hg.), Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine, Berlin 1918, Hauptteil S. 5. 145 Marion Röwekamp, Juristinnen Lexikon, S. 123 – 125, S. 124. 146 Else Ulich-Beil (Hg.), Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine 1921 – 1927, Berlin 1927, Anhang S. 12. 147 Marie Munk, Die Juristin, in: Merkblätter für Berufsberatung der Deutschen Zentralstelle für Berufsberatung der Akademiker e. V., letzte Seite, Verzeichnis, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3523. 148 Margarete Berent Collection, AR 2861, Leo Baeck Institute at the Center for Jewish History, New York. 149 Margarethe Freiin von Erffa, Die Frau als Rechtsanwalt, in: Ada Schmidt-Beil (Hg.), Die Kultur der Frau, Berlin-Frohnau 1931, S. 207, 209. 150 Gertrud Schubart-Fikentscher schrieb am 7. Mai 1947 an Marie Munk: „ach, was waren das doch für schöne zeiten, als wir uns im juristinnenverein um reformpläne den kopf zerbrachen!“ In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3516. 151 Agnes von Zahn-Harnack, Die Frauenbewegung:Geschichte, Probleme, Ziele, Berlin 1928, Tafel der deutschen Frauenbewegung als Faltblatt am Ende des Buches.
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der Juristinnen.152 Bis heute ist nur noch ein positiver Nachweis zu d iesem Vereinszweck erhalten geblieben: Ein Vortrag von Lotte Mamlok über „Recht und Schule“, der im Jahre 1931 bei der Weidmannschen Buchhandlung in Berlin als Heft 4 in den von Adolf Grimme und Erich Jauernig herausgegebenen Beiheften zur Monatsschrift für Höhere Schulen erschienen ist. Diese Funde können wie folgt ergänzt werden: 1.1 Berufspolitisches Engagement Der Deutsche Juristinnenverein trat ab dem Jahr 1918 dem „Kartell der Auskunftsstellen für Frauenberufe“ des Bundes Deutscher Frauenvereine bei. Aufgabe dieses Kartells war zuvorderst eine gemeinnützige Berufsberatung des weiblichen Geschlechts und gezielte Öffentlichkeitsarbeit für die Berufstätigkeit der Frau. Die Geschäftsstelle des Kartells war das Frauenberufsamt des Bundes Deutscher Frauenvereine. Das Frauenberufsamt erhob sozioökonomische Daten über die Arbeitswelt von Frauen und fertigte sozialpolitische Beurteilungen zu weiblichen Berufs- und Bildungsfragen.153 Mit dem Frauenberufsamt eng verbunden waren die Auskunftsstellen für Frauen berufe, die über die Länder des Reiches verstreut in den größeren Städten Beratungsleistungen seit der Jahrhundertwende anboten.154 Wichtigstes Publikationsorgan war die Beilage zum Centralblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine mit dem Titel „Frauenberuf und -Erwerb“155. Grund für ein Engagement einzelner Mitglieder des Deutschen Juristinnenvereins im Frauenberufsamt war die ausschließlich männlichen Universitätsabsolventen angebotene Berufsberatung 156 und die Diskriminierung der Juristinnen. 1.2 Rechtsreformpolitisches Engagement Im Unterschied zu anderen Frauenberufsorganisationen, die sich ausschließlich der Frau in unterschiedlicher Berufspraxis und Konfession widmeten, veranstaltete der Deutsche Juristinnenverein gemeinsam mit anderen Vereinen der Frauenbewegung Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen während der Weimarer Reformphase, 152 Elisabeth Altmann-Gottheiner (Hg.), Jahrbuch 1917, Anhang S. 112. 153 Elisabeth Altmann-Gottheiner (Hg.), Jahrbuch 1918, Anhang, S. 95 und Hauptteil der Publika tion S. 8, 9. 154 [Anonym], Die Konferenz über die Berufsberatung des weiblichen Geschlechts, in: Frauen beruf und -Erwerb vom 1. September 1911, S. 1, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF), MF-Nr. 2893. 155 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2892 – 2900. 156 Vgl. exemplarisch: Ankündigungen der Deutschen Zentralstelle für Berufsberatung der Akademiker: Ein Kursus für Berufsberatung, in: Deutsche Richterzeitung 10/1918, Heft 15/16, S. 265 – 266.
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so zum Beispiel zum ehelichen Güterrecht.157 Auf das Engagement von Margarete Berent ging der Erfolg des Deutschen Juristinnenvereins für eine Zulassung von Frauen als Organ der Rechtspflege zurück.158 1.3 Bildungspolitisches Engagement Zu den folgenden drei Zielen bekannte sich der Verband Deutscher Akademikerinnen: zur beruflichen Leistung der Frau, zur persönlichen Weiterentwicklung der Frau durch Fortbildung und zur wissenschaftlichen Leistung der Frau 159. Die Ziele des Deutschen Juristinnenvereins und des Deutschen Akademikerinnenbundes waren nahezu deckungsgleich.160 In beiden Organisationen war Margarete Berent Gründungsmitglied. Marie-Elisabeth Lüders, Mitbegründerin des Deutschen Akademikerinnenbundes, wirkte auch im Deutschen Juristinnenverein mit. 1.4 Mitgliederentwicklung Der Deutsche Juristinnenverein hatte einst mit 28 Mitgliedern begonnen. Die Mitgliederzahl stieg bis zum Jahre 1918 auf 35. Für das Jahr 1919 konnten 70 Mitglieder verzeichnet und ab dem Jahr 1927 bereits 100 Mitglieder festgestellt werden.161 Es existierte eine Ortsgruppe des Vereins in Hamburg,162 vertreten durch Dr. Mathilde Möller-Bing. Die Frage, wie hoch der Prozentsatz promovierter Juristinnen oder, nach der gesetzlichen Zulassung von Frauen zu den juristischen Berufen, der 157 „Da sich der Deutsche Juristentag im September dieses Jahres mit der Reform des ehelichen Güterrechtes beschäftigen wird, veranstalteten der Deutsche Juristinnenverein und der Stadtverband Berliner Frauenvereine in der Sozialen Frauenschule in Berlin eine Aussprache über die Wünsche der Frauen für die Neugestaltung dieses Rechtsgebietes.“ In: Vossische Zeitung vom 4. Juli 1924, o. S. 158 Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, S. 244 – 247, 249, 258 – 266, 268 – 269, 275 – 291. 159 Die „persönlich-sachliche Gesamtleistung der Akademikerin [als] rein wissenschaftliche Leistung, beruflich-praktische Leistung und [persönliche] Ausformung [sollen in einer] einheitliche[n] Formkraft weiblicher Geistigkeit in Wissenschaft, Beruf und persönlichem Stil […] stärker bewußt gemacht werden“, in: Gertrud Bäumer, Die Akademikerin und die Volkskultur, in: Die Frau, 33/1926, Heft 9, S. 514, 517. 1 60 LAB B-Rep. 235 – 05 Deutscher Akademikerinnenbund MF-Nr. 3634 sowie B-Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2181. 161 Elisabeth Altmann-Gottheiner (Hg.), Jahrbuch 1918, Hauptteil der Publikation S. 5; Dies., Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine, Berlin 1919, Anhang S. 96; Dies., Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine, Berlin 1920, Anhang S. 87; Else Ulich-Beil (Hg.), Jahrbuch 1921 – 1927, Anhang S. 12; Emmy Wolff (Hg.), Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine 1927 – 1928, Berlin 1928, Anhang S. 12; Emmy Wolff (Hg.), Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine 1928 – 1931, Berlin 1931, Anhang S. 11. 162 Emmy Wolff (Hg.), Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine 1928 – 1931, Berlin 1931, Anhang S. 11.
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Prozentsatz berufstätiger Juristinnen an der Mitgliederzahl des Deutschen Juristinnenvereins war, lässt sich heute nicht einmal schätzungsweise beantworten, weil die Nachweise zu spärlich sind und sich der Deutsche Juristinnenverein gemeinsam mit der deutschen Frauenbewegung rechtspolitisch engagierte.
2. Die bürgerliche Frauenbewegung Das Engagement des Deutschen Juristinnenvereins wurde durch den Bund Deutscher Frauenvereine und damit durch die bürgerliche Frauenbewegung bestimmt. Die bürgerliche Frauenbewegung hatte bereits vor der Entstehung des BGB von 1896 einflussreich für das Gemeindewahlrecht der Frau und für die Rechte der Frauen anlässlich der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1896 gekämpft. Mit dem Bund Deutscher Frauenvereine waren einflussreiche Persön lichkeiten verbunden, wie seine Vorsitzenden Helene Lange (zugleich Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverbandes) und Gertrud Bäumer. Der Bund Deutscher Frauenvereine nahm die verschiedensten Berufs- und Gesellschaftsschichten der Weimarer Zeit als Vereins- und Verbandsmitglieder auf. Es waren nicht nur konservative Frauenorganisationen wie der Katholische Deutsche Frauenbund oder evangelische Jugendverbände 163 darunter. Es fanden sowohl die in den allgemeinen Frauenvereinen etablierten oder nicht etablierten verschiedensten politischen Richtungen als auch sozialreformerisch tätige Frauenvereine sowie Frauenberufs- und Bildungsvereine Aufnahme im Bund Deutscher Frauenvereine (wie der Kaufmännische Verband weiblicher Angestellter (VWA) und der Deutschnationale Handelsgehilfenverband (DHV), der spätere Mitbegründer des DGB)164. Unter den wohlfahrtsorientierten und sozialreformerisch tätigen Frauen vereinen sind an dieser Stelle der Deutsche Verband der Sozialbeamtinnen und die von Lyda Gustava Heymann mitgegründete Internationale Abolitionistische Föderation 165 zu nennen. Obgleich vielschichtig und differenziert in seiner Mitgliedschaft, vertrat der Bund Deutscher Frauenvereine eine rechtspolitisch gemäßigte Richtung. Wichtigstes Publikationsorgan war die Zeitschrift „Die Frau“. Dem Bund Deutscher Frauenvereine entgegengesetzt, vertraten Anita Augspurg und Minna Cauer eine radikale Bewegung mit ihrer Deutschen Akademischen Vereinigung. Ihr Publikationsorgan 163 Klaus Hönig, Der Bund Deutscher Frauenvereine in der Weimarer Republik 1919 – 1933, Frankfurt a M. 1995, S. 14. 164 Barbara Greven-Aschoff, Die bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland (1894 – 1933), Göttingen 1981, S. 72 – 78. 165 Ebd., S. 78 – 82.
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war „Die Frauenbewegung“ und die Monatsschrift „Die Frau im Staat“.166 Anders als die radikale Bewegung verstand es der Bund Deutscher Frauenvereine, Kräfte und Interessen zu bündeln.167 Mit bereits 500.000 Mitgliedern, 38 Verbänden und 2200 Vereinen im Jahre 1912 war der Bund Deutscher Frauenvereine die Dachorganisation der Frauenbewegung in der Weimarer Republik. Gleichwohl provozierte die politische Neutralität der rechtspolitisch gemäßigten Mitglieder Widerstand im linken Flügel der Mitglieder.168 In einem Diskurs um die Sexualmoral 169 und in der Frage um den § 218 StGB setzten sich die Konservativen gegenüber dem linken Flügel der sozialreformerischen Mitglieder durch.170 In der gemäßigten Richtung der Frauenbewegung wirkten Marie Munk und andere Mitglieder des Deutschen Juristinnenvereins über die Rechtskommissionen des Bundes deutscher Frauenvereine in der Rechtspolitik. 2.1 Marie Munk in den Rechtskommissionen des Bundes Deutscher Frauenvereine Die Bildung von Rechtskommissionen zu Gesetzesnovellierungen ging auf eine Initiative des Gesamtvorstandes des Bundes Deutscher Frauenvereine vom 11. und 12. März 1910 zurück. In dieser Gesamtvorstandssitzung wurde beschlossen, „die ständigen Bundeskommissionen aufzulösen, und nach Bedarf ad hoc Kommissionen für bestimmte Aufgaben einzusetzen“171. Dem Antrag wurde dann im nichtöffent lichen Teil der IX. Generalversammlung des Bundes 172 entsprochen. Ziel und Zweck dieses Beschlusses war es nicht nur, dem rechtlichen Reformbedarf besser Rechnung tragen zu können, sondern auch, den Beitritt juristischer Fachkompetenz durch Sachverständigenvereine und deren Mitglieder in die Kommissionen des Bundes zu ermöglichen.173 So auch im Ausschuss für das Ehegüterrecht bzw. der Güterrechtskommission: Hier waren Marie Munk wie auch Camilla Jellinek, Anna Mayer, Maria Otto, Emmy Rebstein-Metzger, Marianne Weber und Margarete Berent Mitglied. Geleitet wurde diese Kommission von Frau Marie-Elisabeth Lüders.174 166 Gilla Dölle, die (unheimliche) macht des geldes. Finanzierungsstrategien der bürgerlichen Frauenbewegung in deutschland zwischen 1865 bis 1933, Frankfurt a M. 1997, S. 59. 167 Barbara Greven-Aschoff, Die bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland, S. 82 – 86. 168 Ebd., S. 95, 97, 99. 169 Ebd., S. 105. 170 Ebd., S. 115 – 117. 171 Centralblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine 12/1910, Heft 1, S. 1 – 2, S. 2. 172 Centralblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine 12/1910, Heft 14, S. 105 – 107, S. 106. 173 So teilte Marianne Weber an Alice Bensheimer am 26. November 1919 mit: „Ich hoffe, dass der Juristinnenverein Ihnen in einigen Tagen seine Bereitwilligkeit, der Sektion für Rechtsfragen beizutreten, erklärt.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2617. 174 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2126; Kompendium, S. 871.
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Marie Munk war Mitglied in der Kommission zur Reform des Familienrechts, neben Marianne Weber, Camilla Jellinek, Marie Stritt und Margarethe Bennewiz.175 In einer Auseinandersetzung um den Vorsitz dieser Kommission lag die Geburtsstunde der von Margarete Berent und Marie Munk gemeinsam erarbeiteten „Vorschläge zur Abänderung des Familienrechts und verwandter Gebiete (Sommer 1921)“176. Marie Munk war von Alice Bensheimer gebeten worden den Vorsitz zu übernehmen, was sie gern tat.177 Camilla Jellinek hatte dies mit dem Hinweis auf das Erfurter Protokoll kritisiert.178 Wer tatsächlich den Vorsitz dieser Kommission übernommen hatte, bleibt nach dem Stand der Recherchen unklar. Fest steht nur der maßgebliche Einfluss Marie Munks und Margarete Berents in dieser Kommission, den sich Marie Munk mit ihrem Vorschlag für eine „vollständige Durcharbeitung des Familienrechts und die Abfassung einer umfangreichen Denkschrift mit Gesetzesformulierungen“179 sicherte. In der Arbeitsgemeinschaft der Berufsorganisationen wirkten als Vertreterin des Deutschen Juristinnenvereins Marie Munk und Margarete Berent mit. Für den von dieser Arbeitsgemeinschaft organisierten Frauenberufstag am 19. März 1924 in Mannheim hatte Margarete Berent über „Die Juristin“ vorgetragen.180 Marie Munk, Marianne Weber und Camilla Jellinek waren Mitglieder in der Bundeskommission zur Frage der unehelich Geborenen, zugleich Kommission zur Frage der familienrechtlichen Stellung der Frau 181. Marie Munk war Mitglied im Ausschuss zur 175 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2150 und 2514. 176 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. 177 Schreiben von Alice Bensheimer an Marie Munk vom 2. Juli 1919 mit der Bitte, den Vorsitz zu übernehmen, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2149 und 2150. Annahme des Vorsitzes durch Marie Munk mit Schreiben vom 11. Juli 1919, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2150 (handschriftlich) und MF-Nr. 2514 (maschinenschriftliche Abschrift). Bestätigung der Annahme Munks durch Alice Bensheimer als protokollierende Schriftführerin mit Schreiben vom 16. Juli 1919 an Marie Munk, verbunden mit dem Dank des Bundesvorstandes, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2150. 178 Am 15. Juli 1919 teilte Gertrud Bäumer Alice Bensheimer mit, dass Camilla Jellinek sich darüber beschwert habe, dass Marie Munk sich mit ihr als Mitglied der Kommission noch nicht in Verbindung gesetzt habe. Sie bat Alice Bensheimer, Camilla Jellinek darüber aufzuklären, dass Marie Munk niemals Vorsitzende der Kommission und die ausgebliebene Nachricht Schuld Gertrud Bäumers gewesen sei. In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2514. Daraufhin unterrichtete Alice Bensheimer auch M arianne Weber hierüber und teilte ihr auch mit, dass nach dem Protokoll der Erfurter Sitzung eine Festlegung über den Vorsitz der Kommission über das Familienrecht nicht erfolgt sei. In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2517. 179 Schreiben von Marie Munk an Marianne Weber vom 11. Oktober 1919, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2150. 180 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2173, 2174, 2177, 2180. 181 Altmann-Gottheiner (Hg.), Jahrbuch 1918, Adressenteil S. 10.
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Bearbeitung des Gesetzesentwurfs über die unehelichen Kinder sowie in dem Ausschuss zur weiteren Bearbeitung der §§ 228 und 229 RStGB.182 Die Bedeutung der rechtspolitischen Arbeit Marie Munks lag in den Beziehungen der Rechtskommissionen des Bundes Deutscher Frauenvereine zur Reichsregierung und zum Reichsparlament während der Weimarer Reform. 2.2 Die rechtspolitischen Beziehungen des Bundes Deutscher Frauenvereine in der Weimarer Reform Ohne Kontakt zur Reichsregierung und zum Reichstag war die rechtspolitische Arbeit des Bundes Deutscher Frauenvereine nicht wirksam. Diese Beziehungen sind aber nicht ein zufälliges Ergebnis, sondern wurden bereits im Leitbild des Bundes Deutscher Frauenvereine sichtbar. Es ging dem Bund Deutscher Frauenvereine um das „Erwachen und Bewußtwerden der Frau zur freien eigengesetzlichen schöpferischen Mitarbeit an der Gestaltung der Menschheit überhaupt“183. Der Bund strebte die „Ausbildung eines neuen Typus ‚Frau‘“184 an. Die Frau sollte aus ihrer „Eigenart […] in die Bedingungen“185 mitgestaltend eingreifen. Hierzu war das im Jahre 1918 eingeführte Frauenwahlrecht nicht das Hauptziel 186, sondern ein nur erstes wichtiges Etappenziel dieses Leitbildes. Es verlangte nach einer ausgeklügelten Taktik im Umgang mit Personen und Institutionen in Politik und Gesellschaft. Nicht nur die Facharbeitsgemeinschaft für Soziale Arbeit stellte Verbindungen zu großen Berufsverbänden wie zum Beispiel den Wohlfahrtsverbänden her. Der Bund Deutscher Frauenvereine wollte nicht nur an eine Mitgliedschaft in diesen Berufsverbänden, sondern auch an finanzielle Unterstützung gelangen.187 Darüber hinaus konnte sich der Bund Deutscher Frauen vereine vor der Demobilmachung und nach der Öffnung juristischer Berufe für Frauen (1922) nicht nur auf seine weibliche Anhängerschaft in den Ministerien 188, 1 82 Else Ulich-Beil, (Hg.), Jahrbuch 1921 – 1927, Hauptteil S. 15; Emmy Wolff (Hg.), Jahrbuch 1928 – 1931, Hauptteil S. 12; § 229 betraf Regelungen über den Straftatbestand der Giftbeibringung; § 228 enthielt Regelungen über die Körperverletzung. 183 Liane Becker, Die Frauenbewegung, S. 1; Ilse Reicke, Die Frauenbewegung, Ein geschicht licher Überblick, Leipzig 1929, S. 6. 184 Marie Bernays, Die deutsche Frauenbewegung, Berlin 1920, S. 109. 185 Agnes von Zahn-Harnack, Die Frauenbewegung, S. 11 und 12. 186 „Um die Durchsetzung von Fraueninteressen mußte weiter gekämpft werden, aber in der Demokratie boten sich dafür andere Orte und Strategien als früher.“ In: Ursula Büttner, Weimar. Die überforderte Republik 1918 – 1933, Stuttgart 2008, S. 257. 187 Beispielhaft: Bericht der Vorsitzenden der Facharbeitsgemeinschaft für soziale Arbeit, Erna Corte, aus dem Jahre 1926, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2124. 188 So hatte die Mitarbeiterin in der Reichsarbeitsverwaltung, Käthe Goebel, beim Gewerkschaftsbund Deutscher Angestellter, einem Mitgliedsverband des Bundes Deutscher Frauenvereine,
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sondern zunehmend auch auf Landesjustizminister 189, gar auf den damaligen Reichsjustizminister Eugen Schiffer 190 und bereits früh (seit 1908) auf den damals noch als Privatdozent an der Universität Heidelberg lehrenden Gustav Radbruch, verlassen.191 In Krisenzeiten beruhte dies auf Gegenseitigkeit. Man fragte nach dem Ende des Ersten Weltkrieges aus dem Reichsarbeitsministerium beim Bund nach, ob er unter seinen Mitgliedern für weibliche Nothelfer werben könne.192 Wiederum scheute sich der Bund Deutscher Frauenvereine auch nicht, für seine Vereinszwecke Forschungsgelder zu beantragen.193 Ein sogenannter Parlamentarischer Beirat, bestehend aus angefragt, „welche Schritte man tun könne, um eine Vertreterin der Frauen im neuen Reichswirtschaftsrat zu sichern“. In: Antwortschreiben des Gewerkschaftsbundes Deutscher Angestellten vom 2. 12. 1928, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2170. Siehe auch zur weiteren Einflussnahme des Bundes Deutscher Frauenvereine auf die Besetzung des Reichswirtschaftsrats: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2523. 189 So schrieb Margarethe Bennewiz am 29. November 1919 an Marianne Weber, dass sie zur Frage, ob Frauen als Schöffen zugelassen werden können, noch ein Gutachten von ihrem „alten Freund, dem jetzigen sächs. Justizminister Dr. Harnisch“ einholen wolle. In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2150. 190 Am 31. Juli 1921 teilte Marianne Weber Alice Bensheimer mit: „Da unser Material durch Dr. Lüders (gemeint ist Marie-Elisabeth Lüders) Herrn Schiffer übermittelt ist, wirken wir ja schon jetzt auf die Gestaltung der Regierungsnovelle ein.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2618. Anmerkung der Verfasserin: Eugen Schiffer war vom 10. Mai bis 26. Oktober 1921 Reichsjustizminister. In: Thilo Ramm (Hg.), Eugen Schiffer, Ein nationalliberaler Jurist und Staatsmann 1860 – 1954, Baden-Baden 2006, S. 205. 191 Die Jurastudentin Anna Schultz schrieb im Januar 1908 an Alice Bensheimer: „Zu der heutigen Anfrage gestatte ich mir […] Herrn Dr. Radbruch hier ganz besonders zu empfehlen. Herr Radbruch ist nicht nur ein anerkannt tüchtiger, scharfsinniger Jurist, sondern auch ein warmer Freund aller berechtigten Forderungen der Frauenbewegung. Wir hätten bei seiner Wahl die Garantie, einen durchaus objektiven Beurteiler zu finden und als wertvolle Zugabe, einen warmen herzigen Freund unserer Bestrebungen. Seine Adresse: Dr. Gustav Radbruch, Privatdozent Heidelberg, Villa Stiftmühle.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2144. 192 Schreiben des Leiters der Abteilung II, Dr. Kolshorn, vom 5. November 1919 an den Bund, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2441. 193 Das geht aus einer Antwort Marie-Elisabeth Lüders’ in ihrer Eigenschaft als Reichstags abgeordnete vom 19. März 1921 an die Vorsitzende des Frauenberufsamtes, Frau Levy, hervor: „die Mitteilung, dass die Petition des Bundes deutscher Frauenvereine, betreffend Bereitstellung von Mitteln zwecks planmässiger Förderung betriebsmässiger (handschriftlicher Zusatz: wissenschaftlicher) Forschungen, der Reichsregierung zur Erwägung zu überweisen, vom Hauptausschuss beschlossen worden ist. Da die Etats von 1921 schon in diesen Tagen gleichzeitig mit dem Etat für 1920 verabschiedet werden, so schlage ich vor, unsere Eingabe, vielleicht unter Benutzung der Ihnen eben gemachten Mitteilung in einem beizufügenden Anschreiben umgehend einzusenden, damit sie bei den in kurzem vorzulegenden Nachtragshaushalt behandelt werden kann.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2446. Klammerzusatz nicht im Original.
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Parlamentarierinnen der gewählten Fraktionen des Reichstages, sollte „die ständige Fühlung des Bundes mit der Volksvertretung herstellen und die Vertretung der vom Bunde aufgestellten Forderungen bei der Gesetzgebung übernehmen“.194 Tipps gab es nach Einführung des Frauenwahlrechts (1918) auch von weiblichen Reichstagsabgeordneten; so zum Beispiel von Marie-Elisabeth Lüders.195 Das Mitglied der Deutschen Nationalversammlung Marie Baum referierte auf der 11. Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine über „Die Befestigung des Fraueneinflusses in der Regierung“196. Allerdings wurde auch die Arbeit des Bundes Deutscher Frauenvereine durch die parlamentarischen Ereignisse beeinflusst.197 In dieser wechselseitigen Korrespondenz z wischen dem parlamentarischen Beirat und den Kommissionen des Bundes Deutscher Frauenvereine wurden Vorschläge der Parteien zum Inhalt von Bundeseingaben gemacht, so zum Beispiel während der Novellierung des GVG 198. Darüber hinaus war es insbesondere die Propaganda- Zentrale 199 des Bundes Deutscher Frauenvereine, die eine „Verbreitung der Ideen der Frauenbewegung in Wort und Schrift“ verfolgte.200 Die Presse-Zentrale 201 des 194 Schreiben von Marianne Weber an Alice Bensheimer vom 5. Januar 1920 über seine Konsti tuierung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2521. 195 Marie-Elisabeth Lüders schrieb am 17. März 1921 an Marianne Weber: „Die Angelegenheit in Sachen Antrag März Genossen betr. relig. Kindererziehung ist jetzt in der Commission. […] In Sachen des Reichswanderungsamts lege ich die Drucksache bei. M. E. ist dann die Eingabe überflüssig.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2446. 196 Bundesnachrichten, in: Die Frauenfrage, 21/1919, Heft 8. 197 Aus einem Bericht des Ausschusses für das eheliche Güterrecht des Bundes Deutscher Frauenvereine (ohne Datum) geht hervor: „Die politischen, insbesondere parlamentarischen Verhältnisse haben die beabsichtigten Arbeiten des Ehegüterrechtsausschusses so stark behindert, dass tatsächliche Fortschritte gesetzgeberischer Art nicht erzielt werden konnten.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2126. 198 Alice Bensheimer überlegte in einem Schreiben an Marianne Weber (20. April 1920): „[A]ndererseits ist es fraglich, ob wir alle Mitglieder des Gesamtvorstandes darauf hinweisen sollten, dass es sich um die Vorschläge der Demokratischen Partei handelt, die wir einreichen. In der Fußnote, die der ‚Frau‘ beigegeben ist, steht, dass es sich um die Ausführungen handelt, die der Frauenausschuss der Deutschen Demokratischen Partei eingereicht hat.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2522 nebst Änderungsentwurf zum GVG. 1 99 Die Propaganda-Zentrale wurde auf der Generalversammlung im Mai 1911 in Heidelberg gegründet. In: Leipziger Neueste Nachrichten vom 14. Mai 1911, o. S. 200 § 1 der Satzung der Propaganda-Zentrale. Gem. § 3 verpflichteten sich die der Propaganda- Zentrale angeschlossenen Verbände, alle Adressen an die Propaganda-Zentrale herauszugeben, „welche ihnen zu Propagandazwecken geeignet erscheinen oder zu einer Mitgliedschaft bereit sind und ausserhalb ihres Wirkungskreises liegen […].“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2131. 201 Die Gründung der Presse-Zentrale geht auf den Vorschlag der Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins vom 12. Mai 1912, deren Vorsitzende damals Emma
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Bundes Deutscher Frauenvereine vermittelte „Aufsätze an Zeitungen und Zeitschriften, sei es zur Erwiderung, sei es zur Aufklärung“.202 Diese Strategie war so erfolgreich, dass Dr. Storck für die Tagung des Hauptausschusses des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zu dem von ihm zu haltenden Referat über „Fürsorge für alleinstehende Frauen mit Kindern“ die Arbeitsgemeinschaft der Berufsorganisationen des Bundes Deutscher Frauenvereine um Informationsmaterial bat.203 Die Arbeit der Propaganda- und der Presse-Zentrale sollte aber insbesondere in der Weimarer Reformphase der Frauenbewegung gute konspirative Dienste leisten. Darüber hinaus machten Fakten und Argumente für eine Änderung des Familienrechts in der Weimarer Reformphase an den Grenzen Deutschlands nicht halt – was wohl auch auf die internationalen Kontakte Marie Munks zurückgeführt werden kann.
3. Marie Munk und die International Federation of Business and Professional Women (ab 1931) Marie Munk gründete diese internationale Organisation 204, w elche aus der 1919 gegründeten amerikanischen National Federation of Business and Professional Women hervorging. Marie Munk nahm erstmals 1930 auf Einladung der österreichischen Präsidentin, Marianne Beth, an dem Internationalen Frauenkongress dieser Organisation in Wien teil. Dr. jur. et phil. Marianne Beth, Advokatin aus Wien, war bereits einige Jahre zuvor als eine der führenden Frauen Europas bezeichnet worden.205 Mit ihrer rechtsvergleichenden Studie über das Eherecht in Deutschland, der Schweiz und Österreich 206 wurde sie 1925 international bekannt. Dr. Hilde Oppenheimer sprach auf dem Internationalen Frauenkongress in Wien. Marie Munk begegnete erstmals Clara Mleinek, Helena Hennings, Dorothy
Ender war, sowie auf den gleichlautenden Antrag vom 25. Juni 1912 zur Generalversammlung zurück. In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2131. 202 Nr. 2 des Entwurfs für die Einrichtung einer Presse-Zentrale. In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2131. 2 03 Schreiben des geschäftsführenden Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft der Berufsorgani sationen an seine Mitgliedervereine und -verbände vom 26. September 1929. In: LAB B Rep. 235 – 01 MF-Nr. 2178. 204 Nachrichtenblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine 12/1932, Heft 10, S. 86. 205 Elga Kern, Führende Frauen Europas – In sechzehn Selbstschilderungen, München 1928, S. 94 – 115. 206 Marianne Beth, Neues Eherecht – Eine rechtsvergleichende Studie mit besonderer Berücksichtigung der Gesetzgebung von Deutschland, der Schweiz und Österreich, Wien 1925.
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Heneker und Dr. Lena Madesin Phillips.207 Diese Begegnungen waren für Marie Munk der Beginn weiterführender rechtspolitischer Überlegungen, die sie in einem Vergleich zwischen der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung und ihren akademischen Gruppierungen verdeutlichte: “The meetings and discussions were on a higher intellectual level. It was particularly interesting to me to see that the members were not only women of different professions, but also
highly successful and well-educated business women, such as I had hardly seen. The German
women had been organized chiefly to reach common goals and aspirations. They were not much interested in social activities, in establishing friendship or social contacts. This was the
purpose of clubs of which only a few existed for women. These were the Lyceum clubs for
writers and artists, and the Soroptimists who selected, however, only one, presumably the most outstanding, of each group. The German council of University Women united women who
held academic degrees in various fields. But there was little tie-in between professional, social 208
or clerical workers, and still less between the professional and business women.”
Marie Munk wurde zur Gründung eines deutschen Verbandes der Business and Professional Women in Deutschland durch Lena Madesin Phillips angeregt.209
4. Marie Munk und die German Federation of Business and Professional Women (ab 1931) Bereits seit November 1929 waren kontinuierliche Berichterstattungen über die Arbeit und Besuche von Vertreterinnen des amerikanischen National Federation of Business and Professional Women’s Clubs im Bund Deutscher Frauenvereine erfolgt.210 Nicht alle bisher gegründeten Frauenvereine erreichten die Frauen, wie Marie Munk berichtete: „Der auch in Deutschland bestehende Soroptimistclub vereinigt zwar Frauen verschiedener Berufe, darunter auch neben geistigen Berufen, Künstlerinnen, Fabrikantinnen usw. Er nimmt aber von jeder Berufsgruppe nur eine, die beste, berühmteste, gehobenste, – daher auch der Name des Klubs. Diese Frauen bedürfen daher nicht mehr einer wirtschaftlichen Förderung. Auch die Arbeitsgemeinschaft 207 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 19 – 21. 208 Ebd., S. 20. 209 Angelika Timm, Auf dem besten Wege. Zur Geschichte des Verbandes Business and Professional Women – Germany 1951 bis 2011, Königstein/Taunus 2001, S. 13 – 14. 210 Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der Berufsorganisationen des Bundes am 29. September 1929 nebst Protokoll vom 29. November 1929, S. 9 und 10, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2177.
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der Berufsorganisationen im Bunde Deutscher Frauenvereine ist ihrer ganzen Struktur nach nicht imstande, die Aufgaben zu erfüllen, die die Federation sich gesetzt hat. Sie umfaßt nur einen, wenn auch nicht gerade beschränkten, so doch nicht genügend weitgezogenen Kreis von Organisationen; es fehlen in ihr z. T. die kaufmännischen und gewerblichen Berufe, und es sind vor allem auch nicht die wenigen aber wichtigen Persönlichkeiten inbegriffen, die in der deutschen Industrie allmählich schon eine Rolle zu spielen beginnen: die selbständige Fabrikantin und die Prokuristin in größeren Betrieben. Auch die freien Berufe sind nur zum Teil erfaßt, so vor allem die Künstlerinnen, die doch einen recht erheblichen und auch bedeutungsvollen Teil der Frauenberufe darstellen. Schließlich besteht in den deutschen Berufsverbänden vielfach eine konfessionelle Zersplitterung, die in einem Klub unbedingt wegfallen muß, um eben den Charakter einer absolut freien und ungehemmten Verkehrsmöglichkeit zu wahren. Die ’Vereinigung berufstätiger Frauen‘ würde aber auch Frauen in keineswegs nur gehobener Stellung miteinander in persönliche Berührung bringen und daher einem sehr weiten Kreis einen Erfahrungs- und Gedankenaustausch ermög lichen.“211 Schließlich war es im November des Jahres 1931 so weit. Es gründete sich die „Deutsche Vereinigung Berufstätiger Frauen“ mit finanzieller und administrativer Unterstützung durch das von Dorothy Henecker geführte europäische Londoner Büro. Nach der Satzung und einer konstituierenden Sitzung wurde Marie Munk 1931212 die erste Präsidentin. Ihre Schwester, Gertrud Müller-Munk, Künstlerin, wurde Gründungsmitglied. Marie Munk konnte aus juristischer und Gertrud Müller-Munk aus künstlerischer Perspektive als vortreffliches Beispiel für berufliche Professionalität der Mitglieder gelten. Ebenfalls Gründungsmitglieder in der German Federation of Business and Professional Women waren Clara Mleinek und Käthe Lindenau. Die deutsche Vereinigung der German Federation of Business and Professional Women verfolgte vorwiegend den Zweck, „berufstätige Frauen der verschiedenen Berufsgattungen mit einander in persönliche Berührung zu bringen und dadurch das gegenseitige Verständnis zu fördern“ sowie „ideelle und praktische Förderung aller Art“ ihren Mitgliedern zukommen zu lassen.213 Marie Munk erinnerte sich: “We were fortunate in getting members of many different vocations 214, as had been our goal 215.” Am Ende des Jahres 1932 hatte diese Vereinigung bereits über 100 211 Marie Munk, Die Bedeutung der Internationalen Vereinigung berufstätiger Frauen und ihr erster internationaler Kongress vom 26. bis 31. Juli 1931 in Wien, in: Die Frau 39/1931, Heft 1, S. 44 – 45. 212 Nachrichtenblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine, 11/1931, Heft 12, S. 99. 213 § 2 der Satzung in der Einladung zur Mitgliederversammlung vom 12. Juni 1933, in: LAB B Rep. 235 – 01 MF-Nr. 1485. 214 LAB B Rep. 235-12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 22. Hervorhebung nicht im Original. 215 LAB B Rep. 235-12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil I, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 22. Hervorhebung nicht im Original.
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itglieder, die vorwiegend in Berlin wohnten. Die Bildung von Ortsgruppen war M in Aussicht genommen worden 216, obgleich eine Aufnahme zur Mitgliedschaft nur durch Referenzen möglich war. Im Frühjahr 1933 trat die Deutsche Vereinigung Berufstätiger Frauen der neu gegründeten Genossenschaft „Haus der Frau“ bei.217 Internationale Verbindungen suchte die deutsche Vereinigung berufstätiger Frauen über die europäische Ausgabe der Zeitschrift „Widening Horizons“, dem Bulletin der International Federation of Business and Professional Women.218 Die Veranstaltungen der deutschen Vereinigung umfassten insbesondere Themen um die Vereinbarkeit des weiblichen Berufs mit der Ehe.219 Mit ihrer Vortragsreihe zu dem Thema „Wie setzt die Frau sich rechtlich durch“ trug auch Marie Munk ausweislich der Einladung vom 17. Februar 1933 zu aktuellen Rechtsfragen bei. Die Ankündigung der Vortragsreihe „Das Recht des ehelichen Haushalts“ für den 16., 23. und 30. März und den 6. April 1933220 berührte aktuelle Fragen des Ehe-, Ehegüter- und Scheidungsrechts. Die Vorträge in der German Federation of Business and Professional Women widmeten sich auch rechts- und sozialpolitischen Fragen, die von höchstem Interesse waren. Marianne Beth äußerte sich wie folgt: „Ist die Vereinigung von Beruf und Ehe notwendig für den Fall späterer Berufsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit des Ehemannes oder vorzeitiger Auflösung der Ehe durch Tod oder Scheidung? Oder ist für diese Fälle in anderer (welcher?) Weise Vorsorge zu treffen? Ist die Vereinigung von Beruf und Ehe notwendig, um der Frau auch die gehobenen Stellungen und damit die freie Berufswahl nach Begabung und Neigung zu erhalten? Ist das Ausscheiden der verheirateten Frau aus dem Beruf vom Standpunkt der Wirtschaft, insbesondere mit Rücksicht auf die starke Arbeitslosigkeit, zu fordern? In welchem Maße würde dadurch im günstigsten Falle eine Entlastung des Arbeitsmarktes eintreten und welche Gefahren bringt diese Forderung mit sich? (Für den Einzelnen? Für die Gesamtheit?) Ist eine grundsätzliche Stellungnahme zu diesen Fragen – bei der jeder Einzelnen stets für ihre eigene Lebensgestaltung die freie Entscheidung überlassen bleibt – notwendig im Interesse der Berufsausbildung und des Berufsethos?“221 Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass auch ein Vertreter des Auswärtigen Amtes zum Vortrag von Marianne Beth über Beruf und Ehe im Januar 1932 216 Jahresbericht aus dem Dezember 1932, in: B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 1485. 217 Einladung zur Mitgliederversammlung vom 3. Februar 1933, Punkt 5 der Tagesordnung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 1485. 218 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 1485 und 1486. 219 So zum Beispiel Marianne Beth zu der Thematik „Beruf und Ehe“, Einladung zum 4. und 18. März 1932, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 1486. 220 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 1485. 221 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 1486.
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erschien.222 Erhalten geblieben aus den Initiativen Munks in dieser deutschen Vereinigung ist ein Thesenpapier darüber, was die deutsche Frauenbewegung von Amerika lernen könne. In diesem Papier forderte Munk eine bessere rechtspoli tische Abstimmung und Werbestrategie z wischen den einzelnen Zweigen der Frauenbewegung, damit sich die Verbände und Vereine nicht durch gleich ausgerichtete Vortragsthemen und Aktionen gegenseitig Konkurrenz machten: „Nur dann wird es gelingen, Frauen verschiedener Berufe und Kreise zu interessieren und gewinnen.“223 Nach amerikanischem Vorbild warb Marie Munk in der German Federation of Business and Professional Women dafür, über die Studen tinnenvereinigungen „eine junge Frauenbewegung ins Leben zu rufen.“224 Um „Ungerechtigkeit und Unrecht aus der Welt zu schaffen, gleichviel, ob es sich in der Hilfsbedürftigkeit“ der Mitbürger, „in der Ausbeutung von Kindern, in der Rechtlosigkeit des eigenen Geschlechts manifestiert“225.
5. Fazit Die rechtspolitischen Initiativen Marie Munks konnten nur über Vereine ihre Wirkung entfalten. Dies erscheint auf den ersten Blick und aus heutiger Sicht nur konsequent. Jedoch war Marie Munks Engagement zu damaliger Zeit mit Rücksicht auf das damalige Vereinsrecht von besonderer Bedeutung. Bereits vor Inkrafttreten des BGB von 1896 hatte nicht nur die Arbeiterbewegung, sondern auch das Bürgertum das Recht zur Wahrnehmung seiner politischen Interessen eingefordert.226 Im Kaiserreich in Preußen war Frauen die Mitgliedschaft in Vereinen untersagt.227 Erst mit Art. 124 Abs. 2 Satz 2 der WRV wurde jedem Verein der Erwerb der Rechtsfähigkeit eröffnet. Erst ab dem Inkrafttreten der WRV konnte das Vereins engagement aus politischen, sozialpolitischen und religiösen Gründen staatlich 222 Tätigkeitsbericht für die Zeit von November 1931 bis zum Ende des Jahres 1932, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 1485. 223 Marie Munk, Was kann und was sollte die Deutsche Frauenbewegung von Amerika lernen?, p. 1 – 6, p. 2, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 224 Ebd., p. 1. 225 Alice Salomon, Kultur im Werden, Berlin 1924, S. 114. 226 Carsten Albrecht, Das Spannungsverhältnis z wischen dem privaten und öffentlichen Vereins recht in der Vergangenheit und in der Gegenwart, dargestellt am Erwerb der Rechtsfähigkeit, München 1989, S. 52. 227 Doris Beavan und Brigitte Faber, „Wir wollen unser Teil fordern“, Interessenvertretung und Organisationsformen der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich, Köln 1987, S. 32.
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nicht mehr untersagt werden.228 Allerdings wurde dieser verfassungsmäßige Schritt erst nach dem Ende des Nationalsozialismus einfachgesetzlich umgesetzt.229 Ungeachtet dieser Rechtslage und einer Bedrohung durch staatliche Untersagung des rechtspolitischen Engagements waren bereits im Jahre 1909 5,4 % der weiblichen Bevölkerung in Vereinen organisiert.230 Der Verein war für rechtspolitisch engagierte Frauen wichtigstes Element der Partizipation in der Öffentlichkeit. Um sich rechtspolitisches Gehör zu verschaffen, mussten die engagierten Frauen zum einen gegen das Recht verstoßen, das sie reglementierte und diskriminierte, zum anderen bot das vereinsorganisierte rechtspolitische Engagement einen parteiunabhängigen politischen und gesellschaftlichen Einfluss. Drittens war das unerschrockene Engagement der Frauen um Marie Munk nicht nur der vermehrten Berufstätigkeit der Frau geschuldet. Es sollte einem überkommenen Idealbild der Familienpolitik entgegenwirken: der Frau als Ehefrau und Mutter.231 Die heftigen Reaktionen staatlicher Stellen ließen nicht auf sich warten. Aus deren Sicht waren berufstätige Frauen die Ursache für Geburtenrückgang und Abtreibungen. Das rechtspolitische Engagement der deutschen Frauenbewegung und freier weiblicher Berufsorganisationen sei deshalb unbedingt einzudämmen.232 Die Familie als Zelle des Volkes und des Staates 233 sollte einem eigensüchtigen „Intellektualismus, Materialismus und Individualismus“234 Paroli bieten. Die rechtspolitische Bedeutung der weiblich organisierten rechtspolitischen Vereine war derart gewachsen, dass das Kaiserliche Statistische Amt nicht mehr umhin kam, die Vereinsstrukturen zu untersuchen. Den höchsten Anteil am wirtschaftlichen Aufkommen verzeichneten die Berufsorganisationen.235 Mit dem Deutschen Juristinnenverein erhielten die ersten deutschen Juristinnen erstmals in der Geschichte auf die Gesetzgebung in 228 Carsten Albrecht, Das Spannungsverhältnis z wischen dem privaten und öffentlichen Vereins recht, S. 106. 229 Durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung der Gesetzeseinheit auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts vom 5. März 1953. Streichung des aus politischen, sozialpolitischen oder religiösen Gründen eröffneten Einspruchsrechts der Verwaltungsbehörde gegen die Eintragung im Vereinsregister in § 61 Abs. 2 BGB. In: Albrecht, Das Spannungsverhältnis zwischen dem privaten und öffentlichen Vereinsrecht, S. 107. 230 Gilla Dölle, die (un)heimliche macht des geldes, S. 92, 94. 231 Andreas Gestrich, Geschichte der Familie im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999, S. 5, 6. 232 Unter Bezug auf eine Veröffentlichung des Preußischen Innenministeriums aus dem Jahre 1912: Agnes von Zahn-Harnack, Die Frauenbewegung, S. 89. 233 Friedrich Burgdörfer, Der Geburtenrückgang und die Zukunft des deutschen Volkes, S. 23. 234 Karin Jurczyk, Frauenarbeit und Frauenrolle. Zum Zusammenhang von Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland von 1918 – 1975, 3. Auflage, Frankfurt a. M. 1978, S. 28. 235 Das Aufkommen betrug 2.656.142 RM und speiste sich zu 53,9 % aus Mitgliedsbeiträgen, zu 16 % aus Schenkungen und zu 30,1 % aus anderen Quellen, in: Gilla Dölle, die (un)heimliche macht des geldes, S. 95.
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Deutschland professionellen Einfluss. Das rechtspolitische Engagement des Deutschen Juristinnenvereins ging über den weiblichen juristischen Beruf weit hinaus. Das zeigt, wie seine Mitglieder, allen voran Marie Munk und Margarete Berent, in den Rechtskommissionen des Bundes Deutscher Frauenvereine vertreten waren. Marie Munk hatte als Gründungsmitglied des Deutschen Juristinnenvereins hierfür den Grundstock gelegt. Mit der Mitgliedschaft in den Rechtskommis sionen des Bundes Deutscher Frauenbewegung profilierten Marie Munk und weitere Mitglieder des Deutschen Juristinnenvereins die ersten Juristinnen zu einem wichtigen Multiplikator für die Weimarer Reform des Ehe, Ehegüter-, Familienund Scheidungsrechts nach Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung. Hierfür vermochte der Deutsche Juristinnenverein auf die zielgerichtete und ausgeklügelte Medienstrategie des Bundes Deutscher Frauenvereine zuzugreifen. Als Marie Munk im Jahr 1931 die German Federation of Business and Professional Women gründete, bot sie allen berufstätigen Frauen aller Berufe und Branchen in Deutschland eine Begegnung für Erfahrungsaustausch und rechtspolitische Einflussnahme an. Die International Federation of Business and Professional Women ist eine der ersten weiblichen Berufsorganisationen der Welt, die dieses Ziel transnational verfolgte und bis heute diesem Ziel engagiert folgt.
III. Marie Munks Einfluss auf die Reform im Unehelichenrecht 236, Eherecht, Scheidungsrecht, Familienrecht und Ehegüterrecht (1918 – 1932) Die gesetzlichen Reformbestrebungen der Weimarer Zeit wurden insbesondere durch drei neue Verfassungsartikel angestoßen: zum einen durch den Art. 119 Absatz 2 Satz 2 der WRV: „Die Ehe beruht auf der Gleichberechtigung der Geschlechter.“ Zum anderen durch ein erstmals verfassungsrechtlich verbürgtes Erziehungsrecht der Eltern. Nach Art. 120 der WRV war die „Erziehung des Nachwuchses zur leib lichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit oberste Pflicht und natürliches Recht der Eltern, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht“. Weiterhin sollte gegen die s oziale Not der unehelichen Kinder und ihrer ledigen Mütter gem. Art. 121 der WRV eine rechtliche Reform Erfolg versprechen: „Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehe lichen Kindern.“ Zu unterschiedlich war die rechtliche und soziale Situation der unehelichen und der ehelichen Kinder, der Ehefrau und der ledigen Mutter. 236 Es wird in dieser Arbeit der Begriff „unehelich“ und „Unehelichkeit“ verwendet, weil er zu damaliger Zeit nachweislich historischer Quellen gebräuchlich war.
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1. Das Recht der ledigen Mutter und das Recht des unehelichen 237 Kindes im Vergleich zum Recht der Ehefrau nach dem BGB von 1896 Die ledige und verheiratete Frau im Beruf, in der Ehe und in der Kindererziehung – im Skandinavien der 1920er-Jahre war sie bereits dem Mann gleichberechtigt. Doch in Deutschland nach dem E rsten Weltkrieg gab es keine gleichberechtigte Stellung der Frau in der Ehe und in der Kindererziehung. Gar massive gesellschaftliche Vorurteile gab es gegenüber Alleinerziehenden und ihren Kindern. 1.1 Die rechtliche und soziale Stellung der ledigen Mutter und ihres unehelichen Kindes im Vergleich zur rechtlichen und sozialen Stellung der Ehefrau Die rechtliche Stellung der Ehefrau und die rechtliche Stellung der ledigen M utter und ihres unehelichen Kindes wurden durch das BGB von 1896 geregelt. Die soziale Stellung der Ehefrau und der ledigen M utter in der Weimarer Republik wurden durch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Krieges geprägt. 1.1.1
Die soziale Situation der Ehefrau im Vergleich zur sozialen Situation der ledigen Mutter und ihres unehelichen Kindes Der prozentuale Anteil der unehelichen Kinder an der Gesamtzahl der Lebendgeborenen hatte sich im gesamten Deutschen Reich erhöht. Betrug er in der Zeit von 1875 bis 1914 zwischen 8 und 10 Prozent, so stieg er in der Zeit von 1915 bis 1933 auf 11 bis 12 Prozent an. Im Jahr 1918 erreichte der Wert gar 12,96 Prozent.238 Nach der Geburt des Kindes wurde der Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes durch den Vormund durchgesetzt; in fast allen Fällen gerichtlich jedoch nicht erfolgreich.239 In der Regel blieb die ledige M utter mittellos. Nur ein geringer Prozentsatz der ledigen Mütter hatte das „Glück“, wegen ihrer unehelichen Schwangerschaft nicht entlassen worden zu sein. Aber eine arbeitende ledige Mutter konnte ihr Kind nicht versorgen.240 237 Es wird in dieser Arbeit der Begriff „unehelich“ und „Unehelichkeit“ verwendet, weil er zu damaliger Zeit nachweislich historischer Quellen gebräuchlich war. 238 Wie z. B. Josef Böck, Die Unehelichkeit in Nürnberg, Diss. Erlangen, Marktbreit 1919, S. 5; Georg Prenger, Die Unehelichkeit im Königreich Sachsen, Leiptig 1913, S. 15; Günter Wagner, Die Reformbestrebungen zur Neugestaltung des Unehelichenrechts – Eine nalytische Dokumentation. Diss. Bremen 1971, S. 45 und 45a unter Bezug auf: Bevölkerung und Kultur, Reihe 2, Natürliche Bevölkerungsbewegung, Statistisches Bundesamt (Hg.), Statistisches Jahrbuch, Stuttgart 1967, S. 34 – 35; dass., Statistisches Jahrbuch, Stuttgart 1968, S. 18 – 19. 239 Landsberg, Recht und Leiden der unehelichen Kinder, in: Die Frau, 21/1914, Heft 9, S. 533. 240 „Es war fast immer ausgeschlossen, dass die M utter ihr Kind in die frühere Stellung mitnehmen durfte, wenn sie nicht überhaupt einfach entlassen wurde, was bei 42 % der Fälle vorkam.
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Diese Umstände waren ursächlich für dessen Verwahrlosung. Statistisch prägte die Unehelichkeit die „Fürsorgeerziehung, Kriminalität und Prostitution“241. Die Kriegerwitwe hatte ein besseres soziales Ansehen als die ledige Mutter. Schließlich hatte sich ihr Mann für das Volk geopfert. Die ledige Mutter hatte nur einen „Bastard“. Eheliche Kinder wurden in der Familie sozialisiert. Die Stellung der Ehefrau wurde durch die s oziale Stellung ihres Mannes geprägt. Sie war Hausfrau und Mutter, nicht erwerbstätig. 1.1.2
Die Rechtssituation der ledigen Mutter und ihres unehelichen Kindes im Vergleich zur Rechtssituation der Ehefrau Durch die Heirat hatte das eheliche Kind grundsätzlich einen Vater, mit dem es verwandt (§ 1589 BGB) und gegenüber dem es erbberechtigt war (§1924 BGB). Der Vater hatte zeitlich unbeschränkt nach seinem Lebensstandard für den Kindesunter halt zu sorgen (§§ 1601 – 1603 BGB ). Ein Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes gegenüber seinem Vater musste erst durch Urteil festgestellt werden. Der Unterhaltsanspruch bestand in der Regel nur bis zum 16. Lebensjahr. Er war auf den Lebensstandard der ledigen M utter ausgerichtet (§§ 1708 – 1714 BGB ). Die gerichtliche Feststellung über die Unterhaltspflicht konnte mit der Mehrverkehrs einrede des Mannes verhindert werden (§ 1717 BGB), es sei denn, der Mann hatte das uneheliche Kind anerkannt (§ 1718 BGB). Ein Erbrecht folgte aus der Anerkennung dennoch nicht, weil das uneheliche Kind nicht mit seinem Vater verwandt war (§ 1589 Abs. 2 BGB). Eine Verwandtschaft bestand nur zur ledigen Mutter und zu deren Angehörigen (§ 1705 BGB). Gleichwohl hatte das uneheliche Kind grundsätzlich einen gesetzlichen Vormund (§§ 1773 Abs. 1, 1778 BGB), dem auch die Beistandschaft über die Personensorge der ledigen Mutter oblag. Der gesetzliche Vormund übte die elterliche Gewalt aus (§ 1707 BGB ). Ehefrauen wurden ebenfalls in der elterlichen Gewalt und in der Personensorge diskriminiert. Der Ehefrau stand die elterliche Gewalt über ihre Kinder nicht zu. Die Personensorge für ihre Kinder hatte sie nur neben dem Vater (§§ 1627, 1634 BGB), sodass bei Meinungsverschiedenheiten den Stichentscheid der Vater gab (§ 1634 BGB). Vertretungs- und Sorgerechte in einer Beistandschaft (§§ 1686, 1687 Nr. 2, 1688 – 1693 BGB) konnte die Ehefrau erst nach dem Tode des Vaters, der Auflösung der Ehe oder bei Verwirkung der väterlichen Vertretungs- und Erziehungsrechte Nur 13 % konnten den früheren Posten behalten, wenn sie ohne ihr Kind zurückkehrten. Viele der Mütter wurden infolgedessen zur Verzweiflung getrieben. […] Von den 500 Müttern machten 30 ernsthafte Selbstmordversuche.“ In: Ernst Rentrup, Die unehelichen Kinder. Eine statistische Untersuchung über ihre Lage und ihr Schicksal, Berlin 1931, S. 36. 2 41 Ernst Rentrup, Die unehelichen Kinder, S. 113 – 114.
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erlangen. Diese Rechte endeten jedoch im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung (§ 1684 BGB ). Das eheliche Kind führte den Namen seines Vaters (1616 BGB ). Das uneheliche Kind trug den Namen der Mutter (§ 1706 BGB), sodass es auch noch nach der Heirat seiner Mutter als unehelich stigmatisiert blieb. Die diskriminierende Rechtslage des unehelichen Kindes waren für Alice Bensheimer Grund, Reformen zu fordern. 1.2 Erste Reformversuche zum Unehelichenrecht im Bund Deutscher Frauenvereine Alice Bensheimer war zum damaligen Zeitpunkt Schriftführerin im Bund Deutscher Frauenvereine. Ihre Vorschläge folgten dem Vorbild des norwegischen Gesetzes vom 10. April 1915 über Kinder, deren Eltern nicht die Ehe miteinander geschlossen 242 hatten. Es folgen die Reformentwürfe von Alice Bensheimer, auch indem in den Fußnoten das norwegische Recht den Überlegungen Bensheimers gegenübergestellt wird. 1.2.1 Die Reformentwürfe Alice Bensheimers (1917) Das uneheliche Kind sollte zukünftig einen Anspruch auf „Unterhalt, Erziehung & Ausbildung“ wie ein eheliches Kind erhalten; sowohl gegenüber dem Vater als auch der ledigen Mutter gegenüber bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres.243 Um diesen Kindesanspruch durch die Schwierigkeiten in der Beweisführung einer Vaterschaft 244 und durch eine Mehrverkehrseinrede des verklagten Mannes 242 Siehe: G. W iesner, Uneheliche Kinder nach norwegischem Rechte, in: Christian Jasper Klumker (Hg.), Uneheliche Kinder in den nordischen Ländern und im deutschen Reiche, Langensalza 1925, S. 46 – 64. Anmerkung der Verfasserin: In den folgenden Fußnoten werden die Bensheimer Forderungen dem norwegischen Recht gegenübergestellt. 243 Überlegungen Bensheimers, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766; § 2 des norwegischen Gesetzes lautete: „Das Kind hat das Recht, Unterhalt, Erziehung und Ausbildung sowohl von seinem Vater als von seiner Mutter zu verlangen. Es soll erzogen und ausgebildet werden nach dem Stande des Vaters, aber nach dem der M utter, wenn diese in besseren Verhältnissen lebt. Die Erziehung muß im übrigen in Hinsicht auf die Verhältnisse des ökonomisch am besten Gestellten geschehen.“ Die Unterhaltsbeiträge der Eltern sollten sich nach den für das Kind ökonomischen Erfordernissen zu einer gedeih lichen Entwicklung richten und damit individuell festgesetzt werden. Waren zum Beispiel 60 Kronen monatlich notwendig, so hatte der bessergestellte Vater 40 Kronen und die schlechtergestellte Mutter 20 Kronen zu leisten. In: G. Wiesner, Uneheliche Kinder nach norwe gischem Rechte, in: Klumker (Hg.), Uneheliche Kinder in den nordischen Ländern und im deutschen Reiche, Langensalza 1925, S. 50 – 51. Anmerkung der Verfasserin: Aus dem Wortlaut des § 2 kann entnommen werden, dass die Unterhaltspflicht der unehelichen Kinder angepasst werden kann. 244 Eine Genanalyse war zur damaligen Zeit medizinisch noch nicht möglich. Die Gerichte stellten auf den fraglichen Empfängniszeitraum ab oder behalfen sich mit der Bestimmung
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nicht zu gefährden, plädierte Bensheimer für eine gesamtschuldnerische Haftung. Das hieß, alle Männer, die in der fraglichen Zeit der ledigen Mutter beigewohnt hatten, waren zunächst einmal unterhaltspflichtig. Der Richter sollte aufgrund einer freien Beweiswürdigung darüber entscheiden können, „wer den Unterhalt zu bestreiten hat“.245 Das Kindesinteresse sollte richtungsweisend für eine Entscheidung über die Personensorge und die elterliche Gewalt sein. Nach Anhörung durch das Vormundschaftsgericht konnte entweder der ledigen Mutter oder dem Vater die Personensorge und die elterliche Gewalt übertragen werden.246 Das Kind sollte einen „Anspruch auf den Namen des Vaters“ haben, „falls dieser die Sorge für deßen Person erhält“247. An zentraler Stelle ihrer Forderung stand: Der Reichstag möge beschließen, „daß die im § 1589 Absatz 2 BGB enthaltene Bestimmung: Ein uneheliches Kind und deßen Vater gelten nicht als verwandt, nicht mehr als grundlegend angesehen und überhaupt beseitigt werde“248. Mit der Folge, dass das uneheliche Kind ein
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der Blutgruppenzugehörigkeit von Vater und unehelichem Kind. In: Steffen Baumgarten, Die Entstehung des Unehelichenrechts, S. 201. Überlegungen Bensheimers, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766; Im norwegischen Recht war die Unterhaltsregelung nicht denkbar, ohne dass die Mutter verpflichtet wurde, anzugeben, wer der Erzeuger des Kindes war. Der Vormundschaftsrichter hatte dann im Interesse des Kindesanspruches das gerichtliche Verfahren zu betreiben. Verhielt sich der Vater passiv, das heißt, erkannte er die Vaterschaft nicht ausdrück lich an, so wurde angenommen, dass er der Vater sei. In allen übrigen Fällen war die Unterhaltspflicht auch davon abhängig, ob noch andere Männer mit der Mutter verkehrt hatten. Nach einer freien Beweiswürdigung der ermittelten Tatsachen, konnte der Richter jedoch auch ein Forelegg (öffentliche Klageschrift des Richters auf der Grundlage der Namensanzeige der Mutter) gegen eine Mehrzahl von Vätern ausstellen. Allerdings traf die Leistungspflicht durch Urteil nur denjenigen Mann, bei dem der Richter keinen Zweifel für die Vaterschaft mehr vorfand. In: G. Wiesner, Uneheliche Kinder nach norwegischem Rechte, in: Christian Jasper Klumker (Hg.), Uneheliche Kinder in den nordischen Ländern und im deutschen Reiche, Langensalza 1925, S. 48 – 49, 55 – 56. Überlegungen Bensheimers, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766; Das norwegische Recht sah jedoch die Beistandslösung nur im Falle der Kindesgefährdung als gerechtfertigt an. In: G. W iesner, Uneheliche Kinder nach norwe gischem Rechte, in: Christian Jasper Klumker (Hg.), Uneheliche Kinder in den nordischen Ländern und im deutschen Reiche, Langensalza 1925, S. 48. Überlegungen Bensheimers, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766; im Gegensatz hierzu sah das norwegische Gesetz das Namensrecht unabhängig von der Personensorge vor, um „die Mißachtung, der sie trotz allem in hohem Grade in der Gesellschaft ausgesetzt waren, abzuschaffen oder zum mindesten zu mildern.“ In: G. Wiesner, Uneheliche Kinder nach norwegischem Rechte, in: Christian Jasper Klumker (Hg.), Unehe liche Kinder in den nordischen Ländern und im deutschen Reiche, Langensalza 1925, S. 54. Überlegungen Bensheimers, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766.
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Erbrecht auch gegenüber „dem Vater und deßen unmittelbaren Vorfahren (Groß eltern, Urgroßeltern)“249 erhalten würde – eine neue Form der Vaterschaft und Mutterschaft, losgelöst vom Anknüpfungspunkt der Ehe, rüttelte an der Institution der Ehe und Familie in damaliger Zeit. 1.2.2 Hachenburgs Gutachten Max Hachenburg intervenierte in seinem Gutachten vom 29. Mai 1917 in einem zentralen Punkt. Er versuchte Alice Bensheimer das Erbrecht für das uneheliche Kind abzuringen: „[I]ch begreife Ihr Empfinden vollständig, wenn Sie gerade im Gebiete des Erbrechtes etwas zurückhaltend sind. Das rührt vielleicht zum Teil auch daher, weil Sie sich selbst sagen, dass
mit der Gewährung der Erbfolge gleich dem ehelichen Kinde doch das nicht erreicht wird,
was man in erster Linie bezweckt. Das Erbrecht allein schafft dem unehelichen Kinde noch keine Familie. Die aber ist es die ihm fehlt. Die kann ihm kein Gesetz und mag es noch
soweit gehen verschaffen. Ohne Ehe gibt es keine Familie. Also kann das uneheliche Kind diesen besten Nährboden seiner Entwicklung niemals bekommen. Man kann ihm Mittel
zur Erziehung verschaffen. Man kann ihm Hindernisse aus dem Wege räumen, die bisher seinem Vorwärtskommen entgegen standen. Man kann den Lebensgang vom Säugling bis
zum herangewachsenen Menschen überwachen. Man kann ihm aber niemals das Elternhaus, die elterliche Liebe durch solche Mittel ersetzen. Daher wird das Erbrecht immer nur als ein
äusseres Zeichen der Zugehörigkeit zur Familie des Mannes erscheinen. Diese wird den Unehe 250
lichen als Eindringling und Räuber am Familiengute betrachten.“
Deshalb könne man dem unehelichen Kinde allenfalls ein Pflichtteil zusprechen, das jedoch nur das Ziel verfolgen könne, „Ersatz für die mit dem Tode des Vaters aufhörende Unterhaltsrente“251 zu sein. Dieses Pflichtteil müsse deshalb „dem Kinde vor seiner Selbständigkeit zugebilligt“252 werden. Hachenburg ging es „gerade darum“, in der „Fiktion einer Familie“, die aber nach seiner Auffassung gar nicht vorhanden sei, eine „scharfe Grenze mit dem Messer des Gesetzes“253 zu ziehen. Aber auch 249 Überlegungen Bensheimers, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766; G. W iesener, Uneheliche Kinder nach norwegischem Rechte, in: Christian Jasper Klumker (Hg.), Uneheliche Kinder in den nordischen Ländern und im deutschen Reiche, Langensalza 1925, S. 54. 250 Schreiben Max Hachenburgs an Alice Bensheimer vom 29. Mai 1917, S. 1 – 2, in: LAB B. Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766. Hervorhebung nicht im Original. 251 Ebd.,S. 2. 252 Ebd. 253 Schreiben Max Hachenburgs an Alice Bensheimer vom 29. Mai 1917, S. 6, in: LAB B. Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766. Hervorhebung nicht im Original.
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in der Frage um eine genossenschaftliche Haftung der verschiedenen Männer, gab Hachenburg zu bedenken, würde „das Kind der Dirne erheblich besser gestellt“, als das „einer durchaus ehrenhaften Mutter“254. An dieser schwierigen Stelle im Diskurs zwischen Bensheimer und Hachenburg bereitete Marie Munk mit ihrem Aufsatz über die Stellung des unehelichen Kindes den Weg für eine kompromissvolle Reformstrategie.255 Mit ihrem Rechtsgutachten und ihren Reformvorschlägen zum Unehelichenrecht für den Bund Deutscher Frauenvereine war Marie Munk Nahtstelle zwischen Recht und sozialpolitischem Erfordernis. 1.3 Marie Munks Einfluss im Bund Deutscher Frauenvereine auf die Reform zur Rechtslage der Unehelichen (1918) Als 8-seitig gedrucktes Beratungsexemplar der Gesamtvorstandssitzung 256 und der Kommission zur Lage des unehelichen Kindes sind alle Vorschläge Marie Munks erhalten geblieben.257 Der Entwurf Marie Munks nebst Begründung 258 wurde gekürzt und so das Beratungspapier zur Gesamtvorstandssitzung.259 Das Beratungspapier zur Gesamtvorstandssitzung 260 ist im Dokumentenanhang einsehbar. Für alle Reformvorschläge diente Munks 19-seitige Begründung als Grundlage für die Diskussion. Munks sozialpolitische Begründungen zu ihren Reformvorschlägen schilderten eindringlich die gesundheitliche und soziale Stellung der unehelichen Kinder. Anhand der Statistik wies Munk nach, dass die ledige M utter eine Verantwortung für ihr uneheliches Kind, wenn sie zudem für den Unterhalt allein aufkommen muss, weder wirtschaftlich noch persönlich zu übernehmen in der Lage sei. Munk stellte nicht nur die pekuniäre Versorgung der unehelichen Kinder als gesetzlich verankerte Unterhaltspflicht, sondern auch die erzieherische Verantwortung der Eltern als ein gesetzlich zu verankerndes Sorgerecht in den rechtspolitischen Vordergrund. Beides diente ihr als Fundament für ihren eigenen Vorschlag, zukünftig ein Erbrecht für das uneheliche Kind einzuführen. 254 Ebd., S. 3. 255 Marie Munk, Die Stellung des unehelichen Kindes, in: Die Frauenfrage, 20/1918, Heft 6, S. 42 – 44. 256 Schreiben Gertrud Bäumers vom 23. Mai 1918 an die Mitglieder des Gesamtvorstandes, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. 257 Schreiben Gertrud Bäumers vom 14. Mai 1918 an die Kommission zur Lage des unehelichen Kindes, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. 258 Entwurfsfassung mit 19-seitiger maschinenschriftlicher Begründung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766. 259 Beratungspapier für die Gesamtvorstandssitzung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. mit dem Titel „Die Rechtslage der Unehelichen“. 260 Beratungspapier zur Gesamtvorstandssitzung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765.
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1.3.1 Das Erbrecht In Anknüpfung an Hachenburgs Einwand und Bensheimers Vorschlag wollte Marie Munk nur dem unehelichen Kind, dessen Vaterschaft festgestellt worden sei, „a) einen Anspruch auf den gesetzlichen Erbteil“, alternativ „b) einen Anspruch auf den gesetzlichen Pflichtteil“ zusprechen, „der ihm gebühren würde, wenn es ehelich wäre“. Jedoch „nicht über den Betrag hinaus, der ihm als Unterhaltsleistung“261 zukäme; „so würde noch immer eine Differenzierung zwischen dem Rechte des unehelichen und des ehelichen Kindes bestehen.“262 In der Gesamtvorstandssitzung des Bundes Deutscher Frauenvereine entschied man sich dann nur für den Pflichtteil, ohne diesen von der Pflicht und der Höhe der Unterhaltsleistung abhängig festzulegen.263 1.3.2 Unterhaltsansprüche durch erleichterte Feststellung der unehelichen Vaterschaft Eine Erweiterung der Empfängnisfrist sollte die richterliche Feststellung über die Vaterschaft erleichtern.264 Darin waren sich die Mitglieder des Bundes Deutscher Frauenvereine einig. Gegen die hachenburgsche Kritik zu einer gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer Männer 265 bei Wegfall der Mehrverkehrseinrede setzte sich Marie Munk 266 auf der Gesamtvorstandssitzung 267 durch. Nach dem Munkschen Vorschlag sollte eine freie richterliche Beweiswürdigung die 261 S. 3 des Entwurfs Marie Munks, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766; S. 2, Nr. 7 im Beratungspapier zur Gesamtvorstandssitzung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. 262 Begründung auf S. 13 des Entwurfs Marie Munks, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766. 263 Richtlinien zur Bevölkerungspolitik aufgestellt vom Bund Deutscher Frauenvereine, Buchstabe B, Nr. 6, S. 5, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2875. 264 „Die Bestimmung des § 1717 Absatz 2 BGB über die Empfängnisfrist ist dahin zu ergänzen, dass der Beweis der Vaterschaft für zulässig erklärt wird, falls das Kind vor dem 302. und nach dem 181. Tag vor der Geburt empfangen worden ist.“ In: S. 4 des Entwurfs Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766; S. 2, Nr. 12 im Beratungspapier zur Gesamtvorstandssitzung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765; Gleichlautender Text in: Richtlinien zur Bevölkerungspolitik aufgestellt vom Bund Deutscher Frauenvereine, Buchstabe B, Nr. 11., S. 6, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2875. 265 Schreiben Max Hachenburgs an Alice Bensheimer vom 29. Mai 1917, S. 3, in: LAB B. Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766. 266 S. 3 des Entwurfs Marie Munks, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766; S. 2, Nr. 8 im Beratungspapier zur Gesamtvorstandssitzung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. 267 Richtlinien zur Bevölkerungspolitik aufgestellt vom Bund Deutscher Frauenvereine, Buchstabe B, Nr. 7, S. 6, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2875.
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Vaterschaft begründen können, falls die Feststellung der Vaterschaft nur eines Mannes unmöglich sei.268 1.3.3 Gemeinsame Verantwortung der Eltern Mit dem Begriff Elternteile kennzeichnete Marie Munk nicht nur das Rechtsverhältnis des unehelichen Kindes zu seinem Vater und seiner Mutter neu, sondern Munk profilierte mit d iesem Begriff eine gemeinsame erzieherische Verantwortung. Dies eröffnete zugleich die Chance, dass auch die Vaterrolle an neuen Konturen gewann. Munk betrachtete den Vater als sorgeberechtigten Elternteil, aber nicht – wie bisher – nur anstelle der Mutter, sondern auch dann, wenn es im Interesse des Kindes lag und die Mutter zugestimmt hatte.269 Die elterliche Gewalt konnte dem Vater zustehen, wenn er auch die Personensorge innehatte. Die Personensorge dennoch zuvorderst in der Person der M utter festzulegen, so die Richtlinien des Bundes 270, ging auf einen Kompromissvorschlag von Munk zurück.271 Die erzieherische Verantwortung des Vaters und der M utter des unehelichen Kindes kleidete der Bund Deutscher Frauenvereine wie folgt in seinen Richtlinien aus: Es sollte fortan geschieden werden: a) z wischen einer „Mitwirkung“ des Vaters an der Erziehung des Kindes im Ermessen des Vormundschaftsgerichts, wenn die Mutter nicht zur Verfügung stand; b) dem „Heranziehen“ des Vaters zur Erziehung des Kindes „mit Zustimmung der Mutter“ und c) der gleichberechtigten Alternative des „Überlassens“ des Kindes
268 Richtlinien zur Bevölkerungspolitik aufgestellt vom Bund Deutscher Frauenvereine, Buchstabe B, Nr. 7, S. 6, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2875; Gleichlautender Text in: S. 3 des Entwurfs Marie Munks, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766. 269 „Erscheint die Mutter jedoch aus besonderen Gründen ungeeignet oder ist die Mutter gestorben, so kann das Vormundschaftsgericht dem Vater das Kind überlassen, wenn es mit dem Wohl des Kindes verträglich ist und der Vater imstande und bereit ist, für das Kind zu sorgen. Liegt es im Interesse des Kindes, so kann es ferner mit Zustimmung der M utter dem Vater überlassen werden.“ In: S. 2 des Entwurfs Marie Munks, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766; S. 1, Nr. 4 im Beratungspapier zur Gesamtvorstandssitzung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. 270 „4. Die Mutter hat in erster Linie das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen.“ In: Richtlinien zur Bevölkerungspolitik aufgestellt vom Bund Deutscher Frauenvereine, Buchstabe B, Nr. 4, S. 5, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2875. 271 „Grundsätzlich hat die M utter das Recht für die Person des Kindes zu sorgen.“ In: S. 2 des Entwurfs Marie Munks, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF -Nr. 2766; S. 1, Nr. 4 im Beratungspapier zur Gesamtvorstandssitzung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765.
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mit Zustimmung der Mutter.272 Diese sensiblen Differenzierungen in der gemeinsamen erzieherischen Verantwortung hatte Marie Munk als weitere Alternativen in die Diskussion eingebracht.273 Doch w elche Modelle konnten greifen, um aus dieser gemeinsamen erzieherischen Verantwortung heraus auch dem unehelichen Kind ein rechtliches Fundament in der Beziehung zu seinen Eltern zu geben? 1.3.4 Erleichterung der Annahme an Kindes statt und des Rechts des Kindes auf Anerkennung Für Marie Munk war es Zeit, ein selbstständiges Recht des Kindes auf Anerkennung gegenüber dem Vater einzufordern und die Annahme an Kindes statt zu erleichtern – auch für den Fall, dass bereits eheliche Abkömmlinge vorhanden waren.274 Beide Vorschläge wurden vom Bund Deutscher Frauenvereine angenommen.275 1.3.5 Fazit und Dissens Ein Vergleich zwischen Munks Entwurf 276 und den vom Bund Deutscher Frauen vereine beschlossenen Richtlinien zur Bevölkerungspolitik 277 zeigt, dass Munks Vorschläge weitestgehend übernommen worden waren.278 Es fällt auf, zum Einen, dass eine Beistandschaft der ledigen Mutter für den Fall, dass der Vater des unehe lichen Kindes die elterliche Gewalt ausübt 279, gerade nicht in dem Munkschen Eltern Verantwortungsmodell enthalten ist, weil sich eine Beistandschaft der Mutter des uenhelichen Kindes für die Allein-Verantwortung des Vaters des unehelichen Kindes 272 Richtlinien zur Bevölkerungspolitik aufgestellt vom Bund Deutscher Frauenvereine, Buchstabe B, Nr. 4, S. 5, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2875. 273 S. 2 des Entwurfs Marie Munks, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766; S. 4 – 5, ad. 4) und ad. a. bis ad. b. im Beratungspapier zur Gesamtvorstandssitzung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. 274 S. 2 und S. 4 des Entwurfs Marie Munks, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766; S. 1, Nr. 5 und Nr. 14 im Beratungspapier zur Gesamtvorstandssitzung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. 275 Richtlinien zur Bevölkerungspolitik aufgestellt vom Bund Deutscher Frauenvereine, Buchstabe B, Nr. 5, S. 5 und Nr. 13, S. 6, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2875. 276 Entwurf Marie Munks, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766. 277 Richtlinien zur Bevölkerungspolitik, aufgestellt vom Bund Deutscher Frauenvereine, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2875. 278 Entwurf Marie Munks, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766 im Vergleich zu Richtlinien zur Bevölkerungspolitik aufgestellt vom Bund Deutscher Frauenvereine, S. 5 und 6, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2875. 2 79 S. 1, Nr. 4 im Beratungspapier zur Gesamtvorstandssitzung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765.
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in der elterlichen Gewalt aber auch für das uneheliche Kind störend auswirken könnte. Zum Anderen gab es zum Namensrecht des unehelichen Kindes einen unüberwind lichen Dissens. Marie Munk favorisierte, um die Familie des Vaters nicht allzu sehr zu belasten, nur in ausgewiesenen Einzelfällen einen Anspruch des unehelichen Kindes auf den Namen des Vaters. So beispielsweise, wenn dieser der M utter des unehelichen Kindes die Ehe versprochen oder er sie durch Gewalt, Drohung oder Hinterlist zum Beischlaf verführt hatte.280 Doch die Richtlinien zur Bevölkerungspolitik behielten die Regelungen des BGB von 1896 zum Namensrecht bei.281 1.3.6 Die Beschlüsse des Bundes Deutscher Frauenvereine Am 18. Juni 1918 beschloss die Gesamtvorstandssitzung des Bundes Deutscher Frauenvereine seine Richtlinien zur Bevölkerungspolitik. In einem Abschnitt über die Grundsätze zum Schutz von M utter und Kind war, neben sozialrechtlichen und gesundheitspolitischen Forderungen 282, auch die rechtliche Lage der Unehelichen Gegenstand kriegsbedingter Reformüberlegungen.283 Die Richtlinien zur Bevölkerungspolitik sind im Dokumentenanhang einsehbar. Wie und wo diese Richtlinien verwendet wurden, hierüber blieb sich Marie Munk zunächst im Unklaren. Nur durch Zufall, weil ein Passus 284 der Richtlinien zur Bevölkerungspolitik aus ihrer Sicht zu korrigieren war, erfuhr Marie Munk erst einige Jahre später, dass die Frauenbewegung die meisten ihrer Vorschläge in der Gesamtvorstandssitzung als eigene Richtlinien zur Bevölkerungspolitik des Bundes beschlossen hatte.285 Marie Munks Vorschläge waren über die Richtlinien zur Bevölkerungspolitik zu Vorboten der Reformbestrebungen im Unehelichenrecht geworden. 280 S. 2 und S. 5 des Entwurfs Marie Munks, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766; S. 2, Nr. 6 im Beratungspapier zur Gesamtvorstandssitzung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. 281 Richtlinien zur Bevölkerungspolitik, aufgestellt vom Bund Deutscher Frauenvereine, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2875. 282 Für mehr Sozialbeamtinnen und Referate für Frauenarbeit in den öffentlichen Behörden, eine Neuregelung der Ausbildung und Besoldung von Hebammen, den Schutz der arbeitenden Frau und eine umfassende soziale Fürsorge für Mutter und Kind. 283 Richtlinien zur Bevölkerungspolitik, aufgestellt vom Bund Deutscher Frauenvereine, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2875. 284 „Uebt der Vater die elterliche Gewalt aus, so ist in der Regel das Amt des Beistandes der Mutter zu übertragen.“ In: Richtlinien zur Bevölkerungspolitik aufgestellt vom Bund Deutscher Frauenvereine, Buchstabe B, Nr. 4, Absatz 2, Letzter Satz, S. 5, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2875. 285 „Ich hatte, wie Sie sich erinnern werden, im Jahre 1918 Vorschläge zu Gunsten des unehelichen Kindes ausgearbeitet. Bei meinem jetzigen Besuch bei Frau von Velsen erhielt ich die neuen Richtlinien des Bundes zur Bevölkerungspolitik und ersah aus ihnen zu meinem Erstaunen, dass die meisten meiner damaligen Vorschläge aufgenommen worden sind. Gleichzeitig
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1.4 Die Reform im Unehelichenrecht (1919 – 1930) Mit Art. 121 WRV wurde eine neue Rechtslage geschaffen: „Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, see lische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern.“286 Allerdings wollten die Mitglieder der Nationalversammlung dem unehelichen Kinde „gleiche Rechte ebensowenig zusprechen“, wie der Wortlaut „gleiche Bedingungen“ dies einzufordern vermochte. Eine andere Auslegung hätte bedeutet, „daß das Gesetz den unehelichen Kindern dieselben Rechte verliehe wie den ehelichen“.287 Es ging also nicht darum, durch Art. 121 WRV „die Rechtsstellung der unehe lichen Kinder der ehelichen möglichst anzunähern“288. Allerdings setzten die Mitglieder der Nationalversammlung mit den Worten „gleiche Bedingungen“ ein sozial politisches Signal.289 So vollführte die Reformentwicklung einen Seiltanz z wischen familienrechtlichen Beziehungen, dem wissenschaftlichen Beweis einer Vaterschaft und den berufsständischen Interessen der Vormünder. 1.4.1 Reformbestrebungen bis zum Jahre 1928 Ein ministerieller Vorentwurf aus dem Jahre 1920 forderte die Abschaffung der Mehrverkehrseinrede.290 Der 32. Deutsche Juristentag nahm sich der Begründung der Vaterschaft in der Unehelichkeit und der Übertragung der elterlichen Gewalt auf die ledige Mutter an.291 Seine Entschließung schaffte die Mehrverkehrseinrede jedoch nicht ab. Die Unterhaltspflicht auf der Grundlage einer freien Beweiswürdigung des Richters blieb unklar. Zweifel über die Vaterschaft sollten durch eine entdecke ich aber auch einen sinnzerstörenden Druckfehler. Es muss in Ziffer 2 am Schluss des 1. Absatzes nicht „Ehegatten“, sondern „Elternteile“ heißen. Sachlich kann ich mich mit dem letzten Satz von Ziffer 4 Absatz 2 gar nicht einverstanden erklären.“ In: Schreiben Marie Munks um den 20. Februar 1920 (Tagesdatum nicht genau lesbar) an Marianne Weber, einschließlich handschriftlicher Korrekturanmerkungen Munks an eine gedruckte Version der Richtlinien zur Bevölkerungspolitik des Bundes, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2521 und MF-Nr. 2513. 2 86 Christian Jasper Klumker, Artikel 121. Stellung der unehelichen Kinder, in: Hans Carl Nipperdey (Hg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Zweiter Band: Artikel 118 – 142, Berlin 1930, S. 107. Hervorhebung nicht im Original. 2 87 Christian Jasper Klumker, Artikel 121. Stellung der unehelichen Kinder, in: Hans Carl Nipperdey (Hg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Zweiter Band: Artikel 118 – 142, Berlin 1930, S. 111 – 112. 288 Ebd., S. 112. 289 Ebd., S. 111. 290 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik zur Reform des Nichtehelichen, Adoptions- und des Ehescheidungsrechts, Paderborn 1986, S. 48. 291 Schriftführeramt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 32. Deutschen Juristentages (Bamberg), S. 150 – 229.
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gesamtschuldnerische Haftung der Männer ausgeräumt werden. Mit diesem Modell einer sogenannten Zahlvaterschaft wurde auch der Unterhaltsanspruch des unehe lichen Kindes bis zum 18. Lebensjahr erweitert, jedoch war die Lebensstellung des Vaters nur dann maßgebend, wenn das uneheliche Kind (ausnahmsweise) beim Vater untergebracht war. Von einer gemeinsamen erzieherischen Verantwortung war in keinem Fall die Rede. Vielmehr benötigte die ledige M utter gar eine Bewährungszeit, um die elterliche Gewalt für ihr eigenes Kind zu erhalten.292 An diese Eckpunkte der Reformvorstellungen des 32. Deutschen Juristentages lehnte sich der ministerielle Referentenentwurf des Jahres 1922 an und hielt folgende diskriminierende Ergänzung parat: Dem unehelichen Kind konnte ein Unterhaltsanspruch versagt werden, wenn die ledige Mutter einen dirnenhaften Lebenswandel führte.293 Allerdings ohne näher festzulegen, was denn ein dirnenhafter Lebenswandel ratio legis sei. Dieser Referentenentwurf aus dem Jahre 1922, um Länderstellungnahmen ergänzt, ging in einen vom Reichskabinett im Dezember 1924 verabschiedeten Reichsratsentwurf (1925) ein.294 Zwar wurde mit d iesem Reichsratsentwurf die Mehrverkehrseinrede abgeschafft 295 und eine Verlängerung des Empfängniszeitraums erreicht, die Entwurfsverfasser legten jedoch Wert darauf, dass familienrechtliche Beziehungen zwischen dem unehelichen Kind und seinem Vater nicht bestanden.296 Die Verfasser hielten es auch nur für konsequent, dass der Mann zukünftig frei darüber entscheiden sollte, ob er dem unehelichen Kind seinen Namen erteilte oder nicht. Hatte er sich in dieser Frage zu einer positiven Entscheidung durchgerungen, so bedurfte er der Einwilligung der ledigen Mutter.297 Abgesehen davon, dass diese Möglichkeit einer Namensänderung eine Unehelichkeit nach wie vor signierte, wurde an den wesentlichen Eckpunkten des Reichsratsentwurfs bereits deutlich, dass sein Schwerpunkt im Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes lag. Der Unterhaltsanspruch sollte auch bei Mehrverkehr der ledigen M utter oder wenn die Empfängnis aus der fraglichen Beiwohnung aus sonstigen Gründen unwahrscheinlich war, nicht ausgeschlossen sein.298 Aber nur deshalb erschien auf den ersten Blick die gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Männer fortschrittlich.299 Denn trotz dieser guten Vorsätze blieb der Reichsratsentwurf rückschrittlich, denn die Leistung orientierte sich grundsätzlich am Lebensstandard der ledigen M utter. Nur in besonderen Fällen (z. B. Krankheit, Berufsausbildung, Billigkeit) wurde ein 292 Ebd., S. 227. 293 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 122 – 137. 294 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 153 – 188. 295 Ebd., S. 178. 296 Ebd., S. 153, 178. 297 Ebd., S. 157. 298 Ebd., S. 181. 299 Ebd., S. 187.
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höherer Unterhaltssatz oder ein verlängerter Leistungszeitraum zugelassen.300 Ein Umgangsrecht des Vaters mit dem unehelichen Kind sollte nur seine Zahlungswilligkeit, aber nicht seine erzieherische Verantwortung steigern.301 Es bedurfte ganz besonderer Gründe, um sowohl der ledigen M utter, als auch dem Vater des unehe lichen Kindes gemeinsam sowohl die Personensorge als auch die elterliche Gewalt übertragen zu können. Bei Meinungsverschiedenheiten in Erziehungsfragen sollte das Vormundschaftsgericht entscheiden.302 Das aber beide, der Vater des unehelichen Kindes und die ledige M utter, zu irgendeinem Zeitpunkt sich Hoffnung darauf hätten machen können, die recht liche Hürde der ganz besonderen Gründe im Interesse einer gemeinsamen erzieherischen Verantwortung zu überwinden, war praktisch aussichtslos, wenn die ledige Mutter in der Personensorge für ihr Kind grundsätzlich nach wie vor von einem Beistand begleitet wurde und ihr die elterliche Gewalt nach wie vor versagt blieb.303 Gleichwohl rief bereits die Möglichkeit, Anträge auf eine gemeinsame Personensorge und elterliche Gewalt stellen zu können, das Archiv der Berufsvormünder auf den Plan. Schließlich gefährdete die Idee einer gemeinsamen elter lichen Gewalt und Personensorge im Unehelichenrecht die mit der Geburt eines unehelichen Kindes eintretende Amtsvormundschaft (§ 35 RJWG). Der Vorsitzende Klumker forderte deshalb eine Anpassung des Reichsratsentwurfs an die Vorschriften des RJWG.304 In diese Auseinandersetzung z wischen dem Elternrecht und dem gewachsenen Recht der Vormundschaft schärfte Marie Munk mit ihrer Rezension über Hans Tomfordes Buch „Das Recht des unehelichen Kindes und seiner M utter im Inund Ausland“ den Blick für die zu damaliger Zeit außerordentlich fortschrittliche skandinavische Rechtslage. 1.4.2 Marie Munks Hinweise auf das norwegische und das deutsche Sozialrecht Marie Munk nahm die Gelegenheit wahr, auf das norwegische Modell einer gemeinsamen Personensorge und einer gemeinsamen elterlichen Gewalt im Unehe lichenrecht hinzuweisen.305 Unter dem Leitbild einer gemeinsamen erzieherischen Verantwortung betrachtete sie in ihrem Aufsatz „Die elterliche Gewalt und ihre 300 Ebd., S. 160 – 162. 301 Ebd., S. 182. 302 Ebd., S. 159, 160. 303 Ebd., S. 159. 304 Christian Jasper Klumker, Zur Neuordnung des Unehelichenrechts, in: Juristische Wochenschrift, 54/1925, Heft 4, S. 310 – 312. 305 Marie Munk, Das Recht des unehelichen Kindes und seiner Mutter im In- und Ausland, in: Deutsche Juristenzeitung, 30/1925, Heft 15, S. 1201; zur 3. Auflage, in: Literatur-Beilage zur Deutschen Juristenzeitung, 37/1932, Heft 5, S. 366.
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Reform“306 in der Juristischen Wochenschrift und in der Zeitschrift „Die Frau“ die zukünftigen Regelungen der Rechte des unehelichen Kindes und den Reichsratsentwurf.307 Munk hob in beiden Aufsätzen die positiven Ansätze der Reformüberlegungen für das Unehelichenrecht ausdrücklich hervor, indem sie den deutschen Entwurf in einem Vergleich zur norwegischen Regelung betrachtete.308 Erhalte das uneheliche Kind nach der fortschrittlichen norwegischen Rechtslage bereits ein Erbrecht gegenüber seinem Vater und der Vater, wenn er für das Kind sorge, ausnahmslos die gesetzliche Vertretung für das uneheliche Kind 309, dann sei der deutsche Entwurf mit seinem gemeinsamen Personensorgerecht 310 ein „Mittelweg“311. Zugleich forderte sie aber für die praktische Anwendung der gesamtschuldnerischen Haftung ein, den „Unterhaltsanteil jeder der in Frage kommenden Männer entsprechend seinen Einkommens- und Erwerbsverhältnissen“312 festzulegen. Die strafrechtlichen Bestimmungen sollten bei Unterhaltspflichtverletzungen, anders als bisher, konsequenter angewendet werden.313 Ihre Bemühungen zur Stärkung der Rechtsstellung der ledigen M utter und ihres Kindes wiederholte sie in ihrem Aufsatz in der Deutschen Juristen-Zeitung.314 In einer Rezension über Hanna Scherpner- Drexels Publikation zum „Rechte unehelicher Kinder aus den Sozialgesetzen“315 gab Marie Munk deutlich zu erkennen, wo sie die Stellung der Berufsvormünder zur Wahrung der Rechte des unehelichen Kindes sah: nämlich zuvorderst im Sozial recht. Dort sollten sie die ledige Mutter in der Durchsetzung ihrer Leistungsansprüche für ihr Kind unterstützen und begleiten. Zugleich lobte Marie Munk Scherpner-Drexels Publikation: Sie sei zu den „zerstreuten und unübersichtlichen Bestimmungen der Versicherungs-, Beamten-, Pensions-, Militär- und Erwerbslosenfürsorgegesetze“ als „ein wertvolles Hilfsmittel“ für die Berufsvormundschaften zu betrachten.316 Gleichwohl blieben Munks Interventionen ohne Einfluss, weil der 306 Marie Munk, Die elterliche Gewalt und ihre Reform, in: Juristsiche Wochenschrift, 54/1925, Heft 4, S. 309 – 310. 3 07 Marie Munk, Die zukünftige Regelung der Rechte des unehelichen Kindes, in: Die Frau, Heft 3, 1925, S. 150 – 156. 308 Ebd., S. 150. 309 Ebd. 310 Ebd., S. 156. 311 Ebd., S. 150. 312 Ebd., S. 154. 313 Ebd., S. 156. 314 Marie Munk, Der Gesetzentwurf über die unehelichen Kinder und die Annahme an Kindes Statt, in: Deutsche Juristenzeitung, 31/1926, Heft 15, S. 1069 – 1074. 315 Hanna Scherpner-Drexel, Rechte unehelicher Kinder aus den Sozialgesetzen (Stand vom 1. Januar 1926), Langensalza 1926. 316 Marie Munk, Rechte unehelicher Kinder aus den Sozialgesetzen, in: Deutsche Juristenzeitung 1926, 31/1925, Heft 23, S. 1719.
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Reichsratsentwurf bis zum Herbst 1928 im Reichstag unbehandelt blieb.317 Derweil versuchten die Berufsvormünder durch einen Gegenentwurf die Ziele der Reform zum Unehelichenrecht zu justieren. 1.4.3 Der Gegenentwurf der Berufsvormünder Dieser Gegenentwurf forderte die Abschaffung der Mehrverkehrseinrede, aber lehnte eine gesamtschuldnerische Haftung der Männer ab. Die Wahrscheinlichkeit einer Vaterschaft sollte fortan durch den Vormund geprüft werden. Der Staat könne in Vorleistung treten und sich sein Geld auf dem Wege des Regresses von dem sogenannten Vater zurückholen.318 Hatte der Vater sein uneheliches Kind anerkannt, sollte der Unterhalt erhöht werden.319 Es verwundert nicht, dass auch auf der Grundlage der Länderstellungnahmen eine durch das Plenum des Reichsrats verabschiedete Reichstagsvorlage 320 entstand, die fast ausschließlich die wirtschaftliche Seite der Unehelichkeit ins Blickfeld nahm. 1.4.4 Der Reichstagsentwurf (1929) Eine zu der Reichstagsvorlage erscheinende Schrift des Referenten im Reichsjustizministerium, Ernst Brandis, über den „Gesetzentwurf über das Unehelichenrecht und seine Probleme“ (Berlin 1929) machte bereits bei einem Blick in die Synopse 321 über die geltende Rechtslage im Vergleich zu dem Reichstagsentwurf deutlich, worum es dem Reichsjustizministerium vorrangig ging: dem unehelichen Kind den Unterhalt so weit als möglich zu sichern.322 Die Mehrverkehrseinrede sollte durch eine gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Männer beseitigt werden.323 Die gesamtschuldnerische Haftung griff nicht, wenn die ledige M utter ihr Kind aus der betreffenden Beiwohnung nicht empfangen haben konnte.324 Der Reichstagsentwurf sah nur für die Kinder einer festgestellten oder einer anerkannten Vaterschaft einen Unterhaltsanspruch bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres vor. Waren die Mutter oder der Vater des unehelichen Kindes bei Berücksichtigung ihrer sonstigen Verpflichtungen außerstande den Unterhalt zu gewähren, so hafteten die Eltern des Vaters des unehelichen Kindes. Aber auch nur soweit es nach ihren Vermögens- und Erwerbsverhältnissen sowie nach den Verhältnissen der mütterlichen Verwandten 317 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 56. 318 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 302. 319 Ebd. 320 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 68 – 76, 364 – 386. 321 Ernst Brandis, Der Gesetzentwurf über das Unehelichenrecht und seine Probleme, Berlin 1929, Anhang S. 171 – 255. 322 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 68 – 74. 323 Ernst Brandis, Der Gesetzentwurf, Anhang S. 171 – 255, S. 203 zu § 1717 BGB. 324 Ebd.
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des Kindes unter Berücksichtigung der diesen Personen sonst obliegenden Verpflichtungen der Billigkeit entsprechen sollte.325 Ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Mann und seinem unehelichen Kind war vorgesehen, wenn er das Kind anerkannt hatte oder seine Vaterschaft gerichtlich festgestellt worden war.326 Auch nur diese Gruppe von Männern wurde zur elterlichen Gewalt und zur Personensorge privilegiert. Jedoch nur, wenn es im Interesse des Kindes war. Die väterliche Personensorge und die Übertragung der elterlichen Gewalt auf den Vater des unehelichen Kindes setzten nicht nur einen Antrag, sondern auch eine Anhörung des Vormundes und die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts voraus.327 Eine gemeinsame elterliche Gewalt der ledigen Mutter mit dem Vater des unehe lichen Kindes war ausdrücklich ausgeschlossen.328 Im Übrigen blieb es grundsätz lich bei den diskriminierenden Signaturen der Unehelichkeit im Namensrecht.329 Um diese zu beseitigen, wurden die Voraussetzungen gar noch verschärft: Für den Familiennamen des Vaters für das uneheliche Kind reichte fortan nicht mehr nur die Erklärung des Vaters gegenüber der Behörde, sondern diese Erklärung musste vor dem Vormundschaftsgericht abgegeben werden.330 1.4.5 Munk zum Reichstagsentwurf (Rezension zu Ernst Brandis’ Publikation) Munk urteilte über Brandis’ Buch, er sei zwar bemüht, „die gegnerischen Auffassungen objektiv zu würdigen“, allerdings bekenne er sich „doch ganz zu dem Entw. in seiner jetzigen Fassung“331. Allenfalls Munks Vorschlag über eine Haftung der Eltern des Vaters für den Unterhalt wies Brandis in einer Fußnote kommentarlos aus.332 1.4.6 Das Ende der Unehelichenreform Im Rechtspflegeausschuss verständigten sich ihre Mitglieder zu einem Erb- und Pflichtteilsrecht des unehelichen Kindes und zur Übertragung der elterlichen Gewalt an die ledige Mutter. In der Diskussion konzentrierten sich die Reichstagsabgeordneten schließlich auf den Beweis der Vaterschaft, weshalb die Beratungen zurückgestellt wurden, solange über die Beweisführung noch keine wissenschaftliche Klarheit herrschen würde. Die Beratungen gestalteten sich derart heftig, dass sie abgebrochen werden mussten. Nach der Auflösung des Reichstags und seiner Neuwahl im 325 326 327 328 329 330 331
Ernst Brandis, Der Gesetzentwurf, Anhang S. 189 zu § 1708e BGB. Ernst Brandis, Der Gesetzentwurf, Anhang S. 209 zu § 1589 BGB. Ernst Brandis, Der Gesetzentwurf, Anhang S. 183 zu § 1707a–f BGB. Ernst Brandis, Der Gesetzentwurf, Anhang S. 183 zu § 1707b BGB. Ernst Brandis, Der Gesetzentwurf, Anhang S. 183 zu § 1707 BGB. Ernst Brandis, Der Gesetzentwurf, Anhang S. 179 zu § 1706 BGB. Marie Munk, Der Gesetzentwurf über das Unehelichenrecht, in: Literatur-Beilage zur Deutschen Juristen-Zeitung, 35/1930, Heft 6, S. 442. 3 32 Ernst Brandis, Der Gesetzentwurf, Anhang S. 100.
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September 1930 wurden die Beratungen zur Reform des Unehelichenrechts nicht mehr aufgenommen 333, weshalb das Unehelichenrecht ganz aus dem Blickfeld des Parlaments und der juristischen Fachwelt verschwand. 1.5 Eigene Stellungnahme zu den Gründen für das Scheitern der Reform und das Besondere an Marie Munks Vorschlägen zur Reform des Unehelichenrechts im Vergleich zum gegenwärtigen Forschungsstand In der Sekundärliteratur wird von Sybille Buske besonders hervorgehoben, wie auf der einen Seite die soziale Reform und auf der anderen Seite die institutionellen Grundlagen von Ehe und Familie den rechtspolitischen Diskurs bestimmten;334 ebenso zu erkennen in der von Günter Wagner vorgelegten wissenschaftlichen Arbeit zum Nichtehelichenrecht aus dem Jahre 1971. Diese Publikation hat nicht nur den Weimarer Reformprozess, sondern auch die Stellungnahmen der Frauen bewegung miteinbezogen. Wagner führt das Scheitern der Unehelichenrechtsreform darauf zurück, dass die Wohlfahrtsverbände zu den notwendigen Konzessionen nicht bereit waren.335 Dass die beiden vorgenannten Punkte, Ehe und Familie als Institution und das Interesse der Wohlfahrtsverbände an ihrem sozialpolitischen und ihrem Rechtsstatus innerhalb der Vormundschaft, nicht voneinander geschieden werden können, war nicht erst in der Weimarer Reformphase das originäre rechtspolitische Problem. Vielmehr arbeitete Steffen Baumgarten bereits für die Entstehung des BGB von 1896 heraus, dass über den sozialen statistischen Befund aus der Fürsorge und im Diskurs der traditionellen Juristen, mit den Kritikern des BGB von 1896, sowie Sicht der Bürgerlichen Frauenbewegung, die zentrale Frage des Verwandtschaftsverhältnisses des unehelichen Kindes zur Mutter Kern der Auseinandersetzungen war.336 Aus Sicht der Verfasserin der vorliegenden Arbeit offenbarten sich bereits im Wortlaut des § 1705 BGB von 1896337 dem objektiven Betrachter zwei Punkte, die den gesetzgeberischen Kompromiss untermauerten, indem das Recht der ledigen Mutter, wie auch dem Vater des unehelichen Kindes, ungleiche Rechtspositionen zuwies: zum einen die aus der überindividualistischen Verankerung einer Institution folgende gesetzgeberische Verpflichtung, in der Rechtsordnung einen (wie auch 333 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 74 – 76. 334 Sybille Buske, Fräulein Mutter und ihr Bastard. Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900 – 1970, Göttingen 2004, S. 135 – 145. 335 Günter Wagner, Die Reformbestrebungen, S. 117. 3 36 Vgl. in Bezug zur Statistik: Steffen Baumgarten, Die Entstehung des Unehelichenrechts, S. 62 – 80; Vgl. zu Otto von Gierke zu § 1705 BGB von 1896: Ebd., S. 87 – 89 und vgl. zu den Stimmen in der Bürgerlichen Frauenbewegung: Ebd., S. 89 – 91. 337 § 1705 BGB von 1896 lautete: „Das uneheliche Kind hat im Verhältnis zu der Mutter und zu den Verwandten der Mutter die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes.“
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immer gearteten) Schutz der Ehe und der (ehelichen) Familie nicht zu versagen. § 1589 Satz 2 BGB 338 stellte insofern nur mit Nachdruck klar, was mit § 1705 BGB ohnehin wirtschaftlich und sozial für das uneheliche Kind aus Sicht des Gesetzgebers gewollt war. Zum anderen die soziale Problematik, dem unehelichen Kind eine Versorgung in der mütterlichen Familie über ein Verwandtschaftsverhältnis zu sichern. Sachlogisch wurde diese gesetzgeberische Konstruktion im Diskurs vor der Entstehung des BGB von 1896 bei den männlichen Juristen, wie z. B. Otto von Gierke, und in der bürgerlichen Frauenbewegung mit der unterschiedlichen Stellung des unehelichen Kindes zum Vater und zur Mutter kritisiert. Doch beide Kritikerposi tionen eint, dass das uneheliche Kind der mütterlichen Familie zugerechnet werden soll.339 Insofern kamen beide Diskursbeteiligten dem Ansinnen, einen gesetzlichen Kompromiss für eine soziale Problematik zu finden, nach und rüttelten nicht an den mit der Institution der Ehe und Familie gezogenen Grenzen der gesetzgebe rischen Reformbestrebungen. Im Rechtsverhältnis des unehelichen Kindes zu seinem Vater weist Steffen Baumgarten darauf hin, dass die Kritiker des BGB von 1896, sowohl auf der Juristenseite als auch in der bürgerlichen Frauenbewegung, ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem unehelichen Kind und seinem Vater als ein Rechts-(folgen-)Verhältnis mit Blick auf ein Erbrecht und den Unterhaltsanspruch betrachtet wissen wollten und nur deshalb eine Gleichbehandlung des Vaters und der Mutter eines unehe lichen Kindes einforderten.340 Also ein pekuniärer Hintergrund der Argumenta tion wurde, so Baumgarten, auch in der Diskussion um die elterliche Gewalt der ledigen Mutter des unehelichen Kindes angeführt. Es waren auf der Juristenseite Feder, Hachenburg und Bulling, die Schilderungen um eine wirtschaftlich desaströse Lebenssituation und um einen unsteten Lebenswandel der ledigen M utter aufgriffen, mit den Schlagworten „bloße Behauptung“ oder mit dem Hinweis auf eine doppelzüngige Moral des Gesetzgebers bekämpften, um der elterlichen Gewalt der ledigen Mutter für ihr uneheliches Kind und einem beistandsfreien Sorgerecht, den Weg zu bahnen. Sie setzten sich jedoch in der Entstehung des BGB von 1896 nicht durch.341 Die bürgerliche Frauenbewegung forderte einen Beistand und knüpfte, argumentativ nicht von Vorurteilen frei an die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der ledigen M utter an.342 Worin Feder, Hachenburg und Bulling mit den K ritikerinnen 338 § 1589 Satz 2 BGB von 1896 lautete: „Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten nicht als verwandt.“ 339 Steffen Baumgarten, Die Entstehung des Unehelichenrechts, S. 88, 91. 340 Ebd., S. 141, 145 – 146. 341 Ebd., S. 116 – 119, 120. 342 Ebd., S. 123 – 124.
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aus der bürgerlichen Frauenbewegung in dem Punkt der Erziehungs- und Vermögensverantwortung der ledigen Mutter für ihr Kind übereinstimmten, war jedoch nur die Ausübung der Personensorge. Vor d iesem historischen Hintergrund lassen sich Marie Munks Forderungen und der parlamentarische Reformprozess in der Weimarer Zeit betrachten: Eine ökonomische Versorgung des unehelichen Kindes in den Vordergrund stellend, schrieb Art. 121 der WRV 343 die gesetzgeberischen Erwägungen aus der Zeit vor der Entstehung des BGB von 1896 de lege lata nur fort.344 Viel mehr noch, gab doch der samtweiche und unpräzise, für jegliche sozialpolitische und haushaltspolitische Interpretation offengelassene Wortlaut des Art. 121 WRV zu erkennen, dass der Gesetzgeber des BGB von 1896 an dem sozialen Problem der Unehelichkeit gescheitert war. Es war also nicht nur der Konflikt zwischen einem institutionalisierten Leitbild (Ehe und Familie) und der pekuniären Situation der Wohlfahrtsverbände 345, der eine Reform zum Unehelichenrecht bestimmte. Es ging in Art. 121 WRV dem Wortlaut nach zuvorderst um die monetären Pflichten – nicht des Staates, sondern des Vaters.346 Diese wären unter Berücksichtigung damaliger Beweismöglichkeiten für einen Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes nur dann erfolgreich gewesen – wie bisher auch –, wenn die Vaterschaft hätte zweifelsfrei festgestellt werden können oder der leibliche Vater sein uneheliches Kind anerkannt hätte. Die medizinische Beweisführung für eine Vaterschaft war mit der zu damaliger Zeit praktizierten Blutgruppenbestimmung unausgereift. Eine DNA konnte noch nicht bestimmt werden. Die Beweisführung war aber Grundvoraussetzung für den Unterhalt und damit für eine bessere wirtschaftliche Stellung des unehelichen Kindes. So blieb das Ziel der Reform, eine bessere wirtschaftliche Stellung der unehelichen Kinder über eine richterlich festgestellte Vaterschaft zu erreichen, schon allein aus naturwissenschaftlichen Gründen im Ansatz stecken. Doch nur auf den ersten Blick überschatteten die medizinischen „Mängel“ in der Beweisführung über die Vaterschaft die Reform des Unehelichenrechts und stellten sich als Hindernis für den rechtspolitischen Auftrag in den Weg. Denn es wurde der rechtspolitische Konflikt z wischen den Berufsvormündern und einer erzieherischen Verantwortung der ledigen M utter und des Vaters des unehelichen Kindes nicht gelöst. Die Motive des Autors und gesetzlichen Entwurfsverfassers Brandis zum Reichstagsentwurf lassen hier deutliches erkennen. Ernst Brandis und 343 Art. 121 der WRV lautete: „Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern.“ 344 Vgl. die Ausführungen in diesem Band, 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 1.4. 345 Sybille Buske, Fräulein Mutter und ihr Bastard, S. 135 – 145, S. 144 – 145. 346 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 1.4.
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das Reichsjustizministerium wollten sich nicht nach außen sichtbar mit den Posi tionen aus der Frauenbewegung auseinandersetzen, auch wenn sie in innerminis teriellen Besprechungen sich mit der deutschen Frauenbewegung anscheinend konstruktiv berieten.347 Das impliziert der zurückhaltende Bezug auf die Forderungen Marie Munks in Brandis’ Publikation. Schließlich ging es darum, eine selbstbestimmte Rechtspersön lichkeit, die der ledigen M utter in der Erziehungs- UND Vermögensverantwortung für ihr uneheliches Kind nicht über die Gebühr zu stärken. Deshalb löste der Reichstagsentwurf den Konflikt mit den Berufsvormündern und den Wohlfahrtsverbänden in der Personensorge und der elterlichen Gewalt gerade nicht. Diese Verbände wandten sich gegen die Übertragung der elterlichen Gewalt und der Personensorge auf Mutter UND Vater, weil das uneheliche Kind auch weiterhin dem Vormund unterstehen sollte und müsse. Denn mit der Erhebung der Unterhaltsklage durch den Vormund sollte die Stellung des Vormunds gestärkt werden. Dem Vormund sollte auch die Auswahl des wahrscheinlichsten Vaters zustehen.348 Vaterrechte im Interesse des Kindes wurden mit dem Reichstagsentwurf gerade nicht favorisiert. Gemeinsame M utter- und Vaterrechte hätten in der Gesellschaft den Eindruck erwecken können, dass der Gesetzgeber neben der Ehe noch eine nichteheliche Elternschaft zulässt, die neben der traditionellen Institution von Ehe und Familie vom Gesetzgeber nicht nur toleriert, sondern über eine gesetzlich geregelte Erziehungsverantwortung der nicht miteinander verheirateten Eltern für ein UNeheliches Kind RECHTLICH verankert würde. Diese Furcht vor einer Gefährdung der Institution der Ehe und Familie hinderte aber nicht nur eine rechtliche Integration des unehelichen Kindes in einen elterlichen Verbund von Verantwortung, sondern über den diskriminierenden Diskurs über die persönlichen und wirtschaft liche desaströsen Verhältnisse der ledigen M utter wurde das wahrhafte Anliegen, Ehe und Familie rechtlich und sozial erhalten zu wollen, „verdeckt“ und gestärkt. Anders vermochte der rechtspolitische Diskurs über das zukünftige Recht die soziale Ausgrenzung des unehelichen Kindes nicht zu begründen. Mit der Folge, dass das bleibende Recht die soziale Ausgrenzung der unehelichen Kinder manifestieren konnte, w elche tatsächlich letztendlich in der Diskriminierung seiner Mutter als ledige Mutter begründet lag. Insgesamt betrachtet musste auch der subversive Vorschlag, ein Erb- und Pflichtteilsrecht für die unehelichen Kinder einzuführen und die elterliche Gewalt zukünftig auf die Mutter zu übertragen, im Rechtspflegeausschuss „verpuffen“, weil sich die männlichen Mitglieder des Rechtspflegeausschusses zur Abschaffung der Mehrverkehrseinrede nicht hatten verständigen können.
347 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 107 – 120. 348 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 68 – 74.
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Der Abschied von einer rechtlich manifestierten Diskriminierung, in Deutschland skandinavische Vorbilder verwirklichen zu können, blieb im wissenschaftlichen Literaturdiskurs stecken 349 und damit unerfüllt. Die Divergenz zwischen dem auf eine Institution fokussierten Leitbild von Ehe und Familie und den munkschen Vorschlägen tritt insbesondere zutage, wenn sich der Betrachter nicht nur einer außerhalb der Ehe einzuführenden Verantwortung der nicht miteinander verheirateten Eltern zuwendet, sondern auch die Rechte des unehelichen Kindes in den Blick nimmt: Aus dem Anspruch des unehelichen Kindes auf Erziehung und Ausbildung gegen Vater und Mutter erwächst bei Marie Munk das Interesse des Kindes. Nur mit diesem Interesse des Kindes sollten sich fortan die Entscheidungen des Vormundschaftsgerichts über das Sorgerecht begründen lassen. Das Sorgerecht und die elterliche Gewalt umschließen – anders als im BGB von 1896 – den Anspruch des unehelichen Kindes gegenüber seinen Eltern. Den vom BGB von 1896 mit der Geburt des unehelichen Kindes bestellten Dritten – den Vormund – möchte Marie Munk, wenn es im Interesse des Kindes ist, aus der Beziehung zwischen dem unehe lichen Kind und seinen Eltern heraushalten. Der Anspruch des unehelichen Kindes auf Erziehung und Ausbildung sollte zuvorderst den nicht miteinander verheirateten Eltern des unehelichen Kindes überantwortet werden. Grundsätzlich sorgen für diesen Anspruch auf Erziehung und Ausbildung sollte die ledige Mutter, indem ihr das Recht für die Sorge des Kindes zustehen sollte. Für die elterliche Gewalt der Mutter, zuvorderst für die Vermögensinteressen, weil mit rechtlichen Fragen und Entscheidungen behaftet, „kann“ ein beratender Beistand für die Mutter bestellt werden. Insofern schließt sich Marie Munk den Reformvorstellungen der bürgerlichen Frauenbewegung und den männlichen juristischen Kritikern aus der Zeit vor Entstehung des BGB von 1896 an. Allerdings besteht der Unterschied darin, dass sie die zwangsläufige Rechtsfolge, die elterliche Gewalt ausschließlich dem Vormund zu übertragen, beseitigt und ein richterliches Entscheidungsermessen einführt und zugleich die (uneheliche) elter liche Verantwortung stärkt: Es soll nicht nur der Anspruch des unehelichen Kindes gestärkt werden, sondern DEM VATER soll zukünftig das Kind durch das Vormundschaftsgericht überlassen werden können, wenn (a) die M utter ungeeignet oder verstorben und (b) der Vater imstande und bereit ist, für das Kind zu sorgen. 350 Da allein das 349 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung von 1734 bis zu den Reformgesetzen von 1915 bis 1920 und deren Einfluss auf die Gesetzgebungsprojekte der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. 2003, S. 313 – 375, S. 313 – 337, 356 – 375. 350 Dokumentenanhang, Marie Munk, Die Rechtslage der Unehelichen (Entwurf ), S. 1 Nr. 4, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2766; S. 4 – 5, Nr. ad 4 im Beratungspapier zur Gesamtvorstandssitzung, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765.
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Wohl und das Interesse des Kindes maßgebend ist, kann auch dann dem Vater das Kind überlassen werden, wenn a) die M utter NICHT zustimmt oder b) sie sich KEINER Verfehlungen schuldig gemacht hat, die gegen eine erzieherische Verantwortung sprechen (subjektive Ungeeignetheit). In dieser kompromisslosen elterlichen Verantwortung bieten die Richtlinien zur Bevölkerungspolitik des Bundes nur in einem Fall einen Kompromiss für den äußerst strittigen Diskurs um das Verhältnis der Eltern des unehelichen Kindes in ihrem Verhältnis zur Vormundschaft an: nämlich für den Fall, dass die Mutter für die Erziehung des Kindes nicht geeignet oder verstorben ist, weshalb der Vater zur Mitwirkung in der Erziehung des Kindes durch das Vormundschaftsgericht herangezogen werden kann.351 Genau betrachtet gehen die Richtlinien für Bevölkerungspolitik noch ein kleines Stück über die munkschen Vorschläge hinaus, weil mit dieser geplanten Neuregelung der Vater des unehelichen Kindes ein Mitspracherecht bei den Vormundschafts behörden über die zu treffenden Maßnahmen für den Fall erhält, dass die Mutter als Rechtsperson in ihrer ihr vom Gesetzgeber übertragenen Erziehungsverantwortung versagt oder nicht zur Verfügung steht. Mit d iesem Reformvorschlag wurde dem Vater des unehelichen Kindes erstmals ein Mitspracherecht über die Frage eingeräumt, wie denn bei seinem unehelichen Kind der Anspruch auf Erziehung und Ausbildung zu verwirklichen sei. Alles in allem ein Reformvorschlag, der in einem Entwurf zu einem Gesetz zur Änderung familien- und erbrechtlicher Vorschriften des Jahres 1940 die „Verleihung“ der elterlichen Gewalt für beide leiblichen Eltern des unehelichen Kindes vorsah, weil „der Wert eines Volksgenossen für die Volksgemeinschaft nicht von seiner Herkunft, sondern von seiner Leistung und von seiner Treue zu dieser Gemeinschaft abhängt.“ 352 Für „natürliche Kinder nicht deutschen oder artverwandten Blutes“ war die elterliche Gewalt nicht vorgesehen. 353 Hitler lehnte diesen Entwurf mit der Begründung ab, es werde das uneheliche Kind und die ledige M utter entrechtet. 354 Aus Sicht der Autorin dieser Arbeit ein „Scheinargument“, denn mit dieser Neuregelung hätte die Diktatur den Einfluß auf das soziale Gebilde der Familie
351 Dokumentenanhang, Richtlinien zur Bevölkerungspolitik aufgestellt vom Bund Deutscher Frauenvereine Juni 1918, S. 5 Nr. 4, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2875. 352 Werner Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus. Ausgewählte Quellen zu den wichtigsten Gesetzen und Projekten aus den Ministerialakten, Paderborn 1993, S. 527. 353 Werner Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 518, Anlage II E. 354 Werner Schubert, Der Entwurf eines Nichtehelichengesetzes vom Juli 1940 und seine Ablehnung durch Hitler, in: FamRZ, 31 / 1984, Heft 1, S. 1 – 6.
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ein Stück weit aufgegeben. Das Recht der unehelichen Kinder und seiner Eltern verblieb aus diktatorischem Kalkül im Status Quo. Erst nach dem Familienrechtsänderungsgesetz vom 11. 08. 1961 (BGBl. I S. 122) konnte der ledigen Mutter auf Antrag die eheliche Gewalt übertragen werden, wobei einzelne Angelegenheiten ausgenommen werden konnten. Der leibliche Vater des unehelichen Kindes wurde in die Ausbildungs- und Erziehungsverantwortung immer noch nicht mit einbezogen. Erst mit der Neuregelung durch das Nichtehe lichengesetz vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1243) ab dem 1. Juli 1970 rückte eine gemeinsame elterliche Verantwortung ein winziges Stück näher. Dem leiblichen Vater des unehelichen Kindes wurde ein Umgangs- und Anhörungsrecht zugebilligt. Die Mutter hatte erstmals grundsätzlich die elterliche Gewalt. Obgleich sich mit diesem Gesetz erstmals eine Begriffsänderung vollzog (unehelich in nichtehelich) blieb gleichwohl die elterliche Gewalt der ledigen M utter in der Feststellung der Vaterschaft, der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen und in den Fragen um die Regelung der Erb- und Pflichtteilsrechte des Kindes durch die Amtspflegschaft fremd bestimmt. Erst mit der Kindschaftsrechtsreform des Jahres 1998 erhielt die ledige Mutter die elterliche Sorge grundsätzlich allein. Ein Vergleich mit der Rechtslage der DDR, die bereits auf der Grundlage der Verfassung der DDR mit dem Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27. September 1950 der ledigen M utter die elterliche Gewalt übertrug (GBl. I S. 1037) und seit dem Familiengesetzbuch vom 20. 12. 1965 (GBl. I 1966, S. 1) das alleinige Erziehungsrecht der ledigen M utter kannte, muss unter den politisch motivierten Möglichkeiten eines ideologisch begründeten Entzugs des Sorgerechts aus Literatur und Rechtspraxis kritisch gewürdigt werden.355 Die gesetzliche Abänderung vom 20. Juli 1990 (GBl. I S. 1038), mit der ein gemeinsames Erziehungsrecht der nicht miteinander verheirateten Eltern unehelicher Kinder auf Antrag in der Deutschen Demokratischen Republik eingeführt wurde, blieb nur bis zur Wiedervereinigung in Kraft und erlangte keine rechtspraktische Bedeutung. Nach der Wiedervereinigung wurde mit dem Beistandsschaftsgesetz vom 4. 12. 1997 (BGBl. I S. 2846) eine freiwillige Beistandschaft und damit die Stellung der ledigen M utter in der Feststellung der Vaterschaft und Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gestärkt. Durch das Kindschaftsreformgesetz vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2941) erhielt ab dem 1. Juli 1998 die ledige Mutter sowohl die elterliche Sorge und regelte auch die Vermögensfragen grundsätzlich allein. Gleichwohl blieb der Anspruch des Kindes auf eine durch seine nicht miteinander verheirateten Eltern unerfüllt, weil der Vater nicht grundsätzlich mit einbezogen wurde. Erst nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil 355 Vgl. hierzu Meike Andermann, Der ideologisch motivierte Entzug des elterlichen Sorgerechts im „Dritten Reich“ und in der Deutschen Demokratischen Republik, Münster 2003, S. 156 – 196, 256 – 308.
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vom 21. Juli 2010 und in dessen Folge, mit dem Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 16. April 2013 (BGBl. I S. 795) wurde nach § 1626a Abs. 1 die gemeinsame Sorge dieser Eltern durch eine von ihnen SELBSTBESTIMMTE gemeinsame Erklärung, dass sie die gemeinsame Sorge ausüben wollen, erstmals de lege lata eröffnet. Mit anderen Worten: Das Besondere bei Marie Munk und ihren Reformvorschlägen ist folgendes Grundprinzip: dass im Interesse des Kindes der formale Status der Ehelichkeit nicht höher eingeschätzt wird als die biologische Abstammung. Das Interesse des Kindes steht über allem und unabhängig von rechtlich ausgestalteten Äußerlichkeiten. Zu damaliger Zeit war jedoch die biologische Abstammung zur wichtigsten Grundlage für die Vaterschaft im Unehelichenrecht erklärt worden, weshalb wegen der damaligen Beweisschwierigkeiten (keine DNA) der Erfolg der munkschen Reformvorschläge ausgeblieben wäre. Deshalb hätte gegen eine gesamtschuldnerische Haftung aller mit der ledigen M utter in der fraglichen Zeit verkehrenden Männer immer das Argument „unethisch“ erhoben werden können und dieses Argument hätte sich auch nicht beseitigen lassen. Auch deshalb rückte in den Vordergrund die Rechtsstellung der Frau im Ehe-, Familien- und Güterrecht, auch in ihren Rechtsfolgen für eine Ehescheidung, weil Margarete Berent und Marie Munk bereits im Jahre 1921 entscheidende Reform anstöße initiiert hatten.
2. Marie Munks Vorschläge zum Ehe- und Ehegüterrecht (1921) Das Ehe- und Ehegüterrecht regelt sowohl die personenrechtlichen als auch die vermögensrechtlichen Beziehungen unter den Ehegatten. Die vermögensrechtlichen Beziehungen treten zum einen aufgrund des ehelichen Güterrechts, zum anderen ohne güterrechtliche Bestimmungen aufgrund der Eheschließung kraft Eherechts ein. 2.1 Die rechtliche Stellung der Ehefrau nach dem BGB von 1896 Marie Munk beschrieb die Rechtssituation der Frau in der Ehe nach dem BGB von 1896 wie folgt: “Under these laws, the husband had the right to administer the wife’s property during marriage, to collect the interest from her investments, or the rents from her real estate, and to use them
as he saw fit. She could dispose of her own earnings, but she needed his consent for accepting employment or for any other contract. She was supposed to help him in his business without
pay. If the marriage ended by death or divorce, she did not participate in the savings which
they had made together. If he squandered the money, or if he became bankrupt, she could go to the court, with the result that from then on the system of separation of property would
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apply to her marriage. Even then, she did not participate in any savings which had been made 356
possible by her thrift or by her cooperation in the husband’s business.”
Diese Rechtslage ergab sich aus der Verwaltungsgemeinschaft als gesetzlichem Güterstand (§§ 1373 – 1409, 1418 – 1425 BGB). Zugleich entschied der Mann allein in allen ehelichen Angelegenheiten (§ 1354 BGB ). Der Mann konnte das Recht der Frau beschränken oder ausschließen, Geschäfte für den häuslichen Wirkungskreis zu tätigen (§ 1357 BGB). Der Mann durfte Arbeitsverträge der Frau kündigen (§ 1358 BGB). 2.2 Der Stand der Reform 1919 – 1921 nach Inkrafttreten des Art. 119 WRV Mit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung stand „die Ehe“ als „Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung.“ Sie „beruhte auf der Gleichberechtigung der Geschlechter“ (Art. 119).357 Bereits Jahre zuvor hatte es mehrere Petitionen an den Reichstag gegeben. Sie waren der Reichsregierung zur Berücksichtigung überwiesen worden.358 Es gab in verschiedenen Reichstagssitzungen Redebeiträge von der Reichstagsabgeordneten Marie-Elisabeth Lüders, die deutlich auf den Reformbedarf hinwiesen.359 Außerparlamentarische Organisationen, wie der Bund Deutscher Frauenvereine, wollten sich dem Reformbedarf widmen. Bereits am 18. Juli 1921 konnte den Mitgliedern des Gesamtvorstandes des Bundes Deutscher Frauen vereine Marianne Weber ankündigen, dass „Vorschläge zur Abänderung des Familienrechts und verwandter Gebiete“ von Marie Munk und Margarete Berent vorlagen.360 Weber forderte die Mitglieder auf, sowohl „in der Gesamtvorstandssitzung als auch in der Generalversammlung zu einheitlichen Beschlüssen“ zu kommen.361 356 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XI Experiences as an Attorney at Law, S. 8. 357 Alfred Wieruszowski, Artikel 119. Ehe, Familie, Mutterschaft, in: Hans Carl Nipperdey (Hg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Kommentar zum zweiten Teil der reichsverfassung, Zweiter Band: Artikel 118 – 142, Berlin 1930, S. 72. 358 Verhandlungen der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 338. Anlagen zu den Stenographischen Berichten Nr. 692 bis 1045, Berlin 1920, Nr. 965 Ziffer III a) vom 18. August 1919, S. 962 – 962; Band 330: Stenographische Berichte. Von der 91. Sitzung am 4. Oktober 1919 bis zur 112. Sitzung am 29. Oktober 1919, S. 91. Sitzung am 4. Oktober 1919, S. 2869 – 2874, S. 2872 (B). 359 Verhandlungen des Reichstags, I. Wahlperiode 1920, Band 347: Stenographische Berichte. Von der 54. Sitzung am 22. Januar 1921 bis zur 73. Sitzung am 2. März 1921, Berlin 1921, 57. Sitzung vom 26. Januar 1921, S. 2127 – 2169, S. 2135 (D). 360 Dokumentenanhang. 361 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765.
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2.3 Entstehung der Vorschläge von Margarete Berent und Marie Munk (1921) Die Arbeiten an ihren Vorschlägen begannen Margarete Berent und Marie Munk im Sommer 1919, nachdem Marie Munk die Wahl zur Vorsitzenden der Kommission zur Reform des Familienrechts im Bund Deutscher Frauenvereine angenommen hatte.362 Für ihren Auftrag, Vorschläge zur Änderung des Familien rechts und verwandter Gebiet auszuarbeiten, wünschte sie die Hinzuziehung von M argarete Berent als „Fachjuristin“.363 Margarete Berent war im Jahre 1915 durch ihre Dissertation über die „Zugewinnstgemeinschaft der Ehegatten“ in der juristischen Fachwelt hervorgetreten. Im Februar 1920 standen die Arbeiten Marie Munks und Margarete Berents für den Bund Deutscher Frauenvereine vor dem Abschluss.364 Für diese Arbeit in mehreren Dokumententeilen, die das gesamte Familienrecht, nicht nur das Ehe- und Ehegüterrecht umfasste365, wurde ein Honorar in Höhe von 3000 Reichsmark vereinbart 366, für das sich Marianne Weber beim Vorstand eingesetzt hatte.367 Weber nahm sich allerdings auch das Recht heraus, Margarete Berent und Marie Munk auf baldige Fertigstellung der
362 Dankesbrief von Alice Bensheimer an Marie Munk vom 6. Juli 1919, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2150. 363 Schreiben von Marie Munk an Alice Bensheimer vom 11. Oktober 1919, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2150. 364 Schreiben von Marianne Weber vom 4. Februar 1920, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2618. 365 Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts der Ehescheidung und der elterlichen Gewalt, Berlin 1923, Vorwort S. III. 3 66 „Endlich ist die Honorarfrage für die Familienrechtsarbeit soweit geklärt, dass ich wieder mit Ihnen in Unterhandlungen treten kann. […] Der Verwaltungsausschuss einer Stiftung zur politischen Erziehung der Frau hat uns seine diesjährige Jahreseinnahme zur Verfügung gestellt, so dass wir nunmehr als Gesamthonorar Mk. 3000,- anbieten können.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2617. 367 Marie Munk hatte in einem Brief an Marianne Weber vom 11. Oktober 1919 kein Honorar gefordert, „weil ich die Finanzverhältnisse des Bundes nicht genügend kenne, so möchte ich meinerseits keine bestimmte Summe nennen, sondern um Vorschläge von Ihrer Seite bitten.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2150. Marianne Weber hatte jedoch in einem Schreiben vom 7. Nov. 1919 an Camilla Jellinek und Margarethe Bennewiz mitgeteilt, dass die Familienrechtsarbeit nur mit zwei Fachjuristinnen und nur unter Honorierung fertiggestellt werden könne. Sie hatte auch Marie Stritt als Verwalterin des bereits aufgelösten Reichsverbandes für Frauenstimmrecht darum gebeten, ob nicht die Zinsen des dem Bund Deutscher Frauenvereine gestifteten Kapitals des Reichsverbandes (50.000 RM) für die Honorierung von Marie Munk und einer weiteren Juristin zur Verfügung gestellt werden könnten. In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2617.
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Arbeit zu drängen.368 Sowohl Margarete Berent als auch Marie Munk orientierten sich am schwedischen Recht. 2.4 Vorschläge zum Eherecht Zuvorderst als änderungsbedürftig erachteten Margarete Berent und Marie Munk die Bestimmung über das Alleinentscheidungsrecht des Mannes (§ 1354 BGB). Die bisherigen Regelungen §§ 1353, 1354, 1356, 1360 BGB sollten ersetzt werden.369 Ihr Vorschlag lautete: „Die Angelegenheiten des ehelichen Lebens werden von beiden Ehegatten gemeinschaftlich geregelt.“ Meinungsverschiedenheiten unter den Ehegatten sollten nicht einem Gericht, einer Schlichtungsstelle oder einem Familienrat vorgelegt werden, sondern einer Person des Vertrauens beider Ehegatten: „So bedarf es zu dessen Anrufung einer gesetzlichen Bestimmung nicht.“370 Munks und Berents Grundsätze der ehelichen Lebensgemeinschaft lauteten: „Mann und Frau schulden einander Treue und Beistand, sie haben in Eintracht für das Beste der Familie zu wirken.“371 2.4.1 Die Grundsätze für das Haushaltsgeld, persönliche Mittel und die Unterhaltspflicht Für die Unterhaltspflicht müssten beide Ehegatten „nach Kräften durch Zuschuß von Geld, Tätigkeit im Hauswesen und sonst, dazu beitragen, der Familie den Unterhalt zu schaffen. […] Zum Unterhalt der Familie soll gerechnet werden, was für den gemeinsamen Haushalt, für die Erziehung der Kinder und für die Befriedigung der besonderen Bedürfnisse beider Ehegatten erfordert wird.“ Bleiben einem Ehegatten keine Mittel mehr, um seine „besonderen Bedürfnisse“ und die Ausgaben zu bestreiten, „die er sonst mit Rücksicht auf die Lebensverhältnisse der Ehegatten nach der Sitte zum Unterhalt der Familie zu besorgen hat“, so hat der andere Ehegatte einen angemessenen Betrag zuzuschießen. Die Pflicht besteht nicht, wenn der berechtigte Ehegatte infolge Unvermögens, die Mittel zu verwalten, oder der verpflichtete Ehegatte „aus anderen Ursachen nicht das Recht hat, die Ausgaben zu bestreiten“372. Wie im 368 „Dass Sie beide sich der Familienrechtsarbeit unterziehen wollen bedeutet für den Bundes vorstand eine grosse Entlastung. Ich glaube, es wird gut sein, die Arbeit bald in Angriff zu nehmen, denn wir werden doch wohl etwa in Jahresfrist spätestens den Antrag an den Reichstag um Reform des Bürgerl. Gesetzbuches stellen müssen. Notwendige Ausgaben für Bücherbeschaffungen und dergl. wird Ihnen der Bund ersetzen.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2618. 369 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 4, Nr. 2. 370 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, Nr. 1, Absatz 3 und 4. 371 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 1. 372 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 2 und § 3.
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schwedischen Recht war „ausdrücklich“ die „laufende Gewährung des Haushaltungsgeldes und die Gewährung von Mitteln zur Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten“ vorgesehen.373 War einem Ehegatten aus der gemeinschaftlichen Einstandspflicht Vermögen „überlassen“ worden, so erwarb er hieran Eigentum.374 2.4.2 Haftung der Frau aus der Schlüsselgewalt Aus der gesetzlichen Vertretung war die Frau zu berechtigen und zu verpflichten, sodass sie ebenfalls „für die häuslichen Ausgaben haftet“. An dieser Stelle waren sich Marie Munk und Margarete Berent „jedoch bewußt, daß eine s olche Aenderung eine erhebliche Schlechterstellung der Frau“ gegenüber dem geltenden Recht bedeuten konnte, „die durch eine Aenderung des gesetzlichen Güterrechts und die Vorschriften über die Zahlung von Beiträgen für den Haushalt und die persönlichen Bedürfnisse nicht ausgeglichen wird. Zu bedenken“ sei „allerdings, daß in der Praxis in diesen Fällen auch jetzt schon die Mithaftung der Frau vertraglich begründet“ werde, „besonders bei Miet- und Abzahlungsverträgen.“375 2.4.3 Zur Eigentumsvermutung des § 1362 BGB Für den Fall, dass die Bestimmung des § 1362 BGB „im Interesse der Rechtssicherheit der Gläubiger des Mannes nicht aufgehoben oder durch die Vermutung ersetzt werden“ könne, „daß die beweglichen Sachen, die sich im gemeinschaftlichen Haushalt befinden, beiden Ehegatten gemeinschaftlich gehören“, schlugen Margarete Berent und Marie Munk folgende Neufassung des § 1362 BGB vor: „Zugunsten der Gläubiger des Mannes wird vermutet, daß die in seinem Besitz oder in dem Besitz beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen dem Manne gehören.“376 2.4.4 Die Herausgabe von Haushaltsgegenständen In den Fällen des Getrenntlebens plädierten Marie Munk und Margarete Berent dafür, dass sowohl das Eigentum der Ehegatten als auch Haushaltungsgegenstände, „die für den Eigentümer entbehrlich, für den anderen Ehegatten aber unentbehrlich“ sind, dem letzteren zum „Gebrauch zu überlassen“ sind. Sollte diese Regelung im Einzelfall „unbillig“ sein, so könne das Vormundschaftsgericht auch darüber bestimmen, ob eine angemessene Vergütung angezeigt sei und wie hoch die Vergütung der Gebrauchsüberlassung sein sollte.377
373 374 375 376 377
LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 4, Nr. 2. LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 4, Satz 1. LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 4, Nr. 4. LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 4, Nr. 7. LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 4, Nr. 6.
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2.4.5 Zum Namen der Frau Ihrem Ehenamen sollte die Frau ihren Familiennamen hinzufügen dürfen. „Die Ehegatten können vereinbaren, dass auch dem Familiennamen des Mannes und der Kinder der Familienname der Frau beigefügt wird.“378 2.5 Vorschläge zum ehelichen Güterrecht „Als gesetzlichen Güterstand schlagen wir eine Verbindung von Gütertrennung während der Ehe mit einer Art Errungenschaftsgemeinschaft vor.“379 2.5.1 Die Beteiligung der Frau am wirtschaftlichen Ergebnis der Ehe Mit der Errungenschaftsgemeinschaft werde jeder Ehegatte „an der Verbesserung der Vermögenslage der Familie beteiligt“, begründeten Margarete Berent und Marie Munk ihre Vorschläge zu einem neuen ehelichen Güterrecht. Denn durch die Gütertrennung während der Ehe werde jedem Ehegatten das Vermögen, das bei Eingehung der Ehe vorhanden war und während der Ehe erworben wurde, erhalten.380 Über das während der Ehe Errungene musste eine güterrechtliche Auseinandersetzung folgen. 2.5.2 Die güterrechtliche Auseinandersetzung Eine Auseinandersetzung sollte „bei Tod, Scheidung, oder sonstiger Beendigung des Güterstandes“ wie folgt stattfinden: „Für jeden Ehegatten wird festgestellt, um wieviel sich sein Vermögen gegenüber dem Vermögen, das er bei Eingehung der Ehe hatte, vermehrt hat. Es bleibt für die Berechnung seines
Gewinnes außer Betracht, was er während der Ehe durch Schenkung, von Todes wegen oder
mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht oder als Ausstattung erwirbt, es sei denn, daß der
Dritte ausdrücklich bestimmt hat, daß die Zuwendung bei der Berechnung des Ehegewinns
zuzurechnen ist. Was nach Bezahlung der Schulden als Gewinn übrig bleibt, wird zwischen
beiden Ehegatten gleichmäßig geteilt. Hierbei kommt in Frage, ob besondere Bestimmungen
dahin zu treffen sind, daß gewisse Schulden nicht bei Berechnung des Gewinnes, sondern von
dem Stamm des Vermögens gezahlt werden müssen (z. B. Geldstrafen). Falls sich das Vermö-
gen der Ehegatten bei Eingehung der Ehe nicht mehr feststellen läßt, wird es im Zweifel so
anzusehen sein, als ob beide Teile in d iesem Zeitpunkt gleich viel Vermögen gehabt haben.
Bei der Regelung der Auseinandersetzung sind noch besondere Bestimmungen darüber zu
378 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765,3. Abschnitt, § 4, Nr. 3. 379 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, Satz 1. 380 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, 4. Abschnitt, Absatz 2.
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treffen, ob an Stelle von Geld einzelne im Haushalt befindliche Gegenstände überlassen
werden können oder müssen. Zu erwägen ist auch, ob es genügt, daß erst bei Beendigung des Güterstandes, der in der Regel mit der Beendigung der Ehe zusammenfällt, eine solche
Gewinnbeteiligung wirksam werden soll, oder ob es vielleicht erforderlich ist, eine 1- oder 381
2-jährige Abrechnung vorzusehen.“
Marie Munk und Margarete Berent waren sich allerdings auch darüber bewusst, dass angesichts der damaligen wirtschaftlichen Lage „die Zahl der Ehen, bei denen ein solcher Zuwachs festzustellen sein wird, immer geringer“382 werden würde. 2.6 Vorschläge zum Ehescheidungsrecht Bereits in ihren einleitenden Worten stellten Marie Munk und Margarete Berent „auf die Wirkungen“ ab, „die eine Erleichterung der Ehescheidung“383 haben würde. Für das nacheheliche Sorgerecht orientierte Marie Munk die vormundschaftsrichter liche Entscheidung am Interesse des Kindes und nicht allein an der Schuld seiner Eltern an der Scheidung. Differenziert hierzu dachten Marie Munk und M argarete Berent darüber nach, ob sich ein leichteres oder schweres Verschulden auf das nacheheliche Vermögensrecht auswirken sollte. In ihrem Ansatz „verkennen“ sie „nicht, daß damit die Frage des Verschuldens in einer Reihe von Fällen wieder aufgerollt wird“384. Allerdings hofften Margarete Berent und Marie Munk darauf, dass „gerade dies“ dazu führt, „daß die Beteiligten sich außergerichtlich einigen werden, während im heutigen Ehescheidungsprozeß eine ausführliche Beweisführung notwendig“385 sei. Für die Scheidungsgründe gab es aus Sicht Marie Munks und Margarete Berents vier Reformalternativen: 1. Eine Einführung von leichteren Formen des Verschuldens; 2. Eine objektive Zerrüttung, ohne Rücksicht auf ein Verschulden; 3. Eine übereinstimmende Scheidung beider Ehegatten; 4. Eine Scheidung auf einseitigen Wunsch eines der Ehegatten.386 Insbesondere für den Fall, dass „das
381 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abchnitt. 382 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, letzter Satz. 383 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 5. Abschnitt, Satz 1. 384 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 5. Abschnitt, Nr. 2, Absatz 3, Satz 3. 385 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 5. Abschnitt, Nr. 2 letzter Satz. 386 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 5. Abschnitt, Absatz 2, Buchstaben a) bis d).
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Zerrüttungsprinzip zugrunde“387 gelegt werden sollte, „ist zu prüfen“388, ob ein einseitiger Antrag das Scheidungsverfahren beginnen lässt oder eine Zustimmung des einen Ehegatten für den Antrag des anderen Ehegatten erforderlich ist. „Führt man eine Scheidungsmöglichkeit auch ohne Verschulden ein“, so war Marie Munk und Margarete Berent noch nicht ganz klar, ob und für welche Zeit eine Trennungszeit einzuführen ist; was sich wiederum auf die Scheidungsfolgen auswirken könne. Prozedere und Wirkungen dieser Scheidungsalternativen kommen in unscharfen Konturen daher. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn eine Ehescheidung wegen Geisteskrankheit in ihren Gründen spezifiziert dargestellt wird, aber dann in der Frage stecken bleibt, ob der auf Scheidung klagende Ehegatte als schuldiger Teil angesehen werden müsse oder nicht.389 Schließlich findet diese Erkenntnis ihre Bestätigung in folgenden gewählten Worten der Autorinnen: „käme in Frage, ob zu verlangen ist und ob vielleicht außerdem“ […] „zu prüfen wäre“[:] „[S]oll eine Erleichterung der Ehescheidung eingeführt werden“.390 Zu dieser Argumentation gesellt sich, dass Margarete Berent und Marie Munk zu ihren recht zurückhaltenden Überlegungen über eine Reform des Ehescheidungsrechts verlangen, dass parallel oder zuvor das Ehegüterrecht und das Sorgerecht reformiert werden. 2.7 Beschluss im Bund Deutscher Frauenvereine (Oktober 1921) 391 Die Vorschläge Marie Munks und Margarete Berents wurden auf der XII. Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine (5. bis 8. Oktober 1921) in Köln beschlossen.392 Bereits vier Monate zuvor gelangten die Reformvorschläge 393 über die Reichstagsabgeordnete Marie-Elisabeth Lüders an den damaligen Staatssekretär im Reichsjustizministerium, Eugen Schiffer. 387 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 5. Abschnitt, Absatz 2. 388 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 5. Abschnitt, Absatz 2. 389 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 5. Abschnitt, Nr. 2. 390 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 5. Abschnitt, Satz 1. 391 Schreiben von Marianne Weber und Alice Bensheimer vom 18. Juli 1921 an die Mitglieder des Gesamtvorstandes, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765; B Rep. 235 – 20 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) Zeitungsausschnittsammlung MF-Nr. 1321. 392 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 1322. 393 „Ich bin der Ansicht, dass der Munk-Berentsche Entwurf dem Reichsjustizministerium ruhig schon jetzt unterbreitet bzw. als Material inoffiziell übergeben werden kann, denn unsere Sache kann ja dadurch nur gefördert werden.“ Schreiben von Marianne Weber vom 22. Juni 1921 an Dorothee von Velsen, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2618. Am 31. Juli 1921 teilte Marianne Weber Alice Bensheimer mit: „Da unser Material durch Dr. Lüders (gemeint ist Marie-Elisabeth Lüders) Herrn Schiffer übermittelt ist, wirken wir ja schon jetzt auf die Gestaltung der Regierungsnovelle ein.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2618.
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2.8 Das Besondere an den Vorschlägen zum Ehe- und Ehegüterrecht von Marie Munk und Margarete Berent aus dem Jahre 1921 Mit ihren einführenden Worten in ihre Vorschläge überlegen Marie Munk und Margarete Berent, wie eine Reform des Scheidungsrechts aussehen könnte. Marie Munk und Margarete Berent wägen ab. Die Konturen einer Ehescheidungsreform werden sichtbar. Allerdings vermögen diese nicht in Vorschläge einzumünden, weil sich bereits ein originäres Reformprinzip deutlich abzeichnete: zuerst eine Reform der Scheidungsfolgen, erst dann eine Reform der Scheidungsgründe. Für diese Reformstrategie darf rückblickend betrachtet weniger der Zeitpunkt eines verbandspolitischen Konsenses 394 argumentativ ergriffen werden, als denn der klare, überzeugende Blick Marie Munks und Margarete Berents für eine reformbedürftige Rechtsfolgenwirkung. Deshalb verblieb es in der Hauptsache bei den Reformforderungen zum Eherecht und zum Ehegüterrecht. Marie Munks und Margarete Berents Postulat: Die Ehe ist eine Unternehmung, an der jeder Ehepartner seinen Anteil hat und deshalb auch am wirtschaftlichen Erfolg und am Misserfolg des Wirtschaftens in der Ehe teilhaben soll. Marie Munk und Margarete Berent wollten mit ihren Reformvorschlägen die Ehe den E hegatten überantworten. Sie legten ausdrücklich fest, dass die Ehegatten ihre ehelichen Angelegenheiten selbstständig regeln und bei Meinungsverschiedenheiten nicht ein Gericht, sondern eine Person des Vertrauens hinzuziehen sollen. Marie Munk und Margarete Berent begriffen in der ehelichen Lebensgemeinschaft eine andere Rechtskultur als das Ehebild der Motive es tat. Das Ehebild der Motive basierte auf einer christlichen Weltanschauung.395 Art. 119 Satz 1 der WRV verankerte „die Ehe als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation“396 in einem weltlich-staatlichen Überindividualismus.397 Beide, sowohl die Motive als auch die Weimarer Reichsverfassung, müssen als ein vom Gesetzgeber den Ehepaaren oktroyiertes, geschlossenes, ja unumstößliches Wertebild in einem System fremdbestimmter Verantwortung beurteilt werden. Es ist konsequent, wenn Marie Munk und Margarete Berent zum Eherecht des 394 Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, S. 555 – 559, S. 558. 395 „Der christlichen Weltanschauung des deutschen Volkes entsprechend geht der Entwurf davon aus, dass im Eherechte nicht das Prinzip der individuellen Freiheit herrschen darf, sondern die Ehe als eine von dem Willen der Ehegatten unabhängige sittliche und rechtliche Ordnung anzusehen ist.“ In: Benno Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band IV: Familienrecht, Kommissionsbericht, Berlin 1899, S. 301 – 302. 396 Alfred Wieruszowski, Artikel 119. Ehe, Familie und Mutterschaft, in: Hans Carl Nipperdey (Hg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Kommentar zum zweiten Teil der Reichsverfassung, Zweiter Band: Artikel 118 – 142, Berlin 1930, S. 72. 397 Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, Leipzig 1932, § 20 Die Ehe, S. 143.
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BGB von 1896 im Jahre 1921 das Alleinentscheidungsrecht des Mannes in der Ehe
(§ 1354), das Kündigungsrecht des Mannes gegenüber Dritten für Arbeitsverträge der Frau (§ 1358), die unentgeltliche Mithilfe der Frau im Geschäft des Mannes (§ 1356) und die vorrangige Unterhaltspflicht des Mannes (§ 1360) ersetzen möchten durch einen Rechtsrahmen, der es den Ehegatten ermöglicht, gemeinschaft lich ihre ehelichen Angelegenheiten in eigener Verantwortung zu regeln. Hierbei griffen sie auf das Vorbild aus dem schwedischen Recht zurück und schlossen bei Meinungsverschiedenheiten unter den Eheleuten die hoheitliche Einwirkung Dritter aus.398 2.9 Ende der Ehegüterrechtsreform Allerdings wurde durch die Reichsregierung keine gesetzgeberische Initiative ergriffen, woraufhin Marie Munk und Margarete Berent mit ihren „Vorschlägen zur Umgestaltung des Rechts der Ehescheidung und der elterlichen Gewalt nebst Gesetzentwurf“399 ihre bisherige Arbeit im Jahre 1923 ersteinmal fortführten.
3. Marie Munks Vorschläge zum Scheidungsrecht und seine Folgen für die elterliche Gewalt (1923) Eine Scheidung bezieht sich auf Gründe, die nach der Eheschließung eingetreten sind. Ein Verfassungsauftrag zur Reform des Scheidungsrechts bestand nicht. Die Auflösung der Ehe sollte eine rechtliche Ausnahme bleiben. Die Lebenspraxis sah anders aus. 3.1 Die Scheidungsgründe und die Scheidungszahlen nach der Statistik Preußens und des Deutschen Reichs Die Scheidungshäufigkeit hatte in der Vorkriegszeit (1910 bis 1914) allgemein, jedoch in den Nachkriegsjahren besonders zugenommen.400 Nachdem in den Jahren 1923 bis 1926 zunächst ein leichter Rückgang zu verzeichnen gewesen war, stiegen die
398 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. 399 F. A. Herbig G. m. b. H., Berlin. 400 Lagen die Zahlen im gesamten deutschen Reich im Jahre 1910 noch bei ca. 13.000 bis 14.000, so betrugen sie im Jahre 1914 bereits 16.000 bis 17.000. Die Zahlen sanken in den Jahren 1915 bis 1918 auf ca. 11.000 bis 14.000 Scheidungen herab, um dann im Jahre 1919 auf 22.022 Scheidungen und schließlich im Jahr 1920 auf 36.542, im Jahr 1921 auf 39.216 Scheidungen zu steigen. Im Folgejahr 1922 lag die Scheidungstatistik mit dem hohen Niveau des Jahres 1920 gleich auf (36.548 Scheidungen). Das machte bezogen auf 100.000 Einwohner immerhin 59,6 % aus. In: Statistisches Reichsamt (Hg.), Wirtschaft und Statistik, Berlin 1924, S. 386.
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Zahlen in den Jahren 1927 bis 1932 noch einmal an.401 Die Scheidungshäufigkeit bei Kriegsehen im Deutschen Reich ging mit einer zunehmend sinkenden Ehedauer einher.402 Die preußische Statistik lieferte Daten geschlechtlicher Signifikanz und schied die relativen und die absoluten Scheidungsgründe voneinander. Der unbedingte (absolute) Scheidungsgrund Ehebruch (§ 1565 BGB 403) verlor in den Jahren 1926 bis 1932 in Preußen an Bedeutung. Sein bisheriger Prozentwert (50 %) sank in den Jahren 1928 bis 1930 auf ca. 40 % der gesamten Ehescheidungen. In den Jahren 1931 und 1932 fiel sein Wert gar auf 33,5 % und 32,2 % zurück. Die bedingten (relativen) Scheidungsgründe (§ 1568 BGB) überstiegen im Jahr 1927 erstmals die 50 %-Marke und strebten mit 55,6 % gar auf die 60 %-Marke zu, die sie ab dem Jahre 1930 mit 60,6 % erstmals überschritten. Dieser Wert wurde bis zum Jahre 1932 beibehalten. Diese steigende Tendenz der Schuldsprüche zu den bedingten (relativen) Scheidungsgründen, wie zum Beispiel einer Verletzung der ehelichen Pflichten (§ 1568 BGB 404), wiesen in den Jahren 1926 bis 1932 bei den Männern einen ca. 20 % höheren Wert auf als bei den Frauen.405 Der unbedingte (absolute) Scheidungsgrund Ehebruch (§ 1565 BGB) war in den Jahren 1926 bis 1932 ebenfalls „Domäne“ der Männer. Sein Wert (28,2 % bis 17,8 %) lag um ca. 9,4 %- bis 3,7 %-Punkte höher als bei den Frauen (18,8 % bis 14,1 %), wenngleich bis 1932 in einer abnehmenden Tendenz. Interessant ist, dass seit dem Jahre 1926 der Anteil der schuldig gesprochenen Frauen (35,6 %) stieg, im Jahre 1932 erreichte er gar 40,4 Prozent.406 Mit diesen Zahlen war nicht 401 Für die Jahre 1927 bis 1930: Statistisches Reichsamt (Hg.), Wirtschaft und Statistik, Berlin 1929, S. 343; ders., Wirtschaft und Statistik, Berlin 1931, S. 127, 880. 402 Ehen, im Jahre 1914 geschlossen, wurden nach 4 – 5 Jahren Ehedauer geschieden; während die im Jahre 1915 geschlossenen Ehen bereits nach 3 – 4 Jahren, die im Jahre 1916 geschlossenen Ehen nach 2 – 3 und die im Jahre 1917 geschlossenen Ehen bereits nach 1 – 2 Jahren geschieden wurden. Eheschließungen der Jahre 1918, 1919, 1920 und 1921 hielten nur 1 Jahr. Statistisches Reichsamt (Hg.), 1924, S. 387. 403 § 1565 BGB lautete: „Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte sich des Ehebruchs oder einer nach den §§ 171, 175 des Strafgesetzbuches strafbaren Handlung schuldig macht. Das Recht des Ehegatten auf Scheidung ist ausgeschlossen, wenn er dem Ehebruch oder der strafbaren Handlung zustimmt oder sich der Teilnahme schuldig macht.“ 404 § 1568 BGB lautete: „Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, daß dem Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann. Als schwere Verletzung der Pflichten gilt auch grobe Mißhandlung.“ 405 Bei den Männern lag der Wert zwischen 34,0 % und 37,7 %, gegenüber den Frauen mit 14,6 % bis 17,9 %. In: Preußisches Statistisches Landesamt (Hg.), Statistisches Jahrbuch für den Freistaat Preußen, 26. Band, Berlin 1930, S. 64; ders., Statistisches Jahrbuch für den Freistaat Preußen, 30. Band, Berlin 1934, S. 51. 406 Preußisches Statistisches Landesamt (Hg.), Statistsiches jahrbuch für den Freistaat Preußen, 26. Band, Berlin 1930, S. 64; 1934, S. 51.
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nur die Familie als kleinste soziale Einheit des Staates in Gefahr und Mängel in der Wohnungswirtschaft wurden sichtbar,407 sondern es wirkten sich bei einem Schuldspruch der Frau die Folgen einer Scheidung nachteilig auf ihre Rechtsstellung aus. 3.2 Das Scheidungsrecht nach dem BGB von 1896 Die Folgen einer Scheidung diskriminierten geschlechtsspezifisch, während die Scheidungsgründe den Erhalt von Ehe und Familie rechtlich erzwingen sollten. 3.2.1 Scheidungsgründe Eine Scheidung war, außer bei Geisteskrankheit (§ 1569 BGB 408), nur in den Fällen des Ehebruchs (§ 1565 BGB 409), der Lebensnachstellung (§ 1566 BGB 410) und des böswilligen Verlassens (§ 1567 BGB 411) möglich. Lag keiner dieser absoluten Scheidungsgründe vor, so konnte die Ehe nur dann geschieden werden, wenn der beklagte Ehegatte durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hatte, dass dem klagenden Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht mehr zugemutet werden konnte (§ 1568 BGB). § 1568 BGB wurde zum einen aufgrund der Offizialmaxime und zum anderen aufgrund des dem Richter zustehenden Ermessens angewendet. Allerdings auch dann, wenn sich die Scheidungsklage 407 Marie Munk, Mängel in der Wohnungswirtschaft für geschiedene Ehen, in: Die Frau, 32/1925, Heft 12, S. 372 – 373. 408 § 1569 BGB lautete: „Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte in Geisteskrankheit verfallen ist, die Krankheit während der Ehe mindestens 3 Jahre gedauert und einen solchen Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben, auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausgeschlossen ist.“ 409 § 1565 BGB lautete: „Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte sich des Ehebruchs oder einer nach den §§ 171, 175 des Strafgesetzbuches strafbaren Handlung schuldig macht. Das Recht auf Scheidung ist ausgeschlossen, wenn er dem Ehebruch oder der strafbaren Handlung zustimmt oder sich der Teilnahme schuldig macht.“ 410 § 1566 BGB lautete: „Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte ihm nach dem Leben trachtet.“ 411 § 1567 BGB lautete: „Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte ihn böslich verlassen hat. Bösliche Verlassung liegt nur vor: 1. Wenn ein Ehegatte, nachdem er zur Herstellung der häuslichen Gemeinschaft rechtskräftig verurteilt worden ist, ein Jahr lang gegen den Willen des anderen Ehegatten in böslicher Absicht dem Urteile nicht Folge geleistete hat; 2. Wenn ein Ehegatte sich ein Jahr lang gegen den Willen des anderen Ehegatten in böslicher Absicht von der häuslichen Gemeinschaft ferngehalten hat und die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung seit Jahresfrist gegen ihn bestanden haben. Die Scheidung ist im Falle des Absatz 2 Nr. 2 unzulässig, wenn die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung am Schlusse der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, nicht mehr bestehen.“
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nur hilfsweise auf § 1568, aber zuvorderst auf unbedingte (absolute) Scheidungsgründe (§ 1565 BGB) stützte.412 Das bedeutete aber nicht, dass gemäß § 1568 BGB vergleichsweise leichter geschieden wurde. Denn in der Frage der Zumutbarkeit „wird der Begriff der Schuld abhängig gemacht von dem Grund der Zerrüttung, die die Ehe durch sittliche Verfehlungen des einen Ehegatten erleidet, und selbst die Zerrüttung, auch der höchste Grad der Zerrüttung an sich, reicht noch nicht aus, eine die Ehescheidung mit Notwendigkeit zulassende Schuld daraus abzuleiten; alles kommt darauf an, ob eine Fortsetzung der Ehe dem klagenden Ehegatten zugemutet werden kann. Das entscheidende Moment ist also in die Empfindung eines Dritten gelegt, eines Fremden, in das Empfinden des Richters.“413 Also belogen die Eheleute das Gericht mit fingierten Sachverhalten, um einen Schuldspruch, die wichtigste Voraussetzung für ein Scheidungsurteil, vom Richter erzwingen zu können. Die für den schuldig Gesprochenen eintretenden nachteiligen Rechtsfolgen einer Scheidung nahmen die Geschiedenen in Kauf. 3.2.2 Scheidungsfolgen Der schuldig geschiedene Ehegatte hatte keinen Anspruch auf einen nachehelichen Unterhalt (§ 1578 Satz 1 BGB 414) oder das Sorgerecht für die Kinder (§ 1635 Satz 1 BGB 415). Mit folgendem geschlechtsspezifischen Unterschied: Nach dem Wortlaut 412 „Das Reichsgericht hat neuerdings in dem zum Abdrucke in der Entscheidungssammlung bestimmten Urteil v. 12. Juli 1926, IV 328/26, unter Abweichung von seiner früheren Auffassung ( J. W. 1904, S. 410 Nr. 26) die Scheidungsgründe aus § 1565 und 1568 BGB für nicht gleichwertig erklärt und ausgesprochen, daß wenn der Kläger den Klagegrund aus § 1565 in erster Reihe, den aus § 1568 nur hilfsweise geltend macht, das Gericht zunächst auf den ersten Klagegrund eingehen muß und seine Entscheidung nur dann auf den zweiten Klage grund stützen darf, wenn die prinzipale Klage versagt.“ In: Seuffert’s Archiv, 80. Band, 1926, Nr. 188, S. 348. 413 H. Ludwig, Ehescheidung, in: Die Frau, 14/1906, Heft 1, S. 1 – 13, S. 3. Hervorhebung nicht im Original; Seuffert’s Archiv, 61. Band, 1906, Nr. 86, S. 155 – 156. 414 § 1578 BGB von 1896 lautete: „Der allein für schuldig erklärte Mann hat der geschiedenen Frau den standesmäßigen Unterhalt insoweit zu gewähren, als sie ihn nicht aus den Einkünften ihres Vermögens und, sofern nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten gelebt haben, Erwerb durch Arbeit der Frau üblich ist, aus dem Ertrag ihrer Arbeit bestreiten kann. Die allein für schuldig erklärte Frau hat dem geschiedenen Manne den standesmäßigen Unterhalt insoweit zu gewähren, als er außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.“ 415 § 1635 Satz 1 BGB von 1896 lautete: „Ist die Ehe aus einem der in den §§ 1565 bis 1568 bestimmten Gründe geschieden, so steht, solange die geschiedenen Ehegatten leben, die Sorge für die Person des Kindes, wenn ein Ehegatte allein für schuldig erklärt ist, dem anderen Ehegatten zu; sind beide Ehegatten für schuldig erklärt, so steht die Sorge für einen Sohn unter sechs Jahre oder für eine Tochter der Mutter, für einen Sohn, der über sechs Jahre alt ist, dem Vater zu.“
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des § 1578 Satz 1 BGB hatte der schuldig geschiedene Mann der Frau nur dann Unterhalt zu leisten, soweit sie sich nicht aus ihrem Vermögen oder aus eigener Arbeit zu unterhalten vermochte. Der schuldig geschiedenen Frau hingegen gelang ein entlastender Hinweis auf eine Berufs- oder Erwerbstätigkeit des Mannes nicht in jedem Fall. Nach dem Wortlaut des § 1578 Satz 2 BGB hatte sie ihm auch dann Unterhalt zu leisten, wenn seine Berufs- oder Erwerbstätigkeit zu seinem Unterhalt nicht ausreichte. Der Mann verlor trotz Schuldspruchs die elterliche Gewalt für die Kinder nicht (§ 1635 letzter Satz BGB 416). Ob dieser Folgen gab es für die Frau genau genommen gar keinen Grund, sich scheiden zu lassen. Gleichwohl verliefen die stetig steigenden Scheidungszahlen diametral zu den Scheidungsfolgen. Nicht nur das weibliche fürsorgliche Band, das Ehe und Familie umschloss, sondern auch die Institution der Ehe und Familie schien in Auflösung begriffen. 3.3 Marie Munk und die Denkschrift des Bundes Deutscher Frauenvereine Im Oktober 1922 bereitete Marie Munk Vorschläge zum Scheidungsrecht und zur elterlichen Gewalt für den außerparlamentarischen Einfluss auf die weitere parlamentarische Reformentwicklung vor. In Maschinenschrift wurde das handschriftliche Manuskript Marie Munks von Käthe Lindenau, Sekretärin der Reichstagsabgeordneten Marie-Elisabeth Lüders und des Gewerkschaftlers Anton Erkelenz, übertragen.417 Diese Denkschrift wurde im September 1923 als Anlage zur Resolution an den Reichstag übersandt und im gleichen Jahr als Buch publiziert.418 Die Denkschrift erreichte den Rechtsausschuss des Reichstages, das Reichsjustizministerium und die Justizministerien der Länder.419 Zu dieser Veröffentlichung mögen den Bund Deutscher Frauenvereine rechtspolitisch- strategische Gründe bewogen haben, denn die Reformfragen entzündeten sich im Scheidungsrecht, weil die Scheidungszahlen nach dem E rsten Weltkrieg enorm gestiegen waren. Deshalb hoben Margarete Berent und Marie Munk in 416 § 1635 letzter Satz BGB von 1896 lautete: „Das Recht des Vaters zur Vertretung des Kindes bleibt unberührt.“ 417 Käthe Lindenau in ihrem Bericht über ihre Erfahrungen und ihre Mitarbeit in der Deutschen Frauenbewegung (21-seitiges Manuskript): „[D]ie Reform des Ehe- und ehelichen Güterrechts. Dieses letzte Thema war eins der dringlichsten Anliegen der Frauenbewegung. Dr. Marie Munk (die erste weibliche Assessorin in Preußen) verfaßte im Auftrag des Bundes Dt. Frauenvereine eine umfangreiche Broschüre über die Reform des Eherechts (ich habe sie getippt), die heute noch als Quellenmaterial viel benutzt wird. Gemeinsam mit Grete Berent, die etwa gleichzeitig mit ihr das Assessorexamen bestanden hatte, schrieb sie auch über das eheliche Güterrecht.“ In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 10, S. 7. 418 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF), MF-Nr. 2765, 2764 und 2762. 419 Zeitungsbericht in „Daheim“ vom 31. Mai 1924, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2.
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ihren allgemeinen Gesichtspunkten 420 folgende Haupterwägung ihrer Vorschläge hervor, indem sie sich auf M arianne Weber beriefen: „Gerade, weil wir die Ehe als eine geistige und seelische Gemeinschaft auffassen, in der jeder den anderen ergänzt und fördert, können wir es weder vom Standpunkt des Einzelnen noch
von dem der Gesamtheit aus als wünschenswert betrachten, daß eine Ehe, die jedes inneren
Gehaltes entbehrt und anstelle der guten die schlechten Eigenschaften der Ehegatten ent-
wickelt (Zank- und Streitsucht, Herrschsucht), durch staatlichen Zwang äußerlich aufrecht 421
erhalten wird.“
3.3.1 Zu den Scheidungsgründen Beide Autorinnen verlangten neben den unbedingten (absoluten) Scheidungsgründen eine Erweiterung der Scheidungsgründe „in vierfacher Richtung“: 1. Scheidung aufgrund objektiver Zerrüttung, mit der Möglichkeit, auf Antrag eines Ehegatten einen richterlichen Schuldspruch zu erwirken.; 2. Erleichterung der Scheidung bei Geisteskrankheit; 3. Ehescheidung aufgrund gegenseitiger Einwilligung; 4. Ehescheidung aufgrund einseitigen Antrags eines Ehegatten wegen unüberwindlicher Abneigung. Wobei die beiden letzteren Punkte (3., 4.) erst nach einer näher bestimmten Ehezeit und einer näher bestimmten Zeit des Getrenntlebens greifen sollten.422 Auch im Falle eines einseitigen Scheidungsantrages wegen unüberwindlicher Abneigung sollte es zu einem Schuldspruch kommen, „es sei denn, daß dies aus besonderen Gründen ungerechtfertigt“423 erschien. Mit diesen neuen Regelungen lagen die Scheidungsgründe zuvorderst in den Händen der Eheleute und nicht mehr nur in der Hand des Gerichts. Gleiches sollte auch für die Scheidungsfolgen gelten. 3.3.2 Zu den Scheidungsfolgen Nach Ansicht von Marie Munk sollten die Ehegatten bereits während der Ehe Verträge zur Regelung vermögensrechtlicher Ansprüche mit bindender Kraft s chließen. Der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten wurde dem Unterhaltsanspruch des späteren neuen Ehegatten gleichgestellt. Der geschiedene Ehegatte hatte den Unterhalt dem anderen geschiedenen Ehegatten gerade dann zu gewähren, wenn der andere Ehegatte nicht in der Lage war, seinen Unterhalt zu bestreiten. Der Schuldaspekt sollte nur in der Frage um die Beibehaltung des Ehenamens noch eine Rolle spielen: Der Ehename konnte nur dem schuldig geschiedenen Ehegatten untersagt 420 Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. 5 – 23. 421 Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. 6 mit Hinweis auf Marianne Weber, Frauenfragen und Frauengedanken, Tübingen 1919, S. 231. 422 Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. 7 – 8. 423 Wortlaut des § 1568, in: Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. 60, 63.
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werden.424 Haushaltsgegenstände wurden im Interesse beider Ehegatten verteilt. Die Sorge für die Kinder hatte derjenige Ehegatte (ggf. unter Beistand-Option), der auch die elterliche Gewalt innehatte. Für die Entscheidungen des Vormundschaftsgerichts über das nacheheliche Sorgerecht sollte das Interesse des Kindes vorrangig zu berücksichtigen sein. Verträge der Ehegatten, nicht nur über den Verkehr mit den Kindern, sondern auch über die elterliche Gewalt, wurden „mit bindender Wirkung“ zugelassen.425 An dieser Stelle der Lektüre bleibt für den aufmerksamen Leser fraglich, wie auf der einen Seite die Schuld in den Scheidungsfolgen fast vollständig eliminiert werden kann, aber in den Scheidungsgründen neben der ehelichen Zerrüttung noch ihren Platz hat. Diese Diskrepanz geht auf einen Strategiediskurs z wischen Marianne Weber und Marie Munk zurück, der sich in einem Vergleich z wischen der im Jahre 1923 veröffent lichten Denkschrift des Bundes und der Entwurfsfassung aus dem Herbst des Jahres 1922 offenbart. Dieser Vergleich weist auf mannigfache Änderungen hin, die die Vorschläge von Marie Munk und Margarete Berent durch die Gesamtvorstandssitzung des Bundes Deutscher Frauenvereine bis zur Drucklegung im Jahre 1923 erfahren haben.426 3.4 Unterschiede zwischen den Reformvorschlägen aus dem Jahr 1923 und ihrem Entwurf aus dem Herbst des Jahres 1922 In ihrem Entwurf wollten Marie Munk und Margarete Berent das Schuldprinzip ausnahmslos aus § 1568 BGB eliminieren und nur auf Antrag eines Ehegatten zum Bestandteil des Scheidunsgurteils werden lassen. Der Bund Deutscher Frauen vereine hingegen wollte die Schuldgründe des § 1568 BGB nicht nur beibehalten, sondern um eine grobe und böswillige Vernachlässigung von Unterhaltspflichten noch erweitern, um damit das objektive Zerrüttungsprinzip zu ergänzen.427 Die Entwurfsfassung aus dem Herbst 1922 sah Verträge der Eheleute über die nachehe lichen Scheidungsfolgen nur bei einer Scheidung auf übereinstimmenden Antrag der Ehegatten vor.428 Ein einseitiger Antrag auf Scheidung wegen unüberwindlicher Abneigung war nicht vorgesehen. Doch vornehmlich über die Frage, ob in der Denkschrift des Bundes mit den Scheidungsgründen zugleich die Folgen einer Scheidung gewürdigt werden sollten, entbrannte ein Diskurs z wischen Marie Munk und Marianne Weber. Dieser entzündete sich in der Frage um die elterliche Gewalt. 424 Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. 64 – 65. 425 Ebd., S. 8 – 9. 426 Anlage zum Schreiben Marie Munks vom 22. Oktober 1922 an Marianne Weber, in: LAB B Rep. 235 – 01 MF-Nr. 2765. 427 Anlage zum Schreiben Marie Munks vom 22. Oktober 1922 an Marianne Weber, in: LAB B Rep. 235 – 01 MF-Nr. 2765, dort Wortlaut des § 1568 BGB im Vergleich zum Wortlaut des § 1568, in: Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. 60, 63. 428 Anlage zum Schreiben Marie Munks vom 22. Oktober 1922 an Marianne Weber, in: LAB B Rep. 235 – 01 MF-Nr. 2765.
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3.5 Der Diskurs über die Bedeutung der Scheidungsfolgen zwischen Marianne Weber und Marie Munk Am 22. Oktober 1922 teilte Marie Munk Marianne Weber mit, dass die Frage der elterlichen Gewalt nicht getrennt von den Ehescheidungsgründen dargestellt werden dürfe. Zum einen würden die Ehescheidungsgründe ohne Beurteilung ihrer Folgen „eigentlich in der Luft hängen.“429 Zum anderen ginge der Bund Deutscher Frauen vereine „von der Grundauffassung aus, dass beide Ehegatten die elterliche Gewalt haben, dass die Stellung der M utter also eine andere ist als bisher.“430 Gleichwohl verkannte Marie Munk nicht, dass eine „gleichzeitige Aenderung der Vorschriften über die elterliche Gewalt die Reform des Ehescheidungsrechts verzögern und erschweren“ könne.431 Marie Munk setzte sich mit ihrem ganzheitlichen Reformansatz im Wesentlichen durch, wie nicht nur an dem dann gewählten Titel der Publikation, sondern auch an den Reformvorschlägen zu erkennen ist.432 Im Gegenzug haben womöglich Marie Munk und Margarete Berent den erweiterten Tatbestand für einen neuen § 1568 BGB und die mit seinem Wortlaut initiierte Schuldfrage in den Scheidungsgründen akzeptiert. 3.6 Der Einfluss der Denkschrift auf die Printmedien im In- und Ausland Wenige Monate später, am 6. Juli 1924, erschienen die ersten positiven Reaktionen auf diese Veröffentlichung. „Endlich wieder ein öffentliches Wort über Ehescheidungen und Vorschläge zu ihrer Erleichterung!“, schrieb die promovierte Ärztin Anna Raabe in der Vossischen Zeitung.433 Prof. Wieruszowski beurteilte Marie Munks Vorschläge als „reiflich durchdacht, auf ihre praktischen und ethischen Wirkungen hin sorgfältig geprüft und wissenschaftlich besonders durch vergleichende Hinweise auf fremde Gesetzgebungen fest unterbaut.“434 Die Schrift wurde als „Munk’sche 429 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. Kursive Hervorhebungen durch die Verfasserin. 430 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. Kursive Hervorhebungen durch die Verfasserin. 431 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. Kursive Hervorhebungen durch die Verfasserin. 432 „Wie bereits ausgeführt, konnte eine Regelung der elterlichen Gewalt bei geschiedenen Ehen, die unserer Auffassung vom Wesen der Ehe entspricht, nicht ohne gleichzeitige grundsätz liche Abänderung der gesamten Vorschriften über die elterliche Gewalt erfolgen.“ Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. 37. 433 Vossische Zeitung, 5. Beilage Nr. 318, Rubrik: Briefe an die Vossische Zeitung; Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 434 Alfred Wieruszowski, Dr. jur. Marie Munk: Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts der Ehescheidung und der elterlichen Gewalt nebst Gesetzentwurf. Denkschrift des Bundes deutscher Frauenvereine, Berlin 1923 (Rezension), in: Juistische Wochenschrift, 54/1925, Heft 4, S. 329.
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Reformvorschläge“ in der Öffentlichkeit 435 bekannt und auch auf Veranstaltungen in der Frauenbewegung und in Juristenkreisen diskutiert.436 Marie Munk wiederholte ihre Reformvorschläge in der Tages-437 und Frauenpresse.438 Für die damalige Zeit recht provokant: „Was wir Frauen fordern: Elterliche, nicht väterliche Gewalt.“439 Stets verknüpfte sie eine Reform des Ehescheidungsrechts mit dem weitaus wichtigeren Teil der Reform: den Scheidungsfolgen.440 In ihren Artikeln beförderte Marie Munk besonders den Akzent, dass die Reform der Scheidungsfolgen ohne eine Reform des Güterrechts nicht in Angriff genommen werden konnte. 441 Es fällt auf, betrachtet man die Printmedien dieser Zeit auch nur kursorisch, dass fortan weniger über rechtliche Einzelgebiete des Familienrechts 442, sondern in den ört lichen Tageszeitungen vermehrt über alle Rechtsgebiete hinweg für eine gesamte familienrechtliche Reform eingetreten wurde. Vor allem die Stellung der Frau ist es, die in den Titelüberschriften, wie zum Beispiel in den Worten „Rechte der Frau und Mutter“443, in Erscheinung tritt. Nur zu Zwecken des Rechtsvergleichs 444 oder 435 Eine kleinere Zeitungsausschnittsammlung befindet sich in den Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 436 „In Anbetracht der Wichtigkeit der Munk’schen Reformvorschläge für die Weiterentwicklung des Familienrechts erwarten wir zahlreichen Besuch und bitten Sie, in ihrer Organisa tion auf den Vortrag hinzuweisen.“ Text zur Einladung einer Veranstaltung des Verbandes Kölner Frauenvereine gemeinsam mit der Kölner Juristischen Gesellschaft für den Januar 1925. Weiterer Diskussionsredner war Senatspräsident Wieruszowski. In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 437 „Ehescheidung und Eheläuterung. Denkschrift der Frauenvereine“, in: Erste Beilage zur Vos sischen Zeitung vom 29. Juni 1924 sowie „Wie ist die Ehescheidung gesetzlich zu erleichtern?“, in: „Die Republik“ vom 5. November 1924, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 4. 438 Marie Munk, Zur Umgestaltung des Rechts der Ehescheidung und der elterlichen Gewalt, in: Die Frau, 31/1924, Heft 6, S. 163 – 166; Marie Munk, Die Reform des Ehescheidungsrechts, in: Die Neue Generation, 20/1924, Heft 12, S. 289 – 294; Marie Munk, Die elterliche Gewalt und ihre Reform, in: Juristische Wochenschrift, 54/1925, Heft 4, S. 309 – 310. 439 Marie Munk, in: Berliner Zeitung Nr. 176 vom 14. April 1927, o. S. 440 Marie Munk, Die Reform des Ehescheidungsrechts, in: Die Neue Generation, 20/1924, Heft 12, S. 289 – 294, S. 292. 441 Ebd. 442 Das wird besonders durch den Bericht mit dem Titel „Der Kampf der Frau um ihr Recht“ von Johanna Waescher im Casseler Tageblatt vom 28. Oktober 1925 deutlich. In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 443 Zeitungsartikel aus der Zeitungsausschnittsammlung in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2, o. D. 444 „Vortrag einer Rechtsanwältin“, in: Wiener Tageblatt Nr. 179 vom 1. Juli 1927, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2.
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ausschließlich zum Unehelichenrecht erfolgten noch Einzelbetrachtungen.445 Unter dem Titel „German Lawyer Says Germany is Behind“446 wurde über die Forde rungen Munks auch im Ausland berichtet. Marie Munks Denkschrift über die Ehescheidung und die elterliche Gewalt wurde von der juristischen Fachwelt in Deutschland in den folgenden Jahren aufgegriffen und gewürdigt. 3.7 Kritik und positive Anregungen aus der Fachwelt Curt Rosenberg nahm in seiner von Wieruszowski wohlwollend besprochenen 447 Publikation „Ehescheidung und Eheanfechtung“ (1926) Stellung zu einer vertrag lichen Regelung der Scheidungsfolgen. Er ergänzte Munks Forderung eines Vertrages über die Scheidungsfolgen mit dem Vorschlag, diesen auch noch im Zeitraum des erst noch zu erwartenden Scheidungsurteils abschließen zu können. Die Eheleute müssten lediglich die Wirksamkeit von der Bestätigung des Gerichts abhängig machen und den Vertrag notariell hinterlegen. Er setzte sich dafür ein, dass Eheleute schon jetzt solche Verträge schließen könnten, wenn sie keine sittenwidrigen Zwecke damit verfolgen würden.448 Im Sorgerecht knüpfte Rosenberg an die Rechtslage vor Entstehung des BGB an. Verträge waren für ihn Mittel zum Zweck, um „diesen alten Zustand wieder herzustellen“449. Munk sah in einer auf Rosenbergs folgenden Veröffentlichung Verträge über das elterliche Sorgerecht jedoch nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts als wirksam an.450 Heftige Kritik zu den Vorschlägen von Marie Munk gab es von Rudolf Henle. Das Verschulden neben einer Zerrüttung war ihm ein Dorn im Auge. Dies war aber gerade ein Detail, dass, entgegen des ursprünglichen Vorschlags von Munk und Berent, vom Bund Deutscher Frauenvereine in die Denkschrift aufgenommen worden war. Henle griff d ieses Nebeneinander von Schuld und Zerrüttung als geradezu widernatürliche Diskrepanz auf: „Wohl aber hat sich der Bund Deutscher Frauen vereine dahin verirrt, eine Scheidung wegen Zerrüttung selbst bei Verschulden des 445 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 446 Jefferson County Union. Issue Dated 11 – 7 – 24, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 2. 447 „[D]as Buch ist aus der Praxis für die Praxis geschrieben […]. Ich darf dem Buche aufrichtig weite Verbreitung wünschen.“ In: Alfred Wieruszowski, Rezension zu Curt Rosenberg, Ehescheidung und Eheanfechtung nach deutschem und ausländischem Recht und Ehescheidung der Ausländer in Deutschland, in: Juristische Wochenschrift, 55/1926, Heft 15, S. 1910 – 1911. 448 Curt Rosenberg, Ehescheidung und Eheanfechtung nach deutschem und ausländischem Recht und Ehescheidung der Ausländer in Deutschland, Berlin 1926, S. 57 – 58. 449 Ebd., S. 66. 4 50 Marie Munk, Schutz der Kinder aus geschiedenen und zerrütteten Ehen, in: Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt, 19/1927, Heft 7, S. 181, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 2.
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die Scheidung begehrenden Ehegatten zu befürworten.“451 Überhaupt wandte er sich gegen jegliche Fallbeispiele aus dem Leben in der Denkschrift des Bundes, die sich insbesondere auf die betrügerischen Machenschaften der Eheleute bezogen, um ein Scheidungsurteil zu erzwingen. Gegen die lebensnahe Möglichkeit, dass ein älterer Mann sich einer jüngeren Frau zuwende, nur um geschieden zu werden, polemisierte er: „Es gibt Mädchen, die sich einem anderweitig verheirateten Manne versagen!“452 Henle beschloss seine Kritik fast, so scheint es, atemlos vor Wut: „Die Darstellung der Denkschrift, wonach die Frauen – die größere Hälfte des Volkes – die Erleichterung der Scheidung ‚fordern und verlangen‘, ist eine Irreführung, die jeder Verurteilung spottet. Der Bund umfaßt nach eigener Mitteilung 900 000 Mitglieder. Er ist nicht im Geringsten berechtigt, im Namen der deutschen Frauen insgesamt zu sprechen.“453 Die Denkschrift offenbare ihre wahre Intention, indem sie „dem Ehegatten das Festhalten des anderen an dem auf Lebenszeit gegebenen Worte verwehrt“454. Mit seiner Kritik vermochte Rudolf Henle den Einfluss Marie Munks auf die Reform doch nicht aufzuhalten. Marie Munks Einfluss lag in den folgenden Jahren im ehelichen Güterrecht, das in seinen Bestimmungen auch die Folgen einer Scheidung maßgeblich mitbestimmen konnte. Den Anstoß für eine Änderung des ehelichen Güterrechts gab Marie Munk, indem sie den Deutschen Juristentag in gleichberechtigter weiblicher juristischer Profession profilierte.
4. Marie Munks Vorschläge zum Ehegüterrecht auf dem 33. Deutschen Juristentag (1924) Der Deutsche Juristentag e. V. ist ein eingetragener Verein mit heute rund 7.000 Mitgliedern. Juristen aus allen Teilen der Bundesrepublik, aus allen Berufsgruppen und aus allen Generationen haben und hatten sich auch damals zum Ziel gesetzt, auf wissenschaftlicher Grundlage die Notwendigkeit von Änderungen und Ergänzungen der Rechtsordnung zu untersuchen, der Öffentlichkeit Vorschläge zur Fortentwicklung des Rechts vorzulegen, auf Rechtsmissstände hinzuweisen und einen lebendigen Meinungsaustausch unter den Juristen aller Berufsgruppen und Fachrichtungen herbeizuführen. Der Verein ist keine Interessenvertretung bestimmter beruflicher oder gesellschaftlicher Gruppen, weshalb sein Wort in der juristischen Öffentlichkeit und auch für den Gesetzgeber besonderes Gewicht hat. 451 452 453 454
Rudolf Henle, Erleichterung der Ehescheidung, Rostock 1927, S. 18. Rudolf Henle, Erleichterung der Ehescheidung, S. 20 Fußnote 16. Ebd., S. 21 Fußnote 18. Ebd., S. 23.
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Zu diesem Zweck veranstaltet der Verein seit 1860 alle zwei Jahre in einer deutschen Stadt seiner Wahl den „Deutschen Juristentag“, einen Kongress mit 2.500 bis 3.500 Teilnehmern.455 Im Jahr 1924 fand der 33. Deutsche Juristentag in Heidelberg statt. Marie Munk war die erste Berichterstatterin des Deutschen Juristentages. Sie erinnerte sich: “The legal profession was evidently ready to accept women as their equals. This became parti cularly clear to me when, a few months after my admission to the Bar, I was invited to be
one of the main speakers at the ‘Deutscher Juristentag’ in Heidelberg, an international legal society whose membership consisted of German, Austrian, Czechoslowakian judges, lawyers
and university professors. The topic at this meeting was: ‘Which changes are needed in the
future laws governing the property rights of married women?’ The speakers, Professor Kipp,
University of Berlin, Professor Wieruszowski, University of Cologne, and myself were asked
to submit detailed proposals for these changes and to present our suggestions at the meeting.
I was the first woman who was put on the program of this distinguished society which had
been in existence for about seventy years. […] We all three agreed that the property rights of
married women in the civil code which had been enacted in 1900, did not give equality to 456
married women.”
Dieser Erfolg Munks – um ihn an dieser Stelle gleich vorwegzunehmen – wurde auch durch eine von Margarete Berent im Auftrag des Bundes Deutscher Frauenvereine verfasste Sondernummer mit dem Titel „Neuregelung des ehelichen Güterrechts“457 beeinflusst, die vor Beginn der Diskussion an alle Teilnehmer des Deutschen Juristentages verteilt wurde. Dieses Papier suchte mit dem Hinweis auf den wirtschaft lichen Wert der Frau, ganz gleich, ob als Hausfrau oder mitarbeitende Familienangehörige, die letzten Zweifler des 33. Deutschen Juristentages von einer Reform zu überzeugen.458 Ein zentraler Hinweis, der sich für den 33. Deutschen Juristentag als richtungweisend für seine Entschließung herausstellen sollte und die übrigen Forde rungen Marie Munks für eine Reform des Ehegüterrechts stützte. 4.1 Die Forderungen Marie Munks Marie Munk plädierte in ihrem Gutachten für die Einführung eines gesetzlichen Güterstandes der „Gütertrennung in Verbindung mit einer Beteiligung am Ehegewinn“. Die Frau sollte ihr Vermögen zur ehemännlichen Verwaltung nur noch nach 455 http://www.djt.de/der-verein/ (15. 10. 2013). 456 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XI Experiences as an Attorney at Law, S. 7 – 8. Hervorhebung nicht im Original. 457 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2879. 458 Ebd., S. 46 des Sonderdrucks.
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freier Überzeugung überlassen.459 Die Güterstände der Verwaltungsgemeinschaft und die Güterstände der Fahrnis-, Errungenschafts- und allgemeinen Gütergemeinschaft würden vertragliche Güterstände werden.460 4.1.1 Das Sondergut Das von jedem Ehegatten getrennt zu verwaltende Sondergut (eingebrachte Vermögen) sollte in einem beim Standesamt oder Vormundschaftsgericht geführten Inventar verzeichnet werden, sodass das Sondergut nach Auflösung oder Scheidung der Ehe von dem übrigen vorhandenen Gesamtvermögen ausgesondert werden konnte. 4.1.2 Der Zugewinn Bei Auflösung der Ehe oder Beendigung des Güterstandes sollte zwischen den Ehegatten der Ehegewinn hälftig in Geld geteilt werden.461 Abweichungen konnten durch Ehevertrag oder testamentarische Verfügung geregelt werden. Im Falle des Todes floss den Erben des Ehegatten eine Abfindung zu. Eine Klage auf Aufhebung der Gewinnbeteiligung während der Ehe, aber auch bei dauerndem Getrenntleben, war nur unter bestimmten engen wirtschaftlichen Voraussetzungen (Verschwendung, Verminderung unter der Absicht der Benachteiligung) ermöglicht.462 4.1.3 Haftung aus dem Gesamtvermögen Die Haftung aus dem Gesamtvermögen zugunsten der Gläubiger des Ehemannes anhand der gesetzlich fixierten Eigentumsvermutung (§ 1362 BGB) sollte nur noch für die im Besitz des Mannes oder beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen vorgesehen sein.463 4.1.4 Zugewinn nach einer Scheidung Der nicht schuldige Ehegatte konnte während des Scheidungsprozesses erklären, dass die Gewinnbeteiligung für den anderen Ehegatten ausgeschlossen sei. Nach den Kriterien Entbehrlichkeit und Unentbehrlichkeit würden Haushaltsgegenstände unter den ehemaligen Ehegatten übertragen werden. Im Falle einer Nichteinigung entschied das Vormundschaftsgericht.464 459 Schriftführeramt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 339 – 344, S. 339, 340. 460 Ebd., S. 342, 343. 461 Ebd., S. 340. 462 Ebd., S. 340 – 342. 463 Ebd., S. 342, 343. 464 Ebd., S. 340 – 342.
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4.1.5 Eherechtliche Forderungen Die Bestimmungen des § 1356 BGB verpflichteten fortan jeden Ehegatten, durch Zuschuss in Geld zu den Lasten des gemeinsamen Lebens beizutragen. Eine Beschränkung der Schlüsselgewalt durch den Mann gegenüber der Frau war nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erlaubt. Das Kündigungsrecht des Mannes von Arbeitsverträgen der Frau war gestrichen. Eine gesamtschuldnerische Haftung aus der gemeinschaftlichen Haushaltsführung war vorgesehen. Eine Vollstreckung in das Vermögen der Frau sollte lediglich bei Zahlungsunfähigkeit des Mannes erfolgen.465 4.2 Theodor Kipp Kipp würdigte in seinem Vortrag eine Streichung des gesetzlichen Güterstandes der Verwaltungsgemeinschaft „nicht bloß als einen Akt des formalen Gehorsams gegen Reichsverfassung Art. 119, sondern“ als „eine Forderung der Gerechtigkeit“466. Ein Zugewinn sei eine „Forderung der Frauen nach einer solchen Beteiligung“ und wegen „des Wertes der Leistungen der Frau als Hausfrau und M utter“ als „gerechtfertigt“467 anzusehen. Kipp nahm jedoch folgende Modifikationen vor: a) Nur dasjenige sollte der Halbteilung unterliegen, das den Zugewinn des anderen Ehegatten übersteigt.468 b) Im Falle offenbarer Unbilligkeit hielt er eine andere als die hälftige Teilung des Zugewinns für zu weitgehend. c) Nicht nur der schuldige, sondern auch der die Scheidung begehrende Ehegatte verlor den Anspruch auf den Zugewinn.469 d) Einer vorzeitigen Aufhebung der Gewinnbeteiligung bei Vermögensgefährdung des anderen Ehegatten mochte er sich nicht uneingeschränkt anschließen. Es könnten sich ja die Vermögensverhältnisse zum Positiven wenden.470 e) Kipp sprach sich auch gegen eine Streichung des Kündigungsrechts des Mannes aus, obgleich er für den Bedarf des täglichen Lebens und die Unterhaltspflicht beide Ehegatten unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit gemeinsam verpflichten wollte.471 Es schien so, als sei die Reform des Güterrechts für die Zukunft grundsätzlich nicht mehr aufzuhalten. Doch die Hausfrauentätigkeit als wirtschaftlichen Beitrag für die Ehe anzuerkennen, stieß bei Alfred Wieruszowski auf erhebliche Einwände. 465 Ebd., S. 343, 344. 466 Schriftführeramt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Vortrag Theodor Kipp, S. 344 – 357, S. 345. 467 Ebd., S. 345, 346. 468 Ebd., S. 354. 469 Ebd., S. 355. 470 Ebd., S. 355, 356. 471 Ebd., S. 350, 351.
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4.3 Alfred Wieruszowski Es mutete für die Änderung des ehelichen Güterrechts wie eine unüberwindliche Hürde an, als Wieruszowski in seinem Vortrag die Frage aufwarf, ob denn „die Eheleistungen der Frau wirklich materiell so hoch zu bewerten“ s eien, „daß sie einen Anspruch auf die Hälfte des ehemännlichen Zugewinstes rechtfertigen?“472 Er meinte klarstellen zu müssen, dass der „Vermögenserwerb des Mannes“ zum „aller wesentlichsten Teile auf der Entfaltung seiner Erwerbskraft“ beruhe, sodass „er sich auch den Hauptteil am Erfolge zuschreiben“ dürfe.473 Wieruszowski sah darüber hinaus die Reform des Ehegüterrechts insbesondere deshalb als gefährdet an, weil der Zugewinnanspruch „grundsätzlich erst bei der Auflösung der Ehe entstehen“ dürfe und die Ehegatten bis dahin über ihr Vermögen volle Freiheit der Verfügung und Schuldverstrickung hätten: So „schwebt die Anwartschaft auf den Zugewinstanteil in der Luft“474. Die angedachte Neuregelung orientiere sich an den rechtlichen Bestimmungen in den nordischen Rechtskreisen, obgleich dort eine hinreichende praktische Erprobung bisher fehle.475 Gravierende Praxisprobleme entstünden bei Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unbilligkeit, um eine andere als die hälftige Teilung des Zugewinns festzulegen.476 Einem Vermögensverzeichnis für das Sonder gut sprach Wieruszowski ohne Begründung den Erfolg ab.477 Gleichwohl konnte sich Wieruszowski einer Würdigung der Vorschläge Marie Munks nicht ganz verschließen. Für den Fall, dass sich der Deutsche Juristentag den Vorschlägen von Munk und Kipp anzuschließen gedenke, wiederholte er in seinem Vortrag einige Eckpunkte aus seinem Gutachten für den Fall des Todes eines Ehegatten und für die vermögensrechtliche Auseinandersetzung nach einer Scheidung: a) Im Falle der Auflösung der Ehe durch Scheidung sollte ein „Anspruch auf Beteiligung an der Vermögensmehrung“, die auf der Grundlage richterlicher Feststellung „im Vermögen des andern Ehegatten während der Ehe eingetreten ist“478, greifen. b) Für den Fall des Todes trat Wieruszowski für eine Erhöhung des gesetz lichen Erb- und Pflichtteils neben den Abkömmlingen ein.479 472 Schriftführeramt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Vortrag Alfred Wieruszowski, S. 357 – 369, S. 361. 473 Ebd., S. 361. 474 Ebd., S. 365. Hervorhebung nicht im Original. 475 Ebd., S. 359, 367. 476 Ebd., S. 362. 477 Schriftführeramt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Vortrag Alfred Wieruszowski, S. 357 – 369, S. 363. 478 Ebd., Gutachten Alfred Wieruszowski, S. 331 – 339, S. 338 – 339. 479 Schriftführeramt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Vortrag Alfred Wieruszowski, S. 357 – 369, S. 367.
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Den Argumenten von Kipp gegen eine vorzeitige Aufhebung der Gewinnbeteiligung bei Vermögensverschlechterung trat er bei.480 Munks Vorschlag für eine Aufhebung der Gewinnbeteiligung im Falle des Getrenntlebens der Ehegatten betrachtete er als „eine Prämie auf die Loslösung“ von der ehelichen Gemeinschaft, weil mit ihr der sofortige wirtschaftliche Ausgleich verbunden sei.481 Mit diesen Worten aber ließ sich Wieruszowski auch nur ein Stück weit auf die Argumente von Kipp und Munk ein. Grundsätzlich blieb er kritisch eingestellt gegenüber den Vorschlägen von Kipp und Munk. In der Folge wurde er mit seinen eigenen Waffen geschlagen. 4.4 Gegenstellungnahme Marie Munk Wieruszowski habe erklärt, begann Marie Munk ihre Ausführungen, „daß er die Verbindung der beiden Systeme der Gütertrennung und der Zugewinstgemeinschaft als ein Ziel aufs innigste zu wünschen ansehe und in ihr das Heil der Zukunft für das eheliche Güterrecht erblicke“482. Folglich solle man, wo man wie der Berichterstatter Kipp „sachlich dasselbe“ meine, den Streit um die Bezeichnung dem Gesetzgeber überlassen.483 Zum wirtschaftlichen Wert der Hausfrauentätigkeit fragte sie die Mitglieder des Deutschen Juristentages: „[W]oher kommt es, daß der unverheiratete Mann der gleichen Gehaltsstufe nicht besser lebt
als der verheiratete und dennoch in der Regel keine größeren, sondern eher geringere Erspar-
nisse macht als dieser, obwohl sie mir alle zugeben werden, daß die Frauen- und Kinderzulage
nicht annähernd die Ausgaben deckt, die für Frau und Kinder erforderlich sind. Ich meine, 484
daß diese Erfahrung sich durch die erhaltende und fürsorgende Tätigkeit der Frau erklärt.“
Gerade deshalb entspräche „die Beteiligung an der ehezeitlichen Errungenschaft durchaus der wirtschaftlichen, nicht nur der sittlichen Bedeutung, die die Leistungen der Frau für die eheliche Gemeinschaft, für den ehelichen Wohlstand“ habe.485 Wolle man aber „die verheiratete Frau dem Hause erhalten, was doch sicherlich wünschenswert ist und den natürlichen Verhältnissen auch allein entspricht, so muß ihre Tätigkeit, jedenfalls bei Auflösung der Ehe, die materielle Bewertung finden, 480 Schriftführeramt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Vortrag Alfred Wieruszowski, S. 357 – 369, S. 365. 481 Ebd., S. 366. 482 Schriftführeramt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Vortrag Marie Munk, S. 369 – 380, S. 370. 483 Schriftführeramt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Vortrag Marie Munk, S. 369 – 380, S. 370. 484 Ebd., S. 371. 485 Ebd., S. 372.
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die sie verdient“486. Der Einwand hiergegen, „daß die Tätigkeit der Frau“ durch eine Gewinnbeteiligung „zu einer bezahlten Arbeitskraft herabgewürdigt“ werde, sei hinfällig, weil „der Anspruch erst aber bei Auflösung der Ehe durch Tod und Scheidung fällig“487 würde. Folglich könne man, um ihre Vorschläge zu befürworten, wie Wieruszowski es getan habe, „güterrechtliche und erbrechtliche Gesichtspunkte nicht vermischen“.488 Mit diesen Gegenargumenten überführte Marie Munk den Begriff der „Zugewinstgemeinschaft“ in eine „Gütertrennung in Verbindung mit einer Gewinnbeteiligung beider Ehegatten“489. Für die ausschließlich männlichen Mitglieder des 33. Deutschen Juristentages in deren Rolle als Ehemänner ein bildhaftes Argument.490 Marie Munk bewirkte so die fast einstimmige Annahme von Kipps Hauptthese. 4.5 Die Entschließung des 33. Deutschen Juristentages Der 33. Deutsche Juristentag endete deshalb mit folgender Entschließung: „Als künftiges gesetzliches eheliches Güterrecht empfiehlt sich die Gütertrennung in Verbindung mit einer Beteiligung beider Gatten an der Errungenschaft. Eheverträge sind, wie bisher, zuzulassen.“491 Die juristische Fachwelt war von den Vorschlägen Margarete Berents und Marie Munks überzeugt worden. Doch die öffentliche Meinung noch lange nicht. Das wusste Marie Munk und veröffent lichte engagierte Artikel gegen das noch geltende Güterrecht des BGB, um die Reform voranzubringen. 4.6 Presseberichte über den 33. Deutschen Juristentag In ihrem Artikel „Welche Richtlinien sind für die zukünftige Gestaltung des ehe lichen Güterrechts aufzustellen?“ berichtete Marie Munk über den 33. Deutschen Juristentag.492 In ihrem Aufsatz „Die Schlüsselgewalt der Ehefrau“ in der Zeitschrift „Neue Frauenkleidung und Frauenkultur“493 hob sie hervor, dass die Entziehung der Schlüsselgewalt eine „öffentliche Beleidigung“ der Frau sei, „die ihr durch“ 486 Ebd., S. 372. 487 Ebd. 488 Schriftführeramt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Vortrag Marie Munk, S. 369 – 380, S. 373. 489 Ebd., S. 369, 370. 490 Ebd. 491 Schriftführeramt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Entschliessung, S. 384. Hervorhebung nicht im Original. 492 Marie Munk, Welche Richtlinien sind für die zukünftige Gestaltung des ehelichen Güterrechts aufzustellen?, in: Juristische Wochenschrift, 53/1924, Heft 23, S. 1816 – 1819. 493 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 2.
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eine öffentliche „Bekanntmachung zugefügt“ würde. Diese werde „nicht dadurch beseitigt, daß sie hinterher das Vormundschaftsgericht anrufen“ könne.494 Munk veröffentlichte kleine Fallbeispiele, die wie ein Gespräch unter Eheleuten aufgebaut waren, in der Zeitschrift „Der Bazar“, um die Unzulänglichkeiten der geltenden Rechtslage aufzuzeigen und so für die Reform zu werben.495 Sie kritisierte das Kündigungsrecht des Ehemannes und machte deutlich, dass dieses ehemännliche Recht den Personalabbaugesetzen „in die Hand“ spielte.496 Zugleich zeigte sie auf, dass die Hausfrauen- und Erwerbsarbeit der Frau für das Familieneinkommen im geltenden ehelichen Güterrecht nicht beachtet werde und dies ein diskriminierender Widerspruch sei.497 Zugleich berichteten Margarete Berent und Marie Munk über die Verhandlungen und die Entschließung des 33. Deutschen Juristentages in verschiedenen Tageszeitungen und Fachzeitschriften.498 Beide hielten in Deutschland 499 und in Österreich Vorträge.500 Langsam wuchs auch unter den Ländern des Reiches der Reformwille – doch das ging offensichtlich dem Reichsjustizministerium viel zu schnell.
494 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 2. 495 Portia im Alltag, in: Der Bazar, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 2. 496 Marie Munk, Beruf und Ehe, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 2. 497 Marie Munk, Das eheliche Güterecht und die Mitarbeit der Frau, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 21/1925, Heft 11, S. 332 – 334. 498 Berent, Margarete, Die Reform des ehelichen Güterechts a. d. 33. Deutschen Juristentag, in: Die Frau, 32/1924, Heft 1, S. 15 – 16; Theodor Kipp, Alfred Wieruszowski und Munk, Welche Richtlinien sind für die zukünftige Gestaltung des ehelichen Güterrechts aufzustellen?, in: Juristische Wochenschrift, 53/1924, Heft 23 S. 1816 – 1819; Marie Munk, Die Umgestaltung des ehelichen Güterrechts, in: Die Frau, 32/1924, Heft 2, S. 39 – 4 4; Rechte der Frau und Mutter, Zeitungsartikel vom 5. März 1929; Ehen, die nicht im Himmel geschlossen werden, o. S.; Die Frau und das Recht, Berliner Zeitung am Mittag vom 20. Januar 1933, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 499 Einladung zum „Sozialen Abend“ in den Frauen-Gruppen für Soziale Arbeit in Berlin für den 23. Januar 1928 mit dem Thema „Gestaltwandel der Ehe in unserer Zeit“, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 5 00 Vortrag einer Rechtsanwältin. Die vermögensrechtliche Stellung der Frau, in: Wiener- Tageblatt Nr. 179 vom 1. Juli 1927, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2.
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4.7 Die Wirkungen des 33. Deutschen Juristentages auf den parlamentarischen Reformprozess im Ehe- und Ehegüterrecht (1925 – 1931) Im Frühjahr 1925 überlegten einige Länder „ein Regionalsystem zu erhalten“501; zurückzukehren zu den Regelungen, die vor Inkrafttreten des BGB galten. Andere Länder wollten die Reformprozesse auf Reichsebene anstoßen.502 Das Reichsjustiz ministerium brachte daraufhin seine Einschätzungen über den Deutschen Juristentag zum Ausdruck. Dies aber mit dem Ziel, den Reformprozess nicht beginnen zu müssen.503 Der Reichsjustizminister bezweifelte gar, ob durch Einführung eines gesetzlichen Systems der Gütertrennung und der Beteiligung beider Ehegatten an der Errungenschaft“504 dem Art. 119 WRV überhaupt Rechnung getragen werden könne. Aufforderungen der deutschen Frauenbewegung zur Vorlage eines Gesetzentwurfes 505, der die Entschließung des 33. Deutschen Juristentages beinhaltete, wurden zu den Akten des Reichsjustizministeriums verfügt.506 Gar bis zu Beginn des Jahres 1927 blieb das Parlament ohne ministeriellen Gesetzentwurf. Dies hatte zur Folge, dass die Zentrumspartei die Reform des Ehe- und Güterrechts als Mittel gegen 501 Abschrift aus dem Schwäbischen Merkur vom 29. Januar 1925, in: Bundesarchiv RJM R 3001, Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1386, o. S. 502 So richteten der Badische Justizminister und der Württembergische Justizminister im Februar und März 1925 Anfragen an den Reichsjustizminister, „ob und in welcher Richtung Vorarbeiten […] für eine Änderung des geltenden ehelichen Güterrechts im Gange sind.“ In: Bundesarchiv RJM R 3001, Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1386, S. 14 – 15R. 503 „Bei den Verhandlungen des vorjährigen Deutschen Juristentages […] sind wesentliche Gesichtspunkte, insbesondere die Frage, ob und in welcher Weise die Ehegatten nach der Auflösung der Ehe an der beiderseitigen Errungenschaft zu beteiligen sein möchten, nicht zu voller Klärung gekommen. Die Erörterungen sind inzwischen in der Öffentlichkeit fortgesetzt worden (vgl. z. B. die Aufsätze von C. Jellinek und von Professor Wieruszowski in der Kölnischen Zeitung vom 17. September und 30. November v. J., dazu auch der „Hausfrau und Mutter nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch“ überschriebene Sitzungsbericht im Kölner Tageblatt vom 20. Januar d. J.). Im Reichsjustizministerium wird diese Entwicklung der Angelegenheit, die bei den Verhandlungen über den Haushalt des Reichsjustizministeriums im Ausschuss des Reichstags am 7. und 11. Februar d. J. von mir sowohl als aus der Mitte des Ausschusses berührt worden ist, aufmerksam verfolgt. Die Aufstellung eines Gesetzentwurfs ist bisher nicht erfolgt.“ Schreiben des Rechsjustizministers an den Reichstag und weitere Länderjustizminister vom 29. Juni 1925, In: Bundesarchiv RJM R 3001, Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1386, Bl. 17 – 18. 504 Verhandlungen des Reichstags. III. Wahlperiode 1924, Band 384: Stenographische Berichte (von der 1. Sitzung am 5. Januar 1925 bis zur 36. Sitzung am 17. März 1925), Berlin 1925, 33. Sitzung am 10. März 1925, S. 965 – 998, S. 981 (D). 5 05 Bundesarchiv RJM R 3001, Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1386, Bl. 13 und weiteres Dokument mit unleserlicher Blattzahl. 506 Bundesarchiv RJM R 3001, Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1386, Bl. 13, 73.
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eine Ehescheidungsreform verwendete: „Denken Sie daran, daß die Frau zum Beispiel in den gebildeten Kreisen ein Vermögen mitgebracht hat, daß das Vermögen entwertet ist, so daß ihre Stellung dem Manne gegenüber von selbst erschüttert ist, weil sie eben nicht mehr ein Äquivalent bietet, – ein wichtiger Gesichtspunkt, der trotz des idealen Verhältnisses der Ehe z wischen Mann und Frau von ausschlaggebender Bedeutung sein kann. Denken Sie außerdem daran, daß in der heutigen Zeit bei den Arbeitern und auch beim Mittelstand bis in die höheren Kreise h inein die Frau arbeitet, gewerblich und anders mitarbeitet. Wir stehen auch auf dem Standpunkt, daß die Hausarbeit der Frau und die Erziehung der Kinder den gleichen Wert hat wie die Arbeit des Mannes, (sehr wahr! im Zentrum) der manchmal sogar in seiner Arbeitsleistung sehr viel zu wünschen übrig läßt. (Zustimmung im Zentrum) Aus diesem Grunde wäre es gerecht – wir haben uns mit vorbereiteten Arbeiten im Zentrum beschäftigt –, wenn man auf die Idee käme, irgendeine Art Gütergemeinschaft oder Errungenschaftsgemeinschaft im Güterrecht einzuführen. Damit helfen wir der Frau mehr als durch eine Erleichterung der Ehescheidung, die ja weiter nichts bedeutet als ein Nachgeben gegenüber Verhältnissen, die nach unserer Ansicht vorübergehend sind, ein Nachgeben gegenüber Verhältnissen, die nicht in ganz Deutschland vorhanden sind.“507 Doch nichts geschah für eine Reform des Güterrechts im parlamentarischen Raum; obwohl sich 72 Frauenverbände und 421 Delegierte von Berufsorganisa tionen, auch Regierungsvertreter als Gäste, auf der vom Bund Deutscher Frauenvereine initiierten 15. Generalversammlung in Eisenach im Oktober 1927508 einfanden.509 Nichts geschah, obgleich die Entschließung der 15. Generalversammlung 510 zum ehelichen Güterrecht die Einführung der Gütertrennung und eine Beteiligung beider Ehegatten an der „Errungenschaft“ sowie eine Aufforderung 507 Verhandlungen des Reichstags. III. Wahlperiode 1924, Band 392: Stenographische Berichte (von der 265. Sitzung am 7. Februar 1927 bis zur 297. Sitzung am 26. März 1927), Berlin 1927, 276. Sitzung am 23. Februar 1927, S. 9177 – 9204, S. 9186 (D)–9187 (A). Hervorhebungen durch die Verfasserin. 508 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 3044. 509 Aus dem Reichsjustizministerium: Dr. Jonas; aus der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslohnversicherung, Frau Reg.-Rat Kaethe Gaebel; aus dem Reichspostministerium: Frau Oberpostrat Kinzberger; aus dem Bayerischen Staatsministerium für s oziale Fürsorge München: Frau Reg.-Rat Dr. Rickmers; aus dem Württembergischen Wirtschaftsministerium: Frau Dr. Rehm; der Präsident des Thüringischen Landgerichts: Dr. Maultzse; vom Landesamt für Arbeitsvermittlung in Hamburg: Frau Dr. Elsa Duhne; aus der Gewerbekammer Hamburg: Frau Noodt; vom Deutschen Verein für Öffentliche und Private Fürsorge: Frau Dr. Eisenhardt; vom Deutschen Evangelischen Frauenbund: die Vorsitzende der Ortsgruppe Eisenach; vom Verband der weiblichen Handels- und Büroangestellten: Frau Marg. Schuckert. In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 3045. 510 Nachrichtenblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine, 7/1927, Heft 10, S. 83 – 88.
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an die Reichsregierung, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen 511, umfasste. Erst nachdem zwei weitere Reformaufforderungen zu Beginn des Jahres 1928 an die Reichsregierung gerichtet wurden,512 konnte der Reichsjustizminister Dr. Hergt nicht umhin, zum ehelichen Güterrecht im Reichstag Stellung zu beziehen. Hergt führte aus, es habe auf der 15. Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine Unklarheit darüber geherrscht, „ob das von den Ehegatten nach der Eheschließung erworbene Vermögen schon während der Ehe gemeinschaftliches Eigentum der Eheleute werden soll, oder ob es zweckmäßigerweise wäre, die beiderseitigen Errungenschaften erst nach Auflösung der Ehe zusammenzuwerfen und jeden Eheteil bzw. seinem Rechtsnachfolger die Hälfte vom Gesamtgut zukommen zu lassen.“513 Ferner sei eine Neuregelung des Güterrechts mit den erbrechtlichen Regelungen in der Landwirtschaft in Einklang zu bringen, weshalb die „Aufstellung eines Gesetzentwurfs […] vorerst nicht beabsichtigt“514 sei. Der Minister hatte die Diskussionen der 15. Generalversammlung jedoch unrichtig dargestellt. Tatsäch lich hatte der Bund Deutscher Frauenvereine einen rechtlichen Prüfauftrag zur Gütergemeinschaft während der Ehe und zur Gütertrennung in landwirtschaft lichen Betrieben angenommen, nachdem die Vorsitzende des Landfrauenverbandes dies eingefordert hatte. Allerdings hinderte dieser Prüfauftrag nicht die Entschließung. Das war auch dem Reichsjustizministerium bekannt, weil sich diese Informationen in den Akten des Reichsjustizministeriums befanden.515 Einige Monate s päter erreichten den Reichsjustizminister bereits Berichte des Centralverbandes des Deutschen Bank- und Bankengewerbes: Frauen zögen ihre Anträge auf Einrichtung eines Depots zurück, weil sie über eine Entnahme nicht selbst verfügen dürften. Der Centralverband forderte deshalb eine Änderung des 511 Emma Ender, Die 15. Generalversammlung des Bundes, in: Nachrichtenblatt des Bundes deutscher Frauenvereine, 7/1927, Heft 10, S. 83 – 88, S. 84. 512 Wortmeldung des Abgeordneten Saenger: „Es ist einfach eine Unmöglichkeit, daß heute noch im Bürgerlichen Gesetzbuch eine Reichsbestimmung des Inhalts vorhanden ist, daß eine Frau beispielsweise über das von ihr eingebrachte Gut nicht selbständig und frei verfügen darf.“ In: Verhandlungen des Reichstags. III. Wahlperiode 1924, Band 394: Stenographische Berichte (von der 339. Sitzung am 18. Oktober 1927 bis zur 378. Sitzung am 10. Februar 1928), Berlin 1928, 369. Sitzung am 27. Januar 1928, S. 12421 – 12464, S. 12447 (B). Oder Wortmeldung der Abgeordneten Lüders in der 370. Sitzung am 28. Januar 1928, ebd., S. 12465 – 12488, S. 12476 (A): Marie-Elisabeth Lüders spricht erst zum Ehescheidungsrecht, dann zum Ehe- und Güterrecht, indem sie auf die diskriminierende Rechtsstellung der Frau in beiden Rechtsgebieten hinweist. 513 Bundesarchiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1386, Bl. 67 – 68R. 514 Ebd. 515 Als Bericht aus der Tageszeitung „Der Tag“ Nr. 237 vom 4. Oktober 1927, in: GStA PK I. HA Rep 84a Reichsjustizministerium MF 3650, Bl. 205.
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ehelichen Güterrechts.516 Das Reichsjustizministerium bot ein Gespräch mit dem Referenten Brandis an.517 Doch nichts geschah. 4.7.1 Der Fragenkatalog des Reichsjustizministers Koch-Weser Erst der neue Reichsjustizminister, Koch-Weser, holte am 2. Juli 1928518 „die Auffassungen der Landesjustizverwaltungen“ ein, „die bei einer etwaigen Umgestaltung des bestehenden Rechtszustandes zu berücksichtigen wären“. Der 20 Fragen umfassende Katalog Koch-Wesers zur Neuordnung des ehelichen Güterrechts versuchte zunächst, die Gründe für eine Reform zu erforschen. Koch-Weser fragte nach der Bewährung der Verwaltung und Nutznießung im gesetzlichen Güterrecht des BGB und danach, ob Art. 119 Abs. 1 Satz 2 WRV zu einer Änderung des gesetzlichen Güterrechts „nötigt“. In einem zweiten Abschnitt bot er Änderungsmöglichkeiten der Verwaltung und Nutznießung durch „einen anderen der im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelten Güterstände“ an. Er knüpfte an die Beschlussfassung des 33. Deutschen Juristentages, um in einem dritten Abschnitt zu Einzelfragen einer neu einzuführenden Zugewinst gemeinschaft ein Meinungsbild der Länder und der OLG-Präsidenten zu gewinnen. Ein vierter Abschnitt widmete sich abschließend den Wirkungen der Ehe im Allgemeinen, wie zum Beispiel der Mitarbeit der Frau im Geschäft des Mannes, der Schlüsselgewalt der Frau, der Berufs- und Erwerbsarbeit der Frau und somit den Vorschriften der §§ 1356 bis 1362 BGB.519 Diese Initiative des Reichsjustizminis teriums war längst überfällig. Die Antworten der Länder ließen jedoch bis zum Frühjahr des Jahres 1931 auf sich warten. Die Reform zum Ehe- und Güterrecht stagnierte. Derweil erreichten Stellungnahmen der OLG-Präsidenten zu dem 20 Fragen umfassenden Katalog von Koch-Weser den Preußischen Justizminister bereits im Frühjahr 1929. 4.7.2 Die Vorschläge der OLG-Präsidenten zur Reform des ehelichen Güterrechts Interessant ist, warum diese Stellungnahmen nicht im Reichsjustizministerium eingingen, sondern im Preußischen Justizministerium und warum es eine Anfrage des Reichsjustizministers an den Kammergerichtspräsidenten und die OLG-Präsidenten 520 nicht gegeben hat. Der Preußische Justizminister Lindemann hatte 516 Bundesarchiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1386, Bl. 74 – 78. 517 Bundesarchiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1386, Bl. 79 – 79R. 518 jedoch nicht am 2. 6. 1928, vgl. Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 92. Siehe: GStA PK I. HA Rep. 84a Reichsjustizministerium MF 3650, Bl. 213 – 220. 519 GStA PK I. HA Rep. 84a Reichsjustizministerium MF 3650, S. 215 – 220. Siehe auch: Bundes archiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1386, Bl. 82 – 84. 5 20 So für den Sommer 1929, in: Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 96 Fußnote 7, zweiter Halbsatz. Diese Anfrage findet sich jedoch nicht in den Akten
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am 16. Juli 1928 den Fragenkatalog, den der Reichsjustizminister Koch-Weser am 2. Juli 1928521 den Länderjustizverwaltungen übersandt hatte, ohne sich mit dem Reichsjustizminister zu vereinbaren 522, an die OLG-Präsidenten mit der Bitte übersandt, „zu den in der Anlage zusammengestellten Fragen bis zum 1. November des Js. Stellung zu nehmen und auch etwaige neue Gesichtspunkte mitzuteilen, die sich bei der Prüfung ergeben sollten und in dem Fragebogen nicht berücksichtigt worden“523 seien. Den Hinweis über das Vorpreschen des Preußischen Justizministers erhielt der Reichsjustizminister nicht aus dem eigenen Mitarbeiterstab, sondern von Marie- Elisabeth Lüders 524, die bei ihm angefragt hatte, „ob etwa die Gerichte angewiesen“ s eien, „die einzelnen Frauenvereine zu befragen“525. Die OLG -Präsidenten befragten bereits die Frauenbewegung zu den von Frauen gewünschten Änderungen im Ehegüterrecht, was nicht verwunderlich war – skizzierte doch bereits der Fragenkatalog des Reichsjustizministers Koch-Weser die wesentlichen Ansätze der Reformvorstellungen Margarete Berents und Marie Munks. Womöglich wollte das Reichsjustizministerium diesen Anschein nicht offiziell werden lassen, denn es lehnte eine Bitte des Bundes Deutscher Frauenvereine, diesem den Fragenkatalog zukommen zu lassen, mit der Begründung ab, der Bund Deutscher Frauenvereine sei keine amtliche Stelle. Zusätzlich erhielt der Bund den Hinweis: „Der in Ihrer Eingabe erwähnte Fragebogen ist nicht dazu bestimmt, die Grundlage einer öffent lichen Erörterung zu bilden.“526
des Reichsjustizministeriums. 521 Aber nicht am 2. 6. 1928, vgl. Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 92. Siehe: GStA PK I. HA Rep. 84a Reichsjustizministerium MF 3650, Bl. 213 – 220. 522 Allein aus dem Aktenvermerk „vorgetragen“ ist zu schließen, dass dem Reichsjustizminister eine Weitergabe des Fragenkatalogs durch den Preußischen Justizminister an die OLGPräsidenten und den Präsidenten des Kammergerichts nicht gleichgültig sein konnte. Immerhin konnte die Fragestellung des Preußischen Justizministers den Eindruck e rwecken, als wenn das Reichsjustizministerium die Rechtsfragen nicht ganz umfassend in den Blick genommen und hierbei das eine oder andere rechtspolitisch übersehen hatte. In: GStA PK I. HA Rep. 84a Reichsjustizministerium MF 3650, Bl. 221, 223. Hervorhebung nicht im Original. 523 GStA PK I. HA Rep. 84a Reichsjustizministerium MF 3650, Bl. 221, 223. Hervorhebung nicht im Original. 5 24 „Da der Reichsjustizminister mein Parteivorsitzender ist, werde ich gleich rein persönlich anfragen.“ In: Schreiben von Marie-Elisabeth Lüders an Emma Ender vom 29. August 1928, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2187. 525 Schreiben von Marie-Elisabeth Lüders vom 29. August 1928 an Emma Ender, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2187. 526 Bundesarchiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1386, Bl. 90, 92.
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4.7.3 Das Meinungsbild der OLG-Präsidenten Fünf OLG-Präsidenten nahmen eine positive und aufgeschlossene Einstellung zur Frauenbewegung und zur Reform ein. Fünf OLG-Präsidenten standen der Frauenbewegung und der Reform zurückhaltend bis ablehnend gegenüber. Allerdings gaben einige von ihnen ihren Widerstand gegen eine Reform in einigen Punkten auf. Sie schlossen sich den Reformvorschlägen an, für den Fall, dass die Reform verwirk licht werden sollte. Darüber hinaus war das Meinungsbild der zweitinstanzlichen Richterschaft gegenüber den höchstrichterlichen Richterkammern unterschiedlich. a. Die OLG-Präsidenten Hamm, Frankfurt, Köln, Celle und Kassel Der OLG-Präsident von Kassel setzte sich über die Befürwortung seiner Land gerichtspräsidenten zu einer Güterrechtsreform hinweg. Er vertrat vielmehr die Auffassung, dass die Reformbestrebungen der Frauenbewegung „nicht ohne weiteres mit den Bedürfnissen breiter Volksschichten gleichzusetzen“ sei und zog sich auf die geringe Zahl von Eintragungen in das Güterrechtsregister zurück.527 Mit ähnlichen Worten äußerte sich das OLG Celle; verbunden mit der Feststellung, dass sich „eine völlige Gleichstellung beider Geschlechter“ in der Ehe „überhaupt nicht erzielen läßt“, weil nicht nur im täglichen Eheleben und in der Erziehung und Ausbildung der Kinder „die Meinung des Mannes den Ausschlag geben“ müsse. Weshalb „auch kein Grund“ vorläge, die Gleichberechtigung der Frau „hinsichtlich des ehelichen Güterrechts zu fordern“528. Das OLG Köln meinte, aus den Güterrechtsregistereintragungen oder aus Zahl und Art der Rechtsstreitigkeiten keinen Reformbedarf schließen zu müssen. Vielmehr seien für die Stellung der Frau in der ehelichen Gemeinschaft „wegen ihrer wesentlich sittlichen Natur“ die Rechtsverhältnisse der Ehegatten „dem Rechtszwang nicht ebenso zugänglich“, wie „eine beliebige andere Vereinigung zweier Personen zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke und deshalb eine gewisse Unterordnung der Frau unter die Entscheidung des Mannes unvermeidlich“.529 Genau genommen, so der Präsident des OLG Frankfurt, bestünde „ja auch beim jetzigen Güterstand eine Trennung der Güter beider Gatten; diese Trennung ist jedoch mit Rücksicht auf die Zweckbestimmung der ehelichen Gemeinschaft durch eine einheitliche Regelung der Verwaltung und Nutznießung überbrückt“. Weshalb „über den Schlagworten von Rechten der Einzelpersönlichkeit“ in der Ehe, „die Belange der Gemeinschaft“ stünden. Grund genug, „dringend vor 527 Schreiben des OLG-Präsidenten Kassel vom 29. November 1928, Bl. 349 – 350, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12432. 528 Schreiben des OLG-Präsidenten Celle vom 27. Oktober 1928, Bl. 282 – 282R, 285, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430 und MF 12431. 529 Schreiben des OLG-Präsidenten Köln vom 15. November 1928, Bl. 372R–373R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12432. Kursive Hervorhebungen durch die Verfasserin.
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einer übereilten Gesetzesänderung im Sinne der einseitigen Frauenrechtsbewegung zu warnen[, …] hinter der als treibende Kräfte meist nicht Ehefrauen oder gar Mütter stehen“530 würden. Vielmehr, so ergänzte der Präsident des OLG Hamm, beruhten die „Vorwürfe“ gegen das geltende Güterrecht „auf materialistischer Einstellung“ der „Frauenseite“531. Im Gegensatz zu diesen höchstrichterlichen Auffassungen votierten andere OLG-Bezirke, die gar einen hohen ländlichen Bevölkerungsanteil auswiesen (Marienwerder und Stettin), mit den Argumenten der Frauenbewegung. b. Die OLG-Präsidenten Breslau, Düsseldorf, Kiel, Marienwerder und Stettin Das OLG Stettin hob insbesondere hervor, dass die „weitergehenden Befugnisse des Mannes – insbesondere die §§ 1376 Ziff. 1, 1377 Abs. 2 BGB“ – einen „Mißbrauch des Verwaltungsrechtes“ begünstigten, „demgegenüber die nach den §§ 1399 ff. BGB zulässigen Schutzmaßnahmen vielfach zu spät“ kommen könnten. Das BGB böte „keinen Ausgleich materieller Art für die Opfer und Leistungen, die ein Ehegatte während der Ehe erbracht“ habe.532 Das OLG Marienwerder hob allgemein hervor: „Die Frau, die dem Manne öffentlichrechtlich gleichberechtigt gegenübersteht, die wahlberechtigt ist und der jedes öffentliche Amt zugänglich gemacht worden ist, kann dem Manne privatrechtlich nicht untergeordnet werden.“533 Nach Auffassung des OLG Stettin widersprach der gesetzliche Güterstand des BGB „dem Grundgedanken der Verfassung“, weil „beide Geschlechter in gleicher Weise rechts- und handlungsfähig sind und hieraus durch die Einwirkung einer Ehe nichts geändert wird“. Hieran könne der Gesetzgeber „nicht länger vorüber gehen“534. Zurückhaltender das OLG Kiel: Unter Berücksichtigung der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse entsprach zwar das geltende Güterrecht der „auf Gleichberechtigung der Geschlechter beruhenden Stellung der Frau nicht“; dennoch, der „Programmsatz“ des Art. 119 Abs. 1 Satz 2 WRV„nötigt nicht“535 zu einer Reform. Aber es entspräche „dem Geist der Verfassung, wenn der Gesetzgeber sein dort gegebenes Versprechen einlöst 530 Schreiben des OLG-Präsidenten Frankfurt vom 8. Januar 1929, Bl. 325, 326R, 327, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12431. Kursive Hervorhebungen durch die Verfasserin. 531 Schreiben des OLG-Präsidenten Hamm vom 29. Oktober 1928, Bl. 337R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12431. 532 Schreiben des OLG-Präsidenten Stettin vom 30. Oktober 1928, Bl. 461R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12434. 533 Schreiben des Oberlandesgerichtspräsidenten Marienwerder vom 29. Oktober 1928 und Schreiben des Oberlandesgerichtspräsidenten Stettin vom 30. Oktober 1928, in: GStA PK I. HA Rep. 84a, MF 12434, Bl. 444, 461, Bl. 461R, 444. 534 Schreiben des Oberlandesgerichtspräsidenten Stettin vom 30. Oktober 1928, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12434, Bl. 462. Kursive Hervorhebungen durch die Verfasserin. 535 Schreiben des Oberlandesgerichtspräsidenten Kiel vom 3. Januar 1929, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12432, Bl. 362R, 363, 363R.
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und auch im Güterrecht den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter nach Möglichkeit zur Geltung bringt“, unterstrich das OLG Düsseldorf.536 Der gesetz liche Güterstand habe sich „überlebt“, führte das OLG Breslau in sein Gutachten ein. Der Gegensatz z wischen geltendem Recht und Rechtswirklichkeit würde „sich mit dem Fortschritt der Zeit je länger je mehr bemerkbar machen“, mahnte das OLG Breslau zur Eile, „und das Verlangen nach einem Ausgleich immer dringender entstehen lassen. Insofern könne „man also (doch) von einer Nötigung zu einer Änderung des bestehenden gesetzlichen Güterrechts sprechen.“537 Die Befragung der Gerichte verschaffte den Frauenverbänden gar vereinzelt die Chance, ihre Rechtsvorstellungen über die Richterschaft in den Reformprozess einzubringen. c. Die Partizipation der Frauenverbände am Meinungsbild der OLG-Präsidenten Der Oberlandesgerichtspräsident in Düsseldorf (zum Beispiel) beteiligte für seine Berichterstatung an den Preußischen Justizminister, den Verein für das Notariat in Rheinpreußen und „mehrere Frauenverbände“.538 Der Landgerichtspräsident in Koblenz fügte seiner Stellungnahme an das OLG Köln das Protokoll der Sitzung der Rechtskommission des Kath. Deutschen Frauenbundes Köln vom 24. November 1928 bei.539 Die Antworten der dem Bund Deutscher Frauenvereine angeschlossenen Frauenvereine und -verbände an die Gerichts- und Oberlandesgerichtspräsidenten wurden durch Margarete Berent und Marie-Elisabeth Lüders begleitet, um eine fachlich fundierte und einheitliche Position des Bundes zur Reform zu gewährleisten.540 Die Antwort wurde binnen weniger Tage als sogenanntes „Antwortschema“ vorbereitet und an alle Frauenvereine versandt, damit jedes Gericht, das bei den entsprechenden Vereinen des Bundes nachgefragt hatte, eine gleichlautende Antwort 536 Schreiben des OLG-Präsidenten Düsseldorf vom 14. Dezember 1928, Bl. 299, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12431. 537 Schreiben des OLG-Präsidenten Breslau vom 31. Oktober 1928, Bl. 265, 266, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. Hervorhebung und Klammeranmerkung durch die Verfasserin. 538 Schreiben des Oberlandesgerichtspräsidenten vom 14. Dezember 1928, Bl. 293, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12431. 539 Schreiben des Kath. Frauenbundes vom 24. November 1928, Bl. 437 – 438, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12433. 540 Einige Oberlandesgerichte und unterinstanzliche Gerichte hatten den Fragenkatalog an die ortsansässigen Frauenvereine mit der Bitte um Stellungnahme geschickt. Die Frauenvereine wiederum hatten den Fragenkatalog an die Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine (Emma Ender) mit der Bitte um Unterstützung gesandt. Emma Ender bat dann mit Schreiben vom 28. August 1928 Margarete Berent und Marie-Elisabeth Lüders um Beantwortung des Fragenkatalogs, der dann wieder über die ortsansässigen Frauenverbände beantwortet an die Gerichte zurückgeschickt wurde. In: LAB B Rep. 235 – 01 MF-Nr. 2187.
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erhielt.541 Über die OLG-Präsidenten wirkten die Frauenverbände auf das Preußische Justizministerium und dieses wiederum auf das Reichsjustizministerium ein. Das Preußische Justizministerium legte bereits am 14. Mai 1929 seine Stellungnahme zum Fragenkatalog dem Reichsjustizminister vor.542 Die Stellungnahme des Kammergerichts Berlin verdient jedoch besonderes Augenmerk. 4.7.4 Das Gutachten des Kammergerichts Berlin und die Stellungnahme des Preußischen Justizministeriums – ein Vergleich Das Schreiben des Preußischen Justizministers an den Reichsjustizminister vom 14. Mai 1929543 war dem Gutachten des Kammergerichtspräsidenten vom 1. November 1928544 stark angenähert. Das wurde insbesondere sichtbar in den Einzelfragen zur Regelung des Zugewinst bei Gütertrennung. Das Gutachten des Kammergerichts präsidenten, Dr. Eduard Tigges, hatte aber nicht nur eine besondere Wirkung auf das Preußische Justizministerium. Die herausgehobene Bedeutung des Kammergerichts lässt sich auch aus dem Beziehungsgeflecht zum Reichsjustizministerium erklären. 4.7.5 Die Wirkungen des Kammergerichts Berlin auf das Reichsjustizministerium Zum einen lässt sich die befürwortende Haltung des Kammergerichts Berlin zur Eheund Ehegüterrechtsreform aus der Mitgliedschaft vieler Richter im Republikanischen Richterbund nachvollziehen. Einem, wie der Republikanische Richterbund sich nannte, „Verfassungsverein“, keiner Standesvertretung.545 Die fortschrittlichen demokratischen und rechtsstaatlichen Auffassungen der Mitglieder des Republ. Richterbundes fanden darüber hinaus nach der Kaiserzeit auch ihren kollegialen Rückhalt in den Präsidenten des Kammergerichts. Dies wiederum erklärt sich aus dem biografischen Hintergrund der Präsidenten des Kammergerichts. Nachfolger des Kammergerichtspräsidenten Wilhelm Heinroth wurde 1921 Adolf von Staff. Er war 1911 Präsident des Oberlandesgerichts Marienwerder, ab 1916 Präsident des Oberlandesgerichts Düsseldorf und 1919 Gründer des Deutschen Juristenbundes gewesen, der sich die Bewahrung des Rechtsstaats zum Ziel gesetzt hatte. Ihm folgte im Jahr 1922 am Kammergericht Eduard Tigges. Eduard Tigges hatte sich bereits an der Reform der Justizverwaltung aktiv beteiligt.546 541 Schreiben von Marie-Elisabeth Lüders vom 29. 8. 1928 und 21. 9. 1928 an Emma Ender nebst Entwurf des Antwortschemas zum Fragenkatalog des RJM vom September 1928, in: LAB B Rep. 235 – 01 MF-Nr. 2187. 542 Bundesarchiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1386. 543 Bundesarchiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1386. 544 Schreiben des Kammergerichtspräsidenten Berlin vom 1. November 1928, Bl. 243 – 264, in: GStA PK I. HA Rep. 84 a MF 12429 und MF 12430. 545 Birger Schulz, Der Republikanische Richterbund (1921 – 1933), Frankfurt a. M. 1982, S. 31 – 32. 5 46 Eduard Tigges, Die Reform im Kammergerichtsbezirk, in: Preußisches Justizministerium (Hg.), Reformen in der Preußischen Justizverwaltung, Berlin 1928, S. 42 – 51.
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Die 43-seitigen Ausführungen des Kammergerichts Berlin an den Preußischen Justizminister zur Reform des Ehe- und Güterrechts stammten aus seiner Feder.547 Seinen rechtspolitischen Einfluß verstärkte Tigges über seine Beziehung zum Staatssekretär im Reichsjustizministerium, Dr. Curt Joel. Tigges war Joels rechtspolitischer Favorit.548 Die Beziehung z wischen Tigges und Joel wirkte sich auch innerministeriell in der Weimarer Reformphase aus. In der Bürgerlichrechtlichen Abteilung, die zuständig für die Ehe- und Familienrechtsreform war, kamen die neu eingestellten juristischen Hilfsarbeiter und die Beamten, die Schlüsselpositionen bekleideten, vom Kammergericht. Curt Joel akquirierte geeignet erscheinendes Personal vornehmlich aus dem Mitarbeiterkreis des Kammergerichts.549 Dies soll an Beispielen aus dem Mitarbeiterstab verdeutlicht werden. Dr. Curt Joel unterstellt war der Ministerialdirektor Joseph Oegg, der bis zum 21. Oktober 1931 die bürger lich-rechtliche Abteilung im Reichsjustizministerium leitete. Ihm folgte Ministerialdirektor Volkmar am 22. Oktober 1931 nach 550, der mit Ende des Jahres 1919 als Hilfsrichter vom Kammergericht an das Justizministerium zunächst abgeordnet und binnen weniger Monate zum Regierungsrat und zum Beamten auf Lebenszeit ernannt worden war. Ministerialrat Dr. Friedrich Eduard Ernst Brandis war Leiter des Referats 2 dieser Abteilung bis zum Jahre 1937 und, wie sein späterer Vorgesetzter, seit dem Ende des Jahres 1919 als Hilfsrichter vom Kammergericht an das Justizministerium abgeordnet und binnen weniger Monate zum Ministerialrat und Lebenszeitbeamten ernannt worden. Oegg und Brandis waren maßgeblich mit den Vorbereitungen zur Familienrechtsreform betraut 551, die s päter von Oeggs Nachfolger, Erich Volkmar, auch in der Zeit des Nationalsozialismus maßgeblich vorangebracht wurde. Die Amtszeit Tigges’ am Reichsgericht fiel genau in die Weimarer Reformphase des Ehe- und Ehegüterrechts, in der auch Curt Joel als Staatssekretär und s päter als amtierender Minister den größten fachlichen und persönlichen Einfluss im Reichsjustizministerium hatte. Es spiegelten die ehegüterrechtlichen Reformpositionen des Kammergerichts Berlin die Vorschläge zur Abänderung des Familienrechts und verwandter Gebiete aus dem Sommer 1921 von Margarete Berent und Marie Munk sowie den mündlichen Vortrag Marie Munks auf dem 33. Deutschen Juristentag im September 1924 wider. 547 Das Schreiben vom 1. November 1928 an den Preußischen Justizminister trägt die gut lesbare Unterschrift von Eduard Tigges, Bl. 264, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. 548 Klaus-Detlev Godau-Schüttke, Rechtsverwalter des Reiches, S. 151 – 152. 5 49 Recherche der Verfasserin im Bundesarchiv (Signatur: R 3001) zu den Personalakten von Mitarbeitern, die nach den Lebenslaufangaben in den Jahren 1919 bis 1933 im Reichsjustizministerium tätig waren. 550 Klaus-Detlev Godau-Schüttke, Rechtsverwalter des Reiches, S. 144, 147 – 148 unter Hinweis auf die Unterlagen im Geheimen Staatsarchiv. 551 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 30.
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4.7.6 Die Wirkungen der Vorschläge von Margarete Berent und Marie Munk aus dem Sommer 1921 und die Wirkungen der Vorschläge Marie Munks vom 33. Deutschen Juristentag auf das Kammergericht Berlin Eine Gegenüberstellung der Reformüberlegungen von Margarete Berent und Marie Munk aus dem Sommer 1921552, den Forderungen von Marie Munk auf dem 33. Deutschen Juristentag 553 und dem Schreiben des Kammergerichtspräsidenten Eduard Tigges 554 zeigt, dass sich Eduard Tigges offensichtlich leicht den Auffassungen von Margarete Berent und Marie Munk hat anschließen können. a. Zur Reform des Ehegüterrechts Die Gründe für eine Reform, einen nicht hinreichenden Schutz „gegen Übergriffe und schlechte Verwaltung des Mannes“ in das Vermögen der Frau, hoben Marie Munk auf dem 33. Deutschen Juristentag und das Kammergericht Berlin fast wortgleich hervor.555 Der Nachteil des gesetzlichen Güterstandes der Gütertrennung, der die Frau an dem Vermögenszuwachs der Ehe nicht beteiligt, sind für Margarete Berent und Marie Munk Ausgangspunkt ihrer Reformüberlegungen im Sommer 1921 gewesen. Für Marie Munk war dieser Ansatz Ausgangspunkt ihrer Kritik an der Einführung eines reinen Gütertrenungs-Modell. Für das Kammergericht war es Grund zur Ablehnung einer Ersetzung der ehemännlichen Verwaltungsgemeinschaft durch den gesetzlichen Güterstand der Gütertrennung und Grund für deren „Ausbau“ in einer Güterrechtsreform.556 Eine Zugewinstgemeinschaft 552 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765. 553 Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Gutachten und Vortrag Marie Munk, S. 339 – 344, 369 – 380. 554 Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 243 – 264, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12429. 555 „Die vom Gesetz dem Manne übertragene Verwaltung und Nutznießung des Frauenvermögens enthält eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Verfügungsfreiheit der Frau und in der Hand eines leichtsinnigen Mannes eine Gefährdung ihres Vermögens.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 339 – 340; „Das Vermögen der Frau ist nicht hinreichend gegen Übergriffe und schlechte Verwaltung des Mannes geschützt. Der Weg der Klage auf Aufhebung der Verwaltung und Nutzniessung ist langwierig und selten geeignet, das eingebrachte Gut rechtzeitig vor den Folgen leichtsinnigen oder böswilligen Verhaltens des Mannes sicherzustellen.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 243R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12429. 556 „Die reine Gütertrennung erschient uns in allen denjenigen Fällen unbillig, in denen die Frau ausschließlich oder überwiegend im Haushalt oder im Geschäft des Mannes tätig war, da sie bei dem System der reinen Gütertrennung nicht oder nicht genügend an der Verbesserung der Vermögenslage der Familie beteiligt ist.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, Absatz 2; „Hierdurch würde die Frau zwar die Verfügung über ihr eigenes Vermögen behalten, aber an dem wirtschaftlichen Erfolge
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nach Auflösung der Ehe honorierte den wirtschaftlichen Erfolg beider Ehegatten, unabhängig davon, ob dieser aus haushaltlicher oder beruflicher Tätigkeit erwachsen war. Ein Textvergleich zwischen den Vorschlägen von Margarete Berent und Marie Munk aus dem Sommer 1921 macht sogar deutlich, dass Margarete Berents und Marie Munks Bezüge auf schwedisches Recht und Munks Würdigung der Hausfrauentätigkeit als der Erwerbstätigkeit des Mannes ebenbürtig, in dem beide Ehegatten wirtschaftlich zur Ehe beitragen, nach den Erfahrungen des Kammergerichts in der Lebenspraxis in Deutschland bereits Wirklichkeit geworden war.557 „Es ist daher als gesetzlicher Güterstand die Gütertrennung in Verbindung mit einer Beteiligung am Ehegewinn einzuführen“, so Marie Munk auf dem 33. Deutschen Juristentag.558 Eben dieser Vorschlag bot auch nach Auffassung des Kammergerichts „eine geeignete Grundlage“559 für die Reform. Legt der Leser die Ausführungen von Margarete Berent und Marie Munk aus dem Sommer 1921, das Gutachten Munks auf dem 33. Deutschen Juristentag und das Schreiben des Kammergerichts der Ehe nicht beteiligt werden.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 340; „Mit dem gesetzlichen Güterstande hat der der Gütertrennung für die Frau den Nachteil, dass sie an dem mit ihrer Hilfe vom Manne während der Ehe erzielten Vermögenszuwachs unbeteiligt bleibt. Nach dieser Richtung ist ein Ausbau der ‚Gütertrennung‘ erwünscht.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 246 – 246R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12429. 557 Für Margarete Berent und Marie Munk besteht eine Verpflichtung der Ehegatten „der Familie den Unterhalt zu schaffen, der mit Rücksicht auf die Verhältnisse der Ehegatten als angemessen angesehen wird.“. Hierzu gehört in Anlehnung an das schwedische Recht, daß die Ehegatten „nach ihren Kräften durch Zuschuß von Geld, Tätigkeit im Hauswesen und sonst, dazu beitragen.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 2; „In der Mehrzahl der Ehen trägt aber die Tätigkeit der Frau als Hausfrau und Mutter und ihre aufopfernde Sorge für die Familie, die sie oft noch neben einer aushäuslichen Berufsarbeit ausübt, zu dem während der Ehe erworbenen Wohlstand und den Ersparnissen der Familie mindestens in gleichem Maße bei wie die außerhäusliche Erwerbstätigkeit des Mannes.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 340; „Diese Regel, nach der der Mann allen selbständigen Erwerb, die Frau dagegen sich nur im Haushalt oder als unselbständige Gehilfin des Mannes betätigt hat, nach der weiterhin Ehescheidungen sehr selten waren, ist heute erheblich durchbrochen.“ Allerdings „rechtfertigt sich durch den verhältnismässig bedeutenden Bruchteil der Bevölkerung, in dem die Frau auch heute, sei es im Haushalt, sei es als berufliche Gehilfin des Mannes, eine dessen Vermögenszuwachs fördernde Tätigkeit ausübt“, die Güterrechtsreform. In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 249, 247R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430 und MF 12429. 558 Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 340. 559 Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 248, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430.
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Berlin nebeneinander, so erkennt er, dass es gleichwohl einer näheren geeigneten rechtlichen Ausgestaltung bedurft hätte.560 Die Teilnahme der Frau an der Verbesserung der Vermögenslage, wie Margarete Berent und Marie Munk es im Sommer 1921 ausdrückten, überführte das Kammergericht in die Termini „Anwartschaftsrecht“.561 Den Begriff „Eigentümer“ in Margarete Berents und Marie Munks Vorschlägen aus dem Sommer 1921 umschrieben Marie Munk auf dem 33. Deutschen Juristentag und das Kammergericht in seinem Schreiben mit einem während der Ehe uneingeschränkten „Verfügungsrechte“ eines jeden Ehegatten.562 Das Kammergericht griff Munks Überlegungen auf dem 33. Deutschen 560 „Man kann deshalb auch nicht erwarten, dass die Zugewinstgemeinschaft sich den Verhältnissen des neuzeitlichen Lebens ohne weiteres anpassen wird, wenn man diesen Verhältnissen nicht von vorneherein durch geeignete Bestimmungen Rechnung trägt.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 249, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430; Marie Munk wollte die Gütertrennung mit einer Beteiligung am Ehegewinn „nach Maßgabe folgender Richtlinien“ einführen. In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 340; Margarete Berent und Marie Munk hoben hervor: „Grundsätzlich ist die Regelung folgendermaßen gedacht.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, Absatz 3. 561 „Es handelt sich darum, dass bei Eingehung der Ehe jeder Gatte ein Anwartschaftsrecht auf Teilnahme am Ehegewinn des anderen erhalten soll. Zur Entstehung gelangt der Anspruch dann bei Auflösung der Ehe, sofern in diesem Zeitpunkt ein Gewinn vorhanden ist.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 248, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430; „Bei Tod, Scheidung oder sonstiger Beendigung des Güterstandes findet eine Auseinandersetzung nach folgenden Gesichtspunkten statt: Für jeden Ehegatten wird festgestellt, um wieviel sich sein Vermögen gegenüber dem Vermögen, daß er bei Eingehung der Ehe hatte, vermehrt hat. […] Was nach Bezahlung der Schulden als Gewinn übrig bleibt, wird zwischen beiden Ehegatten gleichmäßig geteilt.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, Absatz 4 und 5; „Bei Auflösung der Ehe oder bei Beendigung des Güterstandes erhält jeder Ehegatte die Hälfte des während der Ehe erworbenen Gewinns des anderen Ehegatten, soweit diese Hälfte seinen eigenen Gewinn übersteigt. […] Ehegewinn (Mehrerwerb, Zugewinst, Vermögens zuwachs, Vorschlag) ist das im Zeitpunkt der Auseinandersetzung vorhandene Gesamtvermögen jedes Ehegatten nach Abzug seines Sondervermögens (Sonderguts). Sondergut ist das bei Eingehung der Ehe vorhandene Vermögen jedes Ehegatten. Was außerdem als Sondergut und als Schulden des Sonderguts zu gelten hat, ist entsprechend den Bestimmungen über das Vorbehaltsgut und die Sonderschulden bei der allgemeinen Gütergemeinschaft zu regeln (§§ 1440, 1463 BGB).“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 340. 562 „Jeder Gatte bleibt in seinem Verfügungsrechte an seinem vorehelichen Vermögen – im folgenden Sondergut genannt – während des Bestehens der Ehe grundsätzlich frei.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 248, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430; „Während bestehender Ehe gilt Gütertrennung.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages
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Juristentag zu einem Inventarverzeichnis auf und machte hiervon die „praktische Bewährung“ des neuen Güterstandes abhängig.563 Die Höhe des Zugewinns sollte nach Margarete Berents und Marie Munks Vorstellungen aus dem Smmer 1921 „gleichmässig“, nach Marie Munks Beitrag auf dem 33. Deutschen Juristentag, dem Beitrag der Frau „gleichwertig“ und nach den Vorstellungen des Kammergerichts den ehelichen Verhältnissen angemessen sein.564 Allerdings hob sich das Kammergericht Berlin in (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 340; „Jeder Ehegatte bleibt Eigentümer des Vermögens, daß er bei Eingehung der Ehe hat oder erwirbt.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, Absatz 3. 563 „Der Wert des Sonderguts jedes Ehegatten ist durch ein Inventarverzeichnis festzustellen, das die Ehegatten gemeinschaftlich zu erreichen und bei Eingehung der Ehe oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach der Eheschließung bei der im Gesetz zu bestimmenden Behörde (Standesamt oder Vormundschaftsgericht) einzureichen haben. Hochzeitsgeschenke sind dabei im Zweifel als gemeinschaftliches Eigentum beider Ehegatten anzusehen. […] Für den Fall, daß kein Inventarverzeichnis aufgenommen wurde“, sollte „im Zweifelsfalle alles vorhandene Vermögen als während der Ehe errungen angesehen werden. Die Ehegatten haben daher selbst ein Interesse an der Aufnahme eines solchen Verzeichnisses. Man könnte deshalb vielleicht von einer ausdrücklichen Verpflichtung der Ehegatten, nach der sie das Verzeichnis bei Eingehung der Ehe oder innerhalb einer bestimmten Frist bei einer Behörde einzureichen haben, absehen.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 341, Vortrag Marie Munk, S. 377; „Die praktische Bewährung dieses Güterstandes wird in gewissem Umfange davon abhängig sein, ob es gelingt, die Eheleute an die Errichtung eines Inventars über ihr Sondergut und das, was später zu diesem zu rechnen ist, zu gewöhnen. Die Einführung eines gesetzlichen Zwanges hierzu wird sich nicht empfehlen.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 248 – 248R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. 5 64 „Die vom Berichterstatter auf dem Juristentage vorgeschlagene Halbteilung wird schon in den erörterten Fällen häufig bis zur Unerträglichkeit gehen. […] Für die immerhin ganz seltenen Fälle, in denen dem Manne während der Dauer der Ehe der Erwerb eines grossen Vermögens gelungen ist, kann unmöglich davon gesprochen werden, dass die Frau durch ihre häusliche Tätigkeit, durch die Schaffung eines behaglichen Heims für den Gatten und die Fernhaltung häuslicher Sorgen von ihm den Wohlstand der Ehe zur Hälfte mit verursacht hat. Aber auch bei geringerem während der Ehe erworbenen Vermögen wird man das nicht als Regel ansehen können. Man darf die Tätigkeit der Frau als Hausfrau, M utter und Gehilfin des Mannes auch für den äusseren Erfolg seiner Lebensarbeit gewiss nicht unterschätzen. Aber in der tatsäch lichen Lebensgestaltung ist es doch einmal in den weitaus meisten Fällen der Mann, auf dessen Tatkraft, Klugheit und Umsicht der Vermögenserwerb zurückzuführen ist. Jeder gesetzliche Güterstand muss von normalen Verhältnissen ausgehen. […] Ist aber jede zahlenmässige Festlegung willkürlich, dann bleibt nur die Lösung übrig, die gesetzliche Ordnung insoweit auf den Ausspruch zu beschränken, dass jeder Ehegatte das Anrecht auf einen ‚angemessenen‘ Anteil am Zugewinst hat, die genaue Feststellung dieses Anteils im Streitfalle jedoch dem Gericht zu überlassen.“ Und für die Fälle von ländlichen Betrieben und industriellen Unternehmungen: „[M]an bewegt sich auch hier immer wieder im Kreise, sobald man von der Halbteilung
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seiner Wertschätzung der weiblichen Hausarbeit gegenüber Marie Munk 565 deutlich ab: „Die Tätigkeit der Frau im Haushalte kann der ausserhäuslichen des Mannes in vereinzelten Fällen nicht nur gleichwertig, sondern sogar überlegen sein, und deshalb zu mehr als der Hälfte zur Bildung von Ersparnissen beigetragen haben. Es ist deshalb auch nicht ganz folgerichtig, wenn man dem berechtigten Gatten unter Umständen weniger, in keinem Falle aber mehr als die Hälfte gewähren will.“566 Eine Alternative, zum Beispiel eine Erweiterung des Ehegattenerbrechts, wurde von Margarete Berent, noch von Marie Munk im Sommer 1921 in Erwägung gezogen und vom Kammergericht als systemwidrig betrachtet 567, nachdem es von Marie Munk auf dem 33. Deutschen Juristentag mit den gleichen Gründen abgelehnt worden war.568 In der Frage, welcher Erwerb als Zugewinn des neuen Güterrechts
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ausgeht. Immer aufs neue muss man dann nach Mitteln und Wegen suchen, um die Wirkungen einer von vornherein nur auf Ausnahmefällen passenden Maßregel für alle anderen wieder abzuschwächen.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 250R, 251 – 251R, 259R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430; „Die Ehegatten können eine andere Verteilung des Ehegewinns durch Ehevertrag vereinbaren. Ist kein Ehevertrag geschlossen worden, so kann das Gericht in den Fällen, in denen eine Verteilung des Gewinns je zur Hälfte offenbar unbillig ist, eine andere Verteilung anordnen.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 340; „[W]as nach Bezahlung der Schulden als Gewinn übrig bleibt, wird z wischen beiden Ehegatten gleichmässig verteilt.“ (Anmerkung der Verfasserin: Gleichmäßig im Sinne von gleichförmig, unterschiedslos, unter Bezug auf die eheliche Leistung am wirtschaftlichen Eheerfolg.) In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, Absatz 5. Hervorhebung nicht im Original. Marie Munk hatte auf dem 33. Deutschen Juristentag in Heidelberg ausgeführt: „Hierzu möchte ich nun zunächst bemerken, daß ich in den Ihnen gedruckt vorliegenden ‚Erwägungen‘ die Tätigkeit der Hausfrau und Mutter als der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit des Mannes nur dann als ‚mindestens‘ gleichwertig bezeichnet habe, wenn sie neben einer außerhäuslichen Berufsarbeit oder neben einer Tätigkeit im Geschäft des Mannes ausgeübt wird.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Vortrag Marie Munk, S. 370 – 371. Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 257R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. „Eine Erweiterung des gesetzlichen Gattenerbrechts kann den Anspruch auf Beteiligung an dem während der Ehe erfolgten Vermögenszuwachs des anderen Teiles nicht ersetzen. Der Erbanspruch richtet sich nicht auf diesen Zuwachs allein, sondern auf das Gesamtvermögen des anderen Gatten. Es kommt also darauf, in welchem Umfange wirtschaftliches Gedeihen gerade während der Ehe eingetreten ist, nicht an. […] Aber eine solche Verbindung ganz verschiedener Lösungen für den einen und den anderen Beendigungsgrund erscheint als wenig glücklich.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 251R–252, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. „Hinzukommt, daß man güterechtliche und erbrechtliche Gesichtspunkte nicht vermischen soll und daß es einen Unterschied macht, ob die überlebende Frau kraft Güterrechts gewisse
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angesehen werden sollte, und welcher Erwerb nicht, hatten Margarete Berent und Marie Munk im Sommer 1921569 und Marie Munk auf dem 33. Deutschen Juristentag 570 maßgeblich die Ansicht des Kammergerichts geprägt.571 Die Auffassung Marie Munks auf dem 33. Deutschen Juristentag und die Auffassung des Kammergericht Berlin über die Berücksichtigung monetärer Wertsteigerungen des Erwerbs stimmten überein.572 Margarete Berents und Marie Munks verwendeten Begriff der
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Vermögensgegenstände aus dem Nachlaß für sich verlangen oder ob sie diesen Anspruch nur als gleichberechtigte Miterbin geltend machen kann.“ Darüberhinaus hob Marie Munk hervor: „[D]urch eine Umgestaltung erbrechtlicher Bestimmungen könnten nicht die gleichen Wirkungen, wie sie durch die Zugewinstgemeinschaft erzielt würden, herbeigeführt werden; der Gedanke der Zugewinstgemeinschaft sei, wie sie aus ihrer Erfahrung wisse, dem Volke durchaus verständlich.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Vortrag Marie Munk, S. 373, Diskussion, S. 382. „Für jeden Ehegatten wird festgestellt, um wieviel sich sein Vermögen gegenüber dem Vermögen, daß er bei Eingehung der Ehe hatte, vermehrt hat. Es bleibt für die Berechnung seines Gewinnes außer Betracht, was er während der Ehe durch Schenkung, von Todes wegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht oder als Ausstattung erwirbt, es sei denn, daß der Dritte ausdrücklich bestimmt hat, daß die Zuwendung bei der Berechnung des Ehegewinns zuzurechnen ist.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, Absatz 4. „Ehegewinn (Mehrerwerb, Zugewinst, Vermögenszuwachs, Vorschlag) ist das im Zeitpunkt der Auseinandersetzung vorhandenen Gesamtvermögen jedes Ehegatten nach Abzug s eines Sondervermögens (Sonderguts). Sondergut ist das bei Eingehung der Ehe vorhandene Vermögen jedes Ehegatten. Was außerdem als Sondergut und als Schulden des Sonderguts zu gelten hat, ist entsprechend den Bestimmungen über das Vorbehaltsgut und die Sonderschulden bei der allgemeinen Gütergemeinschaft zu regeln (§§ 1440, 1463 BGB).“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 340. Zum Zugewinn und seiner Abgrenzung: „Wollte man ihn allgemein als den Mehrwert des Endvermögens eines jeden Ehegatten gegenüber seinem Anfangsvermögen bestimmen, so würde man allerdings den Vorteil einer gewissen Einfachheit haben. […] Nicht unter den Begriff des Zugewinstes wird ferner zu fallen haben, was ein Ehegatte von Todes wegen, mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, endlich auch durch Schenkung oder als Ausstattung erwirbt.[…] Dem Dritten bleibt indessen das Recht einer etwaigen Anordnung, nach der zum Zugewinst gerechnet werden soll, was sonst Sondergut wäre.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 253 – 253R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. „Ich halte nun aber gerade den Vorschlag von Herrn Geheimrat Kipp, daß bei Wertsteigerungen oder -minderungen durch Preiskonjunktur der Wert des Gegenstandes zur Zeit der Auflösung der Ehe maßgebend sein soll, für unzweckmäßig; ebenso auch die Bestimmung unter C 3, daß ein Gegenstand des Sondervermögens, der sich verschlechtert hat, mit dem Minderwert in Ansatz zu bringen ist, soweit nicht die Verschlechterung auf ordnungsmäßiger Abnutzung beruht. […] Im übrigen dürfte die Frage, ob etwas Konjunktur- oder Dauergewinn ist und ob die Verschlechterung eines Gegenstandes auf ordnungsmäßiger
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„Auseinandersetzung“573 stellte das Kammergericht klar: „Ebensowenig darf eine Gemeinschaftlichkeit des Zugewinstes bei Auflösung der Ehe eintreten.“574 Was auch zu einer getrennten Haftung führte,575 es sei denn, so Marie Munk auf dem 33. Deutschen Juristentag, der Mann habe „die erforderlichen Mittel zur Verfügung“ zu stellen, „soweit dies nach den Verhältnissen der Beteiligten der Billigkeit entspricht.“576 Ein Gedanke, den Margarete Berent und Marie Munk im Sommer 1921 zum ehelichen Aufwand aus dem schwedischen Recht entlehnten 577 und unter dem Begriff des ehelichen Aufwands definierten.578 Obgleich nach Auffassung des
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oder nicht ordnungsmäßiger Abnutzung beruht, zu zahlreichen Zweifeln und Streitigkeiten Anlaß geben.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Vortrag Marie Munk, S. 376 – 377; „Spekulations- und Spielgewinne eines Ehegatten dürfen daher nicht als Zugewinst angegeben werden, und ebensowenig gehören zu ihm Wertsteigerungen, die das Sondergut lediglich durch eine geänderte Preiskonjunktur, also auf eine Weise erfahren hat, die mit der ehelichen Mitarbeit des anderen Gatten in keinerlei Zusammenhang stehen kann.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 253, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 340; LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, Absatz 3. Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 254, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. „Was nach Bezahlung der Schulden als Gewinn übrig bleibt, wird zwischen beiden Ehegatten gleichmässig geteilt.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, Absatz 5; „Die Lasten und Instandhaltungskosten des Sonderguts hat jeder Ehegatte aus seinen laufenden Einnahmen zu bestreiten.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 341; „Da während des Bestehens der Ehe Gütertrennung herrscht, haftet der Zugewinst eines jeden Gatten nur für seine eigenen Schulden, nicht aber für die des anderen Teiles.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 254R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 341. „§ 3. Läßt das, was ein Ehegatte nach § 2 zuzuschießen hat, keine Einkünfte mehr zur Bestreitung seiner besonderen Bedürfnisse und der Ausgaben übrig, die er sonst mit Rücksicht auf die Lebensverhältnisse der Ehegatten nach der Sitte zum Unterhalt der Familie zu besorgen hat, so ist der andere Ehegatte verpflichtet, ihm die erforderlichen Geldmittel in angemessenen Beträgen zur Verfügung zu stellen. Das Recht auf solche Beträge kommt jedoch dem Ehegatten nicht zu, der sein Unvermögen, die Mittel zu verwalten, zeigt, oder der aus anderen Ursachen nicht das Recht hat, die Ausgaben zu bestreiten.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abchnitt. Die Ehegatten sollten „nach ihren Kräften durch Zuschuß von Geld, Tätigkeit im Hauswesen und sonst dazu beitragen, der Familie den Unterhalt zu schaffen, der mit Rücksicht auf die Verhältnisse der Ehegatten als angemessen angesehen wird.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 2.
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Kammergerichts eine Halbteilung des ehelichen Aufwandes „im inneren Zusammenhang“ mit dem Zugewinst stünde, könne „die Frau im Durchschnitt auch bei Gütertrennung billigerweise nicht zu denselben Leistungen verpflichtet sein, wie der Mann. Ist sie im einzelnen Falle besonders leistungsfähig, so wird dem auch durch die gedachte Vorschrift (gemeint ist § 1427579) ausreichend Rechnung getragen“580 werden können. Dies erklärte auch, weshalb der Zugewinst vor Teilung nicht zu einer Masse, sondern zu einer rechnerischen Größe werden sollte, von der aus der Gatte mit dem größten Überschuss dem anderen Ehegatten Ausgleich leisten musste. Dies war durch die Worte „Ehegewinn […] gleichmäßig geteilt“ bereits in den Vorschlägen im Sommer 1921 initiiert 581, von Marie Munk auf dem 33. Deutschen Juristentag durch ihre Beschreibung der „Auseinandersetzung“ bekräftigt 582 und vom 579 § 1427 BGB lautete: „Der Mann hat den ehelichen Aufwand zu tragen. Zur Bestreitung des ehelichen Aufwands hat die Frau dem Manne einen angemessenen Beitrag aus den Einkünften ihres Vermögens und dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selbständig betriebenen Erwerbsgeschäfts zu leisten. Für die Vergangenheit kann der Mann die Leistung nur insoweit verlangen, als die Frau ungeachtet seiner Aufforderung mit der Leistung im Rückstande geblieben ist. Der Anspruch des Mannes ist nicht übertragbar.“ 580 Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 255, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. 581 „Bei Tod, Scheidung oder sonstiger Beendigung des Güterstandes findet eine Auseinandersetzung nach folgenden Gesichtspunkten statt: Für jeden Ehegatten wird festgestellt, um wieviel sich sein Vermögen gegenüber dem Vermögen, das er bei Eingehung der Ehe hatte, vermehrt hat. […] Was nach Bezahlung der Schulden als Gewinn übrig bleibt, wird zwischen beiden Ehegatten gleichmäßig geteilt.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, Absatz 5. Hervorhebung nicht im Original. 582 „Bei Auflösung der Ehe oder bei Beendigung des Güterstandes erhält jeder Ehegatte die Hälfte des während der Ehe erworbenen Gewinns des anderen Ehegatten, soweit diese Hälfte seinen eigenen Gewinn übersteigt. Die Ehegatten können eine andere Verteilung des Ehegewinns durch Ehevertrag vereinbaren. […] Ehegewinn (Mehrerwerb, Zugewinst, Vermögenszuwachs, Vorschlag) ist das im Zeitpunkt der Auseinandersetzung vorhandene Gesamtvermögen jedes Ehegatten nach Abzug seines Sondervermögens (Sonderguts). […] Nach der näheren Ausgestaltung, die Herr Geheimrat Kipp und ich dem Güterstand gegeben haben, handelt es sich immer nur um obligatorische Ansprüche und es ist eigentlich niemals eine ‚Gemeinschaft‘, wie bei der Gütergemeinschaft oder Errungenschaftsgemeinschaft vorhanden. […] Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Halbteilung der Errungenschaft für die Mehrzahl der Fälle, die der Gesetzgeber seiner Regelung zu Grund zu legen hat, der Bedeutung der Leistungen beider Ehegatten für die Gemeinschaft am meisten entspricht. Ich verkenne aber nicht, daß es Ehen gibt, in denen die Leistungen nicht gleichwertig sind und die Halbteilung daher zu großen Ungerechtigkeiten führen könnte.“ Bezogen auf Verschlechterungen führte Marie Munk aus: „Hatte z. B. ein Ehegatte bei Eingehung der Ehe ein Grundstück mit einem Haus, das einen Wert von 100.000 Mark darstellt und ist das Haus zur Zeit der Auflösung der Ehe durch eine Feuersbrunst abgebrandt oder beschädigt, so daß
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ammergericht aufgegriffen worden.583 Der Ehegewinn war kein dingliches Recht, K aber ein Forderungsrecht auf Auskehrung in einer Geldsumme. Im Übrigen sollte nur die Herausgabe bestimmter Sachen zum persönlichen Gebrauch verlangt werden können.584 Sicherungsrechte gegen die Gefährdung des Rechts auf Zugewinst ergaben sich für Marie Munk nicht durch eine vorzeitige Teilung, sondern aus dem Recht auf Klage auf Aufhebung der Gewinnbeteiligung.585 Das Kammergericht es nur noch einen Wert von 50.000 Mark hat, und hätte dieser Ehegatte außerdem während der Ehe 30.000 Mark errungen, so müßte er dem anderen Ehegatten nach dem Vorschlag von Kipp die Hälfte der 30.000 Mark herausgeben, obwohl sich sein Vermögen um 20.000 Mark verringert hat.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 340, Vortrag Marie Munk, 370, 375, 377. Hervorhebung nicht im Original. 583 „Man hat nicht mit Unrecht die Auswirkungen einer solchen Zusammenwerfung als geradezu ‚brutal‘ bezeichnet. Es ist bereits den bisherigen Erörterungen zugrundegelegt worden, mit der Massgabe, dass dem anderen Gatten nur ein „angemessener“ Teil des Überschusses zustehen soll, der bei hinreichender Rechtfertigung aber auch bis zur Hälfte und sogar darüber hinaus gehen kann. Bemerkt mag werden, dass auch unter Zugrundelegung der Halbteilung an sich verschiedene und zu verschiedenen Ergebnissen führende Berechnungsarten möglich sind. Hat der Mann z. B. 100.000,- und die Frau 40.000,- RM erspart, so hat er im Sinne der Fragstellung der Frau von dem Überschuss von 60.000,- 30.000,RM herauszuzahlen. Dagegen würde sich die Herauszahlungspflicht auf den Betrag von 10.000,- RM beschränken, wenn man zunächst die Hälfte des Zugewinstes des Mannes berechnen und von ihr den eigenen Gewinn der Frau abziehen wollte.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 255R–256, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. 5 84 „Bei der Regelung der Auseinandersetzung sind noch besondere Bestimmungen darüber zu treffen, ob an Stelle von Geld einzelne im Haushalt befindliche Gegenstände überlassen werden können oder müssen.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, Absatz 5; Das Kammergericht bejahte ein Forderungsrecht auf Auskehrung und fügte hinzu: „Zugunsten des forderungsberechtigten Ehegatten wird sich indessen eine Ausnahme dahin empfehlen, dass er einen Anspruch auf Überlassung der zu seinem persönlichen Gebrauche bestimmt gewesenen Gegenstände haben soll. Falls diese im Einzelfall nicht, z. B. durch Schenkung seitens des anderen, bereits sein Eigentum geworden sind.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 256 – 256R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. 585 „In gewissen Fällen muß jeder Ehegatte das Recht haben, während bestehender Ehe auf Aufhebung der Gewinnbeteiligung für die Zukunft und auf Auseinandersetzung zu klagen, z. B. wenn der andere Ehegatte sein Vermögen gröblich verschwendet oder in der Absicht vermindert hat, den Kläger zu benachteiligen, oder wenn die Ehegatten dauernd getrennt leben, ohne die Ehe in der durch die eheliche Lebensgemeinschaft gebotenen Weise fortsetzen zu wollen. In letzterem Falle muß kraft Gesetzes vom Zeitpunkt des Auseinandergehens der Ehegatten ab reine Gütertrennung gelten. […] Der Grund meines Vorschlags liegt nicht darin, daß ich dem fordernden Ehegatten seinen Anteil am Ehegewinn in einem bestimmten Zeitpunkt zukommen lassen und sein Anwartschaftsrecht s chützen möchte, sondern vielmehr darin, daß ich ihn
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Berlin favorisierte das Institut der Sicherstellung.586 Für die Sicherstellung sollten „nur aus arglistigem Verhalten […] Rechte hergeleitet werden“, so das Kammergericht.587 Für den Fall der versuchten oder der vollendeten Tötung sollte der schuldige Ehegatte den Anspruch auf Gewinnbeteiligung verlieren 588, so Marie Munk auf dem 33. Deutschen Juristentag. b. Zur Reform des Eherechts Übereinstimmungen ließen sich auch in den Reformvorschlägen von Margarete Berent und Marie Munk aus dem Sommer 1921, den Forderungen von Marie Munk auf dem 33. Deutschen Juristentag und dem Kammergericht Berlin zu den Wirkungen der Ehe im Allgemeinen finden. Hielten Margarete Berent und Marie Munk im Somer 1921589 und Marie Munk es auf dem 33. Deutschen Juristentag für erforderlich, „zu bestimmen, daß jeder Ehegatte verpflichtet ist, durch Zuschuß von Geld, Tätigkeit im Hauswesen oder auf sonstige Weise zu den Lasten des ehelichen Haushalts beizutragen“590, sah das Kammergericht Berlin den Mann zur Mitarbeit im Geschäft der Frau aus „einem berechtigten Gleichstellungsgedanken“591 heraus
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für die Zukunft davor s chützen will, die Hälfte von dem, was er in Zukunft erringen sollte, an den anderen Ehegatten, der alles gröblich verschwendet oder von dem er dauernd getrennt lebt, herausgeben zu müssen. Das ehewidrige Verhalten eines Ehegatten, insbesondere in wirtschaft licher Beziehung, soll dem anderen das Recht geben, für die Zukunft reine Gütertrennung herbeizuführen.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 341, Vortrag Marie Munk, S. 378. „Diese Rechte werden, da die Ehe ja noch nicht beendet ist, nicht auf eine vorzeitige Teilung, sondern lediglich auf eine Sicherstellung gehen dürfen. Der Berechtigte hat nicht nur an den vorteilhaften, sondern auch an den nachteiligen Zeiten der ganzen Ehedauer teilzunehmen. Er darf sich nicht einen Zeitpunkt aussuchen, der ihm günstig ist, um die Gefahr der Teilnahme an späteren Vermögensverlusten zu vermeiden. Die Sicherungsmassnahmen können dem Ermessen des Gerichts überlassen bleiben. Als solches wird zweckmässig dasjenige zu bestimmen sein, das über den Zugewinstanspruch selbst zu entscheiden berufen ist, also das der freiwilligen Gerichtsbarkeit.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 259, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 259, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 341. Die Ehegatten „sind verpflichtet, nach ihren Kräften durch Zuschuß von Geld, Tätigkeit im Hauswesen und sonst, dazu beizutragen, der Familie den Unterhalt zu schaffen, der mit Rücksicht auf die Verhältnisse der Ehegatten als angemessen angesehen wird.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 2. Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 343. Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 260, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430.
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als verpflichtet an. Das Kammergericht befürwortete eine subsidiäre Haftung der Frau aus der Schlüsselgewalt 592, wie Margarete Berent und Marie Munk es ebenfalls vorgeschlugen.593 Für einen Ausschluss oder eine Beschränkung der Schlüssel gewalt war das Kammergericht der Auffassung, an der nach dem BGB von 1896 geltenden Regelung festhalten zu müssen.594 Marie Munk wollte dem Vormundschaftsgericht diese Entscheidung überlassen.595 Der „§ 1358 BGB muß fortfallen“596. Diese unmissverständliche Aufforderung aus dem Sommer 1921 setzte sich in der Berichterstattung Marie Munks auf dem 33. Deutschen Juristentag fort.597 Diese 592 „Alle diese Frauen in gleicher Weise wie den Mann für Anschaffungen zu Gunsten des Hauswesens haftbar zu machen, würde eine Ungerechtigkeit bedeuten. Zuweilen liegen die Dinge auch so, dass die Vermögenslage des Mannes zur Zeit der Bestellung nur sehr bedenk lich gewesen, die völlige Zahlungsunfähigkeit aber erst später eingetreten ist. In allen diesen Fällen kann es vorkommen, dass die Gläubiger trotz Vermögens der Frau nichts erhalten. Diese Erwägungen rechtfertigen die Einführung einer subsidiären Haftung der Frau, wie sie auch in einer Anzahl ausländischer Rechte besteht.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 260R, 261 – 261R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. 593 „Die bisherige Regelung des § 1357, nach der die Frau innerhalb des häuslichen Wirkungskreises gesetzliche Vertreterin des Mannes ist und aus den im Rahmen der Schlüsselgewalt geschlossenen Rechtsgeschäften nur der Mann berechtigt und verpflichtet wird, erscheint uns nicht mehr haltbar. Notwendig erscheint uns, daß auch die Frau für die häuslichen Ausgaben haftet.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 4, Nr. 4; „Die jetzige Regelung, nach der aus Rechtsgeschäften, die die Frau innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises vornimmt, nur der Mann verpflichtet wird, ist dahin abzuändern, daß für Verpflichtungen, die vom Mann oder von der Frau für den gemeinschaftlichen Haushalt eingegangen werden, beide Ehegatten als Gesamtschuldner haften, die Zwangsvollstreckung gegen die Frau aber nur im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Mannes zulässig ist.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 343. 594 „Der Mann ist durch die Regelung der Schlüsselgewalt in außerordentlich weitem Umfange einer Haftung unterworfen. Der tatsächliche Zuschnitt des Hauswesens ist zwar entscheidend, jedoch nur dem einzelnen Lieferanten gegenüber. Bestellt die Frau[, …] so ist der Mann zur Bezahlung aller dieser Gegenstände genötigt. […] Dem vermag er rechtzeitig nur vorzubeugen, wenn er nicht die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts abzuwarten braucht.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 260R, 261R–262, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. 595 „Es ist zu bestimmen, daß der Mann das Recht der Frau auf Ausübung der häuslichen Schlüsselgewalt nur mit vorheriger Genehmigung des Vormundschaftsgerichts beschränken oder ausschließen kann.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentags (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 343. 596 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 4, Nr. 5. 597 „Das Kündigungsrecht des Mannes bei Verträgen, durch die sich die Frau zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet, ist aufzuheben.“ In: Schriftführeramt der
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Vorschrift „steht m. E. mit der Selbständigkeit und Gleichberechtigung der Frau nicht im Einklang“, stellte Marie Munk fest.598 Mit ähnlichen Worten 599 begründete das Kammergericht seine Aufforderung: „[D]ie Bestimmung“ sei „zweckmäßig zu streichen.“600 Gleichwohl sollte die Streichung des § 1358 BGB nach der Auffassung des Kammergerichts nicht zur Einführung einer subsidiären Unterhaltspflicht des Mannes führen.601 In den Reformvorschlägen des Sommers 1921 wurde diese Frage von den Verhältnissen der Ehegatten abhängig gemacht.602 Eine Regelung über angemessene Barmittel zur Bestreitung der persönlichen Bedürfnisse des anderen Ehegatten hielt das Kammergericht mit Hinweis auf die reichsgerichtliche Rechtsprechung nicht für notwendig.603 Im Gegensatz hierzu hatte bereits Marie Munk auf dem 33. Deutschen Juristentag für eine legislative Änderung plädiert.604 Die Forderungen Margarete Berents und Marie Munks aus dem Sommer 1921605 und Marie Munks F orderungen ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 344. 598 Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristen tages (Heidelberg), Vortrag Marie Munk, S. 380. 599 „Aber die Vorschrift steht doch mit der Selbständigkeit nicht mehr im Einklange, die die Frau in der Gegenwart erworben hat.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 262R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. 6 00 Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 262, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. 601 „Der bestehende Rechtszustand bedarf keiner Änderung.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 262R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. 602 „Sie sind verpflichtet, nach ihren Kräften durch Zuschuß von Geld, Tätigkeit im Hauswesen und sonst, dazu beizutragen, der Familie den Unterhalt zu schaffen, der mit Rücksicht auf die Verhältnisse der Ehegatten als angemessen angesehen wird.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 2. 603 „Für die Aufnahme einer derartigen Bestimmung besteht nicht nur kein Anlaß, sondern sie würde sogar schädlich sein.“ In: Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 263 – 263R, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. 604 „So sind diese Entscheidungen naturgemäß im Volke nicht bekannt und ich weiß aus der Praxis, wie viele Frauen unter dem unwürdigen Zustand leiden, daß sie die notwendigsten Mittel für den Haushalt fast täglich von ihrem Mann erbetteln müssen. Ich halte eine solche Bestimmung auch deshalb für notwendig, weil besonders das Eherecht allgemein verständlich sein muß und jeder, der eine Ehe eingeht oder eingegangen ist, in der Lage sein muß, sich durch das Lesen des Gesetzestextes Klarheit über seine Rechte und Pflichten zu verschaffen.“ In: Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 343, Vortrag Marie Munk, S. 380. 605 „Falls die Bestimmung im Interesse der Rechtssicherheit der Gläubiger des Mannes nicht aufgehoben oder durch die Vermutung ersetzt werden kann, daß die beweglichen Sachen, die
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auf dem 33. Deutschen Juristentag 606 zur gesetzlichen Eigentumsvermutung (§ 1362 BGB) führten beim Kammergericht zu der Feststellung: „Es wird also in Zukunft zugunsten der Gläubiger eines jeden Gatten die Vermutung begründet sein müssen, dass die im gemeinschaftlichen Besitze beider oder nur eines von ihnen befind lichen beweglichen Sachen dem schuldenden Ehegatten gehören.“607 4.7.7 Zwischenfazit: Der Reformverlauf und Marie Munks Reformvorschläge zum Ehe- und Ehegüterrecht Die Vorschläge von Margarete Berent zum Ehe- und Ehegüterrecht aus dem Sommer 1921 haben als Entschließung auf der Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine durch die Worte „Aenderungsbedürfig sind insbesondere“608 die ehegüterrechtlichen Erörterungen in der Weimarer Zeit neu initiiert. Anders als die Frauenbewegung zur Zeit der Entstehung des BGB hatten die Vorschläge Margarete Berents und Marie Munks ihren Rückhalt in Artikel 119 der Weimarer Reichsverfassung und in dem geltenden Reichsrecht des BGB gefunden: „Wenn man den Gedanken der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe in einer Form ausdrücken will, die sich an die jetzige Fassung des BGB anlehnt.“609 Rechtsbezüge, die die Kämpferinnen der ersten Frauenbewegung zur Zeit der Entstehung des BGB nicht für sich in Anspruch nehmen konnten. Zugleich mussten die Reformgegner von der essenziellen Furcht eines radikalen Umsturzes traditioneller Geschlechterrollen befreit werden. Der Hinweis Margarete Berents und Marie Munks auf das schwedische Recht vermittelte den Eindruck, es ginge in der Reform darum, praxiserprobtes Recht sich im gemeinschaftlichen Haushalt befinden, beiden Ehegatten gemeinschaftlich gehören, würden wir folgende Fassung für Absatz 1 Satz 1 vorschlagen: Zugunsten der Gläubiger des Mannes wird vermutet, daß die in seinem Besitz oder in dem Besitz beider Ehegatten befind lichen beweglichen Sachen dem Manne gehören.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 4, Nr. 7. 606 „Es ist im Gesetz zu bestimmen, daß bei allen Gegenständen, die nicht nachweislich Eigentum eines Ehegatten sind, im Verhältnis der Ehegatten zueinander vermutet wird, daß sie gemeinschaftliches Eigentum beider Ehegatten und während der Ehe erworben worden sind. Die Eigentumsvermutung des § 1362 Absatz 1 BGB (praesumptio Muciana) ist dahin abzuändern, daß nur bei denjenigen Gegenständen, die sich im Besitz des Mannes oder beiden Ehegatten befinden, vermutet wird, daß sie dem Manne gehören.“ Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 342 – 343. 607 Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts Berlin vom 1. November 1928, Bl. 263R–264, in: GStA PK I. HA Rep. 84a MF 12430. 608 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, Nr. 1, Satz 1. 609 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, Nr. 1, Absatz 2.
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zu implementieren. Ein strategischer Schachzug, denn so konnte Margarete Berent zugleich ermahnen: Deutschland hinke in der Rechtsentwicklung in den Frauen rechten gegenüber dem Ausland hinterher. Ab dem 33. Deutschen Juristentag hatte Marie Munk für die rechtspolitischen Erörterungen in der juristischen Fachwelt im Ehe- und Ehegüterrecht den Weg richtungsweisend vorbestimmt. Es bezogen sich das Kammergericht Berlin und die Länder in ihren Stellungnahmen und Gutachten fortlaufend auf die Entschließung des 33. Deutschen Juristentages, die Marie Munk maßgeblich bestimmt hatte. Es fällt auf, dass die Argumente zwischen dem Kammergericht, den Erörterungen Munks auf dem 33. Deutschen Juristentag und den Reformvorschlägen Margarete Berents zum Ehe- und Ehegüterrecht aus dem Sommer 1921 deshalb übereinstimmten, weil nunmehr auf der Grundlage programmatischer Frauenrechte aus der Weimarer Reichsverfassung argumentiert werden konnte. Dies wurde bestätigt, als die Meinungen Berents, Munks und des Kammergerichts nur in der Frage um die Aufhebung oder Beschränkung der Schlüsselgewalt abwichen. Der Grund dieser divergierenden Auffassungen lässt sich daraus erklären, dass das Kammergericht aus der Sicht der Haftung des Mannes plädierte, jedoch Berent und Munk aus dem Blickwinkel des Rechts der Frau. Wäre eine Reform zum Ehe- und Ehegüterrecht vom Reichsparlament in Angriff genommen worden, wäre nach dem 33. Deutschen Juristentag die Reform des Ehegüterrechts, aber damit auch ein wichtiger Aspekt für eine neue Regelung zu den Folgen einer Ehescheidung durch zwei rechtspolitische Multiplikatoren in der Praxis vorangebracht worden. Zum einen unter den Ländern durch die herausgehobene Stellung Preußens, zum anderen durch und in der Richterschaft mittels der starken Einflussnahme des Kammergerichts Berlin. Der Widerstand des Reichstages gegen eine Reform im Ehe- und Ehegüterrecht wurde jedoch nicht überwunden. Gerade weil die Antworten der Länder bis zum Frühjahr des Jahres 1931 auf sich warten ließen, verstrich wertvolle Zeit. Derweil konnte sich der Reichstag uneins sein, ob „das Güterrecht die Grundlage der Rechte der Frau“ oder die Reform der Ehescheidung „für die breiten Massen der werktätigen Bevölkerung aller Schichten eine unendlich wichtigere Frage“ sei. Der Reichsjustizminister Koch-Weser erwiderte auf die Redebeiträge der Abgeord neten: „Wir brauchen allerdings auch ein neues eheliches Güterrecht; denn der gegenwärtige Zustand, daß das, was Mann und Frau gemeinsam erwerben, nachher dem Manne allein zufällt, setzt die Frau im Falle der Ehescheidung einem so bitteren Elend aus, daß das ihr an sich zustehende Recht der Ehescheidung völlig verkümmert wird.“610 Allerdings wurden über die Scheidungsgründe heftige parlamentarische Auseinandersetzungen geführt. 610 Verhandlungen des Reichstags. IV. Wahlperiode 1928, Band 425: Stenographische Berichte (von der 77. Sitzung am 5. Juni 1929 bis zur 98. Sitzung am 28. Juni 1929), Berlin 1929, 85.
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5. Die Reformbestrebungen in Parlament, Regierung und auf dem 35. Deutschen Juristentag zum Scheidungsrecht (1922 – 1931) Bis zum Frühjahr des Jahres 1928 lagen viele Gesetzentwürfe und Änderungsanträge im Parlament vor. Es prägten den Reformprozess jedoch nur zwei Entwürfe, wird die vorläufige „unverbindliche Grundlinie eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Ehescheidung“611 des damaligen Justizministers Prof. Radbruch vom 12. Januar 1922 mitgerechnet. Seine Grundlinie hat den parlamentarischen Reformprozess initiiert. Die Grundlinie sah die objektive Zerrüttung vor, jedoch ermöglichte sie den richterlichen Schuldspruch gleichwohl, wenn einer der Ehegatten die Zerrüttung der Ehe verschuldet hatte. Die ihm nachfolgenden Gesetzentwürfe der USPD 612, DDP 613 und SPD 614 der Jahre 1922, 1924 und 1925 waren unerledigt geblieben.615 Der Rechtspflegeausschuss des
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Sitzung vom 13. Juni 1929, S. 2375 – 2430, S. 2381 (B) und 2381 (C), S. 2403 (A), 2420 (B). Hervorhebungen durch die Verfasserin. Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 455 – 456; Verhandlungen des Reichstags I. Wahlperiode 1920, Band 341: Anlagen zu den stenographischen Berichten Nr. 1859 bis 2467, Berlin 1920, Nr. 2004, S. 2146. Verhandlungen des Reichstags. I. Wahlperiode 1920, Band 374: Anlagen zu den Stenographischen Berichten. Nr. 4398 bis 4920, Berlin 1924, Nr. 4580 vom 24. Juni 1922, S. 5091. Verhandlungen des Reichstags. I. Wahlperiode 1920, Band 374: Anlagen zu den Stenogra phischen Berichten. Nr. 4398 bis 4920, Berlin 1924, Nr. 4649 vom 30. Juni 1922, S. 5130 bis 5132; Verhandlungen des Reichstags. II. Wahlperiode 1924, Band 383: Anlagen zu den Stenographischen Berichten. Nr. 311 bis 584, Berlin 1924, Nr. 407 vom 26. Juli 1924; III. Wahlperiode 1924, Band 397: Anlagen zu den Stenographischen Berichten Nr. 1 bis 263, Berlin 1925, Nr. 74 vom 6. Januar 1925. Verhandlungen des Reichstags. I. Wahlperiode 1920, Band 374: Anlagen zu den Stenogra phischen Berichten. Nr. 4398 bis 4920, Berlin 1924, Nr. 4847 vom 17. Juli 1922, S. 5332; Verhandlungen des Reichstags. III. Wahlperiode 1924, Band 399: Anlagen zu den Stenographischen Berichten. Nr. 570 bis 792, Berlin 1925, Nr. 631 vom 6. März 1925. Nichterledigung der Anträge Nr. 4580, 4649 und 4847 nachgewiesen durch: Verhandlungen des Reichstags I. Wahlperiode 1920, Band 362: Sach- und Sprechregister zu den Verhandlungen des Reichstags und zu den Anlagen, Berlin 1926, Stichwort Bürgerliches Gesetzbuch Nr. 3, S. 12897; Nichterledigung des Antrags Nr. 407 nachgewiesen durch: Verhandlungen des Reichstags II. Wahlperiode 1924, Band 381: Stenographische Berichte (von der 1. Sitzung am 27. Mai 1924 bis zur 29. Sitzung am 30. August 1924) nebst Sach- und Sprechregister, Berlin 1924, Stichwort Bürgerliches Gesetzbuch Nr. 1, S. 1173; anstatt den Anträgen Nr. 631 und 74 die Zustimmung zu geben, wurde der Gesetzentwurf No. 4106 vom Rechtspflegeausschuss eingebracht, obgleich sich bereits außerparlamentarische Interessengruppen, wie der Verband für Eherechtsreform mit Schreiben vom 27. März 1925, für die selbigen mit Nachdruck eingesetzt hatten. In: LAB B Rep. 235 – 20 Zeitungsausschnittsammlung MF-Nr. 1322.
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Reichstags hatte sich auf Grundlage der Überlegungen 616 Wilhelm Kahls 617 am 28. Februar 1928 auf eine Entwurfsfassung verständigt. Die Einführung der Zerrüttung 618 war in den Sitzungen am 6. und 14. März 1928 beraten worden.619 Allerdings sollte eine Scheidung wegen einer Zerrüttung der Ehe nicht mehr möglich sein, wenn der die Scheidung begehrende Ehegatte selbst einen Scheidungsgrund gegeben hatte oder anderweit die Zerrüttung der Ehe vorwiegend durch sein schuldhaftes Verhalten herbeigeführt hatte. Zudem hatte sich die Diskussion im Rechtspflegeausschuss in der Frage verhakt, ob eine beiderseits einvernehmliche fünfjährige Trennung der Ehegatten zur Scheidung berechtigte, aber eine Scheidungsklage nach den absoluten und relativen Scheidungsgründen (§§ 1565 – 1568 BGB) hindere oder nicht hindere.620 Dieser Vorschlag im kahlschen Entwurf hatte das Ziel, die Schuldfrage aus dem Scheidungsrecht zu verbannen. Jedoch erfolglos. Schließlich war der Passus, dass nach einem mindestens fünfjährigen Getrenntleben der Ehegatten eine Scheidung aus den Gründen der §§ 1565 – 1568 BGB nicht mehr begehrt werden könne (der sog. Absatz 3), in der Sitzung des Rechtspflegeausschusses am 14. März 1928 gestrichen worden.621 Ein kleiner Sieg der Reformer hatte sich dennoch eingestellt. Die Scheidung sollte erst ausgesprochen werden, wenn die Ehegatten sich 6 16 Der Abgeordnete Kahl stellte in der Beratung eines Unterausschusses zum Rechtspflegeausschuss den Antrag Nr. 462, „an Stelle der Anträge Nr. 74 und Nr. 631 der Drucksachen und Nr. 275 der Ausschußdrucksachen“ einen neuen § 1568a BGB „einzufügen“. Diese ersten Überlegungen erbrachten in der Sitzung am 13. 12. 1927 den sogenannten kahlschen Entwurf, in: Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 529 – 542, 542 – 552, 532 – 533, 538 – 542, 544. Die in der Sitzung von Dr. Kahl geäußerten Überlegungen wurden in Deutsche Juristenzeitung, 32/1927, Heft 8, S. 553 – 564 abgedruckt. 617 Kompendium, S. 848. 6 18 So lautete § 1568a Abs. 1 und Abs. 2: „(1) Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn aus einem anderen Grunde eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses eingetreten ist, daß eine dem Wesen der Ehe entsprechende Fortsetzung der Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden kann, und wenn infolge der Zerrüttung die Lebensgemeinschaft der Ehegatten seit mindestens einem Jahre vor Erhebung der Klage nicht mehr besteht. (2) Das Recht eines Ehegatten auf Scheidung nach Abs. 1 ist ausgeschlossen, wenn er selbst einen Scheidungsgrund gegeben hat oder anderweit die Zerrüttung der Ehe vorwiegend durch sein schuldhaftes Verhalten herbeigeführt worden ist.“ In: Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 544. 619 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 552 – 561, 561 – 577, 556, 567 und 570. 620 § 1568a Absatz 3 sollte nach dem kahlschen Entwurf lauten: „Jeder Ehegatte kann ferner auf Scheidung klagen, wenn die Ehegatten im beiderseitigem Einverständnis mindestens fünf Jahre völlig getrennt voneinander gelebt haben. Wenn diese Voraussetzungen zur Zeit der Erhebung der Klage vorliegen, kann die Scheidung aus den §§ 1565 bis 1568 nicht begehrt werden.“ In: Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 544. 621 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 567.
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über ihre gegenseitige Unterhaltspflicht und über die Sorge für die Person der gemeinsamen Kinder geeinigt hatten. Kam die Vereinbarung der Eheleute nicht zustande, so konnte diese durch Urteil ersetzt werden.622 In dieser Folge hätte aber nur das richterliche Ermessen die Schuldfrage aus den Ehescheidungsfolgen verbannen können.623 Die Schuldfrage im Ehescheidungsrecht blieb präsent und war nicht wegzudenken. Die Mitglieder des Rechtspflegeausschusses des Reichstages verständigten sich nur über einen neuen § 1569 BGB (Scheidung wegen Geisteskrankheit).624 Doch diese letzte Einigung hätte die politische Kluft zur Schuldfrage in den Scheidungsfolgen im Reichstag erneut aufgerissen. Denn bei einer Scheidung wegen Geisteskrankheit hätte in Ermangelung einer Schuld nur eine Unterhaltspflicht nach Maßgabe der Billigkeit 625 erfolgen können. Aber gerade für den speziellen Fall der Geisteskrankheit wurden eine Unterhaltspflicht nach Billigkeit und die Streichung der Unterhaltspflicht des die Scheidung beantragenden Ehegatten generell abgelehnt.626 In dieser Gestalt war der zweite Reformentwurf als Reichstagsdrucksache No. 4106627 dem Plenum zur Beratung übergeben worden. Doch seine Beratung 622 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 544, 578. 623 „Was die Alimentationspflicht des Schuldigen zugunsten des Unschuldigen betreffe, so sei es eben der Sinn des Abs. 4, einer solchen Möglichkeit vorzubeugen und das freie richterliche Ermessen eintreten zu lassen.“ In: Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 552. 624 § 1569 BGB sollte lauten: „Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn infolge einer Geisteskrankheit oder krankhafter Geisteszustände des einen Ehegatten die Aussicht auf Wiederherstellung der geistigen Gemeinschaft z wischen den Ehegatten ausgeschlossen ist.“ In: Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 544. Die Diskussion erstreckte sich nur auf die Schwierigkeit, dass die Geisteskrankheit nur eine vorübergehende und heilbare sei, weshalb darüber diskutiert wurde, ob dem Wort „Geisteskrankheit“ das Wort „vorübergehende“ beigefügt werden sollte oder nicht. In: Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 571, 573 und 574. 625 Der neue § 1579a BGB sollte lauten: „Ist keiner der Ehegatten für schuldig erklärt, so sind die Ehegatten gegenseitig zum Unterhalt nach Maßgabe der Billigkeit, insbesondere unter Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse, verpflichtet.“ § 1583 BGB (Unterhaltspflicht des schuldig geschiedenen Klägers in den Fällen der Scheidung wegen Geisteskrankheit) sollte gestrichen werden. In: Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 544. 626 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 576. 627 Verhandlungen des Reichstags. III. Wahlperiode 1924, Band 422: Anlagen zu den Stenographischen Berichten. Nr. 4051 bis 4230, Berlin 1928, No 4106 vom 14. März 1928. Mit d iesem Gesetzentwurf wurden die Gesetzentwürfe der DDP vom 26. Juli 1924 und 6. Januar 1925 sowie der Gesetzentwurf der SPD vom 6. März 1925 durch folgende Formel aus der Beratung genommen: „Anstatt der von den Abgeordneten Frau Dr. Lüders und Müller (Franken) und Genossen beantragten Gesetzentwürfe ist folgendem Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung zu geben.“
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fand nicht statt, weil der Reichstag aufgelöst und am 20. Mai 1928 neu gewählt wurde.628 „Es steht zu erwarten, daß die Anträge auf Ehescheidungsreform im neuen Reichstage sofort wiederkommen werden“, verkündete die Fachpresse.629 Zeit genug, um die Reichstagsdrucksache No. 4106 mit den im Oktober 1927 auf der 15. Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine beschlossenen Reformvorschlägen zu vergleichen. 5.1 Die Reichstagsdrucksache No. 4106 im Vergleich zu den Beschlüssen der 15. Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine Die 15. Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine hatte vor, die Schuld an einer Scheidung, neben einer Zerrüttung der Ehe, als Scheidungsgrund beizubehalten.630 Mit einem generellen Unterschied zur Reichstagsdrucksache No. 4106: Es sollten, mit Ausnahme des Unterhaltsanspruchs, die elterlichen Rechte unabhängig von der Schuld geregelt werden, worüber eine Einigung aller Frauenverbände erzielt werden konnte.631 Im Unterschied zur Reichstagsdrucksache No. 4106 sollte ausschließlich das Wohl des Kindes entscheiden. Die Frau könne grundsätzlich die elterliche Gewalt nach einer Scheidung erhalten. Ebenso sei ihr ein Anteil an den während der Ehe gemachten Ersparnissen und Anschaffungen zuzubilligen, wenn sie ihre Arbeitskraft im Haushalt oder im Geschäft des Mannes verwendet oder ihren Arbeitsverdienst zur Bestreitung des ehelichen Haushalts verwendet hatte.632 Ebenfalls unabhängig von einer Schuld an der Scheidung sollten die Versorgungsund Unterhaltsansprüche der geschiedenen Frau, auch nach anderen öffentlich-recht lichen Vorschriften, erhalten bleiben. Das gerichtliche Verfahren über die Scheidungsfolgen sei mit dem Scheidungsverfahren zu verbinden. Zu diesem Zwecke seien vermehrt weibliche Richter hinzuzuziehen.633 Diesen wichtigen verfahrensrechtlichen Komponenten widmete sich ein Jahr später der 35. Deutsche Juristentag unter dem Titel „Empfiehlt sich eine grundsätzliche Änderung in der Behandlung von Ehestreitsachen nach Zuständigkeit und Verfahren?“634.
628 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 87 – 88. 629 Hans Wunderlich, Schlußergebnisse des alten Reichstages auf dem Gebiete der Rechtspflege, in: Deutsche Juristenzeitung, 33/1928, Heft 9, S. 613 – 619, S. 618. 6 30 Emma Ender, Die 15. Generalversammlung des Bundes, in: Nachrichtenblatt des Bundes deutscher Frauenvereine, 7/1927, Heft 10, S. 83 – 88, S. 84. 631 Nachrichtenblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine, 7/1927, Heft 10, S. 84 Nr. 2 und 3. 632 Ebd., S. 84, Nr. 5. 633 Ebd., S. 84 – 85, Nr. 7. 6 34 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 35. Deutschen Juristentages (Salzburg), Stenographischer Bericht, S. 95 – 198, S. 95.
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5.2 Das Gutachten Lehmanns zur Vorbereitung des 35. Deutschen Juristentages im Vergleich zu Marie Munks Vorschlägen zum Ehescheidungsverfahren Der Gutachter des 35. Deutschen Juristentages, Heinrich Lehmann aus Köln, bezog in seinen einführenden Betrachtungen die geltende Rechtslage und in seinen Quellen Marie Munks Publikation aus dem Jahre 1923 mit ein.635 Munk sei beizupflichten, wenn sie die Staatsanwaltschaft nur dann in das Verfahren hineinzuziehen gedenke, wenn es strafrechtliche Anhaltspunkte hierfür gäbe.636 Im Übrigen könne die Staatsanwaltschaft zwar Beweise für eine Aufrechterhaltung der Ehe beibringen, sie erlange aber nach dem noch geltenden Recht nicht die Stellung einer Partei.637 Darüber hinaus sei der Anwaltszwang „wenig geeignet“, die „eheliche Gemeinschaft zu befördern“638. Das zeigten die Praxiserfahrungen mit den Klagen auf Herstellung der ehelichen Gemeinschaft. Allerdings mache „das bisherige Scheitern der geplanten Reformen des Scheidungsrechtes des BGB “ den „Versuch“, die Klage auf Herstellung der ehelichen Gemeinschaft aus dem geltenden Recht zu streichen, „nicht gerade aussichtsvoll.“639 Insbesondere zum gegenwärtigen Stand der Reform konstatierte er: „Solange aber das materielle Ehescheidungsrecht der Schuldfrage sowohl hinsichtlich der vermögensrechtlichen Wirkungen (§§ 1578 ff. GB) als auch der Sorge für die Kinder (§ 1635 BGB) ausschlaggebende Bedeutung beimißt, sind einer wirklich gedeihlichen Tätigkeit des Richters der freiwilligen Gerichtsbarkeit enge Schranken gezogen.“640 Lehmann wollte die Zuständigkeit des Ehegerichts auch auf die zu regelnden vermögensrechtlichen Ehescheidungsfolgen erstrecken. Zugleich sollte der mit der Sache befasste Richter auf eine gütliche Einigung der Prozessparteien in diesen Fragen vor der Urteilsfindung hinwirken.641 Das setze aber auch „eine andere Einstellung der Rechtsprechung zu den Vereinbarungen der Gatten über die Scheidungsfolgen voraus.“642 Gegen die langwierigen Ehescheidungsverfahren von den Grundsätzen des Anwaltsprozesses abzuweichen und den ohne anwaltliche Vertretung erschienenen Beklagten rechtlich als erschienen zu werten, erachtete Lehmann nicht als ein probates Mittel. Dies sei der Bedeutung des Ehescheidungsprozesses nicht 6 35 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 35. Deutschen Juristentages (Salzburg), Gutachten Lehmann, S. 395 – 439, S. 395 Fußnote 1. 636 Ebd., S. 424 – 425. 637 Ebd., S. 401. 638 Ebd., S. 411. 639 Ebd., S. 413. 640 Ebd., S. 416. Kursive Hervorhebungen nicht im Original. 641 Ebd. 642 Ebd., S. 430.
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angemessen.643 Insofern grenzte er sich von Marie Munk ab. Im Gegensatz zu Marie Munk wollte er auch die Personensorge durch das Vormundschaftsgericht und nicht durch das Ehegericht entscheiden lassen.644 Statt eines Sühnetermins vor dem Vormundschaftsgericht plädierte Lehmann für einen Sühnetermin vor dem am Landgericht tätigen Einzelrichter.645 Einem nicht öffentlichen Ehescheidungsverfahren trat er entschieden entgegen, denn „ohne dringende Not sollte man an dem Palladium der Öffentlichkeit nicht rütteln.“646 5.3 Marie Munks Einfluss auf dem 35. Deutschen Juristentag Der Berichterstatter, Reichsjustizminister a. D. Eugen Schiffer, hatte gemeinsam mit Rechtsanwalt Hans Fritz Abraham folgende Leitsätze aufgestellt: Eine Beteiligung der Staatsanwaltschaft im Ehescheidungsprozess und ein amtsgerichtliches Sühneverfahren waren fortan ausgeschlossen. Alle Regelungen der Ehestreitigkeiten, seien sie einstweiliger Natur oder in der Hauptsache endgültig für die Parteien bindend, sollten vor einem Gericht und dem Einzelrichter verhandelt und entschieden werden. Eine Beeidigung von Zeugen und Sachverständigen stand im freien Ermessen des Gerichts. Die Revision in Ehesachen war, wenn durch das OLG zugelassen, nur zur Klärung von Rechtsfragen dienlich. Eine Einrichtung besonderer Eheschöffengerichte empfehle sich nach Auffassung von Abraham und Schiffer nicht. „Weiterhin erscheint es als Pflicht aller im Dienste der Rechtspflege tätigen Organe, in denjenigen Fällen, wo die Unhaltbarkeit der Ehe offenbar ist, nach Möglichkeit dahin zu wirken, daß die mit der zu erwartenden Trennung der Ehe eintretenden Rechtsfolgen vermögens-, familien- und personenrechtlicher Art, insbesondere auch hinsichtlich der Rechtsverhältnisse der Kinder, gütlich geregelt werden.“647 Wobei eine solche Regelung bereits vor der Trennung zugelassen werden sollte.648 Den vorgenannten Vorschlägen von Schiffer und Abraham ging ein wesent licher Punkt der Reform voraus: „Die Frage, ob sich eine grundsätzliche Änderung in der Behandlung von Ehestreitsachen nach Zuständigkeit und Verfahren empfehle, kann abschließend erst beantwortet werden, wenn über die Zukunft des materiellen Eherechts und über die in Aussicht zu nehmende Umgestaltung des gesamten Justizwesens Klarheit besteht.“649 Dieser Reformverzögerung trat Marie Munk entgegen: Eine Reform des materiellen Ehescheidungsrechts war keine 643 Ebd., S. 435. 644 Ebd., S. 417. 645 Ebd., S. 422 – 423. 646 Ebd., S. 436. 6 47 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 35. Deutschen Juristentages (Salzburg), Stenographischer Bericht, Leitsätze, S. 95 – 98. 648 Ebd., S. 98. 649 Ebd., S. 95 – 96.
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Voraussetzung für eine Reform des Ehescheidungsverfahrens. Vielmehr könne eine jetzige Verfahrensreform nach den Leitsätzen der Berichterstatter Adam und Schiffer „manch bedauerliche Erscheinung des jetzigen Ehescheidungsprozesses fortfallen“ lassen „und damit den Ehescheidungsprozessen auch unter dem geltenden Recht sehr viel geholfen werden“650. So seien der Gerichtsstand und die Frage, ob Einzelrichter- oder Kammerentscheidung, nur von den Rechtsgarantien im Prozess abhängig. Für den Prozessausgang und die Prozessdauer sei auch von Bedeutung, ob ehebrecherisches oder die Ehepflichten verletzendes Verhalten eines Ehegatten „ebenso gewertet wird“, wie wenn es „während des Zusammenlebens oder während der Trennung geschieht.“651 Zugleich müsse nicht nur über die vermögensrechtlichen Fragen, einschließlich der Wohnungsfrage, sondern insbesondere über das Sorgerecht und die elterliche Gewalt in den Ehescheidungsprozessen mitentschieden werden.652 Margarete Berent mahnte: Hiermit sei ein Vormundschaftsrichter der freiwilligen Gerichtsbarkeit ohnehin überfordert.653 Schließlich wurde in der Entschließung des 35. Deutschen Juristentages der Einfluss Munks und Berents auf die Leitsätze der Berichterstatter Schiffer und Abraham deutlich sichtbar: Ein Mitglied des Landgerichts, das der mit Ehesachen befassten Zivilkammer angehört, sollte zugleich in seiner Funktion als Amts- und Einzelrichter als Vormundschaftsrichter in Ehesachen wirken.654 Obgleich nach wie vor eine grundsätzliche Änderung der Ehestreitverfahren von der materiell rechtlichen Ausgestaltung abhängig gemacht wurde, gab es in der Entschließung ganz entscheidende Anknüpfungspunkte für eine Entschärfung des Verfahrens, die auch die Scheidungsfolgen betrafen: „Richter und Rechtsanwälte sollen es als ihre Amts- und Standespflicht ansehen, jeder ver-
meidbaren Verschärfung des Ehestreits, insbesondere jeder durch Tatbestand und Rechtslage
nicht gebotenen persönlichen Verunglimpfung und Bloßstellung der Beteiligten entgegenzutreten. Die auf diese Weise erstrebte Entgiftung des Rechtsstreits wird mit vollem Erfolg
nur dann durchgeführt werden können, wenn die Entscheidung über die Schuldfrage ihrer
unmittelbaren präjudiziellen Wirkung auf die rechtlichen Beziehungen zu den Kindern und auf die Unterhaltsfrage entkleidet wird.
650 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 35. Deutschen Juristen tages (Salzburg), Stenographischer Bericht, Vortrag Marie Munk, S. 153 – 157, S. 156 – 157. 651 Ebd., S. 154 – 155. 652 Ebd., S. 155 – 156. 6 53 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 35. Deutschen Juristentages (Salzburg), Stenographischer Bericht, Vortrag Margarete Berent, S. 178 – 180, S. 179 – 180. 6 54 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 35. Deutschen Juristentages (Salzburg), Stenographischer Bericht, Beschlüsse, S. 196 – 198, S. 197.
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Der gegenwärtige Rechtszustand trägt zur Verschärfung des Ehestreits bei, da die Parteien in
zahlreichen Fällen nicht um die Aufrechterhaltung oder Lösung des Ehebandes, sondern um
die mit der Schuldfrage verknüpften Rechtsfolgen kämpfen. Diese präjudizielle Wirkung ist,
soweit sie die rechtlichen Beziehungen zu den Kindern betrifft, ganz zu beseitigen, hinsicht
lich der Unterhaltsfrage einzuschränken. Weiterhin erscheint es als Pflicht aller im Dienste der
Rechtspflege tätigen Organe, in denjenigen Fällen, wo die Unhaltbarkeit der Ehe offenbar ist, nach Möglichkeit dahin zu wirken, daß die mit der zu erwartenden Trennung der Ehe
eintretenden Rechtsfolgen vermögens-, familien- und personenrechtlicher Art insbesondere
auch hinsichtlich der Rechtsverhältnisse der Kinder gütlich geregelt werden. Eine solche
Regelung ist auch schon vor Trennung der Ehe zuzulassen, sofern nicht die Absicht durch
die Abmachung, die sonst rechtlich nicht gegebene Möglichkeit der Ehescheidung zu schaf-
fen, das Abkommen als unsittlich erscheinen läßt. Die bloße Tatsache, daß das Abkommen
die Scheidung erleichtert, genügt nicht, um der Vereinbarung den Stempel der Unsittlichkeit 655
aufzudrücken.“
Mit diesen Worten wurde nicht nur eine salomonische Mittellinie gefunden, sondern auch den Problemen um die Scheidungsfolgen offensiv begegnet – diese positiven Ansätze zeichneten sich jedoch in der weiteren parlamentarischen Entwicklung nicht ab. 5.4 Der parlamentarische Reformprozess (Juli 1928–Mai 1929) Der Reichstag war neu gewählt worden. Die DDP forderte am 28. Juni 1928 die Reichsregierung auf, einen Gesetzentwurf in Anlehnung an den Gesetzentwurf des Rechtsausschusses (Reichstagsdrucksache No. 4106) vorzulegen.656 Zuvor hatte die KP am 26. Juni 1928 ihren Gesetzentwurf aus dem Jahre 1926 wiederholt eingebracht.657 Die SPD hatte ebenfalls ihren Gesetzentwurf aus dem Jahre 1925 in Anlehnung an eine Vorschrift der Reichstagsdrucksache No. 4106 am 22. Juni 1928 ergänzt.658 In einer Ministerbesprechung am 3. Juli 1928 waren die Reformanträge der SPD 659
655 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 35. Deutschen Juristentages (Salzburg), Stenographischer Bericht, Beschlüsse, S. 196 – 198. Hervorhebung nicht im Original. 656 Verhandlungen des Reichstags. IV. Wahlperiode 1928, Band 430 Anlagen Nr. 1 bis 350 zu den stenographischen Berichten, Berlin 1928, No 113. 657 Verhandlungen des Reichstags IV. Wahlperiode 1928, Band 430 Anlagen Nr. 1 bis 350 zu den Stenographischen Berichten, Berlin 1928, Nr. 94. 658 Verhandlungen des Reichstags IV. Wahlperiode 1928, Band 430 Anlagen Nr. 1 bis 350 zu den Stenographischen Berichten, Berlin 1928, Nr. 82. 659 Verhandlungen des Reichstags IV. Wahlperiode 1928, Band 430 Anlagen Nr. 1 bis 350 zu den Stenographischen Berichten, Berlin 1928, Nr. 82.
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und der KP 660 zum Ehescheidungsrecht als politisch nicht vorteilhaft für die Regierung bewertet worden 661, obwohl diese Parteianträge dem Rechtspflegeausschuss überwiesen worden waren.662 Stattdessen wurde im Kabinett am 26. November 1928 beschlossen, einen noch nicht in Gänze ausgearbeiteten und deshalb zum Zeitpunkt der Kabinettsberatung noch nicht existenten Referentenentwurf des Justizministeriums an den Rechtspflegeausschuss zu überweisen.663 Dieser Beschluss gelangte nicht an die Öffentlichkeit. In der Presse zu Beginn des Jahres 1929 waren, so auch von der Juristin Dr. Gerta Zündorf in den Düsseldorfer Nachrichten, ausschließlich die Reformvorschläge der Parteien zu finden. Aber erwähnt wurde der Referenten entwurf des Reichsjustizministeriums in der Presse nicht.664 Zeitgleich loteten die Reichstagsmitglieder in den Koalitionsverhandlungen die Erfolgsaussichten der Reform politisch aus.665 Ein Referentenentwurf des 660 Verhandlungen des Reichstags IV. Wahlperiode 1928, Band 430 Anlagen Nr. 1 bis 350 zu den Stenographischen Berichten, Berlin 1928, Nr. 94. 661 Martin Vogt (Hg.), Das Kabinett Müller II. 28. Juni 1928 bis 27. März 1930, Band 2, Boppard am Rhein 1970, S. 11 – 14, S. 14 Fußnote 10. Damit entfiel auch ein Vorschlag des Reichsjustizministeriums für die Regierungserklärung, in dem „die Umgestaltung des Ehescheidungsrechts […] besonders dringlich […] in Anknüpfung an die Beschlüsse des Rechtsausschusses in naher Zukunft […] zu einer den Anschauungen der großen Mehrheit unseres Volkes entsprechenden Gestaltung des Ehescheidungsrechts“ gelangen sollte. In: ebd., S. 5 Fußnote 11. 662 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 88. 663 Während der Kabinettssitzung am 26. 11. 1928 lag noch nicht eine erste Entwurfsfassung des Referentenentwurfs vor, wie man deutlich dem Protokoll der Sitzung entnehmen konnte: „Der Reichsverkehrsminister erklärte, er würde es am liebsten sehen, wenn die Anträge bezüg lich Neuregelung des Ehescheidungsrechts am 28. November ohne Debatte dem Rechtspflegeausschuß überwiesen würden. Eine Erklärung des Reichsministers der Justiz möge nur dann erfolgen, wenn ihre Abgabe nötig sei. In der Erklärung werde wohl besser davon gesprochen, daß Vorarbeiten des Reichsjustizministeriums sich dem Abschluß genähert hätten. Diese Vorarbeiten sollten als Material dem Rechtsausschuß überwiesen werden. […] Der Reichsminister der Justiz erklärte sich mit diesen Vorschlägen einverstanden. Auch der Reichskanzler und die übrigen Reichsminister stimmten ihnen zu.“ In: Martin Vogt (Hg.), Das Kabinett Müller, S. 239. 664 LAB B Rep. 235 – 20 Zeitungsausschnittsammlung MF-Nr. 1317. Der Beitrag der Juristin stammte vom 24. Februar 1929. 665 In dem Bericht des Staatssekretärs Plünders vom 24. Januar 1929 über die Koalitionsverhandlungen werden Erwägungen darüber angestellt, „den Reichswirtschaftsminister auf das Reichsjustizministerium zu setzen und dadurch das Reichswirtschaftsministerium für das Zentrum frei zu machen. […] Dem Herrn Reichskanzler war letzterer Plan ganz neu[, …] wobei er von dem Gedanken ausging, daß den übrigen Koalitionsparteien, insbesondere auch den Demokraten, sicher angenehmer sein würde, den gegenwärtigen Reichsjustizminister Koch-Weser durch einen volksparteilichen Minister abgelöst zu sehen, als durch einen Zentrumsminister.“ Diese Überlegungen wurden in der Sitzung am 30. Januar 1929 politisch weiter kalkuliert: „Bezüglich des Fortganges der gesetzgeberischen Arbeiten im Justizressort glaubte
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eichsjustizministeriums zum Ehescheidungsrecht wurde dann im RechtspflegeausR schuss am 8. April beraten, aber am 3. Mai 1929 von der Tagesordnung wieder abgesetzt.666 Nach einem ersten Blick in die Parlamentsprotokolle war ein Gesetzentwurf der DNV-Partei vom 15. April 1929667 im Rechtspflegeausschuss im Mai und auch noch am 2. Oktober 1929668 beraten worden. Es schien aber nur so, als ob deshalb die Beratungen über den Referentenentwurf des Reichsjustizministeriums erst nach Rücknahme des Gesetzentwurfs der DNV-Partei am 5. November 1929 fortgesetzt werden konnten.669 Tatsache war jedoch, dass nach der Kabinettssitzung am 16. April 1929 in den Sitzungen des Rechtspflegeausschusses am 27. April und am 14. Mai 1929 die Ehescheidungsreform auf Initiative der Reichsregierung unter Zuhilfenahme anderer Gesetzgebungsvorhaben ausgebremst worden war. Bereits in der Kabinettssitzung am 16. April 1929 hatte der Reichskanzler betont, „daß er mit dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses, dem Abgeordneten Landsberg, wegen einer einstweiligen Vertagung der Beratung des Problems der Ehescheidungsreform unverzüglich Fühlung nehmen wolle. Es müsse im übrigen vorbehalten bleiben, noch mit dem Ausschuß der Regierungsparteien über die Angelegenheit zu sprechen.“ Zugleich vereinbarten am 14. April 1929 zwei Ministerialbeamte, ORegR Wienstein und Geheimrat Galle, dem Rechtsausschuss das Standesherrengesetz zuzuleiten. Damit war für die Sitzung des Rechtsausschusses am 22. April 1929 vorerst eine Beratung der Ehescheidungsreform vermieden. In der Sitzung am 27. April 1929 wurde dann eine Vereinbarung z wischen dem Reichskanzler, der SPD, der DVP und der DDP bekannt gegeben, „daß sie dem Wunsche der Reichsregierung entsprechend die Erledigung der Anträge auf Ehescheidungsreform zunächst zurückstellen und die vielmehr der Herr Reichskanzler durchaus Möglichkeiten zu sehen, es könne jedenfalls der Versuch unternommen werden, etwaige Schwierigkeiten, die ein Zentrumsjustizminister haben könnte, im Wege einer Initiativgesetzgebung im Reichstag auszugleichen, soweit die familienrechtlichen Anträge in Frage kämen.“ In: Martin Vogt (Hg.), Das Kabinett Müller, S. 383, 397. 666 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 613 – 616. 667 Dieser Gesetzentwurf umfasste eine Neuregelung des gesamten Familienrechts (Eherecht, Scheidungsrecht nebst Folgen, Personensorge und elterliche Gewalt). Zum Güterrecht forderte am 23. April 1929 der Initiator des Gesetzentwurfs, der Reichstagsabgeordnete H anemann, die Reichsregierung auf, einen Gesetzentwurf zum Güterstand der Gütertrennung in Verbindung mit einer Errungenschaftsgemeinschaft vorzulegen. In: Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 621 – 628. 668 Nachdem ein Versuch, die Beratung über den Gesetzentwurf zu vertagen, mit 12 gegen 14 Stimmen gescheitert war, wurde jedoch nicht der gesamte Gesetzentwurf, sondern nur die Bestimmungen über die Einführung einer objektiven Zerrüttung behandelt. In: Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 620 – 621. 669 Rücknahme des Antrages in der Sitzung am 5. Nov. 1929, in: Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 628 – 629.
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Erledigung des Standesherrengesetzes als vordringlich anerkennen möchten.“ Nach den Verhandlungen des Standesherrengesetzes wurde in der Sitzung des Rechtsausschusses am 3. Mai 1929 nicht geklärt „welche Materie danach beraten werden soll“670. Diese strategische Intervention in den parlamentarischen Raum hinein traf auf verfassungsrechtliche Bedenken. Aber gegen diese verfassungswidrige P raxis des Reichsjustizministeriums, „Gesetzesvorlagen zu schwebenden Materien gewissermaßen unter Umgehung von Reichsrat und Plenum unmittelbar einem Ausschuß“ vorzulegen, hatte sich der Abgeordnete Hanemann (DNV) erst nach ihrem Bekanntwerden in der Reichstagssitzung am 13. Juni 1929 wenden können.671 In dieses stagnierende parlamentarische Klima um das Scheidungsrecht und die Regelungen seiner Folgen trafen im Frühjahr 1929 die Stellungnahmen der Oberlandesgerichte und des Kammergerichtspräsidenten zum ehelichen Güterrecht im Preußischen Justizministerium ein. Mit den Vorschlägen für eine Reform des Ehe- und Ehegüterrechts von Margarete Berent und Marie Munk im Sommer 1921 hatte einmal alles begonnen. 5.5 Der Verbleib der Reformvorschläge Marie Munks und Margarete Berents aus den Jahren 1921 und 1923 Das Ehe- und Ehegüterrecht umfasste auch die wichtigsten Bereiche der bereits stagnierenden Scheidungsrechtsreform – die Scheidungsfolgen. Gleichwohl schien es fast so, als könne eine Reform in Gänze doch noch gelingen: Der Reichstagsabgeordnete Hanemann (DNV) hatte am 15. April 1929 einen Gesetzentwurf zur „Neuregelung des gesamten Eherechts“ im Rechtsausschuss eingebracht.672 5.5.1 Das Schicksal des hanemannschen Gesetzentwurfs Dieser Gesetzentwurf 673 enthielt zum Eherecht, zum Scheidungsrecht und zur Frage der elterlichen Gewalt im Kern all das, was bereits in Marie Munks und Margarete Berents Vorschlägen zur Abänderung des Familienrechts und verwandter Gebiete des Sommers 1921 und der Denkschrift Munks aus dem Jahre 1923 enthalten war. Hierzu gehörte im Eherecht die gemeinsame Entscheidung der Ehegatten über die ehelichen Angelegenheiten, die beidseitige Unterhaltsverpflichtung und das Recht der Frau, ihren Mädchennamen dem Familiennamen hinzuzufügen. 670 Martin Vogt (Hg.), Das Kabinett Müller, S. 551 und dort Fußnote 5, S. 587, 588 Fußnote 4. 671 Verhandlungen des Reichstags IV. Wahlperiode 1928, Band 425: Stenographischen Berichte (von der 77. Sitzung am 5. Juni 1929 bis zur 98. Sitzung am 28. Juni 1929), Berlin 1929, 85. Sitzung, Donnerstag den 13. Juni 1929, S. 2375 – 2430, S. 2394 (B). 672 Verhandlungen des Reichstags IV. Wahlperiode 1928, Band 425: Stenographischen Berichte (von der 77. Sitzung am 5. Juni 1929 bis zur 98. Sitzung am 28. Juni 1929), Berlin 1929, 85. Sitzung, Donnerstag den 13. Juni 1929, S. 2375 – 2430, S. 2394 (B). 673 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 621 – 628.
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Für eine Beschränkung oder den Ausschluss von der Schlüsselgewalt benötigte der Mann eine vormundschaftsgerichtliche Ermächtigung. Nur auf das Kündigungsrecht des Mannes verzichtete Hanemann nicht.674 Nach dem hanemannschen Gesetzentwurf sollte ein Ehegatte aus einem anderen Grunde die Scheidung beantragen können, wenn aufgrund schuldhaften Verhaltens des anderen Ehegatten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses eingetreten war, dass eine Fortsetzung der Ehe dem anderen Ehegatten nicht mehr zugemutet werden konnte, allerdings ohne dass die Schuld im Urteil ausgesprochen wurde. Die nacheheliche Unterhaltspflicht sollte nach dem Gesichtspunkt der Billigkeit festgelegt werden. Die elterliche Gewalt sollte während der Ehe beiden Ehegatten zustehen. Nach einer Scheidung konnte die elterliche Gewalt aufgrund einer elterlichen Vereinbarung auch dem schuldigen Elternteil übertragen werden. Kam diese Vereinbarung nicht zustande, entschied das Vormundschaftsgericht im Interesse des Kindes.675 Zugleich hatte Hanemann einen Antrag gestellt, die Reichsregierung möge zum Güterrecht einen Gesetzentwurf vorlegen, „der als gesetzlichen Güterstand die Gütertrennung in Verbindung mit einer Errungenschaftsgemeinschaft einführt“676. Es ist interessant, dem Schicksal dieses Gesetzentwurfs nachzuspüren: Hanemann hatte seinen Antrag und Gesetzentwurf erst in der Sitzung des Rechtsausschusses am 5. November 1929 zurückgenommen. Die Folge war: Nun konnte der Referentenentwurf des Reichsjustizministeriums doch noch mit einigen Änderungen zur Beratung an einen Unterausschuss überwiesen werden.677 Allerdings einigte man sich in der Sitzung der Parteiführer am 8. November 1929 darauf, die Beratungen zum Referentenentwurf des Reichsjustizministeriums im Unterausschuss weiterzubetreiben, aber eine Beratung im Rechtsausschuss des Reichstags vorläufig nicht in Betracht zu ziehen.678 In der S itzung 674 675 676 677 678
Ebd., S. 622. Ebd., S. 622 – 624. Ebd., S. 628. Ebd., S. 628 – 642, S. 639 – 640, 642. Die Reform der Ehescheidung wurde zur politischen Machtfrage. Die Zentrumspartei hatte in dieser Sitzung die Verhandlungen aus der Sitzung vom 6. November 1929 mit den Worten quotiert, „es sei nunmehr eine taktische Einigung über die Vertagung des Problems der Ehescheidungsreform erfolgt. Deshalb sei das Zentrum auch wieder in den Rechtsausschuß eingetreten.“ Nachdem der Reichsjustizminister mit Rücktritt gedroht hatte, „bestand schließlich Übereinstimmung darüber, daß die Beratung der Anträge zur Ehescheidungsrechtsreform in dem dafür eingesetzten Unterausschuß stattfinden solle. Dagegen solle eine Beratung des Rechtsausschusses des Reichstags vorläufig nicht in Betracht kommen. In diesem Ausschuß sollen die Vorlagen über die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder und über das Standesherrengesetz vordringlich behandelt werden.“ In: Martin Vogt (Hg.), Das Kabinett Müller, S. 1125 – 1126.
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des Unterausschusses am 27. Februar 1930 wurde dann von seinem Vorsitzenden festgestellt, dass der Unterausschuss keine Beschlüsse fassen könne. Stattdessen sei die Frage, ob der Referentenentwurf des Reichsjustizministeriums eine politische Mehrheit erhalten würde, beraten worden.679 Zwischenzeitlich vermeldete das „Neue Wiener Tageblatt“ am 9. November 1929, „daß die deutsche Ehescheidungsreform fallengelassen worden sei“680. Dieses Ende der Ehescheidungsreform ging aber nicht auf die Parteiführer besprechung vom 8. November 1929 zurück.681 Vielmehr wurde auf dieser Sitzung ihr Ende lediglich besiegelt, nachdem sich der Einfluss der Regierung auf den parlamentarischen Beratungsprozess bereits seit April 1929 deutlich ausgewirkt hatte. Erst die Abgeordnete Marie-Elisabeth Lüders (DDP) stellte am 17. Mai 1930 im Reichstag klar, was mit den Vorschlägen Marie Munks und Margarete Berents zur Abänderung des Familienrechts und verwandter Gebiete (Sommer 1921), den Vorschlägen aus der Denkschrift des Jahres 1923 und dem hieraus resultierenden hanemannschen Gesetzentwurf geschehen war: „Wir bedauern auch, daß Herr Kollege Hanemann, der seinerzeit Anträge im Rechtsausschuß zur Änderung des Familienrechts vorgelegt hatte, diese Anträge zurückgezogen hat. Die Anträge waren insofern für uns gerade von Frauenseite ganz besonders interessant, als sie fast restlos das enthalten haben, was schon seit Jahrzehnten die Forderungen der oft bespotteten Frauenbewegung gewesen sind. Beinahe wörtlich sind die Forderungen der Frauenorganisationen in den Anträgen Hanemanns abgeschrieben worden, oder er hat intuitiv gefühlt, daß wir recht gehabt haben.“682 Aber obgleich am 9. Dezember 1930 die SPD und am 26. Januar 1931 die KP Gegenentwürfe im Reichstag eingebracht 683 hatten und die Ehescheidungsreform im Herbst 1931 noch einmal Beratungsgegenstand in der Reichskanzlei war: Die Ehescheidungsreform wurde bis zur Machtergreifung Hitlers parlamentarisch nicht weitergeführt.684
679 Martin Vogt (Hg.), Das Kabinett Müller, S. 1126 Fußnote 5. 680 Ulrike Harmat, Ehe auf Widerruf ? Der Konflitk um das Eherecht in Österreich 1918 – 1938, Frankfurt a. M. 1999, S. 375. 681 So aber Ulrike Harmat, Ehe auf Widerruf ?, S. 375. 682 Verhandlungen des Reichstags IV. Wahlperiode 1928, Band 427: Stenographischen Berichte (von der 135. Sitzung am 6. März 1930 bis zur 168. Sitzung am 20. Mai 1930), Berlin 1930, 166. Sitzung, Sonnabend den 17. Mai 1930, S. 5141 – 5162, S. 5147 (A) und (B). 683 Verhandlungen des Reichstags V. Wahlperiode 1930, Band 449: Anlagen Nr. 401 bis 750 zu den Stenographischen Berichten, Berlin 1932, Antrag Nr. 492 vom 9. Dezember 1930 (SPD) und Antrag Nr. 674 vom 26. Januar 1931 (KPD). 684 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 91 – 92.
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5.5.2 Das Besondere an Marie Munks Vorschlägen zur Ehescheidungsreform Der Vorteil an Marie Munks Vorschlag zur Reform des Scheidungsrechts aus dem Herbst 1922 lag, im Unterschied zu den im Reichsparlament erörterten Vorschlägen, darin, dass a) keine Koppelung von Schuld und Zerrüttung in einem Tatbestand 685, sondern, wie es in Schweden seit 1915 der Fall war 686, eine objektive (schuldlose) Zerrüttung alternativ neben den absoluten (unbedingten) Scheidungsgründen vorgesehen wurde; b) das Gericht nur bedingt zu einer Ehediagnose gezwungen werden sollte, weil es erstens durch Beseitigung der Schuld keine Fremdbezichtigung mehr geben sollte und damit zweitens auch eine Eigenbezichtigung der klagenden Partei in den Hintergrund treten musste. Marie Munk verdeutlichte, dass es Aufgabe der Rechtsprechung sein müsse, eine „dem Wesen der Ehe entsprechende Gemeinschaft“ in der Urteilsfindung am Anstandsgefühl „weitester Volkskreise“ auszurichten.687 Es sei kritisch angemerkt, dass das schwedische Recht, weil es die objektive Zerrüttung mit einer vorherigen Heimtrennung verband,688 im Vergleich zum munkschen Vorschlag besser überzeugt. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass genau diese Divergenz womöglich aus einem Kompromiss über den Stellenwert der Scheidungsfolgen in der Reform aus der Korrespondenz zwischen Marianne Weber und Marie Munk im Herbst 1922 und damit auch über den Inhalt der Denkschrift aus dem Jahre 1923 herrührt. 1. Hatte Marie Munk das Klagerecht des Ehegatten im Herbst 1922 bejaht, „wenn die Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses besteht, [so] dass keine Aussicht auf eine dem Wesen der Ehe entsprechende Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft vorhanden ist“689, stellte sie im Jahre 1923 in der Denkschrift darauf ab, „dass eine dem Wesen der Ehe entsprechende Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft nicht zu erwarten ist“690. Die Vorschläge aus dem Herbst 1922 hätten den Ehegatten vor dem Richter den Vortrag ermöglicht, dass sie bereits längere Zeit getrennt leben würden und auch eine Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft für sie nicht mehr in Frage kommt, während der Reformvorschlag aus dem Jahre 1923 an einer 685 Anlage zum Schreiben Marie Munks vom 22. Oktober 1922 an Marianne Weber, in: LAB B Rep. 235-01 MF-Nr. 2765; Marie Munk, Vorschläge zur Ausgestaltung des Rechts, § 1568, S. 60. 686 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 243. 687 „eine dem Wesen der Ehe entsprechende eheliche Gemeinschaft nicht mehr erwartet wird“, in: Marie Munk, Vorschläge zur Ausgestaltung des Rechts, S. 12. 688 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 243. 689 Anlage zum Schreiben Marie Munks vom 22. Oktober 1922 an Marianne Weber, in: LAB B Rep. 235 – 01 MF-Nr. 2765. 690 Marie Munk, Vorschläge zur Ausgestaltung des Rechts, § 1568, S. 60.
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fremdbeurteilten Trennung festhielt, also den bereits zerrütteten Ehegatten die Verfügungsmacht über ihre Ehe immer noch, wenn auch in geschwächter Form, genommen werden sollte. Den Reformvorschlag aus dem Jahre 1923 zeichnet dennoch aus, dass eine gegenseitige Einwilligung beider Ehegatten für eine Scheidung und ein einseitiger Antrag auf Scheidung wegen unüberwindlicher Abneigung an Zeitfaktoren und damit an den realen Bestand der Ehe bzw. das Getrenntleben gebunden wurden.691 Wenn nach der Überzeugung des Gerichts ein dem Wesen der Ehe entsprechendes gedeih liches Zusammenleben der Ehegatten nicht zu erwarten war, konnte durch richterliche subjektive Kriterien die Scheidung nicht hinausgezögert werden. 2. Zudem sollte nach dem munkschen Vorschlag das Gericht über die Folgen der Scheidung im Unterhaltsrecht nach den Einkommensverhältnissen und im Sorgerecht nach den Interessen des Kindes alsbald im gleichen Verfahren entscheiden müssen.692 Der Richter würde nicht genötigt die eigene Leben serfahrung, seine religiöse Überzeugung, seine individuellen Stärken und Schwächen mit dem vor ihm liegenden Fall zu vermischen. Objektive Kriterien des Rechts könnten sich nicht verfangen in den subjektiven Kriterien des Richters. Der Richter sollte sich objektiv auf seinen Funktions- und Verantwortungsbereich konzentrieren, wenn die Eheleute sich über das nacheheliche Leben, den nachehelichen Unterhalt und das nacheheliche Sorgerecht nicht hätten einigen können. Marie Munks Reformvorschlag machte deutlich: Die Scheidung selbst ist ein formaler Akt, dem das soziale Ereignis, die Zerrüttung vorausgeht und trotz Auflösung der Ehe die soziale Verantwortung der getrennten Eltern im Interesse der Kinder geregelt werden müssen. 5.5.3 Letzte wissenschaftliche Plädoyers für die Reform Marie Munk erkannte, dass diese rechtspolitische Stagnation danach verlangte, die Kernpunkte der Reform erneut zu veröffentlichen und die Reformvorschläge sach lich zu ordnen. Munks Publikation mit dem Titel „Recht und Rechtsverfolgung im Familienrecht“ fasste, nach einer kritischen Erläuterung zu den Bestimmungen des BGB 693, all die Reformforderungen unter der Erläuterung der einschlägigen 691 Marie Munk, Vorschläge zur Ausgestaltung des Rechts, § 1569a, S. 61. 692 Marie Munk, Vorschläge zur Ausgestaltung des Rechts, S. 42 – 43, § 1635, S. 79 – 80. 693 Wie zum Beispiel im Güterrecht: zur Nachweispflicht der Frau, dass ihr Vermögen gefährdet sei, obgleich sie keine Rechnungslegung vom Mann während der Verwaltungsgemeinschaft verlangen kann; zur Eigentumsvermutung nach § 1362 BGB; die Gefahr des Vermögensverlustes für die Frau bei Gütergemeinschaft; die Nachteile der im BGB geregelten Errungenschaftsgemeinschaft wegen der uneingeschränkten Verwaltungsbefugnis des Mannes. Zum Scheidungsrecht: dass die Frau erst nach der Scheidung die Herausgabe ihres Hausstandes beanspruchen könne; die diskriminierende Verwendung der Verzeihung und des Fristablaufs
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Bestimmungen des Ehe-, Familien-, Güter- und Scheidungsrechts zusammen 694, die vonseiten des Bundes Deutscher Frauenvereine vorgetragen worden waren. Dieses Buch wurde sowohl von dem Oberlandesgerichtsrat Nestle 695, als auch von Prof. Otto (Kiel) positiv besprochen. Otto hob insbesondere hervor, dass sich die Darstellungen Munks zum Rechtsstoff “nicht auf die Wiedergabe seines positiven Inhalts“ beschränken würden, „sondern auch überall, wo er reformbedürftig erscheint, einer maßvollen, gerade deshalb aber um so überzeugenderen Kritik“696 zugeführt würde. Darüber hinaus nahm Munk anlässlich einer Rezension zu Konrad Wedermanns Publikation „Das deutsche Vormundschaftsrecht“697 die Gelegenheit wahr, noch einmal an die ungünstige Regelung zu den Scheidungsfolgen zu erinnern. Sie kritisierte, dass Wedermann „die Regelung des Personensorgerechts bei geschiedener Ehe“ eben „nicht, wo man sie auch vermuten könnte, bei der Darstellung der elterlichen Gewalt, sondern bei der Tätigkeit des Vormundschaftsgerichts erörtert“698 habe. Für ein einheitliches Verfahren im Scheidungsfolgenrecht stritt Marie Munk erneut im Frühjahr 1932.699 In diesen Jahren widmete sich keine geringere als Elisabeth Selbert, die spätere Initiatorin des heutigen Gleichberechtigungsgrundsatzes im Grundgesetz (Art. 3 Abs. 2 des GG), der Scheidungsreform. Selbert zog in ihrer Dissertation „Ehezerrüttung als Scheidungsgrund“ aus dem Jahre 1930 folgendes Resümee: Das „Verschuldensprinzip“ sei „die eigentliche Ursache all der Mängel, die dem Ehescheidungsrecht überhaupt und dem § 1568 im besonderen anhaften“, im Scheidungsprozess; die diskriminierenden vermögensrechtlichen Wirkungen nach der Scheidung; die Regelungen über die elterliche Gewalt nach geschiedener Ehe; gegen die Verfahrensregeln im Scheidungsprozess; die Beweisaufnahme im Ehescheidungsprozess; die Erörterung von intimsten Dingen im Ehescheidungsprozess. Zum Eherecht, insbesondere Kritik zur Regelung der elterlichen Gewalt nach dem BGB in der Unehelichkeit: die mangelnde Unterhaltsdurchsetzung in der Unehelichkeit; die Mehrverkehrseinrede. In: Marie Munk, Recht und Rechtsverfolgung, S. 44, 47, 51, 55, 67, 69, 71, 72 – 73, 79, 82, 85, 87, 113, 121, 124. 694 Wie zum Beispiel zum Güterrecht: Hinweis auf die Beschlussfassung des 33. Deutschen Juristentages; die Ausgestaltung der Verwaltungsüberlassung durch Vertrag vonseiten der Frau auf den Mann. Zum Scheidungsrecht: die Ausgestaltung der wirtschaftlichen Folgen; eine vermehrte Berücksichtigung der Interessen des gesunden Ehegatten bei einer Scheidung wegen Geisteskrankheit; Beseitigung der Schuldfrage bei Regelung der Scheidungsfolgen. In: ebd., S. 46, 49, 63, 65, 80. 695 Nestle, Schrifttum, in: Deutsche Richterzeitung, 22/1930, Heft 2, S. 80. 696 Otto Opet zu Marie Munk: Recht und Rechtsverfolgung im Familienrecht, in: Juristische Wochenschrift, 59/1930, Heft 14, S. 979. 697 Ansbach 1929. 698 Marie Munk, Rezension zu: Das deutsche Vormundschaftsrecht, Konrad Wedermann, in: Deutsche Juristenzeitung, 36/1931, Heft 14, S. 969. Hervorhebung nicht im Original. 699 Marie Munk, Mängel gerichtlicher Zuständigkeitsbefugnisse im Kinderrecht, in: Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt, 23/1931/32, Heft 10/11, S. 370 – 373.
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sodass „der einzig würdige Gesichtspunkt“ eben „nur die Frage der Zerrüttung selbst sein“ könne.700 Für den „Grundsatz der Verschuldung in einem wirklich modernen Ehescheidungsrecht“ bliebe „kein Raum mehr“.701 Deshalb lehnte sie die kahlsche Auffassung rundweg ab.702 „Fälschlicherweise“ werde immer noch angenommen, die „Fragestellung“ im Ehescheidungsrecht sei immer noch die, „ob eine Erleichterung der Ehescheidung diskutabel“ sei „oder nicht“703. Die „dringende Notwendigkeit der Entgiftung und Reinigung unseres heutigen Ehescheidungsprozesses“ böte aber nur „der Tatbestand der ‚objektiven Zerrüttung‘ allein“ als „Handhabe“ für „eine würdigere Prozeßführung, weil ja dann eine Ehe nicht wegen Verschuldung, sondern wegen Zerrüttung geschieden“ werde.704 Selberts abschließende Worte lesen sich wie ein Plädoyer für die Reformvorschläge Munks aus dem Sommer 1921 und aus dem Herbst 1922: „Wenn der relative Scheidungsgrund wirklich der ‚moderne Scheidungsgrund‘ in gutem Sinne werden soll, der dem Sonderfall seine besondere individualisierende Wertung gewährleistet, dann muß eben das Schuldprinzip fallen.“705 Mit diesen Worten stellte sich Selbert aber auch gegen die Entschließungen des Bundes Deutscher Frauenvereine. Trotz des fortschrittlichen Ansatzes fehlte Selberts Arbeit ein Ausblick auf die Zukunft, sodass sich der Leser abschließend fragt, was die Weimarer Reform scheitern ließ. 5.5.4 Gründe für das Scheitern der Reform zum Scheidungsrecht unter dem Blickwinkel des Reformansatzes von Marie Munk Im Folgenden wird auf die Argumente aus der Sekundärliteratur über die Gründe für das Scheitern der Reform des Scheidungsrechts und damit notwendigerweise gerade auch des Scheidungsfolgenrechts mit Blick auf die Stellung der Frau im gesamten Ehe- und Familienrecht einzugehen sein. Seit den 1990er-Jahren erschienen Publikationen, die sich der Stellung der Frau im Ehe- und Familienrecht zuwandten.706 Publikationen zum Scheidungsrecht und zur Weimarer Reformphase 700 Elisabeth Selbert, Ehezerrüttung als Scheidungsgrund, Kassel 1930, S. 89. 701 Elisabeth Selbert, Ehezerrüttung, S. 90. 702 Ebd. 703 Ebd. 704 Elisabeth Selbert, S. 90 – 91. 705 Ebd., S. 92. 706 Brigitte Lehmann, Ehevereinbarungen im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1990; Petra Malsbenden, Die rechtliche Stellung der Frau im ehelichen Güterrecht vom ALR zum BGB, Frankfurt a M. 1991; Jörg Offen, Von der Verwaltungsgemeinschaft des BGB von 1896 zur Zugewinngemeinschaft des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957, Frankfurt a. M. 1994; Claus Esser, Rechtsstellung und Ansprüche der Ehefrau gegen ihren Mann während der Ehe nach dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten und dem Bürgerlichen Gesetzbuch, Köln 1998; Sabine Klemm, Frauenbewegung und Familienrecht 1848 bis 1933. Eine Betrachtung anhand von Quellen, Tübingen 1999; Jörn
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fehlten. Der überwiegende Teil der seit den 1990er-Jahren erschienenen Publika tionen beschränkte sich auf die Entstehungsgeschichte des BGB und/oder auf die Rechtsentwicklung nach dem Gleichberechtigungsgesetz von 1957. 707 Es wurde nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges die Entwicklung der Rechtsstellung der Frau im Eherecht und ehelichen Güterrecht nach 1945 zwischen Bundesrepublik und Deutscher Demokratischer Republik nur in einer Publikation verglichen.708 In dieser Publikation wird über die Weimarer Reform auf zwei Seiten unter Hinweis auf die Änderung der Weimarer Reichsverfassung und den 33. und den 36. Deutschen Juristentag berichtet 709, obgleich sich beide Staatssysteme nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Gleichberechtigung im Recht widmeten. Gerade unter den rechtspolitisch unterschiedlichen Grundfesten beider deutscher Staaten wäre ein Vergleich mit den Reformforderungen aus der Weimarer Zeit von besonderem Interesse gewesen. Es fällt auf, dass bis in das 21. Jahrhundert hinein die Weimarer Reformphase in der Fachliteratur nur mit einem deskriptiven Abriss gewürdigt wird.710 Nur Jens Lehmann beendet seine Arbeit über die Entstehungsgeschichte
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Wendrich, Die Entwicklung der familienrechtlichen Entscheidungsbefugnisse der Ehefrau. Vom BGB bis zum Gleichberechtigungsgesetz vom 18. 6. 1957, Frankfurt a. M. 2002; Sabine Uta Mehnert, Entwicklungen im gesetzlichen Güterrecht und im Ehegattenunterhaltsrecht unter dem Aspekt der Gleichberechtigung der Geschlechter. Ein Vergleich der rechtsgeschichtlichen Entwicklung in den beiden deutschen Staaten bis zum Jahre 1965, Berlin 2002; Mark-Alexander Grimme, Die Entwicklung der Emanzipation der Frau in der Familienrechtsgeschichte bis zum Gleichberechtigungsgesetz 1957. Unter besonderer Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte es Bürgerlichen Gesetzbcuhes, Frankfurt a. M. 2003; Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe. Persönliche Stellung von Frau und Mann im Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft 1700 – 1914, Köln/Weimar/Wien 2003; Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen; Steffen Baumgarten, Die Entstehung des Unehelichenrechts. Petra Malsbenden, Die rechtliche Stellung der Frau im ehelichen Güterrecht vom ALR zum BGB; Nina Dethloff, Die einverständliche Scheidung. Eine rechtsvergleichende und rechtshistorische Untersuchung zu Umfang und Grenzen der Privatautonomie im Scheidungsrecht, München 1994; Claus Esser, Rechtsstellung und Ansprüche der Ehefrau gegen ihren Mann während der Ehe; Mark-Alexander Grimme, Die Entwicklung der Emanzipation der Frau in der Familienrechtsgeschichte; Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe; Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen; Steffen Baumgarten, Die Entstehung des Unehelichenrechts; Sabine Stiersdorfer, Das erste einheitliche Güterrecht. Sabine Uta Mehnert, Entwicklungen im gesetzlichen Güterrecht und im Ehegattenunterhaltsrecht. Ebd., S. 18 – 19. Sabine Klemm, Frauenbewegung und Familienrecht, S. 124 – 155, 219 – 238; Mark-Alexander Grimme, Die Entwicklung der Emanzipation der Frau in der Familienrechtsgeschichte, S. 115 – 122.
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des Ehegüterrechts des BGB mit einem Ausblick, indem er ausgewählte Autoren aus der Frauenbewegung und Anhänger der Frauenbewegung vorstellt.711 Marion Röwekamp widmet sich dem Einfluss der ersten deutschen Juristinnen auf den Reformprozess des Ehegüterrechts in der Weimarer Republik.712 Ausführlicher sind die Darstellungen des Weimarer Reformprozesses von Jörg Offen mit dem Titel „Von der Verwaltungsgemeinschaft des BGB von 1896 zur Zugewinngemeinschaft des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957“. Neben dem Heidelberger Juristentag (1924) wird der 36. Deutsche Juristentag, aber auch die skandinavischen Reformarbeiten dargestellt. Zu diesem europäischen Einfluss bezieht Urte Nesemann mit dem Titel „Die schwedische Familiengesetzgebung von 1734 bis zu den Reformgesetzen von 1915 bis 1920 und deren Einfluss auf die Gesetzgebungsprojekte der Weimarer Republik“ den wissenschaftlichen Diskurs über das Ehegüterrecht, das Nichtehe lichenrecht und das Scheidungsrecht mit ein. Ebenfalls ausführlich behandelt unter den neueren Publikationen eine Veröffentlichung zum Ehescheidungsrecht den Weimarer parlamentarischen Reformprozess. 713 Eine weitere Arbeit widmet sich der Stellung der Ehefrau in der ehelichen Lebensgemeinschaft ausschließ lich unter Auswertung der außerparlamentarischen Reformforderungen in der Weimarer Zeit. Es werden ausgewählte Veröffentlichungen und Verlautbarungen der Frauenbewegung auf dem 36. Deutschen Juristentag (Marianne Weber, Marie Munk und Emmy Rebstein-Metzger) jedoch nur knapp einbezogen.714 Einer systematischen Betrachtung der Positionen der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung zur Reform des Ehe-, Ehegüter- und Familienrechts in den Jahren der Weimarer Republik anhand von Quellen geht die Publikation von Sabine Klemm nach.715 Diese Publikation schließt auch die parlamentarische Behandlung des Reformgegenstandes mit ein.716 Ihre Darstellungen beschränken sich auf die veröffentlichte weibliche Literatur. Gleichwohl für alle vorgenannten Publikationen gilt, dass die Autoren, mit Ausnahme von Urte Nesemann und Marion Röwekamp, entweder nicht oder nur eingeschränkt den Weg über die Archive genommen haben. Für das Scheitern der Ehescheidungsreform wird zuvorderst die parteipoli tische Problematik im Reichstag, der es an Kompromisslösungen mangeln musste, 711 Nachzulesen bei Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 295 – 301, 310 – 315. 712 Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, S. 573 – 603. 713 Michael Humphrey, Die Weimarer Reformdiskussion über das Ehescheidungsrecht und das Zerrüttungsprinzip. 714 Jörn Wendrich, Die Entwicklung der familienrechtlichen Entscheidungsbefugnisse der Ehefrau, S. 47 – 48. 715 Sabine Klemm, Frauenbewegung und Familienrecht. 716 Ebd., S. 124 – 155, 219 – 238.
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verantwortlich gemacht.717 Dieser Schlusspunkt kann nur überzeugen, weil allen vorgenannten Publikationen für die Weimarer Reformphase die rechtspolitischen Zwischentöne fehlen. Wie zum Beispiel die Einflussnahme der deutschen Frauenbewegung auf das Meinungsbild der Jurisprudenz zum Fragenkatalog des Reichsjustizministers Koch-Weser wie auch die Einblicke in die rechtspolitische Korrespondenz zwischen dem hanemannschen Entwurf und den Reformforderungen der deutschen Frauenbewegung. Die Reformunterdrückung durch Regierungsseite wird ganz ausgeblendet. Weitere noch darzustellenden Ereignisse sowie die zuvor nachgezeichneten Ereignisse, denen in der vorgenannten Ziffer III des 2. Kapitels ausführlich nachgegangen worden ist, waren aus Sicht der Verfasserin der vorliegenden Arbeit deshalb entscheidend für den vorübergehenden „Untergang“ der Reformforderungen aus der deutschen Frauenbewegung, weil es der Weimarer Reform an Struktur mangelte. Dies darf festgestellt werden, betrachtet der Leser die Ehescheidungsreform einmal losgelöst vom parlamentspolitischen Grund ihres Scheiterns. Anregend äußert sich der Autor Jörg Offen, der unter Bezug auf Inge Beate Schwaneke 718 und der herrschenden Meinung, die Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung wären nur Programmsatz gewesen, ergänzend konstatiert: „Die Materie des Ehe- und Familienrechts war „zu umfangreich und komplex […] als daß bereits in den Jahren der Weimarer Republik eine umfassende Umgestaltung durch den Gesetzgeber hätte erfolgen können.“719 Dieses Argument greift besser, weil es das gesamte Ehe- und Familienrecht bedingungslos einer Scheidungsreform zuordnet. Wenn man dann bedenkt, dass es der Zeitspanne von 1945 bis 1976 bedurfte, nur allein um das Zerrüttungsprinzip Gesetz werden zu lassen, und bis heute über die Scheidungsfolgen im Ehegüterrecht umfangreicher Diskursbedarf besteht 720, drängt sich der Gedanke auf, dass in der bisherigen Literatur für das Scheitern der Reform des Scheidungsrechts mehr die parteipolitischen Äußerlichkeiten in den Blick genommen wurden, sodass das eigentliche Problem der Reform nicht ergriffen und sichtbar gemacht wurde. Dieser Mangel wird aber bei einem Blick in die Reformforderungen von Marie Munk zum Ehescheidungsrecht deutlich.
717 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 380; Michael Humphrey, Die Weimarer Reformdiskussion über das Ehescheidungsrecht und das Zerrüttungsprinzip, S. 178 – 179. 718 Inge Beate Schwaneke, Die Gleichberechtigung der Frau unter der Weimarer Reichsverfassung, Diss. Heidelberg 1977, S. 70 – 71. 719 Jörg Offen, Von der Verwaltungsgemeinschaft des BGB von 1896 zur Zugewinngemeinschaft, S. 48. 720 Siehe zum Beispiel: Gerd Brudermüller, Barbara Dauner-Lieb und Stephan Meder (Hg.), Wer hat Angst vor der Errungenschaftsgemeinschaft?.
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In dem Diskurs mit Marianne Weber, ob denn die elterliche Gewalt in der Denkschrift des Bundes Deutscher Frauenvereine über die Reform der Ehescheidung erörtert werden soll 721, machte Marie Munk der Vorsitzenden des Bundes Deutscher Frauenvereine, ihrer Kollegin Marianne Weber, unmissverständlich deutlich, dass Reformen ohne die Regelungen ihrer Folgen „eigentlich in der Luft hängen“.722 Die Ereignisse in der Reformentwicklung bestätigten die These Marie Munks, indem konservative politische Strömungen den Reformbedarf des Eheund Familienrechts argumentativ gegen eine Ehescheidungsreform im rechtspoli tischen Diskurs verwendeten. So argumentierte die Zentrumspartei zu Beginn des Jahres 1927 gegen das Ehescheidungsrecht, indem sie für eine Änderung des Ehegüterrechts plädierte.723 Zugleich wurde der Diskurs über eine Reform des Ehegüterrechts von Regierungsseite als noch nicht reif für einen Reformentwurf dargestellt.724 Das führte letztendlich zu einer verspäteten Länderbeteiligung und einem Meinungsbild in dieser Frage von Seiten der Oberlandesgerichte, als sich der parteipolitische Diskurs über eine Reform der Ehescheidungsgründe in der Sackgasse des Reichstags bereits festgefahren hatte. Mitzunehmen bleibt aus dem reformpolitischen Engagement Marie Munks: Ein Scheidungsrecht mit Schuldprinzip kennzeichnet nicht die Verantwortung für die Ehe und für die Familie, sondern die Verantwortung für ihre Zerstörung. Deshalb richtet die Schuld die nachehelichen Regelungen zum Unterhalt und zum Sorgerecht aus. Ein Scheidungsrecht mit Zerrüttungsprinzip kennzeichnet das Scheitern des ehelichen Zusammenlebens. Deshalb kann die Zerrüttung eine durch die Ehe begründete gemeinsame Verantwortung beider Ehepartner für den Unterhalt und das Sorgerecht der gemeinsamen Kinder nicht aufheben. In beiden Fällen geht es um Verantwortung: in dem einen Fall um die individuelle Verantwortung für die Zerstörung der Institution der Ehe und Familie, in dem anderen Fall geht es um eine gemeinsame Verantwortung, die mit der Ehe in ihren Rechten und Pflichten begründet worden ist. Letzteres bestimmt eine Reform im Ehescheidungsrecht immer auch im Ehe- und Familienrecht im Ganzen. Das wird durch die Klitterung in einzelne Rechtsgebiete im fachwissenschaftlichen Diskurs und ihre Entkoppelung vom parlamentspolitischen Prozess sehr deutlich zum Ende der Weimarer Reformphase bestätigt.
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2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 3.5. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 3.5. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 5.4. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 4.7.7.
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6. Das Ende der Weimarer Reform (1931 – 1932) In den Jahren 1931 und 1932 wurde die Weimarer Reform rechtspolitisch „beerdigt“. Der 36. Deutsche Juristentag war wegen der Reichstagswahlen auf das Jahr 1931 verlegt worden.725 Mit dem 36. Deutschen Juristentag favorisierte die juristische Fachwelt ein letztes Mal den Reformbedarf im Ehe- und Ehegüterrecht und damit auch eine Reform der Scheidungsfolgen, indem die Berichterstatter des Deutschen Juristentages auf der Grundlage des Art. 119 WRV diskutierten. Es bereitete Marie Munk in einer Beilage der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 9. September 1931 die Leser auf den 36. Deutschen Juristentag vor, indem sie ihre Position zur „Gleichberechtigung der Geschlechter“ ausführlich darlegte.726 Marie Munk kritisierte die Auswirkungen des Schuldspruchs auf die elterliche Gewalt und die Personensorge aus dem Gutachten von Dronke rechtzeitig vor dem 36. Deutschen Juristentag in der Fachpresse: Es ginge Dronke weniger um das Interesse der Kinder, als um die Form der Ausübung der elterlichen Gewalt.727 Margarete Berent wandte sich in der Zeitschrift „Die Frau“ unter dem Titel „Die Neugestaltung des Familienrechts“728 gegen einen gesetzlichen Güterstand der Gütergemeinschaft. Dieser Güterstand sei ein Verstoß gegen die Gleichbehandlung.729 Es war aber Emmy Rebstein-Metzger, die mit ihrem Gutachten die Diskussion auf dem 36. Deutschen Juristentag maßgeblich bestimmte. 6.1 Der 36. Deutsche Juristentag „Inwieweit bedürfen die familienrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Rücksicht auf den die Gleichberechtigung der Geschlechter
725 Bereits am 22. Juli 1930 hatte die Deputation des Deutschen Juristentages mit Rücksicht auf die im September 1930 stattfindenden Reichstagswahlen eine Verlegung des Deutschen Juristentages „auf das Jahr 1931“ für den 10. bis 13. September zu unveränderter Tagesordnung bekannt gegeben. In: GStA PK HA Rep. 84a Nr. 990, Juristenvereine 1912 – 1928, Bl. 499, 501, 533, 535, 537. 726 Marie Munk, Gleichberechtigung der Geschlechter, in: Beilagen zur Deutschen Allgemeinen Zeitung, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2, Folder 1 – 2. 727 Marie Munk, Inwiefern bedürfen die familienrechtlichen Vorschriften des BGB mit Rücksicht auf den die Gleichberechtigung der Geschlechter aussprechenden Art. 119 Abs. 1 Satz 2 RV einer Änderung?, in: Deutsche Richterzeitung, 23/1931, Heft 8/9, S. 300 – 303, S. 302. 728 Margarete Berent, Die Neugestaltung des Familienrechts, in: Die Frau, 38/1931, Heft 31, S. 725 – 730. 729 Ebd., S. 727 – 729.
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aussprechenden Art. 119 Abs. 1 Satz 2 R.verf einer Änderung?“730 war die Fragestellung, der sich die Juristin Emmy Rebstein-Metzger in ihrem Gutachten widmete. 6.1.1 Emmy Rebstein-Metzgers Gutachten im Vergleich zu Munks Forderungen und dem Gutachten des Berichterstatters Dronke Emmy Rebstein-Metzgers Vorschläge umfassten im Wesentlichen die Forderungen von Marie Munk und Margarete Berent.731 Sie befürwortete allerdings die Beibehaltung der Verwaltungsgemeinschaft als vertraglichen Güterstand nicht. Dieser Güterstand sei nicht den Interessen der Frau dienlich. Er manifestiere die Vorherrschaft des Mannes im Ehegüterrecht. Der Bevölkerung stünde aus rechtlicher Unkenntnis keine Alternative vor Augen. Emmy Rebstein-Metzger forderte stattdessen für diesen vertraglichen Güterstand eine gemeinschaftliche Verwaltung beider Ehegatten. Aus der Schlüsselgewalt sollte die Frau nur wie ein Bürge mit Einrede der Vorausklage haften können.732 Für eine gleichberechtigte Stellung der Frau in dem Rechtsverhältnis der Eltern zu ihren Kindern, auch nach der Ehescheidung oder dem Tod des anderen Ehegatten, plädierte sie, wie Marie Munk es in ihrer Denkschrift des Bundes Deutscher Frauenvereine im Jahre 1923 getan hatte.733 Allerdings bestanden zwei wichtige Nuancen zwischen Rebstein-Metzger und Marie Munk. Rebstein-Metzger hielt wegen der gemeinschaftlichen elterlichen Gewalt eine gegenseitige Bevollmächtigung für überflüssig. 734 Sie mahnte für den Fall des Getrenntlebens der Ehegatten, die Kinder nicht zum Streitobjekt der Eltern zu machen. Deshalb schlug sie vor, dass die tatsächliche Sorge auf nur einen Elternteil übergeht, aber die elterliche Gewalt beiden gemeinschaft lich bis zum Scheidungsurteil verbleiben sollte. 735 Konservative Auffassungen vertrat der Gutachter Dronke. Er forderte, das Alleinentscheidungsrecht des Mannes (§ 1354 BGB) beizubehalten und es bei den Unterhaltsregelungen des BGB zu belassen.736
730 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristen tages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 540 – 591. 731 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristen tages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 541 – 546, 550 – 553, 566 – 575. 732 Ebd., S. 575, 576, 579. 733 Ebd., S. 584. 734 Ebd., S. 586. 735 Ebd., S. 589. 736 Schriftführeramt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristen tages (Lübeck), Gutachten Dromke, S. 592 – 630, S. 599, 601, 606 – 608.
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Es sollte der für schuldig erklärte Ehegatte sein Recht auf die Personensorge und die elterliche Gewalt verlieren.737 Nur für die Ehe stellte Dronke auf eine gemeinschaftliche Personensorge und elterliche Gewalt ab. Allerdings wollte er die Vermögenssorge vom gesetzlich neu zu regelnden Güterstand abhängig machen, weshalb er die Vermögenssorge für die Kinder zukünftig nur einem Elternteil übertragen wollte.738 Es bestimmten Frauen wie Marianne Weber, Camilla Jellinek und Marie-Elisabeth Lüders die Diskussion auf dem 36. Deutschen Juristentag. 6.1.2 Die Diskussion und die Entschließung des 36. Deutschen Juristentages Marianne Weber hob in ihren Leitsätzen vor Beginn der Verhandlung hervor: Es könne den Eheleuten gerade unter Bezug auf eine „Gleichberechtigung beider Ehegatten“ eine mit diesem Grundsatz unvereinbare Eheführung durch das Recht nicht aufgedrängt werden.739 Zugleich dürfe der Gesetzgeber in seinen Reformbestrebungen „Idealformen nicht voraussetzen“.740 Eine deutliche Absage Webers an das Ehe-Ideal des geltenden BGB. Aber eben dieses Ehe-Ideal des BGB wurde von den übrigen Teilnehmern des Deutschen Juristentages nicht in Frage gestellt. Die Diskussion wurde von dem Rücktrittsrecht der Frau aus einer vertraglich vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft nach dem geltenden BGB bestimmt.741 Camilla Jellinek hielt es aus taktischen Gründen für geboten, die Möglichkeit des Rücktritts für Güterrechtsverträge nicht in die Thesen mitaufzunehmen.742 Die Reichtags abgeordnete Pfülf hielt die Errungenschaftsgemeinschaft für das Proletariat, dass die Mehrzahl der Bevölkerung ausmache, für geeigneter, als die Gütertrennung mit Zugewinngemeinschaft.743 Marie-Elisabeth Lüders plädierte dafür, die Tätigkeit der Hausfrau der Erwerbsarbeit der Frau gleichzustellen.744 Ehen, in denen der Mann Alleinverdiener war und die Frau den Haushalt führte, waren aus Sicht Marianne Webers „gewerbliche 737 Ebd., S. 618, 619. 738 Ebd., S. 611. 739 Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristen tages (Lübeck), Stenographischer Bericht, Leitsätze Weber, S. 80 – 82, S. 81. 740 Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristen tages (Lübeck), Stenographischer Bericht, Vortrag Weber, S. 95 – 106, S. 105. 741 Ebd., S. 104; Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Stenographischer Bericht, Vortrag Schultz, S. 82 – 94, S. 82 – 91; Ebd., Vortrag Hanmann, S. 118 – 112, S. 122. 742 Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristen tages (Lübeck), Stenografischer Bericht, Vortrag Jellinek, S. 110 – 111. 743 Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristen tages (Lübeck), Stenografischer Bericht, Vortrag Pfülf, S. 115 – 116, S. 116. 744 Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristen tages (Lübeck), Stenografischer Bericht, Vortrag Lüders, S. 122 – 125, S. 123 – 124.
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Familienbetriebe“745. Webers Intention war es, eine vorrangige wirtschaftliche Machtposition des Alleinverdieners zu verhindern. Sie trat auch deshalb für eine Vereinbarung eines Haushaltsplans mit einem Wirtschaftsgeld für die Frau ein.746 Die Scheidungsfolgen, die Schultz in seinem Vortrag bereits als höchst strittige Punkte gekennzeichnet hatte 747, wurden nicht mehr diskutiert. Grund hierfür war, dass erst zum Ende des 36. Deutschen Juristentages Wieruszowski eine ausführliche Diskussion um die Scheidungsfolgen, insbesondere zur elterlichen Gewalt, einforderte.748 Doch er vermochte sich zu d iesem späten Zeitpunkt der Debatte nicht mehr durchzusetzen. Nach einer kurzen Verständigung über den Wortlaut der Entschließung 749 erfolgte der Beschluss: „Die das Rechtsverhältnis der Ehegatten und Eltern regelnden Teile des Familienrechts des
BGB können nicht nur wegen der in der Reichsverfassung ausgesprochenen Gleichstellung
der Geschlechter nicht mehr aufrechterhalten werden; auch die veränderten wirtschaft
lichen, sozialen und kulturellen Funktionen der Frauen verlangen dies. Die Durchsetzung dieses Grundsatzes erfordert die Änderung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen auf
folgenden Gebieten: 1. Des persönlichen Eherechts, 2. Des gesetzlichen und vertraglichen Güterrechts, 3. Der elterlichen Gewalt, bei bestehender und bei aufgelöster Ehe, 4. Des
Vormundschaftsrechts. Die in den Gutachten, Referaten und Verhandlungen enthaltenen Gesetzesvorschläge bilden eine geeignete Grundlage für die Umgestaltung des Ehe- und 750
Güterrechts im Sinne des Art. 119 RV.“
Ein allumfassender und allgemein gehaltener rechtspolitischer Beschluss, der die Reichsregierung letztmalig zum Handeln aufforderte. 6.1.3 Die journalistische Aufarbeitung des 36. Deutschen Juristentages Munk berichtete in ihrem Aufsatz „Inwiefern bedürfen die familienrechtlichen Vorschriften des BGB mit Rücksicht auf den die Gleichberechtigung der Geschlechter aussprechenden Art. 119 Abs. 1 Satz 2 RV einer Änderung?“751 über die Diskus 745 Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristen tages (Lübeck), Stenografischer Bericht, Vortrag Weber, S. 94 – 106, S. 101. 746 Ebd., S. 102. 747 Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristen tages (Lübeck), Stenografischer Bericht, Vortrag Schultz, S. 82 – 94, S. 93. 748 Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristen tages (Lübeck), Stenografischer Bericht, Vortrag Wieruszowski, S. 130 – 133. 749 Schriftführeramt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristen tages (Lübeck), Stenografischer Bericht, Beschluss, S. 141 – 142. 750 Ebd. 751 Deutsche Richterzeitung 23/1931, Heft 8/9, S. 300 – 303.
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sionen auf dem 36. Deutschen Juristentag. Sie stellte noch einmal klar, dass die Haftungsfrage der Eheleute bei der Gütertrennung davon abhängig gemacht werden müsse, ob der Ehemann die Kosten für den ehelichen Haushalt zu bestreiten hat oder nicht. Es wäre eine unbillige Härte, wenn die Ehefrau als Hausfrau, für Schulden aus ihren Verpflichtungen aus der ihr gesetzlich zugewiesenen Schlüsselgewalt ihr Stammvermögen aufwenden müsste.752 Ein strittiger Punkt – der auf dem 36. Deutschen Juristentag unbehandelt geblieben war. In der Folgezeit stand die Weimarer Republik bereits auf der Schwelle zum Eintritt des Nationalsozialismus in das deutsche Recht. Das macht ein interner Vermerk im Reichsjustizministerium deutlich, der die Reform um die Stellung der Frau im Ehe-, Ehegüter- und Familienrecht ein für alle Mal beendete und mit der Frauenbewegung abrechnete. 6.2 Die Reaktionen der Reichsregierung Diesem Vermerk ging eine Regierungserklärung vom 8. Februar 1932 zum Güterrecht voraus, die in den letzten Monaten der Amtszeit (5. 12. 1930 – 30. 5. 1932)753 des Reichsjustizministers Curt Joel entstand. 6.2.1 Die Regierungserklärung vom 8. Februar 1932 Die Reichsregierung nannte zahlreiche Gründe, warum die Güterrechtsreform „nach Ansicht des Reichsjustizministeriums […] auf eine geeignetere Zeit wird verschoben werden müssen“754. Zum einen sei eine Sichtung und Bearbeitung der umfangreichen Länderstellungnahmen wegen der zahlreichen Notverordnungen noch nicht abgeschlossen. Zum anderen würden die Komplexität des Rechts gebiets, die Wirtschaftskrise und „die Frage einer Beteiligung der Frau an dem in der Ehe Erworbenem“ doch „in die Verhältnisse der verschiedenen Berufszweige eingreifen“755. Bei dieser Sachlage sah man sich „außerstande, gegenüber der Forderung, dem Reichstag einen dem Gegenstand regelnden Gesetzentwurf vorzulegen, schon heute für eine bestimmte oder auch nur übersehbare Zeit eine feste Zusage zu machen“756.
752 Ebd., S. 300. 753 Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik, S. 13. 754 Regierungserklärung vom 8. Februar 1932, 3 S., in: Bundesarchiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1387. 755 Regierungserklärung vom 8. Februar 1932, 3 S., in: Bundesarchiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1387. 756 Regierungserklärung vom 8. Februar 1932, 3 S., in: Bundesarchiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1387.
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Diese Feststellungen entsprachen jedoch nur der halben Wahrheit. Es war an den Stellungnahmen der Länder fortwährend gearbeitet worden.757 Darüber hinaus wurde eine ministeriumsinterne „Aufzeichnung über die Änderungsbedürftigkeit des ehelichen Güterrechts“ vom 9. Juni 1932758 im Reichsjustizministerium gefertigt. Dieser Vermerk ist bis zum heutigen Tage in der Sekundärliteratur wissenschaftlich nicht beachtet worden oder in Dokumentationsbänden erwähnt. Dieser Vermerk aber ist für das damalige Meinungsbild im Reichsjustizministerium und zugleich für eine Antwort auf die Frage, warum im Nationalsozialismus das eheliche Güterrecht unangetastet blieb, von richtungsweisender Bedeutung. 6.2.2 Die regierungsinterne Aufzeichnung vom 9. Juni 1932 Nach Auffassung ihres Verfassers hinderten gerade die sozioökonomischen Veränderungen, die die Länder gerade für eine Reform „ins Feld geführt“, die aber „mit der Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit des Güterstandes nichts zu tun“759 hätten, die Reform. Der Verfasser bezweifelte, dass eine „Änderung des Güterstandes wirklich von weiten Volkskreisen getragen werden“760 könne. Er hob hervor, „daß die von Frauenvereinen ins Werk gesetzte Agitation für eine Änderung des geltenden Güterrechts nur einen geringen Widerhall in der Öffentlichkeit“761 fände. Das geltende Güterrecht verfolge ja gerade den Schutz der Frau, da bei der Verwaltung und Nutznießung „sehr häufig der Mann für Schulden der Frau“ hafte. Die Verfügungsbeschränkungen (§ 1404 BGB) s eien „vom Standpunkte der Frau aus betrachtet, kein wirtschaftlicher Nachteil, sondern ein wirtschaftlicher Vorteil“. Darüber hinaus könne die Verwaltung und Nutznießung des Mannes die Frau „vor unüberlegten Wirtschaftsmaßnahmen schützen“762. Allein der Tod sei Grund, über einen Zugewinst nachzudenken. Diesem Umstand werde jedoch bereits die Witwenpension gerecht. Dem Mangel des gesetzlichen Erbrechts könne man durch letztwillige Verfügungen begegnen. Die „Beweisgründe für eine Änderungsbedürftigkeit“ würden darüber hinaus „regelmäßig auf den Fall abgestellt, daß der Mann seine Rechte mißbraucht oder daß die Ehe geschieden“ würde. Damit hätte 757 Dies ließ sich dadurch ersehen, dass die zuletzt eingehende Länderstellungnahme des Landes Mecklenburg-Schwerin aus dem Jahre 1931 im Nachgang, handschriftlich und in Maschinenschrift abgesetzt, nachträglich in die Zusammenstellung eingefügt worden war. In: Bundes archiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1387. ieses Papiers ist 758 Bundesarchiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1387. Der Verfasser d nicht bekannt. Es wurde im Reichsjustizministerium erstellt und ist den Herren MRte Dr. Brandis und Zimmerle vorgelegt worden. 759 Bundesarchiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1387, Bl. 4 der Aufzeichnungen. 760 Ebd. 761 Ebd. 762 Ebd., Bl. 5 der Aufzeichnungen.
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eine Zweckmäßigkeit der Reform ausschließlich auf persönliche Verhältnisse der Ehegatten abgestellt werden müssen, die „der Regel nicht entsprechen“763 könnten. Nur für vermögende Ehegatten habe die Gütertrennung praktische Bedeutung. In diesen Fällen würden „die Vermögensbestimmungen zwischen den Ehegatten häufig auch in einer Weise gestaltet werden, die mit güterrechtlichen Bestimmungen nichts zu tun“ hätten.764 Zöge man die Frau zukünftig zu den Lasten des ehelichen Aufwandes und der gemeinschaftlichen Kinder hinzu, so läge „auf der Hand, daß man dadurch leicht eine Quelle von Streitigkeiten unter den Ehegatten eröffne“765. Genau diese Besorgnis entfalle nach dem noch geltenden Recht 766, weil hier der Mann die Einkünfte aus „dem Vermögen der Frau“ bezöge, während er zugleich „allein den ehelichen Aufwand“ trüge.767 So habe der Mann auch nach geltendem Recht aus dem Güterstand der Verwaltung und Nutznießung die Pflicht, die Prozesskosten für einen von der Frau zu führenden Rechtsstreit, ggf. auch für einen gegen ihn selbst angestrengten Scheidungsprozess, vorzustrecken. Bei Gütertrennung habe die Frau die Kosten ihrer Prozesse selbst zu zahlen, ggf. Armenrecht zu beantragen, „d. h. der Staat wird die Kosten bezahlen müssen, die heute der Mann bezahlt“768. Im zukünftigen Güterrecht würde die Frau den Erwerb aus dem selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts oder aus freiberuflicher Tätigkeit zur Hälfte „dem Manne herausgeben müssen, wenn die Ehe, vielleicht deswegen weil der Mann sie betrogen hat, geschieden wird“. Dieses als „äußerst unbefriedigend“ zu bezeichnende Ergebnis würde im geltenden Recht vermieden, indem der weibliche Erwerb dem Vorbehaltsgut der Frau zufiele.769 In der Mitarbeit im Haushalt, im Geschäft oder im Betrieb des Mannes erfahre die Frau „ein[en] ungerechte[n] Vorteil“, wenn sie bei Verletzung ihrer Pflichten zur Haushaltsführung schuldig geschieden „die Hälfte des von dem Manne Erarbeiteten ausgezahlt verlangen kann“. Es ginge nicht an, wenn die Frau „materielle Vorteile zieht, für die der gesetzgeberische Grund keinesfalls zutrifft“770. Vielmehr nähme die Frau „bereits während der Ehe an dem Ehezugewinst teil. Allerdings habe sie keinen Anspruch auf etwaige Rücklagen, die der Mann zu machen in der Lage“771 sei. Darüber hinaus bezweifelte 763 Ebd., Bl. 6 der Aufzeichnungen. 764 Zum Beispiel überließe die Frau ihr Vermögen dem Mann als Darlehen für seinen Betrieb oder beteilige sich in sonstiger Weise am Betrieb des Mannes. Ebd., Bl. 7 – 8 der Aufzeichnungen. 765 Ebd., Bl. 8 der Aufzeichnungen. 766 Ebd. 767 Ebd. 768 Ebd., Bl. 9 der Aufzeichnungen. 769 Ebd. 770 Ebd., Bl. 10 – 11 der Aufzeichnungen. Hervorhebung nicht im Original. 771 Ebd.
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der Verfasser grundsätzlich, ob angesichts der Ausgaben für die Kindererziehung Rücklagen im „nennenswerten Umfange gemacht werden“772 könnten. Wolle man nach einer Scheidung den Zugewinn schuldbedingt mindern, führe dies „wieder zur Einrichtung von Ehescheidungsstrafen“773. Eine Vermögensauseinandersetzung „ohne weitere Unterscheidung“ führe anhand einer Wertermittlung z wischen dem „Wert des Vermögens der Ehegatten bei der Eingehung der Ehe und“ dem „Wert des Vermögens der Ehegatten bei Beendigung der Ehe“ zu Nachteilen. Es käme zur „Beteiligung an dem eingebrachten Vermögen des anderen Ehegatten, was besonders deutlich wird, wenn man z. B. an Kursgewinne für eingebrachte Wertpapiere oder andere Konjunkturgewinne“774 denken würde. Der Zugewinstanspruch könne zur „Zerstörung eines Erwerbsgeschäftes“ führen. Bei landwirtschaft lichen Betrieben würde der Zugewinstanspruch mit der Rechtsübung der Altenteilsregelung kollidieren.775 Eine Stundung des Zugewinstanspruchs in derartigen Fällen sei „aber doch“ nur zeitlich begrenzt möglich, „wenn sie nicht den Zugewinstanspruch gegenstandslos machen soll“776. Zusammenfassend urteilte der Verfasser: Alle Neuerungen des zukünftigen Güterrechts könnten durch Eheverträge wieder beseitigt werden. Er verwies auf eine dem Reichsjustizministerium von privater Seite übergebene Fallsammlung 777 und schilderte Einzelfälle aus der Praxis, in der der Mann seine Rechtsstellung angeblich „gröblich mißbraucht habe“778. Aber ohne die Verwaltung und Nutznießung, so der Verfasser der regierungsinternen Aufzeichnungen, würde das „Streben des Mannes, zu einer anderweiten vertraglichen Regelung zu gelangen“ und damit der Abschluss von Eheverträgen „erheblich zunehmen. Nach geltendem Recht habe der Mann in der Verwaltung und Nutznießung des eingebrachten Gutes alles, was er vernünftigerweise als wirtschaft liche Vorteile gegenüber der Frau verlangen kann. Künftig wird ihm dieser Vorteil genommen und ihm noch erheblicher Nachteil zugefügt werden.“ Vielmehr würden die Ehegatten „in den Kreisen, für die die Zugewinstgemeinschaft berechnet 772 Ebd. 773 Ebd., Bl. 11 der Aufzeichnungen. 774 Ebd., Bl. 12 der Aufzeichnungen. 775 Ebd., Bl. 12 – 13 der Aufzeichnungen. 776 Ebd., Bl. 13 der Aufzeichnungen. 777 Der Verbleib der Fallsammlung muss bis heute unbekannt bleiben. Die Fallsammlung vermochte die Verfasserin in den Akten des Bundesarchivs nicht mehr ausfindig zu machen. 778 „Vor einiger Zeit ist im Reichsjustizministerium von privater Seite eine Sammlung überreicht worden, die Beschwerden von Frauen darüber enthält, daß der Mann sie zur Eingehung einer Gütergemeinschaft gebracht und nachher seine Rechtsstellung gröblich mißbraucht habe. Mir selbst sind wiederholt Fälle vorgekommen, in denen die Bauerntochter, nachdem der Mann in die Wirtschaft hineingeheiratet hatte, dem Manne auf sein Drängen sogar die Hälfte des Grundeigentums geschenkt hat.“ In: Bundesarchiv RJM R 3001 Film-Nr. 23454 Akten-Nr. 1387, Bl. 14 – 15 der Aufzeichnungen.
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ist (kleine Gewerbetreibende und Landwirte), sie vertraglich ausschließen“779 und damit in der vertraglichen Lösung vor Eingehung der Ehe die Schäden zu vermeiden suchen, die eine Zugewinstgemeinschaft in ihrer Auseinandersetzung verursachen könnte.780 „Nur“ dann „ist es doch zu erklären, daß die allgemeine Gütergemeinschaft trotz der schweren wirtschaftlichen Gefahren, die ihre Bestimmungen über die Schuldenhaftung für die Frau zur Folge hat, immer noch nicht unerheblich verbreitet ist. Diese Bedenken würden allerdings entfallen, wenn man den neuen Güterstand für zwingendes Recht erklärte. Dann müßte man aber das ganze vertragliche Güterrecht beseitigen. Das wird sich nicht erreichen lassen, gerade weil jedenfalls ein vertrag licher Güterstand, die allgemeine Gütergemeinschaft, immer noch entsprechend den Gewohnheiten zu gewissen Landesteilen eine Rolle spielt.“781 All diese Worte kündeten von dem, was die Frauen ein paar Monate s päter mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten zu erwarten hatten. Marie Munk begleitete auch noch diese, wie sie es nannte, „Maßnahmen zur Neuregelung des öffentlichen Lebens“782. Die Nationalsozialisten hatten das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums mit dem Rechtsgebiet der Unehelichkeit verquickt. 6.3 Vaterschaftsfeststellung und Rassenfrage: Ein Aufruf Munks zur Reform? Bereits der Titel ihres Aufsatzes „Vaterschaftsfeststellung und Rassenfrage“ ließ erahnen, dass Munk die mit einer nationalsozialistischen Politik ungeregelten Rechtsfragen behandelte: „Da aber alle Politik, sofern sie Erfolg hat, ihren Niederschlag in juristischen Formen findet und dies auch in den bereits erlassenen Gesetzen geschehen ist, so ist Anlaß zu juristischem Interesse gegeben. Dies ist hier um so größer, als die bisher erlassenen Vorschriften eine Reihe von rechtlichen Zweifeln hervorrufen.“783 Munk setzte sich mit der 3. Verordnung zu den Bestimmungen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 6. Mai 1933 auseinander, nach denen bei einer unehelichen Abstammung die Abstammung des Vaters des unehelichen Kindes zu prüfen sei. Munk fragte in ihren Ausführungen, zu welchem Ergebnis man denn kommen wolle, wenn die uneheliche Abstammung durch eine Ehe überdeckt sei. Das Kind müsse in dem Falle, dass sein rechtlicher Vater ein Jude, aber der biologische Vater ein Arier sei, die Ehe anfechten können, weil auf das Kind die für die Juden anzuwendenden Vorschriften greifen würden. 779 Ebd., Bl. 15 – 16 der Aufzeichnungen. 780 Ebd., Bl. 16 der Aufzeichnungen. 781 Ebd. 782 Marie Munk, Vaterschaftsfeststellung und Rassenfrage, in: Deutsche Juristenzeitung, 38/1933, Heft 12, S. 834 – 835, S. 834. 783 Ebd.
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Zu einem gleichen Ergebnis führten nach Auffassung Marie Munks die Fälle, in denen der rechtliche Vater die Ehelichkeit des Kindes nicht angefochten, die Frau aber später den natürlichen Vater des Kindes geheiratet habe. Das Kind könne rechtlich als Jude gelten, obgleich der biologische Vater ein Arier sei. Dem Kind könne in einem derartigen Fall nur eingeschränkt durch Adoption geholfen werden. Diese Adoption sei aber von der Einwilligung des rechtlichen Vaters abhängig und könne nur erfolgen, wenn der biologische Vater keine weiteren Abkömmlinge habe. Zudem gäbe es ähnliche Probleme, wenn eine Vaterschaft durch einen Juden anerkannt worden sei. Munk fragte: Kann das Kind „den Beweis erbringen, daß dieser nicht der Vater ist, sondern daß es von einem Arier abstammt?“784 Zu beachten sei auch, dass in den Urteilen nur die Unterhaltspflicht festgestellt werde, also nicht die Feststellung der Vaterschaft Rechtskraft erlange. Das Kind gelte aber kraft der Unterhaltspflicht ggf. als Kind eines Juden. Abschließend fragte Munk: „Inwieweit soll künftig eine Verschleierung der Abstammung durch verdeckte uneheliche Geburten und durch nachweislich falsche Vaterschaftsanerkenntnisse zulässig sein? Im Interesse der Rassenforschung und der Reinheit der Rasse liegt dies sicherlich nicht.“785 Marie Munks Zeilen entbehrten der Süffisanz nicht.
7. Schlussbetrachtung: Marie Munks Anfänge ihrer originären Ethik des Rechts Es drängt sich bei einem ersten Blick auf den Einfluss von Marie Munk in der Weimarer Republik geradezu auf, dass Munk durch ihren fachlichen Sachverstand den Weg für die Reform zum Ehe-, Ehegüter- und Familienrecht entscheidend bereitete, diese in ihrem Fortgang und in ihrem Diskurs bestimmte. Erinnert werden muss zum Beispiel an dieser Stelle an Marie Munks Vorschläge zum Recht des unehelichen Kindes.786 Es gilt ihr Einfluss auf die Entschließung des 33. Deutschen Juristentages hervorzuheben.787 Dieses Wirken der ersten deutschen Juristinnen und Marie Munks im Ehe-, Ehegüter-, Familien- und Scheidungsrecht darf nicht mit dem Wort „Nebenengagement“788 bedacht werden. Insbesondere, wenn ihre Rechtspolitik als eine der ersten deutschen Juristinnen nicht nur in ihrer eigenen beruflichen Professionalisierung, sondern mit dem Ziel, diskriminierendes Recht zu beseitigen, verstanden werden soll. Marie Munk war eine in vorderster Reihe 784 785 786 787 788
Ebd., S. 834 – 835. Ebd., S. 835. 2. Kapitel, Ziffer III. Ziffer I. Nr. 1.3. und 1.5. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 4.1. bis 4.6. Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, S. 538 – 613, S. 538, 612.
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engagierte, von der juristischen Fachwelt und von der ausgeklügelten Medienstrate gie des Bundes Deutscher Frauenvereine beförderte Rechtspolitikerin und heraus ragende Reform-Persönlichkeit. Um den Diskurs zwischen Marie Munks Reformforderungen und den Reformforderungen der anderen Persönlichkeiten der deutschen Frauenbewegung auch im Vergleich zu den Anhängern und Gegnern der Weimarer Reformphase umfangreicher darzustellen als es in dieser Arbeit erfolgte, hätte es einer eigenen umfangreichen Arbeit bedurft. Also kann eine übergeordnete Frage an dieser Stelle nur lauten: Welche Ziele verfolgte Marie Munk mit ihren Vorschlägen für eine Neukodifikation des Bürgerlichen Rechts im Sinne ihrer originären Rechtsethik? 7.1 Die Ethik der Familienbeziehung Zunächst ist an die Zeit, als das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896 entstand, anzuknüpfen. Ein kommentierter Quellenband 789 erinnert zu Recht an das Verhältnis zwischen Recht und Sitte. Darüber hinaus streift diese Quellensammlung die Unterschiede zwischen den Entwürfen der Kodifikatoren, allen voran Planck, und den Gegenentwürfen der deutschen Frauenbewegung. Planck entwickelte Savignys Vorstellungen über Recht und Sitte für das Familienrecht weiter. Plancks „dritter konzentrischer Kreis“, die Familienbeziehung, w elche Recht und Sitte in ihrem Grenzbereich überlagern, betrifft die Person in ihrem rechtlichen und sittlichen Verhältnis zur äußeren Natur, als einem Bereich, der rechtlichen Regelungen entzogen bleiben muss. Mit der Folge, dass nur „Grundsätze“, jedoch keine Regelungen zu den einzelnen Pflichten 790 kodifiziert werden können. An dieser Stelle mag dem Leser der Vorschlag Marie Munks in den Sinn kommen, das Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes in den §§ 1353, 1354, 1356, 1358 BGB zu streichen und die ehelichen Angelegenheiten gemeinschaftlich den Ehegatten in eigener Verantwortung zu belassen.791 Dieser Vorschlag Marie Munks kann jedoch nur verteidigt werden, wenn nach dem BGB von 1896 die Gefahr bestanden hätte, dass in den von Planck so bezeichneten konzentrischen Kreisen (Recht und Sitte) in ihrem Verhältnis zueinander gegenläufige Tendenzen im dritten konzentrischen Kreis, der Familienbeziehung, nachweisbar wären. Voraussetzung für eine gegenläufige Tendenz wäre, dass das Recht in autonome Felder der Sitte dringt, „um dort selbst Sitte zu produzieren“792. 789 Stephan Meder, Arne Duncker und Andrea Czelk (Hg.), Die Rechtsstellung der Frau um 1900. Kommentierte Quellensammlung, Köln/Weimar/Wien 2010. 790 Ebd., S. 17. 791 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 2. 792 Stephan Meder, Arne Duncker und Andrea Czelk (Hg.), Die Rechtsstellung der Frau um 1900, S. 17.
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7.1.1 Die Ethik der Familienbeziehung nach dem BGB von 1896 Die Grundlagen für die Beziehung von Frau und Mann waren nach dem BGB von 1896 in den §§ 1353793 und 1354794 BGB besonders geregelt. Die Motive begründeten die herausgehobene Stellung des Mannes historisch.795 7.1.2 Exkurs: Die Motive, die Rechtsprechung und die Literatur zur Stellung von Frau und Mann in der Familienbeziehung Die Motive für das BGB von 1896 hatten für das Eherecht eine patriarchale Struktur mit dem Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes für § 1354 BGB favorisiert.796 Nach Rechtsprechung und dem überwiegenden Schrifttum 797 waren die §§ 1353, 1354 793 § 1353 BGB lautete: „Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet. Stellt sich das Verlangen eines Ehegatten nach Herstellung der Gemeinschaft als Mißbrauch seines Rechtes dar, so ist der andere Ehegatte nicht verpflichtet, dem Verlangen Folge zu leisten. Das Gleiche gilt, wenn der andere Ehegatte berechtigt ist, auf Scheidung zu klagen.“ 794 § 1354 Satz 1 BGB lautete: „Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaft liche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung. Die Frau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die Entscheidung als Mißbrauch seines Rechtes darstellt.“ 795 Unter Bezugnahme auf § 184 Abs. 2 Satz 1 ALR könne die Ehegemeinschaft als Willensverband in Zweifelsfällen nicht durch Majoritätsbeschluss Entscheidungen treffen. Dies sei nach historischer Überlieferung Recht des Mannes. Benno Mugdan, Die gesamten Materialien, Familienrecht, S. 1216. 796 „Der Gedanke, daß der Mann das Haupt der Familie sei, sei ein natürlicher und ergebe sich aus dem Wesen der Ehe. Eine gesunde Familie könne nur bestehen, wenn der Mann das Haupt sei. Wolle die Frau dem Manne sich nicht unterordnen, so bedeute das eine bedenk liche Lockerung der Familienbande und einen ganz anormalen Zustand der Familie […] Es sei nothwendig, daß Einer entscheide. […] Lasse man dem Manne nicht die Entscheidung, so wisse Niemand, wer zu entscheiden habe, wenn Meinungsverschiedenheiten unter den Ehegatten sich ergäben.“ In: Ebd., S. 1213. 797 Mit Hinweis auf die Rechtsprechung: Max Greiff (Hg.), Bürgerliches Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz , 11. Auflage, Berlin 1923, zu § 1354 Fußnote 2, S. 642; Ebd., 12. Auflage, zu § 1354 Fußnote 7, S. 704 und 705; Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürger lichen Rechts, Familienrecht, Dritte Bearbeitung, Marburg 1920, § 31, Ziffer V, S. 101; Ebd., Vierte Bearbeitung, Marburg 1923, § 31, Ziffer V, S. 101; Ebd., Siebente Bearbeitung, Marburg 1931, § 31, Ziffer V, S. 107. Als Anwendungsfall des Alleinentscheidungsrecht betrachtend: Otto Opet und Wilhelm von Blume, Das Familienrecht des bürgerlichen gesetzbuchs, Erster und Zweiter Abschnitt: Bürgerliche Ehe. Verwandtschaft, Berlin 1906, zu § 1354, Nr. 2, S. 95 – 96. Nicht näher erörternd: Konrad Cosack, Lehrbuch des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band, 6. Auflage, Jena 1913, § 318, Ziffer I, Nr. 1, Buchstabe a), S. 547; Arthur Engelmann, Das Bürgerliche Recht Deutschlands mit Einschluß des Handesl- und Wechsels- und Seerechts, 4. Auflage, Berlin 1906, § 240, Ziffer I, S. 647; Ludwig Enneccerus, Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung: Das Familienrecht, 4. und 5. Auflage, Marburg 1912, § 31, Ziffer V, S. 103; Gustav Planck, Bürgerliches Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Vierter Band: Familienrecht, 1. und 2. Auflage, Berlin 1901, zu § 1354,
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BGB 798 absolutes Recht.799 Das Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes sei kein
„beliebiger Verfügung unterliegendes subjektives Recht“ sondern eine „zur Erhaltung der ehelichen Gemeinschaft anvertraute Familienmacht und Pflicht“800. Dieser auch die vermögensrechtlichen Bestimmungen umfassende Grundsatz 801 wurde so als „allgemeiS. 82 – 83. Mit den Worten: „Die Frau erlangt den Wohnsitz des Mannes“ das Gesetz flankierend: Carl Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Vierter Band, Immaterialgüterrecht- Familienrecht, Tübingen 1908, § 560 Buchstabe A, Nr. 2, S. 232 (mit Hinweis auf „Domicilium necessarium“). Nach Eduard Heilfron teile die Frau den Wohnsitz des Mannes. In: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts auf der Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs, IV. Abteilung: Familien- und Erbrecht, 3. Auflage, Berlin 1908, § 8, Buchstabe b, Nr. 1, S. 59. Ähnlich Friedrich Endemann: Mit dem Wohnsitz bestimme der Mann, in welcher Wohnung die Ehe geführt werden solle: Friedrich Endemann, System des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung: Familienrecht, 8. und 9. Auflage, Berlin 1908, § 169 Nr. 3, Buchstabe a), S. 295. 798 Vgl. zur Textentwicklung im Gesetzgebungsverfahren auch unter Einbezug der Kritik vonseiten der Frauenbewegung zur Zeit der Entstehung des BGB von 1896: Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, S. 535 – 550. 799 Werner Schubert und Hans Peter Glöckner, Nachschlagewerk des Reichsgerichts, Bürgerliches Gesetzbuch, Band 9 §§ 1297 – 1921, Goldbach 2000, § 1354 Nr. 1, S. 112. Mit Hinweis auf die Rechtsprechung und die Literatur: Max Greiff (Hg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Auflage, zu § 1354 Fußnote 1, S. 642; Ebd., 12. Auflage, Berlin 1927, zu § 1354 Fußnote 5, S. 705; Konrad Cosack, Lehrbuch des Deutschen Bürgerlichen Rechts, § 317, Ziffer II, S. 546; Carl Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, § 560, Buchstabe A, Nr. 1 Fußnote 7, S. 231; mit Hinweis auf das Wort „bestimmt“ sei es „zwingendes Recht“, so: Ludwig Enneccerus, Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 31, Ziffer V, S. 103; Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Dritte Bearbeitung, § 31, Ziffer V, S. 101; Ebd., Vierte Bearbeitung, § 31, Ziffer V, S. 101 – 102; Ebd., Siebente Bearbeitung, § 31, Ziffer V, S. 107; Otto Opet und Wilhelm von Blume hoben den „alleinigen Willen des Mannes“ hervor, ohne die Worte „absolutes“ oder „zwingendes Recht“ zu gebrauchen: Otto Opet und Wilhelm von Blume, Das Familienrecht, zu § 1354, Nr. 1, Buchstabe b), S. 95. 800 Friedrich Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 169, Nr. 4, Buchstabe a) und b), S. 297, 299. 801 „Eine Beschränkung d ieses Grundsatzes auf das persönliche Verhältnis der Gatten würde aber weder dem aus den Motiven zu entnehmenden Zwecke der Vorschrift des § 1353 Abs. 1 noch dem in anderen Vorschriften zu Tage tretenden Willen des Gesetzes gerecht werden. Das Bürgerliche Gesetzbuch behandelt im fünften Teil des vierten Buches die Wirkungen der Ehe im allgemeinen, im folgenden Titel das eheliche Güterrecht. Die Vorschriften des fünften Titels betreffen keineswegs ausschließlich das persönliche Verhältnis der Ehegatten, vielmehr sind in den §§ 1357 bis 1362 vermögensrechtliche Vorschriften enthalten, die für jede Art des Güterstandes und ungeachtet der nach dem Güterrechte dem einzelnen Ehegatten an seinem Vermögen zustehenden Befugnisse Geltung haben. Diese Vorschriften ergeben, daß das Gesetz aus dem Wesen der Ehe gewisse Wirkungen vermögensrechtlicher Art herleitet und daß daher die dem § 1353 Abs. 1 zugrunde liegende Auffassung des Wesens der Ehe auch bei diesen vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen den Gatten nicht außer Betracht bleiben darf. Es kann sich nur fragen, ob in vermögensrechtlicher Beziehung aus dem Wesen der Ehe und den dadurch begründeten Pflichten der Eheleute auch Folgerungen gezogen werden dürfen,
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nes Prinzip zum Ausdrucke“ gebracht.802 Der ehemännliche Beschluss gab „die Norm für das, was im gegebenen Falle zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft gehört“803. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Mannes umfasste die „ungeteilte, völlige Lebensgemeinschaft“804, auch während der Strafhaft des Mannes. Es fehlte der Frau „die Befugnis“ für beide Teile die Voraussetzungen der §§ 7, 10 BGB zu erfüllen.“805 Ausgewählte Autoren ordneten die Ehe nicht nur dem Recht,806 sondern „in erster Linie dem Sittengesetz“807 zu. Es wurde in der Literatur anerkannt, dass die die das Gesetz nicht ausdrücklich ausspricht. Das ist unbedenklich zu bejahen. Die aus dem sitt lichen Wesen der Ehe sich ergebenden Pflichten der Eheleute werden durch die z wischen ihnen bestehenden vermögensrechtlichen Verhältnisse nicht berührt. Daraus folgt für die Ehegatten die Pflicht, auch bei der Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche untereinander ihr Verhalten so einzurichten, daß es mit dem sittlichen Wesen der Ehe im Einklange bleibt. Die Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche muß aber, wenn sie den Umständen nach dem Wesen der Ehe widerstreitet, überhaupt als ausgeschlossen angesehen werden. Denn es kann nicht der Wille des Gesetzes sein, einem Ehegatten, dem es die Rechtspflicht zu einem dem sittlichen Wesen der Ehe entsprechenden Verhalten auferlegt, die gegen diese Verpflichtung verstoßende Durchsetzung eines vermögensrechtlichen Anspruchs zu ermöglichen.“ In: RGZE, 87. Band 1916, Nr. 11, S. 56 – 63, S. 62 – 63; ebenso Gottlieb Planck, Bürgerliches Gesetzbuch, S. 82, 81; Konrad Cosack, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, S. 491; Friedrich Endemann, Einführung in das Studium des Bürgerlichen Gesetzbuches, Zweiter Band: Sachenrecht – Familienrecht, 3. bis 5. Auflage, Berlin 1900, S. 695 und 708 Anm. 3; Julius von Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch 4. Band: Familienrecht, 2. Auflage, Berlin 1905, S. 115. 802 Staudingers Kommentar, zu § 1353, Nr. 1, S. 115. 803 Friedrich Endemann, Einführung in das Studium des Bürgerlichen Gesetzbuchs, § 169, Nr. 2, S. 696; ders., Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 169, Nr. 3, Buchstabe a), S. 295. Hervorhebung nicht im Original. 804 Werner Schubert und Hans Peter Glöckner, Nachschlagewerk des Reichsgerichts, § 1354 Nr. 7, S. 112 – 113. 805 Seuffert’s Archiv, 69. Band 1914, Nr. 1, S. 1 – 3, S. 2. Hervorhebung nicht im Original. Obgleich § 10 BGB nur dem Zweck der Wohnsitzermittlung dienen konnte, in: Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, S. 761 – 764, S. 761. 806 Ehe als eine bürgerlichrechtlich anerkannte vertragliche Verbindung von Mann und Frau, die zur Lebensgemeinschaft miteinander verpflichtet. In: Arthur Engelmann, Das Bürger liche Recht, § 237, Ziffer I, S. 641; Carl Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, § 548, Ziffer I, S. 182; Friedrich Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 150, Nr. 1., Buchstabe a), S. 30; Eduard Heilfron, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 2, Buchstabe a, S. 6; Ludwig Enneccerus, Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Familienrecht, 4. und 5. Auflage, § 2, Ziffer I, S. 6; Konrad Cosack, Lehrbuch des Deutschen Bürgerlichen Rechts, § 312, Ziffer I, S. 527; Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Dritte Bearbeitung, Marburg 1920, § 2, Ziffer I, S. 6; Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Familienrecht, Vierte Bearbeitung, § 2, Ziffer I, S. 6; Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Familienrecht, Siebente Bearbeitung, § 2, Ziffer I, S. 7. 807 Staudingers Kommentar, Vorbemerkungen, Ziffer I, S. 110.
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Familienbeziehung im planckschen Sinne Recht und Sitte gleichermaßen angehört.808 So könnte der Leser auf den ersten Blick in der Auffassung bestätigt werden, da in der Literatur die Worte Wesen der Ehe nur genannt 809, aber nicht definiert 810 oder nur beispielhaft beschrieben 811 worden sind, dass im Vergleich zur Rechtsprechung die Literatur dem Bild der Familienbeziehung im planckschen Sinne entsprochen hat. Allerdings gibt es auch Textstellen, nach denen die Familienbeziehung den Ehegatten nur dann zur freien Entscheidung überlassen wurde, „soweit die Familienverhältnisse auf der freien sittlichen Selbstbestimmung der Familienmitglieder beruhen“.812 Um der Ethik in der Familienbeziehung nach dem BGB von 1896 näher zu kommen, muss an dieser Stelle die weitere Frage lauten, was Rechtsprechung und Literatur unter dem Wesen der Ehe verstanden haben. 7.1.3 Exkurs: Das Wesen der Ehe in Literatur und Rechtsprechung Aus Sicht des Reichsgerichts bildete das sittliche Wesen der Ehe „die Grundlage […] von der bei der Auslegung“ der §§ 1353, 1354 BGB und der Beurteilung aller Rechtsverhältnisse der Ehegatten untereinander auszugehen“ sei.813 Mit den §§ 1353, 1354 BGB 808 Dass „[d]ie Familienordnung in ganz besonders hohem Maße den Geboten der S i t t l i c h k e i t “ unterstünde und „sich nicht in gleich erschöpfendem Maße durch das Recht ordnen“ lasse, „wie etwa ein Schuldverhältnis.“ In: Eduard Heilfron, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 1, Buchstabe b, Nr. 2, S. 4. Ähnlich Friedrich Endemann, System des Bürgerlichen Rechts, § 147, Nr. 4, S. 7. 809 Es geben weder Definition noch Beschreibungen zum sittlichen Wesen der Ehe: Arthur Engelmann, Das Bürgerliche Recht, § 237–§ 250, S. 641 – 676; Otto Opet und Wilhelm von Blume, Das Familienrecht, zu § 1353, Nr. 1, S. 93; Carl Crome, System des Deutschen Bürger lichen Rechts, § 548–§ 602, S. 182 – 460; Konrad Cosack, Lehrbuch des Deutschen Bürger lichen Rechts, § 312–§ 337, S. 527 – 610; Max Greiff (Hg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Auflage, §§ 1297–§ 1586, S. 622 – 723; Max Greiff (Hg.), Ebd., 12. Auflage, § 1297–§ 1590, S. 681 – 796. 810 „Die neueren Gesetze enthalten sich meist einer Bestimmung des Wesens der Ehe; und das mit Recht.“ In: Ludwig Enneccerus, Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Vierte und fünfte Auflage, § 2, Ziffer I, S. 7; Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Dritte Bearbeitung, § 2, Ziffer I, S. 7; Ebd., Vierte Bearbeitung, § 2, Ziffer I, S. 7; Ebd., Siebente Bearbeitung, § 2, Ziffer I, S. 8. 811 „Innere Gründe müssen entscheiden! Mit der rechten ehelichen Gesinnung ist es unvereinbar, daß der Mann seiner Frau ihre Habe mit Gewalt eigenmächtig entreißt. Dies wäre eine seltsame Ouvertüre des ehelichen Zusammenlebens.“ Es wird noch das Beispiel genannt, dass der Mann ohne Zustimmung seiner Frau das Wohnhaus in eine Fabrik umwandelt. Schließlich stellt Heinrich Dernburg „im Sinne des Gesetzbuches den Satz“ auf: „Der Ehegatte ist verpflichtet, sich seinem Gatten gegenüber so zu verhalten, wie Treu und Glauben und die rechtliche Gesinnung es erfordern.“ In: Heinrich Dernburg, Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preußens, Vierter Band, Deutsches Familienrecht, Halle/Salle 1903, § 4, Ziffer I und II, S. 11 – 12. 812 Friedrich Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 147, Nr. 4, S. 7. 813 RGZE 87. Band 1916, Nr. 11, S. 56 – 63, S. 62 – 63.
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sei der „sittliche Grundgedanke des durch die Ehe unter den Gatten begründeten persönlichen Verhältnisses durch einen leitenden Grundsatz im Gesetz ausgesprochen“814. Die kursiv gesetzten Worte implizieren einen widerstreitenden Fund. Es wird zwar das persönliche Verhältnis der Ehegatten als ein persönlich ihnen gehörendes Familienverhältnis bejaht; gleichwohl wird dieses persönliche Verhältnis durch einen leitenden Grundsatz im Gesetz bestimmt: dem Alleinentscheidungsgrundsatz des Ehemannes. Dieser Fund provoziert die nähere Betrachtung, ob zu Zeiten der Geltung der §§ 1353, 1354 des BGB von 1896 die Rechtsprechung in den frei bestimmten sittlichen Bereich der Familienbeziehung hinübergegriffen und in seinem Übergriff Sitte produziert hat. Aus früheren Forschungsergebnissen zu den Urteilen des Reichsgerichts über eine Pflicht zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft und zur Herausgabe des Vaters auf das Kind, wenn die Mutter die eheliche Lebensgemeinschaft verweigerte, könnte dies nicht nur sichtbar sein.815 Zu fragen an dieser Stelle ist doch, ob Literatur und Rechtsprechung definiert haben, was Sitte in der Familienbeziehung ist. Das Reichsgericht fasste unter die ehelichen Angelegenheiten zwar nicht alle, aber doch die Fragen des gemeinsamen Daseins, die dem Alleinentscheidungsrecht des Mannes unterstanden.816 In einem vom OLG Rostock entschiedenen Einzelfall war es gar eine Operation, um der ehelichen sexuellen Pflicht entgegenstehende medizinische Hindernisse an der Frau zu beseitigen.817 Es wird reichsgerichtliche Rechtsprechung sichtbar, nach deren Urteilen der Ehemann die Ehefrau verpflichten konnte, zum Zwecke des Erhalts der ehelichen Lebensgemeinschaft eine Nervenklinik gegen ihren Willen aufzusuchen.818 Bis zu Beginn der 1930er-Jahre gehörten zu den ehelichen Angelegenheiten alle Angelegenheiten, die für den anderen Gatten unmittelbar „lebenswesentlich“ waren.819 Dieser nebulösen Vorgabe nahmen sich (nach kursorischer Durchsicht der Literatur) die führenden Autoren an.820 Es konnten die ehelichen Angelegenheiten „alle 814 RGZE, 87. Band 1916, Nr. 11., S. 56 – 63, S. 62 – 63. 815 Christina Damm, Die Stellung der Ehefrau und Mutter nach Urteilen des Reichsgerichts von 1879 bis 1914, Diss. Marburg 1983, S. 18 – 26, 135 – 138. 816 RGZE, 87. Band 1916, Nr. 11, S. 56 – 63, S. 58. 817 In d iesem vom OLG Rostock entschiedenen Fall hatte die Frau eine Operation wegen Vaginismus (Überempfindlichkeit des Scheideneingangs) verweigert. Seuffert’s Archiv, 77. Band, Nr. 109, S. 174 – 175, S. 175. 818 Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, S. 764 – 767. 819 RGZE, 124. Band 1929, Nr. 12, S. 54 – 59, S. 55. 820 Staudinger, Kommentar zu § 1354 Nr. 1; Ludwig Enneccerus, Theodor Kipp und Wolf, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 4. und 5. Auflage, § 31, Ziffer V, S. 103; Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Dritte Bearbeitung, § 31, Ziffer V, S. 101; Ebd., Vierte Bearbeitung, § 31, Ziffer V, S. 101; Ebd., Siebente Bearbeitung, § 31, Ziffer V,
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diejenigen Angelegenheiten des einen oder des andern oder zugleich beider Ehegatten“ sein, „die nach irgendeiner Richtung das eheliche Leben zu beeinflussen geeignet“ waren. Was unter diese Kategorie falle, könne „nur individuell für jede Ehe ermittelt werden“821. Diese sogenannte Kategorie eröffnete nicht nur im jeweiligen Einzelfall dem Ehemann die Möglichkeit, die Kleidung seiner Ehefrau bestimmen zu können.822 Es wurde in der Literatur das Alleinentscheidungsrecht des Mannes auch zugestanden für die Frage, „wann gegessen werden soll, Besuch der Theater, Auswahl des gesellschaftlichen Verkehrs“823, das weitere Verhalten der Frau 824 und dessen Wirkungen nach außen.825 Nach Auffassung des führenden KommenS. 107; Eduard Heilfron, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 8, Buchstabe b), Nr. 1., S. 59; Alfred Wieruszowski, Handbuch, S. 10. 821 Hierzu wurden auch gezählt: die Teilnahme der Frau an religiösen, politischen oder sozialen Bewegungen, künstlerische und literarische Betätigung, Pflege freundschaftlicher Verhältnisse. Zu diesen gemeinschaftlichen Eheangelegenheiten sollten nicht gehören: die Individualund die Persönlichkeitssphäre der Ehegatten, „etwa das Verhalten der Frau gegenüber ihren Eltern, der Art, wie sie über ihr außereheliches Kind die Personensorge übt.“ Otto Opet und Wilhelm von Blume, Das Familienrecht, zu § 1354, Nr. 1., Buchstabe b), S. 95. 822 Der Ehemann „hat das Recht, alle das Eheleben störenden Einflüsse abzuwenden; er ist der Wahrer der Würde des Hauses, und ihn trifft es mit, wenn die Ehre des Hauses einen Makel erfährt. Gewiß! Der Mann wird durch den Fehler der Frau stets lächerlich, die Frau im schlimmsten Falle ‚interessant‘!“ In: Hans Giesker, Das Recht des Privaten an der eigenen Geheimssphäre. Ein Beitrag zur Lehre von den Individualrechten, Zürich 1905, S. 64 – 66. 823 Arthur Zarden, Die personenrechtlichen Wirkungen der Ehe und die Parteidisposition nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch auf der Grundlage des bisherigen Rechts, Borna-Leipzig 1909, S. 73. Mit ähnlichen Beispielen: Ludwig Enneccerus, Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 4. und 5. Auflage, § 31, Ziffer V., S. 103; Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Dritte Bearbeitung, § 31, Ziffer V., S. 101; Ebd., Vierte Bearbeitung, § 31, Ziffer V., S. 101 – 102; Ebd., Siebente Bearbeitung, § 31, Ziffer V., S. 107. 824 Umgang der Frau mit Verwandten, Kirchenbesuch, Toilette. Jedoch sollte der Mann der Frau nicht den Verkehr mit ihren Verwandten ganz verbieten oder eine bestimmte Toilette aufnötigen können. In: Konrad Cosack, Lehrbuch des Deutschen Bürgerlichen Rechts, § 318, Ziffer II., Nr. 1., Buchstabe c), S. 548. Erziehung und Pflege der Kinder. In: Friedrich Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 169, Nr. 3., Buchstabe a), S. 295 – 296. 825 Es ging darum, ob „die Angelegenheit einen dem Wesen der Ehe widerstreitenden Einfluß auf das gemeinsame Leben der Ehegatten ausübt.“ Zugleich verbunden mit beispielhaften Aufzählungen über die der Ehe nicht dienlichen, sie beeinträchtigenden Verhaltensweisen: neben dem Unterlassen des Kirchenbesuches die Auswahl unsittlichen Lesestoffes, die weib liche Kleidung und gar Verhaltensweisen, die eine Fortpflanzung gefährden. In: Hörle, Über die persönlichen und vermögensrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten nach §§ 1353 bis 1361 BGB, in: Archiv für Bürgerliches Recht, 31. Band, Berlin 1908, S. 113 – 174, S. 121.
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tars vermochte der Ehemann die Angelegenheiten der ehelichen Gemeinschaft über die Einsicht in den persönlichen Briefverkehr seiner Ehefrau präventiv zu steuern.826 Das zeigte sich insbesondere in der Frage um die Beurteilung eines Missbrauchs des Ehemannes, von seinem Alleinentscheidungsrecht Gebrauch zu machen oder für den Fall, dass sich die Ehefrau den Aufforderungen ihres Ehemannes verweigerte. 7.1.4 Die Definition vom Wesen der Ehe bei Verweigerung der Ehefrau und bei Missbrauch des Alleinentscheidungsrechts durch den Ehemann Es stellten die Kommentatoren unter Bezug auf die durch die Rechtsprechung beispielgebenden Einzelfälle der Drohung und der Misshandlung ausschließlich auf das Wesen der Ehe ab, ohne Recht und Sittlichkeit zu konkretisieren.827 Die Literatur zog im Kontext des gesetzlich festgelegten Alleinentscheidungsrechts des Ehemannes nur eine äußere Grenze für eine rechte eheliche Gesinnung oder das Wesen der Ehe. Das Wesen der Ehe oder die rechte eheliche Gesinnung wurde in Korrespondenz zum Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes erst dann verlassen, wenn sich das Alleinentscheidungsrecht gegen die Ehe richtete und damit „gegen ihren Sinn verwendet“828 wurde. Ebenfalls unter dem Aspekt Wesen der Ehe beurteilte die Rechtsprechung den unbestimmten Rechtsbegriff Missbrauch.829 Mit der Folge, dass nur in Ausnahmefällen, auf eine mißbräuchliche 826 Es „kann z. B. ein Recht des Mannes, vom Inhalte der von der Frau geschriebenen oder an sie gerichteten Briefe Kenntniß zu nehmen, nur insoweit anerkannt werden, als der Inhalt dieser Briefe das gemeinschaftliche eheliche Leben betrifft.“ In: Staudingers Kommentar, zu § 1354, Nr. 1., S. 118. 827 „Entscheidend ist hierbei, ob im Hinblick auf das Wesen der Ehe einerseits, die persönlichen (körperlichen, geistigen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen) Verhältnisse der Ehegatten andererseits dem die eheliche Lebensgemeinschaft verweigernden Ehegatten die Herstellung dieser Gemeinschaft zugemuthet werden kann. Als Gründe, die hiernach das Verlangen nach Herstellung der Gemeinschaft als Mißbrauch erscheinen lassen, können beispielsweise in Betracht kommen: Mißhandlungen, Drohungen, Beschimpfungen, Versagung des Unterhalts, übermäßige oder ungeeignete Ansprüche in Beziehung auf die Erfüllung der ehelichen Pflicht, soweit diese Thatsachen die Erwartung rechtfertigen, der die Herstellung verlangende Ehegatte werde es auch in Zukunft an der rechten ehelichen Gesinnung fehlen lassen. […] Daß den anderen Ehegatten ein Verschulden treffe, ist nicht erforderlich; die Herstellung der Gemeinschaft kann daher auch verweigert werden, wenn das ehewidrige Verhalten des anderen Ehegatten auf geistiger Erkrankung desselben beruht.“ In. Staudinger Kommentar, zu § 1353, Nr. 2. Buchstabe a), S. 115. 828 Josef Kohler, Bürgerliches Recht, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, Zweiter Band, Siebente der Neubearbeitung zweite Auflage, München 1914, S. 1 – 192, § 94, S. 141. 829 „[E]inen ungerechtfertigten Gebrauch, einen Gebrauch, der mit dem Wesen der Ehe, mit der rechten ehelichen Gesinnung nicht vereinbar ist.“ In: Seuffert’s Archiv, 56., Nr. 106, S. 185 – 187, S. 186. Das Urteil nimmt auf folgende Textstelle in den Motiven Bezug: „daß die
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Ausübung des Alleinentscheidungsrechts erkannt wurde. Es wurde zum Beispiel das Verbleiben in einer für die eheliche Lebensgemeinschaft ungeeigneten Wohnung 830 als Missbrauch des Alleinentscheidungsrechts des Ehemannes gewertet oder wenn durch das Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes das Leben oder die Gesundheit der Ehefrau bedroht war.831 Derartige Lebenssachverhalte blieben gleichwohl „Ausnahmezustand“ 832 aus Sicht des Reichsgerichts, weil die eheliche Lebensgemeinschaft stets zu erhalten war. Auch wenn die Ehefrau aus gesundheitlichen Gründen den persönlichen Verkehr mit dem Ehemann zu vermeiden hätte, habe der Mann „ein Recht darauf“, weil ihm nicht nur das Allein entscheidungsrecht über die ehelichen Angelegenheiten obliege und er nach den gesetzlichen Bestimmungen die wirtschaftlichen Mittel für die eheliche Lebensgemeinschaft aufbringe, sondern weil dem Ehemann „die Gelegenheit geboten sein muss, soviel wie möglich selbst sich darum zu kümmern und dazu beizutragen.“833 Das Alleinentscheidunsgrecht des Ehemannes und seine hieraus sich gründende Verpflichtung war aus Sicht des Reichsgerichts nur disponibel, wenn der Ehemann infolge eigenen Verschuldens die eheliche Lebensgemeinschaft „gefährdet“ hatte. Dies kam in der Rechtsprechung des Reichsgerichts insbesondere in den „Ausnahmefällen“ nur dann zum Tragen, wenn Leben oder/und Gesundheit der Ehefrau im Falle der Begehr des Ehemannes auf Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft als Geschlechtsgemeinschaft durch den Ehemann, der die eheliche Lebensgemeinschaft als Geschlechtsgemeinschaft forderte, schuldhaft
Ehegatten zu einer solchen Lebensgemeinschaft, aber auch nur zu einer solchen berechtigt und verpflichtet sind, wie sie dem Wesen der Ehe entspricht und wie sie unter Berücksichtigung des Wesens der Ehe nach den obwaltenden Umständen für Ehegatten sich gebührt und mit der rechten ehelichen Gesinnung vereinbar ist.“ Seuffert’s Archiv 61. Band, Nr. 85., S. 151 – 155, S. 153 – 154. 830 Juristische Wochenschrift 42/1913, Heft 7, Entscheidungsauszug Nr. 11, S. 378 – 379. (für den Fall der Erkrankung des einen Ehegatten, die sich negativ auf den andere Ehegatten auswirkt und so die ehel. Gemeinschaft in ihrem Bestand gefährdet); Juristische Wochenschrift 37/1908, Entscheidungsauszug Nr. 8, S. 406 – 407; Beilage: Deutschlands oberrichterliche Rechtsprechung zu der Zeitschrift Das Recht. 16/1912 Nr. 3088. 831 Wenn die Frau durch die Rückkehr in die eheliche Lebensgemeinschaft der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und Verkürzung des Lebens ausgesetzt würde: Otto Warneyer (Hg.), Jahrbuch der Entscheidungen – Ergänzungsband enthaltend die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts soweit sie nicht in der amt lichen Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts abgedruckt ist,1/1908, Leipzig 1908, Nr. 644, S. 522. 832 Otto Warneyer (Hg.), Jahrbuch der Entscheidungen, 4/1911, Leipzig 1911, Nr. 381, S. 426 – 427, S. 427. 833 Otto Warneyer (Hg.), Jahrbuch der Entscheidungen, 4/1911, Leipzig 1911, Nr. 381, S. 426 – 427.
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bedroht worden war,834 weil dies „nach dem Wesen der Ehe“ nicht „mit der rechten ehelichen Gesinnung vereinbar ist.“ 835 In das richterliche Ermessen konnten auch die gesellschaftliche Stellung der Ehegatten, ihre Familienverhältnisse und die Erwerbsverhältnisse der Ehegatten in die Frage miteinbezogen werden, ob ein bestimmtes Verlangen des Mannes mit der rechten ehelichen Gesinnung (subjektiv) vereinbar war oder ob deshalb der Frau (objektiv) die Lebensgemeinschaft „mit Rücksicht auf das sittliche Wesen der Ehe“836 billigerweise nicht zugemutet werden konnte.837 In Korrespondenz mit dem gesetzgeberischen Auftrag an den Ehemann, sein Alleinentscheidungsrecht im Sinne des Erhalts der Institution Ehe auszuüben, konnte auch der Vortrag der Ehefrau, sich der Aufforderung ihres Ehemannes zu verweigern, weniger einem Gegenrecht entspringen. Vielmehr hatte die Frau als Erfüllungsgehilfin für den gesetzgeberischen Auftrag ihres Ehemannes zum Wesen der Ehe beizutragen, sodass mit einer Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens „der Kläger nicht Anerkennung seines […] Rechtes, sondern Wiederherstellung des ehelichen Lebens“838 begehrte. Dies wurde in der Rechtsprechung besonders deut lich, wenn sich die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft und die gesetz lich normierten Ehescheidungsgründe in einem Lebenssachverhalt überschnitten. Im Jahre 1921 erklärte der IV. Senat den Beklagten in einem Prozess über die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft für darlegungs- und beweispflichtig.839 Die Beweislast des beklagten Ehegatten resultierte aus dem Umstand, dass zuvor die Herstellungsklage des Klägers im vorangegangenen Rechtsstreit wegen des Bestehens eines Scheidungsgrundes abgewiesen und nach Fristablauf des Scheidungsrechts neu erhoben worden war. In derartigen Fällen „konnte die Bezugnahme des beklagten Gatten auf die Abweisung der früheren Klage für sich allein noch nicht genügen, um sein Recht zur Verweigerung der Gemeinschaft darzutun“840. Eine gemeinschaftliche Verweigerung 8 34 Das Reichsgericht betrachtete es als Missbrauch, wenn der durch sein Verschulden geschlechtskrank gewordene Ehegatte die Geschlechtsgemeinschaft trotz seiner gesundheitsgefährdenden Erkrankung begehrt: Zu §§ 1353, 1568 BGB: Juristische Wochenschrift 36/1907, Heft 2, Entscheidungsauszug Nr. 9, S.48 – 49; Juristische Wochenschrift, 36/1907, Heft 6, Entscheidungsauszug Nr. 18, S. 178 – 179; Juristische Wochenschrift 43/1914, Heft 1, Entscheidungsauszug Nr. 9, S. 41. 835 Juristische Wochenschrift 34/1905, Entscheidungsauszug Nr. 14, S. 722 – 723, S. 722. 836 RGZE 46, S. 382 – 385, S. 384. 837 Juristische Wochenschrift 42/1913, Heft 7, Entscheidungsauszug Nr. 11, S. 378 – 379, Juristische Wochenschrift 43/1914, Heft 7, Entscheidungsauszug Nr. 11. S. 359 – 361, S. 360. 838 Werner Schubert und Hans Peter Glöckner, Nachschlagewerk des Reichsgerichts, § 1354 Nr. 9, S. 113 i. V. m. § 1353 Nr. 66, S. 90. Hervorhebung nicht im Original. 839 RGZE Band 103, S. 346 – 349. 8 40 Deutscher Richterbund (Hg.), Reichsgerichtsentscheidungen Auszüge, Gesamtregister zu Zivilsachen, Band 83 – 119, Berlin 1929, Band 103, Nr. 101, S. 92 – 93.
Marie Munks Einfluss (1918 – 1932)
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der ehelichen Lebensgemeinschaft durch die Ehegatten wurde durch die Folgen der Schuld auf den nachehelichen Unterhalt und das Sorgerecht verhindert. 7.1.5 Stellungnahme zur Ethik in der Familienbeziehung nach dem BGB von 1896 Das sittliche Wesen der Ehe in Literatur und Rechtsprechung: eine geistige Meta ebene. Nach Dunckers Forschung entwickelte sich das Wesen der Ehe aus „dem Geist der juristischen Ehelehre um 1900“, indem „ältere klare Begriffe wie Ehezweck und Ehedefinition kaum mehr beim Namen“ genannt wurden, „sondern gemeinsam mit einer Reihe diffuser Elemente zum noch diffuseren unbestimmten Begriff des Wesens der Ehe“841 zusammen geführt wurden. Um an dieser Stelle an Duncker anzuknüpfen und mit dem Blick auf Rechtsprechung und Literatur seine Forschung fortzuführen: Der Begriff der Sittlichkeit wurde gemieden, um so nicht nur das Vermögen der Ehefrau, sondern auch ihre Rechte nicht dem Ehegatten selbst, sondern, über das Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes, der Institution Ehe „dienstbar machen“842 zu können. Rechtsprechung und Literatur argumentierten im Kontext patriarchalischer Herrschaft unter Zuhilfenahme der Sitte. Allerdings ohne zu definieren, was Sitte oder Sittlichkeit eigentlich sei. Wichtige sittliche Elemente der ehelichen Lebensgemeinschaft (Gemeinschaft, Hingabe und Gehorsam) wurden über das Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes in rechtlich verpflichtende Elemente verkehrt. Mehr noch, bei einem Blick in ausgewählte führende Literatur eröffnet sich, dass die Literatur 843 in ihren Interpretationen über § 1354 BGB bereits weit hinausging. Mit dem Argument richterlicher Ermessensfreiheit verdeutlichte die Literatur, wie sich nicht nur Recht und Sitte in der familiären Beziehung überschnitten, sondern wie der richterlichen Erkenntnis, und damit einem außenstehenden Dritten, das Recht eingeräumt wurde, durch Rechtsprechung sichtbar Sitte zu produzieren und sich dies in der Literatur nachzeichnete. Schon Kohlers Worte aus dem Jahre 1914 spiegelten, wie die ehemännliche überindividualistische Pflicht-Konstruktion für einen gesetzgeberischen Auftrag und die patriarchale Ausführungsregel notwendigerweise miteinander verknüpft waren.844 841 Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, S. 246. 842 HermannUllmann, Das gesetzliche eheliche Güterrecht, 2. Auflage, Siemenroth 1903, S. 36, 89, 200. 8 43 Alfred Wieruszowski, Handbuch des Eherechts, Theil I. Die allgemeinen Wirkungen der Ehe, Düsseldorf 1900, S. 12, Fußnote 6); Heinrich Dernburg, Das bürgerliche Recht, § 32, Ziffer II., S. 101. Hörle, Über die persönlichen und vermögensrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten nach §§ 1353 bis 1361 BGB, in: Archiv für Bürgerliches Recht, 31. Band, Berlin 1908, S. 122 – 124. 844 „[W]eil die ihm obliegende Aufsichts- und Kontrollgewalt in Bezug auf das Hauswesen nur auf diese Weise durchgeführt werden kann.“ In: Josef Kohler, Bürgerliches Recht, in:
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In dem Moment, als sich der (dezidierten rechtlichen Regeln entzogene) konzen trische Kreis der Familienbeziehung mit dem rechtlich konstruierten Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes aus § 1354 BGB deckte, wurde die Rechtspersönlichkeit der Ehefrau zur „Erfüllungsgehilfin“ des gesetzlichen Auftrags ihres Ehemannes degradiert. Wie eben solche gesetzlichen Konstruktionen im Geschlechterverhältnis nachwirken, hat Duncker bereits gezeigt. Obgleich das OLG Dresden 845 und das Reichsgericht 846 unter Bezug auf strafrechtliche Bestimmungen ein Brieföffnungsrecht verneinten, blieb bis in die 1950er-Jahre das Brieföffnungsrecht des Ehemannes immer noch in der Literatur umstritten.847 Ebenso blieb das Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes nach § 1354 BGB in der Literatur für nachfolgende Juristengenerationen 848 unangefochten verankert. Die Verfasserin dieser Arbeit stellt fest: Mit den reichsgerichtlichen Entscheidungen über die Frage, was zu den ehelichen Angelegenheiten gehörte, wurde der autonome Bereich der Sittlichkeit – oder besser gesagt: die Rechtspersönlichkeit der Frau – solange mithilfe des Wesens der Ehe flexibilisiert, bis beide Bereiche, der an sich der Persönlichkeit Frau autonom zustehende, selbstregulative Bereich von Sitte und Recht und der auf dem Munt kodifizierte Bereich des positiven Rechts, im Zwecke der überindividualistischen Institution unter der Zuhilfenahme patriarchalischer Rechts-Herrschaft deckungsgleich wurden.849 Duncker sieht in der gesetzlichen Konstruktion des § 1354 BGB eine tatbestandliche Koppelung zwischen „gleichberechtigter Grundsatzregel und patriarchaler Ausführungsregel“850. Bei diesem gesetzgeberischen Konstruktionsansatz, wie er sich auch im Wortlaut der Sekundärliteratur abzeichnet 851, wird aus dem Recht eines gemeinsamen Zusammenlebens ausschließlich eine den Ehegatten obliegende Pflicht. Es wäre sonst aus Sicht der Verfasserin dieser Arbeit für den Gesetzgeber nicht notwendig gewesen, beides – die Grundsatzregel für die eheliche Lebensgemeinschaft und die patriarchale Ausführungsregel – durch ein drittes Glied zu verknüpfen: nämlich mit der Rechtskonstruktion einer überindividualistischen sittlichen Pflicht des Ehemannes zur Aufrechterhaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft
8 45 846 847 848 849 850 851
Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, S. 1 – 192, § 94, S. 141. OLG Dresden in LZ 1914, Sp. 1581/1582 zu § 299 StGB. RG in LZ 1914, Sp. 1581. Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, S. 574 – 580, S. 579. Ebd., S. 761 – 764, S. 762 Fußnote 3397, S. 767 Fußnote 3421. Oda Cordes, Frauen als Wegbereiter des Rechts, S. 107. Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, S. 764 – 767, S. 767. „Aus dem Zusammenwirken einer vom Grundgedanken her gleichen Pflicht der Eheleute zum Zusammenleben (diese gleiche Pflicht auf der obersten Abstraktionsebene der Gesetze und Rechtsquellen formuliert)“, in: Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, S. 764 – 767, S. 767.
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in der Form eines Alleinentscheidungsrechts. Diese Pflicht-Konstruktion im gesetzgeberischen Auftrag des Ehemannes korrespondierte mit der Pflicht der Frau zu „vorbereitende[m] Handeln“852 für die eheliche Lebensgemeinschaft. Mit dieser vorgenannten gesetzgeberischen Konstruktion einer patriarchalen Herrschaft ist aus Sicht der Verfasserin dieser Arbeit, insbesondere im Kontext der Weitläufigkeit der Worte „Wesen der Ehe“, die Ehe als Institution daselbst gefährdet. Wenn durch richterliche Erkenntnis im Lichte positiven Rechts die Familien beziehung deckungsgleich geformt werden kann, so können der individuelle Wille und das subjektive Recht aller Individuen in der an sich so weit als möglich regelungsfreien Familienbeziehung im Zwecke eines diktatorischen Leitbildes verschmelzen. Ein Vorgang, der sich in der Pflicht-Konstruktion der Ehegatten, das heißt im gesetzlichen Auftrag des Ehemannes in Form des Alleinentscheidungsrechts und in der Pflicht der Frau zu vorbereitendem Handeln, zu Zeiten des BGB von 1896 bereits angekündigt hatte. Diese Pflicht-Konstruktion übertrugen diktatorische Staaten in ihren gesetzgeberischen Leitbildern auf die Familienbeziehung. Die Verfasserin hat für die Zeit kurz nach der Machtergreifung eine wissenschaftliche Arbeit ausfindig machen können, die nachweist, wie diese Fortentwicklung von einer patriarchalischen Herrschaft in der Familie über das sogenannte Wesen der Ehe für eine Fortentwicklung zu einem diktatorischen Familienrecht missbraucht wurde, weshalb auf die Textstelle in der Fußnote verwiesen wird.853 Mit d iesem Text wurde die Enthaltsamkeit des Gesetzes, bei der es sich tatsächlich um die Enthaltsamkeit des Gesetzgebers und damit der Parlamentarier handelte, als unumstößliches 852 Ludwig Enneccerus, Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 4. und 5. Auflage, § 31, Ziffer IV., S. 102; Theodor Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Dritte Bearbeitung, § 31, Ziffer IV., S. 100; Ebd., Vierte Bearbeitung, § 31, Ziffer IV., S. 100; Ebd., Siebente Bearbeitung, § 31, Ziffer IV., S. 106. 853 Das soll an einer Textstelle aus einer Dissertation, die ein Jahr vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten veröffentlicht wurde und deshalb als repräsentativ gelten kann, weil sie alle Streitstände enthielt, verdeutlicht werden: „Auch einer juristischen Definition des Wesens der Ehe enthält sich das Gesetz. Die moderne Rechtsidee der ehelichen Lebensgemeinschaft hat die umfassendste Bedeutung. Sie schließt das ganze Integrationssystem der Ehe in sich, nicht nur einzelne integrierende Funktionen.“ Zu eng seien die Ehe-Definition von Kant und der im ALR genannte Hauptzweck der Ehe. „Das vom BGB begründete Gemeinschaftsverhältnis erfaßt die Ehe in ihren geistigen, sittlichen und physischen Beziehungen. Der § 1353, I enthält ein immanentes Prinzip, das alle integrierenden Vorgänge der Ehegemeinschaft durchdringt und den grundlegenden Maßstab für ihre Beurteilung ergibt. Die Vorschrift bringt eine hohe legislative Bewertung der individuellen Freiheit zum Ausdruck, die nur durch die Bindung an die ethische Gebotsordnung des Rechtsvolks beschränkt ist. Vorbildlich ist die Verweisung der Rechtsgewinnung auf den Einzelfall, der, gemessen an der sittlichen Volksanschauung, den Rechtsgehalt des Gemeinschaftslebens ergeben soll.“ Hans Ulrich von Marchtaler, Das Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft, Diss. Tübingen, Stuttgart 1932, S. 45 – 46.
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rechtstechnisches Ergebnis auf eine Rechtsidee bezogen. Im Anschluss hieran wurde Unerklärtes (wie das sittliche Wesen der Ehe) durch weitere Unklarheiten, wie die ethische Gebotsordnung des Rechtsvolks und die sittliche Volksanschauung, ersetzt. Genau genommen wurde hiermit das Gesetz nicht an rechtlich objektive Maßstäbe gebunden, sondern überindividualistische Konstruktionen staatspolitischer Macht über eine sogenannte „Enthaltsamkeit des Gesetzes“ verdeckt. Inwiefern mit diesen „philosophischen“ Anschauungen über das sittliche Wesen der Ehe als Keimzelle des Staates sich bereits erste Konturen einer unbegrenzten Auslegung im National sozialismus abzeichneten, lässt sich vorerst nur andeuten. Die Verfasserin überlässt diese Frage anderen Forschern. Weiteres lässt sich für die heranwachsende Generation in der nationalsozialis tischen und sozialistischen Diktatur in Deutschland in der Erziehung des Menschen im Sinne eines normativen Auftrags mit zwingendem Charakter in richterlichen Urteilen zur Entziehung des Sorgerechts nachweisen. Es ging dem nationalsozialistischen Familienrecht und dem sozialistischen Familienrecht um die Erziehung zur deutschen Volksgemeinschaft oder um die Erziehung zum Sozialismus.854 Ermög licht wurde dies, weil Rechtsprechung und Literatur sich der überindividualistischen sittlichen Pflicht zum Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes bereits nach dem BGB von 1896 bedienten, der den dem Recht entzogenen selbstregulativen Raum von Sitte und Recht in sein Gegenteil verkehren konnte, bis dieser Mechanismus nicht mehr angezweifelt wurde. 7.2 Die Familienbeziehung bei Marie Munk im Vergleich zum BGB von 1896 und im Vergleich zu ausgewählten Vertreterinnen der Frauenbewegung aus der Zeit vor Inkrafttreten des BGB von 1896 Vor dem Vergleich sei noch einmal kurz daran erinnert, dass Marie Munk im Gegensatz zur Familienbeziehung nach dem BGB von 1896 in ihrem Modell auf die ausschließlich selbstbestimmte Beziehung der Ehegatten untereinander Wert gelegt hatte. Eine Beratung durch einen Dritten sollte bei Meinungsverschiedenheiten hinzugezogen werden können. Kein Gericht, kein Amt, sondern eine P erson ihres Vertrauens. Das Scheidungsrecht sah nicht nur das Zerrüttungsprinzip, sondern darüber hinaus auch die gegenseitige einvernehmliche Scheidung vor. Die Verantwortung für die Ehe sollte sich im nachehelichen Unterhalt und im nachehelichen Sorgerecht widerspiegeln. Im Unehelichenrecht sollte eine sorgerechtliche und vermögensrechtliche Verantwortung der nicht miteinander verheirateten Eltern dem Interesse des Kindes dienen.
8 54 Meike Andermann, Der ideologisch motivierte Entzug des elterlichen Sorgerechts, S. 78, 84 – 85, 98, 101 – 103.
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7.2.1 Die Familienbeziehung bei Marie Munk im Vergleich zum BGB von 1896 Mit ihrem Modell der Familienbeziehung rückte Marie Munk an das plancksche Modell der regelungsfreien Familienbeziehung heran. Allerdings ging es Marie Munk mit ihrer Familienbeziehung nicht um ein rechtlich richtiges Verhalten, wie den Kodifikatoren des BGB von 1896. Vielmehr wollte Marie Munks Modell ein konstruktives Wollen für den einen Ehegatten befördern, um gerade die z wischen beiden Ehegatten bestehende Verbindung, die Ehe, aus dem Kreis des Rechts soweit als möglich 855 zu lösen. Diesen Ansatz vervollkommnet Marie Munk mit dem gesetzlichen Angebot an die Ehegatten, sich im gegenseitigen Einvernehmen scheiden lassen zu können. Allerdings nicht ohne dass die mit der Ehe begründete Verantwortung nachwirkt. Aber auch für diese nacheheliche Verantwortung aus der einst begründeten Ehe sollen die Eheleute sich für die Zeit nach der Scheidung zum Unterhalt und zum Sorgerecht selbstbestimmt vertraglich festlegen können. Der eigenverantwort lichen Eheausgestaltung folgt die eigenverantwortliche Eheauflösung. Maßstab für die Eigenverantwortung der Eheleute ist die zwischen ihnen bestehende persönliche Verbindung, die Ehe. Die Ehegatten sollen sich, so der Ansatz von Marie Munk, in rechtliche Belange, die genau genommen rein persönlicher Natur sind, erst gar nicht verstricken. Die Ehegatten dienen damit keinem überindividualistischen Zweck, sondern werden dazu angehalten, den anderen Ehegatten als Teil der Gemeinschaft zu achten. Die rechtliche Stellung der Frau sollte nicht dem Zweck des Ehemannes dienen. Ebenso vollzieht das Modell Marie Munks im Unehelichenrecht eine Kehrtwende. Nicht das Kind, unschuldig an seiner Unehelichkeit, sollte für das (aus damaliger Sicht) soziale Fehlverhalten seiner leiblichen Eltern büßen, sondern die leiblichen Eltern sollten sich ihrer gemeinsamen Verantwortung im Interesse des Kindes stellen. Würden sich die Eltern ihrer außerehelichen Verantwortung, der des Kindes nämlich, stellen, so würde damit auch ein Stück weit personale Identität befördert. Nicht nur aufseiten der Eltern als Person verknüpft durch die Verantwortung für ihr Kind, sondern auch aufseiten des Kindes in Bezug zu seinen leiblichen Eltern, ebenfalls verknüpft durch deren Verantwortung. 7.2.2 Die Familienbeziehung bei Marie Munk im Vergleich zu den Reformforderungen der Frauenbewegung aus der Zeit vor Inkrafttreten des BGB von 1896 Bereits zur Zeit der Entstehung dieser Vorschriften des BGB wurde in den Gesetzesberatungen in der 1. Kommission vereinzelt argumentiert, dass dem Ehepartner das Wohnsitzbestimmungsrecht zustehen solle, dessen Beruf die Lebensführung
855 Der Typenzwang im Ehegüterrecht verhindert die ausschließliche freie Gestaltung durch die Ehegatten.
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der ehelichen Lebensgemeinschaft bestimme.856 Ähnlich argumentierten einige Vertreterinnen der Frauenbewegung. Ähnlich den Forderungen Marie Munks und Margarete Berents aus dem Jahre 1921, schlug bereits der Bund Deutscher Frauenvereine das gegenseitige Übereinkommen beider Ehepartner der das gemeinschaft liche Eheleben betreffenden Dinge als geeignetes Modell einer offenen Regelung vor. Es vermochte sich der Bund Deutscher Frauenvereine mit seinem Vorschlag aus seiner Petition und Begleitschrift das Familienrecht betreffend aus dem Jahre 1896 jedoch nicht durchzusetzen. Eine derartig konsequente Abkehr von gesetzlich konstruierten Herrschaftsverhältnissen birgt immer die Gefahr, dass der von konstruierter Herrschaft befreite Ehegatte einen für die Familienbeziehung förderlichen Umgang mit dem anderen Ehegatten im Interesse seines eigenen Persönlichkeitsrechts erst lernen muss. Marie Stritt und Marie Raschke haben diesen Aspekt bereits vor Zustandekommen des BGB von 1896 vorausgesehen.857 Allerdings gab es einen wesentlichen Unterschied zwischen Marie Munk und den beiden vorgenannten Persönlichkeiten der Frauen bewegung. Während Marie Stritt und Marie Raschke für jede „berechtigste und nothwendigste Reform“ auch „mancherlei Unzuträglichkeiten und Mißstände im Gefolge“ erkennen wollen, fordern sie, dass nur das Gesetz „Selbstachtung der Frau“ durch „Verantwortung und Selbständigkeit“ erzeugen kann.858 Das sieht Marie Munk zweifelsohne deutlich anders. Aus ihrer Sicht greift das Recht nur dort, wo Typenzwang herrscht, nämlich im Ehegüterrecht, und wo die Ehefrau eines vermögensrechtlichen Schutzes bedarf. Das Recht soll auch im Scheidungsrecht nur dort regeln, wo eine Loslösung der in den Streit verstrickten Ehegatten gemeinsam nicht mehr umsetzbar ist. In diesen Fällen wird jeder Ehegatte auf die gesetzliche Möglichkeit verwiesen, einseitig Scheidungsklage zu erheben. Unter Berücksichtigung der damaligen Zeit begegnet dem Leser mit einer geradezu subversiven Offenheit der von Marie Munk unterbreitete Vorschlag elterlicher Verantwortung im Unehelichenrecht. Die Beistandschaft im Unehelichenrecht soll begleiten, nicht von Rechts wegen in die elterliche Verantwortung für das außereheliche Kind hineinbestimmen.
856 Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, S. 761 – 764, S. 762. 857 Stephan Meder, Arne Duncker und Andrea Czelk (Hg.), Die Rechtsstellung der Frau um 1900, S. 23. 858 Unter Bezug auf eine kritische Betrachtung des Entwurfs des BGB zur 2. Lesung des Rechtsschutzvereins für Frauen in Dresden, in: Stephan Meder, Arne Duncker und Andrea Czelk (Hg.), Die Rechtsstellung der Frau um 1900, S. 23.
Das wissenschaftliche Profil Marie Munks (1914 – 1933)
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8. Resümee zu Marie Munks Ethik der Familienbeziehung zu Weimarer Zeit Marie Munk gibt das eheliche gemeinsame Leben zurück an die Ehegatten, aber sie überlässt die streitenden Ehegatten ihrem Schicksal, lautet an dieser Stelle eingangs die provokante These der Verfasserin dieser Arbeit. Führt sich der Leser aus alltäglicher Praxis vor Augen, dass die Ehegatten bei Meinungsverschiedenheiten einen Dritten ins Vertrauen ziehen können, muss sich der Leser auch vergegenwärtigen, dass dies zu einem Zeitpunkt geschieht, zu dem womöglich schon alles zu spät ist. Die Ehegatten sind zerstritten und unternehmen gegebenenfalls einen letzten Versuch. Vorausgesetzt die Ehegatten haben in einem zerstrittenen Ehealltag überhaupt noch die Kraft und Vernunft auf einen Dritten mit der Bitte zuzugehen und um Beratung nachzusuchen. Wenn in einem derart verfahrenen Konflikt auch noch Kinder in den Ehekonflikt hineingezogen werden, gibt es so gut wie kein Entrinnen mehr; weder für die Ehegatten noch vor dem Schritt in das Ehescheidungsverfahren. Dies deshalb, weil die Ehegatten nicht gelernt haben, eine Ehe in guten wie in schlechten Zeiten zu führen; und dies schon gar nicht im Streit. Haben die Ehegatten aber nicht gelernt, eine Ehe in guten Zeiten zu führen, so werden sie auch nicht den Konfliktfall bewältigen, geschweige denn den Dritten ins Vertrauen ziehen können. Vielmehr folgt auf den Streit die Verstrickung im Streit. Deshalb geht Marie Munks Vorschlag an dieser Stelle an den Realitäten vorbei. Gleiches trifft auf die elterliche Situation in der Unehelichkeit zu. Wie sollen ein leiblicher Vater und die leibliche ledige Mutter ihre Verantwortung im Interesse des Kindes ausüben, wenn sie das nicht gelernt haben. Insbesondere in einer Lebenssituation, in der sie sozial und wirtschaftlich geächtet werden. Es steht zu vermuten, dass Marie Munk auch dies in unklaren Konturen erkannte, sonst hätte sie sich zu Beginn ihrer Zeit in den Vereinigten Staaten nicht der sozialwissenschaftlichen Forschung, sondern ausschließlich dem Recht gewidmet.
IV. Das wissenschaftliche Profil Marie Munks (1914 – 1933) Rechtspolitisches Engagement war für Marie Munk dreierlei: 1. Die Mitwirkung in den Rechtskommissionen des Bundes Deutscher Frauenvereine. 2. Die wissenschaft liche Arbeit mit dem Ziel der Veröffentlichung. 3. Der Unterricht an Schulen, um die Mitbürger über ihre Rechte und die Rechte der Frau aufzuklären. Mit ihren Aufsätzen zum Familienrecht bestimmte sie den Weimarer Reformdiskurs. Die Strafvollstreckung versuchte sie mithilfe der Resozialisierung zu reformieren. Resozialisierung begann aus Sicht Marie Munks bereits mit einer wissenschaftlich fundierten
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Erzieherausbildung. Persönlichkeitsrechtsschutz forderte sie sowohl für den Täter als auch für das Opfer bereits im Strafverfahren ein. Sie ermahnte die Rechtspflege, den Umgang mit den Medien zu überdenken und verändert zu praktizieren. Marie Munk forderte die Richterschaft auf, eine diskriminierende Auslegung der Gesetze zulasten der Frau zu unterlassen. Sie forderte andere Ausbildungsbedingungen für weibliche Referendare im Justizdienst ein. Staatstragend äußerte sie sich zu den Einsparvorstellungen der Justiz im Vollstreckungsverfahren. In der Neuordnung des Rechtswesens sah Marie Munk die Chance für eine zukünftig außergerichtliche Konfliktlösung. Die strafrechtliche Behandlung der Frau sah sie bevorzugt in weiblichen Richterhänden. Marie Munks rechtspolitisches Engagement kam ohne wissenschaftliche Arbeit nicht aus, sonst hätte für ihre rechtliche und politische Analyse die Gefahr bestanden, nur auf rein persönlicher Erfahrung denn auf Erkenntnis zu basieren. Seit ihrer ersten juristischen Berufserfahrung in München war für sie rechtspolitisches Engagement nur in einem wissenschaftlichen Bezug selbstverständlich. Das zeigten nicht nur Besuche von Vorlesungen an der Münchner Universität, sondern ebenso ihre Reflexionen über die Rechtskenntnis und die Rechtsunkenntnis in ihren Wirkungen auf das gemeine Volk und dessen Stellung im Rechtsleben. Ihr Engagement erfolgte zunächst nicht in schriftlicher Form. Munk setzte schlüssige Signale durch ihr Verhalten.
1. Vorträge und Rechtskundeunterricht (1914 – 1933) Sie muss einen „Auftrag verspürt“ haben, denn aus eigenem Antrieb wandte sie sich mit einem Vorschlag für einen Rechtsunterricht an den bayerischen Bildungsminister Dr. Kerschensteiner. Sie wurde Rechtslehrerin der Höheren Münchner Mädchenschule. Marie Munk setzte diesen Unterricht an der ersten Schule für Sozialarbeiter in München fort.859 Von September 1913 bis Juli 1915 unterrichtete sie an der Münchner städtischen Frauenschule in Rechtskunde;860 über diese Erfahrungen publizierte sie.861 Nach ihren autobiografischen Erinnerungen wechselte sie Ostern 1928 an die Soziale Frauenschule der Inneren Mission in Berlin,862 der 859 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel VII A Doctor of Jurisprudence Before and During World War I, S. 15. 860 Lebenslauf von Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 861 Marie Munk, Bürgerkunde an Frauenschulen, unter Berücksichtigung der Münchner Verhältnisse, in: Bayerische Lehrerinnen-Zeitung, 21/1915, S. 149 – 150. 862 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 47 d. A.
Das wissenschaftliche Profil Marie Munks (1914 – 1933)
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Bescheinigung von Bertha Gräfin von der Schulenburg vom 22. Mai 1933 zufolge erst seit dem April 1929.863 In der Sozialen Frauenschule der Inneren Mission waren Marie Munk angehende Wohlfahrtspflegerinnen in einem zweijährigen Kurs in Rechtskunde zur Ausbildung anvertraut.864 Zugleich nahm Marie Munk an dieser staatlich anerkannten Schule die Abschlussprüfungen der Schülerinnen im Fach Rechtskunde ab.865 In dieser Zeit lernte sie unter ihren Schülerinnen Anni (Irmela) Ackermann 866 kennen, die ihr bis in die 1950er-Jahre eine treue Weggefährtin blieb. Marie Munk informierte ihre Leser über die aktuelle Rechtslage,867 hielt Vorträge zum Ehe- und Familienrecht in städtischen Frauenvereinen sowie in öffentlichen Veranstaltungen. Zum Beispiel in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Vereinigung 868, auf deren Veranstaltungen angesehene Wissenschaftler, wie auch Prof. Wieruszowski 869 (1875 – 1945; Richter, Hochschullehrer, Goethe-Forscher, Mitarbeiter des Archivs für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, Herausgeber des zweibändigen Handbuchs zum Eherecht), Vorträge hielten. Munk sprach auf der Bezirksarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege, auf der ebenfalls Vertreter des Landesjugendamtes Berlin referierten 870 und zu der Prof. Muthesius
863 Bescheinigung vom 22. Mai 1933, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 10. 864 Ebd. 865 Maschinenschriftlicher Lebenslauf Marie Munks, ohne Datum, vermutlich den Angaben zufolge aus der Zeit nach 1933, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 12. 866 Kompendium, S. 776. 867 Marie Munk, Über Familienrecht, in: Reichsverband Deutscher Hausfrauenvereine e. V. (Hg.), Jahrbuch des Reichsverbandes Deutscher Hausfrauenvereine, Berlin 1925, S. 142 – 158; Marie Munk, Die Schlüsselgewalt der Ehefrau, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 21/1925, Heft 3, S. 74 – 77; Marie Munk, Die Rechte des ehelichen Kindes und seiner Eltern, in: Reichsverband Deutscher Hausfrauenvereine e. V. (Hg.), Jahrbuch des Reichsverbandes Deutscher Hausfrauenvereine, Berlin 1926, S. 108 – 117. 868 Ankündigung zu einem Vortrag Marie Munks zu dem Thema „Interessantes aus dem Eherecht“ am 9. Januar (ohne Jahresangabe), in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 869 Einladung des Verbandes der Kölner Frauenvereine vom Januar 1925 für einen Vortrag Marie Munks zu dem Thema „Die Hausfrau und Mutter nach dem bürgerlichen Gesetzbuch“ am 10. Januar 1925 mit dem Diskussionsredner Prof. Wieruszowski im Schwurgerichtssaal des Landgerichtsgebäudes, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 870 Einladung zu einer Veranstaltung der Bezirksarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege zu einer Veranstaltung am 29. Januar 1926, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2.
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geladen hatte.871 Viele Vorträge waren in der Presse angekündigt oder es wurde anschließend in der Presse über die Veranstaltungen berichtet.872 Von den Frauenvereinen erhielt Marie Munk Dankesbriefe; so auch vom Bürgerlichen Frauenbund Wilhelmshaven-Rüstringen am 27. April 1925.873 Diese Briefe können auch als Nachweis für den Einfluss Munks auf die Beschlussfassung in den dortigen Vorständen gelten. So ist auch ihr Vortrag im Allgemeinen Deutschen Frauenverein (Ortsgruppe Hannover) und im Verband der Sozialbeamtinnen (Ortsgruppe Hannover) am 6. April 1927 zu dem Thema „Ehe- und Frauenrechte“ zu werten. Marie Munk war während der Weimarer Reform über die Grenzen Deutschlands bekannt geworden. Das Wiener Tageblatt vermeldete am 1. Juli 1927, dass Marie Munk zur vermögensrechtlichen Stellung der Frau im Niederösterreichischen Gewerbeverein gesprochen hatte.874 Einige Monate s päter verkündete die Eisenacher Tagespost am 4. Oktober 1927: „Die Ehe soll kein Kampfplatz sein“ und berichtete ausführlich über die Thesen Marie Munks zur Ehescheidung auf der Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine.875 Gemeinsam mit Margarete Berent diskutierte sie auf einem „Sozialen Abend“ über den „Gestaltwandel der Ehe in unserer Zeit“ am 23. Januar 1928 in den Frauengruppen für soziale Arbeit in Berlin.876 Es folgten ein Vortrag über die „Rechte der Frau und Mutter“ in einer Arbeitsgemeinschaft für Frauenbestrebungen in Stettin im März 1929 und ein Vortrag über „Das Recht der unehelichen Mutter“ in einer Veranstaltung des Bundes entschiedener Schulreformer am 22. Januar 1929 in Berlin.877 871 Einladung zu einer Veranstaltung der Bezirksarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege zu einer Veranstaltung am 29. Januar 1926, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 872 Mit dem Titel „Die Hausfrau und Mutter im Bürgerlichen Gesetzbuch“ kündete das Frauen referat der Deutschen Demokratischen Partei der Rheinprovinz in der Rheinischen Volkszeitung vom 3. Januar 1925 von der bevorstehenden Veranstaltung. Bericht über die Feier anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Casseler Hausfrauenvereins im Casseler Tageblatt vom 28. Oktober 1925. Weitere Artikel, so auch aus Stadt und Land Oldenburg, teilweise aus dem März 1925, die jedoch den Namen der Zeitung nicht ausweisen. In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 873 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 874 Vortrag einer Rechtsanwältin, in: Wiener Tageblatt Nr. 179 vom 1. 7. 1927, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 875 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 876 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 877 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2.
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Marie Munk hielt einen Einführungskursus, bestehend aus vier Vorträgen über „Rechte und Pflichten des Vormundes und Pflegers“ (ab 28. März 1917), und Vorbereitungskurse, bestehend aus vier Vorträgen über die Rechte und Pflichten der Vormünderin (ab 20. März 1918). Zu dem Thema „Die Frauen und die Nationalversammlung“ referierte sie in einer öffentlichen Frauenversammlung am 28. Dezember 1918. Über die „Völkerrechtlichen Vereinbarungen über die Behandlung Verwundeter und Kranker im Kriege“ war sie am 17. Dezember 1913 in der Münchener Vereinigung für Frauenstimmrecht zu hören. Ebenso berichtete sie über die „Stellung des unehelichen Kindes – Wünsche und Vorschläge“ im Verein für Frauenstimmrecht und in der Politischen Arbeitsgemeinschaft der Frauen von Groß-Berlin.878 Marie Munk rundete ihren Diskurs in der Literatur ab.
2. Bücher der Jahre 1923 und 1929 Auf das Buch aus dem Jahre 1923 ist in d iesem Kapitel in der Ziffer III Nr. 3 bereits eingegangen worden. Im Jahr 1929 erschien ihre Publikation „Recht und Rechtsverfolgung im Familienrecht“879 im Verlag von Otto Liebmann, die dem Geleitwort von Alice Salomon zufolge dem „Unterricht an den Sozialen Schulen“ dienen sollte.880 Nach Marie Munks Intention war diese Publikation ein „Versuch […] das Familien recht in einer den Bedürfnissen der Praxis entsprechenden Weise darzustellen“881. Eine Initiative Munks während ihrer Tätigkeit (ausweislich der noch erhalten gebliebenen Urkunde) als Rechtskundelehrerin an der Sozialen Frauenschule der Inneren Mission in Berlin in der Zeit von April 1929 bis April 1933.882 Es ist nicht ganz auszuschließen, dass Marie Munk zu dieser Publikation durch das Buch von Ehringhaus mit dem Titel „Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre für Frauen“ angeregt wurde. Munk hielt sein Buch, ihrer Rezension zufolge, zwar für außerordentlich hilfreich, was bereits die wiederholte Auflage innerhalb kurzer Zeit beweise. Jedoch sei „das Kapitel über das Rechtswesen und insbesondere das Familienrecht“ mit „im ganzen nur 36 Seiten“ zu kurz. Weshalb „in diesen“ Rechtsgebieten „naturgemäß viele Gebiete unerörtert bleiben“ müssten.883 Wohl auch deshalb hatte 878 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 879 Berlin 1929. 880 Marie Munk, Recht und Rechtsverfolgung im Familienrecht, Berlin 1929, Geleitwort. 881 Ebd., Vorwort, S. V. 882 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 10. 883 Marie Munk, Frauen und Rechtskunde, in: Nachrichtenblatt des Bundes deutscher Frauenvereine, 7/1927, Heft 3, S. 23.
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Munk ihre Publikation dem Familienrecht und den verfahrensrechtlichen Fragen und den Forderungen des Bundes Deutscher Frauenvereine gewidmet. Es sind ebenso die übrigen Publikationen Marie Munks, beginnend mit den Merkblättern zur Berufsberatung mit dem Titel „Die Juristin“, auf die es hinzuweisen gilt.
3. Merkblätter zur Berufsberatung „Die Juristin“ Im Jahre 1929 erschienen die von Marie Munk verfassten „Merkblätter für Berufsberatung“ der Deutschen Zentralstelle für Berufsberatung der Akademiker e. V. mit dem Titel „Die Juristin“.884 Eine Informationsschrift, die bei Frauen für den Eintritt in den Beruf der Juristin warb, aber auch deutlich hervorhob, welche hohen und für die Frau damaliger Zeit noch neuen Ansprüche mit der Ausübung d ieses Berufs verbunden waren.
4. Rezensionen und fachwissenschaftliche Aufsätze (1918 – 1933) Aus dem wissenschaftlichen Profil Marie Munks sind etliche Rezensionen und fachwissenschaftliche Aufsätze der juristischen Fachwelt erhalten geblieben. 4.1 Fachwissenschaftliche Aufsätze Ein fachwissenschaftlicher Aufsatz erschien im Ausland. In Deutschland schrieb Marie Munk Aufsätze zur Neuordnung des deutschen Rechtswesens, zur anwalt lichen Berufsausübung, zur Ausbildung von Frauen in der Justiz und zur Justizausbildungsreform. Aber auch der strafrechtliche Schutz von Frauen, das Strafprozessrecht, das Strafvollstreckungsrecht, das Strafrecht und das Familienrecht fehlten nicht. 4.1.1 Aufsätze zum Familienrecht Ausführlich ist in den Ausführungen zur Weimarer Reform in Ziffer III dieses Kapitels auf die Aufsätze Marie Munks zum Familienrecht eingegangen worden. Deshalb sei an dieser Stelle nur ein Resümee gestattet: Die Arbeiten zur Nichtehelichkeit 885, 884 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 2. 885 „Die Stellung des unehelichen Kindes“, in: Die Frauenfrage 20/1918, Heft 6, 4-seitig in den Unterlagen des Bundes Deutscher Frauenvereine im Helene-Lange-Archiv MF-Nr. 3156; „Die künftige Regelung der Rechte des unehelichen Kindes“, in; Die Frau 33/1925, Heft 3, S. 150 – 156; „Der Gesetzentwurf über die unehelichen Kinder und die Annahme an Kindes Statt“, in: Deutsche Juristenzeitung 31/1926, Heft 15, S. 1070 – 1074; „Vaterschaftsfeststellung und Rassenfrage“, in: Deutsche Juristenzeitung 38/1933, Heft 12, S. 834 – 835.
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zur elterlichen Gewalt 886, zur Reformbedürftigkeit des Eherechts 887, zum Ehescheidungsrecht und Prozessrecht 888 und zum Ehegüterrecht 889 entstanden während der Weimarer Zeit und bezogen verfassungsrechtliche Fragen mit ein.890 Marie Munk forderte den „Schutz der Frau und Mutter in der Gesetzgebung“891. Nunmehr kann an dieser Stelle zu weiteren Themen der wissenschaftlichen Arbeit Marie Munks übergeleitet werden. Munk äußerte sich, lange bevor sie das erste und zweite Staatsexamen ablegte, in einem Artikel über die „Bedingte Strafaussetzung und Begnadigung in Preußen“ in der Zeitschrift „Die Frau“.892 4.1.2 Aufsätze zur Strafvollstreckung Mit der Verfügung des Preußischen Justizministers vom 9. März 1917 war die bedingte Strafaussetzung für Jugendliche und Erwachsene verfahrensmäßig und im Tatbestand erweitert worden. Anders als nach bisherigem Recht sollten Jugend liche auch nach einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe unter Bedingungen eine Strafaussetzung erfahren, wenn Milderungsgründe vorlagen. Diese Milderungsgründe sollten fortan durch die Strafvollstreckungsbehörde geprüft werden, auch bei Jugendlichen, die bereits in der Fürsorgeerziehung untergebracht worden waren. Selbst dann, wenn sich das erkennende Gericht dagegen ausgesprochen hatte. Darüber hinaus waren die Gerichte erster und zweiter Instanz in jedem Falle dazu verpflichtet worden, falls Jugendliche zu einer Freiheitsstrafe verurteilt waren, in ihrer Entscheidung zur Strafaussetzung besonders Stellung zu nehmen. Hintergrund dieser neuen Bestimmungen war das Ziel, „dass eine Störung oder 886 „Zur Umgestaltung des Rechts der Ehescheidung und der elterlichen Gewalt“, in: Die Frau 31/1924, Heft 6, S. 163 – 166; „Die elterliche Gewalt und ihre Reform“, in: Juristische Wochenschrift 54/1925, Heft 3, S. 309 und 310. 887 „Zukünftige Gestaltung des Eherechts“, in: Juristische Wochenschrift 54/1925 Heft 4, S. 336. 888 „Zur Umgestaltung des Rechts der Ehescheidung und der elterlichen Gewalt“, in: Die Frau 31/1924, Heft 6, S. 163 – 166; „Die Reform des Ehescheidungsrechts“, in: Die Neue Generation 20/1924, Heft 12, S. 289 – 294; „Der Ehebruch als Scheidungsgrund“, in: Zeitschrift für Sexual wissenschaft 14. Band, Heft 3 1927, 2-seitig in den Unterlagen des Marie-Munk-Nachlasses Fiche-Nr. 3627; „Frauenwünsche zur Ehescheidungsreform“, in: Deutsche Juristenzeitung 1928 Heft 1, S. 15 – 18; „Die Reformbedürftigkeit des Ehescheidungsprozesses“, in: Deutsche Juristenzeitung, 31/1926, Heft 23, S. 1682 – 1686. 889 „Die Umgestaltung des ehelichen Güterrechts“, in: Die Frau 32/1924, Heft 2, S. 39 – 44. 890 „Inwiefern bedürfen die familienrechtlichen Vorschriften des BGB mit Rücksicht auf den die Gleichberechtigung der Geschlechter aussprechenden Art. 119 Abs. 1 Satz 2 WRV einer Änderung?“, in: Deutsche Juristenzeitung, 1931 Heft 8/9, S. 300 – 303. 891 Ankündigung für einen Vortrag zum Ehescheidungsrecht auf der 15. Generalversammlung, in: Nachrichtenblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine 7/1927, Heft 9, S. 71. 892 Marie Munk, Bedingte Strafaussetzung und Begnadigung in Preußen, in: Die Frau, 24/1917, Heft 8, S. 466 – 469.
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ein Aufschub des Erziehungswerks durch den Strafvollzug möglichst vermieden“893 würde. Bei Erwachsenen setzte die bedingte Strafaussetzung neben den Milderungsgründen voraus, dass sie noch nicht wegen eines Vergehens oder Verbrechens verurteilt worden waren. Eine bedingte Strafaussetzung konnte nur dann gewährt werden, wenn die Erwachsenen und die Jugendlichen die Verfehlungen nicht durch „Verdorbenheit oder verbrecherische Neigung, sondern durch Leichtsinn, Unerfahrenheit, Verführung oder Not verursacht“ hatten. Darüber hinaus musste sich der Verurteilte durch gute Führung während der Bewährungszeit als würdig erwiesen haben. Bei Beurteilung dieser Frage waren das bisherige Vorleben des Verurteilten, seine Sozialisation nach der Verurteilung und sein ernstlicher Wille, den von ihm angerichteten Schaden wiedergutzumachen, entsprechend zu würdigen.894 Auf die einzelnen dezidierten Vorschriften des Erlasses soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Entscheidend für die weitere Neuerung war die Möglichkeit einer anschließenden Begnadigung nach dem Ablauf einer erfolgreich bestandenen Bewährungszeit im Rahmen der bedingten Strafaussetzung.895 Munk würdigte diesen Erlass als einen Neubeginn in der Strafvollstreckung. Sie hob hervor, dass der Erlass in seinen Ermessensbestimmungen nicht nur die besonderen Beziehungen der Tat zu den kriegerischen Verhältnissen und den aus kriegerischer Not resultierenden Verstößen gegen die Kriegsgesetze und Kriegsverordnungen hervorhob, sondern auch dass der Erlass zeitlich nicht beschränkt und somit nicht nur auf die Verhältnisse in der Nachkriegszeit bezogen sei.896 Vielmehr berge der Erlass die Hoffnung auf einen Neubeginn in der Strafvollstreckung, zumindest für die Fälle, in denen die Tat auf „Leichtsinn, Unbesonnenheit, Verführung oder Not zurückzuführen“897 gewesen sei. Nach Munk möge der Erlass „in weitestem Maße Anwendung finden“, auf dass „ein weiterer Erlaß die Löschung allerderjenigen und aller geringfügigen Strafen in den Strafregistern nach Ablauf einer gewissen Zeit von Amts wegen verordnet“898. Optimistisch verwies Marie Munk auf Erlasse ähnlichen Inhalts, die bereits in den nichtpreußischen Bundesstaaten praktiziert wurden.899
893 Marie Munk, Bedingte Strafaussetzung und Begnadigung in Preußen, in: Die Frau, 24/1917, Heft 8, S. 466 – 469, S. 467. Hervorhebung nicht im Original. 894 Ebd. 895 Ebd., S. 468 – 469. 896 Ebd., S. 469. 897 Ebd. 898 Ebd. 899 Ebd.
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a. Stellungnahme Marie Munks Auffassungen waren ein Aufruf zu sozialem Handeln. Ein Zweckgedanke, der sich zu damaliger Zeit im Strafrecht durch Franz von Liszt (1851 – 1919) und seine „soziologische Schule“ mit seinen Schülern Eberhardt Schmidt, Robert von Hippel, Eduard Kohlrausch und Franz Exner, aber insbesondere auch durch Gustav Radbruch als Reichsjustizminister beständig verbreitete. Es galt, keine Vergeltung der Tat durch das Recht einzufordern, sondern Strafe als staatliche Reaktion auf eine soziale Störung in der Gemeinschaft zu begreifen. Das bedeutete auch: Strafe ist Rechtsgüterschutz. Wobei das „Wie“ des Schutzes nicht nur der empirischen Sozialwissenschaft (der heutigen Kriminologie) überantwortet werden sollte, sondern präventiver Opferschutz auch beim Täter ansetzte. Über das Verbrechen als eine soziale Erscheinung sollte auch die Strafe eine soziale Funktion erhalten. Zu diesem Zweckgedanken im Strafrecht gehören heute selbstverständlich die sogenannten Bewährungsstrafen mit ihren Resozialisierungsmaßnahmen – zum Ende des 19. Jahrhunderts hatten ihre fragmentarischen Ansätze bereits den „Schulenstreit“ ausgelöst. 4.1.3 Aufsatz zur Änderung des Strafverfahrens Marie Munks Vorschläge für eine Änderung des Strafverfahrens wurden durch den Hußmann-Prozess provoziert. Der Abiturient Hußmann hatte gemeinsam mit seinem Schulfreund Helmut Daube nach einem Anwerbungstreffen in einer Burschenschaft am frühen Morgen den Heimweg angetreten. Daube wurde am nächsten Tag ermordet aufgefunden. Sein Hals war durchtrennt. Die Genitalien waren aus dem Schoß geschnitten. Hußmann wurde einige Tage später verhaftet. Während des Prozesses rückte die Homosexualität der beiden jungen Männer in der nationalen und internationalen Presse in den Mittelpunkt. Dies war für Marie Munk Anlass genug, um für den Persönlichkeitsschutz des Angeklagten während eines Strafprozesses Forderungen aufzustellen. Munk hielt die Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, dass ein „Ausschluß der Öffentlichkeit nur wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondere der Staatssicherheit oder der Sittlichkeit zulässig“900 sei, für nicht ausreichend. Sie forderte zum einen, zu prüfen, ob es nicht angebracht wäre, dass das für Strafsachen gegen jugendliche Angeklagte vorgeschriebene nicht öffentliche Verfahren auch für solche Strafverfahren gegen erwachsene Angeklagte eingeführt werden müsse, „in denen in erheblichem Maße jugendliche Zeugen beteiligt“901 seien.
900 Marie Munk, Vorschläge für eine Aenderung des Strafverfahrens aus Anlaß des Hußmann- Prozesses, in: Die Frau, 36/1928, Heft 3, S. 148 – 150, S. 149. 901 Ebd.
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Darüber hinaus bemerkte Munk, dass ein Freispruch wegen Mangels an Beweisen stets eine besondere Belastung für den von der Anklage ehemals Betroffenen sei, weil er seine Unschuld nicht unter Beweis zu stellen vermöge: „Sie wird aber fast zur Unerträglichkeit für den Angeklagten verstärkt“, fuhr Munk fort, „wenn, wie im vorliegenden Falle, die Verdachtsmomente, die eine Verurteilung hätten begründen können, noch besonders hervorgehoben werden, und wenn dies in öffentlicher Verhandlung geschieht. Hier hat m. E. das Interesse der Öffentlichkeit hinter den Interessen des Einzelnen zurückzustehen. Bei der Freisprechung wegen Mangels an Beweisen sollte daher die nähere Begründung des Urteils nicht öffentlich, sondern schriftlich erfolgen. Die Berufungs- bzw. Revisionsfrist dürfte dann erst mit der Zustellung der Urteilsgründe beginnen.“902 Darüber hinaus forderte sie für den durch Mangel an Beweisen Freigesprochenen eine Haftentschädigung ein, wenn der wahre Täter s päter gefasst und verurteilt würde.903 Vorteil sei, dass bei jungen Erwachsenen die Untersuchungshaft „mit äußerster Sparsamkeit und Vorsicht“ angewendet werden könnte, da sie sich auf das gesamte Fortleben des Betroffenen schwerwiegend auswirkt. Zumal im Fall Hußmanns allein die Untersuchungshaft dazu gedient habe, „sein Sexualleben bis in alle Einzelheiten zu durchforschen“904. Hußmann habe sich „geradezu einer sexuellen Vivisektion unterziehen müssen“905. Hier wirke sich die Medienaufmerksamkeit auf die Prozessbeteiligten, auf das Verfahren und auch auf eine objektive Urteilsfindung hinderlich, bisweilen gar zerstörend aus, wie der Hußmann-Prozess zeige: „Ist es notwendig und wünschenswert, einen Zeugen zu zwingen, über persönliche sexuelle Erlebnisse nicht nur vor den am Prozeß unmittelbar Beteiligten, deren Zahl schon in d iesem Falle ohnedies nicht gering ist, vor dem Gericht, vor dem Angeklagten, den Verteidigern, und den
Sachverständigen, sondern auch noch vor den Pressevertretern Auskunft zu geben? Gebietet dies
wirklich das staatliche Interesse an der Aufklärung einer strafbaren Handlung? Wird nicht vielfach hierbei die Rücksicht auf die öffentliche Meinung und auf die Presse den lebenswichtigen Interessen einzelner Personen insbesondere von Zeugen und Angehörigen des Angeklagten vorangestellt?“
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Offensichtlich ging es Marie Munk nicht nur um eine Änderung der Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes über den Ausschluss der Öffentlichkeit während der Verhandlung,907 sondern auch um ein rechtsstaatliches Verfahren für alle 902 Ebd. 903 Ebd., S. 150. 904 Ebd. 905 Ebd. 906 Ebd., S. 149. Hervorhebung nicht im Original. 907 Ebd.
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Prozessbeteiligten, einschließlich der Zeugen, insbesondere mit Blick auf deren Persönlichkeitsrechte im Bild der Öffentlichkeit. Deshalb kritisierte Munk zu Recht, dass im Hußmann-Prozess der Ausforschungsbeweis der Homosexualität als Tatsachenbeweis missbraucht worden sei. Ein einmaliger Vorgang, weil „ein nicht ausreichender Tatsachenbeweis nicht durch den Beweis einer anormalen Veranlagung des Angeklagten soweit ergänzt werden“908 könne. Hiermit sei „eine Verurteilung“ nicht zu „begründen“.909 Dies wurde im Urteil offensichtlich: „Durch diese Gründe ist aber zum Ausdruck gebracht worden, daß das Gericht den erheblichen Verdacht gehabt hat, daß der Angeklagte der Täter sei, und daß es ihn nur freigesprochen hat, weil es die Verdachtsgründe nicht für ausreichend gehalten hat. Gerade durch diese nähere Begründung ist der Angeklagte dauernd mit einem schweren Makel behaftet.“910 Zumal de jure der Angeklagte „seine Unschuld nicht nachweisen konnte“.911 Munk forderte, dass zum Schutz des Angeklagten in den Verfahren, insbesondere in derartigen Fällen, eine Zusammenfassung des Gerichts über das Verhandlungsbild in die Öffentlichkeit abzugeben sei, damit nicht jede Einzelheit des Sexuallebens in der Öffentlichkeit und in der Presse zum Schüren der Sensationslust verwendet werden könne.912 a. Stellungnahme Marie Munk skizzierte mit ihren Ausführungen über eine Zusammenarbeit z wischen der Staatsanwaltschaft, der Richterschaft und den Medien einen rechtsstaatlichen Verfahrensansatz, der in der heutigen Zeit erst langsam in das Bewusstsein der Richterschaft, der Staatsanwaltschaft und der Anwaltschaft gelangt ist – Litigation-P R.913 Greift man Munks Ansatz auf, so versteht sich Litigation-P R nicht im Sinne sensa tionslüsterner Auffassungen 914 als eine Einflussnahme oder gar als „Angriff“915 auf die richterliche Entscheidungsfindung. Vielmehr kann sie im deutschen Rechtssystem nur verstanden werden als eine PR im Interesse der Rechtsstaatlichkeit. Bereits Munk ging davon aus, dass sich Medienberichterstattung aufgrund der Pressefreiheit nicht verhindern lässt. Deshalb müssen, so ein Bericht des Essener Oberstaatsanwalts im Hußmann-Prozess an den Generalstaatsanwalt in Hamm, die Ursachen 908 Ebd., S. 150. 909 Ebd. 910 Ebd., S. 149. 911 Ebd. 912 Ebd., S. 150. 913 Vgl. hierzu: Stephan Holzinger und Uwe Wolff, Im Namen der Öffentlichkeit. Litigation-P R als strategisches Instrument bei juristischen Auseinandersetzungen, Wiesbaden 2009. 914 Melanie Amann, Manipulation im Gerichtssaal, in: FAZ vom 19. September 2010. 915 Melanie Amann, Manipulation im Gerichtssaal, in: FAZ vom 19. September 2010 mit H inweis auf eine Verlautbarung des BGH-Präsidenten.
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für Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Medienberichterstattung in Rechnung gestellt werden: „Uebertreibungen haben ihre Ursache mit Wahrscheinlichkeit darin, dass ein erheblicher Teil der Prozessberichterstatter, wie sich aus vielen Verhandlungsberichten, die hier vorgelegen haben, ergibt, nicht in der Lage waren, das Wesentliche des Prozessstoffes zu erkennen und sachgemäß zu verarbeiten.“916 Diese Worte bedeuten aber nicht, die Presse ist „schuld“, weil sie ihre Berichte nicht zu erstellen versteht, sondern die Organe der Rechtspflege haben die Presse nicht in die Lage versetzt, den Prozessstoff erkennen und sachgemäß verarbeiten zu können. Munk wollte mit ihrer Forderung nach einer zusammenfassenden Darstellung des Gerichts über den Verhandlungsverlauf an die Medien das Recht auf den Schutz der Persönlichkeit in einem gerichtlichen Verfahren allen Prozessbeteiligten zur Pflicht machen. Der Schutz der Persönlichkeit in einem Verfahren könne, so Munks Sicht, mithilfe der rechtlichen Bestimmungen allein nicht erfüllt werden, wie das Verfahren Hußmann zeigte. Über die Prozessbeteiligten, ihr Recht und die anhängigen Verfahren wurde zu Munks Zeiten, wird heute, morgen und übermorgen in den Medien kommuniziert werden.917 Nach Auffassung der Verfasserin dieser Arbeit bedarf es jedoch in der heutigen Zeit während des Prozesses für alle Prozessbeteiligten eines Verhaltenskodexes zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des (vermeintlichen) Täters und des bzw. der Opfer. Dieser Schutz des Persönlichkeitsrechts ist durch Richt linien (RiStBV) nicht wirksam. Vielmehr vermag er nur medienpraktisch wirksam zu werden. Richter und Staatsanwälte müssen journalistisch geschult werden. Es geht um die Reichweite von Erklärungen der Organe der Rechtspflege über das Verfahren und seine Inhalte. Diese dürfen nicht ausschließlich juristisch, sondern müssen, ausgehend von dem Inhalt der Erklärungen der Organe der Rechtspflege und der weiteren Verarbeitung durch die Medien, auf ihr womöglich zu erschaffendes Bild in der Öffentlichkeit über den (vermeintlichen) Täter und die Opfer in einen doppelten verfassungsrechtlichen Horizont genommen werden: Zum einen unter der verfassungsrechtlich verankerten Pressefreiheit, zum anderen unter dem verfassungsrechtlich verankerten Persönlichkeitsrecht des Opfers und des (vermeintlichen) Täters. Darüber hinaus müssen die Wirkungen von Erklärungen der Organe der Rechtspflege über die betreffenden Prozessbeteiligten in der Öffent lichkeit mit Blick auf die bevorstehende Medienkommunikation in einem zukünftig bewirkten Sozialbild sorgfältig bemessen werden. Wenn Organe der Rechtspflege 9 16 Schreiben des Oberstaatsanwalts in Essen an den Generalstaatsanwalt in Hamm vom 10. November 1928, in: GStA I. HA Rep. 84a Justizministerium Nr. 57587, Bl. 133. Hervorhebungen nicht im Original. 917 In d iesem Kontext wird zu Recht von der Dominanz der Bilder gesprochen, vgl.: Volker Boehme-Neßler, BilderRecht, Die Macht der Bilder und die Ohnmacht des Rechts. Wie die Dominanz der Bilder im Alltag das Recht verändert, Berlin 2010.
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sich, wie im Hußmann- und im Kachelmann-Prozess, über intime sexuelle Praktiken zwischen Täter und Opfer vor den Journalisten ausbreiten, dann eskaliert die Verfahrenssituation. Mit anderen Worten: Was sagt das Organ der Rechtspflege wann, wie und wozu? Litigation-P R als Ausbildungsfach in der Jurisprudenz bewirkt eine Verhaltensänderung der Verfahrensbeteiligten, die für die, welche um ihr Recht nachsuchen, nur gerecht sein kann. Sei es der Staatsanwalt, der dem Strafanspruch des Staates zu Recht verhelfen soll, aber den Beschuldigten oder Angeklagten nicht jagen und die Rechtsstellung des Opfers für eigene Verfahrenszwecke nicht missbrauchen darf. Sei es der Richter, der zum Zwecke einer rechtsstaatlichen Verfahrensführung ausgleichend auf die übrigen Prozessbeteiligten einzuwirken hat und in seiner Rechtserkenntnis nicht gnadenlos sein soll. Sei es der Anwalt, der für seinen Mandanten für dessen Recht und Freiheit ficht und Verfahren nicht um des Renommees in den Medien willen betreibt oder nicht betreibt. Dass die derzeitigen Instrumente der journalistischen Ausbildung für die Organe der Rechtspflege wie auch deren Mittel nicht ausreichen, zeigt das Verhalten der Prozessbeteiligten im Kachelmann-Prozess. Es hätte auch in der Frage um die sexuelle Selbstbestimmung der Frau als Opfer im Verfahren eine geschlechtsspezifische Diskriminierung in der Betrachtung des Tathergangs 918 vermieden werden können. 4.1.4 Aufsätze zum strafrechtlichen Schutz der Geschlechtsehre der Frau Die Ausgangspunkte des strafrechtlichen Schutzes der Geschlechtsehre der Frau setzen auch immer zuvorderst beim Mann an. Dies zeigt der in der Zeitschrift „Die Neue Generation“ erschienene Aufsatz Marie Munks. Munk kritisierte die strafrecht liche Behandlung des Mannes und damit die Entscheidung einer Strafkammer des Reichsgerichts. Das Reichsgericht hatte den vorinstanzlichen Freispruch des Angeklagten vom Verbrechen der Notzucht und vom Verbrechen der Vornahme gewaltsamer unzüchtiger Handlungen bestätigt, weil der Täter „geglaubt“919 habe, die Frau werde seinen überwältigenden, rohen Handlungen, den Geschlechtsverkehr versuchen zu wollen, keinen ernsthaften Widerstand entgegen bringen. Das Reichsgericht griff die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung auf und wies diese Entscheidung an die vorinstanzlichen Gerichte zurück, weil dem Täter eben wegen seiner Annahme, die Frau werde sich ihm nicht widersetzen, auch
918 Wie die Nebenklägerin durch unprofessionelles journalistisches Vorgehen im Kachelmann- Prozess erfahren musste. 919 Marie Munk, Der strafrechtliche Schutz der Geschlechtsehre der Frau, in: Die Neue Genera tion, 23/1927, Heft 1, S. 9 – 12, S. 9.
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der für den Tatbestand der Beleidigung notwendige Vorsatz fehle.920 Munk hob in ihrer Kritik hervor: „Ich glaube, daß niemand, der diesen Fall unbefangen hört, im Zweifel darüber sein wird, daß der Angeklagte mindestens diesen sogenannten Eventualvorsatz gehabt hat und sich in einem strafrechtlich bedeutsamen Irrtum über die Rechtswidrigkeit seiner Handlungsweise gar nicht befunden haben kann. Hätte der Angeklagte nicht mit der Möglichkeit eines Widerstreits der Zeugin gerechnet, so wäre er sicherlich nicht in dieser gewalttätigen Weise gegen sie vorgegangen. Es wird doch wohl niemand behaupten können und wollen, dass ein Mann, der glaubt, daß eine Frau bereit sein wird, sich ihm hinzugeben, in dieser gewalttätigen Weise vorgehen müßte oder würde. Daß die Zeugin sich beleidigt gefühlt hat und offenbar der Überzeugung war, daß sie dem Angeklagten nicht die geringste Veranlassung gegeben hatte, in dieser Weise auf sie einzudringen, geht meines Erachtens schon daraus hervor, daß sie Strafanzeige erstattet und Strafantrag gestellt und damit alle mit der Verhandlung für sie verknüpften Unannehmlichkeiten auf sich genommen hat, da sie es sonst sicherlich vorgezogen hätte, über den Vorfall zu schweigen. Es ist im höchsten Maße bedauerlich, daß unser höchster deutscher Gerichtshof den Schutz der weiblichen Ehre so gering schätzt, daß er in einem solchen Fall keine Lösung gefunden hat, die auch nach unserem geltenden Recht die Bestrafung des Täters ermöglichte, die jedem sittlich Empfindenden als eine Selbstverständ lichkeit erscheinen wird. Er hätte dies schon allein aus dem Grunde tun müssen, damit die Frau künftighin nicht zum Freiwild des Mannes wird und es von dem zufälligen Umstand abhänge, ob sie genügend Körperkraft besitzt, sich gegen einen solchen Überfall mit Erfolg zu wehren.“921 Munk forderte fortan eine für die Frau „günstige und sie schützende Auslegung der Gesetze“922 und mit Blick auf die anstehende Strafgesetznovelle, „daß die Frau durch die abschreckende Wirkung strenger Strafvorschriften gegen Angriffe ihrer Ehre geschützt“923 werde. Munks Wort „Wirkung“ war es, das niedergeschriebenes Recht eng mit einer rechtsschützenden Aufforderung an den Richter verknüpfte. Diese rechtsschützende Wirkung strafrechtlicher Vorschriften sollte nicht „zufällig“ erfolgen. Es bedurfte der Sensibilisierung der Richterschaft, nicht nur für die Rechtspersönlichkeit der Frau, sondern auch d u r c h die Rechtspersönlichkeit Frau. Es sollten mehr Frauen als bisher in die Jurisprudenz bzw. in das Richteramt berufen werden. Nur hiermit konnte sich die Betrachtungsweise in der Beurteilung des Tathergangs ändern. Ein Ziel, das ohne umfassende Erörterung über die juristische Ausbildung nicht zu verwirklichen war und ist. 920 Ebd., S. 9 – 10. 921 Ebd., S. 11. Hervorhebung nicht im Original. 922 Ebd. 923 Ebd., S. 12. Hervorhebung nicht im Original.
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a. Fazit Mit ihrem Aufsatz die Geschlechtsehre der Frau in einem Strafverfahren betreffend, verdeutlichte Marie Munk, dass es mehr professionalisierter Frauen in der Jurisprudenz bedarf, um die Frauen in der Rechtspraxis vor einer geschlechtsspezifisch diskriminierenden Urteilserkenntnis zu schützen. 4.1.5 Aufsätze zur juristischen Ausbildungsreform und zur juristischen Ausbildung von Frauen in der Justiz Blickt der Leser auf die juristische Ausbildung zurück, so wird er feststellen, dass es bisher keine Juristengeneration gegeben hat, die nicht hätte darüber berichten können, dass es während ihrer Ausbildungszeit Diskussion über die Ausbildung der Juristen gegeben hätte – ein Beweis dafür, wie eng gerade die juristische Ausbildung von gesellschaftlichen Ereignissen geprägt wird. a. Die Ausbildung der Referendare Anlass für Marie Munks Aufsatz in der Deutschen Juristen-Zeitung aus dem Jahre 1924 war die Verlautbarung des Vizepräsidenten des Kammergerichts, Koffka. Koffka hatte insbesondere die Verkürzung der Referendarausbildung um ein ganzes Jahr für die schlechten Examensergebnisse und damit für eine schlechte Ausbildung der Juristen verantwortlich gemacht. Die Referendare hätten nicht mehr die Gelegenheit, sich mit dem allgemeinen gerichtlichen Rechtsverkehr bei einem kleinen Amtsgericht umfassend vertraut zu machen, weil gerade der amtsgerichtliche Dienst um fünf und der landgerichtliche Dienst um vier Monate verkürzt worden sei. Hinzu käme, dass viele Referendare aufgrund ihrer wirtschaftlichen Not ohne entsprechende Nebentätigkeiten nicht überleben könnten, was sich ebenfalls nachteilig auf die Wissensvermittlung auswirke.924 Munk konnte, während sie sich mit Koffkas Ansatz befasste, auf ihre erst kürzlich absolvierte Referendarzeit zurückblicken, was wohl auch der Grund für die Herausgeber gewesen sein mag, ihren Beitrag zu veröffentlichen. Munk hielt die Verkürzung der Referendarzeit nicht für das Hauptübel der schlechten Examensnoten.925 Vielmehr s eien „90 % der Referendare“926 wegen der wirtschaftlichen Notlage auch noch während des Examens „genötigt“,927 einer Nebentätigkeit nachzugehen.
9 24 Koffka, Zur Frage der Ausbildung der Referendare, in: Deutsche Juristenzeitung, 29/1924, Heft 13/14, S. 534 – 536. 925 Marie Munk, Die Frage der Ausbildung der Referendare, in: Deutsche Juristenzeitung, 29/1924, Heft 17/18, S. 727 – 728, S. 727. 926 Ebd., S. 727. 927 Ebd.
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Darüber hinaus sei „der Körper- und Nervenzustand der Ref. durch den Krieg und seine Nachwirkungen ein ungleich schlechterer“928 als vor Beginn des E rsten Weltkriegs. Darüber hinaus s eien viele der Referendare kriegsbedingt in einem höheren Lebensalter als die vorhergehenden Juristengenerationen.929 Es gäbe nach wie vor Richter, die ihre Referendare nicht unterweisen würden, sondern für die alltäg liche Arbeit, soweit deren Entscheidungsentwürfe brauchbar s eien, missbrauchen würden.930 Munk schlug vor, man möge von den Amtsgeschäften befreite Richter mit der Referendarausbildung betrauen. Sie forderte auf, zu überlegen, ob hierfür nicht auch Rechts- und Staatsanwälte in Betracht gezogen werden könnten. „Diese Kurse müßten öfters vom Präsidenten des Gerichts unvorbereitet inspiziert werden, damit er sich ein Urteil über die Eignung der Kursleiter bilden“931 könne. „Wenn dies geschieht“, beschloss Munk ihre Ausführungen, „würden m. E. die Klagen der Ref. und der Justizprüfungskommission über die unzureichende Vorbildung der Kandidaten voraussichtlich bald verstummen“932. Soweit zu den kriegsbedingten allgemeinen Bedingungen der juristischen Ausbildung damaliger Zeit – aber wie gravierend mussten sich solche Verhältnisse erst bei den Frauen auswirken. b. Die juristische Ausbildung der Frauen Es war Marie Munk eine Herzensangelegenheit, auf die Situation von Frauen in der juristischen Ausbildung aufmerksam zu machen. Es wären ganz besonders Frauen, die gesundheitliche Überforderungen in Kauf nehmen müssten, wenn sie nicht gesicherte wirtschaftliche Verhältnisse hätten.933 Im Referendariat brächte die strenge Unterordnung unter männliche Vorgesetzte für ältere Frauen eine Peinlichkeit mit sich. Der „Zustand“934 könne unerträglich werden, wenn der Vorgesetzte „feindlich“ Juristinnen gegenüber eingestellt sei. Schnell könne die Juristin spüren, „wie ungeeignet sie ist und wie wenig sie leistet“935. Darüber hinaus sei aber auch eine gewisse Scheu zu beobachten, Frauen bei den Gerichten mit Verfahren auf Zahlung von Alimenten zu beschäftigen. Beides führe zu qualitativen Schwierigkeiten und damit zu geschlechtsspezifischen Unterschieden während der juristischen Ausbildung.936
928 Ebd. 929 Ebd. 930 Ebd., S. 728. 931 Ebd. 932 Ebd. 933 Marie Munk, Die juristische Ausbildung der Frauen, in: Deutsche Juristenzeitung, 30/1925, Heft 3, S. 281 – 282, S. 281. 934 Ebd., S. 282. 935 Ebd. 936 Ebd.
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Auch wenn die kommenden Juristengenerationen Frauen in juristischen Berufen offener begegnen würden, bestünde dennoch im Zuge des aufsteigenden Konkurrenzkampfes z wischen männlichen und weiblichen Juristen die Gefahr, „daß der männliche Vorgesetzte die Referendarinnen zu unterdrücken versucht“937. Munk brachte aber auch die Hoffnung zum Ausdruck, dass eine nicht geringe Zahl von Juristen mit „größerem Interesse und größerer Zuvorkommenheit, als ihren männ lichen Kollegen“938 den Juristinnen gegenübertreten würden. Mit Blick auf die wirtschaftliche Lage der damaligen Zeit prophezeite Munk den damaligen Schwierigkeiten von Frauen in juristischen Berufen lediglich eine vorübergehende Natur.939 c. Fazit In einem so sensiblen Bereich, wo es um das Recht des Menschen in einer Gesellschaft geht, kann die Ausbildung gar nicht gut genug sein. Gerade weil das Recht geschlechtsneutral sein muss, ließ Marie Munk die Frage um die Diskriminierung der Frau in der juristischen Ausbildung nicht aus. Marie Munk ermahnte die juristischen Ausbilder, ihr Verhalten zu den ihnen anvertrauten Referendarinnen kritisch zu reflektieren und ihre traditionelle Perspektive zu verlassen. 4.1.6 Aufsatz zur anwaltlichen Berufsausübung Auf Initiative der Reichsregierung sollte das Zahlungsbefehls- und das Vollstreckungsbefehlsverfahren auf die Anwaltschaft übertragen werden. Der Berliner Anwaltsverein hatte sich nur gegen die Übertragung des Vollstreckungsbefehlsverfahrens ausgesprochen, weil er meinte, die Freiheit des Anwaltsberufs wahren zu müssen. Der Deutsche Anwaltsverein hatte für beide Verfahren eine Übertragung an die Anwaltschaft abgelehnt. Der Anwalt sei Parteivertreter und keine geeignete Stelle, um die Berechtigung des Anspruchs zu prüfen, argumentierten seine Mitglieder.940 Munk fragte, ob sich denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Gerichte der Mühe unterziehen würden, die Berechtigung des Anspruchs zu prüfen. Sie verneinte und sah in der Übertragung an die Anwaltschaft eine wesentliche Verfahrensbeschleunigung. Darüber hinaus könne der Staat „erhebliche Kosten ersparen“.941 Nachdem das Rechtsmittel beim Anwalt eingelegt werden könne, gäbe dieser die Sache unverzüglich an das Gericht ab. Munks Vorschlag basierte auf eigenen 937 Ebd. 938 Ebd. 939 Ebd. 940 Marie Munk, Nochmals der Zahlungsbefehl des Rechtsanwalts, in: Deutsche Juristenzeitung, 30/1925, Heft 8, S. 658 – 660, S. 658 – 659. 941 Ebd. S. 659.
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Nachforschungen: Lediglich die Registrierung der Zahlungs- und Vollstreckungsbefehle machten den Hauptarbeitsaufwand bei den Gerichten aus.942 a. Stellungnahme Die Reichsregierung wollte das eigene Einsparpotenzial in der Justiz erhalten, indem sie Aufgaben auf die Anwaltschaft zu verlagern gedachte. Munk bezog den Anwalt als Organ der Rechtspflege vollumfänglich mit ein, indem sie ihm die Entgegennahme der an das Gericht zu übergebenden Rechtsmittelerklärungen überantwortete. Aber die Forderungen Munks waren nur der Anfang. Eugen Schiffer hatte wegen der gestiegenen Arbeitsbelastung bei den Gerichten zur Neuordnung des deutschen Rechtswesens aufgerufen. 4.1.7 Aufsatz zur Neuordnung des deutschen Rechtswesens Eugen Schiffer hatte seine Grundzüge einer durchgreifenden Reform unter dem Titel „Die Deutsche Justiz“ veröffentlicht.943 „Volk und Recht“ gehörten für Eugen Schiffer „zusammen“944. Dieser Ausgangspunkt führte ihn zu der Feststellung, dass diese beiden Elemente „einander entfremdet“ s eien.945 Unter „dieser Entfremdung“ habe das „Richtertum zu leiden.“946 Als Ursache für diese Entfremdung sah Eugen Schiffer die „Entfremdung des deutschen Rechts durch das römische Recht“947 an. Insbesondere stellte er fest, „daß in der Gegenwart sein Nährboden in der Übertechnisierung, vor allen Dingen aber in der Überfülle des Rechts, dem Übermaß der Rechtspflege und der Überzahl der Organe des Rechts, der Richter, zu finden“ sei.948 Die Nachwirkungen seien deutlich erkennbar: von den Juristen werde eine „juristische Mathematik“949 betrieben, nach der der „materielle Gesetzesinhalt“ nicht bestimmt werden könne.950 Vielmehr benötige der Jurist mannigfache Literatur und Entscheidungssammlungen, um zu einem Ergebnis zu kommen, wenn er angesichts des „systemlosen Aufbaus“ des Rechts und vielfach zu erkennender „leichtfertiger Fassungen“ die Bestimmungen dem entscheidenden Rechtsgebiet überhaupt zuordnen könne.951
942 Ebd. 943 Eugen Schiffer, Die Deutsche Justiz. Grundzüge einer durchgreifenden Reform, Berlin 1928. 944 Eugen Schiffer, Die Deutsche Justiz, Vorwort, S. V. 945 Ebd. 946 Ebd. 947 Schiffer, Vorwort, S. VI; Hauptteil, S. 66 – 76. 948 Ebd., Vorwort, S. VI. 949 Schiffer, S. 77. 950 Ebd., S. 82. 951 Ebd., S. 84.
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Die heutigen Gesetze s eien „Angstgeschöpfe und Kompromißprodukte aus juristischer Technik, politischer Taktik, Interessenbeeinflussung, Zufallsbestimmungen, Parteitreiberei, Popularitätshascherei, persönlicher Liebhaberei und Pressegeschrei. Kein Faden führt durch das so entstehende Paragraphenlabyrinth zum ‚Willen des Gesetzgebers‘, zur ‚ratio legis‘“.952 Das Rechtsstaatsverständnis habe gelitten. Ein Rechtsstaat sei nicht mehr ein Staat, der „das Recht zur Grundlage und Form aller Beziehungen zwischen dem Staat und seinen Bürgern und den Bürgern des Staates untereinander“ mache.953 Vielmehr gehe man nunmehr davon aus, es handele sich um einen Rechtsstaat, „je mehr Recht ein Staat besitzt“.954 In der juristischen Praxis verkenne man mittlerweile „die Stellung des Rechts im Leben, indem man die Stellung des Lebens im Recht verkennt. Man fragt: „Was ist Recht?“, und übersähe, „daß diese Frage sich in der Überzahl der Fälle mit der Pilatusfrage deckt und in ihr erschöpft: Was ist Wahrheit? Die Tatfrage, nicht die Rechtsfrage“ spiele „nun einmal im Leben die Hauptrolle. In der heutigen Justiz“ aber, sei es „umgekehrt. Oft“ mache „die juristische Begründung der Entscheidung mehr Kopfzerbrechen als die Entscheidung selbst“.955 Mit der Folge, dass der Umfang der Rechtspflege und ihre Kosten rapide gestiegen seien,956 jedoch die Zahl der Gerichte aufgrund der Haushaltslage nicht mehr beliebig vermehrbar wären.957 Die Besoldung der Berufsrichter werde ihrer Überlastung nicht mehr gerecht. Dem Richter bleibe keine Zeit zur Fortbildung und zu wissenschaftlicher Schriftstellerei.958 Schiffer würdigte die bisherigen Bestrebungen um eine Justiz- und Verwaltungsreform.959 Er machte weitreichende Vorschläge für die Bereiche Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz.960 Für die Justiz forderte Schiffer insbesondere eine Dreigliederung der Gerichte, eine untere Altersgrenze für den Richterberuf und eine umfassende Fortbildung.961 Diese Vorstellungen prüfte er in seinem „Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des deutschen Rechtswesens nebst Begründung“.962
952 Ebd. 953 Ebd., S. 141. 954 Ebd. 955 Ebd., S. 126. 956 Ebd., S. 92 – 96. 957 Ebd., S. 97 – 102. 958 Ebd., S. 102 – 120. 959 Ebd., S. 151 – 185. 960 Ebd., S. 186 – 380. 961 Ebd., S. 342 – 380. 962 Eugen Schiffer, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des deutschen Rechtswesens nebst Begründung, Berlin 1928.
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Doch aus wirtschaftlicher Sicht, z. B. durch den Syndikus der Industrie- und Handelskammer zu Göttingen, Nawatzki, wurde ein praktisches Interesse an einer Justizreform bestritten. Alle Verwirrnisse und Überlastungen seien Folgen des verlorenen Krieges. Deshalb könne von einer Vertrauenskrise keine Rede sein. Es werde eine Vertrauenskrise nur deshalb herbeigeredet, weil man „um jeden Preis reformieren und rationalisieren“963 wolle. Schiffers Vorschläge bewiesen „den Geist unserer Zeit“, so Nawatzki, „den Geist der Ungeduld und Hast“.964 Schiffer verunglimpfe gar das deutsche Rechtswesen.965 Nicht nur seine Unklagbarmachung von Bagatellforderungen 966, auch die Übertragung bisher richterlicher Tätigkeiten auf den Rechtspfleger verführe diesen als juristischen Laien, der jetzt auch Versäumnisund Anerkenntnisurteile sowie das Güteverfahren übertragen bekommen solle, zur Selbstüberschätzung.967 Schiffers Ziel, dass „das Recht nicht zur Herrschaft über das Leben berufen“968 sei, zeigte sich besonders in den Schiedsverfahren. Dessen nahm sich aber Marie Munk in ihrem Aufsatz „Justizreform und amtsgerichtliches Verfahren“ an.969 Sie bemängelte die noch herrschende Praxis, dass die preußischen Formulare nicht den Hinweis auf das Schiedsverfahren zum Zeitpunkt der Ladung gäben und das gegen das Schiedsurteil kein Rechtsmittel mehr möglich sei. Mit der Folge, dass bei einem Versäumnis der klagenden Partei „kein Schiedsurteil, sondern höchstes ein Versäumnisurteil erlassen werden“ könne.970 Ebenso sollten „leichtfertige Anträge auf Ablehnung eines Richters kostenpflichtig zurückgewiesen werden können“.971 Dem Vorschlag Schiffers, vermögensrechtliche Ansprüche, „deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von zehn Reichsmark nicht übersteigt“ 972, ausschließlich der Schiedsgerichtbarkeit zu unterstellen, war aus ihrer Sicht einer der wichtigsten Vorschläge zur Streitvermeidung. Diese Klagen um geringfügige 9 63 Nawatzki, Justizreform und Wirtschaft. Gegen der Schifferschen Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des deutschen Rechtswesens, Göttingen 1929, S. 3 – 4, 6. 964 Ebd., S. 13. 965 Ebd., S. 14. 966 Ebd., S. 23. 967 Ebd., S. 13. 968 Eugen Schiffer, Die Deutsche Justiz, Vorwort, S. 142. 9 69 Marie Munk, Justizreform und amtsgerichtliches Verfahren, in: Deutsche Juristenzeitung, 34/1929, Heft 22, S. 1537 – 1539 unter Würdigung der von Eugen Schiffer im Jahre 1928 publi zierten Vorschläge in seinem Buch „Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des deutschen Rechtswesens“. 9 70 Marie Munk, Justizreform und amtsgerichtliches Verfahren, in: Deutsche Juristenzeitung, 34/1929, Heft 22, S. 1537 – 1539, S. 1538. 971 Ebd. 972 Eugen Schiffer, Entwurf eines Gesetzes, § 32, S. 12.
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Beträge würden vorwiegend aus „Rechthaberei, Zank- und Streitsucht oder Gehässigkeit“ angestrengt.973 Darüber hinaus müsse die Zeugenvernehmung von Verwandten und Zedenten beschränkt werden und dem Richter eine freiere Beweiswürdigung obliegen.974 a. Stellungnahme Marie Munk erkannte das Problem, in dem die Justiz steckte: Ökonomie und Qualität. Zwei Grundbedingungen, die aus Sicht des Bürgers für das Recht und die Justizpraxis überzeugen können. Interessant ist, dass Marie Munk gegen den Einwand, Recht könne Laien nicht überantwortet werden, den Rechtskonflikt zur Lösung nicht an eine subordinierte Organisation, der Gerichtsstruktur, sondern über den Schiedsmann in die Gesellschaft, an die Streitenden zurückgibt. Neben dem Vorteil, die Justiz von der Vielzahl ihrer Verfahren entlasten zu können, wurden in der Rezension von Marie Munk zu Schiffers Vorschlägen auch erste Konturen der außergerichtlichen Konfliktlösung sichtbar. 4.1.8 Ausländische Aufsätze In ihrer ersten amerikanischen Publikation berichtete Munk über „The Study of Law in Germany“ im Januar 1928 in Heft Nr. 2 der Zeitschrift „The Phi Delta Delta“. Sie hob in dieser Veröffentlichung besonders die damals noch neue gesetzliche Zulassung von Frauen in der professionellen Rechtspflege hervor.975 a. Fazit Dieser Aufsatz ist der erste rechtsvergleichende Aufsatz zur Stellung der Frau in der juristischen Ausbildung und Profession. Marie Munk knüpfte damit an ihre rechtspolitische Initiative einer internationalen weiblichen beruflichen Interessenvertretung an, der International Federation of Business and Professional Women. 4.2 Rezensionen Die familienrechtlichen Rezensionen Munks sind bereits in Ziffer III in d iesem Kapitel behandelt worden. Die Rezensionen Marie Munks zu strafrechtlichen und prozessrechtlichen Themen sollen im Folgenden behandelt werden.
9 73 Marie Munk, Justizreform und amtsgerichtliches Verfahren, in: Deutsche Juristenzeitung, 34/1929, Heft 22, S. 1537 – 1539, S. 1539. 974 Ebd. 975 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 2.
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4.2.1 Zur strafrechtlichen Behandlung der Frau Schon der Titel dieses Ansinnens lässt ein Ausnahmegesetz für die Frau erwarten. Munk nahm sich mit ihrer Rezension über die Dissertation des Schweizers Hans Konrad Sonderegger eines kontroversen Diskurses um „Die strafrechtliche Behandlung der Frau“ an.976 Konrad Sonderegger plädierte bezüglich der strafrechtlichen Behandlung der Frau, der Richter möge zukünftig sogenannte generative Vorgänge bei Frauen prüfen.977 Der Richter sollte in seinem Ermessen die Frau generell milder bestrafen können. Hatte die Frau ein Verbrechen begangen, so sollte sie milder bestraft werden, als es für den Straftatbestand eines Vergehens vorgesehen war. Litt die Frau zum Zeitpunkt ihrer Tat unter sogenannten generativen Vorgängen, so sollte sie de lege lata milder bestraft werden.978 Dieser Vorschlag Sondereggers erfuhr vonseiten der Ärztin Bieber herbe Kritik. Bieber wertete den Vorschlag Sondereggers als unwissenschaft lich, weil dieser als allgemeine gesetzliche Regelung für eine Vielzahl von normalen Frauen tatsächlich diskriminierende Folgen habe.979 Bieber forderte die medizinisch pathologische Beurteilung im Einzelfall nach gleichem Recht für Frau und Mann.980 Marie Munk verteidigte den Vorschlag Sondereggers insofern, als es weniger um die Zurechnungsfähigkeit der Frauen, als um die Möglichkeit ginge, bei Frauen ihr „Anderssein und Andersempfinden“ zu berücksichtigen.981 Munks Gesetzesvorschlag lautete: „Die Frau, die ein Vergehen begangen hat, kann mit milderer Strafe bestraft werden, als für das Vergehen vorgesehen ist. Stand sie z. Zt. der Tat unter dem Einfluß von generativen Vorgängen, so wird sie milder bestraft.“982 In diesen Disput schaltete sich Helene Lange ein, indem sie gegen eine geschlechtsspezifische Unzurechnungsfähigkeit und für eine g leiche Behandlung von Mann und Frau in einem Strafverfahren plädierte. Die „Wirkung von mangelnder Erziehung, Lebensunerfahrenheit und physiologischen Zuständen“ seien auf Grundlage einer 976 Marie Munk, Die strafrechtliche Behandlung der Frau, in: Deutsche Juristenzeitung, 30/1925, Heft 16, S. 1277. 977 Ebd. 978 „Die Frau, welche ein Verbrechen begangen hat, kann mit einer milderen Strafe bestraft werden als für das betreffende Vergehen vorgesehen ist. Stand sie zur Zeit der Tat unter dem Einfluß von generativen Vorgängen, so wird sie milder bestraft.“ In: Konrad Sonderegger, Die strafrechtliche Behandlung der Frau, Diss. Bern, Chur 1924, S. 144. 979 Annemarie Bieber, Die strafrechtliche Behandlung der Frau, in: Die Frau, 34/1927, Heft 11, S. 650 – 657, S. 654. 980 Ebd., S. 650 – 657, S. 651 – 654, insbesondere S. 652. 981 Marie Munk, Ist die strafrechtliche Verantwortung der Frau eine andere als die des Mannes?, in: Die Frau, 34/1927, Heft 11, S. 646 – 650, S. 649 – 650. 982 Marie Munk, Die strafrechtliche Behandlung der Frau, in: Deutsche Juristenzeitung, 30/1925, Heft 16, S. 1277. Hervorhebung nicht im Original.
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sachverständigen Begutachtung zu beurteilen, forderte Lange.983 Munks Replik gegen diesen Vorhalt einer geschlechtsspezifischen Unzurechnungsfähigkeit votierte für eine „psychologische Schulung der Richter und für eine stärkere Mitwirkung weib licher Richter“.984 Dies würde eine besondere gesetzliche Bestimmung für die Frauen entbehrlich machen. Gleichwohl seien generative Vorgänge bei Frauen aus der anwaltlichen Praxis durchaus bekannt.985 Den Argumenten Munks für eine weibliche Richterschaft stimmte Helene Lange zu. Sie hob hervor, dass sogenannte generative Vorgänge durch keine wissenschaftliche Untersuchung belegt seien. Es sei die Gefahr für die „Möglichkeit weit auseinandergehender psychologischer Beurteilung auch bei Frauen“986 gegeben, insbesondere bei einem „Ausnahmegesetz für die Frauen nach Sondereggerschem Vorschlag“.987 a. Fazit Diese Rezension Marie Munks löste aus zwei Gründen eine kontroverse Diskussion aus. Zum einen, weil eine geschlechtsspezifische Sonderung im Recht aus Sicht der Frauenbewegung keine Privilegierung, sondern eine Diskriminierung war. Zum anderen hatte es in der deutschen Frauenbewegung über die rechtliche Stellung von Frau und Mann zu Strafe und Verantwortung im Tatbestand des § 217 StGB (Kindstötung) im Kaiserreich heftige Debatten gegeben.988 In den Diskursen zu § 217 StGB bekämpften die Frauen der deutschen Frauen bewegung, allen voran Camilla Jellinek, gesellschaftliche Vorurteile, die sich in den Regelungen über eine Bestrafung der ledigen Mutter, die in verzweifelter persön licher und wirtschaftlicher Lage ihr Kind getötet hatte, Bahn brechen wollten. In den Debatten und schriftlichen Auseinandersetzungen wurde nicht nur die Täterschaft von Frau und Mann fokussiert,989 sondern auch die Korrespondenz von Schutz 990 und Schuld 991 in den Blick genommen. Betrachtet der Leser Marie Munks Vorschlag in ihrer Rezension zu Sonderegger, scheint es, als wenn sie sich 983 Helene Lange, Eine gefährliche „Wohltat“!, in: Die Frau, 34/1927, Heft 11, S. 658 – 661, S. 661. 984 Marie Munk, Nochmals: Ist die strafrechtliche Verantwortung der Frau eine andere als die des Mannes?, in: Die Frau, 34/1927, Heft 2, S. 98 – 100, S. 98. 985 Ebd. 986 Helene Lange, Schlusswort von Helene Lange, in: Die Frau, 34/1927, Heft 2, S. 100 – 102, S. 101. 987 Ebd., S. 102. 988 Andrea Czelk, „Privilegierung“ und Vorurteil. Positionen der Bürgerlichen Frauenbewegung zum Unehelichenrecht und zur Kindstötung im Kaiserreich, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 130 – 158. 989 Andrea Czelk, „Privilegierung“ und Vorurteil, S. 157. 990 Ebd., S. 159 – 186. 991 Ebd., S. 187 – 222.
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dem sondereggerschen Vorschlag angeschlossen hätte. Doch hat sie das wirk lich „wegen der Beschränktheiten des Geschlechts“992 getan? Durch die Worte „generative Vorgänge“ stellte Munk klar, dass sie (erstens) weniger das Geschlecht „Frau“ mit dem Umstand psychisch-physiologischer Besonderheiten in Verbindung brachte, als dass sie sich vielmehr um eine sachverständige Wertschätzung der medizinisch-psychologischen Hintergründe des Tathergangs bemühte. Diese Hintergründe könnten bei Frau und Mann gleichermaßen, aber in unterschied lichen Formen zum Zeitpunkt der Tat sichtbar werden. Zweitens engte Munk den sondereggerschen Vorschlag ein, indem sie die Deliktsarten in ihrem Strafmaß nicht durchbrach, wie es Sonderegger tat. Drittens stellte Marie Munk eine mildere Bestrafung in das richterliche Ermessen. Es ging Munk nicht darum, dass der Richter der Frau die Verantwortung für ihre Straftat erleichterte, indem er biologische geschlechtsspezifische Ereignisse in der Schuld würdigte und das Recht allgemein Schuldminderungen vorsehen sollte. Denn dann wäre der richterlichen Erkenntnis eine geschlechterdifferenzierende Beurteilung letztendlich verschlossen worden und geschlechtsspezifische gesellschaftliche Vorurteile hätten sich Bahn brechen und nur erhärten können. Deshalb stellte Munk insbesondere in ihrer Replik auf den Vorhalt von Helene Lange ihre Argumenta tion auf die psychologische Schulung der Richter und die weibliche Richter- und Schöffenbeteiligung in den Strafkammern ab. Munk hat damit nicht nur für eine offene tatbestandliche Regelung plädiert, sondern insbesondere um den Schutz der Frau im gerichtlichen Verfahren nachgesucht. Weibliche Richter stellen dem weib lichen Täter andere Fragen, als ihre männlichen Kollegen, um die Hintergründe der Tat offenzulegen. Es ergibt sich die Chance für ein differenziertes Bild. Es ging Munk um den Schutz der Frau im strafgerichtlichen Verfahren. 4.2.2 Der neue Gedanke der Resozialisierung im Strafvollzug An dieser Stelle soll eingegangen werden auf die Rezension Marie Munks über Richard Gutfleischs Buch „Strafvollzug und Erziehung“. Im Jahre 1923 waren neue Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen vom 8. Juni 1923 in Kraft getreten. Der Strafvollzug sollte sich von seiner freiheitsentziehenden Verwahrung bzw. dem sogenannten „Wegsperren“ der Täter hinwenden zu einem sogenannten erzieherisch wirkenden Maßregelvollzug. Das Buch von Pfarrer Gutfleisch (Freiburg 1926) betrachtete bereits in seinem Vorwort Strafvollzug und Erziehung als eine „unauflösbare organische Einheit“.993 Gutfleisch kritisierte den amtlichen Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, der die „Zufügung eines Übels“ durch Freiheitsstrafe postulierte. Der 992 Ebd., S. 157 Fußnote 452. 993 Richard Gutfleisch, Strafvollzug und Erziehung, Freiburg 1926, S. V.
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„Zweck der Besserung“ werde erst in zweiter Linie verfolgt.994 Für Gutfleisch bedeutete „Resozialisierung“, den Straftäter gegenüber der Versuchung neuer Straftaten widerstandsfähiger zu machen.995 Nach den Vorstellungen von Gutfleisch habe es bereits in der Erziehungsarbeit zu beginnen. Um die Erziehungsarbeit des Gefängnispersonals zu befördern, forderte Gutfleisch eine veränderte Erzieherausbildung. Sie sollten fortan Rechtskenntnisse sowie Kenntnisse in Psychologie und Gefängniskunde haben und ihre Vorgesetzten müssten eine Hochschulbildung vorweisen.996 Gerade weil sich das Personal der Gefängnisse im „Reiche der Minderwertigkeiten“997, einer sogenannten „moral insanity“998 bewege, forderte Gutfleisch neben der Seelsorge und Fürsorge 999 durch Ärzte, Psychologen und Pädagogen 1000 vor allem Erziehungsmittel 1001, die dem Gefangenen Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Anstalt eröffnen könnten.1002 Arbeit für die Gefangenen sei „unbedingte Notwendigkeit“; eine Vorstufe der Ausbildung von Lehrlingen, um den Gefangenen auch ökonomische Vorzüge zu bieten.1003 Schule und Unterricht 1004 durch ausgebildete Lehrer 1005, Gesundheitspflege und Sport 1006 würden die Gefangenen in einer Gefängnisschule nicht nur allgemein- und berufsbildend unterweisen 1007, sondern im Geschichtsunterricht „zum Patriotismus erziehen“1008. Gefangene sollten auf die Rechte und Pflichten in der Ehe vorbereitet werden.1009 Die Ehe erachtete Gutfleisch als „notwendige Ergänzung“ der Gefangenen für ihr „eigenes unvollständiges Menschentum zum Vollmenschentum“.1010 Die Vorschläge Gutfleischs, konstatierte Marie Munk, s eien „von ehrlicher religiöser Überzeugung“1011 getragen. Munk warnte, dass die „Weltanschauung des Verfassers entsprechend“ der „Tätigkeit des Geistlichen und der Pflege des Religiösen eine 994 Ebd., S. 117. 995 Ebd., S. 118. 996 Ebd., S. 103 – 120. 997 Ebd., S. 9 – 19, S. 11. 998 Ebd., S. 15 – 17. 999 Ebd., S. 81 – 102. 1000 Ebd., S. 103 – 120. 1001 Ebd., S. 23 – 24. 1002 Ebd., S. 24. 1003 Ebd., S. 39, 43, 47. 1004 Ebd., S. 55 – 80. 1005 Ebd., S. 103 – 120. 1006 Ebd., S. 48 – 55. 1007 Ebd., S. 60 – 61. 1008 Ebd., S. 70. 1009 Ebd., S. 61. 1010 Ebd., S. 60 – 61. 1011 Marie Munk, Strafvollzug und Erziehung, in: Nachrichtenblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine, 7/1927, Heft 2, S. 15.
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besondere Bedeutung“ beimesse. Darüber hinaus stelle Gutfleisch „an den Geist lichen auch erhöhte Ansprüche“ und erwarte eine „gründlichste psychologische, psychiatrische und pädagogische Vorbildung“.1012 Eine Forderung, die auch in heutiger Zeit nicht nur für christlich organisierte, sondern für jede Art professioneller oder ehrenamtlicher Arbeit im sozialen Bereich erhoben werden muss. a. Fazit Mit der Rezension Marie Munks über die Publikation von Gutfleisch wird das Interesse Munks an alternativen Wegen im Strafvollzug deutlich. Besonders angesprochen hat Marie Munk womöglich der Gedanke von Gutfleisch, die Subkultur in den Gefängnissen aufzubrechen und die Gefangenen in einem organisierten Arbeits- und Ausbildungsumfeld auf ein straffreies Leben vorzubereiten. Diese Aspekte allein reichten aus Sicht Marie Munks aber nicht aus, um Delinquenz zu verhindern. Aus ihrer Sicht war bereits das Verfahren für die Anordnung der Fürsorgeerziehung durch das Vormundschaftsgericht (und gerade nicht durch das Landgericht) wichtigster Beginn, um alternative Signale auszusenden; nämlich das Fürsorgeerziehung eine Erziehungsmaßnahme sei und keine Strafmaßnahme.1013 Ein Aspekt, den sie erst in den USA wissenschaftlich zu vervollkommnen vermochte.
5. Schlussbetrachtung Vorträge und Rechtskundeunterricht der Jahre 1914 – 1933 sind für Marie Munk nicht nur wissenschaftliche Vermittlung, sondern diese ist Basis der Reform: “It was therefore natural that I was asked to give lectures in which I pointed out the needs for reform, and that I wrote articles on this subject 1014 for popular and legal publications.”1015 Mit ihren Unterweisungen verwirklichte Marie Munk den Aufruf Alice Salomons, die „jungen Mädchen mit der Kulturgeschichte der Frau 1016 bekannt zu machen“1017. Marie Munk hat dem „Wissen durch Handeln lebendige Wirksamkeit“1018 verliehen. 1012 Ebd. 1013 Marie Munk, Verfahren bei der Anordnung der Fürsorgeerziehung durch das Jugendgericht, in: Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt, 15/1923 – 1924, S. 238. 1014 Hervorhebung nicht im Original. 1015 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3507, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel IX Participation in the Feminist Movement and Inflation, S. 3. 1016 Hervorhebung nicht im Original. 1017 Agnes Gosche, Die Aufgaben der Frauenschule nebst den wichtigsten amtlichen Bestimmungen für Frauenschulen in Preußen, Halle 1914, S. 16 und 29. 1018 Gertrud Bäumer, Die Frau in der Kulturbewegung der Gegenwart, in: Loewenfeld und H. Kurella (Hg.), Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens. Einzel-Darstellungen für
Das wissenschaftliche Profil Marie Munks (1914 – 1933)
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Der Unterricht wurde durch das Schreiben ergänzt. Das Schreiben hatte für Marie Munk ein Ziel: “I wrote this text book which was also meant to meet the needs of the general public, particularly of women,1019 most of whom were not familiar with their rights and obligations.”1020 Marie Munk rückte eine juristische Aufklärung aller Frauen zur Verwirklichung ihrer gleichen Rechte und Chancen in den Vordergrund. Was juristische Aufklärung bewirken kann, brachte Marie Munks Kollegin Marianne Beth zum Ausdruck: „Vor allem soll die Frau endlich Vertrauen zum Gerichte und den staatlichen Behörden gewinnen und sich der Handhaben bedienen, welche die öffentliche Ordnung jedem 1021 zur Verfügung stellt. Indem sie mit Recht und Gesetz vertraut wird, ihren Sinn erkennt, wird sie das Gefühl der Fremdheit gegenüber einer Welt verlieren, die man ihr mit Unrecht als unheimlich und gefährlich hingestellt hat.“1022 Das Recht war für Marie Munk Grundlage einer geschlechtsspezifischen Rechtserkenntnis. Diese Rechtserkenntnis schuf nur dann weibliches Vertrauen in das Recht, wenn weibliche Rechtskultur ihre Fremdheit in einer männlich dominierten Gesellschaft verlor. Das verlangte nach einem neuen literarischen Genre. Die Publikation „Recht und Rechtsverfolgung im Familienrecht“ aus dem Jahre 1929 war für die Ausbildung der Sozialbeamtinnen Vorbild für das sogenannte neue Sachbuch. Dieses neue literarische Genre schloss aus den Erfahrungen der Rechtspraxis auf das tägliche Leben und auf aktuellen Reformbedarf. Eine neue literarische Sach- Komposition, die zuvor nur als Fachbuch und nur für den im Recht ausgebildeten spezialisierten juristischen Berufsstand vorhanden war. Beispielhaft sei an dieser Stelle auf die vier Jahre zuvor bereits in Österreich erschienene Publikation von Marianne Beth mit dem Titel „Neues Eherecht“ verwiesen. „Eine rechtsvergleichende Studie mit besonderer Berücksichtigung der Gesetzgebung von Deutschland, der Schweiz, Oestereich u. a.“.1023 Munk sah ihre Buchveröffentlichung als wichtigen Schritt für ihre erfolgreiche Bewerbung für eine richterliche Tätigkeit: “This book, published in 1929, was well received and was certainly one of the reasons why I did not have to wait a long time for my final appointment to a judgeship position.”1024
Gebildete aller Stände im Vereine mit hervorragenden Fachmännern des In- und Auslandes, Heft 32, Wiesbaden 1904, S. 39. 1019 Hervorhebung nicht im Original. 1020 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 17. 1021 Hervorhebung nicht im Original. 1022 Marianne Beth, Das Recht der Frau, Wien 1931, Einführung, S. 2. 1023 Wien und Leipzig 1925. 1024 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 17.
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Die Weimarer Zeit (1919 – 1932)
Weitere aufklärerische Aspekte wurden in ihren Aufsätzen für die Reform im Familienrecht der Weimarer Zeit klar erkennbar. Rechtliche Aufklärung war für Marie Munk Persönlichkeitsrechtsschutz. Persönlichkeitsrechtsschutz setzte aus Sicht Marie Munks bei Täter und Opfer gleichermaßen an und war breit gefächert. Er begann ihrer Meinung nach nicht erst im Strafverfahren, in dem die Organe der Rechtspflege ihren Umgang mit den Medien in jedem Verfahrensstadium mit einem Blick auf den Täter und das Opfer überdenken sollen. Persönlichkeitsrechtsschutz setzte bei Marie Munk bereits in einer wissenschaftlich fundierten Erzieherausbildung, einem geänderten Verfahren zur Jugendfürsorge und in einem sozialen, auf Bewährung ausgerichteten Jugendstrafrecht an. Beides bewahre die Mitmenschen vor der Resozialisierung des erwachsenen Täters. Bei letzterem, so wurde in der Rezension Munks zu der Veröffentlichung von Pfarrer Gutfleisch deutlich, ist es um vieles schwieriger, Täter wie Opfer vor Straftaten zu schützen. Die Frau als Täter wie als Opfer verdient aus Sicht Marie Munks eine differenzierte Behandlung, die nur über eine stärkere Berücksichtigung der Frau in der Jurisprudenz erreicht werden kann. Die Chance einer außergericht lichen Konfliktlösung durch außergerichtliche Stellen entlastet die Gerichte, gibt der Gesellschaft die Verantwortung für das Recht zurück.
3. Kapitel Flucht aus Nazideutschland: Forschungsgast in den USA (1933 – 1934)
Die Machtergreifung Hitlers brachte für alle jüdischen Mitbürger den beruflichen und den gesellschaftlichen Ausschluss. Für Marie Munk in mehrfacher Hinsicht: Zum einen als Mensch mit jüdischer Herkunft, zum anderen als Frau und weiterhin als eine der ersten Juristinnen. Um letzteres de jure umzusetzen, griffen die nationalsozialistischen Machthaber in den Ministerien auf Verfügungen zu den rechtlichen Bestimmungen der Demobilmachungsverordnung aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurück. Die Machtergreifung durch nationalsozialistische Anhängerinnen innerhalb der deutschen Frauenbewegung konnte nach einer lang vorbereiteten antidemokratischen Strategie gelingen. Marie Munk verharrte in der sich ankündigenden bedrohlichen Lebenssituation in Deutschland nicht. Sie erkundete, eingeladen von der amerikanischen Frauenbewegung, die rechtspolitischen Konfliktfelder der Vereinigten Staaten: den Jugendstrafvollzug und die Betreuung gefährdeter Jugendlicher. Mit einer zweijährigen beruflichen Tätigkeit als Hausmutter in der New York State Training School for Girls eröffnete sich Marie Munk der Zugang zur sozialwissenschaft lichen Forschung und, im Kontext zu ihrer rechtswissenschaftlichen Profession, zu einer interdisziplinären, einer aus damaliger Sicht noch neuen Forschungsarbeit.
I. Nach der Machtergreifung Hitlers: Ausschluss aus dem Beruf, dem Unterricht und aus der Rechtspolitik Marie Munk ahnte was nach der Machtergreifung Hitlers geschehen sollte: “When the National Socialist came into power, I knew that my days as a judge were counted. A few months before, I had been assigned to another division of the court where all three of us made a good team. After the boycott against the Jews on April 1, 1933, I did not dare to enter the court house again.”1 Dieser Boykott war nicht nur die erste Ankündigung zukünftigen Terrors. Bereits im Jahr 1930 hatten die „Freunde und Förderer der Deutschen Auskunftei“ mit dem Titel „Die jüdischen Richter und Staatsanwälte“ der Landgerichte II und III sowie des Kammergerichts Berlin, einen „familienkundlichen Nachweis über die jüdischen und verjudeten Justizbeamten in 1 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 26.
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Flucht aus Nazideutschland: Forschungsgast in den USA (1933 – 1934)
Deutschland“ veröffentlicht. Eine antijüdische Hetzkampagne gegen Richter und Staatsanwälte, die für massive Unruhe in der Rechtspflege gesorgt hatte.
1. Der berufliche Ausschluss Obgleich Marie Munk in dieser Publikation namentlich nicht benannt wurde, war ihre jüdische Abstammung bekannt. Deswegen wurde Sie ab dem 31. März 1933 beurlaubt. Anschließend forcierte ihr Antrag auf Beurlaubung bzw. Freistellung vom Richterdienst für einen Besuch in den USA vom 5. Juni bis 25. August 1933, um zwei Kongresse der International Federation of Business and Professional Women besuchen und das amerikanische Gerichtswesen studieren zu können 2, ihre Versetzung in den Ruhestand. Einwände gegen diese Reise vermochten sowohl der Präsident des Landgerichts III Berlin 3 als auch der Vizepräsident des Kammergerichts Berlin 4 nicht zu erheben, weil Marie Munk wegen ihrer jüdischen Abstammung vom Dienst bereits beurlaubt worden sei. Süffisant teilte ihr daraufhin das Reichsjustizministerium mit, dass man über ihr Beurlaubungsgesuch noch nicht entscheiden könne, weil es noch keine Durchführungsbestimmungen zu § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Beamtentums gäbe.5 Marie Munk drängte, weil sie nicht nur den Auslandsaufenthalt vorbereiten musste. Sie gab auch zu erkennen, dass sie sich vergegenwärtigt hatte, wie ihre berufliche Zukunft aussah: „[W]ird in der Zwischenzeit meine Entlassung aus dem Staatsdienst verfügt, so wird die Beurlaubung gegenstandslos.“6 Wohl deshalb kam das Reichsjustizministerium in seinem hausinternen Vermerk zu dem Ergebnis, dass Richter, die unter § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Beamtentums fallen, „da besondere Vorschriften hierfür fehlen, nach den allgemeinen Bestimmungen“ zu entlassen s eien. „Bedenken gegen die Ausreise nach Amerika für den von ihr vorgesehenen Zeitraum dürften daher für den Fall, dass die Pensionierung, wie vorgesehen, in wenigen Tagen zum 1. 9. 1933 erfolgt, nicht zu erheben sein.“7 2 Antrag vom 6. 4. 1933, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 58 – 60 d. A. 3 Schreiben des Präsidenten vom 7. 4. 1933, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 57 d. A. 4 Schreiben des Vizepräsidenten des KG Berlin vom 25. 4. 1933, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 55 d. A. 5 Schreiben vom 29. 4. 1933, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 62 d. A. 6 Schreiben von Marie Munk an den Justizminister vom 5. 5. 1933, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 63 – 64 d. A. 7 Vermerk an Ministerialdirektor Roland Freisler ohne Datum, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 65 – 65R d.
Nach der Machtergreifung Hitlers: Ausschluss
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Die Zeit der Beurlaubung würde folglich in den dreimonatigen Zeitraum f allen – so der Verfasser der rechtlichen Prüfung – der nach dem Ausspruch der Versetzung in den Ruhestand liegt und für den noch Bezüge nach den allgemeinen Vorschriften zu belassen sein könnten.8 Ein fast gleichlautendes Schreiben mit der Bitte um Äußerung in der Sache binnen 3 Tagen ging am 12. Mai 1933 an Marie Munk ab.9 Die Versetzung Marie Munks in den Ruhestand vom 22. Mai 1933 wurde nicht handschriftlich entworfen und dann maschinenschriftlich endgefasst. Vielmehr verwendete das Reichsjustizministerium ein gedrucktes Verfügungsexemplar nach der Personal-Abbau-Verordnung aus dem Jahre 192410, welches, handschriftlich korrigiert, in eine maschinenschriftliche Endfassung gebracht wurde. Der Leser erinnere sich: Die Personal-Abbau-Verordnung war die Rechtsgrundlage, mit der Juristinnen nach dem Ende des E rsten Weltkriegs aus Industrie, Verwaltung und Wirtschaft entlassen wurden, weil ihre männlichen Kollegen aus dem Krieg zurückgekehrt waren. Die Verfügungen der Personalabbauverordnung holten die männlichen Kollegen Marie Munks im Reichsjustizministerium aus den Schubladen ihrer Schreibtische hervor und setzten es als Werkzeug der Diskriminierung zum Zwecke der Machtergreifung Hitlers gegen ihre weiblichen Kolleginnen ein. Am 22. Mai 1933 teilte der Reichsjustizminister namens des preußischen Ministerpräsidenten mit: „Die Landgerichtsrätin und Amtsgerichtsrätin Dr. Marie Munk in Berlin tritt auf Grund des § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 – RGBl. I S. 175 – in den Ruhestand.“11 Diese Entscheidung wurde am 3. Juni 1933 in der Vossischen Zeitung veröffentlicht.12 Marie Munk wurde kein Ruhegehalt gewährt.13 Ihre Gegenargumente, sie habe zur Aufrechterhaltung des Staates in den Jahren 1914 bis 1919 Dienst im Interesse des Vaterlandes geleistet, es könne ihr die damalige frauenfeindliche Rechtslage nicht angelastet werden, die bisherigen Zeiten ihrer A. Hervorhebung nicht im Original. 8 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 65 d. A. 9 Ebd., Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 66 – 66R d. A. 10 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 71 – 71R d. A. 11 Urkunde vom 22. Mai 1933, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 12. 12 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 13 Verfügung vom 22. Mai 1933 auf der Grundlage der von Marie Munk angegebenen Dienstzeiten, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 69 – 70R, 71 – 71R d. A.
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informatorischen gerichtlichen Beschäftigung und die als Referendarzeit anzurechnenden Berufszeiten müssten einbezogen werden, um eine unbillige Härte zu vermeiden, blieben erfolglos.14
2. Der Ausschluss von Vortrag und Unterricht In einer Veranstaltung zu dem Thema „Die Frau und das Recht“ im Januar 1933 war es vorerst das letzte Mal, das Marie Munk für die Interessen der Frau öffentlich eintrat.15 Ihre Eliminierung von Unterricht und Vortrag erfuhr Marie Munk unverzüg lich auch in diesem Feld ihrer Tätigkeiten, nachdem Hitler die Macht ergriffen hatte: “I mention the Director of the School of the Inner Mission where I had been teaching. She was a very kind hearted and devout Christian and I was on friendly terms with her. Yet, after the Nazis had taken control, she informed me that my classes had to be discontinued. She had no choice. Had she tried to keep me on the staff, her school would have been closed by the National Socialists. All the teachers would have lost their jobs and the students would have been unable to continue their training.”16 Nicht Bildung von Persönlichkeiten war das nationalsozialistische Ziel – sondern Indoktrination.
3. Der rechtspolitische Ausschluss Die Nationalsozialisten missbrauchten die deutsche Familie für ihre ideologischen Zwecke. In einem ersten Schritt vereinnahmten sie die Stellung der Frau im öffent lichen wie im privaten Leben. Beispiel hierfür war die unter nationalsozialistischer Einflussnahme inszenierte Ausstellung „Die Frau“. Sie war Monate zuvor unter einem ganz anderen Motto von allen Verbänden der Frauenbewegung vor der Machtergreifung geplant worden. 14 Schreiben von Marie Munk vom 27. Mai 1933 unter Angabe eines Dienstbeginns vom 1. Mai 1929 und der zusätzlichen Argumentation, in: Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Marie Munk Akten-Nr. 19257, Bl. 72 – 76 d. A. Mit Schreiben vom 7. 6. 1933 lehnte das Ministerium mit der Begründung ab, Marie Munk habe noch keine 10-jährige Dienstzeit in einer Planstelle zurückgelegt. In: Bundesarchiv 3001 Personalakte Marie Munk, Akten-Nr. 19257, Bl. 77 – 77R d. A. 15 „Die Frau und das Recht“, in: Berliner Zeitung am Mittag vom 20. Januar 1933, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 2 Folder 1 – 2. 16 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 25a.
Nach der Machtergreifung Hitlers: Ausschluss
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3.1 Marie Munk und die Ausstellung „Die Frau“ in Berlin im März 1933 Der Club of Business and Professional Women beteiligte sich an der Ausstellung „Die Frau“ in Berlin. Für diese Ausstellung vom 18. März bis zum 23. April 193317 entwarf Wilma Frank eine Präsentationsmappe. Der kleine Informationsstand der Organisation sollte von Künstlern und Goldschmieden gestaltet werden.18 Gertrud Bäumer schrieb für die Ausstellung das Geleitwort. Sie hob das Motto der Frauen bewegung hervor: „Tatsachen, die es mit Familien- und Erwerbsberuf der Frau zu tun haben“ aufzuzeigen, um in Zukunft für die Frauen „das Richtige zu tun“19. Marie Munk war mit ihrer Kollegin Margarete Berent Mitglied im Ausstellungs- Ehrenausschuss für Berlin, in dem viele führende Vertreterinnen verschiedener Richtungen der Frauenbewegung vertreten waren 20: zum Beispiel Dr. Marie-Elisabeth Lüders, Dr. Helene Stöcker, Dr. Hedwig Heyl, Anna Pappritz, Maria Juchacz und Dr. Alice Salomon. Der Ehrenausschuss für das Reich war mit Dr. Elisabeth Altmann, Dr. Camilla Jellinek und Dr. Else Ulich-Beil besetzt.21 Das alphabetische Verzeichnis der ausstellenden Frauenverbände las sich wie ein Who’s who der deutschen Frauenbewegung. Der Deutsche Juristinnenverein wurde nicht genannt.22 Wahrscheinlich sah er sich durch den Deutschen Akademikerinnenbund und die Deutsche Vereinigung berufstätiger Frauen hinreichend vertreten. Diese Vereinigung bestritt am 10. April über den „Gestaltenwandel der berufstätigen Frau durch die Jahrhunderte“ einen Vortrag.23 Die Nationalsozialisten setzten sich bereits in der Eröffnung der Ausstellung durch: “It was almost an irony that the propaganda minister Gobbels 24 held the speech at the gala opening.”25 Bereits der amtliche Katalog und Führer der Ausstellung wies als Frauengruppe in Reichsverbänden den Bund deutscher Mädel in der Hitlerjugend aus.26 Die Berliner 17 Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrs-Amt der Stadt Berlin (Hg.), Amtlicher Katalog und Führer für die Ausstellung „Die Frau“, Berlin 1933. 18 „we had a goldsmith and other artists – exhibited some of their works.“, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Expe riences on the Bench, S. 23. 19 Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrs-Amt der Stadt Berlin (Hg.), Amtlicher Katalog und Führer für die Ausstellung „Die Frau“, S. 11. 20 Ebd., S. 9 und 10. 21 Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrs-Amt der Stadt Berlin (Hg.), Amtlicher Katalog und Führer für die Ausstellung „Die Frau“, S. 8 und 9. 22 Ebd. 23 Ebd., S. 46, 60, Veranstaltungsprogramm (Beiheft mit separater Seitenzählung), S. 7. 24 Im Zitat wurde der kleine Schreibfehler übernommen. 25 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 23. 26 Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrs-Amt der Stadt Berlin (Hg.), Amtlicher Katalog und Führer für die Ausstellung „Die Frau“, S. 46, 60, Veranstaltungsprogramm (Beiheft mit
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Gruppe der International Federation of Business and Professional Women wurde, wie die anderen Aussteller auch, aufgefordert, nationalsozialistische Grundsätze aufzunehmen und ihren jüdischen Mitgliedern zu kündigen.27 Zeitgleich erfolgte eine massive nationalsozialistische Einflussnahme auf Verbände und Vereine, die sich für eine starke Stellung der Frau im Beruf aussprachen. Das wirkte sich auf deren Vorstände aus. 3.2 Die Auflösung der Berliner Gruppe der International Federation of Business and Professional Women Die Mitgliederversammlung der Berliner Gruppe beschloss am 12. Juni 1933 die Eintragung im Vereinsregister zu löschen und den Verein in einen sogenannten Frauen- Klub zu überführen.28 Der neue Vereinsvorstand setzte sich zumeist größtenteils aus den Mitgliedern des alten Vorstands zusammen.29 In § 3 der Vereinssatzung wurden die Worte „und bemüht sich, die Stellung der Frau durch Einflussnahme auf die Gesetzgebung zu bessern“ gestrichen. Dies kann als ein versteckter Hinweis auf § 726 BGB 30 gewertet werden. Ihre Erinnerungen hat Marie Munk in einem dreiseitigen Papier festgehalten. Dieses Papier beweist, dass das Engagement durch die Machtergreifung Hitlers im Keim erstickt wurde.31 3.3 Die Selbstauflösung der Bürgerlichen Frauenbewegung Nach einer Presseerklärung des Bundes vom 17. Mai 1933 waren es für die dem Bund Deutscher Frauenvereine angeschlossenen Berufsorganisationen die Behinderungen staatlicherseits, die eine Interessenvertretung von Frauen unerträglich machten.32
separater Seitenzählung), S. 61. 27 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 23. 28 Einladung zur Mitgliederversammlung vom 12. Juni 1933, Punkt 1 der Tagesordnung und Rundschreiben an die Mitglieder vom 16. Juni 1933, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 1485. 29 Einladung zur Mitgliederversammlung vom 12. Juni 1933, Punkt 2 der Tagesordnung und Rundschreiben an alle Mitglieder vom 16. Juni 1933. Die letzte Mitteilung an die „Clubschwestern“ datiert vom Dezember 1933, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 1485. 30 § 726 BGB lautet: „Die Gesellschaft endigt, wenn der vereinbarte Zweck erreicht oder dessen Erreichung unmöglich geworden ist.“ 31 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 32 Pressemitteilung des Bundes Deutscher Frauenvereine über die Auflösung vom 17. Mai 1933, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2051.
Nach der Machtergreifung Hitlers: Ausschluss
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3.4 Das Ende der Arbeit des Deutschen Juristinnenvereins Der aus der Jahresmitte 1933 erhalten gebliebene Auflösungsschriftverkehr zwischen dem Bund Deutscher Frauenvereine und der ihm angeschlossenen Vereine und Verbände enthält keine Korrespondenzen mit dem Deutschen Juristinnenverein. Auf den ersten Blick könnte mit dem Gesetz über die Auflösung der Beamtenvereinigungen sowie der Vereinigungen der beamteten und nicht beamteten Rechtswahrer vom 27. 5. 193733 die Auflösung des Deutschen Juristinnenvereins greifbar geworden sein. Der Deutsche Juristinnenbund konstatiert: „Mit aller Vorsicht und auf der Grundlage eines Dokuments aus dem Leo Baeck Institut, Inc. New York“ die Selbstauflösung des deutschen Juristinnenvereins zum 29. April 1933.34 Diese Feststellung ist jedoch sehr gewagt, weil es sich bei dem erwähnten Dokument um eine Danksagung von Dr. Ilse Adam und Dr. Lotte von Einem an Margarete Berent für ihre langjährige Vereinstätigkeit handelt. Die Danksagung schließt mit den Worten: „Wir werden uns bemühen, das Werk, das Sie begonnen haben, nach besten Kräften zu fördern.“35 Zu welchem Zeitpunkt tatsächlich der Deutsche Juristinnenverein seine Tätigkeit aufgegeben hat, bleibt nach wie vor unklar. In den Akten des Reichsjustizministeriums (Geheimes Staatsarchiv) über die Vereine der Jahre 1914 bis 1932, des Vereinsregisters aus den Jahren 1925 bis 1934, zu den Juristenvereinen der Jahre 1912 bis 1928, aber auch in den Vereinspressemitteilungen der Jahre 1926 bis 1934 wie auch in den S ammelberichten 1933 finden sich zur Auflösung des deutschen Juristinnenvereins keine Hinweise.36 Marie-Elisabeth Lüders erinnerte sich, dass die Nationalsozialisten erst „den Bund Deutscher Frauenvereine, dann die ‚Vereinigung der Juristinnen und Nationalökonominnen‘ […] zwangsweise aufgelöst oder unter Absetzung der Vorstände ‚gleichgeschaltet‘“37 hätten. Den Erinnerungen Lüders’ steht aber die Selbstauflösung des Bundes Deutscher Frauenvereine 38 entgegen. Auch die von Lüders erwähnte Gleichschaltung oder die zwangsweise Auflösung trifft nach 33 RGBl. 1937, Teil I, S. 597. 34 Deutscher Juristinnenbund (Hg.), Juristinnen in Deutschland. Die Zeit von 1900 bis 1998, S. 30. 35 Margarete Berent Collection AR 2861, Leo Baeck Institute at the Center for Jewish History, New York. 36 GHStA PK I. HA Rep 84a, Justizministerium, Aktennummer 11869, S. 969, 990 – 992. 37 Marie-Elisabeth Lüders, Fürchte Dich nicht. Persönliches und Politisches aus mehr als 80 Jahren (1878 – 1962), Köln 1963, S. 139. 38 Presseerklärung zur Selbstauflösung des Bundes Deutscher Frauenvereine, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2051; Agnes von Zahn-Harnack verfügt als Abwicklungsstelle des Bundes Deutscher Frauenvereine am 16. Juni 1933 die letzte Ausgabe des Nachrichtenblatts des Bundes Deutscher Frauenvereine für den 15. Juli 1933, in: LAB B-Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2198.
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Durchsicht des Archivmaterials durch die Verfasserin dieser Arbeit nur auf einen relativ geringen Teil der dem Bund Deutscher Frauenvereine angeschlossenen Vereine und Verbände zu.39 Neben einer „selbst vollzogenen Auflösung“ als weiterer Möglichkeit des selbst gewählten Rückzugs vor einer nationalsozialistischen Übernahme erklärten die dem Bund Deutscher Frauenvereine angeschlossenen Verbände und Vereine auch den Austritt.40 Es ist daher wahrscheinlich, dass das Engagement des Deutschen Juristinnenvereins im Zuge nationalsozialistischer Verdrängung weiblicher Juristen aus dem Berufsleben und infolge der Emigration ihrer Mitglieder schlichtweg „eingeschlafen“ ist. Für diese Überlegung spricht nicht nur der Lebensweg Marie Munks und anderer erster Juristinnen Deutschlands, sondern auch die Selbstauflösung des Bundes Deutscher Frauenvereine. Der Akt der Selbstauflösung war die letzte Möglichkeit, um Widerstand gegen die Nationalsozialisten zu leisten, die aus rechtspolitischen und taktischen Gründen zuvorderst die großen reichsweiten Bundesorganisationen der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung übernahmen, weil diese eine Großzahl von Verbänden und Vereinen in sich vereinten.
4. Fazit Den Beweis für diese These führte Marie Munk: “After the first three months, an organized resistance movement was almost impossible. By that time, the National Socialists had placed their spies practically everywhere.”41 Damit wurde in Deutschland beendet, was für Marie Munk und alle deutschen Frauen mit Artikel 109 Satz 1 und 2 der Weimarer Reichsverfassung 42 hoffnungsvoll begonnen hatte. Es blieb Marie Munk nur übrig, sich aus einer unheilvoll deutsch- nationalen rechtspolitischen Verstrickung und den Vorboten der Judenmorde zu lösen. Marie Munk gastierte als Wissenschaftlerin in Amerika.
39 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2197 und 2198. 40 Schreiben des Vorstands des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen-Vereins vom 12. Mai 1933, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2197. 41 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 26. 42 Die beiden Sätze lauteten: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“
Der Gastaufenthalt im Jahr 1933
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II. Der Gastaufenthalt im Jahr 1933 In der „List or Manifest of Alien Passengers for the United States“ des Flaggschiffes „Bremen“ wurde sie auf Seite 72 als „Non-Immigrant“ und damit als Tourist geführt.43 Damit blieb ihr ein schwieriges Einreiseverfahren erspart. Allerdings konnte sie ihre mitgebrachte Habe nicht für ihren eigenen Reiseunterhalt zum Verkauf anbieten, wie sie ursprünglich geplant hatte. Sie war verpflichtet, ihre Gegenstände auf dem Rückweg nach Deutschland wieder mitzunehmen.44 Deshalb hatte Marie Munk bei ihrer Ankunft letztlich keinen Nachweis den amerikanischen Behörden gegenüber, wie sie ihre Reise und ihren Aufenthalt in den USA finanziell bestreiten konnte. Aber die International Federation of Business and Professional Women half ihr nicht nur bei den Zollformalitäten.45 Die International Federation of Business and Professional Women hatte Marie Munks Aufenthalt wie eine Lectures Tour durch die Staaten vorbereitet. In der Verbandszeitung der amerikanischen Klubs wurden Vorträge zu ausgewählten Themen angeboten,46 für die Marie Munk im Gegenzug Gastfreundschaft und Anerkennung erhielt.47
1. New York City In New York City wurde sie am 23. Juni 1933 von ihrem Neffen, Peter Müller- Munk 48, empfangen. 49 “During my two weeks in New York, I got a good view of the city, and I was also interviewed on the condition of German women by reporters who had been mobilized by the National Federation of Business and Professional Women’s Clubs.”50 Munk rückte das von Adolf Hitler favorisierte Frauenbild ins „rechte“ Licht. In einem Interview in der New York Eve Post stellte sie klar, dass
43 Passagierlisten, in: www.ancestry.com. 44 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 2 – 3. 45 Ebd. 46 Emily R. Kneubuhl, Dr. Marie Munk, President of the German Federation on Lecture Tour, in: Independent Woman, Sept. 1933, p. 309. 47 B. P. W. Members Attend Garden Party, in: The News Telegraph, Sharon, PA., Thursday, Aug. 3, 1933, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3514. 48 Kompendium, S. 883. 49 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 3. 50 Ebd., S. 4 – 5.
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die deutsche Frau ihren Platz nicht am heimischen Herd suche.51 Marie Munk war Gast im Henry Street Settlement, einem jüdisch-orthodoxen Distrikt in New York. Seine Bewohner sprachen nur jiddisch, kein Englisch und strebten auch nicht nach der amerikanischen Staatsbürgerschaft.52 Eine kulturelle Freiheit, die Marie Munk aus dem Hitler-Deutschland gerade nicht kannte. “I then proceeded to Washington D. C., where I was entertained and shown around by members of the Business and Professional Women’s Clubs.”53
2. Washington Munk berichtete über ihren Aufenthalt in Washington: “I was deeply impressed with the beautiful buildings, the wide avenues and vistas. It was there that I realized that I had been living in a city of stones in New York, in spite of its many attractive features. After a few days in Washington, I took the train to Chicago where I became the honoured guest at the Biennial Convention of the National Association of Business and Professional Women’s Clubs and at the International Congress of Women, arranged by the National Council of Women.”54
3. The International Congress of Women in Chicago Chicago, eine der größten Städte der USA, Ort der Weltausstellung im Jahre 1893, bot für den sechstägigen Internationalen Frauenkongress das geeignete Ambiente. Die Chicago Daily Tribune, die Chicago Daily News und die Tampa Morning Tribune brachten am 10. Juli, 16. Juli und 17. Juli 1933 Berichte.55 Das Motto des Interna tional Congress of Women stellte Madesin Phillips in ihrer Eröffnungsrede voran: „But before women today lie great opportunities for the right use of that power. The time has come for men and women who are eager for the progress of civilization to abandon words for militant action. It is easy to resolute, and we have done much of 51 Woman Judge. German Woman Don’t Mind Being Told Place Is in Home, Says Jurist, in: New York Eve Post, Jun. 26, 1933, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 52 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 10. 53 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 5. 54 Ebd. 55 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
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it in the past. Words, by and large, have been an outlet for the speaker rather than a contribution to the listener. Until we are willing to substitute deeds, there is little hope for the future. From this congress should come to organized womanhood an impetus to add to their right feeling a sound, scientific, factual understanding of the real causes which will produce results in social justice which have become not only desirable but necessary.“56 Die Kongressorganisation bereicherte die Beratungen: „The manner in which meetings are conducted in the USA was also new to me. It is both more formal and less formal than similar meetings and congresses on the European continent. The Parliamentary law which has to be observed whenever resolutions are taken is completely different from what I had been used to. Instead of having discussions in the European sense, questions are put to the speakers. Panel discussions were likewise a new experience. Another feature, with which I was favourably impressed, was the manner in which speakers are introduced by the chairman. The audience gets a short summary of the speaker’s accomplishments and becomes more interested in what he has to say. We, the honoured guests, the delegates of foreign countries, were always given special consideration. A hostess was assigned to us who helped us find our way and who introduced us to whomever we wanted to see. Without my hostess, I might not have known how to behave in the receiving line. Nor was I used to as many social functions during a convention, or to getting a corsage, or favours (little presents) at these occasions. The singing of songs, and of the songs of each individual state, which I often heard from the state federations made it clear to me that this is a Federal Government, but that each state keeps its individuality.”57 Die Kongressbeiträge wurden veröffentlicht als „Our Common Cause Civilization“, New York, 1933.58 3.1 Marie Munks Aufruf: Rechtskooperationen zwischen allen Nationen Die „General Sessions“: „The World As It Is“, „The World As It Could Be“ und „Women In A Changing World“59 waren Themen, die Marie Munk in ihrem Beitrag „The World As It Is And As It Could Be – Continued“ aufgriff. Aus deutscher Sicht knüpfte sie an die jüngsten historischen Ereignisse an: 56 World Women Leaders Open Congress Here, in: Chicago Daily Tribune, July 17, 1933, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 57 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 5 – 6. 58 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 8. 59 National Council of Women of The United States, Report of the International Congress of Women. Including the Series of Round Tables, July 16 – 22, 1933, New York 1933, Contents, p. vii.
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“So I do believe that the Treaty of Versailles is one of the reasons for the crisis in which we live. And the revision of the Treaty is the most important task for which the women of all nations should exert their combined influences and all their efforts. But this is not all. You heard the other night of the differences of law in the various states in this country, concerning the marriage age. Surely the age in which a man or woman is allowed to marry is very important. But I should think that the divorce law is no less important. There are many questions in marriage, divorce, and family laws which ought to be solved by cooperation between all nations. If, for instance, a German woman marries an American citizen, and lives with him in Germany, she loses her German citizenship without obtaining American citizenship. If she were a lawyer or judge, she would not be able to practice law because she lost her German citizenship. If she were traveling abroad, neither the German nor the American Consulate would take care of her.”60 Das internationale Recht der Frau mündete in eine Rechtsforderung ein: “Therefore, I mean, as far as the interests and conditions of the respective nations may ever allow it, we should try to realize an international law which would unite all nations and which would be the best foundation for a future League of Nations.”61 Marie Munks Forderung stellte an die Jurisprudenz gesteigerte Anforderungen: “Surely law cannot change the world and human beings. It only expresses the tendencies of the time in which it has been enacted. Even when the law is not perfect, a Judge who has a right feeling for the necessities of his time can very often interpret it so that the suit before him may be adjudicated satisfactorily to both parties.”62 Diese Anforderungen setzten eine veränderte Sichtweise der rechtspolitischen Stellung der Richter, aber vor allen Dingen zunächst ein anderes Verständnis von Rechtskultur voraus. 3.2 Shall it be progress? Eine Kongressteilnehmerin brachte dies in der Presse auf den Punkt: “If you can see civilization as a living, moving, changing thing; if you can discard old forms and theories, your father’s as well as your own, and know that new conditions demand new treatments, then you are ready to begin to answer our question –‘Shall it be progress?’”63 Die Grundlagen für ein transnationales Recht zu schaffen, war auch das Anliegen der International Federation of Business and Professional Women. 60 Marie Munk, The World As It Is And As It Could Be – Continued, in: National Council of Women of The United States, Report of the International Congress of Women. Including the Series of Round Tables, July 16 – 22, 1933, New York 1933, p. 158 – 161, p. 160. Hervorhebung nicht im Original. 61 Ebd. p. 161. 62 Ebd. 63 World Women Leaders Open Congress Here, in: Chicago Daily Tribune, July 17, 1933, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
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4. The American Federation of Business and Professional Women’s Clubs and the International Federation of Business and Professional Women Die International Federation of Business and Professional Women hatte in der damaligen Zeit 100.000 Mitglieder in 2000 Verbänden, die mit weiteren Frauenverbänden kooperierten. Im Präsidium waren amerikanische, italienische, britische, norwegische, kanadische, polnische und kanadische Vertreterinnen der angegliederten Komitees, die sich mit aktuellen sozialpolitischen und rechtspolitischen Fragen auseinandersetzten. Die Vorsitzende für Studium und Forschung war finnischer, die Vorsitzende des Legisla tion Committees war britischer, die Vorsitzende für Gesundheitsfragen war franzö sischer Herkunft. Die Vorsitzende für Kunst und Musik war italienischer Herkunft. Die Vorsitzende des Committees für Medien- und Öffentlichkeitsarbeit war amerikanischer Herkunft. Die International Federation of Business and Professional Women veranstaltete drei internationale Ausstellungen of Fine Arts in Amsterdam, Warschau und Paris und führte nationale und internationale Radioprogramme, um über den wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Status von Frauen zu informieren. Die International Federation of Business and Professional Women wollte auch in der internationalen Gesetzgebung aktiv werden.64 Wie das aussehen könnte, hierüber gibt ein im Nachlass Marie Munks erhalten gebliebenes Papier Auskunft. Dessen Inhalt konzentriert sich auf die Stellung der verheirateten Frau in der Arbeitswelt, umfasst im Bereich des „Legal Status of Married Women’s Employment“ die Bereiche der Court Decisions, der Legal Opinion sowie die wirtschaftlichen, soziologischen und psychologischen Bedingungen arbeitender verheirateter Frauen.65 Der Einfluss der International Federation of Business and Professional Women war in einer geistigen Haltung aller seiner Mitglieder begründet, die Marie Munk in ihrer Broadcasting Speech am 21. August 1933 in New York City wie folgt zum Ausdruck brachte: “I have in some ways always been a feminist. Without that – I am sure – I would not just have chosen the study of law at a time when in Germany women were not admitted to any of the State examinations or practicing law as lawyers or judges.”66 64 Pertinent Facts About The International Federation of Business And Professional Women, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 1. 65 The National Federation Of Business And Professional Women’s Clubs, Incorporated New York, Revised Outline In The Position Of Married Women In The Economic World, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 3. 66 Unvollständige Aufzeichnung der Broadcasting Speech vom 21. August 1933, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 10.
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In diesem erlesenen Kreis war Marie Munks Stellung als deutsche Vertreterin innerhalb der International Federation of Business and Professional Women dominant.67 4.1 Treffen des Präsidiums in Chautauqua Die Verbandszeitung „Independent Women“ der International Federation of Business and Professional Women hatte bereits im Juni 1933 die Ankunft Marie Munks und ihre Teilnahme an dem Meeting of the Board of Directors der International Federation of Business and Professional Women in Chautauqua, N. Y., ausführlich und mit einem Foto Munks angekündigt.68 Dieser Klub nahm in den amerikanischen Clubs eine herausgehobene Position ein: “Probably no other Woman’s Club in the United States offers its members the opportunity to meet other members from so many parts of the world, and to listen to so many internationally known speakers within a period of six weeks.”69 Mitglied des Chautauqua Women’s Clubs war die First Lady Americas, Eleanor Roosevelt. An einer Veranstaltung mit ihr nahmen auch teil, Lena Madesin Phillips, „president of the International Council of Business and Professional Women“ und „Carlos Davila, a former president of Chile“ sowie Mrs Harold Jacquitch, „whose subject will be Modern Russian Literature“.70 Erhalten geblieben ist jedoch nur ein „Official Program“ und ein Bericht über Marie Munks Vortrag in „The Chautauquan Daily“ vom 28. Juli 193371 sowie Marie Munks Erinnerungen: “During the conference, Mrs. Eleanor Roosevelt gave a public address and we had the privilege of being introduced to her. We, the foreign guests, were also invited to give public speeches. My subject was ‘German women’s half century of progress’.”72
67 Ankündigung einer Veranstaltung mit Marie Munk am 16. September 1933; The Club Presidents’ Round Table, in: Independent Woman, September 1933; Widening Horizons. Bulletin of the International Federation, in: Independent Woman, September 1933, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 68 Widening Horizons. Bulletin of the International Federation, in: Independent Woman, June 1933, p. 206. 69 Chautauqua Women’s Club, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 70 Chautauqua Women’s Club, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 71 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 72 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 9.
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4.2 Besuch der American Federation of Business and Professional Women’s Clubs Als Vertreterin der National Federation of Business and Professional Women in Germany besuchte Marie Munk auf ihrer ersten Reise in die Vereinigten Staaten die dortigen amerikanischen Federation Clubs. Die Veranstaltungen waren durch die Verbandszeitung „Independent Woman“ frühzeitig angekündigt worden: “Dr. Munk will be available for lectures at tour clubs on the following subjects: ‘German Women: A Half Century of Progress’; ‘German Modern Marriages and Their Problems’; ‘German Parents and Children – the Problem of Two Generations’; ‘German Social Work and Social Legislation’; in addition to such legal topics as: ‘The German Court System’; ‘Juvenile Courts in Germany’; ‘Neglected and Delinquent Children’; ‘Marriage and Divorce Law’; ‘Children’s Industrial Work in Germany’. Few lecturers are as well qualified as Dr. Munk to discuss the present regime in Germany, and the outlook for the future. Some of the lecturers may be illustrated with lantern slides. For further details, or to make arrangements for lectures by Dr. Munk, address the International Federation of Business and Professional Women, at the Vanderbilt Hotel, Park Avenue and Thirty-Fourth Street, New York City.”73 Alle Begegnungen und Erfahrungen Marie Munks wurden durch den großen Einfluss der International Federation of Business and Professional Women ermöglicht, der die Vorträge Marie Munks in besonderer Art und Weise vorbereitete: “The New Jersey and Pennsylvania Branches of The Women’s International League request the honor of your company with your friends at a pageant and supper to meet Dr. Maria Munk – President of the Federation of Business and Professional Women’s Clubs of Germany – at the historic John Woolman House, Mt. Holly, New Jersey on Saturday afternoon, September sixteenth at Four O’Clock.”74 Was Marie Munk auf ihrer ersten Amerikareise besonders beeindruckte, war, dass Frauen in den Vereinigten Staaten mehr berufliche Anerkennung erfuhren, als in Deutschland: “By meeting many outstanding women, I also learned that they have far more opportunities in the professional and business fields than they had in Germany and many other countries of Europe, but that they also meet with discrimination in those fields in which they compete with men. What amazed me most was the large number of married women who held full-time jobs in high salaried and responsible positions in civil service, business and industry. Most of our career-women in Germany had been unmarried. Few well-educated women had chosen a business career which placed them in the high income bracket. I 73 Emily R. Kneubuhl, Dr. Marie Munk, President of the German Federation on Lecture Tour, in: Independent Woman, Sept. 1933, p. 309. 74 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
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am inclined to believe that the German case system and class prejudices played a role in this development.”75 Gleichwohl waren Frauen auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt nicht von Schwierigkeiten verschont: Erhalten geblieben ist eine Dokumentation über „The Age Factor in the Employment of the Business and Professional Women“. Diese Untersuchungen aus dem Frühjahr 1931 wurden auf der Chicago Conference of Business and Professional Women’s Club im Juli 1933 präsentiert und diskutiert.76
5. Der Besuch von Einrichtungen für jugendliche Straftäter und schwer erziehbare Mädchen Auf ihrer Weiterreise vermochte Marie Munk an ihr in den Alice-Salomon- Mädchengruppen für s oziale Arbeit gewecktes Interesse sozialer Tätigkeit anzuknüpfen. Sie erhielt Einblicke in das amerikanische Rechtssystem, indem ein Richter sie einlud, am Richtertisch Platz zu nehmen, und ihr den Fall erklärte: “It would have been impossible for a German judge to grant the same privilege to an American visitor.”77 Marie Munk besuchte Gefängnisse, aber auch fortschritt liche Einrichtungen für jugendliche Straftäter und schwer erziehbare Mädchen. 5.1 Fortschrittliche Einrichtungen Einen besonderen Eindruck hinterließ die „George Junior Republic in Grove City“ in Pennsylvania. Eine Schule mit schwer erziehbaren Jungen und Mädchen, die gelernt hatten, sich selbst und ihren Alltag demokratisch zu organisieren: “They elected their own president, committees, police, district attorneys / judge and attorneys. While I was there, one of the girls who had been the judge was elected president by unanimous vote.”78 Marie Munk besuchte die National Prison Association in Atlantic City, N. Y. Deren Einrichtungen für mehrere hundert junge Mädchen im Alter von 8 bis 16 Jahren waren nicht mit hohen Mauern umgeben, sondern von einer „cheerful atmosphere“ geprägt.
75 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 6 – 7. 76 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 77 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 17. 78 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 9.
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Den Insassen gab es „a feeling of liberty“79. Die Kleidung der weiblichen Insassen war keine Gefängniskleidung. Die Insassen wurden resozialisiert: “A definite attempt was made at rehabilitation and training so that they would be able to earn a living after they left the school or the reformatory. Their work assignments were made by the classification committee which consisted usually of the Superintendent, the physician, the psychiatrist, the psychologist, the teacher and the social worker who shared their views about the individual’s ability”80, erinnerte sich Marie Munk. Die gleiche Erziehungsarbeit wurde vom Clinton State Reformatory for Women of New Jersey geleistet. Hier wurden Mädchen ab dem 16. Lebensjahr untergebracht. Man ließ Marie Munk an dem Leben in der Einrichtung ungehindert teilhaben. Sie durfte mit den Mädchen Kontakt aufnehmen und ihnen bei der Arbeit zusehen 81: “I was very grateful for the opportunity to look up some of the records because I had been amazed by the normal and cheerful expression on the faces of many of the inmates which was different from that which I had seen in German penal institutions. The explanation was, at least in part, that some of these so-called ‘students’ would probably not have been committed by German courts. Few women or men were sentenced for adultery; lascivious behaviour or extra-marital rela tionships were not a crime. It would be impossible to institutionalize or commit all those who are guilty of these offenses. Only the unfortunate ones are caught in the meshes of the law. The impressions which I received in these liberal institutions were, comparatively speaking, reassuring.”82 Dieses Wort, dass in der englischen Sprache mit dem Gefühl der Beruhigung assoziiert wird, aber auch im Kontext des Begriffs familiärer Sicherheit zu finden ist, fand sein Abbild bereits im Aufnahmeverfahren des „Children’s Village“ in Dobbs, Ferry, N. Y., und in der New York Training School for Girls.83 In diesen Schulen wurden Mädchen unterschiedlichen Alters (unter 7 bis 18 Jahren und ggf. bis zum 21. Lebensjahr) vom Jugendgericht untergebracht. Die Aufnahme vollzog sich folgendermaßen: “During the first two or three weeks, she got a thorough physical and psychological examination. She was then placed in a cottage, in an appropriate class in school, and she got her work assignment,
79 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 11 – 12. 80 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 12. 81 Ebd. 82 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 13a. Hervorhebung nicht im Original. 83 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 14 – 15.
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suitable to her age and abilities.”84 Das wirkte sich auch auf das äußere dieser Mädchen aus. Marie Munk „was struck by the cheerful and perfectly normal e xpressions on the faces of these girls. When I had visited similar institutions in Germany, most of the inmates had looked somewhat degenerate. How could this difference be explained? I discovered the answer in their records, although I could study a few rather superficially at that time. My first impressions were later confirmed when through my work at the school, I became more closely a cquainted with the girls and could then look up their family history and the reasons which had brought them to the school. Most of these girls were victims of broken homes and sordid home conditions. Had they been given the same opportunities for decent living and appropriate schooling, they might not have come in contact with the juvenile court. The commitments were based on grounds which we did not have in the German law. Only their chronological age, but not their mental age had been taken into consideration by the courts.”85 In den Gefängnissen von Sing Sing in New York und im Norfolk Prison (Mass.) fand Marie Munk genau das Gegenteil vor.86 5.2 Traditionelle Einrichtungen Diese Gefängnisse hatten keine Fenster und die Gefangenen waren unter ständiger Beobachtung. Eine Privatsphäre und kulturelle Kontakte nach außen gab es für die Gefangenen nicht: “They also had occasional entertainments, but the whole atmosphere was highly depressing. I wonder, how a prison which houses 2.300 inmates can have a rehabilitating effect on its inmates? It seems to me that in this type of institution, the criminal is more likely to feel that he is not an exception with his antisocial behaviour. He lives in a city with thousands of residents who are no different from himself. From many of these, he is likely to learn new methods of crime. In this type of surrounding, efforts at rehabilitation are almost doomed to failure.”87 Vortrefflicher als mit diesen Worten Munks können die Auswirkungen der Subkultur eines Gefängnisses auf die Resozialisierung der Insassen nicht beschrieben werden. Munk wanderte auf Alexis de Tocquevilles Spuren.88
84 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 15. 85 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 16. 86 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 13a. 87 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 14. Hervorhebung nicht im Original. 88 André Jardin, Alexis de Tocqueville. Leben und Werk, Darmstadt 1991, S. 159 – 165.
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5.3 Ende der ersten USA-Reise und Vorbereitung eines Forschungsaufenthalts An die wissenschaftlichen Anregungen während ihres Aufenthalts und an die Begegnungen im Sophia Smith College Club in New York 89 dachte Marie Munk gern zurück. Ihre erste USA-Reise endete mit einer wertvollen Erinnerung: “I found in my cabin numerous farewell greetings from the American girls whom I had met in the past months. I also took with me a beautiful leather-bound scrapbook with which the club of New Castle, Pennsylvania, had presented me when I was there and in which they had pasted many clippings about my lectures and interviews which they collected faithfully.”90 Dieses Scrapbook 91 blieb nicht ohne Wirkung auf Marie Munk: “I was now looking forward to my return to the USA which was no longer a strange and far- away country to me.”92 Marie Munk war sich aber auch darüber bewusst geworden, welche beruflichen Möglichkeiten sie in der amerikanischen Gesellschaft hatte und welche sie nicht hatte: “It goes to show that those who have somewhat unusual abilities are not easily absorbed in the American culture. This holds also true for those who, like myself, have an unusual background which cannot be compared with that in the USA. I realized from the beginning that my training and experience in the German law, and even in that of some other countries, would be of little value to me here, unless I could perhaps find a position in a law office which dealt with German and international cases. I reasoned that I would perhaps have better opportunities in the field of social work, particularly in problems of delinquency.”93 Ihr Wunsch nach einer beruflichen Tätigkeit erforderte ein wirtschaftliches Auskommen: “All the time I was trying to explore the possibilities for my being of service after my return to the USA as an immigrant. I knew that I would not be able to get an immigration visa unless I had a sponsor who would be willing to give me an affidavit, or some work assurance.”94 Die New York Training School for Girls bot ihr einen Neuanfang: “The visit at this school crystallized my plan to do some research on the 89 Schreiben Mrs. Parsons, Sophia Smith College Club of New York vom 24. November 1933, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 90 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 18. 91 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 92 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 18. 93 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 3 – 4. 94 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 11.
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problem of juvenile delinquency and its treatments in the USA, in which I could use for comparison my knowledge of and experience with the German system. When I explained this project to the Superintendent, Mrs. French Morse, she was interested in it and offered me room and board at the school while I was working at this project. She gave me a letter to this effect which I later submitted to the American Consulate in Berlin, together with the similar letter of Miss Mahon, the Superintendent of the Clinton State Reformatory for Women, N. J., and a letter from Mr. Cass, the Executive Director of the National Prison Association in New York. It was on the basis of these letters that I later received my visa to the USA without any difficulty.”95 Mit diesen Offerten der Clinton Farms, des Commonwealth of Massachusetts, Department of Correction Reformatory for Women, und der New York Training School for Girls, N. Y.96, reiste Marie Munk im Dezember 1933 zurück nach Deutschland 97, um einen weiteren Aufenthalt in den USA vorzubereiten.98 Was bereitete Marie Munk vor? Munk floh aus Deutschland – wovor? Es sei an dieser Stelle versucht, es mit den Worten Erich Fromms zu sagen: Sie floh vor einer „Hierarchie, in der jedermann jemand über sich hatte, dem er sich unterwerfen mußte, und jemand unter sich, den er seine Macht fühlen lassen konnte. Der Mann aber an der Spitze, der Führer, hatte über sich als Macht, der er sich unterwarf: Schicksal, Geschichte, Natur. Genau das ist es. Es ist die totale Unfreiheit und Abdankung aller, der Führer wie der Geführten.“99 Im Kontext des werkbiografischen Verlaufs im Leben Marie Munks ist mit diesen Worten gleichwohl noch nicht alles gesagt.
6. Schlussbetrachtung: Exil, Emigration oder Migration? Die Entscheidung Marie Munks für ihren USA-Aufenthalt zu verorten, ist schwierig: Exil, Emigration oder Migration? Marie Munk, so viel steht fest, wurde mit ihrer Versetzung in den Ruhestand aus ihrem Beruf entfernt und ihr rechtspoli tisches Wirken wurde unterbunden, indem die deutsche Frauenbewegung sich auflöste und die Arbeit des Deutschen Juristinnenvereins zum Erliegen kam. Das 95 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 17. 96 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 7. 97 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 17. 98 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 18. 99 Erich Fromm: Die Furcht vor der Freiheit, in: Stephan Hermlin und Hans Mayer, Ansichten über einige neue Schriftsteller und Bücher, Wiesbaden 1947, S. 51 – 55, S. 55.
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hat Marie Munk wirtschaftlich in Deutschland entwurzelt und ihr den Boden für ihren rechtspolitischen und gesellschaftlichen Einfluss entzogen. Mit ähnlichen Umschreibungen begründete Marie Munk 20 Jahre s päter ihre „Auswanderung“ in die USA gegenüber den Wiedergutmachungsbehörden. Sie empfand sich aus Deutschland nicht verbannt und auch nicht als ausgewiesen.100 Wie vielen Deutschen jüdischer Herkunft war Marie Munk, ausweislich ihres Entschlusses „Ich wollte mir eine neue Arbeit aufbauen“, die Tatsache nicht präsent, dass die Endlösung der Judenfrage durch Hitler in deutschen oder in von Deutschland okkupierten Regio nen geplant und umgesetzt wurde. Diesem Todeswirken konträr wäre ein Exil der jüdischen Bevölkerung verlaufen. Deshalb gilt es, für Marie Munk folgende Aspekte hervorzuheben: Erstens entschied sich Munk für den USA-Aufenthalt schon einige Zeit bevor sie ihren Beruf nicht mehr ausüben konnte. Zweitens beantragte sie ihre Beurlaubung, bevor sie in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde. Drittens offenbarte Marie Munk, dass die rechtspolitische Übernahme der deutschen Frauenbewegung und des Deutschen Juristinnenvereins von langer Hand durch die Nationalsozialisten vorbereitet worden war. Viertens pflegte Marie Munk bereits vor ihrer Versetzung in den Ruhestand trans nationale Interessen, sonst wäre sie von den Amerikanern nicht eingeladen worden. Ihre beruflichen Möglichkeiten waren nach ihrer Versetzung in den Ruhestand in Deutschland erschöpft. Das erkannte Marie Munk zeitig. Das geht aus den Dokumenten vor der deutschen Wiedergutmachungsbehörde vom 8. Mai 1956101 und ihren späteren Verlautbarungen hervor.102 Munk verließ Deutschland, weil für sie beruflich „keine Moeglichkeiten mehr“103 bestanden. Sie war sich bei ihrem Aufenthalt im Jahre 1933 gewiss, dass sie in Deutschland „wirtschaftlichem und sozialem Boykott ausgesetzt sein wuerde“104. Ihr Anliegen war „eine neue Arbeit aufbauen, und die Moeglichkeit dafuer“ zu „erkunden. […] Durch die Besichtigung dieser Anstalten kam ich auf den Gedanken, eine wissenschaftlich vergleichende Arbeit ueber sex delicts of women and children hier zu machen, und jeweils Material dafuer in den Anstalten zu sammeln.“105 100 „Ich wollte mir eine neue Arbeit aufbauen.“ In: Eidesstattliche Versicherung vom 15. Februar 1954. „Auswanderung“, in: Eidesstattliche Versicherung vom 20. Mai 1952, in: Entschädigungsakte Marie Munk, Nr. 60798, Bl. M 7 und Bl. 1g. 101 LAB B Rep. 025 – 07 Nr. 1475/55 Entschädigungsakte Marie Munk, Zeugenvernehmung von Marie Munk vor der Wiedergutmachungsbehörde Berlin am 8. Mai 1956, Bl. 5 – 6, Bl. 5. 102 So in dem Ankündigungstext zur Marie-Munk-Plakette, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3553. 103 Eidesstattliche Versicherung vom 13. Februar 1954, in: Entschädigungsakte Marie Munk, Nr. 60798, Bl. D 1a–1h, Bl. 1g–1h. 104 Ebd. 105 Ebd.
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Diese Zeugenaussage Marie Munks vor der Wiedergutmachungsbehörde könnte deutlicher Beweis dafür sein, dass sie z wischen Exil und Emigration schied. Die Exilforschung macht einen Unterschied z wischen der Diskursunterdrückung (Exil) und der Diskursverweigerung (Emigration) in der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung.106 Für die ersten Monate nach der Machtergreifung sind bereits exilartige und emigrationsartige Phänomene in Deutschland zu beobachten, ohne dass es der Ausreise der Betroffenen bedurfte. Auf der einen Seite unterdrückten die nationalsozialistischen Machthaber den weiteren rechtspolitischen Diskurs, indem sie die deutsche Frauenbewegung übernahmen oder ihre Vereine auflösten und die ersten deutschen Juristinnen aus der juristischen Profession entfernten. Zum anderen verweigerten sich die couragierten ersten deutschen Juristinnen der nationalsozialistischen Machtübernahme und damit einem weiteren rechtspolitischen Diskurs mit der Diktatur, indem sich der Bund Deutscher Frauenvereine und damit die in ihm beheimateten rechtspolitisch so wichtigen Rechtskommissionen selbst auflösten. Allerdings darf für den weiteren biografischen Verlauf des Lebens von Marie Munk nicht außer Acht gelassen werden, dass in der neuesten Forschungsliteratur die Begriffe Migration, Emigration und Exil unterschiedslos in einem Atemzug genannt werden, insbesondere im Kontext der sozialen und wirtschaftlichen Situa tion jüdischer Intellektueller zu Beginn des Dritten Reiches gerade wegen ihrer transnationalen Kontakte.107 Diese wissenschaftliche Praxis ist in dem hybriden biografischen Verlauf einer neuen sozialen Verortung der flüchtenden Mitbürger jüdischer Herkunft in ein ihnen unbekanntes Land und in einer ihnen unbekannten Kultur begründet. In den biografischen Quellen spiegeln sich sowohl Erfahrungen radikaler Individuationsprozesse als auch Erfahrungen der Designa tion mithilfe individueller Kulturtechniken, allen voran der Sprache, des Körpers und des Verhaltens, wider.108 Ein Blick in die autobiografischen Quellen Marie Munks offenbart: Das Jahr 1934 in den USA sollte nicht Marie Munks Exil werden, wie die Sekundärliteratur glaubt feststellen zu müssen.109 Während sich viele Deutschland verlassende jüdische Mitbürger mit dem Erlebnis des beruflichen 106 Theo Stammen, Exil und Emigration – Versuch einer Theoretisierung, in: Gesellschaft für Exilforschung (Hg.), Fluchtpunkte des Exils und andere Themen, Band 5, München 1987, S. 11 – 27, S. 11, 13, 14, 27. 107 Patrick Farges, „I’m a hybrid“ (W. Glaser) Hybriditäten und Akkulturation am Beispiel deutschsprachiger Exilanten in Kanada, in: Claus-Dieter Krohn und Lutz Winckler, Gesellschaft für Exilforschung (Hg.), Exil, Entwurzelung, Hybridität, München 2009, S. 40 – 58, S. 40. 108 Ebd., S. 52 – 56. 1 09 So aber korrekturbedürftig, da weder auf Quellen noch dem Wortsinn nach noch auf die Theoriebildung eingegangen wird, in: Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon, S. 275.
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und sozialen Ausschlusses von Deutschland entfremdeten bzw. schmerzhaft entfremden mussten, knüpfte Marie Munk an die Einladung der Amerikaner an und suchte in den Vereinigten Staaten nach ihrem beruflichen Neubeginn. Mit dieser Entscheidung wandelte Marie Munk ihre kulturelle personale Identität um, von einem diktatorischen Objekt hin zu einem selbstbestimmten Subjekt. Marie Munk identifizierte sich im Jahre 1934 im Sinne einer between- culture-personality: “On my present arrival in 1934, I had not been sure if I would not want to go back to Germany, I was then hoping that the National Socialist regime would not last very long and that the German people would mend their ways. There were after all many, including my friends, who did not believe in new ideas. I was steeped in European culture, and I loved Germany. I was not sure if I could shift my loyalty to the USA.”110 Diese Worte Marie Munks belegen den längst überfälligen neuen Ansatz in der Migrationsforschung.111 Marie Munk entfremdete und verabschiedete sich zu einem späteren Zeitpunkt und während anderer Ereignisse von Deutschland.112
III. Die New York State Training School for Girls (10. Mai–Dez. 1934) Marie Munk hatte sich dazu entschlossen, ihrer Heimat Deutschland im Dienste der Forschung vorerst den Rücken zu kehren. Die erste Chance, ihrem „special interest, the laws of domestic relations but also for criminology and juvenile delinquency”113 nachzugehen, erhielt Marie Munk an der New York State Training School for Girls. An dieser Stelle ist es für den Leser wichtig, sich das damalige amerikanische System der Strafbewährung und der bedingten Haftentlassung zum Schutz Jugendlicher genauer vor Augen zu führen. Marie Munk gab hierzu in einem unveröffentlichten Manuskript Einblicke.114 110 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 2. 111 Bettina Büchler und Marina Richter, Migration – Geschlecht – Raum, in: Sybille Bauriedl, Michaela Schier und Anke Strüver (Hg.), Geschlechterverhältnisse, Raumstrukturen, Ortsbeziehungen. Erkundungen von Vielfalt und Differenz im spatial turn, Münster 2010, S. 100 – 120, vgl. insbesondere S. 100, 103 – 105, 107 – 113. 112 4. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 7. 113 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel II First Impressions as an Immigrant, S. 14. 114 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 5 und LAB Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538 und 3539.
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1. Schutz von Jugendlichen: Das Probation- und Parole-System in Amerika Probation bedeutet die Strafaussetzung zur Bewährung, während mit Parole die bedingte Haftentlassung gemeint ist. Der Schutz von Jugendlichen nach diesem System hatte ein jugendgerichtliches Verfahren zur Voraussetzung. Für ein jugend gerichtliches Verfahren mussten die Mädchen das 21. Lebensjahr erreicht haben. Sie durften nicht wegen eines Verbrechens durch das Schwurgericht verurteilt worden sein. In den meisten Fällen waren sie nach einer anderen strafbaren Handlung oder wegen Obdachlosigkeit aufgegriffen worden. Ob das Mädchen dann zu seinen Eltern in die häuslichen Verhältnisse zurückgebracht werden konnte, weil dies seiner weiteren persönlichen Entwicklung dien lich war, wurde auf der Grundlage eines Berichts des „probation officers“ in einer nicht öffentlichen Gerichtsverhandlung vor dem Jugendgericht entschieden. Hierzu wurden die Eltern geladen. Erst zu d iesem Zeitpunkt lernte der Richter den Fall kennen, weil im amerikanischen Gerichtsverfahren ein vorheriges Aktenstudium, wie es in Deutschland üblich ist, nicht praktiziert wird. Nach Anhörung der Eltern, des Mädchens, weiterer Zeugen, des Sozialarbeiters, eines Psychologen oder Psychiaters wurden dem Mädchen zwei Möglichkeiten eröffnet, wenn es das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Entweder erhielt es eine Bewährungszeit, in der es sich unter der Kontrolle eines „probation officers“ befand und während derer das Mädchen strenge Verhaltensregeln zu beachten hatte. Oder das Mädchen wurde sofort in eine Erziehungsanstalt eingewiesen. Mit der Einweisung erhielt das Mädchen den rechtlichen Status eines staatlichen Mündels. Die Unterbringung erfolgte ohne zeitliche Begrenzung, jedoch längstens bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres. Diese Unterbringung konnte auch erfolgen, wenn Mädchen zwar nach Hause auf Bewährung entlassen, jedoch nach einem Verhaltensverstoß während der Bewährungszeit auf der Grundlage des prognostischen Berichts des „probation officers“ und nach erneuter gerichtlicher Verhandlung eingewiesen werden mussten. Bei den Anstaltsprüfungsterminen vor dem „Parole Board“ (Komitee der Wohlfahrtspflege) wurde über eine bewährungsbedingte Entlassung des Mädchens befunden. Diese Prüfungstermine fanden einmal jährlich statt. Ihre Grundlage waren die Berichte der Erziehungsanstalt über das Verhalten des Mädchens und ihre Sozialanamnese. Nach der Entlassung gab es nur an gut geführten Erziehungsanstalten „Parole and After Care Departments“. Diese Dienststellen sorgten für eine Unterkunft und eine Arbeit nach der Entlassung und betreuten die Mädchen auch noch während der weiteren Bewährungszeit. Die Berichtspflicht an die Erziehungsanstalt durch den „probation officer“ wurde während dieser Zeit nicht aufgehoben. Ein Verstoß gegen die Bewährungsauflagen brachte die Mädchen augenblicklich wieder zurück in die Erziehungsanstalt.
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Mit Vollendung des 21. Lebensjahres wurden die Mädchen grundsätzlich entlassen, auch wenn eine Verhaltensbesserung nicht erwartet werden konnte. Eine im Anschluss an eine Entlassung begangene Straftat hatte eine Unterbringung in einer Strafanstalt für Erwachsene zur Folge. Für ihre Forschungen über die Wiedereingliederung straffällig gewordener Mädchen nutzte Marie Munk eine berufliche Tätigkeit als Hausmutter in der New York State Training School for Girls, Hudson, N. Y.
2. Die Fürsorgeerziehungsanstalt für Mädchen des Staates New York: „New York Training School for Girls” Diese dem Wohlfahrtsministerium unterstehende Erziehungsanstalt hatte einen anderen Geist als die übrigen Erziehungsanstalten. Das hob Marie Munk in ihren autobiografischen Erinnerungen 115 und in ihren unveröffentlichten Manuskripten 116 deutlich hervor. Das sogenannte Miteinander-Leben zeigte sich bereits bei der Aufnahme eines neuankommenden Mädchens. Das Mädchen wurde nicht durch die Leitung der Training School einem Cottage zugewiesen, sondern zunächst in dem sogenannten „Receiving Cottage“ untergebracht. Nach einer fürsorglichen Aufnahme, medizinischen und psychologischen Untersuchungen, wurde durch andere Mädchen der Fürsorgeerziehungsanstalt ein persönlicher Kontakt zu dem bereits etablierten Cottage hergestellt. Eine neue psychologische Methode über Anziehungs- und Abstoßungsempfindungen versuchte, den Kennlernprozess mit dem Ziel der Eingliederung konstruktiv zu begleiten. Die Aufnahme des Mädchens in das Stamm-Cottage erfolgte durch eine Wahl. Wahlfamilien boten die Chance familiärer Sozialisa tion.117 Die Leitung der Training School hatte bereits erkannt, dass für Berufs- und Ausbildungsmöglichkeiten eine zweite Sozialisation Grundlage für den Erfolg der Resozialisierung war. Darüber hinaus sollten den Mädchen „Erziehungs- und Ausbildungsmöglichkeiten gegeben“ werden, die ihnen bisher nicht in ihrem
115 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls. 116 Marie Munk, Die Fürsorgeerziehungsanstalt für Mädchen des Staates New York (New York Training School for Girls in Hudson, N. Y.), p. 1 – 7; Marie Munk, Berufs-, Ausbildung- und Erziehungsmethoden der Fürsorgeerziehungsanstalt des Staates New York (New York State Training School for Girls in Hudson, N. Y.), p. 1 – 16, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 5. 117 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 5.
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Leben geboten worden waren.118 Es verbanden sich Erziehung und Bildung mit Selbstverwaltung. In jedem Cottage wurde eine Präsidentin, eine Vizepräsidentin und eine Schriftführerin gewählt und über aktuelle Fragen des Zusammen lebens demokratisch entschieden. Der Kontakt zur Familie und zu Freunden war nicht verboten. Deshalb konnte jedoch gerade dieser Kontakt die pädagogischen Erfolge auf unterschiedliche Weise ins Stocken bringen: “Once a month, we had visiting Sunday on which the families could visit the girls. They usually brought a picnic lunch with them which they had outside on the lawn. After these visits, the girls were often quite disturbed. They had become homesick; others felt neglected because they did not have any visitors.”119 Diesen emotionalen Verstörungen wurde mit Bildungsangeboten gegengesteuert. Der schulische Unterricht enthielt eine berufsvorbildende Unterweisung in kaufmännischen und sozialen Themen. Bereits die anstaltseigene Selbstversorgung in der Landwirtschaft, der Gärtnerei und in den häuslichen Pflichtaufgaben der Mädchen hatte nicht nur erzieherischen und sozialen Charakter, sondern einen konkreten beruflichen Bezug. Dieser war äußerst wichtig für die Zeit nach der Entlassung des Mädchens. Das Ausbildungsangebot umfasste 16 Hauptgruppen von Berufen, die in mehrere Untergruppen zerfielen, sodass jedes Mädchen die Wahl zwischen 30 Berufen hatte. Übungsfirmen stellten einen realistischen Betriebsablauf nach und dienten zugleich der Selbstverwaltung. Hier wurden Mädchen mit kaufmännischen und organisatorischen Aufgaben unentgeltlich beschäftigt. Die Mädchen, die ihre Zeit der Bewährung erfolgreich absolviert hatten, sahen dem „graduation day“ entgegen. Dies war der Tag, an dem die Mädchen ihre berufliche Anlerntätigkeit oder eine berufliche Ausbildung abschlossen und das Diplom erhielten. Der Bewährungshelfer erstattete seinen Bericht darüber, „where and how the girl would be employed“120. Obwohl alle Mädchen aus sozial verwahrlosten, mittellosen, bildungsfernen Migrantenfamilien stammten, sei es „erstaunlich“, so Munk, „wie sich der Ausdruck, die gesamte Haltung der Mädchen in kurzer Zeit in Hudson verändert. Wer die Mädchen dort sieht und ihr Leben zuvor kennt, wird den Einfluss, den die Umwelt auf den Menschen ausübt, kaum mehr leugnen können“, hob Marie Munk in ihrem Bericht 121 hervor. Kein Wunder, dass im Vergleich zur Behandlung straffällig gewordener Mädchen im Deutschland des Nationalsozialismus und der 118 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 5. 119 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 6. 120 Ebd. 121 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 5.
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Weimarer Zeit die Methoden in der New York Training School for Girls Marie Munk ein interessantes Forschungsfeld boten. In dieser Einrichtung waren 500 Mädchen nach Hautfarbe getrennt in 16 Cottages untergebracht.122
3. Marie Munks wissenschaftliche Tätigkeit als Hausmutter Marie Munk begann ihre Forschung am 10. Mai 1934 mit einer Anstellung als “Assistant House Mother.”123 Sie war verantwortlich für 18 Mädchen.124 Hierfür erhielt sie „a room and board and a small salary”125. Die 60 Dollar Taschengeld 126 enttäuschten Munk nicht, denn zuvorderst verfolgte sie andere Interessen: “While working in this capacity, I would get to know the girls, and I could study their records, a prerequisite for my research project.”127 Die soziale Herkunft der Mädchen erinnerte Marie Munk an die Arbeit in den Mädchengruppen für Soziale Arbeit in Berlin. Soziale Herkunft – eine soziale Bedingung und s oziale Symptomatik, gegen die niemand etwas auszurichten vermag. Der Untersuchung der Ursachen dieser Problematik kam Marie Munk in der New York Training School for Girls näher – ein originäres Anliegen aus ihrer Berufserfahrung in den Sozialen Hilfsgruppen bei Alice Salomon: „to relieve not the symptoms of distress, but the causes“. 3.1 Die Sozialisation der Mädchen Die soziale Entwurzelung der Mädchen führte Marie Munk auf eine Identitätskrise der Eltern zurück: “By studying the records, I discovered that many of our girls were second generation Americans. They were born in this country; but their parents were poor immigrants. They had come from European countries and were hardly able to speak the English language. Their children looked down on them because of their inability 122 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 3. 123 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel II First Impressions as an Immigrant, S. 13. 124 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 1. 125 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel II First Impressions as an Immigrant, S. 13. 126 Eidesstattliche Versicherung Munks vom 21. Februar 1958, in: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 90 – E 93, Bl. E 90. 127 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel II First Impressions as an Immigrant, S. 13. Hervorhebung nicht im Original.
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to master the English language and because of their foreign ways. The parents were either too lenient or too strict in disciplining their children who in turn disobeyed them because they felt that the parents did not understand the American way of life. The parents then went to the court with the complaint that the child was ‘incorrigible and out of control of her parents’. This was true because the girl had often run away from home, or stayed out overnight. The court then found the girl a ‘delinquent’ and sent her to our school for adjustment. Almost all the records gave an appalling story of disintegrated family life and sordid homes. Quite often not only the father, but also the mother, had been living in concubinate. We had girls whose older brothers and sisters had been sent to similar institutions for more serious misconducts. Quite often the girl had been sent from one foster home to another, and had run away because she had felt unhappy. Others had become truants either because they had been unable to keep up with the school requirements when the parents moved from one place to another and she had to change schools frequently, or because of low intelligence or because they were kept out of school during the year to help berry-picking, etc. Some girls had engaged in petty thieving because they wanted to have a few nice things their parents could not afford, or, as one 8 year old girl put it in her remark to the social worker with unusual insight: ‘I guess what I really wanted was love; but you can’t buy that.’”128 Der Hunger nach Liebe – Wunschtraum der jungen Mädchen, Abbild ihrer physischen und psychosozialen Situation: “Many of the girls in my cottage were diseased and needed constant treatment. In the hospital on the grounds, we had quite a few fourteen year old girls who had given birth to a baby. When I looked up the records of these girls, I found out that some of them had been seduced by an older man, others by classmates. What was amazing to me was that girls of twelve years and younger had engaged in sex relationships and that they had become pregnant at a very early age. Evidently, American girls mature much more early than do Germans; probably because of the racial mixture and the warmer climate. Although I am generally in favour of co-education, the study of these records pointed out to me the dangers which are involved when teenagers are allowed to stay out late at night without adequate supervision. The automobile is another grave danger for our young people. Added to this must be the emphasis on sex and dating at an early age.”129 Angesichts dieser Situation der Mädchen stellte sich Marie Munk in einem deutsch-amerikanischen Vergleich folgende Fragen: 128 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 9 – 10. 129 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 3 – 4.
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“But could the stigma which is attached to such a sentence, regardless of how good the school is, not have been prevented, had the girl been placed in a foster home in which foster parents and child had been properly matched? Do we have sufficient schools on the outside in which class instruction is properly combined with work assignments as was done in our school? I fully realize that it is far more difficult to find the right type of foster home in the USA than it was in Germany which has a congenial population. Here a child must not only be placed in a home of his religious faith, but also with parents who understand the child’s racial or nationality background. A girl of Greek or Italian extraction may not adjust well with foster parents of Irish background who speak an Irish brogue. A good parentage of our girls was not so much ‘delinquent’ as ‘neglected’ children. Although the juvenile code was correctly applied to them.”130 Durch ein selbst entworfenes Bildungsangebot ging Marie Munk ihren Überlegungen nach. 3.2 Die Bildung der Mädchen Der Superintendent, Mrs. French Morse, gestattete Marie Munk, den Mädchen Freizeitaktivitäten anzubieten.131 Marie Munk unterhielt einen „reading and spelling club and a group for the discussion of current events “132. Anhand d ieses Angebots fand Marie Munk heraus, dass viele der Mädchen über die Alltagssprache hinaus nicht in der Lage waren, schwierige Wörter zu lesen oder zu buchstabieren. In den Leseübungen konzentrierten sie sich so stark auf das Lesen, dass sich ihnen der Inhalt des Textes nicht erschloss. Dennoch: “The girls liked the incentive which they got through the club.”133 Marie Munk meinte hierfür die Gründe erkennen zu können: “I find the striking fact that many of the ‘students’ were feeble-minded and unable to make
use of the educational facilities. Only occasionally was the school able to transfer any of these girls to an institution for the feeble-minded. The reason given was that these institutions were
overcrowded. Not only do we waste our resources in this manner, but we often disrupt the life 134
of a family by not placing a feeble-minded child in a proper home.”
130 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 11. 131 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 7. 132 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 8. 133 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 8. 134 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 14.
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3.3 Die Forschungsergebnisse Marie Munks Über ihre Lern- und Arbeitsangebote fertigte sie in den Monaten November und Dezember 1934 mehrseitige Aufzeichnungen an.135 Marie Munk stellte fest, wie schnell „the attitude and appearance of the girl changed after she had been in our school for only a short while. A girl who had never got her meals at a well-set table acquired good table manners and could even act as a hostess at a reception. The change was best expressed by a judge before whom a girl whom he had sent to us only a few months earlier and who now appeared before him as a witness. He said: ‘Mrs. Morse has wrought miracles. I would not have recognized this little well groomed lady as being the same bedraggled girl who was before me a few weeks ago.’”136 Deshalb zog Marie Munk folgendes Fazit: “Since I have been talking about the school at some length, and since my original impression had been that many of our girls did not represent the delinquent type, and need not have been sentenced by the Juvenile Court to our school, it is only fair to say that I had been in error in several respects.”137 Marie Munk „made extensive excerpts from the records“, aber sie hatte nicht die Möglichkeit, ihre Statistik ausführlich auszuwerten, „or to make a follow-up study.“138 Obgleich unvollkommen, gelangten ihre Aufzeichnungen 23 Jahre später auf Max Rheinsteins Schreibtisch und er schrieb: “The material which you collected […] in the State Training School seems to be extremely interesting and I am very grate ful to your offer to let me use it”, und bot Munk an, ihre familiensoziologischen Anamnesen (Records) auch in eine maschinenschriftliche Fassung zu bringen.139 Marie Munk hatte sich mit ihrer Arbeit und ihren Studien in der New York Training School for Girls theoretisch und praktisch einer zur damaligen Zeit spezifisch amerikanischen Sozialproblematik angenommen.
135 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 5. 136 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 13. 137 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 9. 138 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 9. 139 Schreiben von Max Rheinstein an Marie Munk, March 14, 1957, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9.
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4. Ergänzende Schlussbetrachtung Mit ihren familiensoziologischen Anamnesen (Records) über die Sozialisation von Immigranten der zweiten Generation, die sie statistisch zu theoretischen Erkenntnissen zusammen führte, knüpfte Marie Munk an Alice Salomon und deren Akademie für s oziale und pädagogische Arbeit (1925) in Deutschland sowie an die dort von Alix Westerkamp verfassten Untersuchungen zur Familie in der Gesellschaft an. Allerdings gab es einen wesentlichen Unterschied. Es war nicht der analysierende Blick auf die Probleme der anvertrauten Mädchen von außen, sondern Marie Munk lebte mit ihrem Forschungsgegenstand, den jungen asozialen Mädchen, zusammen. So forschte sie in einer anderen sozialreformerischen Tradition: der amerikanischen Settlement-Bewegung. Diese war aus der englischen Settlement-Bewegung geboren worden. 4.1 Die amerikanische Settlement-Bewegung im Vergleich zu ihrer englischen Tradition In England rekrutierten der Pfarrer Samuel Barnett und seine Ehefrau Henriette in London Universitätsstudenten, damit diese in den Arbeitervierteln lebten. Unter der damaligen, streng getrennten englischen Klassengesellschaft und den sozialen, hygienischen und kulturellen Verhältnissen ein wahrhaft revolutionäres Experiment.140 Es war dazu gedacht, in einer zu gründenden Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern 141 das Selbsthilfepotenzial der von der Industrialisierung sozial Betroffenen zu fördern.142 Im Verlauf d ieses sozialen Experiments wurden Interessenten aus der gesellschaftlichen Oberschicht gewonnen. Es kam nicht nur zu Nachbarschaftshilfe, sondern es wurden Genossenschaften, Wohlfahrts- und Rechtsschutzvereine gegründet, Arbeiterwohnheime und Bildungsangebote 143 für die Arbeiterschicht 140 Mit der Folge, dass nur – aber immerhin – (unter Berücksichtigung der damaligen Zeit) ein Drittel der 18 Settlements in direkter Verbindung mit den Universitäten und Colleges standen. In: Werner Picht, Toynbee Hall und die englische Settlement-Bewegung. Ein Beitrag zur Geschichte der sozialen Bewegung in England, in: Edgar Jaffé, Werner Sombart und Max Weber (Hg.), Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Ergänzungsheft IX, Tübingen 1913, S. 85 – 86. 141 Es lebten 400 Settlement-Bewohner mit 1500 Helfern. Von den Settlements wurden 21 allein von Frauen, 16 allein von Männern und nur 5 von beiden Geschlechtern bewohnt. In: Werner Picht, Toynbee Hall und die englische Settlement-Bewegung. Ein Beitrag zur Geschichte der sozialen Bewegung in England, in: Edgar Jaffé, Werner Sombart und Max Weber (Hg.), Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Ergänzungsheft IX, Tübingen 1913, S. 85 – 86. 142 Ebd., S. 71 – 82, S. 79. 143 Ebd., S. 97 – 110.
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etabliert (Toynbee Hall).144 Die amerikanische Settlement-Bewegung vertrat ebenfalls die These, dass die Industrialisierung bei vielen Menschen einen deutlichen Mangel an Primärerfahrung verursacht und die sozialen und zwischenmensch lichen Beziehungen empfindlich und nachhaltig gestört habe.145 Allerdings teilte sie eine humanistische und antimaterialistische Lebenshaltung nicht.146 Denn diese Lebenshaltung – ein Gegenpol zu den Industrialisierungsfolgen – schränkte genau betrachtet die englische Tradition auf die Privatsphäre ihrer Akteure ein.147 Die amerikanische s oziale Bewegung aber, allen voran Jane Addams als ihre Führerin und Begründerin des Hull House in Chicago, strebte die s oziale Integration ihrer Klientel (Immigranten) in den industriellen Wandel unter demokratischen Bedingungen an.148 Dies war nicht nur damals ein wichtiger Ansatz. Er ist unter Bezug auf Max Webers Sicht über die negativen Industrialisierungsfolgen erst in den 1950er-Jahren mit dem Begriff „gemeinschaft grouse“ versehen worden. Dieser Begriff ist als wichtige politische Bedingung (democratic value) in demokratischen Gesellschaften als „democratic loyality“ nicht nur von Bürgern, sondern auch von Minderheiten in der Gesellschaft erkannt worden.149 Die Gründung von Gewerkschaften, insbesondere der ersten amerikanischen weiblichen Gewerkschaften überhaupt (Chicago Women’s Trade Union) und der aktive Kampf um das Stimm- und Wahlrecht der Frauen waren hierzu entscheidende Signale, die von Jane Addams ausgingen. Sie begründete in der amerikanischen Settlement-Bewegung auch eine sozialwissenschaft liche Forschung. In ihren Anfängen verfolgte sie sozialwissenschaftliche Analysen, die eine Verknüpfung von sozialer Herkunft, Wohnverhältnissen, Bildung, Familienverhältnissen, Staatsangehörigkeit und/oder ethnischer Herkunft sowie städtischer 144 Ebd., S. 71 – 82. 145 Robert Archy Woods und Albert Joseph Kennedy, Settlement Horizon: A National Estimate, New York 1922, S. 17 – 29, 30 – 39. 146 Cathy Eberhart, Jane Addams (1860 – 1935), Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Reformpolitik, Bremen 2009, S. 63. 147 „Und in der Tat kann man in Settlement-Kreisen heute die Meinung aussprechen hören, nicht nur der einzige wirksame, sondern der einzig erlaubte Weg, den Armen zu helfen, sei der poli tische, und jedes impulsive Eingreifen im Einzelfall sei nur schädlich.“ Die Settlement-Bewegung „beruht auf dem Irrtum, daß eine Schar wohlmeinender Gebildeter ohne weiteres den Armen Nachbar sein könne.“ In: Werner Picht, Toynbee Hall und die englische Settlement-Bewegung. Ein Beitrag zur Geschichte der sozialen Bewegung in England, in: Edgar Jaffé, Werner Sombart und Max Weber (Hg.), Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Ergänzungsheft IX, Tübingen 1913, S. 115 und 118. Hervorhebung nicht im Original. 148 Cathy Eberhart, Jane Addams, S. 64. 149 Morton Grodzins, The Loyal and the Disloyal. Social Boundaries of Patriotism and Treason, Chicago 1956, p. 238 – 258.
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Ansiedlung herstellten. Hierbei orientierte sie sich an Charles Booth (London).150 Jane Addams stellte in ihrer Arbeit diese urbanen, sozioökonomischen und sozialpsychologischen Bezüge für eine sich an der University of Chicago neu gründende wissenschaftliche Soziologie her. Im Juni 1895 stellte Jane Addams fest: „Bei der Erforschung der Gesellschaft, wir nennen dies die Soziologie, kommt die Settlement-Methode zusehends als neues wissenschaftliches Verfahren in Mode.“151 Hierzu bot sich gerade die Stadt Chicago als breites Forschungsfeld an. In einer der größten Städte der USA, in der verschiedene soziale Klassen unterschied lichster staatlicher und ethnischer Herkunft sesshaft wurden, entwickelte Jane Addams mit ihren „Maps and Papers“152 die noch neue sozialwissenschaftliche Forschung weiter. Sie bereicherte diese Forschung um den Kristallisationspunkt der Rolle der Frau, indem sie Frauen besonders ins Blickfeld nahm: “HHM&P 153 can legitimately be classified as the product of women social scientists. Women rather than men designed and directed the project and wrote all but two of the essays included in the volume. Addams argued forcefully for a social science different from the model that was emerging in university settings. She and her colleagues, most of whom were women, envisioned social science knowledge as coming from civic participation across class, race, and ethnic divisions; systematic collection of data was to be rigorous and based on information that came from direct engagement with the subject. An important condition for developing social knowledge was openness to learning about the needs and circumstances of actual people. Addams 150 Charles Booth (von Haus aus Reeder aus Liverpool) war einer der ersten Ökonomen, die mittels der Erforschung des Wirtschafts- und Erwerbslebens und der sozialen Umstände „dem Sozialreformer ein festes Fundament zu seinem Bau“ schaffen wollte. „Es sollte jenem durch rückhaltloses Aufdecken aller socialen Mißstände und Schäden der Weg zu verständigen Reformen vorgezeichnet und ein Abirren und nutzloses Experimentieren verhindert werden.“ Seine Untersuchungen konzentrierten sich neben den Wohn-, Arbeits-, Erwerbs-, Bildungs- und Gesundheitsverhältnissen auf eine dezidierte Untersuchung nach Alter und Geschlecht. Neu war an seinen Untersuchungen, dass er der Frauenarbeit ein eigenes Kapitel widmete. In: S. Heckscher, Eine Studie über Charles Booth Werk „Life and Labour of the People in London“ (1886 – 1903), London 1902 – 1904, in: Gustav Schmoller (Hg.), Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Band 21, Leipzig 1897, S. 229 – 261, S. 229, 230, 254 – 255. 151 Dorothy Ross, Jane Addams (1860 – 1935). Häuslicher Feminismus und die Möglichkeiten der Sozialwissenschaften, in: Claudia Honegger und Theresa Wobbe, Frauen in der Soziologie, München 1998, S. 140. 152 Presidents of Hull-House (Hg.), Hull-House Maps and Papers. A Presentation of Nationa lities and Wages in a Congested District of Chicago, Together with Comments and Essays on Problems Growing Out of the Social Conditions, Universiy of Illinois Press. 2007, p. 43 – 137. 153 Hull-House Maps & Papers.
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believed, as did Florence Kelley, that women had a unique contribution to make in the field of sociology. The first generation of women professionals – Grace and Edith Abbott, Sophonisba Breckinridge, Florence Kelley, Alice Hamilton, Jane Addams and Julia C. Lathrop – did some of their most significant social research in the context of the social settlement movement. Even as they were able to command salaries in government work, as writers and lectures, and as college professors and research faculty, they found their most creative engagement in the context of the female dominion or infrastructure whose center was the social settlement.”154 4.2 Marie Munks Sozialanalysen in sozialwissenschaftlich-amerikanischer Tradition Marie Munk durchlebte gemeinsam mit den ihr anvertrauten Mädchen den Tag und die Nacht, deren Sorgen und Nöte. Ihre Arbeit und Studien knüpften an die Forschungstradition der amerikanischen Settlement-Bewegung an und sie betrieb zugleich s oziale Ursachenanalysen. Damit verband sie ihre wissenschaftliche Sinnes erfahrung (den englischen Settlementansatz) mit dem Forschungsansatz der amerikanischen Settlement-Bewegung. Von ihrer neuen Form der Empirie erhoffte Marie Munk sich positive Wirkungen in ihrem sozialpädagogischen Tun. Letztendlich für die Interessen, aber vor allem für die s oziale Weiterentwicklung der Mädchen in ihrer Stellung als Frau. Die Art wie breit und tief Marie Munk ihre Sozialanamnesen über die Mädchen anlegte, eröffnete erste Einblicke in eine kulturelle Differenz der Migranten, deren Gesundheitsstatus, ihre Sprach- und Bildungsbarrieren bis in die Großeltern und in die Verwandten der Seitenlinien hinein. Mit Blick auf eine berufliche Hilfstätigkeit oder gar Arbeitslosigkeit über einige oder gar mehrere Generationen hinweg schien die sozioökonomische Differenz der Familien im Vergleich zur übrigen amerikanischen Bevölkerung als mögliche Ursache die ehe liche Uneinigkeit der Eltern zu begünstigen und deren mögliche Wirkung auf die nachfolgende Generation, als Jugendkriminalität sichtbar werden zu lassen. Doch erst mehr als zehn Jahre s päter überführte Marie Munk diese additiven Ursachen von sozialer Ungleichheit und kultureller Differenz in eine wissenschaftliche Wechselwirkung, indem sie zu den Scheidungsursachen in ihrer Berufspraxis als Marriage Counselor forschte.
154 Rima Lunin Schultz, Introduction, in: Presidents of Hull-House (Hg.), Hull-House Maps and Papers. A Presentation of Nationalities and Wages n a Congested District of Chicago, Together with Comments and Essays on Problems Growing Out of the Social Conditions, University of Illinois Press. 2007, p. 13 – 14.
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4.3 Erste sozialwissenschaftlich-analytische Konturen Marie Munks Sie stellte fest: “I believe that these problems play a role not only in the marital break-up of the newcomers, but also in the ability for marital adjustment of their children.”155 Ihren wissenschaftlichen Ansatz konnte Marie Munk aufgrund der örtlichen Bedingungen wissenschaftlich nicht ausbauen: “Living at the New York State Training School for Girls in Hudson was very confining, and it was a dead end street unless I wanted to work in an institution of this type for the rest of my life. I also realized that I would be unable to carry out my original research project without getting a grant from one of the large research foundations.”156 Marie Munk musste auch Abschied von den Mädchen nehmen.
5. Marie Munks Abschied Trotz ihrer Sympathie für die ihr anvertrauten Mädchen blieben Marie Munk die Verhaltensweisen der Mädchen wegen ihrer eigenen (aber grundlegend anderen) sozialen Herkunft fremd: “My observations and contacts at the school were fascinating, but the work at the cottage was rather difficult for me. The girls knew, of course, that I was a newcomer. They also learned that I sometimes went to the main building to look up records. They didn’t like that. Smoking was forbidden, but they picked up cigarette butts wherever they could, and cigarettes were smuggled in by visitors. Girls who disobeyed the rules had to be detected and punished. When I had charge of the whole group the girls took advantage for me. Nor did I get along well with my immediate superior, Mrs van Slyke. After a few months, I reached the conclusion that my usefulness as assistant house-mother had come to an end.”157 Dennoch hatte Munks Arbeit einen bleibenden Eindruck bei den Mädchen hinterlassen. Ob es der preisgekrönte „Code of Morals“158 von Prof. Hutchins, dem 155 Schreiben von Marie Munk an Max Rheinstein, January 31, 1957, in: Max Rheinstein Papers, Special Research Center, University of Chicago, Il., Box 36 Folder 4. 156 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 13a. 157 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 7. 158 “Code of Morals was prepared by Prof. Hutchinson in competition for a prize of $ 5000 provided by an anonymous donor, offered through the National Institution for Moral Instruction (Washington, D. C.).” Dieser Code umschreibt Verhaltensweisen, die es dem amerikanischen Staatsbürger erlauben sollen, einen bedeutenden Beitrag für das Wohlergehen und die Wohlfahrt der Welt zu leisten. Hierzu gehören: The Law of Self-Mastery, The Law of Self-Reliance, The Law of Duty, The Law of Kindness und The Law of Loyalty, aber auch The Law of Good Workmanship sowie The Law of Team-Work. In: William J. Hutchinson, Code of Morals for Young Men and Women, Publ. by Berea College 1918.
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President of Berea College, war, mit dem Marie Munk ersuchte, den zwischenmenschlichen Umgang und das zukünftige Verhalten der Mädchen zu beeinflussen, lässt sich nur vermuten,159 betrachtet man die Dankes- und Entschuldigungsbriefe einiger Mädchen in Munks Nachlass: Evelyn L. Dudley schrieb am 1. Oktober 1934: “Miss Munk, I think you know I am ashamed. More so than same [some] of the others because I knew better and showed [should] have experienced my influence for you instead against you. I have not seen a true American in as much as I haven’t observed the great law of kindness and helplessness. Don’t judge the American girls by me. I beg you. I admire you! You are alertly! You have granted, offered your forgiveness to me – I am not yet worthily of your friendly handclap but I treasure the memory and I love you the more for it. Some day when I am older I want to meet you again and I hope to be able to do you one kindness in return for all you’ve done for me. […] As you are a German – you are a true one and I have not been even a half way good American.”160 Ohne ein Datum in ihrem Brief anzugeben, schrieb ein Mädchen mit dem Namen Lucile: “I am very sorry for the way I have treated you for the last few days. As I have told my mother I am really going to behave myself so that I can go home soon. Luck to you.”161 Winnie W. schrieb am 2. Oktober 1934 an Marie Munk: “You have always be [been] very kind to me – I want to try and see after you are established in your new quarters if I may thinking [seeing] you again. […] I hope someday I will be able to return your kindness.”162 Munks Abschied in diesen Tagen sollte nicht für immer sein. Erhalten geblieben sind Aufzeichnungen Munks über den Besuch der Lancaster School for Girls mit einer Gruppe von Mitgliedern der League of Women Voters aus dem Jahre 1947. Die Presse hatte diese Einrichtung als ein „punishment cottage“ für Mädchen bezeichnet, „where the bad actors were locked in, like so many bad apples, to keep them from spreading their badness to others.“163 159 Die Codes of Morals fanden sich in den Arbeitsunterlagen von Marie Munk aus jener Zeit. In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 5. 160 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 5. Der Wortlaut und die orthografischen Fehler der Briefverfasserin wurden belassen, um die Sozialisation der Mädchen zu verdeutlichen. 161 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 5. Der Wortlaut und die orthografischen Fehler der Briefverfasserin wurden belassen, um die Sozialisation der Mädchen zu verdeutlichen. 162 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 5. Der Wortlaut und die orthografischen Fehler der Briefverfasserin wurden belassen, um die Sozialisation der Mädchen zu verdeutlichen. 163 Woman’s Hand Lifts Girls’ School Out Of Dickens Monstrosity Class, in: Boston Sunday Herald, November 2, 1947, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 4.
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6. Die Lancaster School for Girls Der Besuch der Lancaster School war von der Schulleitung offensichtlich genauestens hergerichtet worden, sodass Marie Munk feststellte: “It is regrettable that we did not see the school in operation and that we did not have the chance to see larger groups of girls working either in the kitchen or in other activities.”164 Obgleich der umfassende Einblick in die pädagogische Arbeit fehlte, blieb Marie Munk und ihren Begleiterinnen nichts verborgen. Bereits das Aufnahmeverfahren stieß bei Marie Munk auf Kritik: “A great handicap for the efficiency of the system is the parole procedure which is handled without the cooperation of the school. The parole officer hardly sees his parolee prior to his discharge. It has always been advocated that an early contact between the parole officer and his charge is essential for the successful adjustment of the paroles to society.”165 Die Ausbildung der Mädchen war aus Sicht Marie Munks nicht ausreichend: “The average period which the girl spends in the school is only about one year. This time is, in my experience, too short to bring up lasting changes. It is also too short to give adequate vocational training to the girls who are committed to the school. The lack of training facilities is, in my opinion, one of the greatest inadequacies of the school.”166 Darüber hinaus waren die Mädchen in der Lancaster School in beengten räumlichen Verhältnissen untergebracht. Die Mädchen hatten keinen Kleiderschrank.167 Die Presse berichtete: “Yet there are not courses at the school in domestic science, child care or guidance in fulfilling family obligations, because of an inability to secure teachers.”168 Bessere Verhältnisse fand Marie Munk viele Jahre später an ihrer ehemaligen Wirkungsstätte, der New York Training School for Girls in New York, vor. Munk schilderte das Wiedersehen in einem ihrer Dear-Friend-Jahresbriefe (1959).169 164 Marie Munk, Visit to the Lancaster School for Girls Nov 4, 1947, p. 1 – 2, p. 1, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 4. 165 Marie Munk, Visit to the Lancaster School for Girls Nov 4, 1947, p. 1 – 2, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 4. 166 Marie Munk, Visit to the Lancaster School for Girls Nov 4, 1947, p. 1 – 2, p. 1, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 4. 167 Ebd. 168 Lancaster Girls Learn to Make Stylish Clothes, in: Boston Daily Globe, December 5, 1947, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 4. 169 Dear-Friend-Brief, November 1959, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 18; Entwurf d ieses Dear-Friend-Briefes,
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7. Bewertende Schlussbetrachtung In ihren autobiografischen Erinnerungen schlug Munk einen gedanklichen Bogen zur Sozialwissenschaft der Zukunft: “When I visited the New York State Training School for Girls in Hudson, N. Y., some
twenty-five years later, I noticed not only many changes in the plant set up of the school, because many new cottages had been built, and the educational facilities had been i mproved, but chiefly in the attempts at rehabilitation and re-education. Although I was able to spend only a few hours at the school, I had the privilege to attend a meeting in which the various
staff members expressed their opinions about the proper placement of an individual girl.
I was taken around by one of the special workers. This social worker was a resident staff member in one of the cottages.
She and several others counseled the girls in their emotional problems and assisted, or rather
directed, the cottage house mothers in the handling of disturbed girls. Many more staff mem-
bers were employed for fewer girls because the population was held down considerably both, by placing girls on parole in foster homes, and by establishing a new branch of the school
in Wyantskill, near Troy, N. Y. It was of particular interest to me to read in the report of Mr.
Abraham S. Novick, the Superintendent of the School, that many hobby clubs, such as crea170
tive dancing, photography and ceramics, and sewing have been arranged.”
Marie Munk hinterfragte die bisherigen Entwicklungen, indem sie die Neuerungen zur sozialen Herkunft der Mädchen in Beziehung setzte: “Are we not causing dissatisfac tion in the girls who may have to return to their own poor environment and who may never enjoy the luxuries which they have come to know in the school?”171 Mit diesen Worten sprach Marie Munk zwei Kernpunkte sozialer Arbeit an: 1. die Notwendigkeit einer Hilfe zur Selbsthilfe, 2. die Notwendigkeit, dass Ressourcen der staatlich- sozialen Hilfe so auszugestalten sind, dass sie als individuelle und soziale Umwandlungsfaktoren von den Betroffenen auch gesellschaftlich genutzt werden können. Elemente, die sich in der Arbeit von Jane Addams im Hull House in Chicago, aber auch in der Arbeit von Marie Munk als Hausmutter fanden. Marie Munk wollte durch ein geeignetes Sprachangebot ihren Mädchen eine angebotsorientierte, sprachkulturelle Teilhabe eröffnen. Über das demokratische Miteinander beginnend mit den Worten: “On my way to New York City I visited the New York Training School for Girls in Hudson”, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 2. 170 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511 und 3512, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 15 – 16. 171 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 2.
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und eine Berufsausbildung erhielten die Mädchen als Immigranten der zweiten Generation Zugang zu sozialen Normen und Rechten, ohne dass sie zugleich in eine bestimmte Richtung sozialer Anpassung gezwungen wurden. Dieser heute als „Capability“172 bezeichnete Ansatz in der sozialpolitischen Theorie wurde später von Amartya Kumar Sen, auch unter Bezug zu den Human Rights, weiterentwickelt.173 Die wissenschaftliche Theorie der „Capability“ verbindet mit der Praxis, dass beides in Gestalt einer „Form of Life“174 von Frauen an die nachfolgenden Genera tionen weitergegeben werden kann. Die Rechtsstellung der Frau erhält somit in schwierigen sozialpsychologischen und sozioökonomischen Entwicklungsphasen eine Schlüsselfunktion. Das macht den Capability-Ansatz auch für Entwicklungsländer wegweisend. Dieses „being able to“, dass sich aus den Menschenrechten speist, eröffnete bereits zu damaliger Zeit neben den sozialen Wahlmöglichkeiten für die straffällig gewordenen Mädchen Wahlmöglichkeiten für die sozialwissenschaftliche Forschung. Die Grunddaten Munks über die Herkunft und Bildung der Mädchen hätten um wissenschaftliche Maßstäbe von validen Wirkungsmessungen ergänzt werden können. Ein Forschungsansatz, der in Marie Munks erhalten gebliebenen Aufzeichnungen aus ihrem Nachlass konturenhaft bereits erkennbar wird,175 jedoch unter Berücksichtigung heutiger methodischer Verfahrensweisen den Ansprüchen an Validität nicht mehr Rechnung tragen könnte. Gleichwohl hat Marie Munk die Geburt des „Capability-Ansatzes“ im Jahre 1934 hautnah miterlebt. Es war ihr aber nicht vergönnt, ihn entscheidend mitzuprägen. Dies hatte neben familiären auch sozioökonomische Gründe. Eine bei der Teacher Education and Certification Division der New York State University beantragte Erlaubnis, in deutscher Sprache unterrichten zu dürfen, blieb ohne Auftrag.176 Eine Rückkehr nach Deutschland hatte bereits ihre Vorboten. 172 Vergleiche zu d iesem Ansatz: Jens-Michael Bonvin, Der Capability Ansatz und sein Beitrag für die Analyse gegenwärtiger Sozialpolitik, in: Soziale Passagen, 1/2009, S. 8 – 22. 173 Um nur eine geringe, aber entscheidende Auswahl zu nennen: T. H. Marshall, Citizenship and social class and other essays, Cambridge University Press 1950; A. O. Hirschmann, Exit, Voice, and Loyalty: Responses to Decline in Firms, Organizations, and States, Cambridge University Press 1970; Amartya Kumar Sen, Equality of what?, in: Amartya Kumar Sen, Choice, Welfare and Measurement, Cambridge University Press 1982, p. 353 – 369; Amartya Kumar Sen, Elements of a Human Rights Theory, in: Philosophy and Public Affairs, Vol. 32 No. 4. p. 315 – 356. 174 So Martha C. Nussbaum, Human Capabilities, Female Human Beings, in: dies. und Jonathan Glover, Women, Culture and Development, Oxford 1995, p. 76. 175 Diary Report on Club Activities vom 1. Nov. 1934 bis 8. Dez. 1934 und ein Bericht aus dem Dez. 1934, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 5. 176 Schreiben der University of The State of New York, The State Education Department, November 22, 1934, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 7.
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8. Rückkehr nach Deutschland (1934 – 1936) und Ausblick auf Amerika Die finanzielle Unterstützung durch ihre Mutter, Paula Munk, war unsicher geworden. Wegen ihrer eigenen und der jüdischen Abstammung ihres verstorbenen Mannes erhielt Paula Munk ihr Witwengeld gekürzt und unregelmäßig.177 Ihre Schwester Gertrude konnte nur mit kleinen Beträgen unterstützen.178 Aber nicht nur deshalb hatte der Briefkontakt zwischen Marie Munk und ihrer Mutter in den letzten Monaten zugenommen.179 Paula Munk wollte nicht nur über die wichtigsten Ereignisse in Deutschland informieren.180 Sie war bereits hochbetagt. Das Leben ging zu Ende. Ein Jahr zuvor hatte Paula Munk „An meine Kinder – Letzter Gruss“ verfasst und bereits einige Monate nach dem Tod ihres Mannes, Wilhelm Munk, eine letzte Verfügung getroffen.181 Am 27. November 1934 schließ lich betitelte Paula Munk ihr Schreiben an Marie Munk mit „Letzter Brief“182. Ein deutliches Signal, weshalb Marie Munk in der ersten Dezemberwoche New York verließ, um ihrer sterbenden M utter in Berlin-Schmargendorf, in der Auguste- Viktoria-Straße 64183, beizustehen 184 (seit 1931 Marie Munks Wohnsitz und seit dem 177 „Heute ist der Richterzuschuß von 3162 M eingetroffen.“ Zusatzblatt vom 14. Oktober 1934, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 7 Folder 8. 178 Handschriftlicher Zusatz Gertruds zu einem Schreiben von Paula Munk vom 26. Juli 1934: „Ich habe jetzt von Franz einen Teil der mir versprochenen Summe (1500) bekommen u. sollte doch die Zinsen an Dich zahlen. Soll ich das bei d. Dev. Stelle beantragen oder willst Du über die kleine Summe anders verfügen?“, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 7 Folder 8. 179 Schreiben vom 16., 19., 25. April, 1., 2., 5., 10., 19., 24. Mai, 1., 19., 26. Juni, 3., 11., 15., 21., 22., 26., 30., 31. Juli, 7., 15., 21. August, 7, 14., 19., 25. September, 2., 7., 13., 21., 27. Oktober, 3., 4., 7., 10., 17., 24., 27. November 1934, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 7 Folder 8. 1 80 Zeitungsausschnitte und Brief Paula Munks an Marie Munk vom 20.Novemebr 1934, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 7 Folder 8. 181 Schreiben von Paula Munk vom 15. November 1933 sowie letzte Verfügung vom 25. Januar 1929, in der sie ihr Hab und Gut vermachte sowie ihrer Familie letzte Verpflichtungen auferlegte. In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 7 Folder 8. 182 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 7 Folder 8. 183 Eidesstattliche Versicherung Marie Munks vom 21. Februar 1958, in: Entschädigungsakte Marie Munk Nr. 60 798, Bl. E 90 – E 93, Bl. E 90. 184 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr., Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 13a und erste S. 14.
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Jahr 1935 nunmehr auch der Wohnsitz ihrer M utter 185). Während ihrer aufopfernden Pflege lebte Marie Munk von den Zinseinnahmen aus den Wertpapieren und den Mieteinnahmen Paula Munks aus den Häusern in der Burggrafenstraße 18 und der Kronberger Straße 24 (Berlin). Munk gab Vorschulkindern frühbeginnenden Englischunterricht und trug so zu den Kosten des Haushalts ihrer Mutter, Paula Munk, bei.186 Paula Munk starb trotz Marie Munks aufopfernder Pflege am 20. Juli 1936.187 Marie Munk konnte nach dem Tod ihrer M utter innehalten und einen Ausblick wagen, der an ihre bisherigen amerikanischen Erfahrungen anknüpfte. Beim Verlassen New Yorks im Jahr 1934 fasste Marie Munk ihre Erinnerungen in einem Bericht mit dem Titel „European Experiences American Hospitality“188 zusammen. Ein Erfahrungsbericht, der die Umgangsformen Europas und Amerikas verglich und mit den Worten endete: “I do not know of any other – at least European – country, in which the newcomer is so heartily welcomed, and graciously invited as this is done in A merica.”189 Positive Rückblicke stellten sich erneut 18 Jahre s päter ein, als sie auf der „Biennal Convention of the National Federation of Business and Professional Women“ Dorothy Heneker und deutsche Delegierte wiedersah.190 Bereits nach ihrem ersten USA-Aufenthalt im Jahr 1934 hatten die Amerikaner den Kontakt zu Marie Munk bis zu ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten beibehalten. Dies zeigte ein Artikel anlässlich der Olympischen Spiele in der amerikanischen Zeitschrift „Quest“ aus dem Februar 1936. Munk schilderte die Olympischen Spiele als „symbolic of the democratic ideals prevailing in contemporary sport”191. Es war der Beleg für einen liberalen Geist – eine sehr wichtige Voraussetzung für Marie Munks Immigration.
185 Berliner Adressbuch des Jahres 1935, S. 1796. In den Jahren 1931 bis 1934 und 1936 war nur Marie Munk unter der Adresse Auguste-Viktoria-Straße 68 verzeichnet: siehe Berliner Adressbuch des Jahres 1931, S. 2322; des Jahres 1932, S. 2290; des Jahres 1933, S. 1852; des Jahres 1934, S. 1732; des Jahres 1936, S. 1844. In: http://www.adressbuch.zlb.de (20. 04. 2011). 186 Eidesstattliche Versicherung Marie Munks vom 21. Februar 1958, in: Entschädigungsakte Marie Munk Nr. 60 798, Bl. E 90 – E 93, Bl. E 90 und E 91. 187 Eidesstattliche Erklärung Munks vom 21. Februar 1958, in: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 90 – Bl. E 93, Bl. E 90. 188 LAB B Rep. 235 – 12, NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 189 LAB B Rep. 235 – 12, NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 190 Dear-Friend-Brief, November 1952, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 7. 191 Marie Munk, Carrying the Olympic Torch Through Six Countries, in: Quest, Vol. VI., No. 5, February, 1936.
4. Kapitel Beruflicher Werdegang in den USA
In diesem Kapitel werden die beruflichen Stationen Marie Munks vom Jahre 1936 bis in die späten 1950er-Jahre in den Blick genommen. Wenn von beruflichen Stationen an dieser Stelle die Rede sein soll, muss eingangs darauf hingewiesen werden, dass bei Marie Munk z wischen Beruf und Berufung geschieden werden muss. Marie Munks Berufung war die wissenschaftliche Arbeit. Zu dieser wissenschaftlichen Arbeit konnten Marie Munks berufliche Tätigkeiten Bezüge aufweisen. Allerdings umfassten ihre durch Vertrag begründeten Beschäftigungen im Vergleich zu ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit nur kurze Zeitspannen. Dies mag auch ein Stück weit an der sozioökonomischen Situation und der amerikanischen Einwanderungspolitik gelegen haben. Ihre universitären Studien an der Pennsylvania University nach ihrer Ankunft im Jahre 1936 und ihre durch die Carl Schurz Foundation finanzierten, für das öffentliche Publikum erfolgreichen Lectures Trips halfen nur bedingt über die schwierigen Bedingungen hinweg. Zwei Jahre lebte Marie Munk aus dem Koffer, bis sie befristete Dozenturen am Hood College in Frederick in Maryland und am Sophia Smith College in Northampton in Massachusetts erhielt. Während dieser Dozentenzeit knüpfte sie in ihren Vorlesungen und öffentlichen Vorträgen an die bedeutende Rolle der Familie in der Gesellschaft und die Bedeutung der Rolle der Frau in der Familie an. Das waren sozialpolitische und sozialpsychologische Themen, die nicht nur angesichts des bevorstehenden Beitritts Amerikas zur Allianz gegen den Nationalsozialismus von Interesse waren. Vielmehr zielten Marie Munks Betrachtungen auf die autoritären Wurzeln von Diktaturen in Familie und Gesellschaft ab. In ihrem Ansatz ging Marie Munk noch einen kleinen Schritt weiter als Max Horkheimer. Obgleich Marie Munk wissenschaftlich kompetent war, wurden ihre deutsche rechtswissenschaftliche Ausbildung und praktische juristische Erfahrung für die Aufnahme in die amerikanische Anwaltschaft nicht als auskömmlich gewürdigt. Sie musste als deutsche Fremde ohne amerikanische Staatsbürgerschaft und ohne amerikanischen höheren Bildungsabschluss ihren Lebensunterhalt bestreiten. Mit ihrer Vorbereitung auf das amerikanische Bar-Examen in einem fortgeschrittenen Lebensalter und in ihrem Verfahren zum Erhalt der amerikanischen Staatsbürgerschaft zeigte sie fachliche und persönliche Ausdauer und setzte patriotische Akzente. Obgleich in dem Verfahren um ihre amerikanische Staatsbürgerschaft erkennbar wird, dass die amerikanische Administration zu damaliger Zeit das
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Misstrauen gegenüber den Deutschen nie ganz verlor, kam ihr das Board of Bar Examiner für die Zulassung zur Prüfung für das amerikanische Bar-Examen entgegen. Nach dem Bar-Examen erhielt Marie Munk acht Jahre nach ihrer Niederlassung in den Vereinigten Staaten eine erste berufliche juristische einjährige Anstellung als Marriage Counselor am Family Court in Toledo (Ohio). Mit dieser Tätigkeit beteiligte sie sich an dem zu damaliger Zeit revolutionären rechtsreformpolitischen Wandel der amerikanischen Gerichtsstruktur und an der Begründung des amerikanischen Familienrechts in einer interdisziplinären amerikanischen gerichtlichen Praxis. Ab dem Jahre 1945 gelang ihr in Cambridge (Massachusetts) der berufliche Einstieg als amerikanische freiberufliche Anwältin nur über die Mitarbeit in deutschen Wiedergutmachungsverfahren für eine deutsche Anwaltskanzlei. Nach ihrem Studium Generale und ihrem Art Degree in Harvard (1953) widmete sie sich als Amerikanerin dem rechtspolitischen und demokratischen Wiederaufbau in Deutschland bis in das Jahr 1956 hinein. Ihre beruflichen Erfahrungen als Marriage Counselor aus Toledo (Ohio) ersuchte sie in ihren Vorträgen in Deutschland in den Amerika-Häusern für die deutschen Familien, die sich während der Nachkriegszeit nicht nur in einer sozioökonomischen Krise, sondern, angesichts der Kriegsheimkehrer, auch in einer sozialen Krise befanden, fruchtbar zu machen. Ihr Wunsch, nach Deutschland zurückzukehren und für die deutsche Justiz zu arbeiten oder nach in Kraft treten des Grundgesetzes einen wichtigen Beitrag zur Familienrechtsreform leisten zu können, scheiterte an den Bedingungen des Kalten Krieges. Mit ihrer rechtspolitischen Hilfe für den Wiederaufbau deutscher Demokratie vollendete Marie Munk ihre kulturelle Integration als Amerikanerin. Mit ihrem transnationalen Vergleich über das Verhältnis des Bürgers zu seinem Staat lässt sich auch noch heute an die Fragen für eine Überwindung von Diktatur im Übergang zur Demokratie anknüpfen.
I. Erste Studien und Kontakte (1936 – 1938) Ohne eine Anstellung in einem fremden Land setzte Marie Munk auf persön liche Kontakte.
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1. Studien an der Pennsylvania University bei Thorsten Sellin und erste wissenschaftliche Begegnungen Marie Munks Neubeginn im September 19361 erfolgte unter bescheidenen wirt schaftlichen Verhältnissen in Philadelphia.2 Zunächst ließ sie sich bei Freunden für zwei Jahre in Philadelphia 3 in der Poplar Street nieder.4 Die Pennsylvania University kam Marie Munk entgegen und schrieb sie als Gasthörerin ein. Marie Munk vermochte so in einem Seminar über „Die Familie“ und einem Seminar über Kriminologie bei Prof. Thorsten Sellin, einem Mitherausgeber des Prison Journal,5 ihr Wissen zu erweitern und sich mit Lehrmethoden vertraut machen.6 Marie Munk kontaktierte das Institute of Criminal Science, Washington, D. C.7, und war Gast auf dem 63. Annual Congress. An diesem Kongress nahmen B. Keenan (Special Assistant to the Attorney General of the United States) und Hon. Sanford Bates (Director des United States Bureau of Prisons, Washington D. C.) sowie Dr. Walter N. Thayer ( Jr., Commissioner, New York State Department of Correction and President of the American Prison Association) und weitere namhafte Universitätsprofessoren teil.8 Zu einem ersten intensiven wissenschaftlichen Austausch gehörte das „Pennsylvania Committee on Penal Affairs“ und die „American Prison Association“.9 Weitere Kongresse in Atlantic City, New York City und später 1 Angaben in der Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 86. 2 Munk hatte sich lediglich $ 3765,45 in die USA transferieren lassen, die sie in Wertpapieren angelegt hatte, um Zinseinnahmen hieraus zu erhalten. In: Eidesstattliche Versicherung von Marie Munk vom 21. Februar 1958, in: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 90–E 93, Bl. E 91. 3 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 3 und 4. 4 Das geht aus der Adressenangabe ihrer persönlichen und wissenschaftlichen Notizen hervor. Zum Beispiel zu dem Aufsatz „What are we heading?“, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542. 5 The Prison Journal, July 1937, Vol. XVII, No. 3, p. 358, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3524. 6 “I secured permission to audit courses at the University of Pennsylvania on a courtesy basis. In order to broaden my knowledge and to familiarize myself with teaching methods, I took a course on ‘The Family’ and a seminar of Prof. Thorsten Sellin on criminology.” In: Lebensangaben Marie Munks, p. VI, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. 7 Schreiben des Institute of Criminal Science vom 18. Januar 1937 an Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 3. 8 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 9 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 5 – 6.
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in Boston (Mass.) waren ihr Mittel zum Zweck, ihre wissenschaftlichen Kontakte auszubauen und zu vertiefen.10 Es gehörte Leon Stern, Director of the Pennsylvania Committee for Penal Affairs 11 und Mitherausgeber des Prison Journal 12, ebenso wie John N. Patterson, Managing Director of the Public Education and Child Labor Association in Philadelphia, PA 13, dazu. 1.1 Lectures Trips – Vortragsreisen Marie Munk wurde ferner bekannt durch ihre Lectures Trips. Ihre Vorträge wurden als Education and Recreation Program von der YWCA, der YM und der YWHA gesponsert und organisiert.14 Die PRT Traveler’s Lecture List kündigte Marie Munk für den 8. Januar 1938 zu dem Thema „Women Offenders“ in dem Auspices Ethical Society Women’s Club in Philadelphia an. Marie Munk reüssierte auf diesen Veranstaltungen nicht allein. Es wurden auch von anderen namhaften Akademikerinnen, wie Prof. Leslie B. Seely, Vorträge gehalten.15 Die amerikanischen Business and Professional Women’s Clubs warben für Munks Vorträge in den Zeitungen.16 Viele Tagesartikel berichteten über ihre Vorträge.17 Ohne diese Lectures Trips wäre es Marie Munk nicht möglich gewesen, die Vereinigten Staaten kennenzulernen und wissenschaftliche Kontakte für eine zukünftige 10 “Conferences were not only interesting and stimulating to me they also gave me the opportunity to make valuable contacts.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 5 – 6. 11 Referenzen im Schreiben von Henry Platt vom 22. April 1943 an das Department of Justice anlässlich des Einbürgerungsverfahrens von Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 11. 12 The Prison Journal, July 1937, Vol. XVII, No. 3, p. 358, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3524. 13 Referenzen im Schreiben von Henry Platt vom 22. April 1943 an das Department of Justice anlässlich des Einbürgerungsverfahrens von Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 11. 14 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 6. 15 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 6. 16 Zum Beispiel: „Dr Marie Munk Arriving Tonight“ oder „Local Audience To Hear Dr. Munk Tuesday, Nov. 30“, in: Columbia City, Indiana, Monday, Nov. 27 and Nov. 29, 1937; „Expect Large Audience To Hear Dr. Marie Munk“, in: The News-Democrat, Goshen, Indiana, Dec. 1, 1937; „Woman Judge Will Speak Here Dec. 1“, in: The News-Democrat, Goshen, Indiana, November 29, 1937; „A Reminder to attend the Monthly Dinner Meeting of the B & P. W. Club of Brooklyn, Inc. on Wednesday, February 9, 1938“, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 17 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
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wissenschaftliche berufliche Tätigkeit zu knüpfen.18 Des Weiteren war die Vorbereitung für ihre Vorträge auf ihren Lectures Trips schwierig, weil sie ihre Literatur in Deutschland zurücklassen und neue wissenschaftliche Informationen beschaffen musste. Marie Munk nahm diese Strapazen eines rastlosen Daseins auf sich. Eine für deutsche Verhältnisse untypische Lebensweise, für Amerikaner bereits zu damaliger Zeit nicht ungewöhnlich.19 Mit diesen Reisen der Jahre 1936 bis 1940 erhielt Munk Einblicke in die rechtspolitische und geografische Vielfalt der nordamerikanischen Staaten 20, ebenso wie das Nötigste zum Leben: Obdach und ein geringes Einkommen. Sponsor ihrer Lectures Trips war die Carl Schurz Founda tion. Die Carl Schurz Memorial Foundation hatte sich zu damaliger Zeit um die Entwicklung kultureller Beziehungen z wischen den USA und deutschsprachigen Ländern bemüht.21 18 “Without them I would not have had the opportunity to do my research, teaching, or traveling. Many of my lecture engagements came from clubs and from social agencies, but others from colleges or universities, such as the University of Pennsylvania, New York University, Muehlenberg College, Pennsylvania or Mills College, California.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 5. 19 “Germans do not easily move from place to place. Many German families have been living in the same communities for centuries. Although I left behind a large part of my library, which was later destroyed by fire, I brought with me quite a few books, and I have been buying more books and collecting research material since I came over. Moving and packing is therefore a problem, and I don’t like it at all. Nevertheless, I had to change my residence more than once.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 3 – 4. 20 “The deepest and most exciting impression which the newcomer receives if he can only travel a little in the USA is the huge expance of this country, and the variety in beauty of the country side. He can travel thousands of miles without seeing a customs official, without having to show a passport or identification card and without having to struggle with a diffe rent language. On my first visit to the USA, I had come as far west as Chicago but only when I travelled to the West Coast did I fully realize that I had come to a continent and not only to a State or a country. Days and nights I saw wheat fields in the State of Kansas and large farms with hardly a tree. I then could visualize how a dust storm of which I have been reading could easily develop and what damage it would do. Only by such travels did I also become aware of the differences of State laws and administration and of relationships between the Federal and State Governments. It has taken me a long time to understand to remain as independent as possible and not to be encroached upon by the Federal Government although greater uniformity in law and law enforcement seems to be more desirable in our age and time. This holds particularly true.“ In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel II First Impressions as an Immigrant, zweite S. 10. 21 Kopfbogen des Schreibens des Oberlaender Trusts/Carl Schurz Memorial Foundation vom 17. November 1938 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520.
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Ein mit 1000 Dollar dotierter Lectures Trip 22 der Carl Schurz Foundation nach South und North Carolina, Greensfield, N. N.C,. sollte ihr die Chance geben, sich um eine Teaching-Position 23 an einem College bewerben zu können. Eine Referenz der Philadelphia Secretarial School an Norman McClure, den Präsidenten des Ursinus College, vom 6. Dezember 1938 war beigefügt.24 Marie Munks Weiterreise war trotz Sponsoring nicht immer ohne Weiteres finanziell gesichert. Das zeigt ein Empfehlungsschreiben des Department of German des Muhlenberg Colleges, Allentown, Penna., vom 28. April 1937. 1.2 Munks Erfahrungen und ihr Erscheinungsbild Am 21. Februar 1937 berichtete das Department of German des Muhlenberg Colleges in Allentown, Penna.: “I have had nice comments about your talk and I wish to say that we were very happy to be able to have you with us for the few hours.”25 Die Mitglieder eines Clubs bedankten sich mit den Worten: “I trust that we may have the pleasure of having you with us again in the not too distant future.”26 Marie Munk, eine Rednerin mittleren Alters, schlank, eine würdevolle Erscheinung, das Haar eng anliegend und unaufgerollt, mit ausdrucksvollen blauen Augen, sehr groß; und obwohl ihr Akzent etwas schwierig zu verstehen war, hingen die Zuhörer, von ihrem Vortrag durchdrungen, an jedem ihrer Worte. Selten, dass wir so einen intellektuell hochgebildeten Redner bei uns hatten, urteilte die örtliche Presse.27 Fotos Munks mit weiblichen Absolventen der Universitäten, den „Members of Alpha and Los Angeles Alumnae at the Office of Rosalind Goodrich Bates, October 31, 1938“, und bekannten amerikanischen Frauen, „Miss Helen Havener, publicity chairman of the International Federation of Business and Professional Women’s Club“, 22 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 9. 23 Lehrauftrag. 24 Schreiben von Anna W. Thompson, Principal der Philadelphia Secretarial School vom 6. Dezember 1938 an Norman McClure, President Ursinus College, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3521. 25 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 6. 26 California Greetings, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 27 “The speaker was a middle age, slender, dignified, wearing her hair extremely plain, unbobbed. She had expressive blue eyes and was very fair, and although her accent was a little difficult to understand, her audience hung intently on every word. Rarely has there been a speaker here of higher intellectual attainments.” In: Brilliant Address By German Exile Given Before B. and P. W. Club, in: Nov. 23, 1937, Sullivan, Ind., in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
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unterstützen dieses positive Bild.28 Unter der Schirmherrschaft der Business and Professional Women’s Clubs zogen Munks Vorträge teilweise mehr als 100 Teilnehmer an.29 Gleichwohl reagierte ein Teil der Zuhörer auf Marie Munk als Immigrantin negativ. In einem Brief an Präsident Roosevelt berichtete Munk von fremdenfeindlichen Erfahrungen während ihrer Lectures Trips. Sie habe die Bemerkung gehört, „we should have a Hitler here“ oder den Satz „we ought to drive out the Jews just as Hitler does.“30 Deshalb regte Marie Munk nach dem Vorbild des „Political Guide“ von Dorothy Thompson 31 an, eine Kommission einzurichten, die für das Einwanderungsproblem Lösungsvorschläge erarbeite.32 Das „Einwanderungsproblem“ könne nicht klug behandelt werden, ohne dass die prozentuale Verteilung von Juden an der Gesamtbevölkerung in den unterschiedlichen Teilen des Landes und ihr prozentualer Anteil am Handel, der Industrie, den Wirtschaftsbranchen, an den Arbeitsplätzen und in der öffentlichen Verwaltung usw. bekannt wären.33 Zwar dürfe nicht verkannt werden, dass sich der ansteigende Antisemitismus aus dem Verhalten der Juden selbst erklären könne, meinte Munk. Aber diese Situation könne nur von Nichtjuden und Juden gemeinsam beruhigt werden.34 28 Picture taken from “The Double Tau”, “Iota Tau Tau” Vol. IX, July 1938, No. 1, p. 9/10; Seek Bigger Share in Industry and Politics, in: YN Daily Eagle, Thursday, February 10, 1938, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 29 „Dr. Marie Munk Speaks Before Women’s Club“, in: Marion, Ind., Chronicle, Wednesday, Nov. 24, 1937 und „Dr. Munk Appears as Guest Speaker Before B. P. W. Club“, in: Marion Leader Tribune, Wednesday, Nov. 24, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 30 Schreiben an Präsident Roosevelt vom 25. November 1938, in: LAB B Re. 235 – 12, MF-Nr. 3627, p. 1. 31 Dorothy Thompson, eine amerikanische Auslandskorrespondentin, kannte die deutschen Verhältnisse aus ihrer langjährigen journalistischen Tätigkeit in Deutschland sehr gut. Hitler hatte sie wegen ihrer Publikation „I saw Hitler“ 1934 ausgewiesen. Ihre Kontakte zu d eutschen Emigranten, unter anderem zur Familie Thomas Manns, ihre Arbeit für die Saturday Evening Post, die Herald Tribune und die Kolumne von Walter Lippmann veranlassten Roosevelt 1938, zur Flüchtlingskonferenz von Evian einzuberufen. In: Joachim Radkau, Die deutsche Emigration in den USA. Ihr Einfluß auf die amerikanische Europapolitik 1933 – 1945, Düssel dorf 1971, S. 69 – 73. 32 Schreiben an Präsident Roosevelt vom 25. November 1938, in: LAB B Re. 235 – 12, MF-Nr. 3627, p. 2. 33 “The question cannot be handled intelligently unless the facts are known about the percentage distribution of Jews among the population in the different parts of the country, and the percentage distribution in the various group of endeavor, such as commerce, industry, in business, professions, public service etc.” In: Schreiben an Präsident Roosevelt vom 25. November 1938, in: LAB B Re. 235 – 12, MF-Nr. 3627, p. 1 – 2. 34 “There are a good many explanations for the growing tide of anti-Semitism. Some of them lie in the attitude of the Jews themselves. But the situation as it stands today cannot be
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2. Berufliche Einstiegsversuche als weibliche Immigrantin Einen beruflichen Neu Anfang machen zu können, bleibt ein Wunschtraum vieler Einwanderer, weil ihnen, wie auch damals Marie Munk, die berufliche Etikette und gesellschaftlichen Verhältnisse fremd sind. Munk war wegen ihres Akzents und ihres Aussehens als Immigrantin schnell zu erkennen: „Als ich nicht als Gast zurückkam, sondern um für immer zu bleiben, habe ich nicht erwartet, dass mir dieselbe Gastfreundschaft und Freundlichkeit geschenkt würde, die mir früher entgegen gebracht wurde. Und vorbereitet auf die anstrengende Jobsuche, die mir bevor stand, war ich auch nicht. Die meisten Interviews begannen und endeten freundlich, aber nur selten hatte ich das Gefühl, dass der potenzielle Arbeitgeber wirklich Interesse hatte, mir helfen wollte, sich an meinen Besuch erinnern würde oder meine Visitenkarte finden würde, wenn ein Arbeitsangebot für mich bei ihm eingehen würde. In Amerika ist es viel einfacher als in Deutschland mit dem Leiter einer Organisation zu sprechen. Die Leiter führen in Gegenwart der Bewerber ein paar Telefonate, um ihren Gesprächspartnern neue Möglichkeiten zu eröffnen oder weitere hilfreiche Hinweise mitzugeben. Doch mehr kann nicht erwartet werden. Allerdings erwartet der Leiter der Organisation, dass der Bewerber ihn informiert, wenn seine Empfehlungen erfolgreich sind. Der Neuankömmling ist an diese Form der Arbeitssuche nicht gewöhnt und fürchtet, dass er nur belästigen könnte, wenn er wieder anruft. Ich hatte mehr Glück als viele andere, weil ich die englische Sprache gut beherrsche. Ich sprach jedoch mit einem Akzent – und das tue ich noch – ich sprach nie oder sah auch nie wie eine Amerikanerin aus.“35 Es wurden Munks deutsche juristische Qualifikationen solved without cooperation of Gentiles and Jews.” In: Schreiben an Präsident Roosevelt vom 25. November 1938, in: LAB B Re. 235 – 12, MF-Nr. 3627, p. 1 – 2. 35 “When I came back ‘for good’ and not as a guest, I did not expect to find the same kind of hospitality and friendliness with which I had been spoiled before. But I was not prepared for the type of ‘job hunting’ with which I was confronted for many years. Never before did I have to ‘blow in my own horn’. Most of my interviews began and ended on a friendly tone, but rarely did I have the feeling that the prospective employer was really interested in helping me and that he would recall my visit or find my card when he should later hear of an opening. It is far easier to talk with the head of an organization in this country than it would be in Germany. He will even make a couple of telephone calls in your presence to give you new leads and introductions. Having done this, he is likely to feel that nothing more should be required of him. He expects the job-seeker to report back to him if his suggestions have been successful. The newcomer is not familiar with this practice and is afraid of becoming a nuisance by calling again. I was more fortunate than many others because I had good command of the English language. I spoke, however, with an accent – I still do. I neither spoke nor looked like an American.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel II First Impressions as an Immigrant, S. 2.
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irrtümlich auskömmlich für eine berufliche akademische juristische Tätigkeit in den USA eingeschätzt: „Ich war zwei Jahre im Ausland; viele Deutsche waren inzwischen in die USA geflohen. Ich wollte mich nicht mit administrativer Arbeit beschäftigen und ohne ein Stipendium von einer Stiftung konnte ich auch mit keinem Forschungsprojekt beginnen. Ich wollte gern als Dozentin arbeiten und fragte den Germanistikkreis, ob ich vielleicht einen amerikanischen Abschluss erwerben sollte. Sie meinten, dass ich die Zeit und Mühe nicht aufbringen müsse, um vielleicht einen Magister für Rechtswissenschaft oder in Soziologie zu erwerben, weil ich schon ausreichend qualifiziert sei. Rückblickend betrachtet, wäre es beruflich einfacher für mich gewesen, wenn ich meinem ‚Instinkt‘ gefolgt wäre, um eine passende Anstellung zu finden.“36 Der freundliche Umgangston im amerikanischen Bewerbungsverfahren weckte Hoffnungen, die s päter unerfüllt blieben.37 Aufgrund ihres Alters wurde Marie Munk in den Bewerbungsgesprächen geschmeichelt. Aber wie soll ein Neuankömmling Geld für Kost und Logis aufbringen? Der berufliche Einstieg wurde Marie Munk häufig mit dem Argument verwehrt, sie würde sich in dem jüngeren Kollegenkreis nicht wohlfühlen. In Wirklichkeit befürchteten die Arbeitgeber, sie könne sich als ältere Frau einem jüngeren Chef nicht unterordnen.38 Unterstützend wirkten nur die Empfehlungen von Rechtsanwalt Francis 36 “I had been away almost two years, and in the meantime many other Germans had fled to the USA. I did not want to engage again in institutional work, nor could I start an ambitious research project without a grant from a Foundation. I would have liked to get a teaching posi tion, and I sought advice from those who were placing German scholars, if I should perhaps get an American degree. They thought that I need not put time and effort in working toward perhaps a Master’s degree in law or sociology, but that I had already sufficient qualifications. It would have been more easier for me to secure a suitable position, had I followed my own instinct.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3510, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 1. 37 “The interviewing method in America is friendlier and easier. But it often raises hopes in the newcomer which cannot, and will not be fulfilled.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel II First Impressions as an Immigrant, S. 2a. 38 “Prospective employers hesitated to offer me an inferior position under a superior who was younger than myself. He would say: ‘You won’t feel happy here’; but what he actually meant was: ‘You won’t fit in here’. But how is a new-comer going to pay for his rent and food? I am sure that I made many mistakes, but Americans, even those who you call ‘friends’, hesitate to tell you what you should have done differently. An occasional remark at a much later date often revealed to me what I should or should not have done or said, or that I had looked frail at the time. I knew that I was not looking too well when they met me several months later, but they would often say ‘You look better and younger than when I saw you last.’” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel II First Impressions as an Immigrant, S. 3.
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Fisher Kane aus Philadelphia 39 und dem Präsidenten der Pennsylvania Prison Society 40 an akademische Institutionen in Massachusetts für öffentliche Vorträge Marie Munks.
3. Fazit Ein Fazit zu diesem schwierigen Lebensabschnitt in Marie Munks Leben muss zunächst darauf hinweisen, dass bereits an anderer Stelle erörtert worden ist, dass sich die Begriffe Exil, Emigration, Immigration und Migration in der Biografie eines Menschen verwischen, weil sie eng miteinander verknüpft sind.41 So ist an dieser Stelle losgelöst von einem Diskurs um die Begriffe der Frage nachzugehen, was eine Einwanderung ausmacht bzw. was eine Einwanderung überhaupt ist und wie sich diese in Marie Munks Leben autobiografisch spiegelte. Eine Einwanderung ist kein einfacher Vorgang des Wohnsitzwechsels. Sie ist ein Fremdheitserlebnis, das sich im Verhältnis der Einheimischen zum Immigranten, im Verhältnis der Immigranten untereinander, aber, anlässlich des ersten Schritts auf fremden Boden, ganz besonders im Verhältnis des Einwanderers zum Flüchtlingsland zeigt; so auch bei Marie Munk: „Als ich 1936 zurückkam […] wollte ich in Deutschland nicht mehr leben. Diese Haltung überraschte mich. Ich fragte mich, ob die Amerikaner in der Lage sind, die Gefühle der Einwanderer, die nach der amerikanischen Staatsbürgerschaft strebten, zu verstehen; und was es ihnen bedeutete, wenn sie endlich ihre Einbürgerungsurkunde erhalten. Aber ich habe es nicht vor, und es wäre für mich auch nicht möglich, eine ausführliche Lebensgeschichte in den USA oder meines Amerikanisierungsprozesses dem Leser anzubieten. Ich kann nur ein paar prägnante Punkte erwähnen, die vielleicht erklären, warum ich Amerika und sein Volk liebe und warum ich stolz bin, heute Amerikanerin zu sein.“42 39 Schreiben von Francis Fisher Kane, Attorney at Law, Philadelphia, an Dr. Houston, Northampton, Mass., in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3522. 40 Zu ersehen aus der Ausgabe des Prison Journal, July 1937, Vol. XVII, No.3, p. 344, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3523. 41 3. Kapitel, Ziffer II. Nr. 6. 42 “When I returned in 1936 […] I would not want to live again permanently in Germany. This change in my own attitude surprised me. I wonder if Americans are able to understand the feelings of them who aspire to become American citizens and what it means to them when they finally receive their naturalization paper. [But] I do not intend, nor would it be possible for me to give a detailed account of my life in the USA and of my process of Americaniza tion. I can only mention a few highlights which may also explain why […] I love America and its people and why I am proud to be an American.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 2 – 3.
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Eine Antwort auf die wichtigste Frage hatte Munk nicht: “Where would I have the best chances to find a suitable position?”43 Eine Gemeinsamkeit, die Munk mit den ersten deutschen Siedlern der Stadt Philadelphia im Bundesstaat Pennsylvania teilte. Pennsylvania hatte für die Immi granten und die Migration in der Vergangenheit eine besondere Rolle unter den amerikanischen Bundesstaaten eingenommen. Bereits während der ersten Einwanderungswelle nach Amerika (1830 bis 1915) hatten in Pennsylvania 49 Prozent der deutschen Einwanderer gesiedelt.44 Im Stadtteil Germantown in Philadelphia befindet sich die Wiege der deutschen Einwanderung.45 Am 24. Oktober 1683 wurde „Germantown“ von dem deutschen Juristen und einzigen deutschen Schriftsteller des Barock in Amerika, Franz Daniel Pastorius 46, mit weiteren 13 Familien 47 als Stadt gegründet.48 Pastorius, Anhänger einer religiösen deutschen Minderheit 49, erster Schulbuchautor Pennsylvanias 50 und Kämpfer gegen die Sklaverei – Munk, jüdische Minderheit, Juristin, auch Schriftstellerin und Lehrerin an Frauenschulen 43 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 3. 44 Heinrich Berghaus, Physikalischer Atlas zu Alexander von Humboldts Kosmos, Frankfurt a. Main Nachdruck 2004, S. 148. 45 Martin Lohmann, Die Bedeutung der deutschen Ansiedlungen in Pennsylvania, Stuttgart 1923, S. 14 – 24. 46 Friedrich Nieper, Die erste deutsche Auswanderung nach Pennsylvanien im Jahre 1683 und die Gründung von Germantown, Diss. Bonn 1932; Veröffentlichtes Kapitel 5 der Diss.: Täufertum und mystischer Separatismus in Krefeld und in Pennsylvanien im 17. und 18. Jahrhundert, Duisburg 1937, S. 14 – 15; Friedrich Nieper, Die ersten deutschen Auswanderer von Krefeld nach Pennsylvanien. Ein Bild aus der religiösen Ideengeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, Neukirchen Kreis Moers 1940. 47 Friedrich Nieper, Die erste deutsche Auswanderung nach Pennsylvanien, S. 19. 48 Ebd., S. 11, 13, 24 – 25; Martin Lohmann, Die Bedeutung der deutschen Ansiedlungen, S. 17. 49 „Pastorius war ein deutscher Quäker. Um ihn scharrten sich aber auch Mennoniten.“ In: Martin Lohmann, Die Bedeutung der deutschen Ansiedlungen, S. 18. 50 Der Bildungsstand der deutschen Einwanderer war dem Bildungsstand der anderen Einwanderer überlegen. Pastorius versah Unterrichts- und Erziehungsarbeit nach deutscher Tradition. Gründete eine höhere Schule und schrieb seine pädagogischen Grundsätze unter dem Titel „Einfältigen und gründlich abgefassten Schulordnung“ im Jahre 1769 nieder. Seine Schulordnung wurde bei der ersten deutschen Buchdruckerei in Amerika, Christoph Saur in Germantown (Pennsylvania), gedruckt. In späteren Jahren avancierte die Druckerei zum angesehensten deutschen Presseverlag in Amerika. In: Martin Lohmann, Die Bedeutung der deutschen Ansiedlungen, S. 90. Die Saur Buchdruckerei führte gemeinsam mit Benjamin Franklin die ersten deutschen Bücher in Amerika ein. In: Albert B. Faust, Das Deutschtum in den Vereinigten Staaten in seiner geschichtlichen Entwicklung, Leipzig 1912, S. 121 – 122. Siehe auch http://usa.usembassy.de (15. 06. 2013): Die Deutsche Sprache in Amerika, Amerika Dienst, 7. September 1983: Die deutschsprachige Zeitung Christoph Saurs berichtete am 5. Juli 1776 als erste über die Annahme der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung.
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und Kämpferin für Frauenrechte. Hier finden sich Parallelen. Beide mögen den gleichen Gedanken gehabt haben, als sie amerikanischen Boden betraten: “I intended to stay in the USA for the rest of my life and to become an American citizen”51, schrieb Munk über ihre Rückkehr in die Vereinigten Staaten im Jahre 1936. Zu dieser Zeit war die Immigration für die amerikanische Gesellschaft bereits zu einem rechtspolitischen und sozioökonomischen Problem geworden, wie ein Rückblick zeigt. Nach der Zeit Pastorius’ bis ca. zwei Jahrzehnte vor dem Ende des 19. Jahrhunderts waren der Arbeitskräftebedarf oder die Loyalität zu amerikanischen Prinzipien wegweisend für die amerikanische Einwanderungspolitik gewesen. Glaubensvorurteile gegen Katholiken, auch aus Furcht vor einem bildungspolitischen Separatismus, blieben bis dahin vorübergehende Erscheinungen. Erst der Konkurrenzkampf chinesischer Arbeitskräfte mit anderen ausländischen Arbeitskräften auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt führte zum Chinese Exclusion Act 1882. Der wirtschaftlichen amerikanischen Depression der Jahre 1883 – 1886 folgten erbitterte Kämpfe der amerikanischen Gewerkschaften gegen eine unbehinderte Einwanderung.52 Ellis Island wurde im Jahr 1891 als zentrale Einwanderungssta tion errichtet. Diese amerikanische Einwanderungspolitik des 19. Jahrhunderts beeinflusste, neuesten Forschungsergebnissen zufolge, die deutsche Einwanderungspolitik.53 Für die weitere Entwicklung in den Vereinigten Staaten gilt, dass trotz einer restriktiven Einwanderungspolitik vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Jahre 1914 für die Immigranten anderer Herkunftsländer (als China) die Nachfrage an Arbeitskräften durch die mechanisierte Industrie nach wie vor hoch blieb. Allerdings separierten sich die süd-, mittel- und osteuropäischen neuen Einwanderer von der amerikanischen Kultur und trieben so eine einwanderungsfeindliche Stimmung erneut voran. Zudem unterstützte eine German-American-Alliance die deutschen Interessen im Ersten Weltkrieg von Amerika aus.54 Aus Sorge vor einer extremistischen deutschen Bewegung in der amerikanischen Gesellschaft erstarkte ein amerikanischer Nativismus.55 51 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 2. 52 Donata Elschenbroich, Eine Nation von Einwanderern. Ethnisches Bewusstsein und Interga tionspolitik, Frankfurt a M. 1986, S. 25 – 32. 53 Jochen Oltmer, Migration, in: Jost Dülffer und Wilfried Loth (Hg.), Dimensionen interna tionaler Geschichte, München 2012, S. 265. 54 Donata Elschenbroich, Eine Nation von Einwanderern, S. 25 – 32. 55 Charles Hirschman, Die Auswirkungen der Immigration auf die amerikanische Gesellschaft. Ein Blick zurück in die Zukunft, in: Transit – Europäische Revue, Heft 32, Frankfurt a. M. Winter 2006/2007, S. 87 mit Hinweis auf John Higham, Strangers in the Land: Patterns of American Nativism 1860 – 1925, Brunswick 1950, Kapitel I. Unter Nativismus wird in der Politikwissenschaft eine Bewegung verstanden, die Rechte ausschließlich für die in
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Es wurden nach dem E rsten Weltkrieg Deutsch-Amerikaner einer staatlichen Beurteilung unterzogen. Deutsche Schulen konnten geschlossen und die deutsch- amerikanische Presse und Musik konnte boykottiert werden.56 Im Jahre 1924 wurde ein Quotengesetz für alle Einwanderer erlassen (Immigration Act 57). Die Zahl der Einwanderer ging stark zurück. Die Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 sorgte auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt bis 1933 für eine Arbeitslosenquote von 25 Prozent.58 Es blieben die gesetzlichen Einwanderungsquoten auch noch während des Zweiten Weltkriegs für Österreicher, Polen, Russen und Deutsche unverändert bestehen, ohne den rechtlichen Status eines politisch oder rassistisch Verfolgten zu berücksichtigen.59 Mit diesen Problemen und ihrer unwägbaren sozioökonomischen Situation setzte sich Marie Munk in ihren ersten Jahren ihrer amerikanischen Zeit, stellvertretend für alle anderen Neuankämmlinge, auseinander. Allerdings wählte sie gerade nicht den Akzent bei einer Verhaltensänderung auf Seiten der einreisenden Neuankömmlinge anzusetzen. Marie Munk schrieb „Ten Suggestions for American Friends of Immigrants“, eine Verhaltensanleitung für die amerikanische Bevölkerung für den Umgang mit dem „Newcomer“, den Neuankömmlingen.60 Besonders hervorzuheben gilt, dass Marie Munk bei Roosevelt bereits im Jahre 1938 eine soziale Studie über die unterschiedlichen Immigrationsniveaus 61 jüdischer Herkunft an der amerika nischen Gesamtbevölkerung in den unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Sozialisationen einforderte, jedoch diese erst im Jahre 1998 veröffentlicht wurde; allerdings über alle Herkunftsländer hinweg in einem deutsch-amerikanischen Vergleich. Die Sozialdaten setzen aus statistischen Gründen erst ab dem Jahr 1950 an.62 In den 1940er-Jahren widmeten sich nur die emigrierten Mitglieder des Instituts für Sozialforschung um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno einer Vorurteilsforschung. Diese entstand während ihrer Zeit an der Columbia University in New York anlässlich ihrer Konferenz über Antisemitismus und über die Zeitschrift „Aufbau“, in der sie Emigranten aufgerufen hatten, über ihre Vorurteilserfahrungen zu berichten.
einem Land geborene nationale Mehrheit durch den Staat einräumen will und sich gegen die Rechtsansprüche fremder Minderheiten ausspricht. 56 Donata Elschenbroich, Eine Nation von Einwanderern, S. 32. 57 Susan F. Martin, A Nation of Immigrants, Cambridge 2011, p. 156. 58 Ebd. 59 Donata Elschenbroich, Eine Nation von Einwanderern, S. 32 – 33. 60 Ten Suggestions for American Friends of Immigrants, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3541. 61 Gründe der Emigration, Bildung, Sprachkenntnisse, sozialer Status, Handel, Produktion pp. 62 Hermann Kurthen (Hg.), Immigration, Citizenship, and the Welfare State in Germany and the United States: Immigration Incorporation, Stanford 1998.
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Das American Jewish Committee beauftragte schließlich Horkheimer mit einer wissenschaftlichen Untersuchung.63 Allerdings verfolgte diese nicht den interkulturellen sozioökonomischen Kontext, den Marie Munk in ihrem Schreiben an Roosevelt favorisiert hatte. Darüber hinaus vorschnell wurde am 8. November 1943 die Rubrik „Hebrew“ von den amerikanischen Einwanderungsformularen regierungsseitig eliminiert, was von amerikanischen Sozialwissenschaftlern kritisiert wurde.64 Auf eine neueste kulturwissenschaftliche deutsche Untersuchung zur amerikanischen nationalen Identität zu jener Zeit sei aufmerksam gemacht.65 Doch an dieser Stelle kann der weiteren Entwicklung der amerikanischen Sozialwissenschaft zu diesem gesellschaftlichen Phänomen, auch im Kontext sozialhistorischer Forschung, nicht weiter nachgegangen werden. Es wird auf Grundprobleme und Tendenzen der amerikanischen Forschung, sowohl in einem zeithistorischen Aspekt als auch in einem transnationalen Kontext, insbesondere zu den Themenfeldern der deutschen Einwanderung, der amerikanischen Einwanderungspolitik und des Nativismus, verwiesen.66 Inwieweit wissenschaftliche Untersuchungen dem Konzept Marie Munks nachfolgten, muss ebenso aus Platzgründen offenbleiben und wird als Anregung für weitere wissenschaftliche Überlegungen dem Leser anheimgestellt. Im Rückgriff auf einen ausgewählten deutschen und amerikanischen Forschungsstand ist erwähnenswert: Obgleich neben dem Begriff Hebrew auch der Begriff Refugee 67 zu damaliger Zeit die deutsch-jüdische Herkunft der Immigranten alltagssprachlich signierte, begriffen sich die Amerikaner erst ab den 1960er-Jahren als eine Nation der Zuflucht (A Nation of Refuge).68 In den 1930er-Jahren wanderten nur 500.000 Immigranten unterschiedlicher Herkunft in die USA ein. Bereits im Jahre 1932 lag die Zahl der emigrierenden Amerikaner dreimal höher als die Zahl der Immigranten.69 Vergleicht der Leser diese Zahlen der Ein- und Auswanderung mit den von Munk geschilderten und den oben geschilderten historischen Phänomenen der amerikanischen Einwanderungspolitik als eine von vielen derzeit bekannten 63 Joachim Radkau, Die deutsche Emigration in den USA, S. 40. 64 Ebd., S. 40, 42. 65 Stefan Hirt, Adolf Hitler in American Culture. National Identity and the Totalitarian Other, Paderborn 2013. 66 Manfred Berg, Geschichte der USA, München 2013, S. 113 – 122; 132 – 141. 67 Der Terminus „Refugee“ wurde in den USA für Emigranten aus dem NS-Machtbereich bis zum Ende der 1950-er Jahre verwendet und steht für „deutscher Jude“. In: Joachim Radkau, Die deutsche Emigration in den USA. S. 303 Anm. zu Teil I. 68 In der Kubakrise kam es 1965 zu einer Erklärung des Präsidenten Lyndon B. Johnson, dass jeder kubanische Flüchtling Aufnahme in den Vereinigten Staaten finden könne (Refugee Re-Settlement) Während des Kalten Krieges trat der Refugee Act in Kraft. In: Susan F. Martin, A Nation of Immigrants, p. 220 – 250. 69 Ebd., p. 152.
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Reaktionen 70 der amerikanischen Gesellschaft auf die Einwanderung aus anderen Herkunftsländern, so drängt sich der Eindruck auf, dass die amerikanische Gesellschaft nicht auf die Immigranten des neuen Typs im Jahre 1933 vorbereitet war: den wissenschaftlich arbeitenden Intellektuellen. Das wird durch Zeugenaussagen der damaligen Zeit 71 und durch die sozialhistorische Forschung 72 bestätigt. Zugleich interessierte sich die amerikanische Bevölkerung für die deutschen Verhältnisse unter dem Hitler-Regime. Stiftungen ließen deutsche emigrierte Journalisten und Publizisten über die Situation im Nazi-Deutschland vor amerikanischem Publikum berichten. Diese Vorträge waren heftig nachgefragt von Gruppen, Vereinen, Colleges, Universitäten und Kirchengemeinden.73 Marie Munk aber ging es um einen weiteren Grundstein für ihre Forschung und um den akademischen Austausch. Marie Munk hatte Erfolg.
II. Dozentin im Hood College und im Sophia Smith College (1938 – 1940) Nachdem sie im Dezember 1938 über die unterschiedliche Behandlung von jugend lichen weiblichen Straftätern in Deutschland und in den USA am Hood College in Frederick gesprochen hatte 74, vermeldete am 16. Februar 1939 „The Frederick Post“: Marie Munk „On Hood Staff“.75
70 Es sei angemerkt, dass auf den in der historischen Migrationsforschung zu berücksichtigenden Aspekt lokaler Migrationsregime im Sinne der anglo-amerikanischen Politik- und Sozialwissenschaft und damit auf die Reproduktion staatlicher Gesetze und Maßnahmen in der amerikanischen Bevölkerung an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann. Die Arbeit würde ausufern. Es wird für diese wissenschaftliche Problematik auf die Gesellschaft für Historische Migrationsforschung am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück verwiesen. 71 Joachim Radkau, Die deutsche Emigration in den USA, S. 58. 72 Siehe den Forschungsstand nebst Literaturhinweisen in: Willi Paul Adams, Die USA im 20. Jahrhundert. 3. Auflage, München 2012, S. 182. 73 Sigrid Schneider, Zwischen Scheitern und Erfolg: Journalisten und Publizisten im ameri kanischen Exil, in: Gesellschaft für Exilforschung (Hg.), Publizistik im Exil und andere Themen, Band 7, München 1989, S. 51 – 64, S. 53. 74 Compared Treatment Shown To Delinquents, in: The Daily News Frederick, Dec. 16, 1938, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 75 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
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1. Hood College, Frederick (1938 – 1939) An das Hood College mit seinem wunderschönen Campus 76 erinnerte sich Munk gern zurück und nahm noch in späteren Jahren Anteil an der weiteren wissenschaft lichen Entwicklung.77 Schon damals gab es ein gutes Sozial-, Sprachen- und politisches Bildungsprogramm; seitdem hatten sich die Bildungseinrichtungen noch wesentlich verbessert.78 Dieser Lehrauftrag 79 wurde von der Carl Schurz Memorial Foundation, Inc., und dem Oberlaender Trust bezahlt.80 Für die Bildung der jungen Generation Entscheidendes zu leisten, war der Wunsch Marie Munks. Ihrer Ankündigung vom 17. Februar 1939 in der Zeitschrift „The Blue and the Grey“ zufolge, wollte sie in ihren Seminaren und Vorlesungen das deutsche und amerikanische Leben vergleichen.81 1.1 Mitglied der Fakultät Marie Munk unterrichtete während ihres Lehrauftrags einige Studierende in unter schiedlichen Fächern: in Sozialwissenschaften, Religion, Hauswirtschaftslehre, Geschichte und Deutsch. Des Weiteren hielt sie Vorträge vor der studentischen und universitären Vollversammlung. Marie Munk hatte den Eindruck, dass die
76 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 11. 77 “When I visited Hood College a few years later, I was deeply impressed by the excellent modern equipment for language teaching, the beautiful new chapel, the new big Library and science building.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 11. 78 “Although it had already at that time a very good social science, language, and domestic science program, the educational facilities have since been much improved.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 11. 79 “[T]eaching position at Hood College in Frederick, Md”, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 4. 80 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 9; Dr. Marie Munk at Hood, in: New York Times, Feb. 5, 1939, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3; Eidesstattliche Versicherung Marie Munks vom 21. Februar 1958: Ca. $ 900 für 10 Monate, in: Entschädigungsakte Marie Munk RegNr. 60 798, Bl. E 90–E 93, Bl. E 91. 81 Reporter Has Interview With Visiting Professor. Dr. Marie Munk Recently Appointed To Hood Faculty; To Teach Second Semester, in: The Blue and Grey, February 17, 1939, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
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Mädchen ihre Kurse mochten. Als besonderes Erlebnis blieb ihr die Zeremonie für die Vergabe der Diplome an die Studierenden in Erinnerung.82 Ihre akademische Aufnahme in die Fakultät wurde mit einer „open house tea party“83 zelebriert, die Munk als „interdepartmental professor“84 mit anderen Mitgliedern der Fakultät zu Ehren ihrer Schwester, Gertrud Müller-Munk, gab. G ertrud Müller-Munk hatte gerade kürzlich ihren Wohnsitz in den USA genommen.85 Das Department of Religion at Hood College bestätigte gern Marie Munks analytischen Verstand und ihr gutes Urteilsvermögen, welche ihr die Richterstelle in Deutschland ermöglicht habe dürften. Marie Munk sei eine freundliche Persönlichkeit mit hehren Idealen, die von gutem Einfluss auf diejenigen Menschen seien, die ihr begegneten oder sie begleiteten. Marie Munk sei eine gebildete Gelehrte mit kultureller Toleranz.86 Ihre Dozentur wurde von der Carl Schurz Memorial Foundation für zwei Semester 82 “[O]ccasional classes in a number of courses; Social sciences, religion, domestic science, history, German, etc. I also gave a few addresses to the General Assembly. I had the impression that the girls liked my classes, but, unfortunately, my appointment was not renewed. Since I was at the College during the spring term, I had the opportunity to watch the colorful May Day exercises, although it was unfortunately a cold day, and to take part in the Graduation Ceremonies. During my stay in Philadelphia I had once watched the conferring of degrees by the University of Philadelphia, but this time I was not only an observer, but was treated as a member of the Faculty. With a borrowed gown I walked proudly in the procession with the other Faculty members and dignitaries and sat in the out-door-theatre in which the Gradua tion Exercises were being held. That was another happy day for me.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 11. 83 Women Have More Freedom To Choose Professions In America Than In Other Countries, Dr. Munk Tells A. A. U. W., in: The News, Fredrick, MD, Saturday, March 18, 1939, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 84 Ein verwendeter Begriff aus dem Zeitungsartikel, der sich jedoch in der amerikanischen Hochschullandschaft nicht explizit wiederfindet. Womöglich sollte mit diesem Begriff eine Gastprofessur oder Gastdozentur bezeichnet werden, was der tatsächlichen Stellung Munks zu damaliger Zeit am College entsprach: Women Have More Freedom To Choose Professions In America Than In Other Countries, Dr. Munk Tells A. A. U. W., in: The News, Fredrick, MD., Saturday, March 18, 1939, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 85 Women Have More Freedom To Choose Professions In America Than In Other Countries, Dr. Munk Tells A. A. U. W., in: The News, Fredrick, MD., Saturday, March 18, 1939, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 86 “[…] has a keen analytical mind and rare good judgement which enabled her to become a judge in Germany. She has a beautiful personality and is always motivated by high ideals and would be a fine influence on those seeking her guidance. […] She is of ripe scholarship and of broad culture.” In: Schreiben des Department of Religion of Hood College an Rev. Gibbons,
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durch ein Stipendium finanziert. Marie Munk vertrat kein eigenes wissenschaft liches Fach. Der Präsident des Hoods College beurteilte Marie Munks Vorträge und ihre wissenschaftlichen Diskussionen als anregend und für die unterschied lichsten wissenschaftlichen Disziplinen als stimulierend.87 Die Ziele des Hood Colleges und Munks Ziele stimmten überein: “[T]here was a great opportunity for women teachers to train the children of the coming generation to appreciate American democracy and help it to survive.”88 Darüber hinaus sprach Munk die regionalen Probleme und Bedürfnisse ihrer Mitmenschen an – so erlangten ihre Vorträge öffentliche Aufmerksamkeit. 1.2 Public Lectures – Öffentliche Vorträge Auf einem „weekly luncheon meeting“ unterstrich Munk für die demokratische Entwicklung Amerikas: „Danger is not from outside“ – „the danger would come from within“.89 Zur Bewahrung der Demokratie seien insbesondere die gesellschaftlichen und geschäftlichen Vorbilder der Gesellschaft aufgerufen.90 Die Arbeitslosigkeit unter Männern berge Gefahren für die Demokratie. Das bedeute auch, mahnte Marie Munk, dass eine kleine Stadt, wie Frederick, ihre Entwicklung selbst in die Hand nehmen müsse und nicht auf Signale von außen warten dürfe.91 Diese
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Congregational Church, Northampton, vom 20. September 1940, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. “During the second semester of the academic year 1938 – 39 Dr. Munk served as special lecturer at Hood College under a grant of the Carl Schurz Memorial Foundation. She did not do any detailed teaching but served as an interdepartmental professor, lecturing in several different departments. She has a quite a breadth of information and had something stimulating to offer in a number of different fields of knowledge. The relationship with us was a temporary one. We found her a gentlewoman of dignity and pose, and rather stimulating and challenging in the questions which she brought up for discussion.” In: Schreiben des Präsidenten des Hood College, Frederick, vom 26. September 1940 an Mrs. George P. Hyde, Vice-President People’s Institute, Northampton, Mass., in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. Have Great Opportunity To Train Children To Appreciate American Democracy, Says Dr. Munk, in: The Daily News, Frederick, MD, Tuesday, May 2, 1939, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. Sees Democracy Menaced Within, in: The Daily News, Frederick, MD, Wednesday, May 17, 1939, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. “[…] like charity, begins at home”, in: Sees Democracy Menaced Within, in: The Daily News, Frederick, MD, Wednesday, May 17, 1939, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. Sees Democracy Menaced Within, in: The Daily News, Frederick, MD, Wednesday, May 17, 1939, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
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provokanten Thesen sorgten in der kleinen Stadt Northampton in Massachusetts für Aufmerksamkeit. Aber auch, weil sich Marie Munk in Deutschland für die Stellung der Frau engagiert hatte, zeigte eines der ältesten Frauen-Colleges der Welt an Marie Munk Interesse.
2. Sophia Smith College, Northampton/Massachusetts (1939 – 1941) Marie Munk wurde ein Lehrangebot vermittelt. Prof. Kimball lud Marie Munk ein, über das Ehegüterrecht und das Strafvollzugsverfahren der USA im Vergleich zu Europa und Deutschland zu unterrichten.92 Das Lob Kimballs war ihr gewiss: “She is a woman of great learning and ability. Her orientation, however, is largely to the continental system of civil law rather than to the Anglo-American system of this country.”93 Sie erhielt für ihre Arbeit am Smith College nur freie Kost und Logis.94 Im Gegenzug wurde sie um wesentliche wissenschaftliche Erfahrungen reicher, weil sie in Northampton die notwendige Ruhe für weitere Forschungsarbeiten fand: “We are free from Nazi invasion and ‘Blitzes’ and with plenty of food and clothing, in contrast to other countries”, schrieb sie an ihre Freunde 95, “but job opportunities are limited.”96 Marie Munk folgte einer Tradition des Smith College – Öffentliche Vorträge für die Bürger der Region. 2.1 Öffentliche Vorträge zur Bedeutung der Familie für die Demokratie Ihre Vorträge wurden in der örtlichen Presse angekündigt.97 Namhafte Sponsoren meinten, dass sich die Gesellschaft die reichen Erfahrungen Marie Munks zunutze machen sollte.98 Namhafte Wissenschaftler, wie zum Beispiel Prof. S. Ralph Harlow 92 “Prof. Kimball invited me to give a class on ‘Married Women’s Property Rights’ and on Criminal Procedure in the United States in which I drew comparisons with the German or European system.” In: Summary of Experiences and Trainings, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 93 Schreiben von Everet Kimball, Director des Smith College an Mrs. George P. Hyde, Northampton, Mass., vom 25. September 1940, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. 94 Eidesstattliche Versicherung von Marie Munk vom 21. Februar 1958, in. Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 90–E 93, Bl. E 91. 95 Dear-Friend-Brief, December 7, 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 96 Dear-Friend-Brief, December 7, 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 97 Dr. Munk Open Lecture Series Here Thursday, in: Daily Hampshire Gazette Tuesday, November 5, 1940, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3514. 98 “[…] feel that the rich experience of Marie Munk should be made available to the community.” In: Vortragsankündigung zu Making Your Marriage A Success, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
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vom Smith College, übernahmen nach Marie Munks Vortrag die Diskussionsleitung.99 Die Medien nahmen regen Anteil an Marie Munks Vorträgen über Deutschland 100, zur beruflichen Stellung der Frau in Deutschland und den Vereinigten Staaten.101 Im Unterschied zu ihrer Zeit am Hood College veränderte Munk den Fokus ihrer Botschaften. Sie schöpfte aus ihren ersten Erkenntnissen in den USA . Sie erklärte die Bedingungen familiären Zusammenlebens in ihren Staats-, Familienund sozialpolitischen Betrachtungen über die USA zum Kern der Gesellschaft. Die Familie sei in der Diktatur lediglich Mittel zum Zweck politischer Ziele. Die nationalsozialistische Familienpolitik schütze den Staat, erbringe jedoch letztend lich keine Leistungen für die Familien.102 In den USA bedürfe es des Einsatzes von ehrenamtlichen Sozialarbeitern, um junge straffällig gewordene Mädchen in ein neues soziales (familiäres) Umfeld zu integrieren.103 Die Familie als Kern der Gesellschaft müsse gestützt werden. „The Home, a Bulwark of Democracy“104, hinter diesen fulminanten Worten stand die verheißungsvolle Botschaft: Der Staat wird nicht von einigen wenigen oder von seinen Behörden gemacht, sondern geht von der Familie aus: „How To Make America Safe for Democracy“105. Für ihre Überlegungen gab der Oberlaender Trust eine Empfehlung an das People’s Institute, damit Munk über das Thema „Life Adjustment Counsel“ und zu Marriage Counseling referierte.106
99 Dr. Munk to Give Final Lecture in Series on Marriage, in Daily Hampshire Gazette, Tuesday, December 10, 1940 und Thursday, December 12, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 100 Health Camp Hear Dr. Marie Munk in a Talk on Europe, in: Daily Hampshire Gazette, Tuesday, January 14, 1941, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 101 German Women Have No Opportunities Under Nazi System, in: Daily Hampshire Gazette, Wednesday, March 6, 1940; Status of German Women of Today Topic of Smith College Speaker, in: The Springfield Union, Springfield, MA, Wednesday, March 6, 1940; Speaker Voices Admiration Of American Women’s Liberty, in: Mount Holyoke News, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 1 02 Hitler Youth Reverses State Not Families, in: The Christian Science Monitor, Boston, Wednesday, March 27, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 103 First Woman Lawyer In Berlin Addresses First Church Guild, in: Holyoke Daily Transcript and Telegram, Thursday, Mach 7, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 104 Daily Hampshire Gazette, Monday, February 10, 1941, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 105 Ankündigung eines Vortragszyklus mit der Überschrift „Junior Child“, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 106 Schreiben von Wilbur K. Thomas, The Oberlaender Trust, an Mrs. Goerge Hyde, Northampton, Mass., vom 26. September 1940, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522.
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Aus Munks Sicht wurde die Situation der Familie immer durch die Rechte von Frauen in den Familien entscheidend geprägt. Munk regte an: „a study of family law as it affects women in the United States.“107 Diese Thematik sei auch ein entscheidender Schlüssel für „Making Your Marriage A Success“108. Für die junge Generation höchst interessant, bot Marie Munk eine Evaluierung für Verlobte an. Anhand eines Personal Balance Sheets sollten die Verlobten erkennen können, ob sie in ihren Neigungen und familiären Vorstellungen übereinstimmten oder nicht übereinstimmten.109 Diese Veranstaltung wurde für den Girl’s City Club wiederholt gebucht.110 Marie Munk legte ihren Zuhörern ein sogenanntes 10-Punkte-Programm vor 111, das die jungverheirateten Eheleute in die Verantwortung der Elternschaft begleiten sollte. Es ist als Handout in ihrem Nachlass erhalten geblieben.112 Darüber hinaus erteilte sie in ihren Vorträgen Ratschläge zur Budgetgestaltung 113 für vier Personen (Eheleute mit zwei Kindern).114 Die örtliche Zeitung vermeldete, „Dr. Munk Says That Children Can Be Raised on Low Pay “115. Als für ein gesundes 107 Change in Lecture Dates of Dr. Munk, in: Hampshire Gazette, Tuesday, October 22, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3514. Hervorhebung nicht im Original. 108 Einladung des People Institute, Northampton, Mass., in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 109 Dr. Munk Heard in First Lecture on ‘Marriage Venture’, in: Daily Hampshire Gazette, November 8, 1940, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3514; Getting Prepared for Marriage, in: Daily Hampshire Gazette, Monday, January 20, 1941, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 110 Girl’s City Club Arranges Program for a Month Ahead, in: Daily Hampshire Gazette, Wednesday, January 22. 1941; Program Adopted for Next Two Months by the Girl’s City Club, in: Daily Hampshire Gazette, Wednesday, March 20. 1941, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 111 ‘Problem of Being a Parent’ to Be Topic of Lecture, in: Daily Hampshire Gazette, Tuesday, December 3, 1940; People’s Institute Evening School Has Successful Season, in: Daily Hampshire Gazette, Wednesday, April 16, 1941, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 112 Ten Commandments For Successful Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 6. 113 ‘Financing Marriage’ to Be Topic of Dr. Munk Talk Thursday, in: Daily Hampshire Gazette, Wednesday, November 13, 1940; Marriage People Get Advice on Budgets, in Dr. Munk Lecture, in: Daily Hampshire Gazette, November 15, 1940; Economic Problems of Marriage, in: Daily Hampshire Gazette, Monday, April 21 and 28, 1941, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 114 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 6. 115 Daily Hampshire Gazette, Friday, December 6, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
Dozentin im Hood College und im Sophia Smith College (1938 – 1940)
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Heranwachsen von Kindern unerlässlich, plädierte sie für Entwicklungsbeobachtungen von Kleinkindern.116 Die Kinder- und Jugenderziehung sei eine Balance zwischen Führung und Begleitung.117 Sie riet den Eltern eindringlich, ihre Freizeit vorrangig gemeinsam mit den Kindern zu gestalten.118 Als Grundlage für ein erfolgreiches familiäres Zusammenleben erachtete sie die richtige Einstellung zum Leben, zum Sex und eine religiöse Führung.119 2.2 Bewerbungen an Universitäten Während ihrer Zeit am Hood College in Frederick und am Smith College in Northampton hatte sich Marie Munk bei verschiedenen Colleges und Universitäten vergeblich beworben. In einem Bewerbungsverfahren erreichte sie ein Telegramm des Präsidenten des betreffenden Colleges erst nach ihrer Rückkehr aus Boston. Die Position war bereits vergeben.120 Thorsten Sellin tröstete Marie Munk 121: “In the meantime I hope that you will make good progress on the book.”122 Die letzten Worte Sellins belegten: Marie Munk arbeitete trotz ihrer schwierigen wirtschaft lichen Situation aus freien Stücken wissenschaftlich.
116 Dr. Munk Speaks on Proper Rearing of Young Children, in: Daily Hampshire Gazette, F riday, December 13, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 117 “[…] between guidance and independence”. In: Dr. Munk to Give Final Lecture in Series on Marriage, in Daily Hampshire Gazette, Tuesday, December 10, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 118 Daily Hampshire Gazette, Friday, December 6, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 119 “[…] a right attitude toward life and Sex and a well rounded religious guidance” In: Dr. Munk Speaks on Proper Rearing of Young Children, in: Daily Hampshire Gazette, Friday, December 13, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 1 20 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 14 – 15. 121 “I am sorry that the position at St. Lawrence University did not materialize for you, but I hope that there will be other offers. If I hear of anything I shall, of course, be glad to communicate with you.” In: Schreiben von Thorsten Sellin an Marie Munk, November 6, 1939, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9. 122 Schreiben von Thorsten Sellin an Marie Munk, November 6, 1939, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9.
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3. Fazit Die Aufzeichnungen aus den Lehrveranstaltungen am Hood College und am Sophia Smith College sind nicht erhalten geblieben. Es bleiben die in Zeitungen und Magazinen berichteten Inhalte über ihre öffentlichen Vorträge als Informationen zurück. Lehnt sich der Leser an dieser Stelle etwas zurück und denkt über die Inhalte von Marie Munks Vorträgen ein klein wenig nach, so erscheint es ihm genau genommen unvorstellbar, wie Munk als unverheiratete, kinderlose Frau zukünftigen Eheleuten und Verheirateten kluge Ratschläge erteilen konnte. Dieser erste Blick auf Marie Munks öffentliche Vorträge bliebe oberfläch lich, auch wenn Erziehungsberatung und eine Vorbereitung auf die Ehe und das Familienleben als etwas Neues und Notwendiges von ihren Zuhörern honoriert worden sind. Der zweite Blick des Lesers richtet sich zum einen auf den Vortrag Munks über die bedeutende Rolle der Familie in der Gesellschaft und zum anderen auf die Rechte und die Rolle der Frau in der Familie. 3.1 Die Rechte und die Rolle der Frau in der Familie Diese Rechte der Frau in der Familie wurden in den Vorträgen Marie Munks nicht nur als ein sozialpolitisches Ziel, sondern ebenso als ein Mittel zur Bewahrung der Demokratie sichtbar. Es sind zwar ein demokratischer Parlamentarismus und der Führer, die staatlichen Institutionen und ihre Machthaber, die Demokratie und Diktatur voneinander scheiden, es ist aber auch die Rolle der Frau in der Familie, die Demokratie für die Gegenwart und für zukünftige Generationen erst mög lich macht. In damaliger Zeit hat sich Max Horkheimer in seinen „Studien über Autorität und Familie“ der prägenden Rolle des Geschlechterverhältnisses in der Familie für die nachwachsende Generation angenommen. Weil sich die vorliegende werkbiografische Arbeit weder den einzelnen Studien des in Paris von Horkheimer veröffentlichten Buches noch den philosophischen Wurzeln, aber auch nicht der Frage widmen kann, inwieweit die Kritische Theorie mit der Psychoanalyse oder anderweit interdisziplinär verbunden ist, sei ein punktuelles, aber wichtiges Detail zur Stellung der Frau im Geschlechterverhältnis in der Familie gestattet: Indem die Frau „gesellschaftlich und rechtlich weitgehend unter der Botmäßigkeit des Mannes steht und auf ihn angewiesen ist, also das Gesetz dieser anarchischen Gesellschaft selbst in sich erfährt, wird ihre eigene Entfaltung dauernd gehemmt. Der Mann und zwar der durch die bestehenden Verhältnisse geprägte Mann herrscht in doppelter Weise über sie: indem das gesellschaftliche Leben wesentlich von Männern besorgt wird und indem es der Mann ist, welcher der Familie vorsteht.“123 123 Max Horkheimer, Studien über Autorität und Familie, Paris 1936, S. 67.
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Die familiale Rolle der Frau stärke die Autorität des Bestehenden in doppelter Weise. Dies geschehe, so Horkheimer, dadurch, dass die Frau wirtschaftlich und sozial abhängig vom Mann sei und sich der Mann aus der wirtschaftlichen und sozialen Verantwortung für Frau und Kind den herrschenden Verhältnissen füge: „[D]er bloße Gedanke an Widerstand“ bringe ihn „vor den qualvollsten Gewissenskonflikt“124. Des Mannes „Kampf gegen bestimmte historische Zustände“ verwandele sich „in eine Aufopferung der geliebten Personen“.125 Aber es sei nicht nur die Sorge um die Familie, die den Mann umtreibe, sondern „durch die stetig ausgesprochene und stumme Mahnung der Frau“ werde der Mann „dem Bestehenden verhaftet, und die Kinder erleben in der mütterlichen Erziehung unmittelbar die Einwirkung eines der herrschenden Ordnung ergebenen Geistes“.126 Unter dem „Druck der Familienverhältnisse“ erfahre die nachwachsende Genera tion „ die Mutter nicht in ihrer konkreten Existenz“.127 Die Kinder würden die Mutter „nicht als dieses bestimmte soziale und geschlechtliche Wesen begreifen und achten“128 lernen. Und „dadurch dass die Frau sich dem Gesetz der patriarchalischen Familie beugt, wird sie selbst zu einem die Autorität in dieser Gesellschaft reproduzierenden Faktor.“129 Horkheimer charakterisierte die Frau, wie sie die Herrschaft des Mannes in der Familie und die auf den Mann einwirkende bedingungslose Herrschaft anerkennt, und in der Familie Autoritätsstrukturen der Gesellschaft vorwegnimmt.130 Mit der Folge, dass Generationen einer Gesellschaft nicht dazu erzogen werden, „den Dingen auf den Grund zu gehen.“ Vielmehr nehmen sie „die Erscheinung für das Wesen“.131 Die Wurzel d ieses Phänomens der gesellschaftlichen Kritiklosigkeit griff Marie Munk auf und forderte die Zukunft demokratischer Gesellschaften von der Rolle der Frau in der Familie abhängig zu machen. Dies stellte sie bewusst in einen Gegensatz zu Horkheimer, der nicht die Personen, sondern vorrangig die sozioökonomischen und kulturellen Strukturen und Institutionen des gesellschaftlichen Lebens verändert wissen wollte.132 Deshalb 124 Ebd., S. 68. 125 Ebd. 126 Ebd., S. 68 – 69. 127 Ebd., S. 69. 128 Ebd. 129 Ebd., S. 69. 130 Max Horkheimer, Theoretische Entwürfe über Autorität und Familie, Allgemeiner Teil, in: Max Horkheimer (Hg.), Studien über Autorität und Familie, Paris 1936, S. 51, 69. 131 Max Horkheimer, Theoretische Entwürfe über Autorität und Familie, Allgemeiner Teil, in: Max Horkheimer (Hg.), Studien über Autorität und Familie, Paris 1936, S. 59. 132 Hierauf spielt Horkheimer schon in seinen Überlegungen über die Notwendigkeit, dem Begriff AUTORITÄT eine Definition zu geben, an. Horkheimer setzt fort: „Solange die
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konnte es Marie Munk nicht nur um das Recht der Frau und um ihren Vorschlag gehen, zu untersuchen, wie das Recht auf die Rolle der Frau wirkt, sondern zum einen um die Frage, wie Ordnungen normativ entstehen durch die Rolle der Frau in der Familie, zum anderen würde das Recht der Frau in der Familie und deren Bedeutung für zukünftige Generationen einem Vakuum überantwortet, wenn nicht auch das soziale Gebilde der Familie interdisziplinär mitbetrachtet werden würde. Allerdings nicht nur interdisziplinär, indem das soziale Gebilde der Familie zum einen rechtlich, zum anderen kulturell und in einem weiteren Schritt ökonomisch oder kulturanthropologisch durch die Brille weiterer wissenschaftlicher Disziplinen (sozusagen nebeneinander) betrachtet und dann zusammengeführt werde. Sondern all d ieses in ihrer Verknüpfung mit dem Recht, weil nur so normative Ordnungen als Ganzes entstehen können. Im Vergleich zu Max Horkheimer wollte Marie Munk also noch einen „kleinen“ Schritt weiter gehen. 3.2 Die Rolle der Familie in der Gesellschaft Das soziale Gebilde der Familie bot sich für Marie Munk gerade deshalb an, weil sie mit ihrer Immigration recht umfangreich Literatur, die sie besessen hatte, in Deutschland zurücklassen musste. Das s oziale Gebilde der Familie war eine allgegenwärtige Forschungsfigur, auf die Marie Munk im Alltag unter praktischer Anwendung ihrer bisherigen Erkenntnis zugreifen konnte. So wird dem Leser der Zeitungsberichte aus ihren Vorträgen impliziert, dass Marie Munk nicht in eine defensive Immigranten-Rolle entschwand, die sich für die Ereignisse in Hitler- Deutschland als Kulturfremder in den Vereinigten Staaten rechtfertigen muss. Noch wurde Marie Munk zu einem schlichten Berichterstatter, wie viele deutsche Journalisten vor ihr. Vielmehr öffnete sie den Zuhörern den Blick für das soziale Gebilde Familie im Sinne einer Kultur für Recht und Demokratie. Kultur war für Marie Munk nicht auf Schöngeistiges oder eine Überlieferung deutscher Kultur in die amerikanische Kultur 133 beschränkt. Vielmehr entfesselte Marie Munk die Vorstellung über das soziale Gebilde Familie in mehrfacher Hinsicht: zuvorderst von der ausschließlichen Interdependenz durch von außen auf die Familie einwirkende historische Ereignisse;134 zudem vom damaligen Stand der Forschung. Das soziale grundlegende Struktur des gesellschaftlichen Lebens […] sich nicht entscheidend verändert, wird die Familie als Produzentin von bestimmten autoritären Charaktertypen ihre unentbehrliche Wirkung üben.“ In: Max Horkheimer, Theoretische Entwürfe über Auto rität und Familie, Allgemeiner Teil, in: Max Horkheimer (Hg.), Studien über Autorität und Familie, Paris 1936, S. 22 – 23, 61. 133 Vgl. das historische Werk von Albert B. Faust, Das Deutschtum in den Vereinigten Staaten. 134 An dieser Stelle sei auf das Buch von Manfred Kersten, Ehe und Familie im Wandel der Geschichte: Wie sich die Institutionen Ehe und Familie in den Jahrhunderten verändert haben, Heimbach 2012, hingewiesen.
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Gebilde Familie wandele sich durch die ökonomische Entwicklung eines Landes 135 oder die Veränderung von Produktionsmitteln.136 Drittens wurde bei Marie Munk die Familie einem allein anthropologischen Untersuchungsgegenstand 137 enthoben. Mit diesem Denkansatz hatte Marie Munk mit Herbert Marcuse gemein, dass die Familie, wie sie sich im Zusammenspiel verschiedenster historischer und sozio ökonomischer Bedingungen verändert, als soziales Gebilde quasi eine „Mischgestalt“ dieser auf sie einwirkenden Bedingungen charakterisiert.138 Seit der Arbeit von Emile Durkheim wurde darüber nachgedacht, was Familie eigentlich sei.139 Hierauf wollte Marie Munk keine Antwort geben. Vielmehr griff Munk unter all diesen die Familie (oder besser gesagt: des Zusammenlebens) bestimmenden Bedingungen immer wieder die Stellung der Frau auf und gab ihren Zuhörern zu verstehen, dass zu einer patriarchalen Herrschaft immer zwei gehören. Das heißt, eine Frau, die sich ergibt und ihrer sozialen Rolle ergeben, ist. Heute weiß der Betrachter um die Konstruktion des Geschlechts durch Recht,140 sodass Marie Munks Hinweis auf die Rolle der Frau zu damaliger Zeit nicht so schlicht daherkam, wie es aus heutiger Sicht scheinen mag. Wenn der Leser dieser Zeilen bedenkt, dass Herrschaft zu damaliger Zeit seit etlichen Jahren in einem doppelten Wortsinn – sowohl in der Wissenschaft, als auch in der wissenschaftlichen Erkenntnis selbst – vom Mann aus und zum Mann hin gedacht worden ist.141 Ob bis zu der soziologischen 135 Hilde Weiss, Materialien zum Verhältnis von Konjunktur und Familie, in: Max Horkheimer (Hg.), Studien über Autorität und Familie, Paris 1936, S. 10, 579 – 581; Andries Sternheim, Materialien zur Wirksamkeit ökonomischer Faktoren in der gegenwärtigen Familie, in: Max Horkheimer (Hg.), Studien über Autorität und Familie, Paris 1936, S. 575 – 578. 136 Karl A. W ittfogel, Wirtschaftsgeschichtliche Grundlagen der Entwicklung der Familien autorität, in: Max Horkheimer (Hg.) Studien über Autorität und Familie, Paris 1936, S. 486. 137 An dieser Stelle soll nur kurz auf Knud Rasmussen, The People of the Polar North: A Record, London 1908; Fridtjof Nansen, Das Eskimoleben, Berlin 1921; Bronislaw Malinowski, The Family among the Australian Aborigines: a sociological study, London 1913; Robert Briffault, The Mothers: A Study of the Origins of Sentiments and Institutions, London 1927; M argaret Mead, Groping up in New Guinea: A Comparative Study of Primitive Education, New York 2001, hingewiesen werden. 138 Herbert Marcuse, Autorität und Familie in der deutschen Soziologie bis 1933, in: Max Horkheimer (Hg.), Studien über Autorität und Familie, Paris 1936, S. 737 – 752. 139 Norbert F. Schneider, Lehrbuch Moderne Familiensoziologie, Opladen 2008, S. 10. 140 Konstanze Plett, Das unterschätzte Familienrecht – Zur Konstruktion von Geschlecht durch Recht, in: Koreuber, Mechthild und Ute Mager (Hg.), Recht und Geschlecht. Zwischen Gleichberechtigung, Gleichstellung und Differenz, in der Reihe: Schriften zur Gleichstellung der Frau, Band 27, Göttingen 2004, S. 109 – 120. 141 Beispielsweise sei auf Wilhelm Heinrich Riehl, Die Familie, Stuttgart 1861, S. 5 hingewiesen, der die soziale Ungleichheit von Mann und Frau in der Familie mit der Ungleichartigkeit ihrer menschlichen Berufe begründet. Oder es sei auf die katholische Theorie bezüglich der Familie hingewiesen, die die Familie als gottgewolltes Gebilde interpretiert. Zum Mann in der Familie
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systematischen Differenzierung der Kategorie Geschlecht in den 1990er-Jahren 142 zu damaliger Zeit (also ab der 1920er-Jahre und in den 1930er-Jahren, als Marie Munk ihre Vorträge hielt) der Blick der Soziologie geschlechtsspezifisch verstellt wurde, und wenn ja, in welche Richtung verstellt worden ist, soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Betrachtet der Leser die soziologische Literatur damaliger Zeit ausgewählt kursorisch, so fällt auf, dass schon vor der Weimarer Zeit die deutsche Familie zwar immer noch als Basis der Gesellschaft in der soziologischen Wissenschaft wahrgenommen, jedoch der Familie ihre gesellschaftliche Bedeutung bereits ein Stück weit abgesprochen wurde, weil etlicher ihrer Funktionen staatlicherseits sozialisiert worden seien.143 Zu dieser Autoritätsverlagerung von erzieherischen Leistungen aus der Familie an professionelle Institutionen (z. B. in der Erziehungsarbeit) ist es aus soziologischer Perspektive konträr, dass sich der Begriff „Familie“ zu jener Zeit und bis in die 1980er-Jahre immer noch über die Ehe definierte. Das (diskriminierende) Nichtehelichenrecht, das Adoptiv-, Stief- und Pflegekindschaftsrecht haben hierzu in Deutschland bis in die 1980er-Jahre beigetragen. Die Bundesstatistik hält bei der Klassifikation von Lebens- und Familienformen immer noch an einem gemeinsamen Haushalt der Eltern fest, obgleich die Differenzierung von Lebensverhältnissen in der so bezeichneten sozialen Evolution vorherrschend ist.144 Gerade in den Vereinigten Staaten der 1930er-Jahre setzte sich die Erkenntnis eines „family development“, eines elastischen, sich wandelnden Familienbildes, in der quantitativen Sozialforschung durch.145 Ohne auf die Anwendbarkeit theoretischer sozialwissenschaftlicher Ansätze auf die familiale Realität einzugehen,146 sondern um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen:
142 143
1 44 145 1 46
als Stellvertreter Gottes vgl.: Wilhelm Koppers, Ehe und Familie, in: Alfred Vierkandt (Hg.), Handwörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1913, S. 112 – 122, S. 121 oder Ferdinand Tönnies, Die moderne Familie, in: Alfred Vierkandt (Hg.), Handwörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1931, S. 129: „Die moderne Familie ist ihrer Grundlage nach patriarchalisch.“ Mechthild Bereswill, Geschlecht, in: Nina Baur, Hermann Korte, Martina Löw und Markus Schroer (Hg.), Handbuch der Soziologie, Wiesbaden 2008, S. 97 – 116. Verwiesen werden kann auf: Franz Müller-Lyer, Die Entwicklung der Menschheit: Eine systematische Soziologie im Überblick und in Einzeldarstellungen: Band 4: Die Familie, München 1911; R. Thurnwald, Die menschliche Gesellschaft, Band 2: Werden, Wandel und Gestaltung der Familie, Verwandtschaft und Bünden, Berlin 1932. Tanja Mühling und Marina Rupp, Familie, in: Nina Baur, Hermann Korte, Martina Löw und Markus Schroer (Hg.), Handbuch der Soziologie, Wiesbaden 2008, S. 77 – 78. Andreas Diekman und Stefan Weick (Hg.), Der Familienzyklus als sozialer Prozess. Sozialwissenschaftliche Studien, Heft 26, Berlin 1993. Vgl. als beschränkten Hinweis: Tanja Mühling und Marina Rupp, Familie, in: Nina Baur, Hermann Korte, Martina Löw und Markus Schroer (Hg.), Handbuch der Soziologie, Wiesbaden 2008, S. 86 – 92.
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Gerade bei einer Autoritätsverlagerung von erzieherischen Leistungen aus der Familie an professionelle Institutionen (z. B. in der Erziehungsarbeit), verliert die Rolle der Frau in der Familie nicht an Bedeutung, weil das Dasein des Kindes in andere wertegesetzliche Abhängigkeiten überführt wird.147 Im Verlauf dieser Veränderungen mag die Autorität des Mannes und Vaters in der Familie abgenommen, jedoch die Autorität professioneller medizinischer, sozialer und pädagogischer Organisationen zugenommen haben; sodass gerade deshalb die Rolle der Frau in der Familie zu betrachten ist, weil sich aus Sicht des Kindes die Werteorientierung aus der Familie in die professionelle Institution verschiebt und sich somit für das Kind die Frage nach der Gleichwertigkeit der Werteorien tierung ergibt. Ein Seitenblick in führende amerikanische Werke zeigt: Das wissenschaftliche Interesse in der amerikanischen Soziologie an der Familie in ihrem Wandel wuchs langsam und erreichte erst in den 1940er-/1950er-Jahren seine wissenschaftliche Blüte.148 Ob dieses sozialwissenschaftliche Ergebnis mit der Rolle der Frau vergleichbar und / oder vereinbar war und wie tief es in der Rolle der Frau verankert war oder gewesen sein könnte, ist an dieser Stelle nicht das Hauptthema. Es bleibt nur festzuhalten: In den Jahren, als Marie Munk ihre öffentlichen Vorträge (Public Lectures) zur Rolle der Frau in der Familie und zur Familie in der Gesellschaft hielt, zeichneten sich in der damaligen amerikanischen soziologischen Literatur zwei Hauptrichtungen ab: eine, die in dem sozialen Gebilde der Familie „demokratische Kooperation“ sah, eine andere, die eine patriarchale Autorität restaurierte. Die veränderte Rolle der Frau und das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern hatten Vorrang in der wissenschaftlichen Betrachtung. Gleichwohl sollten die Kinder „in der Gewohnheit des bereitwilligen Gehorsams gegenüber den Leuten, die das Recht zu befehlen haben, aufgezogen werden“.149 147 Carolyn Sue Groh, Autorität und Partnerschaft. Eine vergleichende Untersuchung der Familie und Schule in den Vereinigten Staaten von Amerika und in der Bunderepublik Deutschland, München 1960, S. 73 – 98, 84. 148 Arthur W. Calhoun, A Social History of the American Family from Colonial Times to the Present, Cleveland 1917 – 1919; Edward R. Westermark, The Future of Marriage, London 1936; Ernest R. Groves and Gladys H. Groves, The Contemporary American Family, New York 1947; Ralph Linton, The Natural History of the Family, in: Ruth Nanda Anshen (Hg.), The Family: Its Function and Destiny, New York 1949, pp. 18 – 38; Robert Morrison MacIver and Charles H. Page, Society. An Introduction Analysis, New York 1949; Ernest W. Burgess and Harvey J. L ocke, The Family: From Institution to Companionship, New York 1950 und 1953; Clifford Kirkpatrick, The Family as Process and Institution, New York 1955. 149 Arthur W. Calhoun, Autorität und Familie in der amerikanischen Soziologie der Gegenwart, in: Max Horkheimer (Hg.), Studien über Autorität und Familie, S. 799, 805.
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Marie Munks Vorträge Ende der 1930er-Jahre trugen also nicht nur originäre Konturen der rechtspolitischen Sozialisation in der Familie im Sinne Lewins 150 in sich, wie sie 5 – 6 Jahre s päter durch die Studien von Nevitt Sanford und Daniel Levinson,151 Else Frenkel-Brunswik 152 und Theodor W. Adorno 153 zum autoritären Charakter ihren Anfang nahmen.154 Indem Marie Munk den positiven wie den negativen Fortgang der Geschichte den in der Gesellschaft lebenden Individuen überantwortete und mit diesem gedanklichen Schritt die Geschichte institutionell enthob, blieb sie nicht bei der Erkenntnis stehen, dass sich Kulturen (wie zum Beispiel religiöse Leitbilder) erhielten und gesellschaftlichen Wandel hinderten 155 und andere Leitbilder den Fortgang der Geschichte beförderten. Vielmehr implizierte Marie Munk mit ihren Vorträgen darüber hinaus auch, dass Demokratie kein Ergebnis verfassungsrechtlicher Bestimmungen (wie des Wahlrechts etc.), noch ein Ergebnis des Handelns von staatlichen Institutionen oder Machthabern ist. Demokratie ist ein Ergebnis der in ihr handelnden Individuen; vielmehr noch: Demokratie wird begründet und ist Handeln der Individuen in der Familie. Marie Munk erklärte in ihren Vorträgen die Familie nicht nur zum Ort des historisch-politischen Lernens,156 sondern zur Basis von Demokratie. Marie Munk forderte ihre Zuhörer auf, sich vom politischen Impetus der Regierungen nicht missbrauchen zu lassen, indem sie auf die Zweckentfremdung der Familie durch die Nationalsozialisten einging. Letztendlich sollten die Zuhörer Marie Munks ihren Fokus nicht auf einen oktroyierten Willen (z. B. von Regierungen oder Religionen), sondern auf ihre Kinder und Kindeskinder als nachfolgende Generationen in der Gesellschaft als eine verantwortliche und selbstbestimmte Persönlichkeit ausrichten. Über die Rechte der Frau überführte Marie Munk die Familie aus dem Privaten an das Licht 150 Familie als Lernort für Demokratie: Kurt Lewin, Ronald Lippitt und Ralph K. W hite, Patterns of aggressive behavior in experimentally created „social climates“, in: The Journal of Social Psychology, 1939, p. 271 – 299. 151 Daniel J. Levinson und R. Nevitt Sanford, A scale for the measurement of antisemitism, in: Journal of Psychology, 1944, Vol. 17, p. 339 – 370. 152 Else Frenkel-Brunswik, Studien zur autoritären Persönlichkeit. Ausgewählte Schriften, Wien 1996. 153 Theodor W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, in: Max Horkheimer (Hg.), Studies in Prejudice, New York 1949 – 1950 (Deutsche Teilausgabe Frankfurt a. M. 1973). 154 Christel Hopf und Wulf Hopf, Familie, Persönlichkeit, Politik. Eine Einführung in die politische Sozialisation, Weinheim 1997, S. 23 – 26. 155 Max Horkheimer (Hg.), Studien über Autorität und Familie, S. 15 – 17. 156 Christel Hopf und Wulf Hopf, Familie, Persönlichkeit, Politik, S. 142 – 145, dem erst durch die wissenschaftliche Ausgestaltung der Oral-History-Forschung in den letzten fünf Jahren näher auf den Grund gegangen wird. Vgl. z. B. die wissenschaftliche Zeitschrift BIOS und die Gesellschaft für Biografieforschung.
Amerikanische Staatsbürgerschaft und Bar-Examen (1942 – 1943)
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der Öffentlichkeit und in die am Gemeinwohl orientierte demokratische Verantwortung. Nach ihrer wissenschaftlichen Arbeit am Hood College und am Sophia Smith College in Northampton, Massachusetts, war es Marie Munks Wunsch juristisch zu arbeiten – eine wichtige Etappe für ihre berufliche und persönliche kulturelle Integration.
III. Amerikanische Staatsbürgerschaft und Bar-Examen (1942 – 1943) Für Marie Munks wichtigste Etappen, ihre amerikanische Staatsbürgerschaft und das amerikanische Bar Examen, besorgte ihr William Draper Lewis, Director of American Law Institute in Philadelphia, Informationen und nannte ihr Kontaktpersonen.157 Ein paar Monate s päter setzte er sich auch bei Rechtsanwalt Francis Fisher Kane für Munk ein.158 Draper Lewis’ Auskunft vom 22. Dezember 1941 war es aber 159, die Marie Munk irrtümlich glauben ließ, ein amerikanisches Examen nicht ablegen zu müssen, wenn sie die amerikanische Staatsbürgerschaft bekommen und sie ihre mehrjährige juristische europäische Praxis dem Board of Examiners nachweisen würde. Marie Munk glaubte, das Board of Examiners könne unbeachtlich der formell-rechtlichen Anforderungen sie zur Anwaltschaft zulassen.160 Qualität und Erfahrung – diesen Beweis wollte Munk führen. 157 Schreiben vom William Draper Lewis vom 22. Dezember 1941 und 5. Januar 1942 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3521. 158 “I see by your letter that you are planning to ask Mr. Francis Fisher Kane to help you. I am writing him a letter, a copy of which I enclose.” In: Schreiben von William Draper Lewis an Marie Munk vom 22. Juli 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3521. 159 “As to admission to the bar in Massachusetts that should not be very difficult if you have once been admitted to citizenship, but the matter should be looked up now.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3521. 160 “On the suggestion of one of my friends, I discovered that admission to the Bar of Massachusetts was possible ‘by courtesy’ for those who had practiced law for five years in ‘another State or Country’ prior to the admission in Massachusetts. Since I had practiced law for more than five years in ‘another country’, Germany, it seemed possible for me to be admitted without taking the Bar Examination and without going to Law School. Admission to the Bar required, however, American citizenship, which I did not have. Nevertheless, I tried to find out how the Board of Bar Examiners would pass on my petition for admission ‘by courtesy’. I was invited to come to Boston for a personal interview, and to do so, at the time when the Bar examination was being held.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 22.
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1. Vorbereitung auf das Bar-Examen Ihre autodidaktische Vorbereitung für das persönliche Gespräch suchte sie mit fachpraktischen Gesprächen zu ergänzen.161 In dieser intensiven Vorbereitungszeit übersah sie offensichtlich eine wichtige Information über die Voraussetzungen für eine Zulassung zur amerikanischen Anwaltschaft ohne amerikanisches Examen. Es war ihr in einem Schreiben des Präsidenten des Board of Examiners des Commonwealth of Massachusetts, W. H. Hitchcock, vom 20. Januar 1942 mitgeteilt worden, dass sie außer ihrer europäischen juristischen Erfahrungen und ihrer autodidaktischen Vorbereitungen eine breite Kenntnis und Erfahrung im amerikanischen Common Law benötige. Das Board of Examiners wolle nach außen den Eindruck vermeiden, Bewerber könnten ohne die Anforderungen an eine ausgewiesene amerikanische Rechtskenntnis, insbesondere ohne Kenntnis im Common Law, vorbei an den formellen Voraussetzungen eine anwaltliche Zulassung erreichen. Zwar habe es Einzelfälle gegeben, in denen eine Empfehlung für die Anwaltschaft vonseiten des Board of Examiners ausgesprochen worden wäre; allerdings sei in den meisten Fällen aus den vorgenannten Gründen abgelehnt worden.162 Gleichwohl blieb Munks Gespräch nicht gänzlich erfolglos. 161 “For a long time I have been cherishing the hope that I might be admitted to the Bar of Massachusetts after I have been admitted to American citizenship. Consequently, I have been trying to familiarize myself with the Massachusetts law. Moreover, it is only natural that by using the Northampton County Law Library and by discussing problems with N orthampton lawyers, I have devoted a great deal of my time to the study of Mass. statutory law and Massa chusetts cases. When I learned that my admission to the Bar might be considered, I have been studying the Mass. law more systematically and regularly. During the last months and weeks I have given almost all my time and energy to it.” In: Credentials Marie Munks, Nr. 5, p. VI, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. 162 “While our board has authority to recommend an applicant for admission to our Bar who has had more than three years of practice of the law in a European country, it has not been our practice to make such recommendations unless we are satisfied that in addition to experience in the practice of the Civil Law such an applicant has become to a substantial extent familiar with the Common Law. The theory is that practice of law in another jurisdiction raises a presump tion that the applicant would be able to pass our examination and therefore may be excused from taking it. When that experience is a different system of law, it would seem that such a presumption could not arise. We have had a few cases where we have been able to recommend such applicants, but in a substantial number of cases we have felt it our duty to decline to recommend. Your papers and the printed matter which you sent me seem to indicate that you have had rather wide experience in connection with our law of domestic relations. Our Board would give substantial weight to that. I have not discussed the matter with the Board but feel that probably the other members would require some further Common Law expe rience than this.” In: Schreiben des Präsidenten des Board of Examiners an Marie Munk
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1.1 Gespräch mit dem Board of Bar Examiners Ihr sehnlichster Wunsch ging am 14. August 1942163 nicht in Erfüllung, aber ihre wissenschaftliche Arbeit 164 würdigten die Mitglieder der Prüfungskommission und ermutigten sie, das Examen abzulegen. Nach dem Gespräch blieb bei Marie Munk der Eindruck zurück, dass die meisten Mitglieder des Board of Examiners unwillig gewesen seien.165 Diese Erinnerungen Munks an das Gespräch mit dem Board of Bar E xaminers waren von ihrer Enttäuschung überschattet. Tatsächlich ging es den Mitgliedern des Board of Bar Examiners gerade nicht, wie die heutige Sekundärliteratur 166 unkritisch aus den Empfindungen Munks übernimmt und den Leser glauben lassen will, um einen Präzedenzfall. Das bestätigt ein Schreiben des Präsidenten, HW. H. Hitchcock, vom 28. August 1942 an Marie Munk. Sie hätte vielmehr damit rechnen müssen, dass die zwei überstimmten Mitglieder des Boards ihre abweichende Meinung dem Gericht mitgeteilt hätten, wenn ihre Zulassung zur Anwaltschaft dem Gericht bekannt gegeben worden wäre.167 Dies hätte womöglich einen weiteren Disput entfacht und sich so schon allein rein zeitlich auf ihre Anwaltszulassung negativ auswirken können.
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vom 20. Januar 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. Hervorhebung nicht im Original. Terminvorschlag aus dem Schreiben des Commonwealth of Mass., Board of Bar Examiners, an Marie Munk vom 3. August 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. Ein Vergleich zwischen dem Inhalt des Gesprächs zwischen Marie Munk und den Mitgliedern des Board of Bar Examiners lässt darauf schließen, dass den Mitgliedern Munks Aufsatz mit dem Titel „Husband and Wife and Their Property Rights in the Laws of Domestic Relations“ im Magazin LIVING, Volume II, Autumn 1940, No. 4, p. 93 – 99, 104 bekannt war. “The five members of the Board who looked at my chapter on the Property Rights of M arried Women questioned me. They also asked me, what they probably never had done before, to answer at home the written examination which had then been given to the candidates. I had not been prepared for this kind of quiz, but I turned in my paper. One of the members of the Board asked me ‘Why don’t you take the Bar examination?’ I answered: ‘It is a great nervous strain.’ After the interview I had the impression that the Majority of the Board was favourable inclined toward me. They were reluctant, however, because they had turned down other applicants who had been unfamiliar with the common law, and they did not like to establish a precedent. They were already considering the change of the laws for admission to the Bar so that those who had practiced law in a non-common law country would not be admissible.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 22 – 23. Kursive Hervorhebungen durch die Verfasserin. „ […] die Vorsitzenden wollten keinen Präzedenzfall schaffen“, in: Marion Röwekamp, Juristinnen Lexikon, S. 278. Schreiben des Präsidenten des Board of Bar Examiners an Marie Munk vom 28. August 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3521.
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Vor allem, weil eine rechtliche Änderung die Zulassung von Anwälten aus fremden Ländern in naher Zukunft beschränken sollte.168 Hitchcock riet ihr: “It may be that, under these conditions you will prefer to take our examination. If so, you may do so before you become a citizen by filing the ordinary petition. The next examination is December 31st.”169 Munks Enttäuschung verwandelte sich in einen konstruktiven Widerstand gegen berufliche Hindernisse. 1.2 Kandidat “I pondered about the question ‘Why don’t you take the Bar Examination?’ It seemed to indicate that the Board thought that with a little effort on my part, I should be able to take it. I therefore decided to take a Bar Review Course in Springfield, Mass., which was given in the fall. I drove there week-ends with another candidate.”170 Eine ideelle Unterstützung durch William Draper Lewis folgte: “I think you are right to study for the law examinations which according to your letter take place in December 31. You can tell before the examination whether you are really prepared to take it with a reasonable certainty of success.”171 Schließlich kam auch der Präsident des Board of Examiners, W. H. Hitchcock, Munks Bitte nach: “I am taking Mr. Calvin R obinson’s Bar Review Course. Do you want him to sign my application as a sponsor?”172 Marie Munk war das amerikanische Law-Studium erlassen worden. Bereits deshalb konnte sich Munk profilieren: „Sie war auch, wie ich glaube, der erste deutsche Jurist dem es gelang in den Vereinigten Staaten ohne neues, formelles Studium zur Rechtsanwaltschaft zugelassen zu werden“173, berichtete Max Rheinstein viele Jahre später. Genau deshalb wurde Marie Munk oft gefragt: “How was it possible for you to pass the Massachusetts Bar examination without attending a Law School or without working in a law office?”174 In ihrer Antwort auf diese Frage steckte das wichtigste aller Ziele juristischer Studien: ein gutes Judizium und die Ausbildung zu einem Generalisten. 168 Schreiben des Präsidenten des Board of Bar Examiners an Marie Munk vom 16. September 1942: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3521. 169 Schreiben des Präsidenten des Board of Bar Examiners an Marie Munk vom 28. August 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3521. 170 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 23. 171 Schreiben von William Draper Lewis an Marie Munk vom 3. September 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3521. 172 Schreiben von Marie Munk an W. H. Hitchcock vom 21. November 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. 173 Schreiben von Max Rheinstein an Dr. Karpen, den Rechtsvertreter Munks im Wiedergutmachungsrecht, vom 1. November 1956, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 6. 174 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 23a.
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2. Examen (1942) Marie Munk erinnerte sich an die Vorbereitungszeit und das Examen: “It is like learning another language. After you learn one foreign language, the next one is easier. There is also only one justice, although it is arrived at by different methods in various countries.”175 Munk ergänzte: “This answer is perhaps incomplete. The Massachusetts Bar examination is by no means easy. We had to analyze about ten cases each, in the morning and in the afternoon in a few hours. The questions were, I should say, carefully contrived, based probably on actual cases which had been decided by the higher courts. But each question covered perhaps four or more topics. Because the time allowed was very short, the candidate had to have the Rules of Law, and perhaps even the precedents, on his finger tips. He did not have much time to think. Slow thinkers and slow writers are at a disadvantage. It must be pointed out, however, that the results show, as they did in Germany, that those who have a good legal mind and a good basic knowledge usually pass. The reason is that it is not essential to arrive at the decision which the highest Court may have handed down, but that the candidate presents his own opinion convincingly and that he shows good judgement and good analytical ability.”176 Karl Loewenstein, seit September 1936 auf dem Lehrstuhl für American History and Politics und ab 1939 auf dem Lehrstuhl für American Politics and Jurisprudence am Amherst College (Mass.), fragte am 3. Dezember 1942: “When is the examination to take place?”177 Es war der Morgen des 31. Dezember 1942178 (nicht der Dezember 1943179), an dem Marie Munk die Prüfungsaufgaben vorgelegt wurden. 6 Wochen später, am 12. Februar 1943, teilte ihr W. H. Hitchcock mit, dass er im Falle ihres 175 Ebd. 176 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 23a–24. 177 Schreiben von Karl Loewenstein an Marie Munk vom 3. Dezember 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3521. 178 Massachusetts Bar Examination, December 31, 1942. Morning Paper, 9 A. M. to 12.30 P. M.; Afternoon Paper, 2 P. M. to 5.30 P. M., in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522; Anhang „Personal Profile“ an das Schreiben von Henry Platt vom 22. April 1943, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 11. 179 So aber korrekturbedürftig in: Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon, S. 278. Die falsche Jahreszahl „1943“ in der Sekundärliteratur lässt sich aus den autobiografischen Erinnerungen Munks erklären: “I then applied for admission to the examination which I took in December, 1943. In April, 1944, I was informed that I had been successful, but that my admission to the Bar had to be postponed until I had become an American citizen.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 23. Kursive Hervorhebungen durch die Verfasserin.
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erfolgreichen Examens auf ihre verfahrensmäßige persönliche Vorstellung vor dem Board of Examiners verzichten wolle.180 Marie Munk bedankte sich mit den Worten: “I should like to add that I would never have dared to take the examination, had you and other members of the Board not given me encouragement by your sympathetic attitude last summer.”181 Hitchcock bekräftigte: “Every member of the board is glad that we can recommend you and feels very much better satisfied to be able to do it as a result of an examination rather then upon motion. We all wish you every success.”182 Einige Tage später berichtete „The Springfield Union“ und die „Daily Hampshire Gazette“, dass Marie Munk zu den 126 Kandidaten von 244 Kandidaten gehörte, die das Examen bestanden hatten.183 Mit welchem unaussprechlichen Ehrgeiz Marie Munk zum Bar Examen angetreten war, offenbarte sie erst viele Jahre später einer Freundin: „Hier gibt es beim Bar Examen kein Praedikat, nur sagte mir spaeter der Vorsitzende, als ich ihn aufsuchte und fragte, es haben viele bestanden, die schlechter waren. Das war ein Trost“, meinte Munk, „denn ich hatte ja hier nicht die Law School besucht. (es waere besser gewesen, haette ich es getan).“184 Munk hatte jedoch keinen Grund, enttäuscht zu sein. Öffentliche Aufmerksamkeit war ihr gewiss. Die Zeitung „The Lowell Sunday“ titelte unter Hinweis auf ihre deutsch-jüdische Herkunft 185 am 11. März: „First Pre-Hitler Woman Lawyer May Become First Refugee Attorney in Mass“186; so auch die „Springfield Daily News“ am
180 “As you received a sufficient mark on the written examination to entitle you to an oral a notice to come Tuesday was mailed to you yesterday. As the board has seen you and examined you to some extent with reference to legal matters when you were previously before us, I do not believe that it is necessary for you to come Tuesday, so that notice is cancelled.” In: Schreiben von W. H. Hitchcock an Marie Munk vom 12. Februar 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3521. 181 Schreiben von Marie Munk an W. H. Hitchcock vom 14. Februar 1943, in: LAB B Rep 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. 182 Schreiben von W. H. Hitchcock an Marie Munk vom 17. Februar 1943, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3521. 183 126 out of 244 Pass Bar Exam, in: The Springfield Union, Springfield, Mass., Wednesday, March 3, 1943; Notiz, in: Daily Hampshire Gazette, March 3, 1943, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 184 Schreiben von Marie Munk an Carola vom 25. Januar 1967, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 19. 185 Der Terminus „Refugee“ wurde in den USA für Emigranten aus dem NS-Machtbereich bis zum Ende der 1950-er Jahre verwendet und steht für „deutscher Jude“. In: Joachim Radkau, Die deutsche Emigration in den USA. Ihr Einfluß auf die amerikanische Europapolitik 1933 – 1945, Düsseldorf 1971, S. 303 Anm. zu Teil I. 186 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
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3. und 11. März 1943 fast gleichlautend.187 Gleichwohl könne sie nicht ohne ameri kanische Staatsbürgerschaft zur Anwaltschaft zugelassen werden. Das hatte man ihr bereits im November 1942 durch das Board of Examiners mitgeteilt.188 Bereits seit dem 1. März 1943 für die Eintragung in die Anwaltsliste vorgesehen, benötigte Marie Munk noch die amerikanische Staatsbürgerschaft.189 Ihre feierliche Einführung in die Anwaltschaft sollte am 7. April 1943 stattfinden. Deshalb erinnerte das Board of Examiners Munk daran, das Verfahren um die amerikanische Staatsbürgerschaft voranzutreiben.190 Marie Munk tat alles ihr Mögliche – auch um sich als guten patriotischen Amerikaner glaubhaft darzustellen.
3. Die amerikanische Staatsbürgerschaft In der „Daily Hampshire Gazette“ hatte sie sich am 13. Juni 1942 in ihrem Gedicht „Salute to the Flag, 1942“ zu Amerika ausdrücklich und öffentlich bekannt: High flies the flag
In red, blue and white
Its stars and its stripes
Mean honor and might.
As long as it waves
The country is free
While army and navy Defend land and sea. High flies the flag
And humbly we pray
That forever it save
191
The American way.
187 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 188 Schreiben des Präsidenten des Board of Examiners an Marie Munk vom 23. November 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3521. 189 Schreiben von W. H. Hitchcock an Marie Munk vom 1. März 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3521. 190 Schreiben von W. H. Hitchcock an Marie Munk vom 2. März 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3521. 191 Salute To The Flag, 1942, in: Daily Hampshire Gazette, June 13, 1942, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
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Karl Loewenstein, seit September 1936 auf dem Lehrstuhl „American History and Politics“ und ab 1939 auf dem Lehrstuhl „American Politics and Jurisprudence“ am Amherst College (Mass.), hielt Munks Streben nach der amerikanischen Anwaltschaft und der amerikanischen Staatsbürgerschaft für einen Gewinn für Amerika.192 Allerdings verschieben sich in Kriegszeiten die demokratischen Werte, wobei ihre Stabilität als s olche immer weniger Ansehen genießt. Das zeigte sich zu damaliger Zeit besonders im Verhältnis der USA gegenüber ausländischen Staatsangehörigen. Munk, Mitglied der First Congregational Church, ersuchte, über das christliche Publikationsorgan „Advance“ eine patriotische Gesinnung als Amerikanerin unter Beweis zu stellen. Sie unterbreitete in der Zeitschrift „Advance“ einen Vorschlag, wie die amerikanischen Kriegsteilnehmer ohne Familienanschluss mit Briefen zum Weihnachtsfest erfreut werden könnten:193 „No more forgotten Soldiers“, war ihr Aufruf. Doch ihr Wunsch, wenigstens als Kriegshelferin einen beruflichen Einstieg verwirklichen zu können, blieb unerfüllt, obgleich sie ihren Antrag für eine amerikanische Staatsbürgerschaft frühzeitig gestellt hatte.194 Die Kriegsereignisse hinderten den weiteren beruflichen Einstieg.195 Der Arbeitsmarkt wurde für Immigranten mit deutscher Staatsangehörigkeit abgeschottet. Immigranten deutscher Staatsangehörigkeit wurden kriegspolitisch bewertet, insbesondere wenn sie die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragt hatten. Das zeigt ein Schreiben Max Rheinsteins. Er setzte sich am 19. Februar 1943 beim Commissioner of Immigration and Naturalization in Philadelphia, Earl G. Harrison, für Marie Munk ein: “Miss Munk’s career was a professional and not a political one. I do not think that she ever had political ambitions, or that she ever took any active part in politics beyond those of the citizen who is fulfilling her duties of keeping herself well informed. From personal conversations, I have drawn the conclusion that Miss Munk combines a keen feeling for present day social needs with a generally conservative basic outlook. Miss Munk has always been a hard worker with a deep devotion 192 Karl Loewenstein, „To Whom It May Concern“ vom 3. Dezember 1942, in: LAB B Rep 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. 193 Marie Munk, The Forgotten Soldiers, in: Advance, August 1942, p. 373, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3627. Die unvollständige Entwurfsfassung befindet sich unter dem Titel „No More Forgotten Soldiers“ in LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3541. 194 Dear-Friend-Brief, December 7, 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 195 “[…] but America’s entry into the war delayed the procedure and the prospects are not good. The fact that I am technically an ‘enemy alien’ stands in my way in securing a position in which I can use my abilities and help in the war effort.” In: Dear-Friend-Brief, December 7, 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515.
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for duty. I have no doubt that she would be a loyal as well as a valuable citizen of the United States.”196 Henry Platt beförderte am 22. April 1943 beim Department of Justice Marie Munks Einbürgerung.197 Henry Platt war deutscher Herkunft. Genau genommen handelte es sich um Heinz Walter Placzek. Munk war eine Cousine seiner Mutter. Henry Platt alias Heinz Walter Placzek war am 1. November 1904 in Berlin geboren.198 Er hatte im Jahre 1928 an der Philosophischen Fakultät in München zu dem Thema „Das historische Drama zur Zeit Hebbels“ bei Prof. H. H. Borcherdt promoviert.199 Im Herbst 1933 hatte er Deutschland über Frankreich verlassen und war am 11. Februar 1934 in die USA emigriert. Er war Herausgeber des Nachrichtenblattes „Predate“, einem Informationsservice der United Press Associations.200 Platt bezeugte über Marie Munk, “that she would have left Nazi Germany even if no form of personal persecution had been involved. Her devotion to this country goes way beyond the common form of patriotism any refugee immigrant might be expected to develop out of personal gratitude. In fact, I have never seen an immigrant of recent years whose happiness just for being here was so completely independent from personal difficulties or success.”201 Zu Munks wirtschaftlicher Unabhängigkeit räumte Platt ein, „it would seem to me what Miss Munk during her stay here has only occasionally earned what would normally be called a living“.202 Munks Bescheidenheit und Sparsamkeit erkläre sich aber aus ihren Forschungsinteressen, die bereits vom College und anderen Institutionen gesponsert würden. Dies sei leicht erklärlich: “As an Attorney who is at home in the law of two continents, Miss Munk, of course, knows more about the constitutional, legal and sociological basis of American democracy than most of us can ever hope to learn. She is by nature and always has been on the conservative side and nobody who knows her at all has any doubt that she is free of the s lightest suspicion of subversive activities or interests or even learnings in any form. […] [F]or 196 Schreiben von Max Rheinstein an den Commissioner of Immigration and Naturalization, Earl G. Harrison, vom 19. Februar 1943, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. Hervorhebung nicht im Original. 197 Schreiben von Henry Platt vom 22. April 1943 an Mr. Henry Nicols, District Director, U. S. Department of Justice, Boston, Mass., in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 11. 198 Ebd., p. 2 and 3. 199 Heinz Walter Placzek, Das historische Drama zur Zeit Hebbels, Berlin 1928, Vorwort. 200 Schreiben von Henry Platt vom 22. April 1943 an Mr. Henry Nicols, District Director, U. S. Department of Justice, Boston, Mass., p. 2 and 3, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 11. 201 Ebd., p. 1. 202 Ebd.
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their personal integrity and ethical standards of conduct, so much so that they have always been held up to me by my own parents as examples since my childhood.”203 Seine Befürwortung belegte Henry Platt mit den Referenzen von N. K. Teeters, John N. Patterson (Managing Director of the Public Education and Child Labor Association, Philadelphia, Pa.) und Leon Storn (Director of the Pennsylvania Committee for Penal Affairs). Auch Frieda Wunderlich, zum damaligen Zeitpunkt bereits Professorin an der London School of Economics, setzte sich für Marie Munk ein. Als Bürgen für ihre Sprachkenntnisse wurden Prof. Himes, Lena Madesin Phillips (President of International Federation of Business and Professional Women), Karl Lowenstein (Amherst College), Henry I. Stahr (Hood College) und Magdalena Schoch (Office of Economic Warfare, Washington, D. C.) benannt. Für ihre wissenschaftlichen Erfahrungen in den USA gaben Leon Storn (Director of the Pennsylvania Committee for Penal Affairs in Philadelphia), John N. Patterson (Managing Director of the Public Education and Child Labor Associa tion in Philadelphia) und Thorsten Sellin (University of Pennsylvania) Auskunft.204 Aber gerade in Kriegszeiten ist es verfehlt, allein über die honorige Zeugenschaft auf einen schnellen Erfolg einer Einbürgerung schließen zu wollen; insbesondere in wirtschaftlich schwieriger Situation der Bewerberin. Am 17. Juni 1943 teilten die „Daily Hampshire Gazette“ und die „Springfield Union“ mit, dass Marie Munks Einbürgerung auf den Oktober 1943 verschoben worden sei.205 Diese Wartezeit überbrückte Marie Munk mit Freiwilligenarbeit für die in den Krieg abkommandierten Männer, um ihren Patriotismus unter Beweis zu stellen. „The Springfield Union“ berichtete am 28. September 1943: “Barred from practicing law until she has been admitted to citizenship, Miss Marie Munk, former judge of a Berlin court, has taken a part-time job in a local laundry to aid in the war effort, she made known today.”206 Aus ihrer eidesstattlichen Versicherung in ihrem späteren Verfahren zur Wieder gutmachung des an ihr angerichteten nationalsozialistischen Unrechts geht jedoch hervor, dass sie diese Arbeiten aufgrund ihrer schwierigen wirtschaftlichen Lage 203 Ebd., p. 2, Hervorhebung nicht im Original. 204 Schreiben von Henry Platt vom 22. April 1943 an Mr. Henry Nicols, District Director, U. S. Department of Justice, Boston, Mass., Anhang, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 11. 205 57 Admitted to Citizenship in Court Here Today. Miss Munk’s Case Continued to O ctober; Women’s Petition Over to October, in: The Springfield Union, June 17, 1943, in: Daily Hampshire Gazette, Thursday, June 17, 1943, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 206 Former Berlin Judge Gets Job in Laundry to Aid War Effort, in: The Springfield Union, Springfield, Mass., Tuesday, September 28, 1943, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3514.
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zum Lebensunterhalt aufnehmen musste.207 “It will be one of my happiest days when I can proudly say: ‘I am an American and a member of the Massachusetts Bar’”, hoffte Marie Munk.208 Am 26. Oktober 1943 erhielt Marie Munk (endlich) unter dem Aktenzeichen 5474123209 ihre Einbürgerungsurkunde.210 Das amerikanische Anwaltsexamen erachtete Munk als wegweisenden Erfolg, amerikanische Staatsbürgerin werden zu können.211 Ihre wissenschaftliche Arbeit zum amerikanischen Ehegüterrecht und Familienrecht sei es gewesen,212 die ihr die Prüfung für die amerikanische Anwaltszulassung ohne obligatorisches Law-School-Studium ermöglicht habe, blickte Munk auf diese Zeit zurück.
4. Anwaltszulassung und Bestellung zur Notarin Am 3. November 1943 (und nicht im Jahre 1944213) nahm Marie Munk die Urkunde für ihre Anwaltszulassung in Empfang.214 “I gave two more oaths of allegiance and signed the Great Book of Massachusetts Lawyers at the Supreme Court of Boston in 1943. Now I had become again member to the Bar, and this time of the United States. These were two happy and unforgettable days in my life.”215 W. H. Hitchcock, Chairman of the Board of Bar Examiners, beglückwünschte sie am 23. Dezember 1943: “I am very glad that you have been able to obtain something which seems to be right along your line. I wish you every success.”216 Zehn Jahre 207 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 47. 208 Schreiben von Marie Munk an W. H. Hitchcock vom 14. Februar 1943, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3522. Hervorhebung nicht im Original. 209 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 11R. 210 Summary of Experiences and Trainings, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 211 “The fact that I passed the Bar Examination played a role in my admission to American citizenship.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manus kript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 23. Kursive Hervorhebungen durch die Verfasserin. 212 “In retrospect I am sure, however, that I would not have been admitted to the Massachusetts Bar, had I not studied extensively the laws of domestic relations in the United States.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 14. 213 So aber korrekturbedürftig in: Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon, S. 278. 214 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 10. 215 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 23a. 216 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 2.
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Beruflicher Werdegang in den USA
s päter wurde sie zur Notarin bestellt.217 Regelmäßig für weitere sieben Jahre verlängert 218, blieb Munk Notarin bis in das Jahr 1968 hinein.219 Der „Notary Public of the Commonwealth“ beglaubigt schriftliche Dokumente, erstellt Grundstücks teilungen und Grundstücksübertragungsgeschäfte, erteilt Auskünfte aus den Registern, holt Auskünfte bei den Steuerbehörden ein. Bei ihm können auch Zahlungen aus Verbindlichkeiten hinterlegt werden. Aus deutscher Sicht können seine Tätigkeiten einem Teil der Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugeordnet werden. Notary Public und anwaltliche Tätigkeit werden in den Vereinigten Staaten miteinander kombiniert.220 Als Anwältin wurde Munk für das Supreme Judicial Court am 25. November 1975 letztmalig bestätigt.221 Für ihre Mitgliedschaft in der amerikanischen Anwaltschaft hielt Munk ihre wissenschaftlichen Studien für ausschlaggebend.222 Ihren beruflichen Neustart schätzte Marie Munk nicht richtig ein. Obgleich sie sich bereits nach dem schriftlichen Examen bei einer Anwaltssozietät beworben hatte 223: ihr Wunsch, in einem Law Office arbeiten zu können, verwirklichte sich nicht.224
217 Urkunde vom 4. Februar 1954, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 10. 218 Urkunde des Commonwealth of Massachusetts vom 16. Februar 1961, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. 219 Schreiben des Governor’s Councilor of The Commonwealth of Massachusetts, Council Chamber, State House, Boston vom 28. Februar 1968, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 1. 220 Jan Castendiek, Die Stellung des Notars in den USA, in: German American Law Journal- Articles Edition, Sommer 1994: www.http://amrecht.com/castendiek2.shtml (22. 12. 2013). 221 Board of Bar Overseers, One Winthrop Square, Boston, Mass., in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 1. 2 22 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 13 – 14. 223 Schreiben von Marie Munk an W. H. Hitchcock, Präsident des Board of Examiner vom 14. Februar 1943, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. 224 “My admission did not fulfill all the hopes which I had placed in it.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 25.
Amerikanische Staatsbürgerschaft und Bar-Examen (1942 – 1943)
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5. Beruflich in der United Nations Relief and Rehabilitation Administration? Die Anwältin Eva Epstein Shaw setzte sich bei der am 9. November 1943 gegründeten United Nations Relief and Rehabilitation Administration für einen Arbeitsvertrag für Marie Munk ein.225 5.1 Die Entwicklung der United Nations Relief and Rehabilitation Administration Diese Organisation war als Initiative der USA, der Sowjetunion, Englands und Chinas noch während des Zweiten Weltkriegs als eine Nothilfe- und Aufbauorganisation der Vereinten Nationen gegründet worden.226 Nicht unbeachtet bleiben darf ihre kriegsstrategische Bedeutung, wie die Worte Roosevelts zeigten: “The enemy has been driven out of all or virtually all of the Soviet Union, France, Greece, Belgium, and Luxembourg. Parts of the Netherlands, Yugoslavia, Poland, Czechoslovakia, and Norway, as well as the Philippines, New Guinea, New Britain, and Burma have been liberated by the armed forces of the United Nations. Those forces – more powerful each month than the month before – are now striking additional blows to complete the task of liberation and to achieve final victory over Germany and Japan.”227 5.2 Die Aufgaben der United Nations Relief and Rehabilitation Administration nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs traten die kriegstaktischen Interessen der Amerikaner in den Hintergrund. Es wurde in den USA mit dem United Nations Relief and Rehabilitation Administration Participation Appropriation Act von 1945 (Title II of Public Law No. 382, 78th Congress, 2nd Session), der am 30. Juni 1944 in Kraft getreten war, eine Berichtspflicht an den Kongress über die Arbeiten dieser Organisation eingeführt. Von da an ließ sich auch ein Wandel der Aufgaben dieser 225 Schreiben von Eva Epstein Shaw an den Direktor der UNRRA vom 18. September 1945, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. 226 Roosevelts Erklärung zum ersten Bericht über die Arbeit dieser Organisation vor dem Kongress am 5. Dezember 1944: “[…] to help meet those essential needs of the people of the liberated areas which they cannot provide for themselves”, in: Franklin D. Roosevelt, President’s Letter of Transmittal, The White House, December 5, 1944, in: First Report to Congress on United States Participation in Operations of UNRRA, Under the Act of March 28, 1944, As of September 30, 1944, p. 5. 2 27 Franklin D. Roosevelt, President’s Letter of Transmittal, The White House, December 5, 1944, in: First Report to Congress on United States Participation in Operations of UNRRA, Under the Act of March 28, 1944, As of September 30, 1944, p. 5.
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Beruflicher Werdegang in den USA
Organisation anhand der neun Berichte 228 gut nachvollziehen. Doch an dieser Stelle sei nur so viel gesagt: Die Hauptaufgabe der UNRRA umfasste zunächst die gesellschaftliche Wieder eingliederung von ehemaligen Insassen der Konzentrations- und Displaced-Persons- Lager. Erst dann folgte auch die Nahrungs- und Kleiderversorgung der übrigen Bevölkerung, die Instandsetzung von Maschinen sowie die Ausstattung der zu versorgenden Länder mit den notwendigsten öffentlichen Einrichtungen (z. B. mit Feuerwehrfahrzeugen). Die hohe Zahl der Länder (18) verursachte innerhalb von zwei Jahren ein Fördervolumen in Höhe von 2.045.035 US-Dollar (in thousands of US-Dollar)229, jedoch keine kurzfristigen Erfolge. „With the next report to the Congress it will be possible to provide a clearer picture of the plans for the liquida tion of UNRRA and the provision for post-UNRRA relief needs in 1947“, schloss Harry S. Truman, der Nachfolger Roosevelts, am 23. Dezember 1946 seinen Bericht an den Kongress.230 Für Marie Munk eröffneten sich keine beruflichen Möglichkeiten in der UNRRA.
6. Fazit Eine Quintessenz der beruflichen Ereignisse dieses Lebensabschnitts Marie Munks zu ziehen wird schwierig. Ihre Erfahrungen wurden geprägt von der Außenansicht der Vereinigten Staaten von Amerika auf Hitler-Deutschland. Hitler trat die Menschenrechte und Freiheitsrechte mit Füßen. Ihre Erfahrungen wurden aber auch von dem allgemein obligatorischen Staatsmonopol für die juristische Ausbildung geprägt. Letzteres wird zu Recht gerechtfertigt, wenn Menschen aus Diktaturen in eine Demokratie übersiedeln. Henry Platts Schreiben vom 22. April 1943 im Staatsangehörigkeitsverfahren von Marie Munk beweist, dass zu jener Zeit die Verfolgten des Nazi-Regimes nicht nur ihre Verfolgung und ihre rechtspolitische Absage an Diktaturen zu bezeugen hatten, sondern durch Dritte auch bestätigen lassen mussten, dass sie mit der amerikanischen Staatsbürgerschaft nur hehre Ziele verfolgten und dass sie an nationalsozialistischem Unrecht nicht mitgewirkt hatten. 228 Von den neun Berichten fehlt jedoch der vierte Bericht in der Signatur der Staatsbibliothek zu Berlin 3 Per 304 – 1/9+App.1944. 229 9th Report to Congress on Operations of UNRRA under the Act of March 28, 1944, As of September 30, 1946, p. 26. 230 Harry S Truman, President’s Letter of Transmittal, The White House, December 23, 1946, in: 9th Report to Congress on Operations of UNRRA under the Act of March 28, 1944, As of September 30, 1946, p. 2.
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Dies könnte die Frage provozieren, damals wie heute, wer letztendlich für Diktaturen verantwortlich gemacht wird. Ein diktatorischer Staatsapparat oder die Menschen, die vor ihm in andere Länder fliehen wollen. Schließlich sind Terror und Verfolgung durch staatliche Institutionen staatsverstärkte Kriminalität.231 Wird hier nicht die Kultur der Auseinandersetzung zwischen zwei Machtsystemen unabhängig von deren Fortbestand auf Individuen projiziert und womöglich zum Zwecke politischer Diskriminierung aufrechterhalten? Eine Frage, die sich in einer pauschalen Anerkennung von Bildungsabschlüssen der übersiedelnden Menschen oder der Menschen im Übergang von dem einen zu einem anderen Machtsystem sozioökonomisch und kulturell auswirken kann, ohne Einzelfallgerechtigkeit walten zu lassen. Diese Vorgänge haben bekanntermaßen historische Tradition, insbesondere, wenn es sich um Lehrer und Juristen handelt. In dieses Dilemma schlug Marie Munk durch ihre wissenschaftliche Arbeit und ihre wissenschaft lichen Vorträge eine Bresche. Ohne ihre wissenschaftliche Arbeit wäre ihr der obligatorische Besuch einer Law-School nicht erlassen worden; ohne Bar-Examen wäre ihr Antrag auf eine amerikanische Staatsbürgerschaft womöglich aussichtslos geblieben. Einschneidende wirtschaftliche und berufliche Nachteile wären die Folge gewesen. Durch den Law-School-Erlass enthebt sich das Verfahren Marie Munks beruflicher Anerkennung seiner isoliert rechtlichen Form. Die Mitglieder des Board of Bar Examiners betrachteten Marie Munks bisherige Lebensleistung in einem neuen, aktuell gesellschaftlich wissenschaftlichen Zusammenhang, der zu damaliger Zeit noch im Werden war. Anhand von Marie Munks Forschungen und ihrer wissenschaftlichen Manuskripte werden diese Bereiche dem Leser im 6. und 7. Kapitel vorgestellt.
IV. Marriage Counselor in Toledo/Ohio (1944) Die Stellung der Frau im Recht und in der familiären Praxis – beides vereinte sich in der beruflichen Erfahrung Munks als Marriage Counselor – einem neuen Berufsbild: eines A n w a l t s für die eheliche Lebensgemeinschaft.
231 Darüber hinaus mit einem kurzen Abriss zur historischen Entwicklung der Verfolgung staatlichen kriminellen Handelns, in: Wolfgang Naucke, Die strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, Frankfurt a. M. 1996, S. 67 – 78.
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Beruflicher Werdegang in den USA
1. Am Court of Domestic Relations in Toledo/Ohio Dieser berufliche Einstieg wurde Marie Munk eröffnet, nachdem sie für Prof. Norman E. Himes wissenschaftlich gearbeitete hatte. Himes empfahl sie Judge W. Alexander als Marriage Counselor für sein Gericht in Toledo Ohio.232. Am 1. Januar 1944233 wurde sie durch den Richter Paul W. Alexander als „Friend of Court“ angestellt.234 Justice Felix Frankfurter 235, Supreme Court of the United States, setzte große Erwartungen in Marie Munks Arbeit.236 1.1 Das Court of Domestic Relations in Toledo Marie Munk hatte in Toledo ein möbliertes Apartment in der Nähe des Gerichts gebäudes 237 und ihr erstes Einkommen in Höhe von $ 1800 jährlich.238 An die freundliche Bevölkerung und die herzlichen Umgangsformen im Kollegium des Gerichts erinnerte sich Marie Munk gern.239 1.2 The Friend of Court Department und der Richter Paul W. Alexander Der Richter Paul W. Alexander war einer der wenigen auf Familienrecht, Scheidungsrecht und Jugendstrafrecht spezialisierten Richter des Bundesstaates Ohio:
232 “Through him I got started on a research on domestic relations and he later recommended me to Judge W. Alexander as marriage counselor at his court of Common Place, Toledo, Ohio.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 6. 233 Summary of Experiences and Trainings, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 3. 2 34 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo, Ohio, S. 1. 235 Kompendium, S. 821. 236 „In the last analysis no work is more important for our society than such as is being done by courts of domestic relations. And I think the Court in Toledo is fortunate to have you share in its endeavors.” In: Schreiben von Felix Frankfurter an Marie Munk vom 15. Dezember 1943, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3521. 237 “unfurnished apartment […] close to the Court House” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo, Ohio, S. 18a. 238 Eidesstattliche Versicherung von Marie Munk vom 21. Februar 1958, in: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk RegNr. 60 798, Bl. E 90 – E 93, Bl. E 92. 2 39 “The people in the Middle West are friendly and so is everybody at the court house. We are like a large family. Every birthday is remembered; little gifts are exchanged, and he who celebrates his birthday ‘treats’ the whole crowd with an ice cream or candy which is available at the court house candy bar” In: Dear-Friend-Brief, December 1944, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515.
Marriage Counselor in Toledo/Ohio (1944)
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“He has an excellent staff of probation and parole workers who examines the family situa tions whenever a boy or a girl is in trouble, or when a charge is brought against a father or
a mother for neglecting their child, or for the non-payment of support. The Social Worker
helps the boy or girl to go straight. One of Judge Alexander’s predecessors established a special department which he called ‘Friend of Court’. The philosophy behind it was to help the
Judge in bringing about reconciliation or a fair judgement in a divorce petition. Would-be
divorces could either go directly to the ‘Friend of Court’ if they wanted reconciliation, or
the Judge could refer the parties to the ‘Friend of Court’, if he wanted further investiga tion of the facts, or if he felt that reconciliation may be possible and advisable. Judge Paul
W. Alexander has a nation-wide reputation in his field. He also established a close rela tionship between the Court, Social Agencies, Pychiatrists, Psychologists, and above all, also
with the Mental Hygiene Association whose psychiatrists and psychiatric, social workers
helped juveniles and adults who needed treatment. While I worked at the Court House I sent quite a few of the clients who consulted me to this clinic if they seemed to be in need
of special treatment or if I wanted a report to what extent a party was responsible for his
actions. Because Judge Paul W. Alexander – he is elected for an eight year term and has
been re-elected several times – enjoyed the confidence of the community, many marriage
partners came to see him, and also later to me, even before they filed a petition for divorce.
It was interesting to see that many of those who had serious marital difficulties had long been known to the Court. Either their children had been in trouble, or they themselves
had consulted a previous ‘Friend of Court’. After they had become ‘reconciled’, more children had been born to the couple, and their relationship had deteriorated to a point where
a peaceful continuation of the marriage could no longer be expected. At this time, divorce
was the better of two evils, even for the children who were exposed to constant quarrels, if not to brutality.”
240
Aber wie könnte man die Arbeit des Marriage Counselor beschreiben? Munk meinte bereits damals, dass dies sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich sei, geschweige denn könne man den Wirkungsgrad der Beratungs- und Begleitungsleistung eines Marriage Counselor messen.241
2 40 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counselor in Toledo, Ohio, S. 1 – 3. 241 “[I]t is extremely difficult, if not impossible, to gauge the effectiveness of a counseling service.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo, Ohio, S. 4.
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Beruflicher Werdegang in den USA
2. Marie Munk als Marriage Counselor Marie Munk beschreibt eine neue Form des gerichtlichen Umgangs mit dem Eheund Scheidungsproblem in den Vereinigten Staaten: „Die Eheberatungsstelle des Staates Ohio, an der ich arbeitete, ist fast einzigartig in den Vereinigten Staaten. Sie war von dem Vorgänger meines damaligen Chefs ins Leben gerufen worden. Sie sollte dem Richter, der für das Amt als Jugend- und Vormundschaftsrichter und als Scheidungsrichter von der Bevölkerung gewählt worden war, die Möglichkeit verschaffen, die wahren Gründe zu ermitteln, die zu dem Scheidungsbegehren führten, sodass er entscheiden konnte, ob die Entfremdung zwischen den Ehegatten so weit vorgeschritten war, dass diese die Scheidung, auch im Interesse der etwaigen Kinder, rechtfertigte. Denjenigen Ehegatten, deren Liebe zueinander noch nicht erloschen war, sollte sie helfen, auf einem neuen Weg wieder zueinander zu finden.“242
3. Marie Munks Renommee als Marriage Counselor Die Toledo Sunday Times urteilte über Munks Service: “Marital Counselor Helps Keep Couples from Divorce Courts”243. Die Konferenzen der Toledo Counselor Clinic sorgten sich vorwiegend um die sozioökonomischen, aber auch gerade um die familienerhaltenden Akzente: “Family Problems as They Relate to Women in Industry”.244 Munk forderte am 5. Oktober 1944 in ihrem Vortrag: „Women Workers in Industry“245 mehr Halbtagsjobs für Frauen, eine kürzere Wochenarbeitszeit für Frauen, eine angemessene Versorgung, einschließlich einer Kantine, Einkaufshilfen und Kindergärten.246 All dies wurde bereits programmatisch vor dem Hintergrund amerikanischer Kriegsbeteiligung betrachtet: “Unless working conditions are such that children can be raised in a happy family atmosphere, we will win the war on the battle front 242 Marie Munk, Eheerziehung und Eheberatung, p. 1 – 6, p. 2, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. Kursive Hervorhebungen nicht im Original. 243 Marital Counselor Helps Keep Couples From Divorce Courts, in: Toledo Sunday Times, November 19, 1944, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 244 Dr. Munk Speak, in Toledo Blake: Tuesday, October 3, 1944, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 245 Postwar Relief for Women Urged, in: Toledo Blade: Friday, October 6, 1944, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 246 Ebd.
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and lose it on the home front.”247 Munk forderte deshalb auch arbeitsmarkt- und sozialpolitische Veränderungen.248
4. Fazit Für ein Fazit war die Autorin aufgefordert an eine Rezension Marie Munks zu Max Marcuses Buch mit dem Titel „Die Ehe. Ihre Physiologie, Psychologie, Hygiene und Eugenik. Ein biologisches Ehebuch“ aus dem Jahre 1929 anzuknüpfen. Die Rezension Marie Munks zeigt ihr großes Interesse an einem interdisziplinären Wirkungsfeld. Aus der beruflichen Sicht Marie Munks in ihrer Funktion als Marriage Counselor sollte Ehe und Familie nicht nur rechtlich begriffen, sondern interdisziplinär zu ergreifen sein und wissenschaftlich begleitet werden. Setzt der Leser Marie Munks verwendetes Wort – Entfremdung – und die wahren Gründe einer Scheidung zueinander in Bezug 249, so erahnt er, dass sich diese Worte auf das ehe liche Verhältnis der Partner nicht allein beziehen können. Es sind neben den familiären gerade gesellschaftliche, wirtschaftliche und vorehe liche Ereignisse, die auf das Partnerverhältnis und die Ehegatten einwirken. Bereits Max Marcuses Publikation aus Weimarer Zeit, der sich Marie Munk in einer Rezension angenommen hatte,250 vereinigte viele verschiedene Fachaufsätze nicht nur zu biologisch-rechtlichen 251, sondern insbesondere zu den soziologischen 252, medizinischen 253 und psychologischen 254 Bedingungen der Eheschließung und 247 Part-Time Jobs for Wives Urged, in: The Toledo Times, October 6, 1944, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 248 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3539. 249 Vgl. Nr. 2 in diesem Abschnitt. 250 Rezension zu Max Marcuse, Die Ehe, in: Deutsche Juristenzeitung, 34/1929, Heft 10, S. 721. 251 Max Christian, Biologische Kritik des Eherechts, in: Max Marcuse, Die Ehe, Berlin 1927, S. 586 – 612. 252 Géza Róheim, Urformen und Wandlungen der Ehe; Adolf Basler, Eheschicksale und Völker schicksale; Friedrich Burgdörfer, Statistik der Ehe; Adolf Basler, Ehe und Gesellschaftsklassen; ders., Die Ehe auf dem Lande und in der Stadt, in: Max Marcuse, Die Ehe, Berlin 1927, S. S. 21 – 52, 53 – 68, 69 – 119, 289 – 305, 306 – 317. 253 Um nur einige zu nennen: Rainer Fetscher, Die Ehegatten als Vermittler des Erbgutes unter besonderer Berücksichtigung der väterlichen und mütterlichen Vererbungsvalenz und der erbbiologischen Elternschaftsdiagnose; Otto Herschan, Die Bedeutung von Menstruation, Schwangerschaft, Wochenbett und Laktation für die ehelichen Beziehungen; Max Marcuse, Die Bedeutung des männlichen Klimakteriums für die Ehe und die Gattenbeziehung, in: ders., Die Ehe, Berlin 1927, S. 120 – 147, 225 – 238, 254 – 264. 254 Um nur einige zu nennen: Wilhelm Hagen, Das psychische Zusammenpassen der Ehegatten; Helene Friderike Stelzner, Psychopathen als Ehegatten, in: Max Marcuse, Die Ehe, Berlin
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Eheführung 255, auch in einem interdisziplinären Kontext.256 Für Munk waren „von größtem Interesse“ die „psychologischen Erörterungen, insbes. die von Horney und Küntzel über die zur Ehe hinführenden und sie zersetzenden Eigenschaften der Ehegatten“257 gewesen. Griff Küntzel in seinem Aufsatz auf das freudsche Modell der „Übertragung“ zurück, indem er über Sozialisationsereignisse der Kindheit das spätere Verhalten eines Ehepartners in der Ehe zu erklären suchte 258, so machte Horney „frühe Störungen der psycho-sexuellen Entwicklung“ für eine Erklärung um „das Scheitern einer Ehe“259 fruchtbar. Einflüsse, die sich durch eine erhöhte Selbstständigkeit der Frau durch ihre neue berufliche Sozialisation verändern und damit auf „Einschränkungen der Liebes fähigkeit“ der Paare beziehen konnten.260 Vor d iesem Hintergrund war Marie Munks berufliche Tätigkeit als Marriage Counselor in Toledo, Ohio, neu im amerika nischen Gerichtswesen. Das Gericht in Toledo, Ohio, mit Judge Paul W. Alexander war die treibende Kraft und Vorbild. In den USA sind Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht sowie die Gerichtsverfassung in bundesstaatlicher Zuständigkeit. Ordentliche Gerichte erster Instanz sind, neben sogenannten Sondergerichten für Jugendkriminalität, in den einzelnen Bundesstaaten umfassend rechtlich zuständig. Deshalb war das Court of Domestic Relations in Toledo, Ohio, als Gerichtsbarkeit für alle Familienangelegenheiten und für Jugendstrafsachen ein Novum 261 und Teil einer Reformbewegung. Die Familiengerichtsbewegung in den Vereinigten Staaten damaliger Zeit war aus der Jugendgerichtsbarkeit entstanden.262 Widerstand aus der konservativen Anwaltschaft war dieser Reformbewegung gewiss.263 Zwar war im Jahre 1914 in Cincinnati das erste amerikanische Familiengericht eröffnet
1927, S. 176 – 191, 503 – 524. 255 Rainer Fetscher, Ehegesuche und Ehevermittlung, Eheberatung, Eheverbote und Ehezeugnisse, in: Max Marcuse, Die Ehe, Berlin 1927, S. 550 – 566. 2 56 Wie z. B.: Max Christian, Die biologische Bedeutung der Monogamie, in: Max Marcuse, Die Ehe, Berlin 1927, S. 567 – 585. 257 Marie Munk, Die Ehe, in. Deutsche Juristenzeitung, 34/1929, Heft 10, S. 721. 258 Fritz Küntzel, Die Psychologie der Gattenbeziehung, in: Max Marcuse, Die Ehe, Berlin 1927, S. 437 – 438, 443 – 444. 259 Karen Horney, Psychische Eignung und Nichteignung der Ehe, in: Max Marcuse, Die Ehe, Berlin 1927, S. 193, 194. 260 Ebd., S. 200. 261 Quintin Johnstone, Die Entwicklung von Familiengerichten in den Vereinigten Staaten, in: Archiv für die Civilistische Praxis, 154. Band, Heft 1, 1955, S. 35 – 36. 262 Wolfram Müller-Freienfels, Ehe und Recht, Tübingen 1962, S. 305 – 307; ders. Familienrecht im In- und Ausland, S. 57 – 61. 263 Quintin Johnstone, Die Entwicklung von Familiengerichten in den Vereinigten Staaten, in: Archiv für die Civilistische Praxis, 154. Band, Heft 1, 1955, S. 43 – 44.
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worden,264 doch was ein Familiengericht überhaupt ist, was es eigentlich ausmacht, hierüber schieden sich zu damaliger Zeit 265 und scheiden sich auch noch heute die Auffassungen. Denn eine allgemein verbindliche Definition des Familiengerichts existiert nicht.266 Im Vergleich zu dem Familiengericht in Cincinnati reformierte Judge Paul W. Alexander des Weiteren die richterliche Tätigkeit um sozialwissenschaftliche und sozialfürsorgerische Aspekte. Judge Paul W. Alexander verankerte die richter liche Verantwortung nicht nur im und für das gerichtliche Verfahren und den das Verfahren abschließenden Urteilsspruch, sondern ebenso für eine erfolgreiche familienfürsorgerische und gemeinwohlorientierte Urteilsdurchführung.267 Diese interdisziplinäre Charakteristik des neuen Fachgerichts kennzeichnete die Wirkungen des sozioökonomischen Wandels auf das s oziale Gebilde der Familie für die juris tische Praxis 268 und ging weit über eine nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland implementierte Fachgerichtsbarkeit hinaus. Das Familiengericht in Toledo, Ohio, war Vorbote in der amerikanischen Jurisprudenz für das Gebot des Respekts vor dem innerfamiliären Bereich. Ein inquisitorisches Verfahren im Familienrecht wurde abgelehnt.269 Marie Munk wurde in ihrer neuen beruflichen Tätigkeit als Marriage Counselor zu weiteren Forschungen angeregt, auf die im 5. Kapitel, Ziffer I. Nr. 6, im 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2 und im 7. Kapitel, Ziffer V. Nr. 2, 3, Ziffer VII. Nr. 1. bis 6., Nr. 8 eingegangen wird.
264 Sabine Aeschlimann, Familiengerichtsbarkeit im internationalen Vergleich unter Berücksichtigung der Rechtsordnungen der USA, Australiens und Neuseelands und der Schweiz, Bern 2009, S. 33. 265 Je nach dem Blick des Betrachters, ob dieser ausschließlich auf die gerichtliche Zuständigkeit, den Zweck des Scheidungsrechts als Sanktion für Eheverfehlungen oder auf ein gemeinwohlorientiertes und zugleich fürsorgerisches Aufgabenkonvolut gerichtet ist: vgl. Wolfram Müller-Freienfels, Familienrecht im In- und Ausland, Band 1, Frankfurt a. M. 1978, S. 44; Quintin Johnstone, Die Entwicklung von Familiengerichten in den Vereinigten Staaten, in: Archiv für die Civilistische Praxis, 154. Band, Heft 1, 1955, S. 36; Sabine Aeschlimann, Familiengerichtsbarkeit im internationalen Vergleich, S. 3 – 4. 266 Aeschlimann, S. 3. 267 Quintin Johnstone, Die Entwicklung von Familiengerichten in den Vereinigten Staaten, in: Archiv für die Civilistische Praxis, 154. Band, Heft 1, 1955, S. 41 – 42. 268 „Es ist eine Verbindung von Gericht, Fürsorgeamt und Nervenklinik.“ In: Quintin Johnstone, Die Entwicklung von Familiengerichten in den Vereinigten Staaten, in: Archiv für die Civilistische Praxis, 154. Band, Heft 1, 1955, S. 34 – 44, S. 36. 269 Wolfram Müller-Freienfels, Familienrecht im In- und Ausland, S. 75 – 76.
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V. Cambridge/Massachusetts (ab 1945) Cambridge ist eine Stadt der kurzen Wege.270 Die Harvard University gibt der Stadt ein ganz besonderes Flair, das Marie Munk an die schöne Umgebung des Rheinlands erinnerte.271 Für Marie Munk war gar die trübe Winterzeit in Cambridge erträg lich.272 Besonders schätzte Marie Munk die kulturellen Angebote. Erst viele Jahre später erwarb sie in der Nähe des Harvard University Campus und der Law School Library – die sie für ihre weiteren Forschungen brauchte – ein hübsches Haus 273: 25 Eustis Street, Cambridge 40, Mass. Dieser ersten wirtschaftlichen Sicherheit gingen die wirtschaftlichen Herausforderungen eines Neubeginns in Cambridge voraus. Es blieb schwierig für Marie Munk.274
1. Studien und beruflicher Neueinstieg Ihre ersten Wohnverhältnisse in Cambridge waren bescheiden: ein möbliertes Zimmer.275 Um ihre Ersparnisse nicht aufbrauchen zu müssen, bestritt Marie Munk ihren Lebensunterhalt in den ersten zehn Jahren in Cambridge durch 270 “After work, friends can visit one another without having to travel several hours.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge, Mass., My New Home, S. 2. 271 “Even the spring flowering, the huge apple orchards in the vicinity, remind me to the Rhine land. Cambridge is perhaps more cosmopolitan than many other places in this country, because the Harvard University and the other Colleges in this vicinity have hundreds of foreign students from many parts of the globe. They have all colours of skin, and many walk around in their national garb.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge, Mass., My New Home, S. 1. 272 “I love the university atmosphere of Cambridge which reminds me of Bonn, the nearby ocean and the mountainous country of the New England States. The Fall foliage fills me of delight and lets me forget the coming winter with the bare trees.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 4. 273 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge Massachusetts, My New Home, S. 1. 274 “I miss my Toledo friends and the home town atmosphere.” In: Dear-Friend-Brief, December 1945, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 275 “To find an apartment and a furnished room in Boston and around is almost like winning in a lottery. I have been very lucky in first getting a nice and close furnished room and now this four room apartment on the ground floor in a three family house close to Harvard University.” In: Dear-Friend-Brief, December 1945, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 10.
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Forschungsaufträge, Lehraufträge und Übersetzungen.276 Darüber hinaus arbeitete Munk an der „Chandler School for Girls“, einer Sekretärinnenschule in Boston, und berichtete ihren Freunden, mit welcher Freude und Hingabe sie den Unterricht für die jungen Mädchen versah.277 Für ihren Lehrauftrag erhielt Marie Munk ein bescheidenes Salär von 900 Dollar für 10 Monate.278 Munks Fremdsprachenstudien gewannen an Profil.279 Sie erweiterte ihre Spanischkenntnisse und konnte so stundenweise als Übersetzerin arbeiten.280 Munk gab Fremdsprachenkurse für Studenten, die einen erfolgreich bestandenen Sprachtest als Voraussetzungen für ihr Doktorstudium in Harvard benötigten 281, half aus in einem Secretarial Office am Harvard Square 282 und in einer Agentur für Autoversicherungen.283 Zugleich bot sich Munk als wissenschaftliche Hilfskraft an.284 Nach 2 76 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge Massachusetts, My New Home, S. 4. 277 “I am teaching a course on ‘Current Social Problems’. I am proud to be a part-time member of the excellent faculty, and I would be happy if the students – mostly alert high-school graduates between 17 and 22 years of age – enjoy the course as much as I love working with them.” In: Dear-Friend-Brief aus dem Jahre 1947, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 16. 278 Eidesstattliche Versicherung Marie Munk vom 21. Februar 1958, in: Entschädigungsakte Marie Munk RegNr. 60 798, Bl. E 90–E 93, Bl. E 92. 279 “During the summer I took an inspiring course on Guidance and Personnel at Boston University under excellent instructors, with teachers and administrators from many parts of the country as students. I am now profiting from a course in Advanced English Composition and Conversational French, offered by the Extension Department of Harvard University.” In: Dear-Friend-Brief, December 1946, in: LAB B Rep. 235.12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 280 “I have been tutoring English to a newcomer from France and German to a candidate for the doctorate. I have done translations and research, some of which dealt with the Constitution of the European Community.” In: Dear-Friend-Brief, November, 1953, in: LAB b Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 2 81 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge Massachusetts, My New Home, S. 5. 282 Schreiben von Marie Munk an Prof. Kluckhohn, May 25, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9. 283 Dear-Friend-Brief, November 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 13. 284 “I shall be grateful to you if you will kindly remember me for any assistance or research, incl. translations, which might come up in your department or with one of your friends. I translate: German, French, Italian, Spanish, if need be, also Latin and Greek. I translate German both ways and I might also translate into French.” In: Schreiben von Marie Munk an Prof. Kluckhohn, May 25, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9.
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dem ersten Jahr in Cambridge stellte Munk fest: “I have been living a rather secluded life, spending most of my working hours at home, doing writing and research, and keeping my apartment in shape, I feel very strongly that I have been lucky to have found these living quarters.”285 Während dieser ersten Jahre in Cambridge verbrachte Marie Munk ihren „Urlaub“ am Institute for Social Progress am Wellesley College zu Studienzwecken.286 Marie Munks Resümee über ihre ersten acht Jahre in Cambridge fiel bescheiden aus: “I regret that my efforts to become connected with a law or research office have not been successful.”287
2. Marie Munk als amerikanische Anwältin Ihre Hoffnungen, auch weitere juristische Erfahrungen in einem Law Office zu erlangen, erfüllten sich in den ersten Jahren in Cambridge nicht.288 Eine Anwältin gestattete ihr, das Büro zu benutzen. Aber Marie Munk hatte keine Klienten und arbeitete als juristische Hilfskraft für eine Anwaltskanzlei.289 Auch bekam Marie Munk durch eine Rechtsberatungsstelle einige Fälle zugewiesen, jedoch war sie mit dem gerichtlichen Prozedere der Zeugen- und Klientenbefragung nicht vertraut.290 Im Jahr 1949 traten in Deutschland die ersten rechtlichen Bestimmungen 285 Dear-Friend-Brief, December 1946, in: LAB B Rep. 235.12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 286 „It augurs well for our future“, hob Munk in einem Brief hervor, „that several hundred Americans from many parts of the country, also some from foreign lands, attend this conference for one or two weeks, that they use their vacation, spend time and money for becoming better informed on pressing national and international issues so that they may return to their respective communities to help others toward clearer concepts and appropriate actions. The members of the Institute range from young college students to those over 70. They come from various educational and social backgrounds. Discussions under able leaders are continued privately. Opposing ideas respected and received without ill feelings.“ In: Dear- Friend-Brief, November 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 13. 287 Dear-Friend-Brief, November, 1953, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 288 “I did not make much headway with the development of my law practice.” In: Dear-Friend- Brief, December 1946, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 289 “The trouble is I don’t have clients and that the arrangements will have to be modified to another lawyer who was using her office returned from Washington and there is not suffi cient place for all of us. Meanwhile I am doing some little research work for a law firm; this means to find out ownership, mortgages, encumbrances etc. on real estate for which the owner applies for a mortgage or which is to be sold.” In: Dear-Friend-Brief, December 1945, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 10. 290 “I found it even difficult to fill out the many forms which are used here in court procedure. They give only a selection of the facts, whereas I was used to present the case in greater detail.”
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zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in Kraft. Von diesem Zeitpunkt an betreute Marie Munk als Anwältin von Amerika aus Mandanten jüdischer Herkunft. Die Berliner Kanzlei Dr. Walter Schwarz und Gerhard Falk (Berlin) versah die Rechtsvertretung in Deutschland. Das seit den 1950er-Jahren in Kraft getretene Entschädigungsrecht sah zwar von einem Anwaltszwang vor den Landgerichten ab 291, jedoch wäre eine Vertretung Munks vor deutschen Gerichten mit erheblichen Kosten und einem großen Zeitaufwand verbunden gewesen. Deshalb vertrat Marie Munk ihre Mandanten in Deutschland nicht allein.292 Darüber hinaus war ab dem Oberlandesgericht für die Kläger Anwaltszwang vorgeschrieben. Deshalb war ihr Rechtsanwalt Schwarz von Anni (Irmela) Ackermann empfohlen worden, wofür Marie Munk ihr dankbar war.293 Erst durch die recht spät einsetzenden Ausgleichszahlungen wurde für viele ihrer Mandanten das Leben endlich leichter, obgleich die schweren Schicksale, wie der Verlust des Vaters, der M utter oder der Kinder nicht ungeschehen gemacht werden konnte. An dieser Arbeit befriedigte Munk, dass sie ihren Teil für einen erfolgreichen Ausgang der Verfahren beitragen konnte und ihr dafür ihre Kenntnisse und Erfahrungen aus dem deutschen und amerikanischen Rechtskreis nützlich waren.294 Rückblickend stellte sie im Jahr 1957 für die besonderen Schwierigkeiten der Wiedergutmachungsverfahren fest, dass sie es nicht verstehen könne, dass die Behörden den Antragstellern nicht mehr entgegengekommen s eien. Viele Fragen müssten doch nach 20 bis 25 Jahren offenbleiben. Zumal die Antragsteller vor dem Nationalsozialismus fliehen und um ihr Leben hätten kämpfen müssen, Hab und Gut in Deutschland zurücklassend. Wie sollten sie da noch
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In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge Massachusetts, My New Home, S. 4. § 224 Abs. 1 BEG lautete: „Im Verfahren vor den Landgerichten besteht kein Anwaltszwang.“ § 224 Abs. 2 Satz 1 BEG lautete: „Im Verfahren vor den Oberlandesgerichten besteht für das Land kein Anwaltszwang.“ Deshalb korrekturbedürftig in: Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon, S. 278. Schreiben von Marie Munk an Anni Ackermann vom 31. März 1965, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 4 Folder 2. “[…] cannot bring back to life. […] But it gives me satisfaction whenever I am able to bring their claims to a successful solution. I could not do this work without my training and experience in Germany and in the United States. I was able to speed up some of the claims when I went to Germany in 1956 and talked the claims over with the respective Restitution Offices. I should like to say at this point that I was always received with greatest courtesy, kindness, and understanding.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiogra fisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge Massachusetts, My New Home, S. 7.
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Dokumente vorlegen und Zeugen benennen können?295 In den ersten Jahren dieser juristischen Tätigkeit setzten nur einige Klienten Marie Munks ihre Ansprüche erfolgreich durch.296 Seit dem Jahre 1958 konzentrierte sich ihre juristische Arbeit ganz auf die Wieder gutmachungsverfahren.297 Ein Jahr s päter konstatierte Munk, dass ihre Arbeit durch eine überaus lange Verfahrensdauer erschwert werde.298 Erst zum Ende des Jahres 1963 waren die meisten Verfahren für ihre Mandanten abgeschlossen.299 Die Erfolgreichen ihrer Klienten erhielten aber erst ab dem Jahr 1964 ihre Ausgleichszahlungen.300 Zum Ende des Jahres 1965 liefen die Restitutions- und Wiedergutmachungsverfahren aus.301 Die Sozietät Schwarz/Falk löste sich zum 31. Dezember 1967 auf: Rechtsanwalt Falk führte die restlichen Verfahren weiter.302 Der Rechtsanwalt Walter Schwarz arbeitete nach der Auflösung der Kanzlei weiterhin an historischen Fragen der „Rückerstattung“.303 Auf dieses Rechtsgebiet in Bezug zu Marie Munks Dissertation wird im 9. Kapitel eingegangen. 295 “I wonder if some of the restitution cases which I filed for Nazi persecutes would not be handled more expeditiously by German officials if they would approach them with greater understanding for the problems of the petitioners. It would make them realize that many of the lengthy questionnaires cannot be answered truthfully after 20 to 25 years have gone by in which the persecutes had to flee and fight for their lives, leaving everything behind. How can they now supply documents or witnesses?” In: Dear-Friend-Brief, November 1957, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 296 “While I am happy to report that quite a number of my clients collected considerable damages, even in doubtful cases, other petitions are dragging on endlessly without apparent justification.” In: Dear-Friend-Brief, November 1957, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 297 “[C]laims of former Nazi victims continue to keep me busy. It brings results, although more slowly than I would wish for those who need this financial help very badly.” In: Dear-Friend- Brief, November 1958, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 298 “My work for the Nazi persecution brings results, albeit rather slowly.” In: Dear-Friend-Brief, November 1959, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 18. 299 Dear-Friend-Brief, November 1963, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 300 “[…] considerable payments from the German Government for the loss and sufferings which they endured.” In: Dear-Friend-Brief, November 1964, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 301 “My work in restitution claims against the German Government is flattening out.” In: Dear- Friend-Brief, November 1965, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 302 Brief von Dr. Schwarz vom 22. September 1967 an Marie Munk und Antwortbrief Munks vom 2. Oktober 1967, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith C ollege, Northampton, Mass. Box 8 Folder 5. 303 Schriftverkehr zwischen Marie Munk und Walter Schwarz vom 4. April bis 22. April 1971, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 5.
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3. Art Degree in Harvard (1948 – 1953) Bereits seit dem Ende des Jahres 1948 hatten sich ihre Studieninteressen um ein Studium Generale erweitert.304 Zunächst besuchte Marie Munk einige Veranstaltungen und Vorlesungen, die für die Öffentlichkeit zugänglich waren. Hierzu gehörten naturwissenschaftliche Seminare, Übungen zum kreativen Schreiben, Psychologie und Spanisch, die es Berufstätigen ermöglichten, sich in „Extension Courses“305 weiterzubilden. Dieses Bildungsangebot war eine demokratische amerikanische Tradition.306 Sie besuchte Abendvorlesungen an der Harvard University in „International Politics, on Western Thought and Civilization (the philosophies of Hobbes, R ousseau 307 and others)” . Diese Gasthörerschaft mündete ein in ein reguläres Studium, dass Marie Munk im Jahre 1953 mit dem Art Degree in Harvard abschloss.308 Dieser akademische Grad, den sie am 11. Juni 1953 erhielt 309, war nicht die Fortbildung zum Außerordentlichen Professor, wie die Sekundärliteratur meint,310 sondern, wie aus dem Glückwunschschreiben der Harvard University vom 9. Juni 1953 hervorgeht 311, 304 “I derive much pleasure from courses which I take at the Extension Department of Harvard University: Oral Interpretation of English (an excellent course which emphasizes good speech and diction); Beginner’s Spanish, and Zoology (chiefly biology and evolution) with visits to the Museum. During the summer I took several nice excursions, boat trips in Boston harbor, geological field trips, and rides on my bicycle which is also handy for errands.” In: Dear- Friend-Brief, November 26, 1948, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 305 Dear-Friend-Brief, December 1949, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 1. 306 “[…] truly democratic American institution.” In: Dear-Friend-Brief, December 1949, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 1. 307 Dear-Friend-Brief, November 1951, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 308 “After I had taken a few courses, I began to wonder if I should not try to get the Adjunct of Arts Degree in Extension Courses at Harvard University. After I had been given advanced standing, that is, credits of courses which I had taken previously, I fulfilled the requirements in 1953 and received my diploma from President James B. Conant, later our Ambassador to Germany. Proudly I had walked in the procession with candidates and up to the platform. I enjoyed this day as much as the one on which I got the doctorate of Law Degree in Heidelberg.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge Massachusetts, My New Home, S. 3. Hervorhebung nicht im Original. 309 Schreiben des Administrative Board for University Extension vom 9. Juni 1953, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 8 Folder 2. 310 So korrekturbedürftig in: Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon, S. 278. 311 Schreiben des Administrative Board for University Extension vom 9. Juni 1953, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 2.
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ergänzte dieser akademische Grad ihre Befähigung für eine Lehr- und Forschungsarbeit. Für Marie Munk eine Erinnerung, die sie mit Stolz erfüllte.312
4. Die Harvard Alumni Association (1953) Mit ihrem Schreiben vom 29. September 1953 setzte sich Marie Munk in provokantem Ton beim Komitee der Harvard Alumni Association für eine Vollmitgliedschaft von Frauen ein, die einen akademischen Grad in Harvard erworben hatten.313 Die Schirmherren entgegneten, dass die Vollmitgliedschaft von externen Studenten nicht das Problem der Harvard Studentenvereinigung sein könne.314 Marie Munk hielt eine Mitgliedschaft von Frauen für wünschenswert und unvermeidbar. Sie bekräftigte, dass der Wortlaut der Satzung der Alumni Association, dass eine weibliche Mitgliedschaft im Einzelfall unvermeidbar (eventually inevitable) sei, einen schlechten Eindruck hinterlasse, wenn Frauen, nachdem sie einen akademischen Grad erhalten hätten, nicht ohne Weiteres zugelassen würden. Diese Sachlage fordere zum Handeln auf.315 Das Komitee fasste auf seiner Sitzung am 24. Oktober 1953 die Empfehlung, dass Frauen mit dem Zeitpunkt der Verleihung 312 “Last June I marched in cap and gown in the procession of Harvard University. I was awarded by President Conant, now High Commissioner in Germany, the Adjunct of Arts in the Extension Division. I reported in previous years that I enjoyed the courses on languages, government, psychology, literature, natural sciences, etc. I thereby qualified for this undergraduate degree which Harvard and some other colleges accept as equivalent of the Bachelor of Arts. Some of my four co-graduates who had been working hard toward this goal are now preparing for their Master’s.” In: Dear-Friend-Brief, November 1953, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 313 “To what extent is a female entitled to the rights and privileges of the Harvard Alumni Association? Are they ‘full-fledged’ or ‘by sufferance’? Should they feel free to attend any meeting of the Alumni Association or any reception? May they make use of Harvard Clubs? May they enter at Commencement that part of the Yard hitherto preserved for Harvard men, and may they partake of refreshments?” In: Report of the Committee on the Role of Ladies in the Harvard Alumni Association, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3514. 314 “We must emphasize that these are exclusively degrees from graduate schools, and that the problem which Miss Munk’s letter raises does not involve the Harvard undergraduate body.” In: Report of the Committee on the Role of Ladies in the Harvard Alumni Association, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3514. 315 “It was the phrase ‘eventually inevitable’ which filled your Committee with an indefinable sense of foreboding, and spurred them to a frenzy of action. To coin phrase, your Committee has taken the dilemma by the horns, and has sought to throw the bull in a direction it has never been thrown before, at least not in the Harvard Alumni Association.” In: Report of the Committee on the Role of Ladies in the Harvard Alumni Association, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3514.
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ihres akademischen Grades Vollmitglieder wurden.316 Nunmehr waren auch Frauen gemeinsam mit den Männern Mitglieder der Harvard Alumni Association und nahmen an den vielfältigen kulturellen akademischen Veranstaltungen in Harvard teil. Gleiches Recht für Frau und Mann – ein Anliegen, dass Marie Munk gern als Anwältin praktiziert hätte.
5. Fazit Ein beruflicher Neueinstieg in Cambridge gelang Marie Munk trotz amerikanischer Anwaltszulassung nicht in vollem Umfang. Sie bestritt ihren Lebensunterhalt mit Hilfsarbeiten. Erst das deutsche Wiedergutmachungsrecht sicherte ihr eine juristische berufliche Tätigkeit. Doch Munks Hauptbetätigungsfeld blieb die Wissenschaft, auch vor dem Hintergrund einer Aufbauhilfe für Deutschland.
VI. Hilfe beim Aufbau deutscher Demokratie (1946 – 1956) Die Hauptfrage, die kurz nach der Kapitulation gestellt wurde, war: Wer hatte den Zweiten Weltkrieg überlebt? Für Marie Munk offenbarte sich ein Bild der Schuld und der Zerstörung Deutschlands. Munk erkannte das schwere Ausmaß der Luftangriffe. Ihre Freunde waren nicht Anhänger des nationalsozialistischen Regimes gewesen und schwebten während des Nationalsozialismus und des Krieges ständig in Gefahr, in einem Konzentrationslager umgebracht zu werden. Nach dem Krieg war ihr Dasein von Hunger und Kälte geprägt. Die deutschen Freunde Marie Munks hatten noch nicht einmal Material, um ihre Kleidung zu flicken. Kein Außenstehender vermochte sich das Ausmaß des Leids vorzustellen, das sie hatten erdulden müssen. Es schien so, als wenn Gott sie für das Übel bestraft hätte, dass die Nationalsozialisten anderen Menschen angetan hatten und dass die guten und unschuldigen Menschen gleichsam mitleiden mussten mit denjenigen, die schuldig waren.317 Es war für Marie Munk ein Wunder, 316 “As members of the Harvard Alumni Association, they shall be entitled to the same rights and privileges as the male holders of the same degrees.” In: Report of the Committee on the Role of Ladies in the Harvard Alumni Association, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3514. 317 “I knew that the air attacks must have been worse than Dante’s Inferno. Since my friends had not been in favor of the Nationalist Socialist regime, they had been in constant personal danger of being placed in concentration camps. The years immediately after the war were years characterized by starvations and cold. The Germans did not have sufficient clothing, bedding, or food; not even thread to mend their clothes. I was happy to be able to send them
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dass einige ihrer Freunde den Holocaust überlebt hatten.318 Wie alle Amerikaner half Munk den Deutschen mit Carepaketen. Sie bewunderte den ungebrochenen Aufbauwillen der Deutschen.319 Ihre Hilfe als amerikanische Staatsbürgerin für die Deutschen erfüllte Marie Munk mit Stolz.320
1. Familienkontakte und Einblicke in die deutsche Frauenbewegung Mit ihrem ersten Besuch in Deutschland erneuerte Munk nur ihre Familienkontakte. Sie besuchte ihre Nichte. Ein deutlicheres Bild der deutschen Verhältnisse vermochte Munk erst während ihrer zweiten persönlichen Begegnung 1950 zu erkennen: Hans Schiffer (der Sohn Eugen Schiffers 321) und andere Freunde aus der Weimarer Zeit half ein angeregter Geist über manchen wirtschaftlichen Mangel hinweg. Das Haus in Berlin war zerstört. Sie lebten ohne Eingang und Klingel in Behelfsräumen.
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gifts parcels. Even scrap material was received with gratitude. None of us can visualize the amount of suffering which they endured. I cannot help but feel that God punished them for the evils which they had done to others, and that the good and innocent ones had to suffer with those who had been guilty.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge Massachusetts, My New Home, S. 8 – 9. “It seems miraculous that some of our friends in Germany came through the holocaust not only alive but in good spirit. Some are back in their old work and former living quarters, even those who had been in concentration camps. Others will probably never be heard of. Reports reached us and other friends indirectly.” In: Dear-Friend-Brief, December 1945, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. “Some of my closest German friends survived Nazi persecutions and harassing experiences. With their spirit unbroken, they are doing their share in the reconstruction of Germany. Lacking central heat, sufficient coal, wood, warm clothing and nourishing food, this winter will be extremely hard. Parcels of food and clothing from us, who have been spared the ravages of war, are badly needed, not only for the material help, but also as evidence of friendship and care. If any of my American friends should like to ‘adopt’ a family, I shall gladly furnish further details. I shall also take charge of the mailing if they prefer to make their contribu tions to me. My deepest gratitude and that of my friends will be their reward.” In: Dear- Friend-Brief, December 1946; Mit einer ähnlichen Aufforderung auch im Dear-Friend-Brief, November 1947, in: LAB B Rep. 235.12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. “It made me proud and happy to be an American.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge Massachusetts, My New Home, S. 9. „Ich sehe Sie beide noch vor mir, als ich Sie 1950 besuchte.“ In: Schreiben von Marie Munk an Hans Schiffer vom 27. Januar 1971, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 21.
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Die „Wohnung“ war mit den Habseligkeiten eingerichtet, die sie noch vor der Zerstörung hatten retten können. Eine in den Trümmern aufgefundene Badewanne konnte wegen der zerstörten Sanitätsleitungen nicht installiert werden.322 In einem weiteren Reisebericht berichtete Munk von der Angst der Deutschen, die Russen könnten ganz Deutschland okkupieren und Deutschland gerate erneut in eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Ost und West. Aus Sicht Munks könne nur durch die Erziehung der nachfolgenden Generation gegen gesteuert werden. 323 Marie Munk setzte auf die Rolle der Frau. Ihre Bitte um Information über die Verhältnisse in Deutschland knüpfte an den gemeinsamen Kampf für Frauenrechte an. Der Briefkontakt z wischen Schubart- Fikentscher und Munk offenbarte, dass Munk an einem Artikel über die neue deutsche Frauenbewegung in Deutschland arbeitete.324 Marie Munks Wunsch nach Material wurde schließlich über Anni (Irmela) Ackermann erfüllt. Sie versorgte Munk umfassend mit den neuen Verfassungen 325, übersandte das neue Schulgesetz für Groß-Berlin 326, eine kurze Betrachtung zum Ehescheidungsrecht nach dem Ehegesetz von 1946327, Teile der Ehegesetze 328, die Länderverfassungen der Zone in drei Teilen 329 sowie eine tabellarische Übersicht über die Grundrechte 330, die Verfassungstexte der fünf Ostzonen-Länder 331, Bestimmungen über die Rechtspflege in den drei süddeutschen Ländern der amerikanischen Besatzungszone 332, eine Publikation bzw. Kurzbetrachtung über die neuen Verfassungen 333 3 22 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 2. 323 Reisebericht mit dem Titel “Will Germany’s Participation in the Atlantic Pact Revive German Militarism?” in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 324 Schreiben von Marie Munk an Gertrud Schubart-Fikentscher vom 16. August 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3516. 325 Schreiben von Anni Ackermann vom 29. April 1948, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3518. 326 Schreiben von Anni Ackermann vom 25. Juli 1948 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3518. 327 Schreiben von Anni Ackermann vom 15. Januar 1948 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3517. 328 Schreiben von Anni Ackermann vom 31. Juli 1948 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3518. 329 Schreiben von Anni Ackermann vom 31. Juli 1948 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3518. 330 Schreiben von Anni Ackermann vom 1. August 1948 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3518. 331 Ebd. 332 Ebd. 333 Ebd.
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und ausführliche Darstellungen über das Kontrollratsgesetz Nr. 4 vom 30. Oktober 1945 sowie weitere Regelungen für den amerikanischen und englischen Sektor.334 Hierbei fehlten auch keine Darstellungen über die sachliche und persönliche Unabhängigkeit des Richters sowie über das richterliche Prüfungsrecht von Gesetzen 335 oder Vortragstexte deutscher Juristen, wie zum Beispiel ein Mitteis-Vortrag.336 Indem Marie Munk mit diesen deutschen Papieren arbeitete, keimte ein Wunsch in ihr. Sie hoffte auf eine Rückkehr nach Deutschland. Gern wollte sie mit Eugen Schiffer zusammenarbeiten.
2. Zusammenarbeit mit Eugen Schiffer in Deutschland? Aber Käthe Lindenau 337 und Eugen Schiffer schrieben ihr in einem Brief (ohne Datum), der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Ende des Jahres 1946 verfasst wurde 338: „[Z]uvorderst muss ich einen Traum zerstören, der nicht Wirklichkeit werden kann. Auf die Weise, wie Sie es sich denken, geht es nicht, nämlich das Zurückkehren in das liebe Vaterland. Unter Beibehaltung der amerikanischen Staatsangehörigkeit ist es natürlich völlig ausgeschlossen, Sie in eine deutsche Verwaltung einzustellen, die unter russischer Oberleitung steht. Darüber ist kein Wort zu verlieren. Nicht ausgeschlossen wäre es, das Sie in die amerikanische Verwaltung in Berlin einträten, aber damit wäre Ihr Wunsch nicht erfüllt, unter meinem sanften Zepter zu leben. Sollten Sie letzteres ins Auge fassen, so müsste die amerik. Kommandantur hierselbst Sie anfordern. Das wäre leicht zu machen, wenn Sie von drüben die Verbindung mit ihr durch die dortige Regierung herstellten. Von hier aus ist es nicht zu machen, wenigstens nicht durch mich.“339 334 Schreiben von Anni Ackermann vom 1. August 1948 und Zusammenfassung vom 15. August 1948 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3518. 335 Schreiben von Anni Ackermann vom 15. August 1948 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3518. 336 Schreiben von Anni Ackermann vom 15. März 1948 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3517. 337 „Meine liebe Nonne, das Obige hatte mir der Erz schon vor einigen Wochen diktiert, und ich hatte immer die Hoffnung, es würde sich auch mal eine Fortsetzung daran knüpfen. Aber es sollte und wollte nichts draus werden, und so habe ich ihm dann heute erklärt, ich würde nun meinerseits diesen Brief vollenden.“ In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. 338 Nach den ergänzenden Zeitangaben Käthe Lindenaus: „Das Fest rückt in bedenkliche Nähe“, wahrscheinlich zum Ende des Jahres 1946, weil die im Archivbestand folgenden Briefe mit dem Januar 1947 beginnen. Dies wird auch dadurch bestätigt, weil Lindenau die Vereinheit lichung der Zonen erwähnte, die sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1946 ereignete. In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. 339 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. Hervorhebung nicht im Original.
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Marie Munk ließ von ihrem Vorhaben nicht ab. Schließlich wurde sie von S chiffer gewarnt: „Diese hiesigen Verhältnisse müssen aber auch für Dich und Deine Entschließung eine Warnung sein. Der Gedanke im amerikanischen Dienst Dich hier dauernd niederzulassen hat seine sehr zweiten Seiten. Selbst wenn er ausführbar sein sollte, würde er auf Bedenken stoßen, die einen großen Teil der hier tätig gewesenen amerikanischen Vertreter immer wieder veranlassen, den deutschen Staub von den Pantoffeln zu schütteln und in das Land zurückzukehren, das keine verfallenen Schlösser und keine Basalte hat. Ich freilich habe mein Herz an die verfallenen Schlösser gehängt; Il y a quelque chose de plus beau que les belles chose: c’est des ruines des belles choses. Dies tröstest mich natürlich sehr für mich, während es für Dich natürlich noch keine Anwendung findet, oder doch?“340 Obgleich Schiffer ihr mitteilte, „wie gut“ sie in sein „Amt hineinpassen“ würde, „und wie gut es Dir gefallen würde“341, wären bei einer Rückkehr an Marie Munk große Erwartungen gestellt worden. Hätte Marie Munk diese Erwartungen in der bevorstehenden Familienrechtsreform erfüllen können?
3. Rückkehr nach Deutschland für die deutsche Familienrechtsreform? Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes war Auslöser für die Familienrechtsreform der 1950er-Jahre. Walter Strauß, der damalige Staatssekretär im Bundesjustizministerium, jüdischer Abstammung, ein Freund Gerhard Leibholz’342, hatte aus seiner Funktion im Parlamentarischen Rat den Auftrag zur Änderung des gegen den Art. 3 Abs. 2 GG widersprechenden Ehe- und Familienrechts für das Bundesjustiz ministerium mitgebracht. Es waren bereits Gesetzentwürfe der SPD während des Jahres 1949 zur Änderung des Familienrechts im Parlament eingegangen.343 Im Winter 1949/1950 waren in Strauß’ kleinem Mitarbeiterstab nur erste Entwürfe zum Rechtsvereinheit lichungsgesetz und zum Strafrechtsänderungsgesetz entstanden.344 Walter Strauß benötigte also dringend kompetenten Sachverstand. Walter Strauß erinnerte sich an Marie Munk. Am 14. Dezember 1949 schrieb Walter Strauß an den Vortragenden 340 Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 24. Januar 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. 341 Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 26.März 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. 342 Friedemann Utz, Preuße, Protestant, Pragmatiker. Der Staatssekretär Walter Strauß und sein Staat, Tübingen 2003, S. 14. 343 Ebd., S. 440. 344 Ebd., S. 444 Fußnote 25.
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Rat des Zentraljustizamtes für die Britische Zone, Herrn Dr. W. Hoepfner: „Im Übrigen entsinne ich mich, dass Fr. Dr. Munk als erste Frau das Assessorexamen im Spätherbst 1923 abgelegt hat, gerade um dieselbe Zeit, als ich mein Referendar examen machte. Bei einem geselligen Zusammensein der Staatsanwaltschaft des Landgerichts Berlin I im Winter 23, an dem ich auch teilnahm, war sie als erste Assessorin als Ehrengast eingeladen. Sollte Frau Dr. Munk etwa den Wunsch haben, ganz nach Deutschland zurückzukehren, so würde Herr Minister auch ihre Verwendung im Bundesjustizministerium erwägen. Vielleicht könnten Sie ermitteln, ob derartige Wünsche bei Frau Dr. Munk bestehen.“345 Strauß war aber nicht nur daran gelegen, Munks „Erfahrungen und Kenntnisse als solche zu verwenden, sondern, wie er ihr später schrieb, insbesondere auch, das an ihr „begangene Unrecht wieder gutzumachen.“346 Das war zu einem Zeitpunkt, als Munk nicht im Entferntesten auf eine Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts hoffen konnte. Sie antwortete ihm: „Ihre Bemerkung, dass der Herr Justizminister meine Verwendung im Ministerium in Aussicht nehmen würde, wenn ich nach Deutschland zurückkehren würde, eroeffnet Aussichten, die mich ausserordentlich verlocken. Ich würde sehr gern am Wiederaufbau Deutschlands und an der Umarbeitung von Gesetzen, besonders hinsichtlich der Besserstellung der Frau und der ehelichen und unehelichen Mutter und der Kinder mitarbeiten. Durch meine langjährigen Arbeiten auf diesen Gebieten und meine Kenntnisse vergleichenden Rechts glaube ich zur Lösung der Probleme beitragen zu können. Ich wäre bereit, für eine solche Aufgabe, die einen längeren Aufenthalt in Deutschland voraussetzen würde, hier mancherlei Anordnungen zu treffen und Arbeiten aufzugeben. Hingegen würde ich keine Tätigkeit übernehmen, die den Verlust der amerikanischen Staatsangehörigkeit zur Folge haben würde. Mir wurde alsbald nach Kriegsende nahegelegt, wieder in den deutschen Justizdienst zurückzukehren. Ich habe dies abgelehnt, da eine s olche Tätigkeit, wie mir mitgeteilt wurde, die Wiederaufnahme der deutschen Staatsangehörigkeit zur Voraussetzung gehabt hätte. Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit würde aber, besonders wenn ich einen Eid leisten müsste, den Verlust des amerikanischen Bürgerrechts mit sich bringen.“347
345 Marie Munk, Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 8 Folder 6. 346 Schreiben von Walter Strauß an Marie Munk vom 12. Januar 1950, in: Marie Munk, Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 8 Folder 6. 347 Schreiben von Marie Munk an Walter Strauß vom 5. Januar 1950, in: Marie Munk, Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 8 Folder 6.
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Mit diesen Worten verwies Munk auf Sec. 401 (USC 8, 801)348 des Nationality Act of 1940.349 Sie machte deshalb den Vorschlag, sie im Angestelltenverhältnis im Ministerium zu beschäftigen. Der Staatssekretär antwortete am 12. Januar 1950, dass ein „Eingehen eines privaten Vertragsverhältnisses mit einem ausländischen Staatsangehörigen für eine Ministerialarbeit“ nicht möglich sei, „jedenfalls nicht für die Mitarbeit an der Gesetzgebung, die wir von Ihnen erwünscht hätten“350. Entgegen Marie Munks Ansicht, hätte sie aber wegen eines mehrjährigen privaten Arbeitsrechtsverhältnisses ihre amerikanische Staatsangehörigkeit verloren (Sec. 404 (USC 8, 804).351 Der Auftrag zur Ausarbeitung rechtlicher Bestimmungen, insbesondere das Eheschließungs- und Ehescheidungsrecht vom Nationalsozialismus zu bereinigen und wieder zurückzuführen in das BGB, wurde im Laufe des Jahres 1950 Maria Hagemeyer erteilt.352
4. Der Deutschlandbesuch 1950 Ein Grund mehr für Munk, sich auf einen weiteren Besuch in Deutschland einzulassen. Warum sollte Munk nicht selbst aktiv werden? Mit gutem Beispiel als Amerikanerin vorangehen – die Geschichte der deutschen Frauenbewegung ein zweites Mal mitgestalten können. 4.1 Vorbereitungen für den Deutschlandbesuch Munk hatte Kontakt zum Amerikanischen Generalkommando. Dieser Kontakt war vermutlich über Major Bell, einem Gast im Wilmersdorfer Frauenbund, entstanden.353 Das Amerikanische Generalkommando, im I. G.-Farben-Gebäude in 348 Sec. 401 lautete: “A person, who is a national of the US, whether by birth or naturalization, shall lose his nationality by: (b) Taking an oath or making an affirmation or other formal declaration of allegiance for a foreign state”, in: Murad Ferid, Das Staatsangehörigkeitsrecht der Vereinigten Staaten von Nordamerika, Frankfurt a. M. 1951, S. 92 – 94. 349 Murad Ferid, Das Staatsangehörigkeitsrecht der Vereinigten Staaten von Nordamerika, Frankfurt a. M. 1951, S. 19 – 109. 350 Marie Munk, Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 8 Folder 6. 351 Sec. 404 lautete “A person who has become a national by naturalization shall lose his nationality: b) Residing continuously for three years in the territory of a foreign state of which he was formerly a national or in which the place of birth is situated, except as provided in sec tion 406 hereof.” Sec. 406 betraf nur die von amerikanischen Behörden oder Firmen veranlassten, die gesundheitlich und familiär veranlassten mehrjährigen Aufenthalte im Ausland. In: Murad Ferid, Das Staatsangehörigkeitsrecht der Vereinigten Staaten, S. 98 – 99. 352 Friedemann Utz, Preuße, Protestant, Pragmatiker, S. 441. 353 Das geht aus einem Schreiben Käthe Lindenaus hervor: „Ja, mit dem Rüberkommen ist es schwierig, aber vielleicht könntest Du Dich doch entschliessen, hier irgend eine Sonderaufgabe
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Frankfurt ansässig, hatte eine „Women’s Division“ eingerichtet, die die deutsche Frauenbewegung wieder begründen und organisieren sollte.354 Die „Women’s Division“ wurde geleitet von Miss Woodsmall.355 4.2 Munks Hilfe im rechtspolitischen Wiederaufbau Munk startete ihre Reise mit folgendem Ziel: “Only through an exchange of ideas, stimulated by an exchange of leaders from both sides of the ocean, may Germany become eventually a truly democratic nation and cease to be the trouble-spot of Europe.”356 Unterstützung für ihre Vorträge erhielt Marie Munk durch ein „military travel permit“357 von Miss Woodsmal. Diese Erlaubnis gestattete ihr, von Westdeutschland nach Berlin und zurück und zugleich kostenfrei in den anderen Teilen Deutschlands unterwegs zu sein. Sie wurde in den Hotels des amerikanischen Generalkommandos willkommen geheißen.358 Die Amerikaner hatten an vielen Orten sogenannte Amerika-Häuser eingerichtet, die der kulturellen Bildung, aber vor allem der Literaturversorgung der Bevölkerung dienten, nachdem der Zweite Weltkrieg viele Universitäts- und Fachbibliotheken zerstört hatte.359 4.2.1 Die Amerika-Häuser in Deutschland Die Amerika-Häuser waren seit dem Jahre 1946 Konzept der amerikanischen Besatzungspolitik. Ursprünglich als Informationsbibliotheken für die amerikanischen Militärangehörigen gedacht, wurden sie nun nicht nur Mittel der Freundschaftswerbung in der deutschen Bevölkerung, sondern wichtiger Bestandteil des kulturellen Einflusses.
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zu übernehmen. Dabei fällt mir ein, dass Du auch an Major Bell geschrieben hattest.“ In: Schreiben von Käthe Lindenau im Dezember 1946 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. “[…] which assisted German women in re-establishing their organization and also in their affects to gain more equal rights for women.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 3. “She had her headquarters in Nauheim near Frankfurt. She had the task to help the German women in their particular problems which included the re-organization of the Women’s Organizations.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 3a. Dear-Friend-Brief, December 1949, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 1. LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 3b. LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions of Europe after World War Two, S. 3b–3c und 4. LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions of Europe after World War Two, S. 3c.
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Die Amerika-Häuser waren Bestandteil des sogenannten „Re-Education Programs“. In Form von Vorträgen, Diskussionen, Gesprächskreisen, Ausstellungen und Filmen sollte der deutschen Bevölkerung Demokratieverständnis nahegebracht werden. Die anfängliche Ablehnung der deutschen Bevölkerung gegenüber dieser vermeintlichen kulturellen Bevormundung, die sich mit dem Wort „Re-Education“ verband, wich langsam. Akzeptanz wurde befördert durch die praktische Handhabung im Bibliothekssystem der Amerika-Häuser. Es wurde das heute so bezeichnete Freihandsystem eingeführt.360 Die Amerika-Häuser wurden vom amerikanischen Steuerzahler finanziert.361 Ein ähnliches Kulturkonzept bot die britische Regierung in ihren Information Centers an, in denen Marie Munk ebenfalls Vorträge hielt.362 Erst ab dem Jahre 1955 wurden die Amerika-Häuser geschlossen oder in amerikanische Institute umgewandelt.363 4.2.2 Vortragsthemen Marie Munks Ihren wichtigsten Ansatz über das Verhältnis z wischen der Besatzungsmacht Amerika und dem zerstörten Deutschland griff sie in ihrem unveröffentlichten Manus kript „Where are we Heading? Do we Know our Goals and How to Achieve it?“ auf: „America has been projected to the role of a world power, of a power which may lead the world to peace and war. Is she mature enough to assume this responsibility? Do we master the rules of diplomacy? Do we look at the problems of other nations not only with American eyes but also from their point of view?“364 Aus diesen Gedanken heraus begründete Marie Munk ihre Vorschläge an die amerikanische Besatzungsmacht. Es geht hervor, dass sie einen „Vergleich der amerikanischen und deutschen Verhältnisse“ für notwendig erachtete. Dieser Vergleich sollte sich auf Grundrechte und Grundzüge der Demokratie, Erziehung zur Demokratie in den Vereinigten Staaten und das Verhältnis von Bürger, Staat und Zentralverwaltung in den Vereinigten Staaten erstrecken. Die Behandlung von jugendlichen Straf tätern, das Ehe-, Scheidungs- und Familienrecht und die Erziehung zur Ehe und die Eheberatung in den Vereinigten Staaten wie auch das Adoptionsrecht und das Familienleben sollten mit dazugehören. 360 Onnen Godow, Amerikahäuser, in: Wolfgang Benz (Hg.), Deutschland unter alliierter Besatzung 1945 – 1949/55, Berlin 1999, S. 329 – 330. 361 Modern Ambassadors, America Houses in Germany, p. 1 – 4, p. 3, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 3 62 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions of Europe after World War Two, S. 3d. 363 Onnen Godow, Amerikahäuser, in: Wolfgang Benz (Hg.), Deutschland unter alliierter Besatzung 1945 – 1949/55, Berlin 1999, S. 329 – 330. 364 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8.
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Die Laienmitwirkung in den Zivil- und Strafverfahren sowie der Stand der Sozialversicherung in Amerika 365 schienen Munk interessant. Die Reaktion der Amerikaner zeigte, dass Marie Munk Recht behielt.366 Genau genommen schien aus Sicht der Amerikaner die Demokratisierung Deutschlands von der Rechtsstellung der Frauen und einer Neugründung der Frauenbewegung abhängig.367 Erhalten geblieben ist ihr Vortrag in Frankfurt vom 28. Juni 1950 über „Ehe- und Elternrechte in den USA“368, der im Dokumentenanhang einsehbar ist. Marie Munk verschriftlichte für den deutschen Wiederaufbau ihre Gedanken, auf die im Folgenden eingegangen wird. a. Eheberatungsstellen Sie gab ihren Zuhörern einen Einblick in die Tätigkeit eines Marriage Counselors und forderte eine Ausbildung für die Eheberatung und ihre auskömmliche Ausstattung. Ihre Vorstellungen bekräftigte sie nicht nur mit dem Hinweis, dass es bereits in der Weimarer Republik Eheberatungsstellen gegeben habe, sondern dass gerade heute wegen der Vielzahl der heimkehrenden Soldaten eheliche Beratungsstellen notwendig s eien, insbesondere im Interesse der Kinder. Schwer erziehbare Kinder würden „nur die charakterlichen Schwierigkeiten der Eltern widerspiegeln.“369 Eben deshalb wäre deren Beratung Aufgabe einer mit Psychologen, Pädagogen, Medizinern usw. besetzten Eheberatung, um auch die richterliche Praxis zu erleichtern.370 Munks 365 Themenblatt mit weiteren persönlichen Angaben Munks, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3627. 366 “They were particularly interested in information on: The Family Law in the United States; Family Life in the United States; Legal Rights of the American Women; The Rights and opportunities of American Women in Public Life; Religious Life in the United States; Probation and Parole and also Big Brothers and Big Sisters Movement in the United S tates for the Prevention of Juvenile Delinquent.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiogra fisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 3. 367 “Once again the women had to be gathered together under democratic principles, so that they could remote their professional interests as well as legislation which would guarantee protec tion of and better rights for women.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 3a – 3b. 368 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3537. 369 Marie Munk, Eheberatungsstellen zur Festigung der Ehe, p. 1 – 7, p. 2, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 10 Folder 8. Hervorhebung nicht im Original. 370 „Diese Eheberatungsstelle half auch dem Richter, sich darüber klar zu werden, ob die Ehe wirklich derart zerrüttet war, daß sie im Interesse der Ehegatten und, wenn Kinder vorhanden waren, auch in deren Interesse geschieden werden mußte. Eine s olche bei den Gerichten bestehende Eheberatungsstelle hilft daher dazu, den Scheidungsprozeß nicht zu einem bloßen Scheinprozeß zu machen, bei dem die Ehegatten dem Richter nur dasjenige vortragen, was
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Eheberatungsmodell sollte die Spannung z wischen den Imperativen der ehelichen Bindung und die hierauf konträr wirkenden wirtschaftlichen und sozialen Wandlungen konstruktiv begleiten. b. Eheerziehung und Eheberatung statt Ehescheidung In einem Vortrag 371 zeigte Munk auf, dass andere und neue Forderungen an die Eheleute herangebracht würden, als es zu Zeiten ihrer Großeltern der Fall gewesen sei. Die Partner könnten sich „nicht mehr allein zurecht finden“.372 Als Grund hierfür sah Munk zum einen, dass „Verdrängungen, Furcht und Schrecken im Kindesalter“ zu „schweren Schädigungen“ führten, die sich beim Erwachsenen in einer „unharmonischen Persönlichkeiten“-Symptomatik zeigen würden. Zum anderen gäbe es viele „leichtfertige Eheschließungen“.373 Darüber hinaus wirke die veränderte Stellung der Frau auf das Eheleben ein. Die Frau sei „sich ihres eignen Wertes bewusst geworden“.374 Die deutsche Frau habe „unter den schwierigsten Verhältnissen im wahrsten Sinne des Wortes ihren Mann gestanden“.375 Es sei deshalb ein „im Volk weitverbreitetes Vorurteil“ zu „überwinden, dass man mit seelischen und ehelichen Schwierigkeiten selbst fertig werden müsse, und dass auch kein Dritter sie verstehen könne oder in sie hineinsehen dürfe“.376 Es genüge nicht, „dass die Verlobten ein ärztliches Zeugnis beibringen, dass sie nicht mit einem ansteckenden oder vererblichen Leiden behaftet sind, sondern die künftigen Eheleute müssen auch auf ihre geistige und charakterliche Eignung untersucht werden. Sie müssen belehrt werden über die Beziehungen der Geschlechter zueinander und über die Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die Ehe und Elternschaft mit sich bringen.“377 Es genüge auch nicht, „dass der Eheberater guten Willens“ sei. „Zwar hat er als guter Zuhörer in vielen Fällen eine erleichternde und heilende Wirkung. In anderen Fällen ist aber ein geschulter Berater notwendig, der imstande ist, das Gesetz zur Begründung der Scheidung vorlegt und was oftmals nicht einmal der Wahrheit entspricht.“ In: Marie Munk, Eheberatungsstellen zur Festigung der Ehe, p. 1 – 7, p. 6, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 371 Marie Munk, Eheerziehung und Eheberatung statt Ehescheidung, p. 1 – 6, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 372 Ebd., p. 3. 373 Ebd., p. 2. 374 Ebd., p. 3. 375 Ebd. 376 Marie Munk, Eheerziehung und Eheberatung statt Ehescheidung, p. 1 – 6, p. 4, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. Hervorhebung nicht im Original. 377 Ebd., p. 2 – 3. Hervorhebung nicht im Original.
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hinter den von den Ehegatten vorgetragenen Symptomen die Ursachen ihrer ehelichen Schwierigkeiten zu diagnostizieren und eine dementsprechende Kur einzuleiten.“378 Sowohl an den Universitäten, als auch an den Schulen, beginnend in den Grundschulen bis zur letzten Klasse des Gymnasiums, sollte nicht nur die sexuelle Aufklärung, sondern eine sogenannte Ehe-Aufklärung neben soziologischen Studien fester Bestandteil des Unterrichts und der Lehre sein.379 Die Rolle der Frau und die Festigung der Ehe für ein neues Deutschland regten Marie Munk an, in nächster Zeit eine Europareise zu unternehmen, um die sozialen und rechtlichen Bedingungen von Ehe, Scheidung und Familienrecht in England, Schweden und Deutschland näher zu studieren.380 Der Deutschlandbesuch im Jahre 1956 bot sich als Ausgangspunkt hierfür an.
5. Deutschlandbesuch im Jahre 1956 Den Deutschlandaufenthalt vom 7. April 1956 bis Ende September 1956381 bereitete Marie Munk gemeinsam mit dem Büro des U. S. Department of Labor, Women’s Bureau, in Washington D. C. vor. Die Leiterin, Mrs. Alice K. Leopold, hatte Munk zu dem Thema „The Effective Use of Womanpower“ eingeladen.382 Munks eigene Vortragsthemen, wie zum Beispiel über die Stellung der Hausmutter und der M utter in den Vereinigten Staaten von Amerika 383 wurden anerkannt.384 Hierfür erhielt sie vom U. S. Department of Labor die notwendigen statistischen Angaben aus dem American Census.385 378 Ebd., p. 4. 379 Ebd., p. 6. 380 Dear-Friend-Brief, December 1949, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 1; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions of Europe After World War Two, S. 14. 381 Schreiben an ihre Mandanten aus den Wiedergutmachungsverfahren nationalsozialistischen Unrechts, January 1956, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 1. 382 Schreiben von Marie Munk an Alice K. Leopold, February 16, 1955, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 6. 383 Schreiben von Marie Munk an Alice K. Leopold, September 26, 1955, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 6. 384 Schreiben des U. S. Department of Labor, Women’s Bureau, Alice K. Leopold, February 23, 1956, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 6. 385 Schreiben des U. S. Department of Labor, Women’s Bureau, Alice K. Leopold, February 23, 1956, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton,
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Eine Teilzeitbeschäftigung von Müttern war nach Munks Auffassung nur durch ein Trainingsprogramm für den Wiedereinstieg in ihren erlernten oder ausgeübten Beruf und durch ein Trainingsprogramm für behinderte und ältere Frauen zu erreichen.386 Während ihres Engagements machte sie Sightseeing-Touren in München, Hamburg, Köln, Düsseldorf, Bonn und Stuttgart. In Berlin besuchte sie das „Refugee Center“387. Marie Munk war willkommen.388 Die Suche nach persönlichen Kontakten zu den deutschen Kolleginnen – ebenfalls Grund ihrer Deutschland Reise, führte sie zum Jahrestreffen des Deutschen Juristinnenbundes.389 5.1 Jahrestreffen des Deutschen Juristinnenbundes Wie die Süddeutsche Zeitung in ihrer Wochenendausgabe für den 14./15. Juli 1956 in der Rubrik „Eine Seite für die Frau“ berichtete, bestritt Marie Munk einen Vortrag über die steuerrechtlichen Auswirkungen des amerikanischen Güterrechts.390 Sie wurde in der Süddeutschen Zeitung als „Seniorin der deutschen Anwältinnen“391 bezeichnet. Munk machte allen jungen Juristinnen Hoffnung für den Berufseinstieg. Aber diese Hoffnung war doch nur berechtigt, wenn sich die rechtspolitische Einstellung der jungen deutschen Juristengeneration geändert hatte? 5.2 Begegnungen mit der neuen deutschen Juristengeneration im Spiegel ihrer Elterngeneration Es kam bei Marie Munks Besuchen in Deutschland zu Begegnungen, die nicht nur eng mit dem Wiederaufbau Deutschlands verbunden waren, sondern in den Begegnungen spiegelte sich die Verarbeitung des Zweiten Weltkrieges in der Elterngeneration. Die Elterngeneration ersuchte das Gefühl der Schuld am Mass., Box 12 Folder 6. 386 Schreiben von Marie Munk an Alice K. L eopold, September 26, 1955, p. 2, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 6. 387 Dear-Friend-Brief, November 1956, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3512, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 19. 388 “I was welcomed warmly everywhere. My lectures on American family life, on our system of family taxation, and specifically on opportunities for part-time work of American women met with much interest. My tape recordings may have been broadcast meanwhile.” In: Dear- Friend-Brief, November 1956, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 389 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3512, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 19. 390 Marie Munk, Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 2. 391 Marie Munk, Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1 Folder 2.
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Nationalsozialismus zu überwinden, indem sie auf die aus ihrer Sicht ungerechtfertigten Luftangriffe der Alliierten auf Dresden, Berlin und andere Hauptstädte verwies. Die junge Generation fühlte sich nicht verantwortlich für die „Sünden“ ihrer Eltern. Die junge Generation vermied eine Mitgliedschaft in einer politischen Partei, es sei denn, dies sei aus beruflichen Gründen unvermeidbar. Es war aus Sicht Marie Munks die g leiche politische Apathie, die vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Deutschland bestanden hatte. Aus Sicht Marie Munks war Deutschland von einer Demokratie noch weit entfernt.392
392 “My impressions of this European trip were quite different from those only six years later, in 1956 when I visited again Germany, and also England, Holland, Belgium, Austria, Italy and France. The quick economic recovery of Germany had been evident already in 1950, but the conditions had since then improved to a remarkable degree. The rubble had been cleared away. Had I not known what had once been on vacant lots or on the spot where a new building was now standing, I would not have known the scars which the war had left. There were, however, still buildings which needed repairs. I sensed a great difference in the attitude of the German people. Already in 1950 I had detected the tendency to forget that World War II had been brought about by the German government and that the first air attacks had been made by German flyers on the British Isles. I shall never forget the film which was shown in a course for air-raid wardens in Northampton, Mass., of the fires of London during the first air-raids. I had seen some of the damage in London particularly near St. Paul’s Cathedral. The Germans did not like to look at things that way. They mentioned repeatedly the destruction of Dresden which was in their opinion completely unwarranted. To point out the wrongs which the Allies may have committed helped them to overcome or remove any feeling of guilt. Many of the young people hardly remember the war and cannot possibly feel responsible for the ‘sins’ of their parents or grandparents who in turn do not want to keep the memory alive. I cannot help but fear that the re-armament of Germany as a member of NATO, done under the pressure of the Allies, may raise a new generation of Germans who are not peace-loving. Only the fear that they may be the first to be run over by the Russians and that they might have to fight their own brothers in East Germany may keep them in check as long as the Russians do not make a deal with them. Germany has, from what I can see, not become a democracy as we understand it. In 1950 and also 1956 I had the opportunity to meet with a selected group of ‘Referendare’, the future lawyers and judges. Quite a few of them said very plainly that they would rather not join a political party, if they could help it. They were afraid of betting on a wrong horse. Others pointed out that they had to become members of the leading Christian Democratic Party if they wanted to get an appointment. Very few Germans seem to feel responsible for the actions of their elected government. It is the same kind of apathy that existed before the National Socialist Regime took over.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511 und 3512, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 15 – 17. Hervorhebung nicht im Original.
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6. Munks transnationaler Vergleich: Die Beziehung des Bürgers zu seinem Staat Aus diesen Besuchen wagte Marie Munk einen vergleichenden Blick auf die Beziehung der Deutschen zu ihrem Staat im Vergleich zur amerikanischen politischen Kultur. Das obrigkeitliche Verhältnis zwischen Bürger und Staat prägte das sozialpoli tische Milieu der Nachkriegs- und Adenauerära. Munk verglich das Verhältnis von Staat und Bürger in Amerika und Deutschland: “The German looks upon the State as a distinct entity with which he has little in common. The state is for him like a father whose authority should not be questioned. He takes orders from the state as does the soldier from his commanding officer. He feels that he has done all that may be expected of him, if he exercised his vote. The elected members of the Legislature and the Government must do the rest. In the United States, the individual is supreme from early childhood on. Even a small child is asked what he would like to eat or wear, or what he wants to do. Whenever an important measure comes up on Congress, the voters are encouraged to write to their representatives what stand they want him to take, and he, in turn, listens to his constituents who will decide whether or not he will be relented. Moreover, the voting score of the members of congress is made public. The idea of democracy which is based on the principle that every citizen has to take a responsible part in the government of his country is deeply ingrained in every American. He learned it at school in Lincoln’s famous Gettysburg Address: ‘government of the people, by the people, for the p eople’. Neither under the Weimar Republic, nor in the present Federal Republic of Germany (West Germany) did I and do I find a similar attitude.”393 Diesen letzten Satz korrigierte sie mit den Worten: “I am sorry to say that I did not find a similar attitude in the average German citizen, neither during the Weimar Republic nor in the present Federal Republic of Germany. There is a wide gap between storekeepers and customers, who often, greets me by name, the State and the individual, and much of the former class or caste distinction prevails or has been revived. I miss the natural friendliness and cordiality between co-workers or the helpfulness of bus drivers, and even policemen. It seems to me that the Germans have a long way to go before they will become a democracy, if they ever will.”394 Diese Erkenntnis und ihre Erfahrungen auf ihren Deutschlandreisen stärkten Munks kulturelle Identifikation mit Amerika: 393 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 26 a und 26 b. Hervorhebung nicht im Original. 394 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 26 a und 26 b. Hervorhebung nicht im Original.
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“At any rate, I am proud and glad to be an American and I fervently hope that the kindliness and consideration for others which marks thousands of Ameri cans will spread to other nations and that peace will be retained with our help and leadership.”395 Ein Rückblick auf das Werden kultureller Identität bei Marie Munk bietet sich an.
7. Marie Munks kulturelle Integration als Amerikanerin Auch noch nach ihrer Einbürgerung empfand sich Munk als „citizen of my adopted country“.396 Jahre zuvor konnten weitere Stationen ihres kulturellen Identitätsprozesses beobachtet werden. Amerika war zunächst ihre Zuflucht in „a new fatherland“, wie sie es vor ihrer Immigration in die USA im Jahr 1934397 noch beschrieben hatte. Anlässlich ihres Wohnsitzwechsels nach Cambridge, Massachusetts (1945), wurde ihr Amerika „My new Home“.398 Aus dieser sich über die Jahre hinziehenden Wandlung im Wort wird sichtbar, wie sich Munk mit der eigenen Lebensgeschichte im Sinne einer hybriden Identität auseinandersetzte. Identität nicht als Lebensgabe, sondern als Lebensaufgabe. Marie Munk war, um es mit den Worten Simmels zu sagen: „nicht [die] Wandernde“, die „heute kommt und morgen geht“, sondern die „heute kommt und morgen bleibt – sozusagen [eine] potentiell Wandernde“, die, „obgleich [sie] nicht weitergezogen ist, die Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht ganz überwunden“399 hatte. Zu d iesem unsteten Prozess persönlichen Wirkens und Werdens mag auch stets ihre unverlässliche berufliche und wirtschaftliche Situation beigetragen haben. Mit einer festen, lang andauernden Anstellung wäre Marie Munk zur Ruhe gekommen. Weil sich Letzteres gerade nicht einstellte, wurde womöglich das fortdauernde Kommen und Gehen erst bei Rückkehr in die Vereinigten Staaten im Jahre 1956 überwunden. Marie Munks kultureller Einbürgerungsprozess wird als Metapher – der Strandung eines Schiffes – in ihren autobiografischen Aufzeichnungen deutlich:
395 Dear-Friend-Brief, November 1956, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 396 Foreword, p. 1, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 1 – 7. 397 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XII Experiences on the Bench, S. 27. 3 98 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge, Mass. My new Home. 399 Georg Simmel, Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, in: ders.: Exkurs über den Fremden, Leipzig 1908, S. 685 – 708, S. 685.
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“Just before this catastrophe happened, I had changed my booking because the ‘Guilio Cesere’ left a little earlier and I had become tired of Europe. I enjoyed, of couse, meeting my friends and seeing many beautiful parts of Europe which I had missed in the past. But on both visits to Europe I felt very strongly that I did not want to live there permanently and that the United States is now my home.”400
8. Schlussbetrachtung Marie Munks persönliche kulturelle Integration in die amerikanische Gesellschaft wurde mit ihrer Hilfe für Deutschland abgeschlossen. Ihre Begegnungen mit der deutschen Bevölkerung waren solidarisch. Zum einen bewies Marie Munk Empathie mit den Familien der Kriegsheimkehrer, indem sie durch ihre Berichte über Eheberatung und Eheerziehung dazu beitragen wollte, die deutsche Familie in Krisenzeiten zu stabilisieren. Zum anderen wollte sie die berufliche und familiäre Stellung der deutschen Frau verbessern. Der Frau und deren Rechtsstellung maß Marie Munk eine besondere Bedeutung für die zukünftige deutsche Gesellschaft bei. Des Weiteren fußte Marie Munks Solidarität in ihrer Verantwortung als amerikanische Frau und Staatsbürgerin. Eine wie auch immer geartete Zugehörigkeit von Menschen zu einer bestimmten Gruppe oder Menschen gar einer Täterschaft zuzuordnen, wurde von Marie Munk überwunden. Nicht nur in ihren Vorträgen machte Marie Munk die Rolle der Frau zum Träger ihrer eigenen sowie der Geschichte ihrer Mitmenschen und nachfolgender Generationen zur Bedingung des Weges aus der Diktatur in die Demokratie. Sondern durch ihr eigenes Verhalten wurde Marie Munk in persona zum erfassbaren Vorbild ihrer eigenen Worte über die Bedeutung der Rolle der Frau für die Demokratie und zukünftiger Gesellschaften, auch im transnationalen Sinne. Das ist aber nicht der letzte Punkt, den es zu betrachten gilt. Munks Hilfe für das Werden und Wachsen der Demokratie in Deutschland, obgleich sie Opfer nationalsozialistischen Unrechts war und aus ihrer anwaltlichen Betreuung weit schlimmere Schicksale als ihr eigenes kannte, fragte nicht nach einer Verpflichtung für ihre Hilfe, geschweige denn nach der Schuld der Deutschen für das im Dritten Reich begangene Unrecht. Vielmehr wurde aus Munks transnationaler
400 LAB B Rep.235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3512, Autobiografisches Manuskript Teil 2, Kapitel VIII Impressions of Europe after World War II, S. 24. Hervorhebung nicht im Original.
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Begegnung mit der jungen Juristen-Generation 401 ein unterschiedliches Verständnis von Freiheit und Erziehung sichtbar. Diese beiden Bereiche als die wichtigsten Erfahrungsfelder des Individuums in einer Gesellschaft lassen sich an zwei Ereignissen erkennen, die Marie Munk schilderte. Zum E rsten erkannte Marie Munk das Verhältnis des deutschen Bürgers zu seinem Staat als ein Subordinationsverhältnis, getragen von „heiliger“ Unterwürfigkeit. Zum Zweiten wollte die junge Juristengeneration für die Schuld ihrer Eltern an den Naziverbrechen keine Verantwortung übernehmen. Doch an dieser Stelle zu sagen, dass zukünftige Organe der Rechtspflege sich weder mit der deutschen Geschichte noch mit der eigenen Familie identifizieren wollten, griffe zu kurz. Ebenso würde bestritten werden können, diese historische Identifikation zu verweigern solidarisiere sich nicht mit den Opfern des Nationalsozialismus. Mit diesen Gedanken wird die Frage nach Gerechtigkeit in ihrer Transforma tion aus einer Diktatur in eine Demokratie nicht gelöst und schon gar nicht erlöst nur durch Erinnerung. Vielmehr ist mit dieser Frage auf das Engste das gesellschaftliche Phänomen der Erziehung der in der Diktatur lebenden und der ihnen nachfolgenden Generationen im Übergang berührt, weil sich die zwischenmenschliche Herrschaft unter Tätern und Opfern verändert. Entscheidend an dieser Stelle ist zunächst erst einmal nicht so sehr, wodurch diese Veränderungen im Übergang erfolgen: ob politisch, sozial, rechtlich oder sozialpsychologisch. Es geht also nicht um die Instrumente, die den Übergang, die Zeit vor dem Übergang und nach dem Übergang bestimmen. Denn im Verhältnis zwischen den Opfern und den nachwachsenden Generationen aus den Tätern wird immer noch die Macht der Täter sichtbar, gleichviel, worauf diese Chance beruht.402 Es geht in dem Verhältnis zwischen den Opfern und den nachwachsenden Generationen um einen historischen Prozess. Der Betrachter begegnet in dieser historischen Entwicklung dem gesellschaftlichen Phänomen von Erziehung in einer Gesellschaft. Allerdings nicht in einem auf das Individuum fokussierten pädagogischen, sondern in einem technischen Sinn. Walter Benjamin, der als Verfolgter des Nationalsozialismus Selbstmord beging, sich jedoch auch ausführlich mit der Erlebniswelt von Kindern beschäftigte, fragte in seiner Schrift mit dem Titel 4 01 Der „unscharfe“ Begriff der „Generation benennt den gemeinsamen sozialen Erfahrungsraum von Menschen, die in einer bestimmten Zeitspanne auf die Welt gekommen sind und legt die Annahme nahe, daß unterschiedliche Epochenerfahrungen die Individuen mindestens so sehr prägen wie ein gemeinsames Klassenschicksal oder die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht.“ In: Micha Brumlik, Gerechtigkeit zwischen den Generationen, in: Marianne Hassler und Jürgen Wertheimer (Hg.), Der Exodus aus Nazideutschland und die Folgen. Jüdische Wissenschaftler im Exil, Tübingen 1997, S. 249. 402 In Anlehnung an Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Erster Halbband, Frankfurt a. M. 2008 (Reprint), § 16. Macht, Herrschaft, S. 38.
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„Zum Planetarium“: „Wer möchte aber einem Prügelmeister trauen, der Beherrschung der Kinder durch die Erwachsenen für den Sinn der Erziehung erklären würde? Ist nicht Erziehung vor allem die unerlässliche Ordnung des Verhältnisses zwischen den Generationen und also, wenn man will, Beherrschung der Genera tionsverhältnisse und nicht der Kinder?“403 Mit anderen Worten, bevor d ieses Verhältnis zwischen den Tätern und Opfern im Übergang von einer Diktatur zu einer Demokratie nicht ausführlich betrachtet wird, besteht die Gefahr, dass sich das Unrecht der Täter fortschleppt. Der Leser wird dazu ausführlich im 9. Kapitel weiterlesen können. Doch an dieser Stelle nimmt er zunächst einmal diese Anregung Walter Benjamins mit und wendet sich dem zweiten des von Marie Munk angeregten Problemkreises zu: der Freiheit. Das Verhältnis zwischen den Opfern und den nachwachsenden Generationen aus den Tätern birgt ein Problem mit der Freiheit:404 Befragte man den deutschen Bürger nach dem Zweiten Weltkrieg, ob er denn seine Freiheit, als Individuum zu entscheiden, wieder zurückerhalten habe, so hätte er nachdrücklich mit „Ja“ geantwortet. Aber in d iesem „Zurückerhalten“ von F reiheit verbirgt sich der rechtspolitische Nachlass des Nationalsozialismus, weil im Übergang von einer Diktatur zu einer Demokratie nicht definiert ist, was Freiheit eigentlich ist und wie diese sich abgrenzt. Als Marie Munk Deutschland in den 1950er-Jahren besuchte, manifestierte sich der rechtspolitische Nachlass des Nationalsozialismus in der jungen Juristengenera tion in einer Haltung, w elche nur aus eigenen Handlungen oder nur aus eigenen Entscheidungen verantwortlich sein will. Diese Art der Freiheit der Entscheidung der Individuen der nachwachsenden Juristengeneration war ein Missverständnis über das Postulat der Freiheit. Es war die voluntaristische Art der Freiheit der Entscheidung, welche sich mit der Loyalität zur Vergangenheit der Generation der Eltern verknüpfte und den Opfern des Nationalsozialismus die in rechtsstaatlicher Gerechtigkeit begründete notwendige Solidarität vorenthielt. Im Gegensatz hierzu lebte Marie Munk der deutschen Bevölkerung als Opfer des Nationalsozialismus und amerikanische Staatsbürgerin die mit Gerechtigkeit und Recht verbundene Freiheit zur Solidarität vor. In d iesem beruflichen Lebensabschnitt Marie Munks standen sich Freiheit aus Loyalität und die Freiheit aus Solidarität dialektisch gegenüber.
403 Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Band 4, Frankfurt a. M. 1980, S. 147. 404 Michael Sandel, Solidarität, in: Transit – Europäische Revue, Heft 44, Frankfurt a. M. 2013, S. 113.
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9. Überleitung zum 5. Kapitel Der steinige Weg eines Neuanfangs wird in Marie Munks beruflichem Werdegang über Vorlesungen an der Universität, Lectures Trips, zeitlich begrenzte Dozenturen bis zur Anwaltszulassung sichtbar. Das mühselige, aber interessante Engagement Marie Munks in den damals für die Vereinigten Staaten rechtspolitisch bedeutsamen Reform- und sozialpolitischen Konfliktfeldern wird in ihrer beruflichen Tätigkeit als Marriage Counselor in Konturen sichtbar. Ihren transatlantischen Bezug erfährt Marie Munk als „Aufbauhelfer“ für Deutschland in den 1950er-Jahren. Leider wird Marie Munks beruflicher Werdegang nach dem Zeitpunkt ihrer Übersiedlung in die Vereinigten Staaten in der neueren Sekundärliteratur immer noch als erfolgreiche Anwältin proklamiert 405 und damit verkürzt. Denn eine s olche Feststellung verliert ihre wissenschaftliche Arbeit und ihre wissenschaftlichen Beziehungen aus dem Blick, auf die im Folgenden eingegangen werden soll.
405 Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon, S. 278.
5. Kapitel Beziehungen
Marie Munk nahm bereits früh nach ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten persönliche Kontakte zu wissenschaftlichen und rechtspolitisch agierenden Organisa tionen auf und wurde ihr Mitglied. Dieses war von besonderer Bedeutung, weil sie über diese Mitgliedschaften als Fremde in den Vereinigten Staaten Teilhabe im amerikanischen wissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskurs bewirkte. Obgleich ihr bis zur Verleihung der amerikanischen Staatsbürgerschaft im Jahr 1943 ein Wahlrecht und soziale Rechte versagt blieben. Gerade für diese Zeit wurde deutlich, dass Marie Munks rechtspolitische und wissenschaftliche Teilhabe unabhängig von ihrer amerikanischen Staatsbürgerschaft in einem für diesen Rechtsstatus vorgelagerten sozialen Moment begründet lag, welches insbesondere in wissenschaftlich und rechtspolitisch arbeitenden Institutionen zu finden ist: „Was Rechtsgenossen assoziiert, ist letztlich das linguistische Band, das jede Kommunikationsgemeinschaft zusammenhält.“1 Mit dieser wissenschaftlichen Integration wurde Marie Munks gesellschaftliche Integration begründet. Es werden aus ihren Forschungsaufträgen und ihren Manus kripten, die erst im 6. und 7. Kapitel gewürdigt werden sollen, in d iesem 5. Kapitel nur die wichtigsten Institutionen und persönlichen wissenschaftlichen Beziehungen zu deutschen und amerikanischen Wissenschaftlern vorgestellt. Es wird ein erster Einblick in den wissenschaftlichen Einfluss Marie Munks gewagt. Hierzu gehören die National Conference on Family Relations bzw. das National Council on Family Relations und seine Mitglieder Norman E. Himes und Max Rheinstein. Für Max Rheinstein war Marie Munks Auffassung zum Rechtsinstitut „Dower“ wegweisend. Er begleitete Marie Munk in ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Ihrer in Aussicht genommenen Teilnahme an einem Model Code of Family Law gingen ihre Reformvorschläge zur amerikanischen Juristenausbildung und Gerichtsbarkeit voraus. Marie Munk nahm Anteil an der weiteren deutschen Rechtsentwicklung. Über die Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts eng verbunden mit Marie Munk waren die in Deutschland lebenden Juristen Walter Schwarz, Robert W. Kempner und der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Über die Erneuerung des Rechts, auch in der sowjetisch besetzten Zone, kommunizierte Eugen Schiffer mit Marie Munk und vertraute ihr seine Memoiren „Ein Leben für den Liberalismus“ zur 1 Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des deutschen Rechtsstaats, Frankfurt a. M. 1994, S. 372.
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Beziehungen
Durchsicht an. Über die Stellung der Wissenschaftlerin an den deutschen Universitäten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs berichtete Gertrud Schubart-Fikentscher, in späteren Jahren die erste Dekanin einer juristischen Fakultät in Deutschland.
I. Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Institutionen Marie Munk hatte in Deutschland die German Federation of Business and Professional Women gegründet. Nach ihrer Ankunft in Amerika behielt sie eine Mitarbeit und Kontakt zur International Federation of Business and Professional Women bei. Eine wichtige Mitwirkung erlangte Marie Munk in der National Conference on Family Relations und im Committee on Family Law. In diesen Institutionen stellte sie ihre Reformvorstellungen zum amerikanischen Ehegüter-, Sorge- und Scheidungsrecht der amerikanischen Wissenschaft und Rechtspolitik vor. Die International Federation of Women Lawyers eröffnete ihr als internationaler Berufsverband weitere transnationale Beziehungen. Schon früh nach ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten, genau genommen seit 1938, dienten Marie Munk die Legal Sorority und die National Association of Women Lawyers als Berufsverband, um wichtige Kontakte knüpfen zu können.
1. National Association of Women Lawyers (seit 1938) Marie Munk festigte ihren akademischen Status, indem sie ordentliches Mitglied der Berufsvertretung der amerikanischen Juristinnen wurde. In den ersten beiden Jahren ihres Aufenthalts in den USA besuchte Marie Munk vom 22. bis 24. Juli 1938 eine Konferenz der National Association of Women Lawyers, die „Thirty-Ninth Annual Convention“ in Cleveland, Ohio. Diese ausschließlich Juristinnen aufnehmende Berufsvereinigung bemühte sich um eine bundeseinheitliche Rechtsvereinheitlichung zum Ehe- und Scheidungsrecht, nahm sich der Gleichberechtigung der Frau und Fragen des Kindeswohls wie auch dem Strafrecht, dem Staatsangehörigkeitsrecht und der Rechtsausbildung an.2 Am 8. Januar 1954 erhielt Marie Munk den Auftrag 3 für das folgende
2 Tentative Program, Speakers, in: „The Double Tau-Iota Tau Tau“, in: The Double Tau, Vol. IX, No. 1, July 1938, p. 4, 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3524. 3 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, Appendix 1 and 2, p. 1, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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wissenschaftliche Thema: „Comparative Study of Requirements Concerning the Solemnization of Marriage“.4 Mit dieser wissenschaftlichen Arbeit beteiligte sich die National Association of Women Lawyers an der 8. Conference of the Inter-American Bar Association (IABA), die vom 15. bis 22. März 1954 in Sao Paulo, Brasilien, stattfand. Auf diese Studie wird im 6. Kapitel eingegangen. Die Studie ist im Dokumentenanhang einsehbar. Ebenfalls mit der Mitgliedschaft Marie Munks in der National Association of Women Lawyers verbunden ist ein wissenschaftlicher Vergleich Marie Munks Arbeit an einem Uniform Divorce Bill mit einem von der National Association of Women Lawyers entworfenen Proposed Bill zum amerikanischen Scheidungsrecht. Auf diesen Vergleich und auf diese wissenschaftliche Arbeit wird im 8. Kapitel Ziffer II. eingegangen.
2. International Federation of Women Lawyers Marie Munk war Mitglied im Standing Committee „Immigration, Nationality and Naturalization“, dem Committee „Legal Status of Women“, „Juvenile Law“ und „Domestic Relations”5. Marie Munks Mitgliedsaufnahme ist nicht belegt. Es geht aus Marie Munks Nachlass hervor, dass sie für die Vereinigten Staaten an Kongressen dieses internationalen Berufsverbandes teilgenommen hat. Aus dem Nachlass wird sichtbar, dass sie auf der XI. Konferenz vom 19. bis zum 24. August 1960 auf den Philippinen mitwirkte. Diese Konferenz stand unter dem Leitbild: “‘Humanizing the Law’ is one in which we, in our roles as women and as worthy citizens of our respective countries, can contribute our resources.”6 Als Chairman Pro-Tempore favorisierte sie die Themen „Right of Everyone to Leave Any Country Including his Own and Return to his Country (U. N. Questionnaire) “7. Der Bereich „Equal Rights for Men and Women: 4 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 7 (Bar Ass. Copy, in der das Inhaltsverzeichnis fehlt) und LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538 (handschriftlicher Vermerk: „corrected copy“, mit handschrift lichen Verbesserungen, die sich als maschinenschriftliche Einarbeitungen im Nachlass des Smith College wiederfinden, in dem das Inhaltsverzeichnis vorhanden ist, jedoch die Fußnoten zu dem Appendix 2 fehlen). 5 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 2. 6 Message of FIDA President, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 2. 7 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 2.
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Protection of Marriage and of the Family“ wurde von der deutschen Präsidentin, Erna Scheffler, im „Comparative Constitutional Law Committee“ als Chairman betreut.8 Marie Munk hielt einen Kurzvortrag in der St. Thomas University, eine der ältesten und berühmtesten Universitäten der Philippinen.9 Das Leitbild einer unbegrenzten individuellen Freizügigkeit wird aus den persön lichen Eindrücken Marie Munks von dem International Congress of Women Lawyers in der britischen Kolonie Hongkong für den Leser ihrer autobiografischen Aufzeichnungen sichtbar.10 Es waren die unzähligen chinesischen Flüchtlinge, die vor dem Kommunismus geflohen und nun in Children’s Garden in Kwailoon, finanziert von dem Christian Children’s Fund, auf engstem Raum untergebracht waren: “The difference between the ‘haves and the haves not’ is striking in Hongkong and the Philippines.”11 Marie Munk nahm teil an einer Konferenz der International Association of Women Lawyers in Tokyo. Aus dieser Reise sind ihre Erinnerungen an persönliche Begegnungen und über einen Besuch in der Keio University, eine der ältesten japanischen Law Schools, in ihrem Nachlass sichtbar. Fachwissenschaft liche Aufzeichnungen sind nicht erhalten geblieben.12
3. Legal Sorority (ab 1938) Die Iota Tau Tau war eine „National Legal Sorority for Advancement of Women in the Legal Profession“.13 Sie war am 11. Nov. 1925 an der Southwestern University in Los Angelos gegründet worden und verfügte neben einem Supreme Council über ein National Scholarship Committee.14 Marie Munk war Ehrenmitglied in dieser Legal Sorority. Mit ihrer Ehrenmitgliedschaft verbindet sich auch eine Reise Marie Munks nach London.15 Bereits im Jahre 1938 initiierte sie aus dieser Vereinigung 8 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 2. 9 Dear-Friend-Brief, November 1960, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3515. 10 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VII Travels in the USA and Abroad, Except Europe, S. 15 – 17. 11 Dear-Friend-Brief, November 1960, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3515. 12 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VII Travels in the USA and Abroad, Except Europe, S. 7 – 13. 13 Tentative Program, Speakers, in: „The Double Tau-Iota Tau Tau“, in: The Double Tau, Vol. IX, No. 1, July 1938, p. 2, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3524. 14 Ebd. 15 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions of Europe after World War II, S. 10; Dear-Friend-Brief, November 3, 1950, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515.
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heraus ein Meeting von Alumnis.16 Marie Munks Informationen über die deutsche Juristenausbildung wurde von den amerikanischen Kolleginnen mit großem Inte resse aufgenommen.17 Auf eine dieser ersten Veröffentlichungen Marie Munks wird im 7. Kapitel Ziffer VI. Nr. 4. eingegangen.
4. Die National Conference on Family Relations (ab 1940) Die Gründung der National Conference on Family Relations geht auf einen Briefwechsel zwischen Ernest W. Burgess, Professor für Soziologie an der University of Chicago, und dem Rabbiner Sidney E. Goldstein im August 1938 zurück.18 Eine Verbindung zur amerikanischen Frauenbewegung gab die National Conference deutlich zu erkennen. Sie veröffentlichte den Aufruf der amerikanischen Frauenrechtlerin Lucy Stone vom 1. Mai 1855, den diese gemeinsam mit ihrem Mann an ihrem Hochzeitstag unter dem Titel „Woman’s Suffrage“ an alle Bürger Amerikas gerichtet hatte, als sich dieser Tag zum 100. Mal jährte.19 4.1 Die Ziele der National Conference on Family Relations (NCFR) Alle sozialpolitischen, rechtspolitischen und wissenschaftlichen Kräfte für Familien recht und Familienpolitik sollten zu folgendem Ziel zusammen geführt werden: Der Zweck der Zusammenarbeit der Mitglieder der National Conference on Family Relations sollte den kulturellen Nutzen fördern, der zuvorderst in den familiären Beziehungen gesichert wird, zum Vorteil des Einzelnen und zur Stärke der Nation.20
16 Marie Munk, Legal Training in Germany, in: „The Double Tau-Iota Tau Tau“, in: The Double Tau, Vol. IX, No. 1, July 1938, p. 11; ebd., Verzeichnis: Honorary, p. 49, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3524 und 3525. 17 Marie Munk, Legal Training in Germany, in: „The Double Tau-Iota Tau Tau“, in: The D ouble Tau, Vol IX. No. 1, July 1938, p. 11 – 13, 30, 43 – 44, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3524. 18 Kristin Celello, Making Marriage Work. A History of Marriage and Divorce in the Twentieth- Century United States, The University of of North Carolina Press 2009, p. 178 Fußnote 58 mit Hinweis auf die Social Welfare History Archives, University of Minnesota, Minneapolis, Minn., Box 82 Folder NCFR History – Ernest Burgess Correspondence 1938 – 1939. 19 Woman’s Suffrage, in: Marriage and Family Living, Vol. 17, No. 3, August 1955, p. 216. 20 “The purpose of the Association shall be to advance the cultural value that is now principally secured through family relations, for the advantage of the individual and the strength of the Nation.” In: Article II. Purpose, in: Constitution and Officers of the National Conference on Family Relations, in: LIVING, Journal of Marriage and the Family, Vol. I., No.1., January 1939, p. 31 sowie zweite Fassung der Constitution, in: LIVING, Vol. II., No. 4., November 1940, p. 118 – 119.
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Das erste Jahrestreffen der National Conference on Family Relations fand am 17. September 1938 in New York City statt. Der Präsident der National Conference on Family Relations wurde für ein Jahr gewählt.21 Mitglieder der National Conference konnten sowohl natürliche als auch juristische Personen werden.22 Die der National Conference angeschlossenen Vereine blieben autonom.23 Die Mitgliedsaufnahme erfolgte durch eine Wahl.24 Zu den ersten Officers des National Council on Family Relations gehörten zum Beispiel Carle C. Zimmerman (Professor of Sociology, Harvard University) und Ethel R. McDowell (Director, Social Service Department, Municipal Court of Chicago) and Wayne L. Morse (Dean of University of Oregon Law School Eugene, Oregon, and Director, Dept. of Justice). Darüber hinaus gehörte auch Chester G. Vernier (Professor of Law at Stanford University) dieser Vereinigung als Mitglied an. Die erste Präsidentschaft hatte Paul Sayre (Professor of Law, University of Iowa) übernommen.25 4.2 Das wissenschaftliche Profil und die Entwicklung der NCFR zu damaliger Zeit Die Interdisziplinarität der amerikanischen Wissenschaft wurde durch viele Emigranten aus Nazideutschland befördert; ebenso in amerikanischen Wissenschaftsvereinigungen wie der National Conference on Family Relation. Bereits die Themen auf dem ersten Jahrestreffen verdeutlichten dies: Jugendkriminalität, das Scheidungsproblem, Trennung der Eheleute und die Frage des Unterhalts, das Eherecht, Auswirkungen der Scheidung auf die Kinder, Scheidungen durch Rechtsoder Eheberatung zu vermeiden, gesellschaftlichen Nutzen durch die Familie und den Erfolg der Familie in ihren Beziehungen zu sichern, waren die Diskursthemen.26 21 First Annual Meeting of The National Conference on Family Relations, in LIVING, Journal of Marriage and the Family, Vol. I., No. 1., January 1939, p. 30. 22 Constitution of the National Conference on Family Relations, Art. III. Membership, in: LIVING, Journal of Marriage and the Family, Vol. I., No.1. January 1939, p. 31. 23 Was eigentlich von vornherein für die National Conference feststand. In: National Council on Family Relations, Constitution and By-Laws, Article III – Principles, Section 1. in: Marriage and Family LIVING, Vol. 15, No. 2, May 1933, p. 185. 24 Constitution of the National Conference on Family Relations, Art. III – Membership, in: LIVING, Journal of Marriage and the Family, Vol. I., No.1. January 1939, p. 31. 25 The National Council on Family Relations, Officers 1938 – 39, Advisory Council, in: LIVING, Journal of Marriage and the Family, Vol. I., No.1. January 1939, p. 32. 26 Juvenile Delinquency, Divorce, Separation and Alimony, Marriage Laws, Effect of Divorce on the Children, Avoidance of Divorce by Judicial Agencies or Otherwise, Cultural Values secured through Family Relations and about Background of Family Success. In: First Annual Meeting of The National Conference on Family Relations, in LIVING, Journal of Marriage and the Family, Vol. I., No. 1., January 1939, p. 30 – 31.
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Es berichteten unterschiedliche Organisationen, wie zum Beispiel die American Eugenics Society about the Biological Basis of the Family oder das U. S. Department of the Interior, Washington D. C., about Housing Plans: A National Outlook.27 Als Board of Directors der National Conference on Family Relations war ab dem Jahre 1940 auch Norman E. Himes registriert 28, Munks wissenschaftlicher Weggefährte am Smith College, auf den im Zusammenhang mit Marie Munks Manuskripten im 7. Kapitel noch eingegangen werden wird. Ab dem Mai 1940 nahmen nicht nur die Regionalkonferenzen in den einzelnen Bundesstaaten, sondern auch die Bildungsangebote der Mitglieder dieser wissenschaftlichen Vereinigung an den amerikanischen Colleges und Universitäten erheblich zu.29 Hierüber wurde in einer eigenen Wissenschaftszeitschrift berichtet.30 Zum Board of Advisory Editors der einmal im Quartal erscheinenden Publikation LIVING (ab Vol. III., 1941: Journal of Marriage and the Family Living – Marriage And Family Living) gehörte Ellsworth Huntington, Member of the Baltimore Bar, Baltimore, Maryland.31 Die wissenschaftlichen Aufsätze waren thematisch breit angelegt. Diese erstreckten sich von der Thematik „Kindergarten Education“ bis hin zu dem Thema „Family Welfare Organization and Family Counseling“.32 Es berichtete Carle C. Zimmerman (Harvard University) über „Types of Families – Communist, Fascist, Democratic“ auf der Konferenz des National Council on Family Relations im Dezember 1940.33 Ein Forschungsfeld, dass Marie Munk in ihren bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten im Kontext anderer Forschungsgebiete, wie z. B. über jugendliche Straftäter an der New York Training School for Girls, bereits begonnen und in Northampton fortgeführt hatte. Marie Munk nahm an mehreren Kongressen der National Conference on Family Relations teil (zum Beispiel vom 21. bis zum 23. Mai 1943 in Ohio), sammelte Beiträge anderer Kongressteilnehmer, z. B. über die Familie in Australien, 27 Ebd. p. 31. 28 The National Conference on Family Relations, Officers for the year 1940, in: LIVING, Vol II., No. 2. May 1940, p. 58. 29 Vgl. beispielhaft die vielfältigen Angebote auch an den amerikanischen Summer Schools, in: News and Notes. National, Regional and State Conferences, Meetings and Events, in: LIVING, Vol II, May 1940, No. 2., p. 59 – 67. 30 Henry Bowman, The Marriage Course at Stephens College, in: LIVING, Vol. III., No. 1. Febru ary 1941, p. 8 – 9, 11. 31 Board of Advisory Editors, in: LIVING, Vol. I., No. 2 and No. 3., Spring and Summer 1939, p. 55. 32 From the Conferences. Abstract of Paper and Meetings and Events, in: LIVING, VOL II., No. 3. August 1940, p. 85 – 90. 33 Carle C. Z immerman, Types of Families – Communist, Fascist, Democratic, in: LIVING. Conference Number, The Role and Function of the Family in a Democracy, Winter 1940, included with Vol. II., No. 1, February 1940, p. 12 – 15.
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Havanna/Kuba, Argentinien und Chile, auf der Konferenz vom 30. Dezember 1941 in New York.34 4.3 Marie Munks Kontakte in der National Conference on Family Relations: Max Rheinstein und Hans von Hentig Die wissenschaftliche Beziehung zwischen Munk und der National Conference on Family Relations lässt sich nicht nur aus dem wissenschaftlich-interdisziplinären Ansatz erklären. Es ergaben sich sicherlich fachliche, auch freundschaftliche Beziehungen zu mehreren Mitgliedern der National Conference on Family Rela tions – doch nur einige persönliche Kontakte zu anderen deutschen Immigranten in der National Conference on Family Relations sind erhalten geblieben: So zu Hans von Hentig (Law School, University of Colorado, Boulder, Colorado), Sohn des Juristen Otto von Hentig (1852 – 1934), der bereits auf dem ersten Jahrestreffen der National Conference on Family Relations zu berufstätigen Müttern gesprochen hatte.35 Aber besonders hervorzuheben ist der Kontakt zu Max Rheinstein. Diesem Kontakt wird im folgenden Abschnitt (Ziffer II. Nr. 1.4.) dieses Kapitels näher nachgegangen. Marie Munk und Max Rheinstein wurden im Jahre 1944 Wegbereiter des Güterrechts-Diskurses in der National Conference on Family Relations, wie bereits ein Aufsatz des Präsidenten der National Conference on Family Relations zeigte.36
5. Mitglied im Committee on Family Law in der National Association of Family Relations (ab Dezember 1939) Marie Munks Auffassungen zum Frauen- und Familienrecht war für die National Association of Family Relations in Chicago im Dezember 1940 von Interesse.37 Vorhandenen Unterlagen in den Nachlässen für das Committee „The Family and the Law“ im Dezember 1939 und für das „Meeting of the National Association 38 of
34 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 4. 35 First Annual Meeting of The National Conference on Family Relations, Saturday, September 17, 1938, Program of Meeting, in: LIVING, Vol. 1., No. 1., January 1939, p. 30. 36 Paul Sayre, Property Rights of Husband and Wife, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 2, May 1944, p. 17 – 20. 37 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 17. 38 Nach den Recherchen der Verfasserin war die National Conference gemäß „Art. I. Name“ ihres Statuts eine Association, sodass die Verwendung des Begriffs „Association“ nicht falsch
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Family Relations in Chicago“39 im Dezember 1940 zufolge sprach Marie Munk zu dem Thema „In What Respects Should the Laws of Marital Property Be Amended?“ im „Committee on Family Law“ unter dem Vorsitz von Max Rheinstein.40 Munk beteiligte sich in der „General Session“ in einer Diskussion über „Law and the Protection of the Family“.41 Die Presse berichtete, dass ihr die aktive Mitgliedschaft für eine Studie über das Ehegüterecht angetragen worden sei.42 Vertieft soll der wissenschaftliche Kontakt von Marie Munk zu Max Rheinstein dem Leser in Ziffer II. Nr. 1.4. in diesem Abschnitt der Arbeit angeboten werden. Ohne diesem vorgreifen zu wollen und weil bereits im 4. Kapitel auf die berufliche Tätigkeit von Marie Munk als Marriage Counselor eingegangen worden ist, ist es an dieser Stelle angezeigt, den gemeinsamen Beitrag von Max Rheinstein und Marie Munk über eine veränderte Rolle des Familiengerichts und zur Reform der Juristenausbildung vorweg zu nehmen.
6. Marie Munks Beitrag zur Reform der Juristenausbildung und zu einer anderen Funktion des Gerichts (Juni 1944) Munks Forderungen wurden auf der National Conference on Family Relations vom 17.–19. Juni 1944 im „Committee on the Training of the Law for the Work of Marriage Counseling“ ergänzt.43 Ihr Statement 44 richtete sich auf eine Reform der Juristenausbildung. Die Reform der Juristenausbildung setzte voraus, dass sich die Anwälte für Familienrecht über die Heterogenität ihrer täglichen Arbeit bewusst waren. sein kann. In: Statute National Conference on Family Relations, in: LIVING, Journal of Marriage and the Family, Vol. 1, January 1939, p. 31. 39 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 17. 40 Veranstaltungstableau National Conference on Family Relations, Third Annual Meeting, Chicago, Illinois, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 41 Ebd. 42 “Dr. Munk acted as discusser and as secretary of the committee on ‘Family and the Law’. The conference adopted a resolution that a committee of experts from various fields be appointed for the further study of property rights of married couples. Dr. Munk has been asked to become an active member.” In: Dr. Munk Proposing to Change Laws on Domestic Rela tions, Daily Hampshire Gazette, Tuesday, January 14, 1941, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3514. 43 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3537. 44 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 4.
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6.1 Heterogenität der anwaltlichen Tätigkeit Marie Munk legte dar, mit w elchen Problemen der Anwalt im Ehe- und Familien recht konfrontiert werde: die Beziehungen zwischen Mann und Frau, die Beziehungen zu den Kindern, aber auch zu Dritten. Letztere würden dann in die ehe liche Beziehung mit hineingezogen, wenn es um ein gebrochenes Versprechen oder um eine Fremdbeeinflussung von außen ginge. Schließlich wären die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern nicht ausschließlich auf die Fragen des Unterhalts oder der Obhut beschränkt. Vielmehr betrafen diese Fragen ebenso unterschied liche Auffassungen zur Kindesaufzucht, des Schulbesuchs oder der elterlichen Zustimmung zur Heirat. Es würden Fragen der Nichtehelichkeit, der Vernachlässigung, der Abhängigkeit, der Kinderkriminalität, der Beiträge zur Kinderkriminalität und des Besuchsrechts von Kindern in den Fällen des Getrenntlebens oder im Fall der Scheidung an den Anwalt gestellt. Diese heterogenen Beziehungen der Eltern würden nicht nur bei einer Ungültigkeit der Ehe oder im Falle der Scheidung relevant, sondern bereits im Fall des Getrenntlebens. Aber auch dann ginge es um Unterhaltszahlungen, Eigentumsrechte und Fragen des Güterrechts. Diese Beziehungen z wischen Mann und Frau, Eltern und Kindern sowie deren Beziehungen zu Dritten würden von gerichtlichen Verfügungen, Arresten und eidesstattlichen Versicherungen begleitet. Durch Marie Munks Hinweis auf diese dreidimensionale Interaktion zwischen den Eltern, den Kindern und Dritten erschloss sich den Zuhörern auf dieser Konferenz im Juni 1944, warum eine Reform der juristischen Ausbildung dringend erforderlich war. 6.2 Absage an einen Status quo in der Ausbildung an den Law Schools Die Law Schools bereiteten die Studenten darauf vor, beurteilen zu können, ob die Ereignisse und Erlebnisse des Klienten für eine Klage aussichtsreich seien oder nicht. Ausschließlich unter dem Aspekt, ob die KLAGE gewonnen werden könne. Hiermit würde jedoch der VERSÖHNUNG jede Chance genommen. Marie Munk war der Auffassung, dass bei den trennungswilligen Eheleuten durch Zeit oder nach vorübergehender Trennung rationale Überlegungen an die Stelle übereilter Trennungshast treten könnten. Als Beweis für ihre These verwies Marie Munk auf den Fakt, dass nach vielen Ehescheidungen die geschiedenen Paare erneut, und zwar gar den geschiedenen oder einen anderen Partner heirateten. Interessanterweise recht kurz nach dem negativen Erlebnis Scheidung. In einigen Fällen sogar zum wiederholten Male. Marie Munk forderte deshalb für die juristische Ausbildung an den Law Schools: 1. “Law schools should stress not only the legal aspects but also the social and
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sociological ones.”45 Der Anwalt habe nicht nur Verantwortung seinen Klienten, sondern ebenso der Gemeinschaft gegenüber. Er habe sich darüber im Klaren zu sein, dass zerstörte Familienverhältnisse die Ursache für Jugendkriminalität seien. Der Anwalt werde seine Nützlichkeit innerhalb der Gemeinschaft verlieren, wenn er sich nicht darüber bewusst würde, was er tun kann, um Familien wieder zusammenzuführen. “Law schools should, however, point out the major causes of marital discord and how they could be met.”46 Eine Annäherung an Eheprobleme sei von der jeweiligen Weltanschauung und Philosophie abhängig. In den sogenannten „pre-law courses“ könnten die Studierenden von diesen beruflichen Erwartungen nichts erfahren, aber in den Lehrveranstaltungen, in denen die Gerichtsfälle diskutiert würden. “In order to evaluate the reliability of clients and witnesses and of the needs of the individual and society the student of law needs a certain amount of training and experience in psychology and psychiatry.”47 Diese Kurse sollten begleitet werden von den Informationen über die historische Entwicklung der Fälle und mit Fallbeispielen. “Courses of domestic relations in the law schools should be given a more impor tant place in the curriculum.”48 Warum das Familienrecht nur den zweiten Platz in der Ausbildung an den Law Schools einnehmen würde, läge am Gesetzesrecht. Es sei von Staat zu Staat unterschiedlich – genau genommen, so vielschichtig wie die sozialen Bezüge. 6.3 Sozialwissenschaftliche Bezüge in der amerikanischen Anwaltsausbildung Alles in allem führten diese Überlegungen Munk zu dem Schluss: “However, if they are given in the right manner by emphasizing the sociological and fundamental principles as well as the historical development, the international, the constitutional and other legal aspects involved, they can be made extremely interesting and valu able.”49 Darüber hinaus stellte Marie Munk für die auf die Gebühren angewiesene 45 Statement, prepared by Marie Munk to the National Conference of Family Relations, Committee on the Training of the Law for the Work of Marriage Counseling, p. 1 – 3, p. 2, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 4. 46 Ebd. 47 Ebd. 48 Statement, prepared by Marie Munk to the National Conference of Family Relations, Committee on the Training of the Law for the Work of Marriage Counseling, p. 1 – 3, p. 3, in Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 4. 49 Ebd.
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Anwaltszunft noch einen monetären Ausgleich in Aussicht, wenn sie sich um den Familienerhalt bemühte: “[T]he lawyer, who effects a reconciliation is entitled to the same fee which he would have earned had the case come up for trial.”50 Eine veränderte Rolle des Anwalts in den Ehe- und Familienrechtsverfahren habe aber auch eine veränderte Rolle der Familiengerichte („Role of the Court of Domestic Relations“) zur Folge.51 6.4 Die neue Rolle des Familiengerichts Die Aspekte für eine neue Rolle des Gerichts arbeitete Munk anhand ihrer Erfahrungen in Toledo in ihren „Recommendations“52 detailliert heraus: “1. Courts of Domestic Relations should be considered not only as agencies which grant divorces or orders of support and the like but also as having as one of their main objectives
the preservation and protection of the family. The experiences of this observer at the Court of
Domestic Relations in Toledo, Ohio, leave no doubt that if all the Courts of Domestic Rela tions would employ special counselors in an office of reconciliation and investigation many hasty divorces and many broken homes situations could be prevented. Greater justice would be
achieved. It seems to this observer that the National Conference of Family Relations should call attention to the needs of such services.
2. Newspaper publicity in divorce cases and other domestic affairs (breach of promise and
alienation of affection suits or child marriages, etc.) have an undesirable effect on the family situation. This publicity is detrimental to public morals. The National Conference may well
take a public stand against scandalous publicity which intrudes upon the rights of the indi-
vidual and in his private affairs. Many a settlement and uncontested divorce case are actually arrived at by blackmail for fear of publicity.
3. The interests of attorneys who take their responsibilities seriously and discourage a client from filing a hasty divorce must be protected. The client can easily go to another lawyer who
is less scrupulous and more accommodating, thus the first attorney may lose the fees and possibly other business from the client unless it becomes customary that a contract concerning the
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fee is made between client and attorney at the first interview and when he takes any action.”
Diese Thesen Munks wurden von den Mitgliedern des Committee diskutiert. 50 Ebd., p. 2 – 3. 51 Marie Munk, Chairman, Committee on the Family and the Law, Monday, June 19, 10 A. M. to 12 A. M., p. 1 – 3, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3541. 52 Recommendations, prepared by Marie Munk, Committee on the Training of the Law for the Work of Marriage Counselor, p. 1 – 2, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 4. 53 Ebd., p. 2.
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Ein Mitglied des „Committee on the Family and the Law“ der National Conference on Family Relations bestätigte für die Fälle einer Unterhaltsverurteilung des Ehemanns die positiven Wirkungen eines Social Service auf derartige Verfahren. Allerdings sahen sich die Mitglieder des Committee wegen der unterschied lichen Gerichtszuständigkeiten zwischen den Bundesstaaten und innerhalb der Bundesstaaten (County) nur dazu in der Lage, eine sehr allgemeine Empfehlung zu verabschieden, die in einer „Resolution“ des Committee on the Family and the Law der National Conference on Family Relations unter der Leitung von Marie Munk zum Ausdruck gebracht wurde: “It is recommended that a survey be made of the courts all over the United States which deal with matters of the family, such a study to bring up to date or supersede the antiquated study on ‘the child and family in the courts’”.54 Das Committee stellte in seiner Diskussion in den Vordergrund: “The committee further suggested that all courts which deal with matters of the family should be equipped with a social service department and that the judges in these courts should not only be trained in the law but also have knowledge and interest in social problems.”55 Das Committee konnte sich in folgenden Fragen nicht zu einer Schlussresolution durchringen: “The committee did not take a definite stand for or against the rotating of judges in divorce courts although it was agreed that some judges take these assignments reluctantly and make little effort to look below the surface in an effort to adjust the marital situation.”56 “The committee further discussed the question whether or not divorce decrees should be effective immediately or whether interlocutory decrees should become the rule rather than the exception or whether a period of waiting should be required before a party should be free to re-marry after a divorce decree has been granted. No agreement was reached on this point. It was however felt that greater uniformity in matters of marriage and divorce was badly needed.”57 Ein äußerst wichtiger Aspekt, der einige Monate s päter von der National Conference on Family Relations aufgegriffen 58, aber erst zehn Jahre s päter von der Na tional Conference on Family Relations als Reformvorschlag veröffentlicht wurde. 54 Resolution: Marie Munk Chairman, Committee on the Family and the Law, Monday, June 19, 10 A. M. to 12 A. M., p. 1, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 4. 55 Marie Munk, Chairman, Committee on the Family and the Law, Monday, June 19, 10 A. M. to 12 A. M., p. 1 – 3, p. 2, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3541. 56 Ebd. 57 Ebd. 58 Siehe Nr. 6.6 in diesem Kapitel.
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Womöglich deshalb, weil zunächst nur die von Max Rheinstein und Marie Munk gezeichnete Entschließung 59 und eine Diskussion in Vorbereitung der Resolution ausschließlich das Fachpublikum erreichte.60 6.5 Diskussion des Committee on the Family and the Law über die anwaltliche Ausbildung und zukünftige anwaltliche Tätigkeit In der Diskussion über eine Entschließung des „Committee on the Family and the Law“ ergaben sich folgende Fragen: “1. In what situations do lawyers have an opportunity for family counseling, and what should they do in such situations? 2. To what extent, if any, do the law schools prepare lawyers for these services? What sugges tions should be made as to the proper preparation of lawyers for the handling of situations requiring family-counseling?”61 In der Diskussion wurde erkannt, dass der Anwalt erst dann hinzugezogen werde, wenn die Beziehung der Ehepartner bereits eine kritische Lage erreicht habe. Die Entscheidungen würden unter emotionaler Anspannung und unter Ausschluss der Ratio getroffen. Die Entscheidungen des Richters, wusste Goldblatt von der University of Chicago zu berichten, s eien zuvorderst abhängig von „religious and spiritual approaches“ (inneren Tatsachen). Diese bestimmten letztendlich die Bereitschaft, ein Scheidungsurteil ohne Schwierigkeiten auszusprechen oder widerwillig das Auseinanderbrechen einer Familie anzuerkennen. Die Frage Max Rheinsteins, „whether a lawyer should go ahead with filing a divorce without asking questions, or whether he should make an effort at a reconciliation of the parties“, wurde in ihrer Diskussion wesentlich von Munks Erfahrungen aus ihrer Praxis als Marriage Counselor bestimmt.62 Deshalb erachteten die Mitglieder des Committee für die Ausbildung an der Law School nicht nur soziologische und psychologische Aspekte als Inhalte für notwendig. Gleiches musste zukünftig auch für die Lehrenden gelten. Darüber hinaus sollten die heimkehrenden Juristen nach dem Krieg einen Auffrischungskurs 59 in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 4. 60 Professional Education for Marriage and Family Counseling, The Lawyer in Marriage and Family Counseling, in: Marriage and Family Living, Vol. 6, No. 4, Nov. 1944, p. 72 – 73. 61 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 4; Report National Conference on Family Relation, in: The Lawyer in Marriage and Family Counseling, in: Professional Education for Marriage and Family Counseling, in: Marriage and Family Living, Vol. 6, No. 4, Nov. 1944, p. 72 – 73. 62 Aufzeichnungen Rheinsteins und Munks aus der Sitzung des Committee on the Family and the Law, June 18, 1944, 10 – 12, 1 – 3 and continued informally during the luncheon hours. In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 4.
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nicht nur im Recht, sondern auch in dem Bereich „Marriage Counseling“ erhalten, damit sie auf die vielschichtigen Probleme im Familienrecht vorbereitet s eien. Anwälte müssten über soziale Einrichtungen und deren Aufgaben mithilfe einer Liste der Association for Family Living besser informiert werden. Alle Forderungen wurden an die Association of American Law Schools und der American Bar Association übergeben. Darüber hinaus hatte in jedem Gerichtsbezirk ein Social Service Department eingerichtet zu werden, ähnlich den beispielgebenden Einrichtungen in Chicago oder in Toledo (Ohio). Um sich eingehender über die Beratungsarbeit zu informieren, besuchten die Mitglieder der National Conference on Family Relations in den folgenden Tagen das Social Service Department und das Psychiatric Institute des Municipal Court of Chicago.63 Zuvor hatte am 19. Juni 1944 die Conference folgende Resolution verfasst: 6.6 Die Resolution des Committee on the Family and the Law Das Committee fasste folgenden Beschluss: “As a result of its deliberations, the Committee finally adopted the following resolutions: The Committee on Professional Education for Marriage and Family Counseling Law recommends that the National Conference on Family Relations exert its influence in the following direc tions: The conditions of the war have given rise to serious and numerous problems of family living and further difficulties are probable to arise when serviceman are returning to civilian life in large numbers. To give to servicemen, to returning servicemen and to the members of their families competent advice on family problems, an expertly staffed service is needed. It is recommended that the Chicago Servicemen’s Center or the Red Cross or the Office of Civilian Defense be urged to establish such a service at the earliest moment. Care should be taken that in the establishment and administration of such a service, the advice and guidance of persons or organizations experienced in family counseling be followed. Experience has shown that practicing attorneys frequently encounter cases in which they would like to refer a client to a competently staffed agency for family counseling. Although several such agencies exist in Cook County, lawyers are generally ignorant to them. It is therefore suggested that the Association for Family Living be asked to compile a survey of competent agencies existing in Cook County and in coopera tion with the Chicago Bar Association send copies to all members of the Chicago 63 Aufzeichnungen Munks mit dem Titel „Municipal Court of Chicago“, Domestic Relations Branch. Social Service Department (Teil 1) und Psychiatric Institute (Teil 2) über den Besuch am Mittwoch, den 21. Juni 1944, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 2.
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Bar. The Association of American Law Schools and the American Bar Associa tion should be asked to lead the attention of law schools and bar associations to the necessity of making lawyers aware of the fact that matrimonial cases involve not only legal but also important social and psychological problems. These problems and the proper ways in which they should be attacked by lawyers should be treated in law schools as well as in refresher courses and lecture series of bar associations. The National Conference on Family Relations is urged to sponsor programs of lectures on problems of the family before bar associations and law school students.”64 In die steigenden Scheidungszahlen eine Bresche schlagen – so könnten die Forderungen mit wenigen Worten umschrieben werden. 6.7 Fazit: Vergleich zum englischen Marriage Guidance Council damaliger Zeit Die Bedeutung von Marie Munks Vorschlag zeigt sich erst in einem Vergleich mit der praktischen Arbeit des in England etablierten Marriage Guidance Council in London. Die praktische Arbeit des Marriage Guidance Council in London 65, wie sie drei Jahre später, am 6. November 1947, auf dem National Council on Family Relations vorgestellt wurde 66, verdeutlichte, dass unter Marie Munks Mithilfe die amerikanische Resolution einen breiteren Reformansatz auswies als die englische Praxis. Die englische Praxis berücksichtigte eine veränderte Rolle des Gerichts und eine Reform der Juristenausbildung nicht. 6.8 Schlussbewertung Eine Skizze über eine reformierte Juristenausbildung und eine veränderte Rolle des Gerichts in einem kurzen deutsch-amerikanischen historischen Vergleich soll in eine Schlussbewertung einführen.
64 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 4; Report der National Conference on Family Relation: The Lawyer in Marriage and Family Counseling, in: Professional Education for Marriage and Family Counseling, in: Marriage and Family Living, Vol. 6, No. 4, Nov. 1944, p. 72 – 73. 65 The Secretary, The National Marriage Guidance Council (London), Marriage Guidance in a Local Community. Notes on How to Set Up a Marriage Guidance Council, p. 1 – 12, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 8; siehe auch: David R. Mace, Marriage Guidance in England, in: Marriage and Family Living, Vol. VII, No. 1, February 1945, p. 1 – 2, 5. 66 Marriage Guidance Council, London, To Delegate to the National Council on Family Rela tions, 6th November 1947, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 13 Folder 4.
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6.8.1 Die veränderte Rolle des Gerichts – USA/Deutschland im Vergleich Es ist auf einen umfangreichen historischen Befund zur Veränderung der amerika nischen und deutschen Familiengerichtsbarkeit zu verzichten und es ist entsprechend des Zeitraums des Wirkens von Marie Munk bei den 1940er-/1950er-Jahren der Vergleich zu beginnen. Sind in Deutschland in den 1940er- und den 1950er-Jahren Zivilgerichte für die Scheidung in einem kontradiktorischen Verfahren zuständig, hat die USA bereits seit 1914 in Cincinnati ein erstes Familiengericht.67 Neben diesen ersten experimentellen Anfängen in der Familiengerichtsbarkeit begründete sich eine veränderte Rolle des Gerichts in einem anderen Rechtsbereich als dem Familienrecht. Die Kritik des Bürgers an dem Umgang der Administration der Bundesstaaten mit dem Bürger wirkte auch auf die spätere Entwicklung in der Familiengerichtsbarkeit ein. Entscheidend war, dass für den Bürger der Vereinigten Staaten die Mög lichkeit besondere Aufmerksamkeit erfährt, gegen behördliche Einmischungen in individuelle Rechte gerichtlich vorgehen zu können und im amerikanischen Recht besonders betont wird. Weil jedoch Verfahren gegen Entscheidungen von Behörden langwierig waren und die praktische Politik und die Tätigkeit der Verwaltung verzögerten, gründete sich bereits im Jahre 1926 eine „American Arbitration Association“. Diese private gemeinnützige Organisation bot erstmals in den Vereinigten Staaten Mediationsleistungen an. Diese Entwicklung im öffentlichen Rechtsbereich wirkte auf die spätere Entwicklung in der Familiengerichtsbarkeit ein. Zusätzlich wuchs bis in die 1940er-Jahre aus der Reformbewegung für eine veränderte Jugendgerichtsbarkeit eine zweite Reformbewegung, nämlich eine für die Familiengerichtsbarkeit, heran. Das Verständnis der Reform wurzelte in der Überzeugung, dass die Jugendkriminalität auf gestörte Familienverhältnisse zurück zuführen sei.68 Professor Quintin Johnstone aus Kansas brachte die aus der Jugendgerichtsbarkeit aufstrebende Reformentwicklung in den USA 69 auf den Punkt: Das Familiengericht soll „eine Verbindung von Gericht, Fürsorgeamt und Nervenklinik“70 sein. Marie Munk hatte ihre berufliche Tätigkeit als Marriage Counselor in Toledo (Ohio) bereits beendet, als 1947 der Federal Mediation and Conciliation Service (FMCS) gegründet 71 wurde. Diese Gründung kann als eine Reaktion auf 67 Barbara A. Babb, Fashioning an Interdisciplinary Framework for Court Reform in Family Law: A blueprint to Construct a Unified Family Court, Southern California Law Review 49 (1998), p. 469, 478. 68 Anne Geraghty and Wallace Mlyniec, Unified Family Courts, Tempering the Enthusiasm With Caution, in: Family Court Review 2002, p. 435. 69 Quintin Johnstone, Die Entwicklung von Familiengerichten in den Vereinigten Staaten, in: Archiv für die Civilistische Praxis, 154. Band, Heft 1, 1955, S. 35. 70 Ebd. S. 36. 71 Paul-Titus Hammerbacher, Chancen und Risiken der Familienmediation am Beispiel des neuen Kindschaftsrechts, Diss. Tübingen 2000, S. 16 – 18.
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die Differenz zwischen dem bestehenden Scheidungsrecht und der Rechtspraxis verstanden werden, die in den Vereinigten Staaten durch Wanderscheidungen und konvulsives Zusammenwirken von Klägern und Beklagten gekennzeichnet war (law in the books and law in action).72 Um dieser Situation Herr zu werden, fand ein Jahr später im Weißen Haus die „International Conference on Family Life“ statt, auf der ein wissenschaftlicher Weggefährte Marie Munks, Max Rheinstein, als Mitglied des Expertengremiums in einer eigens gegründeten Kommission zu seinen Forschungen über die Ehestabilität, auch mit Blick auf sein späteres rechtsvergleichendes Frankfurt-Chicago-Projekt, angeregt wurde.73 An dieser Stelle muss sich der Leser vergegenwärtigen, dass die USA keine Verfassungsgerichtsbarkeit, kein Familienverfassungsrecht hat, wie der Betrachter es aus Deutschland kennt. Jeder amerikanische Bundesstaat hat sein eigenes Recht und seine eigene Gerichtsstruktur. Nur durch sogenannte Uniform Laws (Modellgesetze), die von den amerikanischen Bundesstaaten ratifiziert werden müssen, kann es zu einer größeren Vereinheitlichung im Recht der unterschiedlichen Bundes staaten und in der Gerichtsstruktur kommen. So öffnete der Family Court Act (1959) das Tor für einen weiteren Fortschritt in der Familiengerichtsreform in den unterschiedlichen amerikanischen Bundesstaaten.74 Bis zur 2. Hälfte der 1960er- Jahre bildeten sich in den Vereinigten Staaten von Amerika zur Familiengerichtsbarkeit sehr unterschiedliche Strukturen aus.75 Allen voran wurde überlegt, die gerichtlichen Zuständigkeiten für die Scheidung und für die Scheidungsfolgen zu vereinen.76 Für das Scheidungsrecht hat der Supreme Court im Jahre 1965 in dem so bezeichneten Griswold-Verfahren unter Bezug auf den 10. Zusatzartikel einem inquisitorischen Gerichtsverfahren Einhalt geboten: “[W]e deal with the right of privacy older than the bill of rights.”77 Mit diesen Worten hatte der Supreme Court auch die Gerichte der Bundesstaaten in seinem Urteil von einem inquisitorischen Verfahren entbunden. Dieses Urteil machte den Weg frei für eine No-Fault-Divorce; in Kalifornien erstmals seit 72 Nadine Rinck, Max Rheinstein – Leben und Werk, S. 193 – 198. 73 Ebd., S. 203 – 216. 74 Barbara A. Babb, Where We Stand: An Analysis of America’s Family Law Adjudicatory Systems, Family Law Review 32 (1998), p. 36. 75 Wolfram Müller-Freienfels, Über Familiengerichte, insbesondere in den USA, in: Familienrecht im In- und Ausland (Aufsätze), Band 1, Frankfurt a. M. 1978, S. 35 – 77, S. 49 – 55. 76 Wolfram Müller-Freienfels, Über Familiengerichte, insbesondere in den USA, in: ders., Familienrecht im In- und Ausland, S. 49 – 55, S. 50. 77 Wolfram Müller-Freienfels, Über Familiengerichte, insbesondere in den USA, in: ders., Familienrecht im In- und Ausland, S. 75 – 77, Fußnote 170 – 170a. In dem Verfahren war es um die bundesstaatlichen Bestimmungen über eine strafbewehrte Verwendung von empfängnisverhütenden Mitteln gegangen.
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1969 in Kraft. Doch das Griswold-Urteil brachte nicht nur die schuldlose Scheidung, sondern führte auch die Alternative-Dispute-Resolution-Bewegung (ADR) an. Mit ihr wurden verschiedene Programme der konstruktiven Streitbeilegung (nicht nur der Mediation 78) in jedem Bundesstaat entwickelt. Hierbei handelt es sich zum Beispiel in Kindschaftssachen um Pflichtverfahren, die von den streitenden Parteien durchlaufen werden müssen. So wurde zum Beispiel in Kalifornien seit der Einführung der Pflichtvermittlung in 60 – 80 Prozent der Verfahren eine einvernehmliche Lösung erzielt.79 Ab den 1970er-Jahren wurde in sogenannten „Multidoor-Courthouses“ eine vorprozessuale Konfliktlösung erprobt.80 Was heute in den Vereinigten Staaten als Familiengerichtsbarkeit anzutreffen ist, geht auf eine Initiative des nationalen amerikanischen Verbandes aller juristischen Berufe, der American Bar Association, Anfang der 1990er-Jahre zurück. Die Initiative für weitere Reformen gründete sich nach einer Studie, die offen darlegte, dass eine traditionelle Justiz die sozialen, psychologischen und ökono mischen Probleme von Eltern und Kindern während der Trennung, Scheidung oder in anderen Krisensituationen nicht wird lösen und die Streitbefangenen nicht wird aus ihrem Konflikt erlösen können.81 Eine Richtlinie aus dem Jahr 2004 definiert seither Konturen eines Unified Family Court, die den verschiedenen Gerichtsstrukturen in den amerikanischen Bundesstaaten angepasst werden können.82 Hierzu gehören zuvorderst eine einheitliche sachliche Zuständigkeit, ein Gebäude für alle Dienstleistungen und ein Richter für alle Verfahren. 78 Unter dem Begriff der Mediation wird verstanden, dass „die Betroffenen von einem neu tralen und unparteiischen Dritten (dem Mediator) ohne Konfliktentscheidungskompetenz unterstützt werden, eine faire rechtsverbindliche Vereinbarung über die Folgen von Trennung und Scheidung entwickeln, welche nach Möglichkeit die Interessen der Beteiligten (Medianten) einschließt, auf Wertschöpfung ausgerichtet ist und auf dem Verständnis von sich selbst, dem anderen und ihrer jeweiligen Sicht der Realität basiert.“ In: Caroline Bono- Hörler, Familienmediation im Bereiche von Ehetrennung und Ehescheidung, Eine interdisziplinäre Betrachtung unter besonderer Berücksichtigung der Rolle des Rechts und der Rechtsanwälte, Diss. Zürich 1998, S. 27 mit weiteren Nachweisen. Vgl. zur historischen Entwicklung der Mediation ab Aristoteles: Josef Duss-von Werdt, homo mediator. Geschichte und Menschenbild der Mediation, Stuttgart 2005, S. 24 – 25, 33 – 43, 53 – 84, 93 – 97. 79 Paul-Titus Hammerbacher, Chancen und Risiken der Familienmediation, S. 16 – 18. 80 Rainer Kulms, Mediation in den USA, in: Klaus J. Hopt und Felix Steffek (Hg.), Mediation. Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen, Tübingen 2008, S. 410. 81 American Bar Association (Ed.), Summit on Unified Family Courts: Exploring Solutions for Families, Women and Children in Crisis, Philadelphia 1998, p. xi. 82 Zu den Merkmalen eines Unified Family Court: vgl. http://www.abanet.org/unified/about.html (15. 01. 2014); Vgl. zu den Anpassungsmöglichkeiten in den Bundesstaaten: James W. Bozzomo and Gregory Scolieri, Unified Family Courts: A Survey of Unified Family Courts: An Assessment o Different Jurisdictional Models, in: Family Law Review 2004, p. 13.
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Eine Problemanalyse entscheidet darüber, ob ein gerichtliches Verfahren stattfindet oder ob die Familie für andere Beratungsleistungen an anders qualifiziertes Fachpersonal verwiesen wird.83 Aber nicht nur dieses Fachpersonal ist besonders für das Unified Family Court durch Aus- und Fortbildung qualifiziert, sondern auch das Gerichtspersonal.84 Diese Kernelemente sind noch deutlicher ausdifferenziert, als diese von der Autorin dieser Arbeit an dieser Stelle aus Platzgründen kurz benannt werden können. Allem voran entscheidend ist, dass bis zum Ende des 20. Jahrhunderts die meisten amerikanischen Bundesstaaten einige oder alle dieser Kernelemente übernommen haben. Nur sieben amerikanische Bundesstaaten vermögen den Eltern und Kindern mit einem Familiengericht nicht zu helfen.85 Aufgrund der Tatsache, dass der amerikanische Gesundheits- und Sozialbereich auf private Kostenträger ausgerichtet ist, wurde in den späteren 1990er-Jahren eine Diskussion darüber entfacht, ob die ärmere Bevölkerung von einer frühzeitigen Beratung, Begleitung und Streitbeilegung wirtschaftlich ausgeschlossen werde.86 Abschließend muss deshalb einschränkend für den nordamerikanischen Bereich konstatiert werden, dass sich eine vorwiegend privat finanzierte Gesundheits- und Sozialberatung für alternative interdisziplinäre Modelle in der Gerichtsbarkeit hinderlich auswirkt. Hier könnte sich mit Blick auf Deutschland ein anderes Bild ergeben; verfügt Deutschland doch bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts über eine gesetzliche Sozialversicherung, deren Leistungen bis in die Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts kontinuierlich ausgebaut wurden. Diese Leistungen aus der P sychotherapie, der Jugendpsychologie, der begleitenden Sozialberatung in Krisensituationen, verbunden mit einer medizinischen Betreuung, kommen jedoch immer nur dann ihren Empfängern zugute, wenn, wie vor dem Hintergrund der von Marie Munk eingeforderten veränderten Rolle des Gerichts, auch auf deren Inanspruchnahme in einem Ehekonflikt fokussiert wird. Ein Ehekonflikt vermag durch familienexterne Schiedsmänner rechtlich nicht geschlichtet zu werden.87
83 Barbara A. Babb, Where We Stand Redux: Another Look at America’s Law Adjudicatory Systems, Family Law Review 35 (2002), p. 628. 84 Andrew Schepard and James Bozzomo, Efficiency, Therapeutic Justice, Mediation, and Evaluation: Reflections on a Survey of Unified Family Court, in: Family Law Quarterly 37 (2003), p.343; Catherine Ross, The Failure for Fragmentation: The Promise of a System of Unified Family Courts, in: Family Law Quarterly 32 (1998), p. 3 – 30. 85 Barbara A. Babb, Where We Stand Redux: Another Look at America’s Law Adjudicatory Systems, Family Law Review 35 (2002), p. 628. 86 Rainer Kulms, Mediation in den USA, in: Klaus J. Hopt und Felix Steffek (Hg.), Mediation. Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen, S. 410 – 411. 87 Familiengerichtliche Streitsachen sind von Schiedsverfahren gesetzlich ausgenommen. Der Schiedsmann darf sich diesen Rechtsfragen de lege lata nicht annehmen.
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Nachdem die Einführung eines dauerhaften Güteverfahrens in Zivilsachen wegen der kriegswirtschaftlichen Verhältnisse scheiterte, wurde mit der zweiten Kriegsmaßnahmenverordnung vom 15. Oktober 1944 das obligatorische Güteverfahren für Zivilsachen endgültig aus der ZPO gestrichen.88 Das Recht trage den Gütegedanken in sich, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland argumentiert, um eine Streitbeilegung für die Parteien gerade nicht zur Pflicht zu machen. Die weitere historische Entwicklung der Rolle des Gerichts für das Familienrecht wird allein über die Rechtsgrundlagen zum nachehelichen Personensorgerecht und zur elterlichen Gewalt (seit 1979 Sorgerecht) vor dem Hintergrund des Ehescheidungsverfahrens bereits besonders plastisch, weshalb auf eine eingehende Würdigung des Streitstandes von Literatur und Rechtsprechung verzichtet werden kann. In Ehesachen war seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Sühneverfahren als Prozessvoraussetzung für ein Scheidungsverfahren ausgestaltet. Damit hatte genau genommen diese Pflichtveranstaltung nicht den Charakter einer konstruk tiven Streitbeilegung, sondern diente nur dazu, dass die Ehegatten in Vorbereitung auf den Prozess sich erst einmal warmliefen oder das Sühneverfahren als Pflichtübung betrachteten. Zumal ein Erscheinen der Ehegatten nicht erzwungen werden konnte.89 Mithin wurde das Sühneverfahren von den Parteien zu einer Formsache entwertet, um sich aus der Ehe zu lösen, anstatt eine einvernehmliche Lösung über die zerstrittene Ehesituation oder die nachehelichen Rechtsfragen, insbesondere auch im Interesse der Kinder, anzustreben. Das Gericht bot hiergegen keinen Einhalt, zumal das Gericht bereits den streitigen Termin festsetzte, obgleich sich die Ehegatten noch in einem Sühneverfahren befanden.90 Mit dieser Verfahrensführung setzte das Gericht kontra produktive Signale bereits zu Beginn des Verfahrens. Während des Verfahrens war auch eine Aufnahme des Sühneverfahrens nicht mehr möglich. Es kam hinzu, dass der über die Schuldfrage urteilende Richter zugleich den Sühneversuch durchführte.91 Dieser Sühneversuch erstreckte sich nur auf die Gründe des Scheiterns der Ehe und konnte sich wegen des Schuldprinzips den nachehelichen Rechtsfragen zum Ehegüterrecht und Sorgerecht objektiv nicht widmen. Mit Blick auf die nachehe liche Erziehung und Rechtsvertretung der von einer Scheidung betroffenen Kinder war zuvorderst die Frage der Schuld am Scheitern der Ehe Richtschnur für ein Urteil über die Übertragung der Personensorge; nicht durch das die Scheidung aussprechende, sondern durch das Vormundschaftsgericht (§ 74 Abs. 4 EheG 92 von 1946 vom 20. 2. 1946). 88 89 90 91 92
Paul-Titus Hammerbacher, Chancen und Risiken der Familienmediation, S. 18 – 25. Wolfram Müller-Freienfels, Ehe und Recht, S. 317 – 327. Ebd., S. 319. Ebd., S. 322 – 323. § 74 Abs. 4 EheG von 1946 lautete: „Einem Ehegatten, der allein oder überwiegend für schuldig erklärt worden ist, soll die Sorge nur übertragen werden, wenn dies aus besonderen
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Darüber hinaus verblieb die Rechtsvertretung und Vermögenssorge beim Vater der Kinder, unabhängig davon, ob er schuldig oder nicht schuldig geschieden worden war (§ 74 Abs. 1 Satz 1 EheG 194693). Die höchstrichterliche Rechtsprechung folgerte eine mangelnde Erziehungseignung des schuldigen Ehegatten aus der Entstehungsgeschichte des BGB.94 Es bedurfte besonderer Gründe, dass dem schuldig geschiedenen Ehegatten die Personensorge übertragen wurde. Gleichwohl: Im Einzelfall mutig differenzierend verhielten sich drei Gerichte zu dieser höchstrichter lichen Auffassung,95 denen nicht nur besondere Gründe ausreichten, um auch dem schuldigen Ehegatten die Personensorge zu übertragen, sondern die das Wohl des Kindes als oberste Richtschnur für ihre Entscheidung in den Vordergrund stellten. Das brachte Kritik in der Fachliteratur. Summa summarum trug zu jener Zeit das gerichtliche Verfahren für die soziale Eltern-Kind-Situation mit der Schuldfrage zur Eskalation des Ehekonflikts erheblich bei. Die Kinderinteressen waren zwar im Gesetz geregelt, doch tatsächlich zog die Schuldfrage die Kinderinteressen in den Sumpf der ehelichen Streitigkeit vollends hinab. Es waren die Interessen der Kinder im Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht Maßstab der Entscheidung über das Sorgerecht gerade nicht. Das Gleichberechtigungsgesetz führte den § 1671 BGB 96 ein, der am 1. Juli 1958 in Kraft trat. Die Novellierung stellte erstmals auf eine gleichberechtigte Ausübung der Vermögenssorge durch die geschiedene Frau ab. Gründen dem Wohl des oder der Kinder dient.“ 93 § 74 Abs. 1 Satz 1 EheG von 1946 lautete: „Ist die Ehe geschieden, so bestimmt das Vormundschaftsgericht, falls eine Einigung der Ehegatten nicht zustande gekommen ist, welchem von ihnen die Sorge für die Person des oder der gemeinschaftlichen Kinder zustehen soll. Die Einigung de Ehegatten ist in einem schriftlichen Vorschlag binnen einer Frist von zwei Wochen nach Rechtskraft des Scheidungsurteils dem Vormundschaftsgericht zur Genehmigung vorzulegen.“ 94 BGHZ 6, Nr. 25, S. 342 – 348, S. 344; BGHZ 24, Nr. 4, S. 181 – 188, S. 186. 95 Siehe zur Rechtsprechung des KG Berlin, des OLG Hamm und des OLG Freiburg: Andreas Köhler, Die Sorgerechtsregelungen bei Ehescheidung seit 1945. Scheidungsstrafe und verordnete Gemeinsamkeit, Frankfurt a M. 2006, S. 30 – 33. 96 § 1671 BGB Satz 1 bis 5 in der Fassung des GleichberG von 1957 lauteten: „(1) Ist die Ehe der Eltern geschieden, so bestimmt das Vormundschaftsgericht, welchem Elternteil die elter liche Gewalt über ein gemeinschaftliches Kind zusteht. (2) Von einem gemeinsamen Vorschlag der Eltern soll das Vormundschaftsgericht nur abweichen, wenn dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist. (3) Haben die Eltern innerhalb von zwei Monaten nach Rechtskraft des Scheidungsurteils keinen Vorschlag gemacht oder billigt das Vormundschaftsgericht ihren Vorschlag nicht, so trifft es die Regelung, die unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse dem Wohle des Kindes am besten entspricht. Ist ein Elternteil allein für schuldig erklärt und sprechen keine schwerwiegenden Gründe dafür, ihm die elterliche Gewalt zu übertragen, so soll das Vormundschaftsgericht sie dem schuldlosen Teil übertragen. (4) Die elterliche Gewalt soll in der Regel einem Elternteil allein übertragen werden. Erfordert es das Wohl des Kindes, so kann einem Elternteil die Sorge für die Person, dem anderen
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Die geschlechtliche Differenz im Bereich der Vermögenssorge schien beseitigt. Die Differenz zwischen Recht, Verfahren und in der nachehelichen sozia len Krise hingegen nicht. Es blieb das Verfahren in Familiensachen zersplittert. Vier Jahre später (1961) wurde mit dem so bezeichneten Weißbuch erstmals eine Gerichtsreform in Familiensachen, wenngleich zurückhaltend, so doch für sorgeund personenrechtliche Fragen sowie den Unterhalts- und Statusprozeß im Nichtehelichenrecht, empfohlen.97 Im Vergleich zu Nordamerika setzte also eine Gerichtsreformbewegung erst sehr viel s päter an. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass sich seit den 1950er-Jahren eine Familienrechtskommission der Evangelischen Kirche Deutschlands kontinuierlich mit dem Scheidungsrecht auseinandersetzte. In ihrer Kommission wurde nicht nur die Frage nach der Differenz zwischen dem Recht und sozialer Wirklichkeit, sondern auch die Frage nach der Verantwortung der Ehegatten für ihre Ehe in den Vordergrund gerückt. Mit der Folge, dass z. B. auf einer Sitzung dieser Rechtskommission im Juli 1966 unter Berücksichtigung einer nachehelichen Verantwortung das Gericht auch die Scheidungsfolgen festzusetzen habe, welches die Scheidung ausspreche.98 Von besonderem Interesse in diesem Zusammenhang war das von Wolfgang Müller- Freienfels in die Reformdiskussion eingebrachte anglikanische Gutachten mit dem Titel „Putting asunder“.99 Dieses Gutachten war ein Bericht einer Gruppe um den Erzbischof von Canterbury aus dem Jahre 1964. Das Gutachten enthielt wichtige Anregungen zu einem geänderten gerichtlichen Verfahren, die im Folgenden kurz skizziert werden: 1. Das gerichtliche Verfahren „sei zur Erforschung des tatsächlichen Zustandes einer Ehe geeignet zu machen“;100 2. Das Gericht habe zu erforschen, welche Versöhnungsversuche vorab von den Ehegatten wahrgenommen wurden; 3. Vereinbarungen über den nachehelichen Unterhalt und das nacheheliche Sorge recht s eien der Klageschrift an das Gericht beizufügen.101 Das Recht dürfe dem Institut der Ehe seinen Schutz nicht versagen.
die Sorge für das Vermögen des Kindes übertragen werden. (5) Das Vormundschaftsgericht kann die Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes einem Vormund oder Pfleger übertragen, wenn dies erforderlich ist, um eine Gefahr für das geistige oder leibliche Wohl oder für das Vermögen des Kindes abzuwenden.“ 97 Bundesjustizministerium (Hg.), Bericht der Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit, Bonn 1961, S. 109 – 115. 98 Werner Schubert (Hg.), Die Reform des Ehescheidungsrechts von 1976, Quellenband, Frankfurt a. M. 2007, S. XIII–XXI. 99 Ebd., S. XVI, Anhang I, S. 265 – 322. 100 Ebd., S. 265 – 322, S. 312. 101 Ebd., S. 265 – 322, S. 313.
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Deshalb sei eine Versagung des Scheidungsurteils „die einzige Sanktion, die das Scheidungsrecht anwenden“ könne.102 Ein wichtiger Aspekt, der jedoch in der dann später verfassten Denkschrift des Jahres 1969 mit dem Titel „Zur Reform des Ehescheidungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland“ nicht zu finden war.103 Die Eherechtskommission des Bundesministeriums der Justiz erarbeitete in den Jahren 1968 bis 1972 Vorschläge zur Reform des Ehe- und Scheidungsrechts aus.104 Ein deutscher Reformvorschlag aus dem Jahre 1972, die Verfahren zur Scheidung und zu den Scheidungsfolgen zu vereinen,105 wurde nicht umgesetzt. Es war das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976, das über eine Änderung des § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nunmehr regelte, dass ein Richter für alle mit der Scheidung zusammenhängenden Streitigkeiten zuständig war. Somit wurde nicht nur über die Gründe zur Scheidung, sondern auch über die damals so bezeichnete elterliche Gewalt (heute als Sorgerecht bezeichnet) als Folgesache einer Scheidung in einem so bezeichneten Verbundverfahren (§ 623 Abs. 1 ZPO) beim Amtsgericht geurteilt.106 Ziel des Gesetzes war es, übereilten Scheidungen vorzubeugen und eine schnelle Streiterledigung im gerichtlichen Verfahren zu erreichen.107 Die nachehelichen Folgen der Scheidung blieben mit der Einführung des Zerrüttungsprinzips von einer Schuldfrage an der Scheidung unberührt. Allerdings wurden die nachehelichen Folgen einer Scheidung vor Rechtskraft des Scheidungsurteils nicht wirksam. Der scheidungsunwillige Partner vermochte über die Regelungen zu den Scheidungsfolgen den Fortgang oder die Verzögerung des Verfahrens zu steuern.
102 Ebd., S. XIII – XXI, S. XVI. 103 Die EKD forderte die richterliche Urteilsbildung in den überwiegenden Fällen. Sprach sich für die Zerrüttung (unter der Grenze der unbilligen Härte) aus und gegen das Schuldprinzip. Kritisierte die Konventionalscheidung (einverständliche Scheidung), wenn diese nicht von einer richterlichen Beurteilung über die Frage „ob eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden kann“ abhängig gemacht würde. Gleichwohl erkannte die EKD, dass „das geltende Recht nicht mehr hinreichend geeignet ist, den heute sich stellenden Eheproblemen gerecht zu werden“. Im Fortfall der Schuld für die Scheidungsfolgenregelungen sah die EKD die ehemaligen Ehegatten stärker in der nachehe lichen Verantwortung und plädierte für eine außergerichtliche Einigung in diesen Fragen und für Eheberatungsstellen. In: Evangelische K irche in Deutschland (Hg.), Zur Reform des Ehescheidungsrechts, S. 15 – 17, 20 – 22, 23, 24 – 26. 104 Werner Schubert (Hg.), Die Reform des Ehescheidungsrechts von 1976, S. XXI–XXVIII. 105 Wolfram Müller-Freienfels, Über Familiengerichte, insbesondere in den USA, in: ders., Familienrecht im In- und Ausland, S. 55 – 57, S. 56. 106 Günther Bastian, Klaus Roth-Stielow und Dietmar Schmeiduch, 1. EheRG. Das neue Eheund Scheidungsrecht, Kommentar, 1. Auflage, Stuttgart 1978, § 623 ZPO Rn. 4. 107 BT-Drucks. 7/650, S. 61, 24.
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Nicht nur eine Entscheidung bezüglich der elterlichen Gewalt über die Kinder vermochte nicht wirksam umgesetzt zu werden,108 sondern der Gesetzgeber hatte in § 1671 BGB 109 geregelt, dass nach einer Scheidung die elterliche Gewalt der Eltern nur dann aufgrund eines gemeinsamen elterlichen Vorschlags erhalten blieb, wenn der Richter diesem Vorschlag zustimmte. Folge in der Praxis war, dass die Richter die elterliche Gewalt nur einem Elternteil allein übertrugen. Der Gesetzgeber verlieh seinem Wächteramt Ausdruck.110 Es muss an dieser Stelle hervorgehoben werden, weil es zur historischen Veränderung der Verfahren und insbesondere zu einer veränderten Rolle des Gerichts gehört, dass in den späteren 1970er-Jahren Richter an die Gegenauffassung aus der Wissenschaft 111 anknüpften und § 1671 BGB im Lichte des Art. 6 GG auslegten, um den geschiedenen Eltern die elterliche Gewalt gemeinsam zu übertragen.112 Das OLG Düsseldorf, um ein Beispiel hervorzuheben, stellte in einem Urteil aus dem Jahre 1978 fest, dass ein gesetzlich zwingendes Alleinrecht Spannungen in der Eltern-Kind-Beziehung geradezu provoziert.113 Das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18. Juli 1979 gedachte, das Wohl des Kindes und den Kindeswillen über Anhörungsrechte in §§ 50a ff. FFG stärker zur Geltung zu bringen.114 Gleichwohl räumte das ab dem 1. Januar 1980 geltende neue Recht dem Richter die Befugnis ein, nur einem Elternteil das Sorgerecht zu übertragen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte in seiner Entscheidung
108 Stephanie Matthiesen, Gemeinsame elterliche Sorge in scheidungssoziologischer Perspektive, Frankfurt a,. M. 2004, S. 46 – 47. 109 § 1671 BGB lautete: „(1) Wird die Ehe der Eltern geschieden, so bestimmt das Familiengericht, welchem Elternteil die elterliche Gewalt über ein gemeinschaftliches Kind zustehen soll. (2) Von einem gemeinsamen Vorschlag der Eltern soll das Familiengericht nur abweichen, wenn dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist. (3) Haben die Eltern keinen Vorschlag gemacht oder billigt das Familiengericht ihren Vorschlag nicht, so trifft es die Regelung, die unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse dem Wohle des Kindes am besten entspricht.“ 110 Dieter Schwab, Familienrecht, 10. Auflage, Regensburg 1998, Rn. 662. 111 Um nur eine entscheidende Auswahl zu nennen: Uwe Diederichsen, Zur Reform des Eltern- Kind-Verhältnisses, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 25/1978, Heft 7, S. 473; Hans- Werner Fehmel, Gemeinsames elterliches Sorgerecht nach der Scheidung?, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 26/1979, Heft 5, S. 381; ders., Ist das Verbot des gemeinsamen elterlichen Sorgerechts nach der Scheidung (§ 1671 IV, 1 BGB) verfassungswidrig?, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 27/1980, Heft 8, S. 759 – 761. 112 Stephanie Matthiesen, Gemeinsame elterliche Sorge, S. 47. 113 OLG Düsseldorf in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 25/1978, April 1978, Heft 4, Nr. 234, S. 266 – 267. 114 BT-Drucks. R. 7/2060, S. 13. Zum Gesetzgebungsverfahren ausführlich: Andreas Köhler, Die Sorgerechtsregelungen bei Ehescheidung, S. 134 – 161.
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vom 3. Nov. 1982 diese Regelung wegen des Verstoßes gegen Art. 6 GG für verfassungswidrig.115 Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Sorgerecht trat ein Paradigmenwechsel ein. Die gemeinsame Sorge bringe für die Kinder in der Trennungssituation und in der Scheidung ein Höchstmaß an Kontinuität. Sachfremde Motive der um die Scheidung prozessstreitenden Eltern könnten durch das Gericht ausgeschieden werden. Der Staat sei nur ausnahmsweise zum Eingriff berechtigt.116 Bis zu diesem Urteil entsprach die Rolle des Gerichts in Familiensachen gerade nicht einer streitschlichtenden Funktion. Das Scheidungsverfahren eskalierte im Kampf um die Folgen der Scheidung. Zumal das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 (EheRG) den obligatorischen Sühneversuch für Scheidungsklagen zwar gestrichen, aber nur durch die Alternative der subordinativen Entscheidung des Richters ersetzt hatte. Die an die UN-Kinderrechtskonvention und an verfassungsrechtliche Vorgaben anknüpfende Kindschaftsrechtsreform des Jahres 1998 setzte die gemeinsame elter liche Sorge als argumentum a minore ad minus in § 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB 117 voraus.118 Dem Kind wurde erstmals ein Verfahrenspfleger zur Seite gestellt.119 Obgleich der Gesetzgeber mit dieser Rechtsänderung die verfassungsrechtlichen Kritikpunkte ausgeräumt hatte und über das Fortbestehen des gemeinsamen Sorgerechts deut lich zwischen dem streitenden Paar und seiner Elternverantwortung trennte, fragt sich an dieser Stelle, was der Gesetzgeber denn für die elterliche Verantwortung in Trennung und Scheidung getan hat, um das gemeinsame Sorgerecht im Interesse
115 BVerfGE 61, 358 ff. Siehe ausführlich zu dem Urteil: Julia Liebthal, Die gemeinsame Sorge geschiedener Eltern nach der Reform des Kindschaftsrechts, Frankfurt a. M. 2004, S. 86 – 96; im Übrigen: Andreas Köhler, Die Sorgerechtsregelungen bei Ehescheidung, S. 168 – 171; Angelika Zimmer, Das Sorge- und Umgangsrecht im Lichte der Kindschafstrechtsreform, Münster 2011, S. 61. 116 BVerfG in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 29/1982, Heft 12, S. 1179 – 1184. 117 § 1626 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB lauten: „Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).“ 118 § 1671 BGB lautete: „(1) Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so kann jeder Elternteil beantragen, daß ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. (2) Dem Antrag ist stattzugeben, soweit 1. Der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, daß das Kind das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat und der Übertragung widerspricht, oder 2. zu erwarten ist, daß die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.“ 119 Zum Gesetzgebungsverfahren siehe: Andreas Köhler, Die Sorgerechtsregelungen bei Ehescheidung, S. 184 – 231.
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der Kinder in der krisenhaften Situation von Trennung und Scheidung in der sozia len Wirklichkeit nicht verpuffen zu lassen. Schließlich geht es in der Trennungs- und Scheidungssituation nicht nur um das Recht, sondern um die Überwindung einer Krise. Hingewiesen werden kann allgemein für die weitere Rechtsentwicklung auf § 279 ZPO, der durch das Rechtspflegevereinfachungsgesetz vom 1. April 1991 den sogenannten Anwaltsvergleich für das zivilgerichtliche Verfahren einführte. Doch erst im Jahre 1992 konstituierte sich die Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmediation, nachdem ein Jahr zuvor in der Jugendhilfe ein Regelrechtsanspruch auf familienunterstützende Beratung in § 16 i. V. m. § 3 Abs. 2 S. 2 SGB VIII und (auf freiwilliger Basis) Hilfen zur Entwicklung für das gemeinsame Sorgerecht eröffnet wurden (§ 17 Abs. 2 SGB VIII). Aber erst mit Einführung der Neuregelung des Kindschaftsrechts vom 1. Juli 1998 wurde eine vorprozessuale Vermittlung in § 51 FGG im Interesse des Kindes und einer gemeinsamen elterlichen Verantwortung eröffnet.120 Psychologen, Eheberater und andere Professionen wurden nur ad hoc in einem akuten Einzelfall in das laufende Verfahren einbezogen.121 Erst mit dem am 1. Sept. 2009 in Kraft getretenen FamFG wurde das Verfahren und die Zuständigkeit für das Familienrecht zu einem sogenannten „Großen Familiengericht“ vereint, die Richterschaft und die Prozessparteien von Verweisungs- und Abgabebeschlüssen im Verfahren entlastet. Alle Ehe- und Kindschaftsverfahren, auch die im Kontext von Nachlass und Registersachen, bisher der freiwilligen Gerichtsbarkeit den Amtsgerichten zugeordneten Sachen, aber auch im Zusammenhang mit Ehe und Familie stehende Beleidigungsdelikte oder andere zivilrechtliche Streitigkeiten wurden mit dem FamFG dem Familiengericht überantwortet. Das Vormundschaftsgericht wurde abgeschafft.122 Das Familiengericht ist vom Gesetzgeber verpflichtet worden, in jeder Lage des Verfahrens auf einvernehmliche Regelungen hinzuwirken (§ 156 Abs. 1 Satz 1 FamFG 123). Es IST ein Verfahrensbeistand gem. § 158 FamFG 124 dem Kind ALS 120 Paul-Titus Hammerbacher, Chancen und Risiken der Familienmediation, S. 25 – 32. 121 Ebd., S. 32 – 38. 122 Rainer Kemper, FAMFG–FGG-ZPO Kommentierte Synopse, 2. Auflage, Baden-Baden 2009, S. 5. 123 § 156 Abs. 1 Satz 1 FamFG lautet: „Das Gericht soll in Kindschaftssachen, die die elterliche Sorge bei Trennung und Scheidung, den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, in jeder Lage des Verfahrens auf ein Einvernehmen der Beteiligten hinwirken, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht.“ 124 § 158 Absatz 1 und Absatz 2 FamFG lauten: „(1) Das Gericht hat dem minderjährigen Kind in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, einen geeigneten Verfahrensbeistand zu bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. (2) Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, 1. wenn das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht, 2. in Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a des Bürger lichen Gesetzbuches, wenn die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge in
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VERFAHRENSBETEILIGTER zur Seite zu stellen, insbesondere soll der Verfahrens-
beistand auf der Grundlage seiner pädagogischen oder/und psychologischen Ausbildung ebenfalls auf eine gütliche Einigung zum Sorge- und Umgangsrecht hinwirken.125 Gerade weil die Pflicht, dem Kind einen Verfahrenspfleger beizuordnen, erst mit der Kindschaftsrechtsreform 1998 eingeführt wurde, hat die pädagogische und psychologische Literatur einiges aus der methodischen Praxis aufzuarbeiten.126 Für den Sachverständigen mit Blick auf den Vertrauensschutz 127 und für das Kind mit Blick auf die Anhörung und die Bekanntgabe der Entscheidung im Familien gerichtsprozess werden erst in jüngster Zeit kindgerechte Strategien vermehrt entwickelt.128 Aber eine veränderte Rolle des Gerichts nützt gar nichts, wenn eine Reform der Juristenausbildung nicht stattfindet.
6.8.2 Die Reform der Juristenausbildung – USA/Deutschland im Vergleich Einen historischen Abriss des Diskussionsstandes über die Frage, was unter der Berufsausübung verstanden werden muss und vor allem wie die Berufsausübung eines Anwalts beschaffen sein muss, insbesondere in einem deutsch-amerikanischen Vergleich, wird die Schlussbetrachtung nicht bieten. Vor allem wird an dieser Stelle nicht der Frage nachgegangen, mit welchem Ziel und mit welchen Instrumenten die juristische Ausbildung in Deutschland und in den Vereinigten Staaten den zukünftigen Anwalt auf seine Berufsausübung bisher vorbereitet hat und wie sie zukünftig hierauf vorbereiten sollte. Zum einen ist die anwaltliche Tätigkeit in den unterschiedlichen Rechtsbereichen des Privatrechts, des Strafrechts und des Öffentlichen Rechts sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland
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Betracht kommt, 3. wenn eine Trennung des Kindes von der Person erfolgen soll, in deren Obhut es sich befindet, 4. in Verfahren, die die Herausgabe des Kindes oder eine Verbleibensanordnung zum Gegenstand haben oder 5. wenn der Ausschluss oder eine wesentliche Beschränkung des Umgangsrechts in Betracht kommt.“ Rainer Kemper, FAMFG–FGG-ZPO Kommentierte Synopse, § 158, insbesondere Absatz 4 FamFG, S. 162 – 163. Es sei der Autorin dieser Arbeit nachgelassen, an dieser Stelle beispielhaft auf nur einen, aber vorzüglichen Aufsatz hinzuweisen: Rita Müller, Beteiligung von Kindern und Jugend lichen bei hoch strittigen Trennungen aus Sicht des Verfahrenspflegers, in: Matthias Weber und Herbert Schilling (Hg.), Eskalierte Elternkonflikte. Beratungsarbeit im Interesse des Kindes bei hoch strittigen Trennungen, 2. Auflage, Weinheim/Basel 2012, S. 103 – 118. Jörg Fichtner und Joseph Salzgeber, Die Kommunikation des Sachverständigen mit den Verfahrensbeteiligten und dem Familiengericht, in: Familie – Partnerschaft – Recht, 19/2013, Heft 11, S. 478 – 487. Josef A. Rohmann, Anhörung des Kindes und der Eltern sowie der Bekanntgabe der Entscheidung an das Kind als kommunikativer Prozess, in: Familie – Partnerschaft – Recht, 19/2013, Heft 11, S. 464 – 470.
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zu unterschiedlich und in sich heterogen. Zum anderen würde dies die werkbiografischen Grenzen dieser Arbeit überschreiten. Ein kurzer Blick in die historischen amerikanischen Wurzeln soll gleichwohl zu der Zeit überleiten, in der Marie Munk ihre Reformvorstellungen vorstellte. Die amerikanische Juristenausbildung an den Law Schools ging auf die Initiative von Christopher Columbus Langdell zum Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Als Dekan in Harvard reformierte er den Zugang zum Law-Studium und führte die Fallmethode (case method) ein. Fortan wurden nicht mehr nur Rechtsregeln vermittelt und auswendig gelernt (black letter law), sondern die Studierenden dazu angeleitet, aus den Rechtsquellen die Prinzipien, die wichtig für den zu lösenden Fall sein könnten, zu identifizieren. Zu der zweiten wichtigsten Erkenntnis im Umgang mit dem Recht gehört, nach wie vor, dass Recht eine veränderbare Materie darstellt. Das heißt, die Studierenden lernen an den Law Schools, wie Recht als Instrument im Prozess verändert werden kann. Für die Ausbildung an den Law Schools werden drei Jahre Studium benötigt, denen der Collegebesuch vorausgeht. Die Zulassung zur Anwaltschaft erfolgt aber nicht durch den Studienabschluss, sondern durch das so bezeichnete Bar-Examen in dem jeweiligen amerikanischen Bundesstaat. Neben der Kritik über einen Mangel an Praxisbezug während des Studiums an den Law Schools widmete sich die amerikanische Studienreform auch der Internationalisierung der juristischen Ausbildung.129 Anknüpfend an die Reformforderungen von Marie Munk, bieten seit der Wende zum 21. Jahrhundert sechs Siebtel der Law Schools nicht nur Lehrveranstaltungen zur Mediation an, sondern geben der Mediation einen festen Platz in Forschung und Entwicklung.130 Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten von Amerika ist in Deutschland die juristische Ausbildung bundesgesetzlich einheitlich geregelt. Die Juristenausbildung konzentriert sich zuvorderst auf eine zukünftige berufliche Tätigkeit als Richter. Nach dem Studium an einer rechtswissenschaftlichen Fakultät einer Universität legen die Studierenden das erste Staatsexamen ab. Hernach folgt das Referendariat an gesetzlich festgelegten Pflichtstationen zum Zivilrecht, zum Strafrecht, zum Öffent lichen Recht und an einer zu diesen drei Rechtsbereichen gehörenden Wahlstation. Das Referendariat schließt ab mit dem zweiten Staatsexamen. Auf die lange Tradition von den Anfängen der deutschen Juristenausbildung bis in die 1960er-Jahre oder auf die in den Folgejahren angestrebten oder durchgesetzten
129 Joachim Zekoll, Die US-amerikanische Juristenausbildung, in: Christian Baldus, Thomas Finkenauer und Thomas Rüfner (Hg.), Juristenausbildung in Europa zwischen Tradition und Reform, Tübingen 2008, S. 187 – 189, 196 – 201. 130 Paul-Titus Hammerbacher, Chancen und Risiken der Familienmediation, S. 16 – 18.
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Reformmodelle, insbesondere auf die einphasige Juristenausbildung 131 oder auf Anforderungen einer Juristenausbildungsstrukturreform für das 21. Jahrhundert einzugehen 132, ist an dieser Stelle der Werkbiografie kein Platz. Zunächst bleibt festzuhalten, dass der generalistischen Ausbildung an der Universität und den Stationen des Referendariats die freie Entscheidung des deutschen Anwalts nachfolgt, ob er Fachanwalt für Familienrecht werden möchte. Zum einen benötigt er bis zur Prüfung durch die Anwaltsakademie ein bestimmtes quantitatives Maß an bereits bearbeiteten Verfahren, um sich zum Fachanwaltslehrgang und später dann zur Prüfung bei der Anwaltskammer melden zu können. Zum anderen wird von dem deutschen Anwalt eine hohe Konflikttoleranz in der Praxis erwartet. Schließlich begegnet er Mandanten, die „durch die E i g e n d y n a m i k d e s G e s c h e h e n s gefangen“ sind. Seine Mandanten sehen in ihrer familiären Krisensituation „Alternativen nicht, können erst recht keine neuen Strategien entwickeln.“133 Diesen Anforderungen von Konflikttoleranz ersucht eine stärker anwaltsorientierte und praxisorientierte Ausbildung mit dem Gesetz zur Reform der Juristenausbildung, welches am 1. Juli 2003 in Kraft trat, gerecht zu werden. Das Bundesgesetz eröffnet juristische Schlüsselqualifikationen in der Ausbildung und in der Prüfung. Hierzu gehören Verhandlungsmanagement, Gesprächsführung, Rhetorik, Streit schlichtung, Vernehmungslehre, Kommunikationsfähigkeit und Mediation 134 (§ 5a Abs. 3 Satz 1 und § 5d Absatz 1 Satz 1 DRiG). Diesen rechtlichen Veränderungen gingen wichtige Initiativen in Wissenschaft und Praxis voraus, von denen aus Platzgründen nur zwei als besonders beispielgebend hervorgehoben werden sollen. Es war das Jahr 1988, als der Familienrichter in Hamburg, Dr. Robert N orthoff ( Jurist und Psychologe, heute Professor), die Anwaltskanzlei Freshfield und Partner aus den USA an das Familiengericht in Hamburg holte, damit die amerikanischen Anwälte der deutschen Richterschaft über ihre Erfahrungen eines Mediationsverfahrens
131 Nicolas Lührig, Die Diskussion über die Reform der Juristenausbildung von 1945 bis 1995, Frankfurt a. M. 1997, S. 26 – 49, 49 – 58. 132 Nicolas Lührig, Juristenausbildung für das 21. Jahrhundert: Kein Konsens – keine Reformen! Zu einer sich seit Jahrzehnten im Kreise drehenden Ausbildungsdebatte, in: Dieter Strempel (Hg.), Juristenausbildung z wischen Internationalität und Individualität – auch ein Problem der Gesetzgebung-, Baden-Baden 1998, S. 207 – 216. 133 Katharina Kriegel, Mediationspflicht? Über die Notwendigkeit einer Begleitung von Eltern bei Trennung und Scheidung, Jena 2006, S. 16. 134 Es wird auf die wissenschaftliche Arbeit von Sascha Süße mit dem Titel „Die Integration der Schlüsselqualifikation Mediation in eine anwaltsorientierte Juristenausbildung. Zugleich ein Beitrag zur Evaluation der Reform der Juristenausbildung 2002/2003“, Hamburg 2011, verwiesen.
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berichten sollten.135 Es war das Jahr 1994 als der Beck Verlag die 1. Auflage eines neuen Buches von Prof. Fritjof Haft mit dem Titel „Verhandeln – die Alternative zum Rechtsstreit“ in einem Seminar vorstellte. Die Verfasserin der vorliegenden Arbeit war anwesend. Die Mehrzahl der anwesenden Anwälte lehnte ein streitschlichtendes Verhandeln als Alternative zum gerichtlichen Streitverfahren ab. Neben Argumenten, die sich ausdrücklich auf die Prozessordnungen zurückzogen, wurde vor einer überlangen Verfahrensdauer, aber auch vor einer Privatisierung der Justiz gewarnt. Schließ lich beriefen sich viele der teilnehmenden Anwälte darauf, dass die (damals noch in Kraft befindliche) Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung eine Gebühr für eine anwaltliche Vermittlung nicht oder nicht auskömmlich eröffne. Erst durch die Änderung der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, insbesondere durch die Flexibilität des RVG (Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes) und durch Änderung der verfahrensrechtlichen Flexibilität des neuen FamFG wird in Deutschland eine veränderte Vorgehensweise in familiengerichtlichen Verfahren – auch für den Anwalt – praktizierbar. Seither wurde in der Fachpresse für den Anwalt die Bedeutung der Kommunikation aufgegriffen und es wurden Strategien vorgestellt.136 Der Umgang mit dem Mandanten gewinnt an Interdisziplinarität, wenn Psychologen sich dazu äußern, wie in einem kommunikativen Prozess auf ein Einvernehmen hinzuwirken sei.137 6.8.3 Bewertung der Forderungen von Marie Munk zur Gerichtsreform und Juristenausbildungsreform vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung Vor dem Hintergrund der historischen amerikanischen und deutschen Entwicklung waren Marie Munks Reformvorstellungen der Zeit weit voraus. Es wurde deutlich, dass sich Marie Munk von ihren deutschen Reformvorschlägen aus Weimarer Zeit, wie sie in ihrer Denkschrift für den Bund Deutscher Frauen vereine aus dem Jahre 1923 Gestalt angenommen hatten, gelöst und in ihren wissenschaftlichen Ansätzen weiterentwickelt hatte. Es ging ihr nicht mehr darum, das Scheidungsverfahren zu beschleunigen und die Sühnetermine vor dem Vormundschaftsgericht anzuberaumen.138 Vielmehr blickte Marie Munk hinter das Recht, auf das soziale Gebilde: die Familie im gerichtlichen Verfahren. Vertieft durch ihre berufliche Tätigkeit als Marriage Counselor hatte sie erkannt: Nicht 135 Gespräch Prof. Dr. Robert Northoffs mit der Verfasserin der vorliegenden Arbeit im Juni 2011. 136 Jutta Hohmann, Bedeutung von Kommunikationstechniken für Anwälte, in: Familie – Partner schaft – Recht, 19/2013, Heft 11, S. 457 – 460; Karl Ehler, Familienrecht – Wie subsumiert man eigentlich Emotionen? In: Familie – Partnerschaft – Recht, 19/2013, Heft 11, S. 500 – 503. 137 Brigitte Spangenberg und Ernst Spangenberg, Hinwirken auf Einvernehmen als Kommunikativer Prozess, in: Familie – Partnerschaft – Recht, 19/2013, Heft 11, S. 460 – 464. 138 Marie Munk, Vorschläge zur Ausgestaltung des Rechts, S. 56 – 57.
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nur die streitbefangenen Personen, sondern alle Beteiligten, auch die Rolle des Gerichts, aber vor allem die Rolle des Richters, wirkten kausal auf den Prozess ein. In diesem Sinne verstand Marie Munk das Wort Prozess nicht nur in einem verfahrensrechtlichen, sondern in einem ganzheitlichen (sozialen, psychologischen und sozioökonomischen) Sinne. Eine Sichtweise, die nur durch eine veränderte Juristenausbildung befördert werden konnte. 70 Jahre nach den Reformvorschlägen von Marie Munk verfügt Deutschland über die ersten zarten Ansätze, die ihren Reformvorschlägen Praxis verleihen. Von einer routinierten Praxis darf für Deutschland nach dem neuen FamFG aus dem Jahre 2009 oder in den USA mit dem neuen ADR-Verfahren, seinem Multidoor-Courthouse, nicht gesprochen werden. Dazu sind die sozioökonomischen Bedingungen in den amerikanischen Bundesstaaten zu unterschiedlich und die Verfahren im Sorgerecht nach dem neuen FamFG in Deutschland noch zu frisch. Bis weitere Ergebnisse über die weitere Entwicklung in Deutschland und den Vereinigten Staaten vorliegen, bleibt mit Blick auf die Reformforderungen Marie Munks festzustellen: Der Richter spricht Recht zu spät. Grundlage der richterlichen Arbeit ist immer noch die Ex-post-Betrachtung der Ereignisse, aus der heraus eine Kommunikation über die Zukunft der Eltern mit ihren Kindern erschwert wird, weil der stattgebende Antrag bzw. das Urteil den Schlusspunkt einer TRADIT IONELLEN URSACHE-WIRKUNG-BETRACHTUNG auf der Grundlage des Rechts bildet. Diesen Umstand größtmöglich zu beseitigen, hängt immer davon ab, ob die Prozessparteien im Verfahren selbst zu steuern vermögen. Schließlich haben die Prozessparteien diese Selbststeuerung zu keinem Zeitpunkt vor Beginn des Verfahrens erlernt, geschweige denn sind die meisten Prozessparteien mit einer Mediation vertraut. Das Recht der Prozessparteien vermag in der Krise der Trennung und Scheidung hieran nichts zu ändern. Es wird sich zeigen, ob auf lange Sicht nicht nur die streitenden Parteien sich selbst aus der streitbefangenen Tradition des Gerichtsverfahrens, sondern auch die Richter in der Verfahrensführung die Prozessparteien aus ihrer STREIT-G EFANGENSCHAF T zu befreien vermögen. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, ob die Anwälte vortrefflich zu zeigen vermögen, dass sie ihre Mandanten nicht sachbearbeiten, sondern ihre Mandanten begleiten wollen und begleiten können. An diesem Punkt wird Marie Munks Abkehr von einem kontradiktorischen Verfahren, verbunden mit einer Reform zur Juristenausbildung und einer Gerichtsreform, einem mehrdimensionalen Familienkonflikt erst gerecht. Mit ihren Reformüberlegungen hatte Marie Munk die Gerichtsreform und Juristenausbildungsreform in Amerika und in Deutschland vorwegnehmen wollen. Ihre Vorschläge kamen zu früh.
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7. Biennial Convention of the National Federation of Business and Professional Women (1952) Marie Munk nahm im Jahre 1952 an der Biennial Convention of the National Federa tion of Business and Professional Women in Boston teil und erinnerte sich an ihre Zeit als Begründerin der German Federation of Business and Professional Women im Jahre 1933. Ihre Teilnahme an d iesem Kongress beschloss sie mit einem Rückblick auf den International Congress in Chicago, auf dem sie die deutsche Delegation vertreten hatte.139
8. Schweiz: Das letzte Treffen mit der deutschen Frauenbewegung (1965) Ihre nach eigener Einschätzung letzte Reise nach Europa 140 trat Marie Munk im Sommer 1965 in die Schweiz an, um ihre Weggefährtinnen aus der deutschen Frauenbewegung zu treffen.141 Von diesen Reisen sind Erinnerungen an die schöne Landschaft in der Schweiz im Nachlass erhalten geblieben.
9. Fazit zu Ziffer I: Institutionen In Marie Munks wichtigsten Mitgliedschaften spiegelt sich der familienrechtlich interessanteste Diskurs über Recht und s oziale Wirklichkeit in der Rechtsanwendung wieder. In diesen Institutionen und Gremien wurde ein für die damalige Zeit außerordentlich junger Ansatz, die Rechtsevaluierung untersucht und ein für die Zukunft der Jurisprudenz wegweisender Diskurs über die juristische Ausbildung und die Funktion der Gerichte im Familienrecht geführt. Ein zu damaliger Zeit in den USA revolutionärer Ansatz. Weitere Inhalte dieser Diskurse werden anhand der Forschungsaufträge Marie Munks, erhalten gebliebener Veröffentlichungen und unveröffentlichter Manuskripte Marie Munks im 6. und 7. Kapitel dem Leser vorgestellt. Auf die Bedeutung einzelner herausragender Wissenschaftler aus diesen Institutionen und weitererer persönlicher Begegnungen aus der deutschen und amerikanischen Wissenschaft für die wissenschaftliche und rechtspolitische Arbeit Marie Munks wird im folgenden Abschnitt eingegangen. 139 Dear-Friend-Brief, November 1952, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 140 Schreiben von Marie Munk an Dora vom 10. Juli 1965, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 5 Folder 10. 141 Schreiben von Marie Munk an Lotte vom 12. September 1965, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 5 Folder 9.
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II. Persönliche Beziehungen in Deutschland und in Amerika In diesem Abschnitt der Arbeit werden all jene Personen genannt, die Marie Munks wissenschaftliche Arbeit außerordentlich befruchtet und auch menschlich unterstützt haben.
1. Beziehungen in Amerika Für die persönlichen Beziehungen Marie Munks in Amerika überwiegen die wissen schaftlichen vor den privaten Kontakten. Untrügliches Zeichen für den Schwerpunkt ihres Lebens. 1.1 Die wissenschaftliche Beziehung zu Negley King Teeters in Philadelphia (1937) Als eine ihrer ersten wissenschaftlichen Bekanntschaften ist Negley King Teeters, Professor an der Temple University, Philadelphia, Pa., zu nennen. Er hatte, als Marie Munk nach ihrer Immigration die ersten zwei Jahre in Philadelphia weilte, seine Publikation „They were in Prison“ (1937) abgeschlossen. Eine erste, in allen Bundes staaten bekannte Arbeit der Philadelphia Prison Society. Diese Gesellschaft war von Reformern im Jahre 1787 gegründet worden, um die Misere in den öffentlichen Gefängnissen zu beseitigen.142 Teeters stand im Jahr 1937 am Beginn seiner „Modern Sociological Theories“, die erst in den 1950er-Jahren feste Konturen erhielten.143 Zu diesen Theorien gehörte, dass für Kriminalität, insbesondere familiäre, ökonomische und auch geografische Bedingungen ursächlich waren.144 Ansätze, die Munk zum Migrantenstatus der Eltern der Mädchen an der New York Training School for Girls, N. Y., erforscht 145 und erkannt hatte.146 Ein Nachweis über die übereinstimmenden Forschungsinteressen zwischen Munk und Teeters fand sich im Quarterly Journal of the Public Education and Child Labor Association of Pennsylvania aus dem Jahre 1937. Das Journal veröffentlichte im März 1937 die Diskussionen der Public Education and Child Labor Association of Pennsylvania. In dieser Diskussion berichtete Teeters über seine Forschungen zu 142 World Biographical Information System Online: Who’s who in the East. 6th ed. 1957, p. 250. 143 Harry Elmer Barnes und Negley K. Teeters, New Horizons In Criminology, Prentice-Hall Sociology Series 1959, Book One, Part II., Chapter 8 – 10, p. 140 – 205; siehe insbesondere Chapter 11. Minority Tensions as Factors in Crime, p. 163 – 176. 144 Ebd., Part II., Chapter 12, p. 177 – 196. 145 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 6. 146 3. Kapitel, Ziffer III. Nr. 3 und 4.
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Freizeitaktivitäten von schulentlassenen Jugendlichen. Die Jugendlichen taten nichts anderes, als sich herumzutreiben und jegliche Ausbildung zu scheuen.147 Ein Verhalten, das dem Verhalten der Mädchen in der New York Training School for Girls entsprach. In der gleichen Ausgabe d ieses Quarterly Journal entwickelte Marie Munk ihre Erfahrungen aus der New York Training School for Girls weiter zu einem transatlantischen Ausblick mit dem Titel „Childcare in Germany“148, deshalb erhielt ihr Aufsatz den Zusatz: “[T]his is the second article in a series setting forth comparisons of child welfare administration in the world today.”149 Ebenfalls im Juni 1937 erschien ein weiterer Aufsatz Marie Munks mit dem Titel „The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany“ im Prison Journal.150 Auf beide Publikationen wird im 7. Kapitel, Ziffer VI Nr. 2 und Nr. 3 eingegangen. 1.2 Eine wahre Freundin: Louise Leonard (Hood College) Am Hood Collage begann für Marie Munk eine langjährige Freundschaft 151 mit L ouise Leonard, von Munk „Louislein“152 gerufen. Mit Louise Leonard 153 verband Munk in den Jahren 1939 bis 1943 und 1960 bis 1970 eine warmherzige 154 147 Bridging The Gap, in: Quarterly Journal of the Public Education and Child Labor Associa tion of Pennsylvania, June 1937, p. 12 – 16, p. 14, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3523. 148 Marie Munk, Childcare in Germany, in: Your Child in School and at Work, in: Quarterly Journal of the Public Education and Child Labor Association of Pennsylvania, June 1937, p. 8 – 11, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3523. 149 Ebd., p. 8. 150 Marie Munk, The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany, in: Prison Journal, June 1937, p. 349 – 357. 151 “Hood College had played a much more important role in my life than I realized at that time. It has given me a lasting and true friend through whom I came to Northampton, Mass., and was finally able to take the road to the Bar.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 12. 152 Korrespondenz der Jahre 1965 bis 1971, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 22. 153 “This friend, Miss. E. Louise Leonard, is a highly gifted teacher of french, and an unusual linguist. She accepted my offer to coach her in German. Although she had never taken any German language course, but had studied the language only by herself, she had an excellent pronunciation and was able to read Goethe’s Faust without any help on my part. When she went to Class Reunion at Smith College, Northampton, Mass., she talked to President N eilson about me. He then invited me to be a visiting teacher at Smith College Summer School of Social Work in July and August, 1939. Needless to say that I gratefully accepted this offer.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 12. 154 “Your personality shines through in every word you say. Because I reread your wonderful letters, you are again very close to me. I realize that it is almost impossible to continue this kind
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Briefkorrespondenz. Marie Munk wäre am Sophia Smith College nicht angestellt worden, hätte Louise Leonard sich nicht bei Präsident Neilson für Marie Munk eingesetzt.155 1.3 Die wissenschaftliche Zusammenarbeit von Marie Munk mit Norman E. Himes Marie Munk hatte ihn auf einem Kongress der Social Science Association 156 während ihrer beruflichen Zeit als Marriage Counselor kennengelernt. Norman Edwin Himes war zum damaligen Zeitpunkt als Professor of Sociology an der Colgate University und im Surgeon General’s Office des War Department tätig. Er hatte im Jahre 1930 eine Arbeit mit dem Titel „Illustrations and Proofs of the Principle of Population: Being the First Work on Population in English Language Recommending Birth Control“ (London) veröffentlicht. Ein Jahr später erweiterte er sein wissenschaftliches Werk um das Buch „A Guide to Birth Control Literature: a Selected Bibliography on the Technique of Contraception and on the Social Aspects of Birth Control“(London).157 Von Havelock Ellis wurde er im Vorwort zur deutschen Ausgabe über „Praktische Methoden der Geburtenregelung“ (Königstein 1949, 2. Auflage, 1951) als „[eine] unserer größten Autoritäten in der Geschichte der Geburtenregelung“ gewürdigt. Norman E. Himes bat Marie Munk um zwei Beiträge für sein neues Buch über die Familie, das bei McGraw Hill in New York verlegt werden sollte. Marie Munk erarbeitete ihre Beiträge, einen zum Ehegüterrecht verheirateter Frauen und einen weiteren zu dem Thema „The Family under Nazism“. Aufgrund der Kriegsereignisse sind beide Arbeiten Munks nicht veröffentlicht worden.158 Mit dem Eintritt
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of correspondence for a long time. […] taken my place.” In: Schreiben von Marie Munk an Louise Leonhard, October 15, 1965, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 22. “But, Louise, there remains a bond between us, and I shall forever be grateful to you for what you did for me. I may never have settled in Northampton, Boston, here, in-between in Toledo, Ohio, had you not given the first impetus by talking to Pres. Neilson.” In: Schreiben von Marie Munk an Louise Leonhard, October 15, 1965, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 22. LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counselor in Toledo, Ohio, S. 1. World biographical Information System. Kursive Hervorhebungen nicht im Original. “While I lived in Northampton, America entered the War. And I, who could have become a naturalized American citizen at that time, became an enemy-alien. I had taken a course for air-raid wardens, but, I was, of course, not eligible for this duty. Instead, I had to turn in my cameras; and my short wave radio had to be disconnected. I needed a special permit, even for a short trip to New York City. Small wonder that I welcomed to research assignment by Professor Norman E. Himes, for a contribution to a book on Family Relations which he intended to edit and which was to be published by McGraw Hill Company in New York.
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Amerikas in den Zweiten Weltkrieg waren durch das Kriegs- und Justizministerium Presseveröffentlichungen von Angehörigen der Feindländer verboten worden.159 Das Manuskript für „Family under Nazism“ ist in einer gekürzten Version unter dem Titel „The Family in Nazi Germany“ erhalten geblieben.160 Das zeigt eine handschriftliche Anmerkung Munks auf Seite 9 des Manuskripts über eine redaktionelle Beteiligung von Prof. Himes.161 Vergleicht man die Textstellen dieser gekürzten Version mit einem von Munk in Philadelphia erstellten Manuskript unter dem Titel „Training Schools for Mothers in Germany“162, so wird schnell deutlich, dass „Family under Nazism“ und „The Family in Nazi Germany“ erweiterte Fassungen ihrer Arbeit aus Philadelphia waren. Das zweite von Norman E. Himes erbetene wissenschaftliche Manuskript Marie Munks über das Ehegüterrecht war womöglich durch einen im Herbst 1940 veröffentlichten Aufsatz Marie Munks initiiert worden. Diese Publikation erschien im Verbandsmagazin LIVING mit dem Titel „Husband and Wife and Their Property Rights in the Laws of Domestic Relations“163. Demzufolge hat diese letzt genannte Publikation den Weg für die Arbeit bei Norman E. Himes gewiesen. Dieser wissenschaftliche Aufsatz Marie Munks und die Manuskripte über das Thema „Family under Nazism“ werden im 7. Kapitel, Ziffer III Nr. 2 ausführlich behandelt. 1.4 Die wissenschaftliche Zusammenarbeit von Marie Munk und Max Rheinstein Eine neueste amerikanische Publikation ordnet Marie Munk einem Engagement im amerikanischen Scheidungsrecht zu und greift den Artikel Munks „Putting a Brake on Divorce“ vereinzelt heraus.164 Marie Munks wissenschaftliches Engagement He asked me to write the chapter on the property rights of married women, and another on „The Family under Nazism“. I did both, and he edited them carefully. But because of War conditions, the book never published, and my chapters have not been used.“ In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF. – Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 16 – 16a. Hervorhebung nicht im Original. 159 Joseph S. Roucek, Foreign Language Press in World War II, in: Sociology and Social Research, Volume 27, July/August 1943, p. 462 – 471. 1 60 The Family in Nazi Germany, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 161 Links neben der ersten Fußnote auf p. 9 findet sich der handschriftliche Hinweis: “p. 9a inserted by Prof. Himes”, in: The Family in Nazi Germany, p.3. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 162 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 163 Marie Munk, Husband and Wife and Their Property Rights in the Laws of Domestic Rela tions, LIVING, Volume II., Autumn 1940, No. 4., p. 93 – 99, 104. 164 So geschehen in: Kristin Celello, Making Marriage Work, p. 69.
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war aber breiter angelegt als auf den ersten Blick erkennbar, das zeigt insbesondere ihre wissenschaftliche Beziehung zu Max Rheinstein. Max Rheinstein, emigrierter Schüler Ernst Rabels aus dem ersten deutschen Institut für ausländisches und internationales Recht, war seit 1936 Inhaber der Max-Pam-Professur für Rechtsvergleichung an der University of Chicago. Der Kontakt zu Marie Munk ist für das „Meeting of the National Association 165 of Family Relations in Chicago“166 im Dezember 1940 und für das Committee „The Family and the Law“ im Dezember 1939 sowie durch Schriftverkehr in beiden Nachlässen nachgewiesen. Marie Munk arbeitete wissenschaftlich. Hierzu bedurfte es keines Auftrages. Max Rheinstein unterstützte Marie Munk in ihrer Arbeit an ihrem wissenschaft lichen Manuskript „Elements of Love and Marriage“. Auf dieses von Marie Munk während der 1940er- bis in 1950er-Jahre initiierte Projekt für d ieses Manuskript wird im 7. Kapitel, Ziffer VII. Nr. 8 eingegangen. Die Zusammenarbeit zwischen Marie Munk und Max Rheinstein begann in den 1930er- und in den 1940er-Jahren, indem beide Wissenschaftler ehegüterrechtliche Fragen in der National Conference on Family Relations in den Vordergrund stellten. Marie Munk forderte richtungsweisend mit ihren „Proposals Toward Changes for Equal Rights“, die Stellung der Frau im Ehegüterrecht zu verbessern. Der wissenschaftliche Diskurs in dem Committee „The Family and the Law“ der Natio nal Conference on Family Relations soll bereits an dieser Stelle verdeutlichen, wie Marie Munk den wissenschaftliches Diskurs auch bei Max Rheinstein beeinflusste. Dies bietet sich an dieser Stelle an, weil die erhalten gebliebenen Aufzeichnungen von nur wenigen Seiten weder ein abgeschlossenes Kapitel noch ein komplett erhalten gebliebenes Manuskript umfassen und deshalb im 7. Kapitel keinen Platz finden können. 1.4.1 Der Diskurs beider Wissenschaftler über das Rechtsinstitut Dower Marie Munk führte in das Thema ein: “The Law of Domestic Relations is in a rather confused state. During the last fifty years some of the old statutes and common law usages have been replaced by new laws which recognize the independence of women. Most of these statutes are concerned with property rights of married women. The Married Women’s Acts, which are new in effect in all those states which did not introduce the community property systems, emancipated the married women, in 165 Nach den Recherchen der Verfasserin war die National Conference gemäß „Art. I. Name“ ihres Statuts eine Association, sodass die Verwendung des Begriffs „Association“ nicht falsch sein kann. In: Statute National Conference on Family Relations, in: LIVING, Journal of Marriage and the Family, Vol. 1, January 1939, p. 31. 1 66 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 17.
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a higher or lesser degree, from the dominance of the husband under common law. There are, however, many remnants of the old approach and no codification has been attempted. This piecemeal legislation has given rise to many controversies, many inconsistencies and ambiguities and to conflicting court decisions.”167 Max Rheinstein vertrat im Dezember 1939 folgenden Standpunkt zur Stellung der Frau im Rechtsinstitut Dower: “that Dower rights and laws preventing women from being sureties of their husband protect the surviving wife from being disinherited and the family from being depraved of all assets by the financial ruin of the husband.”168 Gegen diese Auffassung forderte Munk eine umfassende güterrechtliche Reform, um das Güterrecht aus seiner unzeitgemäßen erbrechtlichen Verstrickung zu lösen: “The proposals to substitute dower rights by extended inheritance rights is based on the fact that in modern times only a small proportion of the population owns real estate; even these are often merely formal owners when the property is highly mortgaged. Dower therefore is important only for a small group of women. Moreover, it prevents real estate transactions which may be needed but in which the wife does not cooperate. Extension of inheritance rights which cannot be defeated without good cause would protect the surviving spouse-husband or wife; particularly if protective measures are devised so that the right cannot easily be defeated by ‘gifts’ of the other spouse during lifetime. Women are taking responsibilities in public and private life. A married and adult woman must have the right to decide for herself whether or not she wants to be a surety of her husband and thereby risk her property in the case of his insolvency. Education and enlightenment of women rather than protective laws are needed to prevent them from taking such responsibilities too lightly.”169 Eine Reform stellte sich Munk allumfassend wie folgt vor: “This codification must give full recognition to the personal and economic independence of women who are no more under the control and authority of the husband. The laws must be revised in order to give equal rights and obligations to both spouses, but giving due regard to the specific tasks and contributions of the housewife and mother, which call for a division of labor and obligations in some respects. Greater clarification is particularly needed in the following points: a) Rights of the married woman to make contracts for personal services and with regard to real estate and personal property, without interference or consent of husband. b) Rights of spouses to make contracts, partnership agreements etc. with one another before and during marriage, and to sue one another for property rights and personal injuries by torts 167 Marie Munk, Proposals for Urgent Changes in the Law of Domestic Relations toward Equal Rights for Women, A. Introduction, without page reference, LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3540. 168 Ebd. 169 Ebd.
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or crimes. c) Derogation of the husband’s right to his wife’s service at home and in his business and to his wife’s earnings at home, which is still recognized in a number of states. d) Rights of married women to be a sole trader without consent of husband or special license by a court which is required in some states. e) Recogni tion of the contributions which the ordinary housewife makes through her work at home, her thrift and personal attention to the personal needs of the husband and the family. More support by the husband during marriage is no equivalent for her contributions which are made during marriage. A Property system must be devised which gives her a share in these gains without restricting unduly husband and wife in their power of disposal.”170 Gegen eine Beschränkung des Verfügungsrechts der Frau argumentierte sie: “a) [T]he rights of the spouses with regard to real estate need particular attention. Restrictions as to the right to convey real estate must apply to both spouses equally. b) Great difficulties arise from the rights of dower and courtesy which are still in existence in most states. These rights should be reexamined. It is suggested that they are substituted by extended inheritance rights of the surviving spouse. c) Change of property presumptions for household furnishings. The presumption that property which is in joint possession of the spouses is presumed to be the husband’s property is no more justified and results in hardships to women. Many modern marriages start with little furnishings. If husband and wife are working they buy additional pieces from their combined savings, or the wife uses her earnings in the household and permits her husband to put part of his salary aside for such purchases. In most cases of this type the presumption deprives her of her share if the husband falls in debt. It is therefore recommended that the property which is in joint possession of the spouses is presumed to be their joint property.”171 Das in acht amerikanischen Bundesstaaten in Kraft befindliche Community Property System entsprach Munks Anforderungen nicht: “They put all power of control and administration in the hands of the husband, thus depriving the wife of all rights during marriage except where her consent is needed. It put her more or less at the mercy of the husband. Her right and property may be endangered and even lost if the husband is an incompetent manager or falls in debt.”172 170 Marie Munk, Proposals for Urgent Changes in the Law of Domestic Relations toward Equal Rights for Women, II Proposals, without page reference, LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3540. 171 Marie Munk, Proposals for Urgent Changes in the Law of Domestic Relations toward Equal Rights for Women, IX Proposals, without page reference, LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3540. 172 Marie Munk, Proposals for Urgent Changes in the Law of Domestic Relations toward Equal Rights for Women, III Proposals, without page reference, LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3540.
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Munk forderte: “The community property systems must give more recognition to the independence of women. The wife must assume responsibility in the control and administration of the community property. If she contributes her earnings or labor, her consent should be needed to all important transactions, particularly in taking up loans, making conveyances etc.”173 Deshalb dehnte sie ihre Forderungen auch auf andere Güterrechtssysteme aus: “Basic changes are needed in both, the system of separation of property and the system of community property to give the wife her share in the financial success of the marriage without restricting the spouses in their independent power managing their respective property during the marriage.”174 Munk sah „Separation of Property, combined with that of community of Gains“175, für Mann und Frau als gerechtfertigt an. Sie begründete ihre Auffassung damit, dass die Frau sowohl im Geschäft des Mannes, als auch durch ihre berufliche Tätigkeit, aber ebenso als Hausfrau zum Erwerb der Familie während bestehender Ehe beitrage.176 Nach Munks Vorstellungen sollte das schwedische Recht als Orientierung betrachtet werden: “During marriage husband and wife dispose of their personal earnings and contributions as
freely as if they were separate property, except that they cannot unduly decrease the community property. The law also gives detailed regulations which procedure must be followed when a spouse asks for division of the community during marriage, if the other spouse endangers
the community, and also on the division after the death of a spouse.”
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Mit diesen Argumenten schien Marie Munk die Auffassung Max Rheinsteins verändert zu haben, wie einige Jahre später aus einer Publikation Rheinsteins hervorgeht. 1.4.2 Der kritische Blick Rheinsteins auf das Rechtsinstitut Dower – später “In the nine jurisdictions in which the system of community property prevails, dissolution of the marriage through the death of one spouse results in the immediate acquisition by the surviving spouse of an undivided half-interest in the community property. This half-interest which belongs to the surviving spouse, 173 Marie Munk, Proposals for Urgent Changes in the Law of Domestic Relations toward Equal Rights for Women, X Proposals, without page reference, LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3540. 174 Ebd. 175 Ebd. 176 Ebd. 177 Marie Munk, Proposals for Urgent Changes in the Law of Domestic Relations toward Equal Rights for Women, XI Proposals, without page reference, LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3540.
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does not belong to the estate of the predeceasing spouse and is, therefore, not affected by the latter’s testamentary dispositions. Even if the predeceasing spouse has expressly and completely disinherited his marriage partner, he cannot deprive the latter of his or her share in the community fund, which ordinarily consists of those assets which have been acquired during the marriage through the exertions of either spouse.”178 […] “Strictly speaking the machinery of the community property system does not appear as a restraint on testamentary power. The desired effect of securing the surviving spouse an indefeasible share in the property acquired by the other is achieved through the operation of the marital property law. The devise is ineffective, of course, with respect to that property of each spouse which does not belong to the community fund, i. e., the so-called separate estates of the husband and of the wife.”179 Wollte man die testamentarische Verfügung im Falle des Vorhandenseins von Abkömmlingen auf ein Drittel des Vermögens, in allen übrigen Fällen auf die Hälfte des Vermögens beschränken, so ergaben sich dennoch weitere Nachteile. Es genügte die schlichte Veräußerung des Vermögens vor dem Todeseintritt: “[I]f the estate is zero, the legitime of the surviving spouse is zero, too.”180 Eine deutliche Umkehr in der Auffassung Rheinsteins, die auf eine gewachsene wissenschaftliche Beziehung zwischen Max Rheinstein und Marie Munk zurückgeht. 1.4.3 Das Vorhaben “The Model Code of Family Law” Auf der Grundlage seiner Studien hatte Senator Edward P. S altiel zu den unterschiedlichen Scheidungsgründen sowie zu den unterschiedlichen Voraussetzungen für eine Erlaubnis zur Eheschließung Material zusammengestellt. Es betraf insbesondere den Aspekt geistiger Erkrankungen. Das Material berücksichtigte auch die jugendliche Delinquenz. Marie Munk verlas ein Memorandum von Professor Bradway. Es enthielt für einen „Model Code of Family Law“ einige dezidierte Fragen, die ein zukünftiges Vorhaben inhaltlich ausgestalten sollten. Max Rheinstein beschrieb den Hintergrund des neuen Vorhabens und das American Law Institute erklärte sich bereit – eine finanzielle Unterstützung vorausgesetzt –, das Vorhaben aufzugreifen: “The Committee then adopted the following resolution: The National Conference expresses the conviction that a Model Code of the Law of Family Relations is highly desirable. It recommends that the President of the National Conference be authorized to continue the Committee on the Family and the Law, and it requests 178 Max Rheinstein, The Law of Decedents’ Estates. Intestacy, Wills, Probate and Administra tion, Text Case and other Materials, Indianapolis 1947, p. 62. 179 Ebd. 180 Ebd., p. 63.
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this Committee to apply further study to the problems of the Model Code and to take such steps as seem advisable to reach this end.”181 Aus den Nachlässen Marie Munks und aus dem Nachlass von Max Rheinstein konnte die Verfasserin dieser Arbeit nicht ermitteln, was aus den vorgenannten Bestrebungen geworden ist. 1.4.4 Wissenschaftliche Unterstützung zwischen Max Rheinstein und Marie Munk Es war nicht nur das letzte unveröffentlichte Manuskript Marie Munks mit dem Titel „Elements of Love and Marriage“182, für das ihr Rheinstein Mut zusprach. Rheinstein begleitete Marie Munks Buchprojekt „Elements of Love and Marriage“ bereits in einem frühen Stadium redaktionell wohlwollend.183 Auf dieses Manuskript wird im 7. Kapitel, Ziffer VII Nr. 8 eingegangen werden. Aus ihrer beruflichen Zeit als Marriage Counselor übersandte Marie Munk am 31. Januar 1957 Max Rheinstein Datenmaterial ihrer Klienten, ergänzt um Forschungsberichte über verwahrloste und straffällig gewordene Mädchen während ihrer Stellung als Hausmutter an der New York Training School for Girls.184 Rheinstein bereitete zu dieser Zeit bereits sein Buch über „Marriage Stability, Divorce and the Law“ vor: “The material which you collected in Toledo and in the State Training School seems to be extremely interesting and I am very grateful to you for your offer to let me use it.”185 Leider finden sich in der veröffentlichten rheinsteinschen Publikation keine direkten Hinweise auf Munks eigene Forschungsaufzeichnungen, sodass nur feststeht, dass Munks wissenschaftlich-berufliche Erfahrungen Max Rheinstein zu eigenen Forschungen und wissenschaftlichen Überlegungen angeregt haben können. Munk berichtete über die Zusammenarbeit mit Rheinstein: “I shall never be able to reciprocate the spiritual life and the valuable counsel which I received from him. He gave me freely of his valuable time by reading the manuscript in its 181 Marie Munk und Max Rheinstein, The Family and the Law, in: Reports of Conference Committees, in: Marriage and Family Living, Vol. 7, No. 1, Febr. 1945, p. 13 – 14, p. 14. 182 Vgl. hierzu im 7. Kapitel. 183 Schreiben von Max Rheinstein an Marie Munk, February 4, 1949, in: Max Rheinstein Papers, Special Collections Research Center, University of Chicago, Il., Box 36 Folder 4. In d iesem Schreiben teilte er Marie Munk mit, dass er den ersten Teil und den überwiegenden Teil des zweiten Teils gelesen habe, jedoch es für notwendig halte, dass der Uniform Marriage Evasion Act im Wortlaut abgedruckt wird und nicht nur in der Fußnote erwähnt wird. Obgleich Rheinstein in diesem Schreiben das Buch nicht explizit beim Titel nannte, lässt sich jedoch Rheinsteins Hinweis in dem erhalten gebliebenen Manuskript konkret nachvollziehen. 184 Schreiben von Marie Munk an Max Rheinstein, January 31, 1957, in: Max Rheinstein Papers, Special Collections Research Center, University of Chicago, Il., Box 36 Folder 4. 185 Schreiben von Max Rheinstein an Marie Munk, March 14, 1957, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9.
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various stages of development. His belief in its intrinsic value sustained me when its completion seemed to be beyond my reach, while his critical remark helped me to avoid serious misstatements.”186 Nicht nur Max Rheinstein begegnete Marie Munk in der National Conference on Family Relations (NCFR), sondern es gab noch weitere Beziehungen zu deutschen Emigranten in den USA 1.5 Die transnationale Beziehung zu Werner von Hentig und Hans von Hentig Hans von Hentig war ein Bruder von Werner Otto von Hentig (22. Mai 1886 – 8. August 1984). In Munks Nachlass fanden sich Briefe an Otto von Hentig, die den Angaben zu seinen Publikationen zufolge nur Werner Otto von Hentig zuzuordnen sind.187 Mit Otto stand Marie Munk bis zwei Jahre vor ihrem Tod im Briefkontakt.188 In einem letzten Brief an ihn, eineinhalb Jahre vor ihrem Tod, verdeutlichte sie, wie wertvoll ihr diese persönliche Beziehung war.189 Leider sind die Themen der Diskurse z wischen Munk und Werner Otto von Hentig nicht erhalten geblieben. Die Diskurse mit Hans von Hentig ergeben sich aus dem wissenschaftlichen Profil der National Conference on Family Relations.
2. Beziehungen nach Deutschland Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die deutschen Kontakte aus der Weimarer Zeit wiederbelebt oder unter anderen Vorzeichen neu aufgegriffen. Mit dem Wiedergutmachungsrecht und dem Ende des Nationalsozialismus entstanden persönliche Beziehungen zu Robert W. Kempner und Fritz Bauer. Für die Verfahren um die Restitution nationalsozialistischen Unrechts waren es Dr. Walter Schwarz und der Rechtsanwalt Gerhard Falk, die Marie Munk in eigener Sache, 186 Foreword, p. 2, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 1 – 7. 187 Schreiben von Marie Munk an Glucksmann vom 26. April (ohne Jahresangabe), als diese nach Heidelberg zog: “You may find in the library the books of my friend Otto von H. They are extremely interesting. The titles are: Heim durch Kurdistan, Ins verschlossene Land, and Mein Leben – Eine Dienstreise, Zeugnisse und Selbstzeugnisse.“ In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 13. 188 Schreiben von Marie Munk an Otto von Hentig vom 5. Mai 1966, 13. November 1972, 17. Juli 1973, 22. Oktober 1973, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 18. 189 “There are many problems which I would like to discuss with you orally, but that won’t be possible, unless you come over to visit.” In: Schreiben von Marie Munk vom 9. August 1976, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 18.
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aber auch anderen in Amerika lebenden Emigranten als Rechtsvertreter zur Seite standen. Aus der Zeit Marie Munks Promotion erhalten geblieben ist der persön liche Briefkontakt zu Karl Jaspers. Für ihre Einblicke in den deutschen Nachkriegsalltag und in persönliche Beziehungen aus der deutschen Frauenbewegung der Weimarer Zeit 190 opferte Munk gar ihre Ersparnisse 191, um Eugen Schiffer und Käthe Lindenau sowie die anderen altgewordenen Vertreterinnen der Frauenbewegung mit Lebensmittelpaketen aus den USA zu versorgen.192 Sie korrespondierte mit Gertrud Schubart-Fikentscher bis ins Jahr 1947193 hinein. Der Briefkontakt zu Eugen Schiffer (genannt: Erz 194) und Käthe Lindenau hielt bis in die 1950er-Jahre an.195 2.1 Gertrud Schubart-Fikentscher Gertrud Schubart-Fikentscher 196 wurde von Käthe Lindenau wie folgt beschrieben: „Sie ist wirklich ein gelehrtes Huhn, und dabei so riesig bescheiden und garnicht anspruchsvoll.“197 Schubart-Fikentscher war nach ihrer Habilitation im Jahr 1946 die einzige Dozentin 198 an der Universität Leipzig. Sie gab damals Vorlesungen im 190 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515, 3516 – 3518 und 3521 – 3523. 191 „Nonnchen, ich bin ja doch sehr entsetzt, dass Du für uns Deine Ersparnisse opferst. Das sollst Du doch aber nicht, das ist mir recht besorgniserregend. Willst Du nicht doch die Sendungen an uns einstellen oder nur dann s chicken, wenn Du von Freunden was bekommst?“ In: Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk vom 26. November 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. 192 Dies war nach Käthe Lindenau „so sehr schmerzlich“, weil Marie Munk sie „immer mit den herrlichsten Dingen überschütte[te]“ und die Empfänger „nicht mal zum Burt [gemeint ist der Geburtstag Munks] eine kleine Freude machen“ konnten. Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk vom 23. Mai 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519; nachfolgendes Dokument aus MF-Nr. 3520. 193 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3516. 194 Der Kosename „Erz“ für Eugen Schiffer wird durch einen Brief Schiffers bewiesen, den er mit dem Briefkopf „Dr. Schiffer Reichsminister a. D., Chef der Deutschen Justizverwaltung der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland“ an Marie Munk am 15. Oktober 1947 geschrieben und handschriftlich mit „Erz“ unterzeichnet hatte. LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. 195 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3518 – 3520. 196 Die sie immer mit „Meine liebe frau doktor Munk“ oder mit „Meine liebe frau Munk“ anschrieb und die ihre Orthographie stets in Kleinbuchstaben führte. In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3516. 197 Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk vom 26. November 1947, in: Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk vom 23. Mai 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. 198 Schreiben von Gertrud Schubart-Fikentscher an Marie Munk vom 7. Mai 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3516.
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Familienrecht, in der Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, ein Seminar zu Urkunden in der Rechtsgeschichte. Mit Gertrud Schubart-Fikentscher konnte Marie Munk auf gemeinsame Aktivitäten im Deutschen Juristinnenverein zurückblicken.199 Der Briefkontakt wurde möglich, weil Käthe Lindenau Marie Munk mit neuen Adressen versorgt hatte.200 Durch den Briefkontakt 201 erhoffte sich Marie Munk Einblick in die recht liche und wissenschaftliche Stellung der Frau und Informationen über die Frauen bewegung in Ostdeutschland.202 Jedoch konnten ihre Fragen zur Beschäftigung von Frauen in der Justiz in den Anfängen der damaligen DDR 203 nicht dezidiert von Gertrud Schubart-Fikentscher beantwortet, geschweige denn durch Unterlagen und Material unterstützt werden.204 Die alltäglichen Mühen, Lebensmittel, Heizmaterial und andere Dinge des täglichen Bedarfs sowie einen ordnungsgemäßen Vorlesungsbetrieb und die Literaturversorgung an der neu gegründeten gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät zu organisieren, hinderten Gertrud Schubart-Fikentscher.205 2.1.1 Die Situation der Wissenschaftler an den deutschen Universitäten Die Situation der Wissenschaftler an den Universitäten in der Nachkriegszeit, sowohl im Westen wie im Osten Deutschlands, charakterisieren die folgenden Zeilen Schubart-Fikentschers an Munk vom 8. September 1947: „wir haben zwar nichts weiter, als unser bisschen „geist“, der nicht sehr hohen kurswert hat, immerhin 199 „Ach, was waren das doch für schöne zeiten, als wir uns im juristinnenverein um reformvorschläge den Kopf zerbrachen!“ In: Schreiben von Gertrud Schubart-Fikentscher vom 7. Mai 1947 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3516. 200 Schreiben von Käthe Lindenau vom 14. Juli 1946, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3518. Dieses Schreiben ist bei der Verfilmung irrtümlicherweise dem Schriftverkehr zwischen Anni Ackermann und Marie Munk zugeordnet worden, obwohl bereits die Anrede in dem Brief erhellt, dass es sich um ein Schreiben von Käthe Lindenau handeln muss. Käthe Lindenau verwendete die Anrede „Liebstes Nonnchen“ und Anni Ackermann verwendete stets die Anrede „Liebstes Doktorle“ im Schriftverkehr mit Marie Munk. In d iesem genannten Schreiben beginnt die Anrede mit „Liebstes Nonnchen“. 201 Der von Munk aus stets durch die Anrede „Liebe Frau Doktor“ geführt wurde. In: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3516. 202 Schreiben von Getrud Schubart-Fikentscher vom 7. Mai 1947 an Marie Munk sowie Schreiben von Marie Munk an Schubart-Fikentscher vom 25. November 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3516. 203 Schreiben von Marie Munk an Gertrud Schubart-Fikentscher vom 16. August 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3516. 204 Schreiben vom Gertrud Schubart-Fikentscher vom 19. Dezember 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3516. 205 Ebd.
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jetzt auch unsere materielle grundlage abgibt und insofern für uns richtig ist – ganz abgesehen davon, dass er einem eben doch einen mittelpunkt des daseins bietet, wie man ihn heute dringender denn je braucht.“206 Marie Munk schickte erhalten gebliebene Bücher nach Leipzig.207 Im G egenzug erhielt Munk die Werke von Wolfgang Schubart, Gertruds Mann.208 Schließlich erhoffte sich Gertrud Schubart-Fikentscher von Marie Munk auch Anschauungsmaterial für ihre Vorlesungen zu Urkunden in der Rechtsgeschichte.209 Diese unerträgliche Situation, auf wohltätige Gaben in der wissenschaftlichen Arbeit angewiesen zu sein, änderte sich im Westen langsam. Im Osten Deutschlands jedoch nur unter einer wissenschaftlichen Zensur. Bereits in den 1950er-Jahren sah Gertrud Schubart-Fikentscher die staatliche Mangelwirtschaft als möglichen Grund für eine Wiedervereinigung voraus.210 Eminent sichtbar waren die Folgen des Krieges für das Geschlechterverhältnis. 2.1.2 Das Recht für die Frau aus Sicht von Gertrud Schubart-Fikentscher Das Recht der Frau wurde zum Hauptthema in einem Schreiben von Gertrud Schubart Fikentscher, als sie sich an die gemeinsame Zusammenarbeit mit Marie Munk im deutschen Juristinnenverein 211 erinnerte: „Theoretisch sind wir ja etwas voran gekommen, in wirklichkeit stehen die frauen noch vor denselben fragen. Frauen in der justiz gibt es, aber noch wenige; rechtsanwältinnen gibt es ebenfalls, aber auch nicht viel; denn es sind recht viele an die luft gesetzt worden.“212 In ihren 206 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3516. Hervorhebung nicht im Original. 207 „Ihre Bücher, Ihering usw. würde ich noch nicht gleich verkaufen, die würden hier vermutlich gut bezahlt werden und könnten Ihnen hier, falls Sie wirklich einmal herkämen, wahrschein lich etwas nützen.“ Schreiben Schubart-Fikentscher vom 8. September 1947 an Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3516. 208 Schreiben von Marie Munk an Schubart-Fikentscher vom 25. November 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3516. 209 Sie bat Munk: „aber wenn sie mal die sache selbst in die hand bekommen, – natürlich nur im normalen druck; handschriften, selbst fotos habe ich bislang noch nicht vorlegen können – so prägt sich dann auch der stoff drin ganz anders ein.“ Schreiben von Gertrud Schubart- Fikentscher vom 6. August 1947 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 23512 NL Marie Munk, MF-Nr. 3516. 2 10 „Frau Schubart-F. hat mir ja schon im November gesagt, die einzige Rettung, d. h. für die Wiedervereinigung, wäre der unvermeidliche wirtschaftliche Zusammenbruch, aber was bedeutet das für die Bevölkerung!“, in: Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk vom 26. März 1955, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. 211 „Ach, was waren das doch für schöne zeiten, als wir uns im juristinnenverein um reformvorschläge den Kopf zerbrachen!“ In: Schreiben von Gertrud Schubart-Fikentscher vom 7. Mai 1947 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3516. 212 Schreiben von Gertrud Schubart-Fikentscher vom 7. Mai 1947 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3516.
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Vorlesungen kam Gertrud Schubart-Fikentscher im Familienrecht „immer auf die grundfragen zurück, selbst wenn ich keine Zeit habe, sie vor den studenten ausein ander zu setzen. Aber ich selbst muss mir über diese dinge doch im klaren sein. Und in den rechtsgeschichtlichen stunden kommt man ja auch immer auf s olche fragen. Im augenblick denke ich daran, mich etwas eingehender mit dem mutterrecht zu befassen, was ja von zeit zu zeit immer mal wieder auftaucht und mit den verschiedensten vorzeichen versehen wird. Meist in einer weise, die der sache nicht dient und nicht zur klärung beiträgt. Ich weiss nicht, ob sie damals dabei waren, als im juristinnenverein die rede davon war und ich kurz einleitend dazu sprach. Das muss 33 gewesen sein, da gab es einige übergeschnappte frauensleute, die vor lauter mutterrecht nichts anderes sahen, aber nicht recht wussten, was sie eigentlich darunter zu verstehen hatten. Bachofen mit seinem grossen werk ist ja bewundernswert, mit welchem scharfsinn und kenntnissen er einen riesenstoff zusammen getragen hat – aber schliesslich ist man seit 1861 etwas weiter gediehen und die hälfte dessen, was er schreibt, ist, vorsichtig ausgedrückt, mehr als schief und das andere nicht gerade zutreffend. Das ist keine neue erkenntnis und auch nicht meine eigene, aber ich werde mich doch etwas mit den dingen auseinandersetzen müssen, es lohnt sich schon. Denn zwischendurch hat man s olche fragen auch in der rechtsgeschichtlichen forschung behandelt. Es gibt eben doch eine reihe von erscheinungen im ehe-und im familienrecht, die von dem, was wir patriarchat nennen, sehr verschieden sind. Wobei die leute unter mutterrecht einfach alles verstehen was irgendwie mit „frau“ zusammen hängt! Bachofen tut das ja auch, er wirft lustig alles durcheinander, ohne zu sondern. Der titel ist insofern irreführend, denn er bringt eben nur die irgendwie bemerkenswerte stellung der frau in allen möglichen – und unmöglichen erscheinungen zur darstellung. Es stört ihn gar nicht, völlig unzusammenhängende dinge in beziehung zu setzen, weils in sein system, seine theorie passt und es stört ihn ebenso wenig, trotz aller rührender anbetung der frau zu sagen, das hernach folgende vaterrecht (eine stufenentwicklung, die jedes volk durchmachen müsse) sei als die höhere kultur, das eigentliche geistige wesen der menschheit anzusprechen!“213 Diese Haltung vermutet der Leser bei Eugen Schiffer gerade nicht. Eugen Schiffer, der als Entwurfsverfasser des Gesetzes über die Heranziehung von Frauen zum Schöffen- und Geschworenenamt des Jahres 1921 gilt 214, hatte eine ambivalente Haltung gegenüber Frauen im Beruf. Er gab diese Haltung erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf.215 213 Schreiben von Gertrud Schubart-Fikentscher vom 19. Dezember 1947 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3516. 214 Oda Cordes, Die Frau als Organ der Rechtspflege?, in: Stephan Arne Meder, Duncker und Andrea Czelk (Hg.), Frauenrecht und Rechtsgeschichte, S. 294. 215 Käthe Lindenau schrieb an Marie Munk am 14. Juli 1946: „Ueberhaupt wuerdest Du Dich wundern, wie er sein Urteil ueber die Frauenarbeit gemildert hat. Er hat da noch eine frühere
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2.2 Eugen Schiffer Eugen Schiffer traf sich schon lange gern mit der Frauenbewegung gelegentlich zum Tee.216 Nach dem Zweiten Weltkrieg wohnte er in der Mommsenstraße. Sein Haushalt bestand nur noch aus ihm und einer „Haushälterin“ – seiner Tochter Mieze.217 Eugen Schiffer war allseits beliebt,218 weil er außerordentlich unterhaltsame kommunikative Fähigkeiten besaß, die auch in den Briefen an Marie Munk ihren Ausdruck fanden.219 Er arbeitete nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Leiter der Justizverwaltung für die sowjetisch besetzte Zone bis weit über das 80. Lebensjahr hinaus. Munk gegenüber brachte er zum Ausdruck, dass er sich „gern mit Literatur und Kunst, überhaupt allem, was schön ist“ befasst hätte,220 wofür ihm
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Staatsanwältin, Frau Benjamin, die auch sehr ausgezeichnet sein soll.“ In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3518. „[U]m bei Beths einzukehren und mir zusammen mit Marianne (gemeint ist Marianne Beth) eine Karte zu schreiben, die ich bei dem Tee vorlas, an dem Frau v. Zahn leider nicht teilnehmen konnte, während Huldinnen wie die Schubart-Fikentscher, die Bahr, die KL, die Blerka, die Nina, die Scholtz-Forli (neuer Stern), die mir Tschitscheriblumen vom Tafelberg aus Afrika brachte, Sophie, Schwester Ihriges usw. anwesend waren.“ In: Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 11. Dezember 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 7 Folder 17. Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk vom 24. September 1946, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. „Die Fakultät hatte die hübsche Idee, mich zu einer akademischen Feier einzuladen, die durch eine Ehrenvorlesung von mir verunstaltet werden sollte. Es war ein malerisches Bild. Prorektor und Fakultät empfingen mich in den roten Gewändern und die Barette auf dem Haupt. Im feierlichen Zug, der Papst mit seinen Kardinälen, schritt ich durch die Studentenschaft und wurde auf das Katheder geleitet. Von akademischem Trampeln begrüsst, hielt ich einen speech, wie er in diesen Räumen wohl noch nicht gehört war. Ich hatte mir bereits seit einigen Wochen Temperament aufgespart und liess es nun los, und die Leute quietschten und trampelten, und kein Auge blieb tränenleer, denn mein sonniger Humor wechselte mit tiefgründiger Wissenschaft und rollendem Pathos. Als ich den ollen Goethe korrigierend, mit dem Jubelruf schloss „Wohl Dir dass Du ein Enkel bist“, da fehlte nicht viel, und sie hätten Heil Dir im Siegerkranz gesungen.“ In: Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 23. Juli 1946, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. Kursive Hervorhebungen nicht im Original. „Und wenn vor Heiserkeit Sie manchmal flüstern, so bietet sich sofort ein Druckknopf dar. Wie gerne möchte ich den Druckknopf drücken, noch lieber drückt ich Sie ans Männerherz, obgleich dies Herz schon längst nicht mehr das alte, umgeben ist es von dreifach Erz (triplex aes circa pectus).“ Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 13. November 1951, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. „[…] also in erster Reihe mit Dir, aber Raum und Zeit spotten meiner Lüste. An Raum ist zu viel und an Zeit zu wenig da. Im Raum fehlst Du mir, und die Zeit fehlt mir. Die Zeit ist für mich Mangelware, und ich habe auch nicht einmal einen Bezugsschein. Ich komme zu nichts als gehetzter Arbeit. Interessant abwechslungsreich, spannend, manchmal erregend, voll Verantwortung, aber auch zermürbend und aussaugend. Wie ich es aushalte, weiss ich selbst nicht, wahrscheinlich nur durch latenten Stumpfsinn, der sich aber anscheinend gut tarnt, denn die
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seine neue Berufung keinen Raum ließ. In seinem ältesten erhalten gebliebenen Brief an Marie Munk, bezeichnete Schiffer sie als „Liebe Chauvinistin“221. Ob sich Eugen Schiffers Haltung zu den Frauen durch Marie Munk wandelte?222 Schiffers Bewunderung für Marie Munk wurde auch von einer Mitarbeiterin eines seiner in der sowjetisch besetzten Verwaltungszone gegründeten Frauenreferate, Anni (Irmela) Ackermann, geteilt. Anni Ackermann, ebenfalls eine Bewunderin Munks, erinnerte Eugen Schiffer stets mit Blumen an Marie Munk.223 In den Briefen Schiffers an Marie Munk wurde sichtbar, dass Eugen Schiffer womöglich mehr als nur fachliche Bewunderung hegte. Insbesondere dann, wenn er die Orte vergangener Zweisamkeit 224 erneut aufsuchte.225 Betagt
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Leute kommen immer noch scharenweise zu mir, teils um festzustellen, dass ich noch lebe, teils um einen Schluck aus dem Born meiner Weisheit zu tun.“ In: Schreiben von Eugen Schiffer vom 23. Mai 1947 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 11. Dezember 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 7 Folder 17. „Er hängt sehr an Dir und wir pflegen oft die Erinnerung an manches schöne Beisammensein, ganz abgesehen von den Reisen“, schrieb Käthe Lindenau am 23. Mai 1947 an Marie Munk. In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. Schiffer berichtete: Sie „leckt mir die Hand und lispelt: Im Namen von Marie Munk. So lebst Du im Andenken der Menschen fort.“ In: Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 23. Juli 1946, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. „Immer aber schwebte vor mir ein Angesicht so lieb und schön, das Deinige. Von Dir als meinem Schutzengel geleitet, stolperte ich über alle vorhandenen Stufen und Schwellen, ohne mir ein Glied oder das Herz zu brechen, denn letzteres hast Du schon getan, weil Du Dich von mir absentiertest, weil doch gerade die Stadt der Halloren und Halunken bewiesen haben muss, wie nahe Du meinem Herzen standest, wie alle meine Untertanen ohne Unterschied des Glaubens, der Abkunft oder der Rasse. Weißt Du noch, oh tapfrer Nagienka, wie Du neben mir sassest und plötzlich ein Name aufgerufen wurde, und Du mich anstiessest und mir zuflüstertest: das bist Du ja!? Und ich ungläubig aufstand, und der Fleischmann nickte mir zu, und ich ging vor und erhielt die Rolle, die ich dann sehr gut spielte. Abends waren wir dann beim Dekan Bilfinger, der später dann sich stark in den Schatten des Führers begeben hat. Wir aber genossen meine neue Würde, und ich gab Dir h. c., zu Deutsch: in allen Ehren, einen brüderlich-schwesterlichen Kuss und kam dabei Deinem Druckknopf zu nahe, und Du markiertest ein schämiges Erröten, sodass Du einem Gletscher mit Alpenglühen ähnlich sahst. Wie singt der Tauberich? ‚O Mädchen, mein Mädchen‘, – mehr sag ich nicht! Damals aber sprach ich zu mir in meinem lieben Gemüt: O Herr, lass mich in Frieden fahren, denn meine Augen haben sie gesehen! Das war damals. Heut nämlich ist mit meinen Augen nicht viel los.“ In: Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 23. Juli 1946, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. Ebenso „war es auch dort, da Du mich zwangst, Du olle Cierce, bei Nacht und Nebel über einen Drahtzaun zu klettern, um Dich als Rautendelein im Mondschein umherzurudern. Schau mich an Du Herzensdieb, weiss nicht, was mich nach Deinem Willen trieb. Ich hatte schon so viel für Dich getan, dass mir zu tun fast nichts mehr übrig blieb. Mir bleibt überhaupt nicht vielmehr übrig als die Erinnerung.“ In: Schreiben von Eugen Schiffer vom 23. Mai 1947 an Marie Munk, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520.
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richtete Eugen Schiffer als Leiter der Deutschen Justizverwaltung in der sowje tisch besetzten Zone seinen scharfen juristischen Blick auf eine Erneuerung des Rechts. 2.2.1 Schiffers Projekt zur Erneuerung des Rechts in der sowjetisch besetzten Zone Eugen Schiffer ging es in seiner Tätigkeit darum, „den Bau eines deutschen Rechts aufzuführen, umso grösser, als es sich nicht bloss darum handelt, die Spuren der nationalsozialistischen Greuel in personeller und sachlicher Beziehung auszutilgen, sondern darüber hinaus die deutsche Justiz in eine Form zu bringen, die den völlig gewandelten Anschauungen von RECHT UND SITTLICHKEIT, FREIHEIT UND MENSCHWÜRDE, VOLK UND STAAT entspricht. Nicht bloss einen Rechtsstaat, sondern einen demokratischen Rechtsstaat müssen wir aufbauen, nicht im Parteisinne, sondern in jenem stolzen Geiste, der dem Menschen die volle Verantwortung für sein Tun auferlegt, ob es nun das eigene Schicksal oder das seines Volkes betrifft. Dazu bedarf es vieler gesetzmässiger und verwaltungsmässiger Massnahmen, aber noch viel mehr einer Umbildung des Geistes. Immer mehr erkennen, wie wenig die Paragraphen gegenüber den Erscheinungen des Lebens und den Offenbarungen des Seelischen bedeuten, und wie schlecht es um einen Positivismus bestellt ist, der unsere ganze Rechtsvergangenheit überschattete. Indem wir uns hier von Kant trennen, der im übrigen nach wie vor der Fackelträger unseres geistigen Lebens ist, und zurückkehren zum Naturrecht und dem der katholischen Kirche, übernehmen wir die Aufgabe, die naturmässige Vergangenheit von Volk und Recht mit den technischen Neugestaltungen und Fortschritten unserer Zeit zu vermählen und eine vollkommen neue Rechtsepoche zu beginnen. Episode oder Epoche? – Das ist die Frage, die diesen ganzen Zeitraum durchdringt und um jeden Preis gelöst werden muss. Sie zwingt uns, über uns selbst hinauszuwachsen, grösser zu werden als wir waren, als Einzelne wie im ganzen, heroisch zu denken und zu fühlen.“226 Seine skizzenhaften Überlegungen in seinen Briefen an Marie Munk fanden sich in seiner Publikation „Die deutsche Justiz: Grundzüge einer durchgreifenden Reform“ (München 1949) in vollendeter Form wieder. Marie Munk erhielt das erste Heft „Neue Justiz“227 und seinen neuesten Aufsatz zu den Volksrichtern.228 226 Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 24. Januar 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. 227 Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk vom 23. Mai 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. 228 „[…] und so brauchten wir auch für unsere Justiz wegen des Richtermangels und ihrer mangelhaften Richter eine Hilfe. Wir fanden sie in den Volksrichtern. Dass Ihnen mein Aufsatz über selbige einigermassen gefallen hat, gereicht mir zum Schmeer. […] Aber meine eigene Stellungnahme zu dieser Frage ist ja nur ein Glied in der Kette meiner
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Die Bewunderung Eugen Schiffers für Marie Munk aus dem gemeinsamen Wirken in Weimarer Zeit war so stark, dass er ihr seine politischen Lebenserinnerungen anvertraute. Hierauf soll sachlogisch an dieser Stelle eingegangen werden. 2.2.2 Das gemeinsame Projekt „Ein Leben für den Liberalismus“ Das Buch „Ein Leben für den Liberalismus“ basierte auf den Memoiren Eugen Schiffers. Als Schiffer an diesem „sibyllinischen Buch“ arbeitete, „wäre Gelegenheit gegeben, den Inhalt mit Dir zu besprechen“229, schrieb er an Munk. Es wurde die gemeinsame Idee geboren, die Memoiren Eugen Schiffers auch in den Vereinigten Staaten zu veröffentlichen. Marie Munk holte eine Beurteilung von Leo Gross, Professor of Government, und von Fletscher, beide School of Diplomacy am Tufts College, Cambridge (Mass.), über das Buch ein, um beurteilen zu können, ob es die amerikanische Öffentlichkeit interessieren könnte.230 Es waren aber gerade die Abschnitte über die Gerichtsbarkeit, denen Schiffer sein besonderes Augenmerk gewidmet hatte, die aber nicht das Interesse der Amerikaner weckten.231 Der Grund erschließt sich, betrachtet man den Entwurf Munks zu einer Rezension Schiffers: “Liberalism, he says, must have the vision to understand the driving forces and to lead the way. Its basis is law and order. Life, liberty, honor, property, and all other essential human rights must be guaranteed by law and enforced by independent judges.”232 Liberalismus, Eigentum, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und die unabhängige Gerichtsbarkeit, die all dies garantieren sollte, waren für den Amerikaner selbstverständlich. Mr. Beldon (Harvard University Press) konnte für eine Veröffentlichung von Schiffers Buch keine Versprechungen machen. Er war nicht sicher, ob es als nichtwissenschaftliche Veröffentlichung Wissenschaftler als Leserkreis des Verlages erreichen würde. Darüber hinaus benötigte Schiffers Buch vor einer Veröffentlichung noch ein Lektorat und es kamen weitere Produktionskosten hinzu, die auf 200 Dollar und mehr geschätzt wurden.233 Marie Munk sagte einige Zeit später Beldon mit den Gedanken über die notwendige Umformung unserer Justiz überhaupt.“ In: Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 23. Mai 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. 229 Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 23. Mai 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. 230 Comments of Prof. Leo Gross, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3555. 231 Comments of Prof. Leo Gross, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3555. 232 Entwurf einer Rezension Marie Munks zu Schiffers Memoiren, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3554. 233 Notiz Marie Munks über ein Interview mit Mr. Lawrence Beldon am 23. Januar 1952, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3555.
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Gründen ab, es habe ein kommerzieller Verleger in New York Interesse an dem Buch gezeigt.234 Gleichwohl ließ sie sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen: “I believe that this book will have to stand on its own feet.”235 Parallel bereitete sie Rezensionen über Schiffers Buch vor. Sie griff darin sowohl die Furcht der Amerikaner vor einer neuen Diktatur in Deutschland als auch die Furcht der Deutschen vor einem „kalten“, aber schnell neu zu entfachenden Krieg auf.236 Jedoch, von ihren drei Rezensionsentwürfen 237, die sich über ca. sechs Seiten erstreckten, wurde keiner gedruckt.238 Eine von dem Journalisten Lemmer veröffent lichte Rezension in der Zeitschrift „Der Kurier“ vom 17. Dezember 1951, umfasste gerade einmal eine halbe Seite.239 Schließlich stellten sich noch Diskrepanzen zwischen Munk und Schiffer ein. Marie Munk hatte nicht nur Teile seines Buches übersetzt 240, sondern ihm sogar „Suggestions for a Revised Table of Contents“ gemacht 241 und Schiffers Memoiren an weiteren Stellen redigiert. Eugen Schiffer dankte daraufhin „für die Mühe“242 um sein Buch: „Ich spreche ihn gepressten Herzens aus, weil ich die Empfindung habe, dass Sie sich viel zu viel Mühe geben, dass die Erfolgsaussichten ziemlich gering sind, u. dass Sie Ihre Aufgabe zu weit auffassen u. sich dadurch unnötig das Leben schwer machen. Diese Aufgabe besteht nicht darin, mein Buch zu verbessern u. zu verschönern. Sie sind kein kosmetisches Institut. Ich habe gar keinen Zweifel daran, dass das Buch sehr vielfach der Verbesserung u. Verschönerung fähig u. sogar bedürftig ist. Aber jetzt muss es bleiben, wie es ist, mit seinen Vorzügen, aber auch mit seinen Mängeln, in seiner Eigenart – mein Buch. Deshalb fallen auch die von Ihnen gewünschten Umstellungen weg, denn Ihre Aufgabe hat 234 Ebd. 235 Ebd. 236 Entwurf einer Rezension Marie Munks zu Schiffers Memoiren, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3554 und 3555. 237 Drei Rezensionsentwürfe, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3554 – 3555. 238 Ein Rezensionsentwurf zu Peter Anthony Bertoccis Buch The Human Venture in Books, Loves and Marriage, Association Press, N. Y. 1949 umfasste gar 12 Seiten. In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 239 Anmerkung Munks auf einem Rezensionsentwurf, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3554 und 3555. Die publizierte Rezension Lemmers ist enthalten, in: MF-Nr. 3557. 240 Auszüge aus der Übersetzungsarbeit sind erhalten geblieben sowie eine Liste von Namen und Ereignissen, die nach Auffassung von Munk für die Amerikaner einer Erläuterung bedürfen, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3553 – 3554, 3555. 241 Auszüge aus der Übersetzungsarbeit sind erhalten geblieben, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3553. 242 Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 1. März 1952, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520.
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sich lediglich darauf zu richten, dasjenige zu ändern, zu streichen oder hinzuzusetzen, was durch den Unterschied zwischen Deutschen u. Amerikanern hierfür in Betracht kommt.“243 Schiffer kritisierte auch die Art und Weise, wie Marie Munk seine Memoiren amerikanischen Verlegern angeboten hatte.244 Schließlich stellte Munk im Jahr 1952 die Arbeiten für eine Übersetzung ein.245 Zu diesem Zeitpunkt waren die unterschiedlichen Auffassungen beider über eine amerikanische Ausgabe von Schiffers Memoiren unüberwindbar geworden. Schiffer war „auf Anschaulichkeit aus“246. Das Buch sollte „kein Geschichtswerk“ sein, „das jede Ecke ausfegt u. in jeden Winkel hineinleuchtet.“ Die Publikation sollte einen „Scheinwerfer über eine Periode der von einem Mitlebenden u. Mitwirkenden dirigiert wird“247 schaffen. Das Buch sei „nicht zur Stärkung des Gedächtnisses für historische Daten, nicht für Volksschüler, sondern für denkende u. nicht ganz ungebildete Menschen bestimmt u. geschrieben“.248 Deshalb sei es nur „in diesem Sinne für die Jugend bedeutsam, die dadurch überhaupt erst Einblick in u. Verständnis für die Vergangenheit gewinnt“249; und wie selbstverständlich fügte er hinzu: Gleiches müsse „auch für die Ausländer gelten“250. Sein Buch sollte damit mehr „geschichtlicher und geschichtsphilosophischer als politisch-kultureller Art“ sein. Schließlich werde es auch so in Deutschland beurteilt.251 Obgleich dieser Differenzen blieb die fachliche und persönliche Verbundenheit beider erhalten. Marie Munk sammelte fast jede Veröffentlichung Eugen Schiffers. Nicht nur, um über die Entwicklung in Deutschland informiert zu sein.252 Das war jedoch nicht leicht kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Für Informationen über verschollen geglaubte Anhängerinnen der Frauenbewegung aus der Weimarer Zeit bedurfte es der Geduld und eines guten Gespürs. Diese Eigenschaften vereinte Käthe Lindenau. 243 Ebd., Hervorhebung nicht im Oiginal. 244 Kritik Eugen Schiffers in einem Schreiben an Marie Munk vom 13. November 1951, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. 245 „Der Verleger findet sich mit Bedauern damit ab, dass Sie Ihre Tätigkeit für ihn und mich einstellen.“ In: Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 17. April 1952, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. 246 Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 1. März 1952, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. 247 Ebd. 248 Ebd. 249 Ebd. 250 Ebd. 251 Eugen Schiffer in einem Schreiben an Marie Munk vom 13. November 1951, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. 252 Sammlung Schiffers Aufsätze, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3555 – 3557.
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2.3 Käthe Lindenau: „Die Getreue“253 der deutschen Frauenbewegung Käthe Lindenau wurde in der Korrespondenz unter den Mitgliedern der Weimarer Frauenbewegung liebevoll als „KL“ bezeichnet.254 Weder in einer der Ausgaben des Handbuchs der Frauenbewegung, geschweige denn in einem Lexikon der damaligen Zeit wurde sie erwähnt. Im Nachlass Marie Munks findet sich eine Lebensschilderung, die Käthe Lindenau (ohne Datum) mit den Worten beginnt: „[D]er Krieg ist ein großer Lehrmeister“.255 Ihre biografischen Lebensangaben kann der Leser aus dem Kompendium der persönlichen Begegnungen Marie Munks in diesem Buch ersehen. Käthe Lindenau war Bewunderin Munks.256 Munk versuchte, diese Bewunderung im Lichte Lindenaus Arbeit für die Frauenbewegung zu relativieren.257 Sie bezeichnete Käthe Lindenau „in der Frauenbewegung als fester Fels, Institution“258. Sie war auch wichtigste Informationsquelle über den weiteren Lebensweg aller mit der Frauenbewegung Verbündeten nach dem Zweiten Weltkrieg.259 Nur deshalb konnte der Kontakt zwischen Marie Munk, Eugen Schiffer und Gertrud Schubart- Fikentscher nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder aufleben. Käthe Lindenau hielt sich durch ihre „rein mechanische Tätigkeit“ (Schreibarbeit) für „sehr verblödet“. Sie war jedoch eine gute Beobachterin: Über die Haltung der Deutschen zu ihrer Schuld in ihrer Not während des deutschen Wiederaufbaus teilte sie Marie Munk mit: „Ja, was Du schreibst, dass die Deutschen die Schuld nur auf andere schieben, mag zum grössten Teil zutreffen. Aber ich muss sagen, dass das direkt nach dem Zusammenbruch nicht so war. Dasselbe meinte gestern Fr. v. Z.260 und der 253 Schreiben von Gertrud Schubart-Fikentscher an Marie Munk vom 7. Mai 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3516. 254 In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3516 – 3518, 3520 – 3523 sowie in Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 – 7. 255 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College Northampton, Mass., Box 11 Folder 10. 256 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College Northampton, Mass., Box 11 Folder 10. 257 „Du hast mich liebevoll in Deinen Erinnerungen erwähnt, obwohl ich eigentlich nicht hineingehöre. Sie sind besonders nett und eindrucksvoll geschrieben und geben ein Bild Deiner Persoenlichkeit. – Bescheidenheit, Tuechtigkeit, Humor, Begabung auf verschiedenen Gebieten, musisch, wie Du von Emmi Wolf schreibst. Dadurch hast Du viele Herzen gewonnen.“ Schreiben von Marie Munk an Käthe Lindenau vom 13. März 1972, in:. Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 10. 258 Schreiben von Marie Munk an Käthe Lindenau vom 13. März 1972, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 10. 259 Statt der unzähligen Beispiele über die bis in das äußerst Private gehenden Informationen: „Kofka ist Bundesrichterin geworden, sie ist tüchtig.“ Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk vom 1. Januar 1952, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. 260 Frau von Zahn-Harnack ist damit gemeint.
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Erz auch. Wir waren 1945 mit wenigen Ausnahmen absolut von unserer Gesamtschuld überzeugt, aber im Laufe der Zeit hat sich bei vielen diese Überzeugung etwas verwaschen. Sie möchten nun mal nichts mehr davon hören, einen dicken Strich machen und auf neuer Grundlage anfangen. Es ermüdet und lähmt die Aufbaufreudigkeit immer nur vom Bewusstsein der Schuld zu leben, die Menschen sehnen sich nach Vertrauen das ihnen entgegen gebracht wird – aber ob sie es jetzt noch verdienen, ist allerdings fraglich. Die Not macht uns schlecht, fürchte ich.“261 Es hatte in der deutschen Nachkriegszeit „die nackte, leibliche Not die Anfechtungen des Gewissens entkräftet.“262 Bis zum Tode Eugen Schiffers war Käthe Lindenau ihm, seiner Familie und den mittlerweile alt gewordenen Veteraninnen der Frauenbewegung eine stets zuverlässige Hilfe. Im Interesse der umfangreichen Korrespondenz 263, die aufrechterhalten werden musste.264 Schiffer nahm Käthe Lindenaus Arbeitskraft selbstverständlich in Anspruch. Nicht nur, wenn er erkrankt war 265, sondern auch für seine Verwaltungstätigkeit und den persönlichen Briefverkehr. Ohne Käthe Lindenau, so Marie Munk, hätte Eugen Schiffer (genannt: Erz) „nicht halb so viel“ erledigen und „nicht so viele Artikel und Buecher schreiben“ können, „neben sonstiger Taetigkeit“266. Käthe Lindenau begleitete Schiffer auch auf Reisen.267 Aus ihrer jahrelangen Hilfsbereitschaft für die Frauen bewegung und die Familie Schiffer hatte K. L. keine nennenswerten Anwartschaften auf eine Altersversorgung erreicht. Der Vorstand der Altershilfe suchte für sie 268 in 261 Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk vom 5.September 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. Hervorhebung nicht im Original. 262 Stephan Hermlin, Karl Jaspers „Die Schuldfrage“, in: Stephan Hermlin und Hans Mayer, Ansichten. Über einige neue Schriftsteller und Bücher, Wiesbaden 1947, S. 130. 263 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3518 – 3520; Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 6 Folder 25. 264 Marie Munk schrieb ihr am 13.März 1972: „Eigentlich brennt mir wichtige Post, die ich erledigen musste, auf den Naegeln. Aber mir fehlt auch eine Schreibhilfe – da Du mir ja nicht zur Verfuegung stehst.“ In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 10. 265 Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk vom 24. September 1946, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. 266 Schreiben von Marie Munk an Käthe Lindenau vom 13. März 1972, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 10. 267 Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk vom 24. September 1946, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. 268 Schreiben unbekannter Verfasserin ohne Datum an Frau Mleinek nebst Durchschrift an Marie Munk und Frau Glucksmann mit der Bitte, zu der Überlegung beizutragen, welche Möglichkeiten es gäbe, eine Summe in Höhe von 5000 DM in einer Stiftung oder anders für Käthe Lindenau anzulegen, damit sie von den Zinsen ein zusätzliches Einkommen zu ihrer niedrigen Altersrente erhält. In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 21.
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s päteren Jahren, aber auch für andere „alte Frauen“269, nach dauerhaftem wirtschaft lichem Salär. Marie Munk spendete 270 und schickte Käthe Lindenau schließlich regelmäßig eine finanzielle Unterstützung.271 Es ist nicht auszuschließen, dass der im 7. Kapitel der vorliegenden Arbeit ausgewertete Aufsatz Marie Munks über die Entwicklung der deutschen Frauen bewegung im Christian Science Monitor mit dem Titel „Earnest Efforts of German Women Directed to Solving Problems of Nation and World“ vom 27. Mai 1948272 auf übersandtem Material von Käthe Lindenau beruhte. Der Einfluss Marie Munks auch auf die Neugründung der deutschen Frauenbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg ist belegt. Munk half, Satzungsentwürfe für den demokratischen Frauenbund in der sowje tischen Zone zu erstellen.273 Dem ging eine Information Käthe Lindenaus über das Werden und Wirken der Frauenbewegung in der englischen Zone 274 und in der sowjetischen Zone 275 nach dem Zweiten Weltkrieg voraus. In späteren Briefen 269 Schreiben der Nachfolgerin von Elisabeth von Zahn-Harnack im Vorstand der Altershilfe, Friedel Abshagen, an Marie Munk vom 23. Februar 1975, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 5 Folder 10. 270 700 DM für die Altershilfe, in: Schreiben der Nachfolgerin von Elisabeth von Zahn-Harnack im Vorstand der Altershilfe, Friedel Abshagen, an Marie Munk vom 23. Februar 1975, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 5 Folder 10. 271 Angesichts einer Mieterhöhung schrieb Käthe Lindenau an Marie Munk am 25. November 1969: „Aber mit Deinem Zuschuß kann ich ihm eine lange Nase drehen, zumal Du schreibst, daß Du ihn mir jeden Monat schicken willst, was ich noch nicht richtig begriffen hatte, sondern mich bloß wunderte, daß dauernd Schecks von Dir auftauchten. Du glaubst nicht, wie elegant ich das Papierchen immer auf den Tisch schleudere und nur sage: auf mein Konto bitte.“ In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, N orthampton, Mass., Box 6 Folder 25. 272 Marie Munk, Earnest Efforts of German Women Directed to Solving Problems of Nation and World, in: The Christian Science Monitor, May 27, 1948, p. 11, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 4. 273 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. 2 74 „Ich bekam gerade vor einigen Tagen ein Rundschreiben, von Velsen und Bäumer unterzeichnet, in dem zur Gründung eines Verbandes aufgefordert wurde, der etwa die gleichen Ziele hat wie früher der Bund Dt. Frauenvereine. Er soll ausserdem dem Gedanken des Völkerfriedens dienen und einen Anschluss an die internationalen Organisationen anstreben.“ Schreiben von Käthe Lindenau vom 23. Mai 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. 275 „Nun ist jetzt hier der Demokratische Frauenbund gegründet mit der fast tauben Dr. Durand- Wever an der Spitze und Else Lüders als 2. Vorsitzende. Er hat sehr viele Mitglieder, ist aber doch für die Zukunft nicht das Richtige, weil eben zu politisch betont.“ Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk ohne Datum, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520.
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erfuhr Munk aber auch, wie die SED den demokratischen Frauenbund übernahm.276 Diese zwischen Deutschen in Deutschland und Deutschen in Amerika praktizierte Informationsbeschaffung war für die damalige Zeit ungewöhnlich. Sie konnte praktisch nur über Regierungsmitarbeiter der verschiedenen Sektoren erfolgen; zum Beispiel Anni (Irmela) Ackermann, die zu damaliger Zeit in der Ansbacher Straße 49 in Berlin und damit im amerikanischen Sektor wohnte 277, jedoch in der sowjetischen Zone bei Eugen Schiffer und damit an der Quelle arbeitete. Zu einem ganz anderen Umfeld persönlicher Beziehungen gehörten Fritz Bauer, M. W. Kempner und Walter C. Schwarz. In dem Kontext dieser persönlichen Beziehungen ging es um die Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts, sowohl im interdisziplinär wissenschaftlichen als auch im rechtlichen Sinne. 2.4 Die Beziehung Walter C. Schwarz – Marie Munk Marie Munk betreute als Anwältin von Amerika aus ihre Mandanten in den Wieder gutmachungsverfahren. Die Berliner Kanzlei Dr. Walter Schwarz und Gerhard Falk (Berlin) vertrat Marie Munks Mandanten in Deutschland. Im 9. Kapitel wird ausführlich auf das Wiedergutmachungsverfahren von Marie Munk eingegangen. Bewusst wird dann auf die Dissertation Marie Munks zugegriffen, um mit dem Werk Marie Munks die Aufarbeitung von nationalsozialistischem Unrecht und von Unrecht allgemein im Transformationsprozess anzubieten. 2.5 Robert M. W. Kempner Kempner war der Autor unzähliger Publikationen über das Dritte Reich und seiner Aufarbeitung: „‚SS im Kreuzverhör‘, Edith Stein, Anne Frank, Zwei von Hunderttausend“ und dem „Warren Report“. Die Beziehungen zwischen ihm und Marie Munk müssen schon lange bestanden haben. Erhalten geblieben ist jedoch nur eine Grußkarte aus dem Jahre 1970. Kempner bedankte sich bei seiner Kollegin 276 „Der DFB ist ja schon enorm gross, hat aber mit der Frauenbewegung nicht das Geringste zu tun, er bewegt nicht, sondern wird bewegt, wenn Du Dir darunter was vorstellen kannst. Die Landesregierungen schicken die Mitglieder scharenweise hinein und finanzieren ihn auch. Und da liegt m. E. der Hase im Pfeffer. Die Vorsitzende sagt zwar, dass sie diese Beiträge nur als Darlehen betrachtet und sie aus den Mitgliederbeiträgen zurückzahlen will, aber das wird wohl kaum so glatt geschehen können, denn die gewährten Zuschüsse sind enorm hoch. Es wird wohl erwartet, dass der Bund sich politisch betätigt, vor allem im Sinne der SED. Dagegen ist an sich nichts einzuwenden, wenn die praktische Arbeit trotzdem geleistet wird, aber es ist nicht das, was wir früher Frauenbewegung nannten, und was der Wilmersdorfer Fr. Bd. will.“ Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk vom 5. September 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3518. 277 Anschrift aus dem Briefwechsel zwischen Marie Munk und Anni Ackermann, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3516 – 3518.
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für Grüße, die ihn über die Zeitschrift „Aufbau“ erreicht hatten. Er war froh, „nach langer Zeit wieder“ von ihr zu hören.278 Robert M. W. Kempner war, wie Fritz Bauer, Gründungsmitglied des Republikanischen Richterbundes in der Weimarer Repu blik gewesen. Allerdings lassen sich in den Manuskripten Marie Munks nur Spuren über einen Austausch von Marie Munk mit Fritz Bauer nachweisen. 2.6 Die Beziehung Fritz Bauer – Marie Munk Die Beziehung zu Fritz Bauer war eng mit dem Auschwitz- und dem Remer- Prozess verbunden. Der Kontakt zwischen Munk und Bauer kam über Eugen Schiffer zustande. Ihre Bitte nach Auskünften über diesen Prozess hatte Schiffer nicht erfüllen können.279 Aus Schiffers Sicht würde ohnehin die Nürnberger Justiz „von der ganzen Welt abgelehnt“ und die Justiz „durch krampfhafte Begnadigungen en masse sich selbst desavouier[en]“.280 Aber genau das war es, worum es Fritz Bauer ging! Marie Munk bat den damaligen Oberstaatsanwalt und späteren Generalstaatsanwalt Hessens, Fritz Bauer, um Material für eine eigene wissenschaftliche Arbeit.281 Das von Fritz Bauer an Marie Munk übersandte Material ist nicht mehr erhalten geblieben. Allerdings gibt eine Fußnote der Endfassung 282 eines unveröffentlichten Manuskripts mit dem Titel „Can Patriotism Demand the Violent Overthrow of the Government?“ Auskunft darüber, dass neben einem Aufsatz 283 von Rüdiger Proske 284 Auskünfte des Nordwestdeutschen Rundfunks 285 und Originaldokumente des Generalbundesanwalts eingeflossen sind.286 278 Karte vom 15. Oktober 1970, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 7 Folder 17. 279 Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 6. Oktober 1952, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 10 Folder 3. 280 Ebd. 281 Schreiben von Fritz Bauer vom 9. Oktober 1952 und 24. Oktober 1952 an Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 10 Folder 3. 282 Der erste Entwurf befindet sich in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3539. 283 Aus der Zeitschrift „Der Monat“ (April 1952) mit dem Titel „Prozess um den 20. Juli, Brief aus Braunschweig“. 284 Der ihr über diese Zeitschrift zugesandt wurde: Schreiben der Zeitschrift „Der Monat“ vom 3. Februar 1953 an Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 10 Folder 3. 285 Schreiben des Nordwestdeutschen Rundfunks vom 22. September 1952 an Marie Munk, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 10 Folder 3. 286 Marie Munk, Can Patriotism Demand the Violent Overthrow of the Government?, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543, dort Fußnote 1 auf S. 1.
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Munk zitierte in dem vorgenannten unveröffentlichten Aufsatz aus den erstatteten Gutachten der Anklage sowie aus dem Vortrag der Verteidigung im Remer- Prozess.287 In dieser Zeit der Beziehung zu Fritz Bauer entstand Marie Munks unveröffentlichtes Manuskript „Beware of Nazism as a New Creed in German Reconstruction“288 und das Manuskript über den Remer-Prozess mit dem Titel „Can patriotism demand the violent overthrow of the Government?“289. Blieben beide Manuskripte unveröffentlicht, so wurde die Rezension über Wilhelm Pueschels Buch „Der Niedergang des Rechts im Dritten Reich“ und Fritz Buchwalds Publikation „Gerechtes Recht“ in der Herausgeberschaft von Thorsten Sellin veröffentlicht.290 Auf alle drei Arbeiten Marie Munks wird im 7. Kapitel, Ziffer IV in Nr. 3, Nr. 4 und Nr. 8 eingegangen. 2.7 Die Beziehung zu Karl Jaspers in Basel Der erste persönliche Kontakt zu Karl Jaspers reichte in ihre Promotionszeit zurück.291 Auf einer Reise nach Basel besuchte Marie Munk seine Vorlesung.292 Es sollte das letzte Mal sein, dass sie ihn lebend sah.293 Jahre später gab sie in einem Brief zu erkennen, dass sie den schriftlichen Kontakt zu Karl Jaspers und seiner Frau deshalb eingestellt hatte, weil sie Jaspers „nicht mehr belasten wollte“ ihr „zu antworten“294.
287 Marie Munk, Can patriotism demand the violent overthrow of the government? “, p. 1 – 12, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3539 (Vorentwurf, 9-seitig) und MF-Nr. 3540, 3541 sowie MF-Nr. 3543 (Endfassung, 12-seitig). 2 88 Marie Munk, Beware of Nazism as a New Creed in German Reconstruction, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541 und 3542. 289 Marie Munk, Can Patriotism Demand the Violent Overthrow of the Government?, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 290 Review Marie Munk, in: Thorsten Sellin (Editor), The Annals of the American Academy of Political and Social Science, Peace Settlements of World War II, Philadelphia 1948, p. 218 – 219, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3. 291 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 5. 2 92 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 14. 293 Schreiben von Marie Munk an Julchen vom 10. März 1969, in: Marie Munk, Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 14. Schreiben an Gertrud Jaspers anlässlich des Todes von Karl Jaspers vom 19. November 1970, in: Marie Munk, Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 1. 294 Schreiben an Julchen vom 10. März 1969, in: Marie Munk, Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 14.
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2.8 Weitere Personen, insbesondere erste Juristinnen Marie Munk hatte Schriftverkehr nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Familie Dr. von Harnack, Hertha Engelbrecht, Helene Gans, Gerda Haupt, Ingeburg Müller- Zennerick, um nur einige zu nennen. Diese Korrespondenz war im Wesentlich nicht wissenschaftlich, weshalb auch nicht näher an dieser Stelle auf diesen Schriftverkehr eingegangen werden soll.
3. Fazit Ausweislich der Nachlässe überwiegen bei Marie Munk die amerikanischen wis senschaftlichen institutionellen Beziehungen und zu prominenten emigrierten deutschen Wissenschaftlern. Diese gliederten Marie Munk als „Fremde“ in die amerikanische Wissenschaftslandschaft ein. Im Gegensatz zu den emigrierten Wissenschaftlern in der New School for Social Research in New York, die sich bisweilen zeitweise durchaus vom amerikanischen Wissenschaftsbetrieb abschotteten,295 suchte Marie Munk und fand so ihre rechtspolitische und wissenschaft liche Teilhabe in einem ihr kulturell wie wissenschaftlich unbekannten Kontinent. Indem Marie Munk auf ihre rechtspolitische und wissenschaftliche Arbeit aus Deutschland zurückgreifen musste und sich den amerikanischen gesellschaftlichen Phänomenen, der amerikanischen Kultur und den wissenschaftlichen Themen und Fragen der damaligen Zeit öffnete, veränderte sich ihr Blick auf die Wissenschaft der damaligen Zeit in einer transnationalen Perspektive. Zugleich wurden ihre rechtswissenschaftlichen Arbeiten um andere, weitere wissenschaftliche Disziplinen bereichert. Während also die amerikanischen institutionellen und persönlichen Beziehungen vorwiegend wissenschaftlicher Natur, die deutschen Beziehungen von persönlicher und wissenschaftlicher Natur geprägt waren, blieb nur die Beziehung in die Schweiz zu Karl Jaspers unbeeinflusst von wissenschaftlichen Diskursen. Die Beziehungen zu Walter C. Schwarz, Robert M. W. Kempner und Fritz Bauer fußten in der Wiedergutmachungsrechtspraxis nationalsozialistischen Unrechts und dienten Marie Munk dazu, das nationalsozialistische Unrecht wissenschaftlich aufzuarbeiten. Für diese Kontakte lässt sich ein Vergleich zu den amerikanischen Beziehungen in einem allgemeinen oder rechtspolitischen Kontext nicht ohne Weiteres ziehen. Aber es fand sich aus diesen deutschen Beziehungen Informa tionsmaterial in ihren Manuskripten. Ebenso wurde eine Einflussnahme Marie Munks auf die deutsche Entwicklung sichtbar. Während ihrer Besuche in Deutschland bereicherte Marie Munk die deutsche Demokratie um wichtige Aspekte. Die deutschen Kontakte zu Eugen 295 Joachim Radkau, Die deutsche Emigration in den USA, S. 35 – 39, S. 36.
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Beziehungen
Schiffer, Gertrud Schubart-Fikentscher und Käthe Lindenau gründeten sich auf den gemeinsamen Erinnerungen aus der Rechtsreform zum Ehe- und Familienrecht aus der Weimarer Zeit und der Mitgliedschaft in der deutschen Frauenbewegung. Sie beeinflussten aber nicht nur die Neugründung der deutschen Frauenbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn obgleich ein gemeinsames wissenschaftliches Arbeiten und ein Reformstreben zwischen Marie Munk, Gertrud Schubart-Fikentscher, Eugen Schiffer und Käthe Lindenau durch die Verhältnisse des sich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg bereits abzeichnenden Kalten Krieges praktisch vor Ort verhindert wurde, blieben doch in den Briefen Fragen zurück, die für die Aufgabe des Rechts und die Rechtsstellung der Frau in ihrem Übergang von einer Diktatur zur Demokratie – auch im transnationalen Kontext – bedeutsam waren und sind. Mit ihren Worten über die Rechtsstellung der Frau nach Bachofens Profil beschrieb Schubart-Fikentscher nicht nur ein Phänomen von Recht und Unrecht im Geschlechterverhältnis, sondern sie belegte, dass beides – das Recht und das Unrecht – aus ein und derselben gesellschaftlichen Ursache – der Diskriminierung – entsprangen. Ein Anknüpfungspunkt, der Marie Munk und Gertrud Schubart-Fikentscher einte. Insofern haben beide Wissenschaftlerinnen, um weiter mit den Gedanken Hermann Klenners fortzuführen, Recht als Mittel der Macht und als ein Maß der Macht, gesellschaftliche Entwicklungen zu verlangsamen oder zu beschleunigen,296 in ihrem rechtspolitischen Urteil und in Wissenschaft und Lehre begriffen. Eugen Schiffer gedachte nicht nur, den nationalsozialistischen Geist aus dem juristischen Regelwerk und den Rechtspositivismus aus den Köpfen der Jurisprudenz zu beseitigen. Dieser Akzent einte ihn nicht nur mit dem Staatssekretär im Justizministerium in der west lichen Zone, Walther Strauß. Vielmehr schwebte Eugen Schiffer in der sowjetisch besetzten Zone eine neue Ära des Rechts, ein demokratischer Rechtsstaat und eine volle Verantwortung der Menschen für ihr Tun vor: „[O]b es nun das eigene Schicksal oder das seines Volkes betrifft“297, dies war sein Ziel. Wegen dieses rechtsstaatlichen Postulats wurde Eugen Schiffer in der Justizverwaltung der sowjetisch besetzten Zone entlassen, obgleich er dieser Entlassung mit seinem Abschied zuvor kam.298 Dieser Akzent einte ihn aber mit Marie Munk im Verständnis von einer Freiheit, die solidarisch auch für ihre Mitmenschen einsteht. Freiheit als Solidarität begreifen, eine Erkenntnis aus der Kritik Munks an der jungen Juristengeneration in Westdeutschland. Des Weiteren wird auf die Arbeiten Marie Munks aus diesen wissenschaftlichen ameri kanischen und deutschen Beziehungen im 7. und 8. Kapitel eingegangen. Doch zuvor werden ihre Forschungsaufträge in den Vereinigten Staaten im 6. Kapitel vorgestellt. 296 Hermann Klenner, Recht und Unrecht, Bielefeld 2004, S. 20. 297 Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 24. Januar 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519. 298 Kompendium, S. 911.
6. Kapitel Forschungen und Forschungsaufträge
In den Jahren 1936 bis 1954 erhielt Marie Munk einige Forschungsaufträge. Diese bewahrten sie gerade nicht davor, Aushilfstätigkeiten aufnehmen zu müssen.1 Thema tisch erstreckten sich ihre Aufträge zum einen auf die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten von Amerika, zum anderen auf die Verhältnisse in Deutschland. Bis in das Jahr 1940 blieben die Bürgerrechte im nationalsozialistischen Deutschland von Interesse für die amerikanische Gesellschaft. Marie Munks Untersuchung über die Rechtsstellung der deutschen Frau während des Ersten Weltkriegs und während des Wiederaufbaus war als transnationale Grundlage für eine von der Interna tional Federation of Business and Professional Women erwünschte Antidiskriminierungskampagne von Frauen in Familie und Beruf nach dem Zweiten Weltkrieg in Amerika gedacht. Marie Munks Methodik zeigte auf, wodurch die Rechtspersönlichkeit der Frau in einem Arbeitseinsatz für nationale Interessen vereinnahmt wurde. Die Ursachen wies Marie Munk bereits aus den Friedenszeiten nach, während vergleichbare Untersuchungen in ihrer Staatszielorientierung diskriminierend für die Frauen blieben. Die Forschungsaufträge über die Verhältnisse in Amerika knüpften an die damals aktuelle Reform im Strafvollzug an. Ihre Forschung führte sie frei fort zum Scheidungsrecht. Sie arbeitete aus ihrer Erfahrung als Marriage Counselor heraus, dass das Scheidungsrecht den sozialen Scheidungsgründen gar nicht entsprach. Diese Differenz zwischen Gesetz und Wirklichkeit ermöglichten ihr, ein eigenes Modell für den Counseling Service zu entwickeln. In ihrer Methodik wagte Marie Munk erste Ansätze einer Rechtsevaluierung. Sie grenzte sich zur Soziologischen Juris prudenz, zum Therapeutischen Ansatz, aber auch zu Max Rheinsteins Kritik am Therapeutischen Ansatz ab. Mit einem Bericht über ihre gesetzesvergleichende Studie über das Eherecht, das Ehegüterrecht, das Erbrecht und die Adoption in Nordamerika und in Südamerika sollte sie die Teilnahme der National Associa tion of Women Lawyers an der 8. Konferenz der Inter-American Bar Association (IABA) im Jahre 1954 sichern. Ihre Studie warb für eine rechtshistorische Rechtsevaluierung vor einer nordamerikanischen Rechtsvereinheitlichung, das Recht und die Praxis der gesetzlichen Eheschließungsvoraussetzungen und eine Rechtszersplitterung im 1 Weshalb an dieser Stelle auf das 4. Kapitel verwiesen wird.
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Forschungen und Forschungsaufträge
nordamerikanischen Ehegüterrecht zu beseitigen. Denn beides trug zum Scheitern der Ehen in Nordamerika bei.
I. Amerikanische Forschungsaufträge über Deutschland (1940er-Jahre) Ihre wissenschaftlichen Arbeiten sollten deutsche Erfahrungen über die berufliche Stellung der Frau während und nach dem E rsten Weltkrieg der amerikanischen Volkswirtschaft und Politik eröffnen. Die Amerikaner hatten Interesse an den deutschen wirtschaftlichen Verhältnissen und am deutschen Rechtssystem.
1. Bürgerrechte in Nazi-Deutschland (ca. 1939/1940) Erhalten geblieben ist ein Empfehlungsschreiben der United Press Association (New York City) vom 28. Januar 1941, in dem über ihre exzellente Zusammenfassung über die Bürgerrechte nach deutschem Recht und ihre Institutionen berichtet wurde.2 Von diesem Forschungsauftrag über die Bürgerrechte unter dem Hitler-Regime 3 sind keine detaillierten Aufzeichnungen erhalten geblieben.
2. Die Rechtsstellung der deutschen Frau während des Ersten Weltkriegs und während des Wiederaufbaus (ca. 1939/1940) Einen zweiten Forschungsauftrag über die Stellung der Frau im Ersten Weltkrieg und in den Jahren des Wiederaufbaus 4 erhielt Marie Munk von der International Federation of Business and Professional Women.
2 „[S]ummary of German laws and institutions affecting civil liberties“, in: Schreiben von O. Edmonds Allen (United Press Association) an Mr. Moe, John Simon (Guggenheim Foundation) vom 28. Januar 1941, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. 3 „Civil Liberties under the Hitler Regime“, in: Angaben des Rechtsvertreters Munks, Dr. Karpen, vom 23. Jan. 1957, in: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 55. 4 „A Study concerning the Position of Women during the World War I and during the Reconstruction Period“, Wortlaut des Arbeitstitels aus: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 55.
Amerikanische Forschungsaufträge über Deutschland (1940er-Jahre)
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2.1 Entstehung des Forschungsauftrags Minnie Mayfett, die Präsidentin der National Federation of Business and Professio nal Women’s Clubs, hatte auf einem Friedens-Symposium zu einer Studie aufgerufen.5 Diese Studie 6 sollte den Frauen ihre Teilhabe in kommenden Friedenszeiten nicht als Feministinnen sichern, sondern als Frauen.7 Auf ökonomischen Prinzipien und den Menschenrechten sollte der zukünftige Frieden gegründet sein, nicht auf politischen Prinzipien allein.8 Dieses neue weibliche Teilhaberecht rechtfertigte sich zum einen aus den Söhnen, die für die Nation gekämpft hatten. Zum anderen stellten Frauen in Friedenszeiten die größte Zahl der Konsumenten. Eine Kommission der International Federation of Business and Professional Women sollte Frauen an rechts- und sozialpolitischen Fragen in den Friedensstaaten beteiligen. Dieses neue Friedenssystem 9 weiblicher Verantwortung mündete im April 1936 in eine Streitschrift im Journal of the American Association of University Women mit dem Titel „Some Trends in Women’s Work Today“10 ein. 2.2 Ziel des Forschungsauftrags Ziel ihrer wissenschaftlichen Studie war es, Vorurteile gegenüber weiblicher Berufsarbeit, wie sie in Deutschland während der Demobilmachung vorhanden waren, in Amerika bereits vor dem Ende des zweiten Krieges gar nicht erst entstehen zu lassen.11 Das verriet auch der Titel der Studie: „The Position of Women during the World War and Thereafter, findings from which will be the basis for a publication on the subject“12. Die International Federation of Business and Professional Women bestätigte: “Dr. Munk performed this work faithfully and well, giving generously of both effort and time. To it she brought both sincere interest and substantial ingenuity. I feel no hesitancy in recommending her to those seeking an intelligent and conscientious 5 The symposium was titled “Concerning Eventual Peace”, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3553. 6 „Thoughtful Study before Action is imperative“, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3553. 7 „Women must have their voice in the coming peace not as feminists, but as women“, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3553. 8 “The kind of peace we should have must be based on economics and humane principles, not on politics alone.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3553. 9 „New Peace System“, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3553. 10 Some Trends in Women’s Work Today, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3553. 11 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3553. 12 Bericht von Helen Havener, New York, nach Abschluss dieser Forschungsarbeit (ohne Datum), p. 2, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522.
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Forschungen und Forschungsaufträge
worker in the field of research.”13 Alva Myrdal 14 hatte Marie Munks Material für eine Veröffentlichung interpretiert und vorbereitet.15 2.3 Inhalt des Forschungsauftrags Marie Munk berichtete über diesen Auftrag: “World War II in Europe had started, but the United States had not yet become a participant. The International Federa tion wanted me to make a study of the activities of women during World War II in the United States and some of the European countries, and about the difficulties which occurred during the transition period immediately after the end of the war. In 1940 many women, not only in Europe but also here, were then already engaged in War work, and the federation wanted to avoid the pitfalls which had happened after the World War I by calling attention to the measures which should be taken during the conflict. I submitted an extensive report on the work of women during World War I in England, France, Germany, and in the United States and on the hardships which women suffered by being dismissed during the reconstruction period.”16 Marie Munk arbeitete umfangreiches statistisches Material auf.17 Sie reflektierte die erwerbswirtschaftliche und rechtliche Stellung der Frauen in England und Deutschland.18 2.4 Ergebnisse des Forschungsauftrags Marie Munk stellte in den Vordergrund ihrer Studie, dass der weibliche Arbeitseinsatz von gebildeten Frauen durch unausgebildete Frauen in Kriegszeiten unentgeltlich organisiert wurde. Es kam hinzu, dass alle Frauen, ob unausgebildet oder gebildet, nach dem Ende des Krieges nicht weiterbeschäftigt würden. In dem Abschnitt über den Einfluss der Eheschließung auf die Beschäftigung weiblicher Arbeitskräfte und 13 Schreiben von Lena Madesin Phillips „To Whom It May Concern“ vom 24. September 1940, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3521. 14 Alva Myrdal (31. 1. 1902 Uppsala–1. 2. 1986 Stockholm) war eine schwedische Sozialreformerin. Mit ihrem Mann Gunnar veröffentlichte sie eine Bevölkerungsuntersuchung, die zu tiefgreifenden Veränderungen in der Sozial- und Familienpolitik führte. 1949 wurde sie Leiterin der sozialwissenschaftlichen Abteilung der UN in New York. 1962 bis 1973 war sie schwedische Chefdelegierte bei den Genfer Abrüstungsverhandlungen. 12 Jahre war sie schwedische Ministerin für Abrüstungsfragen. Vgl.: Sissela Bok, Alva Myrdal: A Daughter’s Memoire, Reading MA, Addison-Wesley 1991. 15 Helen Havener, Prepare for Peace, in: Independent Woman, December 1940, p. 394 – 395, p. 394, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3529. 16 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 8 – 9. 17 Helen Havener, Prepare for Peace, in: Independent Woman, December 1940, p. 394 – 395, p. 394, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3529. 18 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3549 – 3553.
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die Einstellungen der Arbeitgeber 19 arbeitete Marie Munk heraus, dass verheiratete berufstätige Frauen auch deshalb nicht beruflich gefördert würden und deshalb ihnen eine höhere Stellung im Beruf versagt bliebe, denn nicht nur die Unternehmen hätten Vorurteile gegen verheiratete Frauen, sondern eben s olche entstünden auch dadurch, dass Frauen ihre berufliche Tätigkeit nur als beschäftigten Übergang zur gesellschaftlichen Rolle als Ehefrau und M utter betrachteten. Deshalb sei es notwendig, bei den Frauen ihre berufliche Entscheidung von Unternehmerseite zu hinterfragen.20 Marie Munk konstatierte, Diskriminierung wirke sich in wirtschaftlichen Krisen arbeitsplatzgefährdend auf verheiratete Frauen aus.21 Eine gleiche Bezahlung von Frauen in Kriegs- wie in Friedenszeiten könne sich auch deshalb nicht durchsetzen, weil Frauen als Geringverdiener aus ihrer sozialen Haltung heraus den gewerkschaft lichen Beitritt aus mangelndem Interesse scheuten. Obgleich die Anzahl der Frauen, welche in ihrer Sozialisation ausschließlich auf die Heirat vorbereitet würden, stetig abnehme.22 Ein mangelndes gewerkschaftliches Interesse von Frauen habe am Ende des Weltkrieges die Demobilmachung auf dem weiblichen Arbeitsmarkt in 19 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3551, Part 1, Chapter II., Women’s Gains and Experiences Through War Work, IV. The Influence of Marriage Upon Women’s Work and the Attitude of Employers, p. 55. 20 “The fact that many women in the past looked at their work only as a stop until the time of their marriage and that the vast majority left the labor market after they got married or shortly thereafter has been held against the women in various respects. They were looked upon as a shifting labour supply. Employers had little interest to give them a thorough training and to promote them to higher positions since they ought not to stay with him long enough to justify these efforts and the experience involved. It will be pointed out later that during the reconstruction period women, and particularly married women, were asked to leave their employment.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3551, Part 1, Chapter II., Women’s Gains and Experiences Through War Work, IV. The Influence of Marriage upon Women’s Work and the Attitude of Employers, p. 55. 21 “We all know that the discrimination against married women has become much more dange rous through the periods of economic crisis. The critism which was even marked during the war is therefore worth recording.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3551, Part 1, Chapter II., Women’s Gains and Experiences Through War Work, IV. The Influence of Marriage upon Women’s Work and the Attitude of Employers, p. 55. 22 „[…] psychological factors […] which keep women away from joining labor organizations […] for ‘wage earners’ were a temporary phenomenon ending with marriage. […] All the experience has shown that the number of women who are provided for marriage, as they expected and hoped is steadily decreasing. For this reason it is more difficult to interest women in trade unions. The mental attitude of the working girl makes her less interested in labor organiza tion.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3551, Part 1, Chapter II., Women’s Gains and Experiences Through War Work, VI. Trend toward Equal Pay for Equal Work and Women Labor Organization, p. 58e.
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Deutschland gestützt.23 In dem Kapitel „Scheme of Demobilization“24 forderte Munk, Vorschussleistungen und Berufsmöglichkeiten für Frauen zu eröffnen, die in Kriegszeiten begründet wurden. Diese sollten sich nicht nur auf die Bereiche der Industrie und Wirtschaft beziehen, sondern auch auf die Bereiche der Forschung und des Rechts bezogen werden.25 Munks und Myrdals wissenschaftliche Interpretationen legten einen diskriminierenden volkswirtschaftlichen Mechanismus offen, der nur funktionieren konnte, weil die Frauen zuvor rechtlos gewesen waren. Helen Havener, wie Marie Munk Mitglied in der International Federation of Business and Professional Women, stellte fest: Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs verfügten Frauen in den meisten europäischen Ländern weder über politische Rechte (aktives und passives Wahlrecht) noch über berufliche Erfahrungen in der Produktion oder in der Verwaltung. Mit anderen Worten, Frauen wurden erst in der Kriegswirtschaft als ein wirtschaftlicher Faktor betrachtet.26 Im gleichen Zug erhielten sie das aktive und passive Wahlrecht.27 Doch sozioökonomisch verblieben sie in der untersten sozialen Schicht der Arbeitsreserven.28 War es also in der Krise besser, als ausgebildete Frau oder als ungelernte Kraft eingesetzt zu werden?29 Dies sei nicht die Frage. Vielmehr sei der volkswirtschaftliche und 23 “According to expectations any women were disputed in favor of ex-service men. Moreover, they were told repeatedly that it was their patriotic duty to give their jobs for the benefit of returning soldiers.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3552, Part 1, Chapter III., The Reconstruction Period, V. Unemployed Situation and Discrimination against Women after The World War, p. 116. 24 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3552, Part 1, Chapter IV., Immediate Plan of Action For Women’s Groups, II. Scheme of Demobilization, p. 119. 25 “Efforts to Retain and Develop Occupational Opportunities for Women Which Originated in War Activities”, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3552, Part 1, Chapter IV., Immediate Plan of Action For Women’s Groups, III. Efforts to Retain and Develop Occupa tional Opportunities for Women Which Originated in War Activities, p. 121. 26 “In other words women had not been regarded as an important factor in war economy.” In: Helen Havener, Prepare for Peace, in: Independent Woman, December 1940, p. 394 – 395, p. 394, in: LAB B Rep 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3529. Hervorhebung nicht im Original. 27 “Thousands, ultimately million of women, engaged from ‘forgotten woman’ status, and began to assume a whole new range of responsibilities. In large measure they kept the wheels of industry turning, the business offices manned, the populations at home fed and clothed. […] Women came out of the war as the political equals of men” In: Helen Havener, Prepare for Peace, in: Independent Woman, December 1940, p. 394 – 395, p. 394, 395, in: LAB B Rep 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3529. 28 „Labour Reserve“, in: Helen Havener, Prepare for Peace, in: Independent Woman, December 1940, p. 394 – 395, p. 395, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3529. 29 “[…] whether it is better to rely upon volunteer or professional labor in time of crisis?”, in: Helen Havener, Prepare for Peace, in: Independent Woman, December 1940, p. 394 – 395, p. 395, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3529.
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betriebswirtschaftliche Umgang mit der weiblichen Berufsarbeit volkswirtschaftlich desaströs, weil er für zukünftige Krisenzeiten die Volkswirtschaft nicht wappne,30 mahnte Helen Havener in ihrem Kurzartikel zu dem Forschungsauftrag. 2.5 Verbleib des Forschungsauftrags Diese volkswirtschaftliche Studie sollte von Alva Myrdal, der Vizepräsidentin der International Federation of Business and Professional Women und Präsidentin der Schwedischen Federation of Business and Professional Women, herausgegeben werden. Allerdings hinderte Myrdals eigenes Forschungsengagement 31 und der Eintritt Amerikas in den Zweiten Weltkrieg das Erscheinen der Publikation.32 Diese Ereignisse ließen sich einige Monate s päter im Aufsatz von Helen H avener mit dem Titel „Prepare for Peace“ in der Zeitschrift „Independent Woman“ unschwer herauslesen.33 Im Bulletin der International Federation of Business and Professional Women fand sich zwei Jahre später unter dem Titel „Widening Horizons“ noch ein kleiner Hinweis auf die wissenschaftliche Zusammenarbeit z wischen Alva Myrdal und Marie Munk.34 Marie Munk überantwortete ihre Aufzeichnungen den ihr nachfolgenden Forschergenerationen.35 30 “One of the gravest mistakes of the cultural period between the wars that this expansion of women did not continue, that its positive propensities were not realized and that the status of women was not allowed to keep pace with the progress of society generally, but rather was pushed back to continue as an unsolved dilemma of world history dimensions. […] It shall not happen again.” In: Helen Havener, Prepare for Peace, in: Independent Woman, December 1940, p. 394 – 395, p. 395, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3529. 31 Alva Myrdals wissenschaftliche Arbeit über die schwedischen Verhältnisse erschien im Jahre 1941 und wurde als 2. Auflage im Jahr 1968 unter Berücksichtigung der neuesten Problemfelder in der Familien- und Sozialpolitik fortgeschrieben. In: Alva Myrdal, Nation and Family. The Swedish Experiment in Democratic Family and Population Policy, Cambridge, Mass. 1968, p. VI. 32 “After I submitted my report Mrs. Alva Myrdal, one of the Vice-Presidents of the Interna tional Federation, and also President of the Swedish Federation, intended to edit my paper and to add a report on the contribution of Swedish women. Unfortunately Mrs. Myrdal’s own research project and her activities in the Swedish Government prevented her from completing my summary, and the subsequent events, America’s entry into the War made it no longer relevant, so that the study was never published.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 8 – 9. Hervorhebung nicht im Original. 33 Helen Havener, Prepare for Peace, in: Independent Woman, December 1940, p. 394 – 395, in: LAB B Rep 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528 und 3529. 34 Vol. 12, No. 7, October 1942, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 35 “A future research worker may find it worthwhile to compare the war work of women during World War II with those of World War I, and to ascertain to what extent women were again
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Forschungen und Forschungsaufträge
2.6 Stand der gegenwärtigen Forschung Ihr Forschungsauftrag wartet bis heute auf seine vergleichende Aufarbeitung 36 – er ist nicht nur deshalb interessant, weil die Methoden einer Studie über die Kriegszeiten des 20. Jahrhunderts, besonders im transnationalen Vergleich, noch wissenschaft liches Neuland sind.37 Es ist zudem die Rolle der Frauen in Krisenzeiten und Krisen regionen bis heute noch nicht einmal ansatzweise wissenschaftlich, geschweige denn interdisziplinär aufgearbeitet worden. Während des E rsten Weltkriegs ist es nur die englische Studie von Helen Fraser mit dem Titel „War and Women“ aus dem Februar 1918, die sich mit der Stellung der Frau noch während des Ersten Weltkrieges befasste. Ergänzend ist an dieser Stelle noch auf „Die Probleme der Frauenarbeit in der Übergangswirtschaft“ von Hilde Oppenheimer und Hilde Radomski hinzuweisen. Diese im Auftrag des Bundes Deutscher Frauenvereine vom Ständigen Ausschuss zur Förderung der Arbeiterinneninteressen im Jahre 1918 erschienene Untersuchung betraf ausweislich des Titels die Wirkungen der Demobilmachung auf die Frauen erwerbsarbeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg erschien für England im Jahre 1988 eine Bibliografie zur Frau im Ersten Weltkrieg.38 Für die deutschen Verhältnisse aus jener Zeit vermag der Interessierte nur auf die Publikation von Marie-Elisabeth Lüders mit dem Titel „Das unbekannte Heer“ zuzugreifen. Aus den vorgenannten dismissed in large numbers against their own wishes when the War was over.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 8 – 9. 36 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3549 – 3553. 37 Hingewiesen sei an dieser Stelle auf die Arbeit des Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegs folgen-Forschung in Krems an der Donau. Dieses Institut hat auf seiner Konferenz vom 12. bis zum 14. September in Entwicklungslinien in vergleichender Länderperspektive zum E rsten Weltkrieg eine transnationale und transkulturelle Analyse betont. Es fehlten auch nicht die wichtigsten europäischen Länder, Russland, die Türkei. Hierbei fehlte der Blick auf die Mobilisierung von Eliten und weiblichem Geschlecht nicht. Wie sich Unternehmensstrukturen in Produktion und Geldwirtschaft in der Kriegswirtschaft in den (jetzt so heute bezeichneten) europäischen Ländern veränderten, geht die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) in Frankfurt a. M. nach. Auf einer ihrer letzten Tagungen am 10./11. Oktober 2013 wurde die Beschäftigung weiblicher Angestellter im Zuge der Bankenexpansion in Deutschland untersucht. Mit dem Titel „An der Front und hinter der Front“ geht die Schweizerische Vereinigung für Militärgeschichte und Militärwissenschaften (SVMM) und die Militärakademie an der ETH in Zürich den militärischen und gesellschaftlichen Gefechtsfeldern auf ihrer Konferenz im Februar 2014 in globaler Perspektive nach. Die International Commission of Military History in Bulgarien wird sich auf ihrer Tagung im September 2014 dem Geschlechterverhältnis im Krieg annehmen. Vgl. das Konferenzangebot über http://www. clio-online.de (28. 02. 2014). 38 Sigrid Markmann, Woman and the First World War in England: a selective biographical guide, Osnabrück 1988.
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Gründen bietet sich an dieser Stelle ein Vergleich zwischen den Erkenntnissen aus Marie Munks Studie und der Publikation von Marie-Elisabeth Lüders an. 2.7 Vergleich von Marie Munks Forschungsauftrag mit der Untersuchung von Marie-Elisabeth Lüders mit dem Titel „Das unbekannte Heer“ Dieses Buch veröffentlichte Marie-Elisabeth Lüders unter schwierigen Umständen. Marie-Elisabeth Lüders war in den Jahren, als ihre Publikation entstand, in poli tische Bedrängnis geraten. Die Publikation wurde in den Jahren der Öffentlichkeit vorgestellt, als Marie-Elisabeth Lüders von der Gestapo verfolgt, ihr womöglich ihre Schrift für eine kriegstreiberische Werbung von den Nationalsozialisten abgerungen worden ist, wie die Überschrift „Der Glaube an Volk und Vaterland als Quelle der Einheit und Kraft“ beispielhaft und einige andere der Abschnitte des Buches erkennen lassen.39 Gleichwohl verspricht der Vergleich zwischen Marie Munks Forschungsauftrag und dem Buch von Marie-Elisabeth Lüders an dieser Stelle der vorliegenden werkbiografischen Arbeit über Marie Munk, den in Krisenzeiten kriegspolitisch motivierten Impetus auf die Rechte der Frau offenzulegen. 2.7.1 Die Ziele der beiden Untersuchungen In ihrem Vorwort kündigte Marie-Elisabeth Lüders bereits an, dass das „männliche Kampfbild“ um den „unentbehrlichen Kameraden Frau“ zu ergänzen sei.40 Es sei der Wille des Einzelnen nicht mehr auf Familie, Stand, Beruf oder Klasse ausgerichtet, weil in Kriegszeiten „jeder Einzelwille und der gemeinsame Wille auf die Gemeinschaft“41 gerichtet werde. Die Frauen würden „weit ab von ihrem bisherigen Lebens- und Arbeitswege […] dem Vaterlande dienen“ wollen.42 In der Organisa tion des Nationalen Frauendienstes herrschten „Führung“ und „Unterordnung“.43 Die „Hilfsbereitschaft“ durfte „nicht der Norm entbehren“ und der „Einzelwille“ musste sich der „Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit unterordnen“.44 Eine „Individualisierung“ der einzelnen Rechtspersönlichkeit unterlag dem Gebot der kriegsökonomischen „Zweckmäßigkeit“.45 39 Marie-Elisabeth Lüders, Das unbekannte Heer, Berlin 1935, 76 – 79; Marie-Elisabeth Lüders, Fürchte Dich nicht, S. 138: Es wird von der Beschlagnahme von Dokumenten und Manus kripten und von dem Abtrotzen einer Unterschrift durch die Gestapo für eine Verfügung von Marie-Elisabeth Lüders berichtet, bei der es sich womöglich um die Zustimmung zur Veröffentlichung des Werkes gehandelt hat. 40 Marie-Elisabeth Lüders, Das unbekannte Heer, Vorwort, S. VII. 41 Ebd., S. 3. 42 Ebd., S. 7. 43 Ebd., S. 8. 44 Ebd., S. 13. 45 z. B. in der Frage der Hilfsbedürftigkeit: Ebd., S. 19.
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Im Unterschied zu Marie-Elisabeth Lüders kam es Marie Munk mit ihrer wissenschaftlichen Studie darauf an, die sozioökonomische Rolle der Frau nicht nur für die Kriegszeiten als „Hilfskraft“ für den Krieg und im Krieg als „zweiter Frontsoldat“ an der Heimatfront zu sichern. Denn bereits aus der Stellung der Frau als Mutter der Söhne, die an der Front ihr Leben für nationale Inte ressen gaben, rechtfertigte sich eine andere Stellung der Frau in Wirtschaft und Gesellschaft AUCH für Friedenszeiten. Als zweiten Grund führte Marie Munk in das Ziel ihrer Untersuchung ein, dass der weibliche Konsum in Friedenzeiten, statistisch betrachtet, eine weitaus höhere signifikante Relevanz habe als der männliche Konsum. 2.7.2 Die Methoden der Untersuchungen Beide Untersuchungen arbeiteten statistisches Material auf. Marie-Elisabeth Lüders verarbeitete ausweislich ihres Literaturverzeichnisses statistische Veröffent lichungen staatlicherseits, kriegsamtliches und ministerielles Material, allgemeine fachwissenschaftliche Veröffentlichungen aus dem volkswirtschaftlichen und medizinischen Bereich, der Volksfürsorge, der Arbeitsverwaltung, der Erziehungs- und Unterrichtsverwaltung, aus Handel und Handwerk, der sozialistischen und der Gewerkschaftsliteratur sowie der Arbeitswissenschaft.46 Marie-Elisabeth Lüders’ Publikation beurteilte nur die deutschen Verhältnisse. Marie Munk widmete sich sowohl den Verhältnissen in Deutschland als auch in England, in Frankreich und in den Vereinigten Staaten. 2.7.3 Gang, Inhalt und Ergebnisse der Untersuchungen Gang und Inhalt der Untersuchungen wurden durch die Methode der Untersuchungen geprägt. Beide sind durch Verwendung statistischen Materials annähernd gleich strukturiert. Aber die Ziele beider Untersuchungen führen zu unterschied lichen Ergebnissen. a. Ergebnisse der Untersuchung von Marie-Elisabeth Lüders Marie-Elisabeth Lüders beschrieb in zwei Teilen ihrer Publikation zwei frauen typische Kriegseinsätze. Das Heer der Hilfe 47 und das Frauenheer der Arbeit.48 Das Frauenheer der Hilfe entstand aus Sicht Marie-Elisabeth Lüders’ mit der Werbung und Schulung freiwilliger Helfer zum Dienst am Volk, ging über in einen Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und endete in einem Kampf der Fürsorge gegen die kriegsbedingte Not. Das Frauenheer der Arbeit folgte dem Motto „Frauen 46 Ebd., S. 230 – 236. 47 Ebd., S. 13 – 79. 48 Ebd., S. 80 – 213.
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ersetzen Männer“49. Dieser zweite Teil der lüderschen Untersuchung behandelte den Arbeitseinsatz der Frau in der Rüstungsindustrie,50 der freien Wirtschaft 51 und der Landwirtschaft.52 In Zeiten unzureichender Versorgung der Kriegstruppen stieß ein geplanter Arbeitszwang für Frauen auf so bezeichnete „natürliche Hemmnisse“. Sei es, dass die Frauen Kinder zu betreuen hatten und deshalb die Familie auseinandergerissen werden würde oder dass die körperliche oder/und seelische Verfassung keinen Erfolg für die kriegerische Arbeitsleistung versprach.53 Für die Rolle der Frau in der Familie fand sich in der lüderschen Untersuchung eine Stelle mit folgendem Wortlaut: „Ja, die Durchführung eines solchen Zwanges hätte auch die Familien mit größeren Kindern automatisch aufgelöst, da auch in ihnen die Mütter im wesentlichen für die Befriedigung der täglichen Lebensbedürfnisse aller sorgen.“54 In Rechtsfragen, wie der Unfallverhütung, berichtete Marie-Elisabeth Lüders, dass „verständnislose Unternehmer“ die Kosten scheuten, um die Maschinen, den weiblichen Arbeitskräften angepasst, aufzurüsten. Genau genommen hätten die Unternehmer die weiblichen Arbeitskräfte entlassen müssen. Allerdings: „[I]n der Kriegsnot aber erweiterte sich der ursprüngliche Zweck der Arbeitsschutzbestimmungen über den arbeitenden Menschen hinaus auf den Produktionszweck.“55 Marie-Elisabeth Lüders verlangte von den Unternehmern, eine technische Vorsorge für weibliche Arbeitskräfte zu treffen, damit sie für die weibliche Arbeitskraft gewappnet sind.56 Der Lohn der weiblichen Kriegs arbeitskräfte lag bei „71 und 63 %“57 unter den Löhnen der Männer: „Die alte Vorstellung von dem Mann als Haupt und alleinigen Ernährer der Familie behielt auch im Kriege ihre für die Frauen lohndrückende Wirkung“58, stellte Marie-Elisabeth Lüders fest. Zusätzliche Ausgaben für den Haushalt und Betreuungskräfte für die Kinder wurden in der Lohnentwicklung nicht berücksichtigt. Die Vorstellung vom „Nur-Zuverdienst“ und von der „Lehre von der Bedürfnislosigkeit der Frauen“ hinderte einen Lohnanstieg, konstatierte Marie-Elisabeth Lüders.59 Eine kritische Beurteilung der Arbeitssituation der Frauen ersuchte Marie- 49 Ebd., S. 82 – 85. 50 Ebd., S. 160 – 165. 51 Ebd., S. 133 – 144. 52 Ebd., S. 126 – 132. 53 Ebd., S. 100 – 104. 54 Ebd., S. 101. Hervorhebung nicht im Original. 55 Ebd., S. 89. Hervorhebung nicht im Original. 56 Ebd., Hervorhebung nicht im Original. 57 Ebd., S. 169. 58 Ebd. 59 Ebd.
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Elisabeth Lüders mit dem Argument zu umgehen, dass in Kriegszeiten „alte Maßstäbe“ verloren gingen; das Verhältnis z wischen „Einkommen“ und „Auskommen“ orientiere sich an der tatsächlichen „Güterdecke“.60 b. Ergebnisse der Untersuchungen von Marie Munk Im Gegensatz zu Marie-Elisabeth Lüders verlagerte Marie Munk die Diskriminierung der Frau am Arbeitsplatz von der Kriegszeit in die Friedenszeit und damit zeitlich vor. Munks Hauptergebnis ihrer Untersuchung war, dass die diskriminierenden Arbeitsbedingungen für die weiblichen Arbeitskräfte deshalb zu Kriegs zeiten verwirklicht werden konnten, weil die Frauen in der Wirtschaftsdekade zuvor rechtlos waren. Darüber hinaus stellte Marie Munk bei den weiblichen Arbeitskräften einen Mangel am beruflichen und gewerkschaftlichen Interesse fest. In den zeitlichen Perioden des beruflichen Wandels, wie zum Beispiel in den ersten Berufsjahren vor der Eheschließung, wirke sich die Einstellung und das Verhalten der weiblichen Beschäftigten zur beruflichen Tätigkeit auf den ökonomischen und sozialen Wert der weiblichen Arbeitsleistung in der Volkswirtschaft dauerhaft aus. Weibliches Humankapital für den Wiederaufbau einer Volkswirtschaft lande deshalb in der Brache, weil die in Kriegszeiten erreichten Berufsmöglichkeiten für Frauen nicht gepflegt und gefördert würden. Deshalb seien Vorschussleistungen und berufliche Förderungen von Unternehmerseite für Frauen gerechtfertigt.61 2.7.4 Bewertung beider Untersuchungen im Vergleich Beide Untersuchungen verfolgten zwei unterschiedliche Ansätze. Marie Munk stellte den rechtspolitischen Einsatz für die Rechte der Frau als Rechtspersönlichkeit in den Vordergrund, während Marie-Elisabeth Lüders den arbeitsmarktpolitischen Einsatz der Frau in Krisenzeiten in den Vordergrund stellte. Mit diesen unterschiedlichen Ansätzen gedachten beide Untersuchungen in ihren Zielen, der Bedeutung der Frau in Kriegszeiten Rechnung tragen zu wollen. Weil sich jedoch in der Untersuchung von Marie-Elisabeth Lüders die weibliche Bedeutung ausschließlich auf nationale Volksinteressen gründete, wurde letztendlich 60 Ebd., S. 171. 61 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3551 und 3552: Part 1, Chapter II., Women’s Gains and Experiences Through War Work, IV. The Influence of Marriage upon Women’s Work and the Attitude of Employers, p. 55; VI. Trend Toward Equal Pay for Equal Work and Women Labor Organization, p. 58e; Chapter III., The Reconstruction Period, V. Unemployed Situation and Discrimination against Women after The World War, p. 116; Part 1, C hapter IV., Immediate Plan of Action For Women’s Groups, II. Scheme of Demobilization, p. 119; III. Efforts to Retain and Develop Occupational Opportunities for Women Which Originated in War Activities, p. 121.
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die Rechtspersönlichkeit der Frau als Individuum entprivatisiert, will heißen, von nationalen Interessen vereinnahmt. Über diesen von Marie-Elisabeth Lüders gewählten Mechanismus staatszielorientierter Verantwortung und staatszielorientierter Unterordnung wurde die Frau de facto ihrer Rechtspersönlichkeit für kommende Friedenszeiten beraubt. In der Folge verwundert es nicht, wenn nach dem Ende eines Krieges und nach dem Wiederaufbau die Stellung der Frau als Rechtspersön lichkeit in der Rechtspolitik de jure in Vergessenheit gerät bzw. der rechtliche Status quo aus Vorkriegszeiten für das Recht der Frau in Nachkriegszeiten in Recht und Gesetz festgeschrieben bleibt. Mit anderen Worten, wer einmal entrechtet (diskriminiert) ist, bleibt entrechtet (diskriminiert). Marie Munk favorisierte eine wirtschaftliche Teilhabe der Frauen in Krisenzeiten und in Friedenszeiten durch zwei Instrumente: durch Bildung und durch Recht. Die Volkswirtschaft sollte den Frauen dienen und nicht die Frau der Volkswirtschaft, denn nur so kann Volkswirtschaft prosperieren. Im Gegensatz hierzu war Ziel der lüderschen Untersuchung, dafür zu werben, dass das weibliche Individuum aus der Familie heraus entprivatisiert und in der Kriegswirtschaft zu kriegspolitischen Zwecken sozialisiert wird. In der Erörterung um die Frage, ob ein Arbeitszwang bei Frauen durchgesetzt werden soll oder nicht, scheint es so, als wenn dieses Ziel der lüderschen Untersuchung, den kriegsbedingten Tatsachen und ihren unumstößlichen Erfordernissen widerspricht. Eine Familie ohne Mutter wird staatlicherseits als „natürliche Hemmnis“ für einen weiblichen Arbeitszwang dargestellt. Doch der zweite Blick offenbart: Es wurde schnell die „natürliche Hemmnis“ überwunden, um die Persönlichkeit der Frau den kriegerischen Bedingungen unterzuordnen, weil sich ohne die Frau die Not in der Fürsorge noch gesteigert hätte. Über eine weibliche Doppelbelastung im Ausnahmezustand, näm lich kriegerischer Arbeitseinsatz und Versorgung der Familie im zerstörten Hause, fiel an dieser Stelle der lüderschen Untersuchung nicht das entscheidende Wort! Der Leser vergegenwärtige sich an dieser Stelle deutlich, dass für die geschlechtsspezifischen Leitbilder der lüderschen Schrift eine nationalsozialistische Einflussnahme nicht ausgeschlossen werden kann, wenn sich der Leser vor Augen führt, unter welchen Bedingungen diese Veröffentlichung zustande kam. Gleichwohl ist die lüdersche Schrift ein vortrefflicher Beleg für die Enteignung der Rechtspersön lichkeit der Frau in einer ausschließlich politischen und auf Machterhalt der Regierenden ausgerichteten Volkswirtschaft, in Friedens-, in Krisen- und in Kriegszeiten: Eine auf politischen Machterhalt ausgerichtete Volkswirtschaft trägt die Krise in sich. Im Vergleich zur lüderschen Schrift holte Marie Munk die weiblichen Arbeitskräfte mit in die Verantwortung für die eigene berufliche und recht liche Persönlichkeitsentwicklung, indem sie berufliches und gewerkschaftliches Interesse anmahnte. Wollte die Volkswirtschaft die in Kriegszeiten erreichten
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Berufsmöglichkeiten für Frauen in Nachkriegszeiten nicht fortführen, landete weibliches Humankapital für den Wiederaufbau einer Volkswirtschaft in der Brache. Zu Ende gedacht, wirke sich dies auch auf den Arbeitsschutz aus. Auch aus Sicht Marie-Elisabeth Lüders’ waren die unfallrechtlichen Bestimmungen in den Betrieben einzuhalten. Allerdings überlagerte der Krieg das Unfallrecht, indem der Unfallschutz dem Krieg geopfert wurde. Marie-Elisabeth Lüders forderte die Unternehmer zur unfalltechnischen Vorsorge an den Maschinen in Friedenszeiten auf. Allerdings bleibt bei Marie-Elisabeth Lüders die ernste ökonomische Frage offen, wie die kriegsbedingte Umstellung der Produktion nach dem Ende des Krieges während fortdauernder Material- und Arbeitskräftenot wieder zurückgeführt werden soll auf eine Konsumgüterproduktion.Es wird auch nicht auf die Frage eingegangen, wie sich Unternehmer im Kriege und in volkswirtschaft lich desaströsen Zeiten Arbeits- und Unfallschutz leisten können. Summa summarum bliebe die Frau trotz Recht und Rechtsschutz schutzlos, auch in Friedenszeiten, denn das Argument der „Krise“ unterläuft, fortgeschleppt, das Recht. Marie Munks Forschungsergebnisse ermahnen, dass es in Kriegszeiten keine Diskriminierung der Frau am Arbeitsplatz gegeben hätte, wenn nicht bereits in Friedenszeiten (Vorkriegszeiten) die Rechtspolitik und die Unternehmer volkswirtschaftlich versagt hätten; aber auch weil die Frauen für ihr eigenes Interesse nicht gewerkschaftlich organisiert gewesen wären. DIE
VOLKSWIRTSCHAFTLICHE STRUKTUR IN FRIEDENSZEITEN UND DAS RECHT IHRER WEIBLICHEN BESCHÄF TIGTEN BESTIMMEN WIRTSCHAFT UND RECHT IN KRISENZEITEN. Im Vergleich zum Bericht
von Marie-Elisabeth Lüders forderte Marie Munks Forschungsauftrag zum rechtsund wirtschaftspolitischen Handeln aller Beteiligten auf.
II. Forschungsaufträge über die Verhältnisse in Amerika (1936 – 1954) Marie Munk begann ihre Forschungen über die Verhältnisse in Amerika mit einem Forschungsauftrag über den amerikanischen Strafvollzug. In späteren Jahren ergründete sie die Ursachen der sozialen und sozialpsychologischen Bedingungen der Familie in der Krise von Trennung und Scheidung aus ihrer beruflichen Erfahrung als Marriage Counselor, um zehn Jahre später in einen Gesetzesvergleich über die rechtlichen Bestimmungen zur Eheschließung in Nord- und Südamerika einzutreten.
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1. Eine Strafanstalt für Philadelphia (1936 – 1938) Dieser Forschungsauftrag Marie Munks wurde in ihrem Entschädigungsverfahren in Deutschland 62 erwähnt. Der Auftrag Marie Munks widmete sich sozialpsycholo gisch unbehandelten weiblichen Häftlingen im Moyamensing Prison D elphia.63 Munks Überlegungen sollten in den Entwurf eines neuen Gewahrsams für Philadelphia einmünden. Die Studien wurden geleitet von Leon Thomas, dem „Director of Research and Field Studies“. Es sind leider keine Unterlagen im Nachlass Munks erhalten geblieben. Gleichwohl ist dieser neue Gewahrsam 25 Jahre später verwirklicht worden.64 Es verbleibt aber keine wirkliche Informationslücke, denn eng im Kontext dieser Studie ist Munks unveröffentlichte Arbeit zu dem Thema „What are we heading?“65 zu bewerten, auf die im 7. Kapitel, Ziffer II Nr. 1 eingegangen wird. Einem anderen Gebiet wandte sich Marie Munk während ihrer beruflichen Tätigkeit als Marriage Counselor zu.
2. Marie Munks Forschungen als Ehe- und Eherechtsberater (Marriage Counselor 1944) Die Forschungen entstanden während ihrer beruflichen Tätigkeit als Marriage Counselor in Toledo (Ohio), über die bereits im 4. Kapitel berichtet wurde. Angeregt durch die Erkenntnis, dass nicht nur der Krieg für die hohen Scheidungsraten ursächlich sei, vermochte Marie Munk aufgrund ihrer eigenen Auswertungen weitere Gründe für eine Scheidung zu verifizieren. 2.1 Das statistische Material Marie Munks als Marriage Counselor im Vergleich Das statistische Material Marie Munks ist erhalten geblieben als „Code for the Marriage Counselor“ in Form von handschriftlichen Notizen.66 Diese Notizen 62 Entschädiungsakte Marie Munk RegNr. 60 798, Bl. E 55. 63 “This old prison housed in separate wings male and female prisoners, those who served sentences, as well as those who waited to who were held as material witnesses.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 6. 64 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 7. 65 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542. 66 Marie Munk, Code for the Marriage Counselor, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 8.
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enthalten eine Fülle von Daten: Bildung, Hautfarbe, Nationalität, die wiederum weitere Einzeldaten wie Beziehungen zu den Eltern, den Personenstand, Informa tionen über Gerichtsverfahren, Berichte über Jugendgerichtsverfahren, Angaben zu ehelichen und nichtehelichen Kindern, Informationen zu sexuellen Unverträg lichkeiten, Daten zum Gesundheitszustand, Angaben zu Operationen der letzten zwei Jahre, Hinweise zu Verhaltensstörungen bei Kindern und Angaben über die Dauer ehelicher Auseinandersetzungen enthalten, um nicht alle Kategorien in Gänze zu nennen. Diese persönlichen, gesundheitlichen, rechtlichen, wirtschaftlichen, bildungsmäßigen und sozialen Bedingungen der Familien wurden von Marie Munk auf die Arbeit des Counselors bezogen. Hierzu gehörten zum Beispiel Telefonberatung, Informationen über Klageerhebungen und psychologische und therapeutische Anhaltspunkte für eine Betreuung. Kurzum, das breite Einsatzfeld des Marriage Counselor in einem Lebensbezug zu den erfassten Klienten. So wie es Munk in theoretischen Ansätzen durch die Publikation von Max Marcuse erstmalig kennengelernt hatte.67 Diese Daten Munks unterschieden sich von den übrigen Unterlagen, die von anderen Counseling-Büros veröffentlicht wurden. Die Massachusetts Society for Social Hygiene (zum Beispiel) hatte im gleichen Zeitraum, auf der Grundlage ihres zehnjährigen Bestehens ihres Counseling Service lediglich die Geschlechtsmerkmale, den sozialen Status nach Berufsgruppen, den Bildungshintergrund anhand eines Grobrasters, das Alter der Klienten und die Betreuungs- und Bildungsangebote des Counseling Service erfasst (education, guidance and adjustment = Bildung, Eheführung und Justierung).68 Weitere Aufzeichnungen, zum Beispiel aus Philadelphia, waren ähnlich strukturiert und umfassten einige Fallbesprechungen, um sich neben einigen Informationen auf die Organisation des Counseling Service als ein das Gerichtsverfahren begleitendes Prozedere zu konzentrieren.69 Munk erfasste wesentlich umfangreichere Daten, die in folgende Auswertungen einmündeten. 2.2 Marie Munks Auswertungen Nach Munks Auswertungen der allgemeinen amerikanischen Statistik und ihrer Einzelgespräche mit ihren Klienten scheiterten die meisten Ehen an drei wesent lichen Gründen: an der verschiedenen Nationalität, der verschiedenen sozialen und ethnischen Herkunft oder an der verschiedenen Religionszugehörigkeit der 67 Siehe 4. Kapitel, Ziffer IV. Nr. 4 in dieser Arbeit. 68 Anonym, Nearly Ten Years of Counseling, p. 1 – 6, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 8. 69 Anonym, Analysis Of One Hundred Consecutive Cases In The Marriage Counsel Of Philadelphia, 253 S. 15th Street, p. 1 – 19, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 8.
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Ehepartner. Weitere Gründe waren: der Alkohol, Ehebruch oder die Unerfahrenheit der Eheleute. Hinter den letztgenannten Scheidungsgründen verbargen sich jedoch im Wesentlichen andere Ursachen. 2.2.1 Die Unerfahrenheit der Eheleute als Scheidungsgrund Die Scheidung nach der Geburt des ersten Kindes und nach den ersten Ehejahren waren für Marie Munk ein wichtiges Indiz dafür, dass die Ehepaare zu jung waren. Sie heirateten zu einem Zeitpunkt, an dem sie sich über ihre Verantwortung als Eheleute und Eltern noch nicht bewusst waren.70 Insbesondere zeige sich dies bei außergewöhnlichen Anforderungen, denen die Familie ausgesetzt sei, zum Beispiel nach der Geburt eines behinderten Kindes.71 2.2.2 Der Ehebruch als Scheidungsgrund Die Seitensprünge der Eheleute s eien nicht der wirkliche Scheidungsgrund: “It seems to me therefore that we would do better by not looking at adultery as an absolute ground for divorce without considering the causes behind it.”72 Marie Munk berichtete von einem Mann, der sich betrank und die Nacht mit einer fremden Frau verbracht hatte, während seine Frau sterbenskrank im Kranken haus lag. Marie Munks Résumé: “We often refer jokingly refer to ‘fathers-to-be’ who pace the hospital’s waiting room. In the past, the delivery took place at home, and the husband was allowed to be nearby and even to be of help. Now, the wife gets better care at the hospital, but he is completely excluded.”73 Der Seitensprung der Frau wiederum sei nicht der „bit on the side“ oder die „little infidelity“, sondern dahinter verberge sich der Wunsch nach Beachtung.74 Grundsätzlich würden diese Frauen ihren Ehemann lieben und hätten es gern, wenn der Seitensprung, dieser eheliche Fehltritt, vergessen oder vergeben würde. Munk meinte erkennen zu können, dass ein einmaliger Seitensprung, durch Alkohol oder andere Umstände beeinflusst, letzten Endes sich nicht zerstörend auf die 70 “Boys and girls married young before they are able to face the responsibilities of marriage and parenthood.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo, Ohio, S. 9, 11. 71 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3510, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel III The New York State Training School for Girls, S. 14 – 15. 72 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo, Ohio, S. 13 – 14 (erste S. 14). 73 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo Ohio, S. 13 – 14 (erste S. 14). 74 “[…] they had succumbed to the attention of another man”. In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo Ohio, (zweite) S. 14.
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eheliche Harmonie auswirke. Würde dieser jedoch nicht vergeben, würde die Ehe in seelischen Grausamkeiten und Quälereien enden.75 Letztere würden sich zerstörerischer auf die Ehe auswirken, als ein einmaliger Seitensprung,76 meinte Munk. Darüber hinaus erkannte Marie Munk aus ihrer Beratungstätigkeit, dass Männer leichter Seitensprünge vergeben würden als Frauen.77 2.2.3 Der Alkohol als Scheidungsgrund Die Alkoholsucht eines Ehegatten sei nicht der wirkliche Scheidungsgrund, sondern Symptom einer unglücklichen Ehe. Ursachen für den Alkoholkonsum wären in einer außergewöhnlichen emotionalen Belastung zu suchen. Deshalb stünde der häufig verordnete Gefängnisaufenthalt des alkoholkranken Ehepartners diametral zum Bedürfnis nach medizinischer Behandlung und einer auskömmlichen Eheberatung.78 2.2.4 Die verschiedene Nationalität, ethnisch-soziale Herkunft oder Religionszugehörigkeit als Scheidungsgrund Die Eltern von Ehepaaren mit unterschiedlicher Nationalität hatten bereits eine unterschiedliche Nationalität. Ehepaare unterschiedlicher Glaubenszugehörigkeit gingen oft gar nicht mehr zur Kirche. Ihre Kinder besuchten nicht die Sonntagsschule der väterlichen oder mütterlichen Glaubenszugehörigkeit, sondern die Sonntagsschule, die auch ihre Schulfreunde besuchten. Dies wurde von Munk auch bei einer unterschiedlichen Glaubensrichtung innerhalb ein und derselben Religions zugehörigkeit beobachtet.79 In einem Fall aus ihrer Praxis zerbrach die Ehe in einem Streit der Ehepaare um die Begräbniszeremonien für ihr verstorbenes Kind.
75 “[…] and wanted to be forgiven and to forget. Adultery remains, of course, a serious moral and marital transgression. It seems to me, however, that an isolated instance, particularly if committed under the influence of alcohol or other attenuating circumstances is in the last analysis less detrimental to marital harmony – if it cannot be condoned and forgotten – than repeated mental cruelties or nagging.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo Ohio, (zweite) S. 14. 76 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo Ohio, S. 13 – 14 (erste S. 14). 77 “[…] that he was more ready to forgive his wife side-step than she to forget his.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo Ohio, S. 13. 78 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo Ohio, (erste) S. 14 – 15. 79 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo, Ohio, S. 15.
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Dieser Einzelfall sei ein gutes Beispiel dafür, dass die Ehegatten die religiösen Ehefragen vor der Heirat klären müssten. Andererseits kannte Marie Munk viele Ehegatten mit unterschiedlicher Religionszugehörigkeit. Diese Ehegatten führten aus Sicht Marie Munks eine erfolgreiche Ehe deshalb, weil sie jedem Ehegatten die notwendige Freiheit ließen, seine unterschiedliche Religionszugehörigkeit auszuüben.80 2.2.5 Wirkungen der Scheidung auf nachfolgende Generationen Hohe Scheidungsraten der Elterngeneration setzten sich in hoher Scheidungshäufigkeit bei den nachfolgenden Generationen fort, verbunden mit ansteigender Jugendkriminalität.81 2.2.6 Rechtspolitische Forderungen für den Counseling Service Familienberatungsforschung kommt ohne eine Schnittstelle zur Rechtspolitik nicht aus – Beleg hierfür war aus Sicht Marie Munks insbesondere das Ehescheidungsrecht. a. Erweiterungen zum gesetzlichen Ehescheidungsgrund Ehebruch Aus ihrer Erkenntnis, dass der geregelte Ehescheidungsgrund nicht die alleinige Ursache für die Scheidung sein können, wollte Marie Munk den gesetzlichen Ehescheidungsgrund Ehebruch um weitere soziale verfahrensrechtliche Anforderungen ergänzen: “Because it is easy under our present laws to obtain a divorce for adultery, many prearranged divorce proceedings are based on a ‘faked adultery’. I wonder if the ends of justice and the interests of the married partners and their children would not be served better if adultery would be viewed together with other factors of marital disharmony and if we would take into account the causes which led up to the transgression.”82 80 “This case points out the difficulties which may arise and which spouses-to-be should face clearly before they get married. I have known many marriages of mixed religious faiths which have been very successful. It depends largely on the ability and willingness of each partner to recognize the other’s conviction and to allow him his freedom.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo, Ohio, S. 17 – 18. 81 “We are still confronted with the constantly increasing number of divorces and with the alarming rise of juvenile delinquency and crimes. All experts agree that the majority of our non-law-abiding citizens come from broken homes, we have not yet found methods to.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V. As Marriage Counsellor in Toledo, Ohio, S. 11. 82 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counsellor in Toledo Ohio, (zweite) S. 14.
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Aber es ging Marie Munk nicht nur um eine gesetzliche Änderung zum Scheidungsrecht, sondern darum, die einst geschlossenen Ehen zu erhalten. b. Lebensberatungs- und Lebensführungszentrum (Life Adjustment Center) Mit dem „Life Adjustment Center“sollte zuvorderst eine Eheberatung ins Leben gerufen werden: “They need advice and help when they first begin to quarrel, or when they become disappointed
with their marriage. Young couples who live with their families often have in-law-troubles. They need a counseling service which has no legal aspects and to which no stigma is attached. Many
family agencies claim to provide these services. Even if we concede that they are sufficiently
equipped, they certainly do not reach the large number of those who need Counseling service.
It is my strong belief that we must provide community counseling services for pre-marital and
post-marital Counseling. Attempts have been made here and there. They are highly inadequate.
Nor does the public know enough about them. Women’s organizations may well take the lead in trying to enlighten the public that they should go to a Counselor, just as they consult a medical doctor. Only then will the public demand the establishment of what I like to call ‘Life 83
Adjustment Centers’.”
Die Center würden jedoch nur dann von den Ehegatten und ihren Familien akzeptiert, wenn die Öffentlichkeit darüber aufgeklärt würde, dass die Inanspruchnahme eines Marriage Counselor im Ergebnis nichts anderes sei, als der Gang zum Arzt im Falle der Erkrankung („from going to a physician or surgeon with a physical ailment“).84 Beispielhaft hob Munk hervor, dass bereits vor der Machtergreifung durch Hitler in Deutschland viele Eheberatungsstellen existiert hätten, die sich nicht nur den Eheproblemen, sondern auch der Sexualberatung der Eheleute angenommen hätten.85 c. Schlichtungsabteilung (Conciliation Department) Krisensituationen verlangten nach einer ehelichen Schlichtung: “A Conciliation Department which is attached to a Court, and particularly to a divorce Court, has great possibilities and is essential in preventing hasty and inadvisable divorces; but it has also intrinsic disadvantages. Spouses, who want to keep their marriage together, hesitate to get to a Conciliation Department of a Court. Many a defendant resents being called in to such an authoritative agency. Many clients who came to see me 83 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel V As Marriage Counselor in Toledo, Ohio, S. 9 – 10. 84 Ebd., S. 10b. 85 Ebd., S. 11.
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started by saying; ‘I don’t want a divorce, but I can’t stand my marriage anymore’. They came to me as the last resort. They had waited until their marriage had reached the breaking-point. All too often, love had melted away, and they were no longer able to make the necessary adjustments.”86 Eine Schlichtung müsse Vertrauensschutz von Dauer gewährleisten. Marie Munk forderte die Vertraulichkeit aller ihr von den Eheleuten dargelegten Informationen. d. Erweiterung des Datenschutzes für den Beruf des Ehe- und Eherechtsberaters Ziel des Schutzes der Informationen ihrer Klienten war eine deutliche Trennung zwischen gerichtlichem Verfahren und Eheberatung. Diese Forderung speiste sie aus ihren beruflichen Erfahrungen in Toledo: “The greatest handicap was, and is, in my mind that the counseling service was a department of the Court and that Judge Paul W. Alexander considered the counsel on ‘his hands and ears’. The Judge felt that he was entitled to a full report on the counselor’s findings and that even the lawyers were entitled to know about them. When I began my work in Toledo, I had not been fully aware of this approach, I had handled a few cases in which highly confidential material had been brought out. In one of these, my suspicion that the husband was suffering under mental delusions of persecution, had been confirmed by the psychiatrist who had given me the report ‘confidentially’. I had marked this folder and perhaps two others as ‘confidential’ and had kept them in my desk drawer, instead of having them filed with the other cases. When I returned after a short vacation, the folders had been taken out, and I learned that they had been made available to a social agency. I am convinced that a marriage counselor cannot work efficiently with clients, unless they feel assured that whatever they say will not be held against them and will not be divulged to a third party, not even the judge. The counselor should never be called into Court as a witness. He should have the same privileges which are enjoyed by the medical and legal profession.”87 e. Personelle Ausstattung des Beratungsservice Eine bessere Ausstattung des Beratungsservice (Counseling Service) mit Sozialarbeitern, medizinischen und weiteren Mitarbeitern sind ihrem Forderungspapier „The Function and Goal of a Marriage Consultation“88 zu entnehmen. Insgesamt ganz neue Akzente – deren Wirkungen auf die Rolle des Gerichts und die Juristen ausbildung nicht ausbleiben konnten.
86 Ebd., S. 9. 87 Ebd., S. 5 – 7. 88 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3539 und 3540.
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2.2.7 Fazit: Munks statistische Methode und ihr Ansatz einer Rechtsevaluierung im Vergleich zum Stand damaliger statistischer Methodik Ein Fazit zu den Auswertungen und Forderungen Marie Munks über den Marriage Counseling Service ist zu ziehen, um in eine Schlussbewertung zu Max Rheinstein, zum Therapeutischen Ansatz und zur Soziologischen Jurisprudenz überleiten zu können. Das Fazit ist ein Vergleich zwischen diesen Ansätzen und der munkschen Methodik für eine Rechtsevaluation. Diese von Marie Munk selbst gewählte Forschung ragte über den Stand der statistischen Erkenntnis in jener Zeit hinaus, denn die statistischen Auswertungen über Heirat und Scheidung in den gesamten amerikanischen Bundesstaaten waren lückenhaft. Statistiken lagen zwar für die Zeit von 1867 bis einschließlich 1906 vor. Durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, wurden die Daten erst ab dem Jahr 1922 fortgeführt und blieben für die Heiratsstatistik und die Scheidungsstatistik bis 1932 defektiv. Erst ab dem Jahr 1948 kann von einer einheitlich durchgeführten Statistik zu diesen beiden Lebenssachverhalten ausgegangen werden.89 Allerdings war aus diesen rein am Rechtsgrund orientierten quantitativen Statis tiken auf die tatsächlichen Gründe für eine Scheidung nicht zu schließen. Geschweige denn setzten die staatlicherseits durchgeführten Erhebungen die berufliche Tätigkeit des Marriage Counselor in Bezug zu den rechtlichen und tatsächlichen Ehescheidungsgründen (Ehebruch, Verlassen, Misshandlungen etc.), wie Marie Munk es aber tat. Darüber hinaus fällt auf, dass Marie Munk die Ehezerrüttung anhand ihrer statis tischen Erhebungen nicht als ein Merkmal, sondern in mehrere unterschiedliche Ereignisse verifizierte. Mit dieser Methodenveränderung wies Marie Munk nach, dass das Scheidungsrecht mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmte. Mit Ausnahme des Ehebruchs und des Alkoholmissbrauchs basierten die von Marie Munk aus ihrer beruflichen Tätigkeit als Marriage Counselor dem Betrachter eröffneten Ehescheidungsgründe ausschließlich in den sozialen und sozialpsychologischen Bedingungen des ehelichen Lebens. Aber auch für diese rechtlich geregelten Scheidungsgründe verifizierte Marie Munk die vor dem Recht in einem sozialen und sozialpsycholo gischen Hintergrund liegenden Umstände und Ereignisse. Hinzu kamen soziokulturelle Ereignisse, wie die Unerfahrenheit der Ehepartner, ihre verschiedene Nationalität, ihre unterschiedliche ethnisch-soziale Herkunft oder die Religionszugehörigkeit der Ehepartner. Mit d iesem Ergebnis ihrer Untersuchung verdeutlichte Marie Munk, dass auch ein Scheidungsverfahren, welches sich ausschließlich an den rechtlich geregelten Gründen orientiert, die scheidungswilligen Ehepartner zu Lug und Prozessbetrug verführte, das Recht aber keinerlei Einfluss auf die Stabilität einer Ehe haben konnte, weil 89 Nadine Rinck, Max Rheinstein, S. 235 – 236.
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dieses Recht nicht die wahren, will heißen sozioökonomischen und kulturellen Gründe in einer amerikanischen transkulturellen Gesellschaft berücksichtigte. Im Gegenteil, der Betrachter darf sich der Erkenntnis nicht verschließen, dass das amerikanische Scheidungsrecht zur Auflösung der Ehe führen musste, weil es an der Lebenswirklichkeit vorbei auch den Richter zu seinem Urteil oktroyierte. Indem Marie Munk die sozialen Ereignisse einer Scheidung ihrer Untersuchung voranstellte, legte sie mithilfe des soziologischen Handwerks die vielschichtigen sozialen Abzeichen einer Einwanderungsgesellschaft über das Scheidungsrecht offen. Eine „Therapie“ dieses gesellschaftlich bedrohlichen Zustandes setzte – so könnte ein Verfechter juristischer Lösungen meinen – bei den „Soft-Skills“ des ehelichen Lebens, bei den sozialpsychologischen Zerwürfnissen an. Letztere entpuppen sich jedoch auf den zweiten Blick als Bestandteile eines ausgefeilten eheerhaltenden Verfahrens von langwieriger Dauer. Die Eheleute sollten gemeinsam mit ihren Kindern durch das Leben und die Schwierigkeiten geführt werden (Life Adjustment Center). Eine Novellierung zu den Ehescheidungsgründen wäre im Vergleich zur Schlichtung unbedeutend, aber das formlose Schlichtungsverfahren hätte im Vergleich zum traditionellen Scheidungsverfahren an Bedeutung gewonnen, weil d iesem Beratung und Lebensführung durch außerrechtliche Kompetenz vorausgingen. Es scheint so, als wenn die Rolle des traditionellen Richters, allgemein gesagt, ins Hintertreffen gerät, obgleich während einer krisenhaften Familiensituation einschneidende rechtliche Probleme gelöst werden müssen ( Jugendschutz, Sorgerecht, Entscheidungen über Vermögen pp.). Es soll deshalb an die Rolle des Richters angeknüpft werden, um in einem Vergleich sowohl zu dem so bezeichneten Therapeutischen Ansatz als auch zu der in den betreffenden Jahren in den USA aufstrebenden Soziologischen Jurisprudenz in groben Zügen 90 mit einer Betrachtung abschließen zu können. 2.3 Schlussbewertung: Vergleich zu Max Rheinstein, zum Therapeutischen Ansatz und zur Soziologischen Jurisprudenz Im Folgenden soll eine kurze Schlussbewertung, das heißt ein Vergleich zu Max Rheinstein, dem therapeutischen Ansatz und der soziologischen Jurisprudenz, gewagt werden.
90 Es sei an dieser Stelle der Verfasserin der Arbeit nachgelassen, wenn im Folgenden nur einige ausgewählte grundlegende Publikationen zur Soziologischen Jurisprudenz und zum so bezeichneten Therapeutischen Ansatz verwendet werden, die Entwicklung beider nicht dezidiert dargestellt und nicht ein Diskurs über beide Richtungen geführt wird. Die Arbeit wäre überfrachtet.
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2.3.1 Vergleich zur Soziologischen Jurisprudenz Eine Verifizierung gesetzlicher Ehescheidungsgründe in weitere soziale Ereignisse fordert den Richter im Verfahren dazu auf, aus den Kulissen des Rechts hervorzutreten und auf den Menschen und die Ereignisse zu schauen, um aus diesen ihm zur Entscheidung unterbreiteten rechtlichen Schriftsätzen durch sein richterliches Urteil das gesellschaftliche Ergebnis zu verändern. Es bleibt die Frage zurück, ob Marie Munks Forschungsergebnis der außerrechtlichen Lebensberatung und Lebensführung der damals so bezeichneten „Soziologischen Jurisprudenz“ nahestehen. Die „Soziologische Jurisprudenz“ in den Vereinigten Staaten favorisierte seit Beginn des 20. Jahrhunderts, die deutsche Interessenjurisprudenz aufgreifend, die Auffassung, es könnten nicht durch Gesetzgebung allein, sondern durch richterliche Entscheidung verbesserte gesellschaftliche Bedingungen zu erreichen sein.91 Der Richter sollte – wie in Europa – rechtsschöpfend tätig werden,92 sodass sich auch für Marie Munk ein Senken der Scheidungsrate durch richterliche Rechtsschöpfung durchaus als Vorschlag angeboten hätte. Dann hätte der Richter in seinen zukünftigen richterlichen Entscheidungen vermehrt die sozialen Ereignisse hinter den Scheidungsanträgen außerhalb rein rechtlicher Disziplin prüfen müssen. Doch legt der Betrachter die Konzeption Marie Munks neben die Konzeption des so bezeichneten „social engineering“, ergeben sich interessante Unterschiede. Zum E rsten war der Ansatz des „social engineering“93 zuvorderst von dem Gedanken getragen, dass die Richter für ihre veränderte Rechtsschöpfung durch die Rechtswissenschaft angeleitet werden würden. Zum Zweiten war der Ansatz des „social engineering“, obgleich er auf die richterliche Tätigkeit in Zukunft abzielte, zunächst erst einmal eng mit der Rechtswissenschaft, aber weniger mit der tatsäch lichen Rechtspraxis verbunden.94 Zum Dritten war eine sozialwissenschaftliche, medizinische und psychologische Beteiligung in den Rechtswissenschaften zu damaliger Zeit ein Novum. Wissenschaftliche Vereinigungen wie die National Conference on Family Relations waren für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen erst vor einigen Jahren gegründet worden.95
91 Roscoe Pound, The Scope and Purpose of Sociological Jurisprudence (Concluded) III. Sociological Jurisprudence, in: Harvard Law Review (1912), Vol. 25, , p. 536, 544; ders. The Theory of Judicial Decision. III. A Theory of Judicial Decision for Today, in: Harvard Law Review (1923), Vol. 36, p. 940, 953 – 956. 92 Nadine Rinck, Max Rheinstein, S. 121 – 124. 93 Roscoe Pound, The Theory of Judicial Decision. III. A Theory of Judicial Decision for Today, in: Harvard Law Review (1923), Vol. 36, p. 940, 953 – 956. 94 Nadine Rinck, Max Rheinstein, S. 124. 95 Weshalb an dieser Stelle auf das 5. Kapitel, Ziffer I. verwiesen wird.
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Marie Munk hatte diese unüberwindbaren Hürden in ihrer beruflichen Tätigkeit erkannt. Sie setzte bei der Beratung der Eheleute und in einem gesonderten „Verfahren“ an. Sie wollte mit ihrem Konzept des Life Adjustment Centers und einer Schlichtung eine Scheidung der Ehe, so weit als möglich, verhindern. Im Gegensatz zu dem Ansatz des „social engineering“96, der den ausschließlich rechtlich oder/ und politisch vorgebildeten Richter womöglich überfordert hätte, schaltete Marie Munk die Eheberatung, Pädagogen, Psychologen und weitere außerrechtliche Experten zum Erhalt der Ehe ein. Im Gegensatz zu einem rein rechtlich ausgestalteten Verfahren stattete sie ein neues Verfahren mit interdisziplinären wissenschaftlichen Elementen und Personen aus. Mit diesem Ansatz veränderte Marie Munk nicht die richterliche Tätigkeit, sondern das Verhalten der Eheleute. Dieser entscheidende Unterschied zum „social engineering“ packte das Problem hoher Scheidungsraten an ihrer Wurzel. Durch eine beratende Begleitung der Eheleute im Life Adjustment Center vermochten die Eheleute, ihren Blick im Streit weg von der Durchführung eines rein rechtlichen Verfahrens hin zur Lösung ihrer Probleme zu richten. Mit dieser Konzeption stand Marie Munk sowohl einer sozialen und beratenden Funktion Pate als auch einem veränderten rechtlichen Verfahren, weil das Schlichtungsverfahren einem Ehescheidungsverfahren, und die Eheberatung und Lebensbegleitung einem Schlichtungsverfahren vorgeschaltet war. 2.3.2 Vergleich zum Therapeutischen Ansatz Die Forschungsarbeit Marie Munks entstand während ihrer beruflichen Tätigkeit als Marriage Counselor in Toledo (Ohio). Aus ihrer dortigen Zusammenarbeit mit dem Wegbereiter der amerikanischen Familiengerichtsbewegung, Judge Paul W. Alexander,97 trug ihre Forschungsarbeit entscheidende Akzente des von ihm entwickelten Therapeutischen Ansatzes. Nach dem von Judge Paul W. Alexander entwickelten Verfahren hatten die Eheleute eine Therapie bei einer mit Medizinern, Psychologen, Pädagogen, Psychiatern, Sozialarbeitern, Jugendgerichtshelfern und anderen Beratern ausgerüsteten Abteilung des zuständigen Familiengerichts in Anspruch zu nehmen, bevor sie den Antrag auf Scheidung bei dem zuständigen Familienrichter stellten.98 Die Anhänger dieser Bewegung erachteten den Scheidungsantrag lediglich als Symptom der ihm ursächlich zugrunde liegenden Ereignisse 96 Roscoe Pound, The Theory of Judicial Decision. III. A Theory of Judicial Decision for Today, in: Harvard Law Review (1923), Vol. 36, p. 940, 953 – 956. 97 Vgl. hierzu die Ausführungen im 4. Kapitel zur beruflichen Tätigkeit Munks als Marriage Counselor. 98 Quintin Johnstone, Die Entwicklung von Familiengerichten in den Vereinigten Staaten, in: Archiv für die Civilistische Praxis, 154. Band, Heft 1, S. 34, 36, 40 – 42.
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und Not in den Familien.99 Die Vielzahl außerrechtlicher, außerrichterlicher und außergerichtlicher Helfer charakterisierten die Vielzahl der Ereignisse, die sich in einer Ursache für die Scheidung bündelten, weshalb im Kontext der Sozialisation der betreffenden Familie aus Sicht der Familiengerichtsbewegung die Schuldfrage im Scheidungsrecht fehl am Platze sei.100 Ein Familiengericht war nach den Vorstellungen der Anhänger des Therapeutischen Ansatzes ein Gericht mit einer für die Probleme der Familien allumfassenden, auch außerrechtlichen und damit sozialen Zuständigkeit, das nur als Ultima Ratio ein Scheidungsurteil sprach und auch dann zugleich die Scheidungsfolgen regelte, allerdings in den Zeitphasen zuvor die Familien begleitete und die Durchführung einer allumfassenden Lebensberatung und Lebensführung der Familien überwachte.101 Mit dem Therapeutischen Ansatz entließ die Justiz die Ehepartner und Familien aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht, indem soziale, medizinische und psychologische Experten die Ehepartner aus der Krise zurück in die gemeinsame Verantwortung überführten. Der therapeutische Ansatz wollte weder vor dem Scheidungsantrag den Ehepartnern und Familien die Verantwortung für ihre Lebensführung abnehmen, noch nach der Urteilsverkündung die soziale Umsetzung des Streitergebnisses im „luftleeren Raum“ stehen lassen, weil der neue Typus des Familienrichters die Umsetzung des Urteils zu überwachen 102 hatte. Zu diesem Zweck wurde sechs Jahre s päter im amerikanischen Bundesstaat Michigan ein Amtsanwalt mit weitreichenden rechtlichen Befugnissen eingesetzt.103 Einem solchen Verfahrensende hielt Marie Munk der Justiz bereits in ihrem Life Adjustment Center einen uneingeschränkten Datenschutz für eheliche und Familienangelegenheiten entgegen. Es war der Datenschutz, der Marie Munks Forschung von dem Therapeutischen Ansatz unterschied. Und genau nur dieser Akzent Marie Munks gab den Ehepartnern und Familien die volle Verantwortung für ihre Lebensführung erst zurück. Aber könnte es nicht deshalb sein, dass das munksche Verfahren den Leidensweg in familiärer Krise verlängerte? Diesen Gedanken griff Max Rheinstein für eine Kritik am Therapeutischen Ansatz auf. 99 Quintin Johnstone, Die Entwicklung von Familiengerichten in den Vereinigten Staaten, in: Archiv für die Civilistische Praxis, 154. Band, Heft 1, S. 41 – 42. 100 Quintin Johnstone, Die Entwicklung von Familiengerichten in den Vereinigten Staaten, in: Archiv für die Civilistische Praxis, 154. Band, Heft 1, S. 42. 101 Ebd. 102 Quintin Johnstone, Die Entwicklung von Familiengerichten in den Vereinigten Staaten, in: Archiv für die Civilistische Praxis, 154. Band, Heft 1, S. 36. 103 Der amicus curiae, in: Quintin Johnstone, Die Entwicklung von Familiengerichten in den Vereinigten Staaten, in: Helmut Georg Isele (Hg.), Archiv für die Civilistische Praxis, 154. Band, Heft 1, Tübingen 1955, S. 37 Fußnote 10 unter Bezug auf das im Jahre 1951 in Kraft getretene Statut.
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2.3.3 Vergleich zu Max Rheinsteins Kritik am Therapeutischen Ansatz Aus Sicht Max Rheinsteins werde eine Scheidung durch eine langwierige und womöglich langjährige Eheberatung und Ehebegleitung verschoben. Die gesetz lich geregelten Ehescheidungsgründe würden überflüssig. Sollte letztendlich doch der Richter scheiden müssen, trüge seine Entscheidung vermehrt subjek tiven Ballast und nehme dem Richter den objektiven Blick. Rechtsunsicherheiten entstünden auch durch eine regional unterschiedliche Verfahrensweise an den Familiengerichten in den jeweilig rechtlich unterschiedlichen amerikanischen Bundesstaaten.104 Der Betrachter mag an dieser Stelle nicht vergessen, dass Max Rheinsteins Feststellungen 10 bis 12 Jahre nach den Forschungen von Marie Munk getroffen wurden, nachdem er sein „Proposal of Research on the Family Court“ nicht verwirklichen konnte.105 Die Argumente Max Rheinsteins überzeugen deshalb nur insoweit, als der Betrachter seine Brille für das Recht aufbehält. Nimmt er diese ab und wagt es, wie Marie Munk es getan hat, die gesetzlich geregelten Scheidungsgründe sozial zu verifizieren, kommt er um die Entdeckung nicht umhin, dass sich im Familienrecht die sozialen Ereignisse, die eine Scheidung begründen könnten, einer rechtlichen Regelung dauerhaft entziehen. Es kommt noch hinzu, dass gerade in den amerikanischen Common-Law-Staaten ein Familienrecht, wie nach deutschem Vorbild, gar nicht existiert, und charakteristisch der Begriff „Family Relations“ verwendet wurde.106 Max Rheinsteins Kritik des Therapeutischen Ansatzes 12 Jahre später setzte in der Phase des Übergangs z wischen den so bezeichneten „Family Relations“ und der Erstarkung eines eigenen amerikanischen „Family Law“ an.107 Gleichwohl bleibt trotz dieses amerikanischen rechtsgeschichtlichen Wandels nicht aus, dass der Erkenntnis des Richters zwangsläufig die s oziale und sozialpsychologische Arbeit von Experten vorgeschaltet sein muss. Letztere käme nicht nur im Erfolgsfall auch ganz ohne die richterliche Erkenntnis aus, weil unterschiedlichste eheliche und außereheliche Faktoren die „Stoffgesetzlichkeit“ des Familienrechts bestimmen. Doch diese Vielzahl der Faktoren in das Recht einfließen zu lassen, obgleich es sich bei diesen Faktoren um Werte und Bedingungen einer bestimmten Epoche handelt, bliebe ein unlösbares Unterfangen.108 104 Vortrag mit dem Titel „Practical Problems of Jurisdiction, Organization and Functioning of Courts in Handling Divorce“, in: Max Rheinstein Papers, Special Research Center, University of Chicago, Box 57 Folder 1; Max Rheinstein, The Law of Divorce and the Problem of Marriage Stability, Vanderbilt Law Review, Vol. 9, 1956, p. 633 – 664, p. 637 – 640; ders., Marriage, Stability and Divorce and the Law, Chicago 1972, p. 377. 105 Max Rheinstein Papers, Special Research Center, University of Chicago, Box 50 Folder 4. 106 Wolfram Müller-Freienfels, Familienrecht im In- und Ausland, S. 58 – 59. 107 Ebd., S. 60. 108 Wolfram Müller-Freienfels, Ehe und Recht, S. 45 – 47.
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Dieses verhinderte Marie Munk mit ihrem Verfahren. Vielmehr noch: Über den Datenschutz wollte Marie Munk dafür sorgen, dass die richterliche Erkenntnis durch subjektiven Ballast gerade nicht angereichert werden sollte. Der Datenschutz-Ansatz bei Marie Munk ergänzte darüber hinaus zweierlei: 1. Der Datenschutz sicherte eine unbefangene Kommunikation zwischen dem Marriage Counselor und seinen Klienten; 2. Der Datenschutz sicherte die Verantwortung über die Ehe und das Familienleben den Ehegatten. Eine Rückgabe der Verantwortung der Ehegatten für ihre eheliche Lebensgemeinschaft und ihre Kinder über das Scheidungsrecht an das Gericht sollte aus Sicht Marie Munks nicht mehr ohne Weiteres möglich sein. Mit ihrem Datenschutz-Ansatz ging Marie Munk über die heute obligatorisch allseits anzutreffende Diskussion, w elche die Verschwiegenheitspflicht in den Blick nimmt,109 weit hinaus. Marie Munk hatte bereits zehn Jahre vor der in den 1950er- Jahren einsetzenden Scheidungsreformbewegung in Deutschland erkannt: Die Ehe und die Familie sind „sowohl Natur als auch Kultur, mithin Idee, Wertung und Wert“110 zweier und mehrerer Personen. Kultur im Sinne des Datenschutzes war somit aus Sicht Marie Munks nicht nur die Verschwiegenheit, sondern Datenschutz war ein Vehikel für die Verantwortung der Ehegatten. Für das Gesetz und den Richter übrig gelassen hatte Marie Munk, dem Therapeutischen Ansatz folgend, nur die Scheidungsfolgen. Diese hatte sie, im Unterschied zu Max Rheinstein und den Verfechtern des Therapeutischen Ansatzes, aber auch nur bedingt dem Richter zugewiesen, worauf an anderer Stelle noch einzugehen sein wird. Angesichts der in den amerikanischen Bundesstaaten unterschiedlich geregelten Ehescheidungsgründe, fragte sich Marie Munk zehn Jahre s päter, ob die Rechtsmaterie der Eheschließung und des Scheidungsrechts durch ein amerikanisches Bundesgesetz überhaupt geregelt werden könne.
3. Gesetzesvergleichende Studie über das Eherecht, das Ehegüterrecht, das Erbrecht und die Adoption in Nordamerika und in Südamerika (1953 – 1954) Der wissenschaftlichen Studie Marie Munks mag sich der Leser widmen, nachdem ihm die Entstehung der wissenschaftlichen Studie kurz skizziert wurde.
109 Hier sei nur auf den neusten Aufsatz mit weiteren Nachweisen verwiesen: Peter-Christian Kunkel, Möglichkeiten und Grenzen der professionellen Kommunikation in der Familien gerichtsbarkeit mit Blick auf Verschwiegenheitspflicht und Datenschutz, in: Familie – Partner schaft – Recht, 19/2013, Heft 11, S. 487 – 491. 110 Wolfram Müller-Freienfels, Ehe und Recht, S. 47. Hervorhebung nicht im Original.
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3.1 Entstehung der wissenschaftlichen Studie Mit ihrer Studie „Comparative Study of Requirements Concerning the Solemniza tion of Marriage“111 sicherte Marie Munk die Beteiligung der National Association of Women Lawyers an der 8. Conference of the Inter-American Bar Association (IABA), die vom 15. bis 22. März 1954 in Sao Paulo (Brasilien) stattfand. Den Auftrag für diese Studie hatte sie am 8. Januar 1954 erhalten.112 Diese Studie 113 sollte die Voraussetzungen zur Eheschließung, die Form und Gültigkeit der Eheschließung, das Ehegüterrecht, das Erbrecht und die Adoption in den nordamerikanischen Bundesstaaten und den südamerikanischen Staaten darstellen, um dann in einen eigenen Vorschlag einzumünden.114 3.2 Marie Munks Einführung in ihre wissenschaftliche Studie In den Vereinigten Staaten von Amerika wurde im Jahr 1911 ein „Uniform Marriage and Marriage License Act“ auf der National Conference on Uniform Law 115 von den Bundesstaaten Massachusetts und Wisconsin modifiziert angenommen und sein Inkrafttreten vorgeschlagen. Für die zukünftige Reformarbeit der National Conference on Uniform Law wurden die Vorschläge zum Handels- und Wirtschaftsrecht weit und breit akzeptiert, jedoch fanden Vorschläge zum Ehe- und Scheidungsrecht wenig Anklang. So war der Uniform Marriage and Divorce Act (adopted 1906) nur in Delaware, New Jersey und Wisconsin in Kraft getreten. Der Uniform Evasion Marriage Act (adopted 1911) war nur in Illinois, L ouisiana, Massachusetts, Vermont und Wisconsin in Kraft getreten. Aus Sicht Marie Munks bewies dies, dass unüberbrückbare soziale Differenzen nicht erlaubten, das Recht zu vereinheitlichen.
111 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 7 (Bar Ass. Copy, in der das Inhaltsverzeichnis fehlt) und LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538 (handschriftlicher Vermerk: „corrected copy“, mit handschrift lichen Verbesserungen, die sich als maschinenschriftliche Einarbeitungen im Nachlass des Smith College wiederfinden, in dem das Inhaltsverzeichnis vorhanden ist, jedoch die Fußnoten zu dem Appendix 2 fehlen). 112 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, Appendix 1 and 2, p. 1, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 113 Dokumentenanhang. 114 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, Appendix 1 and 2, Table of Contents, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 115 In dieser Körperschaft werden Vorschläge zur amerikanischen Rechtsvereinheitlichung ausgearbeitet. In: Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, p. 10, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 7.
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Deshalb könne die Materie der Eheschließung und des Scheidungsrechts nicht durch Bundesgesetz geregelt werden, ohne dass eine Verfassungsänderung mit einer 32-Stimmenmehrheit in beiden Kongressen erfolgt sei. Hernach bedürfe die Verfassungsänderung wiederum der Annahme durch drei Viertel bzw. 36 Bundesstaaten.116 Dieser Rechtslage widersprachen die amerikanischen Lebensverhältnisse. Bereits zu jener Zeit mussten die Menschen mobil sein und konnten es auch: Eine verbesserte Logistik, eine Beschäftigung in den verschiedensten Regionen der Bundesstaaten und die landwirtschaftliche Lebensweise hatten sich zu einer urbanen Lebensweise entwickelt. Die Menschen blieben weder über Generationen noch ein Leben lang an demselben Ort sesshaft.117 Unter diesen sozioökonomischen Vorzeichen entstand Marie Munks Studie über eine Rechtsvereinheitlichung. Es ging Marie Munk nicht nur um den rein verfassungsrechtlichen und rechtlichen Aspekt einer Rechtsvereinheitlichung, sondern sie wollte mit ihrem Gesetzesvergleich auch auf mögliche volkswirtschaftliche Wirkungen uneinheitlichen Rechts anregend hinweisen. Womöglich gerade deshalb sah sie den Gesetzesvergleich als willkommenes Instrument. Sogleich soll auf ihren Gesetzesvergleich ergebnisorientiert eingegangen werden, weil eine dezidierte prüfende Auseinandersetzung über die einzelnen Bestimmungen zu den vorgenannten Rechtsgebieten der 49 nordamerikanischen Bundesstaaten im Vergleich zu den unterschiedlichen südamerikanischen Staaten die vorliegende Arbeit unnötig ausgeweitet hätte. Insbesondere auch, wagte der Betrachter einen prüfenden Blick auf Marie Munks Studie, was die tatsächliche Rechtspraxis jener Zeit anbetrifft. Wichtig an dieser Stelle ist nur, wo und für was Marie Munk mit ihrer wissen schaftlichen Studie in groben Zügen ihre Akzente setzte. Zumal Marie Munks Studie im Dokumentenanhang einsehbar ist und sich noch weitere Forschungsfragen für andere Wissenschaftler – auch in einem rechtsökonomischen und sozio ökonomischen Aspekt – eröffnen könnten. 3.3 Allgemeine Gründe für das Rechtsinteresse am südamerikanischen Rechtskreis Die Gründe für das Rechtsinteresse an den südamerikanischen gesetzlichen Bestimmungen mögen auch in den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Beziehungen der nordamerikanischen und südamerikanischen Staaten zu jener Zeit gelegen haben. Es genügt an dieser Stelle, diese im Folgenden in einem sehr groben Abriss 116 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of M arriage, p. 1 – 12, p. 10, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 7. 117 Ebd.
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nachzuzeichnen. Bereits seit den 1920er-Jahren hatte Franklin Delano Roosevelt mit dem Schlagwort Good Neighbour Policy eine Politikwende in den Beziehungen zu den südamerikanischen Staaten propagiert. Es ging ihm um sozialen Wohlstand, weniger um den Erwerb von Territorien.118 Auf der Panamerikanischen Konferenz von Buenos Aires beschlossen die nordamerikanischen und südamerikanischen Staaten, gemeinsam die Demokratie gegen das nationalsozialistische Deutsche Reich zu verteidigen. Gleichwohl kam es noch nicht zu einer verteidigungsstrategischen Zusammenarbeit. Seit dem Ende des Jahres 1938 festigten gemeinsame Außenministertreffen die südamerikanische und nordamerikansiche Zusammenarbeit. Zugleich mündete die weitere Entwicklung in eine wirtschaftliche und technische Hilfe ein, bei der die im Jahre 1934 gegründete Import-Export-Bank den lateinamerikanischen Staaten Kredite gewährte. Mit dem Überfall Hitlers auf Polen wendeten sich die nord- und südamerikanischen Staaten gemeinsam gegen die Welteroberungspläne Hitlers. Zudem wurde Südamerika zu einem wichtigen Flüchtlingsland für die verfolgte deutsche jüdische Bevölkerung, weil die Vereinigten Staaten ihre Einwanderungsbestimmungen nicht geändert hatten.119 Auch nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg war für den nordamerikanischen Nachbarn das Wichtigste, dass die Situation in den lateinamerikanischen Staaten stabil blieb. Es kam zu dem Washington-Pakt: einem Bündnis von neun zentralamerikanischen und karibischen Kriegsteilnehmern, Großbritannien, China und der Sowjetunion sowie weiterer 13 Staaten gegen Hitler. Mit dem Inter-American-Defense-Board wurden die lateinamerikanischen Armeen auf den nordamerikanischen Standard ausgerichtet. Der innenpolitische Einfluss der USA auf die lateinamerikanischen Bundesstaaten verstärkte sich. Mexikanische Arbeiter wurden als Arbeitsersatz für die in den Krieg einberufenen Nordamerikaner in die USA geholt. Mit der Gründung der Organisation mexikanischer Staaten (OAS) mündeten in den 1950er-Jahren die politischen Beziehungen zwischen den nordamerikanischen und südamerikanischen Staaten in den Kampf gegen den Kommunismus ein. Neben großzügiger Militärhilfe stand im Jahre 1954 ein Großteil Lateinamerikas unter der Regierung von durch die USA gestützter Diktatoren.120 Doch es gab auch rechtliche Gründe, die Marie Munk bewogen haben könnten, auf das südamerikanische Recht gesetzesvergleichend zuzugreifen. 118 Robert H. Holden und Eric Zolov (Hg.), Latin America and the United States: A Documentary History, New York, Oxford University Press 2011, S. 142 zu Roosevelts Politik der guten Nachbarschaft seit 1933. 119 Siehe 4. Kapitel, Ziffer I. Nr. 3. 120 Stefan Rinke, Lateinamerika und die USA. Eine Geschichte z wischen Räumen von der Kolonialzeit bis heute, Darmstadt 2012,S. 88 – 105.
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3.4 Rechtliche Gründe für das Interesse am südamerikanischen Recht und seiner Praxis für die Eheschließung Die südamerikanischen Bestimmungen waren im Vergleich zu den nordamerika nischen Bestimmungen in den Heiratsvoraussetzungen, im Eheschließungsverfahren und beim Ersetzen der elterlichen Einwilligung rigider. Die Brautleute waren in Südamerika bis zur Volljährigkeit rechtlich verpflichtet, für eine Eheschließung die Zustimmung der Eltern einzuholen. Diese Einwilligung der Eltern konnte in Nordamerika bereits ersetzt werden, wenn einer der Elternteile die Einwilligung für die Eheschließung verweigerte. Der Richter konnte in Südamerika hingegen die Einwilligung der Eltern nur dann ersetzen, wenn die Eltern ohne triftige Gründe die Einwilligung verweigerten. In Nordamerika konnte der Richter gar aus sozia len Gründen einen Dispens von dem Alterserfordernis erteilen oder – so meinte Marie Munk aus den Vorschriften und der Rechtspraxis zu erkennen – die Brautleute erklärten, die elterliche Einwilligung sei erteilt worden. Nur 4 der 49 nordamerikanischen Bundesstaaten wandten kein Common Law an. Mit der Folge, dass über die Hälfte der nordamerikanischen Bundesstaaten für Mädchen ab dem 12. und für Jungen ab dem 14. Lebensjahr einer Heirat zustimmten. Die meisten Paare in Nordamerika heirateten, wenn die Frau das 16. und wenn der Mann das 18. Lebensjahr vollendet hatte. Obgleich bis zu diesem Lebensjahre die Eltern in eine Heirat ihrer Kinder einwilligen mussten. In Südamerika heirateten die Frauen im 12. Lebensjahr und die Männer im 14. Lebensjahr.121 Für beide Länder stellte Marie Munk fest: Die Praxis umgehe zwei Absichten der elterlichen Einwilligung. Zum einen den Schutz vor unüberlegter Heirat, zum anderen den Schutz der Eltern vor zusätzlichen Verpflichtungen für die Enkel, für den Fall, dass die Ehe der Kinder erfolglos bliebe.122 Für den gesundheitlichen Nachweis für eine Eheschließung würden nur 12 der 49 nordamerikanischen Bundesstaaten kein Gesundheitszeugnis verlangen. Allerdings nur 4 der 37 nordamerikanischen Staaten forderten einen ausführlichen negativen und ärztlichen Befund. Darüber hinaus werde – hatte Marie Munk recherchiert – nur in 8 von 37 nordamerikanischen Bundesstaaten eine Heirat wegen einer Erkrankung untersagt, obgleich die betreffenden Erkrankungen unter den „Eugenic Marriage Act“ hätten subsumiert werden können. In Südamerika verlange nur der Staat Mexiko ein Gesundheitszeugnis.123 Für die Eheschließung folge das Recht in Südamerika konkret 121 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, p. 1 – 7, Appendix 1, p. 1 – 2, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 122 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 123 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, Appendix 1, p. 1 – 2 und Appendix 2, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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festgelegten Wartefristen, Anträgen, dem Zeugenerfordernis und einem formalisierten Verfahren. Die Ehe würde nach Marie Munks Studie in ganz Südamerika anerkannt, wenn sie registriert sei.124 In den nordamerikanischen Bundesstaaten herrsche durch das „Informal Common Law“125 sowie durch sogenannte „Marriage Market Towns“126 und in der Rechtsfrage um die Anerkennung einer Ehe im Fall des Wohnsitzwechsels von einem in einen anderen nordamerikanischen Bundesstaat 127 eine für die Eheleute unübersehbare Rechtszersplitterung.128 Letztere konnte die Eheleute vermögensrechtlichen negativen Wirkungen aussetzen. Deshalb ging Marie Munk auf die Adoption, auf das Erbrecht und das Ehegüterrecht der Ehegatten ein. 3.5 Die Stellung der Frau im Ehegüterrecht und im Erbrecht im Vergleich So, wie Marie Munk das südamerikanische Ehegüterrecht schilderte, erinnerte es an die deutsche Errungenschaftsgemeinschaft. Das während der Ehe erwirtschaftete Vermögen wurde – so stellte sie fest – Gemeinschaftsgut. Dieses wurde vom Mann verwaltet. Der Mann konnte jedoch nur dann darüber verfügen, wenn die Frau zugestimmt hatte. Durch ehegüterrechtliche Verträge vor der Eheschließung konnte der Güterstand geändert werden; allerdings nicht während der Ehe. Es sei denn, der Richter musste das während der Ehe erwirtschaftete Vermögen (z. B. gegen Verschwendung) sichern. Die Art des Vermögens und das Erbrecht beschränkten das Recht der Ehegatten, testamentarisch zu verfügen.129 Den historisch-wirtschaft lichen Gründen für diese Regelungen ging Marie Munk nicht nach. 124 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 125 Nach dem „Informal Common Law“ genügte es, wenn Frau und Mann formlos vereinbarten, zukünftig Eheleute sein zu wollen und als Eheleute nach außen hin aufzutreten, ihre ehe lichen Pflichten erfüllten und auch rechtlich als ein Ehepaar im Alltag behandelt wurden. Eine Informal-Common-Law-Ehe war gültig in dem amerikanischen Bundesstaat, in dem sie geschlossen worden war. In: Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 126 In Marriage Market Towns benötigten die Brautleute kein Aufgebot. 127 Nach dem Ergebnis von Marie Munks Studie war nach dem so bezeichneten „Evasion Law“ eine in einem anderen Bundesstaat geschlossene Ehe ungültig. So z. B. in Delaware, District of Columbia, Indiana, Maine, North Carolina, Oklahoma, Philadelphia und Utah. In: Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 128 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, p. 1 – 7, Appendix 1, p. 1 – 2, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 129 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, p. 9, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 7.
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In den nordamerikanischen Common-Law-Bundesstaaten hatte der Mann die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Frau. Die Frau konnte ihr Vermögen verlieren, wenn der Mann in Konkurs gehen musste oder beide Vermögen verprasste oder verspielte. Auch in der Gütergemeinschaft in den vom französisch-spanischen Recht beeinflussten nordamerikanischen Bundesstaaten verfügte allein der Mann über das eheliche Vermögen. Es konnte das Güterrecht durch das Steuerrecht de facto unterlaufen werden, indem die Ehegatten über das Ehegattensplitting einen Einkommensvorteil (quasi im Widerspruch zur Gütergemeinschaft) erzielten. Nach der Scheidung erhielten die schuldig gesprochenen Ehegatten nur nach Billigkeitsgesichtspunkten ihren hälftigen Anteil aus der Gütergemeinschaft. Aber nicht nur dann waren ehegüterrechtliche Ansprüche gefährdet. Es konnte die Frau ihre Ansprüche aus dem Ehegüterrecht verlieren, wenn sie mit ihrem Mann in einen anderen amerikanischen Bundesstaat mit einem anderen Güterrechtssystem übersiedelte.130 Die uneingeschränkte testamentarische Verfügungsbefugnis in den nordamerikanischen Bundesstaaten brachte die Frau in die Gefahr des Verlustes ihres Anspruchs aus dem Rechtsinstitut Dower,131 da nur in einigen Bundesstaaten die Verfügungsbefugnis des Mannes am Grundeigentum beschränkt war. Die Formanforderungen an ein Testament waren in den einzelnen nordamerikanischen Bundesstaaten unterschiedlich.132 3.6 Die Adoption im Vergleich In den nordamerikanischen und in den südamerikanischen Bundesstaaten waren die Vorschriften zu jener Zeit all zu unterschiedlich, sodass für die Studie von Marie Munk eingeräumt werden muss, dass diese womöglich, insbesondere für den südamerikanischen Rechtsraum, ergänzungsbedürftig sein könnte. Diesem Aspekt soll aber an dieser Stelle nicht ausführlich nachgegangen werden, weil dies die werkbiografischen Grenzen der vorliegenden Arbeit überschreiten würde. Wichtig ist nicht, ob Marie Munk jede einzelne Bestimmung des nord- und südamerikanischen Rechts bis in das Kleinste ausgeleuchtet hat. Wichtig war, was Marie Munk in groben Zügen für die nordamerikanischen Bundesstaaten herausgearbeitet hatte: bereits eine Registrierung für die Rechtsgültigkeit der Adoption war für das Erbrecht des adoptierten Kindes in verschiedenen nordamerikanischen 130 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, p. 7 – 8, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 7. 131 Siehe 5. Kapitel, Ziffer II. Nr. 1.4. zur Beziehung von Marie Munk und Max Rheinstein. 132 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, p. 8 – 9, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 7.
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Bundesstaaten rechtserheblich. Aber nicht alle nordamerikanischen Bundesstaaten schrieben die Registrierung für einen Adoptionsvertrag vor. Ebenfalls nachteilige Folgen konnte es geben, wenn eine erbrechtliche Auseinandersetzung über Grundbesitz erfolgen musste. Das gerichtliche Verfahren fand in dem nordamerikanischen Bundesstaat statt, in dem sich der Grundbesitz befand.133 3.7 Vorschläge Marie Munks für einen Uniform Act on Solemnization of Marriage Marie Munk unterbreitete einen „Uniform Solemnization Act“134 ausschließlich für die nordamerikanischen Bundesstaaten nach den folgenden Prinzipien: 3.7.1 Bundeseinheitliche Rechtsgültigkeit der Eheschließung Die nach dem Recht des jeweiligen Staates geschlossene Ehe sollte auch in anderen Bundesstaaten rechtsgültig sein. Es sei denn, dies verstieße gegen das Gemeinwohl oder gegen vorrangiges Recht (zum Beispiel Bigamie oder wenn die Heirat allein zu dem Zweck geschlossen wurde, um Vorschriften des Heimatbundesstaates zu umgehen).135 3.7.2 Zur Eheschließung und zur Eheschließung nach einer Scheidung Die nach einer Scheidung geschlossene Ehe solle rechtsgültig sein. Auch dann, wenn der schuldige Teil möglichen Beschränkungen aus dem Scheidungsurteil ausgewichen sei. Die Eheschließung soll auch in dem Bundesstaat gültig sein, dessen rechtliche Heiratsbeschränkungen umgangen wurden.136 Die Eheschließung müsse vor einer öffentlichen Stelle oder vor einer mit öffentlichen Vollmachten ausgestatteten religiösen Organisation vollzogen werden. Zwei Zeugen sollten anwesend sein. Die Zeugen, die Brautleute und ein „Standesbeamter“ sollten den Akt der Eheschließung vollziehen und die Eheurkunde handschriftlich unterschreiben.137 Eheschließungen über das Telefon oder durch Vertreter sollten nur in dem nordamerikanischen Bundesstaat rechtsgültig sein, in dem die Annahme erfolge. Eine Heirat vor dem Konsul einer Botschaft sollte rechtsgültig sein nach den Vorschriften des
133 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of Marriage, p. 1 – 12, p. 9 – 10, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 7. 134 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of M arriage, p. 1 – 12, p. 10, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 7. 135 Ebd. 136 Ebd. 137 Ebd.
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Landes, das er repräsentiert oder den Ländern, mit dem Beziehungen bestehen.138 Eheschließungen auf einem Schiff oder in einem Flugzeug sind als rechtsgültig zu beurteilen, wenn das amerikanische Recht angewandt werde.139 3.7.3 Einwirkungen des Informal Common Law Die Grundsätze des Informal Common Law sollten weiterhin gelten. Es sei denn, die Ehepartner seien aufgefordert worden, ihre Heirat formell zu vollziehen oder registrieren zu lassen.140 3.7.4 Prüfung der Heiratsvoraussetzungen Ohne Heiratserlaubnis könne es fortan eine Eheschließung nicht geben. Ohne eingehende Prüfung ihrer Voraussetzungen (Alter, elterliche Einwilligung, Beschränkungen aus dem Scheidungsurteil) und der Hinderungsgründe (Heirat unter Minderjährigen) dürfe eine Heirat nicht vollzogen werden. Zu d iesem Zweck müssten die einschlägigen Dokumente (Geburtsurkunden etc.) vorgelegt werden.141 In der Rechtsvereinheitlichung sei ein Gesundheitszeugnis der Brautleute unabdingbar. Solange ein Gesundheitszeugnis nicht obligatorisch in allen Bundesstaaten gefordert würde, wäre den Brautleuten zu raten, ein dementsprechendes Zeugnis freiwillig beizubringen. Seine Ausstellung sollte nicht länger als drei Wochen vor der Antragstellung für die Eheschließung zurückliegen.142 Zwischen der Antragstellung und der Ausfertigung der Heiratserlaubnis dürften nicht mehr als fünf Tage liegen, um unüberlegte Eheschließungen zu verhüten. Auf Wartefristen, Gesundheitszeugnisse oder die Vorlage vorgenannter Dokumente könne nur nach juristischer Prüfung verzichtet werden. Notheiraten sollten in Anwesenheit vor einem Behördenvertreter oder einem Geistlichen geschlossen werden können. Nur in diesen Ausnahmefällen würde die Vorlage und Prüfung der formalen Voraussetzungen entbehrlich sein. Allerdings stelle sich dann im Falle des Überlebens des betreffenden Ehepartners die Frage, ob die formalen und materiellen Voraussetzungen für die Eheschließung nachgeholt werden müssten.143
138 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of M arriage, p. 1 – 12, p. 11, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 7. 139 Ebd. 140 Ebd. 141 Ebd. 142 Ebd. 143 Ebd.
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3.7.5 Elterliche Einwilligung Die elterliche Einwilligung müsse bei Männern bis zum 21. und bei Frauen bis zum 18. Lebensjahr gefordert werden. Lebten die Eltern der Brautleute nicht getrennt, so sei die Einwilligung durch beide Elternpaare zu zeichnen. Im Falle des Todes, nach der Scheidung oder bei Getrenntleben sollte die elterliche Einwilligung von dem Elternteil gezeichnet werden, dem das Sorgerecht obläge. Sind beide Elternpaare verstorben oder verweigere ein Elternpaar, beide Elternpaare oder der Vormund ohne triftige Gründe die Einwilligung zur Heirat, vermag ein Vormundschafts- oder Jugendrichter, die Einwilligung zu ersetzen. Vorausgesetzt, die Eheschließung liegt im Interesse des Brautpaars. Eine richterliche Einwilligung sei aus Sicht Marie Munks erforderlich, wenn der Bräutigam das 14. und die Braut das 12. Lebensjahr vollendet habe. Insbesondere dann, wenn die Braut bereits schwanger sei.144 3.7.6 Heiratsurkunde Nach der Eheschließung müsse beiden Ehepartnern eine Heiratsurkunde ausgefertigt werden. Es erfolge sodann der Eintrag in das Heiratsregister des betreffenden Bundesstaates.145 3.7.7 Härtefälle Siedelten die Ehepaare von einem in einen anderen Bundesstaat über, rufe die gegenwärtige Rechtslage vermögensrechtliche Härten für die Eheleute hervor, die beseitigt werden müssten. Härten ergäben sich insbesondere für das Eigentumsrecht von Mann und Frau, die Ehelichkeit der Kinder, w elche vor der Eheschließung geboren waren, die Adoption und das Erbrecht.146 Munk forderte, solange eine Rechtsvereinheitlichung in den nordamerikanischen Bundesstaaten nicht existiere, müsse den Eheleuten zu dem Zeitpunkt der Bürgeroder Wählerregistrierung eine Vertragsurkunde mit den wesentlichen rechtlichen Regelungen über die eherechtlichen Beziehungen, das Rechtsverhältnis z wischen den Eltern und Kindern, das Erbrecht und über letztwillige Verfügungen übergeben werden. Ehepaare, die des Lesens und Schreibens unkundig seien, sollten juris tischen Beistand in Anspruch nehmen können.147
144 Ebd. 145 Ebd. 146 Ebd. 147 Marie Munk, A Comparative Study of Requirements Concerning Solemnization of M arriage, p. 1 – 12, p. 12, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 12 Folder 7.
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3.7.8 Vorschläge Marie Munks für einen Rechtsvergleich Die Rechtsunterschiede in den amerikanischen Bundesstaaten zur Eheschließung, zu ihren Voraussetzungen und zum Eherecht sowie die Anwendung von geschriebenem Recht und Schiedssprüchen machten es erforderlich, das ungeschriebene „Common Law“ des jeweiligen Bundesstaates zu untersuchen. Im Gegensatz zu den amerikanischen Bundesstaaten verfügten die südamerikanischen Staaten über detaillierte Rechtsvorschriften, die weitestgehend einheitlich wären. Diese Vorschriften seien zudem darauf ausgerichtet, ungültige und voreilige Eheschließungen zu verhindern. Es sei aus Sicht Marie Munks angesichts der wirtschaft lichen und sozialen Mobilität der Eheleute eine Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung unumgänglich. Es gab aus ihrer Sicht keine Argumente, die daran hindern könnten, dass das Recht die Rechtsgültigkeit der Ehe außerhalb des Bundesstaates, in dem diese geschlossen worden war, auch als rechtsgültig geschlossen zu betrachten. Es müssten die Ehepaare über die Rechtsfolgen für ihr Eigentumsrecht und ihr Erbrecht informiert werden, wenn sie den Wohnsitz wechselten.148
4. Schlussbewertung Die Autorin dieser Arbeit hat nicht feststellen können, ob die Vorschläge von Marie Munks Studie Eingang in entsprechende Beratungsunterlagen zur nordamerikanischen Rechtsvereinheitlichung gefunden haben. Der Leser dieser Studie vermag in Anbetracht der bisherigen Forschung Marie Munks zu einem vorläufigen interessanten Ergebnis für das Eherecht kommen. Eine offene Charakteristik der Voraussetzungen für eine Eheschließung in Recht und Praxis in den nordamerikanischen Bundesstaaten im Vergleich zu den von Marie Munk als soziale Gründe für eine Scheidung erforschten Merkmalen, wie Erkrankungen (Alkoholismus pp.), aber auch die Unerfahrenheit der Eheleute kombiniert mit einem Eintritt in die Ehe vor der Geschäftsfähigkeit (ggf. ohne Einwilligung der Eltern) legte dar, dass mangelnde oder lockere Form- und Verfahrensvorschriften für eine Eheschließung das Scheitern einer Ehe beförderten. Marie Munk nahm insbesondere bei dem sozialen Merkmal der Erkrankung nicht die Eugenik, sondern eine physische und/oder psychische Überforderung der Ehegatten in den Blick, die sich ehezerrüttend auswirken könne. Es war nicht nur das schwierige Anerkennungsverfahren der Eheschließung, für den Fall, dass die Ehe in einem anderen nordamerikanischen Bundesstaat geschlossen worden war, als in dem Bundesstaat, in dem die Ehegatten sich später wirtschaftlich und 148 Ebd.
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arbeitsbedingt niederließen. Genau betrachtet sprach sich das Recht mit seinen lockeren Verfahrensvorschriften bereits gegen die Ehe aus. Neben diesem ersten Ergebnis zeigte sich zum Zweiten die Bedeutung verfahrensrechtlicher Vorschriften für eine materiellrechtliche Reform. Im Gegensatz zu einer materiell-recht lichen Reform vermag eine Reform von VERFAHRENSVORSCHRIFTEN ALS WERTNEUTRALE NORM die Chance zu eröffnen, die mit einem materiell- rechtlichen Diskurs verbundene Diskrepanz über soziale oder/und religiöse, kulturelle sowie bildungshistorisch gewachsene Strukturen im Familienrecht lautlos zu überwinden, ohne die geplanten Reformbestrebungen einem sozial, religiös, rechtspolitisch oder einem rechtshistorisch gewachsenen rechtspolitischen Diskurs Preis zu geben. Darüber hinaus reizt zum Dritten die Reforminitiative Munks zu einem wirtschaftlichen Anknüpfungspunkt der Betrachtung, insbesondere für das Ehegüterrecht. Das gilt umso mehr, wenn im Falle eines Wohnsitzwechsels zur Zeit der ehelichen Lebensgemeinschaft das z wischen den Ehegatten geltende Ehegüterrecht und der wirtschaftliche Gewinn einer Ehe durch Gesetz und Recht zerstört oder zumindest gefährdet wurde. Im Vergleich zu Nordamerika sah Südamerika dezidierte einheitliche Regelungen vor. Der Leser mag an dieser Stelle z. B. die Entwicklung in Chile betrachten: Chile hatte keine historisch gewachsene Familiengesetzgebung 149 und verankerte bis in seine Verfassung von 1822 hinein 150 nur vereinzelt das Postulat der Gleichheit.151 Die Gleichberechtigung ist erst seit der Verfassungsänderung von 1999152 verankert. Chile stellte erst ab der Verfassung von 1980153 die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Eine chilenische soziologische Studie zeigt, dass „Familie weitgehend als Produkt staatlichen Handelns definiert“154 wurde, sodass sich hieraus die stringente südamerikanische Rechtslage im Vergleich zu Nordamerika erklären ließe. Miteinbezogen in die an dieser Stelle begonnenen skizzenhaften Überlegungen für einen weiteren Forschungsausblick muss auch sein, dass Südamerika im Vergleich zu Nordamerika ein armes Land ist.
149 Ursula Pohl, Familienrecht in Chile, Baden-Baden 2013, S. 21. 150 Ebd., S. 29. 151 Die Verfassung von 1833 garantiert erstmals die Gleichheit vor dem Gesetz. Jedoch die Verfassungen von 1925, 1943 bis 1970 enthalten die Gleichheit nicht. Auch die Verfassungsreformen der Allende-Regierung verankern die Gleichheit mehr im Sinne einer sozialen, auf den Arbeitsmarkt ausgerichteten Gleichheit. In: Ursula Pohl, Familienrecht in Chile, S. 56 – 60. 152 Ursula Pohl, Familienrecht in Chile, S. 63. 153 Ebd., S. 61. 154 Wenn der Betrachter das spanische Wort „chilenos“ sowohl als männliche wie weibliche Form erachtet: Ursula Pohl, Familienrecht in Chile, S. 53.
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Forschungen und Forschungsaufträge
So waren es, trotz Trennung von Staat und K irche seit dem Jahre 1925 in Chile, neben dem katholisch-kulturellen Einfluss auf Erziehung und Bildung auch wirt schaftliche und volkswirtschaftliche Traditionen, über die sich symbolisch die „Familie“ als zentraler Ort für die Chilenen definieren ließ. Darin zu erkennen, dass sich eine klare ehegüterrechtliche Gesetzgebung im gesellschaftlichen Wandlungsprozess gegen eine Destabilisierung der Einheit von Familie aussprach. Mit der Folge, dass sich ausweislich soziologischer Untersuchungen über die Jahre 1930 bis 1960 zeigte, dass die Chilenen „Familie“ in ihren Elementen „katholische Bildung und Erziehung“, „Wirtschaftlichkeit der Familie“ und einer die Ehe und die Familie erhaltenden ehegüterrechtlichen Gesetzgebung als eigenes Familienmodell gelebt haben.155 Doch dieses volkswirtschaftliche Ziel des Ehegüterrechts in seiner Rechtstradition zu untersuchen, hat Marie Munk nicht in den Blick genommen. So die Autorin dieser Arbeit weiß, ist weder die interdisziplinäre Forschung, noch sind Reformgremien aus Politik und Wissenschaft dieser Fragestellung bisher dezidiert nachgegangen.
155 Ursula Pohl, Familienrecht in Chile, S. 31 – 32.
7. Kapitel Schriften und Manuskripte
Mit dem Begriff Manuskripte sind unveröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten Marie Munks umfasst, nur wenige Schriften Marie Munks sind publiziert worden. Die Themenauswahl spiegelte zum einen den historischen Verlauf ihres persönlichen und beruflichen Werdegangs ab 1936 wieder; zum anderen wurden sechs Themenblöcke sichtbar: Die damals noch junge Wissenschaft der Kriminologie verband Marie Munk mit ihrer Forderung nach einem neuen Wohlfahrtskonzept für die USA. In einer Analyse über die nationalsozialistischen Einflüsse auf Familie, Frau und K irche wagte Marie Munk einen Rückblick auf Deutschland und verdeutlichte die Rolle der Frau in Diktaturen. Weiterführender als die amerikanische Forschung zu jener Zeit legte Marie Munk dar, an w elchen drei zentralen Punkten Diktatoren in der Gesellschaft anknüpfen, um ihre Macht zu sichern. Deshalb kam der Rolle der Frau für einen Weg der Deutschen aus dem Nationalsozialismus zentrale Bedeutung zu, flankiert mit den Elementen politischer und kultureller Bildung für beide Seiten: für Sieger und für Besiegte eines Krieges. Aus dem Urteil im Remer-Prozess postulierte Marie Munk zivilen Ungehorsam der Bürger gegenüber Rechtsverstößen ihrer Regierung als wichtigstes Element einer Demokratie. Frauenrechte im amerikanischen Ehe- und Ehegüterrecht diskutierte Marie Munk vor dem Hintergrund einer Differenz z wischen geltendem Recht und sozialer Familieneinheit. Diese Differenz sei durch die geschlechtsspezifischen Festlegungen im Recht selbst begründet worden und könne nur dann mittels Reformen überwunden werden, wenn diesen eine rechtshistorische Evaluation des Rechts vorausginge. Marie Munk folgte für eine Gesetzgebung einem dreidimensionalen Ansatz, der insbesondere für Einwanderungsländer von besonderem Interesse sein könnte. Als transnationale Themen gaben die Rechtsstellung der Juristinnen, das Strafrecht, der Strafvollzug, das Ehe-, Ehegüter-, Familien- und Scheidungsrecht sowie die gesetzlich und staatlich subventionierte Wohlfahrt Einblick in ein zu damaliger Zeit unbekanntes und in heutiger Zeit neues Forschungsfeld. Für die beiden letztgenannten Themenbereiche griff Marie Munk auf schwedische Vorbilder zurück. Sie begründete ihr Modell eines Family Educator im Marriage Counseling Service und ihr bildungspolitisches Modell der Family Education. Fortan beurteilte Marie Munk den Begriff „Divorce“ weniger vor dem Hintergrund des Scheidungs-Rechts, als unter dem Blickwinkel des Auseinanderbrechens der Familie unter interdisziplinären Gesichtspunkten. Dieser Ansatz mündete in ein
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Schriften und Manuskripte
umfangreiches Manuskript mit dem Titel „Elements of Love and M arriage“ ein, mit dem Marie Munk Ende der 1950er-Jahre ihre wissenschaftlich-schriftstellerische freie Tätigkeit beschloss.
I. Einleitung Eingangs sollen die Bedingungen, unter denen Marie Munk ihre wissenschaftliche Forschung zu veröffentlichen gedachte, kurz beleuchtet werden. Es gab mehrere Einflüsse auf die Veröffentlichung ihrer Manuskripte: zum einen Munks Status als Immigrantin 1 und zum anderen die Struktur der amerikanischen Presse landschaft. Die Presse- und Verlagslandschaft der Vereinigten Staaten war zu damaliger Zeit bereits eine ganz andere als in Deutschland. Die amerikanische Presselandschaft wurde nur noch von Umsatzzahlen bestimmt. Das schreibende Handwerk gehörte nach amerikanischem Verständnis nicht zur intellektuellen Elite, wie in Deutschland, sondern wurde von den Faktoren Flexibilität und Kontakt bestimmt.2 1 Marie Munk nannte die Gründe, warum zwar vereinzelt Aufsätze, aber nicht ihre Manus kripte publiziert wurden: “I don’t believe than any American can fully realize what it means not only to listen constantly to a foreign tongue, but also to express one’s own thoughts in a foreign idiom. The more educated we are, the more eager we are to express ourselves, even in everyday conversation, in a manner which conveys our ideas most accurately, with all the overtones of a given word. The English language is unusually rich in synonyms. Those of us who did some writing – as I did – and who have a sense of style, have a feeling of frustration as long as we are only able to speak and write grammatically correct. (Or should I say ‘correct grammatically’? Is there not a shade of emphasis?) My drawers budget with manuscripts which were never printed. Some of them I never submitted to a publisher. Others I put away after I got two or three rejection slips. Quite often, it was not so much the contents, but rather the manner in which they were written, that did not appeal to the magazine editor who knew the taste of his readers. In the USA, even serious articles are written in a much lighter vein than in Germany. Contributors to scientific or professional journals do not expect to be paid. Similar journals in Germany pay fees to their authors. I could not afford to write only for the honour of seeing my name in print. Perhaps I should have done so. I am afraid that I was spoiled because I never had any difficulties in getting my manuscripts accepted in Germany. Some of these frustrations belong, of course, to a later period. I am mentioning them here because the language barrier is the very first problem which confronts the newcomer.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3509, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel II First Impressions as an Immigrant, S. 2a–2b. 2 Sigrid Schneider, Zwischen Scheitern und Erfolg: Journalisten und Publizisten im amerika nischen Exil, in: Gesellschaft für Exilforschung (Hg.), Publizistik im Exil und andere Themen, Band 7, München 1989, S. 52 – 53.
Einleitung
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Gar deutsche professionelle Journalisten konnten sich wenig Hoffnung auf eine Mitarbeit bei der New York Times oder der New York Herald Tribune machen. Es wurden deutsche Beiträge in den Zeitschriften aufgenommen, die als liberale Blätter galten, mit den Immigranten sympathisierten oder deren Themenkreise Deutschland, Europa oder/und Nationalsozialismus waren. Zu nennen sind: Saturday Review of Literature, Survey Graphic, New Republic, Nation, Independent Woman, die katholische Zeitschrift Commonwealth und, neben zwei sozialistischen Blättern (New Leader und Partisan Review), der Christian Science Monitor.3 Marie Munk publizierte in: Survey, in Independent Woman und im Chr. Sc. Monitor. Darüber hinaus muss bedacht werden, dass ihre Forderungen nur von deutschstämmigen Rechtswissenschaftlern, wie Max Rheinstein, oder von in das skandinavische Recht Eingeweihten, wie Thorsten Sellin, nachvollzogen werden konnten. Es darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass sich zur damaligen Zeit Deutschland im rechtspolitischen Ausnahmezustand befand. Deutschland als Diktatur konnte nicht beispielgebend für irgendeine Form von Neuerungen für das amerikanische Recht oder für die amerikanische Wohlfahrt sein. Seit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in Deutschland zog sich ein Bruch durch die seit dem 18. Jahrhundert begründete deutsch-amerikanische kulturelle Beziehung: „The German Character in the United States of America“ war nicht mehr gefragt, um nicht die amerikanische Gesellschaft mit dem nationalsozialistischen Virus zu infizieren. Es schien so, als wenn Marie Munk schreiben konnte, was sie wollte. Es wurde ihr nicht abgenommen.4 Munk bat einen Herausgeber der Appleton Century Co. um Unterstützung. Sie verwies darauf, dass nicht nur Prof. Kimball, sondern auch Prof. Albert C. Jacobs von der Columbia University ihre Manus kripte gelobt habe. Sie erwähnte allerdings auch, dass ihr der Verlag Mc Graw Hill abgesagt habe, mit der Begründung, dass er auf Soziologie nicht spezialisiert sei.5 Zu den von den Verlagen abgelehnten populärwissenschaftlichen Manuskripten gehörte „Family Law and Procedure“ und „Marriage and the Law“.6 Etliche 3 Sigrid Schneider, Zwischen Scheitern und Erfolg: Journalisten und Publizisten im amerika nischen Exil, in: Gesellschaft für Exilforschung (Hg.), Publizistik im Exil und andere Themen, Band 7, München 1989, S. 53 – 54. 4 “I wrote several articles and even poetry, mostly war poems. They did not see the light of print. I am a poor salesman, in this and other respects.” In: Dear-Friend-Brief, December 7, 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. Hervorhebung nicht im Original. 5 Schreiben Marie Munks an Mr. Fisher, Appleton Ventury Co., July 23rd, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9. 6 Bezeichnung des Buchprojekts in einer Erklärung zu ihrem deutschen Entschädigungsverfahren, in: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 55.
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Schriften und Manuskripte
Jahre später (1952) markierte Munk eine Liste über ihre unveröffentlichten Artikel mit den Worten „but was not successful“.7 So verblieb Marie Munks letztes und eins ihrer wichtigsten Manuskripte „Elements of Love and Marriage“ in ihrer Schreibtischschublade. Im Folgenden werden die Manuskripte historisch nach den Themen Divorce, Transnationales/Transatlantisches, Frauenrechte, der Weg der Deutschen aus dem Nationalsozialismus in die Demokratie, nationalsozialistische Einflüsse auf Familie, Frau und K irche vorgestellt. Im Folgenden soll mit dem Themenblock der damals noch jungen Wissenschaft der Kriminologie begonnen werden.
II. Zur neuen Wissenschaft der Kriminologie (ca. 1937 – 1938) Ein Manuskript Marie Munks griff Teeters damaligen Forschungsansatz zu den sozia len und gesundheitlichen Bedingungen von Kriminalität auf. Sie erweiterte diesen, indem sie ein effektives Zusammenwirken von Sozialpolitik und Recht einforderte.
1. What are we heading? – Crime or Social Welfare (ca. 1937 – 1938) Der Leser könnte auch sagen: Where are we heading (Wo stehen wir?). Nach den damaligen amerikanischen Statistiken waren 40 Prozent der Insassen von Nervenheilanstalten und 98 Prozent der Prostituierten geschlechtskrank. Nach dem Report des Philadelphia Municipal Court (1936) hatten von diesen 98 Prozent 54 Prozent Syphilis und 41 Prozent Gonorrhö. Viele verheiratete Frauen steckten sich bei ihren Ehemännern an. Der Anteil der erkrankten Frauen war bei den 17bis 24-Jährigen besonders hoch. Die schlechten sozialen Bedingungen vieler junger Mädchen, die in der Hoffnung auf ein besseres Dasein das Elternhaus frühzeitig verließen, waren ursächlich für die Prostitution. Der Bericht der Sozialarbeiter bestätigte, die Mädchen lebten in einer kleinen Wohnung zusammen mit 13 Personen. Ihre Eltern, 7 Töchter und 4 Söhne. 5 Mädchen, eine von ihnen war bereits verheiratet, teilten sich ein Bett. 2 Jungen schliefen auf der Couch, der jüngste Sohn, 2 Jahre alt, schlief im Bett seiner Eltern.8 Die Mädchen vermissten eine leitbildgebende Lebensführung („proper example and guidance“). Aber woher sollte diese kommen? 7 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9. 8 “The report of the social Worker disclosed that 13 persons had been living in a small apartment: the parents, seven daughters and four sons. Five girls, one of whom was married,
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Die Eltern waren entweder in 83 Prozent der Fälle getrennt oder der Vater war verstorben. Etliche alleinerziehende Frauen lebten mit mehreren Partnern gleichzeitig zusammen. In einigen Fällen war das Mädchen Vollwaise. Es gab in diesen sozial gestörten Verhältnissen (broken homes) keine sittlichen Maßstäbe (ethical standards), die diese jungen Mädchen hätten auf das Leben vorbereiten können. So verschlangen die jungen Mädchen Berichte über das Leben von Prominenten. Die jungen Mädchen waren nicht in der Lage, eigene Lebensentscheidungen zu treffen, sondern lediglich fremde Lebensweisen zu imitieren.9 Kein Wunder, dass der Report der Heilsarmee über Mütter im Alter von 11 und 14 Jahren berichtete. Die jüngste Jugendgerichtskriminalitätsstatistik des Children’s Bureau (Washington D. C.) und der Bericht des Philadelphia Municipal Court bestätigten, dass 70 Prozent und mehr der entlaufenen 9- bis 16-jährigen Mädchen Opfer von Sexualdelikten waren. Diese wiederum waren der Auslöser für die Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten gewesen. Waren die Familie, die Schule und die Gesellschaft ihren Verpflichtungen gegenüber diesen jungen Mädchen nachgekommen?, fragte Marie Munk kritisch.10 Nein, musste die Antwort lauten, und der Staat konnte es auch im N achhinein nicht; denn nach den Untersuchungen des Public Health Department in Washing ton standen nur für jeden 130.000. Einwohner der gesamten Bevölkerung eine Klinik zur Verfügung. In zwei Countys mit einem besonders hohen Anteil an farbiger Bevölkerung war ein medizinischer Versorgungsfahrdienst eingerichtet worden. Die Betreuung von schwangeren Frauen müsse uns die Schamesröte ins Gesicht treiben, hatte Joseph Earle Moore vom John Hopkins Hospital auf einer Konferenz in Washington hervorgehoben. Angesichts dieser Missstände entwickelte Marie Munk unter Bezug auf die Rechtslage in Schweden, Deutschland und der Tschechoslowakei folgende Eckpunkte, um diesem gesundheitspolitischen Dilemma zu begegnen: 1. Medizinische kostenlose Beratung der werdenden Mütter vor, während und nach der Schwangerschaft; 2. Pflegestationen für die Kleinkinder arbeitender Mütter; 3. Ein medizinisches Ehezeugnis, in dem die Feststellungen über Erkrankungen nicht älter als ein oder zwei Wochen sein dürften; shared one bed; two boys were accommodated on a couch; the youngest son, two years old, slept in the same bed with the parents.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542. 9 “Since these girls are not able to use own judgement, they are trying to imitate them.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542. 10 “Did the family, did the school and did society at large live up to their obligations towards these girls?” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542.
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4. Die erkrankte Frau habe den Namen des Mannes oder die Namen der Männer, mit denen sie verkehrt habe, den Gesundheitsbehörden bekannt zu geben; 5. Quarantäne erkrankter Personen; 6. Eine vom Staat bezahlte ärztliche Behandlung für alle infizierten Personen; 7. Öffentliche Aufklärung der gesamten Bevölkerung; 8. Strafrechtliche Verfolgung von Personen, die wissentlich und/oder willent lich weitere Personen mit Geschlechtskrankheiten angesteckt haben. Aus Marie Munks Sicht waren diese sozialen Verhältnisse eine Frage der Ausbildung und der Neuorientierung der gesamten Gesellschaft.11 Bildung und Orientierung – wer als Leser jedoch glaubte, dass durch sozialrecht liche Ansprüche soziale Probleme „geheilt“ werden könnten, wurde von Munk eines Besseren belehrt: All die gesetzlichen und rechtlichen Bestimmungen, wie sinnvoll und effektiv diese auch sein mochten, knüpften nicht an die Ursache der Probleme an, von dem tagein und tagaus ihr krankheiterregender Keim neu genährt würde.12 Prostitution sei kein rechtliches, sondern ein soziales Phänomen. Weder in Deutschland noch in den Vereinigten Staaten gäbe es eine Lizenz für die Prostitu tion. Diese Lizenz forderte Marie Munk ein. Sie könne zum Schutz der übrigen Bevölkerung nur auf der Grundlage medizinischer Untersuchungen und polizei licher Kontrolle vergeben werden. Darüber hinaus plädierte sie mit Hinweis auf die New Yorker Richterin Anna M. Kross dafür, Psychiater, Sozialarbeiter und Mediziner zu beteiligen, die den Richtern gleichberechtigt in einer nichtöffentlichen gerichtlichen Verhandlung ein Programm zur Resozialisierung der Prostituierten aufstellten. Das Gericht könne so soziale Phänomene nicht nur verurteilen, sondern das Gericht könne so seine Tätigkeit zu einer sozialen Aufgabe erheben: “We must strive to make society safe, not by asking for more and severe laws, but by changing the attitude of the people. The law and the courts are helpmaids toward such ends, but not an end in themselves”13, konstatierte Munk am Schluss dieser Arbeit.
11 “It is a question of education and reorientation of the general public.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542. 12 “All these laws, important and effective as they are, do not yet get to the source of the problem from where the germ gets new nourishment day in and day out.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542. Hervorhebung nicht im Original. 13 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542. Hervorhebung nicht im Original.
Zur neuen Wissenschaft der Kriminologie (ca. 1937 – 1938)
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2. Schlussbewertung Für Marie Munk war die Divergenz z wischen Wohlfahrt und Kriminalität nicht nur eine Frage der Gesundheits- und Sozialpolitik, sondern eine Frage der sozia len Integration und der gesundheitlichen Aufklärung. Das lässt sich zum einen daran erkennen, weil Marie Munk die medizinische Versorgung und Bildung der Bevölkerung allen übrigen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes voranstellte. Zum anderen wollte Marie Munk nach einem New Yorker Vorbild die Resozialisierung der wegen Prostitution verhafteten Straftäterinnen bereits während des gericht lichen Verfahrens einsetzen lassen. Demzufolge sollte aus Sicht Marie Munks die Divergenz zwischen Wohlfahrt und Kriminalität durch eine Resozialisierung überwunden werden. Im Mittelpunkt der Resozialisierung standen für Marie Munk die Ehre und damit der Persönlichkeitsschutz. Die Ehre des Straftäters im Mittelpunkt des Resozialisierungs- und Präven tionsinteresses im Strafvollzug in Deutschland wie in den USA hatte seine historisch entsprechende Entwicklung. Neueste Analysen der Forschung zeigen, dass bereits im 18. Jahrhundert eine Kritik an demütigendem Strafrecht und Strafvollzug in Deutschland (den sogenannten Schamstrafen) der Überlegung folgte, eine demütigende Behandlung verhindere die Fähigkeit des Straftäters, sich zu resozialisieren, diese könne gar unmöglich gemacht werden. Die „Wirkmächtigkeit der Schande als s oziale Praxis“ rücke weniger die Menschenwürde als zentralen Aspekt der Reformbewegung in den Mittelpunkt, so die Forschung. Dieser christlich-soziale Impetus wäre in der amerikanischen Strafreformbewegung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls erkennbar.14 Das Strafgesetzbuch für Deutschland von 1871, der Entwurf des deutschen Strafvollzugsgesetzes von 1879 und die Reichsratsgrundsätze von 1923 gaben der Ehre Ausdruck. Dieser Ehre-Ansatz nährte sich im 19. Jahrhundert mit allerlei pädagogischen und anderen sozialen Inhalten,15 die nicht nur der Resozialisierung des Straf täters dienlich sein sollten, sondern auch seiner Disziplinierung.16 An letzterem Bestreben ließ auch die amerikanische Reformbewegung bis in die 30er-Jahre des 14 Warren Rosenblum, Ehre und Degradierung in der Moderne, in: Sylvia Kesper-Biermann, Ulrike Ludwig und Alexandra Ortmann (Hg.), Ehre und Recht, Ehrkonzepte, Ehrverletzungen und Ehrverteidigungen vom späten Mittelalter bis zur Moderne, Magdeburg 2011, S. 227 – 228. 15 Es wurden Arbeitskolonien, eine Gefangenenfürsorge und andere sozialpolitische Maßnahmen favorisiert. 16 Warren Rosenblum, Ehre und Degradierung in der Moderne, in: Sylvia Kesper-Biermann, Ulrike Ludwig und Alexandra Ortmann (Hg.), Ehre und Recht, Ehrkonzepte, Ehrverletzungen und Ehrverteidigungen vom späten Mittelalter bis zur Moderne, Magdeburg 2011, S. 229 – 230.
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20. Jahrhunderts keinen Zweifel.17 Bezogen auf die deutsche und amerikanische Straf- und Gefängnisreformbewegung war nach seiner Verurteilung der Straftäter durch soziale und pädagogische Maßnahmen (im Gefängnis) zu re-sozialisieren. Nur, wie kann ein Mensch re-sozialisiert werden, der nie sozialisiert worden ist? Was Marie Munk von dem vorgenannten Ansatz unterschied, ist zum einen: dass sie feststellte, dass das Recht keine Rückschlüsse auf die Ursachen der Probleme ermögliche.18 Und an dieser Stelle sei ergänzend hinzugefügt: gerade das Strafurteil folgt aus der strafrechtlichen Erkenntnis des Richters aus der strafprozessualen Beweislage der sozialen Ereignisse. Zum anderen, so Munk, kennzeichne das Recht nicht das Ende einer gesellschaftlichen Entwicklung.19 Mit diesen Worten hielt Marie Munk an einem offenen Ausgang der Resozialisierung von Straftätern fest. Zum Dritten setzte Marie Munk bei der Frau an 20, um zweierlei Einstellung zu verändern: die Einstellung der werdenden und arbeitenden M utter zu sich selbst sowie die Einstellung der Gesellschaft zur werdenden und arbeitenden Mutter.21 Beides war und ist für die so bezeichnete soziale Unterschicht bei aus der Not geborenen Verhaltensweisen (wie der Prostitution) von Bedeutung. Schließlich bedeutet das Wort Ehre nichts anderes als: Anerkennung, Achtung und Wertschätzung. Ehre darf nicht nur vom Individuum, sondern muss auch innerhalb der Gesellschaft erhalten und verteidigt werden und hat seinen Platz in der damaligen deutschen, wie der amerikanischen Gesellschaft, in sozialen und intellektuellen Verbindungen: bis heute. Diese Arbeit Marie Munks widerspricht auch der heutigen Feststellung: „Es gibt für Ehre keinen gesellschaft lichen Markt mehr.“22
17 Ebd., S. 230. 18 “All these laws, important and effective as they are, do not yet get to the source of the problem from where the germ gets new nourishment day in and day out.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542. Hervorhebung nicht im Original. 19 “The law and the courts are helpmaids toward such ends, but not an end in themselves.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542. Hervorhebung nicht im Original. 20 Medizinische kostenlose Beratung der werdenden Mütter vor, während und nach der Schwangerschaft; Pflegestationen für die Kleinkinder arbeitender Mütter. 21 “We must strive to make society safe, not by asking for more and severe laws, but by changing the attitude of the people.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542. Hervorhebung nicht im Original. 22 Warren Rosenblum, Ehre und Degradierung in der Moderne, in: Sylvia Kesper-Biermann, Ulrike Ludwig und Alexandra Ortmann (Hg.), Ehre und Recht, Ehrkonzepte, Ehrverletzungen und Ehrverteidigungen vom späten Mittelalter bis zur Moderne, Magdeburg 2011, S. 231.
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III. Nationalsozialistische Einflüsse auf Familie, Frau und Kirche (1939/1940) Die erhalten gebliebenen Manuskripte und ein Aufsatz betreffen die nationalsozialistische Indoktrination der Familie, der Jugend und gesellschaftlicher Institutionen.
1. Die nationalsozialistische Ideologie und die christliche Kirche – Nazi Ideology and the Christian Church (1939) Im Herbst des Jahres 1939, während Marie Munks Aufenthalt in Northampton (Mass.), erschien in der amerikanischen Zeitschrift „Religion in Life. A Christian Quarterly“ ihr Aufsatz unter dem Titel „Nazi Ideology and the Christian Church“.23 1.1 Entstehung der Schrift Dieser Aufsatz ging auf ihre gleichnamige Lehrveranstaltung am Hood College zurück. Der Dean des Department of Religion, William R. Barnhart, ermunterte Munk, ihr Lehrkonzept als wissenschaftlichen Aufsatz der Zeitschrift „Religion in Life“ zur Veröffentlichung anzubieten.24 Der Manuskriptentwurf d ieses Aufsatzes ist erhalten geblieben.25 1.2 Inhalt der Schrift In ihrer Publikation schilderte Marie Munk, mit welchen Mitteln die Nationalsozialisten sich der deutschen Konfessionen bemächtigt hatten. Auf des Lesers ersten Blicks schienen die fulminanten Unterschiede zwischen dem Christentum und dem Nationalsozialismus zweifelsohne greifbar. Beide hatten nichts miteinander gemein: Der Glaube an Gott – der Glaube an den Führer; die Predigt des Evangeliums zu jedermann (Christentum) – die Missachtung der Juden. Die Nationalsozialisten beurteilten die christliche Einstellung, Elend und Leid sei gottgewollt, für schäd lich für die „privilegierte Rasse“ der Deutschen. Eine Privilegierung der Deutschen war mit der christlichen Nächstenliebe nicht vereinbar. Die Nationalsozialisten verwendeten das Alte Testament als Beweis dafür, dass nur schlechte Einflüsse vom Judentum ausgehen könnten. Dem widersprach die christliche Lehre, die das Alte Testament als eine Basis für das Neue Testament betrachtete. 23 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3525. 24 Schreiben von William R. Barnhart vom 20. September 1940 an Rev. Ray Gibbons, Congrega tional Church, Northampton, Mass., in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3522. 25 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3541.
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Den Wandel der letzten Jahre, wie er durch die Nationalsozialisten in der christ lichen Kirche vollzogen worden war, beschrieb Munk mit den Worten: “ T h e Old Christian Church considered the State as an arm of the Church, but later the Church was considered as an arm of the S t a t e . ” 26 Die Gründe lagen zum einen in den jüngsten historischen Ereignissen (wie z. B. Bruch des Konkordats vom 20. Juli 1933). Zum anderen waren die Nationalsozialisten in das christliche Wertesystem mit ihren Begriffen Nation, Volksgemeinschaft und Solidarität eingedrungen.27 Den Beweis für ihre These trat Munk mit einigen Auszügen aus den Publikationen der deutschen Zeitschrift „Junge Kirche“ an. Anhand dieser Auszüge machte Marie Munk nicht nur die Begründung einer „National Christian Church“ (14. Juli 1937) deutlich, sondern belegte auch die ideologische Umkehrung von einem christlichen Leitbild in ein nationalsozialistisches Denken. Die „Verbannung“ hebräischer Wörter oder Wörter hebräischen Ursprungs in biblischen Texten 28, die Deutsche Glaubensbewegung mit ihrem Einfluss auf die deutsche Jugend 29 und die Vernichtung geistlichen Widerstandes in den Konzentrationslagern habe schließlich zu einer anti-christlichen Bewegung geführt.30 Diese Publikation stand mit vier späteren 31 unveröffentlichten Manuskripten in einem Kontext.
26 Marie Munk, Nazi Ideology and the Christian Church, in: Religion in Life, Vol. VIII, No. 4, Autumn 1939, p. 483 – 496, p. 485, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3525. 27 Vgl. hierzu aus der jüngsten Literatur: Anton Grabner-Haider, Hitlers mythische Religion – theologische Denklinien und Nationalsozialismus, Köln 2007. 28 Marie Munk, Nazi Ideology and the Christian Church, in: Religion in Life, Vol. VIII, No. 4, Autumn 1939, p. 483 – 496, p. 490, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3525. 29 Marie Munk, Nazi Ideology and the Christian Church, in: Religion in Life, Vol. VIII, No. 4, Autumn 1939, p. 483 – 496, p. 493 – 494, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3525. 30 Marie Munk, Nazi Ideology and the Christian Church, in: Religion in Life, Vol. VIII, No. 4, Autumn 1939, p. 483 – 496, p. 494 – 495, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3525. 31 Entweder, indem in der Fußnote der Artikel aus „Religion in Life“ zitiert wird oder durch Zeitangaben im Haupttext.
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2. Die deutsche Familie im Nationalsozialismus (Family under Nazism 1939/1940) Diese wissenschaftlichen Anregungen sind auf die Beziehung Marie Munks zu Himes zurückzuführen, auf die im 5. Kapitel bereits Bezug genommen worden ist. 2.1 Verbleib und Entstehung der Schrift In der Zeit als Gastwissenschaftlerin am Sophia Smith College in Northampton (Massachusetts) wurde von Norman E. Himes, der gerade an neuen Publikationen arbeitete, die Bitte an Marie Munk herangetragen, ein Kapitel über die Familie unter dem Nationalsozialismus zu erarbeiten. Ihr wissenschaftlicher Beitrag wurde von Himes als Herausgeber der Publikation angenommen, allerdings erschien das Buch aufgrund der Kriegsumstände nicht.32 Mit dem Eintritt Amerikas in den Zweiten Weltkrieg waren durch das Kriegsund Justizministerium Presseveröffentlichungen von Angehörigen der Feindländer verboten worden.33 Eine gekürzte Version unter dem Titel „The Family in Nazi Germany“ ist erhalten geblieben.34 Das zeigt eine handschriftliche Anmerkung Munks auf Seite 9 des Manuskripts über eine redaktionelle Beteiligung von Prof. Himes.35 Vergleicht man die Textstellen dieser gekürzten Version mit einem von Munk in Philadelphia erstellten Manuskript unter dem Titel „Training Schools for Mothers in Germany“36, so wird schnell deutlich, dass „Family under Nazism“ und „The Family in Nazi Germany“ eine erweiterte Fassung einer bereits in Philadelphia begonnenen wissenschaftlichen Arbeit war. 2.2 Inhalt der Schrift Mit „Family under Nazism“ sollte dem amerikanischen Leser zunächst ein Einblick in das Verhältnis von Familie und Staat in der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft vor dem Zweiten Weltkrieg gegeben werden, wie es sich als Resultat aus nationalsozialistischen Prinzipien und der nationalsozialistischen Ideologie signifikant 32 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 16 – 16a. 33 Joseph S. Roucek, Foreign Language Press in World War II, in: Sociology and Social Research, Volume 27, July/August 1943, p. 462 – 471. 34 The Family in Nazi Germany, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 35 Links neben der ersten Fußnote auf p. 9 fand sich der handschriftliche Hinweis: „p. 9a inserted by Prof. Himes“, in: The Family in Nazi Germany, p.3. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 36 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8.
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ergibt.37 Den rechtspolitischen Ansatz ihrer Schrift verknüpfte Munk mit den damaligen amerikanischen Befürchtungen vor einer weltweiten Nazi-Herrschaft.38 Doch diese Befürchtung wollte Munk dem amerikanischen Leser bereits aus ökonomischer Sicht nehmen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse unter dem Hitler regime bestimmten das Familienleben und den Alltag der deutschen Hausfrau. Die meisten deutschen Hausfrauen hatten längst nicht den gleichen tech nischen Komfort, wie er bereits zu damaliger Zeit in den amerikanischen Haushalten anzutreffen gewesen war (Waschmaschinen). In Deutschland waren die Lebensmittel rationiert. Es gab immer noch Haushalte ohne Elektrizität und fließend Wasser. Jegliche Reststoffe und Materialien wurden für die industrielle Produktion bzw. für die Kriegswirtschaft gesammelt. Jeder Haushalt stand deshalb unter Beobachtung eines Blockwarts, der über die Einhaltung der Reststoffverwertung, aber auch über weitere Verhaltensweisen in den Wohnblocks zu wachen hatte.39 Frauen, die die gesetzliche Schulpflicht in der Volksschule erfüllt hatten, aber auch gebildete Frauen wurden in den über 2000 sogenannten Mütterschulen in Deutschland für die soziale Rolle der Hausfrau und Mutter ausgebildet (allein 66 Mütterschulen existierten in Berlin). Eine ausgefeilte Propaganda für die Rolle der Frau an Heim und Herd hielt Frauen vom Arbeitsmarkt fern. Zugleich stieg die Zahl von Frauen, die mit ihren Kindern das Müttergenesungswerk aufsuchen mussten, rapide an, weil sie nicht, wie die übrige arbeitende Bevölkerung, Urlaub nehmen konnten.40 Nicht nur für jede Heirat, sondern auch für jedes geborene Kind wurden Prämien gezahlt. Es waren steuerliche Freibeträge für Familien eingeführt worden. 30-jährige Männer, die noch keine Familie gegründet hatten, wurden diskriminiert.41 Die Geburtenkontrolle wurde bekämpft. Abtreibungen waren seit 1871 eh unter Strafe gestellt.42 Halboffiziell erzählten junge Mädchen, 37 “The analysis is confined to those phases of family life which are of fundamental significance and a direct result of Nazi principles and ideologies.” In: The Family in Nazi Germany, p. 3. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 38 “It is only by focusing our attention in these new patterns of living that we become fully c onscious of the liberties in our American democracy and of the dangers which lie ahead if the Nazis should rule the world.” In: The Family in Nazi Germany, p. 3. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 39 The Family in Nazi Germany, p. 4 – 5. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 40 The Family in Nazi Germany, p. 6 – 8a. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 41 The Family in Nazi Germany, p. 9 – 10. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 42 The Family in Nazi Germany, p. 11. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6.
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dass Nichtehelichkeit besser für das Volk sei als Unfruchtbarkeit.43 Doch diese „Gesunder Geist in einem gesunden Körper“-Ideologie grenzte Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen oder Behinderungen aus. Letzteres rechtfertigte rechtlich die Sterilisation. Eine Heirat mit erblichen Erkrankungen und eine Heirat von Juden und Deutschen waren gesetzlich verboten.44 Neben diesen äußeren Symptomen der nationalsozialistischen Macht wirkten innere Symptome der nationalsozialistischen Macht bzw. des Machterhalts auf Angehörige und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen in der Familie ein. Der Sonntag gehörte nicht der Familie, sondern männlicher Vorbereitung auf den Kriegsdienst.45 Die Betreuer der Hitlerjugend, nur zwei oder drei Jahre älter als die Kinder und Jugendlichen, ersetzten den freien und ungezwungenen Kontakt mit Gleichaltrigen.46 Andere Ziele, als die des Nationalsozialismus, waren nicht zugelassen. Statt der konfessionellen Sonntagsschulen wurden die Kinder nationalsozia listisch unterwiesen. Konfessionelle Schulen wurden vom Staat geschlossen.47 Ein neues Mark der Familie veränderte das gesellschaftliche Zusammenleben: „Erst die Loyalität zum Führer, dann die Loyalität zur Familie“ war ein allumfassendes Prinzip, dem die heranwachsende deutsche Generation ausgesetzt sei. Das Familienleben wurde von den Nationalsozialisten kontrolliert. Der Familie war befohlen, die nationalsozialistischen Rundfunksendungen zu hören. Das Hören von ausländischen Rundfunksendungen war strafrechtlich untersagt. Telefone wurden abgehört und Briefkorrespondenz von sogenannten „verdächtigen Personen“ wurde zu Beweiszwecken gesichert. Lautes Sprechen in der Nähe eines Telefons könnte abgehört werden. Wegen Widerstandes gegen das nationalsozialistische Regime oder wegen einer kritischen Bemerkung über das nationalsozialistische Regime wurden Personen aufgrund von Anzeigen ihrer Familienangehörigen in Konzentrationslager oder ins Gefängnis verbracht. Kinder wurden dazu angehalten über ihre Eltern zu berichten, wenn sich in den Äußerungen der Eltern mangelnde Loyalität zum Nationalsozialismus oder politische Opposition gegen das nationalsozialistische Regime abzeichnete. Indem Kinder scheinbar harmlose 43 “At least semi-officially young girls have been told that it is better to have an illegitimate child than to remain barren.” In: The Family in Nazi Germany, p. 12. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 44 The Family in Nazi Germany, p. 13 – 14a. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 45 The Family in Nazi Germany, p. 16. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 46 The Family in Nazi Germany, p. 17. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 47 The Family in Nazi Germany, p. 18 – 19. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6.
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Fragen in der Schule beantworteten, konnte es sein, dass sie Kritik oder Kritik ihrer Eltern gegenüber dem Regime unwissentlich offenbarten.48 Die unbedingte persönliche und geistige Loyalität zum Führer wurzelte in der Beziehung zwischen Mann und Frau. Die Nationalsozialisten glaubten an die männliche Vormachtstellung (male supremacy). Die Frauen hätten zwar ein aktives, aber kein passives Wahlrecht mehr. Politisch einflussreiche und verantwortungsvolle Positionen wurden von Männern besetzt. Frauen wurden als unqualifiziert für das Richter- oder Schöffenamt beurteilt. Ihre Karrieremöglichkeiten waren vermindert, wenn nicht gar aussichtslos. Die Leitung des Hauses war Vorrecht des Mannes. Die weibliche Sphäre war das Heim und der Kindergarten. Bei Meinungsverschiedenheiten entschied der Mann als „Ritter“ und Herr des Hauses. Es müsse hervorgehoben werden, so Marie Munk, dass die durchschnitt liche deutsche Frau diese Prinzipien nicht als abstoßend empfand. Sie war den Wünschen und Launen ihres Mannes unterwürfig ergeben, weit mehr als die amerikanische Frau.49 Ein der Diktatur dienendes Familienleben musste im Recht diametral zum Erhalt der Familie verlaufen: Nach dem seit dem 8. Juli 1938 geltenden Ehescheidungsrecht konnten Ehen leichter geschieden werden, 48 “The Nazis firmly believe that loyalty to the party and to the Fuehrer comes before loyalty to the family. This principle is inculcated in the minds of the young people from early childhood on. The entire family life has been brought under Nazi control. The members are ‘ordered’ to listen to certain broadcasts and are severely punished if they tune in on foreign stations. Telephone wires have been tapped; records of private conversations have been made to secure evidence against suspected persons. For this reasons, Germans do not talk aloud in the vicinity of a telephone or even in their own living room for fear of ‘eavesdroppers’. Many a man or woman has been confined in a concentration camp or prison because of a casual remark within the family circle which implied grudges or criticisms. Children have been encouraged to say upon their parents and to report signs of opposition or disloyalty. Young children have unknowingly disclosed critical remarks by answering seemingly harmless questions in school.” In: The Family in Nazi Germany, p. 15. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. Hervorhebung nicht im Original. 49 “The Nazis believe in male supremacy. Women still have to vote, but they are no longer elected as representatives of the Reichstag. Positions of political influence and responsi bility are in the hands of men. Women are no longer qualified to be judges or jurors. Their opportunities for a career are slight, if not less. Correspondingly, leadership in the home is considered as a male prerogative. The wife’s sphere is the home and the nursery, when diffe rences of opinion arise, the husband’s judgement should be ‘chivalrous’. But otherwise he is master. It must be noted that these principles are not repugnant to the average German housewife, she has been much more submissive to the husband’s wishes and whims than most American women.” In: The Family in Nazi Germany, p. 20. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. Hervorhebung nicht im Original.
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wenn die Frau in einem nicht mehr gebärfähigen Alter war und der Mann mit einer jüngeren Frau eine Familie gründen wollte. Marie Munk kritisierte aufs Heftigste, dass Frauen de jure zu Gebärmaschinen (breeding machines) abgestempelt würden.50 Eine Familie zu gründen oder zu erhalten, wurde für politisch unzuverlässige Eltern rechtlich verhindert. Ein nationalsozialistisches Gesetz vom 27. Dezember 1938 verpflichtete, die Kinder ihren politisch unzuverlässigen Eltern zu entziehen.51 Auch jüdische Kinder wurden von ihren Eltern getrennt.52 Aus diesen diktatorischen Ereignissen formte Marie Munk einen Aufruf für die Demokratie an die Amerikaner: “‘Democracy begins at home’ in the very essence of the word. Democracy begins in the home. It is in the family where the child experiences, or ought to learn, love, consideration and respect for the rights of others; cooperation, authority and discipline. If the child John did not learn to find satisfaction in making sacrifices for others how can we expect the adult John to be socially minded?”53 2.3 Überleitung Mit dem Begriff „socially minded“ sprach Munk das Wichtigste in einer Gesellschaft – ihren Kern, das s oziale Gedächtnis – an. „Socially minded“ – ein familiärer Kern, der aus der Rechtsstellung der Frau in der Familie erwuchs. Ein rechtssoziolo gisch breites Thema – dieses griff auch ein amerikanischer Soziologe während eines Deutschlandaufenthalts Ende der 1930er-Jahre in seinem Buch „Nazi Germany: Its Women and Family Life“ auf. Seine Publikation fiel Munk vor der Fertigstellung ihrer Manuskripte über das Thema „Family under Nazism“ als Rezensentin zufällig in die Hände (sozusagen „pretty close to the truth“54).
50 The Family in Nazi Germany, p. 21. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 51 “A Nazi ruling of Dec. 27, 1938 makes it obligatory for the courts to take children away from politically unreliable parents.” In: The Family in Nazi Germany, p. 19. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 52 The Family in Nazi Germany, p. 19a. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. 53 The Family in Nazi Germany, p. 22. in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 6. Hervorhebung nicht im Original. 54 Marie Munk, Review: Kirkpatrick, Clifford. Nazi Germany: Its Women and Family Life. In: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, May 1939, Vol. 203, p. 212 – 213, p. 212.
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3. Die Rolle der Frau in Diktaturen: Die Rezension Marie Munks zu Kirkpatricks „Nazi Germany: Its Women and Family Life“ (1939) Clifford Kirkpatrick, Professor für Soziologie an der Universität in Minnesota, hielt sich ein Jahr in Deutschland zu Studienzwecken auf. Er studierte nicht nur den Alltag, das Familien- und Arbeitsleben, sondern insbesondere die Veränderungen zur sozialen Stellung der Frau. Die Guggenheim Foundation unterstützte ihn mit einem Fellowship. Kirkpatrick kontaktierte für seine Forschung über das Deutsche Rote Kreuz Nationalsozialisten, Anti-Faschisten, Konservative, Kritiker und desillu sionierte Anhänger des Nationalsozialismus.55 Sein Bericht über die Entstehung der deutschen Frauenbewegung und die Fortsetzung ihrer Bewegung in der Weimarer Zeit diente ihm als Einführung zu seiner Hauptfrage: Sind die Versprechen der Nationalsozialisten für die Frauen eingelöst worden? Sein Vergleich offenbarte: Die Nationalsozialisten hätten versprochen, dass Frauen von ihrer dreifachen Belastung als Ehefrau, Mutter und Geringverdiener entlastet würden. Aber für die Wiederbewaffnung und die Arbeitsprogramme waren nicht genügend Arbeitskräfte vorhanden. Frauen wurden gebraucht in Munitionsanlagen und Munitionsfabriken, unabhängig davon, ob diese Tätigkeiten für Frauen geeignet waren und ihre Gesundheit beeinträchtigten. Aus wirtschaftlichen Gründen waren die deutschen Familien auf ein zusätzliches Erwerbseinkommen der Frau angewiesen. Empfängerinnen des Ehestandsdarlehens arbeiteten wieder, obgleich das Ehestandsdarlehen eigentlich dazu gedacht war, ein Dasein als Ehefrau und M utter ohne Erwerbstätigkeit für einige Jahre zu ermöglichen. Die neuen Ehestandsdarlehen wurden ohne dieses Versprechen staatlicherseits ausgereicht. Im Vergleich waren im Jahr 1936 mehr als 2000 Frauen mehr erwerbstätig als im Jahre 1933.56 Frauen 55 “He came in contact with a cross section of the people: Nazis, anti-Nazis, Conservatives, critically inclined and disillusioned Nazis.” In: Marie Munk, Review: Kirkpatrick, Clifford. Nazi Germany: Its Women and Family Life. In: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, May 1939, Vol. 203, p. 212 – 213, p. 212. 56 “They promised that the married woman should not be burdened with the double or triple task of being wife, mother, and wage earner. But the rearmament and public works program brought about a shortage of labor. Women are needed in munitions plants and in factories, regardless of whether or not the occupation is healthful or fitted for women. Moreover, the economic needs of the family call for additional income from working mothers. Recipients of marriage loans who promised to stay at home for a couple of years are again working. New marriage loans are granted without this promise. Roughly two thousand more women were working in 1936 than in January 1933 when the National Socialists rose to power.” In: Marie Munk, Review: Kirkpatrick, Clifford. Nazi Germany: Its Women and Family Life. In: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, May 1939, Vol. 203, p. 212 – 213, p. 212.
Der Weg in eine Demokratie (1942 – 1956)
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waren im Einsatz für die Rüstungsindustrie – gerade nicht für die Familie, wie von den Nationalsozialisten einst versprochen. Ein Rückgang der Eheschließungen, der Geburten, sinkende Scheidungszahlen, doch eine hohe Zahl von Eheanfechtungen aus rassistischen Gründen und wegen Gebärunfähigkeit sowie der weitere nationalsozialistische Eingriff in das aktive Familienleben waren die Folge. “Family life as a whole has not been enriched by security and happiness.”57 Es gäbe Anspannungen in den Beziehungen zwischen Ehefrau und Ehemann und zwischen den Eltern und ihren Kindern. Probleme erwüchsen ebenso aus den parteipolitischen national sozialistischen Anforderungen der Familie gegenüber.58 Kirkpatrick fasste zusammen: “This story does not have a happy ending and one must write: in Nazi Germany the women’s problem has not been solved.”59 Die nationalsozialistische Indoktrination veränderte die Rechtsstellung von Frau und Familie auch in ihren internationalen Beziehungen – ein neuer Blickwinkel, den Munk in Anlehnung an ein Zitat Kirkpatricks verdeutlichte: „Nur wenige der deutschen Freunde, die Kirkpatrick wertvolle Unterstützung für die Fertigstellung seines Buches gegeben hätten, würden in der Lage sein, sein Buch zu lesen – traurige Aussichten für die internationale Verständigung.“60
IV. Der Weg der Deutschen aus dem Nationalsozialismus in eine Demokratie (1942 – 1956) Marie Munk beobachtete die Entwicklungen in Deutschland unter den Auswirkungen des Hitlerregimes bis weit über das Ende des Zweiten Weltkriegs hinaus. Das wird erkennbar in kleinen Artikeln über den deutschen Alltag und über die Situation der deutschen Bevölkerung. Eindrücke, die sie während ihrer Deutschlandbesuche gewann. In diesem Kontext reflektierte Marie Munk die Bedeutung der Rolle der Frau und die wichtige Funktion von Bildung für ein Erstarken der Demokratie in einem Land. Besonderen Wert legte Marie Munk darauf, die Amerikaner davon zu überzeugen, dass Hilfe für Deutschland nicht eine neue deutsche Kriegsbedrohung nähre oder gar ein 57 Marie Munk, Review: Kirkpatrick, Clifford. Nazi Germany: Its Women and Family Life. In: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, May 1939, Vol. 203, p. 212 – 213. Hervorhebung nicht im Original. 58 Ebd. 59 Ebd. 60 “Unfortunately, the author is right in stating that only few of his German friends who gave him valuable assistance will be permitted to read the book – a sad commentary on the prospect for international understanding.” In: Marie Munk, Review: Kirkpatrick, Clifford. Nazi Germany: Its Women and Family Life. In: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, May 1939, Vol. 203, p. 212 – 213, p. 213.
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Auferstehen des gerade erst eliminierten Hitlerregimes stärke. Den interessantesten Fokus wählte Marie Munk, indem sie sich der Aufarbeitung des Nationalsozialismus widmete, beispielhaft in ihrer Arbeit über den Remer-Prozess. In der Aufarbeitung des Nationalsozialismus kam der jungen Generation eine besondere Rolle zu.
1. Der Nationalsozialismus und die junge Generation (1942 – 1943) In vier Manuskripten ging Munk wiederholt auf die Vereinnahmung der christ lichen K irche durch den Nationalsozialismus ein. Zwei dieser vier Manuskripte setzten den Sieg über den Nationalsozialismus bereits voraus, sodass diese sich scheinbar widerholenden Textentwürfe in der Zeit nach dem Kriegseintritt der Amerikaner und nach dem Beitritt der Amerikaner zur Anti-Hitler-Koalition 61 in den Jahren 1942/1943 entstanden sein müssen. Diese Manuskripte setzten einen entscheidenden Akzent. In einem dieser beiden Manuskripte mit dem Titel „Nazism, a New Creed Versus Christianity“ erkannte Munk deutlich: “A clearer vision of the existing spiritual forces is an essential prerequisite for America and her Allies in establishing the new world-order after victory has been won.”62 Diese Erkenntnis musste ganz besonders mit Blick auf die junge deutsche Generation gelten. Wohl deshalb ging sie in den beiden weiteren Manuskripten mit dem gleichlautenden Titel „Is Nazism a New Faith?“63 der besonderen Rolle der jungen Generation im nationalsozialistischen Deutschland nach. Das Leitbild aus Art. 24 des nationalsozialistischen Parteiprogramms 64 habe das Christentum ohne eine konfessionelle Bindung als einziges Glaubensbekenntnis ersetzt.65 Die junge deutsche Generation sei geistig und sozial vereinnahmt worden. Blind sei die junge Generation ihrem Führer gefolgt.66 Hierbei sei die deutsche Jugend dem nationalsozialistischen Einfluss in den Schulen und in der Hitlerjugend uneingeschränkt ausgesetzt gewesen. Die Jugend habe sich der nationalsozialistischen Indoktrination nicht entziehen können. Diese 61 1. Januar 1942. 62 Marie Munk, Nazism, a New Creed Versus Christianity, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542, p. 1 – 19, p. 3. 63 Marie Munk, Is Nazism a New Faith?, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3539 und 3543. 64 Art. 24 des nationalsozialistischen Parteiprogramms schränkte die Religionsfreiheit ein. Es waren nur Religionen zuzulassen, die nicht den Bestand des Staates gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. 65 “The Party as such takes the stand of positive Christianity without binding itself confessional to one definite creed.” In: Marie Munk, Is Nazism a New Faith?, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3542, p. 1 – 19, p. 10. 66 Marie Munk, Is Nazism a New Faith?, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3542, p. 1 – 19, p. 3.
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Tatsachen brachte Munk in den Kontext einer zukünftigen Re-Demokratisierung Deutschlands. Munk gab den Amerikanern den Rat: “We must know our students before we can begin with a program of reeducation.”67 Zugleich nahm sie die deutsche Jugend vor amerikanischen Vorurteilen in Schutz: “[T]here are, after all, millions of Germans who are not Nazis, whether they be in the underground movement or kept in line by Nazi Secret Police and other methods of coercion.”68
2. Salvage for Peace (nach 1945) Munk versuchte, die Argumente gegen eine Hilfe der Amerikaner für einen deutschen Wiederaufbau zu zerstreuen: Würde neues deutsches Kriegspotenzial geschaffen? Die Antwort ist: nein. Die Pakete der Amerikaner s eien Vorboten guten Willens, würden Mut und den Frieden stärken. Nur in der Rolle als ein brüderlicher Hüter könnten die Amerikaner den Weltfrieden begründen.69
3. Beware of Nazism as a New Creed in German Reconstruction (nach 1945) Nach dem Sieg der Alliierten versuchte Munk in ihrem Manuskript mit dem Titel „Beware of Nazism as a New Creed in German Reconstruction“ den Amerikanern klarzumachen, wie sich die Deutschen fühlten. Denn Marie Munk erkannte, dass die Amerikaner nicht nachvollziehen konnten, dass die Deutschen sich nicht selbst beschuldigten, aber die Alliierten und die Amerikaner insbesondere verantwortlich hielten für ihr Elend, für die Zerstörung ihres gesegneten Heimatlandes und für die Zerstörung ihres persönlichen Eigentums.70 Munk 67 Marie Munk, Is Nazism a New Faith?, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3542, p. 1 – 5, p. 3. Hervorhebung nicht im Original. 68 Marie Munk, Is Nazism a New Faith?, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3539, p. 1 – 5, p. 3. Hervorhebung nicht im Original. 69 “Don’t we build up Germany’s war potential? The answer is no. With our parcels as harbingers of good will, [we] are building up courage and the will for peace. […] Only if we act as our ‘brother’s keeper’ shall we lay the foundation for world peace.” In: Unveröffentlichtes Manus kript „Salvage for Peace“, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542. 70 “It seems incredible to Americans that the Germans do not blame themselves but that they hold the Allies, and the Americans in particular, responsible for their plight, for the destruc tion of their sacred homeland and of their own personal belongings.” In: Marie Munk, Beware of Nazism as a New Creed in German Reconstruction, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541 und 3542, p. 1 – 10, p. 1.
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verdeutlichte ihren amerikanischen Mitbürgern, dass in Deutschland die Familie als Erziehungs- und Sozialisationspunkt eliminiert sei.71 Der nationalsozialistische Staat gründe sich auf der These, dass Staat und Familie unwiederbringlich ein und dasselbe seien, identisch und untrennbar.72 Vor diesem Hintergrund warb Munk bei den Amerikanern für Verständnis: Wenn wir verhindern wollten, dass die deutsche Hydra erneut auferstehe und die Welt erneut in ein Chaos stürze, dann müsse nicht nur die junge Generation, sondern ebenso die nachfolgende Generation umerzogen werden.73 Diesen Aufruf zur politischen Bildung verknüpfte sie mit dem Schlusswort: “However, before we can hope to uproot and replace the false Nazi creed, we have to lead the Nazis and the whole German population to a new way of thinking and self evaluation.”74 Bildungspolitik ist auch immer Rechtspolitik – wie die nun folgenden Rezensionen Munks belegen.
4. Rezension zu Wilhelm Pueschels und Friedrich Buchwalds Publikationen (1948) Wilhelm Pueschels „Der Niedergang des Rechts im Dritten Reich“ und Friedrich Buchwalds „Gerechtes Recht“, beide Publikationen wurden von Marie Munk im Jahrbuch der Amerikanischen Akademie für Politische Wissenschaften und Sozial wissenschaften (Herausgeber: Thorsten Sellin) rezensiert.75 Eine von Marie Munk angefertigte Übersetzung der Einleitung, des Vorworts, des ersten Kapitels und eine inhaltliche Zusammenfassung von Pueschels Buch sind erhalten geblieben.76 Pueschels und Buchwalds Publikation wurden ihr auf 71 Marie Munk, Beware of Nazism as a New Creed in German Reconstruction, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541 und 3542, p. 1 – 10, p. 4. 72 “The National Socialist State is based on the assumption that the people and the state are one and the same, identical and inseparable.” Aber „there is little doubt that the Nazi War criminals who ordered and carried out the mass killings and atrocities will be brought to trial.“ In: Marie Munk, Beware of Nazism as a New Creed in German Reconstruction, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541 und 3542, p. 1 – 10, p. 2. 73 “If we want to avoid that the German hydra rises again and throws the world into chaos, we have to reeducate not only the new German youth, but also those boys and girls who will be the parents of the next generation.” In: Marie Munk, Beware of Nazism as a New Creed in German Reconstruction, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541 und 3542, p. 1 – 10, p. 4. 74 Marie Munk, Beware of Nazism as a New Creed in German Reconstruction, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3542, p. 1 – 10, p. 8. Hervorhebung nicht im Original. 75 Review Marie Munk, in: Thorsten Sellin (Editor), The Annals of the American Academy of Political and Social Science, Peace Settlements of World War II, Philadelphia 1948, p. 218 – 219, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3. 76 LAB B Rep.235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3539.
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nregung Eugen Schiffers 77 von den Autoren zugesandt. Munk hat Pueschel persön A lich gekannt, wie aus einem Schreiben Käthe Lindenaus hervorgeht.78 Beide Publikationen zeigten, so Marie Munk in ihren Rezensionen, wie in Deutschland das Recht Symbol zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit und Menschenwürde sei.79 Pueschel forderte für die Zukunft Deutschlands demokra tische politische Bildung. Buchwald warnte davor, zu den alten rechtlichen Wurzeln zurückzukehren. Er forderte eine umfassende Rechtsreform.80 Die Rechtsreform, ein wichtiger Aspekt für die Überwindung von Diktaturen – einer rechtsstaatlichen Anwendung kommt hier die Schlüsselposition zu.
5. Der Aufsatz „Earnest Efforts of German Women Directed to Solving Problems of Nation and World“ (1948) Das Motto ihrer Publikation lautete: Der erste Hoffnungsschimmer, der Deutschland davon abbringen könnte, Europas Problemkind und Unruhestifter zu sein, ginge von der Frau aus. Frauen, w elche gegenwärtig mehr als die Hälfte der deutschen Nation repräsentierten, könnten wie ein Bollwerk des Friedens in dieser zerstörten Welt neue Visionen entstehen lassen.81 77 „Ich habe Ihnen schon übermitteln lassen, dass ich bei Herrn Landgerichtspräsidenten Püschel angeregt habe, Ihnen seine Schrift zum Zweck der Übersetzung oder Verarbeitung zugehen zu lassen. Die g leiche Anregung habe ich jetzt dem Landgerichtspräsidenten Buchwald in Nordhausen übermittelt.“ In: Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 15. Oktober 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. 78 „Ehe ich zum Schluss eile, muss ich Dir noch erzählen, dass der Erz dieser Tage ein Buch mit einem sehr netten Begleitbrief von Deinem alten Freunde, LGDir. Püschel bekam. Er erkundigte sich sehr eingehend nach Dir, und wenn ihm auch der Erz über Dich berichten wird, könntest Du ihm vielleicht mal persönlich eine Zeile schreiben? Adresse am Rande.“ In: Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk vom 18. September 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3519. 79 “Both Dr. Pueschel’s and Dr. Buchwald’s indicates how seriously the representatives of the law in Germany concern themselves with the restoration of justice and human dignity.” In: Review Marie Munk, in: Thorsten Sellin (Editor), The Annals of the American Academy of Political and Social Science, Peace Settlements of World War II, Philadelphia 1948, p. 218 – 219, p. 219, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, N orthampton, Mass., Box 9 Folder 3. 80 Review Marie Munk, in: Thorsten Sellin (Editor), The Annals of the American Academy of Political and Social Science, Peace Settlements of World War II, Philadelphia 1948, p. 218 – 219, p. 219, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, N orthampton, Mass., Box 9 Folder 3. 81 “One of the first rays of hope that Germany will cease to be Europe’s problem child and trouble maker comes from the German women. They, who now represent more than half of the
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Doch die politische und rechtliche Situation Berlins durch das Viermächte abkommen war schwierig. Während die Russen die Aktivitäten der deutschen Frauen ermutigten, würden die Briten politisch passiv reagieren, während die Amerikaner jede Form von Bewegung, w elche politisch sei, verhüten wollten.82 Der Wilmersdorfer Frauenbund hatte sich unter dem Vorsitz von Agnes von Zahn-Harnack wieder gegründet. Diese Gruppe, welche sich für die Bildungsarbeit und Arbeitserleichterungen in den britischen Vororten von Berlin engagierte, habe die Erlaubnis für die vier Zonen erst nach einem harten, über einjährigen Kampf mit den Behörden erhalten.83 Die German Federation of Business and Professional Women wünschte Kontakt zu Frauen demokratischer Länder, um sich international neu zu organisieren. Der Demokratische Frauenbund engagierte sich in der Russischen Zone. Ein Treffen der deutschen Frauenbewegung im März 1947 mit 1000 geladenen Frauen habe zu mannigfachen logistischen Problemen geführt.84 Munk beschrieb die herausragende Stellung von Gertrud Schubart-Fikentscher. Sie organisiere unter schwierigsten Bedingungen in der sowjetischen Zone Treffen des Demokratischen Frauenbundes. Obgleich sie neben ihrer eigenen Lehrtätigkeit ihrem Mann (ebenfalls Professor) assistieren und den täglichen Bedarf an Lebensmitteln herbeischaffen musste. Munks Schlusssatz machte deutlich, dass besonders der Demokratische Frauenbund nach seinen Statuten den Kontakt zu anderen demokratischen Ländern ausdrücklich suchte, um sein Motto, dass sich eine glückliche Mutterschaft und eine glückliche Familie nur auf einer Welt des nation, can be a bulwark of peace in this disturbed world if those with vision help them.” In: Marie Munk, Earnest Efforts of German Women Directed to Solving Problems of Nation and World, in: The Christian Science Monitor, May 27, 1948, p. 11, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 4. 82 “Whereas the Russians from the start encouraged the activities of German women, the B ritish followed chiefly a hands-off policy, and the Americans prevented all movements which might be politically inclined.” In: Marie Munk, Earnest Efforts of German Women Directed to Solving Problems of Nation and World, in: The Christian Science Monitor, May 27, 1948, p. 11, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 4. 83 “This group which engages in educational and relief work in this British suburb of Berlin obtained the permit for four-zonal operation only after a struggle which lasted more than a year.” In: Marie Munk, Earnest Efforts of German Women Directed to Solving P roblems of Nation and World, in: The Christian Science Monitor, May 27, 1948, p. 11, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 4. 84 “At a meeting in March, 1947, in which women from all zones had been invited, about 1.000 attended – this in spite of transportation difficulties.” In: Marie Munk, Earnest Efforts of German Women Directed to Solving Problems of Nation and World, in: The Christian Science Monitor, May 27, 1948, p. 11, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 4.
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Friedens gründen könne, zu verbreiten.85 Frauen waren der Motor des Wiederaufbaus – doch Not und Elend als die Folgen des Krieges schienen unüberwindbar.
6. „Modern Ambassadors for Peace“ (1950er-Jahre) Marie Munk verfasste nach ihrem Aufenthalt in Deutschland einen Bericht mit dem Titel „Modern Ambassadors, America Houses in Germany“.86 Dieses Manuskript wandte sich an die amerikanische Bevölkerung und ihren Einwand, die amerika nischen Steuergelder für Deutschland s eien in Amerika besser angelegt. Munk warb für eine amerikanische Unterstützung: Solange wir als Nation Freundschaften auf Vorurteilen gründeten, die ihre Wurzeln in den Fremdheitsgefühlen und in mangelndem Verständnis hätten, werde es keinen Frieden auf der Welt geben.87 Munk schilderte, dass die Deutschen, die sich vor und während des Zweiten Weltkriegs außerhalb von Deutschland aufgehalten hätten, begierig wären auf die Informa tionen aus den Amerika-Häusern.88 Einige der Amerika-Häuser hatten gar einen Kindergarten, in dem englische, amerikanische und deutsche Kinder gemeinsam aufwachsen konnten.89 Wohl auch deshalb schlug Marie Munk vor, auch in anderen Ländern solche Häuser zu errichten.90
85 “[…] happiness of motherhood and happy family life depend on a peaceful world.” In: Marie Munk, Earnest Efforts of German Women Directed to Solving Problems of Nation and World, in: The Christian Science Monitor, May 27, 1948, p. 11, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 4. 86 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 87 “Unless we as nations, like the children and visitors of the American Houses, get to know another, and build up friendship by overcoming prejudice which has its roots in the feelings of strangeness and lack of understanding, there will never be peace in this world.” In: Modern Ambassadors, America Houses in Germany, p. 1 – 4, p. 3, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 88 “The Germans who had been out off from the outside world before and during the war have been starving for the intellectual food now provided in the American Information Centers.” In: Modern Ambassadors, America Houses in Germany, p. 1 – 4, p. 2, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 89 Modern Ambassadors, America Houses in Germany, p. 1 – 4, p. 3, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 90 “[…] that far more would be known about the contribution which they are making toward good will and peace between nations, so that similar centers would be established not only in many other German communities but in other countries as well.” In: Modern Ambassadors, America Houses in Germany, p. 1 – 4, p. 1, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. Hervorhebung nicht im Original.
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7. German Womenpower: Its Present and Future Role for Stabilization and Peace (1950) Aus den Deutschlandbesuchen stammte dieses Vortragsmanuskript 91 mit dem gleichnamigen Titel. Die körperliche und geistige Genesung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg müsse sich in einer Art und Weise vollziehen, wie ihre Straßen verschönert und befreit würden von ihren Trümmern.92 Marie Munk warb für Verständnis bei den Amerikanern. Sie zeigte auf, durch welche Hölle die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs gegangen waren. Deutsche und Amerikaner hätten ihre Aufbauarbeit „side by side“ zu verwirk lichen.93 Der Frau kam für die Aufbauarbeit eine wichtige Rolle und besondere Verantwortung zu. Dem widerspräche aber, so Munks Kritik, die geltende Rechtslage. Obgleich Frauen in Deutschland nach dem Kriege bereits hohe Positionen bekleideten, könnten sie im Falle der Heirat entlassen werden, wenn das Auskommen der Familie gesichert sei. Munk mahnte, eine neue Doppelverdiener-Kampagne nicht entstehen zu lassen. Die Frau solle zukünftig weder nur Hausfrau noch nur berufstätig sein. Munk plädierte für „the golden rule line“, weil sich dies auch günstig auf das Familienleben auswirke.94 Sie forderte ein, die Rechtslage des BGB bis zum Jahr 1952 zu reformieren.95 Vorbilder der Reform sei die bürgerliche Frauenbewegung der Weimarer Zeit, für die jedoch der Nachwuchs fehle.96 Ihr Vortragsmanuskript entstand zu der Zeit, als Marie Hagemeyer ihre Denkschrift zur Familienrechtsreform in den 1950er-Jahren noch nicht erarbeitet, jedoch vom ersten Staatsekretär des ersten Bundesjustizministeriums bereits beauftragt worden war. Der parlamentarische Prozess in Deutschland zur Änderung des Ehe- und Familienrechts hatte noch nicht begonnen. Zu dieser Zeit musste nicht nur das Recht, sondern auch die Justiz von nationalsozialistischem Gedankengut bereinigt werden. 91 Marie Munk, German Womanpower. Its Present and Future Role for Stabilization and Peace, p. 1 – 8, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 92 “[…] the physical and spiritual recovery of the Germans and of the women in particular, may be likened to the manner in which the streets have been beautified and cleared from rubble.” In. Marie Munk, German Womanpower. Its Present and Future Role for Stabilization and Peace, p. 1 – 8, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 93 Marie Munk, German Womanpower. Its Present and Future Role for Stabilization and Peace, p. 1 – 8, p. 3, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 94 Marie Munk, German Womanpower. Its Present and Future Role for Stabilization and Peace, p. 1 – 8, p. 6 – 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 95 Marie Munk, German Womanpower. Its Present and Future Role for Stabilization and Peace, p. 1 – 8, p. 3 – 4, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 96 Marie Munk, German Womanpower. Its Present and Future Role for Stabilization and Peace, p. 1 – 8, p. 4 – 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543.
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8. Der Remer-Prozess (1952) Anlass gaben die Ereignisse in Deutschland zu dem aufsehenerregenden Remer- Prozess (1952). “Can patriotism demand the violent overthrow of the Government?” Ernst Remer (1912 – 1997) hatte als Kommandeur des Berliner Wachbataillons Großdeutschland den Aufstand des 20. Juli 1944 niedergeschlagen. Hierfür war er von Hitler zum Generalmajor befördert worden. Am 5. Mai 1951 hatte er in einem Schützenhaus in Braunschweig die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 als Landesverräter bezeichnet. Sie seien vom Ausland für das Attentat bezahlt worden. Es hatte weitere Personen gegeben, die in einer niedersächsischen erstarkenden Sozialistischen Reichspartei (SRP), von der Justiz unbehelligt, die Widerstandskämpfer als Verräter verunglimpften. Verfahren wegen Verleumdung (§ 186 StGB) wurden nicht eröffnet.97 Gegen drei Braunschweiger Sonderrichter, die Moses Klein 98 zum Tode verurteilt hatten, war ein Verfahren wegen Rechtsbeugung nicht eröffnet worden. Eine Anklageerhebung war durch den zuständigen Oberstaatsanwalt Dr. Topf abgelehnt worden.99 Nach der Versetzung von Dr. Topf nahm sich Fritz Bauer des Verfahrens gegen Remer an. Fritz Bauer erreichte eine Weisung des Generalstaatsanwalts zur Anklageerhebung.100 Nach einem in der Öffentlichkeit aufsehenerregenden Prozess „um die Legitimation des Widerstands gegen den Unrechtsstaat“101 wurde Remer von dem Braunschweiger Landgericht verurteilt. Hierfür hatte Fritz Bauer durch namhafte Gutachter und ein beeindruckendes Plädoyer gesorgt. Dieser Sieg war weder politisch noch rechtlich einfach. Ging es doch in dem Prozess auch darum, ob die Widerstandskämpfer im Sinne des im Jahre 1944 gesetzlich geregelten Landesverrats wegen dieses Delikts zu verurteilen gewesen wären. Die Staatsanwaltschaft musste den juristischen Wahrheitsbeweis erbringen, dass die am Attentat am 20. Juli 1944 beteiligten Widerstandskämpfer zu Recht 97 Irmtrud Wojak, Fritz Bauer (1903 – 1968), Eine Biographie, München 2009, S. 265 – 266. 98 Moses Klein war am 18. August 1942 durch ein Sondergerichtsurteil wegen fortgesetzter Sittlichkeitsverbrechen zum Tode verurteilt worden. Das Urteil wurde am 22. September 1942 vollstreckt. Ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und Prüfung der damaligen richterlichen Entscheidungsfindung blieb in der Nachkriegszeit erfolglos. In: Friedrich Wilhelm Müller, Entnazifizierung der Richter in kirchlichen Ämtern im Bereich der Braunschweigischen Landeskirche, in: Klaus Erich Pollmann (Hg.), Der schwierige Weg in die Nachkriegszeit. Die Evangelische Lutherische Landeskirche in Braunschweig 1945 – 1950, Göttingen 1994, S. 301 Fußnote 24. 99 Irmtrud Wojak, Fritz Bauer, S. 266. 100 Ebd. 101 Wojak, S. 267.
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Widerstand geleistet hatten.102 Marie Munk quotierte d ieses Urteil in ihrem Manuskript mit den Worten: Kein Bürger sei davor gefeit, Rechtsbrüche oder Straftaten gegen die Menschheit zu begehen. Wenn er einen rechtswidrigen Befehl seiner Vorgesetzten erhalte, sei er voll verantwortlich für die mit dem Befehl im Zusammenhang stehenden Straftaten. Das Prinzip, eine moderne Konzeption internationalen Rechts, war die Basis in den viel diskutierten Urteilen von Nürnberg gegen die Nazi-Verbrecher. Der Remer-Prozess habe dem Ganzen im Jahre 1952 eine neue Richtung gegeben. Dieses Urteil stellte fest, dass ein Bürger berechtigt sei, oder gezwungen, seinem höchsten Pflichtbewusstsein vor Gott und Vaterland folgend, den gewaltsamen Sturz seiner Regierung zu unterstützen, wenn dies nicht mit friedlichen Mitteln erreicht werden könne. Der Bürger habe sich gegen seine Regierung zu stellen, wenn diese Rechtsverstöße begehe, Menschen unterdrücke, die Menschen ins Leid bis in die Katastrophe führe.103 Munks Zeilen werden durch ein Zitat eines ehemaligen Anhängers der Hitler-Jugend an Fritz Bauer abgerundet: “I attended a National Socialist School. My father fell in Russia. I served in the navy during the war. Today, we, the German youth, are no longer in doubt that we were blinded by error.”104 Diese Worte zeigen, dass die rechtspolitische Überwindung mit der persönlichen Überwindung der Diktatur einhergeht. Dies bleibt ohne demokratische Bildung eine unlösbare Aufgabe.
102 Wojak, S. 267 – 276. 103 “No citizen is compelled or justified to commit illegal acts or crimes against humanity. If he carries out illegal orders of his superiors, he is fully responsible for the crimes so committed. The principle, a modern conception of international law, has been the basis of the verdicts in the much discussed Nuremberg trials against Nazi war criminals. The thesis has been carried further, or has been given a new twist, by a decision of a West German criminal court in the spring of 1952. It states that a citizen is justified, or even compelled, by his highest sense of duty toward God and country to plot the violent overthrow of his government of no peaceful means are available to put an end to an illegal government that commits illegalities and under whose oppression and iniquities the people of the country are suffering and led to the brink of disaster.” In: Marie Munk, Can patriotism demand the violent overthrow of the government?, p. 1 – 12, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3539 (Vorentwurf, 9-seitig) und MF-Nr. 3540, 3541 und MF-Nr. 3543 (Endfassung, 12-seitig), Endfassung, S. 1. 104 Marie Munk, Can patriotism demand the violent overthrow of the government?, p. 1 – 12, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3540, 3541 und MF-Nr. 3543 (Endfassung, 12-seitig), Endfassung, S. 11.
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9. New Waste in Salvage Drives 105 (1956) Kein Haushalt in Deutschland ohne technische Hilfsmittel und ohne Auto, das ab dem Jahr 1956 zu jeder Gelegenheit benutzt wurde. Pferdedroschken suchte Marie Munk vergebens.106 Die Deutschen hatten wieder Kaufkraft.107 Die Züge waren überfüllt und die deutsche Familie fuhr „Volkswagen“ oder kleinere motorisierte Fahrzeuge, die aus Marie Munks amerikanischer Sicht aussahen wie K inderwagen oder Kinderroller.108 Schon während des Krieges hatte Marie Munk in d iesem Manuskript gegen eine Wegwerfgesellschaft plädiert. Aber auch nach dem Krieg bot sich Munk das gleiche Bild: Im Unterschied zu den Amerikanern warfen die Deutschen Waren, die sie nicht mehr gebrauchen konnten, nicht einfach auf den Müll, ohne vorher nicht doch noch an ihre Mitmenschen zu denken. Zugleich versuchte Deutschland, die nationalsozialistische Kultur hinter sich zu lassen. Es waren Kulturabkommen zwischen Chile, Norwegen, Belgien, Italien, Griechenland und Deutschland geschlossen worden – letztmals waren Steuermarken für das Notopfer Berlins geklebt worden.
10. Schlussbewertung zu Ziffer III und IV Aus den Veröffentlichungen Marie Munks über die nationalsozialistischen Einflüsse auf Familie, Frau und Kirche muss der Schluss gezogen werden, dass Diktatoren an drei zentralen Punkten in der Gesellschaft anknüpfen, um ihre Macht zu begründen: an der Familie, der Frau und der Religion. Betrachtet der Leser die jüngsten Auseinandersetzungen im Irak, im Iran und in Syrien, so handelt es sich stets um Glaubenskriege, deren Philosophie über die Elemente Frau und Familie gesellschaftlich verankert wurde und nach wie vor wird. Diese Verankerung sichert die Kommunikation mit den nachfolgenden Generationen und festigt somit die Machtstrukturen von Diktaturen. In den Publikationen über den Weg der Deutschen aus dem Nationalsozialismus ging es Marie Munk nicht nur um einen maßvollen Umgang mit den Deutschen nach dem Zweiten 105 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. 106 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3512, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 17. 107 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3512, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 18. 108 “Trains are overcrowded although countless German families travel in their ‘Volkswagen’ or smaller motor vehicles, and all kinds of motorized bikes, some of which look like perambulators or child’s scooters.” In: Dear-Friend-Brief, November 1956, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515.
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Weltkrieg. Vielmehr weisen ihre Manuskripte den Weg zu einer wichtigen kulturhistorischen Erkenntnis. Für die demokratische Erziehung und Bildung, ganz gleich nach welcher Form der Diktatur, ist wichtig: eine demokratische Bildung. Sowohl für die von der Diktatur betroffene Bevölkerung, als auch für die Staaten und Personen, die den Weg aus einer Diktatur weisen wollen. Letztere können ohne Kenntnis der kulturhistorischen, sozial- und rechtspolitischen Hintergründe des fremden Landes keine Wegweiser der Demokratie sein: Es gilt der Re-Education-Grundsatz für beide Seiten. Ein in der amerikanischen politikwissenschaftlichen Forschung bisher vernachlässigter Aspekt.109 Marie Munk hatte den Vorteil, dass sie die Deutschen und ihre kulturhistorischen Hintergründe kannte und den Amerikanern vermitteln konnte, um so Vorurteilen entgegenwirken zu können. Darüber hinaus wird aus Marie Munks Manuskripten über den Weg aus der nationalsozialistischen Diktatur ein weiterer wichtiger Aspekt deutlich: Wenn Diktaturen ihre Macht durch die Rolle der Frau begründet haben, so führt ein Weg aus der Diktatur nur über eine veränderte Rolle der Frau hinaus, indem sie durch ein verändertes Rollenbild für gleichberechtigtes Geschlechterverständnis und damit für demokratische Strukturen aus der Familie heraus in die Gesellschaft hinein sorgt. In dieser Konsequenz können weniger die Urteile von Nürnberg als Sieg über die Diktatoren in den ersten Reihen der Machthaber, als vielmehr der Remer-Prozess von Bedeutung sein. Denn es ist nicht die Verurteilung der Kriegsverbrecher, die der nachfolgenden Generation den Weg in die Demokratie weist, obgleich die Verurteilung der Täter aus der ersten Reihe der Machthaber wichtig ist. Es ist vielmehr der Remer-Prozess, der für zivilen Ungehorsam, für eine Befehlsverweigerung wirbt, damit diktatorische Strukturen gar nicht erst keimen können. Ungehorsam als eine Schlüsselqualifikation der jungen Generation zum Erhalt der Demokratie als fruchtbare Folge einer gleichberechtigten Stellung der Frau in der Familie wollte uns Marie Munk mit ihren Manuskripten vermitteln.
V. Frauenrechte (1939 – 1942) Erste Aufmerksamkeit zur Rechtsstellung der Frau erhielt Marie Munk als Reak tion auf ihren Aufruf, die Ehefrau am wirtschaftlichen Erfolg der Ehe zu beteiligen.
109 Vgl. zu Grundproblemen und Tendenzen der amerikanischen politikwissenschaftlichen Forschung, in: Willi Paul Adams, Die USA im 20. Jahrhundert, S. 186.
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1. First American Appeal for Half of the Increase in Property (1939) Der Evening Public Ledger 110 in Philadelphia kritisierte unter der Überschrift „Family Peace Expert Ignores Earnings Tax“, dass Marie Munk bei ihrer Forderung das Steuerrecht aus dem Blick verliere: “Let us see how Dr. Munk’s formula would work out in the case of a citizen struggling along on a salary of $ 10.000 a year. From his yearly wages his employer would deduct $ 150 which would be turned over to the municipal treasury. From the $ 5000 the loving hubby turned over to his spouse in the form of salary, he would be required to deduct $ 75 for the use of the town. The wife, of course, would raise a family dispute and in the end the husband would be required to pay the $ 75 out of his own pocket.”111 Munks erster amerikanischer Diskurs, der sie zu weiteren wissenschaftlichen Arbeiten anregte.
2. Das Manuskript „Family Law and Procedure“ (1938 – 1940, 1942) Die Überlegungen für diese wissenschaftliche Arbeit waren vor ihrer Tätigkeit am Hood und am Smith College entstanden. Diese Publikation sollte für „Marriage Preparation Courses“ an den Schulen, für „Social Agencies“, „Women’s Clubs“ und „Marriage Counselors“ verwendet werden.112 Ein Handbuch für Sozialarbeiter und für Laien über das Familienrecht und seine Verfahren erachtete sie für notwendig, da bereits vorliegende Publikationen diesen Leserkreis nicht erfassten. Munk erkannte ein anspruchsvolles Unterfangen: 48 Bundesstaaten mit unterschiedlichem Recht und unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen; so war sie dennoch überzeugt, dass diese Arbeit bewältigt werden könnte. Verschiedentlich hatten Sozialarbeiter, Eheberater und Eherechtsberater zum Ausdruck gebracht, dass ein Buch dieser Art dringend gebraucht werde. 113 110 Ex-Judge Urges Salary for Wives. Sees Women Entitled to Share 50 – 50 in Business S uccesses of Mates, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 111 Family Peace Expert Ignores Earning Tax, in: Philadelphia Inquired, Dec. 25, 1939, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 112 Dear-Friend-Brief, December 7, 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 113 “Since my efforts to secure a teaching position for 1939 – 1940 proved to be in vain, I decided that I would try to write a handbook for the use of social workers and for laymen on the law and procedure of domestic relations since existing books do not meet the needs. Although I realize the almost insurmountable difficulties of writing such a treatise in a country with 48 states with different laws and regulations. I am convinced that it can be done. Many social
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Das Manuskript hat 50 Seiten und ist mit dem Titel „The Smith Family and the Law. Law and Procedure of Domestic Relations with Reform Proposals“ versehen. Erhalten geblieben ist ein „Chapter: Personal Rights and Mutual Obligations of Husband and Wife“.114 Die Fußnoten aus der Sekundärliteratur reichen nur bis in das Jahr 1938 hinein, obgleich d ieses Buchprojekt Marie Munk seit ihrer Zeit am Sophia Smith College für nahezu 10 Jahre wissenschaftlich beschäftigte. Die intensivste Zeit ihrer wissenschaftlichen Arbeit erstreckte sich bis in das Jahr 1942 hinein 115, doch das Mansukript blieb unveröffentlicht.116 Munks Arbeit war ähnlich ihrer deutschen Publikation „Recht und Rechtsverfolgung im Familien recht“ strukturiert. Es wurde die Rechtslage im Ehe-, Ehegüter, Scheidungs- und Familienrecht dargestellt, erläutert, um in einem dritten Abschnitt Reformforderungen darzulegen. 2.1 Die Entstehung der Schrift Das Manuskript wurde von Prof. Kimball in einem gemeinsamen Gespräch am 22. April 1940117 mit Munk redigiert. Munk hatte Kimball nicht nur zwecks redak tioneller Hinweise aufgesucht, sondern in dem Gespräch auch ihre Befürchtung zum Ausdruck gebracht, dass ihre Arbeit vielleicht zu detailreich sein könnte. Sie war sich im Unklaren darüber, was für einen Sozialarbeiter aus ihrem Manuskript besonders hilfreich wäre. Kimball hatte ihr geraten, mit Sophonisba Breckinridge, University of Chicago, Kontakt aufzunehmen.118 Marie Munk wusste von Sophonisba
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workers, counsels in Marriage Clinics and Legal Aid Clinics have frequently expressed that they desperately need a book of this type.” In: Credentials Marie Munk, Nr. 4., p. VI, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3522; Introductory Remarks to the Reader, p. A, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. Hervorhebung nicht im Original. Titelblatt, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. Dear-Friend-Brief, December 7, 1942, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. “I felt that social workers should use another type of textbook, somewhat similar to that which I had written for German Social Workers. I began to wonder if I should not try to write one for American social workers. Although I was fully aware that this was a highly difficult task because the laws of domestic relations and the procedure in the Courts differ from state to state. It was, however, my experience at Smith College Summer School of Social Work which started me on my research project on ‘Family Law and Procedure’ which kept me busy – with many interruptions – for more than ten years, but which – unfortunately – has not been published.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiogra fisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 13 – 14. Notes on the interview with Prof. Everett Kimball, April 22nd 1940, p. 1 – 2, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9. Notes on the interview with Prof. Everett Kimball, April 22nd 1940, p. 1 – 2, p. 1, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass.,
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Breckinridge, aber ob sie Kontakt aufgenommen hat, bleibt unbekannt.119 Kimball diskutierte mit Marie Munk die Art und Weise, wie sie ihre Reformvorschläge dem Leser anbot, konnte ihr aber dennoch nicht weiterhelfen.120 Kimball nutzte das Buch in seinen Collegekursen.121 Der Grund hierfür erschließt sich dem Leser bereits, wenn er Munk in ihren Überlegungen ein Stück weit begleitet. 2.2 Der Inhalt des Manuskripts In ihren autobiografischen Erinnerungen verdeutlichte Munk anhand der Eigentumsrechte von Mann und Frau, worum es ihr in d iesem Buch inhaltlich ging: „Während meiner Forschungen zum Familienrecht entdeckte ich, dass die Eigentumsrechte verheirateter Frauen in den meisten Staaten veraltet waren und dass das geltende Recht den Frauen immer noch keine gleichen Rechte einräumte. Diese rechtliche Ungleichheit zeigte in guten Ehen keine Wirkungen, weil viele Ehemänner ein gemeinsames Bankkonto einrichteten, über das die Ehefrau ebenso verfügen konnte wie der Ehemann. In unharmonischen Ehen jedoch musste die Ehefrau den Ehemann um jeden Dollar bitten, sowohl für sich selbst als auch für die Haushaltsführung. Der Ehemann gab seiner Ehefrau nur ein geringes Taschengeld. Die Ehefrau wurde am wirtschaftlichen Gewinn der Ehe nicht beteiligt, wenn die Ehe durch eine Scheidung endete. In einigen amerikanischen Bundesstaaten konnten der Ehemann und die Ehefrau nicht getrennt voneinander rechtsgültige Verträge schließen, weil das Common Law die Eheleute als eine Rechtsperson betrachtete und der Mann allein entschied. Im Falle der Gütertrennung hatte die Ehefrau ebenfalls wirtschaft liche Nachteile, wenn sie nur Hausfrau und Mutter während der Ehe blieb, weil sie von den Ersparnissen, die aufgrund ihrer Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Box 11 Folder 9. 119 “I answered that I had been thinking of her, that I knew her and that I had planned to ask her at a later stage or to send her this chapter.” In: Notes on the interview with Prof. Everett Kimball, April 22nd 1940, p. 1 – 2, p. 1, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9. Recherche der Verfasserin in: Sophonisba Breckinridge Papers, Special Collections Research Center, University of Chicago, Il.; Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton Massachusetts. 1 20 “He discussed my method of making ‘Suggestions’. He felt that it might be better to use the expression ‘criticism’ or ‘Evaluation’ or ‘Proposals’. He could not find the best expression himself.” In: Notes on the interview with Prof. Everett Kimball, April 22nd 1940, p. 1 – 2, p. 2, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9. 121 Notes on the interview with Prof. Everett Kimball, April 22nd 1940, p. 1 – 2, p. 1, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9.
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ermöglicht worden waren, nichts erhielt.“122 Diese Intentionen Munks umschrieben ihre wissenschaftliche Arbeit nur ansatzweise – in seiner Fortentwicklung wuchs ihr wissenschaftliches Anliegen über seinen ursprünglichen Ansatz hinaus, wirft man einen genauen Blick in das Manuskript. Munks Ansatz erweiterte sich während der Arbeit am Manuskript um wichtige Akzente. Das Vorwort umschrieb bereits, welche Voraussetzungen für eine Reformentwicklung angelegt sein müssen, soll eine Rechtsreform erfolgreich sein: “The Law of Domestic Relations, with which this presentation is concerned, gives rules and regulations for the living together of husband and wife. In this matter, more than in any other field, the limitations of the law stand out clearly. Marriage is such an intimate relationship of two personalities that it cannot be made conform to law. It evades legal regulation. Good marriages are not concerned about legal rights or obligations. If there are differences of opinion, they are settled by mutual understanding. If the wife is the domineering personality, she will make the final decision, even if the law says that the man is the head of the family. Because of the two distinct personalities in marriage, frictions are bound to arise. The law can do nothing more than to give rules concerning the mutual rights and obligations which supposedly meet the needs of the majority of married couples and which agree with the concept of marriage of the people of their time. In doing this, the law may hope to prevent, as far as possible, marital disharmony and to avoid a breaking up of marriages which might be adjusted. The state is deeply concerned that marriages do not end in a divorce court. It therefore offers provisions which enable either spouse to ask for the help and mediation of courts in minor difficulties which they cannot settle amongst themselves. The Law of Domestic Relations and the decisions of the courts reflect the general conception which the people at a given period have about marriage. Since the law is always lagging behind changing ideas, and since particularly in questions of marriage and the family, there is a tendency 122 “Through my research in the Laws of Domestic Relations, I discovered that the property rights of married women in most of our states were still antiquated and did not give them ‘equal rights’. This inequality does not make itself felt in good marriages because many husbands arrange a joint bank account from which the wife may draw money as she needs it. But in unhappy marriages, the husband keeps his hands on the purse strings, so that the wife has to ask him for every dollar which she needs for running the home, and he hardly allows her any spending money for herself. If they both work together in a store or in a restaurant, the law may not give her a share in the profits, if the marriage ends by divorce. In some states, husband and wife cannot make a valid contract because the old common law considers them as one person, and ‘the husband is the one’. The laws by which ‘separation of property’ has been enacted instead of the former common law under which the husband had all authority to the husband, the wife is still at a disadvantage if she is ‘only’ a housewife and mother so that savings are made by her efficiency and thrift.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 16a.
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to conservatism and a reluctance to make changes, we will find that many laws are no more conform to the concepts of our time. Many of the present laws can be understood only in the light of their historical development and background. Suggestions for a reform must take cognizance of the past and the present. We must know from where we come, where we stand, and where we want to go. At times, a look at solutions which have been attempted or suggested in other countries will prove helpful. These, then, have been the guiding principles for the following presenta tion.”123 Beispielhaft griff Munk einige Rechtsbereiche auf, um ihre Thesen von einem Widerspruch der geltenden Rechtslage zu einem die Ehe und Familie einigenden Familienrecht zu verdeutlichen. 2.3 Das Recht im Widerspruch zur sozialen Einheit von Ehe und Familie In den Regelungsbereichen zum Klagerecht, zur Schlüsselgewalt, zum Unterhaltsrecht und zum Wohnort verbargen sich nach Auffassung von Marie Munk die Ehe zerstörende Elemente, weil das Recht Meinungsverschiedenheiten der Ehegatten forcierte. Darüber hinaus standen das Zivil- und Strafverfahrensrecht, das Steuerrecht und die Staatsbürgerschaft diametral zur Einheit von Ehe und Familie. 2.3.1 Die Staatsbürgerschaft Das Prinzip familiärer Einheit (Family Unit) solle über die gemeinsame Staatsangehörigkeit beider Eheleute verhindern, dass die Ehepartner in Krisenzeiten rechtlich getrennt behandelt werden könnten.124 Zu diesem Grundgedanken diametral verliefen nach Auffassung Munks Bestimmungen, die zu einem Verlust der amerikanischen Staatsangehörigkeit führten, wenn eine Frau einen Mann mit einer anderen Staatsangehörigkeit heirate. Dies sei der Fall nach dem amerikanischen Common Law. Die Rechtspersön lichkeit der Frau gehe in der Rechtspersönlichkeit des Mannes auf. Die Frau würde durch den Verlust der Staatsangehörigkeit rechtlos. Sowohl gegenüber der amerikanischen Regierung als auch gegenüber dem Heimatstaat ihres Ehemannes.
123 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, General Introduction. Scope of the Law of Domestic Relations, p. 1 – 2, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. Kursive Hervorhebungen durch die Verfasserin. 124 “[…] in times of war they cannot be separated or brought under different regulations by state authorities.” In: Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, A. Marriage and the Effect of the Marital Status in General, I. Citizenship, 1. The Principle of Family Unit, p. 3 – 4, p. 3, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7.
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Zwar werde dieser Rechtswirkung durch das Haagener Abkommen 125 und den Cable Act (1922) die Schärfe genommen – allerdings nur rein formal, weil der Verlust der amerikanischen Staatsangehörigkeit in einem besonderen Verfahren durch das Gericht erklärt werde. Für eine Frau, die einen amerikanischen Staatsbürger heirate, erleichtere das Haagener Abkommen und der Cable Act nur das Einbürgerungsverfahren.126 2.3.2 Steuerrecht Diametral zur familiären Einheit enthielte das Steuerrecht Bestimmungen zur Steuerveranlagung, hob Marie Munk hervor. Die Steuerveranlagung hinge vom Güterstand ab. Befänden sich die Eheleute im Güterstand Community Property, dann hätten sie höhere Steuern zu bezahlen, als wenn sie getrennt veranlagt würden. Der Supreme Court gestatte eine getrennte Steuerveranlagung der Frau über die Hälfte des gemeinsamen ehelichen Einkommens im Güterstand des Community Property.127 2.3.3 Zivil- und Strafverfahren In einigen amerikanischen Bundesstaaten könnten die Ehepaare nicht als Zeugen angehört werden, wenn es ein Verfahren ist, in dem ihr Ehepartner Verfahrensbeteiligter sei. In anderen Bundesstaaten sei eine Zeugenaussage des Ehepartners grundsätzlich nicht möglich. Munk trat dafür ein, dass es den Ehepartnern selbst überlassen bleiben solle, ob sie in den Zeugenstand treten oder nicht.128 125 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, A. Marriage and the Effect of the Marital Status in General, I. Citizenship, 1. The Principle of Family Unit, p. 3 – 4, p. 4, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 126 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, A. Marriage and the Effect of the Marital Status in General, I. Citizenship, 2. The Principle of the Wife’s Independent Citizenship, p. 4 – 5, p. 5; 3. Naturalization Procedure, p. 6 – 7, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 127 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, A. Marriage and the Effect of the Marital Status in General, II. The Recognition of the Status of Marriage by Various Laws, 1. Tax Laws, p. 7, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 128 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, A. Marriage and the Effect of the Marital Status in General, II. The Recognition of the Status of Marriage by Various Laws, 2. The Laws of Civil and Criminal Procedure, Privileges of spouses as witnesses, p. 8 – 9, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7.
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2.4 Die rechtliche Stellung von Frau und Mann in der Ehe Für die Rechtsbeziehungen von Mann und Frau erachtete Munk die Rolle des Ehegüterrechts ausschließlich begrenzt: “The Law of Domestic Relations tells us how this shall be carried out if they don’t agree.”129 Mit dem Wort this umschrieb Munk die ehelichen gegenseitigen Verpflichtungen und Rechte.130 2.4.1 Wohnort Hierzu gehörten die gemeinsame eheliche Lebensgemeinschaft und der eheliche Wohnsitz.131 Die Frau könne nur unter besonderen vorgeschriebenen Gründen einen eigenen Wohnsitz begründen.132 Gegen Willkürentscheidungen ihres Ehemannes wäre die Frau rechtlich nicht geschützt.133 Mit der Folge, dass der Frage des Wohnsitzes eine bedeutendere Rolle zukäme als dem Wahlrecht oder der Möglichkeit, sich für den Staatsdienst zu bewerben oder staatliche Dienste in Anspruch zu nehmen oder staatliche Prüfungen ablegen zu können.134 Munk schlug vor, in den Fällen, in denen sich die Eheleute über den 129 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, B. Personal Relationships of Husband and Wife, 1.General Principles of marital Obligations, p. 10, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. Hervorhebung nicht im Original. 130 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, B. Personal Relationships of Husband and Wife, 1.General Principles of marital Obligations, p. 10, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 131 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, B. Personal Relationships of Husband and Wife, II. The Principle of Family Unit, 1. The Wife’s Name, 2. Right to Conjugal Companionship, 3. Domicile, p. 11 – 13, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 132 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, B. Personal Relationships of Husband and Wife, II. The Principle of Family Unit, 3. Domicile, b. The Wife’s Domicile, p. 13 – 14, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 133 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, B. Personal Relationships of Husband and Wife, II. The Principle of Family Unit, 3. Domicile, c. The Wife’s Protection Against Arbitrary Decision of Husband, p. 14, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 134 Dass „the question of domicile has become more important in our time where it plays a role in the right to vote, or the possibility to apply for a civil service position or to take civil service examinations.“ In: Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, B. Personal Relationships of Husband and Wife, II. The Principle of Family Unit, 3. Domicile, c. The Wife’s Protection Against Arbitrary
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Wohnsitz nicht einigen könnten, das Gericht entscheiden zu lassen, wenn zuvor eine Versöhnung mithilfe des Richters nicht erreicht würde.135 2.4.2 Unterhaltsrecht Die Einschränkung, dass Ehepartner Verträge nicht miteinander schließen dürften, ließe die Frau nach einer Scheidung mittellos dastehen. Denn sie habe zugleich die Verpflichtung, während der Ehe im Haushalt und im Geschäft des Mannes mitzuarbeiten. Munk forderte, Arbeitsverträge z wischen den Eheleuten zuzulassen und weibliche Hausarbeit wirtschaftlich zu berücksichtigen. Bisher würde dieser Gedanke nur in den Staaten verfolgt, die das eheliche Güterrecht nach dem Community Property System regelten.136 Nicht berücksichtigt in diesen Bundesstaaten würde jedoch, dass die Frau Ersparnisse aus ihrer Haushaltsführung für sich verwenden können muss. Die Ersparnisse der Hausfrau könnten zukünftig zu ihrem Eigentum werden, schlug Munk vor.137 Die vorrangige Verpflichtung des Mannes, für das Auskommen der Familie zu sorgen, sei überholt. Munk wollte die weibliche Berufstätigkeit in die eheliche Verpflichtung zum Unterhalt einbeziehen. Vorbild sei das schwedische Recht aus dem Jahre 1922.138 Bereits die Rechtsprechung in einigen amerikanischen Bundesstaaten würde die Verpflichtung der Frau, für das Auskommen der Familie zu sorgen, zunehmend würdigen.139 Allerdings eröffneten nur einige amerikanische Gerichte das Recht der Frau, Beträge vom Ehemann
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Decision of Husband, p. 14, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, B. Personal Relationships of Husband and Wife, II. The Principle of Family Unit, 3. Domicile, d. Suggestions, p. 15 – 16, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, I. The Wife’s Services 1. At Home, 1. In the Husband’s Business, 3. Suggestions, p. 16 – 19, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, III. Support of Husband and Wife, 3. Extent of Liability, Amount of Support, p. 26 – 28, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, II. The Family Budget, 1. Responsibility for Family Expenses Suggestions, p. 19 – 23, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, III. Support of Husband and Wife, 1. The Personal Liability, a. The Husband’s Responsibility, b. The Wife’s Responsibility, p. 23 – 24,
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zurückerstattet zu erhalten, die sie für eine notwendige Haushaltsführung aus ihrem Sondergut zuvor eingesetzt hatte.140 Lebten die Eheleute getrennt, könnten Verträge den ehelichen Unterhalt regeln.141 2.4.3 Unterhaltsklagen Unterhaltsstreitigkeiten sollten nach dem New Yorker Modell einem Probation Department (einer klageabwendenden Bewährungsstelle) übergeben werden. Das Probation Department gehöre zum Domestic Relations Court (Familiengericht). Das Probation Department entscheide nach einer Anhörung, ob das gerichtliche Verfahren geführt oder aufgrund einer einvernehmlichen Vermittlung zwischen den Ehegatten eingestellt würde. Eine einvernehmliche Regelung von Unterhaltsansprüchen könne durch den Richter bestätigt werden. Die einvernehmliche Regelung über Unterhaltsansprüche erhalte so die Wirkung eines gerichtlichen Befehls.142 Könne diese einvernehmliche Regelung nicht erzielt werden, so solle eine Anhörung (Hearing) vor dem Gericht stattfinden, zu dem die Eheleute als auskunftspflichtige Personen (respondent), und nicht als Kläger (complainant) oder Beklagter (defendant) geladen würden. Zuvor könne das Probation Department zu den finanziellen Familienverhältnissen schriftlich angehört werden und einen Entscheidungsvorschlag erstatten. Nach der gerichtlichen Anhörung setze das Gericht den Anspruch fest.143 Bei einer wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute erfolge
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in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, N orthampton, Mass., Box 10 Folder 7. Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, IV. The Wife’s Agency, 3. Agency During Separation of Spouses, b) The Wife’s Right to Collect Expenses, p. 43, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, III. Support of Husband and Wife, 2. Support in Specific Cases d) Support during Separation of Spouses, p. 26, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, III. Support of Husband and Wife, 4. Legal Actions for Non-Support, a) Civil Actions, p. 28 – 29, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, III. Support of Husband and Wife, 4. Legal Actions for Non-Support, a) Civil Actions, p. 29 – 31, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7.
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eine weitere Anhörung (rehearing) zum Zwecke einer Neufestsetzung.144 Komme der Unterhaltsverantwortliche der Festsetzung des Gerichts nicht nach, könne die Hauptsache erneut vor das Gericht gebracht werden; diesmal in der Form „contempt of court“ (Missachtung gerichtlicher Entscheidung). Es würde ein strafbewehrtes Vergehen festgestellt, wenn keine triftigen Gründe für den Verstoß gegen die richterliche Festsetzung vorgebracht werden könnten.145 Dieses Verfahren berge immer die Gefahr einer Haft, hob Munk hervor. Mit der Haft werde wegen ihrer dramatischen beruflichen Auswirkungen und des Kontakts zu anderen Straffälligen weder dem Unterhaltsberechtigten noch dem Unterhaltspflichtigen geholfen. Es sei besser, eine geringere Summe regelmäßig gezahlt zu bekommen, als einen gerichtlich festgesetzten höheren Unterhaltsbetrag, der nicht durchgesetzt werden könne.146 Munk plädierte deshalb für außergerichtliche Unterhaltsvereinbarungen durch die freiwillige Rechtshilfe (Legal Aid Societies).147 Eine strafrechtliche Verfolgung sei nur in außerordentlich hartnäckigen Fällen wirksam. Eine angeordnete Arbeitspflicht sei wirksamer.148 Ihre Argumente wurden bereits in der Praxis gestützt. Bei Arbeitslosigkeit wurde im Staat New York das Unterhaltsverfahren an das Gericht zurückverwiesen, damit es erst gar nicht zu einer strafbewehrten Contempt-of-court-Entscheidung käme. Die Einziehung des Unterhaltsbeitrages erfolge durch das Probation Department.149 Bei 144 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, III. Support of Husband and Wife, 4. Legal Actions for Non-Support, a) Civil Actions, p. 31, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 145 Ebd. 146 “It is much better to get a small sum regularly from a husband who pays ‘voluntarily’ than to have a court order for a much higher sum which cannot be enforced.” In: Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, III. Support of Husband and Wife, 4. Legal Actions for Non-Support, a) Civil Actions, p. 32 – 33, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 147 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, III. Support of Husband and Wife, 4. Legal Actions for Non-Support, a) Civil Actions, p. 33, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 148 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, III. Support of Husband and Wife, 6) Criminal Action for Non-Support, p. 34 – 35, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 149 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, III. Support of Husband and Wife, 4. Legal Actions for Non-Support, a) Civil Actions, p. 31 – 32, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7.
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getrennt lebenden Ehegatten träten die Personen, die die Frau mit dem Notwendigsten versorgten, nach Auffassung einiger amerikanischer Gerichte als „imputed Agency“ (mit zurechnender Wirkung) an die Stelle des unterhaltsverantwortlichen Ehemannes.150 Munk wies abschließend auf die Grenzen von Recht und Verfahren hin. Wir (die Gesellschaft) müssten es mittragen, dass nicht das Zivilrecht und schon gar nicht das Strafrecht Familien zusammenführen könne. Aber es sollte auch kein Recht geschaffen werden, w elche familientrennende Wirkungen entfalte. Zwang und Unterdrückung erzielten keine Wirksamkeit. Niemand könne zur Liebe gezwungen werden.151 2.4.4 Schlüsselgewalt Das Recht der Frau, ihren Mann in der Haushalts- und Lebensführung des Ehepaares rechtlich zu vertreten, konnte durch den Mann widerrufen oder beschränkt werden. Entscheidend war, ob die Frau ihre Stellvertretung missbrauchte. Die Form des Widerrufs konnte der Mann frei wählen. Er konnte zum Beispiel eine Erklärung gegenüber den Geschäftspartnern seiner Frau oder seinen Widerruf über die Zeitung verbreiten.152 Nur am Family Concilia tion Court in Los Angeles fand eine gerichtliche Anhörung beider Ehegatten statt. Diese Praxis und auch das schwedische Recht wären für weitere Reformstudien beispielgebend, meinte Munk.153
150 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, IV. The Wife’s Agency, 3. Agency During Separation of Spouses, a) Imputed Agency, p. 41 – 43, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 151 “We must bear in mind that we cannot keep the family together with the civil law and still less with the criminal law. But we must not to make laws which drive the family apart. Coercion and oppression do not create affection. Nobody can be compelled to love.” In: Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, III. Support of Husband and Wife, 6) Criminal Action for Non-Support, p. 35, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 152 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, IV. The Wife’s Agency, 1. The Wife’s Presumptive Agency, 2. The Husband’s Protection, a) The Husband’s Right to Rebut the Presumption, b) The Husband’s Right to Derogate the Wife’s Agency, p. 36 – 39, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 153 Siehe 7. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 7 zu den schwedischen Vorbildern.
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2.4.5 Klagerecht der Frau Marie Munk kritisierte, dass die Frau als Rechtspersönlichkeit immer noch nicht anerkannt werde. In der Prozessführung für ihre Rechte sei die Frau auf die finanzielle Beteiligung des Mannes angewiesen. Dieser Grundsatz folge aus der Verantwortung des Mannes, für den notwendigen Unterhalt zu sorgen.154 Diese Verantwortung bestehe jedoch nicht für die Verfahren, die zum Ziel hätten, die Ehe aufzulösen.155 Folglich stünde die Frau mittellos da. 2.4.6 Schadenersatzklagen und Vermögensklagen Während bestehender Ehe seien Rechtsfragen des Vermögens und Schadensersatzklagen aus unerlaubter Handlung zwischen den Eheleuten nicht selten. Allerdings lasse das Common Law derartige Verfahren während der Ehe nicht zu, weil beide Partner rechtlich zu einer Einheit verschmelzen würden.156 Obgleich sich mit dem Married Women’s Act die Rechtslage geändert hätte, würden weder die Gesetze der amerikanischen Bundesstaaten noch die Gerichte dem veränderten Ansatz bisher entsprechen.157 In den Staaten Alaska, Illinois, Iowa, Louisiana, Maine, Missouri, Oregon, Utah und Washington wären vermögensrechtliche Streitigkeiten unter den Eheleuten erlaubt. In den amerikanischen Bundesstaaten Arizona, Arkansas, Indiana, Mississippi, Nevada, South Carolina und Washington bedürften vermögensrecht liche Streitigkeiten unter Eheleuten einer Zustimmung. Andere amerikanische Bundesstaaten, wie Florida, Maryland, North Carolina, Pennsylvania, South Dakota, Hawaii und Massachusetts, beschränkten oder verweigerten diese Verfahren.158 Im Schadenersatzrecht würden die Gerichte und Statuten nur widerwillig 154 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, V. Responsibility for Legal Services, p. 44, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 155 Ebd. 156 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, VI. Suits between Spouses, 1. General Principles and Historical Development, p. 45, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 157 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, VI. Suits between Spouses, 1. General Principles and Historical Development, p. 45 – 46, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 158 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, VI. Suits between Spouses, 2) Actions Based on Property Rights, p. 46 – 47, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7.
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die gegenseitige Verantwortung der Ehegatten für einander zugeführte Schäden anerkennen. Das treffe auch auf Brandstiftung, Diebstahl und Unterschlagung zu. Anders als im deutschen Recht würde eine strafrechtliche Ahndung den zivilrechtlichen Schadenersatz ausschließen. Dies sei auf den Einfluss des alten Common Law zurückzuführen, das dem Mann das Recht einräume, seine Frau zu schelten. Hingegen erlaube das Recht des Staates New York seit dem Jahre 1937 die Klageerhebung, wenn der Ehepartner oder sein Eigentum durch das Verhalten des anderen Ehepartners beschädigt würde.159 Aufgrund dieser ungeordneten Rechtslage in den Vereinigten Staaten verlangte Munk nach einer klaren Haltung im Recht: Die Anerkennung eines getrennten Vermögensverfügungsrechts der Ehefrau und ihre prinzipielle Gleichberechtigung müssten ergänzt werden um ihr Klagerecht für ihr Vermögensrecht und um ein Klagerecht für einen im Einzelfall einzufordernden Schadenersatz.160 Ein Verbot von Eigentums-, Herausgabe- oder Vermögens klagen, insbesondere im Fall des Getrenntlebens, habe negativere Wirkungen auf die Ehe als ihre Erlaubnis.161 Würden die Schadenersatzklagen nicht auf triviale eheliche Auseinandersetzungen ausgedehnt und könne der zur Klage Berechtigte das Verfahren bis zum Ende der Ehe aufschieben, würde die Ehe nicht gefährdet: Ungerechtigkeiten, welche nicht mit einem Rechtsmittel verbunden s eien, würden in Zukunft gemieden. Ganz im Gegenteil: Unrecht, das jetzt ohne Abhilfe bliebe, könne in der Zukunft vermieden werden.162 159 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, VI. Suits between Spouses, 3) Personal Actions Based on Torts, p. 47 – 48, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 160 “The recognition of separate property rights of women and their legal equality in principle must be followed by extending the right to sue one another for property rights and for torts.” In: Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, VI. Suits between Spouses, 2) Actions Based on Property Rights, Suggestions, p. 47, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. Hervorhebung nicht im Original. 161 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, VI. Suits between Spouses, 2) Actions Based on Property Rights, Suggestions, p. 47, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7. 162 “On the contrary, wrongs which are now committed without remedy, might be avoided in the future.” In: Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, VI. Suits between Spouses, 3) Personal Actions Based on Torts, Suggestions, p. 48 – 49, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7.
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2.4.7 Sorgerecht Zum Sorgerecht hatte Munk folgende Auffassungen: Das schwedische Recht übertrage die Verantwortung sowohl für die Haushaltsführung als auch für die Bildung und Erziehung der Kinder beiden Ehepartnern. Eine Entziehung dieser Rechte erfolge nur im Falle des Missbrauchs auf Antrag des anderen Ehegatten durch das Gericht. Die Entscheidungen des Gerichts würden in einem Register festgehalten.163 Erste Reformkonturen zum amerikanischen Ehe-, Ehegüter- und Familienrecht – die das Berufsbild des „Family Lawyer“ betreffen müssen. Doch zunächst das Fazit. 2.5 Fazit Marie Munk forderte für die Frau zunächst erst einmal die Hälfte am ehelichen erwirtschafteten Gewinn der Ehepartner, bevor sie sich der Diskrepanz von Recht und Wirklichkeit widmete. Bedeutsam ist, dass Marie Munk in ihrem Manuskript „Family Law and Procedure“, welches für amerikanische Sozialarbeiter bestimmt sein sollte, zwei Erkenntnisse ihren Lesern anbot. Zum einen, dass das Recht die Frau in der ehelichen Lebensgemeinschaft diskriminiere. Dies deshalb, weil die Frau von den Entscheidungen des Mannes abhängig sei. Aber auch, weil die Frau nach Auflösung der Ehe am wirtschaftlichen Gewinn der Ehe, insbesondere als Hausfrau und Mutter, nicht beteiligt würde. Zum anderen sei angesichts der Berufstätigkeit der Frau und Mutter das Recht veraltet, weil es der sozialen Wirklichkeit der Gegenwart nicht mehr entspreche. Marie Munk zeigte ihren Lesern auf, dass das Recht nur die Vorstellungen der Gesellschaft für eine begrenzte Zeitspanne widerspiegeln könne. Mit dieser Feststellung Marie Munks werden zum einen beim Leser die Augen ein Stück weit dafür geöffnet, wie schwierig Gesetzgebung im Ehe- und Familienrecht war und ist. Zum anderen führt diese Erkenntnis zu einem weiteren Schluss. Nämlich, dass ein Eheleitbild, insbesondere ein Eheleitbild eines bestimmten sozialen Standes der Gesellschaft, von der Gesetzgebung, gleich welchen Charakters oder/und gleich in welcher Form, zu keinem Zeitpunkt, mit welchen Mitteln auch immer, eingelöst werden kann. Hieran anknüpfend, wies des Weiteren Marie Munk in ihrem Manuskript nach, dass sich das Recht in seinen verschiedenen Regelungsbereichen diametral zur Einheit von Ehe und Familie stellte. Insbesondere in den wichtigsten Regelungsbereichen des ehelichen Zusammenlebens, wie dem ehelichen Wohnsitz, 163 Marie Munk, The Law and the Procedure of Domestic Relations, Chapter Personal Rights and Mutual Obligations, C. Mutual Obligations of Spouses, IV. The Wife’s Agency, 1. The Wife’s Presumptive Agency, 2. The Husband’s Protection, c) Suggestions, p. 39 – 40, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 7.
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dem Unterhalts- und dem Klagerecht, wie auch in den zentralen Bereichen des Steuerrechts und des Zivil- und Strafverfahrensrechts. Das führte zu dem Schluss, dass die Diskrepanz z wischen geregeltem Recht und sozialer Wirklichkeit durch die geschlechtsspezifischen Festlegungen im Recht selbst begründet wurden. Mit ihrer Aufforderung „We must know from where we come, where we stand, and where we want to go“ forderte und fordert Marie Munk noch heute dazu auf, diesen Aspekt rechtswissenschaftlich und rechtshistorisch zu untersuchen.
3. Das Manuskript „Family Lawyer“ In ihrem unvollendeten wissenschaftlichen Aufsatz mit dem gleichnamigen Titel konstatierte Munk: Was in der heutigen Gesellschaft gebraucht würde, wäre ein Family Lawyer, wie ein Familien-Doktor. Dieser erkenne die „Gebrechen“, bevor diese ernsthafte Ausmaße annähmen und bevor diese dem „Patienten“ bewusst würden. Es sei weder nur medizinischer Rat, der erleichtere, noch die Verhaltensempfehlung, w elche er verordne; es sei sein freundliches und sympathisches Zuhören und seine Wachsamkeit, durch w elche die Gründe ehelicher Disharmonie klar würden. Der Family Lawyer könne sehr viel für die Klienten tun, die zu ihm kommen, bevor seine Klienten in ein auswegloses Durcheinander gerieten.164 Mit diesen unvollständig erhalten gebliebenen Konturen über das von Marie Munk entwickelte Berufsbild des Family Lawyer fanden sich Marie Munks erste Überlegungen über eine neue Rolle der Anwaltschaft im amerikanischen Familienrecht. Diese Konturen hatte Marie Munk während ihrer beruflichen Tätigkeit als Marriage Counselor dezidierter ausgestaltet, weshalb an dieser Stelle auf das 5. Kapitel Ziffer I Nr. 6 verwiesen wird.
164 “What is needed in our communities is the ‘family lawyer’, just as the ‘family doctor’ should once again come into his own. By paying a friendly call to his ‘patients’ the family doctor detects an ailment before it reaches serious proportions and before the patient himself becomes aware of it. Nor is it always medical advice which brings relieve, nor the topic which he prescribes, but it is his friendly and sympathetic listening and his watchfulness which set matters straight. The family lawyer can do very much the same for those clients who come to see him before they are caught in a mess.” In: The Family Lawyer, Foreword, p. I–IV, p. II, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8.
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4. Der Aufsatz „Husband and Wife and Their Property Rights in the Laws of Domestic Relations“ (Herbst 1940) Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung Marie Munks schien es nach dem amerikanischen Güterrecht erforderlich zu sein, dass nur einer entscheide: “It is necessary, that one decides.” 4.1 Einführung in den Aufsatz durch Einführung in das amerikanische Güterrecht In den Common-Law-Staaten vereinigte sich die Rechtspersönlichkeit der Frau mit der Rechtspersönlichkeit des Mannes. Das weibliche Vermögensrecht ging im männlichen Vermögensrecht auf. Späterhin wurde die Frau zwar befähigt, eigene Willenserklärungen abzugeben und alle notwendigen Verfügungen zu treffen, ohne zuvor durch ihren Mann autorisiert werden zu müssen. Es zeigten sich jedoch in den einzelnen amerikanischen Bundesstaaten fortwährend Insignien ehemänn licher Herrschaft. In Alabama, Louisiana und North Carolina benötigte die Frau die Zustimmung des Mannes, um ihr Vermögen zu veräußern. In Idaho und Texas verwaltete der Mann das Sondergut der Frau; in Florida hatte er die Nutznießung über das Vermögen seiner Frau. Besonders stark war dies in den amerikanischen Bundesstaaten französischen Rechtsursprungs, den sogenannten Civil-Law-Staaten, zu beobachten. Louisiana, Arizona, California, Idaho, Nevada, New Mexico, Texas und Washington praktizierten die Gütergemeinschaft. Alles Vermögen, welches während der Heirat erworben wurde, ganz gleich, ob als Schenkung oder Erbschaft, stand unter der Verwaltung des Mannes. In Indiana, Minnesota, New Jersey, Pennsylvania, Vermont und West Virginia konnte die Frau ihr unbewegliches Vermögen nur dann veräußern, wenn der Mann zustimmte.165 Das Recht verlief unter diesen Bedingungen diametral zur Einheit einer Ehe – die Befürworter dieser Rechtskonstruktion bedienten sich aus Sicht Marie Munks widersprüchlicher Mittel. 4.2 Die Differenz zwischen Recht und Ideal Marie Munk konstatierte, dass das Familienrecht nicht außer Acht lassen dürfe, dass die Ehe eine Einheit von Ehemann und Ehefrau ist und bleibt. Das christliche Prinzip, aus Zweien werde ein Fleisch, sei im Common Law in der Form herausgearbeitet, dass die Person der Ehefrau mit der Person des Ehemannes verschmelze; der Ehemann sei Eigentümer ihres Vermögens und verantwortlich für alle ihre 165 Paul C. Schnitzler, Wegweiser für den Rechtsverkehr z wischen Deutschland und den Staaten von Amerika, 2. Auflage, Berlin 1903, S. 73 – 74.
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Rechtshandlungen. Der Ehemann repräsentierte die familiäre Einheit. Das beweg liche Vermögen der Frau könne von den Kreditgebern in Besitz genommen werden. Ein System, nach dem die Ehefrau selbstständig handeln oder in dem das Vermögen der Eheleute getrennt oder in dem die Eheleute Rechtshandlungen getrennt voneinander vornehmen könnten, brach mit d iesem Ideal der Ehe-Einheit.166 Beide extremen Systeme, die Verfügungs- und Verwaltungsmacht des Mannes, aber auch die völlige Gütertrennung beider Ehegatten, so konstatierte Marie Munk, verliefen diametral zur ethischen Einheit der Ehe. Aus Sicht Marie Munks bestehe das Charakteristikum einer Ehe vielmehr darin, dass sie aus den einzigartigen und verschiedenartigen Fähigkeiten beider Partner das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung war und ist. Dies sei eine besondere Herausforderung für das Recht, das darüber hinaus auch noch dem sozioökonomischen Wandel Rechnung tragen sollte: Munk entwickelte ein Ehegüterrecht, das die Ehefrau am wirtschaftlichen Erfolg oder dem Erwerb während der Ehe beteiligte. Nicht übermäßig, denn die Verfügungsmacht von Ehemann und Ehefrau sei zum Schutz der Beteiligung beschränkt. Das alte französisch-spanische Ehegüterrechtssystem, welches in Louisiana, Texas, New Mexico, Arizona, California, Nevada, Idaho und Washington in Kraft sei, erfülle diese Forderungen nicht. Dieses Recht konzentriere die Verwaltung in den Händen des Ehemannes und entziehe der Ehefrau alle ihre Rechte, insbesondere in den Einzelfällen, in denen ihre Zustimmung für ein Rechtsgeschäft notwendig sei. Ihre Vermögensrechte fielen unter die Gnade ihres Ehemannes und wären bedroht und verloren, wenn ihr Ehemann ein inkompetenter Geschäftsmann wäre oder insolvent würde. Überdies sei d ieses System kompliziert und habe einige Anhänger in einigen Teilen der Vereinigten Staaten. In Industrieregionen und unter modernen Lebensbedingungen sei ein anderes Ehegüterrechtssystem erforderlich.167 166 “The law of domestic relations must not lose sight of the fact that marriage is and must remain a unit of husband and wife. The Christian principle, ‘they twain shall be one flesh; so then they are no more twain, but one flesh’ (St. Mark, 10:8) has been carried out most thoroughly in the old common law. By merging the personality of the wife in that of the husband so that he was the holder of all her property and responsible for all her acts, the husband represented the unit. Whatever moveable assets there were could be attached by the creditors. Any system which emancipates the wife and recognizes separate property of the spouses and transactions between them breaks up the ideal unit.” In: Marie Munk, Husband and Wife and Their Property Rights in the Laws of Domestic Relations, in: LIVING, Volume II Autumn 1940 Number Four, p. 93 – 99, 104, p. 93, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3525. Kursive Hervorhebungen nicht im Original. 167 “A property system must be devised in which the wife participates in the gains or acquests which have been made during marriage without unduly, however, restricting husband and wife in their power of disposal. The old community property systems of French-Spanish origin which are in effect in Louisiana, Texas, New Mexico, Arizona, California, Nevada, Idaho and Washington, do not meet these requirements. They concentrate the power of
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4.3 Marie Munks Reformvorschläge zum amerikanischen Ehegüterrecht Munk hielt sich bei ihren Reformvorschlägen eng an ihre Forderungen auf dem 33. Deutschen Juristentag. Sie machte den Vorschlag, für die Zeit einer bestehenden Ehe eine getrennte Vermögensverwaltung einzuführen und die Eheleute am gemeinschaft lichen Gewinn nachehelich wirtschaftlich zu beteiligen. Diesen Vorschlag begründete Marie Munk damit, dass die Ehefrau, träte sie in die Ehe vermögenslos ein, nach einer Scheidung „leer ausginge“, insbesondere wenn sie für schuldig an der Scheidung verurteilt würde. Aufgrund ihrer Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit habe jedoch der Ehemann beträchtliche Ersparnisse schaffen können. Sein Geschäft habe durch ihr Zutun und ihre Findigkeit prosperieren können. In einem System der Gütertrennung erhalte er den gesamten Profit. Urteile über Unterhaltsansprüche der Ehefrau s eien schwer durchzusetzen. Erhielte sie jedoch den ihr gebührenden Anteil am erwirtschafteten Erfolg der Ehe, so könne sie nach der Scheidung ein eigenes Geschäft beginnen. Ihre finanzielle Situation sei deutlich besser. Die Tatsache, dass die Frau Anspruch auf eine Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg der Ehe habe, würde die Zahl der Scheidungen nicht erhöhen, sondern verringern. Viele Männer würden es sich zweimal überlegen, ob sie eine Scheidungsklage einreichen würden, wenn sie die Ersparnisse mit ihrer Frau teilen müssten oder ihre Frau zu einem „stillen Partner“ ihres Geschäfts machen müssten. Andererseits habe die Frau ihren aus Beruf oder Geschäft erwirtschafteten Gewinn ebenso mit ihrem Mann zu teilen. Regelmäßig sollten beide Ehepartner gleichermaßen an dem erwirtschafteten Gewinn der Ehe beteiligt werden, unabhängig davon, ob der Mann oder die Frau den größten wirtschaftlichen Beitrag leiste. Nur das Vermögen, welches mit bestimmten Auflagen belastet ist oder weil die Rechte an diesem Vermögen nicht übertragen werden könnten, sollte von der wirtschaftlichen Beteiligung ausgeschlossen sein. Ausnahmen könnten ferner aufgrund geschlossener vorehelicher oder nachehelicher Verträgen bestehen. Solange die Ehe bestünde, wären die Ehegatten uneingeschränkt verfügungsberechtigt über ihr Vermögen, auch wenn nach Auflösung der Ehe die Zugewinnteilung erfolge. Dies sei nur in dem Fall nicht gerechtfertigt, wenn einer der Ehegatten in der Absicht, das Recht des anderen Ehegatten an der Teilung des wirtschaftlichen Erfolges zu vereiteln, Verfügungen träfe. Für besondere Rechtsgeschäfte, die Verpfändung von Immobilien z. B., sollte die Zustimmung des control and administration in the hands of the husband, thus depriving the wife of all rights, except in those few cases where her consent is needed for a transaction. Her property rights are therefore at the mercy of her husband and may be endangered and even lost if he is an incompetent manager or becomes insolvent. Moreover, these systems are rather complicated and have made few friends in other parts of the country. In industrial areas and under modern conditions a different system is needed.” In: Marie Munk, Husband and Wife and Their Property Rights in the Laws of Domestic Relations, in: LIVING, Volume II Autumn 1940 Number Four, p. 93 – 99, 104, p. 94, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3525.
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anderen Ehegatten, die Genehmigung des Gerichts oder eines Treuhänders erforder lich sein. Mit ihrem güterrechtlichen Modell würden die unerwünschten Folgen der Gütergemeinschaft vermieden und es bliebe eine getrennte Vermögensverwaltung der Ehegatten vollständig erhalten. Die Zugewinnteilung erfolge, wenn die Ehe aufgelöst werde oder einer der Ehepartner sterbe, nach Aufhebung der Ehe durch Trennung oder im Falle der Scheidung, aber auch in bestimmten gesetzlich vorgesehenen Fällen auf Antrag eines Ehegatten mit Genehmigung des Gerichts, z. B. bei Misswirtschaft oder Konkurs des anderen Ehegatten.168 Zum Schluss hob Munk hervor, dass ihre Forderungen eheerhaltend wirkten, weil nur ein System, das die Ehefrau am Gewinn der Ehe beteilige, ihrem ehelichen Beitrag die volle Aufmerksamkeit schenke. 168 “The Following New System of Property Rights in Which the System of Separation of Property Is Combined with That of Community of Gains or Acquests Is Therefore Suggested. – It has been pointed out that a wife who has entered upon marriage without property of her own may be left penniless in case of divorce, particularly if she is considered to be the guilty party. Due to her thrift and efficiency, the husband may have made considerable savings. His business may have become prosperous by her cooperation and ingenuity. Under the system of separation of property he retains all the profits. Even if alimony is awarded to the wife, she may have great diffi culties in executing the decree. If she could get part of the funds which have been accumulated during marriage, she might start a business on her own; at least her financial standing would be improved considerably. The fact that the wife is entitled to a share in the financial success of the marriage would not increase but rather decrease the number of divorces. Many a husband would think twice before filing a petition for divorce if he had to share the savings with his wife or make her a ‘silent’ partner in his business. On the other hand, if it is the wife who, by her profession or business, has made considerable savings, she should share with the husband in like manner. As a rule, both spouses should share equally in the gains or acquests which have been made during marriage, regardless of whether husband or wife has been the main contributor. Certain property may have to be exempted, e. g., because of restrictions made by the donor or because the rights cannot be transferred. Exemptions may be agreed upon in prenuptial and postnuptial settlements between the spouses. As long as the marriage lasts, either spouse must have full control and disposal of all his properties, earnings and savings, in spite of the fact that some of these will eventually have to be divided between husband and wife. Unless a spouse acts with the intention to decrease the future community property and the rights of the other spouse, no objection should be permitted. For certain transactions, e. g., for conveying or mortgaging real estate, the consent of the other spouse or a permit of a court or trustee may be required. The undesirable consequences of the community property systems are thereby avoided and the advantage of the separation of property fully preserved. The division of the community of gains takes place when the marriage comes to an end after the death of either spouse, after annulment, separation or divorce and, in specific cases, upon request of a spouse by permission of the court, e. g., in case of abuse, mismanagement or bankruptcy of the other.” In: Marie Munk, Husband and Wife and Their Property Rights in the Laws of Domestic Relations, in: LIVING, Volume II Autumn 1940 Number Four, p. 93 – 99, 104, p. 99, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3525; unveröffent lichter Vortrag von Oda Cordes, Women in Different Gender Roles and the Role of Law in Property Rights, p. 1 – 14, p. 10 – 12.
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Es schütze die Frau im Fall der Scheidung ebenso wie im Falle testamentarischer Verfügungen, w elche sie benachteiligen könnten. Nicht nur theoretisch, sondern praktisch; g leiche Rechte und eine größere Gerechtigkeit s eien das Ergebnis dieser gesetzlichen Bestimmungen.169 4.4 Fazit Für den Leser d ieses Manuskripts Marie Munks wird offenbar, dass Marie Munk folgende Aspekte bestehender ehegüterrechtlicher Regelungen offenlegte: Zum einen, dass das amerikanische Ehegüterrecht in den einzelnen amerikanischen Bundesstaaten unterschiedlich sei. Zum anderen, dass das amerikanische Güterrecht nach Common Law wie auch nach dem französisch-spanischen System die Ehefrau gegenüber dem Ehemann diskriminiere. Betrachtet der Leser diese beiden zuletzt genannten Aspekte unter dem Blickwinkel neuester Forschung, so kann er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das so bezeichnete christliche Prinzip im Common Law womöglich zulasten der Frau verändert und dass das französische Ehegüterrechtssystem womöglich ungenau oder unvollständig in das amerikanische Güterrechtssystem transformiert worden ist. Dieser Gedanke ergibt sich deshalb, weil die Regelungen des „régime matrimonial primaire“ aus Art. 215 Abs. 3 des Code Civil auf die Einheit von Ehe und Familie abstellten. Das heißt, es dürften genau genommen nur solche Regelungen im amerikanischen Ehegüterrecht greifen, die den Erhalt der ehegüterrechtlichen gleichberechtigten Stellung beider Ehepartner sichern helfen. Die amerikanischen Bundesstaaten mit einem Ehegüterrecht französischen Rechtsursprungs legten die Verwaltung des gesamten ehelichen Vermögens in der Gütergemeinschaft in die Hände des Ehemannes. Schon die erste Frauenbewegung stellte in einer Schrift vor Ende des 19. Jahrhunderts klar, dass in Frankreich die Gütergemeinschaft der Ehepartner auf bewegliches Eigentum und Erwerb beschränkt gewesen sei, jedoch keinesfalls die Verwaltung des gesamten ehelichen Vermögens in den Händen des Ehemannes konzentrierte.170 Gleichwohl, wenn in diesen frühen Schriften der Begriff Gütergemeinschaft verwendet und die nähere Auskleidung der ehegüterrechtlichen Verhältnisse dem Bild einer 169 “It is only by a system of this sort that the wife’s contributions to the financial success of the marriage can be given full recognition. It protects her in case of divorce as well as against testamentary provisions which deprive her of her share. Not only theoretically but actually, equal rights and greater justice will result from such legislation.” In: Marie Munk, Husband and Wife and Their Property Rights in the Laws of Domestic Relations, in: LIVING, Volume II Autumn 1940 Number Four, p. 93 – 99, 104, p. 93 – 94, 99, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3525; unveröffentlichter Vortrag von Oda Cordes, Women in Different Gender Roles and the Role of Law in Property Rights, p. 1 – 14, p. 10 – 12. 170 Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 51 – 56, S. 54 unter Bezug auf die ehegüterrecht liche Übersicht von Käthe Schirrmacher.
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Errungenschaftsgemeinschaft gleichzukommen scheint, so gilt umso mehr Marie Munks Aufforderung (vgl. Ziffer V Nr. 2.2), Recht in der Zukunft erst dann zu schaffen, wenn das Recht der Vergangenheit evaluiert sei. Mit d iesem Manuskript hinterließ Marie Munk die Aufforderung an nachfolgende Forschergenerationen, diesen Aspekt rechtshistorisch zu untersuchen.171 Aufgezeigt werden kann anhand einer nordamerikanischen Publikation schon jetzt, dass das Common Law das oben bezeichnete religiöse Prinzip, “They twain shall be one flesh; so then they are no more twain, but one flesh” (St. Mark, 10:8), zugunsten einer stärkeren Rechtsstellung des Ehemannes in der Ehe interpretierte, weshalb im Folgenden eine andere Interpretation dieses religiösen Prinzips aufgezeigt werden soll: “Marriage as the merger of two separate but complementary entities. A new being is formed, a single marital entity. Man and woman are profoundly different. When they marry, they are considered complementary halves of the same unit, neither half more important than the other. The division of labor by both parts of the marital unit is based on their unique and different capabilities, with the aim of maximizing the effects of the unit’s efforts.”172 Mögen sich weitere Forschergenerationen diesen Gedanken und Ansätzen widmen.
5. Das Manuskript „Marriage and the Law“ (1940 – 1942) Das Manuskript „Marriage and the Law“173 entstand nach dem Aufsatz „Husband and Wife and their Property Rights in the Laws of Domestic Relations“.174 Die verwendete Sekundärliteratur reicht bis in das Jahr 1941 hinein.175 Einzelne Kapitel des 60-seitigen Manuskripts, allerdings nicht alle komplett, sind erhalten geblieben. 171 Erst im 21. Jahrhundert ist ein erster Schritt gemacht, indem die Juristische Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover im Rahmen des DFG-Projekts „Interna tionale Reformforderungen zum Familienrecht und Rechtskämpfe des Frauenweltbundes 1830 – 1914 untersucht: http://www.jura.uni-hannover.de. (15. 01. 2014). 172 Michael Kaufman, The Woman in Jewish Law and Tradition, Northvale/New Jersey/London 1993, S. 17 – 18. 173 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 174 Das ergibt sich aus dem Verweis auf den publizierten Artikel in der Zeitschrift „Living“ (Autumn 1940) als Inhalt einer Fußnote auf S. 43b des Manuskripts. In: Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 175 Das ergibt sich aus der Fußnote auf S. 10 des Manuskripts. In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8.
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5.1 Inhalt des Manuskripts Den Begriff der Ehe definierte Munk als Vertrag, in dem sich Mann und Frau gegenseitig als Ehemann und Ehefrau anerkennen. Munk schilderte den histo rischen Wandel von der kirchlichen zur staatlichen Ehegesetzgebung.176 In diesem historischen Kontext vermutete Munk Leitbilder für das Familienrecht und seine Reform. Sie vermochte jedoch unter Hinweis auf die heterogene Rechtslage in den Vereinigten Staaten eine ausführlich recherchierte Aussage über die gegenwärtige und zukünftige Rechtslage von Mann und Frau unmöglich zu treffen. Vorrangig wollte sie mit dieser Arbeit ihre Leser auf bedeutsame Grundlagen des Rechts aufmerksam machen.177 5.2 Recht und Ethik Marie Munk hob hervor: Das Recht sei kein ethischer Kodex, sondern bringe moralische Vorstellungen der Menschen einer bestimmten Zeit zum Ausdruck. Wenn das Recht im Widerspruch zu rechtsgrundsätzlichen Prinzipien stünde oder Verhaltensregeln begründe, die weder dem Leben entsprächen, noch durchführbar wären, so fielen diese Bestimmungen dem Vergessen anheim.178 Es müsse bedacht werden, dass das beste Gesetz keine glücklichen Ehen hervorbringen könne. Noch fußten gute Ehen in unzulänglichen rechtlichen Bestimmungen.179 5.3 Die aktuelle Rechtslage und Rechtspraxis und die Rechtsvereinheitlichung Die uneinheitliche Rechtslage in den Vereinigten Staaten begründe mangelnde Gesetzesakzeptanz unter den amerikanischen Bürgern, konstatierte Marie Munk. Nur durch zwischenstaatliche Verträge könne beides behoben werden. Allerdings zeige die Bewegung um die Rechtsvereinheitlichung im amerikanischen Familien recht, die seit dem Jahre 1888 unter dem Einfluss der American Bar Association 176 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 1 – 3, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 177 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 11a, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 178 “While laws are not a code of ethics, they give expression to the ethical standards of a people at a given period. If laws are contrary to basic ideologies or established rules of conduct, they are neither observed nor enforced and fall into oblivion.” In: Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 4, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 179 “[…] that the best laws of domestic relations cannot create happy marriages. Nor are good marriages affected by inadequate laws. Marriage is such a complex and intimate relationship that the law cannot expect to influence considerably the attitudes of the persons concerned.” In: Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 5, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8.
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betrieben werde, dass die meisten Staaten der USA die Rechtsmodelle der sogenannten Uniform Acts (Rechtsvereinheitlichungserlasse), mit Ausnahme des Staates Wisconsin, nicht angenommen hätten.180 5.4 Die familiäre Einheit und ihre rechtlichen Wirkungen Das Prinzip der Family Unit müsse hier noch für ein Missverständnis herhalten: Es ginge die Rechtspersönlichkeit der Frau in der des Mannes auf (“husband and wife are one and the husband is the one”). Der „Married Women’s Property Act“ habe diese Rechtssituation zu ändern gesucht. Jedoch sei gerade dieser Act infolge seiner vieldeutigen Wortwahl und gerade, weil er nicht als verbindliches Gesetz ausgestaltet wäre, Grund für eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten.181 Der Grundsatz der Family Unit setze sich geschlechtsbezogen durch: 5.4.1 Staatsbürgerschaft Die Frau verlöre ihre Staatsbürgerschaft, stellte Marie Munk fest, wenn sie einen Amerikaner heirate. Die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielte sie jedoch erst nach ihrer Einbürgerung. Mit der Folge, dass sie staatenlos und ohne staatlichen Schutz sei. Zwar habe der Cable Act des Jahres 1920 diese Rechtssituation insofern abgemildert, als dass ein amerikanisches Mädchen erst dann ihre Staatbürgerschaft verlieren könne, wenn sie eine entsprechende Erklärung vor einem Gericht abgeben würde. Allerdings könne die amerikanische Staatsbürgerschaft nicht durch Heirat erworben werden. Die unterschiedliche Staatsangehörigkeit und die damit verbundenen Schwierigkeiten für die Eheleute würden nicht beseitigt.182 5.4.2 Name und Wohnort der Frau Der Grundsatz der Family Unit fände seinen Ausdruck darin, dass die Frau mit der Eheschließung den Namen des Mannes erhalte, hob Marie Munk hervor. Der Mann bestimme den Wohnort. Vermöge die Frau im Beruf ihren Geschäfts- oder gar ihren Mädchennamen in ihren Pass eintragen zu lassen, wären ihr hinsichtlich der Wahl des Wohnorts engere Grenzen gesetzt. Teilte sie, aus welchen Gründen auch immer, den Wohnort des Mannes nicht, so könne sie des Verlassens der Ehegemeinschaft für schuldig befunden werden.183 180 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 6 – 10, 10a, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 181 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 11 und 11a, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 182 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 12 – 15, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 183 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 16 – 17, 17a, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8.
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5.4.3 Ehemännliche Haftung und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau Der „Married Women’s Property Act“ habe der Frau nur für ihr Sondervermögen und für ihre außerhäusliche wirtschaftliche Tätigkeiten die volle Unabhängigkeit zugebilligt,184 erkannte Marie Munk aus der Rechtslage. Innerhalb des Hauses habe immer noch der Mann das Alleinentscheidungsrecht. Das träfe insbesondere für den Fall der Einkünfte der Frau aus Dienstleistungen im Geschäft des Mannes zu.185 Verfügen könne die Frau nur über ein Taschengeld,186 weshalb die Frau versucht sei, durch außerhäusliche Tätigkeit eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen. Dies sei nicht immer der Familie dienlich.187 Der Mann habe darüber hinaus, unabhängig von der Höhe des Einkommens der Frau, eine uneingeschränkte Unterhaltsverpflichtung für seine Familie 188, obgleich beide Ehepartner für die Familienausgaben verpflichtet seien.189 Mit der Folge, dass das während der Ehe Erworbene die Haftung des Ehemannes auslöse, obgleich die Frau das Geschäft getätigt habe.190 Es unterliege die Hauseinrichtung der Eigentumsvermutung des Mannes. Deshalb könne im Haftungsfall die Frau ihr Vermögen verlieren, obgleich sie allein oder zu einem gewissen Anteil zu den wirtschaftlichen Einrichtungen der Ehe beigetragen habe. Hinzu käme, dass nicht alle Gerichte der aktuellen sozialen Situation der Ehe im Streitfall Rechnung tragen würden.191 5.4.4 Verträge unter den Eheleuten Vor- und nacheheliche Verträge unter den Eheleuten würden mit dem Vorurteil des Misstrauens behaftet sein, verdeutlichte Marie Munk. Diese Verträge würden die Ehe trüben, wäre eine unter den Eheleuten weitverbreitete Einstellung. Des Weiteren seien Verträge auch noch durch einige Gesetze unmöglich gemacht. Wichtig 184 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 18, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 185 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 18 – 23, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 186 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 42, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 187 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 41, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 188 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 35 – 36, 36a, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 189 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 37, 37a, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 190 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 38 – 40, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 191 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 24 – 25, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8.
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sei jedoch, dass diese Verträge die Interessen der Familie und Dritter nicht schmälerten. Sei man sich dessen bewusst, stünde ihrer gesetzlichen Erlaubnis nichts mehr entgegen.192 Zumal, so Marie Munk weiter argumentierend, zugunsten von sorge- und vermögensrechtlichen Trennungsvereinbarungen Verträge unter Eheleuten zugelassen würden.193 Haben die Eheleute jedoch keine Verträge geschlossen oder keine letztwillige Verfügung getroffen, so würden die Regelungen über Courtesy und Dower für den Todesfall greifen. Dower sei das Recht der Witwe, ein Drittel des Grundbesitzes als Lebensunterhalt zu erhalten, während dem Ehemann bereits zu Lebzeiten das uneingeschränkte Besitz- und Nutznießungsrecht an ihren Immobilien zustehe.194 Aus dieser Zeit benötige die Frau für die Veräußerung von Grundeigentum immer noch die Zustimmung des Mannes. Der Mann dürfe aber nicht über das Grundeigentum verfügen, wenn er das Dower-Recht der Frau beeinträchtige. Derartige Einschränkungen müssten aber in den amerikanischen Staaten fallengelassen werden, wo die Rechtsinstitute Dower und Courtesy abgeschafft worden wären.195 Gleichwohl würden Gerichte die Institute von Dower und Courtesy in der Praxis fortwährend verteidigen, weil es kein anderslautendes Recht gäbe.196 Darüber hinaus würden sich die Rechtsinstitute Dower und Courtesy in der heutigen Zeit nicht nur auf das Immobiliarsachenrecht, sondern auch auf die Veräußerung von Wertpapieren, Forderungen und das Mobiliarsachenrecht praktisch erstrecken. Diese Erweiterung auf bewegliches Vermögen käme aber ihrer historischen Bedeutung nicht zu, erkannte Marie Munk. Diese mobiliarsachenrechtliche Erweiterung schränke den jeweiligen Ehepartner wirtschaftlich ein. Sie könnten ihn gar ruinieren.197 Würden die Ehegatten nach dem geltenden Recht des Staates als gemeinsame Inhaber ihres Vermögens angesehen, wären Zustimmungsklauseln zum Schutz des Miteigentums ausreichend.198 Diskriminierende Verfügungsbeschränkungen könnten, wie im französisch-spanisch-deutschen Zugewinnsystem, 192 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 26 – 30, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 193 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 31, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 194 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 52, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 195 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 33, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 1 96 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 51, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 197 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 53 – 54, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 198 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 34, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8.
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eingeschränkt werden, sodass nach dem Prinzip einer Erwerbsgemeinschaft die Verwaltungs- und Verfügungsgewalt der Ehegatten über ihr Vermögen weiterhin erhalten bliebe.199 Als beispielgebend in diesem Sinne erachtete Marie Munk das System in Oklahoma. Es war interessanterweise durch eine steuerrechtliche Entscheidung des Supreme Court entstanden. Diese Entscheidung hatte eine Beteiligung der Frau am wirtschaftlichen Gewinn des Mannes während der Ehe befürwortet.200 So wurde, ähnlich wie bei der propagierten Zugewinstgemeinschaft der Weimarer Zeit in Deutschland, nunmehr nach dem House Bill Act of April 19, 1939 den Ehegatten die Hälfte an dem wirtschaftlichen Zugewinn der Ehe nach dem Tod oder einer Scheidung eingeräumt.201 Aber Munk ging nicht allzu dezidiert auf die Regelungen im House Bill Act ein, weil es ihr nur auf ein wichtiges Prinzip ankam: Ein neues Ehegüterrecht fuße auf dem Prinzip, dass beide Ehegatten zu dem geistigen und finanziellen Erfolg der Ehe beitrügen. Es sei nur gerecht, wenn beide Ehegatten an dem wirtschaftlichen Erfolg, der während der Ehe erwirtschaftet worden wäre, beteiligt würden. Diese Form der Partnerschaft hindere weder das selbstständige Klagerecht der Ehegatten noch die Möglichkeit, durch vor- oder nacheheliche Verträge Eigentum oder Gewinne von der Zugewinnteilung auszuschließen. Es sei unmöglich und auch nicht ratsam, vollständige Überlegungen über d ieses neue Güterrechtssystem in einer Kurzdarstellung wie „Marriage and the Law“ darzulegen. An dieser Stelle hielt es Marie Munk für notwendig, zu sagen, dass eine sorgfältige Untersuchung der Probleme des neuen Güterrechtssystems erforderlich sei.202 199 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 57 – 59, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 200 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 62, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 201 Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 61, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. 202 “If a new system of property rights of husband and wife is to be devised, it must be based on the conception that the spiritual and financial success of marriage depends on the activities of both spouses. As a matter of justice both would share equally in the gains or acquests which they make during marriage. This partnership must not unduly restrict their independent right of action neither with regard nor to pre-nuptial or post-nuptial agreements to separate property or earnings, except for fraud against oneanother or aginst creditours, except for fraud against one another or against creditors. In the main, the advantages of the system of separation of property must be retained. It is impossible, and not even advisable to give particulars about the new system in this brief survey on ‘Marriage and the Law’. It may suffice to say that a careful study of the problems is needed.” In: Marie Munk, Marriage and the Law, p. 1 – 63, p. 60, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 8. Hervorhebung nicht im Original.
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5.5 Fazit In diesem wissenschaftlichen Manuskript ging Marie Munk erneut der Ungleichbehandlung von Mann und Frau in der Ehe unter dem Blickwinkel der Family Unit nach. Diesmal beurteilte sie die Rechtssituation sowohl unter dem in die nordamerikanische Rechtsordnung ihrer Zeit implementierten „Married Women’s Property Act“ als auch unter den Wirkungen des so bezeichneten „Cable Act“ und griff wichtige Bereiche der nordamerikanischen Rechtsvereinheitlichung auf. Gerade weil einige Kapitel des Manuskripts nicht erhalten geblieben sind, ergibt sich ein unvollständiges Bild, was die eherechtlichen Ausführungen anbelangt. Deshalb soll an dieser Stelle hierauf nicht näher eingegangen werden. Zumal auch der Versuch Marie Munks, den historischen Wandel von der kirchlichen zur staatlichen Ehegesetzgebung nachzuvollziehen, um womöglich aus einem historischen Kontext Gewinn für Reformvorstellungen ziehen zu können, unvollendet blieb. Allerdings schöpfte Marie Munk aus ihrem Ansatz eines Wandels der kirchlichen zur staatlichen Ehegesetzgebung Überlegungen in einem kulturhistorischen Kontext. Das Verhältnis von Recht und sozialer Wirklichkeit entwickelte Marie Munk in ihren Beurteilungen weiter. Hatte sie in den vorhergehenden Manuskripten 203 dargelegt, dass zum einen das Recht nur die Vorstellungen der Gesellschaft für eine begrenzte Zeitspanne widerspiegeln könne, zum anderen, dass die Diskrepanz zwischen geregeltem Recht und sozialer Wirklichkeit durch die geschlechtsspezifischen Festlegungen im Recht selbst begründet worden seien, so griff Marie Munk in ihrem Manuskript „Marriage and the Law“ ein drittes wichtiges Element für die Gesetzgebung auf: das Recht im Verhältnis zu grundsätzlichen Prinzipien und das Recht in der Gesellschaft in seinem Verhältnis zu sozial anerkannten Verhaltensregeln. Dieses dritte Element kann nicht schlichtweg einer Diskrepanz z wischen Recht und Wirklichkeit zugeordnet werden, weil sich Letzteres mit der sozialen Gegenwart verknüpft, sozial anerkannte Verhaltensregeln und grundsätzliche Prinzipien jedoch aus kulturhistorischer Vergangenheit erwachsen. Beide werden in der gegenwärtigen Rechtswirklichkeit sichtbar. Dieser dreidimensionale Ansatz Marie Munks für eine Gesetzgebung im Ehe- und Familienrecht ist insbesondere für Einwanderungsländer wie die Vereinigten Staaten, aber auch für Deutschland als Einwanderungsland in einem vereinigten Europa von besonderem Interesse. Das dritte Element des dreidimensionalen Ansatzes Marie Munks will Rücksicht auf die unterschiedliche kulturelle Herkunft der Bevölkerung nehmen. Mit der Folge, dass schluss- und letztendlich ein „brauchbares“ Ehe- und Familienrecht sich nur in grundsätzlichen Prinzipien erschöpfen kann, damit es mit Blick auf die vielfältigen kulturellen Einflüsse und seine zukünftigen 203 Vgl. das Fazit in Nr. 2.5. in diesem Abschnitt.
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sozioökonomischen Veränderungen in den unterschiedlichen Staaten in dem ihm gebotenem Umfang des Wandels in der Zeit flexibel bleibt. Dieser drei dimensionale Ansatz war zu Marie Munks Zeiten revolutionär. Mag die erst seit dem Jahre 2001 eingesetzte Commission on European Family Law (CEFL) sich dieser Aufgabe für die einzelnen europäischen Nationalstaaten widmen und güterrechtliche Grundtypen zum Zwecke der Rechtsangleichung der jeweiligen Güterrechtssysteme 204 ausarbeiten. Der Leser kann sich sicher sein, dass diese Initiative von Marie Munk begrüßt worden wäre.
VI. Transnationales – Transatlantisches Ein zu damaliger Zeit noch junges wissenschaftliches Arbeiten ist durch die vielen deutschen Emigranten in den Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch in anderen Ländern begründet, weiterentwickelt und befördert worden: der histo rische und fachwissenschaftliche Blick über den nationalen Zaun, wie sich bereits aus den ersten Pressemeldungen über Marie Munks öffentliche Vorträge in ihren ersten Jahren in den Vereinigten Staaten entnehmen lässt.
204 Christoph-Eric Mecke, Güterrechtliche Grundsatzfragen. Zur Legitimation und Dogmatik güterrechtlicher Teilhabe im Zeichen gesellschaftlichen Wandels und europäischer Harmonisierungsbestrebungen, in: Archiv für die Civilistische Praxis, 221. Band, Heft 6, Dezember 2011, S. 889 (zu dem in Deutschland geltenden Güterrecht der Zugewinngemeinschaft, seinen Problemen und seiner europäischen Rechtsharmonisierung siehe ebenso: Stephan Meder, Gesetzliches Güterrecht und sozialer Wandel, Grundgedanken der Zugewinngemeinschaft, ihr Verhältnis zum vertraglichen Güterrecht und ihre Zukunft in Europa, Baden-Baden 2011, S. 37 – 39; Gerd Brudermüller, Schlussfolgerungen für Änderungen im Güterrecht, in: ders., Barbara Dauner-Lieb, Stephan Meder (Hg.), Wer hat Angst vor der Zugewinngemeinschaft? Auf dem Weg zu einem partnerschaft lichen Güterrecht – Schlussfolgerungen aus dem 1. Gleichstellungsbericht, Göttingen 2013, S. 41 – 45; Barbara Dauner-Lieb, Anforderungen an ein Konzept für einen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft in Deutschland – Thesen und offene Fragen, in: Gerd Brudermüller, dies., Stephan Meder (Hg.), Wer hat Angst vor der Zugewinngemeinschaft?, S. 47 – 65; Maître Edmond Jacoby, Erfahrungen mit der Errungenschaftsgemeinschaft in Frankreich, in: Gerd Brudermüller, Barbara Dauner-Lieb, Stephan Meder (Hg.), Wer hat Angst vor der Zugewinngemeinschaft?, S. 68 – 7 6; Katharina Boele-Woelki, Statement aus europäischer Sicht, in: Gerd Brudermüller, Barbara Dauner-Lieb, Stephan Meder (Hg.), Wer hat Angst vor der Zugewinngemeinschaft?, S. 83 – 85; Christoph-Eric Mecke, Zwölf Thesen zu einem künftigen Güterrecht in Deutschland, in: Gerd Brudermüller, Barbara Dauner-Lieb, Stephan Meder (Hg.), Wer hat Angst vor der Zugewinngemeinschaft?, S. 111 – 185.
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1. Pressemeldungen zu Marie Munks Vorträgen (1936 – 1941) Munk vergaß bei keinem ihrer Vorträge, die amerikanische Gastfreundschaft zu loben.205 „Life in Germany and America – A Contrast“: ein Thema an der I ndiana University 206 und an der Parkside School in Goshen, Indiana.207 Sie sprach über neue soziale Bewegungen in Deutschland, wie die Jugendbewegung.208 Auf Nachfrage von Journalisten über den Lebensstandard beider Staaten und die unterschied lichen Lebensweisen beider Länder,209 urteilte sie über den sich bereits ankündigenden Weltkrieg: “I cannot discuss the German government. I will say, how ever, that the German people are no more anxious to see another war than are the American people.”210 Marie Munks Ausblick über „The European Situation“ rückten „The Deadlock of the European Situation; The Map of the World and the Threat of War; Rearmament and the Cry for Peace; Forms and Trends of International Goodwill“ in den Vordergrund.211 In ihrem Vortrag an der Temple University in Philadelphia am 17. Dezember 1936 setzte sich Marie Munk mit dem „Criminal Court Procedure in Germany and the United States“ auseinander. In das Thema führte das „Department of Sociology under the sponsorship of Dr. Negley K. Teeters“ ein.212
205 Quits Reich, Finds U. S. ‚Too Polite‘. Woman Scholar Says American Customs Are Nice, Though, in: The Philadelphia Inquirer, Wednesday Morning, March 10, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 206 Dr. Marie Munk, German Lawyer, To Talk at Convo, in: The Indiana Daily, Tuesday, November 16, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, N orthampton, Mass., Box 3. 207 Speaker Tells Of Life In Germany. Dr. Marie Munk is Heard, in: The News-Democrat, Goshen, Indiana, ohne Datum, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 208 Dr Marie Munk Is Assembly Speaker, Alltoun, Pa. Mühlenberg College, February, 18, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 209 Woman Attorney From Germany Gives Address At Dinner Meeting, in: Wabash Plain Dealer and The Daily Times Starr, Saturday, November 20, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 210 Noted German Woman Here, Praises U. S., in: Los Angeles Examiner, Friday, October, 15, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 211 Courses Offered. Club Programs, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 212 Temple University News Philadelphia, Dec. 16, 1936, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3; Kompendium, S. 923.
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1.1 Vergleich zwischen dem deutschen und amerikanischen Strafrecht und die Rolle der Familie in der Gesellschaft Es war aber nicht nur der Vergleich z wischen dem deutschen und dem amerika nischen Strafrecht und dem Strafvollzug, sondern es waren auch Erfahrungen an der New York Training School for Girls, die das Interesse der Hörer weckten.213 Munk profilierte ihre Themen, indem sie die Rolle der Familie in der Gesellschaft in den Vordergrund stellte. Das belegte eine öffentliche Diskussion über die wachsenden Scheidungsraten in Monroe County, an der sie zusammen mit John H. Mueller (Sociology Department of Indiana University) teilnahm. Mueller arbeitete in seinem einleitenden Vortrag die Funktion der Familie, ihrer Mitglieder untereinander und familienzerstörender Faktoren heraus.214 Munk ergänzte in ihrem Wortbeitrag, dass die Freiheit der Frau ein Faktor sein könne für eine ansteigende Scheidungsrate,215 obgleich die Freiheit der Frau unabdingbar für eine gute Ehe sei: „Freedom of Women in Married Life“.216 Frauen sollten aus Sicht Marie Munks mehr Verantwortung übernehmen.217 1.2 Die Rechtssituation der Frauen im deutschen Bildungssystem und im deutschen Ehegüterrecht Eine wichtige Voraussetzung von Verantwortung sei Bildung, so Marie Munk in einem weiteren Vortrag. Für weibliche Bildung von Frauen sei insbesondere die Rechtssituation von Frauen im deutschen Bildungssystem von Beginn des 20. Jahrhunderts an von entscheidender Bedeutung gewesen. Im transnationalen
213 No ‘Reno’ in Germany, But Divorces Increase, in: Philadelphia, Saturday, January 2, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 214 “[…] the functions of the family relationship of its members to each other, and the factors which influence the breaking down of the family.“ In: Divorce Rate Is High In County Dr. Mueller Says, in: The Evening World, Bloomington/Indiana, ohne Datum, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 215 “[…] that freedom of women is a factor in the increasing divorce rate.” In: Women’s Freedom Is Held Perilous, in: The Indianapolis News, Friday, November 19, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 216 Brilliant Address By German Exile Given Before B. and P. W. Club, in: Nov. 23, 1937, Sullivan, Ind., in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 217 Former Berlin Jurist Urges Women to New Responsibility, in: The Indianapolis Times, Friday, Nov. 19, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
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Vergleich stellte sie mit ihren amerikanischen Zuhörern 218 fest: In Deutschland gab es „[n]o Women Colleges“.219 Eine gute Bildung und eine auskömmliche Rechtskenntnis s eien unabdingbar für die Stellung der Frau im Ehegüterrecht zur Weimarer Reformphase gewesen. Munk berichtete über die deutsche Rechtslage der Frauen im ehelichen Güterrecht 220 vor der Philadelphia County League of Women.221 Sie bezog die Reformbestrebungen zum Scheidungs- und Familienrecht der Weimarer Republik mit ein.222 Fatal sei es, dass die Rechte der Frau in Deutschland an die Staatsangehörigkeit des Mannes gebunden seien, führte Munk in einen weiteren Vortrag ein. Dies habe zur Folge, dass sie ihre rechtlichen Privilegien verlören, wenn sie einen Ausländer heirateten.223 Über die Rechtslage der Frauen im deutschen Scheidungsund Ehegüterrecht nach der Eherechtsreform von 1938 berichtete Munk auf einer Veranstaltung der American Association of University Women in Meyran Hall am Hood College.224 1.3 Die Rechtsstellung der Juristin in Deutschland Von besonderem Interesse für die Amerikaner war die historische und gegenwärtige Rechtsstellung der Juristin in Deutschland.225 Aus amerikanischer Sicht eine Schlüsselposition für die Rechte der Frauen. Doch Marie Munk berichtete: 218 Dr. Marie Munk Speaks Before Women’s Club, in: Marion, Ind., Chronicle, Wednesday, Nov. 24, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 2 19 Dr. Munk Contrast, in: The Indiana Daily, Thursday, November 18, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 220 Brilliant Address By German Exile Given Before B. and P. W. Club, in: Nov. 23, 1937, Sullivan, Ind., in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 221 News Letter, Published by the Philadelphia League of Women, No. 6, May 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 222 No ‘Reno’ in Germany, But Divorces Increase, in: Philadelphia, Saturday, January 2, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 223 Women Have More Freedom To Choose Professions In America Than In Other Countries, Dr. Munk Tells A. A. U. W., in: The News, Fredrick, MD, Saturday, March 18, 1939, In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 224 Women Have More Freedom To Choose Professions In America Than In Other Countries, Dr. Munk Tells A. A. U. W., in: The News, Fredrick, MD, Saturday, March 18, 1939, In: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 225 Brilliant Address By German Exile Given Before B. and P. W. Club, in: Nov. 23, 1937, Sullivan, Ind., in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3.
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“German men resent feminine authority.”226 Das Los Angeles Daily Journal 227 und der Sullivan (Indiana)228 zogen deshalb für die amerikanischen Verhältnisse folgendes Fazit: “U. S. Women Fortunate To Be Able To Pursue Individual Lines, Says Judge Munk.”229 1.4 „Rasse“-Probleme in Deutschland und die Unterwanderung der christlichen Kirche im Vergleich zur amerikanischen Gesellschaft Marie Munk ging auf „Racial Problems in Europe“ ein.230 Diese würden durch fundamentalistische Überzeugungen verursacht. Sie berichtete, wie ein christlicher Fundamentalismus die nationalsozialistische Unterwanderung der christlichen Kirche in Deutschland befördert habe: “‘Their ideologies and pronouncements show how they charge the orthodox Christian faith to suit their own purpose’, pointed out Dr. Munk. ‘They show how contrary their ideas are to this faith.’ She pointed out that these groups reinterpret the Bible itself and try to bring it into harmony with their faith so that the Nazi Christians may use the Bible. Dr. Munk explained that the Nazis believe that their program stands on Christian ground. ‘They preach many things such as the belief that Germans have the first right in everything, and that the Jews are outsiders.’” 231 Aber auch in den USA war zu Zeiten Marie Munks die s oziale Integration von Schwarzen noch nicht abgeschlossen. Es waren getrennte Schulen für Schwarze und Weiße, und die Tatsache, dass Schwarze zu den meisten Bildungseinrichtungen nicht zugelassen waren,232 weshalb Marie Munk in ihrem Vortrag „Making Amerika Safe for Democracy“ vor einer ökonomischen und sozialpolitischen Krise in Amerika warnte, wie eine regionale Zeitung berichtete. Marie Munk wies auf die Unsicherheit der jungen Generation, die Arbeitsmarktprobleme und die 226 Authority on Sex Inequality, in: Los Angeles Times, October 15, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 227 The Los Angeles Daily Journal, Friday, October 29, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 228 Brilliant Address By German Exile Given Before B. and P. W. Club, in: Nov. 23, 1937, Sullivan, Ind., in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 229 The Los Angeles Daily Journal, Friday, October 29, 1937, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 230 International Issues Subject of Dr. Munk, in: Greensboro, N. C., Daily News, Tuesday, February 6, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 231 Dr. Munk Explains German Religion, in: The Greensboro Record, February 8, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 2 32 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel IV The New Start as an Immigrant, S. 9.
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Rasseprobleme hin und forderte die Frauen auf, hiergegen etwas zu unternehmen. Schließlich seien sie diejenigen, die die nächste Generation in einem wahrhaft demokratischen Geist heranbilden müssten.233 Zu einer sozialpolitischen Wende rief Marie Munk auch im Staat New York auf.234
2. Child Care in Germany (Juni 1937) Marie Munk veröffentlichte diesen Aufsatz in einer Ausgabe der Zeitschrift „Your Child in School and at Work“, einem Journal der Public Education and Child Labor Association of Pennsylvania, im Juni 1937. Sie verglich in ihren Ausführungen die staatliche Wohlfahrtstätigkeit für Kinder in den USA und in Deutschland. Deutschlands Wohlfahrtsstruktur wurde überwiegend durch staatliche Institutionen bestritten und flächendeckend erbracht, während in Amerika die Wohlfahrt vorwiegend privaten Institutionen überantwortet war. Munk ging der Frage nach, ob die vorwiegend privat ausgerichtete amerika nische Wohlfahrtsorganisation mit Blick auf eine bessere soziale Effizienz verstaat licht werden könnte. Sie kam zu dem Schluss, dass Amerika aufgrund seiner klimatischen, geografischen und politischen Heterogenität sowie seiner kom plexen Sozialstruktur einer Zentralisation wie in Deutschland nicht zugänglich sei.235 Munk stellte ihre wissenschaftliche Reputation in einem weiteren transna tionalen Vergleich unter Beweis.236
233 “[…] that unless Americans solve some of their immediate problems this nation is in danger of situations such as have arisen in Europe. She pointed out the insecurity of youth, the conflict of labor and capital, and the maladjusted racial situations. She commended the work of the government to establishing the CCC camps, as an intelligent approach to the solution of the problem of dissatisfied youth. She urged the women of America to do something, she declared. They are the educators of the next generation. It is up to them to inculcate in children the real democratic spirit.” In: International Issues Subject of Dr. Munk, in: Greensboro, N. C., Daily News, Tuesday, February 6, 1940 und February 7, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 234 Dictators Laugh at U. S. Delay On Aiding Britain, BPW Told, in: The Standard-Star, New Rochelle, N. Y., Wednesday, February 12, 1941, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 3. 235 Marie Munk, Childcare in Germany, in: Your Child in School and at Work, in: Quarterly Journal of the Public Education and Child Labor Association of Pennsylvania, June 1937, p. 8 – 11 p. 11, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3523. 236 Dieser Aufsatz findet sich in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3523 – 3524.
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3. The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany (Juni 1937) Zum Leitbild ihres Aufsatzes mit dem Titel „The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany“ im Prison Journal, Vol. XVII, No. 3, July 1937,237 machte Marie Munk den Resozialisierungsgedanken. Nach einem historischen Überblick über die Unterbringung von Gefängnisinsassen und ihre Diskriminierung nach der Haftentlassung in Deutschland, belegte Munk, dass der Resozialisierungsgedanke, aus Amsterdam (Holland) kommend, auf das Jahr 1595/1596 zurückging. Holländische Haftentlassene wurden bereits seit dem Mittelalter beruflich und sozial integriert. Englische Studien von John Howard und Elizabeth Frey und der Philadelphia Prison Society beeinflussten schließlich ab dem 18. Jahrhundert die Resozialisierungsarbeit auch in Deutschland. Bereits während der Gerichtsverfahren sollte Resozialisierung beginnen, forderte Munk. Resozialisierung bedeute Berechtigung. Aber nur der betuchte Straftäter könne in den Vereinigten Staaten seine Rechte in den Gerichtsverfahren anwaltlich wahren. Die Gründe hierfür lagen aus Sicht Marie Munks auf der Hand: die Formvorschriften für das Juryverfahren führten zu unerwünschten Freisprüchen, welche im Widerspruch zur Rechtsdurchsetzung und im Widerspruch zum Respekt vor Recht und Gerechtigkeit stünden.238 Im Gegensatz zu Amerika würden in der Strafvollstreckung in Deutschland exzellente Psychiater und Psychologen in der Sicherheitsverwahrung dafür sorgen, dass der Schutz der Gesellschaft vor allgemein gefährlichen Straftätern nicht gegen das Persönlichkeitsrecht des Insassen missbraucht würde.239 In beiden Staaten sei die Unterbringung von Strafhäftlingen in Gemeinschaftszellen (USA) oder in Einzelhaft (Deutschland) nie wissenschaftlich begründet worden 240, kritisierte Munk. Zwar habe man in der Zeit vor der Machtergreifung Hitlers in einigen Gefängnissen ein Privilegiensystem unter den Strafgefangenen eingeführt, um die Resozialisierung vorzubereiten. Dies sei jedoch wieder abgeschafft worden.241 Zurzeit mangele es in Deutschland an einem Parole Department 237 Dieser Aufsatz findet sich in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3523 – 3524. 238 “[…] the formality of the jury trial frequently leads to undesirable acquittals which are detrimental to law enforcement and respect for law and justice.” In: Marie Munk, The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany, in: Prison Journal, June 1937, p. 349 – 357, p. 352. 239 Marie Munk, The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany, in: Prison Journal, June 1937, p. 349 – 357, p. 357. 240 Marie Munk, The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany, in: Prison Journal, June 1937, p. 349 – 357, p. 354. 241 Ebd.
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(Resozialisierungsabteilung) mit Sozialarbeitern (Social Workers), die mit den Besserungsanstalten zusammenarbeiteten.242 Besonders deutlich würden die Unterschiede im Strafvollzug beider Staaten im Jugendstrafvollzug. In der Altersgruppe der 14- bis 18-Jährigen bestimme in Deutschland die strafrechtliche Einsichts fähigkeit die weitere Behandlung des jugendlichen Straftäters vor dem Jugend- oder Vormundschaftsgericht.243 Allerdings sei in den deutschen Erziehungsanstalten der Schulbesuch nur dann Pflicht, wenn die Straftäter in den Haftanstalten untergebracht seien, die sich der „Forschungs“-Frage nach einer vererblichen Kriminalität und den Bedingungen ihrer Resozialisierung widmeten.244 Eine Atmosphäre der Gefangenschaft, diszi plinarische Maßnahmen und Unterdrückung würde in den am 22. Januar 1937 in Deutschland neu errichteten 16 Erziehungsanstalten herrschen.245 In Amerika würde die Unterbringung von jugendlichen Straftätern in einem Detention Home (Haft anstalt) die Persönlichkeit ihrer Insassen brechen.246 Munk fragte ihre Leser: “May it not be so that the now somewhat antagonistic attitude of Germany and America in the field of criminal justice could be brought to harmony by finding the ‘golden mean?’”247 Mit dieser ersten Veröffentlichung erreichte Marie Munk in einem ihr fremden Land erste akademische Anerkennung.
4. Iota Tau Tau: Legal Training in Germany – ein transnationaler Vergleich weiblicher Jurisprudenz (Juli 1938) In Indianapolis (Indiana) fand vom 29. bis zum 31. Juli 1938 die Konferenz der Iota Tau Tau statt. Die Iota Tau Tau war eine „National Legal Sorority for Advancement of Women in the Legal Profession“.248 Sie war am 11. Nov. 1925 an der Southwestern 242 Marie Munk, The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany, in: Prison Journal, June 1937, p. 349 – 357, p. 351. 243 Marie Munk, The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany, in: Prison Journal, June 1937, p. 349 – 357, p. 353. 244 Marie Munk, The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany, in: Prison Journal, June 1937, p. 349 – 357, p. 355. 245 “An atmosphere of confinement, discipline and repression is sensed every minute.” In: Marie Munk, The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany, in: Prison Journal, June 1937, p. 349 – 357, p. 355, 354. 246 Marie Munk, The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany, in: Prison Journal, June 1937, p. 349 – 357, p. 352. 247 Marie Munk, The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany, in: Prison Journal, June 1937, p. 349 – 357, p. 357. 248 Tentative Program, Speakers, in: „The Double Tau-Iota Tau Tau, in: The Double Tau“, Vol. IX, No. 1, July 1938, p. 2, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3524.
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University in Los Angeles gegründet worden und verfügte neben einem Supreme Council über ein National Scholarship Committee.249 Marie Munk war Ehrenmitglied in dieser Legal Sorority und hatte ein Treffen von Alumni initiiert.250 Im Verbandsblatt „The Double Tau Tau“ betrachtete Munk in ihrem Aufsatz „Legal Training in Germany“251 die deutsche Juristenausbildung im Vergleich zum amerika nischen Ausbildungssystem. Munk stellte heraus, dass im amerikanischen Ausbildungssystem alle Rechtskandidaten, ob Mann oder Frau, im Alter von 21 Jahren ihre eigene Praxis eröffnen könnten. Im Gegensatz zu der amerikanischen Ausbildungsstruktur könnten nach den deutschen Bestimmungen die Zulassung von Anwälten von den Nationalsozialisten nicht nur kapazitiv beschränkt werden, sondern junge Juristen in der 3-jährigen Referendar- und der anschließenden Gerichtsassessorenzeit hätten unbezahlte Dienste zu erbringen: “For all these reasons the number of women who were admitted to a judgeship or were practicing attorneys was very small.”252 So wäre es leicht erklärlich, dass im Jahr 1930 in den USA 3383 Frauen als Rechtsanwälte, Richter und Juristen arbeiteten, während es in Deutschland nur 251 weibliche Rechtsanwälte und 36 weibliche Richter im Jahre 1933 gab. Nunmehr seien es in Deutschland nicht mehr als 12 oder 15 berufstätige Frauen in der Rechtspflege.253 Darüber hinaus würden in Deutschland zukünftig Frauen als Juristen im beruflichen Auswahlverfahren nicht mehr berücksichtigt.254 Munk hoffte, dass sie ihre juristischen Erfahrungen auch in Amerika zur Verfügung stellen könne („for my adopted land“). Und dass es ihr erlaubt sein möge, einen Beitrag leisten zu können für Gerechtigkeit, w elche diese wunderbare Demokratie wie auch den Rest der Welt unerschütterlich mache.255 249 Ebd. 250 Marie Munk, Legal Training in Germany, in: „The Double Tau-Iota Tau Tau“, in: The Double Tau, Vol. IX, No. 1, July 1938, p. 11; ebenda, Verzeichnis: Honorary, p. 49, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3524 und 3525. 251 Marie Munk, Legal Training in Germany, in: „The Double Tau-Iota Tau Tau“, in: The D ouble Tau, Vol. IX, No. 1, July 1938, p. 11 – 13, 30, 43 – 44, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3524. 252 Marie Munk, Legal Training in Germany, in: „The Double Tau-Iota Tau Tau“, in: The Double Tau, Vol. IX, No. 1, July 1938, p. 13, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3524. 253 Marie Munk, Legal Training in Germany, in: „The Double Tau-Iota Tau Tau“, in: The Double Tau, Vol. IX, No. 1, July 1938, p. 13, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3524. 254 Marie Munk, Legal Training in Germany, in: „The Double Tau-Iota Tau Tau“, in: The Double Tau, Vol. IX, No. 1, July 1938, p. 30, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3524. 255 “[…] and that I may be permitted to make such contributions as will bring about greater and wiser justice, thus making impregnable this glorious democracy on which may rest the future of the world.” In: Marie Munk, Legal Training in Germany, in: „The Double Tau-Iota Tau Tau“, in: The Double Tau, Vol. IX, No. 1, July 1938, p. 44, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3524. Hervorhebung nicht im Original.
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5. Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America? (1942) Amerika war mit dem Slogan „Die Jugend möge eine bessere Zukunft haben“ in den Krieg gezogen. Munk entgegnete, dass der Krieg für die Zukunft ausgefochten werde; jedoch darüber Erfordernisse der Gegenwart nicht vergessen werden dürften.256 Fehlende Kinder- und Jugendbetreuungseinrichtungen für die amerikanische arbeitende Bevölkerung und eine mangelnde Absicherung gegen Krankheit und Unfall 257 könnten zu einer großen volkswirtschaftlichen Gefahr werden.258 Für eine Verbesserung amerikanischer Verhältnisse könne die deutsche staat liche Pflichtversicherung und Gesundheitsversorgung vorbildlich sein,259 meinte Munk. Die Betreuung von Kindern arbeitender Mütter erfolge in Deutschland bis in den späten Nachmittag hinein und nehme somit den arbeitenden Frauen die Sorge um eine gedeihliche körperliche und soziale Entwicklung ihres Kindes.260 Die Jugend werde mit volkswirtschaftlich sinnvollen Tätigkeiten im Interesse der Allgemeinheit auf ihre gesellschaftlichen Pflichten vorbereitet.261 Munk erachtete ihre Vorschläge in Amerika über eine freiwillige Vermögensabgabe in Höhe von wöchentlich 10 bis 50 Cent eines jeden amerikanischen Haushalts zum Zwecke ihrer sozialpolitischen Vorschläge für umsetzbar.262 Allerdings verkannte Marie Munk nicht, dass eine ausgefeilte Gesundheits- und Jugendbetreuung die Stabilität der deutschen Diktatur in jener Zeit sicherte. Kein Wunder, dass die Nazis versucht hätten, über die deutsche Sozialordnung andere Menschen vom Nationalsozialismus zu überzeugen. Fakt sei jedoch, dass die Nazis ein organisiertes und funk tionierendes K inder- und Familiengesundheitsprogramm und eine sehr populäre Sozialversicherung nicht initiiert, sondern aus Bismarcks Zeiten „geerbt“ hätten. 256 “We fight this war for their future. Let us not forget their present needs.” In: Marie Munk, Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America, p. 13, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541. 257 Marie Munk, Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541. 258 “Illness remains a big economic hazard.” In: Marie Munk, Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America, p. 10, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541. 259 Marie Munk, Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America, p. 9 – 10, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541. 260 Marie Munk, Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America, p. 4, 7a, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541. 261 Marie Munk, Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America, p. 11 – 12, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541. 2 62 Marie Munk, Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America, p. 11, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541.
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Kein Wunder, dass die Nazis versucht hätten, ihr eigenes und die eroberten Völker mit ihrer ererbten Sozialordnung davon zu überzeugen, dass ihre (nationalsozialistische) Ordnung das Höchste vor allen anderen Nationen sei.263 Außerordentlich wichtig für alle Nationen sei es, dass sich die Sozial- und Gesundheitspolitik, aber insbesondere die Jugendpolitik aus ihren ideologischen Käfigen befreie. Wenn die Amerikaner die Furcht davor ablegen würden, dass Jugendlager auf das Militär vorbereiteten und als Indoktrination für nationalsozialistische Ideologien beurteilt werden könnten, eröffne sich ein großer Nutzen. Jugendlager trügen bei zu einer größeren Verständigung unter den Menschen.264 Um auch noch den letzten Widerstand gegen ihre Vorschläge zu zerstreuen, appellierte Munk an den amerikanischen Ehrgeiz. Es könnten durch die Jugendlager bessere Ergebnisse erzielt werden, als die Nationalsozialisten es mit ihren politischen Organisationen zu erzielen vermochten.265
6. Leitbilder für ein demokratisches Deutschland: Ehe- und Familienrechte in den USA? (1950) Am 22. Juni 1950 kündigten die Badischen Neuesten Nachrichten einen Vortrag über das Familienleben in den Vereinigten Staaten an.266 Im Katholischen Frauenbund in Bonn 267, in Flensburg 268 und auf der Arbeitstagung der weiblichen Juristen und Volkswirte (24./25. 6. 1950) hielt Marie Munk einen Vortrag über die rechtliche Stellung der Frau in Amerika. Erhalten geblieben ist ihr Vortrag in Frankfurt vom 263 “Small wonder that the Nazis who have been trying to convince their own and conquered peoples that their social order is supreme to that of all other nations, have been attacking these plans. The fact is that the Nazis inherited a highly organized and well functioning child and family welfare program and a very popular social insurance system.” In: Marie Munk, Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America, p. 1, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541. 264 “If we disraw the fact that the training camps have been abused as a preparation for military service and for the indoctrination of Nazi ideologies, we might well admit their great values. They contribute to a better understanding between all classes of people.” In: Marie Munk, Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America, p. 11, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541. 265 “We could accomplish better results than the Nazis with their organizations.” In: Marie Munk, Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America, p. 9, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3541. 266 Familienleben in den USA, in: Badische Neueste Nachrichten vom 22. Juni 1950, in: LAB B Rep. 235 – 12, MF-Nr. 3514. 267 Die Rechtsstellung der Frau in den USA, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3514. 268 Vortragsankündigung des Flensburger Tageblatts vom 30. August 1950, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF.-N. 3514.
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28. Juni 1950 über „Ehe- und Elternrechte in den USA“269, der im Dokumentenanhang einsehbar ist. Sie berichtete „aus dem Schatz ihrer beruflichen und menschlichen Erfahrungen in den USA. Besonders eindrucksvoll war es, daß sie nicht die recht lichen Bestimmungen, sondern die tatsächlichen Verhältnisse in den Vordergrund rückte. Munk zeigte, wie in Elternhaus, Schule und in der Erziehung von Buben und Mädchen kein Unterschied gemacht wird. Dadurch sei die Gleichberechtigung der Geschlechter den Menschen von Anfang an so selbstverständlich, so tief im Bewusstsein des ganzen Volkes verwurzelt, dass – wie sie lächelnd meinte – selbst ein amerikanischer Hitler nicht wagen könnte, sich dagegen zu wenden.“270 Dies stützte ihre These, „dass eine Rechtsänderung gewöhnlich nicht die Kraft habe, eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse herbeizuführen“.271
7. Schwedische Vorbilder (1950) Die Manuskripte mit den Titeln „Family Stabilization in Sweden“ und „Educa tion for Family Life in Sweden“ waren die Früchte ihrer Reise nach Schweden. Es war Marie Munks Abstecher ihrer Deutschlandreise im Jahre 1950. Über Göteborg gelangte sie nach Stockholm und wurde von der Swedish Federation of Business and Professional Women empfangen.272 Bereits seit Beginn des Jahres 1949 hatte Marie Munk die schwedische Sprache erlernt.273 Zum besseren Verständnis von Marie Munks schwedischen Vorbildern soll einführend auf das schwedische Eheund Familienrecht eingegangen werden. 7.1 Ehe- und Familienrecht in Schweden 1900 – 1920 Zum Ende des 19. Jahrhunderts waren Frauen zunehmend erwerbstätig in Schweden. Die Stimmrechtsfrage bildete den Anstoß einer Petition des Fredrika-Bremer- Förbund, der schwedischen Frauenbewegung, an die schwedische Regierung. Doch erst im Jahre 1921 wurde das aktive und passive Wahlrecht in Schweden eingeführt, weil zunächst ein doppeltes Stimmrecht des Mannes die rechtspoli tische Diskussion bestimmt hatte. Hinzu kam, dass, anders als in Deutschland, 269 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3537. 2 70 Erna Scheffler, Arbeitstagung der Vereinigung weiblicher Juristen und Volkswirte (24./25. 6. 1950), in: Juristische Rundschau, 1950, Heft 14, S. 434. 271 Die Stellung der amerikanischen Frau, in: LAB B Rep.235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3514. 2 72 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions of Europe After World War Two, S. 10. 273 Dear-Friend-Brief, December 1949, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 1.
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das Stimmrecht in Schweden nicht den Beginn einer rechtspolitischen Diskussion um die Rechtsstellung der Frau bildete. Vielmehr war es ihr erfolgreicher Schlusspunkt. Die Reformen in der Familiengesetzgebung waren wegbereitend. Ihnen ging die Zusammenarbeit der nordischen Kommission im Zivilrecht v oraus. Eine Initiative der schwedischen Regierung, die eine weitgehend einheitliche skandinavische Gesetzgebung anstrebte. Im Jahre 1909 untersuchte eine Konferenz der drei skandinavischen Länder, welche familienrechtlichen Bereiche sich besonders für eine Rechtsvereinheitlichung eigneten. In den ersten Rechtsfragen um die Ehehindernisse, die Aufhebung der Ehe, ebenso in Fragen der Eingehung der Ehe und der Auflösung der Ehe wurde ein gesamtnordischer Gesetzentwurf leider nicht erzielt. Allerdings ähnelten sich die länderspezifischen Gesetzentwürfe. In Schweden beobachtete eine Kommission zur Ausarbeitung bestimmter Gesetzgebungsvorhaben („Lagberedning“) die gesamtnordischen Initiativen. Im Jahre 1913 legte diese Kommission einen Gesetzentwurf über die Wirkungen der Eheschließung und die Wirkungen der Eheauflösung vor. Nachdem dieser Entwurf in der Presse positiv aufgenommen wurde, prüfte der Gesetzgebungsrat im Jahre 1914 die Änderungsvorschläge. In der Kritik des Gesetzgebungsrats wurde deutlich, dass in der schwedischen Gesellschaft bereits ein Umdenken zur Scheidung stattgefunden hatte. Der Gesetzgebungsrat vermochte die rechtspolitische Diskussion um eine Aufrechterhaltung einer für die Ehepartner unhaltbaren Ehe zum einen und um eine starke Erleichterung der Scheidung zum anderen mit Blick auf das Interesse der Kinder nicht zu beeinflussen. Der Staatsrat half mit einem Vorschlag, eine übereilte Scheidung durch eine Schlichtungsstelle verhindern zu wollen. Nachdem die Vorschläge des „Lagberedning“ als Gesetzentwurf dem Reichstag zur Abstimmung vorgelegt waren, wurden unterschiedliche Meinungen in den Reichstagskammern durch einen Kompromiss behoben. Für die Rechte der Frau brachte der „Lag om äktenskap“ vom 12. Nov. 1915 eine Erleichterung der Ehescheidung. Nach dem „Lag om äktenskap“ vom 12. Nov. 1915 konnten nunmehr einander entfremdete Ehegatten eine sogenannte Heimtrennung vollziehen. Nahmen sie innerhalb eines bestimmten Zeitraums das Zusammen leben nicht wieder auf, so war ohne Weiteres die Scheidung rechtlich möglich. Dieser von der Schuld losgelöste Scheidungsgrund war äußerst fortschrittlich. Er entsprach jedoch noch nicht dem Bild einer Scheidung mittels übereinstimmenden Wunsches der Ehegatten. Vielmehr blieb eine Entfremdung der Ehegatten als „Indiz“ für eine gescheiterte Ehe bestehen. Neu war: Allen Verfahren war der Schlichtungsversuch vorgeschaltet.274 274 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 138 – 140.
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Darüber hinaus hinderte der Ehebruch eine erneute Eheschliessung nicht mehr.275 Das Frauen diskriminierende Brautgeberrecht, welches die Frau an die Auswahl ihres Mannes durch die Eltern oder den Vormund fesselte,276 wurde beseitigt. Die in einem frauenfeindlichen Wortlaut abgefassten Ehehindernisse (der Mann könne sich die Frau nicht „zur Ehefrau nehmen“277), wurden abgeschafft. Der „Lag om äktenskap“ führte das Verfügungsrecht der Frau nach der Scheidung ein. Dieses Verfügungsrecht schützte sie auch vor einer Schuldenvollstreckung aus der aufgelösten Ehe.278 In Gänze aber wurden die persönlichen und ökonomischen Beziehungen der Ehegatten erst mit „Den nya Giftermalsbalken“ vom 11. Juni 1920 aufgegriffen und verändert. Zuvor sah ein Gesetzentwurf des „Lagberedning“ vom 31. August 1918 eine stärkere ökonomische Selbstständigkeit der Frau vor. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren in den Reichstagskammern wurde eine Divergenz zwischen dem Bild einer idealen Ehe und dem Modell des Gesetzentwurfs – die Ehe als eine ökonomische Gesellschaft zu begreifen – deutlich erkennbar. Einzelne Gruppen und Reichstagsabgeordnete ersuchten, den Gesetzentwurf zu verhindern.279 Sie argumentierten, das Bild eines vertragsmäßigen Zusammenschlusses zweier freier Individuen, das „fritt äktenskap“,280 entspreche nicht dem in der Bevölkerung vorherrschenden Bild von der Heimehe, dem „hem äktenskap“281. Dies war zu erwarten gewesen, denn schließlich sollte das gemeinschaftliche Eigentum während der Ehe abgelöst werden durch eine Gütertrennung („giftorättsprincip“282). Der andere Ehegatte erwarb ein Anteilsrecht an dem Teil des Vermögens des anderen Ehegatten („giftorättsgods“283), das nicht „enskild egendom“284 (Sondervermögen) war. Ein Einwand, dass weitere güterrechtliche Alternativen nicht zugelassen würden, wurde mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, Eheverträge schließen zu können, entkräftet.285 Konsequent wurde auch das ehemännliche Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Mannes während der Ehe abgelöst. 275 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 73 – 83. 276 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 106, 204. 277 Seit dem „Sveriges Rikes Lag“ von 1734, in: Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetz gebung, S. 109. Hervorhebung nicht im Original. 278 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 140. 279 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 83 – 87. 280 Die Ehe als vertragsmäßiger Zusammenschluss zweier freier Individuen, in: Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 87. 281 Heimehe, in: Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 87. 282 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 144. 283 Gut, mit dem der Ehegatte sorgsam umgehen musste, da es dem Anteilsrecht unterfiel. In: Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 143. 2 84 Das war Vermögen, das durch einen Ehevertrag ausgeschlossen war. Oder Vermögen, das durch Schenkung oder Erbschaft erworben worden war. In: Ebd. 285 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 144 – 145.
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An seine Stelle trat eine wirtschaftliche Selbstständigkeit von Mann und Frau, die jedoch erstmals eine Unterhaltspflicht beider Ehegatten „gleichermaßen“286 und ein Erbrecht einführte.287 Die gesetzgeberische Arbeit fand ihr vorläufiges Ende, indem die Bestimmungen über die Eingehung und Auflösung der Ehe ebenfalls in den „Nya Giftermalsbalken“ vom 11. Juni 1920 aufgenommen wurden.288 Das waren jedoch nicht die einzigen aufsehenerregenden Gesetzgebungsvorhaben in Schweden gewesen. Es löste das Gesetz über eheliche Kinder vom 11. Juni 1920 das Alleinentscheidungsrecht des Mannes im Sorgerecht und in der elterlichen Gewalt durch ein gemeinsames Recht der Ehegatten ab. Im Fall der Trennung entschied die Geeignetheit der Elternteile über die Erziehung der Kinder.289 Es wurde ein Fürsorgerecht der M utter für ihre außerehe lichen Kinder verankert. Eine Beistandschaft für nichteheliche Kinder und für Kinder nach Trennung und Scheidung sowie ein Umgangsrecht des von der Personensorge ausgeschlossenen Elternteils dienten dem Interesse der Kinder.290 Die Unterhaltspflicht sollte sich nach den Lebensbedingungen der Eltern richten. Unabhängig davon, ob das Kind ehelich oder unehelich geboren wurde.291 Von diesen kinderzentrierten gesetzlichen Regelungen unabhängig, regelten die die Vorschriften des „Lag om barn utom äktenskap“ vom 14. Juni 1917 die Vaterschaftsfeststellung in der Nichtehelichkeit. Aufsehenerregende Neuerung war, dass die M utter mittels eines Eides die Mehrverkehrseinrede des Vaters entkräften und bei mehreren Konkumbenten einen der Männer zu dem unterhaltspflichtigen Vater erklären konnte.292 Das schwe dische Recht führte ein Erbrecht der unehelichen Kinder nicht ein 293, sondern einen Anspruch auf weitere Unterhaltszahlungen aus dem Nachlass des verstorbenen Vaters.294 Als Fazit wird ein übergeordnetes Leitbild in den gesamten gesetzlichen schwedischen Novellierungen der damaligen Zeit in den schwedischen Regelungen sichtbar. Dieses Leitbild stand über Allem: Es war das Prinzip Verantwortung. Dieses Prinzip der Verantwortung wurde schon in der rechtspolitischen Diskussion um die Vaterschaftsfeststellung mit einer „persönlichen Verantwortlichkeit“ von „pflichtschuldigen Individuen“ begründet.295 Mit dem neuen Ehegesetz vom 11. Juni 1920 sollte „das eheliche Leben [in] eine[r] engere[n] Verbundenheit der Eheleute und das Pflichtbewusstsein der Gatten füreinander und den Kindern gegenüber 286 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 170 – 174. 287 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 184 – 185. 288 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 89. 289 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 199 – 201. 290 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 201. 291 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 207. 292 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 208 – 209. 293 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 216. 294 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 207. 295 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 209.
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gefördert“ werden.296 Eine Pflicht, die auch noch für die Zeit nach Auflösung einer Ehe und ganz besonders in der Nichtehelichkeit greift – Ehen können geschieden oder vermieden werden, die Beziehungen z wischen den Eltern untereinander sowie zwischen den Eltern und ihren Kindern gerade nicht. Marie Munk besuchte „The Swedish Association for Sex Education and Counseling“,297 um Vergleiche zu den Verhältnissen in den Vereinigten Staaten herstellen zu können. Eine Bemerkung der Direktorin Jensen gab ihr zu bedenken: “She said that many Swedish women are dissatisfied with marriage, because the men are cool and unaffectionate. They are inhibited, having been trained by their mothers to look askance at sex and to be self-controlled.”298 Diese Aussage Jensens prüfte Marie Munk in ihrem Manuskript „Education for Family Life in Sweden“. 7.2 Das Manuskript „Education for Family Life in Sweden“ Munk berichtete darüber, wie die schwedischen Väter den Kinderwagen schoben, oder mit ihren Kindern sprachen und spielten. Sie war davon überzeugt, dass ihre Fähigkeit, Zuneigung auszudrücken, ihnen selbst innewohnt. Würden Grausamkeiten, die als Hauptgrund in den Scheidungsverfahren von amerikanischen Frauen emo tionsgeladen vorgebracht würden, hier ebenso Grundlage sein können? Die Schweden hätten die gleichen Probleme mit ehelichen Verhaltensstörungen wie die Amerikaner. Die schwedische Familie sei auch nicht stabiler, als sie letztendlich sein könne. Wenn beide Parteien eine Scheidung wollten, sei es leicht, diese zu vollziehen. Obwohl Scheidungsgerichte einen überfüllten Kalender in Schweden hätten, fänden die Anhörungen mit Würde und unter Geheimhaltung statt. Es wurde Marie Munk erlaubt, als Beobachterin an einer Anhörung teilzunehmen, die für die Parteien einvernehmlich endete. Gleichwohl erkannte Munk, dass die jetzige Generation von Klägern auf eine Anhörung nicht vorbereitet worden wäre in einem schwedischen Ehe- und Familienprogramm.299 The Swedish Association for Sex Education and 296 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 88. 2 97 Marie Munk, Family Stabilization in Sweden, p. 1 – 5, p. 1, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith College Northampton, Mass. Box 10 Folder 8. 298 Marie Munk, Family Stabilization in Sweden, p. 1 – 5, p. 1 – 2, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith College Northampton, Mass. Box 10 Folder 8. 299 “After I watched the Swedish fathers pushing the perambulator, or playing and talking with their children, I am convinced that their ability to express affection is bottled up within them. Does “cruelty” which is the chief cause charged by American women in their divorce peti tions have perhaps the same foundation? As Mrs. Jensen’s remarks indicate, the Swedes have problems of marital maladjustment just as we do. The Swedish family is no longer as stable as it used to be. When both parties want a divorce it is easy to obtain. Although divorce courts have a crowded calendar, the hearings are conducted with dignity and privacy. I was allowed to sit in as observer only with the consent of the parties. Let it be noted that the plaintiffs of today have not been trained under the recent sex education program.” In: Marie Munk,
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Counseling hatte 14.000 Lehrer für den obligatorischen Aufklärungs- und Eheunterricht in den verschiedenen schwedischen Schularten untergebracht. Dieses Programm ersuche weniger, Fakten zu vermitteln, als vielmehr bei den Menschen mustergültige Einstellungen zu entwickeln.300 Das Curriculum umfasste die sexuelle Aufklärung, die Verantwortung innerhalb der Ehepartnerschaft und die übrigen sozialen Bedingungen des urbanen Lebens. Persönlichkeitsbezogene Themen, wie Krankheiten oder die Nutzung von Verhütungsmitteln wurden durch individuelle Beratungen und Gespräche durch anderes Personal (Sozialarbeiter pp.) angeboten.301 Durch diese umfassende Bildung der Schüler in Schweden trat der Counseling Service vergleichsweise in den Hintergrund.302 Bei allen Fragen der Geburtenkontrolle und in den Fragen der Abtreibung war es die „League of Sex Education“, die beratend und für eine medizinische Prophylaxe (einschließlich der Ausgabe von Kontrazeptiven) von jedem Schweden in Anspruch genommen werden konnte.303 Die gesellschaftliche Position der „League of Sex Education“ in der schwedischen Gesundheitsvorsorge wurde durch eine Änderung des schwedischen Abtreibungsrechts noch gestärkt. Die Schwangerschaftsunterbrechung war bis zur 20. Woche möglich, wenn die Schwangerschaft durch ein Verbrechen entstanden oder die Gesundheit der M utter gefährdet war. Eine Abtreibung erfolgte auch in den Fällen, in denen Missbildungen des Kindes drohten.304 Nach Einführung dieses Rechts in den Jahren 1938 bis 1946 waren die legalen Abtreibungen etwas gestiegen, jedoch die illegalen Abtreibungen gesunken.305 Sexuelle Verhaltensstörungen, ungewollte Schwangerschaften, der unerfüllte Wunsch nach Kindern, würden verursacht durch oder s eien begleitet von psychischen Spannungen, w elche durch Beratung erleichtert werden könnten, konstatierte Marie Munk.306 Education for Family Life in Sweden, p. 1 – 8, p. 2 – 3, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 300 “The outline emphasize repeatedly that family life education should not stress knowledge of facts but the development of wholesome attitudes.” In: Marie Munk, Education for Family Life in Sweden, p. 1 – 8, p. 3, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 301 Marie Munk, Education for Family Life in Sweden, p. 1 – 8, p. 4 – 5, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 302 Marie Munk, Education for Family Life in Sweden, p. 1 – 8, p. 5, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 303 Marie Munk, Education for Family Life in Sweden, p. 1 – 8, p. 5 – 6, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 304 Ebd. 305 Marie Munk, Education for Family Life in Sweden, p. 1 – 8, p. 6, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 306 “Sexual maladjustment, unwanted pregnancy, the unfulfilled desire for children, are caused by or accompanied by psychological tensions, which may be relieved by counseling.” In: Marie
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7.3 Die Stabilität der Familie in Schweden durch den schwedischen Counseling Service Der schwedische Counseling Service beschränkte sich auf die Mediation, die Marie Munk für die übrigen europäischen Staaten und für Amerika als Vorbild e rachtete.307 Um sich der Sicherheit für die Familie zu versichern, ein Auseinanderbrechen der Familie zu verhüten, würden die Schweden ein ausgedehnteres und intensiveres Programm vorhalten als jedes andere Land, stellte Marie Munk fest. Dieses Programm setze bereits ein, wenn die Frau ein Kind erwarte, unabhängig davon, ob sie verheiratet sei oder nicht. Das Programm begleite das Kind von früher Kindheit an bis zum Erwachsenenalter, um das gesundheitliche Wohlergehen, seine psychische, geistige und soziale Einstellung von der Wiege bis zum Grabe zu ordnen.308 Marie Munk knüpfte an das schwedische Gesundheitssystem an, das ihr auf ihrer Reise stark in Erinnerung geblieben war. 7.4 Welfare Legislation in Sweden: Mutter und Kind, Gesundheit und Wohnraum Die räumliche und medizinische Ausstattung der Krankenhäuser, die soziale Fürsorge für die Ärzte und Schwestern s eien vorbildlich.309 In ihrer Endfassung ihres Reiseberichts mit dem Titel „Welfare Legislation in Sweden“310 berichtete Munk über die gesellschaftliche Sicherheit, w elche von der Wiege bis zum Grabe Inhalt des schwedischen Gesundheitsprogramms sei. Die Studien „The Crisis of Population Problem“ von Gunnar und Alva Myrdal würden herausarbeiten, dass einschneidende Maßnahmen notwendig s eien, damit eine höhere Geburtenrate erreicht werde. Gunnar und Alva Myrdal vertraten die Auffassung, dass der hohe Lebensstandard der durchschnittlichen schwedischen Familie allein auf der niedrigen Geburtenrate fuße. Um zu einer normalen Geburtenrate zu ermutigen, Munk, Education for Family Life in Sweden, p. 1 – 8, p. 7, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 307 Marie Munk, Education for Family Life in Sweden, p. 1 – 8, p. 7 – 8, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 3 08 “To assure the security of the family, and to prevent family breakdowns, the Swedes have a more extensive and more intensive program than any other country I know. They begin at the grass root, at the time when the mother expects her child, whether she is married or unmarried, and they follow the child from infancy to adulthood in order to assure his physical wellbeing, his mental, spiritual, and social adjustment from cradle to the grave.” In: Marie Munk, Family Stabilization in Sweden, p. 1 – 5, p. 1 – 2, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 3 09 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 11. 310 Marie Munk, Welfare Legislation In Sweden, p. 1 – 7, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8.
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müsse der Staat dazu übergehen, Provisionen anzubieten, die es der durchschnitt lichen Familie ermöglichten, die Kosten für die Geburt und die Kindererziehung zu tragen. Mit der Folge, dass Wunschkinder geboren würden, deren Gesundheit und Glück gesichert wäre. Myrdal habe sich zudem für eine neue Gesellschaft ausgesprochen, inspiriert von einer sozialen Solidarität und unterstützt von einem nationalen Sinn für eine Verantwortung für Kinder: die nächste Generation.311 Der Grundsatz in Schweden, dass jedermann, unabhängig von seinem Einkommen, die beste Gesundheitsversorgung erhielt, pries Munk als richtungsweisend für andere europäische Länder. Die Beratung, Betreuung und finanzielle Unterstützung von Müttern, insbesondere ledigen Müttern und ihren Kindern, wurde auch regional, in den Wohngebieten, angeboten.312 Mütter wurden nach Kindererziehungszeiten in den Arbeitsprozess aufgenommen, für halbtags arbeitende Mütter wurden die Kinder umfassend versorgt. Staatlicherseits wurden Müttererholungen angeboten.313 Die Wohnungsbaupolitik in Schweden hatte den höchsten Standard. Jeder Schwede erhielt ab dem 65. Lebensjahr eine Staatsrente.314 Schweden habe vor dem Hintergrund der Idee eines Wohlfahrtsstaates ein ausgedehntes öffentliches Wohlfahrtsprogramm initiiert. Es gäbe keine Hinweise darauf, dass diese Philosophie die Schweden weniger selbstständig, weniger verantwortungsvoll mache, als es bei denjenigen zu beobachten sei, die ein ausgedehntes Sozialprogramm für die Vereinigten Staaten ablehnten. Wenn ihre Eindrücke aus dieser Schwedenreise, so fuhr Marie Munk fort, einen sachlichen Wert hätten, so sei sie geneigt zu sagen, 311 „Security from the cradle to the grave is indeed the watchword of the Swedish Welfare Program. It has grown out of studies of Gunnar and Alva Myrdal in the early thirties on ‘The Crisis of the Population Problem’. They pointed out that radical measures were needed to increase the number of birth if the Swedish population wanted to reproduce itself. They maintained that the high living standard of the average Swedish family was maintained only by the self-imposed low birth rate. To encourage a normal birth rate, the state should make provisions by which the average family would be able to meet the expenses of child-birth and child-rearing. Children would then be borne because they were desired, and their health and happiness would be assured. The Myrdals advocated a new society ‘inspired by social solidarity, and aided by the entire nation’s sense of responsibility for the children who are to be the next generation’.” In: Marie Munk, Welfare Legislation In Sweden, p. 1 – 7, p. 2 – 3, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 312 Marie Munk, Welfare Legislation In Sweden, p. 1 – 7, p. 4 – 5, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 313 Marie Munk, Welfare Legislation In Sweden, p. 1 – 7, p. 5 – 6, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 314 Marie Munk, Welfare Legislation In Sweden, p. 1 – 7, p. 6, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8.
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dass die Schweden zufrieden, gelassen und freundlich seien. Sie fühlten sich sozial geborgen, weil das Notwendigste zum Leben adäquat erfüllt würde, sodass sie sich nicht sorgen müssten um die Zukunft.315 Diese wohlhabende Ordnung werde auch in der Sauberkeit auf öffentlichen Plätzen in Schweden sichtbar. Diese Sauberkeit bringe eine schwedische Geisteshaltung zum Ausdruck, die von Respekt für Andere und das öffentliche Eigentum getragen werde.316 Marie Munk wurde klar, dass d ieses Wohlergehen des schwedischen Volkes nicht nur auf die Neutralität und die lange Friedenszeit Schwedens zurückzuführen war.317 Dieser Wohlstand wurde über eine hohe Einkommenssteuer bezahlt.318 Am Schluss ihres Besuches urteilte Marie Munk über die Schweden: “They have a natural smile on their faces.”319 Im Vergleich zum schwedischen Lächeln fragte sich Marie Munk, ob das amerikanische Lächeln nicht eine Maske sei; und ob womöglich eine unsichere Zukunft die amerikanischen Menschen betrübe. Könnten die schwedische Wohlfahrt, die Demokratie und die soziale Verantwortung Vorbild sein?320 315 “In carrying out the extensive public welfare program, the Swedes have adopted the idea of the welfare state. Yet, there are no indications that this philosophy has made them less self- reliant and less self-responsible as is feared by those who oppose an extension of social legisla tion in the United States. If my own impressions have any objective value I am inclined to say that the Swedes are content, serene, and friendly, they feel secure to others because their necessities of life are met adequately and because they need not worry about the future.” In: Marie Munk, Welfare Legislation In Sweden, p. 1 – 7, p. 7, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 316 “[…] but the Swedes do not do it because of coercion or fear, but out of respect for others, and for public property which is also their own.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 12. 317 “The whole atmosphere was far more relaxed, and there was a feeling of security and well- being which was different from that on the continent in Europe and in England.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VIII Impressions Of Europe After World War Two, S. 13. 318 “The Swedish income tax system does not allow deductions for dependants. In a way, the allowance may be considered as taking the place of tax exemptions in our country. In the higher income brackets the allowances have occasionally the effect to increase the income tax by bringing the subject in the higher brackets. The minimum payments are raised in case of need. The internal purchasing power of the crown equals about 50 or 75 cents or more, although the foreign exchange value is considerably lower. The Swedish payments may there fore be equaled to a lump sum of $ 60 – 100 and to a monthly payment or $ 130 – 200 pro child.” In: Marie Munk, Welfare Legislation In Sweden, p. 1 – 7, p. 5, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 319 Marie Munk, Welfare Legislation In Sweden, p. 1 – 7, p. 7, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. 320 “Is this proverbial American smile a mask? Is it the uncertainty of the future which wears our people down? May we perhaps learn from the Swedes new concepts of democracy, new
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8. Das neue Rollenverständnis: Vorbilder aus Amerika für Deutschland (1950) Transnationale Ansätze wurden auch in Marie Munks Vorträgen in Deutschland sichtbar. Sie warb für die Berufstätigkeit der Hausfrau und Mutter. Während ihres Vortrags über „Halbtagsarbeit der Frauen in den Vereinigten Staaten“ schlug sie vor, die deutschen Frauenorganisationen mögen die Halbtagsarbeit als Forderung in ihre Programme aufnehmen. Verheirateten Frauen würde so ermöglicht, trotz Kindererziehung ihr Arbeitsverhältnis fortzuführen.321 Diese Forderung war auch Gegenstand ihres Vortrags über „Die Frau im Beruf in den Vereinigten Staaten“322. Die Berufstätigkeit der Frau sei Grundlage einer „demokratischen Lebensauffassung“, weil „jedem die Moeglichkeit gegeben werden“ solle, „sich seinen Kraeften gemäss zu entwickeln“.323 Sie stellte klar: „Die Frauen, oder richtiger, das gesamte Volk“ müssten „sich den veränderten Lebensverhältnissen anpassen. Die Frau im Beruf“ sei „in den Vereinigten Staaten um der Wirtschaft und um ihrer selbst willen nicht mehr fortzudenken“.324
9. Schlussbetrachtung zu Ziffer VI Im 4. Kapitel, Ziffer VI Nr. 7 dieser Arbeit ist auf die späte kulturelle Integration von Marie Munk eingegangen worden. Es wurde darauf hingewiesen, dass Marie Munk in Anlehnung an Simmel eine Wandernde war, die nicht „heute kommt und morgen geht“, sondern die „heute kommt und morgen bleibt“ und als „potentiell Wandernde“, die „nicht weitergezogen ist“, deshalb „die Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht ganz überwunden“325 hatte. Diese Umstände wirkten sich bei Marie Munk fruchtbar auf die wissenschaftliche Arbeit aus, indem sie Bereiche zum Gegenstand ihrer Betrachtungen wählte, die zu damaliger Zeit neu waren und
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concepts of social welfare and social responsibility?” In: Marie Munk, Welfare Legislation In Sweden, p. 1 – 7, p. 7, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 8. LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. Die Frau im Beruf in den Vereinigten Staaten, S. 1 – 6, S. 1 – 2, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. Die Frau im Beruf in den Vereinigten Staaten, S. 1 – 6, S. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. Georg Simmel, Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, in: ders.: Exkurs über den Fremden, Leipzig 1908, S. 685.
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aus heutiger Sicht unerforscht sind: der transnationale Blick im Recht und in den noch jungen Sozialwissenschaften. Marie Munk hatte bereits in der Weimarer Zeit auf skandinavische Modelle zurückgegriffen (2. Kapitel, Ziffer III Nr. 2) und in ihren Lectures Trips war sie auf die deutschen Verhältnisse eingegangen (4. Kapitel, Ziffer I Nr. 1.1). In ihren Veröffentlichungen zu „Child Care in Germany“, dem Aufsatz mit dem Titel „The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany“ und in ihrem wissenschaftlichen Beitrag zu „Legal Training in Germany“ aus den Jahren 1937 und 1938 verfestigte sich der Keim ihrer wissenschaftlichen Transna tionalität, um erfolgreiche rechtspolitische und sozialpolitische Modelle für beide Länder fruchtbar machen zu können. Das heutige Streben in den vorgenannten wissenschaftlichen Disziplinen 326 vorwegnehmend, löste sich Marie Munk also schon recht früh von dem linearen Blick aus Amerika nach Deutschland. Schon damals, widmete sie sich der wissenschaftlichen Arbeit in einer Form, wie es auch heute nicht allgemein üblich ist: Sie pflegte einen korrespondierenden und interdisziplinären Mehr-Länder-Vergleich. Hierbei hielt sie sich mit Kritik zu den Strafverfahren und zur Strafvollstreckung zum amerikanischen und deutschen System nicht zurück. Allerdings war sie in den ersten Jahren ihres Aufenthalts in den Vereinigten Staaten von Amerika noch nicht soweit, um Auswege oder Alternativen für Deutschland oder gar für amerikanische Verhältnisse anbieten zu können. Zum einen, weil ihr als Kennerin deutscher Kultur die weitere Entwicklung der deutschen Verhältnisse zum damaligen Zeitpunkt unwägbar erschienen sind; zum anderen, weil sie noch nicht in Gänze mit der amerikanischen Kultur und Wissenschaft vertraut sein konnte. Wichtig war es umso mehr, dass ein – aus Sicht der Amerikaner – Außenstehender das Privileg erhielt, über amerikanische Systeme offen und ungeschönt urteilen zu dürfen. Gleiche Feststellung darf für den Aufsatz „Legal Training in Germany“ gelten. Marie Munks korrespondierender transnationaler Ländervergleich überwand politische Vorurteile. Angesichts der amerikanischen sozialen Verhältnisse bot sich ihr die deutsche Wohlfahrtsstruktur im Gesundheitswesen geradezu als geeignetes Objekt der Betrachtung an. Zunächst das Modell des deutschen Gesundheitswesens aufgrund der unterschiedlichen Struktur der amerikanischen Bundesstaaten im Jahre 1937 ablehnend, entwickelte sie im Jahre 1942 mit ihrem Manuskript „Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America?“ ihre Überlegungen fort. Dass dieses Manuskript nicht veröffentlicht wurde, ist auf den Beitritt der Amerikaner zur Anti-Hitler-Allianz zurückzuführen.
326 Vgl. exemplarisch: Manfred Berg, Stefan Kapsch und Franz Streng (Hg.), Criminal Justice in the United States and Germany. History, Modernization and Reform, Heidelberg 2009.
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All das, was nur in die Nähe des Nationalsozialismus gebracht werden konnte, musste im Interesse der kriegspolitischen Glaubwürdigkeit verständlicherweise von den Amerikanern abgelehnt werden (vgl. bereits zur Zusammenarbeit mit N orman E. Himes 5. Kapitel, Ziffer II Nr. 1.3). In dem vorstehend genannten Manus kript wurde allzu schnell überlesen, dass es Marie Munk um die Befreiung der Sozial-, Gesundheits- und Jugendpolitik aus ihren ideologischen Fesseln und um volkswirtschaftliche und kulturell-demokratische Prosperität ging. Ein Blickwinkel, der gerade in Krisenzeiten von besonderer Notwendigkeit ist, weil es nur ein Land oder nur wenige Länder gibt, in die Verfolgte der Diktaturen einströmen und bei ihnen auch Hilfe suchen können, was nach den Menschenrechten das Sozialund Gesundheitssystem in besonderer Weise in Anspruch können nehmen m u s s . Neben diesem Aspekt hatte Marie Munk den Weg gewiesen für den Umgang mit einer objektiven ideologiefreien Wissenschaft. Der Einfluss der Ideologie zeigte sich gerade in der Wissenschaft deutlich, obgleich diese sich stets darin bemüht und auch vorgibt, zu allen Zeiten objektiv zu sein. Doch der medienmäßige Umgang mit Marie Munks transnationalen Manus kripten zeigt: Ideologie verhinderte die Veröffentlichung, weil das erst sehr späte Aufkeimen der heute so bezeichneten Neuen Geschichte in den historischen Wissen schaften und ihrer Historiografie zu damaliger Zeit noch nicht griff. Ob der Kalte Krieg es ein Stück weit verhindert hat, dass die Historiker bestimmte Forschungsgegenstände noch nicht betrachtet oder unter ganz anderen Blickwinkeln bisher beleuchtet haben, wird erst offenbar, wenn wir uns den Status des historischen Wissens kritisch vergegenwärtigen.327 Marie Munk hatte in ihrem Aufsatz mit dem Titel „Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America?“, obgleich sie als Frau jüdischer Herkunft politisch Verfolgte war, das ideologische Vorurteil bereits früh abgelegt und sich den strategisch fördernden Bestandteilen der deutschen Gesundheits-, Sozial- und Jugendpolitik zugewandt, die für die amerikanischen Verhältnisse hilfreich sein könnten. Wenngleich diese Arbeit nicht publiziert wurde, so entstand doch ab den 1950er- Jahren ihr Beitrag für ein demokratisches Deutschland von Amerika aus. Ebenso konzipierte Marie Munk aus schwedischen Vorbildern eine allumfassende Gesundheitspolitik für Amerika. Es ist nicht nur ihr Bericht über den Beitrag des schwedischen Counseling Service in Schweden, sondern Marie Munk warb in ihrem Manuskript „Education for Family Life“ für eine Verhinderung des Auseinanderbrechens der Familie durch Scheidung und während sozioökonomischer Krisen. Marie Munk adaptierte das schwedische Vorbild eines Unterrichts über Ehe, Familie 327 So zum Beispiel Ulinka Rublack, Der Status des historischen Wissens, in: dies. (Hg.), Die Neue Geschichte, Frankfurt a. M. 2012, S. 106 – 110 zur Objektivität in der histo rischen Wissenschaft.
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und Familienführung von der Grundschule bis in die Universitäten hinein. Hierfür mag es zwei Gründe gegeben haben: 1. Bereits zu Weimarer Zeit hatte das schwedische Ehe- und Familienrecht wesentlichen Einfluss auf den Reformdiskurs in der fachwissenschaftlichen Literatur;328 2. Marie Munk hatte sich bereits in ihrer Denkschrift aus dem Jahre 1923 an der schwedische Gesetzgebung orientiert,329 wenngleich sie die schwedischen Bestimmungen nicht zitierte. So könnte sich erklären, warum sie auf die weitere Entwicklung in Schweden zurückkam, um die nächste Generation mit der Family Education auf ihre Rolle in der Ehe und in der Familie für die Gesellschaft vorzubereiten. Als europäisches Einwanderungsland ergibt sich dieses Erfordernis heute für Deutschland allemal. Dass Marie Munk in diesem Kontext ihres neuen Kulturverständnisses für eine selbstbestimmte Rolle der Frau als berufstätige M utter in Deutschland warb, hatte nicht nur volkswirtschaftliche Gründe, sondern folgte dem Recht der Frau auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben als selbstbestimmte Persönlichkeit in der gegenwärtigen Kultur im Interesse des Werdens zukünftiger Generationen und sich verändernder Kulturen.
VII. Manuskripte über das Problem Scheidung (1945 – 1954) Die Manuskripte um diesen Rechtsbereich entstanden, als der Zweite Weltkrieg beendet war und die Kriegsteilnehmer in das zivile Leben zurückkehrten. Es ist angezeigt, bevor der Inhalt der Manuskripte dem Leser vorgestellt wird, auf die Eheschließungs- und Scheidungszahlen der Jahre 1940 bis 1945 einleitend einzugehen.
1. Einleitung: Die Eheschließungs- und Scheidungszahlen der Jahre 1940 – 1945 In den Jahren 1940 bis 1945 erreichten die Scheidungszahlen in Amerika ihren Höchststand. Sie betrugen 12 pro tausend Einwohner, während sie 10,5 im Jahr 1935 und 9,0 im Jahre 1930 erreicht hatten.330 In absoluten Zahlen betrachtet, wurden 550.000 Ehen im Jahr 1946 geschieden.331 Scheidungen gehörten zur alltäglichen 328 Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 264 – 290. 329 Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. IV. 3 30 U. S. Department of Health, Education, and Welfare (Public Health Service) 100 Years of Marriage and Divorce Statistics, United States, 1867 – 1967, DHEW Publication No. (HRA) 74 – 1902. 331 Divorces: A New High for U. S., U. S. News and World Report, October 4, 1946, p. 30 – 31.
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Normalität der Familie, wenn 8,8 Prozent von 1000 verheirateten Frauen im Jahre 1940 die Scheidung einreichten.332 Diametral hierzu verlief die Zahl der Eheschließungen. Betrug die Rate 2,0 pro 1000 Einwohner, stieg sie bis zum Jahre 1940 auf 3,5, um bis zum Jahr 1950 auf 2,5 zu fallen.333 Diese Entwicklung ist auch aus dem Kriegsbeitritt Amerikas erklärlich: “Flood of Marriages Marks Our War Entry”.334 Stimmen der weiblichen jungen Bevölkerung kennzeichneten die damalige politische Haltung vortrefflich: “The serviceman was giving everything to his country – arms, legs, his eyesight, his blood, his life. The least you could do was give yourself to this man. And since sex outside of marriage was frowned upon, the only thing left was to marry him. It was almost your duty.”335 In New York wurde der First Deputy City Clerk Murray W. Stand zu einem Volkshelden, weil er im Mai 1943 bis 11:30 A. M. 31 Vermählungen vollzog.336 Das macht sehr deutlich: Die amerikanischen Soldaten wollten weniger für abstrakte Ideale, als vielmehr für ihre Ehefrau und die Zukunft ihrer Kinder kämpfen.337 Genau genommen erschien den heiratsfähigen Männern und Frauen das Ideal der Ehe in einem neuen, zeitgemäßen Gewand, wie es eine junge Frau umschrieb: “Both Anny and I feel that the democratic way of life is deeply a part of us. We want to defend it with all we have, with all our heart and soul.”338 Die zukünftigen Ehepaare wollten keine Gedanken an ein Scheitern ihrer Ehe verschwenden, obgleich es gegen diese „Hasty and Hurried-Up War Time M arriages“339 340 Warnungen genug gab. Im April 1944 vermeldete die New York Times „7 of 10 War Marriages Held Headed for Trouble“.341 Die Ursache war klar: Die Familie hatte 332 Hugh Carter and Paul C. Glick, Marriage and Divorce: A Social and Economic Study, Harvard University Press, Cambridge, Mass. 1970, p. 56 – 57. 333 Department of Health, Education and Welfare, 100 Years of Marriage and Divorce Statistics. 334 United Press und New York Times, January 10, 1942. 335 Mark Jonathan Harris, Franklin D. Mitchell, Seven J. Schechter, The Homefront: America during World War II, New York 1984, p. 179. 336 Lucy Greenbaum, Here Come the War Brides, in: New York Times, May 9, 1943. 337 Robert W. Westbrook, Why We Fought: Forging American Obligations in World War II, Washington 2004. 338 I Married My Soldier Anyway, in: Good Housekeeping, June 1942, p. 74. 339 Ernest W. Burgess, Hasty and Hurried-Up War Time Marriages, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 3, August 1944, p. 46. 340 Katherine Whiteside Taylor, Shall They Marry in Wartime?, in: Journal of Home Economics, Vol. 34, April 1942, p. 215; Evelyn Millis Duvall, Marriage in War Time, in: Marriage and Family Living, Vol. IV, No. 4, Autumn 1942, p. 76; Warns of Dangers of War Marriages, in: New York Times, January 28, 1943; Robert G. Foster, Marriage during Crisis, in: Journal of Home Economics, Vol. 35, June 1943, p. 331; Ernest W. Burgess, Marriage Counseling in a Changing Society, in: Marriage and Family Living, Vol. V, No. 1, Winter 1943, p. 8 – 10. 341 New York Times, April 24, 1944.
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ihre s oziale Funktion verloren: “Marriage should not be licensed isolation in which love feeds on its own emotions.”342 Die familiäre Situation verschärfte sich durch die Rückkehr der Kriegsteilnehmer. Die Mitglieder der National Conference on Family Relations widmeten diesem Umstand bereits vor dem Ende des Krieges unzählige Artikel 343 und Publikationen,344 wie auch das National Research Council in Washington 345 erste soziologische Studien über die Familie veröffentlichte.346 Wenn auch zunächst vorwiegend über die soziale und sozialpsychologische Situation der Familien von Kriegsheimkehrern.347 Max Rheinstein rezensierte einen Rechtsratgeber für Kriegsheimkehrer.348 Die Illinois Conference on Family Relations richtete zur Problematik der Kriegsheimkehrer eine regionale Konferenz in Chicago aus.349 Mit dem Counseling Service ersuchte man, der familiären Situation Herr zu werden.
2. Weitere Publikationsversuche Marie Munk nahm aus ihrer Tätigkeit als Marriage Counselor in Toledo (Ohio) wissenschaftliche Ergebnisse mit nach Cambridge, Massachusetts. Gleich zu Beginn ihrer Zeit in Massachusetts bot sie einer professionellen Literaturagentin verschiedene Aufsätze an: „Is Your Marriage Perfect“, „Ailing Marriages Can Be Cured“, „Shall Our War Veterans Face Broken Homes“, „Beware of Nazism“, „Marriage 342 C. G. MacKenzie, War and the Family, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 3, Summer 1944, p. 43 – 44. 343 Zum Beispiel: C. G. MacKenzie, War and the Family, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 3, August 1944, p. 43 – 46; Ernest W. Burgess, Postwar Problems of the Family, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 3, August 1944, p.47 – 50; Coleman R. Griffith, The Psychological Adjustment of Returned Servicemen and Their Families, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 4, November 1944, p. 65 – 67, 87; Grace Reeves, The New Family in the Postwar World, in: Marriage and Family Living, Vol. VII, No. 4, November 1945, p. 73 – 76, 89; Ernest Burgess, Unemployment and the Family, Marriage and Family Living, Vol. VII, No. 4, November 1945, p. 87, 89, 94 – 95. 344 Vgl. die Bücherliste: Soldier Come Home, in: Marriage and Family Living, Vol. VII, No. 1, February 1945, p. 61. 3 45 Review: Will O’Neil, Psychology for the Returning Serviceman, in: Marriage and Family Living, Vol. VII, No. 3, August 1945, p. 67. 346 Clifford R. Adams, Factors Underlying Family Instability, in: Marriage and Family Living, Vol. VIII, No. 4, November 1946, p. 85 – 86. 347 John F. Cuber, Family Readjustment of Veterans, in: Marriage and Family Living, Vo. VII, No. 2, May 1945, p. 28 – 30; Reuben Hill, The Returning Father and His Family, ebd., p. 31 – 34. 348 Max Rheinstein, Veteran Law Manual: An Authoritative Guide on Servicemen’s Rights and Benefits, in: Marriage and Family Living, Vol. VII, No. 3, August 1945, p. 69. 349 News and Notes. International, Regional and State Conferences, in: Marriage and Family Living, Vo. VII, No. 1, February 1945, p. 16.
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Counseling Or Broken Homes“ und den Aufsatz mit dem Titel „Your Home Is Your Castle, Am I Not Entitled To My Husband’s Companion-Ship“. Die Einschätzungen der Literaturagentin ließen nicht lang auf sich warten: Es bestünde zweifelsohne nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein großes allgemeines Interesse an Eheproblemen, wenn die Kriegsheimkehrer in das zivile Leben sozialisiert würden. Ihre Artikel wären für einen originären Interessentenkreis bestimmt, verlören aber die Nachfrage aus dem Blick. Die Artikel würden den Marriage Counselor zu sehr in den Vordergrund stellen und zu wenig Datenmaterial enthalten. Der Inhalt der Artikel würde sich wiederholen. Diese thematischen Überschneidungen würden es unmöglich machen, die Artikel getrennt voneinander zu veröffentlichen.350 Die Agentin bemängelte zudem, einige Artikel hätten keine Einführung, Passagen oder die Artikel insgesamt seien zu lang. Bildhafte Beispiele im Text würden fehlen oder es würden Themen angesprochen, die bereits mehrfach veröffentlicht worden seien.351 Marie Munk habe einen guten Schreibstil, beendete die Agentin ihren Brief, und wenn sie ihre Artikel mit mehr Fakten anreichern würde, könnten die Artikel erfolgreich sein. Marie Munks Material eigne sich für ein Radioprogramm, in dem Menschen ihre Probleme mit einem Lebens- oder Eheberater besprechen könnten. Dies würde ihrer, Marie Munks, beruflicher Erfahrung mehr entsprechen. Dieses Radioprogramm eröffne zudem die Möglichkeit, Anwälte für Familien recht oder Richter für die Radiogespräche einzuladen, um weiterführenden Rat zu eröffnen. Anhand der jetzt vorliegenden Artikel von Marie Munk könne jedoch nicht erkannt werden, w elche Art von Radioprogramm und w elchen Nutzen Marie Munks Artikel hätten, würden die hilfesuchenden Ehepaare in die Sendung miteinbezogen.352 Munk konterte, sie habe zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt, die 350 “There is no doubt to the fact that there would be a great deal of interest in marriage problems, particularly at this time with the return of the servicemen and their adjustment to civilian life. However, these articles would have to be slanted toward some particular market and we think that your material was written without any market in view. As we read your articles, we found that your approach was rather didactic, and we often felt that you were plugging the marriage counselors too much, so that the articles seemed more like publicity than informative pieces. Of course, many of the articles you presented here are rather repetitious, and it would not be possible to plan separate articles such as you’ve done here on overlapping subjects.” In: Schreiben von Anita Diamant an Marie Munk, October 16, 1945, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9. 351 Schreiben von Anita Diamant an Marie Munk, October 16, 1945, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9. 352 “You have a perfectly good simple style and we should think that you could write some successful articles if you will make a conscious effort to present more factual, helpful material to them. We think you should have a wealth of material for a radio program too, but the only way in which we can see a program like this going over, would be to have an actual clinic on
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robleme ihrer Klienten in einem Radioprogramm öffentlich zu machen. Es gäbe P bereits einige Radioprogramme, die eine Lebensberatung anbieten würden, jedoch verfehle der Rat seine langfristige Hilfe, weil Counseling nur Früchte tragen könne in einem individuellen, vertraulichen Gespräch. Darüber hinaus wären die Manuskripte ihrer Artikel auch nicht für die Allgemeinheit, sondern für Sozialarbeiter geschrieben worden.353 Daraufhin bot ihr die Agentin einen professionellen Schreiber gegen Entgelt an, damit Munk ihre Artikel aufarbeiten könne.354 Munk stellte die Korrespondenz mit der Literaturagentin ein. Munk war auch ohne Literaturagentin erfolgreich.
3. Der Aufsatz „Putting the Brakes on Divorce“ (März 1946) Munks Artikel „Putting the Brakes on Divorce“ erschien im März 1946 in dem Magazin „Survey“355. Der Text war bereits im Jahre 1944 – das zeigen die verwendeten Scheidungsraten der amerikanischen Statistik 356 – entworfen worden. Im Untertitel kündigte Marie Munk an, aus ihren Erfahrungen als Anwalt, Richter und Marriage Counselor zu berichten.357 Für Marie Munk war der Anstieg der Scheidungsraten um 61 Prozent innerhalb von 4 Jahren (Lucas County, Ohio) wesentlicher Grund, die Bedeutung der Scheidung für die eheliche Beziehung auf den Punkt zu bringen: Die Scheidung ist die offizielle Todeserklärung über eine Ehe, deren Grundlagen, Liebe, Zuneigung und Respekt, bereits zerstört waren.358 Die Nachweise einer zerstörten Ehe wurden mittels
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the air, where people would be able to come and air their problems. This might be similar to those already on the air, but yours might be more helpful because of your own background and experience. And there would be the possibility of having leading attorneys in domestic relations, or judges who would appear on the program and offer advice. But we cannot see the possibilities of the type of program you’ve presented here, for the value of the program would be due to the actual participation of the couples in need of advice.” In: Schreiben von Anita Diamant an Marie Munk, October 16, 1945, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9. Hervorhebung nicht im Original. Schreiben von Marie Munk an Anita Diamant, October 18, 1945, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9. Schreiben von Anita Diamant an Marie Munk, Nov 9, 1945, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9. Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526. LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3543. Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526. “The divorce decree merely gives an official death sentence to a marriage whose foundations of love, affection, and respect are already shattered.” In: Marie Munk, Putting the Brakes on
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des Rechts und in den Verfahren geführt. Es war aber auch die Rechtszersplitterung der amerikanischen Bundesstaaten, welche sich zerstörend auf die Ehe auswirkte. 3.1 Die Rechts- und Verfahrenslage: Ein Chaos Ein „Legal Chaos“359 in den Vereinigten Staaten von Amerika, führte Marie Munk in ihren Aufsatz ein, zeige sich besonders im Ehescheidungsrecht. In South Carolina sei eine Scheidung gar nicht möglich. In New York gäbe es nur den Ehebruch als Ehescheidungsgrund, während in anderen Staaten annähernd zwanzig Scheidungsgründe geregelt wären. Der Kläger müsse der gegnerischen Seite extreme Grausamkeiten oder eine an eine Vernachlässigung heranreichende Behandlung oder Misshandlungen vorhalten. Der Nachweis der Schuld sei ein tragendes Element der Verfahren. Es gäbe einige verfahrensrechtlichen Regeln, die Scheidung auch in Abwesenheit des Beklagten zu ermöglichen. Der Kläger habe dann einen sogenannten „Scheinprozess“ vor dem Gericht über sich ergehen zu lassen. Zu dieser Scheinverhandlung würden weder der Beklagte noch sein Rechtsvertreter geladen. Die Eheleute griffen zum Mittel der Täuschung, um geschieden zu werden. Das erkläre, warum 70 Prozent der richterlichen Entscheidungen mit einem Scheidungsurteil endeten. Dennoch, und dies sei interessant, würde eine hohe Zahl der Scheidungsklagen zurückgezogen. Frauen nähmen die Scheidungsklage viermal öfter zurück als Männer. Die Erfahrung zeige, dass die Frauen häufig ihre Männer nur erschrecken wollten, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Männer hingegen verfolgten häufiger den Scheidungsantrag konsequent bis zum Schluss. Herzlose Verfahren s eien insbesondere die sogenannten erkämpften Scheidungen, auch für Richter und Anwälte. Auch ohne Scheidungsurteil zerstöre das rechtliche Verfahren jegliche Beziehung zwischen den Ehepartnern auf Dauer für die Zukunft. 3.2 Die schwedische Lösung Die schwedischen Regeln ermöglichten eine einvernehmliche Lösung im Beisein aller Parteien und Verfahrensbeteiligten. Ein Ergebnis, dass von den Verfahrensbeteiligten besser akzeptiert werde, da es als auf dem Recht fußend empfunden werde. Zwar ginge es nach dem schwedischen Recht nicht ohne Weiteres, ein einvernehmliches Getrenntleben oder eine einvernehmliche Scheidung auf der Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 75, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526. 359 Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 75, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526.
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Basis freier Übereinkunft herbeizuführen. Gleichwohl werde die Möglichkeit der Scheidung nach einer dreijährigen Trennungszeit den Ehepaaren eröffnet. Während dieser Trennungszeit habe jeder der Ehepartner eine Mediation in Anspruch zu nehmen.360 Ein eheerhaltender Verfahrensansatz. 3.3 Verfahrensrechtliche Forderungen für die Vereinigten Staaten Eine Versöhnung nach einer Trennungszeit könnte der Ehe eine neue Chance geben. An den Gedanken der Mediation anknüpfend, bemerkte Munk: Es täten die Vereinigten Staaten gut daran, nicht nur ihre Jugendgerichtsbarkeit zu „sozialisieren“, sondern auch ihre Verfahren vor den Familiengerichten. 3.4 Die vorgerichtliche Beratung „Packe das Übel an der Wurzel“ war eine Aufforderung von Marie Munk, Psychiater, Psychologen und Sozialarbeiter hinzuzuziehen, um die wirklichen Ursachen für eine Scheidung bereits vor einem Scheidungsverfahren wirksam bekämpfen zu können.361 Bereits die Erfahrungen eines Counseling Service würden zeigen, dass lediglich ein Drittel der von einem Counselor betreuten Einzelfälle mit einer Scheidung enden würden. Die anderen zwei Drittel der betreuten Fälle würden die Klage fallenlassen. In diesem Kontext sei ebenfalls von Interesse, dass in zwei Drittel aller Fälle, in denen die Eheleute verzweifelt nach Hilfe suchten, sie noch kein gerichtliches Verfahren bei Gericht begonnen hätten. Vielmehr betrachteten die Ehepartner den Counselor als den letzten Ausweg – eine Erkenntnis, die Munk näher betrachtete. 3.5 Studien über den Counseling Service Eine zielgenaue Untersuchung über die positiven Effekte des Counseling Service auf das Scheidungsverhalten betroffener Ehepaare sei notwendig, forderte Munk ein. Allerdings benötige man hierfür mehrere Jahre. Entscheidend für eine Untersuchung sei auch, dass die übrigen sozialen Einrichtungen keine Eheberatungsangebote machen würden. Der Öffentlichkeit sei aber auch nicht bewusst, dass einige s oziale Einrichtungen Eheberatungsangebote vorhielten. Deshalb würden etliche Ehepartner 10, 20 oder gar 30 Jahre warten, bis ihre Beziehung nicht mehr zu retten sei.362
360 Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 75, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526. 361 Ebd. 362 Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 76, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526.
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3.6 Planungen für einen Counseling Service Zu einem Counseling Service gehörten nach Auffassung von Marie Munk drei zentrale Schritte: “A broader development of family consultation centers or of existing services, coupled with a program in which they interpret the nature of their help to the community as a whole; A closer relationship between the casework agencies, the psychiatric services, and the courts; A ‘socialized’ Court of Domestic Relations.”363 3.6.1 Rolle der Gerichte Die Gerichte müssten sich von ihrer traditionellen Rolle – dem Rechtsanwender gesetzlicher Vorschriften – verabschieden. Der Gedanke der Schlichtung müsse Einzug halten: Der Richter erhielte dann einen umfassenden Einblick in den Lebenssachverhalt und könne auf die wahren Ursachen des Scheiterns einer Ehe blicken. In der Schlichtung böte sich für den Richter die Chance, nicht mehr länger blind einer inszenierten Scheidung der Anwälte folgen zu müssen.364 3.6.2 Counseling Department – Eheberatungsabteilung Zu diesem progressivsten Schritt gehöre ein Counseling Department mit universitär ausgebildeten oder postgraduierten Sozialarbeitern: Diese müssten über eine langjährige Erfahrung im Marriage Counseling und in der Familienarbeit verfügen. “Good intake workers with a full knowledge of community resources, and well-trained social caseworkers are a sine qua non for such a department.”365 Hausbesuche müssten obligatorisch sein, um herauszufinden, wo die eigentlichen Probleme in der Beziehung lägen – doch vom Datenschutz aus betrachtet stieß dieser Vorschlag auf Bedenken. 3.6.3 Keine Zuständigkeitsüberschneidungen im Interesse des Datenschutzes In der doppelten Zuständigkeit des Counseling Department und des Gerichts sah Munk die Schnittstelle für den Datenschutz. Auf der einen Seite neigten die Richter dazu, alle Informationen, auch die vertraulichen, die sie von dem Counselor erhalten 363 Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 76, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526. 364 “He is able to give the judge a more complete and impartial picture of the extent of marital disharmony and the reasons for it, so that he is no longer blind folded by the attorneys who ‘stage’ the divorce trial.” In: Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 77, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526. 365 Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 77, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526. Hervorhebung nicht im Original.
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würden, in ihre Entscheidung einfließen zu lassen. Zum anderen allerdings vermieden es die Gerichte, vertrauliche Informationen zur Basis ihrer Entscheidungen zu machen, wenn diese nicht mit den Anwälten zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht werden könnten.366 Im amerikanischen Recht gäbe es ein Prinzip, dass niemand gezwungen werden könne, gegen sich selbst Zeugnis abzulegen. Unter Hinweis auf dieses Prinzip könnten die Informationen, die gegenüber dem Counselor offenbart würden, nicht dem Richter offenbart werden. Die Gerichte würden ihre Aufgabe nur dann richtig wahrnehmen, wenn sie ihre Tätigkeit familienerhaltend begreifen und ergreifen würden.367 Sie könnten Beratungsabteilungen für eine ehe liche Versöhnung freihalten von rechtlichen Erörterungen.368 3.6.4 Erziehungsberatungsstellen Wenn die Paare mehr benötigten als Mediation, stünde eine Vielzahl der „children agencies“ oder anderer medizinischer und psychologischer Einrichtungen zur Verfügung. 3.6.5 Munks Schlusswort Munk stellte fest, dass nur dann eine Bresche in die Scheidung geschlagen werden könne, wenn der Scheidung die Mediation und die medizinische, psychologische und soziale Behandlung als eheerhaltende Prophylaxe regelmäßig vorgeschaltet sei. Auch in den Fällen, die zunächst als rettungslos verloren gelten würden.369 Die Vorbehalte der Klienten, sich an einen unbekannten Helfer wie den Counselor zu wenden, könnten überwunden werden. Zugleich mahnte sie: Auch wenn zunächst nur den Ehepartnern geholfen werden könne, die sich an den Counselor wandten, so dürfe nicht vergessen werden, dass Counseling noch ein zu neues Aufgabenfeld 366 Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 77, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526. 367 “[…] preservation of the family.” In: Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: S urvey, March 1946, p. 75 – 77, p. 77, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526. 368 “[…] legalistic shackles.” In: Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 77, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526. 369 “We shall put brakes on divorces only if we adopt the rule that no divorce should be granted before mediation and preventive treatment has been attempted, except in those cases which are obviously beyond salvation.” In: Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 77, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526.
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und Beratungsangebot sei.370 Mehr Akzeptanz des Counselor Service könne nur durch die Information der Öffentlichkeit erreicht werden, meinte Munk, bis diese Form der Beratung die gleiche Normalität gewinne wie der Gang zum Arzt. Für eine Verbindung mit allen übrigen Services in der Gemeinde und in der Region setzte sie auf ein sogenanntes Zentrum für Lebensführung. („Life Adjustment Center“).371 Die Erfahrungen der bisher in Los Angeles, New York und in anderen Städten eingerichteten Centers ließen keinen Zweifel daran, dass sie wichtige Bedingungen dafür sein würden, dass eine gedeihliche Entwicklung nachfolgender Generationen 372 unterstützt würde. Insbesondere nach den Kriegsereignissen und nach der Rückkehr der Kriegs teilnehmer seien diese Einrichtungen besonders notwendig: Nicht sozialisierte Familien trügen zur Jugendkriminalität und zu einer fehlenden sozialen Integra tion der nächsten Generationen bei,373 schloss Munk ihren Aufsatz: ein sozialphilosophisches Statement. Bei dieser interdisziplinären Aufarbeitung familiärer und sozialer Konflikte verwundert es nicht, dass sie sich auch der Rezension psychoanalytischer Schriften annahm.
4. Rezension zu Edmund Berglers „Unhappy Marriage and Divorce“ (Dezember 1946) Edmund Bergler hatte unter dem Titel „Unhappy Marriage and Divorce“ die unaufgeklärten psychologischen Konflikte aus der Kindheit als Ursache für unglückliche Ehen herausgearbeitet. Marie Munk erinnerte daran, dass es höchste Zeit sei, sich den wahren Gründen ehelicher Konflikte zu widmen. Sie verband 370 “Since we can help only those who are willing to accept our help, we must recognize the fact that family counseling as a service for all groups of people is a new field. “ In: Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 77, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526. 371 Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 77, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526. 372 “[…] our children are to grow up in happy homes.” In: Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 77, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526. 373 “Disintegrated families add to problems of delinquency and to the maladjustment of the next generation.” In: Marie Munk, Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 77, p. 77, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9, Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526.
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ihre lobenden Hinweise über das englische System der Marriage Clinics mit der Kritik, dass Dr. Bergler den Bogen überspanne, wenn er einfordere, dass beide Ehegatten sich vor dem gerichtlichen Verfahren einer psychiatrischen Behandlung unterziehen sollten; insbesondere dann, wenn sie Kinder hätten.374 Munk bekräftigte: “It can hardly be maintained that all ill-mated marriages are entered into by ‘abnormal’ or ‘neurotic’ personalities and that the ‘average healthy person’ achieves marital adjustment ‘automatically’ and ‘need not be learned or taught’ and that ‘only the neurotic fails’ as Dr. Bergler would have us believe.”375 Gleichwohl gebe Bergler wichtige Anregungen für den Personenkreis, der mit Eheproblemen beruflich befasst sei. Diesem Personenkreis zeige Bergler die fachlichen Grenzen auf.376 Munk favorisierte eine Familienführung – nicht eine Behandlung der „kranken“ Familie.
5. “Re-Evaluate the American Family” (Nov. 1947) Der Aufsatz trug den Titel „Toward Success in Marriage“377 und erschien in „The Woman’s Press“. Eine überarbeitete Version 378 unter dem Titel „A New Approach toward Homemaking“ ist im Nachlass Munks erhalten geblieben. In dieser Veröffent lichung ging Munk den Gründen wachsender Unzufriedenheit unter verheirateten Müttern nach. Die zunehmend technisierte Haushaltsführung mache die Frauen zu Konsumenten, zugleich hätte die Mutter ständig für ihre Familie da zu sein. War die Frau vor der Verheiratung berufstätig, so habe sie nach der Heirat und als Mutter keine Zeit mehr für ihre eigene persönliche Entwicklung.
374 “Dr. Bergler, however, overshoots the mark by requiring that judges in the future shall not grant a divorce without asking as prerequisite for the proof that both candidates for divorce were treated psychiatrically, particularly if the couple has children.” In: Marie Munk, Unhappy Marriage and Divorce by Edmund Bergler, in: Book Reviews, in: Survey Midmonthly, December 1946, p. 337, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3526 und 3527. 375 Marie Munk, Unhappy Marriage and Divorce by Edmund Bergler, in: Book Reviews, in: Survey Midmonthly, December 1946, p. 337, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3527. 376 “[…] will be reminded of their limitations so as to refer clients to psychologists, psychiatrists, and psychoanalysts for special treatment.” In: Marie Munk, Unhappy Marriage and Divorce by Edmund Bergler, in: Book Reviews, in: Survey Midmonthly, December 1946, p. 337, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3527. 377 Marie Munk, Toward Success in Marriage, p. 21 – 22, in: The Woman’s Press, Nov. 1947, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3527. 378 Mit dem Titel, “A New Approach toward Homemaking”, 7-seitig ohne Angabe von Seitenzahlen, in: LAB B Rep 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3541 und 3542.
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Sei die Ehefrau berufstätig, empfände sie ihre zweifache Verantwortung als Belastung. Eben deshalb benötige sie die Unterstützung ihres Ehemannes. Aber mangelnde Vorbereitung beider Eltern auf die eheliche Verantwortung sei der zentrale Punkt für den Anstieg der Scheidungszahlen.379 Munk plädierte für eine Eheausbildung.380 Diese Ausbildung müsse ab der Grammar School bis in das universitäre Studium hinein angeboten werden. Den jungen Ehepaaren solle verdeut licht werden, dass Frau und Mann gemeinsam für das familiäre Glück und den wirtschaftlichen Erfolg der Ehe beitrügen.381 Deshalb forderte Munk Rechtsreformen für die Staaten Louisiana, Texas, New Mexico, Arizona, California, Nevada, Idaho und Washington ein. Zwar werde in diesen amerikanischen Bundesstaaten die Frau an dem während der Ehe erwirtschafteten Gewinn beteiligt. Allerdings erhalte sie die Verfügungsgewalt über ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen und über ihr während der Ehe erzieltes Einkommen gerade nicht. Oklahoma sei der einzige Bundesstaat, der beiden Ehegatten die freie Verfügung über ihr Vermögen und Einkommen rechtlich festschreibe. Die Ehefrau müsse am wirtschaftlichen Erfolg beteiligt werden.382 Es dürfe jedoch nicht vergessen werden, dass die Bedingungen für Teilzeitarbeit die Kräfte der Frauen physisch und psychisch ganz erforderten. Viel tief greifender, als es bei technischen oder finanziellen Fragen der Fall sei. Deshalb forderte Marie Munk für die Gesundheitsversorgung der Kinder kommunale Verantwortung ein.383 Diese kommunale Verantwortung sei nicht nur bei den 379 “[…] her and her husband’s lack of training for marital responsibilities.” In: Marie Munk, Toward Success in Marriage, p. 21 – 22, p. 21, in: The Woman’s Press, Nov. 1947, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3527. 380 Marie Munk, Toward Success in Marriage, p. 21 – 22, p. 21, in: The Woman’s Press, Nov. 1947, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3527. 381 “[…] that the wife makes intangible contributions to her family’s happiness and well-being, and that in the average American family savings depend equally on the husband’s earnings and the wife’s ability to spend the family dollar wisely.” In: Marie Munk, Toward Success in Marriage, p. 21 – 22, p. 21, in: The Woman’s Press, Nov. 1947, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3527. 382 “[…] that women should take the lead in advocating the wife’s right to share in the financial success of marriage, as well as in obtaining uniform marriage and divorce laws.” In: Marie Munk, Toward Success in Marriage, p. 21 – 22, p. 22, in: The Woman’s Press, Nov. 1947, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3527. 383 “The welfare and protection of children are community responsibilities.” In: Marie Munk, Toward Success in Marriage, p. 21 – 22, p. 22, in: The Woman’s Press, Nov. 1947, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3527.
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Kindergärten, sondern auch in der Nachbarschaft zu sehen. Sie umfasse auch die Essensversorgung der Familien, während die Frau arbeite.384 Gerade während eines sozioökonomischen Wandels und wenn sich sittliche gesellschaftliche Vorstellungen änderten, sei die amerikanische Familie zugleich ein zeitloses Bildungsproblem: “The American family is going through a period of transition as a result of changing social morals and economic conditions. We shall preserve its values only if we understand the signs
of the time by providing outlets for the creative energies of married women. Men must learn that
a wife, who has found adequate emotional and intellectual channels of expression, becomes a
better and more interesting companion in her ‘spare time’. Throughout our educational system
we must stress the spiritual values of marriage, of which homemaking is an essential part. Wives, themselves, must be impressed with these values before they can begin to fulfill and enjoy their responsibilities. If we begin now to evaluate family life in relation to all these factors, the family of the future, though it will differ greatly from that of a few generations ago, will provide 385
increasing means for individual growth.”
6. Fazit zu 3 bis 5 Mit ihrer Schrift „Putting the Brakes on Divorce“ führte Marie Munk der Öffent lichkeit nicht nur die Rechtszersplitterung im Scheidungsrecht vor Augen, sondern auch die Tatsache, dass die Verfahren und die Rolle der Gerichte diametral zueinander geregelt seien. Die hohe Zahl der Klagerücknahmen zeige, dass dem Ausein anderbrechen der Familien weniger durch ein gerichtliches Verfahren, denn durch Beratung und Begleitung durch einen Counseling Service abgeholfen werden könne. Mit diesem Vorschlag grenzte sich Marie Munk von der zu damaliger Zeit favori sierten Sichtweise einer psychiatrischen Behandlung von Eheproblemen ab, indem sie mit ihrem Schlagwort „Re-evaluate the American Family“ in dem Angebot einer Family Education von der Grammar School bis in die Universitäten hinein für die junge Generation ein Bildungsprogramm darüber einforderte, wie Ehe und Familie überhaupt von ihren Mitgliedern ausgestaltet werden können und ausgestaltet werden müssen. In d iesem Bildungskontext gedachte sie, die Rolle der Frau in den Vordergrund zu rücken, um in der jungen Generation den Keim der Diskriminierung zu eleminieren. 384 Marie Munk, Toward Success in Marriage, p. 21 – 22, p. 22, in: The Woman’s Press, Nov. 1947, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3527. 385 Marie Munk, Toward Success in Marriage, p. 21 – 22, p. 22, in: The Woman’s Press, Nov. 1947, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3527. Kursive Hervorhebungen nicht im Original.
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Dieses Bildungspostulat Marie Munks eröffnete eine neue Basis von Kulturverständnis. Rückblickend auf die Bedeutung der Rolle der Frau in der Familie für die nachwachsenden Generationen und für die Demokratie bleibt an dieser Stelle die Frage zurück, warum Deutschland als Einwanderungsland das Modell der „Family Education“ noch nicht aufgegriffen hat.
7. Do We Need Better Enoch Arden Laws? (Oktober 1948/September 1949) Munks Artikel knüpfte an die Oper „Enoch Arden“ oder „Der Möwenschrei“ von Ottmar Gerster an. Die Oper basiert auf der Ballade des englischen Dichters Alfred Tennyson und erlebte am 15. November 1936 seine Uraufführung in Düsseldorf. Sie umfasst vier Akte. 7.1 Die Oper „Enoch Arden“ oder „Der Möwenschrei“ Im ersten Akt sind der alte Kapitän Enoch Arden und seine wesentlich jüngere Frau Annemarie glücklich verheiratet und haben einen gemeinsamen Sohn. Als Enoch Arden seine letzte Reise antritt, beauftragt er seinen Freund Klas, für Annemarie und seinen Jungen zu sorgen. Enoch Arden kehrt jedoch zunächst von seiner Schiffsreise nicht zurück. Annemarie nimmt gemeinsam mit ihrem Sohn ihren Wohnsitz bei Klas, der sich rührend um den Sohn kümmert. Annemarie bleibt Enoch Arden treu. Zehn Jahre s päter wird eine Flaschenpost entdeckt, die über den Tod Enoch Ardens berichtet. Für Klas und Annemarie scheint der Weg für eine Hochzeit frei. Tatsächlich hat sich Enoch Arden aber auf eine Insel retten können und wird zufällig von einem vorbeifahrenden Schiff aufgenommen. Er kehrt nach Hause zurück und nimmt sich, weil er nunmehr für Annemarie und seinen Sohn nur noch ein Fremder ist, das Leben. Ähnliche Lebenssachverhalte ereigneten sich mit der Rückkehr der für tot Erklärten nach dem Zweiten Weltkrieg – ein schwerer familiärer Konflikt, der mithilfe des Rechts auf dem Rücken der Frau und ihren Kindern ausgetragen wurde. 7.2 The Massachusetts Statute Nach dem Massachusetts Statute, c. 207, Par. 6., konnte die Frau ein zweites Mal heiraten, wenn ihr erster Mann für tot erklärt wurde. Hierzu bedurfte es nach dem Massachusetts Statute ausschließlich amtlicher Indizien für ein Ableben des ersten Ehemannes und der Festsetzung eines Todeszeitpunkts durch eine Jury. Letztere zeichnete mit ihrer Entscheidung jedoch nur für die Zahlung von Pensionen verantwortlich. Zu den Indizien für den Tod eines Menschen gehörte zum Beispiel die Nachricht des Militärs über erfolglose Nachforschungen, die
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nach derzeitigem Stand nur den Schluss zuließen, der erste Ehemann sei bei Kampfhandlungen umgekommen. Zusätzlich musste eine Frist von sieben oder mehr Jahren verstrichen sein, bis die „Witwe“ eine zweite Ehe eingehen konnte. Stellte sich jedoch heraus, dass der erste Ehemann überlebt hatte, war die erste Ehe nicht aufgehoben. Die Frau lebte in Bigamie und ihre Kinder aus zweiter Ehe galten als nichtehelich. Für den Fall, dass der erste Ehemann den zweiten Ehemann gar überlebte, hatten weder die Frau noch ihre Kinder aus zweiter Ehe einen Anspruch auf einen Vermögensanteil aus dieser verwandtschaftlichen Beziehung. Die zweite Heirat war nur dann rechtsgültig, wenn die Frau das eheliche Zusammenleben mit dem zweiten Mann nach dem Tod des ersten Mannes fortsetzte. Der Grund lag darin, dass die Jury den Todeszeitpunkt nur für die Pensionszahlung festgesetzt hatte. Diese Festsetzung konnte aber keine rechtliche Wirkung auf die Todesursache haben oder gar einer Scheidung gleichkommen. Es lagen ja keine Scheidungsgründe vor. Weder hatte der erste Mann seine Frau böslich verlassen, noch bestimmte das Recht des Staates Massachusetts, dass in derartigen Fällen eine Trennung beider Ehepartner anzunehmen war. Darüber hinaus gab es nach dem Recht des Staates Massachusetts weder ein Verfahren, in dem in diesen Fällen der rechtliche Todeszeitpunkt festgestellt werden konnte, noch wurde die erste Ehe rechtsgültig aufgelöst.386 Munk schilderte ein Verfahren zur Annullierung der ersten Ehe vor dem South Carolina Court, das der zweite Ehemann angestrengt hatte. In d iesem Verfahren ging es um ein erhebliches Ehevermögen. Das Gericht entschied, dass die Eheschließung z wischen der Frau und ihrem zweiten Mann keine andere Rechtserklärung beinhalte, als dass die Eheschließenden zu Mann und Frau erklärt würden.387 Dies berge das Risiko, dass die zweite Eheschließung als rechtsungültig angesehen werde, wenn bekannt werde, dass zum Zeitpunkt der zweiten Eheschließung der erste Ehemann noch lebte,388 konstatierte Marie Munk. 386 Marie Munk, Do We Need Better Enoch Arden Laws?, in: The Bar Bulletin, Vol. 19, No. 9, October 1948, p. 270 – 274, p. 270 – 271, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 387 Marie Munk, Do We Need Better Enoch Arden Laws?, in: The Bar Bulletin, Vol. 19, No. 9, October 1948, p. 270 – 274, p. 271 – 272, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 388 “[…] but all this must be the risk that, if it turns out that the first spouse was alive at the time the second marriage was undertaken[…] then the second will be void, and all supposed rights acquired under it will fall to the ground.” In: Marie Munk, Do We Need Better Enoch Arden Laws?, in: The Bar Bulletin, Vol. 19, No. 9, October 1948, p. 270 – 274, p. 272, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528.
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Das Gericht hob hervor, dass der Versuch, sich vom Eheband zu befreien, von der Klägerin ausgegangen sei.389 Zudem bemerkte das Gericht kritisch: In South Carolina sei es erlaubt, dass ein verlassener Ehepartner eine weitere Heirat mit dem Risiko der Annullierung eingehe.390 7.3 Munks Forderungen In einem Rechtsvergleich zwischen dem deutschen, dem britischen und dem schweizerischen Recht wollte Munk zum Nachdenken anregen.391 Das schweizerische Recht von 1907 erlaube die Todeserklärung, wenn hinreichende Indizien für einen Tod des Ehepartners vorlägen. Diese Todeserklärung käme in seinen Rechtswirkungen dem nachgewiesenen Tode gleich. Sei der Tod nicht ganz sicher, käme es zu der Feststellung „vanished“392 (nicht existent, wie durch Tod aufgelöst). Während dieses Status könne der überlebende Ehegatte wieder heiraten, wenn die erste Ehe in einem hierfür vorgehaltenen Verfahren für aufgelöst erklärt worden sei. Deshalb könne nach einer Rückkehr des ersten Ehemannes die zuerst geschlossene Heirat mit ihren Rechtswirkungen nicht neu aufleben. Erst eine Annullierung der zweiten Ehe sei für den Fall ermöglicht, dass die Frau wusste, dass der erste Ehemann nicht verstorben war. Gleiches Recht gelte nach dem Matrimonial Act of 1937 in England. Auch Deutschland ließ nach dem Alliierten-Kontrollratsgesetz vom 28. Februar/1. März 1946 die zweite Ehe bestehen. Es sei denn, beide Ehepartner wären bösgläubig die Ehe eingegangen. Die erste Ehe würde durch die zweite Ehe aufgelöst. Die zweite Ehe könne nur durch die Annullierung der Todeserklärung aufgelöst werden. Der „überlebende“ Ehepartner müsse nach Rückkehr des für Tod erklärten Ehepartners 389 “[…] the attempt to be relieved from the marriage tie comes with ill grace from the plaintiff.” In: Marie Munk, Do We Need Better Enoch Arden Laws?, in: The Bar Bulletin, Vol. 19, No. 9, October 1948, p. 270 – 274, p. 272, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 390 Marie Munk, Do We Need Better Enoch Arden Laws?, in: The Bar Bulletin, Vol. 19, No. 9, October 1948, p. 270 – 274, p. 272, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 391 Marie Munk, Do We Need Better Enoch Arden Laws?, in: The Bar Bulletin, Vol. 19, No. 9, October 1948, p. 270 – 274, p. 274, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 392 Marie Munk, Do We Need Better Enoch Arden Laws?, in: The Bar Bulletin, Vol. 19, No. 9, October 1948, p. 270 – 274, p. 272 – 273, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528.
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um die Annullierung der zweiten Ehe klagen, damit er anschließend eine Wiederheirat mit dem ersten Ehepartner vollziehen könne.393 Es sei gesellschaftlich notwendig, den Kindern in Kriegszeiten eine zufriedenstellende Beziehung zu einem guten Stiefvater oder zu einer liebevollen Stiefmutter zu ermöglichen,394 schloss Munk ihre Ausführungen, die sie in einer anderen Zeitschrift zwei Jahre s päter wiederholte.395 7.4 Fazit Mit d iesem Aufsatz machte Marie Munk auf eine Lücke im amerikanischen Recht aufmerksam, die ein Auseinanderbrechen von Familien nach sich ziehen und insbesondere für Kinder in Kriegs- und Nachkriegszeiten fatale s oziale Folgen haben konnte. Ziel dieses Aufsatzes Marie Munks war aber auch, darauf hinzuweisen, dass Kriegskinder des Rückhalts in einer Familie bedurften.
8. Das Projekt „Elements of Love and Marriage“ (1945 – 1954) Dieses ca. 500 Seiten umfassende Buchprojekt 396 hatte Marie Munk nach ihrem Wohnsitzwechsel nach Massachusetts im Herbst 1945 begonnen.397 Schon früh zeigten sich Verlagsagenten an ihren ersten Arbeiten zu d iesem Manuskript interessiert.398 Das Manuskript ist teilweise überarbeitet worden, aber unvollständig 393 Marie Munk, Do We Need Better Enoch Arden Laws?, in: The Bar Bulletin, Vol. 19, No. 9, October 1948, p. 270 – 274, p. 273, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 394 “It lies in the interests of society that they give and find satisfaction in a new marital rela tionship in which their children enjoy the care and affection of a good stepfather or of a loving stepmother.” In: Marie Munk, Do We Need Better Enoch Arden Laws?, in: The Bar Bulletin, Vol. 19, No. 9, October 1948, p. 270 – 274, p. 274, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 395 Marie Munk, Do We Need Better Enoch Arden Laws?, in: „The Double Tau-Iota Tau Tau“, International Legal Sorority, September 1949, p. 20 – 23, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 396 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11, Folder 1 – 7. 397 Part II Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 17 Engagement and Breach of Promise, p. 1 – 8, p. 1 in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 1 – 7. 398 “We also were interested in the possibilities of the book on love, marriage and divorce which you sketched, but we would have to know a little more about your plans for this, and we’d
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erhalten geblieben.399 Für den Appendix verwendete sie umfassendes Material vom Clerk of the Senate.400 Munk arbeitete in der Widener Library of Harvard.401 Sie benötigte sprachliche Weiterbildung, schreibtechnische Hilfe und eine Korrektur assistenz, die sie jedoch nur vorübergehend fand. Ihre Arbeit an dem Manuskript kam jedoch nur langsam voran.402 8.1 Ziele und Zielgruppe des Manuskripts Zielgruppe des zukünftigen Buches sollten Ehepaare sein.403 Weder durch Selbstgefälligkeit noch Rechtsänderungen und schon gar nicht durch ein strengeres Scheidungsrecht, aber durch Methoden, die das Übel an der Wurzel packten, würde die Gefahr für ein demokratisches Leben gebannt.404 Munk plante, in ihrem Buch herauszuarbeiten, wie Beratung auf die psychologischen, soziologischen, bildungsmäßigen Zusammenhänge, die rechtlichen Phasen der Ehe und deren Interaktionen wirke, um eheliche suggest that you write a few chapters and make up a good outline for the book could surely be sold on the basis of this material.” In: Schreiben von Anita Diamant an Marie Munk, October 16, 1945, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 9. 399 Es finden sich Teile der ersten Kapitel des Parts II nochmals am Ende des Parts II. Die handschriftlichen Hinweise und Einfügungen sind zahlreich, manchmal unübersichtlich, gelegentlich auch unvollständig. Der Appendix (Part V), der nach dem Inhaltsverzeichnis aus Tabellen und einer Bibliografie bestehen sollte, fehlt ganz. 400 Schreiben Marie Munks an Clark of the Senate, June 21, 1948, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 5. 401 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge Mass., My New Home, S. 4. 402 “My work on the book ‘Elements of Love and Marriage’ is progressing slowly. I have been fortunate in securing a ‘secretary’ who helped me with reviewing and editing, but after she left Cambridge it was difficult to find a capable successor. My style improved considerably through their help, and through a course in Advanced English Composition, which I took last year, and in which I enrolled again at Harvard University. It also gives me satisfaction that as a Massachusetts Attorney I can assist occasional clients.” In: Dear-Friend-Brief aus dem Jahre 1947, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 16. 403 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 16. Marriage and Citizenship p. 1 – 6, p. 5 – 6, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 1 – 7. 404 “Neither by complacency nor by legal changes – such as more stringent divorce laws – but by methods which attack the evil at its source, shall we change the dangerous trend which threatens our democratic way of life.” In: Introduction, p. 1 – 5, p. 1, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 1 – 7.
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Uneinigkeit zu hindern.405 Diese breite Buchkonzeption barg mannigfaltige Schwierigkeiten. Das verdeutlichte Max Rheinstein gegenüber der Guggenheim Foundation: Vor einigen Jahren habe er eine Druckvorlage, sozusagen einen ersten Entwurf ihres Buches, anlässlich ihrer Bewerbung für ein Forschungsstipendium gesehen. Das Buch sollte sich mit den rechtlichen, psychologischen, wirtschaftlichen und moralischen Problemen der Ehe auseinandersetzen und war für gebildete Laien und Sozialarbeiter bestimmt. Die Nachfrage nach solchen Büchern sei groß, bereits einige seien in der Vergangenheit veröffentlicht worden. Viele dienten als Grundlage für Ehe-Tests in Weiterbildungskursen. Er, Max Rheinstein, sei nicht allzu vertraut mit dieser Art von Literatur; aber was er sagen könne, sei, dass nur wenige Publikationen überzeugend s eien. Die gewählte Thematik sei außergewöhnlich schwer. Es erfordere ein vollständiges Vertrautsein mit den Problemen, mit den Regeln des Rechts, wie es in den Gesetzen geregelt und wie es in der Praxis angewandt werde. Hinzu käme, dass der Autor die seltene Gabe besitzen müsse, eine populäre Darstellung zu wählen, ohne ungenau zu werden und ohne Gefahr zu laufen, Halbwahrheiten zu verbreiten. Die Druckvorlage von Marie Munk, die er vor einigen Jahren gesehen habe, erfülle diese Anforderungen nicht in Gänze. Marie Munks Aussagen zu den rechtlichen Regelungen wären nicht falsch, aber auch nicht ganz korrekt. Er sei davon überzeugt, dass Marie Munk in der Überarbeitung ihres Buches dieses Problem angehen würde.406 Munk riet er nur frühzeitig, ihre Kapitel über 405 “Contrary most writers who concentrate on one specific aspect of family life, this author intends to stress the interrelationships and interaction of the psychological, sociological, educational, and legal phases of marriage, together with the possibilities for the prevention of marital discord through individual counseling.” In: Introduction, p. 1 – 5, p. 3, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 11 Folder 1 – 7. Hervorhebung nicht im Original. 406 “Several years ago, I saw a manuscript of hers, which obviously constituted a first draft of the book described in her fellowship application. That book is meant as a discussion of the legal, psychological, economic and moral problems of marriage for educated lay people, especially women, and apparently also for social workers. The need for books of this kind is acute, and for that very reason, a considerable number of such books have been published in recent years. Quite a few of them are meant, and actually used, as texts for college courses on marriage. I am not too familiar with the type of literature, but I have the general impression that few, if any, of these existing books are entirely satisfactory. The task is unusually difficult. It requires complete familiarity with the problems, the resources available for their adjustment, and the rules of law both as it appears on the books and as it is actually applied in practice. Furthermore, the author must have the rare gift of popular presentation without incurring the fault of inaccuracy or misleading half-truth. The manuscript of Dr. Munk, which I read some years ago, did not entirely fulfill these requirements. It was obvious that it was written by an expert who knows the field and is concerious of his responsibility, but the legal statements, at least, while never incorrect, were in many places not entirely either. I took occasion to point out this trait to Dr. Munk and I am convince, that in re-writing her book, she has been and will
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das amerikanische Recht von einem Spezialisten durchsehen zu lassen.407 Gleichwohl ist Munk die Kritik Rheinsteins nicht verborgen geblieben. In ihrem Jahresrundbrief an ihre Bekannten und Freunde im Dezember 1949 schrieb sie, dass sie ihr Manuskript nicht fertigstellen könne, weil ihr die finanziellen Mittel für eine Assistenz und einen Verlag fehlen würden. Sie fühle sich „schuldig“ daran, dass etwas nicht fertiggestellt würde, was dringend fertiggestellt werden müsse.408 Auf eine entgeltliche Beschäftigung angewiesen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, fand Munk nur eine stundenweise und tageweise Beschäftigung, damit ihre Arbeit an ihrem Buch angemessen voranschreiten könne.409 Gleichwohl hinderten ihre (Neben-)Beschäftigungen ihre wissenschaftliche Arbeit.410 Es ist gut, an dieser Stelle einen Blick auf die Entstehung der Schrift zu werfen. 8.2 Entstehung des Manuskripts Das Manuskript „Elements of Love and Marriage“ wurde durch Dr. Emil von Hofmannsthal, später Professor für Soziologie und Rechtsberater (New York), initi iert. Munk begegnete ihm während des International Congress of Business and Professional Women in Wien. Der Kontakt blieb auch noch nach der Emigration beider erhalten. continue to be aware of the problem.” In: Schreiben von Max Rheinstein an die Guggenheim Foundation vom 19. November 1948, in: Max Rheinstein Papers, Special Collections Research Center, University of Chicago, IL, Box 36 Folder 4. 407 “Before completion of the manuscript, I think you should have all legal chapters gone over carefully by a specialist in family law.” In: Schreiben von Max Rheinstein an Marie Munk, February 4, 1949, in: Max Rheinstein Papers, Special Collections Research Center, University of Chicago, IL, Box 36 Folder 4. 408 “My manuscript ‘Elements of Love and Marriage’ is not yet completed. Nor did I secure a publisher. It will not be saleable unless the book is cut to less than one-half of its present size. Shall I be able to accomplish this tedious and difficult task without a ghost-writer? And how can I raise the funds for the necessary assistance? My slow progress is in part due to the fact that I have been without clerical assistance for many months. Each passing day leaves me with a feeling of guilt because I did not accomplish what needed to be done.” In: Dear- Friend-Brief, December 1949, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 1. 409 “[…] the only kind which I can possibly accept if I want to complete the book before long. I need not only time for writing, but also for research. I spend many hours almost daily at the Harvard Law School which is – fortunately – at less than ten minutes walking distance from my home.” In: Dear-Friend-Brief, November 26, 1948, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 410 “These slowed down my project. I had become almost out-of-date when I first submitted it to a prospective publisher.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge Massachusetts, My New Home, S. 4 – 5.
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Er übersandte Munk die Publikation „The Natural History of Marriage“ (1925), und ihrem Vorwort zufolge gab Hofmannsthal den entscheidenden Anstoß: “Instead, this pamphlet has the impetus to our agreement of collaboration on a book ‘The Elements of Love and Marriage’. I shall always remain indebted to Dr. von Hofmannsthal for his inspiration in conceiving the project, for his philosophy which has guided my thinking, for his encouragement, his sustained interest and innumerable valuable suggestions.”411 Hofmannsthal war für Munk Vater des Manuskripts 412 und Max Rheinstein bezeichnete Marie Munk als „sponsor or godfather“ dieses Buchprojekts.413 8.3 Inhalt des Manuskripts Die hohe Scheidungsrate in den Jahren 1940 bis 1945 (65 Prozent der Ehen) begründete sie einleitend mit der veränderten Rolle der Frau und der Familie. Die patriarchale Familienstruktur verschwinde und technische Neuerungen hielten Einzug in das alltägliche Leben, sodass die Familie ihre früheren Funktionen verlöre. In diesem neuen Lebensmuster schrumpfe die Familie zu nicht mehr als einer Unterkunft für Eltern und ihre Kinder, wo jeder seiner Beschäftigung und seinen Vorlieben nachginge und das Wohlergehen der Gruppe vernachlässige. Es sei nicht genügend, dass der Ehemann seine Ehefrau und seine Kinder unterhalte, aber seine Ehefrau nicht als einen gleichberechtigten Partner ansehe. Viele eheliche Probleme s eien ein Resultat der veränderten Rolle der Frau, die berufstätig Karriere mache, vor der Eheschließung wirtschaftlich unabhängig gewesen sei und ebenso besorgt wie der Ehemann sei, ein erfülltes Leben führen zu können. Eine Zeit lang fände sie Befriedigung in ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter. Andere Ehefrauen, unzureichend vorbereitet auf ihre Rolle als Ehefrau, Mutter und Hausfrau, würden unbefriedigt sein mit ihrer ehelichen Verantwortung.414 Munk formulierte vier Fragen. 411 Foreword, p. 1 – 2, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 412 Foreword, p. 2, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 413 Foreword, p. 2, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 414 “With the disappearance of the compact patriarchal family group and the technological changes in our daily life, the family has been deprived of numerous previous functions. With the new patterns of living, many homes have become little more than shelters for parents and children who follow their own pursuits without regard for the welfare of the group. […] It no longer suffices that a husband supports his wife and children, if he neglects to give full recognition to his wife as an individual and as his partner in marriage. Many marital difficulties result from the changed status of women who, having been trained for jobs and careers and having enjoyed economic independence before marriage, are as anxious as men to lead
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8.4 Die wesentlichen vier Fragen 1. Wie können wir ein tieferes geistiges Verständnis für die Ehe und ihre Verantwortung erreichen? 2. Wie können wir denjenigen, die beabsichtigen, zu heiraten, und Verlobten helfen, sich klug zu binden? Wie können wir Ehegatten helfen, ihre Partnerschaft harmonisch zu gestalten? Wie können wir Ehen durch schwierige Zeiten steuern, ohne dass diese Schiffbruch erleiden? 3. Sind Recht und Verfahren, welches wir umsetzen, förderlich oder schädlich für eine erfolgreiche Fortsetzung der Ehe? 4. Welcher Reformen, falls überhaupt, bedarf es für die Wiederherstellung und Erhaltung der Würde der Ehe, für eine erhöhte Sensibilisierung bezüglich der Ernsthaftigkeit von Trennung und Scheidung sowie für einen größeren Respekt gegenüber unseren Gerichten, welche sich dieses Problems annehmen?415 Die Antworten auf diese Fragen wurden aus der Sicht Munks durch die Ziele und Grenzen des Rechts bestimmt.
a ‘full’ life. While many still continue to find complete satisfaction as full-time homemakers in the family circle, others poorly equipped for roles as wives, mothers, and home managers, become dissatisfied with their marital responsibilities. They seek outlets for their energies, at least in part-time activities outside.” In: Introduction, p. 1 – 5, p. 2, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 415 “1. How can we bring about a deeper spiritual approach to marriage and its responsibilities? 2. How can we help those about to get married or become engaged, to mate wisely? How can we assist married couples to make their union more harmonious and meaningful? How can we pilot marriages through troubled waters and storms without shipwreck? 3. Are the laws and the procedures which we employ in domestic relations conducive or detrimental to the successful continuation of marriages? 4. What, if any, reforms are needed for the restoration and the preservation of the dignity of marriage, for a heightened awareness of the seriousness of separation and divorce, and for an increased respect for our courts which deal with these problems?” In: Introduction, p. 1 – 5, p. 4, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7.
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8.4.1 Die Grenzen und Ziele des Rechts für die wesentlichen vier Antworten Die Ziele und Grenzen des Rechts kämen darin zum Ausdruck, dass das Recht keine glückliche Ehe schaffen könne. Die Ziele des Rechts lägen in der Einheit der Familie. Unter dieser Prämisse müsse das Recht beurteilt werden.416 8.4.2 Die Einheit der Familie Die Einheit der Familie ruhe auf vier Säulen: “Love and successful marriage rest on physical, socio-economical, intellectual, and spiritual harmony. All four are interrelated.”417 Im Gegensatz führe die freie Liebe zur Nichtehelichkeit, die wiederum emotionale, wirtschaftliche und soziale Verhaltensstörungen der Partner und ihrer Kinder offenbare.418 Mit anderen Worten, die vier Elemente, die eine Ehe und Familie ausmachten, würden in der Nichtehelichkeit entbehrt. a. Gesundheit und eheliche Eintracht Die Hygiene sorge für eine physische und psychologische Harmonie in der Ehe.419 b. Sozioökonomische Einheit Die sozioökonomische Stellung der Familie in der Gesellschaft werde durch die berufstätige Hausfrau bestimmt. Ihre Leistung für die Familie mache Betreuungsangebote
416 “The best laws of domestic relations cannot and do not create happy marriages. […] [T]he aim of the laws of domestic relations lies in the protection and strengthening of the family unit. The evaluation of existing laws must be governed by this objective.” In: Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 13, Aim and Limitations of the Laws of Domestic Relations, p. 1 – 3, p. 1 – 2, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. Kursive Hervorhebungen nicht im Original. 417 Part I, The Ethical, Biological, Psychological, and Sociological Aspects of Love, Marriage, and Divorce, A. Marriage and Parenthood, Chapter 1. Elements of Love and Marriage, p. 1 – 7, p. 7, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 418 “Free love which often lead to illegitimate offering causes emotional, economics, and social maladjustments for the partners and for their children.” In: Part I, The Ethical, Biological, Psychological, and Sociological Aspects of Love, Marriage, and Divorce, A. Marriage and Parenthood, Chapter 7. Free Love and Illegitimacy, p. 1 – 9, p. 9, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 419 Part I, The Ethical, Biological, Psychological, and Sociological Aspects of Love, Marriage, and Divorce, A. Marriage and Parenthood, Chapter 2. Hygiene of Marriage, p. 1 – 12, p. 11 – 12, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7.
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für die Kinder und Halbtagsbeschäftigungen notwendig.420 Die gemeinsame familiäre Budgetplanung der Ehegatten und Kinder sei eine Grundbedingung sozio ökonomischer Familieneinheit.421 Gleiches forderte Munk für die Familienplanung mit und ohne Kinder 422, die Adoption bei kinderlosen Ehen 423 und für die Lebensplanung beider Partner.424 Marie Munk lotete diese vier Bedingungen von Ehe und Familie mithilfe der Ziele und Grenzen des Rechts aus. c. Ziele und Grenzen des Rechts für eine familiäre Einheit Die Divergenz zwischen den Bedingungen der sozialen Einheit der Familie („Family Unit“) und den Grenzen und Zielen des Rechts zeigte Munk an den ökonomischen und sozialen Folgen 425 im Scheidungsrecht auf. Für die Kinder Geschiedener verän 420 Part I, The Ethical, Biological, Psychological, and Sociological Aspects of Love, Marriage, and Divorce, A. Marriage and Parenthood, Chapter 3. Homemaking and Working Wives, p. 1 – 9, p. 8 – 9, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 421 “Agreement between husband and wife in the economic aspects of marriage and in the budgeting of the family income is essential for socio-economic marital harmony. […] The family budget should be planned jointly by husband, wife, children, whose cooperation will thereby be secured.” In: Part I, The Ethical, Biological, Psychological, and Sociological Aspects of Love, Marriage, and Divorce, A. Marriage and Parenthood, Chapter 4. Budgeting the Family Income, p. 1 – 12, p. 10, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. Kursive Hervorhebungen nicht im Original. 422 Part I, The Ethical, Biological, Psychological, and Sociological Aspects of Love, Marriage, and Divorce, A. Marriage and Parenthood, Chapter 5. Marital Problems Through the Coming of The First Child, p. 1 – 10, p. 10, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 423 Part I, The Ethical, Biological, Psychological, and Sociological Aspects of Love, Marriage, and Divorce, A. Marriage and Parenthood, Chapter 8. Childless Marriage and Adoption, p. 1 – 10, p. 10, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 424 Part I, The Ethical, Biological, Psychological, and Sociological Aspects of Love, Marriage, and Divorce, A. Marriage and Parenthood, Chapter 6. Problems of the Growing Family and the Empty Nest, p. 1 – 8, p. 8, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 425 “[P]hysical, spiritual, economic” effects “and social conditions.” In: Part I, The Ethical, Biological, Psychological, and Sociological Aspects of Love, Marriage, and Divorce, B. The Disintegration of the Family, Chapter 11. Problems of the Divorce, p. 1 – 5, p. 5, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7.
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derten sich die sozialen Beziehungen und ihr emotionaler Status stark.426 Das Recht nehme hierauf keine Rücksicht: “The ethics of divorce apply to the why, when, and how of the divorce.”427 Die Grenzen des Rechts lägen darin, dass das Recht kein ethischer Kodex sein könne. Es bringe moralische Vorstellungen der Menschen für eine bestimmte Zeit zum Ausdruck.428 Den Nachweis führte Munk mit dem Hinweis auf das in den amerikanischen Bundesstaaten höchst unterschiedliche Ehe- und Scheidungsrecht.429 Für das Heirats versprechen forderte Munk einen Vertrag und im Falle des Bruchs Schadenersatz.430 Die Annullierung von Ehen müsse die Rechtssituation des Partners, der auf den Bestand der Ehe vertraut habe, und die Rechtssituation der Kinder berücksichtigen. Eine Wartefrist bis zur Wiederheirat nach einer Scheidung verhindere nichtige Ehen.431 Im Community Property System partizipiere die Frau am wirtschaftlichen Gewinn der Ehe nicht. Alles in allem enthalte das jetzige Recht viele Vorzeichen für einen Ehe-„Krieg“432. Unter Berücksichtigung außer- und innerfamiliärer Bedingungen fielen Munks Antworten auf ihre vier Fragen wie folgt aus: 426 Part I, The Ethical, Biological, Psychological, and Sociological Aspects of Love, Marriage, and Divorce, B. The Disintegration of the Family, Chapter 12. Children of Divorced Parents, p. 1 – 8, p. 8, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 427 Part I, The Ethical, Biological, Psychological, and Sociological Aspects of Love, Marriage, and Divorce, B. The Disintegration of the Family, Chapter 10. The Ethics of Separation and Divorce, p. 1 – 11, p. 10, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 428 “While laws are not a code of ethics, they give expression to the ethical standards of a people at a given period.” In: Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 13. Aims and Limitations of The Laws of Domestic Relations, p. 1 – 3, p. 1, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 429 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 15. The Muddle of our Marriage and Divorce Laws, and the Movement for Uniform Laws, p. 1 – 10, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 430 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 17. Engagement and Breach of Promise, p. 1 – 8, p. 6 – 8, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 431 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 18. Marriage as a Status and as a contract, p. 1 – 4, p. 3, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 432 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 21. Mutual Obligations and Property Rights of Husband and Wife, p. 1 – 42, p. 41 – 42, in: Marie
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8.4.3 Munks Antwort auf die Frage: Wie können wir eine tieferes geistiges Verständnis für die Ehe und ihre Verantwortung erreichen? Verantwortung in der Familie rufe Verantwortung auch in der Gesellschaft hervor. Würden die Eigenverantwortung, die Verantwortung für die Familie und die sozialen Verpflichtungen verstärkt, wären dies Gütezeichen, auf dem unsere Demokratie beruhe.433 Hinderlich sei nur, dass die amerikanische Familienausbildung („Family Life Education“) gerade erst an ihrem Beginn stehe. Munk wiederholte ihren Aufruf zu mehr Bildung; um die Familie zu stabilisieren 434 bereits ab der Grammar School.435 Die Ausbildung für die Ehe und die Elternschaft 436 könne durch die beratende Funktion des Counselors gestärkt werden.437 8.4.4 Munks Antwort auf die Frage: Wie können wir denjenigen, die beabsichtigen zu heiraten, und Verlobten helfen, sich klug zu binden? Wie können wir Ehegatten helfen, ihre Partnerschaft harmonisch zu gestalten? Wie können wir Ehen durch schwierige Zeiten steuern, ohne dass diese Schiffbruch erleiden? Diese Frage beantwortete Munk mit den Worten: Gegenseitiges Eheglück werde nur erreicht, wenn Ehemann und Ehefrau zu selbstloser Liebe fähig seien, um den anderen Partner glücklich zu machen. Derjenige, der sein Glück mehr im Geben denn im Nehmen fände, bekomme mehr zurück, als er gegeben habe. Hingegen sei Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 433 “By strengthening an individual’s responsibility toward himself, his family and obligations toward society, qualities on which our democracy rests.” In: Part III, Society’s Efforts for the Stabilization of the Family, Chapter 30. Measures of Social Welfare, p. 1 – 9, p. 7, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 434 “[…] stabilization of family life.” In: Part III, Society’s Efforts for the Stabilization of the Family, Chapter 31. Education for Marriage and Parenthood, p. 1 – 9, p. 4, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 435 Part III, Society’s Efforts for the Stabilization of the Family, Chapter 31. Education for Marriage and Parenthood, p. 1 – 9, p. 5, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 436 Part III, Society’s Efforts for the Stabilization of the Family, Chapter 31. Education for Marriage and Parenthood, p. 1 – 9, p. 9, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 437 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 23. Parental Rights and Obligations, p. 1 – 16, p. 16, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7.
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Egozentrik die Ursache für unfreundliche Kritik, Quälereien, Herrschsucht, Eifersucht, Mangel an Zweisamkeit, Gefallen und Werben, unfreundlich übersteigertes Selbstwertgefühl eines der Partner und Desinteresse am ehelichen Zusammenleben. All dies seien die Fallstricke, die eine Heirat mit sich bringe.438 Das Interesse der Kinder bestimmte Munks Antwort auf die zweite Frage: Um den Zerfall der Familie und Verhaltensstörungen bei den Kindern zu verhüten, müssten Erziehungs- und Eheberatung vermittelt sowie vermehrt eine Ausbildung für die Ehe und die Elternschaft und Methoden der Mediation und der Schlichtung bei ernsthaften Kontroversen angeboten werden.439 Auf die dritte Frage wusste Munk den Rat: Um sich dem Problem der Scheidung zu nähern, müssten nicht nur die gesetzlichen Scheidungsgründe geändert werden, sondern das Scheidungsverfahrens mit einer Eheberatung und Eheausbildung verbunden werden.440 Eine vorübergehende Trennung sei im Scheidungsverfahren sinnvoll und wünschenswert, wenn sich die Eheleute in gegenseitiger Übereinkunft zu einer Trennungszeit entschließen würden. Dies sei ebenso förderlich während einer Phase, in der sich der Streit der Eheleute „abkühlen“ soll; während der Zeit, in der das Scheidungsverfahren noch anhängig, aber noch kein Urteil gesprochen worden sei, oder als Grundvoraussetzung
438 “Mutual marital happiness can be achieved only when husband and wife are motivated by unselfish love which seems to make the other partner happy. He, who finds happiness in giving rather than taking, receives ultimately more than he gives. Self-centeredness gives rise to unkind criticism, nagging, domineering, jealousy, lack of companionship, appreciation and courtship, unkind fullness of one’s own personal appearance and attractiveness, disinterest in the home and its functions, all of which are serious pitfalls of marriage.” In: Part IV, Conclusions, Chapter 33. Common Pitfalls of Marriage, Gleanings from a Counselor’s Notebook, p. 1 – 13, p. 13, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 439 “To prevent family disintegration, and maladjustment of children, we must provide child guidance and marriage counseling facilities, more adequate education for marriage and parenthood and methods for mediation and arbitration of serious controversies.” In: Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 23. Parental Rights and Obligations, p. 1 – 16, p. 16, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 440 “A constructive approach to the divorce problem requires not only, perhaps not even principally, a revision of statutory grounds, but of the entire divorce procedure in connection with marriage counseling and marriage education.” In: Part II, Legal Aspects Of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegration, Chapter 25, Grounds for Divorce, p. 1 – 56, p. 56, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7.
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für eine absolute Scheidung, jedes Mal, wenn eine Versöhnung im N achhinein zu erwarten sei.441 8.4.5 Munks Antwort auf die Frage: Sind Recht und Verfahren, welches wir umsetzen, förderlich oder schädlich für eine erfolgreiche Fortsetzung der Ehe? Die einzelnen deklinierten Gründe für eine Scheidung würden symptomatisch, aber nicht der wahre Grund für die zerstörte Ehe sein,442 konstatierte Marie Munk. Hinzu kämen weitere geschlechtsspezifische Auswirkungen, die ehezerstörend wirkten, je länger der Ehebruch als Straftat beibehalten werde. Zumal das Recht für den Tatbestand des Ehebruchs nicht zwischen Mann und Frau differenziere.443 Das Recht nehme bei einer strafrechtlichen Verurteilung eines Ehepartners den Eheleuten das Recht, über eine Fortsetzung ihrer Ehe nachzudenken, aus der Hand. In einigen amerikanischen Bundesstaaten gelte die Ehe „ipso facto“ als aufgelöst.444 Ähnlich verhielte es sich bei einer Scheidung wegen Trunksucht oder Impotenz. Hier müssten zukünftig medizinische und psychologische Behandlung mehr helfen als der Richterspruch.445 Gleiches gelte für die Geisteskrankheit eines Ehepartners.
441 “Limited divorce decrees are useful and desirable in the regulation of temporary rights during a separation by mutual agreement, during a cooling-off period, during the pendency of a divorce, or as a prerequisite for an absolute divorce whenever reconciliation may be expected.” In: Part II, Legal Aspects Of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegration, Chapter 26, Partial Divorce, Separation for Bed and Board, p. 1 – 9, p. 9, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 442 “[…] symptom rather than a cause.” In: Part II, Legal Aspects Of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegration, Chapter 25, Grounds for Divorce, p. 1 – 56, p. 11, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 443 “As long as we retain adultery as a criminal offense, the statutes should not differentiate between male and female offenders.” In: Part II, Legal Aspects Of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegration, Chapter 25, Grounds for Divorce, p. 1 – 56, p. 12, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 444 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 25, Grounds for Divorce, p. 1 – 56, p. 29, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 445 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 25, Grounds for Divorce, p. 1 – 56, p. 32 – 34, 38, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7.
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Zudem sei nicht die Tatsache der Geisteskrankheit entscheidend, sondern wie sich diese negativ auf die Ehe auswirke.446 In den amerikanischen Bundesstaaten fänden sich weitere 39, allerdings höchst unterschiedliche Gründe, die zu einem Antrag auf Scheidung berechtigen würden.447 Die Unterhaltspflichtverletzung würde ausschließlich als Scheidungsgrund und gerade nicht als wichtigste Bedingung familiärer Einheit im Recht geregelt.448 Diese einer erfolgreichen Ehe widersprechenden Rechtsmerkmale verstärkten sich im Scheidungsverfahren. Das Gericht blicke auf den Beweis, den die Prozessparteien vortragen würden. Es würde sich nicht auf die realen Gründe der ehelichen Uneinigkeit konzentrieren und das Gericht „verhöre“ den Beklagten, der sich nicht freiwillig im Zeugenstand befände.449 Abschließend stellte Munk fest, dass das gegenwärtige Scheidungsverfahren seiner Form entsprechend zur Scheidung ermutige. Genau genommen könne jedoch im gegenseitigen Einvernehmen die Ehe faktisch erhalten werden.450 Mit dem Schuldprinzip seien auch heute noch die Unterhaltsregelung und das Sorgerecht verknüpft.451 Nach einer Scheidung sei eine neue Eheschließung erst nach Ablauf einer Frist oder z wischen zwei schuldig Geschiedenen 446 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 25, Grounds for Divorce, p. 1 – 56, p. 44 – 45, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 447 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 25, Grounds for Divorce, p. 1 – 56, p. 48 – 50, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 448 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 25, Grounds for Divorce, p. 1 – 56, p. 40, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 449 “The court relies on the evidence produced by the parties and does not attempt to uncover the real causes of marital discord and to examine the defendant who does not take the witness stand on his own initiative.” In: Part II, Legal Aspects Of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegration, Chapter 27, Principles of Divorce Procedure, p. 1 – 28, p. 28, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 450 “Our present procedure is perfunctory and encourages divorces which are in actual fact obtained by mutual consent.” In: Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegration, Chapter 27, Principles of Divorce Procedure, p. 1 – 28, p. 28, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 451 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 28, Property and Parental Rights During and After Divorce, p. 1 – 12, p. 2 – 3,6, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7.
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gar nicht möglich.452 Darüber hinaus sei das Recht für die Eheschließung in den amerikanischen Bundesstaaten uneinheitlich. Die Form der Zeremonie, die altersmäßigen und gesundheitlichen Voraussetzungen und ihre Hinderungsgründe für eine Eheschließung s eien unterschiedlich und würden nicht gegenseitig anerkannt.453 Die Frau sei diskriminiert, weil das Common Law entgegen des Married Women’s Property Act die Verfügungsgewalt des Ehemannes favorisiere. Im Recht des Community Property System werde gewürdigt, dass die Hausfrau durch wohlüberlegte wirtschaftliche Entscheidungen zum wirtschaftlichen Gewinn der Ehe beitrage.454 Diese Rechtslage habe auch Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben: Das Vermögen der Ehepaare bestünde zu einem größeren Teil aus beweglichem Vermögen. Dennoch hinderten die Common-Law-Rechtsinstitute „Dower“ und „Courtesy“ und das Community Property System die Eheleute an einer freien Vertragsgestaltung während der Ehe, weil ein Konsens beider Ehegatten den Verzicht des anderen Ehegatten auf seinen Anteil voraussetzen würde.455 Ehestreit werde ebenso vorprogrammiert im Sorgerecht: Die gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen, welche die Eltern-Kind-Beziehung regelten, spiegelten eine patriarchalische Einstellung wieder. Diese betonten die Eltern-Rechte mehr, als die Eltern-Pflichten gegenüber den Kindern. Die Regelungen räumten dem Vater mehr Autorität ein als der M utter. Jüngste gesetzliche Bestimmungen und Gerichtsentscheidungen ersuchten, die Rechte des Vaters und der Mutter auszugleichen und die Rechte der Kinder gegenüber ihren Eltern stärker zu betonen.456 Das amerikanische Gesundheitswesen sehe 452 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 28, Property and Parental Rights During and After Divorce, p. 1 – 12, p. 11, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 453 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 19. The Solemnization of Marriage, p. 1 – 4; Chapter 20, Legal Qualifications for Marriage, Marriage Impediments, p. 1 – 29, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 454 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 21. Mutual Obligations and Property Rights of Husband and Wife, p. 1 – 42, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 455 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 22. Rights of Survivorship, Dower and Courtesy, p. 1 – 7, p. 7, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 4 56 “Our present laws which govern with the parent-child relationship reflect the patriarchal approach. They stress parental rights rather than obligations; they give greater authority to the father than to the mother. Recent statutes and court decisions tend, however, to equalize the rights of father and mother and to place a greater emphasis on the rights of children toward
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medizinische und psychologische Beratungs- und Präventionsleistungen sowie eine auskömmliche gesundheitliche Versorgung auch einkommensschwacher Familien nicht vor. Ein gesellschaftliches Desaster, weil diese Leistungen zuvorderst privaten Initiativen überlassen würden.457 8.4.6 Die Antwort Munks auf die Frage: Welcher Reformen, falls überhaupt, bedarf es für die Wiederherstellung und Erhaltung der Würde der Ehe, für eine erhöhte Sensibilisierung bezüglich der Ernsthaftigkeit von Trennung und Scheidung sowie für einen größeren Respekt gegenüber unseren Gerichten, welche sich dieses Problems annehmen? Marie Munk forderte den Leser ihres Manuskripts zu einer anderen Sichtweise und zum Nachdenken auf: Tiefgreifende Veränderungen wären erforderlich, bis wir anerkennen könnten, dass Schuld selten nur bei einem Ehegatten vorhanden sei, weil einer geschwächten ehelichen Beziehung, welche aufgelöst werden solle, eine tiefe und andauernde Entfremdung der Ehegatten vorausgehe.458 Marie Munk beschrieb den folgenden Schritt: Gesetzliche Bestimmungen und Präzedenzfälle behandelten die Wirkungen der Scheidung lediglich als Begleiterscheinung. Die Scheidungsfolgen müssten aber im Lichte veränderter sozioökonomischer Bedingungen der Ehefrau betrachtet werden und man habe die tiefer liegenden Gründe für den ehelichen Misserfolg verstehen zu lernen.459 Das Recht habe gemeinsame Mindeststandards in den amerikanischen Bundesstaaten, gegenseitige Anerkennung their parents.” In: Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 23. Parental Rights and Obligations, p. 1 – 16, p. 15, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 457 Part III, Society’s Efforts for the Stabilization of the Family, Chapter 30. Measures of Social Welfare, p. 1 – 9, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 458 “Fundamental changes will be required if we adopt the philosophy that guilt and blame are rarely one-sided in a faltering marriage which should be dissolved when the estrangement has become deep and permanent.” In: Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegration, Chapter 28, Property and Parental Rights During and After Divorce, p. 1 – 12, p. 12, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 459 “Statutes and precedents which deal with the concomitant after effects of divorce must be revaluated in the light of changed economic conditions of married women and of our insight into the underlying causes of marital failure.” In: Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegration, Chapter 28, Property and Parental Rights During and After Divorce, p. 1 – 12, p. 9, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7.
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der Eheschließungen und Scheidungen zu schaffen. Dem folge der letzte und große Schritt: eine Rechtsvereinheitlichung (Uniform Law).460 Die unterschiedlichen Bestimmungen über die Ehescheidung und vorübergehende Trennung in den amerikanischen Bundesstaaten müssten mit Blick auf eine zukünftige Vereinheitlichung beraten werden.461 Die Unterhaltspflicht müsse gesetzlich geregelt werden.462 Die Frau müsse an dem während der Ehe erzielten Gewinn partizipieren können.463 Nach einer Scheidung könne dies durch Vertrag oder durch eine Entscheidung des Gerichts erfolgen.464 Das Rechtsverhältnis der Eltern zu den Kindern müsse zukünftig dem Prinzip elterlicher Verantwortung 465 folgen. Eltern, die sich bei Meinungsverschiedenheiten nicht einigen könnten, müsste ermöglicht werden, ihre Meinungsverschiedenheit zur Schlichtung einzureichen.466 Munk trat für einvernehmliche Regelungen über das Sorgerecht und die elterliche Gewalt der Eheleute während eines und nach einem Scheidungsverfahren 460 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 15. The Muddle of our Marriage and Divorce Laws, and the Movement for Uniform Laws, p. 1 – 10, p. 8 – 9, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 461 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 24, The Legal Approach Toward Divorce, p. 1 – 7, p. 7, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 462 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 25, Grounds for Divorce, p. 1 – 56, p. 40, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 463 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 28, Property and Parental Rights During and After Divorce, p. 1 – 12, p. 9, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. Hervorhebung nicht im Original. 464 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 28, Property and Parental Rights During and After Divorce, p. 1 – 12, p. 11, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 465 “[…] parental authority.” In: Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 23. Parental Rights and Obligations, p. 1 – 16, p. 13, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 466 “Parents who are unable to reach a compromise should be given the opportunity to submit their controversy for arbitration.” In: Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 23. Parental Rights and Obligations, p. 1 – 16, p. 13, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7.
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ein.467 Einer erneuten Heirat beider geschiedener Partner dürfe nichts im Wege stehen.468 Für schwierige eheliche Situationen favorisierte Munk ähnlich dem schwedischen Recht aus dem Jahre 1920 eine Trennung von Tisch und Bett.469 Das Gericht solle zukünftig nicht nur ein neues soziales Gericht („a new socia lized Family Court“) sein, sondern diesem Gericht sollten Eheberatungs-Center („Marriage Consultation Centers“)470 beigeordnet sein. Diese Zentren sollten ausgestattet sein mit Sozialarbeitern, Ehe- und Familienberatern, Psychologen und Psychiatern. Bevor ein Eingriff in die Ehe, wie eine Scheidung oder Trennung, beantragt werde, müssten eine Versöhnung und Führung versucht worden sein. Wir täten gut daran, für die Fälle, in denen die Mediation erfolglos verlaufen sei, eine gerichtliche Schlichtungsstelle zu etablieren. Diese Schlichtungsstelle könne aus zwei Laienrichtern geführt werden, w elche dem Familienrichter beigeordnet sind. Ein Richter dieser Laienrichter habe weiblichen Geschlechts zu sein.471 Die Rolle dieser gerichtlichen Schlichtungsstelle könne durch den Counseling Service
467 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 28, Property and Parental Rights During and After Divorce, p. 1 – 12, p. 10, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 468 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 28, Property and Parental Rights During and After Divorce, p. 1 – 12, p. 10, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. Hervorhebung nicht im Original. 469 “[…] a preliminary judicial decree from bed and board.” In: Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegration, Chapter 25, Grounds for Divorce, p. 1 – 56, p. 53 – 54, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 470 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegra tion, Chapter 27, Principles of Divorce Procedure, p. 1 – 28, p. 28, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 471 “These should include social case workers, marriage and family counselors, psychologists, and psychiatrists. Before we apply the surgery of divorce and separation, we must attempt reconciliation and guidance. […] In addition, we may do well to establish a Court of Arbitra tion for the adjudication of cases in which mediation failed. This Court should consist of two lay judges and be presided over by the Family judge. At least one member should be a woman.” In: Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, B. The Legal Aspects of Family Disintegration, Chapter 29, The Family Court of the Future, p. 1 – 14, p. 13 – 14, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7.
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gestützt werden.472 Das Zentrum für Lebensführung („Life Adjustment Center“) könne sowohl Ehe-, als auch Kindererziehungsberatung und s oziale Versorgung für junge Straffällige und Verhaltensauffällige sein.473 Ein solches Zentrum sei nur über ein öffentliches Gesundheitswesen zu verwirklichen.474 Munk hob darüber hinaus hervor, es sei höchste Zeit, das Rechtssystem zu revidieren, in der Form, dass es wirklich demokratische Züge in sich trage und gerade nicht repräsentiere, dass das Recht denjenigen versagt werde, die unfähig seien die Kosten aufzubringen.475 Marie Munk war davon überzeugt, dass in naher Zukunft eine Gesundheitsversicherung und eine Rentenversicherung für jedermann eingeführt werden müsse. 476 8.4.7 Schlusswort Marie Munks Marie Munk schloss ihre Ausführungen: “We live in a world of transition; in a world with rapidly changing economic conditions and ideals; in a world charged with international tensions and dynamisms; in a world with conflicting ideologies. The spirit with which we imbue our boys and girls with in the family will be reflected in their future marriage and will be passed on to their children. In the hands of our children and grandchildren lies the future of our civilization. We shall go forward if we maintain and develop the spiritual values of marriage and the family. If they vanish, not only our American way of life, but civilization itself will be shattered. Without a new spiritual approach to the problems of the world, which must be laid in early childhood, man will destroy the heritage of his forefathers, the arts, knowledge, and 472 Part III, Society’s Efforts for the Stabilization of the Family, Chapter 32. Marriage Counseling, p. 1 – 8, p. 6, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 473 Part III, Society’s Efforts for the Stabilization of the Family, Chapter 32. Marriage Counseling, p. 1 – 8, p. 8, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 474 Part III, Society’s Efforts for the Stabilization of the Family, Chapter 30. Measures of Social Welfare, p. 1 – 9, p. 7, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 475 “[…] that it is highest time for us to revise our legal system in such a manner that it becomes truly democratic by not denying legal representation to whose are unable to meet the expenses.” In: Part III, Society’s Efforts for the Stabilization of the Family, Chapter 30. Measures of Social Welfare, p. 1 – 9, p. 8, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 476 “[…] that we must introduce in the near future some kind of general health insurance and old age pensions for everybody.” In: Part III, Society’s Efforts for the Stabilization of the Family, Chapter 30. Measures of Social Welfare, p. 1 – 9, p. 7, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7.
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wisdom of the ages.”477 Die Gedanken Munks sind auch für die heutige Zeit aktuell, doch gelangten diese aus vielerlei Gründen nicht an die Öffentlichkeit. 8.4.8 Schicksal des Manuskripts Die psychologischen, die gesellschaftlichen und die rechtlichen Elemente von Liebe und ehelicher Gemeinschaft waren auf den ersten Blick interessant. Dem Urteil eines Literaturagenten zufolge konnte aber gerade diese „Mischung“ den Leser ermüden. Die drei Abschnitte ihrer Arbeit, der psychologische, der rechtliche und der Abschnitt über die Eheberatung, sei für unterschiedliche Leser geschrieben worden. Der Leser, der an dem Kapitel über die Psychologie interessiert sei, sei aber nicht an dem Kapitel über das Recht interessiert. Für den an der Psychologie interessierten Leser könne der Eindruck entstehen, als wenn das Buch ausschließlich mit Blick auf das Recht geschrieben worden sei. Der rechtliche Abschnitt des Manuskripts könne aber in einer Einführung, in der die Gründe der Ehezerrüttung herausgearbeitet würden, kurz und knapp dargestellt werden.478 “The subjects were to ‘divers’.”479 Der Literaturagent Daniel S. Mead schlug ihr eine Überarbeitung ihres Manuskripts vor, bevor es erscheinen könne. Zu d iesem Zweck bot er Marie Munk seine kritische Analyse und sein Lektorat für $ 155 an.480 Marie Munk lehnte ab: Je mehr sie über seinen Brief nachgedacht habe, je mehr wundere sie sich, ob er wirklich an eine Vermarktung ihres Manuskriptes glaube. Würde er ihr sonst ein Lektorat für $ 155 anbieten? Würde sie die $ 155 in diesem Moment bezahlen, würde sie die Katze im Sack kaufen. Ebenso könne sie das Geld, welches sie momentan eh nicht habe, aus dem Fenster hinauswerfen.481 477 Part IV, Conclusions, Chapter 34. Summary, Trends of Future American Family Life, p. 1 – 5, p. 5, in: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 478 “The decision in 3 parts – the psychological, legal and counseling part, is in his opinion of doubtful value. He feels that the reader which is interested in the psychological aspects would not be interested in the legal ones. The parts would appeal to different types of readers. He seemed to feel that a book dealing only with the legal angle and leading up to it in a short introduction pointing out some of the reasons why marriage fail, might be better.” In: Notizen Marie Munks über ein Gespräch mit Mr. Stange, readers at Little Brown & Co., March 28, 1946, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 479 Notizen Marie Munks über ein Gespräch mit Mr. Stange, readers at Little Brown & Co., March 28, 1946, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. Hervorhebung nicht im Original. 480 Schreiben von Daniel S. Mead an Marie Munk, February 13th, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 481 “The more I have been thinking about your letter, the more I have begun to wonder if you really believe in the marketability of my MS. Would you then ask me to pay you $ 155 outright?
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Marie Munk hatte ihre eigenen Vorstellungen von einem Lektorat.482 Zugleich räumte sie aber auch ihre Erschöpfung im Kampf um ihr Manuskript ein: “I have worked on the MS for several years. I have used up my financial resources. I am now at the bottom of the pale.”483 Zu diesem Zeitpunkt war das Manuskript auch von „Miss Terlin, the editor of the Women’s Press“ gelesen worden.484 Schließlich schaltete sich Munks Verwandter, Henry W. Platt, ein und übersetzte die freundlichen Worte Meads: “What Mr. Mead really writes to you is this: ‘My dear lady, your ms have certain merits but I consider it a hopeless proposition in its present form, and have not the slightest confidence in your ability to revise it successfully.’”485 Insgesamt beurteilte er Meads Brief als eine Korrespondenz „made for suckers“.486 Platt bot ihr ein kostenloses Lektorat an.487 Platt riet Marie Munk, sie solle selbstbewusst mit Mead verhandeln 488, was sie anschließend auch tat.489 Daraufhin reduzierte Mead sein Angebot um 50 Prozent, machte aber deutlich, dass er seine Leistungen nicht umsonst erbringen könne.490 In Kenntnis dieser neuen Sachlage schrieb ihr Platt: „Mead erwägt Dich, aber nicht Dein Manuskript als Einkommensquelle zu
I know that you are one of the leading agents and I believe in your fairness. But how do I know that your advice would help me to increase the sales value of the MS? It should be worth $ 155 only if the MS can later be sold because it has improved, by paying $ 155 at this moment, I would buy the cat in the bag. It would be like throwing good money after a bad debt or like throwing it out of the window. Even if I had the cash, which I have not, I would not enter such an agreement and I would strongly advise any client against it because the performance of the other party is left entirely in his discretion.” In: Schreiben von Marie Munk an Daniel S. Mead, February 15, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 482 Schreiben von Marie Munk an Daniel S. Mead, February 15, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 483 Ebd. 484 Ebd. 485 Schreiben von Henry W. Platt an Marie Munk, February 17, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 486 Ebd. 487 “You can take my word for it that the ‘professional analysis and blueprint for revision’ will offer you nothing you can’t get from me free of charge.” In: Schreiben von Henry W. Platt an Marie Munk, February 17, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 488 Schreiben von Henry W. Platt an Marie Munk, February 17, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 489 Schreiben von Marie Munk an Daniel S. Mead, February 20, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 490 Schreiben von Daniel S. Mead an Marie Munk, February 23, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9.
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benutzen.491 Letztendlich scheiterte die Zusammenarbeit mit Mead, weil man sich über das Lektorat nicht handelseinig werden konnte.492 Marie Munk befolgte den Rat Max Rheinsteins, die Kapitel über die recht lichen Bestimmungen von einem Experten der Law School of Harvard University durchsehen zu lassen.493 Doch es erklärte sich zunächst niemand an der Law School bereit, sich der mühevollen Arbeit zu unterziehen, wie ihr David F. Cavers am 8. Mai 1951 mitteilte. Darüber hinaus gab es auch keine finanzielle Unterstützung an der Law School für derartige Projekte.494 Zu guter Letzt scheiterte auch ihr Verwandter, Henry W. P latt, an der Unübersichtlichkeit und Unhandlichkeit des Manuskripts.495 Daraufhin setzte Marie Munk in einem langen und ausführ lichen Antwortbrief Henry W. P latt auseinander, dass die zwei Versionen ihres Manuskripts auch noch aus mehreren Einzelartikeln mit Titeln und Untertiteln bestünden.496 Anderen Lesern war das Manuskript ebenfalls unübersichtlich, wie sich aus dem Briefwechsel mit Prof. Kluckhohn von der Harvard University ergibt. Munk musste Kluckhohn dennoch an die Rückgabe des Manuskripts erinnern.497 Im Juli des Jahres 1951 schrieb ihr Henry W. P latt nach dem Studium der ersten fünf Kapitel, dass ihr Manuskript nicht veröffentlichungsfähig sei und es aus seiner Sicht keinen Weg gäbe, es zu überarbeiten. Unter anderem decke sich ihre 491 “Mead considers you, not the ms, as a source of income.” In: Schreiben von Henry W. Platt an Marie Munk, March 4, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 492 Schreiben von Daniel S. Mead an Marie Munk, March 5, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 493 “I should be very much interested in talking to you some time about your work, and I feel sure I could arrange to have the legal chapters in your manuscript read by a member of our faculty who is more expert in their subject than I.” In: Schreiben von David F. Cavers an Marie Munk March 9, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 494 Schreiben von David F. Cavers an Marie Munk May 8, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 495 “[W]hat I had expected to receive was a workable book manuscript, something that says: This is what I have written and ads up to a book. But what I have here seems to offer a choice of different versions and is so tremendous in bulk that I just don’t know where to begin. So here I am, anxious to help you if I could but handicapped, not only by the unwieldy form of the ms but also by my feeling which you know that the power of any author is limited by his or her ability to make decisions as to what belongs into a book and what does not.” In: Schreiben von Henry W. Platt an Marie Munk, May 9, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 496 Schreiben von Marie Munk an Henry W. Platt, May 15, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 497 Schreiben von Marie Munk an Prof. Florence Kluckhohn, May 25, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9.
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Forschung nicht mit den Überschriften des Manuskripts.498 Munk erläuterte ihm, dass von Max Rheinstein bis zu Prof. McCurdy von der Harvard Law School das Manuskript gelesen und mit ihr diskutiert worden sei und sie wertvolle Hinweise erhalten hätte.499 Sechs Monate später verwarf auch Women’s Press die Aufnahme von Marie Munks Manuskript in das Verlagsprogramm, weil die Young Women Christian Association kein Buch veröffentlichen könne, dass sich mit dem Thema Scheidung auseinandersetze.500 Schließlich nahm sich Lawrence Beldon von der Harvard Univ. Press des Manuskripts an. Henry W. P latt teilte ihr derweil nach erneuter Lektüre mit, dass die Kapitel mit Fußnoten überladen s eien und gab ihr den Rat: “You will have to transpose the truisms and the inspirational slang into concrete language for, let us say, social workers. The other way around, you would have to eliminate all the legalistic and otherwise heavy-handed stuff for the lay reader. Then, I would try to market one or both of these specific versions of the book.”501 Einen Monat später teilte Munk Sophie Drinker mit: “I hope that I shall have time to do some of the reediting before long so that I might then submit it to a prospective publisher. I don’t think that I would do justice to myself and to the ms, by submitting it in its present shape.”502 Diese Entscheidung Munks über den Forschungsstand ihres Manuskripts hatte Auswirkungen. Die weitere Korrespondenz mit Herausgebern verlief ergebnislos. Comet Press Books übersandte ihr die
498 “[T]hese five chapters, and the preface, are unpublishable and there is no way to make them publishable through re-write. […] These five chapters ignore almost all of the information which any conceivable kind of audience would want to get. The writing is inadequate. The impossibility of fixing the ms is due to a fatal error you made: your research did not cover the subjects tackled in this manuscript; instead, you have limited yourself almost entirely to the obvious and the primitive and are preaching that rather ponderously, as if you were addressing an audience of half idiots. This is not the meaning of a ‘handbook’. I have come to the conclusion that I would do you no favor holding back with this opinion, or with the statement that I am absolutely sure of the validity of this opinion.” In: Schreiben von Henry W. Platt an Marie Munk, July 1, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 499 Schreiben von Marie Munk an Henry W. Platt, July 4, 1951, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 500 Notizen Marie Munks über ein Gespräch mit Lawrence Beldon, January 23, 1952, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 501 Schreiben Henry W. Platt an Marie Munk, January 31, 1952, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 502 Schreiben an Sophie Drinker, February 11, 1952, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 4 Folder 6.
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Handreichung für den jungen Autor mit dem Titel „Publishing your book“.503 Das Manuskript ruhte fortan in Munks Schreibtischschublade. Am 14. Januar 1957 teilte Marie Munk Max Rheinstein mit: Ihr Forschungsmaterial sei veraltet und müsste auf den neuesten Stand gebracht werden. Ihre Fälle, die sie verwendet habe, müssten überprüft werden und durch neue Fallbeispiele ersetzt werden. In der Zwischenzeit seien neue Publikationen erschienen, welche zum Teil thematisch das aufgegriffen hätten, was sie mit ihrem Buch versucht habe: “As far as I know, no book has been published which brings together the various aspects of marriage, divorce and marriage counseling and which does not only cover the substantive but also the adjective law.”504 Ob diese Worte Munks Rheinstein zu weiteren wissenschaftlichen Arbeiten 505 seines späteren Buchs „Marriage, S tability, Divorce, and the Law“ (University of Chicago Press 1972) anregten, kann an dieser Stelle nur vermutet werden. Max Rheinstein schrieb ihr am 18. Januar 1957: “I wish I could give you some advice about the publication of your manuscript. You see yourself that it would require a great deal of adaptation, and at the present time I just do not know anybody by whom such an extensive work could be undertaken. All I can promise is that I shall keep my eyes open, and if I should find a really suitable person, I should let you know.”506 In ihren autobiografischen Erinnerungen beendete Munk ihre wissenschaft liche Arbeit an d iesem Manuskript mit den Worten: “It would now need complete re-writing which I am not willing or able to do. Although I may have wasted more than ten years of my life on this project, I do not regret them, even if no other scholar will ever use my research material.”507 Dieses Vermächtnis an kommende Forschergenerationen ist bis heute noch nicht eingelöst.
503 Schreiben von Comet Press Books, January 18, 1954, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 504 Schreiben von Marie Munk an Max Rheinstein, January 14, 1957, in: Max Rheinstein Papers, Special Research Center, The University of Chicago, Il, Box 36 Folder 4. Hervorhebung nicht im Original. 505 Es waren zu diesem Zeitpunkt bereits Rheinsteins Aufsätze „Trends in Marriage and Divorce Law of Western Countries“, in: Law and Contemporary Problems 18, (1953), p. 3 – 19 und „The Code and the Family“, in: Bernard Schwartz (Ed.), The Code Napoleon and the Common- law World, New York 1956, p. 139 – 161 und insbesondere „Conflict of Laws in the Uniform Commercial Code“, in: Law and Contemporary Problems, 16 (1951), p. 114 – 140, erschienen, um nur die drei wichtigsten in diesem Kontext zu nennen. 5 06 Schreiben von Max Rheinstein an Marie Munk, January 18, 1957, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. 5 07 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge Massachusetts, My New Home, S. 4 – 5.
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8.5 Schlussbetrachtung Eine Schlussbewertung des Manuskripts „Elements of Love and Marriage“ kann nicht den breiten Kontext der wissenschaftlichen amerikanischen Literatur zu d iesem interdisziplinären Thema in ein Fazit einstellen. Das wäre bereits eine eigene Arbeit wert. Es gilt, an dieser Stelle auf Ansätze für noch zu profilierende Forschungs themen hinzuweisen. Deshalb sei es damit genug, wenn die Unterschiede z wischen dem Manuskript Marie Munks zum amerikanischen ausgewählten gegenwärtigen Forschungsstand und zum Stand der Literatur zu jener Zeit dargelegt werden. Dieses Ansinnen verlangt danach, dass zunächst auf die aus dem Manuskript erkennbaren Säulen der Erkenntnis unter ihrer Zielstellung eingegangen wird. 8.5.1 Ziel und Erkenntnis aus dem Manuskript „Elements of Love and Marriage“ Das Manuskript war für Ehepaare gedacht. Die vier Fragen sind schlicht formuliert, aber ihre Antworten weisen ein kompliziertes Ergebnis auf, das den E hepaaren bisher verschlossen blieb: Eine Einheit des Ehepaares in der Ehe und Einheit der Familie wird nicht durch das Recht, sondern durch die sozialen Bedingungen des Ehepaares erreicht. Hierzu gehören die persönliche Eintracht, die Gesundheit und ein gleichberechtigtes ökonomisches Wirtschaften der Eheleute. Die sozialen Bedingungen zu 1. vermag das Recht nicht zu verwirklichen, weil es zeitlich begrenzt ist und übergeordneten (rechtspolitischen oder gar elitären) Leitbildern folgt. Letzteres sei erwiesen durch die unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen in den einzelnen Bundesstaaten, w elche sich diametral zum Erhalt der Ehe auswirkten. Aus dieser rechtlichen Problematik heraus sei eine Family Education ab der Grammar School bis in die Universitäten hinein erforderlich, um die sozialen Bedingungen für eine Ehe- und Familienführung mit den zukünftigen Genera tionen einzuüben. Das Recht nehme in Konfliktsituationen den Ehegatten die Verantwortung für ihre Ehe und ihre Familie aus der Hand. Das Recht verleihe (wie Strafverurteilungen oder Erkrankungen) den Charakter symptomatischer Tatsachen, indem es diese Ereignisse als Tatbestand in eine gesetzliche Grundlage dekliniere, um sie den Ehegatten für eine Trennung oder Scheidung als einzige ihre Ehe zerstörende Handlungsoption anzubieten. Obgleich die Konfliktsituation durch Erziehungs-, Gesundheits- oder/und Eheberatung überwunden werden könne. Das Recht habe nur Mindeststandards festzulegen und könne nur Mindeststandards festlegen, wenn diese auf die eheliche Gemeinsamkeit ausgerichtet und in den einzelnen Bundesstaaten nicht unterschiedlich geregelt wären oder die unterschied liche Rechtssituation unter den Bundesstaates gegenseitig anerkannt würden. Nur
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so vermöge das Recht, eine trennende Wirkung für die sozialen Bedingungen der Ehe nicht zu entfalten. Das Gericht als Familiengericht solle die Ehegatten zukünftig begleiten, um Trennung und Scheidung durch Führung, Schlichtung und Mediation so weit als möglich zu verhindern. Ziel dieser Erkenntnis aus Sicht Marie Munks war, den Ehegatten durch die Lektüre d ieses Buches zu der Erkenntnis zu verhelfen, dass das Recht und das Gericht die ehelichen und familiären Konfliktsituationen nicht zu lösen und die problembehafteten Parteien aus ihrer Streitgefangenschaft nicht zu erlösen vermag. Vertrauen auf diese oder vielmehr auf Institutionen führe für die Ehegatten zur Deregulierung der Konfliktsituation. Die Ehegatten sollten vielmehr zuvorderst zu einer Eigenverantwortung der Lebensgestaltung in Ehe und Familie angeregt werden und weniger fremden Autoritäten, wie Gericht und Recht, vertrauen. Diese Ergebnisse aus Marie Munks Manuskript sollen dem Literaturbestand damaliger Zeit kurz gegenübergestellt werden. 8.5.2 Das Manuskript im Vergleich zum ausgewählten Literaturbestand damaliger Zeit In den Jahren Marie Munks harter Arbeit am Manuskript publizierte der allseits bekannte amerikanische jüdische Rabbiner Sidney E. Goldstein – ebenfalls Mitglied in der National Conference on Family Relations – unter dem Titel „Marriage and Family Counseling: A Manual for Ministers, Doctors, Lawyers, Teachers, Social Workers, and Others Engaged in Counseling Service“ bei McGraw Hill (1945). Die Rezension von Ernest R. Groves beurteilte diese Publikation als dringend erforderlich und längst erwartet. Diese sei nicht nur nützlich für die Counselor, sondern auch hilfreich für zukünftige Eheleute oder Ehepaare, die in Schwierigkeiten seien.508 Die rechtlichen Aspekte der Ehe hatte Ernest R. Groves ein Jahr zuvor mit seinem Buch „Conserving Marriage and the Family“ (Macmillan Company 1944) ausgeleuchtet.509 M. C. Elmer, Professor für Soziologie an der University of Pittsburgh, hatte nach langjährigen Forschungsanalysen über die Familie in der Gesellschaft das Buch mit dem Titel „The Sociology of the Family“ vorgelegt.510 Diese neue Sachbuchgattung hatte Norman E. Himes, der Weggefährte Munks 508 Ernest R. Groves, Marriage and Family Counseling, by Sidney E. Goldstein, in: Current Literature. Book Reviews, in: Marriage and Family Living, Vol. VII, No. 2, May 1945, p. 44. 509 Lester W. Dearborn, Conserving Marriage and the Family. by Ernest R. Groves, in: Current Literature. Book Reviews, in: Marriage and Family Living, Vol. VII, No. 1, February 1945, p. 23. 510 Ankündigung in: Marriage and Family Living, Vol. VIII, No. 2, May 1947, p. 56.
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am Smith College, mit seinem Buch „Your Marriage: A Guide to Happiness“ (New York) im Jahr 1941 sozusagen ins Rollen gebracht. In all diesen Jahren, als Munk hart an ihrem Manuskript arbeitete, widmete sich zwar ein Vortrag zum Thema „Women’s Conflicting Values“ von Emily H. Mudd auf dem Symposium „New Foundations for Marriage and the Family“511 vom 6. bis 8. April 1947 in Philadelphia der Rolle der Frau. Doch dies eher aus einem rechtshistorischen Blickwinkel.512 Ernest W. Burgess von der University of Chicago machte darüber hinaus auf diesem Symposium deutlich, dass sich die Forschung auf ein verändertes Ehebild konzentrieren müsse: weg von der Institution der Ehe, hin zum Gesellschaftsvertrag.513 Es fällt auf, dass nur John S. Bradway von der Duke University in seinem Aufsatz „Needed Legislation for the Family“ fragte: “By What Objective Standards Shall We Evaluate the Law?”514 Er gab jedoch in seinem Aufsatz keine Antwort. All diese vorgenannten Publikationen folgten nicht einer kritischen Rechtsreflexion, wie sie Marie Munk gewählt hatte. Die Publikationen, die für die Vorbereitung einer Ehe oder in ehelichen Krisensituationen Hilfe anbieten wollten, kamen eher einem populärwissenschaftlichen gedruckten Lebensberater gleich, führten den Eheleuten aber nicht die Ursachen ihrer Krisensituation vor Augen. Darüber hinaus hatte keiner der ausgewählt vorgenannten Autoren die Gleichberechtigung in der Familie aufgegriffen. 8.5.3 Das Manuskript im Vergleich zum ausgewählten gegenwärtigen Forschungsstand Erst in jüngster Zeit werden die Initiativen um den Marriage Counselor und die Family Education wissenschaftlich aufgearbeitet und mit dem Schlagwort versehen: Making Marriage Work. Unter dem gleichnamigen Titel wurden die Konturen dieser Entwicklung unter Auswertung der wichtigsten Sekundärliteratur nachgezeichnet.515 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wandelte sich in Amerika das Leitbild der Ehe. Es reüssierte von einer Institution zu einer „companionship“. 511 Ankündigung des Symposiums, in: Marriage and Family Living, Vol. VIII, No. 2, May 1946, p. 44; Ankündigung der Beiträge des Symposiums, in: ebd., Vol. VIII, No. 3, August 1946, p. 57 – 65. 512 Emily G. Mudd, Women’s Conflicting Values, in: Marriage and Family Living, Vol. VIII, No. 3, August 1947, p. 58 – 61. 513 “[T]ransition period from the older institutional type to the emerging companionship type of the family.” In: Ernest W. Burgess, Research, in: Marriage and Family Living, Vol. VIII, No.3, August 1946, p. 64 – 65. 514 John S. Bradway, Needed Legislation for the Family, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 2, Spring 1944, p. 32 und 37, p. 32. 515 Kristin Celello, Making Marriage Work.
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Dieses Wort sinnbildlich als Gesellschaft im Rechtssinne oder als Gemeinschaft zu übersetzen, griffe zu kurz, würde man nicht auch das Verb „begleiten“ gedank lich mit aufnehmen. Ursache für diesen Wandel waren die wirtschaftlichen und die sozioökono mischen Bedingungen sowie die höhere berufliche Selbstständigkeit der Frau. Sie war ebenfalls verantwortlich für das Familienbudget. Dieser soziologischen Erkenntnis der Chicagoer Schule (Burgess) gingen die Studien der amerikanischen Soziologin Elsie Clews Parsons 516 und James Dealey über die Zukunft der patriarchalischen Familie voraus.517 Folgerungen für Reformen zur Rechtsstellung der Frau wurden aus diesen Studien nicht gezogen.518 Vielmehr griffen die Anfänge des Counseling Service zunächst auf die ersten Studien über die s oziale und familiäre Situation von Alleinerziehenden zurück (Broken Home Studies, 1919). Durch diese Studien wurde erkannt, dass nicht nur Alleinerziehende, sondern auch Kinder geschiedener Eltern sozial auffällig und kriminell werden können.519 Es diskutierten ein Jahrzehnt später führende Soziologen, wie sich sozioökonomische Veränderungen auf das Familienleben auswirken können. Sie hinterfragten jedoch nicht den Scheidungsprozess und sein Prozedere.520 Eine einvernehmliche Scheidung wurde von ernst zu nehmenden Soziologen (z. B. Groves) als eheerhaltender Faktor ernstlich erwogen: “[D]ivorce by mutual consent caters to immaturity of purpose, and, by encouraging
516 Der richtige Name dieser Soziologin ist: Elsie Worthington Parsons. Veröffentlichungen erfolgten unter dem Namen: Elsie Clews Parsons, vgl. die Informationen zur Person in: http://www.gbv.de (07. 08. 2011). 517 Insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Beteiligung der Frau, in: Elsie Clews Parsons, The Family: An Ethnographical and Hitorical Outline with Descriptive Notes, planned as a Text-Book for the Use of College Lecturers and of Directors of Home- reading Clubs, London/New York 1906, S. 222 – 247; James Quayle Dealey, The Family in its sociological aspects, Boston/New York/Chicago 1912; siehe vergleichende Darstellungen zu den Studien von Parsons, Dealey und Burgess, insbesondere mit Blick auf die Veränderungen in der Familie „from institution to companionship“ nach Burgess, vgl.: Christopher Lasch, Haven In A Heartless World: The Family Besieged, New York 1977, p. 29 – 36. 518 Das lag insbesondere an der These von Burgess: “Burgess argued, made it clear that in all societies the ‘family as a reality exists in the interaction of its members and not in the formalities of the law with its stipulations of rights and duties’. The family, like society in general, is held together by the power of imaginative identification, by ideas and ‘sentiments’, and by the development of clearly defined social roles which alone have the power to evoke sentiments and ‘sympathy’.” In: Christopher Lasch, Haven in a Heartless World: The Family Besieged, p. 31. Hervorhebung nicht im Original. 519 Joanna Carver Colcord, Broken Homes: A Study of Family Desertion and Its Social Treatment (Russell Sage Foundation) New York 1919. 520 Paul Popenoe, The Conservation of the Family, Baltimore 1926; Ernest R. Groves, The Marriage Crisis, New York 1928.
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an easy-going indifference to consequences, antagonizes the development of a more serious commitment to matrimony.”521 Einen anderen Ansatz wählte Paul Bowman Popenoe. Er eröffnete einen Family Consultation Service in Los Angeles im Februar 1930: das erste American Institute of Family Relations.522 Als Begründer der „Marriage Education“ ging der Soziologe Ernest Rutherford Groves aus persönlicher Erfahrung 523 aus dem damaligen Diskurs hervor. Auf Wunsch von Studenten beauftragte der Rektor der University of North Carolina den Soziologen Grove im Jahr 1924524 (nicht im Jahr 1927525) mit der Etablierung des Curriculums. Weitere Soziologen folgten.526 Im Jahr 1937 boten bereits 200 von 672 Colleges in den USA diese „Marriage Education“ an.527 In dieser Zeit wurden die Marriage-Studien um psychologische Akzente erweitert. Es wurden erste Ansätze der Eheevaluierung, ähnlich dem von Munk entwickelten Balance-Sheet, entwickelt.528 In die wissenschaftlichen Annalen ging im Jahr 1938 Lerman M. Terman als Erfinder des Stanford-Binet-Tests ein.529 Der Report des Marriage Study Committee offenbarte 1938, dass die Ehepaare nicht nur mit emo tionalen und medizinischen Fragen aufwarteten, sondern insbesondere Antworten auf finanzielle Fragen oder Ratschläge zur Erziehung der Kinder erbaten. Vor allem waren es rechtliche Fragen, die in diesen heterogenen Lebenssachverhalten beantwortet werden mussten.530 521 Ernest R. Groves, The Marriage Crisis, p. 129. 522 Paul Popenoe, A Family Consultation Service, in: Journal of Social Hygiene, Vol. 17, June 1931, p. 309 – 322. 523 Die Sekundärliteratur berichtet unter Bezug auf einen Artikel von Ernest R. Groves im American Magazine, dass das Interesse an Family Education und Family Counseling durch persönliche Ereignissen um den Tod seiner ersten Frau geweckt worden sei. In: Kristin Celello, Making Marriage Work, p. 32, Fußnote 88. 524 Donald S. Klaiss, Ernest Rutherford Groves, 1877 – 1946, in: Marriage and Family Living. Journal of the National Conference on Family Relations, Vol. VIII, No. 4, November 1946, p. 93. 525 Nicht im Jahr 1927, wie Kristin Celello, in “Making Marriage Work” auf p. 32 unter Bezug auf einen Aufsatz von Ernest R. Grove, So You Want To Get Married?, in: American Magazine, Vol. 15, April 1938, p. 151, meint. 526 Paul Popenoe, How Can Colleges Prepare Their Students for Marriage and Parenthood?, in: Journal of Home Economics, Vol 22, March 1930, p. 169. 527 Jerome Beatty, Taking the Blinders off Love, in. American Magazine, December 1937, p. 181. 528 Beispielhaft sei auf die Publikation von Ernest W. Burgess und Leonard S. Cottrell Jr. mit dem Titel „Predicting Success or Failure in Marriage“, New York 1938, verwiesen. 529 Lewis M. Terman, Psychological Factors in Marital Happiness, New York 1938, p. 6. 530 Kristin Celello, Making Marriage Work, p. 39 mit Hinweis auf den Report of the Marriage Study Committee and Questions Asked on Marriage Questionaire, p. 193, in: Massachusetts Society for Social Health Records, Schlesinger Library, Cambridge Massachusetts, Box 5 Folder 33.
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Die wissenschaftlichen Auswertungen und Berichte über die Erfahrungen mit der „Marriage Education“ an Universitäten, Colleges und in der Community häuften sich bis zum Ende des Krieges.531 Allerdings blieb in d iesem neuen A usbildungsangebot die soziale Schicht der Highschoolabsolventen vernachlässigt.532 Zudem kam es erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu fundierten Überlegungen für ein professionelles Training von sogenannten Family Life Educators, die alle Bevölkerungsschichten erreichen sollten.533 Es wurde auch außer Acht gelassen, dass nicht alle Ehepaare die gut gemeinten Ratschläge ihrer theoretischen Marriage Education auch in der Praxis 1:1 verwirk lichen können würden. Die meisten Kurse wurden im Allgemeinen nur von Bräuten besucht. Nach der Hochzeit lastete die volle Verantwortung für ein erfolgreiches Eheleben auf weiblichen Schultern. Publikationen „Dedicated to the Mothers of Tomorrow“534 verstärkten diesen Effekt. Der Counseling Service versuchte, den Ehepartnern Wege aus der emotionalen Verstrickung zu zeigen. Grove nahm sich im Jahre 1940 die europäische Eheberatung als Vorbild für den Counseling Service in Amerika.535 Doch die Marriage Counselors hatten selbst einen hohen Ausbildungsbedarf. Schon allein deshalb, weil sich die Familie kriegsbedingt verändert
531 Beispielhaft sei verwiesen auf eine Panel Discussion „Education for Family Life in the Community“ verschiedener Autoren, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 3, Summer 1944, p. 51 – 55; Perry P. Denune, Education for Marriage at Ohio State University, in: Marriage and Family Living, Vol. VII, No. 1, February 1945, p. 6 – 8, 22; B. F. Timmons, Personal Conferences in College Courses on Marriage and the Family, ebd., p. 14 – 15; Howard E. Wilkening, The Purdue University Marriage Course, ebd., Vol. VII, No. 2, May 1945, p. 35 – 38; Hinweise auf Sex Education and Social Hygiene Education (Child Education), in: News and Notes. National, Regional and State Conferences, ebd., Vol. VII, No. 3, August 1945, p. 65; Zusammenfassende Berichterstattung News and Notes unter dem Titel „Marriage of Coeds to Fellow-Students”, in: Marriage and Family Living, Vol. VIII, No. 2, May 1946, p. 27 – 28. 532 Das ergibt sich bei einer Durchsicht der Verbandszeitschrift der National Conference on Family Living der Jahre 1944 bis 1946. Es findet sich nur ein Bericht über die Fragen von High School Students und es wird eine fehlende Ausbildung der Lehrer in d iesem Unterrichtsfach bemängelt: Norman S. Hayner, High School Student’s Questions, in: Marriage and Family Living, Vol VII. No. 3, August 1945, p. 60. 533 Ernest R. Groves, Professional Training for Family Life Educators, in: Marriage and Family Living, Vol. VIII, No. 1, Winter 1946, p. 25 – 26. 5 34 Beispielsweise die Ankündigung der Publikation von Jennie Williams, Family Health, in Review: Fred L. Adair, M. D., in: Marriage and Family Living, Vol. VIII, No. 1, February 1946, p. 22. 535 Ernest R. Groves, A Decade of Marriage Counseling, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 212, 1940, p. 72; Emily Hartshorne Mudd, Marriage Counseling as Afforded by Recently Developed Marriage and Family Counseling Clinics, in: Family, Vol. 28, January 1938, p. 310.
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hatte.536 Darüber hinaus war die Funktion des Counselors in den Applied Sciences noch nicht ganz eindeutig.537 Es war nur eins sicher: Der Krieg machte Marriage Educators und Marriage Counselors für die Medien außerordentlich populär.538 Im Jahr 1942 gründete Lester Dearborn (Massachusetts Society for Social Hygiene) die erste American Association of Marriage Counselors (AAMC).539 Es erschien ein Marriage Counsel Atlas für die amerikanischen Bundesstaaten.540 Gleichwohl erreichte der Marriage Counselor nicht alle Schichten der Bevölkerung. Die Mittelschicht betrachtete das Beratungsangebot eher als Angebot für die Unterschicht als für sich selbst. Die Unterschicht war entweder nicht informiert oder hatte kein Geld.541 Ernest Rutherford Groves stellte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fest: “Marriage counseling ist still in the pioneering era.”542 Erste Fallstudien entstanden zu diesem neuen Berufsbild erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.543 Hier wurden auch seine Grenzen offensichtlich. Zum einen, weil der Counseling Service ohne eine fundierte Gesundheitsgesetzgebung auskommen musste.544 Zum anderen, weil die Rolle der Frau unter traditionellen Vorzeichen beurteilt wurde.545 So auch von dem Begründer der Marriage Counselors, Ernest Rutherford Grove. Er stellte auf einer Konferenz von Marriage Educators mit den Worten „It takes intelligence 536 Siehe beispielsweise: Carl R. Rogers, Wartime Issue in Family Counseling, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 4, Autumn 1944, p. 68 – 69, 84; Carl R. Rogers, Professional Educa tion for Marriage and Family Counseling, ebd., p. 70 – 81; Carl R. Rogers, Russell Dicks and S. Bernard Wortis, Current Trends in Counseling, in: Marriage and Family Living, Vol. VII, No. 4, November 1945, p. 82 – 86. 537 Nur wenn es um medizinische, soziologische, psychologische, psychiatrische Funktionen ging: John F. Cuber, Functions of the Marriage Counselor, in: Marriage and Family Living, Vol. VII, No. 1, February 1945, p. 3 – 5. 538 Kristin Celello, Making Marriage Work, p. 58. 539 Ebd. 540 News and Notes. National, Regional and State Conferences, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 1, Winter 1944, p.10 – 13, p. 11. 541 Ernst R. Groves, A Decade of Marriage Counseling, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 212, 1940, p. 76. 542 Ernest R. Groves, Professional Training for Family Life Educators, in: Marriage and Family Living, Vol. VIII, No. 2, May 1946, p. 25. 5 43 Emily H. Mudd, A Case Study in Marriage Counseling, in: Marriage and Family Living, Vol. VII, No. 3, August 1945, p. 52 – 55. 544 Vgl. die wiederholte Forderung: Harriet S. Daggett, Safeguard Family Health in War Time. The Significance of Legislation for Family Health, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 3, Summer 1944, p. 56 – 58. 545 Vgl. beispielhaft: Katharine Whiteside Taylor, Women Face in the Postwar World, in: Marriage and Family Living, Vol. VII, No. 3, August 1945, p. 58 – 59, 71; Evelyn Millis Duvall, Loneliness and the Serviceman’s Wife, ebd., No. 4, November 1945, p. 77 – 81.
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to be a modern wife“ klar, dass die Mutterschaft für die Frau immer noch die bessere Entscheidung sei als eine andere Karriere.546 In der Rezension über seine Publika tion „The American Woman: the Feminine Side of a Masculine Civilization“ wird hervorgehoben: “Groves shows clearly how the growth of machine industry opened new opportunity for wage-earning women, and at least pointed out the way to relative independence for more well-to-do women who were unmarried dependents.”547 Grove betrachtete die Rechtspersönlichkeit der Frau als „near-equality“548 (Rechts-) Persönlichkeit. Im Gegensatz zu Grove plädierte Marie Munk dafür, dass der Marriage Counseling Service in kommunale Gesundheitsprogramme eingebettet sein sollte. Die Gründe für eine eheliche Disharmonie hatten aus ihrer Sicht verschiedene Seiten: medizinische, psychologische, pädagogische und erst in letzter Linie rechtliche. Das Scheidungsrecht betrachtete Marie Munk, nicht wie Groves es für die einvernehm liche Scheidung favorisierte, als eheerhaltenden Faktor. Nicht nur die Marriage Life Educators, sondern bereits die Kinder sollten bis zur Universitätsausbildung auf das Leben in der Ehe und mit ihrer zukünftigen Familie vorbereitet werden, damit sie in Zukunft Krisen in der und mit der Familie besser meistern könnten. Ein Erfordernis, zumal ab dem Eintritt Amerikas in den Zweiten Weltkrieg 549 sich die Situation der Frau in der Familie nochmals drastisch geändert hatte. Ein Cartoon von Mick Stevens stellt es treffend dar. Der Cartoon zeigt zwei gut gekleidete Ehepaare. Auf der linken Seite des Cartoons sitzt die Frau auf der linken Schulter des Mannes. Auf der rechten Seite des Cartoons trägt die Frau den Mann. Diese Frau sagt mit einem wütenden Ausdruck im Gesicht: “Now there’s a rela tionship that’s working”.550 Dieser Cartoon kennzeichnete die damalige Situation der Frau, als der Direktor des Bureau of Census, J. C. Capt, vermeldete: 5 Millio nen Hausfrauen als Arbeitsreserve 551 für eine heroische Anstrengung gegen die Tyrannei und Barbarei, einen so bezeichneten Good War.552 Zum Ende des Krieges 546 Kristin Celello, Making Marriage Work, p. 35. 547 Review: The American Woman: the Feminine Side of a Masculine Civilization, from Willystine Goodsell, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 2, Spring 1944, p. 38. 548 Ebd. 549 Ernest Burgess and Harvey J. Locke, The Family. 550 Mick Stevens Cartoon, in: New Yorker, August 28, 2003, p. 40. 551 “Five Million Housewives in Labor Reserve. – An estimated 5.000.000 non-workers constitute the Nation’s labor reserve that was immediately available on a voluntary basis to meet the womanpower shortage in November 1942 […] Women make up 4.500.000 of this reserve and 4.100.000 of these were housewives. The 500.000 available men were mainly students or older men not ordinarily in the labor force because of age or physical restrictions.” In: News and Notes. National, Regional and State Conferences, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 1, Winter 1944, p. 11. 552 Manfred Berg, Geschichte der USA, S. 67.
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wurden gar 900.000 Hausfrauen mehr benötigt.553 Die führenden Marriage Counselors votierten, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, immer noch gegen kriegsbedingte Eheschließungen. boten aber zugleich Hilfe den Ehepaaren an, die ihren Rat nicht befolgt hatten.554 Im Unterschied zu Munks Manuskript favorisierten die Agitatoren des Marriage Counselor Service und der Family Education eine traditionelle Problemaufarbeitung für die Scheidungssituation und ein tradi tionelles Geschlechterrollen-Konzept.555 Sichtbar wurde dies, indem es den Marriage Counselor neben die rechtliche Aufarbeitung einer Scheidung durch die Gerichte, aber nicht vor und nach das Scheidungsverfahren stellte. Geschweige denn, wie es Marie Munk tat, mit dem Ziel, das gerichtliche Verfahren durch Marriage Counseling zu ersetzen. Zumal die Struktur der angebotenen Hilfe unter einer brüchigen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung litt. Dieser neue sozialwissenschaftliche Forschungsbereich etablierte sich mit dem Recht der Frau (auch historisch betrachtet) zu einer alternativen Streitverarbeitung in der Familie mit den Eheleuten und Kindern durch Therapie, soziale Begleitung, medizinische und pädagogische Beratung und beförderte weitere curriculare Ansätze für eine Family Education in Amerika in den 1980er-Jahren.556 Seit den 1990er-Jahren werden Lehrbücher für Family Life Education veröffent licht.557 Es wurde um die Jahrtausendwende ersucht, die Familien mit praktischen Ratgebern in Magazinform zu erreichen.558 Was den ausgewählten Publikationen bis heute fehlt, ist der Hinweis auf die Grenzen des Rechts, wie ihn Marie Munk in ihrem Manuskript verdeutlicht hat. Die Rechtsunkenntnis in der Bevölkerung allgemein machte ebenfalls deutlich, wie außerordentlich wichtig es angesichts der sozioökonomischen Bedingungen kriegsbedingter gesellschaftlicher Entwicklungen und für die Nachkriegsjahre in Amerika gewesen wäre, dass Marie Munks Manuskript veröffentlicht worden wäre. 553 “The War Manpower Commission estimates that about 900.000 more women will be needed in the labor force by July 1944, when the total woman labor force is expected to rise to 18.700.000 as compared with 17.800.000 in July 1943.” In: News and Notes. National, Regional and State Conferences, in: Marriage and Family Living, Vol. VI, No. 2, Spring 1944, p. 34. 554 Kristin Celello, Making Marriage Work, p. 62. 555 Wie auch ein Handbuch aus dem Jahre 1964 zeigt: Harold T. Christensen, Handbook of Marriage and the Family, Chicago 1964: Nirgend ein Kapitel zur Rolle der Frau und ihrer Bedeutung. 556 Marvin B. Sussmann and Suzanne K. Steinmetz, Handbook of Marriage and the Family, New York / London 1987, p. 535 – 564; 597 – 624; 767 – 794; 815 – 834. 557 Beispielsweise: Margaret E. Arcus, Jay D. Schvaneveldt und J. Joel Moss, Handbook of Family Life Education, Volume 2, New York 1993. 558 Beispielsweise: Question and Answer Handbook on Marriage and the Family, Institute for Family Development 2003.
Manuskripte über das Problem Scheidung (1945 – 1954)
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9. Der Aufsatz mit dem Titel „Uniform Divorce Bill“ (1954) Dieser Aufsatz war das Ergebnis Marie Munks Arbeit und ihren Überlegungen zu der amerikanischen Rechtsentwicklung, respektive zu der Uniform-Law-Bewegung. Der Aufsatz erschien unter dem Titel „Uniform Divorce Bill“ im Women Lawyers Journal im Winter 1954.559 Dieser Aufsatz ist insbesondere im Vergleich zu anderen Reformvorstellungen aus jener Zeit von Interesse. Hierauf wird ausführlich im 8. Kapitel unter Ziffer II eingegangen.
559 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 3 – 5, p. 21 – 23, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528.
8. Kapitel Beteiligung Marie Munks an der deutschen und amerikanischen Rechtsentwicklung (1951 – 1954)
Marie Munks wissenschaftliche Arbeit nahm nach dem Zweiten Weltkrieg Einfluss auf die amerikanische und deutsche Rechtsentwicklung. Munks wissenschaftliche Arbeit aus Weimarer Zeit in den 1950er-Jahren in Deutschland war nicht vergessen. Eine deutsche Weggefährtin aus Weimarer Zeit griff nach dem Zweiten Weltkrieg anlässlich der Familienrechtsreform im ersten deutschen Bundesjustizministerium auf die Reformforderungen Marie Munks aus der Weimarer Zeit zurück. Dieser Rückgriff wird insbesondere durch den transnationalen Bezug zu den skandinavischen, den osteuropäischen und übrigen europäischen Ländern sichtbar. Eine wissenschaftliche Herangehensweise, die Marie Munk bereits zu Weimarer Zeit pflegte. In d iesem Kapitel wird der Frage nachgegangen, was zum einen die von Marie Munk ergriffenen Reformvorschläge für die Familienrechtsreform der 1950er-Jahre von den übrigen Reformerinnen der Weimarer Zeit unterschied, und zum anderen, ob und wie sie sich in der folgenden deutschen Rechtsentwicklung wiedererkennen lassen. Der zweite Teil d ieses Kapitels widmet sich der Beteiligung Marie Munks an der amerikanischen Uniform-Law-Bewegung, einem seit dem Ende des 19. Jahrhunderts traditionsreichen Diskurs, der in den Vereinigten Staaten von Amerika nur von namhaften amerikanischen Theoretikern und Praktikern geführt wird und geführt werden kann. Marie Munks Uniform-Law- Vorschläge für das Scheidungsrecht favorisieren nicht nur die nordamerikanische Rechtsvereinheitlichung, sondern gingen über den Ansatz einer Uniform-Law- Bewegung hinaus. Der Leser darf sich einem anderen „Scheidungs“-Verfahren öffnen, wie er es bereits im 6. Kapitel unter Ziffer II Nr. 2.1 bis 2.3 und im 7. Kapitel in Ziffer VII Nr. 3 und Nr. 8 in Marie Munks Manuskripten und Schriften und ihren Forschungen zum Marriage Counseling/Life Adjustment Center und der Family Education als eheerhaltendes Element im Vergleich zur Ultima Ratio eines Scheidungsurteils kennengelernt hat.
Marie Munks Einfluss auf die deutsche Rechtsentwicklung der 1950er-Jahre
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I. Marie Munks Einfluss auf die deutsche Rechtsentwicklung der 1950er-Jahre Marie Munk hatte eine Beschäftigung im ersten deutschen Bundesjustizministerium nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1949 abgelehnt, weil sie nicht die amerikanische Staatsbürgerschaft verlieren wollte. Derweil hatte der 38. Deutsche Juristentag stattgefunden. Dieser fand vor dem 10. März 1951, also vor der Veröffent lichung von Maria Hagemeyers Denkschrift, statt. Auf diesem Deutschen Juristentag hatte Erna Scheffler ihre Ausführungen ausdrücklich auf Marie Munks Forderungen aus Weimarer Zeit abgestellt, sodass auf diesen Juristentag im Unterschied zur Denkschrift nicht ausführlicher, sondern punktuell eingegangen werden wird.1 Der Auftrag, Vorschläge zur Änderung des Ehe-, Ehegüter- und Familienrechts zu erarbeiten, war an Maria Hagemeyer, eine Weggefährtin Marie Munks in der deutschen Frauenbewegung aus Weimarer Zeit, gegangen.2 Die Denkschrift Maria Hagemeyers umfasste drei Teile. Maria Hagemeyer hatte nicht nur Marie Munks Reformvorschläge, sondern auch Reformüberlegungen von Emmy Rebstein-Metzger, Marianne Weber und Margarete Berent aus der Weimarer Zeit zurate gezogen.3 Der Ordnung der von Maria Hagemeyer vorgelegten Denkschrift folgend, müsste ein umfassender Vergleich der wissenschaftlichen Diskussion aus der Weimarer Zeit mit dem Meinungsstand der 1950er-Jahre einschließlich der Sekundärliteratur und gesetzesvergleichende europäische und osteuropäische Bezüge in der wissenschaftlichen Auswertung erfolgen. Doch die Autorin der vorliegenden Arbeit beschränkt den Fokus auf einen Vergleich zu den vorgenannten Reformreferentinnen mit den von Marie Munk erarbeiteten Reformvorschlägen aus der Weimarer Zeit. Zum einen, weil Maria Hagemeyer nur um diese Bezüge ausdrücklich nachsuchte; zum anderen bleibt dies dem werkbiografischen Aspekt der vorliegenden Arbeit geschuldet.
1 Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hg.), Verhandlungen des 38. Deutschen Juristentages (Frankfurt a. M.), S. B 23, B 29–B 30. 2 4. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 3. 3 Maria Hagemeyer, Denkschrift über die zur Anpassung des geltenden Familienrechts an den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) erforderlichen Gesetzesänderungen, Bonn 1951, II. Teil, beispielhaft sei auf S. 12, und S. 14 verwiesen und auf die Bezüge im Literaturverzeichnis S. 31 zu Marianne Weber, Emmy Rebstein-Metzger und Margarete Berent; III. Teil, beispielhaft sei auf S. 21 verwiesen und auf die Bezüge im Literaturverzeichnis S. 28 zu Marianne Weber und Emmy Rebstein-Metzger.
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Beteiligung an der deutschen und amerikanischen Rechtsentwicklung (1951 – 1954)
1. Der Einfluss Margarete Berents und Marie Munks auf die Reform zum deutschen Ehe- und Ehegüterrecht Die Denkschrift Maria Hagemeyers umfasst im ersten Teil die Rechtslage des BGB von 1896 zum Ehe- und Ehegüterrecht. Der zweite Teil enthält Reformvorschläge zum Ehegüterrecht. Im dritten und letzten Teil wird das Rechtsverhältnis der Eltern zu ihren Kindern neu durchdacht. In diesem dritten Teil wird auf die Publikation von Marie Munk aus dem Jahre 1923 ausdrücklich Bezug genommen. In den Textabschnitten zu den Weimarer Reformvorschlägen 4 und in Hagemeyers Vorschlägen zu den zukünftigen Regelungsmöglichkeiten 5 dienten die Argumente und Vorschläge Marie Munks als Ausgangspunkt für ihre eigenen Vorschläge oder Überlegungen. Für die Rechtsbereiche des Ehe- und Ehegüterrechts zog Hagemeyer ausweis lich ihrer Fußnoten und des Literaturverzeichnisses die Verlautbarungen Munks auf dem 33. Deutschen Juristentag, Emmy Rebstein-Metzgers auf dem 36. Deutschen Juristentag und Margarete Berents Dissertation über die Zugewinstgemeinschaft heran.6 Es beeindruckt den Leser der Denkschrift, dass Maria Hagemeyer die Reformforderungen Margarete Berents und Marie Munks aus dem Jahre 1921 in ihre Überlegungen einbezogen hat; womöglich waren die Überlegungen Berents und Munks aus ihrer Zusammenarbeit in der deutschen Frauenbewegung aus Weimarer Zeit Hagemeyer noch präsent. Diese Annahme wird auch dadurch gestützt, weil Maria Hagemeyer in ihrer Denkschrift, wie im Jahre 1921 Margarete Berent und Marie Munk bereits vor ihr, fortwährend auf das (aus heutiger Sicht) europäische Recht, das Recht einiger osteuropäischer Staaten, aber vor allem auf die rechtlichen Bestimmungen im skandinavischen Rechtskreis reflektierte. Sowohl im Rechtsverhältnis der Eltern zu den Kindern als auch im Ehe- und Güterrecht.7 Doch diese transnationale Reflexion Hagemeyers trug einen entscheidenden Unterschied. Im Ehe- und Güterrecht erfolgte diese Reflektion über das geltende deutsche Recht durch Regelungsvergleich mit dem skandinavischen Rechtskreis.8 Im Bereich des Rechtsverhältnisses der Eltern zu ihren Kindern bettete Hagemeyer das ausländische Recht in die Reformvorschläge Munks und anderer Autoren ein; letztgenannte stellte sie ihren eigenen Vorschlägen voran.9 Hagemeyer ging auf die Rechtsbeziehungen der Eltern zu ihren Kindern aus dem 4 Maria Hagemeyer, Denkschrift, III. Teil, S. 7 – 9, S. 7 – 8. 5 Ebd., III. Teil, S. 9 – 27, S. 10, 13, 14, 16, 17, 19, 20, 25. 6 Ebd., I. Teil, Literaturnachweis, S. 27, II. Teil Literaturnachweis, S. 31. 7 Ebd., I. Teil und III. Teil, Stoffanordnungen o. S. 8 Ebd., I. Teil, II. und III. Teil, Stoffanordnungen o. S. 9 Ebd., III. Teil, Stoffanordnungen o. S.
Marie Munks Einfluss auf die deutsche Rechtsentwicklung der 1950er-Jahre
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nordischen Rechtskreis dezidierter ein, weil diese rechtlichen Bestimmungen die Reformvorschläge beeinflusst haben.10 Für ihre Reformvorschläge wurde Hagemeyer aus den Reformvorstellungen von Marie Munk 11 entscheidend inspiriert. Das zeigte sich bereits in den grundsätzlichen Erwägungen.
2. Die Gleichberechtigung bei Marie Munk/ Emmy Rebstein-Metzger/Marianne Weber im Vergleich zu Maria Hagemeyer und der Diskurs um die Gleichberechtigung im Gesetz von 1957 Hagemeyer knüpfte an die stenografischen Berichte des parlamentarischen Rates an und verdeutlichte, „daß die Gleichberechtigung in Bezug auf ihr Geltungs gebiet keine Einschränkungen duldet“.12 Gleichwohl, so scheint es auf den ersten Blick, schränkte Maria Hagemeyer die Berufsarbeit der Ehefrau im Interesse der Familie ein und in der elterlichen Gewalt sprach sie sich uneingeschränkt für eine gleichberechtigte Stellung der Ehegatten aus, obgleich sie sich in beiden Rechtsbereichen auf Art. 3 Abs. 2 GG als Verfassungsnorm hätte berufen können. Marie Munk vermochte in der Weimarer Zeit nur auf einen Programmsatz (Art. 119 Abs. 2 Satz 2 WRV) zu verweisen. Auf diesen hatte Marie Munk in ihrem Gutachten auf dem 33. Deutschen Juristentag in Heidelberg Bezug genommen. Marie Munk vertrat das Gleichberechtigungsgebot uneingeschränkt. Die Ehegatten sollten gemeinsam frei in ihren ehelichen Angelegenheiten entscheiden.13 Marie Munk ging es in diesen Fragen nicht um die ausgeprägte gesetzliche Bindung. Ähnlich wie Emmy Rebstein- Metzger hervorhob, es könne der Gesetzgeber ein „Ideal der Gleichberechtigung der Geschlechter in der Ehe“14 nicht oktroyieren. Vielmehr sei „eine Grenze der Freiheit der individuellen Ehegestaltung“ dort zu setzen, „wo gegen allgemein gültige ethische Normen verstoßen wird“.15 Ebenso könne das Gesetz „Andersdenkende“ nicht „extra leges“ stellen.16 Vornehmlich ging es Emmy Rebstein-Metzger 10 Ebd., III. Teil, S. 6. 11 Ebd., III. Teil, S. 7 – 8, 10, 12 – 14, 16 – 17, 19 – 20, 23, 25. 12 Ebd., I. Teil, S. 3. 13 Marie Munk und Margarete Berent hatten vorgeschlagen: „Die Angelegenheiten des ehelichen Lebens werden von beiden Ehegatten gemeinschaftlich geregelt.“ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt Nr. 1. 14 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 542. 15 Ebd. 16 Ebd.
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um eine „sittliche Haltung“17: der „gegenseitigen Anerkennung der menschlichen Gleichwertigkeit der Ehegatten“.18 In der rechtlichen Struktur seien die patriarchalen Bestandteile aus dem Gesetz zu streichen und die rechtliche Selbstständigkeit der Frau anzuerkennen.19 Marianne Weber erachtete „Bindung und Freiheit“ als das Maß der Gesetz gebung.20 Der Gesetzgeber könne „Idealformen nicht voraussetzen“.21 Die Frau mag sich in eigener Entscheidung dem Manne sittlich unterzuordnen. „Verbietet aber die Pflicht zu sittlicher Selbständigkeit der Frau solche grundsätzliche Unterordnung, so steht auch das Recht dann im Einklang mit der Begründung der Ehe auf beiderseitige Selbstverantwortlichkeit, die der Frau zwar […] freiwillige Unterordnung von Fall zu Fall, nicht aber die grundsätzliche und ein für allemal“22 erlaube.23 Der Unterschied von Maria Hagemeyers Herangehensweise – auf die im folgenden zu den vorgenannten Fragen im Ehe- und Familienrecht dezidierter eingegangen werden wird – bildete sich im wissenschaftlichen und im rechtspolitischen Diskurs im Vergleich zur Haltung der Jurisprudenz bis zum Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 ab; weshalb aufgrund ausführlicher Forschungsergebnisse 24 der Vergleich kurz skizziert wird: Es wurde auf dem 38. Deutschen Juristentag im Jahre 1950 die ersatzlose Streichung des § 1354 BGB angenommen; jedoch dem Mann nach wie vor ein Stichentscheid in Meinungsverschiedenheiten über die ehelichen Angelegenheiten und in der elterlichen Gewalt vorbehalten. Für dieses Ergebnis kämpften die „Patriarchen“ der Literatur mit den Argumenten: Naturrecht, Gleichberechtigung versus Gleichwertigkeit der Frau, der Gewährleistung einer zum Schutz der Familie vorgegebenen Ordnung aus Art. 6
17 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 546. 18 Ebd. 19 Ebd. 20 Marianne Weber, Eheideal und Eherecht, in: dies., Frauenfragen und Frauengedanken, Tübingen 1919, S. 148. 21 Siehe auch: Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Stenographischer Bericht, Vortrag Weber, S. 80 – 142, S. 94 – 106, S. 105. 22 Marianne Weber, Eheideal und Eherecht, in: dies., Frauenfragen und Frauengedanken, Tübingen 1919, S. 152. 23 So auch auf dem 36. Deutschen Juristentag: Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Stenographischer Bericht, Vortrag Weber , S. 80 – 82. 24 Verwiesen werden kann hier nur auf das Buch von Heike Vaupel, Die Familienrechtsreform in den fünfziger Jahren im Zeichen widerstreitender Weltanschauungen, nebst Auswertung und Bewertung von Parlamentsdokumenten, Schrifttum und Rechtsprechung, Baden-Baden 1999.
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Abs. 1 GG, dem Kindeswohl als Drittinteresse und für eine Institution der Familie.25 Der rechtspolitische Meinungsstreit unter den Konfessionen 26 und Parteien 27 konzentrierte sich auf konservativer Seite auf eine vorgegebene Ordnung innerhalb der Familie oder auf deren Schutz. Nur die Sozialdemokraten traten für eine uneingeschränkte Gleichberechtigung ein.28 Das Bundesverfassungsgericht rief die Disputanten zur Ordnung und stellte fest, dass Art. 3 Abs. 2 GG seit dem 1. April 1953 eine echte Rechtsnorm, nicht nur ein Programmsatz sei und den Richter in seinen Entscheidungen verfassungsrechtlich binde.29 Die zivilrechtliche Judikatur hatte sich bereits zuvor deutlicher als Gleichberech tigungsbefürworter ausgewiesen.30 Vergleiche hierfür im Einzelnen die ausführ liche Arbeit von Jörn Wendrich.31 In der weiteren Rechtsentwicklung setzte sich dann im Endergebnis der parla mentspolitischen Arbeit gleichwohl die konservative Meinung durch: Zwar wurde die Leistung der Hausfrau als Unterhaltsbeitrag anerkannt (§ 1360 Satz 2 BGB), das Alleinentscheidungs- und das Kündigungsrecht des Mannes (§§ 1354, 1358 BGB 32) gestrichen; jedoch bei Meinungsverschiedenheiten der Ehegatten über die Berufstätigkeit der Frau (§ 1356 BGB 33) und bei unterschiedlichen Positionen der Eltern in der Personen- und Vermögenssorge der Kinder (§ 1627 BGB 34) entschied nach wie 25 26 27 28 29 30 31
Heike Vaupel, Die Familienrechtsreform in den fünfziger Jahren, S. 91 – 108. Ebd., S. 123 – 125, 204 – 207. Ebd., S. 209 – 210. Ebd., S. 207 – 210. BVerfGE 3, Nr. 15, S. 225 – 248, S. 239 – 244.. Heike Vaupel, Die Familienrechtsreform in den fünfziger Jahren, S. 156 – 169. Jörn Wendrich, Die Entwicklung der familienrechtlichen Entscheidungsbefugnisse der Ehefrau, S. 248 – 266. 32 § 1354 BGB von 1896 lautete: „Dem Manne steht die Entscheidung in allen gemeinschaft lichen ehelichen Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung. Die Frau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die Entscheidung als Mißbrauch seines Rechts darstellt. § 1358 Abs. 1 BGB von 1896 lautete: „Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn er auf seinen Antrag von dem Vormundschaftsgerichte dazu ermächtigt worden ist. Das Vormundschaftsgericht hat die Ermächtigung zu erteilen, wenn sich ergibt, daß die Tätigkeit der Frau die ehelichen Interessen beeinträchtigt.“ 33 § 1356 BGB lautete: „(1) Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. (2) Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist. (3) Jeder Ehegatte ist verpflichtet, im Beruf oder Geschäft des anderen Ehegatten mitzuarbeiten, soweit dies nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten leben, üblich ist.“ 34 § 1627 BGB lautete: „(1) Die Eltern haben die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen auszuüben. (2) Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie
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vor der Mann (§§ 1628, 1629 Abs. 1 BGB 35). In diesen Rechtsbereichen wurden auch Unterschiede zwischen Marie Munks Reformforderungen aus der Weimarer Zeit, Emmy Rebstein-Metzgers Vortrag auf dem 36. Deutschen Juristentag, Marianne Webers Forderungen und Maria Hagemeyers Überlegungen aus ihrer Denkschrift erkennbar, weshalb hierauf unter Berücksichtigung ausgewählter Sekundärliteratur im folgenden Abschnitt eingegangen werden soll.
3. Bewertung der Unterschiede im Eherecht: Marie Munk/ Margarete Berent/Emmy Rebstein-Metzger/ Marianne Weber – Maria Hagemeyer – im Vergleich zum ausgewählten Forschungsstand Im Eherecht war es die Gläubigerhaftung (§ 1362 BGB) und die Berufstätigkeit der Frau, die von Maria Hagemeyer anders durchdacht wurde als von Emmy Rebstein- Metzger, Marianne Weber, Margarete Berent und Marie Munk. 3.1 Die ehelichen Angelegenheiten und die Berufstätigkeit der Frau Hagemeyer hob die Pflicht zur Mitarbeit im ehelichen Geschäft oder Betrieb für beide Ehegatten „aus dem Grundsatz der Gleichberechtigung“ als „Einschränkung ihres Rechts auf freie Berufswahl“ als „geeigneten Weg zur Bestreitung des Unterhalts der Familie“ ausdrücklich hervor.36 Für eine elastischere Regelung,
versuchen, sich zu einigen.“ 35 § 1628 BGB lautete: „(1) Können sich die Eltern nicht einigen, so entscheidet der Vater, er hat auf die Auffassungen der M utter Rücksicht zu nehmen. (2) Das Vormundschaftsgericht kann der M utter auf Antrag die Entscheidung einer einzelnen Angelegenheit oder einer bestimmten Art von Angelegenheiten übertragen; wenn das Verhalten des Vaters in einer Angelegenheit von besonderer Bedeutung dem Wohle des Kindes widerspricht oder wenn die ordnungsgemäße Verwaltung des Kindesvermögens dies erfordert. (3) Verletzt der Vater beharrlich seine Verpflichtung, bei Meinungsverschiedenheiten den Versuch einer gütlichen Einigung zu machen und bei seinen Entscheidungen auf die Auffassung der M utter Rücksicht zu nehmen, so kann das Vormundschaftsgericht der Mutter auf Antrag die Entscheidung in den persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten des Kindes übertragen, wenn dies dem Wohle des Kindes entspricht.“ § 1629 Abs. 1 lautete: „Die Vertretung des Kindes steht dem Vater zu, die Mutter vertritt das Kind, soweit sie die elterliche Gewalt allein ausübt oder ihr die Entscheidung nach § 1628 Abs. 2, 3 übertragen ist.“ 36 Maria Hagemeyer, Denkschrift, I. Teil, S. 24 – 25.
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den Ehegatten die Entscheidung überlassend, traten Marie Munk und Emmy Rebstein-Metzger 37 ein. Ein Kündigungsrecht des Mannes erachtete Marianne Weber ausschließlich aus dem Grund, um die Frau in ökonomischer Notlage gegen sich selbst im Interesse ihrer Kinder zu s chützen.38 Maria Hagemeyer 39, Emmy Rebstein-Metzger,40 Margarete Berent und Marie Munk 41 traten kompromisslos für die Streichung des Kündigungsrechts des Mannes ein. Für das Recht auf eine freie Berufswahl der Frau benannten Maria Hagemeyer, Marianne Weber 42 und Emmy Rebstein-Metzger 43 die Voraussetzung, dass die Berufsausübung mit der Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft vereinbar sei.44 Hagemeyer fügte jedoch noch hinzu: oder/und, dass die Frau in der Lage sei, den auf sie entfallenden Anteil am Familienunterhalt zu verdienen.45 Der Wortlaut der Denkschrift wird von der Sekundärliteratur (Vaupel) für den Fall, dass die vorgenannten beiden Voraussetzungen nicht vorliegen, so verstanden, als wenn Hagemeyer ein Recht der Frau auf eine freie Berufswahl beschränkt wissen wollte.46 Hierbei stützt sich Vaupel argumentativ auf zwei Beispiele, die Hagemeyer ins Feld führte:47 Zum Einen, wenn die Frau nicht in der Lage sei, den auf sie entfallenden Anteil am Familienunterhalt durch Berufsarbeit zu erzielen. Zum anderen, wenn es zu einer längeren berufsbedingten Abwesenheit kommen könnte. Ebenso, wenn der gewählte Beruf der Frau nicht am ehelichen Wohnsitz ausgeübt werden könne.48 Allerdings kann die Verfasserin der vorliegenden Arbeit dem gedanklichen Schluss von Vaupel nicht beipflichten, weil Maria Hagemeyer, anders als Marianne Weber und Emmy Rebstein-Metzger, ihren Vorschlag im Wortlaut mit dem „gemeinschaft lichen Entscheidungsrecht der Ehegatten“49 eingeleitet hatte.
37 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 551. 38 Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, Tübingen 1907, S. 435. 39 Maria Hagemeyer, Denkschrift, I. Teil, S. 18. 40 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten, Regstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 553. 41 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt, § 4 Nr. 5. 42 Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S. 435. 43 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 552. 44 Maria Hagemeyer, Denkschrift, I. Teil, S. 24. 45 Maria Hagemeyer, Denkschrift, I. Teil, S. 24. 46 Heike Vaupel, Die Familienrechtsreform in den fünfziger Jahren, S. 122. 47 Ebd. 48 Maria Hagemeyer, Denkschrift, I. Teil, S. 23 – 24. 49 Maria Hagemeyer, Denkschrift, I. Teil, S. 23.
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Es kommt hinzu, dass Maria Hagemeyer „in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten“ die „Ehegatten gemeinsam“ entscheiden lassen 50 und Meinungsverschiedenheiten durch einen neutralen Dritten beratend klären lassen wollte;51 womit sie fast wortgetreu Marie Munks und Margarete Berents Reformforderungen aus dem Sommer 192152 übernahm.53 Dieses übergeordnete Leitbild der gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung der Ehegatten fand sich auch bei Emmy Rebstein-Metzger 54 und Marianne Weber.55 Allerdings wollte Marianne Weber die berufliche Tätigkeit der Ehefrau am „Gewinn und Verlust für die Kinder“ ausrichten,56 weil mit einem „konfliktlose[n] Ineinanderschieben der aus Beruf und Ehe entstehenden Doppelpflichten […] nicht gerechnet werden“57 könne. Obgleich sie nicht verkannte, dass für die Arbeiterschicht mehr denn je die weibliche Erwerbsarbeit in der Industrie die weiblichen geistigen Entwicklungsmöglichkeiten hindere, gleichwohl aus ökonomischen Gründen für die Familie zwingend sei, wagte sie auch auf dem 36. Deutschen Juristentag,58 gerade deshalb lediglich einen Ausblick auf die von Friedrich Naumann seinerzeit angedachten Arbeiterschutzgesetze.59 50 Maria Hagemeyer, Denkschrift, I. Teil, S. 26 Anlage 1 § b. 51 Maria Hagemeyer, Denkschrift, I. Teil, S. 11. 52 Marie Munk und Margarete Berent hatten vorgeschlagen: „Die Angelegenheiten des ehe lichen Lebens werden von beiden Ehegatten gemeinschaftlich geregelt. [...] Haben die Ehegatten zu einem Dritten das Vertrauen, daß er schlichtend und entscheidend eingreifen kann, so bedarf es zu dessen Anrufung einer gesetzlichen Bestimmung nicht. “ In: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt Nr. 1. 53 „In allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten entscheiden die Ehegatten gemeinsam.“ In: Denkschrift über die zur Anpassung des geltenden Familienrechts an den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3Abs. 2 GG) erforder lichen Gesetzesänderungen, I. Teil, S. 26 Anlage 1 § b. 54 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 549. 55 „Schauen wir von dem hier entwickelten Eheideal auf unser modernes Eherecht, so zeigt sich trotz mancher Neuerungen im einzelnen, daß dies grundsätzlich eine Ehepraxis sanktioniert, ja vorschreibt, die im Widerspruch zu jenem Ideal steht.“ In: Marianne Weber, Eheideal und Eherecht, in: dies., Frauenfragen und Frauengedanken, Tübingen 1919, S. 150. 56 Marianne Weber, Beruf und Ehe, in: dies., Frauenfragen und Frauengedanken, Tübingen 1919, S. 23. 57 Marianne Weber, Beruf und Ehe, in: dies., Frauenfragen und Frauengedanken, Tübingen 1919, S. 32. 58 So auch auf dem 36. Deutschen Juristentag: Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Stenographischer Bericht, S. 94 – 106, S. 101 – 102. 59 Marianne Weber, Beruf und Ehe, in: dies., Frauenfragen und Frauengedanken, Tübingen 1919, S. 27 – 29.
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Mit einem weiteren vergleichenden Seitenblick des Lesers auf die Reformforderungen von Marie Munk und Margarete Berent zum Punkt der Berufsausübung der Frau in der Ehe fällt auf, dass Marie Munk und Margarete Berent im Sommer 1921 gar nicht dezidiert auf eine berufliche Tätigkeit der Ehegatten eingegangen waren, sondern, ähnlich wie Marianne Weber,60 die eheliche, gemeinsame Unterhaltsleistung für die Familie in den Vordergrund gerückt hatten: Die Ehegatten „sind verpflichtet, nach ihren Kräften durch Zuschuss von Geld, Tätigkeit im Hauswesen und sonst, dazu beizutragen, der Familie den Unterhalt zu schaffen, der mit Rücksicht auf die Verhältnisse der Ehegatten als angemessen angesehen wird“.61 Das WIE wollten Marie Munk und Margarete Berent den Ehegatten überlassen: „Es erscheint uns nicht erforderlich, in der neuen Fassung des § 1354 einzelne Angelegenheiten, z. B. Wohnsitz, Wohnung, Berufstätigkeit, Kindererziehung, besonders hervorzuheben.“62 Diesem Ziel kam Maria Hagemeyer in ihrem Gesetzesvorschlag nach, indem sie das gemeinsame Entscheidungsrecht der Ehegatten konkret regelte. Ihre aus Sicht von Vaupel als „einschränkend“ interpretierten Überlegungen für eine Berufsausübung der Frau in der Ehe fanden Eingang in Maria Hagemeyers Gesetzesvorschlagstext in der Anlage 1 ihrer Denkschrift gerade nicht. Hagemeyer schränkte das Berufsrecht der Frau de lege lata durch familienzielorientierte Regelungen nicht ein. Zwar könne das Recht der freien Berufswahl aus Sicht Hagemeyers durch die „natür liche Veranlagung von Mann und Frau“63 beschränkt sein. Allerdings, habe „die Frau grundsätzlich das Recht“, „sich auf eine Tätigkeit im Hauswesen zu beschränken“.64 Der Grundsatz der Gleichberechtigung sei an dieser Stelle insofern eingeschränkt, als die Frau „das Recht“ habe, sich „ihren Pflichtenkreis zu wählen“,65 der Mann hingegen „bei der Wahl seines Berufes nicht den gleichen Spielraum“66 verwirklichen könne. Zugleich sah Hagemeyer die Frau nur dann zur außerhäuslichen Tätigkeit verpflichtet an, wenn das Einkommen des Mannes zum Familienunterhalt nicht ausreichte.67 Ebenso sollten beide Ehegatten gleichberechtigt sein, sich in einer vorehelichen Vereinbarung über eine Mitarbeit im Geschäft oder im Betrieb des anderen Ehegatten verpflichten zu können, solange diese Mitarbeit für den jeweils mitarbeitenden Ehegatten zumutbar war.68 60 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Stenographischer Bericht, Vortrag Weber, S. 101 – 102. 61 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt § 2. 62 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt Nr. 1. Hervorhebung nicht im Original. 63 Maria Hagemeyer, Denkschrift, I. Teil, S. 23. 64 Ebd. 65 Ebd. 66 Ebd. 67 Maria Hagemeyer, Denkschrift, I. Teil, S. 23 – 24, 26 § d. 68 Ebd.
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In diesem Sinne hätte die Frau auf ihren erlernten vorehelichen Beruf verweisen können. Argumente, die sich schon bei Marianne Weber wiederfanden.69 Aus Maria Hagemeyers Sicht waren in der Ehe Ehegatten zum gemeinsamen Unterhalt und zur Gleichberechtigung der Geschlechter verpflichtet. Ebenso explizit verfolgten diese Prämisse Margarete Berent und Marie Munk. Es ergibt sich folgendes abschließendes Bild: Hagemeyer führte mit ihren Überlegungen zur Berufstätigkeit der Frau im Interesse der Familie einen familienerhaltenden Impetus in ihre Denkschrift ein, der die konservative parlamentarische Seite nur beschwichtigen sollte. Zugleich legte sich Maria Hagemeyer zur Berufstätigkeit der Frau in ihrem Gesetzesvorschlag nicht fest, sondern stellte nur den Wert der Hausarbeit der Frau gleichauf mit der außerhäuslichen Berufstätigkeit des Mannes.70 Mit der Folge, dass genau an d iesem Punkt die Kritik der Frauenverbände einsetzte: der Ehefrau würde die Hausarbeit de jure zugewiesen.71 Diese Kritik bestätigte sich aber nicht in der Denkschrift Maria Hagemeyers. Vielmehr lässt d ieses Missverständnis der Frauenverbände den Schluss zu, dass Hagemeyers Überlegungen zur Berufsausübung der Frau rein parlamentspolitischer und weltanschaulicher, weniger rechtlicher Natur waren. Letztendlich war Maria Hagemeyer mit der Gleichwertigkeit der Hausfrauentätigkeit politstrategisch den konservativen Rechtspolitikern entgegengekommen, um ungehindert dem Vorschlag von Margarete Berent und Marie Munk zur Berufstätigkeit der Ehefrau zum Durchbruch und um so dem Grundsatz der Gleichberechtigung in der sozia len Wirklichkeit zum Erfolg zu verhelfen. 3.2 Die Eigentumsvermutung (§ 1362 BGB) Überlegungen zur Eigentumsvermutung hat in ihren wichtigsten ausgewählten Schriften und Verlautbarungen Marianne Weber nicht dezidiert angestellt. Sie votierte allgemein für einen gleichberechtigten Schutz der Gläubiger der Ehegatten.72 Hagemeyer gedachte diese Regelung aus dem Bereich des Eherechts herauszulösen und aus sachlogischen Gründen dem ehelichen Güterrecht zuzuordnen.73 Im Unterschied zu Hagemeyer hätte Marie Munk – bereits ihren Vorschlägen aus dem Sommer 1921 folgend – den § 1362 BGB „im Interesse der Rechtssicherheit der Gläubiger des Mannes“ grundsätzlich gern aufgehoben,74 während Maria 69 Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S. 425 – 426. 70 „Die Ehegatten sind verpflichtet, nach Kräften zum gemeinsamen Unterhalt beizutragen. Die Frau hat das Recht, ihren Beitrag durch Hausarbeit zu leisten.“ In: Maria Hagemeyer, Denkschrift, I. Teil, S. 26 § c. 71 Heike Vaupel, Die Familienrechtsreform in den fünfziger Jahren, S. 126. 72 Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S. 432. 73 Maria Hagemeyer, Denkschrift, I. Teil, S. 22. 74 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt Nr. 7.
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agemeyer den § 1362 BGB verändern wollte:75 Über den Besitz beider Ehegatten H oder über den Alleinbesitz des Schuldners über bewegliche Sachen sollten die Gläubiger auf das Eigentum vermuten können.76 Mit diesem Vorschlag trat Hagemeyer der Ansicht Emmy Rebstein-Metzgers (36. Deutscher Juristentag 77) auch argumentativ bei. Rebstein-Metzger favorisierte eine „gleichmäßige und deshalb gerechte Behandlung der Mannesgläubiger und der Frauengläubiger“ nach dem „Prinzip der Gleichberechtigung der Ehegatten“. Es ging ihr darum, das Maß des männ lichen Gläubigerschutzes zu begrenzen,78 wie dies auch Marianne Berent auf dem 36. Deutschen Juristentag in ihrer Wortmeldung unterstrich.79 Diese Aspekte kommen auch in Hagemeyers Rücksichtnahme „auf den Ehegatten, der nicht Schuldner ist“80 zum Ausdruck. Marie Munk und Margarete Berent maßen dem Besitz, sollte § 1362 BGB im „Interesse der Rechtssicherheit der Gläubiger des Mannes“81 nicht gestrichen werden können, folgende Eigentumspublizität bei: Dergestalt, als die beweglichen Sachen im gemeinschaftlichen Haushalt beiden Ehegatten gehören. Als dritte Alternative schlugen sie vor, dass die im Besitz des Mannes oder im Besitz beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen dem Manne gehören.82 Ihr dritter Alternativvorschlag, identisch mit der Forderung Marie Munks auf dem 33. Deutschen Juristentag,83 sollte das Vermögen der Frau schützen, weil der zu damaliger Zeit noch geltende § 1362 BGB 84 gar den Zugriff auf das bewegliche Vermögen der Frau ermöglichte, obgleich sie Schuldnerin der Gläubiger des Mannes nicht war. Ebenso und darüber hinaus auch in dem Fall, wenn sie vom Mann getrennt lebte. Der Reformvorschlag Hagemeyers wollte dies ebenfalls ändern. Ihr Vorschlag stellte durch das Wort „Schuldner“ eine geschlechtsneutrale doppelseitige Ausgestaltung der praesumptio muciana dar, die sich auch in der zweiten Alternative 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84
Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 18. Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 18. Hervorhebung nicht im Original. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 6. Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten, Rebstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 565. Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Stenographischer Bericht, Vortrag Berent, S. 112 – 115, S. 114. Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 18. LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt Nr. 7. LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 3. Abschnitt Nr. 7. Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 339 – 344, S. 343. § 1362 Satz 1 und Satz 2 BGB lauteten: „Zu Gunsten der Gläubiger des Mannes wird vermutet, daß die im Besitz eines der Ehegatten oder beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen dem Manne gehören. Dies gilt insbesondere auch für Inhaberpapiere und für Orderpapiere, die mit Blankoindossament versehen sind.“
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von Marie Munk und Margarete Berent wiederfindet. In der dritten Alternative ging Marie Munk im Schutz um das Vermögen der Frau noch einen Schritt weiter als Hagemeyer. Sie wollte die Eigentumsvermutung nur einseitig, also nur für die Gläubiger des Mannes vorsehen. Was jedoch bei den Alternativvorschlägen Marie Munks und Margarete Berents im Vergleich zum Vorschlag von Maria Hagemeyer am meisten besticht, ist die erste Alternative: Die Aufhebung des § 1362 BGB. Dieser, neben den übrigen, an vorderster Stelle formulierten Vorschlag Marie Munks setzte an dem Problem der Eignung des Besitzes als einem gesetzlichen Publizitätsmittel an. Schließlich sollte aus dem Besitz der Ehegatten auf das Eigentum zur Sicherung des Befriedigungsrechts der Gläubiger geschlossen werden können. Doch mit d iesem gesetzgeberischen Ziel eröffneten sich die Fragen: Was ist eigentlich Besitz? Publiziert Besitz Eigentum? Marie Munk hatte ausweislich der Recherchen der Verfasserin dieser Arbeit diese Fragen explizit nicht beantwortet und auch ihre oben so bezeichnete erste Alternative nicht ausführlich begründet. Aber rechtshistorisch betrachtet stand Marie Munk womöglich folgender Problem kreis vor Augen: Der unmittelbare Besitz ist durch die tatsächliche Sachherrschaft über eine bewegliche Sache für den objektiven Betrachter erkennbar (§ 854 BGB 85). Dem mittelbaren Besitzer mangelt es bereits an der tatsächlichen Sachherrschaft (§ 868 BGB 86). Für Dritte sind Besitz und Eigentum beim Besitzkonstitut äußerlich nicht feststellbar, weil die tatsächliche Sachherrschaft und Eigentum auseinanderfallen (§ 930 BGB 87). Schwer bzw. fast rechtshindernd, weil aus den tatsächlichen Fakten nicht mehr rückschließbar, würde die Rechtslage für Gläubiger, wenn nach einer Eigentumsübertragung in Form eines Besitzmittlungsverhältnisses der Herausgabeanspruch an einen Dritten abgetreten würde (§ 931 BGB 88). Wenn also gem. § 1362 BGB aus dem Besitz der Ehegatten auf ihr Eigentum, nicht nur de lege lata, sondern in Form der Publizität geschlossen werden sollte, so stand Marie Munk mit ihrer Forderung nach einer Streichung des § 1362 BGB vor Augen, dass nach 85 § 854 BGB lautete: „Der Besitz einer Sache wird durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben. Die Einigung des bisherigen Besitzers und des Erwerbers genügt zum Erwerbe, wenn der Erwerber in der Lage ist, die Gewalt über die Sache auszuüben.“ 86 § 868 BGB lautete: „Besitzt jemand eine Sache als Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter, Mieter, Verwahrer oder in einem ähnlichen Verhältnisse, vermöge dessen er einem Anderen gegenüber auf Zeit zum Besitze berechtigt oder verpflichtet ist, so ist auch der Andere Besitzer (mittelbarer Besitz).“ 87 § 930 BGB lautete: „Ist der Eigentümer im Besitze der Sache, so kann die Übergabe dadurch ersetzt werden, daß z wischen ihm und dem Erwerber ein Rechtsverhältnis vereinbart wird, vermöge dessen der Erwerber den mittelbaren Besitz erlangt.“ 88 § 931 BGB lautete: „Ist ein Dritter im Besitze der Sache, so kann die Übergabe dadurch ersetzt werden, daß der Eigentümer dem Erwerber den Anspruch auf Herausgabe der Sache abtritt.“
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den gesetzlichen Bestimmungen (§§ 1006 Satz 389, 934 zweiter Halbsatz BGB 90) der mittelbare Besitz für die Eigentumsvermutung ausreichte; jedoch womöglich scheinbar im Widerspruch zu dieser Rechtslage, der Erwerber allein durch ein Besitzmittlungsverhältnis nicht, sondern nur durch Übergabe der Sache Eigentum an einer beweglichen Sache gutgläubig erwerben konnte (§ 933 BGB 91). Den letztgenannten Grundsätzen folgten die Bestimmungen über das Pfandrecht an beweg lichen Sachen (§ 1206 BGB 92). Die neuere Forschung weist auf diese widersprüchliche gesetzliche Konstruk tion zur Publizität beim Besitzkonstitut hin. Es gibt Meinungen, welche den Widerspruch verneinen, aber ebenso werde dieser auch nicht ausgeschlossen, weshalb sich die Diskussion bis in die heutige Literatur fortsetzt.93 Wollte der Gesetzgeber das Vertrauen der Gläubiger schützen, indem die bei einer Person befindlichen Sachen dieser Person rechtlich gehören, dann hätte der Gesetzgeber den Veräußerer von der Sachherrschaft ausschließen müssen; was er jedoch mit § 930 BGB nicht tat. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kamen aus Sicht Marie Munks folgende Aspekte hinzu: dass nach den Gesetzesmaterialien zum BGB von 1896 Sicherungseigentum durch Besitzkonstitut nicht verboten werden sollte, weil „durch die Belassung des Besitzes bei dem Veräußerer andere Gläubiger desselben über seine Kreditfähigkeit getäuscht werden könnten, denn die Gläubiger seien ganz allgemein nicht berechtigt, sich darauf zu verlassen, daß alle im Besitze des Schuldners befindlichen Sachen diesem auch gehören“.94 Es ist nicht auszuschließen, dass Marie 89 § 1006 Satz 1 und 4 BGB lautete: „Zu Gunsten des Besitzers einer beweglichen Sache wird vermutet, daß er Eigentümer der Sache ist. […] Im Falle eines mittelbaren Besitzes gilt die Vermutung für den mittelbaren Besitzer.“ 90 § 934 zweiter Halbsatz lautete: „Gehört eine nach § 931 veräußerte Sache nicht dem Veräußerer, so wird der Erwerber, wenn der Veräußerer mittelbarer Besitzer ist, mit der Abtretung des Anspruchs, anderenfalls dann Eigentümer, wenn er den Besitz der Sache von dem Dritten erlangt, es sei denn, daß er zur Zeit der Abtretung oder des Besitzerwerbes nicht in gutem Glauben ist.“ 91 § 933 BGB lautete: „Gehört eine nach § 930 veräußerte Sache nicht dem Veräußerer, so wird der Erwerber Eigentümer, wenn ihm die Sache von dem Veräußerer übergeben wird, es sei denn, daß er zu dieser Zeit nicht in gutem Glauben ist.“ 92 § 1206 BGB lautete: „An Stelle der Übergabe der Sache genügt die Einräumung des Mitbesitzes, wenn sich die Sache unter dem Mitverschlusse des Gläubigers befindet oder, falls sie im Besitz eines Dritten ist, die Herausgabe nur an den Eigentümer und den Gläubiger gemeinschaftlich erfolgen kann.“ 93 Tobias Quantz, Besitz und Publizität im Recht der beweglichen Sachen, Berlin 2005, S. 38 mit Hinweis auf weitere Literatur in Fußnote 27. 94 Benno Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 627.
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Munk diese Problemlage bereinigen wollte, als sie die erste Alternative, den § 1362
BGB einfach zu streichen, als Reformvorschlag formulierte. Diese Überlegungen
lassen sich auch vor ihrem Vorschlag für eine Gütertrennung mit anschließendem Zugewinnanspruch rechtfertigen.
4. Bewertung der Unterschiede im Ehegüterrecht: Marie Munk/ Margarete Berent/Emmy Rebstein-Metzger/ Marianne Weber – Maria Hagemeyer – im Vergleich zum ausgewählten Forschungsstand Hagemeyer machte deutlich, dass sich Margarete Berent um die Klärung der historischen Entwicklung und die Begriffsbildung der Zugewinngemeinschaft besondere Verdienste erworben habe.95 4.1 Grundsätzliche Erwägungen Hagemeyers grundsätzliche Erwägungen waren: „Als gesetzlicher Güterstand muß ein Güterstand eingeführt werden, bei dem die Ehegatten in Bezug auf ihr Vermögen gleichgestellt sind. Der Grundsatz der Gleichberechtigung verlangt nicht notwendig die völlige Trennung des Vermögens der Ehegatten. Der Grundsatz könne auch bei den gütergemeinschaftlichen Systemen verwirklicht werden, sofern die Stellung des Mannes und der Frau bei der Verwaltung und Verfügung hinsichtlich des Gesamtgutes die gleiche“96 sei. Hagemeyer vollzog in ihren „Allgemeinen Erwägungen“ über die Ehegüterrechtsreform die Argumente Munks und Berents aus dem Sommer 1921 und die Diskussion aus dem 33. Deutschen Juristentag in ihrem eigenen pro und contra über die Verwaltungsgemeinschaft, die Gütergemeinschaft und die Gütertrennung nach.97 Die Verwaltungsgemeinschaft des BGB von 1896 widerspräche dem Art. 3 Abs. 2 GG. Hagemeyer verwarf aber auch die allgemeine Gütergemeinschaft als Reformmodell. Sie sei in der gemeinsamen Verwaltung schwerfällig und für die Ehegatten streitbefangen. Hagemeyer wollte die Gütertrennung zum gesetzlichen Güterstand erheben, weil dieser „vom Standpunkt der berechtigten Interessen der Eheleute aus gesehen, der zweckmäßigste“ sei. Allerdings nur, sofern er „mit einem Anspruch auf Beteiligung an dem während der Ehe erzielten Gewinn (der natürlich auch die Ersparnisse aus
95 Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 18 – 19. 96 Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 7. 97 Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 12, 15 – 16.
Marie Munks Einfluss auf die deutsche Rechtsentwicklung der 1950er-Jahre
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nichtselbständiger Arbeit umfaßt) verbunden“98 würde. Insbesondere die Haushalts tätigkeit der Frau würdigte Hagemeyer als Beitrag zum Familienunterhalt.99 Ebenso war dieser Hinweis zugleich Argument für die hälftige Teilung des Zugewinns.100 Eine Argumentationskette, mit der Marie Munk auf dem 33. Deutschen Juristentag überzeugt und die Entschließung maßgeblich beeinflusst hatte,101 sodass Emmy Rebstein-Metzger und Marianne Weber auf dem 36. Deutschen Juristentag hierauf Bezug nehmend die Zugewinngemeinschaft als eine „spruchreife“ Neuregelung vorstellen konnten.102 Die Berechnung und der Anteil des Zugewinns entsprachen bei Hagemeyer den Vorschlägen von Munk und Berent aus dem Sommer 1921 und den Vorschlägen Marie Munks auf dem 33. Deutschen Juristentag.103 Hagemeyer griff Munks Vorschlag auf, dass für den Fall, in dem die gesetzliche Halbteilung zu Unbilligkeiten führen könne, eine Teilung des Zugewinns durch das Gericht festzusetzen sei.104 In diesen Fällen wollte Emmy Rebstein-Metzger die Teilung des Zugewinns der vertraglichen Vereinbarung der Ehegatten überantworten.105 Hagemeyer forderte, wie Munk, eine Zugewinnbeteiligung auch für die vertraglichen Güterstände de lege ferenda vorzusehen, wenn sie als vertragliche Möglichkeit durch den Gesetzgeber erhalten bleiben sollten. Zur Überwindung von Nachteilen in den vertraglichen Güterständen schlug Maria Hagemeyer im Interesse einer Festigung „der Verbundenheit der Ehegatten“ vor, „daß jeder an dem von dem andern Ehegatten während der Ehe erzielten Gewinn nach Auflösung der Ehe beteiligt“106 werden solle. Für die Verwaltungsgemeinschaft forderte Hagemeyer eine Übertragung der Vermögensverwaltung auch auf die Frau.107 Doch für die Einzelfälle der Sicherung des Zugewinns und im Falle der Scheidung zeigten sich interessante Unterschiede in den Auffassungen.
98 Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 16. 99 Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 17. 100 Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 20. 101 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Vortrag Marie Munk, S. 371 – 372, . 1 02 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 568 – 575, S. 569; Stenographischer Bericht, Vortrag Weber, S. 94 – 106, S. 104. 103 Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 17 – 22. 104 Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 12. 1 05 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 571. 106 Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 16. 107 Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 25 – 30, S. 26.
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Beteiligung an der deutschen und amerikanischen Rechtsentwicklung (1951 – 1954)
4.2 Der Zugewinn und die Schuld an einer Scheidung Für Hagemeyer bestand kein Anlass, den Zugewinn von der Schulfrage „unabhängig zu machen“108. Der alleinschuldige Ehegatte sollte von einem Zugewinnanspruch ausgeschlossen sein, es sei denn, eine unbillige Härte verlange nach einer anderen Regelung. Insbesondere dann, wenn der schuldige Ehegatte zum wirtschaftlichen Erfolg der Ehe erheblich beigetragen hatte oder der Grad der Schuld wegen einer einmaligen Eheverfehlung ein geringer sei. Die überwiegende Schuld eines Ehegatten an der Scheidung erachtete Hagemeyer ohne Einfluss auf die Zugewinnforderung, weil es eh zur Auflösung der Ehe gekommen wäre. Aus den gleichen Gründen koppelte Hagemeyer die Halbteilung des Zugewinns von der Schuldfrage im Scheidungsprozess ab.109 Hagemeyer wertete nur die grundlose Trennung des einen Ehegatten von dem anderen Ehegatten oder einen wahrheitswidrigen Prozessvortrag der Ehegatten als Alleinschuld im Scheidungsprozess. Nur d ieses eheliche Fehlverhalten rechtfertigte aus Sicht Hagemeyers einen Zugewinnanspruchausschluss.110 Ähnlich argumentierte, zum gleichen Ausschluss des Zugewinnanspruchs kommend, Emmy Rebstein-Metzger auf dem 36. Deutschen Juristentag. Allerdings nur „solange das materielle Scheidungsrecht die Beteiligten zu Konventionalscheidungen und damit zu rein äußerer Schuldübernahme drängt“111. Aus einer Verstrickung von Scheidungsschuld und Ehegüterrecht habe der Mann ein Faustpfand gegenüber der scheidungswilligen Frau in der Hand und kette die Ehegatten gegen ihren Willen aneinander, konstatierte Marianne Weber schon etliche Jahre zuvor,112 ohne jedoch rechtlich konkret zu werden. Einen Schritt weiter gingen Marie Munk und M argarete Berent: Im Gegensatz zu Emmy Rebstein-Metzger und Maria H agemeyer wollten Marie Munk und Margarete Berent den Zugewinnanspruch und die Zugewinnforderung grundsätzlich von der Schuldfrage freihalten, denn „bei Tod, Scheidung oder sonstiger Beendigung des Güterstandes findet eine Auseinandersetzung nach folgenden Gesichtspunkten statt“113. Mit diesen Worten nahmen Marie Munk und Margarete Berent die Schuld an der Scheidung aus dem Ehegüterrecht heraus. Stattdessen setzten beide das eheliche Güterrecht zum Schutz gegen eine (voreilige) Scheidung ein: Es „würde die Einführung 108 109 110 111
Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 23. Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 23 – 24. Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 24. Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 572. Hervorhebung nicht im Original. 112 Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S. 550. 113 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, Absatz 3.
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der vorgeschlagenen Form der Errungenschaftsgemeinschaft wahrscheinlich in sehr vielen Fällen die Frau davor s chützen, daß der Mann leichtsinnig die Ehe löst, auch wenn eine Ehescheidung ohne Verschulden möglich ist“.114 Den letzten Aspekt griff Marie Munk auf dem 33. Deutschen Juristentag noch deutlicher auf: „Der Zugewinst anspruch“ dürfe „nicht mit der Schuldfrage im Scheidungsprozeß verknüpft werden“.115 Man möge „erwägen“, ob eine Erklärung des unschuldigen Ehegatten im Scheidungsprozess den schuldigen Ehegatten von der Gewinnbeteiligung ausschließen können sollte. Allerdings forderungsrechtlich nur bezogen auf „seinen Anteil an dem von dem anderen Ehegatten während der Ehe erworbenen Gewinn“.116 Aus Sicht Marie Munks hinge der Schuldspruch im Scheidungsprozess „vom Zufall ab“, weshalb die Schuldfrage den Zugewinnanspruch unberührt lassen müsse.117 Die neuere und neueste Sekundärliteratur verknüpft den Zugewinnanspruch, die Zugewinnforderung und die Schuld an der Scheidung in ihren rechtshistorischen Betrachtungen nicht, weil sich die Arbeiten zuvorderst an einer traditionellen Rechtssystematik ausrichten: hier Eherecht, da Ehegüterrecht und hierneben die anderen Rechtsbereiche. Heike Vaupel berührt die Wirkungen der Schuld auf die anderen Bereiche des Ehe- oder des Kindschaftsrechts in ihrer wissenschaftlichen Arbeit über die Familienrechtsreform der Fünfzigerjahre gar nicht.118 Jörn Wendrich assoziiert mit seinem Untersuchungsansatz, den rechtspolitischen Willen zur Umsetzung des Art. 3 Abs. 2 GG im Reformprozess der 1950er-Jahre zum Rechtsverhältnis von Frau und Mann in der Ehe wissenschaftlich rechtspolitisch erkunden zu wollen, einen diffizileren Weg. Gerade im Vergleich mit dem Reformprozess der Weimarer Zeit eröffnet Jörn Wendrich für den Betrachter den Blick für die Diskrepanz z wischen dem gruppeninternen Meinungsbild und der Außendarstellung der rechtspoli tischen Akteure. Damit fordert er zumindest auf, über den Unterschied von Recht und Wirklichkeit auch für andere Regelungsbereiche im Ehe- und Familienrecht, so z. B. über das Problem der Schuld im nachehelichen Rechtsverhältnis von Frau und Mann, nachzudenken. 114 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 5. Abschnitt, Absatz 1. 115 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk, S. 339 – 344, S. 341. 116 Ebd. 117 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Vortrag Marie Munk, S. 369 – 380, S. 378. 118 Vaupel konzentriert sich auf ausgewählte Punkte des Alleinentscheidungsrechts des Mannes: den sogenannten Gehorsamsparagraphen (§ 1354 BGB), das Kindschaftsrecht (§ 1634 BGB), die Berufstätigkeit der Frau (§ 1356 BGB) auch im Kontext der ehelichen gemeinsamen Unterhaltspflicht (§ 1360 BGB), wie an ihrer Auswahl zur rechtswissenschaftlichen Diskussion nach dem Zweiten Weltkrieg sichtbar wird: Heike Vaupel, Die Familienrechtsreform der fünfziger Jahre, S. 91 – 110.
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Sabine Stierstorfer behandelt in ihrer Arbeit mit dem Titel „Das erste einheitliche deutsche Güterrecht“119 das Problem der Folgen einer Scheidung für das Güterrecht nicht, sondern geht streng den historischen Ereignissen nur für das Ehegüterrecht nach. Michael Humphrey klammert in seiner wissenschaftlichen Betrachtung zur „Weimarer Reformdiskussion über das Ehescheidungsrecht und das Zerrüttungsprinzip“120 die ehegüterrechtlichen Scheidungsfolgen ganz aus. Obgleich der Fortschritt des deutschen Gesetzgebers bereits im BGB von 1896 doch gerade darin bestand, ein allumfassendes Buch zum Ehe- und Familienrecht in Kraft gesetzt zu haben. Müssen die Fragen rechtshistorischer Arbeiten neu gestellt werden? Eine Antwort auf diese Frage möchte die Verfasserin an dieser Stelle nicht umfänglich geben wollen, sondern nur darauf verweisen, dass zwei Verfasser einen anderen Weg nahmen. Jens Lehmann benennt die ehegüterrechtlichen Folgen aus dem Scheidungsrecht als „Scheidungsstrafen“121 und weist darauf hin, dass, entgegen aller Kritik aus der deutschen Frauenbewegung während der Zeit der Entstehung des BGB von 1896, die Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine von 1895 am Schuldgrundsatz für eine Scheidung dennoch festhielt. Jörg Offen verdeutlicht, dass die Schuldfrage, mit dem Ehegüterrecht verknüpft, Maria Hagemeyers Denkschrift herbe Kritik vonseiten des Deutschen Akademikerinnenbundes eingebracht habe.122 Ergänzend hierzu sei darauf hingewiesen, dass Maria Hagemeyer Schuldscheidung und Ehegüterrecht verknüpfte und in ihrem argumentativen Bezug auf Emmy Rebstein-Metzger übersah, dass Rebstein-Metzger beides nicht verknüpft, sondern den Gesetzgeber kritisiert hatte: Aus Sicht Rebstein- Metzgers werde das Ehegüterrecht durch die Schuldfrage zu Scheidungsstrafen fortwährend gedrängt. Sollte sich der Gesetzgeber vom Schuldprinzip nicht verabschieden wollen, so gab bereits Marie Munk zu bedenken, solle der Gesetzgeber es dem unschuldigen Ehegatten überlassen, seiner subjektiven Betroffenheit während des Scheidungsverfahrens Ausdruck zu verleihen, indem sich seine Erklärung auf die Forderung aus dem von dem anderen Ehegatten während der Ehe erwirtschafteten Gewinn auswirken könnte. Indem Marie Munk den Zugewinnanspruch unberührt lässt, aber nach Abgabe der Erklärung durch den betreffenden Ehegatten die Forderung durch das Gericht reguliert wissen möchte, gab Marie Munk, auch wenn der Gesetzgeber sich nicht von der Schuldfrage würde verabschieden können, den Zugewinn der Schuld nicht gänzlich preis. Darüber hinaus sollte das Gericht über
119 120 121 122
Berlin 2010. Göttingen 2006. Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 103. Jörg Offen, Von der Verwaltungsgemeinschaft des BGB von 1896 zur Zugewinngemeinschaft, S. 95.
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die materielle Wirksamkeit dieses Ausschlusses „in erster Linie“ die wirtschaft lichen Leistungen des Ehegatten berücksichtigen.123 In der Denkschrift Maria Hagemeyers tritt der Unterschied zwischen Anspruch und Forderung deutlich hervor; verwischt sich in der Diskussion um den Grad der Schuld, einer grundlosen Trennung und eines wahrheitswidrigen Prozessvortrags der Ehegatten im Scheidungsprozess. Obgleich das subjektive Recht des geschiedenen Ehegatten, seinen materiell-rechtlichen Anspruch zu fordern und seine Forderung aus dem Zugewinn nach herrschender Meinung ein und dasselbe ist. Ob schuldig oder nicht, haben doch beide Ehegatten während der Ehe zum wirtschaftlichen Erfolg der Ehe beigetragen und Anwartschaften erworben. H ierauf ging Maria Hagemeyer nur einschränkend ein, obgleich das, was nach einer Scheidung auszukehren ist, durch die Schuld an einer Scheidung nur dann berührt werden könnte, wenn, ähnlich wie im Erbrecht, der eine dem anderen Ehegatten nach dem Leben trachtet. Wenn also Emilie Kempin eine der ersten Frauen in Deutschland war, die das heutige Modell einer Zugewinngemeinschaft in „grundlegenden Zügen“ erdacht hatte,124 so kann Marie Munk als eine der ersten Frauen der Jurisprudenz bezeichnet werden, die das Ehegüterrecht von der Schuld einer Scheidung bereinigen wollte. 4.3 Vorzeitiger Zugewinnausgleich und Sicherung des Zugewinns Beide Bereiche, die Sicherung des Zugewinns und der vorzeitige Zugewinnausgleich, werden im Folgenden in sowohl ihrem Kontext als auch getrennt voneinander betrachtet. Dies kann damit begründet werden, dass einige Reformreferentinnen, anders als Marie Munk und Maria Hagemeyer, diese beiden Arten von Sicherungsmaßnahmen sowohl miteinander korrespondierend betrachteten, als auch getrennt beurteilten oder gar nicht berührten. Sicherungsmaßnahmen bei objektiver Gefährdung des Zugewinnanteils durch das Verhalten eines Ehegatten stellte Marianne Weber nicht in den Fokus ihrer Betrachtungen.125 Marianne Weber stellte in ihrer Kritik zum BGB von 1896 nur allgemein fest, dass Sicherungsmaßnahmen für die Frau gegen eine Verminderung ihres Vermögens im Gesetz nicht hinreichend verankert seien.126 Emmy Rebstein-Metzger wollte Sicherungsmaßnahmen dem Ermessen des Gerichts überlassen. Im Einzelnen legte sie sich nicht auf bestimmte Vorschläge fest, sondern benannte beispielhaft die Übertragung der Verwaltung auf 123 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Vortrag Marie Munk, S. 369 – 380, S. 378 – 379. 124 Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 136. 125 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Stenographischer Bericht, Vortrag Weber, S. 94 – 106, 133 – 137; Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S. 458 – 495. 126 Ebd., S. 465.
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einen Dritten.127 Zu diesem Reformvorschlag sei nur kurz eingewandt, dass Rebstein- Metzger dem Gesetzgeber zu wenig Konturen für ein neues Recht und dem Richter die Entscheidung allein überließ. Womöglich stünde einer der Ehegatten während der gesamten Ehe unter richterlich überwachter wirtschaftlicher Kuratel. Margarete Berent und Marie Munk dachten über eine Gewinnbeteiligung in 1- bis 2-jährigem Zeitabstand in Form einer Abrechnung nach, vermochten jedoch in ihren „Vorschlägen zur Abänderung des Familienrechts und verwandter Gebiete“ im Sommer 1921 die Voraussetzungen noch nicht zu benennen.128 Auf dem 33. Deutschen Juristentag forderte Marie Munk das Recht jedes Ehegatten, sowohl jederzeit Auskunft über den Vermögensbestand und den Erwerb zu verlangen, als auch auf Aufhebung der Gewinnbeteiligung für die Zukunft und auf sofortige Auseinandersetzung zu klagen.129 Hagemeyer sprach sich (nach eingehenden Abwägungen 130) ebenfalls für eine Aufhebung der Zugewinngemeinschaft für die Zukunft aus, allerdings gegen die sofortige Auseinandersetzung. Stattdessen favorisierte sie eine einstweilige Anordnung gegen den verschwenderischen Ehegatten, weitere schädigende Handlungen zu unterlassen.131 Für Maria Hagemeyer war entscheidend, dass der Ehegatte mit der Auseinandersetzung seinen Anspruch auf Zugewinn trotz bestehender Ehe für die Zukunft nicht verlöre. Es sei denn, das Gesetz würde bestimmen, dass nach der Auseinandersetzung erneut Zugewinngemeinschaft einträte. Letzteres könne jedoch zu einem sich mehrere Male wiederholenden Aufhebungs- und Ausgleichungsverfahren während der Ehe führen. Dieses sei „mit dem Wesen der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht vereinbar“.132 Bei vergleichender Betrachtung der Vorschläge von Maria Hagemeyer und Marie Munk eröffnet sich dem Betrachter folgendes: 127 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 575. 128 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 4. Abschnitt, Absatz 6. 129 Schriftführer-Amt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten Marie Munk und Vortrag Marie Munk, S. 341 – 342, 377 – 378. 130 Eine Einschränkung des Verfügungsrechts der Ehegatten über den Zugewinn lehnte Hagemeyer aus grundsätzlichen Bedenken ab. Das wirtschaftliche Handeln würde gehemmt. Die Unwirksamkeit der Verfügungen des „schädigenden“ Ehegatten gegenüber Dritten erschwere den Rechtsverkehr und beeinträchtige die Rechtssicherheit. Schadenersatzforderungen wären nur bei einem ausreichend umfangreichen Sondervermögen durchsetzbar. In: Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 24 – 25. 131 Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 24. 132 Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 25.
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Die Grundlage von Marie Munks Vorschlag bestand nicht darin, dass Munk dem fordernden Ehegatten „seinen Anteil am Ehegewinn in einem bestimmten Zeitpunkt zukommen lassen und sein Anwartschaftsrecht schützen“ wollte. Sondern Marie Munk begründete ihren Vorschlag damit, dass sie den fordernden Ehegatten „für die Zukunft davor s chützen“ wollte, „die Hälfte von dem, was er in Zukunft erringen sollte, an den anderen Ehegatten, der alles gröblich verschwendet oder von dem er dauernd getrennt lebt, herausgeben“ zu müssen.133 Diese beiden vorgenannten Lebenssachverhalte definierte Marie Munk als ökonomisches ehewidriges Verhalten, um im Interesse des ökonomischen Erhalts der Familie rechtlich agieren zu können. Im Gegensatz zu Maria Hagemeyer, die ihren Reformvorschlag mit dem „Wesen der ehelichen Lebensgemeinschaft“ begründete und durch einen Auskunftsanspruch beider Ehegatten zu stützen suchte.134 Allgemein darf für diese Praxisfälle nicht verkannt werden, dass eine Wirtschafts- oder Unterhaltsgefährdung ein schleichender, zunächst heimlicher Prozess ist, der, wenn er denn plötzlich (meist zufällig) sichtbar wird und sich fortsetzt, für jede einzelne Unterlassungshandlung ein neues weiteres Klageverfahren oder das eingeleitete Klageverfahren womöglich mit erweiternden und zusätz lichen Klageanträgen anhäuft. Aus prozessökonomischer Sicht eine ungünstige Situation für die Prozessbeteiligten. Weder von einem geordneten Gerichtsverfahren noch vom Wesen 135 der ehelichen Lebensgemeinschaft bliebe hier etwas übrig. Insbesondere dann, wenn der Ehegatte seine die Familie wirtschaftlich schädigenden Handlungen trotz Urteils nicht unterlässt. Ihrem Hauptproblem, der Geschäftsuntüchtigkeit oder der Spielsucht des anderen, werden die Ehegatten nicht mehr Herr. Die Wirtschaft der Ehe landet in einer Eskalation. Für diese Fälle, und diese mögen nach der allgemeinen Lebenserfahrung zahlreich sein, bot der Reformvorschlag Maria Hagemeyers keine Bewältigungsstrategie an. Marie Munk hingegen schuf mit ihrem Vorschlag sofort klare wirtschaftliche (ehegüterrechtliche) Verhältnisse und dämmte die wirtschaftliche Bedrohung der Familie ein. Nur in d iesem Umfeld sind Bewältigungsstrategien, nicht nur wirtschaftlicher Natur, umsetzbar. Ein Blick in den rechtshistorischen Forschungsstand zu dieser Problematik offenbart, dass sich Jens Lehmann einer ehegüterrechtlichen Sicherung im Interesse der Frau im Kontext des BGB von 1896 im Rahmen eines für die Frau einzufordernden
133 Schriftführer-Amt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Vortrag Marie Munk, S. 378. 134 Maria Hagemeyer, Denkschrift, II. Teil, S. 25. 135 Wobei Maria Hagemeyer dem Leser schuldig bleibt, was das Wesen der Ehe eigentlich ausmacht. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 7.1.3. und Nr. 7.1.4.
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Ersatzanspruchs 136, einer Vermögenssicherung 137, auf der Grundlage eines Vermögensverzeichnisses 138 und der Novellierung einer für ihr Vermögen einzurichtenden Sicherheitsleistung widmete.139 Aus diesen von Jens Lehmann bewerteten wissenschaftlichen Autoren ragt Jastrow hervor, der überdeutlich die Sicherheit des Vermögens der Frau mit dem Typenzwang des ehelichen Güterstandes verknüpft, indem er die Sicherheit für die Frau dann annimmt, wenn die Frau ihr Vermögen tatsächlich selbst verwaltet,140 also Gütertrennung eintritt. Urte Nesemann knüpft an die rechtswissenschaft liche Literatur der Weimarer Zeit an, w elche sich an die skandinavische Rechtslage anlehnte und zum Schutz des Vermögens der Frau einen anderen Güterstand ebenfalls einforderte.141 Jens Lehmann hebt den Vorschlag Josef Kohlers hervor, die güterrechtliche Gemeinschaft durch öffentlichen Akt aufzukündigen 142 und Sabine Stierstorfer kennzeichnet Plancks Auffassung, beide Instrumente, nämlich die Sicherheitsleistung und die Aufkündigung des Ehegüterstandes, zum Schutz des Vermögens der Frau für unabdingbar zu erachten.143 Alle diese Auffassungen knüpfen zum einen an das Vermögen der Frau als Ganzes im Kontext des Ehegüterrechtsmodells an; zum anderen können diese Arbeiten sachlogisch nicht auf eine Veränderung von in der Ehe gemeinsam erwirtschafteten Vermögen in Anpassung sozialer und wirtschaftlicher Ereignisse eingehen, weil sie ausschließlich den Typenzwang des Güterrechts im Blick haben. Zum Dritten 136 Jens Lehmann stellt für den Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft nach Entstehen des BGB von 1896 die Kritik Schröders dar, der über das Vorbehaltsgut der Frau hinaus eine Sicherheitsleistung für den der Frau zustehenden Ersatzanspruch einfordert. Jens Lehmann verweist auf die Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine von 1895 und auf Gottlieb Planck, die für den Güterstand der Gütergemeinschaft und Planck in seinem Vorentwurf einen Ersatzanspruch der Frau für den Fall der Gesamtvermögensminderung favorisierten. In: Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 102 – 103, 230 – 231, 285 – 286. 137 Unter Bezug auf Bulling und Godin: Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 239 – 240, 252. 138 Unter Bezug auf Bähr und von Holtum: Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 202, 274. 139 Unter Bezug auf Stegemann: Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 142 – 143. 140 Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 244. 141 Unter Bezug auf Otto A. Bittner und Heinrich Schultz: Urte Nesemann, Die schwedische Familiengesetzgebung, S. 307, 310. 142 Kohler hatte mit der Gütergemeinschaft sympathisiert, jedoch für die Stellung der Frau im Ehegüterrecht die Errungenschaftsgemeinschaft deshalb favorisiert, weil diese sich auf das Errungene beschränke. In: Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 141. 143 Sabine Stierstorfer, Das erste einheitliche deutsche Güterrecht. Der Entwurf derVerwaltungsgemeinschaft für das BGB von 1900 und seine Diskussion in der Rechtswissenschaft, Berlin 2010, S. 93 – 101.
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war der historisch wissenschaftliche Diskurs bis heute männlich vorgeprägt, wie ein Blick in Jens Lehmanns Arbeit zeigt. Dies liegt an der Tatsache, dass die wissenschaftlichen Publikationen von Autorinnen aus der Weimarer Zeit zum BGB von 1896 bis heute nicht aufgearbeitet worden sind. Neben Marie Munk sollen deshalb an dieser Stelle thematisch relevant zwei Autorinnen vorgestellt werden: Ilse Wronker mit ihrer Arbeit über die „Materiellrechtliche Stellung der erwerbstätigen Ehefrau nach dem gesetzlichen Güterrecht“144 und Kaete Heyne mit ihrer Publikation über den „Schutz der Frau bei bestehender Ehe gegen schlechte Verwaltung ihres eingebrachten Gutes durch den Ehemann (§ 1394 BGB)“.145 Diese beiden Themenbereiche, Erwerb der Frau und Zugewinn, waren nur in einem Gutachten zum BGB von 1896 Gegenstand der Betrachtung, nämlich in dem Gutachten von Brühl, wie seine Beurteilung bei Jens Lehmann zu finden ist.146 Kaete Heyne ist insofern von den beiden vorgenannten Autorinnen hervorzuheben, weil sie die Sicherungsansprüche in drei Unterarten unterteilt. Erstens in die Feststellung des Vermögensbestandes, zweitens in die Sicherheitsleistung und drittens, mit den beiden vorgenannten korrespondierend, in den Auskunftsanspruch. Alle drei machen den Sicherungsanspruch aus. Der Auskunftsanspruch müsse zwangsläufig in vollem Umfang vorgeschaltet sein,147 führte Kaete Heyne aus, sonst gefährde die Rechtslage nach dem BGB von 1896 das Vermögen der Frau nicht nur wegen der Unklagbarkeit ihrer Sicherungsansprüche während bestehender Ehe. Denn darüber hinaus falle die Schranke der Unklagbarkeit nur fort, wenn es der Ehefrau gelänge, eine „begründete Besorgnis einer Gefährdung“ ihres Vermögens nachzuweisen. Letzteres sei der Ehefrau jedoch deshalb verwehrt, weil sie ihren Ehemann zur Auskunft über den Bestand des Vermögens nicht zwingen könne.148 Die Ausführungen Heynes sind wie Ilse Wronkers Arbeit von besonderem Interesse, insbesondere stellt Wronker in den Vordergrund, dass bereits die Frage darüber, ob das Geschäftsvermögen eingebrachtes Gut oder Vorbehaltsgut war, in Literatur und Rechtsprechung zu damaliger Zeit umstritten war.149 Die Arbeiten von Kaete Heyne und Ilse Wronker beweisen, dass die Themen „Erwerb der Frau und seine Sicherung“ enger am Recht der Frau angebunden sind als der Typenzwang im Ehegüterrecht. Ein Blick in diese Arbeiten zu gegebener Zeit hätte die 144 145 146 147
Borna-Leipzig 1933. Diss. Universität Jena 1927. Jens Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 264. Kaete Heyne, Schutz der Frau bei stehender Ehe gegen schlechte Verwaltung ihres eingebrachten Gutes durch den Ehemann (§ 1394 BGB), Diss. Jena 1927, S. 32 – 33. 148 Kaete Heyne, Schutz der Frau bei stehender Ehe, S. 37 – 41. 149 Ilse Wronker, Die materiellrechtliche Stellung der erwerbstätigen Ehefrau nach dem gesetz lichen Güterrecht, Borna-Leipzig 1933, S. 41 – 69.
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Augen dafür geöffnet, dass eine Sicherung des Vermögens der Frau, gerade in einem sozioökonomischen Wandel, nicht ausschließlich über den Typenzwang im ehelichen Güterrecht erreicht werden kann. Es bedarf vielmehr einer größtmöglichen Flexibilität, wie sie der Betrachter in dem 1- bis 2-jährigen Zugewinnausgleich unter den Ehegatten nach dem Vorschlag von Marie Munk und Margarete Berent aus dem Jahre 1921 und in der Forderung nach einem Auskunftsanspruch auf dem 33. Deutschen Juristentag findet. Die Arbeiten von Wronker und Heyne und eine dezidiertere Betrachtung von Marie Munks Forderungen hätten womöglich nicht nur den Blickwinkel von den vorwiegend männlichen Autoren und ihrer Position um die Frage, welcher Güterstand es denn zum Schutz der Frau sein solle, ein Stück weit weg darauf ausgerichtet, welcher rechtlicher Instrumentarien es im Interesse der wirtschaftlichen Tätigkeit der Ehefrau in der Ehe in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, und somit in einem sozialen Wandel der Zeit, eigentlich genau genommen bedurft hätte, um den Beitrag der Ehefrau zum wirtschaftlichen Gewinn der Ehe nicht zu gefährden. In Ermangelung dieser bis heute ausstehenden Aufarbeitung ist es für den weiteren Verlauf der historischen Entwicklung um eine Verabschiedung des Gleich berechtigungsgesetzes nicht erstaunlich, wenn der Leser in Jörg Offens wissenschaft licher Arbeit auch für den parlamentarischen Diskurs vor Verabschiedung des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957 zur Kenntnis nehmen kann, dass zu damaliger Zeit eine Klage auf einen vorzeitigen Zugewinnausgleich unter den Parlamentariern die Befürchtung nährte, d ieses Rechtsmittel könne von einem der Ehegatten missbraucht werden, um fortan Gütertrennung einzuführen und den Zugewinnausgleich zu verhindern. Mit der Folge, dass das Parlament beschloss, dass es dem in einem Prozess um den vorzeitigen Zugewinnausgleich klagenden Ehegatten selbst überlassen bleiben solle, ob er künftig Gütertrennung oder Zugewinnausgleich haben wolle.150 Doch damit ist nach Auffassung der Verfasserin dieser Arbeit das Problem der Gefährdung für den erwirtschafteten Gewinn bzw. der Sicherung des Zugewinns und die Frage um einen vorzeitigen Zugewinnausgleich nicht aus der Welt, weil der Auskunftsanspruch als zentralster Punkt einer Vermögens- oder Zugewinngefährdung nicht in den Fokus der Betrachtung rückte. Im Sinne eines skizzenhaften Ausblicks sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, dass erst seit dem 1. September 2009 dem Auskunftsanspruch nicht nur im Zugewinnausgleichsverfahren, sondern auch für eine vorzeitige Aufhebung der
150 Jörg Offen, Von der Verwaltungsgemeinschaft des BGB von 1896 zur Zugewinngemeinschaft, S. 202 – 203; Hinweis auf Offen in: Sabine Uta Mehnert, Entwicklungen im gesetzlichen Güterrecht, S. 102.
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Zugewinngemeinschaft und zum Zwecke der Sicherung des Zugewinnausgleichsanspruchs (auch mit Kritik verbunden) vollumfänglich Rechnung getragen wird.151
5. Bewertung der Unterschiede im Rechtsverhältnis der Eltern zu ihren Kindern: Marie Munk/Emmy Rebstein-Metzger/ Marianne Weber – Maria Hagemeyer – im Vergleich zum ausgewählten Forschungsstand Eine gemeinsame Ausübung der elterlichen Gewalt in vollem Umfang, ohne eine Trennung zwischen Sorgerecht einerseits und Vermögensverwaltung andererseits, wurde von Maria Hagemeyer – auch mit Hinweis auf Marianne Weber 152 – vorgeschlagen.153 Ein Sorgerecht, das sich an dem Geschlecht der Kinder orientiere, wurde von Maria Hagemeyer abgelehnt.154 Im Falle der Verhinderung eines Ehegatten an der Ausübung der elterlichen Gewalt oder im Falle ihrer Entziehung war Marianne Weber zurückhaltender als Maria Hagemeyer. Marianne Weber wollte auf Antrag der Mutter die sozialen Verhältnisse im Interesse des Kindeswohls durch das Vormundschaftsgericht zuvor beurteilen lassen.155 Nach Maria Hagemeyer könne der verbleibende Ehepartner die Ausübung der elterlichen Gewalt sogleich übernehmen. Die Bestellung eines Pflegers käme nur in Betracht, wenn die Eltern verhindert seien.156 Die Entziehung der elterlichen Gewalt sei, mit dem Hinweis auf eine gleiche Berechtigung, auch bei der Mutter möglich, hob Hagemeyer hervor.157 Zur Konfliktlösung über Fragen der elter lichen Gewalt erdachte Marianne Weber einen Familienrat einzuschalten.158 151 Im Folgenden sei nur die Literatur kurz nach Einführung der Gesetzesnovellierung genannt: Vgl. Gerd Brudermüller, Die Neuregelungen im Recht des Zugewinnausgleichs ab 1. 9. 2009, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 56/2009, Heft 14, S. 1188 – 1190; Ludwig Bergschneider, Der Auskunftsanspruch gemäß § 1379 BGB unter besonderer Berücksichtigung seiner Auswirkungen auf den vorzeitigen Zugewinnausgleich nach der Zugewinnausgleichsreform, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 56/2009, Heft 20, S. 1713 – 1724; Max Braeuer, Probleme der neu gestalteten Auskunftsansprüche im Zugewinnausgleichsrecht, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 57/2010, Heft 10, S. 773 – 7 80; Elisabeth Koch, Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Zugewinnausgleich, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 57/2010, Heft 15, S. 1206 – 1207. 152 Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S. 446, 449, 451. 153 Maria Hagemeyer, Denkschrift, III. Teil, S. 19. 154 Maria Hagemeyer, Denkschrift, III. Teil, S. 9 – 10. 155 Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S. 454 – 455. 156 Maria Hagemeyer, Denkschrift, III. Teil, S. 13. 157 Maria Hagemeyer, Denkschrift, III. Teil, S. 14. 158 Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S. 457 – 458.
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einungsverschiedenheiten unter den Eltern über das Sorgerecht oder über VerM mögensfragen regelten aus Sicht Hagemeyers zukünftig die Vormundschaftsgerichte im Interesse der Kinder. Ein Abweichen von den Anträgen der Eltern im Verfahren war aus ihrer Sicht nur aus wichtigem Grund gerechtfertigt.159 Mit Ausnahme des weberschen Vorschlags, einen Familienrat einzuschalten, hatte sich Marie Munk bereits im Sommer 1921160 und in ihrer Publikation „Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts der Ehescheidung und der elterlichen Gewalt“161 für vorgenannte Überlegungen und Regelungen ausgesprochen. Allerdings wollte sie den § 1634 BGB nicht ändern, sondern streichen. An seine Stelle sollte eine Bestimmung treten, die es den Eltern ermöglichen sollte, vorbehaltlich der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht, Verträge über die elterliche Gewalt während der Ehe, nach einer Scheidung oder nach „Trennung der Ehe“ zu schließen;162 schon wie Marianne Weber in ihrer allgemein formulierter Scheidung ohne Schuld derartige Verträge unter Aufsicht des Vormundschaftsgerichts für richtig erachtete.163 Allerdings sah Marie Munk vor dem Hintergrund eines neuen Scheidungsrechts Verträge über die elterliche Gewalt bei einer Scheidung aufgrund gegenseitiger Einwilligung als Bedingung für eine Scheidung als erforderlich an. Darüber hinaus wollte Marie Munk, dass in den Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht über Meinungsverschiedenheiten in Fragen der elterlichen Gewalt, je nach Lage des Falles, auch Kinder angehört werden.164 Nach diesem letztgenannten Aspekt des Kindesinteresses sucht der Betrachter bei Marianne Weber, Emmy Rebstein-Metzger und Maria Hagemeyer vergebens. Für den Fall des Todes eines Ehegatten pflichtete Maria Hagemeyer 165 dem Vorschlag Munks,166 eine Entscheidung durch das Vormundschaftsgericht und, bis zu dessen Urteil, das Jugendamt als Pfleger zu bestellen, nicht bei. Ebenso kritisierte sie Munks Vorschlag, dass die Eltern zu Lebzeiten die elterliche Gewalt im Testament regeln und den überlebenden Ehegatten ausschließen könnten: Unter dem Einfluss unberechtigten Misstrauens oder egoistischer Motive könnten diese Entscheidungen getroffen worden sein.167 Stattdessen plädierte Hagemeyer – wie Emmy 159 Maria Hagemeyer, Denkschrift, III. Teil, S. 12. 160 LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2765, 6. Abschnitt, einleitende Ausführungen. 161 Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. 37 – 38, 40 – 41, 79. 162 Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. 46, 79. 163 Marianne Weber, Das Problem der Ehescheidung, in: dies., Frauenfragen und F rauengedanken, Tübingen 1919, S. 65. 164 Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. 46, 79. 165 Maria Hagemeyer, Denkschrift, III. Teil, S. 16. 166 Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. 44, 80. 167 Maria Hagemeyer, Denkschrift, III. Teil, S. 16.
Marie Munks Einfluss auf die deutsche Rechtsentwicklung der 1950er-Jahre
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Rebstein-Metzger 168 – dafür, einen Beistand durch das Vormundschaftsgericht nur für den Fall zu bestellen, wenn der überlebende Ehegatte sich der Erziehungsverantwortung nicht gewachsen zeige.169 Einen Beistand bei einer Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten nur im begründeten Einzelfall zu bestellen, hielten Munk 170 und Emmy Rebstein-Metzger 171 sowie Maria Hagemeyer für angezeigt. Im Übrigen sollte auch aus Hagemeyers Sicht die Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten auf die elterliche Gewalt ohne Auswirkungen sein.172 Sorgerecht und elterliche Gewalt sollten aus Sicht Hagemeyers nach der Scheidung, Aufhebung und Nichtigerklärung der Ehe „in der Hand eines Elternteiles“ durch den Gesetzgeber „vereinigt werden“.173 Für den Fall der Scheidung ging Hagemeyer aber nicht auf die Schuldfrage ein.174 Emmy Rebstein-Metzger sah für die Scheidung der Eltern nicht den Gesetzgeber mit einer Verteilung der elterlichen Gewalt nach der Schuld beauftragt, sondern das Vormundschaftsgericht in der Pflicht, die elterliche Gewalt „dem geeigneteren Elternteil“ zu übertragen. Von den vertraglichen Vereinbarungen der zukünftig geschiedenen Eltern über die elterliche Gewalt erhoffte sie sich eine Entlastung der Gerichte.175 Für überflüssig erachtete Emmy Rebstein-Metzger den Vorschlag Marie Munks 176, für den Fall des Getrenntlebens der Eltern das Vormundschaftsgericht entscheiden zu lassen, weil sich aus ihrer Sicht die Trennung vor einer Scheidung gerade nicht vor den Augen der Zivilkammer vollziehe.177 Zu diesen Argumenten gegensätzlich, griff Hagemeyer eine notarielle vertrag liche Vereinbarung nach Munks Vorschlag für ein Getrenntleben der Eltern auf; allerdings ohne dass ein Vormundschaftsgericht dem Vertrag zustimmen müsse, weil die Eltern nach der allgemeinen Lebenserfahrung ihre Verträge eh zu spät dem Gericht unterbreiten würden und Hagemeyer deshalb den gerichtlichen Zugriff erst bei der Kindeswohlgefährdung als zweckmäßig ansah. Aber auch aufgrund eines 168 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 586. 169 Maria Hagemeyer, Denkschrift, III. Teil, S. 16. 170 Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. 39 – 40. 171 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 586. 172 Maria Hagemeyer, Denkschrift, III. Teil, S. 18. 173 Maria Hagemeyer, Denkschrift, III. Teil, S. 18 – 19. 174 Ebd. 175 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 588 – 589. 176 Marie Munk, Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts, S. 68 § 1587a. 177 Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages (Lübeck), Gutachten Rebstein-Metzger, S. 540 – 591, S. 589.
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Antrages eines Elternteils könne das Vormundschaftsgericht entscheiden.178 Für den weiteren vergleichenden Diskurs, einleitend mit Blick auf die Rechtsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, ist wegweisend: Marie Munk hatte auf dem 38. Deutschen Juristentage im Jahre 1950 in einem kurzen Wortbeitrag hervorgehoben, dass man in Deutschland „noch immer zu sehr glaube, daß das Familienleben vom Recht aus gestaltet wird“179. Dieser Wortbeitrag Marie Munks, reflektiert auf die Unterschiede der Reformüberlegungen der vorgenannten übrigen Reformreferentinnen zum Rechtsverhältnis der Eltern zu ihren Kindern, zeigt, dass es Marie Munk mehr denn je und allein auf das Wohl des Kindes ankam. Unter d iesem Aspekt lässt sich ganz besonders der munksche Unterschied, für die besondere soziale Situation des Todes eines Elternteils das Vormundschaftsgericht einzuschalten, rechtfertigen. Im Übrigen gestand Marie Munk den Eltern durch die Form einer gemeinsamen Übereinkunft über die elterliche Gewalt und das Sorgerecht oder durch testa mentarische Verfügung ganz deutlich mehr Autonomie und rechtliche Autorität zu, die Angelegenheiten der Familie zu regeln. Diesen munkschen Impetus der Vertrags- und Verfügungsautonomie im Sorgerecht bzw. in der elterlichen Gewalt griff Hagemeyer allerdings nur für den Fall des Getrenntlebens der Ehegatten auf. Sie ging noch einen Schritt weiter, indem sie das Vormundschaftsgericht mit einer pragmatisch praktischen Begründung von der Zustimmung zu solchen Verträgen ausschloss. Der sogenannte Dritte, das Vormundschaftsgericht, war aus Sicht Marie Munks nur für den Fall von Meinungsverschiedenheiten unter den Eltern über Rechts-, Vermögens- und Sorgerechtsfragen zu beteiligen. Marie Munks Vorschlag besticht gegenüber Marianne Webers Familienrat insofern, weil die Lebenswirklichkeit zeigt, dass bei den erwachsenen Mitgliedern eines Familienrats durch die personenbezogene Gruppendynamik in einer sachbezogenen Streitfrage um Erziehungsrechte und Erziehungsverantwortung häufig die Kinderinteressen ein Stück weit aus dem Blick geraten können. Diesem Manko trug Marie Munk durch ein Anhörungsrecht des Kindes im vormundschaftlichen Verfahren Rechnung. Die richterliche Kontrolle dieser Verträge erfährt über den Impetus des Kindesinteresses Staatsferne und eine größere Verantwortung aller Familienmitglieder, den Interessen des Vaters, den Interessen der Mutter und vor allem den Interessen des Kindes zu dienen. Die Sorgerechts- und Erziehungsverantwortung der Eltern wird besonders dadurch gestärkt, dass die Schuld aus dem Scheidungsrecht entfernt werden sollte.
178 Maria Hagemeyer, Denkschrift, III. Teil, S. 20. 179 Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hg.), Verhandlungen des 38. Deutschen Juristentages (Frankfurt a. M.), Wortmeldung Munk, S. B 62.
Marie Munks Einfluss auf die deutsche Rechtsentwicklung der 1950er-Jahre
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Das Gesetz verliert ein „Kinder-Faustpfand“ im Ehescheidungsprozess. Die Eltern haben vielmehr die Pflicht, sich über eine vertragliche Vereinbarung vor der Scheidung um das Kindeswohl und damit sachbezogen zu bemühen. Im Vergleich zu Marie Munk fällt auf, dass Maria Hagemeyer in ihren Ausführungen im Scheidungsfolgenrecht für das Rechtsverhältnis der Eltern zu ihren Kindern auf die Schuld nicht explizit eingeht, während Emmy Rebstein-Metzger ganz deutlich gegen die Schuldfrage im Scheidungsrecht plädiert. Das weitere Gesetzgebungsverfahren nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte, wie die Schuld an der Scheidung die Institution von Ehe und Familie umklammerte und den Ehegatten die Eigenverantwortung für ihre eheliche und nacheheliche Lebensgestaltung durch geschlechtsspezifische Regelungen im Familienrecht nahm und hierüber die Ehegatten entmündigte. Im Gesetzgebungsverfahren zum Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 konnten sich die Parlamentarier nur auf eine Streichung des Alleinentscheidungsrechts des Ehemannes und damit des § 1354 BGB 180 einigen. Die Parlamentarier taten dies aber nur deshalb, weil das Alleinentscheidungsrecht für die elterliche Gewalt für den Ehemann während der Ehe und damit der Stichentscheid des Vaters §§ 1628181, 1629182 BGB beibehalten wurde.183 Hinter diesem Kompromiss verbarg sich der sogenannte „Edukationseffekt“184: Der „Krise der Familie“ sollte 180 BGBl. 1957 I, S. 609 ff. verkündet am 21. 6. 1957. 181 § 1628 BGB lautete: „Können sich die Eltern nicht einigen, so entscheidet der Vater; er hat auf die Auffassung der Mutter Rücksicht zu nehmen. Das Vormundschaftsgericht kann der Mutter auf Antrag die Entscheidung einer einzelnen Angelegenheit oder eine bestimmten Art von Angelegenheit übertragen, wenn das Verhalten des Vaters in einer Angelegenheit von besonderer Bedeutung dem Wohle des Kindes widerspricht oder wenn die ordnungsgemäße Verwaltung des Kindesvermögens dies erfordert. Verletzt der Vater beharrlich seine Verpflichtung, bei Meinungsverschiedenheiten den Versuch einer gütlichen Einigung zu machen und bei seinen Entscheidungen auf die Auffassung der Mutter Rücksicht zu nehmen, so kann das Vormundschaftsgericht der Mutter auf Antrag die Entscheidung in den persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten des Kindes übertragen, wenn dies dem Wohl des Kindes entspricht.“ 182 § 1629 BGB lautete: „Die Vertretung des Kindes steht dem Vater zu; die Mutter vertritt das Kind soweit sie die elterliche Gewalt allein ausübt oder ihr die Entscheidung nach § 1628 Abs. 2, 3 übertragen ist; Der Vater und die M utter können das Kind insoweit vertreten, als nach § 1795 ein Vormund von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen ist; ein Elternteil kann jedoch Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend machen, wenn die Eltern getrennt leben. Das Vormundschaftsgericht kann dem Vater und der Mutter nach § 1796 die Vertretung entziehen.“ 183 Heike Vaupel, Die Familienrechtsreform der fünfziger Jahre, S. 190 – 192. 184 Die Norm soll nicht nur den Lebenssachverhalt regeln, sondern eine größtmögliche verhaltens steuernde (erzieherische) Wirkung entfalten. Hier: Die Frau an das Haus binden. Vgl. die Rede des Abgeordneten der CDU/CSU Dr. Weber aus Koblenz vom 12. 2. 1954 unter Bezug
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durch die Hausfrauenehe begegnet werden 185, obgleich der Anteil berufstätiger verheirateter Mütter seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs rasant gestiegen war.186 Der Stichentscheid des Vaters im Kindschaftsrecht erfuhr deutliche Kritik.187 Das Bundesverfassungsgericht erklärte mit Urteil vom 29. Juli 1959 die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 1628, 1629 Abs. 1 BGB wegen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG für nichtig.188 Der gesamten weiteren historischen Entwicklung, insbesondere mit Blick auf die den Elternstreit steuernde Rolle des Gerichts in aller epischer Breite, kann im Folgenden nicht nachgegangen werden, zumal einige zentrale Punkte der weiteren Rechtsentwicklung bereits im 5. Kapitel unter Ziffer I Nr. 6.8.1 vorgestellt und diskutiert worden sind. Letztendlich hat der Gesetzgeber seit der Denkschrift von Maria Hagemeyer noch mal 52 Jahre gebraucht, um die Schuld aus dem Scheidungsrecht zu eliminieren 189 und um für das Familienrecht ein vollumfänglich origi näres Verfahren und Familiengericht einzuführen. Es können des Weiteren nur die wesentlichen Punkte herausgegriffen werden, die im Vergleich zu Marie Munks Reformüberlegungen bis heute von Bedeutung sind und an die es sich auch lohnt, mit Blick auf die rechtshistorische Vergangenheit anzuknüpfen. Mit Blick auf eine gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten über die Erziehungsverantwortung der Eltern untereinander hatte Emilie Kempin bereits im Jahre 1897 für das Rechtsverhältnis der Eltern zu ihren Kindern und damit für das Sorgerecht im Ganzen gesagt: „[ J]ede väterliche oder mütter liche Autorität müßte schwinden, wenn die Kinder, wie das ja gar nicht anders sein kann, wissen oder merken, daß es über den Eltern und ihren erziehungsrechtlichen
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188 1 89
auf die von Bundeskanzler Adenauer in seiner Regierungserklärung vom 20. Oktober 1953 geäußerten Prämissen für Ehe, Familie und Frauen. In: Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien (Hg.), Gleichberechtigung als Verfassungsauftrag. Eine Dokumentation des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957, Düsseldorf 1996, S. 320 – 326, S. 323 – 324 (zum sogenannten Stichentscheid), S. 325 – 326 (zur Rede von Konrad Adenauer). Heike Vaupel, Die Familienrechtsreform der fünfziger Jahre, S. 194 – 195. Jörn Wendrich, Die Entwicklung der familienrechtlichen Entscheidungsbefugnisse, S. 328 – 330. „[A]ber in § 1628 I dann doch bei Scheitern solcher Einigung dem Vater den sog. Stichentscheid gegeben, mit dem etwas lächerlichen Zusatz, daß er dabei ‚auf die Auffassung der M utter Rücksicht zu nehmen habe‘.“ In: Gustav Boehmer, Die Teilreform des Familienrechts durch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 und das Familienrechtsänderungsgesetzes vom 11. August 1961, in: Recht und Staat, Heft 245/246, S. 45. Hervorhebung nicht im Original. BVerfGE 10, Nr. 5, S. 59 – 89; Zu diesem Urteil: Peter Derleder, Die Entwicklung des Familien rechts und der Nationalsozialismus, in: Eva Schumann (Hg.), Kontinuitäten und Zäsuren. Rechtswissenschaft und Justiz im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit, S. 181. Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (i. d. F. 1. EheRG) vom 14. 6. 1976, BGBl I 1421 in Kraft getreten am 1. Juli 1977.
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Entscheidungen noch einen höheren Richter giebt.“190 Diese Aufforderung richtet sich zuvorderst an die Eltern persönlich, aber ruft auch den Gesetzgeber in seiner Arbeit dazu auf, die elterliche Verantwortung de lege lata zu stärken. Erst mit dem Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 1. Juli 1998 besteht die gemeinsame elterliche Sorge der Eltern nach einer Trennung oder nach einer Scheidung grundsätzlich fort. Darüber hinaus wurden Personen- und Vermögenssorge zu einer elterlichen Sorge verbunden. Gleichwohl änderte sich an den nachehelichen Konfliktsituationen gar nichts. Es bedarf bis heute nur eines Antrags eines Elternteils auf Übertragung der Alleinsorge und das Gericht hat diesem Antrag stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohle des Kindes entsprechen (§ 1671 BGB 191). Die „Nebenwirkungen“192 dieser Rechtsnorm waren nicht nur an der Vielzahl der Anträge auf Übertragung der Alleinsorge erkennbar. § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB 193 verschärfte den Konflikt, weil zum einen die Eltern nicht dazu angehalten wurden, eine gemeinsame Lösung zu favorisieren, zum anderen waren die Eltern in der Lage ihre Verantwortung für eine Schlichtung im Interesse des Kindes an das Gericht abzugeben. Zum Dritten gelangte zumindest vonseiten des antragstellenden Elternteils das Kindeswohl ein Stück weit aus dem Blick, weil es in den Verfahren und dem antragstellenden streitenden Elternteil ums Prinzip ging. Mit der Folge, dass auch die Anwaltsvertretung auf das Prinzip und um des gesetz geberischen Prinzips willen systemwidrig reduziert, tatsächlich nur zum Schein um das Wohl und die Interessen des Kindes gefochten wurde. Am Ende einer langen Verfahrensdauer stand eine Entscheidung, die nichts an der sozialen Situa tion der getrennten Familie und ihren alltäglichen Problemen änderte, weil die Übertragung der Sorge in der Regel umfassend erfolgte. Hinzu kam eine geringe 190 Emilie Kempin, Grenzlinien der Frauenbewegung, in: Gustav Schmoller (Hg.), Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, 21/1897, Heft 4, S. 61. Hervorhebung nicht im Original. 191 § 1671 BGB lautet seit dem 1. Juli 1998: „(1) Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so kann jeder Elternteil beantragen, daß ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. (2) Dem Antrag ist stattzugeben, soweit 1. der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, daß das Kind das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat und der Übertragung widerspricht, oder 2. zu erwarten ist, daß die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.“ 192 Rüdiger Ernst, Risiken und Nebenwirkungen einer Rechtsnorm – Thesen de lege ferenda zu § 1671 BGB, in: Cornelia Müller-Magdeburg, Verändertes Denken – zum Wohle der Kinder, Festschrift für Jürgen Rudolph, Baden-Baden 2009, S. 77 – 81, S. 77. 193 Gem. § 1671 BGB Abs. 2 Nr. 2 BGB hat das Gericht dem Antrag stattzugeben, wenn zu erwarten ist, daß die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
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Chance für eine Abänderbarkeit dieser gerichtlichen Entscheidung (§ 1696 Abs. 1
BGB). Es wurden „Gewinner und Verlierer erzeugt, wo dies gar nicht erforderlich
wäre“194. Genau genommen verloren immer zwei: zuvorderst das Kind, in der Folge das andere Elternteil, der nunmehr nicht Sorgeberechtigte. Im Fall der einverständlichen Scheidung und der in dieser Sachlage getroffenen Sorgerechtsfolgenvereinbarung hat das Gericht das Kindeswohl zu wahren.195 Aber erst mit der Wende zum 21. Jahrhundert wird, allen voran von den Autoren der Rechtspsychologie, die Schlichtung favorisiert, weil der Gerichtssaal zur Lösung von familiären Konflikten nicht der geeignete Ort sei.196 Vor dem Hintergrund des Bundes verfassungsgerichtsurteils aus dem Jahre 1982, in dem die Richter den Gesetzgeber für eine elterliche Erziehungskontinuität auch nach Trennung und Scheidung in die Pflicht nehmen mussten und darüber hinaus ganz besonders hervorgehoben hatten, dass in der Beziehung zum Kind dessen Wohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sei, könnte der objektive Betrachter zu der Annahme verleitet werden, dass die Eltern, wenn sie die gemeinsame elterliche Sorge bevorzugen, auf gerichtliche Schritte zum nachehelichen Sorge- und Umgangsrecht verzichten. Doch eine wissenschaftliche Studie über rechtstatsächliche Untersuchungen von Barbara Willenbacher zeigt, dass gerade in dieser Frage, entgegen aller positiven Annahmen fortschrittlicher Meinungen der wissenschaftlichen Literatur, umfangreiche und andersartige Arbeiten in der Interaktionen in einem Konflikt auf die Familienrichter zukommen.197 Um an dieser Stelle wieder auf den Reformvorschlag Marie Munks zurückzuführen, sei angemerkt, dass das Kind bis zur Einführung des § 50b FFG 198 im Sorgerechtsverfahren ab dem 14. Lebensjahr kein zwingendes Anhörungsrecht hatte. 194 Rüdiger Ernst, Risiken und Nebenwirkungen einer Rechtsnorm – Thesen de lege ferenda zu § 1671 BGB, in: Cornelia Müller-Magdeburg, Verändertes Denken – zum Wohle der Kinder, Festschrift für Jürgen Rudolph, Baden-Baden 2009, S. 78. 195 Vgl. zur Scheidungsfolgenvereinbarung und zur Entwicklung in Meinungsstreit und Rechtsprechung für Deutschland die rechtsvergleichende Betrachtung für die Länder Belgien, Frankreich, Schweiz, Österreich und Deutschland von Bea Verschraegen, Die einverständ liche Scheidung in rechtsvergleichender Sicht, Berlin 1991, S. 330 – 377. 196 Lucia Garcia, Die Schlichtung: Prävention und Alternative zur Gerichtsverhandlung bei Familien streitigkeiten, in: Thomas Fabian und Sabine Nowara (Hg.), Neue Wege und Konzepte in der Rechtspsychologie. Beiträge zur rechtspsychologischen Praxis, Bd. 3, Berlin 2006, S. 281. 197 Barbara Willenbacher, Rechtsfolgen der gemeinsamen elterlichen Sorge, in: Thomas Fabian und Sabine Nowara (Hg.), Neue Wege und Konzepte in der Rechtspsychologie. Beiträge zur rechtspsychologischen Praxis, Band 3, Berlin 2006, S. 205, 213. 198 § 50b FFG lautete: „(1) Das Gericht hört in einem Verfahren, das die Personen- und Vermögenssorge betrifft, das Kind persönlich an, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn es zur Feststellung des Sachverhalts angezeigt erscheint, das sich das Gericht von dem Kind einen unmittelbaren Eindruck verschafft. (Absatz 2 auszugsweise) Hat das Kind das 14. Lebensjahr vollendet und ist es nicht
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Für Kinder unterhalb der Altersgrenze von 14. Lebensjahren hatte der Gesetzgeber eine Anhörung nur nach richterlichem Ermessen mit Blick auf die Sachverhaltsermittlung und die richterliche Entscheidungsfindung vorgesehen. Einer umfassenden Anhörungspflicht im Kindesinteresse kam der Gesetzgeber erst mit § 159 Abs. 2 und Absatz 3 FamFG vom 1. September 2009 nach.199 Den gericht lichen Hinweis auf eine außergerichtliche Streitbeilegung in Kindschaftssachen als Scheidungsfolgesache gibt es erst seit Einführung des § 135 FamFG vom 1. September 2009.200 Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass die Eltern im Scheidungsstreit nicht unbefangen an eine gemeinsame Übereinkunft des Sorgerechts herantreten.201 Jahre zuvor ist nach dem Cochemer Modell erprobt worden, wie ein Familienrichter für Verhandlung und Verständigung im Kindesinteresse im Familiengerichtsverfahren sorgen kann. Das Verfahren wird nicht mehr durch Alleinentscheidung des Richters abgeschlossen, sondern es sollen die scheidenden Eltern im Interesse des Kindeswohls die zukünftigen Lebensverhältnisse entwickeln.202 Ein Gedanke, den Marie Munk an den (aus damaliger Sicht) revolutionären Schlusspunkt ihrer Reformvorschläge mit der vertraglichen Vereinbarung der Eltern über das Sorge- und Vermögensrecht der Kinder setzte. Allerdings, ohne zum Zeitpunkt der Abgabe ihrer Reformvorschläge zu Weimarer Zeit den Weg zu der Übereinkunft der Eltern zu beschreiben oder konzeptionell für das familienrechtliche Verfahren zu entwickeln. Aber das vermindert nicht die Aktualität der Vorschläge Marie Munks. Ihre Vorschläge hätten erst durch die Erweiterung der Rechtspsychologie vom Strafrecht auf geschäftsunfähig, so hört das Gericht in einem Verfahren, das die Personensorge betrifft, das Kind stets persönlich an.“ 199 § 159 Abs. 2 und Abs. 3 FamFG lautet: „(2) Hat Das Kind das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, ist es persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist. (3) Von einer persönlichen Anhörung nach Absatz 1 und Absatz 2 darf das Gericht aus schwerwiegenden Gründen absehen. Unterbleibt eine Anhörung allein wegen Gefahr im Verzug, ist sie unverzüglich nachzuholen.“ 200 § 135 FamFG lautet: „(1) Das Gericht kann anordnen, dass die Ehegatten einzeln oder gemeinsam an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder eine sonstige Mög lichkeit der außergerichtlichen Streitbeilegung anhängiger Folgesachen bei einer von dem Gericht benannten Person oder Stelle teilnehmen und eine Bestätigung hierüber vorlegen. Die Anordnung ist nicht selbständig anfechtbar und nicht mit Zwangsmitteln durchsetzbar. (2) Das Gericht soll in geeigneten Fällen den Ehegatten eine außergerichtliche Streitbeilegung anhängiger Folgesachen vorschlagen.“ 201 Vgl. zu ausgewählten Problemkreisen zur Entwicklung des FamFG: Franz-Thomas Roßmann, Die Entwicklung des , in: Familie und Recht, 24/2013 Heft 8, S. 423 – 427 und Heft 9, S. 513 – 520. 202 Cornelia Müller-Magdeburg, Das familiengerichtliche Verfahren als Einladung zu einer Flussfahrt, in: dies. (Hg.), Verändertes Denken – zum Wohle der Kinder, Festschrift für Jürgen Rudolph, Baden-Baden 2009, S. 87 – 88.
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das Familienrecht 203 ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fachwissenschaftlich angereichert werden können. Darüber hinaus besteht über die Art und Weise, wie unter den Eltern Einvernehmen hergestellt werden soll, unter den in das familien gerichtliche Verfahren einzubeziehenden Sachverständigen heute Streit.204 Geht es doch darum, die Eltern zu ihrer Verantwortung im eigenen Konfliktfall zu befähigen, ohne die Kinder mit in den Streit hineinzuziehen oder gar zum Faustpfand des elterlichen Verfahrens zu machen. Bereits für die Beratung und Elternbegleitung eine schwierige, für den Gesetzgeber und den Richter eine unlösbare Aufgabe.205 Darüber hinaus ist das Kindeswohl und Kindesinteresse ein interdisziplinärer Begriff, der sich nicht allein rechtlich, sondern nur interdisziplinär, das heißt, auch unter Zuhilfenahme der Psychologie, der Pädagogik, der Sozialwissenschaften, der Medizin, fassen lassen kann. Weshalb seit Ende der 1990er-Jahre in Deutschland aus den Vereinigten Staaten Gruppeninterventionsprogramme für Trennungs- und Scheidungskinder adaptiert werden mussten.206 Fest steht aber allemal, dass Marie Munk mit ihrem Reformansatz die Elternverantwortung für das Kindesinteresse in einer Art und Weise verdeutlicht hat, wie diese, genau genommen, erst das 203 Ausgewählt sei hingewiesen auf: Max Steller, Forensische Psychologie. Psychotechnik oder Angewandte Wissenschaft?, in: Dietrich Dörner und Wolfgang Michaelis (Hg.), Idola fori et diola theatri. Festschrift H. Wegener, Göttingen 1989, S. 219 – 241; Wilfried Hommers (Hg.), Perspektiven der Rechtspsychologie, Göttingen 1991; Harry Dettenborn und Eginhard Walter, Familienrechtspsychologie, München 2002. 204 Joseph Salzgeber, Umgang und Herstellung von Einvernehmen, in: Familie – Partnerschaft – Recht, 19/2013, Heft 7, S. 299 mit Hinweis auf die Verfahrensweise der lösungsorientierten Gutachten nach Prof. Uwe Jopt, hiergegen wendet sich Salzgeber; Joseph Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, 5. Auflage, München 2011; Gegen die entscheidungs orientierte Alternative von Joseph Salzgeber: Uwe Jopt und Katharina Behrend, Wem nützen entscheidungsorientierte Gutachten im Familienrecht? – Plädoyer für eine neue Rolle der Psychologie im Familienrecht, in: Thomas Fabian und Sabine Nowara (Hg.), Neue Wege und Konzepte in der Rechtspsychologie, Berlin 2006, S. 261 – 275; Katharina Behrend und Uwe Jopt, Kinder sind Kinder! – Plädoyer für ein lösungsorientiertes Vorgehen auch bei der Kindeswohlgefährdung, in: Cornelia Müller-Magdeburg (Hg.), Verändertes Denken – zum Wohle der Kinder, Festschrift für Jürgen Rudolph, Baden-Baden 2009, S. 153 – 163. 2 05 Matthias Weber und Herbert Schilling (Hg.), Eskalierte Elternkonflikte. Beratungsarbeit im Interesse des Kindes bei hoch strittigen Trennungen, 2. Auflage, Weinheim/Basel 2012; Rainer Ballof, Das familienpsychologische Gutachten – quo vadis Gutachtentätigkeit?, in: Thomas Fabian und Sabine Nowara (Hg.), Neue Wege und Konzepte in der Rechtspsychologie, Berlin 2006, S. 249 – 259. 206 Wossilios E. Fthenakis, Gruppeninterventionsprogramm für Kinder mit getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern, in: LBS-Initiative Junge Familie (Hg.), TSK – Trennungs- und Scheidungskinder, Weinheim 1995. Zur Bewertung des GIP-Programms vgl. Otfried Hinger und Birgit Meixner, Gruppen-Interventions-Programm für Scheidungskinder, in: Matthias Weber und Herbert Schilling (Hg.), Eskalierte Elternkonflikte, S. 163 – 174.
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Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf Art. 6 GG dahingehend festlegte, dass für das Wohl des Kindes die Definitionsbefugnis den Eltern obliegt. Diese können „grundsätzlich frei von staatlichem Einfluss nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen“.207 Marie Munk setzte also, wie Emilie Kempin schon vor ihr, Autorität für die Familie im Recht nicht mit Macht durch Personen oder Institutionen, sondern mit Verantwortung gleich. Ihre besonders für den Fall der Scheidung oder der Trennung der Eltern erarbeiteten Reformvorschläge lassen erkennen, dass Marie Munk vor Augen hatte, dass die Richter in ein Dilemma geraten.208 Kontinuitätsprinzip, Erziehungsfähigkeit, Förderungsprinzip und Bindungstoleranz sind die heutigen Entscheidungskriterien des Familienrichters zur Regelung der elterlichen Sorge bei Scheidung und Trennung:209 über intimste s oziale Verhältnisse, die ihm in einem emotional aufgeladenen Verfahren im Prozessvortrag der Beteiligten und durch Sachverständige unterbreitet werden und über die sich alle Beteiligten und die Sachverständigen streiten! Gerade aus heutiger Sicht muss Marie Munk mit ihrem Vorschlag für eine Übereinkunft nicht nur in Bezug auf eine Elternverantwortung als wegweisend beurteilt werden. Ihre Vorstellungen von einer Übereinkunft der Ehegatten hat sie in den Vereinigten Staaten von Amerika ausbauen und weiterentwickeln können: anders, als es in Deutschland bis heute ermöglicht ist. Aber das steht in einem anderen Kapitel auf einem anderen Blatt.210
II. Beteiligung an der amerikanischen Rechtsentwicklung Als Marie Munk die deutschen Reformergebnisse der 1950er-Jahre zur Kenntnis gelangten, erinnerte sie sich: “What we suggested, and what, almost twenty-five years later, has become the law, was a kind of property law which has much similarity to the community property rights in the States of California and Oklahoma. Each spouse maintains the administration of his or her property, but gets an equal share 207 BVerfGE 107, Nr. 4, S. 104 – 133, S. 117. 208 Helmuth Figdor, Was heißt Kindeswohl? Zum Dilemma gerichtlicher Entscheidungen über Sorge- und Umgangsrecht. Die Rolle der Familienrichter, in: Cornelia Müller-Magdeburg (Hg.), Verändertes Denken – zum Wohle der Kinder, Festschrift für Jürgen Rudolph, Baden- Baden 2009, S. 164 – 166. 209 Dieter Büte, Die Entwicklung der Rechtsprechung zur elterlichen Sorge und zum Umgangsrecht im Jahre 2012, in: Familie und Recht, 24/2013, Heft 8, S. 418 – 423, S. 419 – 420; Ulrike Wanitzek, Rechtsprechungsübersicht zum Recht der elterlichen Sorge und des Umgangs, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 60/2013, Heft 15, S. 1169 – 1180. 210 5. Kapitel, Ziffer I. Nr. 5 sowie 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2 und 7. Kapitel, Ziffer VII Nr. 3.
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in the savings made during marriage. Since this kind of distribution is not always equitable, e. g. if one spouse has a very successful business, or is a prominent artist, husband and wife can under the German, contrary to the American Law, not only make a pre-nuptial but also a post-nuptial agreement in which they could regulate their property rights in a different manner.”211 Die gleiche Berechtigung, über ihr Vermögen zu verfügen und auch im Sorge recht die g leiche Verantwortung tragen zu können wie der Mann: ein wichtiges Ziel der amerikanischen Reformbewegung der 1950er-Jahre – Doch angesichts der einzelstaatlichen Rechtszersplitterung in den amerikanischen Bundesstaaten stieß dieses Reformziel auf unüberwindbare Hindernisse. Demzufolge war eine amerikanische Rechtsvereinheitlichung der erste Schritt.
1. Historischer Einblick in die Uniform-Law-Bewegung Die Rechtsordnungen der einzelnen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika weichen vom bundesrechtlichen System ab. Art. 1 Sec. 8 der US-amerikanischen Verfassung verbietet es, historisch bedingt, auf das Zivilrecht der einzelnen Bundesstaaten Einfluss zu nehmen.212 Das aus dem englischen Rechtsraum stammende Common Law wurde nicht von allen Bundesstaaten übernommen. Nach der Unabhängigkeit gelangten auch spanische und französische Einflüsse (Civil Law) in den amerikanischen Rechtskreis.213 Bestrebungen einer Neukodifika tion scheiterten. Es entwickelten sich keine Rechtsgrundsätze, sondern das Modell der „Stare Decisis“ (Präzedenzentscheidung). Das Case Law wurde zur wichtigsten Rechtsquelle der Juristen, gleichberechtigt hierzu: das Gesetzesrecht (Statute Law).214 Aber erst die Präzedenzentscheidung gliedert das Gesetz in das amerikanische Rechtssystem ein 215, denn in den USA war und ist nicht das Gesetz, sondern die Präzedenzentscheidung entscheidend für die Rechtsfrage zur Beurteilung eines Lebenssachverhalts. Beide, Statute Law und Case Law, verlassen die historischen Wurzeln nicht. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts war man bestrebt, den Fallrechtsentscheidungen im Privatrecht Herr zu werden. Deshalb gründete im Jahre 211 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manuskript, Teil 1, Kapitel XI Experiences as an Attorney at Law, S. 8 – 9. Hervorhebung nicht im Original. 212 Julia Cloidt, Das Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, in: Günther Grasmann (Hg.), Einführung in die großen Rechtssysteme der Gegenwart, München 1998, S. 515. 213 Mathias Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, München 1997, S. 7. 214 Peter Hay, US-amerikanisches Recht, S. 6 – 7. 215 Julia Cloidt, Das Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, in: Günther Grasmann (Hg.), Einführung in die großen Rechtssysteme der Gegenwart, S. 508, 509.
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1892 die American Bar Association eine National Conference of Commissioners for Uniform Laws. Ziel der entsandten Mitglieder aus Anwalt- und Richterschaft, Forschung und Lehre war und ist es, sogenannte „Uniform Laws“ (Mustergesetzentwürfe) zu erarbeiten, die dann von den einzelnen Bundesstaaten nach eigenem Ermessen in Gänze oder auch teilweise in abgewandelter Form ratifiziert werden können. Die „Restatements of the Law“ des American Law Institute fassen seit den 1920er-Jahren die einzelstaatlichen Regelungen systematisch zusammen und wirken richtungsweisend für die Rechtsprechung. Existieren für das Delikts- und Kolli sionsrecht und die weiten Teile des Privatrechts Restatements, so trifft das leider bis zum heutigen Tage auf das Familien-und Erbrecht nicht zu.216 Im Familienrecht garantiert nur Artikel IV, Sec. 1 der US-Verfassung (Full Faith Credit Clause), dass Urteile anderer amerikanischer Bundesstaaten zu akzeptieren sind, wenn der betreffende Bundesstaat „Jurisdiction“ innehat.217 Dabei ist der Begriff „Jurisdic tion“ nicht gleichbedeutend mit dem deutschen Begriff „Gerichtsbarkeit“218, sondern aus Sicht des deutschen Juristen unpräzise geregelt. Dieser Begriff ist ungefähr im Sinne einer rechtlichen Zuständigkeit für die Beurteilung des Falles und die Auslegung der Rechtsfrage zu verstehen. Bereits die unterschiedliche bundesstaat liche Interpretation zentraler Punkte des Familienrechts, wie zum Beispiel über das „Domizil“ der Ehegatten, führen dazu, dass das Urteil eines anderen Staates nicht akzeptiert werden könnte. Über die vom American Law Institute seit dem Jahre 1923 herausgegebenen „Restatements of the Law“ erhält der Rechtsanwender in den Vereinigten Staaten eine systematische Darstellung des Fallrechts, insbesondere für die Rechtsbereiche Agency, Contracts, Judgements, Property, Restitution, Security, Torts and Trusts, aber insbesondere zum Conflict of Laws.219 Bis heute fehlt eine familienrechtliche Gesamtkodifikation.220 Darüber hinaus enthält die Verfassung keine familienrecht lichen Festlegungen, sodass über die Verfassung nur ein faires Verfahren, ein Recht auf Freiheit, Gleichheit und eine gerechte Entscheidung garantiert werden (Due Process,
216 Patricia C. J. Bull, Die Reform des Scheidungs- und Sorgerechts in den Vereinigten Staaten von Amerika, Hamburg 2006, S. 96 – 98. 217 Dieter Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht. Rechtsquellenlehre, Methode der Rechtsfindung, München 1998, 21. 218 Konrad Zweigert und Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Tübingen 1996, S. 250. 219 http://www.fact-index.com/a/am/american_law_institute.html. (05. 01. 2014). 220 Konrad Zweigert und Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 246; Reinhard Zimmermann, Amerikanische Rechtskultur und europäisches Privatrecht, Tübingen 1995, S. 5.
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5. und 14. Verfassungszusatz).221 Die so bezeichneten Uniform Laws (Modellgesetze), die den einzelnen amerikanischen Bundesstaaten von der National Conference of Commissioners for Uniform Laws vorgelegt werden können, damit diese ratifiziert werden,222 sind ein wichtiger Schritt zur Rechtsvereinheitlichung, der insbesondere Rechtsreformen im Familienrecht stützen könnte. Bereits in den 1920er-Jahren waren die amerikanischen Reformen zum Scheidungsrecht an den uneinheitlichen Regelungen in den amerikanischen Bundesstaaten gescheitert. Darüber hinaus an den gleichen Streitpunkten, wie sie in Deutschland für die Weimarer Zeit nachzuweisen sind: über den nachehelichen Unterhalt und über das nacheheliche Sorgerecht wurde eine Einigung nicht erzielt.223 Marie Munk nahm sich in ihrer wissenschaft lichen Studie dem Ehe- und Familienrecht von Grund auf an.
2. Uniform Divorce Bill (Juni 1954) Diese Vorschläge 224 entstanden in ihrer Eigenschaft als Honorary Member der Na tional Association of Women Lawyers.225 2.1 Einleitung In ihren einleitenden Worten benannte Marie Munk die Problemfelder des Scheidungsrechts. Eheliche Disharmonie läge sowohl in der menschlichen Natur als auch in den sozialen und sozioökonomischen Bedingungen der Gegenwart, führte Munk in ihre Überlegungen ein. Ein gutes Scheidungsrecht könne dazu beitragen, die Ehe und Familie zu stabilisieren. Bildung könne Erleichterung verschaffen während des Getrenntlebens oder einer Scheidung. Das Wohlergehen der Eheleute, der Kinder und der nahen Umgebung könne für eine Scheidung sprechen.226 Marie Munk war sich darüber im Klaren, dass ihr Vorschlag dazu geeignet war, Bedenken und Widerspruch zu erzeugen. Die Ursache für Scheidungen läge nicht in den gesetzlich 221 Mathias Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, S. 189. 222 Patricia C. J. Bull, Die Reform des Scheidungs- und Sorgerechts in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 96 – 97. 223 Glenda Riley, Divorce. An American Tradition, University of Nebraska Press, Lincoln 1991, S. 121 – 122. 224 Dokumentenanhang. Ein nicht korrigierter Vorentwurf befindet sich in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 12 Folder 11. 225 Honorary Members, Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 27, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 226 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. Ein Vorentwurf befindet sich in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 12 Folder 11.
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definierten Gründen für eine Scheidung, sondern an anderen Ursachen. Sie ermahnte die Leser ihres Reformvorschlags: Wo sei derjenige, der von dem anderen sagen könne, er sei hauptsächlich schuldig? Vielleicht die Gesellschaft, die den Ehepaaren während ihrer ersten verzweifelten Auseinandersetzungen nicht geholfen habe.227 Die Scheidung wie die Heirat sei ein psychologisches und emotionales Ereignis. Ein Fünftel der Scheidungen erfolge drei Jahre nach der Eheschließung. In England sei deshalb ein Scheidungsgesuch nicht vor Ablauf des dritten Ehejahres möglich. Eine ähnliche Bestimmung im amerikanischen Recht könne überhastete Eheschließungen und überhastete Scheidungen verhindern. Gegenwärtig stürzten die Ehepaare jedoch nach den ersten Querelen, Missverständnissen, Unstimmigkeiten oder nach Desillusionierung zum Gericht. In ihrer Verzweiflung könnten die Eheleute weder die wahren Gründe noch ihre Situation realistisch einschätzen. Ihre Gesuche s eien geradezu „technisch“ und nur darauf ausgerichtet, die rechtlichen Anforderungen des Verfahrens einzuhalten. Die wahren Gründe ehelicher Disharmonie blieben verborgen. Dies werde durch das Scheidungsrecht selbst verursacht. In seinem äußeren Defekt stelle das Scheidungsrecht der amerikanischen Bundesstaaten die Eheleute in einem Scheidungsverfahren einander als Gegner gegenüber.228 Das Recht sei ausschließlich auf materielle Ansprüche des unschuldigen Klägers gegenüber dem schuldigen Beklagten ausgerichtet. Diese Zielsetzung führe dazu, dass dem Schuldigen eine erneute Heirat nicht möglich wäre. Der unschuldige Kläger dürfe den außerhalb des Gerichtsgebäudes bereits wartenden neuen Ehepartner nach dem Scheidungsurteil sofort heiraten. Das Erfordernis von Unschuld und Schuld führe zu Klagen und Widerklagen der Eheleute, die, konträr zu Anstand und Respekt, den zukünftigen Umgang der Eheleute miteinander und mit ihren Kindern gefährdeten. Die meisten Gesetze gewährten eine Scheidung nicht, wenn beide gleichmäßig schuldig s eien. Obgleich das Gericht wüsste, dass die Eheleute niemals friedlich miteinander auskommen werden.229 Grundsätzlich hielt Munk es nicht für erforderlich, dass gegen die beklagte Prozesspartei für jeden Scheidungsgrund Beweis erhoben werden solle. In den
227 “This proposal is likely to arouse misgivings and opposition. […] Who is it who could say who is to blame primarily: Perhaps society who did not help the couple in their first desperate struggles.” In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 7.08, p. 13, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 228 “The outstanding defect of the divorce laws in all our states is that husband and wife are considered as opponents in the divorce action.” In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill Sugges tions, p. 1 – 23, p. 1, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. Hervorhebung nicht im Original. 229 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 1, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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meisten Fällen seien die ehelichen Beziehungen an einem Punkt angelangt, wo eh die Auflösung der Ehe das geringere Übel sei.230 Die amerikanischen Bürger hätten ein Recht darauf, erwarten zu können, dass Feindseligkeit und Elend durch das Recht nicht noch geschürt würde. Für die Ehepartner und die Kinder sei es daher besser, wenn Mann und Frau getrennt leben könnten. Das Recht solle ihnen hierbei helfen. Eröffne man den Eheleuten diese Möglichkeit, sollten nicht nur rückblickend die Gründe der Scheidung betrachtet werden, sondern auch die sie umgebenden Vorgänge. Eine solche Betrachtung sei für die Eheleute effektiv, realistisch und würdevoll.231 Doch gegenwärtig machten die Ehepartner aus dem Scheidungsverfahren eine Farce. Der Kläger fechte in Abwesenheit des Beklagten einen schweren Kampf aus. Entweder, weil er die Scheidung unbedingt wolle oder weil er eine einvernehm liche Lösung nicht wolle oder weil er sich finanzielle Vorteile verspreche. In der Mehrzahl der Fälle würden die Prozessparteien im Voraus die Beweisführung vereinbaren. Die Richter seien sich dessen nicht bewusst. 2.2 Ziel des Uniform Divorce Bill Ein „Uniform Divorce Bill“ habe im Mindesten die krassen Boshaftigkeiten des Scheidungsrechts zu eliminieren. Ein neuer Ansatz hierzu könne sein, dass die Ehepartner das Gericht nicht zum Zwecke eines Scheidungsgesuchs, sondern zwecks Hilfe aufsuchen könnten. Die Beratung sollte das gerichtliche Ziel in der Behandlung von ehelichen Rechtsverhältnissen sein. Überhastete Scheidungsge suche könnten durch eine Wartefrist von drei Wochen z wischen dem Ereignis als Scheidungsauslöser und dem Scheidungsantrag liegen. 2.3 Verfahren Aus psychologischen Gründen solle die Scheidung zukünftig mit einem Antrag und nicht mit einer Klage begehrt werden. Der Fall solle als „In the Matter of the Family of…“ nicht als „Plaintiff vs. Defendant“ geführt werden.232 Ein sogenanntes Versöhnungsverfahren sollte das gerichtliche Verfahren begleiten.233
230 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 231 “This procedure should be effective, realistic and dignified.” In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 1, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 232 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 2, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 233 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 2, Footnote 2, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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2.3.1 Versöhnungsverfahren Psychiater, Soziologen und Geistliche sollten das Verfahren der Versöhnung begleiten, nachdem das Gericht die Gründe für eine Scheidung ermittelt habe. Das Ziel sei, die Eheleute zur Aussöhnung zu ermutigen. Es könnten Freunde und Bekannte unterstützen. Die scheidungswilligen Ehepartner müssten kooperieren. Zwang oder Druck auf die Ehepartner sei kein probates Mittel. Die Ehepartner m üssten sich gegenüber dem Counselor ungezwungen äußern dürfen, ohne dass ihre Äußerungen gegen sie verwendet werden dürften. Für den Counselor sei deshalb das gleiche Recht zur Aussageverweigerung erforderlich wie für einen Geistlichen oder Anwalt. Diese sollten nur dann als Zeuge vernommen werden können, wenn der betreffende Ehepartner einwillige. In dieser toleranten Atmosphäre, in der weder Klage noch Widerklage zugelassen sein sollten, könnten auch die Erinnerungen an die schönen Erfahrungen der ehelichen Beziehungen gepflegt werden. Die Ehepartner wären dann eher geneigt, die Zukunft der Familie im Blick zu behalten, anstatt sich wie Preiskämpfer zu verhalten.234 Der Richter müsse nach eigenem Ermessen die Beweise abwägen. Jedoch nicht, um festzustellen, ob einer der Partner schuldig oder unschuldig sei. Es ginge vielmehr um das Wohlergehen der Familie, weil das Zusammenleben der Ehepartner unerträglich geworden sei. Eine Versöhnungsabteilung (Conciliation Department) sei deshalb unentbehrlich. Das Versöhnungsverfahren müsse von einer Eheberatung begleitet werden.235 Das Angebot von Kirchen und anderen freiwilligen Gruppen sei noch zu gering. Die sozialen und sozioökonomischen Verhältnisse seien für ein fruchtbares Familienleben notwendig. Experten sollten die Familien beraten. Nach mehrjährigen Ehestreitigkeiten und Missverständnissen könne eine dauerhafte Versöhnung selten sein, weshalb Marie Munk für ein Programm zur Einführung von Eheberatung, Ehebildung und Bürgerrechtskursen über alle Bundesstaaten hinweg plädierte.236 2.3.2 Anhörung und Entscheidung Scheitere die Versöhnung, so müsse nach Auffassung von Marie Munk den Ehepartnern die Gelegenheit gegeben werden, in einer Anhörung (Hearing) ein Resümee der Scheidungsgründe zu ziehen. Dies könne zu einem Zeitpunkt geschehen,
234 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 2, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 235 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 236 Ebd.
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bevor das Scheidungsgesuch bei Gericht eingereicht sei. Diese Hearings dürften nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. 2.3.3 Jury In schwierigen Fragen, die nicht allein durch einen Einzelrichter abgewogen und beurteilt werden könnten, sei eine Jury, bestehend aus drei Richtern, einem Vorsitzenden und zwei beisitzenden Richtern, einzusetzen. Ein Mitglied dieser Jury habe immer eine Frau zu sein. Für alle Mitglieder dieser Richterkammern und für den Einzelrichter forderte Munk eine ausgewiesene Expertise im Familienrecht und in ehelich-sozialen Problemkonstellationen. Zeichne sich für die Jury ab, dass z wischen den Ehepartnern eine einvernehmliche Lösung über scheidungsrelevante Fragen möglich sei, so wäre die richterliche Entscheidungsfindung bis zu einem Jahr hinauszuschieben. Damit würde es den Ehepartnern überlassen, unter Angabe von triftigen Gründen ein erneutes Scheidungsgesuch später einzureichen.237
3. Die Bestimmungen des Uniform Divorce Bill Ihre grundsätzlichen Erwägungen ergänzte Munk mit den einzelnen Bestimmungen 238 und konstatierte ausführlich:239 3.1 Rechtsprechung durch das höchste Gericht des jeweiligen Bundesstaates Die höchsten Gerichte des jeweiligen Bundesstaates müssten Regeln zum Parteivorbringen, zur Gerichtspraxis und zum Verfahren aufstellen und auslegen. Diese könnten jedoch nicht im Widerspruch zum Uniform Divorce Act erfolgen, sondern eine effektive Rechtsanwendung sichern helfen.240 Verkündete Rechtsentscheidungen der bundesstaatlichen Gerichte sollten sich zukünftig nur auf die Verhaltensregeln der Richter zur Befolgung dieses Gesetzentwurfs beziehen.241
237 Ebd 238 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 239 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 240 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 6.01, p. 4, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 241 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 6.02, p. 4, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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3.2 Scheidungsgründe Allentscheidend sei die Erkenntnis der Richter, dass eine Versöhnung zum Wohle der Ehepartner und der Kinder nicht erwartet werden könne, wenn folgende Scheidungsgründe vorlägen: Ehebruch 242 oder zweijähriges, nicht unterbrochenes Getrenntleben der Ehepartner 243; körperliche oder seelische Grausamkeit einschließlich sexueller Nötigung oder sexueller Widerwillen des einen Ehepartners gegenüber dem anderen.244 Als Scheidungsgründe wären auch anzuerkennen: starker Drogenund Alkoholmissbrauch 245, eine starke Ablehnung gegenüber den Bedürfnissen oder eine Vernachlässigung der Bedürfnisse des Klägers oder der Kinder durch den beklagten Ehepartner.246 Wegen einer Geisteskrankheit oder anderer körperlicher oder seelischer Erkrankungen, die das Wohlergehen der Kinder beeinträchtigten und das Zusammenleben des Ehepaares unmöglich oder unerträglich machten, könne ebenfalls geschieden werden.247 Zu den Scheidungsgründen zählten auch Straftaten der letzten zwei Jahre, für die der beklagte Ehepartner verurteilt wurde und eine Strafhaft hat verbüßen müssen. Ungeachtet dessen, ob er wegen guten Betragens vorzeitig entlassen worden sei. Befände sich der beklagte Ehepartner in der Bewährung oder sei er gerade verurteilt worden, so habe das Gericht unter Berücksichtigung der näheren Umstände darüber zu befinden, ob die Ehe geschieden werden könne oder nicht.248 Allerdings reiche die Tatsache der Strafhaft allein nicht aus, um eine Ehe aufzu lösen. Die Straftat verleihe dem Kläger lediglich ein Antragsrecht.249 Ein fünfjähriges Getrenntleben, unabhängig davon, ob es nach gegenseitiger Übereinstimmung oder gegen den Willen des anderen Ehepartners erfolge, sei Grund zur Scheidung.250 Habe der Kläger den Beklagten verlassen oder sei er ihm untreu gewesen, könne 242 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 7.01, p. 4 – 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 243 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 7.02, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 244 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 7.03, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 245 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 7.04, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 246 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 7.05, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 247 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 7.06, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 248 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 7.07, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 249 Ebd. 250 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 7.08, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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dennoch geschieden werden, wenn das Gericht nicht sicher feststellen könne, dass die Ehe unhaltbar verloren sei.251
4. Vergleich mit dem bisherigen Verfahren bezogen auf die Scheidungsgründe Gegenwärtig würden die Ehepaare Scheidungsgründe angeben, die die wahren Gründe nicht benennen würden. In den amerikanischen Bundesstaaten ginge man im Scheidungsverfahren den Ursachen für das Verhalten der Ehepartner nicht auf den Grund. Solange der Kläger und seine Anwälte das Verfahren nach dem Schuld-/ Unschuldsprinzip führten, würde das Verfahren in ein „Prokrustes Bett“ gezwungen. Nur das neue Verfahren ließe die Ehepaare nicht im Unklaren darüber, ob eine Scheidung aussichtsreich sei und bewahre die Gerichte vor willkürlichen Entscheidungen. Der Unterschied z wischen dem alten und neuen Verfahren läge in einer „Evaluierung“ der Scheidungsgründe innerhalb eines neuen Verfahrensablaufs. Munk knüpfte an die Scheidungsprozesse an, in denen eine Scheidung wegen Ehebruchs nur deshalb abgewiesen würde, weil der Mann die Frau, ohne Unterhalt zu leisten, verlassen habe; zugleich die Frau sich, aus dieser Not heraus, nur deshalb einem anderen Mann zuwende, damit dieser für sie und ihre Kinder ausreichend sorge. Gerade diese Einzelfälle s eien Beleg dafür, dass eine Reform notwendig sei. Munk rief dazu auf, hinter die im Prozess verlautbarten Scheidungsgründe zu blicken.252 Bei den meisten Scheidungsgründen ginge dem verantwortungslosen Verhalten der Partner eine Zeit der Entfremdung beider Partner voraus. Blieben jedoch guter Wille und Liebe erhalten, so könnten beide Partner ihre Beziehung neu aufbauen. Schuldzuweisungen s eien hierfür nicht hilfreich. Das neue Verfahren verhindere Absprachen über Scheidungsgründe.253 Eine Evaluierung der Scheidungsgründe verhindere eine Scheidung nach einem willkürlichen Verlassen. In vielen Staaten sei bereits nach Ablauf recht kurzer Fristen dieser Scheidungsgrund tatbestandlich erfüllt. Häufig s eien jedoch nur lang andauernde Missverständnisse schuld, die zu einem einvernehmlichen oder nicht einvernehmlichen Getrenntleben führten.254 Grausamkeiten, Drogen- und Alkoholmissbrauch verdienten fachlich-medizinische und soziale Begleitung. Erst in 251 Ebd. 252 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 7.01, p. 11, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 253 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 7.01, p. 12, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 254 Ebd.
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unumkehrbaren Situationen, die das Wohlergehen des Ehepartners und der Kinder hindere, könne die Ehe geschieden werden.255 Eltern, die ihren Unterhalt verweigerten oder ihre Kinder vernachlässigten, wären häufig ihren Kindern entfremdet.256 Insbesondere bei physischen und geistigen Erkrankungen habe das Gericht die Ernsthaftigkeit des Scheidungsgrunds mit Blick auf einen chronischen Status und im Interesse der Kinder zu prüfen. Hierbei sei jedoch nicht erforderlich, dass der kranke Ehepartner dauernd in einem Krankenhaus untergebracht sei.257 Entscheidend s eien das Urteil der medizinischen Experten und die familiäre Situation.258 Insbesondere nach einer strafrechtlichen Verurteilung verbiete sich ein nach dem Strafmaß ausgerichteter Scheidungsantrag, wie Massachusetts dies für eine Strafverurteilung von 5 Jahren vorsähe. In den Fällen, in denen der Ehepartner eine Bewährung erhalten habe, käme es gerade auf die persönlichen und sozialen Umstände an. Alles in allem meinte Marie Munk, dass bedacht werden müsse, dass keine Ehe ohne ein geordnetes Verfahren geschieden werden dürfe.259
5. Das neue Verfahren Das Scheidungsverfahren war nach Munk kein strittiges Verfahren. 5.1 Die Rolle des Gerichts Das Gericht sollte die Rolle eines Beistandes übernehmen.260
255 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 7.03 und 7.04, p. 12, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 256 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 7.05, p. 12, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 257 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 7.06, p. 12, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 258 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 7.06, p. 13, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 259 “We believe that no marriage should be considered dissolved without a proper procedure.” In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 7.07, p. 13, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 260 “Who diagnoses, treats, and cures, when healing is possible, but who stands ready to preserve that patient’s wellbeing by applying surgery to the cancerous growth of marital disharmony and dissension. This operation is performed through severing the marital bond.” In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 8, p. 14, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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5.2 Zuständigkeit und Fristen Für das Verfahren zuständig sollte das Gericht des Ortes sein, an dem die Ehegatten ihren dauerhaften Wohnsitz seit mindestens sechs Monaten genommen hätten (residence).261 Drei Wochen nach dem Ereignis könne der Antrag auf Scheidung oder Getrenntleben beim Familienrichter gestellt werden.262 5.3 Die Rolle des Richters Der Richter bekomme seine Verfahren nicht mittels Rotation zugeteilt. Es wäre wünschenswert, wenn er zugleich Jugendrichter wäre.263 Kenntnisse und berufliche Erfahrung über psychologische, soziale und familiäre Probleme erachtete Munk für die richterliche Tätigkeit als notwendig. Innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr seien bei 40 Prozent der Scheidungsanträge bereits Jugendgerichtsverfahren durchgeführt worden. Die Paare sollten vonseiten des Jugendgerichts ermutigt werden, das Concilia tion Department in Anspruch zu nehmen, bevor ein Scheidungsantrag gestellt würde.264 5.4 Scheidungsantrag und Fristen Nach der formalen Zustellung des Scheidungsantrags an den Beklagten 265 erhalte dieser die Möglichkeit der Erwiderung.266 Nach Ablauf von 30 Tagen solle die Anhörung (Hearing) stattfinden. Es sei denn, die Ehepartner hätten ein Versöhnungsverfahren begonnen.267 Diese Frist von 30 Tagen begründete Marie Munk damit, dass besonders Frauen zu einem hohen Prozentsatz in einem Anflug von Ärger und Enttäuschung den Scheidungsantrag einreichen würden. Die Wartefrist solle übereilte Entschlüsse verhindern. Der Gerichtskalender würde von unnötigen Verfahren freigehalten. Das Gericht habe so aber auch die Chance, seine präventive Rolle zum Zwecke des Familienerhalts voll auszuschöpfen.268 261 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 5, p. 10, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 262 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 8.02, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 263 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 8.01, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 264 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 8, p. 14, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 265 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 8.03, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 266 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 8.04, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 267 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 8.05, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 268 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 8, p. 15, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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5.5 Mediation – Hearing Nach der munkschen Konzeption soll dem Hearing ein Mediationsverfahren vorgeschaltet sein. Dieses Mediationsverfahren bestimme das Anhörungsverfahren mit den Ehepartnern.269 In den Anhörungen war die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Zugelassen werden könnten nur Wohlfahrtsbehörden, Rechtsanwälte oder andere Personen, die ein berechtigtes Interesse hätten.270 Dies sei ein Kompromiss im Interesse eines fairen Verfahrens. Es diene dem Zweck, ein vertrauensvolles Klima z wischen dem Gericht, den Anwälten und dem Paar zu gewährleisten. Es halte die Ehepartner von schädlichen öffentlichen Einflüssen fern.271 Die Jury des Hearings bestünde aus einem Berufsrichter und zwei Beisitzern. Unter den Jurymitgliedern müsse eine Frau sein.272 Dies sichere, dass die weiblichen Interessen berücksichtigt würden.273 Das persönliche Erscheinen des Beklagten solle gerichtlich angeordnet werden. Der Kostenantrag sei von dem Kläger zu stellen, der für die Informationen über den Wohnsitz des Beklagten Sorge tragen solle. Eine öffentliche Zustellung an den Beklagten sei erst möglich, wenn erwiesen sei, dass der Kläger alle Anstrengungen hierzu unternommen habe.274 Das persönliche Erscheinen des Beklagten und der Kostenantrag durch den Kläger sollten verhindern, dass der beklagte Ehepartner aus Kostengründen gehindert sei, sich am Verfahren zu beteiligen. Nach gegenwärtigem Recht konnten Einwände gegen den vom Kläger bei Gericht vorgebrachten Scheidungsantrag nur durch einen Anwalt erfolgen, der vom Beklagten bezahlt werde. Deshalb forderte Munk, dass der Beklagte ohne anwaltliche Vertretung vor Gericht schriftlich und mündlich vortragen könne und der Kläger auf die Reisekosten des Erscheinens einen Vorschuss zu leisten habe. Anders sei eine Versöhnung von zwei Parteien nicht gewährleistet.275 269 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 8.07, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 270 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 8.08, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 271 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 8, p. 16, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 272 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 8.08, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 273 “[…] to make sure that the male and female viewpoint get full consideration.“ In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 8, p. 15, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 274 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 8.08, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 275 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 8, p. 15, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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5.6 Schutz der Ehe in der Anhörung Gegenseitige Beschuldigungen und Absprachen der Ehepartner hatten in der von Marie Munk angedachten Anhörung keinen Platz.276 Im Verfahren eine Versöhnung zu erzielen sei vorrangig, wenn diese nicht aus Furcht oder aufgrund falscher Erwartungen erfolge. Allerdings könne die Versöhnung nicht greifen, wenn nach dem Verhalten des beklagten Ehepartners zu erwarten sei, dass die Versöhnung nur dazu diene, sich der ehelichen Pflichten zu entledigen. Wenn die Versöhnung gegenüber der klagenden Partei nicht mit dem nötigen Respekt verbunden sei,277 habe es diskriminierende Auswirkungen für die Frau. Das machte Marie Munk beispielhaft deutlich: Eine Frau, die unter Aufbieten all ihrer Kräfte das Haus zusammenhalte, nicht zuletzt ihren Kindern zuliebe, wird für ihre Geduld noch bestraft. Für ihren fürsorglichen Geist, für ihr Entgegenkommen gegenüber ihrem untreuen Ehemann, um ihn wiederzugewinnen. An seine Reue und seine Versprechen auf Besserung glaubend, habe sie sich seinem sexuellen Verlangen hingegeben. Oder sie habe es getan, weil sie Angst vor Schlägen hatte. Blieb er rücksichtsloser als je zuvor, auch wenn er sie kurz danach verlasse, ihr Scheidungsantrag, der auf seinem Verlassen oder auf anderen Missetaten begründet sei, würde wegen ihres versöhn lichen Verhaltens vom Gericht abgewiesen. Viele Frauen säßen buchstäblich in der Falle, wenn der Mann für sein Verhalten Vergebung beantrage.278 Deshalb forderte Munk, dass der Partner, deren eheliche Vergehen vergeben werden sollten, seinen Antrag mit Gründen erhärten müsse. Gründe dürften, für sich allein genommen, noch keine Scheidung rechtfertigen und müssten nach dem den Scheidungsantrag auslösenden Ereignis eingetreten sein.279 Mit dieser Aufforderung ersuchte Marie Munk, zur stillschweigenden Übereinkunft für eine Scheidung abzugrenzen. Eine stillschweigende Übereinkunft für eine Scheidung liege dann vor, wenn der Kläger 276 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 9, p. 16, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 277 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 9.01, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 278 “The wife who goes to the limit to keep her home together, at least for the sake of the children, is punished for her patience, for her loving spirit, for her willingness to help her erring husband and to take him back. Believing in his promises of repentance and reform, she may have submitted to his sexual demands; or she may have done too because she was afraid of a beating. If he remains as inconsiderate as before, if he leaves her shortly afterwards, her petition for divorce which was based on his previous desertion or other misdeeds may be thrown out of court because of the reconciliation. Many a woman is tricked into a situation from which the husband claims condonation.” In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 9.01 und 9.02, p. 16, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 279 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 9.02, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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die beklagte Partei Glauben ließ, es läge ein Scheidungsgrund vor.280 Hierfür führte Munk das Beispiel eines Ehemannes an, der seine Ehefrau im a lkoholisierten Zustand einem anderen Mann überlasse. In dieser Situation habe die Frau zu Recht das Recht des Mannes auf Einverständnis für die Scheidung zu erwarten.281 Vor jedem Scheidungsantrag sollten die Ehepartner ermutigt werden, den Concilia tion Service (Versöhnung) in Anspruch zu nehmen.282 Die Versöhnung habe nicht das Ziel, dass der Beweis des Scheidungsgrundes für den Kläger verloren ginge.283 Munk betrachtete den Conciliation Service wie ein Diagnoselabor für kranke Eheleute.284 Kooperiere das Ehepaar nicht, solle das Social Service Department die Familienverhältnisse näher untersuchen, dem Gericht hierüber berichten und Empfehlungen abgeben. Werde eine Versöhnung unter den Eheleuten versucht herbeizuführen, habe das Gericht die Möglichkeit, den Conciliation Service, einen Family oder Marriage Counselor oder andere soziale oder religiöse Einrichtungen in Anspruch zu nehmen.285 Deshalb könne auch der Tatbestand für den Conciliation Service in einem Gesetzesvorschlag nicht festgeschrieben werden. Der Tatbestand ergäbe sich quasi aus der ehelichen Situation.286 Allerdings sei der Conciliation Service, wenn die Ehepartner bei ersten Schwierigkeiten nicht rechtzeitig oder nicht regelmäßig zu den Beratungen kämen, erfolglos.287 Die Berichte der Beratungseinrichtungen s eien vertraulich. Diese Einrichtungen könnten nur dann als Zeugnis im Scheidungsverfahren verwendet werden, wenn es die Parteien wünschten.288 Ein Vorschlag Munks, den sie aus England adaptiert
280 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 9.04, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 2 81 “Under such a situation she may rightfully claim connivance.” In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 9.04, p. 17, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 282 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 10, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 283 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 9.01. und 9.02, p. 16, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 2 84 “[O]ut-patient department of a hospital and like a diagnostic laboratory for sick married couples.” In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 10, p. 17, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 285 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 10, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 286 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 10, p. 17, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 287 Ebd. 288 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 10, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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hatte.289 Das Abschluss-Hearing umfasse die Empfehlungen des Conciliation Service, des Jugendgerichts und die Untersuchungen der sozialen, medizinischen und anderen Wohlfahrtseinrichtungen (pre-trial conferences).290 5.7 Die gerichtliche Entscheidung über Getrenntleben und Scheidung Sei aufgrund des Ergebnisses des Hearings ein Scheidungsantrag ungerechtfertigt, so werde dieser verworfen. Anderenfalls treffe das Gericht eine Entscheidung über Getrenntleben oder Scheidung. Je nach Sachlage könne das Gericht seine Entscheidung aussetzen, wenn nach seinen Beobachtungen eine Versöhnung doch noch erwartet werden kann. In einem derartigen Fall sei es jeder Partei ermöglicht, die Fortsetzung des Verfahrens zu beantragen. Es sei denn, beide Parteien stimmen darin überein, dass eine Verschiebung des Verfahrens einmalig angeordnet werden soll, die ein Jahr nicht überschreiten dürfe. Innerhalb dieser Zeit könne von jeder Partei eine neue Anhörung (Hearing) beantragt werden.291 Dies gelte sowohl für neue Erkenntnisse, die eine Versöhnung ermöglichen, als auch in den Fällen, in denen eine Versöhnung unmöglich geworden sei.292 Mit diesen Fristen („Cooling-off Periods“) sollte der zukünftige Uniform Divorce Bill eine überhastete Wiederheirat verhüten, die eh nur über einen anderen Menschen hinweg tröste. Deshalb sei auch vorgeschlagen, dass das Scheidungsurteil nicht sofort in Rechtskraft erwachse.293 Das Urteil nach dem Final-Hearing habe eine vorläufige Wirkung. Gegen das Urteil könne eine Beschwerde innerhalb eines Monats nur aus Rechts-, nicht aus Tatsachengründen vor dem nächsthöheren Gericht angebracht werden.294 Ein Antragsrecht bestehe auch, wenn das Verfahren zwei Monate lang gegen den Willen der einen Partei fortgesetzt werde.295 289 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 10, p. 18, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 290 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 11, p. 18, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 291 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 11.01, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 292 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 11, p. 18, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 293 “[T]he act wants to prevent immediate and usually unsatisfactory remarriages – on the rebound. It proposes therefore that the divorce decree shall not become final immediately. Interlocutory decrees are common in a number of our states.” In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 11, p. 18, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 294 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 11.02, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 295 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 11, p. 18, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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Nach dem Ablauf von sechs Monaten nach Bekanntgabe der Entscheidung an die Parteien solle die Entscheidung rechtskräftig werden.296 Während d ieses Zeit297 raums von sechs Monaten sei eine erneute Heirat nicht möglich. Wurde von einem der Ehepartner dauerndes Getrenntleben beantragt, habe der andere Ehepartner das Recht, die Scheidung zu beantragen. Es sei denn, sie ist unter den gegebenen Umständen nicht gerechtfertigt. Ebenso könne eine sich ankündigende gerichtliche Entscheidung über dauerndes Getrenntleben mittels Antrags der Parteien in eine Ehescheidung abgeändert werden.298 Diese Antragsänderung verfolge den Zweck, dem Beklagten aus ethischen Motiven (z. B. religiösen Gründen) eine Scheidung zu ermöglichen, obgleich das Gericht ein Getrenntleben für ausreichend hält.299 In diesen Fällen könne das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen ein Hearing vorschalten, nachdem der Scheidungsantrag dem früheren Kläger zugestellt worden sei.300 Das dauernde Getrenntleben sah Munk für viele Frauen aus religiösen oder wirtschaftlichen Gründen als gerechtfertigt an. Zum Beispiel, damit die Frau ihr Anwartschaftsrecht auf eine Witwenpension nicht verlöre. Zuweilen sei das Getrenntleben auch ein weibliches Instrument, um das Glück des ehemaligen Partners in einer anderen Beziehung zu verhindern.301 Im Getrenntleben verlöre der Mann allen Komfort eines Hauses, erfahre finan zielle Einbußen, ohne dass ihm das Recht familiärer Gesellschaft gegeben werde. 302 Darüber hinaus forderte Munk, dass nach dem Uniform Divorce Act die ehe liche Uneinigkeit sowohl für das Getrenntleben als auch für einen Scheidungs antrag hinreichend bestimmbar sein müsse: “Equity shall be done to both parties.”303 Nach dem jetzt noch geltenden Recht bestehe der einzige Unterscheid zwischen den Gründen des Getrenntlebens und den Scheidungsgründen in seiner Auslegung und in der Schuldfrage.304 296 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 11.02, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 297 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 11, p. 18, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 298 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 11.04, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 299 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 11, p. 19, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 300 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 11.04, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 301 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 11, p. 18, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 302 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 11, p. 19, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 303 Ebd. 304 Ebd.
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6. Entscheidungen über die Scheidungsfolgen Fragen des Eigentumsrechts der Ehepartner, des Sorgerechts für die Kinder und Unterhaltsfragen sollten möglichst innerhalb des Scheidungsverfahrens abschließend entschieden werden.305 So würde ein schleppendes Verfahren („long d rawn-out litigation“) verhindert.306 Vertragliche Vereinbarungen der Ehepartner könne das Gericht nach seinem Ermessen bestätigen oder zur Grundlage weiterer Entscheidungen machen. Sind die Vereinbarungen der Ehepartner billig und gerecht, so könnten sie nicht dem Grunde nach vor der Scheidung vernichtbar sein, wenn sie in dem Bemühen erfolgten, das Verfahren zu erleichtern.307 Für Munk entscheidend war, dass die Verein barungen nicht vor oder während des Verfahrens geschlossen wurden, sondern nach den Bedingungen des Uniform Divorce Act erfolgten. Deshalb müsse jede Anstrengung unternommen werden, um zu vertraglichen Vereinbarungen über den Unterhalt, die Eigentumsrechte und das Sorgerecht für die Kinder zu kommen. Diese sollten dem Gericht zur Bestätigung vorgelegt werden. Diese Vereinbarungen seien nur dann vernichtbar, wenn sie als geheime Absprache für den Scheidungsantrag selbst gewertet würden. Darüber hinaus habe der den Haushalt und die Kinder versorgende Elternteil einen Anspruch auf die Gegenstände für die Haushaltsführung.308 Das Gericht sollte die Fälligkeit von Zahlungen aus Immobilien oder Vermögen oder deren Übertragung in der Gesamtheit anordnen. Hat der eine Ehepartner einen Titel gegen den anderen Ehepartner auf Übertragung von Vermögen, so sollte das Gericht nach Recht und Billigkeit die Auflassung anordnen können.309 6.1 Unterhalt Die Grundsätze über die Unterhaltsregelungen entwickelte Marie Munk aus ihrer Kritik an der bestehenden Rechtssituation: Niemals werde man in der Lage sein, den Stachel aus den Scheidungsverfahren zu entfernen, solange die Verpflichtung zu Unterhaltszahlungen an den anderen Ehepartner mit der Schuldfrage verknüpft sei. Mehr noch, einige amerikanische bundesstaatliche Bestimmungen verweigerten 305 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 12.01, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 306 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 12, p. 19, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 307 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 12.02, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 308 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 12, p. 19, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 309 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 12.03, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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dem geschiedenen Ehepartner die Unterhaltszahlungen. Beide Lösungen würden dem Leitbild des Uniform Divorce Act nicht entsprechen.310 Prinzipien wie Billigkeit und die jeweiligen sozialen Umstände sollten berücksichtigt werden.311 Bereits während des Verfahrens leisteten beide Ehepartner regelmäßig einander Unterhalt. Eine Entscheidung über den zu leistenden Unterhalt müsse zusammen mit der Entscheidung über die Scheidung der Ehe getroffen werden. Die Entscheidung könne auch vorbehaltlich weiterer Ermittlungen ergehen,312 weil ohne finanzielle und soziale Situation der Ehepartner das Gericht eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung über den zu leistenden Unterhalt nach Recht und Billigkeit nicht treffen dürfe. 313 Zum Unterhalt verpflichtet sei insbesondere der Ehepartner, der wegen der physischen oder psychischen Erkrankung des anderen Ehepartners die Scheidung begehre. Allerdings forderte Munk in derartigen Fällen, dass Eigentum und Rechte aus dem Rechts institut Dower erhalten blieben.314 Gleiches gelte in den Scheidungsfällen, in denen Drogen- oder Alkoholmissbrauch die Ursache s eien. Es würden hier die jeweiligen Umstände entscheidungserheblich sein.315 Eine Unterhaltspflicht des einen gegenüber dem anderen Ehepartner sei gegeben bei Getrenntleben der Ehegatten, wenn Recht und Billigkeit es erfordern. Das Gericht sollte die Bedingungen und Einstellungen der Parteien hierbei während des Getrenntlebens berücksichtigen.316
310 “We shall never be able to take the sting out of the divorce proceeding as long as we continue to connect ‘guilt’ with the obligation to pay alimony to the other spouse. Moreover, some states do not give the right to alimony to the divorced partner. Both solutions do not conform to the underlying philosophy of the Uniform Divorce Act.” In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 13, p. 20, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 311 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 13, p. 20, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 312 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 13.01. und 13.02, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 313 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 13.03, p. 8, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 314 “[P]roperty and dower rights of the afflicted spouse may be preserved.” In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 13.04, p. 8, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 315 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 13.04, p. 8, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 316 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 13.05, p. 8, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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6.1.1 Wesentliche Änderungen der Verhältnisse für den Unterhaltsanspruch Jede Partei habe das Recht, eine Änderung der Unterhaltsfestsetzung zu beantragen wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse, nach denen die frühere Entscheidung getroffen worden sei.317 „We live in uncertain times“,318 begründete Munk. Werde in einem Ehescheidungsurteil dem Verpflichteten die Unterhaltsleistung erlassen, so könne ein zukünftiger Antrag auf Unterhalt nur dann erlaubt sein, wenn dieser den Erlass in Gänze beträfe oder im Falle der unvorhersehbaren Änderung der Verhältnisse. Gleiches solle bei einer Ablehnung von Unterhalt gelten, wenn die Entscheidung die gesamten finanziellen Bedingungen der Parteien beträfe. Es sei denn, die Entscheidung beruhe auf Gründen der Gleichbehandlung.319 6.1.2 Auswirkungen von Heirat und Tod auf die Unterhaltspflicht Eine erneute Heirat oder der Tod des Unterhaltsberechtigten beende die Unterhaltspflicht des Leistenden automatisch.320 Gleichwohl sollten freiwillige Leistungen nicht ausgeschlossen sein, weil sie unter ganz anderen Bedingungen geleistet würden.321 Die Unterhaltspflicht wirke gegen das Vermögen und gegen die gesetzlichen Erben des Erblassers nach dessen Tod. Es sei denn, die richterliche Entscheidung regelte anderes.322 Im Falle einer vertraglichen Übereinkunft sollten die Wirkungen von dem Wortlaut der Vereinbarungen abhängig sein.323 6.2 Sorgerecht und Unterhaltspflicht für die Kinder Die Ehelichkeit der Kinder könne in einem Ehescheidungsverfahren nicht festgestellt werden. Hierfür sei ein eigenes Verfahren vorgesehen. Das Sorgerecht für die Kinder solle einem der beiden Ehepartner vom Gericht übertragen werden, wenn die Scheidung eingereicht worden sei. Der andere Ehegatte habe für den Unterhalt aufzukommen. Derartige Entscheidungen könnten nach Auffassung von Marie Munk nicht ohne gründliche Erforschung der wirtschaftlichen und sozialen 317 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 14.01. und 14.02, p. 8, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 318 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 14, p. 20, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 319 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 14.03, p. 8, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 320 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 15.01, p. 8, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 321 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 15, p. 20, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 322 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 15.02, p. 8, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 323 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 15.03, p. 8 and Comments for Section 15, p. 20, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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Verhältnisse ergehen.324 Munk wies ausdrücklich darauf hin, dass die Eltern zu vertraglichen Übereinkünften über das Sorgerecht und die elterliche Gewalt bereits zum Zeitpunkt der „pre-trial conferences“ ermutigt werden müssen.325 Erst mit der Scheidung der Ehe oder nach dem Ehescheidungsurteil habe das Gericht darüber zu befinden, welcher Elternteil das Sorgerecht, welcher Elternteil die elterliche Gewalt bekomme und welcher zum Unterhalt verpflichtet sei.326 Für die Entscheidungen über das Sorgerecht sei ausschließlich das Interesse des Kindes entscheidungserheblich. Hierbei s eien die Beziehungen zu einem der Elternteile oder zu einem beteiligten Dritten zu berücksichtigen. Eine erneute Heirat ändere an der getroffenen gerichtlichen Entscheidung über das Sorgerecht oder die elterliche Gewalt nichts. Die familienrechtlichen Entscheidungen könnten auch durch das Jugendgericht getroffen werden.327 Alle Entscheidungen müssten geänderten Verhältnissen angepasst werden können.328
7. Persönliche Rechtswirkungen und Eigentumserwerb nach der Scheidung Mit Beginn des Ehescheidungsverfahrens unterstehe jede beteiligte Person des Verfahrens persönlich dem Gericht. Das Gericht erwerbe mit dem Beginn des Ehescheidungsverfahrens diese personenrechtliche Beziehung. Diese personenrechtliche Beziehung beträfe insbesondere Personen, die von dem Ehescheidungsurteil nachteilige Wirkung erfahren.329 Munk begründete diesen Vorschlag damit, dass eine Durchsetzung von Ansprüchen in einem anderen Bundesstaat als dem, in dem der betreffende Ehepartner seinen Wohnsitz hätte, nicht durchsetzbar sei. Der Zugriff des Gerichts ermögliche jedoch, dass, wenn der Verpflichtete in den betreffenden amerikanischen Bundesstaat einreise oder dort Vermögen erwerbe, auch das
3 24 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 16.01 und 16.02, p. 8, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 325 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 16. p. 20, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 326 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 16.03, p. 8, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 327 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 16.04, 16.05, 16.06, p. 9 and Comments for Section 16, p. 20, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 328 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 17, p. 21, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 329 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 17, p. 9, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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Ehescheidungsurteil und die Scheidungsfolgen über die Staatsgrenzen hinweg ihre Wirkung entfalteten.330 Zwischen dem Gericht und anderen sozialen und beratenden Organisationen, wie z. B. den Bewährungsstellen oder dem Vormund, profitiere der Richter von einem Berichtswesen über die Einhaltung der gerichtlichen Unterhalts- und Sorgerechtsentscheidung.331
8. Kosten, Auslagen und Anwaltsgebühren Das Gericht setze die Kosten des Verfahrens und die Anwaltsgebühren fest. Hierbei fordere das Gericht den einen Ehegatten auf, den anderen Ehegatten finanziell in der Fortführung des Verfahrens zu unterstützen.332 Munk hatte bei diesem Vorschlag besonders den Schutz der Hausfrauen im Blick, die ohne eigenes Einkommen sonst nicht in der Lage wären, ihre rechtlichen Interessen zu verfolgen oder eingehende Beratung in Anspruch zu nehmen.333 Das Gericht benötige Sicherheitsvorkehrungen gegen die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit der Ehepartner. Das Gericht habe die Ehepartner und andere Beteiligte über vereitelnde Verfügungen über das Vermögen, den Nachlass und das Eigentum ernstlich zu ermahnen. Sicherheitsvorkehrungen und Sicherheitsmaßnahmen seien erlaubt.334 Munk argumentierte, dass es gegenwärtig recht einfach sei, gerichtliche Entscheidungen zu unterlaufen, indem die Parteien in einen anderen Bundesstaat wechselten.335 Um ein Unterlaufen der einzelnen Verfahrensstationen durch Wohnsitzwechsel zu hindern, sollte vor oder nach der Scheidungsklage das Gericht alle Beteiligten ernstlich ermahnen, das Prozedere der Versöhnung nicht zu gefährden.336
330 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 17, p. 21, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 331 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 19, p. 9 and Comments for Section 19, p. 21, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 332 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 18, p. 9, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 333 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 18, p. 21, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 334 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 20.01, 20.02, p. 9, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 335 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 20. p. 21, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 336 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 21.01, 21.02, p. 9, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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Munk gedachte mit d iesem Vorschlag, Quälereien z wischen den Ehepartnern während des Verfahrens zu hindern.337
9. Missachtung gerichtlicher Entscheidungen (Contempt of Court) Zuwiderhandlungen gegen die Entscheidungen des Gerichts s eien strafbewehrt 338, „but should be the last resort“, begründete Munk.339 Während einer Haftstrafe bestünde die Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt nicht. Es sei denn, der Beklagte erziele Einkünfte oder anderes Einkommen. Allen Beurteilungen sollte die Beurteilung durch den Conciliation Service oder die Bewährungsabteilung (Probation Department) vorausgehen.340
10. Auswirkungen des Todes auf die Ehescheidung und auf die Rechtsinstitute Dower und Courtesy Der Tod des Ehemanns oder der Ehefrau während des Ehescheidungsverfahrens sollte keine Auswirkungen auf das Erbrecht und die Rechtsinstitute Dower und Courtesy des überlebenden Ehegatten haben.341 Im Falle des vorübergehenden Getrenntlebens der Ehepartner s eien die Interessen des Klägers schützenswert. Nicht das gesamte Vermögen könne der überlebende Ehegatte erhalten.342 Trat der Tod einer der Parteien nach dem Zwischenverfahren ein, nachdem in das Ehescheidungsverfahren eingetreten war, sollte die Scheidung schnellstmög lich ausgesprochen werden. Es sei denn, es käme zu einer Berufung vonseiten des Testamentsvollstreckers oder einer anderen Partei.
337 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 21, p. 21, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 338 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 22, p. 10, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 339 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 22, p. 22, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 340 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 22, p. 10, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 341 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 23.01, p. 10, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 342 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 23, p. 22, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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War die Berufung bereits rechtshängig, sollte das Appellationsgericht der Sache nach entscheiden. Wurde die Berufung abgewiesen, wurde das Scheidungsurteil zum Todeszeitpunkt rechtskräftig. War das Ehescheidungsurteil rechtskräftig, so habe der überlebende Ehegatte kein Erbrecht. Es sei denn, es läge eine der widersprechenden Vereinbarung der Ehegatten oder eine testamentarische Verfügung vor.343 Allerdings dürften die Rechte aus den Rechtsinstituten Dower und C ourtesy nicht durch testamentarische Verfügungen außer Kraft gesetzt werden. Ebenso seien testamentarische Verfügungen während des Laufs der 6-monatigen Frist bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils nicht möglich.344
11. Entscheidungen und Anordnungen der Gerichte anderer Bundesstaaten Ehescheidungen und Anordnungen der Gerichte anderer Bundesstaaten sollten wirksam bleiben, wenn sie die gleichen Vorschriften anwendeten wie die heimat lichen Gerichte.345 Mit dem Uniform Divorce Act sollte aber auch die Durchsetzbarkeit der Urteile anderer amerikanischer Bundesstaaten, nicht nur der sogenannten „Sister States“, gesichert werden.346
12. Heirat nach einer Scheidung Die erneute Heirat nach einer rechtskräftigen Scheidung sei nicht ausgeschlossen.347 Empfange die Ehefrau von ihrem Ehemann vor der Scheidung ein Kind und heirate sie während ihrer Schwangerschaft einen anderen Mann, so sei dieser recht licher Vater des geborenen Kindes. Ebenso könne während des Getrenntlebens die Frau von einem anderen Mann ein Kind empfangen, das sie zu d iesem legitimieren
343 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 23.02, 23.03, 23.04, p. 10, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 344 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 23, p. 22, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 345 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 24, p. 10, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 346 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 24, p. 22, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 347 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 25, p. 10, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538.
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möchte.348 Deshalb solle das bis zu 10 Monaten später geborene Kind nur dann von der registerführenden Stelle als nichtehelich gelten, wenn die geschiedene Frau erkläre, das Kind habe sie nicht von ihrem früheren Ehemann empfangen. Gleiches gelte, wenn beide Parteien eine Erklärung vorlegten, nach der das Kind nichtehelich sei.349
13. Widersprechende Bestimmungen und ihre Unwirksamkeit Alle diesem Gesetz widersprechenden Gesetze müssten aufgehoben werden. Die Unwirksamkeit eines Teils dieses Gesetzesvorschlags habe nicht die Unwirksamkeit seiner Gesamtheit zur Folge.350
14. Marie Munks Vergleich: Uniform Divorce Bill (1954) und Proposed Bill (1952) Munks Vorschlag war aber nicht der einzige Vorschlag. Das „Uniform Divorce Bill Committee“ der National Association of Women Lawyers hatte einen aus dem Herbst 1952 stammenden Vorschlag unter dem Titel „Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem“ veröffentlicht: “Suggestions, criticisms and recommendations in respect to the proposed Bill are cordially invited.”351 Das Women Lawyers Journal veröffentlichte im Winter 1954 einen wissenschaftlichen Aufsatz Munks unter dem Titel „Uniform Divorce Bill“.352 In diesem Aufsatz ersuchte Munk eine breitere Akzeptanz für ihren Vorschlag zu erzielen, indem sie ihren Vorschlag mit dem Vorschlag der National Association of Women Lawyers aus dem Jahre 1952 verglich.353 348 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 10 – 23, Comments for Section 25, p. 22, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 349 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 25, p. 10, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 350 Marie Munk, Uniform Divorce Bill Suggestions, p. 1 – 23, p. 3 – 10, Section 26, 27, p. 10, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3538. 351 National Association of Women Lawyers, Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem, p. 1 – 8, p. 2, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3536. 352 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 3 – 5, p. 21 – 23, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 353 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 3, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528.
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Der Vorschlag der National Association of Women Lawyers ging einführend auf die nachteiligen Auswirkungen einer Scheidung für die Kinder ein und widmete sich insbesondere der unterschiedlichen Rechtslage in den 48 amerikanischen Bundesstaaten.354 Munk knüpfte an die langjährigen Erfahrungen des professionellen Praktikers an, die sich mit dem grundsätzlichen Rechtsproblem im Scheidungsrecht befassen mussten. Sie konstatierte eingangs: Die rechtliche Schuld ist nicht gleichzusetzen mit der sittlichen Schuld.355 14.1 Unterschiede im Verfahren Munk untersuchte den Vorschlag der National Association of Women Lawyers und fand auch dort ein Schlichtungsverfahren (Conciliatory Procedure) und die Versöhnung (Reconciliation). Der Wortlaut des „Proposed Bill“ wies Scheidungsgründe aus, die bereits vor einem Versöhnungsverfahren einen Scheidungsantrag bei Gericht ermöglichten, verbunden mit dem Ziel, die Ehe endgültig aufzulösen.356 Munk löste diesen Widerspruch auf, indem sie nicht ausschließlich die Scheidung wegen Verfehlungen des anderen Ehepartners vorsah. Sie trat für die Streichung dieser widersprüchlichen Bestimmungen des „Proposed Bill“ ein.357 Munk wies auf die Regelungen über das Getrenntleben in Rhode Island, Kentucky, Nevada, Texas, Louisiana, hin. Die Regelungen enthielten den Grundsatz, dass ein eheliches Zusammenleben nicht mehr „durchsetzbar“ wäre.358 Munk hob hervor, dass ein frühzeitig gestellter Scheidungsantrag mit einer Versöhnung nicht harmonisieren könne. Ihre Argumente stellte sie auf die Scheidungsfolgen, z. B. das Sorgerecht der Kinder, ab.359 Eine Scheidung, noch nicht entschieden, aber erwogen, habe einen 354 National Association of Women Lawyers, Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem, p. 1 – 8, p. 3, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3536. 355 “[T]hat legal guilt is not identical with moral guilt.“ In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 3, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 356 National Association of Women Lawyers, Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem, p. 1 – 8, Proposed Bill, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3536. 357 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 3, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 358 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 3 – 4, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, N orthampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 359 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 4, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528.
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ungünstigen Effekt,360 bemerkte Munk. Ein professioneller Counseling Service hingegen verhindere unnötige Scheidungen, schaffe ein konstruktives Klima der Hilfe und schütze die Vertraulichkeit.361 Es käme hinzu, dass der „Proposed Bill“ eine „Pre-Hearing Conference“ vorsah, jedoch keine „Pre-trial Hearings“ für notwendig erachtete.362 Munk hob hervor, dass „Pre-trial Hearings“ eine abschließende Klärung in Einzelfragen der Partner bringen könnten. In der Wartefrist zwischen dem Scheidungsgrund und dem Scheidungsantrag könnte sich eine erhitzte Situation erst einmal normalisieren. Voreilige Anträge würden nicht gestellt und die Gerichte würden nicht mit Verfahren belastet, die späterhin ohnehin zurückgezogen würden.363 14.2 Unterschiede in den Scheidungsgründen Sei eine Ehescheidung jedoch unumgänglich, müssten die Ehescheidungsgründe deutlich geregelt und gedanklich einfach erfassbar sein. Die Ehescheidungsgründe einiger Staaten beurteilte Munk teilweise als vage und andererseits als zu restriktiv.364 Die National Association of Women Lawyers hatte den Scheidungsgrund unheilbare Geisteskrankheit („Mental Incapacity“) wie folgt geregelt: Eine unheilbare Geisteskrankheit liegt rechtlich vor, wenn sie über einen Zeitraum von drei Jahren fortwährend aufgetreten sei.365 Hier wären die Probleme für eine gerechtfertigte richterliche Beurteilung weitaus vielschichtiger, mit diesen Worten trat Marie Munk in ihre Kritik ein: Bei einer Geisteskrankheit, die zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits vorläge, sei eher die Annullierung der Ehe angebracht, als die Scheidung. Zugleich greife das neurotische 360 “The mere fact that a divorce is pending, or taken into consideration, has an adverse effect.” In: Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 4, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 361 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 4, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 362 National Association of Women Lawyers, Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem, p. 1 – 8, Sec. 10, 11, 12, 13, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3536. 363 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 22, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, N orthampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 364 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 4, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 365 “[…] is legally adjudicated mental illness which has continued for a period of 3 years.” In: National Association of Women Lawyers, Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem, p. 1 – 8, Sec. 3.08, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3536.
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und psychotische Verhalten der Ehepartner als Scheidungsgrund nur durch, wenn mit ihm Misshandlungen verbunden s eien. Andererseits sei eine Scheidung wegen des psychotischen und neurotischen Verhaltens des Ehepartners nicht in jedem Falle das probate Mittel. Es gäbe medizinische Ursachen (Klimakterium, Wochenbett), die d ieses Verhalten erklärten und nach dem neuesten Stand der Wissenschaft behandelbar seien.366 Munk kritisierte die Definition der „incapacity“, die eine nichtwiderlegbare Vermutung einer Unheilbarkeit ausweise.367 Im Widerspruch hierzu fordere der „Proposed Bill“ in einer anderen Bestimmung, dass eine erfolgreiche Fortsetzung der Ehe ausgeschlossen, unerträglich für die Ehepartner, unfair den Kindern gegenüber und wertlos sei.368 Gegen diesen Widerspruch 369 plädierte Marie Munk, den Begriff „incapacity“ (Geisteskrankheit) durch „serious mental disorders“ (ernsthafte Erkrankung) zu ersetzen. Darüber hinaus sollten sexual-medizinische Gründe, wie die Zeugungsunfähigkeit, von den geistigen Erkrankungen getrennt aufgeführt werden.370 Das Verschweigen der Zeugungs- oder Empfängnisunfähigkeit sei ein Grund, die Heirat zu annullieren. Die Heirat werde mithilfe einer Täuschung herbei geführt. Eine Annullierung sei dann nicht mehr ermöglicht, wenn die Partner in gutem Glauben die Ehe schlossen und einer der Partner nach Kenntnis der Tatsachen eine Frist von fünf Jahren untätig verstreichen ließ.371 Der „Proposed Bill“ definiere den Scheidungsgrund Bigamie: “There was a spouse of either party living at the time of the marriage.”372 Diese Definition stand 366 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 4 – 5, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, N orthampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 367 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 5, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 368 “[…] that the marriage cannot be preserved with benefit because its continuation is unbear able to the parties or unfair to the children, if any, and of no value to the State.” In: National Association of Women Lawyers, Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem, p. 1 – 8, Sec. 8, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3536. 369 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 5, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 370 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 5, 21, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, N orthampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 371 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 21, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 372 National Association of Women Lawyers, Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem, p. 1 – 8, Sec. 7.05, p. 6, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3536.
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aus Sicht Marie Munks im Widerspruch zu einer im „Proposed Bill“ geforderten Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Ehe. Bigamie gehöre zu den Nichtigkeitsgründen der Ehe, weil diese bereits vor der Eheschließung bestehen würde. In diesen Fällen könne die Ehe nicht hernach rechtlich aufgelöst werden. Vielmehr müsse die Ehe für nichtig erklärt werden. Die Kinder aus diesen Beziehungen könnten jedoch nur dann für ehelich erklärt werden, wenn einer der Partner in gutem Glauben geheiratet habe.373 Ein weiterer Punkt Munks Kritik war der Scheidungsgrund „cruelty“ (ehe lichen Grausamkeiten) als „extreme and repeated mental cruelty resulting in physi cal injury.“374 Munk befürchtete mit dieser Definition praktische Schwierigkeiten. Insbesondere, wenn es sich um psychische Grausamkeiten handele. Munk forderte deshalb, dass das eheliche Zusammenleben für die Partner und die Kinder unerträglich geworden sein müsse. Diese Anforderung Munks sollte eine schwierige Beweisführung bei Gericht über die Frage, ob psychische Grausamkeiten auch den körperlichen Grausamkeiten gleichkommen würden oder aus ihnen verursacht worden sind, vermeiden.375 Der „Proposed Bill“ mache die Scheidung wegen Verlassens, Trunksucht oder einer Strafhaft von einem einjährigen Zeitraum des Verlassens, der Trunksucht und der Strafhaft abhängig.376 Munk kritisierte, dass ein Scheidungsrecht, welches ein willkürliches Verlassen, die Trunksucht oder die Strafverbüßung ausschließlich an einen Zeitraum von einem Jahr binde, den rechtlichen und sozialen Anforderungen nicht gerecht werde. Zum einen sei die Trunksucht über einen Zeitraum von einem Jahr leicht als Scheidungsgrund durchsetzbar. Im Falle von Straftaten sei bereits die Definition der Straftat und seine Verurteilung von Gericht zu Gericht in den einzelnen amerikanischen Bundesstaaten unterschiedlich. Es käme hier vielmehr auf den jeweiligen Einzelfall an und nicht auf die Länge der Strafe. Es sei denn, es zeichne sich gewohnheitsmäßiges Strafverhalten ab.377 373 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 21, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 374 National Association of Women Lawyers, Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem, p. 1 – 8, Sec. 3.06, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3536. 375 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 21, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 376 National Association of Women Lawyers, Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem, p. 1 – 8, Sec. 3.07, p. 5, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3536. 377 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 22, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, N orthampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528.
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14.3 Die ungelösten Fälle Munk ging zudem auf ein Problem ein, dem sich der „Proposed Bill“ gar nicht angenommen hatte: den sogenannten „Enoch-Arden-Fällen“.378 Entscheidend sei, dass das Verfahren der Todeserklärung hinreichend klar ausgestaltet sei.379 14.4 Unterschiede in der Scheidungsfolge Unterhaltsgewährung Der „Proposed Bill“ enthielt Bestimmungen über Unterhaltszahlungen, die eine Übertragung beweglichen Vermögens oder ihren Ersatz in Geld dann vorsahen, wenn das Gericht dies für recht und billig erachtete („if the court deems equitable“).380 Hinzu kam, dass ein Verzicht des Unterhaltsberechtigten oder eine ablehnende richterliche Entscheidung auf Unterhalt oder eine Unterhaltsabfindung nach dem Ausspruch der Scheidung durch das Gericht nicht mehr möglich sein sollte.381 Im Gegensatz hierzu forderte Munk freiwillige Vereinbarungen über Unterhaltsleistungen und Eigentumsrechte zwischen den Ehepartnern einschließlich ihrer Modifizierung, wenn die Verhältnisse sich änderten. Ebenso in den Einzelfällen, in denen anstatt des Unterhalts andere Leistungen oder ein Unterhaltsverzicht festgesetzt worden sei. Sie begründete ihre Auffassung damit, dass dies ein Grundprinzip sein müsse. Hierbei sei sie sich für Einzelfälle durchaus bewusst, dass die ökonomischen Voraussetzungen, in denen der Kläger einen Verzicht unterzeichnet habe oder eine Eigentumsregelung akzeptiert habe, als Ergebnis unvorhergesehener und unvorhersehbarer Ereignisse, z. B. vorübergehender Erkrankung, Inflation, sich grundlegend verändern könnten.382
378 Siehe 7. Kapitel, Ziffer VII. Nr. 7. 379 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 21, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 380 National Association of Women Lawyers, Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem, p. 1 – 8, Sec. 17.02, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3536. 381 National Association of Women Lawyers, Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem, p. 1 – 8, Sec. 23, p. 7, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3536. 382 “Although I agree that this should be the general principle, I am aware of cases in which the economic conditions of the plaintiff who signed a waiver or accepted a property settlement have drastically changed as a result of unforeseen and unforeseeable events, e. g. serious illness, inflation.” In. Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 23, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528.
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14.5 Unterschiede im Fall der Wiederheirat in Bezug zum Sorgerecht Darüber hinaus ermögliche der „Proposed Bill” in jedem Falle eine erneute Heirat nach der Scheidung, weil diese Frage vollkommen ungeregelt sei.383 Hiermit würden, kritisierte Munk, die Scheidung und die Wiederheirat fristlos ermöglicht. Mit der Folge, dass den Geschiedenen die Auswirkungen ihrer Scheidung auf ihre Beziehung und die Beziehung ihrer Kinder nicht zu Bewusstsein gelangen würden. Andererseits sei es aber nicht gerechtfertigt, wenn beide Ehepartner nicht erneut heiraten könnten. Deshalb empfahl Munk das Institut des „interlocutory decree“ (Wartefrist zwischen Scheidungsurteil und Rechtskraft des Scheidungsurteils): “The partner may become reconciled and start anew.”384 14.6 Unterschiede im Rechtsinstitut Dower Wolle man sich an dieser Stelle ihrer Auffassung anschließen, sei es auch nicht erforderlich, das Rechtsinstitut „Dower“ mit dem Eintritt in das Scheidungsverfahren außer Kraft zu setzen, wie der „Proposed Bill“ dies vorsah.385 Munk waren Einzelfälle bekannt, in denen der Kläger kurz nach Beginn, aber vor Rechtskraft des Scheidungsurteils starb und der beklagte „schuldige“ Ehegatte der einzige Erbe gewesen sei.386 Gerade diese letzte Forderung Marie Munks macht deutlich, wie ihre amerikanischen Forderungen mit dem amerikanischen Erbrecht, dem Güterrecht und dem Scheidungsrecht verknüpft waren.
15. Schlussbetrachtung: Vergleich mit der gegenwärtigen amerikanischen Rechtslage In der nun folgenden Schlussbetrachtung kann die nachfolgende Rechtsentwicklung in epischer Breite nicht dargestellt werden. Im werkbiografischen Kontext können pointiert zukünftige Forschungsaufgaben sehr grob skizziert und für die Zeit nach den Forderungen Marie Munks nur die wichtigsten Entwicklungen hervorgehoben 383 “[…] nothing in this act shall be constructed.” In: National Association of Women Lawyers, Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem, p. 1 – 8, Sec. 26, p. 8, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3536. 384 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 23, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528. 385 National Association of Women Lawyers, Divorce. A New Legal Approach to an Old Legal Problem, p. 1 – 8, Sec. 25, p. 8, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3536. 386 Marie Munk, Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40 No. 1, Winter 1954, p. 23, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 9 Folder 3; LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3528.
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werden: Mit den Entscheidungen des Supreme Court (Wilhelm I 387 und Wilhelm II 388) waren die Ehescheidungen zu Lebzeiten Munks bereits zwischenstaatlich anerkannt. In allen amerikanischen Bundesstaaten gilt heute das Zerrüttungsprinzip.389 Das Verschulden ist nur noch bei Unterhaltspflichtverletzungen von Bedeutung. Unterhaltsregelungen, die geschlechtsspezifische Regelungen enthielten, wurden vom Supreme Court kassiert.390 In der zwischenstaatlichen Anerkennung von Unterhaltsurteilen ist das ameri kanische Recht einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Nach „Uniform Interstate Family Support“ gilt seit dem Jahre 1999, dass für den Unterhalt das erkennende Gericht des sogenannten Forumstaats die ausschließliche Zuständigkeit 391 hat, solange einer der Beteiligten des Verfahrens seinen Wohnsitz im Forumstaat beibehält.392 Gleiches gilt für die Sorgerechtsentscheidungen, die sich grundsätzlich an dem Wohl des Kindes auszurichten haben.393 Allerdings gibt es, wie in Deutschland, auch in den USA ein brandaktuelles Thema: die aktive Vaterrolle und die Einstellung der Gerichte hierzu. Nur einige Staaten haben die gemeinsame Sorge vorgesehen.394 Das Güterrecht ist nach wie vor der schwierigste Teil der Rechtsvereinheit lichung. Zwar haben 29 Bundesstaaten den „Uniform Premarital Agreement Act (UPAA)“ anerkannt.395 Jedoch sind vor Gericht voreheliche Vereinbarungen über Scheidungsfolgen überprüfbar. Es kann in diesen Verfahren die Frage nach einem Verstoß gegen die Ehe als gemeinsame Lebensgrundlage, aber auch die Frage nach der wirtschaft lichen Gleichberechtigung beider Partner zum Gegenstand gemacht werden.396 Die Hauptprobleme im Güterrecht konnten lediglich ein gut Teil abgemildert werden. An d ieser Stelle sei noch einmal kurz in Erinnerung gerufen: Wechselt ein Ehepaar von einem Common-Law-Staat in einen Community-Property-Staat, erhält die Frau ein Erbteil nicht, weil der Community-Property-Staat ein Pflichtteil nicht kennt. Zugleich war das erwirtschaftete Vermögen nach der Eheschließung nach den Regeln des Common Law ausschließlich Eigentum des Mannes. Dies wird damit 387 Williams v. North Carolina (I), 317 U. S. 287, 63 S. Ct. 207, 87 L. Ed. 279 (1942). 388 Williams v. North Carolina (II), 325 U. S. 226, 65 S. Ct. 1092, 89 L. Ed. 1577 (1945). 389 § 750 ILCS 5/401 (a) (1) (2001). 390 Orr v. Orr, 440 U. S. 268, 99 S.Ct. 1102, 59 L.Ed.2d 306 (1979). 391 Exclusive and continuing jurisdiction. 392 9 Part U. I. L. A. 324 (1996, Supp. 1998). 393 Uniform Child Custody Jurisdiction and Enforcement Act, in: 9 U. L. A. 101 (Supp. 1999). Dieser Act ist in 36 Bundesstaaten in Kraft getreten. 394 § 3020 (b) Cal.Fam.Code (1999). 395 Peter Hay, U. S.-amerikanisches Recht. Ein Studienbuch, München 2002, S. 191 – 192. 396 Posner vs. Posner, 233 So.2d 381 (Fla. 1970).
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begründet, dass das Ehegüterrechtsstatut nicht durch Domizilwechsel verändert werden kann.397 Ein Quasi-Community-Property-Status vermeidet Härten. Es wird so getan, als ob zum Zeitpunkt des Erwerbs des Vermögens im Common-Law-Staat das Community-Property-System gegolten hätte. Dieses Modell haben jedoch nicht alle amerikanischen Bundesstaaten übernommen.398 Marie Munks Idee, das Recht weniger mit dem Ziel der Trennung, als mit dem Aspekt der Versöhnung zu belasten, hat erste zaghafte Konturen erhalten. Eine sogenannte Covenant Marriage ist ein Vertrag, den die Eheleute vor einem Marriage Counselor schließen und der sie für den Fall der Scheidung an eine Wartezeit von 6 bis 24 Monaten bindet. In dieser Wartezeit haben die Eheleute auf ein Fortbestehen der Ehe aktiv hinzuwirken.399 Zugleich werden übereilte Eheschließungen von jungen Menschen oder gar Kindern im Zuge des Verschwindens der Common-Law-Marriage vermieden.400 Obgleich diese Konturen der weiteren Rechtsentwicklung den Vorstellungen Munks ein Stück weit entgegenkommen, ist vor dem Hintergrund ihrer Forderungen an dieser Stelle weniger eine Darstellung dezidierter Einzelregelungen in den unterschied lichen amerikanischen Bundesstaaten nachzugehen, als das vielmehr eine Antwort auf die Frage für das heutige Amerika offen bleibt: Hätte Obamas Gesundheitsprogramm viel umfassender und breiter angelegt sein können, wenn es nicht nur gesundheitspolitisch bewertet worden wäre? Sondern die Gesundheitsversorgung als wichtigster Bestandteil eines Leitbilds, der Familieneinheit (Family Unit), und damit als wichtigste Säule der amerikanischen Gesellschaft mit den familienfördernden und eheerhaltenden Inhalten à la Munk als Form einer Lebensführung (Life Adjustment) geplant worden wäre? Diese Frage soll aus rechtspolitischer Sicht anregend für eine Kompatibilität zwischen Familien- und Sozialrecht werben. Im Grunde genommen für eine rechtspolitische Strategie, für die Munk ebenfalls mit ihren Forderungen geworben hat. Marie Munk hat Fragen und Forderungen hinterlassen, die noch nicht in Gänze beantwortet oder/und historisch aufgearbeitet sind. Um die vorliegende Arbeit nicht ausufern zu lassen, können in dieser Schlussbetrachtung ausschnittsweise über die nordamerikanische Rechtslage und den derzeitigen Stand ihrer Rechtsvereinheitlichung nur zaghaft Konturen geliefert werden, insbesondere mit Blick für die zu erwartenden Schwierigkeiten auf internationaler Ebene. 397 In re Thornton’s Estate, 1 Cal. 2d 1 (1934). 398 Peter Hay, U. S.-amerikanisches Recht. Ein Studienbuch, München 2002, S. 191. 399 Dieses Modell ist in A. R. S. § 25 – 901 ff. (2001) in Arizona, in Arkansas, in: A. C. A. § 9 – 11 – 803 (2001) und Louisiana, La. R. S. 9:273 (2001) geregelt. Seither sind auch in weiteren 20 Bundes staaten Gesetzesvorschläge vorbereitet worden. 400 Peter Hay, U. S.-amerikanisches Recht, S. 186.
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Denn sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene sind die Schwierigkeiten für eine Rechtsvereinheitlichung gleich und komplex, was bereits ihren Ausgangspunkt betrifft: weil die rechtshistorische Umklammerung bei einer Rechts vereinheitlichung mancherorts hinderlich entgegensteht. Allerdings vermag die Umklammerung während rechtsvereinheitlichender Reformarbeit nicht ohne rechtshistorische Zusammenhänge zu leisten und zu lösen sein. Die historischen Einflüsse wirken auf die Stellung der Frau im Ehe-, Ehegüter-, Familien- und Scheidungsrecht ein. Hinzu kommen einschneidende sozioökonomische Wechselwirkungen, die ebenso die Konturen der wissenschaftlichen Arbeit Munks in den Vereinigten Staaten kennzeichneten. Bleibt das Erfordernis, Marie Munks Arbeit sowohl unter dem Blickwinkel des Rechts als auch unter Berücksichtigung des Arbeitens mit dem Recht zu betrachten. Eine Arbeit, die den Aspekt der Rechtsschöpfung fortwährend unter den vorgenannten Einflüssen – im wahrsten Sinne des Wortes – bedenken muss. Hierzu hatte Marie Munks Weggefährte Eugen Schiffer richtungsweisende Worte über die zukünftige Arbeit mit dem Recht gefunden: „[N]icht ihre Vermehrung, sondern ihre wissenschaftliche Zusammenfassung u. Durchdringung auf na tionaler u. internationaler Basis“ hielt Schiffer für eine der Aufgaben, „an die bisher soweit ich sehe, noch niemand herangetreten ist“. Dieses sei „ein Teil der Aufgabe, die Revolution im Recht zu erfassen u. darzustellen, die gegenwärtig seine begriff lichen Fundamente erschüttert, zerschlägt u. umgestaltet: Eigentum, Arbeitsvertrag, Ehe, Erbrecht und anderes mehr. Aber in dieser wie in fast jeder anderen Beziehung mit Ausnahme der Wirtschaft ist unser Säculum impotent.“401
401 Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 10. Juni 1951, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3520. Hervorhebung nicht im Original.
9. Kapitel Scheinbar vergessen: Die Dissertation Marie Munks – Ansatz für ein anderes Wiedergutmachungsrecht?
Der Begriff der Wiedergutmachung umfasst die Restitution oder den Schadenersatz. Dieser Begriff reicht für Menschenrechtsverletzungen nicht aus. Geschehenes kann nicht wiedergutgemacht werden. Insbesondere ein andauerndes Unrecht nicht. Gleichwohl wird der Begriff Wiedergutmachung in der Zeitgeschichte und in der rechtshistorischen Forschung verwendet. 1 Doch genau betrachtet, geht es um Einstellungsänderungen, Aufforderungen zu konkretem Handeln, letztendlich um generationsübergreifende kommunikative Akte, auf Opfer- wie auf Täterseite, die erst in jüngster Zeit durch die sozialhistorische Forschung der Analyse 2 oder internationalen Perspektive 3 zugeführt werden. Die Autorin dieser Arbeit verwendet den Begriff Wiedergutmachung im Sinne historischer Gerechtigkeit in einem zivilrechtlichen Kontext am Beispiel des Wiedergutmachungsverfahrens von Marie Munk. Zu d iesem Zweck bezieht die Autorin Marie Munks wissenschaftliche Promotionsleistung mit ein. Insofern unterscheidet sich die Herangehensweise der Autorin dieser Arbeit auch von dem nach dem Ende des Kalten Krieges und nach dem Fall der Mauer im interna tionalen Kontext verwendeten Begriff Transitional Justice. Dieser Begriff setzt zwar am Übergang von Diktaturen zu einer Demokratie an, richtet aber seinen Fokus der Forschung zuallererst auf das Strafrecht in einem internationalen Kontext.4 Welche kritischen Denkanstöße sich aus den W iedergutmachungsverfahren 1 Benno Nietzel, Wiedergutmachung für historisches Unrecht, S. S. 2 – 3, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, URL. http:/ /docupedia.de/zg. (27. 08. 2013). 2 Manfred Berg, Die Überzeugungsstrategien von Restitutionsbewegungen. Die Forderungen nach Reperationen für die Sklaverei in den USA, in: Angelos Chaniotis, Amina Kropp und Christine Steinhoff (Hg.), Überzeugungsstrategien, S. 62. 3 Manfred Berg und Bernd Schäfer (Hg.), Historical Justice in International Perspective, German Historical Institute Washington D. C., Cambridge University Press 2009. 4 Johannes Freudenreich, Entschädigung zu welchem Preis?, Reparationsprogramme und Transitional Justice, Potsdam 2010, S. 18 – 29; Francisco Munoz Conde, Einführung: Jurist ische Transformation von Diktaturen in Demokratien und juristische Aufarbeitung der Vergangenheit, in: Thomas Vormbaum und Francisco Munoz Conde (Hg.), Transformation von Diktaturen in Demokratien und Aufarbeitung der Vergangenheit, Humboldt Kolleg an der Universidad Pablo de Olavide Sevilla 7.-9. Februar 2008, S. 3 – 13.
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von Marie Munk und darüber hinaus für eine neue zivilrechtliche Lösung der Wiedergutmachung auch aus der Dissertation Marie Munks anbieten, wird in diesem Kapitel nachgegangen.
I. Einleitung Für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg sahen öffentlich-rechtliche Bestimmungen die Wiedergutmachung vor, w elche nach dem heutigen Stand der Forschung, im internationalen Kontext betrachtet, signifikant durch das Territorialitätsprinzip geprägt waren.5 Doch wäre es an dieser Stelle verfrüht, in einem rechtsvergleichenden Diskurs auf das umstrittene deutsche Territorialitätsprinzip im Wiedergutmachungsrecht eingehen zu wollen. Anknüpfend an das Marie Munk zuerst widerfahrene Unrecht, die Versetzung in den Ruhestand als Landgerichtsrätin, wird das Verfahren um einen Berufsschadensausgleich vorgestellt.
II. Lohn- und Gehaltsansprüche Marie Munks Marie Munks Antrag vom 1. August 1949, ihren Gehalts- und Pensionsansprüchen wegen ihrer vorzeitigen Entlassung aus dem Staatsdienst zu entsprechen, wurde von der Wiedergutmachungsbehörde Berlin mit Bescheid vom 10. Oktober 1951 zurückgewiesen.
1. Die Rechtslage Munks Anspruch in Höhe von 200.000 RM fiel nicht unter die damals noch geltenden Bestimmungen zur Rückgabe von Vermögensgegenständen nach der Rückerstattungsverordnung.6 Für entgangene Gehalts- und Pensionsansprüche wurde in der amerikanischen Besatzungszone und in West-Berlin das Entschädigungsgesetz vom 1. August 1949 (USEG) angewendet. Später trat das BWGöD vom 11. Mai 1951 in Kraft.7 Für im Ausland lebende Angehörige des 5 Constantin Goschler, Disputed Victims. The West German Discourse on Restitution for the Victims of Nazism, in: Manfred Berg und Bernd Schäfer (Hg.), Historical Justice in Interna tional Perspective, Cambridge University Press 2009, p. 93 – 110. 6 Bescheid vom 10. 10. 1951, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 5 WGA 348/50, 3489/50, 3493/50, 3497 – 3500/50. 7 Hermann Zorn, Existenz-, Ausbildungs- und Versorgungschäden, in: Bundesminister für Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung
Einleitung
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öffentlichen Dienstes, wie Marie Munk, galt das am 18. März 19528 in Kraft gesetzte BWGöDAusl 9 mit ergänzenden Bestimmungen.10 Obgleich in § 2 BWGöD 11 der Berufsstand der Richter nicht explizit genannt wurde, subsumierten die Entschädigungsbehörden Richter unter den Oberbegriff Angehörige des öffent lichen Dienstes. 1.1 Wiedereinstellung vor Entschädigung? Der rehabilitierende Gedanke dieser ausschließlich dienstrechtlichen Regelungen bezweckte die Wiederherstellung des Rechtszustandes, der ohne die verfolgungsbedingte Schädigung bestehen würde. In den Fällen der Entfernung oder Ruhestandsversetzung hatten die Opfer einen Wiedereinstellungsanspruch in den öffent lichen Dienst in ein gleiches Amt. Mit der Wiedereinstellung wurde ein Anspruch auf eine Entschädigung ab dem Zeitpunkt der Wiedereinstellung verhindert. Die Wiedereinstellung hätte aber vorausgesetzt, dass Munk zunächst erst einmal nach Deutschland zurückgekehrt wäre.12 In ein Land, das ihr einst nach dem Leben getrachtet hatte. Für die Vielzahl der in die Vereinigten Staaten geflüchteten Deutschen zog darüber hinaus ein öffent lich rechtliches Dienst- und Treueverhältnis wie auch ein privatrechtliches Rechtsverhältnis in Deutschland den Verlust der amerikanischen Staatsangehörigkeit
nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 5: Das Bundes entschädigungsgesetz, Zweiter Teil (§§ 51 bis 171 BEG), München 1983, S. 259. 8 BGBl. I, S. 137. 9 Später in der Fassung vom 15. Dez. 1965, BGBl. I, S. 2092. 10 Ergänzend waren die Bestimmungen des Bundesgesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes vom 15. Dezember 1965 (BGBl I, S. 2073), zuletzt geändert am 5. Nov. 1973 (BGBl. I, S. 1569), das sogenannte BWGöD, einschlägig. In: Hermann Zorn, Existenz-, Ausbildungs- und Versorgungschäden, in: Bundesminister für Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 5: Das Bundesentschädigungsgesetz, Zweiter Teil (§§ 51 bis 171 BEG), München 1983, S. 47 – 320; Siehe hierzu auch den geschichtlichen Überblick auf den Seiten 93 – 202. 11 Zu dem von §§ 2 und 2a BWGöD umfassten Personenkreisen gehörten: Berufssoldaten, Beamte, Personen im Vorbereitungsdienst für eine Beamtenlaufbahn, Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, Verbänden von Gebiets- und von Nichtgebietskörperschaften sowie im Verordnungswege deklinierte Einrichtungen der öffentlichen Hand. 12 Hermann Zorn, Existenz-, Ausbildungs- und Versorgungschäden, in: Bundesminister für Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung national sozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 5: Das Bundesntschädigungsgsetz, Zweiter Teil (§§ 51 bis 171 BEG), München 1983, S. 73 – 77, S. 73.
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Scheinbar vergessen: Die Dissertation Marie Munks
nach sich: Sec. 401 (USC 8, 801)13, Sec. 404 (USC 8, 804)14 des Nationality Act of 1940.15 Diese Rechtsfolgen für die Opfer waren offensichtlich bei der deutschen Gesetzgebung nicht bedacht worden. 1.2 Entschädigung auch im Pensionsalter? Munk hatte ihren Antrag am 25. Juli 1951, also nach dem Inkrafttreten des BWGöD, erneut gestellt.16 Die Behörden bearbeiteten diesen Antrag nach der sich ändernden Rechtslage weiter. Mit handschriftlichem Vermerk auf dem Antrag wurde zunächst festgestellt: Schädigung ist beim Landgericht III am 22. 3. 1933 eingetreten.17 Die Worte „Landgericht III“ führten jedoch zu einem Streit z wischen dem Land Berlin und dem Bund über die Wiedergutmachungspflicht. Das Verfahren Munks verzögerte sich um sechs Monate.18 Hinzu kam, dass Munk zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits das Pensionsalter erreicht hatte. Weitere Hürde der dienstrechtlichen Regelungen war der Zeitpunkt ihres Inkrafttretens. Für die Zeit vor dem 1. April 1950 konnte zunächst keine dienstrechtliche Entschädigung geleistet werden.19 Hier halfen die Bestimmungen des Bundesentschädigungsgesetzes (§§ 99 – 111 BEG) vom 29. Juni 1956, rückwirkend zum 1. Oktober 1953 und damit erst später aus. Diese neuen Bestimmungen erweiterten den zu schützenden Personenkreis 20
13 Sec. 401 lautete: “A person, who is a national of the US, whether by birth or naturalization, shall lose his nationality by: (b) Taking an oath or making an affirmation or other formal declaration of allegiance for a foreign state […]”, in: Murad Ferid, Das Staatsangehörigkeitsrecht der Vereinigten Staaten, S. 92 – 94. 14 Sec. 404 lautete: “A person who has become a national by naturalization shall lose his natio nality: b) Residing continuously for three years in the territory of a foreign state of which he was formerly a national or in which the place of birth is situated, except as provided in section 406 hereof.” Sec. 406 betraf nur die von amerikanischen Behörden oder Firmen veranlassten, die gesundheitlich und familiär veranlassten mehrjährigen Aufenthalte im Ausland. In: Murad Ferid, Das Staatsangehörigkeitsrecht der Vereinigten Staaten, S. 98 – 99. 15 Murad Ferid, Das Staatsangehörigkeitsrecht der Vereinigten Staaten, S. 19 – 109. 16 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 1–E 3. 17 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 1. 18 Bis der Streit z wischen den Behörden beigelegt werden konnte. Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 23–E 31. 19 Hermann Zorn, Existenz-, Ausbildungs- und Versorgungschäden, in: Bundesminister für Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 5: Das Bundesentschädigungsgsetz, Zweiter Teil (§§ 51 bis 171 BEG), München 1983, S. 49. 20 Auf Auszubildende, Studenten und alle anderen Berufsgruppen in privatrechtlichen Berufsverhältnissen sowie Selbständige in der Wirtschaft.
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und den Leistungszeitraum.21 Bis dahin blieben die Antragsteller, so auch Munk, ohne Leistung. Marie Munks vorzeitige Versetzung in den Ruhestand 22 (22. Mai 193323) umfasste das von beiden Gesetzen deklinierte Verfolgungsziel der National sozialisten 24: sogenannte „nichtarische“ Deutsche aus dem Staats- bzw. dem Richterdienst zu entfernen. Für einen Entschädigungsanspruch war eine Kausalität zwischen der Versetzung in den Ruhestand und der vom nationalsozialistischen Dienstherrn angewandten Tatsachen- und Rechtsgrundlage Voraussetzung. 25 Der Ruhestandsversetzungsgrund „nichtarische Deutsche“ konnte aus den Personal akten ermittelt werden.26 Die Registrierung in der Sippenkartei der jüdischen Gemeinde, so auch im Fall Munk 27, war für die haftungsbegründende Kausalität Nachweis genug. Der Gesetzgeber kam Marie Munk entgegen. Er vermutete, dass sie ohne ihre Versetzung in den Ruhestand auch noch zum Zeitpunkt des Endes des Zweiten Weltkrieges und über diese Zeit hinaus in ihrem Beruf als Juristin tätig gewesen wäre.28 Bis zum Eintritt in das Pensionsalter wirkten sich die rechtlichen Feststel 21 Hermann Zorn, Existenz-, Ausbildungs- und Versorgungschäden, in: Bundesminister für Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 5: Das Bundes entschädigungsgesetz, Zweiter Teil (§§ 51 bis 171 BEG), München 1983 , S. 49 – 50, 202 – 259. 22 Siehe zu den Kategorien der schädigenden Maßnahmen: Hermann Zorn, Existenz-, Ausbildungs- und Versorgungschäden, in: Bundesminister für Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 5: Das Bundesentschädigungsgsetz, Zweiter Teil (§§ 51 bis 171 BEG), München 1983, S. 63 – 68, S. 63, dort Buchstabe c), aa). 23 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 9. 24 Siehe zu den einzelnen nationalsozialistischen Rechtsgrundlagen diskriminierender beruf licher Maßnahmen: Hermann Zorn, Existenz-, Ausbildungs- und Versorgungschäden, in: Bundesminister für Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wieder gutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 5: Das Bundesntschädigungsgsetz, Zweiter Teil (§§ 51 bis 171 BEG), München 1983, S. 54 – 63. 25 Hermann Zorn, Existenz-, Ausbildungs- und Versorgungschäden, in: Bundesminister für Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 5: Das Bundesentschädigungsgsetz, Zweiter Teil (§§ 51 bis 171 BEG), München 1983, S. 261. 26 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. M 28. 27 Rückantwort der jüdischen Gemeinde Berlins aus dem Oktober 1954, das Marie Munk in der Sippenkartei registriert war. In: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. M 24–M 24 R. 28 Hermann Zorn, Existenz-, Ausbildungs- und Versorgungschäden, in: Bundesminister für Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 5 : Das Bundesentschädigungsgsetz, Zweiter Teil (§§ 51 bis 171 BEG), München 1983, S. 261.
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lungen nicht nachteilig für Marie Munk aus – doch ihre Funktion im Richteramt stieß auf Bedenken.
2. Der Streit um den hypothetischen Berufsweg Es ging um die haftungsausfüllende Kausalität. Das heißt, den Z usammenhang zwischen der Verfolgungsmaßnahme, Munks Ruhestandsversetzung durch die Nationalsozialisten als dem schädigenden Ereignis und seinen beruflichen (wirtschaftlichen) Folgen für ihren weiteren Berufsweg. Die Entschädigung musste deshalb denknotwendig an dem tatsächlich erzielten Einkommen zum Zeitpunkt der Entschädigungsentscheidung und dem hypothetischen Vergleichseinkommen ausgerichtet sein. Hypothetisches Vergleichseinkommen war das Richtergehalt. Die Auswirkungen der damaligen Ruhestandsversetzung (Verfolgung) auf das weitere hypothetische berufliche Fortkommen wurden anhand von Zeugenaussagen und eidesstattlichen Versicherungen beurteilt. Munk fügte ihrem Antrag und ihren beglaubigten Zeugnissen eine schriftliche Bestätigung von Dr. Irmela Ackermann (Landgerichtsrätin), Eugen Schiffer und Kaete Lindenau bei. Munk erklärte, dass ihre juristischen Prädikatsexamina Grundlage für Beförderungsaussichten zur Oberlandesgerichtsrätin gewesen s eien. Sie begründete: „Meine juengeren Kolleginnen sind inzwischen zu Oberlandesgerichtsraetinnen und zu hoeheren Posten in der Verwaltung ernannt worden. Es duerfte kaum einem Zweifel unterliegen, dass ich in die gleiche Gehaltsstufe gekommen waere, wenn meine Verwendung in Deutschland nicht durch die Nazigesetze unmoeglich geworden und mich zur Auswanderung genoetigt haette. Nach Par. 23 des Entschaedigungsgesetzes sind diese zu erwartenden Befoerderungen zu beruecksichtigen.“29 Monate später fügte Munk durch ihre Antragsergänzung vom 6. Januar 1953 weitere Berufsaussichten dem Verfahren bei 30: „Ich waere im Hinblick auf Grund meiner guten Personalakten und wissenschaftlichen Tätigkeit sicherlich zur Oberlandesgerichtsrätin oder Landgerichtsdirektorin ernannt worden. […] Zudem wäre ich vermutlich im Justizministerium mit der Umarbeitung des Familienrechts betraut worden, da mir diese in Aussicht genommene Beschäftigung nach USA von Herrn Staatssekretär Dr. Strauss mitgeteilt wurde. Ich konnte mich dazu nicht zur Verfügung stellen, weil ich damit die Amerikanische Staatsangehörigkeit verloren hätte.“31 29 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 5. 30 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 11–E 14. 31 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 13.
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Das Entschädigungsamt widmete sich zunächst den Beförderungsaussichten zur Oberlandesgerichtsrätin. Am 24. Juli 1953 teilte der Senator für Justiz mit, dass Munks „Leistungen als Hilfsrichterin im Mai 1930 zwar insgesamt als vollbefriedigend bezeichnet“ wurden: „Gleichzeitig wurden jedoch Beanstandungen gegen ihre Arbeitsweise und hinsichtlich der von ihr angewandten Sorgfalt erhoben (Bl. 48). In der gleichen Weise ist die Antragstellerin auch in den Routinebeurteilungen aus den Jahren 1930 und 1932 bewertet worden. Danach sind die Leistungen der Antragstellerin zwar im Allgemeinen befriedigend gewesen, wiederholt ist der Wert ihrer Arbeit jedoch durch Mangel an Gründlichkeit und Sorgfalt stark beeinträchtigt worden. Mit Rücksicht hierauf vermag ich nicht anzunehmen, daß die Antragstellerin bei regelmäßigem Verlauf ihrer Dienstlaufbahn bis zum 8. Mai 1945 eine Beförderung zur Landgerichtsdirektorin oder Oberlandesgerichtsrätin erreicht hätte. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß sich die Antragstellerin zur Zeit der Schädigung bereits im 48. Lebensjahr befand. Da ihre Leistungen den allgemeinen Durchschnitt nicht erheblich überragten, wäre sie frühestens nach einem Zeitraum von 10 Jahren nach ihrer planmäßigen Anstellung für eine Beförderung in Betracht gekommen. Am 1. Oktober 1940 hätte die Antragstellerin aber bereits im 56. Lebensjahr gestanden. Bei einem derartigen Lebensalter wird die Beförderung zum Landgerichtsdirektor üblicherweise nur bei solchen Richtern in Betracht gezogen, deren Qualifikation über einen selbst guten Durchschnitt hinausgeht. Hierzu gehört die Antragstellerin aber – soweit ersichtlich – nicht.“32 Die Entschädigung für eine Beförderung zur Oberlandesgerichtsrätin wurde deshalb abgelehnt.33 Munk wurde mit Bescheid vom 6. Mai 1954 ab dem 1. April 1951 zunächst das Ruhegehalt einer Amts- und Landgerichtsrätin für die Zeit vom 1. April 1950 bis einschließlich 31. März 1951 gewährt. Somit ein Jahresbetrag für das, was „ihr zustehen würde, wenn sie bis zum 31. Juli 1950 im Dienst verblieben und mit dem 1. August 1950 in den Ruhestand getreten wäre.“34 Das Ruhegehalt einer Amts- und Landgerichtsrätin wurde nicht ab dem Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand (1933) gewährt, weil Marie Munk zum Zeitpunkt des Verfolgungsereignisses noch keine 10-jährige Dienstzeit erfüllt hatte.35 Alternativ hierzu sah der Gesetzgeber für solche Einzelfälle vor: Eine Kapital entschädigung für die Zeit vor dem 1. April 1950. Hierüber sollte jedoch erst später entschieden werden.36 Die Überlegungen über das Für und Wider eines 32 33 34 35 36
Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 21 – 21 R. Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 32–E 34, Bl. E 32. Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 32–E 34, Bl. E 32 und Bl. E 34. Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 32–E 34, Bl. E 33 R. Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 32–E 34, Bl. E 32.
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echtsmittels – für Verfolgte nationalsozialistischen Unrechts ein ungleich schwieR rigeres Unterfangen als für alle anderen Opfer. 2.1 Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach Obgleich Munks Rechtsvertreter dem Entschädigungsamt mitteilte, man wisse noch nicht, ob man den Klageweg beschreite 37, vermutete Eugen Schiffer, wie sich Marie Munk entscheiden würde. Er schrieb ihr: „Ich teile durchaus Ihre ablehnende Haltung gegenüber einem so verruchten Gedanken und behalte mir die Begründung d ieses vorläufig vollstreckbaren Urteils vor. Sie deckt sich vielleicht nicht mit der Ihrigen, wie wir beide uns überhaupt nicht vollständig decken, aber sie ist durchschlagend, und ich bin so glücklich, dass Sie überhaupt eine Pension erhalten und in die Lage kommen, eine goldene Last zu anderen Lasten zu tragen.“38 Marie Munk hingegen meinte die Kraft zu haben, für ihren Berufsschadensausgleich erneut zu kämpfen. 2.2 Der zweite Vorstoß zum Berufsschadensausgleich Munk stellte nach der Gesetzesnovellierung einen neuen Antrag (Mai 1956).39 Vertreten wurde sie in diesem Verfahren von Alfred Karpen. Neun Monate später übersandte Marie Munk das Schreiben des Staatssekretärs Strauss und die Korrespondenz zwischen Dr. Hoepfner und Strauss aus den Jahren 1949/1950 an das Entschädigungsamt.40 Darüber hinaus setzten sich ehemalige Weggefährten Munks, wie Maria Hagemeyer 41, Else Koffka 42, Anne-Marie Durand- Wever 43, Otto Hartwig 44, Karl Loewenstein 45 und Max Rheinstein 46 für sie ein.47 Muthesius, ehemals ihr Vorgesetzter im Magistrat Berlin-S chöneberg, 37 Schreiben RA Peisach vom 19. Juli 1954, in: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 39. 38 Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 4. Juli 1954, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 6 Folder 25. 39 Schreiben Munks an das Generalkonsulat Boston, Mass. Vom 15. Mai 1956, in: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 44. 40 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 50–Bl. E 52. 41 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 63. 42 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 64. 43 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 65. 44 Schreiben des Ministerialdirektors Otto Hartwig vom 10. Oktober 1956, in: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 62–Bl. E 62 R. 45 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 57–Bl. E 58. 46 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 59. 47 Schreiben von Max Rheinstein an den Rechtsvertreter Munks, Dr. Karpen, vom 1. November 1956 und von Karl Loewenstein vom 19. November 1956, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 8 Folder 6.
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nunmehr Professor in Frankfurt, traute ihr „eine leitende Stellung als Oberregierungsrätin oder auch in einer anderen gehobenen Stellung der Verwaltung“48 zu. Max Rheinstein schloss seine Empfehlung mit den Worten: „[S]o haette sie nach meiner Ansicht mit großer Wahrscheinlichkeit die Dienststellung einer Oberlandes gerichtsrätin oder Oberregierungsrätin erreicht.“49 Loewenstein stellte für Munk fest: „Sie wuenscht jedoch eine höhere Einstufung als Landgerichtsdirektorin.“50 Aber weder die Wahrscheinlichkeit, noch, dass Marie Munk eine bestimmte Einstufung wünscht, wären kausal für eine Berufseinstufung im Entschädigungsrecht gewesen. Es kam hinzu, dass die Planstellen einer Oberlandesgerichtsrätin, einer Oberregierungsrätin und einer Landgerichtsdirektorin gänzlich unterschiedliche dienstliche Funktionen hatten. Sie wiesen gänzlich unterschiedliche Dienstpostenbewertungen, die eine in juristischer Tätigkeit in der Verwaltung, die andere eine richterliche Tätigkeit am Gericht, und damit auch unterschiedliche Besoldungsstufen auf. Nur Otto Hartwig hielt eine „Beförderung zur Landgerichtsdirektorin oder Kammergerichtsrätin“ für den „außergewöhnlichen Fall“ Munk unter allen Umständen für denkbar, „wäre ihre Laufbahn nicht durch die Naziregierung unterbrochen worden“.51 Darüber hinaus sei, „die Annahme, dass in der Preussischen Justizverwaltung bestimmte Altersgrenzen für Beförderungen“ greifen würden, „unzutreffend“.52 Doch Munks eigene Einlassung und ihr Bezug auf Staatssekretär Strauss und folgende Schreiben präjudizierten das Verfahren. Anne-Marie Durand-Wever verwies auf Munks Arbeit in den Kommissionen des Bundes Deutscher Frauenvereine zur rechtlichen „Stellung des unehelichen Kindes, des Ehegüterrechts und Familienrechts“53. Else Koffka hob die Denkschrift des Bundes Deutscher Frauenvereine aus dem Jahre 1923 hervor.54 Maria Hagemeyer bekräftigte gar den Einfluss Munks auf die Familienrechtsreform der 1950er-Jahre:55 „Besondere Verdienste hat sich Frau Dr. Munk um die Entwicklung des deutschen Familienrechts erworben.
48 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 60–Bl. E 61. 49 Schreiben von Max Rheinstein an den Rechtsvertreter Munks, Dr. Karpen, vom 1. November 1956 in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 8 Folder 6. Hervorhebung nicht im Original. 50 Schreiben von Karl Loewenstein vom 19. November 1956, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 8 Folder 6. Hervorhebung nicht im Original. 51 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 62. 52 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 62 R. 53 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 65. 54 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 64. 55 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 63.
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Der 33. Deutsche Juristentag (Heidelberg 1924), der sich mit der Änderung des Familienrechts im Hinblick auf die in der Weimarer Verfassung proklamierte Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe beschäftigte, hatte Frau Dr. Munk – neben Professor Kipp und Professor Wieruszowski – eines der Hauptreferate übertragen. Dieses gründliche und gut durchdachte Referat hat mit denen der anderen Referenten den Ansatzpunkt für die Arbeiten zur Anpassung des Familienrechtes an den Grundsatz zur Anpassung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) gebildet. Da ich selbst an dieser Arbeit im Bundesjustizministerium beteiligt war, bin ich in der Lage, dies zu erklären.“56 Für den Fall, dass sie in Deutschland geblieben wäre, verwies Munk auf ihre Reformbemühungen, gemeinsam mit Margarete Berent, aus dem Jahre 1921. Sie stellte auf die Einladung von Staatssekretär Strauss, an der bevorstehenden Familienrechtsreform mitzuwirken, ab.57 Bei dieser Sachlage konnte der Senator für Justiz seine frühere Stellungnahme nicht revidieren.58 Für die Funktion einer Landgerichtsrätin fehle es an einem „hinreichenden Anhalt, daß sich ihre Leistungen in der Folgezeit wesentlich verbessert hätten, nachdem dies innerhalb von 2 Jahren nicht geschehen war. Von 1930 bis 1932“ sei „sogar ein Leistungsabfall erkennbar“59 gewesen. Die „Befähigung“ Munks und „nicht zuletzt auch ihre Neigung“ hätten „auf rechtspolitischem Gebiet“60 gelegen. Gerade „auf rechtspolitischem Gebiete“ habe sie sich „einen Namen gemacht und wesentliche Beiträge zur Entwicklung des deutschen Familienrechts geleistet“.61 Deshalb habe Munk „das Interesse maßgebender Persönlichkeiten, u. a. des früheren Reichsministers Schiffer gefunden. Es ist daher wahrscheinlich, daß Dr. M. eine andere, Ihrer Befähigung und Neigung besser entsprechende Tätigkeit im öffentlichen Dienst, wahrscheinlich in einer Ministerialverwaltung aufgenommen hätte, nachdem ihr die geringen Aussichten im richterlichen Dienst bewußt geworden wären.“62 Der Senator für Justiz unterstellte eine 10-jährige Wartezeit für eine Beförderung zur Oberregierungsrätin. Diese hätte auch noch im 55. Lebensalter (1940), wegen Munks „Ausnahmenatur“ und einer „in den Anfängen ihrer Laufbahn behinderten Frau“, nicht „entgegengestanden“.63 56 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 8 Folder 6. 57 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 70. 58 Senator für Justiz vom 12. April 1957, in: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 75–E 76. 59 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 75. 60 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 75. 61 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 75 R. 62 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 75 R. 63 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 75 R.
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Mit dem Änderungsbescheid vom 13. Juli 1957 wurde dem Grunde nach ein Ruhegehalt als Oberregierungsrätin bewilligt und zugleich ein Ruhegehalt als Landgerichtsdirektorin abgelehnt. 64 Darüber hinaus sollte die Zeit vom 1. S eptember 1936 bis zum 31. Dezember 1940 als in schwerer wirtschaftlicher Notlage verbrachte Zeit Grundlage einer erhöhten Anrechnung werden (§ 9 Abs. 2 Satz 5 BWGöD).65 Mit dem vorläufigen Bescheid vom 12. August 1957 wurde Marie Munk ab dem 1. April 1950 ein Ruhegehalt als Oberregierungsrätin unter Berücksichtigung von 29 Dienstjahren in Höhe eines Ruhegehaltssatzes von 75 bis 79 Prozent bewilligt.66 12 Jahre nach ihrer Emigration verfügte Marie Munk erstmals über ein regelmäßiges Einkommen. Endlich hatte sie Muße, die Umgebung von Cambridge mit einem eigenen Auto zu erkunden,67 durch den Westen der USA und in andere Länder zu reisen.68 Marie Munks pekuniäre Unwägbarkeiten, denen sie seit ihrer Immigration ausgesetzt gewesen war, hatten endlich ein Ende: “After four years my own claim against the German government for the dismissal from my judgeship position has been adjudicated. I receive monthly payments which relieve me from financial worries.”69 Marie Munk wurde das Leben nach langen Jahren größter Sparsamkeit erleichtert. Munk ließ sich von ihrem Untermieter, einem deutschen Chemiker, dazu anregen, ausgedehnte Fahrten in die Umgebung Massachusetts zu unternehmen. Er habe in 4 Monaten mehr gesehen als sie in 10 Jahren, erkannte Munk: “I resumed driving lessons and bought a Plymouth 1947 with which I drove to Bar Harbor and Arcadia Park in Maine, the White Mountains of New Hampshire, and to Canada. I enjoyed the Swiss-like scenery of the Mohawk trail in the Berkshire, the Vermont and New Hampshire landscape. I visited several colleges and enjoyed a reunion with my friend from Hood College, Maryland. I spent a few days in Montreal and Quebec. Montreal is a modern city, but Quebec has French charm with folk- dancing, folk-singing and French movies at night on the boardwalk high over the St. Lawrence River. I took the St. Lawrence-Saguenay river boat, watching the coast line and the isles of the St. Lawrence while I was baking in the sun. At nightfall and in the early morning hours we came through the Saguenay which reminded me of the Norwegian fjords. At sunset a celestial phenomenon: the northern lights, resembling eight or more water cascades rising in the sky, fading, and reappearing. 64 65 66 67
Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 77–Bl. E 78 R. Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 77–Bl. E 78 R. Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 81–Bl. E 81 R. LAB B Rep. 235.12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3511, Autobiografisches Manuskript, Teil 2, Kapitel VI Return to Massachusetts and Activities in Cambridge Massachusetts, My New Home, S. 9 – 10. 68 Dear-Friend-Brief, December 1960, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 69 Dear-Friend-Brief, November 1954, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515.
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It was an unforgettable trip which I heartily recommend to each one of you.”70 Der Leser spürt angesichts dieser Worte, wie Wiedergutmachungsverfahren die Opfer ökonomisch und auch seelisch belasten. „Was nach äußeren Gesetzen recht ist, heißt gerecht (iustum), was es nicht ist, ungerecht (iniustum).“71 Ein Beamter der Entschädigungsbehörde muss diesen Satz Kants als eine Aufforderung für eine nachvollziehende Prüfung des Falles Marie Munk missverstanden haben.
3. Schluss des Verfahrens Mit Vermerk vom 5. Februar 1958 bezweifelte das Entschädigungsamt Berlin die Angaben Munks, sie habe bis zum Jahr 1950 nicht mehr als $ 1000 jährlich verdient.72 Die Zweifel wurden auf die Ausführungen des damaligen Rechtsvertreters Munks, RA Peisach, gestützt: Munk habe in Deutschland „eine hervorragende Stellung im öffentlichen Leben inne[gehabt]“.73 Für die Zeit in den USA seien die gleichen Feststellungen durch Max Rheinstein getroffen worden.74 Diesen Vorhalt musste Marie Munk jedoch durch minutiöse Angaben über ihre Einkommensverhältnisse in einer eidesstattlichen Versicherung ausräumen.75 Zu guter Letzt wurde ihr mit Bescheid vom 20. Mai 1958 für die Zeit vom 1. September 1933 bis zum 31. März 1950 eine Kapitalentschädigung wegen ihres Schadens im beruflichen Fortkommen in Höhe von drei Vierteln der ihr entgangenen Dienstbezüge als Amts- und Landgerichtsdirektorin (20.493,58 DM) bewilligt (§§ 102, 107 BEG). Für eine Bewilligung der entgangenen Dienstbezüge in Höhe von einhundert Prozent fehlte Marie Munk die Mindestdienstzeit von 10 Jahren.76 Der Verlust Marie Munks Eigentums folgte einem eigenen Verfahren.
70 Dear-Friend-Brief, November 1954, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3515. 71 Immanuel Kant, Metaphysik der S itten, Einleitung in die Metaphysik der S itten, Königsberg 1797, S. 29 Ziffer XXIII. 72 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798. Bl. E 84–Bl. E 84 R. 73 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798. Bl. E 84–Bl. E 84 R mit Hinweis auf Bl. E 54. 74 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798. Bl. E 84–Bl. E 84 R mit Hinweis auf Bl. E 59. 75 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798. Bl. E 90–Bl. E 93. 76 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 95–Bl. E 96 R.
Zur Enteignung des Eigentums
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III. Zur Enteignung des Eigentums Das Eigentum Marie Munks fiel, weil sie jüdischer Herkunft war, nicht unter das Zivilrecht, sondern unter das nationalsozialistische Verordnungsrecht. Das Recht des Eigentums wurde durch öffentlich-rechtliche Bestimmungen überlagert.
1. Vermögensenteignung im Nationalsozialismus Nach § 11 Abs. 1 der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 193877 hatten Deutsche jüdischer Herkunft ihre gesamten Aktien, Wertpapiere, Spar- und Geldeinlagen bei staatlichen Ankaufstellen (Devisenbanken) abzuliefern. Im Gegenzug erhielten sie lediglich ein Sechstel des tatsächlichen Wertes. Über Mobilien und Immobilien im Eigentum oder Besitz von Deutschen jüdischer Herkunft gaben Listen von Ämtern Auskunft.78 Sie wurden aufgrund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens der Juden (AnmeldeVO) vom 26. April 193879 nach den Angaben der jüdischen Mitbürger erstellt. Eine Verletzung dieser Anmelde-, Bewertungs- und Anzeigepflicht war strafbewehrt (§ 8 dieser Verordnung). Diese Vermögenslisten wurden von den Ämtern zum Zwecke einer Neuverteilung privaten Vermögens auf Weisung des Reichswirtschaftsministeriums geführt.80 Gem. § 6 der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 5. Dezember 1938 wurde jüdischen Mitbürgern aufgegeben, binnen sechs Wochen einen Kaufvertrag abzuschließen und den Behörden zur Genehmigung vorzulegen.81 Gewerbebetriebe, Immobilien oder andere Vermögensteile wurden zwangsveräußert. Gegen Verfügungen der Behörde, in dessen Bezirk sich der betreffende Betrieb, das betreffende Grundstück oder die sonstigen Vermögensteile befanden, war die Beschwerde beim Reichswirtschaftsminister zulässig. Dessen Entscheidung war jedoch unanfechtbar (§§ 18, 19 dieser Verordnung). 77 (RGBl. 1938 Teil I, Nr. 206 vom 5. Dezember 1938, S. 1705 – 1712, S. 1709 – 1712). 78 Konrad Kwiet, Nach dem Pogrom: Stufen der Ausgrenzung, in: Wolfgang Benz (Hg.), Die Juden in Deutschland 1933 – 1945, Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft, München 1989, S. 551 – 554. 79 (RGBl. 1938, Teil I, Nr. 63, S. 414 – 415). 80 Schnellbrief des RWM vom 25. Juli 1938, in: Normann Schmidt, Entziehungen von Geldvermögen, in: Bundesminister der Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 2, München 1981, S. 320. 81 Konrad Kwiet, Nach dem Pogrom: Stufen der Ausgrenzung, in: Wolfgang Benz (Hg.), Die Juden in Deutschland 1933 – 1945, Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft, München 1989, S. 551 – 554.
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Diese feiste Aneignung wurde von Marie Munk nicht unterschätzt. Marie Munk bemühte sich im Jahr 1938, ihr „gesamtes noch in Deutschland befindliches Vermögen zu transferieren“82. Dies gelang ihr nur zum Teil.83 Der Umrechnungskurs reduzierte 73.000 RM auf einen Betrag in Höhe von 2.340,68 Dollar.84 Hierfür setzte sich Marie Munk im Jahre 1938 einer Lebensgefahr aus. Erst zwei Jahre s päter, während ihrer Vorträge in den USA, berichtete sie darüber.85 Dieses waghalsige Unternehmen hätte ihre Deporta tion zur Folge haben können. Auslöser waren, so der damalige amerikanische Zeitungsbericht, familiäre Anlässe.86 Ihr Neffe, Peter Müller-Munk, habe seiner Mutter, Gertrude Müller-Munk, eine Nachricht zukommen lassen wollen. In der Hoffnung, sie könne hilfreich sein, sei Munk mit dem Schiff nach Deutschland gereist. Sie habe zugleich nach ihren eingelagerten Möbeln und Büchern sehen wollen.87
2. Marie Munks Enteignung während eines lebensgefährlichen Aufenthalts in Deutschland (1938) Der Nachlass von Marie Munk enthält ihren Bericht über diesen Aufenthalt in Deutschland.88 Munk war bekannt, dass sogenannte „nichtarische Deutsche“ bei der Ankunft in Deutschland abgewiesen werden konnten. Sie nahm ab Cherbourg den Zug, um bei ihrer Rückfahrt über ein anderes europäisches Land wieder in die USA einreisen zu können. Bei der Grenzkontrolle in Aix-la-Chapelle wies sie die Gestapo an, aus dem Zug zu steigen. Munk hatte die Frage, ob sie nichtarischer Abstammung sei, mit Ja beantwortet. Eine Erlaubnis des deutschen Konsulats konnte sie nicht vorlegen. Daraufhin wurden ihr zwei Möglichkeiten eröffnet: 82 LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 3490/50 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, Angaben im Antrag vom 1. August 1949, Bl. D 46. 83 Nach ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 21. Februar 1958 gelang es ihr im August 1938 73.000 RM in die USA transferieren zu lassen. In: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 90–E 93, Bl. E 93. 84 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. E 90–E 93, Bl. E 93. 85 Former Woman Judge Of Berlin Court Will Give Series Of Lectures Here, in: Daily Hampshire Gazette, Thursday, October 17, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 3. 86 Former Woman Judge Of Berlin Court Will Give Series Of Lectures Here, in: Daily Hampshire Gazette, Thursday, October 17, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 3. 87 Former Woman Judge Of Berlin Court Will Give Series Of Lectures Here, in: Daily Hampshire Gazette, Thursday, October 17, 1940, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 3. 88 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3542.
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entweder die Rückreise anzutreten und sich hierfür eine Erlaubnis des belgischen Konsulats zu besorgen oder in ein Konzentrationslager interniert zu werden. Die Erlaubnis des amerikanischen Konsulats beachtete die Gestapo nicht. Marie Munk hatte Glück. Ein Offizier behandelte sie freundlich und brachte sie in einem Hotel in der Nähe des Grenzübergangs unter. Am nächsten Tag wurde sie auf das Belgische Konsulat zu einem Gespräch gebracht. Munk berichtete über ihren beruflichen Werdegang und ihren Bruder, der nach seinem patriotischen Einsatz im Krieg hoch dekoriert worden war. Sie erwähnte ihren internationalen Kontakt zum International Federation of Business and Professional Women und verwies auf ihre Position als Repräsentantin der German Federation of Business and Professional Women. Aus Marie Munks Erinnerung geht hervor, dass diese Informationen womöglich Eindruck gemacht haben sollen. Es wurde ihr ein dreiwöchiges Visum für Deutschland ausgestellt. Hierfür musste sie jedoch ihren deutschen Pass hinterlegen. Das begehrte Visum wurde ihr erst in Berlin von der dortigen Gestapo gegen eine hohe Gebühr ausgehändigt.89 Marie Munk gab ein Vermögensverzeichnis am 24. Dezember 1938 zu den Akten der Oberfinanzdirektion.90 Es war ihr nichts anderes übrig geblieben, als ihr gesamtes Hab und Gut, auch ihren Hausrat und ihre Bücher, treuhänderisch fremder Verwaltung zu übertragen.91 Auf ihrer Rückreise in die Vereinigten Staaten überquerte sie die Grenze zur Schweiz. Sie war einige Tage s päter erleichtert, als sie die Freiheitsstatue in New York erblickte. Nach diesen Ereignissen vollzog Munk einen ersten inneren Abschied von Deutschland.92 In dieser Zeit übten bereits die höheren Verwaltungsbehörden die Aufsicht über die Treuhänder jüdischen Vermögens aus.93 Einige Jahre s päter ging mit der 11. VO zum Reichsbürgergesetz (RBG) vom 25. Nov. 194194 Marie Munks gesamtes Vermögen auf das Dritte Reich über, weil sie sich nach dieser Verordnung „im Ausland unter Umständen“ aufhielt, „die erkennen lassen, dass“ sie „dort nicht nur vorübergehend
89 LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3542. 90 Verzeichnis vom 27. April 1938 als Abschrift aus der Akte der Oberfinanzdirektion Berlin, mit dem Stempel des Polizeipräsidenten versehen, in: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. D 101. 91 Schreiben von Frau Ristenpart an Marie Munk vom 4. Februar 1939 und 9. Dezember 1938, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 5605/59 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, Bl. 30 – 32. 92 “This trip to Europe made her realize more clearly than ever before that the US are and will be her country, and that she would never want to live in Germany at any time whatever changes might take place.” In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3542. 93 § 17 der o. g. Verordnung vom 3. Dez. 1938. 94 RGBl. I S. 722 und der 13. VO vom 1. Juli 1943 (RGBl I S. 372).
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verweilt“.95 Diese Ereignisse wurden später die Tatsachengrundlage für die Wiedergutmachung.
3. Das deutsche Wiedergutmachungsrecht Die Wiedergutmachung umfasste die Entschädigung und die Rückerstattung. 3.1 W. C. Schwarz’ Forderungen für ein bundeseinheitliches Wiedergutmachungsrecht In Abgrenzung zur Entschädigung war die Rückerstattung der rechtliche Bereich der Wiedergutmachung, den Walter Schwarz in seiner Dissertation 96 als „unorga nischen“97 Teil bezeichnete. Denn nicht alle deutschen Länder hatten ein umfassendes Entschädigungsrecht erlassen, weil dies der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes unterlag.98 Vermögensverschiebungen, die sich auf Immobilien, Mobilien und Rechte z wischen den Privatrechtssubjekten bezogen, konnten nur nach vier Besatzungsgesetzen rückgängig gemacht werden. Der Gerichtsstand war nur vor den Alliierten Obersten Gerichtshöfen. Schwarz erweiterte in seiner Dissertation nicht nur die Verantwortlichkeit vom Privatrechtssubjekt auf den Rechtsnachfolger des Reichs und damit auf die Länderverwaltungen. Vielmehr forderte er für den Bereich des Entschädigungsrechts eine einheitliche bundesgesetzliche Regelung.99 Bis zum Inkrafttreten dieser bundeseinheitlichen Regelung erfolgte die Wiedergutmachungspraxis nach den gesetzlichen Bestimmungen der Militärregierungen. 3.2 Die frühe Wiedergutmachungspraxis Die Wiedergutmachungspraxis setzte zunächst die Sicherstellung jeglichen Vermögens zum Zwecke der Restitution innerhalb Deutschlands voraus. Mit der
95 Normann Schmidt, Entziehungen von Geldvermögen, in: Bundesminister der Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 2: Das Bundesrückerstattungsgesetz, München 1981, S. 332. 96 Rückerstattung und Entschädigung. Eine Abgrenzung der Wiedergutmachungsformen, Diss., Berlin 1952. 97 Walter Schwarz, Rückerstattung und Entschädigung, S. 2. 98 Ebd. 99 Ebd., S. 94 – 95.
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Erweiterung des Militärregierungsgesetzes Nr. 52 über die Eigentumskontrolle in der Fassung vom 14. Juli 1945 wurde dies erreicht.100 Die Amerikaner und die Engländer hatten im Jahre 1947 und 1949 zur Rückerstattung Regelungen getroffen. Durch das Militärregierungsgesetz Nr. 59 trat für West- Berlin die Verordnung der Alliierten Kommandantur vom 26. Juli 1949 als sogenannte Rückerstattungsanordnung (REAO) für Berlin 101 in Kraft.102 Diese Verordnung der drei West-Alliierten verschaffte den aufgrund ihrer Rasse, Religion oder politischen Anschauung Verfolgten und ihren Erben einen Anspruch auf Naturalrestitution.103 Nach den Vorschriften wurde auf den Verfolgungscharakter der staatlichen oder rechtsgeschäftlichen Rechtsakte abgestellt: Nicht nur für staatliche, sondern insbesondere für rechtsgeschäftliche Akte galt: „In der Verfolgungszeit wußte jedermann, daß Besitz dieser Art vorzugsweise von Verfolgten weggegeben wurde. Er konnte sich deshalb überlegen, ob er ‚nicht besser die Hände davon lassen solle‘.“104 Es galt eine ungerechtfertigte Entziehungsvermutung, die von den zur Rückerstattung Verpflichteten beschränkt widerlegt werden konnte.105 Neben der Rückerstattung des Vermögens konnte eine Entschädigung oder eine Nachzahlung auf den seinerzeit geleisteten Preis in Betracht kommen. Es sollten wesentliche Wertsteigerungen, Nutzungen und Belastungen der Pflichtigen berücksichtigt werden.106 Diese Rechtslage unterschied sich von der Rechtslage in der französischen 107 und der sowjetischen Besatzungszone.108 Mit dem Bundesrückerstattungsgesetz vom 19. Juli 1957 (BGBl. I S. 734) wurde das Wiedergutmachungsrecht für das Gebiet der damaligen Bundes republik vereinheitlicht. Marie Munks Wiedergutmachungsverfahren wurden vor und nach der bundesrechtlichen Vereinheitlichung geführt.
100 Walter Schwarz zur Entstehung der alliierten Rückerstattungsgesetze, in: Bundesminister der Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 1: Rückerstattung nach den Gesetzen der alliierten Mächte, München 1974, S. 25. 101 Auch als BK/O (49) 180 bezeichnet. 102 Berliner VOBl. I, 221; Walter Schwarz, Die Rückerstattungsanordnung der Alliierten Kommandantur für das Lnd Berlin (REAO), in: Bundesminister der Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz. (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 1: Rückerstattung nach den Gesetzen der alliierten Mächte, München 1974, S. 67. 103 Zu den Berechtigten, in: ebd., S. 125 – 138. 104 Zum Entziehungsakt, in: ebd., S. 145 – 175, S. 169. 105 Zur Entziehungsvermutung und Wiederlegung, in: Ebd., S. 159 – 168. 106 Zu den Ansprüchen des Berechtigten, in: Ebd., S. 175 – 220. 107 Vgl. zur Rückerstattung in der französischen Zone und im Saarland, in: Ebd., S. 287 – 324. 108 Vgl. zur Rückerstattung außerhalb der (damaligen) Bundesrepublik, in: Ebd., S. 325 – 344.
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4. Die vermögensrechtlichen Restitutionsund Entschädigungsverfahren Marie Munks Diese Verfahren konzentrierten sich zunächst auf die Rückerstattung bzw. Entschädigung von Hausrat. Hierzu gehörten ein Silberbesteck und ein Teppich sowie etliche Wertpapiere, ein Stiftungsvermögen und drei Grundstücke.109 Von diesen G rundstücken war bedingt durch Kriegseinwirkung nur ein Haus in der Auguste-Viktoria-Straße erhalten geblieben.110 Marie Munk hatte ihren Antrag auf Wiedergutmachung am 1. August 1949, dem Tage des Inkrafttretens des Entschädigungsgesetzes,111 in der ameri kanischen Besatzungszone gestellt.112 Der Treuhänder der amerikanischen, britischen und französischen Militärregierung 113 hatte diesen Antrag an die Wiedergutmachungsbehörde am 6. Mai 1950 weitergeleitet.114 Am 1. Dezember 1950 versicherte Marie Munk an Eides statt: “My belongings were stored in the warehouse of Ms. Silberstein & Co., Reichenbergstr., Berlin, and in our former property Burggrafenstrasse 18, Berlin. The warehouses of Ms. Silberstein & Co., and the house Burggrafenstr. 18 have been totally destroyed by fire and all the contents have been lost.”115 4.1 Wiedergutmachung für kriegszerstörtes Vermögen? Die Fa. Silberstein trug zu Beginn der Verfahren sogleich vor, nicht Rechtsnachfolger der alten Fa. Silberstein zu sein.116 Hierauf hatte Marie Munk keine Replik. Es schien so, als wenn bereits die gesamte Ausweglosigkeit einer Rückerstattung über bürgerlich rechtliches Schadenersatz- und Kondiktionsrecht sichtbar wurde. Es kam 109 LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1476/55, 1475/55, 1474/55, 3496/50, 3495/50, 3494/50, 3491/50, 3492/50, 3490/50, 5605/59, 5605/59, 5606/59, 2930/51, 3111/50, 1169 – 1170/50, 2000/50 und 136 – 137/54 IRSO. 110 „Heute fuhren wir an Deinen Häusern vorbei. Burggrafen- und Kronbergerstr. sind beide angebombt, nur die Fassaden stehen noch. Dagegen ist Aug. Viktoriastr. noch tadellos bis auf ein paar Scheiben im Wintergarten. – Traurig.“ Schreiben von Käthe Lindenau als Zusatz in einem Schreiben von Eugen Schiffer an Marie Munk vom 23. Juli 1946, in: LAB B Rep. 235 – 12 MF-Nr. 3519. 111 Siehe zur historischen Entwicklung des Entschädigungsgesetzes: Hans-Dieter Kreikamp, Zur Entstehung des Entschädigungsgesetzes der amerikanischen Besatzungszone, in: Ludolf Herbst und Constantin Goschler (Hg.), Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, München 1989, S. 75. 112 LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 3495/50, 3494/50, 3491/50 und 3490/50. 113 Eine beratende Institution der westlichen Militärregierungen; siehe im Vergleich hierzu die historische Entwicklung rein jüdischer Interessenvertretung: Hans Günther Hockerts, Anwälte der Verfolgten. Die United Restitution Organization, in: Ludolf Herbst und Constantin Goschler (Hg.), Wiedergutmachung in der Bundesrepublik, München 1989, S. 249 – 271. 114 LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 3495/50, 3494/50, 3491/50 und 3490/50. 115 Affidavit Marie Munks vom 1. Dezember 1950, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collec tion, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 1 Folder 7. 116 LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 3494/50, Bl. 2 d. A.
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noch hinzu, dass nach geltendem öffentlich-rechtlichem Wiedergutmachungsrecht niemand für die Folgen aus Kriegsereignissen haftete. Die Zerstörung des Teppichs sei „außerhalb der Verantwortlichkeit eines der von mir vertretenen Rechtsträger eingetreten“117, schrieb ihr der Beamte. Auf diesen Feststellungen gründeten sich die Verfahren um ihre Immobilien. Hinzu kam, dass der deklinierte Tatbestand in der Praxis nicht für sie, sondern gegen sie gerichtet wurde. 4.2 Die Grundstücksverfahren Das zeigte sich insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsnachfolger des Erwerbers des Grundstücks in der Burggrafenstraße 8118. Für das aus 8-Wohnungen bestehende Gebäude 119 begehrte Munk Rückerstattung. Hilfsweise eine Entschädigung als Nachzahlung auf den seinerzeit entrichteten Kaufpreis.120 Der Kaufvertrag vom 29. November 1938 war ohne Berücksichtigung des damals geltenden Einheitswerts ausgehandelt worden.121 Der Anspruchsgegner trug vor, es sei nicht erwiesen, dass Marie Munk und ihre Schwester jüdischer Abstammung und somit Berechtigte im Sinne rechtlicher Vorschriften seien. Denn es habe eine Devisengenehmigung mit Rücksicht auf den ausländischen Wohnsitz Marie Munks ausgestellt werden müssen.122 Munks „Weigerung und ihr Versuch, diesen Umstand als unerheblich hinzustellen, begründet den Verdacht, daß sie zu einer solchen Beweisführung gar nicht in der Lage“123 sei, so der gegnerische Anwalt. Die Beweisführung wurde noch dadurch erschwert, dass eine Kontobewegung in Höhe des Kaufpreises von 21.175 RM nicht mehr nachweisbar war.124 Dies, obgleich sich am 30. April 1945 auf einem deutschen Konto Marie Munks noch ein Betrag von 45.813,40 RM befunden hatte.125 Das ein Betrag in Höhe von 59.631,06 RM auf ein
117 Schreiben der Wiedergutmachungsbehörde v. 3. 8. 1950, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 3496/50, Bl. 3 d. A. 118 LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1169 – 1170/50. 119 Beschreibung aus einem Schreiben der Treuhänderin Ristenpart vom 26. November 1938, in: Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. D 126 – 127. 120 Antrag, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1169 – 1170/50, Bl. 1 d. A. 121 Mitteilung der Einheitswerte vom 1. Jan. 1931, 1. Jan. 1935 und 1. Jan. 1946 durch das Finanzamt Tiergarten vom 29. Mai 1952, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1169 – 1170/50, Bl. 20 d. A. 122 Schreiben des RA Karl Marcetus vom 10. Oktober 1950 und 28. Februar 1951, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1169 – 1170/50, Bl. 8, 11 d. A. 123 Schreiben des RA Karl Marcetus vom 28. Febr. 1951, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1169 – 1170/50, Bl. 11 d. A. 124 Schreiben der Preußischen Staatsbank vom 21. Mai 1954 an die Wiedergutmachungsbehörde Berlin, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1169 – 1170/50, Bl. 40 d. A. 125 Schreiben der Preußischen Staatsbank vom 12 Mai 1954 an die Wiedergutmachungsbehörde Berlin, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1169 – 1170/50, Bl. 39 d. A.
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Sperrkonto der Militärregierung eingezahlt wurde 126, half Munk schließlich weiter. Sie erhielt aus d iesem Verfahren doch noch eine Vergleichssumme in Höhe von 127 5.500 DM. Diese relativ geringe Vergleichssumme erklärte sich aus dem Umstand, dass die Grundstücke zum Zeitpunkt der Verfahren zerstört waren.128 Marie Munk wurde zum zweiten Mal wirtschaftlich schlechtergestellt, obgleich sie weder Verursacher der Zerstörung noch Zustandsverantwortlicher des Grundstücks war. Nachteile widerfuhren Marie Munk in einem weiteren Grundstücksverfahren. In der öffentlichen Sitzung der 148. Zivilkammer des LG Berlin (Wiedergutmachungskammer) vom 12. April 1954 wurde für das Grundstück in der Kronberger Straße 24/Königsmarkstraße 5 in Dahlem 129 eine Vergleichssumme von 1.000 DM vereinbart.130 Die Höhe erklärte sich aus dem Vortrag des Anspruchsgegners: Mit dem Tag der Zerstörung (15. 2. 1944) sei das Grundstück nicht mehr nutzbar gewesen. Tatsächlich habe eine Nutzung nur für die Zeit vom 1. April 1939 bis einschließlich 14. Februar 1944 bestanden. Nach dem Zeitpunkt der Zerstörung greife weder eine Nutzungsentschädigung nach bürgerlich-rechtlichen Vorschriften noch nach öffent lich-rechtlichen Vorschriften der Wiedergutmachung durch.131 Die gegnerische Seite war nur zu einer Rückgabe des Grundstücks an Marie Munk bereit, wenn sie den gezahlten Kaufpreis in Höhe von 47.300 RM dem jetzigen Eigentümer erstatte.132 Durch die Währungsreform vom 21. Juni 1948 waren die RM-Verbindlichkeiten im Verhältnis von 10:1 umgestellt worden.133 Das führte zu einer weiteren Kürzung des Anspruchs. Zu keinem Zeitpunkt wurde berücksichtigt, dass der von den damaligen Erwerbern gezahlte Kaufpreis Marie Munk gar nicht in die USA überwiesen und damit ja gar nicht zur Verfügung gestanden hatte. Vielmehr war der Verkaufserlös an den nationalsozialistischen Staat 126 Schreiben der Preußischen Staatsbank vom 21. Mai 1954 an die Wiedergutmachungsbehörde Berlin, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1169 – 1170/50, Bl. 40 d. A. 127 Vergleich vom 22. Juli 1954, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1169 – 1170/50, Bl. 46 – 47 d. A. 128 Mitteilung des Treuhänder der amerikanischen, Britischen und Französischen Militär regierung über das Grundstück Burggrafenstr. 8 vom 28. Mai 1952, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1169 – 117050, Bl. 19 d. A. 1 29 Kaufvertragsdatumsangabe im Antrag von Marie Munk: 8. Februar 1939, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 2000/50, Bl. 1 d. A. 130 Sitzungsprotokoll und gerichtlicher Vergleich vom 12. April 1954, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 2000 /50, Bl. 71 – 72 d. A. 131 Schreiben des RA Engelbert vom 13. Dezember 1951, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 2000/50, Bl. 29 – 29R d. A. 132 Erwiderung des RA Engelbert auf den Antrag Marie Munks, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 2000/50, Bl. 6 d. A. 133 Walter Schwarz, Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundes republik Deutschland. Ein Überblick, in: Ludolf Herbst und Constantin Goschler (Hg.), Wiedergutmachung in der Bundesrepublik, S. 33 – 54.
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und an seine Banken durch gerichtlich und außergerichtlich handelnde, mit allen Vollmachten ausgestattete Treuhänder 134 abgeliefert worden. Schließlich handelte es sich um ein „jüdisches“ und damit um ein genehmigungspflichtiges Rechtsgeschäft.135 4.3 Die Verfahren um die Rückerstattung beweglicher Sachen Nachteilig wirkte sich der Umstand aus, dass die Treuhänderin dem Depot der Städtischen Pfandleihanstalt aus Munks Vermögen bewegliche Sachen übergeben hatte. Marie Munk wurden im Jahre 1938 nicht alle Gegenstände ausgehändigt, weil sie nicht den vollen Betrag an nicht anbietungspflichtigen Devisen aufzubringen vermochte.136 Die in dieser Sache mit Bescheid vom 14. Juni 1939 ausgesetzte Ablieferungspflicht über jüdisches Vermögen verlor am 31. Oktober 1939 ihre Gültigkeit.137 Ab dem 1. November 1939 war also auch ein Zugriff vonseiten der Treuhänderin über das Vermögen von Marie Munk nicht mehr möglich. Eine Beweissituation gleich der eines „Vermögensverfalls“ trat ein. Denn die Ablieferungspflicht hieß, das anmeldepflichtige Vermögen mit den Belangen der deutschen Wirtschaft in Einklang zu bringen. Diese Maßnahmen wurden vom Reichswirtschaftsminister im Einvernehmen mit den übrigen Reichsministern getroffen.138 Verkauf, Versteigerung, Verwertung jüdischen Vermögens waren die Folge. So blieb Marie Munk als Geschädigte im Rückerstattungsverfahren den Nachweis über die Umstände des weiteren Verbleibs etlicher silberner Einzelstücke schuldig. „Überdies“, so teilte die Berliner Finanzverwaltung als Beteiligte in allen Wiedergutmachungsverfahren am 3. August 1950 mit, ein Anspruch bestehe nicht, weil „durch die anzunehmende Verwertung der Wertgegenstände eine Identifizierbarkeit nicht mehr gegeben ist und damit ein feststellbarer Vermögensgegenstand, welcher Voraussetzung für die Geltendmachung eines Rückerstattungsanspruchs wäre, nicht vorhanden ist.“139
134 Gem. § 8 Abs. 3 letzter Satz i. V. m. § 4 bis 6 der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 war der Einsatz von Treuhändern angeordnet. Diese Treuhänder vertraten gerichtlich und außergerichtlich und waren zu Rechtshandlungen durch diese Verordnung ermächtigt. Diese Ermächtigung ersetzte jede gesetzlich erforderliche Vollmacht. 135 § 8 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 lautete: „Die Verfügung über Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte durch Juden bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung.“ 136 LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1475/55, Bl. 18 d. A. 137 Ebd. 138 § 1 der Zweiten Verordnung auf Grund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 24. November 1938 (RGBl. Teil I, Nr. 199 vom 26. Nov. 1938, S. 1668). 139 Schreiben der Berliner Finanzverwaltung vom 3. August 1950, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 3495/ 50, Bl. 4 d. A.
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4.4 Das Verfahren um die Wertpapierdepots, Aktien und das Stiftungsvermögen Zynisch wurden Marie Munks Ansprüche aus Wertpapierdepots, Aktien und Stiftungsvermögen abgewehrt.140 Das Stiftungsvermögen sei, so der Senator für Finanzen von Berlin am 2. August 1952, „lt. Feststellungsbescheid vom 23.9.44 auf Grund der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz dem Deutschen Reich verfallen. Der Anspruch betrifft die Rückerstattung eines Anteils an dem Joseph’schen Stiftungsvermögen. Da es Anteile an einer rechtlich selbständigen Stiftung nicht gibt“, so die Senatsverwaltung weiter, könne „es sich nur um eine rechtlich unselbständige Stiftung handeln“.141 Diese Sätze stellten einen indirekten Bezug zu § 16 der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 her. Mit dieser Verordnung wurden eine treuhänderische Verwaltung und eine Veräußerung durch Behörden auch auf Stiftungen ausgedehnt. Hinzu kam ein Umstand, der sich sowohl auf die Rückerstattung des Stiftungsvermögens als auch auf die Rückerstattung von Wertpapieren nachteilig auswirkte. Die Preußische Staatsbank und die Deutsche Golddiskontbank hatten ihren Sitz in der sowjetischen Zone. Deshalb verloren die Bestimmungen der Rückerstattungsanordnung der Alliierten Kommandantur Berlin vom 26. Juli 1949, dem Vorläufer des Entschädigungsgesetzes vom 1. August 1949142, ihren Geltungsbereich.143 Das hieß, eine Rückerstattung von Forderungsrechten konnte nur gegen die Wertpapieraussteller gerichtet werden, „die ihren Sitz innerhalb der 3 Westzonen Berlins“144 hatten. Ausnahmsweise war die Berliner Finanzverwaltung bereit, „die etwaigen Ansprüche, die sich aus der Gesetzgebung über die Wertpapierbereinigung herleiten lassen, abzutreten“145. Dies half Marie Munk aber nicht weiter. Eine Abtretung verlangt immer nach einer dem Grunde und der Höhe nach bezifferten Forderung. „Etwaige Ansprüche“ reichten hierzu nicht aus. Welches Kausalgeschäft sollte denn dieser Abtretung zugrunde liegen? Oder plante der Gesetzgeber eine cessio legis? Die Rechtslage zur Wertpapierbereinigung war nicht nur unsicher. Vielmehr hatte die Berliner Finanzabteilung der Begehr Munks bereits mit Schreiben vom 1. August 140 LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 3491/50, 3492/50, 3490/50, 5605/59 und 2930/51. 141 Schreiben des Senators für Finanzen vom 2. August 1952, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 2930/51, Bl. 6 d. A. 142 Siehe zur historischen Entwicklung des Entschädigungsgesetzes: Hans-Dieter Kreikamp, Zur Entstehung des Entschädigungsgesetzes der amerikanischen Besatzungszone, in: Ludolf Herbst und Constantin Goschler (Hg.), Wiedergutmachung in der Bundesrepublik, S. 61 – 75. 143 Schreiben des Senators für Finanzen vom 2. August 1952, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 2930/51, Bl. 6 d. A.; Schreiben der Berliner Finanzverwaltung vom 1. August 1950, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 3490/50, Bl. D 48; Nr. 3492/50, Bl. D 59 d. A. 144 LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 3492/50, Bl. D 59. 145 Ebd.
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1950 noch einen entscheidenden Schlusspunkt zu setzen versucht. Es handele sich bei einem Verkauf von Wertpapieren unter Verlust „um Maßnahmen, die in erster Linie devisenrechtlich zu beurteilen“ seien. „Ein diskriminierender Charakter“ sei „darin nicht ohne weiteres zu erblicken. […] Im Übrigen dürfte der Antragstellerin bekannt gewesen sein, daß auch ihrerseits im Jahre 1938 die Beschaffung von zusätzlichen Devisen nur mit Inkaufnahme eines Disagios möglich“146 gewesen sei. Schließlich wurde nach einem höchstrichterlichen Urteil geklärt, dass die Deutsche Bank ihre Depositenkasse bis Kriegsschluss in Berlin Tempelhof, Berliner Straße 49, gehabt hatte. Aber nun wurden Munks Hoffnungen durch die Deutsche Bank zerstört. Die Bank teilte in einem Schreiben vom 9. Juli 1960 lapidar mit, es sei kein Konto der josephschen Stiftung nachweisbar.147 Dies war Folge eines Schreibens des Oberfinanzpräsidenten an die Geheime Staatspolizei vom 7. Oktober 1943. In d iesem wurde „unter Bezugnahme auf den Erlaß des Reichssicherheitshauptamtes II A 5 Nr. 230 V/41 – 212 vom 9. Dez. 1941 Ziffer 3 unter a und b“ die Feststellung beantragt, dass „die Voraussetzungen für den Vermögensverfall gem. § 8 obiger Verordnung“ vorliegen, damit die „Vermögenseinziehung“ durch das Oberfinanzpräsidium „beschleunigt durchgeführt werden“ könne.148 Die rechtswidrigen Beschlagnahmen wirkten als Tatsachen- und Beweisgrundlage gegen die Opfer – es wäre das lang erhoffte Signal für die Opfer gewesen, wenn das BRÜG dies geändert hätte.
5. Das Verfahren nach Erlass des Bundesrückerstattungsgesetzes (BRÜG) Rückerstattungsansprüche Munks aus Bankguthaben, Wertpapierdepots, Schmuck-, Gold- und Silbersachen stellte die Behörde „bis zum Erlass des Bundesrückerstattungsgesetzes (BRÜG) zurück“149. Es wurde damit gerechnet, „dass d ieses Gesetz für den Anspruch wesentlich andere Regelungen bringen könnte“150. Nach dem Bundesrückerstattungsgesetz vom 19. Juli 1957 (BGBl. I, S. 734 ff.) trat die Bundesrepublik Deutschland als Deliktschuldner für den schuldhaften Verlust von Wertpapieren, Gold, Silber und Kunstgegenständen des Deutschen Reichs ein.151 1 46 Schreiben der Berliner Finanzverwaltung vom 1. August 1950, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 3490/50, Bl. D 48. 147 Schreiben der Deutschen Bank vom 15. August 1953 und 9. Juli 1960, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 2930/51, Bl. 13 und 35. 148 Entschädigungsakte Dr. Marie Munk, RegNr. 60 798, Bl. D 100. 149 LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1474/55, Bl. 8 d. A. 150 Ebd. 151 Walter Schwarz, Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundes republik Deutschland. Ein Überblick, in: Ludolf Herbst und Constantin Goschler (Hg.),
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Gleichwohl war Voraussetzung „nach wie vor, dass der Wohnsitz, der dauernde Aufenthalt oder eine geschäftliche Hauptniederlassung des Geschädigten oder seiner Rechtsnachfolger zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 im Gebiet der jetzigen Westsektoren von Berlin oder der jetzigen Bundesrepublik gewesen sein muss“.152 Diesen Sachverhalt konnte Marie Munk für die Zeit der Pflege ihrer Mutter (1934 – 1936) nachweisen. Nach einer Schätzung der noch nachweisbaren Silberbesteckteile wurde Marie Munk mit Bescheid vom 10. März 1958 eine Entschädigung in Höhe von 700,50 DM bewilligt.153 Die Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen konstatierte: „Die Last einer zwölfjährigen Rechtlosigkeit war zwar abgefallen. Das Leben schien wieder Sinn bekommen zu haben. Doch stand der nur noch kleine Kreis der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen wirtschaftlich und kulturell zunächst vor einem Nichts.“154
6. Fazit zu den Kernproblemen der Wiedergutmachung von NS-Unrecht Es sind drei Eckpunkte, die bei den Wiedergutmachungsverfahren den Opfern natio nalsozialistischen Unrechts als geradezu fast unüberwindbare Hürden der Wiedergutmachung entgegenstanden. Zum Ersten stellt sich in diesen Fällen immer die Frage nach dem rechtlichen Charakteristikum eines von staatlicher Seite ausgeübten Zwangs auf die Opfer. Unabhängig davon, ob es politischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Zwang war, der das Opfer und seine (neutralen) Mitbürger zum Handeln nötigte. Zum Zweiten können die Opfer nationalsozialistischen Unrechts, obgleich als Berechtigte im Wiedergutmachungsrecht dekliniert, aufgrund der Beweislast nur bedingt zu ihrem Recht kommen. Zum Dritten wirkte die Macht nationalsozialistischer „Rückwirkung“ in der Wohnsitzregelung fort. Insbesondere dann, wenn ein Wiedergutmachungstatbestand dezidiert an Tatbestände aus dem Unrecht anknüpfte, die in Gänze ihre diskriminierende Wirkung bereits im NS-Recht entfaltet hatten. Wiedergutmachung in der Bundesrepublik, S. 40; siehe zur Entstehung des Bundesrückerstattungsgesetzes: Friedrich Biella, Die Entstehung des Bundesrückerstattungsgesetzes, in: Bundesminister für Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 2: Das Bundesrückerstattungsgesetz, München 1981, S. 73 – 122. 152 LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1474/55, Bl. 8 d. A. 153 Schätzung durch öffentlich bestellten Sachverständigen sowie Bescheid vom 10. März 1958, in: LAB B Rep. 025 – 07, Nr. 1475/55, Bl. 26 – 27, 44 d. A. 154 Harald Schmid, Wiedergutmachung und Erinnerung. Die Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen, in: Fritz Bauer Institut (Hg.), Opfer als Akteure. Interven tionen ehemaliger NS-Verfolgter in der Nachkriegszeit, Frankfurt a. M. 2008, S. 31.
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6.1 Die Wohnsitzanknüpfung im Wiedergutmachungsrecht Die Wohnsitzanknüpfung auf deutsches Reichsgebiet im Wiedergutmachungsrecht bewirkte, dass die Verordnung aus dem Jahre 1938 und die 11. VO aus dem Jahre 1941 rückwirkende Kraft auch auf den Zeitpunkt der Emigration Munks (1936) entfalteten. Es wurde der Vermögensverfall manifestiert, wie er mit der 11. VO zum Reichsbürgergesetz (RBG) vom 25. Nov. 1941155 und der 13. VO vom 1. Juli 1943156 mit dem Verlassen Deutschlands eintrat. Gerade der Einzelfall Munk zeigt eine weitere, sehr entscheidende Lücke des Wiedergutmachungsrechts für den vom Anspruchsberechtigten zu erbringenden Gelangensbeweis auf. 6.2 Der Gelangensbeweis Der vom Anspruchsberechtigten zu erbringende Gelangensbeweis war auf die Entziehung der Vermögensgegenstände gerichtet. Der Gelangensbeweis konnte mittels eines individuellen Beweises, das heißt, eines Beweises über die rechtlose Entziehung eines konkreten Vermögensgegenstandes erfolgen. Für sogenannte typische Geschehensabläufe 157, die sich auch außerhalb des Geltungsbereichs des Bundesrückerstattungsgesetzes ereignet haben konnten, wurde die Beweissituation für die Berechtigten erleichtert. Es genügte nach den allgemeinen Erfahrungssätzen der Anscheinsbeweis.158 Bei Marie Munk versagte diese Beweiserleichterung völlig, weil sie bereits im Jahr 1936 kraft eigener Entscheidung ausgereist war. Nur für die aus dem Jahre 1939 von der Ablieferungspflicht nachweisbar erfassten Silberbesteckteile konnte sie den Anscheinsbeweis für sich in Anspruch nehmen. Deshalb blieb Marie Munk für die übrigen Teile des Silberbestecks auf dem Erfordernis des individuellen Gelangensbeweis sitzen. Obgleich für alle Verfahrensbeteiligten nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht nur Teile, sondern das Silberbesteck als Ganzes seinen richtigen Wert erst vollständig erreicht. Hiervon gingen auch die Zielsetzungen der nationalsozialistischen Anmelde- und
155 RGBl. I S. 722. 156 RGBl. I S. 372. 157 Wie zum Beispiel die historisch verbürgte Verbringung von einer Vielzahl von Umzugsgut in Triest im Jahre 1943. 158 „Danach muß die auf allgemeiner Erfahrung beruhende Annahme gerechtfertigt sein, daß mit den im Einzelfall beanspruchten Gegenständen in derselben Weise verfahren worden ist, wie mit anderen gleichartigen Gegenständen, von denen bekannt ist, daß sie in den maßgeb lichen Bereich gelangt sind.“ In: Wilfried Wirth, Entziehung von Sachvermögen ausserhalb des Geltungsbereichs des Bundesrückerstattungsgesetzes, in: Bundesminister für Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 2: Das Bundesrückerstattungsgesetz, München 1981, S. 223.
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Vermögensentzugsverordnungen aus. Sie erfassten das gesamte jüdische Vermögen und wollten es auch erfassen. Silber konnte gem. § 14 Satz 1 der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 „NUR von den vom Reich eingerichteten Ankaufstellen erworben werden“. Für Wertpapiere bestand ein Depotzwang gem. § 11 dieser Verordnung. Es hätte deshalb der sich aus der obigen Verordnung ergebende Anscheinsbeweis genügt. Gleichwohl ließ die Wiedergutmachungsbehörde diesen gedanklichen Schluss aus der nationalsozialistischen Verordnung nicht zu. Die Wiedergutmachungsbehörde forderte ein nachweisliches Gelangen, obgleich nach der obigen nationalsozialistischen Rechtslage eine berechtigte Annahme für ein Gelangen ausreichend gewesen wäre. Damit setzte das Wiedergutmachungsrecht zugleich dem Amtsermittlungsgrundsatz „innere“ Grenzen. Die Bemühungen aller Verfahrensbeteiligten, im Nachhinein Klarheit über einen Entziehungssachverhalt herbeizuführen, mussten erfolglos bleiben.159 Das Beweisrisiko trug letztendlich der vom Unrecht Verfolgte; in den vorgenannten Fällen: Marie Munk.
7. Schlussbetrachtung: Der NS-Kollektivzwang – auch Individualzwang? Die Worte Kants, dass „jedermann das widerfahre, was seine Thaten werth sind“ eignen sich auf den ersten Blick nur für das Strafrecht. Durch das Strafen und die Willkür entstehe eine spezielle Pathologie des Unrechts (Vormbaum).160 Deshalb stellt die Wiedergutmachung von Unrecht die Frage für beide Seiten, Täter und Opfer: Was ist gerecht? Aber „wenn Unrecht an eine bestimmte politisch-rechtliche Ordnung gebunden ist, dann kann Wiedergutmachung nur infolge oder im Rahmen signifikanter Veränderungen dieser [ganzen] Ordnung stattfinden“.161 Folglich muss im Wiedergutmachungsrecht, vor der Frage nach Gerechtigkeit, die Frage lauten: Was war die Ungerechtigkeit bzw. was ist Ungerechtigkeit? Für das Zivilrecht dies 159 Zum Beweislastrisiko siehe auch Edward A. Marsden, Die Entwicklung des Verfahrensrechts seit dem Inkrafttreten des Bundesrückerstattungsgesetzes, in: Bundesminister für Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band 2: Das Bundesrückerstattungsgesetz, München 1981, S. 471. 160 Thomas Vormbaum, Die rechtliche Transformation Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Thomas Vormbaum und Francisco Munoz Conde (Hg.), Transformation von Diktaturen in Demokratien und Aufarbeitung der Vergangenheit, Humboldt Kolleg an der Universidad Pablo de Olavide Sevilla 7.-9. Februar 2008, S. 186. 161 Benno Nietzel, Wiedergutmachung für historisches Unrecht, S. 1, Version: 1.0, in: Docupedia- Zeitgeschichte, URL. http:/ /docupedia.de/zg (27. 08. 2013). Klammerzusatz nicht im Original.
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zu erkennen ist nicht leicht. Der Käufer beweglicher Sachen oder jüdischer Immobilien hat ein Rechtsgeschäft abgeschlossen, weil das Angebot günstig war. Hätte der Käufer seinen wirtschaftlichen Vorteil nicht genutzt, hätten es andere Käufer getan. Anzeige- und Abgabepflichten waren öffentlich-rechtliche Wirtschaftsvorschriften, um die der Käufer nicht umhinkam. Mit den Anzeige- und Abgabepflichten hat der Käufer jüdischen Eigentums nicht der Diktatur gedient, sondern lediglich Rechtsvorschriften befolgt. Das Zivilrecht und die auf diesen rechtlichen Gründen geschlossenen Rechtsgeschäfte sind augenscheinlich neutral. Wie sind die Situation des Käufers und die des Verkäufers in Diktaturen genau betrachtet zu beurteilen? Der Weggefährte Marie Munks im Wiedergutmachungsrecht, Walter Schwarz, konstatierte unter Bezug auf Hachenburg 162 zu den Notverkäufen der jüdischen deutschen Bevölkerung zur NS-Zeit: „In einem seiner denkwürdigen Aufsätze zur Rückerstattung (SJZ Süddeutsche Juristenzeitung 49, 799) hat Hachenburg erklärt, es habe überhaupt keinen Kollektivzwang gegeben, der dem individuellen Zwang des BGB hätte gleichgesetzt werden können. Es habe vielmehr nur eine ‚Zwangslage‘ bestanden: weder das deutsche Volk noch die Hitlerregierung hat einen Kollektivzwang, wie ihn das Zivilrecht beachten könnte, auf den Veräußerer ausgeübt. Das Angstgefühl durchlief alle Phasen von dem bloß möglichen Unheil über das wahrscheinliche bis zum unmittelbar bevorstehenden. Überall ist das innere Gefühl die treibende Kraft. Nur, wo der andere Vertragsteil selbst drohend und pressend auftritt, oder ein Dritter für ihn handelt, liegt ein Delikt vor. Wo dies fehlt, entsteht ein neuer Tatbestand – so neu, wie die vom Nationalsozialismus geschaffene Lage“163. Die Grundlage des Standpunkts Hachenburgs ist schnell erklärt. In den Entwurfsfassungen des amerikanischen und englischen Rechtsentschädigungsgesetzes (REG) war die Anfechtung von Willenserklärungen für Rechtsgeschäfte aus der Zeit vom 15. September 1935 bis einschließlich 8. Mai 1945 vorgesehen.164 In der Endfassung vernichtete die Anmeldung der Rückerstattung die für das jeweilige Rechtsgeschäft abgegebene Willenserklärung nicht, sondern führte zur Wiedereinsetzung
162 Max Hachenburg, Kollektivzwang oder Zwangslage?, in: Süddeutsche Juristen-Zeitung, 4/1949, S. 799 – 801. 163 Bundesminister der Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz (Hg.), Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1: Rückerstattung nach den Gesetzen der alliierten Mächte, München 1974, S. 98. Hervorhebung nicht im Original. 164 Max Hachenburg, Kollektivzwang oder Zwangslage?, in: Süddeutsche Juristen-Zeitung, 4/1949, S. 799 – 801, S. 800.
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in den vorherigen Stand.165 So führte „die Abstreifung der Anfechtungsidee“166 bei Hachenburg unweigerlich zur Diskussion über eine Zwangslage. Hachenburg verneinte diese Zwangslage nach zivilrechtlichem Maßstab mit den Worten: „Drum sind auch auf Seiten des Erwerbes verschiedenartige Einstellungen denkbar. Sie gehen vom Freundschaftsdienst bis zur kaltblütigen Ausnützung einer günstigen Gelegenheit, wie
ja auch die Verfolgungen von dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums bis
zu den Gasöfen eine weite Strecke durchlaufen. Damit entfällt auch die einer Verständigung 167
im Wege stehende Auffassung jedes Verpflichteten als eines schlechten Kerls.“
Betrachtet der Leser Hachenburgs Zeilen zum Kollektivzwang, so wird ihm nicht nur das Bild einer Nötigung vermittelt. Es wird vielmehr, nämlich „von dem bloß möglichen Unheil über das wahrscheinliche bis zum unmittelbar bevorstehenden“ Unheil, durch das Wort „Angstgefühl“ als eine „treibende Kraft“ das Bild der Drohung eindringlich geschildert. Auf die Drohung geht Hachenburg jedoch nicht gesondert ein. Die Drohung hat Marie Munk in ihrer Dissertation „Die widerrechtliche Drohung des § 123 BGB in ihrem Verhältnis zu Erpressung und Nötigung“ (1911) angesprochen. Ihre Ausführungen können an dieser Stelle fruchtbar sein. 7.1 Die Drohung i. S. d. § 123 BGB: Ein Rechtsmodell für den NS-Kollektivzwang? Als Drohung betrachtet Marie Munk nicht nur die Handlung des Drohenden, die auch stillschweigend vonstattengehen kann, sondern ebenso das angekündigte Übel. Dieses Übel muss von dem Bedrohten so empfunden worden sein, dass er „aus Furcht vor seinem Eintritt zum Zwecke der Abwendung“ zu einer Willenserklärung bestimmt wurde.168 Sowohl die Drohung des Drohenden als auch die Erklärung des Bedrohten müssen Willenserklärungen sein.169 Mit der Verordnung 170 wurden alle jüdischen Mitbürger bedingungslos zur Veräußerung verpflichtet. Die Behörde und der Treuhänder wurden berechtigt, über das Vermögen jüdischer Mitbürger kraft eigener
165 Max Hachenburg, Kollektivzwang oder Zwangslage?, in: Süddeutsche Juristen-Zeitung, 4/1949, S. 799 – 801, S. 799 – 800. 166 Max Hachenburg, Kollektivzwang oder Zwangslage?, in: Süddeutsche Juristen-Zeitung, 4/1949, S. 799 – 801, S. 801. 167 Max Hachenburg, Kollektivzwang oder Zwangslage?, in: Süddeutsche Juristen-Zeitung, 4/1949, S. 799 – 801, S. 801. 168 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 3, 9. 169 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 11. 170 § 6 letzter Satz i. V. m. § 2 Abs. 1 der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938.
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Rechtsformfreiheit nach ihrem Belieben ohne weiteres jederzeit zu verfügen.171 Mit anderen Worten: Verkaufst Du nicht, verkauft es der Staat! Eine eindeutige Willenserklärung des Staates. Auch wenn sie in Gestalt eines hoheitlichen Aktes zunächst „nur“ einen weiteren hoheitlichen Akt, nämlich die Anordnung aus § 6, ankündigt. Marie Munk definierte, auch auf ihren Lehrer Zitelmann Bezug nehmend, das subjektive Recht aus einem objektiven Rechtssatz als Willenserklärungs- bzw. Handlungsgrundlage: „Ein subjektives Recht ist nun die durch objektive Rechtssätze hergestellte günstige Lage einer Person gegenüber einer oder allen anderen, sofern das Eintreten und die Durchführung des staatlichen Schutzes dieser Rechtslage von der objektiven Rechtsordnung in den Willen jener ersteren Personen verstellt ist“ und (unter Bezug auf Planck) deshalb „der Wille des Berechtigten unbedingt maßgebend ist“.172 Die Verordnung kündigte keine objektiv widerrechtliche Handlung 173 an, sondern drohte an, ein subjektives Recht zukünftig auszuüben.174 Es entstand mit § 6 der oben genannten Verordnung die von Hachenburg als „Zwangslage“ bezeichnete Rechtssituation, der sich auch Marie Munk bei ihrer Ankunft in Deutschland im Jahr 1938 ausgesetzt sah. Für derartige Situationen bezog Marie Munk die sogenannten indifferenten Handlungen, die einem Handelnden „kraft der allgemeinen Freiheit erlaubt sind“175, wie die Vertragsabschlussfreiheit, mit ein. Eine logische Konsequenz, die aus den Worten des § 123 BGB „bestimmt wurde“ und sich aus seinem „Schutz der Willensfreiheit“ ergibt.176 Munk schloss Verträge, zu denen sie durch den in der Verordnung angekündigten gänzlichen Verfügungs- und Eigentumsverlust bestimmt worden ist. Eine Anfechtbarkeit dieser von Munk geschlossenen Verträge würde allerdings nur im Falle einer Widerrechtlichkeit ihrer Willensbestimmung begründet sein. Was jedoch unter den Worten „widerrechtlich bestimmt“ zu verstehen ist, folgt „keiner allgemein gültigen Begriffsbestimmung“.177 Auch für eine Wortsinninterpretation des § 123 BGB gaben zum damaligen Zeitpunkt weder Literatur noch Rechtsprechung Anhaltspunkte.178 Eine Ratio legis des § 123 BGB lässt sich nur anhand von Fallbeispielen erreichen, die die Interessenlage des Drohenden und des Bedrohten berücksichtigen. Diese Beispiele grenzen in ihrer Folge verkehrsmäßige Übel (wie z. B. die Androhung der Vertragskündigung für den Fall der Nichtleistung) aus.179 171 Ebd. 172 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 12. 173 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 54 – 70. 174 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 36 – 46. 175 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 12. 176 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 9. 177 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 10. 178 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 11. 179 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 29 – 36.
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Es handelt sich im Rechtsverkehr um ein Übel, mit denen der Bedrohte ohnehin „von vornherein zu rechnen hat“180. Zumal die Drohung des Drohenden und die Willenserklärung des Bedrohten in einem inneren Zusammenhang stehen.181 Von einer Anfechtbarkeit ausgeschlossen ist deshalb die Androhung eines subjektiven Rechts, um den Bedrohten zur Pflichterfüllung zu bewegen. Denn der Pflichterfüllung war sich der Bedrohte „schon vor der Drohung bewußt“182. Es ist in diesen Fällen „nicht die Furcht vor dem Drohenden“, sondern „die Vorstellung der bestehenden Leistungspflicht“183 sowie die „aus der Nichtleistung sich naturgemäß ergebenden nachteiligen Folgen das eigentliche Motiv“.184 Munk hingegen wollte, wie viele andere NS-Opfer, mit der Veräußerung dem staatlichen Ausverkauf ihres Vermögens zuvorkommen und ebenso auch einer Strafverurteilung für Zuwiderhandlungen entgegen wirken. Die in der Verordnung angekündigte Strafandrohung bezog sich zwar rein regelungstechnisch auf den Vertragsabschluss. Aber nur zu dem rechtlichen Zweck, damit das eine ohne das andere nicht undenkbar und nicht impraktikabel bleibt. Strafandrohung und Vertragsabschluss haben nichts miteinander gemein. Nach Marie Munk waren „Motive hineingezogen worden, die ohne die vorausgegangene Drohung nicht wirksam gewesen wären“.185 Obgleich eine Willensbeeinträchtigung vorliegt, muss für diese Fälle jedoch zunächst konstatiert werden, dass eine derart erzielte Willensbestimmung nicht widerrechtlich sei.186 Dieser Schluss kann jedoch nur gelingen, wenn nicht ethische Verhaltensweisen beurteilt werden. Wenn (zum Beispiel) mithilfe der Androhung der Alimentenklage die Rückzahlung eines Darlehens erreicht werden soll.187 In diesen Fällen hätte die Verpflichtung zur Leistung neben dem weiteren Übel einer drohenden Verurteilung auf Zahlung von Alimenten herausragende Bedeutung. Der römische Satz „dolo facit qui petit quod redditurus est“ verneint für derartige Fälle das Anfechtungsrecht. Jedoch könnten sich nach Munk gegen die Verneinung des Anfechtungsrechts deshalb Bedenken ergeben, weil der Drohende nach wie vor die Alimentenklage anstrengen könne. Schließlich handele es sich beim Klagerecht um ein subjektives öffentliches Recht.188 Diese Anmerkung Munks trifft den Kern, auch um das damalige nationalsozialistische Verordnungsrecht wie folgt zu beurteilen: Ganz gleich, ob 180 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 33. 181 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 34 – 35. 182 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 40 – 41. 183 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 40. 184 Ebd. 185 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 43 – 44. 186 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 44 – 45. 187 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 43. 188 Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 45 Fußnote 1.
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Marie Munk ihre Pflicht nach der Verordnung erfüllte oder nicht, der Staat hatte aus der Verordnung das Recht der Verfügung über ihr Vermögen: Darüber hinaus knüpfte er die rechtlichen Bestimmungen an keine ausreichenden Entschädigungspflichten für den Eigentumsverlust. An diesen Stellen aber trat das Wesen der Drohung mit dem Rechtssatz des § 226 BGB 189 in Berührung. Insbesondere, weil die nationalsozialistische Rechtslage staatliche Maßnahmen zur Verfügung stellte, die nicht oder nicht mehr ausschließlich der Wahrung eigener Rechte des Käufers dienten.190 Auch wenn der aus seiner Verordnung drohende nationalsozialistische Staat und die Vertragspartner Munks nicht ein und dieselbe Person gewesen sind, schließt dies nach § 123 BGB eine Anfechtung nicht aus. Vielmehr bringt gerade die fehlende Personenidentität eine im Wiedergutmachungsrecht erhoffte, notwendige Beweiserleichterung: „[D]ie Erfahrung lehrt, daß nicht selten, namentlich in aufgeregten Zeiten, einzelne Personen Drohungen im Interesse vieler mit Erfolg anwenden, und es leuchtet ein, in welcher ungünstigen Lage der durch s olche Drohungen zu Leistungen Veranlaßte sich befinden würde, wenn er jedem, der infolgedessen etwas erlangt, sein Kennen oder Kennenmüssen nachweisen sollte.“191 Munk kann somit nicht nur als Opfer und Zeuge von NS- Unrecht Aufmerksamkeit erfahren. Vielmehr kann aus ihrer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Drohung ein eigenständiger rechtlicher Schluss für eine Restitution gezogen werden. 7.2 Konturen für eine Restitution von zivilrechtlichen Notverkäufen Marie Munk und vielen anderen um ihre Wiedergutmachung kämpfenden Mitbürgern 192 wäre mit einer gesetzlichen Verlängerung der Anfechtungsfrist besser gedient gewesen. Munk und viele andere nationalsozialistisch Verfolgte hätten kraft ihrer Eigentümerposition frei darüber entscheiden können, ob sie die Grundstücksverkäufe anfechten wollen oder nicht. Ihr Verfügungsrecht an ihrem Eigentum hätte Marie Munk mit dem Zeitpunkt der erklärten Anfechtung zurückerhalten. Dem damaligen Erwerber wären seine 189 § 226 BGB lautet: „Die Ausübung eines Rechtes ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen.“ 190 Rudolf Henle, Drohung in Anfechtbarkeits- und Erpressungstatbestand (§ 123 BGB, § 253 StGB), Gießen 1925, S. 20. 191 Unter Bezug auf die Motive I S. 206, in: Marie Munk, Die widerrechtliche Drohung, S. 8. 192 Vgl. zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Rückerstattungsrecht und seiner Praxis: Jürgen Lillteicher, Raub, Recht und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in der frühen Bundesrepublik, Göttingen 2007; Vgl. zur europäischen Problematik der Wiedergutmachung: Hans Günter Hockerts, Claudia Miosel und Tobias Winstel (Hg.), Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945 – 2000, Göttingen 2006..
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Nutzungsansprüche dem damals geleisteten Kaufpreis gegenüberzustellen und zu verrechnen gewesen. Eine sich hierbei ergebende Differenz hätte aus dem Staatshaushalt gezahlt werden können.193 Im Falle des Silberbestecks, für das offensicht lich eine Naturalrestitution nicht mehr möglich gewesen wäre, hätte ein Geldersatz Munk entschädigt. Durch die Ablieferungspflicht an die Pfandleihanstalt bestand die berechtigte Annahme, dass dieses Besteck sich im Besitz des Staates befunden hatte. Ebenso hätte im Fall der Wertpapiere und des Stiftungsvermögens verfahren werden können. Nur für die ausschließlich durch Kriegsereignisse untergegangenen beweglichen Sachen hätte kein Ausgleich greifen können. Damit hätte man aber auch die nationalsozialistisch verfolgten deutschen Bürger gleichberechtigt und wirtschaftlich gleichgestellt gegenüber den deutschen Bürgern, die nicht verfolgt worden sind.
193 Ein Diskussionsgegenstand damaliger Rückerstattungspolitik, in: Jürgen Lillteicher, Raub, Recht und Restitution, S. 135 – 178, S. 153.
10. Kapitel Schlussbetrachtung
Marie Munk hat ihr Leben einer „Sache“ gewidmet. Sie wollte und hat dem Recht der Frau as an active part gedient. Zwei herausragende Wendepunkte in Marie Munks Leben sind richtungweisend für ihr Leben und Werk: zum einen die Rechtsstellung der Frau als Juristin und der Einfluss auf die Rechtsstellung der Frau im Ehe-, Ehegüter-, Familien- und Scheidungsrecht, dem Strafrecht und dem Verfahrensrecht. Zum anderen ist wesentlich Marie Munks jüdische Herkunft. Diese beiden Wendepunkte, Rechtsstellung der Frau und jüdische Herkunft, können nicht isoliert nur auf die Person Marie Munks bezogen werden, sondern charakterisieren Rechtskultur nicht nur in den Rechtsgebieten, derer sich Marie Munk in ihren Reformforderungen annahm. Hieran schließt sich die Frage an, ob Marie Munks Leben und Werk ein Modell für die Biografieforschung sein kann. Diesem letzten Fokus von Leben und Werk Marie Munks ist die Frage nach Gleichheit, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit in ihrem Bezug zu Differenz und Diversität vorgeschaltet. Diese fünf Elemente charakterisieren das wissenschaftliche Werk Marie Munks, das im Folgenden zusammenfassend betrachtet wird.
I. Zusammenfassung: Leben und Werk in Deutschland Folgende Sozialisationsereignisse im Leben Marie Munks sind im Kontext von Gleichheit, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Differenz und Diversität von Belang: Marie Munk wuchs in einem finanziell gut ausgestatteten bürgerlichen, gebildeten und sozial anerkannten Elternhaus auf. Gleichwohl bemerkte Marie Munk die berufliche Diskriminierung ihres Vaters, des Landgerichtsdirektors Wilhelm Munk. An diesem Beispiel zeigte sich die Furcht der christlichen Bürger gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern vor einer jüdisch-kulturellen Übernahme. Ein Vorurteil, was die jüdische Emanzipation gerade nicht im Sinne bürgerlicher Gleichberechtigung stützte, sondern letztendlich die jüdische Kultur an die christliche Kultur assimilierte.1 Diese für Marie Munk negative Erfahrung verstärkte andererseits positiv eine aus jüdischer Tradition stammende bessere Schulbildung für Mädchen. Eines der wichtigsten Teilhaberechte für die Frau. Marie Munk blieb über ihre Bildung vor 1 1. Kapitel, Ziffer I. Nr. 1.2 und Nr. 5.
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Schlussbetrachtung
einer traditionellen Rollenverteilung für ihr zukünftiges Leben bewahrt.2 Bildung öffnete ihr den Blick für eine Gleichheit der Geschlechter in Bezug auf dieses gesellschaftliche Teilhaberecht. Nur so lässt sich ihre Kritik an den Berufswünschen ihres Vaters, einer standesgemäßen, unbezahlten sozialen Hilfstätigkeit nachzugehen, erklären.3 Obgleich die Berufsvorschläge ihres Vaters in jüdischer sozialer Tradition verwurzelt gewesen sein mögen,4 war Marie Munks erste Erfahrung geschlecht licher Differenz für ihren weiteren wissenschaftlichen Werdegang prägend: die Bevorzugung ihres Bruders für den Erwerb der Hochschulreife und der fehlende rechtliche Grund, ihr als Frau dieses zu versagen.5 Marie Munk erfuhr, dass Gleichheit im Recht in der Natur seiner Sache und ein Recht auf Bildung als Teilhaberecht nicht immer ein und dasselbe sind. Das Recht rezipierte zu damaliger Zeit eine geschlechtsspezifische Realität in das Recht, indem es an geschlechtsspezifische Faktoren über die biologische Natur von Frau und Mann anknüpfte.6 Diese Rechtsfolge im Recht war nur möglich, weil „Weib lichkeit“ zu einer „Bildungsidee“ geworden war und zu einem „Ideal des Sollens“ erhoben wurde.7 Diese auf Vorurteilen sich gründende Differenz zur Gleichheit der Geschlechter erkannte Marie Munk bereits als junge Frau, ebenso wie sich die Gymnasialkurse für Frauen auf dieser Erkenntnis gründeten. Diese Differenz durch Leistung zu überwinden, setzte Marie Munk in ihre originäre Tat und Leistung um.8 In diesem persönlichen Streben Marie Munks zeigte sich ein Ausnahme verhalten,9 das schon früh analytisches Denken beförderte 10 und sie am Ende ihres rechtswissenschaftlichen Studiums, wie nur wenige der weiblichen Studentinnen in der Rechtswissenschaft, zur Promotion führte.11 Ihre besondere wissenschaftliche Leistung über die widerrechtliche Drohung des § 123 BGB in ihrem Verhältnis zu Erpressung und Nötigung regte die Autorin der vorliegenden Arbeit dazu an, vor dem Hintergrund von Marie Munks 2 1. Kapitel, Ziffer I. Nr. 5. und Ziffer II. Nr. 4. und Nr. 6. 3 1. Kapitel, Ziffer I. Nr. 4. 4 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 1. 5 1. Kapitel, Ziffer I. Nr. 4. 6 Oda Cordes, Diversität des Wissenschaftsbetriebes in historischer Perspektive und der Versuch eines Ausblicks: Die Situation vor 100 Jahren und heute am Beispiel einer Forscherin, in: René Krempkow, Philipp Pohlenz und Nathalie Huber (Hg.): Diversity Management und Diversität in der Wissenschaft, Bielefeld 2014, S. 278 – 282. 7 Gertrud Bäumer, Das Problem der Frauenbildung, in: dies. Die Frau und das geistige Leben Leipzig 1911, S. 355. 8 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 3. 9 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 5. 10 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 6. 11 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 5 und Nr. 6.
Zusammenfassung: Leben und Werk in Deutschland
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Wiedergutmachungsverfahren einen eigenen Vorschlag zum Wiedergutmachungsrecht im Zivilrecht zu wagen.12 Die Frage „What is justice?“13 Diese Frage begleitete Marie Munk ein Leben lang. Bereits für ihre ersten, vor den Staatsexamina liegenden beruflichen Stationen, insbesondere in der Rechtsschutzstelle in München, erfuhr sie in ihrer täglichen Arbeit die geschlechtsspezifische Differenz zwischen Recht und Unrecht.14 Ihr während des juristischen Studiums entwickeltes originäres Leitbild für ihre wissenschaftliche Arbeit „What is justice?“15 dachte sie nur durch eine Entscheidung zur Ehelosigkeit begründen und weiterführen zu können.16 Ihr Ziel war es in ihrer objektiv-persönlichen Sachlichkeit bereits in jungen Jahren nicht nur, im persönlichen Erscheinungsbild in eine Differenz zu der zur Weimarer Zeit allerorts zu betrachtenden „Neuen Frau“ zu treten.17 Ihr schriftstellerisches Engagement war gekennzeichnet durch ihre sensiblen, aber wichtigen Zwischentöne, die das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten im Strafprozess und den Umgang der übrigen Verfahrensbeteiligten mit den Medien anbetraf 18 und die ebenso zum Schutz der Geschlechtsehre der Frau in den Verfahren aufriefen.19 In beiden Fällen plädierte sie für eine Erweiterung der Juristenausbildung um sozialpsychologische und kommunikationswissenschaftliche Inhalte und nahm sich, auch im Rückblick auf ihre eigenen Erfahrungen, der Ausbildungsreform, aber auch Verfahrensfragen zur Neuordnung des deutschen Rechtswesens an.20 Für ihre schriftstellerische Tätigkeit, auch zum Reformprozess im Ehe- und Familienrecht zu Weimarer Zeit, handelte sie sich den Einwand mangelnder beruflicher Anwaltspraxis ein, als sie sich für das Richteramt bewarb. Der Kammergerichtspräsident Eduard Tigges entkräftete dieses Vorurteil.21 Schließlich ist bei Richterinnen, im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen, die vermehrt wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsfragen bis in die heutige Zeit hinein Tradition.22
12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
9. Kapitel, Ziffer III. Nr. 7. 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 5. 1. Kapitel, Ziffer III. Nr. 1.3. 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 5. 1. Kapitel, Ziffer III. Nr. 2. 2. Kapitel, Ziffer I. Nr. 5. 2. Kapitel, Ziffer IV. Nr. 4.1.3. 2. Kapitel, Ziffer IV. Nr. 4.1.4. 2. Kapitel, Ziffer IV. Nr. 4.1.5. und 4.1.7. 2. Kapitel, Ziffer I. Nr. 3. Jörg Berkemann, Ist das Recht männlich? – Zum Frauenbild des BVerfG in seinen frühen Jahren, in: Deutsches Verwaltungsblatt, Nr. 3, 2014, S. 142.
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Schlussbetrachtung
Ebenso war Marie Munk die Rechtsbildung unwissender Frauen ein Anliegen, um das Vertrauen der weiblichen Bürger in den Rechtsstaat zu stärken.23 Dies unterstrich Marie Munk mit ihrem rechtspolitischen Engagement über das neue demokratische Teilhabe-Rechtsinstitut des Vereins:24 des Deutschen Juristinnenvereins. Sie erlangte maßgeblichen Einfluss in den Rechtskommissionen der bürgerlichen Frauenbewegung zur Zeit der Weimarer Ehe-und Familienrechtsreform. Beispielhaft sei hier an den Diskurs z wischen Marianne Weber und Marie Munk zum Scheidungsfolgenrecht erinnert.25 Marie Munk profilierte die rechtspolitischen Forderungen der Frauenseite strategisch sachkundig, ernst zu nehmend sowohl für den Deutschen Juristentag und die männliche Jurisprudenz 26 als auch für die parlamentarische und die Regierungsseite.27 Mit ihren Reformforderungen gelang es ihr nicht nur, das Recht der Frau als Rechtspersönlichkeit im Eherecht und im Ehegüterrecht 28 und im Familienrecht zu stärken. Marie Munk ist Initiatorin eines neuen Scheidungsfolgenrechts 29 und Initiatorin des Fortfalls des Schuldprinzips, beachtet im In- und Ausland.30 Bereits für das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 und für die Zugewinngemeinschaft im Ehegüterrecht waren die Reformforderungen von Marie Munk und Margarete Berent richtungsweisend nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch darüber hinaus ist im Wirken Marie Munks in der Weimarer Zeit zum wiederholten Male eine Differenz nicht nur in der Betrachtung der Geschlechterrollen in ihren Reformforderungen erkennbar, sondern auch eine Differenz Marie Munks, mit der sie sich von den übrigen Reformreferentinnen und Reformreferenten deutlich abhob. Der Leser wage einen Blick auf die nacheheliche Verantwortung der Eltern für ihre Kinder im Scheidungsrecht 31 und blicke auf die erstmals von Marie Munk eingeforderte gemeinsame elterliche Verantwortung im Unehelichenrecht. Es kam Marie Munk gar nicht in der Hauptsache darauf an, nur die Rechtspersönlichkeit der Frau um des Prinzips willen zu stärken, sondern die Rechtspersönlichkeit der Frau über die elterliche Verantwortung des Mannes, basierend auf dem Anspruch auf Ausbildung und Erziehung für das eheliche 32 und das uneheliche Kind,33 im nachehelichen Bereich zu erhalten und im unehelichen Bereich zu begründen. 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
2. Kapitel, Ziffer IV. Nr. 1, Nr. 5.; 3. Kapitel, Ziffer III., Nr. 3 und Nr. 4. 2. Kapitel, Ziffer II. Nr. 5. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 2. und Nr. 3.5. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 3.7., Nr. 4., Nr. 5. und Nr. 6 und Nr. 6.1.2. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 4.7. und Nr. 5.5.1. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 2. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 3.3.2. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 3.3.1. und 3.6. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 5.5.4. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 3.3.2. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 1.5.
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Es bliebe die Rechtspersönlichkeit der geschiedenen Mutter nur über die aus der Ehe gesetzlich verankerte Verantwortung, auch die des geschiedenen Vaters für seine ehelichen Kinder erhalten, war Marie Munks Forderung. Ebenso sollte die rechtliche und soziale Stellung der ledigen Mutter gestärkt werden, indem nicht die ledige Mutter allein, sondern ebenso der Vater des unehelichen Kindes in die Verantwortung für den Anspruch des unehelichen Kindes auf Bildung und Erziehung einbezogen wird. Vor d iesem Hintergrund machte Marie Munk auch deutlich, dass die Scheidungskinder und die unehelichen Kinder zwar nicht rechtlich, aber sozial in derselben Situation sich befinden. Die ehelichen Kinder sind zwar nicht de lege lata „elternlos“, sondern vielmehr aus dem Grund der Trennung und Scheidung ihrer rechtlichen Eltern sozial „elternlos“. Beide Kinder, das uneheliche und das Scheidungskind, eint rechtlich, dass nach dem Willen des Gesetzgebers beide infolge sozialer Ereignisse nur noch von einem Elternteil de lege lata umsorgt werden sollen. Das uneheliche Kind, weil der Gesetzgeber mit § 1705 BGB von 1896 wegen der fehlenden Ehe-Schließung seiner Eltern diesen die gemeinsame elterliche Verantwortung für ihr uneheliches Kind entzieht; bei dem ehelichen Kind, weil das Schuldprinzip, im Einzelfall auch kombiniert mit dem Alter des Kindes, in § 1635 BGB von 1896 die Zerstörung der Ehe über das Rechtsverhältnis der geschiedenen Eltern zu ihren Kindern sanktioniert. Blickt der Leser an dieser Stelle zurück auf die Diskussion der Autorin zur Ethik der Familienbeziehung im Rechtsverhältnis der Ehegatten untereinander, 34 so wird auch für das Rechtsverhältnis der Eltern zu ihren Kindern im nachehelichen Sorge recht und im Unehelichenrecht sichtbar, was Marie Munk mit ihren Reformforderungen offenlegte. Der Wille des Gesetzgebers konzentrierte in den Regelungen der §§ 1635 und 1705 BGB den Bereich des positiven Rechts auf den Erhalt der Institution der Ehe und entzog damit den Eltern den selbstregulativen Bereich ihrer Familienbeziehung. Konträr hierzu gab der Gesetzgeber zu Weimarer Zeit vor, die Kinder seien notwendigerweise in den Schutz des Staates miteinzubeziehen (Art. 119 Satz 1 und Satz 3 bis 5 WRV 35). Indem der Gesetzgeber aber das Rechtsverhältnis der Eltern zu ihren Kindern während einer vermeintlichen „Krise“ der Ehe als Instrument zum Zwecke der Sanktion gegen eine Zerstörung seiner Institution – der Ehe – einsetzte, gab der Gesetzgeber nicht nur den Anspruch des ehelichen wie des unehelichen 34 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 7. 35 Art. 119 Satz 1 WRV lautete: „Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Art. 119 Satz 3 bis 5 WRV lautete: „Die Reinhaltung, Gesundung und s oziale Förderung der F amilie ist Aufgabe des Staats und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge. Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staats.“
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Schlussbetrachtung
Kindes auf Erziehung und Ausbildung preis, sondern entzog in der sozialen Krise der ehelichen Zerrüttung und in der sozialen Krise der Unehelichkeit Eltern und Kindern seinen verfassungsprogrammatischen rechtlichen Schutz. Mit dieser gesetzgebenden Situation wurde aber zugleich eine wichtige Vorbedingung für die weiteren rechtlichen Grundlagen des Rechtsverhältnisses zwischen Staat und Familie in Diktaturen geschaffen. Hiergegen führte Marie Munk mit ihrem Reformvorschlag für das nacheheliche und das uneheliche Sorgerecht und die elterliche Gewalt nicht nur die elterliche Verantwortung ein, sondern entkleidete das Recht von überindividualistischen religiösen oder staatlichen Motiven des Gesetzgebers. Mit d iesem Schritt verhinderte Marie Munk eine gesetzgeberische Konstruk tion und gedachte so die Differenz zwischen Recht und Wirklichkeit aufzulösen. Die elterliche Verantwortung befördert personale Identität der Rechtsadressaten. Elterliche Verantwortung eröffnet Gerechtigkeit für das Kind in der Krise. Das nacheheliche Sorgerecht und das Unehelichenrecht und die Streichung des Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes sind vortreffliches Beispiel für Marie Munks originäre Rechtsethik über ein „selbstbestimmtes, selbstregulatives, dem gesetzten Recht soweit als möglich enthobenes, gemeinsames Wollen in Verantwortung“.36 Ein bis heute vernachlässigter Aspekt, denn es wird noch zu selten danach gefragt, ob diagnostizierte Differenzen sozialer Lebenslagen durch legislatorische Interven tion Erfolg versprechend zu beseitigen sind. So auch in der aktuellen Diskussion um eine abwechselnde Kinderbetreuung nach Trennung und Scheidung. Es wird nach wie vor zu einer alternativen Sorgerechtsregelung für § 1671 BGB aufgerufen,37 ohne damit den Eltern praktisch in der gemeinsamen Verantwortung helfen zu können. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Marie Munk stärkte schon damals die Abkehr von einem gesetzestechnischen Überindividualismus zum Vorteil einer objektiven richterlichen Erkenntnis, insbesondere im Ehescheidungsverfahren.38 Der Richter sollte über die neutral gefassten („schuldlosen“) Regelungen im Scheidungsrecht (ebenso im Unehelichenrecht durch Wegfall der Exceptio-plurium- Einrede) Abstand nehmen können von einer durch subjektive Empfindung und persönliche Erfahrung und womöglich mit eigenen Scheidungs- und Trennungsemo tionen angefüllten „Black-Box“ der richterlichen Entscheidungsfindung.39 Dieser 36 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 7.2.1. und 7.2.2. 37 Hildegund Sünderhauf, Wechselmodell: Psychologie – Recht – Praxis. Abwechselnde Kinder betreuung durch Eltern nach Trennung und Scheidung, Wiesbaden 2013, S. 588 – 589. 38 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 5.5.2. 39 Nach dem Rechtssoziologen Rüdiger Lautmann ist das richterliche Urteil ein formelles Darstellungsprogramm, das den faktisch abgelaufenen Entscheidungsvorgang nicht transparent werden lässt. „Nach außen soll kein Bild davon dringen, wie das Urteil im einzelnen zustande gekommen ist.“ Die tatsächlichen Motive der Entscheidungsfindung, ggf. eigene negative Trennungserfahrungen, die die richterliche Entscheidung mit beeinflussen könnten,
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Ansatz von Marie Munk, das Recht nur dort zugreifen zu lassen, wo Mindeststandards und Typenzwang es erfordern, muss als der Einstieg in ein selbstregulatives Ehe-, Familien- und Scheidungsrecht unter der Schirmherrschaft gemeinsamer Verantwortung bezeichnet werden. Allerdings, wie Marie Raschke und Marie Stritt vor Marie Munk bereits voraussahen,40 konnte der munksche Ansatz ohne Bildung von Frau und Mann nicht greifen. Es bestand die Gefahr, dass Marie Munks Ansatz nur als reine Theorie zurückblieb. Um an dieser Stelle an das Wort „Ansatz“ im Sinne der Lösung einer Aufgabe an den weiteren beruflichen Werdegang von Marie Munk anzuschließen, zeichneten sich in ihrem ersten Besuch in den Vereinigten Staaten und mit ihrem Vortrag vor dem International Congress of Women in Chicago nicht nur erstmals ihr Wunsch und ihr Ziel nach einer übergeordneten Rechtsvereinheitlichung ab.41 Sondern die Konturen des Wirkens Marie Munks entwickelten sich weiter in ein interdisziplinäres Eindringen fachfremder, a-juristischer Fachwissenschaften.42 Dies hatte sich bereits in ihren Veröffentlichungen zur strafrechtlichen Behandlung der Frau,43 zur Resozialisierung im Strafvollzug 44 und zur Strafvollstreckung 45 in der Weimarer Zeit und auch vor der Machtergreifung Hitlers angekündigt. Neben dem Erfordernis medizinischer und psychologischer Kenntnisse für die Richterschaft, die jedoch nicht dazu da sein sollten, um der Frau die Verantwortung für ihre Straftat zu nehmen und sie somit auf eine erkrankte, der eigenen Verantwortung enthobenen Persönlichkeit zu reduzieren, bestach Marie Munk durch ihr Plädoyer für eine Resozialisierung des Straftäters und für eine Strafaussetzung bei Jugendlichen.46 Dieses rechtliche Instrument sollte greifen, um dem einen „Klientel“ die Rückkehr in die Gesellschaft zu erleichtern und um dem anderen (jugendlichen) „Klientel“ den Weg in die Subkultur des Verbrechens erst gar nicht zu ebnen. An diesen Gedanken schloss Marie Munk während ihres Gastaufenthalts in den USA der Jahre 1933 und 1934 an. Sie arbeitete erstmals mit einer anderen fachwissenschaftlichen Disziplin, den Sozialwissenschaften.47 Auch wenn ihrer Zeit als Hausmutter in der New York Training School for Girls auf den ersten Blick ein gewisser
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sollen nicht nach außen sichtbar werden. In: Rüdiger Lautmann, Justiz – die stille Gewalt, Frankfurt a. M. 1972, S. 178. 2. Kapitel, Ziffer III. Nr. 7.2.2. 3. Kapitel, Ziffer II. Nr. 3. 3. Kapitel, Ziffer II. Nr. 5. 2. Kapitel, Ziffer IV. Nr. 4.2.1. 2. Kapitel, Ziffer IV. Nr. 4.2.2. 2. Kapitel, Ziffer IV. Nr. 4.1.2. 2. Kapitel, Ziffer IV. Nr. 4.2.2. und 4.1.2. 3. Kapitel, Ziffer III.
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Schlussbetrachtung
„Learning-by-doing-Effekt“ innewohnen mochte, so wird auf den zweiten Blick sichtbar, dass Marie Munk sich einer neuen Beziehung von Differenz zuwendete. Diese Differenz war in ihrem wissenschaftlichen Tun veranlasst und lässt erste zaghafte Konturen wissenschaftlicher Diversität erkennen. Indem Marie Munk als Hausmutter mit den so bezeichneten „gefallenen“ Mädchen zusammenlebte und um diesen Mädchen Vorbild zu sein, gab sie sich der „wissenschaftlichen Sinn erfahrung“ hin. In diesem Ansatz grenzte sie sich von der amerikanischen und eng lischen Settlement-Bewegung ab.48 Die Differenz ihres wissenschaftlichen Tuns lag darin, dass sie mit der ihr anvertrauten Mädchen als Hausmutter zusammenlebte. Hiermit überschritt sie zugleich die persönlichen, sozialen und kulturellen Grenzen ihres Tuns in einer ihr fremden (amerikanischen) Kultur. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der soziale Hintergrund der ihr anvertrauten Mädchen Marie Munk aufgrund eigener Sozialisation fremd war. Zugleich wandte sie sich erstmals gezielt und fundiert dem sozialwissenschaftlichen Wirken zu und enthob damit ihr Werk fachwissenschaftlicher Differenz. Munk löste ihr wissenschaftliches Wirken erstmals aus dem Fokus des Rechts heraus. Darüber hinaus verhalf sie den ihr anvertrauten Mädchen zu mehr Bildung und gab an diese Mädchen das an ihr selbst erfahrene Teilhaberecht Bildung weiter.49 Für diesen Lebens- und Werkabschnitt von Marie Munk wurde erstmals Diversität und Differenz in ihrem wissenschaftlichen Tun sichtbar, weil Marie Munk nicht nur ihre eigene Fachdisziplin, die Rechtswissenschaft, überwand und sie die Dogmatik der Sozialwissenschaften in ihre Rechtsstudien mit einbezog, sondern auch, weil sie sich einer subjektbezogenen Interdisziplinarität bediente. Insofern, weil sie in dem Zusammenleben mit den Mädchen von der wissenschaftlichen Abgewandtheit eine persönliche Zugewandtheit zu ihrem Forschungsobjekt (den straffälligen Mädchen) herstellte. Zugleich blieb ihr Wirken als Hausmutter nicht auf den Rechtstatsachen einer jugendrichterlichen Verurteilung oder fürsorgerischen Betreuung ihrer zu betreuenden Mädchen beschränkt. Vielmehr ging sie den sozialen Ereignissen um die Rechtstatsache vor der Verurteilung und vor der fürsorgerischen Betreuung auf den Grund. Ein Anliegen, dass sie schon früh während ihrer Zeit bei den Sozialfürsorgegruppen bei Alice Salomon beschäftigte: “[W]e were relieving the symptoms of distress but not the causes.”50 Zugleich enthob sie, zumindest aus Sicht der damaligen Zeit, den Resozia 48 3. Kapitel, Ziffer III. Nr. 4.1. und 4.2. 49 Oda Cordes, Diversität des Wissenschaftsbetriebes in historischer Perspektive und der Versuch eines Ausblicks: Die Situation vor 100 Jahren und heute am Beispiel einer Forscherin, René Krempkow, Philipp Pohlenz und Nathalie Huber (Hg.): Diversity Management und Diversität in der Wissenschaft, S. 283 – 284. 50 1. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2.
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lisierungsgedanken seiner aussichtslosen Nachsteuerung von sozialem Fehlverhalten 51 und gab damit den Sozialwissenschaften im Allgemeinen wie im Besonderen summa summarum einen neuen Impuls, indem sie weniger auf singuläre Ursachen sozialer und jugendlicher Delinquenz, als vielmehr verschiedene Ursachen sozialer Ungleichheit mit kultureller Differenz kombinierte. Dem Betrachter ihrer wenig erhalten gebliebenen Sozialanamnesen der ihr anvertrauten Möädchen in der New York Training School for Girls wäre die Erkenntnis ermöglicht, dass Ungleichheiten und Differenzen sich gegenseitig moderieren, verstärken und schließlich in eine voneinander abhängige Entwicklung zueinander treten könnten. Mit diesen Feststellungen der Autorin der vorliegenden Arbeit ist der Leser aufgefordert, auf das Leben und Werk von Marie Munk in Deutschland einen kurzen, stillen Moment zurückzublicken.
II. Zusammenfassung: Leben und Werk in den Vereinigten Staaten von Amerika Marie Munks kulturelle Integration als Amerikanerin ging langsam voran.52 Im Vergleich hierzu steht Marie Munks zielstrebiges und schnelles Aufgreifen von aktuellen Forschungsthemen. An dieser Stelle ist ihr Forschungsauftrag über die Rechtsstellung der Frau während des Ersten Weltkriegs und während des Wiederaufbaus zu nennen. Im Vergleich zu der in damaliger Zeit vorliegenden deutschen Auswertung von Marie-Elisabeth Lüders griff Marie Munk auf die sozioökonomische und arbeitsrechtliche Stellung zu Vorkriegszeiten zurück. Sie mahnte, dass in dieser Zeit bereits die Diskriminierung der Frau begründet lag, weshalb diese Diskriminierung sich in Kriegs- und Nachkriegszeiten nur fortsetze.53 In den folgenden Jahren gewann das Forschungsfeld Marie Munks weitere differenzierte Konturen hinzu. Die Rolle der Frau blieb als wesentliches Element im Fokus ihrer Betrachtungen. Dies geschah zum einen durch die Mitarbeit in wissenschaftlichen Institutionen, zum anderen in der Begegnung mit ausgewiesenen Wissenschaftlern.54 In den ersten Jahren in den Vereinigten Staaten waren es Studien bei Thorsten Sellin, die Marie Munks Auswertungen über die sozialen Hintergründe der Straffälligkeit schärften.55 Hintergrund der Straffälligkeit eines Menschen war und ist 51 52 53 54 55
Wer nicht sozialisiert ist, kann nicht resozialisiert werden. 4. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 7. 6. Kapitel, Ziffer I. Nr. 2. 5. Kapitel. 4. Kapitel, Ziffer I. Nr. 1.
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Schlussbetrachtung
seine Sozialisation, womit Marie Munk in den ersten Jahren ihres Wirkens in den
USA auf ihre ersten sozialwissenschaftlichen Forschungen aus ihrem Gastaufenthalt
der Jahre 1933 – 1934 zurückblicken konnte. Allerdings ging Marie Munk diesmal der Frage nach, wie der Staat die Rolle der Frau in der Familie und die Familie in der Gesellschaft für seine Zwecke nutzt. Konkret, wie der Nationalsozialismus beide, Frau und Familie, für seine menschenverachtenden diktatorischen Ziele vor der Demokratie gefangen hielt.56 Mit der Folge, dass aus Marie Munks soziologischer und sozialphilosophischer Aufarbeitung von Diktatur der Schluss gezogen werden muss, dass die Rolle der Frau und die Rolle der Familie in der Gesellschaft nicht nur als Keimzelle der Demokratie verstanden werden müssen, sondern dass das Postulat der Gerechtigkeit durch staatliche Einflüsse auf die Rolle der Frau in der Familie und dirigistische Einflüsse des Staates in die Familie hinein anti-demokratische Wirkungen auf die nachfolgenden Generationen haben muss.57 Diese werkwissenschaftliche Differenz Marie Munks wird in einem Vergleich zu Max Horkheimer und seiner Publika tion „Studien über Autorität und Familie“ sichtbar.58 Zugleich muss an dieser Stelle konstatiert werden, dass Marie Munk mit diesen analytischen Betrachtungen 59 ihre originäre Ethik über die Familienbeziehung (anknüpfend an Planck) in Eckpunkten in einem staatsphilosophischen Kontext fortführte. Mit ihrem Ansatz ist auch der interdisziplinären Frage nachzugehen, wie normative Ordnungen durch die Rolle der Frau in der Familie und in der Gesellschaft bereits entstehen und manifestiert werden können. Wenn ein historischer Weg von der sozialen Rolle der Frau in der Familie als Vorbild für zukünftige Generationen in die Wertvorstellung über die geschlechtsspezifische Rollenverteilung von Frau und Mann in einer Gesellschaft führt, so darf der Betrachter den Schluss aus den Ausführungen Marie Munks ziehen, dass in diesem historischen Weg die Grundlagen für die geschlechtsspezifische Gerechtigkeit von Frau und Mann in einer Gesellschaft angelegt sind. Diese Grundlagen können durch den Einfluss faschistischer Strömungen von staatlicher Seite beeinträchtigt, wenn nicht gar beseitigt oder durch demokratische Einflüsse vorbildlich befördert und gestärkt werden. Diese Erkenntnis begründete Munks Aufbauhilfe für Deutschland.60 Vor dem Hintergrund ihrer 56 4. Kapitel, Ziffer II. Nr. 1.2., Nr. 2.1. und Nr. 3. 57 Siehe insbesondere Marie Munks Erfahrung zur Juristengeneration im Nachkriegsdeutschland: 4. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 5.2. 58 4. Kapitel, Ziffer II. Nr. 3.1. 59 Siehe auch zu den Forschungsaufträgen und den Schriften: 6. Kapitel, Ziffer I. Nr. 1. sowie 7. Kapitel, Ziffer III. und Ziffer IV. 60 4. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 4.2.
Zusammenfassung: Leben und Werk in den USA
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transnationalen Untersuchungen, ihrem deutsch-amerikanischen Vergleich zu Wohlfahrt, Strafvollzug und der Frage, ob das amerikanische Rollenverständnis der Frau für Deutschland zu adaptieren sei,61 bestätigte Marie Munk den Einfluss des so bezeichneten historischen Wegs auch in seinen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Solidarität nach diktatorischem Unrecht in ihrem transna tionalen Urteil über die Beziehung der Deutschen und über die Beziehung der Amerikaner zu ihrem Staat.62 Darüber hinaus ruft die vorgenannte Erkenntnis Munks angesichts heutiger Problemlagen zwischen Frau, Familie, Volkswirtschaft und Beruf nicht nur monetäre staatliche Hilfen für Ehe und Familie auf den Plan, sondern erfordert neben dem Postulat der Freiheit auch das Erfordernis familienbefördernder Erkenntnis der in der Familie handelnden Akteure. Eine Lösung hierzu hat Marie Munk durch ihr Modell der Family Education angeboten, das sie aus Schweden adaptierte 63 und in ihrem leider unveröffentlicht gebliebenen Manuskript „Elements of Love and Marriage“ als Buch für interessierte Ehegatten und Sozialarbeiter zu vervollkommnen gesucht.64 Diesem Manuskript und ihrem Vorschlag einer Family Education gingen ihre Forschungen als Marriage Counselor voraus.65 Ihre Forschungen offenbarten erstmals, dass das Recht von seinem Postulat, alle nur erdenklichen Lebenssachverhalte zu regeln,66 weit entfernt war: “The law and the courts are helpmaids toward such ends, but not an end in themselves.”67 Dieser Satz bietet sich nicht nur für die Trennung und Scheidung der Ehegatten als richtig an. Die gesetzlichen Gründe einer Scheidung oder Trennung der Ehegatten waren mitnichten die wahren sozialen Gründe der ehelichen Wirk lichkeit,68 stellte Marie Munk schon damals fest. Der Anspruch des Gesetzgebers, durch das Recht krisenbehaftete Lebenssachverhalte, wie den Zerfall der Familie durch Trennung oder Scheidung, regeln zu können, war ein uneinlösbares Unterfangen, so die Erkenntnis Marie Munks. Den Gesetzgeber aus dieser Uneinlösbarkeit und die Ehegatten aus ihren hochstrittigen Ehekonflikten zu befreien, gedachte Marie Munk durch ihr Modell eines Counseling Service,69 zu befördern.
61 62 63 64 65 66 67 68 69
7. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 1.–Nr. 3., Nr. 5., Nr. 6. und Nr. 8. 4. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 6. 7. Kapitel, Ziffer VI. Nr. 7. und Ziffer VII. Nr. 3. 7. Kapitel, Ziffer VII. Nr. 8. 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2. 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2.2.1.–Nr. 2.2.4. Marie Munk, What are we heading? In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542. 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2.2. 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2.2.6.
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Schlussbetrachtung
In ihren Forschungen zeigte sich eine Differenz zur soziologischen Jurisprudenz und dem damals in Amerika umworbenen Therapeutischen Ansatz.70 Diese Differenz zeigte sich darin, dass Marie Munk weitere psychologische, soziale und medizinische Fachdisziplinen in persona zum ehelichen Streit mit hinzuzog, damit sich die Ehegatten aus ihrer Streitverstrickung lösen konnten. Ein Ziel, mit dem die rein auf das Recht konzentrierte Jurisprudenz nach dem Modell der Soziolo gischen Jurisprudenz überfordert gewesen wäre.71 Den Therapeutischen Ansatz kritisierte Max Rheinstein als langwieriges, erfolgloses Beratungsvorhaben. Seinen Argumenten begegnete Marie Munk mit einer frühzeitigen Beratung und Begleitung der Eheleute, bevor die Ehe vollends zerstört war.72 Es war nicht nur der Datenschutz, sondern das sich den sozialen und wahren Gründen für eine Scheidung der Ehegatten auf Dauer entziehende Scheidungsrecht, aufgrund dessen sich Marie Munk zu ihrem originären Modell eines Life Adjustment Center entschloss. Zuvorderst ging es ihr, wie aus ihren Weimarer Reformforderungen bereits bekannt,73 darum, den Eltern die aus ihrer ehelichen oder nichtehelichen Lebensgestaltung entspringende Verantwortung, aber zuvorderst die Verantwortung für ihre Kinder wieder zurückzugeben.74 Doch bei allem diversen wissenschaftlichen Wirken geriet das Recht Marie Munk nicht aus dem Blickfeld. Denn schließlich war es das Recht, dass sich mit seinen Regelungen diametral zur Einheit von Ehe und Familie stellte. Hinderlich auf die familiäre Einheit, wenn nicht gar zerstörend, wirkte, dass das Ehegüterrecht die Ehefrau nicht am ehelichen wirtschaftlichen Gewinn des gemeinsamen Wirtschaftens teilhaben ließ. Verstärkt in seiner Tendenz bewirkte amerikanisches, bundesstaatlich unterschied liches Recht, dass das zwischen den Ehegatten vereinbarte oder de lege lata geltende Ehegüterrecht bei einem Wohnsitzwechsel von einem Bundesstaat in einen anderen Bundesstaat außer Kraft gesetzt wurde. Mit verheerenden Folgen für das gemeinsam erzielte wirtschaftliche Ergebnis der Ehegatten. Darüber hinaus trieb ein uneinheitliches Recht die Ehegatten sowohl in seiner Binnenstruktur, bezogen auf die Rechtspersönlichkeit der Ehegatten untereinander, als auch in seiner bundesstaatlichen Nicht-Einheitlichkeit fortwährend zu Auseinandersetzungen. Diese entbrannten umso mehr in Rechtsfragen, die erst durch das Recht und seine un-einheitliche Struktur provoziert und somit der Streit unter den Ehegatten vonseiten des Gesetzgebers oktroyiert wurde. Sei es, dass der amerikanische Staatsbürger seine amerikanische Staatsbürgerschaft verlor, wenn er einen 70 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2.3. 71 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2.3.1. 72 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2.3.2. 73 Siehe Ziffer I. in diesem Kapitel; 2. Kapitel, Ziffer III, Nr. 7. 74 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 2.3.3. ; 7. Kapitel, Ziffer VII, Nr. 3, Nr. 4 und Nr. 5.
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Ausländer heiratete. Sei es, dass das Steuerrecht die Eheleute in einem nachteiligen wirtschaftlichen Ergebnis entzweite oder sei es, dass die Vorherrschaft eines Ehegatten, vornehmlich des männlichen, die Rechtspersönlichkeit des anderen Ehegatten bevorzugte.75 Vor d iesem Hintergrund entwickelte Marie Munk einen dreidimensionalen Ansatz, der in der Gesetzgebung berücksichtigt werden müsse: Recht habe eine begrenzte Haltbarkeit im Kontext des sozialen Wandels; Recht weise in der Regel eine Diskrepanz zur sozialen Wirklichkeit auf; Kulturhistorisch begründete, sozial anerkannte Verhaltensregeln und kulturhistorisch erwachsene grundsätzliche Prinzipien verbänden sich mit der gegenwärtigen Rechtswirklichkeit, sodass die Rechtspraxis fortlaufend verändert würde.76 “While laws are not a code of ethics, they give expression to the ethical standards of a people at a given period.”
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Diesem Ansatz geht die internationale Rechtspraxis erst in jüngster Zeit, insbesondere seit dem Fall der Mauer in Deutschland, bedingt durch die mannigfaltigen kulturellen verschiedenen Einflüsse aus dem Ausland auf Deutschland und Europa als Einwanderungsland nach. Marie Munk hingegen hat ihren Blick über den Zaun bereits in den späteren Jahren ihres Wirkens vervollkommnet. Mit einem Gesetzesvergleich über das Eherecht, das Ehegüterrecht, das Erbrecht und das Adoptionsrecht in Nord- und Südamerika öffnete Marie Munk der Jurisprudenz die Augen dafür, dass bereits die Bestimmungen über die Voraussetzungen zur Eheschließung, die sozialen Gründe für eine Ehescheidung, wie z. B. Unerfahrenheit, Erkrankungen, ethnische, kulturelle und sozioökonomische Diskrepanzen stützten.78 Wenn aber der Blick über den nationalen Zaun der Rechtswirklichkeit für die Gesetzgebung gelingen soll, so muss nach Ansicht von Marie Munk zunächst die amerikanische bundesuneinheitliche Rechtslage zum Scheidungsrecht vereinheitlicht werden.79 Flankierend zu ihren vorgenannten Reformüberlegungen hatte Marie Munk bereits 10 Jahre zuvor die Reform der Juristenausbildung und eine andere Struktur des Familiengerichts im Sinne einer eheerhaltenden Funktion eingefordert.80 Mit diesen 75 7. Kapitel, Ziffer V. Nr. 1., Nr. 2., Nr. 4. und Nr. 5. 76 7. Kapitel, Ziffer V. Nr. 5.5. 77 Part II, Legal Aspects of Marriage and Divorce, A. The Legal Approach in General, Chapter 13. Aims and Limitations of the Laws of Domestic Relations, p. 1 – 3, p. 1. In: Marie Munk, Elements of Love and Marriage, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 1 – 7. 78 6. Kapitel, Ziffer II. Nr. 3. 79 8. Kapitel, Ziffer II. 80 5. Kapitel, Ziffer I. Nr. 6.
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Schlussbetrachtung
konzeptionellen Überlegungen nahm Marie Munk die amerikanische und deutsche Gerichtsstrukturentwicklung für das Familienrecht um fast 50 Jahre vorweg. Angesichts dieser Fortschrittlichkeit in Leben und Werk Marie Munks wäre es erstaunlich, wenn nicht auch ihre Dissertation, obgleich das Promotionsthema nicht das vierte Buch des BGB von 1896 umfasste, zu neuen Gedanken anzuregen vermag. Auf den ersten Blick scheint der Streit um den hypothetischen Berufsweg im Berufsschadensausgleich für den Einzelfall Marie Munk in der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts abgeschlossen erörtert, festgelegt und entschieden zu sein. Auf den zweiten Blick bleibt für die Zwangsverkäufe die Alternative vermögensrecht licher Restitution oder Entschädigung zurück. Erst der dritte Blick auf Marie Munks Argumentation über die widerrechtliche Drohung nach § 123 BGB öffnet die Augen für ein Anfechtungsrecht für die scheinbar neutralen Rechtsgeschäfte, im Volksmund „Notverkäufe“ genannt. Gerade für den Fall, dass sich auf der Grundlage einer oder mehrerer öffentlich-rechtlicher Vorschriften jüdisches Vermögen im Interesse des Volkes gemeinwohlorientiert verwalten lässt. Zivilrechtliche Geschäfte sind neutral? Notverkäufe in Diktaturen ebenfalls? Eine wissenschaftlich anregende Frage, der die Autorin dieser Arbeit autobiografisch nachgegangen ist. Mit diesem Wort, „autobiografisch“, sei zugleich die Frage eröffnet, die sich in neuester Zeit im Umgang mit autobiografischen Unterlagen stellt: Können die in den Nachlässen Marie Munks enthaltenen Informationen für die noch junge Wissenschaft der Biografieforschung eröffnet werden?
III. Marie Munks autobiografischer Nachlass: Gegenstand der Biografieforschung? Ausgangspunkt der Verfasserin der vorliegenden Arbeit war Marie Munks Autobiografie. Hierzu ist nicht nur ihre Autobiografie aus ihrem Nachlass, sondern der gesamte autobiografische Nachlass nebst Schriften und Manuskripten einzubeziehen. Beides weist Unterschiede zu der herkömmlich bekannten Motivation der Autoren autobiografischer Texte auf.
1. Weibliche Autobiografien – zwei unterschiedliche Motivationen Ein „rundes Bild des Frauenlebens“ wird sich in autobiografischen Quellen niemals finden. Das stellte schon Marie Baum in ihrer im Jahre 1936 in der Zeitschrift
Autobiografischer Nachlass: Gegenstand der Biografieforschung?
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„Die Frau“ veröffentlichten Publikation „Frauen in der Geschichte der deutschen Autobiographie“81 fest. Demzufolge können im Allgemeinen in einer Autobiografie zwar alle persönlichen Ereignisse aus dem Leben der Autorin, aber nicht alle soziokulturellen weiblichen Ereignisse Eingang gefunden haben. Ja, es kann sogar sein, dass „Vorstellungen und Ziele […] der zeitgenössischen“ Kulturentwicklung gänzlich fehlen, wie zum Beispiel in Autobiografien von Arbeiterinnen „aus der Frühphase des Feminismus um die Jahrhundertwende“. Nur eins stand dort fest: „[I]n vielen Fällen entsprangen [d] ie autobiographischen Ambitionen […] einem starken Bedürfnis, sich selbst auszu drücken – ein Bedürfnis, das im Leben einer Frau normalerweise unbefriedigt bleibt.“82 Im Gegensatz hierzu sah Marie Munk ihre Lebenserinnerungen weniger als Form des persönlichen Ausdrucks, sondern als Grundlage für ihre Beschreibung der deutschen Frauenbewegung ihrer Zeit: “I wanted to use my own life only as a background for describing the German Feminist Movement in which I had taken an active part.”83
2. Die weibliche Autobiografie als Lebens- und Kulturgeschichte: Eine Differenz im weiblichen Sein Autobiografisches Schreiben setzt eine biografische „Vollständigkeit“ voraus, die Marianne Weber folgendermaßen umschrieb: „Nur wer in irgendeiner Weise auch in der außerpersönlichen Welt der Sachlichkeiten, Ideen und objektiven Werte Wurzeln schlägt, hat die Möglichkeit aus eigener Kraft leben zu lernen. Menschliche Vollständigkeit ist auch für die Frau Vorbedingung der Selbständigkeit.”84 Diese Selbstständigkeit in der weiblichen Biografie hatte auch Auswirkungen auf die weibliche Autobiografie, wie Marie Baum es zum Ausdruck brachte: „Zum Stummsein verurteilt bleiben zunächst alle, die unter einer bestimmten Bewußtseinsstufe stehend, die innere Freiheit zum Ergreifen der eignen Persönlichkeit noch nicht erlangten.“85
81 43/1936, Heft 11, S. 666 – 675, Zitat S. 674 sowie erster Teil Heft 7, S. 424 – 430. 82 Mary Jo Maynes, Feministische Ansätze in den Autobiographien von Arbeiterinnen, in: Ruth-Ellen B. Joeres und Annette Kuhn (Hg.), Frauen in der Geschichte VI – Frauen bilder und Frauenwirklichkeiten. Interdisziplinäre Studien zur Frauengeschichte des 18. Und 19. Jahrhunderts, Düsseldorf 1985, S. 164. 83 Marie Munk Nachlass im Helene Lange Archiv Maschinenschriftliches Skript Teil 1, Foreword, S. 1. 84 Marianne Weber, Das Problem der weiblichen Bestimmung, in: Elisabeth Altmann-Gottheiner (Hg.), Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine 1918, Berlin 1918, S. 96. 85 Marie Baum, Frauen in der Geschichte der deutschen Autobiographie, in: Die Frau, 43/1936, Heft 11, S. 674.
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Schlussbetrachtung
Autobiografie als „Selbstdarstellung setzt voraus, daß ich mein Selbst besitze, und zwar als dieses einmalige, so nicht wiederkehrende individuelle Ich.“86 Anderenfalls, so Marianne Weber, fand eine „Zerlegung des Lebens in Persönliches und Außerpersönliches“87, – und die Verfasserin möchte ergänzen – eine Trennung in eine Lebens- oder Kulturgeschichte statt. Es entstünde eine Biografie, wie Marianne Weber mahnte, ohne „Einheitlichkeit und Ganzheit des Seins.“88 Deshalb sind wichtig für eine Werkbiografie auf Basis autobiografischer Quellen in der genderrechtshistorischen Forschung: Frauen, die Marianne Weber als eine dem sachlichen Tun zugeneigte Frau umschrieb.89 Frauen, die Rechtskultur aktiv mitgestalteten: “The German Feminist Movement in which I had taken an active part”90, wie Marie Munk es für sich in ihrer Autobiografie bereits in ihrem wissenschaftlichen Wirken in Deutschland in Anspruch genommen hatte.
3. Das Problem wissenschaftlicher Erkenntnis aus einer Autobiografie oder die Frage nach der Differenz der Gültigkeit Wenn sich aus einer subjektiven Lebensgeschichte, verknüpft mit der objektiven Kultur, rechtshistorische und interdisziplinär-wissenschaftliche Erkenntnisse ergeben, setzt dies aber zunächst voraus, dass auch rein persönliche Lebensinhalte objektive Gültigkeit beanspruchen müssen. Marie Munk hat die hohen Anforderungen objektiver Gültigkeit schemenhaft erkannt, aber – wie aus dem Vorwort zu ihrem autobiografischen Manuskript erkennbar – nicht lösen können: “By trying to talk about myself as little as possible, my reminiscences became neither a scholarly description of the struggle for equal rights by German Women nor was it a biography.”91 Dieser Eigenart wissenschaftlicher Erkenntnis – genauer: dem damit auch verbundenen Problem der Objektivität – hatte sich Ernst Cassirer
86 Marie Baum, Frauen in der Geschichte der deutschen Autobiographie, in: Die Frau, 43/1936, Heft 7, S. 424. 87 Marianne Weber, Das Problem der weiblichen Bestimmung, in: Elisabeth Altmann-Gottheiner (Hg.), Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine 1918, Berlin 1918, S. 88. 88 Ebd. 89 Marianne Weber, Das Problem der weiblichen Bestimmung, in: Elisabeth Altmann-Gottheiner (Hg.), Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine 1918, Berlin 1918, S. 92. 90 Marie Munk Nachlass im Helene Lange Archiv Maschinenschriftliches Skript Teil 1, Foreword, S. 1. 91 Ebd.
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zugewandt.92 Er knüpfte an Kants Prolegomenon 93 an: „Empirische Urteile, sofern sie objektive Gültigkeit haben, sind Erfahrungsurteile; die aber, so nur subjektiv gültig sind, nenne ich bloße Wahrnehmungsurteile (Proleg. § 18). Was bisher eine Differenz des Seins bedeutete, [so Cassirer] das bedeutet somit jetzt eine Differenz der Gültigkeit.”94 Mit den wissenschaftlichen Erfahrungen der Autobiografin Munk eröffnen sich dem Betrachter sowohl die Kulturgeschichte der Frau als auch ihre kulturgeschichtliche Berechtigung im Recht, mit dem Recht und darüber hinaus in und mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Wobei allein Recht und Unrecht kulturgeschichtlich nicht nur einander bedingen, sondern im Sinne Cassirers die Frage nach der Differenz ihrer Gültigkeit provozieren, wie sich bereits in der jüdischen Herkunft Marie Munks bestätigen lässt.
4. Die wissenschaftliche Erkenntnis aus der jüdischen Herkunft Marie Munks Margarete Berent, eine Weggefährtin Marie Munks, machte deutlich: „Das jüdische Schicksal ist immer Teil eines Gesamtschicksals gewesen, und jüdische Geschichte kann nur verstanden werden aus der Weltgeschichte. Die Juden sind in den geschichtlichen Zusammenhang noch in einem anderen Sinn hineingestellt. Sie erfahren, was die anderen später auch erfahren werden. Es gibt kein Unrecht, das nur einem gilt.“95 Mit diesem historischen Urteil stellte Margarete Berent zum einen die Tatsachen von jüdischer Verfolgung und Emigration als eine subjektive Lebensgeschichte vieler Juden, zugleich als objektive Kulturgeschichte dar. Zum anderen wirkte darüber hinaus Margarete Berents Urteil auch im Sinne Cassirers objektiv, 92 Cassirer wird an dieser Stelle auch deshalb genannt, weil zu vermuten ist, dass er Frauen in der Wissenschaft sehr befürwortete. So berichtete seine Frau: „Das Bedford College for Women in London, an dem die bedeutende Philosophin Stebbing wirkte, machte Ernst zum Honorary Member des Colleges. Mancher Gelehrte hätte diese Ehre, als von einem Frauen college kommend, vielleicht nicht so wichtig genommen. Nicht so Ernst. Er freute sich mit dieser Anerkennung viel mehr, als wenn sie von einem der alten, ehrwürdigen Oxforder Colleges gekommen wäre. Den Grund hierfür konnte ich selbst nicht genau ergründen; es ist aber unzweifelhaft so gewesen.“ In: Toni Cassirer, Mein Leben mit Ernst Cassirer, S. 239. 93 Zur Auseinandersetzung um Kants Theorie der Erfahrung: vgl. Hermann Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, 4. Auflage, Berlin 1925. 94 Ernst Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft in der neueren Zeit, 3. Auflage, New Haven 1922, S. 664 – 670, S. 664. 95 Unter Bezug auf eine Ansprache von Leo Baeck, in: Margarete Berent, Jüdisches Schicksal – Leo Baeck über den Sinn der Opfer, in: Aufbau 12/1946, Heft 2, S. 17 und 18, S. 17. Hervorhebung nicht im Originalnicht im Original.
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Schlussbetrachtung
indem es diese Tatsachen (Verfolgung und Emigration) dem jüdischen Schicksal enthob. Die Worte, „[s]ie erfahren, was die anderen später auch erfahren. Es gibt kein Unrecht, das nur einem gilt“, kündigten an, dass Unrecht auf Gründen beruht, die für jedes Subjekt in gleicher Weise, also auch für andere Rechtsverhältnisse und gesellschaftliche Beziehungen gelten können. Somit waren in der Verfolgung und Emigration der jüdischen Bevölkerung nicht nur die Vorboten des Unrechts auch für nichtjüdische Bevölkerungskreise im Nationalsozialismus in ihrem Keim angelegt, sondern mit ihm zugleich der Samen dieser rechtshistorischen Erkenntnis eingebracht.
5. Wissenschaftliche Erkenntnis aus Gender: Erfahrung und/oder Werk? Für das genderrechtshistorische Erfahrungsurteil und damit letztendlich für ein Urteil von objektiver Gültigkeit verlangte Marianne Weber den „Schwerpunkt der Kulturbedeutung geistiger Frauenarbeit“. Was Marianne Weber hierunter verstand, das verdeutlichte sie mit den folgenden Worten: „Eine seelische Eigenart der Frau scheint ja darin zu bestehen, dass sich ihr Interesse und Verständnis allem Persön lich-Menschlichen unmittelbarer als den Objekten zuwendet. Wie die Mehrzahl ihrer wissenschaftlichen Arbeiten aus unsrer Epoche zeigen, wird ihr im allgemeinen erst das an ihr 96 und anderen e r l e b t e 97 Ereignis, dessen Zusammenhang mit 98 anderen Ereignissen sie scharfsinnig zu erforschen weiß.“99 Mit diesen Worten hatte Marianne Weber nicht nur Art und Weise einer Beteiligung der Frau an der objektiven Wissenschaft beschrieben. Vielmehr hatte sie durch die Worte „an ihr […] mit anderen Ereignissen“ persönliche Lebens- und objektive Kulturgeschichte derart verknüpft, dass zugleich mit den Verben „erforschen weiß“ ein biografisch- genderrechts-historischer Ansatz eröffnet wurde. Dieser Ansatz Marianne Webers wird in heutiger Zeit für die Biografieforschung fruchtbar gemacht, allerdings ohne auf Marianne Weber zu reflektieren. Marie Munk, um diesen Bezug zu Marianne Weber wieder aufzugreifen, hat auf die Stellung der Frau im Recht bezogen ihren Ausgangspunkt persönlicher Erfahrungen dergestalt zum Geschlecht genommen, wie sie sich während ihres beruflichen Werdegangs 96 97 98 99
Hervorhebung nicht im Original. Hervorhebung nicht im Original. Hervorhebung nicht im Original. Marianne Weber, Die Beteiligung der Frau an der Wissenschaft, in: dies., Frauenfragen und Frauengedanken, Tübingen 1919, S. 7. Gesperrte Hervorhebung im Original. Kursive Hervorhebung nicht im Original.
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in Deutschland als eine der ersten deutschen Juristinnen gemeinsam mit anderen Frauen des Deutschen Juristinnenvereins ihre berufliche Position und nicht zuletzt ihr Richteramt hatte erstreiten und erkämpfen müssen. In diesem Kontext versteht sich das Leben Marie Munks als das an ihr Erlebte, wie es zu einem Rechts- und Unrechtsinhalt in ihrem Werk wurde, und als der Teil, den Marie Munk durch die unterschiedlichsten Veröffentlichungen national und transatlantisch 100 objektiv erforscht hat. Ein zweiter Blick auf das Werk Marie Munks offenbart, dass sich Munks persönliche Erfahrung im Diskurs um die Ehe- und Familienrechtsreform der Weimarer Zeit und ganz besonders im wissenschaftlichen Diskurs um das amerikanische Ehe- und Familienrecht, auch und insbesondere, in anderen Fachwissenschaften nicht nur interdisziplinär, sondern im Sinne von Diversität gleichsam verwirklichte. Es wurde in Marie Munks Werk gerade nicht, „erst das an ihr 101 UND anderen [ E ] r l e b t e “102 zu einem erforschenden Ereignis, sondern ausschließlich das an „anderen Erlebte“ zu einem wissenschaftlich fachdisziplinübergreifenden Forschungsgegenstand. Es war das an ANDEREN Erlebte, was Marie Munk zur wissenschaftlichen Thematik mit ihrer folgenden Frage erhob: „What is justice?“ In d iesem geistigen Vorgang verschmolzen wissenschaftliches Werk und wissenschaftliche Erfahrung miteinander; es war dieses objektive Werk und Wirken, das Marie Munks wissenschaftliche Arbeit vorantrieb: “The law and the courts are helpmaids toward such ends, but not an end in themselves.”103 In d iesem wissenschaftlich fachdisziplin übergreifenden und mehrdimensionalen Ansatz hob sich Marie Munk nicht nur von den übrigen autobiografisch ambitionierten Schreiberinnen und Wissenschaftlerinnen ihrer Zeit ab, wie zum Beispiel Marie-Elisabeth Lüders 104 oder Frieda Duensing.105 Sondern in diesem geistigen Vorgang grenzte sich Marie Munk auch von dem genderrechtshistorischen Ansatz Marianne Webers ab.
6. Fazit zu Ziffer III Es verbleibt bei einer Sicht auf das Werk Marie Munks ihre rein objektive Heran gehensweise: Entscheidend ist der Mangel an einem höchstpersönlichen Bezug für 100 7. Kapitel, Ziffer VI. 101 Hervorhebung nicht im Original. 102 Marianne Weber, Die Beteiligung der Frau an der Wissenschaft, in: dies., Frauenfragen und Frauengedanken, Tübingen 1919, S. 7. Gesperrte Hervorhebung nicht im Original. Hervorhebung nicht im Originalnicht im Original. 103 Marie Munk, What are we heading? In: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3542. 104 Marie-Elisabeth Lüders, Fürchte Dich nicht. 105 Frieda Duensing: ein Buch der Erinnerung.
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Schlussbetrachtung
den Anlass ihrer Forschungen. Das verhindert zum einen, dass der Betrachter die objektiven von den subjektiven Inhalten des Werks mühevoll trennen und letztere kritisch betrachten muss. Zum anderen enthebt dieser feine Unterschied das Werk Marie Munks von der Gefahr, rein biografisch betrachtet werden zu können. Mit anderen Worten: Das Leben Marie Munks ist ihr wissenschaftliches Werk. Ihr Werk wäre kein Gegenstand für eine Biografieforschung. Marie Munk hat mit ihrem juristischen Werk die Tradition der deutschen Frauenbewegung im Umgang mit dem Recht, insbesondere den Umgang der ersten deutschen Juristinnen mit dem Recht, einem jüngst als „logic care“ charakterisierten 106 Ansatz enthoben. Das Wirken Marie Munks ist auch nicht mit einer männlichen juristischen Tätigkeit 107 zu vergleichen oder als Form menschlich-weiblicher Rechtspraxis 108 zu begreifen. Dies griffe zu kurz. Das Werk Marie Munks ging bereits in frühen Jahren in s einem rechtlichen Ansatz über das Recht hinaus. Ihre autobiografisch verfasste Leitfrage ihres Wirkens „What is justice?“ eröffnet rückblickend auf ihr wissenschaftliches Werk die Erkenntnis: Gleichheit bedingt Gleichberechtigung nicht. Erst die Differenz eröffnet, Unrecht durch Recht zu beseitigen. Der Schlüsselsatz in ihrem unveröffentlichten Manuskript „Elements of Love and Marriage“ am Ende ihres wissenschaftlichen Wirkens lautete: “The law and the courts are helpmaids toward such ends, but not an end in themselves.” Mit diesen Worten umschrieb sie ihr Lebenswerk in seinen sozialwissenschaftlichen, psycholo gischen und soziologischen rechtsübergreifenden interdisziplinären mehrdimen sionalen Bezügen. Ihr Leben als wissenschaftliches Werk ist „too ‘divers’”,109 wie ihr ein Literaturagent über ihr letztes Manuskript „Elements of Love and Marriage“ bescheinigte. Marie Munk war ihrer Zeit voraus, denn was Diversität in der Wissen schaft 110 sein könnte, dieser wissenschaftliche Umgang mit Nichtwissen wird erst in jüngster Zeit vertieft.
106 Marion Röwekamp, First Female Judges in the Weimar Republic in Germany, in: Ulrike Schultz und Gisela Shaw, Gender and Judging, Oxford and Portland Oregon 2013, p. 116. 107 Was auch immer einige weibliche Pragmatiker darunter verstehen mögen. 108 “[…] they also wants to reveal the ‘human side’ of the law and thus stressed the view propagated by the bourgeois women’s movement that women should work in the spirit of a caring or welfare morale”, in: Marion Röwekamp, First Female Judges in the Weimar Republic in Germany, in: Ulrike Schultz und Gisela Shaw, Gender and Judging, Oxford and Portland Oregon 2013, p. 116. 109 Notizen Marie Munks über ein Gespräch mit Mr. Stange, readers at Little Brown & Co., March 28, 1946, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 11 Folder 9. Hervorhebung nicht im Originalnicht im Original. 110 René Krempkow, Philipp Polenz und Nathalie Huber (Hg.), Diversity Management und Diversität in der Wissenschaft.
Schlusswort
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IV. Schlusswort Die vorliegende Arbeit versteht sich gleichsam als Beispiel für eine von Karin Hausen eingeforderte Nicht-Einheit der Geschichte 111 in Gestalt Marie Munks Lebens und ihres Werks als ihr originäres Programm. Damit schließt die vorliegende wissenschaftliche Arbeit über Leben und Werk Marie Munks an eine von der Verfasserin bereits vor Jahren erhobene Forderung an. Ein deutscher Wissenschaftler in Österreich erkannte den zaghaft vorgezeichneten Weg in einer früheren Arbeit der Autorin 112 der vorliegenden werkbiografischen Arbeit: dass „die Rechtswissenschaft ihren eigenen, aber auch interdisziplinären Beitrag leisten muss, damit Recht auf der Grundlage seiner rechtshistorischen Aufarbeitung zu einem Hebel der künftigen Verbesserung der rechtlichen und gesellschaftlichen Situation der Frauen und Männer wird“113. Zu mehr noch, zu einer Diversität in der Wissenschaft hat Marie Munk in ihrem Leben und mit ihrem Werk den Weg gewiesen. Am 17. Januar 1978 starb Marie Munk in Cambridge, Massachusetts.
111 Drei Säulen definiert Karin Hausen als Nicht-Einheit der Geschichte und damit als beispielhafte Ursache für die gegenwärtige Unzulänglichkeit des historiografischen Zuschnitts: Die geschlechterrollenspezifische Konstruktion, die Ordnung der Geschlechter auf der Grundlage überindividualistischer Denkmodelle, die gesellschaftliche geschlechtsspezifische Ordnung auf der Grundlage einer so bezeichneten vorgegebenen Normalität, in: Karin Hausen, Geschlechtergeschichte als Gesellschaftsgeschichte, Göttingen 2012, S. 371 – 391, S. 380 – 391. 112 Oda Cordes, Frauen als Wegbereiter des Rechts, S. 119. 113 Rezension Gerhard Köbler zu Oda Cordes, Frauen als Wegbereiter des Rechts. Die e rsten deutschen Juristinnen und ihre Reformforderungen in der Weimarer Republik, H amburg 2012, in: http://www.koeblergerhard.de/ZIER -HP /ZIER -HP -02 – 2012/CordesOda- FrauenalsWegbereiterdesRechts.htm (25. 02. 2014).
Die Marie-Munk-Büste und die Marie-Munk-Plakette
Helene Gans, die damalige Vorsitzende des Deutschen Frauenrings e. V. Berlin, plante gemeinsam mit anderen Mitgliedern im Jahre 1968/1969 eine Marie-Munk- Plakette als sogenannte Ehrengabe des Frauenrings zu initiieren.1 Ein Ausschuss „Frauenrechte/Menschenrechte“ des Deutschen Frauenrings e. V. Berlin sollte die Marie-Munk-Plakette an verdiente Frauen vergeben: „Als verdiente Frauen sollen nicht nur Juristinnen und Akademikerinnen gelten, die für Frauen rechte, sondern Frauen aller sozialen Schichten, die sich in ehrenamtlicher Arbeit […] für
Menschenrechte – Menschenpflichten – Frieden, für die Welt vorbehaltlos einsetzten. Daher der Wunsch der bedeutenden Juristin, über den Berliner Frauenbund 1945 symbolisch für viele 2
vorangegangene Vorkämpferinnen – in ihre Vaterstadt zurückzukehren.“
Munks Lebensweg sollte sich bei den aus Deutschland emigrierten und nach Deutschland zurückgekehrten Juristinnen und Akademikerinnen schließen. Die Medaille hatte einen Durchmesser von 7,4 cm, war auf der Vorderseite mit dem Profil Marie Munks und auf der Rückseite mit einem Text versehen. Eine Medaille wurde in der Berliner Leo Spik KG unter der Nr. 617 später (vermutlich zu Beginn des 21. Jahrhunderts) versteigert.3 Zu erwähnen ist noch eine Büste Marie Munks, deren Formteile aus einem Gipsmantel der Büste beschrieben worden sind.4 Es war womöglich Gertrude Müller-Munk im Jahre 1904, die diese Wachsbüste schuf. Aufbewahrt wurde die Büste bei Käthe Lindenau in Berlin.5 Marie Munk „wäre sehr stolz“ gewesen, „wenn die Büsten“ im Berlin Museum angenommen worden wären“6. Ob die Büste als Spende des Berliner Frauenbundes an das Berlin Museum in ihrem zerstörten Zustand abgegeben 1 Notizen ohne Datum, teils handschriftlich, teils in Maschinenschrift, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 6 Folder 10. 2 LAB B Rep 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3553. Hervorhebung nicht im Original. 3 http://www.leo-spik.de (15. 07. 2011). 4 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 1 Folder 7. 5 Schreiben von Käthe Lindenau an Marie Munk von 25. Februar 1969, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 6 Folder 25. 6 Schreiben von Marie Munk an unbekannten Adressat, 19. VIII. 76, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 5 Folder 10.
Die Marie-Munk-Büste und die Marie-Munk-Plakette
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wurde, geht aus den Nachlässen nicht hervor. Erika Rosenberg modellierte im Jahr 1976 die Büste neu 7, an der sich Marie Munk finanziell beteiligte.8
7 LAB B Rep 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3553. 8 Schreiben von Marie Munk an Frau Gans, March 23, 1976, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass. Box 4 Folder 11.
Bibliografie der Schriften von Marie Munk
Die folgende Bibliografie wurde deutschen und amerikanischen Bibliotheken, den Fachzeitschriften der Weimarer Zeit und den Fachzeitschriften der Nachkriegszeit in den USA in einem Abgleich mit dem Verzeichnis Marie Munks aus dem Nachlass im Sophia Smith College, Northampton (Massachusetts) sowie aus ihrer Briefkorrespondenz aus den Nachlässen in Deutschland und in den USA entnommen. Die von Marie Munk gefertigte Bibliografie enthielt nicht alle ihre wissenschaftlichen Arbeiten. Der bibliografische Fund konnte aus dem Bestand des Helene-Lange-Archivs des Landesarchivs Berlin ergänzt werden, weil Marie Munk im Frühjahr 1970 einige unveröffentlichte Manuskripte und Korrespondenz an Käthe Lindenau und an das Archiv des Bundes Deutscher Frauenvereine über den Berliner Frauenbund in Deutschland zur Aufbewahrung übersandt hatte. Diese unveröffentlichten Manuskripte wurden s päter an das Landesarchiv B erlin übergeben. Zusätzlich blieben unveröffentlichte Rechtsgutachten/Statements/ Reformforderungen und ähnliche Arbeiten Munks im Bestand des Sophia Smith Colleges und im Bestand des Helene-Lange-Archivs in Berlin erhalten. Darüber hinaus fanden sich einige Arbeiten aus der Weimarer Reform im Archivbestand der Deutschen Frauenbewegung und ihren Kommissionen, sowie Hinweise auf verloren gegangene oder verschollene Manuskripte in der Korrespondenz mit Literaturagenten und mit deutschen und amerikanischen Wissenschaftlern. Die Bibliografie knüpft an die biografischen Ereignisse, das Leben in Deutschland bis 1933, die Jahre nach der nationalsozialistischen Machtergreifung bis zur Emigration 1936 und an ihr veröffentlichtes Werk in den USA an. Der Fund unveröffentlichter Buch- und Aufsatzmanuskripte sowie ein aus der umfangreichen Briefkorrespondenz entnommenes Verzeichnis über nicht erhalten gebliebene Manuskripte und ein Verzeichnis über ihre Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Vereinen, Verbänden und Gremien schließen die Arbeit ab. A. Wissenschaftliche Arbeiten bis zur Entfernung aus dem Richteramt durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 I. Rechtsgutachten 1. Das Recht der Unehelichen, 1918. 2. Gesetzentwurf zur Beteiligung von Frauen als Schöffen und Geschworene, zusammen mit Margarete Berent, April 1920.
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3. Vorschläge zur Änderung des Familienrechts und verwandter Gebiete, zusammen mit Margarete Berent, Sommer 1921 für den Bund Deutscher Frauenvereine. 4. Ehescheidungsrecht , Materielles Recht, BGB § 1564 ff. als Anhang zu einem Schreiben an Marianne Weber vom 22. Oktober 1922. 5. Zum Ehescheidungsrecht auf der 15. Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine mit dem Ziel: Schutz der Frau und Mutter in der Gesetzgebung, in: Nachrichtenblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine, Jg. 7, Heft 9, 15. September 1927, S. 71. II. Berichterstattung für den Deutschen Juristentag 1. Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Berlin 1925, Gutachten zum Ehegüterrecht S. 339 – 344, Vortrag S. 369 – 380. III. Bücher in Deutschland 1. Die widerrechtliche Drohung des § 123 BGB in ihrem Verhältnis zu Erpressung und Nötigung, Dissertation, Bonn 1911. 2. Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts der Ehescheidung und der elterlichen Gewalt nebst Gesetzentwurf, Denkschrift des Bundes Deutscher Frauenvereine, Berlin 1923. 3. Recht und Rechtsverfolgung im Familienrecht. Eine gemeinverständliche Darstellung für Unterricht und Selbststudium nebst Repetitorium mit einem Geleitwort von Dr. Alice Salomon, Berlin 1929. 4. Die Juristin, Merkblätter für Berufsberatung, Berlin 1928, Neuausgabe Berlin 1929. IV. Aufsätze in deutschen Fachzeitschriften 1. Bürgerkunde an Frauenschulen, unter Berücksichtigung der Münchner Verhältnisse, in: Bayerische Lehrerinnen-Zeitung, 21. Jg., 1. November 1915, S. 149 – 150. 2. Bedingte Strafaussetzung und Begnadigung in Preußen, in: Die Frau, 24. Jg. Heft 8, Mai 1917, S. 466 – 469. 3. Die Stellung des unehelichen Kindes, in: Die Frauenfrage, 20. Jg. Heft 6, 1. Juni 1918, S. 42 – 44. 4. Verfahren bei der Anordnung der Fürsorgeerziehung durch das Jugendgericht, in: Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt, 15. Jg. April 1923–März 1924, S. 238. 5. Zur Umgestaltung des Rechts der Ehescheidung und der elterlichen Gewalt, in: Die Frau, 31. Jg., Heft 6, März 1924, S. 163 – 166.
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6. Die Frage der Ausbildung der Referendare, in: Deutsche Juristenzeitung, 29. Jg., Heft 17/18 vom 1. Sept. 1924, S. 727 – 728. 7. Die Umgestaltung des ehelichen Güterrechts, in: Die Frau, 32. Jg., Heft 2, November 1924, S. 39 – 44. 8. Die Reform des Ehescheidungsrechts, in: Die Neue Generation, Heft 12, Dezember 1924, S. 289 – 294. 9. Welche Richtlinien sind für die zukünftige Gestaltung des ehelichen Güterrechts aufzustellen?, in: Juristische Wochenschrift, 53. Jg. Heft 23, 1. Dezember 1924, S. 1816 – 1819. 10. Über Familienrecht, in: Reichsverband Deutscher Hausfrauenvereine e. V. (Hg.), Jahrbuch des Reichsverbandes Deutscher Hausfrauenvereine, Berlin Jg. 1925, S. 142 – 158. 11. Die juristische Ausbildung der Frauen, in: Deutsche Juristenzeitung, 30. Jg., Heft 3, 1. Februar 1925, S. 281 – 282. 12. Die elterliche Gewalt und ihre Reform, in: Juristische Wochenschrift, 54. Jg., Heft 4, 15. Februar 1925, S. 309 – 310. 13. Die zukünftige Gestaltung des Eherechts, in: Juristische Wochenschrift, 54. Jg., Heft 4, 15. Februar 1925, S. 336. 14. Die Schlüsselgewalt der Ehefrau, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 21. Jg. Heft 3, März 1925, S. 74 – 7 7. 15. Nochmals der Zahlungsbefehl des Rechtsanwalts, in: Deutsche Juristenzeitung, 30. Jg., Heft 8, 15. April 1925, S. 658 – 660. 16. Die strafrechtliche Behandlung der Frau, in: Deutsche Juristenzeitung, 30. Jg., Heft 16, 15. August 1925, S. 1277. 17. Mängel in der Wohnungswirtschaft für geschiedene Ehen, in: Die Frau, 32. Jg. Heft 12, 12. September 1925, S. 372 – 373. 18. Das eheliche Güterrecht und die Mitarbeit der Frau, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 21. Jg. Heft 11, November 1925, S. 332 – 334. 19. Die künftige Regelung der Rechte des unehelichen Kindes, in: Die Frau, 33. Jg. Heft 3, Dezember 1925, S. 150 – 156. 20. Die Rechte des ehelichen Kindes und seiner Eltern, in: Reichsverband Deutscher Hausfrauenvereine e. V. (Hg.), Jahrbuch des Reichsverbandes Deutscher Hausfrauenvereine, Berlin Jg. 1926, S. 108 – 117. 21. Der Gesetzentwurf über die unehelichen Kinder und die Annahme an Kindes Statt, in: Deutsche Juristenzeitung, 31. Jg., Heft 15, 1. August 1926, S. 1069 – 1074. 22. Die Reformbedürftigkeit des Ehescheidungsprozesses, in: Deutsche Juristenzeitung, 31. Jg., Heft 23, 1. Dezember 1926, S. 1682 – 1686. 23. Der strafrechtliche Schutz der Geschlechtsehre der Frau, in: Die Neue Generation, 23. Jg., Heft 1, Januar 1927, S. 9 – 12.
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24. Strafvollzug und Erziehung, in: Nachrichtenblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine, 7. Jg., Heft 2, Februar 1927, S. 15. 25. Frauen und Rechtskunde, in: Nachrichtenblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine, 7. Jg. Heft 3, März 1927, S. 23. 26. Der Ehebruch als Ehescheidungsgrund, in: Zeitschrift für Sexualwissenschaft, 14. Band, Heft 2, Mai 1927, S. 103 – 106. 27. Ist die strafrechtliche Verantwortung der Frau eine andere als die des Mannes?, in: Die Frau, 34. Jg. Heft 11, August 1927, S. 646 – 650. 28. Schutz der Kinder aus geschiedenen und zerrütteten Ehen, in: Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt, 19. Jg. Heft 7, Oktober 1927, S. 181 – 182. 29. Nochmals: Ist die strafrechtliche Verantwortung der Frau eine andere als die des Mannes?, in: Die Frau, 34. Jg. Heft 2, November 1927, S. 98 – 100. 30. Frauenwünsche zur Ehescheidungsreform, in: Deutsche Richterzeitung, 20. Jg., Heft 1, 15. Januar 1928, S. 15 – 18. 31. Das Lebensalter des Kindes in der Rechtsordnung, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 24. Jg., Heft 1, Januar 1928, S. 11, 14 – 17. 32. Vorschläge für eine Änderung des Strafverfahrens aus Anlaß des Hußmann-Prozesses, in: Die Frau, 36. Jg. Heft 3, Dezember 1928, S. 148 – 150. 33. Beruf und Ehe, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 15. Jg., Heft 11, 1. März 1929, S. 320 – 321. 34. Justizreform und amtsgerichtliches Verfahren, in: Deutsche Juristenzeitung, 34. Jg. Heft 22, 15. November 1929, S. 1537 – 1539. 35. Schwindelfirmen und Versäumnisverfahren, in: Deutsche Richterzeitung, 22. Jg. Heft 1, 15. Januar 1930, S. 21 – 22. 36. Der Gesetzentwurf über das Unehelichenrecht, in: Literatur-Beilage zur Deutschen Juristen-Zeitung, 35. Jg. Heft 6, 15. März 1930, S. 442. 37. Die Bedeutung der Internationalen Vereinigung berufstätiger Frauen und ihr erster internationaler Kongreß vom 26. bis 31. Juli 1931, in: Die Frau, 39. Jg. Heft 1, Oktober 1931, S. 43 – 46. 38. Inwiefern bedürfen die familienrechtlichen Vorschriften des BGB, mit Rücksicht auf den die Gleichberechtigung der Geschlechter aussprechenden Art. 119 Abs. 1 Satz 2 RV, einer Änderung?, in: Deutsche Richterzeitung, 23. Jg., Heft 8/9, 1. September 1931, S. 300 – 303. 39. Mängel gerichtlicher Zuständigkeitsbefugnisse im Kinderrecht, in: Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt, 23. Jg. Heft 10/11, Jan./ Febr. 1932, S. 370 – 373.
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40. Vaterschaftsfeststellung und Rassenfrage, in: Deutsche Juristenzeitung, 38. Jg., Heft 12, 15. Juni 1933, S. 834 – 835. V. Rezensionen in deutschen Fachzeitschriften 1. Zu Hans Tomforde, Das Recht des unehelichen Kindes und seiner Mutter im In- und Ausland, in: Deutsche Juristenzeitung, 30. Jg., Heft 15, 1. August 1925, S. 1201; zur 3. Auflage dieses Buches in: Deutsche Juristenzeitung, 37. Jg., Heft 5, 1. März 1932, S. 366. 2. Zu Hanna Scherpner-Drexel, Rechte unehelicher Kinder aus den Sozialgesetzen, in: Deutsche Juristenzeitung, 31. Jg., Heft 23, 1. Dezember 1926, S. 1719 – 1720. 3. Zu Max Marcuse, Die Ehe, in: Deutsche Juristenzeitung, 34. Jg., Heft 10, 15. Mai 1929, S. 721. 4. Zu Ernst Brandis, Der Gesetzentwurf über das Unehelichenrecht, in: Deutsche Juristenzeitung, 35. Jg., Heft 6, 15. März 1930, S. 442. 5. Zu Konrad Wedermann, Das deutsche Vormundschaftsrecht, in: Deutsche Juristenzeitung, 36. Jg., Heft 14, 15. Juli 1931, S. 969. VI. Staatliche Mitteilungsblätter und deutsche Zeitungen (ausgewählt im Zeitungsarchiv Westhafen/Berlin) 1. Neugestaltung des Eherechts, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 312, 5. Juni 1924, o. S. 2. Ehescheidung und Eheläuterung, in: Vossische Zeitung, 29. Juni 1924, o. S. 3. Die geschiedene Frau, in: Zeitbilder, Beilage zur Vossischen Zeitung 6. Juli 1924, o. S. 4. Portia im Alltag: Weibliche Schöffen und Geschworene, in: Der Bazar, 1925, S. 284. 5. Sind weibliche Schöffen und Geschworene, Richter und Anwälte notwendig und wünschenswert?, in: Staatsanzeiger 13. Mai 1926, o. S. 6. Gleichberechtigung im ehelichen Güterrecht, in: Düsseldorfer Nachrichten 19. November 1926, o. S. 7. Im Interesse der Reinheit der Ehe, in: Berliner Nachtausgabe 27. Januar 1927. 8. Eheschliessung und deutsche Staatsangehörigkeit, in: Deutsche Allgemeine Zeitung 5. März 1927, o. S. 9. Ist die Frau für den Richterberuf befähigt?, in: Dammert, Rudolph R. (Hg.), Tagesfragen. Arbeiten erster Autoren für Tageszeitungen, 10. März 1927, o. S.
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10. Was wir Frauen fordern. Elterliche, nicht väterliche Gewalt, in: Berliner Zeitung Nr. 176, 14. April 1927, o. S. 11. Um die Zukunft der Ehescheidung, in: Deutsche Allgemeine Zeitung 7. Oktober 1928, o. S. 12. Staatsbürgerliche Erziehung, in: Deutsche Allgemeine Zeitung 30. Dezember 1930, o. S. 13. Die Frau und das Recht, in: Berliner Zeitung am Mittag 22. Januar 1933, o. S. VII. Vortragsmanuskripte für Veranstaltung und Unterricht Mit Ausnahme der in den Fußnoten dieser Arbeit ausgewiesenen Ankündigungen aus gedruckten und ungedruckten Quellen sind keine Dokumente erhalten geblieben. VIII. Aufsätze in amerikanischen Zeitschriften 1. The Study of Law in Germany, in: Phi Delta Delta, 6. Jg. 1928, p. 74 – 7 7. B. Veröffentlichungen ab dem Jahr 1933 bis zur Emigration im Jahr 1936 Nach ihrer nationalsozialistischen Verfolgung hatte sich Marie Munk nach ihrem ersten USA -Besuch in den Jahren 1933 bis 1936 um wissenschaftliche Studien, wissenschaftliche Kontakte und um wissenschaftliche Tätigkeiten in den Vereinigten Staaten bemüht. Diese verarbeitete sie in transatlantischen Betrachtungen. Es folgten erste interdisziplinäre Forschungsversuche in unveröffentlichten Manuskripten. I. Aufsätze in amerikanischen Sammelbänden 1. The World As It Is And As It Could Be – Continued, in: National Council of Women of the United States, Report of the International Congress of Women. Including the Series of Round Table, July 16 – 22, 1933, New York 1933, p. 158 – 161. II. Aufsätze in amerikanischen Zeitschriften 1. Carrying the Olympic Torch through Six Countries, in: Quest, Vol. 6, No. 5, February 1936. III Zeitungsberichte/Interviews 1. Woman Judge. German Women Don’t Mind Being Told Place is in Home, says Jurist. In: New York Eve Post, June 26, 1933. 2. Scrapbook: Zeitungsberichte.
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IV. Unveröffentlichte wissenschaftliche Untersuchungen und Berichte 1. Probation and Parole System in Amerika (ca. 1933/34). 2. Die Fürsorgeerziehungsanstalt für Mädchen des Staates New York (ca. 1933/34). 3. Berufs-, Ausbildungs- und Erziehungsmethoden der Fürsorgeerziehungs-anstalt des Staates New York (New York State Training School for Girls in Hudson, N. Y.), ca. 1933/34. 4. Report on Club Activities in the New York State Training School for Girls, 1934. V. Vortragsmanuskripte 1. The Age Factor in the Employment of the Business and Professional Woman. Material presented at the Chicago Conference of the Business and Professional Women’s Clubs, July 1933. C. Veröffentlichungen in der Lebens- und Schaffenszeit in den USA (1936 – 1954) Mit dem Wohnsitz in den USA verstärkten sich die transatlantischen und interdisziplinären Konturen von Marie Munks Forschung durch den Kontakt zu emigrierten deutschen Wissenschaftlern anderer Disziplinen und durch die Mitarbeit in amerikanischen rechtspolitischen Verbänden, Vereinen und wissenschaftlichen Gremien, wie aus ihrer Bibliografie zu ersehen ist. I. Aufsätze in amerikanischen Zeitschriften 1. Child Care in Germany, in: Your Child in School and Work, in: Quarterly Journal of the Public Education and Child Labor Association of Pennsylvania, June 1937, No. 3, p. 8 – 11. 2. The Philosophy of Criminal Justice in the United States and in Germany, in: Prison Journal, July 1937, p. 349 – 357. 3. Legal Training in Germany, in: The Double Tau-Iota Tau Tau, in: The Double Tau, Vol. 9, No. 1, July 1938, p. 11 – 13, 30, 43 – 44. 4. Nazi Ideology and the Christian Church, in: Religion in Life, Autumn 1939 Vol. 8, No. 4, p. 483 – 496. 5. Husband and Wife and Their Property Rights in the Laws of Domestic Relations, in: LIVING, Vol. 2, No. 4, Autumn 1940, p. 93 – 99, 104. 6. The Forgotten Soldiers, in: Advance, August 1942, p. 373.
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7. (Mit Max Rheinstein:) The Family and the Law, in: Reports of Conference Committees, in: Marriage and Family Living, Vol. 7, No. 1, Feb. 1945, p. 13 – 14. 8. Putting the Brakes on Divorce, in: Survey, March 1946, p. 75 – 7 7. 9. Toward Success in Marriage, in: The Woman’s Press, Nov. 1947, p. 21 – 22. 10. Earnest Efforts of German Women Directed to Solving Problems of Na tion and World, in: The Christian Science Monitor, May 27, 1948, p. 11. 11. Do We Need Better Enoch Arden Laws?, in: Bar Bulletin, Vol. 19, No. 9, October 1948, p. 270 – 274. 12. Do We Need Better Enoch Arden Laws? In: Double Tau, Sept. 1949, p. 20 – 23. 13. Uniform Divorce Bill, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40, No. 1, Winter 1954, p. 3 – 5, 21 – 23. II. Rezensionen in amerikanischen Fachzeitschriften 1. Zu Clifford Kirkpatrick, Nazi Germany: Its Women and Family Life, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, May 1939, p. 212 – 213. 2. Zu Edmund Bergler, Unhappy Marriage and Divorce, in: Book Reviews, in: Survey Midmonthly, December 1946, p. 337. 3. Zu Wilhelm Püschel, Der Niedergang des Rechts im Dritten Reich, und zu Friedrich Buchwald, Gerechtes Recht, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Sciences, Peace Settlements of World War II, Philadelphia, May 1948, p. 218 – 219. D. Unveröffentlichtes Werk in der Schaffenszeit in den USA (1936 – 1961) I. Wissenschaftliche Untersuchungen, Rechtsgutachten, Sitzungs aufzeichnungen aus wissenschaftlichen Gremien sowie hieraus erbrachte Reformforderungen für den Rechtskreis der USA 1. Wissenschaftliche Untersuchung „A Study Concerning the Position of Women during the World War I and during the Reconstruction Period“, 1939/1940, für: International Federation of Business and Professional Women. 2. Proposals for Urgent Changes in the Law of Domestic Relations Toward Equal Rights for Women, für das Committee on Family Law in der National Association of Family Relations, 1940er-Jahre. 3. Wissenschaftliche Untersuchung zu Marriage Counseling, einschließ lich des Forderungskatalogs „The Function and Goal of Marriage
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Consultation“ und „Material on Marriage Counseling“ sowie dem „Code of the Marriage Counselor“, 1944. 4. Are you an alcoholic? 1944 (Fragebogen unvollständig). 5. The Family in War Time and in the Post War Period, 1944, Discussion Outline. 6. Code of the Marriage Counselor, 1944. 7. Statement to the National Conference of Family Relations, Committee on the Training of the Law for the Work of Marriage Counseling, 1944, p. 1 – 3. 8. Role of the Court of Domestic Relations, Chairman, Committee on the Family and the Law, 1944. 9. Recommendations, Committee on the Training of the Law for the Work of Marriage Counseling, 1944. 10. Summary of Experiences and Trainings, 1944. 11. Resolution: Marie Munk Chairman, Committee on the Family and the Law, June 19, 10 A. M. to 12 A. M., 1944. 12. (Nr. 5 bis 9: Sitzungsaufzeichnungen des Jahres 1944 der National Conference on Family Relations und ihrer Committees). 13. Report on Procedure of Division of Domestic Realtions and Juvenile Court of Cleveland, Ohio, June 29, 1944. 14. Sitzungsaufzeichnung mit dem Titel „Municipal Court of Chicago“, Besuch der National Conference on Family Relation, des Social Department und des Psychiatric Institute, July 21, 1944. 15. Wissenschaftlicher Bericht: Visit to the Lancaster School for Girls, Nov. 4, 1947. 16. A Comparative Study of Requirements Concerning the Solemnization of Marriage, 1953 – 1954, für die National Association of Women Lawyers, die sich an der 8. Conference of the Inter-American Bar Associa tion (IABA) vom 15. bis 22. März 1954 in Sao Paulo, Brasilien, beteiligen wollte. 17. Uniform Divorce Bill Suggestion, June 1954, in ihrer Eigenschaft als Honorary Member der National Association of Women Lawyers, in: Women Lawyers Journal, Vol. 40, No. 1 Winter 1954, p. 27. II. Übersetzungen deutscher Publikationen in das Amerikanische 1. Teile des Manuskripts der späteren Buchpublikation von Eugen Schiffer, Ein Leben für den Liberalismus (ca. 1950 – 1952).
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III. Manuskripte für wissenschaftliche Buchpublikationen 1. Family Law and Procedure, (auch als: Smith Family and the Law. Law and Procedure of Domestic Relations with Reform Proposals. Erhalten geblieben: Kapitel mit dem Titel: Personal Rights and Mutual Obliga tions of Husband and Wife), 1938 – 1940, 1942. 2. Marriage and the Law, 1940 – 1942. 3. Germany in the Past, America in the Present. Life in Two Continents by a Pioneer Woman Judge (Entwurfsfassung Autobiografisches Manuskript), vermutlich 1940er-Jahre. 4. Reminiscences of a Pioneer Woman Judge in Pre-Hitler Germany: The Rise and Fall of German Feminism, Autobiografisches Manuskript, 1941/1942. 5. Elements of Love and Marriage, 1945 – 1954. 6. Memoirs, Autobiografisches Manuskript, 1961. IV. Manuskripte für wissenschaftliche Aufsätze 1. A European Experiences American Hospitality, ca.1934. 2. Training Schools for Mothers in Germany, 1936, Vorentwurf der Manuskripte Nr. 6 und 7. 3. What are we heading?, 1937 – 1938. 4. Beruf-, Ausbildungs- und Erziehungsmethoden der Fürsorgeerziehungs anstalt des Staates New York, New York Training School for Girls, Hudson, N. Y., 1936 – 1938. 5. Ten Suggestions for American Friends of Immigrants, 1939. 6. The Family under Nazism, 1939. 7. The Family in Nazi Germany, 1939. 8. Family Lawyer, 1940. 9. Family under Nazism für Norman E. Himes um die Zeit des Kriegsbeitritts der USA. Vorfassungen dieses Manuskripts sind die Manuskripte mit dem Titel „The Family under Nazism“, „The Family in Nazi Germany“, 1939 und „Training Schools for Mothers in Germany“, 1936; siehe Nr. 2,6 und 7. 10. No More Forgotten Soldiers, Entwurfsfassung des Artikels: The Forgotten Soldiers, in: Advance, August 1942, p. 373. 11. Child Welfare in Nazi-Germany, a Challenge to America, 1942. 12. Nazism, a New Creed versus Christianity, 1942 – 1943. 13. Is Nazism a New Faith? 1942 – 1943. 14. Eheerziehung und Eheberatung, 1944. 15. Manuskript zur amerikanischen Juristenausbildung, 1944.
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16. Beware of Nazism as a New Creed in German Reconstruction, 1945 – 1950er-Jahre. 17. Salvage for Peace, ca. 1945 – 1950. 18. The Family in War Time and in the Post War Period, Thesenpapier, 1945 – 1950. 19. A New Approach Toward Homemaking, rewritten version by the editor of the Women’s Press; Vorversion des veröffentlichten Aufsatzes „Toward Success in Marriage“, Nov. 1947. 20. Where are we heading? Do we know our Goal and How to Achive it? 1950er-Jahre. 21. Modern Ambassadors, America Houses in Germany, 1950. 22. Americanization, 1950er-Jahre. 23. Family Stabilization in Sweden, 1950er-Jahre. 24. Education for Family Life in Sweden, 1950er-Jahre. 25. Welfare Legislation in Sweden, 1950er-Jahre. 26. Will Germany’s Participation in the Atlantic Pact Revive German Militarism? 1951. 27. Can Patriotism Demand the Violent Overthrow of the Government? Artikel über den Remer-Prozess, 1952. 28. New Waste in Salvage Drives, 1940er-Jahre, 1956. V. Rezensionen 1. Drei Rezensionen zu Eugen Schiffers Buch „Ein Leben für den Liberalismus“, ca. 1952. 2. Rezension zu Peter Anthony Bertoccis Buch „The Human Venture in Books, Loves and Marriage“, ca. 1950er Jahre. VI. Vortragsmanuskripte, Satzungsentwürfe für die deutsche Frauenbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg und Konzept zu einem Radiointerview in Deutschland 1. Notes for the Reporter, Konzept für ein Interview ohne Jahresangabe. 2. German Womenpower: Its Present and Future Role for Stabilization and Peace, Vortragsmanuskript anlässlich der Aufbauhilfe für Deutschland sowie Vortragsmanuskripte zu: 3. Was kann und was sollte die deutsche Frauenbewegung von Amerika lernen. 4. Die rechtliche Stellung der Frau in den USA, Juni 1950. 5. Das Familienleben in den USA. 6. Die Frau im Beruf in den Vereinigten Staaten. 7. Halbtagsarbeit von Frauen in den Vereinigten Staaten.
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8. Ehe und Elternrechte in den USA, am 28. Juni 1950 in Frankfurt am Main. 9. Nr. 2 – 7 in der Zeit von Juni bis August 1950, für den Katholischen Frauenbund in Bonn und in Flensburg sowie für die Arbeitstagung der weib lichen Juristen und Volkswirte am 24./25. 6. 1950. 10. Eheberatungsstellen und Festigung der Ehe. 11. Eheerziehung und Eheberatung statt Ehescheidung. 12. Satzungsentwürfe für die deutschen Frauenvereine und ihre Verbände, ca. 1950. VII. Interview in den USA 1. Interview mit Marie Munk, in: Oral History by Betty Eberhart, 1970er-Jahre. E. Nicht erhalten gebliebenes Werk in der Schaffenszeit in den USA (1936 – 1964 laut Angaben im Nachlass) I. Sitzungsaufzeichnungen und wissenschaftliche Untersuchungen 1. Report on the Women’s Department of House of Detention in Philadelphia (Pa.), 1936 – 1938, für: Pennsylvania Committee on Penal Affairs, Febr. 1938. 2. Wissenschaftliche Untersuchung „Civil Liberties under the Hitler Regime“, 1939/1940, aus der Korrespondenz folgernd vermutlich für United Associated Press. 3. Teile von Forschungsmaterial aus ihrer beruflichen Tätigkeit als Marriage Counselor, übersandt an Max Rheinstein, ca. 1944/45. 4. Thesenpapier „Model Code of the Law of Family Relations“ with Max Rheinstein im Committee in der National Conference on Family Rela tions, ca. 1945. II. Manuskripte für wissenschaftliche Aufsätze 1. Ehegüterrecht verheirateter Frauen, Beitrag für eine Publikation von Norman E. Himes, ca. 1942 – 44. 2. Is Your Marriage Perfect. 3. Ailing Marriages Can Be Cured. 4. Shall Our War Veterans Face Broken Homes. 5. Beware of Nazism. 6. Qualifications for Marriage. 7. Marriage Counseling of Broken Homes.
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8. Your Home Is Your Castle, Am I Not Entitled To My Husband’s Companion-Ship. 9. Anmerkung: Nr. 1 – 7 übergeben an eine Literaturagentin im Jahre 1945. III. Manuskripte für Rezensionen 1. Social Health Insurance for Mothers, Book Review, ohne Jahresangabe. IV. Vortragsmanuskripte für die USA 1. Criminal Court Procedure in Germany and the United States, Dec. 17, 1936, Temple University Philadelphia. 2. Vortrag über neue soziale Bewegungen in Deutschland: Die Jugendbewegung, für: Mühlenberg College, February 18, 1937. 3. Life in Germany and America – A Contrast, Indiana University, March 10, 1937. 4. Untitled, Hood College Bulletin, March 1939. 5. The European Situation. 6. Die Rechtssituation von Frauen im deutschen Bildungssystem und im deutschen Ehegüterrecht. 7. Die Rechtsstellung der Juristin in Deutschland. 8. Die Stellung der Frau im Ehegüterrecht in der Weimarer Zeit. 9. Rechtslage der Frauen im deutschen Scheidungsrecht und Ehegüterrecht. 10. Rasse-Probleme in Deutschland und die Unterwanderung der christ lichen Kirche im Vergleich zur amerikanischen Gesellschaft. 11. Anmerkung: Nr. 5 bis Nr. 10 für: Courses Offered, Club Programs Business and Professional Women’s Clubs und während der Lectures Trips der Carl Schurz Foundation, 1936 – 1941. 12. In What Respects Should the Laws of Marital Property be Amended? December 1940, Meeting der National Association on Family Relations. 13. Women Workers in Industry, Oct. 1944. V. Manuskripte zu Radiointerviews in den USA 1. Radio Talk on „Equal Rights of Married Women“, 1950. 2. Radio Talk Marie Munk, German Hour, Boston 1964. VI. Manuskripte für Vorträge und Radiointerviews in Deutschland 1. Familienleben in den USA, Juni 1950, für: Vortragsaufenthalt in der Badischen Region. 2. Rundfunkgespräch über „Gleiche Rechte für Frauen“, 1950.
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3. Laienmitwirkung in den Zivil- und Strafgerichten, Themenblatt 1950er- Jahre. 4. Stand der Sozialversicherung in den USA, Themenblatt, 1950er-Jahre. 5. Stellung der Mutter in den USA, 1950er-Jahre. 6. The Effective Use of Womanpower, ca. 1956. 7. Die steuerrechtlichen Auswirkungen des amerikanischen Güterrechts 1956. 8. Bericht über die Gruppe in den skandinavischen Ländern, in: Mitteilungen des Clubs berufstätiger Frauen, März 1961. F. Mitgliedschaften Marie Munks in wissenschaftlichen Vereinen und Gremien 1. Deutscher Juristinnenverein, 1914 – 1933. 2. Ehrenausschuss im Ausstellungsausschuss zur Ausstellung „Die Frau“ in Berlin, April 1933. 3. Deutscher Juristentag bis 1933. 4. Deutscher Anwaltsverein, 1924 – 1929. 5. Deutscher Akademikerinnenbund, ab 1926. 6. International Association of University Women, ab 1933. 7. American Association of University Women, ab 1938. 8. Ehrenmitglied der National Legal Sorority for Advancement of Women in the Legal Profession, ab 1938. 9. Massachusetts Bar Association. 10. American Bar Association. 11. National Association of Women Lawyers. 12. International Federation of Women Lawyers. 13. German Federation of Business and Professional Women. 14. American Federation of Business and Professional Women’s Club. 15. International Federation of Business and Professional Women. 16. League of Women Voters. 17. National Conference on Family Relations, hier auch Mitglied im Komitee „The Family and the Law“ und im „Committee on the Training of the Law for the Work of Marriage Counseling“ sowie „Committee on Family Law“ in der National Association of Family Relations, ab Dez. 1939.
Kompendium-Inhaltsübersicht Irmela (Anni) Ackermann ........................................................................... Jane Addams ................................................................................................ Anita (Theodora Johanna Sophie) Augspurg ............................................... Gertrud Bäumer .......................................................................................... Fritz Bauer . . ................................................................................................. Marie Baum . . ............................................................................................... Emmy Beckmann ........................................................................................ Alice Bensheimer ......................................................................................... Margarete Berent . . ....................................................................................... Marianne Beth . . ........................................................................................... Ernst Brandis . . ............................................................................................. Lily Braun . . .................................................................................................. Sophonisba Preston Breckinridge (genannt Nisba) . . .................................... Minna Cauer ............................................................................................... Cäcilie Dose . . ............................................................................................... John Edelheim ............................................................................................. Emma Elisabeth Ender . . .............................................................................. Felix Frankfurter . . ........................................................................................ Friedrich Wilhelm August Fröbel . . .............................................................. Henriette Fürth ........................................................................................... Sophie Goudstikker ..................................................................................... Max Hachenburg ......................................................................................... Maria Johanna Hagemeyer .......................................................................... Rudolf Henle ............................................................................................... Hans von Hentig ......................................................................................... Werner Otto von Hentig ............................................................................. Norman E. Himes .. ...................................................................................... Ignaz Emil von Hofmannsthal .. ................................................................... Camilla Jellinek .. .......................................................................................... Curt Joel ...................................................................................................... Wilhelm Kahl .............................................................................................. Alfred Karpen .............................................................................................. Robert Max Wassili Kempner ...................................................................... Louis Theodor Kipp ..................................................................................... Christian Jasper Klumker ............................................................................ Josef Kohler ................................................................................................. Aenne Kurowski .......................................................................................... Helene Lange .. ............................................................................................. Erna von Langsdorff .................................................................................... Otto Liebmann . . ..........................................................................................
776 781 784 788 790 791 793 796 797 802 808 811 812 814 816 817 818 821 825 827 830 831 835 836 838 841 843 843 844 846 848 850 850 852 854 856 859 861 863 864
Kompendium-Inhaltsübersicht
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Käthe Lindenau ........................................................................................... Karl Loewenstein . . ....................................................................................... Marie-Elisabeth Lüders .. ............................................................................. Anna Margarete Elisabeth Mayer . . .............................................................. Margarete Meseritz, verh. Edelheim, verh. Mühsam ................................... Clara (Klara) Mleinek .................................................................................. Mathilde Möller-Bing ................................................................................. Lina Morgenstern . . ...................................................................................... Gertrud Müller-Munk ................................................................................ Peter Müller-Munk ..................................................................................... Hans Muthesius .. ......................................................................................... Joseph Oegg . . ............................................................................................... Hilde Oppenheimer . . ................................................................................... Maria Otto .................................................................................................. Bertha Pappenheim ..................................................................................... John N. Patterson ........................................................................................ Leopold Perels ............................................................................................. Lena Madesin Phillips ................................................................................. Marie Raschke ............................................................................................. Emmy Rebstein-Metzger ............................................................................ Max Rheinstein ........................................................................................... Alice Salomon . . ............................................................................................ Elisabeth Selbert . . ........................................................................................ Lilli Sarah Seligsohn, geb. Werthauer .......................................................... Thorsten Sellin . . ........................................................................................... Eugen Schiffer ............................................................................................. Maria Magdalena Schoch ............................................................................ Gertrud Schubart-Fikentscher .................................................................... Walter C. Schwarz ....................................................................................... Henry Irvin Stahr ........................................................................................ Walter Strauß .............................................................................................. Negley K. Teeters ......................................................................................... Eduard Tigges ............................................................................................. Erich Volkmar .. ............................................................................................ Marianne Weber .......................................................................................... Alix Westerkamp ......................................................................................... Alfred Ludwig Wieruszowski ...................................................................... Emmy Wolff ................................................................................................ Frieda Wunderlich .......................................................................................
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Kompendium der persönlichen Begegnungen mit Marie Munk
Irmela (Anni) Ackermann Nach Auffassung von Irmela (Anni) Ackermann gelangten „alle die geistigen, politischen und wirtschaftlichen Erscheinungen wiederum zum Ausdruck in den Auffassungen des Rechts und über das Recht und empfangen am Ende ihren Niederschlag in den gesetz lichen Kodifizierungen“ (Ackermann, S. 169). Diese Worte von Irmela Ackermann beschreiben, wie der gesellschaftliche Wandel das Recht verändert. Diesem Wandel war Irmela Ackermann in der wichtigsten beruflichen Zeit ihres Lebens ausgesetzt. Für Ackermann war das Recht „kein starres Ding, sondern in lebendiger Entwicklung dem Strome des Lebens anheimgegeben. Aber seine Funktion ist dahin ausgerichtet, die Ordnung zu schaffen, in der und nach der sich der Ausgleich, der gerechte Ausgleich der divergierenden Richtungen in dem Wechsel der Tagfolge vollziehen kann“ (Ackermann, S. 170). Mit diesen Worten des Ausblicks beendete Irmela Ackermann, genannt Anni, ihre Dissertation, die sie an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock bei Prof. Hallstein im Jahre 1935 als Referendarin vorlegte. In ihrer wissenschaftlichen Studie mit dem Titel „Die AG als Gesellschaft und Körperschaft, rechtsvergleichend dargestellt“ setzte sich Ackermann mit dem romanischen (Ackermann, S. 2 – 47), dem angloamerikanischen (Ackermann, S. 48 – 106) und dem deutschen (Ackermann, S. 107 – 168) Gesellschaftsrecht auseinander. Nicht nur das Thema, auch das 14-seitige, mehrsprachige Literaturverzeichnis zeigt, dass es sich um ein Novum wissenschaftlicher Arbeit zu damaliger Zeit handelte. Schließlich war es gerade zwei Jahre her, dass Hitler die Macht in Deutschland ergriffen hatte. Irmela (Anni) Ackermann beschränkte sich in ihrer Dissertation „auf die Merkmale der monistischen und der dualistischen Gesellschaftstheorie“. In diesem Ansatz lassen sich rechtssoziologische Bezüge erkennen, wie das Literaturverzeichnis mit dem Hinweis auf Max Weber (Wirtschaft und Gesellschaft) beweist. Irmela (Anni) Ackermann verbrachte eine Station ihres Referendariats bei dem in Rostock lebenden Richter Josephy. Mit ihm und seiner Familie blieb Ackermann auch noch nach Josephys Umzug nach Berlin freundschaftlich verbunden. Bis zur Deportation nach There sienstadt pflegte Anni Ackermann in Berlin zu ihm und seiner Familie den persönlichen Kontakt. Die kleine Tochter Josephys wurde noch rechtzeitig nach England verbracht. Josephy und seine Frau wurden in Theresienstadt umgebracht (Ackermann in einem Brief an Munk am 11. April 1948). Sie berichtete über ihren weiteren Berufsweg an Marie Munk: „Ich war bis Ende 1940 in der Reichsstelle ‚Chemie‘ tätig, zuletzt als Mitarbeiterin des einen
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Direktors. Am 1.1.41 trat ich als juristische Sachbearbeiterin bei dem Reichskommissar für Preisbildung ein. Dort blieb ich bis zu den Tagen des Zusammenbruchs. Trotzdem man mich an sich sehr loyal behandelte und mir intern recht verantwortungsvolle Arbeit übertrug, war ein Vorwärtskommen unter den gegebenen Bedingungen ausgeschlossen. In jenen Jahren versuchten 2 oberste Reichsbehörden – meine Dienststelle, der Reichskommissar für Preisbildung, sowie eine andere Reichsbehörde – mich als Regierungsrätin zu übernehmen. In beiden Fällen lehnte das Reichsinnenministerium seine Zustimmung mit der Maßgabe ab, dass ich als Frau und Nicht-PG. unter keinen Umständen verbeamtisiert werden könne. Das war natürlich eine starke innere Belastung, da ich mich mit solcher inneren Einsatzbereitschaft dem gewählten Beruf zugewandt hatte, und ich bin irgendwie schon damals alt daran geworden. Dennoch habe ich es nicht vermocht, um des Vorteils wegen der Partei beizutreten. Damit wollte ich die – wie man mir ausmalte – gesicherte Zukunft nicht erkaufen. So bin ich dann – als politisch einwandfrei – unmittelbar wieder übernommen worden, als im vorigen Sommer bald nach dem Zusammenbruch die Preisinstanz, wenn auch in abgewandelter Form als Preisamt bei dem Magistrat der Stadt Berlin, wiedererstand. […] Am 1. Juli ds. J. bin ich aus dem Dienst als Justitiarin bei dem Magistrat der Stadt ausgeschieden und der Einberufung zur Oberregierungsrätin, jetzt Oberjustizrat, bei der Zentralverwaltung Justiz gefolgt. Man wollte mich dort schon seit vorigem Herbst hinziehen. Ich konnte mich jedoch zunächst noch nicht entschließen, den alten Betrieb in der schwierigen Anlaufzeit im Stich zu lassen. Es setzte auch viele Schwierigkeiten, mich dort zu lösen, und noch jetzt kommt oft eine Bitte um Rat des alten Chefs. In der neuen Dienststelle ist man mir sehr freundlich entgegen gekommen, Excellenz Schiffer, den ich seinerzeit an einem sonnigen Sommer-Sontag 1931 bei Ihnen kennenlernen durfte, begegnet mir sehr gütig. Er hat mich auch unendlich freundlich in sein Haus gezogen. So verlebte ich neulich eine sehr hübsche Theestunde bei ihm und seiner sehr liebenswürdigen Tochter, mit der ich ebenfalls die alte Bekanntschaft aus Ihrem Hause erneuerte“ (Brief vom 9. Nov. 1946). Anni Ackermann blieb Marie Munk herzlich zugewandt. Marie Munk war auf respektvolle Distanz bedacht. Anni Ackermann siezte Marie Munk und verwendete die Anrede: „Mein liebstes Doktorle!“ oder „Mein liebes, gutes Doktorle!“ (Briefwechsel Ackermann/ Munk aus den Jahren 1946 bis 1949). Marie Munk unterrichtete Rechtskunde in der Frauenschule in Berlin, als sie der Schülerin Anni Ackermann im Jahr 1928 begegnete: „19 Jahre sind es in diesen Tagen, dass wir uns erstmalig in der Frauenschule begegneten und ich Ihnen meine jugendliche Begeisterung zuwandte, aus der die warme Herzlichkeit dieser Tage erwachsen ist“ (Ackermann in einem Brief an Munk am 17. April 1947). Die innige Beziehung, die Anni Ackermann zu Marie Munk empfand, begleitete sie auf ihrem weiteren Berufsweg. Nach dem zweiten Weltkrieg pflegte sie die alten Bekanntschaften Marie Munks, die sie auf ihrem weiteren beruflichen Weg begleiteten: „Schliesslich füge ich noch hinzu, weil ich weiß, dass Sie es interessiert, dass ich neulich ein außerordentlich günstiges Angebot von einer anderen großen Dienststelle, an die mich ein früherer Chef, der dort Präsident geworden ist, berufen wollte, abgelehnt habe. Ich bin eben trotz der Versuchung, Exc. und meinem derzeitigen Abteil. Direktor (Rosenthal-Pelldram), der mich auf Grund alter guter Arbeitsbekanntschaft hierher nachgezogen hat, treu geblieben, muss
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dabei ehrlich gestehen, dass mich die persönliche Anhänglichkeit an uns, gütigen alten Herrn [gemeint ist Eugen Schiffer] nicht zuletzt zum Bleiben bewogen hat“ (Ackermann in einem Brief an Munk am 25. April 1947). Eugen Schiffer war in diesen Jahren Chef der Deutschen Justizverwaltung in der sowjetisch besetzten Zone (DJV). Die DJV hatte nicht nur mit der Kriegsfolge mangelnden juristischen Nachwuchses zu kämpfen, sondern darüber hinaus das Gerichtssystem neu zu ordnen, die Ausbildung und Rekrutierung junger Juristen voran und Rechtsreformen auf den Weg zu bringen. Vor allen Dingen hatte sie die Wiedereinführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Reform des Strafvollzugs zu etablieren (Wentker, S. 79 – 222). Die Personalstatistik der Deutschen Justizverwaltung nach dem Stand vom 1. Oktober 1947 führte in ihrer sozialen Herkunft ihrer Mitarbeiter bis zu 50 % Personal aus der Beamtenlaufbahn der Weimarer Zeit. Hiervon hatten 25,2 % eine Hochschulausbildung absolviert und 23,3 % eine Höhere Schule besucht (Bundesarchiv DP/1/1009, Bl. 2 d. A.). Wichtige Voraussetzungen, um die Justiz- und Rechtsreform in den schwierigen Nachkriegszeiten voranbringen zu können. Allerdings war die Versorgung im Ostsektor schlechter als im Westsektor. Das wirkte sich auch auf die gebildeten Mitarbeiter der Deutschen Justizverwaltung aus. Der Vorsitzende des Betriebsrats berichtete an den Herrn Amtschef (den Verwaltungsdirektor) am 16. Februar 1948, dass Mitarbeiter zusätzliche Tagesrationen bei der Essensausgabe beiseitegeschafft hatten (Bundesarchiv DP/1/1009, Bl. 174 d. A.). Solche Verhaltensweisen waren symptomatisch für die schwierige Situation, in der sich die Mitarbeiter der DJV befanden. Ein Zusammenhalt konnte nur ideologisch oder politisch durchgesetzt werden. Das erforderte einen starken Personalchef, der auch das Vertrauen der SMAD-Rechtsabteilung genoss. In der Vierteljährlichen Berichterstattung an das Ministerium des Innern – Hauptabteilung Personal vom 30. April 1950 wurde bekannt gemacht, dass die Abteilung 1 – Personal bis zum 31. Dezember 1949 von Hilde Benjamin geleitet wurde (Bundesarchiv DP/1/1009, Bl. 116 – 118, S. 117 d. A.). Hilde Benjamin wurde später Professorin an der Hochschule Potsdam-Babelsberg, höchste Richterin der DDR und Justizministerin der DDR. Sie war überzeugte Kommunistin. Die Entlassungen einer Vielzahl der Mitarbeiter der Jahre 1948 und 1949 trugen Benjamins Handschrift. Diese Entscheidungen glichen einer politischen Säuberung und nahmen die justizpolitische Offensive der SED in den politischen Funktionsämtern der Deutschen Justizverwaltung vorweg. Hierbei erhielten die SED-Anhänger Unterstützung durch die SMAD-Rechtsabteilung. Bereits im Juni 1948 wurde der Chef Irmela Ackermann, der SPD nahestehende Abteilungsleiter Rosenthal-Pelldram, mit der Begründung, er habe an den Strafmethoden des Hitlerregimes unmittelbaren Anteil gehabt, entlassen. Eugen Schiffer hatte diese Entlassungen nach einem Befehl der SMAD-Rechtsabteilung unmittelbar umzusetzen (Wentker, S. 253). Nach einem Verzeichnis aus den Akten der DJV setzten sich diese Diskriminierungen fort bis auf die Mitarbeiterebene. Nach der dort erhalten gebliebenen Liste, der seit 1945 ausgeschiedenen Angehörigen der DJV, schied Dr. Irmela Ackermann, Berlin W. 50, Ansbacher Str. 49, Dienststellung Vortragender Rat, am 15. 1. 1949 auf eigenen Wunsch aus. Gleichwohl wird ein zusätzlicher Grund ihres Ausscheidens genannt: „nicht mehr geeignet“ (Bundesarchiv DP/1/1009, Bl. 66 d. A.). Ackermanns Aufgabengebiete waren politisch wichtig. In der Zeit von Dez. 1946 bis Juni 1947 prüfte sie gemeinsam mit Elsa Koffka für die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung das
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Jugendfilm-Programm der SBZ. Beide Frauen waren verantwortlich für die Novellierung der gesetzlichen Bestimmungen des Jugendschutzes. Ackermanns gesetzliche Reformvorschläge wurden ideologisch rezensiert (Bundesarchiv DP/1/6939). Zum Zeitpunkt ihrer Entlassung gehörte Irmela Ackermann der Abteilung I, „Organisation, Statistik“, an, als deren Leiter Rosenthal-Pelldram eingesetzt war. Rosenthal-Pelldram hatte zugleich die Funktion des Generalreferenten des Chefs der Deutschen Justizverwaltung, Eugen Schiffer, innegehabt. Schiffer wurde später ebenfalls zur Aufgabe seiner Tätigkeit gedrängt. Nicht nur die organisatorische und vertrauensvoll-persönliche Verbindung z wischen Ackermann, Schiffer und Rosethal-Pelldram waren Grund genug für eine Entfernung von Irmela Ackermann aus ihren Funktionen, sondern auch die politische Funktion ihrer weiteren Aufgaben gebiete. Irmela Ackermann war Vertreterin für den Aufgabenbereich „Gerichtsorganisa tion, Aufbau und Überwachung der Gerichtsorganisation“. Darüber hinaus oblag ihr als eigenverantwortlicher Aufgabenbereich die „Aufstellung und ständige Überprüfung des Deliktenverzeichnisses für die Kriminalstatistik sowie die juristische Beratung des Statis tischen Zentralamts bei der Aufbereitung des Zählkartenergebnisses. In der Abteilung III, „Tätigkeit der Gerichte und der Staatsanwaltschaften“, oblag Ackermann der Aufgabenbereich „Preisrecht“ unter der Abteilungsführung von Dr. Winkelmann (Bundesarchiv DP/1/7677: Geschäftsverteilungsplan – Stand: 1. Januar 1948 – Deutsche Justizverwaltung der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland, Berlin NW 7, Dorotheenstraße 49 – 52 S. 3, 4 und 7. Alles in allem Aufgabengebiete, die für die spätere DDR gesellschaftliche Erfolge oder Misserfolge belegen konnten. Irmela Ackermann wurde zu ihrer Kündigung gedrängt. Dies ergibt sich aus einer weiteren Entlassungsliste, in der sie verzeichnet war. Hinter den Namen dieser Liste war handschriftlich vermerkt, „wollte politisch nicht mehr mit“ oder „Westen“ oder „krank“ oder „kriminell Westen“ oder „Verdacht von Unregelmäßigkeiten“ und der Vermerk „SPD“ hinter den Mitarbeiternamen. Nur bei den wenigsten Personen gab es Hinweise auf eine andere dienstliche Verwendung, wie zum Beispiel den Vermerk „Übernahme in Strafvollz. Dienst des Landes Thüringen“ oder „Auf Wunsch Rechtsabt. der SMAD“ oder „Anordnung der Rechtsabt. der SMAD“ (Bundesarchiv DP/1/1009, Bl. 66 – 7 1 d. A.). Die politisch motivierten Personalentscheidungen dieser frühen Nachkriegsjahre schwächten die DJV. Es kam hinzu, dass etliche Mitarbeiter der DJV ihren Wohnsitz nach wie vor im Westteil von Berlin hatten. Damit weitere Entwicklungen nicht als politische Schwäche in der sowjetisch besetzten Zone erkennbar wurden, erging am 17. August 1949 eine Weisung an die Betriebsgewerkschaftsleitung der DJV, dass alle Mitarbeiter aufgefordert seien, in der SBZ ihren Wohnsitz zu nehmen. Mitarbeiter in wichtigen Funktionen und mit politischem Aufgabenkreis seien verpflichtet, überzusiedeln. Etliche Mitarbeiter hätten bereits unter Angabe von Gründen oder grundlos eine Übersiedlung abgelehnt. Im Falle der Weigerung sei eine Weiterbeschäftigung dieser Mitarbeiter nicht länger zu verantworten: „Die DJV sieht sich daher gezwungen, infolge dieser notwendig gewordenen innerbetrieblichen Maßnahmen folgenden Mitarbeitern mit einer Frist von 6 Wochen, zum 30. 9. 1949, zu kündigen“ (Bundesarchiv DP/1/1009, Bl. 180 d. A.). Mit diesen personalpolitischen Säuberungslisten veränderte sich auch der Personalbestand der Deutschen Justizverwaltung. Der Arbeitsbericht für das III. Q uartal 1950 vom 6. Oktober 1950 weist
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eine geringe Zahl in Verwaltung und Recht erfahrene Mitarbeiter aus (unter 10 Prozent, Bundesarchiv DP/1/1009, Bl. 153 – 157, S. 153 d. A.). Eine Stelle des Oberreferenten Personal, drei Personen, die als Hauptreferenten der Hauptabteilung Gesetzgebung und ein Hauptreferent der Hauptabteilung Strafvollzug blieben unbesetzt (Bundesarchiv DP/1/1009, Bl. 155 d. A.). Ebenso blieb die zentrale Funktionsstelle für die Erneuerung des Rechtswesens unbesetzt. Ab dem Jahr 1951 wurden die wichtigen allgemeinbildenden Voraussetzungen für juristische Tätigkeiten in der Deutschen Justizverwaltung nicht mehr statistisch erfasst und Mitarbeiter mit einem humanistischen Bildungshintergrund waren nicht mehr vorhanden. Zugleich fand eine Überprüfung und Neuordnung der Personalakten nach den Richtlinien des Ministeriums des Innern der Deutschen Demokratischen Republik bis zum 31. Juli 1950 statt. Der Stellen- und Strukturplan wurde für 1951 neu aufgestellt. Die personalpolitische Säuberung griff bis in die Landesbezirke hinein. Entlassenes Personal der DJV wurde bis in die weitere Berufsausübung hinein persönlich verfolgt. So wird von einem aus politischen Gründen entlassenen Juristen der DJV berichtet, der sich als Rechtsanwalt in Thüringen niederließ und s päter wegen der zahlreichen unbesetzten Richterstellen in den östlichen Ländern in den richterlichen Ehrendienst in Thüringen übernommen worden war. Die Landesregierung Thüringen wurde durch die DJV aufgefordert, ihn aus dem richterlichen Ehrendienst sofort heraus zunehmen (Bundesarchiv DP/1/1009, Bl. 156 d. A.). Irmela Ackermann wurde im Jahr 1952 als Landgerichtsrätin zur Hilfsrichterin an das Kammergericht berufen (Mitteilungen, Juristische Rundschau, Jan. 1952, Heft 11, S. 452). Im Jahr 1953 wurde sie zur Kammergerichtsrätin ernannt (Mitteilungen, Juristische Rundschau, Jan. 1953, Heft 7, S. 274). Weitere Informationen über Irmela Ackermann sind nicht bekannt. Quellen: Irmela Ackermann, Die AG als Gesellschaft und Körperschaft, rechtsvergleichend dargestellt, Diss. Rostock 1935; Schreiben von Anni Ackermann an Marie Munk vom 11. April 1948, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3517; Schreiben von Anni Ackermann an Marie Munk vom 9. Nov. 1946, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3516; Briefwechsel zwischen Anni Ackermann und Marie Munk aus den Jahren 1946 bis 1949, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3516 bis 3518; Schreiben von Anni Ackermann an Marie Munk vom 17. April 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3516; Schreiben von Anni Ackermann an Marie Munk vom 25. April 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3517; Bundesarchiv DP/1/1009; Bundesarchiv DP/1/7677: Geschäftsverteilungsplan – Stand: 1. Januar 1948 – Deutsche Justizverwaltung der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland, Berlin NW 7, Dorotheenstraße 49 – 52; Bundesarchiv DP/1/6939; Mitteilungen, Juristische Rundschau, 6/1952, Heft 11, S. 452; Mitteilungen, Juristische Rundschau, 7/1953, Heft 7, S. 274; Hermann Wentker, Justiz in der SBZ/DDR 1945 – 1953. Transformation und Rolle ihrer zentralen Institutionen, München 2001.
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Jane Addams „Frauen, die Männer zur Welt gebracht haben und sie aufgezogen haben, bis sie das kampffähige Alter erreichen, müssen ganz besonderen Abscheu empfinden, wenn sie deren Vernichtung erleben, ganz egal, in welchem Land diese Männer geboren wurden“ (Gruber, S. 177). Das sind entschiedene Worte der „gefährlichsten Frau Amerikas“ (Gruber, S. 171), ausgesprochen zu dem Zeitpunkt, als sich die Vereinigten Staaten von Amerika am Ersten Weltkrieg beteiligten. Jane Addams wurde am 6. September 1860 als Tochter des Mühlenbesitzers und Senators der republikanischen Partei des Staates Illinois (1854 – 1870), John Huy Addams(1822 – 1881), geboren. Sie hatte acht Geschwister und zwei Stiefgeschwister. Es folgte nach dem Besuch des Rockford Female Seminary (1877 – 1881) und ihrem Bachelor of Arts (1882) das Women’s College in Philadelphia (Pennsylvania, 1881 – 1887), mit dem Ziel, s päter Medizin studieren zu können. In den Jahren 1883 – 1885 und 1887 – 1889 bereiste sie Europa. Hierbei lernte sie die Fürsorgestation „Toynbee Hall“ in London kennen. Nach ihrer Rückkehr in die USA gründete sie im September 1889 gemeinsam mit ihrer Freundin Ellen Gates Starr das „Hull House“, eine sozial- und bildungspolitische Einrichtung für Immigranten unterschiedlichster Herkunft, die sie bis zu ihrem Tod am 21. Mai 1935 leitete. Während dieser Zeit kooperierte ihre Einrichtung mit der University of Chicago, an der zur damaligen Zeit Edith Abbott als Dean und Sophonisba P. Breckinridge lehrten und forschten (Muthesius, Salomon, S. 216 – 227). Auch wenn sich Jane Addams späterhin von der abstrakten Vorgehensweise der in Chicago tätigen Wissenschaftler entfernte (Ross, S. 140 – 141), verband sich mit ihrer Vorlesungsreihe an der University of Chicago (Ross, S. 149) die Etablierung der Soziologie an der University of Chicago und in Amerika. Zugleich lässt sich ein sozialpolitisches Leitbild erkennen, dem folgende historische Ereignisse vorangegangen waren: Im Jahr 1894 war Jane Addams Mitbegründerin der „Chicago Federation of Settlements“ (Müller, Addams und Probst, Addams). Eine im Jahre 1890 begründete Reformbewegung, die sich als Antwort auf die Rationalisierungsmaßnahmen in der Industrie und auf die Einwanderung in die amerikanischen Großstädte, nicht nur als s oziale Arbeit, sondern als Sozialpolitik, verstand (Ross, S. 131 – 132). Im Jahre 1903 wurde Jane Addams zur Vizepräsidentin der „International Women’s Trade Union League“ (Gewerkschaftliche Frauenliga) gewählt. In den Jahren 1905 bis 1908 war Jane Addams Mitglied des Chicago Board of Education und im Jahr 1909 Mitbegründerin der „National Association for the Advancement of Colored People“. Noch im selben Jahr wurde sie zur Präsidentin der „National Conference of Charities and Corrections“ gewählt. Ein Verband von Sozialwissenschaftlern und Sozialarbeitern, die späterhin unter dem Namen „National Conference of Social Work“ weltbekannt wurde (vgl. Müller und Probst). Dieser Verband veranstaltete gemeinsam mit anderen nationalen Verbänden seine erste internationale Konferenz vom 9.–13. Juli 1928 in Paris. Hier stellte die Begründerin des sozialen Frauenberufs in Deutschland, Alice Salomon, gemeinsam mit der englischen Sozialreformerin Elisabeth Macadam ihre Leitsätze zur sozialen Ausbildung vor, indem sie die Ausbildungssysteme verschiedener Länder auswertete (Muthesius, Salomon, S. 216 – 227).
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Jane Addams erhielt im Jahr 1909 die Ehrendoktorwürde der Yale University. Sie war in den Jahren 1911 bis 1914 erste Vizepräsidentin der „National American Woman Suffrage Association“ und erste Vorsitzende der „National Federation of Settlement and Neighbourhood Centers“. Im Jahr 1912 unterstützte sie die Wahlkampagne von Theodore Roosevelt (vgl. Müller und Probst). Das Settlement-Programm wurde als Parteiprogramm von Theodore Roosevelts „Progressive Party“ übernommen. Im Jahr 1915 gründete sie zusammen mit Charlotte Perkins Gilman (1860 – 1935) die „Woman’s Peace Party“ und wurde zugleich Präsidentin des International Congress of Women im nieder ländischen Den Haag (vgl. Müller und Probst). Auf dem Frauen-Friedens-Kongress in Den Haag erarbeiteten 1136 weibliche Delegierte aus zwölf Ländern im Jahr 1915 ein Grundsatzpapier, das die kriegsführenden Länder zur Beendigung des Krieges bewegen sollte. Jane Addams war Präsidentin der „Women’s International League for Peace and Freedom“ ( Jane Addams 1915; vgl. Müller und Probst). Addams galt wegen dieses internationalen Einflusses in den Vereinigten Staaten als die gefährlichste Frau Amerikas (Ross, S. 132 – 133). Vom Justice Department wurde Addams überwacht (Gruber, S. 179). Im Jahr 1918 besuchte Jane Addams Deutschland, um den Ernährungszustand der Kinder festzustellen. Sie trat zum Ende des Ersten Weltkriegs für eine Hilfe für deutsche Kinder ein (Muthesius, Salomon, S. 308). Öffentliche Debatten über ihre Person hielten Jane Addams jedoch nicht davon ab, im Jahre 1920 Mitbegründerin der „American Civil Liberties Union“ zu werden und 1928 Präsidentin der Conference of Pan-Pacific Women’s Union auf Hawaii. Für ihr soziales Engagement und ihren Einsatz für den Weltfrieden erhielt Jane Addams als erste Amerikanerin und zweite Frau der Welt im Jahr 1935 den Friedensnobelpreis. Diesen Preis teilte sie sich mit dem Philosophen und Publizisten Nicholas Murray Butler (1862 – 1947), dem Präsidenten der Columbia University, New York (vgl. Müller und Probst). Interessant an dieser Stelle ist, dass gerade Butler, der sich in den Jahren 1925 bis 1945 als Präsident der Carnegie-Stiftung für Addams verwandte und für den internationalen Frieden eintrat, Jane Addams während des Ersten Weltkriegs für ihre Friedenseinstellung heftig attackierte (vgl. Probst). In ihrer ersten, einen nennenswerten Bekanntheitsgrad erreichenden wissenschaftlichen Arbeit mit dem Titel „Democracy and Social Ethics“ (1902) beschäftigte sie sich mit dem Haus als zentralem Ort der Erziehung und Kinderaufzucht in einer privilegierten Sphäre (Ross, S. 133). In dieser wissenschaftlichen Schrift forderte Addams das tradierte Machtverhältnis zwischen Eltern und Kindern zu beseitigen und den Bedürfnissen der Kinder mehr Raum zu geben (Ross, S. 139). Zugleich verfocht sie eine Ideologie von Weiblichkeit, die auch die Vaterrolle mit einbezog. Dieses Werk sollte aber nicht nur die Rolle der Frau in der Familie, sondern auch ihre Arbeit in der sozialen Wohlfahrt kraft ihrer Eignung rechtfertigen. Damit konnte auch an eine weibliche Arbeit in der sich sozioökonomisch verändernden Umwelt dergestalt angeknüpft werden, dass hieraus weibliches Wissen entstand. Dieses weibliche Wissen wurde eher von dem Element der Erfahrung als von dem Buchwissen geprägt (Ross, S. 133 – 135). Das bildete sich auch in Addams’ Arbeit in Hull House ab. Das Leben und Arbeiten dort beförderte den Integrationsprozess der Migranten und der sozial schwachen Bewohner und Familien durch demokratische Mitwirkung (Ross, S. 138 – 139).
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Jane Addams hat mit ihrer Arbeit „Hull House Maps and Papers“ die universitäre Soziologie beeinflusst (Ross, S. 151 – 152), aber auch indirekt kritisiert. Ihre in den Maps and Papers eröffneten Informationen über die sozialen Verhältnisse, bis in das kleinste Detail gehende Sozialdaten, rufen danach, Wissenschaft möge sich mit den Dingen des Lebens vertraut machen (Ross, S. 142 – 144). Ein Gedanke, der sich von einem abstrakten Wissenschaftsverständnis deutlich abhebt und bereits in den Essays „Democracy and Social Ethics“ erkennbar wird. Hier lässt Jane Addams Vertreter verschiedener sozialer Gruppen gegeneinander antreten (Ross, S. 145). Dieses Buch verdeutlicht Addams’ These, die Wissenschaft habe „keinerlei Methode an die Hand gegeben, mit denen der Mensch entdeckt, in seiner geistigen Existenz aufgefaßt und verstanden werden kann; Methoden, die den Austausch mit den Fremden ermöglichen und dazu befähigen, das entgegenzunehmen, was die Fremden uns bringen“ (Ross, S. 150). Eine Erkenntnis, die auch für die heutige Zeit ihre Aktualität nicht eingebüßt hat. Die in Addams’ Werk erkennbare Kluft unterschiedlicher Fachlichkeit auf der einen Seite, die theoretische Reflexion der Soziologie auf der anderen Seite: Man ist geneigt zu sagen, Addams verfolge eine eigene praktische Vernunft. Dies mag wohl auch Addams’ Beweggrund gewesen sein, das Angebot der University of Chicago für eine halbe Stelle im Jahr 1913 abzulehnen (Ross, S. 150). Jane Addams starb am 21. Mai 1935. Bisher wurde Addams’ Beitrag vor allem unter einem soziologischen und sozialpoli tischen Blickwinkel untersucht. Das zeigen die Arbeiten von Farrell, Levine und Romano sowie die Arbeit von Deegan, der Addams‘ Beziehung zur Chicago School untersuchte. Die Arbeit von Schüler stellt Addams‘ als Persönlichkeit der Internationalen Frauenbewegung heraus. Diesen Publikationen waren zwei Addams-Biografien, u. a. kurz nach ihrem Tod, vorausgegangen (Wise, Jane Addams; Linn, Jane Addams). Die Stellung der Frau in Jane Addams’ Werken und in ihren autobiografischen Texten im Kontext der damaligen rechts- und sozialpolitischen Entwicklung Amerikas ist bisher unerforscht (Ross, S. 133). Quellen: Jane Addams’ Account of her interviews with the foreign Ministers of Europe, London 1915; Winifred E. Wise, Jane Addams of Hull House: a biography, New York 1935; James Weber Linn, Jane Addams, New York 1935; Hans Muthesius (Hg.), Alice Salomon. Die Begründerin des sozialen Frauenberufs in Deutschland. Ihr Leben und ihr Werk, Köln 1958, S. 216 – 227; John C. Farrell, Beloved lady: a history of Jane Addams’ Ideas on reform and peace, Johns Hopkins Press 1967; Daniel Levine, Jane Addams and the liberal tradi tion, Greenwood Press 1980; Mary Jo Deegan, Jane Addams and the men of the Chicago school, 1892 – 1918, Transaction Books 1988; Carol Gruber, Jane Addams – Frauen werden Frieden machen, in: Michael Neumann (Hg.), Der Friedens-Nobelpreis von 1926 bis 1932, Zug 1989, S. 170 – 179; Ellen Fitzpatrick, Endless Crusade. Women Social Scientists and Progressive Reform, New York 1990; Dorothy Ross, Jane Addams (1860 – 1935). Häuslicher Feminismus und die Möglichkeiten der Sozialwissenschaften, in: Claudia Honegger und Theresa Wobbe, Frauen in der Soziologie, München 1998, S. 130 – 152; Mary Ann Romano, Lost sociologists rediscovered: Jane Addams, Walter Benjamin, W. E. B. D u Bois, H arriet Martineau, Pitirim A. Sorokin, Flora Tristan, George E. V incent, and Beatrice Webb, Edwin Mellen Press 2002; Anja Schüler, Frauenbewegung und soziale Reform: Jane
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Addams und Alice Salomon im transatlantischen Dialog, 1889 – 1933, Stuttgart 2004; Inga Pinhard, Jane Addams: Pragmatismus und Sozialreform, Budrich 2009; Cathy Eberhart, Jane Addams (1860 – 1935) Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Reformpolitik, Bremen 2009; Biografie Jane Addams, in: Reinhard Müller, 50 Klassiker der Soziologie, http://agso.uni- graz.at/lexikon; Ernst Probst, Jane Addams: die frühe amerikanische Sozialreformerin, in: http://www.helloarticle.com.
Anita (Theodora Johanna Sophie) Augspurg „Als Ersatz für den Instinkt des Naturzustandes stellt die entwickelte Cultur die Bildung, nicht in dem Sinne oberflächlichen, angelernten Wissens, sondern des Nachdenkens, des Begreifens, der Ueberlegung und der Umsetzung in Handlungen […]. Von dieser K enntnis und Erkenntnis ist aber die Frau bisher vollständig ausgeschlossen gewesen, sehr zum Nachtheile des Ganzen“ (Augspurg, S. 15 – 16). Mit diesen Worten umschrieb Augspurg nicht nur das Vorrecht als Unrecht, sondern sie gab dem Kulturbegriff neue charakteristische Konturen, indem sie die rechtliche Stellung der Frau aus ihrer althergebrachten Verstrickung (männlicher) äußerlicher Sitten löste, um beide Geschlechter den Grundprinzipien eines Rechtsstaats zuzuführen. Anita Augspurg wurde am 22. September 1857 als Tochter des Obergerichtsanwalts und Notars Wilhelm Augspurg und seiner Frau Auguste (geb. Langenbeck) in Verden (Aller) in Niedersachsen geboren. Ihre Vorfahren waren angesehene Mediziner- und Juristen. Ihr Vater hatte an der Revolution von 1848 teilgenommen. Nach dem allgemeinbildenden Schulbesuch legte sie die Preußische Staatsprüfung für das Lehramt an höheren Mädchenschulen (1879) und s päter die Turnlehrerinnenprüfung ab. Eine Erbschaft enthob sie aller finanziellen Sorgen. Sie wechselte 1885 ins Schauspielfach. Ausgebildet von der Sängerin und Hofschauspielerin Johanna Frieb-Blumauer (1814 – 1886), spielte Augspurg in dem berühmten Tourneetheater Meininger und in dem Herzoglichen Hof-Theater Altenburg. Ihre Schwester Amalie machte sie mit Sophia Goudstikker bekannt, mit der sie das Fotostudio „Elvira“ in München gründete. Ihre Bekanntschaft zu Hedwig Kettler führte zu Augspurgs erster Veröffentlichung: Die Photographie als Lebensberuf für Frauen (1889). Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift „Frauenberuf“, dem Organ des Vereins „Reform“, in dem auch Marie Stritt, Lily von Gizycki (die spätere Lily Braun), Minna Cauer und Sophie Goudstikker sich engagierten. Augspurg setzte sich in diesem Verein für das Frauenstudium ein, warb 1891 für eine Petition an den Reichstag um Zulassung von Frauen an die deutschen Universitäten und arbeitete 1893 an der Gründung eines Mädchengymnasiums in Karlsruhe mit. Im gleichen Jahr nahm sie ein Jurastudium in Zürich auf. Hier begegnete sie Emilie Kempin, der ersten Juristin der Schweiz. Emilie Kempin lehrte seit dem Jahre 1892 römisches, englisches und amerikanisches Recht an der Universität Zürich. Bereits während ihres Studiums (1893 – 1897) beteiligte sich Augspurg an der Gründung des Schweizerischen Vereins Frauenbildungsreform und schuf einen Rechtsschutzverein für Frauen, der für den s päter von Cäcilie Dose in Deutschland gegründeten Frauenrechtsschutzverein
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Dresden Vorbild werden sollte. Das Engagement Augspurgs und ihrer Mitstreiterinnen blieb nicht auf die Ausbildungsfragen für Frauen beschränkt. Frauen und politische Rechte und die Stellung der Frau im Schweizerischen Zivilgesetzbuch rückten in Augspurgs Blickfeld. Es ging Augspurg nicht nur um „[d]ie ethische Seite der Frauenfrage“ (1894), sondern sie verfasste im Auftrag von Emilie Kempin eine Denkschrift über das schweizerische Eherecht, die auf dem Schweizerischen Juristenverein verlesen und in 700 Exemplaren an die schweizerischen Bundesrichter verteilt wurde. Augspurg hatte bei Fritz Fleiner Eherecht und bei Richard Avenarius Philosophie gehört. Zur Divergenz von Natur- und Familienrecht hatte sie bei Avenarius eine Seminararbeit verfasst. Im gleichen Jahr erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ mit Augspurgs selbst gewähltem Titel „Geb acht, solange noch Zeit ist!“. Augspurg gründete den Internationalen Studentinnenverein in Zürich und begann eine Zusammenarbeit mit Marie Raschke in der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine gegen das geplante Bürgerliche Gesetzbuch in Deutschland (1895 – 1896). In diesen Jahren verbrachte Augspurg ein Gastsemester in Berlin. Aber ihr Gesuch um Zulassung für ein juristisches Studium in München wurde mit den Gründen abgelehnt, sie habe sich durch Agitation gegen den Entwurf des Bürger lichen Gesetzbuchs in nicht vorteilhafter Weise bekannt gemacht. Das hinderte Augspurg erst recht nicht, auf dem Internationalen Frauenkongress in Berlin im September 1896 zu dem Thema „Die Frau und das Recht“ zu sprechen. Ein Jahr später promovierte sie zu dem Thema „Über die Entstehung und Praxis der Volksvertretung in England“ bei dem Staatsrechtler Gustav Vogt in Zürich. Ihre Dissertation wurde in den Annalen des Deutschen Reiches für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik veröffentlicht (1898, S. 499 – 543). Auf dem Internationalen Abolitionistischen Kongress in London (1897) kämpfte sie für eine unter staatlichem Reglement stehende Prostitution und gegen die Sittlichkeitsbewegung an. Ein Jahr später war sie Mitbegründerin der Internationalen Abolitionistischen Födera tion. Schließlich bildete Anita Augspurg zusammen mit Marie Raschke und Minna Cauer den Kern der radikalen Frauenbewegung, die gegen die „Vereinsmeierei“ der Bürgerlichen Frauenbewegung und deren gemäßigte Positionen zur Stellung der Frau im Bürgerlichen Gesetzbuch ankämpfte, denn: „[d]ie Frauenfrage ist Rechtsfrage“. Augspurg ging es um die Machtlosigkeit der Frau im Familien- und Ehegüterrecht. 1898 widmete Lina Morgenstern in ihrer Deutschen Hausfrauen-Zeitung Anita Augspurg einen Artikel. Morgenstern hob besonders Augspurgs Kampf gegen die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Jahr 1896 in Berlin hervor, die sich besonders gut in Augspurgs Einstellung zur Institution der Ehe darstellen lassen: „Für eine Frau von Selbstachtung, w elche die gesetzlichen Wirkungen der bürgerlichen Eheschließung kennt, ist es nach meiner Überzeugung unmöglich, eine legitime Heirat einzugehen. Ihr Selbsterhaltungstrieb, die Achtung vor sich selbst, und ihr Anspruch auf die Achtung ihres Mannes lässt ihr nur die Möglichkeit einer freien Ehe offen.“ Diese Zeilen wurden in dem von Phillip Stauff herausgegebenen Lexikon der Schriftsteller, Dichter, Bankiers, Geldleute, Ärzte, Schauspieler jüdischer Rasse und Versippung (Selbstverlag Berlin-Lichterfelde 1913) mit den antisemitischen Worten bedacht: „Unglaublich, mit welcher Unverschämtheit diese Jüdinnen für deutsche Frauen sprechen wollen, u. dabei ausgerechnet von Dingen auf d. Markte erzählen, von denen die sittige deutsche Frau überhaupt in der Öffentlichkeit niemals spricht.“ Obgleich Anita Augspurg
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nicht nur evangelisch konfirmiert war, sondern auch ihrer Herkunft nach nichts hätte befürchten müssen, wurde sie bereits vor der nationalsozialistischen Machtergreifung Opfer einer Hetzgleichung: Feministin = Sozialistin = Jüdin. Doch nationalsozialistische Angriffe und die Kritik bürgerlicher Juristen hinderten Anita Augspurg nicht, wenn es galt, „gar zu grelle Missbräuche und Missgriffe zu beleuchten, zu geisseln, für ihre Beseitigung einzutreten und eine Besserung der Zustände herbeizuführen“. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte sie in Hamburg eine Vielzahl von sozialen Einrichtungen, Beratungsstellen für Frauen, Kinderhorte und eine Handelsschule errichtet. Als sie aber über Übergriffe vonseiten der Polizei auf Passanten und Demonstranten anlässlich einer Demonstration gegen die Beschränkung des Wahlrechts in der Presse berichtete, wurde sie wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Augspurg ließ sich nicht einschüchtern. Zusammen mit anderen Frauen erreichte sie nach Gründung des ersten Stimmrechtsvereins eine Audienz beim Reichskanzler Graf Bernhard von Bülow (1902). In den Akten der Reichskanzlei wurde Augspurg als jüdisch, religionslos und sozialistisch beschrieben und die konservative Presse fragte sich, warum der Reichskanzler eine Horde radikaler Feministinnen empfange und diese damit in ihren uferlosen Wünschen noch bestärke. Für Augspurg war es jedoch nicht nur eine offizielle Anerkennung, sondern auch ein deutlicher Hinweis auf die Berechtigung ihrer Forderungen. Es folgte 1904 die Gründung des Internationalen Weltbundes für Frauenstimmrecht in Berlin. Augspurg hatte mit Sondergenehmigung Zugang zum Reichstag und redigierte in der Zeitschrift „Die Frauenbewegung“, deren Herausgeberin Minna Cauer war, die „Parlamentarischen Angelegenheiten und Gesetzgebung“. Augspurgs gemeinsamer Kampf mit Lida Gustava Heymann für das Frauenstimmrecht in der Zeitschrift für Frauenstimmrecht (1907 – 1913) beförderte maßgeblich die Einführung des Wahlrechts für Frauen (1918). Doch eine eigene politische Karriere in der liberalen Deutschen freisinnigen Partei gab sie nach kurzer Zeit auf (1908). Sie wollte ihre Kräfte nicht an die Männerpolitik verschwenden, weil sie der Überzeugung war, dass „alle Menschen bei vernünftiger, nicht männlich kapitalistischer, imperialistischer Staatsverwaltung“ bei einer gleichmäßigen Verteilung der Güter und bei gleicher Arbeit sorgenfrei leben könnten. Als Mitinitiatorin des Internationalen Frauenfriedenskongresses in Den Haag (1915) und Gründerin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit initiierte sie in zahlreichen deutschen Städten Frauenausschüsse für dauerhaften Frieden und eine Entsendung einer Frauendelegation an alle beteiligten Länderregierungen. Insbesondere protestierte Augspurg gegen Druck- und Versammlungsverbote sowie private Waffenfabrikationen und forderte den Verzicht auf territoriale Eroberungen. Dossiers über Anita Augspurg im Bayerischen Kriegs- und Innenministerium mündeten während des E rsten Weltkriegs in ein öffent liches Redeverbot und Hausdurchsuchungen ein. Nach dem Ende des E rsten Weltkriegs setzte sich Augspurg für die Räterepublik ein. Diese wurde ihr neues politisches Ziel. Im Dezember 1918 kandidierte sie erfolglos für den Bayerischen Landtag und die Nationalversammlung als Kandidatin der sozialpolitischen Frauengruppe in Hamburg. Nach dem Ende der Räterepublik gab Augspurg zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Lida Gustava H eymann die pazifistische Zeitschrift „Die Frau im Staat“ heraus. Augspurg engagierte sich für die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF), votierte für Abrüstung und gegen chemische Waffen. Vom 12. bis 17. Mai 1919 fand in Zürich der Zweite Internationale
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Frauenfriedenskongress statt. Dieses Engagement Augspurgs führte während des Weltkongresses der Frauenliga in Chicago (1924) zu einer Hetzkampagne gegen sie in den USA und in Deutschland. Ein Jahr zuvor hatte Augspurg beim bayerischen Innenminister Franz Schweyer die Ausweisung Hitlers gefordert, nachdem ein Pazifist von Nationalsozialisten gefährlich verletzt worden war. Bis zur Machtergreifung fühlte sie sich nicht mehr in Deutschland heimisch, so scheint es. Sie verließ Deutschland in Richtung Osteuropa, Paris, London, Zürich, Genf, Irland und Palästina, sooft es ging. Gleichwohl blieb die Rechtsund Verfassungslage Deutschlands eins der wichtigsten Themen ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Sie stellte mit Blick auf die Weimarer Reichsverfassung resigniert fest: Trotz der erstmals in der Geschichte Deutschlands eingeführten Grundrechte müsste ein Gerichtshof ein individuelles Klagerecht oder einen Normenkontrollantrag, geschweige denn eine Richtervorlage nach den Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung ablehnen. Eine Gleichberechtigung der Geschlechter sei nicht garantiert, solange die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs weiterhin Bestand hätten. Nach der Machtergreifung Hitlers wurde nicht nur ihr Besitz konfisziert, sondern auch ihr großes Frauenarchiv vernichtet. Augspurg und Heymann befanden sich zu d iesem Zeitpunkt bereits in Zürich, wo Augspurg am 20. Dezember 1943, nur wenige Monate nach dem Tod Lida Gustava Heymanns, verstarb. Diese beiden Frauen verband eine fast fünfzigjährige Lebensgemeinschaft, die im Jahr 1941 in gemeinsame Lebenserinnerungen mit dem Titel „Erlebtes-Erschautes. Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und F rieden 1850 – 1940“ einmündete. Ohne ihre Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann hätte Anita Augspurg nicht in dem außerordentlichen Umfang rechtspolitisch wirken können. Die Lebensdaten Lida Gustava Heymanns sind mit dem Leben Anita Augspurgs eng verbunden. Am 27. Mai 1908 fand Heymann in der bayerischen Landeszeitung die Worte, die das Erreichte in Augspurgs Werk vortrefflich kennzeichnen: „Frauenstimmrecht ist das Fundament aller Frauenforderungen.“ 70 Jahre nach Augspurgs Tod wurden ihre rechtspolitischen Schriften in einer kommentierten Studienausgabe der wissenschaft lichen Öffentlichkeit vorgestellt. Quellen: Anita Augspurg, Die ethische Seite der Frauenfrage, Minden/Leipzig 1894; Christiane Henke, Anita Augspurg, Hamburg-Reinbek 2000; Anna Dünnebier, Die Rebellion ist eine Frau: Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann: das schillernste Paar der Frauenbewegung, Kreuzlingen 2002; Susanne Kinnebrock, Anita Augspurg (1857 – 1943). Feministin und Pazifistin z wischen Journalismus und Politik: eine kommunika tionshistorische Biographie, Herbolzheim 2005; Christiane Henke, Gleichheit und Gerechtigkeit als feministische Rechtsforderungen: Hedwig Dohm und Anita Augspurg, in: Stephan Meder, Arne Duncker und Andrea Czelk, Frauenrecht und Rechtsgeschichte: Die Rechtskämpfe der deutschen Frauenbewegung, Köln 2006, S. 181 – 191; Ulla Wischermann, Anita Augspurg (1857 – 1943). Deutsche, Feministin, Journalistin, in: Ute Gerhard, Petra Pommerenke, Ulla Wischermann (Hg.), Klassikerinnen feministischer Theorie. Grundlagentexte, Bd. I (1789 – 1919), Königstein/Taunus 2008, S. 263 – 266; Christiane Henke (Hg.), Anita Augspurg, Rechtspolitische Schriften. Kommentierte Studienausgabe, Köln 2013; World Biographical Information System.
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Gertrud Bäumer „Ob die Frau nach gleicher Arbeit und gleichen Rechten verlangt, ob nach der Liebe und dem Kinde – sie kommt als Anklägerin und als Kämpferin“ (Bäumer, S. 43). Gertrud Bäumer wurde als Tochter eines Pfarrers und Kreisschulinspektors in Hohen limburg (Westfalen) am 12. September 1873 geboren. Der Großvater Gertrud Bäumers väter licherseits war Konsistorial- und Schulrat bei der Arnsberger Regierung. Mütterlicherseits finden sich ebenfalls Lehrer und Theologen in Westfalen. Nach dem Tod des Vaters (1883) setzte sie ihre Schulkarriere in Halle an der Saale fort. Es folgte nach ihrem Schulbesuch die seminaristische Ausbildung für den Lehrerberuf in Halberstadt (1892 bis 1898). Ihre erste Stelle als Volksschullehrerin erhielt Gertrud Bäumer in Kamen (Westfalen) und ab 1891 unterrichtete sie an der Mädchenvolksschule in Magdeburg-Neustadt. Diese Schule befand sich in einem Fabrikviertel. Ihren Dienst musste sie vor Klassen mit zeitweise 100 Schülern versehen. In ihrer Not knüpfte sie Kontakt zum Allgemeinen Deutschen Lehre rinnenverein (ADLV). So kam es 1896/97 zu der ersten Begegnung mit Helene Lange, einer der Vorkämpferinnen für eine höhere Mädchenbildung und für die Zulassung von Frauen zum Studium. Diese Begegnung beeinflusste Bäumers Lebensweg entscheidend. Helene Lange sah in Gertrud Bäumer eine geeignete Nachfolgerin für ihr Lebenswerk und förderte sie. Nach dem sogenannten Oberlehrerinnen-Examen (1900) studierte Bäumer in Berlin Germanistik und Theologie. Während ihres Studiums besuchte sie die Lehrveranstaltungen von Adolf von Harnack (1851 – 1930) und des Philosophen Wilhelm Dilthey (1833 – 1911). Im Jahr 1904 wurde sie für eine Dissertation zu Goethes Satyros zum Dr. phil. promoviert. Zwei Jahre später begegnete sie erstmals Friedrich Naumann (1860 – 1919) und wirkte zusammen mit Max Hachenburg und Theodor Heuss in der Redaktion der „Hilfe“ mit. Während dieser Jahre gab sie bereits mit Helene Lange das Handbuch der Frauenbewegung heraus (1901 – 1906). In den Jahren 1910 – 1919 war sie Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins, Vorsitzende des Bundes deutscher Frauenvereine und Mitherausgeberin der Zeitschrift „Die Frau“. Bäumer übernahm die Redaktion der Zeitschrift „Neue Bahnen“, des Vereinsorgans des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins. Einen ersten Überblick über die Organisationen der Frauenbewegung konnten ihre Leser in dem Buch mit dem Titel „Die Frau in der Kulturbewegung“ (1904) erhalten. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs (1914) begründete sie den Nationalen Frauendienst, der für die Versorgung der Zivilbevölkerung sorgte. Wohl rückblickend auf diese Tätigkeit, veröffentlichte sie im Jahr 1916 die Arbeit „Weit hinter den Schützengräben“. Bäumer gab Unterricht an der Sozialen Frauenschule Alice Salomons in Berlin und der Humboldtakademie. Sie stand in den Jahren 1916 – 1920 der Sozialen Frauenschule in Hamburg vor. Im Jahr 1917 übernahm sie zusammen mit Marie Baum die Leitung des Sozialpädagogischen Instituts in Hamburg. Politisch engagierte sie sich zunächst in der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei (FVP). Die Überlegung, den Bund Deutscher Frauenvereine nicht als Partei, sondern die Gründung von Frauenausschüssen in den Parteien als Verbindung z wischen weiblicher Parteibasis und Parteispitze zu befördern und so für die Interessen der Frauen zu werben und zu wirken, wird ihr maßgeblich zugeschrieben. Aus diesem Modell geht
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der Reichsfrauenausschuss der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) hervor. Die Gründung der Deutschen Demokratischen Partei, zusammen mit Friedrich Naumann, führte sie in die Nationalversammlung (1918/19) und s päter in den Reichstag (bis 1932). Im Jahr 1924 stand sie an der Spitze der Reichsliste der DDP. Für das Amt des Reichstagsvizepräsidenten wurde sie von der SPD und ihrer eigenen Partei unterstützt (1928). Bis 1930 blieb sie im Vorstand der DDP. Ab dem Mai 1920 war sie die erste Ministerialrätin im Reichsministerium des Innern für das Sachgebiet des Schulwesens und der Jugendwohlfahrt. Sie nahm in dieser Funktion maßgeblichen Einfluss auf das Reichsschulgesetz und das Reichswohlfahrtsgesetz. Sie wandte sich gegen „Schund und Schmutz“ in der Literatur; heute würde man von jugendgefährdenden Schriften sprechen. Seit dieser Zeit führte sie mit Helene Lange eine gemeinsame Wohnung in Berlin am Schiffbauerdamm, die sie nach dem Tod von Lange beibehielt. Im Jahre 1926 war Bäumer Delegierte beim Völkerbund in Genf. Im Jahre 1930 war sie Mitbegründerin der Deutschen Staatspartei. „Wir Frauen verdanken ihr eine Erweiterung der Idee unseres Geschlechts und eine ebenso energische wie besonnene und edle Führung unserer Bewegung“, schrieb Marianne Weber Gertrud Bäumer zu Ehren (Weber, S. 17). Nach der Machtergreifung Hitlers wurde sie sogleich beurlaubt und am 21. April 1933 aus dem Staatsdienst „wegen nationaler Unzuverlässigkeit“ entlassen. Bereits 1929 war in dem von Stauff im Eigenverlag herausgegebenen Lexikon der Juden (2. Aufl. 1929) Bäumer als „rabiate Frauenrechtlerin und Pacifistin“ eingestuft worden, deren Tätigkeit „den Juden und Judengenossen Freude machen“ würde. Im Jahr ihrer Entlassung aus dem Staatsdienst war ihre Autobiografie „Lebensweg durch eine Zeitenwende“ erschienen (1933). Während des Zweiten Weltkrieges zog sie sich nach Obergrießmannsdorf in Oberschlesien bei Bekannten zurück. Sie nahm jedoch diese Zeit für ausgedehnte Reisen nach Italien, in die Schweiz und nach Burgund wahr. Es entstand der in Schlesien spielende Zeitroman „Der Park“ (1937). Bis zum Jahr 1944 gab Bäumer die Zeitschrift „Die Frau“ heraus. In diesen Jahren entstand ihre Publikation „Gestalt und Wandel. Frauenbildnisse“ (1939), die Bettina von Arnim, Ricarda Huch, Mary Wollstonecraft und andere Persönlichkeiten der Frauenbewegung eingehend beschreibt. Im Winter 1945 floh Bäumer gemeinsam mit ihrem Pflegesohn aus Schlesien durch das Sudetenland nach Thüringen. Es folgte Bamberg und schließlich Bonn als neuer Wohnsitz. Für das Buch „Männer und Frauen im geistigen Werden des deutschen Volkes“ (1934) erreichte sie nach dem Zweiten Weltkrieg der Vorhalt, sie habe dem Nationalsozialismus doch nahe gestanden. Bäumer ließ sich davon nicht beeindrucken. In den Jahren 1948 – 1953 publizierte sie und hielt Vorträge. Bonn, ein Ort der neuen Demokratie und der spätere Ort eines demokratisch gewählten Bundesparlaments, gab ihr wieder Auftrieb. Ein letztes Mal politisch tätig, wirkte sie an der Gestaltung einer neuen Demokratie mit. Im Jahr 1949 war sie Mitbegründerin der CSU und wechselte später zur CDU. Sie starb am 25. März 1954 in den „Bodelschwinghsche Anstalten“ in Bielefeld (Bethel). Blickt man auf ihr umfangreiches publizistisches Werk zurück, so sind neben ihren Beiträgen zur Frauenfrage, ihren bildungspolitischen Schriften zur Schulpolitik und zu den Grundlagen demokratischer Politik auch zahlreiche Geschichten und historische Romane zu finden: „Die Mächte der Liebe“ und „Der Weg des Dante Alighieri“ (1941). In der Gegenwartsliteratur ihrer Zeit galt sie als eine kultivierte Feder. Das Leben ihrer
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Zeit zeigte sich besonders in ihren Publikationen „Die soziale Idee in den Weltanschauungen des 19. Jahrhunderts“ (1910), „Helene Lange“ (1933) und „Helene Lange zum 100. Geburtstag“ (1948). Quellen: Gertrud Bäumer, Die Frau in der Kulturbewegung der Gegenwart, Wiesbaden 1904; Marianne Weber, Gertrud Bäumer, in: Vom Gestern zum Morgen. Eine Gabe für Gertrud Bäumer, Berlin 1933, S. 9 – 18; Zur Verbindung von Frauenbewegung und Päda gogik in Werk und Wirken Gertrud Bäumers: Caroline Hopf, Frauenbewegung und Pädagogik. Gertrud Bäumer zum Beispiel, Bad Heilbrunn 1997; Ute Gerhard, Gertrud Bäumer (1873 – 1954). Führende Repräsentantin der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung, Sozialpädagogin, Politikerin, Schriftstellerin, in: Ute Gerhard, Petra Pommerenke und Ulla Wischermann (Hg.), Klassikerinnen feministischer Theorie. Grundlagentexte. Bd. I (1789 – 1919), Königstein/Taunus 2008, S. 289 – 306; Angelika Schaser, Helene Lange und Gertrud Bäumer: eine politische Lebensgemeinschaft, Köln 2010.
Fritz Bauer „Maßstab ist, so wie das Widerstandsrecht überkommen ist, freilich nicht ein neues Recht, sondern immer ein altes Recht, das nach Auffassung der Widerstandskämpfer von Staats wegen gebeugt wird. Widerstandsrecht meint nicht Revolution, sondern Realisierung eines bereits gültigen, aber nicht verwirklichten Rechts“ (Bauer, S. 286). Fritz Bauer wurde am 16. Juli 1903 geboren. Er studierte in Heidelberg, Tübingen und München Rechtswissenschaften. Nach dem ersten Staatsexamen (1924) wurde er 1925 in Heidelberg zu dem Thema: „Die rechtliche Struktur der Truste. Ein Beitrag zur Organisation der wirtschaftlichen Zusammenschlüsse in Deutschland unter vergleichender Heranziehung der Trustformen in den Vereinigten Staaten von Amerika und Rußland“ promoviert. Seine Dissertation wurde als Heft 4 der Wirtschaftsrechtlichen Abhandlungen von Prof. Karl Geiler im Bensheimer Verlag, Mannheim/Berlin/L eipzig 1927 herausgegeben. Einem Verlag, der nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der deutschen Frauenbewegung zugeneigt war. Der Gründer des Verlages, Julius Bensheimer, war der Ehegatte von Alice Bensheimer, langjähriges Vorstandsmitglied und Schriftführerin des Bundes deutscher Frauenvereine. Fritz Bauer war nach der Referendarzeit zum jüngsten deutschen Amtsrichter in Stuttgart ernannt worden (April 1930). Kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialsisten engagierte sich Fritz Bauer gemeinsam mit Kurt Schumacher im „Reichsbanner“ einer Republikschutzorganisation, deren Mitglieder gegen die Nationalsozialisten demons trierten. Am 23. März 1933 wurde Fritz Bauer aus seinem Dienstzimmer im Amtsgericht Stuttgart verhaftet und wurde bis November 1933 in das Konzentrationslager Heuberg bei Stuttgart verbracht. Während der Haft (Mai 1933) war seine Entlassung aus dem Richteramt erfolgt. Im Jahr 1936 emigrierte er nach Dänemark und dann nach Schweden (1943). Nach dem Zweiten Weltkrieg (April 1949) wurde Fritz Bauer zum Landgerichtsdirektor
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ernannt. Von Juli 1950 bis Mai 1956 war er Generalstaatsanwalt des Oberlandesgerichts Braunschweig. Ab dem Jahr 1956 bis zu seinem Tod (1. 7. 1968) hatte er als Hessischer Generalstaatsanwalt die Federführung im Auschwitz-Prozess in den Jahren 1963 – 1965 (Wojak, S. 317 – 362, 452 – 461). Fritz Bauer gründete zusammen mit Wolfgang Abendroth die Zeitschrift „Kritische Justiz“. Eine Zeitschrift, die an die von den Nationalsozia listen verbotene Zeitschrift des Republikanischen Richterbundes „Justiz“ anknüpfen sollte. Der im Jahre 1968 von der Humanistischen Union gestiftete Fritz-Bauer-Preis wird für Verdienste um die Humanisierung, Liberalisierung und Demokratisierung des Rechtswesens verliehen. Quellen: Fritz Bauer, Ungehorsam und Widerstand in Geschichte und Gegenwart, in: Vorgänge, 1968, Heft 8/9, S. 286 – 292; Birger Schulz, Der Republikanische Richterbund (1921 – 1933), Frankfurt a. M./Bern 1982, Anhang II, S. 206; Irmtrud Wojak, Fritz Bauer (1903 – 1968). Eine Biographie, München 2009; Joachim Perels, Recht und Autoritarismus, Baden-Baden 2009, S. 360 – 365; Ronen Steinke, Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht, München 2013; Katharina Rauschenberger, Rückkehr in Feindesland?: Fritz Bauer in der deutsch-jüdischen Nachrkiegsgeschichte, München 2013.
Marie Baum Fürsorge s eien, „alle Bestrebungen von Staat und Gesellschaft, die sich zum Ziele s etzen, in vorbeugender oder nachgehender Weise die Lebenshaltung der wirtschaftlich schwachen Klassen zu verbessern“ (Baum, 1929, S. 6). Dieses Leitbild des Internationalen Kongresses Sozialer Fürsorge im Juli 1928 machte Marie Baum zum Leitbild ihres Wirkens. Sie fragte sich zeit ihres Lebens: „Welchem Ziel soll diese Vertiefung, Verinnerlichung und innere Sicherheit dienen?“, und antwortet: „Nochmals sei an die oben erwähnte Pariser Formel erinnert und an den Vorbehalt, den wir gegenüber ihrer weiten Fassung zunächst aussprachen. Tatsächlich ist das Feld der sozialen Fürsorge ein anderes wie das der Sozialpolitik, – und dennoch ist der Stand des Fürsorgewesens von der Gesamtgestaltung des Soziallebens eines Volkes einschließlich der durch Sozialpolitik begründeten Maßnahmen und Einrichtungen abhängig und alle sind innerlich miteinander verbunden“ (Baum, 1929, S. 13). Marie Baum wurde am 23. 3. 1874 geboren. Vor der Aufnahme ihres Studiums an der Eidgenössischen Polytechnischen Hochschule in Zürich besuchte sie die von Helene Lange in Berlin gegründeten Gymnasialkurse in Danzig. Der Großvater mütterlicherseits war der bekannte Mathematiker Gustav Lejeune Dirichlet. Ihre Mutter leitete gemeinsam mit Minna Cauer in Danzig den Verein „Frauenwohl“. Marie Baum wurde nach ihrem Studium der Biologie, Mathematik und Chemie, u. a. bei Albert Heim und Carl Schröter in Zürich, wissenschaftliche Assistentin und schloss mit der Promotion bei Eugen Bamberger mit einem Dr. rer. nat. 1899 ihre wissenschaftlichen Studien ab. Während ihrer Züricher Zeit lernte sie Ricarda Huch, Margarete von Üxküll, Frieda Duensing
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und Marian Whitney kennen. Über Frieda Duensing begegnete sie auch Anton Erkelenz, von 1922 – 1929 Vorsitzender der Demokratischen Partei. Käthe Kollwitz gehörte zu ihrem Bekanntenkreis. Diese Bekanntschaften veränderten ihren beruflichen Werdegang. Nach einer Tätigkeit bei der AGFA in Berlin wurde Marie Baum 1902 Gewerbeinspektorin in Baden. Diese Begegnung mit der damals noch weit verbreiteten Kinder- und Frauenarbeit schärfte ihren Blick für die Forderungen nach Kinder- und Frauenschutz in der Arbeitswelt. Es entstanden ihre Arbeiten gemeinsam mit Philipp Brugger zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit (1905). Sie trat für die Einrichtung von Mädchenheimen für junge Fabrikarbeiterinnen in Karls ruhe ein und wurde nach ihrer Veröffentlichung „Drei Klassen von Lohnarbeiterinnen in Industrie und Handel der Stadt Karlsruhe“ (1906) im Herbst 1907 zur Gewerbeaufsicht nach Düsseldorf berufen. In dieser Zeit kam es zum ersten Kontakt mit dem Bund Deutscher Frauenvereine. Wegen unüberbrückbarer Differenzen mit ihrem Vorgesetzten gab sie ihre Lebensstellung in der Gewerbeaufsicht in Düsseldorf auf und studierte im Sommersemester 1907 an der Universität Heidelberg. Vom Herbst 1907 bis 1916 arbeitete sie als Geschäftsführerin des „Vereins für Säuglingsfürsorge im Regierungsbezirk Düsseldorf“. Bei Auseinandersetzungen mit der Verwaltung erhielt sie Unterstützung von Max und Marianne Weber, denen sie in Freundschaft verbunden war. Wegen ihres Engagements für die Wirtschafts-, Gesundheits- und Erziehungsfürsorge erfolgte 1909 ihre Wahl in den Hauptausschuss und später in den Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, dem sie bis 1933 und nach 1947 erneut angehörte. Aus diesen beruflichen Tätigkeiten und ihren Funktionen beschrieb Marie Baum den „Einfluss der gewerblichen Arbeit auf das persönliche Leben der Frau“ (1910) und widmete sich der „Gewerblichen Ausbildung der Industriearbeiterin“ (1907). Entscheidend waren für sie auch die Lebensbedingungen von Mutter und Kind: „Wohnung und Frau“ hieß ein Vortragszyklus, den sie 1912 in Karlsruhe hielt. Während des E rsten Weltkriegs half sie in der Kriegswohlfahrtspflege. Aus dieser Zeit entstanden weitere umfangreiche Untersuchungen Baums, die aus Platzgründen hier nicht genannt werden, aber ihrem Nachlassverzeichnis entnommen werden können. Im Jahr 1916 baute sie gemeinsam mit Gertrud Bäumer die Soziale Frauenschule in Hamburg auf. 1918 wurde sie als Mitglied der DDP für 18 Monate Reichstagsabgeordnete. Von 1919 bis 1926 war sie Referentin im Badischen Arbeitsministerium in Karlsruhe. Ihre reichhaltige Berufserfahrung gab sie nicht nur in Publikationen, sondern seit dem Ersten Weltkrieg auch in der Weiterbildung von Sozialarbeiterinnen und in ihrer Vortragstätigkeit weiter. Gemeinsam mit Alix Westerkamp veröffentlichte sie in der von Alice Salomon begründeten Schriftenreihe und Akademie die wissenschaftliche Studie „Rhythmus des Familienlebens“ (1931). Ein Lehrauftrag an der Universität Heidelberg wurde ihr im Zuge der Machtergreifung Hitlers 1933 entzogen. Es fand eine Haussuchung bei Marie Baum durch die Gestapo statt. Ihre Lehrtätigkeit konnte sie erst von 1946 – 1952 erneut wahrnehmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab sie die Tagebücher der Anne Frank heraus. Aus ihrer aktiven Zeit in der Frauenbewegung entstanden ihre Werke „Leuchtende Spur. Das Leben Ricarda Huchs“ (1950) und „Anna von Gierke: Ein Lebensbild“ (1954). Sie starb am 8. August 1964.
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Quellen: Marie Baum, Über p-Xylylhydroxylamin, Diss. Zürich 1899/1900; Philipp Brugger und Marie Baum, Die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit, Leipzig 1905; Marie Baum, Drei Klassen von Lohnarbeiterinnen in Industrie und Handel der Stadt Karlsruhe, Karls ruhe 1906; Marie Baum, Die gewerbliche Ausbildung der Industriearbeiterin, Leipzig 1907; Marie Baum, Der Einfluss der gewerblichen Arbeit auf das persönliche Leben der Frau: drei Vorträge gehalten auf der Zweiten Konferenz zur Förderung der Arbeiterinnen-Interessen, Jena 1910; Marie Baum, Die Folgen ungelernter Arbeit für die Arbeiterin, in: Hugo Roehl, Die gewerbliche Bildungsfrage für erwerbstätige Frauen unter besonderer Rücksicht auf das Handwerk, Leipzig 1910; Marie Baum, Wohnung und Frau: fünf Vorträge, Karlsruhe 1912; Marie Baum, Über das wissenschaftliche Fundament der Wohlfahrtspflege: Vortrag 15. Februar 1929, Soziales Institut, Berlin 1929; Marie Baum und Alix Westerkamp, Rhythmus des Familienlebens, Berlin 1931; Marie Baum, Rückblick auf mein Leben, Heidelberg 1950, S. 35, 43, 53, 57, 58, 70, 99, 132 – 134, 152 – 156, 135 – 172, 173 – 190, 190 – 192, 209 – 216, 228 – 255, 285 – 286, 313 – 314; Marie Baum, Leuchtende Spur: Das Leben Ricarda Huchs, Tübingen 1950; eine Würdigung Marie Baums Wirken in Heidelberg findet sich auch in: Erdmuthe Falkenberg, Marie Baum zu ihrem 80. Geburtstag, in: Ruperto-Carola. Zeitschrift der Vereinigung der Freunde der Studentenschaft der Universität Heidelberg 1954, S. 106 – 107; Marie Baum, Anna von Gierke: Ein Lebensbild, Weinheim 1954; Marie Baum, Die Tagebücher der Anne Frank, Heidelberg 1957; Edda Frank-Zoeldi, Von Wohlfahrtsarbeit zum Lehrauftrag. Marie Baum war eine bedeutende Sozialpolitikerin, in: Das Parlament 1984, S. 28; Barbara Guttmann, Marie Baum. Chemikerin, Fabrikinspektorin, Abgeordnete, in: Blick in die Geschichte. Karlsruher stadthistorische Beiträge Nr. 11 vom 8. Juni 1991, o. S.; Ilse Brehmer u. Karin Ehrich, Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Päda goginnen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, Bd. 2: Kurzbiographien, Pfaffenweiler 1993, S. 21 – 22; Heide Marie Lauterer, Außenseiterin am „Institut der Außenseiter“. Die Lehrbeauftragte Marie Baum, in: Reinhard Bloment (Hg.), Heidelberger Sozial- und Staatswissenschaften: das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften zwischen 1918 und 1958, Marburg 1997, S. 255 – 266; Hugo Maier (Hg.), Who is Who der Sozialen Arbeit, Freiburg/ Br. 1998, S. 59 – 64; Heide-Marie Lauterer, Marie Baum (1874 – 1964) und der gesellschaft liche und politische Wiederaufbau im Heidelberg der Nachkriegszeit, in: Susanne Jenisch (Hg.), Standpunkte. Ergebnisse u. Perspektiven der Frauengeschichtsforschung in Baden- Württemberg, 7. Aufl. Tübingen/Stuttgart 1999, S. 143 – 151; Petra Schaffrodt, Nachlassverzeichnis Marie Baum (1874 – 1964). Ein Leben in sozialer Verantwortung, Schriften der Universitätsbibliothek Bd. 2, Heidelberg 2000.
Emmy Beckmann „… daß aus dem ewigen Mann sich herauslöse der Menschenbruder“ (Funcke, S. 97), war Emmy Beckmanns Bestreben: pädagogisch, historisch und politisch. Sie wurde am 12. April 1880 in Wandsbek bei Hamburg geboren. Nach dem Lehramtsstudium in Paris, Heidelberg und Göttingen (1906 – 1910) trat sie ab dem Jahre 1910 in den
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privaten Hamburger Schuldienst bei verschiedenen Schulen ein. Im Jahr 1914 gründete sie den Verband der akademisch gebildeten Lehrerinnen in Hamburg, deren Vorsitzende sie wurde. Ein Jahr später war sie Gründungsmitglied des Stadtbundes der Hamburger Frauenvereine, in dessen Vorstand sie wirkte. Die Hamburger Gewerbeschule wurde verstaatlicht und Emmy Beckmann wurde ihre Direktorin (1922). Ihr politisches Engagement in der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) führte sie im Jahr 1921 in die Hamburger Bürgerschaft, nachdem sie 1919 für die Nationalversammlung kandidiert hatte. Den Vorsitz im Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein übernahm sie im gleichen Jahr. Als Vertreterin des Bundes deutscher Frauenvereine wurde sie 1925 nach Washington entsandt. Ein Jahr später wurde sie Direktorin der Helene-Lange- Schule in Hamburg. 1927 wurde sie Hamburgs erste Oberschulrätin für das Höhere Mädchenschulwesen. Die Frauenbildung, allen voran „die Mädchenschule soll ein Organismus werden, der die Mädchen als Wesen eigenen Rechts und eigener geistiger Bestimmung erzieht und bildet und sie so zum Dienst in der Volksgemeinschaft bereitet. Solange die Frau nicht um ihrer selbst willen, als Mensch und zum Menschen schlechtweg gebildet wird, solange sie im Anschluß an Rousseaus in bezug auf Frauenbildung sehr bedenk liche Ansichten in Deutschland und des Mannes wegen erzogen werden soll, solange konsequenterweise die geistig unselbständige Frau die beste ist, da sie im ersten Garantie dafür bietet, den Interessen ihres zukünftigen Mannes, deren Richtung sie ja unmöglich voraussehen kann, Wärme des Gefühls entgegenzubringen, solange wird es mit der deutschen Frauenbildung nicht anders werden“ (Beckmann, S. 185). Im Jahr 1928 war Emmy Beckmann die deutsche Vertreterin im Internationalen Frauenbund in London. In dieser Zeit trat sie insbesondere durch ihren Kampf gegen das „Doppelverdiener-Argument“ im Schulbereich hervor (betr. Doppelverdiener und verheiratete Lehrerin/Kampf gegen die Doppelverdiener und der Abbau der verheirateten Lehrerin, beide: Berlin 1931). Schließ lich richtete der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen-Vereins am 4. Februar 1931 eine Petition an den Reichstag. Emmy Beckmann erreichte, dass in Hamburg eine Kommission für Härtefälle eingerichtet wurde, die eine Kündigung von Lehrerinnen verhindern konnte. Sie schrieb ein Buch über Helene Lange (Berlin 1931), das auch in einem später veröffentlichten Briefwechsel über ihre Beziehung zu Helene Lange und Gertrud Bäumer Zeugnis ist (Tübingen 1957). Mit der Machtübernahme Hitlers wurde sie ihres Amtes enthoben. Der Allgemeine Deutsche Lehrerinnenverband löste sich auf. Wie sie die nationalsozialistische Zeit persönlich und wirtschaftlich überstand, ist nicht bekannt. Erhalten geblieben ist ihre im Jahre 1936 veröffentlichte Darstellung in Dokumenten über „Die Entwicklung der höheren Mädchenbildung in Deutschland: von 1870 – 1914“ (Berlin). Diese Publikation war zugleich Bestandteil der von Emmy Beckmann herausgegebenen Quellenhefte zum Frauenleben in der Geschichte (Berlin, 1927 – 36), die in 26 Ausgaben erschienen. Diese Reihe widmete sich ausgewählten historischen Themen der Frauenbewegung, zum Beispiel der „mittelalterlichen Hausfrau“ (Kranz, Berlin 1931), der „Frau in der Romantik“ (Lürßen, Berlin 1932), den germanischen „Frauen der Völkerwanderungszeit“ (Naumann, Berlin 1930), der „Frau in der Reformation“ (Stricker, Berlin 1927) oder der „Frauenbildung im Mittelalter“ (Meyn-von Westenholz, Berlin
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1930) und der deutschen „Frauenbildung vom 16. Jahrhundert bis Mitte des 19. Jahrhunderts (Stricker, Berlin 1929), der „Frau in der Bibel“ (Caspar, Berlin 1927), den „Frauen von Weimar“ (Toelpe, Berlin 1927) und der „Stellung der Frau in der Zunftverfassung“ (Schuster, Berlin 1927). In dieser Reihe erschien auch Helene Langes Darstellung über „Die Anfänge der Frauenbewegung (Berlin 1927), und Agnes Gosche berichtete in einem zweibändigen Werk über „Die organisierte Frauenbewegung“ bis zur Gründung des Bundes Deutscher Frauenvereine (1894) und von der Gründung des Bundes deutscher Frauenvereine bis 1927 (Berlin). Emmy Beckmann war Herausgeberin der Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins „Die Lehrerin“ (Leipzig/Berlin, 1910 – 1923) sowie der Deutschen Lehrerinnenzeitung (Berlin 1924 – 1934). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie in Hamburg als Oberschulrätin wieder eingesetzt (1945). Beckmann hatte sich noch in der Weimarer Zeit einen Namen als Reformpäda gogin gemacht und es ging darum, das Schulsystem nicht nur von nationalsozialistischem Gedankengut zu befreien, sondern auch neu zu gliedern (Brauers, S. 344, 349). Dieses Amt war auch der Grund, weshalb sie eine Kandidatur für die Hamburger Bürgerschaft zunächst ausschlug (Brauers, S. 210). Sie war Mitbegründerin des Hamburger Frauen rings (1946) und der Arbeitsgemeinschaft für Mädchen- und Frauenbildung (1947) und des Hamburger Akademikerinnenvereins (1948), deren Ehrenvorsitzende sie s päter wurde. Als „Grande Dame der Hamburger Liberalen“ kandidierte sie erfolgreich für die Hamburger Bürgerschaft und wurde ihr Mitglied, diesmal für die FDP (1949 – 1957). Sie war Herausgeberin der Zeitschrift „Mädchenbildung“ (Berlin 1951 – 1952) und deren Nachfolgerin „Mädchenbildung und Frauenschaffen“ (Köln 1952 – 1963). Beide Zeitschriften nahmen sich didaktischen, sozialen und pädagogischen Themen an. Der Vorschlag, Emmy Beckmann zur Senatorin von Hamburg zu machen, scheiterte (1953). Im Jahr 1954 erhielt sie das Große Bundesverdienstkreuz am Bande. Im Jahr 1955 wurde ihr vom Senat der Titel Professor verliehen. Ihre in den 1920er- und 1930er-Jahren begonnenen Quellenhefte führte sie in den Jahren 1956 und 1957 als „Quellen zur Geschichte der Frauenbewegung“ fort. Im Jahr 1957 schied sie aus Altersgründen aus der Hamburger Bürgerschaft aus. Im Jahr 1961 erhielt sie die Bürgermeister-Stolten-Medaille. Sie starb am 24. Dezember 1967 in Hamburg. Quellen: Emmy Beckmann, Gestaltung der Mädchenbildung, in: Emmy Wolff, Frauen generationen in Bildern, Berlin 1928, S. 183 – 193; Helmut Stubbe-da Luz, Emmy Beckmann (1880 – 1967), Hamburgs einflussreichste Frauenrechtlerin, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Bd. 73, Hamburg 1987, S. 97 – 138; Christof Brauers, Die FDP in Hamburg 1945 bis 1953, München 2007; Rate Bake, Wer steckt dahinter? Nach Frauen benannte Straßen, Plätze und Brücken in Hamburg, Hamburg 2009.
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Alice Bensheimer „Wir Frauen haben daher das größte Interesse an der Einführung von Bürgerkunde in den Schulen, und wir sollten keine Gelegenheit vorübergehen lassen, unsere Kenntnisse in Rechtsfragen zu vertiefen. Es ist grundfalsch, die Vereinsarbeit zu unterschätzen, wie das jetzt manche Frauen tun. Sie ist die beste Vorbereitung zur sozialen Arbeit im Dienst der Gemeinde“ (Alice Bensheimer, S. 195). Diese Worte kennzeichnen Alice Bensheimers rechtspolitisches Engagement. Sie war Mitglied im Badischen Frauenbund und im Ausschuss zur Bekämpfung der Tuberkulose. Jüdischer Herkunft, setzte sie sich ganz besonders dafür ein, dass Frauen in den jüdischen Gemeinden stärker zur Mitarbeit herangezogen wurden. Als Alice Coblenz wurde sie am 6. Mai 1864 geboren. Eine ihrer Schwestern war die Dichterin Ida Dehmel. Alice’ Ehemann, Julius Bensheimer (verst. 1917), war der Verleger der Neuen Badischen Landeszeitung und bekannter linksliberaler Kommunalpolitiker in Mannheim. Er hatte zusammen mit seinen Brüdern Sigmund (verst. 1897) und Albert (verst. 1906) die Geschäftsführung des von Jakob Bensheimer im Jahre 1838 gegründeten juristischen Verlags übernommen. Der Verlag hatte im Jahre 1876 die Mannheimer Verlags druckerei erworben. Er avancierte mit der Herausgabe der badischen Justizgesetze sowie der seit 1908 erscheinenden Sammlung deutscher Gesetze, s päter in den 1920er- und 1930er- Jahren auf den noch jungen Rechtsgebieten, des Arbeitsrechts und des Internationalen Rechts, zu einem der bedeutendsten juristischen Verlage. In dieser Zeit erfolgte auch die Angliederung der Allgemeinen Verlagsanstalt München AG, sodass sich das Verlagsprogramm um die Kunst und Belletristik erweiterte. Der Verlag Julius B ensheimer wurde 1933 durch die Nationalsozialisten arisiert, im Jahr 1936 an die Weidmann’sche Verlags buchhandlung verkauft und später vom Verlag Franz Vahlen erworben. Die Ehefrau des erfolgreichen jüdischen Verlegers Julius Bensheimer, Alice Bensheimer, gründete den Frauenbund „Caritas“ (1896), der sich als Schwesternvereinigung der Lamey- Loge verstand, Witwen und Waisen unterstützte, sich der Erziehung von armen Kindern annahm. Alice Bensheimer regte im Jahre 1909 die Gründung eines Jugendfürsorgeausschusses in Mannheim an. Sie leitete im E rsten Weltkrieg die Zentrale für Kriegsfürsorge der Stadt Mannheim und gründete im Jahr 1922 die Mannheimer Notgemeinschaft, in der alle freien Wohlfahrtsverbände zusammengefasst waren. Seit dem Jahre 1904 war Alice Bensheimer Schriftführerin im Bund Deutscher Frauenvereine: „Es ist schon eine Lebensarbeit, die sich nicht ohne weiteres in Zahlen ausdrücken läßt. Diese lebendige Verbindung mit den Frauen ringsum, von denen alle unsichtbaren Fäden zu dieser Unermüdlichen, dieser glänzenden Organisatorin hinübergingen. Daß es lebendige Verbindung wurde und blieb, war wieder ihr Verdienst: Ihr war nichts zu gering, sagt Emma Ender, die Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine, von ihr“ (Auszug aus dem Artikel Alice Bensheimers Jubiläum in den Dresdner Neusten Nachrichten, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2069). In der Funktion als Schriftführerin betreute Bensheimer jahrelang das Nachrichtenblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine und damit eins der wichtigsten Publikationsorgane der Deutschen Frauenbewegung: „Den Dank für Ihre Lebensarbeit können alle, die sich mit Frau
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Bensheimer im Bund Deutscher Frauenvereine verbunden fühlen, dadurch ausdrücken, daß sie ihr Beweise seiner Geschlossenheit und Kraft geben, ihn auf jede Weise fördern und ihre mühevolle Arbeit für das Nachrichtenblatt belohnen, indem sie dauernd neue Leser werben“ (Auszug aus einem Grußwort Emma Enders zum 25-jährigen Jubiläum von Alice Bensheimer als Schriftführerin, in: Nachrichtenblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2069). Gertrud Bäumer bezeichnete die Zusammenarbeit z wischen Alice Bensheimer und dem Bund Deutscher Frauenvereine anlässlich der für Bensheimer am Rande der Internationalen Tagung in Wien ausgerichteten kleinen Feier als „Silberhochzeit“ zwischen Bensheimer und dem Bund Deutscher Frauenvereine (LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2069). Aufgrund ihres Kenntnisreichtums und ihrer langjährigen Mitarbeit wurde Bensheimer am 1. September 1931 die Wahl in den engeren Bundesvorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine angedient (LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2069). Über dieses Engagement in der Frauenbewegung hinaus arbeitete Bensheimer im Vorstand der Mannheimer Ortsgruppe der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) mit. Am 6. April 1932 unterzeichnete sie einen Aufruf zur Wiederwahl Hindenburgs. Sie starb am 20. März 1935 in Mannheim. Quellen: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2069; Alice ensheimer, Die Frau im Dienste der Gemeinde, in: Die Frau, 9/1908, Heft 4, S. 195 – 196; B Karl Otto Watzinger, Geschichte der Juden in Mannheim 1650 – 1945 mit 52 Biographien, Stuttgart 1984, S. 61, 79 – 81; Uwe Wesel, 250 Jahre rechtswissenschaftlicher Verlag C. H. Beck (1763 – 2013), München 2013, S. 115.
Margarete Berent Gleichberechtigung: „eine neue Form der Bindung und der Freiheit“ (Berent, 1930/1931, S. 730). Mit diesen Worten charakterisierte die erste Doktorandin der Universität Erlangen eins der wichtigsten Rechtsinstitute. Margarete Berent hatte als Vorsitzende des Deutschen Juristinnenvereins (1921 – 1927) eine entscheidende Rechtsänderung initiiert. Eine von ihr gezeichnete, an die Reichstagsfraktion am 31. Mai 1921 übergebene Eingabe des Deutschen Juristinnenvereins nebst Gesetzentwurf stimmte fast wortgleich mit dem vom damaligen Reichsjustizminister Gustav Radbruch am 25. April 1922 eingebrachten und am 22. Juli 1922 in Kraft getretenen Gesetzentwurf über die Zulassung von Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege überein (Verhandlungen des Reichstags, Reichsgesetzblatt). Margarete Berent (9. 7. 1887 – 23. 6. 1965), Tochter des Kaufmanns Max Berent, hatte nach ihrer Lehrerinnentätigkeit an mittleren und höheren Mädchenschulen bis zum Jahre 1910 und nach der Reifeprüfung (25. Juni 1910) an den von Helene Lange gegründeten Gymnasialkursen
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für Frauen zu Berlin Rechtswissenschaften in Berlin und Erlangen studiert. Im Jahr 1913 wurde sie zu dem Thema „Die Zugewinnstgemeinschaft der Ehegatten“ promoviert. Ihre Promotion wurde in der wöchentlichen Beilage der Neuen Hamburger Zeitung am 3. Januar 1914 der Öffentlichkeit unter der Überschrift „Wieder ein weiblicher Dr. jur.“ mitgeteilt. Margarete Berents Dissertation wurde als 123. Heft der von Otto v. Gierke herausgegebenen Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte im Jahre 1915 veröffent licht. Der Zivil- und Familienrechtler Prof. Martin Wolff beurteilte in einem persönlichen Schreiben an Margarete Berent vom 6. Februar 1915 diese Veröffentlichung als „durchweg beifallswürdig.“ Er hatte „keinen Zweifel, dass [s]ie für ein wichtiges Problem auch zukünftigen Rechts den dauernden geschichtlichen und dogmatischen Unterbau geliefert“ habe. Mit den Worten „auch zukünftigen Rechts“ ließen sich nicht nur ehegüterrechtliche Reformen, sondern auch eine Weiterentwicklung zukünftigen „weiblichen“ Rechts assoziieren. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als die Weimarer Reichsverfassung weder die Gleichheit vor dem Gesetz, noch die Gleichberechtigung der Geschlechter konstitutiv in Kraft gesetzt hatte. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Margarete Berent bereits während ihrer Promotionszeit (April 1912 bis Oktober 1915) der Rechtsschutzstelle für Frauen in Charlottenburg/Berlin angehört hatte. Zunächst als Helferin tätig (Ostern 1912 bis Januar 1914), übernahm sie anschließend die „selbständige verantwortliche Leitung“. Während dieser Zeit als Rechtsbeistand war sie zugleich juristische Hilfsarbeiterin (Anfang 1914 bis September 1915) für die Justizräte Dr. Gabriel und Berent sowie Rechtsanwalt Kochmann in Berlin, die ihr nicht nur „ausserordentliches juristisches Wissen, schnelle und richtige Erfassung des Streitstoffes“, sondern auch „in mehreren Sachen“ Erfolg vor den Gerichten am 15. September 1915 bescheinigten. „Ihre Gewissenhaftigkeit und ihr strenges Durcharbeiten und Vertiefen“ waren es auch, die Margarete Berent „zur fast unentbehrlichen Beraterin“ für die Rechtsschutzstelle Charlottenburg/Berlin gemacht hatten (Zeugnis Oktober 1915). Darüber hinaus hatte sie von April 1915 bis April 1916 die „Rechtsanwälte Blasse und Reinhold Königsberger während ihrer Einberufung, bzw. Krankheit in der Ausübung ihrer Praxis soweit vertreten, wie es nach den gesetzlichen Vorschriften möglich“ war. Während dieser Zeit (seit Juni 1914) war ihr die Adoptionsabteilung der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge übertragen worden. Im Winter 1914/1915 arbeitete sie in der freiwilligen Kriegsfürsorge beim Magistrat Schöneberg in Berlin. Während dieser ersten juristischen Berufserfahrungen erteilte Margarete Berent Unterricht im Handelsrecht an der Victoria- Fortbildungs- und Fachschule e. V., einer Lehr- und Erziehungsanstalt für die weibliche Jugend (Ostern 1914 bis April 1915), sowie an der 5. Wahlfortbildungsschule für Mädchen in Berlin (1. April 1914 bis 1. Oktober 1915). Ausweislich ihres im April 1917 verfassten Lebenslaufs gab sie auch Unterricht in Familienrecht und in dem Unterrichtsfach Jugendfürsorge an der von Dr. Alice Salomon gegründeten Sozialen Frauenschule in Berlin. In der Zeit vom 1. März bis zum 30. September 1916 war ihr „in Vertretung des einberufenen Redakteurs […] die Redaktion [des] Zentralblatt[s] für Vormundschaftswesen, Jugendgerichte und Fürsorgeerziehung […] nahezu selbständig“ übertragen worden. Ihre Kündigung von der wissenschaftlichen Redaktion erfolgte nach der Rückkehr des „einberufene[n] Redakteur[s] aus dem Felde“. Vom 10. September 1915 bis zum 14. April 1917 hatte Margarete Berent als juristische Hilfsarbeiterin und anschließend als Dezernentin in der juristischen Abteilung
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der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft (A. E. G.) weiterführende Berufserfahrungen gesammelt, sodass sie auch für das Arbeitsgebiet „Forst“ des Verbands Groß-Berlin, einer Männerdomäne, verwendbar erschien. Es handelte sich um „die Bearbeitung sämtlicher Vertragssachen des Dauerwaldes, die Bearbeitung sämtlicher Strafsachen aus dem Dauer wald, die juristische Bearbeitung sämtlicher anderen Sachen überhaupt, alle Sachen der Oberförsterei Tegel, die Bearbeitung der Sachen, die ihr von Herrn Verbandsdirektor besonders zugewiesen“ worden waren. Gleichwohl entsprach ihr Status (ausweislich ihres im April gefertigten Lebenslaufs) immer noch dem einer „juristischen Hilfsarbeiterin“. Der Leser führe sich vor Augen, dass Margarete Berent erst am 22. Dezember 1919 die erste juristische Staatsprüfung bei dem Kammergericht B erlin mit der Note „Gut“ bestand (Urkunde vom 23. Dezember 1919) und am 15. April 1921 zum Gerichtsreferendar im Bezirk des Kammergerichts ernannt wurde. Gleichwohl war sie bereits am 29. Juli 1921 als Opponent zur juristischen Doktorprüfung des Gerichtsreferendars Peter Plein an der juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin hinzugezogen worden. Während der Zeit ihres Vorsitzes im Deutschen Juristinnenverein (1921 – 1927) erarbeitete sie gemeinsam mit Marie Munk die Vorschläge zur Änderung des Familienrechts und verwandter Gebiete im Auftrag des Bundes Deutscher Frauenvereine. Ihre Thesen zur rechtlichen Stellung der Ehefrau verteidigte sie auf der XII. Generalversammlung des Bundes am 7. Oktober 1921. Ihre zum Familienrecht erarbeiteten Vorschläge wurden Bestandteil der 1923 von Marie Munk im Auftrag des Bundes Deutscher Frauenvereine herausgegebenen Publikation „Vorschläge zur Änderung des Ehescheidungsrechts und zur elterlichen Gewalt“. Für das Jahr 1924 ist ihre Mitgliedschaft im Deutschen Juristentag nachweisbar, der sich als 33. Deutscher Juristentag in Heidelberg der Frage „Welche Richtlinien sind für die zukünftige Gestaltung des ehelichen Güterrechts aufzustellen?“ widmete (Schriftführeramt der Ständigen Deputation). Am 16. Februar 1925 wurde Margarete Berent zur Gerichtsassessorin ernannt, nachdem sie am 9. Februar 1925 die zweite juristische Staatsprüfung nur mit „ausreichend“ bestanden hatte. Mit der Ernennung wurde sie „einem Amtsgericht zur unentgeltlichen Beschäftigung“ überwiesen. Doch bereits mit Schreiben des Kammergerichtspräsidenten vom 7. März 1925 wurde sie „auf ihren Antrag vom 19. 2. 1925“ aus dem Justizdienste entlassen und zur Rechtsanwaltschaft bei dem Landgericht I in Berlin zugelassen. Mit ihrer Eintragung „in die Liste der beim Landgericht I in Berlin zugelassenen Rechtsanwälte“ am 23. März 1925 und bei den Land gerichten II und III in Berlin am 9. Mai 1925 wurde sie erste Rechtsanwältin Preußens. Im gleichen Jahr wurde sie Mitglied im Preußischen Richterverein und veröffentlichte im Auftrag der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden (Berlin) eine Darstellung über die Rechtslage des jüdischen Kindes. Sie forderte internationale Vereinbarungen über die armenrechtliche Unterstützung ausländischer Kinder jüdischen Glaubens ein. Diese Arbeit kann ihrer Struktur nach als die Grundlage der s päter unter dem Titel „Die gesetzliche Lage des Kindes“ im Jahre 1930 erschienenen Publikation gewertet werden. Bis zum Ende des Jahres 1925 hatte sie ihre Kanzlei in der Goltzstraße 32. Am 14. Januar 1926 erfolgte ihre Zulassung beim Amtsgericht Berlin-Mitte. Ihr Büro befand sich von diesem Zeitpunkt an in der Landsberger Str. 32. Margarete Berent entwickelte im Jahre 1926 Wissensvermittlung in Dialogform für den Rundfunkunterricht beim Zentralinstitut
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für Erziehung und Unterricht; für diese pädagogische Arbeit erhielt sie großen Beifall. Margarete Berent wurde von Alice Salomon, der Begründerin der Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit und Leiterin der ersten Sozialen Frauenschule in Berlin, am 23. Februar 1926 gebeten, in der Zeit von Oktober 1926 bis Juni 1927 eine Arbeits gemeinschaft zu „Rechtsfragen, insbesondere mit Rücksicht auf aktuelle Angelegenheiten, Gesetzesvorlagen und dergl. z. B. das Recht des unehelichen Kindes und Aehnliches“ zu leiten. Die Kanzlei Margarete Berent war erfolgreich. „Für die Zeit vom 23. Juli 1927 bis einschließlich 20. August 1927“ wurde ihr „unter Vorbehalt des Widerrufs“ die Vertretung „des Rechtsanwalts und Notars Dr. Arne Georg Cohn b. d. Landgerichten I, II, III Berlin in seinen Notariatsgeschäften“ durch den Preußischen Justizminister übertragen. Dieses Dokument nahm auf einen früher geleisteten Diensteid als Notarvertreter Bezug. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass Margarete Berent nicht das erste Mal zum Notarvertreter bestellt worden war. Auf der XV. Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine (2. bis 5. Oktober 1927 in Eisenach) hielt sie einen Vortrag zu dem Thema „Die Frau als Organ der Rechtspflege“. In diesem 11 Seiten umfassenden Vortragspapier widmete sich Margarete Berent ausführlich der Beteiligung von Frauen in der Rechtspflege als Schöffen und Geschworene sowie als professionelle Juristinnen, auch mit Blick auf das ausländische Recht. Mit Erlass des Staatskommissars für die Regelung der Wohlfahrtspflege vom 28. Mai 1932 und durch Eintragung in das Vereinsregister am 2. Juli 1932 wurde sie zum Verwalter des „Kinderfürsorge-Vereins“ bestellt. In dieser Zeit firmierte ihre Rechtsanwaltskanzlei unter der Adresse Hallesches Ufer 14 in Berlin. Bereits wenige Wochen nach der Machtergreifung Hitlers zog sich Margarete Berent aus der Mitarbeit im Deutschen Juristinnenverein zurück. Vielleicht hatte sie geahnt, dass die Gleichschaltung aller unabhängigen rechtspolitisch und demokratisch agierenden Frauenorganisationen unmittelbar bevorstand. Auf der Mitgliederversammlung am 24. April 1933 dankte der Vorstand für ihre engagierte Mitarbeit mit den Worten: „[…], dass Sie seit der Gründung des Vereins sich stets für die Juristinnen eingesetzt und ihnen überhaupt erst den Zugang zu den Aemtern miterkämpft haben. […] Wir werden uns bemühen, das Werk, das Sie begonnen haben, nach besten Kräften zu fördern“ (Berent Collection). Aus diesen Worten zieht die Sekundärliteratur den Schluss, es habe sich der Deutsche Juristinnenverein aufgelöst, um der Gleichschaltung zu entgehen (Röwekamp, S. 451). Es enthält aber der Nachlass Margarete Berents eine mit dem Namenszug Anna Hertz versehene Aktennotiz vom 20. Juni 1966, dass Margarete Berent im Sommer 1933 nur den Berliner Soroptimist-Club aufgelöst habe, „um die drohende Gleichschaltung des Clubs zu verhindern (etwa 50 % der Berliner Mitglieder waren Juristinnen). Über die besonders geschickte Handhabung der recht gefährlichen Prozedur könnten noch Berichte beigebracht werden.“ Der Soroptimist-Club war eine noch junge Frauenorganisation, die erst im Jahre 1930 von der Chirurgin Dr. Edith Peritz gegründet worden war. Aus den Erinnerungen berichtete Hertha von Gebhardt in ihrer Veröffentlichung mit dem Titel „der Anfang“ in der wahrscheinlich im Jahre 1957 erschienenen Vereinszeitung. Im Jahre 1932 war neben Margarete Berent auch Hilde Oppenheimer (Nationalökonomin, Oberregierungsrätin im Reichsarbeitsministerium) aktives Mitglied dieses Klubs (S. 5 der oben genannten Vereinszeitung). Die Aktennachweise des Vereins verschwanden bereits mit dem Wechsel
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im Vorstand zu Beginn des Jahres 1933 und waren seitdem nicht mehr auffindbar (S. 8 der oben genannten Vereinszeitung). Georg Freisler erließ gegen Margarete Berent am 9. Mai 1933 ein Vertretungsverbot. Am 23. Juni 1933 wurde ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft durch den Vizepräsidenten des Kammergerichts mit dem Tenor zurückgenommen: „weil Sie nicht arischer Abstammung sind“. Am 27. Juni, 29. Juni, 30. Juni und 1. Juli 1933 wurde sie aus den beim Amtsgericht Berlin-Mitte und den Landgerichten I bis III geführten Rechtsanwaltslisten gelöscht. Bereits die Löschungsnachricht vom 30. Juni 1933 wurde ihr nicht mehr an die Kanzleiadresse (Hallesches Ufer 14), sondern an ihre Privatadresse zugestellt. Ihre Anstellung bei der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden in Berlin- Charlottenburg währte kurz. Nach der Auflösung des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und seiner Überführung in eine Reichsvereinigung der Juden in Deutschland im Jahre 1938 (Barkai, S. 343 – 375) mochte Margarete Berent ihre Arbeit nicht mehr fortsetzen. Sie emigrierte 1938 über Chile (1938) in die USA (1939). Dort wurde sie nach einem Rechtsstudium an der New York University 1949 als Anwältin zugelassen. Voller Stolz gab Margarete Berent diesen Erfolg Elisabet von Harnack bekannt, indem sie ihr eine Visitenkarte übersandte: “Margarete Berent, Attorney At Law, formerly Member of the Bar in Berlin, Germany, Dr. jur., is now practicing Law at 1961 Broadway New York 23, N. Y., Tel. Trafalgar 7.7180, Admitted to the U. S. Board of Immigration Appeals and the Immigration and Naturalization Service” (Nachlass v. Harnack). Nach einigen Jahren änderte sich ihre berufliche Tätigkeit erneut. In den Jahren 1956 bis 1965 arbeitete sie in der Rechtsabteilung der Stadtverwaltung von New York. In Berents Entschädigungsverfahren urteilte Marie-Elisabeth Lüders (Alterspräsidentin des Deutschen Bundestages, Mitglied der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages, Dr. jur. h. c. der Universität Bonn) über sie am 6. Juli 1959: „Ich möchte noch darauf hinweisen, dass der Verlust ihrer Mitarbeit im Bund Deutscher Frauenvereine sicherlich mit bewirkt hat, dass die von ihr so früh erkannte Notwendigkeit der Zugewinnstgemeinschaft (jetzt im BGB Zugewinngemeinschaft) den deutschen Frauen erst in diesen Tagen zuteil geworden ist.“ Die Journalistin und das Soroptimist-Club-Mitglied Hildegard Walter hob hervor: „Berent galt in den weiten Kreisen der Vorkämpferinnen für die Gleichberechtigung der Frau als leuchtendes Beispiel. Einmal, weil ihre fachlichen Leistungen auch von überzeugten männlichen Gegnern des Prinzips mit besonderem Nachdruck anerkannt und gerühmt wurden, und zweitens, weil sie den Frauenorganisationen, die auf diesen Gebieten tätig waren, die wertvollsten ehrenamtlichen Dienste leistete.“ Blieben diese Weggefährten aus der Zeit vor der Emigration Margarete Berent noch lange bis kurz vor ihrem Tod treu, hielten beide, Marie Munk und Margarete Berent, ihren Kontakt miteinander nach der Machtergreifung Hitlers nicht mehr aufrecht. Das gemeinsame Engagement für die Rechtsstellung der Frau blieb einer blassen Erinnerung überantwortet. Nachdem am 25. Juni 1965 Margarete Berent verstorben war und Marie Munk darüber in der Zeitschrift „Aufbau“ las, schrieb Marie Munk am 3. Juli 1965 an eine Freundin: „Heute diktiere ich den von Frau Gans gewuenschten Nachruf fuer Marg. Berent. Da ich sie in den letzten 30 Jahren nur etwa 1 Mal fluechtig sah und sprach, war es etwas schwierig. – Sie blieb mir als Mensch fremd“ (Marie Munk Nachlass). Wohl deshalb wurde ein von Marie Munk ausformulierter Nachruf auf Berent von Helene
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Gans (Vorsitzende des Berliner Frauenbundes 1945 e. V.) nicht redigiert und auch nicht veröffentlicht (Marie Munk Nachlass). Die Vorsitzende des Berliner Frauenbundes 1945 e. V. hatte am 21. Juli 1965 der langjährigen Freundin Margarete Berents, Anna Hertz, ihr Beileid ausgesprochen. Am 28. Februar 1966 vollzog Anna Hertz den letzten Willen Margarete Berents und vermachte dem Leo Baeck Institute New York 1000 Dollar. Obgleich Margarete Berent in ihrer Publikationsliste insgesamt nur 6 Veröffentlichungen aufgeführt hatte, bestritt sie gemeinsam mit Marie Munk die wesentlichen Rechtsfragen der Weimarer Reform. Quellen: Margarete Berent Collection, AR 2861, 2862 MF 592, Leo Baeck Institute at the Center for Jewish History, New York; Schreiben von Marie Munk an Elisabeth Glucksman vom 20. Januar 1966, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 4 Folder 13; Schreiben von Helene Gans an Marie Munk vom 8. April 1966, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 6 Folder 10; Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Nachl. 323 E. V. Harnack Ka 8. Mp. 109; Verhandlungen des Reichstags. I. Wahlperiode 1920. Bd. 372. Anlagen zu den Stenographischen Berichten. Nr. 3760 bis 4192, Berlin 1924 Nr. 4175, S. 4507 – 4509; RGBl. 1922, Teil 1, Nr. 51, S. 573 – 574; Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des Dreiunddreißigsten Deutschen Juristentages (Heidelberg), Berlin/Leipzig 1925, S. 325 – 384; Margarete Berent, Die gesetzliche Lage des Kindes, in: Adele Schreiber, Das Reich des Kindes, Berlin 1930, S. 337 – 355; Margarete Berent, Die Neugestaltung des Familienrechts, in: Die Frau, 38/1930 – 31, S. 725 – 730; Hiltrud Häntzschel, „Eine neue Form der Bindung und der Freiheit. Die Juristin Margarete Berent (1887 – 1965), in: Hiltrud Häntzschel und Hadumod Bußmann (Hg.), Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern, München 1997, S. 231 – 235; Barkai, Avraham, „Wehr Dich!“. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C. V.) 1893 – 1938, München 2002, S. 343 – 375; Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon zu Leben und Werk, Baden-Baden 2005; Hiltrud Häntzschel, Der „Aufbau eines neuen Rechts“ im Geist von Egalität, Gerechtigkeit und Freiheit, seine Vertreibung und späte Heimkehr – Dr. jur. Margarete Berent, in: Adriane Feustel, Inge Hansen-Schaberg und Gabriele Knapp (Hg.), Die Vertreibung des Sozialen, München 2009, S. 164 – 177.
Marianne Beth „Lernen und arbeiten“ Mit diesen Worten untertitelte sie ihre Selbstschilderung im März 1927. Es lag ihr Streben nicht auf einer „irgendwie erfüllenden Leistung“ ihres Lebens oder auf „bloßem Training“ ihres Tuns. Vielmehr erfassten diese Ansätze ihre schriftstellerische rechtspolitische Arbeit, denn „es gab eine Zeit, da jeder Vollbürger um das Recht seines Volkes Bescheid wissen mußte. Nur ein solcher Wissender wird die Grenzen wahren und dem Ganzen in rechter Weise dienen“ (Beth, 1931).
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Marianne Beth wurde als Kind des Juristen Dr. Ernst Franz v. Weisl und seiner Frau Charlotte am 6. März 1890 geboren (Röder, S. 60). Bereits in ihrer Kinder- und Schulzeit wurde ihr der Geschlechterunterschied bewusst: „Mein Vater hatte sich einen Sohn gewünscht. Als ihm dann doch eine Tochter geboren wurde, erzog er sie sich zum Sohn, da der Unterschied der Geschlechter doch nur in der Einbildung der Unterscheidenden bestehe. Vielleicht machte er so aus der Not eine Tugend“, schrieb Marianne Beth. Sie besuchte „niemals eine öffentliche Schule“. Gleichwohl erinnerte sie sich, „daß ich je ohne ein Blatt Gedrucktes in Händen geblieben wäre; ja, zum Entsetzen meines Vaters hielt ich sogar beim Schuhanziehen oder Frisieren die Nase in irgendein Buch. Alles Wichtige in diesen ersten Jahren unterrichtete M utter mit viel Ausdauer und pädagogischem Geschick, Lesen (an den Geschäftsschildern), Rechnen, Orthographie, Musik, Franzö sisch.“ Im Alter von 8 Jahren übersetzte Marianne Beth Hauffs Liechtenstein ins Franzö sische und mit 9 Jahren begann sie Latein zu lernen. Den gymnasialen Unterricht erhielt sie durch einen Hauslehrer. Zwei Mal im Jahr musste sie sich einer Prüfung in einem Knabengymnasium unterziehen. „Mein Bemühen, lauter ‚Vorzüglich‘ davonzutragen, war natürlich groß, je mehr mir durch die wenigen Fremden, mit denen ich zusammenkam, meine Sonderstellung zum Bewußtsein gebracht wurde.“ Nach der Matura im Alter von 18 Jahren wünschte Marianne Beth Jus zu studieren, „um zu gegebener Zeit Papas Kanzlei zu übernehmen. Diese Vorliebe hatte sich von selbst ergeben. Mein Vater war ein Fanatiker des Rechts, ein Michael Kohlhaas im Talar des Advokaten. In ihm stand uns die ideale Seite des Berufes täglich vor Augen, ebenso wie die flutenden Probleme der Wissenschaft und des Lebens.“ Eine Immatrikulation an der juristischen Fakultät war jedoch zu jener Zeit (1908) noch nicht möglich. Marianne Beth entschied sich deshalb für die Orientalistik und wurde „ordentliche Hörerin“ an der Philosophischen, jedoch auch „Hospitantin“ an der Juristischen Fakultät und an der Evangelisch-Theologischen Fakultät. Innerhalb dieser sich nunmehr ergebenden „vierzig Wochenstunden“ gedachte sie, „alles gleichzeitig einsaugen“ zu müssen. Es dauerte nicht lang, da war Marianne Beth auch ob ihrer „Unersättlichkeit“ in der Universitätsbibliothek „verrufen“. Durch die nicht nachlassende Aufforderung eines Kommilitonen, eine religionsphilosophische Vorlesung des Systematikers Karl Beth zu hören, „die man einfach gehört haben müßte“, lernte sie ihren späteren Mann kennen. Marianne Beth war für die damalige Zeit keine „normale“ junge Frau, denn sie liebte mehr die „kleinen Herrenabende, wenn ältere, verantwortliche Männer Politik, Tagesereignisse, Auswanderung, Wissenschaft, Kunst besprachen“, als die „Repräsentationsbälle“ der Wiener Gesellschaft. In diesen Jahren begegnete sie auch Josef Popper-Lynkeus und Marianne Hainisch. Es war die erste theoretisch-juridische Erfahrung Marianne Beths, als Marianne Hainisch an einem der Abende das Problem der Ehereform entwickelte. „So tiefe nachhaltige Wirkung diese frühen Anregungen auf mich hatten, vorerst trieben sie mich nur zu einer noch größeren Intensivierung meiner Studien wie auch zu fortschreitender Verbreitung meiner Forschungsgebiete, da ich von Anfang an die ineinandergreifende Mannigfaltigkeit des Wissens und Geschehens allzu wohl erfasst hatte und mir der Verantwortlichkeit jeglichen Handelns allzu wohl bewußt war, um es blindlings wagen zu können, für Ideen einzutreten, deren Tragweite ich nicht wenigstens annähernd glaubte übersehen zu können.“ Marianne Beth wurde jedoch aus
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ihren Studien herausgerissen, weil sie ihre zwei jüngeren, revoltierenden Brüder als Erzieherin und Hauslehrerin wieder auf die Pfade der Tugend zurückbringen musste. Nach Beths eigenen Angaben verlobte sie sich im Jahre 1912 (und nicht im Jahre 1911) mit Karl Beth, kurz vor dem Abschluss ihrer Dissertation zu dem Thema „Über die Eigentumsveränderungen im babylonischen und biblischem Recht“. Nach der Heirat erkrankte sie schwer und machte dennoch „fristgemäß das Doktorat der Philosophie“. Sie brachte einen Jungen (Eric Walter) zur Welt und arbeitete mit ihrem Mann zur „Religionsgeschichte, Ethnologie, Ethnographie, Völker- und Religionspsychologie“. Sie lernte Ägyptisch und übersetzte „nur zum Privatgebrauch“ englische Literatur ins Deutsche. Den Ersten Weltkrieg erlebte sie entbehrungsreich. Mittlerweile Mutter zweier Kinder, vermochte sie ihre Familie nur deshalb durchzubringen, weil ihr Vater, „Schöpfer der neuen Militärstrafprozeßordnung“ und Stellvertreter des Generalmilitärstaatsanwalts“, Lebensmittelsonderra tionen an sie abtrat. In dieser Zeit machte sie Bekanntschaft mit dem gemeinen Volk: „In Reih und Glied stand ich mit dem geduldigen, unerträglich gequälten Wiener Volke. Ich hörte es seinen Jammer stöhnen, seinen Haß gegen die Ordnung wirkenden Sicherheitswächter verspritzen, seine letzten Kräfte des Geistes und Körpers auf die Erhaltung des elendesten, barsten Lebens verspritzen. – Erfolglos“ (Beth 1933, S. 94 – 105). Ihr kam zu Bewusstsein, dass es die Frauen waren, die den Krieg massiv und ungeschützt zu erleiden hatten, entgegen aller heuchlerischen Kriegspropaganda (Beth 1933, S. 105). Insbesondere für die Nachkriegszeit stellte Marianne Beth fest: „Alle Stützen wankten. Wahrheiten zeigten sich als hohle Lügen. Tugenden brachten Verderben über den Täter; Staat und Gesellschaft beuteten die Unerfahrenheit der Anständigen aus, man lebte buchstäblich von seinen Gesetzesübertretungen, Verträge zerfielen wie Zunder, die Familie löste sich auf, die schurkische Bedenkenlosigkeit der Jugend wurde mit tollen Gewinnsten, fleißige Arbeit mit Elend belohnt. Am schwersten lastete alles auf den Frauen; am wenigsten fähig, sich psychisch dazu einzustellen, es zu verstehen und zu überwinden, zeigten sich die Frauen. Ich sah all dies mit eigenen Augen, körperlich nahm ich daran teil. Und meine lange still gehegten Überzeugungen, mein Abscheu vor dem Krieg, der wohl zu meinen angeborenen Ideen gehören muß, wurde mir eine objektive Gewißheit, für die ich mich nun berufen fühlte, auch einzustehen, wo und wie es komme.“ Mit diesen Worten bildete sich bei Marianne Beth erstmals die Basis eines „Schwerpunkt[s] der Kulturbedeutung geistiger Frauenarbeit“ heraus, wie ihn Marianne Weber in ihrem Aufsatz „Die Beteiligung der Frau in der Wissenschaft“ beschrieben hatte (Weber, S. 7). Marianne Beth grenzte sich fortan von den „Menschen, deren Handeln und Denken von klar und sicher erkannten und bewußt geordneten Beweggründen beherrscht wird“ (Beth 1933, S. 106), und den (von ihr so genannten) Praktikern ab, die so „leicht geneigt“ seien, „den Anforderungen des Augenblicks Rechnung zu tragen“. Sie seien „ideale Untertanen“, meinte Beth (Beth 1933, S. 107). Ihre Standpunkte waren „in ihrem eigenen Entstehen durch solche Vernunft raisonnments weniger als durch ureigenst unaussprechlich Persönliches, durch Erlebnisse bedingt gewesen“. Sie markierte den Übergang von subjektivem Erleben zu objektiver weiblicher Erkenntnis für die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, den Jahren des Zusammenbruchs, mit den Worten: „[I]ch konnte in ihnen nichts anderes sehen als die ‚Früchte‘ des Krieges, und durch diese Früchte schien mir der Baum in objektiver Weise gerichtet.“
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Diese Erkenntnis blieb für Marianne Beth nicht ohne Folgen: „Und damit war mir zugleich die Verantwortung auferlegt, dies zum Nutzen anderer zu verwerten“ (Beth 1933, S. 108). Sie unterstützte ihren Mann als Präsidenten der „World Alliance for Promoting Interna tional Friendship through the Churches“ und nahm nach der „verfassungsrechtlich verbrieften Gleichheit“ der Frau ihre juristischen Studien wieder auf, verbunden mit dem Postulat: „[D]as beste Mittel ist, bei jeglichen Reformbestrebungen die Verklammerung der sozialen Ordnung nach ihrer wahren Kraft und Bedeutung zu erkennen und das Neue in das Alte geziemend einzufügen. Der Jurist kennt die Widerstände, aber er weiß auch, wie man sie überwindet. Er ist an das kontradiktatorische Verfahren, das ebenso den Prozeß wie die Parlamentsdebatte bestimmt, gewöhnt und weiß, daß und wie man aus Schwarz und Weiß schließlich den mittleren Weg der annähernden (weil praktischen) Wahrheit und Gerechtigkeit herausfindet. Nicht nur um des Jus selbst, sondern auch um all meiner Reformgedanken und Pläne willen brauchte ich das neue Studium“ (Beth 1933, S. 110). Im Oktober 1919 stellte sie sich der ersten juristischen Staatsprüfung. Das war gerade einmal fünf Monate nachdem das Staatsamt für Inneres und Unterricht der provisorischen Staatsregierung des Staates Deutsch-Österreich mit einer sogenannten Vollzugsanweisung vom 22. April 1919 Frauen zu den rechts- und staatswissenschaftlichen Studien, zu den theoretischen Staatsprüfungen und zum Doktorat der Rechte und der Staatswissenschaften zugelassen hatte (Koffmahn, S. 33). Dieser Entscheidung ging ein seit 1878 währender Kampf um „[d]ie Zulassung der Frauen zu den juristischen Studien“ voraus (Bernatzik, Wien 1900). Die Zulassung von Frauen zu den juristischen Studien, Prüfungen und Berufen wurde insbesondere von dem Nationalökonomen und Professor für Nationalpolitik der Universität Wien, Dr. Edmund Bernatzik, mit dem Hinweis auf das Recht auf freie Berufswahl aus Art. 18 des österreichischen Staatsgrundgesetzes von 1867 vorangebracht. Indem Bernatzik seine Rechtsakademie für Frauen gründete und die Vielzahl der Petitionen und Anträge von studierwilligen Frauen nicht zurückging, ließ Österreich ohne parlamentarische Debatte Frauen zu allen Studien und Prüfungen in den Wissenschaften zu. Die Gesetze Österreichs wurden nicht geändert. Es wurde, was zu damaliger Zeit revolutionär war, die diskriminierende Rechtspraxis aufgehoben, indem sich die männlichen Rechtsanwender von der geschlechtsspezifischen Interpretation der Gesetze abwandten und dieses in der Verwaltung durch eine geschlechtsneutrale Vollzugsanweisung für die zukünftige Rechtspraxis sichern halfen. Nach einem Aufenthalt in Schweden (1920) entdeckte Marianne Beth ihre schriftstellerische Tätigkeit, wurde Mitarbeiterin bei psychologischen und soziologischen Fachzeitschriften (Röder, S. 60), hielt viele Vorträge. Am 13. Juni 1921 (Koffmahn, S. 33; Berger, S. 638) promovierte sie und „wurde vom Rektor feierlich als erster weiblicher Doktor juris in Österreich begrüßt“. Damit war sie aber zugleich die erste Frau Österreichs, die zwei Doktorate besaß (Berger, S. 638 Fußnote 38). Marianne Beth folgten im Jahre 1922 an der Universität Wien zwei Juristinnen nach: Helene Mayer und Maria Hefferl, geb. Bernatzik. Im Jahre 1923 verdoppelten sich die weiblichen Promotionen auf sechs an der Universität Wien (Koffmahn, S. 33). Die Universität Graz promovierte erst im Frühjahr 1922 ihre erste Juristin (Ilse Knapitsch, verh. Jaksche). Die Universität Innsbruck folgte erst im Jahre 1923 mit ihrer ersten Juristin, Maria Fischer, verh. Lanner, den anderen Universitäten Österreichs nach (Koffmahn, S. 33).
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Marianne Beth erhielt die Zulassung für die Gerichtspraxis und wurde als Schriftführer am Wiener Landgericht in einer Kammer für Eherechtssachen als „Rechtspraktikant“ unentgeltlich beschäftigt (Beth 1933, S. 111). Im April 1922 trat sie „als erster weiblicher Konzipient“ in die Kanzlei ihres Vaters ein, einem „Fanatiker des Rechts“ (Beth 1933, S. 98), wie sie ihn beschrieb. Rückblickend stellte sie fest: „Bei dieser Gelegenheit sei es gesagt, daß ich bis heute für meine Bestrebungen von männlicher Seite, Lehrern, Vorgesetzten und Kollegen stets nur Förderung erfuhr.“ Marianne Beth wurde General sekretärin des Internationalen Anwaltverbandes, wurde beim Wiener Oberlandesgericht als erste Frau zum Gerichtsdolmetscher bestellt, legte an demselben Gericht als erste Frau Österreichs die Rechtsanwaltsprüfung ab und wurde als erste Frau Österreichs in die Liste des Oberlandesgerichts als Verteidiger für Strafsachen eingetragen. Sie gründete ein Kreditinstitut für geistige Arbeiter. Die Zusammenarbeit mit ihrem Mann in der „Internationalen religionspsychologischen Gesellschaft“ hielt sie aufrecht, wenn auch mit einem eigenen, wie sie schrieb, „experimentell-empirischen“ Ansatz. Einem Ansatz, der in dem von Marianne Beth bezeichneten Wortlaut ebenfalls eine starke Anlehnung an den von Marianne Weber beschriebenen Schwerpunkt der Kulturbedeutung geistiger Frauenarbeit in der Beteiligung der Frau in der Wissenschaft aufwies. Beth stellte sich einer „kulturgeschichtlichen Aufgabe“, wie sie es selbst bezeichnete, „unter voller Heranziehung der juristischen und religiösen Entwicklungsmomente“. Von ihrem Ansatz kann die Publikation mit dem Titel „Neues Eherecht“ nur ein Ausschnitt des Materials sein. „Wann ich dazu kommen werde, sie auszuführen, weiß ich nicht“, hob Beth hervor. Kulturarbeit bedeutete bei Marianne Beth auch politisches Engagement. Mit dem Wahlkampf in Österreich in den Jahren 1926/27 versuchte sie weibliche politische Aktivitäten in einer von ihr gegründeten Österreichischen Frauenorganisation zu konzentrieren, nachdem die politischen Parteien entweder die Frauen ganz vernachlässigt oder sie als Mitglieder aufgenommen, jedoch dann in den Hintergrund gedrängt hatten (Beth 1933, S. 112 – 114). In diesem politischen Engagement Marianne Beths war eine enge Trias z wischen subjektiver Erfahrung, objektiver Erkenntnis und Recht, ihre persön liche Trias weiblicher Kulturarbeit zu erkennen: „Die bürgerlichen Parteien glaubten das weibliche Element ganz vernachlässigen zu können. Und gleichzeitig wurde engster Anschluß an die ‚Partei‘, strengste Disziplin von allen Seiten gepredigt. Infolgedessen fehlte sehr vielen Frauen das Bewußtsein ihrer Macht und ihrer Verantwortung. Sie hatten wohl den Wunsch, aber nicht den Willen zur Einheit als Frau, glaubten diese Einheit mit kleinen Äußerlichkeiten erreichen zu können. Es fehlte so oft der Wille zur Arbeit für die Gesamtheit, überhaupt das heute ja leider bei allen Ständen und Geschlechtern so schwache Staatsbewußtsein, das ja das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit mit den anderen Ständen, der Wille, den anderen ihr Recht widerfahren zu lassen, ist, auch wo dies persönliche Opfer verlangt und auf das es eben jetzt ankäme“ (Beth 1933, S. 113 – 114). Betrachtet der Leser diese Worte Marianne Beths genau und geht den kursiven Hervorhebungen nach, so erkennt der Leser Konturen ihrer Vorstellung über die sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Mindestbedingungen, unter denen Gerechtigkeit ermöglicht werden kann. Diese Mindestbedingungen bestehen zum einen aus dem Willen, „den anderen ihr Recht widerfahren zu lassen“, und zum
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anderen aus der Schirmherrschaft des Bewusstseins einer Zusammengehörigkeit aller Stände und Geschlechter. Diese beiden Bedingungen sind eine geistig-soziale Urverständigung, die einer staatsbürgerlichen Teilhabe der Frau in Politik und Gesellschaft, genau genommen einer staatsbürgerlichen Gleichheit aller Bürger, vorgeschaltet ist. Dieses Moment, die staatsbürgerliche Gleichheit aller Bürger zu stärken, war auch Beweggrund für Marianne Beths Gründung der österreichischen Frauenorganisation in den Jahren 1926/27. Marianne Beth war eng mit Marianne Hainisch befreundet (Stadler, S. 457), der Vertreterin Österreichs auf dem International Council of Women in Toronto/ Canada Juni 1909 (International Council, S. 191). Im Jahre 1928 wurde sie als erste Frau Österreichs in die Anwaltsliste eingetragen (Berger, S. 638). In d iesem Jahr gründete Marianne Beth, gemeinsam mit Wilhelmine Löwenstein- Brill (Stöckl, S. 87), die österreichische Gliederung der Berufsorganisation „International Federation of Business and Professional Women“ (bpw), den Verein berufstätiger Frauen Österreichs in Wien (Forkl, S. 33). Im Juli 1931 nahm sie an dem Kongreß der Internationalen Vereinigung berufstätiger Frauen als Vertreterin Österreichs teil. Wie viel Bewunderung sie bereits innerhalb der Frauenbewegung genoss, wird an den Schilderungen Marie Munks über Marianne Beth deutlich: “The President of the Austrian Federation who was in charge of the congress was Dr. Marianne Beth who had invited me to come over. I had been in touch with her for some time because she was a a lawyer like myself, but she was in addition, a scholar in the field of philosophy and a linguist. She also took an active part in the Austrian Feminist movement. In spite of her many activities, she took care of her home, her husband, a Professor of Theology at the Univ. of Vienna and of her two children. […] She herself made use of her linguistic abilities – she mastered some six languages – with which she established herself in this country. She also attended with me the International Council of Women in Chicago in 1933” (Munk Autobiografie, Kap. XII, S. 18 – 19). Marianne Beths schriftstellerische Tätigkeit erreichte in den Dreißigerjahren ihren Höhepunkt. Die Publikation „Das Recht der Frau“ (1931) kündigte der Verlag mit den Worten an: „Was jede Frau wissen muß! Das neueste Werk aus der Feder der namhaften Schriftstellerin Rechtsanwalt Dr. Marianne Beth“ (Umschlagbanderole). Im Jahre 1932 erhielt sie den Kant-Preis. Auf Nachfrage bei der Alfred Toepfer Stiftung F. V. S. stehenUnterlagen über die Begründung des Kant-Preises nicht mehr zur Verfügung (Auskunft der Stiftung vom 14. 8. 2007). Nach der Machtergreifung Hitlers erhielt sie im Dezember 1938 Berufsverbot. Sie emigrierte 1939 in die USA und übte bis 1942 eine Lehrtätigkeit am Reed College Portland aus. Darüber hinaus wurde sie Mitarbeiterin in soziologischen und sozialpsycholo gischen Fachzeitschriften in den USA. Seit 1955 übernahm sie die stellvertretende Leitung des Universal Translation Bureau Chicago. Sie lebte bis 1962 in Chicago (Röder, S. 60) und starb am 19. August 1984. Quellen: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3508, Autobiografisches Manus kript; Edmund Bernatzik, Die Zulassung der Frauen zu den juristischen Studien, Wien 1900; International Council of Women (Hg.), Die Stellung der Frau im Recht der Kulturstaaten, Karlsruhe 1912; Marianne Weber, Die Beteiligung der Frau an der Wissenschaft,
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in: dies., Frauenfragen und Frauengedanken, Tübingen 1919, S. 1 – 9; Marianne Beth, Das Recht der Frau, Wien 1931; Marianne Beth, Lernen und arbeiten, in: Elga Kern (Hg.), Führende Frauen Europas, 1. Folge, München 1933; Anna Lind, Das Frauenstudium in Österreich, Deutschland und in der Schweiz, Diss., Wien 1961; Hermine Stöckl, Die Juristin im freien Beruf und in der öffentlichen Verwaltung, in: Martha Forkl und Elisabeth Koffmahn (Hg.), Frauenstudium und Akademische Frauenarbeit in Österreich, Wien/ Stuttgart 1968, S. 86 – 89; Elisabeth Koffmahn, Die ersten Frauen an den rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultäten und die gegenwärtige Situation, in: Martha Forkl und Elisabeth Koffmahn (Hg.), Frauenstudium und Akademische Frauenarbeit in Österreich, Wien/Stuttgart 1968, S. 29 – 36; Werner Röder und Herbert A. Strauss, Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. I Politik, Wirtschaft, Öffent liches Leben, München 1999, S. 60; Elisabeth Berger, „Fräulein Juristin“. Das Frauenstudium an den juristischen Fakultäten Österreichs, in: Juristische Blätter, 122. Jg. Heft 10, Oktober 2000, S. 638; Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft, I. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930 – 1940, Bd. I, Münster 2004, S. 457; www.bpw-interna tional.org; Telefonat und elektronische Antwort der Vorstandsassistenz der Stiftung, Frau Sibylle Schmietentorf, vom 14. August 2007.
Ernst Brandis „Ob das geltende Recht den Bedürfnissen genügt oder aber ob es Unzulänglichkeiten und Mängel aufweist […]“ (Brandis, S. 8). Diese Worte aus seiner Einleitung zu „Der Gesetzentwurf über das Unehelichenrecht und seine Probleme“ (Berlin 1929) kennzeichnen die juristische Tätigkeit des Ministerialbeamten, Richters und späteren Senatspräsidenten des Reichsgerichts Ernst Brandis. Er wurde am 22. April 1880 in Magdeburg geboren. Nach den Examina (1902 bis 1908, jeweils mit dem Prädikat „gut“) arbeitete er als juristischer Hilfsarbeiter im preu ßischen Justizministerium. Vom 1. Mai 1911 bis Dez. 1917 war er Richter am Amtsgericht Berlin-S chöneberg, Landgericht Berlin II. Im Dez. 1917 wechselte er in das Kriegsministerium und war bis März 1919 Hilfsreferent in der Rechtsabteilung des Kriegs amtes im Kriegsministerium. Zunächst Hilfsarbeiter am Kammergericht wechselte er am 15. Dez. 1919 als Hilfsarbeiter in das Reichsjustizministerium. Zum 1. April 1920 wurde er zum Ministerialrat ernannt. Ab d iesem Jahr ist auch seine Mitgliedschaft in der deutschnationalen Volkspartei verzeichnet. Brandis war Autor folgender Publika tionen: „Miet- und Wohnungsrecht in Reich und Ländern (mit Anhang: Berlin): nach dem Stande von Mitte Januar 1925 mit den neuesten Vorschriften über Lockerung der Wohnungszwangswirtschaft“ (Mannheim 1925). Der „Gesetzentwurf über das Unehe lichenrecht und seine Probleme“ geht auf ihn zurück (Berlin 1929). Eine Publikation über „Mieterschutz vom April 1933 ab: Gesetz über Räumungsfristen vom 29. März 1933. Bekanntmachung über Mieterschutz vom 27. April 1933“ (Berlin 1933) und ein Buch über die „Vereinheitlichung der Zuständigkeit in Familiensachen“ (Berlin 1934) folgten.
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Die Reformüberlegungen zum Eherecht in nationalsozialistischer Zeit begleitete er mit seiner Publikation „Die Ehegesetze von 1935“ (Berlin 1936). Die nationalsozialistischen Bestrebungen zur Änderung des Personenstands fasste er in seinem Buch „Das neue Personenstandgesetz vom 3. November 1937 (Berlin 1937 und 1939) zusammen. Während des Nationalsozialismus erschienen ebenfalls Kurzkommentare zum Ehe-, Familienund Mietrecht in Staudingers Kommentar. Im Jahre 1937 erfolgte Brandis’ Berufung in die Akademie für Deutsches Recht und zum Präsidenten des VI. Zivilsenats des Reichsgerichts (1937). Bereits zuvor war Ernst Brandis unter dem Senatspräsidenten Dr. Oegg Mitglied des III. Zivilsenats gewesen (1932 – 1934). Ob Ernst Brandis ein glühender Anhänger des Nationalsozialismus war, ist nicht sicher. Denn sogar bei den richterlichen Angehörigen der Strafsenate waren von 87 nachprüfbaren Fällen nur 39 Mitglieder der NSDAP. „Ein Beweis“, so die Sekundärliteratur, „daß die so häufig gehörte Behauptung, der Eintritt in die NSDAP sei existenzbedingt gewesen, aus der Sphäre des Reichsgerichts in das Gebiet der Fabel zu verweisen ist. Wesentlich allerdings war die Zugehörigkeit zur Nazipartei für die Ernennung zum Senatspräsidenten, jedenfalls soweit es sich um den Vorsitz bei Strafsenaten handelte“ (Kaul, S. 59). Ernst Brandis war einer der Autoren der Akademie für deutsches Recht für die Publika tion „Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/36“. Diese Publikation erschien zugleich als Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Bd. VIII und im Jahre 1937 als so bezeichneter „Umbruch 1933/1936“. Der Mitherausgeber, Erich Volkmar, seit 1931 Abteilungsleiter und Vorgesetzter des Referatsleiters Brandis im Reichsjustizministerium, wählte Brandis als Autor für die Darstellungen über die Ehehindernisse, die Ehenichtigkeit, die Eheanfechtung, die Missbräuche bei der Eheschließung, Ehescheidung, die Annahme an Kindes statt und das Mietrecht aus. Fest steht auch, dass sich in den Zivilsenaten die Rechtsprechung im Zivilrecht entschieden zugunsten des Nationalsozialismus änderte. So wurde die Amtshaftung auch auf die Ausübung von Tätigkeiten in der nationalsozialistischen Partei ausgedehnt (Kaul, S. 65 mit Hinweis auf RG v. 6. 5. 1935). Die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigte die Verweigerung der Ausstellung von Geburtsurkunden, wenn die Gestapo hiergegen Bedenken geltend gemacht hatte, weil es „nicht Aufgabe der ordentlichen Gerichte sein“ kann, „zu prüfen und zu bestimmen, w elche Verwaltungsmaßnahmen zur Erhaltung der Staatssicherheit erforderlich sind“, was zur Klageabweisung einer Amtshaftung führte (Kaul mit Hinweis auf RGZ 152, 301, S. 65). Das Reichsgericht hielt sich in Haftungsfragen für an die Entscheidungen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums gebunden (Kaul, S. 65 – 66 mit Hinweis auf RG v. 6. 5. 1936 in DJ, Jg. 1936, S. 1165). Es folgten Grundsatzentscheidungen zur Anfechtung und Scheidung sogenannter Mischehen und zur blutsmäßigen Abstammung, die eindeutig nicht nur einen diskriminierenden Charakter trugen, sondern „um des deutschen Volkes und seiner rassischen Verbesserung willen“ ergingen (Kaul, S. 69 – 75 mit Hinweis auf RGZ 145, 1; RGZ 159, 11; RGZ 159, 305; RGZ 160, 15; RGZ 160, 43; RGZ 160, 146; RGZ 162, 45; RGZ 168, 38; RGZ 170, 193). Brandis hat in seinen Ausführungen zur Eheanfechtung die besondere Bedeutung dieser neueren Rechtsprechung hervorgehoben (Brandis 1937, S. 151). Für Brandis haben auch „die Erkenntnisse der Vererbungswissenschaft Klarheit darüber gebracht, daß das
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Vorhandensein einer vererblichen Krankheit immer als eine persönliche Eigenschaft anzusehen ist, die die Anfechtbarkeit der Ehe begründet“ (Brandis 1937, S. 152). Die Ehehindernisse wegen „jüdischen Bluteinschlags“ und das Verbot der Eheschließung zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes werden ausführlich behandelt (Brandis 1937, S. 148 – 150). So konzentrieren sich die Ausführungen zur Annahme an Kindes Statt insbesondere auf die aus nationalsozialistischer Sicht unbedingten Hinderungsgründe, ein familienrechtliches Band entstehen zu lassen (Brandis 1937, S. 27 – 28). Das Wesen und der Zweck der Kindesannahme würden so ad absurdum geführt. Ein Vergleich mit dem von Stier-Somlo herausgegebenen siebten Band des Handwörterbuchs aus dem Jahre 1931 erhellt, dass das Rechtsverhältnis z wischen den Eltern und den Kindern im Sachverzeichnis des im Jahre 1937 erschienenen Band VIII nicht vorkommt. Die Stellung der Frau als verheiratete oder ledige M utter wird der Leser im Sachverzeichnis vergeblich suchen. Die Stichworte Mutter und Kind wurden im Abschnitt über die Jugendwohlfahrt abgehandelt. Die Ausführungen von Ernst Brandis in diesem rechtspolitischen Almanach seines Chefs und Herausgebers Erich Volkmar sind Beleg für die Instrumentalisierung der gesellschaftlichen Bedeutung von Familie und Staat in Diktaturen. Sie sind aber auch Beleg dafür, wie ein folgsamer Beamter und fachlich ausgewiesener Jurist, der Ernst Brandis offensichtlich war, nicht nach dem Recht, sondern nach dem Bedürfnis der Machthaber handelt. Ernst Brandis erhielt im Jahre 1938 das silberne Treuedienst-Ehrenzeichen und ein Jahr später das goldene Treuedienst-Ehrenzeichen, später das Kriegsverdienstkreuz II. Kl. Im Jahr 1941 wurde Brandis Mitglied des Großen Senats am Reichsgericht. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs trug das Reichsgericht „auf dem Gebiet der Zivilrechtsprechung den Zielen Rechnung, die die Regierung der nationalen Erhebung verfolgte“ (Kaul mit Hinweis auf eine Verlautbarung von Richthofen, S. 81). Nach dem Krieg war Ernst Brandis Vorsitzender der von der amerikanischen Militärregierung eingesetzten Kommission zur Bewahrung der Sachwerte des Reichsgerichts. Brandis verstarb im Sommer 1946 in einem Massenlager. Quellen: Ernst Brandis, Der Gesetzentwurf über das Unehelichenrecht und seine Pro bleme, Berlin 1929; Ernst Brandis zur Annahme an Kindes statt, zu: Ehehindernisse und Ehenichtigkeit, zu: Missbräuche bei der Eheschließung, Eheanfechtung, Ehescheidung und zum Mietrecht, in: Erich Volkmar, Günther Küchenhoff und Alexander Elster (Hg.), Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/36. Zugleich Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Bd. VIII, Der Umbruch 1933/36, Berlin 1937, S. 27 – 28, 147 – 153, 436 – 450; Neue Deutsche Biographie, Bd. 2, Berlin 1955, S. 527; Friedrich Karl Kaul, Geschichte des Reichsgerichts, Bd. IV, 1933 – 1945, Berlin 1971, S. 301 – 302, 331, 334, 336, 338, 340; Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik zur Reform des Nichtehelichen-, des Adoptions- und des Ehescheidungsrechts, Paderborn 1986, S. 31 – 32.
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Lily Braun „Indem sich die Frauenarbeit ausdehnt, untergräbt sie zu gleicher Zeit die alte Form der Familie, erschüttert die Begriffe der Sittlichkeit, auf denen der Moralkodex der bürger lichen Gesellschaft beruht, und gefährdet die Existenz des Menschengeschlechts, deren Bedingung gesunde Mütter sind. Es bleibt der Menschheit schließlich nur die Wahl: entweder sich selbst oder die kapitalistische Wirtschaftsordnung aufzugeben“ (von Oppen, S. 102 – 103). Diese Erkenntnis Lily Brauns war ihr Anlass genug, Reformvorstellungen von Mehrgenera tionenhäusern mit einer zentralen Küchen-, Reinigungs- und Betreuungsversorgung für Jung und Alt zu fordern. Lily Braun setzte sich für eine Mutterschutzversicherung ein, die vor und nach der Geburt ein auskömmliches Dasein für M utter und Kind gewähren sollte. Ihre Reformvorschläge sollten die Frau von der doppelten Arbeitslast in Beruf und Familie befreien und eine gesellschaftliche Solidarität befördern. Lily Braun wurde als Lily von Kretschmann am 2. Juli 1865 in Halberstadt als Tochter des Generals Hans von Kretschmann geboren. Disziplin und Selbstbeherrschung bestimmten ihre Erziehung. Sie genoss in ihrer Jugend das Studium wissenschaftlicher Werke aus Kunst und Kultur und ihr sorgenloses Dasein, aber hoffte: „Arbeiten möchte ich, irgendetwas leisten, das mich ganz und gar in Anspruch nimmt. Ich beneide den Steinklopfer auf der Straße, der abends wenigstens arbeitsgesättigt todmüde auf seinen Strohsack sinkt“ (von Oppen, S. 100). Georg von Gizycki, ein 47 Jahre älterer Professor für Philosophie und Ethik der Kaiser- Wilhelm-Universität zu Berlin und Herausgeber der Zeitschrift „Ethische Kultur“, wurde ihr Gesprächspartner und Begleiter. Lily von Kretschmann vertiefte sich in philosophische Schriften und erfuhr neue Anregungen in der Gesellschaft für ethische Kultur. Georg von Gizycki heiratete sie. Die 28-jährige Lily von Gizycki wurde Mitherausgeberin der Zeitschrift für Ethische Kultur. Sie trat dem Verein für Frauenfragen bei und gründete die Zeitschrift „Frauenfrage“. Nachdem ihr Mann im Frühjahr 1895 starb, trat Lily von Gizycki der SPD bei. In diesem Engagement wurde sie Teilnehmerin am Internationalen Frauenkongress in London und begegnete George Bernard Shaw. Aus dieser Begegnung nahm sie die Initialzündung für einen Zentralausschuss für Frauenarbeit mit, in dem auch die bürgerliche Frauenbewegung Mitglied werden sollte. Sehr zum Ärger von Clara Zetkin, die als Führerin der proletarischen Frauenbewegung und Herausgeberin der Zeitschrift „Die Gleichheit“ eine Zusammenarbeit z wischen der proletarischen und bürgerlichen Frauenbewegung für undurchführbar hielt: „Reinliche Scheidung – ohne Konzession“. Lily Brauns Vorstoß scheiterte. In dieser Zeit ihres sozialdemokratischen Engagements lernte sie Heinrich Braun kennen, den sie nach seiner Scheidung im Jahr 1896 heiratete. Mit ihm gründete sie die Zeitschrift „Die Neue Gesellschaft“. Auch nach der Geburt ihres Sohnes beschäftigte sie sich mit der Frauenfrage und gründete im Jahr 1899 einen Arbeiterinnenbildungsverein. Ihr Engagement, Dienstmädchen aus der alten Abhängigkeit zu der Arbeitgeberfamilie zu entlassen und als freie Arbeitskräfte entlohnen und versichern zu lassen, brachte ihr Kritik sowohl von dem proletarischen als auch
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von dem bürgerlichen politischen Lager ein. Ihre Reformvorstellungen waren zu dama liger Zeit all zu revolutionär, weshalb nachzuvollziehen ist, dass sich ihre Zeitschrift „Die Neue Gesellschaft“ in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand. Lily Braun machte sich in Offiziers- und in bürgerlichen Gesellschaftskreisen höchst unbeliebt. Zum einen, weil sie die Kriegsbriefe ihres Vaters veröffentlichte, die ihrem Inhalt nach nur eins befördern konnten: den Frieden und ein klares NEIN zu den Gräueln des Krieges. Zum anderen wegen der publizierten Lebensgeschichte ihrer Großmutter Jenny von Pappenheim, der außerehelichen Tochter des Königs von Westphalen, mit dem Titel „Im Schatten der Titanen“. Gleichwohl wurde diese vorletzte Publikation Lily Brauns ein Riesenerfolg. Die pekuniäre Situation des Ehepaars Braun konsolidierte sich. Zugleich hatte die SPD die Mutterschaftsversicherung, die Haushaltungsgenossenschaft und die Dienstbotenfrage in ihr Parteiprogramm aufgenommen. Lily Braun konnte 1906, als sie sich aus der Politik zurückzog, nur feststellen: „Meine Arbeit ist nicht umsonst geblieben“. Mit den „Memoiren einer Sozialistin“ verabschiedete sich Lily Braun im Jahre 1909 mit einem ersten Teil „Lehrjahre“ und 1911 mit dem zweiten Teil „Kampfjahre“ aus der aktiven Arbeit in der Frauenbewegung. Am 16. August 1916 starb sie. Sie wurde mit ihrem Sohn Otto Braun unter den alten Eichen im väterlichen Garten in Kleinmachnow bei Berlin beigesetzt. Quellen: Asta von Oppen (Verwandte Lily Brauns), Lily Braun (1865 – 1916), in: Antje Leschonski (Hg.), Anna, Lily und Regine. 30 Frauenporträts aus Brandenburg-Preußen, Berlin-Brandenburg 2012, S. 98 – 105; Sylvia Schraut, Bürgerinnen im Kaiserreich. Biografie eines Lebensstils, Stuttgart 2013, S. 149.
Sophonisba Preston Breckinridge (genannt Nisba) “They remember her conviction that social welfare is the method of bringing service to people. […] Miss Breckinridge made us think” (Abbott, p. 422). Diese Worte sind Erinnerungen der Studierenden an Breckinridge. Nicht nur diese Worte über eine Lehrende sind selten. Selten ist auch, dass eine Frau auf eine 250-jährige berühmte Familiengeschichte zurückblicken kann, von der im Folgenden nur einige wichtige Stationen genannt sind: Sophonisba Preston Breckinridges Urgroßvater war der Staatssekretär von Thomas Jefferson. Ihre Urgroßväter waren Gouverneure des Staates Kentucky. Der Cousin ihres Vaters war Vizepräsident unter der Regierung Buchanans und 1860 Präsidentschaftskandidat (Abbott, p. 417). Ihr Vater engagierte sich als Offizier der Confederate Army und als Jurist für den Aufbau von Schulen für Schwarze. Sophonisba Breckinridge besuchte das Wellesley College. Sie unterrichtete dann Mathematik an der Washington High School. Sie war die erste Frau, die Rechtswissenschaft studierte und im Jahr 1896 zur Anwaltschaft in Kentucky zugelassen wurde (Abbott, p. 418). Ein Jahr später nahm sie ihr Studium in Politikwissenschaft an der University of Chicago auf und wurde die erste weibliche Doktorandin in Politikwissenschaft und Ökonomie.
Sophonisba Preston Breckinridge (genannt Nisba)
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Ihr Thema „Legal Tender. A Study in English and American Monetary History“ wurde zur einflussreichsten Schrift an der Universität. Sie schrieb sich als Studentin in die damals noch junge Law School der University of Chicago ein und promovierte als erste Frau der Law School im Jahr 1904. Ihr Lebenswerk verwirklichte sie jedoch nicht in der Rechtswissenschaft, obgleich sie zu „Marriage and the Civic Rights of Women. Separate Domicil and Independent Citizenship“ veröffentlichte (Chicago 1931). Breckinridge verfolgte stattdessen in ihrem interdisziplinären Ansatz Social Service: “[…] the questions that brought one face to face with the inequalities of life and with all its social injustices” (Abbott, p. 419). Es waren der Kontakt zu Jane Addams’ Hull House, ihre Mitgliedschaft in der ersten weiblichen amerikanischen Gewerkschaft (Chicago Women’s Trade Union League), ihr Report über „Women’s Work in the Stockyards“ und ihre aktive Beteiligung an den Arbeiterstreiks der Jahre 1911 bis 1915, die sie über die Grenzen Chicagos als „early staunch and able advocate of economic as well as political equality for women“ bekannt machten. In diesen frühen Jahren ihrer ersten wissenschaftlichen Arbeit entstanden wichtige Veröffentlichungen wie „Women in Industry: a Study in American Economic History“ (mit Edith Abbott, New York 1910). Während dieser Jahre war sie maßgeblich am Aufbau einer „New School“ an der University of Chicago beteiligt, der „Chicago School of Civics and Philanthropy“ (seit 1907) (Abbott, p. 419). Diese School erhielt durch ihre professionelle wissenschaftliche Arbeit den Status einer „graduate professional school in the University like the Law School“ (Abbott, p. 420). Zunächst als Lehrende und s päter als Dekanin der „School of Social Service Administration“ etablierte sie die wissenschaftliche Disziplin Philanthropy als „Social Welfare“ oder „Social Work“ (Abbott, p. 419). Sie setzte sich in ihrer 40-jährigen Arbeit für die Aufhebung von Kinderarbeit, für bessere Wohnverhältnisse, Teilzeitarbeit für Frauen, Mindestlöhne und andere Sozialreformen ein. Wie breit Breckinridge die soziale Frage Ameri kas betrachtete, fand sich früh in ihren Publikationen „A Summary of Juvenile Court Legislation in the United States“ (Washington 1920) und „The Delinquent Child and the Home“ (ca. 1918) bestätigt. Ihr Engagement „roads to freedom“ führte zur Gründung der „Immigrants Protective League“ (1907/1908). Sie war erstes weißes weib liches Mitglied in der National Association for the Advancement for Colored People und der Urban League (Abbott, p. 420). Es erschienen die beiden wissenschaftlichen Studien „The Indiana Poor Law“(New York 1936) und „The Michigan Poor Law, its development and administration: with special reference to State provision for medical care of the indigent“(Chicago 1936). Breckinridge konnte während der wirtschaftlichen Depression ihre gut ausgebildeten Absolventen an Regierungsstellen vermitteln, um an sozialen Brennpunkten zu wirken (Abbott, p. 421). Als ihre bedeutenden Publikationen seien an dieser Stelle genannt: „A Summary of Juvenile-Court legislation in the United States” (Washington 1920), „Public Welfare Administration in the United States: select documents“ (Chicago 1927 und 2. Aufl. 1938), „Family Welfare Work in a Metropolitan Community: selected Case Records“ (Chicago 1924), „The Family and the State: select documents“ (Chicago 1934) und „Social Work and the Courts: select statutes and judicial decisions“ (Chicago 1934). Obgleich sie seit 1933 emeritiert war, hielt sie bis zum Jahr 1942 Vorlesungen. Breckinridge starb am 30. Juli 1948 in Chicago.
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Quellen: Edith Abbott, Sophonisba Preston Breckinridge over the Years, in: The Social Service Review, Vol. 22, No. 4 (Dec. 1948), pp. 417 – 423; Charles E. Merriam, A Member of the University Community, in: The Social Service Review, Vol. 22, No. 4 (Dec. 1948), pp. 424 – 426; Katherine F. Lenroot, Friend of Children and of the Children’s Bureau, in: The Social Service Review, Vol. 22, No. 4 (Dec. 1948), pp. 427 – 430; Elisabeth Christman, A Long-Time Supporter of Trade-Unions for Women, in: The Social Service Review, Vol. 22, No. 4 (Dec. 1948), pp. 431; Russell W. Ballard, The Years of Hull House, in: The Social Service Review, Vol. 22, No. 4 (Dec. 1948), pp. 432 – 433; Ellen C. Potter, Her Work for Public Welfare, in: The Social Service Review, Vol. 22, No. 4 (Dec. 1948), pp. 434; Joseph Moss, The Cook County Bureau of Public Welfare, in: The Social Service Review, Vol. 22, No. 4 (Dec. 1948), pp. 435; Martha Branscombe, A Friend of International Welfare, in: The Social Service Review, Vol. 22, No. 4 (Dec. 1948), pp. 436 – 441; Arlien Johnson, Her Contribution to the Professional School of Social Work, in: The Social Service Review, Vol. 22, No. 4 (Dec. 1948), pp. 442 – 447; Helen R. Wright, The Debt of the School of Social Service Administration, in: The Social Service Review, Vol. 22, No. 4 (Dec. 1948), pp. 448 – 450; Ellen Fitzpatrick, Endless Crusade. Women Social Scientists and Progressive Reform, New York 1990; Britannica Online Encyclopedia World Biographical Information System.
Minna Cauer „Nicht enge und nur praktische Erwerbsfragen haben wir in den Vordergrund zu rücken, sondern die Hebung der sozialen Lage der Frauen muß in erster Linie bei unserem Vorgehen ins Auge gefaßt werden. Nicht ängstliches Abwägen, wie weit wir unsere Forderungen, zu stellen haben, darf uns leiten, sondern ‚das Recht für alle‘ sei die Losung. Nicht Abgrenzen des viel mißbrauchten Wortes ‚Schwesterschaft‘ auf ‚unsere‘ Kreise darf geduldet werden, sondern wir haben als neuer Kulturfaktor das Beispiel zu geben, daß es für uns keine Parteifragen, sondern nur Menschheitsfragen gibt. Nicht zurückschrecken dürfen wir vor Verkennung und Verfolgung; – kein zaghaftes Zögern, wenn es gilt, in unseren Reihen die Engherzigen und Herrschsüchtigen zu kennzeichnen; nicht Duldsamkeit, sondern Unduldsamkeit gegen diejenigen, welche Recht und Gerechtigkeit mit Füßen treten wollen; nicht feige Vorsicht, sondern Mut der Wahrheit und der Überzeugung; nicht die ‚weichliche‘, alles bemäntelnde Liebe, sondern die kampfesfrohe und starke!“ (Tagebucheintrag von Minna Cauer vom 27. Oktober 1895, in: Lüders). Ihre Auffassung kennzeichnet zugleich ihren Lebensweg. Minna (Wilhelmine Theodore Marie) Cauer (1. Nov. 1841 – 3. August 1922) entstammte einem bürgerlichen Pfarrershaushalt. Ihr Vater, Alexander Schelle, lag des Öfteren mit der Kirchenleitung im Clinch. Ihrem Vater ging es ums Prinzip: genauer gesagt, um die Frage des Rechts. Das mag die Tochter spät beeinflusst haben. Zunächst übernahm Minna Cauer nach einer höheren Tochterausbildung ausschließlich häusliche Pflichten. Mit der Heirat mit dem Arzt August Latzel verließ Minna Cauer das Elternhaus im Alter von 21 Jahren und zog nach Berlin. Ihr Glück wurde mit der Rückkehr ihres psychisch
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erkrankten Ehemanns aus dem Deutsch-Dänischen Krieg (1864) und dem Tod ihres erst zweijährigen Sohnes an Diphtherie (1865) getrübt. Nach dem Tod ihres Mannes absolvierte sie eine einjährige private Ausbildung zur Lehrerin und bestand die Lehrerinnenprüfung (1867). Nach einem einjährigen Parisaufenthalt nahm sie im Jahr 1869 die Stelle einer Lehrerin an einer Mädchenschule in Hamm/Westfalen an. Im selben Jahr heiratete sie den Stadtschulrat Eduard Cauer, der fünf Kinder mit in die Ehe brachte. Cauer war ein glühender Verfechter einer verbesserten Mädchen- und Frauenbildung. Nach einigen Jahren der beruflichen Tätigkeit in Danzig folgte ein Wohnsitzwechsel der Familie Cauer nach Berlin. Eduard Cauer war ein politisch engagierter Mensch. Minna Cauer begegnete den liberalen Politikern Ludwig Bamberger, dem Reichstagspräsidenten Max von Forckenbeck, den Politikern Theodor Barth und Karl Schrader. Ihr Mann regte sie zu frauengeschichtlichem Studium an: „Das Leben der Frauen ist nicht erforscht und geschichtlich in Zusammenhang mit dem Ganzen geschrieben worden, doch das ist die Aufgabe eines Lebens. Ein unnütz’ Leben ist ein früher Tod; lebe dass es Leben ist“ (Usko- Meißner, S. 70 – 7 1). Minna Cauer wurde Mitglied in der Deutschen Friedensgesellschaft (ab 1892) und in der Demokratischen Vereinigung (ab 1908), der ersten Partei Deutschlands, die für das Frauenwahlrecht eintrat. Minna Cauer veröffentlichte ihre bedeutendste Schrift: „Die Frau im 19. Jahrhundert“ (1898). Ein Jahr zuvor hatte sie den Vorsitz in der Deutschen Akademischen Vereinigung (DAV), dem späteren Verein Frauenwohl, übernommen. Dieser Verein grenzte sich von den übrigen Frauenvereinen, die vorwiegend bildungspolitische und sozialpolitische Initiativen entfalteten, ab. Der Verein Frauenwohl wurde zur Agitationsplattform für Sittlichkeits- und Rechtsfragen, obgleich er nur 1220 Mitglieder zählte. Nach einer gemeinsamen Reise mit Lily Braun nach England (1895) und den Einblicken in die englische Frauenbewegung kehrte Minna Cauer mit dem Entschluss zur Gründung des Verbands fortschrittlicher Frauenvereine nach Deutschland zurück. Es entstand ein Netzwerk fortschrittlicher Frauenvereine, die die Errungenschaften kämpfend und wachsam zu verteidigen gedachten. Hierzu gehörten zuvorderst das Vereins- und das Wahlrecht für die Frauen: „Die Frau gehört nicht mehr ins Haus, sie gehört in dieses Haus, den Reichstag“, erklärte Minna Cauer in ihrer Eingabe an das Parlament. Minna Cauer lenkte die Geschicke beider Vereinigungen bis zum Jahre 1919. Während dieser Zeit trat der Verband fortschrittlicher Frauenvereine dem gemäßigten Bund Deutscher Frauenvereine bei (1907). Als keine Vertreterinnen der proletarischen Frauenbewegung im Bund Deutscher Frauenvereine zugelassen wurden, veröffentlichte Cauer einen Protest in der sozialdemokratischen Zeitschrift Vorwärts. Mit der Folge, dass Helene Lange und weitere liberale Frauen aus dem Verein Frauenwohl austraten. Nach ihrem Tod versuchte sich der Bund Deutscher Frauenvereine für seinen Ausschluss proletarischer Anhängerinnen zu rechtfertigen, indem er unter Berufung auf eine Veröffentlichung von Gertrud Bäumer in ihrem Nachruf unterstrich: „Der Bund hat dauernd auch nach links hin die Türe offen zu halten versucht, aber die sozialistischen Frauen hielten an ihrem klassenkämpferischen Standpunkt fest“ (LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2072). Aus der von Else Lüders veröffentlichten Biografie über Minna Cauer, die auch zahlreiche Tagebucheinträge enthält, gehen die Ereignisse um die inneren und äußeren Kämpfe Minna Cauers und der Frauenbewegung hervor (Lüders, S. 97 – 141). Mit dem Wahlrecht
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und Vereinsrecht trat eine Politisierung der Frauenbewegung ein und Minna Cauer legte all ihre politische Hoffnung auf die sozialdemokratische Partei. Doch August Bebel riet ihr von einer Mitgliedschaft in der Sozialdemokratie ab, obgleich sie sich mit der sozialdemokratischen Frauenbewegung stark verbunden fühlte und darüber hinaus als Sozialistin verstand. (Lüders, S. 155, 158). Mit Gründung der Deutschen Demokratischen Partei trat Minna Cauer am 19. November 1918 dieser Partei als Mitglied bei. (Lüders, S. 224) Minna Cauer war Gründerin und Herausgeberin der Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ (1895), dem Organ der radikalen Frauenbewegung, die sich s päter stark für die Abtreibung einsetzen sollte und sich insbesondere deshalb von der bürgerlichen Frauenbewegung, dem Bund Deutscher Frauen bewegung, schied. Minna Cauer gründete den Verband weiblicher Angestellter und den Preußischen Landesverein für Frauenstimmrecht. Zu ihrem Freundeskreis gehörte Clara Zetkin, was trotz aller Differenzen beider Persönlichkeiten aus Cauers Engagement für den Pazifismus erklärlich ist. Minna Cauer war Mitinitiatorin der Gemeinsamen Stimmrechtserklärung und weiterer Friedenserklärungen. Die Revolution von 1918 war für sie die Erfüllung eines Lebenstraums. Noch zu ihren Lebzeiten wurde eine Schule nach Minna Cauer benannt. Eine Straße trägt in Berlin ihren Namen. Minna Cauer starb am 3. August 1922. Quellen: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2072; Else Lüders, Minna Cauer. Leben und Werk, dargestellt an Hand ihrer Tagebücher und nachgelassenen Schriften, Gotha 1925; Gabriele Braun-Schwarzenstein, Minna Cauer. Dilemma einer bürgerlichen Radikalen, in: Feministische Studien, 3/1984, Heft 3, S. 99 – 106; G erlinde Naumann, Minna Cauer. Eine Kämpferin für Frieden, Demokratie und Emanzipation, Berlin 1988; Dagmar Jank, „Vollendet, was wir begonnen!“ – Anmerkungen zu Leben und Werk der Frauenrechtlerin Minna Cauer (1841 – 1922), Berlin 1991; Petra Pommerenke, Minna Cauer (1841 – 1922). Radikale Frauenrechtlerin und Publizistin, in: Ute Gerhard, Petra Pommerenke, Ulla Wischermann (Hg,), Klassikerinnen feministischer Theorie, Grundlagentexte, Bd. I (1789 – 1919), Königstein/Taunus 2008, S. 331 – 335; Marianne Usko- Meißner, Minna Cauer (1841 – 1922), in: Antje Leschonski (Hg.), Anna, Lily und Regine. 30 Frauenporträts aus Brandenburg-Preußen, Berlin 2010, S. 69 – 73.
Cäcilie Dose „So große und ungetheilte Anerkennung auch all jene Bestrebungen verdienen, deren Rendenz auf die Erziehung des weiblichen Geschlechts zur wirtschaftlichen Selbständigkeit gerichtet ist, so dürfen wir doch andererseits nicht verkennen, daß das Hauptgewicht unserer Thätigkeit im Rahmen der modernen Frauenbewegung auf die Förderung des individuellen Rechtsbewußtseins nicht allein im juristischen, sondern im allgemein menschlichen Sinne gelegt werden muß. Wir erblicken in der Betonung dieses Rechtsbewußtseins ein wichtiges Moment von allgemein kultureller Bedeutung, indem die Klärung und selbständige Beurteilung gewisser Rechtsbegriffe seitens unseres Geschlechts die Milderung mancher Schattenseiten des sozialen Lebens erhoffen läßt, welche sich gegenwärtig zu Krebsschäden des gesellschaftlichen Organismus herausgebildet hat“ (Dose, S. 5).
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Mit diesen Worten charakterisierte Cäcilie Dose in ihrem Vortrag am 1. Juni 1894 vor dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein in Dresden das Ziel der Rechtsschutzvereine für Frauen. Die biografischen Informationen über Cäcilie Dose sind spärlich. Das Lexikon „Deutsche Frauen der Feder“ aus dem Jahre 1898 nennt sie als Vortragende in Frauenvereinen. Der bekannteste ihrer Vorträge, „Rechtsschutzvereine für Frauen“, ist in der wissenschaftlichen Reihe der Volkswohl-Schriften von Prof. Victor Böhmert als Heft 19 bei Duncker & Humblot gedruckt worden. Ihren Wohnsitz hatte Cäcilie Dose zu Lebzeiten in der Winkelmannstraße 1 in Dresden. Mit ihrer gemeinsam mit Alma Kriesche gefertigten Arbeit über „Die Stellung der Frau und M utter im Familienrecht der außerdeutschen Staaten und nach den Bestimmungen des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich“ (Frankenberg 1900) wurden beide Autorinnen dem Beschluss der Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine vom 6. Oktober 1898 gerecht, eine allgemein verständliche Darstellung über das geltende Recht für die Frau anzubieten. Beide Autorinnen zogen das Resümee „dass der Vergleich zwischen den außerdeutschen und der deutschen Gesetzgebung ans Tageslicht bringt, daß die außerdeutschen Staaten, soweit dieselben mit einer Neubearbeitung ihrer bürgerlichen Gesetzbücher beschäftigt sind, die Rechtsstellung der verheiratheten Frau nach jeder Richtung hin besser wahren, als d ieses unser neues deutsches Recht gethan hat.“ So kann Cäcilie Doses Veröffentlichung als erster Schritt zu einer frühen rechtsvergleichenden Darstellung innerhalb der deutschen Frauenbewegung betrachtet werden. Quellen: Cäcilie Dose, Rechtsschutzvereine für Frauen, Vortrag gehalten am 1. Juni 1894 im Allgemeinen Deutschen Frauenverein, Leipzig 1894; Cäcilie Dose und Alma K riesche, Die Stellung der Frau und M utter im Familienrecht der außerdeutschen Staaten und nach den Bestimmungen des Neuen Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Frankenberg (Sachsen) 1900; World Biographical Information System.
John Edelheim „Die Grundtendenz, die alle Aeusserungen der letzten zwei Jahrzehnte des XIX. Jahrhunderts beherrscht, ist die Socialisierungstendenz. Nicht nur die gesellschaftliche Praxis, auch die wissenschaftlichen Theorien werden immer mehr von dieser Tendenz getragen. Fast giebt es kein Gebiet im Bereiche der Geisteswissenschaften, das sich nicht gezwungen fühlte, seine Grundsätze im Lichte der socialphilosophischen Erkenntnis zu revidieren und umzugestalten. So ist schon mancher geistigen Disciplin der Stempel des Socialen aufgedrückt worden. Socialpsychologie, Socialethik, Socialökonomie, sociale Kunst, sociales Recht und in allerletzter Zeit Socialpädagogik sind geläufig gewordene Forschungsgebiete, die das psychologische, ethische, ökonomische, ästhetische, juridische und pädagogische Material vom Standpunkte der Gesellschaftswissenschaft zu bearbeiten streben und dadurch die Grundlage schaffen zu neuen Zweiggebieten der Socialphilosophie“ (Edelheim, S. 7). Mit diesen Worten Edelheims lassen sich am besten die Umbrüche in den Wissenschaften charakterisieren, in deren Dienst John Edelheim sein Leben und Wirken gestellt hat.
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Die Quellen über den aus Hamburg stammenden John Edelheim sind rar. Bekannt ist: Seine bei Prof. Ludwig Stein und Prof. Oncken an der Phil. Fakultät der Universität Bern zu der Thematik „Beiträge zur Socialpädagogik des französischen Revolutionszeitalters“ verfasste Dissertation ist am 20. Dezember 1899 von der Phil. Fakultät angenommen worden (Vorblatt zur Diss.). In dieser Arbeit, so Edelheim in seiner Einleitung, nahm er sich der Socialpädagogik als dem „Kind“ der Socialphilosophie an und führte die Ansätze von Diesterweg über den „erzieherische[n] Einfluß der Gesellschaft“ auf das Individuum fort. Seine Dissertation verlegte er in seinem eigenen Verlag: dem Akademischen Verlag für sociale Wissenschaften (Bern 1901; Berlin 1902). John Edelheim war Herausgeber der Beiträge zur Geschichte der Socialpädagogik mit besonderer Berücksichtigung des französischen Revolutionszeitalters sowie eines von dem Reichstagsmitglied Richard Calver verfassten Jahrbuchs mit dem Titel „Handel und Wandel, Jahresberichte über den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt für Volkswirte und Geschäftsleute und Arbeiter-Organisationen“ ( Jahrgang 1900). Sein Doktorvater machte mit seinen „Diplomaticus“-Beiträgen „zum ersten Mal deutsche Zeitungsleser mit der politisch-gesellschaftlichen Eigenart moderner Diplomatie vertraut“. Vielleicht über die Beiträge seines Doktorvaters bekam er Kontakte zum Ullstein Verlag, in dem in der Weimarer Zeit auch Margarete Meseritz, die erste Vorsitzende des Deutschen Juristinnenvereins, arbeitete. John Edelheim heiratete Margarete Meseritz. Er starb jedoch noch vor der Emigration seiner Frau. Quellen: John Edelheim, Beiträge zur Geschichte der Socialpädagogik mit besonderer Berücksichtigung des französischen Revolutionszeitalters, Bern 1902 und Berlin 1902; zu den Diplomaticus-Beiträgen: Ullstein Verlag (Hg.), 50 Jahre Ullstein Verlag 1877 – 1927, Berlin 1927, S. 212.
Emma Elisabeth Ender „Sie haben uns immer gelehrt, daß wir diese weibliche Note, wo immer wir stehen, betonen sollen und sind uns hierbei ein leuchtendes Vorbild gewesen, so daß wir stolz auf Sie sind. Das Schönste vielleicht, was Sie uns gezeigt haben, ist jene innige Verbindung von ener gischer Frauenbewegung und völligem Frauentum“ (LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2068). Mit diesen Worten dankten die Schwestern ihrer Führerin aus der ersten (alten) Frauenbewegung Emma Ender für ihre Lebensleistung. Sie wurde am 2. August 1875 als Tochter des Kaufmanns Clemens Behle in Frankfurt a. M. geboren. Sie besuchte eine staatliche Höhere Töchterschule. Einen Beruf zu erlernen, blieb ihr verwehrt. Im Jahr 1900 heiratete sie den Kaufmann Max Ender in Hamburg. Im selben Jahr wurde sie Mitglied der Hamburger Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, zu deren Vorsitzenden sie in den Jahren 1907 bis 1916 gewählt wurde. Zunächst Leiterin eines Hamburger Mädchenhorts (ab 1906), oblag ihr
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später als Vorsitzende des Verbandes der Hamburger Mädchenhorte (1910) die Verantwortung für 33 Horte, ein Vermögen von 61.000 Mark und einem jährlichen staatlichen Zuschuß in Höhe von 15.000 Mark. In der Jugendgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins Hamburgs wurden Mädchen und Jungen gemischt auf freiwillige s oziale Arbeit und Nachhilfeunterricht für untere s oziale Schichten vorbereitet. Die Tätigkeiten der Jugendlichen orientierten sich an dem Konzept der Hilfsgruppen für Soziale Arbeit von Alice Salomon in Berlin. Als eine der ersten Frauen Hamburgs wurde Emma Ender Mitglied in der Nationallliberalen Partei. Im gleichen Jahr (1912) leitete sie die konstituierende Konferenz des Deutschen Verbandes der Jugendgruppen und Gruppen für Soziale Hilfsarbeit, der sich s päter dem Bund Deutscher Frauenvereine anschloß. Vorsitzende, diesen von Emma Ender gegründeten Verbandes wurde Alice Salomon. Als Vorsitzende des Vortragskartells der Hamburger Frauenvereine überführte Emma Ender die Soziale Arbeit Hamburgs in eine Hamburgische Gesellschaft für Wohltätigkeit und damit in einen Dachverband. Von dort aus wurde im E rsten Weltkrieg die Hamburgische Kriegshilfe ausgerichtet. Aus ihrem Konzept einer weiblichen Kreisjugendpflege wurde später ein Modell, das sich als Teil der mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1923 begründeten privaten und öffentlichen Jugendpflege, verstand. Emma Ender begründete die Organisation der Jugendpflege der Hamburgischen Kriegshilfe und der Hamburger Frauenhilfe von 1923. Im Jahr 1917 veranstaltete der Stadtbund unter Emma Enders Regie im Hamburger Stadthaus eine öffentliche Frauenversammlung zu dem Thema „Warum fordern Frauen das Bürgerrecht.“ Am 7. Mai 1917 reichten 42 dem Stadtbund angeschlossene Frauenvereinen und damit 12.600 Mitglieder sowie 11.000 Hausfrauen ein Gesuch für das aktive und passive Wahlrecht von Frauen in Senat und Bürgerschaft ein. Bis Ende Oktober gingen weitere 18.600 Unterschriften von Frauen ein. Am 12. November 1918 wurde ein gleiches Wahlrecht für Frau und Mann in Berlin durch den revolutionären Rat der Volksbeauftragten ausgerufen. Gemeinsam mit anderen Frauen bereiteten Gertrud Bäumer und Helene Lange Frauen auf ihre neue staatsbürgerliche Pflicht in Veranstaltungen vor. In den Vorstand der Frauenbewegung wurde Emma Ender im Jahre 1919 gewählt und erhielt im Jahre 1921 das Amt der geschäftsführenden Vorsitzenden. Im Jahr 1924 wurde sie die erste Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine. Gleichwohl markieren die Jahre nach dem Ende des ersten Weltkriegs einen gravierenden Wandel in Emma Enders Leben, wie in einem Artikel über Emma Ender zu lesen ist: „Für die Gleichstellung von Mann und Frau war aber Emma Ender immer eingetreten, im Kampf um sie hatte sie in erster Reihe gestanden. Der Umsturz hatte all dies mit einem Schlage geändert, die geschlagene Nation, die Republik, gewährte den Frauen, was die siegreiche, das Kaiserreich, ihnen verwehren konnte. Und die Parteien, die jene Differenzierung in der Wertung der Geschlechter bekämpft hatten, die im alten Staat von jeher Kritik geübt hatten, standen für den Augenblick an der Spitze (Auszug aus einem Artikel Emma Ender zum Gruß der Zeitschrift Hamburger Stimmen vom 2. August 1925, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2068). Eine weitere Veröffentlichung wurde deutlicher: „Frauenbewegung war ihr Herzenssache. Aber noch höher stand ihr das Vaterland; darum trennte sie sich politisch von Frauen wie G. Bäumer, Helene Lange u. a., mit denen sie bis zum Kriege in Kampfgemeinschaft gestanden hatte. Sie konnte den Zusammenbruch
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nicht als unabänderliche Tatsache hinnehmen, ihn nicht bejahen; jetzt galt es, das erkannte sie klar, dem Geschehen seinen Widerstand entgegen zu setzen und alles dafür zu tun, daß die Erinnerung an Deutschlands einstigen beglückenden Glanz rein hinüber gerettet würde in die Zeiten des Wiederaufbaus, die dem Chaos folgen mußten“ (Auszug aus der Frauenrundschau, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2068). Trotz dieser rückwärtsgewandten Einschätzungen orientierte sich Enders Leben fortan nicht nur parteipolitisch, sondern nahm auch internationale Konturen an. Ender gehörte in den folgenden Jahren (1919 – 1924) der Hamburger Bürgerschaft für die Deutsche Volkspartei (DVP) an. In den Jahren 1919 – 1928 leitete sie den Verband Norddeutscher Frauenvereine. Im Jahr 1925 nahm sie an den Tagungen des Internationalen Frauenbundes in Washington, im Jahr 1929 in London und 1930 in Wien teil. Während dieser aktiven Zeit war sie zugleich Erste Vorsitzende der Gruppe Hamburg des Berufsorgans der Krankenpflege Deutschland und Vorsitzende des Stadtbundes der Hamburger Frauenvereine sowie der Altershilfe der Frauenbewegung. Ihre Persönlichkeit und ihre Stellung innerhalb der Frauenbewegung wurde am vortreff lichsten anlässlich ihres fünfzigsten Geburtstages in einem Artikel in der Zeitschrift Frau und Gegenwart beschrieben, von dem mit den nun folgenden Zeilen ein Auszug wiedergegeben wird: „Wenn ich Ihnen in Frau und Gegenwart einen Gruß zu Ihrem 50. Geburtstag schicken soll, so meine ich, es dürfte kein sachlicher Artikel mit der Überschrift Emma Ender sein. Denn eigentlich sind Sie ja gar nicht für uns Emma Ender, sondern Frau Ender, und dann haben wir Sie viel zu lieb, als daß wir Ihnen objektiv aufzählen möchten, wann Sie geboren, welche Schule Sie besucht, wann Sie geheiratet haben, wann Sie nach Hamburg gekommen sind usw. Das wissen Sie ja alles selber. Nein, wir wollen Ihnen heute ganz persönlich sagen, warum Sie uns so wert sind, und warum wir uns freuen, daß Sie vor 50 Jahren geboren sind. Und wenn das ein bißchen anders aussehen wird, als ein Artikel, in dem Männer einen Mann zum 50. Geburtstag begrüßen, so schadet das nichts. Nein, wir können Sie in dieser Frauenzeitschrift nicht besser ehren, als wenn wir dabei ganz bewußt eine weibliche Note hineinbringen. Sie haben uns immer gelehrt, daß wir diese weibliche Note, wo immer wir stehen, betonen sollen und sind uns hierbei ein leuchtendes Vorbild gewesen, so daß wir stolz auf Sie sind. Das Schönste vielleicht, was Sie uns gezeigt haben, ist jene innige Verbindung von energischer Frauenbewegung und völligem Frauentum. Wo immer Sie auftraten, mochte der Kampf noch so erbittert sein, nie büßten Sie ein Gran an Weiblichkeit ein. Vollends, wenn Sie eine Versammlung leiteten, und der Kampf der Meinungen tobte, dann standen Sie aufrecht wie ein Fels, den nichts erschüttern konnte, an dem sich wohl die Wogen brachen, den sie selbst aber intakt lassen mußten. Wir hier in Hamburg – Sie wissen, daß wir über ein ziemliches Quantum von Lokalpatriotismus verfügen – haben es so freudig begrüßt, daß man eine Bürgerin unserer Vaterstadt an die höchste Stelle berief, der eine organisierte Frau teilhaftig werden kann. Zwar sind Sie ja keine Hamburgerin von Geburt, aber daß wir Sie dennoch ganz innerlich als eine der Unsrigen empfinden, möge Ihnen ein Beweis unserer innigen Verbundenheit mit Ihnen sein. Als im Mai d ieses Jahres die Deutsche Delegation zum Internationalen Frauenkongreß nach Washington ging, da war es ein so beruhigendes Gefühl, daß wir sie unter Ihrer Leitung wußten,
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weil wir dessen gewiß waren: jetzt wird deutsche Frauenwürde im Ausland gezeigt und gewahrt. Und in wie schöner Weise hat die von Ihnen geführte Schar Deutscher Frauen durch ihr Verhalten am Müttertage dort bewiesen, daß unsere Gewißheit gerechtfertigt war. Wenn Sie an Ihrem Geburtstage rückschauend Ihr Leben betrachten, dann können Sie voll innerer Befriedigung feststellen, daß diese Zeitspanne voll Arbeit, also köstlich, gewesen ist“ (LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2068). Im Jahr 1931 gab sie ihren Vorsitz im Bund Deutscher Faruenvereine an Agnes von Zahn- Harnack ab. Zusammen mit anderen Frauenvereinen bildete der Hamburger Stadtbund eine Front gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus. In Solidaritätskundgebungen forderte Emma Ender die Frauen auf, die Nationalsozialisten nicht zu wählen, weil diese die Frauen aus den Berufen drängt. Es kam im Frühjahr 1933 zu einer Kundgebung gegen die Entlassung von Gertrud Bäumer. Doch im Mai 1933 erhielt Emma Ender als Vorsitzende eine Staatskommissarin und im Juni 1933 wurde die Auflösung des Stadtbundes beschlossen. Ihr Mann verstarb im Jahr 1940. Sie überlebte den Nationalsozialismus. Nach dem zweiten Weltkrieg ergriff sie die Initiative zum Neuaufbau der Frauenbewegung nicht mehr. Emma Ender starb allein am 25. Februar 1954 in Hamburg. Im Garten der Frauen ist ein Gedenkstein auf dem Friedhof Ohlsdorf. Quellen: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2068; Helmut tubbe-da Luz, Die Stadtmütter: Ida Dehmel, Emma Ender, Margarete Treuge, Hamburg S 1994, S. 39 – 60; World Biographical Information System.
Felix Frankfurter „It is a constitution, we are expounding.“ Felix Frankfurter wurde am 15. Nov. 1882 in Pressburg (Deutschland) geboren. Im Jahr 1894 wanderten seine Eltern mit ihm in die Vereinigten Staaten aus. Nach der Schulzeit im jüdischen Viertel der Lower East Side in New York und einem Abschluss am City College of New York, studierte er ab dem Jahr 1902 an der Harvard Law School. Sein Studium beendete er mit einem der besten Abschlüsse, nachdem zuvor Louis Brandeis den besten Abschluss erreicht hatte. Zwei Juristen jüdischer Herkunft, beide später am Supreme Court: Frankfurter wurde am 30. Januar 1939 berufen und Brandeis trat am 13. Februar 1939 zurück; sie waren über einen Zeitraum von 25 Jahren eng befreundet (Burt, p. 37). Ihre umfangreiche Korrespondenz erschien aufgrund Brandeis’ Bemerkung in einem Brief an Frankfurter „half-brother-half-son“ unter dem wortgleichen Titel (Brandeis). Doch beide waren sehr verschieden, sowohl in ihrem Rechtsverständnis als auch in ihrem praktizierten Judentum (Burt, p. 37 – 61). Es einten sie ihre Bestrebungen in der amerikanischen Rechtspolitik (Baker; Murphy; Dawson), die Felix Frankfurter gleich zu Beginn seines Amtes am Supreme Court unter dem Titel „Law and Politics“ im Jahr 1939 veröffentlicht hatte. Im Jahr 1933 erhielt Frankfurter eine George Eastman Visiting Professur in Oxford (Burt, S. 54) und war seit 1932 Richter am Supreme Court
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in Massachusetts gewesen (Burt, S. 53). Auf diese Jahre geht auch sein großer Einfluss auf Roosevelt und seine Politik des „New Deal“ zurück (Urofsky, p. 34 – 44). Eingehendere Informationen ergeben sich aus dem Briefwechsel zwischen Frankfurter und Roosevelt aus den Jahren 1928 – 1945. Dieser beispiellosen Karriere ging nach dem Rechtsstudium frühes politisches Engagement voraus. Nach seinem Abschluss an der Harvard Law School (1906) wurde Frankfurter zunächst Assistent des New Yorker Anwalts Henry L. Stimson, der über gute politische Beziehungen verfügte. Stimson wurde 1911 zum Kriegsminister ernannt, mit der Folge, dass Felix Frankfurter nun in dessen „Bureau of Insular Affairs“ seine juristische Arbeit versah. Seine jüdischen Wurzeln behielt er bei, gerade auch nachdem er im Jahr 1914 Mitglied der juristischen Fakultät an der Harvard Law School wurde (Burt, p. 38). Im Jahre 1919 nahm er als Vertreter der Zionisten an der Pariser Friedenskonferenz teil. Bei Präsident Woodrow Wilson setzte er sich für die Aufnahme der Balfour-Deklaration in den Friedensvertrag ein (Burt, p. 56). Im Jahr 1920 gründete er die „American Civil Liberties Union“. Aus diesem Engagement heraus setzte er sich für die wegen Raubmordes verurteilten Mitglieder der anarchistischen Arbeiterbewegung, Sacco und Vanzetti, ein. Später erschien hierzu sein Buch „The Case of Sacco and Vanzetti“ (1954). Sein Engagement für diesen Fall und seine Publikation brachten ihm jedoch das Gerücht ein, er sei ein gefährlicher Bolschewik (Burt, p. 56 – 58). Seine Voten am Supreme Court zeigen in einigen Fällen genau das Gegenteil, wohl auch deshalb wurde er als „most controversial figure in American judicial history“ (Thomas) beschrieben. In dem Verfahren Schneiderman vs. United States votierte er für den Entzug der amerikanischen Staatsbürgerschaft im Falle einer Mitgliedschaft in der kommu nistischen Partei. Es war auch Frankfurters Entscheidung, Schulkinder von Anhängern der Zeugen Jehovas zu Beginn des Unterrichts vor der amerikanischen Flagge salutieren zu lassen (Minersville School District vs. Gobities; Burt, p. 41 – 42). Frankfurter begründete dies in seinen Tagebüchern: “I say this not as a private individual but as a judge charged with defining what it means to be an American, to be truly welcome and ‘at home’ here” (Burt, p. 42). Im Gegensatz zu dieser unbedingt patriotisch-amerikanischen Haltung stand die rechtspolitische Einstellung seines jüdischen ehemaligen Kollegen Louis Dembitz Brandeis, der nach seiner Tätigkeit als erfolgreicher „peoples lawyer“ (Burt, p. 6 – 36, p. 10) zu einer Zeit an den Supreme Court berufen wurde (1916), als der amerikanische Antisemitismus besonders ausgeprägt war (Burt, p. 7). Er verstand sich aber nicht als der Rechtsvertreter der Armen gegen die Reichen, sondern: “He stood apart from both sides, always prepared, as he saw it, to curb the excesses of either” (Burt, p. 10). Das lag in seiner Einstellung zur Funktion des Rechts: “All rights are derived from the purposes of the society in which they exist; above all rights rises duty to the community” (Burt, p. 13). Seine Voten und seine Argumente waren häufig Mindervoten und von dem Gedanken getragen „that the Court should not invalidate such legislation“ (Burt, p. 19). Das einte Brandeis mit Oliver Wendell Holmes, der jedoch einen anderen Weg einschlug, um zu dem gleichen Ergebnis zu kommen (Konefsky, p. 140, 162 – 169). Ohne an dieser Stelle näher hierauf eingehen zu müssen, sei hervorgehoben, dass der Kontakt zu Oliver Wendell Holmes, einem der damals schon betagten, aber führenden Juristen Amerikas, Brandeis mit Frankfurter einte. Erhalten geblieben ist die Korrespondenz aus
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den Jahren 1912 bis 1934 z wischen Holmes und Frankfurter (Mennel and Compston), die noch Anregung zu allerhand Forschungen geben könnte. Holmes bestärkte F rankfurters liberale Philosophie und gab Anknüpfungspunkte zu den rechtspolitischen Vorstellungen von Brandeis. Mit dem Begriff „Due Process“ verbindet sich „a fundamental, constitu tional guarantee that all legal proceedings will be fair and that one will be given notice of the proceedings and an opportunity to be heard before the government acts to take away one’s life, liberty, or property. Also a constitutional guarantee that a law shall not be unreasonable, arbitrary, or capricious.“ Diese Leitlinien sind in der 45. und 50. Änderung der amerikanischen Verfassung enthalten (so Frankfurter in seiner Concurring Opinion zu Adamson vs. California, in: Stevens, p. 215 – 221) und gehen auf die amerikanische Rechtsentwicklung im 19. Jahrhundert zurück (Stevens, p. 107 – 152). Die Leitlinien bestimmten seit dem Verfahren „Adamson vs. California“ (Stevens, p. 1 – 13) Felix Frankfurters weitere Rechtsprechung. Dies wird sichtbar an dem von Frankfurter fortan häufig verwendeten Wort „reasonableness“ (Urofsky, p. 31), was ins Deutsche übersetzt „gerechtfertigt“ bedeutet. Frankfurters Position zum „Due Process“ blieb im Kollegenkreis nicht unumstritten (Urofsky, p. 82 – 103, 148 – 164). Ohne an dieser Stelle weiter auf die Auseinandersetzungen (Hockett), insbesondere mit seinem Kollegen Black, eingehen zu wollen (Urofsky, p. 148 – 164), lohnt sich für den Interessierten ein Blick auf Frankfurters Votum in dem oben genannten Gerichtsverfahren (Stevens, p. 215 – 221). Die Position Frankfurters zum „Due Process“ korrespondiert auch mit seinen Forschungen aus den 1920er-Jahren. Gemeinsam mit dem Juristen Roscoe Pound bewies er die Einflussmög lichkeiten der Presseberichterstattung auf die Einstellung der Bevölkerung zur Kriminalität und auf das von den Gerichten verhängte Strafmaß. Frankfurter und Pound stellten fest, dass trotz gleichbleibender Kriminalität, durch die Berichterstattung der Printmedien das Sicherheitsbedürfnis und der Ruf nach härteren Strafen in der Bevölkerung verstärkt wurden. Ja, dass sogar die unabhängige Gerichtsbarkeit höhere Strafen für gleich schwere Delikte verhängte. Seine Forschungen sind nachzulesen in der Publika tion von Roscoe Pound unter dem Titel „Felix Frankfurter: Criminal Justice in Cleveland“ (1922) und auch heute noch von Aktualität (Vile and Hall, p. 264). Frankfurter trat insbesondere für „judicial self-restraint“ (Thomas, p. 265 – 289) der Gerichte ein. Das Recht sollte nicht durch zusätzliche Präzedenzentscheidungen der Gerichte ‚aufgebläht‘ werden (Thomas, p. 335 – 371) und die Rechtsfindung sollte sich an der Verfassung orientieren: “It is a constitution, we are expounding” (Thomas, p. 195 – 264, 242 – 264). Eine Einladung von Frankfurter an Hans Kelsen anlässlich seiner Flucht aus Deutschland mündete ein in einen transatlantischen Rechtsaustausch beider Wissenschaftler. Frankfurters Bedeutung für die amerikanische Rechtsentwicklung kann an dieser Stelle nicht in Gänze behandelt und gewürdigt werden. Hinzuweisen ist auf zwei Veröffentlichungen, die ganz besonders an Frankfurters Verfassungslehre und an seinen rechtspolitischen Liberalismus anknüpfen (Silverstein; Gerber). Einen Überblick gibt die Veröffentlichung von Michael E. Parrish, „Felix Frankfurter and his times“ (New York 1982) und das Buch von Helen Shirley Thomas mit dem Titel „Scholar on the Bench“; letzteres erschien noch während der Amtszeit von Frankfurter und würdigt ihn als den führenden Juristen der 1940er- und 1950er-Jahre.
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Nach 23-jähriger Amtszeit am Supreme Court ging Frankfurter 1962 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand. Neben der Vielzahl seiner richtungweisenden Entscheidungen (Stevens, Appendix III Table of Opinions, p. 223 – 245) sind aus seiner schreibenden Profession, wie auch noch nach seinem Tod (22. Februar 1965) durch Kollegen aus seinen Manuskripten veröffentlicht, insbesondere hervorzuheben: 1. The Business of the Supreme Court (1927); 2. Some reflections on the reading of statutes (1947); 3. Felix Frankfurter reminisces (1960) by Harlan B. Philips; 4. Extrajudicial essays on the court and the constitution (1970); 5. The constitutional world of Mr. Felix Frankfurter (1971); 6. From the diaries of Felix Frankfurter (1975); 7. Essays in legal history in honor of Felix Frankfurter (1966); 8. Of law and life & other things that matter (1965); 9. Felix Frankfurter (1964). Quellen: Roscoe Pound, Felix Frankfurter: Criminal Justice in Cleveland, reports of the Cleveland Foundation survey of the administration of criminal justice in Cleveland Ohio, (Ohio) 1922; Richard G. Stevens, Frankfurter and Due Process, Lanham 1925, reprint 1987; Felix Frankfurter, Law and politics: the occasional papers of Felix Frankfurter, New York 1939; Felix Frankfurter, The Case of Sacco and Vanzetti: a critical analysis for lawyers and laymen, Stanford Calif. 1954; Samuel J. Konefsky, The Legacy of Holmes and Brandeis, New York 1956; Helen Shirley Thomas, Felix Frankfurter. Scholar on the Bench, Baltimore 1960; Franklin Delano Roosevelt, Roosevelt and Frankfurter. Their correspondence 1928 – 1945, Boston 1967; Nelson Lloyd Dawson, Louis D. Brandeis, Felix Frankfurter, and the New Deal, Hamden, Conn. 1980; Mark Silverstein, Constitutional faith, Cornell 1981; Michael E. Parrish, Felix Frankfurter and his times, New York 1982; Bruce Allen Murphy, The Brandeis/Frankfurter Connection, New York 1982; Larry G. Gerber, The limits of liberalism, New York 1983; Leonard Baker, Brandeis and Frankfurter, New York 1984; Robert A. Burt, Two Jewish Justices. Outcasts in the Promised Land, Berkeley 1988; James F. Simon, The antagonists: Hugo Black, Felix Frankfurter and civil liberties in modern America, New York 1989; Louis D. Brandeis, “Half brother, half son”: the letters of Louis D. Brandeis to Felix Frankfurter, University of Oklahoma Press 1991; Melvin I. Urofsky, Felix Frankfurter. Judicial Restraint and Individual Liberties, Boston 1991; Robert M. Mennel und Christine L. Compston, Holmes and Frankfurter. Their Correspondence, 1912 – 1934, New Hampshire 1996; Jeffrey D. Hockett, New Deal justice: the constitutional jurisprudence of Hugo L. Black, Felix Frankfurter, and Robert H. Jackson, Lanham 1996; John R. V ile und Kermit Hall, Great American judges: an encyclopedia, google book 2003; Tamara Ehs, Felix Frankfurter, Hans Kelsen, and the Practice of Judicial Review, in: Zeitschrift für ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht, 73/2013, S. 451 – 481.
Friedrich Wilhelm August Fröbel
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Friedrich Wilhelm August Fröbel „Es widerspricht dem weiblichen Wesen, daß Frauen einen einseitigen Beruf zu ihrem bleibenden Lebenszwecke machen“ (Karl Fröbel, S. 11). Diese revolutionäre Erkenntnis Karl Fröbels aus dem Jahre 1849 über Ziel und Zweck einer Hochschule für das weibliche Geschlecht wurde irrtümlich Friedrich Fröbel zugeschrieben. Der am 21. 4. 1782 geborene Pädagoge und Schüler Pestalozzis fiel so einem Irrtum zum Opfer, der fast sein Lebenswerk zerstört hätte. Friedrich Fröbel hatte 1840 den ersten und seitdem so bezeichneten „Kindergarten“ in Bad Blankenburg im Thüringer Wald gegründet. Der Kindergarten ist seitdem eine bis heute weltweit sozialpädagogische Institution der frühkindlichen Sozialisation. Fröbel entwickelte Spiel- und Lernmate rialien, die dem Kind erste Formen allgemeiner Bildung vermitteln sollten (Methodenlehre). Darüber hinaus setzte er neue wichtige Akzente in der frühkindlichen Erziehung durch eine Professionalisierung der Kindergärtnerinnen-Ausbildung. Bis zur Entwicklung d ieses frühkindlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags in der Pädagogik hatte Friedrich Fröbels Lebenswerk zunächst nichts mit der Pädagogik gemein. Fröbel hatte nach einer Landwirtschafts- und Försterlehre und einer Tätigkeit als Landvermesser im Jahr 1805 an der Musterschule in Frankfurt a. M. erstmals Bekanntschaft mit Johann Heinrich P estalozzis Ideen gemacht. Fortan konnte sich der damals 24-jährige Friedrich Fröbel als Schüler Pestalozzis bezeichnen. Er wurde ein Jahr später (1806) Hauslehrer einer adeligen Familie in Frankfurt a. M. und verbrachte anschließend mit den ihm anvertrauten 3 Kindern die Jahre 1808 – 1810 am Institut in Iferten in der Schweiz. 1811 folgten Studien in Göttingen und Berlin, die jedoch ohne Prüfungsabschluss blieben. Fröbel wurde Lehrer an der Plamannschen Schule in Berlin. Nach seinem Dienst im Freikorps (1813/14) übernahm er eine Assistenz am Museum für Mineralogie in Berlin bei Prof. Weiß. Bereits 1816 gab er diese Tätigkeit auf und gründete die „Allgemeine Deutsche Erziehungsanstalt“, einen Vorläufer der sogenannten Landerziehungsheime. Sie wurde 1817 nach Keilhau bei Rudolstadt verlegt und ab 1831 von den Mitbegründern Wilhelm Middendorf und Heinrich Langethal weitergeführt, nachdem Fröbel in die Schweiz übergesiedelt war. Dort gründete er in Wartensee (Kt. Luzern) eine Erziehungsanstalt, die 1833 in Willisau weiter geführt wurde. In den Jahren 1835 – 1836 leitete er das Waisenhaus in Burgdorf (Kt. Bern). Nach seiner Rückkehr nach Deutschland begann er in Bad Blankenburg mit der Herstellung von Spielmaterial und gründete 1837 eine „Pflege-, Spiel- und Beschäftigungsanstalt“ für Kleinkinder. Fröbel war Herausgeber der Zeitschrift „Ein Sonntagsblatt für Gleichgesinnte“ (1838 – 1840), der „Keilhauer Werbeschrift“ (1820), der Zeitschrift „Grundzüge der Menschenerziehung“ und der Wochenschrift „Die erziehenden Familien“ (1826) sowie seines Hauptwerks „Die Menschenerziehung“ (1826). Zehn Jahre s päter erschien sein Buch „Erneuerung des Lebens erfordert das neue Jahr 1836“ und schließlich 1844 sein letztes Werk „Mutter- und Koselieder“, mit dem er den Müttern den Gedanken verantwortungsvoller Kindererziehung nahebringen wollte. Fröbel unternahm Vortragsreisen in ganz Deutschland und entwickelte 1842 sogenannte Kindergärtnerinnenkurse in Bad Blankenburg und 1849 die
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erste Schule zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen. Mit dem Kindergartenverbot in Preußen (23. August 1851) wurde sein Lebenswerk jedoch fast zerstört, obgleich das Verbot des Ministers von Raumer auf eine Verwechslung mit seinem Neffen Karl Fröbel, dem Autor der Schrift „Weibliche Hochschulen und Kindergärten“ (1849) zurückging. Erst 1860 wurden Kindergärten wieder zugelassen. In den Jahren 1908/1911 erfolgten erste staatliche Regelungen zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen. Karl Fröbel, der Neffe Friedrich Fröbels, war mit einem anderen Pädagogen, Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg (geb. 29. Oktober 1790), genannt Adolph Diesterweg, bekannt. Adolph Diesterweg war der Vater des Verlagsgründers Moritz Diesterweg. Adolph Diesterweg engagierte sich für die Verbesserung der Volksschule, nachdem er in den Jahren 1811 bis 1820 zunächst Gymnasiallehrer, anschließend Leiter des Lehrerseminars in Moers und später in Berlin gewesen war (1832 – 1847). Er gab die Zeitschrift „Rheinische Blätter“ (1872) und das Jahrbuch für Lehrer- und Schulfreunde heraus (ab 1851). Bis zu seinem Lebensende verfasste er 50 Bücher und 400 Abhandlungen. Diesterweg trat für eine politisch und religiös unbeeinflusste Schulbildung ein, weshalb er 1850 aus politischen Gründen in den Ruhestand versetzt wurde. Er legte in seinem wissenschaftlichen Werk einen besonderen Akzent auf eine soziale Zielsetzung von Erziehung und Bildung, weshalb ihm wesentlicher Einfluss auf den wissenschaftlichen Begriff Sozialpädagogik zukommt. Bildungspolitisch engagierte er sich als Abgeordneter für die Fortschrittspartei im preußischen Landtag gegen die Volksschulerlasse Preußens (1858 – 1866). In den Jahren 1850 – 1852 lehrte er an der in Hamburg gegründeten Frauenhochschule zusammen mit Karl Fröbel. Adolph Diesterweg stand den freireligiösen Frauenvereinen nahe, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, die Frauenemanzipation zum wesentlichen Gegenstand einer religiösen Reform zu machen. Diese Reformbewegung stellte sozialreformerische weibliche Tätigkeiten in den Mittelpunkt ihres Wirkens. Hierzu gehörten neben dem Wahlrecht für die Frau vor allem Bildung und eine wissensbasierte pädago gische und s oziale weibliche Tätigkeit. Wichtigste Frau dieser Bewegung der 1840er-Jahre war Louise Otto Peters (26. 3. 1819 – 13. 3. 1895). Adolph Diesterweg starb am 7. Juli 1866. Quellen: Karl Fröbel, Hochschulen für Mädchen und Kindergärten als Glieder einer vollständigen Bildungsanstalt, welche Erziehung der Familie und Unterricht der Schule verbindet, Hamburg 1849; Sabine Herng-Zalfen, „… in diesem revolutionären Streben nach weiblicher Selbständigkeit“. Anmerkungen zur Hamburger Frauenhochschule um 1850, in: Ariadne. Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung, Heft 2, Juli 1985, Kassel 1985, S. 6 – 8; Sylvia Paletschek, Die Freiheit ist unteilbar! Frauenemanzipa tion, religiöse Reform und die Revolution 1848/49, in: Ariadne. Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung, Heft 33, März 1998 mit dem Titel „Eine ächt weib liche Emansipation“. Die Diskussion der Geschlechterbeziehungen um 1848, Kassel 1998, S. 21 – 22; Hansjosef Buchkremer (Hg.), Handbuch Sozialpädagogik, Darmstadt 2009, S. 31 – 35; Margitta Rockstein, Der Lebensweg Friedrich Fröbels, in: Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Hg.), Fröbelpädagogik im Kontext der Praxis, Bad Berka 2012, S. 135 – 154; International Biographical Index, Onlineressource des Saur Verlags.
Henriette Fürth
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Henriette Fürth „Durch eine ausreichende Mutterschaftsversicherung würde sich der Staat eine große Anzahl arbeitsfähiger Frauen und Mütter und eine gesunde, kräftige Nachkommenschaft erhalten, an der ihm auch im Hinblick auf die Wehrfähigkeit des Landes gelegen sein müsste“ (Munk, Mutterschaftsversicherung, S. 1). Das ist ein für die heutige Zeit nach wie vor aktuelles Fazit, das aus den Arbeiten Fürths gezogen werden kann, schließt man aus dem Begriff der Wehrfähigkeit nicht auf den Kriegsdienst, sondern auf das volkswirtschaftliche Potenzial eines Landes zur Überwindung von Krisensituationen. Henriette Fürth wurde am 15. 8. 1861 als eines von vier Kindern des Holzmöbelfabrikanten Siegmund Katzenstein in Gießen geboren. Ihr Vater hatte sein Talmudstudium und damit seine Ausbildung zum jüdischen Priester vor seiner Heirat mit Sophie Loeb und seinem Wegzug nach Gießen abgebrochen. Nunmehr erfolgreicher Geschäftsmann in Frankfurt, war er Mitglied der Fortschrittspartei und im Vorstand der Israelitischen Gemeinde. Henriette Fürth beendete nach dem Besuch der Höheren Volksschule die weiterführende Ausbildung an der Elisabethenschule in Frankfurt nicht, obgleich sie Aussicht auf ein Lehrerinnenexamen gehabt hätte. Ihr Vater hatte sie abgemeldet, weil sie wegen ihrer jüdischen Herkunft keine Aussicht auf eine Anstellung gehabt hätte und weil für Lehrerinnen ein Heiratsverbots galt. Henriette Fürth führte nach ihrer Heirat mit dem Lederwarenhändler Wilhelm Fürth (1880) zunächst ein bürgerliches und gut situiertes Leben als Ehefrau und M utter. Nach dem Bankrott ihres Mannes wurde sie erwerbstätig, damit ihre Familie ernährt werden konnte. Fürth war bekennende Pazifistin. Doch auch ihr Sohn wurde eingezogen und kehrte verwundet aus dem Krieg zurück. Es blieb ihr die Judenzählung im Jahr 1916 als jüdische Diskriminierung schmerzhaft im Bewusstsein. Henriette Fürth veröffentlichte, obgleich M utter von acht Kindern, unter dem Pseudo nym Gertrud Rein zahlreiche Artikel zu frauensoziologischen Themen, aber auch den Aufruf an Juden, Mitleid von nicht-jüdischen Bürgern abzuwehren. Später, als Autorin der Schriften der Gesellschaft für soziale Reform und als erstes weibliches Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), gab sie sich mit ihrem richtigen Namen zu erkennen, nachdem sie mit ihrem Werk „Ein mittelbürgerliches Budget über einen zehnjährigen Zeitraum“ (1907) in die Arena wissenschaftlicher Arbeit eintrat. Fürth blieb wissenschaftliche Autodidaktin und verfasste sozialempirische Daten zu den Arbeitsverhältnissen von Frauen in der Industrie, in den Bereichen der Prostitution und der Hygiene: „Die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und die Bordelle“ (München 1905), „Die Prostitution: Ursachen und Wege der Abhilfe“ (Berlin 1907), „Das Geschlechtsproblem und die moderne Moral“ (Leipzig 1908), „Staat und Sittlichkeit“ (Leipzig 1912), „Die Fabrikarbeit verheirateter Frauen“ (Frankfurt a. M. 1902), „Weitere Beiträge zu Kinderarbeit und Kinderschutz“ (Leipzig 1906) sowie „Freistundenarbeit und Freistundenkunst“ (Leipzig 1911) sind als ihre wichtigsten Publikationen zu nennen. Bereits im Jahr 1903 setzte sie sich für „Die geschlechtliche Aufklärung in Haus und Schule“ (Leipzig) ein
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und erachtete eine Verbesserung des Berufslebens von Frauen durch eine frühzeitige und fundierte Berufsberatung als eine ihrer entscheidenden Bedingungen: „Die Berufstätigkeit des weiblichen Geschlechts und die Berufswahl der Mädchen. Mit anh. Wegweiser für die weibliche Jugend“ (Leipzig 1908). Zu Beginn des E rsten Weltkriegs erschien Fürths Monografie „Die Hausfrau“. Nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs konzentrierten sich ihre soziologischen Betrachtungen auf „Die deutschen Frauen im Kriege“ (Tübingen 1917) und die „Zentralküche in Kriegseinrichtungen“ (Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 41, 1916, S. 466 – 474). Nach dem Kriegsende nahm sie volkswirtschaft liche Aspekte in ihre sozialwissenschaftlich empirischen Themen auf: „Gemeinwirtschaft liche Förderung der Haushaltung und der Lebenskraft“ ( Jena 1919), „Der Haushalt vor und nach dem Krieg: dargestellt an Hand eines mittelbürgerlichen Budgets“ ( Jena 1922), „Bevölkerungsfragen und Nachkriegsaufgaben der Bevölkerungspolitik“ (Archiv für Sozial wirtschaft und Sozialpolitik, Bd. 48, 1920/21, S. 260 – 272) sowie „Die Sozialisierung der öffentlichen Wohlfahrtspflege: Rückschau und Ausblick“ (Bonn 1920). Bis zur Macht ergreifung Hitlers erschienen ihre wichtigsten Beiträge zur aktuellen sozial- und wirtschaftspolitischen Diskussion: „Das Bevölkerungsproblem in Deutschland“ ( Jena 1925), „Die Regelung der Nachkommenschaft als eugenisches Problem“ (Stuttgart 1929) und „Wirtschaftslage und Überseeauswanderung“ (Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 63, 1930, S. 170 – 178). Noch nicht gewürdigt bis heute ist, dass ihre sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Arbeiten sie auch zu wichtigen Rechtsfragen der damaligen Zeit führten. So zum Beispiel zu den Betrachtungen über „Der Unehelichen Schicksal und Recht“ (Zeitschrift für Sexualwissenschaft, Bd. II, Bonn 1915/16, S. 235 – 249). Aber vor allem sind ihre Betrachtungen zu „Mindesteinkommen, Lebensmittelpreise[n] und Lebenshaltung: in Anlehnung an die Verhältnisse in Frankfurt a. M.“ (Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 33, 1911, S. 523 – 542) als entscheidender Ausgangspunkt für ihre Forderung nach einer sozialen Absicherung der Mütter zu werten. Henriette Fürths Vorschläge zur „Mutterschafts-Versicherung“ ( Jena 1911) dürfen als eine der fortschritt lichsten Überlegungen allgemeiner Sozialpolitik und als entscheidender historischer Baustein späterer sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen gewertet werden Es muss konstatiert werden, dass die Berücksichtigungszeiten der Kindererziehung (§ 57 SGB VI), eingeführt durch das Rentenreformgesetz 1992, Fürths Forderung nach Anerkennung der volkswirtschaftlichen Leistungen der Mutter erst 80 Jahre später erfüllte. Nicht nur vor dem Hintergrund eines Rechts der Frau auf Selbstbestimmung, sondern gerade vor dem Hintergrund der schlechten sozioökonomischen Bedingungen der ledigen Mütter und der Frauen in den unteren sozialen Schichten während des Wirkens Henriette Fürths in Frankfurt, mündeten ihre Betrachtungen zur Prostitution und der sexuellen Aufklärung in ihre Reformforderungen zur Schwangerschaftsunterbrechung und zur Novellierung des Strafgesetzbuchs ein (Die Schwangerschaftsunterbrechung und das Strafgesetzbuch, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 57, 1927, S. 176 – 193). Fürths Schriften harren noch der wissenschaftlichen Aufarbeitung. Fürth verfasste über 30 Bücher und Broschüren und ungefähr 200 Artikel, die dem Leser eine außerordentliche Spannweite des wissenschaftlichen Interesses eröffnen. Sie schrieb im Herbst 1931 ihre Autobiografie (Streifzüge durch das Land eines Lebens. Für meine Kinder).
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Henriette Fürth war Mitglied der SPD. Fürth war Mitglied im Bund für Mutterschutz, der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und zugleich Mitherausgeberin der Sozialistischen Monatshefte (bis 1908). Als Mitbegründerin der Zeitschrift „Die Gleichheit“ war sie die schärfste Kritikerin von Clara Zetkins Konzept einer separaten proletarischen Frauenorganisation. Fürth wollte sich nicht und lässt sich nicht den verschiedenen Richtungen zuordnen (proletarische/gemäßigte/radikale Frauenbewegung). Fürth teilte ihr Engagement nicht nur z wischen der bürgerlichen und der jüdischen Frauenbewegung, sondern in der Person Fürths verkörperte sich die alle Richtungen der Frauenbewegung verbindende Frauenfrage ihrer Zeit: die s oziale Frage. Das lässt sich auch in den grenzüberschreitenden Kontakten Fürths abbilden. Fürth pflegte Briefkontakt mit Minna Cauer, August Bebel, Lily Braun, Wilhelm L iebknecht, Wolfgang Mittermaier, Franz Oppenheimer, Anna Pappritz, Helene S töcker, Marie Stritt, Clara Zetkin und Paul Waetzel, aber auch mit Alice Bensheimer. Während ihres Lebens begegnete sie Friedrich Naumann, Rudolf Goldscheid, Charles Hallgarten, Julian Marcuse, Phillip Stein und Theodor Wiesengrund Adorno. Zu ihren sozioökonomischen und sozialempirischen Untersuchungen wurde Henriette Fürth durch Karl Flesch (1853 – 1915) angeregt. Flesch hatte sozialstatistische Daten über Frankfurter Arbeiterbudgets aus mehreren Berufen und Gewerken ermittelt, als Henriette Fürth sich in seinen Mitarbeiterstab selbst empfahl, um ihren Beitrag für eine Untersuchung über die Verhältnisse in der Heimarbeit der Herrenkonfektion zu leisten. Philipp Stein, Direktor des Instituts für Gemeinwohl in Frankfurt, Reichstagsabgeordneter und der Vorsitzende der Enquéte Kommission in Frankfurt, berief sie in den Mitarbeiterstab. Während dieser Zeit dienten die Schriften des deutschlandweit anerkannten Sozialwissenschaftlers Gottlieb Schnapper-Arndt, Fürth zum Vorbild ihres wissenschaft lichen Wirkens. Fürth arbeitete in der Centrale für private Fürsorge in Frankfurt, in der Sektion für s oziale Ökonomie des Freien Deutschen Hochstifts, der Auskunftsstelle zur Erfassung und Auswertung sozialer Daten (dem späteren Sozialen Museum) und der Rechtsschutzstelle für Frauen. Fürths Untersuchung in der Rechtsschutzstelle für Frauen über Pflegekinder in Frankfurt diente als Eingabe an den preußischen Landtag. Fürth war Stadträtin der Stadt Frankfurt für die SPD und für diese Partei in der Zeit von 1919 – 1924 im Finanzausschuss der Deputationen für das Gesundheitswesen und für die Schule sowie im Ausschuss für höheres Schulwesen und im Lebensmitteldienst. Sie trug als Frankfurter Stadtverordnete und als Mitglied im Rat der Universität Frankfurt zur Gründung der Frankfurter Universität wesentlich bei. An ihrem 70. Geburtstag erhielt sie die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt a. M. (1931) und eine Ehrenurkunde der Universität. Das Institut für Grundlagen der Gesellschaftswissenschaften der Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt hat das autobiografische Manuskript Henriette Fürths aufgearbeitet und unter dem Titel „Henriette Fürth. Streifzüge durch das Land meines Lebens“ publiziert. Sie starb am 1. Juli 1938. Henriette Fürths Nachlass wird im International Institute of Social History in Amsterdam aufbewahrt. Anlässlich Ihres 70. Todestages veranstaltete die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in ihrem Geburtsort Gießen einen historischen Spaziergang.
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Quellen: Online-Ressource: www.iisg.nl/archives (IISH Amsterdam 2008); Marie Munks Klausur mit dem Titel „Mutterschaftsversicherung“ bei Prof. Stier-Somlo, 1911, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 10 Folder 10; Simon Katzenstein, Henriette Fürth: Versuch einer Würdigung zu ihrem Siebzigsten Geburtstag, gewidmet von ihrem Bruder, o. O. 1931; Angelika Epple, Henriette Fürth und die Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich: eine Sozialbiographie, Pfaffenweiler 1996; Andrea Djuren, Henriette Fürth (1861 – 1938): Leben und Lebenswerk einer jüdischen Deutschen im Deutschen Kaiserreich, Oldenburg 2000; Online-Ressource: Gießener Anzeiger vom 30. Mai 2008; Claudius Härpfer, Henriette Fürth und das sozialwissenschaft liche Milieu in Frankfurt a. M. vor der Universitätsgründung, in: Felicia Herrschaft und Klaus Lichtblai (Hg.), Soziologie in Frankfurt – Eine Zwischenbilanz, Wiesbaden 2010, S. 39 – 53; Monika Graulich, Claudius Härpfer, Gerhard Wagner (Hg.), Henriette Fürth (1861 – 1938) – Streifzüge durch das Land meines Lebens. Autobiographie einer deutsch- jüdischen Soziologin, Sozialpolitikerin und Frauenrechtlerin, Wiesbaden 2010.
Sophie Goudstikker Sie wurde am 15. Januar 1865 als Tochter eines Geschäftsmanns in Amsterdam geboren. Nachdem sich die Familie erst in Hamburg, dann in Dresden niedergelassen hatte und die Eltern sich anschließend trennten, begann sie eine Ausbildung in einer privaten Malschule. Sie avancierte zur Hoffotografin Bayerns, war Mitglied in standesrechtlichen Organisa tionen der Fotografen und gründete gemeinsam mit Anita Augspurg das Fotoatelier „Elvira“ in München. Zu ihren Kunden zählten die königlich-bayerische Familie sowie Heinrich und Thomas Mann. Zusammen mit Ika Freudenberg gründete sie den „Verein für Fraueninteressen“ in München. Seit 1898 arbeitete sie in der Rechtsschutzstelle des Vereins für geistige Interessen der Frau. 1899 hielt sie in München den ersten bayerischen Frauentag ab. 1908 verpachtete sie ihr Fotoatelier. Fortan widmete sie sich ganz der Arbeit in der Rechtsschutzstelle. Ihr Engagement in der Frauenbewegung wurde auch durch die Beziehung zu Gertrud Bäumer geprägt, die eine Zeit lang in ihrem Haus wohnte. Sophia Goudstikker starb am 20. März 1924. Quellen: Gertrud Bäumer, Lebensweg durch eine Zeitenwende, Tübingen 1933, S. 182 – 183; Gertrud Bäumer und Ika Freudenberg, Gestalt und Wandel, Berlin 1939, S. 413; Rudolf Herz und Brigitte Bruns, Hof Atelier Elvira 1887 – 1928. Ästheten, Emanzen, Aristokraten, München 1985; DGB-Bildungswerk, Kreis München (Hg.), Eva Maria Volland, Frauenleben und Frauenbewegung in München, München 1988, S. 35 – 37; Beate Knappe, Die Atelier-Fotografin: ein Frauenberuf im 19. Jahrhundert zwischen Modeerscheinung und Profession, Düsseldorf 1995, S. 93 – 94.
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Max Hachenburg „Es ist die Aufgabe des Anwalts, die Wahrheitsermittlung strikt durchzuführen. Man mag mich Wahrheitsfanatiker schelten. Ich lasse es mir gefallen. Jeder von uns trägt vor Gericht das Ehrenkleid des Rechtsanwalts. Dann darf er nicht dem Recht des Mandanten, auch wenn er daran glaubt, dadurch zum Siege verhelfen, daß er nicht wahrhaftig ist. Wenn ich nach d iesem Prinzip handeln müßte, würde ich bedauern, Anwalt zu sein. Hier kann ich mich nicht vergleichen“ (Lebenserinnerungen, S. 21). Max Hachenburg wurde am 1. Okt. 1860 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns und der Rabbinerstochter Johanna Präger in Mannheim geboren. Der Großvater mütterlicherseits war der erste hauptamtliche Stadtrabbiner Mannheims: Moses Präger. In beiden Familien, die bereits seit dem Jahre 1670 in Mannheim ansässig waren, fand sich die traditionelle jüdische Trennung zwischen den Männern des Handels und den Männern des Geistes. Neun von siebzehn jüdischen Abiturienten in Hachenburgs Klasse wählten den Beruf des Juristen. Die damalige Berufssituation der Juristen in Baden war gut. Es gab keine Überfüllung des Anwaltsberufs. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, Leipzig und Straßburg promovierte Max Hachenburg 1882 zu Artikel 306 des Handelsgesetzbuches in Heidelberg. Im gleichen Jahr legte er das erste juristische Staatsexamen ab. Es folgte die Referendarzeit in Heidelberg und Pforzheim und schließlich das Assessor examen in Mannheim. Am 15. September 1885 begann Hachenburg seine anwaltliche Tätigkeit. Dem Anwalt seiner Zivilstation, Isidor Rosenfeld (1850 – 1928), zu dessen Klientel Benz und BBC gehörten, widmete Hachenburg seine erste Veröffentlichung. Bei dieser handelte es sich genau genommen um Hachenburgs abgenutztes Exemplar des badischen Landrechts, das er mit handschriftlichen Anmerkungen aus den Urteilen des Reichsgerichts und der deutschen Oberlandesgerichte versehen hatte. Gerade d ieses Heft fand großen Anklang im Bekanntenkreis. Deshalb bot Hachenburg es dem Verlag Bensheimer an. Es erschien unter dem Titel „Das badische Landrecht unter Berücksichtigung des Rheinischen Rechts annotiert nach der Rechtsprechung der deutschen Gerichte“. Der Verleger Julius Bensheimer war mit einer führenden Persönlichkeit der deutschen Frauen bewegung liiert: Alice Bensheimer. Vermutlich ist so der persönliche Kontakt zwischen Alice Bensheimer und Hachenburg zustande gekommen. Gemeinsam mit Karl Heinsheimer (dem späteren Doktorvater von Marie Munk) erschien 1896 eine zweite Auflage dieser neuen Gattung juristischer Sachbücher: des Handkommentars. Es verwundert nicht, dass dem jungen Hachenburg in den ersten Jahren seiner anwaltlichen Tätigkeit die Arbeit des Lehrenden gegenüber der Arbeit des Praktikers „als das Höchste“ erschien (Lebenserinnerungen, S. 55). Doch „je älter“ Hachenburg wurde, „desto stärker wuchs“ sein „Interesse an dem Menschen gegenüber dem konkreten Rechtsfall“ (Lebenserinnerungen, S. 57). Hachenburg erkannte, dass die Freiheit des Anwalts im Zusammenwirken mit seinen Klienten, Kollegen und den Richtern besteht. Gab sich Hachenburg zu Beginn seiner anwaltlichen Tätigkeit vermehrt der literarischen Arbeit im Zivilrecht hin, erwuchs mit der Zeit Stammklientel aus der Kaufmannschaft und Anerkennung seiner Fähigkeiten in der Richterschaft. Hachenburgs dritte Schrift „Das Recht der Gewährleistung beim
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Tierhandel“, das sogenannte „Viehbuch“ (Lebenserinnerungen, S. 102), kam auf Beklagen eines Richters zustande, es fehle an einem brauchbaren Kommentar zur Tiermängelhaftung. In späteren Jahren brach sich in seiner literarischen Arbeit der Wunsch des Lehrens bahn (Lebenserinnerungen, S. 100). Das Gutachten des Vorstands des deutschen Anwaltsvereins (1890) zum ersten Entwurf des BGB stammte aus Hachenburgs Feder. Hachenburg erhielt wesentlichen Einfluss auf die Ausgestaltung des § 326 BGB (a. F.) und widmete sich besonders dem Allgemeinen Teil des BGB. Im Jahre 1895 folgten „Beiträge zum Hypotheken- und Grundschuldrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich (zweite Lesung)“ sowie die „Studien zum Erbrecht“ und seine Ausführungen über „Die Rechtsstellung des unehelichen Kindes im Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches“. Nach der Verabschiedung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gab Hachenburg durch Vortrag vor Mannheimer Juristen „Einblick in den Geist des neuen Rechts (Lebenserinnerungen, S. 108). Diese Vorträge wurden im Jahre 1898 gedruckt und erhielten bereits mit Inkrafttreten des BGB (1900) ihre zweite Auflage. Das GmbH-Gesetz vom 20. 4. 1892 und das Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und Aktiengesellschaften vom 18. 7. 1884, führten zu einem neuen Berufsbild: dem Wirtschaftsanwalt. Der Kommentar zum Handelsgesetzbuch, der sogenannte Düringer-Hachenburg, erschien ab dem Jahr 1899. Adelbert Düringer war ein Mannheimer Richter, der seit dem Herbst 1895 in die Kommission zur Begutachtung des Entwurfs des neuen Handelsgesetzbuchs berufen worden war. Seit dem Jahr 1892 war Düringer Vorsitzender der Kammer für Handelssachen, später Richter am OLG in Karlsruhe, in den Jahren 1902 – 1915 Richter am Reichsgericht und bis 1917 gar Präsident des OLG Karlsruhe. Nach seiner Zeit als badischer Justizminister (1917 – 1918) wurde er Mitglied der verfassungsgebenden Nationalversammlung und ab 1919 bis zu seinem Tod (3. 9. 1924) Mitglied im Reichstag. Für die zweite Auflage mussten bereits weitere Kräfte gewonnen werden: u. a. Karl Geiler (1878 – 1053), der spätere Rektor der Heidelberger Universität und Hachenburgs Schulkamerad (Lebens erinnerungen, S. 111). Der Düringer-Hachenburg-Kommentar zum Handelsgesetzbuch gehörte genannt mit Plancks BGB, Otto von Gierkes Privatrecht und Dernburgs Pandektenrecht. Er bot durch die kaufmännischen Abreden und Auslegungen Hachenburgs die Erkenntnis der Lebensgestaltung als Quelle des Rechts (Lebenserinnerungen, S. 112). Im Unterschied zu dem Kommentar zum Handelsgesetzbuch von Hermann Staub schlug Hachenburg eine Verbindung zum BGB. Nach dem Tod Staubs übernahm Hachenburg die Fortführung des von Staub begonnenen GmbH-Gesetz-Kommentars. Seine Wahl in den Vorstand des deutschen Anwaltsvereins verdankte Hachenburg seinem Vortrag auf dem deutschen Anwaltstag in Mannheim (1907). Sein Hauptreferat mitsamt seinem Vorschlag für einen einheitlichen Zivilprozess und die Zulassung von allen Anwälten zu den Landgerichten setzte sich gegenüber den anderen Rechtsvorschlägen durch. Hachenburg war Mitglied im Vorstand der Anwaltskammer und des Ehrengerichts in Karlsruhe, seit dem Jahre 1920 auch Mitglied im Reichswirtschaftsrat. Einem Gremium, das mit verschiedenen Persönlichkeiten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern, besetzt war und auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik Gesetzgebungsvorhaben einbringen oder zu ihnen Stellung nehmen konnte. Durch den Reichswirtschaftsrat habe er im vorgerückten Lebensalter doch noch zur
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Politik gefunden. Der Reichswirtschaftsrat brachte ihm das Feld für politische Arbeit ohne Parteizugehörigkeit und ohne Parteizwang (Lebenserinnerungen, S. 184, 186). Nur wenige Frauen waren in den Reichswirtschaftsrat entsandt worden: u. a. Charlotte Mühsam- Werther, das Vorstandsmitglied des Reichsverbandes Deutscher Hausfrauen-Vereine, während des Ersten Weltkrieges im nationalen Frauendienst tätig. Sie war mit dem jüdischen Juristen Georg Mühsam-Werther verheiratet, der seine Kanzlei in der Dorotheenstr. 42 in Berlin hatte. Die weiblichen Vertreter des Reichswirtschaftsrats erlebte Hachenburg als Menschen, die „sich der Grenze ihres Gebietes bewußt waren“. Er erinnerte sich nicht, „daß sie bei Fragen grundsätzlich wirtschaftlicher Art in die Debatte eingriffen. Höchstens im Privatgespräch und auch da unter Bekenntnis ihrer Schwäche“ (Lebenserinnerungen, S. 193). Hachenburg schätzte an seiner Tätigkeit im finanzpolitischen Ausschuss und als stellvertretender Vorsitzender im Verfassungsausschuss des Reichswirtschaftsrates die rein sachliche Verhandlung. Der Reichswirtschaftsrat sei das wirtschaftliche Gewissen des Volkes gewesen: „Nur muß man seine Stimme auch hören wollen“ (Lebenserinnerungen, S. 203, 204, 205, 206). Hachenburg erlangte aus der Mitarbeit im Reichswirtschaftsrat Anregung für die eigene gutachterliche Arbeit in der juristischen Praxis. Seit dem Jahr 1915 war er Mitherausgeber der Juristischen Wochenschrift und der Leipziger Zeitschrift (ehemals Zeitschrift für Handels-, Konkurs- und Versicherungsrecht (bis 1933). Er leitete die Juristische Rundschau der Deutschen Juristenzeitung (1912 – 1933). An der Mannheimer Handelshochschule gab er Rechtsunterricht (1907). Als im Jahre 1919 erstmals Anwälte in die Kommissionen für die Assessorprüfungen zugelassen wurden, war Hachenburg einer von ihnen. Trotz seines großen beruflichen Erfolgs lehnte er zwei Rufe an juristische Fakultäten ab. Er schlug auch seine Berufung als Anwalt zum Reichsgericht aus. Die Verbindung zu Mannheim war zu stark, auch wirtschaftlich. Hachenburg war im Aufsichtsrat vieler Aktiengesellschaften (Enzinger-Union-Werke, Eichbaum-Werger AG, Neufang- Jaenisch AG, Schlossbrauerei, der Lindener Aktienbrauerei, der Pfälzischen Preßhefen- und Spritfabrik). Er erhielt einen Ehrendoktor der Universität Heidelberg. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs folgte die wirtschaftliche Krise. Nicht nur deshalb war Hachenburgs Haltung professionellen Juristinnen gegenüber ambivalent. Nach dem Inkrafttreten des Art. 109 und 128 der WRV äußerte er seine Bedenken gegen die Zulassung von Frauen zur Anwaltschaft: „Richtig“ sei „die unabweisbare Logik, die aus der Erteilung des aktiven und passiven Wahlrechts auch den Anspruch auf das Staatsamt und die Rechtsanwaltschaft ableitet. Zweifelhafter die Begründung, daß gerade die Frauen der besseren Volksklassen ‚das dringende Bedürfnis haben, von Frauen beraten zu werden‘. Das kann erst durch eine Probe nach erfolgter Zulassung erwiesen werden. Am bedenklichsten erscheint die wirtschaftliche Seite. Staat und Anwaltschaft stöhnen unter der Überfüllung. Sie haben keinen Nahrungsspielraum für den trotz des Krieges immer noch gewaltigen Zudrang. Ist es klug, ihn aus logischer Folgerichtigkeit noch zu vergrößern?“ (Scherner, 1997, S. 300). Hachenburgs Stärken lagen im Wirtschaftsrecht. Er bearbeitete die Gründung von IG Farben und bereitete die Übernahme von Opel durch General Motors vor. Hachenburg war seit dem Jahr 1924 auch Mitglied des Reichskartellgerichts. In den 1920er-Jahren wirkte Hachenburg maßgeblich an der Reform des Aktienrechts mit. Er war nicht nur Vorsitzender der Kommission zur Reform des Aktienrechts des Deutschen Juristentages,
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sondern auch Leiter der Kommission des deutschen Anwaltsvereins und Vorsitzender des Arbeitsausschusses zur Beratung des Entwurfs über ein neues Aktiengesetz. Sein Gutachten über den Entwurf eines Gesetzes über die Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien mündete 1930 im Reichsjustizministerium in einen Gesetzentwurf ein. Die Arbeiten an dieser Reform wurden 1933 jäh beendet. Privat setzte er seine Arbeiten zum Aktienrecht fort und verfasste „Kritische Bemerkungen zu den Bestimmungen über die Gründung von Aktiengesellschaften nach dem Entwurfe eines jugoslawischen Handelsgesetzbuchs“ (1934). Hachenburg bestimmte das kulturelle jüdische Leben in Mannheim. Noch jung, war er bereits Mitglied des Oberrats der Israeliten, Berichterstatter der Verfassungskommission der Synodalverfassung von 1895 und 1898 und ab dem Jahre 1901 Präsident der Synode. Zwar gratulierten die Nationalsozialisten Hachenburg im Jahre 1935 noch zum 75. Geburtstag, jedoch verwüsteten sie in der Reichskristallnacht sein Anwaltsbüro. Seine Anwaltszulassung wurde im Jahr 1938 zurückgenommen. Erst 1939 emigrierte er in die Schweiz. Seinen Töchtern gelang die Flucht nicht: Margaretha Augusta Martha (Grete) Bing (geb. 1890) und Elisabeth Luise Pauline (Liese) (geb. 1892) kamen 1942 und 1943 um. Erinnerungen an seine Tochter Luise sind in „Den Unvergessenen – Opfer des Wahns 1933 – 1945“ (Heidelberg 1952, S. 90 – 97) von Hermann Maas und Gustav R adbruch publi ziert worden. Hachenburgs Sohn, Hans, wurde in der Reichskristallnacht in Schutzhaft genommen und vom 11.11. bis 26. 12. 1938 im Konzentrationslager Dachau festgehalten. Er emigrierte 1939 nach England, wie sein Vater Max. Bis zum Jahr 1946 lebten beide nahe der walisischen Grenze in dem nordenglischen Landstädtchen Oswestry. Nur Hans Hachenburg kehrte nach Deutschland zurück. Er wirkte aktiv am Nürnberger Tribunal mit und widmete sich dem Wiedergutmachungsrecht, später wurde er zum Landgerichtsdirektor in Heidelberg (1948 – 1963) ernannt. Max Hachenburg hingegen nahm nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Wohnsitz in Berkeley (Calif.). Bereits 90-jährig publizierte er noch zu den Problemen des Rückerstattungsrechts (1950). Er starb am 23. November 1951. Seit dem Jahre 1994 finden an der Universität Heidelberg Max-Hachenburg-Gedächtnisvorlesungen statt. Quellen: Hermann Maas und Gustav Radbruch, Den Unvergessenen – Opfer des Wahns 1933 – 1945, Heidelberg 1952; Max Hachenburg, Lebenserinnerungen eines Rechtsanwalts und Briefe aus der Emigration, Stuttgart 1978; Karl Otto Scherner, Max Hachenburg (1860 – 1951). Recht des Handels als geordnetes Leben der Wirtschaft, in: Helmut H einrichs, Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, S. 391 – 417; Karl Otto Scherner, Advokaten, Revolutionäre, Anwälte. Die Geschichte der Mannheimer Anwaltschaft, Sigmaringen 1997; Peter Hommelhoff, Max-Hachenburg-Gedächtnisvorlesungen der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Heidelberg 1994 – 2003; Gedächtnisvorlesungen World Biographical Information System. Zu Charlotte Mühsam-Werther und Georg Mühsam-Werther: Simone Ladwig-Winters, Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933, Berlin- Brandenburg 2007, S. 229; World Biographical Information System.
Maria Johanna Hagemeyer
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Maria Johanna Hagemeyer „Es wird daher davon auszugehen sein, daß nach dem Willen des Gesetzgebers die Gleichberechtigung auf allen Rechtsgebieten verwirklicht werden soll, daß dieser Gleichberechtigung auch eine Gleichverpflichtung gegenübersteht und daß die aus der tatsächlichen Verschiedenheit von Mann und Frau sich notwendigerweise ergebenden Unterschiede berücksichtigt werden dürfen“ (Hagemeyer, 1955, S. 4). So lautet Hagemeyers Feststellung zu ihrem Auftrag, im Bundesjustizministerium das Familienrecht von nationalsozialistischem Gedankengut zu bereinigen und den Verfassungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 GG in einem Gesetzentwurf zum Familienrecht umzusetzen. In einer rechtsvergleichenden Betrachtung hatte sie zuvor festgestellt, dass weder der „Rückblick auf die frühere Verfassung“ (gemeint war die WRV) noch ein „Ausblick auf andere geltende Verfassungen zu einer Klärung der Zweifelsfrage“ führe, was unter Gleichberechtigung im Sinne des Gesetzgebers zu verstehen sei bzw. was dieser Verfassungsgrundsatz umfasse (Hagemeyer, 1955, S. 3 und 4). Hagemeyers Wirken steht somit an dem entscheidenden Rechtsübergang von einer Diktatur zu einer Demokratie. Ihre Vorschläge weisen in dieser rechtspolitisch brisanten Situation der Frau eine neue entscheidende rechtliche und damit auch gesellschaftliche Rolle zu: das gleiche Recht und die gleiche Pflicht. Maria Hagemeyer wurde am 17. 4. 1896 geboren. Nach dem Schulbesuch und dem Studium hatte sie zu dem Thema „Das Vereinsrecht des Codex iuris Canonici und die katholischen Vereine der Erzdiözese Köln“ (1922) promoviert, während sie noch Gerichtsreferendar war. Im Jahr 1924 legte sie das Assessorexamen ab. Zur Amts- und Landgerichtsrätin wurde sie 1927 in Bonn ernannt. Nach der Machtergreifung Hitlers wurde sie Mitglied der NSDAP und des Rechtswahrerbundes. Im Jahr 1950 wurde sie als Oberlandesgerichtsrätin in das Bundesjustizministerium in das Referat „Gleichberechtigung der Frau im Familienrecht“ abgeordnet. Fortan widmete sie sich dem oben genannten gesetzgeberischen Auftrag. Diesen löste sie, indem sie ihre Vorschläge maßgeblich auf die Forderungen von Margarete Berent und Marie Munk stützte. Drei Jahre später (1953) kehrte sie in den Richterdienst als Landgerichtsdirektorin zurück. Im Jahre 1955 reiste sie durch die USA zu Fortbildungszwecken. Während dieser Zeit beschäftigte sie sich auch mit der Rechtsentwicklung in der Sowjetzone. Es entstanden ihre Arbeiten „Zum Familienrecht in der Sowjetzone“ (1956) und der „Entwurf des Familiengesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik“ (1955). Sie besuchte die Sitzungen der UN-Kommission. Im Jahr 1958 wurde sie in den Ruhestand versetzt. Auch noch nach ihrem Ruhestand nahm Hagemeyer Anteil an den Anfängen zur Novellierung des Nichtehelichenrechts. Das ergibt sich aus einem Schreiben von Maria Hagemeyer an Marie Munk vom 5. Januar 1966. Maria Hagemeyer starb am 1. 12. 1991. Quellen: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, orthampton, Mass., Box 6 Folder 14; Maria Hagemeyer, Das Vereinsrecht des Codex N Iuris Canonici und die katholischen Vereine der Erzdiözese Köln, Diss. Bonn 1922; Maria Hagemeyer, Denkschrift über die zur Anpassung des geltenden Familienrechts an den
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Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) erforder lichen Gesetzesänderungen, Bundesanzeiger Köln, 1951; Maria Hagemeyer, Der Entwurf des Familiengesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik, Bonn 1955; Maria Hagemeyer, Zum Familienrecht der Sowjetzone, Bonn 1956; Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon zu Leben und Werk, Baden-Baden 2005, S. 123 – 125.
Rudolf Henle Der Bund Deutscher Frauenvereine „ist nicht im geringsten berechtigt, im Namen der deutschen Frauen insgesamt zu sprechen“ (Henle, Rostock 1927, S. 21 Fußnote 18). Mit diesen Worten charakterisierte der Universitätsprofessor Rudolf Henle seine Einstellung zu den Forderungen der Frauenbewegung. Er wurde am 7. Juli 1879 in Hameln (Niedersachsen) als Sohn des Landgerichtspräsidenten Karl Henle geboren. Sein Großvater väterlicherseits, Jacob, war Professor für Anatomie in Göttingen. Sein Urgroßvater mütterlicherseits, Justus von Schmidt-Ph., war Staatsminister in Braunschweig. Nach dem Studium in Göttingen, München, Berlin und Bonn (1898 – 1901) wurde er am 7. Nov. 1902 in Berlin zu dem Thema „Grenzbestimmung zwischen Kauf und Werkvertrag nach allgemeinen Grundsätzen und nach gemeinem Rechte“ promoviert und am 5. Juli 1909 habilitiert. Seine Antrittsvorlesung hielt er am 5. Juli 1909 zu dem Thema „Ausdrückliche und stillschweigende Willenserklärung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche“ in der Aula der Rheinischen Friedrich-W ilhelm- Universität in Bonn. Nach seiner Zeit als Privatdozent durfte er ab dem Jahre 1913 den Titel Professor führen. Es berief ihn die Juristische Fakultät in Gießen (1. 4. 1919) zum außerordentlichen Professor. Vier Jahre später erhielt er einen Ruf an die Universität Rostock für Römisches Recht und Deutsches Bürgerliches Recht. Er verfasste Schriften zur Vorstellungs- und Willenstheorie in der Lehre von der juristischen Willenserklärung (1910), zu den Fragen des Irrtums über die Rechtsfolgen (1911) und ein Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, das in mehreren Auflagen erschien. Mit diesen Titeln sind jedoch nur einige seiner Publikationen aus dem Allgemeinen Teil des BGB, dem Schuld- und dem Sachenrecht (Das Recht auf Besitz, § 1007 BGB, 1928) genannt. Sein Blick für die Dogmatik des bürgerlichen und modernen Rechts findet sich in „Unterstellung und Versicherung: Untersuchungen zu bürgerlichem Recht, Versicherungsrecht und Methodenlehre“, im Julius (Alice) Bensheimer Verlag (1922). Rechtspolitisch trat Rudolf Henle als Anhänger der großdeutsch-föderalistischen Bewegung und als ihr Publizist an die Öffentlichkeit. Er war seit 1913 Mitglied der Deutsch-Hannoversche Partei (Welfen) und später ihr Reichstagskandidat. Seine Auffassungen riefen in der konservativen Professorenschaft der Universität Rostock Widerstand hervor, weshalb Henle seine ab dem Juli 1925 erscheinenden Aufsätze in der Tagespresse in Mecklenburg einer besonderen Durchsicht unterziehen musste. Henle engagierte sich in der Frage der Reichsreform: „Ist ein Anschluß Mecklenburgs an Preußen zu fordern?“ (1927), „Der Weg zum großdeutschen Reich: ein Wort über die Verständigung über
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die deutsche Frage“ (1927) und „Einheitsstaat oder Länderstaat“ (1930). Henle war in den Jahren 1926/1927 bis 1931/32 Dekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock. In seiner Funktion als Direktor des Rechtshistorischen Seminars ist insbesondere auf seine Arbeit mit dem Titel „Unus casus – eine Studie zu Justinians Institutionen“ (1915) zu verweisen. Henles Verhältnis zu den Forderungen der Frauenbewegung ist aus seinem Forschungsinteresse am Ehe- und Scheidungsrecht zu erklären. In seiner Schrift „Ehescheidung im gegenseitigen Einverständnis“ (1922) und in den Publikationen „Erleichterung der Ehescheidung?“ (1927) und „Zerrüttung der Ehe“ (1928) wandte er sich gegen die Positionen des Bundes Deutscher Frauenvereine. Er hielt Vorträge in den Frauenvereinen, so zu dem Thema „Treu und Glauben im Rechtsverkehr“ am 6. Nov. 1911 im Gustav-Adolf-Frauenverein in Bonn während eines von d iesem Verein veranstalteten Zyklus wissenschaftlicher Vorträge. Ein Versuch der Nationalsozialisten, Henle wegen seiner jüdischen Abstammung als Jude nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums einzustufen, scheiterte. Henle verwies auf ein in seiner Familie seit mehreren Generationen praktiziertes evangelisch-christliches Bekenntnis. Er überzeugte die Nationalsozialisten von seiner antimarxistischen Einstellung, seiner Verbundenheit mit Heimat und Geschichte und zu guter Letzt mit seinen Veröffentlichungen im Niederdeutschen Beobachter, dem Presseorgan der mecklenburgischen NSDAP. Ab dem Jahr 1934 war Henle Mitglied im NS-Rechtswahrerbund, der NS-Volkswohlfahrt, des NS-Lehrerbundes und des Reichsluftschutzbundes. Am 20. Juni 1941 verstarb Rudolf Henle in der Graf-Schack-Str. 1 in Rostock. Sein Kollege Ulrich von Lübtow (Römisches Recht, Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht) widmete ihm einen Nachruf. Quellen: Rudolf Henle, Grenzbestimmung z wischen Kauf und Werkvertrag nach allgemeinen Grundsätzen und nach gemeinem Rechte, Trier 1902; Rudolf Henle, Ausdrückliche und stillschweigende Willenserklärung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche, Leipzig 1910; Rudolf Henle, Vorstellungs- und Willenstheorie nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche: öffentliche Antrittsvorlesung, Leipzig 1910; Rudolf Henle, Irrtum über die Rechtsfolgen, Berlin 1911; Rudolf Henle, Unus casus – eine Studie zu Justinians Institutionen, Leipzig 1915; Rudolf Henle, Unterstellung und Versicherung: Untersuchungen zu bürgerlichem Recht, Versicherungsrecht und Methodenlehre, im Julius (Alice) Bensheimer Verlag, 1922; Rudolf Henle, Ehescheidung im gegenseitigen Einverständnis, Sonderausgabe der Zeitschrift: Philosophie und Recht, 1. Jg., Heft 1, 1922; Rudolf Henle, Ist ein Anschluß Mecklenburgs an Preußen zu fordern?, Mecklenburgische Zeitung, 1927, Nr. 10; Rudolf Henle, Der Weg zum großdeutschen Reich: ein Wort über die Verständigung über die deutsche Frage; Einheitsstaat oder Länderstaat (Flugschrift), München 1927; Rudolf Henle, Erleichterung der Ehescheidung?, Rostock 1927; Rudolf Henle, Zerrüttung der Ehe, Rostock 1928; Rudolf Henle, Das Recht auf Besitz (§ 1007 BGB), Rostock 1928; Ulrich von Lübtow, In memoriam: Rudolf Henle, Weimar 1942; Michael Buddrus und Sigrid Fritzlar, Die Professoren der Universität Rostock im „Dritten Reich“, München 2007, S. 185 – 186; World Biographical Information System.
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Hans von Hentig „Bei keinem großen revolutionären Groll-Geladenen fällt es schwer, nach einem Haßund, zur Erleichterung, einen Machtkomplex zu suchen. Der Hasser wird auf sehr viel Hassenswertes stoßen, das sich in dieser unvollkommenen Welt nun einmal findet. Zu anderen Komplex-Bedrückten zieht eine Art Verwandtschaft hin. ‚An Sie, den ich wie einen Gott allein durch Wunder kenne‘, schreibt einst Saint-Just an Robespierre, und läßt die goldenen Ringe an den Ohren klingeln. Sie beide litten nicht an einer Schwäche, in einem andern Brief ‚barbarische Humanität‘ geheißen. Sie hatten beide vor den Frauen Angst.“ (von Hentig, 1970, S. 13). Männliche Machtergreifung hat nicht nur etwas mit Angst, sondern auch mit dem Verhältnis der Geschlechter zu tun. Diese Einsicht gab uns Hans von Hentig. Er wurde am 9. Juni 1887 geboren. Er hatte einen bekannten Rechtsanwalt zum Vater: Otto von Hentig, zu dessen Mandanten in seiner Kanzlei Otto von Bismarck, Generalfeldmarschall von Moltke, Werner von Siemens, die Gebrüder Mannesmann und Thomas E. Adison in Berlin gezählt wurden. Hans von Hentig hatte nach seinem Schulbesuch in Berlin und nach seinem Studium in Paris, Berlin und München am 5. Januar 1912 bei Karl von Birkmeyer zu „Der strafrecht liche Schutz des literarischen Eigentums“ promoviert. Diese Promotion erfolgte nicht nach dem ersten juristischen Staatsexamen, sondern sollte Abschluss seines Studiums sein, nachdem Hans von Hentig zwei Mal das erste Juristische Staatsexamen nicht bestanden hatte. Seine Promotion war also sozusagen letzte Gelegenheit, um seine Studien zu einer Anerkennung zu bringen. Hans von Hentig ließ seiner Promotion ein Medizinstudium folgen, in dem er den psychiatrischen und physiologischen Grundlagen des Normverstoßes nachging. Es erschien Hentigs erste kriminologische Schrift „Strafrecht und Auslese“ (1914), die bei Medizinern und Juristen der damaligen Zeit wegen ihrer biologischen Interpretationen der Strafzwecke wohlwollende Aufnahme fand. Nach dem Ersten Weltkrieg engagierte er sich in der Münchner Räterepublik und als Publizist. Es erschien „Das Deutsche Manifest“ (1921). Wegen seiner Beteiligung an einem von der KPD in Thüringen und Sachsen inszenierten Umsturz floh er 1925 nach Sowjetrussland. Das gerichtliche Verfahren gegen ihn endete im Jahr 1926 mit einer Einstellung auf der Grundlage des Gesetzes über Straffreiheit vom 17. 8. 1925. Dieses Gesetz sah eine Amnestie für alle Hochverratsverfahren vor. Allerdings war damit Hans von Hentig der Weg versperrt, seine Unschuld zu beweisen, was sich nachteilig auf seine Habilitation auswirken konnte. In den Jahren 1927 bis 1933 arbeitete Hans von Hentig für die Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform. Zugleich entwickelte er mit Wolfgang Mittermaier die sogenannte klinische Methode der Juristenausbildung, in der Studierende in unmittelbare Auseinandersetzung mit den in den Gefängnissen Inhaftierten gerieten. Seine Publikation über „Die Strafe, Ursprung, Zweck und Psychologie“ (Berlin 1932) war Wolfgang Mittermaier zugeeignet. Nach seiner Habilitation zu „Wiederaufnahmerecht. Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens dogmatisch und rechtsvergleichend dargestellt“ erhielt Hans von Hentig in den Jahren 1929 bis 1933 zunächst eine Lehrstuhlvertretung in
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Gießen und dann ein Ordinariat für Strafrecht, Strafprozess und Kriminalwissenschaft an der Universität Kiel (13. Juni 1931), deren späterer Dekan er wurde. In den Jahren 1932 und 1933 verfasste er zwar ein Gutachten für die Liga für Menschenrechte (1932), aber auch Artikel über „Die Kriminalität des Negers“. Allerdings zog er sich am 1. Juni 1933 kurz nach der Machtergreifung Hitlers aus dem Dekanat zurück, nachdem man ihm bereits am 25. April 1933 mitgeteilt hatte, dass man über ihn auf der Grundlage der neu in Kraft gesetzten Vorschriften über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums befinden würde. Es war bekannt, dass Hans von Hentig die Novellierung des Strafrechts nach nationalsozialistischen Vorstellungen ablehnte. Dies hatte wohl zur Folge, dass er wegen seiner Beteiligung am Umsturzversuch in Thüringen und Sachsen (1925) am 1. November 1935 pensioniert wurde. Ausschlaggebend war nach den Archivunterlagen aber Hentigs politische Unzuverlässigkeit, die sich auch aus seinen Publikationen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs in der kommunistischen Presse speiste. Darüber hinaus hatte er bereits im Jahr 1923 in einem Artikel in der Allgemeinen Deutschen Zeitung dem Antisemitismus öffentlich eine Absage erteilt. Hentig wurde nach der Machtergreifung Opfer von Denunziationen aus der Nachbarschaft. Bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand arbeitete Hentig noch als Lehrstuhlvertreter in Bonn. Derweil wurde an der Universität Kiel die sogenannte „Kieler Schule“ begründet, weshalb auch unter Mithilfe von Carl Schmitt als Fachreferent der Hochschulkommission Hans von Hentigs Versetzung nach Bonn als „dienstliches Bedürfnis“ (§ 5 BBG) betrachtet und umgesetzt wurde. Die heftige Reaktion Hentigs und der Bonner Universität mögen seine Versetzung in den Ruhestand befördert haben. Nach seiner Emigration (5. September 1936) in die USA arbeitete er zunächst als Assistent Professor an der Law School der Yale University und als Sachverständiger für die Generalstaatsanwaltschaft in Washington. Zum Zeitpunkt seiner Teilnahme an dem ersten Jahrestreffen der National Conference on Family Relations hatte er gerade seine erste Professur übernommen und ein Professorship der University Berkeley erhalten. Es folgten weitere Professuren: an der University in Oregon, in Iowa und Kansas City. In späteren Jahren beteiligte er sich an einem Forschungsprojekt zur Kriminalitätsentwicklung: dem Colorado Survey. Während dieser Zeit (1938 – 1945) publizierte er in Deutschland in der Neuen Volkszeitung und gründete zusammen mit anderen Widerständlern den Council for a Democratic Germany. Seine Erfahrungen in den USA in dieser Zeit sind wissenschaftlich, jedoch nicht persönlich erfreulich, denn gerade wegen seiner Teilnahme an dem KPD-Umsturzversuch im Jahre 1925 wurde er vom FBI überwacht. Auch aus dieser Erfahrung heraus entstand sein wichtigstes Werk „The Criminal and His Victim. Studies in the Sociobiology of Crime“ (1948). Hentig wurde damit zum Gründervater der Lehre vom Verbrechensopfer. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland (1951) übernahm Hans von Hentig einen Lehrstuhl an der Universität Bonn. Diese Rückkehr hatte er bereits kurz nach dem Ende des Krieges (Schreiben Hentigs vom 21. Juli 1945 an die britische Besatzungsmacht) vorbereitet. Doch erneut zeigte sich Widerstand, mit der Begründung, Hentig passe fachlich nicht in die Fakultät. Als dann schließlich am 17. März 1950 Hentig den Ruf angenommen hatte, verweigerte das Innenministerium zunächst seine Zustimmung zur Berufung Hentigs: Er habe
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sich in den letzten 15 Jahren einer politisch unzuverlässigen Haltung befleißigt. Diesen Vorhalt wies das Kultusministerium jedoch zurück mit dem Hinweis, dass Hentig trotz der McCarthy-Ära in den USA nicht aus seinen Professuren entfernt worden sei. Die Berufung Hentigs war für die Bonner Fakultät äußerst ertragreich. Im Jahr 1964 erhielt Hentig die Beccarai-Medaille der Kriminologischen Gesellschaft und am 26. August 1968 das Bundesverdienstkreuz. Letzteres jedoch erst, nachdem eine Überprüfung ergeben hatte, dass aus seiner Beteiligung an dem kommunistischen Aufstand keinerlei Bedenken folgen könnten. Man bedenke, ein Jahr zuvor erst hatte die Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform von Hentig eine eigene Ausgabe anlässlich seines achtzigsten Geburtstages gewidmet. Vier Jahre vor seinem Tod fasste er seine Forschungen zu Robespierre, Saint Just und Fouché aus den Jahren 1919 – 1924 zu einer Publikation mit dem Titel „Terror“ zusammen. Ein Auszug aus seiner Einleitung kann gerade für die heutige bedrohte Zeit zum Nachdenken auffordern: „Die wahre Macht erringt man nicht in Putschen und Kommunen. Nur durch die Dauer weiß sie ihre tiefen Wurzeln zu erweisen. Umsturz ist leicht, Umwälzung schwer. Sie kann durch keine Ladehemmung wie die flüchtige Revolte aufgehalten werden, wenn sie im besten Sinn des Wortes ‚Fortschritt‘ ist. Dann kann sie auch den Eingriff fremder Mächte nicht verhindern und führt durch alle L eiden und verwüsteten Exzesse in die bessere Zukunft. Moderne Waffen und die Meinungsbildung durch Maschinen wird es in Zukunft kleinen Gruppen leichter machen, vorübergehend Macht an sich zu reißen. Doch stehen gleiche Mittel ihren Gegnern zur Verfügung und letzten Endes werden nur Bewährung und Besinnung den Konflikt entscheiden“ (Hentig, 1970, S. 14). Hans von Hentig starb am 6. Juli 1974. Zu seinen Ehren hielt die Bonner Fakultät am 15. Januar 1975 eine Gedenkfeier. Quellen: Hans von Hentig, Der strafrechtliche Schutz des literarischen Eigentums, B erlin 1912; Hans von Hentig, Strafrecht und Auslese. Eine Anwendung der Kausalgesetze auf den rechtbrechenden Menschen mit 14 graph. Darstellungen, Berlin 1914; Hans von Hentig, Wiederaufnahmerecht. Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens dogmatisch und rechtsvergleichend dargestellt, Habil., Heidelberg 1930; Hans von Hentig, Die Strafe, Ursprung, Zweck, Psychologie, Berlin 1932; Hans von Hentig, Die Kriminalität des Negers. Ein Beitrag zur Frage: Rechtsbruch und Rasse“, in: Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, Jg. 52, 1938, S. 34 – 61; Hans von Hentig, The Criminal and His Victim. Studies in the Sociobiology of Crime, Yale University Press 1948; Festgabe für Hans von Hentig, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 50. Jg. Juni 1967, Heft 3 – 4; Hans von Hentig, Terror. Zur Psychologie der Machtergreifung, Berlin 1970; David von Mayenburg, Hans von Hentig, in: Mathias Schmoeckel (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“, Köln 2004, S. 299 – 345.
Werner Otto von Hentig
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Werner Otto von Hentig „Hentigs besondere Bedeutung liegt darin, daß er in den Konflikten und Entscheidungsforderungen unserer Zeit nicht von der Theorie her, von einer Lehre, einer Weltanschauung dachte, sondern von der konkreten Situation, vom Einzelnen, vom Besonderen, vom alltäglichsten, vom banalsten Detail bis zum höchsten allgemeingültigen Menschlichen der Anforderungen und Herausforderungen unserer Zeit vorlebte und tätige Antwort gab“ (Rauschning, S. 154). So wird Werner Otto von Hentig von einem engen Mitarbeiter beschrieben, der ihn im diplomatischen Dienst bzw. in seinem „Leben, eine Dienstreise“, wie Hentig es selbst nannte, erlebte. Werner Otto von Hentig wurde am 22. Mai 1886 in Berlin geboren. Sein Vater, Otto von Hentig, war Rechtsanwalt. Zu seinen Klienten gehörten Bismarck, Werner von Siemens, die Gebrüder Mannesmann, in der Nachfolge des Anwalts Drews auch die Mandanten Roon, Moltke, der Chef des Militärkabinetts Albedyll und Mitglieder der Hofgesellschaft (Hentig, S. 16). In seiner Schulzeit begegnete Werner Otto von Hentig von Brauchitsch, den Gebrüdern Nordenflycht, Orda und Walter Gropius (Hentig. S. 30 – 31). Aus seiner rechtswissenschaft lichen Studienzeit in Grenoble, Königsberg, Berlin und Bonn sind ihm besonders Martin Wolff, Crome, Landsberg (Strafrecht) und Stier-Somlo in Erinnerung geblieben (Hentig, S. 93, 104). Obgleich er sein erstes juristisches Staatsexamen nicht mit Prädikat ablegte, erweiterte er sein Examensarbeitsthema über die Entwicklungstendenzen der Exterritorialität zu einer Dissertation mit dem Thema „Die Exterritorialität in ihrer modernen Rechtserscheinung“ bei Prof. Meurer in Würzburg (Hentig, S. 108 – 109). Er promovierte nach zusätzlichen staatswissenschaftlichen Übungen und Vorlesungen mit magna cum laude zum Dr. jur. und Dr. rer. pol (Hentig, S. 109). Nach seiner Referendarzeit und ersten gerichtlichen Erfahrungen in der Justiz (Hentig, S. 109 – 124) trat er in den diplomatischen Dienst ein. In den Jahren 1915 bis 1917 war er Legationsrat in Afghanistan und später Pressechef der deutschen Botschaft in Konstantinopel. In den 1920er-Jahren hatte sich Werner Otto von Hentig in der Nansen- Stiftung für deutsche Kriegsgefangene in Sibirien eingesetzt, um dann (1921) Geschäftsträger des Deutschen Reiches in Estland, auf dem Balkan in Sofia und schließlich in Posen zu sein. Gerade „die Erfüllung der Hentig in Posen übertragenen Pflichten erforderte bedeutende organisatorische Fähigkeit, eine immense Arbeitskraft, Initiative und stellte ungewöhnliche Ansprüche an persönlicher Verantwortung. Sie lag in ihrem besonderen politischen Charakter. Den Abtransport der Optanten für Deutschland reibungslos abzuwickeln, die Härten des Aufenthaltes im Übergangslager zu lindern, bildeten nur den äußeren Rahmen für die politische Aufgabe, soviel Deutsche, als die Bestimmungen des Friedensvertrages es zuließen, in ihrem bisherigen Siedlungsgebiet festzuhalten und den politischen und wirtschaftlichen Druck der polnischen Staatsorgane, der auf eine möglichst totale Abwanderung zielte, zu erleichtern. Das erstere war eine pädagogische Aufgabe, das andere konnte den Weg zu einer deutschen Ostpolitik öffnen helfen, an der es bisher fehlte“ (Rauschning, S. 130 – 131). Hentig musste in der Bevölkerung den Widerstand wecken. „Widerstand, um den es sich hier handelte, war es, der Abwanderungsbewegung zu begegnen, die in Gefahr stand, sich zu einer Panik zu steigern und damit wesentliche historische Siedlungsgebiete des deutschen Volkes
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preiszugeben, die wie die ordenspreußischen seit 700 Jahren zum deutschen Kulturbereich gehörten“ (Rauschning, S. 132). Hentig löste diese Aufgabe ab 1924 in der Funktion eines Generalkonsuls. Dieses Amt übte er auch in den 1930er-Jahren in San Francisco und Bogota aus. 1937 bis 1939 leitete er die Orientabteilung des Auswärtigen Amtes. Während seiner Dienstzeit im Nationalsozialismus soll Hentig einer der wenigen Mitarbeiter im Auswärtigen Amt gewesen sein, die sich kritisch zu den jüdischen Massengräbern äußerten (Conze, S. 213). Hentig forderte im Sommer 1942 eine „Mäßigung der Hasspropaganda, appellierte an die Einhaltung des Völkerrechts und forderte ein Ende der willkürlichen Erschießungen sowie die ärztliche Betreuung der sowjetischen Kriegsgefangenen“ (Conze, S. 209 – 210). Er galt als kritischer Geist des Amtes, wurde jedoch sehr geachtet. Seine Vorgesetzten hielten die Hand über ihn (Conze, S. 155 – 156). Hentigs Einstellung zu den Juden änderte sich jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg. In den Jahren 1952 bis 1953 war Werner Otto von Hentig Botschafter in Indonesien und nach seinem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst Berater des saudi-arabischen Königshauses. Es schien so, als wenn der Abschluss eines Berufslebens auf internationalem Parkett seinen von reicher politischer Erfahrung getragenen interessanten Abschluss fand. Erst der Fund von vierzehn Dokumenten und Radioprotokollen, die von dem amerikanischen Historiker Jeffrey Herf ausgewertet wurden, offenbarte, dass das Aus entigs wärtige Amt seit den 1950er-Jahren unter der Abteilungsleitung Werner Otto von H auch gesuchte Nationalsozialisten, wie Mohammed Said Al-Husseini in die Schweiz und in andere Länder verbrachte. Mohammed Said Al-Husseini plante mit Unterstützung Joseph Goebbels’ Hitlers Buch Mein Kampf in der arabischen Welt zu verbreiten, um auch dort den Hass gegen die Juden auf das Schärfste zu schüren (Winkler, Süddeutsche Zeitung). Hentig soll die arabischen Staaten aufgefordert haben, mit Protesten gegen die Wiedergutmachungspolitik Deutschlands fortzufahren (Conze, S. 581) und so das Luxemburger Abkommen unterlaufen haben. Das Luxemburger Abkommen vom 10. September 1952 war ein geschlossenes Übereinkommen z wischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel sowie der Jewish Claims Conference, um mittellosen jüdischen Flüchtlingen Zahlungen, Exportgüter und Dienstleistungen sowie die Rückerstattung von Vermögenswerten als erste Geste der Wiedergutmachung jüdischer Opfer zu ermöglichen. Hier trat ein Zwiespalt in Hentigs Persönlichkeit zutage, den er mithilfe des „Beamtenethos“ erfolglos zu verdrängen suchte. Beweggrund mag die ablehnende Haltung Hentigs zu einem unter jüdischer Leitung stehenden selbstständigen Staat gewesen sein (Conze, S. 110). Werner Otto von Hentig starb am 8. August 1984 in Lindesnes (Norwegen). Quellen: Werner Otto von Hentig, Meine Kindheit und Jugend, in: Hans Wolfram von Hentig (Hg.), Werner Otto von Hentig, Zeugnisse und Selbstzeugnisse, Ebenhausen 1971, S. 7 – 124; Hermann Rauschning, Lehrer des Widerstandes, in: Hans Wolfram von Hentig (Hg.), Werner Otto von Hentig, Zeugnisse und Selbstzeugnisse, Ebenhausen 1971, S. 129 – 158; Biographische Daten, in: Hans Wolfram von Hentig (Hg.), Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im „Dritten Reich“ und in der Bundesrepublik, München 2010; Willi Winkler, Der Führer aus dem Morgenland (NS-Propaganda), in: Süddeutsche Zeitung vom 28. April 2010; World Biographical Information System.
Norman E. Himes
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Norman E. Himes “Democracy is a growth, not a finished achievement” (Himes, Re-educating, p. 10). Was den Leser wie eine politikwissenschaftliche Aussage anmutet, ist eine familien- und sozialpolitische Feststellung von Norman Edwin Himes, dessen medizinisch-soziologisches Lebenswerk der Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft ein Selbstentscheidungsrecht über ihren weiblichen Körper aufzeigte. Norman Edwin Himes wurde am 4. August 1899 in Washington geboren. Sein Lebenswerk als Soziologieprofessor der Colgate University ist eng mit seinen Standardwerken „Illustrations and Proofs of the Principle of Population“ und „Medical History of Contraception“ verbunden. Es handelte sich um die ersten englischsprachigen Bücher zur Geburtenkontrolle. Himes wurde von Havelock Ellis im Vorwort zur deutschen Ausgabe über „Praktische Methoden der Geburtenregelung“ (Königstein 1949, 2. Aufl., 1951) als einer der „größten Autoritäten in der Geschichte der Geburtenregelung“ gewürdigt. Unter Berufung auf seinen Nachlass in der Frances A. Countway Library of Medicine, Boston/Massachusetts, ist aus der Sekundärliteratur zu erfahren, dass er aufgrund eines Skandals seine Professur im Jahre 1941 an der Colgate University verlor (Celello, Fn. 91, p. 172). Himes betätigte sich im Surgeon General’s Office des War Department. Er starb am 6. Juni 1949 in Venedig. Quellen: Norman E. Himes, A Guide to Birth Control Literature: A Selected Bibliography on the Technique of Contraception and on the Social Aspects of Birth Control, London 1931; Norman E. Himes, Economics, Sociology & The Modern World: Essays in Honor of T. N. Carver, Harvard University Press, Cambridge, Mass., 1935; Norman E. Himes, Medical History of Contraception, Baltimore 1936; Norman E. Himes, Re-educating German Youth, in: Weekly Information Bulletin, 9 June 1947; Kristin Celello, Making Marriage Work, The University of North Carolina Press 2009; http:// www.arlingtoncemetery.net.
Ignaz Emil von Hofmannsthal wurde als Sohn des Privatbankiers Ivan Emil Edler von Hofmannsthal am 30. 12. 1884 in Wien geboren. Er war der Cousin des Dichters Hugo von Hofmannsthal. Er gründete den österreichischen Aktionärsverein und war Vizepräsident d ieses Vereins. Seit 1912 war er Mitglied der Internationalen Kommission für Luftverkehrsrecht und 1919 Delegierter bei der Völkerbundkonferenz in Bern. Hofmannsthal publizierte zum Deutsch- Österreichischen Friedensvertrag. Er machte sich einen Namen auf dem Gebiet des österreichischen Aktien- und Wechselrechts und war Vorstandsmitglied der Interna tional Law Assoc. London und der Völkerbundliga in Wien. Vor der Machtübernahme des Nationalsozialismus erschienen im deutschsprachigen Raum seine Publikationen „Das Recht der Obligation“ (zusammen mit Heinrich Schreiber, Wien/Leipzig 1919)
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und „Das Recht der Aktie. Aktienrechtliche Streitschriften“ (Wien 1918). In dem letztgenannten Werk trat er für die Fortentwicklung des Aktienrechts Österreichs ein und plädierte für zwingende Vorschriften und für die „Befugnis jedes einzelnen Aktionärs, den Schutz der Gerichte gegen Unrecht anzurufen, um wichtige, nach Milliarden zählende Vermögensinteressen vor der Willkür, vor dem Eigennutz, ja vor dem Mißbrauch Einzelner zu schützen“ (Hofmannsthal, 1918, S. 7). Am 8. Mai 1941 wurde ihm nach der Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft durch die Nationalsozialisten von der Universität Wien der Doktorgrad aberkannt. H ofmannsthal war bereits im März 1938 über London nach Argentinien in die USA emigriert. Dort arbeitete er lange als New Yorker Korrespondent der Zeitschrift „Furche“. Er publizierte unter dem Namen Emilio von Hofmannsthal zahlreiche juristische Fachwerke in spanischer und englischer Sprache. Ignaz Emil von Hofmannsthal erlag am 12. Nov. 1971 einer Herzattacke. Die Wiener Universität hat am 10. April 2003 die Doktorgradaberkennung für nichtig erklärt. Die Hebrew University of Jerusalem vergibt heute eine „Emilio von Hofmannsthal Professur of International Law“. Quellen: Emil von Hofmannsthal, Das Recht der Aktie. Aktienrechtliche Streitschriften, Wien 1918; Emil Hofmannsthal, Das Recht der Obligation. Zwischen Sozialisierung und Valuta unter Berücksichtigung des Friedensvertrages, Wien und Leipzig 1919; Eduard März, Österreichische Bankpolitik in der Zeit der großen Wende 1913 – 1923. Am Beispiel der Creditanstalt für Handel und Gewerbe, München 1981, S. 102; Homepage der Universität Wien: http://www.univie.ac.at.
Camilla Jellinek „[N]eben das überkommene von Männern und für Männer gemachte Recht tritt ein zweites: die Rechtsauffassung der Frau, um das Männerrecht mehr und mehr zu durchdringen und erst zu einem wahren Menschenrecht zu machen. So verstanden, will diese Ehrung in Ihnen zugleich die große und erfolgreiche Bewegung ehren, der Ihre Arbeit gilt!“, schloss Gustav Radbruch seine Laudatio zur Ehrenpromotion von Camilla Jellinek (LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2073). Camilla Wertheim wurde am 24. September 1860 als Tochter des Professors für Dermatologie, Gustav Wertheim, in Wien geboren. Sie heiratete im Jahr 1883 den Staatsrechtler Georg Jellinek, außerordentlicher Professor an der Wiener Universität. Georg Jellinek wurde besonders durch seine wissenschaftliche Arbeit „System der subjektiven öffentlichen Rechte“ (1892) und die „Geschichte der Erklärung der Menschenrechte“ (1895) bekannt, nachdem er 1889 einen Ruf nach Basel und 1890 einen Ruf an die Universität Heidelberg erhalten hatte (Kempter, 2004, S. 113 – 115). Georg Jellinek, später Hofrat (1902), dann Geheimer Hofrat (1905), war auf dem Gebiet der Staatswissenschaft einer der bedeutendsten und, auch für ausländische Studierende, beliebtesten Rechtsgelehrten. Er war Herausgeber der renommiertesten Fachzeitschriften im öffentlichen Recht:
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des „Jahrbuchs des Öffentlichen Rechts“, des „Archivs für Öffentliches Recht“ sowie des „Handbuchs für Öffentliches Recht“ (Kempter, 1998, S. 374). Das Ehepaar Jellinek pflegte zunächst eine traditionelle Rollenverteilung. Während Georg Jellinek sich der wissenschaftlichen Arbeit widmete, kam Camilla Jellinek mit Freude ihren Ehe- und Mutterpflichten nach. Mit dem Ruf Georg Jellineks nach Heidelberg (1897) entstand der Kontakt zu Marianne Weber und Max Weber. Ein Zeitpunkt, zu dem Marianne Weber ihre akademischen Studien bereits intensivierte (Bochert, S. 29). Gerade in diesen Jahren war Heidelberg „Schnittpunkt intellektueller Kreise“ (Treiber). Der Kontakt z wischen den Gelehrtenfamilien Jellinek und Weber hatte Folgen. „Max und Marianne Weber führten nach dem Urteil des Heidelberger Kulturmilieus des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts eine Musterehe. Ihr Vorbild stand nicht nur für eine kämpferische Durchsetzung der Idee menschlicher Emanzipation und Gleichrangigkeit der Geschlechter, vielmehr genoß das Paar den Respekt seiner Umgebung, die den mutigen Schritt aus patriarcha lischer Befangenheit in eine aufopferungsvolle affektive Solidarität der Ehegatten, die wechselseitige Anerkennung eigener intellektueller und sozialpolitischer Interessen staunend bewunderte“ (Alert, S. 210). Nicht nur vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund, sondern insbesondere vor dem Hintergrund eines weiblich-kulturellen Auftrags ist es daher nicht verwunderlich, dass Camilla Jellinek nach einer Zeit als Ehefrau und Mutter von sechs Kindern auf Anregung von Marianne Weber beschloss, eine Rechtsschutzstelle in Heidelberg zu gründen (Kempter, 1998, S. 382; Kempter, 2004, S. 113 – 115). Die Sekundärliteratur führt den Gründungszeitpunkt auf die Jahreswende 1900/1901 zurück (Kempter, 2004, S. 114 Fußnote 19; in Kempter, 1998, S. 382 Fußnote 1 – 3). Es datierten Marianne Weber und Camilla Jellinek in einem gemeinsamen Aufsatz die Gründung der Rechtsschutzstelle auf die Jahreswende 1899/1900 (Weber und Jellinek, S. 168). „Camilla Rechtsschutz“, der Spitzname Camilla Jellineks, wie sich Marie-Elisabeth Lüders erinnerte (Lüders, S. 46), war, als sie mit Marie Munk in den Rechtskommissionen zusammenarbeitete, bereits mit ihrem Kellnerinnenheim in Heidelberg (1907 – 1909), ihrer Forderung nach einer Abschaffung des Kellnerinnenberufs und des § 218 StGB im Bund Deutscher Frauenvereine gescheitert (Kempter, 1998, S. 390, 394 – 395, 402 – 411). Das bedeutete jedoch nicht, dass Camilla Jellinek ohne Einflussnahme im Bund Deutscher Frauenvereine blieb. Die bedeutende Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine zur Reform des Strafgesetzbuchs und der Strafprozeßordnung (1909) war Camilla Jellineks Werk (Kempter, 1998, S. 396 – 402). Seit dem Jahre 1912 hatte sie den stellvertretenden Vorsitz des Rechtsschutzverbandes für Frauen, des Dachverbandes der Rechtsschutzstellen, inne (Kempter, 2004, S. 115 – 121). In dieser Position war sie eine der bedeutendsten Vertreterinnen. Für d ieses Lebenswerk erhielt sie am 24. September 1930 die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg, verliehen durch Gustav Radbruch (Radbruch, Ruperto Carola, S. 16 – 17; Kempter, 2004, S. 115 – 126). Camilla Jellinek wurde mit dieser Ehrung eine der seltenen vier rechtswissenschaftlichen Ehrenpromotionen in der 200-jährigen Zeitspanne von 1733 bis 1933 zuteil (Boedeker, S. LXXXI–LXXXV). Trotz ihres fachlichen Ansehens blieb Camilla Jellinek nicht immer konziliant. Kritik an den jellinekschen Entwürfen war nichts Ungewöhnliches, sodass der Bund Deutscher Frauenvereine stets um eine kompromissvolle
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Linie seiner rechtspolitischen Ziele bemüht sein musste, um diese nicht zu gefährden, wie das Beispiel der Novellierung zu §§ 218, 220 StGB zeigt: Am 5. Februar 1921 schrieb Alice Bensheimer an Marianne Weber: „Ich schicke Ihnen inliegend die Arbeit von Frau Jellinek über die §§ 218/220 des StGB. […] Mein Vorschlag geht dahin, dass wir zunächst die Meinung des engeren Vorstandes hören, dann ein zweites Gutachten einholen von einem Bundesmitglied, das nicht auf dem Standpunkt von Frau Jellinek steht, dass wir dann diese beiden Gutachten dem Gesamtvorstand unterbreiten und in einer Gesamtvorstandssitzung, die der Generalversammlung vorausgehen sollte, die Stellungnahme des Bundes festlegen. […] Vielleicht wäre es am klügsten, wir holten unsere Beschlüsse aus dem Jahr 1908 hervor und sähen sie uns daraufhin an, ob wir sie nicht wieder aufgreifen können. Im Interesse des Bundes wird es liegen, eine mittlere Linie zu finden u. das sind Abänderungsvorschläge“ (LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine MF-Nr. 2445). Camilla Jellinek verstarb am 5. Oktober 1940. Quellen: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine MF-Nr. 2073 und 2445; Marianne Weber und Camilla Jellinek, Nationaler Frauendienst in Heidelberg, in: Die Frau 22/1914, Heft 3, S. 167 – 170; Elisabeth Boedeker, 25 Jahre Frauenstudium in Deutschland. Verzeichnis der Doktorarbeiten von Frauen 1908 – 1933, Hannover 1939; Marie- Elisabeth Lüders, Fürchte Dich nicht. Persönliches und Politisches aus mehr als 80 Jahren. 1878 – 1962, Köln und Opladen 1963; Manon Bochert und Stephan Buchholz, Marianne Weber. Portraitstudien zu Person und Werk, in: Stephan Buchholz, Paul Mikat und Dieter Werkmüller (Hg.), Überlieferung, Bewahrung und Gestaltung in der rechtsgeschichtlichen Forschung, Paderborn/München/Wien/Zürich 1993, S. 23 – 52; Max Tillman Alert und Marianne Weber. Die Gefährtenehe, in: Hubert Treiber, Karol Sauerland (Hg.), Heidelberg im Schnittpunkt intellektueller Kreise. Zur Topographie der „geistigen Geselligkeit“ eines „Weltdorfes“: 1850 – 1950, Opladen 1995, S. 210 – 241; Klaus Kempter, Die Jellineks 1820 – 1955. Eine familienbiographische Studie zum deutsch jüdischen Bildungsbürgertum, Düsseldorf 1998; Klaus Kempter, Camilla Jellinek und die Frauenbewegung in Heidelberg, in: Bärbel Meurer (Hg.), Marianne Weber. Beiträge zu Werk und Person, Tübingen 2004, S. 111 – 126.
Curt Joel „Das beste Gesetz versagt in der Hand eines schlechten Richters. Der gute Richter erfüllt den toten Buchstaben des Gesetzes mit seinem Geist, er heilt so die Mängel des Gesetzes und bildet das Recht fort. Das Gesetz selbst ist vergänglich, aber die Gerechtigkeit ist ewig“ (Curt Joel an seinen Sohn Dr. Günther Joel am 16. Januar 1921, Godau-Schüttke, Vorwort). Mit dieser Einstellung zu Recht und Gesetz prägte Curt Joel die Tätigkeit der ihm als Staatssekretär unterstehenden Beamten im Reichsjustizministerium in den Jahren 1920 bis 1931. Er wurde am 18. Jan. 1865 in Greiffenberg/Schlesien geboren. Nach der Ernennung zum Referendar und Gerichtsassessor wurde er am 17. März 1894 bei der Staatsanwaltschaft
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Breslau angestellt. Er wechselte als juristischer Hilfsarbeiter zu den Staatsanwaltschaften Ratibor und Gleiwitz und kehrte nach Breslau zurück. Am 19. Dezember 1898 wurde er zum Staatsanwalt ernannt. Vom 1. Jan. 1899 bis zum 30. Juni 1902 war er bei der Staatsanwaltschaft in Hannover beschäftigt. Es folgte die Staatsanwaltschaft beim Landgericht I in Berlin. Bereits am 1. Mai 1905 wurde er zur Oberstaatsanwaltschaft des Kammergerichts Berlin versetzt. Ab dem 5. März 1906 wechselte er als juristischer Hilfsarbeiter zur Staatsanwaltschaft beim Reichsgericht. Am 15. Juli 1907 erfolgte seine Ernennung zum Staatsanwaltschaftsrat. Von 1908 bis zum 6. November 1914 war er Hilfsarbeiter und anschließend Geheimer Regierungsrat, vortragender Rat und Oberregierungsrat im Reichsjustizamt. Zum Ende des Jahres 1914 wurde er zum Oberstleutnant der Landwehr beim Stellvertretenden Generalstab der Armee in Berlin, später zum Hauptmann der Landwehr ernannt. Ab dem 1. Jan. 1915 war er Sektionschef im Generalgouvernement Belgien und Leiter der Zentralpolizeistelle Brüssel. Zum Ende des Ersten Weltkrieges (31. 10. 1917) wurde er zum Direktor im Reichsjustizamt ernannt (rückwirkend ab dem 1. Okt. 1917). Am 19. Dezember 1919 erfolgte seine Ernennung zum Unterstaatssekretär im Reichsjustizamt (mit Wirkung zum 1. Jan. 1920). Seit dem 1. April 1920 war er Staats sekretär im Reichsjustizministerium und in der Zeit vom 15. April 1924 bis zum 17. Jan. 1925, vom 5. Dez. 1930 bis zum 10. Oktober 1931 und schließlich weiter bis zum 1. Juni 1932 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Reichsjustizministers beauftragt. Nach dem Rücktritt des Kabinetts am 30. Juni 1932 stand Joel ausweislich seines Briefwechsels für eine weitere Mitarbeit nicht mehr zur Verfügung. Joel betrachtete diese Entscheidung als „ein Gebot politischer Reinlichkeit“. Es folgte im Juni 1932 Franz Gürtner als Reichsjustizminister. Vorübergehend beteiligte sich Joel in der „Freien Vereinigung für die Verfassungsreform“ und setzte sich für die Prüfung der verfassungsrechtlichen Gültigkeit von Reichsgesetzen und von Rechtsverordnungen nach Art. 48 WRV ein. Joel überlebte den Nationalsozialismus, trotz jüdischer Abstammung, zunächst mit Unterstützung von Franz Gürtner. Als er im Dezember 1939 aus gesundheitlichen Gründen Deutschland verlassen und in die Schweiz emigrieren wollte, wurde diese Reise von Himmler abgelehnt. Himmler befürwortete jedoch eine Reise nach Görbersdorf. Gürtner und Schlegelberger setzten sich bei Göring und Himmler dafür ein, dass Joel auf dieser Reise keine jüdische Kennkarte, sondern die Reichsernährungs- und die Reichskleiderkarte ausgestellt wurde. Joel hatte gar so großes Ansehen in Juristenkreisen, dass er trotz seiner jüdischen Herkunft sein Telefon behalten durfte. Während einer Erkrankung wurde er nicht im jüdischen Krankenhaus, sondern im Hedwig-Krankenhaus in Berlin von Prof. Hüdepol mit Genehmigung des Reichsgesundheitsführers Conti operiert und gepflegt. Er starb am 15. April 1945 in Berlin. Quellen: Klaus-Detlev Godau-Schüttke, Rechtsverwalter des Reiches. Staatssekretär Dr. Curt Joel, Frankfurt a. M. 1981, Vorwort, S. 212 – 227, Anhang, S. 229 – 230.
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Wilhelm Kahl „Wir in der nationalliberalen Partei haben Frauen in dem Zentralvorstand gehabt und waren bereit, sie möglichst bald in das politische Leben hereinzuziehen. […] Allerdings bin ich persönlich – und ich glaube, auch meine Freunde – der Ansicht, daß der Sprung jetzt ein zu großer war. […] Wohl haben einzelne schon bisher auf bestimmten Gebieten, namentlich den sozialpolitischen ganz Hervorragendes geleistet, und ich habe diesen Frauen meinerseits immer größere Anerkennung, ja Bewunderung entgegengebracht. […] Aber für den größten Teil der Frauen war diese Ausstattung mit der ganzen politischen Vollmacht jetzt doch eine zu verantwortungsvolle, und manche haben Mühe, sich in die große neue Gedankenwelt einzuleben“ (Kahl in der 12. Sitzung der verfassunggebenden Nationalversammlung, S. 216 – 217). Das sind die Einschätzungen Wilhelm Kahls über die weiblichen Politikerinnen in Deutschland, nachdem ein Jahr zuvor Frauen das aktive und passive Wahlrecht erreicht hatten. Rechte, für die „deutsche Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig“ waren, so die Abgeordnete der Nationalversammlung Marie Juchacz. Denn das Wahlrecht sei „eine Selbstverständlichkeit“ ( Juchacz in der 11. Sitzung der verfassunggebenden Nationalversammlung, S. 177). Das musste schließ lich auch Wilhelm Kahl einsehen, nachdem er als Kandidat für zwei Wahlkreise beide gewann, jedoch nur für einen der beiden Wahlkreise in die Nationalversammlung einziehen konnte. Für den zweiten Wahlkreis Kahls zog Clara Mende in die deutsche Nationalversammlung ein (Burghard, S. 101). Wilhelm Kahl wurde am 17. Juni 1849 in Klein-Heubach (Unterfranken) als Sohn des Bezirksgerichtsdirektors Friedrich Kahl geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften promovierte er bei Professor Christoph Gottlieb Adolf Freiherr von Scheurl mit der Arbeit über „Die Selbständigkeitsstellung der protestantischen K irche in Bayern gegenüber dem Staate.“ Im Jahr 1874 wurde er Mitglied der Nationalliberalen Partei. Zwei Jahre s päter folgte Kahls Habilitation „über die Temporaliensperre besonders nach bayerischem Kirchenstaatsrecht“ an der Universität München. (Burghard, S. 21; Hettinger, S. 412). Zum Ordinarius für Kirchenrecht, Staatsrecht und Strafrecht an der Universität Rostock wurde er im Jahr 1879 berufen. Es folgten Rufe nach Erlangen (1883), Bonn (1888) und als Nachfolger Rudolf von Gneists in Berlin (1895). Im Jahr 1895 erhielt Wilhelm Kahl den Dr. theol. h. c.; zur Jahrhundertwende beteiligte er sich als Autor für das Zivilrecht in der von Marie Raschke herausgegebenen Zeitschrift für populäre Rechtskunde. Kahl erhielt ein Ruf nach Heidelberg, seine Kollegen ersuchten daraufhin den Minister für Geistliche, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten, Kahl zum Bleiben in Berlin zu bewegen. Kahl lehnte den Ruf nach Heidelberg ab (Hettinger, S. 412 – 413). Im Jahr 1908/1909 wurde er Rektor der Friedrich Wilhelms Universität zu Berlin. Von 1891 bis 1915 gehörte er der Preußischen Generalsynode an und leitete dort die Evangelische Vereinigung. 1918 war er Gründungsmitglied der Deutschen Volkspartei. 1919 wurde Kahl Mitglied der Deutschen Nationalversammlung in Weimar für die Deutsche Volkspartei. 1920 bis zu seinem Tode (1932) war er Mitglied des Reichstags. 1921 wurde er emeritiert.
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Kahl erhielt viele Ehrendoktorwürden: Dr. med. h. c. der Universität Erlangen (1910), Dr. rer. pol. h. c. der August-W ilhelm Universität Berlin (1923). Kahl war Präsident des 33. (1924 in Heidelberg), des 34. (1926 in Köln) und des 35. Deutschen Juristentages (1928 in Salzburg). Er war Mitherausgeber der Deutschen Juristenzeitung und Autor zahlreicher wissenschaftlicher Abhandlungen zum Kirchenrecht, Staatsrecht und Strafrecht. Hier auch in rechtsvergleichender Perspektive: Zusammen mit Robert von Hippel, Karl von Lilienthal, Adolf Walch, Fritz von Calker, Karl von Birkemeyer, Reinhard Frank und Franz von Liszt verfasste er in den Jahren 1906 – 1909 eine vergleichende Darstellung des Deutschen und ausländischen Strafrechts. Die Rechtslage der Länder Belgien, Bulgarien, England, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Japan, Neu-Süd-Wales, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Russland, Schottland, Schweden, die Schweiz, Spanien, Ungarn, Venezuela und die Vereinigten Staaten von Nordamerika wurden ausführlich dargestellt. Seine Vorschläge zu auch heute noch aktuellen Fragen im Strafrecht (z. B. der Sicherungsverwahrung) und seine Vorschläge zur Strafrechtsreform der Weimarer Zeit haben an Aktualität nicht eingebüßt. Wilhelm Kahl gilt nicht nur als einer der angesehensten Politiker Weimars, sondern auch als einer der bekanntesten Strafrechts- und Kirchenrechtslehrer der Weimarer Zeit (vgl. Burghard; Hettinger, S. 413). Sein Wirken zur Scheidungsrechtsreform der Weimarer Zeit ist bisher nicht ausführlich gewürdigt worden. Quellen: Wortmeldung von Marie Juchacz, in: 11. Sitzung, Mittwoch den 19. Februar 1919, S. 177, in: Verhandlungen der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung, Stenographische Berichte, Bd. 326, Sitzungen 1 – 26, 6. Febr.–12. März 1919, Berlin 1919/1920; Wortmeldung Wilhelm Kahl, in: 12. Sitzung, Donnerstag den 20. Februar 1919, S. 216 – 217, in: Verhandlungen der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung, Stenographische Berichte, Bd. 326, Sitzungen 1 – 26, 6. Febr.–12. März 1919, Berlin 1919/1920; Deutscher Wirtschaftsverlag Berlin (Hg.), Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft, 1. Band, Berlin 1930, S. 869 – 870; Klaus Achenbach, Recht, Staat und Kirche bei Wilhelm Kahl: eine Darstellung seines kirchenrechtlichen und staatsrecht lichen Werks samt einem Überblick über seine Tätigkeit im Dienste der Strafrechtsreform und sein politisches Wirken, Diss. Regensburg 1972; Stefan Burghard, Professor Dr. W ilhelm Kahl – Leben zwischen Wissenschaft und Politik, Frankfurt a. M. 2005; Michael H ettinger, Wilhelm Kahl (1849 – 1932) “…der Strafrechtsreform eigentliche Seele…“, in: Stefan Grundmann, Michael Kloepfer und Christoph Paulus (Hg.), Festschrift 200 Jahre juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 2010, S. 405 – 438; Kolja Appel, Der Strafrechtler und Strafrechtsreformer Wilhelm Kahl (1849 – 1932). „Die Wissenschaft kann rücksichtslos aus den als wahr erkannten Prinzipien die letzten Forderungen ziehen. Der Gesetzgeber nicht.“, Berlin 2014; International Biographical Index, Online Ressource des Saur Verlag.
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Alfred Karpen Alfred Karpen wurde am 28. Juni 1890 in Berlin geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und seiner Promotion praktizierte er als Anwalt des Kammergerichts und als Notar. Im „Dritten Reich“ wurde ihm das Notariat (1935) und s päter die Anwaltszulassung entzogen (1938). Er überlebte die Zeit des Nationalsozialismus „untergetaucht“. 1945 wurde er wieder als Anwalt und Notar zugelassen. Bis zum Jahre 1977 praktizierte er. Quellen: Simone Ladwig-W inters, Anwalt ohne Recht, Berlin-Brandenburg 2007, S. 191.
Robert Max Wassili Kempner „Gegen Barbarei“ (Eisfeld/Müller, 1989). Besser ist der Lebensauftrag von Robert M. W. Kempner in wenigen Worten nicht auszudrücken. Er wurde am 18. 10. 1899 in Freiburg/Br. als Sohn der bekannten Bakteriologin Lydia Rabinowitsch und Walter Kempner geboren. Seine Mutter veränderte ihre gesellschaft liche Rolle nach seiner Geburt nicht, sondern arbeitete gemeinsam mit seinem Vater in der Seuchenbekämpfung. Robert Kempners Elternhaus in Berlin-Lichterfelde war Mittelpunkt des fortschrittlichen Disputs, auch über die Teilhabe der Frau in der Wissenschaft. Obgleich evangelisch getauft, war Robert Kempner bereits während seiner Schulzeit antisemitischen Angriffen ausgesetzt, denen er sich, so forderte sein Vater, auch handgreif lich zur Wehr setzen musste. Es folgte nach dem Abitur der freiwillige Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg. Nach seiner Rückkehr und dem Ausruf der Republik setzte er sich als Soldatenrat für die Versorgungsansprüche der einfachen Soldaten ein. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften sammelte er erste juristische Berufserfahrung in der bekannten Berliner Kanzlei von Erich Frey. Kempner besorgte die Sammlung und Anordnung des Materials des Journalisten Paul Schlesinger (Sling) zu dessen Publika tion „Richter und Gerichtete“ (Berlin 1929). Nach dem Referendariat war er kurz bei der Staatsanwaltschaft tätig, um dann in den Jahren 1928 bis 1933 als Justiziar der Polizeiabteilung im Preußischen Innenministerium (ORR) zu arbeiten. In diesen Jahren waren nationalsozialistische Auffassungen und Praktiken unter den Mitarbeitern der Polizei bereits deutlich zu erkennen. Gemeinsam mit Erich Klausener, dem damaligen Ministerialdirektor im Preußischen Innenministerium, und Christian Kerstiens, Mitarbeiter im Preußischen Innenministerium, arbeitete Kempner an einem Kommentar für eine neue Polizeiverwaltung. Dieser Kommentar sollte Leitbild für eine Demokratisierung nach innen sein und die praktische Polizeiarbeit rechtsstaatlich unterstützen. In d iesem Kontext steht Kempners Aufsatz „Schadenersatzpflicht der Polizei bei politischen Zusammenstössen“ (Berlin 1930). Nachdem erste nationalsozialistische Übergriffe, u. a. auf den Berliner Polizeipräsidenten Weiss, stattgefunden hatten, verfassten der Regierungsrat Schoch, der Assessor Arian und der Kriminalrat Stumm gemeinsam mit
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Kempner eine Denkschrift. Diese juristische Denkschrift begründete, dass die NSDAP keine Partei, sondern eine kriminelle, terroristische Vereinigung war. Ihre Veröffent lichung wurde unterdrückt. Später veröffentlichte Kempner unter dem Pseudonym Eike von Repkow mithilfe einiger Kollegen und unter Anregung seines Staatssekretärs, Dr. Wilhelm Abegg, die Schrift „Justizdämmerung: Auftakt zum „Dritten Reich“ (Berlin 1932). Diese Schrift zeigte aus der Aktenlage, „daß die Korruptionsskandale während der Monarchie die der Republik weit übertrafen. Sie beweist aber weiter, und dadurch ist sie besonders aktuell, daß Richter oder Andere, die führend an Mordprogrammen teilnahmen, wahrheitswidrig ihr Wissen darüber leugnen, daß die ‚Justiz‘ des „Dritten Reich“ von vornherein auf die Ermordung der politischen, rassischen und religiösen Gegner ausging“ (Kempner, Herbst 1963). Diese Schrift wurde im Jahr 1963 als Reprint ungekürzt und unverändert erneut verlegt. Seiner Schrift stellte Kempner die Worte Iherings voran: „Die Behauptung des Rechts ist eine Pflicht gegen das Gemeinwesen“ (Eike von Repkow, Kempner, Deckblatt). Im Februar 1933 von seiner Beamtenpflicht beurlaubt, wurde er einige Monate s päter entlassen. Bis zum Jahr 1935 arbeitete er als Auswanderungs- und Devisenberater. Dann folgte Robert Kempners Gestapo-Haft. Seine Mutter, als Wissenschaftlerin aus dem Moabiter-Krankenhaus wegen ihrer jüdischen Abstammung unter Aberkennung ihrer wissenschaftlichen Leistung, entlassen, starb im August 1935. Robert Kempner emigrierte nach Italien, reiste über Albanien, Jugoslawien und Palästina, um dann im September 1939 in die USA zu gelangen. Bis 1942 war er Assistent an der Universität Pennsylvania. Ab dem Jahr 1941 war er Sonderberater des amerikanischen Justiz- und Verteidigungsministe riums. 1944 wurde er mit der Anklage gegen Frick und Göring betraut. Ab dem Jahr 1945 war er Abteilungsleiter der US-Anklagebehörde beim Internationalen Militärtribunal in Nürnberg, in den Jahren 1947 – 1949 stellvertretender Hauptankläger bzw. Hauptankläger im Wilhelmstraßenprozess, unter anderem gegen Ernst von Weizsäcker, den Vater des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Seine Einstellung zu den Angeklagten in diesen Verfahren war zu keinem Zeitpunkt von Unfairness oder gar Rache gelüsten geprägt. Dies spiegelte sich in Kempners Verhör des Staatsrechtlers Carl Schmitt wieder: „Ich bin Abenteurer auf dem Gebiet des Internationalen Strafrechts […] Müssen wir Sie anklagen, weil Sie die Jugend verführt und zum Kriege gehetzt haben […] Passen Sie in unser Schema als Kriegsverbrecher?“ Dennoch wurde Kempner zu einer gehassten Person in Deutschland. In den Jahren 1946 – 1948 erhielt er eine Gastprofessur in Erlangen. Seit dem Jahr 1951 war er als Anwalt in Frankfurt, als Experte für Restitutionsfragen und als Nebenkläger in NS-Prozessen tätig. Er übernahm auch die Funktion eines Sonderberaters der israelischen Regierung bei der Verfolgung von NS-Tätern (Eichmann-Prozess). Kempner war Mitbegründer der Zeitschrift „Kritische Justiz“ (1968). Es nahmen mehrere Verfahren Kempner persönlich außerordentlich in Anspruch. Die rechtliche Rehabilitierung des Reichstags-Brandstifters Marinus van der Lubbe als verurteilten Alleintäter. Kempner wollte beweisen, dass Lubbe nicht allein der Täter gewesen sein konnte und ein neues Verfahren erreichen. Zu nennen ist der Rehse-Prozess: Rehse war der Beisitzer von Freisler im Volksgerichtshof gewesen und für viele Urteile nationalsozialistischen Unrechts verantwortlich. Rehse wurde 1968 freigesprochen, weil (Zitat Joachim Perels) „die
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Berliner Kammer den Gedanken gesetzlichen Unrechts (Radbruch) verdrängte und das
NS-Rechtssystem zur Entscheidungsgrundlage wählte.“ Kempner hatte stets die materielle Geltung der NS-Repressionsnormen in Frage gestellt. In dem Restitutionsverfahren
über das Kempner’sche Hausgrundstück nach dem deutschen Wiedergutmachungsrecht wurde Robert Kempner, der als NS-Enteigneter Opfer nationalsozialistischen Unrechts war, durch die Presse zum „Täter“ gemacht. Am 30. Mai 1986 erhielt er die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Sprache, Literatur, Medien der Universität Osnabrück für sein Lebenswerk. Er starb am 15. August 1993. Quellen: Eike von Repkow, Justizdämmerung. Auftakt zum „Dritten Reich“, Berlin 1963 mit einem Schreiben von Kempner an die Leser aus Justiz, Verwaltung, Anwaltschaft, Politik und Presse aus dem Herbst 1963; Birger Schulz, Der Republikanische Richterbund (1921 – 1933), Frankfurt a. M./Bern 1982, Anhang II, S. 209 – 210; Robert M. W. Kempner, „Die feinen Herren waren besonders verlogen“: Erinnerungen an die Nürnberger Prozesse, 40 Jahre danach; ein Interview mit Robert M. Kempner, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 30/1985, S. 1387 – 1391; Universität Osnabrück (Hg.), Ein Advokat für die Humanität. Verleihung der Ehrendoktorwürde an Robert M. W. Kempner, Osnabrück 1986; Rainer Eisfeld und Ingo Müller, Gegen Barbarei. Essays Robert M. W. Kempner zu Ehren, Frankfurt 1989; Simone Ladwig-W inters, Robert M. W. Kempner – zum 100. Geburtstag. Stationen eines Lebens, in: Gerhard Niederstucke und Thomas F. Schneider (Hg.), Robert M. W. Kempner (17. 10. 1899 – 15. 8. 1993). Reden zum Kempner-Gedenken in Berlin und Osnabrück aus Anlaß seines 100. Geburtstages, Osnabrück 2000, S. 42 – 51; Joachim Perels, Recht und Autoritarismus, Baden-Baden 2009, S. 358 – 359.
Louis Theodor Kipp „Unsere innere Zustimmung erwirbt das Recht durch unsere Billigung seines Inhalts. Wir messen es mit dem Maßstab, mit dem es gemessen sein will, mit dem Maße der Gerechtigkeit. […] Ein wichtiges Element unserer Gerechtigkeitsvorstellungen ist der Gedanke des notwendigen Gleichmaßes, nicht nur in dem Sinne, daß wir einen Vertrag nur dann als einen angemessenen empfinden, wenn Leistung und Gegenleistung im Gleichmaß zueinander stehen […,] sondern wir sind auch der Meinung, daß die Interessen des einzelnen ein größeres Maß von Schutz verdienen, je nach der Bedeutung, die der Schutz dieser Interessen gleichzeitig für die Interessen anderer und für das Ganze hat“ (Kipp, S. 12 – 13). Diese Worte umschreiben, wie sich auf der Grundlage allgemeiner Gerechtigkeitsvorstellungen die Stellung des Einzelnen im Recht wandelt. Louis Theodor Kipp wurde am 10. April 1862 in Hamburg geboren. Nach dem Studium in Göttingen und Leipzig, u. a. bei Windscheid und Ihering, promovierte er zum Eigentumserwerb am Wildergut. Seine Dissertation (1883) wurde nie gedruckt. Nach seiner Habilitation (1887) erhielt er zunächst einen Ruf an die Universität Kiel (1889),
Louis Theodor Kipp
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dann folgte Erlangen (1893) und wiederum ein Ruf als Professor für römisches und bürgerliches Recht (1901) an die Universität Berlin als Nachfolger von Ernst Eck. In der Festgabe für seinen Doktorvater Windscheid (1888) und in der Festgabe für Ihering (1892) bereinigte Kipp damalige zivilprozessrechtliche Problemkreise rechtshistorisch. In den Jahren 1896 bis 1919 erschein in vier Auflagen seine „Geschichte der Quellen des römischen Rechts.“ Louis Theodor Kipp führte das von Windscheid begründete Lehrbuch des Pandektenrechts fort und erlangte durch ein Lehrbuch zum Erbrecht Anerkennung. Letzteres wurde von Helmut Coing als Teilband des von Ludwig Enneccerus und Martin Wolff herausgegebenen Lehrbuchs des Bürgerlichen Rechts fortgeführt. Dieses Lehrbuch zählt zu den Fundamenten der heutigen Zivilrechtswissenschaft. Seine Geschichte der Quellen des römischen Rechts erschien in vierter Auflage. Zu nennen sind an dieser Stelle sein Kommentar zum Erbschaftssteuergesetz (1927) sowie die folgenden Publikationen: „Über den Begriff der Rechtsverletzung (1910), Über die aufschiebenden Einreden des Erben (1914), Die religiöse Kindererziehung (1923), Zur Reform des Rechts der unehelichen Kinder (1926), Zur Lehre von der Vertretung ohne Vertretungsmacht (1929). Als Autor in Rudolf Stammlers Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft brachte er einem breiteren Publikum das Römische Recht näher. Mit seinem Aufsatz „Über Doppelwirkungen im Recht, insbesondere über die Konkurrenz von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit“ (1911) in der Festschrift für Ferdinand von Martitz veränderte er die Rechtsgeschäftslehre. Der Fortschritt seiner Lehre liegt darin, dass die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nicht zur vollständigen Nichtexistenz des Rechtsgeschäfts führt, sondern nur zur Nichtigkeit bezogen auf den jeweiligen Nichtigkeitsgrund. Dies kann insbesondere im Schadenersatzfalle von Bedeutung sein. Kipp war 1914 Rektor der Universität zu Berlin und in den Jahren 1929 bis 1931 Vorsitzender der Juristischen Gesellschaft in Berlin. Sein Kollege Rudolf Smend urteilte über ihn: „Er erzog seine Hörer, aber auch seine Kollegen und die Fakultät durch das einzigartige Vorbild vollendeter Selbstzucht, des Maßes und der Harmonie in jeder Äußerung und Leistung, des vollendeten, bis zur Messerschärfe klaren Ausdrucks, des kraftvollen und gewissenshaften Denkens, der äußersten Sachlichkeit des Wortes und der Haltung.“ Sein Lebenswerk ist bis heute noch nicht wissenschaftlich gewürdigt. Kipp starb am 2. April 1931 in Ospedaletti (Italien). Quellen: Theodor Kipp, Von der Macht des Rechts. Rede am 30. Oktober 1914, Berlin 1914; Ernst Levy, In memoriam, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte der Savigny-Stiftung, Romanische Abteilung, 51/1931, S. 609 – 612; Christian Dreißigacker, Karl Theodor Kipp, in: Mathias Schmoeckel (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 428; Stephan Lorenz, Grundsatz der Doppelwirkung und Verbraucherschutz bei der Vertragsanbahnung, in: lorenz.userweb.mwn.de/lit.htm; www. hu-berlin.de.
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Christian Jasper Klumker „Die stärkste Erziehungsleistung der Familie liegt nicht in“ einer „absichtlichen Erziehung des Kindes, sie liegt vielmehr darin, daß die Familie, der Haushalt, den schützenden, lebendigen Rahmen gibt, in dem das Kind wächst und gedeiht, in dem vielmehr als jene gewollte Erziehung das ganze Leben der Familie das Kind in sich einschließt, in den vielfältigsten Formen auf es einwirkt und es gestaltet. Die Stärke und Gesundheit d ieses Familienlebens ist das wichtigste und wesentliche Stück Erziehung, auf dem jene Rechtsstellung der Eltern als Träger des Familienlebens beruht“ (Klumker, S. 113). Klumker war ein führender Sozialpädagoge und Sozialwissenschaftler. Sein rechts-, sozialund wirtschaftspolitisches Leben und Werk waren auf die Familie und ihre Bedeutung für nachwachsende Generationen in der und für die Gesellschaft ausgerichtet. Seine Inten tion des Wirkens war von dem Gedanken getragen, dort wo es an dem sozialen Gebilde der Familie mangelt, bedarf der Mensch vorurteilsfreier Hilfe. Klumker wurde am 22. Dezember 1868 auf der Insel Juist geboren. Nach dem Studium der Theologie legte er im Jahre 1881 die erste theologische Prüfung am Predigerseminar in Loccum und im Jahr 1885 die zweite theologische Prüfung ab. Bereits während seines Theologiestudiums hatte er Vorlesungen der Philosophie und der Volkswirtschaft in Leipzig, Erlangen und Göttingen besucht. Im Jahr 1896 wechselte er zu anderen wissenschaftlichen Interessen und schloss mit der Promotion zu dem Thema „Der friesische Tuchhandel zur Zeit Karls des Großen und sein Verhältnis zur Weberei jener Zeit“ (Leipzig 1899) seine wissenschaftlichen Studien ab. Er war seit dem Jahr 1896 Mitarbeiter der Zentralstelle für Armenpflege und Wohltätigkeit in der Sozialen Praxis in Berlin und des Instituts für Gemeinwohl in Frankfurt a. M.. Dort leitete er die Abteilung Armenpflege. In den Jahren 1896/97 erschien seine „Armenstatistik einiger deutscher Städte“ im Auftrag des Instituts für Gemeinwohl in Frankfurt a. M.. Im Jahr 1899 übernahm er die Leitung der Zentrale für private Fürsorge und baute eine Abteilung für Kinderschutz in Frankfurt auf. Im Jahr 1902 erschien sein Tätigkeitsbericht mit dem Titel „Notstands-Ausschuss der Centrale für private Fürsorge.“ Der Beurteilung von Notlagen als verschuldet oder unverschuldet setzte Klumker das Prinzip unverweigerbarer Hilfe entgegen. Klumker entwickelte ein System der Armenpflege und Armenpolitik (so auch der Titel seines in Stuttgart im Jahre 1906 erschienenen Buches), dass die s oziale Arbeit aus der privaten Empathie befreien und in methodischer Kompetenz zu professioneller Qualifikation verhelfen sollte. Klumker übernahm zahlreiche Vormundschaften und entwickelte das Prinzip der Sammel- und Berufsvormundschaft. Mit der Gründung des „Archivs der Berufsvormundschaft“ (1906) und seinem langjährigen Vorsitz setzte Klumker einen Schwerpunkt in der Hilfe für nichteheliche Kinder. Es gelang ihm im Jahr 1914, dass die Bestimmungen des Reichsgesetzes von 1888 gestrichen wurden, wonach nichtehelichen Kindern der Unterhalt ihrer in den Kriegsdienst einberufenen Stiefväter verwehrt wurde. Klumker lehrte als Dozent an der Frankfurter Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften seit 1901 und an der Universität Frankfurt seit dem Jahre 1911. Im Jahr 1914 wurde er Extraordinarius für Fürsorgewesen und Sozialpädagogik an der neu gegründeten Universität Frankfurt a. M..
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Klumker leitete das Forschungsinstitut für Fürsorgewesen und Sozialpädagogik. Im Jahr 1920 wurde er zum Ordinarius für Fürsorgewesen und Sozialpädagogik der Universität Frankfurt a. M. ernannt. Seine Schrift mit dem Titel „Fürsorgewesen. Eine Einführung in das Verständnis der Armut und Armenpflege“ (1918) muss als wissenschaftliche Grundlage für die heutige Sozialarbeit betrachtet werden. Klumker setzte sich für eine reichsgesetzliche Regelung in der gesamten Jugendfürsorge ein und war maßgeblich an der Vorbereitung des Reichsjugendwohlfahrtgesetzes beteiligt, das im Jahr 1922 in Kraft trat. Mit der Einrichtung von Jugendämtern und eines ersten deutschen Jugendgerichts (1908) setzte Klumker sein Engagement in der Jugendgerichtshilfe fort. Er begründete die „Arbeitslehrkolonie und Beobachtungsanstalt Steinmühle“ für schwierige Jugendliche in Ober-Erlenbach (1908). Sein Ziel in dieser Anstalt war eine ganzheitliche Beobachtung und Diagnose der Jugendlichen mit der praktischen sozialfürsorgerischen Arbeit zu verbinden. Als weiterer wichtiger Arbeitsbereich Klumkers galt ihm die Ausbildung von Mitarbeitern im Fürsorgewesen. Bereits während seines Lehrauftrages an der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften initiierte er ein Seminar zur praktischen Ausbildung von Mitarbeitern der Fürsorge, die er auch in seiner Zentrale für private Fürsorge im Jahr 1903 begründete. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten setzte sich Klumker für seine jüdischen Kollegen ein, zog sich jedoch mit seiner Emeritierung ins Privatleben zurück. Aus seinen zahlreichen Veröffentlichungen ist hervorzuheben: das Handbuch „Die private Fürsorge in Frankfurt a. M.“ (1901). Darüber hinaus war Klumker Herausgeber zahlreicher Handbücher und Lehrbücher: „System der Volkswirtschaft: ein Hand- und Lesebuch für Geschäftsmänner und Studierende“ (Stuttgart 1906), „Jugendfürsorge“ (Berlin 1915), „Die öffentliche Kinderfürsorge: eine Kulturaufgabe unseres Volkes“ (Leipzig 1916; München 1918), „Jahrbuch der Fürsorge (7 Bde., Dresden/Berlin 1906 – 1914); gemeinsam mit Othmar Spann: „Die Bedeutung der Berufsvormundschaft für den Schutz des unehelichen Kindes: eine Denkschrift für den internationalen Kongreß für Erziehung und Kinderschutz in Lüttich“ (Dresden 1905); „Der Unehelichen Schutz im Deutschen Reich: ein Beitrag zur Geschichte der Berufsvormundschaft und zur Neuregelung des Unehelichenrechts“ (in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 55, 1926, S. 156 – 194); „Berufsvormundschaft“ (2 Bde., Leipzig 1907); „Säuglingsfürsorge und Kinder schutz in den europäischen Staaten: ein Handbuch für Ärzte, Richter, Vormünder, Verwaltungsbeamte und Sozialpolitiker, für Behörden, Verwaltungen und Vereine“ (Berlin 1912); „Kinder- und Jugendfürsorge: Einführung in die Aufgaben der neueren Gesetze, mit dem Wortlaut des Reichsjugendwohlfahrtgesetzes, des Jugendgerichtsgesetzes und den wichtigsten Landesgesetzen“ (Langensalza 1923 und 1926); „Die Jugendfürsorge im neuen Reich: Richtlinien des Neubaus“ (Frankfurt a. M. 1920); „Vom Werden deutscher Jugendfürsorge: zugleich eine Geschichte der deutschen Berufsvormundschaft, zum 25jährigen Bestehen des Archivs deutscher Berufsvormünder“ (Berlin 1931) und weitere Publika tionen zum Fürsorge- und Säuglingsschutz auch in den europäischen Staaten. Zahlreiche Fachzeitschriften hat Klumker herausgegeben und fachlich geprägt: Die Zeitschrift für das Armenwesen ( Jg. 13 – 22, 1912 – 1921); das Vierteljahresheft des Archivs Deutscher Berufsvormünder, Jg. 1 – 2, 1913 – 1917); die Beiträge zur Theorie und Politik der Fürsorge,
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1915 – 1919; das Zentralblatt für Vormundschaftswesen und Fürsorgeerziehung, 1910 – 1924; das Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt, um nur einige zu nennen. Klumker starb am 19. Juli 1942 in Oberode bei Hann. Münden. Quellen: Christoph Jasper Klumker, Artikel 121. Stellung der unehelichen Kinder, in: Hans Carl Nipperdey (Hg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, 2. Bd., Artikel 143 – 165 und zur Ideengeschichte der Grundrechte 1930, Kronberg/Ts. 1975, S. 107 – 128; Hugo Maier (Hg.), Who is Who der sozialen Arbeit, Freiburg i. Br. 1998, S. 307 – 312; Hansjosef Buchkremer (Hg.), Handbuch Sozialpädagogik, Darmstadt 2009, S. 67 – 71; World Biographical Information System und Literaturrecherche der Verfasserin.
Josef Kohler „erwartet von der Eigenart des weiblichen Geistes wesentliche Beihülfe in der Erfassung und Durcharbeitung der Probleme“ (Kohler, Zitat in Kirchhoff, S. 28). Diese Worte charakterisieren Kohlers Einstellung nicht nur zur Mitwirkung der Frau in der Rechtswissenschaft, sondern ebenso zur Rechtswissenschaft als eine objektive, geschlechtsneutrale Wissenschaft. Er wurde am 9. März 1849 als Sohn des Volksschullehrers Joseph Kohler (6. 11. 1808 – 1874) und seiner Frau Amalie Schmider in Offenburg geboren. Nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums wählte er die Rechtswissenschaft in Freiburg und Heidelberg als Studienfach, obgleich ihn aus Begegnungen in seiner Jugendzeit die Naturwissenschaften, die Sprachen und die Geschichte interessierten (Kohler, 1902, S. 3 – 7). Er erkannte „[d]ie scharfe Logik der Jurisprudenz, ihre fast dichterische Konstruktion, die Tiefe und Gestaltungskraft der menschlichen Vernunft, ihre Begründung auf der festen Basis menschlicher Verhältnisse“ als „Dinge, w elche einen unendlichen Zauber in sich tragen“ und er konnte „nicht begreifen, wie man diese Wissenschaft, in welcher eine fast dichterische Institution waltet, jemals als trocken bezeichnen konnte“ (Kohler, 1902, S. 7). Im Jahr 1871 legte er die erste Staatsprüfung mit Auszeichnung ab (Osterrieth, S. 8). Hachenburg fragte Kohler s päter „in einer vertraulichen Stunde“ nach seinem Examensergebnis und berichtete ihm, „wie man im Lande Baden noch in späten Jahren von“ Kohlers „Examen rede“. Kohler „allein habe während der ganzen Zeit gesprochen. Ein Examinator nach dem andern sei unter den Tisch gekrochen. Schüchtern nach Ablauf der zwei Stunden hätten sie gefragt, ob sie wieder heraufkommen dürften. Kohler ergötzte sich sehr an dieser Fabel. Aber darüber, ob er die Note ‚vorzüglich‘ errungen, ließ er sich nicht aus. Er lächelte nur still und überließ“ Hachenburg „die Auslegung seines Verhaltens nach Treu und Glauben“. Woraus Hachenburg fälschlicherweise geschlossen hat, dass auch Kohler „das nebelhafte Ziel nicht erreichte“ (Hachenburg, S. 183). Im Jahr 1873 legte Josef Kohler die zweite Staatsprüfung ab (Osterieth, S. 9). Er promovierte im gleichen Jahr mit einer Arbeit über französisches Privatrecht (Großfeld, S. 379). Die Zivilstation seiner Referendarzeit verbrachte Josef Kohler in Mannheim. Er wurde Amtsrichter und schließlich
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Kreisgerichtsrat (Hachenburg, S. 40 Fußnote 15). Er veröffentlichte Besprechungen und Aufsätze in den Badischen Annalen und in Puchelts Zeitschrift (Osterrieth, S. 9). Im Jahr 1877 – 1878 erschien sein Patentrecht im Julius (Alice) Bensheimer Verlag in Mannheim (Hachenburg, S. 40). Diese Veröffentlichung erregte Aufsehen. Sie ging auf einen prak tischen Fall aus dem Jahre 1874 zurück. Ein Mann aus der bayerischen Pfalz hatte ihm die Frage vorgelegt, ob eine Erfindung schon vor der Patenterteilung in eine Gesellschaft eingebracht werden könne (Osterrieth, S. 9 – 10). Sein Gutachten veröffentlichte er im Jahr 1875 in den Badischen Annalen. Mit dem Erlass des ersten deutschen Patentgesetzes für das Deutsche Reich (1877) fügte Kohler mit seinem Buch über „Deutsches Patentrecht“ den Darstellungen Klostermanns über die Patentgesetzgebung aller Länder (1877) ein zwei Abteilungen und 739 Seiten umfassendes Grundwerk der Rechtswissenschaft hinzu (Osterrieth, S. 10 – 11). Kurz nach dem Erscheinen d ieses Buches erhielt er einen Ruf an die Universität Würzburg (Kohler, 1902, S. 8). In seinem Würzburger Lehrstuhl bearbeitete er Fragen des Privatrechts, des Handels-, des See- und Versicherungsrechts, des Zivilprozessrechts, des Konkursrechts, des Strafrechts und des Staatsrechts. Dieses breite Forschungsgebiet wurde bei Kohler um die Rechtsvergleichung erweitert. Darüber hinaus bezog er volkskundliche Anfänge in seine Forschungen mit ein (Osterrieth, S. 11). Die Publikationen „Das Recht als Kulturerscheinung“ und „Das Recht als Lebenselement der Völker“ sowie das Buch mit dem Titel „Das Recht der Papuas auf Neu-Guinea“ weisen ihn als Rechtsethnologen aus. Für die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes entwarf Kohler 1897/98 einen Fragebogen über die Rechtsgewohnheiten der afrikanischen Naturvölker, der in einer Neufassung 1907 in die Schutzgebiete verschickt wurde (Großfeld, S. 389 – 390, 393 – 396). Im Jahr 1888 erhielt er einen Lehrstuhl in Berlin. Er lehrte 26 bis 27 Stunden die Woche im Zivilprozess, dem französischen Zivilrecht, der vergleichenden Rechtswissenschaft, dem Strafrecht, dem Strafprozess, dem Handelsrecht, der Rechtsphilosophie, dem Völkerrecht, dem Urheberrecht, dem Erfindungsrecht und dem Gewerberecht. Seine Vorlesungen hatten zeitweilig 500 Hörer (Osterrieth, S. 13). Zu seinen Bewunderern in der Hörerschaft gehörte auch Paul Mühsam, Bruder des später im Jahre 1934 umgebrachten Dichters Erich Mühsam (Mühsam, S. 76 – 7 7). Die Rechtsvergleichung bezeichnete Kohler als die Blüte der heutigen Jurisprudenz; sie fasse jedes nationale Recht auf als ein Glied der Menschenkultur. Mit seinen Betrachtungen über das Islamrecht und das Jüdische Recht beeinflusste er junge Gelehrte damaliger Zeit (Großfeld, S. 388, 392 – 393). Aus Josef Kohlers schriftstellerischer Arbeit, die 2.482 Veröffentlichungen und über 100 selbständige Schriften umfasst (Großfeld, S. 382) sind zu nennen: „Das literarische und artistische Kunstwerk und sein Autorschutz“ (1892) und das vierbändige Bürgerliche Recht. Aus Freundschaft zu Dernburg übernahm er die Bearbeitung des letzen Bandes zum Bürgerlichen Recht und bearbeitete in diesem Band das Patentrecht, das Persön lichkeitsrecht und das Versicherungsrecht (Osterrieth, S. 14). Der § 2 des japanischen Patentrechts von 1959 beruht auf dem wissenschaftlichen Einfluß Kohlers. Kohler wird im Mai 2008 in Japan Patent Attorney Association wörtlich zitiert (Großfeld, S. 400). Die Entwicklung des Strafrechts bestimmte Kohler insbesondere mit der Veröffent lichung „Carolina und ihre Vorgängerinnen“ und mit einer Publikation zum „Internationalen Strafrecht“ (Osterrieth, S. 14). Das Recht der orientalischen Völker stellte er in Hinnebergs
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„Kultur der Gegenwart“ dar (Osterrieth, S. 15). Josef Kohler hat mit seiner Lehre des Persön lichkeitsrechts die geistigen Kulturgüter, die mit den Mitteln der S prache, der Technik oder der Kunst als nichtkörperliche Gegenstände zunächst nur in der Volkswirtschaftslehre und in der Philosophie ihren Platz hatten, für das Recht „heimisch gemacht“ (Osterrieth, S. 21 – 22). Die Generalklausel des § 1 GWB geht auf die Anregungen Kohlers zurück (Großfeld, S. 384). Josef Kohler hat in der Rechtsphilosophie eine neue Lehre begründet. Recht ist für Kohler kein Begriff, sondern ein endlicher Zweck, der sich in fortwährender Entwicklung vollzieht. Die Rechtsphilosophie habe die Aufgabe, zu ermitteln, „was das Recht in der Entwicklung der menschlichen Seele und in der Entwicklung der sozialen Interessen, denen das Recht dient, zu bedeuten hat. Als Kulturerscheinung unterliegt das Recht den gleichen zeitlichen und räumlichen Bedingtheiten, wie alles menschliche Tun“ (Osterrieth, S. 22). Der Aufsatz „Die Briefmarke im Recht“, vom Bundesgerichtshof auch noch im Jahre 2005 zitiert, kennzeichnet seine wissenschaftliche Originalität, darüber nachzudenken, ob die Briefmarke ein Inhaberpapier im Sinne des § 807 BGB ist oder ein Geldsurrogat (Großfeld, S. 384). Über diese vielfältige rechtswissenschaftliche Forschung hinaus, beschäftigte sich Kohler mit der Kunst, der Dichtung und der Musik. „Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz“ machte ihn bereits während seiner Würzburger Zeit deutschlandweit bekannt. Goethes Werke regten ihn zu „Fausts Pakt mit M ephistopheles in juristischer Beleuchtung“ an (Großfeld, S. 388).Auf seine Interessen für die italienische Malerei kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Die Tatkraft Kohlers lässt sich in dieser kurzen Darstellung seines Lebens nicht gänzlich erfassen. Es muss auf die Bibliografie von Arthur Kohler verwiesen werden. Josef Kohler bewahrte trotz harter Arbeit seinen Humor. So lässt sich im Kontext des in d iesem Buch zu behandelnden rechtshistorischen Themas an Kohlers vergnügliche Darstellung über die Ehe im Sinne des Mutterrechts anknüpfen: „Die Ehe nach Mutterrecht ist manchen Frauen als sehr begehrenswerth erschienen, und manche haben ihre Wiedereinführung gewünscht, wobei sie der Männerwelt möglichst gütige Behandlung versprachen. Denn beim Mutterrecht ist die Frau Alles und der Mann nichts. Die Kinder gehören der Frau und gehen den Mann nichts an; die Frau bildet mit ihrem Bruder einen Bund des Hauses, und der Bruder steht zu ihren Kindern in der zärtlichsten Beziehung; das Erbrecht geht nicht vom Vater auf den Sohn, sondern vom Onkel auf den Neffen. Da hat die Frau eine hervorragende, geachtete Stellung, kein Mann unterdrückt sie, und die Erziehung der Kinder steht ihr vornehmlich zu. Das klingt auch manch moderner Frau sehr plausibel; nur den Bruder möchte sie weg wünschen, und ein bescheidenes Recht würde sie dafür dem Manne gerne einräumen“ (Kohler, 1902, S. 163). Kohler war verheiratet mit Ida Pflüger und hatte zwei Söhne, Arthur und Rudolf (Osterrieth, S. 27). Die Ehe scheint glücklich gewesen zu sein. Für seine geistige Entfaltung verfügte Kohler über eine ungeheure Auffassungsgabe und eine unerschöpfliche und bewegliche Einbildungskraft: „So entströmten ihm seine Werke fast mühelos, wie aus einer Naturquelle fließend“ (Osterrieth, S. 18). Im Jahr 1904 erhielt er die Ehrendoktorwürde der University of Chicago (Osterrieth, S. 17). In seiner Dankesrede betrachtete er die Frage „Wie soll ein Professor sein?“ – seine Antwort war: „Ein Forscher, der unbeirrt der Wahrheit dient; mag sie auch von vielen Schleiern umhüllt sein, so muß uns doch gelingen, sie zu fassen: wir müssen sie fassen, wenn sie auch, wie Dante sagt, so
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verborgen ist, wie das Wild in der Höhle“ (Osterrieth, S. 20). Sein Leben hat Josef Kohler bereits zu Lebzeiten in folgende Worte gefasst: „Des Daseins Kern heißt Wissen, und das Wissen ist das Leben“ (Kohler, 1901, S. 124). Kohler starb am 3. August 1919. Ihm zu Ehren gab der Deutsche Verein für den Schutz des gewerblichen Eigentums im Patentamt am 9. März 1920 eine Gedenkfeier (Osterrieth, S. 27, 32). Seinen Nachlass hat Josef Kohler der Staatsbibliothek Unter den Linden in Berlin vermacht. Nach den Recherchen der Verfasserin stehen jedoch in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz nur noch sechs Kästen, die Manuskripte und zwei Ordner Korrespondenz mit den Adressaten Roch-Rus und Sa-Sc zur wissenschaftlichen Aufarbeitung zur Verfügung. Quellen: Arthur Kirchhoff, Die akademische Frau, Berlin 1897; Josef Kohler, Dantes heilige Reise, Freie Nachdichtung der Divina Commedia, 3 Bde., Köln 1901 – 1903: Bd. I: Purgatorio, Köln 1901; Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, Reprint: Norbert Gross, Lebenspfade eines badischen Universaljuristen, Karlsruhe 2009; Albert Osterrieth, Josef Kohler. Ein Lebensbild, Berlin 1920; Artur Kohler, Josef Kohler-Bibliographie, Berlin 1931, Reprint: Aalen 1984; Max Hachenburg, Lebenserinnerungen eines Rechtsanwalts und Briefe aus der Emigration, Stuttgart 1978; Paul M ühsam, Ich bin ein Mensch gewesen. Lebenserinnerungen, Berlin 1989; Bernhard Großfeld, Josef Kohler (1849 – 1919), in: Stefan Grundmann, Michael Kloepfer und Christoph Paulus (Hg.), Festschrift 200 Jahre juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 2010, S. 375 – 404.
Aenne Kurowski „Wie kann ich helfen, wo ich selbst hilfsbedürftig bin“ (Lichtenstein, S. 178). Dieser Satz bestimmte Aenne Kurowskis Leben: als Juristin und als Mensch. Sie wurde als Aenne Schmitz am 26. März 1894 in St. Tönis bei Krefeld geboren. Ihr Vater war praktischer Arzt. Nach dem Besuch des Realgymnasiums legte sie im Jahr 1913 die Reifeprüfung ab. Ein Jahr später bestand sie die humanistische Ergänzungsprüfung an einem Gymnasium nach einer privaten Vorbereitungszeit (März 1914). Nach dem Beginn des Studiums der Naturwissenschaften und der Mathematik in München wechselte sie zum Studium der Rechtswissenschaften nach Freiburg, Berlin und Bonn. Ihr Studium schloss sie mit der Dissertation zu dem Thema „Das Recht der fränkischen Königin“ bei Prof. Scheurer und Prof. Martin Wolff am 28. März 1919 in Bonn ab. Nach dem ersten (1919) und dem zweiten Staatsexamen (1924) erhielt Aenne Kurowski im Jahr 1925 ihre Zulassung als Rechtsanwältin in Danzig (Röwekamp, S. 216). Rechtspolitisch engagiert war (die mittlerweile verheiratete) Aenne Kurowski-Schmitz in Danzig, Karrenwall 8 (1. Etage), als Vorsitzende der Ortsgruppe des Deutschen Akademikerinnenbundes (LAB B Rep. 235 – 05 Deutscher Akademikerinnenbund MF-Nr. 3634). Ihr Ehemann, der Rechts anwalt und Notar Bruno Kurowski, hatte nach seinem rechtswissenschaftlichen Studium in Königsberg zunächst als Assessor am Amtsgericht Danzig gearbeitet. Seit der Heirat 1920
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praktizierte Aenne mit ihm in einer gemeinsamen Kanzlei. Bruno Kurowski (1879 – 1944) war in den 1920er-Jahren Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung der Freien Stadt Danzig und Abgeordneter der Zentrumspartei des Volkstages in Danzig. Im Jahr 1926 wurde er Parlamentarischer Senator und zeitweilig Vorsitzender der Zentrumspartei. In den Jahren 1931 bis 1937 war er Honorarkonsul der Republik Österreich. Nach der Machtergreifung Hitlers blieb Bruno Kurowski zunächst unbehelligt, weil die NSDAP mit den Volkstagswahlen am 28. Mai 1933 aufgrund ihres knappen Wahlsieges in Danzig auf eine Koalition mit der Zentrumspartei angewiesen war. Der Senatspräsident wurde von der Zentrumspartei gestellt und von der NSDAP unterstützt. Ein Misstrauensvotum brachte jedoch den Senatspräsidenten im Jahr 1934 zu Fall. Fortan und nach vorgezogener Neuwahl am 7. 4. 1935 bestimmte mit 59,3 % der Stimmen und 43 Abgeordneten die NSDAP die Richtlinien der Politik auch in Danzig (Kunigk, S. 1847). So war es nicht die Einberufung Bruno Kurowskis zur Wehrmacht, die den weiteren Lebensweg von Aenne und Bruno Kurowski bestimmte, wie die Sekundärliteratur meint (Röwekamp, S. 216). Vielmehr wurde die Kanzlei von Aenne und Bruno Kurowski durchsucht und seine konsularische Korrespondenz beschlagnahmt. Er wurde unter dem Vorwurf des Hochverrats verhaftet. Nur weil die Zentrumspartei auf einen Protest beim Völkerbund in Genf verzichtete und sich auflöste, wurde das bereits eröffnete Verfahren wegen Hochverrats gegen Bruno Kurowski niedergeschlagen. Doch seine Freiheit war mit seiner Ausweisung aus Danzig verbunden. Er reiste nach Österreich und schließlich 1938 nach Italien. Er schlug sich gar bis nach St. Tönis (Krefeld) bei Düsseldorf durch und hielt sich bei den Eltern seiner Frau versteckt. Während dieser Zeit praktizierte Aenne Kurowski-Schmitz in der Danziger Kanzlei weiter, um ihrem Mann und anderen Juden helfen zu können. Es gelang ihr, für ihren Mann eine Kanzleivertretung in Pommern zu organisieren. Allerdings flog Bruno Kurowski auf, als der Kanzleiinhaber vom Wehrdienst freigestellt wurde (Kunigk, S. 1847). Dass Aenne bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ihre Zulassung bei der Rechts anwaltschaft in Düsseldorf nicht weiter verfolgte, wird jedem Leser in Kenntnis der Ereignisse in Pommern und angesichts zu erwartender nationalsozialistischer Repressalien klar. Es war mitnichten mangelndes Engagement in der Sache, wie die Sekundärliteratur annehmen möchte (Röwekamp, S. 216). Vielmehr bewirkte Aenne Kurowski angesichts des körperlichen und geistigen Zustands ihres Mannes geradezu todesmutig die Aufhebung des Aufenthaltsverbots für ihren Mann beim Polizeipräsidenten in Danzig, denn: „[w]ie ein Wild gehetzt, war“ Bruno Kurowski „am Ende seiner Kräfte. So konnte sie ihm bis zu seinem Tod im Jahre 1944 das letzte Geleit geben (Kunigk, S. 1847). Mit dem Einzug der russischen Truppen in Danzig kehrte Aenne Kurowski in ihre Heimatstadt Krefeld zurück. Sie bekleidete dort das Amt des Wohnungskommissars. Im Jahr 1952 wurde sie in den auswärtigen Dienst der Bundesrepublik übernommen und wirkte als Konsulin in Los Angeles, Basel und Amsterdam. Ihre Rechtsanwaltskanzlei führte sie nach dem Zweiten Weltkrieg als Sozietät (Kunigk, S. 1847). Sie starb am 13. November 1968. Quellen: LAB B Rep. 235 – 05 Deutscher Akademikerinnenbund MF-Nr. 3634; Aenne Schmitz in Kurowski, Bruno, in: Who’s who in Central and East-Europe 1933/34, Zürich 1935, p. 66; Ernst Ziehm, Aus meiner politischen Arbeit in Danzig 1914 – 1939, Marburg/
Helene Lange
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Lahn 1956; Erwin Liechtenstein, Bericht an meine Familie. Ein Leben z wischen Danzig und Israel, mit einem Vorwort von Günter Grass, Neuwies 1985, S. 175 – 179; Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon zu Leben und Werk, Baden-Baden 2005, S. 215 – 217; Helmut Kunigk, Kurowski, Bruno, in: Historische Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung (Hg.), Altpreußische Biographie, Bd. V, 2. Lieferung, Marburg/ Lahn 2007, S. 1847 – 1848.
Helene Lange „Suchen wir uns also dies einheitliche Moment, die ethische Bedeutung und Berechtigung der großen Frauenbewegung unseres Jahrhunderts klar zu machen. Sie liegt in einem einzigen Wort: die Frau wird sich ihrer vollen Bedeutung als Mensch bewußt; sie verlangt Menschenrechte. […] Mit d iesem Bewußtsein und zugleich mit der stärkenden Ueberzeugung, daß die Befreiung der Frauen nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht ist, wollen wir weiterstreben, wollen wir ringen nach dem, was zunächst not tut: nach dem Rechte freier Bildung und freier Arbeit“ (Lange, Ethische Bedeutung, S. 73, 84). Helene Lange wurde als Tochter des Kaufmanns Karl-Theodor Lange am 9. 4. 1848 in Oldenburg geboren. Sie war die Symbolfigur der deutschen Frauenbewegung. Bereits in ihrer Jugend wurde ihr die geistige Trennung der Geschlechter erstmals bewusst. Ihre Eltern starben früh. Als ihr das Lehrerinnenexamen von ihrem Vormund untersagt wurde, ging sie ins Elsass in ein Mädchenpensionat als Au-Pair-Mädchen. Es folgte eine Anstellung als Hauslehrerin in Osnabrück. Mit ihrer Volljährigkeit, durch eine Erbschaft finanziell unabhängig, verwirklichte sie sich ihren Herzenswunsch und zog nach Berlin, um dort nach autodidaktischer Vorbereitung das Lehrerinnenexamen abzulegen (1871). Zunächst Lehrerin in der Crainschen Anstalt in Berlin und schließlich Leiterin dieser privaten höheren Mädchenschule mit angeschlossenem Lehrerinnenseminar, nahm sie nicht nur beruflich, sondern auch kulturpolitischen Anteil an den Bildungsfragen der damaligen Zeit. In der einer Petition an den Preußischen Unterrichtsminister beigefügten Begleitschrift mit dem Titel „Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung“, der sogenannten „Gelben Broschüre“, forderte sie eine geeignete akademische weibliche Bildung und die Beteiligung weiblicher Lehrkräfte in der Mittel- und Oberstufe höherer Mädchenschulen ein (1887). Diese „Kampfschrift“ machte sie berühmt. Mit Unterstützung des wissenschaftlichen Zentralvereins, dem Begründer der Humboldtakademie, eröffnete sie im Oktober 1889 die ersten Realkurse für Frauen. Im Jahre 1892 folgten dann die Gymna sialkurse für Frauen, die späterhin (1894) in eine Anstalt überführt wurden. Anlässlich der Weltausstellung in Chicago schrieb sie im Auftrag des preußischen Kultusministeriums über „Entwicklung und Stand des höheren Mädchenschulwesens“ (1893). Im Jahre 1896 kann Helene Lange auf die ersten Abiturjahrgänge ihrer einstigen Gymnasialkurse für Frauen zurückblicken. Es entbrannte in den Folgejahren eine heftige Diskussion um die Zulassung von Frauen zum universitären Studium. Dem „Gutachten hervorragender Universitätsprofessoren, Frauenlehrer und Schriftsteller über die Befähigung der Frau
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zum wissenschaftlichen Studium und Berufe“ von Arthur Kirchhoff (Berlin 1897) war ein Vorfall an der Berliner Friedrich-W ilhelms-Universität vorangegangen. Zwei Professoren hatten zwei Frauen aus dem Hörsaal heraus komplementiert (Kirchhoff, S. VII). In dem Gutachten Kirchhoffs führten die Lehrer an höheren Mädchenschulen ihre ablehnende Haltung gegenüber einer universitären Bildung von Frauen auf einen psychophysischen weiblichen Wesenstypus und auf eine „empirische Basis“ der schlechten Unterrichtsstruktur an höheren Mädchenschulen zurück: Eine auch nur „fakultative Zulassung [der Frau] zum Studium“ müsse auf den „durchgehenden Unterschied z wischen Mann und Weib in geistiger wie in körperliche Hinsicht“ Rücksicht nehmen (Zitat Prof. Lic. Dr. Friedrich Kirchner und Prof. Dr. phil. et theol. Georg Kunze in Kirchhoff, S. 293, 295, 301 – 303). Männliche Vertreter der akademischen Zunft betrachteten die Frage der Zulassung nicht als eine Frage des Rechts, sondern als eine Frage weiblicher Befähigung. Genau genommen lasteten sie aber die Mängel der bisherigen geschlechtsspezifischen Bildungsstruktur den betroffenen Frauen an. Helene Lange prangerte an: „Die physiologische Tatsache, daß der Mann Mann ist bis in seinen Daumen, das Weib Weib bis in die kleine Zehe, wird zum Angelpunkt auch für die psychische Beurteilung“ (Lange, Intellektuelle Grenzlinien in Kampfzeiten). Neben dem bildungspolitischen Diskurs kam es Helene Lange auf eine allumfassende Bildung von Frauen an. Sie gründete mehrere Schulen: das Helene-Lange-Gymnasium in Rendsburg, das Helene-Lange-Gymnasium in Hamburg und das Helene-Lange-Gymnasium in Fürth. Bildung stand bei Helene Lange im Kontext „eines Gedankens, einer Erkenntnis, nämlich der Erkenntnis der besonderen Kulturaufgabe der Frau“. Hierbei ist nach Lange „nicht danach zu fragen, ob die einzelne Frau – wie man zu sagen pflegt – es nötig habe, sondern ob wir sie nötig haben“ (Ch. Caspar, S. 569). Im Jahr 1890 gründete sie den Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein, dessen Vorsitzende sie bis zum Jahr 1904 blieb. Dieser Verein war die erste Verbindung auf der Grundlage weiblichen Berufsbewusstseins und eines neuen weiblichen Lebens- und Selbstwertgefühls. 1893 bis 1921 war sie im Vorstand des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins. Er konnte im Jahre 1905 immerhin 17.000 Mitglieder verzeichnen und wuchs bis zum Jahre 1913 auf 32.000 Mitglieder an. Von 1894 bis 1906 war Helene Lange im Vorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine. Sie wurde Gründerin und Mitherausgeberin der Monatszeitschrift „Die Frau“ (1893 – 1944). Sie gab gemeinsam mit Gertrud Bäumer das „Handbuch der Frauenbewegung“ (1901 – 1906) heraus. Durch die Lebensgemeinschaft mit Gertrud Bäumer erwuchsen ihr neue Aufgaben: Die Leitung der Sozialen Frauenschule in Hamburg übernahm sie 1916 gemeinsam mit Gertrud Bäumer. Im Jahr 1919 wurde sie für die Hamburger Bürgerschaft für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) vorgeschlagen. Ein Jahr später wurde sie Mitglied der konstituierenden Bürgerschaft der Stadt Hamburg und Alterspräsidentin. Dieser politischen Karriere war im Jahr 1908 der Beitritt zur Freisinnigen Vereinigung und im Jahr 1910 die Mitgliedschaft in der Fortschrittlichen Volkspartei vorausgegangen. Damit hatte sie zum Kreis um Friedrich Naumann gehört. Darüber hinaus kämpfte Helene Lange für das Frauenstimmrecht, die Mitarbeit der Frau in der Gemeinde und die Zulassung von Frauen zu sozialen Berufen. Das freiwillige soziale Jahr geht auf Helene Lange zurück. 1922 wurde sie Ehrenbürgerin
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der Stadt Oldenburg, 1923 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Staatswissenschaften von der Universität Tübingen verliehen und 1928 erhielt sie die Große Staatsmedaille. Sie starb am 13. Mai 1930 in Berlin. Auf der Trauerfeier sprach für die Universität Tübingen, Prof. Robert Wilbrandt, für die Deutsche Demokratische Partei, Dr. Theodor Heuss, für den Deutschen Staatsbürgerinnen-Verband, Dr. Dorothee von Velsen und für den Deutschen Akademikerinnenbund, Dr. Agnes von Zahn-Harnack. Der Reichsminister des Innern, Dr. Wirth, und der Preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Dr. Grimme, sowie der Oberbürgermeister der Stadt Oldenburg, Dr. Goerlitz, würdigten Helene Langes Lebenswerk. Die Zeitschrift Die Frau widmete ihr im Juni 1930 das Heft 9 des 37. Jahrgangs. Folgende Worte Langes sind für das Geschlechterverhältnis auch noch heute richtungweisend: Wenn das Endziel der Frauenbewegung einmal erreicht sei, verkündete Helene Lange auf dem Internationalen Frauenkongress in Berlin im Jahr 1904, „so wird es kein führendes Geschlecht mehr geben, sondern nur noch führende Persön lichkeiten“ (Lange, 1904, S. 615). Quellen: Arthur Kirchhoff, Die akademische Frau, Berlin 1897; Helene Lange, Das Endziel der Frauenbewegung. Rede gehalten auf dem Internationalen Frauenkongress zu Berlin, in: Vorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine, Marie Stritt (Hg.), Der Internationale Frauen-Kongress in Berlin 1904. Bericht mit ausgewählten Referaten, Berlin 1904, S. 601 – 615; Gertrud Bäumer, Geschichte der Gymnasialkurse für Frauen in Berlin, Berlin 1906; Helene Lange, Lebenserinnerungen, Berlin 1925; Helene Lange, Intellektuelle Grenzlinien z wischen Mann und Frau (zuerst erschienen in „Die Frau“, 1897, dann als Sonderdruck), in: Helene Lange, Kampfzeiten. Aufsätze und Reden aus vier Jahrzehnten, 2 Bde., Berlin 1928, Bd. 1, S. 199; Helene Lange, Die ethische Bedeutung der Frauenbewegung, in: dies., Kampfzeiten. Aufsätze und Reden aus vier Jahrzehnten, 2 Bde., Berlin 1928, Bd. 1, S. 72 – 85; Der 17. Mai 1930, Heft 9 der Zeitschrift Die Frau, 37. Jg., Juni 1930; Ch. Caspar, Helene Lange, Pädago gisches Lexikon, Bd. 4, Bielefeld 1931, S. 569; Gertrud Bäumer, Helene Lange, Lübeck 1933; Elke Kleinau und Claudia Opitz (Hg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1996; Hiltrud Schroeder, Helene Lange Bibliographie, Königstein/ Taunus 1997; Hugo Maier (Hg.), Who is who in der Sozialen Arbeit, Freiburg/Br. 1998, S. 341 – 342; Petra Pommerenke, Helene Lange (1848 – 1930). Frauenrechtlerin, Pädagogin, Publizistin, in: Ute Gerhard, Petra Pommerenke, Ulla Wischermann (Hg.), Klassikerinnen feministischer Theorie. Grundlagentexte. Bd. I (1789 – 1919), Königstein/Taunus 2008, S. 210 – 214; Angelika Schaser, Helene Lange und Gertrud Bäumer: eine politische Lebensgemeinschaft, Köln/Weimar/Wien 2000, 2. Aufl. 2010.
Erna von Langsdorff „Es muß hieraus ohne weiteres geschlossen werden, daß zur Zeit der Abfassung der Gesetze an eine Zulassung der Frauen zu den Examina und zum Vorbereitungsdienst nicht gedacht worden ist. Eine weitere Frage ist die, ob daraus unbedingt gefolgert werden muß, daß auch heute keine andere Auslegung zulässig ist“ (Langsdorff, S. 604).
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Diese Aufforderung an die männliche Jurisprudenz stand am Beginn des rechtspolitischen Diskurses um die Zulassung von Frauen zu den juristischen Berufen. Mit dieser Aufforderung trat von Langsdorff ein zweites Mal schriftstellerisch in Erscheinung. Der Wortlaut des § 1 des Gesetzes über die juristischen Prüfungen und die Vorbereitung zum höheren Justizdienst vom 6. Mai 1869 war geschlechtsneutral. Gleichwohl wurden die Bestimmungen über eine Zulassung zu den juristischen Prüfungen ausschließlich auf das männliche Geschlecht bezogen. Obgleich von Langsdorff mit ihren Worten einen entscheidenden Anstoß für die Rechtsentwicklung gab, sind die Informationen über Erna von Langsdorff spärlich: Sie promovierte zu dem Thema „Die Mitgift: ein Beitrag zur Lehre vom Entgelt“ (Borna-Leipzig 1911). Dieser Publikation wurden keine Autorenangaben oder ein Lebenslauf beigefügt. Langsdorff war Mitglied des Deutschen Juristinnenvereins. Zur Zeit des E rsten Weltkriegs betreute Erna von Langsdorff den Korps Koblenz und die Kriegsamtsnebenstelle in Siegen. Sie war damit auch Marie-Elisabeth Lüders als Leiterin des Referats „Frauen“ im Kriegsamt Stab P 2 unterstellt (Marie-Elisabeth Lüders, S. 122). Danach verlieren sich vorerst ihre Lebensspuren. Quellen: Margarete Berent Collection, Leo Baeck Institute, Center for Jewish History, New York, AR 2861; Erna von Langsdorff, Die Berufsaussichten der Juristin in Deutschland, in: Die Frau, 20/1913, Heft 10, S. 603 – 609; Marie-Elisabeth Lüders, Das unbekannte Heer, Berlin 1937; Oda Cordes, Die Frau als Organ der Rechtspflege? – Über die historisch wichtigsten Stationen der Zulassung von Frauen in der deutschen Rechtspflege, Köln 2006, S. 279 – 301.
Otto Liebmann „Der Werth ist keine Eigenschaft oder Qualität des beurtheilten Objects, sondern eine Relation desselben zum urtheilenden Subject; und zwar diejenige, vermöge welcher es anderen Objecten derselben Gattung aus irgendeinem Gesichtspunkt vorgezogen wird. Dies gilt ebenso für den Marktpreis der Lebensmittel, wie für die Rangstufe eines Kunstwerks und die Löblichkeit oder Verwerflichkeit einer menschlichen Gesinnung oder Handlung“ (Otto Liebmann, 1876 – 1911, S. 581). Diese Worte erklären jeden Wandel in der menschlichen Auffassung. Bezogen auf den damaligen Diskurs über die Rechtsstellung der Frau kann mithilfe dieser Worte der Ursprung der Geschlechterstellung markiert werden, weil diese Worte Otto Liebmanns dazu Gelegenheit geben, das Vorrecht des Mannes als subjektives Ideal seiner Handlungen zu hinterfragen, während sich die gesellschaftliche Stellung der Frau bereits gewandelt hat. Es wird den Leser jedoch überraschen, wenn ich ihm jetzt eröffne, dass das obige Zitat des Philosophen Otto Liebmann nicht von dem Verleger Otto Liebmann stammt, der „aus Lust und Liebe zum Verlags- und Redaktionswesen seinen Beruf ergriff“ (Schmidt, S. 617). Gleichwohl markieren diese Worte des Philosophen Otto Liebmann (geb. 25. Februar 1840 in Löwenberg und gest. am 14. Januar 1912 in Jena) doch ein Stück weit den geistigen
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Ansatz und den rechtspolitischen Beweggrund des Verlegers Otto Liebmann, nicht nur für eine Beförderung juristischer Profession zu wirken, sondern auch sein verlegerisches Interesse auf rechtspolitische Schriften „und solche über die Frauenfrage“ (Schmidt, S. 617) auszurichten, weshalb Marie Munk ihm ein hübsches Gedicht zum 25-jährigen Bestehen der Juristischen Wochenschrift widmete. Der Verleger Otto Liebmann wurde am 24. März 1865 in Mainz geboren. Nach der Militärzeit und Reisen in die Vereinigten Staaten gründete er am 1. Januar 1890 im Alter von 24 Jahren seinen Verlag für Rechts- und Staatswissenschaften Otto Liebmann in Berlin, Potsdamer Straße 56. Am 1. Januar 1896 erschien das erste Heft „Deutsche Juristen- Zeitung“. Diese Zeitschrift war gemeinsam mit Prof. Laband, dem Reichsgerichtsrat Stenglein und dem Rechtsanwalt Staub konzipiert. Die „Deutsche Strafrechts-Zeitung“, von Prof. Wilhelm Kahl und A. Wach begründet, verschmolz mit der Deutschen Juristen- Zeitung. Eines der ersten Publikationen des Otto Liebmann Verlages war ein Kommentar zum GmbH-Gesetz von Jakob Liebmann, Justizrat und Rechtsanwalt in Frankfurt und Vater von Otto Liebmann. Als ein Genistreich gelang es Otto Liebmann das Bürgerliche Gesetzbuch als eine „Lilliput-ausgabe“, nur etwas größer als eine Zugarettenschachtel, in einem dunkelgrünen Leinenband zu veröffentlichen. Bis zum Jahre 1914 wurden 74.000 Exemplare verkauft. Es folgte der Baumbach Kommentar zur ZPO als Taschenausgabe. Die Idee des so genannten Kurz-Kommentars stammte von Otto Liebmann. Am 10. Dezember 1908 erhielt er den Dr. jur. h. c. der Universität Heidelberg (Wesel, S. 115 – 117). Anlässlich des 25-jährigen Bestehens seiner Verlagsbuchhandlung erschien eine kleine Festgabe, in der die Erfolge des Verlages benannt und beschrieben wurden: „Dass das Börsenblatt überhaupt von meinem 25jährigen Berufsjubiläum Kenntnis genommen hat, war mir unter den obwaltenden Zeitverhältnissen garnicht recht; denn wir haben jetzt andere Dinge im Kopfe, als uns solchen für die gegenwärtige Zeit allzu geringen Scherzen zu widmen. Auch dass es die kleine, von einem meiner Herren mir namens meines Büros überreichte Festschrift besprochen hat, geschah ganz gegen meinen Willen und meine Absicht. Die Schrift selbst ist für die weitere Öffentlichkeit natürlich garnicht bestimmt und nur in einer ganz kleinen Zahl von Exemplaren hergestellt worden, eigentlich nur für mich und meine Allernächsten. Aber ich übersende Ihnen gern mit Rücksicht auf Ihre freund liche Zuschrift vom 22. d. M. anliegend ein Exemplar für die Königliche Bibliothek, die allerdings auch Wichtigeres zu tun haben wird, als s olche Eintagsfliegen unterzubringen“, schrieb er an den Leiter der Königlichen Bibliothek zu Berlin am 24. Februar 1915 und unterzeichnete d ieses Schreiben handschriftlich. Diese Bescheidenheit Liebmanns war nicht angebracht, konnte doch Liebmann namhafte Vertreter, sozusagen „die ersten […] aus den Gebieten der Rechtswissenschaft und des Verwaltungsrechts“, zu seinen Autoren zählen (Schmidt, S. 618). Otto Liebmann hat sich insbesondere durch die von Franz Liszt herausgegebene „Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender Darstellung“ in deutscher, französischer und spanischer Sprache einen Namen gemacht. Nicht unerwähnt bleiben soll die 16-bändige „Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts“ an dem nahezu 50 deutsche Professoren des Strafrechts mitarbeiteten. (Schmidt, S. 618). Die Publikation Marie Munks mit dem Titel „Recht und Rechtsverfolgung im Familienrecht“, erschien 1929 bei Otto Liebmann, hier zeigte
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er seine Sympathie für das Recht der Frau (Wesel, S. 129). Liebmann ist auch durch seine zahlreichen Festausgaben und Festschriften bekannt geworden. Er erhielt am 24. April 1930 den Dr. rer. pol. h. c. der Universität Gießen. Gemeinsam mit Eugen Schiffer war er Mitglied der Reichsdeutschen Waffenbrüderlichen Vereinigung. Er war Schriftführer der Vaterländischen Vereinigung. Er starb am 13. Juli 1942 in Berlin, nachdem die Nationalsozialisten am 15. Dezember 1933 seinen Verlag in den Besitz des C. H. Beck Verlags überführt hatten. Quellen: Otto Liebmann, Zur Analysis der Wirklichkeit. Eine Erörterung der Grundprobleme der Philosophie, 1. Aufl. 1876, 2. Aufl. 1880, 3. Aufl. 1900, 4. Aufl. Straßburg 1911; Rudolf Schmidt, Buchhändler, Deutsche Buchdrucker, Bd. 4, Berlin 1907, S. 617 – 618; Schreiben des Verlegers Otto Liebmann vom 24. Febr. 1915 an den Leiter der Königlichen Staatsbibliothek zu Berlin in der Festgabe: 1890 – 1915. Zum 25jährigen Bestehen der Verlagsbuchhandlung Otto Liebmann, Berlin; Horst Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“. Entrechtung und Verfolgung, 2. Aufl., München 1990, S. 375 – 376; Uwe Wesel, 250 Jahre rechtswissenschaftlicher Verlag C. H. Beck 1763 – 2013, München 2013, S. 115 – 130; International Biographical Service, Online-Ressource des Saur Verlags.
Käthe Lindenau „Die Finger streicheln sacht die Tasten Und wollen hier und da mal rasten, Während die Gedanken wandern Von einer Spenderin zu andern. Für dieses unverdiente Gut Die Freud tief im Herzen ruht. Noch faßt sich auch die Wehmut an, Daß ich nun nichts mehr leisten kann. Den Dank beweisen durch die Tat Und schreiben – schreiben früh und spat. Jetzt bin ich nur ein kleiner Hund In dem geliebten Frauenbund. Daß er mir so die Treue hält, Beglückt und wärmt die kleine Welt, Die ich nun tippend wieder aufbau. Innigsten Dank von Käthe Lindenau.“ Mit d iesem hübschen Gedicht beschrieb Käthe Lindenau ihre Stellung innerhalb der Frauen bewegung.
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Ihr Geburtsdatum und ihr Todestag sind nicht bekannt, obgleich sie als ein unverzichtbares Mitglied, vielleicht sogar als eine der tatkräftigsten Mitarbeiterinnen der Frauen bewegung betrachtet werden muss. Käthe Lindenau kam durch einen Aufruf zum Vaterländischen Hilfsdienst im Jahre 1915 als ausgebildete Fotografin in den Schreibdienst der Kriegschemikalien A. G. Berlin. Einige Zeit später wurde sie in den nationalen Frauendienst als Bürokraft zu der „Oberleitung des nationalen Frauendienstes“, Marie Elisabeth Lüders, und der Referatsleiterin für Etappenhelferinnen, Agnes von Zahn Harnack, versetzt. Späterhin durfte Käthe Lindenau auch an den Sitzungen des Nationalen Frauendienstes teilnehmen und machte so auch Bekanntschaft mit Helene Lange, Gertrud Bäumer und Anna von Gierke. Lindenaus Interesse und politisches Bewusstsein für die Frauenbewegung wuchs stetig an. Nach dem Ende des Krieges erinnerte sich Marie-Elisabeth Lüders ihrer und bot ihr eine Stelle als Bürokraft an. Bezahlt wurde ihre Beschäftigung durch den Jutefabrikanten Max Bahr, der sie an die neu gewählten Abgeordneten des Reichstags, Marie-Elisabeth Lüders und Anton Erkelenz, abordnete. In diesem Büro wurden nicht nur die Gesetzentwürfe über die religiöse Kindererziehung, zum Strafgesetzbuch, zum Ehe- und Familienrecht des BGB, zum Jugendschutz oder zum Gesetz über die Wochenhilfe ausgearbeitet, sondern auch die Denkschrift des Bundes deutscher Frauenvereine zur Ehescheidung und zur elterlichen Gewalt aus dem Jahre 1923 angefertigt. Lindenau hatte außerdem die Aufgabe, in der Reichstagsbibliothek „festzustellen, was frühere Frauenrechtlerinnen zu dieser oder jener Frage gesagt hatten“ (Lindenau in Munk Papers). Auch nach ihrem Wechsel zum Oberschlesischen Hilfsbund riss der Kontakt zu Lüders nicht ab. Letztendlich war dies wohl auch der Grund, warum Käthe Lindenau in den Zeiten des Vorsitzes von Emma Ender in den Bund Deutscher Frauenvereine als Sekretärin eintrat. Dort arbeitete sie bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten. Nach der Auflösung des Bundes Deutscher Frauenvereine wurde Käthe Lindenau mit der Abwicklung betraut. Anschließend arbeitete sie in der Mathilde-Zimmer-Stiftung, die zur damaligen Zeit 15 Haushaltungsund Frauenfachschulen sowie eine Frauenoberschule unterhielt. Aus dem Schriftverkehr im Bund Deutscher Frauenvereine geht aber auch hervor, dass Käthe Lindenau im Januar 1935 Materialien, wie Jahrbücher und Mitteilungsblätter, des B undes Deutscher Frauenvereine im Archiv der Helene-Lange-Stiftung aufbewahrte. „Die Helene Lange- Stiftung hat den Wunsch, das Archiv ordentlich und sachgemäss zu starten“, beginnt das Schreiben Agnes von Zahn-Harnacks vom 7. Oktober 1934 an Käthe Lindenau. Zu diesem Zweck musste sich Käthe Lindenau auf Weisung von Agnes von Zahn-Harnack mit den im Archiv für Jugendwohlfahrt praktizierten „Methoden, insbesondere“ mit den „dort geführten Karthotheken“ vertraut machen. Dieses Schreiben von Agnes von Zahn-Harnack an Käthe Lindenau kann deshalb als Geburtsstunde des Helene-Lange- Archivs betrachtet werden. Als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Gründung eines Berliner Frauenbundes beschlossen wurde, war Käthe Lindenau erneut an Agnes von Zahn-Harnacks Seite. Nach dem Zweiten Weltkrieg begleitete Käthe Lindenau Eugen Schiffer in den letzten Jahren seines beruflichen und privaten Schaffens. Sie war ihm eine wertvolle Bürokraft und menschliche Hilfe.
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Quellen: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 6 Folder 25; Schreiben von Agnes von Zahn-Harnack vom 7. Oktober 1934 und 31. Januar 1935 an Käthe Lindenau, in: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 3571; Dietrich Goldschmidt, Eugen Schiffer (14. 02. 1860 – 5. 9. 1954) – Ein Leben für liberale Politik und volksnahes Recht, in: Walter Pauly (Hg.), Hallesche Rechtsgelehrte jüdischer Herkunft, Bd. 1, Köln 1996, S. 69 – 82 und Anhang S. 89 – 92.
Karl Loewenstein „Die Diktatur aber lediglich um der Diktatur, also um eines formalen Prinzipes willen, an die Stelle des demokratischen Staatsapparates zu setzen, diesen herostratischen Nonsens zu verhindern, ist die augenblickliche zeitgeschichtliche Aufgabe des liberalen Staatsdenkers in Deutschland“ (Loewenstein, Apologie, p. 27). Wissenschaft als Mittel für die demokratische Aufklärung einzusetzen, war die Intention der Arbeit Karl Loewensteins ab der Weimarer Zeit. Sie ergaben sich aus einer zufälligen Begegnung mit Max Weber. Genau genommen wollte der junge Student Karl Loewenstein die Frauenrechtlerin Marianne Weber kennenlernen. Sie war jedoch, als sich die Haustür der Webers öffnete, nicht anwesend. Max Weber stand ihm gegenüber: „eine große Gestalt, das ständig von Gewittern überzogene Gesicht, von einem dunklen Bart eingerahmt, in den sich gerade Fäden mischten, die edle Stirn, ein wundersam melodisches Baritonorgan, das ein so vollkommenes und dabei gefälliges Deutsch von sich gab, wie ich es bis dahin niemals vernommen hatte, und vor allem, was er mir bei dieser ersten Begegnung bot, die Darlegung seiner Musiksoziologie, an der er damals arbeitete, all das war geeignet, den jungen Besucher völlig aus den Angeln zu heben. Nach fast zwei Stunden verließ ich ihn buchstäblich trunken und völlig außer mir. […] Es war ein coup de foudre, ein Donnerkeil des Zeus, der mich getroffen hatte, ich war von dem Augenblick an sein Vasall und bin es zeitlebens geblieben“ (Lang in van Ooyen, S. 45). Karl Loewenstein wurde am 9. November 1891 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in München geboren. Das Gymnasium verließ er nach der 10. Klasse und absolvierte zunächst eine Banklehre. Während dieser Zeit besuchte er Vorlesungen in englischer Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie, für die ihm jedoch noch die bildungsmäßigen Grundlagen fehlten. Seine Londoner Erfahrungen (1909) waren für ihn auf der einen Seite kulturell wertvoll, auf der anderen Seite gestalteten sie sich zunächst materiell schwierig. Erst nach Unterstützung durch den Gründer der General Electric Company, Hugo Hirst, einem gebürtigen Münchner, fand Loewenstein eine Anstellung an einer Börsenhandelsgesellschaft. Dieser Kontakt zu Hirst gab auch den Anstoß, nach München zu einem Universitätsstudium zurückzukehren. Die Rückkehr wurde jedoch zunächst durch einen gescheiterten Versuch, auf Einladung seines Onkels kaufmännisch in New York Fuß zu fassen, verzögert. Nach dem Abitur in München schrieb sich Loewenstein für die Rechtswissenschaften ab dem WS 1910/1911 ein. Das eigentliche Studienangebot absolvierte er jedoch nicht, sondern besuchte Vorlesungen zu Geschichte, Wissenschaft und Politik Frankreichs und
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Großbritanniens. Es folgte ein Studienaufenthalt in Paris. Nach der ungeliebten juristischen Zwischenprüfung wechselte er für ein Semester an die Universität Heidelberg. Dort ereignete sich die für ihn richtungsweisende Begegnung mit Max Weber. Die Bekanntschaft zu Max Weber durchzog Loewensteins wissenschaftlichen Lebensweg wie einen roten Faden. Aber diese Beziehung endete nicht in dem Bemühen um Max Webers wissenschaftliches Vermächtnis, sondern in Loewensteins letzter Deutschlandreise in die Neckarstadt, auf der ihn dann auch der Tod ereilte. Blickt der Leser zurück auf die Studienjahre Loewensteins in Berlin und auf das Werk Loewensteins, so wird der Einfluss Gustav Schmollers, des Strafrechtlers Franz von Liszt, des Philosophen Georg Simmel, des Zivilprozessrechtlers Konrad Hellwig und des Verfassungsrechtlers Gerhard Anschütz sichtbar. Nach dem 1. Staatsexamen ( Juli 1914) fasste er den Entschluss, im Fach Nationalökonomie über Finanzverfassung und Föderalismus zu promovieren. Sein fast fertiggestelltes Manuskript soll jedoch auf einer Reise nach England verloren gegangen sein. Nach dem Einsatz als Frontsoldat während des E rsten Weltkriegs folgte Loewensteins Referendariat in München (August 1914-Dezember 1916). Anschließend arbeitete er als Juristischer Sachbearbeiter und dann als Dezernatsleiter im Kriegswucheramt. Während seines zweiten Dissertationsprojekts, einer Geschichte zur direkten Volksgesetzgebung, publizierte er bereits zum Selbstbestimmungsrecht der Völker (1917). Seine Dissertation legte er über Volk und Parlament nach der Staatsauffassung der französischen Nationalversammlung von 1789 an der juristischen Fakultät in München vor. In dieser betrachtete Loewenstein die historische Entwicklung der unmittelbaren Volksgesetzgebung nicht nur von ideengeschichtlicher Seite her, wie sie Rousseau im Gesellschaftsvertrag seinerzeit formuliert hatte, sondern Loewenstein wies unter Bezugnahme auf Georg Jellineks These über den Einfluss der französischen Menschenrechtserklärung auf die Rechteerklärung in den amerikanischen Staaten nach, dass die unmittelbare Volksgesetzgebung auch in einer Praxis der Selbstregulierung begründet sei. Seine Dissertation wurde jedoch erst 1922 veröffentlicht. In dieser Zeit gab er eine Mitarbeit an einem Handbuch zum Kriegswucherrecht wegen persönlicher Differenzen zu Max Alsberg auf und begann schließlich im April 1919 mit der Vorbereitung auf die richterliche Laufbahn bei der Staatsanwaltschaft in München. Nur vier Monate s päter, im August 1919, kündigte Loewenstein seine richterliche Laufbahn: aus Mangel an Interesse. Nach einer Juniorposition in einer Kanzlei eröffnete Loewenstein im Herbst 1920 eine eigene Kanzlei und arbeitete fortan für kleinere Privatbanken und Industrieunternehmen. Zu seinen Mandanten zählte die Familie Thomas Manns ebenso wie Margarethe und Erich Ludendorff. Zu dieser Zeit (1922 bis 1932) veröffentlichte Loewenstein mehrere Arbeiten zu den Bereichen Geschichte, Verfassungsrecht und Politik Großbritanniens, zum Völkerrecht und zum International Law; unter anderem auch in dem von Georg Jellinek begründeten Jahrbuch des öffentlichen Rechts. Als Loewenstein in den 1920er-Jahren auch den Entschluss zu einer Habilitation fasste, traten in seinen Veröffentlichungen die historischen, soziologischen und statis tischen Methoden in den Hintergrund und die juristische Methode in den Vordergrund. Im Jahr 1931 legte Loewenstein seine Habilitation zu dem Thema „Erscheinungsformen der Verfassungsänderungen: verfassungsrechtsdogmatische Untersuchungen zu Artikel 76 der Reichsverfassung“ an der juristischen Fakultät vor und erhielt im gleichen Jahr
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die Lehrbefugnis für Allgemeine Staatslehre, deutsches und ausländisches Recht sowie für Völkerrecht. Aus seiner Habilitation besonders hervorzuheben sind seine Kategorien der Verfassungsänderung, die durch unmittelbares und durch mittelbares verfassungsänderndes Gesetz erfolgen können. Ein Ansatz, der trotz seiner Diskussionswürdigkeit bis in die Jetztzeit Geltung beanspruchen kann. Loewenstein, zum damaligen Zeitpunkt immer noch Privatdozent an der Universität München, sah zu Beginn des Jahres 1933 für sich die Chance, in den Professorenstand erhoben zu werden, als der damalige Dekan ihn bat, für den erkrankten Reinhard Frank (Mitglied der NSDAP) die Vorlesungen zu übernehmen. Die Pläne Loewensteins wurden jedoch durch die Machtergreifung zerschlagen und er ließ sich für das Sommersemester 1933 beurlauben. Die folgenden zwei Monate verbrachte er in der Schweiz und in Italien. Im WS 1933/1934 hielt Loewenstein noch einige Vorlesungen zu den Grundzügen des britischen Verfassungsrechts sowie zu den Wandlungen im Verfassungsrecht der Gegenwart. Er hatte jedoch bereits seit Mai 1933 über den Kontakt zu Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Direktor des Instituts für Vergleichendes und Internationales Recht in Hamburg, an dem auch Magdalena Schoch arbeitete, den Weg für eine zweijährige Berufung an die Graduate School der Yale University vorbereitet. Mendelssohn Bartholdy war zum damaligen Zeitpunkt bereits mit der Erstellung einer Liste deutscher Juristen für das Emergency Committee in Aid of Displayed German Scholars betraut worden. Schließlich gewährte die Rockefeller Foundation Loewenstein ein Stipendium und im Dezember 1933 wurde Loewenstein als Associate Professor of Political Science an die Graduate School der Yale University berufen. Seine Berufung war zugleich der Grundstock für einen neu eingerichteten Studiengang International Relations. Die Zeit in Yale endete im Januar 1936, weil die Universität eine reguläre Stelle aus eigenen Mitteln der Rockefeller Foundation oder dem Emergency Committee nicht anbieten konnte. Zu d iesem Zeitpunkt (5. Juni 1935) hatte Loewenstein bereits einen Antrag auf Zulassung zur Law School gestellt, nachdem er erfahren hatte, dass die anwaltliche Zulassung in den Vereinigten Staaten mit einem entsprechenden Antrag und der amerikanischen Staatsangehörigkeit verbunden war. Ein Versuch von Freunden Loewensteins, ihn ins Gespräch für einen Lehrstuhl in Harvard zu bringen, scheiterte bereits nach kurzer Zeit. Im September 1936 trat er den Lehrstuhl für American History and Politics am Amherst College in Massachusetts an. Amherst liegt nur wenige Kilometer von Northampton, dem Sitz des Smith Colleges, an dem Marie Munk ab 1939 und in den folgenden zwei Jahren wirkte, entfernt. Das Amherst College gehört zu den sogenannten „Seven Sisters“, einem aus sieben Colleges bestehenden Collegebündnis, aus dem das Radcliffe College in den 1960er-Jahren an die Harvard University angegliedert wurde. Aus d iesem Verbund ist noch das älteste und traditionsreichste Frauencollege, das Hollyoke College, wie das Smith College, zunächst ausschließlich für die Frauenbildung gegründet, hervorzuheben. Das Wellesley College wird und wurde, wie die anderen Colleges in dieser traditionsreichen Bildungsoffensive für die Frau, als erste Adresse für den Nachwuchs amerikanischer Regierungsmitglieder, wie zum Beispiel Hillary Clinton, frequentiert. Das Sophia Smith College in N orthampton gilt als das angesehenste College der Welt. Hier finden sich Studentinnen aus aller Welt. Als Marie Munk ihre Arbeit am Smith College in Northampton aufnahm (1939), hatte
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Karl Loewenstein die Zulassung als Rechtsanwalt in Massachusetts gerade erhalten. Die Denomination seines Lehrstuhls hatte sich zu d iesem Zeitpunkt bereits in Political Science and Jurisprudence geändert. Aus dieser Zeit ist besonders seine Publikation „Hitler’s Germany. The Nazi Background to War“ (1941) hervorzuheben. Loewenstein gab seinen Lesern folgenden Rat mit auf den Weg: “The American people may be well advised to study its structure and potentialities at close range. If this book contributes to a more realistic awareness of what the Nazi revolution is and how it is operated by the Third Reich, and what danger for the American way of life is involved in its victory over Britain the author feels that his labors were not in vain” (Preface to New Edition, p. Viii). Er lernte Marie Munk während ihrer Zeit am Smith College in Northampton, Massachusetts, kennen und hat ihre wissenschaftliche Entwicklung ein Stück weit begleitet (Loewenstein an Karpen, Marie Munk Papers). Loewenstein kehrte nicht nach Deutschland zurück. Gleichwohl, eine wissenschaftlich-publizistische Rückkehr nach Deutschland erfolgte im Jahre 1959 durch sein Hauptwerk „Verfassungslehre“. Dieses Lebenswerk, unter dem Titel „Political Power and the Governmental Process“ in den USA im Jahr 1957 erstmals erschienen, wurde ins spanische und japanische übersetzt (Lang, S. 88 – 191) und erschien im Jahre 2000 in seiner vierten Auflage. Dieses Buch, neben der unübersehbaren Vielzahl seiner anerkannten Veröffentlichungen, gilt als Vermächtnis seines Wirkens (van Oyen). Bis zu seiner Emeritierung (1961) blieb Loewenstein dem Amherst College treu. Karl L oewenstein starb am 10. Juli 1973. Quellen: Lebenslauf Loewensteins aus Lang (2007), S. 88 – 191 entnommen; Karl oewenstein, Volk und Parlament nach der Staatstheorie der französischen NationalL versammlung von 1789, München 1922 (Diss. München 1919); Karl Loewenstein, Apologie des liberalen Staatsdenkens, in: Karl Loewenstein Papers (1891 – 1973), Amherst College, Archive and Special Collections, Amherst, Mass., Box 24 Folder 3; Karl L oewenstein, Hitler’s Germany. The Nazi Background to War, New York 1941; Schreiben Karl L oewensteins an den Rechtsvertreter Munks im Wiedergutmachungsrecht, Dr. Karpen, vom 19. November 1956, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 8 Folder 6; Karl Loewenstein, Verfassungslehre, 4. Aufl., Tübingen 2000; Markus Lang, Karl Loewenstein. Transatlantischer Denker der Politik, Stuttgart 2007, S. 88 – 191; Markus Lang, Politisches Denken bei Loewenstein, in: Robert Christian van Oyen (Hg.), Verfassungsrealismus: das Staatsverständnis von Karl Loewenstein, Baden-Baden 2007, S. 41 – 82; Robert Christian van Oyen (Hg.), Verfassungsrealismus: das Staatsverständnis von Karl Loewenstein, Baden-Baden 2007.
Marie-Elisabeth Lüders „Fürchte Dich nicht“ (Lüders, 1963). Ihr Lebensmotto gab und gibt Marie Elisabeth Lüders allen Frauen mit auf den Weg des Lebens.
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Leider wird sie in der heutigen Sekundärliteratur als Else Lüders bezeichnet (Röwekamp, S. 225). Das birgt die Gefahr der Verwechslung. Die Geburtsdaten Else Lüders und Marie- Elisabeth Lüders liegen nur wenige Jahre auseinander und es gibt Parallelen in der Sozial politik und im Nationalen Frauendienst des E rsten Weltkriegs. Else Lüders war, so erinnerte sich Marie-Elisabeth Lüders, eine „Namensschwester von mir […,] eine langjährige, sehr geschätzte Mitarbeiterin von Professor Dr. Franke im ‚Verein für Sozialpolitik‘ und spätere Regierungsrätin im Reichsarbeitsministerium“ (Lüders, 1963, S. 130, 44). Zuvor war Else Lüders Sekretärin von Minna Cauer während ihrer Herausgeberschaft für die Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ gewesen (Naumann, S. 43). Marie-Elisabeth Lüders gehörte jedoch zu keiner Zeit dem radikalen Flügel der Frauenbewegung an. Else Lüders wurde später Vorsitzende der Abt. Charlottenburg des Vereins Frauenwohl, Marie-Elisabeth Lüders nicht (Frauenbewegung, S. 82 – 84). Marie-Elisabeth Lüders schrieb ihren Namen aus (vgl. zum Beispiel Novemberheft 1922 der Zeitschrift „Die Frau“, Titelseite), kürzte nur ihren ersten Vornamen ab als „M. Elisabeth Lüders“ (vgl. Dezemberheft 1914 der Zeitschrift „Die Frau“, S. 138) oder verwendete das Kürzel M. E. L oder das Kürzel M.-E. L. in ihren Veröffentlichungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte sie nur noch unter dem Kürzel M. E. L. Else Lüders hingegen schrieb ihren Namen stets aus (Siehe: Else Lüders, Lehren des Weltkrieges, in: Die Frauenbewegung 21/1915, Heft 2, Titelblatt; Else Lüders, Grundsätzliche Verfassungsfragen im neuen Deutschland, in: Die Frauenbewegung 25/1919, Heft 7, S. 25 – 26). Was zeichnete Marie-Elisabeth Lüders Leben aus? Sie wurde am 25. 5. 1878 als fünftes Kind des Geheimen Oberregierungsrats Carl Christian Lüders (1834 – 1923) geboren. Mit einigen anderen schleswig-holsteinischen bekannten Familien, wie Gottfried Planck und Eduard Marcard, war er einige Jahre zuvor von Schleswig nach Berlin gekommen. Er war in das Preußische Kultusministerium nach Berlin versetzt worden (Lüders, 1963, S. 11). Ihr Vater hatte bereits in seinem Amt die Ausbildung von Frauen befördert und zeigte deshalb Interesse für den Lette-Verein, für die Gründung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses (Marie Munks ehemalige Ausbildungsstätte) und der Viktoria- Fortbildungsschule. Zur Familie gehörte, wenn auch nur angeheiratet, Tycho Mommsen, der Bruder Theodor Mommsens und Verfasser eines bekannten griechischen Lexikons, und Alexander Conce (Leiter der Pergamon-Ausgrabungen). Die Familie hatte Kontakte zur Familie Franz und Robert Mendelssohn, der Bankierfamilie Hardt und dem Förderer der Villa Massimo, Eduard Arnhold (Lüders, 1963, S. 12, 15). Weitere kulturelle Anregungen hatte Marie-Elisabeth Lüders aus ihrem Wohnumfeld, dem sogenannten „Geheimratsviertel“, und später in ihrem neuen Wohnsitz Grune wald in Berlin erhalten. Hier wohnten Freunde und Mitarbeiter Theodor Mommsens und Otto Hirschfelds. Es wohnte dort Otto von Gierke, Robert Diderici, Adolf Wagner, der Theologe Harnack, der Historiker Delbrück, der Physiker Max Planck und Paula Planck, später Professorin für Vererbungslehre an der Universität Halle sowie der Jurist Dernburg (Lüders, Fürchte, S. 20 – 23). In einem Weimarer Mädchenpensionat (Lüders, 1963, S. 41 – 43) waren ihr durch eine Lehrerin (Dr. Selma von Lengfeld) die Bestrebungen der Frauenbewegung nahe gebracht worden. Marie-Elisabeth Lüders reiste im Alter von 13 Jahren das erste Mal zu einer Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine (1901). Dr. Richard Knittel hatte sie mit Alice Salomon, Margarete Friedenthal
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und Anna Pappritz bekannt gemacht (Lüders, 1963, S. 44 – 46). Nach einer Reise nach Verona, Livorno, Pisa, Rom, Siena, Mailand, Florenz, Perugia, Neapel (Vesuv), Herculanum, Pompeji, Sizilien hatte sie sich dann bei den Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit Alice Salomons in Berlin gemeldet. Bis hierher werden durchaus Parallelen zum beruflichen Werdegang Marie Munks erkennbar. Auch Marie-Elisabeth Lüders hatte bei Alice Salomon als Familienpflegerin gearbeitet und erste Erfahrungen mit den Bedingungen unverschuldeter Armut, Verwahrlosung und Verbrechen gemacht. Allerdings wurde im Jahre 1909 Marie-Elisabeth Lüders bereits ohne Reifezeugnis immatrikuliert. Nachdem sie ein Jahr s päter das Abitur gemacht hatte, konnte sie vier Semester später (1912) promovieren, weil sie „die Anrechnung aller Semester vor dem Abitur“ dem Kultusministerium zu verdanken hatte (Lüders, 1963, S. 49 – 50). Anschließend war sie beim Magistrat Berlin-Charlottenburg die erste deutsche Wohnungspflegerin. Hier musste sie sich gegen erste Diskriminierungen zur Wehr setzen: „Der Oberbürgermeister verlangte, ich solle erst noch zwei Jahre an der Technischen Hochschule studieren. Ich antwortete: ‚Ja, gerne, unter der Bedingung, daß meine männlichen Kollegen alle noch einen zweijährigen Ausbildungslehrgang an einer sozialen Frauenschule absolvieren!‘ Das kam natürlich nicht in Frage. So begann meine Arbeit erst einmal zum halben Gehalt der Kollegen und mit einem Angriff auf die 40 angeblich ‚aussichtslosen‘ Fälle. Er war erfolgreich“ (Lüders, 1963, S. 50 – 52, 51). Während der Zeit enger Zusammenarbeit mit Marie Munk, Marianne Weber, Camilla Jellinek und Margarete Berent führte sie durch ihre Parlamentsrede den wegweisenden Beschluss für die notwendige Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes auf Zulassung der Frauen zu den juristischen Berufen herbei; eine Rede, die im Jahre 1921 unter dem Titel „Die Rechtspflege und die Frauen“ veröffentlicht wurde. Zuvor hatte sie den Nationalen Frauendienst begründet und war in der Zeit von 1914 bis Juli 1915 Leiterin der Charlottenburger Kriegsfürsorgestelle mit 10 Arbeitsstellen und ca. 3000 Arbeiterinnen gewesen. Von Juli 1915 bis August 1916 hatte sie die Soziale Hilfsstelle für belgische Frauen im General-Gouvernement in Belgien geleitet. Eine Abteilung, die sich um arbeitslose Frauen und Mädchen kümmerte. „Mit d iesem traurigen Gebiet wurde ich als engste Mitarbeiterin von Anna Pappritz im Kampfe um die Reglementierung der Prostitution später auf das genaueste bekannt“ (Lüders, 1963, S. 62). Von Oktober 1916 an hatte sie die erste Geschäftsführung des Vereins für Säuglings- und Mütterfürsorge beim Regierungspräsidenten in Düsseldorf übernommen. Dort trat sie die Nachfolge von Dr. Marie Baum an (Lüders, 1963, S. 66), einer Freundin Marianne und Max Webers. In dieser beruflichen Tätigkeit hatte Marie-Elisabeth Lüders vortreffliche Einblicke in die zu damaliger Zeit noch neue und von Marie Baum und Prof. Schlossmann aufgebaute Familienfürsorge in den Landkreisen erhalten (Lüders, 1963, S. 66). Dies befähigte sie zu der Leitung der von Prof. Schlossmann gegründeten Niederrheinischen Frauenakademie für die Ausbildung sozialer Kriegsfürsorgerinnen im Kreis Düsseldorf (bis 1922; Lüders, 1963, S. 72 – 74). Darüber hinaus war sie im Jahre 1923/1926 Mitbegründerin des Deutschen Akademikerinnenbundes und des Berliner Studentinnen-Tagesheims (Helene-Lange-Heim). Sie gründete die Reichsforschungsstelle für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen (1925) und war Mitglied der Regierungsdelegation auf der Weltwirtschaftskonferenz in Genf für den Frauenweltbund,
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den Weltbund für Frauenstimmrecht und den Bund Deutscher Frauenvereine. Von 1923 bis zum Jahre 1932 war sie Ständige Delegierte für die vorgenannten Organisationen in den Vorberatungen der Abrüstungskonferenz. Im Jahre 1931 war sie in Den Haag Delegierte auf der Internationalen Rechtskonferenz, speziell für das Nationalitätenrecht der verheirateten Frauen. Was jedoch für die Zusammenarbeit mit dem Bund Deutscher Frauenvereine von besonderer Wichtigkeit war: Die Wählbarkeit von Frauen hatte sie seit 1919 als Abgeordnete für die DDP in die Nationalversammlung und später in den Reichstag gebracht (Lüders, 1963, S. 74). Hier wirkte sie in den unterschiedlichsten Ausschüssen: im Rechts-, Handels- und wirtschaftspolitischen Ausschuss, dem Ausschuss für die Reform des Nationalitätenrechts der verheirateten Frau und im Ausschuss für das Gesetz zur Bekämpfung von venerischen Krankheiten, dem Ausschuss für das Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt und dem Ausschuss für die Änderung der Schöffenklausel (Lüders, 1963, S. 208 – 209). Sie wirkte mit auf dem Gebiet des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (Lüders, 1963, S. 100 – 102), des Arbeitsschutzes (Lüders, Fürchte, S. 103 – 104), des Hausgehilfengesetzes und in der Gewerbeaufsicht (Lüders, 1963, S. 104 – 105), in den Rechtsgebieten Mutter und Kind (§ 218 StGB) und Prostitution (Lüders, Fürchte, S. 105 – 109), Gemeindebestimmungsrecht (Lüders, 1963, S. 110 – 112), Jugendschutz (Lüders, Fürchte, S. 112 – 114), Wohnungsbau (Lüders, 1963, S. 114 – 116). Sie war Mitglied in der deutschen Delegation der Weltwirtschaftskonferenz im Jahre 1927 (Lüders, 1963, S. 121 – 124). Erst im Jahre 1932 kandidierte sie für den Reichstag nicht mehr. Der Grund dafür mag in dem neuen Wahlrecht zu suchen sein. Hiernach sollten die Männer als Familien ernährer eine Zusatzstimme erhalten, obwohl „in erheblichem Maße durch unverheiratete Frauen zur Ernährung von Familienmitgliedern beigetragen wurde. Das Mißverhältnis im politischen Stimmgewicht wurde bei 100 Frauen auf etwa 115 Stimmen, bei 100 Männern dagegen auf über 211 Stimmen errechnet.“ Zusätzlich sollte das Listenwahlsystem abgeschafft und sogenannte Einpersonen-Wahlkreise eingeführt werden (Lüders, 1963, S. 120). Nicht nur in dem nach dem Zweiten Weltkrieg neu gegründeten Deutschen Frauenring, der Nachfolgeorganisation des Bundes deutscher Frauenvereine (Schreiben der Vorsitzenden des Berliner Frauenbunds 1945 e. V. an Marie Munk vom 8. April 1966), sondern bereits bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten war Marie-Elisabeth Lüders wichtigste Nahtstelle zu Parlament und Exekutive. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie Mitglied im Berliner Parlament und im Berliner Senat. Die Wahl in den Bundestag erfolgte 1953. Marie-Elisabeth Lüders wurde das Bundesverdienstkreuz (1952), zwei Ehrendoktorwürden (Dr. jur. h. c. und Dr. med. h. c., 1958) und die Dorothea- Schlözer-Medaille der Universität Göttingen verliehen (1962), nachdem sie 1961 Stern und Schulterband zum Großen Verdienstkreuz erhalten hatte. Im Jahr 1961 hatte sie sich aus der politischen Arbeit zurückgezogen. Sie schied aus dem Bundestag aus. Marie- Elisabeth Lüders starb am 23. März 1966. Quellen: Schreiben von der Vorsitzenden des Berliner Frauenbunds 1945 e. V. an Marie Munk nebst Beifügung der vorbereiteten Presseerklärung zum Tod Marie-Elisabeth Lüders vom 8. April 1966, in: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 6 Folder 10; Die Frauenbewegung, XX. Jg., 1914,
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S. 82 – 84; Marie-Elisabeth Lüders, Die Rechtspflege und die Frauen, in: Deutsche Demokratische Partei (Hg.), Materialien zur demokratischen Politik Heft Nr. 58, Berlin 1921; Marie-Elisabeth Lüders, Fürchte Dich nicht. Persönliches und Politisches aus mehr als 80 Jahren. 1878 – 1962, Köln und Opladen 1963; Gerlinde Naumann, „Ich arbeite für eine Idee …“: Minna Cauer und die Zeitschrift „Die Frauenbewegung“, in: Ariadne 1991, Nr. 19, S. 42 – 45; Eva Cornelia Schöck-Q uinteros, Else Lüders (1872 – 1948): Von der Radikalen zum Oberregierungsrat – Leben und Karriere zwischen Frauenbewegung und bürger licher Sozialreform, in: Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 1997, 12. Jg., Heft 1, S. 49 – 67; Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon zu Leben und Werk, Baden-Baden 2005, S. 225 – 227.
Anna Margarete Elisabeth Mayer „Die Verteilung der Rechte und Pflichten zwischen den Ehegatten muß vielmehr den Gedanken der Arbeitsteilung zur Grundlage haben, der gerade auf der Verschieden artigkeit der Geschlechter beruht. Ein wesentlicher Teil der Kraft und besonderen Leistung der Familie für das Volksganze liegt darin, daß in ihr die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau so vollkommen, der Natur entsprechend, vollzogen ist, wie nirgends sonst“ (Mayer, 1921, S. 19). Das sind Anna Mayers Leitgedanken, die dadurch gekennzeichnet waren, dass nicht alles „nur vom Frauenstandpunkt, sondern [vom] staatsbürgerlichen Gesichtspunkt“ – heute würde man sagen, vom Gemeinwohl aus – betrachtet werden muss (Mayer, 1921, S. 19). Anna Mayer wurde am 27. Juli 1882 in Berlin geboren. Nach dem Lehrerinnenexamen für mittlere und höhere Mädchenschulen (1901) machte sie ihr Abitur (1905). Nach dem Studium der Rechtswissenschaften promovierte sie am 14. 6. 1917 zu dem Thema „Die Begriffe Störung und Störer im Besitz- und Eigentumsrecht“ an der Universität Marburg bei Prof. Martin Wolff. Sie übernahm die Leitung des Vereins für Einzelvormundschaft in Berlin und war von 1920 bis 1932 Stadtverordnete von Berlin für die Deutsche Volkspartei und Mitglied der Wohlfahrtsdeputation Berlins. Hervorzuheben ist, dass sie auch Mitglied des Deutschen Juristinnenvereins, dem Vorläufer des Deutschen Juristinnenbundes, war. Seit 1916 engagierte sie sich im Bund Deutscher Frauenvereine im Frauenberufsamt sowie in den Rechtsausschüssen. Im Jahre 1921 verfasste Anna Mayer für die Deutsche Volkspartei eine Flugschrift über „Die Rechtsstellung der Ehefrau und der ehelichen Mutter“. Auf der 12. Generalversammlung 1921 am 7. Oktober 1921 hielt sie ein Referat über „Die rechtliche Stellung der Mutter“ und beteiligte sich so an der Diskussion um die ersten Vorschläge des Bundes deutscher Frauenvereine zur Änderung des Familienrechts. In den Jahren 1922 bis 1928 war sie Dozentin an der Sozialen Frauenschule der Inneren Mission. Sie wurde in den Jahren 1926 bis 1933 in den Vorstand der Fachgruppe für Gefährdetenfürsorgerinnen des Verbands der evangelischen Wohlfahrtspflegerinnen Deutschlands gewählt. Zeitgleich (1923 bis 1929) wechselte sie in das Preußische Ministerium für Volkswohlfahrt, zunächst als Hilfsarbeiterin, dann als Regierungsrätin.
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Während dieser Zeit (1927) wurde sie Mitglied des Verwaltungsausschusses des Landesjugendamtes. Sie arbeitete im Deutschen Verband der Sozialbeamtinnen, Fachgruppe der Fürsorgerinnen an Polizei- und Pflegeämtern, mit. Im Jahr 1930 wechselte sie in das Ministerium des Innern und blieb Dozentin an der Deutschen Gesundheitsfürsorgeschule in Berlin. Sie beteiligte sich an der Entstehung des Reichsjugendwohlfahrtgesetzes in den Fassungen für die Jahre 1930 und 1932. Anna Mayer blieb bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung aktiv in der deutschen Frauenbewegung. Am 7. April 1933 erfolgte ihre Entlassung aus dem Staatsdienst nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufs beamtentums. Ab dem Jahre 1934 übernahm sie eugenische Aufgaben beim Ausschuss für Rassenhygiene der Inneren Mission. Aus dieser Tätigkeit meint die Sekundärliteratur, keine klare Abgrenzung zu den Rassengesetzen der Nazizeit schlussfolgern zu können (Röwekamp, S. 250). Belegt ist diese Vermutung bis heute aber nicht. Anna Mayer starb am 11. Mai 1937. Quellen: LAB B Rep. 235 – 20 Zeitschriftenausschnittsammlung, MF-Nr. 1318; Margarete Berent Collection, AR 2861, Leo Baeck Institute at the Center for Jewish History, New York; Anna Mayer, Die Rechtsstellung der Ehefrau und der ehelichen Mutter, in: Flugschriften der Deutschen Volkspartei, Berlin 1921; Anna Mayer, Gefährdetenfürsorge im Rahmen der allgemeinen Wohlfahrtspflege, in: Deutscher Verband der Sozialbeamtinnen, Fachgruppe für Fürsorgerinnen an Polizei- und Pflegeämtern, Schwerin i. M. (Hg.), Zur Frage der Prostitutionsbekämpfung, Schwerin i. M. 1925, S. 5 – 13; Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon zu Leben und Werk, Baden-Baden 2005, S. 247 – 250.
Margarete Meseritz, verh. Edelheim, verh. Mühsam „[…] daß die tüchtige Juristin sich ebenso durchsetzen wird wie der tüchtige Jurist“ (Edelheim, 1926). An den Anfängen der weiblichen juristischen Profession hatte Margarete Meseritz wesent lich Anteil. Ein Zeugnis des Ullstein & Co. Verlags, Berlin, vom 1. April 1922 legt dar, warum Margarete Edelheim-Meseritz (18. 9. 1891 – 26. 5. 1975) nicht nur für ihren damaligen Arbeitgeber, den Ullstein Verlag, sondern auch für den Deutschen Juristinnenverein wichtig war: „Frau Dr. Margarete Edelheim-Meseritz war vom 25. April 1914 an in unserem Verlage tätig, zunächst als juristische Mitarbeiterin des Briefkastens. Sie hatte außerdem die Aufgabe, die juristische Sprechstunde der ‚Berliner Morgenpost‘ abzuhalten, deren sie sich, durch ihre guten juristischen Kenntnisse unterstützt, mit Gewandtheit entledigte. Später wurde Frau Dr. Margarete Edelheim-Meseritz beauftragt, die Abteilung ‚Gerichtssaal‘ in der ‚Berliner Morgenpost‘ und die Frauenbeilage der ‚Vossichen Zeitung‘ zu leiten. Ihre guten Beziehungen zu den Frauenkreisen, die in politischer und sozialer Richtung führend sind, ermöglichen es ihr, die Mitarbeit für unsere Zeitungen in allen Frauenfragen ausserordentlich produktiv und aktuell zu gestalten. Gute Kenntnisse und ein sachliches, klares Urteil machten ihre Beiträge besonders wertvoll“ (Muehsam Collection).
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Ausweislich ihres handschriftlich verfassten Einlegeblatts in ihrem Gebetbuch der jüdischen Reformgemeinde zu Berlin wurde Margarete Meseritz als Tochter des Fabri kanten Hugo Meseritz (2. 6. 1857 – 10. 1. 1927) und seiner Frau Alica Henriethe Meseritz (geb. Blumberg; 6. 2. 1868 – 17. 3. 1941) am 18. September 1891 geboren (Muehsam Collection; Röder und Strauss, S. 511). Ihre Mutter soll bereits in der Frauenbewegung aktiv gewesen sein (Heuer, S. 66). Nachweise finden sich jedoch hierüber nicht oder nicht mehr. Margarete Meseritz wurde nach einem rechts-, wirtschaftswissenschaftlichen und statistischen Studium (Muehsam Collection) im Jahr der Gründung des Deutschen Juristinnenvereins am 14. Februar 1914 in Erlangen zum Dr. jur. mit dem Thema „Das Preßdelikt als Begehungsform der gemeinen Delikte“ promoviert (Heuer; S. 68). Mit dem Titel „Ausschluß der Damen aus dem Gerichtssaal“ hatte sie sich am 27. Juni 1914 in der Vossischen Zeitung gegen die Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) gewandt (Muehsam Collection). Obgleich geschlechtsneutral formuliert, wurden nach diesen Bestimmungen Frauen zu den beiden juristischen Staatsexamina und zu den professionellen juristischen Berufen nicht zugelassen (Cordes, S. 279). Margarete Meseritz Engagement in dieser Frage war grenzüberschreitend. Nachdem Edmund Bernatzik, Professor an der rechtsund staatswissenschaftlichen Fakultät in Wien, zur Zulassung von Frauen zu den juristischen Studien und Berufen ein Gutachten im Jahre 1900 zur österreichischen Rechtslage erstellt hatte, das von der Wiener Wochenschrift „Die Zeit“ am 14. April 1900 und vom Wiener Verein für erweiterte Frauenbildung gedruckt worden war, hielt Margarete Edelheim-Meseritz im November 1917 vor der gesamten Wiener juristischen Fakultät einen Vortrag über „Die Frau als Juristin“ (Muehsam Collection). Zwischenzeitlich mit dem Verleger John Edelheim verheiratet, verfasste sie „Hundreds of articles in newspapers and magazines“ (Muehsam Collection) bis zum Zeitpunkt ihrer Emigration. Diese Veröffent lichungen bezogen sich während der Zeit ihres Vorsitzes im Deutschen Juristinnenverein vor allem auf die Rechtsfrage der Zulassung von Frauen zu den juristischen Berufen, auf weibliche berufliche Leistungen während des Ersten Weltkriegs und auf die Ursachen und ihre beruflichen Auswirkungen einer sich verändernden Geschlechtsproportion in der Gesellschaft (Muehsam Collection, Schriftenverzeichnis). Im Jahr 1931 verstarb ihr erster Ehemann, John Edelheim. Bis zu ihrer Emigration war sie Präsidentin einer Vereinigung von Studentinnen der Rechtswissenschaften, Stadtverordnete der DDP in Berlin, Stadträtin für den Bezirk Berlin-Tiergarten und Mitglied im Ehrengericht der Deutschen Presse (Muehsam Collection). Auf Margarete Meseritz geht die Eingabe zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 12. Januar 1920 zurück (Margarete Berent Collection). Bis zum Jahr 1933 war sie Chefredakteurin und Autorin im Ullstein Verlag. Am 24. Januar 1938 wurde Margarete Meseritz-Edelheim aus der Journalistenliste beim Reichsverband der Deutschen Presse gelöscht. Ihre journalistische Arbeit und Herausgeberschaft für die Allgemeine Centralverein-Zeitung, einem Publikationsorgan des Central-Vereins Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens in Deutschland, gab sie im Frühjahr 1938 auf und emigrierte in die USA. Nach ihrer Emigration führte sie ihren deutschen Vornamen in amerikanischer Schreibweise (Margaret). Zunächst entfaltete sie ihre juristischen Fähigkeiten neu als „post graduate work at Harvard and Columbia University“ (Muehsam Collection). Ihre beruflichen Tätigkeiten blieben jedoch dem journalistischen Bereich eng
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verbunden: Als Herausgeberin für das Bulletin ORT und als Autorin für Presse, Radio und Film. Nach Eintritt der Amerikaner in den Zweiten Weltkrieg arbeitete sie für das Office of War Information (OWI), für den National Refugee Service, für das American Jewish Committee und für die Overseas News Agency. Für diese Organsiationen verfasste sie Gutachten, Berichte und Beiträge (Muehsam Collection). Sie heiratete 1946 den Chirur gen und Urologen Eduard Muehsam. Sie arbeitete für das Leo Baeck Institute vom ersten Tag der Gründung bis zu ihrem Tod am 26. Mai 1975 in New York. Quellen: Margaret T. Muehsam Collection, AR 720, Leo Baeck Institute at the Center for Jewish History, New York; Margarete Berent Collection AR 2861, Leo Baeck Institute at the Center for Jewish History, New York; Margarete Edelheim, Fräulein Richter und Fräulein Rechtsanwalt, in Vossische Zeitung vom 20. Juni 1926, o. S.; The Jewish Press in Germany, in: Publications of the Leo Baeck Institute, New York 1954, S. 163 – 176; Reaction of the Jewish Press to the Nazi Challenge, in: Robert Weltsch (Ed.), Leo Beack Institute Year Book V, London 1960, S. 308 – 329; Werner Röder und Herbert A. Strauss, Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, New York 1980, S. 511; Renate Heuer, Archiv Biographica Judaica. Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, Bd. 6, Dore-Fein, München 1998, S. 66 – 68; Oda Cordes, Die Frau als Organ der Rechtspflege? Die wichtigsten Stationen der Zulassung von Frauen zu den Berufen der Rechtspflege, in: Stephan Meder, Arne Duncker und Andrea Czelk (Hg.), Frauenrecht und Rechts geschichte, Köln 2006, S. 279 – 301; Marion Röwekamp, Margarete Muehsam-Edelheim, in: Jewish Women’s Archive, http://jwa.org/encyclopdia/mueham-edelheim-margarete, mit falschen Lebensdaten der Eltern von Margarete Meseritz-Muehsam-Edelheim.
Clara (Klara) Mleinek „Die freie Entwicklung der Kräfte wird durch Festsetzung einer bestimmten Arbeitszeit durchaus nicht beeinträchtigt“ (Mleinek, S. 34). Das entgegnete Klara Mleinek der Reichsregierung und den Arbeitgebern, als sie ihre Person ganz in den Dienst einer Arbeitszeitverkürzung für weibliche Arbeitskräfte stellte. Sie wurde am 9. August 1885 in Hindenburg (Oberschlesien) geboren. Es folgte nach dem Schulbesuch eine Ausbildung für den kaufmännischen Beruf an der Handelsschule und später an der Handelshochschule in Berlin. Sie wurde als Büroangestellte und Handelsgehilfin Mitglied des Verbandes der weiblichen Handels- und Büroangestellten (VWA). Es ist sehr wahrscheinlich, dass Clara Mleineks Publikation „Die Arbeitszeit in den Kontoren: Zusammenstellung und Kritik der Erhebungen sowie der Verhandlungen der Kommission und des Beirats für Arbeitsstatistik“ (Berlin 1907) den Anstoß gegeben hat, sie für den Aufgabenbereich der Sozialpolitik und des Rechtsschutzes der Angestellten und damit für eine Verbandstätigkeit im VWA zu gewinnen. Der Reichstag hatte in seiner Sitzung am 23. Mai 1900 eine Erhebung über die Arbeitszeit weiblicher Arbeitskräfte in den Kontoren und kaufmännischen Betrieben beschlossen. Die Kriterien für diese Erhebung
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wurden jedoch von der Reichsregierung falsifiziert, sodass bestimmte Arbeitsverhältnisse (insbesondere Hilfspersonen) aus der kaufmännischen und Dienstleistungsbranche nicht erfasst wurden. Mleinek legte ausführlich die manipulativen Wirkungen einer unvollkommenen Statistik dar (Mleinek, S. 14 – 16, 18 – 64). Parallel hatte Clara Mleinek aktiven Anteil an der Gründung des Verbandes für handwerksmäßige und fachgewerbliche Ausbildung der Frau (1909 – 1911). In Hugo Roehls Publikation „Die gewerbliche Bildungsfrage für erwerbstätige Frauen unter besonderer Rücksicht auf das Handwerk (Leipzig 1910) schlug Clara Mleinek „Praktische Maßnahmen“ vor. Ihre Kollegin Marie Baum nahm sich den „Folgen ungelernter Arbeit für die Arbeiterin“ an. Ab dem Jahre 1912 gehörte Clara Mleinek der Geschäftsführung des VWA an. Ihr maßgeblicher Anteil an dem Zustandekommen des Gesetzes über die Angestelltenversicherung vom 1. Januar 1913 führte sie in den Verwaltungsrat und s päter in das Direktorium d ieses damals noch neu entstande leinek ist es aber nen Versicherungszweiges der gesetzlichen Sozialversicherung. Clara M auch zu verdanken, dass sich die Vielzahl der Vereine der kaufmännischen Angestellten dem VWA anschloßen. Das bedeutete eine gewerkschaftliche Konzentration mit ungeheurer Schlagkraft, insbesondere im Interesse der Frauen und ihren neuen Berufsbildern: wie z. B. „Die Frau im Handelsgewerbe“ (Leipzig 1921), so der Titel M leineks weiterer Publikation. Clara Mleinek übernahm den Vorsitz des VWA (1919 – 1921). Es stiegen die Mitgliederzahlen des VWA auf insgesamt 101.120 Frauen an (1920). Später sinkende Zahlen der Mitgliedschaften (1923: 88.630 Mitglieder; 1927: 72.127 Mitglieder) können auf die wirtschaftliche Krise und auf den Konkurrenzkampf z wischen Frau und Mann im Büro- und Handelsgewerbe zurückgeführt werden. Durch die strukturellen Veränderungen in Handel und Verwaltung wurden Stimmen nach einem Verbot weiblicher Angestellter laut. „Die Wertung der Frauenarbeit“ beleuchtete Clara Mleinek in ihrem Vortrag am 19. Mai 1921 auf der Hauptversammlung des VWA in Kassel (Berlin 1921). Auf ihre Initiative geht die Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zurück. Zunächst als Assistentin, später als Geschäftsführerin des DGB, wurde sie als Vertreterin in den Vorstand der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung entsandt. In ihrem Heft „Was jeder von der Erwerbslosenfürsorge wissen muss“ (Berlin 1926) informierte Clara Mleinek die Bevölkerung über ihre Rechtsansprüche in diesem Zweig der Sozialversicherung. Der Rechtsverteidigung dieser Ansprüche ging sie in ihrem Buch „Einspruch, Berufung, Beschwerde: nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung: mit einer Sammlung der wichtigsten Entscheidungen des Spruchsenats beim Reichsversicherungsamt“ (Berlin 1929) nach. Darüber hinaus gehörte Clara Mleinek bereits seit dem Jahre 1927 dem Verwaltungsrat der Reichsarbeitsverwaltung an. Mit dem Problem der „Arbeitslosigkeit und Völkerschicksal“ befasste sie sich in einem ihrer Vorträge auf dem 27. Kirchlich-Sozialen Kongress in Bielefeld im Jahr 1930. Zugleich als Vertreterin der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Frauenberufsverbände nahm sie an den Besprechungen mit dem Reichskanzler, gemeinsam mit den Arbeitgebervertretern, im Jahr 1932 in der Reichskanzlei teil. Im gleichen Jahr erschien ihre letzte Publika tion mit dem Titel „Frauenarbeit in der Kriegs-, Inflations- und Rationalisierungszeit. Ein Überblick von 1913 – 1930“ im Jahrbuch der Frauenarbeit (Berlin 1932, S. 45 – 74). Mit der Machtübernahme Hitlers verlieren sich ihre Lebensspuren.
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Quellen: Akten der Reichskanzlei: Bundesarchiv, Edition online 2508, 2530, 2533; Klara Mleinek, Die Arbeitszeit in den Kontoren. Zusammenstellung und Kritik der Erhebungen sowie der Verhandlungen der Kommission und des Beirats für Arbeiterstatistik, Berlin 1907; Ludwig Heyde (Hg.), Handwörterbuch des Gewerkschaftswesens, 1932, S. 1129; Ursula Nienhaus, Von Töchtern und Schwestern. Zur vergessenen Geschichte der weib lichen Angestellten im deutschen Kaiserreich, Göttingen 1981, S. 309 – 330; Alf Lüdtke, Inge Maßolek, Adelheid von Saldern (Hg.), Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1996.
Mathilde Möller-Bing Die biografischen Angaben sind rar. Mathilde Möller-Bing wurde am 19. Februar 1889 in Hamburg als Tochter des Kaufmanns J. G. Bing und seiner Frau Emilie (geb. Wolff ) geboren. Nach dem Besuch einer neunstufigen israelitischen Mädchenschule und der vom Verein für Frauenbildung und Frauenstudium gegründeten, fünfstufigen Realgymnasialklassen für Mädchen legte sie im Jahre 1908 die Reifeprüfung am Johanneum in Hamburg ab. Es folgte das Studium der Volkswirtschaftslehre und der Jurisprudenz in Hamburg, Berlin und Heidelberg. Sie promovierte über „Das Verhältnis von Stadt und Staat in Hamburg“ bei Prof. Fritz Fleiner. Ihre mündliche Doktorprüfung legte sie am 24. Juni 1915 ab. Ihre Dissertation erschien in dem Hamburger Verlag Bonsen. Beruflich wirkte Mathilde Möller-Bing als Inhaberin der Hamburger Generalagentur der Schweiz. Lebensversicherung und Rentenanstalt in Zürich – Hinrich Wilhelm Kopf. Um das Jahr 1928 gründete Mathilde Möller-Bing eine Ortsgruppe des Deutschen Juristinnenvereins in Hamburg. Im Juni 1929 hatte diese Ortsgruppe bereits 25 Mitglieder. Mathilde Möller-Bing engagierte sich für die Aufnahme von Frauen im Justiz- und Verwaltungsdienst Hamburgs und gegen die Demobilmachung nach dem Ersten Weltkrieg. Ab Mitte des Jahres 1930 leitete Mathilde Möller-Bing den Ausschuss für die Frage der Alterssicherung im Bund Deutscher Frauenvereine. Ihr weiterer Lebensweg ist unbekannt. Quellen: Lebenslauf in: Mathilde Bing, Das Verhältnis von Stadt und Staat in Hamburg, Hamburg 1916; LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine MF-Nr. 2188; Emmy Wolff (Hg.), Jahrbuch des Bundes deutscher Frauenvereine 1928 – 1931, Berlin 1931, Anhang S. 11; Deutscher Juristinnenbund (Hg.), Juristinnen in Deutschland, Baden-Baden 1989 sowie 3. Aufl. 1998, Anhang Nr. 14, 14 (2), 15, 18 und 18 (2).
Lina Morgenstern „In jeder Familie herrscht die Übertragung des Hergebrachten wie eine mündliche Offenba rung. Darum muss eine Mutter nie vergessen, dass sie Trägerin zukünftiger Geschlechter ist“ (Morgenstern, S. 57).
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Lina Bauer (geb. 25. 11. 1830) entstammte einer wohlhabenden jüdischen Familie, die den schlesischen Adel mit Möbeln aus eigener Fabrikation ausstattete. Als höhere Töchter bildete sie sich autodidaktisch in Sprachen, in der Kunst- und Literaturgeschichte fort. Ihre spätere Wahl, den der Kunst, aber nicht dem Geschäftlichen zuneigenden Kaufmann Theodor Morgenstern zu heiraten, stieß bei ihren Eltern nicht auf Verständnis. Folglich gaben sie erst 1854 ihre Zustimmung. Bis dahin hatte Lina bereits einen „Pfennigverein zur Unterstützung armer Schulkinder“ gegründet. Seine Mitglieder hatten täglich einen sozialen Pfennig an die Vereinskasse zu erbringen, Spenden kamen hinzu. Arme Schulkinder wurden mit maßgeschneiderter Kleidung zu Weihnachten beschenkt. Darüber hinaus vergab der Verein auch Bildungsstipendien. Leider sollten die Eltern mit ihren Vorbehalten gegenüber Theodor Morgenstern Recht behalten. Sein in Berlin gegründetes Wäschegeschäft stand bereits 1857 vor dem Konkurs, der nur mit Hilfe von Linas Vater, Albert Bauer, abgewendet werden konnte. Infolgedessen wurde das Geschäft Theodor Morgensterns von Albert Bauer übernommen. Die junge Familie Morgenstern, bereits mit fünf Kindern gesegnet, musste in eine kleinere Wohnung umziehen. Das Auskommen der Familie war für die Zukunft nicht gesichert. Dieser Entwicklung sah Lina Morgenstern nicht tatenlos zu. Nachdem sie zur Fröbel-Bewegung gefunden und bereits in der Zeitschrift „Bazar“ einige Artikel über fröbelsche Kindergärten veröffentlicht hatte, bot ihr der Verleger Ernst Schotte an, ein von ihr verfasstes Lehrbuch zur fröbelschen Systempädagogik zu verlegen. Das Buch erschien bis 1905 in sieben Auflagen. Mit d iesem Buch vermochte Lina Morgenstern den Unterhalt für ihren Mann und ihre Kinder zu bestreiten. 1866 organisierte sie Volksküchen für die arme Berliner Bevölkerung. Weitere karitative Vereinsgründungen folgten, mit denen sie ihrem Ehemann die Verwaltungstätigkeit übertrug, weil sich für sie als höhere Töchter eine bezahlte Berufstätigkeit sozial nicht schickte. 1873 gründete sie den „Hausfrauenverein“ als Zentralverein des neugebildeten „Verbandes deutscher Hausfrauenvereine“ und gab die „Deutsche Hausfrauen-Zeitung“ heraus. Das mit dem Verein verbundene und von Theodor Morgenstern geleitete Konsumgeschäft musste jedoch 1883 Konkurs anmelden, weil antisemitische Bestrebungen zu einem großen Mitgliederaustritt führten. Theodor Morgenstern sicherte fortan als Verlagsleiter der „Deutschen Hausfrauen-Zeitung“ die Lebensgrundlage der Familie. Als Mitglied des Central-Comitees der Frauenabteilung für die Welt- Ausstellung in Chicago (1896) sammelte Lina Morgenstern Gelder für die Herausgabe einer Publikation mit dem Titel „Frauenarbeit in Deutschland“. Irmgard Maya Fassmann beurteilt Lina Morgenstern als eine Frau, die sich „theoretisch […] zur traditionellen Aufgabe der Frau in Haushalt und Familie“ bekannte, „praktisch [gesehen] diese Rolle jedoch weit hinter sich“ ließ. Helene Lange urteilte über Lina Morgenstern: „In dieser Verbindung praktischer Fähigkeiten, die sie neue Wege sozialen Tuns zu gehen instand setzten, mit einer konsequent demokratischen Auffassung von den Rechten und Pflichten der Frau in Staat und Gemeinde, ist Lina Morgenstern ein Typus der ersten Generation der deutschen Frauenbewegung.“ Lina Morgenstern starb am 16. Dezember 1909. Quellen: Lina Morgenstern, Frauenarbeit in Deutschland, 1. Teil Geschichte der deutschen Frauenbewegung und Statistik der Frauenarbeit auf allen ihr zugänglichen Gebieten, II. Bd., Berlin 1893, Anzeigenteil; Lina Morgenstern, Das Paradies der Kindheit, 6. Aufl.,
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Regensburg 1904, S. 57; Helene Lange, Lina Morgenstern, in: dies., Kampfzeiten. Aufsätze und Reden aus vier Jahrzehnten, 2 Bde., Berlin 1928, Bd. 2, S. 348 – 352; insbesondere über den Kongress und seine Auseinandersetzungen: Theresa Wobbe, Das Wagnis der Öffent lichkeit. Jüdinnen in der deutschen Frauenbewegung vor 1933, in: Mechthild M. Jansen und Ingeborg Nordmann, Lektüren und Brüche. Jüdische Frauen in Kultur, Politik und Wissen schaft, Wiesbaden 1993, S. 150 – 162; Biografie: Irmgard Maya Fassmann, Jüdinnen in der deutschen Frauenbewegung 1865 – 1919, Hildesheim/Zürich/New York 1996, S. 179 – 186; Lina Morgenstern (1830 – 1909): Die verkannte Suppenlina, in: Beate Neubauer und Claudia von Gélieu, Kurfürstin – Köchin – Karrierefrau. Zehn Berliner Porträts, Berlin 2005, S. 65 – 77.
Gertrud Müller-Munk Die Datenlage über die Schwester von Marie Munk ist spärlich: „Sie besuchte die Zeichenschule des Kuenstlerinnen Vereins in Berlin, besuchte Malklassen bei dem Maler Moser, studierte in Paris, besonders bei Matisse, spaeter bei Hans Hoffmann. Vor ihrer Auswanderung nach USA lernte sie das Restaurieren von Bildern bei Helmut Ruhemann, der Restaurator am Kaiser Friedrich Museum war. Sie hatte auch wiederholt im Kaiser Friedrich Museum Bilder kopiert, einige besonders gut. Sie hat in Deutschland und spaeter in den USA ihre Bilder ausgestellt, z. B. in der grossen Berliner Kunst-Ausstellung 1932, im Haus der Kuenstlerinnen am Schoeneberger Ufer, Maerz 1932, spaeter in den USA: im Friendship House in New York, Riverside Museum, Hudson Walker Gallery, Brooklyn Museum, und verschiedene andere, die ich nicht weiter weiss“ (Angaben Marie Munks in Box 4 Folder 21). Nach weiteren Quellen hatte Gertrud Müller-Munk zwei Kinder: Peter Müller-Munk und Margit, geb. am 23. September 1908 in Berlin. Margit Müller heiratete Franz Mombert am 4. Dezember 1934 und zog mit ihm nach Frankreich. Beide wurden französische Staatsbürger am 15. September 1946 (Affidavit von Margit Mombert vom 1. Dezember 1950, Box 1 Folder 7). Darüber hinaus ist nachgewiesen, dass Gertrud Müller-Munk Kontakt zur Wandervogelbewegung hatte. Insbesondere sind Briefe zwischen ihr und dem westfälischen Autor Karl Brügmann (16. 2. 1889 – 8. 11. 1914) aus den Jahren 1911 bis 1914 erhalten geblieben (Privatbesitz von Dr. Heinrich Gerhard Brügmann in Frankfurt). Heinrich Gerhard Brügmann verwertete die Korrespondenz z wischen Gertrud Müller-Munk und Karl Brügmann in seiner Disserta tion über „Karl Brügmann und der freideutsche Sera-Kreis. Untersuchungen eines Modells von Jugendleben und Geist der Meißner-Generation vor 1914“ (Diss. Frankfurt a. M. 1965). Aus den 58 Briefen aus der Zeit vom 28. März 1911 bis zum 26. Oktober 1914 geht hervor, dass Gertrud Müller-Munk im Jahre 1880 geboren, seit dem Jahr 1901 mit einem Professor der Pharmakologie an der Berliner Universität verheiratet war. „Brügmann begegnete ihr im Februar 1911 während eines in Berlin verbrachten Semesters, und in den folgenden Jahren besaß er an ihr eine verständnisvolle Gönnerin. Das Haus des Professors Müller im Berliner Westend wurde sogar zu einem Treffpunkt der Seraleute, die nun ihrerseits Frau Müller-Munk zu den Sonnwendfesten einluden und sie als einzige ältere Person an ihren Sonnwendbriefen 1914 mitarbeiten ließen. 1933 zwang der Sieg der Nationalsozialisten Gertrud Müller-Munk zur Emigration in die Vereinigten Staaten, wo sie im New Yorker Stadtteil
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Brooklyn eine neue Heimat fand. Nach dem zweiten Weltkrieg nahm Walter Fränzel brief lich mit ihr Verbindung auf und regte sie dazu an, Brügmanns an sie gerichtete Briefe den alten Freunden bekanntzugeben.Gertrud Müller-Munk schrieb daraufhin den größten Teil dieser Briefe mit der Maschine ab und stellte die beiden so gewonnenen Hefte durch Dr. Fränzels Vermittlung Prof. Dr. Hermann Nohl in Göttingen zur Verfügung. In einem Begleitschreiben vom 1. Juni 1950 verwies sie auf die große Bedeutung gerade dieser Briefe“, die sich insbesondere auf die Wandervogeltagung in Marburg und die Sonnenwende 1911 sowie auf die Persönlichkeit des Dichters Karl Brügmann und die Korrespondenz z wischen ihr und dem Promovenden Heinrich Gerhard Brügmann aus den Jahren 1955 bis 1956 bezogen (Brügmann, S. 8 – 10). Quellen: Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, N orthampton, Mass., Box 4 Folder 21 und Box 1 Folder 7; Heinrich Gerhard Brügmann, Karl Brügmann und der freideutsche Serakreis. Untersuchung eines Modells von Jugendleben und Geist der Meißner-Generation vor 1914, Diss. Frankfurt a. M. 1965; Zu Karl Brügmann: Lexikon Westfälischer Autoren und Autorinnen 1750 – 1950, in: http://www.lwl.org.
Peter Müller-Munk Im Modern Design Dictionary finden sich folgende Lebensdaten: “Peter Müller-Munk (1904 – 67), one of the second Generation of American industrial designers, German-born Müller-Munk was an important figure in the development of industrial design, design consultancy, and the professionalization of design in the United States in the post-Second World War period. As he declared in the late 1940s he was committed to the idea of making the design process ‘a management philosophy’ rather than being restricted to the design of products, an outlook consolidated through his involvement with design practice, education, and national and international professional organizations. Having graduated in the humanities in Berlin, Müller-Munk trained as a silversmith before emigrating to New York in 1926. He worked there as a silver designer for the well-known firm of Tiffany & Co. before opening his own studio in 1929. His design reputation was steadily enhanced by the inclusion of his work in a number of significant exhibitions including the International Exposition of Art in Industry (1928) at Macy’s and Contemporary American Design (1928) at the Metropolitan Museum of Art, New York. In 1930 Müller- Munk moved into product design, an area of expertise that was to become an increasingly important part of his professional identity. His metalware designs were typified by high aesthetic standards and craftsmanship, as seen in the elegantly streamlined chrome-plated brass Normandie jug designed in 1935 for Revere Copper and Brass Incorporated, the latter a leading American giftware company that placed a high premium on design. In the same year he collaborated with Donald Dohner and Robert Lepper in the inauguration of the first American degree program in industrial design at Pittsburgh-Carnegie Institute of Technology, marking an involvement with pedagogy alongside professional practice. In 1944 he formed Peter Müller-Munk Associates (PMMA), a design consultancy specializing
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in industrial design. Important clients included Westinghouse and Texaco. Müller-Munk was also significantly involved in the promotion of the industrial design profession, both in the United States and internationally, through a committed involvement in important organizations. These included the Society of Industrial Designers (SID, see Industrial Designers Society of America) and the International Council of Societies of Industrial Design (ICSID), serving as president of the former in 1954 – 5 and as a founding member and inaugural president of the latter from 1957 to 1959. By the time of his death in 1967 PMMA had grown significantly in size and disciplinary expertise, employing 40 staff and providing specialist expertise in product, transportation, and exhibition design. The company later went on to work in communication and environmental design.” In dem allgemeinen Lexikon der bildenden Künstler des 20. Jahrhunderts wird Peter Müller-Munk (25. 6. 1904) als Entwurfszeichner für Kunstgewerbe genannt. Peter Müller- Munk war Schüler bei W. Raemisch in Berlin. Seine Entwürfe für Silbergeräte sind in den Museen in Detroit, Michigan und in Newark (N. J.) zu besichtigen (Vollmer, S. 557). Marie Munk beschrieb ihren Neffen wie folgt: “My sister’s son, who was already an old-timer because he had come to the USA in 1924. Although he had earned his matric in Germany, he had decided to become a silversmith rather than to go to the university. He was a gifted artist and craftman, but he felt that his opportunities in Germany would be very limited because, Germans had become impoverished as a result of the inflation. He very wisely decided to go to the USA. Although he was young and although his crafts manship was soon appreciated, it took him a long time to find recognition in this country. For a couple of years, he taught at the Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh, Pennsylvania, and he finally started his own business as Industrial Designer. He has been the cofounder and the first president of the International Council of Societies of Indus trial Designers. His firm, Peter Müller-Munk Associates, has had challenging assignments from the American government and from many other countries.” Quellen: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk MF-Nr. 3509, Autobiographisches Manus kript, Teil 2, Kapitel I Impressions as a Visitor in 1933, S. 3; Hans Vollmer, Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler des 20. Jahrhunderts, Bd. 3, Leipzig 1953; Jonathan M. Woodham, A Dictionary of Modern Design, Oxford 2004.
Hans Muthesius „Ist das Ziel der Fürsorge die Anpassung des Individuums an die Gesellschaft, oder ist es umgekehrt ihre Aufgabe, dem einzelnen alle mögliche Hilfe zur Entwicklung und Betätigung in seiner Besonderheit zu geben?“ (Achinger, 1960, S. 307). An dieser Frage scheiden sich die Geister. An dieser Frage ist Hans Muthesius persönlich, aber nicht wissenschaftlich gescheitert. Er wurde am 2. Oktober 1885 in Wetzlar geboren. Nach dem Jurastudium in Grenoble, Berlin und Jena promovierte er zu dem Thema „Das Erfordernis besonderer Genehmigung bei Anlagen nach der Reichsgewerbeordnung“ (1909).
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In den Jahren 1917 bis 1920 war er Stadtrat in Schöneberg und bis zum Jahr 1933 stellvertretender Bürgermeister des Bezirks Berlin-Schöneberg. Während dieser Zeit betätigte er sich als Dozent in der Sozialpolitik und war Referent des „Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge“ in der Geschäftsstelle in Frankfurt a. M.. Mit der Auflösung des Vereins für öffentliche und private Fürsorge wechselte Muthesius zum Reichsrechnungshof nach Potsdam. In den Jahren 1935 bis 1939 war er dort Gutachter. Als Referent für Fragen der Fürsorge arbeitete er ab dem Jahr 1940 im Reichsinnenministerium. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Muthesius lediglich als „Mitläufer“ eingestuft. Er konnte sich deshalb um den Neuaufbau des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge im Westen Deutschlands bemühen. Seit dem Jahr 1948 Vorstandsmitglied, übernahm er in den Jahren 1950 bis 1964 den Vorsitz. Zugleich war er Vorsitzender der Internationalen Konferenz für Sozialarbeit. In diesen Jahren (1948 – 53) war Muthesius Leiter des Sozialreferats des Deutschen Städtetages sowie Berater und Gutachter von Bundes- und Länderministerien. In den Jahren 1955 – 58 war er Vorsitzender des Arbeitsausschusses des Bundesarbeitsministeriums für Fragen der Fürsorge. In diesen Funktionen übte Muthesius einen entscheidenden Einfluss auf die Sozialpolitik der noch jungen Bundesrepublik aus. Das Bundessozialhilfe gesetz ist auf seinen Einfluss zurückzuführen. Seit dem Jahre 1953 hatte er einen Lehrauftrag für Fürsorgerecht, Jugendwohlfahrtsrecht und das Recht der Sozialversicherung an der Jur. Fakultät der Universität Frankfurt. Drei Jahre s päter (1956) wurde er Honorarprofessor. Er war Mitverfasser der Publikation „Neuordnung der sozialen Leistungen“. Für sein Lebenswerk im Sozialrecht und in der Sozialpolitik erhielt er das Große Verdienstkreuz des Verdienst ordens der Bundesrepublik (1960 mit Stern), die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt und 1961 die Ehrendoktorwürde der Frankfurter Universität sowie die Wilhelm-Polligkeit-Plakette des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. In den Jahren 1985 bis 1990 verlieh der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge die Hans-Muthesius-Medaille für besondere Leistungen auf dem Gebiet der Wohlfahrtspflege. In den Jahren 1972 bis 1990 trug die Geschäftsstelle des Vereins seinen Namen: Hans-Muthesius-Haus. Der Grund, dass sowohl die Medaille heutzutage nicht mehr verliehen wird als auch die Geschäftsstelle nicht mehr seinen Namen trägt, liegt darin, dass im Jahr 1989 bekannt wurde, dass Muthesius im Jahr 1942 ein sogenanntes Verwahrlager für polnische Jugendliche in Lodz gründete und von seinem Schreibtisch aus dem Reichsinnenministerium heraus beaufsichtigte. In d iesem Lager starben mehrere hundert Menschen. Muthesius blieb die Entdeckung seiner Verbrechen Zeit seines Lebens erspart. Er starb am 1. Februar 1977 in Frankfurt a. M.. Quellen: Hans Muthesius, Das Erfordernis besonderer Genehmigung bei Anlagen nach der Reichsgewerbeordnung, Borna-Leipzig 1909; Hans Achinger, Von der Einmaligkeit aller Menschen, in: Festschrift für Muthesius zum 75. Geburtstag, Köln 1960, S. 307 – 317; zu seinem wissenschaftlichen und rechtspolitischen Werk vgl.: Eberhard Orthbandt, Hans Muthesius. Sein Lebenswerk in der sozialen Arbeit, Köln 1985; Hans Muthesius, Neuordnung der sozialen Leistungen, in: Dt. Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hg.), Hans Muthesius: sein Lebenswerk in der sozialen Arbeit: eine Auswahl aus seinen Schriften mit eingearbeiteten Darstellungen der biographischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge, Frankfurt a. M. 1985, S. 105 – 139; World Biographical Information System.
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Joseph Oegg Er wurde am 21. 6. 1866 in Lohr am Main geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und den Staatsprüfungen war Oegg zunächst bei der Staatsanwaltschaft und ab 1891 als Richter am Amtsgericht Augsburg tätig. Im Jahr 1894 wechselte er zum Amtsgericht Würzburg. 1896 wurde Oegg 2. Staatsanwalt am Amtsgericht Nürnberg. Am 20. Mai 1898 wurde er zum Regierungs- und vortragenden Rat im Reichsjustizamt in Berlin und schließlich im Jahr 1902 zum Geh. Reg.-Rat und 1907 zum Geheimen Oberregierungsrat ernannt. Seit dem 11. August 1920 versah Oegg die Funktion eines Ministerialdirektors im Reichsjustizministerium. Im Jahr 1927 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Berlin. Er verstarb am 26. November 1930 in Berlin. Quellen: Werner Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik zur Reform des Nichtehe lichen-, des Adoptions- und des Ehescheidungsrechts, Paderborn 1986, S. 30 – 31.
Hilde Oppenheimer „Selbst wenn unter gewissen Umständen der Warenertrag der Wirtschaft durch eine Einrichtung der Sozialversicherung eine Einbuße erlitte, so würden wir eine Ablehnung dieser Einrichtung (natürlich immer abgesehen von organisatorischen Mängeln) nur dann für gerechtfertigt halten, wenn die Minderung des volkswirtschaftlichen Ertrages so groß wäre, daß sie die durch die Sozialversicherung beabsichtigte Existenzsicherung des Menschen wieder in Frage stellte“ (Oppenheimer, 1932, S. 5). Über diesen Grundsatz ließ Oppenheimer mit sich „im Bezirk des Ökonomischen nicht diskutieren“ (Oppenheimer, 1932, S. 5). In diesen Grundsatz stellte sie ihre Arbeit für die Rechte der Frau. Oppenheimer wurde am 8. November 1893 in Braunschweig geboren. Nach dem Schulbesuch und ihrem Studium wurde sie mit dem Thema „Zur Lohntheorie der Gewerkvereine“ (1917) zum Dr.phil. promoviert. Zunächst Geschäftsführerin beim ständigen Ausschuss zur Förderung der Arbeiterinnen-Interessen, übernahm sie in den Kriegsjahren (1918 – 19) das allgemeine Referat des Demobilmachungsamtes. In dieser Zeit erschien ihre Publikation „Die Probleme der Frauenarbeit in der Übergangswirtschaft“ im Verlag Julius (Alice) Bensheimer Verlag, Mannheim. In dieser Publikation stellte sie die Entwicklung der Frauenarbeit während des Ersten Weltkriegs dar und forderte, Ausbildungs- und Prüfungsschranken für weibliche Bewerber in den höheren Berufszweigen zu beseitigen und weibliche Arbeit gleich zu entlohnen (Oppenheimer/Radomski, 1918, S. 8 – 127, 143 – 236). In den Jahren 1919 – 1921 versah sie ihre berufliche Tätigkeit in der Außenhandelsstelle des Auswärtigen Amtes, späterhin in der Abteilung X. Bis zum Jahre 1923 war sie mit dem Aufbau und der redaktionellen Leitung der vom Auswärtigen Amt herausgegebenen Sammelmappe „Deutschland und die weltwirtschaftliche Lage“ betraut. 1921 wurde sie Referentin für wirtschaftliches Nachrichtenwesen des Auswärtigen Amtes, in den Jahren 1923 bis 1926 Referentin, ab dem Jahre 1926 Regierungsrätin in der Abt. IIIa
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im Reichsarbeitsministerium. Im Jahr 1931 wurde sie zur Oberregierungsrätin ernannt. Im darauffolgenden Jahr erschien ihre von der Sozialistischen Vereinigung für Wirtschaftsund Gesellschaftsforschung herausgegebene Schrift „Die wirtschaftlichen Funktionen der Sozialversicherung“ im Verlag des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (1932). Die Sozialistische Vereinigung für Wirtschafts- und Gesellschaftsforschung war der Verlagsgesellschaft des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes angehörende wissenschaftliche Vereinigung und publizierte neben den Themen zur gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, der Wirtschaftsdemokratie u. a. auch zum Internationalen Arbeitsrecht und zur Reichsarbeitsgerichtsrechtsprechung. Die Autorenbeiträge der von Oppenheimer herausgegebenen Publikation beschäftigten sich mit den sozioökonomischen Wirkungen der Sozialversicherung auf die Arbeitsfähigkeit und den Arbeitsmarkt. Die Autoren verfolgten eine volkswirtschaftliche Sichtweise. Kurz nach der Machtübernahme der Natio nalsozialisten wurde Hilde Oppenheimer entlassen. Im selben Jahre flüchtete sie nach Palästina. Ihre Heirat mit Bluhm ist im Jahr 1936 in Paris vollzogen worden. Es folgten in den Jahren 1941 – 1943 Publikationen im Umfeld der New School of Social Research, New York, USA. Ihr Todesdatum ist unbekannt, weil sich ihre Lebensspuren nach ihrer Emigration in die USA ab dem Jahre 1943 verlieren. Quellen: Bundesarchiv, Tabellarischer Lebenslauf aus der Online-Ressource Akten der Reichskanzlei 1919 – 1933; Hilde Oppenheimer, Zur Lohntheorie der Gewerkvereine, Berlin 1917; Hilde Oppenheimer und Hilde Radomski, Die Probleme der Frauenarbeit in der Uebergangswirtschaft, Julius (Alice) Bensheimer Verlag, Mannheim 1918; Hilde Oppenheimer, Die wirtschaftlichen Funktionen der Sozialversicherung, Berlin 1932; sowie Literaturrecherche der Verfasserin in www.gbv.de.
Maria Otto „Die Frau, die an der Gesetzgebung mitarbeitete, mußte auch an deren Handhabung beteiligt sein können“ (von Erffa, S. 207). Diese Worte markieren den Weg vom aktiven und passiven Wahlrecht zum weiblichen Organ der Rechtspflege. An dieser historisch einschneidenden Entwicklung partizipierte Maria Otto als erste Anwältin in Deutschland und Mitglied im Deutschen Juristinnenverein. Sie wurde am 6. 8. 1892 geboren. Nach der Zwischenprüfung für die historischen Fächer (1914) legte sie im Jahr 1916 die Prüfung für den höheren Verwaltungsdienst in Bayern ab. Mit dieser Prüfung konnte zu damaliger Zeit das juristische Studium in Bayern abgeschlossen werden. Sie war eine der ersten Jurastudentinnen in Bayern. Ihre informatorische Zulassung zum Vorbereitungsdienst eröffnete ihr die Chance, Pflichtverteidigungen zu übernehmen. Ab dem Jahr 1919 war sie juristische Hilfsarbeiterin in der Münchner Kanzlei Mauermeier. Nach ihrer Promotion zu dem Thema „Der internationale Rechtsschutz gegen unlauteren Wettbewerb“ (1921) bestand Maria Otto im Juni 1922 als eine der ersten Frauen in Bayern und im Deutschen Reich das Assessorexamen. Dennoch wurden ihr
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zunächst die obligatorischen Zeugnisse über diese Prüfung von den Behörden nicht ausgestellt. Das bayerische Innenministerium und das bayerische Finanzministerium hielten es schließlich als einzige ministerielle Ressorts für unumgänglich, Maria Otto den Nachweis über ihre bestandene Assessorprüfung nicht weiter zu verwehren. Verspätet erhielt sie ihre berufliche Zulassung. Maria Otto wurde am 7. Dezember 1922 als erste Rechtsanwältin im Deutschen Reich zu den Landgerichten I und II in München zugelassen. Zunächst angestellt, führte sie in der Zeit von 1923 – 1974 eine eigene Anwaltskanzlei. In der Zeit vor 1933 war sie Nachfolgerin von Sophie Goudstikker in der Rechtsschutzstelle in München, deren Praxis im Jahr 1930 zu einer Eheberatungsstelle erweitert worden war. Im Nationalsozialismus war Maria Otto Mitglied im Familienrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht. Sie starb am 20. 12. 1977. Quellen: Margarethe Freiin von Erffa, Die Frau als Rechtsanwalt, in: Ada Schmidt-Beil, Die Kultur der Frau, Berlin-Frohnau 1931, S. 205 – 211; Hiltrud Häntzschel, Justizia – eine Frau?, in: Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern, München 1997, S. 200, 202 – 203, 207, 209; Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon zu Leben und Werk, Baden-Baden 2005, S. 282 – 284.
Bertha Pappenheim „So gilt es denn vor allem, die Unterstützung falscher Ehrbegriffe zu vermeiden und die erwerbsuchenden Mädchen davon zu überzeugen, daß das Wie der geleisteten Arbeit über den Menschen entscheidet und nicht gewisse Aeußerlichkeiten, die mit einem Amte oder einer Stellung zusammenhängen“ (P. Berthold, S. 484). Bertha Pappenheim wurde am 27. Februar 1859 in eine jüdisch-orthodoxe, reiche Familie hineingeboren. Nach dem Besuch einer katholischen Mädchenschule widmete sie sich der Mithilfe im Haushalt ihrer M utter. Jedoch beneidete sie ihren Bruder Wilhelm um den Besuch des Gymnasiums. Im Alter von 21 Jahren zeigte sie Symptome von Angstzuständen und Halluzinationen, weshalb sie sich in die Behandlung von Josef Breuer, einem Kollegen Sigmund Freuds, begab. Ihre Krankengeschichte wurde in den von Breuer veröffent lichten „Studien über Hysterie“ (1895) als Patientengeschichte der „Anna O.“ der Fachwelt bekannt. Ihre Krankheit verschlimmerte sich nach dem Tod des Vaters (5. 4. 1881). Erst ein Jahr später gelang eine vorläufige Heilung, in der von Robert B inswanger geführten Privat klinik Bellevue in Kreuzlingen am Bodensee. Dort absolvierte Bertha Pappenheim eine Krankenpflegeausbildung des Badischen Frauenvereins, die sie jedoch wegen ihrer Rückkehr zur Mutter nach Wien nicht abschloss. Es folgten mehrere Rückfälle in die Krankheit. Erst mit dem Umzug nach Frankfurt a. M. und dem Beginn ihrer schriftstellerischen Tätigkeit (zunächst) unter einem Pseudonym (P. Berthold) veränderte sich ihr Leben. Sie arbeitete in der Armenküche, als Vorleserin im Mädchenwaisenhaus und schließlich übernahm sie die Leitung dieses Hauses. 1895 beteiligte sie sich am Aufbau der Frankfurter Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins. Sie übersetzte Mary Wollstonecrafts „A vindication
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of the rights of woman“ (1899). Es folgten bis zu ihrem Tod noch weitere Erzählungen, wie „Kleine Geschichten für Kinder“ (1888), das Schauspiel „Tragische Momente. Drei Lebensbilder“ (1913) und viele Gedichte. Im Jahre 1902 reiste sie nach Galizien, um den Mädchenhandel zu untersuchen. Ihrer Reise folgte ein soziologischer Reisebericht (1904). Im gleichen Jahr wurde Pappenheim auf dem International Council of Women 1904 in Berlin zur ersten Vorsitzenden des Jüdischen Frauenbundes gewählt. Sie leitete ihn 20 Jahre lang und begleitete dessen Beitritt zum Bund Deutscher Frauenvereine (1907), weshalb sie in den Jahren 1914 bis 1924 dem Vorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine angehörte. Bertha Pappenheim war eine Verfechterin der Gleichberechtigung der Frau in der jüdischen Kultur und forderte verbesserte soziale Wohlfahrtspflege. Als ein Text von Frauen für Frauen ist Pappenheims Übersetzung jiddischer Schriften ins Deutsche zu betrachten. Durch die Emanzipation war allseits ein Abwenden der jüdischen Frau von der jüdischen Kultur zu beobachten. Frauen wandten sich dem Lebensstil des deutschen Bürgertums zu. Die jüdischen Sitten und Gebräuche im häuslichen Alltag der meisten jüdischen Familien wurden nicht mehr praktiziert. Dieser kulturellen Entwicklung suchte Pappenheim mit ihren Schriften Einhalt zu gebieten. Deshalb sind diese Texte als ein wichtiger kultureller Beitrag für das Judentum der damaligen Zeit zu betrachten. Bertha Pappenheim gründete viele Kindergärten, Erziehungsheime und Bildungsstätten. Hervorzuheben ist das Mädchenwohnheim in Neu-Isenburg. Die Gründung der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland geht auf Bertha Pappenheim zurück (1907). Gleichwohl war Bertha Pappenheim in jüdisch-orthodoxen Kreisen starker Kritik ausgesetzt, weil ihre Mädchenwohnheime junge Prostituierte und ledige Mütter mit ihren Kindern beherbergten, ihnen Unterkunft und Bildung vermittelten. Pappenheims Arbeit galt in jüdisch-orthodoxen Kreisen nicht als soziales Werk, sondern als stillschweigende Unterstützung der Prostitution. Im Jahre 1934 gab Bertha Pappenheim den Vorsitz im Jüdischen Frauenbund ab und verhalf einer Gruppe von jüdischen Heimkindern zur Flucht nach England. Bertha Pappenheim starb am 28. Mai 1936. Es blieb ihr erspart, dass ihr Heim in Neu-Isenburg in der Reichskristallnacht einem Überfall zum Opfer fiel und schließlich am 31. März 1942 aufgelöst wurde. Quellen: P. Berthold, Frauenfrage und Frauenberuf im Judenthum, in: Allgemeine Zeitung des Judentums. Ein unparteiisches Organ für alles jüdische Interesse, 61. Jg. Nr. 41 vom 8. Oktober 1887, S. 484 – 485; Bertha Pappenheim/Sarah Rabinowitsch, Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reiseeindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse, Frankfurt a. M. 1904; Bertha Pappenheim, Sisyphus-Arbeit. Reisebriefe aus den Jahren 1911 und 1912, Leipzig 1924, um nur wenige, aber entscheidende Arbeiten Pappenheims im Kontext dieser Arbeit zu nennen; zur Erkrankung und Emanzipation von der Erkrankung im Leben Bertha Pappenheims: Amy Colin, Metamorphosen einer Frau. Von Anna O. zu Bertha Pappenheim, in: Jutta Dick und Barbara Hahn (Hg.), Von einer Welt in die andere. Jüdinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 1993, S. 197 – 215; Ausschnitte aus Leben und Werk von Bertha Pappenheim, in: Monika Richarz, Frauen in Familie und Öffentlichkeit, in: Steven M. Lowenstein, Paul Mendes-F lohr, Peter Pulzer und Monika Richarz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. III Umstrittene Integration 1871 – 1918,
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München 1997, S. 93 – 98; vgl. Marianne Brentzel, „Drum wühl ich mich in Arbeit und leb’ mich wund an Pflicht“. Das Leben der Bertha Pappenheim 1859 – 1936, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte, Juni 2004, Heft 45 – 46 mit dem Titel „Jüdisch- sein, Frau-sein, Bund-sein“. Der Jüdische Frauenbund 1904 – 2004, S. 94 – 101; siehe auch die umfangreiche Werkbiografie: Britta Konz, Bertha Pappenheim (1859 – 1936). Ein Leben für jüdische Tradition und weibliche Emanzipation, Frankfurt a. M. 2005; Viola Roggenkamp, Bertha Pappenheim: Von der Hysterie zur Frauenfrage, in: Gisela Dachs (Hg), Proteste. Jüdische Rebellion in Jerusalem, New York und andernorts, Berlin 2012.
John N. Patterson John N. Patterson (1911 – 1970) hat die amerikanische öffentliche Schullandschaft wesent lich mitgestaltet. Aber nur die Temple University (Penn.) hält Informationen über ihn bereit: “John Patterson was a consultant to the School District of Philadelphia and was also active in community and con.servation organizations.” Seine Mitarbeit wurde genannt im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Untersuchung „Public Orientation to Roosevelt“ und einem Forschungsprojekt des Institute for Research in Human Relations „Leadership Selection in Urban Locality Areas“ (siehe Public Opinion Quarterly). In der Bibliothek der Temple University befindet sich sein Nachlass aus der Zeit von 1965 bis 1970. Er besteht aus einer umfangreichen Korrespondenz zur Bildungspolitik, Schulorganisa tion, Ausbildung, Evaluierung und Didaktik im Schulwesen und Pattersons Engagement für den Naturschutz. Quellen: Ira Dea. Reid and Emily L. Ehle, Leadership Selection in Urban Locality Areas, in: Public Opinion Quarterly, Summer 1950, Vol. 14, p. 262 – 284; Fillmore H. Sanford, Public Orientation to Roosevelt, in: Public Opinion Quarterly, Summer 1951, Vol. 15, p. 189 – 216; Fillmore H. Anford, The Use of a Projective Device in Attitude Surveying, in: Public Opinion Quarterly, Winter 1950, Vol. 14, p. 697 – 709; http://library.temple.edu/collections.
Leopold Perels „Einige intellektuelle Einheimische habe ich kennengelernt, doch keinen Verkehr mit ihnen. Ein gewisses Nutrimentum spiritus liefert nur die Stadtbücherei, obschon sie gar Manches zu wünschen übrig lässt. Lauter wichtige Gründe zur Sehnsucht nach Heidelberg, den Freunden und den dort so gesetzlich aufbewahrten Bücherschätzen“, schrieb Perels an Radbruch im Jahr 1946 aus Périgueux (Frankreich), seinem französischen Zufluchtsort vor und nach dem Nationalsozialismus (Schroeder, S. 356 – 357). Bücherschätze waren für Leopold Perels zum Beispiel die Urkunden zur Geschichte des deutschen Privatrechts. Eine für den Gebrauch bei Vorlesungen und Übungen in der Freundschaft mit Hugo Loersch und Richard Schroeder im Jahre 1912 entstandene
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rechtshistorische Darstellung nebst einer geografischen Übersicht über Rechtsnormen, Rechtssubjekte und Rechtsverhältnisse des Sachenrechts, des Rechts der Schuldverhältnisse, des Familiengüterrechts und des Erbrechts. Diese Arbeit kennzeichnete nur einen kleinen Teil seiner rechtshistorischen Leistungen. Emil Erwin Leopold Perels wurde am 7. März 1875 als Sohn des jüdischen Juristen, Geheimen Rats und Admiralitätsrats Ferdinand Perels (1836 – 1903) und als ältester Bruder des Lehrers und Forschers Ernst Perels (1882 – 1945) in Kiel geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften (1893 – 1896) in Göttingen, Heidelberg, Berlin und Kiel legte er am 20. November 1896 das Referendarexamen mit Auszeichnung ab. Er wurde Referendar an den Amtsgerichten Charlottenburg und Nauen. Am 26. Juli 1898 folgte die Promo tion in Berlin zu dem Thema „Strandungsdelikte im deutschen Recht“. In dem seiner Dissertation beigefügten Lebenslauf dankt er den Professoren Brunner, Dambach, Eck, Frantz, Haenel, Hinschius, Jellinek, Kohler, J. Merkel, Niemeyer, Pappenheim, Pernice, Schlossmann, R. Schröder, Strohsal sowie den Privatdozenten J. L. Burchard und Thomsen für die Vorlesungen und Übungen. Seine Dissertation wurde noch im selben Jahr publiziert. Nach dem mit Auszeichnung bestandenen Assessorexamen (1902) ging er für mehr als ein Jahr als Richter an die Amtsgerichte Berlin II und Charlottenburg. Grund für eine Beurlaubung (1903) waren wissenschaftliche Studien, für die er seinen Aufenthalt nach Heidelberg verlegte. Dort wurde er juristischer Hilfsarbeiter bei Richard Schröder für die Herausgabe des Wörterbuchs zur älteren Deutschen Rechtssprache, einem von der Preußischen Akademie der Wissenschaften unterstützten Vorhaben. Bereits der erste Band des Deutschen Rechtswörterbuchs weist ihn als einen der maßgebenden Mitarbeiter aus. Am 21. Dezember 1905 folgte die Habilitation über „Die Stellung des Kapitäns im deutschen Seehandelsrecht“. Perels erhielt die Venia Legendi für deutsche Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht. Vielfache Vertretungen im Rahmen seiner Privatdozentur an der Universität Heidelberg wiesen ihn auch als Kenner des Handels-, Zivilprozessrechts und Schifffahrtsrechts aus. Er gab Vorlesungen an der Mannheimer Handelshochschule. Dort wurden die Dozenten um ein Mehrfaches besser bezahlt, sodass Perels sein schmales Salär als Mitarbeiter für das deutsche Rechtswörterbuch aufbessern konnte. Am 2. März 1912 wurde ihm der Titel eines außerordentlichen Professors verliehen. In d iesem Jahr erschienen gemeinsam mit Richard Schröder die „Urkunden zur Geschichte des deutschen Privatrechts: für den Gebrauch bei Vorlesungen und Übungen“. Ein Jahr später wurde er in dem von Philipp Stauff verlegten „Semi-Kürschner, Literarischen Lexikon der Schriftsteller, Dichter, Bankiers, Geldleute, Ärzte, Schauspieler … jüdischer Rasse und Versippung, die von 1813 – 1913 in Deutschland tätig und bekannt waren“ als Jude denunziert (Berlin 1913). Im Ersten Weltkrieg wurde er notgedrungen stellvertretender Konsulatsverwalter in Spanien, nachdem ihn eine Verkehrssperre von einer wissenschaftlichen Reise nach Spanien zunächst nicht nach Deutschland zurückkehren ließ. Bis ins Jahr 1928 dauerten die Bemühungen an, Leopold Perels einen lebenslangen Lehrauftrag oder ein Extraordinariat an der Heidelberger Universität zu übertragen. Beides scheiterte aus finanziellen Gründen. Schließlich wurde ihm eine Anerkennung auf Betreiben des damaligen Dekans Gustav Radbruch zuteil. Als 53-jähriger Gelehrter wurde Leopold Perels am 18. Juni 1928 zum Honorarprofessor ernannt, nachdem zuvor der Antrag auf ein Extraordinariat für
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Bürgerliches, Handels- und Zivilprozessrecht vom Ministerium abgelehnt worden war. Im Juli 1933 wurde er beurlaubt und am 2. August 1933 wurde ihm die Venia Legendi entzogen. Bis zu seiner Deportation wurde Perels an den Instituten für Ausländisches Recht und Geschichtliche Rechtswissenschaft beschäftigt und aus dem von der Universität zu verwaltenden Stiftungsfonds bezahlt. Im Herbst 1940 verschleppten die Nationalsozialisten Leopold Perels in das südfranzösische Lager Gurs. Gustav Radbruch und der Leiter des Vorhabens Deutsches Rechtswörterbuch, Eberhard von Künßberg, begleiteten Leopold Perels als Zeichen ihrer Verbundenheit zum Zug. Die Stadtverwaltung Heidelbergs meldete Perels am 20. Oktober 1940 aus dem Einwohnermeldeverzeichnis ab. Im Jahr 1945 wurde er aus dem Lager entlassen und auf Betreiben Gustav Radbruchs im August 1946 wieder in seine alten Rechte eingesetzt. Allerdings scheiterte seine Einreise nach Deutschland zunächst an der Weigerung Perels, einen Wiedereinbürgerungsantrag für Deutschland zu stellen. Vielmehr sah Perels den deutschen Staat in der Pflicht, begangenes Unrecht, das ohne sein Zutun verwirklicht worden sei, wieder rückgängig zu machen. Offensichtlich konnte Radbruch Perels vom Gegenteil überzeugen. Neuere Auswertungen der Quellen belegen, dass Perels bei der Beschaffung der Ausreisepapiere auf Schwierigkeiten stieß. Schließlich reichte der Dekan der juristischen Fakultät, Karl Engisch, stellvertretend für Perels am 30. März 1950 einen Antrag auf Wiedergutmachung ein. Das Verfahren zur Ausreise und das Wiedergutmachungsverfahren blieben jedoch unbeendet und mit dem Tod Radbruchs im Jahre 1949 brachen die für Perels wertvollen Beziehungen nach Deutschland ab. Die Heidelberger Universität teilte Leopold Perels im Sommer 1950 mit, dass eine finanzielle Entschädigung für die von den Nationalsozialisten vorgenommene Entpflichtung aus Lehre und Forschung nicht möglich sei, weil seine Privatdozentur nur den Status eines Stipendiums gehabt habe. Tatsächlich: Perels hatte vor seiner Verschleppung in das südfranzösische Lager Gurs von der Stiftung 1916 und der Rudolf-Mosse-Stiftung für seine wissenschaftlichen Arbeiten ein bescheidenes Salär in Höhe von 282,50 RM erhalten. Die weitere Betreuung im Wiedergutmachungsverfahren durch einen staatlich bezahlten Anwalt brachte nicht den gewünschten Erfolg. Sein Antrag wurde abschlägig beschieden (1953). Perels bestritt seinen Lebensunterhalt mit kleinen wissenschaftlichen Aufträgen und durch eine Beteiligung am Wörterbuch zur älteren Deutschen Rechtssprache. Schließlich erhielt er französische Sozialhilfe. Die Quellen berichten von einem trostlosen Zustand, in dem sich Leopold Perels persönlich und wirtschaftlich befand. Am 25. März 1954 starb Leopold Perels in Périgueux in einem bescheidenen Hotel. Quellen: Leopold Perels, Strandungsdelikte im Deutschen Recht, zugleich Diss., Breslau 1898; Leopold Perels, Die Stellung des Kapitäns im deutschen Seehandelsrecht, zugleich Habil., Stuttgart 1906; Leopold Perels, Urkunden zur Geschichte des deutschen Privatrechts: für den Gebrauch bei Vorlesungen und Übungen, Bonn 1912; Horst Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“. Entrechtung und Verfolgung, 2. Aufl., München 1990, S. 308; Ines Oberling, Ernst Perels (1882 – 1945). Lehrer und Forscher an der Berliner Universität, Bielefeld 2005, S. 58 – 62; Klaus-Peter Schroeder, Eine Universität für Juristen und von Juristen. Die Heidelberger Juristische Universität im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen 2010, S. 355 – 359.
Lena Madesin Phillips
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Lena Madesin Phillips „Women’s Position in the Profession“ Dieses Motto kann den derzeit bekannten Lebensdaten von Lena Madesin Phillips zugeschrieben werden. Sie wurde 1881 in Kentucky geboren und beendete ihr Jurastudium als einzige Frau in Kentucky mit Auszeichnung (1917 LL. B.; 1923 LL. M.). Bereits ihre Studien zeit war geprägt von einem Wandel in der amerikanischen Gesellschaft und Anwaltschaft. In dieser Zeit analysierte Beatrice Doerschuk die amerikanische Anwaltsausbildung und fand heraus, dass es die Ausbildungsstandards waren, die Frauen an einem beruflichen Erfolg hinderten. Beatrice Doerschuk veröffentlichte ihre Publikation „Women in the Law“: “The publication of Women in the Law heralded the birth of the new woman lawyer in America by shifting the rationale for women in the legal profession from the politics of the nineteenth-century woman lawyers movement to the idea that women were equally as capable as men in succeeding in law” (Drachman, p. 168). Trotz dieses verheißungsvollen Beginns in ehemals männlicher Domäne arbeitete sie später als Autorin und Lektorin. Sie legte den Grundstein für den amerikanischen Verband Business and Professional Women (BPW) und war viele Jahre seine Präsidentin (1931 – 1935), Mitbegründerin und Präsidentin der International Federation of Business and Professional Women (1929 – 1932). Als Mitglied der American Bar Association wurde sie im Jahr 1933 Präsidentin des amerikanischen Frauenrats. In dieser Funktion setzte sie sich 1934 für ein Weltzentrum für Frauenarchive ein. Sie half während nationalsozialistischer Zeit vielen deutschen Frauen, Europa zu verlassen. Quellen: Beatrice Doerschuk, Women in the Law: An Analysis of Training, Practice and Salaried Positions, Bulletin No. 3, The Bureau of Vocational Information, New York 1920; Lisa Sergio, A Measure Filled – the life of Lena Madesin Phillips – drawn from her autobiography, New York/Washington 1972; Virginia G. Drachman, Sisters in Law, Women Lawyers in Modern American History, Harvard University Press 2001; World Biographical Information System.
Marie Raschke „Das Recht ist nicht eine zufällige und willkürliche Einrichtung unter den Menschen. Es hat im Wesen des Menschen selbst seinen eigentlichen inneren Grund; es bildet einen Bestandteil seiner s i t t l i c h e n N a t u r, ein wesentliches Element seiner s o z i a l e n E x i s t e n z “ (Raschke, 1897, S. 9, 3). Vor dem Hintergrund ihres Lebenswerks lässt sich erst erkennen, warum sie Gründungsmitglied des Deutschen Juristinnenvereins war. Marie Raschke (29. Januar 1850 – 1935) hielt zum damaligen Zeitpunkt bedeutende Mitgliedschaften und Schlüsselstellungen in der deutschen Frauenbewegung: Juristische Gesellschaft zu Berlin (1900), Mitglied des deutschen Juristentages (1904), Vorsitzende der Frauenbank (1908), Schriftleiterin der Zeitschrift
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„Frauenkapital“. Als Tochter des Rittergutsbesitzers Johann Raschke und seiner Ehefrau Johanna Piepkorn bei Stolp in Pommern hatte sie bis zum 29. Lebensjahr ihr Leben auf dem elterlichen Gut verbracht. In den Jahren 1879 bis 1899 war sie Lehrerin für höhere Mädchenschulen im privaten und im städtischen Schuldienst Berlins (Examen 1880) und hatte sich bereits für eine Umstrukturierung der höheren Mädchenschulen in ihrem Verein Berliner Volksschullehrerinnen, deren Vorsitz sie übernahm, bildungspolitisch engagiert. Fortbildungskurse am Victoria-Lyceum und an der Humboldt-Akademie hatten sie 1896 zur Aufnahme eines juristischen Studiums bewogen. Als Mitglied der ersten Rechtskommission des Vereins „Frauenwohl“ in Berlin (Familienrechtskommission) hatte sie gemeinsam mit Sera Proelß die Schrift „Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch“ publiziert (Berlin 1895), der eine von ihr verfasste Petition vorausgegangen war. Diese Petition hatte sich der Bund Deutscher Frauenvereine für eine Eingabe an den Reichstag zu Eigen gemacht, um rechtspolitisch auf die Entstehung der familienrechtlichen Bestimmungen zum Bürger lichen Gesetzbuch Einfluss nehmen zu können. Aufsehenerregend war der von Marie Raschke initiierte Aufruf der Rechtskommission des Vereins an alle Frauen und Männer vor der zweiten Lesung des Familienrechts im Reichstag (1896) Der Aufruf verfehlte jedoch sein Ziel, eine Verabschiedung des Familienrechts zu verhindern. Auf dem Internationalen Frauenkongress (19.–28. September 1896) hatte Marie Raschke einen Vortrag zum dänischen und norwegischen „Gehorsamsparagrafen“ (ähnlich dem § 1354 BGB) gehalten und forderte die Teilnehmer auf, „den Rest der Barbarei aus den Kulturstaaten zu beseitigen“. Während dieser rechtspolitisch aktiven Zeit hatte Marie Raschke aufgrund einer außerordentlichen Genehmigung des Rektors der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin (heute Humboldt Universität) Rechtswissenschaften als Gasthörerin studiert (1896 bis 1900), weil sie, so die Begründung ihres Antrags, eine „Ausbildung zur Lehrerin der Gesetzeskunde“ anstrebte. Zu ihren Lehrern gehörten die Professoren Eck, Oertmann und Kohler. Mit dem Titel „Die Notwendigkeit der Einführung von Gesetzeskunde als obligatorischer Lehrgegenstand in Schulen“ publizierte Raschke im Jahr 1897 eine Schrift, die sich in dem an die Göttinger Staats- und Universitätsbibliothek übergebenen Buchnachlass Oertmanns fand. In dieser Schrift hatte Marie Raschke für die Einführung der Rechtsgeschichte für jeden Bürger des Staates plädiert. Konträr hierzu waren zum damaligen Zeitpunkt der Rechtsunterricht und das Rechtsstudium nur männlichen Studierenden der Rechtswissenschaften aus einer gesellschaftlich angesehenen, wirtschaftlich gut situierten Bevölkerungsschicht vorbehalten, die mit den Existenznöten der allgemeinen Bevölkerung gar keine Berührungspunkte hatte. Die Vorstellungen der lehrenden Wissenschaftler über eine Rechtsausbildung erschöpften sich schwerpunktmäßig im „kategorialen Denken“, einer „Ausbildung zur Anwendung der rechtlichen Denkformen auf den rechtlichen Stoff“ ( Joerges, S. IV, 9). Das sozioökonomische und soziologische Verständnis der angehenden Juristen blieb „auf der Strecke“ ( Joerges, S. 3). Nach den damals vorherrschenden rechtspädagogischen Vorstellungen war „die Rechtswissenschaft“ aus dem „Zusammenleben und Zusammenwirken der Menschen“ entsprungen; war „Recht“ ein Gegenstand, der „in unseren gesellschaft lichen Zwecksetzungen zu verwirklichen“ war ( Joerges, S. 7). Recht und Rechtswissenschaft reproduzierten die von außen an das Recht und die Rechtswissenschaft herangetragenen „Kulturwerte“, jedoch war Recht selbst als Kulturwert noch nicht verstanden worden. Das
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zeigte Rudolf Joerges deutlich auf: „Die Rechtswissenschaft bringt die in dem Rechte als einer besonders gearteten Gesellschaftsordnung liegenden Beziehungen zur Entwicklung und zur Darstellung; sie schafft sich so ihre geistigen Inhalte, oder um in einem zurzeit viel gebrauchten und mißbrauchten Worte zu reden, sie schafft sich so ihre Kulturwerte“ ( Joerges, S. 8). Somit war Recht nicht als Norm, sondern schlichtweg als Macht, das heißt als ihre unumstößliche Tatsache definiert. Was das dogmatisch bedeuten kann, hat Carl Schmitt im Jahr der Gründung des Deutschen Juristinnenvereins herausgearbeitet: „Wenn das Recht als Macht definiert wird, so ist es nicht mehr wesentlich Norm, sondern wesentlich Wille und Zweck. Das tatsächlich geltende Recht ist dann eine Summe bestimmter Vorschriften, die von einer zwecksetzenden Stelle ausgehen und eine Beurteilung des Rechts nur in der Weise möglich, daß Zwecke aneinander gemessen werden. Es ist ganz offenbar, daß das Recht keiner Begründung mehr bedarf und ihrer auch nicht fähig ist, sobald es zu einem Willen wird, zu einem Zweck, von der eine Realität wie der Staat will, es solle erreicht werden. Mit diesem Zwecke lassen sich dann freilich alle möglichen andern Zwecke vergleichen, aber wenn das Recht seinem Begriff nach in irgend einer Beziehung zu der zwecksetzenden Realität steht, so ist eine s olche Vergleichung und Beurteilung der Zwecke rechtlich belanglos, da die Tatsächlichkeit, die durch den Zweck und den Staat in das Recht hereingebracht wird, sich nicht widerlegen läßt. Das belebende Prinzip in der Welt des Rechts wäre nicht die juristische Argumentation in ihrer Richtigkeit, sondern der Wille des Staates in seiner konkreten Tatsächlichkeit“ (Schmitt, S. 21 – 22). Dieser Macht als Tatsache hatte Marie Raschke den am Anfang zu dieser biografischen Darstellung zitierten Satz entgegengesetzt. Mit diesen Worten hatte sie das Recht einer dem menschlichen Machtwillen orientierten Zwecksetzung enthoben, indem sie den Menschen in den Mittelpunkt des Rechts setzte. Damit hatte Marie Raschke aber auch konsequent zwischen Sinn und Zweck der Vorschrift und Sinn und Zweck des Rechts geschieden. Für ihren mit ihrer Schrift eingeleiteten Diskurs gab es Beweise: Die Anerkennung ihres für Frauen gegründeten Universitätsvereins und die Aufnahme in das Universitätsverzeichnis blieben ihr erst einmal versagt. Erst mit der Zulassung von Frauen zum Studium an den Universitäten in Preußen wurde dieser Verein in das Universitätsverzeichnis aufgenommen (1908). Auch ihr Studium hatte sie nicht mit den juristischen Staatsexamina beenden können, weil ihr dies die damalige Rechtslage verwehrte. Als eine der wenigen Frauen Deutschlands hatte sie am 21. Dezember 1899 mit der Note „magna cum laude“ zum dogmatischen Problem des „dolus“ im gemeinen Recht und der arglistigen Täuschung im BGB promoviert. Diese Arbeit Raschkes, ihren Freundinnen Clara Windelband, geb. Mencke, und Ottilie Hausmann, geb. von Kumerow, in herzlicher Liebe und Dankbarkeit zugeeignet, war mit dem Titel „Der Betrug im Civilrecht“ in den Rechtsund Staatswissenschaftlichen Studien von Dr. Emil Ebering, Berlin, im Jahr 1900 als Heft VI veröffentlicht worden. Berühmte Juristen hatten am 15. Juli 1900 ihren im Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine veröffentlichten Aufruf „An die Frauen und Männer Deutschlands“ vernommen und wurden Autoren der „Zeitschrift für populäre Rechtskunde“. Diese Zeitschrift sollte „Frauen insbesondere, aber auch die Männer Deutschlands […] zur fruchtbringenden Anteilnahme am Ausbau des nationalen Rechts, damit dieses ein Recht werde, das unverfälscht
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aus dem nationalen Rechtsbewußtsein herausgeboren ist“, reif machen. Dieses „Unternehmen“, welches „vor allem für die deutsche Frauenwelt von großer Wichtigkeit und Tragweite sein dürfte“, so der Bund Deutscher Frauenvereine (Raschke, Centralblatt, S. 62), war von ihrem ehemaligen Professor J. Kohler in Heft 1 mit einem Artikel über „Die Frau und das Recht“ würdig unterstützt worden (Kohler, S. 2 – 4). Korrespondenz zwischen Josef Kohler und Marie Raschke ist aufgrund von Kriegseinwirkungen nicht erhalten geblieben. Zu den weiteren Autoren gehörte auch ein ehemaliger Student und außerordentlicher Bewunderer Josef Kohlers (Mühsam, 1989, S. 76 – 77), Paul Mühsam (siehe in diesem biografischen Kompendium), späterhin Übersetzer der „Platon: Apologie. Die Verteidigungsrede des Sokrates“ (1931), Autor des Buches „Der ewige Jude“ (1924, postum 1975), Vetter von Hans Mühsam, dem bekannten Arzt und Freund Einsteins, Bruder des s päter im Jahre 1934 umgebrachten Dichters Erich Mühsam (Mühsam, 1978, S. 10 – 11). Paul Mühsam hatte mit einem Artikel über den Individualismus im Recht und über die Freiwillige Gerichtsbarkeit zur Fortbildungsinitiative von Marie Raschke beigetragen. Er hatte Marie Raschke in seinen Lebenserinnerungen als einen Menschen „von großer geistiger Regsamkeit“ beschrieben: „Unermüdlich kämpfte sie warmherzig für den sozialen Aufstieg der nicht, wie jetzt, unter bürgerlichem Vertragsrecht, sondern unter der Ausnahmegesetzgebung der veralteten Gesindeordnung stehenden Dienstmädchen, ließ mich an deren Versammlungen teilnehmen und besprach mit mir die Eingaben, die sie wiederholt zwecks Erweiterung der Rechte dieser fast noch leibeigen zu nennenden Angestellten, die sogar bei unbefugtem Verlassen des Dienstes zwangsweise von der Polizei zurückgeholt werden konnten, an die zuständigen höchsten Behörden richtete“ (Mühsam, 1989, S. 81). Bis zur Gründung des Deutschen Juristinnenvereins waren aus der Zeitschrift für populäre Rechtskunde einige Titel ihrer „Rechtsbücher für das deutsche Volk“ und weitere Publikationen namhafter Autoren und Wissenschaftler hervorgegangen: so zum Beispiel Band 2 über „Die Zwangserziehung“ von Franz Liszt und seiner Schülerin Frieda Duensing (1901). In Band 6 hatte sich ihr Lehrer, Paul Oertmann, des „Civilprozeß[es]“ angenommen. Gemeinsam hatte Marie Raschke mit Kurt Rosenfeld (dem späteren Strafverteidiger von Carl von Ossietzky, Rosa Luxemburg, Kurt Eisner und Georg Ledebour) sowie dem späteren preußischen Justizminister (1918/1919) ein Buch über das Eherecht herausgegeben (Band 4, 1902), nachdem sie zuvor über „das Vormundschaftsrecht“ (Band 1, 1901) publiziert hatte (vgl. die Rezension von Pappritz). Wilhelm Kahl (siehe in d iesem biografischen Kompendium) hatte sich in der Reihe „Rechtsbücher für das deutsche Volk“ des Strafrechts angenommen (Ankündigung, Bd. II, Heft 2, Heft 5 und Heft 6). Band 5 war 1902 über die „Freiwillige Gerichtsbarkeit“ von Paul Mühsam, damals noch Berliner Examenskandidat, verfasst worden. Viele dieser Beiträge waren zuvor als Anlage oder Artikel der Zeitschrift für Populäre Rechtskunde erschienen. Zum Beispiel die Ausführungen von Marie Raschke zum Eherecht oder die oertmannschen Ausführungen zum Zivilprozess wie auch die Ausführungen Mühsams zur Freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die für diese Publikationsreihe ausgewiesenen Honoratioren könnten als Zeichen männlicher Solidarität gewertet werden. Allerdings wusste Paul Mühsam aus der Zusammenarbeit mit Marie Raschke zu berichten, dass diese Herausgeberschaft für sie ganz und gar nicht leicht war, weil sie „mit dem Verleger ständig unendlichen Ärger“ hatte (Mühsam, 1989, S. 81). Zudem hatte Marie Raschke neben dieser
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Herausgeberschaft und ihrer schreibenden Tätigkeit nach der Promotion Rechtskurse für Frauen zum BGB angeboten. Sie arbeitete auch für einen Rechtsanwalt. Obwohl sie das erste und zweite jur. Staatsexamen noch nicht ablegen konnte, vertrat sie Mandanten vor Gericht. Sie gründete 1900 eine Rechtsauskunftsstelle und einen Verein zur Verbreitung von Rechtskenntnissen (1907). Das Mitgliederverzeichnis las sich wie ein „Who’s Who“ der Jurisprudenz: Prof. von Liszt (1. Vorsitzender), Prof. Francke, Justizrat Eugen Fuchs, Geh. Justizrat Prof. Dr. Giercke, Amtsgerichtsrat Dr. Hartmann, Amtsgerichtsrat Prof. Dr. Heilfron, Geh. Justizrat Prof. Dr. Dr. Kahl, der Verleger der Deutschen Juristen-Zeitung Otto Liebmann (siehe in d iesem biografischen Kompendium), der Landgerichtspräsident Lindenberg, Geh. Justizrat Prof. Dr. Riesser sowie der Redakteur Dr. Levy, um nur einige zu nennen. Der Vereinszweck wurde durch seine 2. Vorsitzende, Marie Raschke, maßgeb lich bestimmt, weil „eine Frau es war, w elche Jahre hindurch unentwegt auf d ieses Ziel hinwirkte und schließlich die Initiative zur Bildung des Vereins ergriff“. Folglich hatte dies für den Verein „die Bedeutung, daß die Frauen von vornherein zu den Gerufenen gehören, und nicht, wie sonst üblich, erst berücksichtigt werden, wenn die Einrichtung für das männ liche Geschlecht sich bewährt hat und einige Mittel zu dürftigeren Einrichtungen für die Schutzbefohlenen des Staates noch vorhanden sind“ (Ankündigung, S. 59). Zwischen Marie Raschkes Rechtsschutzverein und den gemeinnützigen Rechtsschutzvereinen bestand ein wesentlicher Unterschied, der sich einige Jahre später zeigen sollte. Die gemeinnützigen Rechtsschutzstellen waren „nicht, obgleich sie Rechtsauskunftsstellen heißen und damit in ihrer Bezeichnung selbst schon auf das Recht hinweisen – aus dem Rechte und aus der Rechtspflege erwachsen“, so der Staatssekretär, spätere Reichsjustizminister und Protegé Marie Munks, Eugen Schiffer, am 22. Januar 1916 einführend auf einer erweiterten Vorstandssitzung zum 10-jährigen Bestehen des Verbandes der gemeinnützigen Rechtsschutzstellen. Sondern, so Eugen Schiffer weiter, die gemeinnützigen Rechtsauskunftsstellen „sind gewissermaßen nur von außen an das Recht und an die Rechtspflege herangetreten“, gleichsam aus der „Erkenntnis, die die neue Zeit uns gelehrt hat, daß der Schutz der Schwachen, der Minderbemittelten, eine Aufgabe der Gesamtheit, des Staates und der Gesellschaft ist“ (Schiffer, S. 3 – 4). Hiergegen entsprang die Tätigkeit der Rechtsschutzvereine für Frauen nach Auffassung Marie Raschkes der „unbewußte[n] Brutalität des Mannes“. Brutalität in diesem Kontext hieß, einer „sehr bewußten Überzeugung von seiner absoluten Superiorität und Herrschaft über die Frau“ als Frau ausgeliefert zu sein. Diese männliche Brutalität hatte seinen „kräftigsten Nährboden in den schmachvollen gesetzlichen Bestimmungen, w elche die Frau jeder Selbständigkeit, jedes Rechts (auch des Rechts der freien Persönlichkeit) berauben und sie auf die g leiche Stufe mit Kindern, Geisteskranken und Verbrechern stellen“ konnten (Rechtsschutzverein Dresden, S. IV–V). Folglich lag die Tätigkeit der Rechtsschutzstellen für Frauen im Recht selbst bzw. in der diskriminierenden Stellung der Frau im Recht begründet; wie auch zur Gründung des Deutschen Juristinnenvereins die Verweigerung der Zulassung von Frauen zu den Staatsexamina Anlass geboten haben mag. Quellen: Soweit nicht anders vermerkt, stammen die biografischen Daten aus: Christiane Berneike, Die Frauenfrage ist Rechtsfrage, Baden-Baden 1995, S. 67 – 80. Das Todesdatum von Marie Raschke ist auch nach den Recherchen in der Online-Ressource des Biographical
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International Index nicht bekannt; Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden (Hg.), Das deutsche Recht und die deutschen Frauen, Frankenberg (Sachsen) 1895; Marie Raschke, Die Notwendigkeit der Einführung von Gesetzeskunde als obligatorischer Lehrgegenstand in Schulen, Berlin 1897; Marie Raschke, „Der Betrug im Civilrecht“ in den Rechtsund Staatswissenschaftlichen Studien von Dr. Emil Ebering, Berlin, im Jahr 1900 als Heft VI, siehe auch: Max Planck Institut für Rechtsgeschichte unter http:/www.dlib-zs.mpir. mpg.de; Marie Raschke, An die Frauen und Männer Deutschlands, in: Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine, II. Jg. Nr. 8 vom 15. Juli 1900, S. 62; J. Kohler, Das Recht und die Frau, in: Zeitschrift für populäre Rechtskunde Bd. I Heft 1 Oktober 1900; Paul Mühsam, Der Individualismus im Recht, in: Zeitschrift für populäre Rechtskunde Bd. II, Heft 2, November 1901, S. 24 – 28; Rezension von Anna Pappritz in: Die Frauenbewegung, VII. Jg. 1901, S. 93; Ankündigung zu Wilhelm Kahl: Strafrecht, in: „Zeitschrift für populäre Rechtskunde“ Bd. II Heft 2 Nov. 1901, Heft 5 Febr. 1902, Heft 6 März 1902; Paul Mühsam, Freiwillige Gerichtsbarkeit, in Bd. II, Heft 6, März 1902 als Beilage, Heft 7, April 1902, S. 17 – 32 und Heft 8, Mai 1902, S. 33 – 48; Ankündigung des Vereins zur Verbreitung von Rechtskenntnissen, in: Die Frauenbewegung, XIII. Jg. 1907, S. 59; Carl Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Tübingen 1914, S. 21 – 22; Aus den Gutachten und Berichten für den Deutschen Juristentag: Ehrlich, Was kann geschehen, um bei der Ausbildung (vor und nach Abschluß des Universitätsstudiums) das Verständnis der Juristen für psychologische, wirtschaftliche und soziologische Fragen in erhöhtem Maße zu fördern? 1912, Bd. II, S. 200 – 230, in: Rudolf Joerges, Rechtsunterricht und Rechtsstudium. Pädagogisches, Logisches, Psychologisches zur Reform, München/Leipzig 1916; Eugen Schiffer, Die Stellung der gemeinnützigen Rechtsauskunft in der Rechtspflege, in: H. Link (herausgegeben im Auftrage des Verbandes der deutschen gemeinnützigen und unparteiischen Rechtsauskunftsstellen), Sammlung rechtsbelehrender Schriften, Lübeck 1916, S. 3 – 11; Paul Mühsam, Mein Weg zu mir, Konstanz 1978, Tagebucheintrag vom 6. März 1917 mit Fußnote, S. 10 – 11; Paul Mühsam, Ich bin ein Mensch gewesen. Lebenserinnerungen, Berlin 1989, S. 76 – 7 7.
Emmy Rebstein-Metzger „Denn nicht um des Ideals sondern um der Wirklichkeit willen anerkennt die RV. die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe“ (Rebstein-Metzger, 1930, S. 542 – 543). Diese Worte gehen der Frage nach, „ob Idealorientierungen vom Boden bestimmter Lebensanschauungen aus überhaupt noch zum Aufgabenkreis des Gesetzes gehören“ (Rebstein-Metzger, 1930, S. 541). Sie sind Rebstein-Metzgers Gutachten auf dem 36. Deutschen Juristentag entnommen. Rosa Emilie Rebstein, so der vollständige Name dieser bekannten Ravensburgerin, wurde am 6. März 1898 als Tochter der Rosalie Rebstein und des amtlichen Güterbeförderers und Spediteurs Franz Josef Rebstein geboren. Nach dem Volksschulbesuch in Ravensburg und Offenburg wechselte sie zur Oberrealschule, einem Vorläufer des späteren Gymnasiums, dem heutigen Albert-Einstein-Gymnasium
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in Ravensburg. Im Jahr 1917 erlangte sie die Hochschulreife. Anschließend studierte sie in Freiburg, Kiel, München und Tübingen Rechtswissenschaften und schloss ihr Studium mit dem ersten juristischen Staatsexamen im Jahre 1922 ab. Für das erste Jahr im Referendariat kehrte sie in ihre Heimatstadt zurück. Dort traf sie als erste Referendarin des Amtsgerichts jedoch auf einen Richter, der sie mit aller Macht von ihrem Berufswunsch abbringen wollte. Hierzu war diesem Richter fast jedes Mittel recht. Doch der Vollzug eines Todesurteils schreckte die gerade 25-jährige Rosa Emilie Rebstein nicht. 1924 legte sie in Stuttgart das zweite juristische Staatsexamen ab. Prüfungskandidat war auch Carlo Schmid, der spätere Völkerrechtler und SPD-Politiker. Rosa Emilie, die sich mittlerweile Emmy nannte, promovierte noch vor Abschluss ihres Referendariats (1924) mit einer „Zivilrechtlichen Untersuchung über Pflegekinderverhältnisse“ zum Dr. jur. an der Universität Freiburg. Als erste Frau in Baden und Württemberg erhielt sie im Jahr 1927 die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (Hachenburg, S. 151). Nach einer Tätigkeit in einer Stuttgarter Kanzlei eröffnete sie gemeinsam mit ihrem Mann, Oskar Metzger, im Jahre 1927 eine Kanzlei in Mannheim. Das Ehepaar gehörte zum Freundeskreis des Sohnes von Max Hachenburg, Hans Hachenburg (1897 – 1975), der seit dem Jahre 1924 in der Kanzlei seines Vaters in Mannheim praktizierte (Hachenburg, S. 59). „Frauen unter deutschem Recht“ war Emmy Rebsteins und Camilla Jellineks im Julius (Alice) Bensheimer Verlag publizierte Bestandsaufnahme (1928) im Auftrag des Bundes deutscher Frauenvereine. Ihre Ausführungen über „Die Frau als Staatsbürgerin“ eröffnete sie mit einleitenden Gedanken zum „Grundsatz der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau“. Art. 109 Abs. 2 der WRV proklamiere „die s t a a t s b ü r g e r l i c h e Gleichberechtigung von Mann und Frau“. Allerdings ließ dieser Artikel „die Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe“ unberührt (Emmy Rebstein-Metzger, 1928, S. 5). Diese Worte kündigten bereits ihr Gutachten auf dem 36. Deutschen Juristentag in Lübeck an (September 1931). Rebstein-Metzgers Antwort auf die Frage: „Inwiefern bedürfen die familienrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Rücksicht auf den die Gleichberechtigung der Geschlechter aussprechenden Art. 119 Abs. 1 Satz 2 der Reichsverfassung einer Änderung?“ lehnte sich eng an Margarete Berents Vorschlag an, die Gütertrennung, verbunden mit einer nachehelichen Zugewinngemeinschaft für das eheliche Güterrecht, einzuführen (Rebstein-Metzger, 1930, S. 540 – 591). Zuvor war zwischen Rebstein-Metzger und Erler ein Disput um die Erleichterung der Ehescheidung entbrannt. Erler befürwortete zwar eine Scheidung von zerrütteten Ehen, jedoch sollte das erkennende Gericht im Urteil den auf Scheidung klagenden Ehegatten der Scheidung schuldig sprechen, wenn der andere Ehegatte der Scheidungsklage widersprach oder beide Ehegatten der Scheidung zustimmten (Erler, S. 348 – 349). Von männlichen Juristen wurde dieser Vorschlag befürwortet (Fuchs, S. 455). „Lieber keine Erweiterung der Scheidungsgründe als eine Erweiterung in der Form, wie es Erler will“, konterte Rebstein-Metzger und ergänzte: Insbesondere werde in diesen von Erler genannten Fällen eine Neuregelung des ehelichen Güterrechts und der elterlichen Gewalt immer vordring licher als eine Neuregelung der Scheidungsgründe (Rebstein-Metzger, 1927, S. 718 – 7 19). Demzufolge war sie in ihren Auffassungen dem Standpunkt Marie Munks sehr nahe. Rebstein-Metzgers Arbeitsweise als Juristin zeigte sich insbesondere in einem Disput
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mit Camilla Jellinek um die in einem Aufsatz „Vom Jammer des ehelichen Güterrechts“ geschilderten Einzelfälle zu der Frage „Gütertrennung oder Gütergemeinschaft?“. Es ging Rebstein-Metzger „um die rechtliche Beurteilung von Thatsachen“ und gerade nicht (wie bei Jellinek) „um die Aufführung von Thatsachen selbst“ (Rebstein-Metzger, 1927, S. 523). Nach dem Scheitern der Weimarer Reform und der Machtergreifung des Nationalsozialismus blieb sie als Nichtjüdin von rassistischen Repressalien verschont. Gleichwohl stand sie treu Hans Hachenburg bei, für den dies „einziger Lichtblick“ in dunkler Zeit war (Hachenburg, S. 59 Fußnote 18). Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt sie die Zulassung beim deutschen Gericht und beim Militärgerichtshof. Späterhin wandte sie sich dem Wirtschaftsrecht zu. Es wird berichtet, sie habe nach dem Kriegsende mit August Müller (Seniorchef und Firmengründer), dem Schwiegervater ihrer Schwester Elisabeth, die Firma VIVIL (Offenburg) wieder aufgebaut (Breucker und Ingendahl, S. 61). Tatsache war jedoch, dass Dr. Bruno Müller verschollen war und der nächste Nachfolger, August Müller, bereits im Jahr 1947 verstarb. Emmy Rebstein-Metzger übernahm deshalb bereits kurz nach Kriegsende gemeinsam mit ihrer Schwester Elisabeth die Leitung und die Rechtsvertretung der Firma VIVIL. Ihre soziale Einstellung war vorbildlich. Die Dr. Bruno-Müller-Siedlung stellte in Offenburg den Betriebsangehörigen in den 1950er-Jahren den dringend benötigten Wohnraum zur Verfügung (www.vivil.de). Erst kurz vor ihrem Tod (März 1967) übergab sie die Firmenleitung ihrem Neffen und Pflegesohn. Quellen: Emmy Rebstein, Zivilrechtliche Untersuchungen über Pflegekinder-Verhältnisse, Diss. Freiburg 1924; Georg Erler, Scheidung schuldlos zerrütteter Ehen, in: Deutsche Juristenzeitung, 32/1927, Heft 5, S. 348 – 350; Johannes Fuchs, Zur Reform des materiellen und formellen Ehescheidungsrechts, in: Deutsche Juristenzeitung 32/1927 Heft 12, S. 453 – 457; Emmy Rebstein-Metzger, Scheidung schuldlos zerrütteter Ehen, in: Deutsche Juristenzeitung, 32/1927, Heft 10, S. 715 – 7 19; Emmy Rebstein-Metzger, Gütertrennung oder Gütergemeinschaft?, in: Die Frau, 34/1927, Heft 9, S. 522 – 527 als Reaktion auf Camilla Jellinek, Vom Jammer des ehelichen Güterrechts, in: Die Frau, 34/1927, Heft 7, S. 409 – 417; Emmy Rebstein-Metzger, Die Frau als Staatsbürgerin, in: Dr. Käthe G aebel, Camilla Jellinek und Dr. Emmy Rebstein-Metzger, Frauen unter deutschem Recht, Mannheim/Berlin/Leipzig 1928, S. 1 – 19; Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des sechsunddreißigsten Deutschen Juristentages (Lübeck), Bd. 1, Berlin und Leipzig 1930, Rebstein-Metzger, Gutachten, S. 540 – 591; Max Hachenburg, Lebenserinnerungen eines Rechtsanwalts und Briefe aus der Emigration, Stuttgart 1978; Dorothee Breucker und Gesa Ingendahl, Blickwinkel. Leben und Arbeit von Frauen in Ravensburg. Ein historisches Lesebuch, Tübingen und Stuttgart 1993, S. 10, 58 – 61, verbunden mit der Anmerkung, dass der 36. Deutsche Juristentag nicht, wie bei Breucker und Ingendahl angegeben, im Jahre 1930 stattfand, sondern auf das Jahr 1931 verschoben wurde (Schreiben des Schriftführers der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages vom 23. Juli 1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 84a Justizministerium, Akten-Nr. 11869, Bl. 537); www.vivil.de.
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Max Rheinstein „Ehe und Recht stehen in einem problematischen Verhältnis zueinander. […] Die Konservativen haben ihr striktes Gesetz, und die Liberalen haben ihre ‚leichte‘ Scheidung, und jeder fühlt sich befriedigt – außer ein paar Professoren, die auf die Gefahren hinweisen, die so ein Auseinanderklaffen von Gesetz und Praxis für das Ansehen der Rechtspflege bedeuten kann. Aber ist diese von mir lang geübte Kritik berechtigt? Sind diese Gefahren nicht der Preis, den wir für das Funktionieren der Demokratie und damit für die Verhinderung möglicherweise höchst gefährlichen Spannungen bezahlen müssen? Nichts in dieser Welt ist umsonst; und Politik ist oft, und meist, die Wahl zwischen zwei Übeln“ (Rheinstein, Bd. 2, 1979, S. 332, 344). Erzwingen lässt sich im Familienrecht: nichts! Rheinstein machte jedem Juristen und Wissenschaftler die Grenzen des Rechts im Familienrecht bewusst. Anderenfalls würden Reformen um ihrer selbst willen, aber Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht beachtet. Max Rheinstein, am 5. Juli 1899 in Bad Kreuznach als Sohn eines Weinhändlers geboren, studierte in München Rechtswissenschaften und legte 1922/1924 seine Staatsexamina in München ab. Er war von 1921 bis 1925 Assistent am Institut für Rechtsvergleichung in München bei Ernst Rabel. Zunächst dort als sogen. Bücherwart tätig, promovierte er summa cum laude mit einer Studie über englisches Recht und Privatrechtsfragen der modernen Wirtschaft „ Störung der freien Erwerbstätigkeit durch rechtswidrige Beeinflussung Dritter (Conspiracy, Interference with Business or Occupation, Inducing Breach of Contract)“. Das Institut in München diente als Modell für das in den Jahren 1925/26 von Ernst Rabel in Berlin gegründete Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht. Max Rheinstein wurde Referent an d iesem von der Wirtschaft, dem Reichsverband der deutschen Industrie und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gestützten Institut. Es war zur damaligen Zeit angesichts seiner wissenschaftlichen Komplexität und seiner personellen und sachlichen Ausstattung eine Ausnahmeerscheinung. Dieses Institut war auch deshalb notwendig, weil die Beteiligung Deutschlands am Welthandel zu seinem Wiederaufbau nach dem E rsten Weltkrieg unumgänglich war. Das Institut war Herausgeber der Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht. Die Mitarbeiter des Instituts fertigten Rechtsgutachten zu internationalprivatrechtlichen Fragen des bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts, des Zivilprozess- und des Konkursrechts sowie den privatrechtlichen Bestimmungen in Staatsverträgen an. Rheinstein habilitierte 1932 zu dem Thema: „Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht“. Im Jahr 1933 erhielt er ein Rockefeller-Stipendium an der Law School der Columbia University in New York. Dort arbeitete er gemeinsam mit Prof. Cheatham zu den Constitutional Aspects of Conflict of Laws. Mitte bis Ende des Jahres 1934 war er an der Harvard Law School. Dort begegnete er Roscoe Pound und Joseph Beale. Derweil setzte sich in Deutschland Ernst Rabel beim Reichsinnenminister für die Weiterbeschäftigung von Max Rheinstein an seinem Institut ein, verbunden mit dem Nachweis, Rheinstein habe, obwohl er seit 1928 Mitglied der SPD war, im Jahr 1919 in einem Freikorps in München gegen die Bolschewisten gekämpft. Der Reichsinnenminister genehmigte die Weiterbeschäftigung Rheinsteins. Ernst Rabel
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machte von dieser Genehmigung jedoch keinen Gebrauch. Max Rheinstein wurde im Jahr 1935 Gastprofessor und 1936 Inhaber der Max-Pam-Professur für Rechtsvergleichung in Chicago. Der Kontakt zu Ernst Rabel blieb bis an das Lebensende Rheinsteins erhalten. Hatte Rheinstein in dem seit 1929 vom Institut herausgegebenen „Rechtsvergleichenden Handwörterbuch“ im Jahre 1933 über die Haftung für Tiere und über die Haftung für Kraftfahrzeuge geschrieben, veröffentlichte er 1935 einen Beitrag zum Nießbrauch. Seit dem Jahre 1938 zeichnete sich seine wissenschaftliche Arbeit durch internationale Gastprofessuren aus: Wisconsin 1945, Puerto Rico 1943/44, Michigan 1948. Seine Reputation spiegelt sich in fünf Ehrendoktorwürden wieder: Stockholm (1956), Basel (1960), Louvain (1964), Brüssel (1965), Aix-Marseille (1968) und in der Ehrenprofessur der Universität Freiburg. Seinen wissenschaftlichen Focus richtete Rheinstein auf die Rechtsordnungen Kontinentaleuropas. In einem grenzüberschreitenden Normkonflikt bedachte Rheinstein stets die Interessen des Gesetzgebers einerseits und die Handlungsmöglichkeiten und Erwartungen der Parteien andererseits. Aus seinen Vorbereitungskursen amerikanischer Studenten auf Studienaufenthalte in Deutschland und Frankreich gingen s päter rechtsvergleichend arbeitende Wissenschaftler hervor. Rheinstein war nach dem Zweiten Weltkrieg Mitglied der Legal Division der amerikanischen Militärregierung und Mitarbeiter des Alliierten Kontrollrats in Berlin. Diese Arbeit reflektierte er in mehreren Veröffentlichungen. Als Mitbegründer der zivilrechtlichen Rechtsvergleichung war er Chief Editor der Interna tional Encyclopedia of Comparative Law und Autor für das Erbrecht in der Encyclopedia Britannica. Rheinstein erhielt im Jahr 1953 das Große Bundesverdienstkreuz. Er forschte und lehrte bis zu seiner Emeritierung (1968) an der University of Chicago. Am 9. Juli 1977 starb er in Österreich. Seine Bibliografie umfasst mehr als 400 Titel. Quellen: Max Rheinstein, Rezension zu Müller-Freienfels (Ehe und Recht, 1962) in: Hans G. Leser (Hg.), Gesammelte Schriften, Bd. 2, Tübingen 1979, S. 332 – 345; Hans G. Leser, Einführung, in: ders. (Hg.), Max Rheinstein. Gesammelte Schriften Bd. 1, Tübingen 1979, S. XI–XIII; Rolf-Ulrich Kunze, Ernst Rabel und das Kaiser-W ilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht 1926 – 1945, Göttingen 2004, S. 25, 34, 52 – 53, 147, 149 – 150; Nadine Rinck, Max Rheinstein – Leben und Werk, Hamburg 2010; Ulrich D robnig, Max Rheinstein (1899 – 1977), in: Stefan Grundmann, Michael Kloepfer und C hristoph Paulus (Hg.), Festschrift 200 Jahre juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 2010, S. 627 – 636.
Alice Salomon „Denn es gibt keine besondere Frauenwissenschaft. Wohl aber gibt es Aufgaben, die im besonderen Sinne weibliche Aufgaben – die im besonderen Maße weibliche Berufe sind.“ Alice Salomon (19. April 1872 – 30. August 1948) war eine zum christlichen Glauben konvertierte Jüdin. Sie entstammte einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie aus Berlin. Alice Salomon war das fünfte von sieben Kindern. Nach dem frühen Tod des Vaters vermochte
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sich die Mutter mit der neuen wirtschaftlichen Situation nicht abzufinden. Für ihre M utter war es nicht üblich, dass ihre Töchter einen Beruf erlernten. Für Alice Salomon war die Berufstätigkeit jedoch ein durchaus selbstverständliches Streben, etwas Sinnvolles in ihrem Leben tun zu können. Alice Salomons erste heimliche Versuche, Lehrerin zu werden, scheiterten. Im Alter von 21 Jahren, nach etlichen Jahren, die sie sich mit Lesen und Handarbeiten vertrieb, wechselte sie in die 1893 gegründeten Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit. Damit widersprach sie der Legende, sie habe diesen Verein mitbegründet. Vielmehr waren es wohl eher Minna Cauer oder Otto Koebner, wie sie in ihren Erinnerungen schildert. Von diesem Oktober 1893 an gestaltete Alice Salomon die soziale Hilfstätigkeit eigenverantwortlich mit. Sie gründete einen Mädchenhort, arbeitete in der Auskunftsstelle der Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur, der späteren Zentralstelle für private Fürsorge, und richtete die ersten Arbeiterinnenheime und -klubs ein. Ihre Begegnung mit Jeanette Schwerin in den Mädchen- und Frauengruppen für s oziale Hilfsarbeit gab ihr „die Erkenntnis dessen, worauf es ankam, […] eine Lebensauffassung […,] nach der ich solange gehungert hatte“. Alice Salomon begann sich mit theoretischen Fragen des Arbeiterinnenschutzes auseinanderzusetzen und hielt als Vertreterin von Jeanette Schwerin ein Referat in einer Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine im Jahre 1898. Nach dem Tod Jeanette Schwerins (1899) und einer zweijährigen Krise des Vereins „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ übernahm Alice Salomon den Vorsitz. Die Mitgliederzahl wuchs schnell. Gemeinsam mit Emil Münsterberg wurden die ersten Versuche einer „sozialen Durchbildung der weiblichen Jugend […] im Herbst 1899“ gestartet. „An anderer Stelle wurde der Versuch nachgeahmt, und im Jahre 1908, als in Preußen Pläne für eine Frauenschule allgemein-wissenschaftlichen Charakters erörtert wurden, fanden die Gruppen sich mit dem Pestalozzi-Fröbelhaus zusammen und bauten die Jahreskurse zu einer ‚Sozialen Frauenschule‘ mit zweijährigem Lehrgang aus.“ Die staatliche Anerkennung und die staatlichen Prüfungen kamen hinzu. 1917 war Alice Salomon Vorsitzende des Dachverbandes der deutschen sozialen Frauenschulen, dem 1919 sechzehn Schulen dieser Art angehörten. Zu ihrem fünfzigsten Geburtstag überreichten ihr Schülerinnen der Sozialen Frauenschulen, der Frauengruppen für soziale Arbeit und der Verband sozialer Jugendgemeinschaften eine beträchtliche Summe zur Gründung einer Alice-Salomon-Stiftung (LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine, MF-Nr. 2068). In den Jahren 1900 bis 1920 war Alice Salomon Schriftführerin und dann stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine. 1925 wurde die Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit gegründet. Bis dahin hatte Alice Salomon eifrig publiziert, u. a. zu einem damals noch neuen Thema, der Mutterschaftsversicherung. Erst 1902 fand sie den Weg zur Universität. Die dortige Begegnung mit Prof. Alfred Weber, einem Nationalökonomen, führte zu ihrem Dissertationsthema: „Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit“. Doch Salomon wurde einige Zeit zuvor die Zulassung zur Promotion von den „Feinden des Frauenstudiums“ verweigert. Erst nach einer Eingabe beim Ministerium und eines wiederholten Versuchs bei der Fakultät wurde ihr die Zulassung zur Doktorprüfung erteilt. Ihre Arbeit erschien 1906 in der staats- und wirtschaftswissenschaftlichen Schriftenreihe bei Duncker & Humblot. 1908 gründete Salomon die Soziale Frauenschule in Berlin. Die Weiterentwicklung der
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sozialen Arbeit und deren Ausbildung war sowohl der Persönlichkeitsentwicklung der Frau als auch dem ethischen Grundsatz „zu sozialem Pflichtgefühl“ verbunden. Dies wurde aus Salomons Ansprache zur Aufnahme des ersten Jahrgangs der Sozialen Frauenschule deutlich. Es sollten die Schülerinnen sich für ihre neuen Aufgaben „b e r u f e n “ fühlen. „Es gilt“, so Alice Salomon, „Schülerinnen für eine Arbeit vorzubereiten, die nicht nur die Leistung, sondern auch die Gesinnung schätzt. […] Bildung die sie befähigt, der Menschheit in irgendeiner Form – in der Familie oder in einem größeren Kreis – zu dienen.“ Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Mädchen- und Frauengruppen sich zu einer regelrechten „Jugendbewegung“ in der Frauenbewegung entwickelten. Darüber hinaus war eine Neukonzeption der Sozialfürsorge dringlichste sozialpolitische Aufgabe in der Wende zum 20. Jahrhundert. Es folgten ihrer Publikation „Leitfaden der sozialen Wohlfahrtspflege“ (1921) innerhalb von fünf Jahren zwei Neuauflagen. Salomon gründete die Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit (1925) und übernahm den Vorsitz des Vereins für öffentliche und private Fürsorge. Parallel zu diesen sozialpolitischen Erfolgen gedachte Salomon ihre Arbeit und Kontakte zu internationalisieren. Angeregt durch ihre Teilnahme am internationalen Frauenkongress (1896) war sie in ihrem Ansinnen, ausländische Kontakte für soziale Arbeit zu knüpfen, bestärkt worden. Nach einigen Kurzreisen nach England (1899) und Frankreich (1900) hatte sie federführend an den Vorbereitungen des Internationalen Frauenkongresses 1904 in Berlin teilgenommen. 1909 wurde Alice Salomon zur Schriftführerin des Internationalen Frauenbundes gewählt. Es folgte 1909 eine Reise nach Kanada und schließlich 1923 und 1924 Reisen in die USA. Ihre Eindrücke aus den USA mit dem Titel „Kultur im Werden“ beschäftigten sich auch mit der Stellung von Mann und Frau sowie dem Kultureinfluss der amerikanischen Frau. Ihre Auslandskontakte sollen, ihren Lebenserinnerungen zufolge, Grund für Auseinandersetzungen im Bund Deutscher Frauenvereine gewesen sein. Sie trat daraufhin aus dem Vorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine aus. 1929 wurde sie Vorsitzende der „Interna tional Association of Schools of Social Works“. Salomon erreichte einen internationalen Bekanntheitsgrad. „Im Vor-Hitler Deutschland würde niemand, der je etwas von sozialer Arbeit oder von Frauenbewegung gehört hat, gefragt haben: Wer ist ‚Alice‘?“, berichtete Margarete Berent unter dem Titel „Gespräch mit Alice“ im Aufbau (13/1947, Heft 16, S. 28). Alice Salomon wurde bereits zu Lebzeiten zu den führenden Frauen Europas gekürt. In den Jahren 1893 bis 1933 veröffentlichte sie in der Zeitschrift „Die Frau“ die meisten Fachaufsätze zu Fraueninteressen und -rechten (58). Neben Anna Pappritz (27), Elisabeth Altmann-Gottheiner (17), Helene Simon (17), Gertrud Israel (9), Jeanette Schwerin (6), Henriette Fürth (5) und Adele Schreiber (4) (Elisabeth Boedeker, Die Frau, Gesamtverzeichnis der Aufsätze, Hannover 1968, S. 11 – 179). Nach der Gründung der „Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Arbeit“ publizierte Alice Salomon zu sozialer Frauenbildung. Ihre Frauenbildung war wie folgt charakterisiert: „Sie richtet den im strengen Sinne wissenschaftlichen Gesichtspunkt auf die praktischen Aufgaben der sozialen Arbeit aus. Sie versucht, Forschungsanstalt zu werden, ohne die Ausschließlichkeit eines nur wissenschaftlichen Betriebes. Das Lernziel der Studierenden ist nicht ein besonderes Fach, sondern das Verständnis für die Menschen, für die Einzigartigkeit und Einmaligkeit und Unteilbarkeit jeder besonderen, auf Menschen bezogenen Aufgabe. Also nicht
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weniger als Wissenschaft, sondern noch etwas anderes neben der Wissenschaft muß betrieben und gelehrt werden. Die Methode darf nicht auf die reine Erkenntnis oder ihre Übermittlung, sie muß auch auf deren Anwendung abzielen.“ Unter Alice Salomons Herausgeberschaft erschienen „Forschungen der Deutschen Akademie für s oziale und pädagogische Arbeit“. Eine Schriftenreihe, in der Gertrud Bäumer „Die Frau in der Krisis der Kultur“ (1926), Marianne Weber „Die Ideale der Geschlechtergemeinschaft“ (1929), Hilde Lion „Zur Soziologie der Frauenbewegung: die sozialistische und katholische Frauenbewegung“ (1926) und Marie Baum gemeinsam mit Alice Salomon „Das Familien leben der Gegenwart“ nebst 182 Familienmonografien (1930) und Alix Westerkamp veröffentlichten. Mit dieser soziwlwissenschaftlichen Feldforschung hielt die wissenschaft liche Monographie Einzug in den akademischen Diskurs. Am 19. April 1932 erhielt S alomon in „Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Studien über den Schutz der Werkarbeiterinnen und Mütter und für die Gründung der ‚Akademie für s oziale und pädagogische Frauenarbeit‘ die Ehrendoktorwürde der Medizin der Kaiser Wilhelm Universität zu Berlin sowie die Silberne Staatsmedaille des Preußischen Staatsministeriums.“ Alice Salomons Lebens- und Arbeitserinnerungen zufolge war das Ausbildungskonzept ihrer Akademie und ihrer wissenschaftlichen Frauenbildung einem interkulturellen Aspekt verpflichtet. Sie wollte ihre Erfahrungen aus ihrer Amerika-Reise in die deutsche Sozial politik überführen und Frauen unterschiedlicher Kulturen und Klassen zu fruchtbarem Wirken für eine humane Gesellschaft miteinander verbinden: „Was mir dabei vorschwebt, ist der Gedanke einer hochschulartigen Stätte für Frauen, die nicht die Universität ersetzen, nicht zum wissenschaftlichen Beruf vorbereiten soll. Denn es gibt keine besondere Frauenwissenschaft. Wohl aber gibt es Aufgaben, die im besonderen Sinne weibliche Aufgaben – die im besonderen Maße weibliche Berufe sind. Den Frauen, die sich s olche Aufgaben erwählt haben, soll die Akademie das wissenschaftliche Rüstzeug geben, durch das die besonderen weiblichen Kulturleistungen gefördert werden können. Es sollen die Gebiete der Wissenschaften gepflegt werden, die vor allem die schöpferische Kraft der Frau auslösen, und sie sollen in einem besonderen Geist und mit einem ursprünglichen Ethos erfasst werden, so dass die geistige Höherentwicklung die unauslöschliche Wesensart, die ursprüngliche Geschlechtsindividualität steigern wird.“ Nach der Machtergreifung Hitlers wurde ihre Akademie für s oziale und pädagogische Frauenarbeit geschlossen. Ihre Versuche, Fachaufsätze zu veröffentlichen, scheiterten wegen ihrer jüdischen Herkunft. Unerheblich war für ihre Gegner, dass sie bereits zum christlichen Glauben konvertiert war. Nach einem amerikanischen Forschungsauftrag (1934) ging sie 1937 ins Exil in die USA. In dieser Zeit verfasst sie eine Studie zu einem ersten internationalen Vergleich der Ausbildung für Soziale Arbeit: “Education for Social Work. A Sociological Interpretation based on an International Survey (published by the International Committee of Schools for Social Work with the support of the Russell Sage Foundation, Zürich/Leipzig).” Aber diese ersten Anfänge, auch internationaler „sozialwissenschaftlicher Forschung“, wie Marie Baum und Alix Westerkamp es in ihrer gemeinsamen Publikation „Rhythmus des Familienlebens“ (Berlin 1931) bereits angekündigt hatten, wurden 1939 durch die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit und, in dessen Folge, einer Aberkennung Alice Salomons Doktorwürde jäh ein Ende gesetzt. Ihre Bibliografie umfasst 25 eng bedruckte
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Seiten. Sie war eine der wissenschaftstheoretisch führenden Begründerinnen der Sozialen Arbeit als eine eigene Wissenschaft. Alice Salomon starb am 30. August 1948 vereinsamt im Exil in New York. Zum Werk Salomons: Alice Salomon, Kultur im Werden. Amerikanische Reiseeindrücke, Berlin 1924, S. 23 – 30, 100 – 111; International Committee of Schools for Social Work with the Support of the Russell Sage Foundation (Hg.), Alice Salomon, Education for Social Work. A Sociological Interpretation based on an International Survey, Zürich/Leipzig 1937; Hans Muthesius (Hg.), Alice Salomon. Die Begründerin des sozialen Frauenberufs in Deutschland. Ihr Leben und ihr Werk, Köln/Berlin 1958, S. 13 – 121, 131 – 138, 268 – 282, 283 – 306; Irmgard Maya Fassmann, Jüdinnen in der deutschen Frauenbewegung 1865 – 1919, Hildesheim/Zürich/New York 1996, Alice Salomon (1872 – 1948), S. 250 – 269; zu der interna tionalen Studie (1937): Elke Kruse, Der erste internationale Vergleich der Ausbildung für Soziale Arbeit. Alice Salomons fast vergessene Studie von 1937, in: Sabine Hering und Berteke Waaldijk (Hg.), Die Geschichte der Sozialen Arbeit in Europa (1900 – 1960). Wichtige Pionierinnen und ihr Einfluss auf die Entwicklung internationaler Organisationen, Opladen 2002, S. 125 – 134; Ulla Wischermann, Alice Salomon (1872 – 1948). Begründerin der Sozialarbeit in Deutschland und Internationalistin, in: Ute Gerhard, Petra Pommerenke und Ulla Wischermann (Hg.), Klassikerinnen feministischer Theorie. Grundlagentexte, Bd. I (1789 – 1919), Königstein/Taunus 2008, S. 341 – 344; Hansjosef Buchkremer (Hg.), Hndbuch Sozialpädagogik, Darmstadt 2009, S. 74 – 7 7. Quellen: Alice Salomon, Soziale Frauenbildung, Leipzig/Berlin 1908, S. 1 – 34, Reprint in: Alice Salomon, Ausgewählte Schriften. Frauenemanzipation und s oziale Verantwortung, 3 Bde., Neuwied 1997, 2000, 2003, Bd. 1: 1896 – 1908, Neuwied 1997, S. 373; Dora Peyser, Alice Salomon. Ein Lebensbild, in: Hans Muthesius (Hg.), Alice Salomon. Die Begründerin des sozialen Frauenberufs in Deutschland. Ihr Leben und ihr Werk, Köln/ Berlin 1958, S. 59 mit Hinweis auf die Publikation: Alice Salomon, Soziale Frauenbildung; Alice S alomon, Die Entfaltung der Persönlichkeit und die sozialen Pflichten der Frau, in: Die Frau, 12. Jg. Heft 12 September 1905, S. 732 – 737; Alice Salomon, Zur Eröffnung der Sozialen Frauenschule, in: Die Frau, 16. Jg. Heft 2 November 1908, S. 103 – 107, Reprint in: Alice Salomon. Frauenemanzipation und soziale Verantwortung, 3 Bde., Neuwied 1997, 2000, 2003, 1. Bd.: 1896 – 1908, S. 480 – 485; Alice Salomon, Jugend- und Arbeitserinnerungen, in: Elga Kern (Hg.), Führende Frauen Europas – Sechzehn Selbstschilderungen, München 1928, S. 3 – 34; Alice Salomon, Die deutsche Akademie für s oziale und pädagogische Frauenarbeit im Gesamtaufbau des deutschen Bildungswesens, in: Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege 1929 Nr. 3, S. 137 – 144, als Reprint in: Carl Ludwig Krug von Nidda, Schriften und Vorträge von Alice Salomon (Auswahl), in: Hans Muthesius (Hg.), Alice Salomon. Die Begründerin des sozialen Frauenberufs in Deutschland. Ihr Leben und ihr Werk, Köln/Berlin 1958, S. 240 – 248; Elisabeth Boedeker, 25 Jahre Frauenstudium in Deutschland – Verzeichnis der Doktorarbeiten von Frauen 1908 – 1933, Hannover 1939, S. LXXXI; Rüdiger Baron und Rolf Landwehr (Hg.), Charak ter ist Schicksal: Lebenserinnerungen, Weinheim 1983; Joachim Wieler, Erinnerung
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eines zerstörten Lebensabends: Alice Salomon während der NS-Zeit (1933 – 1937) und im Exil (1937 – 1948), Darmstadt 1987; Manfred Berger, Alice Salomon: Pionierin der sozialen Arbeit und der Frauenbewegung, Frankfurt a. M. 1998; Carola Kuhlmann, Alice Salomon: Ihr Lebenswerk als Beitrag zur Entwicklung der Theorie und Praxis sozialer Arbeit, Weinheim 2000; Iris Schröder, Arbeiten für eine bessere Welt. Frauenbewegung und Sozialreform 1890 – 1914, Frankfurt/Main 2001, S. 91, 279 – 315; Anja Schüler, Frauenbewegung und soziale Reform: Jane Addams und Alice Salomon im transatlantischen Dialog 1889 – 1933, Stuttgart 2004; Ann Arbor, Character is Destiny: The Autobiography of Alice Salomon, The University of Michigan Press 2004 und 2007; zu Hilde Lion: Ariadne, Heft 23 Mai 1993, S. 34.
Elisabeth Selbert „Ohne den Gleichberechtigungsgrundsatz wären alle Reformen, die uns heute Selbstver ständlichkeiten sind, nicht möglich gewesen.“ Nach diesen Kriterien werden Publizistinnen durch die Elisabeth-Selbert-Stiftung gewürdigt, deren Arbeiten kritisch auf die Situation der Frauen in unserer Gesellschaft aufmerksam machen. Elisabeth Rohde (später verh. Selbert) wurde am 22. September 1896 in Kassel geboren. Sie entstammte einem Beamtenhaushalt. Ihr Vater war der Justiz-Oberwachtmeister Georg Rohde. Nach dem Besuch der Städtischen Mittelschule und dem Besuch der Gewerbeund Handelsschule des Frauenbildungsvereins in Kassel war sie bis zu ihrer Verheiratung (1920) Auslandskorrespondentin und Postbeamtin. Der Beitritt zur SPD mit 22 Jahren (1918) führte zu der Bekanntschaft mit Adam Selbert, ihrem späteren Mann. Einem passionierten Politiker, Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates und bis zur Machtergreifung Hitlers stellvertretender Bürgermeister in Kassel. Sie war in den Jahren 1919 bis 1927 im Gemeindeparlament von Niederzwehren (Kassel) tätig. Elisabeth Selbert bereitete sich autodidaktisch auf die Reifeprüfung vor, die sie im Jahre 1926 am Städtischen Oberlyzeum in Kassel bestand. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits Mutter von zwei kleinen Kindern. Nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Marburg und Göttingen bestand sie im Oktober 1929 das erste juristische Staatsexamen. Im März 1930 promovierte sie an der Universität Göttingen. Das Assessorexamen folgte im Jahre 1934. Im gleichen Jahr erhielt sie die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Ein Jahr bevor der Zugang für Frauen durch die Nationalsozialisten gesetzlich gänzlich versperrt wurde. Ihre Zulassung verdankte sie den stellvertretenden Oberlandesgerichtspräsidenten in Kassel, die in Abwesenheit des eingesetzten Präsidenten und SS-Führers ihr die Zulassung aussprachen. Ihre anwaltliche Tätigkeit ernährte die Familie. Ihr Mann war von den Nationalsozialisten aus dem Beamtenverhältnis entlassen worden. Er wurde zeitweilig in Schutzhaft und Gestapo-Aufsicht genommen und verbrachte auch einige Zeit im Konzentrationslager Weidenau. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte Elisabeth Selbert 15 Mitarbeiter in ihrer Kanzlei. Sie erhielt die Zulassung als Notarin.
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Sie wurde im Jahr 1945 Mitglied im überparteilichen Ausschuss von Kassel, in der verfassungsberatenden Landesversammlung Hessen und im Bezirksvorstand der SPD Kassel. In den Jahren 1946 bis 1950 war sie Stadtverordnete von Kassel. Seit dem Jahr 1946 gehörte sie der Verfassunggebenden Versammlung von Hessen an und wurde im gleichen Jahr in den Hessischen Landtag gewählt. In den Jahren 1946 bis 1958 war sie Vorsitzende des Ausschusses für das Gefängniswesen im Hessischen Landtag. In der Zeit von 1954 bis 1956 bekleidet sie den Vorsitz des Rechtsausschusses des Hessischen Landtags. Über Wirtschaftsund Enteignungsfragen, die Verfolgung von Nationalsozialisten, die Resozialisierung von Strafgefangenen bekam sie Kontakt zu Fritz Bauer, dem Generalstaatsanwalt von Hessen. Mit Elisabeth Selberts Berufung in den Parlamentarischen Rat (1948) wurde ihr Lebenswerk auf das Engste mit der Gleichberechtigung von Frau und Mann verbunden. Ihrem Engagement ist der jetzige Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 im GG zu verdanken. Elisabeth Selbert erhielt zeit ihres Lebens kein Bundestagsmandat. Bis 1958 blieb sie Mitglied des Hessischen Landtags und Mitglied des Parteivorstands der SPD. Gleichwohl erlangte sie weiterhin bundespolitischen Einfluss als stellvertretende Vorsitzende des Rechtspolitischen Ausschusses und Vorsitzende des Unterausschusses für Familienrecht beim Parteivorstand der SPD (1951 – 1958). Elisabeth Selbert erhielt 1956 das Große Bundesverdienstkreuz, 1969 den Wappenring der Stadt Kassel, 1978 die Wilhelm-Leuschner-Medaille und 1984 wurde sie Ehrenbürgerin der Stadt Kassel. Elisabeth Selbert starb am 9. Juni 1986 in Kassel, nachdem sie 1983 die Einführung des Elisabeth-Selbert-Preises durch das Land Hessen miterleben durfte. Quellen: Lebenslauf aus der Dissertation von Elisabeth Selbert, Ehezerrüttung als Scheidungsgrund, Kassel 1930; Antje Dertinger, Elisabeth Selbert. Eine Kurzbiographie, Wies baden 1986; Barbara Böttger, Das Recht auf Gleichheit und Differenz: Elisabeth Selbert und der Kampf der Frauen um Art. 3 II Grundgesetz, Münster 1990, Lebensdaten S. 123 – 159; Selbstverfasster Lebenslauf von Elisabeth Selbert, in: Elke Schüller, Wer stimmt bestimmt? Elisabeth Selbert und die Frauenpolitik der Nachkriegszeit, Wiesbaden 1996; Zur rechtspolitischen Strategie Elisabeth Selberts um die Einführung des Art. 3 Abs. 2 GG: Karin Gille-Linne, Verdeckte Strategien: Herta Gotthelf, Elisabeth Selbert und die Frauenarbeit der SPD 1945 – 1949, Bonn 2011, S. 199 – 377; Kerstin Wolff und Gilla Dölle, „Respekt für die Provinz“ Kassel- die Stadt der starken Frauenbewegung, ein Streifzug durch 150 Jahre, Kassel 2013, S. 76 – 79; World Biographical Information System.
Lilli Sarah Seligsohn, geb. Werthauer „[W]o ihr Mann ist, wollen Sie wissen? Wenn er nicht in Wien ist, ist er in Dachau, und wenn er nicht in Dachau ist, dann ist er halt in Wien“ (Memoirs, p. 38). Mit diesen Worten speiste ein Beamter die Fragen einer besorgten jüdischen Anwaltsgattin nach dem Aufenthalt ihres Mannes ab. Vor dieser Erfahrung wollte Julius Seligsohn seine Frau, Lilli Sarah Werthauer, bewahren.
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Lilli Sarah Werthauer wurde am 22. Sept. 1893 in Berlin geboren; nach Schulbildung und Studium als Juristin promoviert, heiratete sie Julius Seligsohn (geb. 7. 5. 1890 in B erlin). Sie war Schriftführerin des Deutschen Juristinnenvereins in der Weimarer Republik. Über ihren beruflichen Werdegang ist wenig erhalten geblieben. Wohl deshalb, weil das jüdische Schicksal ihres Mannes ihr Leben ausschließlich bestimmte. Julius Seligsohn stammte aus einer auf Patent-, Marken- und Urheberrecht spezialisierten Juristenfamilie. Er promovierte am 30. Juni 1920 bei Julius v. Gierke an der Universität Halle-W ittenberg zum Geheimnis- und Erfindungsbesitz. Seine Dissertation wurde 1921 in Charlottenburg/Berlin veröffentlicht. Erhalten geblieben ist jedoch nur ein Abstract. Zu der in der Knesebeckstr. 45 in Berlin unterhaltenen Rechtsanwaltskanzlei und dem Notariat gehörte sein Vater, Arnold Seligsohn (geb. 13. 9. 1854 Berlin–3. 2. 1939 Berlin), Herausgeber der „Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht“, Kommentator zum Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen (1926), Schriftführer der Juristischen Gesellschaft Berlin und Vorsitzender des Kuratoriums der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Ebenfalls Sozien waren der Neffe Arnolds, Martin S. (27. 10. 1868 – 26. 12. 1942 Tel Aviv, Palästina; Rechtsanwalt am KG und Notar), und dessen Sohn, Ernst Seligsohn (geb. 4. 7. 1903 Berlin–10. 2. 1983 in Tel Aviv; Rechtsanwalt und Notar). Ernst Seligsohn wanderte gemeinsam mit seinem Vater Martin Seligsohn am 26. 2. 1934 nach Palästina aus. Arnold Seligsohn verstarb am 3. 2. 1939 in Berlin, nachdem er 1938 Berufsverbot erhalten hatte. Julius Seligsohn wurde nach dem Berufsverbot 1933 zunächst wieder zugelassen. Jedoch im Jahr 1935 wurde ihm das Notariat und im Jahre 1938 die Anwaltszulassung entzogen. Julius Seligsohn war Vorstandsmitglied der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Er muss deshalb auch Margarete Berent begegnet sein, die bis zum Zeitpunkt ihrer Auswanderung über Chile (1938) in die USA für die Reichsvereinigung der Juden tätig war. Julius Seligsohn ließ seine Frau Lilli am 24. April 1939 mit seinen zwei Kindern in die USA auswandern. Im Jahre 1940 veröffentlichte Julius Seligsohn unter dem Namen seines Großvaters ( Julius S. Israel Seligsohn) ein Buch mit dem Titel „Die Einwanderung nach U. S. A.“, das vom Verlag Jüdischer Kulturbund in Deutschland e. V. (Berlin) gedruckt wurde. In diesem Buch, das er seiner Frau Lilli Sarah Seligsohn zugeeignet hatte, gab er ausführlich und umfassend (104 Seiten) Auskunft über die gesetzlichen Visa-, Zoll- und Einwanderungsbestimmungen, das behördliche Verfahren bei den Konsulaten, die dortigen recht lichen Feststellungen, über die relativen und absoluten Ausschließungsgründe für eine Einwanderung, die amerikanische Quotengesetzgebung und die Besonderheiten für die Kindereinwanderung. Nach seiner Verhaftung im Nov. 1940 gelangte er am 18. März 1941 ins KZ Sachsenhausen, wo er dann – am 28. 2. 1942 – an einer Lungenentzündung verstarb. Wie es Lilli Sarah Seligsohn und ihren Kindern in den USA erging, wurde nicht bekannt. Quellen: Auszug aus den LAB Akten der OFD; Angaben von Julius S. Israel Seligsohn in seiner Publikation: Die Einwanderung nach U. S. A., Berlin 1940; Manuskript Fleischer, in: Memoirs submitted for 1940 Prize Competition “My Life in Germany before and after January the 30, 1933”, in: Archiv des Zentrums für Antisemitismusforschung, TU Berlin; Deutscher Wirtschaftsverlag (Hg.), Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft, 2. Bd.,
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L–Z, Berlin 1931, S. 1766; Walther Killy und Rudolf Vierhaus (Hg.), Deutsche Biogra phische Enzyklopädie, Bd. 9, Schmidt–Theyer, München 1998, S. 278; Simone Ladwig- Winters, Anwalt ohne Recht, Berlin-Brandenburg 2007, S. 263 – 264.
Thorsten Sellin “The social values which are given the protection of the law, the rules which are enforced by the political power of the state because they are embodied in the criminal code, are those which are deemed desirable by those social groups within the state who have the power to make law” (Sellin, Foreword). Diese einführenden Worte widmete Thorsten Sellin seinen deutschen, gerade frisch emigrierten Kollegen Georg Rusche und Otto Kirchheimer für ihre Arbeit „Punishment and Social Structure“ vom International Institute of Social Research Morningside Heights in New York (1936), dem Institut für Sozialforschung von Max Horkheimer. Diese Worte kennzeichnen zugleich Sellins Erkenntnis und Wirken als Soziologe in einem interkulturellen Konflikt unter den Völkern aller Nationen. Die Werte und Normen von Menschen aus anderen Kulturen und anderer Herkunft können als strafrechtliches Verhalten in einem anderen Land mit einer anderen Kultur gewertet werden. Entscheidend in diesen Fällen ist nur, wer von beiden, die Einheimischen oder die Fremden, über die Macht zur Rechtsetzung verfügt. Sellin hat in seinem wissenschaftlichen Wirken die Kriminologie und das Strafrecht von der Befolgung oder Nichtbefolgung von strafrechtlichen Normen gelöst und als Ergebnis von sozialen Bedingungen betrachtet. Sellin war Gegner der Todesstrafe und bewies anhand seiner statistischen Untersuchungen, dass die Todesstrafe keinerlei Wirkung auf ein An- oder Absteigen von kriminellen Straftaten habe bzw. eine abschreckende Wirkung gerade nicht zeitige. Er beriet das Federal Bureau of Investiga tion. Er gilt als Wegbereiter des U. S. Uniform Criminal Statistics Act (1944). Thorsten Sellin wurde am 26. Oktober 1896 in Örnslöksvik (Schweden) geboren. 1913 emigrierte er nach Kanada. Nach seinem Bachelor am Augustana College (Illinois) machte er seinen Master und Ph. D. an der University of Pennsylvania. In den Jahren 1926 bis 1959 lehrte er dort Soziologie. In den Jahren 1944 bis 1959 war er Leiter des Departments of Sociology, das seinen Namen trägt. Sellin war Präsident der International Society of Criminology (1956 – 1965), Generalsekretär der International Penal and Penitentiary Commission (1949 – 1951) sowie Herausgeber der Annals of the American Academy of Political and Social Science (1929 – 1968). Seine wichtigsten Werke sind: „Culture Conflict and Crime“ (1938), „Pioneering in Penology“ (1944), „The Death Penalty“ (1959) und „The Measure of Delinquency“ (1964). Ehrendoktorgrade erhielt er von der Universität Leiden, Kopenhagen und Brüssel. Sellin wurde im Jahr 1967 emeritiert. Die Sellin Collection der University of Pennsylvania enthält “developing criminology as a scientific discipline, with a methodology resting on two fundamental ideas: first, a comprehensive view of the subject, which incorporated historical, sociological, psychological, and legal factors into the analysis, in addition to the development of analytical models; and second, the establishment and
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utilization of statistics in the evaluation of crime, an area in which Dr. Sellin was a foremost authority”. (Peter Lejins in: The Sellin Collection at Penn). Thorsten Sellin starb am 17. September 1994 in Gilmanton (New Hampshire, USA). Quellen: Thorsten Sellin, Foreword, in: Georg Rusche und Otto Kirchheimer, Punishment and Social Structure, Columbia University Press 1939; The New York Times, September 20, 1994; The Sellin Collection at Penn, in: Almanac Vol. 43 Number 4 Sept. 17, 1996, in: www.upenn.edu/almanac/v43/n04/sellin.html; World Biographical Information System.
Eugen Schiffer „Die deutsche Justiz in eine Form zu bringen, die den völlig gewandelten Anschauungen von Recht und Sittlichkeit, Freiheit und Menschenwürde, Volk und Staat entspricht“ (Schiffer in einem Brief an Marie Munk vom 24. 1. 1947). Das ist Eugen Schiffers Verdienst in zwei unterschiedlichen politischen Systemen: der sowjetisch besetzten Zone nach dem Zweiten Weltkrieg und in der Weimarer Republik. Eugen Schiffer wurde am 14. Februar 1860 als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Kaufmanns in Breslau geboren. Eugen Schiffer war Onkel von Edith Forster-Jacobsohn, geb. Schiffer, verh. Forster (26. Oktober 1891 – 31. 12. 1935), in erster Ehe verheiratet mit Siegfried Jacobsohn (28. 1. 1881–Dez. 1926), dem Herausgeber der „Schaubühne“ und der „Weltbühne“, einer Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft. Siegfried Jacobsohn durfte Max Reinhardt, Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky zu seinen Mitarbeitern und Freunden zählen. Eugen Schiffers Hauptinteresse lag in der Jurisprudenz. Er trat nach dem Referendariat (1880) zunächst in Hoyerswerda/Lausitz das Amt eines Gerichts assessors an. 1888 wurde er zum Amtsrichter in Zabrze/Oberschlesien ernannt. Im Jahr 1898 folgte die Heirat, er wurde Vater von vier Kindern (Marie, Mathilde, Hans und Otto). Mathilde heiratete den Wirtschaftswissenschaftler Waldemar Koch. Otto fiel 1915 im Ersten Weltkrieg. Sein Sohn Hans litt bis zu seinem Lebensende an den psychischen Folgen seiner KZ-Haft. Bereits im Jahre 1913 wurde Schiffer wegen seiner jüdischen Abstammung von dem Herausgeber Phillipp Strauff in der Publikation mit dem Titel „Semi-Kürschner: oder literarisches Lexikon der Schriftsteller, Dichter, Bankiers, Geldleute, Ärzte, Schauspieler … jüdischer Rasse und Versippung, die von 1813 – 1913 in Deutschland tätig und bekannt waren“ verächtlich gemacht. Bereits lange vor der Machtergreifung wurde Eugen Schiffer von nationalsozialistischen Kreisen als Opfer nationalsozialistischer Entrechtung ausgewählt, obgleich er christlich getauft war (1896). Nach dem Tod seiner Frau führte Eugen Schiffers Tochter Marie den Haushalt bis zu Schiffers Tod weiter. Vor der Machtergreifung Hitlers prägte Eugen Schiffer die Rechtsentwicklung der Weimarer Republik. Er war 1899 zum Landgerichtsrat in Magdeburg befördert worden (nicht im Jahr 1900). Seine rechtspolitischen Interessen sah er zunächst in der NLP vertreten, deren Abgeordneter er im Preußischen Landtag ab dem Jahre 1903 wurde. Zum Kammer gerichtsrat 1906 ernannt, erfolgte s päter der Wechsel zum Oberverwaltungsgericht nach
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Berlin. Während der Jahre 1912 – 1918, 1921 – 1924 war er Mitglied des Reichstags. Am 21. 10. 1917 zum Unterstaatssekretär im Reichsschatzamt ernannt, bekleidete er nach der Revolution (Nov. 1918) wiederholt die Position eines Staatssekretärs im Reichsschatzamt und vom 13.2. bis 11. 4. 1919 die Funktion eines Reichsministers der Finanzen. Nach seinem Wechsel von der NLP zur DDP war er vom 2. 10. 1919 bis 27. 3. 1920 Vizekanzler und Reichsjustizminister. Am 27. 3. 1920 verzichtete Schiffer auf sein Amt. Es folgte die parlamentarische Arbeit als Abgeordneter und Fraktionssprecher der DDP im Reichstag mit kurzer Unterbrechung, um erneut vom 10. 5. 1921 bis 26. 10. 1921 Reichsjustizminister zu sein. In den Jahren 1921 bis 1922 war Schiffer Leiter der deutschen Delegation bei den Verhandlungen mit Polen über Oberschlesien in Genf sowie deutscher Vertreter beim Interna tionalen Schiedsgerichtshof in Den Haag. Im Oktober 1924 folgte sein Austritt aus der DDP wegen bevorstehender Koalition der DDP mit den Deutschnationalen. Ab dem Jahr 1925 ließ er sich als Rechtsanwalt in Berlin nieder. Neben dieser politisch höchst ertragreichen Zeit betätigte sich Schiffer als Autor und Herausgeber juristischer Fachliteratur. In den Jahren 1924 bis 1932 war er Mitherausgeber der Deutschen Juristenzeitung. Im Jahre 1928 erschien seine Publikation „Die Deutsche Justiz – Grundzüge einer durchgreifenden Reform“, Berlin 1928; in zweiter Auflage 1949. Am 11. 12. 1928 wurde ihm durch die Universität Halle-W ittenberg für seine rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Verdienste die Ehrenpromotion verliehen. 1932 erschien die Publikation „Sturm über Deutschland“, mit der er erste Konturen einer Verfassungsreform entwarf. Es folgte „Die neue Verfassung des Deutschen Reiches – eine politische Skizze“ (Berlin 1932). In der letztgenannten Publikation trat Schiffer unter Bezug auf den späteren Kronjuristen des „Dritten Reichs“, Carl Schmitt, für die Unterscheidung zwischen Verfassung und Verfassungs gesetzen ein, um im Art. 76 der WRV eine Abänderung der Verfassung im Wege der Gesetzgebung durch eine qualifizierte Mehrheit nur für die Verfassungsgesetze, jedoch nicht für die Verfassung selbst zuzulassen. Zugleich trat Schiffer für eine gesetzliche Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen und anderen untergesetzlichen Vorschriften ein, um der Praxis sogenannter Notverordnungen entgegen zu treten. Zugleich legte Schiffer mit dieser Schrift einen neuen Verfassungsentwurf vor, der „eherne und unantastbare Grundsätze“ aufstellte. Seine Vorschläge waren im Vergleich zu den späteren Bestimmungen des Bonner Grundgesetzes vorausschauend und vielleicht – wäre sein Entwurf Wirklichkeit geworden – hätte womöglich der Nationalsozialismus und das Desaster des „Dritten Reichs“ verhindert werden können. In den Jahren 1933 bis Mai 1945 blieb Schiffer in Deutschland. Bereits am 30. 1. 1933 schied er aus allen Haupt- und Neben ämtern aus. Das Recht auf seine Orden und Titel wurde ihm abgesprochen. Er und seine Tochter Marie hatten ihre Vornamen durch jüdische Vornamen zu ergänzen. Sie hatten Vermögensabgabe zu leisten. Im Januar 1943 nahm sich ihr Freund, Prof. Max Fleischmann, aus Angst vor der Deportation während eines Besuchs bei Schiffer auf der Toilette das Leben. Im Frühjahr des Jahres 1943 wurden sie vom Magistrat der Stadt Berlin von einem Übergangsquartier in das andere verwiesen, bis sie schließlich in der Iranischen Straße auf Vermittlung des Finanzministers Johannes Popitz, der sich bei Himmler für sie eingesetzt hatte, ihre vorerst letzte Unterkunft in dem dortigen Krankenhaus fanden. In diesen Gebäuden waren auch Hafträume für Juden, eine Gestapo-Dienststelle, Durchgangsräumlichkeiten
Eugen Schiffer
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für die Deportation, der Sitz der von den Nationalsozialisten aufgelösten Reichsvereinigung der Juden, aber auch notdürftige ärztliche Versorgung und eine dürftige Verpflegung aus der Krankenhausküche untergebracht. Die Frau des späteren Rechtsprofessors der Universität Halle-Wittenberg, Dietrich Goldschmidt, versorgte Eugen Schiffer und seine Tochter mit weiteren Lebensmitteln. Im Herbst 1945 wurde Eugen Schiffer mit seiner Tochter in seine alte Wohnung in der Mommsenstr. 52 in Charlottenburg zurückgebracht, die jedoch zum britischen Sektor gehörte. 85-jährig gründete Eugen Schiffer zusammen mit seinem Schwiegersohn die LDPD. In der Zeit vom 1. August 1945 bis 31. August 1948 übernahm Schiffer die Leitung der Justizverwaltung der Sowjetischen Besatzungszone in der Dorotheenstr. 49 – 52. Er setzte sich für eine Volksjustiz unter der starken Führung ausgesuchter Juristen ein und trat für die Unabhängigkeit des Richteramtes ein. Schiffer war im Jahre 1947 Teilnehmer des 1. Deutschen Volkskongresses in Berlin und wurde in dessen Präsidium gewählt. Im Jahre 1948 wurde er Mitglied des Deutschen Volksrates. Seine favorisierte Neuordnung des Rechtswesens fand jedoch im Sommer 1948 auf einer Juristenkonferenz durch den stellvertretenden Vorsitzenden der SED, Max Fechner, ein Ende. Es heißt in den Sekundärquellen, Schiffer stellte sein Amt zur Verfügung. Schiffer ist jedoch während einer Säuberungsaktion innerhalb der damaligen Deutschen Justizverwaltung der SBZ am 23. August 1949 „auf eigenen Wunsch“ ausgeschieden. Ein Zusatzvermerk, wie bei den anderen Mitarbeitern (politisch nicht geeignet, o. ä.), fand sich in den Akten nicht. Dennoch wurde Schiffer noch im selben Jahr in den Volksrat gewählt und war auch Abgeordneter der Provisorischen Volkskammer der DDR sowie Vorsitzender des Verfassungsausschusses der Provisorischen Volkskammer der DDR (1950). Im gleichen Jahr erhielt Schiffer die Ehrenpromotion der Humboldt-Universität zu Berlin. Am 15. Januar 1953 publizierte er seinen letzten wissenschaftlichen Artikel in der Juristen- Zeitung, S. 1 bis 9, unter dem Titel „Ein Sofortprogramm für die deutsche Justiz“. Ein letzter Versuch, auf seine Vorstellungen von einer Neuordnung des Rechtswesens aufmerksam zu machen. Der West-Berliner Justizsenator versagte Eugen Schiffer an seinem 90. Geburtstag die Gratulation, weil er für die Justizverwaltung der SBZ gearbeitet habe. Es war dem damaligen Justizsenator von West-Berlin wohl unbekannt, dass Schiffer bereits früh auf die Gefahren der in der Weimarer Republik praktizierten Verordnungspraxis der Reichsregierung hingewiesen und somit auf die Gefahren herannahender Diktatur mit Recht hingewiesen hatte. Die justizsenatorische Missachtung Schiffers Aufbauleistung für einen Rechtsstaat in der SBZ nach dem Zweiten Weltkriegs ignorierte ein wichtiges Stück seines Lebenswerks. Eugen Schiffer starb am 5. September 1954 in Berlin. Quellen: Eugen Schiffer in einem Brief an Marie Munk vom 24. Januar 1947, in: LAB B Rep. 235 – 12 NL Marie Munk, MF-Nr. 3519; Bundesarchiv DP/1/1009, Bl. 66 – 71, Bl. 70; Eugen Schiffer, Sturm über Deutschland, Berlin 1932, S. 218 – 232; Eugen Schiffer, Die neue Verfassung des Deutschen Reiches. Eine politische Skizze, Berlin 1932, S. 30 – 32, 35 – 40; Eugen Schiffer, Ein Sofortprogramm für die deutsche Justiz, in: Deutsche Juristenzeitung vom 15. Jan. 1953, S. 1 – 9; Dietrich Goldtschmidt, Eugen Schiffer (14. 02. 1860 – 05. 09. 1954). Ein Leben für liberale Politik und volksnahes Recht, in: Walter Pauly (Hg.), Hallesche Rechts gelehrte jüdischer Herkunft, Bd. 1, Köln 1996, S. 69 – 92; über die Arbeit Schiffers beim Aufbau
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der DDR-Justiz: Hermann Wentker, Justiz in der SBZ/DDR 1945 – 1953. Transformation und Rolle ihrer zentralen Institution, München 2001, S. 79 – 251; Stefanie Oswalt, Siegfried Jacobsohn. Ein Leben für die Weltbühne. Eine Berliner Biographie, 2. Aufl., Gerlingen 2001, S. 23, 79 – 111, 94 – 100, 153, 156 – 167, 253; Thilo Ramm (Hg.), Eugen S chiffer. Ein nationalliberaler Jurist und Staatsmann 1860 – 1954, Baden-Baden 2006, S. 205 – 206.
Maria Magdalena Schoch Im Grenzgebiet von Prozeßrecht und Privatrecht „zu einer befriedigenden Grenzziehung zu gelangen, geh[t] meist vom Privat- und Prozeßrecht eines und desselben Staates aus und komm[t] auf diese Weise zu Lösungen, die der Prüfung nicht standhalten, sobald man Privatrecht und Prozeßrecht zweier verschiedener Staaten in ihrem Geltungsbereich gegeneinander abzugrenzen hat. Dies aber sind gerade die Fälle, in w elchen die Eigenschaft einer Rechtsnorm als materiellrechtlicher oder prozeßrechtlicher sich nicht mehr bloß als Frage der Gesetzestechnik oder der wissenschaftlichen Systematik, sondern als Existenzfrage des betreffenden Rechtsverhältnisses darstellt“ (Schoch, 1934, S. 1). Diese Erkenntnis ihres Lehrers, Albrecht Mendelssohn Bartholdy, war ihr zeitlebens ureigenste Aufforderung für ihre wissenschaftliche Arbeit im internationalen Recht. Sie wurde am 18. Febr. 1897 als Tochter des Kaufmanns Johann Leopold Schoch geboren. Nach dem Schulbesuch legte sie im Juli 1916 das Abitur am Realgymnasium in Würzburg ab. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in München und Würzburg (6 Semester) wurde sie mit dem Thema „Die Zwangsliquidation feindlicher Gesellschaften durch das englische Handelsamt nach der Trading with the Enemy (Amendment) Act“ bei Albrecht Mendelssohn Bartholdy an der Universität Würzburg promoviert (Schoch, 1920, Lebenslauf ). Mendelssohn Bartholdy, so erinnern sich andere berühmte Studierende (Werner Otto von Hentig) an seine Vorlesungen, „ist der Mann gewesen, der die längsten Perioden sprechen konnte, ohne an ihrem Ende den Anfang vergessen zu haben“ (Hentig, S. 109). Magdalena Schoch wurde seine Assistentin an dem noch neuen von Bartholdy eingerichteten Institut für Ausländisches Recht in Hamburg. Während dieser Zeit trat sie bereits mit ihrer Veröffentlichung „Die Entscheidungen des Internationalen Schiedsgerichts zur Auslegung des Dawes-Plans“ (Berlin 1927) hervor. Der Dawes-Plan vom 16. August 1924 regelte die Reparationszahlungen Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg. Deutschland hatte aus seinen Steuern, Zöllen und Schuldverschreibungen im Jahr 1924 eine Milliarde Goldmark und bis zum Jahr 1928 ca. 2,8 Milliarden Mark Reparationen zu leisten. Ein Ende der Reparationszahlungen war nicht festgesetzt. Wichtige staatliche Unternehmen wie die Reichsbahn und die Reichsbank befanden sich unter internationaler Kontrolle. Es war absehbar, dass Deutschland die Reparationszahlungen irgendwann nicht mehr zu leisten vermochte. Magdalena Schochs Lehrer, Mendessohn Bartholdy, war Mitglied des Schiedsgerichts. Die Schiedssprüche stellten erstmalig die Anwendung des Schiedsgedanken im Bereich des Repara tionsproblems dar. Nach einem Stipendienaufenthalt in England zum Studium der
Maria Magdalena Schoch
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Gerichtsverfassung (1928) hielt Schoch ab dem Jahr 1929 auch Lehrveranstaltungen an dem neu gegründeten Institut. In ihrer späteren Funktion als Assistentin kommentierte Schoch die Haager Schiedssprüche zum Dawes-P lan und überarbeitete die Übersetzungen des Lytton-Berichts. In diesen Jahren wurde sie Mitbegründerin der Gesellschaft der Freunde der Vereinigten Staaten und begründete die Amerika-Bibliothek an der Universität Hamburg. 1932 habilitierte sie sich mit dem Thema „Klagbarkeit, Prozessanspruch und Beweis im Licht des internationalen Rechts. Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Qualifikation“. Sie wurde die erste Privatdozentin an einer rechtswissenschaft lichen Fakultät Deutschlands. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kündigte Magdalena Schoch ihren Vertrag an der Universität Hamburg und ging mit einem Stipendium der Rockefeller Stiftung 1934 in die USA. Aus ihrem Stipendium erwuchsen ihr die gleichen Chancen in den folgenden Jahren, wie Marie Munk sie ebenfalls gehabt hatte: Reisen, Forschen, Vorträge halten und amerikanische Universitäten und Einrichtungen kennenlernen, wichtige Kontakte knüpfen. Magdalena Schoch kehrte nach Deutschland, an die Universität Hamburg, zurück (1935). Ihre Lehrveranstaltungen hielt sie zwar mit Bedacht, jedoch verweigerte sie den Hitlergruß und weigerte sich, in ihren Veröffentlichungen jüdische Autoren oder Herausgeber im Literaturverzeichnis nicht mehr zu nennen. So erschienen die Zeitschriften „Amerika-Post“ und das Organ der „Gesellschaft der Freunde der Vereinigten Staaten in Hamburg“ sowie die Publikation der „Vereinigung Carl Schurz“ in Berlin unter der vollen Namensbezeichnung jüdischer Autoren. Im Gegenzug wurden Namen von Autoren, Organisationen und ihre Vertreter, die diese Entscheidung der Herausgeberschaft nicht mittrugen, kurzerhand von Magdalena Schoch im Impressum gestrichen. Schoch unterstützte Fritz Morstein Marx mit Material über die NS-Diktatur, sodass dessen Buch „Government in the Third Reich“ im Jahr 1936 erscheinen konnte. Nach dem Tod von Mendelssohn Bartholdy (1936 in Oxford) emigrierte sie 1937 in die USA, ohne finanzielle Mittel und Aussicht auf eine berufliche Tätigkeit zu haben. Nach einem ersten Aufenthalt bei Freunden, der Unterstützung des Zonta-Clubs, dem Besuch mehrerer Rechtsschulen des Landes und dem Studium methodologischer Probleme zwischenstaatlicher Rechtskonflikte erhielt sie an der Harvard Law School vom Sept. 1938 bis 1945 eine Stelle als Forschungsassistentin bei Erwin Griswold. Sie wurde die erste Privatdozentin an einer rechtswissenschaftlichen Fakultät in den USA. Von August 1943 bis Dezember 1945 arbeitete sie im „Office of Economic Welfare“, in der „Foreign Economic Administration“ (FEA), Washington D. C. Ihre Zusammenarbeit brachte sie in Kontakt zu Ernst Fraenkel, Otto Kirchheimer, John Herz und Franz Neumann. In dem Office of Economic Welfare und der Foreign Economic Administration (FEA) wurden die Außenwirtschaftsbeziehungen koordiniert. Seit dem Ende des Krieges war sie Abteilungsleiterin und Divisionsleiterin der „Property Control Division“. In dieser Funktion formulierte sie auch Empfehlungen zu Entschädigungsleistungen für das Potsdamer Abkommen. Gemeinsam mit Ernst Fraenkel verfasste sie eine Studie über den „Extra-territorial Effect of Economic Measures Taken by the Occupying Powers in Germany: Problems of Recognition and Enforcement“. Vom Dez. 1945 bis März 1946 war sie Mitglied des „Practising Law Institute“ New York. Dort erhielten aus dem Krieg zurückkehrende Juristen Fortbildungen im Recht. Danach übernahm sie
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die Funktion einer externen Rechtsberaterin in der „Alien Property Section of the Claims Division“ des US-Justizministeriums. In dieser zwanzig Jahre währenden Tätigkeit beriet Magdalena Schoch die US-Regierung im französischen, niederländischen, belgischen, österreichischen, italienischen und schweizerischen Recht. Zeitgleich wurde sie ab 1949 in Columbia als Anwältin zugelassen und später auch für das Oberste Bundesgericht (1952). In dieser Zeit entstanden in ihrer Funktion als Research Associate in Comparative Law (Harvard University) gemeinsam mit Sidney Post Simpson und Julius Stone die sogenannten American Casebook Series. Der Auftrag dieser nicht nur für den juristischen Nachwuchs gedachten Publikationen war klar: “This collection of cases and readings deals with law as a vital part of cultural anthropology and the history of civilization. It makes available materials for the study of the major institutions of the legal order in their relation to the social and economic conditions of the time and place, over an extensive time-scale and on a broad geographical basis” (Schoch, 1939, Preface). Sie behielt die Funktion einer Rechtsberaterin auch noch nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben bei (ab 1966). Die finanzielle Situation Magdalena Schochs blieb bescheiden. Viele Emigranten unterstützte sie finanziell und organisatorisch. An ihre eigenen Wiedergutmachungsansprüche dachte sie erst auf Drängen einer guten Freundin im Jahr 1958. In diesem Wiedergutmachungsverfahren bezeugten bedeutende Rechtswissenschaftler wie Eduard Rosenbaum, Rudolf Laun und Rudolf Sieverts Schochs rechtsstaatliche Haltung und Arbeit. Schochs Kündigung ihres Arbeitsvertrages vor ihrer Emigration in die USA wirkte sich nachteilig in ihrem Wiedergutmachungsverfahren aus. Belegte die Kündigungserklärung doch, dass es nationalsozialistische Verfolgung gerade nicht gewesen sei, die Magdalena Schoch zur Emigration gezwungen hatte, sondern dass sie auf persön lichen Wunsch emigriert war. Ein Angebot der Hamburger Universität, dass ihr nach den gesetzlichen Bestimmungen des Wiedergutmachungsrechts die berufliche Restitu tion gebracht hätte, lehnte sie ab. Erst im Jahr 1963 konnte sie sich mit ihren Ansprüchen vergleichsweise durchsetzen. Es gab nur einen Anlass, der Magdalena Schoch nach Deutschland zurückkehren ließ, die Innereuropäische Distriktkonferenz des Zonta-Clubs, eines amerikanischen Frauenklubs, der vor dem Zweiten Weltkrieg auch von Schoch in Deutschland mitbegründet worden war. Bis zum Jahr 1966 arbeitete sie als Gutachterin und Anwältin in Washington in ihrer Kanzlei. Magdalena Schoch starb am 6. November 1987 in einem Pflegeheim in Falls Church, Virginia, nach vierjähriger Alzheimererkrankung. Zeit ihres Lebens versah Maria Magdalena Schoch den letzten Buchstaben ihres Rufnamens mit einem „a“ (vergl. handschriftlich gefertigtes Deckblatt ihrer Diss.) und verwendete auch in ihren späteren Publikationen den Vornamen Magdalena. Dies wird von zwei Autoren (Röwekamp, S. 368 und Nicolaysen) übersehen. Quellen: Magdalena Schoch, Die Zwangsliquidation feindlicher Gesellschaften durch das englische Handelsamt nach der Trading with the Enemy (Amendment) Act: 1918, Diss. Würzburg 1920 (1921); Magdalena Schoch, Die Entscheidungen des Internationalen Schiedsgerichts zur Auslegung des Dawes-Plans, Berlin 1927; Magdalena Schoch, Klagbarkeit, Prozeßanspruch und Beweis im Licht des internationalen Rechts. Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Qualifikation, Leipzig 1934; Magdalena Schoch, Cases and
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Readings on Law and Society in Three Books, Book One: Law and Society in Evolution, Book Two: Law in Modern Democratic Society, Book Three: Law, Totalitarianism and Democracy, St. Paul, Minn. 1949; Werner Otto von Hentig, Meine Kindheit und Jugend, in: Hans Wolfram von Hentig (Hg.), Werner Otto von Hentig. Zeugnisse und Selbstzeugnisse, Ebenhausen 1971, S. 7 – 124; Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon zu Leben und Werk, Baden-Baden 2005, S. 368 – 372, allerdings mit einem unvollständigen und falsch geschriebenen Vornamen; Rainer Nicolaysen, Für Recht und Gerechtigkeit. Über das couragierte Leben der Juristin Magdalene Schoch (1897 – 1978), in: Zeitschrift des Vereins für hamburgische Geschichte, 92. Bd., 2006, S. 113 – 143.
Gertrud Schubart-Fikentscher „Mit Beseitigung aller Vorurteile fallen dann auch die Rechtsnachteile!“ (Schubart- Fikentscher, 1967, S. 166). Diese Worte zur Stellung des nichtehelichen Kindes markieren die Verstrickung zwischen einer menschgemachten Ordnung des Zusammenlebens und geltendem Recht. Diese Worte implizieren zugleich, dass es ohne eine Erkenntnis um diese Verstrickung keine Gerechtigkeit geben kann. Gertrud Schubart-Fikentscher wurde am 23. Dez. 1896 in Zwickau als Tochter des Fabrikanten Johannes Fikentscher geboren. Nach der städtischen höheren Bürgerschule (1903 – 1913) nahm sie Privatunterricht und ging Ostern 1916 nach Berlin, um acht Jahre lang im Verein Jugendheim Charlottenburg zu praktizieren (Schulpflegerin in der Kinderfürsorge und in der Adoptionsabteilung). Von Oktober 1919 bis Juli 1921 besuchte sie die Frauenschule von Alice Salomon. In dieser Zeit begegnete sie Gertrud Bäumer und Helene Lange. Sie arbeitete für das Publikationsorgan „Die Hilfe“ von Friedrich Naumann. Am 14. Juni 1921 legte sie die staatliche Prüfung als Wohlfahrtspflegerin mit dem Prädikat „sehr gut“ ab. Am 1. Sept. 1921 wurde sie Leiterin der Jugendgerichtshilfe Berlin-Mitte. Im September 1924 folgte das sogenannte Kulturexamen (Hochschulzulassung ohne Reifeprüfung) beim Preuß. Kultusministerium. Vom Wintersemester 1924/1925 bis zum Wintersemester 1928/1929 studierte sie Rechtswissenschaften in Berlin. Im Oktober 1928 bestand sie die Referendarprüfung. Am 17. Dez. 1928 heiratete sie Wilhelm Schubart, einen berühmten Papyrologen (Kustos an den Berliner Museen, Honorarprofessor an der Berliner Universität). Gertrud Schubart- Fikentscher begleitete ihren Mann im ersten Halbjahr 1929 auf einer Ägyptenreise. Ergebnis war ihr erster wissenschaftlicher Artikel (1931). Auf Anraten Ernst Heymanns widmete sie sich fortan dem „Eherecht im Brünner Schöffenbuch“. Mit d iesem Thema promovierte sie am 23. Juni 1933 und publizierte ihre Dissertation bei Kohlhammer (1935). Es folgte eine freie Mitarbeit in der Abteilung Heymanns „Leges“ bei den Monumenta Germaniae Historica. Von April 1935 bis Februar 1938 war Schubart-Fikentscher Herausgeberin der Bibliographischen Mitteilungen über die Rechtsstellung der Frau im Deutschen Reich und in Österreich in der Zeitschrift „Die Frau“. Im März 1936 veröffentlichte sie über „Eine Ehescheidung im 14. Jahrhundert“ in „Die Frau“ (Heft 6, S. 326 – 333). Für ihre Arbeit über
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die „Verbreitung der deutschen Stadtrechte in Osteuropa“ erhielt sie 1940 den Preis der Berliner Akademie der Wissenschaften (erschienen als Forschungen zum deutschen Recht, Bd. 4, Heft 3, Weimar 1942). Von Ostern 1941 bis August 1943 erteilte sie Rechtskundeunterricht an der Volkspflegeschule der Provinz Brandenburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt sie Vorlesungen an der Jur. Fakultät in Leipzig. Ihre Dissertation wurde als Habilita tionsschrift durch Alfred Schultze anerkannt. Am 18. Mai 1946 wurde sie habilitiert. Im Jahr 1948 wurde sie als Professorin für Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte an die Universität in Halle berufen. Es erfolgte ihre Wahl zum Mitglied der Monumenta Germaniae Historica. Am 1. August 1950 wurde Schubart-Fikentscher erste Dekanin der Rechtswiss. Fakultät in Halle und damit im deutschsprachigen Raum. Sie besuchte die Rechtshistorikertage in den Jahren 1954 und 1956. Am 31. August 1956 wurde sie emeritiert. Am 7. Dez. 1959 erfolgte ihre Wahl in die Sächsische Akademie der Wissenschaften. Es folgten die Veröffentlichungen „Die Unehelichen-Frage in der Frühzeit der Aufklärung“ (Berlin 1967) und „Hallesche Spruchpraxis. Consiliensammlungen Hallescher Gelehrter aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts“ (Weimar 1960), „Untersuchungen zur Autorschaft von Dissertationen im Zeitalter der Aufklärung“ (Berlin 1970), „Unbekannter Thomasius“ (Weimar 1954), aber vor allem die „Quellen zur deutschen Privatrechtsgeschichte vor der Rezeption“ (Weimar 1950). In letzterer Veröffentlichung wollte sie die Arbeiten Leopold Perels ein Stück weit ergänzen. Perels hatte gemeinsam mit Schröder die „Urkunden zur Geschichte des deutschen Privatrechts“ (3. Aufl. 1912) veröffentlicht. Dieses Buch war zu damaliger Zeit vergriffen. Schubart-Fikentscher starb am 24. März 1985. Quellen: Lebenslauf von Gertrud Fikentscher in der Dissertation; Gertrud Schubart- Fikentscher, Die Frau im Familienrecht Ägyptens, in: Die Frau, 38/1931, Heft 10, S. 603 – 610; Gertrud Schubart-Fikentscher, Das Eherecht im Brünner Schöffenbuch, Diss. Berlin 1933; Gertrud Schubart-Fikentscher, Die Unehelichen-Frage in der Frühzeit der Aufklärung, Berlin 1967; Rolf Lieberwirth, Gertrud Schubart-Fikentscher (1896 – 1985), in: Professoren der jur. Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Hg.), Rechtsgeschichte in Halle, Bd. 5: Gedächtnisschrift für Gertrud Schubart-Fikentscher (1896 – 1985), Köln 1998, S. 1 – 10, sowie vollständiges Verzeichnis ihrer Schriften, S. 81 – 93.
Walter C. Schwarz „Dem Chronisten ist vom Schicksal sein Standort zugewiesen worden“ (Schwarz, 1952, Vorwort, S. XVII). Mit diesen Worten urteilte Walter C. Schwarz über sich selbst in seinem Buch über ein Rechtsgebiet, dem er sowohl seine Anwaltstätigkeit als auch seine wissenschaftliche Arbeit widmete: dem Recht zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Er wurde am 11. Febr. 1906 geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften ließ er sich zunächst 1932 als Anwalt nieder und erhielt die Zulassung für das Berliner Kammergericht. Nach einem Berufsverbot durch die Nationalsozialisten (15. Juni 1933) emigrierte
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er im Jahr 1938 nach Palästina. Ebenfalls nach Palästina war ein Jahr zuvor der promovierte Jurist und Anwaltskollege Siegfried Moses (3. Mai 1887 – 14. Jan. 1974), emigriert. Schwarz war in den Jahren 1933 – 1937 Vorsitzender der Zionistischen Vereinigung und Vizepräsident der Reichsvertretung der deutschen Juden in Deutschland. Beide Juristen lebten in Tel Aviv in einem Haus, das von einem Bauhaus-Architekten entworfen worden war. Dort verfassten sie einen Kommentar zum Einkommenssteuerrecht in Palästina. Anschließend trennten sich ihre Wege, jedoch nur geografisch. Siegfried Moses wurde in den Jahren 1937 bis 1938 Geschäftsführer des Transferabkommens Havaara. In den Jahren 1939 bis 1949 arbeitete er als öffentlicher Buchprüfer, Revisor, Einkommenssteuerfachmann und s päter als Leiter des Israelischen Rechnungshofs. Walter Schwarz wurde in den Jahren 1940 bis 1944 bei der Royal Air Force in Afrika eingesetzt und arbeitete schließ lich 1944 wieder als Anwalt. Beide hatten sich während ihrer gemeinsamen Zeit in Palästina bereits Gedanken gemacht über die juristische Klärung der Ansprüche der Juden gegenüber dem deutschen Staat. Siegfried Moses wies bereits im Jahr 1943 in seiner Publikation „Die jüdischen Nachkriegs-Forderungen“ auf die Rechtslücken im Versailler Vertrag für eine Wiedergutmachung jüdischer Forderungen hin (Schwarz, 1962, S. 218 – 219). Es konnten nur Personen, die bei Kriegsausbruch Staatsangehörige der Siegerstaaten waren, Entschädigungen irgendwelcher Art erhalten. Diese Ansprüche mussten durch die Siegerstaaten oder durch Vermittlung von Siegerstaaten geltend gemacht werden (Kirchhof, S. VII). Moses’ und Schwarz’ gemeinsame wissenschaftliche Arbeit wirkte nach der Beendigung des Zweiten Weltkriegs in ihren beruflichen Biografien fort. Siegfried Moses wurde in den Jahren 1956 bis 1974 Vorsitzender des Council for Jews from Germany und des Leo Baeck Institute. Hannah Arendt und ein Weggefährte Marie Munks, Karl Loewenstein, widmeten ihm in seiner ihm zugedachten Festschrift zum 75. Geburtstag wissenschaftliche Beiträge (Arendt und Loewenstein). Walter Schwarz hatte ab dem Jahr 1950 eine juristische Tätigkeit bei der Jewish Agency übernommen, bevor er zu dem Thema „Rückerstattung und Entschädigung: eine Abgrenzung der Wiedergutmachungsformen“ im Jahr 1952 promovierte. Ein Jahr zuvor hatte er bereits zur Frage der rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des Deutschen Reichs veröffentlicht. Er führte bis zum Jahr 1967 eine Kanzlei, spezialisiert auf das Wiedergutmachungsrecht. Walter C. Schwarz starb am 17. August 1988. Quellen: Walter Schwarz, Zur Frage der rückerstattungspflichtigen Geldverbindlichkeiten des Deutschen Reichs, Koblenz 1951; Walter Schwarz, Rückerstattung und Entschädigung: eine Abgrenzung der Wiedergutmachungsformen, Diss. München 1952; Hannah Arendt, Revolution and Freedom, in: In zwei Welten. Siegfried Moses zum 75. Geburtstag, Tel Aviv 1962, S. 578 – 600; Karl Loewenstein, Funktionäre im Zionismus, in: In zwei Welten. Siegfried Moses zum 75. Geburtstag, Tel Aviv 1962, S. 71 – 83; Walter Schwarz in seinem Beitrag für Siegfried Moses: Ein Baustein zur Wiedergutmachung, in: In zwei Welten. Siegfried Moses zum 75. Geburtstag, Tel Aviv 1962, S. 218 – 231; Paul Kirchhof, Rechtswissenschaftliche Würdigung zu dem Neudruck des Buches von Siegfried Moses, Die jüdischen Nachkriegsforderungen, Tel Aviv 1944, Münster 1998, S. VII; Lebensläufe von Schwarz und Moses aus: Simone Ladwig-Winters, Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Anwälte in Berlin nach 1933, Berlin-Brandenburg 2007, S. 228, 229, 262.
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Henry Irvin Stahr Henry Irvin Stahr (1880 – 1962) war in den Jahren 1934- 1948 der Präsident des Hood College. „He was elected to the Hood College Board of Trustees in 1926 […] Prior to coming to Hood, he had been a high school teacher and principal, and a college professor. He earned both his bachelor’s and master’s degrees from Franklin and Marshall College. A graduate of the Theological Seminary of the Reformed Church, he was an ordained minister in the Reformed Church. Dr. Stahr continued the programs begun by Dr. Apple (the president on Hood before), and the College continued to prosper, despite the Depression and World War II. D uring his administration, the Joseph Henry Apple Library, Hodson Outdoor Theatre, and the Shop were constructed, and the Spanish House and East Rayford were purchased. (www.hood.edu). Stahr pflegte u. a. wissenschaftliche Kontakte zu John Samuel Kenyon, dem Leiter des Hiram College English Department (1916 – 1944), einem angesehenen Sprach- und Literaturwissenschaftler der USA. Quelle: www.hood.edu; John S. Kenyon Collection in Hiram College Library.
Walter Strauß „Das Grundgesetz zwang uns nach unserer Arbeitsaufnahme zu einer gesetzgeberischen Lösung der familienrechtlichen Fragen der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Ich habe mich damit nicht begnügt. Auf meine Veranlassung wurde im 1. Bundestag ein Familienrechtsgesetz eingebracht, das dreierlei bezweckte: 1.) eine gesetzgeberische Lösung der Fragen der Gleichberechtigung, 2.) eine Rechtsbereinigung des sonstigen Familienrechts, verbunden mit einigen unerlässlichen aber kleineren Reformen, 3.) eine Rückführung des Eheschließungs- und Ehescheidungsrechts in das BGB“ (Strauß an Stödter, in: Utz, S. 441). Diese Worte belegen den Einfluss des Art. 3 Abs. 2 GG auf den ministeriellen Entwurf und die gesetzgeberische Arbeit in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Walter Strauß wurde am 15. Juni 1900 in Berlin als Sohn des Universitätsprofessors und international angesehenen Mediziners an der Charité, Hermann Strauß, geboren (Utz, S. 11 – 12). Zu dieser jüdischen Familie gehörte der Tuchfabrikant und Kunstsammler James Simon, der seine Renaissancesammlung zur Eröffnung des Kaiser-Friedrich-Museums an dieses verschenkte. Walter Strauß’ M utter, Elsa Strauß, geb. Isaak, Tochter eines Fabrikanten, reiste in jungen Jahren bereits in die Vereinigten Staaten und besuchte dort Universitätsvorlesungen (Utz, S. 12 – 13). Nach dem Besuch des Gymnasiums beteiligte sich Strauß im Kampf gegen die Spartakisten (1919). Im gleichen Jahr nahm er ein Studium generale in Freiburg und Heidelberg auf. Dort entdeckte er als Jurastudent sein Interesse für die Staatslehre durch die Schriften von Georg Jellinek und Otto von Gierke. Das Studium der Rechtswissenschaften setzte er in Berlin fort und schloss es am 3. November 1923 mit dem Referendarexamen ab. Zuvor (1922) hatte er an der Industrie- und Handelskammer Berlin
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volontiert und bereits in deren Mitteilungsblatt verschiedene Aufsätze zu wirtschaftsrecht lichen Themen veröffentlicht. Er stellte auch die Entscheidungssammlung „Handelskammern und Handelsregister“ neu zusammen (2. Aufl. 1926). Am 24. Juli 1924 promovierte er über die „Verfassungsänderung nach der Weimarer Reichsverfassung“, indem er sich, wie Karl Loewenstein, auch mit dem Art. 76 und dem Problem von Verfassungsänderungen auseinandersetzte. Hervorzuheben ist, dass Strauß in seiner Dissertation gerade wegen des Einflusses des Volkes auf die das Volk repräsentierende Nationalversammlung klarstellt, dass die Grundrechte durch „Aufnahme in die Verfassung […] den verstärkten Schutz der Verfassung, deren erhöhte formelle Gesetzeskraft“ hätten. Die Grundrechte bewirkten eine Bindung von Rechtsprechung und Verwaltung (Strauß, S. 94 – 95). Dies könne sich, so Walter Strauß, auf das Verhältnis z wischen dem Gesetz und der Reichsverfassung aber nur dann auswirken, wenn Verstöße gegen den Vorrang der Verfassung „geahndet“ würden. Strauß plädierte für ein richterliches Prüfungsrecht, denn sonst habe der Vorrang der Verfassung lediglich „nur die rechtliche Kraft einer lex imperfecta“ (Strauß, S. 124 Fußnote 3). Nach seiner Promotion trat er am Kammergericht Berlin sein Referendariat an. In der Anwaltsstation arbeitete er für Ernst Wolff, der zu damaliger Zeit einer der bedeutendsten Rechtsvertreter für privatrechtliche Folgen aus dem Versailler Vertrag war. Zu den späteren Referendaren in der Kanzlei Wolff gehörten auch Klaus Bonhoeffer, Justiziar bei der Lufthansa und Bruder von Dietrich Bonhoeffer, sowie in den 1950er-Jahren der spätere Außenstaatssekretär und Rektor der Frankfurter Universität Walter Hallstein. Walter Strauß wurde nach dem 2. Staatsexamen (4. Oktober 1927) zunächst Richter an verschiedenen preußischen Gerichten, um jedoch schon am 1. Mai 1928 in das Kartellreferat der Abteilung I des Reichswirtschaftsministeriums zu wechseln. Dort entwarf er zwei Verordnungen zur Preisbindung und zwei Gesetzentwürfe, die das Kartellrecht vor dem Hintergrund der Reparationspflicht und der Weltwirtschaftskrise verändern sollten. Die Gesetzentwürfe scheiterten jedoch innerministeriell an dem Argument einer Beschneidung der Vertragsfreiheit. Ein Widerstand, der bereits auf dem Juristentag im Jahre 1928 formuliert worden war. Im Jahr 1933 arbeitete er den Teil „Kartellrecht“ für das von Rechtsanwalt Reinhold Wolff herausgegebene Rechtsvergleichende Handwörterbuch aus. Auf die Inhalte seiner Beiträge zur damaligen neuen deutschen Kartellgesetzgebung soll an dieser Stelle nur insoweit eingegangen werden, als erwähnt werden soll, dass Strauß auch aus rechtsvergleichender Perspektive (USA) eine Kontrolle bereits zugelassener Kartelle forderte (Utz, S. 16 – 32). Am 30. April 1933 wurde Walter Strauß beurlaubt und am 10. November 1934 in den Ruhestand versetzt. Nur vom 1. Juli 1936 bis zum 1. September 1936 fand er eine Anstellung in der Kanzlei Schmidt, Beutner, Kempner als juristischer Hilfsarbeiter. Als Anwalt zu arbeiten war bereits unmöglich, weil bereits im September 1933 der deutsche Anwaltsverein die jüdischen Mitglieder ausgeschlossen hatte. Vom 1. September 1938 bis Anfang des Jahres 1942 arbeitete er in dem Reisebüro Atlantic-Express GmbH, einer HAPAG-Vertretung. Von dort aus organisierte er die Amerikareise Dietrich Bonhoeffers. Er wurde auch mit weiteren Auswanderungen von Juden betraut. Zugleich war er rechtsberatend im Internationalen Privatrecht für ein Büro namens Wirth tätig. In d iesem Metier half er vielen verfolgten Menschen nicht nur mit den Reisevorbereitungen, sondern auch, mit der für eine Ausreise diskriminierenden
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und menschenunwürdigen Bürokratie fertigzuwerden. Ihnen ebnete er den Weg für einen Neubeginn in der Emigration. So wurde er Vertrauensmann der evangelischen und katho lischen K irche. Er ließ sich 1939 evangelisch taufen. Im Jahr 1943 wurden sein Vater und seine Mutter nach Theresienstadt verschleppt, nachdem seinem Vater zunächst die Lehrbefugnis und dann die Approbation entzogen worden war. 1944 starb sein Vater an einem Herzinfarkt und seine Mutter überlebte die Befreiung des Konzentrationslagers nicht. Walter Strauß überlebte durch gesetzliche „Privilegierung“ in einer sogenannten „Mischehe“ mit Tamara Berta Schneider in Berlin/Wannsee die letzten Jahre des Krieges (Utz, S. 34 – 47). Nach dem Zweiten Weltkrieg begründete er die CDU und war mitbestimmend in der programmatischen Debatte der Partei in dieser Zeit des politischen und staatlichen Neubeginns. Nach einer kurzen Berufstätigkeit als Krankenhausdirektor in Berlin wechselte er im Sommer 1946 ins Land Hessen als Sonderbeauftragter im Stuttgarter Länderrat und als Hessischer Vertreter und Mitglied des Direktoriums. Mit dem Vorschlag des ameri kanischen Generals Clay über die zukünftige Vereinheitlichung der angelsächsischen Zonen entstand eine Denkschrift Walter Strauß’ zu einem organisatorischen Aufbau dieser Besatzungsgebiete (4. August 1946). Der dann später installierte Wirtschaftsrat der Bizone wurde durch die Arbeit Walter Strauß’ rechtlich maßgeblich ausgestaltet. Bis zum 6. April 1948 beteiligte sich Strauß am exekutiven und legislativen Aufbau einer Wirtschaftsverwaltung, die sich sowohl ordnungspolitischen wie auch Wirtschaftsverfassungs-, Gewerbe verfassungs- und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen widmen musste. (Utz, S. 51 – 126). Sein Gesetzentwurf über das Rechtsamt prädestinierte ihn zum kommissarischen Leiter der neu errichteten Verwaltungszuständigkeit für den gewerblichen Rechtsschutz. Sein Stellvertreter wurde Günther Joel, der Sohn des damaligen Staatssekretärs und späteren Reichsjustizministers in der Weimarer Republik, Curt Joel. Von hier aus bestimmte Walter Strauß die weitere Entwicklung des gewerblichen Rechtsschutzes nach 1945 durch seinen persönlichen Beitrag maßgeblich mit. Dieser Weg endete mit der Gründung des Deutschen Patentamtes. Parallel hierzu hatte er fortwährend eigene Überlegungen zu einer deutschen Verfassung, auch unter dem Blickwinkel der Einheit, in dem sogenannten „Ellwanger Kreis“ gemeinsam mit Anton Pfeifer, Chef der bayerischen Staatskanzlei, Hermann G ögler, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, sowie Eugen Kogon, Heinrich von Brentano, Josef Beyerle, Paul Binder, Gebhard Müller, Theodor Steltzer und Georg Strickrodt vorgenommen. Diese ausgearbeiteten Grundsätze konnten sich jedoch parteipolitisch nicht durchsetzen (Utz, S. 127 – 172). Gleichwohl waren seine Beiträge als gewähltes Mitglied im Parlamentarischen Rat zu den drei Staatsgewalten sowie für die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes von großem Einfluss (Utz, S. 177 – 302). Nachdem er als Kandidat zur ersten Bundestagswahl gescheitert war, nahm er am 21. September 1949 seine Arbeit als Staatssekretär im Bundesjustizministerium auf (Utz, S. 305 – 311). In dieser Funktion bestimmte er in den folgenden Jahren die legislativen Arbeiten für eine soziale Marktwirtschaft zu einem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, zu einem Kartellgesetz und zum Aktiengesetz entscheidend mit (Utz, S. 380 – 439). Sein Einfluss auf die Strafrechtsreform (1950 – 1962) war insbesondere zur Frage der Stellung der Schuld, zur Frage der Todesstrafe, zum persönlichen Lebens- und Geheimbereichs angesichts technischer Fortentwicklung wegweisend (Utz, S. 484 – 493). Interessant ist, dass Strauß
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eine Strafbarkeit des Ehebruchs, entgegen der im Gesetzgebungsverfahren entstandenen Entwurfsfassung, nicht befürwortete, weil dieser Tatbestand „nur aus Gehässigkeit des Antragstellers zur Anwendung komme“. Darüber hinaus erhob er Bedenken gegen eine Strafbarkeit der Homosexualität, weil „eine derartige Betätigung“ zwar „mit Recht ein sittenwidriges Verhalten“ sei, jedoch müsse man „allmählich zu der Vorstellung kommen, daß die Rechtsordnung nicht mehr hinter d iesem Urteil steht“ (Utz, S. 487). In dieser Zeit seiner Arbeit im Bundesjustizministerium war Strauß aber nicht nur wegweisend in der Gesetzgebung um die Gleichberechtigung der Frau, sondern auch in der demokratischen Auseinandersetzung um die außenpolitische Stellung der Bundeswehr und in der Ausgestaltung einer Wehrverfassung und Regelungen zur Kriegsdienstverweigerung. Die ersten Anfänge zur Gründung eines Instituts für Zeitgeschichte, um „die Taten des versprengten deutschen Widerstandes für eine neue politische Kultur fruchtbar zu machen“, gehen auf seine Initiative zurück (Utz, S. 374). Letzteres wurde von Gustav Heinemann vollendet (Utz, S. 376 – 377). Im Jahr 1963 verließ Walter Strauß das Bundesjustizministerium, um sich seinem Wunsch entsprechend (Utz, S. 499, 501 – 502) neuen Aufgaben als Richter am Europäischen Gerichtshof zu widmen (Utz, S. 494 – 512). Nach dem Wahlverfahren wurde er am 6. Februar 1963 zum Richter am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ernannt und 1967 zum Kammerpräsidenten gewählt. Im Alter von 70 Jahren nahm er seinen Abschied (Utz, S. 512). Quellen: Walter Strauß, Die Verfassungsänderung nach der Weimarer Reichsverfassung, Diss. Berlin 1924; Friedemann Utz, Preuße, Protestant, Pragmatiker. Der Staatssekretär Walter Strauß und sein Staat, Tübingen 2003.
Negley K. Teeters “A crime is committed only when a peculiar combination of personal and social factors comes into juxtaposition with an utterly unique physical structure of a human being, to create a specified crime situation” (Teeters, 1943, p. 116). Das sind seine Worte auf „The Eternal Quest for the Causes of Crime“, in die Teeters sein wissenschaftliches Wirken gestellt hat. Seine Arbeit markierte zugleich die entscheidende Wende in der Kriminalforschung. Teeters ganzheitliche Betrachtungen bahnten den Weg für die wissenschaftlichen Spezialgebiete der Kriminalsoziologie, der Kriminalpsychologie und anderer geisteswissenschaftlicher, ökonomischer und jurist ischer Fragestellungen, die fortan eine interdisziplinäre Kriminalitätsforschung in den USA bestimmten. Aus diesem Grunde war seine Publikation „written for the citizens of tomorrow – for those who will vote and who will eventually serve on communities, commissions, as members of social agencies, and as citizens who accept their share of community responsibility“(Teeters, Preface). Teeters wurde am 16. Nov. 1896 in Steubenville geboren.
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Nach dem College (1920) und dem Studium an der Ohio State University (1925) machte er im Jahre 1931 seinen Ph. D. In den Jahren 1926/1927 hatte er eine Teachers Position am Minn. State Teachers Coll., Moorhead, Minn. 1927 erhielt er eine Professur für Soziologie an der Temple University, Phil. In den Jahren 1948 bis 1955 war er Chairman des an der Universität zuständigen Departments für Soziologie und gehörte der Prison Industries Section bis 1944 an. Seit 1946 war er an der University of Chicago beschäftigt und seitdem Chairman der Herausgeberkommission des Prison Journal sowie Mitglied und Präsident der Prison Society. In den Jahren 1945 bis 1947 war er Mitglied der „Pennsylvania Joint State Government Commission of General Assembly to revise penal code“. Darüber hinaus war Teeters Mitglied in den wichtigsten Vereinigungen zur Straffälligen Reform, wie zum Beispiel der American Sociological Society, der Eastern Sociological Society, der American Prison Association und der American Association of University Professors und südamerikanischer kriminologischer wissenschaftlicher Gesellschaften in Argentinien und Chile. Teeters war Mitarbeiter des Journal of Criminal Law, Prison Journal. Er erhielt einen staatlichen Zuschuss vom Department of State die Zustände in den Gefängnissen in einigen Ländern Südamerikas zu untersuchen (Biograph. System). Im Jahre 1943 veröffent lichte Teeters zusammen mit seinem Kollegen Harry Elmer Barnes die erste Auflage seiner Publikation „New Horizons in Criminology“. Im zweiten Teil dieser Publikation entwarf er ein neues Verfahren für eine andere rechtliche, gerichtliche, soziale und bildungspolitische Behandlung von Kriminellen und Gefährdeten (Barnes/Teeters, Book Two, p. 285 – 626). Dieser Publikation folgte das Buch mit dem Titel „The Challenge of Delinquency. Causa tion, Treatment, and Prevention of Juvenile Delinquency“. In seinem Vorwort zur dritten englischsprachigen, in Deutschland erhalten gebliebenen Auflage zu „New Horizons“ (1959) wies er nicht nur auf den Wandel in der Behandlung von Kriminalität in den USA hin (Barnes/Teeters, Book One, Preface p. Vii), sondern ging neuen Ursachen wie urbanen und familiären Einflüssen der Kriminalität nach (Barnes/ Teeters, Book One, Part II., Chapter 12, p. 177 – 196). Ohne auch auf die historisch-soziolo gischen Forschungen Teeters eingehen zu müssen – an dieser Stelle sei nur beispielhaft auf seine Publikation „The Prison at Philadelphia CHERRY HILL. The Separate System of Penal Discipline: 1829 – 1913“ hingewiesen –: Teeters sah in seinen „Modern Sociological Theories“ vor allem ökonomische und geografische Ursachen der Kriminalität begründet (Barnes/Teeters, Book One, Part II., Chapter 8 – 10, p. 140 – 205; Chapter 11, Minority Tensions as Factors in Crime, p. 163 – 176). Quellen: Nigley K. Teeters, New Horizons in Criminology, Prentice-Hall, Inc., Englewood Cliffs, N. J. First Edition 1943, Second Edition 1951, Third Edition 1959 with Harry Elmer Barnes als Kurzfassung; Nigley K. Teeters, The Challenge of Delinquency. Causation, Treat ment, and Prevention of Juvenile Delinquency, Prentice-Hall 1950; World Biographical Information System Online: Who’s who in the East. 6th ed. 1957, p. 250; Nigley K. Teeters, The Prison at Philadelphia CHERRY HILL. The Separate System of Penal Discipline: 1829 – 1913, New York 1957; Harry Elmer Barnes und Nigley K. Teeters, New Horizons In Criminology, Prentice-Hall Sociology Series, 1959, Book One and Book Two.
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Eduard Tigges „Die Reichsverfassung kann und will nicht die notwendigen Folgen des körperlichen und seelischen Unterschiedes der Geschlechter aus der Welt schaffen. Eine Regelung, die dieser Unterschiede wegen die vermögensrechtliche Stellung des Mannes und der Frau in der Ehe verschieden ordnet, verstößt deshalb noch nicht gegen den Artikel 119. Nur sollen nach ihm die Summe der Rechte des Mannes und die der Frau gleichwertig sein“ (Tigges Ausführungen zu Art. 119 Abs. 1 Satz 2 WRV vom 1. Nov. 1928 an den Preu ßischen Justizminister, Bl. 4). Diese Worte kennzeichnen im Wesentlichen seine staatstragende und seine rechtsstaat liche Haltung zur Gleichberechtigung der Geschlechter während einer der wichtigsten Reformen des 20. Jahrhunderts. Auf die Weimarer Reform und damit auch auf die Rechtsstellung der Frau im Bürgerlichen Recht nahm Tigges aus seinem Amt als Kammer gerichtspräsident entscheidenden Einfluss. Gleichwohl schaffte es Tigges nicht, dass während seiner Amtszeit bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten Frauen als Richterinnen im Kammergericht tätig werden konnten. Tigges wurde am 23. Januar 1847 in Sachsenberg bei Schwerin/Mecklenburg als Sohn des Arztes an der Anstalt Sachsenberg (Geh. Medizinalrat Dr. Wilhelm Tigges) geboren. Nach dem Besuch der Gymnasien in Schwerin und Düsseldorf erfolgte das Studium an den Universitäten Marburg, Straßburg, Heidelberg und Bonn. 1895 promovierte er an der Universität Göttingen „Ueber den concursus duarum causarum lucrativarum“. Nach den Staatsprüfungen in Düsseldorf war er im Jahr 1900 zunächst am Amtsgericht Düsseldorf, ab 1905 als Landrichter tätig. Bereits während dieser Zeit weckte die Ausbildung und Förderung des juristischen Nachwuchses sein Interesse: „Einige Grundregeln über das Anfertigen von Relationen“ (Berlin 1908) war seine zweite Veröffentlichung. Im Jahr 1911 wechselte er als vortragender Rat in das Preußische Justizministerium in Berlin. Im Jahr 1915 erfolgte seine Ernennung zum Geheimen Oberjustizrat. Im Jahr 1921 wurde er Präsident des OLG Düsseldorf. Am 19. August 1922 wurde er zum Kammergerichtspräsidenten berufen. Seiner Berufung gingen heftige Debatten um die Neubesetzung des Amtes in den Redebeiträgen zum Etat des Justizministers in den Sitzungen des Preußischen Landtags am 22. und 23. Mai 1922 voraus: „Auf keinen Fall darf ein Reaktionär auf den Posten des Kammergerichtspräsidenten berufen werden“, forderte der Abgeordnete Dr. Berndt. „Auf den Posten des Kammergerichts präsidenten gehört in der heutigen Zeit ein Mann, dessen Name allein weithin sichtbar schon ein Programm bedeutet, ein Mann, der den Willen zur Reform der Rechtspflege verkörpert“, so der Abgeordnete Rosenfeld. Tigges trat sein Amt als Nachfolger von Adolf Ferdinand Hermann von Staff am 1. Oktober 1922 an. Tigges veränderte insbesondere die Anforderungen an die Einstellungs- und Beförderungskriterien, weil seiner Auffassung nach der Personalbestand an diensttätigen Kammergerichtsräten nicht durchweg der Höhe der Anforderungen an Begabung und Leistungsfähigkeit entsprach. Die Frage des Dienstalters wollte Tigges in den Hintergrund treten lassen. Er wollte auch keine Richter in den Großen Disziplinarsenat des Kammergerichts berufen wissen, die parteipolitisch hervortraten oder gegen die gar Ermittlungen disziplinarischer Natur schwebten. Tigges
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trat auch für eine Veröffentlichung disziplinarischer Entscheidungen und für deren öffent liche Verhandlung ein. In den elf Jahren seiner Amtsführung bestätigte das Kammergericht erneut seinen alten, unantastbaren Ruf als unabhängiger Gerichtshof. Insbesondere was Befangenheitsanträge gegen jüdische Richter betraf, bewahrte Tigges seine Kollegen vor rassenpolitischen Vorurteilen (Fall v. Voigtländer 1926/27). Tigges schützte die Unabhängigkeit des Kammergerichts vor politischer Polemik. Das zeigte der Fall Grützner, auf den aus Platzgründen an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann. Dem von der Fraktion der NSDAP erhobenen Vorwurf der Rechtsbeugung trat Tigges in den Jahren vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten entgegen, indem er schrieb: „Wenn es Brauch werden sollte, dass ein Richter, der Nationalsozialisten verurteilt, deswegen mit einer Erhebung einer Anklage wegen Rechtsbeugung in der Öffentlichkeit unter parlamentarischem Drucke bedroht wird, so wird die Gefahr entstehen, dass mit Recht von einer gefesselten Justiz gesprochen werden kann“ (Weichbrodt, S. 134 – 135). Als Mensch hochgeachtet, als Visitator der ihm unterstellten Gerichte gefürchtet, war Tigges nicht der Mann nach dem Geschmack der neuen Machthaber: Bereits im Februar 1933 verhinderte er, dass die Hakenkreuzfahne auf der Dachkuppel des Kammergerichts gehisst werden konnte, indem er den Mitgliedern der NSDAP die Herausgabe des betreffenden Schlüssels verweigerte. Nach der Sekundärliteratur wurde Tigges am 1. Juni 1933 zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Der Grund soll seine rechtsstaatliche Haltung gewesen sein, die auch zu disziplinarischen Maßnahmen führte, wenn die richterlichen Entscheidungen Nationalsozialisten verschonten oder bevorteilten. Neuere dienstliche Quellen aus dem Justizministerium belegen, dass Tigges im 59. Lebensjahr, und damit vor Erreichen der Altersgrenze, beantragte, ihn aus dem Amt zu entlassen. Tigges blieb in Berlin, bis Bomben sein Heim im Grunewald zerstörten. Er fand Aufnahme bei Angehörigen in Barmen, wo er am 27. Juni 1945 starb. Quellen: GStA PK I. HA Rep. 84a Justizministerium MF-Nr. 12429 – 12430; Edition Luisenstadt, 1998. www.Luise-berlin.de/Personen/Tigges_Eduard.htm; Erik Amburger, Das Kammergericht und seine Präsidenten, Berlin 1955, S. 54 – 55; Rudolf Wassermann, „Kammergericht soll bleiben“. Ein Gang durch die Geschichte des berühmtesten deutschen Gerichts (1468 – 1945), Berlin 2004, S. 88 – 90, 99 – 101; Stephan Weichbrodt, Die Geschichte des Kammergerichts von 1913 bis 1945, Berlin 2009, S. 58 – 59, 68, 69, 87, 88, 93 – 96, 104 – 121, 134 – 135, 160 – 161.
Erich Volkmar „Der tiefste Sinn des nationalsozialistischen Kampfes ist ja das Ringen um die Seele des Deutschen Volkes. Es soll sich von dem niederdrückenden Materialismus der Systemzeit auch innerlich abwenden und sich auf die hohen ideellen Werte besinnen, aus denen heraus allein Deutschlands Erneuerung und Wiedererstarkung vollendet und befestigt werden kann. Diese neue sittliche Einstellung mußte sich alsbald im Recht, das ja der Spiegel der Volksseele ist und sein soll, auswirken“ (Volkmar und andere Herausgeber).
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Das sind die Worte eines hervorragenden Juristen, der auf der Höhe seines beruflichen Schaffens die jungen zukünftigen Juristen auf das mit dem Nationalsozialismus verstrickte Recht einschwören wollte. Erich Volkmar wurde am 7. Mai 1879 in Berlin-Charlottenburg geboren. In der ersten juristischen Staatsprüfung erhielt Volkmar die Note „Mit Auszeichnung“ (25. 6. 1900). Das zweite juristische Staatsexamen schloss er mit der Note „gut“ ab. Am 6. August 1900 promovierte er bei Wilhelm Kahl zu dem Thema „Vis maior und Betriebsgefahr“. Seine Dissertation wurde als Heft 9 der Rechts- und staatswissenschaftlichen Studien im Verlag Ebering, Berlin, verlegt. Zu diesem Zeitpunkt war er noch Kammergerichtsreferendar. Am 16. 1. 1905 wurde er zum Gerichtsassessor ernannt und am 1. 4. 1908 zum Amtsrichter am Amtsgericht Berlin-Schöneberg. Nach einer Zeit als Hilfsrichter beim LG II Berlin, wurde er am 1. 3. 1913 zum Landrichter ernannt. In der Zeit vom 5. 7. 1913 bis 10. 8. 1913 war er an das Preußische Justizministerium abgeordnet. In der Zeit vom 16. 9. 1914 bis Dezember 1916 war er Hilfsrichter am Kammergericht in Berlin. Nach dem Militärdienst wurde er am 1. 4. 1919 zum Kammergerichtsrat ernannt, jedoch ab dem 16. 9. 1919 als Hilfsarbeiter in das Reichsjustizministerium abgeordnet, wo er am 18. 12. 1919 zum Geheimen Reg.-Rat und vortragenden Rat ernannt wurde. In der folgenden Zeit veröffentlichte er gemeinsam mit Hermann Dersch zu den Entscheidungen des Reichsgerichts zum Arbeitsrecht und späteren Arbeitsgerichtsgesetz eine Kommentierung. Regelmäßig erschienen Publikationen zur Zivilprozessordnung (im Verlag Julius (Alice) Bensheimer, bis in die 8. Auflage), darüber hinaus zu anderen zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften (Schlichtungswesen, Verfahrensbeschleunigung in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten) und über die Rechtsverträge des Deutschen Reichs. Er war Kommentator für den renommierten BGB-Kommentar Staudinger für das Schuldrecht. Im Jahre 1920 wurde er zum Regierungsrat und kurze Zeit später Ministerialrat ernannt. 1931 bis 1934 war er als Ministerialdirektor im Reichsjustizministerium und als Abteilungsleiter tätig, um dann von 1934 bis 1943 zunächst Mitglied und ab 1935 als Senatspräsident am Reichserbhofgericht im Nebenamt und während dieser Zeit als Honorarprofessor für Zivilprozessrecht an der Universität Berlin (18. 3. 1938) seine juristische Berufslaufbahn zu beschließen. Ausschließlich seine zivilprozessrechtlichen Arbeiten anlässlich seiner Ernennung zum Abteilungsleiter für Bürgerliches Recht sind im Reichsjustizministerium gewürdigt, jedoch bis zum heutigen Tage noch nicht wissenschaftlich aufgearbeitet worden: „Er vertritt eine ganz bestimmte, in Wissenschaft und Praxis lebhaft umstrittene Auffassung der Ordnung des Prozeßverfahrens, der er schon vor vielen Jahren als Amtsrichter Ausdruck gegeben hat, die in der Prozeßnovelle von 1924 in erheblichem Maße zum Durchbruch kam und die auch dem neuen Entwurf der ZPO zugrunde liegt, den das Reichsjustizministerium vor wenigen Monaten veröffentlicht hat. Die Beschäftigung mit diesem Entwurf wird noch mehrfach Veranlassung geben, sich mit den Volkmarschen Gedanken auseinanderzusetzen“ (Vos sische Zeitung vom 29. Oktober 1931). In keinster Weise bisher gewürdigt wurden seine Arbeiten auf dem Gebiet des Arbeits- oder Eherechts, womit Letzteres auf die im Jahre 1938 erschienene Publikation zum Großdeutschen Eherecht im Verlag Beck hinweisen soll. Anlässlich seines 60. Geburtstags vermerkte die „Deutsche Justiz“ in Heft Nr. 19 aus dem Jahre 1939 (S. 811), dass Volkmar an der Gestaltung des Familienrechts entscheidenden
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Anteil habe. Volkmar war einer der Ausschussvorsitzenden für den Ausschuss Bürgerliche Rechtspflege und für den Ausschuss Konkursrecht in der Akademie für Deutsches Recht. Das von Professor Fritz Stier-Somlo und Dr. jur. Alexander Elster herausgegebene und in sieben Bänden bis zum Jahr 1931 erschienene Handwörterbuch der Rechtswissenschaft wurde nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten durch „Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/36“ im Jahr 1937 abgelöst. In dieser als Band 8 des Handwörterbuchs der Rechtswissenschaft publizierten Ausgabe finden sich zur Arbeitsgerichtsbarkeit, zum Bürgerlichen Recht und zur Zivilprozessordnung Volkmars Ausführungen (Volkmar, S. 42 – 49, 132 – 133, 899 – 903). Die Autorenschaft war ausgesucht: zu Volksverrat, Volksnotwehr und Volksnotstand sowie zum Rechtsstaat schrieb Roland Freisler. Bereits das Vorwort der Herausgeber und des Verlags verkündeten unmissverständlich, wohin die juristische Unterweisung der Leser gehen sollte. Volkmar starb am 24. Juli 1951 in Bückeburg, nachdem er bereits mit Ablauf des Monats Oktober 1942 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt worden war. Quellen: Bundesarchiv, R 3001 Personalakte Erich Volkmar Akten-Nr. 79139 – 79147 sowie Bundesarchiv, Online-Edition „Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik“, Biographien; Erich Volkmar, Günther Küchenhoff und Alexander Elster (Hg.), Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/36, zugleich Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Bd. VIII. Der Umbruch 1933/1936, Berlin 1937; Hans-Rainer Pichinot, Die Akademie für Deutsches Recht – Aufbau und Entwicklung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft des „Dritten Reichs“, Diss. Kiel 1981, Anhang III, S. 167, Anhang IV, S. 170 – 171.
Marianne Weber „Eine seelische Eigenart der Frau scheint ja darin zu bestehen, dass sich ihr Interesse und Verständnis allem Persönlich-Menschlichen unmittelbarer als den Objekten zuwendet. Wie die Mehrzahl ihrer wissenschaftlichen Arbeiten aus unsrer Epoche zeigen, wird ihr im allgemeinen erst das an ihr und anderen E r l e b t e Ereignis, dessen Zusammenhang mit anderen Ereignissen sie scharfsinnig zu erforschen weiß“ (Weber, 1919, S. 7). Diese Erkenntnis spiegelt sich in Marianne Webers Leben und Werk wieder. Sie wurde am 2. 8. 1870 geboren und besuchte nach der Schule philosophische Vorlesungen an der Freiburger Universität. Hier begegnete sie dem Rechtssoziologen Max Weber (1864 – 1920). Während dieser Freiburger Zeit befand sich auch Paul Mühsam, der Weggefährte Marie Raschkes, unter den Max-Weber-Hörern (Mühsam, 1989, S. 62 – 64, 74). Marianne Weber heiratete Max Weber. Nach seinem Tod trat sie als Herausgeberin seiner Schriften in Erscheinung (Marianne Weber, 1926). Zuvor hatte sie bereits 1897 den Verein „Frauenbildung – Frauenstudium“ in Heidelberg gegründet. Dieser Verein pflegte nicht nur den wissenschaftlichen Diskurs, sondern erteilte auch Rechtsberatung. Im Jahre 1907 erschien ihre Publikation „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“. Mit Gertrud Bäumer gab sie das Handbuch der Frauenbewegung und die Zeitschrift „Die Frau“ heraus.
Marianne Weber
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Ihr Engagement im Allgemeinen Deutschen Frauenverein und im Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein wurde von Gertrud Bäumer befördert, deren Ziel es war, Marianne Weber zunächst zu einer Mitgliedschaft im Engeren Vorstand des Bundes (1906) und später zur Übernahme des Ersten Vorsitzes des Bundes Deutscher Frauenvereine mit Erfolg zu bewegen. Die persönliche und berufliche Verbundenheit Marianne Webers und Gertrud Bäumers fand ihren höchsten Ausdruck in einer von Marianne Weber verfassten Lebensskizze Bäumers zu ihrem 60. Geburtstag (Weber, 1933, S. 9 – 18). Im Jahre 1919 ergänzte Marianne Weber durch die Publikation „Frauenfragen und Frauengedanken“ ihr Lebenswerk. In dieser Sammlung von Aufsätzen findet sich eine Auseinandersetzung mit der Geschlechtstheorie von Georg Simmel (Weber, 1919, S. 99 – 105). Marianne Weber wies in dieser Auseinandersetzung nach, dass Georg Simmel die Frau von der Mitgestaltung an der objektiven Kultur ausschließen wollte, „weil [so Simmel] jede Spezialisierung und Versachlichung der Kräfte die Erfüllung der spezifisch weiblichen Aufgaben gefährdet“ (Weber, 1919, S. 103 – 105). In diesem Band berichtete Marianne Weber über ihre Arbeit im badischen Landtag als Abgeordnete für die Deutsche Demokratische Partei (DDP, 1919) und im Vorstand der Partei; es folgten zunehmend rechtspolitische Betrachtungen unter dem Titel „Über parlamentarische Arbeitsformen“ (S. 262 – 278). Sie widmete sich Betrachtungen „Über Beruf und Ehe“ (Weber, 1919, S. 20 – 37), der Frage der Bewertung der Hausfrauenarbeit (Weber, 1919, S. 80 – 94), dem Typenwandel der studierenden Frau (Weber, 1919, S. 179 – 201) und den besonderen Kulturaufgaben der Frau (Weber, 1919, S. 238 – 261). Marianne Weber hob in ihrer Auffassung über die Kulturaufgaben der Frau die volkswirtschaftliche Bedeutung der Hausfrau in wirtschaftlich knappen Zeiten hervor (Weber, 1919, S. 255). Rechtspolitisches ist in dem Aufsatz über Beruf und Ehe zu erfahren: „Bei dem Auszug der besitzlosen Frauen aus dem Hause in die Werkstatt und Fabrik, ins Geschäft und Bureau, ins Kranken- und Schulzimmer treibt jener materielle Druck stärker als alle anderen Motive, nur hier und da klingen auch diejenigen Töne see lischer Not mit, die bei den Frauen besitzender Kreise zum pathetischen Leitmotiv der Frauenberufsfrage wurden: der innere Widerspruch gegen die ihnen in Familie und Gesellschaft zugewiesene Stellung, die unbefriedigte Sehnsucht ihrer hilflosen und unfertigen Jugendjahre nach einem eigenen und reichen Lebensinhalt, nach einem selbst geschaffenen Lebenskreise, nach selbstgewählten, fest umschriebenen Pflichten, die Hoffnung, im Beruf Raum für unser Ich, für die Entwicklung unserer Persönlichkeit zu gewinnen und dann auch die fröhliche Zuversicht, durch ihn gerade als Frauen ‚den anderen‘ und der Kultur etwas zu bieten, dessen Fehlen die verfeinerte Sittlichkeit unserer Zeit als Mangel empfindet“ (Weber, 1919, S. 20). In dem Aufsatz über die Bewertung der Hausfrauenarbeit arbeitete Weber mithilfe sozioökonomischer Statistik, um ihre Auffassungen zu begründen. Die Vorkämpferinnen für einen Rechtsanspruch der Frau auf einen Studienplatz an den Universitäten betrachtete sie nicht nur als Mitglieder der Frauenbewegung, sondern als „Gefährtinnen“ einer „sozialen Bewegung“. Sie forderte eine bildungspolitische Differenzierung, für diejenigen Frauen, denen „die akademischen Bildungsmethoden und Anforderungen nichts als steinige Umwege zur Erreichung praktischer Ziele bedeuten“. Nach ihrer Auffassung „muß“ dieser Personenkreis „auf andere Berufe und andersartige Ausbildungsformen verwiesen werden“ (Weber, 1919, S. 183, 199 – 200).
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Führt man sich den bisherigen Lebensweg Marianne Webers vor Augen, so wird klar, warum es die DDP war, der sie im Badener Landtag diente. Die deutsche demokratische Partei (DDP) „war eine revolutionäre Neugründung von Männern freiheitlich nationaler und sozialer Gesinnung. Anhänger Friedrich Naumanns, dann der fortschrittlichen und feinsinnigen Richtungen, die sich nur durch geringen Abstand von den besonnenen Mehrheitssozialisten getrennt fühlten, bildeten ihren Kern.“ Max Weber war ebenfalls Mitglied dieser Partei. Er wurde zwar von der Frankfurter Parteiversammlung für die Verfassunggebende Nationalversammlung vorgeschlagen, jedoch nicht gewählt. Marianne Weber erkannte, dass ihr Mann hierzu nicht geschaffen war: „Sich heraufzudienen in einer Partei, war für ihn überhaupt unmöglich.“ Hiergegen erlebte Marianne Weber während ihrer politischen Arbeit eine „Offenheit des Wettstreits um die Macht“ in der Partei, die ihr jedoch „sympathischer“ war, „als der in den Frauenorganisationen sich versteckt bekundende Ehrgeiz“. Marianne Weber genoss diese Jahre ihrer politischen Arbeit als die historisch ersten Jahre „politischer Gleichberechtigung und Mitverantwortung aller Bürger“ (Weber, 1948, S. 84 – 85, 88 – 89, 90, 100). Der Ruf Max Webers nach München brachte eine Wende in Marianne Webers Leben: „Kurz nach meinem Einzug in München streckte der Bund Deutscher Frauenvereine als die umgreifendste Gemeinschaft der bürgerlichen Frauenbewegung seine Hände nach mir aus. Ich stand wieder vor einer Aufgabe, die mir in jener Lebensphase als zu schwer erschien. Aber die Führerin und Freundin Gertrud Bäumer befahl, und es zeigte sich wieder einmal, daß ein Mensch mehr kann, als er zu können glaubt, wenn er will, was er soll“ (Weber, 1948, S. 112). Ausweislich der Sekundärliteratur gab Marianne Weber ihren Vorsitz im Bund Deutscher Frauenvereine nach einer Vortragsreise wegen der ernsten Erkrankung Max Webers wieder auf (1920) (Göttert, S. 145 – 146). Richtig ist, dass sie erst nach dem Tod ihres Mannes in dieser Zeit tiefster Trauer nur einen „Rücktritt“ aus den herausgehobenen Vorstandsfunktionen wagte. Sie wollte auch in Zukunft „in kleinem Kreise der Frauensache“ dienen, wie aus ihrem Schreiben an Alice Bensheimer vom 7. Juli 1921 hervorgeht: „Ueber meinen Rücktritt wäre etwa folgendes zu sagen. Die Vorsitzende fühlt sich nach eindringlicher Ueberlegung zu ihrem grossen Bedauern gezwungen ihr Amt niederzulegen, da die ihr vom Schicksal auferlegten grossen Aufgaben an der geistigen Hinterlassenschaft ihres Mannes in den nächsten Jahren ihre volle Kraft und Konzentration beanspruchen und mit der Führung des Bundes unvereinbar sind. Sie wird sich vorerst darauf beschränken müssen, nur noch im kleinen Kreise der Frauensache zu dienen. Der Engere Vorstand schlägt deshalb vor, für die nächsten beiden Jahre den Bundesvorsitz Frau Emma Ender zu übertragen, die als Vorstandsmitglied in allen Bundesangelegenheiten eingedrungen ist und unserer Arbeit grosse Hingabe und Verantwortung entgegenbringt. […] Auch würden dann zwei Plätze im Vorstand frei.“ Die Funktionen in den Rechtskommissionen des Bundes sollten nach diesem Wortlaut offensichtlich unberührt bleiben (LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine MF-Nr. 2618). Durch Marie-Elisabeth Lüders wurde sie über die neuesten Entwicklungen aus dem Reichstag nicht nur fortwährend informiert, sondern sie erhielt auch politisch strategische Hinweise für geplante Eingaben des Bundes an den Reichstag, wie bereits ein Schreiben Lüders einige Monate zuvor (17. März 1921) zeigt (LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine MF-Nr. 2446). Zur Abänderung der
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Bestimmungen im Familienrecht und zur Änderung des Ehescheidungsrechts ist Schriftverkehr aus den Jahren 1921 bis 1923 z wischen Marie Munk und Marianne Weber erhalten geblieben (LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine MF-Nr. 2762, 2764 und 2765). Marianne Weber unterzeichnete auch noch die von Marie Munk und Margarete Berent verfasste Resolution zur Denkschrift über die Änderung zum Ehescheidungsrecht und zur elterlichen Gewalt an den Reichstag gemeinsam mit Alice Bensheimer (LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine MF-Nr. 2762). Erst ab dem Jahre 1924 wurde Marianne Weber von dem Nachlass und der geistigen Arbeit ihres Mannes in Gänze erfasst. Bis zur Veröffentlichung ihrer Biografie über Max Weber (1926) – und nur diese betrachtete Marianne Weber (in einem Rückblick) als ihre „eigene Arbeit“ (Weber, 1948, S. 125) – lebte sie zurückgezogen der Aufbereitung des Werks ihres Mannes verpflichtet: „Max Webers Schreibtisch ist nun mein Altar, die von ihm geweihte Stätte. Ich arbeite daran, umgeben von seinem Handwerkszeug. Alles, was er berührt hat, besitzt Reliquienwert. Die Dinge strömen die von ihnen eingesogenen Kräfte des Geschiedenen aus“ (Weber, 1948, S. 115. Kursive Hervorhebungen durch die Verfasserin). Karl Jaspers urteilte später: „Zur anschaulichen Kenntnis der Welt und Person Max Webers ist diese Biographie das unentbehrliche Dokument“ ( Jaspers, S. 79). Bereits am 18. Januar 1922 hatte sie „[i]n Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Unterstützung des Werkes ihres Gatten, des Soziologen Max Weber, der Herausgabe seines Nachlasses und ihrer eigenen Untersuchungen auf dem Gebiete des Eherechts“ von der Universität Heidelberg die Ehrendoktorwürde verliehen bekommen. Damit hatte sie während einer Zeitspanne von 200 Jahren (1733 bis 1933) eine der wenigen vier rechtswissenschaftlichen Ehrenpromotionen erhalten (Boedeker, S. LXXXI–LXXXV). Über d ieses für Marianne Weber große Ereignis berichtete sie in ihren Lebenserinnerungen in der dritten Person. Das Gelingen der wissenschaftlichen Publikation zum Eherecht rechnete sie nicht ihrem Verdienst, sondern dem Verdienst ihres Mannes zu: „Als Max Webers Werke Band um Band erschienen waren, kam die juristische Fakultät der Heidelberger Universität auf den Gedanken, der Herausgeberin den Dr. Honoris causa zu verleihen – für die Arbeit im Dienst des Geschiedenen und für utter in der Rechtsentwicklung‘, ihr eigenes rechtsgeschichtliches Buch: ‚Ehefrau und M das sie während ihres Mannes schwerer Krankheit unter seiner Aufsicht in siebenjähriger Bemühung zustande gebracht hat“ (Weber, 1948, S. 123 – 124), sozusagen „unter Max Webers vielfordernder Aufsicht“ (Weber, 1948, S. 234). Die Verwendung der dritten Person in diesen Textpassagen ihrer Lebenserinnerungen belegen, dass sich Marianne Webers Ich- Identität mit der Auflösung des mit Max Weber verbundenen wissenschaftlichen „Wir“ nunmehr in seinen Tod einbettete. Dass Marianne Webers wissenschaftliche Arbeit und damit ihr Sein durch Max Weber auch noch über seinen Tod hinaus maßgeblich geprägt wurde, ist dadurch nachweisbar, dass sie erst ab dem Jahr 1926 wieder Vorträge hielt. Auf der Kölner-Presse-Ausstellung 1928 begegnete sie Marie-Luise Enckendorf, einem Mitglied der Frauenbewegung (Weber, 1948, S. 156 – 157, 375 – 409). In dieser fruchtbaren Zeit „akademischer Geselligkeit“ stand sie in Kontakt mit den Archäologen Ludwig Curtius und von Salis, dem Indologen Heinrich Zimmer, dem Philologen Otto Regenbogen, dem Ägyptologen Hermann Ranke, dem Nationalökonomen Karl Brinkmann, dem Psychologen W. Hellpach, dem Staatsrechtler Gerhard Anschütz und Walter Jellinek (Camilla Jellineks
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Sohn), dem Juristen Karl Geiler, den Nationalökonomen und Soziologen Emil Lederer, Karl Brinkmann, H. Mannheim, J. Marschak, A. Bergsträßer sowie dem Begründer der Privatschule Salem, Kurt Hahn; den Psychologen Hans Gruhle, dem Physiker Meyerhof, dem Althistoriker Ernst Täubler, Begründer der Akademie für die Wissenschaft des Judentums in Berlin und Mann von Selma Stern, Autorin des in zwei Bänden im Jahre 1925 erschienenen Buches „Der Preußische Staat und die Juden“, sowie ihrem Freund und Förderer, dem Strafrechtslehrer Gustav Radbruch. Als Frauen gehörten dazu Luise Klebs, die Witwe des Botanikers O. Klebs, und Marie Luise Gothein, die Witwe des Soziologen Eberhard Gothein (Weber, 1948, S. 193 – 211). Marianne Weber hatte auch großen Einfluss auf das rechtspolitische Engagement Camilla Jellineks, nachdem diese zusammen mit ihrem Mann nach Heidelberg gekommen war. Im Jahr 1946 erschienen Marianne Webers „Lebenserinnerungen“, über die Max Hachenburg in einem Briefwechsel schrieb: „Welche Fülle von Erfahrung, Ideen [und] Herzensgüte steckt darin“ (Hachenburg, S. 220). Marianne Weber starb am 12. 3. 1954. Der Soziologe Hartmann Tyrell arbeitet seit 2008 an einer umfassenden, von der DFG geförderten Weber-Werkbiografie. Quellen: LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine MF-Nr. 2618; LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine MF-Nr. 2446; LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine MF-Nr. 2762, 2764 und 2765; LAB B Rep. 235 – 01 Bund Deutscher Frauenvereine MF-Nr. 2762; Marianne Weber, Die Beteiligung der Frau an der Wissen schaft, in: dies., Frauenfragen und Frauengedanken, Tübingen 1919, S. 1 – 9; Marianne Weber, Die Frau und die objektive Kultur, in: Marianne Weber, Frauenfragen und Frauen gedanken. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1919, S. 95 – 133; Marianne Weber, Über parla mentarische Arbeitsformen, in: Marianne Weber, Frauenfragen und Frauengedanken. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1919, S. 262 – 278; Marianne Weber, Über Beruf und Ehe, in: Marianne Weber, Frauenfragen und Frauengedanken. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1919, S. 20 – 37; Marianne Weber, Zur Frage der Bewertung der Hausfrauenarbeit, in: Marianne Weber, Frauenfragen und Frauengedanken. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1919, S. 80 – 94; Marianne Weber, Vom Typenwandel der studierenden Frau, in: Marianne Weber, Frauenfragen und Frauengedanken. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1919, S. 179 – 201; Marianne Weber, Die besonderen Kulturaufgaben der Frau, in: Marianne Weber, Frauenfragen und Frauengedanken. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1919, S. 238 – 261; Selma Stern, Der Preußische Staat und die Juden, 2 Bde., Berlin 1925 (zu den biografischen Daten Selma Sterns siehe: Marina Sassenberg, Selma Stern (1890 – 1981). Das Eigene in der Geschichte, Tübingen 2004, S. 261; dies., Selma Stern, Frankfurt a. M. 1998, S. 136); Marianne Weber, Max Weber. Ein Lebensbild, Tübingen 1926 (siehe hierzu Rezensionen der im Jahre 1975 erstmals für das Ausland publizierten Biografie: Arthur Schweitzer, Max Weber: A Biography, in: History of political economy, Durham, NC Duke Univ. Press 1977, Bd. 9 Heft 2, p. 300 – 301 sowie David M. Trubek, Max Weber: A Biography, in: The American journal of sociology: AJS Chicago, III. Univ. Of Chicago Press, 1979, Bd. 84 Heft 4, p. 1005 – 1008); Karl Jaspers, Max Weber. Deutsches Wesen im politischen Denken, im Forschen und Philosophieren, Oldenburg 1932; Marianne Weber,
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Gertrud Bäumer, in: Vom Gestern zum Morgen. Eine Gabe für Gertrud Bäumer, Berlin 1933, S. 9 – 18; Elisabeth Boedeker, 25 Jahre Frauenstudium, Hannover 1939; Marianne Weber, Lebenserinnerungen, Bremen 1948; Max Hachenburg, Lebenserinnerungen eines Rechtsanwalts und Briefe aus der Emigration, Stuttgart 1978; Paul Mühsam, Ich bin ein Mensch gewesen. Lebenserinnerungen, Berlin 1989; Margit Göttert, Gertrud Bäumer und Marianne Weber, in: Bärbel Meurer (Hg.), Marianne Weber. Beiträge zu Werk und Person, Tübingen 2004, S. 127 – 153.
Alix Westerkamp „Wesentlichster Bestandteil der Erziehung in der Familie ist hier wie überall die Gemeinschaft des Lebens“ (Westerkamp, 1931, S. 188). Mit diesen Worten kennzeichnete Alix Westerkamp nicht nur den Kernpunkt ihrer wissenschaftlichen Studie über das von einer Familie täglich zu leistende Arbeitspensum, sondern auch die volkswirtschaftlichen und sozialpsychologischen Wirkungen dieser sozialen Gemeinschaft. Alix Westerkamp wurde am 14. Juli 1876 als Tochter des hannoverschen Obergerichts assessors und späteren Marburger Rechtsprofessors (1892) Justus Bernhard Westerkamp geboren. Nach dem Gymnasium (1899) studierte sie Rechtswissenschaften in Marburg und promovierte mit der Dissertation zu dem Thema: „Muss sich der zur strafrechtlichen Verschuldung erforderliche Bewusstseinsinhalt auf die rechtliche oder sittliche Wertung der Handlung erstrecken? Dogmengeschichtliches und Dogmatisches“, (Marburg 1907). Es war die erste weibliche juristische Dissertation an der Marburger Universität. Bereits zu diesem Zeitpunkt war Alix Westerkamp Leiterin des Vereins Frauenbildung und Frauen studium in Marburg. Sie übernahm die Leitung der Rechtsschutzstelle in Frankfurt a. M.. Vier Jahre s päter (1911) wurde sie Nachfolgerin von Frieda Duensing (Zeller, S. 150), die ihre berufliche Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Westerkamp übernahm die Leitung der Berliner Jugendgerichtshilfe in ihrer Funktion als Geschäftsführerin der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge in Berlin (Huch/Baum/Erkelenz, Duensing, Tagebucheintrag vom 6. Mai 1911). Neben ihrer Mitarbeit in der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Ost (SAG) war sie Herausgeberin der „Akademisch-sozialen Monatsschrift“. Ab dem Jahr 1928 hatte sie auch die Redaktionsleitung der Monatsschrift „Neue Nachbarschaft“ inne. Zugleich war sie seit 1913 Dozentin in der Sozialen Frauenschule des Pestalozzi- Fröbel-Hauses III Berlin-Schönberg und 1919 Mitbegründerin der Jugendpflegeschule der SAG. Letztere arbeitete eng mit der Zentralstelle für Jugendwohlfahrt zusammen und wurde auch von dieser mitfinanziert. Im Mittelpunkt ihres Unterrichts standen die Themen „Elterliche Gewalt“ und die „Armen- und Waisenpflege“. Hinzu kam das Fach „Allgemeine Rechtskunde“ an der Sozialen Frauenschule der Inneren Mission in Berlin (bis 1932). Ebenfalls unterrichtete sie dieses Unterrichtsfach im Jahr 1929 an der Wohlfahrtsschule des Vereins Jugendheim Berlin-Charlottenburg. Ihr Unterricht zeichnete sich durch einen großen Praxisbezug aus.
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Nach der Sekundärliteratur habe ihre Berufs- und Lebensleistung darin bestanden, eine Professionalisierung in sozialen Berufen zu erreichen (Reinicke, S. 625). Aber das ist nicht alles: Westerkamp war eng mit der aus England stammenden Settlement-Bewegung verbunden. Diese Bewegung betrachtete „Nachbarschaftsarbeit“ als Grundlage für „Tatsachen- Wissen“ in einer sozialen Gemeinschaft (Dewar, S. 1 – 2). Alix Westerkamp gab dies in ihrer historischen Betrachtung über das Wirken der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin- Ost zu erkennen (Westerkamp, 1929, S. 11 – 20). Ihre wichtigste Publikation mit dem Titel „Rhythmus des Familienlebens. Das von einer Familie täglich zu leistende Arbeitspensum“ wurde im Jahr 1931 gemeinsam mit Marie Baum publiziert. Dieses Buch wurde durch die von Alice Salomon gegründete „Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit. Forschungen über Bestand und Erschütterung der Familie in der Gegenwart“ herausgegeben. Den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen Westerkamps lag eine Untersuchung aller Familienmitglieder von ausgewählten Haushalten zugrunde. Alix Westerkamp ging der Frage nach, wie weit sich durch technische Neuerungen das Familienleben und das Rollenverhalten der Familienmitglieder sowie durch die Frau verändert hatte. Eine Thematik, die sich im Kontext der „Forschungen über Bestand und Erschütterung der Familie in der Gegenwart“ besonders mit den Leitgedanken der Deutschen Akademie für s oziale und pädagogische Frauenarbeit deckte, „wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet anzuregen, auf dem die Frau besonderer Erfahrungen und einer besonderen schöpferischen Einstellung fähig ist“ (Salomon in Baum/Westerkamp, 1931, S. 3, 5). Bei Westerkamps wissenschaftlicher Arbeit handelte es sich um Forschungsansätze, die ihre „Verwandtschaft“ mit Marianne Webers Beteiligung der Frau in der Wissenschaft suchten. Es ist deshalb auch nicht erstaunlich, dass sowohl Alix Westerkamps genannte Publikation als auch die Publikation Marianne Webers über „Die Ideale der Geschlechtergemeinschaft“ in der o. g. Reihe ihre Erstauflage erhielten (Baum/Westerkamp, 1931, S. 3). Andere Verlage wurden auf diese wissenschaftliche Arbeit aufmerksam, sodass Webers Ausführungen im Jahre 1930 in zweiter Auflage im Herbig-Verlag (Berlin) erschienen. Über ihren weiteren Lebensweg ist nichts bekannt. Sie starb am 1. März 1944. Quellen: Ricarda Huch, Marie Baum und Anton Erkelenz (Hg.), Frieda Duensing. Ein Buch der Erinnerungen, 3. Aufl., Berlin 1926, S. 223, Tagebucheintrag vom 6. Mai 1911, 2. und 1. Aufl., Berlin 1923 und 1922, S. 197; Alix Westerkamp, Geschichte der Settlement bewegung in Deutschland, in: Soziale Arbeitsgemeinschaft Ost (Hg.), Nachbarschaftssiedlung in der Großstadt. Grundsätzliches aus der Arbeit der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost, Berlin 1929, S. 6 – 28; Katherine C. Dewar, Die Entwicklung der Settlements in den angelsächsischen Ländern, in: Soziale Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost (Hg.), Nachbarschaftssiedlung in der Großstadt. Grundsätzliches aus der Arbeit der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost, Berlin 1929, S. 1 – 5; Marie Baum und Alix Westerkamp, Rhythmus des Familienlebens. Das von einer Familie täglich zu leistende Arbeitspensum mit 7 Tabellen und 38 Kartogrammen, Berlin 1931; Susanne Zeller, Duensing, Frieda, in: Hugo Maier (Hg.), Who is who der Sozialen Arbeit, Freiburg/Br. 1998, S. 149 – 150; Peter Reinicke, Westerkamp, Alix, in: Hugo Maier (Hg.), Who is Who der sozialen Arbeit, Freiburg/Br. 1998, S. 625.
Alfred Ludwig Wieruszowski
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Alfred Ludwig Wieruszowski „Die Zeit der sogenannten ‚Einführungen‘ ist vorüber. Es gilt jetzt, die Furchen tiefer zu ziehen und das Feld der neuen Gesetzgebung für die Rechtsprechung fruchtbar zu machen“ (Wieruszowski, 1900, Vorwort). Diese Worte aus dem Vorwort seines für die damalige Zeit richtungweisenden Werks „Handbuch des Eherechts“ kennzeichnen auch seine Lebensleistung nach seinem rechts wissenschaftlichen Studium und den obligatorischen Prüfungen. Alfred Ludwig Wieruszowski (geb. am 6. Dez. 1857) wurde nach erster richterlicher Tätigkeit (ab 1884) im Jahre 1902 zum Oberlandesgerichtsrat in Köln und im Jahre 1921 zum Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts in Köln ernannt. Im Jahr 1926 trat er in den Ruhestand. Während seiner aktiven Berufszeit war er auch Dozent an der Handelshochschule in Köln und späterhin (1920) Honorarprofessor an der Universität Köln. Seit dem Jahre 1924 bestimmte er als Mitglied der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages die deutsche Rechtsentwicklung entscheidend mit. Mit seinem Handbuch des Eherechts (Bd. 1 und Bd. 2) stellte er die nach dem BGB geltenden Bestimmungen über die Wirkungen der Ehe, besonders im Bereich des ehelichen Güterrechts einschließlich des internationalen und des intertemporalen Güterrechts, dar (Düsseldorf 1901 und 1904). Der Problematik einer „Anfechtung der Eheverträge“ widmete er sich wenige Jahre s päter (Köln 1907). Nach dem Ersten Weltkrieg nahm er sich auch wirtschaftsrechtlicher Probleme an. Es erschien „Die Kriegswuchergesetzgebung“ (Leipzig 1918), der Kommentar „Vergleichsordnung: Gesetz über den Vergleich zur Abwendung des Konkurses vom 5. Juli 1927“ (Leipzig 1927) und ein mehrbändiger Ratgeber über „Das Recht des Kaufmanns“ (Leipzig 1927 und 1932). Wieruszowski war Mitautor der Publikation „Das Handelsrecht nach dem Deutschen Handelsgesetzbuch unter Ausschluß des Seerechts“ (Leipzig 1930) und der Publikation über „Die Geschäftsaufsicht zur Abwendung des Konkurses vom 14. Dez. 1916 in der Fassung der Verordnung vom 8. Februar und 14. Juni 1924“ (Leipzig 1924). Dass Wieruszowski auch etwas für die Literatur übrig hatte, lässt sich bereits erahnen an seinem Buch über „Goethe als Rechtsanwalt“ (Cöln a. Rh. 1909). Fast unbekannt ist jedoch, dass Alfred Wieruszowski auch das Theater liebte. Er schrieb zu Ehren des 90. Geburtstags seiner Majestät Kaiser Wilhelm ein Festspiel mit dem Titel „Aus drei Jahrhunderten“ (Siegen 1887) und zur Feier des 50-jährigen Dienstjubiläums des Herrn Landgerichtspräsidenten Stomps das Festspiel „Vor fünfzig Jahren“ in „Zukunftsmusik gesetzt“ gemeinsam mit Walter Bloem (Elberfeld 1899). Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten verzichtete er am 27. April 1933 auf weitere Vorlesungen an der Universität Köln. Trotz einiger Repressalien (Hinweis auf die jüdische Abstammung im Geburtsregister, Einquartierung in ein Zimmer im eigenen Hause) konnte die Deporta tion im Jahre 1944 mithilfe eines Professors und eines Geistlichen abgewendet werden. Nach der Ausweisung aus dem eigenen Haus floh Wieruszowski mit seiner Frau nach Dresden. Er starb am 9. Februar 1945 in Berlin.
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Quellen: Alfred Wieruszowski, Handbuch des Eherechts mit Ausschluß des Eheschließungs- und Ehescheidungsrechtes, Theil 1, Düsseldorf 1900 und Bd. II, Düsseldorf 1904; Horst Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“. Entrechtung und Verfolgung, 2. Aufl., München 1990, S. 229 – 230; Hans-Jürgen Becker, Alfred L udwig W ieruszowski (1857 – 1945), Richter, Hochschullehrer, Goethe-Forscher, in: Helmut Heinrichs, Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, S. 403 – 413.
Emmy Wolff „Der Umgang mit Frauen ist das Element guter Sitten“ (Wolff, S. 35). Mit diesen Worten Johann Wolfgang von Goethes drückte Emmy Wolff aus, was an formender und bändigender Gewalt von der Frauenbewegung ausging. Sie wurde im Jahr 1890 geboren. Nach ihrer Promotion (1924) an der Universität Frankfurt zu dem Thema „Ein Mädchenclub und der Herkunftskreis seiner Mitglieder“ folgte ein Beitrag zum Problem der Erfassung schulentlassener weiblicher Jugend durch die Jugendpflege. Sie arbeitete als Lehrerin in Berlin. Anschließend übernahm sie die Geschäftsführung des Bundes Deutscher Frauenvereine. Während dieser Zeit beschäftigte sie sich auch mit den Beiträgen von Frauen für die Kultur. Sie gab ein Buch mit dem Titel „Frauengenera tionen in Bildern“ heraus, in dem viele Persönlichkeiten der Frauenbewegung, u. a. Hilde Lion, Gerta Krabbel, Gertrud Bäumer, Else Ulich-Beil und Marie Baum, Aufsätze über das weibliche Wirken in der Kunst, in der Musik, im Schauspiel, in der Wohlfahrt, in der Politik und in der Wissenschaft veröffentlichten. Ihr Beitrag enthielt die Leistungen Anna Amalias für das Tiefurter Journal und Johanna Schopenhauers für die Tageszeitschriften und das Wirken Ottilie von Goethes (Wolff, S. 34 – 46). Im Jahr 1935 emigrierte sie nach England. Sie verdiente dort ihren Lebensunterhalt als Lehrerin für deutsche Sprache und Literatur an der Stoatley Rough School in Haslemere/Surray. Sie kehrte nie nach Deutschland zurück und starb im Jahr 1969. Quellen: Emmy Wolff (Hg.), Frauengenerationen in Bildern, Berlin 1928; Klemens Wittebur, Die deutsche Soziologie im Exil 1933 – 1945, Münster 1991, S. 130.
Frieda Wunderlich „Die Größe der Kraft wird gemessen an ihrer Fähigkeit, zur Besserung der Verhältnisse beizutragen. Diese Erfolgskategorie führt in der Wirtschaft den Namen der Produk tivität“ (Wunderlich, 1926, S. 113 – 114). Das heißt, Produktivität verlangt in jedem Falle Ausgleich und Verteilung z wischen dem Eigentümer der Produktions- und Arbeitsmittel und den mit ihnen arbeitenden Menschen (Wobbe, 1994, S. 178 – 179). Gedankengut, dass nicht verloren gegangen ist, sondern
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von Richard Sennett (geb. 1943), Professor an der London School of Economics, in seinen Forschungen zum Thema Arbeit aufgegriffen und in einer seiner Publikation „The Culture of the New Capitalism“ (2006) in seinen Auswirkungen mahnend verdeutlicht wird. Wunderlich ist auch heutzutage angesichts des Desasters um Managergehälter, Boni und monetäre Geringschätzung der arbeitenden Bevölkerung und schlecht versicherter Arbeitsverhältnisse aktuell. Frieda Wunderlich wurde am 8. Nov. 1884 als Kind des jüdischen Kaufmanns David Wunderlich und seiner Frau Rose geboren. Nach der höheren Töchterschule (1901) machte sie zunächst eine kaufmännische Ausbildung in der Firma des Vaters. Nach privater Vorbereitung bestand sie das Abitur (1910). Die wissenschaftlichen Disziplinen Nationalökonomie und Philosophie studierte sie sechs Semester in Berlin und zwei Semester in Freiburg. Von einer Tätigkeit im nationalen Frauendienst unterbrochen, schloss sie ihr Studium mit der Promotion bei Karl Diehl zu dem Thema „Hugo Münsterbergs Bedeutung für die Nationalökonomie“ ab. Ihre Dissertation erschien im Fischer Verlag/Jena im Jahr 1920 (Wobbe, 1998, S. 204 – 206). In den Jahren 1919 bis 1933 war sie Vorsitzende des Verbandes der Sozialbeamtinnen Deutschlands und seit 1923 Herausgeberin der Fachzeitschrift „Soziale Praxis“. In dieser angesehenen Fachzeitschrift für s oziale Berufe publizierten namhafte Praktiker und Wissenschaftler. Diese Zeitschrift war zugleich sozialpolitisches Organ einer sich in der Weimarer Zeit etablierenden neuen Richtung von Sozialreformern. Mithilfe der gegründeten Gesellschaft für soziale Reform rangen diese Wissenschaftler und Praktiker um ein neues Konzept in der Sozialpolitik, das angesichts der wirtschaft lichen Depression und der hieraus resultierenden sozialen Belastungen erforderlich war (Wobbe, 1994, S. 170 – 172). Zu dem Umfeld der aktiven Vertreter d ieses sozialpolitischen Konzepts gehörte auch die Freundin Marianne Webers und Max Webers, Marie Baum, sowie die Frau des Mitherausgebers von Max Webers und Edgar Jaffés Archiv für Sozial wissenschaften und Sozialpolitik, Else Jaffé (Wobbe, 1994, S. 179). In den Jahren 1925 bis 1933 war Frieda Wunderlich Stadtverordnete in Berlin für die Demokratische Partei. In den Jahren 1930 bis 1932 war sie Mitglied des Preußischen Landtages. Dieses sozial- und rechtspolitische Engagement führte zur Mitgliedschaft in der Kommission für Frauenarbeit beim International Labor Affair. In der Weimarer Zeit unterrichtete sie Volkswirtschaft an den Wohlfahrtsschulen in Berlin, der Handelshochschule in Berlin und hielt Vorlesungen in Statistik, Wirtschaftspolitik und Arbeitsrecht; auch an der von Alice Salomon gegründeten Akademie für Soziale Pädagogische Frauen arbeit (Wobbe, 1994, S. 174 – 175). Zur ehrenamtlichen Sozialrichterin wurde sie im Jahr 1930 berufen (Wunderlich Papers). In dieser Zeit arbeitete sie über konfessionelle und parteipolitische Grenzen hinweg, zusammen mit Rüdiger vom Bruch, Goetz Briefs (1889 – 1974), aber vor allem mit Franz Oppenheimer (1864 – 1843), der wie sie eine interdisziplinäre Verbindung der Sozialwissenschaften mit den Wirtschaftswissenschaften und, allen voran, mit der Nationalökonomie forcierte (Wobbe 1998, S. 204). Am 21. Juli 1930 nahm sie den Ruf als Professorin für Soziologie und Sozialpolitik am Staatlichen Berufspädagogischen Institut in Berlin an (Wobbe 1998, S. 208). Dieses Institut war durch Hans Staudinger, den damaligen Staatssekretär im Preußischen Handelsministerium, gegründet worden, um die Ausbildung von Gewerbelehrern gemeinsam mit den
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Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultäten zu verbessern. Damit gehörte Frieda Wunderlich, wie auch Hilde Oppenheimer, Cora Berliner und Kaethe Gaebel, zu den Pionierinnen of „the combination of practical knowledge with a very strict training in theory“, wie der Ökonom Eduard Heimann es in seinem Empfehlungsschreiben bezeichnete. Nach der Machtergreifung wurde sie am 28. März 1933 in den einstweiligen Ruhestand und als Beamtin in den Wartestand, einige Monate später, am 30. August 1933, in den endgültigen Ruhestand versetzt (Wobbe, 1998, S. 208). Ihre Kontakte zur „London School of Economics and Social Science“ führten zwar nicht zu einer Anstellung in England, aber der Besuch Hans Speiers im Juli 1933 in Berlin ermöglichte ihr im Oktober 1933 die Annahme eines Rufs als Professorin an die „New School for Social Research“ (Wobbe, 1998, S. 209 – 210). An dieser auch als „University in Exile“ bekannt gewordenen Wirkungsstätte der Soziologie und Reformökonomie wurde sie 1938/1939 Dekanin. Die Idee dieser Hochschule für Weiterbildung für Erwachsene stammte von Alvin Johnson, dem Nationalökonomen und Mitherausgeber der Fachzeitschrift „Encyclopedia of the Social Sciences“. Zu ihren Kollegen gehörten bekannte emigrierte deutsche Wissenschaftler, wie Max Wertheimer, Hans Speier und Arthur Feiler (Wobbe, 1994, S. 174 – 175). An der New School for Social Research, New York, begegnete Frieda Wunderlich auch Emil Julius Gumbel (1891 – 1961), ehemals ordentlicher Professor für mathematische Statistik der Universität Heidelberg (Wittebur, S. 60 – 61), und Hermann Kantorowicz (1877 – 1940), der vor seiner Emigration Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsund Sozialphilosophie an der Universität Kiel gewesen war. Letzterer lehrte bis 1934 in New York, bevor er dann einen Lehrstuhl an der London School of Economics und am All Souls College in Oxford annahm (Wittebur, S. 64 – 65). Diese beiden Hochschullehrer und Frieda Wunderlich gehörten damit zu dem „Auszug des Geistes“ während des Nationalsozialismus (Wittebur, S. 132). Es folgten Hans Staudinger (1889 – 1980), der eine Professur für Wirtschaftswissenschaften erst an der New School for Social Research erhielt (Wittebur, S. 117 – 118), und etliche andere Wissenschaftler nach (Wittebur, S. 21 – 130). Eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinem religiös zu bewertenden Einfluss auf die Erziehung und das gesellschaftliche Phänomen der Familie in ihrem Vortrag auf der Tagung „Freedom and Responsibility“ anlässlich des dreijährigen Bestehens der New School of Social Research in New York erregte großes Interesse. Zu dieser Tagung war Thomas Mann angereist (1937). Nach der Auffassung Wunderlichs vermag der Totalitarismus deshalb die politischen Grundlagen der modernen Gesellschaft zu untergraben, weil er die Rechte des Einzelnen nicht mehr aus den Traditionen der Menschenrechte oder der Nation ableitet, sondern aus einem „Glauben“ an die „Höherwertigkeit der Rasse“ und weil er das Volk als eine „Blutsgemeinschaft“ mystifiziert. Mit der Folge, dass die Familie aus der Privatheit zu einer öffentlichen Institution erwächst. Die Funktion der Familie, die Sozialisation des Individuums, wird zu politischen Zwecken und zur Bekämpfung von Gleichheit, Freiheit und Selbstbestimmung missbraucht. Die Stellung der Frau als Arbeitskraft wird auf niedrig bezahlte Jobs begrenzt (Wobbe in Honegger/Wobbe, S. 218 – 219). Aber nur so, argumentierte Frieda Wunderlich, gewinne die Stellung der Frau in der Erziehung der Kinder im Geiste einer totalitären Leitkultur an Bedeutung. Obgleich Frieda Wunderlich nach 1945
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Deutschland noch einige Male zu Vorträgen besuchte und im Jahr 1954 die Ehrendoktorwürde der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln erhielt, kehrte sie nicht nach Deutschland zurück (Wobbe, 1994, S. 182 – 183). Sie starb am 9. Dezember 1965 in East Orange, New Jersey (Wunderlich Papers, Chronology of Events). In ihrer Forschung nahm Frieda Wunderlich die gesamte weibliche Existenz in den Blick (Wobbe, 1994, S. 179), „ohne sich auf eine ‚Frauenlehre‘ beschränken zu wollen“ (Wobbe, 1994, S. 177). Das zeigen bereits „Der Kampf um die Sozialversicherung“ (1930) und „Versicherung, Fürsorge und Krisenrisiko“ (1932), eine der letzten beiden Buchpublika tionen vor ihrer Emigration in die USA. Dies wird aber insbesondere in einem Manus kript Frieda Wunderlichs über „Die Frau als Subjekt und Objekt der Sozialpolitik“ deut lich (Wunderlich Collection). Diese Publikation entstand als Beitrag der „Kölner Sozial politischen Vierteljahresschrift“ (1924), herausgegeben vom Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften der Universität Köln (Wobbe, 1994, S. 179). Frieda Wunderlich befasste sich in diesem Artikel mit dem Inhalt der Sozialpolitik, dem Arbeiter-, dem Angestelltenschutz, der Sozialversicherung und der Arbeitsvermittlung. Sozialpolitik wird durch den Staat als Träger öffentlich-rechtlicher Gewalt zu einem Gegenpol zu den rein wirtschaftlich und individuell ausgerichteten Interessen der Arbeitgeber. Die Frauen können, so Frieda Wunderlich, nur dann als Subjekt der Sozialpolitik betrachtet werden, wenn „sie innerhalb der staatlichen Organe oder der vom Staat mit Zwangsbefugnissen ausgestatteten Verbände mitwirken“ (Manuskript, p. 20 in Wunderlich Collection). Neben dieser Teilhabe als eine Form der politischen Gleichberechtigung setzte Wunderlich deut liche Akzente für die geschlechtsspezifische Ausgestaltung des Arbeitsrechts. Der Gleichbehandlung von Frauen als Arbeitskraft ohne Rücksicht auf ihre körperliche, seelische und familiäre Belastung (von ihr als abstrakte Gleichheitstheorie bezeichnet) stellte sie den weiblichen Arbeitnehmerschutz durch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen gegenüber. Dieser Vorschlag Wunderlichs verfolgte den Zweck, dass männ liche und weibliche Arbeitnehmerinteressen nicht mehr getrennt, sondern in einem gemeinsamen Regelwerk dem bisherigen geschlechtsspezifischen „Sonderschutz“ von Frauen im Tarifrecht Einhalt gebieten können (Manuskript, p. 25, 28 in Wunderlich Collection). Deshalb war Frieda Wunderlichs Publikationstätigkeit in diesem zur damaligen Zeit noch neuen interdisziplinären Forschungsfeld bereits in der Weimarer Zeit fachlich breit und tief (Wobbe, 1998, S. 210 – 216). Nicht nur in der Zeitschrift „Soziale Praxis“, sondern auch nach ihrer Emigration in der von der „New School of Social Research“ herausgegebenen Zeitschrift „Social Research“ erschienen unzählige Aufsätze (Wobbe, 1994, S. 243 – 245). Die erhalten gebliebenen veröffentlichten Schriften aus den Jahren 1920 bis 1941 umfassen allein 44 Folder des Archivbestandes und damit 44 Publika tionen. Hinzu kommen aus den Jahren 1927 bis 1933 unveröffentlichte Manuskripte, die sich in 9 Foldern befinden und damit 14 Manuskripte umfassen (Wunderlich Papers, Series 4 and Series 5). Diese Unterlagen warten auf ihre eingehende wissenschaftliche Auswertung. Ihre Buchveröffentlichungen schließen an aktuelle sozialpolitische Entwicklungen an: Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Deutschland seit Beendigung des Krieges (1925), „Die deutsche Heimarbeitsausstellung 1925“ (1927) oder die Publika tion über „Betriebswirtschaft und Fabrikpflege“ (1925 und 1926). Als ihr wichtigstes Werk
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Kompendium
gilt nach wie vor die im Jahre 1926 erschienene Schrift „Produktivität“. Ihr Lehrer ppenheimer hielt es „für eine der besten Arbeiten, die auf dem Gebiet der theoretischen O Nationalökonomie seit vielen Jahren entstanden sind“ (Wobbe in Honegger/Wobbe, S. 211). Bei Frieda Wunderlich entstanden Handbücher für den internen Gebrauch in der New School for Social Research: „Office of Strategic and Services“ und „Labor in Nazi-Germany“, die im Jahre 1941 verfasst wurden (Wittebur, S. 73 – 74) und als Vorläufer der nachfolgenden Publikation gewertet werden können. Ihre „Monographie über die deutschen Arbeitsgerichte“ (Wobbe, 1994, S. 182), unter dem Titel „German Labour Courts“ (1946) erschienen, verdient es an dieser Stelle genauer betrachtet zu werden. Schließlich geht diese Publikation auch auf eine Entwicklung nach der nationalsozialistischen Machtübernahme zurück: “Since coming to this country I very often have been asked how it could happen that L. (labour movement, Th. W.) lost its power in G.” (Wobbe, 1998, S. 217). In „German Labour Courts“ gab Wunderlich zunächst einen historischen Überblick über die Arbeitsgerichtsbarkeit vom Jahre 1891 bis 1933. Im Anschluss daran berichtete sie über die nationalsozialistische Zeit: “The National Socialist government faced, in the German judiciary, a power which, like those of army and church, might have proved a stumbling block to the revolution. The tradition of court independence and objectivity and impartial civil service efficiency, seemed to guarantee the rule of law. The regime has succeeded in breaking it by restricting the field of justice and reforming the personnel. The first has been achieved in various ways: (1) executive decrees were issued on special cases, e. g. confiscation of Jewish and Communist property, degenerate art, etc.; (2) cases were taken away from courts and dealt with by government departments whose decisions would not be challenged; (3) cases were transferred from ordinary or labor courts to special courts; (4) where law and court decisions lagged behind the regime’s desires, extra-legal pressure was brought to bear” (Wunderlich, 1946, p. 185). Ernst Fraenkel verfasste in dieser Publikation ein Kapitel über die Stellung der Arbeitsgerichte innerhalb der deutschen Gerichtsbarkeit „as it existed before 1933“ (Fraenkel, p. 3). Es wird diese Publikation als eine „Diagnose der aktuellen Situation im nationalsozialistischen Deutschland“ in konsequenter Folge Wunderlichs Emigration zugeordnet (Wobbe, 1994, S. 182). Diese Wertung greift jedoch zu kurz. Zum einen schon allein aufgrund der Tatsache, dass Ernst Fraenkel, ein Promovend Hugo Sinzheimers (Ladwig-W inters, S. 48 – 51), einem der Begründer verfassungsrechtlicher Bestimmungen über das Wirtschaftsleben in den Artikeln 151 – 165 der Weimarer Reichsverfassung und „Vater“ des deutschen Arbeitsrechts, den Ausführungen Wunderlichs ein einführendes Kapitel widmete. Zum anderen durch den historischen Bezug zu der Weimarer Zeit, in der die Arbeitsgerichtsbarkeit zu einem unabhängigen Gerichtszweig erwachsen sollte. Es wird klar: Diese Publikation im Kontext Wunderlichs Ausführungen über die „Produktivität“ lassen nur den Schluss zu, dass das wirtschaftliche Modell des Ausgleichs rechtsstaatlicher Absicherung bedarf. Eine Botschaft Frieda Wunderlichs, die nicht aus dem Blickwinkel der Emigrantin auf Deutschland, sondern aus dem Blickwinkel historischer Ereignisse wirtschafts- und rechtspolitisch einen Neubeginn für Deutschland einforderte. Diese Auffassung wird letztendlich durch die Titel zweier später erschienener Publikationen Frieda Wunderlichs, „Farmer and farm labor in the Soviet Zone of Germany“, (New York 1958)
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und das Buch „Farm labor in Germany, 1810 – 1945. Its historical development within the framework of agricultural and social policy“, (Princeton 1961), bestätigt. Näher kann jedoch aus Platzgründen auf deren Inhalt an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Ihre Arbeiten wurden von herausragenden Kollegen rezensiert, zum Beispiel ihre Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1880 bis in die Gegenwart (Vol. II, 1933 – 48) von Jürgen Kuczinski in der American Economic Review. Frieda Wunderlich starb am 9. Dez. 1965. Quellen: Frieda Wunderlich Collection, Leo Baeck Institute at the Center for Jewish History, New York, AR 3230; Frieda Wunderlich Papers, Chronology of Events, in: M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, University Libraries, State University of New York; Manuskript Leo Baeck, S. 20, in: Frieda Wunderlich Collec tion, Leo Baeck Institute at the Center for Jewish History, New York, AR 3230; Frieda Wunderlich, Die Frau als Subjekt und Objekt der Sozialpolitik, in: Kölner Sozialpolitische Vierteljahreszeitschrift 1924 in Wunderlich Collection; Frieda Wunderlich, Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Deutschland seit Beendigung des Krieges, Jena 1925; Frieda Wunderlich, Betriebswirtschaft und Fabrikpflege, Berlin 1925 und 1926; Frieda Wunderlich, Produktivität, Jena 1926; Frieda Wunderlich, Die deutsche Heimarbeitsausstellung 1925, Jena 1927; Frieda Wunderlich, Der Kampf um die Sozialversicherung, Berlin 1930; Frieda Wunderlich, Versicherung, Fürsorge und Krisenrisiko, Leipzig 1932; Frieda Wunderlich, German Labor Courts, University of North Carolina Press 1946; Ernst Fraenkel, The Labor Courts in the German Judicial System, in: Frieda Wunderlich, German Labor Courts, University of North Carolina Press 1946, p. 3 – 18; Jürgen K uczinski, Wunderlich: Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1880 bis in die Gegenwart, Vol. II, 1933 – 48, in: American Economic Association (Ed.), American Economic Review, Vol. 40/ 1. 1950, p. 200 – 202; Frieda Wunderlich, Farmer and farm labor in the Soviet Zone of Germany, New York 1958; Frieda Wunderlich, Farm labor in Germany, 1810 – 1945. Its historical development within the framework of a gricultural and social policy, Princeton 1961; Klemens Wittebur, Die deutsche Soziologie im Exil 1933 – 1945, Münster 1991; Theresa Wobbe, Wahlverwandtschaften. Die Soziologie und die Frauen auf dem Weg zur Wissenschaft, Frankfurt 1994; Theresa Wobbe, Frieda Wunderlich (1884 – 1965). Weimarer Sozialreform und die New Yorker Universität im Exil, in: Claudia Honegger und Theresa Wobbe, Frauen in der Soziologie, München 1998, S. 203 – 225; Richard Sennett, The Culture of the New Capitalism, Yale University Press 2006; Simone Ladwig-W inters, Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009; Literaturrecherchen der Verfasserin.
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II. USA
LEO BAECK INSTITUTE AT THE CENTER FOR JEWISH HISTORY, NEW YORK Margarete Berent Collection AR 2861. Margarete T. Muehsam Collection AR 720. PRIVATES MANUSKRIPT Cordes, Oda, Women in Different Gender Roles and the Role of Law in Property Rights, Vortrag gehalten am Sophia Smith College in Northampton, Mass., Vortrag nicht veröffentlicht, p. 1 – 14. SCHLESINGER LIBRARY, CAMBRIDGE, MASS. Massachusetts Society for Social Health Records, Schlesinger Library, Cambridge, Mass., Box 5 Folder 33. SOPHIA SMITH COLLEGE, NORTHAMPTON, MASSACHUSETTS Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Massachusetts (Mass.), Box/Folder. UNIVERSITY OF CHICAGO Max Rheinstein Papers, Special Collections Research Center, University of Chicago, Box/Folder. Sophonisba Breckinridge Papers, Special Collections Research Center, University of Chicago, Box/Folder. AMERIKANISCHE GESETZE UND URTEILE Williams v. North Carolina (I), 317 U. S. 287, 63 S. Ct. 207, 87 L. Ed. 279 (1942). Williams v. North Carolina (II), 325 U. S. 226, 65 S. Ct. 1092, 89 L. Ed. 1577 (1945). § 750 ILCS 5/401 (a) (1) (2001). Orr v. Orr, 440 U. S. 268, 99 S. Ct. 1102, 59 L. Ed.2d 306 (1979). Exclusive and continuing jurisdiction. 9 Part U. I. L. A. 324 (1996, Supp. 1998). Uniform Child Custody Jurisdiction and Enforcement Act, in: 9 U .L. A. 101 (Supp. 1999). Dieser Act ist in 36 Bundesstaaten in Kraft getreten. § 3020 (b) Cal. Fam. Code (1999).
980
Literatur- und Quellenverzeichnis
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Sachverzeichnis (Abkürzungen: Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, Berlin 2013.) American Federation of Business and Professional Woman’s Club 301, 303, 773 Biografieforschung 21 – 22, 358 Fn 156, 737, 750 – 756 Bund Deutscher Frauenvereine 80, 122, 124, 127 – 134, 142 – 149, 164 – 165, 170, 176, 178 – 179, 181, 191 – 192, 194, 197, 260, 788, 792, 796, 801, 815, 819 – 821, 836, 844 – 846, 867, 874 – 875, 880, 889, 894, 896, 904, 930 – 931 –– Selbstauflösung 294, 296, 310 Bundesrückerstattungsgesetz (BRÜG) 721, 727 – 729 –– Gelangensbeweis 729 – 730 –– Wohnsitzanknüpfung 729 Bürgerliche Frauenbewegung 42, 48, 127 – 128, 157, 532, 811 Child Care in Germany 569, 585 Committee on Family Law 408, 414 – 415, 767, 773 Contempt of Court 546, 693 Counseling Service 25, 469, 484, 487, 488 – 490, 509, 580 – 581, 586, 589, 593 – 594, 599, 619, 627, 629, 631 – 633, 697, 747 –– Counseling Department 594 –– Datenschutz 489, 494, 496, 594, 748 –– Eheberatungsabteilung 594 –– Planungen 594 –– Rolle der Gerichte 594, 599 –– Studien 593, 628 – 632 –– Wirkungsmessung 375 Fn 241 –– Zuständigkeitsüberschneidungen 594
Counselor Service 596, 634 –– Conciliation Department / Schlichtungsabteilung 488 – 489, 677, 682 –– Lebensberatungs- und Lebensführungszentrum 488 siehe auch Life Adjustment Center –– Life Adjustment Center 44, 488, 491, 493 – 494, 596, 620, 6 636, 748 –– Personelle Ausstattung 489 –– Rechtspolitische Forderungen 487 Court of Domestic Relations 374, 378, 418, 594, 768 Deutscher Juristinnenbund 123 Deutscher Juristinnenverein 32, 122 – 127, 295, 773, 797, 817, 864, 875, 876, 880, 887, 893, 898, 909, 917, 933 Deutschland, Wiederaufbau 26 – 27, 331, 392, 394 – 396, 399, 461, 469 – 482, 527, 531, 745, 820, 901 –– Amerika-Häuser 331, 394 – 395, 531 –– Eheberatungsstellen 396, 488, 771 –– Erziehung und Eheberatung statt Ehescheidung 397 – 398, 771 –– Familienkontakte 388 – 390 –– Familienrechtsreform 44, 331, 391 – 393, 636 – 671 Ehe, Wesen der 227 – 228, 246 Fn 796, 247 Fn 801, 249 – 258, 656 – 657 –– Klagerecht der Frau 548 –– Rechtliche Stellung von Frau und Mann 283, 543 – 550 –– Schadenersatzklagen 548 – 549 –– Schlüsselgewalt 167, 185, 188, 193, 210, 213, 225, 236, 239, 541, 547, 762
982 –– Sorgerecht 113, 141, 145, 153, 157, 160, 162, 169 – 170, 175, 178, 181, 220, 228 229, 234 – 237, 255, 258 – 259, 427 – 433, 4 438, 491, 505, 550, 578, 615 – 616, 618, 661 – 664, 666, 668 – 669, 672, 674, 688, 690 – 692, 696, 701 – 702, 741 – 742 –– Unterhaltsklagen 545 –– Unterhaltsrecht 228, 541, 544 –– Vermögensklagen 548 – 549 –– Wohnort 246 Fn 794, 541, 543, 559 Ehegüterrecht 26, 33, 44, 48 – 49, 101, 128, 139,163 – 164, 168 – 169,170 – 172, 182 – 188, 190, 194, 198 – 200, 212 – 213, 224, 232 – 236, 260, 267, 348, 369, 427, 442 – 444, 469 – 470, 496, 501 – 502, 507 – 509, 543, 553 – 556, 562, 566 – 567, 638, 650 – 661, 703, 713, 740, 748 – 749, 761, 771, 772, 785, 789 –– Nordamerikanisches 496, 537, 552 – 557 –– Südamerikanisches 501 – 502 Eherechte und Familienrechte 574 – 575 –– Deutschland 584 –– USA 574 – 575 Eheschließung 163, 172, 377, 397, 448, 469, 472, 480, 482, 496 – 498, 500 – 502, 503, 506, 525, 559, 576, 587- 589, 601, 607, 615 – 616, 618, 634, 675, 697, 699, 702 – 703, 749, 785, 809 – 810, 920 –– Elterliche Einwilligung 500, 504 – 505 –– Härtefälle 505 –– Heiratsurkunde 505 –– Heiratsvoraussetzungen 500, 504 –– Informal Common Law 501, 504 Ehe und Familie 144, 156 – 160, 174, 176, 234, 354 – 359, 377, 433, 541, 556, 599, 609 – 610, 627, 665, 674, 747, 748 –– Recht 30, 33, 35, 49, 88, 230, 233 – 234, 263, 391, 416, 418, 430, 432, 468, 532, 550, 563, 574 – 575, 587, 640, 653 – 654, 674, 739, 755, 867 –– Soziale Einheit 174, 541, 609 – 610, 626 –– Staatsbürgerschaft 541, 559, 748 – 749 –– Steuerrecht 399, 502, 537, 541 – 542, 551, 562, 749, 773
Sachverzeichhnis
–– Zivil- und Strafverfahrensrecht 541, 544, 551 Elements of Love and Marriage 25, 28, 444, 449, 510, 512, 603, 606, 607 – 627, 747, 756, 769 –– Einheit der Familie 609 –– Gesundheit und eheliche Eintracht 609 –– Grenzen und Ziele des Rechts 609 – 610 –– Partnerschaft 612 –– Recht und Verfahren 614 – 616 –– Sozioökonomische Einheit 609 –– Trennung und Scheidung 617 – 620 –– Verantwortung 612 –– Vier Fragen 608 –– Würde der Ehe 617 – 620 Erster Weltkrieg 51, 84, 93, 96 – 99, 101 – 102, 109, 122, 131, 140, 176, 276, 289, 291, 341 – 342, 469 – 470, 474, 476, 490, 745, 781 – 782, 786, 788, 792, 796, 804, 819, 828, 833, 838 – 839, 847, 850, 864, 869, 872, 877, 880, 886, 891, 901, 911, 914, 935 Erziehungsberatungsstellen 595 Fachwissenschaftliche Aufsätze 266 – 285 –– anwaltliche Berufsausübung 277 – 278 –– Ausbildung der Referendare 275 – 276 –– Ausland 281 –– Familienrecht 266 – 267 –– juristische Ausbildung von Frauen in der Justiz 276 – 277 –– juristische Ausbildungsreform 275 –– Neuordnung des deutschen Rechtswesens 278 – 281 –– Resozialisierung im Strafvollzug 284 – 286 –– Strafrechtliche Behandlung der Frau 282 – 284 –– strafrechtlichen Schutz Geschlechtsehre der Frau 273 – 275 –– Strafverfahren 269 – 273 –– Strafvollstreckung 267 – 269 –– Familie 138, 144, 156, 160, 176, 332, 348359
Sachverzeichnis
–– Bedeutung für die Demokratie 24, 348 – 351 –– Rechte und Rolle der Frau in der Familie 24, 352 – 354 –– Rolle der Familie in der Gesellschaft 354 – 359 Familienbeziehung 245, 255 – 261, 741, 746 –– Ethik 245 –– Stellung von Frau und Mann 65 – 66, 246 – 249 Familiengerichte 378 – 379 –– Neue Rolle, veränderte Rolle 418 – 420 –– USA / Deutschland Vergleich 423 – 434 Forschungen, Forschungsaufträge 23, 373, 379 – 380, 407, 439, 468 – 508 –– Amerikanische 470 –– Bürgerrechte in NaziDeutschland 470 –– Das unbekannte Heer 477 – 481 –– Frau im Ersten Weltkrieg 470 – 481 –– Marriage Counselor 484 – 489 –– Strafanstalt für Philadelphia 483 Frauenrechte 536 – 563 Fröbel-Systempädagogik 64 – 67 Fürsorgeerziehungsanstalt für Mädchen New York 313 – 315, 766 –– Bildung der Mädchen 317 –– Sozialisation der Mädchen 315 – 317 Gerichtliche Entscheidung 666, 686 – 687, 692 –– Getrenntleben 686 – 687 –– Scheidungsfolgen 686 – 691 German Federation of Business and Professional Women 33, 134 – 137, 139, 408, 439, 530, 719, 773 German Womenpower: It’s Present and Future Role for Stabilization and Peace 532, 770 Gleichberechtigung 47, 229, 507, 549, 628, 639, 641, 650, 737, 756, 763, 764, 787, 797, 798, 801, 835 – 836, 889, 898 – 899, 907 – 908, 920, 930, 939
983 –– der Geschlechter 34, 47, 99, 139, 164, 195 – 197, 211 212, 235 – 238, 408, 575, 639 – 640, 6 642, 645 – 647, 702, 714, 923, 925 –– Gesetz von 1957 34, 44, 231 – 232, 428, 639 – 640, 660, 665, 740 Hanemannsche Gesetzentwurf 224 – 226, 233 Harvard Alumni Association 386 – 387 Hood College, Frederick 24, 330, 344 – 347, 351 – 352, 359, 368, 441, 517, 567, 715, 772, 920 International Congress of Women in Chicago 298 – 300, 743 International Federation of Business and Professional Women 33, 122, 133 – 134, 136, 139, 281, 290, 294, 297, 300, 301 – 303, 335, 368, 408, 469, 470 – 475, 719, 767, 773, 807, 893 International Federation of Women Lawyers 24, 408 – 410, 773 Iota Tau Tau: Legal Training in Germany 410 – 411, 571 – 572 Juristenausbildung, amerikanische 415 – 418, 893 –– Law Schools 416 – 417 –– Reform 415, 420 – 422 –– Sozialwissenschaftliche Bezüge 417 – 418 –– Status Quo 416 – 417 –– USA / Deutschland Vergleich 434 – 437 Lancaster School for Girls 324 – 325, 768 Marriage Guidance Council 44, 422 Mitgliedschaften, Institutionen 407, 408 – 439, 760, 773, 879, 893 –– Committee on Family Law 414 – 415 –– International Federation of Women Lawyers 409 – 410 –– Legal Sorority 410 – 411 –– National Association of Women Lawyers 408 – 409 –– National Conference on Family Relation (NCFR) 411 – 413
984 –– National Federation of Business and Professional Women, Biennale Convention 298, 329, 439 Modern Ambassadors for Peace 531 Morgensterns Ausbildungskonzeption 67 Mutterschaftsversicherung 32, 86 – 87, 812, 827 – 830, 903 National Conference on Family Relation (NCFR) 25, 28, 30, 405, 407 – 408, 411 – 414, 415, 419, 421 – 422, 444, 450, 492, 589, 627, 768, 771, 773, 839 –– Entwicklung, wissenschaftliches Profil 412 – 414 Nationalsozialismus, Nationalsozialistische Einflüsse 24, 239, 258, 393, 517 – 525, 535 – 536, 573, 586, 789, 809, 821, 842, 888, 912, 927, 938 –– Familie 243 – 244, 354 – 359, 519 – 523 –– Frau 352 – 354, 524 – 525 –– Ideologie 517 – 518 –– Junge Generation 27, 404 – 405, 526 – 527 –– Kirche 517 – 518 –– New York State Training School for Girls 289, 305, 307 – 308, 311 324, 326 – 327, 766 Nichtehelichenrecht –– Siehe auch Unehelichenrecht NS-Unrecht 289 – 296, 705 – 730 –– Individualzwang / NS-Kollektivzwang 730 – 736 Preußisches Justizministerium 102, 107, 194, 198 – 199 Probation and Parole System in Amerika 312 – 313, 766 Recht / Rechtliche Stellung nach dem BGB –– der Ehefrau 119, 140 – 142, 163 – 164 –– der ledigen Mutter 140 – 142, 156, 162 –– des schuldig geschiedenen Ehegatten 175 – 176 –– des unehelichen Kindes 140, 142, 152, 155, 764, 800
Sachverzeichhnis
Rechtsauskunftsstelle für Frauen 87 – 92, 897 Re-Evaluate the American Family 597 – 599 Reform, Ehe- und Ehegüterrecht 163 – 172, 182 – 188, 190 – 213 –– 33. Deutsche Juristentag 29, 182 – 188, 190, 193, 199, 200 – 213, 244, 554, 638 – 639, 647, 650, 651, 653, 656, 660, 761 –– Beteiligung der Frau am wirtschaftlichen Ergebnis d. Ehe 168 –– Beschlüsse der 15. Generalversammlung 191 – 192, 217, 761 –– Eigentumsvermutung des § 1362 BGB 167 –– Frauenverbände 197 – 198 –– Güterrechtliche Auseinandersetzung 168 – 169 –– Haftung der Frau aus der Schlüsselgewalt 167 –– Haushaltsgeld 166 – 167 –– Herausgabe von Haushaltsgegenständen 167 –– Kammergericht Berlin 198 – 199, 200 – 212 –– Namen der Frau 168 –– OLG-Präsidenten 193 – 198 –– Parlamentarische Reform prozess 212 – 213 –– Persönliche Mittel 166 –– Reichsjustizminister Koch-Weser 193 –– Stand der Reform 1919 – 1921 164 –– Unterhaltspflicht 166 – 167 –– Vorschläge 1921 165 – 169, 171 – 172, 200 – 212 Reform, Ehescheidungsrecht 171, 191 –– 35. Deutsche Juristentag 214, 218 – 222, 849 –– Denkschrift des Bundes Deutscher Frauenvereine 176 – 178 –– Diskurs Mariane Weber und Munk 179 –– Einfluss der Denkschrift 179 – 181 –– Entwürfe Herbst 1922 178 –– Gründe für das Scheitern der Reform 230 – 234
Sachverzeichnis
–– Gutachten Lehmann / Vergleich Munk 218 – 219 –– Kritik aus der Fachwelt 181 – 182 –– Munks Vorschläge aus dem Jahr 1921 u. 1923 169 – 170, 172, 176 – 179, 219 – 221, 224 – 230 –– objektive Zerrüttung / Zerrüttungsprinzip 169 – 170, 177 – 178, 181, 215, 217, 225, 227- 228, 230, 233 – 234, 258, 43 430, 490, 621, 702, 837, 908 –– Reichstagsdrucksache No. 4106 217 –– Scheidungszahlen 172 – 174 –– Reformbestrebungen in Parlament und Regierung 214 – 217, 221 – 226 Reform, Unehelichenrecht –– 32.Deutscher Juristentag 150 – 151 –– Annahme an Kindes statt 148 –– Beschlüsse des Bundes Deutscher Frauenvereine 149 –– Brandis Reichstagsentwurf 155 –– Ende der Reform 155 – 156 –– Entwurf Alice Bensheimer 142 – 144 –– Erbrecht 146 –– Feststellung der Vaterschaft 146 – 147 –– Gegenentwurf der Berufsvormünder 154 –– Gemeinsame Verantwortung der Eltern 147 – 148 –– Gesamtschuldnerische Haftung 143, 146, 151, 153, 154, 163 –– Gründe für das Scheitern 156 – 163 –– Gutachten Hachenburg 144 – 145 –– Norwegisches Recht / Deutsches Sozialrecht 152 – 154 –– Recht des Kindes auf Anerkennung 148 –– Reform bis zum Jahr 1928 150 – 152 –– Reichstagsentwurf 154 – 155 –– Unterhaltsansprüche 146 – 147 Remer-Prozess 465 – 466, 509, 526, 533 – 534 536, 770 Restitution / siehe auch Wiedergutmachungsrecht 384, 450, 705 – 706, 720 – 722, 735 – 736, 750, 851 – 852, 916
985 Salvage for Peace 527, 770 Scheidung / Scheidungsrecht 25 – 26, 44, 49, 101, 113, 136, 139, 169 – 172, 174, 179 – 182, 184 – 186, 188, 191 – 192, 213 – 219, 221 – 225, 227 – 234, 236, 242, 244, 254, 258 – 260, 264, 267, 374, 376 – 378, 389, 393, 395, 397, 398, 408 – 409, 416, 424 – 425, 427, 429 – 432, 38, 443, 469, 482 – 483, 487 – 488, 490 – 491, 493 – 498,502 – 503, 505 – 506, 509, 522, 38 – 539, 544, 554 – 556, 562, 567, 576 – 577, 586, 587 – 599, 604, 608, 610 – 611, 613 – 615, 617 – 619, 624, 626 – 627, 633 – 634, 636, 651 – 655, 662 – 668, 671, 674 – 676, 704, 737, 740, 742 – 743, 747 – 749, 761 – 762, 764 – 765, 771 – 772, 799, 809, 811, 831, 837, 849, 867, 886, 899, 901, 920, 936 –– Nach dem BGB 176 – 178 –– Objektive Zerrüttung – siehe Reform, Scheidungsrecht –– Schuld 169, 171, 173, 174 – 179, 181, 184 – 186, 209, 214, 216, 218, 220 – 221, 225, 227, 229 – 231, 234 – 235, 237, 241 – 242, 255, 427 – 428, 430, 494, 502 – 503, 559, 576, 592, 615, 617, 652 – 655, 662 – 666, 675, 677, 680, 684, 687 – 688, 696, 701 – 702, 899 –– Scheidung / Zugewinn ausgleich 168 – 169, 184 – 185, 655 Scheidungsfolgen 175 – 181, 184, 216 – 218, 220 – 221, 224, 227, 229, 230, 233, 235, 237, 238, 412, 424, 429 – 430, 494, 496, 554, 578, 617, 665, 668 – 669, 675, 688 – 692, 700 – 701, 740 Scheidungsgrund / Scheidungsgründe 171, 172 – 179, 215, 217, 234, 322, 448, 469, 485 – 487, 490 – 492, 495 – 496, 576, 592, 601, 613, 615, 675, 677, 679 – 681, 685, 697 – 700, 763, 899 –– Alkohol 485 – 486, 490, 506, 679 680, 685, 689 –– Ehebruch 173 – 174, 485 – 488, 490, 577 – 592, 614, 679 – 680,763, 923 –– Ethnisch-soziale Herkunft 486 – 487, 490 –– Religionszugehörigkeit 484 – 487, 490 –– Unerfahrenheit der Eheleute 485, 506 –– Verschiedene Nationalität 486 – 487, 490
986
Sachverzeichhnis
–– Wirkung auf nachfolgende Generationen 487 Scheidungsverfahren 88, 170, 184, 217 – 220, 230, 261, 376, 423, 427, 430, 432, 437, 490 – 491, 493, 579, 592 – 596, 613, 615, 618, 629, 634, 636, 652 – 655, 663, 665, 670, 678, 680 – 689, 692 – 697, 742, 762, 899 Scheidungszahlen, –– USA 587 – 589 –– Deutschland 172 – 174 Schiffers Projekt 457 – 460 Schwedische Vorbilder 25, 509, 575 – 583, 770 –– Education for Family Life in Sweden 579 – 580 –– Ehe- und Familienrechte 575 –– Stabilität der Familie 581 –– Welfare Legislation in Sweden 581 – 583, 770 Schwedischer Counseling Service 581 Settlement-Bewegung 28, 319 – 323, 744, 934 –– Vergleich Amerikanische / Englische 319 – 322 Sorgerecht 113, 141, 145, 153, 157, 160, 162, 169 – 170, 175, 178, 181, 220, 228 – 229, 234, 237, 255, 258 – 259, 427, 429 – 433, 438, 491, 505, 550, 578, 615 – 616, 618, 661 – 664, 666, 668 669, 672, 674, 688, 690 – 692, 701 – 702, 741 – 742 Soziale Stellung / soziale Situation 64, 145, 741 –– der Ehefrau / ledige Mutter Vergleich 140 – 141 Strafrecht 78, 89, 103, 153, 218, 256, 262, 266, 269, 273 – 274, 281 – 282, 288, 374, 391, 408, 434 – 435, 509, 514 516, 521, 546 – 547, 549, 566, 571, 614, 669, 681, 705, 730, 737, 743, 762- 763, 838 – 840, 848 – 849, 851, 857, 865, 869, 896, 910, 922, 933 –– amerikanisches /deutsches Vergleich 570 – 571
Unhappy Marriage and Divorce 540 Fn 122, 596 – 597, 767 Uniform Act on Solemnization of Marriage 503 – 506 –– Bundeseinheitliche Rechtsgültigkeit 503 –– Eheschließung 503 Uniform Divorce Bill 26, 409, 635, 674, 678, 686, 767 – 768 –– Anhörung / Entscheidung 677 – 684 –– Jury 678 –– Mediation und Hearing 683 –– Rechtsinstitut Dower /Courtesy 693 –– Rolle des Gerichts 681, 694 –– Rolle des Richters 682 –– Scheidungsantrag und Fristen 682 –– Scheidungsfolgen 688 –– Scheidungsgründe 679, 680 – 681 –– Sorgerecht 690 – 691 –– Ungelöste Fälle 700 –– Unterhaltsgewährung 688 – 689, 690 – 691 –– Verfahren, neues 676 – 677, 681, 692 – 693 –– Vergleich mit Proposed Bill 695 – 701 –– Wiederheirat 690, 694 –– Zuständigkeit und Fristen 686 Uniform-Law-Bewegung 44, 635 – 636, 672 – 674 United Nations Relief and Rehabilitation Administration 371 – 373 Unterhaltsanspruch 140 – 141, 146, 151, 154, 157 – 158, 162, 177, 217, 545, 554, 690 –– Neue Heirat 690 –– Tod 690 –– Wesentliche Änderung 690 Unterhaltspflicht 141, 143, 145, 150, 153, 166, 172, 178, 185, 211, 216, 225, 244, 546, 578, 615, 618, 689, 690, 702
The Model Code of Family Law 407, 448 – 449 Toledo/Ohio 25, 331, 373 – 379, 418, 421, 423, 449, 483, 493, 589
Vergleich 24, 26, 32, 39, 41, 44, 61 62, 80, 106, 133 – 134, 140 141, 148, 153 – 154, 156, 162, 175, 178 – 180, 198, 201, 217 – 218, 227, 231, 236, 245, 249, 258 – 259, 281, 287, 309, 314,
Sachverzeichnis
316, 319, 322, 330 – 331, 342 348, 354, 357, 379, 392, 395, 401, 409, 422 424, 429, 433 – 434, 443 444, 467, 469, 476 – 477, 480, 482 – 483, 490 – 493, 495 – 496, 498 – 502, 506 – 507, 519, 524, 566 – 569, 571 572, 579 – 580, 583, 585, 602, 627 – 628, 635 – 642, 645, 648, 650, 653, 656, 661, 664 – 666, 680, 695, 701, 706, 710, 724, 739, 745 – 747, 749, 756, 772, 776, 790, 810, 817, 831, 835, 838, 849, 857, 865, 870, 895, 901, 902, 905 906, 912, 916, 921, 935 –– Ausgewählter / gegenwärtiger Forschungsstand 25 – 26, 44, 45 – 50, 156, 343,624, 626, 628, 642, 650, 657, 661 –– Literaturbestand damalige Zeit 25, 627 – 628 Weimarer Reform, Ende 235 –– 36. Deutscher Juristentag 231, 232, 235 – 239, 638, 642, 644, 647, 651 – 652, 655, 898, 899
987 Wiedergutmachungsrecht, deutsches 27, 387, 450, 467, 705 – 706, 720, 721, 723, 728 – 731, 735, 739, 834, 852, 871, 916, 919 –– Aktien 717, 726, 832 – 834, 843 844, 922 –– Enteignung des Eigentums 27, 717 – 720, 908 –– Entschädigung 18, 44, 706 – 707, 712 – 716, 720 – 722, 724, 728, 731, 735, 750, 801, 892, 915, 919 –– Grundstücksverfahren 723 – 724 –– Hypothetischer Berufsweg 710 – 716 –– Lohn- und Gehalts ansprüche 706 – 708 –– Notverkäufe 731, 735, 750 –– Rückerstattung beweglicher Sachen 725 –– Stiftungsvermögen 722, 726 – 727, 736 –– Vermögensenteignung 27, 717 –– Wertpapierdepots 726 – 727 –– Wiedereinstellung / Beruf 707 – 708
RECHTS GE SCHICH TE UND GE SCHLECH TER FOR SCHUNG HE RAUS GE GE BEN VON STE PHAN ME DER UND AR NE DUN CKER EINE AUSWAHL BD. 14 | STEPHAN MEDER, CHRISTOPH-ERIC MECKE (HG.) FAMILY LAW IN EARLY WOMEN‘S RIGHTS DEBATES WESTERN EUROPE AND THE UNITED STATES IN THE NINETEENTH AND EARLY TWENTIETH CENTURIES 2013. 411 S. 5 S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-412-21052-6 BD. 15 | HANNA SZYMANSKI THEORIE UND LEBENSWIRKLICHKEIT EHE UND EHERECHTE IM SPIEGEL SOZIALDEMOKRATISCHER FORDE-
BD. 17,1 | STEPHAN MEDER, CHRISTOPH-ERIC MECKE (HG.) REFORMFORDERUNGEN ZUM FAMILIENRECHT INTERNATIONAL BAND 1: WESTEUROPA UND DIE USA (1830–1914) 2015. 805 S. GB. | ISBN 978-3-412-22146-1
RUNGEN ZUR ZEIT DER ZIVIL RECHTSKODIFIKATION IM DEUTSCHEN KAISERREICH 2013. 221 S. GB. | ISBN 978-3-412-21056-4
BD. 18 | MARKO OLDENBURGER KINDESUNTERHALT IN ENGLAND VOM POOR RELIEF ACT 1598 ZUM CHILD SUPPORT ACT 1991 BD. 16 | ANITA AUGSPURG RECHTSPOLITISCHE SCHRIFTEN KOMMENTIERTE STUDIENAUSGABE HERAUSGEGEBEN VON CHRISTIANE HENKE
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2014. 264 S. GB. | ISBN 978-3-412-22212-3 BD. 19 | ODA CORDES MARIE MUNK (1885–1978) LEBEN UND WERK 2015. 992 S. GB. ISBN 978-3-412-22455-4
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MARGARETH LANZINGER
VERWALTETE VERWANDTSCHAFT EHEVERBOTE, KIRCHLICHE UND STAATLICHE DISPENSPRAXIS IM 18. UND 19. JAHRHUNDERT
Verwandtschaft strukturiert soziale Beziehungen. Besonders markant im ausgehenden 18. Jahrhundert war der beobachtbare Anstieg von Heiraten in nahen Verwandtschaftsgraden: zwischen Cousin und Cousine, Schwager und Schwägerin. Solchen Verbindungen standen nach kanonischem Recht jedoch Eheverbote entgegen, zu deren Auf hebung es einer päpstlichen Dispens bedurfte. Zudem griff der Staat nun in diese bis dahin kirchliche Domäne ein. Auf die wechselnden Dispenspolitiken reagierten Behörden, bischöfliche Konsistorien und Brautpaare auf vielfältige Weise. Die Studie untersucht die Dispenspraxis in den vier Diözesen Brixen, Chur, Salzburg und Trient. Sie verknüpft die aufwändigen kirchlichen und staatlichen Verfahrenswege mit Logiken der häuslichen Organisation. 2015. 405 S.13 S/W-ABB. U. TAB. GB. 155 X 235 MM. | ISBN 978-3-205-78752-5
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OK! AUC H ALS eBO
STEPHAN MEDER
FAMILIENRECHT VON DER ANTIKE BIS ZUR GEGENWART UTB 3901 S
Die Grundlagen des heute geltenden Familienrechts reichen zurück bis in die Antike. Das aus der Lehrpraxis entstandene Buch verfolgt die Familienrechtsgeschichte vom altrömischen Recht über das Mittelalter und die Neuzeit bis zur Gegenwart. Behandelt werden die Rezeption des römischen Ehe- und Familienrechts, die Ehelehre der mittelalterlichen Kirche und Reformation, das Postulat der Freiheit und Gleichheit im Zeitalter der Auf klärung und Französischen Revolution, die bürgerliche Familie und Historische Rechtsschule, die Entstehung des BGB sowie aktuelle Herausforderungen eines geschlechtergerechten Ehe-, Partnerschafts- und Familienrechts. Das Buch thematisiert ideengeschichtliche Hintergründe, wobei der Akzent auf dem »Wandel der Geschlechterrollen« und den »Reformforderungen der Frauenbewegung« im internationalen Kontext liegt. Dieser Titel liegt auch als EPUB für eReader, iPad und Kindle vor. 2013. 278 S. BR. 135 X 210 MM ISBN 978-3-8252-3901-5 | eISBN 978-3-8463-3901-5 (eReader, Tablet, Kindle)
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