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German Pages 398 Year 2018
Martin Schalljo Managerhandeln im globalen Kontext
Sozial- und Kulturgeographie | Band 25
Martin Schalljo (Dipl.-Geogr.), geb. 1983, lebt in Köln und arbeitete von 2013 bis 2016 am Wirtschafts- und Sozialgeographischen Institut der Universität zu Köln in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projekt über Deutungsmuster deutscher Führungskräfte bei Unternehmensübernahmen durch ausländische Investoren. Zu seinem Forschungsspektrum gehören methodologische Beiträge ebenso wie praxisnahe empirische Analysen im Unternehmenskontext.
Martin Schalljo
Managerhandeln im globalen Kontext Deutungsmuster bei internationalen Unternehmensübernahmen
zugl. Univ.-Diss., Köln, 2017 D38 Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln 2017 unter dem Titel »Deutungsmuster als wirtschaftsgeographische Erkenntnisperspektive: Eine objektiv-hermeneutische Rekonstruktion der Dynamik von Nähe- und Distanzproduktionen in internationalen M&As«, Kennziffer D38. Referentin: Prof. Dr. Martina Fuchs Korreferent: Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt Tag der Promotion: 30. Januar 2018
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Inhalt
Abkürzungsverzeichnis | 9 Danksagung | 11 1
Einleitung | 13
1.1 Deutungsmuster im Kontext transnationaler Unternehmensübernahmen | 13 1.2 Deutungsmuster als wirtschaftsgeographische Erkenntnisperspektive: eine erste Annäherung | 16 1.3 Warum Deutungsmuster? Erkenntnisinteresse und einführende Begründung der methodologischen Forschungsperspektive | 19 1.4 Aufbau und Konzeption der Untersuchung | 26 2
Zum State of the Art humangeographischer Forschungs- und Analysepraxis als Ausgangspunkt einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive | 31
2.1 Einführung in ein weites Problemfeld | 31 2.2 Der Weg bis hier: Entwicklungslinien wissenschaftlichen Denkens in der Humangeographie – von der länderkundlichen Perspektive zu einer geographischen Hermeneutik im relationalen Raum | 38 2.3 Die Situation heute: thematische Vielfalt und methodologische Monotonie in der Human- und Wirtschaftsgeographie | 47 2.4 Zwischenfazit A: vom Umgang mit qualitativer Methodologie in humanund wirtschaftsgeographischen Zeitschriften zum Erkenntnismehrwert einer hermeneutischen Forschungsperspektive | 85 3
Theoretisch-konzeptionelle Positionierung: Objektive Hermeneutik und Deutungsmusteranalyse | 91
3.1 Zur Verortung von objektiver Hermeneutik und Rekonstruktionsmethodologie im Kontext qualitativer Sozialforschung | 91 3.2 Zur konstitutionstheoretischen Begründung der objektiven Hermeneutik als Erfahrungswissenschaft von der sinnstrukturierten Welt | 99 3.3 Deutungsmuster, Handlung und soziale Praxis in dynamischer Perspektive | 103 3.4 Zur Rekonstruktionslogik der objektiven Hermeneutik | 112
3.5 Zwischenfazit B: die konstitutionstheoretischen Prämissen der objektiven Hermeneutik als Grundlage einer räumlichen Erkenntnisperspektive sozialer Deutungsmuster | 118 4
Deutungsmuster als wirtschaftsgeographische Erkenntnisperspektive | 123
4.1 Möglichkeiten und Ziele einer hermeneutischen Wirtschaftsgeographie: Vertiefung, Erweiterung und methodologische Fundierung bestehender Debatten | 123 4.2 Inhaltliche Anknüpfungspunkte an bestehende wirtschaftsgeographische Debatten und deren Vertiefungsmöglichkeiten: Nähe- und Distanzpraktiken im Fokus der Untersuchung | 134 4.3 Zwischenfazit C: Deutungsmuster als wirtschaftsgeographische Erkenntnisperspektive: zu einem vertieften Verständnis von Nähe- und Distanzpraktiken bei internationalen Unternehmenskooperationen | 154 5
Deutungsmuster im Kontext transnationaler Unternehmensübernahmen: Begriffe, Prozesse und die Systematisierung kultureller Faktoren bei internationalen Unternehmensübernahmen aus theoretischer Perspektive | 157
5.1 Einführung in das thematische Untersuchungsfeld: Nähe und Distanz als soziokulturelle Askriptionsleistungen | 157 5.2 Länderübergreifende Unternehmensübernahmen aus Deutungsmusterperspektive | 160 5.3 Transnationale Unternehmensübernahmen: Motive, Effekte und deren wirtschaftsgeographische Forschungsperspektiven | 163 5.4 Zum objektiv-hermeneutischen Kontextwissen: untersuchte Investorengruppen, Investitionsmodelle und Verkaufslogiken in vergleichender Betrachtung | 170 5.5 Unternehmensübernahmen und Kultur: von Kulturansätzen der M&A- und wirtschaftsgeographischen Literatur zu einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive von Nähe- und Distanzaskriptionen | 185 5.6 Zwischenfazit D: Deutungsmuster im Kontext transnationaler Unternehmensübernahmen | 213 6
Konzeption der empirischen Untersuchung: Zum methodischen Vorgehen | 219
6.1 Narrative und Leitfaden-gestützte Experteninterviews als Erhebungsinstrument | 219
6.2 Die Analyse der Daten: objektiv-hermeneutische Rekonstruktion der Interviewprotokolle | 228 6.3 Methodische Kontrolle und Generalisierungsbasis der Forschungsergebnisse | 235 7
Deutungsmuster von deutschen Führungskräften bei Unternehmensübernahmen durch ausländische Investoren: Nähe- und Distanzproduktionen in den Investorenkonstellationen in struktur- und deutungsvergleichender Perspektive | 241
7.1 Von der Theorie zur Empirie: Übersicht und Vorgehensweise in der empirischen Darstellung – Nähe- und Distanzproduktionen aus Deutungsmusterperspektive | 241 7.2 Zur Einbettung in den Kontext: die wirtschaftliche Situation der deutschen Unternehmen vor der Unternehmensübernahme | 245 7.3 ‚Wir‘ und ‚die Anderen‘: sequenzanalytisches Auswertungsbeispiel der semantischen Distanzierungslogiken gegenüber den BRIC-Investoren als initialer Ausgangspunkt der Analyse von Nähe und Distanzaskriptionen | 248 7.4 Deutungsmuster von Kontinuität und Strukturkonservativismus: zur Logik des Aufrechterhaltens bewährter Denk- und Handlungsmuster der deutschen Führungskräfte als Ausgangspunkt raumbezogener Distanzierungspraktiken | 259 7.5 Deutungsmuster der Selbstwahrnehmung und Selbstpositionierung: Machtund Überlegenheitssemantiken als Ausgangspunkt der Distanzierungspraxis gegenüber den ausländischen Investoren | 269 7.6 Metaphern und Sprachbilder als semantische Askriptionen von Annäherung und Distanzierung im Kontext der Unternehmensübernahmen | 284 7.7 Explizite Unterschiede in den Deutungs- und Askriptionslogiken der Investorengruppen: selektive Aktivierung und Mobilisierung von Näheund Distanzmustern im Kontext der Unternehmensübernahme | 287 7.8 Phasen der Unternehmensübernahme aus Deutungsmusterperspektive: Annäherung oder Distanzierung im Prozess der Post-MergerIntegrationsphase? | 297 7.9 Die Unternehmensübernahme im Kontext spezifisch kultureller Deutungs- und Askriptionslogiken | 303 7.10 Empirische Nachlese: Zweite Erhebungsphase nach zwölf Monaten – Verifizierung und Konkretisierung der allgemeinen Fallstruktur | 309
8
Zusammenfassung der Forschungsergebnisse und Einbettung in wirtschaftsgeographische Debatten | 313
8.1 Inhaltliche Zusammenfassung und Übersicht der zentralen Forschungsergebnisse | 313 8.2 Rekapitulation und Einordnung der Forschungsergebnisse in aktuelle wirtschaftsgeographische Debatten: zur Leistungsfähigkeit der Deutungsmusteranalyse im Kontext der Untersuchungsfragen | 320 9
Rückbettung in den theoretisch-konzeptionellen Kontext: Das methodische Potenzial von objektiver Hermeneutik und Deutungsmusteranalyse für wirtschaftsgeographische Fragestellungen – mögliche Forschungsperspektiven und deren Implikationen | 327
9.1 Möglichkeiten und Bedingungen einer wirtschaftsgeographischen Deutungsmusteranalyse: allgemeine Ansatzpunkte | 327 9.2 Probleme und Restriktionen der Deutungsmusteranalyse aus wirtschaftsgeographischer Erkenntnisperspektive: konstitutionstheoretische Kritikpunkte | 329 9.3 Deutungsmuster als wirtschaftsgeographische Erkenntnisperspektive: Forschungs- und Anwendungsmöglichkeiten des Analyseverfahrens – Denkansätze und Perspektiven | 334 Anhang | 341 Abbildungen | 347 Tabellen | 351 Literatur | 353
Abkürzungsverzeichnis
AG Amerik. BIP BRIC CEO CFO DFG EE Engl. EU FDI IHSK HR IT KBG LBO
M&As
Aktiengesellschaft (US-)amerikanisch Bruttoinlandsprodukt Investoren aus Brasilien, Russland, Indien und der Volksrepublik China Chief Executive Officer (amerik.), im deutschen: Geschäftsführer, Vorsitzender, Vorstandsvorsitzender (AG) Chief Finance Officer (amerik.), im deutschen: Finanzvorstand, kaufmännischer Geschäftsführer Deutsche Forschungsgemeinschaft e.V. Emerging Economies (= als Abkürzung für die BRIC-Staaten in der empirischen Darstellung) Englisch Europäische Union Foreign Direct Investment (engl.), im deutschen: Sammelbegriff für ausländische Direktinvestitionen) Institut für hermeneutische Sozial- und Kulturforschung e.V. (Frankfurt) Human Resource (= Humankapital) Informationstechnik Kapital-Beteiligungsgesellschaft Leveraged Buy-Out (engl.), mit (hohem) Fremdkapital finanzierte Unternehmensübernahmen im Rahmen von strukturierten Finanzierungen (Private Equity) Mergers and Acquisitions (engl.), Sammelbegriff für Transaktionen im Unternehmensbereich (= Fusionen, Unternehmenskäufe, fremdfinanzierte Übernahmen)
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OECD
PE PMI
UNCTAD VR
Organisation for Economic Co-operation and Development (engl.), im deutschen: Organisation für wirtschaftlichen Entwicklung und Zusammenarbeit Private Equity-Investoren (als Abkürzung in der empirischen Darstellung) Post-Merger-Integration (engl.) Phase der Integration und Zusammenführung von Unternehmen nach einer Unternehmensübernahme United Nations Conference on Trade and Development (engl.), im deutschen: Welthandels- und Entwicklungskonferenz Volksrepublik China
Danksagung
Eine Arbeit wie diese zu verfassen, ist mit vielen Unwägbarkeiten und Hindernissen verbunden. Sie wäre in dieser Form nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung einiger Personen, denen an dieser Stelle ein kurzer, wenn auch ganz besonderer Dank gewidmet ist. Besonders bedanken möchte ich mich bei meiner Doktormutter und Betreuerin der vorliegenden Arbeit, Frau Prof. Dr. Martina Fuchs, für die Begleitung beim Entstehungsprozess dieser Arbeit, dabei vor allem für die kritischen inhaltlichen Anregungen und vielen persönlichen Gespräche, die wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Außerdem danke ich Herrn Prof. Dr. SchulzNieswandt für die Übernahme des Korreferats dieser Dissertationsschrift. Danken möchte ich auch den Kolleginnen und Kollegen vom Wirtschafts- und Sozialgeographischen Institut der Universität zu Köln für die vielen kritischen und hilfreichen Diskussionen auf diesem Weg, allen voran meinem Bürokollegen Nicolas Reum, der mich über den Zeitraum der Entstehung dieser Arbeit ausgehalten hat! Zu Dank verpflichtet bin ich auch Herrn Jonathan Mauersberger für die umfangreiche IT-Beratung in der Endphase der Dissertation. Ein besonderer Dank gilt auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Finanzierung des DFG-Projektes (FU 424/15-1), innerhalb dessen diese Arbeit größtenteils entstanden ist und an dessen empirische Erhebungen und zentralen Forschungsergebnisse sich diese Arbeit anlehnt. Danken möchte ich in diesem Zusammenhang auch den studentischen Hilfskräften Frau Lisa-Marie Brunner und Frau Judith Roetgers für die Mitarbeit am genannten Forschungsprojekt. Damit die Arbeit in der vorliegenden Form überhaupt entstehen konnte, danke ich den Führungskräften der untersuchten deutschen Unternehmen, die sich Zeit für ein Interview nahmen, meine Fragen engagiert beantwortet und mir somit umfangreiche Einblicke in ein komplexes Themen- und Untersuchungsfeld gegeben haben. Ein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. em. Ulrich Oevermann und seinem Team vom Institut für hermeneutische Sozial- und Kulturforschung e. V. in Frankfurt, allen voran Herrn Andreas Schmidt, für die akribische Auswertungs- und In-
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terpretationsarbeit sowie die fachliche Beratung und kritische Diskussion. Gleicher Dank gilt dem Kölner Pendant, der objektiv-hermeneutischen Auswertungsgruppe unter der Leitung von Frau Dr. Irene Somm, Institut für Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung, für die umfangreiche Auswertungsarbeit und die vielen fachlichen Gespräche. Ein in jeder Hinsicht besonderer Dank schließlich gilt meiner Familie, allen voran meiner Mutter, für die grenzenlose Unterstützung auf diesem Weg, ohne die diese Arbeit niemals möglich gewesen wäre. Dieser Dank gilt auch meiner Freundin, die mich in vielerlei Hinsicht unterstützt hat, mir Freiräume geschaffen hat und mich in allen Höhen und Tiefen auf dem Entstehungsweg dieser Arbeit begleitet und motiviert hat. Gewidmet sei diese Arbeit schließlich meinem Vater, selbst Alumnus dieser Universität und überzeugter Kölner. Köln im Juli 2018
Martin Schalljo
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Einleitung
1.1 DEUTUNGSMUSTER IM KONTEXT TRANSNATIONALER UNTERNEHMENSÜBERNAHMEN Transnationale Unternehmensübernahmen (engl.: Mergers and Acquisitions) haben seit den 1990er Jahren eine beachtliche Dynamik entwickelt und sind dabei sowohl Ausdruck der globalen ökonomischen Integration als auch der Internationalisierungsstrategie multinational agierender Unternehmen (vgl. Fromhold-Eisebith/ Fuchs 2016: 1ff; Yeung 2016). Global operierende Unternehmen sind dabei zu machtvollen Akteuren geworden, deren Entscheidungen und Handlungen weitreichende und oftmals auch raumwirksame Bedeutung haben (vgl. Coe/Yeung 2015; Fuchs 2012). Die Anzahl länderübergreifender Unternehmensübernahmen ist seit den 1990er Jahren konstant gestiegen (vgl. Bundesverband der deutschen Industrie 2013; UNCTAD 2015: ausführlich: Kap. 5). Auch wenn nach wie vor Investoren aus dem ‚globalen Norden‘ das Investitionsgeschehen quantitativ dominieren, ist seit etwa einer Dekade der Aufstieg der so genannten BRIC-Staaten1 als neue Investorengruppe zu beobachten (vgl. Jungbluth 2013: 26ff; Kappel/Pohl 2013: 1ff; im Kontext: Schamp 2008). Die vor allem medial propagierte anfängliche Skepsis, gerade gegenüber Investoren aus Indien und China, wich in den Medien (vgl. Golinski/Henn 2015: 2ff) wie auch in den übernommenen Unternehmen selbst (vgl. Bertelsmann Stiftung 2009) einem positiven Bild und einer Form von Willkom-
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Der Begriff der BRIC-Staaten steht für die vier Staaten Brasilien, Russland, Indien und China und wurde im Jahr 2001 von Jim O`Neill, dem Chefvolkswirt der Investmentbank Goldman Sachs, geprägt. Dieser prognostizierte den BRIC-Staaten ein überproportionales Entwicklungspotenzial sowie einen zunehmenden Einfluss auf die globale Weltwirtschaft. Heute gehören die BRIC-Staaten zu einer Reihe global agierender Wirtschaftsnationen mit einem überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum, die sich in Bündnissen formieren und ihren Einfluss auf die internationale Agenda ausbauen (vgl. Golinski et al. 2013: 5; Franz et al. 2016).
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menskultur (vgl. Handelsblatt 2016) gegenüber den neuen aufstrebenden Investoren aus Indien und China (vgl. Golinski/Henn 2015: 1ff). Die zunehmenden globalen Verflechtungen und Waren- und Informationsflüsse, zumeist unter dem umfassenden Begriff der Globalisierung zusammengefasst (ausführlich: Beck 1997), haben nicht nur zu neuen komplexen Kooperationsstrukturen geführt (auch: Industrial Transition; vgl. Bathelt/Glückler 2012: 305; Fromhold-Eisebith/Fuchs 2016: 1ff), sondern verweisen aus wissenschaftlicher Perspektive auch auf die Notwendigkeit, eben diese Strukturen und Prozesse der „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 281) aus einer Akteursperspektive verstehend nachvollziehen zu können (vgl. Pohl 1996; 2008; Sedlacek/Werlen 1998). Gerade wenn es um die inflationär verwendeten Kulturbegriffe (Kap. 5), auch bei Unternehmensübernahmen, geht (exemplarisch: Rottig 2007; Rottig et al. 2013), laufen zahlreiche Forschungsarbeiten Gefahr, tautologisch zu argumentieren, also Kultur letztlich mit Kultur zu erklären und dabei eher eine Art begriffliches Labeling (vgl. Frantz 2015) zu betreiben, anstatt lebensweltliche2 Strukturen und Prozesse der Erscheinungswelt in deren Eigenlogik und Versprachlichung zu verstehen (vgl. Pohl 1986: 177f; Weber 1921/1972: 4f, 11f; sowie: Schlottmann 2007). Transnationale, also länderübergreifende Unternehmensübernahmen (engl.: Mergers & Acquisitions), bei denen ein ausländischer Investor ein Unternehmen mehrheitlich übernimmt und dadurch formal das Stimmrecht an allen strategischen und operativen Entscheidungen (er-)hält (vgl. Lucks/Meckl 2015; Kap. 5), stellen in diesem Kontext ein besonderes „Strukturproblem“ (Oevermann 2001c) dar: Die Handlungs- und Entscheidungslogik von Unternehmen, aber auch die der handelnden Akteure selbst (hier: Manager, Geschäftsführer), ist immer eingebettet in eine spezifische Form soziokultureller Prägung und basaler Deutungsrahmen, die aus wissenschaftlicher Perspektive zunächst als „black box“ (Leyshon 2011: 383) erscheinen (vgl. Kinder/Radwan 2010: 43f). Treffen diese unterschiedlich sozialisierten Akteure (Kap. 3) und organisationalen Routinen nun wie im Falle einer transnationalen Unternehmensübernahme aufeinander, kann dies mitunter zu Konflikten und Distanzen oder gar zu erheblichen wirtschaftlichen Folgeschäden als Konsequenz dieser Divergenzen führen (vgl. Cartwright/Cooper 2000; 2001; Ghosh Ray/Ghosh Ray 2013: 113ff). Prominente Beispiele wie das Scheitern der Fusion von Daimler und Chrysler im Jahr 2007 (endgültige Trennung 2009) zeigen, dass der von vielen Lehrbüchern und Forschungsbeiträgen oftmals angeführte ‚Faktor Kultur‘ (vgl. Dauber 2012: 375ff; Frantz 2015: 106f) bei Unternehmensübernahmen offensichtlich oftmals unterschätzt oder von seiner Struktur und (räumlichen) Dyna-
2
Zum Begriff der Lebenswelt vgl. Kap. 3 u. 4, sowie: Pohl 1986 u. 1996.
Einleitung | 15
mik nicht richtig verstanden3 wird (vgl. Rottig et al. 2013: 135ff; Weber et al. 2009: 1ff). Der hier angestrebte Versuch, sich diesen Strukturen und Prozessen des thematischen Untersuchungsfeldes theoretisch und methodologisch aus einer verstehenden (vgl. Pohl 1986; 1996) Forschungsperspektive zu nähern, führt zwangsläufig auch zu einer metatheoretischen und erkenntnistheoretischen Auseinandersetzung über den geeigneten epistemischen Zugang zu den latenten Phänomen der „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 281), wie sie sich auch in den paradigmatischen und erkenntnistheoretischen Diskussionen innerhalb der Humangeographie in den letzten Dekaden widerspiegelt (vgl. Kap. 2, 3, 4 u. 9). Die offensichtlichen Schwächen quantitativer und ex ante-subsumierender (= einordnender, vorabkategorisierender) Sozialforschung (vgl. Oevermann 2002: 20/21; 2013: 69f), die zwangsläufig soziale Wirklichkeit nach den Kategorien des Forschers selbst ordnet und wie sie auch innerhalb der Human- und Wirtschaftsgeographie oftmals angewandt wird (ausführlich: Kap. 2), bildet den erkenntnistheoretischen und methodologischen Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung. „Warum nicht ‚Warum‘?“ – fragen Gerhard/Seckelmann (2013: 273) und zielen damit auf einen gewissen methodologischen Monismus ab, der sich im Mainstream humangeographischer Forschung mittlerweile etabliert hat (ausführlich: Kap. 2). Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die materialbezogene Rekonstruktion der latenten Deutungsmuster und kulturspezifischen Askriptionen (= Zuweisungen; vgl. dazu Miggelbrink/Meyer 2015: 206) deutscher Führungskräfte, um deren repräsentationale und raumrelevante Handlungslogiken im Unternehmen und während der Übernahme aus hermeneutischer Perspektive verstehen zu können. Dabei soll die hermeneutische Analyse insbesondere zu einem vertieften Verständnis von Nähe- und Distanzrelationen und -produktionen in internationalen Arbeitskooperationen verhelfen (exemplarisch: Cranston 2016; Jones 2008a/b) sowie zur Erklärung der Dynamik soziokultureller Askriptionsmuster (Kap. 4 u. 5). Die „Strukturlogik[en]“ (Dörfler 2013a: 253) von Übernahmedeutungen aus Sicht der Führungskräfte zu verstehen, kann dabei gerade im transkulturellen Kontext einer sich fortwährend globalisierenden Welt wertvolle Erkenntnisse liefern (vgl. FentonO’Creevy et al. 2011), für Unternehmen und Entscheidungsträger selbst, im Sinne eines Praxisbezugs (vgl. Frey 1990), aber gerade auch aus Sicht der qualitativen Wirtschaftsgeographie, um den Blick für die komplexer werdenden „Strukturprobleme“ (Oevermann 2001c) erkenntnistheoretisch wie methodologisch zu schärfen (vgl. Berndt/Boeckler 2007; Leyshon 2011; Schamp 2003).
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Zum Begriff des Verstehens in den rekonstruktiven Sozialwissenschaften vgl. Kap. 3.
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1.2 DEUTUNGSMUSTER ALS WIRTSCHAFTSGEOGRAPHISCHE ERKENNTNISPERSPEKTIVE: EINE ERSTE ANNÄHERUNG Deutungsmuster sind in der Konzeptualisierung Ulrich Oevermanns (1973; 2001a/b), auf welche sich die vorliegende Untersuchung wesentlich bezieht, zunächst eine der Soziologie und den rekonstruktiven Sozialwissenschaften zuzuordnende und empirisch erprobte Forschungsperspektive (vgl. Oevermann 1973; 2001a; Reichertz 1986; exemplarisch: Oevermann 2001a/b; sowie Kap. 3), mit einigen disziplinären Abwandlungsversuchen (exemplarisch: Soeffner 2004) sowie transdisziplinären Adaptionsversuchen (exemplarisch: Reh 2003; Uhlendorff et al. 2006; Weigelt 2010). Wirtschaftsgeographen selbst interessieren sich für die räumliche Organisation wirtschaftlichen Austausches, dabei aber auch für soziale Institutionen im Produktionsprozess und dafür, wie „Wirtschaft in lokalisierten Lebensverhältnissen praktiziert wird“ (Bathelt/Glückler 2012: 19; ebd.: 19). Dabei sind oftmals auch kulturelle Askriptionen (= Zuweisungen) von Nähe und Distanz bei der Konstitution räumlicher Strukturen und Prozesse Gegenstand des Forschungsinteresses (vgl. Fuchs et al. 2017a; Meyer 2000). Aus diesem grundlegenden Erkenntnisinteresse sind in den letzten Dekaden nach der „Mega-Wende“ (Fuchs 2011: 179) des Cultural Turn zahlreiche Forschungsarbeiten entstanden, die sich interdisziplinärer Theorieimporte bedienen und damit gleichermaßen die Heterogenität der Disziplin begründen (vgl. Schamp 2003: 145f; ausführlich: Kap. 2). Metatheoretisch gibt es dabei innerhalb der Disziplingeschichte der Humangeographie einen fortlaufenden und streckenweise intensiv geführten Diskurs über die erkenntnistheoretische Positionierung und methodologische Ausrichtung des Faches innerhalb der Wissenschaften (vgl. dazu Pohl 1986: 15ff; 1996; Schamp 2003: 146-149; Kap. 2). Debatten über die „gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ (Berger/Luckmann 1969/1987) haben im Zuge des Cultural Turn (vgl. Boeckler/Berndt 2005: 69f) zu einem mehr interdisziplinären und akteurszentrierten Verständnis in der Folge Benno Werlens (1995; 1997) angeregt, aus dessen Nachgang zahlreiche neue methodologische Ansätze und empirische Forschungsarbeiten hervorgegangen sind, auch innerhalb der Humangeographie (exemplarisch: Rothfuß/Dörfler 2013). Einige Autoren konstatieren dabei gar einen Practice Turn in den Sozialwissenschaften (exemplarisch: Bachmann/Medick 2009; vgl. auch Jones/Murphy 2011: 366f).4 Ihnen allen gemeinsam ist, erkenntnistheoretisch gesprochen, die Abkehr
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Elias et al. (2014) verneinen ausdrücklich den Terminus des Practice Turn (vgl. Jones/Murphy 2011), da nahezu alle praxeologische Arbeiten in der Denktradition des übergeordneten Cultural Turn stehen (vgl. dazu Elias et al. 2014).
Einleitung | 17
vom wissenschaftstheoretischen Verständnis einer genuin chorologischen Raumwissenschaft (vgl. Glückler 2002: 47/48; Pohl 1986: 46f; Werlen 1997: 89; Kap. 4). Die stärkere methodologische Zuwendung auf den Akteur als Raumgestalter (vgl. Werlen 1995; 1997: 25ff) und ,Raumdeuter‘ (vgl. Kaspar 2013: 197f) schärft die erkenntnistheoretische und methodologische Position einer handlungs- und akteursbezogenen Sozialgeographie (vgl. Lippuner 2005; Sedlacek/Werlen 1998). Der perspektivische Fokus liegt dabei auf der Rekonstruktion der tatsächlichen „menschlichen Praxis unter besonderer Berücksichtigung der räumlichen Bedingungen der materiellen Medien des Handelns, ihrer sozialen Interpretation und Bedeutung für das gesellschaftliche Leben“ (Werlen 1997: 66; vgl. Glückler 2002: 47/48) oder räumlich formuliert: in der Rekonstruktion lokaler Muster des Denkens und Sprechens (Mattissek 2007: 43-46: sowie: Felgenhauer 2007b). Will humangeographische Forschung einen problembezogenen Beitrag zum Verständnis gesellschaftlicher Formationen leisten, muss sie demnach in ihren Methoden auf die Logik des Handelns selbst ausgerichtet sein (Werlen 1997: 66; sowie: Glückler 2002: 47/48). Erkenntnistheoretisch werden dabei nicht Raumtheorien, sondern Sachtheorien der alltäglichen Sinnkonstitution hinsichtlich ihrer lokalisierten und lokalisierenden Wirkungen untersucht (Bathelt/Glückler 2012: 45; Glückler 2002: 47; sowie: Buttimer 1969; 1974; 1976). Die räumliche Perspektive bezieht sich demzufolge auf die konkreten Fragen, die Wirtschaftsgeographen an die „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 281) richten und nicht auf die Konzeptualisierung von Raum als Erklärungsvariable per se (Bathelt/Glückler 2012: 45; Glückler 2002: 47/48; vgl. dazu auch Dörfler 2013b). Erkenntnistheoretisch bedeutet diese Perspektive auf den Gegenstandsbereich selbst die Neuausrichtung hin zu einer sozialtheoretisch revidierten Raumwissenschaft: Das Soziale und das Ökonomische bestimmen die räumliche Struktur und nicht umgekehrt (Bathelt/Glückler 2012: 33; Glückler 2002: 48/49; „Entterritorialisierung“, Boeckler/Berndt 2005: 71). In diesem Theorieverständnis ist auch die Abkehr vom klassischen Raumbegriff als solchen zu verstehen (ausführlich: Kap. 2): Für den objektivistischen Raumbegriff, der den Raum als Container oder Behälter ansieht, ist Raum eine natürliche Voraussetzung menschlichen Handelns (Fuchs 2012: 74; 2013: 35f). Der subjektivistische Raumbegriff antwortet darauf mit einer Kulturalisierung und Produktion (vgl. Lippuner 2005; 2007: 144f; sowie: Jones/Murphy 2011: 370) von Raum in Abhängigkeit kulturell verorteter Deutungssemantiken (vgl. Reckewitz 2014: 19ff; sowie: Fuchs 2012: 74). Was Raum ‚ist‘ und wie Raum zu ‚verstehen‘ (zum Begriff des Verstehens vgl. auch Weber 1972: 5f) ist, kann in dieser erkenntnistheoretischen Perspektive einzig durch die Rekonstruktion der Schematisierungsleistungen der handelnden Akteure selbst erklärt werden (vgl. Dörfler 2013a: 246/247; Jones/Murphy 2011: 383-385; Kap. 4; vgl. Lippuner 2005 für die deutsche Sozialgeographie). Raum wird damit zu einem „durch Interaktionen konstituierten Beziehungsprodukt“ (Boeckler/Berndt
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2005: 71), dessen Strukturierung und Bedeutung sich auch in diskursiv produzierten Handlungsprotokollen aufzeigen lässt (vgl. Miggelbrink/Meyer 2015: 205). Der besondere Nutzen einer hermeneutischen Wissenschaft, und in dieser erkenntnistheoretischen Perspektive ist die vorliegende Untersuchung zu verstehen, besteht vor allem darin, für Besonderes und Neues offen zu sein (vgl. Pohl 1986: 158), dabei aber auch die Totalität phänomenologischer Wirklichkeit fern jeder fachspezifischen und „subsumptionslogischen“ (Oevermann 2002: 20) Begriffsraster erfassen zu können (vgl. Pohl 1986: 158ff; Dörfler 2013a: 253f). In dieser Denktradition, metatheoretisch vor allem inspiriert durch Arbeiten von Goffman (1959), Husserl (1976), Habermas (1995a/b) und Giddens (1986/1988), ist auch der theoretische Ansatz Ulrich Oevermanns einzuordnen (vgl. Oevermann 1973; 2001a/b). Ulrich Oevermann, Begründer und nach wie vor prominentester Vertreter der objektiven Hermeneutik, geht dabei von der strukturalistischen Prämisse aus, dass jedes soziale Handeln regelgeleitet und eingebettet in latente Grundmuster ist, die das Movens sozialen Handelns bilden (vgl. dazu auch Scheiner 1998: 52f). Ein sinnund absichtsvolles Handeln im Raum ist außerhalb dieser intentionalen Deutungsrahmen, regelhaften Symbolsysteme und „räumlichen Grammatiken der Weltdeutung“ (Schlottmann 2007: 17) nicht denkbar (vgl. Oevermann 2013: 72f). Erst die Rekonstruktion dieser latenten Sinngebilde erlaubt es dem Forscher, die Struktur der „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 241) als Verhältnis von Sprache und Raum (Schlottmann 2007: 7) verstehen zu können (exemplarisch: Oevermann 2001c). Die Debatte um soziale Deutungsmuster und latente Handlungsmotive als den zentralen Gegenstand dieser Untersuchung hat vor allem innerhalb der Soziologie und rekonstruktiven Sozialforschung stattgefunden (exemplarisch: Oevermann 1973; 2001a; 2013; Reichertz 1986). Auch wenn der Begriff des Deutungsmusters innerhalb der deutschsprachigen Humangeographie durchaus erwähnt wird (vgl. Lippuner 2007; Schneider 2006), fand innerhalb der Wirtschaftsgeographie bislang noch keine empirische und empirisch-theoretische (= Implikationen des Analyseverfahrens) Auseinandersetzung mit Deutungsmustern statt (vgl. Fuchs 2012: 65f; Fuchs/Schalljo 2016). Fuchs (2012) diskutiert Deutungsmuster als wirtschaftsgeographische Erkenntnisperspektive im Kontext der Debatten über Wissen und Institutionen und zeigt dabei Rahmenbedingungen und Implikationen des Analyseverfahrens auf (vgl. Fuchs 2012). Dabei zeigen sich zahlreiche spannende inhaltliche und erkenntnistheoretische Anknüpfungspunkte (Kap. 4) sowie mögliche Erkenntnisperspektiven in zentralen wirtschaftsgeographischen Forschungsfeldern (Kap. 9). Gerade aufgrund seiner Subjektbezogenheit („Geographie-Machen“; Werlen 1997: 25) sowie der methodologischen Verknüpfung mit makrokulturellen (vgl. Greve et al. 2008; für die Wirtschaftsgeographie vgl. Schröder 2010) Faktoren und gesellschaftlichen Dynamiken erscheint der Deutungsmusteransatz als durchaus bedeutsam und fruchtbar für eine kulturalistisch inspirierte und handlungszentrierte
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Wirtschaftsgeographie (vgl. dazu Boeckler/Berndt 2005: 69f; Fuchs 2012: 72ff; Kap. 4).
1.3 WARUM DEUTUNGSMUSTER? ERKENNTNISINTERESSE UND EINFÜHRENDE BEGRÜNDUNG DER METHODOLOGISCHEN FORSCHUNGSPERSPEKTIVE Am Beispiel transkultureller Unternehmensübernahmen (= M&As) wird das Konzept der sozialen Deutungsmuster mit Bezug auf die Theorie Ulrich Oevermanns (v. a. Oevermann 1973; 2001a/b) als Erweiterung der wirtschaftsgeographischen Erkenntnisperspektive auf Akteure (= Individuen/Unternehmen) und deren raumrelevante Deutungen und Praktiken diskutiert. Dabei sollen sowohl metatheoretische Implikationen (Kap. 4) als auch der konkrete Erkenntnismehrwert der Methode anhand einer ausgewählten Empirie (hier: Deutungsmuster deutscher Führungskräfte bei M&As) kritisch diskutiert und für aktuelle human- und wirtschaftsgeographische Debatten und Erkenntnisperspektiven fruchtbar gemacht werden (Kap. 9). Einführend kann als Deutungsmuster die typische und lebensgeschichtlich angeeignete Schematisierungslogik verstanden werden, wie ein realweltlicher Zusammenhang gedeutet und interpretiert wird. Deutungsmuster agieren dabei als latente handlungsleitende Regeln im Hintergrund und liefern den handelnden Subjekten adäquate Situationsdefinitionen und Handlungsorientierungen (Meuser/Sackmann 1992: 15ff; Plaß/Schetsche2001: 513; Ullrich 1999b: 2). Konstitutionstheoretisch (ausführlich: Kap. 3) können Deutungsmuster in der vorliegenden Untersuchung als langfristig stabile „Strukturverdichtungen“ (Matthiesen 1994: 80) und Askriptionen (= Zuweisungen; vgl. Fuchs et al. 2017a) allgemeiner sozialer Motive konzeptualisiert werden, wie sie das programmatisch umfassendere Projekt der objektiven Hermeneutik gleichsam zu rekonstruieren versucht (ebd.: 80f; vgl. Oevermann 2001a/b). Im empirischen Beispiel transkultureller Unternehmensübernahmen wird das Analyseverfahren (vgl. Oevermann 1973; 2001a/b) im Hinblick auf die Deutungsmuster von Führungskräften (= Manager, Vorstandsebene) mittelständischer deutscher Unternehmen des produzierenden und verarbeitenden Gewerbes angewendet, die innerhalb der letzten drei Jahre (2010-2013/20145) von ausländischen Eignern übernommen wurden. Dabei stehen sowohl ‚junge‘ Investoren aus den BRICStaaten als auch ‚westliche‘ und etablierte Private Equity-Investoren (= außerbörs-
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Einige der untersuchten Unternehmensübernahmen waren formal erst kurz vor Beginn der ersten Untersuchungsphase Anfang 2014 abgeschlossen.
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liches Eigenkapital durch private und/oder institutionelle Anleger) im Zentrum der Untersuchung. Der Fokus liegt auf einer dezidierten Auswertungsmethodik in Anlehnung an Oevermanns Prämisse regelgeleiteter Sinnverfasstheit in Handlungsprotokollen (vgl. Meuser/Sackmann 1992: 16; Oevermann 1993: 112ff; Ullrich 1999b: 2/3). Dabei sollen die situativen Deutungen, tiefer liegende Handlungslogiken, aber auch manifeste Muster und Probleme der Kooperation der an der Unternehmensübernahme beteiligten Akteure schrittweise (= sequenzanalytisch) aus den Dokumenten rekonstruiert werden (vgl. Oevermann 1973; 2001a/b; exemplarisch: Oevermann 2001c), um die Strukturlogik des Phänomenbereichs möglichst ganzheitlich zu erfassen (vgl. Dörfler 2013a: 253f). Gerade im Hinblick auf soziokulturell indizierte Nähe- und Distanzdimensionen und Askriptionen von Kultur in länderübergreifenden M&As (ausführlich: Kap. 5) sowie der Zusammenführung unterschiedlicher Arbeitsorganisationen und -praktiken (exemplarisch: Meyer 2000; Schoenberger 1997) sollen mit Hilfe der objektiv-hermeneutischen Rekonstruktion vertiefte Innenansichten aus den Unternehmen sowie Gründe für räumliches Handeln gewonnen werden. Werden Deutungsmuster als Orientierungsmaßstäbe individuellen wie kollektiven Handelns verstanden (Plaß/Schetsche 2001: 513; Ullrich 1999b: 2/3), so erscheint das Analyseverfahren gerade im Kontext internationaler und transkultureller Unternehmensübernahmen als reizvoll: Zahlreiche Fusionen und Übernahmen scheitern offenbar an kulturellen Divergenzen (vgl. Dauber 2012: 375/376; Frantz 2015: 103) oder es entstehen teilweise erhebliche Folgekosten für die Unternehmen selbst (vgl. Dauber 2012: 375f). Die viel zitierten Kulturbegriffe erscheinen in diesem Kontext zumeist als „vague concept“ (Frantz 2015: 106), als unspezifische analytische Kategorie, deren erkenntnistheoretische und methodologische Operationalisierung oftmals unklar bleibt (vgl. Frantz 2015: 106f; Meyer 2000: 148ff für die Humangeographie). Wenn Handlungsdispositionen und kulturelle Milieus also Gegenstand des Forschungsinteresses sind (vgl. Dörfler 2013a: 247f; Ullrich 1999b: 3), erscheint die Deutungsmusteranalyse als geeignete Forschungsstrategie, gerade weil sie empirische Zusammenhänge ohne einfache erkenntnistheoretische Verortungen in Mikro- oder Makrobereiche zu erklären versucht (= genetischer Strukturalismus; Ullrich 1999b: 3; vgl. Jones 2014 für die Wirtschaftsgeographie). Deutungsmuster werden als soziale und kulturelle Phänomene verstanden, die nicht einfach auf subjektive Dispositionen reduziert werden können (z. B. auf den Habitus; vgl. Bourdieu 1982). Vielmehr können sie als Produkte von Kontextproblemen einerseits und individuellen Handlungsorientierungen andererseits analysiert werden und damit zugleich auch als objektiv gültige und raumbezogenen Handlungslogik, als Teil einer räumlich anzutreffenden Lebenswelt (Ullrich 1999b: 3f; sowie: Oevermann 2002: 1-6; Kap. 5). Im untersuchten Fall transnationaler Firmenübernahmen kann davon ausgegangen werden, dass unterschiedliche (kulturelle) Deutungsmuster aufeinandertreffen und diese gerade aufgrund möglicher kommunikativer Differenzen und
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„Strukturprobleme“ (Oevermann 2001c; 2008) verstärkt mobilisiert werden (vgl. Cartwright/Cooper 2000; 2001; Fuchs/Schalljo 2016). Die Logik des Analyseverfahrens soll dabei möglichst vermeiden, kulturell wertend zu analysieren (vgl. dazu Valentine 2010: 519ff; Kap. 3 u. 5). Menschliches Handeln in seiner Vielschichtigkeit zu systematisieren, gar Prognosen über voraussichtliches Handeln zu treffen, war und ist Gegenstand zahlreicher handlungstheoretischer und praxeologischer Arbeiten (für einen einführenden Überblick vgl. Elias et al. 2014), in jüngerer Zeit auch Gegenstand praxisbezogener Arbeiten in der Humangeographie (= Practice Turn, vgl. Jones/Murphy 2011; Jones 2014; exemplarisch: Reckewitz 2002; 2014). Ihnen allen geht es im Kern der Argumentation um die Genese und Dynamik kultureller Phänomene sowie die Konstitution des Sozialen in spezifischen Situationen und Akteurskonstellationen (Elias et al. 2014: 6). In der vorliegenden Untersuchung geht es jedoch nicht darum, das tatsächliche Handeln von Führungskräften zu erforschen, da dies auf der Grundlage von narrativen Interviews (vgl. Ullrich 1999a), methodologisch gesprochen Konstruktionen zweiten Grades (vgl. Bohnsack et al. 2013: 11/13; Schütz/Luckmann 1975), immer nur bedingt erreicht werden kann (vgl. dazu Oevermann 2013: 72ff). Zentraler Gegenstand der Untersuchung ist vielmehr die Identifikation der Überzeugungen und Struktur- und Argumentationsmuster, die sich ‚hinter‘ dem Handeln als latenter sozialer Sinn abgelagert haben, um folgerichtig näherungsweise Aussagen über die Strukturlogik des Wirklichkeitsausschnittes ‚internationale Unternehmensübernahme‘ treffen zu können (vgl. von Alemann 2015: 19f; sowie: Oevermann 2002: 1-4). Die viel diskutierten und oftmals wenig konzeptualisierten Kulturbegriffe (ausführlich: Kap. 5) erscheinen in dieser erkenntnistheoretischen Perspektive als hochgradig strukturiert, so dass sie, mit Max Weber gesprochen, einen sprachlichen Sinnzusammenhang bilden (vgl. Reckewitz 2014: 16; sowie Jones/Murphy 2011: 371f). Im Sinne Oevermanns objektiver Hermeneutik (vgl. Oevermann 2001a/b; exemplarisch: 2001c) geht es vor allem darum, wie das berichtete Handeln sprachlich argumentiert wird und welche Rückschlüsse dadurch auf die Deutungsmuster der Führungskräfte und die „basalen Identitätsformationen im Milieu des leitenden Managements“ (Krahwinkel 1999: 10; vgl. dazu auch Oinas 1999: 351f) gezogen werden können. Gleichzeitig initiieren und konstituieren Deutungsmuster auch eine soziale Praxis und lassen so Rückschlüsse auf das typische soziale und raumrelevante Handeln der Akteure (z. B. symbolische Raumproduktionen) in konkreten Situationen und sozialen Milieus zu (für die Humangeographie vgl. Dörfler 2013a: 254; Schlottmann 2007: 10). Im Sinne der Milieudifferenzierung nach Bohnsack (1989: 377ff) ist dabei anzunehmen, dass die gemeinsam geteilten Erfahrungen, Deutungen und Wissensbestände der jeweiligen soziokulturellen Lebenswelten (vgl. Pohl 1986: 173) durch differente Semantiken zu erklären sind, die sie von ‚Anderen‘ unterscheiden (vgl. Dörfler 2013a: 254/255).
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1.3.1 Forschungsvorhaben und Konkretisierung der zentralen Fragestellungen Im Fokus der empirischen Untersuchung stehen die Deutungsmuster von Führungskräften deutscher Unternehmen des produzierenden und verarbeitenden Gewerbes, die innerhalb des Zeitraums von 2010-2014 von einem ausländischen Eigner mehrheitlich übernommen wurden. Dazu zählen Mitglieder des Vorstands und der Geschäftsführung (= CEO/CFO) großer und mittelständischer Unternehmen. Dabei stehen sowohl Unternehmen, die durch ‚junge‘ Investoren aus den aufstrebenden BRIC-Staaten (hier: Russland, Indien, China), die gerade erst die Bundesrepublik als M&A-Ziel ausbauen (vgl. Golinski et al. 2013: 1ff; Jungbluth 2013), als auch Unternehmen, die durch etablierte institutionelle Investoren (engl. Private Equity) aus den USA und Westeuropa übernommen wurden, im Zentrum der Untersuchung (Kap. 5). Besonders im Fokus steht die Frage, wann und in welcher Intensität Deutungsmuster in den beiden Investorenkonstellationen jeweils aktiviert und mobilisiert werden (vgl. Fuchs/Schalljo 2016). Der spezifische Modus, wie die deutschen Führungskräfte die beiden Investorengruppen jeweils deuten, soll zu einem vertieften Verständnis der Mechanismen von Annäherung und Distanzierung in der Phase der Zusammenführung der Unternehmen beitragen (= Post-Merger-Integration). Im Zentrum der empirischen Darstellung steht die Rekonstruktion der Mobilisierung von Deutungsmustern gegenüber den BRIC-Eignern, da davon ausgegangen werden kann, dass sich die basalen Deutungslogiken und Strukturgebilde in dieser Konstellation gerade aufgrund der differenten kulturspezifischen Sozialisation ungleich deutlicher zeigen als bei den institutionellen Investoren, bei denen von einer grundlegenden Nähe ausgegangen werden kann (= Institutional Fit). Die Gruppe der westlichen und etablierten Private Equity-Investoren dient somit vor allem als Referenzgruppe innerhalb dieser deutungsvergleichenden Perspektive, um die Schematisierunglogiken der deutschen Führungskräfte im transkulturellen Kontext besser verstehen zu können (vgl. dazu Fuchs/Schalljo 2016). Die empirische Untersuchung umfasst 17 Interviews in insgesamt 16 deutschen Unternehmen, jeweils mit dem Geschäftsführer (= CEO/CFO) des deutschen Unternehmens (Kap. 6). Die Interviews werden als diskursive und Leitfaden-gestützte Expertengespräche geführt, wobei den narrativen Sequenzen besondere Bedeutung zukommt (vgl. Ullrich 1999a/b; Wernet 2011: 4) Gerade im Hinblick auf transkulturelle Forschung erscheint der gewählte Forschungsansatz als ertragreich, da davon auszugehen ist, dass grundlegende Handlungsmuster im konkreten Fall der Unternehmensübernahme in Konflikt geraten und in der Kooperation mit dem ausländischen Investor verstärkt mobilisiert werden (vgl. Fuchs/Schalljo 2016; Meyer 2000). Die Herausarbeitung der basalen „Strukturlogiken“ (Dörfler 2013a: 253) erfordert ein schrittweises Vorgehen, wobei die Fallstruktur jeweils aus dem Text selbst rekonstruiert und
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durch weitere Fälle/Unternehmen präzisiert wird (vgl. Oevermann 2002: 17ff; Wernet 2009: 12ff). 1.3.2 Konkretisierung der zentralen Untersuchungsfragen Trotz der für die qualitative Sozialforschung im Allgemeinen und für die objektive Hermeneutik im Speziellen wichtigen Offenheit im Forschungsprozess (vgl. Crang 2003; Gläser/Laudel 2004), ist es für diese Arbeit von zentraler Bedeutung, aus dem allgemeinen Erkenntnisinteresse heraus konkrete Forschungsfragen abzuleiten, auf die das empirische Material hin untersucht und rekonstruiert wird. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass subsumptionslogisch Kategorien vorgegeben werden, die dann mit ‚Inhalt‘ gefüllt werden (vgl. Oevermann 2002: 10ff; 2013: 70). Die Relevanzsysteme der Führungskräfte selbst bleiben der zentrale Maßstab für die innere Gliederung der Untersuchung (Kap. 7). Dennoch ist es wichtig, in der Sprache der objektiven Hermeneutik gesprochen, das „Strukturproblem“ (Oevermann 2001c) von Nähe- und Distanzzuweisungen im deutschen Management adäquat zu erfassen und von innen heraus darzustellen (exemplarisch: Oevermann 2001c). Um die Untersuchungsziele der vorliegenden Arbeit zusammenfassend zu explizieren, sollen nachfolgend die wesentlichen forschungsleitenden Fragen in einer tabellarischen Übersicht angeführt und empiriebezogen kurz erläutert werden6:
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Die Forschungsfragen definieren das allgemeine Erkenntnisinteresse der Untersuchung und gliedern diese thematisch, auch wenn sich in der empirischen Darstellung (Kap. 7) durchaus inhaltslogische Überschneidungen im Hinblick auf die hermeneutische Rekonstruktion ergeben. Für die kapitelspezifische Vorgehensweise des Buches vgl. Kap. 1.4. – Aufbau und Konzeption der Untersuchung; sowie: Abb. 1; für den Aufbau des theoretischen Grundgerüsts des Buches vgl. Kap. 2.1: Einführung in ein weites Problemfeld; sowie: Abb. 1.
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Tabelle 1: Übersicht der zentralen forschungsleitenden Fragen und kurze Erläuterungen Zentrale Forschungsfragen 1) Welche basalen Strukturlogiken der Managerrolle im Unternehmen lassen sich aus den Argumentationsmustern der befragten Manager rekonstruieren?
2) Wie wird die Übernahme des Unternehmens durch den ausländischen Investor vom deutschen Management gedeutet?
3) Wie werden die beiden untersuchten Investorengruppen gedeutet und welche Unterschiede in der Wahrnehmung der ausländischen Investoren lassen sich daraus ableiten?
Kurze Erläuterung Im einführenden Teil sollen die Relevanzsysteme der befragten Manager im Vordergrund der Betrachtung stehen. Dabei sollen latente Deutungsmuster rekonstruiert werden, die Aussagen über die basalen Handlungslogiken des Managers erlauben. Das zentrale Augenmerk liegt dabei auf der Selbstwahrnehmung und -positionierung der Führungskräfte im Unternehmen. Was sind die zentralen Deutungsmuster, welche die Strukturlogik der Aushandlungsprozesse mit dem ausländischen Investor definieren? Hier sollen die latenten Sinnstrukturen im Vordergrund stehen, die einen Konnex zur Übernahme des Unternehmens aufzeigen. Um die Strukturlogik von Übernahmedeutungen zu verstehen, geht es explizit um die Rekonstruktion jener Deutungsmuster, die durch die Umbruchsituation der Unternehmensübernahme verstärkt aktiviert und mobilisiert werden und damit die allgemeinen Deutungslogiken aufzeigen. Das qualitative Sample der Untersuchung umfasst zwei unterschiedliche Gruppen von Investoren: Private Equity-Investoren aus den USA und Europa sowie ‚junge‘ Investoren aus den BRIC-Staaten, dabei vor allem aus der VR China (zur präzisen Einordnung der untersuchten Investorengruppen vgl. Kap. 5 u. 6). In diesem Teil sollen vergleichende
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4) Welche latenten Bewertungsmuster verändern sich im Verlaufe der Übernahme?
5) Welche Deutungsmuster konstituieren eine typische soziale Praxis im deutschen Management und lassen somit näherungsweise eine Aussage über die Handlungslogik der deutschen Führungskräfte zu, auch im Hinblick auf Raumbezüge in den Deutungsmustern?
Strukturdeutungen des deutschen Managements im Hinblick auf die beiden Investorengruppen untersucht werden, jeweils mit dem Fokus auf die BRIC-Eignerstrukturen, um die Logik transkultureller Deutungen besser verstehen zu können. Die Übernahme eines Unternehmens stellt immer einen Prozess dar, von den ersten Gesprächen bis hin zur so genannten Post-Merger-Integration. Hier sollen vor allem Indizien gesucht werden, welche der latenten und manifesten Bewertungsmuster sich während der Übernahme verändern und welche Muster stabil bleiben, um so auch die Dynamik von internationalen M&As besser verstehen zu können. Hier soll explizit der Frage nachgegangen werden, welche Deutungsmuster und Sinngehalte handlungswirksam werden und so eine typische Praxis von Annäherung und Distanzierung konstituieren und worin dabei möglicherweise Krisen- und Konfliktpotenziale mit den neuen Investoren bestehen. Darüber hinaus soll hier der Frage nachgegangen werden, welche spezifischen Raumbezüge in den Deutungsmustern der Führungskräfte auszumachen sind, vor allem im Hinblick auf Nähe und Distanzproduktionen.
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6) Welchen erkenntnistheoretischen und methodischen Mehrwert kann die Deutungsmusteranalyse und objektive Hermeneutik für wirtschaftsgeographische Fragestellungen, aktuelle Forschungsfelder und Erkenntnisperspektiven liefern?
Im abschließenden Teil der Untersuchung soll die Frage nach dem Erkenntnisgewinn der Methode für wirtschaftsgeographische Fragestellungen kritisch reflektiert werden. Ein besonderer Fokus soll auf der Frage liegen, welche Rolle der Raum dabei als Erkenntnisperspektive spielt. Diese kritische Reflexion beinhaltet vor allem drei thematische Bereiche: • Welchen erkenntnistheoretischen
Mehrwert hat die Sequenzanalyse für wirtschaftsgeographische Forschungsfelder? Dies ist zu untersuchen für a.) die thematisierten fachlichen Debatten dieser Untersuchung und b.) für aktuelle wirtschaftsgeographische Forschungsfelder. • Was sind die Implikationen und Grenzen der Methode? Worin bestehen Forschungs- und Anwendungsprobleme und wie kann diesen begegnet werden.
1.4 AUFBAU UND KONZEPTION DER UNTERSUCHUNG Aufbau und Konzeption der Untersuchung orientieren sich zunächst an den zuvor skizzierten inhaltslogischen Forschungsschritten (siehe Tab. 1). Darüber hinaus muss ein interdisziplinär angelegtes Forschungsprojekt immer auch die inhaltslogische Verbindung zwischen Theorieimport, also der Konstitutionstheorie einer hermeneutischen Raumontologie und sequenzanalytischen Methodik, deren empirischer Anwendbarkeit und dem konkreten Nutzen für die innerfachlichen Diskussionen herstellen (ausführlich: Kap. 4). Da dies ausdrücklich eine wirtschaftsgeographische Forschungsarbeit ist, sind eben dies die drei zentralen thematischen Punkte (= theoretische Positionierung, fachlicher Konnex, empirische Anwendbarkeit), auf denen die Argumentationslogik der vorliegenden Arbeit im Wesentlichen aufgebaut
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ist (für eine Übersicht vgl. Abb. 1). Die kapitelweise Darstellungslogik der Untersuchung konkretisiert dabei die beiden zentralen Ansatzpunkte der vorliegenden Untersuchung: Während die Kapitel 2, 3 und 4 den konstitutionstheoretischen und methodisch-konzeptionellen Beitrag der Deutungsmusteranalyse für wirtschaftsgeographische Fragestellungen abbilden (bezogen auf den empirischen Untersuchungsgegenstand), umfassen die Kapitel 4 bis 7 das konkrete empirische Anwendungsbeispiel, anhand dessen die theoretische Perspektive konkretisiert und in den Kapiteln 8 und 9 eingeordnet werden soll (Abb. 1). Nach dieser kurzen zusammenfassenden Einführung in die Grundideen des Forschungsprojekts soll in Kapitel 2 zunächst der aktuelle State of the Art humangeographischer Forschungspraxis in einer kurzen einführenden empirischen Bestandsaufnahme reflektiert und diskutiert werden. Gegenstand dieser Analyse ist sowohl ein quantitativer Blick auf den vorherrschenden Modus der Methodenverwendung in den national und international top-bewerteten Zeitschriften (Index: Scimago Journal & Country Rank 2016; ein Jahr zurück), um ein erstes allgemeines Bild der dominanten Analysepraxis zu erhalten, wie auch die qualitative Analyse innovativer Artikel der letzten zehn Jahre als (kritische) Anknüpfungspunkte an die vorliegende Untersuchung in denselben Zeitschriften (2006-2016; vgl. die qualitative Übersichtstabelle in Kap. 2). Auf der Grundlage dieses einführenden, kritischen empirischen Befunds der aktuellen Analysepraxis soll dann die konstitutionstheoretische Position einer hermeneutischen Raumwissenschaft theoretisch verortet (Kap. 3), später ausgebaut (Kap. 4) und in aktuelle Erkenntnisperspektiven und mögliche Forschungsfelder eingeordnet (Kap. 9) werden. Gegenstand dieser Argumentation sind dabei zunächst die konstitutionstheoretischen Prämissen und Grundannahmen der objektiven Hermeneutik in Kapitel 3 des Buches. In Kapitel 4 schließlich wird die für die vorliegende Untersuchung zentrale Synthese von einer hermeneutischen Erkenntnistheorie (Kap. 3) und einer raumwissenschaftlichen Forschungsperspektive angestrebt (Kap. 4). Kernpunkte der Argumentation sind die Möglichkeiten und Bedingungen einer hermeneutischen Wirtschaftsgeographie, deren methodologische Implikationen sowie der aktualisierte Handlungs- und Raumbegriff einer solchen Forschungsperspektive (vgl. dazu auch Escher/Petermann 2016). Darüber hinaus sollen empiriebezogen auch zentrale inhaltliche Anknüpfungs- und Vertiefungspunkte, welche die erkenntnistheoretische Position dieser Arbeit einführend diskutiert, in Kapitel 9 umfassend verortet werden. Dabei bilden vor allem die subjektund deutungsspezifischen Askriptionen von Nähe- und Distanzproduktionen den argumentativen Ausgangspunkt der Analyse. Kapitel 5 begründet den theoretischen Zusammenhang zu transnationalen Unternehmensübernahmen (= M&As) als das inhaltliche Thema dieser Arbeit und argumentiert, warum gerade hier der Deutungsmusteransatz als besonders geeignet erscheint. Neben grundlegenden Begriffen und Motiven internationaler Direktinvestitionen sowie unternehmerischen Investitionslogiken beider hier untersuchten Geschäftsmodelle (Private Equity und
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BRIC-Investoren) sollen vor allem die vielfach verwendeten Kulturbegriffe in der M&A-Literatur und innerhalb der wirtschaftsgeographischen Debatte aus hermeneutischer Perspektive diskutiert und kritisiert werden (Kap. 3 u. 4). Kapitel 6 beschließt dann den theoretischen Unterbau dieser Arbeit mit der Konzeption der empirischen Studie, dem durchgeführten Arbeitsprogramm und der Vorgehensweise der Untersuchung. Auch die Methodik soll im Sinne des allgemeinen Theorietransfers (Kap. 2-4) entsprechend detailliert dargestellt werden, da diese eine Brücke zu den konstitutionstheoretischen Überlegungen des Analyseverfahrens baut. Zwischenfazits fassen als Einordnungen die Kapitel inhaltlich kurz zusammen, sollen aber vor allem auch die Funktion einer konnektiven Transferleistung im oben diskutierten Sinne leisten. Der empirische Teil der Untersuchung gliedert sich entsprechend der Relevanzstrukturen der objektiv-hermeneutischen Rekonstruktion, verbunden mit der Bezugnahme auf den Analysefokus von Nähe- und Distanzproduktionen in den Investorenkonstellationen. Die Ergebnisdarstellung der umfassenden FallstrukturRekonstruktionen erfolgt hier bewusst in einem einzelnen Kapitel (Kap. 7), da die hermeneutische Argumentation jeweils aufeinander aufbaut und nur im Sinne einer ganzheitlichen „Strukturlogik“ (Dörfler 2013a: 253) zu verstehen ist, bei der übergeordnete Kapitel über die (notwendige) interne Strukturierung des Kapitels 7 hinaus zu einer nicht adäquaten Plausibilisierung einzelner für die allgemeine Fallstruktur (vgl. Wernet 2009: 10-12) zentralen Deutungslogiken führen würden (ausführlich: Kap. 7). So stehen zunächst die Relevanzsysteme der Führungskräfte selbst im Zentrum der Analyse. Dies umfasst sowohl die Selbstwahrnehmung und -positionierung der Führungskräfte in den deutschen Unternehmen im Sinne von grundlegenden Deutungsmustern (z. B. Macht und Verantwortung), die Deutung der Unternehmensübernahme und der ausländischen Investoren aus sprachpragmatischer Sicht (dabei auch Metaphern) als auch dynamische Sichtweisen auf den Übernahmeprozess. Gegenstand dieser Rekonstruktion ist gleichermaßen eine strukturvergleichende Betrachtung der Investorendeutungen (vgl. Vogelpohl 2013: 61ff). Dabei soll mit der Referenz auf die BRIC-Eignerstruktur als Ausgangspunkt der Argumentation (zu den methodologischen Implikationen vgl. Kap. 6) analysiert werden, wann und wie stark Deutungsmuster in den jeweiligen Investorenstrukturen mobilisiert werden (vgl. Fuchs/Schalljo 2016), um eine Aussage über die jeweilige Strukturlogik der Investorenstrukturen treffen zu können. Die Gruppe der Private Equity-Investoren dient dabei als Referenzpunkt, da davon ausgegangen werden kann, dass es im Kontext der BRIC-Eignerstrukturen zu einer ungleich stärkeren Mobilisierung von Deutungsmustern kommt. Dies erscheint vor allem vor dem Hintergrund der bisweilen intensiv geführten Kulturdebatten in der M&A-Literatur und den vermeintlichen Gründen für das oftmalige Scheitern von transnationalen Unternehmensfusionen und -kooperationen von wesentlicher Bedeutung (exemplarisch: Frantz 2015). Die Darstellung umfasst sowohl Einzelrekonstruktionen (= Beispiele)
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unterschiedlicher Präzision als auch explizite Raumbezüge in den Deutungsmustern der deutschen Führungskräfte. Im abschließenden Fazit (Kap. 8.1) soll dann zunächst eine inhaltliche Zusammenfassung und ex post-kategorisierende Übersicht der empirischen Ergebnisse durchgeführt werden, um nicht bereits in der Empirie subsumptionslogisch zu argumentieren (vgl. Oevermann 2013: 70-72). Die gewonnenen Forschungsergebnisse sollen dann in Form einer Rekapitulation in die in den Kapiteln 4 und 5 diskutierten Debatten rückgebettet werden, um somit vor allem den Erkenntnismehrwert des Analyseverfahrens für aktuelle fachliche Debatten zu verdeutlichen (Kap. 8.2). Kapitel 9 schließlich umfasst die argumentationslogische Klammer dieser Untersuchung und versucht, die Frage nach methodologischen und erkenntnistheoretischen Möglichkeiten, Implikationen und Grenzen des Analyseverfahrens für wirtschaftsgeographische Fragestellungen zu beantworten. Gegenstand dieser kritischen Reflexion sind sowohl die Implikationen der Analyse im Kontext der methodischen Erfahrungen7 dieser Untersuchung als auch die abschließende Perspektive und Einordnung in wirtschaftsgeographische Forschungsfelder im Sinne einer Öffnung der Erkenntnisperspektive(n) (für eine Übersicht vgl. Abb. 1).
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An dieser Stelle soll bewusst von Erfahrungen gesprochen werden, um zu verdeutlichen, dass es sich nicht nur um eine rein literaturbezogene Auseinandersetzung und Kritik mit der Theorie und Methode Oevermanns (vgl. dazu exemplarisch: Reichertz 1986; Garz/Raven 2015; sowie: Kap. 9) und deren Implikationen für eine räumliche Perspektive (exemplarisch: Rothfuß/Dörfler 2013; Fuchs/Schalljo 2016; sowie: Kap. 2, 4 u. 9) handelt, sondern darüber hinaus auch um eine empiriebezogene Kritik und disziplinäre Einordnung im Kontext der hier durchgeführten Untersuchung (Kap. 7).
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Abbildung 1: Zu argumentativem Aufbau und konzeptioneller Gliederung dieser Untersuchung
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Zum State of the Art humangeographischer Forschungs- und Analysepraxis als Ausgangspunkt einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive
2.1 EINFÜHRUNG IN EIN WEITES PROBLEMFELD Die Beschäftigung mit den erkenntnistheoretischen Positionen und Paradigmen zur Erforschung des Räumlichen und den damit verbundenen gesellschaftlichen Problemen hat innerhalb der Humangeographie in den letzten Dekaden zu umfangreichen und bisweilen intensiv geführten Debatten geführt (exemplarisch: Blotevogel 1999: 1ff; Schamp 2003; für eine Übersicht vgl. Escher/Petermann 2016; sowie: Vilsmaier 2013: 287ff). Die zum Teil sehr unterschiedlichen Positionen im grundlegenden Wissenschafts- und Methodenverständnis, in der Konzeptualisierung von Raum (= Raumepistemologie) sowie dem angemessenen erkenntnistheoretischen Zugang zu Raumphänomenen und Erscheinungen im Raum (Kap. 4) begründen die erkenntnistheoretische und methodologische Heterogenität der Disziplin, die oftmals sowohl als deren Stärke als auch als deren Schwäche angesehen wird (vgl. Dörfler 2013b: 34ff; Schamp 2003: 154/155; Weichart 2004: 17). Die deutschsprachige Humangeographie hat sich spätestens seit dem Cultural Turn in den Sozialwissenschaften (vgl. Bachmann-Medick 2009; Jones/Murphy 2011: 370f) sowie vor allem in der Folge von Benno Werlens’ Positionierung einer handlungszentrierten Sozialgeographie (vgl. Sedlacek/Werlen 1998; Werlen 1995; 1997: 25ff) zunehmend vom nomothethischen Selbstverständnis einer rein chorologischen Raumwissenschaft (vgl. Hard/Bartels 1977/2016: 27; Glückler 2002: 46) abgewandt und für Methodenimporte aus den Sozialwissenschaften geöffnet (exemplarisch: Dörfler 2013b; vgl. Schamp 2007: 244). Auch dieser Prozess wurde begleitet von umfangreichen Debatten über die ‚geeignete‘ Raumepistemologie, dabei vor allem darüber, welche Position dem Raum in diesen subjektbezogenen Forschungsansätzen noch beizumessen sei, was die paradigmatischen Fronten oftmals weiter verhärtete und deren Debatten bis heute nachwirken (Dirksmeier 2013:
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84; Glückler 2002: 46/47; Rothfuß/Dörfler 2013: 11). So fragt etwa Benno Werlens Titel pointiert: „Gibt es eine Geographie ohne Raum?“ (Werlen 1992/2016: 43). In der anglophonen Geographie haben diese Debatten prinzipiell etwas früher stattgefunden (1970er Jahre), wenn auch disperser, was die erkenntnistheoretischen Positionen anbelangt (vgl. Escher/Petermann 2016: 17f). Frühe Arbeiten, etwa von Massey (1973; 1984; 1991), haben bereits den handelnden Akteur in das erkenntnistheoretische Zentrum einer handlungszentrierten Humangeographie gestellt (vgl. Werlen 1995: 235, 243) und lieferten bereits wichtige Grundlagen und Impulse für die vom Cultural Turn inspirierten Strömungen innerhalb der deutschen Humangeographie (vgl. dazu die Untersuchung im nachfolgenden Kap.), die auch für den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung von zentraler Bedeutung erscheinen (für eine frühe kritische Perspektive vgl. Massey/Meegan 1985). Das weite Feld der qualitativen deutschen und anglophonen Humangeographie ist in den letzten zwei Dekaden durch eine große Heterogenität der Forschungsperspektiven sowie durch ein breites Spektrum unterschiedlicher theoretischer Ansätze geprägt (vgl. Werlen 1997: 4; für eine Übersicht vgl. Schamp 2003: 148f; 2007: 242-244; siehe Tab. 4), wobei im Mainstream humangeographischer Forschungspraxis gleichsam ein gewisser methodologischer Monismus im Hinblick auf den Modus der qualitativen Datenauswertung zu beobachten ist (vgl. Barnes et al. 2007: 1ff; Gerhard/Seckelmann 2013: 272f; ausführlich: Tab. 3). Eine wirkliche Methodendiskussion hat dabei trotz aller Turns (vgl. Bachmann/Medick 2009; Jones/Murphy 2011: 370f) innerhalb der Humangeographie nur vereinzelt stattgefunden und vorwiegend von den Vertretern einzelner „islands of practice“ (Barnes et al. 2007: 24; z. B. postkonstruktivistische Diskursanalyse; vgl. Jones/Murphy 2011; Jones 2014). Dabei gilt bei zahlreichen geographischen Arbeiten im Hinblick auf deren erkenntnistheoretische und methodologische Reflexion oftmals das Motto: „Doing it rather than talking about it has been the dominant intellectual culture“ (Barnes et al. 2007: 1; vgl. zu dieser Einschätzung auch: DeLyser et al. 2010: 21ff; Dirksmeier 2013). So verwundert der Befund nicht, dass innerhalb der Wirtschaftsgeographie heute zwar zahlreiche thematische Ansätze und erkenntnistheoretische Positionen vertreten werden (z. B. relationale Wirtschaftsgeographie; in der englischsprachigen Wirtschaftsgeographie v. a. Practice-orientierte Arbeiten; vgl. Glasze/Pütz 2007: 3/4), es aber oftmals an einer kohärenten methodologischen Umsetzung eben dieser fehlt oder dass diese im Sinne eines eigenständigen Forschungsparadigmas nicht weiter präzisiert werden (vgl. Rothfuß/Dörfler 2013: 9f). Einer Kritik an diesem fragmentierten Bild kann es im methodologischen Sinne auch nicht darum gehen, die verschiedenen Positionen zu kritisieren, sondern vielmehr die Frage nach einer notwendigen und oftmals fehlenden „Forschungsarchitektur“ (Vilsmaier 2013: 292) aufzuwerfen (vgl. dazu auch Gerhard/Seckelmann 2013).
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 33
Im folgenden Kapitel soll entsprechend dieses ersten theoretischen Eindrucks1 eine Übersicht in die vorherrschende Analysepraxis der nationalen und internationalen Wirtschaftsgeographie gegeben werden, um die Heterogenität und oftmals fehlende Positionierung zahlreicher Forschungsarbeiten innerhalb der Disziplin zu verdeutlichen und auch empirisch (= Journal-bezogen) zu belegen. Gegenstand der Betrachtung sind dabei sowohl die Prämissen sozialwissenschaftlicher Forschungsstandards (ausführlich: Kap. 6), wie sie mittlerweile in den Mainstream humangeographischer Methoden integriert wurden (vgl. Rothfuß/Dörfler 2013: 10f; Schamp 2003: 148f; 2007: 244), als auch deren erkenntnistheoretische Probleme und Grenzen. Auf der Grundlage dieser kritischen Perspektive soll dann eine hermeneutische Erkenntnisposition entwickelt werden, die sowohl an den herausgearbeiteten Kritikpunkten anknüpft als auch die Möglichkeiten und Bedingungen der aktualisierten Erkenntnisperspektive für die Wirtschaftsgeographie reflektiert (Kap. 4 u. 9). Der Deutungsmusteransatz soll in der Denktradition einer sozialwissenschaftlich informierten (vgl. Sedlacek/Werlen 1998; Werlen 1995; 1997), hermeneutisch denkenden Geographie (vgl. Pohl 1986: 147ff; 1996; Rothfuß 2009) für aktuelle Fachdiskussionen fruchtbar gemacht werden (vgl. hierzu auch Fuchs 2012; 2014). Eingebettet und in vielen Punkten anknüpfend sind diese Überlegungen und Denkansätze in das Projekt einer hermeneutischen Geographie, wie sie einige Pionierarbeiten innerhalb der deutschen Humangeographie bereits angedeutet oder theoretisch ausformuliert haben (exemplarisch: Pohl 1986; Sedlacek/Werlen 1998). In der englischsprachigen Wirtschaftsgeographie hingegen zeigt sich zwar heute eine große thematische Bandbreite sowie zahlreiche innovative Erhebungsmethoden, jedoch bleibt der Modus der Datenauswertung oftmals unklar oder ist nicht einmal Gegenstand einer spezifischen Betrachtung (vgl. Barnes et al. 2007: 2/3; Gerhard/Seckelmann 2013: 271/272; siehe Tab. 4). In jüngeren deutschsprachigen humangeographischen Arbeiten finden sich ebenfalls Ansatzpunkte an eine hermeneutische Erkenntnisperspektive, wie sie in der deutschen Humangeographie vor allem Rothfuß/Dörfler (2013) postulieren. Dabei mangelt es jedoch in breiterer Perspektive (im Gegensatz zu den „islands of practice“, Barnes et al. 207: 24) zumeist an einem auf der Grundlage einer kritischen Perspektive auf den vorherrschenden methodologischen Monismus (vgl. Gerhard/Seckelmann 2013: 271/272) und einer zu weiten Teilen nomothetischen Analysepraxis in der Humangeographie (ausführlicher: Pohl 1986; 1996) kohärenten Forschungsprogramm, innerhalb dessen auch die theoretischen Prämissen der objektiven Hermeneutik für eine hermeneutische Raumontologie fruchtbar gemacht werden können (vgl. dazu auch Fuchs 2012; Fuchs/Schalljo 2016). In Anlehnung an
1
Der in dieser thematischen Einführung nur kurz angedeutet wird und an entsprechender Stelle als Befund weiter ausformuliert wird (ausführlich: Kap. 2.3).
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die frühen Arbeiten innerhalb der deutschen Humangeographie, bei denen vor allem Benno Werlen (1995; 1997) den Weg zu einer akteurszentrierten Raumwissenschaft geebnet hat (= „Geographie-Machen“; Werlen 1997: 25), verfolgt diese Untersuchung das Ziel, die Stärken und Schwächen einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive für die Wirtschaftsgeographie kritisch zu diskutieren und damit auch für räumliche Fragestellungen verwendbar zu machen. Anhand des empirischen Beispiels internationaler Unternehmensübernahmen soll aufgezeigt werden, wie sozialer und symbolischer Raum (vgl. Löw 2001; 2004: 46ff) sowie faktische Handlungs- und Distanzierungssemantiken von den Akteuren als Resultat und Gegenstand kommunikativer Aushandlungsprozesse selbst konstruiert werden (vgl. dazu auch Mattissek 2007; Schlottmann 2007; exemplarisch: Kaspar 2013). Der Grundgedanke ist dabei, dass Raum, ontologisch betrachtet, immer vor allem eine relative Raumvorstellung und eine Konstruktion des Betrachtenden und Handelnden ist (Glückler 2002: 48/49; vgl. Löw 2004: 46; Pohl 1996), dessen Implikationen und Handlungsbezüge sich ausschließlich aus den Schematisierungsleistungen der beteiligten Akteure selbst rekonstruieren lassen (vgl. Dörfler 2013a: 246f; Pohl 1996; sowie: Fuchs 2012; 2013). Der folgende Abschnitt über Deutungsmuster als wirtschaftsgeographische Erkenntnisperspektive (= Epistemologie) sowie Möglichkeiten und Bedingungen einer hermeneutischen Geographie (= Konstitutionstheorie, Methodologie, Raumund Handlungsbegriff) muss dabei auf der Grundlage eines kritischen Befunds zunächst disziplintheoretische Zugänge und erkenntnistheoretische Möglichkeiten einer hermeneutischen Raumwissenschaft diskutieren, aber auch deren Bedingungen und Grenzen, die vor allem in den Kapiteln 4 und 9 weiter ausformuliert und kritisch betrachtet werden. Entsprechend dieser Argumentationslinien gliedert sich der Aufbau der vorliegenden Untersuchung bis zur inhaltlichen und exemplarischen Auseinandersetzung mit Deutungsmustern bei transnationalen Unternehmensübernahmen (Kap. 6, 7 u. 8) in vier gedankenlogische Schritte (Abb. 2): 1.) Ein kurzer und einordnender Rückblick in die Denktraditionen und erkenntnis-
theoretischen Debatten der deutsch- und englischsprachigen Wirtschaftsgeographie der letzten Dekaden (vgl. Schamp 2003; 2007), zu dem auch die Verortung einer hermeneutischen Position, wie sie die vorliegende Untersuchung vertritt, nach dem Cultural Turn gehört (vgl. Bachmann/Medick 2009; Jones 2014) 2.) Eine einführende empirische Up-to-Date-Untersuchung der aktuell vorherr-
schenden Analysepraxis und dem dazugehörigen dominanten Methodenverständnis qualitativer empirischer Beiträge in hochrangigen nationalen und in-
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ternationalen Zeitschriften.2 Dabei wird zunächst mit Hilfe eines quantitativen Zugangs (= Auszählungen) versucht, allgemeine Aussagen auf der Grundlage einer ‚großen Zahl‘ zu treffen, um eine möglichst breite Anzahl an Publikationen abzudecken (= ein Jahr zurück). Darauf aufbauend sollen dann in Form einer qualitativen Übersicht auf der Grundlage derselben Zeitschriften empirische Beiträge identifiziert werden (Jahre: 2006-2016), innerhalb derer sich deutliche methodologische Bezugs- und Anknüpfungspunkte zum eigenen Forschungsdesign ausmachen lassen, aber auch um methodologische Strömungen in der internationalen Humangeographie auszumachen sowie um die eigene erkenntnistheoretische Position auf der Grundlage einer kritischen Sichtweise auf die Methodenverwendung dieser Beiträge zu konkretisieren und abschließend in aktuelle Forschungsfelder einzubetten (Kap. 4 u. 9; siehe Tab. 4). Auch wenn der Schwerpunkt von wirtschaftsgeographischen Zeitschriften gebildet wird, so richtet sich der Blick dennoch in ‚breiterer‘ Perspektive auf das Methodenspektrum der nationalen und internationalen Humangeographie als deren übergeordnete Einflussgröße. 3.) Aufbauend auf der disziplintheoretischen Einordnung und dem kritischen Be-
fund des State of the Art der aktuell vorherrschenden Analysepraxis in der Humangeographie, steht die Entwicklung einer hermeneutischen Forschungskonzeption. Gegenstand dieser Betrachtung sind vor allem die konstitutionstheoretischen Prämissen der objektiven Hermeneutik, der Erkenntnismehrwert der textbasierten Sequenzanalyse und deren methodologische Implikationen (vgl. auch Oevermann 2002: 1-4; 2013: 72-78). 4.) Im vierten Kapitel soll dann im Sinne eines methodologischen und erkenntnis-
theoretischen Transfers die ausgearbeitete Konstitutionstheorie der objektiven Hermeneutik für eine wirtschaftsgeographische Forschungsperspektive fruchtbar gemacht werden. Dabei geht es neben grundlegenden methodologischen Überlegungen einer hermeneutischen Raumontologie vor allem um die zentralen erkenntnistheoretischen Begriffe Handlung und Raum innerhalb einer solchen Forschungsperspektive (vgl. Pohl 1996), aber auch um wesentliche inhaltliche Anknüpfungspunkte an aktuelle wirtschaftsgeographische Debatten, jeweils mit Bezug auf die zentralen Fragestellungen dieser Untersuchung sowie dem inhaltlichen Referenzpunkt der spezifischen Ausdeutungen von Nähe-
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Die Bewertungskriterien folgen dabei dem Index des Scimago Journal & Country Rank (SJR) für den Bereich ‚Geography, Planning and Development‘ (letztmaliger Abruf: 29.8.2016).
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und Distanzpraktiken in internationalen Arbeitskooperationen (hier: M&As; Kap. 4). Mögliche praktische Anwendungsfelder der Analysemethode in aktuellen wirtschaftsgeographischen Forschungsfeldern sowie deren Implikationen und Grenzen, also Möglichkeiten, Anwendungsbezüge, aktuelle Debatten, Bedingungen und Probleme einer wirtschaftsgeographischen Deutungsmusteranalyse sollen erst im abschließenden Kapitel der Arbeit die argumentative Klammer dieser Untersuchung schließen (Kap. 9). Im Zentrum dieser Argumentation steht nicht nur die Erweiterung und Vertiefung bestehender Fachdebatten mit Hilfe der vorgestellten Methodologie im Sinne einer Öffnung der Erkenntnisperspektive(n), sondern auch deren kritische Implikationen und Bedingungen, jeweils bezugnehmend auf die methodologischen Erfahrungen im Kontext der durchgeführten Untersuchung.
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 37
Abbildung 2: Zum konzeptionellen Grundgerüst der Argumentation einer hermeneutischen Wirtschaftsgeographie innerhalb dieser Untersuchung
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2.2 DER WEG BIS HIER: ENTWICKLUNGSLINIEN WISSENSCHAFTLICHEN DENKENS IN DER HUMANGEOGRAPHIE – VON DER LÄNDERKUNDLICHEN PERSPEKTIVE ZU EINER GEOGRAPHISCHEN HERMENEUTIK IM RELATIONALEN RAUM Für die Entwicklung und disziplintheoretische Einordnung einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive für die Wirtschaftsgeographie erscheint ein kurzer Rückblick auf die wesentlichen Entwicklungslinien und Paradigmen wissenschaftlichen Denkens in der Humangeographie als sinnvoll und notwendig. Die Disziplingeschichte der Humangeographie ist aufgrund ihrer multidimensionalen Konzeption(en) in den letzten Dekaden von zahlreichen metatheoretischen Kontroversen und paradigmatischen Umbrüchen in ihrem basalen Ontologie- und Fachverständnis begleitet worden, immer im Kontext der Denkmuster einer Epoche (u. a. Bartels 1968; Pohl 1986: 15f; Schamp 2003: 145/146; 2007). Dabei ist diese Disziplingeschichte von wechselnden Paradigmen und den damit verbundenen erkenntnistheoretischen Auseinandersetzungen gekennzeichnet, die an dieser Stelle einführend und kurz behandelt werden sollen, stets mit dem Argumentationspunkt einer eigenen erkenntnistheoretischen Positionierung, wie sie im späteren Verlauf noch umfassend zu begründen sein wird (ausführlich: Kap. 3, 4 u. 9). Als eigenständiges Fach hat sich die Geographie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etabliert, wobei die paradigmatische Zuordnung vor allem die einer positivistischen und beschreibenden Naturwissenschaft war (Egner 2010: 91f). Die frühe wissenschaftliche Phase der ‚klassischen Geographie‘ war dabei vor allem durch die Paradigmen der Landschafts- und Länderkunde sowie klassischen „Erdbeschreibungen“ (ebd.: 91; vgl. auch Glückler 2002: 46/47) geprägt. Erkenntnistheoretisch wurde der Raum als analytische Kategorie wahrnehmungsunabhängig als regelhafter und gesetzmäßiger Forschungsgegenstand aufgefasst (= logischer Empirismus; Egner 2010: 92; Glückler 2002: 47). Vor allem die klassische Länderkunde war von einer positivistischen und geodeterministischen Denkweise geprägt, wie sie bis weit ins 20. Jahrhundert den Mainstream geographischer Forschungspraxis geprägt hat (Egner 2010: 91; Pohl 1986: 149f). Mit der zunehmenden Intensivierung der Industrialisierung und dem starken Wachstum des Dienstleistungssektors sowie entsprechenden Kommunikations- und Informationsmedien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war vor allem die Entwicklung des so genannten raumwissenschaftlichen Paradigmas (Egner 2010: 91f) verbunden (vgl. auch Escher/Petermann 2016; Glückler 2002: 47). Diese Entwicklung hat mit der ‚quantitativen Revolution‘ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer umfangreichen Erneuerung geographischer Denk- und Arbeitsweisen geführt, wobei das zugrundeliegende raum-
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wissenschaftliche Verständnis nach wie vor als Anwendungsform analytischer Klassenbildung verstanden wurde (Egner 2010: 91/92; Glückler 2002: 47/48; Werlen 1997: 42). Dieses absolute Raumverständnis vom Raum als chorologischem ‚Gegenstand‘ war wissenschaftsphilosophisch im logischen Empirismus fundiert und bildete die Grundlage des raumwissenschaftlichen Programmes in der Geographie (Egner 2010: 91/92; Glückler 2002: 46). Den Ausgangspunkt wissenschaftlichen Denkens in der Humangeographie bildete demnach die Beschreibung des Raumes und der Strukturen im Raum als Gegenstand einer nomothetischen Epistemologie (Egner 2010: 95). Die ‚quantitative Revolution‘ in der Geographie bedeutete dabei zwei radikale Veränderungen: a.) die Verwendung mathematischer Modelle und statistischer Methoden als deduktive Forschungsansätze sowie b.) in theoretischer Hinsicht die Abkehr von einer idiographischen hin zu einer chorologischen Sichtweise, also der Suche nach Gesetzmäßigkeiten des Raumes, die durch den Forscher analytisch und mathematisch bestimmbar sind (Egner 2010: 94; vgl. dazu auch Glückler 2002: 47f; Pohl 1986). Eine paradigmatische und erkenntnistheoretische Einordnung dieser frühen Entwicklungen für die vorliegende Arbeit gelingt vor allem mit Benno Werlen (1997), der in diesem Zusammenhang eine Zirkularität des geographischen Forschungsprogrammes diagnostiziert: „Räumliche Verteilungen sind durch räumliche Verhältnisse, räumliche Strukturen durch räumliche Prozesse und letztlich der Raum durch den Raum zu ‚erklären‘“ (Werlen 1997: 50, in: Glückler 2002: 47; Herv. i. Orig.). Darüber hinaus sei die Geographie zwar zusehends durch den Einsatz neuer analytischer Methoden im Sinne des kritischen Rationalismus modernisiert worden, im Hinblick auf ihre Erkenntnistheorie und Ontologie jedoch „traditionell“ geblieben (Glückler 2002: 48; vgl. Werlen 1997: 61). Raum bildete erkenntnistheoretisch nach wie vor das Explanans und den zentralen Gegenstand des Forschungsprogrammes (Werlen 1997: 61; Glückler 2002: 48; vgl. Blotevogel 1999). Im Zuge des Kieler Geographentages 1968 erscheint aber noch ein weiterer erkenntnistheoretischer Wandel für die in der vorliegenden Arbeit zu argumentierende Erkenntnisperspektive als bedeutsam: So legte Bartels (1968; und später Hard/Bartels 1977) einen wegweisenden Versuch vor, die Geographie als Disziplin auf einen eigenständigen Forschungsgegenstand zu begründen: den Raum (Egner 2010: 91f; Glückler 2002: 47) oder präziser formuliert, differente Raumkonzepte und deren Erkenntnisperspektiven. Dieser aus der Kritik an der traditionellen länderkundlichen Geographie entstandene Entwurf kann im Hinblick auf die vorliegende Arbeit als erster Versuch gedeutet werden, eine wissenschaftstheoretisch fundierte Geographie zu implementieren, die nicht den Problemen einer ‚Ontologisierung‘ des Raumes als „Behälterraum“ (Fuchs 2012: 74) im oben diskutierten Sinne entspricht (Glückler 2002: 47; vgl. auch Schlottmann 2007; Sedlacek/Werlen 1998). Diese umfassende Kritik am raumwissenschaftlichen Programm der Geographie konzentrierte sich auf verschiedene Punkte (ausführlicher: Werlen 1997;
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Glückler 2002: 47f; in der gegensätzlichen Argumentation vgl. Blotevogel 1999; 2003: 7ff), dabei vor allem auf die Exklusion sozialer und relationaler Faktoren in den Erklärungsansätzen (z. B. physisch-materieller Raum bedeutet je nach sozialem Kontext etwas anderes), die fehlende epistemologische Differenzierung von Raumbegriffen (z. B. physischer versus wahrnehmungsabhängiger Raumbegriff) sowie auf die Dominanz rein deskriptiver Darstellungen in den Forschungsarbeiten, im Gegensatz etwa zu ‚verstehenden‘ Ansätzen (vgl. Pohl 1986) nach dem Cultural Turn (Egner 2010: 95ff; Glückler 2002: 47/48). Bartels und Hard (1975) gehen erkenntnistheoretisch noch einen Schritt weiter und nehmen eine kritische Haltung gegenüber der begrifflichen Fassung eines einheitlichen Raumbegriffes vor, wie er noch zuvor im Mainstream der Geographie angewandt wurde. Kernpunkt dieser Überlegung ist die relativistische Feststellung, dass die Geographie ihre Schlüsselbegriffe ‚Raum‘ und ‚räumlich‘ in unterschiedlichen Kontexten verwendet, ohne zugleich deren Bedeutungselemente und mögliche Differenzen zu reflektieren (Bartels/Hard 1975: 76; Egner 2010: 95ff; Glückler 2002: 47). In diesem Punkt knüpfen Bartels und Hard an, indem sie anhand unterschiedlicher Textbeispiele die faktische Verwendung des Raumbegriffs erfassen und dabei sieben differente Raumkonzepte diagnostizieren (im Detail: Hard/Bartels 1977: 33ff), gewissermaßen als „Kondensate geographischer Forschungsperspektiven“ (Hard/Bartels 1977/2016: 33, in: Escher/Petermann 2016). Dabei zeigen sich erstmals auch differenzierte Betrachtungen sozialgeographischer Raumbegriffe, etwa den der Perzeptionsforschung, mentaler und kognitiver Ansätze sowie den einer modernen Sozialgeographie, die sich vor allem mit differenten Raumbildern und Raumkonzepten beschäftigt (Egner 2010: 94/95; Escher/Petermann 2016; Hard/ Bartels 1977/2016: 34). Trotz aller Neuerungen im Wissenschaftsverständnis verblieb doch die gemeinsame Begründung des Mainstreams geographischer Forschung einem hauptsächlich chorologischen Paradigma verhaftet (Bahrenberg 1987: 225; Egner 2010: 94/95; Glückler 2002: 47/48). Dennoch zeigte die Kritik an den essentialistischen Weltund Raumbildern bereits Ansatzpunkte einer konstruktivistischen Erkenntnisperspektive auf den Raum unter Berücksichtigung einer Offenheit gegenüber neuen Raumbegriffen, bei denen auch kontextuell nach Relationen und Wechselwirkungen aus empirischer Sicht gefragt wird (Escher/Petermann 2016: 10; Glückler 2002: 48). Vor allem Hards (1970) kritische Auseinandersetzung mit dem Landschaftsbegriff stellte hier einen Wendepunkt im basalen Raumverständnis dar (Egner 2010: 94; vgl. Hard 1970) und kann als Vorläufer einer relationalen Raumsichtweise aufgefasst werden (vgl. Dörfler 2013: 247ff). Parallel zum Cultural Turn (vgl. Bachmann-Medick 2009) fand ab den 1980er Jahren eine mikroanalytische Hinwendung zu einer Akteursperspektive statt (vgl. Schamp 2003: 148f; 2007: 238ff). Innerhalb der deutschen Humangeographie entstanden dabei einige Pionierarbeiten, die vor allem im Bereich der Wahrnehmungs-
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geographie angesiedelt waren, zumeist inspiriert durch Methodenimporte aus den Sozialwissenschaften (vgl. Schamp 2007: 244). In der angloamerikanischen Geographie zeigte sich diese Entwicklung bereits in den 1970er Jahren (exemplarisch: Massey 1973; 1984). Im Kontext der erkenntnistheoretischen Positionierung der vorliegenden Arbeit sei in diesem Zusammenhang exemplarisch vor allem Pohls (1986) Pionierarbeit und Denkansatz einer „Geographie als hermeneutische Wissenschaft“ (Pohl 1986) genannt, innerhalb derer Pohl die Grundzüge einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive entwirft und sich methodologisch explizit auf Oevermanns Ansatz einer objektiv-hermeneutischen Methodologie für die Humangeographie bezieht (vgl. Pohl 1986: 189ff). Das damit verbundene Menschenbild des Behavioural Approach und der frühen Wahrnehmungsgeographie (Perception Geography) blieb jedoch in diesen frühen Ansätzen zumeist individualistisch (Schamp 2003: 149; exemplarisch: Bunting/Guelke 1979), und einzelne Pionierarbeiten in der Sozialgeographie (exemplarisch: Sedlacek 1978; 1982) blieben „islands of practice“ (Barnes et al. 2017: 24), bezogen auf den Mainstream einer nach wie vor chorologisch argumentierenden Raumwissenschaft (vgl. Egner 2010: 96; Glückler 2002: 47; Abb. 3). Erst mit Benno Werlens (v. a. 1995; 1997; sowie: Sedlacek/Werlen 1998; Werlen 2010) sozialwissenschaftlich orientierter und handlungszentrierter Sozialgeographie, vor allem inspiriert durch Anthony Giddens (1984/1988), die das handelnde Individuum als das eigentliche Forschungssubjekt einer sozialwissenschaftlich denkenden Humangeographie in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Erklärung stellt, gelingt die für die vorliegende Arbeit entscheidende erkenntnistheoretische Weiterentwicklung: Das Soziale soll nun von innen heraus (vgl. Pohl 1986: 173f) erklärt werden und nicht durch „außersoziale Rahmenbedingungen“ (Glückler 2002: 45; ebd.: 45). Raum gilt nun nicht mehr als erklärender Ordnungsfaktor für menschliches Handeln, sondern der handelnde Akteur selbst und seine raumwirksamen Handlungsakte stehen nun im Zentrum einer sozialtheoretisch revidierten Geographie (Egner 2010: 96; Glückler 2002: 48). Handlung ist in dieser Perspektive jede gerichtete Tätigkeit, die nun, im Sinne einer Umkehrung der argumentativen Kausalkette räumlicher Epistemologie, den zentralen Fokus der Analyse auf das Handeln von Individuen und dessen Auswirkungen auf den Raum zu erklären versucht (Egner 2010: 96/97; Glückler 2002: 48/49). Aus der Perspektive der vorliegenden Arbeit betrachtet, ist damit das philosophische Raumproblem erstmals als relational zu begreifen, da Raum in seiner konkreten ‚Verwendung‘ nun im Handlungskontext seiner Entstehung betrachtet wird, relational aufgrund der Differenzialität der je spezifischen sozialen Bedeutungen(en) (Glückler 2002: 48; sowie: Escher/Petermann 2016). Entsprechend dieser Konzeption formuliert Werlen das Ziel einer „Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen“ (Werlen 1997), in der das alltägliche „Geographie-Machen“ (Werlen 1997: 25) im Fokus steht und der Raum
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die analytische Funktion einer deutungsabhängigen „Symbolwelt des Sozialen“ erhält (Glückler 2002: 48). Im Verständnis der vom Raum als subjektiv und erfahrungsabhängig konstituierten Erkenntnisdimension (vgl. Dörfler 2013a: 247; Glückler 2002: 49) liegt der zentrale und für die vorliegende Arbeit wichtige Shift von einer raumzentrierten zu einer akteurs- und handlungszentrierten Sichtweise in räumlicher Perspektive (vgl. Glückler 2002: 48). Die räumlichen Sachverhalte sind dabei zwangsläufig einer Interpretation im Rahmen der Handlung selbst unterworfen und können daher nicht die unmittelbare Ursache der Handlung selbst sein (Glückler 2002: 48; Werlen 1995: 243). Werlen sieht das Ziel einer „Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen“ (Werlen 1997) in der Untersuchung der sozialen Verwendung räumlicher Kategorien zur Lösung sozialer Problemsituationen (Glückler 2002: 48; vgl. dazu auch Garz/Raven 2015: 26f). „Traditionelle Raumprobleme werden“ somit als „Handlungsprobleme aufgefasst“ (Glückler 2002: 48; sowie: Sedlacek/Werlen 1998). Diese Konzeptualisierung zeigt bereits einen eindeutigen Bezug zur metatheoretischen Konzeption Oevermanns auf, innerhalb derer der Konnex zu einem „Strukturproblem“ (Oevermann 2001c) für die Rekonstruktion einer sozialen „Strukturlogik“ (Dörfler 2013a: 253) zentral ist (vgl. Oevermann 1973: 3). Erst durch soziale Problemlagen werden Deutungsmuster aktiviert und mobilisiert (vgl. Fuchs/Schalljo 2016; sowie: Plaß/Schetsche 2001: 520ff). Dabei vollzieht sich konsequenterweise eine Umkehr der klassischen Forschungslogik: Statt den Raum als Forschungsgegenstand zu betrachten, avanciert der soziale Prozess der selektiven Wirklichkeitsproduktion selbst (vgl. Berger/Luckmann 1969/1987; Tab. 2) zum Explanandum geographischen Forschens (Glückler 2002: 48/49; exemplarisch: Kaspar 2013). Raum ist also nicht Forschungsobjekt, sondern die Deutungsweisen des Räumlichen definieren das Soziale im Prozess der Alltagspraxis (Glückler 2002: 48/49; Werlen 1997: 352; siehe Tab. 2). Damit ist die sprachliche Konstruktion des Räumlichen thematisiert, also wie Raum und Gesellschaft von Subjekten je konstituiert werden und nicht, was sie ‚an sich‘ sind (Glückler 2002: 47/48; Werlen 1997: 11; sowie: Pohl 1986; Schlottmann 2007). Der Raum ist nunmehr nicht als Containerraum oder „Behälterraum“ (Fuchs 2012: 74) zu verstehen, sondern ist in seiner Entstehungslogik immer relational zu den alltäglichen Handlungspraktiken der den Raum formenden und deutenden Subjekte (Dörfler 2013a: 247f; Fuchs 2013: 35). Auch die erkenntnistheoretische Position einer hermeneutischen Wirtschaftsgeographie, wie sie in der vorliegenden Arbeit vertreten wird und in Kapitel 4 systematisch und forschungsbezogen ausgebaut werden soll, fokussiert auf den selektiven Prozess akteursbezogener Wirklichkeitskonstruktion und Handlungspraktiken in deren Alltagspraxis sowie die damit verbundenen Implikationen für den Raum (Kap. 7), wobei davon ausgegangen wird, dass sich diese Struktursemantiken als objektiver sozialer Sinn in den Handlungen der Akteure abgelagert haben (vgl.
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Oevermann 2001a/b; Zwischenfazit C in Kap. 4). Auch im angloamerikanischen Kontext sind seit dem Cultural Turn vermehrt relationale Forschungsansätze zu beobachten, die den Akteur selbst in das Zentrum des Erkenntnisinteresses stellen (siehe die Übersichtstabelle 4; Glückler 2002: 48). Hervorzuheben für die Argumentation der vorliegenden Arbeit ist der in der englischsprachigen Geographie umfassender ausgeprägte Practice Turn (vgl. Glasze/Pütz 2007: 3; exemplarisch: Jones/Murphy 2011; Jones 2014), bei dem mit unterschiedlichen Methoden die Praktiken der Akteure selbst Gegenstand der Betrachtung sind (für eine präzise Betrachtung der methodologischen Strömungen siehe Tab. 3 u. 4). Tabelle 2: Zentrale Erkenntnisperspektiven und deren Inkommensurabilitäten im Vergleich: Handlungstheorie, Poststrukturalismus und strukturale Hermeneutik
Quelle: (eigene Darstellung, verändert und erweitert nach Weichart 2008b: 390; zit. in Egner 2010: 104).
Dabei fällt im deutschsprachigen Bereich wie auch innerhalb der hier untersuchten angloamerikanischen Geographie ein methodologischer Monismus im Hinblick auf den Modus der Datenauswertung auf (vgl. Barnes et al. 2007: 1-3). Als besonders relevant im Hinblick auf die eigene erkenntnistheoretische Position erscheinen vor allem die Arbeiten nach dem Cultural Turn, bei denen ein inhaltlicher Schwerpunkt auf den geographischen Imaginationen liegt (vgl. Harvey 1990/2016). Im angloamerikanischen Kontext haben vor allem Arbeiten der Cultural Studies, der Postcolonial Studies und der Feminist Studies den Linguistic Turn innerhalb der Sozialwissenschaften für die Humangeographie fruchtbar gemacht (Glasze/Mattissek 2009: 35; vgl. dazu auch Boeckler/Berndt 2005: 1ff). Ansatzpunkt dieser erkenntnistheoretischen Neujustierung ist die Überlegung, dass Sprache nicht einfach nur Medium kommunikativer Wirklichkeit ist, sondern dass Sprache selbst als interaktives Zeichensystem Wirklichkeit fortlaufend produziert (Glasze/Mattissek 2009:
44 | Managerhandeln im globalen Kontext
35; sowie: Schlottmann 2005; Mattissek 2007). Im deutschsprachigen Raum ist daraus vor allem die poststrukturalistische Diskursanalyse im Rahmen der ‚neuen Kulturgeographie‘ hervorgegangen, dabei vor allem im Bereich der feministischen und politischen Geographie, die oftmals ebenfalls sprachpragmatisch argumentieren (Glasze/Mattissek 2009: 35f; sowie: Felgenhauer 2007b). Die ‚neue Kulturgeographie‘ (vgl. dazu Boeckler/Berndt 2005; Gebhardt 2008) untersucht vor allem, wie Räume als symbolische Verräumlichungen sprachlich-kommunikativ hergestellt werden (Glasze/Mattissek 2009: 35f; Lossau 2009: 35; sowie: Löw 2001; 2004). Im anglophonen Kontext zeigen sich auf der methodologischen Ebene der Datenerhebung vor allem ethnographische Methoden, teilnehmende Beobachtungen und Framing-Methoden als Hauptströmungen nach dem Cultural Turn (siehe Tab. 4). Im enger gefassten Kontext und konkretisiert auf eine wirtschaftsgeographische Erkenntnisperspektive haben sich im Zuge dieser Turns ebenfalls vor allem verhaltenswissenschaftliche und akteurszentrierte Ansätze durchgesetzt (Schamp 2003: 148/149; sowie: Egner 2010: 102f; Haas/Neumair 2007: 4f). Im deutschsprachigen Raum haben vor allem Bathelt und Glückler (2003) das Fundament einer relationalen Wirtschaftsgeographie vorangetrieben, innerhalb derer weniger von absoluten Parametern im Raum ausgegangen wird als vielmehr von relationalen Positionen, die in Abhängigkeit von konkreten Kontexten zu unterschiedlichen Ausprägungen führen (Egner 2010: 103; Glückler 2002: 48/49). Auch die angloamerikanischen Ansätze einer wirtschaftssoziologisch inspirierten Wirtschaftsgeographie verstehen Handeln als einen interaktiven Akt zwischen unterschiedlichen Akteuren eines sozialen Systems. Ökonomisches Handeln vollzieht sich in sozialen Strukturen und ist deshalb immer kontextbezogen zu analysieren (Schamp 2003: 149; vgl. Amin 2000; 2001; Amin/Cohendet 2000; 2004; Amin/Thrift 2000; Bathelt/Glückler 2000; 2002). Unklar bleibt in dieser Konzeption jedoch oftmals die Abgrenzung zwischen Handlung und handelndem Akteur, denn die relationale Wirtschaftsgeographie thematisiert vor allem den Kontext des Handelns und nicht das Handeln selbst (Schamp 2003: 149). Darüber hinaus ist am Konzept der relationalen Wirtschaftsgeographie aus der Sichtweise der vorliegenden Arbeit anzumerken, dass es neben den innovativen theoretischen Konzepten oftmals an einer kohärenten methodologischen Umsetzung mangelt: Wie sind Akteure in ihrem Handlungskontext entsprechend der Konzeption einer relationalen Wirtschaftsgeographie methodologisch zu verstehen? Auch dabei soll die vorliegende Arbeit einen erkenntnistheoretischen und methodologischen Beitrag leisten (theoretisch: Kap. 4; empirisch: Kap. 7 u. 8). Die Entwicklung der deutschen und angloamerikanischen Geographie ist seit den 2000er Jahren nach einer mehrere Dekaden andauernden stabilen Phase des raumwissenschaftlichen Paradigmas ebenfalls von einer neuen Phase paradigmatischer Diversität gekennzeichnet (Schamp 2003: 146/147; sowie: Schamp 2007: 242ff). Diese neue und immer noch anhaltende Phase (Abb. 3) ist dabei jedoch weniger von einem intensiv geführten Paradigmenstreit geprägt als vielmehr von ei-
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 45
nem Koexistieren der jeweiligen Positionen, ohne einen wirklichen Diskurs über qualitative Methodologie und deren Verwendung (vgl. auch Barnes et al. 2007: 1, 24; Egner 2010; Gerhard/Seckelmann 2013: 272f).
46 | Managerhandeln im globalen Kontext
Abbildung 3: Entwicklungslinien und Paradigmen der deutschen/ englischsprachigen Wirtschaftsgeographie und wesentliche sozialgeographische Einflussfaktoren, bezogen auf die konzeptionelle Position dieser Untersuchung 3
Quelle: eigene Darstellung auf der Grundlage von Schamp 2003: 147, verändert und ergänzt.
3
Um eventuellen Missverständnissen dieser hier sehr breiten Perspektive vorzubeugen (= deutsch- und englischsprachige Wirtschaftsgeographie und deren sozialgeographische Einflussfaktoren), handelt es sich in der Darstellung (Abb. 3) explizit um eine auf die vorliegende Untersuchung bezogene Einordnung wirtschafts- und sozialgeographischer Forschungsperspektiven und wichtiger Einflussfaktoren. Das gesamte Bild ist, vor allem auch im Hinblick auf den internationalen Kontext, wesentlich differenzierter und facettenreicher.
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 47
Dabei zeigt sich in der letzten Dekade ein äußerst heterogenes Bild von unterschiedlichen Denk- und Forschungsansätzen, die methodologisch oftmals wenig kohärent, also nachvollziehbar, argumentieren (Kap. 2.3). Während Weichart (2004: 17) in der Varianz verschiedener Theoriegebäude, Denkstrukturen und multiperspektivischer Sichtweisen innerhalb der übergeordneten Humangeographie deren eigentliche analytische Stärke ausmacht (Egner 2010: 104; Weichart 2004: 17; sowie: Schamp 2003: 154/155), soll im nachfolgenden Kapitel die heutige Situation der Humangeographie aus methodologischer Perspektive betrachtet werden, um darauf aufbauend den methodologischen und erkenntnistheoretischen Standpunkt dieser Arbeit zu explizieren.
2.3 DIE SITUATION HEUTE: THEMATISCHE VIELFALT UND METHODOLOGISCHE MONOTONIE IN DER HUMAN- UND WIRTSCHAFTSGEOGRAPHIE 2.3.1 Einführung, Design und Übersicht der quantitativen Untersuchung zur Bestandsaufnahme qualitativer Methodenverwendung in humangeographischen Forschungsarbeiten Nach dem kurzen einordnenden disziplinthereoretischen Rückblick über Paradigmen und deren erkenntnistheoretische Positionen innerhalb der Human- und Wirtschaftsgeographie soll nun versucht werden, die heutige Situation human- und wirtschaftsgeographischer Analysepraxis präziser zu untersuchen, um einen argumentativen Ausgangspunkt für die noch darzustellende erkenntnistheoretische Perspektive (Kap. 3 u. 4) dieser Untersuchung zu schaffen. Um die Vielfalt humangeographischer Forschungsansätze und Methodenbeiträge abzubilden, stellt die erste von zwei empirischen Untersuchungen den Versuch dar, Methodenverständnis, -verwendung und -darstellung humangeographischer Arbeiten in ausgewählten deutsch- und englischsprachigen humangeographischen Zeitschriften in der Form einer quantitativen Untersuchung und Darstellung (siehe Tab. 3) abzubilden. Dazu wurden insgesamt 11 hochrangige (Index: Scimago Journal & Country Rank 2016) englisch- und deutschsprachige Zeitschriften (engl. Journals) in Hinblick auf die darin abgebildete Methodendarstellung und -umsetzung untersucht. Dabei wurde prozentual ausgewertet, wieviele qualitativ-empirische Beiträge die gewählte Methode überhaupt nennen (siehe Spalte links: Methode genannt? ja/nein). Als nächster Schritt wurde dann die Art der Methodennennung genauer untersucht (= mittlere Spalte). So macht es einen Unterschied, ob die Methode bloß in einem Nebensatz oder gar nur mit einem Wort kurz erwähnt oder durch ein explizit ausgewiesenes
48 | Managerhandeln im globalen Kontext
Methodenkapitel im jeweiligen Beitrag eingeführt wird. Gemessen an der Gesamtzahl der untersuchten Artikel (= Spalte links, absolute Zahl) wurde prozentual ausgewertet, welche der untersuchten Artikel ein explizites Methodenkapitel aufweisen und welche der Artikel die Erhebungs- und/oder die Auswertungsmethode nennen, auch dies gemessen an der Gesamtzahl der untersuchten Artikel, um zu einer absoluten Bewertung zu gelangen (Ein kurzes Auswertungsbeispiel für die Zeitschrift Geoforum: Von 116 identifizierten qualitativen Beiträgen im genannten Zeitraum nennen 88 Prozent der Artikel die Methode in ‚irgendeiner‘ Form (= Spalte links). Von diesen 116 Beiträgen nennen 69 Beiträge (59 Prozent) die Methode in Form eines expliziten Methodenkapitels (= Spalte Mitte). Unabhängig von einem Methodenkapitel nennen 80 Prozent aller Beiträge die gewählte Erhebungsmethode (z. B. semistrukturierte Interviews), jedoch nur 25 Prozent die gewählte Auswertungsmethode [z. B. kodierende Textanalyse]). Die erhebliche Differenz des Auswertungsbeispiels setzt sich in nahezu allen untersuchten Zeitschriften fort. Die expliziten theoretischen und methodologischen Beiträge im untersuchten Zeitraum werden dabei nur numerisch genannt (und nicht prozentual, da nicht bezogen auf die empirischen Artikel), geben aber absolut einen guten Überblick über den Umfang der metatheoretischen und methodologischen Diskussionen in den Zeitschriften im gewählten Untersuchungszeitraum (= Spalte halbrechts). Schließlich bildet die rechte Spalte ab, welche methodologischen Schwerpunkte und Strömungen in den untersuchten empirischen Beiträgen zu beobachten sind, um ein Bild der dominanten methodischen Verfahren zu erhalten (siehe Spalte rechts). Auch wenn durchaus ein starker Bezug zu wirtschaftsgeographischen Arbeiten die Auswahl der Analyse definiert hat, so richtet sich der Blick dennoch allgemeiner auf die Humangeographie im Sinne eines fachlich breiter angelegten Befundes. Zentral ist dabei die Unterscheidung zwischen Erhebungs- und Auswertungsmethode (= Spalte Mitte), was in der anschließenden interpretativen Auswertung der Tabelle näher diskutiert werden soll. Der Untersuchungszeitraum umfasst ein Jahr, was angesichts der Menge veröffentlichter Artikel in diesem Zeitraum hier als hinreichende Menge erachtet wird. Während die Methoden- und Theoriebeiträge nur aufgelistet sind und damit einen ersten Überblick über den Umfang der Debatte geben, werden vor allem die empirischen Beiträge im Hinblick auf den Modus der Methodenverwendung untersucht, dabei sowohl die Erhebungs- als auch die Auswertungsmethodik.
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 49
kel (Grund-
(nur qualitative Beiträge)
gesamtheit) im Zeitraum August 2015 bis Juli 2016
(anteilig von den Artikeln, die
Auswertungsmethode
Erhebungsmethode
Art der Methodennennung Methodenkapitel
ja
nein
Methode genannt?
Methodologische Schwerpunkte (Erhebung)
I – Empirischer Beitrag
(= Themenheft)
suchter Arti-
II –Theoretischer Beitrag
Zeitschrift
Anzahl unter-
III –Expliziter Methodenbeitrag
Tabelle 3: Quantitative Auswertung qualitativer empirischer Forschungsbeiträge in ausgesuchten englisch- und deutschsprachigen humangeographischen Zeitschriften im Zeitraum von August 2015 bis Juli/August 2016
eine Methode genannt haben)
(Regular Papers)
Geoforum
(semi14
102
69
93
29
12
88
59
80
25
%
%
%
%
%
29
1
strukturierte) Interviews
Ethnographie
Teiln. Beobachtung
(semi-
Transactions of the Institute of British Geographers
–
3
2
3
1
32
1
strukturierte) Interviews
100
67
100
33
%
%
%
%
Ethnographie
Medienanalyse
50 | Managerhandeln im globalen Kontext
strukturierte)
(Research Articles)
–
5
5
5
1
100
100
100
20
%
%
%
%
8
–
Interviews
Ethnographie
Dokumentenanalyse
(Original Research Articles) (Original Research Articles)
Political Geography
Environment and Planning D – Society and Space
Economic Geography
Journal of Economic Geography
(semi-
1
7
1
7
1
–
– (semi-
12,
87,5
5
%
%
12,
87,5
5
%
%
strukturierte)
12,
Interviews
5 %
8
15
6
15
1
35
65
26
65
4
%
%
%
%
%
7
24
5
24
6
38
(Jg. 2014/ Verfügbarkeit)
Interviews, Fokusgruppen
(semi19
1
strukturierte Interviews)
21
72
15
72
18
%
%
%
%
%
Dokumentenanalyse
(semi6
(Academic Journal)
Cultural Geographies
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 51
20
5
20
4
11
2
2016)
strukturierte) Interviews
(außer Juli 23
77
19
77
15
%
%
%
%
%
Ethnographie
(Original Research Articles)
Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie (ZfW)
Progress in Human Geography
Antipode
(semistrukturierte) 20
38
6
38
5
25
34
66
10
66
9
Dokumen-
%
%
%
%
%
tenanalyse
1
Interviews
Teilnehmende Beobachtung
–
–
–
–
–
33
4
–
4
3
3
3
0
9
– Interviews,
57
43
43
43
0
Dokumen-
%
%
%
%
%
tenanalyse
Geographische Zeitschrift (GZ)
52 | Managerhandeln im globalen Kontext
2
3
2
3
2
40
60
40
60
40
%
%
%
%
%
5
3 Interviews, Fallstudien
2.3.2 Auswertung der quantitativen Tabelle: zum Umgang mit qualitativer Methodologie in den ausgewählten humangeographischen Zeitschriften Die Auswertung der quantitativen Tabelle umfasst gleich mehrere Befunde, die den Ansatzpunkt dieser Arbeit hin zu einer hermeneutischen Forschungsperspektive auch empirisch untermauern. Auffällig ist dabei, unabhängig von und zunächst nicht sichtbar in der Tabelle, die starke quantitative Dualität der Paradigmen in den jeweiligen Zeitschriften. Während die englischsprachigen WirtschaftsgeographieZeitschriften nach wie vor eindeutig quantitativ dominiert sind (in der Tabelle sind nur die qualitativen Beiträge abgebildet – de facto existieren wesentlich mehr quantitative Beiträge; vgl. exemplarisch die geringe Anzahl qualitativer Beiträge im Journal of Economic Geography), überwiegen in den thematisch breiter angelegten humangeographischen Zeitschriften national wie international qualitative Forschungsansätze. Diese Dualität wird alleine durch die geringe Zahl qualitativer Arbeiten in den internationalen Wirtschaftsgeographie-Zeitschriften deutlich (exemplarisch: Journal of Economic Geography). Den methodologischen Schwerpunkt der Erhebungsmethoden in den untersuchten Zeitschriften bildet nach wie vor das semistrukturierte Experteninterview, wobei die Anzahl der jeweils erhobenen Interviews teilweise sehr umfangreich ist, wobei wiederum oftmals mit kategorisierenden Auswertungsverfahren gearbeitet wird (z. B. n=100). In den thematisch breiteren humangeographischen Journals zeigt sich methodologisch ein stärker ausdifferenziertes Bild: Auch hier dominiert das Experteninterview als die zentrale Erhebungsmethode, wird aber ergänzt durch ethnographische Methoden und teilnehmende Beobachtungen, oftmals ergänzt durch sekundäre Dokumentenanalysen (siehe Tab. 3). Vor allem seit dem Cultural Turn ist dabei, über die vorliegende Auswertung hinaus, eine größere Bandbreite an thematischen und methodologischen Ansätzen innerhalb der deutschsprachigen und internationalen Humangeographie zu beobachten (vgl. dazu auch Egner 2010: 101/102; Schamp 2003: 146/147).
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 53
Der zentrale Befund der Tabelle betrifft jedoch weniger die methodologischen Schwerpunkte der qualitativen Beiträge als vielmehr die offensichtliche Differenz zwischen der Darstellung der Erhebungs- und der Auswertungsmethode in den jeweiligen Beiträgen. Während die Erhebungsmethode in der Regel Gegenstand der wissenschaftlichen Argumentation ist (= Spalte links), oftmals auch als Bestandteil eines expliziten Methodenkapitels (z. B. in der Zeitschrift Geoforum), erscheint der Umgang mit der Auswertungsmethode als stark unterrepräsentiert (= Spalte Mitte). Prozentual gesehen fällt dieser Wert deutlich von dem der Erhebungsmethode ab (siehe Tab. 3). Offensichtlich erscheint die Darstellung der Auswertungsmethodik schlicht als weniger bedeutsam für die wissenschaftliche Darstellung der jeweiligen Beiträge. Auch wenn dies durchaus Teil der Zeitschriften-Standards sein kann, so ist dieser Befund dennoch bereits auffällig im Hinblick auf die Argumentation und Positionierung der vorliegenden Arbeit (vgl. das nachfolgende Kap.), scheint es doch so, als würde die Darstellung der Auswertungsmethode eher als ungeliebte Pflicht erscheinen (vgl. Barnes et al. 2007: 1f). Dennoch existieren entgegen diesem Befund auch Beispiele von kohärenten Darstellungen, die den Prämissen qualitativer Forschung4 gerecht werden (siehe Tab. 4). Dieser erste Befund wiegt umso schwerer, ist es doch gerade die qualitative Sozialforschung und deren Methodenimporte in die Geographie, der oftmals eine ‚anything goes‘-Mentalität (DeLyser et al. 2010: 21f) vorgeworfen wird (vgl. Barnes et al. 2007: 1f; 21; Gerhard/Seckelmann 2013: 271f). Der Befund zeigt dabei eine erhebliche thematische Breite an empirischen Ansätzen innerhalb der Humangeographie, aber gleichermaßen auch einen methodologischen Monismus im Hinblick auf die Auswertungsmethodik (vgl. Gerhard/Seckelmann 2013: 272). Dieser scheint jedoch noch deutlicher in den genuin wirtschaftsgeographischen Zeitschriften als in den thematisch breiter angelegten humangeographischen Zeitschriften ausgeprägt zu sein. Untermauert wird dieser Eindruck von der auffällig geringen Anzahl expliziter Methodenbeiträge (hier definiert als Zeitschriften-Artikel, die sich ausschließlich mit dem Erkenntnispotenzial und den Bedingungen und Implikationen von Erkenntnis und/oder Methodologie beschäftigen), wobei sich diese Diskussionen offenbar mehr in Themenheften und Sammelbänden abspielen (exemplarisch: Mattissek/Reuber 2004; Rothfuß/Dörfler 2013). Es existiert also durchaus eine methodenkritische Reflexion jenseits des Mainstreams von zumeist inhaltsanalytisch argumentierenden Forschungsarbeiten, jedoch eher in Form von „islands of practice“ (Barnes et al. 2007: 24), nicht aber im Rahmen einer aktuellen und breit angelegten Methodendiskussion innerhalb der qualitativen Human- und Wirt-
4
Zu den Prämissen qualitativer Sozialforschung vgl. einführend Gläser/Laudel 2004; Schnell et al. 2008; Steinke 2000; bezogen auf die Positionierung der vorliegenden Untersuchung vgl. Kap. 3 u. 6.
54 | Managerhandeln im globalen Kontext
schaftsgeographie (vgl. auch Barnes et al. 2007: 2/3; Gerhard/Seckelmann 2013: 272f).5 Natürlich kann das Fehlen der Auswertungssystematiken nicht eins-zu-eins gleichgesetzt werden mit einem zu ‚laschen‘ Umgang mit qualitativer Methodologie in der Human- und Wirtschaftsgeographie, schließlich ist dies auch in hohem Maße abhängig von der Darstellung der jeweiligen Autoren, aber auch von den Paradigmen der Zeitschriften selbst, etwa ob ein Methodenkapitel überhaupt erwünscht ist. Dennoch lässt sich hier ein erster Gesamteindruck und Ausgangspunkt der weiteren Argumentation gewinnen, innerhalb dessen • eine große Vielfalt an thematischen Ansätzen und Forschungsperspektiven zu be-
obachten ist, • bei einem insgesamt nicht sehr breit gefächerten Bild spezifischer Methodologien
im Bereich der Erhebungs- und Auswertungsmethodik sowie • dem oftmaligen Fehlen einer präzise dargestellten Auswertungsmethodologie im Sinne einer kohärenten und intersubjektiv nachvollziehbaren Gesamtdarstellung. Letzterer Befund ist als Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit gleich in zwei Punkten von zentraler Bedeutung: • erkenntnistheoretisch: Zahlreiche der später noch zu analysierenden Beiträge in-
nerhalb der Human- und Wirtschaftsgeographie folgen innovativen thematischen Ansätzen und Forschungsperspektiven, lassen aber oftmals eine eindeutige erkenntnistheoretische Positionierung vermissen oder präziser formuliert: Es wird zumeist nicht deutlich, warum der gewählte Erkenntniszugang gerade im gewählten Untersuchungsfeld als geeignet erscheint (Abb. 5). In der Regel wird diese Bezugnahme und Positionierung gleich vollständig weggelassen. • methodologisch: Den vielen innovativen Ansätzen, vor allem innerhalb der brei-
teren Humangeographie, folgt zumeist eine sehr statische Methodologie, was vor allem für den Kontext der Auswertungsmethodologie gilt und dabei innerhalb der wirtschaftsgeographischen Zeitschriften ungleich stärker ausgeprägt zu sein scheint. Sind etwa geographische Imaginationen Gegenstand der Analyse, so zeigen sich in den meisten Untersuchungen sowohl unklare Erhebungs- als auch unklare Auswertungsmethoden (exemplarisch: Cranston 2016). Im Bereich der Erhebungsmethoden dominieren Experteninterviews sowie ethnographische Methoden, also systematische Beschreibungen mit Hilfe von vor Ort gewonnenen
5
Welche dies im Einzelnen sind, soll die qualitative Tabelle im Anschluss diskutieren, auch und gerade im Hinblick auf Anknüpfungspunkte an die hier vertretene Position und deren möglichen erkenntnistheoretischen Mehrwert (siehe Tab. 4).
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 55
Erkenntnissen (= Feldforschung) und schriftlich festgehaltenen Eindrücken aus teilnehmenden Beobachtungen. Diese erscheinen innerhalb der vorliegenden Untersuchung der empirischen Beiträge jedoch oftmals als wenig kohärent und intersubjektiv nachvollziehbar. Im Kontext der Auswertungsmethodik dominieren inhaltsanalytische Verfahren in unterschiedlichen Ausprägungen. So existieren auch hier durchaus interpretative Verfahren, die weiter gehen als ein reines Kodieren, doch zumeist bleibt auch dabei die präzise Methodik in den untersuchten Artikeln unklar und/oder ist nicht Bestandteil präzisierender Erläuterungen (siehe Tab. 3; vgl. zu diesem Befund auch Gerhard/Seckelmann 2013). 2.3.3 Ausgewählte Artikel und Methodenbeiträge in human- und wirtschaftsgeographischen Zeitschriften im Zeitraum von 2006 bis 2016 als methodologische Anknüpfungs- und Kritikpunkte an die vorliegende Untersuchung Während die quantitative Analyse der vorherrschenden Analysepraxis vor allem darauf abzielt, ein allgemeines Bild der Methodenverwendung in den Zeitschriften zu zeichnen, soll die qualitative Tabelle nachfolgend explizite humangeographische Forschungs- und Methodenbeiträge benennen, die von ihrer methodologischen und metatheoretischen Herangehensweise den Prämissen und der Forschungsstrategie der objektiven Hermeneutik nahe6 kommen. Gegenstand dieser Betrachtung ist dennoch vor allem eine kritische Perspektive auf die Methodenverwendung in den nachfolgend untersuchten Beiträgen, um so den Ausgangspunkt für eine hermeneutische Argumentation zu schaffen. Als Indikatoren wurden dabei folgende Hauptkriterien herangezogen: • qualitative empirische Beiträge auf der Grundlage von narrativen Interviews,
Ethnographie, teilnehmenden Beobachtungen und Dokumentenanalysen. • der methodologische Fokus auf Praktiken, Deutungen von Wirklichkeit, Wahr-
nehmung von tieferliegenden Strukturen und Handlungsmotiven.
6
Natürlich erscheint diese Operationalisierung zunächst als nicht sehr präzise und subjektiv. Jedoch existieren weder in der Wirtschafts- noch in der (übergeordneten) Humangeographie empirische Beiträge auf der methodologischen Grundlage der objektiven Hermeneutik (in Journals). Vielmehr wurden die ausgesuchten Journals nach denjenigen empirischen Beiträgen untersucht, welche vorab definierte Kriterien (siehe Text) erfüllen und damit auch eindeutige inhaltliche und/oder methodologische Anknüpfungs- und Überschneidungspunkte aufweisen. Dementsprechend hat die Tabelle, trotz ihres Umfangs, keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
56 | Managerhandeln im globalen Kontext
• methodologische Schwerpunkte auf einer stark textbasierten Auswertungsstrate-
gie (= Diskursanalyse, Framing, Textauswertung auf der Grundlage von Narrativen, hermeneutische und phänomenologische Ansätze, Grounded Theory), also Methoden, deren Forschungsziel es ist, tiefere Sinnstrukturen aus empirischem Material (z. B. Interviews) zu rekonstruieren.
7
Zur Erklärung der Methode der (iterativen) Abduktion vgl. Kap. 3.
Journal of Economic Geography (-10)
Progress in Human Geography (-10)
Gesamtübersicht aller Zeitschriften/ Jahre zurück
Forschung
27(3), 2008)
(Political Geography
geopolitischen and practice.“
(Geoforum 76, 2016)
ansätze in der discourse as language
geopolitics: Towards
through two food securi-
ty exemplars.“
Forschungs-
in the field of critical
Diskursanalyse
institutional capacity
Abduktion7
und sprach-
Martin Müller:
Iterative
basierte
Australiens
tional fit? The reality of
Interviews
Case Study/
Auswertungsmethode
Methode/ Inhalt
concept of discourse
Fit in Regionen
Methode
II – Expliziter Theorie- oder Methodenbeitrag (oder Themenheft)
„Reconsidering the
Institutioneller
Carter: „Towards institu-
Thema
Christine Slade/Jennifer
Regular Papers
Forschungsschwerpunkte
Zeitraum der untersuchten Artikel: August 2006 bis August 2016
I – Empirischer Beitrag (nur qualitative Beiträge)
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 57
Tabelle 4: Qualitative Auswertung empirischer Forschungsbeiträge in ausgesuchten englisch- und deutschsprachigen humangeographischen Zeitschriften im Zeitraum von 2006 bis 2016 als allgemeine Anknüpfungspunkte an diese Arbeit
Niederschlagsereignissen
and her terror: A case study
exploring the framing of
water and extreme water
Cultural Geographies (-5)
ständnis
75, 2016)
vironment‘.“ (Geoforum
‚Community‘ and ‚En-
2016)
tions in geographic-
through discordant situa-
ral Geographies 23(3),
ontological politics of ma-
Methodenver-
boundary understanding
Interviews
wing between: generating
Theory
shaping the capacities of
nungspraxis
bell/Bonnie McCay: „The
fergehendes
Janet Banfield: „Kno-
Grounded
tenanalyse,
Situatives, tie-
kussion
Methodendis-
Qualitative
Dokumen-
22(1), 2015)
(Cultural Geographies
nology and effect.“
thods, (post)phenome-
encounters? Mobile me-
Justin Spinney: „Close
sembling the ocean and
licher Pla-
tins/Lisa M. Camp-
Political Geography (-10)
rative in räum-
Fairbanks/Kevin St. Mar-
Framing
artistic research.“ (Cultu-
politischer Nar-
Noëlle Boucquey/ Luke
Transactions of the Institute of British Geographers (-10)
Case Study
rine spatial planning: As-
Konstruktion
2016)
nada.“ (Geoforum 76,
lia and Saskatchewan, Ca-
tion in Queensland, Austra-
events within formal educa-
Framing von Extrem-
Ali Sammel: „Her beauty
Antipode (-10)
Geoforum (-5)
Economic Geography (-10)
58 | Managerhandeln im globalen Kontext
Geographische Zeitschrift (-10)
Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie (-10)
Environment and Planning D – Society and Space (-5, ab 2014) muster deutscher Führungskräfte bei Übernahmen durch ausländische Investoren
Schalljo: „‚Western‘
professional ethics chal-
lenged by foreign acqui-
sitions: German mana-
gers’ patterns of inter-
pretation surrounding
context, space, place, power and agency.“ (Progress in Human Geography 38(1), 2014)
ethics of the edible:
Framing political enga-
gement through the
Buycott app.“ (Geofo-
rum 74, 2016)
phie socio-economy with
thoden in der
Narrative Me-
rial imaginings, and the
graphical narratives of
Linda Naughton: „Geo-
geographie
Human-
verfahren in der
Analyse-
Tiefergehende
Humangeogra-
kursanalyse
Framing, Dis-
graphy 40, 2016)
gress in Human Geo-
phenomenology.“ (Pro-
„Geography and post-
James Ash/Paul Simpson:
ferent stories about the
der/Stanley Ulijaszek:
Textanalyse
Hermeneutik
Objektive
social capital: Telling dif-
politischen App
lan/Tanja Schnei-
Interviews
„Mobile activism, mate-
Framing von Inhalten einer
Karin Eli/Catherine Do-
2016)
vestors.“ (Geoforum 75,
Chinese and Indian in-
Deutungs-
Martina Fuchs/Martin
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 59
haltensweisen in Venezuela auf der Grundlage von Narrativen
mobilities, territorialization,
and dispossession in the Sier-
ra de Perijá, Venezuela: Res-
cuing lands and meanings in
Hábitat Indígena Yukpa, To-
UpgradingProzesse in Malawi
se: Political agency and the
trialectics of participation in
urban Malawi.“ (Geoforum
74, 2016)
Beobachtung,
strukturen und Case Study
Teilnehmende
Partizipations-
Cathrine Brun: „Voicing noi-
Ethnographie
Case Study,
Hilde Refstie/
2016)
romo-Tütari.“ (Geoforum 74,
Indigene Ver-
Bjørn Sletto: „Indigenous
(Progress in Human Ge-
unklar)
Diskursanalyse
Body and Practice.“
(Methode
zur Analyse von Machtbeziehungen: MikroEthnographie und Diskurs-
cal challenges and interdisciplinary analytical possibilities.“ (Progress in Human Geography 36(6), 2012)
analyse
sche Ansätze
of power. Methodologi-
Methodologi-
perspektive
als Forschungs-
Imaginationen
Praktiken und
„Economic geographies
James R. Faulconbridge:
ography 37(1), 2013)
panding field. Site, the
graphy and Art. An ex-
Harriet Hawkins: „Geo-
wertung
tende Textaus-
Narrative, deu-
60 | Managerhandeln im globalen Kontext
rechtigkeit in Jamaika
and vulnerability in a Jamai-
can agricultural landscape.“
aktionsräumliche Wahrnehmung von Migranten in China
Imaginationen von Expatriates bei Auslandsentsendungen
re I lay down my hat? The
complexities and functions of
home for internal migrants in
contemporary China.“ (Geo-
forum 71, 2016)
Sophie Cranston: „Imagining
global work: Producing un-
derstandings of difference in
‚easy Asia‘.“ (Geoforum 70,
2016)
Verhalten und
Dror Kochan: „Home is whe-
Beobachtung
Teilnehmende
Interviews
Beobachtung,
Narrative
Narrative
2012)
sozialer Ge-
policy: Adaptation, resilience
Teilnehmende
man Geography 36(1),
Kontext von
mate change discourse and
(Geoforum 73, 2016)
phies.“ (Progress in Hu-
diskursen im
social justice framing of cli-
graphy 32(5), 2008)
gress in Human Geo-
‚other worlds‘.“ (Pro-
formative practices for
„Diverse economies: per-
Performanz
Framing von
Praktiken und
perspektiven J. K. Gibson-Graham:
Forschungs2009)
Perzeption als
sitionen und
mentale Dispo-
sche Methoden,
Ethnographi-
tion
Sprachproduk-
Semantiken der
Kognitive
man Geography 33(6),
tions.“ (Progress in Hu-
ges and sensuous disposi-
graphy, haptic knowled-
geographies: ethno-
Mark Paterson: „Haptic
bodied cognitive geogra-
Stephen Butcher: „Em-
Interviews
tis/Douglas W. Gamble: „A
Framing
Case Study,
Framing von Klimawandel-
Jeff Popke/Scott Cur-
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 61
le dimensions of transnational business activity.“
(Imaginaries) von Moderne
(Transactions of the Institute
of British Geographers 39(3),
Zugverkehr
time.“ (Transactions of the In-
struktionen von Flüchtlingen in Großbritannien und Dänemark
belonging: a study of Somali
refugee and asylum seekers
living in the UK and Den-
mark.“ (Environment and
Planning D (27) 2009)
Identitätskon-
Gill Valentine: „Identities and
34(1), 2009)
stitute of British Geographers
Praktiken im
tices of vision through travel
Interviews
methode unklar
Auswertungs-
–
phers 36(2), 2011)
tute of British Geogra-
(Transactions of the Insti-
graphical imagination.“
Stephen Daniels: „Geo-
Auswertung
gen alltägliche
everyday geographies: prac-
Beobachtung
Visualisierun-
David Bissell: „Visualising
practices and the invisib-
(Progress in Human GeVisuelle
Narrative
2014) Teilnehmende
Beobachtungen
embeddedness: economic
Andrew Jones: „Beyond
Imaginationen
Textanalyse,
Diskursanalyse,
and exclusion in Astana.“
Ethnographie,
Praktiken und
the modern: power, practices
Interviews,
Analyse der
Natalie Koch: „Bordering on
–
perspektive
schungs-
sche For-
als geographi-
Imaginationen
Embeddednes
lyse von
vertieften Ana-
Performanz zur
Praktiken und
62 | Managerhandeln im globalen Kontext
Beobachtung
ranten in Dubai
tices in Dubai.“ (Transactions
Zeitschrift 103(4), 2015)
Großbritannien
sidents perceptions of risk
und Konstitution von Praktiken durch Sprache von Migranten in
ton/Katrine Bang Nielsen:
„Language use on the move:
sites of encounter, identities
and belonging.“ (Transactions
of the Institute of British Ge-
ographers 33(3), 2008)
Sheffield
Wirklichkeitskonstruktion
Gill Valentine/Deborah Spor-
Geographers 35(1), 2010)
tions of the Institute of British
power in the UK.“ (Transac-
Zeitschrift 102(1), 2014
schung.“ (Geographische
geographische For-
pulse für eine regional-
Assemblage. Neue Im-
„Diskurs, Machttechnik,
Judith Miggelbrink:
gen.“ (Geographische
werkes in
to the extraordinary: local re-
Textauswertung
tionen und ihre Wirkun-
nes Atomkraft-
Venables: „From the familiar
Interviews
Mediale Raumkonstruk-
im Umfeld ei-
wood/Peter Simmons/Dan
when living with nuclear
Schlottmann: „Editorial.
wahrnehmung
Paul Reuber/Antje
Lokale Risiko-
Narrative
104(1), 2016)
phische Zeitschrift
Phenomena.“ (Geogra-
„Keeping Track of Large
Theordore Schatzki:
Pidgeon/Karen L. Hen-
Interviews
Narrative
Karen A. Parkhill/Nick F.
ographers 36(4), 2011)
of the Institute of British Ge-
teilnehmende
britischen Mig-
British home-making prac-
Interviews,
Narrative von
culinities and domestic space:
Ethnographie,
Praktiken und
Katie Walsh: „Migrant mas-
Geographie
spektive in der
Forschungsper-
nal-räumliche
kurse als regio-
den und Dis-
tische Metho-
Sprachpragma-
digma
schungspara-
sches For-
als geographi-
konstruktionen
Mediale Raum-
Phänomene
geographischer
zur Erklärung
Praxistheorie
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 63
Studenten unterschiedlicher Nationalitäten
relation to in-channel wood.“
(Transactions of the Institute
of British Geographers 33(2),
spektive. Wissen und In-
Wissen und Institutionen.“ (Geographische Zeitschrift 100(2), 2012)
derssein’ in Leeds und Bradford, UK
Institute of British Geogra-
phers 32(2007)
schen Diskussion über
Fokus
stitutionen im
kenntnisper-
phische Er-
schaftsgeogra-
ter als wirt-
space.“ (Transactions of the
zur wirtschaftsgeographi-
tungsmuster als Beitrag
on und ‚An-
Fokusgruppen
von Segregati-
Deutungsmus-
vis/Peter Ratcliffe: „British
Martina Fuchs: „Deu-
perspektive
Forschungs-
sche
als geographi-
Performativität
asian narratives of urban
Narrative
102(3), 2014)
graphische Zeitschrift
Performativen.“ (Geo-
mann: „Geographien des
Dirksmeier, Ulrich Er-
Marc Boeckler, Peter
Imaginationen
Interviews,
Verfahren
interpretative
Statistisch-
Deborah Phillips/ Cathy Da-
2008)
statistische Me-
schaften durch
perception of riverscapes in thoden
sche Analyse,
von Flussland-
Photographi-
Wahrnehmung
Yves-Francoise Le Lay et al.:
„Variations in cross-cultural
64 | Managerhandeln im globalen Kontext
Beobachtung
len im sozialen Raum
Narrative Raumproduktionen ethnischer Minderheiten in Washington DC
Diskursanalyse in Debatten von Naturgefahren
crime.“ (Environment and
Planning D (27)2009)
Justin T. Maher: „The Capital
of Diversity: Neoliberal De-
velopment and the Discourse
of Difference in Washington,
DC.“ (Antipode 47(4), 2015)
Marleen Buizer/Tim Kurz:
„Too hot to handle: Depoliti-
cisation and the discourse of
2010)
sche Zeitschrift 98(4),
geography.“ (Geographi-
dialogue on interpretative
analyse
(Geoforum 68, 2016)
„Things that matter. A
Graefe/Benedikt Korf:
Antje Schlottmann/Oliver
Zeitschrift 98(2), 2010)
len.“ (Geographische
ationsraum des Sozia-
genblicksstätten‘ im Situ-
Performativität: „‚Au-
Jürgen Hasse: Raum der
Metaphern-
tung,
Textauswer-
unklar)
(Methode
Textauswertung
2012)
sche Zeitschrift 100(3),
Bourdieu.“ (Geographi-
einandersetzungen mit
mangeographische Aus-
Machtverhältnisse. Hu-
„Raum, Stadt und
ner/Christoph Haferburg:
Veronika Deff-
and material semiotics in
Ethnographie
Interviews,
Ethnographie,
methode unklar
Auswertungs-
fire management debates.“
ecologigal modernisation in
teilnehmende
cherheitsgefüh-
lings of safety and the fear of
Interviews,
Frames von Si-
of Geborgenheit: beyond fee-
Interviews
Subjektive
J. Simon Hutta: „Geographies
Diskurs
kritischen
Positionen im
theoretische
Erkenntnis-
Räumen
struktion von
te zur Kon-
als Determinan-
Performativität
spektive
Forschungsper-
geographische
orie als human-
Bourdieus The-
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 65
Sprache
delprozessen in Regionen Englands
dependency and narratives of
transition and stasis in four
English rural communities.“
schung in der Human-
2007)
Mosambique
(Geoforum 66, 2015)
of the Art.“ (Geographische Zeitschrift 95(1/2),
strophen in
can resettlement programme.“
unklar)
mangeographie – “State
geographie
schen For-
kursanalyti-
Stand der dis-
of structuration in Mozambi-
Zum aktuellen
genüber Kata-
Annika Mattissek: „Diskursanalyse in der Hu-
ploring the quadripartite cycle
(Methode
Resilienz ge-
Textauswertung
geographie
Human-
sätze in der
orientierte An-
Sprach-
Praktiken von
schrift 95(1/2), 2007)
(Geographische Zeit-
Schwerpunktheft.“
– Einführung in das
nach dem ‘linguistic turn’
der Humangeographie
Forschungsanasätze in
Pütz: „Sprachorentierte
Georg Glasze/Robert
transformative capacity: Ex-
Interviews
unklar)
(Methode
schrift 95(1/2), 2007)
Alex Arnall: „Resilience as
(Geoforum 67, 2015)
von Klimawan-
ckie: „Climate change, carbon
Textauswertung
Wahrnehmung
Martin Phillips/Jennifer DiBefragung
chen Argumentationen.“
ping.“ (Geoforum 68, 2016) (Geographische Zeit-
bezugnahmen in alltägli-
Schiffhandelsverkehr
upgrading in maritime ship-
Standardisierte
lage von
zur Analyse von Raum-
material
internationalen
owners and environmental
auf der Grund-
auch aus Thüringen ist“ –
Sekundär-
Prozessen im
driven greening? Cargo-
Raumbezüge
versteht Dich, weil sie
Tilo Felgenhauer: „Die
Abgleich mit
Triangulation,
von Upgrading-
Ponte/Jane Lister: „Buyer-
Interviews
Wahrnehmung
Rene Taudal Poulsen/Stefano
66 | Managerhandeln im globalen Kontext
Textauswertung
Perspektive D, 30 (2012)
den.“ (Geoforum 64, 2015)
tionaler,
phical topography and reunklar)
sprachlicher
Beobachtung
tionen aus rela-
space in place: philoso-
vironment and Planning
Ernährung
dyanamics and influence of
Raumkonstruk-
Jeff Malpas: „Putting
Perspektive
menologischer
aus phäno-
und -deutungen
(Methode
Textauswertung
Geographers 102(3),
Association of American
Phenomenology, Affini-
Open Sense of Place:
food-related curation in Swe-
nachhaltiger
food’: The practices, spatial
teilnehmende
Interviews,
unklar)
Raumpraktiken
lational geography.“ (En-
Dynamiken
einem Hurrikan
Praktiken und
nahmen bei
2015)
„Curating the quest for ‚good
Being.“ (Annals of the
Ethnographie
tische Maß-
its aftermath.“ (Geoforum 64,
Sofie Joosse/Brian J. Hracs:
ty, and the Question of
Beobachtung,
turen und poli-
Johnson: „Toward an
Soren C. Larsen/Jay T.
exclusion – Cyclone Sidr and
(Methode
Netzwerkstruk-
Wrathall: „Participatory
teilnehmende
Resilienz von
M. Nadiruzzaman/D.
tik
Sprachpragma-
Grundlage einer
graphie auf der
retischen Geo-
sprechakttheo-
geographischen
sprechakttheoretischer
– Grenzen und Gehalt
Ansätze einer
95(1/2), 2007)
Interviews,
unklar)
aus Worten Orte werden
Antje Schlottmann: „Wie
graphische Zeitschrift
in Indien
health perceptions in Kuma-
Beobachtung
(Methode
Textauswertug
2015)
von Gesundheit
tion: A political ecology of
teilnehmende
Interviews,
Sozialgeographie.“ (Geo-
Wahrnehmung
production/shifting consump-
on, India.“ (Geoforum 64,
Praktiken und
Carly E. Nichols: „Shifting
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 67
Deutungen von Umweltschutz
tical reflection on knowledge
and narratives of conservation
Theory
kumenten-
fahr Translokale Identitäten polnischer Kinder in Schottland
forum 58, 2015)
Marta Moskal: „‚When I
think home I think family he-
re and there‘: Translocal and
social ideas of home in narra-
young people.“ (Geoforum
tives of migrant children and
tung, Grounded
Interviews, Do-
Buschfeuerge-
and place in Australia.“ (Geo-
analyse
Narrative
Mapping
Deutungen von
me’: Narratives of bushfire
Textauswer-
Triangulation
iterativ,
Kodieren,
Gartenbaus und
Thematisches
teviews, Place-
Praktiken des
„Making the landscape ‚ho-
Case Study, In-
kumentenanalyse
obachtung
qualitative Do-
Diskursanalyse,
nehmende Be-
tenanalyse, teil-
gulation
iterativ, Trian-
Kodieren,
Thematisches
Karen Reid/Ruth Beilin:
2015)
agriculture.“ (Geoforum 60,
Praktiken und
Stephen Whitfield et al.: „Cri-
2015)
practioniers.“ (Geoforum 62,
The ‚making up’ of expert
Dokumen-
Interviews
handeln
Lyhne: „Environmental
governance through guidance:
tenanalyse,
von Experten-
Richardson/Jaap Rozema/Ivar
Dokumen-
Diskursanalyse
Matthew Cashmore/Tim
–
–
–
–
–
–
–
–
68 | Managerhandeln im globalen Kontext
peninterviews
von Umweltbewegungen in Dänemark
tion Movement, and place:
den Selvforsynende Landsby,
a Danish Transition initiati-
Wahrnehmung von Gerechtigkeit in südafrikas Wasserver-
Perceptions of justice in
South Africa’s water allocati-
on reform policy.“ (Geoforum
54, 2014)
Ghana
fuels investment in Ghana.“
analyse
che Diskurse über Nachhaltigkeit
land: „Exploring the scientific
discourse on cultural
sustainability“. (Geoforum
51, 2014)
Dokumenten-
Wissenschaftli-
analyse
Dokumenten-
Interviews,
Katriina Soini/Inger Birke-
(Geoforum 54, 2016)
Landnutzungskonzepten in
tions’: Implications for bio-
the contested concepts ‚land
grabbing’ and ‚land transac-
Framing und Diskurse von
Festus Boamah: „Imageries of
teilungspolitik
Deutung und
Synne Movik: „A fair share?
Interviews
views, Grup-
und Deutungen
mental awarenes, the Transi-
ve.” (Geoforum 57, 2014)
Offene Inter-
Wahrnehmung
Miina Mägland: „Environ-
Narrative
Diskursanalyse,
Diskursanalyse
Framing,
Diskursanalyse
Triangulation
Theory,
Grounded
–
–
–
–
–
–
–
–
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 69
nehmung in der britischen Weizenlandwirt-
ception, crop protection and
plant disease in the UK wheat
sector.“ (Geoforum 50, 2013)
Deutungen von Klimawandel
ters: Climate change imagery
in US, UK and Australian
teilnehmende Beobachtung
Performative Praktiken bei einer internationalen Handelsmesse
Michael Andreae et al.: „Per-
forming the trade show: The
case of the Taipei Internatio-
nal Cycle Show.“ (Geoforum
49, 2013)
methode unklar
Ecuador
paigning in Ecuador.“ (Geo-
Auswertungs-
Ethnographie
Praktiken in
emotions in electoral cam-
Triangulation
Verfahren,
Interviews,
analyse visuelle
performativen
graphy: The perfomativity of
Interpretative
Contentanalyse
Framing,
Textauswertung
kodierung,
Meta-
Background-
Dokumenten-
Emotionen bei
forum 49, 2013)
Interviews,
Die Rolle von
emotional electoral geo-
tenanalyse
Dokumen-
analyse
Dokumenten-
Interviews,
Carolin Schurr: „Towards an
2013)
Newspapers.“ (Geoforum 49,
Imaginationen/
Saffron O’Neill: „Image mat-
schaft
Risikowahr-
Brian Ilbery et al.: „Risk per-
–
–
–
–
–
–
–
–
70 | Managerhandeln im globalen Kontext
gen und Diskurse von Klimawandel
mate change governable by
risk: From probabilty to con-
tingency.” (Geoforum 45,
Narrativen über Klimaflüchtlinge
Babarians at the Gate? A cri-
tique of apocalyptic narratives
on ‚climate refugees“: (Geo-
Umweltpraktiken
formation: The potential of a
narrative approach to pro-
Grenzbewohnern an der indisch-bangladesischen Grenze
boundaries: Framing and con-
testing suffering, community,
and belonging in enclaves a-
long the India-Bangladesh
border.” (Political Geography
35, 2013)
Narrative von
Jason Cons: „Narrating
(Geoforum 43(4), 2012)
environmental practices.“
Narrative über
Sarah Hards: „Tales of Trans-
forum 45, 2013)
Diskurse von
Giovanni Bettini: „Climate
2013)
Risikodeutun-
Angela Oels: „Rendering cli-
Dokumenten-
Interviews
Ethnographie,
Textanalyse
Framing,
Textanalyse
Interviews
Linguistische
follow-up-
Diskursanalyse
Diskursanalyse
Interviews,
analyse
Dokumenten-
analyse
–
–
–
–
–
–
–
–
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 71
von alltäglicher Korruption in Sri Lanka
of corruption: Practices and
perceptions of everyday cor-
ruption in post-tsunami Sri
Konstruktionen von geopolitischen Grenzen
„Constructing the border from
below: narratives from the
Congolese-Rwandan state
von religiösen Praktiken in den USA
Come‘: Representing Mor-
monism through a geopoliti-
graphy 27(4), 2008)
cal frame.“ (Political Geo-
Dokumentenanalyse
Frameanalyse
Hwang Chen: „‚Kingdom
Interviews
Ethan Yorgason/Chiung
graphy 30(3), 2011)
boundary.“ (Political Geo-
Semantische
Martin Doevenspeck:
31, 2012) Narrative
Interviews
Wahrnehmung
Mubarak: „Reading ‚stories‘
Lanka“. (Political Geography
Ethnographie,
Praktiken und
Kamakshi N. Perera-
Framing
unklar)
(Methode
Textanalyse
Textanalyse
Narrative
–
–
–
–
–
–
72 | Managerhandeln im globalen Kontext
der Darstellung von Militär
rupting air power: Performa-
tivity and the unsettling of
Praktiken von Meditation und Alltagshandeln
the habits of a lifetime? Mind-
fulness meditation and habi-
tual geographies.” (Cultural
onen in Museen
Geographies 24, 2017)
Colorado Center.“ (Cultural
mensions in Denver’s History
lyzing discourse in three di-
um/space/discourse: ana-
Raumprodukti-
Samuel A. Smith/Kenneth E.
Foote: „Muse-
Geographies 22, 2015)
Routinen und
Jennifer Lea et al.: „Changing
graphy 42, 2014)
artworks“. (Political Geo-
geopolitical frames through
Frameanalyse
Alison J. Williams: „Dis-
Beobachtung
Teilnehmende
views
Tiefeninter-
Interviews
unklar)
(Methode
Textauswertung
analyse
sche Text-
Hermeneuti-
Framing
–
–
–
–
–
–
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 73
gen
Praktiken am Beispiel einer Region in Mexiko Distinktionsprozesse ausländisch geprägter Ingenieure in Kanada
lages in “the Second Most
Remote Region in all of
Mexico“. (Antipode 40(1),
2008)
Erik, R. Girard/Harald Bau-
der: „Assimilation and Exclu-
sion of foreign Trained Engi-
neers in Canada: Inside a pro-
fessional Regulatory Orga-
Diskurse zum Klimawandel im Kontext von Arbeitswelten
decade of critique: neoliberal
environmentalism, discourse
analysis and the promotion of
climate-protecting behaviour
70, 2016)
in the workplace“ (Geoforum
Neoliberale
Joanne Swaffield: „After a
2007)
nization.“ (Antipode 39(1),
Untersuchun-
metaphorische
the Production of Buffer Vil-
Case Study
views
analyse, Inter-
Dokumenten-
Case Study,
follow-up-
Interviews,
Beobachtung,
tionen durch
Teilnehmende
Raumkonstruk-
David M. Walker/Margaret A.
Walker: „Power, Identitiy and
(Dokumente)
Diskursanalyse
Narrative
Theory,
Grounded
unklar)
(Methode
Textauswertung
–
–
–
–
–
–
74 | Managerhandeln im globalen Kontext
theoretischer
2011)
LebensmittelProduktionen und deren Implikationen
Fladvad: „The Practice of
Changing Rules of Practice:
An Agonistic View on Food
Sovereignty.“ (Geographische
Imaginationen deutscher Hilfsorganisationen
ber: „Der lange Schatten der
Moderne: Entwicklungs- und
geopolitische Diskurse deut-
scher Hilfsorganisationen.“
103(1), 2015)
(Geographische Zeitschrift
Diskurse und
Kirsten Linnemann/Paul Reu-
Zeitschrift 104(1), 2016)
Praktiken von
Florian Dünckmann/Benno
analyse
Dokumenten-
Interviews
Metaphern-
metaphern-
Wirtschaftsgeographie 3,
Sicht
wertung,
methode unklar
Auswertungs-
methode unklar
Auswertungs-
analyse
Textaus-
2008/09 aus
leiteter Sicht.“ (Zeitschrift für
Interpretative
schaftskrise von
aus metapherntheoretisch ge-
Interviews
Die Wirt-
Martina Fuchs: „Die Krise
–
–
–
–
–
–
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 75
Reaktionen von britischen Familien auf die Finanzkrise
family experiences of the fi-
nancial crisis: getting by in
the recent economic recessi-
on.“ (Journal of Economic
tionen in virtuellen Gemeinschaften Organisationale Identitäten bei der Internationalisierung eines Unternehmens
virtual communities.“ (Jour-
nal of Economic Geography
14, 2014)
Michelle Lowe/Gerard Geor-
ge/Oliver Alexy: „Organizati-
onal identity and capability
development in internationa-
lization: transference, splicing
and enhanced imitation in
graphy 12, 2012)
(Journal of Economic Geo-
Tesco’s US market entry.“
Beobachtung
Distanzproduk-
ledge collaboration in hybrid
Beobachtung
teilnehmende
Theory
Grounded
Textauswertung
teilnehmende
praktiken und
Interviews,
interpretative
Ethnographie,
Wissens-
Iterative,
methode unklar
Auswertungs-
„Distance as asset? Know-
Netnographie,
Ethnographie
Interviews,
Gernot Grabher/Oliver Ibert:
Geography 16(2), 2016)
Praktiken und
Sarah Marie Hall: „Everyday
–
–
–
–
–
–
76 | Managerhandeln im globalen Kontext
ren, Praktiken und Lernen in transnationalen Kanzleien Perfomative Räume auf der Grundlage biographischer Narrative
„Negotiating cultures of work
in transnational law firms.“
(Journal of Economic Geo-
graphy 8, 2008)
Max J. Andrucki/Jen Dickin-
son: „Rethinking Centers and
Margins in Geography: Bo-
dies, Life Course, and the Per-
formance of Transnational
Produktionssystemen
ry and Fair Trade Banana
Production in the Dominican
Republic.“ (Annals oft he
ographers 104(5), 2014
Association of American Ge-
von Fair Trade und alternativen
ter? The Small Farm Imagina-
Imaginationen
Amy Trauger: „Is bigger bet-
ographers 105(1), 2014)
Association of American Ge-
Space.“ (Annals of the
Arbeitskultu-
James R. Faulconbridge:
Interviews
Ethnographie,
analyse
Dokumenten-
Case Study,
Ethnographie,
Interviews
Auswertungs-
unklar)
(Methode
Textauswertung
Narrative
unklar)
methode
(Auswertungs-
Narrative
methode unklar
–
–
–
–
–
–
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 77
Relationen
ratives in Contemporary Tur-
struktionen von Immigranten in Kanada
Mansfield: „Discourse, Identi-
tiy, and „Homeland as Other“
at the Borderlands.“ (Annals
Obsoleszens in metropolitanen Strategien
Metropolitan Strategy as a
zoning technology: analyzing
the spatial and temporal di-
D, 32 (2014)
(Environment and Planning
mensions of obsolescence.“
Diskurse von
Dallas Rogers: „The Sydney
can Geographers 99(2), 2009)
of the Association of Ameri-
Identitätskon-
Susan W. Hardwick/Ginger
104(4), 2014)
tion of American Geographers
Fokusgruppen
Interviews,
Fokusgruppen
terviews,
Narrattive In-
unklar)
Gesellschaft-
Affect in Environmental Nar-
key.“ (Annals of the Associa-
(Methode
Diskursanalyse
Diskursanalyse
Textauswertung
von Natur-
rence, Postcoloniality, and
Narrative
und Narrative
Geographies of Green: Diffe-
Interviews
Imaginationen
Leila M. Harris: „Imaginative
–
–
–
–
–
–
78 | Managerhandeln im globalen Kontext
in RecruitingAgenturen
of the ideal migrant worker: a
Lacanian interpretation.“ (En-
und Narrative von indigenen Gemeinschaften in Bolivien
genous native peasant trinity’:
imagining a plurinational
community in Evo Morales’s
Bolivia.“ (Environment and
unklar)
schilder
licy and the Palestinian mino-
ning D, 32 (2014)
rity.“ (Environment and Pan-
(Methode
scher Straßen-
power: Isreali road-sign po-
Auswertung
Analyse israeli-
Bildauswertung
Linguistische
Interpretative
methode unklar
Auswertungs-
methode unklar
Auswertungs-
„An anatomy of symbolic
Beobachtungen,
analyse
Dokumenten-
Interviews
Narrative
Liora Bigon/Amer Dahamshe:
Planning D, 32 (2014)
Imaginationen
Lorenza Fontana: „The ‚indi-
(2014)
vironment and Planning D, 32
Imaginationen
Sergei Shubin: „Imaginaries
–
–
–
–
–
–
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 79
Geographien der Begegnung zwischen Mig-
migration: British transnatio-
nals in Dubai.“ (Environment
and Planning D, (30) 2012)
Dubai
heimischen in
ranten und Ein-
Emotionale
Katie Walsh: „Emotion and Interviews
Ethnographie, methode unklar
Auswertungs-
–
–
80 | Managerhandeln im globalen Kontext
Zur aktuellen humangeographischen Analysepraxis | 81
2.3.4 Auswertung der qualitativen Tabelle: methodologische Strömungen in der Human- und Wirtschaftsgeographie und Kritik- und Ansatzpunkte für eine hermeneutische Erkenntnisperspektive Die qualitative Übersichtstabelle zu qualitativen Forschungsstrategien innerhalb der englisch- und deutschsprachigen Humangeographie täuscht trotz ihres Umfangs nicht über einen ersten Befund für die wirtschaftsgeographischen Zeitschriften hinweg: Innerhalb der deutsch- und englischsprachigen Wirtschaftsgeographie existieren im Untersuchungszeitraum der letzten zehn Jahre kaum empirische Beiträge, deren Forschungsstrategie auf die Rekonstruktion latenter Motive und subjektiver Deutungen abzielt, wie sie innerhalb der vorliegenden Arbeit erkenntnistheoretisch (Kap. 3 u. 4) und methodologisch (Kap. 6) argumentiert werden (vgl. auch Gerhard/Seckelmann 2013: 272f). Die stark quantitativ dominierte Wirtschaftsgeographie (siehe auch Tab. 3) weist im untersuchten Zeitraum kaum qualitative Beiträge auf, die hier als Ansatzpunkte gelten können. Der vermeintliche Umfang der Tabelle wird dabei vor allem durch übergeordnete humangeographische Beiträge abgebildet (= breite Perspektive), die keinen direkten Bezug zur Wirtschaftsgeographie, respektive genuin raumwirtschaftlichen Betrachtungen aufweisen. Nur vereinzelt finden sich wirtschaftsgeographische Betrachtungen, die vor allem auf konkrete Praktiken von Unternehmensakteuren abzielen. So untersucht etwa Hall (2016) die Praktiken und Reaktionen von britischen Familien auf die Finanzkrise aus ethnographischer Perspektive, wobei auch hier die Auswertungsmethode gänzlich unklar bleibt (wie in den meisten der hier untersuchten Beiträge/ = ‚Auswertungsmethode unklar‘). Grabher und Ibert (2014) untersuchen die Praktiken und Distanzproduktionen in virtuellen Netzwerken auf der Grundlage ethnographischer und teilnehmender Methoden (vgl. Grabher/Ibert 2014). Generell dominieren vor allem in der englischsprachigen Wirtschaftsgeographie praktikenbezogene Arbeiten (= Practice Turn), wobei die jeweiligen Methodologien zumeist recht vage ausgearbeitet sind (in Kap. 5 findet sich im Kontext des thematischen Untersuchungsfeldes eine detaillierte Auseinandersetzung und Konkretisierung dieser Arbeiten innerhalb der Wirtschaftsgeographie sowie zentrale Kritikpunkte aus der Sichtweise der vorliegenden Untersuchung). Den zweiten methodologischen und inhaltlichen Anknüpfungspunkt bilden Arbeiten zu organisationalen Identitäten (exemplarisch: Lowe et al. 2012) und Arbeitsidentitäten im globalen Kontext (exemplarisch: Faulconbridge 2008; Jones 2008a; ausführlicher: Kap. 5). Inhaltlich stehen dabei die Mechanismen transkultureller Unternehmenskooperationen und deren mögliche Implikationen im Vordergrund der Betrachtung. Einen dritten thematischen Bereich bilden transkulturelle Praktiken von Entsendungen (= Expatriates) und Unternehmenskooperationen. So
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untersucht Cranston (2016) die räumlichen Imaginationen von entsandten Führungskräften in Singapur (vgl. Cranston 2016). Auffällig ist im Bereich der wirtschaftsgeographischen Arbeiten der oftmals unpräzise Umgang mit der jeweiligen methodischen Herangehensweise. So wird zumeist nach ‚Schema-F‘ gearbeitet (Gerhard/Seckelmann 2013: 271f), ohne die Methode und den Forscher selbst als integralen Bestandteil des Forschungsprozesses zu begreifen (vgl. dazu auch Crang 2003; Gläser/Laudel 2004). In besonderem Maße gilt dies für die Auswertungsmethodik, die in den meisten Fällen gänzlich unklar bleibt (vgl. auch Gerhard/Seckelmann 2013: 271). So wird in der Regel etwa von ethnographischen Methoden oder teilnehmenden Beobachtungen gesprochen, ohne dabei zu präzisieren, wie genau erhoben und wie das erhobene Material ausgewertet wurde (exemplarisch: Cranston 2014). Darüber hinaus verharren die meisten wirtschaftsgeographischen Analysen eher in deskriptiven Beschreibungen und zielen nicht auf ein tieferes Verständnis sozialer Praktiken und Handlungszusammenhänge im Sinne einer verstehenden Analyse ab (vgl. dazu auch Gerhard/Seckelmann 2013: 270; Sedlacek/Werlen 1998; Kap. 4 u. 9). Für die thematisch breiter angelegten humangeographischen Zeitschriften zeichnet sich ein umfassenderes und wesentlich differenzierteres Bild der erkenntnistheoretischen und methodologischen Zugänge ab. Dies gilt sowohl quantitativ, aufgrund der wesentlich größeren Zahl an innovativen Arbeiten und methodologischen Zugängen, als auch qualitativ in der Verwendung und Darstellung der Methoden (siehe Tab. 4). Thematische Schwerpunkte bilden hier die Analyse von räumlichen Imaginationen (exemplarisch: Phillips et al. 2007), Identitäts- und Raumkonstruktionen, politischen und sozialen Diskursen, raumbezogenen Praktiken und performativen Geographien (exemplarisch: Strüver 2015) sowie die risikobezogene Wahrnehmung und Deutung von Umweltstrukturen (= HazardForschung; einführend: Pohl/Geipel 2002; für eine Übersicht vgl. Felgentreff/Glade 2008). Methodologisch lassen sich ebenfalls einige zentrale Schwerpunkte humangeographischer Analyseverfahren identifizieren: Innerhalb der letzten Dekade dominieren vor allem Diskursanalysen, Framing als Textauswertungsmethode sowie Grounded Theory, zumeist auf der Grundlage von Narrativen (siehe Tab. 5).
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Tabelle 5: Thematische und methodologische Schwerpunkte sowie allgemeine Strömungen in den untersuchten qualitativen humangeographischen Forschungsbeiträgen (2006-2016)
Drei zentrale Aspekte treten bei der intensiveren Literaturbetrachtung und Auswertung der Tabelle besonders in den Vordergrund: • erstens der zumeist unklare Bezug zur Auswertungsmethodik. Dabei wird die
Methode zumeist erst gar nicht angegeben (siehe Tabelle 4/‚Auswertungsmethode unklar‘) oder entzieht sich einer intersubjektiven Überprüfung durch den Leser, was auch durch die quantitative Auswertung zuvor in größerer Zahl bestätigt wird (vgl. auch Gerhard/Seckelmann 2013: 271f; siehe Tab. 3). • Zweitens erscheint der Umgang mit Methodologie und Erkenntnistheorie im Kontext eines reflexiven Umgangs mit qualitativer Methodologie oftmals eher als Name Dropping (vgl. Pike et al. 2016). So ist etwa im Beispiel des oftmals verwendeten Framings als qualitativer Textauswertungsmethode zumeist gänzlich unklar, was dies methodologisch genau bedeutet und wie genau ein Text oder eine (subjektive) Aussage geframed wurde. Hier stellen sich zentrale erkenntnistheoretische Probleme der oftmals sehr subjektiv erscheinenden Erfassung und Auswertung empirischen Materials (= nach Forscherkategorien). • Drittens, und dies knüpft inhaltlich an den vorherigen Punkt an, finden sich erstaunlich wenig explizite Methodenbeiträge im untersuchten Zeitraum, gemessen an der Gesamtzahl untersuchter Beiträge (= rechte Spalte der Tabelle). Bei diesen fällt auf, dass die thematische Bandbreite sehr groß ist, jedoch auch hier kaum einmal explizit die methodologische Umsetzung erkenntnistheoretischer Postulate und Ausgangspunkte präzise dargestellt wird (vgl. Barnes et al. 2007).
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Es existieren aber durchaus positive Ausnahmen: Für die deutschsprachige Humangeographie etwa diskutieren Mattissek (2007) und Miggelbrink (2014) die methodologischen Implikationen einer humangeographischen Diskursanalyse. Obwohl es sich dabei erkenntnistheoretisch um einen von der objektiven Hermeneutik völlig unterschiedlichen Ansatz handelt (= poststrukturalistisch), zeigen sich dennoch methodologische Anknüpfungspunkte an die sprachpragmatische Auswertungslogik dieser Arbeiten (vgl. dazu auch Schlottmann 2007). Kaspar (2013) nimmt in ihrer Untersuchung von Parkräumen explizit eine rekonstruktionslogische Forschungsperspektive ein und rekonstruiert Raumkonstruktionen aus Erzählungen (vgl. Kaspar 2013). Im übergeordneten Kontext postulieren Rothfuß/Dörfler (2013) eine hermeneutische Forschungskonzeption für die Humangeographie (im Speziellen: Dörfler 2013a). Von Löwis (2015) diskutiert die Wahrnehmung von der Zeitlichkeit räumlicher Konstrukte am Beispiel von Grenzregionen (vgl. von Löwis 2015). In der englischsprachigen Humangeographie (und Wirtschaftsgeographie) dominieren in der letzten Dekade vor allem Practice-bezogene Arbeiten (= Practice Turn), also empirische Arbeiten, die sich mit den direkt beobachtbaren Praktiken handelnder Akteure befassen (vgl. Cranston 2014: 8f; exemplarisch: Faulconbridge 2012; Gibson-Graham 2008; vgl. auch: Cranston 2014; 2016; Jones 2014; Jones/Murphy 2011) sowie vor allem Arbeiten zur räumlichen Imagination und Kognition aus einer Akteursperspektive (exemplarisch: Butcher 2012; Daniels 2011; Kaspar 2013), zumeist aus ethnographischer Perspektive und/oder teilnehmenden Beobachtungen (siehe Tab. 5). Die methodologischen Anknüpfungspunkte an die vorliegende Untersuchung in der englischsprachigen Humangeographie finden sich vor allem in ethnographischen Methoden der Datenerhebung und diskursanalytischen und Framing-orientierten Methoden der Datenauswertung. Auffällig im Sinne der hier angestrebten Argumentation ist zum einen die oftmals stark selektiv dargestellte Form der Auswertungsmethode (vgl. dazu Gerhard/Seckelmann 2013: 271f), zum anderen der oftmals fehlende Erkenntnismehrwert der gewählten Methodik. So wird gerade im Bereich der englischsprachigen Analysen sozialer Praktiken (= Practice Turn) oftmals nicht deutlich, worin der Mehrwert des gewählten Ansatzes liegt und wie die entsprechende methodologische Umsetzung gelingt (= Kohärenz von Erkenntnistheorie und Methodologie; vgl. dazu auch Jones/Murphy 2011; Jones 2014, Abb. 4). Dieser Befund bekräftigt das zuvor bereits erhobene Ergebnis (siehe Tab. 3) einer oftmals fehlenden Debatte über humangeographische Methoden, deren Erkenntnismehrwert, aber auch deren Bedingungen und Implikationen (vgl. Gerhard/Seckelmann 2013: 271f). Die methodologische Umsetzung der theoretischen Prämissen fehlt dabei oftmals oder gelingt nur in seltenen Fällen (eine umfassendere Analyse der relevanten Anknüpfungspunkte der analysierten Artikel an die vorliegende Untersuchung erfolgt in Kap. 5).
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2.4 ZWISCHENFAZIT A: VOM UMGANG MIT QUALITATIVER METHODOLOGIE IN HUMAN- UND WIRTSCHAFTSGEOGRAPHISCHEN ZEITSCHRIFTEN ZUM ERKENNTNISMEHRWERT EINER HERMENEUTISCHEN FORSCHUNGSPERSPEKTIVE Die Situation der heutigen Humangeographie und im Speziellen der Wirtschaftsgeographie ist im Hinblick auf erkenntnistheoretische Positionen und methodologische Ansätze der unterschiedlichen Forschungszweige überwiegend durch ein heterogenes Bild geprägt (vgl. dazu auch Schamp 2003; 2007). Die unterschiedlichen Forschungsperspektiven tolerieren einander, eine Diskussion über Methoden und deren Erkenntnispotenziale findet eher am Rande („islands of practice“; Barnes et al. 2007: 24) als im Mainstream statt (vgl. Barnes et al. 2007: 2/3; Gerhard/Seckelmann 2013: 272). Während in der Humangeographie, jeweils organisiert in Strömungen (Kap. 2), eine große thematische Bandbreite an Forschungsansätzen vorherrscht, so fällt doch ein gewisser methodologischer Monismus innerhalb der qualitativen Wirtschaftsgeographie auf (vgl. auch Barnes et al. 2007: 1ff; Jones/ Murphy 2011). Gemessen an der Gesamtanzahl qualitativer Beiträge existieren nur wenige Arbeiten, deren Ziel es ist, Handlungen und Strukturen ganzheitlich und von innen heraus (vgl. Glückler 2002; Pohl 1996) zu verstehen (siehe Tab. 4). Jene Arbeiten, die hier innovative Methoden verwenden, lassen es oftmals an der notwendigen Kohärenz zwischen (meta-)theoretischer Positionierung, methodologischer Umsetzung und empirischer Darstellung ermangeln (Abb. 4). Gerade die Auswertungsmethodik ist dabei in aller Regel nicht Bestandteil der Darstellungen und erscheint als „das eigentliche Problem“ (Gerhard/Seckelmann 2013: 271) der untersuchten Beiträge. Vielmehr entsteht der Eindruck einer selektiven Plausibilisierung nach Forscherkategorien (= subsumptionslogisch) anstelle eines interpretativ-abduktiven Schließens nach den Prämissen regelgeleiteter Wirklichkeitsproduktion (vgl. Oevermann 2002: 20/21; 2013: 70; ausführlich: Kap. 3 u. 6). Dabei erscheint die für diese Untersuchung getroffene analytische Unterscheidung zwischen Erhebungs- und Auswertungsmethodik der untersuchten qualitativen Forschungsansätze als hilfreich. So fragen Gerhard/Seckelmann (2013) im Hinblick auf die basalen Denklogiken der meisten qualitativen Forschungsansätze: „Warum nicht ‚Warum‘? (Gerhard/Seckelmann 2013: 273; Herv. i. Orig.). Dem breiten thematischen Spektrum humangeographischer Forschungsarbeiten steht nämlich methodologisch gesehen ein überschaubarer Kanon an Erhebungs- und Auswertungsmethodiken (also das ‚Warum‘/verstehende Verfahren) gegenüber, wobei das semistrukturierte Experteninterview bzw. die kategorisierende Inhaltsanalyse nach wie vor die Methoden der Wahl sind (vgl. die eigene Untersuchung). Neben dem semistrukturierten Interview als das zentrale Erhebungsverfahren haben
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sich vor allem Methoden der Beobachtung (= teilnehmende Beobachtung, ethnographische Methoden) und die Analyse sekundärer Dokumente etabliert, oftmals auch in genuin fallorientierten empirischen Untersuchungen (= Case Studies). Auffällig ist vor allem, dass trotz der im Wesentlichen textbasierten methodologischen Ansätze (siehe Tab. 4 u. 5) die Auswertungsmethodik in den Artikeln zumeist gar nicht oder nur andeutend thematisiert wird, was zwangsläufig zu einer selektiven Betrachtung des zu untersuchenden Phänomens führt bzw. führen kann (vgl. Gerhard/Seckelmann 2013). Dies kann natürlich Teil der ZeitschriftenStandards sein, ist jedoch gleichermaßen ein Hinweis auf einen eher ‚laschen‘ Umgang mit den methodologischen Standards qualitativer Sozialforschung im Allgemeinen. Dabei lässt sich aus den Ergebnissen schlussfolgern, dass der ‚saubere‘ Nachweis (= Dokumentation im Forschungsprozess) der durchgeführten Forschung nur in geringem Umfang geleistet wird, oder wie Massey/Meegan schon 1985 für die englischsprachige Humangeographie konstatierten: „Time […] seems to short for self-conscious reflection on the nature of the relation between theoretical, methodological and policy perspectives“ (Massey/Meegan 1985: 2, zit. in: Tickell et al. 2007: 1; sowie: Gerhard/Seckelmann 2013). Dabei erscheint die Durchführung qualitativer Interviews sowie die Entwicklung der zugehörigen Leitfäden in der Regel nicht als das zentrale Problem der untersuchten Beiträge. Vielmehr ist es die Explikation der Auswertungsmethodik, bei der sich innerhalb des Mainstreams der Forschungspraxis eine gewisse methodologische Einfalt etabliert hat, nämlich die der kategorisierenden Inhaltsanalyse (in vergleichender Betrachtung: Kap. 3), vor allem nach Mayring (v. a. Mayring 2000; 2002; 2003; vgl. dazu Gerhard/Seckelmann 2013: 272f). Der auf der Grundlage der empirischen Untersuchung über den Umgang mit qualitativer Methodologie in ausgewählten humangeographischen Zeitschriften erhobene Befund bildet gleichermaßen den Ausgangspunkt einer hermeneutischen Forschungskonzeption. Dabei bilden im Hinblick auf die umfangreiche Literaturrecherche und -analyse drei zentrale Aspekte den Ausgangspunkt der weiteren Argumentationsführung: • eine präzise und intersubjektiv nachvollziehbare Darstellung und Begründung
der gewählten Methode im Sinne eines kohärenten Forschungsdesigns. Dieses Postulat erscheint zunächst als trivial, jedoch zeigen die untersuchten Beiträge, dass zumeist eine Theorie, Hypothese oder ein Ansatz besteht, dann aber nach ‚Schema F‘ und oftmals ohne theoretische Bezüge zwischen Theorie und Methodik gearbeitet wird. Wenn es etwa, wie hier, um die Rekonstruktion von Handlungen und latenten Handlungsbezügen geht (Kap. 7), so erweist sich ein kodierendes und materialzusammenfassendes methodisches Verfahren als ungeeignet, da hierbei die Kategorien des Forschers selbst die Dynamik des Untersuchungsfalles determinieren (= Subsumptionslogik) und nicht die Strukturen und Mecha-
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nismen selektiver Wirklichkeitskonstruktion selbst im Zentrum der Betrachtung stehen (vgl. Oevermann 2002: 20-22; 2013: 70/71). • eine ganzheitliche Betrachtung des gewählten Untersuchungsgegenstands. Eine verstehende Analyse sozialer Zusammenhänge (z. B. Unternehmensübernahmen) verharrt nicht im Deskriptiven, sondern zielt explizit darauf ab zu verstehen, was genau die Dynamik eines Falles in seiner Ereignis- und Handlungsstruktur ausmacht (vgl. Oevermann 1993: 112ff; Wernet 2009: 7-12). Methodologisches Letztargument bildet dabei stets die innere Strukturlogik des Untersuchungsfeldes selbst (vgl. Dörfler 2013a: 253f; Pohl 1996) und nicht etwa ex ante-definierte Forscherkategorien, nach denen das empirische Material kategorisiert wird (vgl. Oevermann 2013: 70; exemplarisch: Kap. 7). • Eine geographische Hermeneutik zielt auf eine problembezogene und nicht auf eine raumorientiere Erkenntnisperspektive per se ab (= Containerraum; Kap. 4). Raum ist in dieser Konzeptualisierung ontologisch nicht nur als Resultat menschlichen Handelns zu verstehen, sondern gleichermaßen als Agens (vgl. Glückler 2002: 48; Rothfuß/Dörfler 2013) der Deutungszusammenhänge, die den sozialen Raum als das konstatieren, was er ‚ist‘ (vgl. Pohl 1996; exemplarisch: Kaspar 2013).8 Raum ist dementsprechend nicht der analytische Ausgangspunkt einer hermeneutischen Geographie, sondern das Resultat subjektiver oder gesellschaftlicher Handlungen und Deutungsrahmen (= Deutungsmuster), die den Raum in seinen Deutungen symbolisieren und konstituieren und ausschließlich über eben jene Akteure und deren objektives Regelwissen zu verstehen sind (vgl. auch Glückler 2002: 48; Werlen 1995; 1997, Rothfuß/Dörfler 2013; ausführlich: Kap. 4).
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Interessanterweise erscheint der Umgang mit Raum in der deutschsprachigen Humangeographie als wesentlich ‚strenger‘: Jede Forschungsarbeit muss zunächst den räumlichen Zusammenhang verdeutlichen, um als ‚echte‘ geographische Arbeit anerkannt zu werden. Allzu abstrakte Erkenntniszugänge erscheinen in dieser Perspektive als ‚ungeographisch‘ (vgl. Blotevogel 1999). Die englischsprachige Humangeographie scheint diese Debatte(n) zugunsten einer problembezogenen Analyse sozialer Praktiken bereits hinter sich gelassen zu haben.
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Abbildung 4: Zur erkenntnistheoretischen Verortung einer hermeneutischen Forschungsperspektive im Dreiklang von Erkenntnistheorie, Methodik und empirischer Erkenntnis
Erkenntnistheoretisch betrachtet beinhaltet dieses theoretische Postulat im Wesentlichen drei Schritte der Argumentation (Abb. 4): • Jede Forschung ist eingebettet in eine spezifische Form von Ontologie- und Epis-
temologieverständnis. So muss begründet werden, in welcher Form der Zugang zu sozialer Wirklichkeit erfolgt und mit welchen konstitutionstheoretischen Prämissen und Implikationen diese Positionierung jeweils verbunden ist (Kap. 3 u. 4 dieser Untersuchung; sowie: Dörfler 2013a/b; Pohl 1996). Hier ist die Konstitutionstheorie (Kap. 3) einer hermeneutischen Raumontologie (Kap. 4) einzuordnen, in deren Zentrum die zentralen theoretischen und empirischen Begriffe Handlung und Raum stehen. • Diese Positionierung führt hin und begründet die Ausformung theoretischer Annahmen und Konzepte, die sich ihrerseits auf den Modus des epistemischen Zugangs zu sozialer Wirklichkeit beziehen. Eine solche Reflexion beinhaltet vor allem eine Begründung der Methodologie, nämlich was die Methode leisten kann und was nicht und weshalb gerade in diesem Kontext die gewählte Methode als sinnvoll erscheint (vgl. dazu v. a. Rothfuß/Dörfler 2013 für die Humangeographie; sowie Kap. 6 für den methodologischen Begründungszusammenhang der vorliegenden Untersuchung).
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• Empirische Erkenntnis ist immer theoriegeleitet: Es kann erkenntnistheoretisch
gesehen keine ‚objektiven‘ Betrachtungen geben, sind diese doch immer eingebettet in die Werte- und Relevanzsysteme des Forschers selbst (vgl. Pohl 1996: 76ff; Crang 2003: 496ff). Auch die objektive Hermeneutik verneint diese Ausgangsposition nicht, sondern betrachtet sie schlicht als notwendigen Teil der Auswertungslogik, da dem Forscher die Wirklichkeit des Erforschten ohnehin nur auf der Basis des eigenen Regelsystems überhaupt zugänglich ist (vgl. Oevermann 1993: 107: „Warum Subjektivität?“; Oevermann 2002: 20/21). Ein subjektives Meinen ist außerhalb universell gültiger objektiver Bedeutungsstrukturen prinzipiell nicht möglich, d. h. jedes Handeln ist regelgeleitet und damit intentional (vgl. Oevermann 1993: 112ff; 2013: 70/71; sowie: Arnold 1983: 893ff). Die Frage nach dem Gütekriterium wissenschaftlicher Objektivität ist damit zugleich beantwortet: Der Forscher kann nur subjektiver wie objektiver Teil des Forschungsprozesses sein, da er sonst den Sinn des Gesagten nicht erschließen könnte (Oevermann 1993: 112f; 2002: 20/21; 2013: 70/71). Die objektive Hermeneutik trägt diesem fundamentalen Umstand Rechnung, indem sie das Kriterium der Objektivität in den Rang einer Methode erhebt (vgl. Oevermann 2001a: 5ff; Soeffner 2005: 165; Wernet 2009: 7-12), was zugleich auf die Begründungsverpflichtung von empirischer Erkenntnis im Sinne der Schritte a. und b. verweist.
3
Theoretisch-konzeptionelle Positionierung Objektive Hermeneutik und Deutungsmusteranalyse
3.1 ZUR VERORTUNG VON OBJEKTIVER HERMENEUTIK UND REKONSTRUKTIONSMETHODOLOGIE IM KONTEXT QUALITATIVER SOZIALFORSCHUNG Innerhalb der letzten Dekaden hat sich in der Soziologie, den Sozialwissenschaften und benachbarten Disziplinen ein breites Spektrum methodologischer Ansätze entwickelt, die allgemein unter dem Begriff der qualitativen Sozialforschung zusammengefasst werden1 (vgl. Oevermann 2013: 69; exemplarisch: Flick 2009; Gläser/Laudel 2004; Mayring 2003). Die unterschiedlichen Strömungen, erkenntnistheoretischen Positionen und entsprechende empirische Arbeiten (Kap. 2) sind teils sehr heterogen, so dass diese Gruppierung eher unspezifisch im Sinne einer „Residualbestimmung“ (Oevermann 2013: 69) erscheint (ebd.: 69). Gemeinsam ist dem Paradigma der qualitativen Sozialforschung, im Gegensatz zu gesetzeswissenschaftlich arbeitender Forschung, der Zugang des ‚Verstehens‘ sinnhaft verfasster Phänomene und Dynamiken der sozialen Welt (vgl. Pohl 1986: 173f; Wernet 2009: 11f; 2011: 1). Das zentrale Leitmotiv sind dabei die sich fortlaufend verändernden Sinnstrukturen des Alltags, in denen sich Wirklichkeit immer wieder neu über Prozesse der Interaktion herstellt (Meuser/Sackmann 1992: 13; Wernet 2009: 11f; 2011: 1/2). Es geht dem qualitativen Forschungsansatz darum, ein methodisch kontrolliertes Vorgehen nicht nur vor dem Hintergrund eines sinnstrukturierten Aus-
1
Oevermann selbst argumentiert strikt gegen den Begriff der qualitativen Sozialforschung, da es sich um eine irreführende Gegensatzbildung zur quantitativen Forschung handele, denn auch jede quantifizierende Datenerhebung komme nicht ohne qualitative Bestimmungen von Merkmalsdimensionen aus, innerhalb derer messend erhoben wird. Innerhalb der Gruppe von Methoden der Sozialwissenschaften unterscheidet Oevermann folgerichtig scharf zwischen Methoden der Datenerhebung und der Datenauswertung (Oevermann 2013: 69).
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schnitts zu praktizieren, sondern die Sinnbezüge selbst in den Vordergrund der Betrachtung zu rücken (Wernet 2011: 1; sowie: Oevermann 2002: 1-4). Die Konzeption sozialer Deutungsmuster als den erkenntnistheoretischen und methodologischen Bezugspunkt der vorliegenden Untersuchung kann dabei als eingebettet in das programmatisch umfassendere Projekt der objektiven Hermeneutik verstanden werden, deren Gegenstand die Rekonstruktion latenter Strukturgebilde und Motivlagen aus empirischem Material ist (vgl. Matthiesen 1994: 76f). Beide Positionen zeigen sich als ‚artverwandt‘, verweisen Deutungsmuster doch ebenfalls als komplexitätsreduzierende „Strukturverdichtungen“ (Matthiesen 1994: 80) auf objektive Handlungsprobleme und Orientierungsmuster in sozialen Zusammenhängen (vgl. Matthiesen 1994: 85; Plaß/Schetsche 2001: 518, 525)2. In der vorliegenden Untersuchung werden Deutungsmuster demnach als Teil des umfassenderen Theoriegebäudes der objektiven Hermeneutik verstanden, zeigen sie doch einen gemeinsamen Strukturkern, eingebettet in methodologische Grundannahmen und deren spezifische Verfahrensregeln (vgl. Plaß/Schetsche 2001: 530-532; Ullrich: 1999b: 2/3; Kap 6.). Der analytische Zugang zu Deutungsmustern liegt demnach zwangsläufig in der Rekonstruktion der Sinnverfasstheit der sozialen Welt (vgl. Oevermann 2013: 69), der sich die Sequenzanalyse widmet (Kap. 6). Da die Deutungsmusteranalyse keine per se generalisierbare Forschungsstrategie darstellt (so existieren zahlreiche Adaptionsversuche unterschiedlicher Art; vgl. Plaß/Schetsche 2001: 515), wird die Analyse in der vorliegenden Untersuchung im Sinne der Konzeptualisierung der objektiven Hermeneutik durchgeführt. Das breite Methodenspektrum qualitativer Sozialforschung, unabhängig von der jeweiligen erkenntnistheoretischen Positionierung (z. B. poststrukturalistische Diskursanalyse), sieht seine Aufgabe darin, typische soziale Strukturen, Phänomene und Entwicklungen und die hinter den Erscheinungen liegenden Dynamiken und Motive zu entschlüsseln (vgl.; Garz/Kraimer 1994: 9f; Oevermann 2002: 1; Wernet 2011: 1, 4), wobei der basale Ausgangspunkt jeder sozialwissenschaftlichen Untersuchung letztlich in der wechselseitigen Bezogenheit von Akteuren liegt (Garz/Kraimer 1994: 9f; Wernet 2011: 2f; für die Wirtschaftsgeographie: Bathelt/Glückler 2002; 2003). Menschliches Wahrnehmen und Handeln ist immer von Deutungen begleitet, und gesellschaftliche Handlungsprobleme erfordern stets die Auswahl von gesellschaftlich tradierten und objektiven Deutungsmöglichkeiten, die sich als latente Wissensbestände und Orientierungssysteme im Bewusstsein abgelagert haben (Soeffner 2004: 114ff). Alltagspraxis (vgl. Soeffner 2003; 2004) oder „Lebenspraxis“ (Oevermann 2002: 1) meint dabei die bedeutungserzeugenden
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Zum problematischen Passungs- und Spannungsverhältnis von objektiver Hermeneutik und Deutungsmusteranalyse vgl. Plaß/Schetsche 2001: 515, sowie: Matthiesen 1994: 70ff.
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typischen Regeln und Sinnstrukturen, die sich in den Subjekten als „objektiver Sinn“ (Oevermann 2002: 1) konstitutionslogisch manifestieren (vgl. Sutter 1994: 23f; Wernet 2009: 11f). Inhaltsanalytische Forschungsstrategien, wie sie gerade im Bereich der Wirtschafts- und Sozialgeographie in den letzten beiden Dekaden umfangreich angewandt wurden (exemplarisch: Mayring 2003), widmen sich diesen Regeln und Strukturen methodologisch gesehen zumeist auf einer genuin inhaltlichen Verstehensebene vor dem Hintergrund einer kategorisierenden und oftmals klassifizierenden Aussage des ‚Was‘ des Gesagten (Wernet 2011: 5; sowie: Bohnsack et al. 2013: 13; Oevermann 2002: 22; 2013: 70; siehe die vergleichende Tab. 6).3 Tabelle 6: Zur erkenntnistheoretischen und methodologischen Positionierung der vorliegenden Untersuchung: Verortung von objektiver Hermeneutik und Rekonstruktionsmethodologie in Bezug auf inhaltsanalytisch-kategorisierende und ethnographische Forschungsansätze
Das ethnographische Forschungsverständnis gründet hingegen in der Annahme, dass eine wirklichkeitsnahe Forschung nur dann möglich ist, wenn es dem Forscher gelingt, die Perspektive des/der Erforschten im Sinne eines Going Native einzu-
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Natürlich gibt es nicht ‚das‘ inhaltsanalytische Auswertungsverfahren und die Forschungsstrategie, sondern durchaus eine größere Bandbreite an Ansätzen, zu denen auch verstehende und explizierende Materialauswertungen zählen (vgl. Flick 2009). Aufgrund der oftmals hohen Fallzahlen wirtschaftsgeographischer Analysen bezieht sich der vorliegende Vergleich der Forschungsansätze explizit auf kategorisierende Inhaltsanalysen auf der Grundlage großer/größerer Fallzahlen, dabei zumeist unter Bezugnahme computergestützter Verfahren, bei denen große Textmengen inhaltlich kategorisiert werden.
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nehmen (Wernet 2011: 5; sowie: Oevermann 2002: 6f). Anders argumentiert die objektive Hermeneutik als Vertreter des rekonstruktiven Paradigmas: Das Erkenntnisinteresse rekonstruktiver Sozialwissenschaften liegt in der Reproduktion der „sinnstrukturellen Verfasstheit“ (Wernet 2011: 2), also der spezifischen Regeln, die einer interdependenten Handlungspraxis zugrunde liegen (Sutter 1994: 24f; Wernet 2009: 13). Während phänomenologische, ethnographische und wissenssoziologische Ansätze auf der lebensweltlichen Erkundung und dem ‚Sich-vertraut-machen‘ mit dem zu erforschenden Phänomen gründen (Going Native), basiert die objektiven Hermeneutik auf der strikten und regelgeleiteten Sinnverfasstheit von Handlungsprotokollen (Oevermann 1973; 2001a/b; Wernet 2011: 1/2; siehe Tab. 6). Durch „Strukturgeneralisierung“ (Garz/Raven 2015: 151) will die objektive Hermeneutik methodisch kontrollierte Aussagen über die Logik eines Wirklichkeitsausschnittes auf der Grundlage von Protokollen treffen (vgl. Oevermann 1973; Wernet 2009: 13f; 2011: 5). Ähnlich wie die dokumentarische Methode (vgl. Bohnsack et al. 2013) versucht die objektive Hermeneutik dabei die Dualität von Subjektivismus und Objektivismus zu überwinden und ist rekonstruktionslogisch am Erfahrungswissen der Subjekte selbst angesiedelt (Bohnsack et al. 2013: 12f; Oevermann 2013: 69f). 3.1.1 Objektive Hermeneutik und Deutungsmusteranalyse: Grundannahmen des Theoriegebäudes Als soziale Deutungsmuster können allgemein die zeitstabilen und objektiv gültigen Sichtweisen und Interpretationen von Mitgliedern einer sozialen Gruppe/eines sozialen Milieus verstanden werden, die diesen als regelhafte Handlungs- und Orientierungsrahmen in Interaktionen dienen (vgl. Plaß/Schetsche 2001: 514; Ullrich 1999b: 1/2). Als Form latenter lebensgeschichtlich entwickelter Wissensbestände liefern sie den Subjekten im Alltag typische Orientierungs- und Situationsdefinitionen und prägen damit auch deren alltägliche Handlungen (Arnold 1983: 894; Ullrich 1999b: 1; Wernet 2011: 2). Den Subjekten selbst sind Deutungsmuster als Produkt dauerhafter Interaktionen zwar prinzipiell, jedoch nur begrenzt reflexiv verfügbar, was ihren latenten Charakter impliziert (Meuser/Sackmann 1992: 19; Ullrich 1999b: 2/3; Wernet 2011: 3). Handlungsrelevanz erlangen Deutungsmuster vor allem durch ihre komplexitätsreduzierende Wirkung: Sie vereinfachen komplexe Zusammenhänge und ermöglichen dadurch überhaupt eine Reaktion auf Handlungsprobleme (Ullrich 1999b: 2; sowie: Garz/Raven 2015: 21f) und Verständigung zwischen Akteuren, jedoch „nie als ein vollständig geschlossenes und in sich widerspruchsfreies System von Interpretationen“ (Oevermann 1973: 24; Ullrich 1999b: 2; Wernet 2009: 7ff). Wissenssoziologisch ergibt sich die Relevanz sozialer Deutungsmuster aus der Einsicht, dass individuelle Handlungsbezüge immer von
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kollektiven Interpretationsangeboten abhängig sind (Ullrich 1999b: 2/3). Das primäre Interesse der Deutungsmusteranalyse (und objektiven Hermeneutik) gilt dementsprechend weder den subjektiven Handlungsorientierungen noch deren Zurückführung auf sozialstrukturelle Merkmale (ebd.: 2). Zentraler Forschungsgegenstand ist der sich in Deutungsmustern zeigende soziale Sinn und die Entstehungsbedingungen von sozialen Praktiken (Oevermann 1973; 2001a; 2013: 73f; Ullrich 1999b: 2/3). Deutungsmuster sind damit sowohl ein kollektives Phänomen als auch zum Teil manifestiert im subjektiven Bewusstsein (ebd.: 2/3). Sie bieten dem handelnden Akteur Interpretationen, situative Evaluationen und umfassen somit zugleich kognitive und normative Bezüge (Ullrich 1999b: 2). Deutungsmuster stellen immer eine Antwort auf „objektive Handlungsprobleme“ (Plaß/Schetsche 2001: 518) dar, weshalb die Struktur von Deutungsmustern nur dann erfasst werden kann, wenn die sozialen „Strukturprobleme“ (Oevermann 2001c) selbst Gegenstand der Analyse sind (vgl. Garz/Raven 2015: 21f; Meuser/Sackmann 1992: 15). Oevermann adaptiert dabei das aus der Sprechakttheorie bekannte Konzept regelgeleiteten Handelns, wonach Subjekte in Interaktionskontexten (und materialisiert in Texten) ein implizites Regelwissen (zumeist) unbewusst anwenden (vgl. Meuser/Sackmann 1992: 16; Oevermann 1973: 2ff). Die objektive Hermeneutik geht davon aus, dass sich die sinnstrukturierte Welt durch Sprache konstituiert, in Texten ausdrückt (vgl. Schlottmann 2007: 8ff; Searle 2001: 163ff; Wernet 2011: 2/3) und sich in Deutungsmustern diese „Strukturverdichtungen“ (Matthiesen 1994: 80) als stabile Muster aufzeigen lassen. Die soziale Wirklichkeit bildet sich erst durch Sprache und tritt durch Texte als regelgeleitete Gebilde in Erscheinung (vgl. Glasze/Pütz 2007: 1-4; Wernet 2009: 12f). Erst in protokollierten Texten findet man „exakte Daten“ (Wernet 2011: 2) über die sinnstrukturelle Verfasstheit von sozialen Praktiken (ebd.: 2) und typische Muster des ‚Deutens‘ in Krisensituationen (vgl. Garz/Raven 2015). Die objektive Hermeneutik zielt damit darauf ab, die Interpretation von Texten auf die immanenten Regeln der sprachfähigen Subjekte zu gründen (vgl. Oevermann 1993: 112/115; Wernet 2009: 13/14). Die regelgeleitete Produktion von Sinnstrukturen soll dabei als Fallstruktur einer typischen Lebenspraxis erfasst werden (vgl. Wernet 2009: 14/15). Die Selektivität einer typischen Deutungspraxis als Folge der durch Regeln eröffneten Handlungsspielräume vollzieht sich schrittweise als Abfolge selektiver und regelgeleiteter Auswahlmöglichkeiten (Lueger/Meyer 2007: 178/181; Wernet 2009: 15; sowie: Garz/Raven 2015: 26-30). Der Rekonstruktion der Ablaufstruktur einer sozialen Handlung widmet sich die Sequenzanalyse (Lueger/Meyer 2007: 178/181). Deren Logik besteht darin, den tatsächlichen Ablauf als eine Sequenz von Selektionen zu sehen (ebd.: 178/181; Wernet 2009: 16), die jeweils an der Sequenzstelle nach objektiven Regeln ausgewählt wurden und so eine typische Deutungs- und Handlungspraxis konstituieren (ebd.: 181f; vgl. Oevermann 1993: 112-115; 2002: 1-4; Wernet 2009: 15/16). Die methodologische Rekonstruktion dieser Strukturen er-
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folgt dabei in einem fortlaufenden Prozess: Sequenz für Sequenz werden Interviewabschnitte analysiert, so dass durch die Lesarten-Distinktion die dahinter liegenden sozialen Regeln und (Deutungs-)muster sichtbar werden (vgl. Oevermann 1993: 17; Wernet 2009: 16/17). Gegenüber inhaltsanalytischen Verfahren, die forschungsökonomisch oft „unreflektierte Verkürzungen hermeneutischer Verfahren darstellen“ (Soeffner 2004: 211; in der Humangeographie v. a. Mayring 2003), geht die objektive Hermeneutik über die einfache Benennung und Klassifizierung thematischer Inhalte hinaus, indem sie deren interaktionsanalytischen Sinn ( das ‚Wie‘ des Gesagten) zu rekonstruieren versucht (Soeffner 2004: 211; Wernet 2011: 5). 3.1.2 Die erkenntnistheoretische Grundperspektive: sprachpragmatisches Verstehen als methodologisches Grundprinzip Hermeneutische Sozialwissenschaft will explizit die „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 281) nicht als subjekt- und situationsfreien Zusammenhang verstehen, sondern die Einheit von Sprache und Handeln rekonstruieren (vgl. Oevermann 2001a; Pohl 1986: 171; 173f; vgl. dazu auch Mattissek 2007 für die Sozialgeographie). Erklären ist somit kein neutrales Abbilden von Zusammenhängen im Sinne einer deskriptiven Darstellung, sondern Verstehen lebensweltlicher Zusammenhänge auf der Basis des eigenen Regelsystems (vgl. Oeverman 1993: 115ff; Pohl 1986: 173/174)4. In dieser strukturalistischen Perspektive ist der Sozialforscher stets Teil des Forschungsprozesses und gleichermaßen Teil der Auswertung (vgl. Oevermann 2002: 20/21; Wernet 2011: 2f). Die objektive Hermeneutik erhebt somit den prinzipiell „zweifelhaften Akt“ (Soeffner 2005: 165) des Verstehens durch die Referenz auf ein objektiv gültiges Interaktionssystem mit Hilfe einer sprachbasierten Auswertungsmethodik in den Rang einer systematischen Auswertungsmethode (ebd.: 165f; Oevermann 1973; 2001a; 2013: 72f; Soeffner 2005: 165). Die eigentliche Aufgabe besteht demnach darin, das lebensweltliche Wissen (vgl. Pohl 1986: 173f; Oevermann 1996) der Subjekte zu untersuchen und dabei nicht unter Bezugnahme von ex ante bekanntem
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Popper (1972) geht gar einen Schritt weiter und verneint grundlegend die Möglichkeit objektiver Erkenntnis (vgl. Popper 1972). Die ‚Objektivität‘ der objektiven Hermeneutik darf dabei nicht mit wissenschaftlicher Objektivität im Sinne qualitativer ‚Gütekriterien‘ verwechselt werden (Wernet 2009; exemplarisch: Gläser/Laudel 2004; Steinke 2000): Die ‚Objektivität‘ der objektiven Hermeneutik bezieht sich konstitutionstheoretisch auf ein gemeinsam geteiltes Zeichen- und Sprachsystemen, auf dem sich der theoretische und methodologische Ansatz im Wesentlichen begründet (vgl. Oevermann 2002; Garz/Raven 2015; sowie das nachfolgende Kap.).
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Regel- und Vorwissen die zu untersuchenden Fälle einfach zu klassifizieren (= subsumptionslogisch; Bohnsack et al. 2013: 12; Oevermann 2013: 71; Wernet 2011: 5f). Insofern können die Interaktionsleistungen des Subjekts nicht mit Bezugnahme auf dessen subjektiv gemeinten Sinn erschlossen werden, sondern immer nur anhand der Rekonstruktion der dahinter liegenden Regeln (vgl. Lueger/Meyer 2007: 175; Oevermann 1993: 107/108; Ullrich 1999b: 2/3). Erkenntnistheoretisch markiert dies einen Wechsel in der Analyseebene (für die Wirtschaftsgeographie vgl. Kap. 4): Es geht nun nicht mehr um die Frage, was die gesellschaftliche Realität in der Perspektive der Akteure ist, sondern darum, wie diese in den Deutungs- und Handlungspraktiken selbst produziert wird (Bohnsack et al. 2013: 13; Oevermann 1993: 114f), was einen strukturalistischen Sinnbegriff impliziert (vgl. Oevermann 1993: 114). Die Frage nach dem ‚Wie‘ verbindet Oevermann mit einem genetischen Strukturalismus, also fortlaufend und problembezogen wandelbare Strukturen des handelnden Subjekts (vgl. Bohnsack et al. 2013; Oevermann 2013: 70ff; Garz/Raven 2015: 21f). Eingebunden in eine humangeographische Erkenntnisperspektive (ausführlich: Kap. 4) bedeutet dies, dass die ontologische Kategorie ‚Raum‘ nicht subjektfrei im Sinne einer rein chorologischen Wissenschaft gedacht werden kann (vgl. auch Rothfuß/Dörfler 2013), sondern stets durch die wechselseitige Interaktions- und Deutungsleistung zwischen Raum und dem deutenden und handelnden Akteur (vgl. Dörfler 2013a: 245f; Werlen 1992/2016; ausführlich: Kap. 4) verstanden werden muss (z. B. ist der ‚Raum‘ einer Shopping-Mall nicht zu ‚verstehen‘ ohne die gesellschaftlichen Deutungsakte, die diesen gewissermaßen produzieren und ihrerseits räumlich verortet sind (vgl. Dörfler 2013b: 53; sowie: Fuchs 2012: 74f; Kaspar 2013). Raum bildet dabei gleichermaßen die ontologische Grundlage von Deutungen (= Raum als Deutungsmuster; vgl. dazu Fuchs 2013: 31f) wie auch den Fixpunkt von Deutungen über den Raum(-ausschnitt), so etwa im Rahmen der geographischen Perzeptionsforschung (vgl. Felgentreff/Glade 2008). Das Verstehen der lebensweltlichen Strukturen und Dynamiken (vgl. Pohl 1986: 173) bildet innerhalb dieser Konstitutionstheorie nicht nur den epistemischen Sachverhalt des ‚in der Welt-seins‘ ab (vgl. Pohl 1986: 137f; 141/142), sondern erklärt es im Hinblick auf die Methodik einer sequenzanalytischen Rekonstruktion zum methodologischen Prinzip (vgl. Soeffner 2005: 165ff; sowie: Oevermann 1973: 4f; 2000: 58ff). 3.1.3 Metaphern und Deutungsmuster aus sprachpragmatischer Sichtweise Zum sprachbasierten Verstehen sozialer Wirklichkeit zählt innerhalb der vorliegenden Untersuchung auch die semantische Analyse von Metaphern (exemplarisch: Kap. 7), wobei angenommen wird, dass Metaphern (vgl. Schröder 2012: 29) eben-
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falls zentrale Elemente der Strukturierung des Deutens, Handelns und damit auch des Raumes beinhalten und nicht bloß rhetorische Erscheinungen sind (vgl. Fuchs 2011: 178f; Helmig 2008: 77; Lakoff/Johnson 2003). Gerade im Hinblick auf den Deutungsmusteransatz bietet sich die Metaphernanalyse als unterstützendes Verfahren an, da Metaphern ähnlich wie Deutungsmuster semantisch konstruierte und rekonstruierbare Bestimmungen sozialer Wirklichkeit darstellen und ebenfalls Bestandteil sprachlich-kommunikativer Sinnproduktion sind (Kruse et al. 2011: 9; sowie: Junge 2010). Metaphern und Deutungsmuster können als sinnstrukturiertes Symbol- und Zeichensystem verstanden werden, die ihrerseits repräsentative Wirklichkeitsbezüge aufweisen (Kruse et al. 2011: 7; sowie: Fuchs 2011). Sprache ist dabei bereits metaphorisch: Sinnkonstruktionen und Repräsentationen von Wirklichkeit (vgl. Meuser 2013: 224) vollziehen sich in Metaphern (Kruse et al. 2011: 7). Nach dieser konzeptuellen Auffassung sind auch in Texten materialisierte Kognitionsprozesse sprachlich-metaphorisch organisiert und regeln so den Organisations- und Operationsmodus von Kognition (Lakoff/Johnson 2003: 454). Auch dabei eröffnet sich Sinnverstehen durch basale Denklogiken, die über eine textbasierte Auswertungslogik zugänglich werden (vgl. Kruse et al. 2011: 7f; exemplarisch: Schulz-Nieswandt 2015: 63f; 2016; 2017: 78f; im Kontext von Unternehmenskommunikation vgl. Sucharowski 2010). Metaphern stellen, in Analogie zu den Prämissen der sprachbasierten Sequenzanalyse, bereits eine typische Deutungs- und Sprachauswahl dar, die in ihrer selektiven Auswahl eine typische Deutungspraxis manifestieren und somit auch konstitutiv für Handlungspraktiken sind (vgl. Helmig 2008: 78; Ullrich 1999b: 2/3; sowie die Auswertungsbeispiele in Kap. 7). Als Strukturgebilde verweisen Metaphern überdies auf einen gemeinsam geteilten Wissensbestand und Bildungshintergrund. Wer wann und warum Metaphern benutzt, ist dabei immer nur kontextbezogen zu verstehen (Fuchs 2011: 178). Eingebettet in die hier angewandte Forschungsperspektive steht folgerichtig das Verstehen des ‚hinter‘ den Metaphern stehenden kollektiven und objektiven Denkens im Sinne einer gemeinsamen Tiefengrammatik im Zentrum der Rekonstruktion, also was die Metaphern „wirklich meinen“ (Helmig 2008: 89; für eine präzise Unterscheidung der unterschiedlichen Metaphernkonzeptionen vgl. Lakoff/Johnson 2003). Metaphern haben also auch im Hinblick auf den Deutungsmusteransatz wissensrepräsentierende und repräsentative Funktionen (vgl. Helmig 2008: 89f; Fuchs 2011; Oevermann 1993: 113f) im Sinne einer sequenziellen Neubestimmung kommunikativer Wirklichkeit (vgl. Fuchs 2011: 179; ‚Welterzeugung‘). Als Gebilde geben sie sprachpragmatisch analysiert Aufschluss über soziale Zusammenhänge und Deutungen der „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 281; ausführlicher: Junge 2010; 2011 Kruse et al. 2011). Metaphern und Deutungsmuster stehen stets repräsentativ für die selektive Produktion von Wirklichkeit sowie für einen gemeinsam geteilten Bestand an Werten, Normen, Symbolen und Interpretationen (Fuchs
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2011: 179) von Mitgliedern eines Wirklichkeitsausschnittes. Ähnlich wie Deutungsmuster stellen auch Metaphern intersubjektiv gültige Komplexitätsreduktionen dar (vgl. Plaß/Schetsche 2001: 525), indem sie einen kommunikativen Rahmen implizieren (Schmitt 2017: 11f; vgl. Searle 2001). Innerhalb der Wirtschaftsgeographie untersucht Fuchs (2011) die Wirtschaftskrise von 2008/2009 aus metapherntheoretischer Sicht und gelangt zu dem Ergebnis, dass es im Kontext der Krise, die als ‚unausweichlich‘ gedeutet wird, zu durchaus divergenten und regional unterschiedlich gedeuteten Semantiken kommt (hier: Welle versus Spiel; Fuchs 2011: 187f). Metaphern erscheinen also in ihrem jeweiligen Gebrauch (= Akteur/Milieu) ebenfalls als räumlich verortet, aber als Handlungsdispositionen gleichermaßen auch symbolisch raumproduzierend (Kap. 4 u. 7), was auf die Leistungsfähigkeit der Metaphernanalyse in ihren unterschiedlichen Konzeptualisierungen in räumlicher Perspektive verweist (vgl. Fuchs 2011: 185). Die Metaphernanalyse stellt dabei methodologisch gesehen keine per se generalisierbare Strategie dar, sondern vor allem eine fallsensible Vorgehensweise, die jeweils an die Möglichkeiten und Grenzen angepasst werden muss, die der Untersuchungsfall zur Verfügung stellt (Schmitt 2003: 3; 2017: 455ff).
3.2 ZUR KONSTITUTIONSTHEORETISCHEN BEGRÜNDUNG DER OBJEKTIVEN HERMENEUTIK ALS ERFAHRUNGSWISSENSCHAFT VON DER SINNSTRUKTURIERTEN WELT 3.2.1 Der Text als Wirklichkeit: ein Annäherungsversuch Zentrales Anliegen der objektiven Hermeneutik ist es, die verkürzenden Modi des Sinnverstehens zu überwinden zugunsten einer systematischen Methodologie der Rekonstruktion von Protokollen der sinnstrukturierten Welt (Oevermann 1993: 130f; 2002: 1-3). Die Fokussierung auf den Text als Handlungsprotokoll markiert dabei methodologisch die Abkehr von einer geisteswissenschaftlichen Nachvollzugs-Hermeneutik hin zu einem streng analytischen (vgl. Oevermann 1993: 113ff) Nachweis regelerzeugter Sinnstrukturen (Lueger/Meyer 2007: 176; Oevermann 1993: 113, 130f; Wernet 2011: 2-4). „Die Welt als Text“ (Garz/Kraimer 1994: 7) ist der zentrale analytische Gegenstand des objektiv-hermeneutischen Theoriegebäudes (vgl. Oevermann 2002; 2013; Garz/Kraimer 1994; Wernet 2011: 2).5 Strukturen im
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Unter diesen methodologisch erweiterten Textbegriff fallen innerhalb der Methodologie der objektiven Hermeneutik nicht nur schriftsprachliche Texte, sondern alle Ausdrucks-
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Text repräsentieren in diesem Verständnis eine eigene Realität: Hinter den objektivlatenten Sinnstrukturen stehen nicht nur die Konstitutionsleistungen der handelnden Subjekte, sondern syntaktische Regeln, die dem Text eine spezifische Handlungsstruktur geben (Lueger/Meyer 2007: 177; Oevermann 1993: 116; Wernet 2009: 13/14). ‚Sprechen‘ lässt sich demnach erst, wenn die Interaktionsteilnehmer der Verwendung dieser Sprech- und Bedeutungsakte fähig sind (vgl. Oevermann 2013: 71/72. Wenn der Text als Handlungsprotokoll anzusehen ist, so äußert sich darin die eine typische soziale Praxis (vgl. Lueger/Meyer 2007: 177; Wernet 2009: 13/14; 2011: 2). Zunächst erscheint dieser methodologische Fokus auf das Handlungsprotokoll als künstlich, da es nie um unmittelbare Lebenseindrücke geht, sondern immer nur um ‚kalte‘ Protokolle, also auf die Fragen des Forschers bezogene Reproduktionen sozialer Wirklichkeit (Wernet 2011: 2). Sinn- und Bedeutungsstrukturen sind dabei grundsätzlich abstrakt. Sie sind als solche nicht wahrnehmbar, sind aber einer Untersuchung in Form von Ausdrucksgestalten zugänglich (ebd.: 2/3; Oevermann 2002: 4/5). Epistemologisch gesehen ist dem Forscher also nicht die Bedeutung oder der Sinn selbst zugänglich, sondern nur deren physischer Ausdruck (= Interviews; Oevermann 2002: 3f; Wernet 2011: 3f). Diese Perspektive impliziert, dass alles Metaphysische zwangsläufig außerhalb der Reichweite der Erfahrungswissenschaften liegen muss (Oevermann 2002: 3). Insofern folgt die objektive Hermeneutik einem methodologischen Realismus, indem sie als empirisch nur das ansieht, was sich „durch Methoden der Geltungsüberprüfung in der Gegenständlichkeit erfahrbarer Welt nachweisen lässt“ (Oevermann 2002: 3; vgl. dazu auch Oevermann 2013: 70ff). Texte werden in Interaktionen produziert und bilden dabei sequenziell nachvollziehbare Handlungsreihen ab (Oevermann 1993: 114/115; Wernet 2009: 13/14). Aufgezeichnete Texte, deren Aktions- und Reaktionsgefüge irreversibel ist, sind im Sinne Oevermanns als Interaktionsprotokolle zu verstehen (Soeffner 2004: 79; sowie: Oevermann 1993: 113). Die objektive Hermeneutik betrachtet diese Protokolle als ‚Spuren‘ der „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 281), die epistemologisch die „einzig greifbare Datenebene“ (Oevermann 1993: 113) sind, aufgrund derer überhaupt Aussagen über Handlungen und Bedeutungszusammenhänge als möglich erscheinen. In ihnen drückt sich eine je konkrete ‚Lebenspraxis‘ aus (vgl. Oevermann 1993: 113f; Pohl 1986: 173f). Dabei muss klar sein, dass die dem Protokolltext zugrunde liegende Handlung unwiederbringlich vorüber ist, also das Handlungsprotokoll eine dauerhafte Lebensäußerung darstellt (Oevermann 1993: 121ff; 2002: 4; Soeffner 2004: 81f). In dieser Betrachtung von Protokollen als irreversible Strukturen ist auch die Annahme enthalten, dass Sequenzen immer auf einen über-
gestalten menschlicher Praxis bis hin zu Landschaften, Erinnerungen und ‚Dingen‘ der materiellen Alltagskultur (Oevermann 2002: 3).
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geordneten Handlungszusammenhang verweisen, innerhalb dessen die Einzeläußerungen grundsätzlich eine übergeordnete „Strukturlogik“ (Dörfler 2013a: 253) aufzeigen (Soeffner 2004: 81f; sowie: Oevermann 1993: 113f). Der Text als Erscheinung ist somit für die objektive Hermeneutik als latente Sinnstruktur der „Zeitlichkeit und Räumlichkeit von Praxis enthoben“ (Oevermann 2002: 4; 2013: 74). Der protokollierte Text (z. B. ein Interview) ist somit raum-zeitlich gebunden, jedoch sind die dem Protokoll immanenten Sinnstrukturen lebensweltlicher Praxis zeitlos in dem Sinne, dass sie auch dann nicht verschwunden sind, wenn sie nicht von einem Subjekt zu einer bestimmten Zeit realisiert werden (Oevermann 2002: 4f). 3.2.2 Zum Verhältnis von latenten und manifesten Sinnstrukturen Zentraler Gegenstand und gleichzeitig „Gründungsinitial“6 (Wernet 2011: 2) der objektiven Hermeneutik als systematische Methode der Textrekonstruktion sind latente Sinnstrukturen (u. a. Oevermann 2002: 1/2 Wernet 2011: 2). Die Unterscheidung zwischen latenten und manifesten Sinngehalten basiert auf der Annahme, dass in der Struktur der sinnkonstituierten Welt sowohl Sinnbezüge zur Verfügung stehen, die den Handelnden als explizite Sinnentwürfe bereitstehen, als auch Sinndimensionen, die den handelnden Subjekten verborgen bleiben (Wernet 2009: 13f; Wernet 2011: 3). Erst die Rekonstruktion der Verfasstheit einer Lebenspraxis als Zusammenspiel latenter und manifester Sinnbezüge wird dem Forschungsgegenstand gerecht (Wernet 2011: 3f). Die objektive Hermeneutik betrachtet dementsprechend beides und geht damit weit über das hinaus, was inhaltsanalytischklassifizierende Verfahren zu leisten im Stande sind (vgl. Wernet 2009: 5; Oevermann 2013: 70). Das Zusammenspiel von latenten und manifesten Sinngehalten erzeugt dabei nicht einfach eine Wirklichkeit, die sich additiv zusammensetzt, sondern sie sind vielmehr aufeinander bezogen und befinden sich in einem durchaus spannungsreichen Wechselspiel zueinander (Wernet 2011: 3; ausführlich: Oevermann 2002: 25). So kann es sein, dass im manifesten Bereich Verhaltenseffekte in der Interviewsituation die Argumentation dominieren (vgl. hierzu v. a. Crang 2003) und erst
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Interessant ist der Entstehungskontext der Methode: Bei der Erforschung familiärer Interaktion zeigte sich für die Forschergruppe um Ulrich Oevermann ein Problem der Datenerhebung. Sobald der Forscher Teil der familiären Interaktion wird, errichtet die Familie eine ‚Fassade‘ und verwehrt den Forschern so den Blick ‚hinter die Bühne‘. In der detaillierten Analyse der familiären Interaktionsprotokolle zeigte sich dann, dass im ‚Bühnenspiel‘ zwischen den Zeilen rekonstruiert werden konnte, was im direkten Face-to-FaceKontakt zu verbergen versucht werden sollte (Wernet 2011: 2).
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der hermeneutische Blick hinter die „Fassade“ (Wernet 2011: 2) die Struktur und Dynamik der sozialen Interaktions- und Deutungspraxis adäquat zu rekonstruieren vermag (vgl. Reichertz 1986; Oevermann 2001b; exemplarisch: Fuchs/Schalljo 2016; 2017a).7 Gerade ‚problematische‘ Themenbereiche sind vor dem Hintergrund dieser methodologischen Grundbestimmung in besonderer Weise interessant, geht es doch im empirischen Teil der Untersuchung um die Deutung ausländischer Investoren bei Unternehmensübernahmen. Hier ist anzunehmen, dass politisch motiviertes und normatives Interaktionsverhalten seitens des Interviewten die tatsächliche Strukturlogik von Übernahmedeutungen eher verbergen (= das Unternehmen ‚gut dastehen lassen‘; vgl. dazu auch Crang 2003). Der Blick auf die latenten Motive, Einstellungen und Deutungsmuster ist dabei jedoch für eine Rekonstruktion der „Strukturlogiken“ (Dörfler 2013a: 253) von Unternehmensübernahmen und situativen Handlungslogiken von Führungskräften von zentraler Bedeutung (vgl. auch Fuchs/Schalljo 2016). Gerade die problematische Strukturrolle des Managers im Unternehmen, bei der Eigen- und Fremdmotive durchaus nicht immer in Einklang stehen, ist dabei oftmals von ambivalenten Grundmustern geprägt (vgl. Fuchs/Schalljo 2017a). 3.2.3 Objektivität und Subjektivität in der objektiven Hermeneutik Das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität ist nicht nur für die objektive Hermeneutik zentral (vgl. Oevermann 2002: 5-6), sondern ist darüber hinaus auch einer der zentralen Aspekte der Geltungsbegründung qualitativer Sozialforschung im Allgemeinen (vgl. hierzu: Crang 2003; Flick 2009). Methodologischer Kern der objektiven Hermeneutik bildet die Annahme, dass nur objektiver Sinn als analytische Kategorie überhaupt Gegenstand einer Rekonstruktion sein kann (vgl. Oevermann 1993: 113; 2013: 72). ‚Meinen‘ kann ein Subjekt nur subjektiv als erfahrungsbezogene Aneignung, nicht objektiv. ‚Sagen‘ kann ein Subjekt hingegen jedoch nur objektiv, nicht subjektiv (Oevermann 2013: 72; 2002: 2). Würde ein kommunizierendes Subjekt außerhalb objektiv gültiger Argumentation ‚agieren‘, würde das Geäußerte schlicht keinen ‚Sinn‘ ergeben (ebd.: 72). Dies bedeutet, dass subjektives ‚Meinen‘ immer eingebunden sein muss in objektives ‚Sagen‘, damit es für den Anderen überhaupt verstehbar ist (Oevermann 2013: 72; 2002: 6-7). Es kann daher einen subjektiv gemeinten ‚Sinn‘ nur in einer verobjektivierten Struktur überhaupt geben, um diesen verständlich zu machen (Oevermann 2013: 72f; 2002: 6). Aus dieser Differenz zwischen ‚Meinen‘ und ‚Sagen‘ ergibt sich, dass, wenn Phänomene der Subjektivität untersucht werden sollen und über die Praxis des blo-
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Im empirischen Teil dieser Untersuchung wird dieser Umstand am Material weiter ausgeführt und kontrastierend verdichtet (Kap. 7).
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ßen Meinens hinausgegangen werden soll, die Objektivität des Sagens, worin das Meinen zur Geltung kommt, im Zentrum der Analyse stehen muss (Oevermann 2013: 72f; 2002: 6-7; vgl. dazu auch Wernet 2011: 2-4). Welche Daten auch immer sozialwissenschaftlich untersucht werden, es handelt sich immer um Produkte, denen eine „objektive Sinn- oder Bedeutungsstruktur zukommt“ (Oevermann 2013: 73), die unter methodisch kontrollierten Bedingungen überprüfbar und rekonstruierbar sind (ebd.: 73). Erst diese Regeln der objektiven Bedeutungserzeugung sind dem Forscher über das Medium Sprache überhaupt zugänglich (Oevermann 1993: 113f; 2002: 1-5). Somit wird auch klar, dass das Protokoll erkenntnistheoretisch betrachtet immer die Grenze dessen darstellt, was dem Sozialforscher methodologisch überhaupt zugänglich ist (Oevermann 2002: 3). Die tatsächliche Welt der Subjektivität (z. B. Emotionen, Affekte, Motive, Vorstellungen) ist damit dem direkten methodischen Zugriff entzogen, mittelbar aber greifbar über die objektivierten Spuren in der „Erscheinungswelt“ (Oevermann 1993: 113f; 2001c: 281). Mit dieser strukturalistischen Konzeption wendet sich die objektive Hermeneutik explizit gegen eine tiefenhermeneutische Sichtweise und ein ‚sichEinfühlen‘ in subjektive Dispositionen (Wernet 2011: 4/5). Erst die streng wissenschaftliche Rekonstruktion von latenten Sinnstrukturen aus Handlungsprotokollen gewährleistet gültige Ergebnisse (ebd.: 4/5; Oevermann 1993: 131ff). Die objektive Hermeneutik trägt diesem Aspekt der Involviertheit des Forschers am ehesten Rechnung, indem sie den Forscher als Teil eines objektiven Ausdruckssystems begreift und damit systematisch und überprüfbar in den Forschungsprozess miteinbezieht (Wernet 2011: 5/6; Oevermann 2013: 72/73; exemplarisch: Oevermann 2001c; für die Humangeographie vgl. Kaspar 2013).
3.3 DEUTUNGSMUSTER, HANDLUNG UND SOZIALE PRAXIS IN DYNAMISCHER PERSPEKTIVE Handlungsmuster, also „im Prinzip gleichbleibende zeichenhaft repräsentierte Reaktionen innerhalb von Interaktionsprozessen“ (Soeffner 2004: 23), bringen einen bestehenden Wissensbestand zum Ausdruck, der in den jeweiligen Mustern dokumentiert ist (Oevermann 2013: 73/74; Plaß/Schetsche 1991: 518/519; vgl. dazu auch Fuchs 2014: 44ff). Handlungsmuster repräsentieren also Deutungsmuster, und Deutungsmuster produzieren ihrerseits Handlungsmuster (vgl. Overmann 1973; Soeffner 2004: 24f). Diese ‚Lebenstheorien‘ bilden Organisationsformen des Alltagswissens und verweisen auf typische Muster des Handelns in konkreten Zusammenhängen (Soeffner 2004: 24; ausführlich: Oevermann 1993: 113-117). Die Summe aller typischen Handlungen, definiert als problembezogene Interaktionsmuster in Situationen, konstituiert eine soziale Praxis auf der Basis von alltäglicher Routini-
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sierung (z. B. Tacit Knowledge; Meuser/Sackmann 1992: 16; Plaß/Schetsche 2001: 523; Soeffner 2004: 23ff). Deutungsmuster weisen immer auf bereits bestehende Handlungsprobleme hin bzw. manifestieren sich als auf das konkrete Problem bezogene Deutungen, die sich dann verselbstständigen und latent als „problembearbeitende[n] kulturelle[n] Deutungsmuster[n]“ fort existieren (Matthiesen 1994: 97; Plaß/Schetsche 1991: 518f). Gleichermaßen verweisen objektive Handlungszwänge selbst auf Problemlösungsroutinen (= Deutungsmuster) im Raum hin (vgl. Meuser/Sackmann 1992: 15f). Dabei zeigen alltägliche Deutungsmuster ein Beharrungsvermögen und eine Resistenz gegenüber alternativen Deutungsangeboten auf (Soeffner 2004: 25; sowie: Oevermann 1973). Erst wenn ein Deutungsmuster keine sinnvolle Handlungsoption darstellt, gerät es in die ‚Krise‘ und verändert sich entsprechend des tatsächlichen Problems (ausführlich: Garz/Raven 2015: 30f). (Räumliche) Handlungen können demzufolge nie Eigenständigkeit beanspruchen. Sie sind immer schon eingebunden in die Sequenzialität einer Praxis und in die Dynamik von deren Reproduktion (Garz/Kraimer 1994: 10; Oevermann 1993: 114ff; Abb. 5). Dynamik entsteht dementsprechend durch das Verhältnis von Deutungsmustern und Handlungen und zwischen objektivem Handlungsproblem und subjektspezifischer Problemlösungsschematisierung (= Deutungsmuster; vgl. Garz/Raven 2015: 55f; Matthiesen 1994: 75ff; Oevermann 2001b; Abb. 5). Deutungsmuster sind gleichermaßen als potenzielle Handlungsdispositionen im Raum zu verstehen (Fuchs 2012: 67). Als latente Sinngebilde konstituieren sie nicht nur eine Struktur sozialen Sinns, sondern initiieren immer auch eine soziale und typische räumliche Praxis (Abb. 5). Damit wird angenommen, dass Deutungsmuster tendenziell zu entsprechend verbreiteten Handlungsmustern führen, aber nicht immer und in jedem Fall (ebd.: 67f). Deutungsmuster initiieren eine typische räumliche Handlungspraxis in Abhängigkeit zu einem realweltlichen Handlungsproblem (vgl. Garz/Raven 2015: 25f; Ullrich 1999b: 2/3). Deutungen und Handlungen sind demnach nie unabhängig voneinander zu betrachten, sondern verweisen stets aufeinander. Raum wird dabei selbst gedeutet und ist gleichermaßen ein Deutungsmuster (vgl. Fuchs 2012: 72ff; Fuchs 2013: 35f; ausführlicher: Kap. 4). Soziale Praktiken im Raum können somit mittelbar über Deutungsmuster als initiierendes Momentum rekonstruiert werden. Gleichzeitig verändern sich Deutungsmuster in Abhängigkeit von Handlungsproblemen, was eine dynamische Perspektive impliziert (Situation A – Situation B in Abb. 5).
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Abbildung 5: Deutungsmuster, Handlung und soziale Praxis als dynamischer und interdependenter Prozess zwischen latenten Deutungsmustern und manifesten Praktiken in räumlicher Erkenntnisperspektive
Im Hinblick auf die Zeitstabilität sozialer Deutungsmuster konzeptualisiert Oevermann seinen Deutungsmusteransatz als langfristig (vgl. Oevermann 1973: 15f; 2001b: 38-40; Ullrich 1999b: 1/2). Zwar wird eine prinzipielle Veränderbarkeit von Deutungsmustern im Sinne einer dynamischen Perspektive in der vorliegenden Untersuchung durchaus angenommen (Abb. 5), dennoch verhalten sich Deutungsmuster langfristig stabil und konkretisieren und verändern sich vielmehr graduell in Abhängigkeit zu den Handlungsanforderungen der „Erscheinungswelt“ (vgl. Garz/Raven 2015: 26f; Oevermann 1973; 2001a; 2001c: 281). Empiriebezogen ist demnach davon auszugehen, dass der Bestand an gesellschaftlichen und/oder milieuspezifischen Deutungsmustern zwar durch die krisenhafte Erfahrung der Unternehmensübernahme aktiviert und mobilisiert wird (vgl. Fuchs/Schalljo 2016), diese aber im Prozess der Übernahme stabil bleiben und sich, wenn überhaupt, graduell verändern (Kap. 7). In dieser langfristigen Perspektive von Deutungsmustern liegt zweifelsohne auch eine gewisse methodologische Kritik: Gerade im Kontext wirtschaftsgeographischer Fragestellungen geht es oftmals um dynamische Prozesse und Entwicklungen (z. B. lernende Regionen), so dass der Deutungsmusteransatz möglicherweise weiter dynamisiert werden muss, um ihn in eine wirtschaftsgeographische Erkenntnisperspektive einzubetten (zur Kritik vgl. Kap. 9; sowie: Fuchs 2012: 79f).
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3.3.1 Deutungsspezifische Erzeugungs- und Auswahlparameter als Grundlage für Handlungskompetenz und Verortung des Forschungsprojekts Die Aneignung von Handlungskompetenz als Grundlage einer typischen Handlungspraxis im Raum vollzieht sich allgemein im fortlaufenden Zusammenspiel der so genannten Erzeugungs- und Auswahlregeln (Garz/Raven 2015: 55f), was gleichermaßen Oevermanns genetischen Strukturalismus begründet, nämlich die fortlaufende Transformation von Deutungen und Sinnstrukturen (ebd.: 55f; sowie: Oevermann 2002: 1-4). Dem handelnden Subjekt stehen dabei konstitutionstheoretisch bedeutungserzeugende Regeln zur Verfügung, aus deren Spielraum eine Auswahl getroffen werden muss (Garz/Raven 2015: 55f; Oevermann 1993: 113/114ff). Mit dem Begriff der konstitutiven Regel bezieht sich Oevermann vor allem auf die Sprechakttheorie Austins (1962/1972) und Searles (1969/1971; 1979/1982), die in ihrer Sprachphilosophie regulative und konstitutive Regeln unterscheidet. Erstere regeln eine bereits existierende Tätigkeit; konstitutive Regeln hingegen erzeugen eine Tätigkeit, deren Existenz von diesen Regeln logisch abhängt (vgl. Garz/Raven 2015: 51; Oevermann 1993: 113ff). Das fortlaufende Zusammenspiel dieser kulturspezifischen (Kap. 5) Deutungs- und Wissensbestände eines Subjekts definiert dessen Handlungskompetenz (Garz/Raven 2015: 56; vgl. auch Ullrich 1999b: 2/3). Der Erzeugungsparameter (Ebene I und II) umfasst dabei sowohl alle gültigen Regelstrukturen des Subjekts (= sprachliche, moralische und kognitive Strukturen) als auch alle in einem kulturellen Raum geltenden Normen und Wertemuster (Abb. 6: Strukturebene III; Garz/Raven 2015: 56/57). Der Auswahlparameter bestimmt somit die Auswahl der aus den Erzeugungsparametern eröffneten Möglichkeiten, wobei das Subjekt einerseits auf angeeignete Werte und Normen zurückgreift, als auch auf epochale Deutungsmuster (vgl. Oevermann 1973; 2001a), welche die Verdichtung einer Handlungsoption strukturieren (Garz/Raven 2015: 57; sowie: Matthiesen 1994: 80; Oevermann 1973: 42). Bevor also Strukturen rekonstruiert werden können, muss auch die Struktur des in einer bestimmten Weise sozialisierten Akteurs Teil der Analyse sein (Oevermann 1979: 149; 1981: 26; 1979: 160). Gegenstand der Rekonstruktion der Deutungsmuster innerhalb der vorliegenden Arbeit sind demnach die Ebenen II und III (Abb. 6), da es sich hierbei um die konkreten Mechanismen der Ausstattung eines jeweiligen Handlungskontextes sowie dessen spezifische Ausdeutung im M&A-Kontext handelt (vgl. Garz/Raven 2015: 57; Abb. 6). Weder die Ebene der Sozialität als Grundform, noch die spezifische ‚psychische‘, also personenbezogene Deutung eines Sachverhalts (ebd.: 57f; vgl. Oevermann 1993: 112f) erscheinen in dieser Konzeptualisierung als forschungsrelevant, geht es in dieser Arbeit doch um die milieuspezifische Ausdeu-
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tung (vgl. Dörfler 2013a) von Unternehmensübernahmen im deutschen Management im Allgemeinen (Kap. 7). Abbildung 6: Erzeugungs- und Auswahlparameter als Grundlage für Handlungskompetenz und Verortung des Forschungsprojekts in die Konstitutionstheorie Oevermanns
Quelle: eigene Darstellung, verändert u. ergänzt nach Garz/Raven 2015: 56.
3.3.2 Stabilität und räumliche Reichweite von Deutungsmustern Die individuelle Aneignung von Deutungsmustern erfolgt sowohl in Sozialisationsprozessen (vgl. Oevermann 1973; 2001a) als auch fortwährend in laufenden Handlungsbezügen (Garz/Raven 2015: 56/57; Kassner 2003: 42). Im Verlaufe der Lebensgeschichte werden Deutungsmuster angewandt und in Abhängigkeit zu den Anforderungen der „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 281) aktualisiert und problembezogen angepasst (Garz/Raven 2015: 30ff; Oevermann 2001a/b; Sachweh 2010). Uneinigkeit besteht in der Literatur hingegen, welche Reichweite Deutungsmuster aufweisen, also in welcher sozialen Dimension Deutungsmuster wirken und wie genau sie ausgeprägt sind (zur Kritik vgl. Kap. 9). Während der Milieubezug von Deutungsmustern in der Literatur durchaus umstritten ist (vgl. von Alemann 2015: 16f; Plaß/Schetsche 2001; Ullrich 1999) und überwiegend von gesellschaftsweiten Problemmustern, vermittelt durch öffentliche Diskurse und massenmediale Verbreitung, ausgegangen wird, geht Oevermann von einer Gebundenheit von Deutungsmustern an soziale Milieus aus (Oevermann 2001b: 38-40; von Alemann 2015: 106). Ein Deutungsmuster entwickelt sich entsprechend der Problemlagen und den Anforderungen eines Milieus und ist methodologisch nur mit dem Konnex zu den „Strukturproblemen“ (Oevermann 2001c; vgl. Garz/Raven
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2015: 31ff; Matthiesen 1994: 80) einer sozialen Gruppe zu rekonstruieren (hier: Übernahmedeutungen von Managern). Sachweh (2010) argumentiert, dass Subjekte eben zu jenen Werte- und Orientierungsmustern tendieren, „die ihnen eine sinnvolle Interpretation der gesellschaftlichen Realität sowie ihrer eigenen Lage ermöglichen“ (Sachweh 2010: 104). Dabei führen Ähnlichkeiten in der milieuspezifischen Position zu ähnlichen Einstellungen und Verhaltensweisen, die als grundlegende Handlungsnormen und Wertevorstellungen die Wahrnehmungen der Subjekte leiten (vgl. von Alemann 2015: 106; Sachweh 2010: 104). Es ist darüber hinaus davon auszugehen, dass die überindividuellen Deutungen der Subjekte von kollektiven Akteuren geprägt, zumindest aber beeinflusst werden (Sachweh 2010: 104f). Deutungsmuster sind demzufolge als soziale Deutungsmöglichkeiten sehr wohl gesellschaftlich eingebunden, konkretisieren sich aber milieuspezifisch im Kontext der Problemstellungen einer sozialen Lage (Oevermann 2001c: 541; vgl. auch: Garz/Raven 2015: 40f; Sachweh 2010: 104; sowie: Plaß/Schetsche 2001). Es gibt somit einen sozial geteilten Bestand an Deutungsmustern großer Reichweite, deren konkrete Ausformung jedoch milieuspezifisch ist und je nach ‚Anwender‘ an die jeweiligen Handlungsanforderungen des Milieus angepasst wird (Plaß/Schetsche 2001; Sachweh 2010: 283; sowie: Oevermann 2001b: 38-40; von Alemann 2015: 106). Diese Konkretisierung von Deutungsmustern führt zu einer milieuspezifischen Standardisierung von Handlungsmustern und definiert somit eine strukturierte und verortete Lebenspraxis (vgl. Garz/Raven 2015: 40; Pohl 1986: 173). Eine spezifische Gruppe, hier die der Führungskräfte deutscher Unternehmen, bildet demnach Konkretisierungen von Deutungsmustern heraus, die in ihren „Strukturlogiken“ (Dörfler 2013a: 253) als ‚typisch‘ für sie angesehen werden können (vgl. von Alemann 2015: 107f; Kap. 5). Umgekehrt können auch die Deutungsmuster eines sozialen Milieus je nach deren Machtposition, z. B. der Einfluss eines Großunternehmens, in den sozialen Raum diffundieren (vgl. Fuchs 2012: 75, 79), sofern sich deren Problemlösungskompetenz ausreichend bewährt hat oder deren Routinen zum Standard einer Handlungspraxis geworden sind (vgl. dazu Oevermann 1973: 12; sowie: Fuchs/Schalljo 2016).8 Die Rekonstruktion der inneren Logik eines Deutungsmusters gelingt also immer nur mit Kenntnis „des objektiven Kontextes der handlungsrelevanten Anwendungen von sozialen Deutungen“ (Oevermann 1973: 15; sowie: Ullrich 1999b: 3). Die Kontextbedingungen definieren somit die Anforderungen und Ausformungen von Deutungsmustern und sind somit gleichermaßen forschungsrelevant (vgl. Wernet 2009: 21f; Garz/Raven 2015: 141ff).
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So ist etwa davon auszugehen, dass die typische Praxis von Managern (= Best Practices) etwa Lehrpläne und damit auch Deutungsangebote an Wirtschaftshochschulen beeinflusst und prägt.
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Für Oevermann konkretisiert sich in der Stabilität und Reichweite von Deutungsmustern das Konzept eines genetischen Strukturalismus (vgl. Oevermann 2002: 4ff; sowie: Garz/Raven 2015: 47ff; 55ff), da sich soziale Strukturen immer aus sich selbst heraus definieren und verändern und die Struktur selbst zum Maßstab für ein „Strukturproblem“ wird (Oevermann 2001c; vgl. dazu Oevermann 2002: 6/7). Oevermann versucht so das viel diskutierte ‚Mikro-Makro-Problem‘ der Soziologie konstitutionstheoretisch zu umgehen (vgl. Greve et al. 2008). Gleichbedeutend ist auch die Stabilität von Deutungsmustern dynamisch zu verstehen: Deutungsmuster bleiben so lange stabil, bis ihre Zugehörigkeit im Hinblick auf ein bestimmtes Handlungsproblem in Frage gestellt wird (vgl. Garz/Raven 2015: 36f). Dabei ist weniger von einem bruchartigen Wechsel auszugehen als vielmehr von einem langsamen Wandel (ebd.: 36f; sowie: Fuchs 2012; Plaß/Schetsche 2001: 531). Die metatheoretische Ausrichtung sozialer Deutungsmuster konkretisiert sich auch in wirtschaftsgeographischen Diskussionen (ausführlich: Kap. 4), wenngleich auch in anderer terminologischer Fassung (Fuchs 2012: 70). Vor allem im Kontext von lokalisierten Wissenspraktiken (z. B. Tacit Knowledge) und institutionellen Strukturen (ebd.: 74ff) zeigen sich latente Deutungssemantiken, die als Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit (= Raumsprache; vgl. Schlottmann 2005) Aufschluss über lokale Strukturen und Prozesse geben. Die Reichweite von Deutungsmustern verweist darüber hinaus auch auf die Konstitution von Nähe- und Distanzpraktiken und -produktionen, wie sie innerhalb der Wirtschaftsgeographie umfassend diskutiert werden (exemplarisch: Boschma 2005; Torre/Rallet 2005) und gleichermaßen ein zentraler theoretischer Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung sind (ausführlich: Kap. 4). Vor allem in den hier untersuchten Mechanismen von Annäherung und Distanzierung zwischen deutschen Unternehmen und ausländischen Eignern bietet die Deutungsmusteranalyse einen vertieften erkenntnistheoretischen und methodologischen Zugang an, um die Produktion von Nähe und Distanz (Reichweite von Deutungsmustern), aber auch deren räumliche Struktur und Dynamik (Stabilität/Veränderung), wirklichkeitsnäher nachvollziehen zu können. 3.3.3 Evolution von Deutungsmustern in dynamischer Perspektive Innerhalb Oevermanns Ansatz sind Deutungsmuster zwar sequenziell im Zuge aktualisierter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen veränderbar, dann nämlich, wenn sie keine adäquaten Antworten auf ein Handlungsproblem mehr bereit stellen (vgl. Garz/Raven: 31f; 40f; Plaß/Schetsche 2001: 518/519; Ullrich 1999b: 2-4). Gleichbedeutend ist es aber auch möglich, dass ein Deutungsmuster einen Handlungskontext überdauert, auch wenn es nicht mehr als angemessen erscheint (exemplarisch: Kap. 7). Oevermann betont aber ihre relativ große Zeitstabilität (vgl.
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Oevermann 1973; 2001a; 2001b). Damit sind die beiden Determinanten für die Evolution von Deutungsmustern angesprochen: veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen und veränderte Handlungsprobleme (vgl. Garz/Raven 2015: 36, 40f; Plaß/Schetsche 2001: 520f). Oevermann richtet den Blick vorwiegend auf langfristige Deutungsmuster als basale Regeln des sozialen Lebens (vgl. Oevermann 1973; 2001a), auch wenn er zumindest eine prinzipielle Veränderbarkeit unterstellt, bleibt aber vage, was die konkrete Dynamik anbelangt (vgl. dazu Oevermann 2001b: 36-38). Diese Tiefenstrukturen erfahren laufend lebensgeschichtliche Veränderungen, Anpassungen und Erweiterungen, wobei sich ein Deutungsmuster als „Ausdrucksgestalt“ (Oevermann 2002: 1) einer typischen Praxis immer sowohl auf die Ebene des Subjekts als auch auf den Bestand an verfügbaren Deutungsangeboten eines sozialen Settings bezieht (vgl. Oevermann 2002: 1/2; Ullrich 1999b: 2/3; Abb. 9). Im Hinblick auf die empirische Auswertung der Untersuchung würde dies bedeuten, dass die rekonstruierten Deutungsmuster im Prozess der Post-Merger-Integration stabil bleiben und sich nur dann verändern und/oder rejustieren, wenn sie keine gültige Antwort auf das Handlungsproblem mehr darstellen (z. B. in der Kooperation mit dem ausländischen Investor). Vielmehr deutet Oevermanns theoretischer Ansatz darauf hin, dass die Dynamik der im Untersuchungsmaterial gefundenen Deutungsmuster darin besteht, durch die Situation des Umbruchs, welchen die Unternehmensübernahme zweifelsohne darstellt, in besonderem Maße aktiviert und mobilisiert zu werden (vgl. Fuchs/Schalljo 2016). Erkenntnistheoretisch gesprochen ist also mehr davon auszugehen, dass es gelingt, einen Bestand an aktuellen Deutungsmustern zu rekonstruieren, als dass es sich um Brüche und Wandel von Deutungsmustern handeln wird. Gegenstand der im Kapitel 7 durchgeführten vergleichenden Investorenbetrachtung wird also vor allem die Frage sein, welche Deutungsmuster in welcher Konstellation (hier: BRIC versus Private Equity-Eigner) wann, warum und in welcher Intensität (z. B. resistente Haltungen) mobilisiert werden (vgl. Fuchs/Schalljo 2016; 2017a; Abb. 7).
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Abbildung 7: Zur Genese und Dynamik von Deutungsmusterformationen im Kontext subjektiver Dispositionen und sozialer Deutungsangebote in dynamischer Perspektive
In der wirtschaftsgeographischen Diskussion zeigen sich diese dynamischen Perspektiven oftmals evolutionsökonomisch (Fuchs 2012: 76-78). Im Prozess des Umbruchs stehen häufig verschiedene Deutungsmuster nebeneinander und gegeneinander, wobei es zu einer fortlaufenden Selektion derjenigen Muster kommt, die sich als sinnvolle Mechanismen der Krisenüberwindung erwiesen haben (ebd.: 76-78; Garz/Raven 2015: 30ff; Oevermann 2001b: 36-38), was sich empirisch in zwei Mechanismen offenbart: • zum einen in der problembezogenen Mobilisierung von Deutungsmustern im
Kontext einer ‚krisenhaften‘ Umbruchssituation, wie sie die Unternehmensübernahme zweifelsohne darstellt. Im Kontext der selektiven Neuaushandlung sozialer Wirklichkeit mit einem Kommunikationsteilnehmer, der, kulturell gesehen, auch ‚Träger‘ divergierender Deutungsmuster ist, kann davon ausgegangen werden, dass räumlich anzutreffende Denkmuster in besonderem Maße aktiviert werden (vgl. Fuchs/Schalljo 2016: 22f; 26f; Kap. 5). • Zum anderen offenbart sich die Dynamik von Deutungsmustern in der Frage, welche Denkmuster im Prozess der Unternehmensübernahme stabil bleiben und in welchen Mustern sich krisenhafte, also nicht mehr problemadäquate Tendenzen zeigen (vgl. dazu Fuchs/Schalljo 2016: 26ff; Abb. 7). Vor allem der Aspekt der krisenhaften Erfahrung erscheint für die Erkennbarkeit und Dynamik von
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Deutungsmustern, aber auch für die Analyse der Strukturlogik von Übernahmen und Übernahmedeutungen von zentraler Bedeutung (Kap. 7).
3.4 ZUR REKONSTRUKTIONSLOGIK DER OBJEKTIVEN HERMENEUTIK 3.4.1 Zur Logik des abduktiven Schlusses Zentral für das methodologische Verständnis der objektiv-hermeneutischen Textinterpretation (vgl. Oevermann 2001a/b; exemplarisch: Oevermann 2001c/2010) ist das frühzeitige Bilden von Fallstrukturhypothesen über das Verhältnis von manifesten Fakten und Informationen zu deren latenten Motivlagen (Radler 2010: 163; Wernet 2009: 15). Dieses auch als Abduktion bezeichnete Verfahren der fortlaufenden Textauswertung und Hypothesenprüfung am Material selbst (Abb. 8; vgl. Radler 2010) formuliert an relevanten Stellen des untersuchten Materials ‚Neues‘ und sinnvolle Anschlüsse im Sinne einer für diesen Fall typischen Strukturhypothese (ebd.: 163f; vgl. Wernet 2009: 7-9; exemplarisch Oevermann 2001c; Abb. 8). Die Abduktion geht dabei von der detaillierten sequenzanalytischen Untersuchung eines Protokolls aus und schließt dann unter Bezugnahme eines fiktiven Regelwissens (z. B. ich sehe einen Schwan – alle Schwäne sind weiß) auf den vorliegenden Fall (Reichertz 1986: 231; 1997: 39), wobei die Fallstrukturhypothese nie vollständig bestätigt werden kann (ebd.: 231; vgl. auch Popper 1934/2004 – Falsifikationsprinzip). Der abduktive Schluss setzt dementsprechend am empirischen Phänomen selbst an (vgl. Abb. 8 – (0)) und prüft alle Hypothesen am einzelnen Fall (Reichertz 1997: 39; Schäfer 2016: 165; ausführlich: Reichertz 2013). Dabei werden zunächst alle potenziell möglichen erklärenden Hypothesen zu einem Fall aufgestellt – abduktive Fallstrukturhypothese (1): Was könnte den Fall im Hinblick auf alle potenziell möglichen Lesarten motivieren (Schäfer 2016: 165; exemplarisch: Oevermann 2001c)? Anschließend werden zu all den aufgestellten Hypothesen Folgehypothesen gebildet – deduktiver Schluss (2), um sowohl Erklärungen über den bisherigen als auch Vorhersagen über den weiteren Verlauf treffen zu können. Diese Vorhersagen werden dann (3) am empirischen Material, also im weiteren Verlauf der Rekonstruktion überprüft, verifiziert, falsifiziert oder konkretisiert (Schäfer 2016: 165; vgl. auch Reichertz 1997: 39f, sowie: Reichertz 1986: 231). Der abduktive Schluss am Material selbst stellt den Versuch dar, über subjektive Bedeutungszuweisungen hinaus die Strukturlogik von Handlungen zu rekonstruieren (vgl. Oevermann 1993: 113/114; sowie: Dörfler 2013a für die Geographie), um die Erkenntnis von Neuem zu ermöglichen und gleichermaßen eine voreilige Subsumption von empirischen Daten unter bekanntes (Vor-)wissen zu vermeiden
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(Weis 2005: 45; vgl. Oevermann 2002: 22f; 2013: 70f). Gleichbedeutend kann ein abduktiver Schluss (= von der Regel und dem Resultat auf den Fall) nie als Gesetzmäßigkeit im Sinne einer universell gültigen Regel betrachtet werden (Strübing 2014: 46f). Vielmehr geht es dem abduktiven Schluss um die empiriegeleitete und methodisch kontrollierte (Fuchs 2012: 79) Rekonstruktion wiederkehrender Muster aus dem Untersuchungsmaterial (Strübing 2014: 46f; exemplarisch: Oevermann 2001c). Abbildung 8: Zur Logik des abduktiven Schlusses innerhalb der sequenzanalytischen Methodologie
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Schäfer 2016: 165 u. Reichertz 1997: 39f, erweitert u. ergänzt.
Auch wenn Deutungsmuster als kollektives Phänomen unabhängig von einzelnen Personen bestehen, sind empirisch in erster Linie die individuellen Deutungen und Interpretationen der Akteure selbst zugänglich (Liebeskind 2011: 95; Sachweh 2010: 84). Methodologisch erscheinen diese „kommunizierten Konkretionen und Adaptionen von Deutungsmustern“ (Ullrich 1999a: 430) als Derivationen, mit denen das eigene Handeln gegenüber Interaktionspartnern begründet wird (ebd.: 430; Ullrich 1999b: 4-6). Derivationen lassen Rückschlüsse auf Deutungsmuster zu, da die Subjekte auf sozial geteilte und normativ wirkende Muster zurückgreifen müssen, um in ihren sozialen Handlungen von anderen Subjekten verstanden werden zu können (Ullrich 1999a: 430f; 1999b: 4/5; Oevermann 2013: 70f). Deutungsmuster manifestieren sich dabei im Bewusstsein und sind konstitutiv für die individuellen Einstellungen und nicht umgekehrt (Ullrich 1999a: 430; Oevermann 2001a: 19;
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Sachweh 2010: 80). Auf der Ebene des empirischen Materials lassen sich folglich die Deutungsmuster der Akteure über eine verdichtende Rekonstruktion der Derivationen der Individuen analysieren, die dann Rückschlüsse auf die Sinnstrukturen der Führungskräfte ermöglichen, sofern sie auf einen gemeinsamen Deutungskern verweisen (Arnold 1983: 894; Ullrich 1999a: 430ff; 1999b: 4/5). 3.4.2 Sequenzanalyse statt Klassifikation von empirischem Material Den methodologischen Kern der objektiven Hermeneutik bildet die Sequenzanalyse (vgl. Oevermann 2002: 6-8; 2013: 72f; Wernet 2009: 16/17). Die Analyse von Handlungsprotokollen muss dabei die Sinneinheiten einer in der Lebenspraxis gefundenen Sequenzialität als „Einheit der Handlung“ (Garz/Raven 2015: 143) abbilden. Sequenzen, das heißt Sätze, aber auch kürzere Abschnitte oder sogar nur einzelne Wörter, werden zum Gegenstand einer umfassenden Rekonstruktion (Garz/Raven 2015: 144ff; Oevermann 2002: 6ff; Wernet 2009: 21ff; exemplarisch: Oevermann 2001c). Dabei wird an jeder Sequenzstelle bestimmt, welche objektiv gültige und regelgeleitete Auswahl eine Handlungspraxis jeweils getroffen hat (Oevermann 1993: 112/113; Wernet 2009: 7-11). Der Kontext der Interaktion wird erst anschließend herangezogen, um zu sehen, ob die objektiven Erfüllungskriterien auch tatsächlich eingehalten wurden (Lueger/Meyer 2007: 179; Wernet 2009: 21ff). Lesarten, also Deutungsvorschläge, werden gebildet, modifiziert, teilweise verworfen, konkretisiert und neu aufgestellt (ebd.: 179; vgl. Garz/Raven 2015: 143ff; Wernet 2009: 17; ausführlich: Kap. 6). Dabei sollen durchaus auch kontroverse Lesarten und Fallstrukturhypothesen aufrechterhalten bleiben mit dem Ziel, nach und nach zu einer Übereinstimmung der Lesarten und damit zu einer typischen Struktur eines Falles zu kommen (Garz/Raven 2015: 143f; Wernet 2009: 16; 2011: 2-4). Prozessual ist dieses Vorgehen als Strukturverdichtung zu verstehen (vgl. Matthiesen 1994: 80), in dem alle möglichen Lesarten immer weiter konkretisiert werden, bis sich eine für den Fall typische Logik zeigt (Garz/Raven: 143/144). Zu Beginn existiert noch eine große Anzahl möglicher Lesarten; mit der Hinzunahme weiterer Textstellen werden dann diejenigen Deutungen ausgeschlossen, die im vorliegenden Text nicht mehr zutreffend sind, und dies so lange, bis schließlich eine intersubjektiv zutreffende Lesart verbleibt (vgl. Garz/Raven 2015: 144f; Wernet 2009: 9-14). In die sequenzielle Analyse ist prinzipiell ein strenger Falsifikationsmechanismus eingebaut, denn „an jeder nächsten Sequenzstelle kann grundsätzlich der Möglichkeit nach die bis dahin kumulativ aufgebaute Fallrekonstruktion sofort scheitern“ (Oevermann 2002: 9; vgl. Garz/Raven 2015: 144-147; Reichertz 1986: 231; Abb. 8).
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3.4.3 Von Einzelfallrekonstruktionen zur übergeordneten Fallstrukturhypothese mehrerer Untersuchungsfälle Gegenstand der Deutungsmusteranalyse und übergeordnetes Erkenntnisinteresse dieser Arbeit sind latente Sinngebilde, die über einen gewissen Zeitraum stabil bleiben und als implizite Theorien Antwortmöglichkeiten auf alltägliche Handlungsanforderungen und -probleme liefern (vgl. Garz/Raven 2015: 25f; Plaß/Schetsche 2001: 518/519; Ullrich 1999b: 1/2). Das Ziel der objektiv-hermeneutischen Textauswertung ist die Rekonstruktion der latenten „Strukturlogiken“ (Dörfler 2013a: 253) und allgemeinen Fallstrukturgesetzlichkeit eines Wirklichkeitsausschnittes (vgl. Oevermann 1973; 2001a; Wernet 2009: 9-11; exemplarisch: Oevermann 2001c), dabei aber auch manifeste, also konkret fassbare Textinhalte, deren Inhalt die Struktur wesentlich mitbestimmt (vgl. Oevermann 2002: 1-4). Um nun aber Aussagen über die Strukturlogik eines Falles oder einer Gruppe von Fällen (hier: Deutungen von BRIC-Investoren/Private Equity-Investoren) treffen zu können, bedarf es in Anlehnung an die Oevermannsche Terminologie der Konstruktion und (möglichen) Revision von Fallstrukturhypothesen (exemplarisch: Oevermann 2001c). Diese Systematik des ‚Typischen‘ bezeichnet Oevermann auch als Strukturgesetzlichkeit eines Falles (Oevermann 1999: 81ff; vgl. Garz/Raven 2015: 147f). Dabei werden im Sinne der Sequenzanalyse die Entstehungsbedingungen des Textes an jeder Stelle expliziert, also jene, die tatsächlich eröffnet worden sind, und damit zugleich auch diejenigen, die nicht ausgewählt worden sind, da diese Auswahl zwangsläufig einer Schließung anderer Auswahlmöglichkeiten gleichkommt (Garz/Raven 2015: 20ff; 40ff; Oevermann 1999: 82ff; Wernet 2009: 17). Diese Vorgehensweise wird solange aufrechterhalten, bis schließlich eine typische Struktur dieser Auswahl erkennbar geworden ist (Garz/Raven 2015: 149ff; Oevermann 1999: 82ff; 2002). Dieser Prozess von der Sinnstruktur eines Textes hin zur allgemeinen Fallstruktur (vgl. Oevermann 2013: 76f; Wernet 2009: 16f) beschreibt so die Strukturen aus den Einzelfällen hin zu einer typischen „Strukturlogik“ (Dörfler 2013a: 253) des Falles (Wernet 2009: 15, 17; exemplarisch: Kap. 7). Die objektive Hermeneutik beansprucht für sich, Strukturrekonstruktionen von Untersuchungsfällen auch mit sehr geringen Fallzahlen durchführen zu können (exemplarisch: Oevermann 2001c; vgl. Wernet 2009). Dabei genügt im Prinzip ein Untersuchungsfall, um Aussagen über die „Strukturlogik“ (Dörfler 2013a: 253) eines Wirklichkeitsbereiches zu treffen (hier: Produktion von Nähe und Distanz; exemplarisch: Oevermann 2001c). Dieser Gedanke wird in der vorliegenden Arbeit um zwei Aspekte wesentlich erweitert: Zum einen liegen dem qualitativen Sample mehrere Interviews zugrunde, methodologisch gesprochen also eine Reihe von Fallrekonstruktionen, was forschungslogisch aufgrund der teilweise sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und Spezifika bei Unternehmensübernahmen, erst recht
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im transkulturellen Zusammenhang, durchaus als sinnvoll erscheint (vgl. Oevermann 2002: 16f). Schließlich geht es aus wirtschaftsgeographischer Perspektive um die Frage nach der „Strukturlogik“ (Dörfler 2013a: 253) eines definierten Wirklichkeitsbereiches (hier: die Deutungen deutscher Führungskräfte gegenüber Investoren unterschiedlicher Herkunft). Zum anderen soll entsprechend des Forschungsdesigns der Frage nachgegangen werden, welche unterschiedlichen Deutungen mit den Investorengruppen verbunden werden, oder präziser im Sinne der objektiven Hermeneutik formuliert, welche Grundmuster wann und warum aktiviert werden (exemplarisch: Oevermann 2001c). Letzteres impliziert die Forschungsstrategie eines rekonstruktiven Deutungsvergleichs (exemplarisch: Kap. 7; zur methodologischen Einordnung vgl. Kap. 6); vgl. Vogelpohl 2013 für die Humangeographie). Analog zur Rekonstruktion fallspezifischer Strukturen wird dabei das Material fallübergreifend im Hinblick auf Aussagen über die Strukturlogik des gesamten Samples verdichtet.
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Exkurs: die Forschungslogik von rekonstruktiver Sequenzanalyse und kodierender Inhaltsanalyse in vergleichender Perspektive Die Vorgehensweise der Sequenzanalyse, also das Bilden und Verwerfen von Lesarten sinnstrukturierter Handlungsprotokolle in der „Sprache des Falles“ (Oevermann 2013: 82) selbst, steht methodologisch in starkem Kontrast zur subsumierend verfahrenden, also klassifizierenden Inhaltsanalyse (vgl. Oevermann 2013: 70). Inhaltsanalytisch-kodierende Materialauswertungen, wie sie auch im Kontext humangeographischer Forschungsarbeiten mit großen Fallzahlen oftmals angewandt werden (Kap. 2), fassen erhobenes Interviewmaterial zumeist unter inhaltslogisch definierten Kriterien des Forschers selbst zusammen (Oevermann 2002: 20-22; 2013: 70; Wernet 2011: 5). Dabei erweist sich dies aus der erkenntnistheoretischen und methodologischen Perspektive der vorliegenden Arbeit als problematisch (= subsumptionslogisch; Bohnsack et al. 2013: 13f; Oevermann 2002: 20). Die Klassifikation von empirischem Material durch den Forscher bedeutet zwangsläufig eine weitere Abstraktion und damit Verfremdung des empirisch erhobenen Materials, da der Forscher nach Kategorien ‚subsumiert‘, das heißt auf der Grundlage der eigenen Materialdeutungen und nicht der objektiv gültigen Sprachäußerungen des Interviewprotokolls (vgl. Oevermann 2002: 21; 2013: 70). Der Sozialforscher rekonstruiert den latenten sozialen Sinn dabei nicht nach der Strukturlogik des Falles selbst (= in der „Sprache des Falles“ (Oevermann 2013: 82) selbst), sondern nach seinen eigenen sinnlogischen Kategorien (ex ante). Nicht der Text selbst definiert somit die Sinnlogik des Falles/der Fälle, sondern der Forscher mit seiner Konstruktion (Oevermann 2002: 21; 2013: 70f). Innerhalb der objektiv-hermeneutischen Textauswertung hingegen wird eine (notwendige) Zusammenfassung der Inhalte erst ganz am Ende eines ausführlichen Auswertungsprozesses vorgenommen (Kap. 8). So wird sichergestellt, dass die objektive Struktur des Falles selbst im Zentrum der Betrachtung steht und möglichst wenig durch Konstruktionen des Forschers verändert wird (vgl. Oevermann 2002: 20f). Die extensive Auslegung des Textes durch das Bilden von Lesarten unterbindet das voreilige Kategorisieren des Forschers und trägt so zu einem wirklichkeitsnäheren Bild der untersuchten Strukturen bei (vgl. Oevermann 2002: 20-22; 2013: 70/71; Soeffner 2005: 165f; exemplarisch: Oevermann 2001c).
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3.5 ZWISCHENFAZIT B: DIE KONSTITUTIONSTHEORETISCHEN PRÄMISSEN DER OBJEKTIVEN HERMENEUTIK ALS GRUNDLAGE EINER RÄUMLICHEN ERKENNTNISPERSPEKTIVE SOZIALER DEUTUNGSMUSTER Entsprechend der Einordnung in eine räumliche Erkenntnisperspektive und theoretischen Positionierung der objektiven Hermeneutik soll abschließend resümiert werden, welchen räumlichen Bezug die Analyse sozialer Deutungsmuster auf theoretischer Ebene aufweist und welchen methodologischen Mehrwert die Analyse in räumlicher Perspektive bieten kann. Deutungsmuster beeinflussen dabei auf verschiedenen Ebenen, was unter Raum verstanden und wie Raum gedeutet wird (Fuchs 2012: 70f; 74f; vgl. dazu auch Fuchs 2013: 35f). Raum ist als übergeordneter Begriff und Erkenntnisperspektive Gegenstand verschiedener wissenschaftlicher Diskussionen (ausführlicher: Kap. 2). Während die Wirtschaftswissenschaften den Raum überwiegend formal-modellierend und als Kostenfaktor ökonomischer Wertschöpfung und globalen Warenaustauschs betrachten, analysiert die Wirtschaftsgeographie zumeist subnationale Raumausschnitte (z. B. Regionen, Standorte, Milieus) unter verschiedenen thematischen Aspekten (z. B. Transportkosten; Fuchs 2012: 71, 74, 79). Dabei wird oftmals übersehen, dass diese Untersuchungsgegenstände und Raumausschnitte nicht einfach ganzheitliche Entitäten bilden, sondern ihrerseits Gegenstand von selektiven Konstruktionsleistungen der sie ‚formenden‘ Akteure selbst sind (vgl. Dörfler 2013a: 251f; Fuchs 2012: 74f; Glückler 2002: 48; ausführlich: Pohl 1986). Raum kann in seiner Konstitution und Entwicklung nicht bloß als Container oder „Behälterraum“ per se verstanden werden (Fuchs 2012: 74; sowie: Glückler 2002: 47/48), sondern wird im Kontext der vorliegenden Arbeit als Resultat eines interaktiven Prozesses verstanden, in dem vor allem Deutungen der raumwirksamen Akteure selbst ‚raumbildend‘ sind (vgl. Dörfler 2013; exemplarisch: Kaspar 2013; Boesen et al. 2015). Auch für einen hermeneutischen Ansatz in der Humangeographie steht der Raum als Symbol und Agens einer Lebenswelt im Mittelpunkt der Betrachtung (Pohl 1986: 156; 1996). Dabei existieren spezifische Deutungsmuster über Raum, aber auch der Raum selbst ist in dieser konstruktivistischen Perspektive ein Deutungsmuster (Fuchs 2012: 74f; vgl. dazu auch Fuchs 2013). Wie deuten Akteure Raumstrukturen (= Wahrnehmungsgeographie) und welche Bedeutung messen sie dem Raum problembezogen bei (in der Geographie vor allem Teil der ‚Hazard-Forschung‘9 – vgl. Felgentreff/Glade 2008; Pohl 2008)?
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Die geographische Hazard-Forschung ist thematisch zwischen Sozialgeographie und physischer Geographie angesiedelt und beschäftigt sich vor allem mit der Frage, welche Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur bestehen und wie Naturrisiken sozial
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Der Raum ist für das einzelne Subjekt Ort symbolischer Zuweisung (z. B. Heimat) und ist gleichzeitig Teil einer immanenten Deutung über den Raum (Fuchs 2013: 31/32; vgl. dazu auch Schlottmann 2007). Diese Deutungen sind Teil einer objektiven Struktursozialisation, die es dem Individuum überhaupt ermöglicht, Objektzuweisungen in der „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 281) vorzunehmen (z. B. die Bedeutung einer Kirche und dort herrschenden sozialen Regeln ist weniger Teil einer subjektiven Wahrnehmung als vielmehr das Agens gesellschaftlich tradierter Spielregeln; Pohl 1986: 165, 180/181; zur Einordnung vgl. Glückler 2002). Dies verortet die vorliegende Erkenntnisperspektive in eine im Kern strukturalistische und sprachbasierte Raumontologie (erstmalig: Pohl 1986; sowie: Mattissek 2007). Während in der breiteren Perspektive der Sozialwissenschaften und seit den 1980er Jahren auch innerhalb der Geographie (Cultural Turn) verschiedene Beiträge diese Konstruktionsleistung von Raum thematisieren und mittlerweile eine Vielfalt an Denkansätzen und Forschungsperspektiven entstanden ist (vgl. Schamp 2003: 147f; Kap. 2), sind aus Deutungsmusterperspektive vor allem zwei analytische, aber inhaltlich aufeinander verweisende Erkenntnisdimensionen als argumentative Ausgangspunkte einer raumbezogenen Hermeneutik zu unterscheiden (Abb. 13): • Deutungsmuster vom Raum: Die Frage, wie der Raum selbst von den handelnden
Akteuren als Resultat eines Sozialisationsprozesses gedeutet wird (vgl. Kaspar 2013), ist hochgradig von einem gesellschaftlich-tradierten Bestand an verfügbaren Deutungsangeboten abhängig (vgl. auch Fuchs 2012: 74f; 2013: 31-33; Kap. 3). In phänomenologischer Sicht lässt sich feststellen, dass „nicht ein lineares, metrisiertes Kontinuum Raum und Zeit repräsentiert, sondern vielmehr das Leben diese formt.“ (Pohl 1986: 141). Ein Zimmer etwa ‚ist‘ etwas anderes, je nachdem, ob man sich in einem Hotel oder in Untersuchungshaft befindet (ebd.: 141/142). Die objektive Hermeneutik kann dabei den Blick für diese latenten Bedeutungskonstruktionen von Raum im alltags- und wissenschaftssprachlichen Gebrauch schärfen, da Raum gleichermaßen eine immanente Strukturerfahrung ist, deren Deutung notwendiger Teil einer Sozialisationsform ist (Fuchs 2013: 29; Dörfler 2013a: 251f). Gleichzeitig beeinflusst die Philosophie der ‚normalen‘ Sprache die Vorstellungen, wie sich Raum als Wirklichkeit aufbaut (= Ontologie) und wie sich darüber überhaupt Erkenntnis gewinnen lässt (Pohl 1986: 157f; 176). Die positivistische Trennung von funktionaler Wirklichkeit und wissenschaftlicher Erkenntnis verliert dabei ihre Bedeutung zugunsten einer Methodologie, die Handlungen und Raumdeutungen als Teil einer spezifischen Lebensform versteht (Pohl 1986: 158ff; 176f). Raumbezüge und Raumdeutungen kön-
produziert und/oder subjektspezifisch wahrgenommen und bewertet werden (für eine einführende Übersicht vgl. Felgentreff/Glade 2008).
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nen somit nur auf der Basis von Regelsystemen lebensweltlicher Zusammenhänge verstanden werden (z. B. die Bedeutung einer Kirche und die dort herrschenden Regeln), in denen sie eine kommunikative Umwelt strukturieren (vgl. Pohl 1986: 178/179). Eine hermeneutische Geographie will Wirklichkeit nicht als subjekt- und situationsfreien Kontext rekonstruieren, sondern die Einheit von Sprache und Lebensform auf der Basis des eigenen Regelsystems verstehen (Pohl 1986: 158; 174ff; sowie: Schlottmann 2005; 2007). Raum erscheint als Bestandteil erlebter Realität, der nicht einfach wegzudenken ist und als Erkenntnisperspektive die Vorstellungen über Raum und die Deutungen der Umwelt strukturiert und leitet (Blotevogel 1995: 733; Fuchs 2013: 32). • Zum anderen sind Deutungsmuster immer in einem konkreten Raumausschnitt
und/oder Milieu anzutreffen (vgl. Fuchs 2012; 2013), auch wenn deren Reichweite oftmals unklar bleibt (Kap. 9). So existieren typische Deutungsmuster in einem regionalen Setting oder innerhalb eines sozialen Milieus (vgl. Oevermann 2001b: 38-40; von Alemann 2015: 106).10 Raumdeutungen zeigen folglich sowohl einen gesellschaftlichen als auch einen Milieubezug auf (z. B. Sourcing-Strategien in der Automobilzuliefererindustrie), wobei die Grenze fließend verläuft. Deutungsmuster sind Teil einer unmittelbaren Erfahrung (Fuchs 2013: 31) und werden zumeist unbewusst und nicht systematisch (= lernen durch Habitualisierung; vgl. Bourdieu 1982; 1987) angeeignet. Diese allgemeinen Strukturdeutungen (Fuchs 2013: 31) verweisen auf im Raum anzutreffende Deutungssemantiken, die unlängst Teil von Alltagsdeutungen geworden sind (Fuchs 2013: 31/32; Dörfler 2013a: 247f; Soeffner 2004: 15) und sich vor allem in der Differenzerfahrung zu einem fiktiven räumlichen ‚Anderen‘ im transkulturellen „Zwischenraum“ (Fuchs 2013: 38) zeigen (hier etwa zu einem asiatischen Investor; vgl. Meyer 2000: 158/161; Rothfuß 2009). Die Summe dieser Deutungsmuster bildet dabei ein räumlich anzutreffendes Set an Handlungsstrukturen: So verändern sich etwa Deutungsmuster von Nähe- und Distanzproduktionen in Abhängigkeit von den
10 Oevermann führt in diesem Zusammenhang das Beispiel politischer Kommunalwahlen in ausgewählten Regionen Bayerns an. Dabei lässt sich in vergleichender Perspektive (1930er Jahre – beginnende NS-Zeit und 1950er Jahre – Nachkriegszeit) faktisch nachvollziehen, dass der Anteil rechtsnationaler/rechtskonservativer Wähler in bestimmten Regionen annähernd gleich geblieben ist, auch wenn sich die politischen Zusammenhänge auf überregionalem Maßstab radikal geändert haben (Diktatur – Demokratie). Die politische Partizipation ist damit weit mehr von tradierten Deutungsmustern geprägt als von den Einflüssen institutioneller Gegebenheiten. Das (regionale) Wahlverhalten kann folglich nur über eben diese latenten Deutungsmuster erklärt werden (vgl. auch Oevermann 2001b).
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tiefer liegenden Deutungssemantiken der handelnden Akteure selbst. Die Deutungsmusteranalyse kann damit zu einem vertieften Verständnis dieser räumlichen Mechanismen aus einer praktikenbezogenen (sprachpragmatischen) Perspektive beitragen (vgl. dazu auch Jones/Murphy 2011; Jones 2014). So kann auch im Hinblick auf die empirische Auswertung davon ausgegangen werden, dass die untersuchten Führungskräfte über einen Grundbestand an Schematisierungslogiken verfügen, die als typisch für diese raumbezogene Deutungssemantik angesehen werden können und gerade im Kontext einer transkulturell motivierten Neuaushandlung sozialer Wirklichkeit mobilisiert und so handlungswirksam werden (vgl. Fuchs/Schalljo 2016: 26f; Kap. 7). Im Kontext der Debatte(n) über Nähe und Distanz stehen die Dynamiken der ‚Produktion‘ von Raum im Hinblick auf Mechanismen der räumlichen Annäherung oder Distanzierung zwischen den deutschen Führungskräften und den ausländischen Eignern im Sinne eines ‚Wir‘ und die ‚Anderen‘ im Zentrum der Betrachtung (vgl. Cranston 2016). Raum erscheint dabei auch als Ort menschlichen Handelns und als Raum strukturierender Deutungsmuster (Fuchs 2013: 34; z. B. Bedeutungszuschreibungen, Identitäten, Traditionen; vgl. dazu auch Schlottmann 2007), die jeweils als Teil einer räumlichen Identität und Lebenswelt in Erscheinung treten (vgl. Pohl 1986: 173f). Dabei entwickeln lokale Gruppen unterschiedliche Deutungsmuster, die durchaus auch in überregionalen Zusammenhängen (z. B. in Organisationen) anzutreffen sein können (z. B. multinationale Unternehmen; Fuchs 2014: 75; sowie: Ullrich 1999a: 429f). Während der Raum im Alltagsleben und -verständnis kaum Gegenstand einer systematischen Reflexion ist, kann eine hermeneutische Erkenntnisperspektive dies in Form einer textbasierten Rekonstruktionslogik (Kap. 3) systematisch schärfen (Fuchs 2012: 74ff; 2013: 42, Kap. 6), um eine Raumstruktur als Produkt menschlicher Handlungen und Deutungen zu rekonstruieren und damit die „Strukturlogiken“ (Dörfler 2013a: 253) einer Lebenswelt in ihrem räumlichen Bezug bestimmen zu können (vgl. Pohl 1986: 173f). Vor allem der Verwendung von Sprache kommt dabei erkenntnistheoretisch und methodologisch eine zentrale Bedeutung zu (vgl. dazu auch Mattissek 2007; Schlottmann 2007). Der Zugang zur Welt findet immer über Sprache statt, sie bildet die Verhältnisse der Erscheinungswelt ab und ‚ordnet‘ sie (Pohl 1986: 170; 171f; Searle 1969/1971; 2001). Erkenntnistheoretisch gesehen sind alle (alltagsweltlichen) Theorien zunächst „semantische Systeme“ (ebd.: 170). Darüber hinaus erhält Sprache ihre Bedeutung aus dem lebensweltlichen Zusammenhang selbst (vgl. Pohl 1986: 171; 173). Diese hier vertretene erkenntnistheoretische Perspektive knüpft dabei auch an jüngere Arbeiten zu einer sprechakttheoretischen Geographie (vgl. Felgenhauer 2007b; Glasze/Pütz 2007) und metapherngeleiteten Analysen (vgl. Fuchs 2011) innerhalb der deutschen Humangeographie an (ausführlich: Kap. 4). Bezogen auf die
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englischsprachige Geographie zeigen sich in den letzten eineinhalb Dekaden ebenfalls sprachbasierte Methoden, wobei gerade in den Practice-bezogenen Arbeiten in der Humangeographie das Framing auf der Grundlage von Sprachäußerungen einen wichtigen methodologischen Anknüpfungspunkt für die vorliegende Arbeit bildet (siehe Tab. 5 in Kap. 2). Dabei erscheint die objektive Hermeneutik als Methode im Hinblick auf die in Kapitel 2 analysierten Shortcomings der gängigen Analyseverfahren insgesamt systematischer, textbasierter und konstitutionstheoretisch fundierter (ausführlich: Kap. 3) und kann somit zu einem vertieften Raumverständnis regionaler Lebenswelten in ihrem Bedeutungszusammenhang beitragen (vgl. Dörfler 2013a/b; Kaspar 2013; von Löwis 2015). Zuvor jedoch soll dem eigentlichen Gegenstand der Argumentation Rechnung getragen werden und die in Kapitel 3 vorgestellten theoretisch-konzeptionellen Prämissen des objektiv-hermeneutischen Theoriegebäudes in eine räumliche Erkenntnisperspektive und in aktuelle raumbezogene Debatten eingeordnet werden. Im Zentrum dieses Theorietransfers steht die Frage, welche Rolle der Raum und Handlungen im Raum als Basisbegriffe der Humangeographie in dieser Erkenntnisperspektive (noch) spielen. Dabei stehen sowohl erkenntnistheoretische und methodologische Fragen im Zentrum der Auseinandersetzung (4.1) wie auch die Frage, welche inhaltlichen Anknüpfungspunkte der vorgestellte Ansatz und dessen methodologische Implikationen an für diese Arbeit relevante wirtschaftsgeographische Forschungsfelder liefern kann (4.2).
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Deutungsmuster als wirtschaftsgeographische Erkenntnisperspektive
4.1 MÖGLICHKEITEN UND ZIELE EINER HERMENEUTISCHEN WIRTSCHAFTSGEOGRAPHIE: VERTIEFUNG, ERWEITERUNG UND METHODOLOGISCHE FUNDIERUNG BESTEHENDER DEBATTEN In der Wirtschaftsgeographie ist innerhalb der letzten Dekaden eine große Bandbreite an empirischen Arbeiten und theoretischen Forschungsansätzen zu beobachten, wenngleich die meisten der hier untersuchten qualitativen Beiträge gleichermaßen durch einen oftmals unzureichenden Umgang mit den Prämissen und erkenntnistheoretischen Implikationen qualitativer Methodologie gekennzeichnet sind. Vor allem die Darstellung und forschungslogische Begründung der Auswertungsmethodik erscheint dabei oftmals als unzureichend und monoton im Hinblick auf das Erkenntnispotenzial der jeweiligen Methode (vgl. Barnes et al. 2007: 1ff; Gerhard/ Seckelmann 2013: 271; Tab. 3 u. 4). Der in Kapitel 2 analysierte State of the Art humangeographischer Forschungspraxis bildet dabei den Ausgangspunkt für die erkenntnistheoretische und methodologische Argumentation und Positionierung der vorliegenden Untersuchung, nämlich den methodologischen Transfer von einer sozialwissenschaftlichen Rekonstruktionsmethodologie (Kap. 3 u. 4) und deren Implikationen und Anwendungsfelder innerhalb einer wirtschaftsgeographischen Erkenntnisperspektive (Kap. 9). Eine hermeneutische Erkenntnisperspektive für die Human- und Wirtschaftsgeographie setzt auf der Grundlage dieses kritischen Befunds der aktuellen Analysepraxis und Einordnung in bestehende Erkenntnisperspektiven sowie der Verortung in die konstitutionstheoretischen Prämissen der objektiv-hermeneutischen Methodologie an zwei zentralen Argumentationspunkten an:
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• erkenntnistheoretisch und methodologisch an der Möglichkeit einer allgemeinen
Reflexion über Gegenstand, Methode und Bedingung von Erkenntnis (z. B. der Rolle des Forschers im Forschungsprozess; ausführlicher: Crang 2003: 494ff) in einer reflexiven Konstitutionstheorie und Methodologie sozialräumlichen Verständnisses, deren Rekonstruktionslogik sich auf das handelnde Subjekt als Raumgestalter (vgl. Löw 2004: 46f) bezieht, sowie einer Auswertungsmethodik, deren Gegenstand die Deutungs- und Handlungspraktiken selbst sind (Kap. 6). Gegenstand dieser erkenntnistheoretischen Überlegungen ist vor allem die Rekonzeptualisierung eines akteurszentrierten Handlungs- und Raumbegriffs (vgl. Dörfler 2013a/b; Pohl 1986: 158f; Kap. 4.1). • empirisch an der Möglichkeit der Erweiterung und Vertiefung bestehender wirt-
schaftsgeographischer Debatten auf der Grundlage einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive, deren Gegenstand die ganzheitliche und vertiefte Analyse sozialer Zusammenhänge ist. Innerhalb der inhaltlichen Anknüpfungspunkte an wirtschaftsgeographische Debatten (Kap. 4 u. 5) bildet vor allem das vertiefte Verständnis von Nähe- und Distanzproduktionen aus hermeneutischer Sichtweise den Leitgedanken der Argumentation des nachfolgenden Kapitels. Zentrale Anwendungsfelder einer hermeneutischen Methodologie sollen vor allem aus dieser Perspektive untersucht und in einen breiteren inhaltlichen Zusammenhang in aktuelle Forschungsfelder und Erkenntnisperspektiven eingeordnet werden (Kap. 9). Ziel eines hermeneutischen Forschungsansatzes für die Wirtschaftsgeographie ist es, den oftmals unreflektierten Just-Do-It-Ansatz, der in der Humangeographie weit verbreitet ist (siehe die eigenen Untersuchungen in Kap. 2) und die letzten Jahrzehnte geprägt hat (vgl. Barnes et al. 2007: 1ff; Gerhard/Seckelmann 2013: 291), durch eine Methodologie zu erweitern, welche die soziale Wirklichkeit der Subjekte zu rekonstruieren und die raumbildenden Handlungsmuster verstehend nachvollziehen zu vermag (Rothfuß/Dörfler 2013: 24; exemplarisch: Kaspar 2013). Eine hermeneutische Erkenntnisperspektive versucht dabei die nomothetische und oftmals deskriptive Analysepraxis zahlreicher qualitativer humangeographischer Arbeiten (Gerhard/Seckelmann 2013: 270; Kap. 2) zugunsten einer verstehenden Analyse der räumlichen Handlungspraktiken zu ersetzen. Ein Verstehen von Handlungspraktiken impliziert die Frage nach dem ‚Warum?‘ einer Lebensäußerung und Erscheinungsstruktur (vgl. Gerhard/Seckelmann 2013: 273; Oevermann 2002: 2-5; Wernet 2011: 5). Dabei vollzieht sich die in Kapitel 2 diskutierte und zugeordnete Umkehr im erkenntnistheoretischen Grundverständnis: Gegenstand und Ausgangspunkt der Rekonstruktion ist zunächst nicht der Raum, sondern der Akteur in seiner Lebenswelt (Pohl 1986: 173) und seinen handlungsleitenden Deutungen, die wiederum mittelbar auf den Raum wirken (vgl. dazu auch Glückler 2002: 46/47; Kaspar 2013;
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Abb. 12 u. 13). Erkenntnistheoretisch steht dabei der Akteur im Mittelpunkt der Betrachtung, als Objekt wie als Subjekt der Forschung im Kontext eines universellen Sprach- und Zeichensystems (Vilsmaier 2013: 289; ausführlich: Oevermann 2002: 1-9). Als Forschungsgegenstand einer hermeneutischen Raumwissenschaft bietet sich dabei jedes Erzeugnis an (z. B. Texte, Protokolle, Bilder, also jede Form erscheinungsweltlicher Artefakte), was als intendiertes und interpretierbares Artefakt der „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 281) angesehen werden kann. Dabei kommt dem Interview als verschriftetem Handlungsprotokoll und Dokument der sozialen Aushandlung eine hervorgehobene Stellung zu (vgl. Oevermann 2013: 73f; 2002: 6ff). Während klassische inhaltsanalytische Verfahren (exemplarisch: Mayring 2000; 2003), wie sie oftmals innerhalb der qualitativen Humangeographie angewandt werden, Verhaltenseffekte (vgl. dazu Kap. 2; Crang 2003; Blasius/Reuband 1996; 2000) zumeist vernachlässigen oder ignorieren, sind diese gerade im Kontext der situativen Muster selektiver Wirklichkeitsproduktion gleichermaßen Gegenstand der hermeneutischen Rekonstruktion. Die oben diskutierte Frage nach dem ‚Warum?‘ einer Handlungspraxis offenbart sich in den umfassenden Rekonstruktionslogiken der sprachbasierten Sequenzanalyse (Kap. 6; Oevermann 2013: 73f; Wernet 2011: 5). Insofern geht eine hermeneutische Geographie einen wesentlichen methodologischen Schritt weiter, indem sie die latenten Mechanismen und Deutungslogiken ‚hinter‘ dem untersuchten Material zum Gegenstand der Auswertung macht, um damit, wie in der vorliegenden Untersuchung, die Konstitution transkultureller Nähe- und Distanzpraktiken besser verstehen zu können (exemplarisch: Kap. 7). Ausgangspunkt dieser erkenntnistheoretischen Zusammenführung einer hermeneutischen Methodologie und einer wirtschaftsgeographischen Forschungsperspektive sind im nachfolgenden Kapitel zunächst Überlegungen zur Methodologie, bevor die für die Arbeit fundamentalen Begriffe Handlung und Raum aus der hier vertretenen Forschungsperspektive begründet werden sollen. 4.1.1 Methodologische Grundüberlegungen zu einer hermeneutischen Wirtschaftsgeographie Innerhalb der sozialwissenschaftlichen Methodologie ist in den letzten Dekaden eine Reihe von qualitativen Veröffentlichungen erschienen, die zum analytischen Forschungsinstrumentarium der Humangeographie geworden sind (exemplarisch: Flick 2009; Mayring 2003). Das oftmals positivistische Denken dieser Ansätze hat sich innerhalb des Mainstreams der Geographie bereits zur „natürlichen Einstellung“ (Pohl 1986: 158) verfestigt, da die Kriterien zur Beurteilung der Gültigkeit den Standardwerken der empirischen Sozialforschung entnommen werden (ebd.: 159). Dabei greifen jene Kriterien selten, wenn nicht auch der Forscher selbst als
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integraler Bestandteil des Forschungsprozesses angesehen wird (ebd.: 159; vgl. auch Gerhard/Seckelmann 2013). Die Auswertung von oftmals umfangreichem empirischem Material nach vom Forscher definierten ex-ante-Kategorien bedeutet bereits eine fragwürdige erkenntnistheoretische Verengung auf die Relevanzsysteme des Forschers, nicht aber auf die Struktur des erhobenen Materials selbst (vgl. dazu Oevermann 2002: 20-22; 2013: 70f). Die objektive Hermeneutik versucht diesen Dualismus von Subjekt und Objekt (vgl. Oevermann 1993: 107ff; 2013: 89f) zugunsten einer textbasierten Auswertungsmethode zu überwinden, die den Forscher als Teil der Auswertungsstrategie sieht, da dieser selbst Teil des Forschungsprozesses ist (Vilsmaier 2013: 288f; sowie: Oevermann 2013: 70/71). Um dabei soziale Phänomene ganzheitlich untersuchen zu können, bedarf es eines Empiriebegriffs, der in seiner Struktur und Dynamik ebenfalls intersubjektiv (Pohl 1986: 160ff) und handlungszentriert (Werlen 1995; 1997: 30f) angelegt ist. Den methodologischen Ausgangspunkt einer hermeneutischen Raumwissenschaft stellt immer der Versuch dar, „auf der Grundlage der Rekonstruktion einer Alltagspraxis des Erforschten bzw. auf der Grundlage der Rekonstruktion des Erfahrungswissens, welches für diese Alltagspraxis konstitutiv ist“ (Bohnsack 1999: 10), raumstrukturierendes und räumlich bezogenes Handeln zu verstehen (vgl. Pohl 1996). Verstehen ist dabei ein „prinzipiell zweifelhafter Akt“ (Soeffner 2005: 165), bei dem es, methodologisch betrachtet, zweierlei Aspekte zu beachten gilt: • Erstens basiert jedes Fremdverstehen auf den eigenen Regelsystemen (z. B. Er-
fahrungen, Erlebnisse, usw.), weshalb jeder Sinn, der angenommen wird, abweichen kann von dem Sinn, den Alter Ego selbst seinen Erfahrungen gibt (Soeffner 2005: 165; vgl. dazu auch Soeffner 2004). • Zweitens stellt das in Kommunikationssituationen vermittelte Alltagshandeln (z. B. ein Interview) immer selbst schon eine Konstruktion von Realität dar und ist durch sinnhafte Konstruktionen auf unterschiedlichen Ebenen bereits vorstrukturiert (Bohnsack 1999: 25; Crang 2003; Kaspar 2013: 181).1 Ein Verstehen des ‚Anderen‘ kann es demnach im absoluten Sinne nicht geben (Rothfuß 2013: 201; Soeffner 2005: 165f). Gerade diesen erkenntnistheoretischen Umstand greift die sprachbasierte Sequenzanalyse auf, in dem sie Sinnverstehen in den sich erzeugenden Modus interaktiver Kommunikation fasst (vgl. Oevermann 1993: 113f). Die soziale Kategorie ‚Sinn‘ erschließt sich immer nur dann, wenn sie kommuni-
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Damit unterscheiden sich Konstruktionen des Alltags (‚ersten Grades‘) nicht grundsätzlich von wissenschaftlichen Konstruktionen (‚zweiten Grades‘), denn auch Forschung hat ihre je spezifische, paradigmatisch verortete Alltagspraxis, die gleichermaßen Gegenstand einer Rekonstruktion sein kann (vgl. Bohnsack 1999: 26ff).
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zierbar ist, also nicht absolut, sondern relativ zu den eigenen Denkentwürfen (= Grundmodell regelgeleiteten Handelns; Oevermann 1993: 111, 114/115; vgl. dazu auch Oevermann 2013: 70; Soeffner 2005: 165f). Methodologische Grundannahme einer hermeneutischen Wirtschaftsgeographie ist es, die Kommunikationsstrukturen und -mechanismen der handelnden Akteure ganzheitlich zu rekonstruieren (Vilsmaier 2013: 288f; Wernet 2011: 2f) und dabei das Ziel zu verfolgen, „die Differenz zwischen sich und dem Feld“ (Wolff 2003: 341) zugunsten einer interaktiv angelegten Rekonstruktion objektiver Bedeutungsstrukturen, wie sie für Milieus (Dörfler 2013a: 245) und „Lebenswelten“ (Pohl 1986: 173) als typisch angesehen werden können, aufzulösen. Ansatzpunkt dieser Rekonstruktion sind immer die Subjekte als handelnde und damit auch als ‚raumproduzierende‘ Akteure (vgl. Gerhard/Seckelmann 2013: 269; Werlen/Weingarten 2005). Erkenntnistheoretisch existiert kein Zugang zur sozialen Welt jenseits des Subjekts, „da die Welt bzw. das Wissen von ihr in Texten, Geschichte und Körpern nur je subjektiv erfahren werden kann“ (Rothfuß/Dörfler 2013: 23). Aufgabe einer hermeneutischen Wirtschaftsgeographie ist es dementsprechend, dieses Subjektive sprachbezogen zu verobjektivieren (vgl. Oevermann 1993; 2001b), um somit das ‚Typische‘ und Allgemeine in den Handlungen der Subjekte zu finden (Rothfuß/Dörfler 2013: 23). 4.1.2 Handlung als Basiseinheit einer hermeneutischen Methodologie Für eine Wirtschaftsgeographie auf der Grundlage einer hermeneutischen Methodologie ist das Handeln der untersuchten Akteure als die Basiseinheit der Analyse zu verstehen (Pohl 1996: 79). Eine praktische Hermeneutik als Grundlage einer vertieften Analyse rekonstruiert Handlungskomplexe auf der Grundlage bewusster und unbewusster (= Deutungsmuster) Motive handelnder Akteure in ihrer tatsächlichen Lebenswelt (Pohl 1986: 173ff; 177ff). Die verstehende Analyse zielt darauf ab, überlieferte Entscheidungssituationen (z. B. Interviewprotokolle) zu rekonstruieren, in denen ein Akteur so und nicht anders gehandelt hat und somit eine sozialräumliche Lebenspraxis konstituiert (Pohl 1986: 80, 177f; sowie: Garz/Raven 2015: 40f). Das Interviewprotokoll ist dabei dokumentierte Lebenspraxis und Zugang, über den diese räumlichen Handlungslogiken zu verstehen sind (vgl. Oevermann 2002: 1-3; Dörfler 2013a: 246). Deutungen und Handlungen verweisen dabei erkenntnistheoretisch aufeinander und sind nicht unabhängig voneinander zu denken (Abb. 9 u. 10). Zentral ist dabei die erkenntnistheoretische Überlegung, dass Handlungen prinzipiell zukunftsoffen sind und sich einer sicheren Prognose verschließen: Wie eine Person X in einer fik-
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tiven Situation handelt, ist prinzipiell zukunftsoffen. Handlungen können daher ex post, etwa im Sinne ethnographisch-dokumentierender Methoden (vgl. Wernet 2011: 4/5), beschrieben werden oder aber über den Zugang der objektivhermeneutischen Textinterpretation als eingebettet in milieuspezifische Muster des Handelns verstanden werden (vgl. Dörfler 2013a: 253f; Abb. 9 u. 10), z. B. als Embedded Practices (vgl. Oinas 1999). Deutungsmuster sind dabei das rekonstruierbare Artefakt aus diesen protokollierten Äußerungen. Sie geben Aufschluss über das typische und kontextuelle Handeln und initiieren eine typische Praxis im Sinne latenter Deutungsmöglichkeiten (Dörfler 2013a: 247f; Sachweh 2010: 82ff; Ullrich 1999b: 1/2; Kap. 3). Der erkenntnistheoretische Zugang einer akteurszentrierten Humangeographie erfolgt also mittelbar: nicht über das tatsächliche raumrelevante Handeln der Akteure im Sinne einer deskriptiven Analysepraxis (vgl. Glückler 2002: 47/48), sondern auf der Grundlage von deren handlungsinitiierenden Deutungsschemata, die in entsprechenden Handlungssituationen aktiviert und mobilisiert werden (vgl. Fuchs/Schalljo 2016; Abb. 9). Verstehen und Handeln sind dabei erkenntnistheoretisch und methodologisch immer miteinander verflochten. Jedes eigene Denken und Handeln ist Teil der Welt, produziert sie fortwährend und ist in sie eingebunden (Pohl 1986: 158, 184ff; Abb. 9 u. 14). Die Verortung des Subjekts in einem konkreten Raum und zu einer konkreten Zeit (= Lebenswelt) ist somit die zentrale erkenntnistheoretische Perspektive der Analyse einer räumlichen Sozialwelt (Dörfler 2013a: 246; Rothfuß 2013: 209; Pohl 1986).
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Abbildung 9: Deutungsmuster und Handlung als epistemische Grundpfeiler einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive
Quelle: eigene Darstellung, erweitert und ergänzt nach Werlen 1992/2016: 57.
Erst das Verstehen von Handlungen und Handlungsorientierungen durch den Nachvollzug latenter Motive (= Deutungsmuster), die diesen stets voranstehen (Abb. 9), in den alltäglichen Interaktionen der Subjekte in ihren sozialräumlichen Bezügen ermöglicht es, die Bedeutung eines räumlichen Sachverhalts zu ergründen (Dörfler 2013a: 245/246; Rothfuß 2013: 203f). Die metatheoretische Verortung einer handlungszentrierten und hermeneutischen Geographie richtet den Blick auf die „Denkmuster und Handlungsstrukturen im Kontext des Dort“ (Rothfuß 2013: 203). Sicher erscheint, dass alltägliche Handlungen und wissenschaftlicher Diskurs immer aufeinander verweisen (Werlen 1997: 3) und nicht losgelöst voneinander zu denken sind, sind es doch gerade die Kategorienmaßstäbe des Forschers selbst, aufgrund derer Bewertungen der Realwelt überhaupt erst möglich sind (vgl. Pohl 1986: 180f; exemplarisch: Kaspar 2013). Gerade in diesem Argument und gleichzeitig kritischen Perspektive auf den Mainstream der humangeographischen Forschungspraxis (ausführlich: Kap. 2) liegt der Ausgangspunkt einer handlungszentrierten Hermeneutik als wirtschaftsgeographische Erkenntnisperspektive. Der empirisch arbeitende Raumwissenschaftler wird dabei „unwillkürlich fragen, was Handlungen von Individuen mit […] Geographie zu tun“ (Pohl 1996: 77/78) haben oder präziser formuliert: inwiefern Handlungen mit einer räumlichen Epistemologie, wie sie vor allem die Wirtschaftsgeographie in großen Teilen für sich beansprucht, zu verbinden sind (vgl. Blotevogel 1999). Was in den vorangegangenen Ausführungen über das Raumverständnis einer solchen Forschungsperspektive bereits angeklungen ist, soll
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im folgenden Abschnitt noch einmal systematisch aufgegriffen und begründet werden. 4.1.3 Zum Raumverständnis einer hermeneutischen Geographie: Was erklärt der Raum und wie ist Raum zu verstehen? In der Humangeographie, die sich explizit als die Wissenschaft vom sozialen Raum versteht (Dörfler 2013b: 35), findet bereits seit den 1980er Jahren ein schleichender Ablösungsprozess vom Raum als Erklärungsvariable statt (ausführlich: Kap. 2). Bis zu diesem Zeitpunkt war der Raum als ontologische Erklärungskategorie der zentrale Ausgangspunkt humangeographischer Arbeiten (Dörfler 2013b: 35; vgl. Pohl 1996). Jedes neu etablierte Paradigma ‚mühte sich ab‘, den Raum jeweils anders zu konzeptualisieren, und wurde an diesem Fluchtpunkt gemessen (vgl. Escher/ Petermann 2016; Pohl 1986: 26f; 31ff; für eine Übersicht vgl. Schamp 2003; 2007). Aufbauend auf der Handlungstheorie Giddens (u. a. 1984/1988) und einigen Pionierarbeiten in der Sozialgeographie (exemplarisch: Pohl 1986; Sedlacek/Werlen 1998) brach erst Benno Werlen (1995; 1997) vollständig mit der Annahme, dass der Raum als Erklärungsvariable für die Geographie analytisch notwendig sei (Glückler 2002: 47/48; Werlen 1992/2016: 35f). Mit dem Raum als Erkenntnisdimension lasse sich sozialwissenschaftlich nichts erklären (Werlen 1992/2016: 35f; sowie: Glückler 2002: 48). Vielmehr muss der Raum selbst in seinen Entstehungsbedingungen aus der Perspektive sozialer Handlungspraktiken erklärt werden (Dörfler 2013b: 35; Werlen 1992/2016: 35f). Erst eine bedeutungszuweisende soziale Praxis macht den Raum zu dem‚ was er ‚ist‘ (z. B. wird ein Friedhof kulturräumlich sehr unterschiedlich gedeutet). Diese Erkenntnisperspektive wurde von Vertretern des raumwissenschaftlichen Ansatzes umfassend kritisiert (exemplarisch: Blotevogel 1999). Wer den Raum als Erklärungsgröße aufgebe, gebe damit auch die Geographie als Disziplin auf, so der paradigmatische Vorwurf (Werlen 1995: 143; vgl. dazu auch Pohl 1996). In sozialwissenschaftlicher Hinsicht ist es jedoch heute weithin anerkannt, dass der Raum zu „keinerlei kausaler oder ähnlich bestimmender Erklärung […] heranzuziehen sei.“ (Dörfler 2013b: 35). Was immer der Raum also als ontologische Kategorie ‚ist‘, erfasst werden kann er nur durch den Kontext der Produktionsleistungen der den Raum ‚konstruierenden‘ Subjekte selbst (vgl. Dörfler 2013a: 246, 253; Glückler 2002: 47/48; exemplarisch: Kralj 2015). Ein hermeneutischer Raumansatz rekonstruiert die Umwelt von Subjekten in ihrem alltäglichen Kontext, also „die konkrete Umgebung eines Menschen, die Gesamtheit dessen, was von ihm als auf ihn wirksam erlebt wird“ (Soeffner 2005: 169). ‚Umgebung‘ bedeutet dabei nicht die ökologische oder biologische Umgebung, sondern die von den Subjekten gedeutete gesellschaftliche Sphäre (Dörfler
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2013b: 38; Abb. 14 in Zwischenfazit C), die zumeist in Form eines Milieus die soziale Wirklichkeit formt (vgl. Dörfler 2013a: 253ff; Oevermann 2001b: 38-40; von Alemann 2015: 106). Diese Lebenswelt (vgl. Pohl 1986: 173f) stellt dabei die relevanten Deutungs- und Handlungsmuster bereit, strukturiert sie, ohne sie dabei zu determinieren (Dörfler 2013b: 38). Gleichermaßen strukturieren Deutungsmuster die Umwelt, die nur durch Interpretationen der handelnden Akteure verstanden werden kann. Ihre Gesamtheit konstituiert eine symbolisch strukturierte Lebenswelt (Pohl 1986: 180), deren Zeichensysteme die Rekonstruktion von Handlungsmotiven überhaupt erst ermöglicht (Dörfler 2013b: 38; vgl. Pohl 1986: 173, 180). Für das ontologische Raumverständnis einer hermeneutischen Humangeographie bedeutet dies, dass der Raum im Sinne der Lebenswelt kein abstraktes Äußeres ist, ein ‚Etwas‘ ist (z. B. ein Containerraum, Fuchs 2013: 35f, oder ein „Behälterraum“, Fuchs 2012: 74), sondern die ontische Sphäre, die das handelnde Subjekt durch produktive Sinnbezüge zu ihm (dem Raum) errichtet (Dörfler 2013b: 39; 2013a: 245; Abb. 14 in Zwischenfazit C). Deutungsmuster, Handlung und Raum stehen dabei in einem interdependenten und wechselseitigen Verhältnis, sowohl strukturell als auch dynamisch als genetischer Prozess (Abb. 10): Deutungsmuster initiieren eine manifeste Handlungspraxis, die wiederum mittelbar auf den Raum wirkt. Raumprobleme sind folglich Handlungsprobleme (vgl. Garz/Raven 2015: 31ff), die sich methodologisch vor allem auf der Ebene latenter Deutungsmuster nachweisen lassen (vgl. dazu Dörfler 2013b: 251ff; Kaspar 2013). Der Raum bildet als hypothetisches ‚Ganzes‘ zwar die ontologische Grundlage für Handlungen in Raumausschnitten, wird aber seinerseits auch gedeutet und ist somit ein ‚relationaler Raum‘ (Dörfler 2013a: 250/251; Glückler 2002: 47), was gleichermaßen für den Untersuchungsbereich räumlicher und raumbezogener Nähe- und Distanzproduktion gilt (vgl. dazu; Dörfler 2013a: 250/251; Ibert et al. 2014).
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Abbildung 10: Konzeptionelles Dreieck über die erkenntnistheoretische Relation der Grundbegriffe Raum(-ausschnitt), Handlung und Deutung und den damit verbundenen Mechanismen aus Deutungsmusterperspektive
Die Konstitutionstheorie einer hermeneutischen Geographie zielt folgerichtig darauf ab, genau jenes Wissen, „das als Bedeutungsgehalt, als Werthaltung oder als Kenntnis sozialräumlicher Bezüge einen Niederschlag im Erfahrungshorizont der befragten Personen gefunden hat“ (Dörfler 2013b: 39), zu rekonstruieren. Dieses lebensweltliche Milieu erhält seine „Strukturlogiken“ (Dörfler 2013a: 253) immer durch den Bezug auf die Lage zu anderen Milieus im Sinne eines „konjunktiven Erfahrungsraumes“ (Bohnsack 1998: 120). Epistemologisch verweisen diese Milieus auf eine erhöhte Binnenkommunikation, ein implizit geteiltes Milieuwissen (Tacit Knowledge) und geteilte Praxis- und Wissensformen2 (Bürkner/Matthiesen 2004: 77; vgl. Bohnsack et al. 2013: 15; Dörfler 2013a: 251f). Raumbezogen sind diese Konstruktionen des Feldes3 in einer lokalen Interaktion, welche die handelnden Subjekte auch prägt, ohne dass sie sich notwendigerweise kennen oder im Sinne ei-
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Hier zeigt sich zweifelsohne eine erkenntnistheoretische Nähe zu praxisbezogenen Ansätzen innerhalb der Humangeographie (= Practice Turn; vgl. Everts 2016; Schatzki 2016; exemplarisch: Cranston 2014; 2016; Jones 2014; Jones/Murphy 2011; zur theoretischen Einordnung vgl. Bachmann/Medick 2009).
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Martina Löw (2001; 2004) hat hierfür den Begriff des ‚Spacing‘ eingeführt, um diesen Platzierungsleistungen aus sozialwissenschaftlicher Sicht gerecht zu werden (z. B. wie und warum entsteht ein Szene-Milieu im Prenzlauer Berg; für eine ausführlichere Betrachtung vgl. Löw 2001: 159f).
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nes ‚Binnenkommunizierens‘ gar treffen müssen (Lange 2007: 99; Dörfler 2013b: 41). Durch sinnhafte Deutungen werden somit sozio-räumliche Strukturen über Deutungs- und Konstruktionsprozesse zu Räumen zusammengefasst (Dörfler 2013b: 52f; Löw 2001: 159). Erst diese Transformationsleistung des Zusammenfassens der sozialen Umwelt zu sinnhaft gedeuteten Strukturen ist dabei das raumwirksame Element, durch welches Räume im sozialwissenschaftlichen Sinne ‚produziert‘ werden (Dörfler 2013b: 52; z. B. Shopping-Malls, bzw. wer diese entgegen der üblichen Bedeutung vor allem als Skaterground ansieht; Dörfler 2013b: 53; vgl. auch: Reckewitz 2002: 259; Jones/Murphy 2011: 370f). Oevermanns Konstitutionstheorie (Kap. 3) definiert also gleichermaßen die Überlegungen für eine hermeneutische Raumwissenschaft: Keine Alltagshandlung ist vorstellbar ohne latente Deutungsprozesse, die räumliche Bezugnahmen aufweisen (z. B. ‚hier-dort‘, ‚eigen-fremd‘, ‚Geh weg!‘) und damit zum strukturierenden Prinzip der Deutung milieuspezifischer Lebenswelten avancieren (Dörfler 2013b: 53; 2013a; vgl. dazu auch Fuchs 2013; 2014; Pohl 1996). Bezogen auf das Untersuchungsmilieu stellt sich vor allem die Frage, welche grundlegenden Deutungsmuster auf den Raum wirken, etwa durch symbolische Raumproduktionen (z. b. ‚wir hier‘ versus ‚die Anderen dort‘; vgl. dazu auch Kaspar 2013; von Löwis 2015). Darüber hinaus erscheint es vor dem Hintergrund der Neuaushandlung sozialer Kommunikationsstrukturen im Zuge der Übernahme des deutschen Unternehmens durch einen ausländischen Investor (Kap. 5) als relevant, welche lokal anzutreffenden Deutungsmuster (vgl. dazu auch Fuchs 2013: 34f) aktiviert und mobilisiert werden und welche Raumbezüge dabei existieren (Kap. 7). So zeigt Kaspar (2013) etwa in ihrer Untersuchung von Parkräumen, wie Raum aus den Alltagspraktiken der Raumbewohner konstruiert wird. Durch diesen relationalen Raumbegriff wird deutlich, „dass Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Erinnerungsprozesse zentrale Elemente der Konstitution von Raum sind“ (Kaspar 2013: 182). Fehlberg (2013) untersucht die Produktion und Reproduktion von rechtsextrem dominierten Angsträumen aus einer raumerzeugenden Handlungsperspektive, um das Phänomen sowohl aus Sicht derjenigen, die solche Angsträume schaffen, als auch aus Sicht der Betroffenen, der Mehrheitsgesellschaft, zu verstehen (vgl. Fehlberg 2013).
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4.2 INHALTLICHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE AN BESTEHENDE WIRTSCHAFTSGEOGRAPHISCHE DEBATTEN UND DEREN VERTIEFUNGSMÖGLICHKEITEN: NÄHE- UND DISTANZPRAKTIKEN IM FOKUS DER UNTERSUCHUNG Der erste Abschnitt des Kapitels hat sich, anknüpfend an die Einordnungen und Auswertungen in Kapitel 2 der Arbeit, mit grundlegenden methodologischen Überlegungen einer hermeneutischen Humangeographie befasst. Während im vorangegangenen Abschnitt noch allgemein von einer hermeneutischen Humangeographie gesprochen wurde, soll diese erkenntnistheoretische Erweiterung der beiden diskutierten Grundbegriffe Handlung und Raum im nachfolgenden Kapitel sowie in Kapitel 5 weiter auf den wirtschaftsgeographischen Standpunkt dieser Untersuchung ausgebaut und in aktuelle Fachdiskussionen eingeordnet werden. Nachfolgend soll es um inhaltliche Anknüpfungspunkte an wirtschaftsgeographische Debatten gehen, bei denen ein direkter oder indirekter Bezug zu thematischen Überlegungen der vorliegenden Untersuchung besteht. Einen zentralen Ansatz- und Analysepunkt bilden Nähe- und Distanzdebatten in der Wirtschaftsgeographie, verbunden mit der Frage, warum und wie die Deutungsmusteranalyse zu einem vertieften Verständnis von Handlungszusammenhängen beitragen kann. Leitend sind dabei zwei wesentliche Argumentationspunkte: • Die vorliegende Erkenntnisperspektive (Kap. 3 u. 4.1) geht davon aus, dass sich
Nähe- und Distanzpraktiken als das zentrale Thema der inhaltlich-theoretischen Auseinandersetzung dieser Untersuchung mit Hilfe einer hermeneutischen Methodologie besser nachvollziehen lassen. Wie genau Nähe und Distanz in sozialen Settings produziert, aktualisiert werden und damit eine Dynamik beschreiben, kann mit Hilfe des Analyseverfahrens präziser und methodologisch nachvollziehbar konkretisiert werden (Kap. 7). • Der Analysefokus liegt dabei auf den situativen Askriptionen von Nähe und Distanz, aber auch auf weiteren Themen, die in diesem Kontext als zentrale Analysefelder erscheinen, sich teilweise inhaltlich überschneiden (z. B. kulturspezifische Distanzierungspraktiken) und mit subjektspezifischen Deutungsstrukturen korrespondieren. So sind etwa auch Wissenspraktiken und Lernprozesse hochgradig deutungsmusterrelevant, auch im Hinblick auf die empirische Auseinandersetzung (Kap. 7). Auch den Dynamiken verräumlichter Wissensproduktion (z. B. Tacit Knowledge) wohnen spezifische Deutungsmechanismen inne, die etwa in der vorliegenden Untersuchung Teil einer latenten Distanzierungssemantik sind und folgerichtig auch Teil einer theoretischen Betrachtung sein sollten.
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Dieser Argumentationslogik zugrunde liegend soll nachfolgend theoretisch, und später auch empirisch (Kap. 7), begründet werden, worin genau der Mehrwert einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive für zentrale inhaltliche Debatten im Kontext der Untersuchung liegt. Nach einer kurzen Übersicht der nationalen und internationalen wirtschaftsgeographischen Literatur als allgemeine Ansatzpunkte und deren außerdisziplinäre Einflüsse sollen dabei einige wesentliche wirtschaftsgeographische Debatten diskutiert und vor allem im Hinblick auf Nähe- und Distanzaskriptionen für eine hermeneutische Erkenntnisperspektive fruchtbar gemacht werden. 4.2.1 Einbettung und Verortung der Deutungsmustertheorie in aktuelle wirtschaftsgeographische Diskussionen Auch wenn in der wirtschaftsgeographischen Diskussion noch keine umfassende empirische und empirisch-theoretische Auseinandersetzung mit Deutungsmustern stattgefunden hat (= Implikationen des Analyseverfahrens in einer konkreten Untersuchung), so finden sich doch zahlreiche theoretische und methodologische Anknüpfungspunkte an wirtschafts- und sozialgeographische Forschungsperspektiven (vgl. dazu v. a. Fuchs 2012: 70ff; Fuchs/Schalljo 2016). In der Humangeographie wird die objektive Hermeneutik als Methode bereits erwähnt, sowohl in Pionierarbeiten (exemplarisch: Pohl 1986) in sozialgeographischen Sammelbänden (exemplarisch: Rothfuß/Dörfler 2013) als auch in einführenden Methodenwerken (exemplarisch: Reuber/Pfaffenbach 2005). Dabei zeigt sich innerhalb der Humangeographie eine große Vielfalt an Theorie- und Denkansätzen, innerhalb derer mit unterschiedlichen Wirklichkeitskonstruktionen und deren Raumrelevanz argumentiert wird (für eine Übersicht vgl. Rothfuß/Dörfler 2013; Abb. 11). Innerhalb der deutschsprachigen Humangeographie sind vor allem die frühen Pionierarbeiten einer „hermeneutische(n) Geographie“ (vgl. Pohl 1986; sowie: 1996) zu nennen, bei der Pohl (1986) explizit die objektive Hermeneutik als erkenntnistheoretischen Zugang und Auswertungsmethode zur Rekonstruktion regionaler Lebenswelten und Identitäten verwendet und für eine geographische Erkenntnisperspektive fruchtbar macht (vgl. Pohl 1986: 189ff). Diesen Denkansätzen und Forschungsperspektiven sind im weiteren Sinne auch phänomenologische und ethnographische Ansätze zuzuordnen, wenn auch zumeist mit anderem methodologischen Fokus. Vor allem im Bereich der Perzeptions- und Hazard-Forschung (u. a. Felgentreff/Glade 2008; Pohl 2008; sowie: Bunting/Guelke 1979) stehen die mentalen und interpretativen Muster von Deutungssubjekten theoretisch und methodologisch im Zentrum des Wirklichkeitszugangs (vgl. auch Dörfler 2013a/b). Vor allem im Zuge des Cultural Turn sind seit den 1990er Jahren in der englischsprachigen Geographie zahlreiche Arbeiten entstanden, die erkenntnistheoretisch explizit eine
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Akteursperspektive vertreten. Hervorzuheben sind dabei Arbeiten, die sich mit den Geographical Imaginations (zuvor: Imaginaries; vgl. Lowenthal 1961) befassen, also mit der Frage, welche selektiven Wahrnehmungsmuster Akteure in ihrer Raumwahrnehmung leiten (exemplarisch: Daniels 2011; Fuchs 2012: 70/71), aber auch praktikenbezogene Arbeiten (= Practice Turn; exemplarisch: Everts 2016), deren Gegenstand das Handeln der Akteure in sozio-ökonomischen Settings ist (exemplarisch: Cranston 2014; 2016). Ebenfalls seit den 1990er Jahren zeigen sich in der englischsprachigen Wirtschaftsgeographie Arbeiten, die sich mit sozialen Kontextbezügen in Unternehmen oder Institutionen beschäftigen. So untersucht etwa Wever (1995) die Kooperationsstrukturen und -mechanismen ausländischer Unternehmenskooperationen (vgl. Wever 1995). Schoenberger (1997) analysiert die kulturellen und sozialen Einflussfaktoren amerikanischer Unternehmenskulturen und deren Einflüsse auf transnationale Unternehmenskooperationen (vgl. Schoenberger 1997). Leitend ist die Frage, wie soziale Kontextbezüge die Handlungen der Akteure und Institutionen lenken und dabei auch räumliche Implikationen aufweisen (z. B. die Organisation von Unternehmenskooperationen im hier angeführten Beispiel). Dabei sind die meisten der hier untersuchten Anknüpfungspunkte an das thematische Untersuchungsfeld in ihren erkenntnistheoretischen Ansätzen verhaltens- und handlungsorientierten Annahmen verhaftet (Fuchs 2012: 71; Weichart 2008: 140ff; ausführlich: Kap. 2). Im weiter gefassten Kontext sind auch die umfassenderen Debatten um Embeddedness (vgl. Grabher 1993; Oinas 1999; Malmberg/Maskell 2006) und Untradeded Interdependencies (vgl. Storper/Scott 1990) innerhalb der Wirtschaftsgeographie einzuordnen, die sich inhaltlich mit regional verorteten, informellen Wissens- und Deutungsbeständen im Kontext wirtschaftender Akteure befassen (vgl. Fuchs 2012: 73f). Innerhalb der deutschen Wirtschaftsgeographie greifen Bathelt und Glückler (2003) den erkenntnistheoretischen Ansatzpunkt eines kontextuellen Forschungszugangs in ihrer Konzeption einer relationalen Wirtschaftsgeographie auf (vgl. Bathelt/Glückler 2003; 2011) und stellen so den handelnden Akteur in seinem Kontextbezug in das Zentrum der Analyse (vgl. dazu auch Schamp 2003). Während jedoch zumeist unklar bleibt, wie diese relationale Konzeption methodologisch umzusetzen ist (zur Kritik vgl. Schamp 2003), findet sich bei Bathelt/Glückler (2003: 253) erstmals auch der Begriff der ‚mentalen Modelle‘, bei denen Handlungsvollzüge auf der Grundlage mentaler Routinen (vgl. Kinder/Radwan 2010: 45) und Erfahrungen betrachtet werden (Fuchs 2012: 70). Auch dabei finden sich grundlegende Überlegungen, die „black box“ (Maskell 2001: 329; Leyshon 2011: 383) von Managerdeutungen für eine wirtschaftsgeographische Erkenntnisperspektive fruchtbar zu machen (vgl. dazu auch Boeckler/Berndt 2005; Leyshon 2011; Fuchs 2012), wobei sich in der Wirtschaftsgeographie gleichsam ein „undersocialised view“ (Taylor/Asheim 2001: 316; sowie: Leyshon 2011: 385) auf ökonomische Akteure etabliert hat (vgl. Fuchs 2012: 71f).
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Inspiriert und gerahmt sind viele dieser Ansätze einer kontextbezogenen Unternehmens- und Akteursbetrachtung auch von den Organisationswissenschaften und der Wirtschaftspsychologie, innerhalb derer seit den 1990er Jahren zahlreiche Arbeiten entstanden sind, die sich mit der Lernfähigkeit von Teams und der organisationalen Effektivität von Entscheidungsträgern und Gruppen, zumeist in Verbindung mit kognitiven Modellen, befassen (z. B. Shared Visions; vgl. Denzau/North 1994; Cannon-Bowers/Salas 2001; ausführlich: Fuchs 2012: 70f; Hogg 2011). Diese zumeist konstruktivistischen Ansätze verstehen sich als erkenntnistheoretischen Gegenentwurf zu den neoklassischen Rationalitätsparadigmen, wie sie etwa in der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie (Fuchs 2012: 70ff; exemplarisch: Simon 1995; Eisenführ/Weber 2003), aber auch in den von der Wirtschaftsgeographie rezipierten ökonomischen Handlungsmodellen vertreten werden (vgl. von Thünen 1875; Christaller 1933). Dabei stehen gemeinsame kognitiv geteilte Konstrukte (z. B. Shared Cognition, Shared Mental Models), und wie geteilte Wissens- und Deutungsbestände zu gemeinsamen Werteüberzeugungen gelangen, im Vordergrund der Betrachtung (Fuchs 2012: 70/71; vgl. Adolf et al. 2013; Denzau/North 1994: 3; Mohammed/Dumville 2001: 89ff). Diese Überlegungen verweisen in ihrem erkenntnistheoretischen Denkansatz bereits auf die Forschungsperspektive der vorliegenden Untersuchung: Auch Deutungsmuster weisen eine kollektive und überindividuelle Dimension auf, grenzen sich aber in ihrem Zeithorizont ab, indem sie langfristig stabil angelegt sind (Fuchs 2012: 71; vgl. Ullrich 1999b: 1/2). Die frühen Arbeiten der englischsprachigen Wirtschaftsgeographie seit dem Cultural Turn versuchen gleichermaßen die handlungsleitenden, kulturspezifischen Motive im Kontext internationaler Unternehmenskooperationen zu identifizieren (exemplarisch: Schoenberger 1997; 1999), bleiben dabei jedoch oftmals vage im Hinblick auf die methodologische Identifikation dieser latenten Motivlagen (vgl. dazu Kap. 2 u. 5).
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Abbildung 11: Zentrale Anknüpfungspunkte wirtschaftsgeographischer Erkenntnisperspektiven und Debatten an die vorliegende Untersuchung
Ab den 2000er Jahren sind innerhalb der englischsprachigen Wirtschaftsgeographie vor allem praktikenbezogene Arbeiten zu beobachten, die ebenfalls eine Akteursperspektive einnehmen und sich mit den beobachtbaren Praktiken der handelnden Akteure beschäftigen (vgl. Gertler 2001; Leyshon 2011). Dabei spielen vor allem die kontextbezogenen Mechanismen sozialer Wirklichkeitsaushandlung die zentrale Rolle: So untersuchen Gertler (2001), Jones (2008a/b) und Faulconbridge (2008) die so genannten „cultures of work“ und „interfirm practices“ (Faulconbridge 2008: 502; sowie: Jones 2008a: 15ff) und rekurrieren inhaltlich auch auf wirtschaftsgeographische Debatten um Nähe und Distanz, aber auch auf die Konstitution von Firmenkulturen und deren Effekten (z. B. Best Practices; vgl. Schoenberger 1997; Gertler 2001: 5ff). Diese dynamische und situative Konstitution von Näheund Distanzdimensionen im Kontext der den Interviewprotokollen zugrundeliegenden sozialen Handlungspraktiken ist dabei der zentrale Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Mit Hilfe der Deutungsmusteranalyse soll vor allem auch die englischsprachige Praktikenperspektive erkenntnistheoretisch um die Dimension latenter Handlungsmotive erweitert werden (Kap. 7 u. 9). Einzuordnen sind diese Debatten auch in die Ansätze der übergeordneten Kulturgeographie (vgl. dazu Lippuner 2005: 136), welche die Formationen und Mechanismen von regionalen Kulturen und Lebenswelten (vgl. Pohl 1986: 173ff) untersucht und sich eines Sets heterogener Methoden bedient (v. a. Ethnographie; vgl.
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dazu Meyer 2000; Wardenga 2005; sowie die kulturbezogenen Arbeiten in Tab. 4). Der Konnex zur Analyse sozialer Deutungsmuster ist dabei evident, da es sich gleichermaßen um einen konstruktivistischen Zugang handelt, und kulturspezifisch tradierte Deutungsmuster eine analytische Kategorie des übergeordneten begrifflichen Zusammenhangs ‚Kultur‘ bilden (vgl. Ullrich 1999b: 3; sowie: Meyer 2000; Wardenga 2005; ausführlicher: Kap. 5). Auch Deutungsmuster verweisen auf eine Form der Kulturaskription (= Zuweisung von Kultur), die sich rekonstruktionslogisch vor allem in der Differenzerfahrung zu einer ‚anderen‘ Kultur (vgl. Meyer 2000: 158/161; Rothfuß 2009) manifestiert und begründet (im „interspace“, Fuchs et al. 2017a: 4) und darüber hinaus auch axiomatischer Ausgangspunkt räumlicher und raumbezogener Distanzierungspraktiken ist (Kap. 5). Die englischsprachige Practice-Debatte (exemplarisch: Schatzki 2016; Everts 2016) geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass es im Zuge der Globalisierung zum Aufeinandertreffen unterschiedlicher Arbeitskulturen kommt, sprechen aber auch von der Entwicklung einer globalen Work Identity (so etwa Faulconbridge 2008 für den Bereich transnationaler Anwaltskanzleien), also der Normierung und Ausbreitung spezifischer Handlungs- und Denkmuster (für den Bereich organisationaler Identitäten vgl. Giustiniano/de Bernardis 2017). Gerade dieser Aspekt stellt einen zentralen Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit dar, da er im Zuge der Neujustierung von Arbeitskulturen nach der Firmenübernahme ebenfalls die Frage nach den Handlungslogiken in den neuen Konstellationen sowie den Mechanismen von Annäherung und Distanzierung aufwirft (Kap. 7; vgl. Huter et al. 2017). Innerhalb der deutschen Humangeographie finden sich seit den 1990er Jahren auf methodologischer Ebene auch dezidiert sprechakttheoretische Argumentationen (vgl. Felgenhauer 2007a/b; Koch 2011; Schlottman 2005, 2007), welche die semantische Produktion von Raum thematisieren. Dazu zählen mediale räumliche Repräsentationen (vgl. Reuber/Schlottmann 2015; Miggelbrink/Meyer 2015) sowie performative (vgl. Strüver 2015) und diskursanalytische Raumproduktionen (vgl. Mattissek 2007), bei denen sich, trotz zumeist unterschiedlicher Erkenntnisperspektive (v. a. poststrukturalistisch), zahlreiche inhaltliche und methodologische Anknüpfungspunkte an die vorliegende Arbeit ausmachen lassen. Raum bildet auch dabei ein gedankliches und semantisches Konstrukt und kann als Gegenstand einer sprachbasierten Rekonstruktion nur durch die semantische ‚Produktion‘ von Raum selbst verstanden werden (vgl. Dörfler 2013a: 245; Mattissek 2007; exemplarisch: Kaspar 2013; Boesen et al. 2015). Weitere inhaltliche Anknüpfungspunkte im Kontext aktueller wirtschaftsgeographischer Diskussionen, die aufgrund ihrer Wichtigkeit für die vorliegende Arbeit nachfolgend präziser betrachtet werden sollen, finden sich vor allem in der Diskussion über die Genese und Dynamik von Institutionen (vgl. Martin 2000; Schamp 2003; Scharpf 2000) sowie der räumlichen Konstitution und Dynamik von Wissen und seinen Transferprozessen (z. b. Lernen, Diffusion; vgl. Ibert/Kujath 2011;
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Malmberg/Maskell 2006; Schamp et al. 2004). Auch die Mechanismen der Näheund Distanzproduktion verweisen in ihrer latenten Dynamik auf eben diese Themen. So zeigte sich in der empirischen Untersuchung, dass die einseitigen Wissensflüsse zwischen den deutschen Unternehmen und den asiatischen Investoren gleichermaßen argumentativer Ausgangspunkt und Determinante der Distanzierungs- und Ausgrenzungsmechanismen seitens der deutschen Führungskräfte sind. Die asiatischen Investoren erfüllen dabei gewissermaßen die inhaltlichen und administrativen Nähebedingungen nicht, anhand derer sie gemessen und bewertet werden (ausführlich: Kap. 7; vgl. dazu auch Fuchs/Schalljo 2016: 23ff). 4.2.2 Nähe- und Distanzkonzepte in wirtschaftsgeographischen Debatten: vom Stand der Diskussion zu einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive Im Kontext der erkenntnistheoretischen Positionierung latenter Deutungsschemata handelnder Akteure erscheinen die wirtschaftsgeographischen Diskussionen über Nähe- und Distanzpraktiken aus theoretischer Perspektive und im Hinblick auf die empirische Untersuchung von zentraler Bedeutung (Kap. 7). Die Frage, wie sich Nähe- und Distanzausprägungen in sozialen Settings und Akteurskonstellationen im räumlichen „interspace“ (Fuchs et al. 2017a: 4) konfigurieren, verändern und in einem wechselseitigen Verhältnis zum Raum stehen, ist innerhalb der letzten zwei Dekaden zu einem zentralen Thema der Wirtschaftsgeographie avanciert (exemplarisch: Boschma 2005; Malmberg/Maskell 2006). Für den Analysefokus der vorliegenden Untersuchung erscheint vor allem die Schematisierung unterschiedlicher Nähe- und Distanzwahrnehmungen und -produktionen aus hermeneutischer Sicht sowie deren Wirkung auf Wissens- und Kooperationsprozesse (vgl. Brökel 2016) und organisationales Lernen in den untersuchten Unternehmen und Investorenstrukturen von zentraler Bedeutung (Kap. 7). Eine hermeneutische Erkenntnisperspektive muss dabei begründen, worin genau der Mehrwert der vertieften Analyse besteht. Nähe und Distanz werden dabei in der Wirtschaftsgeographie in unterschiedlichen Dimensionen diskutiert, die für eine erste Annäherung und spätere Rekonzeptualisierung aus einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive von wesentlicher Bedeutung sind. Wesentlich erscheint dabei zunächst die analytische Unterscheidung von organisationaler, institutioneller, kognitiver und sozialer Distanz als Begriffsformen relational unterschiedlicher Positionen in kulturellen und kulturräumlichen Systemen (Ibert et al. 2014: 48-50; Proximity-Diskurs; vgl. Boschma 2005; Brökel 2016: 60ff; Si/Liefner 2014) und geographisch-räumlicher Distanz als metrisch fassbare Kategorie (ebd.: 48/49; Abb. 13). Auch Bathelt und Glückler (2003) unterscheiden in ihrer relationalen Konzeption räumliche Nähe und Distanz von kultureller, institutio-
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neller, organisatorischer und virtueller Nähe und Distanz (Bathelt/Glücker 2002; 2003: 48ff; 2012), konkretisieren ihre Überlegungen aber eher theoretisch als methodologisch. Als problematisch erscheint bei den diskutierten Unterscheidungen, dass sich die verschiedenen analytischen Dimensionen in den meisten empirischen Fällen einander überlagern und in der Realität zumeist miteinander korreliert sind (Brökel 2016: 65f; Menzel 2008; Ibert 2010). Darüber hinaus stehen Nähe und Distanz nicht in einem statischen Verhältnis zueinander: Struktur und Dynamik von Nähe und Distanz unterliegen einem dauerhaften Wandel, was eine dynamische Perspektive impliziert (vgl. Brökel 2016: 65f). Gerade dem Aspekt organisationalen und kulturellen Lernens (vgl. Schoenberger 1997; 1999; Faulconbridge 2008: 500ff) dürfte im Sinne der Fragestellungen dieser Arbeit und methodologisch einige Bedeutung zukommen, da sich auch in den neuen Investorenstrukturen Nähe- und Distanzpraktiken neu justieren bzw. neu ausgehandelt werden müssen (vgl. Fuchs/Schalljo 2016; Kap. 7). Eine hermeneutische Erkenntnisperspektive vermeidet dabei explizit, ex ante nach Distanzdimensionen zu suchen, sondern stellt die Askriptionen von Nähe und Distanz selbst in das Zentrum der Analyse. Der Ausgangspunkt kognitiver Distanz ist dabei die Überlegung, dass Organisationen und Akteure nicht gänzlich rational handeln, sondern durch motivationale und kognitive Faktoren in ihrem Handeln und Entscheiden beeinflusst werden (Brökel 2016: 56; Si/Liefner 2014: 287). Ausgeprägte kognitive Nähe erlaubt dabei eine schnelle und unkomplizierte Verständigung, bedeutet aber auch reduziertes Innovationspotenzial (vgl. Notebloom 2001: 41ff; 2003: 105ff), wobei eine zu starke Einbettung auch Innovationen hemmen und unter Umständen zu einem regionalen Lock-In führen kann (vgl. Grabher 1993; Uzzi 1997: 35f; Ibert et al. 2014: 49/50). Während die methodologische Umsetzung zur Messung kognitiver Distanz oftmals unklar bleibt, vermag die Deutungsmusteranalyse hier einen Beitrag zu leisten, indem sie die Deutungssemantiken selbst zum Gegenstand der Analyse macht. Wie Nähe und Distanz akteursbezogen produziert werden, kann so methodologisch besser nachvollzogen werden. Gleiches gilt für die Kategorie der organisationalen Nähe und Distanz: Unternehmen konstituieren ein institutionelles Setting und „cultures of work“ (Faulconbridge 2008: 502; vgl. Brökel 2016: 60), die eine organisationale Distanz konstruieren („communities of practice“; Gertler 2001: 20; vgl. auch Wenger 1998). Gertler (2001; 2003) etwa bezieht sich explizit auf die unterschiedlichen Formen, wie Unternehmen und Manager sozialisiert sind: „They respond in different ways to the same challenges, based on their own histories, education, experience, temperament, corporate cultures, distinctive capabilities, intangible assets, and so on.“ (Gertler 2001: 20). Der zentrale Analyseansatz der Deutungsmustertheorie impliziert dabei gleichsam eine integrative Perspektive: Gegenstand der Untersuchung sind sowohl die mikroanalytischen Deutungen der handelnden Subjekte als auch der allgemeine soziale Sinn, der sich in den Interviewprotokollen abgelagert hat (vgl. Oevermann 2002: 1-4). Die Analyse bietet
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somit einen mesoskaligen Zugang zu sozialen Phänomenen (Schamp 2003: 150), wie sie Jones und Murphy (2011) und Jones (2014) im Kontext der PracticeDebatte(n) postulieren (vgl. Jones/Murphy 2011: 368f; Jones 2014). Nähe- und Distanzproduktionen können somit sowohl organisational als auch akteursbezogenkognitiv analysiert werden. Dies ist konstitutionstheoretisch auch damit zu begründen, dass die Kategorie organisationaler Nähe in die Form sozialer und kultureller Nähe und Distanz eingebettet ist: Soziale Beziehungen beeinflussen ökonomische Aktivitäten (Brökel 2016: 61f) und sind ihrerseits nicht ohne das Soziale zu verstehen. Auch Schoenbeger (1997) verweist in ihrer Studie explizit auf die „underlying social actions within the firm“ (ebd.: 116; vgl. Faulconbridge 2008: 502) als analytische Dimension. Gerade im Hinblick auf die Analyse sozialer Deutungsmuster erscheint die soziale Nähe und Distanz von zentraler Bedeutung für das vertiefte Verständnis der untersuchten Unternehmens- und Akteurskonstellationen (Kap. 7). Dies gilt, auch im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung, für institutionelle Nähe und Distanz, mit der die spezifischen Gewohnheiten, Routinen, Regeln und Gesetze auf der Makro-Ebene angesprochen sind, welche die Beziehung innerhalb und zwischen sozialen Gruppen regeln und ordnen (Brökel 2016: 62; vgl. dazu auch Kinder/Radwan 2010). Vor allem die Erscheinungsform informeller institutioneller Regeln (z. B. Tacit Knowledge; implizite Wissensbestände) erscheint aus Deutungsmusterperspektive als analyserelevant (exemplarisch: Asheim 2012), sind es doch die Deutungsmuster eines sozialen Milieus (Oevermann 2001b: 38-40; von Alemann 2015: 106), welche die sozialen Aushandlungsmechanismen in den jeweiligen Investorenkonstellationen maßgeblich determinieren. Die Form institutioneller Nähe und Distanz ist dabei gleichsam als kulturelle Nähe- und Distanzform zu verstehen, schließlich initiieren Deutungsmuster eine kulturelle Differenzperspektive zu einem räumlichen ‚Anderen‘ (Ibert et al. 2014: 45; vgl. dazu auch Rothfuß 2013). Eine Rekonzeptualisierung von Nähe- und Distanzdiskursen als Ausgangspunkt einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive muss ganzheitlich angelegt sein und in ihrem Analyseansatz zentrale epistemologische und methodologische Aspekte berücksichtigen: Erkenntnistheoretisch beginnt eine erste wesentlich zu treffende Konkretisierung von Nähe- und Distanzdimensionen mit der Unterscheidung zwischen ‚physischen‘ und ‚relationalen‘ Distanzen (Ibert 2010: 7; sowie: Amin/ Cohendet 2004; Gertler 2008). Der Begriff relationale Distanz umfasst dabei unterschiedliche Deutungsformen kultureller Fremdheit, wobei eine präzise methodologische Zuordnung oftmals nicht gelingt (vgl. Ibert 2010; Ibert et al. 2014: 47f; Schoenberger 1997). Räumlich und/oder milieuspezifisch anzutreffende Deutungsmuster definieren die Mechanismen von Fremdheit im Sinne relationaler Positionen in einem kulturell vermittelten System von Normen, Werten und Regeln und bemessen dabei die je spezifischen Ausprägungen von Distanzformen (Ibert et al. 2014: 47/49; sowie: Ibert 2010; Kap. 7). Kulturelle Unterschiede sind nicht unab-
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hängig von physisch-metrischen Distanzen zu denken (Ibert et al. 2014: 50). Vielmehr muss Nähe und Distanz als untrennbar von kulturspezifischem Handeln gedacht werden, da ihm auch Nähe- und Distanzpraktiken innewohnen (ebd.: 47, 50). Die Konzeptualisierung von relational gedeuteten Distanzen versteht Beziehungen von einer gewissen Ähnlichkeit als Ausdrucksformen von Relationen, die sich durch unterschiedliche Positionen in kulturellen Deutungssystemen ergeben (Ibert 2011: 52; Ibert et al. 2014: 50). Organisationale, soziale, kulturelle und kognitive Nähe und Distanz beschreiben dabei Relationen, die aus mindestens zwei Entitäten bestehen (Ibert 2011: 52). Ob eine Nähe- und Distanzausprägung nun ‚sozial‘ oder ‚kulturell‘ motiviert ist, erscheint eher als begriffliches, denn als analytisches Problem (vgl. Pohl 1986: 168f): Erkenntnistheoretischer Gegenstand dieser Analysen bleibt eine sprachlich rekonstruierbare Ausprägung von Differenz im Sinne von sprachlichen Routinen und Gewohnheiten (Ibert et al. 2014: 50; Kinder/Radwan 2010), die methodologisch nur in einer Form der Differenzerfahrung rekonstruierbar gemacht werden kann (vgl. Meyer 2000: 158/161; Kap. 5). Raumorientierung und Distanzierungspraktiken erscheinen dabei als grundlegendes Verhalten (Ibert et al. 2014: 50), welches kulturell vermittelt wird und sich in den Deutungs- und Handlungsmustern der handelnden Akteure zeigt (Abb. 12). Physischer, also metrischer Distanz wohnt dabei selbst das Potenzial zur Herstellung von raumbezogener Identität und identitärer Differenzierungspraxis inne (Ibert et al. 2014: 50), da auch Räume über Deutungsmuster schematisiert werden und Deutungsmuster selbst räumlich anzutreffen sind (Fuchs 2012: 74ff), hier als nationale und organisationale Kulturen (Abb. 12; zur Unterscheidung vgl. Kap. 5). Deutungsmuster steuern und regeln Nähe- und Distanzrelationen, kulturell als tradierten Bestand von bisher angeeigneten Distanzierungspraktiken und sozial- wie auch als milieuspezifisch als (vgl. Oevermann 2000: 62ff) Ausformung in sozialen Settings, in denen sich kulturelle Praktiken erst manifestieren und ausdifferenzieren (= Differenzerfahrung; vgl. dazu Kap. 5; Dörfler 2013a: 253f), kognitiv als den Modus Operandi in den direkten kommunikativen Aushandlungsmechanismen zwischen den einzelnen Akteuren. Der methodologische Zugang zu Nähe und Distanzpraktiken aus Deutungsmusterperspektive gelingt über Sprache, also den Prinzipien der objektiv gültigen Selbstverortung, und damit Produktion von Nähe und Distanz, die ihrerseits sprachlich angeeignet wird und so die Raumdeutung leitet (z. B. ‚links‘/,rechts‘; ‚nah‘/ ‚fern‘; vgl. Koch 2011: 270), so dass von einer grundlegenden sozio-linguistischen Bezogenheit der Raumorientierung auszugehen ist (ebd.: 270/271; exemplarisch: Kap. 7). Sprache wird so zum raumerzeugenden Konstrukt von Nähe und Distanz (ebd.: 271f; vgl. dazu Pohl 1986: 176f).
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Abbildung 12: Konzeptualisierung von Nähe- und Distanzrelationen verorteter Organisationen im metrischen und relational gedeuteten Raum aus Deutungsmusterperspektive
Die Erforschung von Nähe- und Distanzverhältnissen ist erkenntnistheoretisch eng verwoben mit der analytischen Rekonstruktion von subjektiven Raumkognitionen (Koch 2011: 271; sowie: Ibert et al. 2014), wie sie sich in den Deutungsmustern der Subjekte als objektiver tradierter Sinn offenbaren (vgl. Oevermann 2002: 1-4). Wie entsteht soziale, institutionelle und/oder organisatorische Nähe oder Distanz (vgl. Boschma 2005) in der Auseinandersetzung mit differenten Deutungsschemata, etwa im Zusammentreffen unterschiedlicher Arbeitskulturen (vgl. Jones 2008b; Faulconbridge 2008; Kap. 7)? Gemeint sind jene Kognitionen des Raumes, die sich in den sozio-linguistischen Schematisierungen der Führungskräfte aufzeigen lassen (vgl. Koch 2011: 271). In den Begriffen ‚Nähe‘ und ‚Distanz‘ zeigt sich dabei die an die Deutung gebundene Einheit des Subjekts von Raum und Zeit (Pohl 1968: 141ff; 176-181), aber auch das jeweilige Raumwissen und die konkreten Raumpraktiken, die mit diesen sprachlichen Schemata deutungslogisch in Verbindung stehen (Kap. 7). Nähe und Distanz erscheinen in dieser Erkenntnisperspektive nicht als statische Gebilde, sondern als variable, situativ gedeutete Schemata der Abgrenzung oder Annäherung (Koch 2011: 274).
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4.2.3 Deutungsmuster als sensibilisierendes Konzept für wirtschaftsgeographische Debatten über Wissen und Institutionen: Tacit Knowledge und informelle Institutionen als Ausgangspunkt von Nähe- und Distanzprozessen Die Analyse sozialer Deutungsmuster vermag auch die Konstitution und Dynamik von interaktiven Wissensprozessen und spezifischen institutionellen Settings um die Analyseebene latenter Handlungsmotive zu erweitern. So wird die empirische Auswertung aufzeigen, dass die lokalen und milieuspezifischen Wissensstrukturen an akteursspezifische Deutungssysteme gebunden sind, die nicht nur die Richtung der Wissensflüsse und Synergien leiten (Kap. 7), sondern auch die Frage nach institutioneller Nähe und Distanz aufwerfen, wie sie im vorangegangenen Kapitel bereits thematisiert wurde. Die Deutungsmusteranalyse stellt dabei ein sensibilisierendes Konzept für die Analyse impliziter Wissensstrukturen und Institutionen in ihrem alltäglichen Konstitutionszusammenhang dar (vgl. dazu auch Fuchs 2012: 71f; 76f; Meusburger 2009: 29-33). Institutionen definieren und regeln den Möglichkeitsraum von Handlungen (Fuchs 2012: 76f; North 1992: 3; Schamp 2003: 150), indem sie als stabile, für alle geltende „Spielregeln“ (Schamp 2003: 150) internalisiert und situativ wirksam werden (Fuchs 2012: 76f; Institutional Arrangement; funktionale Sichtweise; vgl. Denzau/North 1994; Menard 1995: 161ff). Ähnlich wie Institutionen bilden auch Deutungsmuster handlungsleitende und normative Settings (Fuchs 2012: 72f; 77). Auch wenn Oevermann selbst das Konzept des Tacit Knowledge meidet und die Kategorieformen des impliziten Wissens und der latenten Sinnstruktur in einem wissenssoziologisch durchaus kontrastreichen Verhältnis zueinander stehen (ausführlicher: Matthiesen 1994: 97/98), so verweisen Deutungsmuster als latente Systematisierungsgestalten doch auf einen gemeinsam geteilten Bestand (zumeist) impliziten Milieuwissens (vgl. Bohnsack et al. 2013: 15; Dörfler 2013a: 246; Matthiesen 1994: 98). Beide eröffnen einen gemeinsamen Rahmen von normativen Handlungsmöglichkeiten und verändern sich mit Bezug auf ein soziales Handlungsproblem stets pfadabhängig, ko-evolutionär (Fuchs 2012: 76/77; Weig 2016: 64f; sowie: Koch 2011: 269) und problembezogen (Garz/Raven 2015: 20ff). Die Wirtschaftsgeographie befasst sich mit zentralen Institutional Settings und deren Raumwirksamkeit wie ‚Markt‘ oder ‚Organisation‘ aus verschiedenen methodologischen und räumlichen Perspektiven und Maßstabsebenen (Fuchs 2012: 74f). Deutungsmuster verbinden mit Wissen und Institutionen als erkenntnistheoretische Kategorien, dass es sich jeweils um latente Konstrukte (vgl. Berger/Luckmann 1969/1987; Hodgson 1998; Fuchs 2012: 76ff) und organisationale Routinen handelt (Kinder/Radwan 2010: 43f). Im Hinblick auf die Empirie erscheinen die Form des informellen Wissens sowie lokale Formen der Institutiona-
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lisierung von zentraler Bedeutung. Die Erweiterung der Erkenntnisperspektive besteht dabei auf zwei Ebenen: • erkenntnistheoretisch: Mit dem Knowledge Turn in der Raumforschung hat sich
die Vorstellung etabliert, dass Wissen und Raum in einem Verhältnis der KoEvolution, also in ihrer Dynamik in wechselseitiger Relation stehen (Koch 2011: 269; Matthiesen 2007a/b; Meusburger et al. 2011: 221ff; Schamp 2009). Wissen wird dabei in seinen verschiedenen Institutionalisierungsformen als „strukturierende Kraft des Raumes“ (Koch: 2011: 269) verstanden, wobei die Konzeptualisierung von Wissen die latenten, kognitiven Konstrukte der Wissensproduktion betrachtet (Fuchs 2012: 73; 2014: 50). Deutungsmuster können erkenntnistheoretisch als steuerndes latentes Element genetisch-dynamischer Wissens- und Institutionalisierungsprozesse verstanden werden. So zeigt die empirische Untersuchung, dass die als einseitig dargestellten Wissensflüsse und -strukturen gleichsam der inhaltslogische Ausgangspunkt sozialer Distanzierungsstrategien der deutschen Führungskräfte sind. Die Kategorie des orts- und personengebundenen Tacit Knowledge fungiert dabei als Gradmesser, anhand dessen die ausländischen Investoren gemessen werden (Kap. 7). Die Produktion von Nähe und Distanz zeigt sich also gleichermaßen in den personengebundenen Wissens- und Institutionalisierungsprozessen. Wissen kann nicht von seiner wissensförmigen Repräsentation, also den Deutungen, über die Wissen überhaupt zugänglich ist, losgelöst betrachtet werden (vgl. Koch 2011: 269). Empirisch ist demnach nur ein repräsentiertes Wissen über spezifische Deutungskategorien zugänglich (Fuchs 2014: 53; Meuser 2013: 224; vgl. dazu auch Fuchs 2012: 71/72). Die Struktur und Dynamik von Wissen steht dabei in funktionalem Bezug zu Deutungsmustern: Auch wenn Wissen für ‚wahr‘ gehalten wird, verhält es sich nicht statisch; vielmehr kann und wird es in Bezug auf Handlungsprobleme laufend reflektiert und weiter entwickelt (Fuchs 2012: 72f). Gleichzeitig können Deutungsmuster in gesellschaftlicher wie in milieuspezifischer (vgl. Oevermann 2001b: 38-40; von Alemann 2015: 106) Sichtweise nicht unabhängig von dem ‚Wissen‘ verstanden werden, in dem sie kulturell verankert sind (Fuchs 2012: 72; 2014: 49ff; vgl. dazu auch Meusburger 2005: 148ff). Die Analyse der Deutungspraktiken der Führungskräfte kann dabei zu einem vertieften Verständnis beitragen, wie sich latente Wissensflüsse in den neuen Investorenkonstellationen aus Deutungsmusterperspektive neu justieren und eine gerichtete Dynamik aufzeigen (= Lernen). In den Deutungsmustern der Führungskräfte zeigt sich nicht nur die Struktur der eigenen tradierten Wissens- und Denkvorräte, sondern gleichermaßen die sequenzielle Genese und Dynamik von Transferprozessen (vgl. dazu auch Koschatzky 2001: 51ff). Deutungsmuster und Institutionen erscheinen dabei jeweils als räumlich oder milieuspezifisch anzutreffende Routinen (vgl. auch Weig 2016: 65; sowie: Fuchs 2012: 76/77), jeweils
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eingebettet in die grundlegenden Deutungsschemata der handelnden Akteure selbst. Dies umfasst auch den Wandel von Institutionen: Zwar werden Institutionen als dauerhafte Erscheinungsform mit stabilisierender Wirkung verstanden und sind somit pfadabhängig (Dewald 2012: 71; Fuchs 2012: 77; Schamp 2003: 151f), jedoch wird ihnen gleichermaßen eine Veränderbarkeit unterstellt, was sich in der empirischen Untersuchung als dynamischer Prozess der Annäherung und Distanzierung nachzeichnen lässt. Während in den Private EquityEignerstrukturen die Deutungssysteme auf einen Institutional Fit schließen lassen, also institutionelle Nähe, zeigt die Analyse latenter Handlungsmuster erhebliche Mechanismen der Distanzierung gegenüber den BRIC-Investoren, wobei sich hier vor allem institutionelle Differenzen zeigen, die ihrerseits auch mit unterschiedlichen Wissensbeständen korrespondieren. Nähe und Distanz sind erkenntnistheoretisch nicht losgelöst von den sozialen Strukturen zu verstehen, die sie steuern und motivieren (vgl. Fuchs 2014: 49ff; Schamp 2003: 151ff; sowie: Koch 2011: 269/270). • methodologisch: Der genetische Strukturalismus der Deutungsmusteranalyse
kann als mesoskalige (vgl. Jones 2014; Jones/Murphy 2011: 376ff) Perspektive im Sinne Schamps (2003) verstanden werden und damit den Subjekt-ObjektDualismus überwinden (vgl. Bohnsack et al. 2013: 11/12; Schamp 2003: 150), in dem die meisten wirtschaftsgeographischen Diskussionen verharren (vgl. Jones/Murphy 2011: 373f; vgl. dazu auch Dörfler 2013a: 247ff). Dies ermöglicht es, den Wandel von Institutionen und Wissen als krisenhaften Prozess sequenzieller Sprechakte zu rekonstruieren. In der sequenzanalytischen Rekonstruktion von Handlungsprotokollen (hier: Interviews) zeigt sich die Struktur einer aktuellen Wissenspraxis im Kontext konkreter Handlungsprobleme (vgl. Garz/Raven 2015: 20f, 40f). Implizite Deutungs- und Wissenskategorien, etwa das routinisierte Wissen über unternehmerische Ablaufprozesse und Entscheidungsstrukturen, zeigen sich in der Rekonstruktion von Handlungsabläufen, wie sie sich im Untersuchungsmaterial offenbaren (Kap. 7). Diese inkorporierten Wissensbestände (etwa das Erfahrungswissen; Bohnsack et al. 2013: 14; im theoretischen Kontext: Oevermann 2013) werden dabei umso stärker mobilisiert, wenn sie in eine Phase der Neuaushandlung geraten, wie im Fall der Abläufe und Strukturen nach einer Unternehmensübernahme. Darüber hinaus kann diese methodologische Perspektive, anknüpfend an wirtschaftsgeographische Institutionenansätze (vgl. Martin 2000; Schamp 2003), helfen, den dynamischen Wandel ökonomischer Strukturen und Prozesse in seiner Mikro-Makro-Dynamik (= Subjekt/Gesellschaft) besser verstehen zu können (vgl. Jones 2014; Schamp 2003: 151; sowie: Schröder 2010). So unterliegen etwa die bestehenden institutionellen Arrangements der untersuchten Unternehmen einem dynamischen Wandel im Hinblick auf die kommunikativen Aushandlungsprozesse mit den Investoren (vgl. Fuchs 2012: 77f;
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Schamp 2003: 151), wobei der Deutungsmusteransatz eben genau diese genetisch-evolutionäre Perspektive methodologisch umfasst (Abb. 13). Dies geschieht jedoch in der vorliegenden Untersuchung weniger als Ergebnis direkten und intendierten Handelns als vielmehr als Ergebnis des Wandels latenter Deutungsangebote (vgl. dazu auch Fuchs 2014: 51ff). Diese sozial eingebetteten Strukturen, in der Wirtschaftsgeographie zumeist unter dem Begriff Embeddedness diskutiert (Glückler 2001: 211f; Martin 2000: 80; Schamp 2003: 151), sind methodologisch von wesentlicher Bedeutung für die Konstitution von Nähe- und Distanzstrukturen (ausführlich: Kap. 7). Deutungsmuster können von bestehenden Institutionen aber auch abweichen, so dass Institutionen und Deutungsmuster ‚kollidieren‘ und sich verändern oder unter Veränderungszwang geraten (Fuchs 2012: 78f). Institutionen verändern sich in Abhängigkeit von Deutungsmustern (Abb. 13), was gleichermaßen für organisationale Routinen gilt (Weig 2016: 64; vgl. auch Kinder/Radwan 2010). Abbildung 13: Zum konzeptionellen Verhältnis von Wissen, Institutionen und Deutungsmustern in dynamischer Perspektive
Empirisch lässt sich dieser Mechanismus mit Hilfe des sensibilisierenden Konzepts der Deutungsmusteranalyse im Hinblick auf die zugrunde liegenden sozialen Dynamiken besser nachvollziehen. Eine dynamische Perspektive erscheint gerade vor dem Hintergrund transkultureller Unternehmensübernahmen als interessant, da hier Routinen institutioneller Strukturen in die Krise (vgl. Garz/Raven 2015: 20; Oevermann 2013: 75ff) einer faktischen Neuaushandlung kommunikativer Wirklichkeit geraten und als Gegenstand sozialer Aushandlungsprozesse verstärkt sichtbar werden. Gerade für den viel diskutierten Erscheinungsbereich informellen Wis-
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sens (vgl. Malmberg/Maskell 2006) dürfte der Deutungsmusteransatz eine Erweiterung der Erkenntnisperspektive darstellen, da hier explizit nach dem latent verfügbaren und geteilten Bestand an Denkschablonen von Mitgliedern eines sozialen Milieus gefragt wird. 4.2.4 Lernen als raumbezogene Nähe- und Distanzdynamik: krisenhafte Deutungsmuster Lernen als die systematische Aufnahme impliziten und expliziten Wissens gehört nicht nur zu einem der zentralen Themen der Wirtschaftsgeographie (vgl. Koschatzky 2001; Mamberg/Maskell 2006), sondern zeigt sich auch innerhalb der hermeneutischen Untersuchung als zentraler Aushandlungsprozess zwischen den deutschen Führungskräften und den asiatischen Eignern. Wissen und Lernen stehen, auch in ihren räumlichen Konkretisierungen, in einem engen erkenntnistheoretischen Zusammenhang (vgl. Argyris/Schön 1978): Wissen muss erlernt werden, entweder durch systematisches Lernen im Kontext expliziten und kodifizierten Wissens (= Faktenwissen), oder aber Wissen ist personengebunden und implizit und wird vor allem durch persönliche Kontakte und in räumlicher und sozialer Nähe als temporale Dynamik übertragen (Fuchs 2014: 41; Koschatzky 2001: 49/50). Letztere Form des Wissenserwerbs in der impliziten Form persönlicher Kontakte verweist als Erfahrungswissen auf die zuvor thematisierte Konkretisierung von Nähe- und Distanzmechanismen aus der erkenntnistheoretischen Perspektive sozialer Deutungsmuster. Die Analyse sozialer Deutungsmuster kann dabei methodologisch den Blick dafür schärfen, wie latente Deutungs- und Handlungslogiken zur Erklärung des erfolgreichen Handelns der Akteure herangezogen werden können (vgl. Schamp 2003: 153), wie es erkenntnistheoretisch auch in Konzepten der lernenden Region (vgl. Koschatzky 2001) oder des innovativen Milieus (GREMI-Gruppe) angestrebt wurde und wird. Bei diesen Kompetenzen handelt es sich zumeist um personen- oder gruppenbezogenes Wissen (z. B. Sticky Knowledge), das im Kontext der vorliegenden Untersuchung vor allem das Know-How und Branchenwissen der deutschen Führungskräfte umfasst. Lernprozesse, oftmals in spezifischen räumlichen Konstellationen (z. B. Embeddedness, ‚innovative Milieus‘; Fuchs 2014: 41f; Koschatzky 2001: 51/52), werfen die Frage auf, wie sich diese Kooperationsstrukturen zwischen deutschen Führungskräften und ausländischen Eignern nach dem M&A konfigurieren und räumlich (re-)strukturieren. Lernen umfasst in der empirischen Untersuchung sowohl den aktiven Prozess der Adaption und Erweiterung von strategischem Wissen, was die Machtverhältnisse von Unternehmen (vgl. Fuchs 2014: 41/42; Marston/de Leeuw 2013: vi) mit dem Ziel strategischer Wettbewerbsvorteile verändern kann. Lernen kann dabei in der Konzeptualisierung dieser Arbeit als die sequenzielle Adaption und Evolution von
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Denkmustern (hier: Wissen, Deutungsmuster) und im praktischen Zusammenhang als absichtsvoller Prozess verstanden werden (vgl. Fuchs 2014: 41f; Koschatzky 2001: 49f). Vor allem die analytische Kategorie des impliziten Wissens (= Tacit Knowledge), wie es ortsgebunden an die Personen und Handlungsabläufe gebunden ist (Koschatzky 2001: 49), erscheint hochgradig deutungsmusterspezifisch: Die Deutungen der Führungskräfte sind als Wissensstruktur milieuspezifisch anzutreffen und manifestieren einen Bestand an Wissen, der durch die Aushandlungsprozesse in den neuen Eignerstrukturen verstärkt aktiviert und mobilisiert wird (vgl. Fuchs/Schalljo 2016). Gleichsam zeigen sich durch diese erkenntnistheoretische Perspektive auch Prozesse des Lernens auf Deutungsmusterebene. Bezogen auf das Untersuchungsfeld erscheint vor allem die Frage relevant, welche Richtung die Wissensflüsse in den jeweiligen Konstellationen aufzeigen und inwiefern sich unternehmerische Lernprozesse zeigen (z. B. Synergien; vgl. dazu Fuchs 2014: 43f). Die Deutungsmusteranalyse kann dabei in zwei Punkten zu einer methodologischen Sensibilisierung beitragen: Erstens offenbart das Erfahrungswissen (vgl. Oevermann 2013: 69f) der untersuchten Führungskräfte einen Bestand von strukturrelevanten Deutungsmustern, die ihrerseits den Ausgangpunkt für spezifische Lernformen bilden (z. B. Learning by Doing, Learning by Using, Learning by Interacting; vgl. dazu Amin/Cohendet 2000), oder aber, wie im untersuchten Beispiel, diese Lernprozesse im Hinblick auf strukturkonservative Deutungen weitestgehend unterbinden. Dynamisch ist diese erkenntnistheoretische Perspektive, weil sie vor allem den Prozess der Lernens (oder Nicht-Lernens!) selbst in das Zentrum einer Methodologie stellt, deren Ziel die Rekonstruktion eben dieser Mechanismen ist (Kap. 7). Zweitens definiert die kommunikative Aushandlungsstruktur zwischen einem lernenden Investor und einem fachlich überlegenen deutschen Management auch die Richtung der Wissensflüsse im Unternehmen, ist aber gleichermaßen auch integraler Bestandteil der Distanzierungslogik nach der Übernahme selbst (vgl. Fuchs/Schalljo 2016: 24-26). Aktiv müssen die Führungskräfte und die ausländischen Eigner aber auch lernen, kulturelle Praktiken und mögliche Differenzen im transkulturellen „interspace“ (Fuchs et al. 2017a: 3) zu verstehen, um bestenfalls gemeinsame und möglichst erfolgreiche Denklogiken zu kreieren (vgl. Fuchs 2014: 44; Fuchs et al. 2017a: 2-4; sowie Denzau/North 1994). Gerade in transnationalen Unternehmen ist es von zentraler Bedeutung für den Geschäftserfolg, sprachliche Barrieren, kulturelle Weltsichten und politische Differenzen zugunsten einer generellen Offenheit zu überbrücken (vgl. Fuchs 2014: 41/42; Karlsson/Johansson 2012: 30-31; vgl. auch: Ferreira et al. 2013: 60ff).4 Dabei steht die Zusammenarbeit ver-
4
Kultur und kulturelle Unterschiede als Determinante des Erfolgs transnationaler Unternehmensübernahmen werden dabei vor allem in der M&A-Literatur durchaus kontrovers
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schiedener am Prozess beteiligter Individuen über eine gewisse Zeitspanne im Fokus, wobei Lernen auf theoretischer Ebene dann die fortlaufende Entwicklung von Shared Mental Constructs meint (vgl. Fuchs 2014: 44f; Tindale et al. 2001: 1ff; van den Bossche et al. 2011: 286). Dieses kooperative Lernen wird in der Wirtschaftsgeographie auch als dynamischer und räumlich anzutreffender Prozess diskutiert (exemplarisch: Boschma/Martin 2010; Fuchs 2014: 41ff), wobei sich in der empirischen Untersuchung vor allem eine Dualität der kommunikativen Wirklichkeitsaushandlung zeigt: die strukturkonservativen Deutungsmuster der deutschen Führungskräfte, bei denen von Synergien und Lernen eher marginal die Rede ist, und den asiatischen Eignern, die von den deutschen Führungskräften bewusst als ‚lernende Investoren‘ charakterisiert werden (ausführlich: Kap. 7). Methodologisch zeigt sich dies in den sequenziellen Sprechakten der handelnden Akteure selbst (vgl. Schlottmann 2007: 10). Zeigen sich in den Interaktionssequenzen krisenhafte Tendenzen, so offenbart sich dabei, dass ein Deutungsmuster nicht mehr handlungsund problemadäquat ist und angepasst werden muss – Lernen ist die konsequente Folge dieses Mechanismus (im theoretischen Kontext vgl. Garz/Raven 2015: 31ff. Die temporale Kategorie des Lernens offenbart sich in der lebenspraktischen Ausformung (vgl. Pohl 1986: 173ff) sich verändernder Handlungsstrukturen und Aushandlungsmechanismen zwischen Investoren und deutschen Unternehmen und definiert gleichermaßen den Modus der Annäherung und Distanzierung in fachlichen, sozialen und kulturellen Aspekten (vgl. dazu auch Boschma 2005). 4.2.5 Nähe- und Distanzdiskurse im transkulturellen Zusammenhang: zu einem hermeneutischen Denkansatz kulturspezifischer Askriptionen Im Kontext der untersuchten humangeographischen Literatur finden sich zahlreiche Auseinandersetzungen mit kulturellen Aspekten auf der Grundlage unterschiedlicher erkenntnistheoretischer und methodologischer Ansätze (für eine Übersicht siehe Tab. 4 in Kap. 2 u. 5). Gegenstand dieser Betrachtungen sind oftmals das Aufeinandertreffen divergierender Kulturmodelle und deren Implikationen (exemplarisch: Philips et al. 2007), im wirtschaftsgeographischen Kontext zumeist in Zusammenhang mit differenten Arbeits- und Kooperationspraktiken (exemplarisch: Fuchs et al. 2017a; Jones 2008b; ausführlich: Kap. 5). Diese Arbeiten bieten einen wichtigen inhaltlichen Anknüpfungspunkt, geht es ihnen im Kern um die Frage nach den Praktiken und Effekten transkultureller Begegnungen, innerhalb derer sich im Hinblick auf die Ausprägung von Nähe- und Distanzrelationen (Kap. 7) sowohl
diskutiert. So können unterschiedliche Firmenkulturen auch einen positiven Einfluss auf den Merger haben (ausführlich: Kap. 5).
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kulturspezifische Determinationen als auch kulturell motivierte Praktiken von Annäherung und Distanzierung zeigen. Im Kontext der empirischen Untersuchung erweist sich dabei, analog zur Unterscheidung verschiedener Distanzarten (vgl. Boschma 2005; Brökel 2016), dass kulturelle Distanzen das Untersuchungsmaterial, auch im Hinblick auf weitere Distanzarten, maßgeblich determinieren. Die wissenschaftlichen Begrifflichkeiten zur Beschreibung von Kultur benennen, erkenntnistheoretisch betrachtet, unterschiedliche Qualitäten von Nähe und Distanz in transkulturellen Kontexten (Ibert et al. 2014: 47; 49/50): So erscheinen Begriffe wie Vertrauen, Differenzen, Diversität, ‚Wir und die Anderen‘, Eigenes und Fremdes, aber auch die unterschiedlichen Kulturbegriffe selbst (Kap. 5) als Ansatzpunkte, das Phänomen spezifischer Annäherungs- und Distanzierungspraktiken zu benennen und zu erklären. Kultur, Nähe, Distanz und Lernen, um exemplarisch nur einige zu benennen, sind ihrerseits semantische Konzepte zur Beschreibung von Strukturen und Prozessen (in) der Erscheinungswelt (vgl. Oevermann 2002; Pohl 1996: 73ff) und weisen zum Teil deutliche Wechselbeziehungen zueinander auf (vgl. Brökel 2016). Die Heterogenität der Begriffe korrespondiert mit der Vielfalt der kulturellen Deutungen, entlang derer Nähe und Distanz jeweils begrifflich konstruiert werden (Koch 2011: 269-271; sowie: Ibert et al. 2014: 47-50). Die Deutungsmusteranalyse erscheint gerade aufgrund ihrer expliziten Bezugnahme auf mikro- und makrogesellschaftliche Strukturen (vgl. Oevermann 2001a/b; Ullrich 1999b: 3) sowie ihres methodologischen Zugangs über das handelnde Subjekt (vgl. Werlen 1995; 1997) als geeignete Forschungsstrategie, um diese kulturorientierten Askriptionen besser verstehen zu können (Kap. 5). In Analogie zur Problematik des geeigneten erkenntnistheoretischen Zugangs zu kulturellen Phänomenen zeigt sich darüber hinaus vor allem auch ein methodologisches Problem der Messbarkeit von Kultur und kulturellen Faktoren, wie es vor allem auch innerhalb der M&ALiteratur bisweilen intensiv und konträr diskutiert wird (vgl. Kap. 5; sowie: Meyer 2000; Wardenga 2005 für die Humangeographie). Innerhalb der Humangeographie dominieren ethnographische Methoden, teilnehmende Beobachtungen und Interviews im Kontext der Erhebungsmethodik sowie inhaltsanalytische Verfahren (unterschiedlicher Prägung) und sprachbasierte Methoden (z. B. Framing) im Kontext der Auswertungsmethodik (ausführlicher: Kap. 2 u. 5). Im enger gefassten Zusammenhang der Wirtschaftsgeographie dominieren Interviewverfahren und teilnehmende Beobachtungen sowie vor allem inhaltsanalytische Auswertungsverfahren (ausführlicher: Kap. 5). Die hier vorgestellte erkenntnistheoretische Perspektive geht im Hinblick auf die oben angeführten Argumente einen wichtigen Schritt weiter, indem sie davon ausgeht, dass sich Kultur über räumlich anzutreffende Deutungsmuster (vgl. Fuchs 2012: 74f; 2013: 35f) in ihrem distanziellen Raumbezug konkretisiert: „Ohne Raum wäre das Unterschiedliche nicht unterschiedlich, sondern eins“ (Ibert 2010: 4; vgl. dazu auch Fuchs 2013: 32ff). Nähe und Distanz kultureller Praktiken benennen da-
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bei stets eine Beziehung, in der eine Ungleichheit zwischen zwei oder mehr Positionen zueinander besteht (Ibert 2010: 5) und bei denen die Differenzerfahrung erst der Ausgangspunkt einer Kultur ist (vgl. Rothfuß 2013). Kultur erscheint als die Summe tradierter Denkmuster, die sich in der Differenz zu einer ‚anderen‘ Deutungslogik erst offenbart. Im Kontext transnationaler Unternehmensübernahmen erscheint die erkenntnistheoretische Überlegung zentral, dass kulturelle Nähe und Distanz keineswegs ein Gegensatzpaar sind. Vielmehr besetzen sie zwei Positionen verschiedener Intensität an Ungleichheit, so dass es hier sinnvoller erscheint, von unterschiedlich deutlich ausgeprägten Distanzen zu sprechen (Ibert 2010: 6: sowie: Koch 2011). Auch die Kulturgeographie und praxeologische Forschung sehen in kulturell vermittelten Werten nicht nur Abweichungen auf der Ebene abstrakter Werte, sondern einen direkten Bezug zu praktischem und deutungsbezogenem Handeln (Ibert 2010: 10; sowie: Koch 2011: 270f). Kulturelle Regeln und Normen sind dabei den Handlungen initiierenden Deutungslogiken inhärent, steuern und ordnen sie als Routinen und Gewohnheiten (vgl. Ibert et al. 2014: 50; Kinder/Radwan 2010). Umgekehrt sind aber auch kulturelle Unterschiede nicht ohne die ontologische Kategorie Raum zu denken: Weltsichten und Wertehaltungen sind immer kulturräumlich anzutreffen (Ibert 2010: 12; Ibert et al. 2014: 48-50; sowie: Koch 2011: 271f). Relationale Distanz avanciert dabei in der bereits thematisierten Konzeptualisierung zum Terminus, mit dessen Hilfe kulturelle Unterschiede identifiziert und aufeinander bezogen werden können (ebd.: 13; Ibert et al. 2014: 48/49). Organisationen im internationalen Kontext (z. B. global agierende Unternehmen) sind mit dieser Problemlage in hohem Maße konfrontiert. Relationalen Distanzen wird mit organisationalem Lernen begegnet, um gemeinsam geteilte Problemlösungen zu verwirklichen (Fuchs 2014: 44; van den Bossche et al. 2011: 283ff). Für die Analyse sozialer Nähe- und Distanzaskriptionen im transkulturellen „Zwischenraum“ (Fuchs 2013: 38) erscheint vor allem der konkrete M&A-Kooperationskontext (vgl. Dörfler 2013a: 246; Oevermann 2001b: 38-40; von Alemann 2015: 106) in der Konstitution latenter „cultures of work“ (Faulconbridge 2008: 502; Ettlinger 2003: 146/147) als bedeutsam. Diese Arbeits- und Wissenskulturen sind nicht losgelöst von gesamtgesellschaftlichen Deutungsmustern zu begreifen, konstituieren aber auch eine gewisse Firmenkultur als ‚Ort‘ der Konkretisierung und sozialen Aushandlung von Deutungsmustern, welche die Mechanismen der Nähe- und Distanzproduktion determinieren und strukturieren.
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4.3 ZWISCHENFAZIT C: DEUTUNGSMUSTER ALS WIRTSCHAFTSGEOGRAPHISCHE ERKENNTNISPERSPEKTIVE: ZU EINEM VERTIEFTEN VERSTÄNDNIS VON NÄHE- UND DISTANZPRAKTIKEN BEI INTERNATIONALEN UNTERNEHMENSKOOPERATIONEN Das zurückliegende Kapitel hat zu er- und begründen versucht, worin die Möglichkeiten und Erkenntnisdimensionen einer hermeneutischen Wirtschaftsgeographie zur Untersuchung von milieuspezifischen Deutungs- und Handlungspraktiken sowie den latenten Mechanismen von Annäherung und Distanzierung in transkulturellen Kooperationsstrukturen liegen. Während in Kapitel 2 bereits grundlegende Denkansätze aus einer kritischen Perspektive auf die aktuellen Analysepraktiken in der Humangeographie in theoretischer Perspektive aufgezeigt wurden, unterlagen in Kapitel 4 zunächst die zentralen erkenntnistheoretischen Grundbegriffe ‚Raum‘ und ‚Handlung‘ und die Implikationen der diskutierten Forschungsperspektive einer kritischen Betrachtung. Die im ersten Teil des Kapitels angeführten Denkansätze einer solchen Erkenntnisperspektive liegen in der Fokussierung auf latente Bedeutungskonstruktionen und deren raumproduzierende Wirkungen, methodologisch auf der Ebene von Akteuren und deren Handlungs- und Interaktionsstrukturen (vgl. Dörfler 2013a/b; Pohl 1986; 1996; Rothfuß/Dörfler 2013), erkenntnistheoretisch als Rekonstruktion der bedeutungs- und handlungsgenerierenden Regeln (vgl. Oevermann 2001a) und deren Implikationen für den Raum (vgl. Fuchs 2012: 74f). Dem möglichen Einwand einer genuin soziologischen Forschungsperspektive sollte dabei argumentativ in zweierlei Hinsicht begegnet werden: • Insofern der Analysefokus sich auf das sich strukturierend handelnde Individuum
im Raum in seiner alltäglichen Lebenswelt (= „Geographie-Machen“; Werlen 1995; 1997: 25) richtet, ist er Gegenstand raumbezogener Hermeneutik, wobei es dabei vor allem um „Strukturprobleme“ (Oevermann 2001c) und deren immanente Raumbezüge geht (vgl. Pohl 1986: 133ff; 173f; Werlen 1995; Abb. 14). Dabei basiert eine hermeneutische Raumwissenschaft auf der Rekonstruktion von Handlungssituationen und dem lebensweltlichem Erfahrungswissen der Akteure, deren Raumdeutungen in ihrer Eigenlogik erschlossen werden sollen (vgl. Pohl 1986: 173ff).
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Abbildung 14: Sphären des handelnden und deutenden Subjekts im ontischen Raum und Verortung des Forschungsprojekts: sinnverfasste Deutungspraktiken im relationalen Raum
• Eine hermeneutisch argumentierende Wirtschaftsgeographie begreift den Raum
erkenntnistheoretisch als Ort sozialer Praktiken und lebensweltlicher Regeln (vgl. Dörfler 2013b: 247f; Pohl 1986: 173, 180). Dabei stehen vor allem die konstitutiven sozialen Regeln der untersuchten Lebenswelt im Zentrum der Analyse (Oevermann 1973; 2001a; Pohl 1986: 173; Abb. 14), oder wie Husserl es formuliert, „die raumzeitliche Welt der Dinge“ (Husserl 1976: 141). Das Verständnis dieser bedeutungserzeugenden Regeln und Strukturlogiken (vgl. Dörfler 2013b: 247ff) kommt einem dynamischen Raumverständnis gleich, schließlich sind diese Regeln einem stetigen Wandel in Abhängigkeit zu den Handlungsanforderungen der „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 281) unterworfen. Immanente Praktiken der Nähe- und Distanzproduktion, aber auch Debatten über Wissen, Genese und Dynamik von Institutionen, kulturelle Determinationen, die ihrerseits Mechanismen von Nähe und Distanz steuern und strukturieren, können so in ihrer Dynamik besser verstanden werden. Im zweiten Teil des Kapitels standen dann zentrale Anknüpfungspunkte einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive an aktuelle wirtschaftsgeographische Debatten im Vordergrund der Analyse, wobei die Auswahl hier vor allem auch empiriebezogen und stets mit dem übergeordneten argumentativen Fluchtpunkt wirtschaftsgeographischer Nähe- und Distanzdebatten vorgenommen wurde. Dabei sollten zwei zentrale Aspekte aufgezeigt und argumentiert werden: Erstens trägt die Analyse la-
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tenter Deutungs- und Handlungsmuster als sensibilisierendes Konzept zu einem vertieften Verständnis von Nähe- und Distanzpraktiken bei und kann damit einen signifikanten Forschungsbeitrag leisten, indem sie die latenten Bedeutungskonstruktionen der handelnden Akteure selbst zum Gegenstand der Erkenntnisperspektive macht. Zweitens werden die Nähe- und Distanzdimensionen in einer solchen Forschungsperspektive nicht als substanzialistische Kategorien aufgefasst (vgl. Fuchs et al. 2017a: 4), sondern in ihrer wechselseitigen Dynamik zu anderen handlungssteuernden Themen konzeptualisiert. Im Hinblick auf die empirische Untersuchung wurden dabei vor allem wirtschaftsgeographische Debatten von Wissens-, Institutionalisierungs- und Lernpraktiken, vor allem im transkulturellen Kontext, aus einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive diskutiert. Angewendet auf das empirische Beispiel transkultureller Unternehmensübernahmen erscheint die relationale Distanz von Unternehmenspraktiken (vgl. auch Ibert 2010) aus einer mesoskaligen Forschungsperspektive (vgl. Jones 2014; Jones/Murphy 2011: 378f) als Determinante der Nähe- und Distanzausprägung im oben genannten Sinne (vgl. Ibert 2010: 9f). Das „proxemische Verhalten“ (Hall 1963: 1003) erscheint dabei als Ausdruck latenter Deutungsdynamiken und Aushandlungsprozesse sozialer Wirklichkeit im transkulturellen Kontext der Unternehmensübernahme (vgl. Ibert 2010: 9; Rothfuß 2009: 174f; Kap. 5).
5
Deutungsmuster im Kontext transnationaler Unternehmensübernahmen Begriffe, Prozesse und die Systematisierung kultureller Faktoren bei internationalen Unternehmensübernahmen aus theoretischer Perspektive
5.1 EINFÜHRUNG IN DAS THEMATISCHE UNTERSUCHUNGSFELD: NÄHE UND DISTANZ ALS SOZIOKULTURELLE ASKRIPTIONSLEISTUNGEN Nach der kritischen Diskussion über die konstitutionstheoretischen Prämissen einer hermeneutischen Wirtschaftsgeographie in den Kapiteln 2, 3 und 4 fokussiert das nachfolgende Kapitel auf die Analyse des zentralen inhaltlichen Ansatzpunktes dieser Arbeit: transnationale und transkulturelle Unternehmensübernahmen (engl. Mergers & Acquisitions) aus der Perspektive einer hermeneutischen Wirtschaftsgeographie. Es soll begründet werden, worin der erkenntnistheoretische Mehrwert einer hermeneutischen Analyse von Unternehmensübernahmen und der konkreten Kooperationspraktiken liegt, um somit die Deutungsmusteranalyse für eine wirtschaftsgeographische Forschungsperspektive fruchtbar zu machen. Auch dabei stehen vor allem die kultur- und deutungsspezifischen Askriptionen von Nähe- und Distanz durch die deutschen Führungskräfte im Zentrum der Analyse. Kulturelle Aspekte und Einflüsse bei länderübergreifenden Unternehmensübernahmen und -kooperationen sind sowohl Gegenstand wirtschaftsgeographischer Debatten (exemplarisch: Depner/Bathelt 2006: 77ff; ausführlich: Kap. 5.5.8) als auch, und wesentlich umfassender, Bestandteil der Debatten innerhalb der M&A-Literatur (für eine einführende Übersicht vgl. Dauber 2012; ausführlich: Kap. 5.5). Vor allem innerhalb der M&A-Literatur werden kulturelle Aspekte bei transnationalen Unternehmensübernahmen bisweilen äußerst konträr diskutiert, wobei damit gleichermaßen die erkenntnistheoretischen und methodologischen Probleme der Messbarkeit und Operationalisierung angesprochen sind (vgl. Frantz 2015: 103f). Innerhalb der
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wirtschaftsgeographischen Literatur zeichnet sich ein heterogenes Bild der Analyseansätze von kulturellen Zusammenhängen ab, wobei eindeutig qualitative Beiträge dominieren (z. B. Ethnographie, teilnehmende Beobachtung; siehe die Übersichtstabelle 7). Im Kontext der M&A-Literatur zeichnet sich ein binäres Geschehen ab: Es dominieren quantitative Analysen mit einem ‚großen n‘ (= Fallzahlen), wobei zumeist mit Faktorenkatalogen gearbeitet wird (ausführlich: Kap. 5.5.5). Dabei stellt sich im Kontext der vorliegenden Untersuchung vor allem das Problem des ‚richtigen‘ Analyselevels zwischen nationalen Kulturen und Unternehmenskulturen. Die Deutungsmusteranalyse versucht hier einen methodologischen Brückenschlag: Indem die hermeneutische Rekonstruktion sich sowohl auf die untersuchten Einzelfälle als auch auf die sich in den einzelnen Untersuchungsfällen abgelagerten kulturellen Sinnschemata bezieht, gelingt ihr eine wichtige Erweiterung der Forschungsperspektive auf kulturelle Aspekte im Sinne einer mesoskaligen Analyse (vgl. Schamp 2003: 150f) latenter Handlungsmotive (vgl. Jones 2014: 605f; Jones/Murphy 2011: 370f). Der methodologische Ansatz kann damit zu einem sensibilisierenden Verständnis dieser Dynamiken beitragen: Wie werden kulturelle Nähe und Distanz(en) von den handelnden Subjekten konstruiert und tragen somit zur kulturellen ‚Produktion‘ von Nähe und Distanz in der internationalen Kooperation bei (Kap. 4)? Dieser Argumentationslinie entsprechend stehen im ersten Kapitel zunächst grundlegende Begriffe, Motive und ökonomische Zusammenhänge transnationaler Unternehmensübernahmen im Zentrum der Betrachtung, die für das Kontextwissen (vgl. Wernet 2009) der analysierten Strukturen und Prozesse von einführender Relevanz sind. Ein thematischer Fokus liegt dabei auf den untersuchten Investorengruppen (hier: BRIC-Staaten, westliche Private Equity-Investoren) sowie dem Verständnis der jeweils damit verbundenen Struktur- und Investitionslogiken (Kap. 7). Im zweiten Teil soll dann versucht werden, eine Übersicht der kulturbezogenen Debatten innerhalb der M&A- und wirtschaftsgeographischen Literatur darzustellen, verbunden mit einer Problematisierung der erkenntnistheoretischen Positionen der unterschiedlichen Kulturbegriffe. Die Bestandsaufnahme und Kritik an den vorgestellten Debatten und deren theoretische Positionen mündet in die Entwicklung einer eigenen Forschungskonzeption auf den Untersuchungsbereich transnationaler M&As im Kontext eines aktualisierten Kulturbegriffs aus Deutungsmusterperspektive. Kernpunkte der Argumentation sind dementsprechend drei aufeinander aufbauende Themenkomplexe (Abb. 15): I.
Das grundlegende struktur- und prozessbezogene Verständnis von transnationalen M&As sowie die jeweiligen Verkaufs- und Investitionslogiken der untersuchten Investorengruppen und -konstellationen. Dabei sollen Grundbegriffe transnationaler M&As vor allem einführend Gegenstand der Betrachtung sein.
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Im Vordergrund steht die empiriebezogene Einordnung der untersuchten Investorenstrukturen (= BRIC-Investoren und Private Equity-Investoren). II.
Kernpunkt der Analyse ist hier der in der M&A-Literatur intensiv diskutierte Zusammenhang von Unternehmensübernahmen und kulturellen Aspekten bei länderübergreifenden Firmenzusammenführungen. Dabei stehen sowohl inhaltliche Probleme bei internationalen M&As, die unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Zugänge zum Phänomenbereich Kultur bei Unternehmensübernahmen sowie vor allem methodologische Probleme der Messbarkeit kultureller Aspekte im Vordergrund der Untersuchung (z. B. das Problem des Analyselevels).
III.
Auf der Grundlage dieser kritischen Betrachtung der untersuchten Ansätze und deren Implikationen steht die Entwicklung einer eigenen Forschungsperspektive auf die kulturspezifischen Schematisierungs- und Askriptionsleistungen der handelnden Subjekte im Zuge der Neuaushandlung sozialer Strukturen in der Zusammenführung der Unternehmen, der so genannten Post-Merger-Phase. Kernpunkt der Analyse bildet die Frage, wie die Akteure Nähe und Distanz zu den ausländischen Investoren je konstruieren und inwiefern die Deutungsmusteranalyse dabei zu einem vertieften methodologischen Verständnis beitragen kann. Abbildung 15: Zur Übersicht und Vorgehensweise in diesem Kapitel
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5.2 LÄNDERÜBERGREIFENDE UNTERNEHMENSÜBERNAHMEN AUS DEUTUNGSMUSTERPERSPEKTIVE Wirtschaftsgeographen beschäftigen sich mit den spezifisch räumlichen, aber auch kulturellen, politischen, sozialen und institutionellen Implikationen länderübergreifender Akquisitionstätigkeiten und Investitionspraktiken aus verschiedenen theoretischen Perspektiven (exemplarisch: Depner/Bathelt 2006, Franz et al. 2016). Im Zentrum dieser Untersuchungen stehen zumeist globale Produktionsnetze, Warenaustausche und deren Organisation (u. a. Malmberg/Maskell 1999; Schamp 1996, 2000; Sturgeon 2003), die Organisation globaler Wertschöpfungsketten (vgl. Bathelt et al. 2004; Gereffi 1999; Gereffi et al. 2005), die Bedeutung von Regionen im globalen Maßstab (vgl. Martin/Sunley 2006; Storper/Scott 1990), die globale Diffusion und regionale Verortung von Wissen (vgl. Fuchs 2014; Ibert/Kujath 2011), aber auch transkulturelle Untersuchungen auf Akteurs- und Unternehmensebene (vgl. Cranston 2016; Si/Liefner 2014). Vor allem den zuletzt angeführten Forschungsarbeiten kommt hier eine zentrale Bedeutung zu, da sich wesentliche inhaltliche Anknüpfungspunkte an die vorliegende Untersuchung zeigen: So untersuchen Schoenberger (1997) und Gertler (2001) die Strukturen und Mechanismen transkultureller Kooperation. Cranston (2016) untersucht auf der Grundlage von Narrativen die geographischen Imaginationen von entsendeten Führungskräften in Asien und diagnostiziert dabei im Hinblick auf Nähe- und Distanzpraktiken abgrenzende Logiken im Raumverhalten (vgl. Cranston 2016). Auch wenn in den meisten Forschungsarbeiten der erkenntnistheoretische Zugang weitestgehend unklar bleibt (ausführlich: Kap. 5.5.8), so eint diese Arbeiten der epistemische Zugang über das handelnde Subjekt und dessen beobachtbare Praktiken (vgl. dazu auch Faulconbridge 2008; Jones 2014). Die vorliegende Untersuchung knüpft dementsprechend inhaltlich an letztgenannte Ansätze der englischsprachigen praktikenbezogenen Wirtschaftsgeographie aus einer methodologischen Akteursperspektive an, erweitert aber den Analysefokus um die Ebene latenter Handlungsmotive im Sinne einer vertieften Analyse von Nähe- und Distanzpraktiken im transkulturellen Kontext (vgl. auch Fuchs et al. 2017a). Die Analyse latenter Deutungsmuster geht insofern einen Schritt weiter, als dass es sich nicht nur um einen rein deskriptiven Forschungszugang der Beschreibung von beobachtbaren Praktiken handelt (exemplarisch: Cranston 2016), sondern die ‚kulturproduzierenden‘ Deutungsmechanismen der Nähe- und Distanzproduktion selbst im Analysefokus stehen. Während die M&A-Literatur in ihren theoretischen Konzepten und methodologischen Umsetzungen oftmals vage bleibt und kulturelle Aspekte bei Unternehmensübernahmen oftmals in einen „umbrella term“ (Dauber 2012: 390) subsumiert,
Deutungsmuster im Kontext transnationaler Unternehmensübernahmen | 161
stellt der vorliegende Forschungsansatz den Versuch dar, die kultur- und deutungsspezifischen Nähe- und Distanzattributionen aus einer verstehenden Perspektive nachzuvollziehen (Kap. 7). Werden Deutungsmuster als grundlegende Orientierungsmaßstäbe sozialen Handelns verstanden (vgl. Ullrich 1999b: 2-3; Kap. 3), so erscheint die Analyse gerade im Kontext transnationaler Unternehmensübernahmen als reizvoll: Zahlreiche Fusionen und Übernahmen scheitern offensichtlich an kulturellen Divergenzen und Problemen, die mit kulturellen Unterschieden assoziiert werden und sich in konkreten Praktiken der Annäherung und Distanzierung empirisch konkretisieren (vgl. Dauber 2012; Frantz 2015; Weber et al. 2013). Kulturelle Aspekte der Unternehmensübernahme und -zusammenführung erscheinen oftmals als unspezifische analytische Kategorie, deren Steuerungsmechanismen, auch im Hinblick auf Nähe- und Distanzpraktiken, zumeist unklar bleiben (vgl. Frantz 2015: 106f). Die vorliegende Untersuchung konzeptualisiert ‚Kultur‘ als die Summe aller handlungsrelevanten Deutungsmuster, die sich in einem spezifischen sozialen Milieu, hier des leitenden Managements deutscher Unternehmen, rekonstruieren lassen, jeweils in sprachlicher Differenz zu einem ‚Anderen‘ (vgl. Rothfuß 2009; 2013). So lässt sich etwa eine Unternehmenskultur einzig durch die sie ausführenden Akteure charakterisieren, deren Deutungen von zentraler Relevanz erscheinen (ausführlich: Kap. 5.5). Diese Deutungslogiken weisen zunächst einen Milieubezug auf (vgl. Dörfler 2013a: 245ff; Oevermann 2001b: 38-40; von Alemann 2015: 106), konkretisieren sich jedoch in ihrer Differenz zu einem ‚Anderen‘ auch räumlich (z. B. gegenüber den Investoren aus ‚Fernost‘; vgl. Rothfuß 2013), wenngleich die Abgrenzung und Reichweite dieser Deutungslogiken analytisch kaum präzisierbar erscheint (präziser: Kap. 9). Deutungsmuster können als Produkte kontextueller Bedingungen einer umfassenden (Unternehmens-),Kultur‘, aber gleichsam auch als sequenziell nachvollziehbare Praktiken der Subjekte selbst verstanden werden (vgl. Ullrich 1999b: 2/3). Im Falle transnationaler Unternehmensübernahmen kann davon ausgegangen werden, dass unterschiedliche kulturelle Deutungsmuster aufeinandertreffen, gerade aufgrund möglicher kommunikativer Differenzen verstärkt in den Vordergrund treten (vgl. Rottig et al. 2013: 136/137) und somit auch die soziokulturelle Produktion und Ausprägung von Nähe und Distanz wesentlich beeinflussen. Die relative Zeitstabilität von Deutungsmustern in der Konzeptualisierung Oevermanns (1973; 2001a) lässt vermuten, dass die basalen Struktur- und Deutungslogiken auch nach der Übernahme stabil bleiben, aber je nach Investorenstruktur in unterschiedlichem Maße aktiviert werden und damit auch die Praktiken der Annäherung und Distanzierung wesentlich steuern und ausdifferenzieren (vgl. Fuchs/Schalljo 2016: 22-23).
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5.2.1 Übernahmen durch ausländische Investoren im Fokus der Untersuchung: BRIC-Staaten versus westliche Private Equity-Investoren Im Fokus der Untersuchung stehen die Deutungsmuster von Top-Führungskräften deutscher Industrieunternehmen des produzierenden und verarbeitenden Gewerbes, deren Unternehmen innerhalb der Jahre 2010-2013/2014 von einem ausländischen Eigner im Zuge eines Brownfield Investments (= Kauf von bestehenden Unternehmen(-santeilen)) übernommen wurde oder an deren Unternehmen sich ein ausländischer Eigner beteiligt hat. Dies ist in der Regel eine Mehrheitsbeteiligung von mehr als 50 Prozent, wobei das erworbene Unternehmen die rechtliche, nicht aber zwangsläufig die wirtschaftliche Eigenständigkeit aufgibt (Zademach 2006: 434). Der Untersuchungsfokus liegt auf der Wahrnehmung des deutschen Managements gegenüber ‚jungen‘ Investoren aus den BRIC-Staaten, die seit etwa einer Dekade als neue Akteure im internationalen Direktinvestitionsgeschäft agieren (vgl. Ang et al. 2010; Carmody 2013), und etablierten institutionellen westlichen Investoren (= Private Equity) aus den klassischen Industrienationen (OECD). Während die BRICStaaten eine noch junge, in ihrem Wachstum (Anteil am FDI-Outflow) aber dynamische Gruppe (vgl. Carmody 2013; Golinski et al. 2013: 1/2; Jungbluth 2013) ausmachen, ist das Geschäftsmodell Private Equity seit den frühen 1990er Jahren in größerem Umfang in der Bundesrepublik Deutschland zu beobachten (Klagge 2003; Scheuplein 2017: 89). Dabei kann im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung davon ausgegangen werden, dass sich die Investitionslogiken und -motive der jeweiligen Investorengruppen in wesentlichen Aspekten voneinander unterscheiden (vgl. Scheuplein/Teetz 2015; Scheuplein 2017 für den Bereich der Private EquityInvestoren; vgl. Franz et al. 2016 für den Bereich der BRIC-Eigner) und dies auch in den Deutungslogiken der Führungskräfte sichtbar wird (Kap. 7). Gerade im Kontext milieuspezifischer Deutungsmuster (für die Geographie vgl. Dörfler 2013a) erscheint der gewählte Forschungszugang als ertragreich: Welche Unterschiede in den allgemein vorherrschenden Deutungsmustern der deutschen Führungskräfte lassen sich gegenüber den jeweiligen Investorengruppen ausmachen? Forschungsleitend erscheint dabei vor allem die Frage, wie sich unterschiedliche Nähe- und Distanzformen und symmetrische/asymmetrische Kooperationsformen in den jeweiligen Investorenstrukturen konfigurieren (vgl. Huter et al. 2017) und damit auch zu einem vertieften Verständnis organisationaler Identitäten im M&A-Kontext beitragen können (vgl. Giustiniano/de Bernardis 2017). Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die verschiedenen Formen der Nähe und Distanz (vgl. Boschma 2005; Torre/Rallet 2005; Franz et al. 2017: 35f; Kap. 4) in den jeweiligen Investorenstrukturen gerade im Hinblick auf die raum- und kulturübergreifende Kooperati-
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on und Kommunikation in unterschiedlichem Maße konfigurieren (vgl. Fuchs/Schalljo 2016: 20/21). Inwiefern es im Hinblick auf die Dynamik der zwischenräumlichen Kooperationspraktiken (= „interspace“; Fuchs et al. 2017a: 3-4) eher zu einer Annäherung oder Distanzierung (Othering) in den jeweiligen Investorenstrukturen in der Post-Merger-Phase kommt, ist ein Hauptaugenmerk der vorliegenden Untersuchung (vgl. auch Fuchs et al. 2017a/b). Dabei steht auch die Rekonfiguration organisationaler Identitäten der untersuchten Unternehmen im Sinne einer „local business culture“ (Zvirgzde et al. 2017: 123) im Zentrum der Betrachtung (Fuchs et al. 2017b: 182f). Wesentlich erscheint in diesem Untersuchungskontext nicht nur das Verständnis der unterschiedlichen Nähe- und Distanzformen (Kap. 4), sondern auch das inhaltliche Verständnis der „Strukturlogik“ (Dörfler 2013b: 253) des Forschungsproblems im Sinne eines problembezogenen Kontextwissens (vgl. Wernet 2009: 39f; Garz/Raven 2015). Dazu sollen zunächst grundlegende Aspekte transnationaler Unternehmensübernahmen im Vordergrund stehen sowie die Investitions- und Verkaufslogiken der untersuchten Eignerstrukturen, bevor im zweiten Teil des Kapitels kulturelle Askriptionen und eine Annäherung an die Kulturbegriffe der M&A-Literatur aus hermeneutischer Sichtweise im Zentrum der Betrachtung stehen sollen.
5.3 TRANSNATIONALE UNTERNEHMENSÜBERNAHMEN: MOTIVE, EFFEKTE UND DEREN WIRTSCHAFTSGEOGRAPHISCHE FORSCHUNGSPERSPEKTIVEN 5.3.1 Motive und Erscheinungsformen transnationaler Unternehmensübernahmen: Brownfield-Investitionen im Fokus der Untersuchung Auslandsinvestitionen stellen zunächst Kapitalanlagen in Form von Unternehmensbeteiligungen mit der Absicht dar, eine Steigerung dieser Kapitalanlage (z. B. Private Equity) herbeizuführen (= Dividende) und/oder die Unternehmenspolitik gewinnbringend zu beeinflussen (= Beteiligungskapital; Golinski/Henn 2015: 2; ausführlich: Lucks/Meckl 2015). Im Kontext der Erscheinungsformen internationaler Direktinvestitionen ist dabei zunächst die jeweilige Markteintrittsstrategie der Unternehmen zu unterscheiden: Joint Ventures als vertraglich festgelegte Unternehmenskooperationen, die Gründung von Tochtergesellschaften (= GreenfieldInvestitionen) sowie Fusionen und Akquisitionen von bestehenden Unternehmen (Neumair 2006: 54; Haas et al. 2009: 81). Der aus dem angelsächsischen Sprachraum übernommene Begriff M&A (= Mergers & Acquisitions) beschreibt die letzt-
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genannten Vorgänge, die mit dem Erwerb und der Veräußerung von Unternehmen bzw. Unternehmensanteilen zusammenhängen (Lucks/Meckl 2015: 5). Die direkte Übersetzung wäre hier Fusionen und Akquisitionen (ebd.: 5). Die Abgrenzung zwischen einer Fusion und einer Akquisition besteht darin, dass bei Letzterer auch die Leitungs- und Kontrollbefugnisse im übernommenen Unternehmen wechseln (Vogel 2002: 4; sowie: Lucks/Meckl 2015: 5ff). Eine Fusion (= Merger) ist demnach der Zusammenschluss zweier oder mehrerer Unternehmen, die ihre rechtliche Eigenständigkeit aufrechterhalten können (Lucks/Meckl 2015: 5f). Unter einer Akquistion hingegen wird der Erwerb von Unternehmen bzw. Unternehmensanteilen verstanden, die entweder durch die Übertragung von Gesellschaftsanteilen oder durch die Übertragung von Wirtschaftsgütern und/oder Verbindlichkeiten des Unternehmens erfolgt (Lucks/Meckl 2015: 5f). Dies betrifft sowohl Mehrheits- als auch Minderheitsbeteiligungen, wobei jeweils davon ausgegangen werden kann, dass die wirtschaftliche Selbstständigkeit des Unternehmens eingeschränkt oder vollkommen aufgegeben wird (ebd.: 5). Während GreenfieldInvestitionen die Errichtung eines vollständig neuen Standortes im Zielland der Investition bedeuten, umfasst der Begriff M&A (im engeren Sinne) den Erwerb von Anteilen eines bereits existierenden Unternehmens (= Brownfield-Investition; Golinski/Henn 2015: 2; Haas et al. 2009: 81). Bei den hier untersuchten Fällen handelt es sich ausschließlich um BrownfieldInvestitionen, also um Investitionen in bereits bestehende Unternehmen an bereits existierenden Standorten. Vor allem im Kontext der Private Equity-Eigner erscheint dabei die ex ante anvisierte Wertsteigerungsabsicht (vgl. Scheuplein 2017) von zentraler Bedeutung. Bei Beteiligungen, die ohne strategische oder Kontrollabsicht erfolgen, handelt es sich um reine Finanzinvestitionen (Lucks/Meckl 2015: 6; im untersuchten Sample befindet sich auch ein staatlicher Fond, der als reines Investitions- und Beteiligungskapital eingesetzt wird). Im Kontext des Untersuchungsfokus von Brownfield-M&As sind neben den rein finanziell motivierten Transaktionen der Private Equity-Eigner vor allem auch die Investitions- und Kaufmotive der BRIC-Eigner analyserelevant, aber auch die Verkaufsmotive der deutschen Unternehmen selbst. Bei letzteren erscheint vor allem die hohe Zahl an Split-Offs, also Teilverkäufen von einzelnen Unternehmenssparten von zumeist traditionsreichen deutschen Industrieunternehmen, als auffälliges Merkmal der untersuchten Unternehmen. Im Zuge so genannter Portfoliobereinigungen haben sich Großunternehmen von Teileinheiten des Konzerns getrennt. Vor allem nach den Krisenjahren 2008/09 wurden Unternehmen und Unternehmensteile an institutionelle Investoren, vor allem aber auch an asiatische Eigner, veräußert, die oftmals den deutschen Unternehmen aus finanziellen Engpässen geholfen haben.
Deutungsmuster im Kontext transnationaler Unternehmensübernahmen | 165
5.3.2 Die Effekte von M&As: wirtschaftsgeographische Forschungsperspektiven Die Investitions- und Übernahmetätigkeiten global agierender Unternehmen und Kapitalbeteiligungsgesellschaften zeigen sowohl Auswirkungen und Effekte auf die Organisation der beteiligten Unternehmen selbst (= Unternehmens- und Akteursperspektive) als auch regionalökonomische Effekte auf lokaler und regionaler Ebene (vgl. Zademach/Rodriguez-Pose 2005: 5). Im Hinblick auf die Analyse der (räumlichen) Effekte transnationaler Unternehmensübernahmen in wirtschaftsgeographischen Beiträgen können aus der Sichtweise der vorliegenden Arbeit analytisch gesehen zwei unterschiedliche Erkenntnisperspektiven ausgemacht werden: 1.) die genuin räumliche Erkenntnisperspektive: Hierzu können alle Forschungsar-
beiten gezählt werden, deren epistemischer Ausgangspunkt vor allem der Raum und direkte Auswirkungen von M&As auf den Raum selbst sind. Im Zentrum dieser Arbeiten steht zumeist die Frage, wie sich das Übernahmegeschehen räumlich konkretisiert, etwa in Form von Standorten institutioneller Investoren (vgl. Ossenbrügge 1997; Scheuplein/Teetz 2015) oder spezifischen Investitionsmustern und Effekten von M&As im Raum (vgl. Franz et al. 2016). Auf regionalem Maßstab stehen neben den wirtschaftsräumlichen Strukturen und Investitionsmustern der Investoren (exemplarisch: Bathelt/Kappes 2009; Dunning 1994; 2000; Klagge 2003; Scheuplein/Teetz 2015) vor allem sozialräumliche und räumliche Effekte von Direktinvestitionen im Zentrum der Betrachtung (exemplarisch: Bathelt/Li 2014; Bollhorn et al. 2014; Depner 2005; Zademach 2005). Dazu zählen etwa auch Arbeitsmarkteffekte durch den Zufluss an Kapital in Regionen und Unternehmen (vgl. Scheuplein 2017). Der epistemische Argumentationspunkt liegt in beiden räumlichen Skalenniveaus vor allem auf der Beschreibung räumlicher Strukturen des Investitions- und Produktionsgeschehens, was vor allem eine chorologische Sichtweise auf die Effekte von M&As ist (Kap. 2 u. 4; vgl. Glückler 2002: 47/48). 2.) Zentral für die hier vertretene Erkenntnisperspektive erscheint die zweite diag-
nostizierte Sichtweise: die akteurs- und praktikenbezogene Erkenntnisperspektive. In den letzten zwei Dekaden sind in der Wirtschaftsgeographie zahlreiche Forschungsarbeiten entstanden, die in ihrem erkenntnistheoretischen Fluchtpunkt allgemein an den Cultural Turn anknüpfen (vgl. Bachmann/Medick 2009). Ausgangspunkt dieser Arbeiten ist zumeist der handelnde Akteur und/oder Akteurskonstellationen im Raum (exemplarisch: Rothfuß/Dörfler 2013 für die Humangeographie). Konkretisiert auf den erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt der Untersuchung erscheinen dabei im Hinblick auf transnationale
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M&As als den inhaltlichen Untersuchungsgegenstand der Arbeit drei thematische und aufeinander aufbauende Forschungsbereiche als zentrale Anknüpfungspunkte: a.) Bezogen auf den Forschungsbereich transnationaler Unternehmensüber-
nahmen und -kooperationen handelt es sich dabei vor allem um Practiceorientierte Arbeiten (exemplarisch: Faulconbridge 2006; 2008; Jones 2008a/b) sowie um kulturelle Effekte bei M&As und internationalen Unternehmenskooperationen aus einer Akteursperspektive (exemplarisch: Schoenberger 1997; Si/Liefner 2014). Kulturen sind dabei in ihren Eigenarten räumlich verortet („work is located practice“; Jones 2008a: 14), werden jedoch durch Prozesse der Globalisierung aus ihrem lokalisierten Kontext enthoben und treffen in neuen Formen der Kooperation von globalen Arbeitsprozessen aufeinander (vgl. Faulconbridge 2008: 500f; Jones 2008a: 14f), was im M&A-Kontext z. B. zu (kognitiven) Distanzen zwischen den handelnden Akteuren führen kann (vgl. Si/Liefner 2014: 293, 297). b.) In diesem Kontext erscheinen vor allem die Debatten über räumliche und soziale Embeddedness bei M&As (vgl. Suwala/Kulke 2017) sowie spezifische Formen der Nähe- und Distanzproduktion als zentrale Anknüpfungspunkte (vgl. Franz et al. 2017; Fuchs/Schalljo 2017a/c). Dabei steht vor allem die Frage im Vordergrund, wie sich der „interspace“ (Fuchs et al. 2017a: 1; oder „Zwischenraum“; Fuchs 2013: 38) aus der Sichtweise der handelnden Personen in den jeweiligen Akteurskonstellationen modifiziert. Erkenntnistheoretisch führt dies zwangsläufig zur Frage nach der Ausprägung und Dynamik von Nähe- und Distanzdimensionen bei transnationalen M&As: Führen die Praktiken der handelnden Akteure zu einer Annäherung in der Post-Merger-Phase oder zu Mechanismen der (räumlichen) Distanzierung (vgl. Fuchs/Schalljo 2016; 2017a) im Sinne eines Othering (vgl. Cranston 2016; Suwala/Kulke 2017)? Im Zentrum stehen hier die Praktiken der Akteure in ihrem soziokulturellen Kontext sowie die kulturspezifischen Askriptionsmuster bei deren Aufeinandertreffen (siehe Tab. 7). c.) Diese Mechanismen und Dynamiken der Kooperation nach der Übernahme verweisen in ihrer Summe auch auf die Frage nach organisationalen Identitäten (vgl. Giustiniano/de Bernardis 2017) und Best Practices bei Unternehmensübernahmen (vgl. Gertler 2001; sowie: Alvstam/Ivarsson 2004; siehe Tab. 7). Dabei spielen vor allem kulturelle Nähe- und Distanzproduktionen bei M&As eine zentrale Rolle (vgl. Huter et al. 2017). Im Vordergrund steht die Frage, wie nationale Kulturen und Unternehmenskulturen (vgl. Giustiniano/de Bernardis 2017) die Praktiken der Ent-
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scheidungsträger („black box“; Leyshon 2011: 383) und damit letztlich auch den Erfolg oder Nichterfolg des Mergers beeinflussen (vgl. Fuchs et al. 2017b; Schoenberger 1997). 5.3.3 Einordnung der Erkenntnisperspektive der vorliegenden Untersuchung in den M&A-Kontext der wirtschaftsgeographischen Literatur Die vorliegende Arbeit knüpft thematisch an die nachfolgende Auswahl wirtschaftsgeographischer Forschungsarbeiten an, wobei der Schwerpunkt auf den drei oben genannten Unterpunkten liegt (a-c). Kernpunkte bilden Arbeiten, die sich mit den Implikationen von M&As beschäftigen, aber auch mit den Auswirkungen transnationaler Arbeitskooperationen (Jones 2008a: 12ff), da hier davon ausgegangen wird, dass diese ebenso relevant und handlungswirksam im M&A-Kontext sind. Der Ansatzpunkt der vorliegenden Arbeit setzt aber einen anderen methodologischen Schwerpunkt, indem mit Hilfe einer hermeneutischen Herangehensweise vor allem latente Bedeutungskonstruktionen der handelnden Akteure im Zentrum der Betrachtung stehen (vgl. Kap. 5.5; vgl. dazu auch Ellwanger/Boschma 2015; Si/Liefner 2014).1 Vor allem im Hinblick auf die ‚weichen‘ Effekte von kultureller Annäherung und Distanzierung bei transnationalen M&As stellt sich das erkenntnistheoretische Problem der Messbarkeit und Operationalisierung dieser Mechanismen (vgl. Golinski/Henn 2015: 3/4). So zeigen etwa Medienanalysen (vgl. Golinski/Henn 2015), dass das Auftreten von ausländischen Investoren in den Zielländern der Region oftmals zu Vorbehalten in der öffentlichen Akzeptanz der Investoren führt (vgl. Makin 2008; Zhang 2014: 395ff), was gleichermaßen auch die Deutungen der Führungskräfte der deutschen Unternehmen tangiert (ausführlich: Kap. 7). In besonderem Maße forschungsrelevant erscheint die Frage, ob die anfänglich offene und ökonomisch motivierte Willkommenshaltung der deutschen Führungskräfte auch im Verlaufe der Post-Merger-Integration aufrechterhalten oder durch Mechanismen der Abgrenzung und des Otherings überlagert wird (vgl. Durand 2017; Suwala/Kulke 2017). Dies tangiert auch die Frage nach der Entwicklung der Unternehmen nach der Übernahme im Sinne einer sich verändernden oder stabilen organisationalen Identität (vgl. Giustiniano/de Bernardis 2017).
1
Im weiteren Verlauf der Argumentation in diesem Kapitel soll die vorgestellte Tabelle weiter ausgebaut und im Hinblick auf Anknüpfungspunkte an kulturorientierte Debatten in der Wirtschaftsgeographie weiter konkretisiert, diskutiert und auf der Grundlage einer kritischen Perspektive in die eigene erkenntnistheoretische Position eingeordnet werden (Kap. 5.5).
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Die Ausprägung von Nähe- und Distanzproduktionen wird auch von gesellschaftlichen und medialen Deutungssemantiken beeinflusst: Der Deutungsmusteransatz erscheint dabei mit seiner Fokussierung auf latente Sinngehalte vor allem im Hinblick auf die Genese und Dynamik gesellschaftlich tradierter Denkmuster, wie etwa historische Konstellationen, Angst vor Fremdbestimmung oder Befürchtungen vor Verdrängungserscheinungen wie auch die konkreten Mechanismen der transkulturellen Kooperation selbst als erkenntnisgenerierend (vgl. dazu auch Döhrn 2006: 325f; Golinski/Henn 2015: 3; Jakobsen/Jakobsen 2011: 71). So zeigt sich in der hermeneutischen Rekonstruktion etwa, dass Führungskräfte in Private EquityEignerstrukturen in ihrer Argumentationslogik oftmals unbewusst auf ein negativ konnotiertes Denkmuster der öffentlichen Wahrnehmung gegenüber Private EquityInvestoren (als ‚Heuschrecken‘) referieren. Tabelle 7: Auswahl zentraler empirischer Artikel innerhalb der wirtschaftsgeographischen Diskussion der letzten eineinhalb Dekaden als Anknüpfungspunkte an die vorliegende Untersuchung
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5.4 ZUM OBJEKTIV-HERMENEUTISCHEN KONTEXTWISSEN: UNTERSUCHTE INVESTORENGRUPPEN, INVESTITIONSMODELLE UND VERKAUFSLOGIKEN IN VERGLEICHENDER BETRACHTUNG Die Deutungsmuster der deutschen Führungskräfte in den untersuchten Investorengruppen sind Gegenstand von sozialen „Strukturlogiken“ (Dörfler 2013a: 253; Oevermann 2002), die jeweils in Abhängigkeit von den Deutungen und Handlungen der Akteure selbst reproduziert, aber auch von ökonomischen Zusammenhängen definiert werden, die im theoretischen Kontext der objektiven Hermeneutik als Kontextwissen angesehen werden können (vgl. Wernet 2009: 13f). Der für die objektive Hermeneutik zentrale Begriff der Struktur (vgl. Oevermann 2000a/b; Wernet 2009) umfasst somit die Gesamtheit aller sozialen Erscheinungen, die den Untersuchungsbereich wesentlich kennzeichnen. Das Verständnis der Deutungen gegenüber den ausländischen Investoren in den jeweiligen Investorenstrukturen setzt dementsprechend ein vertieftes Kontextwissen (vgl. Wernet 2009: 21; 29) voraus, das analytisch drei strukturelle Aspekte abdeckt: • das Kontextwissen der jeweiligen Investorengruppen: Dies beinhaltet eine empi-
riebezogene Einordnung der untersuchten Investorengruppen im Hinblick auf die Motive und Entwicklung ausländischer Unternehmensübernahmen in diesen beiden Investorenstrukturen (= BRIC-Investoren und Private Equity-Investoren). Die BRIC-Eigner werden dabei von den deutschen Führungskräften als lernende und unerfahrene Investorengruppe gedeutet, was auch im Hinblick auf weitere Deutungslogiken die Struktur einer asymmetrischen Kooperation determiniert. • Im Kontext der untersuchten Investorenstrukturen unterscheiden sich auch die jeweiligen Investitionslogiken der Investoren selbst (vgl. dazu Scheuplein/Teetz 2015). So handelt es sich etwa bei institutionellen Investoren (= Private Equity) um eine sich grundlegend von reinen Produktunternehmen unterscheidende Investitionslogik, deren Verständnis für die ex post-Einordung der Forschungsergebnisse von zentraler Bedeutung ist (ausführlich: Kap. 8). • Schließlich sind auch die Verkaufslogiken und -motive Teil dieses fallspezifischen Kontextwissens (vgl. Wernet 2009), da auch diese die Deutungs- und Handlungslogiken der deutschen Führungskräfte beeinflussen. So zeigte sich im Rahmen der Rekonstruktion, dass sich die deutschen Führungskräfte vor allem gegenüber den asiatischen Eignern argumentationslogisch (= sprachpragmatisch) bewusst als starker Verhandlungspartner positionieren (ausführlich: Kap. 7).
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5.4.1 Die BRIC-Staaten als ‚junge‘ und unerfahrene Investorengruppe: allgemeine und empiriebezogene Merkmale der BRIC-Investoren Seit den 2000er Jahren ist eine neue Gruppe von Investoren auf dem Markt internationaler Direktinvestitionen zu beobachten: die so genannten BRIC-Staaten (= Brasilien, Russland, Indien und China). Während die klassischen Länder der OECD (u. a. EU, USA, Japan) in den letzten eineinhalb Dekaden einer vergleichsweise (etwa im Vergleich zur VR China) schwachen wirtschaftlichen Dynamik gegenüberstanden, stiegen vor allem diese vier Nationen zu globalen Akteuren der Weltwirtschaft auf (Golinski et al. 2013: 1; sowie: Center for Global Studies 2011; Franz et al. 2016). Während Brasilien, Russland und in Teilen auch Indien dieses konstante Wachstum in den letzten Jahren nicht weiter fortführen konnten, nimmt die VR China mit einem im Ländervergleich der BRIC-Staaten überdurchschnittlichen jährlichen Wirtschaftswachstum hier eine Sonderstellung ein (Golinski et al. 2013: 1ff). Zwar zeigt sich auch in der VR China mittlerweile eine Abschwächung dieses starken Wachstums (von 14,2 % im Jahr 2007 zu 6,7 % im Jahr 2016), dennoch verfügt das Land über enorme Devisenreserven und Investitionsmöglichkeiten (zu den Zahlen: Auswertiges Amt 2017). Seit der von der chinesischen Führung initiierten Go Global-Strategie gehören vor allem auch Unternehmen in den USA und Europa, dabei vor allem die Bundesrepublik, zum Investitionsziel für chinesische Investoren (vgl. Golinski et al. 2013: 1-4; Jungbluth 2013). Vor allem in der Wirtschaftskrise von 2008/09 übernahmen BRIC-Eigner zahlreiche deutsche Unternehmen und wurden oftmals auch als Retter bei ökonomischen Engpässen angesehen (vgl. dazu auch Golinski et al. 2013: 2/3f), so auch bei einigen der hier untersuchten Fälle. Neben dem teilweise erheblichen wirtschaftlichen Bedeutungszuwachs (= überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum, Anstieg des Exports/der industriellen Wertschöpfung), wobei hier ebenfalls vor allem die VR China hervorzuheben ist, manifestiert sich in diesen Ländern zunehmend auch ein globaler Geltungsanspruch, der nicht zuletzt in einer sehr gezielten Investitionspolitik seine Entsprechung findet (Golinski et al. 2013: 1; sowie: Jungbluth 2013; Franz et al. 2016; Yeung 2016). Konzentrierten sich Unternehmen aus diesen Ländern in ihrem Investitionsverhalten noch zuvor auf Länder der eigenen Weltregion (= South-SouthInvestments), sind in den vergangenen Jahren vermehrt westliche Industrienationen Ziel der Investitionen geworden (Golinski et al. 2013: 1). Auch der Standort Deutschland hat stark an Bedeutung zugenommen, sowohl in Form von Unternehmensbeteiligungen und -übernahmen als auch durch den Aufbau eigener Niederlassungen (Golinski et al. 2013: 1; vgl. Franz et al. 2016; Hans-Böckler-Stiftung 2017). Dieser Bedeutungszuwachs hat ebenso zu Vorbehalten in der öffentlichen Wahrnehmung asiatischer Investoren, aber auch gegenüber institutionellen Private
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Equity-Eignern geführt. Die umfangreiche und oftmals kritische mediale Betrachtung dieser beiden Investorengruppen (vgl. Golinski/Henn 2015: 1ff) verweist auch auf die Ebene sozialer Deutungsmuster, bei der sich im Untersuchungskontext latente Vorbehalte und basale gesellschaftliche Denklogiken der deutschen Führungskräfte zeigen, welche auch die Wirklichkeitsaushandlung mit den ausländischen Investoren kategorial definieren (Kap. 7). Wichtig für das objektiv-hermeneutische Kontextwissen (vgl. Wernet 2009: 29f) erscheint auch der Umstand, dass die chinesischen Eigner dabei als noch ‚junge‘ Investorengruppe vergleichsweise wenig fachliche und strategische Erfahrung im internationalen Direktinvestitionengeschäft aufweisen (vgl. Otto 2014: 242f; PricewaterhouseCoopers 2013). Die BRIC-Eigner unterscheiden sich damit im Hinblick auf ihre Strukturlogik (vgl. Dörfler 2013a: 253; Oevermann 2013: 72f) grundlegend in ihren Voraussetzungen gegenüber etablierten Investoren aus den klassischen OECD-Nationen, was in den Deutungen der Führungskräfte gegenüber den ausländischen Eignern ihre Entsprechung findet und strukturlogisch als Messlatte für das eigene Professionsverständnis referenziert wird (ausführlich: Kap. 7; vgl. Fuchs/Schalljo 2016). Entwicklung und Investitionsmotive ausländischer Direktinvestitionen aus den BRIC-Staaten in Deutschland und Konkretisierung im Kontext der Untersuchung Die Entwicklung ausländischer Direktinvestitionen aus den BRIC-Staaten hat seit 2006, nachdem sie zuvor auf einem kontinuierlich niedrigen Niveau stagnierte, eine deutliche Steigerung erfahren (Auswärtiges Amt 2017; Golinski et al. 2013: 1; UNCTAD 2015; Abb. 17), wobei der VR China in den letzten Jahren und auch perspektivisch eine übergeordnete Rolle beizumessen ist (vgl. Franz et al. 2016; Jungbluth 2013). Deutschland ist dabei zusammen mit Großbritannien das Hauptzielland für Auslandsinvestitionen aus den BRIC-Staaten in die Europäische Union (Golinski 2016: 31f; UNCTAD 2015). Im Jahr 2013 belief sich die Anzahl von BRICEignerschaften in der Bunderepublik Deutschland auf 4.794 Unternehmen (Erhebungen: Golinski 2016: 33ff). Eine Besonderheit stellen dabei zweifelsohne die russischen Direktinvestitionen in die BRD dar, die vor allem im Rohstoffsektor (v. a. Öl, Gas) das Investitionsvolumen quantitativ dominieren, was nicht zuletzt an der erheblichen Kapitalverfügbarkeit der russischen Energieproduzenten liegt (Golinski et al. 2013: 2; siehe Tab. 8). Die Investitionsmotive der Investoren, in Deutschland Unternehmen zu übernehmen, liegen allgemein in markt- und absatzorientierten Motiven sowie in der Nähe zu Schlüsselkunden (Schmiele/Sofka 2008: 361; Zademach 2006: 344; vgl.
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auch Bollhorn 2016: 69ff). Dabei kann innerhalb der (B)RIC-Investoren weiter differenziert werden2: Neben den angeführten Motiven einer markt- und absatzorientierten Zielperspektive der Investoren zeigen vor allen die chinesischen Investoren im Kontext der vorliegenden Untersuchung das Motiv des Zugangs zu ortsgebundener Fertigung- und Entwicklung, das Ziel der Erweiterung der Produktpalette sowie des Zugangs zu Branchen-Know-How und zu Forschung und Entwicklung in den zumeist technologieintensiven Unternehmen (vgl. Bollhorn 2016: 76f). Für die indischen Investoren stehen vor allem die Nähe zu Kunden, Optimierung und Erweiterung des Anlageportfolios sowie vor allem Kompetenz- und Know-HowErwerb im Zentrum des Investitionsinteresses (ebd.: 76f; siehe Tab. 8). Bei den russischen Investitionen zeigt sich neben dem länderübergreifenden Motiv der Marktund Absatzorientierung vor allem die Nutzung von Infrastruktur im geographischen Zentrum Europas (z. B. als Logistikkreuz) als zentrales Investitionsmotiv (Bollhorn 2016: 78). Im Kontext der Unternehmensübernahmen der hier untersuchten BRICUnternehmen kann das Investitionsgeschehen weiter konkretisiert werden: Bei den untersuchten Übernahmen handelt es sich ausschließlich um BrownfieldInvestitionen, bei denen bestehende deutsche Standorte mehr- oder ganzheitlich aufgekauft und rechtlich übernommen wurden. Bei den deutschen Unternehmen handelt es sich ausschließlich um Unternehmen des produzierenden und verarbeitenden Gewerbes, was durchaus auch der übergeordneten M&A-Strategie der asiatischen Eigner entspricht (vgl. Golinski 2016: 32ff; Jungbluth 2013). Einige der untersuchten Unternehmen sind in der Unternehmensnachfolge aus Teileinheiten traditionsreicher Großunternehmen hervorgegangen. Die Motive der BRIC-Eigner können entsprechend der oben angeführten Auflistung ebenfalls konkretisiert werden: Es dominieren markt- und absatzorientierte Motive sowie der Zugang zu Technologie- und Management-Know-How der deutschen Unternehmen, von denen viele Spezialisten und in ihrem Technologiesegment auch führend sind (vgl. dazu auch Bollhorn 2016: 69f).
2
Brasilien sei an dieser Stelle der Darstellung bewusst ausgelassen, da die Gesamtanzahl der brasilianischen Unternehmen in der Bundesrepublik sehr gering ist und im in dieser Untersuchung erhobenen Sample zudem keine brasilianischen Unternehmen Gegenstand der Betrachtung sind.
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Tabelle 8: Übersicht der BRIC-Investorengruppen in Deutschland: Anzahl der Unternehmen, Branchen, Zielregionen, Beschäftigungsvolumen und dominante Investitionsmotive
Quelle: eigene Darstellung auf der Grundlage des BRIC-Invest-Forschungsprojekts der Hans-Böckler-Stiftung (Hg. Franz et al. 2016), insbesondere in Anlehnung an die Erhebungen u. Darstellungen von Bollhorn 2016 u. Golinski 2016 auf der Datengrundlage der MARKUS Datenbank 2013.
Räumlich konzentrieren sich die Unternehmen mit Beteiligungen aus den BRICStaaten im Allgemeinen auf die Agglomerationszentren bzw. die industriellen Ballungszentren und angrenzenden Metropolen (Golinski 2016: 31ff; Golinski et al. 2013: 2f). Zudem ist das Ruhrgebiet mit den angrenzenden Ballungszentren Düsseldorf und Köln ein wichtiger Standort für BRIC-Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen, vor allem für chinesische und indische Unternehmen (Ernst & Young 2012: 4; Golinski et al. 2013: 2). Während sich die chinesischen und indischen Investitionen hauptsächlich auf die westdeutschen Ballungszentren konzentrieren, ist die Dominanz russischer Investitionen in Ostdeutschland deutlich ausgeprägter als in Westdeutschland (v.a. Berlin, Leipzig Dresden; Arndt et al. 2009; Bollhorn et al. 2014; Golinski et al. 2013. 2). Im untersuchten Sample dominiert
Deutungsmuster im Kontext transnationaler Unternehmensübernahmen | 175
ebenfalls Westdeutschland als Ziel der Brownfield-Übernahmen durch die BRICEigner mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der Rhein-Ruhr-Region. Bei den untersuchten Unternehmen dominiert die Branche des Fahrzeugbaus, dabei vor allem Automobilzulieferer in Westdeutschland (Tier 2). Investoren aus den BRIC-Staaten, vor allem aus China und Indien, suchen oftmals die Kombination aus Nähe zu deutschem Industrie-Know-How sowie Zugang zum deutschen und europäischen Markt (vgl. Schmiele/Sofka 2008: 363). Innerhalb der vorliegenden Untersuchung steht besonders die Automobilzulieferindustrie mit ihrer Nähe zu den Absatzmärkten und ihren oftmals technologieintensiven Produkten im Zentrum der BrownfieldÜbernahmen durch die asiatischen Eigner. Zur Eingrenzung der beiden ausländischen Investorengruppen: eine Begründung der fallbezogenen Gegenüberstellung Um bei der getroffenen empirischen Unterscheidung von westlichen institutionellen Investoren (= Private Equity) und Produktunternehmen aus den BRIC-Ländern in Familien- oder Aktienbesitz definitorischen Missverständnissen vorzubeugen, soll an diesem Punkt der Argumentation erwähnt sein, dass es natürlich auch in den BRIC-Staaten institutionelle Investoren gibt (z. B. Banken, Versicherungen), (mittlerweile) sogar private Fonds und Anlagestrukturen (= Private Equity), deren Investitionslogik ebenfalls auf mittelfristige Rendite angelegt ist (vgl. Golinski 2016: 31f). Die analytische Unterscheidung zwischen westlichen Privatinvestoren und langfristig orientierten BRIC-Eignern, welche die vorliegende Untersuchung vornimmt, ist an dieser Stelle empiriebezogen motiviert und umfasst drei inhaltliche Unterscheidungspunkte, die zur Eingrenzung beitragen: • Bei den untersuchten Fällen handelt es sich im Kontext der BRIC-Eigner zwar
oftmals auch um staatsnahe Unternehmen (wobei dies nicht immer eindeutig zu trennen ist), jedoch gänzlich um selbst produzierende Unternehmen in privatem, staatlichem/staatsnahem oder familiärem Besitz. Keines der untersuchten Unternehmen aus den BRIC-Staaten zeigt rein finanziell-anlageorientierte Motive auf (= Kontextwissen). Es handelt sich in der Regel um Produktunternehmen aus dem gleichen oder ähnlichen Produktsegment wie dem des übernommenen deutschen Unternehmens, was auch auf die Investitionsmotive der BRICUnternehmen verweist. • Dieser Umstand wirkt sich auf die Investitionsperspektive wie auch auf die Deutungen der deutschen Führungskräfte selbst aus: Während die Private EquityEigner eine klar definierte mittelfristige Exit-Strategie aufzeigen (= Verkauf des Unternehmens nach fünf bis sieben Jahren mit einer mittleren Rendite von 25 Prozent), handelt es sich im Kontext der BRIC-Eignerstrukturen um langfristig
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angelegte Unternehmensbeteiligungen durch einen in der Regel wesentlich größeren Mutterkonzern, gemessen an Umsatz und Mitarbeiterzahlen. • Schließlich weisen die rekonstruktionslogisch untersuchten Deutungsmuster der Führungskräfte selbst die Unterscheidung zwischen westlichen institutionellen Investoren und ‚jungen‘ BRIC-Investoren auf, was mit den professionstheoretischen Deutungen der Führungskräfte korrespondiert, anhand derer die ausländischen Investoren ihrerseits gemessen werden (ausführlich: Kap. 7). 5.4.2 Zur Investitionslogik institutioneller Investoren: BrownfieldÜbernahmen durch westliche Private Equity-Eigner im Fokus Zentrales Kriterium für das Private Equity-Investment in ein Unternehmen, aber auch für die Konstitution latenter Denk- und Handlungsmuster in den oben angedeuteten und im Kapitel 7 ausgeführten Analysen, ist die ex ante berechnete Renditewahrscheinlichkeit beim Exit-Zeitpunkt (vgl. Scheuplein/Teetz 2015: 27f; Abb. 16). Der Mechanismus der konsequenten Wertsteigerung als investorenspezifische Erwartungshaltung gegenüber dem operativ ausführenden deutschen Management definiert dabei gleichermaßen die Handlungslogiken der Führungskräfte selbst, wie es die Deutungs- und Strukturschematisierungen der untersuchten Manager offenbaren (Kap. 7). Während die untersuchten BRIC-Investoren in ihren vorwiegend markt- und absatzorientierten Investitionsmotiven vor allem eine langfristige Strategie in der Bundesrepublik Deutschland verfolgen (vgl. Bollhorn 2016; Franz et al. 2016), unterscheidet sich die Investitionslogik der untersuchten westlichen (= USA, Westeuropa) Private Equity-Investoren davon grundlegend in ihrer Struktur und Dynamik, was Implikationen für die deutschen Unternehmen mit sich bringt und damit auch die Deutungen der Führungskräfte selbst leitet. Zentrales Kennzeichen ist vor allem die vergleichsweise kurzfristige Investitions- und Wiederverkaufsphase der Unternehmen, die als reine Geldanlage gekauft und veräußert werden (vgl. Blome-Drees/Rang 2006: 5-6; Brealey/Myers 2000; Scheuplein/Teetz 2015: 26-27; Abb. 16). Während im öffentlich organisierten Kapitalmarkt die Wertpapiermärkte zusammengefasst werden, sind dem privaten Kapitalmarkt hingegen sämtliche Beteiligungstransaktionen zuzuordnen, die außerhalb der organisierten Wertpapiermärkte abgewickelt werden (Blome-Drees/Rang 2006: 11f). Bei der Finanzierungsform des Private Equity wird den in der Regel nicht börsennotierten Unternehmen außerhalb organisierter Wertpapiermärkte privates Kapital zur Verfügung gestellt, in der Regel in Form von Fremdfinanzierungen (ebd.: 12ff; sowie: Scheuplein 2013: 202f; Scheuplein/Teetz 2015: 26f). Bei der Übernahme von bereits etablierten Unternehmen im Zuge eines Brownfield-M&As, wie er Gegenstand der vorliegenden Unter-
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suchung ist, wird der Kaufpreis des Unternehmens, der bei den untersuchten Fällen entweder in Aktien-, Familien oder Private Equity-Besitz ist, vollständig oder anteilig an den vorherigen Eigentümer gezahlt (Scheuplein 2013: 202f; Scheuplein/Teetz 2015: 26f; Abb. 16). Sofern keine direkte Investition im Sinne eines vollständigen Kaufs damit verbunden ist, spricht man von einer Firmenübernahme durch einen über das Unternehmenskapital (z. B. Anlagewerte, Festgeld) und/oder fremdkapitalfinanzierten (Banken) Buyout (Scheuplein 2013: 202f; Scheuplein/Teetz 2015: 26), was im untersuchten Sample immer der Fall war und oftmals auch zu erheblichen ökonomischen Konsequenzen im Falle wirtschaftlicher Schieflagen führen kann (vgl. Blome-Drees/Rang 2006). Die meisten Kapitalbeteiligungsgesellschaften verfügen nicht mehr über einen festen Kapitalstock, sondern legen Fonds auf, in die Investoren einzahlen können (z. B. Banken, Versicherungen, aber auch Privatpersonen; Abb. 16; Scheuplein/Teetz 2015: 27). Die Übernahme bereits etablierter Unternehmen wird aufgrund der oftmals größeren Kapitalsummen in der Regel kreditfinanziert3 (hier tritt bestenfalls der sogenannte ‚Leverage‘-Effekt4 ein). Wesentliches Kriterium für den Erfolg der Investition ist die Differenz zwischen Kaufpreis und Verkaufswert des Unternehmens am Ende der Fondlaufzeit (Scheuplein/Teetz 2015: 27; ausführlicher: Groh/Gottschalg 2005). Der Ausstieg (= Exit) wird dabei zumeist über die Veräußerung von Firmen(anteilen) an branchennahe Unternehmen oder andere Private EquityGesellschaften realisiert, seltener auch über einen finanziell lukrativeren Börsengang (Scheuplein/Teetz 2015: 27). Als angestrebte Rendite für den Exit hat sich eine Ertragserwartung von 20-25 Prozent etabliert (Blome-Drees/Rang 2006: 16). Dabei ist bereits beim Erwerb des Unternehmens zeitlich determiniert, wann der Fond abläuft und liquidiert wird. Die Maximierung der Rendite wird zumeist durch eine Kombination von zwei Mechanismen erreicht:
3
Im Jahre 2007, ein Jahr vor der globalen Finanzkrise, waren in Deutschland etwa 70 Prozent des privat-kapitalisierten Übernahmevolumens kreditfinanziert (Scheuplein/Teetz 2015: 27).
4
Der ‚Leverage-Effekt‘ beschreibt die Hebelwirkung durch den Einsatz von Fremdkapital (anstelle von Eigenkapital) bei der Finanzierung von Unternehmenskäufen. Wird durch das eingesetzte Fremdkapital eine Gesamtrendite erreicht, die höher ist als die Zinsen für das Fremdkapital, so ist der vom Fremdkapital über den fälligen Zins hinaus erzielte Ertragsanteil dem Eigenkapital zuzurechnen. Im Ergebnis steigt die Eigenkapitalrendite mit zunehmendem Verschuldungsgrad und führt somit zum angestrebten positiven ‚Leverage-Effekt‘ (Tcherveniachki 2007: 58; ausführlich: Kessel 1998).
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• durch die Steigerung des Unternehmenswertes während der Beteiligungsdauer;
und • durch die Maximierung des Fremdkapitalanteils (ebd.: 16).
Abbildung 16: Zur Investitionslogik von Private Equity-Investoren
Quelle: eigene Darstellung, verändert und ergänzt auf der Grundlage von Scheuplein/ Teetz 2015: 27.
Dem oftmals von den neuen Eigentümern eingesetzten Management obliegt dabei die strategische Planung und operative Umsetzung der Zielvereinbarungen relativ autark (Blome-Drees/Rang 2006: 24). Das kontextspezifische Wissen der sich gänzlich unterscheidenden Investitionslogiken ist nicht nur wichtig für die ex postdurchzuführende Einordnung der untersuchten Investorengruppen (Kap. 8), sondern definiert gleichermaßen deren Struktur und Dynamik auf Deutungsmusterebene. So werden die Aushandlungsprozesse in den jeweiligen Investorenstrukturen auch auf der Grundlage dieser zentralen Unterscheidung definiert (Kap. 7). Während die BRIC-Eigner etwa vor allem aufgrund ihrer Unerfahrenheit und operativ sehr abwartenden Haltung (= ‚wait-and-see‘) eine asymmetrische Kooperationsstruktur in den Deutungen der deutschen Führungskräfte determinieren, konkretisieren sich die ex ante sehr klar geregelten Zielvorstellungen in den Private EquityEignerstrukturen in einer deutungslogisch vergleichbaren Kooperationsvorstellung (ausführlich: Kap. 7).
Deutungsmuster im Kontext transnationaler Unternehmensübernahmen | 179
Entwicklung und Quantifizierung von Private Equity-Investitionen in Deutschland Privates Beteiligungskapital entwickelte sich in Deutschland seit Mitte der 1970er Jahre, jedoch erst am Ende der 1990er Jahre in größerem Umfang (Jowet/Jowet 2011: 52ff; Scheuplein/Teetz 2015: 26). Die wachsende Bedeutung der Altersvorsorge in den angelsächsischen Ländern (z. B. Renten- und Pensionskassen), die teilweise in Fonds angelegt wurden, und die zunehmende Nachfolge-Suche für deutsche Unternehmen Ende der 1990er Jahre (u. a. Privatisierungen) beschleunigte diese Entwicklung auch in Deutschland (Scheuplein/Teetz 2015: 27). Dieser stetige Aufwärtstrend wurde durch das Platzen der New Economy-Blase im Jahr 2000 gestoppt, und es dauerte einige Jahre, bis potenzielle Investoren wieder Kapital in Unternehmen investierten (ebd.: 27). Erst seit 2010 sind die Anzahl und das Investitionsvolumen von Beteiligungskapital in Deutschland auf einem hohen Niveau stabil (ebd.: 28). Die räumliche Konzentration der in Deutschland ansässigen Private EquityUnternehmen und/oder Ableger ausländischer Investitionsgesellschaften verteilte sich dabei vom Beginn dieser Entwicklung an im Wesentlichen auf fünf Zentren des Beteiligungskapitals (= Berlin, Frankfurt, Hamburg, Düsseldorf und München), was auf die dort bereits ansässige Bankenstruktur zurückgeführt wird (Klagge 2003: 183; Scheuplein/Teetz 2015: 29). Die Investitionsmuster der jeweiligen ausländischen und inländischen Beteiligungsgesellschaften erfolgen dabei räumlich weniger konzentriert, zeigen aber einen Schwerpunkt auf die industriellen Ballungszentren West- und Süddeutschlands, was vor allem über die dort regional sehr ausgeprägte Struktur kleinerer und mittelgroßer Unternehmen (KMU) erklärt werden kann, bei denen es sich oftmals auch um Weltmarktführer in ihrem Produktsegment handelt (= hidden Champions; Keller/Hohmann 2007; Scheuplein 2013: 205, 207/208; Scheuplein/Teetz 2015: 29). Dieses allgemeine Investitionsmuster der Private Equity-Unternehmen entspricht auch dem der hier untersuchten Investorenstrukturen. Vor allem die 2002 in Kraft getretene Steuerfreiheit für Gewinne aus dem Verkauf von Kapitalgesellschaften motivierte zahlreiche Konzerne, sich von Firmenteilen zu trennen, die nicht mehr ins Portfolio passten und dabei auch an Finanzinvestoren veräußert wurden (Scheuplein/Teetz 2015: 28). So zeigte sich auch im untersuchten Sample eine hohe Anzahl sogenannter Split-Offs von traditionsreichen deutschen Großunternehmen, die im Zuge einer strategischen Bereinigung des eigenen Firmenportfolios jene Teileinheiten des Konzerns veräußerten, die zu/ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr in die mittel- bis langfristige Gesamtunternehmensstrategie passten. Einige dieser Firmen agieren seitdem als eigenständige Einheiten unter der formalen Eigentümerschaft eines oder mehrerer institutioneller Investoren (= Unternehmensnachfolge). Scheuplein/Teetz (2015) quantifizieren die Anzahl von Firmenübernahmen durch Private Equity-Unternehmen zwischen 2012 und
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2013 mit einer Zahl (von allen bekannt gewordenen Fällen) von 397 Firmenübernahmen mit einem geschätzten Transfervolumen von jeweils 20 Mrd. Euro (2012/2013). Dabei wurden etwa zwei Fünftel der Investitionen über den Standort Frankfurt abgewickelt (Scheuplein/Teetz 2015: 28f). Auf globalem Maßstab, aber auch in Hinblick auf die deutschen Unternehmen, ist der in den letzten zehn Jahren gestiegene Anteil asiatischer Investoren und Investoren aus den Entwicklungs- und Schwellenländern auffällig, bei denen ebenfalls vermehrt institutionelle Investoren zu beobachten sind (vgl. Auswertiges Amt 2017; UNCTAD 2013; 2015).
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Exkurs: zur Entwicklung und Dynamik ausländischer Direktinvestitionen zwischen 1995 und 2014 Abbildung 17: Höhe des In- und Outflow-FDIs (1995-2014) und proportionaler Anteil der Entwicklungsländer
Quelle: eigene Darstellung auf der Grundlage und in Anlehnung an den UNCTAD World Investment Report 2015: 16.
Wichtigste Akteure bei internationalen Direktinvestitionen sind mit einem Anteil von über 80 % nach wie vor die Industrienationen (UNCTAD 2015: 16ff; Abb. 17). Auch wenn seit über einer Dekade die so genannten BRIC-Staaten als neuer Akteur auf dem Markt für Direktinvestitionen auftreten, so ist deren Anteil jedoch nach wie vor marginal (Neumair 2006: 55; UNCTAD 2015). Es wird aber gerade diesen Schwellenländern aufgrund ihrer teils sehr dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung zukünftig eine zunehmende Rolle beigemessen (vgl. Paludkiewicz et al. 2010: 42ff; Hans-Böckler-Stiftung 2017; ausführlich: Jungbluth 2013). Dabei ist die Volksrepublik China als Folge des anhaltenden Industrialisierungsbooms und konstant wachsender Wirtschaftsleistung in den letzten eineinhalb Dekaden sicherlich in besonderem Maße hervorzuheben (2016: 5,7 % BIP-Wachstum; vgl. Auswärtiges Amt 2017; Franz et al. 2016). Als Empfänger für ausländische Direktinvestitionen dominieren ebenfalls die Industrienationen, wobei sich auch hier das Gesamtvolumen des FDI-Inflows sukzessive von den klassischen OECD-Nationen des Westens zugunsten der asiatischen Schwellenländer verschiebt (vgl. UNCTAD 2015; Abb. 17).
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5.4.3 Die Verkaufsmotive und -dynamiken der deutschen Unternehmen im Kontext der Untersuchung Um das inhaltliche Kontextwissen des Untersuchungsbereichs zu vervollständigen, soll nun noch ein abschließender Blick auf die gewissermaßen gegenüberstehende Struktur und Dynamik geworfen werden, denn nicht nur die Investitionsmotive der ausländischen Investoren erscheinen im Kontext der Untersuchung als relevant, sondern auch die Verkaufsmotive der deutschen Unternehmen selbst. So zeigte sich etwa, dass deren Verkaufsmotive nicht nur in der Pre-Merger-Phase von handlungsleitender Bedeutung waren (im Sinne einer bewusst starken argumentativen Positionierung gegenüber den ausländischen Investoren), sondern auch die weiteren Aushandlungsprozesse determinierten, etwa den zeitstabilen argumentativen Fluchtpunkt auf den Erfolg des deutschen Unternehmens als das zentrale Movens des eigenen Handelns und Verhandelns (Kap. 7). Für die theoretische Einordnung dieser Verkaufsmotive können zunächst unternehmensspezifische und eigentümerspezifische Motive unterschieden werden (Wirtz 2003: 73ff). Zentral erscheinen im Kontext der vorliegenden Untersuchung vor allem unternehmensspezifische und strategische Verkaufsmotive: Hervorzuheben ist in beiden untersuchten Investorenstrukturen der Aspekt der strategischen Neuausrichtung der Unternehmen sowie die Erschließung neuer Absatzmärkte, zumeist in China (zur Einordnung: Wirtz 2003). Die untersuchten Unternehmen (n=16) können entsprechend der theoretischen Einordnung weiter durch spezifische Verkaufsmotive differenziert werden, wobei es sich zumeist gleich um mehrere Faktoren handelt und diese auch nicht investorenspezifisch unterschieden werden können (BRIC versus Private Equity). Im untersuchten Sample sind einige der deutschen Unternehmen im Verlaufe ihrer Unternehmensgeschichte sowohl im Besitz von Private Equity-Unternehmen als auch im Besitz von inhaber- und gesellschaftergeführten Unternehmen gewesen. Im Hinblick auf die eigentümerspezifischen Verkaufsmotive sind dabei Nachfolgeregelungen, auch bedingt durch finanzielle Notlagen oder Konkurse, im untersuchten Sample nur bei einem Unternehmen aufgetreten (vgl. dazu auch Wirtz 2003: 73). Einige der Unternehmen, die zuvor im Besitz eines Private Equity-Unternehmens waren, wurden entsprechend der Funktionslogik von institutionellen Firmenkäufen und -verkäufen im Hinblick auf den richtigen Zeitpunkt des maximalen Verkaufserlöses (Exit) an einen neuen Investor weiter veräußert.
Deutungsmuster im Kontext transnationaler Unternehmensübernahmen | 183
Abbildung 18: Zur Strukturlogik und -dynamik des Investitions- und Verkaufsgeschehens der untersuchten Unternehmen (Erläuterungen siehe Text)
Im Hinblick auf die untersuchten Unternehmen lassen sich drei typische Phasen der Struktur und Dynamik des Investitions- und Verkaufsgeschehens bei M&As ausmachen (Abb. 18): • die Ausgangslage: Die Unternehmen, zumeist in Familien- und/oder Streubesitz
(= Aktiengesellschaft), sollen aus Gründen der Nachfolgeregelung oder wie im Falle alter deutscher Traditionsunternehmen aus strategischen Gründen (Teile des Unternehmens passen nicht mehr ins Portfolio) verkauft werden (= Phase 1). • die Verkaufsphase: Das Unternehmen wird, je nach Verkaufsmotiv und finanziel-
len Abwägungen, entweder an ein anderes Unternehmen (z. B. ein Konkurrent im gleichen Produktsegment) oder als Ganzes bzw. als Teileinheit des gesamten Unternehmens (,Split-Off‘) an einen institutionellen Investor verkauft (= Phase 2). • die Zukunftsperspektive: Das erworbene Unternehmen wird von institutionellen
Investoren zumeist nach einem Zeitraum von fünf bis sieben Jahren gewinnbringend weiterverkauft, wiederum an Private Equity-Eigner oder an ein strategisches Produktunternehmen. Die von einem anderen Unternehmen (= Familien- oder Streubesitz) gekauften Unternehmen (B) werden in der Regel langfristig gebunden. Dabei unterscheidet sich der Grad an Integration der Unternehmen zum Teil erheblich: Während oftmals versucht wird, durch Integration (ökonomische) Synergien zu nutzen (siehe Abb. 18, unten Mitte), existieren zahlreiche Unterneh-
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men auch nach der Übernahme als operativ unabhängig agierende Einheiten (siehe Abb. 18, unten rechts), so dass die Übernahme eher juristisch-formalen Charakter aufweist (= Phase 3). Zumeist jedoch lassen sich bei den untersuchten Fällen unternehmensspezifische Verkaufsfaktoren5 ausmachen. Viele der mittelständisch gewachsenen Unternehmen benötigen finanzielle Liquidität für Investition in neuen Märkten oder analog dazu einen Partner in der entsprechenden Zielregion (v. a. in Asien; vgl. Depner/Bathelt 2006). Diese strategischen Neuausrichtungen betreffen nicht nur Investitionen und Marktzugänge, sondern gewissermaßen auch Desinvestitionen: Bei zahlreichen der untersuchten Unternehmen handelt es sich um Abspaltungen von Unternehmen traditionsreicher deutscher Großunternehmen, die ihrerseits im Zuge einer strategischen Unternehmensneuausrichtung das Portfolio der eigenen Kompetenzen und Produkte verändern bzw. sich auf bestimmte Kernkompetenzen konzentrieren wollen (ausführlich: Hering/Olbrich 2003; Scheuplein 2013; Scheuplein/Teetz 2015: 27; Wirtz 2003). Diese zuvor als Teileinheiten des Mutterkonzerns geführten Unternehmen operieren nun auch rechtlich als eigenständige Einheiten oder operativ und strategisch eingebettet in den neuen Mutterkonzern, zumeist aus China. Aus Deutungsmusterperspektive erscheint die Konstellation im besonderen Maße spannend, da im Kontext dieses internationalen Mergers zu erwarten ist, dass spezifisch deutsche-westliche Deutungsschemata (konkretisiert in Kap. 6) den Prozess der kommunikativen Neuaushandlung nach der Unternehmensübernahme überlagern dürften und in besonderem Maße aktiviert werden. Während bei den Übernahmen durch Private Equity-Eigner das Verkaufsmotiv (ex ante) bereits klar definiert ist (= Renditeerwartung von 25 Prozent nach fünf bis sieben Jahren; Blome-Drees/Rang 2006: 16), stellen sich folglich die Verkaufsmotive bei Produktunternehmens-Konstellationen vielschichtiger dar. Auffällig, wenn auch nicht ungewöhnlich, erscheint die empirische Beobachtung, dass die deutschen Unternehmen im Falle von Produktunternehmens-Verkäufen eine wesentlich auf den eigenen Erfolg ausgerichtete Verkaufsstrategie aufzeigen, bei der vor allem Absatz- und Wachstumschancen in ‚Fernost‘ sowie die entsprechend höheren Finanzierungsmöglichkeiten durch einen finanzstarken Partner die Strukturlogik definieren. Im Kontext der untersuchten Private Equity-Übernahmen dominieren ebenfalls betriebswirtschaftliche Überlegungen, wobei hier die Kostenseite als das wesentliche Motiv erscheint (z. B. Restrukturierung von Wertschöpfungsketten, Reor-
5
Wobei die hier durchgeführten Unterscheidungen eher analytischer Natur sind. Die empirische Untersuchung hat aufgezeigt, dass die tatsächlichen Prozesse zumeist von Mischformen und komplexeren Veräußerungsmodellen gekennzeichnet sind (ausführlich: Kap. 7).
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ganisation von Beschaffungsmärkten, Senkung der Kapitalkosten und Nutzung steuerlicher Vorteile; vgl. auch Scheuplein/Teetz 2015: 26f; Wirtz 2003: 73ff).
5.5 UNTERNEHMENSÜBERNAHMEN UND KULTUR: VON KULTURANSÄTZEN DER M&A- UND WIRTSCHAFTSGEOGRAPHISCHEN LITERATUR ZU EINER HERMENEUTISCHEN ERKENNTNISPERSPEKTIVE VON NÄHE- UND DISTANZASKRIPTIONEN Nach den Einordnungen und Erläuterungen wesentlicher Motive und Erscheinungsformen transnationaler Unternehmensübernahmen im Kontext der durchgeführten Untersuchung sowie dem analyserelevanten Kontextwissen im Hinblick auf die unterschiedlichen Strukturlogiken und -dynamiken der Investorenkonstellationen sollen nun explizit die kulturanalytischen Systematisierungsversuche der untersuchten M&A- und wirtschaftsgeographischen Literatur Gegenstand der Auseinandersetzung sein. Dabei sollen Kritikpunkte an den erkenntnistheoretischen und methodologischen Standpunkten der jeweiligen Forschungsarbeiten ebenso im Zentrum der Betrachtung stehen wie inhaltliche Anknüpfungspunkte der vorliegenden Arbeit an aktuelle Debatten der Wirtschaftsgeographie. Im Vordergrund der Analyse steht die Frage nach den erkenntnistheoretischen Forschungszugängen der untersuchten Beiträge sowie die Entwicklung einer eigenen Forschungskonzeption, innerhalb derer die Rekonstruktion der soziokulturell motivierten Askriptionsmuster Gegenstand der Nähe- und Distanzproduktion gegenüber den ausländischen Investoren ist (vgl. Fuchs et al. 2017a: 2f). Diese Perspektive impliziert gleichsam eine kritische Würdigung der untersuchten Forschungsansätze zur Erfassung kultureller Dynamiken. Im Zentrum des Kapitels steht die Frage, wie man sich den Kulturbegriffen erkenntnistheoretisch und methodologisch nähern kann, aber auch welche Probleme und Implikationen dies oftmals mit sich bringt. Die Kritik an diesen Debatten (z. B. das Problem des Analyselevels oder ob nun Distanz bei M&As eher ein Vor- oder ein Nachteil ist; Abb. 25) führt zur Entwicklung einer eigenen hermeneutischen Herangehensweise an das „Strukturproblem“ (Oevermann 2001c). Der Terminus ‚Kultur‘ soll in dieser Arbeit in Anlehnung an die Konstitutionstheorie Oevermanns (1973; 2001a; Kap. 3) und gleichzeitig Positionierung dieser Arbeit (Kap. 4 u. 5) als die Summe aller sprachlich kommunizierbaren Semantiken, Handlungen und Interaktionen verstanden werden (A), die in einem Wirklichkeits- und Raumausschnitt (z. B. Nation, Unternehmen) als Differenzerfahrung zu einem B anzutreffen sind (vgl. Meyer 2000: 158/161).
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5.5.1 Einführung: zur Problematisierung von Kulturbegriffen aus der Perspektive der vorliegenden Untersuchung Innerhalb der letzten Dekaden hat parallel zum kontinuierlichen Anstieg ausländischer Direktinvestitionen und transnationaler Unternehmensübernahmen seit den 1980er Jahren innerhalb der M&A-Literatur eine umfangreiche und epistemisch wie methodologisch bisweilen äußerst heterogene Diskussion über kulturelle Faktoren und deren Einfluss auf den Erfolg von Unternehmensübernahmen stattgefunden (für eine Übersicht vgl. Ahern et al. 2015; Arslan/Larimo 2016; Dauber 2012; Gomes et al. 2013; Frantz 2015). Dabei diskutieren nahezu alle Autoren, unabhängig vom jeweiligen erkenntnistheoretischen Zugang, kulturelle Aspekte als zentrale Determinante (= Struktur) und Einflussgröße (= Prozess) für den Erfolg oder Misserfolg von Unternehmenszusammenführungen (für eine Übersicht vgl. Frantz 2015; Gomes et al. 2013; Rottig et al. 2013). Auch Praktiker, allen voran global agierende Beratungsgesellschaften, widmen dem Thema kultureller Einflussfaktoren und ihren Auswirkungen zahlreiche, zumeist quantitative Studien (exemplarisch: Ernst & Young/EY 2013). Dabei wird methodologisch in der Regel mit vorab definierten Faktorenkatalogen gearbeitet (z. B. ‚Wie bewerten Sie die Kooperation mit den chinesischen Investor?‘), die dann in den empirischen Erhebungen in Form von Fragebögen und/oder telefonischen standardisierten Befragungen ermittelt werden (exemplarisch: Ernst & Young/EY 2013 für die Kooperation mit chinesischen Investoren in der Bundesrepublik). Dieses Vorgehen erscheint vor allem im Kontext einer breiten Erhebung eines ‚großen n‘ (= Fallzahlen) durchaus als relevant und sinnvoll, jedoch bleibt die Operationalisierung ‚weicher‘ Faktoren der Kooperation in der Regel vage oder gar gänzlich unklar (vgl. Shenkar 2012: 16). Untersuchungen gehen davon aus, dass (mindestens) 50 Prozent aller Unternehmenszusammenführungen scheitern, wobei diese Zahlen durchaus variieren (vgl. Child et al. 2001; Dauber 2012: 375), bleiben dabei aber zumeist vage, was die Gründe hierfür sein könnten (vgl. Dauber 2012: 377f; Shenkar 2012: 13). Zwar sind gewiss nicht alle Firmenübernahmen im transkulturellen Kontext angesiedelt und (so sie denn) scheitern an kulturellen Faktoren, jedoch erscheinen kulturelle Aspekte als wesentliche Determinante im internationalen M&A-Kontext, auch aus der Sichtweise der unzähligen Untersuchungsbeiträge zum Thema (Dauber 2012: 375ff; Frantz 2015: 106f; für eine Übersicht vgl. Rottig et al. 2013). Diese sehr hohen Zahlen, verbunden mit der wirtschaftlichen Bedeutung des Scheiterns einer Unternehmensübernahme, vermögen aber nicht das Phänomen selbst und den Einfluss kultureller Faktoren auf die Prozesse der Übernahme zu erklären (vgl. Shenkar 2012: 16). Gerade im transkulturellen Kontext länderübergreifender M&As besteht offensichtlich ein erhöhtes Risiko, dass die verschiedenen nationalen und organisa-
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tionalen Kulturen (vgl. Dauber 2012: 376) der beteiligten Unternehmen im „interspace“ (Fuchs et al. 2017a: 2) transkultureller Kooperation zu resistenten Strukturen, Planabweichungen oder gar zum Scheitern der Post-Merger-Integration (= Unternehmenszusammenführung) führen (vgl. Cartwright/Cooper 1993, 2000; Durand 2017). Kultur und kulturelle Aspekte der Übernahme werden entsprechend der Interdisziplinarität der beteiligten Forschungsfelder mit Hilfe unterschiedlicher Herangehensweisen und erkenntnistheoretischer Positionen analysiert (u. a. Management Studien, Psychologie, Soziologie, Organisationswissenschaften), die nicht nur zu oftmals widersprüchlichen Ergebnissen führen (vgl. Frantz 2015: 2016ff; Rottig et al. 2013: 136), sondern auch das epistemisch umfassende Konzept Kultur vor allem nach den disziplinär verhafteten Heuristiken und Theoriegebäuden untersuchen (vgl. Dauber 2012; Rottig et al. 2013: 136; Shenkar 2012: 16). Kultur erscheint dabei oftmals als unspezifische analytische Kategorie, deren Mechanismen vor allem im Hinblick auf ihre Messung, Quantifizierung und tatsächliche Bedeutung für Unternehmensübernahmen nur schwer zu operationalisieren sind (vgl. Cartwright/Cooper 2000; 2001; Dauber 2012: 376f; Durand 2017). Die Relation von Unternehmen im „interspace“ (Fuchs et al. 2017a: 3) transkultureller Praktiken (= Embedded Practices) verweist auf ein „Strukturproblem“ (Oevermann 2001c), das nicht nur ökonomische, sondern zugleich auch soziale Faktoren der differenten Praktiken, soziokulturellen Askriptionen sowie latente Denkmuster und Normen umfasst (Fuchs et al. 2017a: 2/3). Entsprechend dieser ersten Problematisierung der unterschiedlichen Kulturbegriffe und -ansätze umfasst die weitere Analyse der kulturorientierten Ansätze in der M&A- und wirtschaftsgeographischen Literatur, auf deren Grundlage im späteren Verlauf eine forschungsbezogene Konzeptualisierung vorgenommen werden soll, im Wesentlichen drei analytische Dimensionen: A.)
Welche definitorischen Annäherungsversuche an Kultur werden in der Literatur unternommen? Dabei steht weniger eine rein deskriptive und summarische Auflistung der umfangreichen Definitionsversuche von Kultur im Vordergrund der Betrachtung, sondern vielmehr die Frage, wie diese Definitionen sich meta- und strukturtheoretisch dem Kulturbegriff annähern oder mit Oevermann gesprochen: Worin besteht der gemeinsame Strukturkern dieser Definitionsversuche? Dies erscheint vor allem im Kontext des eigenen Forschungsvorhabens, nämlich der Rekonstruktion soziokultureller Askriptionsmuster von Kultur, von wesentlicher Bedeutung. Schließlich stehen die inhaltlichen Faktoren transkultureller Unternehmensübernahmen im Zentrum der Argumentation. Dieser Aspekt erscheint vor allem im Hinblick auf die empirische Rekonstruktion der „black box“ (Leyshon 2011: 383) von Managerdeutungen und organisationalen Routinen (vgl. Kinder/Radwan 2010) als wichtig:
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B.)
C.)
Was sind also die tatsächlichen Probleme in der faktischen Kooperation (vgl. dazu Faulconbridge 2008)? eine einführende Übersicht der methodologischen Ansätze zur Messung kultureller Faktoren bei Unternehmensübernahmen: Welche Ansätze existieren, worin liegen deren spezifische Stärken und Schwächen und wie sind diese im Hinblick auf die erkenntnistheoretische Positionierung der vorliegenden Arbeit einzuordnen? Dabei soll vor allem begründet werden, weshalb und worin die Deutungsmusteranalyse zu einem vertieften Verständnis soziokultureller Praktiken von Annäherung und Distanzierung beitragen kann. das methodologische Problem des Analyselevels von Kultur: So zeigt die Literatursichtung, dass zumeist entweder unternehmensspezifische oder länderspezifische Betrachtungen dominieren (v. a. in der Nachfolge von Hofstede 1980). Hier sollen sowohl methodologische Ansätze zur Messung der Analyselevel im Vordergrund der Betrachtung stehen als auch Distanzkonzepte in ihren unterschiedlichen Herangehensweisen (ausführlich: Dauber 2012: 375382). Auf der Grundlage dieser erkenntnistheoretischen Einordnungen soll dann eine eigene Forschungskonzeption entwickelt werden, bei der die soziokulturellen Askriptionsleistungen der Akteure im Zentrum der Betrachtung stehen (Abb. 19).
Abbildung 19: Trichter-Abbildung zur argumentativen Vorgehensweise in diesem Kapitel: Einordnung aktueller Debatten und Verdichtung auf das ‚Strukturproblem‘ transkulturelle Unternehmensübernahme
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5.5.2 Kultur im Kontext transnationaler Unternehmensübernahmen: strukturelle Definitionsversuche von Kultur als Ausgangspunkt der erkenntnistheoretischen Perspektive (A) Entsprechend der im weiteren Verlauf der Darstellung (Kap. 7) durchgeführten Untersuchungen soll an dieser Stelle der Argumentation eine kurze Übersicht über die inhaltlichen Debatten zu den kulturellen Aspekten bei internationalen Unternehmensübernahmen versucht werden. Voranstehen soll dabei eine metatheoretische Annäherung an die Kulturbegriffe, wie sie in zahlreichen kulturvergleichenden Lehrbüchern prominent vertreten sind (exemplarisch: Genkova 2012; Genkova 2013; Kanzler 2013 mit Bezug auf Kroeber/Kluckhohn 1952). Dies geschieht aus zwei Gründen: • Die meisten der analysierten Kulturbegriffe unterscheiden sich zwar in ihren er-
kenntnistheoretischen und methodologischen Ansatzpunkten teilweise erheblich, jedoch in ihren grundlegenden begrifflichen und definitorischen Ausgangspunkten eher marginal und zielen vor allem auf die erlernten und tradierten Kommunikationsmechanismen einer sozialen Struktur ab (Kanzler 2012: 29f). Es erscheint daher wenig sinnvoll, eine summarische Übersicht ausgewählter Kulturdefinitionen zu leisten, da diese a. ohnehin selektiv ist, und b. im Kontext der vorliegenden Untersuchung vor allem eine strukturell begründete Einordnung von sozialen Phänomenen im Vordergrund steht (vgl. dazu Oevermann 2001a: 7ff). Was sind also die „Strukturlogiken“ (Dörfler 2013a: 253) von Kultur und mit welchen soziokulturellen Askriptionsleistungen der handelnden Akteure sind diese transkulturellen Mechanismen bei internationalen M&As verbunden? • Eine metatheoretische Annäherung zielt explizit auf den strukturellen Charakter der Kulturdefinitionen ab: Nicht um Einzeldefinitionen geht es, sondern darum, was diese strukturell motiviert (vgl. Oevermann 2001a: 7ff). Für die Analyse soziokultureller Askriptionen von Nähe und Distanz (Kap. 4) erscheint daher die Frage nach den Grundelementen dieser Definitionen, also den strukturellen Elementen dieser Betrachtungen, wesentlicher. Der zentrale Ansatzpunkt der vorliegenden Arbeit wird dabei deutlich: Der erkenntnistheoretische Zugang der meisten Definitionen erscheint als substanzialistisch im Sinne einer kategorisierenden Zuweisung von Kultur auf sehr hohem Aggregationsniveau und als vage und wenig brauchbar, um die methodologische Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand zu konkretisieren (vgl. Kanzler 2013: 28f). Kroeber und Kluckhohn (1952) bieten einen verwertbaren Ausgangspunkt für den vorliegenden erkenntnistheoretischen Ansatz: Die Autoren betonen in einer der umfassendsten und am weitesten akzeptierten Metastudien über Kulturdefinitionen auf
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der Grundlage von 164 Definitionen disziplinübergreifend drei zentrale Aspekte, die zumeist vorhanden sind (Genkova 2012: 23f; Podsiadlowski 2002: 31): (1) Kultur zeichnet sich in adaptiven Interaktionen ab. Darunter fallen Sprache, Konzepte, Symbole, Religionen, Verhaltens- und soziale Muster der Kommunikation. (2) Kultur besteht aus gemeinsamen Elementen: Sprache, Zeit und Ort. (3) Kultur wird über länger Zeiträume und Generationen hinweg übertragen, was ihren objektiven Charakter manifestiert (Genkova 2012: 23f). Beer (2003) greift diese strukturellen Gedanken ebenfalls und prägnant auf, also die Frage, welche Aspekte und Annäherungen in den bisherigen Kulturdefinitionen am häufigsten angeführt werden. Für Beer (2003) ist Kultur (1) erlernt, (2) überindividuell, (3) historisch entstanden und in stetigem Wandel, (4) eine strukturierte Gesamtheit von Kenntnissen und Gewohnheiten, (5) unscharf hinsichtlich der Grenzen zu anderen Kulturen, (6) inhomogen, (7) eine Abstraktion (vgl. Beer 2003: 66f, in: Genkova 2012: 23f; Kanzler 2013: 29f). In Anlehnung an und inhaltlicher Auseinandersetzung mit dieser bewusst sehr kurzen und zusammenfassenden Darstellung zweier oft zitierten Metastudien zum Kulturbegriff (vgl. auch Genkova 2013) soll nun eine eigene Konzeptualisierung aus der erkenntnistheoretischen Perspektive der objektiven Hermeneutik/Deutungsmustertheorie (vgl. Oevermann 1973; 2001a; Kap. 3) versucht werden. 5.5.3 Einbettung in den Forschungskontext: deutungsspezifische Askriptionsmuster als Ausgangspunkt der Untersuchung Die zuvor skizzierten Metastudien (vgl. Kroeber/Kluckhohn 1952) liefern für eine deutungsmusterspezifische Annäherung an Kultur und kulturspezifische Mechanismen bereits wesentliche Ansatz- und Orientierungspunkte, indem sie die Grundelemente des vorliegenden Forschungsansatzes deutungsspezifischer Askriptionen theoretisch umreißen: Auch deutungsspezifische Askriptionen verweisen in ihrer räumlichen und/oder milieuspezifischen Verbreitung auf einen gemeinsam geteilten Bestand an kulturellen Denk- und Handlungsmustern (vgl. Oevermann 2001b: 3840), die sich in Form tradierter und gemeinsam geteilter Askriptionsmuster im Untersuchungsmaterial manifestieren und somit die Differenzdeutungen zu ‚anderen‘ Kulturen als Nähe und Distanz konkretisierbar machen (vgl. dazu auch Rothfuß 2013 für die Geographie). Die einzelnen Handlungsprotokolle verdichten sich dabei zu einer typischen Handlungsstruktur (vgl. Wernet 2009), die als Summe der Askriptionsmuster verstanden werden kann. Grundlage dieses Zugangs ist immer symbolische Interaktion, in diesem Fall Sprache als regelgeleitetes und regelndes Muster der (transkulturellen) Kommunikation (vgl. auch Genkova 2012: 23). Diese adaptierten Interaktions- und Kommunikationsmuster sind erkenntnistheoretisch überhaupt erst erfahrbar durch die Differenzerfahrung zu einer ‚anderen‘ Kultur, von der sich die Deutungs- und Askriptionsrahmen unterscheiden (vgl. dazu Meyer
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2000 u. Rothfuß 2009: 173ff für die Humangeographie). Auch wenn der Kulturbegriff ohnehin ein (begriffliches) Abstraktum darstellt und analytisch nicht eindeutig zwischen spezifischen ‚Kulturen‘ zu trennen ist (Beer 2003: 66), so gelingt durch die Analyse deutungsspezifischer Askriptionsmuster doch ein wichtiger erkenntnistheoretischer Mehrwert: Die Rekonstruktion der latenten Deutungsrahmen stellt ihrerseits zwar ebenfalls eine methodologische Abstraktion dar, doch lassen sich auf der Grundlage dieser Rekonstruktion der Interaktionssequenzen der Akteure selbst je typische Handlungsmuster rekonstruieren (Kap. 7). Zentral erscheint in dieser Sichtweise auch der Zusammenhang von kulturellen Werten (Podsiadlowski 2002: 34f) und räumlich anzutreffenden Askriptionsmustern. Erst durch gemeinsam geteilte Wertevorstellung konkretisiert sich für Podsiadlowski (2002) der Bezug zu den normativen und rollenspezifischen Askriptionsmustern einer Kultur. Schein (1985) liefert dabei eine viel zitierte und brauchbare Vorlage für eine Annäherung aus Deutungsmusterperspektive, bei der sich Kultur auf die Handlungsweisen der Organisationsmitglieder sowie auf die Organisationsstrukturen und -prozesse auswirkt (Podsiadlowski 2002: 34). Die Annahmen des Modells beziehen sich darauf, dass die jeweiligen Wertesysteme einen Schlüsselbegriff in der Auseinandersetzung mit Kultur darstellen, da diese in Analogie zu Deutungen und Askriptionen von ‚richtigem‘ Handeln in bestimmten Problemkontexten die normativen Regeln und implizit geteilten Heuristiken darstellen, was ‚richtig‘ und wünschenswert in einer Gesellschaft oder in einem spezifischen Milieu ist (Podsiadlowski 2002: 35). Auf der obersten Ebene materialisiert sich Kultur in Symbolen, Sprache und Umgangsformen, die nachvollziehbar und interpretationsfähig sind (ebd.: 35; Abb. 20). Auf der mittleren Ebene ist, entsprechend des konzeptuellen Beitrags der vorliegenden Arbeit, das Konzept sozialer Deutungsmuster und kulturspezifischer Askriptionen angesiedelt (vgl. auch Fuchs et al. 2017a). Dazu zählen Werte, Normen, Standards und normative Handlungsdispositionen, über welche die handelnden Akteure prinzipiell reflektieren können, jedoch zumeist unbewusst auf deren Grundlage agieren (Podsiadlowski 2002: 34).
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Abbildung 20: Drei Ebenen von Kultur aus Deutungsmusterperspektive in Anlehnung an das Konzept von Schein 1985
Quelle: eigene Darstellung, verändert und ergänzt in Anlehnung an Schein 1985: 14, zit. in: Podsiadlowski 2002: 35.
Diese sind im Vergleich zu Einstellungen oder Meinungen wesentlich allgemeingültiger und resistenter gegenüber Veränderungen und vor allem gruppenspezifisch erlernt (vgl. auch Kap. 2; Podsiadlowski 2002: 34ff; Ullrich 1999b: 2/3). Werte haben auch einen konkreteren Bezug zu sozialen Milieus (vgl. Oevermann 2001b: 3840), in denen sie gelten, hier etwa im Milieu des leitenden deutschen Managements (vgl. dazu auch Bohnsack 1998: 119ff; Dörfler 2013a). Die soziokulturellen Askriptionsmuster wirken dabei zumeist unbewusst, können aber von den handelnden Subjekten prinzipiell reflektiert werden. In ihrer Summe geben sie Aufschluss über die tradierten und problemspezifischen Handlungsrahmen, die vor allem in der Situation der kulturellen Differenzerfahrung aktiviert und mobilisiert werden (vgl. Fuchs/Schalljo 2016; Meyer 2000: 158/161; Durand 2017; Kap. 7). Eingebettet schließlich sind diese normativen Wertepositionen in kulturelle Grundannahmen, die sich in der Regel einer gezielten Reflexion entziehen, wobei auch hier durchaus Bezüge zu Deutungsmustern zu sehen sind (z. B. unbewusste Deutungen von Raum). Kulturbezogene Werte- und Askriptionssysteme (Abb. 20) erscheinen dabei als fortlaufendes Produkt einer „historisch vermittelten Reziprozitätsdynamik“ (Bolten 2009: 239; vgl. Podsiadlowski 2002: 34f). In ihnen manifestieren sich objektiv gültige Askriptionsmuster und Handlungsrahmen, die in ihrer Summe eine bestimmte und bestimmbare Kultur ausmachen. Sind Kultur und kulturelle Werte-
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systeme Gegenstand der Analyse, so gilt es, diese handlungsleitenden Deutungsrahmen und Zuweisungen, etwa von Nähe und Distanz zu einem ‚Anderen‘ (vgl. Cranston 2016), zu rekonstruieren (vgl. dazu auch Meyer 2000; Rothfuß 2013). 5.5.4 Manifeste Probleme und Implikationen internationaler M&As aus der Sichtweise akteursspezifischer Nähe- und Distanzaskriptionen Nach den strukturellen Definitionsversuchen der Metastudien als Ansatzpunkt für einen deutungs- und askriptionsmusterspezifischen Forschungsansatz über kulturelle Differenzdeutungen sollen nun abschließend einige zentrale inhaltliche Aspekte transkultureller Kooperationen kurz thematisiert werden. Dies erscheint insofern als notwendig und zielführend, da die untersuchten Deutungs- und Askriptionsmuster stets mit den manifesten Handlungsproblemen (vgl. Garz/Raven 2015: 20ff; 31f; Plaß/Schetsche 2001: 518) der Erscheinungswelt korrespondieren, welche sie als soziale Regeln latent steuern und ordnen (vgl. Oevermann 2001a: 7f; Wernet 2011: 3f; vgl. Irrmann 2005 im M&A-Kontext). Entsprechend des erkenntnistheoretischen und methodologischen Forschungszugangs über Zeichensymbole und Sprache spielt das Thema Sprache auch inhaltlich gesehen eine übergeordnete Rolle im Untersuchungsmaterial: Die jeweiligen Landeskulturen sowie die damit verbundenen Normen und Werte (= Deutungsmuster) manifestieren sich vor allem in den sprachlichen Aushandlungsprozessen und Kommunikationslogiken der handelnden Akteure und beeinflussen den M&A und die Post-Merger-Integration auf verschiedenen Ebenen (vgl. Haas 2004: 154; Holtbrügge/Puck 2009: 216). Im manifesten Bereich der internationalen Kooperation definieren sie die Art und Weise, wie Verhandlungen geführt und damit kommunikative Wirklichkeit selektiv konstruiert wird (vgl. Schütz/Luckmann 1975), aber auch den Modus Operandi, wie Entscheidungen getroffen werden („black box“; Leyshon 2011: 383) und Vertrauen als soziale Näheform geschaffen wird (oder auch nicht; Moosmüller 2009: 61f; sowie: Brökel 2016). Gesteuert werden diese kulturellen Faktoren über latente Deutungsmuster, die den handelnden Personen als normative Denk- und Problemlösungsschablonen zumeist unbewusst zur Verfügung stehen (Abb. 20). Im Kontext internationaler Unternehmensübernahmen werden Kultur und kulturell motivierte Praktiken von Annäherung und Distanzierung sowohl als potenzieller Vorteil wie auch als möglicher Nachteil diskutiert (vgl. Dauber 2012: 375-376). Kulturelle Aspekte der Unternehmensübernahme stellen ein unternehmerisches Risiko dar, das nicht so offensichtlich ist wie harte Faktoren (z. B. Infrastruktur, Arbeitskräfteverfügbarkeit; Moosmüller 2009: 63) und gleichsam wesentlich problematischer zu operationalisieren und schwieriger ex ante von den Entscheidungsträ-
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gern einzuschätzen ist (vgl. Shenkar 2011: 12f). Kulturelles Verhalten wird dabei von den Akteuren zumeist als selbstverständlich empfunden, kann jedoch in der Kooperation oftmals Quelle für Konflikte und Missverständnisse sein (vgl. Cartwright/Cooper 1993; Dauber 2012: 378f). Vor allem in der operativen Zusammenarbeit multikultureller Teams und Entscheidungsträger kann dies negative Effekte bedeuten, die sich in den Mustern von Annäherung und Distanzierung offenbaren (z. B. ein ‚Wir-Gefühl‘ entwickeln versus Distancing; Moosmüller 2009: 69; Durand 2017). Handlungswirksam wird dies auch in den Strukturen und Dynamiken der Wissensflüsse zwischen den Unternehmen, die ebenfalls Gegenstand der untersuchten Handlungslogiken sind. Innerhalb der untersuchten M&A-Literatur werden kulturelle Unterschiede jedoch nicht nur als Risiko und mögliche Fehlerquelle bewertet, sondern durchaus auch als Chance für den Erfolg eines transkulturell kooperierenden Unternehmens (u. a. Very et al. 1997; Harrison et al. 2001; Dauber 2012: 376f), wobei davon ausgegangen wird, dass auch distanzierte Kooperationsstrukturen durchaus erfolgreich sein können (vgl. Grabher/Ibert 2014 und Fuchs/Schalljo 2016; 2017a für die Geographie). Veränderungsresistente Strukturen im Unternehmen können etwa durch Prozesse des transkulturellen Lernens (Kap. 4) erneuert und durch neues Wissen erweitert werden (vgl. Moosmüller 2009: 78). Stammhausaufenthalte ausländischer Mitarbeiter zur Einarbeitung in Produktionsprozesse sowie die Entsendung eigener Experten (= Expatriates) können Unsicherheiten reduzieren und neues Wissen generieren, aber auch zu Mechanismen der kulturellen Annäherung zwischen den Akteuren beitragen (= Akkulturation; vgl. Scheuring/Moosmüller 2009: 185-186). Als Strategie hat es sich dabei auch bei einigen der untersuchten Unternehmen als nützlich erwiesen, neue Netzwerke im Zielland des Transfers zu akquirieren, um kulturelle Risiken bereits vor dem M&A zu minimieren (vgl. Holtbrügge/Puck 2009: 216f). Diese chancenorientierte Sichtweise korrespondiert auch mit den Deutungen der deutschen Führungskräfte im Hinblick auf das Nutzen von Synergiepotenzialen zwischen den Unternehmen, wobei sich in den Askriptionen der deutschen Führungskräfte vor allem ein starker Deutungsbezug auf den ökonomischen Erfolg des deutschen Unternehmens zeigt, zum Teil in scharfer Distanzierung zu den neuen Eignern des Gesamtunternehmens (ausführlich: Kap. 7). Zum überwiegenden Teil werden kulturelle Unterschiede und kulturbezogene Distanzen in den Kooperationspraktiken und Wissensflüssen zwischen Unternehmen und ausländischem Investor innerhalb der M&A-Literatur jedoch zumeist als negativ für die Erfolgsaussichten der Unternehmenszusammenführung gewertet (vgl. Dauber 2012: 280ff; Frantz 2015: 106/107; Rottig et al. 2013: 157ff). Für Backstrom et al. (2013) bildet Kommunikation und Sprache den entscheidenden Faktor für eine gelungene Unternehmensintegration im Sinne einer sprachlichsozialen und institutionellen Nähedimension (vgl. Backstrom et al. 2013: 87ff, in: Frantz 2015: 113f; vgl. dazu auch Boschma 2005: 61ff). Die soziale Einbindung al-
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ler Akteure minimiert die möglichen negativen Effekte kultureller Distanzen (vgl. Backstrom et al. 2013, in: Frantz 2015: 113f; Stone/Veloso 1999). Dabei erscheint es als relevant zu untersuchen, wie die Kommunikations- und Kooperationsstrukturen zwischen deutschen Führungskräften und ausländischen Investoren tatsächlich funktionieren (oder auch nicht) und welche Auswirkungen dieses jeweils auf die deutschen Unternehmen zeigt. Die Fähigkeit und Geschwindigkeit zur Adaption und Diffusion von Informations- und Wissensflüssen ist für Frantz/Carley (2009) eine zentrale Fehlerquelle, die bei schwach integrierten Unternehmen oftmals als Grund für Probleme der Kooperation genannt wird (vgl. Frantz 2015: 117f; Frantz/Carley 2009: 80ff). Auch dabei erscheint die Rekonstruktion der Informations- und Wissensflüsse in den jeweiligen Unternehmen als analyserelevant für die Praktiken von Annäherung und Distanzierung, vor allem vor dem Hintergrund des Grades an (gewünschter) Integration. Wer adaptiert welche Managementstile und kommt es in der PostMerger-Phase der formalen Zusammenführung der Unternehmen eher zu einer Annäherung oder zu Mechanismen der Abgrenzung und des Otherings? (vgl. Cranston 2016: 71f; Durand 2017). Gersick/Hackman (1990) sprechen in diesem Kontext von organisationalen Routinen (vgl. auch Kinder/Radwan 2010) und Kommunikationsmustern, die sich in der Post-Merger-Integrations-Phase neu justieren müssen. Dabei können sprachliche Barrieren, aber auch tradierte Denk- und Askriptionsmuster hinderlich für den Prozess des Informations- und Wissensaustausch sein (vgl. Frantz 2015: 116; Gersick/Hackman 1990). Van Dick et al. (2004; 2006) hingegen argumentieren konträr dazu: Für sie sind Identifikation und organisationale Bindung an das eigene Unternehmen und die Modi der Pre-MergerKommunikationsstrukturen eher von Vorteil für laufende administrative Prozesse sowie den operativen Erfolg des Unternehmens (vgl. Frantz 2015: 115; van Dick et al. 2004; 2006). Diese unterschiedlichen Sichtweisen auf den Prozess der PostMerger-Integration verweisen ebenso wie der zuvor genannte Aspekt auch auf eine dynamische Sichtweise auf den Prozess der Unternehmenszusammenführung nach der eigentlichen Übernahme. Oftmals genannt innerhalb der untersuchten Literatur wird zudem der Faktor Vertrauen als Form der sozialen Nähe (vgl. Brökel 2016: 61f). Stahl et al. (2006) sehen darin die entscheidende Basis für eine erfolgsorientierte Kommunikation, die ebenfalls kulturbedingt unterschiedlich gehandhabt wird (Stahl et al. 2006: 69-74). Unsicherheiten können so zu einer zentralen Fehlerquelle avancieren (vgl. Harrison et al. 2001: 679ff), vor allem auch dann, wenn Mitarbeiter und Management das Vertrauen in die Führung des Unternehmens und des PostMerger-Integrations-Managements verlieren (vgl. Dauber 2012: 384f; Syrjälä/Takala 2008: 531f). Björkmann et al. (2007) hingegen argumentieren, dass ein hoher Grad an Nähe und Integration überhaupt erst die kulturellen Unterschiede auf sozialer Ebene zum Vorschein bringt und/oder intensiviert (vgl. Björkmann et al. 2007: 658ff). Es kommt es grade bei internationalen M&As oftmals zu Vorurteilen,
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Stereotypen und nationalistischen Denkmustern, die als Quelle kultureller Konflikte, Vertrauensverluste und Einigungsprobleme die Phase der Post-MergerIntegration nachhaltig stören können (vgl. auch Vaara et al. 2003: 425ff, in: Dauber 2012: 384; Durand 2017). Slangen (2006) differenziert weiter, dass es vor allem von der jeweiligen Phase der Post-Merger-Integration abhängig ist, ob und in welcher Weise kulturelle Distanzen wirken und positiv oder negativ für den Merger und dessen Erfolg sind. So kann ein geringer Akkulturationsstress zu Beginn der Post-Merger-Integration durchaus positive Effekte für den Merger haben, während sich eine schwache Einbindung im Verlaufe der Post-Merger-Integration zur Quelle von Problemen entwickeln kann (vgl. Slangen 2006: 161ff, in: Dauber 2012: 382-384). Vor allem im Kontext der BRIC-Eignerstrukturen zeichnet sich dabei die Strukturlogik eines schwachen Integrationsgrades ab, der entsprechend der kulturellen Deutungs- und Askriptionslogiken der deutschen Führungskräfte im Verlaufe der Post-MergerIntegration noch weiter forciert wird und eher zu eine Form von distanzierter Partnerschaft führt (Fuchs/Schalljo 2017a: 9). Die Analyse soziokultureller Askriptionen in den Deutungslogiken der deutschen Führungskräfte soll zu einem vertieften Verständnis beitragen, ob und wie stark kosmopolitisches Denken und Handeln bei den untersuchten Führungskräften ausgeprägt ist (vgl. Skrbis et al. 2004: 115-118). 5.5.5 Methodologische Ansätze zur Messung kultureller Faktoren bei Unternehmensübernahmen als Ansatzpunkte einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive (B) Nach der einführenden Problematisierung und kritischen Sichtweise auf die Kulturbegriffe der M&A-Literatur sowie der Verortung der eigenen erkenntnistheoretischen Konzeption soll nachfolgend die Frage nach der Messbarkeit kultureller Aspekte bei Unternehmensübernahmen kritisch untersucht werden. Diese kritische Sichtweise auf die Ansätze soll gleichermaßen als Ausgangspunkt einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive fungieren. Innerhalb der M&A-Literatur existiert ein breites Spektrum methodologischer Ansätze zur Erfassung kultureller Faktoren bei länderübergreifenden Unternehmensübernahmen. Dabei dominieren sowohl quantitative Studien auf der Grundlage vorab definierter Faktorenkataloge (allen voran Hofstede 1980; 2001; 2009; sowie neuere Studien, exemplarisch: Arslan/Larimo 2016) als auch qualitative Zugänge mit einem Schwerpunkt auf Case Studies, also unternehmens- und/oder fallspezifische Analysen (exemplarisch: Ratajczak-Mrozek 2015). Dauber (2012) untersucht auf der Grundlage von 68 internationalen M&AJournal-Beiträgen die Verteilungen und damit methodologischen Schwerpunkte der empirischen Untersuchungen in diesem Feld (zum genauen Untersuchungsdesign vgl. Dauber 2012: 375ff). Er gelangt zu dem durchaus überraschenden Ergebnis,
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dass vor allem qualitative Zugänge die empirischen Ansätze dominieren, wobei zumeist auf die Analyseebene organisationaler Kulturen fokussiert wird (also Unternehmenskulturen; Dauber 2012: 388; Frantz 2015: 103f; Grant et al. 2016; Abb. 21). Bei näherer Untersuchung der qualitativen Beiträge zum Thema fallen weiterhin zwei zentrale Aspekte auf: Erstens handelt es sich in der Regel um Einzelfallstudien, also etwa ob und warum eine Übernahme erfolgreich oder nicht war/ist und welche Einflüsse kulturelle Faktoren gespielt haben (exemplarisch: RatajczakMrozek 2015). Der methodologische Zugang gelingt dabei zweitens, und dies durchaus überraschend, zumeist über (qualitative) Interviews, bei denen vorab definierte Kategorien gebildet werden (z. B. Erfolgsfaktoren bei Unternehmensübernahmen). Die Betrachtung der methodischen Zugänge offenbart demnach vor allem ein binäres Geschehen: Entweder handelt es sich um qualitative Einzelfallstudien oder um quantitative Studien mit dem Ziel, vorab festgelegte Faktoren in ‚großer Zahl‘ abzufragen, und dies vor allem im Bereich der Nähe- und Distanzforschung (exemplarisch: Di Guardo et al. 2016). Abbildung 21: Forschungsansätze zur Messung kultureller Faktoren bei Unternehmensübernahmen und -kooperationen innerhalb der M&A-Literatur und deren methodologische Herangehensweisen
Quelle: eigene Darstellung auf der Grundlage der Ergebnisse und Darstellung der Metastudie von Dauber 2012: 387; Datengrundlage: 68 Journal-Beiträge in M&A-Journals.
Einen dritten Forschungsbereich machen Metastudien (und Literaturrecherchen) aus, also gewissermaßen Untersuchungen von Untersuchungen: Dabei wird zumeist quantitativ-modellierend untersucht, in welcher Form sich verschiedene Studien dem Thema Kultur nähern (exemplarisch: King et al. 2004; Piscitello et al. 2016). Die untersuchten methodologischen Ansätze zur Messung kultureller Faktoren bei
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transnationalen Unternehmensübernahmen verweisen auf zwei grundsätzliche erkenntnistheoretische Probleme als Ausgangspunkt der eigenen Forschungsperspektive: • Die Fokussierung auf einzelne Analyselayer (vgl. das nachfolgende Kap.) ver-
weist nicht nur auf das zentrale erkenntnistheoretische Problem des geeigneten Analyselevels bei kulturellen Aspekten der Unternehmensübernahme innerhalb der M&A-Literatur (nationale Kulturen versus Unternehmenskulturen), sondern darüber hinaus auch auf das grundsätzliche Problem des Analyserahmens für sozialwissenschaftliche Untersuchungen und Phänomene (= Mikro-MakroProblem; vgl. Jones/Murphy 2011 für die Humangeographie). • Ebenso zentral erscheint die Frage, inwieweit Kultur und kulturelle Differenzen durch den Forscher, der schließlich selbst ‚Teil‘ einer spezifischen Kultur ist, überhaupt erfahrbar und messbar sind (vgl. dazu auch Meyer 2000: 148ff). Die analysierten Beiträge argumentieren zumeist mit Hilfe spezifischer Zuweisungen kultureller Strukturen und Mechanismen (z. B. Hierarchien), ohne dabei die (Differenz-)mechanismen dieser Zuweisungen selbst in das Zentrum der Betrachtung zu rücken: Welche spezifischen Askriptionen werden mit einer ‚anderen‘ Kultur verbunden und worin besteht die Differenzerfahrung zur ‚eigenen‘ Kultur (vgl. Meyer 2000: 158/161; Rothfuß 2009: 173ff)? An diesem Punkt setzt erkenntnistheoretisch wie methodologisch die hier durchgeführte Untersuchung an: Zweifelsohne haben sowohl Einzelfallstudien für die Analyse von Unternehmen ebenso ihre Relevanz wie breiter angelegte quantitative Studien im Sinne eines ‚großen n‘, etwa um bereits qualitativ erarbeitete Faktoren abzufragen. Die hermeneutische Analyse jedoch würdigt jeden Einzelfall in seinen spezifischen Ausprägungen, zielt aber gleichermaßen auf die übergeordneten Muster und Dynamiken der deutungsspezifischen Askriptionen von Kultur ab, die den jeweiligen Fall motivieren und sich als objektiver Sinn in den Interviewprotokollen abgelagert haben (vgl. Oevermann 1993: 113ff). So gelingt einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive aufgrund der Genauigkeit der sequenzanalytischen Vorgehensweise der selektiven Materialrekonstruktion sowohl der Zugang zum Einzelfall (= Case Study) als auch die Rekonstruktion allgemeiner objektiver Handlungsmuster (vgl. auch Jones 2014 für die Humangeographie). Zum Problem der Analyseebenen des Kulturbegriffs: nationale versus organisationale Kultur (C) Entsprechend der vorangegangenen Problematisierung der Messbarkeit von Kultur und kulturellen Aspekten bei transkulturellen Unternehmensübernahmen fokussiert die untersuchte Literatur, unabhängig vom jeweiligen methodologischen Zugang,
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auf zwei zentrale Layer, also Bedeutungsebenen als epistemische Konstrukte: nationale und organisationale Kultur (vgl. Dauber 2012: 384f; Rottig et al. 2013: 147f). In der frühen und für die M&A-Literatur wegweisenden Arbeit von Hofstede (exemplarisch: 1980; 2001) stehen die Einflussfaktoren der nationalen Kulturen als kollektives Gedankengut ihrer Mitglieder im Zentrum der Betrachtung (Hofstede 1980; Rottig et al. 2013: 147). Anlehnend an frühere Studien, welche nationale kulturelle Dimensionen theoretisch und empirisch zu fassen versuchen (v. a. Inkeles/Levinson 1969), diagnostiziert Hofstede (1980) auf der Grundlage von vierzig Nationen vier ‚kulturelle Dimensionen‘ (später auch eine fünfte und sechste Dimension), welche die Grundlage eines allgemeinen Vergleichs zwischen nationalen und Unternehmenskulturen bilden. Hofstedes Konzeptualisierung von nationalen Kulturen hat ebenso breite Rezeption (exemplarisch: Apfelthaler et al. 2002) in der M&A-Literatur wie umfassende Kritik erfahren. Zu den zentralen für diese Arbeit relevanten Kritikpunkten an den Überlegungen Hofstedes gehören vor allem das unklare Analyseniveau (Hofstede leitet sein Konzept nationaler Kulturen aus einer weltweiten Befragung von IBM-Mitarbeitern ab und schließt dabei auf nationale Kulturen) auf der Grundlage einer zum Teil erheblichen empirischen Komplexitätsreduktion (Klare 2010: 331), das Ignorieren von möglichen Unterschieden innerhalb einer Nation (Hofstede betrachtet die Nation als homogenes Gebilde) sowie vor allem die fehlende Unterscheidung zwischen Werten (Hofstede) und Verhaltensweisen (House et al. 1997: 175f). Diese Arbeiten haben in wesentlichem Umfang auch die quantitativ-faktorenbezogenen Analysen in der M&A-Literatur in der Folgezeit geprägt (ebd.: 176). Methodologisch ist dabei vor allem das sehr hohe Analyselevel im Sinne einer ländersubsumierenden Klassifizierung ein zentraler Gegenstand der Kritik. Es erscheint äußerst fraglich, ob diese Form der Klassifizierung (in späteren Arbeiten konzentriert sich Hofstede auch auf Organisationen; vgl. Hofstede 2001) den Strukturen und vor allem subnationalen und unternehmensspezifischen Differenzierungen gerecht wird und gar eine Prognose typischer Handlungen leisten kann (House et al. 1997: 175ff). Das Problem des Analyselevels ist nicht nur ein erkenntnistheoretisches Problem im M&A-Kontext, sondern ein generelles bei transkulturellen Untersuchungen (vgl. Tsui et al. 2007: 426f). Kritisch bleibt die Frage, ob diese für den Ausgangspunkt der Erkenntnisperspektive der vorliegenden Arbeit substanzialistische, also durch den Forscher selbst zugewiesene Kategorien (vgl. Klare 2010: 331), nicht ein zu hohes Aggregationsniveau aufweisen, da einzelne Akteure, Entscheidungsträger und soziale Settings kaum als repräsentativ für eine gesamte Nation angesehen werden können (und umgekehrt; vgl. Dauber 2012: 391) und in ihrer Binnendifferenzierung (= Unternehmen) nicht entsprechend methodologisch gewürdigt werden. Aus der erkenntnistheoretischen Sichtweise der vorliegenden Arbeit erscheint es daher als problematisch, auf einzelne unabhängig betrachtete Analyseebenen zu fokussieren, da dies immer die Gefahr eines Fehlschlusses zwischen zwei Aggregationsniveaus bedeutet (vgl. Tsui et
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al. 2007: 430ff; sowie: Pohl 1986), also die Annahme, dass Individuen und/oder Organisationen dieselben kulturellen Werte teilen und kommunizieren wie das Kollektiv auf nationaler Ebene (Dauber 2012: 391f; sowie: Frantz 2015: 111). Die Analyse der kulturzuweisenden Deutungs- und Askriptionsmuster kann dabei zu einem erweiterten Verständnis dieser Mechanismen von Annäherung und Distanzierung beitragen, indem die Analyse sowohl auf akteurs- und unternehmensspezifische Handlungsmuster fokussiert, aber auch auf den übergeordneten latenten sozialen Sinn, der sich in der transkulturellen Interaktion ebenfalls dokumentiert. Auch Barkema et al. (1996) sprechen im Hinblick auf die oftmalige Unterscheidung zwischen Nation und Unternehmen von einer ‚double layered Acculturation‘ und verweisen damit auf die Notwendigkeit, beide kulturellen Konstrukte als Determinanten der Analyse heranzuziehen (vgl. Barkema et al. 1996: 151ff, in: Dauber 2012: 391). Stahl und Voigt (2008) hingegen betonen zwar auch beide Analyselevels, gehen aber von einem stärkeren Effekt organisationaler Kulturen aus. Die konkreten Effekte von kulturellen Unterschieden, so ihr Argument, manifestieren sich auf organisationaler Ebene wesentlich stärker, da Unternehmen selbst in die Adaptionsprozesse eingebunden sind und zudem eine jeweils eigene spezifische Kultur aufweisen (vgl. Stahl/Voigt 2008: 160ff, in: Dauber 2012: 391). Kritisch anzumerken ist jedoch, dass Unternehmenskulturen zwar ihre eigene Dynamik aufweisen, immer und notwendigerweise jedoch auch eingebettet sind in nationale Kulturen, die sich rekonstruktionslogisch vor allem in den Askriptionsmustern der Akteure zeigen (vgl. dazu auch Rottig et al. 2013; Fuchs et al. 2017a/b; sowie: Abb. 28). Die Konzeptualisierung von Kultur in einem „multi-level approach“ (Dauber 2012: 391) bei der Analyse kultureller Faktoren bei M&As, wie sie die vorliegende Untersuchung verfolgt, versucht dabei, sowohl nationale als auch organisationale Kulturen als typische Askriptionspraktiken (Fuchs et al. 2017a: 3f) zu rekonstruieren. Analog zur Analyse von Sagiv und Schwartz (2007) stehen die performativen Präferenzen, sozialen Wertemuster und Praktiken innerhalb von organisationalen Kulturen, definiert als ein System von Werten und Mustern, welche die Handlungen von Mitgliedern einer Organisation leiten, eingebettet von einer surrounding Society (vgl. Sagiv/Schwartz 2007: 176, in: Dauber 2012: 386), im Kern der Betrachtung. 5.5.6 Die Post-Merger-Integration als Ausgangspunkt der Analyse Der Post-Merger-Integration, also der schrittweisen Zusammenführung der Unternehmen nach der formalen Übernahme, kommt sowohl in derem praktischen Prozess (vgl. Durand 2017) als auch in der theoretischen Diskussion innerhalb der unterschiedlichen Forschungsansätze eine zentrale Bedeutung zu (exemplarisch: Dauber 2012: 380ff; Frantz 2015). Dies ist aus strukturalistischer Perspektive (vgl.
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Oevermann 1973; 2001a) vor allem damit zu erklären, dass die Integration zweier (kulturell unterschiedlicher) Unternehmen multi-dimensional hinsichtlich ihrer potenziellen Einflussfaktoren angelegt ist und im Zeitverlauf der Post-MergerIntegration eine dynamische Komponente diese Faktoren zudem verändert (Struktur versus Prozess; vgl. Frantz 2015: 107-111; Shenkar 2012). Aus der Sicht der vorliegenden Untersuchung und erkenntnistheoretischen Herangehensweise dürfte vor allem von Interesse sein, wann und in welchem Umfang soziokulturelle Deutungsrahmen und Askriptionsmuster im Zuge der fortlaufenden Aushandlungsmechanismen mit den ausländischen Investoren mobilisiert werden (Kap. 7). Die PostMerger-Integrations-Phase ist dabei im Hinblick auf die vorliegende Erkenntnisperspektive gleichermaßen Abbild von • der strategischen Positionierung und operativen Einbindung (oder auch nicht!)
der Unternehmen: Damit ist vor allem die strukturelle Zusammenführung zu einem Unternehmen gemeint (vgl. Birkinshaw et al. 2000: 395, in Dauber 2012: 381). Hier zeigen sich die Strukturen und Mechanismen der strukturellen Kooperation auf der operativen Ebene der Unternehmen, verbunden mit der Frage, wie ‚eng‘ eine Zusammenarbeit und Einbindung in den Mutterkonzern (z. B. Synergien) von den handelnden Personen überhaupt erwünscht ist (vgl. dazu auch Huter et al. 2017; Birkinshaw 1999: 33ff). Im Hinblick auf die Rekonstruktion der untersuchten Strukturen zeigt sich zwar ein gewisser Wunsch nach Einbindung in eine Gesamtunternehmensstrategie, das heißt im normativen Interesse der ökonomischen Entwicklung der deutschen Unternehmen, bei jedoch gleichzeitigen Bestrebungen nach operativer Handlungsautonomie (Kap. 7). • der Phase der konkreten kommunikativen Gestaltung der Zusammenarbeit und Integration, also gewissermaßen der sozialen Integration und Nähe (vgl. Birkinshaw et al. 2000; Brökel 2016: 65f; Dauber 2012: 381; Schall 1983). Empirisch gibt die Post-Merger-Integrations-Phase Aufschluss darüber, welches Maß an kultureller, sozialer und strategisch-ökonomischer Nähe und Distanz zwischen den Unternehmen/Personen a. überhaupt erwünscht ist (!), und b. wie konkrete Praktiken der Kooperation zu kultureller Nähe und Distanz und/oder gar zu Mechanismen der Ab- und Ausgrenzung (Prozess) führen (Fink/Holden 2010: 270, in Frantz 2015: 108/109; Durand 2017 für die Wirtschaftsgeographie). Auch dabei erscheint es als analyserelevant, wie die ausländischen Investoren von den deutschen Führungskräften gedeutet werden und wie sich Nähe und Distanz in den Askriptionen der deutschen Führungskräfte auch prozessual rekonstruieren lassen (im in a. angeführten Sinne). Den Führungskräften der Unternehmen kommt dabei im Hinblick auf die kulturellen Dimensionen internationaler Arbeitskooperationen (Jones 2008a) erkenntnis-
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theoretisch und methodologisch eine zentrale Bedeutung zu (vgl. Frantz 2015: 107ff; 111f): • Erkenntnistheoretisch ist der Einfluss der Führungskräfte (u. a. Management,
Aufsichtsrat) dabei in wesentlichem Umfang abhängig von deren Hintergrundwissen, Erfahrungen und kulturellen Einflüssen (vgl. Angwin 2004, in: Frantz 2015: 107-109; sowie: Pablo 1994: 803f), was auf die Notwendigkeit verweist, diese Mechanismen der soziokulturellen Askription und Kultur steuernden Deutungsmuster zu analysieren (vgl. Frantz 2015: 109f, vgl. auch Greve et al. 2008). Die Kultur einer Organisation definiert sich im Hinblick auf die erkenntnistheoretische Position der vorliegenden Arbeit über die Summe aller kommunikativen Interaktionen und die zugrunde liegenden Deutungsmuster der beteiligten Akteure (vgl. dazu auch Backstrom et al. 2013; Cushman 1977; Frantz 2015) • Methodologisch sind die erscheinungsweltlichen Narrative der Führungskräfte Gegenstand dieser akteurszentrierten Forschungsperspektive. In den protokollierten Interaktionssequenzen der befragten Führungskräfte manifestieren sich dabei nicht nur eigene Handlungsmotive und latente Bestrebungen, sondern zugleich auch ein Strukturgefüge soziokultureller Askriptionen, das vor allem im Kontext der kulturellen Differenzerfahrungen mit den BRIC-Eigner verstärkt aktiviert wird und somit Aufschluss über die milieuspezifischen Kulturdeutungen der Führungskräfte gibt (Abb. 22). Bezogen auf die diskutierte Unterscheidung zwischen nationalen Kulturen und spezifischen Unternehmenskulturen begründet die hier ausgearbeitete Erkenntnisperspektive einen integrativen Ansatz (Abb. 22): Unternehmenskulturen (also auch Akteure) sind immer eingebettet in einen Bestand an Deutungsangeboten, die in ihrer räumlichen Konkretisierung eine spezifische Kultur manifestieren (z. B. ‚die‘ Sichtweise auf die chinesische Kultur). Der Deutungsmusteransatz ist dabei ebenso wie zahlreiche wirtschaftsgeographische Ansätze an den konkreten Praktiken der Akteure auf der Ebene von Unternehmen angesiedelt, vertieft jedoch diese Debatte(n) epistemisch um den Bestand an kulturspezifischen Deutungs- und Askriptionsschemata, die im Prozess der transkulturellen Interaktion neu ausgehandelt werden (müssen).
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Abbildung 22: Kulturorientierte Debatten in der M&A- und wirtschaftsgeographischen Literatur: differente Analyseebenen und Positionierung eines hermeneutischen Forschungsansatzes
5.5.7 Von Nähe- und Distanzkonzepten der M&A-Literatur zur hermeneutischen Analyse von Nähe- und Distanzaskriptionen Ein wesentlicher Teil der Literatur über kulturelle Faktoren bei transnationalen Unternehmensübernahmen argumentiert mit Distanzkonzepten und deren Messung mit unterschiedlichen erkenntnistheoretischen und methodologischen Prämissen (exemplarisch: Di Guradio et al. 2016; Tang 2012). Dabei finden sich vielfach auch Anknüpfungspunkte an wirtschaftsgeographische Debatten, was im späteren Verlauf der Argumentation wieder aufgegriffen und im Hinblick auf die Perspektive der vorliegenden Untersuchung eingeordnet werden soll (Kap. 5.5.7). Die M&ALiteratur diskutiert auf der Grundlage teils sehr unterschiedlicher Ansätze vor allem psychische (vgl. Hakanson/Ambos 2010; Johanson/Vahlne 1977), kulturelle (vgl. Kogut/Singh 1988), soziale, organisationale (vgl. Stahl/Voigt 2008) und räumliche Distanz (exemplarisch: Boschma et al. 2014) als Einflussfaktoren bei transnationalen M&As und Kooperationen (= Joint Ventures; vgl. Rottig et al. 2013: 136ff; Shenkar 2012: 16). Die jeweiligen Distanzkonzepte stellen den Versuch dar, das Phänomen unterschiedlich sozialisierter wirtschaftlicher Akteure und die Mechanismen von Annäherung und Distanzierung (Kap. 4) in global-lokalen (= globale Prozesse in lokalen Strukturen/Unternehmen) Arbeitskooperationen zu konzeptualisieren (vgl. für die Wirtschaftsgeographie vgl. Jones 2008a; Faulconbridge 2008).
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Kogut und Singh (1988) etwa entwickelten dabei, basierend auf den Überlegungen Hofstedes (exemplarisch: Hofstede 1980; 2001), eine Methode zur Messung kultureller Distanz bei transkulturellen Unternehmensübernahmen (im Detail: Rottig et al. 2013: 148-150). Die Autoren verwenden einen Verbundindex (= Composite Index Measure), der auf der Grundlage von Hofstedes kulturellen Dimensionen die kulturelle Distanz (genauer: die kumulierten Abweichungen) zwischen zwei Staaten bemisst (im Detail: Kogut/Singh 1988: 411ff). Basierend auf diesem Index gelangen Nachfolgestudien zu unterschiedlichen und teils sehr widersprüchlichen Ergebnissen (vgl. Rottig et al. 2013: 151). Barkema et al. (1996) diagnostizieren in diesem Zusammenhang einen negativen Einfluss kultureller Distanz auf die Performanz des Mergers (vgl. Barkema et al. 1996: 151ff), während Morosini et al. (1998) einen positiven Effekt der kulturellen Distanz auf die Unternehmenszusammenführung identifizieren (vgl. Morosini et al. 1998: 137ff, in: Rottig et al. 2013: 151f). Wiederum andere Studien sehen keinen signifikanten Effekt auf den Erfolg des Mergers (vgl. Markides/Ittner 1994: 343f; ausführlich: Rottig et al. 2013: 151f). Distanz wird in unterschiedlichen Formen konzeptualisiert, wobei bei den hier diskutierten Untersuchungen vor allem quantitativ-faktorenbezogene Ansätze dominieren. Diese bilden gleichermaßen die Kritik als auch den Ausgangspunkt der Argumentation der vorliegenden Arbeit. Die Ergebnisse der vorgestellten Studien sind dabei durchaus kontrovers. Ohne die jeweiligen Untersuchungen an dieser Stelle im Detail zu diskutieren, offenbaren sich hier dennoch einige zentrale erkenntnistheoretische und methodologische Grundprobleme: • Die Ergebnisse der untersuchten Studien sind insgesamt stark abhängig von den
entsprechenden theoretischen Annahmen und deren methodologischer Umsetzung. Messungen in Form von Faktorenkatalogen und quantitativen Indizes stellen dabei zwangsläufig eine ex ante-verdichtete Forscher-Subsumption dar (vgl. Oevermann 2002: 20-22; 2013: 70/71). Auch darin sind die enorme Bandbreite und die zum Teil widersprüchlichen Ergebnisse der Untersuchungen begründet. • Die Ansätze kultureller Distanz, ähnlich wie die zuvor diskutierten Dimensionen nationaler Kulturen im Sinne von Hofstede (erstmalig: 1980), offenbaren methodologische Probleme der Operationalisierung: Wie sind kulturelle Distanzen überhaupt zu messen? Was ist der geeignete erkenntnistheoretische Zugang zu kulturellen Distanzen? Innerhalb der M&A-Literatur dominieren sowohl quantitative Untersuchungen als auch qualitative Einzelfalluntersuchungen. Die qualitativen Untersuchungen neigen zu eher deskriptiven Betrachtungen (= Case Studies), während das zentrale Problem der quantitativen Untersuchung die Konstruktion der Faktorenkataloge selbst ist, was gleichermaßen als qualitativer Prozess zu verstehen ist (vgl. Dauber 2012: 387; Pohl 1996: 73ff). • Innerhalb der erkenntnistheoretischen Annahmen steht zumeist die Fokussierung auf unterschiedliche und oftmals separat betrachtete Analyselevels im Vorder-
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grund. So plädieren Stahl/Voigt (2008) dafür, dass die organisationale Kultur, repräsentiert durch die Führungskräfte selbst, als „initial point of conctact in M&As“ (Rottig et al. 2013: 152; vgl. dazu auch Frantz 2015: 110f) auf der konkreten Ebene kommunikativer Aushandlungsprozesse selbst (= bottom-upProcesses) Gegenstand der Betrachtung sein sollte (vgl. Frantz 2015: 108-112; Stahl/Voigt 2008: 160ff). Stahl und Voigt (2008) fokussieren damit vor allem auf das Unternehmen als das zentrale Analyseniveau und berücksichtigen kaum landesspezifische Determinanten. • Shenkar (2012) sieht darüber hinaus in der theoretisch-konzeptionellen Debatte innerhalb der M&A-Literatur eine Tendenz, kulturelle Distanz zu sehr aus einer ökonomischen Perspektive zu betrachten, und postuliert, den ökonomischen Blick auf das Phänomen kultureller Distanz zu verbreitern (vgl. Shenkar 2012: 12f): „…it should be substituted or supplemented by the more comprehensive view available from sociology and other areas (e. g. political science) that have all but disappeared from the theoretical radar screen of business scholarship“ (Shenkar 2012: 16). Erkenntnistheoretisch ist hierin gleichermaßen das zentrale Problem der meisten ökonomischen Analysen in diesem Kontext zu sehen: Es handelt sich dabei vor allem um faktorenbezogene Betrachtungen, die zumeist ein sehr hohes Abstraktionsniveau aufweisen (= Indizes). Die hier kurz skizzierten Kritikpunkte an den Distanz- und Kulturkonzepten der M&A-Literatur bilden den argumentativen Ausgangspunkt einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive: Ausgangspunkt der Analyse sind zwar die Unternehmen selbst (im Sinne von Stahl/Voigt 2008), jedoch wird keine epistemische ex anteUnterscheidung in den Analyselevels getroffen (vgl. Arslan/Larimo 2016: 200f; im weiter gefassten Kontext der objektiven Hermeneutik vgl. Oevermann 2002: 20/21; Kap. 3). Gegenstand der Deutungsmusteranalyse sind sowohl die Einzelstrukturrekonstruktionen (vergleichbar mit qualitativ-deskriptiven Ansätzen in der M&ALiteratur) als auch der übergeordnete sozial- und milieuspezifische Sinn, der sich in den untersuchten Strukturen manifestiert. Erkenntnistheoretisch bedeutet dies einen Brückenschlag, geht es der Rekonstruktion doch vor allem um allgemeine kulturell motivierte Strukturlogiken und -dynamiken in den Askriptionsmustern der handelnden Akteure. Ziel dieser Analyse ist die möglichst wert- und vorurteilsfreie Erklärung der Dynamiken kultureller Aushandlungsprozesse (vgl. Shenkar 2012: 16) in den Investorenstrukturen, ohne dabei das Bild durch subsumptionslogische Kategorien bereits ex ante einzugrenzen (vgl. Oevermann 2002: 20/21; 2013: 70f).
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5.5.8 Kulturorientierte Ansätze in der wirtschafts- und humangeographischen Debatte: zum Stand der Diskussion und kritischen Sichtweise aus hermeneutischer Erkenntnisperspektive Das breite Spektrum humangeographischer Arbeiten (siehe auch Tab. 4 in Kap. 2) nach dem Cultural Turn, die sich mit Kultur und deren Implikationen in unterschiedlichen Kontexten beschäftigen, erscheint thematisch und methodologisch zunächst unübersichtlich (ausführlich: Kap. 2). Bezogen und konkretisiert auf den thematischen Untersuchungskontext transkultureller Kooperationspraktiken auf Unternehmens- und Akteursebene dominieren in den letzten zwei Dekaden Arbeiten, die sich mit regionalen bzw. indigenen Kulturen befassen sowie mit dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen in verschiedenen Settings (für die Wirtschaftsgeographie vor allem im Kontext von globalen Arbeitskulturen und -identitäten; vgl. Cranston 2014; 2016; Jones 2008a). Darüber hinaus konkretisieren sich im Kontext der vorliegenden Arbeit vor allem Beiträge, die sich mit den kulturspezifischen Praktiken, Identitäten und Schematisierungen aus einer Akteursperspektive (z. B. innerhalb der Perzeptionsforschung) beschäftigen (exemplarisch: Sletto 2016). Bei den untersuchten Arbeiten innerhalb der Humangeographie (siehe Tab. 4 in Kap. 2), die als Ausgangspunkt dieser Arbeit dienen und hier in Richtung der wirtschaftsgeographischen Debatten verdichtet werden sollen (siehe Tab. 9), dominieren auf methodologischer Ebene vor allem ethnographische Methoden, Diskursanalysen und Framing, auf deren erkenntnistheoretischer Grundlage kulturelle Deutungen und Praktiken analysiert werden. Diese Arbeiten verweisen in ihrer erkenntnistheoretischen Ausrichtung auf den handelnden und raumgestaltenden Akteur (vgl. Dörfler 2013a/b; Kaspar 2013) bereits auf die Konzeption der vorliegenden Untersuchung, bleiben aber oftmals vage im Hinblick auf die konkrete methodologische Umsetzung (ausführlich: Kap. 2). Vor allem die kritische Sichtweise auf den oftmals vorhandenen methodologischen Monismus zahlreicher Arbeiten (vgl. Barnes et al. 2007: 1f; Massey/Meegan 1985) bietet den Ausgangspunkt für die hermeneutische Analyse soziokultureller Askriptionsmuster, die im Kontext der vorgestellten Arbeiten (siehe Tab. 9) zu einer methodologischen Sensibilisierung kulturspezifischer Praktiken beitragen soll. Während die humangeographische Diskussion vor allem im internationalen Kontext inhaltlich sehr heterogen erscheint, dominieren innerhalb der wirtschaftsgeographischen Debatten im Wesentlichen drei inhaltlich zusammenhängende Kontexte, innerhalb derer (trans-)kulturelle Aspekte diskutiert werden (für eine Übersicht der für diese Arbeit zentralen Forschungsarbeiten und Anknüpfungspunkte siehe Tab. 9):
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• Im Zusammenhang mit Prozessen von globalen Unternehmenskooperationen und
deren transkulturelle Kooperationsmechanismen in räumlicher Perspektive (exemplarisch: Chapman 2003; Depner/Bathelt 2006; Zademach 2004). Dabei handelt es sich vorwiegend um eher deskriptive Arbeiten, deren Gegenstand die räumlichen Implikationen dieser Kooperationsstrukturen sind (z. B. Strategien der raumübergreifenden Kooperation). Solche Arbeiten bieten sich im Hinblick auf ihre eher deskriptive Herangehensweise vergleichsweise weniger als Ansatzpunkte an die vorliegende Untersuchung an, geht es ihnen im Kern doch weniger um die latenten Mechanismen der Nähe- und Distanzproduktion als vor allem um die manifesten Strukturen der Unternehmenskooperation (z. B. das betriebliche Investitionsverhalten). • Diese Debatten über globale Unternehmens- und Arbeitskooperationen werden innerhalb der Wirtschaftsgeographie vor allem im Hinblick auf Nähe- und Distanzrelationen in globalen Arbeitskontexten vertieft und erweitert, wobei zumeist auch der für diese Arbeit zentrale erkenntnistheoretische und methodologische Schritt auf die Akteursebene vollzogen wird, vor allem mit der expliziten Bezugnahme auf die konkreten Praktiken der handelnden Akteure (= Cultures of Work, Work Identities; exemplarisch: Faulconbridge 2008: 502; Cranston 2014, 2016; Jones 2008a). Vor allem praxisorientierte und relationale Betrachtungsweisen auf der Ebene des handelnden Akteurs haben die Erkenntnisperspektive der Wirtschaftsgeographie erweitert (exemplarisch: Ettlinger 2003; Jones 2008a). Ein inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf der kooperativen Ausgestaltung globaler Arbeitspraktiken im transkulturellen Kontext (exemplarisch: Cranston 2016; Ettlinger 2003), was durchaus Anknüpfungspunkte an die Argumentationslinien dieser Arbeit aufweist (Kap. 7). Dabei haben sich vor allem internationale M&As qualitativ (= Art der Kooperation) und quantitativ (= Anzahl der länderübergreifenden Kooperationen) als beschleunigend auf diese Prozesse ausgewirkt (vgl. Gertler 2001; 2004). Ein weiterer auf Kultur als Einflussgröße zielender Anknüpfungspunkt für diese Arbeit innerhalb der Wirtschaftsgeographie ist die Analyse internationaler Arbeitsmigration und des Entsendens von Führungskräften im transkulturellen Kontext (= skilled Migration, Expatriates; exemplarisch: Beaverstock 2005; Faulconbridge et al. 2009; Florida 2007; Walsh 2014). Im Zentrum der Untersuchungen steht die Frage, wie sich Mitarbeiter und/oder Führungskräfte (skilled Workers) an lokalisierte Arbeitskulturen und -bedingungen anpassen und welche Adaptionsstrategien die Unternehmen selbst dabei verfolgen (vgl. Jones 2008a; Faulconbridge 2008). Cranston (2016) untersucht in diesem Zusammenhang die Praktiken und Raumbilder (= Geographical Imaginings) von entsendeten Führungskräften in Asien auf der Grundlage von Narrativen und diagnostiziert abgrenzende Logiken im Raumverhalten (vgl. Cranston 2016: 65f). Dieses Othering (= bewusstes Abgrenzen) führt zu spezifischen Verhaltensweisen und Raumbil-
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dern, die eine ‚typische‘ raumrelevante Praxis konstituieren (vgl. dazu auch: Kaspar 2013). Unklar bleibt dabei jedoch oftmals der Zusammenhang von Erkenntnisperspektive und methodologischer Umsetzung (hier: teilnehmende Beobachtung). Im weiter gefassten Kontext finden sich auch Anknüpfungspunkte an Diskurse benachbarter Disziplinen, so vor allem innerhalb der Soziologie, Politikwissenschaften, Organisationswissenschaften, über kosmopolitanes Verhalten versus Stereotype und abgrenzende Verhaltensweisen (exemplarisch: Beck 2002; Nussbaum 1996) in internationalen Arbeitskooperationen (= Othering, Distancing; vgl. Schueth/O’Loughlin 2008; Bird/Mendenhall 2016; Cranston 2016). Harvey (2003) etwa diagnostiziert entgegen dem Leitbild kosmopolitanen Verhaltens (vgl. Woodward et al. 2008) einen ‚westlichen Imperialismus‘ in den Denkweisen der Subjekte (vgl. Harvey 2003) und referiert so implizit auf latente Dimensionen soziokultureller Askriptionen innerhalb der transkulturellen Kooperation. Auch Fuchs et al. (2017a, als Einführung in den Sammelband) fokussieren auf die Konfiguration von Nähe- und Distanz im transkulturellen „interspace“ (Fuchs et al. 2017a: 3/4) zwischen den Unternehmen und betonen vor allem die Ebene latenter Deutungen innerhalb der transkulturellen Kooperation. Auch dabei kommt, analog zur vorliegenden Untersuchung, vor allem der Phase der Post-MergerIntegration eine zentrale Bedeutung zu, innerhalb derer sich auch organisationale Identitäten neu justieren können (vgl. Durand 2017). Tabelle 9: Empiriebezogene Auswahl thematisch relevanter wirtschaftsgeographischer Arbeiten als Anknüpfungspunkte an die vorliegende Untersuchung
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• Eingebettet sind diese Debatten auch in die Diskussionen um die adäquaten
Adaptions- und Akkulturationsstrategien in internationalen Arbeits- und Unternehmenskooperationen und verweisen damit auf die breitere Diskussion um un-
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terschiedliche Wissenspraktiken (vgl. Bathelt/Turi 2011; Fuchs 2014), Best Practices und Konzepte des Inter-firm Learnings (Gertler 2001: 18-21; exemplarisch: Faulconbridge 2008; Gertler 2001; Schoenberger 1997; Si/Liefner 2014), die ihrerseits auf einen Bestand an gemeinsam geteilten Denk- und Handlungsmustern hindeuten, oftmals jedoch ohne einen geeigneten methodologischen Zugang für die anvisierte latente Handlungsdimension aufzuzeigen („black box“; vgl. Leyshon 2011: 383). Gegenstand der zumeist qualitativen Forschung sind vor allem Corporate Identities und Embedded Practices bei Unternehmensübernahmen und -kooperationen (vgl. Chapman 2003: 318f; siehe Tab. 9). Gertler (2001), Faulconbridge (2008) und Jones (2008a) untersuchen in diesem Kontext die organisationale Distanz, spezifische „cultures of work“ (Faulconbridge 2008: 502), „communities of practice“ (Gertler 2001: 20) und „work practices“ (Jones 2008: 14) und verweisen explizit auf die „underlying social actions within the firm“ (Schoenberger 1997: 116; vgl. Faulconbridge 2008: 498) als die analytische Dimension. Gertler (2004) diskutiert in seiner Studie über deutsche Unternehmen in Kanada die geographisch-kulturelle Heterogenität und die damit verbundenen Management-Probleme in global agierenden Firmen (vgl. Faulconbridge 2008: 498f; Gertler 2004). Tacit Knowledge als lokalisierte Form des Wissens basiert dabei immer auf ‚Shared Norms and Conventions‘ (Gertler 2001: 18; vgl. auch Amin 2000; Denzau/North 1994), also einer latenten Dimension der Wirklichkeitsschematisierung. Dies wirft auch im transkulturellen Kontext von M&As die Frage nach Routinen und Mechanismen des Lernens und Best Practices auf (vgl. auch Gertler 2001: 18; Schoenberger 1999; Kap. 7), die ihrerseits als Teil einer Kultur erscheinen und methodologisch konkretisierbar über die soziokulturellen Askriptionsmuster der Akteure sind. Schoenbergers Untersuchung (1999) zeigt, dass globale Kooperation oftmals nicht die möglichen Vorteile transkultureller Diversität zu nutzen weiß und häufig Differenzen den Prozess der Kooperation begleiten (vgl. Schoenberger 1999: 211-212; sowie: Faulconbridge 2008: 499). Amin (2000) hingegen argumentiert, dass die relationale und organisationale Nähe wichtiger für den Erfolg der Kooperation sei als die geographische Nähe (vgl. Amin 2000; vgl. Gertler 2001: 18/19; Proximity-Debatte; Kap. 4). Dabei hat auch die Debatte über die Spielarten des Kapitalismus (Varieties of Capitalism; vgl. Hall/Soskice 2001; Jürgens/Krzywdzinski 2016; Peck/Zhang 2013: 357ff) die wirtschaftsgeographische Diskussion über Best Practices, institutionelle Settings und kulturelle Adaptionsstrategien in multinational agierenden Unternehmen grundlegend beeinflusst (Christopherson 2007: 451ff; Faulconbridge 2008: 497-499). Gertler (2001; 2004) wirft dezidiert die Frage nach der lokalen Geschichte dieser Prozesse und Einflüsse auf die „interfirm-practices“ (ebd.: 21) als Forschungslücke innerhalb der Wirtschaftsgeographie auf (Gertler 2001: 21; sowie: Ettlinger 2003). Schoenbergers (1999) Analyse von US-Unternehmenskooperationen mit japanischen Firmen zeigt, dass ameri-
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kanische Firmen nicht in der Lage waren (oder sein wollten!), von ihrem japanischen Partner zu lernen, und vornehmlich die eigenen Strategien als adäquat bewertet haben (vgl. Schoenberger 1999; vgl. Gertler 2001: 16). Wever (1995) hingegen kommt zu dem Ergebnis, dass US-Unternehmen in Deutschland sich nach einiger Zeit einen „German style of industrial relations and work practices“ (Peck/Yeung 2003: 104; Gertler 2001: 15) aneignen, trotz gegenteiliger Absicht. Umgekehrt diagnostiziert Wever (1995) diese Adaption auch für deutsche Unternehmen in den Vereinigten Staaten. Wever folgert daraus, dass die jeweiligen Gastländer von Akquisitionen (= Host Countries) die Regeln und Praktiken der Kooperation definieren (vgl. Wever 1995; Gertler 2001: 15; zur Einordnung dieser Befunde vgl. Kap. 8.2). Neuere Ansätze im Bereich der experimentellen Wirtschaftsforschung tragen in Form von Simulationen auch verhaltenstheoretischen Aspekten Rechnung und wollen sich so an die tatsächlichen Mechanismen weiter annähern (exemplarisch: Ockenfels/Roth 2013; Bolton et al. 2015). Auch innerhalb der Wirtschaftsgeographie existieren bereits theoretische Arbeiten auf Akteursebene zu den Entscheidungs- und Handlungsmechanismen innerhalb von Unternehmen, welche dem organisationalen Handeln und Entscheiden ‚raumproduzierende‘ Bedeutung beimessen (vgl. Dicken 1971; sowie: Boeckler/Berndt 2005). Innerhalb der deutschen Sozialgeographie wurden diese erkenntnistheoretischen Positionen und theoretischen Ansätze vor allem im Rahmen der Perzeptionsforschung, Hazard-Forschung, Aktionsraumforschung und im Konzept der performativen Geographien weiter vertieft und empirisch ausgearbeitet (exemplarisch: Felgentreff/Glade 2008; Mattissek 2007; Pohl 2008; Schlottmann 2007). Eine Kritik aus hermeneutischer Perspektive zielt demnach vor allem auf den epistemischen Modus der Datenauswertung ab: Kategoriensysteme sind dabei erkenntnistheoretische ex-ante-Konstrukte der beteiligten Forscher und führen vor allem zu einer subsumptionslogisch argumentierenden Vorab-Klassifizierung von empirischem Material (vgl. Oevermann 2002: 20-22; 2013: 70f; ausführlich: Kap. 2 u. 3). Die inhaltsbezogene Einteilung der human- und wirtschaftsgeographischen Debatten und ihre Konkretisierung auf die für diese Untersuchung relevanten Forschungsarbeiten über internationale Unternehmens- und Arbeitskooperationen dokumentiert ebenso wie die in Tabelle 9 angeführten Beiträge zwei zentrale Aspekte als Ansatz- und Kritikpunkte an die vorliegende Erkenntnisperspektive: • Die wirtschaftsgeographische(n) Debatte(n) verdichtet sich argumentativ vor al-
lem auf die beobachtbaren Praktiken der beteiligten Akteure in ihrer alltäglichen Lebenswelt (vgl. Pohl 1986: 173ff; vgl. auch Dörfler 2013a). Dabei dominieren in der englischsprachigen Wirtschaftsgeographie methodologisch gesehen vor allem teilnehmende Beobachtungen, Ethnographie als Erhebungsmethode sowie
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narrative Textauswertungen, Diskursanalysen und Framing als Auswertungsmethoden (siehe Tab. 4 in Kap. 2). Auffällig ist hier der Befund (siehe Tab. 9), dass die meisten der untersuchten Arbeiten und Anknüpfungspunkte zwar eine theoretische Verortung ihrer Erkenntnisperspektive vornehmen, aber in der Regel unklar bleibt, wie etwa Narrative oder Beobachtungen ausgewertet wurden (vgl. dazu auch Barnes et al. 2007; Gerhard/Seckelmann 2013). In der Regel handelt es sich um inhaltsanalytische Verfahren nach dem Muster von ex ante-Kategorien zur Erklärung des Sozialen (exemplarisch: Ettlinger 2003; Jones 2008b; neuere Arbeiten: Tab. 4 in Kap. 2). Für eine praktiken-orientierte Wirtschaftsgeographie zeigt sich das methodologische Shortcoming, dass die akteursbezogenen Praktiken und Deutungen selbst kaum Gegenstand einer ausführlichen methodologischen Betrachtung sind. Dies gilt insbesondere für die Black Box von Managerdeutungen (vgl. Leyshon 2011), die Routinen von Organisationen (vgl. dazu Boeckler/Berndt 2005; Kinder/Radwan 2010; Leyshon 2011) und organisationalen Identitäten (vgl. Giustiniano/de Bernardis 2017). • Diese kritische Sichtweise auf die untersuchten Beiträge umfasst gleichermaßen die mangelnde bis oftmals gänzlich fehlende Operationalisierung von Kulturbegriffen. Zwar wird in den meisten der untersuchten Beiträge auf eine Form der kulturellen Differenzerfahrung referiert (vgl. Meyer 2000; Rothfuß 2013), jedoch bleiben die Untersuchungen zumeist vage, wie sich Kultur analytisch konkretisieren lässt. Diese Beiträge verhaften dabei zumeist im Deskriptiven und versuchen nicht, die kulturproduzierenden und selektiven Muster soziokultureller Askriptionsmechanismen selbst zu untersuchen. Faulconbridge (2008) sieht in der bestehenden Literatur eine Tendenz, diese Zuweisungseffekte von Kultur in den tatsächlichen Kooperationsmechanismen methodologisch zu vernachlässigen (Faulconbridge 2008: 500). Vor allem die konkrete Arbeitsebene der Akteure (= Work Practice) werde zumeist vernachlässigt („day-to-day work“; Jones 2008a: 16; Bathelt/Turi 2011: 520ff). An diesen beiden erkenntnistheoretischen (= Kulturbegriffe) und methodologischen (= kohärente Umsetzung) Kritikpunkten setzt die vorliegenden Untersuchung an, indem sie auf die latenten Sinngehalte und soziokulturellen Askriptionsmuster der handelnden Akteure selbst fokussiert. Die Analyse geht jedoch einen wesentlichen Schritt weiter, indem erkenntnistheoretisch die selektiven und objektiv ‚gültigen‘ Zuweisungsmechanismen von Kultur und kultureller Differenz im Zentrum der Betrachtung stehen. Die objektive Hermeneutik bietet eine sensibilisierende Methodik an, indem sie den strukturalistischen Blick auf die Rekonstruktion der Aushandlungsstrukturen (vgl. Jones 2014: 610f; Jones/Murphy 2011: 370f) und deren latente Deutungsmechanismen in kulturellen Kontexten lenkt.
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5.6 ZWISCHENFAZIT D: DEUTUNGSMUSTER IM KONTEXT TRANSNATIONALER UNTERNEHMENSÜBERNAHMEN Das vorausgegangene Kapitel hat zu klären versucht, welche Strukturen und Mechanismen die innere Logik von Unternehmensübernahmen steuern und beeinflussen. Aufbauend auf Grundbegriffen transnationaler M&As, mit dem inhaltlichen Schwerpunkt auf den BRIC-Staaten und westlichen Private Equity-Investoren, standen dabei zunächst empiriebezogen die Verkaufsmotive und Investitionslogiken der jeweiligen Investorengruppen im Zentrum der Betrachtung. Im zweiten Teil wurden darauf aufbauend die jeweiligen erkenntnistheoretischen Denkansätze von Kultur, die oftmals als eine widersprüchliche Gesamtheit unterschiedlicher Ansätze erscheinen, innerhalb der M&A- und wirtschaftsgeographischen Literatur diskutiert und aus der Perspektive der vorliegenden Arbeit kritisch gewürdigt. Im dritten Teil der Argumentation wurde auf der Grundlage dieser kulturkritischen Perspektive eine hermeneutische Sichtweise auf die Deutungs- und Askriptionsmuster von kultureller Nähe und Distanz erörtert, verbunden mit der Einbettung in eine räumliche Erkenntnisperspektive. Eine verstehende Analyse besteht demnach in der Rekonstruktion einer Problemsituation (hier: kulturelle Askriptionen bei internationalen M&As; vgl. dazu auch Pohl 1996; Popper 1972) und der ihr objektiv gegebenen Reaktionsmöglichkeiten (= Deutungsmuster), wie sie in den sequenziell gewählten Handlungen sichtbar werden (Soeffner 2004: 34; Kap. 7). Dieser Konnex zum „Strukturproblem“ (Oevermann 2001c) M&A manifestiert sich in den Narrativen lebensweltlicher Muster, die in ihrer Summe eine typische Deutungs- und Askriptionslogik ausmachen. Gerade im Kontext der (kommunikativen) Krisensituation (vgl. Garz/Raven 2015: 31ff) transkultureller Kooperation (= Global Work Encounters) werden tiefenstrukturelle Muster der Problemlösung (= Deutungsmuster) verstärkt aktiviert und somit für die hermeneutische Analyse in besonderem Maße zugänglich (vgl. Fuchs/Schalljo 2016: 22/23). Die Untersuchungen innerhalb der M&A-Literatur (exemplarisch: Hakanson/Ambos 2010; Ahern et al. 2015), aber auch innerhalb der wirtschaftsgeographischen Literatur (exemplarisch: Schoenberger 1997; Cranston 2014), zielen darauf ab, ein „Strukturproblem“ (Oevermann 2001c) zu erklären (z. B. Warum scheitern Übernahmen? Warum kommt es oftmals zu Problemen bei transnationalen Arbeitskooperationen?). Dabei verwenden die meisten Studien zum Thema zumeist Kategorien und Kategoriensysteme, welche für die Übernahme als ‚Erfolgsfaktor‘ angeführt werden (z. B. die Integrationsstrategie, kulturelle Faktoren; exemplarisch: Gomes et al. 2013). Diese oftmals ex ante durchgeführte Kategorisierung gilt gleichermaßen für die Analyseniveaus der jeweiligen Untersuchungen. Auffällig ist der Befund, dass es sich vorwiegend um qualitative Einzelfallanalysen auf der Ebene von Unternehmen handelt oder um quantitativ-faktorenbezogene Analysen.
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Zwar haben diese Analysen ebenso ihre empirische Relevanz wie ‚große n‘Analysen nach definierten Faktorenkategorien, jedoch versucht die vorliegende Arbeit hier einen Brückenschlag: Obwohl es sich auch in der vorliegenden Untersuchung um Einzelfälle (n = 16) handelt, hat sich doch innerhalb dieser zugleich eine Form milieuspezifischen (vgl. Dörfler 2013a: 246; Oevermann 2001b: 38-40) und handlungsleitenden Wissens abgelagert, was hier der Gegenstand der Rekonstruktion ist (Kap. 7). Darüber hinaus wird zumeist außer Acht gelassen, dass Kultur und kulturelle Aspekte grundlegenden und steuernden Charakter für nahezu alle weiteren relevanten Kategorien des Erfolgs von Unternehmen und Unternehmensübernahmen haben (z. B. die Auswahl des richtigen Partners; vgl. dazu Dauber 2012: 380-384). Die meisten der hier untersuchten Forschungsarbeiten betrachten Kultur als substanzialistische Unterkategorie der Analyse, was wiederum die zu Beginn gestellte Frage der Konzeptualisierung von Kultur aufwirft. Zielführend erscheint eine integrative Analyse, welche die verschiedenen Perspektiven als zusammenhängend und so den gesamten Übernahmeprozess und alle beteiligten Faktoren in ihrer Bedingungslogik als interdependent betrachtet (vgl. Gomes et al. 2013: 30; Shenkar 2012: 16). Ein hermeneutischer Zugang vermeidet ex ante-Kategorien, nach denen ‚gesucht‘ wird, und stellt die Mechanismen der selektiven Deutungsund Askriptionspraxis kultureller Nähe und Distanz selbst in den Fokus der Betrachtung (vgl. dazu auch Fuchs et al. 2017a). Auch innerhalb der M&A-Literatur wird zunehmend ein integrativer Ansatz postuliert, der dem multifaktoriellen Problemgefüge umfassend Rechnung trägt (vgl. Dauber 2012: 380ff; Shenkar 2012: 16). Die wirtschaftsgeographische Debatte hingegen zielt vor allem auf die konkreten Praktiken internationaler Kooperation ab, was Bezüge zum theoretischen Ansatz Oevermanns aufweist, wobei jedoch im Wesentlichen stärker deskriptiv argumentiert wird, also die Beschreibung der beobachtbaren Praktiken (vgl. dazu auch Wernet 2011: 5f). Auffällig sind zwar die durchaus innovativen Zugänge zum ‚Feld‘ (z. B. über ethnographische Methoden und teilnehmende Beobachtungen), jedoch mangelt es oftmals an einem kohärenten und nachvollziehbaren Forschungsdesign, in dessen Zentrum die Frage steht, wie man sich den komplexen Zusammenhängen kultureller Nähe- und Distanzproduktionen erkenntnistheoretisch und methodologisch nähern kann, ohne dabei in einer deskriptiven Analyse zu verhaften (siehe Kap. 2 für den allgemeinen Befund; sowie das vorangegangene Kap. für die Analyse im Kontext der thematisch relevanten Forschungsarbeiten). Die Analyse der soziokulturellen Deutungs- und Askriptionsmuster von Nähe und Distanz stellt dabei in zwei zentralen Aspekten eine Erweiterung der Erkenntnisperspektive dar: • Erkenntnistheoretisch und methodologisch stehen vor allem die latenten Zuwei-
sungen von Kultur im Zentrum der Analyse. Wichtig erscheinen in dieser Position folgerichtig die grundlegenden Regeln und verborgenen Steuerungsmechanismen von Kultur und kulturspezifisch motivierten Handlungen. Eine solche
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Forschungsperspektive vermeidet explizit, Kultur ex ante und substanzialistisch zu definieren (vgl. Valentine 2010), sondern analysiert die Strukturen und Mechanismen der ‚Kulturproduktion‘ aus den Argumentationslogiken der Akteure selbst (exemplarisch: Oevermann 2001c). • Eine hermeneutische Analyse von mehreren vergleichenden Einzelfällen nutzt die Vorteile qualitativer Einzelfallanalysen (= Case Studies), konzentriert sich aber gleichermaßen auf die Rekonstruktion der allgemeinen Logik des gewählten Funktionsbereichs (genetischer Strukturalismus), was konsequenterweise zu einem vertieften Verständnis von Sinnbezügen materialisierter Praktiken führt (vgl. auch Oevermann 2013: 73-78). Dieser erkenntnistheoretische Zugang ermöglicht es, die Mechanismen der soziokulturellen Nähe- und Distanzproduktion aus einer Mikro-Makro-Handlungsperspektive der Embedded Practices, „jeden-TagRoutinen“ und räumlichen Wissenspraktiken (Jones/Murphy 2011: 373) in deren intrinsischer Strukturlogik zu verstehen (Jones 2014: 609f; ausführlich: Schröder 2010). Der Terminus ‚Kultur‘, oftmals eine widersprüchliche Gesamtheit unterschiedlicher erkenntnistheoretischer und methodologischer Ansätze, soll hier in Anlehnung an die Konstitutionstheorie Oevermanns (1973; 2001a) und gleichzeitig Positionierung dieser Untersuchung (Kap. 3) als die Summe aller (sprachlich) kommunizierbaren Semantiken, Handlungen und Interaktionen verstanden und konzeptualisiert werden, die in einem Wirklichkeits- und Raumausschnitt (z. B. Nation, Region) anzutreffen sind. Erkenntnistheoretisch ist eine ‚Kultur‘ nur über zwei Ebenen oder Dimensionen überhaupt erfahrbar: • durch ihre kommunikative Vermittlung: Sie muss ‚verstanden‘ werden. Kultur ist
immer sprachlich-begrifflich verankert und kann nur über das Medium Sprache (= ‚Sprachspiel‘) und die ihr innewohnenden Semantiken von Nähe und Distanz(ierung) überhaupt ‚verstanden‘ und rekonstruiert werden (vgl. dazu auch Pohl 1986: 174-178). • durch die Differenzerfahrung auf der Grundlage der eigenen (oder anderer) Kategorien-, Denk- und Begriffsschemata: Erst die Unterscheidung zu einem ‚anderen‘ Referenzpunkt macht eine Kultur zu etwas ‚Anderem‘ im ontologischen Sinne (vgl. auch Meyer 2000; Wardenga 2005; Rothfuß 2013), und definiert somit die „Strukturlogiken“ (Dörfler 2013a: 253) eines kulturellen Gebildes (hier: organisational/national). Kultur erscheint in dieser Erkenntnisperspektive als komplexes Netzwerk von Interaktionen, deren konkrete kommunikative Ausgestaltung kulturelle Distanz erkenntnistheoretisch überhaupt erst sichtbar macht (vgl. auch Frantz 2015: 103). Der epistemische Zugang erfolgt über die Ebene kommunikativer Aushandlungsprozes-
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se selbst (vgl. Jones 2014) und rekonstruiert Struktur und Dynamik selektiver Wirklichkeitskonstruktion (‚Cultures don’t clash … people do“; Frantz 2015: 103; Abb. 23). Ein sequenzanalytischer Zugang zu empirischer Wirklichkeit vermag aufgrund seiner theoretisch-konzeptuellen Prämissen (Kap. 3) und methodologischen Implikationen die Dynamik von kulturellen Mustern besser zu verstehen: Wann erodiert ein Denkmuster? Wann ist es nicht mehr zeitgemäß oder problemadäquat? Welche Raumbezüge bestehen dabei? Die räumliche Dimension besteht auf zwei Ebenen: Unmittelbar sind Deutungsmuster räumlich und/oder in Milieus anzutreffen, d. h. sie sind in einem bestimmten Raumausschnitt angesiedelt (Fuchs 2012: 74-76; 2013: 30-32; Oevermann 2001b: 38-40). Deutungsmuster sind, ontologisch gesprochen, nicht vom Raum getrennt zu denken (Abb. 23; Kap. 4). Mittelbar liegen jeder Handlung oder Entscheidung, definiert als Auswahl aus der Summe aller theoretisch möglichen (sequenzanalytisch rekonstruierbaren) Auswahlangebote, objektive Begründungsverpflichtungen zugrunde (vgl. Garz/Raven 2015: 31ff), die jeweils einen Sinn ergeben müssen und somit auf der abstrakten Ebene von Entscheidungen eine typische Askriptionspraxis von Nähe und Distanz und damit mittelbar auch Raum konstituieren und ‚formen‘ (Abb. 23). Deutungsmuster sind demnach räumlich verankert und gleichermaßen raumwirksam (Fuchs 2012: 74ff). Eine verstehende Analyse von Handlungsstrukturen im Raum kommt also, epistemisch betrachtet, nicht um die steuernden Mechanismen der handelnden Subjekte bzw. die Konstitution sozialer Praxis als das formende Medium selbst herum (erstmalig für die Geographie: Werlen 1995; 1997). Warum eine sprachliche Auswahl so und nicht anders getroffen wurde, definiert per se bereits eine typische Struktur soziokultureller Zuweisung von Nähe und Distanz. Gleichermaßen unterliegt diese latente Deutungsstruktur dynamischen Veränderungen im Zeitverlauf, deren Rekonstruktion metatheoretisch wie methodologisch eine dynamische Perspektive evoziert (siehe Abb. 23: Zeitpunkt A – Zeitpunkt B), jeweils in der Momentaufnahme der hermeneutischen Rekonstruktion (hier etwa die (Weiter-)entwicklung der Unternehmen im Rahmen der Haupt- und Nacherhebung; Kap. 7).
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Abbildung 23: Deutungsmuster, Handlung und soziale Praxis: zu einer räumlich-evolutionären Perspektive auf räumliches Handeln
Der theoretische Unterbau dieser Arbeit hat deutlich zu machen versucht, dass die methodische Leistungsfähigkeit der objektiven Hermeneutik/Deutungsmusteranalyse darin besteht, die sinnstrukturelle Verfasstheit der sozialen Praxis (vgl. Plummer/Sheppard 2006: 620) als Ausdrucksformen im Spannungsfeld von latentem und manifestem Sinn zu rekonstruieren (vgl. Wernet 2011: 4f; Ullrich 1999b: 2-3) oder empiriebezogen formuliert: Was macht eine bestimmte ‚Kultur‘ aus und wie manifestiert sie sich in konkreten Praktiken internationaler Unternehmenskooperation? Inwiefern kommt es im Sinne der in der M&A-Literatur geführten Diskussion zu Prozessen von Annäherung und Distanzierung (= Akzeptanz versus Othering) zu den neuen Inhabern des Unternehmens (vgl. dazu auch: Cranston 2016; Fuchs/Schalljo 2016)? Dabei geht es der Deutungsmusteranalyse vor allem um die Identifikation der tradierten Argumentations- und Askriptionsmuster, die hinter dem berichteten Handeln stehen, und wie diese Selbstbilder (vgl. Buß 2000) sprachlich dargestellt und formuliert werden (Vester 2003: 245, in: von Alemann 2015: 19) und als kollektive Konstrukte (z. B. Normen, Werthaltungen, Semantiken) dadurch zur Wirklichkeit und typischen Praxis werden, so dass Individuen milieuspezifisch nach ihnen handeln (Dörfler 2013a: 251; Oevermann 2001b: 38; von Alemann 2015: 103).
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Konzeption der empirischen Untersuchung Zum methodischen Vorgehen
6.1 NARRATIVE UND LEITFADEN-GESTÜTZTE EXPERTENINTERVIEWS ALS ERHEBUNGSINSTRUMENT Als Erhebungsinstrument für die Deutungsmusterrekonstruktion wurde das semistrukturierte, diskursive Experteninterview verwendet (vgl. Ullrich 1999a/b), dessen Leitfaden, entwickelt nach umfangreicher theoretischer und methodologischer Auseinandersetzung mit dem Forschungskontext (= Kontextwissen), grobe thematische Blöcke vorgibt und vor allem über narrative Elemente (hier: Erzählaufforderungen) den Deutungsstrukturen und -logiken der Befragten Rechnung trägt (vgl. Ullrich 1999a: 435ff; 1999b: 11ff). Die offene Struktur des Leitfadens sollte sicherstellen, dass die offenen formulierten Forschungsfragen (im Detail: Kap.1) zum untersuchten Wirklichkeitsausschnitt im Interview in jedem Falle thematisiert werden (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2002; ausführlich: Ullrich 1999a: 437f). Gleichermaßen standen methodologisch vor allem die narrativen Sequenzen im Vordergrund der Analyse. Das Erzählen von Geschichten und Erinnerungen ist immer ein hochgradig strukturierter und diskursiver Prozess, der sich für die objektivhermeneutische Rekonstruktion in besonderem Maße eignet (vgl. Ullrich 1999a: 434f; exemplarisch: Wernet 2011). Das narrative Experteninterview zielt dabei vor allem auf die selektiven Prozessstrukturen der Herstellung sozialen Sinns ab (ebd.: 434f; vgl. auch Oevermann 2002: 1-4; Wernet 2011: 7ff). Deutungsmuster sind als ein Teil des Oevermannschen Theoriegebäudes (vgl. Oevermann 1973; 2001a) anzusehen und eingebettet in das umfassendere Projekt der konstitutionstheoretischen Begründung einer „Erfahrungswissenschaft von der sinnstrukturierten Welt“ (Oevermann 2013: 69; vgl. Matthiesen 1994; Kap. 3), deren methodologische Grundlage jeweils die Analyse sprachlicher Sinngebilde und Tiefenstrukturen in empirischem Material ist (vgl. Oevermann 1973; 2001a). Dies bedeutet für die hermeneutische Auswertung des Materials, aber auch für die Dar-
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stellung im empirischen Teil dieser Arbeit, einen doppelten interpretativen und erkenntnistheoretisch nicht unproblematischen Prozess (eine ausführliche Betrachtung des Passungsverhältnisses von objektiver Hermeneutik und Deutungsmusteranalyse findet sich bei Matthiesen 1994: 73ff) im Sinne einer kontrastierenden „Strukturverdichtung“ (Matthiesen 1994: 80; vgl. dazu auch Bohnsack et al. 2013) von a. aller dem Fall zugrunde liegenden Denk- und Handlungsmuster (z. B. Aushandlung der Interviewsituation; vgl. dazu Oevermann 2002: 4-8) und b. jener Tiefenmuster, die den Fall als gesellschaftliche und/oder milieuspezifische Deutungsmuster zu dem machen, ‚was er ist‘ (z. B. das Deutungsmuster einer westlichen Professionsethik im Management; vgl. Kap. 7). Die Auswertung des Untersuchungsmaterials erfolgt dabei gemäß den Prämissen der objektiv-hermeneutischen Sequenzanalyse (vgl. Wernet 2009: 21ff), wobei die allgemeinen „Strukturlogiken“ (Dörfler 2013a: 253) und sozialen Motive der deutschen Führungskräfte, ebenso wie langfristig konzipierte Deutungsmuster, gleichermaßen als Struktur- und Ordnungssysteme des Sozialen verstanden werden (vgl. Matthiesen 1994: 77). Beide erkenntnistheoretischen Perspektiven verweisen konstitutionstheoretisch (= Latenz, Ausrichtung auf ein objektives Strukturproblem, Generalisierungsebene; vgl. Oevermann 2001a/b) und empirisch (= Orientierungsmuster in Handlungszusammenhängen) aufeinander und sollen in dieser Darstellung nicht isoliert betrachtet werden (ausführlicher: Matthiesen 1994: 75ff). 6.1.1 Konzeption, Weiterentwicklung des Interviewleitfadens und anschließende Transkription des Materials Die Experteninterviews (vgl. Ullrich 1999a: 430ff; ausführlich: Lamnek 2005) wurden zunächst durch ein sensibilisierendes Konzept und der entsprechenden Strukturierung durch einen problembezogenen Leitfaden vorbereitet (vgl. Ullrich 1999a: 435ff; siehe den Anhang dieser Arbeit). Bei der Durchführung der Interviews wurde mit Einverständnis der Befragten (= Anonymität als Bedingung) ein Tonband zur Aufzeichnung und späteren Auswertung der Gespräche verwendet. Dies war vor allem für die textbasierte und sehr präzise Auswertung mit Hilfe der Sequenzanalyse von zentraler Bedeutung (vgl. Oevermann 1993: 112ff: Wernet 2009: 21ff). Ort der Interviews waren die Büros der Unternehmen selbst (= alltäglicher Kontext), um möglichst keine artifiziellen Bedingungen zu erzeugen und Sachverhalte in ihrer ‚wirklichen‘1 Realität zu erfassen (Lamnek 2005: 388, 396).
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Dennoch kann hier nicht von einem Alltagsgespräch gesprochen werden, da spezifische Rollenverteilungen existieren und die Kommunikation ex ante in eine asymmetrische Frage-Antwort-Struktur eingebettet ist und als Situation neu definiert wird (vgl. Helfferich 2005: 34ff, 118ff).
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Den Anfang der Face-to-Face-Interviews bildete immer eine offene Eingangsfrage (= Eingangsstimulus), die es dem Befragten zunächst ermöglichte, die für ihn wichtigen Aspekte in den Vordergrund zu stellen und um sich an die Interviewsituation zu gewöhnen (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 80/81; vgl. Ullrich 1999a: 441f). Im weiteren Verlauf des Gesprächs wurden die leitfadenrelevanten Themenkomplexe angesprochen (= Schlüsselfragen), und dennoch wurde auch den Experten selbst argumentativer Raum für ihre eigenen Deutungsweisen gegeben (Ullrich 1999a: 435-438; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014). Der Fragestil des Leitfadens umfasste sowohl offene, erzählgenerierende Fragen (= Erzählaufforderungen: „Erzählen Sie doch mal, wie...“), Aufrechterhaltungsfragen (wenig inhaltliche Impulse: „Wie war das für Sie...“), als auch Steuerungsfragen zur Beeinflussung des Interviewverlaufes (z. B. Bitte um Detaillierung bereits benannter Aspekte; Zurückspiegelung und Deutungsangebote: „Können Sie ... noch ein bisschen ausführlicher beschreiben?“; „Spielte das ... eine Rolle?“) sowie Verständnisfragen (Helfferich 2005: 92/93; Ullrich 1999a: 437-439).2 Die narrativen Sequenzen (Fragekomplex 1) wurden vor allem durch Erinnerungsfragen und Erzählaufforderungen initialisiert (Ullrich 1999a: 438/439; Scholl 2003: 153; z. B. im Hinblick auf hypothetische Situationen): „Wer war an der Suche nach einem Investor beteiligt?“ Der Leitfaden diente als „flexible Orientierungshilfe“ (Kaufmann 1999: 65) und dessen Reihenfolge wurde jeweils entsprechend des Antwortverhaltens der Führungskräfte ausgewählt (vgl. Lamnek 2002: 165; Ullrich 1999a: 441). Der Datenerfassung durch Tonbandaufzeichnung und anschließenden Transkription der Handlungsprotokolle kommt im hermeneutischen Forschungsprozess eine wichtige Bedeutung zu und ist bereits als erster interpretativer Schritt zu verstehen (vgl. Lamnek 2005: 390), bei dem nie alle kognitiven und sprachlichen Elemente exakt erfasst werden können. Die Transkription der Gespräche ist je nach Präzision immer zugleich die Konstruktion einer neuen Realität durch den verfassten Text (Kowal/O’Connel 2009: 440f). Im Sinne der hermeneutischen Rekonstruktion wurde hier die Form der exakt-wörtlichen Transkription gewählt, da einzelne Worte eine wichtige Bedeutung für die sequenzielle Produktion der Interaktion und des Untersuchungsgegenstands (= Nähe- und Distanzbezüge in den Deutungsmustern) aufweisen (können) und Bestandteil einer ausführlichen Rekonstruktion sind (Kap. 7). Die Transkription der Handlungsprotokolle orientierte sich an den Normen der Standardorthographie und vernachlässigt zunächst Besonderheiten, einzel-
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Gemäß den Prinzipien der hermeneutischen Methodologie und der Fragestellung(en) ist hier abzuwägen zwischen Offenheit für ‚Neues‘ und Intervention im Sinne des Leitfadens. Der Leitfaden wird dabei von der Sammlung der Fragen bis hin zu seiner spezifischen Form erarbeitet (vgl. zur Dokumentation dieses Prozesses: Anhang – Entwicklung des Leitfadens für die Experteninterviews).
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ne Laute oder Dialekte (Kowal/O’Connel 2009: 440), die jedoch im Kontext der Einzelauswertungen durch ergänzende Audio-Interpretationen (= Originaldatei) im Hinblick auf die für die allgemeine Fallstruktur zentralen Auswertungspassagen systematisch ergänzt wurden. Nicht oder kaum verständliche Äußerungen der Führungskräfte in den Audiodateien, etwa durch Dialekte und/oder Tonprobleme, wurden im Transkriptionsmaterial explizit mit einem Fragezeichen ausgewiesen, jedoch an fallstrukturrelevanten Stellen der Interviews (vgl. Kap. 6.2) jeweils durch zusätzliche Audioauswertungen interpretiert. 6.1.2 Zur Auswahl der befragten Unternehmen und Führungskräfte Die Auswahl der befragten Manager und Unternehmen geschah auf der Grundlage vorab definierter Kriterien (Abb. 24), um sicherzustellen, dass die Rekonstruktion den untersuchten Wirklichkeitsausschnitt entsprechend der Forschungsfragen adäquat wiedergibt (Mayer 2008: 39; vgl. dazu auch Oevermann 2002: 1-4; im Kontext von Managerbefragungen vgl. Trinczek 2005; Kap. 1). Im Sinne des objektivhermeneutischen Kontextwissens (vgl. Wernet 2009: 21; Kap. 7), auch über die zu befragende Person selbst, wurden jeweils vor den Gesprächsterminen Kurzprofile der Interviewpartner erstellt (u. a. verfügbare Informationen über biographische Daten der zu befragenden Führungskräfte, wesentliche Unternehmenskennzahlen)3. Die Auswahl der Experten (Vorab-Sampling) bedurfte der Kenntnis der Organisations- und Kompetenzstrukturen im untersuchten Feld (hier: Unternehmen nach einer Firmenübernahme; Mayer 2008: 42). Dabei stellte sich vor allem das Problem der Erreichbarkeit der Führungskräfte sowie der niedrigen Bereitschaft zur Teilnahme an sozialwissenschaftlichen Untersuchungen, was angesichts der Sensitivität der Fragestellung noch weiter problematisiert wurde (= Unternehmensinterna, sensitive Daten, Berichterstattung über Firmenübernahmen; vgl. Blasius/Reuband 1996:
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Gegenstand des objektiv-hermeneutischen Kontextwissens sind zumeist auch biographische Daten über die befragte Person im Sinne sozialstruktureller Merkmale. Auf eine ausführlichere Betrachtung dieser Informationen wird an dieser Stelle der Darstellung jedoch verzichtet, da sie für den Gegenstand der Forschungsfragen als weniger relevant erscheinen und zudem private Informationen nicht verfügbar waren. Die befragten Führungskräfte waren zum Zeitpunkt der Untersuchung mittleren Alters und verfügten über akademische Ausbildungen an nationalen und internationalen Hochschulen, in der Regel in den Fachbereichen Ingenieurswissenschaften und/oder Betriebswirtschaftslehre. Die meisten der befragten Führungskräfte verfügten über internationale Studien- und/oder Berufserfahrung.
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296f; 2000). Darüber hinaus grenzten spezifische Kriterien die Auswahl der Unternehmen und Führungskräfte weiter ein (Abb. 24): Abbildung 24: Kriterien zur Eingrenzung der untersuchten Führungskräfte und Unternehmen
6.1.3 Eingrenzung des Untersuchungsfeldes: Führungskräfte deutscher Industrieunternehmen im Fokus der Untersuchung Im Zentrum der Analyse stehen deutsche Industrieunternehmen des produzierenden und verarbeitenden Gewerbes. Gerade in diesem industriellen Sektor sind oftmals traditionsreiche deutsche Unternehmen auszumachen, die eine lange Unternehmensgeschichte aufweisen, was nicht zuletzt in den Deutungsmustern der Unternehmensakteure zum Ausdruck kommt (vgl. dazu von Alemann 2015: 178ff; Weber 1972: 127ff; zur theoretischen Einordnung vgl. Kap. 3). Zwar verfügen alle befragten Führungskräfte über internationale Erfahrung, und der überwiegende Teil der deutschen Unternehmen ist global vernetzt oder besitzt Standorte im Ausland, jedoch sind alle befragten Manager deutscher Herkunft oder leben seit langer Zeit in Deutschland (vgl. auch Fuchs/Schalljo 2016: 22f). Viele der untersuchten Unternehmen stehen in einer langen Tradition deutscher Industriedynastien mit spezifischer soziokultureller Prägung (z. B. Deutungsmuster von bürokratischadministrativen Abläufen) und tradierten Denkmustern (Weber 1972: 127ff; 552ff). Im Sinne Oevermanns Konzeptualisierung milieuspezifischer Deutungsmuster ist davon auszugehen, dass dieses spezifisch deutsche (westliche) 4 sozio-kulturelle In-
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An dieser Stelle wird keine exakte Unterscheidung zwischen einem deutschen und einem westlichen Industriemilieu getroffen. Gemeint ist mit dieser durchaus nicht spezifischen analytischen Kategorie die Verortung von Deutungsmustern in den räumlichen Kontext
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dustriemilieu auch die (normativen) Denk- und Handlungsmuster der Führungskräfte determiniert und leitet, also den Modus Operandi, wie eine westlich-deutsch geprägte Führungskraft Handlungsprobleme sequenziell und erfahrungsbezogen deutet (im methodologischen Kontext vgl. Garz/Raven 2015: 36ff; Oevermann 2002: 1-4; 2013: 69). Die Einordnung dieser Denkmuster in eine westlich-deutsche Professionsethik ist dabei weniger als stringente analytische ex-ante-Kategorie zu verstehen (vgl. dazu Oevermann 2013: 70f), deren methodologische Operationalisierung ohnehin weder räumlich noch milieuspezifisch gelingt, sondern als Summe aller lokal anzutreffenden Deutungsmuster, die für das soziale Milieu des führenden Managements gültig und handlungsleitend sind (vgl. dazu Fuchs/Schalljo 2016: 22f; von Alemann 2015: 37ff). Max Weber (1972, erstmals 1921) beschrieb in diesem Zusammenhang bereits früh die Entwicklung moderner bürokratischer Strukturen und Denkweisen im Sinne „berechenbarer Regeln“ (Weber 1972: 562; sowie: Weber 1934), die sowohl Nationalstaaten als auch Unternehmen in ihren Handlungsweisen beeinflusst haben (Weber 1972: 35ff; 1972: 127ff; 552ff). Diese „abstrakten Regelhaftigkeit(en) der Herrschaftsausübung“ (Weber 1972: 567) haben als normative und pragmatischerfolgsorientierte Denkmuster darüber hinaus auch die Art und Weise geprägt, wie Universitäten, Management-Schools, aber auch die Akteure selbst westliche Managementanforderungen definieren (z. B. standardisierte Prozesse, Controlling, Forecasts; vgl. Strauss 2008: 140ff; Yang/Lester, 2008: 1222f). Deutungsmuster definieren dabei die Organisations- und Reproduktionsbedingungen ‚legitimen‘ Handelns im Management (Hartmann 2004; Krais 2001; von Alemann 2015: 28; Weber 1972: 16f, 28f; vgl. auch Meusburger 2005: 148), auch im Sinne von asymmetrischen Machtstrukturen, organisatorischen Arbeitsweisen und tradierten Führungsstilen (Weber 1972: 28f; 368ff). Dies umfasst sowohl allgemeine Wertevorstellungen (z. B. Disziplin, Ordnung, Integrität; Buß 2007: 105ff), Gestaltungsmöglichkeiten (Buß 2007: 113) wie auch Handlungsmuster, die der „Traditionslinie von Besitz und hoheitlicher Macht zugeordnet werden“, sowie eine „herrschaftsausgeübte(n) Kultur der patriarchalischen Verantwortung“ (Vester 2003: 254), wie Vester in seiner Studie von Wertorientierungen von Eliten nach Sozialmilieus diagnostiziert (vgl. Vester 2003: 254ff; für die Geographie vgl. Dörfler 2013a). Buß (2007) weist in diesem Zusammenhang auf eine auch für die hier durchgeführte Rekonstruktion spannende Inkonsistenz hin, die sich auch in der empirischen Darstellung noch zeigen wird: Über die Hälfte der von ihm befragten Spitzenmanager sieht sich selbst als „Unternehmer“, der bei allen Entscheidungen so agiert, „als ob es das eigene Unternehmen wäre“ (Buß 2007: 205; sowie: von Alemann 2015).
gleicher oder ähnlicher Handlungsweisen bzw. für den Problembereich universell gültiger Denkmuster.
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Diese latenten Denkmuster, Wertorientierungen, Normen und Wissensbestände (vgl. Oevermann 2001a: 9; 2002: 1-4) verweisen auf Orientierungsmaßstäbe, die in ihrer Summe auf einen räumlich anzutreffenden Wirtschafts- und Denkstil hinweisen, der im Kontext der vorliegenden Untersuchung als westlich oder westlichrheinischer Wirtschaftsstil konzeptualisiert wird (siehe dazu auch Weber 1972: 127ff), ohne dabei zwingend räumlich-kategorisierend zu argumentieren. Schließlich verfügen zahlreiche der befragten Führungskräfte über internationale Ausbildungen an Managementschulen und/oder Berufserfahrungen in ausländischen bzw. im Ausland agierenden Unternehmen. Dennoch erscheint dieser Bestand an Deutungsmustern gerade in der Differenzerfahrung zu einem räumlichen ‚Anderen‘ (z. B. den asiatischen Investoren) im oben diskutierten Sinne als konstitutiv für die individuellen Einstellungen der handelnden Manager (vgl. auch Oevermann 2001a: 19; Ullrich 1999b: 3). Dieses sozio-institutionelle Setting (Kap. 4) umfasst Deutungsmuster und normative Handlungserwartungen, die auch die sozialen Systeme auf gesellschaftlichem, institutionellem und räumlichem Maßstab konstituieren (z. B. Bildungssystem, Zivilgesellschaft, Rechtssystem, Wirtschaftssystem; vgl. Hall/Soskice 2001; Fuchs/Schalljo 2016: 22f), methodologisch jedoch Gegenstand einer Rekonstruktion auf Subjektebene sind (exemplarisch: Oevermann 2001c; vgl. Fuchs/Schalljo 2016: 22). Die ausländischen Eigner werden vor allem vor dem Hintergrund dieser tradierten Deutungselemente gemessen und bewertet, und die Deutungsmuster determinieren somit den elementaren Handlungsrahmen für die Aushandlungsprozesse mit den ausländischen Investoren (vgl. Fuchs/Schalljo 2016: 20ff). Der Modus Operandi, wie ein deutsches Management funktioniert und arbeitet, ist folgerichtig eingebettet in tradierte Deutungsmuster und problembewährte Handlungslogiken (Kap. 3), die auf räumlichem und milieuspezifischem Maßstab eine informelle und tradierte Form immanenter Strukturdeutungen darstellen (vgl. Dörfler 2013a: 247-249). Diese unterliegen ihrerseits einem historischen und epochalen (Oevermann 2001b) Wandel und geben somit Aufschluss über die typische Handlungslogik einer räumlichen Lebenswelt (exemplarisch: Dörfler 2013a).
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6.1.4 „Äpfel mit Birnen vergleichen“? Methodologische Ansatzpunkte für eine deutungsvergleichende Betrachtung der untersuchten Investorenstrukturen: BRIC-Eigner versus Private Equity-Investoren Gegenstand der Analyse und zentraler Ausgangspunkt des Forschungsprojekts ist auch die Frage, wie sich die Deutungsmuster der Führungskräfte in den unterschiedlichen Investorenkonstellationen (= BRIC versus Private Equity-Eigner) spezifisch zeigen, also der Frage analytisch auf den Grund zu gehen, wann und in welchem Kontext Deutungsmuster stärker aktiviert und mobilisiert werden (vgl. Fuchs/Schalljo 2016) und damit gleichermaßen Aufschluss über die Struktur und Dynamik der transkulturellen Kooperation geben (vgl. dazu Gertler 2001; Schoenberger 1997; Kap. 5). Der Terminus des Vergleichs ist dabei im Hinblick auf seine methodologischen und erkenntnistheoretischen Implikationen nicht unproblematisch (vgl. auch: Meyer 2000; Altmeyer 2008). Für Vogelpohl (2013) ist Vergleichen innerhalb der empirischen Geographie gar eine der gängigsten und gleichzeitig am wenigsten reflektierten Vorgehensweisen (Vogelpohl 2013: 61). Ein Vergleichen von Strukturen dient weniger einer selektiven Illustration von Sachverhalten als vielmehr dem fallbezogenen Plausibilisieren der zentralen theoretischen Fragestellungen (ebd.: 62; Kap. 1). Ein reiner Faktenabgleich erscheint äußert problematisch, vor allem vor dem Hintergrund gänzlich unterschiedlicher Ausgangsbedingungen und Merkmalsausprägungen sowie unterschiedlichen Strukturen und Mechanismen in den untersuchten Konstellationen selbst („Äpfel mit Birnen vergleichen“; Altmeyer 2008: 173; zit. auch im Kap.-Titel). Dennoch erscheint eine vergleichende Betrachtung der Investorenkonstellationen reizvoll und auch materialbezogen begründet, im Sinne eines most-different-Case-Designs (Dörfler 2013a: 253; Fuchs/Schalljo 2016: 23) hinsichtlich der strukturellen Ausgangsbedingungen und „Strukturlogiken“ (ebd.: 253) und -gebilde der jeweiligen Investorengruppen und -konstellationen (Kap. 5 u. 6.) Dabei erscheint der deutungsbezogene Vergleich der Investorenkonstellationen vor allem vor dem Hintergrund der in unterschiedlichen Disziplinen geführten Debatten über die kritische Auseinandersetzung mit kulturellen Aspekten der Unternehmensübernahmen (Kap. 5) und transkulturellen Kooperationen als forschungsrelevant (exemplarisch: Schoenberger 1997; Jones 2008a für die Wirtschaftsgeographie; sowie: Rottig et al. 2013 für die M&A-Literatur). Komparative Analysen müssen vor allem die Frage beantworten können, was an den jeweiligen „Strukturlogiken“ (Dörfler 2013a: 253) vergleichbar ist und was nicht, es muss also begründet werden (Vogelpohl 2013: 63). Eine solche Begründung soll hier, in Anlehnung an die Systematisierung Vogelpohls (2013), auf der Grundlage von vier erkenntnistheoretischen Dimensionen versucht werden:
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• räumlich: das Ermitteln der Spezifika und Verhältnisse, die den Raum jeweils
,produzieren‘, hier aus einer spezifischen Akteursperspektive der Deutungsmuster der deutschen Führungskräfte (Kap. 7). • zeitlich: aus der Momentaufnahme je hermeneutisch ausgewerteter Interviews, die ihrerseits raum-zeitspezifisch auf denselben Sachverhalt referieren, nämlich Unternehmensübernahmen und die Phase der Integration der Unternehmen. • hermeneutisch: auf der Grundlage der Schematisierungsleistungen der Akteure, Gruppen und/oder Institutionen, welche die konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse erst ‚produzieren‘ (Vogelpohl 2013: 63). Bezogen auf die hiesige Problematik bedeutet dies: Handelt es sich bei den untersuchten Akteuren um vergleichbare Modelle? • konzeptionell: Situationen und Prozesse werden innerhalb der Deutungsmustertheorie (Kap. 3) als normative Rahmen verstanden, die von den Akteuren als Antwort auf erscheinungsweltliche Handlungsprobleme ‚produziert‘ werden (vgl. Oevermann 2001a/b; 2002: 1-4). Sämtliche Beschreibungen und Bewertungen beziehen sich hier auf die Rahmendeutungen, die als Referenz Gegenstand des Vergleichs sind (vgl. auch Vogelpohl 2013: 63). Folglich stehen die Mechanismen, Schemata und Strukturen selbst im Vordergrund der Betrachtung und weniger idiographische ‚Inhalte‘, etwa in Form aggregierter Daten, die verglichen werden (ebd.: 71). Soll dabei ein bestimmter Prozess oder Mechanismus verstanden werden, ist es wichtiger, die Gesamtheit der Fälle entlang der ‚gleichen‘ Aspekte zu untersuchen (hier: Aktivierung von Deutungsmustern). Das Ergebnis ist dann die Differenzierung verschiedener empirischer Typen in deren typischer Erscheinungsstruktur (Vogelpohl 2013: 74; vgl. auch Wernet 2011: 2-3), oftmals auch als ‚kontrollierter Vergleich‘ thematisiert (Vogelpohl 2013: 74). Ziel dieser Analyse ist die Generalisierung unterschiedlicher Fallstrukturen aus dem Vergleich der Einzelphänomene, um so zu generalisierten Aussagen zu kommen (ebd.: 77). So weist die objektive Hermeneutik den wesentlichen erkenntnistheoretischen Vorteil auf, die jeweiligen Vorannahmen und die Generalisierungsbasis umfassend zu reflektieren und anzupassen (zur Einordnung: Oevermann 2002: 20/21). Als zentral erscheinen in dieser Forschungsperspektive sowohl die kommunikativen Differenzerfahrungen der Akteure (‚1. Ordnung‘) als auch die Schematisierungsleistung des Forschers selbst (‚2. Ordnung‘; vgl. Bohnsack et al. 2013: 13ff; 15). Es erscheint daher gerade aus der Perspektive der vorgestellten und diskutierten Theorie und Methodologie (Kap. 3) als notwendig, sich diesem Phänomen ganzheitlich und möglichst vorurteilsfrei zu nähern (vgl. auch Oevermann 2002: 20/21; 2013: 69/70; Valentine 2010; Wernet 2009: 20ff). Folgerichtig zielt eine vergleichende Betrachtung auf beide Analyseebenen ab: der Rekonstruktion der jeweiligen Strukturlogik (vgl. Dörfler 2013a: 253) und der latenten Mechanismen, die jeweils
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problembezogen mobilisiert werden, als auch der Rolle des Befragers im Forschungsprozess (exemplarisch: Oevermann 2001c; vgl. Vogelpohl 2013 für die Humangeographie). In der vorliegenden Untersuchung werden daher Kausalschlüsse wie ‚a ist wie b‘ grundlegend vermieden. Stattdessen wird in der empirischen Auswertung der Frage nachgegangen, wann, wie, und warum ein Deutungsmuster jeweils mobilisiert wird (vgl. Fuchs/Schalljo 2016). Daraus resultiert, methodologisch gesprochen, eine Form von vergleichender Deutungsbetrachtung: Was unterscheidet Konstellation A von Konstellation B im Hinblick auf die Mobilisierung von Deutungsmustern, und worin sind Gründe, Indizien und Dynamiken dafür im sequenzanalytisch untersuchten Material auszumachen (exemplarisch: Fuchs/ Schalljo 2016)? Was definiert die Strukturlogik von Gebilde A im Gegensatz zu Gebilde B?
6.2 DIE ANALYSE DER DATEN: OBJEKTIVHERMENEUTISCHE REKONSTRUKTION DER INTERVIEWPROTOKOLLE 6.2.1 Objektiv-hermeneutische Sequenzanalyse Im Sinne Oevermanns sprachpragmatischer Regelhermeneutik werden die basalen Regeln und Strukturen im Handeln der Führungskräfte als generalisierte Fallstruktur rekonstruktionslogisch herausgearbeitet (vgl. Garz/Raven 2015: 144ff; Wernet 2009: 15). Die Deutungsmuster werden dabei aus den problembezogenen Deutungen der Akteure (= M&A) als „Derivationen“ (Ullrich 1999a: 429) der grundlegenden Handlungsmuster aus den Dokumenten rekonstruiert (ebd.: 429f; exemplarisch: Oevermann 2001c).5 Dabei wird das gesamte Dokument gelesen, um anschließend in Absprache mit weiteren Forschern zentrale Passagen des Interviews auszuwählen und sequenzanalytisch auszuwerten (vgl. Wernet 2009: 20f). Dann werden die ausgewählten Passagen oder auch nur einzelne Wörter durch Sinnalternativen ersetzt, so dass durch diese Distinktion die dahinter liegenden sozialen Regeln und Logiken
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Oevermann selbst bezeichnet das methodische Vorgehen der objektiven Hermeneutik als Kunstlehre (Oevermann 1979: 391f; 1993: 126; Reichertz 1986: 231). Diese Bezeichnung betont zum einen die Nichtstandardisierbarkeit des Vorgehens, bei dem durch jeden neuen Forschungsbeitrag neue methodische Varianten entstehen (u. a. Reichertz 1995: 387). Dabei folgt die metatheoretische Fundierung den Prämissen des Theoriegebäudes, deren genaue methodische Umsetzung Gegenstand umfangreicher und durchaus widersprüchlicher Debatten war und ist (vgl. Reichertz 1986; sowie: Kap. 9).
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deutlich werden (vgl. Oevermann 1973; 2001a; Wernet 2009: 7-14; 2011: 3). Wörtlich wird in der „Sprache des Falles“ (Oevermann 2013: 82) ausgewertet und nah am Text analysiert, also nicht ‚weit hergeholt‘ interpretiert (= Verpflichtung auf den Text; vgl. Wernet 2009: 21-38). Angesichts des sehr zeitintensiven Verfahrens der Analyse ist der Auswahl der Passagen besondere Aufmerksamkeit zu schenken (vgl. Wernet 2009: 21ff; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 255-256). Die Herausarbeitung der basalen Strukturen und impliziten Regeln erfordert eine schrittweise Herangehensweise, bei der die Fallstrukturhypothesen am Material geprüft und fortlaufend weiterentwickelt werden (Kap. 3). Dabei ist von zentraler Bedeutung, das Material möglichst ohne Einbezug von Kontextwissen zu analysieren und wörtlich den latenten Sinn zu rekonstruieren (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 250/253; Wernet 2009: 20ff). Innerhalb der Untersuchung (Kap. 7) wird auch die Analyse von Metaphern nach den Regeln der Sequenzanalyse durchgeführt (Kap. 6), also der schrittweisen Rekonstruktion der Versprachlichung von Handlungsproblemen (vgl. Oevermann 1973; 2001a; Plaß/Schetsche 2001: 518; Kap. 3). Die Analyse erfolgt exemplarisch und selektiv anhand einiger für die allgemeine Fallstruktur (exemplarisch: Oevermann 2001c) zentralen Auswertungsbeispiele (z. B.: „die Regeln des Spiels“). Auch dabei erscheint es als wesentlich, die jeweiligen Metaphern zunächst kontextfrei zu untersuchen, um den allgemeinen sozialen Sinn zu diagnostizieren und erst ex post die Einbettung in die Fallstruktur vorzunehmen (ausführlich: Wernet 2009: 21ff). 6.2.2 Die Prinzipien der Textinterpretation Die Prinzipien der objektiv-hermeneutischen Textinterpretation verbinden Methodologie und Methode, da die Auswertungsprinzipien sowohl in den Prämissen des Verfahrens verankert sind (Kap. 3) als auch konkrete Regeln für die Analyse formulieren (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 229; Wernet 2009: 21). Der methodologische Schritt von einem vermeintlich subjektiven Textverständnis zu einer überprüfbaren Aussage kann nur über eine präzise und nachprüfbare Textanalyse gewährleistet werden, die nach strengen Auswertungsprinzipien durchgeführt wird (Wernet 2011: 6).6 Wörtlichkeit: Das Prinzip der Wörtlichkeit verpflichtet die Interpretation auf den Text, ohne etwas auszulassen oder hinzuzufügen (Wernet 2011: 6-7). Die Interpretation ist am Text selbst nachzuweisen, wobei es nicht um die Wiedergabe des Inhalts einer Äußerung geht, sondern um die genaue Rekonstruktion von deren
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Aus Platzgründen kann hier nur eine kurze Übersicht über die Prinzipien der objektivhermeneutischen Textauswertung gegeben werden. Für eine ausführlichere und anwendungsbezogene Darstellung vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014; Wernet 2009; 2011.
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schrittweiser Argumentationsstruktur (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 253; Wernet 2011: 7). Kontextfreiheit: Das zu analysierende Material wird zunächst unabhängig von seinem tatsächlichen Äußerungskontext, also dem inhaltlichen Thema der Unternehmensübernahme und deren Implikationen für die strukturelle Deutungslogik, interpretiert. Bevor der Äußerungskontext gewürdigt wird, geht es zunächst um die Explikation seiner Bedeutungsstruktur (Wernet 2011: 7; exemplarisch: Oevermann 2001c). Dies bedeutet aber nicht, dass die Umstände einer Handlung für das Verständnis ihrer Bedeutung nicht relevant wären. Vielmehr stellt der Kontext eine andere analytische Ebene dar, dessen Einbeziehung erst dann stattfindet, wenn zuvor eine kontextunabhängige Interpretation vorgenommen wurde (Wernet 2009: 22; 2011: 7). Erst durch diese Trennung wird verhindert, dass der Text, wie bei vielen inhaltsanalytischen Verfahren üblich, ex ante und subsumptionslogisch klassifiziert wird und nicht als eigendynamisches Gebilde in seiner sequenziellen Bedeutungsstruktur verstanden wird (Wernet 2009: 22f; Oevermann 2002: 20/21; 2013: 70-75). Der Kontextbezug erfolgt über das Bilden von Lesarten und Kontextgeschichten, um den tatsächlichen Kontext einer Sequenz zu erfassen (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 250/251; Wernet 2009: 22/23). Sequenzialität: Das Prinzip der Sequenzialität ist für die objektive Hermeneutik von zentraler Bedeutung, da sich hier der Bogen von den konstitutionstheoretischen Grundlagen (Kap. 3) bis zu der methodischen Interpretation spannt (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 249f; Wernet 2009: 27). Der Text erscheint dabei als strukturiertes und sich strukturierendes Gebilde, in dessen Abfolge sich die Dynamik sozialer Phänomene zeigt (Garz/Raven 2015: 143; Wernet 2011: 8). Die Sequenzanalyse berücksichtigt damit die Eingebundenheit sozialer Praxis in eine spezifische Ereignisstruktur, welche die Prozesse der Bildung und Veränderung sozialer Wirklichkeit determiniert (Oevermann 1993: 113ff; Wernet 2011: 8). Die Auswertung bezieht sich dabei nur auf einen Ausschnitt der Wirklichkeit und stützt sich wie jede empirische Forschung auf ausgewählte Daten. Jedoch behandelt sie diese Ausschnitte als sinnstrukturierte Praxis (Wernet 2011: 8; vgl. Oevermann 2002: 14), innerhalb derer sich eine typische Abfolge von Handlungen dokumentiert (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 250). Extensivität: Die objektive Hermeneutik widmet sich einzelnen Textpassagen im Rahmen der Feinanalyse mit großer Genauigkeit (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 249; Wernet 2009: 32). Der Rekonstruktion liegt die Annahme zugrunde, dass sich auch in Ausschnitten des Dokuments die Mechanismen sozialer Realität rekonstruieren lassen, wobei dies struktur- und nicht inhaltsanalytisch gemeint ist (Wernet 2009: 32; sowie: Oevermann 2002: 20/21). Die Aussagekraft der Rekonstruktion bemisst sich demnach an der Qualität der Interpretation und nicht an der Quantität des Datenmaterials (Wernet 2009: 33; Oevermann 2002: 20-21), so dass
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aufgrund der Detailliertheit der Analyse nur geringe Textmengen untersucht werden können (Garz/Raven 2015: 146). Sparsamkeit: Innerhalb der Feinanalyse dürfen nur diejenigen Lesarten gebildet werden, die ohne weitere Zusatzannahmen über den Fall textbezogen Sinn ergeben. Sparsamkeit hat nicht nur die Funktion, ‚willkürliche‘ Interpretationen zu vermeiden (= Verpflichtung auf den Text), die den Text motiviert haben könnten, sondern durchaus auch eine forschungsökonomische Dimension (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 253; Wernet 2009: 35). Dabei steht vor allem der Aspekt der Regelhaftigkeit der Interpretation im Vordergrund: Erlaubt sind nur diejenigen Interpretationen, die den Text als regelgeleitetes Gebilde ansehen und über den Text selbst nachprüfbar sind (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 253; Wernet 2009: 36/37). Totalitätsprinzip: Das Prinzip der Totalität besagt, analog zum Prinzip der Wörtlichkeit, dass der ausgewählte Textausschnitt vollständig und umfassend auf seinen Sinn hin zu analysieren ist. Auch auf den ersten Blick ‚unpassende‘ Stellen müssen berücksichtigt werden (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 254). Hierbei kommt zum Ausdruck, dass es bei der Fallrekonstruktion nicht um Klassifikation geht, also nicht um das Ein- und Aussortieren ‚passender‘ Elemente nach vorab festgelegten Kriterien, sondern darum, die innere Gesetzmäßigkeit des Falles zu erschließen (Oevermann 2002: 21/22; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 254; Wernet 2011: 3). Innerer und äußerer Kontext einer Handlung: Die Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Kontext einer Handlung dient dazu, den Text in seiner interpretativen Bedeutung auszuschöpfen (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 255). Dabei wird die innere Struktur des Textes sukzessive als innerer Kontext einer Handlung erschlossen, bevor der äußere Kontext einer Sequenz zur Auswertung herangezogen wird (ebd.: 255). Somit wird erst nach der inneren Logik der Sprachverwendung interpretiert, bevor das bereits rekonstruierte Fallwissen in die Analyse mit einfließt (ebd.: 255). 6.2.3 Schritte der Rekonstruktion Voraussetzung für die schrittweise Interpretation der Daten ist die klare Formulierung von Forschungsfragen (ausführlich: Kap. 1), die mit Hilfe der Interpretation beantwortet werden sollen (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 260). Die Interpretation der Interviewprotokolle erfolgt neben den zuvor aufgeführten Prinzipien einer idealtypischen Abfolge von sequenziellen Interpretationsschritten (vgl. Oevermann et al. 1979; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 260/261): • Interpretation der objektiven Daten: Im Vordergrund der ersten Analyse steht das
äußere verfügbare Gerüst des Lebenslaufs der befragten Person, aber auch weite-
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re Rahmenbedingungen, die mit dem Unternehmen und weiterem relevanten Wissen korrespondieren (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 260/261). Gerade im Hinblick auf das objektive „Strukturproblem“ (Oevermann 2001c) einer Profession und auf Wertevorstellungen und -muster eines Milieus (vgl. Dörfler 2013a: 253f) erscheint der Einbezug des objektiven Kontextes als notwendig und verdichtet die Interpretation des eigentlichen Interviewprotokolls im Hinblick auf dessen Handlungslogik (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 261). • Einteilung des Interviews in Segmente: Hier geht es vor allem um die strukturlogisch motivierte Auswahl der Abschnitts- und Themenabfolge. Auf der Basis einer kurzen Inhaltsangabe werden Abschnitte für die Feinanalyse ausgewählt (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 262). Dieser Prozess ist bereits hochgradig hermeneutisch, so dass sich schon hier die Arbeit in einer Interpretationsgruppe empfiehlt, um die ‚richtigen‘ Sequenzen für die Feinanalyse auszuwählen.7 Die Auswahl der für die Fallstruktur relevanten Passagen ist als fortlaufender und sich korrigierender Prozess innerhalb der an der Auswertung beteiligten Forscher zu verstehen (vgl. Oevermann 2002: 18f; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 255). Dabei wird das auszuwertende Dokument zunächst von allen Teilnehmern der Auswertungsgruppe gelesen und intensiv durchgearbeitet. Bestandteil der ausführlichen Rekonstruktion sind dann jene Passagen, hinter denen sich eine typische Lebenspraxis als regelhafte Antwort auf praktische Problemstellungen in Hinblick auf die Untersuchungsfrage (Wernet 2009: 19) und deren sequenzielle Auswahlmechanismen verbirgt (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 256ff; Wernet 2009: 14ff). • Feinanalyse der Eröffnungssequenz: Die Feinanalyse beginnt immer mit dem Anfang des Interviews, also mit der Eröffnungssequenz, da diese für die initiale Wirklichkeitsaushandlung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Oevermann 1981; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 262). Darüber hinaus sollen generell die ersten Sequenzen besonders extensiv ausgelegt werden, um eine Vielzahl an möglichen Fallstrukturhypothesen zu entwickeln, die dann im Verlaufe der weiteren Auswertung konkretisiert oder auch widerlegt werden (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 263; Oevermann/Leber 1994: 383). Oevermann et al. (1979) haben für die Feinanalyse eine Abfolge von Schritten unterschieden, die jedoch weder als explizite Vorgehensweise im Sinne einer festen Reihenfolge zu verstehen ist, noch zwangsläufig in allen Punkten zur Anwendung kommen muss (Oevermann et al. 1979: 352ff; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 263). Vielmehr ist sie als eine Art Check-List zu verstehen, in deren Zentrum ein basaler Dreischritt steht: (1) Ge-
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Diese forschungsökomisch indizierte ex ante-Segmentierung des Untersuchungsmaterials fand dabei jeweils vor (= Mailversand der Interviewprotokolle) und zu Beginn der mehrstündigen Auswertungssitzungen statt.
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schichten erzählen, (2) Lesarten bilden, (3) Lesarten mit dem tatsächlichen Kontext vergleichen (Wernet 2009: 39; Abb. 25). • Feinanalyse weiterer Sequenzen: Nach der Analyse der Eingangssequenz, in der bereits eine Fallstrukturhypothese herausgearbeitet wurde, werden weitere Textsegmente nach den genannten Prinzipien analysiert. Dabei werden so viele Textstellen zur Analyse herangezogen, bis sich die Einzelanalysen zu einer „hinreichend integrierten, synthetisierenden Fallstrukturhypothese verdichtet“ haben (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 265) und bis die Typizität einer Fallstruktur nachgewiesen ist (ebd.: 265; Wernet 2009: 15/16). • Überprüfung, Modifikation und Falsifikation der Fallstruktur: Der Rest des Interviews wird nach dieser Vorgehensweise nicht mehr sequenziell interpretiert, sondern gezielt auf mögliche Diskrepanzen oder Modifikationsstellen im Hinblick auf die Fallstruktur ,abgesucht‘ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 265; sowie: Reichertz 1986: 231). Wie viele Passagen einer genauen Feinanalyse unterzogen werden, ist dabei abhängig vom verfügbaren Material selbst, vor allem aber eine Frage der ‚Ausschöpfung‘ der bereits rekonstruierten Sequenzen (exemplarisch: Oevermann 2002: 20; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 241ff; Wernet 2011: 7f). Mit der Hinzunahme weiterer Sequenzen oder Einzelfälle verfeinert sich die Genauigkeit der Aussage (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 265), und das Maß an neuen Erkenntnissen nimmt deutlich ab (ebd.: 265; Oevermann 2002: 24). • Interpretation der weiteren Fälle: Zum Zwecke der Typen- und Modellbildung (= Modell der Struktur und Dynamik des untersuchten Wirklichkeitsbereichs; z. B. ‚Wie deuten deutsche Führungskräfte die Übernahme durch einen ausländischen Investor?‘) schlägt Oevermann (2000: 99) vor, weitere Fälle eines Wirklichkeitsausschnittes nach dem Kriterium der maximalen Kontrastivität zu erheben, wobei die Analyse jeweils Fall für Fall voranzuschreiten hat (Oevermann 2000: 99; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 265). Die Interpretation weiterer Fälle erfolgt nach den gleichen Prinzipien, wobei die Forschungsfrage zunehmend präzisiert werden kann und auch der Auswertungsaufwand abnimmt (ebd.: 265; exemplarisch: Oevermann 2001c).8
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Es handelt sich in dieser Darstellung (= sechs Punkte umfassend) um eine Auswahl und begründende Erklärung der gesamten (= elf Punkte umfassend) idealtypischen Auswertung nach den Prämissen der objektiv-hermeneutischen Textinterpretation (Abb. 25).
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Abbildung 25: Idealtypische Vorgehensweise und Schritte der objektivhermeneutischen Gruppenauswertung als methodische Check-List
Quelle: eigene Darstellung auf der Grundlage von Oevermann et al. 1979, zit. in Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 263-264.
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6.3 METHODISCHE KONTROLLE UND GENERALISIERUNGSBASIS DER FORSCHUNGSERGEBNISSE 6.3.1 Einzel- und Gruppenauswertungen zur Validierung der Ergebnisse Die Auswertung der Einzelinterviews in den hermeneutischen Gruppen (AG Köln/AG Objektive Hermeneutik Frankfurt) hat sich als besonders ertragreich im Sinne der methodologischen Prämissen erwiesen. Die Prämissen der objektiven Hermeneutik von Offenheit gegenüber dem Forschungsobjekt, Konstruktion und Revision von Lesarten und kritische Erörterung der Fallstruktur konnten in der diskursiven Arbeit der Forschungsgruppen am ehesten umgesetzt werden (vgl. Oevermann/Leber 1994; Pohl 1986; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 255). Darüber hinaus führten sowohl die Auswertungsarbeit in den Gruppen als auch die Schulungen in Frankfurt (AG ‚Objektive Hermeneutik‘) zu einer methodischen Sensibilisierung der „Kunstlehre“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 255; Reichertz 1986: 221) der objektiven Hermeneutik, was zudem eine umfassende und ergänzende Einzelauswertung ermöglichte. Dazu wurden zu jedem Einzelfall Fallprotokolle erstellt, in denen sowohl die manifesten Sinngehalte als auch die zugrundeliegenden Denkund Handlungsmuster der Führungskräfte tabellarisch aufgelistet wurden und so zur Grundlage einer vergleichenden und fallkontrastierenden Rekonstruktion wurden (vgl. dazu auch Dörfler 2013a: 253f). 6.3.2 Gültigkeitsbereich und Generalisierbarkeit der Ergebnisse Die objektive Begründbarkeit einer abschließenden Interpretation muss aus der kritischen Sichtung der Lesarten die Fallstruktur aus dem Material erkenntlich machen (Soeffner 2004: 30ff; Oevermann 2002: 10-13). Der Kontext des Gesamtinterviews selbst fungiert dabei als Kriterium für die Interpretation des Textabschnittes, insofern als dass die Interpretation des gewählten Abschnittes nicht durch andere Stellen widerlegt werden darf oder im Sinne Oevermanns (2002: 23/24) formuliert: Die Fallstrukturhypothese darf an keiner Stelle des Textes widerlegt werden (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 253; Soeffner 2004: 217; Wernet 2009: 19). Hier finden sich klare Bezüge zu Poppers Falsifikationsprinzip: Nach Popper (u. a. 1972) existiert kein endgültiger Beweis für eine theoretische Aussage. Vielmehr müssen Theorien und Hypothesen (nur) so lange aufrechterhalten werden, bis sie entweder widerlegt oder durch eine ‚bessere‘ Theorie ersetzt werden können/müssen (Popper 1972: 47ff; Reichertz 1986: 231; Soeffner 2004: 217).
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Die grundlegende Generalisierbarkeit der Ergebnisse ergibt sich dabei a. aus den erkenntnistheoretischen Prämissen der Methode selbst, als Ablagerungen der Erscheinungswelt in den Interviews; und b. durch das Verhältnis mehrerer Untersuchungsfälle, um die „typologische Verschiedenheit der Erscheinungen im Universum möglichst gut auszuloten und ein Übersehen von für die allgemeine Untersuchungsfrage relevanten Typen zu verhindern“ (Oevermann 2000: 128; vgl. Garz/Raven 2015: 151f). Oevermann konstatiert, dass der Interpretationsspielraum innerhalb des Untersuchungsbereichs mit der Hinzunahme weiterer Fälle kontinuierlich eingegrenzt wird und erfahrungsgemäß zehn bis zwölf Fallrekonstruktionen auch für komplexere Untersuchungsfragen ausreichen, um belastbare Antworten zu erhalten (Oevermann 2002: 18; Garz/Raven 2015: 151), wobei eine Quantifizierung der Untersuchungsfälle eher exemplarisch zu verstehen ist und fallspezifisch reflektiert und angepasst werden sollte. Der Gültigkeitsbereich der so erhobenen und rekonstruierten Strukturen gilt immer ‚repräsentativ‘9 für den Wirklichkeitsausschnitt, der als latente Strukturlogik rekonstruiert wird (Garz/Raven 2015: 152/153; Oevermann 1993: 112/113). Die Logik der Verallgemeinerung folgt dabei der einer Strukturgeneralisierung (vgl. Oevermann 1973; 2001a; Wernet 2009: 19; Garz/Raven 2015: 152/153). Die Entfaltung eines Kategoriensystems ex ante würde der Struktur und Dynamik sozialer Wirklichkeit nicht gerecht werden, denn die inhaltsanalytische Subsumption bedeutet zwangsläufig eine Verengung der Perspektive auf die Maßstäbe des Forschers selbst (Oevermann 2002: 20; 2013: 70; Wernet 2009: 19). Übertragen auf die erhobenen Ergebnisse folgt die Strukturgeneralisierung dem Allgemeinheitsanspruch, der sich zwangsläufig aus den Annahmen des Analyseverfahrens selbst ergibt (Garz/Raven 2015: 152f; Wernet 2009: 19f; Kap. 3): Jedes Protokoll sozialer Wirklichkeit beinhaltet das Allgemeine ebenso wie das Besondere, so dass der einzelne Fall bereits ein strukturiertes Sinngebilde darstellt (Garz/Raven 2015: 152f; Wernet 2009: 19). Der Begriff der Fallstrukturgeneralisierung nimmt dabei eine Würdigung der gewonnenen Ergebnisse vor (Wernet 2009: 20). Objektiv-hermeneutische Fallrekonstruktionen verallgemeinern Strukturen, die nach und nach in einem sequenziellen Ablauf rekonstruiert wurden (Garz/Raven 2015: 152; Wernet 2009: 15). Von Einzelfallrekonstruktionen zu allgemeinen Aussagen über einen Wirklichkeitsausschnitt gelangt die objektive Hermeneutik somit mittels Strukturgeneralisierung: Die Ergebnisse mehrerer Einzelfallrekonstruktionen verdichten sich zu einer gene-
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Der Begriff der Repräsentativität ist vor allem den quantitativen Wissenschaften zuzuordnen und soll hier nur als Synonym angeführt sein. Explizit versteht sich die objektive Hermeneutik als Gegenmodell zu einem subsumierenden und gesetzeswissenschaftlichen Forschungsverständnis, was vor allem auch auf die Logik des Generalisierungsanspruches zutrifft (vgl. Oevermann 2013: 69/70; Wernet 2009: 19).
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rellen, typischen Struktur (Reichertz 2000: 518; sowie: Garz/Raven 2015: 151-152). Mit Hilfe dieses Wissens über das ‚Allgemeine‘ der Einzelfälle sollen Prognosen über zukünftige Handlungen aufgestellt werden können, jedoch nicht als allgemeine Aussagen, sondern als die methodisch begründete Angabe von Handlungsspielräumen und Gesetzmäßigkeiten (Reichertz 2000: 518; sowie: Garz/Raven 2015: 152). Dabei spielen äußere Gesetzmäßigkeiten ebenso eine Rolle wie milieuspezifische Deutungsmuster, die eben diesen ‚einen‘ Fall in besonderem Maße charakterisieren (Garz/Raven 2015: 152; vgl. auch Dörfler 2013a: 247ff). Somit handelt es sich um „realistische, nicht konstruierte, sondern rekonstruierte Modelle, die empirisch real operieren.“ (Oevermann 2000: 122).
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Exkurs: Deutungen der Unternehmensübernahme versus Deutungen der Interviewsituation – zur Konstruktion der Interviewsituation aus hermeneutischer Perspektive Die Interviewsituation stellt immer einen Aushandlungsprozess kommunikativer Wirklichkeitskonstruktion (vgl. Berger/Luckmann 1969/1987) zwischen Forscher und Erforschtem dar (vgl. Crang 2003: 494f; Wernet 2011: 4-5). Diese oftmals als ‚Verhaltenseffekte in der Interviewsituation‘ bezeichneten Dynamiken, so der oftmals vorgetragene paradigmatische Einwand, führe zu einer zu starken Beeinflussung der Forschungssituation durch den Forscher selbst (vgl. Crang 2003: 498f; zur Einordnung: Wernet 2011: 5). Die objektive Hermeneutik beschreitet hier konstitutionstheoretisch und methodologisch einen eigenen Weg, da sie die Interaktion explizit als Teil der sequenzanalytischen Auswertung begreift (vgl. Oevermann 2000: 1ff; exemplarisch: Oevermann 2001c). Folglich ist nicht nur die Antwort (des Forschungssubjekts), wie etwa üblich bei inhaltsanalytischen Verfahren (vgl. Mayring 2003; Gläser/Laudel 2004), Teil der Auswertung, sondern gleichermaßen die Fragestellung durch den Forscher (vgl. hierzu auch Wernet 2009: 11; 2011: 3-5). Die Antwort ist dabei als objektiv ‚gültige‘ Reaktion auf die Frage zu verstehen, geht es der Sequenzanalyse doch um die latenten Handlungsmotive, d. h. hier der Rekonstruktion der Antwortstrategien auf einen Stimulus, nämlich die Frage (vgl. Oevermann 2013: 70ff). Insofern bestreitet die objektive Hermeneutik diese Effekte erst gar nicht, sondern betrachtet sie als notwendigen Teil der Auswertungslogik, da dem Forscher die ‚Wirklichkeit‘ des Erforschten ohnehin nur auf der Basis des eigenen (sozialisierten) Regelsystems zugänglich ist (vgl. Oevermann 1993: 107: „Warum Subjektivität?“; sowie Oevermann 2013: 70; für die Geographie vgl. Rothfuß/Dörfler 2013). Ein subjektives Meinen ist außerhalb universell gültiger ‚objektiver‘ Bedeutungsstrukturen prinzipiell nicht möglich, d. h. jedes Handeln ist regelgeleitet und damit intentional (Oevermann 1993: 112ff; sowie: Arnold 1983: 893ff; Wernet 2011: 3-4). Die Frage nach dem Gütekriterium wissenschaftlicher Objektivität ist damit zugleich beantwortet: Der Forscher kann nur (subjektiver wie objektiver) Teil des Forschungsprozesses sein, da er sonst den Sinn des Gesagten gar nicht erst erschließen könnte (Oevermann 1993: 112f; 2002: 20-22). Die objektive Hermeneutik trägt diesem zentralen erkenntnistheoretischen Umstand Rechnung, indem sie das Kriterium der Objektivität in den Rang einer Auswertungssystematik erhebt (vgl. Oevermann 1973; 2001a/b: 2013: 75ff; Soeffner 2005: 165).
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6.3.3 Zur Einordnung empirischer Ausreißer und deren Bedeutung für die Deutungsmusteranalyse: Begründung eines most-different-Case-Designs Geht es, wie im hiesigen Untersuchungsfall, um Erfahrungen, Bewertungen und grundlegende Deutungen im Hinblick auf eine spezifische Konstellation (hier: ausländische Investoren/deutsche Führungskräfte), so ist eben aufgrund dieser multifaktoriellen Ausgangssituation eine gewisse Breite an Deutungs- und Askriptionslogiken zu erwarten (vgl. hierzu: von Alemann 2015). Dabei zeichnet sich vor allem das untersuchte Material der BRIC-Konstellationen in einigen Fällen auch durch teilweise sehr extreme Ansichten gegenüber den ausländischen Investoren aus (ausführlich: Kap. 7). Zentral für das hier durchgeführte Analyseverfahren ist, dass die inhaltliche Ebene des Materials stets auf die darunter liegenden latenten Strukturen und Deutungsmechanismen verweist (exemplarisch: Oevermann 2001c; 2002: 1-4). Zeigt sich eine extreme Position gegenüber etwas oder jemandem, so ist dies mit den darunter liegenden Deutungen abzugleichen, um das allgemeine Movens zu identifizieren. So zeigt sich im Material, dass zwar durchaus unterschiedlich ‚starke‘ Bewertungen gegenüber einem Sachverhalt existieren, diese jedoch auf dasselbe Deutungsmuster verweisen. Dem methodischen Vorgehen dieser Untersuchung liegen insgesamt 16 Einzelfälle/Unternehmen (= 17 Einzelinterviews/Führungskräfte, davon neun BRICÜbernahmefälle und sieben westliche Investoren, davon wiederum sechs Private Equity-Übernahmen und ein Produktunternehmen) zugrunde. Die Begründung dieses Vorgehens liegt in dem sehr fragmentierten M&A-Markt, dem je unterschiedliche Handlungsmotive, Erscheinungsformen und Unternehmenskonstellationen innewohnen. Zwar wurde im Rahmen der vorliegenden Untersuchung keine repräsentative Auswahl im statistischen Sinne durchgeführt (z. B. über Datenbanken), jedoch geschah die Auswahl der Unternehmen und Führungskräfte absichtsvoll im Hinblick auf ex ante definierte Kriterien (Abb. 24). Gegenstand dieser Auswahl war es, sowohl BRIC-Investorenkonstellationen als auch westliche Private EquityEignerstrukturen als zwei sich in ihren Strukturbedingungen (vgl. Oevermann 2001c) unterscheidende Strukturen zu untersuchen (Kap. 7; zur theoretischen Einordnung vgl. Kap. 5). Das theoretische Kriterium ist die Ausdeutung der Fallstrukturhypothese selbst (vgl. Oevermann 2001c; Wernet 2009: 16-18), die dann als erreicht gilt, wenn die Hinzunahme weiterer Fälle die Fallstrukturhypothese nicht mehr signifikant auszudifferenzieren zu vermag (Oevermann 2000: 128f; Wernet 2009: 16/17). Eine selektive Nacherhebung (etwa zwölf Monate nach der ersten Erhebungsphase 2014/fünf Unternehmen) diente dazu, die erhobenen Ergebnisse und bereits durchgeführte Fallstrukturrekonstruktion zu validieren (hier: fünf Unternehmen), eventuell zu revidieren und inhaltslogisch zu konkretisieren (Kap. 7.10).
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Dabei spielt im Sinne einer prozessualen Perspektive auf das Übernahmegeschehen, aber auch im Hinblick auf die deutschen Unternehmen, eine Entwicklungsperspektive die zentrale Rolle, also was sich in einem Jahr nach der ersten Befragung in den Unternehmen, in den Kooperationsmustern und in den basalen Strukturdeutungen der Führungskräfte entwickelt und möglicherweise verändert hat (vgl. Kap 3: Dynamik von Deutungsmustern). Oevermann schlägt im Hinblick auf die Einzelstrukturrekonstruktionen die Methode der maximal kontrastierenden Fälle vor: Beginnend mit den empirischen Ausreißern, also jenen Cases, die empirische Extremstellen darstellen, werden ähnlich einem konzentrischen Kreis alle Fälle analysiert, deren Sequenzen ‚dazwischen‘ liegen. Die Fallstrukturhypothese wird so zunehmend verfeinert und bestenfalls nur noch validiert (vgl. Oevermann 2002: 18ff; Garz/Raven 2015: 151). Die tatsächliche Analyse des erhobenen Interviewmaterials folgte demnach der Logik eines most-different-Case-Designs (vgl. Dörfler 2013: 253f), bei welchem die beiden untersuchten Investorenstrukturen (= BRICEigner versus Private Equity) ex ante danach sortiert und ausgewertet wurden, in welcher Intensität die Deutungs- und Askriptionslogiken der deutschen Führungskräfte jeweils aktiviert und mobilisiert wurden (vgl. Fuchs/Schalljo 2016). Beginnend bei den jeweiligen Extrempositionen (z. B. stark resistente Haltungen) werden sich diametral gegenüber stehende Positionen in einer konzentrischen Vorgehensweise abgeglichen und ausgewertet, was methodologisch zu einer Präzisierung der Fallstrukturhypothese (Oevermann 2001c) führt. Die Darstellung von Einzelfällen in den empirischen Kapiteln erfolgt nach dieser Logik: Die allgemeinen Deutungsstrukturen, latente Motive und langfristige Deutungsmuster („Strukturverdichtungen“; Matthiesen 1994: 80) werden identifiziert und mit Hilfe weiterer Passagen präzisiert, verfeinert und in den Kontext der Untersuchungsfragen eingeordnet. Die Auswahl der Beispiele ist, auch aus Platzgründen, zwangsläufig selektiv, wobei stets die allgemeine Fallstruktur und deren latente Motive im Zentrum der Darstellung stehen, also jene Deutungslogiken, die sich fallübergreifend in unterschiedlicher Intensität rekonstruieren ließen und elementar für das Verständnis des gewählten Untersuchungsbereichs sind (vgl. dazu auch Oevermann 2001c).
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Deutungsmuster von deutschen Führungskräften bei Unternehmensübernahmen durch ausländische Investoren Nähe- und Distanzproduktionen in den Investorenkonstellationen in struktur- und deutungsvergleichender Perspektive
7.1 VON DER THEORIE ZUR EMPIRIE: ÜBERSICHT UND VORGEHENSWEISE IN DER EMPIRISCHEN DARSTELLUNG – NÄHE- UND DISTANZPRODUKTIONEN AUS DEUTUNGSMUSTERPERSPEKTIVE Die Darstellung der empirischen Ergebnisse erfolgt in Anlehnung an die in den Kapiteln 4 und 5 erarbeiteten theoretisch-konzeptionellen Bezüge zu den wirtschaftsgeographischen Debatten und den Diskussionen in der M&A-Literatur. Im Vordergrund der Argumentation steht die Produktion von Nähe und Distanz in den beiden untersuchten Investorenkonstellationen. Dabei soll vor allem die Frage beantwortet werden, wann und in welcher Intensität Deutungsmuster von Annäherung und Distanzierung in den jeweiligen Investorenkonstellationen selektiv mobilisiert und so handlungswirksam werden (vgl. Fuchs/Schalljo 2016). Entsprechend der Diskussionen in den Kapiteln 4 und 5 stehen dabei auch Wissensasymmetrien und Lernprozesse (z. B. Synergien) als Determinanten der Nähe- und Distanzproduktion im Fokus. Die untersuchten Deutungsmuster steuern die Art und Weise, wie die ausländischen Investoren bewertet werden und somit auch die Produktion von Nähe und Distanz in den jeweiligen Investorenkonstellationen. Nähe- und Distanzaskriptionen im „interspace“ (Fuchs et al. 2017a: 3) der Unternehmen lassen sich übersetzen in
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grundlegende Deutungsmechanismen und kulturelle Zuweisungen (ausführlich: Kap. 5). Die im theoretischen Unterbau der Untersuchung diskutierten Debatten über Wissens- und Lernprozesse, Tacit Knowledge, institutionelle Settings und soziokulturelle Askriptionsmuster bieten theoretische Ausgangspunkte der vertieften Analyse von raumindizierten Nähe- und Distanzzuweisungen aus der Sichtweise der deutschen Führungskräfte. Dem sprachlichen Othering als Ausdrucksform symbolischer Distanzierung liegen stets immanente Kategorien und latente Bedeutungskonstruktionen zugrunde, die in ihrer Struktur und Dynamik auch auf raum- und milieubezogene Prozesse verweisen (z. B. verweist die professionsethische Haltung der deutschen Führungskräfte gegenüber den ausländischen Investoren deutungslogisch gleichermaßen auf die Kategorie des Tacit Knowledge im Sinne einer wissensbezogenen und -basierten Differenzdeutung). Die Vergleichsgruppe der Private Equity-Investoren dient argumentations- und darstellungslogisch immer zugleich als Referenzpunkt im Hinblick auf die Aktivierung von Deutungs- und Askriptionsmustern von Nähe und Distanz in den BRICEignerstrukturen (vgl. Fuchs/Schalljo 2016). Diese rekonstruierten Strukturmuster zeigen sich in den BRIC-Konstellationen ungleich stärker, so dass der Fokus der Darstellung vor allem auf dieser Investorenstruktur liegt. Dennoch sollen mit Hilfe der Vergleichsgruppe der Private Equity-Investoren auch Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Dynamik von Deutungsmustern herausgearbeitet werden. Die ausgewerteten Zitate stellen explizit keine selektiven Plausibilisierungen dar (vgl. Oevermann 2013: 70f), sondern dienen der Rekonstruktion und Begründung der allgemeinen Fallstruktur (exemplarisch: Oevermann 2001c). Dabei werden die in den Auswertungsgruppen (Kap. 6) rekonstruierten Kernelemente der Interviews systematisch aufgegriffen und in den Argumentationskontext der Forschungsfragen eingebettet. Es handelt sich zwangsläufig um eine verkürzte Darstellung der wesentlich umfangreicheren und abschnittsweisen Auswertung, nicht aber um eine selektive im Hinblick auf die allgemeine Fallstruktur (vgl. Oevermann 2001c). Entsprechend dieses theoretisch-konzeptionellen Rahmens (Kap. 4 u. 5) gliedert sich der empirische Teil der Arbeit in folgende Abschnitte (für eine Übersicht vgl. Abb. 26): Im Sinne des objektiv-hermeneutischen Kontextwissens (Kap. 6) steht als Ausgangspunkt der Argumentation zunächst die ökonomische Situation der deutschen Unternehmen im Zentrum der Betrachtung, dabei vor allem die Frage, wie diese Darstellung und Positionierung durch die deutschen Führungskräfte selbst die Struktur der Wirklichkeitsaushandlung determiniert (Kap. 7.2). Im zweiten Schritt soll dann, auch zum Zwecke der präzisen Explikation der Methode, ein detailliertes Auswertungsbeispiel die Dynamik der Distanzierungsmechanismen gegenüber den BRIC-Eignern erläutern (Kap. 7.3). Dies geschieht aus zwei Gründen: Erstens lassen sich an diesem Auswertungsbeispiel zahlreiche weitere Argumentationsmuster und Deutungslogiken ausmachen, die nachfolgend dann weiter beispielhaft expli-
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ziert werden. Zweitens lässt es die Detailliertheit des Analyseverfahrens darstellungslogisch nicht zu, jedes analysierte „Strukturproblem“ (Oevermann 2001c) ausführlich zu explizieren, so dass die nachfolgenden Auswertungen und Beispiele zugleich verkürzte Darstellungen der objektiv-hermeneutischen Rekonstruktion sind (ausführlich: Kap. 6). Dabei sollen auch Raumbezüge und räumliche Denkrahmen in den Deutungsmustern der Führungskräfte aufgezeigt werden. Abbildung 26: Übersicht und Vorgehensweise in der empirischen Darstellung: Nähe- und Distanzproduktionen aus Deutungsmusterperspektive
Nachfolgend sollen dann jene Deutungs- und Handlungsmuster identifiziert und rekonstruiert werden, welche die Dynamik des Untersuchungsmaterials und der Fälle
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im Gesamten motivieren. Dies umfasst sowohl die Rekonstruktion strukturkonservativer Deutungslogiken auf der Grundlage impliziter Wissensformen über Prozessabläufe in den deutschen Unternehmen (Kap. 7.4) als auch die Positionierung und Selbstwahrnehmung der deutschen Führungskräfte im Hinblick auf Machtstrukturen und Autonomiebestrebungen nach der Übernahme des Unternehmens (Kap. 7.5). Gegenstand der weiteren Vertiefung der Erkenntnisperspektive auf die Produktion von Nähe und Distanz in den Eignerstrukturen ist auch die selektive Analyse von Metaphern und Sprachbildern als Teil der semantischen Argumentationslogik der Führungskräfte (Kap. 7.6). Diese strukturvergleichende Perspektive (vgl. Vogelpohl 2013: 74f) auf die selektive Aktivierung von Deutungsmustern mündet in einer expliziten Gegenüberstellung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Deutungslogiken in den jeweiligen Investorenstrukturen (Kap. 7.7; vgl. Fuchs/Schalljo 2016). Hier sollen vor allem Besonderheiten der beiden untersuchten Strukturen im Zentrum der Betrachtung stehen. Im Kapitel 7.8 werden dann Phasen der Unternehmensübernahme aus Deutungsmusterperspektive betrachtet, um so näherungsweise die Dynamik der Mechanismen von Annäherung und Distanzierung nachvollziehen zu können. Als letzter inhaltlicher Analysepunkt sollen dann die spezifischen Askriptionsmuster von Kultur im Fokus stehen. Wie wird die kulturelle Differenzerfahrung in den Sichtweisen der deutschen Führungskräfte schematisiert? Dabei werden vor allem empirische Evidenzen in den soziokulturellen Askriptionsmustern der deutschen Führungskräfte aufgespürt werden, welche die krisenhaften Tendenzen in der Kooperation mit den ausländischen Investoren zu begründen vermögen (Kap. 7.9). Die Ergebnisdarstellung schließt mit einer empirischen Nachlese (Kap. 7.10), erhoben etwa zwölf Monate nach der Haupterhebung, zur Verifizierung und Konkretisierung der allgemeinen Fallstrukturhypothese (vgl. Oevermann 2001a/c; exemplarisch: Oevermann 2001c). Das Fazit der Untersuchung umfasst sowohl eine Zusammenfassung der zentralen Forschungsergebnisse (Kap. 8.1) als auch die Rekapitulation und Rückbettung der Befunde in die in Kapitel 4 und 5 diskutierten Debatten (Kap. 8.2). Im Vordergrund der Betrachtung soll dabei vor allem die Frage nach dem Mehrwert des Analyseverfahrens für die in den Kapiteln 4 und 5 diskutierten wirtschaftsgeographischen Debatten stehen. In Kapitel 9 erfolgt dann die Rückbettung in den übergeordneten theoretisch-konzeptionellen Kontext.
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7.2 ZUR EINBETTUNG IN DEN KONTEXT: DIE WIRTSCHAFTLICHE SITUATION DER DEUTSCHEN UNTERNEHMEN VOR DER UNTERNEHMENSÜBERNAHME Die wirtschaftliche Situation der befragten Unternehmen vor der Unternehmensübernahme wurde von den befragten deutschen Führungskräften in beiden Investorenstrukturen nahezu ausschließlich als positiv bewertet („Die wirtschaftliche Zeit 2010-2012 war die beste Zeit, die wir in XX1 hatten [...] Mit sehr guten Ergebnissen.“ EE1: 12). EE13 macht in dieser kurzen Passage zu Beginn der Unternehmensdarstellung (= Kontextwissen) deutlich, dass man das deutsche Unternehmen in einer äußerst positiven wirtschaftlichen Situation zum Verkauf hat anbieten wollen und können. Der propositionale Gehalt der Aussage kann hier als Ausgangspunkt einer Argumentation begriffen werden, die vor allem den Wert des deutschen Unternehmens in den Verhandlungen mit den ausländischen Investoren vor (= Kaufpreis) und nach (= Machtgefüge) der Unternehmensübernahme betont, was im weiteren Kontext dieses Interviews (und der anderen) argumentativ weiter ausgeführt und begründet wird (= Kontextbezug).4 Lediglich ein Unternehmen, übernommen von chinesischen Investoren, wurde aus einer Konkursmasse aufgekauft, konsolidiert und formal in den neuen chinesischen Mutterkonzern integriert und agiert nun als eigenständige operative Einheit unter chinesischer Führung. Die anderen untersuchten Unternehmen befanden sich
1
Der Unternehmensname wird aus Gründen der zugesicherten Anonymität hier wie auch
2
Die Zuordnung der wörtlichen Zitate wird hier anonymisiert durchgeführt, wobei mit der
im Verlaufe der gesamten empirischen Darstellung bewusst weggelassen. Abkürzung ‚EE‘ (= Emerging Economies) die BRIC-Eigner gemeint sind und mit der Abkürzung ‚PE‘ die Private Equity-Eignerstrukturen. 3
Im Verlaufe der empirischen Darstellung werden die Führungskräfte in Analogie zur Durchnummerierung der Interviewprotokolle (z. B. EE1–EE7) auch im Auswertungstext zumeist mit ‚EE‘ bzw. ‚PE‘ abgekürzt. Dies geschieht aus darstellungslogischen Gründen und dient der besseren Lesbarkeit in der Ergebnisdarstellung: Zum einen würde eine oftmalige Wiederholung des Terminus ‚Führungskraft‘ erhebliche Redundanzen produzieren, zum anderen müssten fortlaufend die jeweiligen Personal- und Possessivpronomina analog dazu angepasst werden, was die Lesbarkeit in den Rekonstruktionen beinträchtigen würde.
4
Es soll in dieser ersten kurzen Auswertungspassage nochmals wiederholt sein, dass die Darstellung der Ergebnisse auch im Hinblick auf die Summe aller durchgeführten Materialrekonstruktion zwangsläufig selektiv und konkretisiert auf die Forschungsfragen erfolgt (zur Kritik: Kap. 9).
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vor der Unternehmensübernahme durch den ausländischen Investor in den Jahren 2010 bis 2014, unabhängig von Herkunft und strategischem Ziel der neuen Investoren, in einer wirtschaftlich guten bis sehr guten Position. Zahlreiche der untersuchten Unternehmen sind dabei nach eigenen Recherchen innerhalb der letzten eineinhalb Dekaden im Besitz mehrerer Eigentümer, Unternehmen und/oder Investoren gewesen und weisen eine ökonomisch-finanziell durchaus wechselhafte Unternehmensgeschichte auf: Unabhängig von der jetzigen Eignerschaft befanden sich zahlreiche der untersuchten Unternehmen in regelmäßigen Weiterverkaufsphasen, wobei dies die Private Equity-Strukturen ebenso betrifft wie Produktunternehmen als Eigner (vgl. auch Scheuplein 2017; Abb. 18 in Kap. 5). Ein auffälliges Muster im untersuchten Sample ist die relativ hohe Zahl sogenannter ,Split-Offs‘ oder ,Buy-Outs‘ (vgl. dazu Kap. 5) von großen und traditionsreichen deutschen Großunternehmen und Industriekonzernen, die als wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Akteure die bundesdeutsche Industrielandschaft maßgeblich mitgeprägt haben (vgl. auch von Alemann 2015; Fuchs/Schalljo 2016: 21f), aber auch deren soziokulturelle und Askriptionslogik initial determinieren (vgl. die nachfolgenden Kap.). Es handelt sich um traditionsreiche deutsche Unternehmen, die für einen westlich-rheinisch geprägten Denk- und Wirtschaftsstil stehen, der sich vor allem im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im ökonomisch aufstrebenden Westdeutschland etabliert hat (vgl. Arena/Dangel-Hagnauer 2002; Müller 2007: 121ff; Weber 1972; Kap. 6). Der Mechanismus des Weiterverkaufs des/der Unternehmen(s) ist dabei gleichzeitig der Ansatzpunkt der vorliegenden Untersuchung, da die neue Kooperationsstruktur zumeist auch die Notwendigkeit zur Neuaushandlung kommunikativer Strukturen und Prozesse birgt, bei denen auch Askriptionen von soziokultureller Nähe- und Distanz als Determinante inkorporierter Handlungs- und Denkstrukturen verstärkt aktiviert und mobilisiert werden (vgl. dazu auch Fuchs et al. 2017a; Kap. 5). Die positive wirtschaftliche Situation der Unternehmen verwundert insofern nicht, als dass die BRIC-Investoren, dabei vor allem China, aber auch westliche Private Equity-Investoren, in den letzten Jahren verstärkt mittelständische Unternehmen mit positiver wirtschaftlicher Lage und guten Wachstumsaussichten aufkaufen (vgl. auch Golinski et al. 2013). Darunter befinden sich vor allem KnowHow-intensive Industrieunternehmen und einige sogenannte Hidden Champions, also Weltmarktführer in ihrem Produktsegment (vgl. Jungbluth 2013; Bollhorn et al. 2014; Franz et al. 2016). Die befragten Führungskräfte betonten in diesem Zusammenhang vor allem den Wert des deutschen Unternehmens als erfolgreiches, gut geführtes und „[ge]pflegt[es]“ (EE3: 4) Unternehmen mit langer Tradition und klaren Werte- und Zielvorstellungen. Der Terminus „[ge]pflegt“ (EE3: 4) erscheint dabei sprachlogisch im Kontext von Entscheidungs- und Verwaltungsprozessen im Unternehmen (= Kontextwissen) als äußerst ungewöhnlich. Der Begriff zielt dabei sowohl auf den Zustand einer Struktur (= gepflegt) als auch auf den Prozess des Pfle-
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gens selbst ab. In beiden Fällen verweist der Begriff auf den zentralen Kulminationspunkt der Argumentation: Die Strukturen im Unternehmen sollen ein Maß an „(ge)pflegte(r)“ Struktur aufzeigen, deren Hervorhebung EE3 in diesem Kontext als sehr wichtig erscheint. Offenbar zeigt sich bei EE3 ein erstes Indiz einer professionsethisch verankerten Vorstellung von ‚richtigen‘ Prozessen im deutschen Unternehmen, wobei sich für EE3 dabei gleichzeitig einer Form der Differenz zu einem fiktiven ‚Anderen‘ manifestiert (= Kontextbezug der Passage, vgl. die nachfolgenden Rekonstruktionen). Zentral für die Analyse der Deutungsmuster ist diese wirtschaftlich starke und eigenständige Position einerseits, andererseits offenbaren sich die wiederholenden Wertbezüge im Hinblick auf das geführte Unternehmen und der eigenen Leistungsfähigkeit im oben einführend skizzierten Sinne. Diese starke eigene Position vor der Übernahme, wie sie zumeist von den deutschen Führungskräften dargestellt wird, verweist nicht nur auf einige handlungsleitende Deutungsmuster der Führungskräfte, sondern auch auf die positive Ausgangsbasis der Verkaufs- und Übernahmeverhandlungen mit den neuen Investoren als bewusste argumentative Strategie der deutschen Führungskräfte (= Kontextbezug; vgl. Wernet 2009). Die deutschen Unternehmen positionieren sich in den grundlegenden Deutungsmustern als starke, wertbezogene Akteure, die im Sinne der Entwicklung des ‚eigenen‘ Unternehmens für neue Geldgeber im Sinne einer ökonomisch-kosmopolitischen Grundhaltung offen sind (vgl. Woodward et al. 2008), dabei aber deutlich die eigenen Handlungsstrategien betonen (ausführlicher: Phasen der Übernahme: Deutungsmuster in der Pre-Merger-Phase). Dabei spielt auch das räumlich verortete Deutungsmuster von der Qualität Made in Germany an zahlreichen Stellen der untersuchten Unternehmen eine zentrale Rolle. Gemeint ist nicht nur die spezifische Qualität der Produkte, sondern auch eine Form von tradiertem Management-Know-How, auf das sich die deutschen Führungskräfte im weiteren Verlauf der Argumentation oftmals beziehen (zur Einordnung vgl. Kap. 5 u. 6). Die Logik der initialen Argumentation folgt dabei einer normativen Offenheitssemantik und basalen Nähehaltung, innerhalb derer zunächst alle infrage kommenden Geldgeber für das deutsche Unternehmen prinzipiell willkommen sind. Diese Offenheitshaltung („wait-and-see“; EE1: 3) ist vor allem ökonomisch motiviert, wie die weitere Materialauswertung noch aufzeigen wird.
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7.3 ‚WIR‘ UND ‚DIE ANDEREN‘: SEQUENZANALYTISCHES AUSWERTUNGSBEISPIEL DER SEMANTISCHEN DISTANZIERUNGSLOGIKEN GEGENÜBER DEN BRIC-INVESTOREN ALS INITIALER AUSGANGSPUNKT DER ANALYSE VON NÄHE UND DISTANZASKRIPTIONEN Der rekonstruktionslogischen Analyse der latenten Askriptionen von Nähe und Distanz gegenüber den ausländischen Eignern soll an dieser Stelle der Argumentation zunächst ein detailliertes objektiv-hermeneutisches Analysebeispiel voranstehen. Dies geschieht aus zwei Gründen: • inhaltslogisch: Am nachfolgenden Beispiel lassen sich gleich mehrere für die all-
gemeine Fallstruktur (vgl. Oevermann 2001c) zentrale Strukturen und Mechanismen im Untersuchungsmaterial rekonstruieren, die sich wiederum in für das gesamte Material zentrale Analysekategorien übersetzen und hermeneutisch verdichten lassen (vgl. die nachfolgenden Kap. in Analogie zum theoretisch Unterbau in den Kap. 4 u. 5). Das Analysebeispiel zeigt dabei, rekonstruktionslogisch gesprochen, zentrale Strukturen der hermeneutischen Momentaufnahme, die auf weitere für das Verständnis der allgemeinen Fallstruktur zentrale Dynamiken verweisen. • darstellungslogisch: Die Detailliertheit der objektiv-hermeneutischen Auswertungsmethodologie (Kap. 6) lässt eine umfassende Darstellung aller für den vorliegenden Untersuchungsbereich erhobenen Strukturrekonstruktionen nicht zu, so dass in der Folge, ausgehend von diesem ersten Analysebeispiel, zwangsläufig mit verkürzten Interpretationsdarstellungen gearbeitet werden muss. Dabei verweisen die weiteren Zitate und deren Auswertung jedoch auf die Analyse einer allgemeinen Fallstrukturhypothese für die jeweiligen Praktiken von Annäherung und Distanzierung in den untersuchten Investorenstrukturen. Hermeneutisch analysiert kommt der Argumentationsstruktur und -dynamik des sprachlichen Othering (vgl. Cranston 2016), also dem bewussten semantischen Ausgrenzen von Akteuren und/oder Gruppen im Sinne von soziokulturellen Distanzierungspraktiken, im untersuchten Material eine herausragende Bedeutung zu. Die nachfolgend detailliert analysierte Passage ist argumentationslogisch von zentraler Bedeutung für die Fallstruktur des untersuchten Materials der BRICEignerstrukturen. Der Sprachstil im nachfolgend detailliert ausgewerteten Beispiel verändert sich dabei beim deiktischen Narrativ (vgl. Mattissek 2007: 50) über die Erfahrungen „mit Chinesen“ (EE 3: 5) zum Teil sehr deutlich: Herrscht zuvor noch ein pragmatischer Stil zur seriösen Beantwortung der Forscherfragen vor (= Verhal-
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tenseffekt), wird die Semantik nun emotional, aufgewühlt und kritisch wertend im Hinblick auf das abgefragte Thema. Die bildhafte Sprache, die nun nicht mehr die Struktur der zumeist üblichen Frage-Antwort-Logik aufweist, sondern die einer kritischen Abrechnung, wird ergänzt durch deutliche semantische Abgrenzungslogiken in der Argumentationsführung der Führungskraft (= EE3). Auffällig und für die Schematisierung der BRIC-Investoren zentral ist die zumeist unspezifische und diffuse Personalisierung der Investoren mit unbestimmten Artikeln (z. B. ‚die‘ oder ‚denen‘). Namentliche Erwähnung finden die Inhaber aus den BRIC-Staaten in den seltensten Fällen und auch nur, wenn ex ante ein persönlicher, zumeist pfadabhängiger Kontakt mit den Investoren bestand, etwa durch vorherige Geschäftsbeziehungen. Semantisch zeigt sich dieses bekannte Phänomen der bewussten Abgrenzung (= Othering) in einer quasi-binären Wirklichkeitsschematisierung: hier, auf Seite der deutschen Führungskräfte diejenigen, deren Handeln als korrekt gewertet wird; dort, ‚die Anderen‘, die sprachlich als „Fremdkörper“ (EE10: 9) im deutschen Unternehmen konstruiert werden. Sequenzanalytisches Auswertungsbeispiel zur semantischen Distanzierungslogik gegenüber den BRIC-Eignern Einbettung in den Kontext: Das Unternehmen wurde, nachdem es über einige Jahre im Besitz eines Private Equity-Konsortiums war, von chinesischen Investoren aufgekauft. Nach etwa vier Seiten Transkriptionsmaterial, in denen es zum überwiegenden Teil über formale Aspekte der Übernahme, den eigenen beruflichen Werdegang und die quantitative Entwicklung des Unternehmens geht (= Unternehmenskennzahlen wie Umsatz und/oder Gewinn), wird vom Befrager der narrative Stimulus auf einen Erfahrungsabgleich gerichtet, wie sich die Sichtweisen auf den chinesischen Investor im Laufe der Übernahme verändert haben. Die befragte Führungskraft sichert sich dabei zunächst vollständige Anonymität zu, was initial darauf schließen lässt, dass nun unternehmens- und erfahrungsspezifische Details Gegenstand der narrativen Rückbetrachtung sind. Es kommt zur folgenden Sequenz5 der befragten Führungskraft (EE3), eingebettet in einen längeren Monolog:
5
Die Sequenzanalyse ist von ihrer Spezifik, das heißt Genauigkeit, durchaus variabel handzuhaben. In den Auswertungssitzungen wurde gerade im Hinblick auf die Eröffnungssequenz durchaus Wort für Wort sequenzanalytisch gearbeitet. Eine derart umfassende Analyse der vorliegenden Sequenz wird hier aus platzökomischen Gründen ausgespart, zugunsten einer inhaltslogisch begründeten. Dem geschulten Sequenzanalytiker würden in dieser Sequenz gleichwohl zahlreiche weitere sprachliche Erscheinungen, die auf eine latente Strukturlogik verweisen, auffallen (vgl. hierzu v. a. Oevermann 2002: 14). Gleichwohl darf bei einer solchen Explikation nicht in Kategorien wie ‚richtig‘ oder
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„Es ist also nicht so, wie man sich vorstellt, und das ist also, das ist für ein Management, für ein deutsches Management, was eben bestimmte, ja sag ich mal, Entscheidungsprozesse kennt und sie auch selber pflegt, und selber so gebildet ist, in der Form, oder wie unsere Kultur eben ist, ist eine Zumutung teilweise.“ (so eine Führungskraft in einer BRICEignerstruktur; EE3: 4).
EE3 beginnt seine Ausführung mit einem propositionalen Aussagesatz, der mit einem unbestimmten, pronominalen „es“ beginnt, was inhaltlich noch weiter expliziert werden muss. Diese initiale Eröffnungssequenz erscheint in diesem Kontext als eine Form der allgemein-subsumierenden Referenz auf einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt, über welchen EE3 nun berichten wird. „Es“ ist nicht nur unbestimmt, sondern verweist gleichermaßen auf einen Sachverhalt in Gänze (= Lesart: alles ist nicht so wie es erscheint). EE3 fährt, offenbar in der Gewissheit der ihm zugesicherten Anonymität, fort und bricht mit einem „nicht so“ eindeutig mit seiner zuvor positiven, einer gegenseitigen Vergewisserung und Konsensorientierung bezogenen Semantik zugunsten einer klaren Verneinungsstrategie im Hinblick auf den noch zu explizierenden Sachverhalt. „...so, wie man sich vorstellt, ...“, präsupponiert durch ein sich gegenseitig versicherndes „man“ eine sich ex ante-rechtfertigende Argumentationsstruktur: EE3 nimmt damit implizit vorweg, dass der Zuhörer den zu explizierenden Sachverhalt genau so oder zumindest ähnlich bewertet. Die Präsupposition „sich vorstellt“ untermauert die Lesart von einer offensichtlich allgemeintypischen Ansicht gegenüber dem noch zu explizierenden Sachverhalt im Sinne eines grundlegenden Deutungsmusters. Die initiale Sprachkonstruktion beginnt demnach mit einer diffusen Verneinung einer Situation, die sich imaginär auch der Interviewer würde vorstellen können oder durch ein offensichtlich gemeinsames Vorwissen ‚abgesichert‘ ist. Der Terminus „man“ verdeutlicht in diesem Kontext, dass EE3 davon ausgeht, der/die Interviewer schätze den noch zu explizierenden Sachverhalt ähnlich ein im Sinne einer Common Sense-Deutungslogik. „...und das ist also, ...“ ergänzt und wiederholt den illokativen Teil der Sprechhandlung, kündigt also den Vollzug einer Sprechhandlung an. Eine Lesart dieser für die sonst sehr strikte, pragmatische und grammatikalisch korrekte Sprache der Führungskraft ist die, dass der nun folgende Sachverhalt für EE3 nicht ‚unkritisch‘ im Hinblick auf die Darstellung und deren mögliche Folgen erscheint. Auch hier verändern sich die semantischen Struktureigenschaften der Sprache von EE3, was die Lesart eines ‚nicht unproblematischen‘ Sachverhalts weiter zuspitzt.
‚falsch‘ gedacht werden; vielmehr geht es um die Rekonstruktion der Deutungs- und Handlungsmuster, die dem Material argumentationslogisch ‚innewohnen‘ und dessen Strukturlogik definieren (vgl. Oevermann 2001a/b; Dörfler 2013a).
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„...das ist für ein Management, ...“. Diese pragmatisch zu deutende Äußerung von EE3 enthält wiederum zwei interessante Komponenten: zum einen der nach wie vor diffuse Entwurf eines hypothetischen Verstoßes gegen einen noch zu explizierenden Sachverhalt „das“; zum anderen, und hier wird es auf Deutungsmusterebene, auch im Hinblick auf die Samplestruktur im Gesamten sehr interessant, präsupponiert die Aussage „für ein Management“ die identitäre, aber nicht nachweisbare Konstruktion einer spezifischen professionstheoretischen Erwartungshaltung an eine deutsche Führungskraft oder an die Führung eines Unternehmens im Allgemeinen. EE3 konkretisiert diese Aussage dem Interviewer gegenüber nicht weiter, so dass davon auszugehen ist (= vorläufige Fallstrukturhypothese), dass er die Arbeitsweise und Denklogik „eines Managements“ für einen allgemeinen Common Sense in dieser Struktur erachtet (siehe auch das „man“ zuvor). EE3 selbst sieht sich zweifelsohne als Teil dieses Managements und positioniert sich damit argumentationslogisch deutlich gegenüber dem noch zu explizierenden Anderen. EE3 referenziert seine nun folgenden Aussagen offensichtlich auf den Verstoß gegen (immer noch diffuse) Vorstellungen, wie ein ‚richtiges‘ Management zu funktionieren habe und offenbart dabei grundlegende Deutungen über die eigene Professionsvorstellung. „...für ein deutsches Management, ...“ bedeutet in diesem Kontext nicht nur eine auffällige sprachliche Wiederholung, untypisch im Hinblick auf den sonstigen Sprachgebrauch von EE3, sondern überdies die hier zentrale Zuspitzung auf das Adjektiv ‚deutsch‘. Hier deutet sich eine erste, wenngleich nach wie vor diffuse und präsuppotionale Referenz auf den entscheidenden Bezugspunkt der eigenen Argumentation, an: eine offensichtlich selbst wahrgenommene und nicht näher explizierte (dies erachtet EE3 nicht einmal als notwendig!) Professionsethik im deutschen Management, als deren ‚Anhänger‘ EE3 sich argumentationslogisch eindeutig positioniert. „...was eben bestimmte, ...“, hier konkretisiert EE3, wenn auch nach wie vor diffus, dass der Sachverhalt, wenn auch nicht erläutert, dennoch ‚bestimmt‘ ist, also zu definieren und zu konkretisieren ist. Dies passt in die Fallstruktur einer spezifischen Professionsethik, auf die sich EE3 bezieht, da eine ‚Bestimmung‘ dieser Aspekte, nicht nur durch ihn selbst, prinzipiell als möglich erscheint und deren Faktoren allgemein ‚bekannt‘ sind. EE3 stellt somit einen sprachlichen Konnex zu allgemein gängigen Ausdrucksformen im deutschen Management her, die für ihn selbst als eine Selbstverständlichkeit im Sinne eines allgemeinen Common Sense erscheinen. „...ja sag ich mal, ...“ – erscheint hier als typische rhetorische Gestaltung einer mündlichen Darlegung, welche die Explikation eines Sachverhalts, der so, aber auch anders sein könnte, in Form eines (oder mehrerer) Beispiels ankündigt. Gleichzeitig verdichtet sich hier die Lesart einer für die Argumentation nicht zwingend notwendigen Wiederholung zum Zwecke eines offenbar fortwährenden Versuchs der Selbstlegitimation des noch zu Sagenden. Im Hinblick auf Art und Inhalt des noch zu explizierenden Sachverhalts wirkt dieser sprachliche Einschub eher als
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eine Form der Abmilderung (‚man sagt es eben einfach mal‘). EE3 deutet damit sogleich an, dass der nachfolgend zu beschreibende Sachverhalt nicht einfach zu benennen ist, so dass hier sprachlich der Versuch einer Vereinfachung des zu schildernden Problems vorweggenommen wird. „...Entscheidungsprozesse kennt...“ – EE3 nimmt eine vorläufige und inhaltlich nach wie vor unspezifische Konkretisierung vor, worauf sich sein Anliegen (der Bruch mit den eigenen gewohnten Strukturen) nun konkret bezieht. Deutlich wird hier aber erstmalig, dass es sich um Entscheidungsprozesse (z. B. Strukturen, Organisation) handelt, vor allem aber, dass er diese „kennt“, also über das theoretische wie praktische Wissen verfügt oder vorgibt zu verfügen, wie diese normativ zu gestalten sind. Das eigene Wissen über diese Prozesse erscheint EE3 hier offensichtlich wiederum wichtiger als die Explikation von dessen konkreter inhaltlicher Ausgestaltung. Es bleibt demzufolge nach wie vor diffus, wie sich diese „Entscheidungsprozesse“ für EE3 nun konkret ausgestalten. „...und sie auch selber pflegt, und selber so gebildet ist, ...“ – erscheint hier als die für die allgemeine „Fallstrukturhypothese“ (vgl. Oevermann 2001c) der Distanzproduktion gegenüber dem ausländischen Investor als die zentrale Sequenz, weil sie nicht nur die vorherige Referenz auf ein bestimmtes Vorgehen (hier: „Entscheidungsprozesse“) herstellt, sondern auch, sprachpragmatisch analysiert, hochgradig auffällig ist: Entscheidungsprozesse können, sprachpragmatisch betrachtet, nicht „[ge]pflegt“ werden. Dieser sehr ungewöhnliche Terminus der ‚Pflege‘ von Prozessen, die er selbst offensichtlich betreibt, verweist auf eine Lesart, dass EE3 solche Prozesse sehr wichtig sind, so dass diese nicht nur eingehalten (dies wäre hier inhaltslogisch die wohl treffendere Bedeutung), sondern sogar gepflegt werden müssen. Untermauert und gleichermaßen verstärkt wird diese Lesart durch den ebenfalls kontextbezogen ungewöhnlichen Terminus der Bildung, der in seiner Referenz auf EE3 selbst („selber so gebildet ist“) fast schon einem humboldtschen Ideal gleicht, wie ‚richtige‘ Bildung auch in diesem Kontext auszusehen habe. Die Referenz, dass EE3 selbst so gebildet ist, lässt argumentationslogisch vermuten (= Lesart), dass ‚die Anderen‘ es offenbar nicht sind, jedenfalls in seiner professionsethischen Vorstellung, und dass dies der zentrale Gegenstand seines hier vorgetragenen Konflikts ist. Wichtig erscheint EE3 vor allem die ‚Pflege‘ dieser Strukturen und Prozesse, bei denen sich gleichsam ein Konflikt zu denjenigen andeutet, die gegen diese für ihn wichtigen Strukturen verstoßen. Die Verbkonstruktionen ,pflegen‘ und ,bilden‘ verdichten die allgemeine Fallstrukturhypothese einer spezifischen, wenn auch diffusen Professionsethik, die EE3 für sich (und das deutsche Management im Allgemeinen) diagnostiziert und reklamiert, aufgrund derer es hinsichtlich der chinesischen Investoren zu Problemen (hier noch nicht weiter expliziert) kommt. Die Wortwiederholung des Pronomens „selber“ ist gleichermaßen unbestimmt (nur er oder auch andere?), markiert aber deutlich die Sprachstrategie einer semantischen Abgrenzungslogik, da vom ‚Anderen‘ nicht einmal die Rede ist. Was
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genau EE3 missfällt, bleibt im Hinblick auf die chinesischen Investoren bei bloßen Andeutungen und somit vergleichsweise diffus. „...in der Form, ...“- auch hier bleibt EE3 sehr allgemein, von welcher „Form“ er denn spricht. Eine mögliche Lesart wäre hier, dass es sich um die konkrete Form handelt, wie die chinesischen Investoren (ihm gegenüber) auftreten. ,...oder wie unsere Kultur eben ist, ...‘ – für die allgemeine Fallstruktur ist diese Sequenz ebenso zentral wie die oben bereits thematisierte Sequenz über die Pflege und Bildung von Entscheidungsprozessen. EE3 referiert auch hier sehr unspezifisch auf Kultur, ohne diesen äußerst breit angelegten Terminus (ausführlich: Kap. 5.5) weiter zu konkretisieren. Wichtiger erscheint EE3, dass er Teil dieser Kultur ist, indem er sie als „unsere Kultur“ bezeichnet. Interessant ist auch, dass EE3 hier nicht etwa von einer Unternehmenskultur spricht, was inhaltslogisch zu erwarten wäre, sondern Kultur als eine umfassende Sozialisations- und Erscheinungsform begreift, gar als ein anzustrebendes Handlungsideal im Sinne einer strukturellen Überlegenheitsdeutung gegenüber dem ausländischen Eigner, was in diesem Zusammenhang durchaus bemerkenswert ist. Dies lässt die Lesart zu, dass EE3 die eigene Kultur (und vorher „Bildung“) zumindest als sehr wichtig für die hier zu bewältigenden Strukturen und Prozesse erachtet, verbunden mit der selbstreferenziellen Abgrenzung des „uns“. „...ist eine Zumutung teilweise.“ – EE3 beschließt seinen in jeder Hinsicht bemerkenswerten Satz mit der für eine Führungskraft (sonst eher pragmatischinhaltliche Sprachstrukturen) sehr drastischen Formulierung einer „Zumutung“. Hier wird, auch im Hinblick auf den weiteren Verlauf des Interviews (nicht Teil dieser Sequenzanalyse), deutlich, dass die Vorfälle in der Schematisierung von EE3 drastisch gewesen sein mussten und er diese aus der Sichtweise seiner professionsethischen Haltung auch so bewertet. EE3 verwendet, wie sonst eher üblich in diesem Kontext (= Verhaltenseffekte, mögliche Lesarten/Geschichten), keineswegs alternative und verharmlosende Umschreibungen, wie sie in anderen Interviews häufig anzutreffen sind (z. B. ‚problematisch‘), sondern wählt hier bewusst das Wort „Zumutung“, um sowohl die Größenordnung an Problemen mit den chinesischen Investoren anzudeuten als auch, und dies vor allem, um seine professionsethische Abneigung, gar Verachtung, gegenüber dem, was ihm offensichtlich widerfahren ist und seinen eigenen Sichtweisen und sozialisierten Strukturen in grober Weise missfällt, zum Ausdruck zu bringen. Verstärkt und im Hinblick auf die Fallstruktur verdichtet, wird diese Überlegung durch einen Blick auf die Satzkonstruktion von EE3: Sie ist nicht nur recht komplex und inhaltlich diffus, sondern thematisiert vor allem die eigene Professionsethik im Großteil des in sich verschlungenen Satzes, zugespitzt auf den Verstoß als den für ihn eigentlichen Befund, nämlich die Zumutungen der täglichen Kooperation.
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Einordnung und Rückbettung in den Kontext des Interviews: Die hier exemplarisch sehr umfassend ausgewertete Sequenz stellt für das Untersuchungsmaterial einen repräsentativen Ausgangspunkt der Analyse dar. Für die Analyse von EE3s sprachlicher Argumentation bildet die untersuchte Sequenz einen sprachlichen und inhaltslogischen Wendepunkt. Inhaltlich folgt ein mehrseitiger Monolog des EE3, indem sich deutliche semantische Abgrenzungslogiken zeigen, sowie Sprachstrategien, welche die professionsethische Haltung von EE3 gegenüber den Investoren sichtbar machen. Erscheint EE3s Sprache vor dieser Sequenz pragmatischinhaltsorientiert, so ändert sich auch sein Sprachstil deutlich in eine wesentlich lebendigere und bildhaftere Semantik. 7.3.1 Erste Einordnung in die Fallstruktur der allgemeinen Distanzierungslogiken gegenüber den BRIC-Eignern Auch wenn die Analyse von EE3 im Vergleich zu den anderen Interviews eher als empirischer Ausreißer erscheint (vgl. dazu Kap. 6.3.3), so finden sich dennoch auf Deutungsmusterebene zentrale Parallelen und Strukturverallgemeinerungen, mit Hilfe derer die allgemeine Fallstruktur (vgl. Oevermann 2001c) der Managerdeutungen gegenüber den BRIC-Investoren verdichtet werden kann (vgl. dazu die nachfolgenden Auswertungen als Konkretisierung und Ausdifferenzierung der Fallstruktur). Auffällig ist dabei zunächst die strukturelle Gemeinsamkeit der Argumentationslogik der Interviews: Auf fallrekonstruktiver Ebene finden sich jeweils initiale Sequenzen einer neutralen bis positiven Haltung, also allgemeiner Offenheit gegenüber den ausländischen Investoren. Diese positive Darstellung des eigenen Falles, in Referenz zur negativen Allgemeindarstellung der chinesischen Investoren („Aber ich hab tendenziell die Angst, dass es so sein könnte.“; EE6: 18, angesprochen auf die Frage, ob es in den anderen BRIC-Eignerstrukturen zu negativen Ergebnissen des Mergers komme) verweist auf ein normatives Deutungsmuster, den eigenen Fall und das eigene Unternehmen dem Forscher gegenüber positiv darzustellen („Also ich würde das erstmal nicht über einen Kamm scheren. Ich kann natürlich nur von meinem Fall sprechen.“; PE5: 3/4, im Narrativ über den eigenen ‚positiven‘ Fall). Darüber hinaus zeigen sich hier typische Verhaltenseffekte, wie sie im Kontext ‚problematischer‘ Sachverhalte oftmals beobachtet werden können (vgl. dazu Crang 2003). Im weiteren Verlauf der Gespräche, auch indiziert durch sehr zielgerichtetes Nachfragen (ausführlich: Kap. 6), vor allem aber durch die methodisch tiefer angelegte Rekonstruktion der Handlungsmuster, zeigt sich ein wesentlich differenzierteres und problembezogeneres Bild in den Deutungsmustern der befragten Führungskräfte: Inhaltlich und organisatorisch erscheinen die Probleme mit den BRIC-Investoren im überwiegenden Teil der Interviews teilweise erheblich, so dass sich die anfängliche Offenheit als normatives Deutungsmuster in eine prob-
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lembezogene Betrachtung umwandelt. Entscheidend dafür ist jedoch die Überlegung, dass die Deutungsmuster der Führungskräfte bereits schon als basale Denkund Handlungsschablonen existieren und darüber hinaus auch als Gradmesser fungieren, an dessen professionsethischen Maßstäben die Investoren offenbar gemessen werden (vgl. dazu auch Fuchs/Schalljo 2016: 24ff). Sprachlich zeigen sich dabei deutliche Abgrenzungstendenzen gegenüber den beiden Investorengruppen, wie sie sich im oben angeführten drastischen Beispiel eines BRIC-Eigners bereits andeuten. So finden sich in nahezu allen Interviews fast ausschließlich deiktische Ausdrücke und Formulierungen, auch wenn diese bei den BRIC-Investoren ungleich deutlicher ausgeprägt sind (= Othering). Die nicht namentliche Erwähnung der Investoren verdichtet die Falldeutung eines, zumindest aus professionsethischer Sicht, „Fremdkörpers“ (EE10: 9) im deutschen Unternehmen, wobei die Logik der Argumentation, vor allem gegenüber den BRIC-Eignern, nur vordergründig auf eine Annäherung abzielt (vgl. das nachfolgende Kapitel). Auf Deutungsmusterebene zeigen sich dabei eher Tendenzen einer kritischen, sich abgrenzenden Haltung, vor allem gegenüber den BRIC-Investoren. Zurückzuführen ist dies im Wesentlichen auf zwei grundlegende Mechanismen (= erste Fallstrukturhypothese[n]): • auf die operative Handlungsfreiheit des deutschen Managements, dem durch die
BRIC-Investoren offenbar wesentlich mehr Handlungsspielräume eingeräumt werden, sowie • auf die grundlegende Deutung einer strukturellen Überlegenheit dem neuen Investor gegenüber, verbunden mit einer professionsethisch legitimierten (vgl. Weber 1972) Ausgrenzungs- und Distanzierungsstrategie und damit Fokussierung auf den eigenen tradierten Modus Operandi. Die Deutungsmuster offenbaren dabei erhebliche „Strukturprobleme“ (Oevermann 2001c) und Resistenzen in der tatsächlichen Kooperation mit dem neuen Investor, so dass hier die erste Fallstrukturhypothese einer ökonomisch motivierten Zweckehe herausgearbeitet werden kann (vgl. Fuchs/Schalljo 2017a: 9f). Diese Differenz zwischen latenter Erwartungshaltung des deutschen Managements einerseits und der Nichterfüllung der professionsethischen Strukturdeutungen seitens der neuen Investoren birgt auf Handlungsebene durchaus erhebliches Krisenpotenzial. Im Kontext der Private Equity-Übernahmen zeigen sich diese Deutungslogiken in ihrem basalen Strukturkern ebenfalls, werden jedoch fallspezifsch wesentlich weniger stark aktiviert und mobilisiert. Auffällig erscheinen dabei zwei Dynamiken in den Deutungsmustern der deutschen Führungskräfte: Die ebenfalls bemerkenswerten Bestrebungen nach operativer Handlungsautonomie in den deutschen Unternehmen. In das ‚Tagesgeschäft‘ wollen sich die deutschen Führungskräfte unter keinen Umständen „...reinreden“ lassen, „...weil dann sag ich auch: mach’s selber, ne.“ (PE3: 21), was auf die hier ebenfalls ausgeprägte Managerethik des Kreierens und Entwi-
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ckelns in den Unternehmen verweist (vgl. dazu auch von Alemann 2015: 173f). Innerhalb dieser Kooperationsstruktur zeigen sich diese Mechanismen einer latenten Distanzierung gegenüber den neuen Eignern, wenngleich diese im Kern vor allem auf die von den Führungskräften eingeforderte Handlungsautonomie verweisen. Diese sind jedoch deutlich schwächer ausgeprägt und beziehen sich weniger auf den Modus Operandi der faktischen Kooperation, wo sich vor allem eine Form der institutionellen Nähe (= zweitens) zwischen den deutschen Führungskräften und ausländischen Private Equity-Unternehmen abzeichnet (ausführlicher: Kap. 7.5.5). 7.3.2 Den BRIC-Investor draußen lassen: symbolische Raumproduktionen und raumbezogene Distanzierungspraktiken im Kontext der Unternehmensübernahmen Im hermeneutisch untersuchten Material finden sich an zahlreichen Stellen Ansatzpunkte für sprachliche Raumdeutungen und -produktionen der deutschen Führungskräfte, die neben ihrer inhaltslogisch-propositionalen Aussage auch explizite oder implizite räumliche Bezugnahmen beinhalten (ausführlich: Kap. 4). Diese räumlichen Bezugnahmen zeigen sich dabei im untersuchten Material auf zwei unterschiedlichen Ebenen: • Raum als deutungsspezifische Schematisierung, also als gedeutete Sphäre, die
durch die selektive Vorkonstitution der möglichen Handlungs-, Wahrnehmungsund Interaktionsmuster der Subjekte strukturiert wird (= Lebenswelt; Dörfler 2013b: 39). Gemeint ist jenes Wissen, das sich jenseits von abstrakten Begriffen (z. B. der „Containerraum“; vgl. Fuchs 2012: 74) in den handelnden Subjekten als erfahrungsgeleitete Deutungsschemata abgelagert hat (vgl. Dörfler 2013b: 39) und so auch handlungsleitend für ein spezifisches Milieu ist (vgl. Oevermann 2001b: 38-40). Die grundlegenden Deutungsmuster, anhand derer die deutschen Führungskräfte die ausländischen Investoren schematisieren, zeigen bewusste räumliche und raumbezogene Zuweisungen, die gleichermaßen Aufschluss geben über die alltäglichen Deutungs- und Askriptionslogiken der Führungskräfte gegenüber den ausländischen Investoren (vgl. dazu auch Mattissek 2007): „Europäer sind vielleicht durch die Erziehung kreativer als Asiaten. Asiaten werden ja sehr, [...] sehr disziplinarisch und alles, auch in der Schule so, ist mehr Drill und Lernen, Lernen, Lernen. [...] Amerikaner sind mehr Marketing.“ – so eine Führungskraft in einer BRIC-Eignerstruktur (EE5: 8).
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Die vorliegende Sequenz erscheint vor dem Hintergrund latenter kultureller Askriptionslogiken als hochgradig relevant für die allgemeine Fallstruktur der Deutungen gegenüber den BRIC-Investoren. Ohne die Passage sequenzanalytisch auszuwerten, erscheinen hier vor allem folgende Punkte als zentral: Die offensichtliche geographische Distanz zum Investor manifestiert sich sprachlogisch in bewussten Zuweisungslogiken der ‚Anderen‘ (vgl. dazu auch Felgenhauer 2007a/b). Dieses ‚Anderssein‘ als Zustandsbeschreibung einer bewussten Zuschreibung (= Askription) folgt vor allem erfahrungsweltlichen Deutungen und Stereotypen, wie sie deutungslogisch weit verbreitet sind („Amerikaner sind mehr Marketing.“ EE5: 8). Diese Askriptionen von räumlich anzutreffenden ‚Kulturen‘ und kulturellen Praktiken sind dabei verbunden mit impliziten räumlichen Bezugnahmen einer als typisch anzunehmenden Lebenspraxis (vgl. Kap. 4). Es zeigt sich, dass die Deutungs- und Askriptionslogiken der deutschen Führungskräfte einerseits selbst räumlich anzutreffen sind (im Milieu), andererseits aber auch typische Schematisierungselemente des sozialen Raums beinhalten (vgl. Fuchs 2012: 74ff). In jedem Falle zeigen sich, auch im angeführten Beispiel, grob schematisierte kulturelle Askriptionspraktiken mit impliziten räumlichen Bezugnahmen („Eine Entscheidungsvorbereitung in Europa ist eine ganz andere als in China.“ EE 6: 9). Diese Schematisierung verweist materialübergreifend (= binnenkommunizieren; vgl. Kap. 4) auf milieuspezifisch verortete Deutungen im deutschen Management, bei denen der ausländische Investor als räumlich ‚anders‘ gesehen wird (vgl. dazu auch Cranston 2016), was in der Folge der kommunikativen Neuaushandlung nach der Unternehmensübernahme gleichermaßen deren abgrenzende Begründungslogik determiniert. Raum erscheint dabei als „konjunktiver Erfahrungsraum“ (Bohnsack 1998: 120), dessen Konstitution ohne das relationale Milieu- und Schematisierungswissen nicht zu verstehen ist (Dörfler 2013b: 40; Dörfler 2013a: 246f). Gleichbedeutend sind auch die räumlich anzutreffenden Deutungsmuster nicht zu verstehen ohne direkte Bezugnahme auf dieses implizite Erfahrungswissen (vgl. Fuchs 2012: 71-73; Fuchs 2014), was vor allem für transkulturelle Forschung von zentraler Bedeutung erscheint (Kap. 5; zur Einordnung: Kap. 8.2). • Raum als konkrete Handlungspraxis, also diejenigen Deutungslogiken, die in all-
täglicher Praxis als sozial-konstruierte Platzierungsleistungen („spacing“; Löw 2001: 158ff) raumrelevantes Handeln leiten und zu faktischen räumlichen Implikationen führen (vgl. Dörfler 2013a: 247f; Kap. 4). Raumgestaltung erscheint dabei als Resultat einer basalen Deutungs- und Handlungspraxis. Auffällig ist im Untersuchungsmaterial vor allem die räumliche Trennung (= räumliche Distanz) zwischen den deutschen Führungskräften und den BRIC-Eignern, dies vor allem, um den Investor von operativen Unternehmensprozessen fernzuhalten:
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„Da sind wir völlig von abgekoppelt, sind also sozusagen ein eigenes Vorbild. [...] Die sitzen in Düsseldorf. Also ganz bewusst nicht auf dem Gelände.“ – so eine Führungskraft in einer BRIC-Eignerstruktur; EE9: 7).
Diese hermeneutisch hochgradig relevante Passage verdeutlich die immanente Deutungsproduktion von Distanz in der BRIC-Eignerstruktur: EE9 sieht sich und seine Kollegen als „völlig abgekoppelt“ von den chinesischen Eignern, was bezogen auf die Möglichkeit einer auf Synergien bedachten Kooperation zwischen den Unternehmen sequenzlogisch gesprochen als sehr drastisch erscheint. EE9 sieht die deutsche Managementstruktur dabei als „ein eigenes Vorbild“, bezogen auf das autonome und faktische operative Handeln im Unternehmen. Hier deutet sich die Lesart an, dass das eigene Handeln und die eigenen Abläufe im deutschen Unternehmen durchaus Vorbildcharakter aufweisen, auch für den ausländischen Eigner. „Die“ wiederum „sitzen in Düsseldorf“, „also ganz bewusst nicht auf dem Gelände“ (des Unternehmens), was inhaltslogisch zwar vor allem auf die Handlungsweisen des Investors selbst deutet, schließlich ist die Maßnahme offenkundig selbst gewählt, jedoch vermittelt diese deiktische und distanzierende Semantik, auch in räumlicher Perspektive, die Lesart einer bewussten und auch gewollten Distanzierung der ausländischen Investoren, die zwar die Abläufe im Unternehmen kennenlernen (= Kontextbezug), jedoch nach der Deutungslogik der Führungskraft operativ „abgekoppelt“ bleiben sollen. In der kurz analysierten Passage offenbart sich somit hinter der inhaltlich-manifesten Ebene (= der Investor tritt im Unternehmen wenig bis gar nicht auf) durchaus eine abgrenzende Logik und Distanzierungssemantik im basalen Raumverhalten. Das Auswertungsbeispiel zeigt anschaulich, dass zwar das deutsche Management weder in der Private Equity- noch in der BRIC-Konstellation die Entscheidungsmacht für die räumliche Organisation der Arbeitskooperation mit dem Investor hat (sondern formal eigentlich umgekehrt!), doch weist die Argumentationslogik darauf hin, dass die räumliche Distanzierung von den Führungskräften im Sinne der eigenen Handlungsautonomie als positiv gewertet wird und diese als soziale und organisatorische Distanz (vgl. Boschma 2005) durchaus zur Arbeitslogik einer strukturellen Handlungsautonomie der befragten Führungskräfte passt. Die geographische Distanz manifestiert dabei auch die organisationale Distanz (vgl. Boschma 2005; Brökel 2016; Kap. 4), weshalb das deutsche Management weitestgehend ohne Einflussnahme operativ agieren kann und dies zumindest im Moment auch so will (‚Tagesgeschäft‘). Unterstützt wird diese Fallstrukturhypothese durch den Gedanken, dass die deutschen Führungskräfte materialübergreifend selbst als das Agens der Raumgestaltung auftreten wollen, z. B. wenn es darum geht, dass keine chinesischen Fahnen vor dem Unternehmen platziert werden. Sind die operativen Prozesse des deutschen Unternehmens Gegenstand der Deutung, so zeigt sich ebenfalls die latente Motivlage, dass die deutschen Füh-
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rungskräfte selbst Organisator raumrelevanter Prozesse sein wollen, z. B. für die Organisation der Wertschöpfungskette. Gleichzeitig zeigt sich auf Seiten der deutschen Führungskräfte die implizite Erwartungshaltung gegenüber den asiatischen Investoren, sich an diese ‚westliche‘ Handlungs- und Denklogik anzupassen, wie sie von den Führungskräften als räumlich verorteter Common Sense managerialer Handlungswirklichkeit argumentiert wird (vgl. das nachfolgende Kap.; sowie: Müller 2007).
7.4 DEUTUNGSMUSTER VON KONTINUITÄT UND STRUKTURKONSERVATIVISMUS: ZUR LOGIK DES AUFRECHTERHALTENS BEWÄHRTER DENK- UND HANDLUNGSMUSTER DER DEUTSCHEN FÜHRUNGSKRÄFTE ALS AUSGANGSPUNKT RAUMBEZOGENER DISTANZIERUNGSPRAKTIKEN 7.4.1 Tradierte Management- und Wissensstrukturen (Tacit Knowledge) als Ausgangspunkt der Distanzierungspraxis gegenüber den ausländischen Investoren Zentral für die Analyse der Mechanismen kultureller Nähe- und Distanzproduktionen im deutschen Management, aber auch für die vor diesem Hintergrund vorgenommenen Deutungen und Bewertungen der ausländischen Investoren, sind die Deutungsmuster im Hinblick auf die eigene Profession sowie die damit verbundenen Handlungsausprägungen in den tatsächlichen Strukturen und Prozessen in den deutschen Unternehmen (Kap. 6). Dabei zeigen sich auf Deutungsmusterebene nicht nur deutliche Unterschiede in den Kooperationsstrukturen mit den jeweiligen Investorengruppen (= BRIC versus Private Equity), sondern auch fortlaufende Mechanismen der Distanzierung zu den BRIC-Investoren vor dem Hintergrund einer als überlegen gedeuteten Professionshaltung (vgl. das vorangegangene detaillierte Analysebeispiel). Grundlegend zeichnet sich im Kontext der Private Equity-Konstellationen das Bild einer vergleichbaren Deutungslogik zwischen Investoren und ausführendem Management im Sinne einer institutionellen Näheform ab (zur Einordnung: Kap. 4). Strukturen und Prozesse sind gerade in dieser Konstellation ex ante klar definiert. Augenscheinlich ist dennoch das Deutungsmuster der Handlungsautonomie auf Seiten der Führungskräfte. Die operative Gestaltungsfreiheit in der Umsetzung der strategischen Ziele (= Gewinn bei Exit) avanciert dabei zu einer der zentralen Determinanten für die Übernahme der Verantwortung in der Private EquityKonstellation (vgl. dazu Scheuplein 2013; 2017). Offensichtlich kommt dem mana-
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gerialen Handlungsspielraum auf der Grundlage der eigenen bewährten Denk- und Handlungsmuster auch hier eine zentrale handlungsrelevante Funktion zu. Die Führungskräfte offenbaren, entgegen bestehender Vertragskonstellationen, eine Denkstruktur des Strebens nach operativer Handlungsautonomie gegenüber den Private Equity-Eignern, um an den Prozessen im Unternehmen „gestalterisch teilzunehmen“ (EE10: 2). Wesentlich stärker jedoch zeigt sich diese Logik des Aufrechterhaltens tradierter Denkmuster im Kontext der BRIC-Eignerstrukturen: „.Also wir werden nichts, wir wollen keinen verindischen. Und im Endeffekt treten hier relativ wenig Inder auf, so dass es da gar keine Notwendigkeit gibt.“ - BRIC-Eignerstruktur (EE7: 9).
Die vorliegende Passage verdeutlicht aus objektiv-hermeneutischer Sicht die Bezugnahme von EE7 auf eine klare Differenzhaltung und -strategie gegenüber dem in diesem Fall indischen Investor. Die voranstehende Aussage „wir werden nichts“ zeigt dabei bereits die immanente Grundhaltung von EE7: Verändern soll sich nichts bzw. nicht viel. Im zweiten Teil seiner Ausführung konkretisiert EE7 den Sachverhalt mit dem Postulat, man wolle „keinen verindischen“. Diese Formulierung ist hermeneutisch gesehen gleich in zwei Punkten zentral für die weitere Analyse der Fallstruktur: a.) An der eigenen Struktur soll sich nichts ändern, was auf strukturkonservative Haltungen verweist, und b.) „verindischen“ zielt sprachlich offensichtlich auf eine Form von grobschematisiertem kulturellem Differenzmuster ab (ausführlich: Kap. 5), wobei hier nicht weiter expliziert wird, was genau „verindischen“ meint. Offenbar zeigt sich bei EE7 eine latente und nicht näher konkretisierbare Askriptionslogik von einer indischen Kultur, die deutlich von dem abweicht, was EE7 sich in dem Kontext des Unternehmens (= Kontextwissen) vorzustellen wünscht. Der Sachverhalt, dass „relativ wenig Inder“ tatsächlich erscheinen, scheint für EE7 positiv konnotiert zu sein, im Gegensatz zum „verindischen“ im Allgemeinen. Für ein Mehr (von beidem) sieht EE7 keine Notwendigkeit. Auffällig sind zudem die sich wiederholenden ‚Wir-Bezüge‘ in der Argumentationslogik des EE7. Offensichtlich ist die sich im Material abzeichnende Abgrenzungslogik gegenüber den Arbeitsweisen der BRIC-Investoren gleichbedeutend mit dem Abwälzen dieser kritisch-distanzierten Haltung auf das ‚Wir‘ einer Gruppe (die des jeweiligen deutschen Managements). Die ‚Anderen‘ kommen dabei kaum zur Geltung, was sich auch in den einseitigen Handlungsbezügen des ‚wir‘ im vorliegenden Beispiel initial aufzeigen lässt. Deutungslogisch referieren die Äußerungen und Bewertungen der ausländischen Investoren stets auf grundlegende Strukturdeutungen der Führungskräfte selbst: Wird etwa, wie im Fall der russischen und chinesischen Investoren, das Thema Hierarchien (auf operativer Ebene) kritisch betrachtet („In Russland ist man sehr hierarchie-, um nicht zu sagen obrigkeitsgetrieben, sehr hierarchiegetrieben.“ –
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EE1: 6), so beinhalten diese Argumentationen latent immer gleich zwei Aspekte: Erstens, inhaltlich, die offenbar fehlende Passgenauigkeit in der täglichen Kooperation mit den Investoren, wobei dies oftmals nur angedeutet wird, sich im Material jedoch eindeutigere Indizien für diese Problematik zeigen; zweitens, die Referenzdeutung auf die eigenen Handlungsstrukturen (= Eigenwahrnehmung; vgl. auch: von Alemann 2015: 159ff), die argumentationslogisch jeweils als positiv und gänzlich unkritisch dargestellt werden. Die Rekonstruktion der Deutungsmuster offenbart dabei, dass sich im deutschen Management klar definierte, wenn auch wenig präzisierte Handlungsstrukturen nachzeichnen lassen, innerhalb derer ein tradierter Bestand an (Prozess-)Wissen gleichermaßen der Ausgangspunkt der Distanzierungspraxis gegenüber den ausländischen Investoren ist. So deutet sich nicht nur die Eigenwahrnehmung überlegener Denk- und Handlungsstrukturen an, sondern auch das Beharren auf dem eigenen tradierten Wertesystem im Kontext der Übernahme: „...das russische Unternehmen sagt: ‚Wir haben die gekauft – die müssen tun, was wir sagen‘. Und ähm, wir sagen: ‚Die haben für uns bezahlt und wir sind etwas wert, und diesen Wert wollen wir auch entsprechend einbringen.‘ Und dieser Wert ist mehr als nur zu tun, was irgendjemand sagt.“ – so eine Führungskraft in einer russischen Investorenkonstellation (EE1: 6).
In dieser Passage offenbaren sich, über die inhaltslogische Argumentation dieses Abschnitts hinaus, gleich mehrere Denk- und Argumentationsmuster, die das untersuchte Material im Gesamten prägen. Abermals zeigt sich die deiktische Argumentationsstruktur und damit deutlich gegenüberstellende Abgrenzung zu den Eignern. Die Struktur der geschilderten Argumentation weist dabei weniger kooperative, also gemeinsame Motivlagen auf als vielmehr einen pragmatischen Austausch zwischen zwei de facto sich fremden Unternehmen. Die argumentative Bezugnahme auf den Plural eines „Wir“ verdeutlicht diese gemeinsame Haltung des deutschen Managements gegenüber den Investoren. Gleichbedeutend zeigen sich hier die Deutungen der Führungskräfte insofern bereits als handlungswirksam, da die latenten Motive des Othering offensichtlich schon zu gemeinsamen Positionen oder gar Handlungen geführt haben (vgl. hierzu v. a. Cranston 2016; Fuchs/Schalljo 2017a). Hochgradig relevant erscheint auch die direkte Bezugnahme zu ‚Werten‘, einem Terminus, der, wenn auch hier fachlich intendiert, doch auf eine übergeordnete moralische Geisteshaltung verweist. Die Haltung, aber auch die dahinter zu vermutenden fachlichen Fähigkeiten (= Skills, Know-How), werden hier als wichtig und elementar für den Erfolg des deutschen Unternehmens gedeutet, was auch die sich wiederholende sprachliche Verknüpfung von „Wir“ und „Wert“ bekräftigt (vgl. dazu das Kulturmodell von Schein (1985) in Kap. 5.5). Die Sequenz von eigenen Wertbezügen wird damit geschlossen, dass diese strukturell mehr sind als etwas fiktives Anderes, also prinzipiellen Charakter aufzeigen. Die Argumentation gipfelt
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schließlich in der referenziellen Bezugnahme auf „irgendjemand“, was im Zusammenhang von Werten schon eine deutliche Aussage darüber ist, in welchem Verhältnis sich die befragte Führungskraft offensichtlich zu dem russischen Eigner befindet und welche fehlende Wertschätzung dieser abermals deiktischen Formulierung zugrunde liegt. Hier zeigen sich semantische Abgrenzungslogiken ebenso wie ein offenbar inhaltlich auf das Nötigste (operative und strategische Aspekte) beschränkte Arbeitsverhältnis zum Investor. Von persönlichen Kontakten ist dabei zumeist (= Kontextwissen) ebenso wenig die Rede, wie in der Regel auch keine Personen namentlich erwähnt werden (als mögliches Indiz einer sozialen Näheform). Zentral für die Struktur der Managerdeutungen in diesem Kontext ist die strukturkonservative Haltung gegenüber dem Investor selbst, aber auch gegenüber Neuem im Allgemeinen. Vor allem im Kontext der BRIC-Übernahmen ist keineswegs die Rede von gemeinsamer Annäherung und gegenseitigem Lernen. Vielmehr wird der Wert der eigenen Qualitäten für das Unternehmen im Sinne einer als überlegen gedeuteten Professionsethik betont. Die sprachliche Wiederholung des Begriffes „Wert“ in der gesamten analysierten Sequenz ist dabei augenscheinlich: Offenbar möchte EE1 diesen Wert, der an dieser Stelle nicht weiter präzisiert wird, in besonderem Maße hervorheben. Verbunden mit der Sequenz „einbringen“ könnte hier die mögliche Lesart sein, dass es sich nicht um einen rein ökonomischen Wert handelt, sondern um strukturelle Qualitäten der erfolgreichen Führung des deutschen Unternehmens im professionsethischen Sinne. Dabei deutet sich ein weiterer Strukturkonflikt zwischen der juristischen Konstellation der ausländischen Eigentümerschaft und den ‚einheimischen‘ Autonomiebestrebungen (= Handlungsautonomie) auf der Grundlage der Deutung der eigenen fachlichen Überlegenheit an. Diese strukturkonservative Haltung der Führungskräfte umfasst zwei Ebenen: a.) die Ebene des Unternehmens, welches argumentationslogisch stets im Fokus der Argumentation steht (strategisches Eigeninteresse); und b.) den konkreten Modus Operandi der operativen Handlungsabläufe, bei dem entsprechend der Deutungen der deutschen Führungskräfte bestenfalls Strukturen so bleiben, wie sie immer (erfolgreich) waren, unabhängig davon, ob andere Strukturen diesen Erfolg potenziell maximieren könnten. Von einer dialogischen Denk- und Handlungsstruktur kann dabei, trotz des manifesten Postulats von (ökonomischen) Synergien, kaum die Rede sein. Wesentlich für die zentralen Fragestellungen dieser Untersuchung und die zugrundeliegenden theoretischen Überlegungen des Deutungsmusteransatzes ist hier die Feststellung, dass diese strukturkonservativen Deutungsmuster grundlegend in beiden Konstellationen vorzufinden sind, d. h. sie sind strukturell und latent in den Deutungslogiken der Führungskräfte verankert (vgl. dazu Oevermann 2001b: 3840). Problembezogen werden diese Mechanismen der Abgrenzung und Distanzierung jedoch in den BRIC-Konstellationen aufgrund der manifesten Handlungsprobleme (z. B. administrative Strukturen) wesentlich stärker aktiviert und mobilisiert
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(vgl. Fuchs/Schalljo 2016). Gleichermaßen zeigt sich in der Kooperation zwischen ausländischem Investor und einheimischem Management die geographische Komponente von räumlich und/oder milieuspezifisch anzutreffenden Deutungs- und Askriptionslogiken, die auch nach der Unternehmensübernahme stabil bleiben und somit eine typische Deutungs- und Handlungspraxis manifestieren (vgl. dazu Fuchs 2012: 74f; Fuchs/Schalljo 2016: 23-26). Institutionelle Nähe erscheint dabei vor allem im Kontext der Private EquityInvestoren aufgrund der vergleichbar sozialisierten Handlungsmuster als positiv. Interessanterweise erweist sich die kognitive (vgl. Si/Liefner 2014) und geographische Distanz gegenüber den BRIC-Investoren in der frühe Phase nach der Übernahme des Unternehmens eher als positiv im Hinblick auf den Geschäftserfolg der deutschen Unternehmen, da das deutsche Management operativ eigenständig agieren kann. Unklar bleibt in dieser Konstellation jedoch die Zukunftsperspektive: Kommt es auf Deutungsmusterebene eher zu einer Annäherung zwischen BRICEignern und deutschem Management oder zeichnen sich im Material krisenhafte Tendenzen ab, was die Kooperation anbelangt (vgl. dazu Kap. 7.8)? Offensichtlich kommt es bei den noch unerfahrenen BRIC-Investoren vor allem zu einer Adaption oder bestenfalls zu Adaptionsversuchen eines westlichen Managementstils (vgl. 7.4.4; zur Einordnung: Kap. 8.2). 7.4.2 Der Erfolg des deutschen Unternehmens als handlungsleitendes Distanzierungsmuster gegenüber den ausländischen Investoren Die normative Offenheitssemantik sowie der prinzipielle Anpassungspragmatismus der deutschen Führungskräfte an die neue Investorenkonstellation als initiale Annäherungspraxis (Kap. 7.8) werden vor allem im Kontext der langfristig orientierten strategischen Investoren aus den BRIC-Staaten konfrontiert mit der handlungsrelevanten Deutung vom Erfolg des deutschen Unternehmens selbst als dem zentralen latenten Movens der Argumentation (vgl. hierzu auch Fuchs/Schalljo 2016). Der Argumentationspraxis der Führungskräfte wohnt dabei ein Muster inne, bei welchem der ausländische Investor zwar ökonomisch willkommen ist, jedoch nur zu den Bedingungen der eigenen Handlungsstrukturen: „Der Wunsch-Eigentümer für uns sollte in einer Wachstumsregion liegen, in einer für uns relevanten Wachstumsregion.“ – so eine Führungskraft in einer BRIC-Eignerstruktur (EE10: 2).
In der sprachlich expliziten Äußerung eines Wunsches liegt gleichsam eine Erwartungshaltung des deutschen Managements in Hinblick auf die Investoren, die fallübergreifend bestätigt und konkretisiert wird. Die deutschen Unternehmen positio-
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nieren sich als starker Verhandlungspartner gegenüber den ausländischen Investoren und agieren gezielt mit ihrem Eigenwert, der nicht nur im faktischen Wert des Unternehmens liegt, sondern auch in verorteten Managementkapazitäten. Die Wiederholung des Begriffs ‚Wachstum‘ bekräftigt die fallübergreifende Lesart einer sehr grundlegenden Wachstumsdeutung als immanentes Grundhandlungsproblem (vgl. Garz/Raven 2015: 20f) im deutschen Management. Der ausländische Investor wird dabei vor allem in den BRIC-Eignerstrukturen überwiegend als Vehikel für den eigenen unternehmerischen und/oder beruflichen Erfolg verstanden (vgl. auch die weitere fallstrukturbezogene Auswertung der vorliegenden Sequenz im nachfolgenden Kap.). Strukturell verankert ist diese Deutungslogik gegenüber den Investoren, da sie gleichbedeutend ist mit einer klaren argumentationslogischen Trennung, die den weiteren Verlauf der Distanzierungsprozesse innerhalb der Kooperation mit den Investoren entscheidend determiniert. Die Investoren sind ökonomisch gesehen durchaus willkommen im Hinblick auf die Umsetzung mittel- bis langfristiger Expansions- und Wachstumsstrategien (v. a. in China). Gleichzeitig zeigt sich, dass argumentativ vor allem der Erfolg des deutschen Unternehmens im Zentrum der Überlegungen steht, nicht aber der eines möglicherweise gemeinsam geführten Unternehmens (= Synergien). Hier deutetet sich auf der Ebene latenter Denkmuster eine weitere Distanzierungssemantik zwischen den Interessen der Führungskräfte des deutschen Unternehmens einerseits und der Strategie der ‚jungen‘ Investoren aus den BRIC-Staaten andererseits an. Auffällig ist die wiederholte sprachliche Verknüpfung vom Begriff des Unternehmens mit selbstreferenziellen Sprachmustern (vgl. dazu auch von Alemann 2015: 159f). Ist der Erfolg des deutschen Unternehmens Gegenstand der Argumentation, zeigen sich auffällig viele ‚Wir‘-Semantiken, wobei mit ‚wir‘ (im Gegensatz zu den ‚Anderen‘) die Handlungen der deutschen Führungskräfte selbst gemeint sind (vgl. auch Cranston 2016). ‚Die Anderen‘ tauchen derweil argumentationslogisch vor allem in Form selektiver und zumeist diffuser Problemdarstellungen auf: „...wir sagen: ‚Die haben für uns bezahlt und wir sind etwas wert, und diesen Wert wollen wir auch entsprechend einbringen.‘ Und der Wert ist mehr als nur zu tun, was irgendjemand sagt.“ – so eine Führungskraft in einer russischen Eignerstruktur (EE1: 6; zur detaillierten Analyse dieser für die Fallstruktur zentralen Sequenz vgl. Kap. 7.4.1).
Dabei zeigt sich für die allgemeine Fallstruktur der Distanzierungspraxis gegenüber den ausländischen Investoren (v. a. gegenüber den BRIC-Eigner) ein zentrales Deutungsmuster: die Einbettung der Denk- und Handlungsstrategien in die Schemata und planvoll gesteuerten Handlungsabläufe im deutschen Unternehmen, was auf die professionsethische Vorstellung einer spezifischen und ‚geordneten‘ Mana-
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gementstrategie im deutschen Management hinweist (so ist in der vorliegenden Sequenz vor allem der sich wiederholende Begriff des „Wertes“ zu deuten). ‚Werthaltig‘ im oben genannten Sinne ist dies gleichermaßen, indem die eigene berufliche Aufgabe als wichtig und sinnvoll angesehen wird (vgl. von Alemann 2015: 177). Der argumentative Kontrast zur deiktischen Formulierung (vgl. Mattissek 2007: 50) eines unbestimmten und eher abfällig konnotierten „irgendjemand“ am Ende der Sequenz verdeutlicht diesen Kontrast innerhalb der semantischen Distanzierungspraxis der deutschen Führungskraft. Die untersuchten Deutungsmuster der deutschen Führungskräfte lassen dabei vor allem in den BRIC-Eignerstrukturen die vorläufige Strukturdeutung zu, dass es sich bei der Übernahme durch den ausländischen Investor, zumeist aus China, mehr um eine ökonomisch motivierte Zweckehe mit dem Ziel des eigenen Erfolgs handelt als um eine gemeinsame Unternehmensvision (vgl. dazu auch Fuchs/Schalljo 2017a). Dafür spricht auch die in der Regel fehlende Zukunftsperspektive der Unternehmen nach der Übernahme. 7.4.3 Differente Deutungen über die Zukunft des deutschen Unternehmens Zentraler Argumentationspunkt der befragten Führungskräfte ist die Zukunftsperspektive des deutschen Unternehmens nach der Übernahme und perspektivisch die mit dem neuen ausländischen Inhaber angestrebte Unternehmensstrategie. Auffällig ist hier argumentativ zunächst abermals die Logik einer latenten Abgrenzung gegenüber dem neuen Mutterkonzern: Ist sprachlich die Zukunftsperspektive Thema der Argumentation, so wird sequenzlogisch sogleich die des deutschen Unternehmens angeführt, nicht aber die eines zusammengehörigen globalen Konzerns, analog zum argumentativen Fixpunkt des Erfolgs des deutschen Unternehmens (vgl. das vorangegangene Kap.). Dies passt in die Deutungslogik der Nutzbarmachung der Übernahmevorteile (= Synergien, Absatzmärkte) zugunsten der positiven ökonomischen Entwicklung des deutschen Unternehmens als dem zentralen Movens der Übernahmestrategie. Zentral für die Rekonstruktion der Strukturbeziehung zwischen deutschen Führungskräften und ausländischen Investoren ist darüber hinaus, dass die Strukturdeutung von Planbarkeit und ‚sauberen‘ administrativen Prozessen grundlegend und räumlich im deutschen Management verankert ist (vgl. dazu auch Weber 1972: 127ff; 552ff) und gewissermaßen als Gradmesser für die ausländischen Investoren fungiert. Das Aufstellen von strategischen Plänen (u. a. auch Finanzierungs- und Investitionspläne) gehört zu den Grundprinzipien unternehmerischen Denkens und Handelns im deutschen Management, wie sie schon Max Weber (1972: 127ff; 552ff) umfangreich beschrieben hat und wie es Lehrbücher und ManagementSchulen zumeist propagieren. Die BRIC-Investoren werden dabei als ‚lernende In-
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vestoren‘ kategorisiert, die sich ihrerseits (und einseitig!) an die Strukturen und Abläufe, aber auch an das Know-How des deutschen Managements gewöhnen müssen. Dabei ergibt sich ein stark differenziertes Bild gegenüber den jeweiligen Investorengruppen (BRIC-Eigner versus Private Equity-Investoren). Während die Zukunftsperspektive bei den von Private Equity-geführten Unternehmen integraler Bestandteil der unternehmerischen und managerialen Deutungs- und Handlungslogik ist (strategisches Ziel eines gewinnmaximalen Exits auf der Grundlage ex ante definierter operativer Zielvereinbarungen), erscheint die Zielperspektive bei den von BRIC-Eignern übernommenen deutschen Unternehmen gänzlich unklar: „Wir denken einfach, irgendwann muss in irgendeiner Form ein Dialog stattfinden, ...“ – so eine deutsche Führungskraft in einer chinesischen Eignerstruktur (EE10: 3).
Die Lesart, die sich hier im Sinne der allgemeinen Fallstruktur andeutet, ist hochgradig relevant für den Kontext der BRIC-Eignerstruktur. Auffällig ist dabei vor allem die sehr unspezifische Formulierung von ‚irgendwann‘ und ‚irgendeine‘, was eigentlich nicht zu den sonst sehr ‚klaren‘ und geplanten Strategieüberlegungen und Sprachlogiken der deutschen Führungskräfte passt. Auch der geäußerte „Dialog“ erscheint in diesem Kontext als sehr unspezifisch und wenig konkret. Dies überrascht in zweierlei Hinsicht: Zum einen, und diese ‚Verwunderung‘ äußern auch die deutschen Führungskräfte selbst, erscheint es als sehr ungewöhnlich, wenn auch durchaus strategisch motiviert (‚wait-and-see‘-Haltung der BRICEigner), dass der chinesische Investor gar keine Synergien und Kooperationen forciert. Zum anderen, und hier gibt es durchaus argumentative Überschneidungen, erscheint ein wirklicher „Dialog“ mit den chinesischen Eignern (auch materialübergreifend) als kaum erwünscht, und wenn überhaupt, dann nur zum Interesse des deutschen Unternehmens. Gleichzeitig verweist die analysierte Sequenz aber auch auf eine professionsethisch motivierte Haltung der deutschen Führungskräfte, dass es in jedem Falle eine Zukunftsplanung für das deutsche Unternehmen geben „muss“. Für die Deutungslogik der deutschen Führungskräfte ist die ‚wait-andsee‘-Haltung der chinesischen Eigner (= Kontextbezug) geradezu ein gravierendes Abweichen von den eigenen Denkstrukturen, die vor allem auf langfristige Planung und saubere Prozesse angelegt sind (vgl. dazu Weber 1972: 127ff; 552ff). Ein Dialog ist demzufolge im Sinne des deutschen Unternehmens durchaus erwünscht, jedoch nicht im Hinblick auf die eigenen Strukturen und Prozesse im Unternehmen, bei denen strukturkonservative Deutungen eine grundlegende Distanzierungspraxis manifestieren. Unterstützt wird diese Fallstrukturhypothese auf institutioneller Ebene durch die fortlaufenden Feststellungen und Konkretisierungen der deutschen Führungskräfte, dass es sich trotz der Übernahme durch einen ausländischen Investor auch in Zukunft weiterhin um ein deutsches Unternehmen handele, vor allem aber, dass dies auch so bleiben würde („Wir hängen auch keine chinesi-
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sche Fahne auf hier. [...] Also da müsste man mich schon rauswerfen, dass ichs tue.“ EE3: 12). Dieses Denkmuster erscheint aus zweierlei Gründen als auffällig: Erstens betont es abermals die strukturkonservative Haltung des deutschen Management gegenüber Neuem und der Entwicklung einer Gesamtunternehmensstrategie. Zentral ist dabei stets die Handlungsmaxime des Erfolgs des deutschen Unternehmens auf der Grundlage bewährter Handlungsmuster im Management. Zweitens zeigt sich hierbei recht deutlich eine strukturelle Überhöhung der eigenen Handlungs- und Entscheidungskompetenz, schließlich unterliegt das deutsche Unternehmen formal vollständig den operativen Weisungen und strategischen Entscheidungen des ausländischen Eigners. Dies wirft im Kontext der Entscheidungsprozesse grundlegende Fragen von Machtkonstellationen im Unternehmen auf, vor allem aber verweisen diese Denkmuster auf den latent vorhandenen Machtanspruch der Führungskräfte selbst. Gerade im Kontext der chinesischen Investoren zeigen sich dabei latent resistente Handlungsmuster gegenüber den ausländischen Investoren, die auf Deutungsmusterebene durchaus krisenhaftes Potenzial entfalten können („Da machen wir auch nicht mit.“ EE3: 10). Die vor allem im Kontext der BRICInvestoren oftmals problematischen Kommunikationsstrukturen verweisen stets auf ein grundlegendes Denkmuster der deutschen Führungskräfte von einem strukturellen Machtanspruch im Unternehmen vor dem operativen Hintergrund fachlicher und administrativer Überlegenheitsdeutungen als Form der basalen und strukturellen Machtlegitimation. 7.4.4 Räumliche Diffusion ‚westlicher‘ Managementstile in den Deutungsmustern der deutschen Führungskräfte: ein „westlich denkender Manager“ Die bereits analysierte strukturkonservative Haltung der deutschen Führungskräfte im Hinblick auf normative Handlungs- und Entscheidungsstrukturen offenbart, dass die eigenen Strukturen als überlegen gegenüber denen der BRIC-Eigner gedeutet werden. Die rekonstruierte Argumentationsstruktur zeigt vor dem Hintergrund dieser ‚Haltung‘ der deutschen Führungskräfte aber auch das latente Postulat eines asymmetrischen Adaptionszwanges der räumlich anzutreffenden Ablaufstrukturen und Handlungslogiken im deutschen Unternehmen. Der westliche Managementstil (zur theoretischen Einordnung vgl. Kap. 6) wird von den deutschen Führungskräften als regional modifizierter, aber global gültiger Common Sense im Sinne einer globalen Arbeitsweise („work practice“; Jones 2008b: 14) definiert, dessen Adaption jeder Teilnehmer dieser Geschäftsprozesse kennen und umsetzen muss (vgl. Jones 2008b). Argumentativ zeigen sich diese Anforderungshaltungen der deutschen Führungskräfte in einer „Verwunderung“ (EE10: 2) bis hin zu resistenten Haltungen gegenüber den als fehlende Denkweise gedeuteten Strukturen bei den BRIC-
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Eignern (z. B. administrative Prozesse, Entscheidungsstrukturen, fachliches KnowHow). Sprachlich wird hier einseitig und asymmetrisch, bisweilen gar polemisch, von einem nötigen „Aufschlauungs-Anteil“ (EE10: 4) gegenüber einem „westlich denkenden Manager“ (EE10: 10) gesprochen, ohne auf die potenziell möglichen Handlungsvorschläge der BRIC-Eigner argumentationslogisch auch nur einzugehen. Offensichtlich zielt die untersuchte Argumentationstruktur vor allem darauf ab, die eigenen gewohnten Denkstrukturen machtvoll zu implementieren (vgl. Weber 1972: 28f; 567f), so dass es gleichermaßen, über das deutsche Unternehmen hinaus, auch zu einer Diffusion dieser ‚westlich‘ geprägten Denk- und Deutungsmuster in den Raum kommt. Diese Normierung von Deutungsmustern im Raum zeigt sich in den Argumentationen der Führungskräfte in der strikten Bezugnahme auf den eigenen als richtig gedeuteten Ausbildungsweg, zumeist an europäischen und/oder amerikanischen Top-Managementschulen, die wiederum ihrerseits mit entsprechenden Deutungsschemata agieren. Referenzpunkt dieser selbstlegitimierenden Argumentation ist oftmals die Bezugnahme „im Westen studiert zu haben“ (EE1: 5) und/oder dort für einen gewissen Zeitraum beruflich gewirkt und sich auch kulturell eingelebt zu haben bzw. sich in diesem Umfeld beruflich bewegen zu können: „Es gibt einige russische Kollegen, die auch im Westen studiert haben, die auch im Westen mal gearbeitet haben.“ – so eine Führungskraft in einer BRIC-Eignerstruktur; EE1: 5).
Hier deutet sich im Hinblick auf die allgemeine Fallstruktur abermals die strikte Unterscheidung zwischen dem ‚westlichen Weg‘ (= Ausbildung, Berufsweg) und einem fiktiven ‚Anderen‘, welches weniger konkret erklärt und begründet wird als vielmehr als negative Bezugs- und Abgrenzungslogik zu den eigenen Denkmustern fungiert. Dabei sind in den Argumentationslogiken der Führungskräfte in der Regel nicht nur ‚westliche‘ Denkmuster gemeint, was ebenfalls inhaltlich eher diffus erscheint und vor allem dem Movens der Abgrenzung folgt, sondern vor allem auch sprachliche Probleme, die den BRIC-Investoren im Gesamten attestiert werden („Es gibt einige, die Englisch oder gut Englisch sprechen, aber selbst im Vorstand der XX sind nicht alle Vorstände des Englischen wirklich mächtig.“ EE1: 5). EE1 definiert hier auf der Ebene latenter Deutungslogiken einen für ihn gültigen Common Sense ‚westlicher‘ Handlungsrationalitäten, die, wenn auch nicht weiter konkretisiert, im Folgenden (und interviewübergreifend) als Referenzpunkt der eigenen Distanzierungspraktik aufgefasst werden. Die Deutung einer überlegenen ‚westlichen‘ Handlungsweise (vgl. auch von Alemann 2015: 178f) wird dabei strukturell als Common Sense verstanden, als lokal anzutreffende und universell gültige Handlungslogik, deren prinzipielles Verständnis von den deutschen Führungskräften vorausgesetzt wird. Hier zeigt sich im Sinne Oevermanns Konzeptualisierung langfristig stabiler Deutungsmuster (u. a. Oevermann 2001a/b) eine räumlich anzutreffende (vgl. Fuchs 2013: 35f) und universell
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gültige Strukturdeutung, wie ein ‚westlich‘ geprägter Manager Handlungsprobleme (vgl. Garz/Raven 2015: 20ff) angeht. Von den deutschen Führungskräften wird diese verortete und universell gültige Handlungsrationalität gleichermaßen als Prüfstein und normative Erwartungshaltung gegenüber den Investoren schematisiert (vgl. Fuchs/Schalljo 2016: 25/26). Genau an diesem für die Fallstruktur elementaren „Strukturproblem“ (Oevermann 2001c) bemisst sich Erfolg oder Nichterfolg der Kooperation, dies zunächst weniger auf ökonomischer Ebene (die Unternehmen sind, da unabhängig agierend, dennoch erfolgreich) als vielmehr auf der Ebene kommunikativer Aushandlungsprozesse, die im Kontext der M&A-Literatur oftmals als zentrale Determinanten für den Erfolg des Mergers angesehen werden (zur Einordnung der Befunde in die theoretischen Debatten vgl. Kap. 8.2). Es zeigt sich dabei auch im Hinblick auf die geographische Diskussion, dass die Führungskräfte jeweils auf das universell gültige Denk- und Handlungsmuster einer westlichen Prägung referieren, das als Common Sense gedeutet wird und sich weiter in den globalen Raum ausbreitet, bzw. dass die untersuchten Deutungsmuster ihre Gültigkeit auch raumübergreifend bewahren. Manifeste Kategorien der Kooperation, dabei vor allem Hierarchieunterschiede, Sprachprobleme, administrative und fachliche Aspekte, werden übersetzt in den latenten Referenzpunkt von professionsethisch motivierten Werten im deutschen Management (vgl. dazu auch Fuchs/Schalljo 2016).
7.5 DEUTUNGSMUSTER DER SELBSTWAHRNEHMUNG UND SELBSTPOSITIONIERUNG: MACHT- UND ÜBERLEGENHEITSSEMANTIKEN ALS AUSGANGSPUNKT DER DISTANZIERUNGSPRAXIS GEGENÜBER DEN AUSLÄNDISCHEN INVESTOREN Entsprechend der Logik der Analyse (Kap. 7.1) der Deutungsmuster von Nähe und Distanz der deutschen Führungskräfte gegenüber den ausländischen Investoren und für das Verständnis von deren Nähe- und Distanzpraktiken ist die Selbstwahrnehmung und -positionierung im deutschen Unternehmen analyserelevant. So verweisen die untersuchten Handlungsmuster sowohl auf die subjektiven Deutungsschemata der einzelnen Akteure als auch auf die objektiven Strukturmerkmale, -anforderungen und -probleme und deren Bewältigungsstrategien der deutschen Führungskräfte als soziale Gruppe. Sie weisen damit nicht nur auf das Movens sozialen Handelns hin, sondern gleichermaßen auf einen gemeinsamen Sozialisationskern, etwa durch eine Ausbildung an Managementschulen, oder die Referenz auf die Handlungsmuster einer spezifischen Bezugsgruppe (Merton 1995: 289). Dabei werden in der Regel Personen oder Gruppen als Referenzpunkt gewählt, mit denen
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eine gewisse Statusähnlichkeit besteht (Merton 1995: 233, in: von Alemann 2015: 161; ausführlicher: Kap. 6). Die Selbstpositionierung der Führungskräfte verweist nicht nur auf deren Rollenverständnis im Unternehmen, sondern, und dies ist vor allem im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit von zentraler Bedeutung, auf die konkreten Praktiken von Nähe und Distanz, die sich im Untersuchungsmaterial vor allem im Kontext von Macht- und Überlegenheitssemantiken offenbaren. Von besonderer Bedeutung ist dabei, wie sich Nähe und Distanz in den neuen Eignerstrukturen in den Kommunikations- und Kooperationsstrukturen zeigen (vgl. auch Fuchs/Schalljo 2016). Die zentrale methodologische Unterscheidung ist dabei, welche der präsentierten Argumentationsstrategien sich vor allem auf normative Begründungslogiken beziehen (= Verhaltenseffekte) und welche in ihrem Strukturkern als grundlegende Deutungsmuster zur Erklärung der Nähe- und Distanzpraxis selbst fungieren (exemplarisch: Oevermann 2001c). Dem Material liegen an zahlreichen Stellen basale Handlungsmotive zugrunde, die gleichermaßen die Aushandlungsmechanismen von soziokultureller Nähe und Distanz mit den ausländischen Investoren dokumentieren. 7.5.1 Deutungsmuster eines handlungsorientierten Selbstbildes: Machtanspruch und Überlegenheitsdeutungen der Führungskräfte als initiales Distanzierungsmoment gegenüber den ausländischen Investoren Die Rekonstruktion der Argumentationsstruktur der Führungskräfte zeigt auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen ein stark handlungszentriertes Selbstbild der Manager, was auch in der Selbstdarstellung der Führungskräfte gegenüber den Interviewpartnern seinen Ausdruck findet (vgl. auch von Alemann 2015: 159ff). Dabei zeigen sich sowohl wiederkehrende Muster in der Argumentations- und Sprachstruktur (exemplarisch: Oevermann 2001c; Wernet 2011) als auch inhaltslogische Argumentationen, die das untersuchte Material in wesentlichem Umfang prägen. Die Führungskräfte positionieren sich als deutlich handlungsorientierte Funktionsträger, deren Fähigkeiten und Wissen von zentraler Bedeutung sind für Weiterentwicklung und Erfolg des deutschen Unternehmens, und in teils deutlicher und bewusster Abgrenzung und Distanzierung zu den ausländischen Investoren, wobei dies in den BRIC-Eignerstrukturen wesentlich offensichtlicher zu Tage tritt als in den Private Equity-Strukturen. Vor allem die BRIC-Eigner werden von den deutschen Führungskräften argumentationslogisch zumeist als unfähig (und teilweise auch unwillig) dargestellt, den unternehmerischen Prozess erfolgsorientiert zu gestalten, was argumentationslogisch eine asymmetrische Argumentationsstruktur manifestiert. Es zeigt sich ein sehr grundlegendes Deutungsmuster von fachlicher Expertise und Professionsverständnis, das die deutschen Führungskräfte für sich re-
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klamieren und anhand dessen die ausländischen Investoren gemessen, also bewertet werden: „...die tun sich unendlich schwer etwas zu entscheiden. Sie tun sich unendlich schwer, keiner will am Ende diese Entscheidung treffen. Keiner will auch am Ende mal, ja, dafür geradestehen, wenns’ so ist. [...] es gibt nicht diese planerischen, konzeptionellen Prozesse, wie wir es kennen, nicht“ – so eine Führungskraft, bezugnehmend auf die problematische Kooperation mit einem chinesischen Investor; EE3: 4).
Ohne die angeführte Sequenz nach allen Deutungsmöglichkeiten und Lesarten der sequenzanalytischen Textauswertung ausschöpfend zu diskutieren (exemplarisch: Oevermann 2001c), so fallen an dieser Stelle dennoch einige für die allgemeine Fallstruktur zentrale Argumentationsmuster in besonderem Maße auf: Zunächst verweist die durchgehend deiktische Semantik auf das offenbar sehr abstrakte und schemenhafte Kooperationsverhältnis mit dem chinesischen Investor. Gleichermaßen bleibt an dieser Stelle, wie auch in den meisten analysierten Sequenzen, völlig unklar, worin genau die Probleme mit den Investoren bestehen. Der Verweis auf „Entscheidungen“ erscheint dabei sehr allgemein, unspezifisch, kaum präzisiert und nicht nachprüfbar. Auffällig ist auch die sehr deutlich hervorgehobene und sich wiederholende Semantik eines „unendlich schwer“, in welchem die Deutungsproblematik und Krisensichtweise der Führungskraft im Hinblick auf den chinesischen Investor in besonderem Maße deutlich wird. Die Sequenz wird geschlossen mit einer abermals deiktischen Formulierung hinsichtlich der offenbar mangelnden Verantwortungsethik des chinesischen Eigners, wenn es um wichtige Entscheidungen im Unternehmen geht. Ein „dafür gerade stehen“ bekräftigt die Lesart von einem stark handlungszentrierten Selbstbild: Der Manager selbst ist der ‚Macher‘ im Unternehmen (vgl. Schumpeter 1926; von Alemann 2015: 179) und muss im Zweifel auch „geradestehen“ für seine Entscheidungen, was ein weiterer Hinweis und zugleich eine Konkretisierung der elementaren Strukturdeutung einer spezifischen Professionsethik im deutschen Management als argumentatives Distanzierungsmomentum gegenüber den ausländischen Eignern ist. Diese professionsethisch motivierte Grundhaltung der deutschen Führungskräfte gegenüber den ausländischen Investoren und die gleichzeitige Selbstpositionierung im ‚neuen‘ Unternehmen (= Eignerwechsel) zeigt sich auch an weiteren Stellen des untersuchten Materials. Sprachlich offenbaren sich gleich zum Einstieg in die Einzelinterviews 6, dass der
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Der Rekonstruktion der Eingangssequenz kommt innerhalb der objektiv-hermeneutischen Textinterpretation des gesamten Interviews eine zentrale Rolle zu. Hier entscheiden sich, sequenzanalytisch gesprochen, wesentliche Kommunikationsstrukturen und -mechanismen, die den weiteren Verlauf des Interviews determinieren. Folglich ist die jeweilige
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Eingangsimpuls einer narrativ angelegten Frage seitens des Interviewers dazu führt, dass sogleich ein Konnex zu beruflichem Werdegang und den bisher erreichten beruflichen Stationen und Erfolgen hergestellt wird: „..bin in dem Unternehmen seit 14 Jahren in unterschiedlichen Positionen, wie das so üblich ist, tätig gewesen“ PE2: 1).
Die angeführte Sequenz verdeutlicht die latente Referenz auf ein nicht näher bestimmbares Erfahrungswissen (= Tacit Knowledge) als Determinante des eigenen Handelns. Der Verweis auf „unterschiedliche Positionen“ unterstützt diese Lesart, die von PE2 zudem als „üblich“ angesehen wird, was abermals auf eine Form von Professionsverständnis in der untersuchten Struktur verweist, innerhalb derer der Terminus „üblich“ als gleichbedeutend mit organisationalen Routinen als die Gesamtheit der (hier karrierespezifischen) Mechanismen innerhalb des Unternehmens angesehen werden kann. PE2 setzt aufgrund der fehlenden Explizierung des Sachverhalts das Wissen um dieses Professionsverständnis implizit voraus. Das Denken und Argumentieren in ‚Stationen‘ ist dabei bereits hochgradig deutungsmusterspezifisch. Dabei zeigen sich sowohl karrierebezogene Handlungsmotive, aber in einigen Fällen auch identitätsherstellende Argumentationen, etwa dass die befragte Führungskraft ‚alle Stationen‘ (= Positionen) im Unternehmen erfolgreich durchlaufen hat. Unabhängig von der jeweiligen Eignerstruktur (BRIC/Private Equity) zeigen sich hier deutliche Bezüge zu karriereopportunistischen Deutungen, die als handlungsleitende Determinanten auch die Aushandlungsprozesse mit den ausländischen Eignern an zahlreichen Stellen des Untersuchungsmaterials prägen. Das initiale Handlungsproblem (vgl. Oevermann 2001c) ist damit ein Erfolgsproblem: Die Führungskraft will sich zwingend als erfolgreiche und handlungsstarke Person im deutschen Unternehmen präsentieren. Sprachlich gewissermaßen überlagert wird dieser sich latent bereits andeutende Machtanspruch durch eine Argumentationsführung der vordergründigen Kooperationsbereitschaft und Offenheit gegenüber Neuem im Sinne einer normativen kosmopolitischen Offenheitssemantik (vgl. Schueth/o’Louhlin 2008; Woodward et al. 2008). Dabei deutet sich ein erster für das rekonstruktive Verständnis des Untersuchungsmaterials fundamentaler Strukturkonflikt an: Dem sozialisatorischen Rollenmodell und Deutungsverständnis der befragten Führungskräfte wohnt ein grundlegender handlungs- und egozentrierter Machtanspruch inne, bei dem sich wenig kooperative Argumentationen zeigen (z. B. Bestrebungen nach Synergien).
Eingangssequenz Gegenstand umfangreicher Lesartenbildungen mit dem Ziel, frühzeitig eine Fallstrukturhypothese zu bilden (exemplarisch: Oevermann 2001c).
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7.5.2 Deutungen von Handlungsautonomie und Gestaltungsfreiheit als Ausgangspunkt der Distanzierungspraxis Der Handlungsautonomie und beruflichen Gestaltungsfreiheit kommt im Hinblick auf die kommunikativen Aushandlungsprozesse von Annäherung und Distanzierung zu den ausländischen Investoren eine zentrale Bedeutung zu. In den Argumentationen der Führungskräfte zeigt sich das Grundmotiv der verantwortlichen Eigenarbeit und unternehmerischen Gestaltungsfreiheit als universelles Deutungsmuster, eingebettet in die professionstheoretische Vorstellung einer handlungsleitenden Rolle im Unternehmen. Dabei zeigen sich sowohl normative Machtansprüche im deutschen Unternehmen (z. B. formale Entscheidungsprozesse) als auch ein handlungsrelevantes Muster der kreativen Verwirklichung der eigenen Ideen, Konzepte und Zukunftsvisionen. Dem Aspekt der eigenen beruflichen Gestaltungsfreiheit und operativen Handlungsautonomie wird gerade im Hinblick auf den Aspekt der eigentlich formalen Fremdbestimmung im späteren Verlauf der Analyse noch eine zentrale Rolle zukommen, da es hier zu durchaus konfliktreichen und krisenanfälligen Motivlagen und Mustern der Kooperation kommt. Semantisch verweisen Begriffe und Phrasen wie ‚realisieren‘, ‚umsetzen‘, ‚meine Ideen verwirklichen‘ auf den operativen und inhaltlichen Gestaltungsdrang der befragten Führungskräfte (vgl. von Alemann 2015: 173f). Auch wenn dies notwendigerweise integraler Bestandteil managerialen Handelns ist, schließlich ist die operative Umsetzung strategischer Vereinbarungen das zentrale Handlungsproblem (vgl. Oevermann 2001b) einer Führungskraft, so avanciert das Grundmotiv autonomer Gestaltungsfreiheit gleichermaßen zu einem strukturellen Deutungsmuster im untersuchten Material und ebenso zum initialen Motiv der Distanzierung gegenüber den ausländischen Investoren. Es bildet im Kontext der Übernahmen durch die BRIC-Eigner eines der Leitmotive für die Ab- und Ausgrenzungshandlungen und Argumenationslogiken gegenüber den ausländischen Investoren und findet seine Entsprechung, durchaus überraschend aufgrund der ex ante klar geregelten und definierten Vertrags- und Zielvereinbarungsstrukturen, wie sie in dieser Form des finanzstrategischen Investments üblich sind, auch im Kontext der Private Equity-Konstellationen, wenn auch in strukturell anderer (und weniger ausgeprägter) Form: Zwar bestehen hier klar geregelte Vertragskonstellationen über den Macht- und Verantwortungsspielraum des Managements im Unternehmen, jedoch deuten sich auch in dieser Eignerstruktur latente Strukturprobleme und potenziell krisenhafte Handlungsmuster an. Die Logik der Argumentationen der Private Equity-Führungskräfte folgt dabei dem Muster des Bewahrens der eigenen Handlungs- und Entscheidungsautonomie im Sinne strukturkonservativer Deutungen:
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„Also, was ich vom Investor eigentlich hören will in Zeitungsinterviews und öffentlichen Auftritten ist: ‚Wir haben volles Vertrauen in das Management und unterstützen die Strategie des Managements‘. Das ist das, was ich von einem Investor hören will. Sonst gar nichts.“ – so eine Führungskraft in einer Private Equity-Eignerstruktur (PE6: 7).
Diese bemerkenswerte Sequenz kann durchaus als Wunschdenken gedeutet werden und zeigt sich in dieser oder ähnlicher Form auch in den anderen untersuchten Private-Equity-Strukturen: Die deutsche Führungskraft ist zwar leitender Angestellter des Unternehmens, möchte aber in allen operativen Entscheidungen und Prozessen autonom und eigenständig agieren. Die kurze Sequenz kann durchaus als ‚repräsentativ‘ für die allgemeine Fallstrukturdeutung der Private Equity-Konstellation angesehen werden: Die befragte Führungskraft verbittet sich geradezu eine operative und strategische Einflussnahme auf die eigenen Handlungsweisen. Gleichzeitig möchte die Führungskraft eine Art ,Blankoscheck‘ ausgestellt bekommen, der ihm die eigene Handlungs- und Gestaltungsfreiheit im Unternehmen zusichert. Die Sequenz macht dieses Wunschdenken seitens der Führungskräfte, entgegen den faktischen Realitäten, sehr deutlich. Ein Verstoß gegen dieses Postulat ist gleichzusetzen mit dem Bruch mit den professionsethischen Vorstellungen der deutschen Führungskräfte in den Konstellationen. Die abschließende Sequenz kommt fast einem Gebot gleich und untermauert diese elementare Strukturdeutung managerialer Handlungsautomomie, wie sie sich in beiden Investorenstrukturen gleichermaßen offenbart. Dabei deutet sich durchaus ein Konflikt auf Deutungsmusterebene an, schließlich obliegt die formale Entscheidung über alle unternehmensrelevanten Strukturen und Prozesse den neuen Eigentümern selbst (vgl. die nachfolgenden Kap.). Augenscheinlich und auf sprachpragmatischer Ebene vergleichbar mit dem zu Beginn detailliert ausgewerteten Analysebeispiel aus dem BRIC-Kontext ist auch hier die klare semantische Gegenüberstellung zwischen PE6 und dem Investor, der seinerseits schlicht nicht weiter präzisiert wird, etwa mit Namen. Dies unterstützt auch im Kontext der Private Equity-Eignerstrukturen die Lesart eines semantischen Otherings zwischen einem ‚Wir‘ (dem deutschen Management) und ‚den Anderen‘ (hier dem unbekannten Investor). Interessant erscheint im Kontext der vorangegangenen Rekonstruktion auch die Frage, ob die Führungskräfte in der Private Equity-Eignerstruktur nun tatsächlich nach eigenem Ermessen gestalten und agieren können, oder ob die Gestaltungsmöglichkeit als solche ein Grundmotiv ist (von Alemann 2015: 173). Sprachlich zeigen die Rekonstruktionen materialübergreifend das Motiv einer gerichteten Dynamik, was die Lesart eines sehr grundlegenden und immanenten Handlungsimpulses bekräftigt. Zwar geht aus den Ausführungen nicht immer präzise hervor, wie viele Handlungsspielräume die deutschen Führungskräfte tatsächlich haben, schließlich umfasst das untersuchte Sample auch Fälle, in denen diese eindeutig durch die Kooperationsmechanismen mit den ausländischen Investoren eingeschränkt werden,
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jedoch zeigt die Rekonstruktion der Argumentationslogik(en) ein strukturelles, also sehr grundlegendes Handlungsmotiv nach Gestaltungsfreiheit im Unternehmen, wie im oben angeführten und kurz diskutierten Beispiel. Wird diese dennoch eingeschränkt, etwa durch langwierige und schwierige Verhandlungen, Absprachen und/oder Reportings, werden zugleich resistente und distanzierende Handlungsmuster gegenüber den Investoren aktiviert, was sich in den BRIC-Eignerstrukturen ungleich stärker offenbart. Dem Begriff des ‚Entwickelns‘, also der sprachlichen Vergegenständlichung von Gestaltungsmöglichkeit, kommt dabei im Interviewmaterial eine tragende Bedeutung zu, wobei der Kernpunkt der Argumentation stets auf dem Wachstum und Erfolg des deutschen Unternehmens als der handlungsleitenden Maxime liegt, bei dem der ausländische Investor sprachlich zumeist eher als rein finanziell unterstützende Kraft gedeutet wird. Hier deutet sich ein erster Konflikt auf Handlungs- und Kooperationsebene an: „...weil wir uns nämlich zum einen als Management die Macht genommen haben zu sagen: Liebe Eigentümer, liebe Älteren, wir definieren jetzt mal, wo unser Weg gerne hingeht.“ – so eine Führungskraft in einer BRIC-Eignerstruktur; EE10: 2).
Die vorliegende Sequenz erscheint im Kontext der machtdistanziellen Strukturdeutungen der deutschen Führungskräfte gegenüber den BRIC-Eignern von zentraler Bedeutung (vgl. dazu auch die Überlegungen von Weber 1972 in Kap. 6). Auffällig sind dabei zunächst (und abermals) die semantischen Distanzierungslogiken zwischen dem „Wir“ des deutschen Managements und den ‚Anderen‘ (die „Eigentümer“ bzw. „Älteren“). Die Führungskraft macht in ihrem Aussagesatz deutlich und äußert dies auch explizit sprachlich, dass sie und das (deutsche) „Management“ sich grundlegend „Macht genommen haben“. Die Führungskraft beschreibt diesen Prozess bewusst als machtvoll gerichtete Handlung. Es folgt die Sequenz, die vermutlich als fiktive Anrede an die Eigner des Unternehmens gerichtet ist: „Liebe Eigentümer, liebe Älteren“, was hier als recht formale Form der mündlichen oder schriftlichen Anrede erscheint. Offenbar sieht die Führungskraft die Eigentümer jedoch als „Ältere“, was hier Konnotationen von formaler Überlegenheit der „Ältere(n)“ impliziert, von denen man (das Management) sich die Macht (der Entscheidung) genommen hat. Die Führungskraft reflektiert damit die Sensitivität dieser machtbewussten Handlung gegenüber den Eigentümern. Was folgt, ist eine Form der physischen Richtungsbeschreibung („der Weg“), was sich kontextbezogen wohl auf den Weg des deutschen Unternehmens bezieht. Die Führungskraft und „wir definieren“ dann, wo dieser Weg des Unternehmens hingeht, bzw. wo „unser Weg gerne“ jetzt hingeht, was durchaus auch als weitere Referenz auf das deutsche Unternehmen zu deuten ist. Offenbar sieht es die Führungskraft als ihre (latent handlungswirksame) Aufgabe an, entgegen der formalen Machtverhältnisse die Richtung
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des deutschen Unternehmens zu lenken oder zumindest in wesentlichem Umfang machtvoll zu beeinflussen. Strukturell zeigt sich ein Grundmotiv des Managers als ‚Macher‘ und entscheidungsrelevante Person im Unternehmen, deren Zutun zu betrieblichen Prozessen von den Führungskräften selbst als unabdingbar gedeutet und argumentiert wird (ausführlich: von Alemann 2015). Prozessual sind die Bestrebungen der Führungskräfte nach Handlungsautonomie durchaus auch als Reaktion auf die veränderten Machtkonstellationen im Unternehmen zu verstehen. Auffällig, vor allem im Kontext der Übernahmen durch Private Equity-Unternehmen, deren Struktur und Dynamik stets von ex ante definierten Gewinnerwartungen geprägt wird, ist dabei vor allem die professionsethisch motivierte Haltung der befragten Führungskräfte, eine gewisse Distanz gegenüber dem Problemfeld und den Investoren selbst herzustellen. Semantisch zeigt sich dies in einem spielerischen Umgang mit der Konstellation (vgl. auch Fuchs 2011 zum Umgang mit der Wirtschaftskrise 2008/09 aus metapherntheoretischer Sichtweise). Misserfolg wird als eine mögliche Variante innerhalb der ,Regeln des Spiels‘ gedeutet, in dem man gewinnen, aber auch verlieren kann. Dabei erscheint auch die Haltung gegenüber dem Investor als abgeklärt und selbstbewusst. Sollte dieser mit den Ergebnissen und dem eigenen Handlungsstil nicht einverstanden sein, so wird dies als Teil ‚des Spiels‘ gedeutet (vgl. Fuchs 2011: 175ff), was der Führungskraft gerade in dieser Konstellation ein Grundmaß an Handlungsautonomie ermöglicht: „Das ist ein Finanzinvestor. Dem gehören die Aktien, und wir sind das Management, wir sind das Unternehmen.“ - so eine Führungskraft in einer Private-Equity-Struktur (PE 6: 6).
Diese hochgradig deutungsmusterspezifische Sequenz offenbart in einer verkürzten Darstellung zwei für die Fallstruktur relevante Deutungslogiken: a.) die deutliche semantische Gegenüberstellung zwischen dem Finanzinvestor und dem deutschen Management, was durchaus eine bewusst abgrenzende Logik begründet. Hermeneutisch manifestiert sich hier die das gesamte Untersuchungsmaterial prägende semantische Distanzierungslogik gegenüber dem ausländischen Eigner, der in den Argumentationslogiken der deutschen Führungskräfte stets als diffuser ‚Anderer‘ erscheint (vgl. Rothfuß 2009). Und b.) eine sprachlich-argumentative Gleichsetzung zwischen dem Management und dem Unternehmen. Hier deutet sich ein strukturell überhöhter Machtanspruch an, schließlich ist die Führungskraft letztlich auch nur Angestellter des Unternehmens und nicht das Unternehmen selbst, dessen Besitzer und Entscheider die Finanzinvestoren sind. Die Führungskraft bekräftigt damit die Lesart einer machtbezogenen Semantik und Führungslogik im deutschen Unternehmen: Der Manager möchte die Geschicke des Unternehmens möglichst ohne Einflussnahme durch ‚Andere‘ im Sinne einer strukturellen Autonomiedeutung leiten.
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7.5.3 Machtdistanzen durch Wissensasymmetrien aus Deutungsmusterperspektive Analog zu den zuvor diskutierten argumentativen Autonomiebestrebungen zeigt sich im untersuchten Material die handlungswirksame Motivlage, das Unternehmen, das sprachlich entgegen den juristischen Tatsachen (der Manager ist nicht der Eigentümer) als das ‚eigene‘ Unternehmen gedeutet wird, leiten und lenken zu wollen (vgl. dazu Buß 2007: 205; von Alemann 2015). Dabei deutet sich nicht nur ein potenziell handlungswirksamer Macht- und Geltungsanspruch des Managers an, sondern durchaus auch ein Konflikt im Hinblick auf die zuvor thematisierte Sachlage. Verbunden ist dieses Motiv mit einem hervorzuhebenden Movens, eine eigene unternehmerische Handschrift und Identität auszuüben, auch entgegen potenzieller Widerstände im Unternehmen. Semantisch zeigt sich hier folglich eine durchaus konfliktbehaftete Konstellation in den grundlegenden Deutungsmustern. Macht als operativer Gestaltungsanspruch offenbart sich in den Interviews auf vergleichsweise hohem Abstraktionsniveau. Wesentlich ist dabei vor allem, dass die Gestaltungsmöglichkeit als solche als Bestandteil der eigenen beruflichen Wirklichkeit gedeutet wird, nicht aber in ihrer konkreten inhaltlichen und problembezogenen Ausformulierung. Sprachlich zeigt sich diese Auffälligkeit in diffusen Semantiken: „..als Finanzchef, der ich gewöhnt bin, im Prinzip eigenständig, ein eigenständiges Unternehmen eigenständig zu managen.“ – so eine Führungskraft in einer Private Equity-Struktur (PE3: 25).
Hermeneutisch relevant erscheint in der vorliegenden Sequenz vor allem der intrinsische Bezug von Handlung und Gewohnheit. Die Führungskraft bezeichnet es als Gewohnheit, die Prozesse und Strukturen des Unternehmens eigenständig zu leiten. Auch die sich wiederholende Wortwahl eines „eigenständig“ lässt hier auf die sehr grundlegende Deutung einer operativen Autonomiebestrebung im Hinblick auf die allgemeine Fallstruktur der Private Equity-Strukturen schließen. Gleichsam erscheint dies auch als eine Form bewusster machtvoller Positionierung im Hinblick auf die eigene Rolle im deutschen Unternehmen, denn nicht nur das gewohnte Handeln wird als „eigenständig“ umschrieben, sondern auch das Unternehmen selbst („eigenständiges Unternehmen“). Hier deutet sich im Hinblick auf die allgemeine Fallstruktur der Deutungen der beiden Investorenkonstellationen durchaus ein strukturell erhöhter Machtanspruch der deutschen Führungskräfte an, auch entgegen der formal-juristischen Eignerstrukturen nach der Übernahme des Unternehmens. In jedem Falle offenbart sich ebenfalls in der Private Equity-Konstellation die berufsethische Auffassung der Führungskräfte, als machtvolle Personen im Unternehmen zu agieren. Ein Verstoß gegen diese professionsethisch verankerte Deu-
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tung seitens der Investoren würde zugleich einen Konflikt manifestieren, der wiederum zu einer Form der Distanzierung führen würde. Deutlicher zeigt sich dieses auf Handlungsautonomie basierte Distanzierungsmuster im Bereich der von BRICInvestoren übernommenen Unternehmen, spielt aber dennoch und überraschenderweise auch in den Private Equity-Konstellationen eine zentrale Rolle. Macht muss dabei, wie Max Weber bereits früh beschrieben hat, legitimiert sein, wobei legitime Herrschaft (Weber 1972: 16f, 28f; 567f) als Form der Unternehmensführung ihre Legitimität im untersuchten Sample vor allem über den wissenssoziologisch umfassenden Begriff der Kompetenz erhält (ausführlich: Kap. 4). Zentral für die Deutungsmechanismen der befragten Führungskräfte ist der Begriff der Kompetenz gleich auf mehreren Ebenen: Kompetenz wird aus Sicht der Führungskräfte über Wissen in seinen verschiedenen Erscheinungsformen und als handlungslegitimierende Führungsstärke definiert und manifestiert dabei sogleich eine asymmetrische Kooperationsstruktur zu den ausländischen Investoren. Darüber hinaus zeigt sich bei den befragten Führungskräften auch eine Form der Professionsethik, innerhalb derer Kompetenz im Hinblick auf Sachwissen, aber auch in Bezug auf organisatorische Abläufe eine zentrale Rolle spielt; dies sowohl zur Legitimation der eigenen Machtposition im Unternehmen wie auch als eine Form von Bewertungsmaßstab, nach dem die neuen Investoren, auch im Hinblick auf ihren Machtanspruch, gemessen werden. Dabei finden sich nicht nur latente Anklänge an den Gedanken machtvollen Handelns im Unternehmen (Weber 1972: 16f, 28f; 567f), sondern es zeigt sich argumentationslogisch auch ein weiteres interessantes Muster: Die befragten Führungskräfte betonen in den verschiedenen Investorenkonstellationen die eigene Einflussnahme bei der Auswahl des Investors in der Pre-MergerPhase, oftmals auch entgegen der eigentlich Verkaufslogiken. So betonen die Führungskräfte zwar selbst, dass vor allem im Kontext der Private Equity-Verkäufe nur der höchste Verkaufspreis zählt, was der eigentlichen Strukturlogik entspricht, dennoch positionieren sich die Führungskräfte auch in dieser Eigner-Konstellation bewusst als machtvolle Akteure, die bei der Auswahl der Unternehmensnachfolge ein gewichtiges Wort mitreden wollen: „Der Wunscheigentümer für uns sollte in einer Wachstumsregion liegen, in einer für uns relevanten Wachstumsregion liegen“ – so eine Führungskraft in einer Investorenstruktur, innerhalb derer das deutschen Unternehmen von einem Private Equity-Investor an einen chinesischen Konzern verkauft wurde (EE10: 2).
Hermeneutisch relevant erscheint in dieser zunächst als unscheinbar erscheinenden Sequenz vor allem der Anspruch der deutschen Führungskraft, sich einen „Wunscheigentümer“ zu suchen. Dies mag betriebswirtschaftlich logisch erscheinen, entspricht jedoch in der Regel nicht der Logik von Unternehmensweiterverkäufen (ausführlich: Kap. 5), bei der gemeinhin der höchste Verkaufspreis den „Wunscheigen-
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tümer“ definiert. Hier offenbart sich demzufolge vor allem der ,Wunsch‘ der Führungskraft selbst, das eigene Unternehmen ökonomisch weiterzuentwickeln. Der dahinter zu vermutende Aushandlungsprozess mit dem Eigentümer des Unternehmens (Private Equity) ist dabei nicht Gegenstand der Argumentation der Führungskraft (= Kontextwissen). Die kommunikativen Machtaushandlungsprozesse mit den ausländischen Investoren selbst erscheinen im untersuchten Material vor allem als latente Kategorie, da es sich im Hinblick auf die Kooperation mit dem Investor zumeist um ein durchaus nicht unproblematisches Handlungsmotiv handelt (= Verhaltenseffekte). Dabei zeigen sich in den untersuchten Argumentationen in zahlreichen Sequenzen Versuche, a. bestehende Machtgefüge im deutschen Unternehmen mit dem Ziel, den tradierten Modus Operandi möglichst aufrechtzuerhalten und b. die Handlungs- und Kooperationsstrukturen mit den ausländischen Investoren zu Gunsten des deutschen Unternehmens zu beeinflussen, indem eindeutig asymmetrische Handlungs- und Kooperationsstrukturen produziert werden. Beide Strategien offenbaren sich in der BRICEignerstruktur insgesamt deutlicher als in der Private Equity-Struktur. Grundlegend zeigt sich vor allem im untersuchten Material der BRICEignerstruktur die machtbezogenen Bestrebungen, die eigene fachliche Überlegenheit und das milieuspezifische Wissen als Legitimation (vgl. Weber 1972: 16f, 28f) für eine asymmetrische Kooperationsstruktur zu instrumentalisieren. Die deutschen Führungskräfte argumentieren dabei an zahlreichen Stellen mit deutlichen Wertbezügen im Hinblick auf die eigene Rolle im Unternehmen oder präziser formuliert: Es soll der Eindruck entstehen, dass die Führung des deutschen Unternehmens ohne das deutsche Management-Know-How nicht funktioniere, wobei es im Untersuchungsmaterial an zahlreichen Stellen gleichsam Indizien gibt, dass dies vor allem von den asiatischen Eignern zumeist genauso gesehen wird und auch deshalb auf das (bestehende) deutsche Management gesetzt wird. Die semantischen Abgrenzungslogiken, die in vielen Fällen auch räumliche Distanzen symbolisieren (‚wir hier‘ versus ‚die anderen dort‘; vgl. Cartwright/Cooper 2000; 2001; Cranston 2016), erscheinen argumentationslogisch als bewusst initiierter Prozess zur Legitimierung der eigenen Machtbasis und Handlungsautonomie (vgl. dazu Weber 1972: 16f, 28f; Kap. 6). 7.5.4 Wissensasymmetrien durch implizites Erfahrungswissen und Tacit Knowledge: „Die Wirklichkeit ist komplexer als ein Modell“ Dem Erfahrungswissen kommt im Hinblick auf die bereits analysierten wissensbasierten Machtasymmetrien in den neuen Unternehmenskonstellationen ein wesentlicher Bezugspunkt in den Argumentationen der Führungskräfte zu. Vor allem in der
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Kategorie des Tacit Knowledge (= an Personen gebundenes/implizites Erfahrungswissen; vgl. Kap. 4) offenbaren sich im untersuchten Material dynamische Ansatzpunkte einer asymmetrischen und einseitigen Wissens- und Kommunikationsstruktur, vor allem gegenüber den BRIC-Eignern. Elementar für das Verständnis der Strukturdeutungen der befragten Führungskräfte ist die Selbstwahrnehmung und bewusste Positionierung im deutschen Unternehmen als kosmopolitisch denkende und handelnde Manager, die im Verlaufe ihrer beruflichen Karriere (= Stationen) ein großes Erfahrungswissen internalisiert haben oder, deutungmusterspezifisch gesprochen, über einen Vorrat an bereits erfolgreichen Problemlösungskompetenzen verfügen (vgl. Oevermann 2000: 1-4; Garz/Raven 2015: 31ff). Erfahrungswissen kann dabei als die Summe aller problemlösenden Deutungsmuster in diesem Handlungskontext verstanden werden. 7 Diesem umgangssprachlichen und impliziten Erfahrungswissen (= Tacit Knowledge) kommt im untersuchten Material eine strukturelle Bedeutung zu: Analog zu den Überlegungen machtlegitimen Handelns (vgl. die vorangegangen Kap.) legitimieren die deutschen Führungskräfte, unabhängig von der jeweiligen Investorenkonstellation, ihre Einflussnahme über ihre Position als Entscheidungsträger, aber auch durch ihre als überlegen gedeutete Expertise, die als fachlicher Standard und Referenzpunkt in den deutschen Unternehmen angesehen wird. Das eigene Erfahrungswissen, also die Summe aus einer spezifischen Ausbildung, auf die in der Regel referiert wird, sowie die bereits durchlaufenen Stationen offenbart im untersuchten Material eine Semantik des Überlegen-seins gegenüber den BRIC-Eignern und dient als Kulminationspunkt der eigenen Handlungslegitimierung und bewussten Abgrenzung (= Othering) gegenüber den BRIC-Eignern. Die Argumentationslinie dieser idealtypischen Professionsvorstellung ist auch die Referenz auf die internationale Erfahrung und das entsprechende Wissen, international agieren zu können. Wo man schon überall gewesen sei, dabei vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika als Bezugspunkt, ist das wesentliche Kriterium der Positionierung als global denkende Führungskraft. Vor allem im Kontext der Private Equity-Strukturen scheint dies, auch aus Sicht der Investoren als Arbeitgeber, integraler Bestandteil der Denk- und Handlungslogik zu sein („...dass ich halt lange bei einem amerikanischen Konzern gearbeitet habe...“ - PE5: 11). Wesentlich für die weitere Ausdeutung der Fallstruktur ist dies insofern, als dass die Führungskräfte argumentativ vor allem die eigene Machtposition stärken wollen, was in der Regel über fachliches und/oder administratives Know-How geschieht (vgl. das vorangegangene Kap.). Im Kontext der Private Equity-Unternehmen
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Theoretisch gesprochen verweisen Deutungsmuster selbst bereits auf einen Bestand an problemadäquatem Erfahrungswissen, also dem Teil an Denkmustern, deren handlungsbezogener Erfolg sich pfadabhängig bereits ‚bewährt‘ hat (vgl. Garz/Raven 2015: 20ff).
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zeichnet sich dabei gar ein Handlungskonflikt an, bei dem die quantitativmodellierende Vorgehensweise der institutionellen Investoren ,kollidiert‘ mit dem Erfahrungswissen der deutschen Führungskräfte („Bauchgefühl“; EE10: 14): „Die Praktiker, die täglich, die täglich arbeiten und täglich mit den Problemen umgehen, und dann die, die auf 30.000 Fuß einmal über Frankfurt geflogen sind und das Unternehmen für 15 Jahre modelliert haben. Ja, das sind natürlich schon unterschiedliche Betrachtungsweisen, die nicht immer so ganz einfach zusammen passen.“ – so eine deutsche Führungskraft zur Kooperation und Charakterisierung der Arbeitsweise eines Private Equity-Eigners (PE6: 11).
Die vorliegende Passage weist, ohne sie hier sequenzanalytisch en Detail zu explizieren, einige für die allgemeine Fallstruktur zentrale Argumentationspunkte auf. Auch hier fällt sofort die strikte binäre Gegenüberstellung von ‚wir‘ (die Praktiker), und ‚die‘ (Modellierenden) auf. Die deutsche Führungskraft selbst präsentiert sich hier als Praktiker, der gewissermaßen ‚hemdsärmlig‘ (und vor allem jeden Tag/siehe Wiederholung im Zitat) der für ihn ‚wirklichen‘ und wesentlichen Arbeit nachgeht. Die gegenüberstellende Betrachtung des Private Equity-Eigners ist dabei durchaus mit einer polemischen Lesart zu deuten und macht (einmal mehr) erkennbar, was die deutsche Führungskraft als Praktiker von der modellierenden Arbeitsweise der Investoren hält. Die Gegenüberstellung dieser „unterschiedlichen Betrachtungsweisen“, die hier auch selbstreflexiv erkannt werden, deutet einen Strukturkonflikt an, der sich auch im Kontext der institutionellen Investoren materialübergreifend manifestiert. Gleichzeitig positioniert sich die deutsche Führungskraft bewusst als Problemlöser („täglich mit den Problemen umgehen“) und damit als ‚Macher‘ („Praktiker“) im deutschen Unternehmen in scharfer Distanzierung zu den modellierenden Investoren („Modellgläubigkeit“; PE6: 11). 7.5.5 Institutional Fit mit den Private Equity-Investoren? Eine Einordnung aus hermeneutischer Perspektive Während es in den BRIC-Konstellationen im Hinblick auf institutionell-bezogene Deutungsmuster und -strukturen der Kooperation und des Arbeitsstils zu durchaus konfliktreichen Handlungs- und Kooperationsmustern kommt, erscheint die Konstellation zwischen Private Equity-Eignern und den deutschen Führungskräften im Hinblick auf die Ausdeutung von Nähe und Distanz auf operativ-kommunikativer Ebene kohärenter, was die grundlegenden und gemeinsam geteilten Denkmuster anbetrifft. Das untersuchte Material zeigt sich dabei, sequenzanalytisch gesprochen, weniger krisenbehaftet (vgl. Garz/Raven 2015: 20f; 40f) und in wesentlichen Argumentationslinien abgestimmter mit den Zielvorstellungen und Handlungslogiken der
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neuen Private Equity-Eigner. Im Vergleich zur starken Mobilisierung basaler Deutungsmuster in der BRIC-Eignerstruktur kann hier von einer grundlegenden institutionellen Nähe (vgl. auch Gertler 2001; Asheim/Schwartz 2011) im Hinblick auf ökonomische Prozesse gesprochen werden, aber auch bezogen auf administrative Strukturen in den Unternehmen selbst. Elementare Deutungen, wie geschäftliche Strukturen und Prozesse in einem deutschen Unternehmen ablaufen, können durchaus als konform angesehen werden. Dies ist zunächst nicht verwunderlich, da die Führungskräfte ex ante sehr präzise darüber informiert sind, was Gegenstand der Zielvereinbarung ist, und sie zudem ‚gut vorbereitet‘ in die Verhandlungen für und in das Engagement selbst gegangen sind. Die jeweiligen Handlungskompetenzen sind in der Regel vorher bereits ausgehandelt und auch vertraglich fixiert. Insofern kommt es in der Private Equity-Struktur auch nicht zu Verstößen gegen die Professionsvorstellungen der deutschen Führungskräfte. Allerdings deutet sich an zahlreichen Stellen des Materials ein Strukturkonflikt an, bei dem die Handlungsautonomie der Führungskräfte durch die Mechanismen der Private Equity-Geschäftslogik tangiert wird. Argumentationslogisch räumen die Führungskräfte dem kreativen Gestaltungsspielraum gerade in dieser Konstellation, bei der die Verantwortlichkeiten ex ante bereits klar geregelt sind, eine zentrale Bedeutung ein. Die operativen Verantwortlichkeiten liegen bei den deutschen Führungskräften, worauf in der Regel auch strukturell bestanden wird. Die Führungskräfte wollen sich auch in dieser Investorenstruktur als Macher und Gestalter (vgl. von Alemann 2015: 169f) des Unternehmens verstanden wissen und deuten zumindest latent persönliche Konsequenzen im Falle eines Verstoßes gegen die eigene Berufsauffassung an. Insofern kann durchaus von einer institutionellen Nähe, was das grundlegende Verständnis von Geschäftsprozessen und Handlungsabläufen anbelangt, gesprochen werden, also den professionsethischen Fundierungen der Kooperation. Prozessual betrachtet (= Post-Merger-Integration) zeichnen sich aber durchaus auch krisenanfällige Muster in der Kommunikation und Kooperation mit dem institutionellen Investor an, was vor allem durch das latente Streben der deutschen Führungskräfte nach struktureller und operativer Handlungsautonomie im deutschen Unternehmen zu erklären ist. Offenbar manifestiert sich der Macht- und Gestaltungsanspruch der deutschen Führungskräfte in der Form eines strukturellen Autonomiestrebens nach operativer Handlungsfreiheit, was gleichsam eine Form der institutionellen Distanzproduktion gegenüber den Private Equity-Investoren begründet. Diese Distanzproduktion ist dabei weniger (sozio-)kultueller Art, sondern formiert sich vor allem im Kontext gezielter organisationaler und institutioneller Distanz (vgl. Boschma 2005; Kap. 4) zu den Private Equity-Eignern („...dass sie ihren Investment-Case realisieren. Das ist eigentlich das, das ist die [...] ganz einfache Beziehung, die wir zueinander haben...“ (PE 6: 7).
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Exkurs: objektiv-hermeneutische Interpretation des Begriffs ‚Führungskraft‘ Objektiv-hermeneutische Textauswertungen basieren, zumindest im Kontext von verschrifteten Interviewprotokollen, auf der sprachpragmatischen Analyse von Sprache, also Wörtern, Sequenzen oder ganzen Texten (vgl. Oevermann 1973; 2001a/b; Reichertz 1986: 214ff). Interessant im Sinne der Fragestellung erscheint dabei der Begriff der ‚Führungskraft‘ (im engl.: Executive Manager, Chief Executive Officer), wie er nicht nur in dieser Arbeit verwendet wird, sondern sehr allgemein in der Ansprache einer für jeden bekannten, wenngleich abstrakten beruflichen Positionsbeschreibung (= Kontextbezug). Der Begriff setzt sich dabei aus zwei Wörtern (= Sequenzen) zusammen, nämlich der des Führens und der Kraft. Die Bedeutung des Begriffs ‚Führen‘, die hier sachlogisch auf die leitende Umsetzung einer Sach- und Problemstellung referiert, nämlich die des Unternehmens, geht dabei über die des Leitens hinaus, was inhaltlich präziser wäre. Jemandem, der ‚führt‘, obliegt inhaltlich-formal der Anspruch der Richtungsentscheidung. Gleichbedeutend ist dies mit der Überlegung, dass, wer führt, auch eine Gefolgschaft hat, also Personen, die der führenden Person folgen. Damit ist die interdependente Machtstruktur definiert: Die führende Person definiert sich durch das Führen und die herausgehobene Stellung gegenüber den Personen, die sie führt. Der Begriff ‚führen‘ erscheint dabei aber durchaus als ganzheitlicher Machtanspruch, umreißt er doch nicht die konkreten Aufgabenbereiche, sondern betont das Führen als grundlegendes Muster. Jemand, der ‚führt‘, tut dies ganz bewusst und ist sich dieser Aufgabe auch grundsätzlich bewusst oder sollte dies zumindest sein. ‚Kraft‘ schließlich referiert sachlich auf den physikalischen Modus der zielgerichteten Umsetzung von Energie. Von einer ‚Führungskraft‘ wird also, sprachpragmatisch analysiert, erwartet, kraftvoll und zielgerichtet zu führen.
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7.6 METAPHERN UND SPRACHBILDER ALS SEMANTISCHE ASKRIPTIONEN VON ANNÄHERUNG UND DISTANZIERUNG IM KONTEXT DER UNTERNEHMENSÜBERNAHMEN Im untersuchten Material zeigen sich an vielen Stellen relevante Sprachbilder und Metaphern, die Aufschluss über die Denk- und Deutungslogik der Führungskräfte im Sinne eines gemeinsamen und kontextbezogenen Bildungshintergrundes geben (vgl. auch Schmitt 2003; Gehring 2010; Junge 2010; vgl. Kap. 3). So finden sich im untersuchten Material immer dort für die allgemeine Fallstruktur aufschlussreiche Passagen und Beispiele, wo die Führungskräfte von einer pragmatischgeschäftlichen Semantik zu einer narrativen, bildhaften Sprache wechseln. Besonders deutlich wird diese semantische Auffälligkeit im Kontext der BRICEignerstrukturen: Die Interviews zeichnen sich durch eine eingangs überwiegend positive Falldarstellung aus (= normative Offenheitssemantik). Erst durch explizites, problemorientiertes (vgl. Oevermann 2001b) Konfrontieren (vgl. Ullrich 1999a/b) zeigen sich Brüche und Krisentendenzen im Sinne einer sprachlichen Neubestimmung der kommunikativen Aushandlungsprozesse auf Deutungsmusterebene, was oftmals auch durch die (fallspezifisch unübliche) Verwendung von Metaphern und sprachlichen Bildern und Vergleichen untermauert wird (vgl. Gehring 2010; Junge 2010; für die Wirtschaftsgeographie vgl. exemplarisch: Fuchs 2011). 8 Fallbeispiel 1: „Also Kinder dürfen sich den Ehepartner selber suchen.“ (BRIC-Eignerstruktur; Metapher von der ‚Ehe‘; EE10: 2) Kontextbezug: Die befragte Führungskraft EE10 gibt den Verkaufsprozess wieder, an dem sie offenbar in leitender Funktion mit beteiligt war. Die Führungskraft schildert die konkrete Erwartungshaltung und die Rahmenbedingungen, die der neue Investor erfüllen muss, um in eine engere Auswahl möglicher Partner zu gelangen. Die Führungskraft stellt diesen Prozess als strukturierend beeinflussende Handlung des deutschen Managements dar, innerhalb derer vor allem die eigenen Standpunkte Gegenstand der Betrachtung sind. In der ausgewählten Passage beschreibt die Führungskraft den Prozess der Investorensuche als halbstrukturierten Prozess auf der Suche nach einem „Wunsch-Eigentümer“ (EE10: 2).
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Es ist selbstredend, dass an dieser Stelle Metaphern und sprachliche Bilder nur exemplarisch ausgewertet und dargestellt werden können. Auch wenn sich im untersuchten Material mehrere für die allgemeine Fallstruktur relevante Metaphern und weitere Sprachmuster finden, soll an dieser Stelle je Investorenstruktur ein Beispiel exemplarisch, kurz rekonstruiert und in die allgemeine Fallstruktur eingeordnet werden.
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Das initiale „Also“ offenbart zunächst, dass sich in subsumierender Weise auf einen vorangegangen Sachverhalt bezogen wird („also“ - um es noch einmal zusammenzufassen). Die Führungskraft scheint eine längere Passage über den zu beschreibenden Sachverhalt präsentiert zu haben und versucht nun, eine prägnante Zusammenfassung zu geben. Der Begriff „Kinder“ erscheint in diesem Kontext der sonst sehr pragmatischen Semantik der Führungskraft zunächst recht ungewöhnlich. Offenbar versucht die Führungskraft den Sachverhalt, den sie für sehr komplex hält, nunmehr in einem Bild oder einer Metapher auf einen einfachen und verständlichen Nenner zu bringen. „Dürfen“ erscheint in Zusammenhang mit Kindern sehr typisch: Aus einer Erwachsenenbetrachtung dürfen Kinder bestimmte Dinge, andere Dinge wiederum nicht, wobei jeweils der Erwachsene (= Erziehungsberechtigte) die Entscheidungsbefugnis innehat. „...sich den Ehepartner selber suchen“ liest sich aus hermeneutischer Sicht zunächst skurril: Kinder bringt man zunächst nicht in den Kontext einer Ehegattensuche (!). Gemeint mit „Kindern“ scheint er selbst zu sein (= Lesart), stellvertretend für die Suche des deutschen Unternehmens nach einem geeigneten „Ehepartner“. Kinder – in diesem Fall gemeint als ‚Heranwachsende‘ - haben also das Recht, bei der Partnerwahl zumindest ein Wort mitzureden. Die Analogie dieses Bildes besteht in dem Recht, das sich das deutsche Unternehmen nimmt, den Kauf des Unternehmens, formal eigentlich eine Frage des höchsten Bieterpreises (hier: das Unternehmen war zuvor in Private Equity-Besitz), entscheidend mitzubestimmen und mitzugestalten. Die verharmlosende Semantik („Kinder dürfen“) verkörpert aber zugleich die zentrale Aussage dieser Sequenz: Wir (= das deutsche Unternehmen) nehmen uns das Recht, alle unternehmensrelevanten Entscheidungen selbst zu treffen, nicht aber, wie es auch hätte dargestellt werden können, kooperativ mit dem ausländischen Investor zusammen zu agieren. Rückbettung des Fallbeispiels in die generalisierte Fallstruktur der Deutungslogiken der deutschen Führungskräfte Fallbeispiel 1 hat dabei die selbst gedeutete Rolle und die des Investors im deutschen Unternehmen während der Verkaufsphase, aber auch darüber hinaus, verdeutlicht. Hier zeigen sich nicht nur initiale und distanzierende Handlungsbezüge zugunsten des deutschen Managements (= Handlungsautonomie), sondern auch der normative Bezug zum ‚eigenen‘ deutschen Unternehmen. Wesentlich für das Verständnis der Handlungslogik ist dabei beides: sowohl das prinzipielle und handlungsleitende Interesse der deutschen Führungskräfte, das deutsche Unternehmen voranzubringen, als auch die deutungslogische Grundhaltung, diesen Prozess im Sinne der eigenen Handlungsfreiheit möglichst operativ und strategisch autonom zu gestalten.
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Fallbeispiel 2: „..bis dann der Inhaber diese Metapher Kirsche aufgeklärt hat. Der hat gesagt: ‚Hört zu, es gibt zwei gleich große Unternehmen mit gleich großer Bedeutung, die die gleichen Wurzeln und am gleichen Baum gewachsen sind...‘“ (westliche Investoren; PE2: 14) Kontextbezug: Die Führungskraft konkretisiert den Terminus der Übernahme und was dies für ihr Unternehmen bedeutet. Die Führungskraft sieht in der Übernahme eher eine formale Umschreibung eines für sie offensichtlichen Sachverhalts. Ihre Argumentation (die ganze Passage) zielt darauf ab, die Übernahme als Zusammenführung und Bündelung von Kompetenzen darzustellen. PE2 konkretisiert seine Überlegung mit dem Beispiel einer Unternehmenspräsentation, die der neue (finnische) Investor in seinem Unternehmen gegeben hat, um zu verdeutlichen, dass man auf Augenhöhe kooperiert. PE2 leitet die Darstellung der Metapher damit ein, dass er und seine Kollegen (deutsches Management) diese Darstellung des neuen Inhabers zunächst als „ein bisschen kitschig“ (PE2: 14), später jedoch als durchaus passend für den Übernahmefall erachtet hätten. Die Führungskraft leitet ihren Aussagesatz mit der Referenz auf den Inhaber selbst ein, so dass für den Interviewer deutlich wird, dass es sich offensichtlich um eine narrative Erinnerung einer von ihr erlebten Erzählstruktur handelt. Dem Zuhörer wird sogleich klar, dass es sich um einen Sachverhalt in bildhafter Semantik handelt, um die „Metapher“ der „Kirsche“. „Der hat gesagt“ erscheint hier abermals als deiktische Semantik, die sowohl die Lesart einer bewussten Nicht-Nennung des Sprechenden ermöglicht als auch die Lesart einer lapidaren und für PE2 nicht notwendigen Konkretisierung des Sprechers im Hinblick auf den eigentlichen Gehalt seiner Aussage. „Mit zwei gleich große Unternehmen“ konkretisiert PE2 den zentralen Sachverhalt des Aussagesatzes, für den er nachfolgend, gewissermaßen als metaphorischen Platzhalter, organisch gewachsene und natürliche Gebilde verwendet („Baum“, „Wurzeln“). Bei denen muss prinzipiell davon ausgegangen werden, dass diese jeweils nicht die gleichen Spezifika aufweisen, hier jedoch in idealtypischer Weise verdeutlicht werden soll, dass der Betrachter des ‚Bildes‘ die betrachteten „Bäume“, „Kirschen“ und „Wurzeln“ als gleich groß, also als gleich wichtig ansieht. Der sich wiederholende Terminus des „gleich“ untermauert diese Lesart. Die Tatsache, dass es sich um ein tatsächlich dargestelltes Bild handelt (= Kontextbezug), verdeutlicht die Intention des Investors, die mit diesem bildlichen Vergleich offenbar angestrebt wird: Beide Kirschen/Wurzeln/Bäume, hier als Stellvertreter einer organischen Beschreibung der beiden Unternehmen, sind gleichermaßen wichtig, wobei, und dies ist nicht unerheblich, das zunächst vor allem als Wunschvorstellung denn als Realität erscheint, nämlich in diesem Fall die des Investors selbst, auf die sich das Beispiel inhaltlich bezieht. Der Umstand, dass PE2 diese Erzählstruktur auf den Reiz der spezifischen Frage, ob er die formale Übernahme auch als Übernahme der Strukturen empfunden habe, anführt, zeigt, dass
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dieses Narrativ einer Fremderzählung für PE2 von wesentlicher Bedeutung für die Beschreibung der Kooperationsform mit dem neuen Investor ist. Rückbettung des Fallbeispiels in die generalisierte Fallstruktur der Deutungslogiken der deutschen Führungskräfte Das Fallbeispiel 2 bezieht sich als Einzelrekonstruktion auf den spezifischen Fall einer Unternehmensübernahme durch einen westlichen Investor. Dabei zeigt sich hier eine grundlegend andere Deutungs- und Askriptionslogik von institutioneller Nähe und Distanz, für welche die kurz analysierte Metapher durchaus stellvertretend für die allgemeine Fallstruktur der Private Equity-Konstellation angesehen werden kann. Auch wenn aus den Äußerungen des Interviewpartners nicht hervorgeht, ob die Kooperationsstrukturen tatsächlich konform sind und zumindest versucht wird, intensiv miteinander zu kooperieren, markiert die analysierte Metapher den offensichtlichen Versuch und/oder den Wunsch von PE2 nach einer Kooperationsform, die von einer symmetrischen Kommunikations- und Nähestruktur im Sinne institutioneller und sozialer Nähe geprägt ist. Die Ausführungen von PE2 können als stellvertretend für die Deutungen der in Private Equity-Strukturen arbeitenden Führungskräfte angesehen werden, die vor allem die operative Handlungsfreiheit im Unternehmen gewährleisten möchten und nicht top-down als Entscheidungsempfänger fungieren wollen. Im Verlaufe der Rekonstruktion der weiteren Interviews mit den Führungskräften in den Private Equity-Strukturen manifestieren und bestätigen sich diese prinzipiell konformeren Deutungsmuster von operativer Nähe der handelnden Personen im Sinne eines institutionellen Fits (vgl. Kap. 4).
7.7 EXPLIZITE UNTERSCHIEDE IN DEN DEUTUNGS- UND ASKRIPTIONSLOGIKEN DER INVESTORENGRUPPEN: SELEKTIVE AKTIVIERUNG UND MOBILISIERUNG VON NÄHE- UND DISTANZMUSTERN IM KONTEXT DER UNTERNEHMENSÜBERNAHME 7.7.1 Die BRIC-Investoren als Newcomer und ‚junge‘ Investorengruppe Wesentlich für das Verständnis der Aktivierung von Deutungsstrukturen im deutschen Management erscheint der empirische Befund, dass es sich bei den BRICEignern um eine vergleichsweise ‚junge‘ Investorengruppe auf dem Markt für internationale Direktinvestitionen handelt (Kap. 5). Für das Verständnis der allgemeinen Fallstruktur von Annäherung und Distanzierung in den beiden Investorenstruk-
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turen ist das insofern argumentationslogisch von zentraler Bedeutung (= Kontextbezug), da dies die rekonstruierte Investorenstruktur bereits ex ante determiniert und sich zahlreiche in den vorangegangenen Abschnitten rekonstruierte Handlungsund Kooperationsmuster im Hinblick auf Nähe und Distanz im fachlichen, administrativen und organisatorischen Know-How darauf rückbeziehen lassen. Die deutschen Führungskräfte greifen diese selbst gedeutete Asymmetrie in den basalen Kommunikationsstrukturen an vielen Stellen des Untersuchungsmaterials im Sinne eines argumentativen Fluchtpunktes bewusst auf. Zwar wird die passive Haltung der BRIC-Eigner durchaus als nachvollziehbar angesehen („Aber momentan ist es so, dass ein status quo konserviert wird.“ EE9: 16), jedoch gleichermaßen auch sehr kritisch, gerade wenn fachliches und administratives Know-How Gegenstand der Argumentation ist. Dabei wird deutlich, dass die grundlegende Haltung der BRICEigner, bezogen auf manifeste Kategorien der Kooperation (z. B. wenig fachliches Know-How, kaum inhaltliche Vorbereitungen, problemorientierte Entscheidungsstrukturen; Fuchs/Schalljo 2016: 23ff) in einen elementaren Deutungskonflikt mit den professionsethischen Vorstellungen der deutschen Führungskräfte gerät: „Die Jungs haben überhaupt keine Hemmungen, aus einer halben Tagessitzung eine Eineinhalb-Tagessitzung werden zu lassen, um zum 37. Mal nachzufragen, warum dies so und so sein muss...“ – so eine Führungskraft in einer BRIC-Eignerstruktur; EE10: 4.
EE10 beginnt seinen propositionalen Aussagesatz mit der Einleitung „Die Jungs“, auf welche sich die nachfolgende Aussage offensichtlich beziehen wird. Die Formulierung erscheint im formalem Kontext des Themas der Äußerungen von EE10 als ungewöhnlich, da sehr informell. Erwartbar wäre hier etwa die alternative Sequenzeröffnung ‚die Investoren‘ oder ‚die Eigner‘. Diese („die Jungs“) „...haben überhaupt keine Hemmungen“, das heißt, sie verstoßen offensichtlich gegen an dieser Stelle nicht weiter präzisierte ethische und moralische Vorstellungen der Führungskraft, wobei der Begriff „Hemmungen“ ebenfalls eher dem alltagsweltlichen Sprachgebrauch zugerechnet werden muss. „...aus einer halben Tagessitzung eine eineinhalb Tagessitzung werden zu lassen, ...“ bedeutet hier, ohne explizit sequenzanalytisch vorzugehen, dass EE10 den Sachverhalt nun dahingehend konkretisiert, dass „die Jungs“ (gemeint sind die chinesischen Eigner des Unternehmens) offensichtlich die geplanten und strukturierten Abläufe im deutschen Unternehmen stören und verzögern. Die explizite sprachliche Zeitbezugnahme „...zum 37. Mal nachzufragen, ...“ erscheint hier als grobe und vermutlich überhöhte Schätzung, wie oft „die Jungs“ nachgefragt haben, ohne zu präzisieren, wonach denn gefragt wurde. Diese bewusste Überhöhung zeigt hermeneutisch gesprochen ein gewisses Unverständnis gegenüber den Vorgehensweisen der chinesischen Investoren bzw. deren Abweichen von offensichtlichen Handlungsrationalitäten im deutschen Unternehmen. „...warum dies so und so sein muss...“ stellt hier den Versuch einer Konkreti-
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sierung des nachgefragten Sachverhalts dar, ohne ihn dabei inhaltlich wirklich zu präzisieren. Offenbar hält EE10 dies nicht weiter für nötig, was abermals die Lesart nach dem Verstoß selbst als das eigentliche Problem des EE10 verstärkt. Im Hinblick auf die allgemeine Fallstruktur von Nähe und Distanz zeigt sich hier eine große Verwunderung über die offenbar wenig informierte und fachlich kaum vorbereitete Haltung der BRIC-Eigner in den Gesprächen mit dem deutschen Management. Interessant sind aus sprachpragmatischer Sicht vor allem die deiktischen Formulierungen („die Jungs“), was durchaus eine Lesart der bereits analysierten Abgrenzung und des Othering impliziert wie auch die Überhöhung der Nachfrageanzahl („37. Mal“), um damit noch einmal zu verdeutlichen, wie ungewöhnlich dies offensichtlich aus der Haltung der deutschen Führungskräfte erscheint. Auf der Ebene der manifesten Kooperation mit den BRIC-Eignern wird vor allem das Thema Sprache und fachliche Kommunikation immer wieder von den deutschen Führungskräften thematisiert. Dabei wird die sprachliche Kommunikation mit den chinesischen Investoren zumeist als problematisch dargestellt. Während einige Führungskräfte den chinesischen Investoren durchaus eine gewisse Lernfähigkeit attestieren („...Englisch würde ich sagen, funktioniert mittlerweile ganz gut. Die haben also auch eine enorme Lernkurve mit Lesen.“ EE9: 7/89), zeigen sich in einigen der untersuchten Strukturen auch Fälle, in denen die chinesischen Investoren als lernunwillig („Das findet nicht statt. Das gibt es nicht, das gibt es nicht.“ EE3: 17) gedeutet werden. Gleichzeitig ermöglichen diese asymmetrischen Strukturen und die damit verbundene abwartende Haltung der BRIC-Investoren den deutschen Führungskräften, die elementare Deutung von Handlungsautonomie im Sinne des Erfolgs des deutschen Unternehmens handlungswirksam umzusetzen. Die Rekonstruktion der Kooperationsstrukturen ergibt dabei ein latent wirksames Paradoxon: Gerade die abwartende Haltung, bei welcher der BRIC-Eigner wenig bis gar nicht in das Tagesgeschäft der deutschen Unternehmen eingreift, begründet zumindest im Moment den scheinbaren Erfolg der untersuchten Struktur: „Und das enabled uns eigentlich hier, diesen Fremdkörper zu haben.“ – so eine Führungskraft in einer BRIC-Eignerstruktur; EE10: 9).
In der vorliegenden Passage kulminiert die Deutungslogik der deutschen Führungskräfte im Hinblick auf die distanzierte Kooperation mit den asiatischen Eignern in einer Sequenzabfolge: EE10 referiert im Kontext der Passage auf die Fä-
9
Abermals zeigt sich an dieser Sequenz der deiktische Sprachgebrauch der deutschen Führungskraft. Nicht von einem (gemeinsamen) ‚Wir‘ ist die Rede, sondern von einer bewussten Abgrenzung zwischen ‚Wir‘ (dem deutschen Management) und ‚Denen‘ (den chinesischen Eignern; vgl. hierzu auch Fuchs/Schalljo 2017a).
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higkeiten des deutschen Unternehmens und Managements im Hinblick auf Technologie, Design und Know-How und führt dann in Hinblick auf den asiatischen Eigner aus: „Und das“ als sprachliche Referenz auf den zuvor thematisierten Sachverhalt (= Kontextwissen). „Enabled“ erscheint hier als ungewöhnlicher, aber durchaus managementtypischer Anglizismus, der inhaltslogisch mit ‚ermöglicht‘ am besten zu übersetzen ist. Hermeneutisch erscheint die Sequenz jedoch zugleich als immanente Denklogik des EE10, bei der es vor allem darum geht, das Unternehmen selbst voranzubringen („enablen“). „Hier“ bezieht sich als fiktive Ortsbeschreibung auf das deutsche Unternehmen als den Ort der Aushandlung mit dem Investor. „Diesen Fremdkörper“ (zu haben) stellt eine sehr drastische Einschätzung der Kooperationsstruktur mit dem asiatischen Investor dar. Ein „Fremdkörper“ ist dabei die versprachlichte Ausdrucksgestalt einer fremden Struktur in der eigenen (dem deutschen Unternehmen). Diese Struktur ist dem EE10 grundlegend fremd, so dass EE10 diesen Sachverhalt hier nicht weiter präzisiert, also was genau die Probleme mit dem Investor ausmachen. Diese drastische Einordnung der BRICEigner als „Fremdkörper“ (vgl. dazu den nachfolgenden Exkurs) im deutschen Unternehmen findet hier ihren sprachlichen Ausdruck. Die operativen Strukturen der untersuchten Eignerstrukturen bestätigen die allgemeine Fallstrukturdeutung eines „Fremdkörpers“ in den deutschen Unternehmen fallübergreifend in unterschiedlicher Deutlichkeit. Die Unerfahrenheit der BRIC-Eigner (v. a. aus der VR China) determiniert also die Struktur der kommunikativen Aushandlung, wird aber gewissermaßen auch als Mechanismus immer wieder von den deutschen Führungskräften bewusst aufgegriffen, um die eigene als überlegen gedeutete Rolle zu legitimieren. Dabei zeigt sich, dass sich die Lernprozesse (vgl. nachfolgendes Kapitel), sofern sie denn stattfinden, schon jetzt als problematisch gestalten und sich auf Deutungsmusterebene bereits latent krisenanfällige Strukturen aufzeigen lassen.
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Exkurs: zum Begriff des „Fremdkörpers“ aus objektiv-hermeneutischer Sichtweise – mögliche Lesarten im Kontext der Rekonstruktion Der Begriff des „Fremdkörpers“ (EE10: 9) erscheint, auch wenn er nur in einem Interview von einer deutschen Führungskraft explizit verwendet wurde, als zentral für die allgemeine Fallstruktur der Deutungen gegenüber den BRICInvestoren, manifestiert sich in diesem doch eine Praxis der deutlichen semantischen Abgrenzung und Zuordnung der BRIC-Eigner als ,Störfaktor‘ in den deutschen Unternehmen, wie es die anderen Einzelfallrekonstruktionen gleichermaßen aufzeigen. Der Begriff „Fremdkörper“ bietet dabei eine Bandbreite an Lesarten, die im Gesamten negativ konnotiert sind. Die fremde Struktur in der eigenen Struktur verweist zunächst auf einen medizinischen Terminus, nämlich dass ein schädlicher ‚Körper‘ übertragen wurde oder durch Verletzung(en), z. B. durch kriegerische Auseinandersetzungen, in das Gewebe/den Organismus eingedrungen ist, dort absehbar zu Schäden führt und im Sinne des eigenen Körpers (= Unternehmen) bestenfalls (operativ) beseitigt werden muss. Auch ein Weiterleben mit diesem Fremdkörper erscheint als möglich, jedoch nur unter Auflagen im Sinne eines Aushaltens und/oder Eindämmens dieses Fremdkörpers vom gesunden Körper. Fremd ist dieser Körper, da er durch seine Nicht-Zugehörigkeit (im negativen Sinne) zum eigenen Körper definiert ist, der sich in seiner Struktur vom anderen unterscheidet. Der Begriff verweist, ausgehend von seiner sachlichen Bedeutung, auch auf soziale Lesarten im Sinne seiner faktischen Verwendung im Kontext von Mobbing und Außenseiterstrukturen, also Sachen oder Personen, die in ihrer Umgebung fremd wirken (z. B. ein Sonderling). Augenscheinlich erscheint dabei im Kontext der Übernahme (M&A) durch ein in der Regel wesentlich größeres chinesisches Unternehmen (= Umsatz, Mitarbeiterzahl) die Argumentationslogik eines „Fremdkörpers“ im deutschen Unternehmen (= Kontextwissen). Die logischere Strukturbeschreibung hingegen wäre die umgekehrte Einordnung, was die Frage aufwirft, wer hier wen ‚geschluckt‘ hat bzw. wer ‚geschluckt‘ wurde. Hier deutet sich im Sinne strukturkonservativer und machtbezogener Deutungen vor allem die bereits explizierte Lesart der Fokussierung auf das deutsche Unternehmen als den Ausgangs- und Kulminationspunkt der Argumentation(en) an.
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7.7.2 Der lernende Investor versus gemeinsam lernen Auffälligste Strukturdeutung von Nähe und Distanz der BRIC-Investoren im empirischen Material ist die begriffliche Fassung und Umschreibung der BRIC-Eigner als ‚lernende Investoren‘: „...man könnte es so verstehen, [die haben einen] Lern-, Nachfrage- und Aufschlauungsanteil.“ (EE10: 4)
In dieser Sequenz zeigen sich gleich zwei für die allgemeine Fallstruktur zentrale Aspekte: a.) die abermals deiktischen und unpersönlichen Formulierungen bezüglich der Investoren („die“); außerdem impliziert b.) der Begriff ‚schlau‘ in „Aufschlauungsanteil) ebenfalls etwas deutlich Wertendes, da dieser sehr grundlegend erscheint und dabei sprachlich klar schematisiert, wer hier für schlau gehalten wird und wer nicht (!). Alternativ und inhaltslogisch ‚sinnvoller‘ und weniger wertend wäre hier der Begriff ‚Informationsbedarf‘. Spricht die Führungskraft also von einem „Aufschlauungsanteil“ des asiatischen Eigners, manifestiert sich hier gleichermaßen eine asymmetrische und vorwiegend wertnegative Haltung gegenüber dem asiatischen Eigner des deutschen Unternehmens. Die sprachliche Konstruktion von lernenden Investoren, verbunden mit den jeweiligen Ausführungen und Sequenzen zu diesem Aspekt, ergibt zentrale, weil handlungsrelevante, Strukturdeutungen der Führungskräfte. Auffällig ist auch hier das anfängliche Wohlwollen gegenüber den Investoren, was sich sprachlich in vergleichsweise positiven Äußerungen niederschlägt. Lernen beinhaltet aber nicht nur die Lesart von einer positiven Richtungsentwicklung im Sinne eines kooperativ angelegten Lernprozesses der sozialen und fachlichen Annäherung, sondern offenbart im Material gleichermaßen ein negatives Erstaunen über fehlende Kompetenzen und Wissen der BRIC-Investoren seitens der deutschen Führungskräfte, wie im oben angeführten kurzen Auswertungsbeispiel bereits expliziert wurde. Überall dort, wo sich in der Aushandlung mit den Investoren manifeste Probleme der Kooperation zeigen (z. B. administrative Prozesse, sprachliche Probleme, Management-Know-How), zeigt sich die Strukturdeutung einer westlich geprägten Professionsethik über die vom deutschen Management gedeuteten ‚richtigen‘ Strukturen und Prozesse für das Unternehmen: „...die Fähigkeit, die wir in Westeuropa haben – Management, Technologie, Design – das alles in engster Kombination zusammenzuhalten. Und das finden wir nirgendwo auf dieser Welt.“ (EE10: 9).
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EE10 betont hier in Analogie zur zuvor ausgewerteten Sequenz vor allem ein verortetes Wissen, das sich über das fachliche Know-How hinaus auch auf Routinen und spezifische Handlungsabläufe im deutschen Management bezieht (vgl. Kinder/Radwan 2010), was durchaus im Sinne eines Tacit Knowledge und organisationaler Routinen zu verstehen ist (vgl. dazu Kap. 7.5.4). Der räumliche Bezugspunkt liegt dabei auf „Westeuropa“, also nicht spezifisch deutsch, sondern offenbar auf eine räumlich weiter gefasste Wissensverbreitung. EE10 beendet die Sequenz mit der (abermals) deutlich abgrenzenden und eher negativ konnotierten Formulierung „nirgendwo auf dieser Welt“, was aufgrund der Diffusität der Sequenz durchaus die Lesart eines ‚wir gegen den Rest der Welt‘ impliziert. EE10 zeigt hier sehr deutliche Überlegenheitsdeutungen im Hinblick auf räumlich und milieuspezifisch anzutreffende Wissensstrukturen. Die Deutung der deutschen Führungskräfte von ‚lernenden Investoren‘ offenbart darüber hinaus aber zwei weitere für die Fallstruktur zentrale Aspekte: Die Aushandlung der sozialen Rollen im Unternehmen versetzt die deutschen Führungskräfte in die Strukturlogik eines Dozierenden, wie er gegenüber dem neuen Investor auftritt und sich argumentationslogisch bewusst in eben dieser Rolle positioniert. Der Lernprozess wird semantisch einseitig argumentiert, was sprachlich eben so auffällig ist wie die Tatsache, dass, wenn es um die konkreten Probleme mit den Investoren geht, nur sehr diffus und abstrakt formuliert wird („Aufschlauungsanteil“; EE10: 4). Dies lässt die Lesart zu, dass es den deutschen Führungskräften vor allem um die Rolle des Dozierens im Sinne einer absichtsvollen Positionierung geht (vgl. hierzu auch Oevermann 2001c), nicht aber notwendigerweise um einen gemeinsamen Lern- und Annäherungsprozess, denn „die“ (BRIC-Eigner) haben einen hohen Lernbedarf. Wie ein deutsches Management ‚funktioniert‘ („ein westlich denkender Manager“ – EE10: 10), ist dabei in den milieuspezifischen Denkmustern der Führungskräfte internalisiert sowie makrostrukturell in den Deutungen einer westlichen Managementauffassung und Berufsethik, wie sie auch Managementschulen und Lehrbücher vielfach propagieren (Kap. 6). Eine wesentlich differenzierte Strukturlogik-und -dynamik der Nähe- und Distanzproduktion offenbart sich in den Kooperationsstrukturen der von Private Equity-Gesellschaften übernommenen deutschen Unternehmen: Im Gegensatz zu den BRIC-Eignern offenbaren sich hier in den Deutungen der Führungskräfte ‚klarer‘ definierte und ex ante präziser abgestimmte Positionen, aber auch grundlegende Denkmuster, die im untersuchten Material vergleichbarer erscheinen. Dies umfasst nicht nur die wesentlich präzisere strategische Perspektive (= Exit zum Zeitpunkt X mit einem Maximum an Rendite), sondern zugleich auch die operative Ausformung dieser anvisierten Zielvorstellungen. So operieren die befragten Führungskräfte in den Private Equity-Konstellationen vor dem Hintergrund ex ante definierter strategischer Zielvereinbarungen gleichermaßen unabhängig:
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„...solange die glauben, dass ich ihnen Geld liefere, sind die total happy.“ (PE6: 8).
Die vorliegende Sequenz kann durchaus als stellvertretend für die Deutungs- und Handlungslogik der deutschen Führungskräfte in den Private EquityEignerstrukturen angesehen werden. Auffällig, wenn auch nicht überraschend, ist dabei neben dem abermals deiktischen Sprachgebrauch („die“ Investoren) zunächst der strikte Bezug auf das „Geld“, dem zentralen Movens des Handelns, vor allem in dieser Struktur. Wesentlicher im Kontext der Ausdeutung von Nähe und Distanz erscheint die Formulierung „sind die total happy“, die abermals als abgrenzend erscheint. Darüber hinaus zeigt sich hier der Sachverhalt, dass PE6 es grundlegend ablehnt, sich von den Investoren operativ beeinflussen zu lassen (= Kontextbezug). Die Führungskraft möchte sich nicht reinreden lassen, vor allem nicht im Hinblick auf operative Strukturen und Entscheidungen. PE6 zeigt hier eine bewusste operative Distanzierungspraxis gegenüber dem Investor, von dem er sich sprachlich klar abgrenzt. Jedoch ist PE6 durchaus bewusst, dass diese Kooperationsstruktur einzig durch das Stimmen der Zahlen definiert und legitimiert ist. Die Kommunikation und Kooperation zwischen deutschen Führungskräften und Private Equity-Eignern erscheint dennoch als zielgerichteter, enger abgestimmt, was die Zeitabstände der Meetings anbelangt, sowie vor allem koordinierter im Hinblick auf Know-How und basale Prozessabläufe. Zwar zeigt die Rekonstruktion auch hier ein strukturelles Autonomiestreben der Führungskräfte (zum Zwecke der eigenen Karriere), jedoch offenbaren sich gleichermaßen wesentlich dichtere Verflechtungen in den Interaktionen im Sinne eines gemeinsam für das Unternehmen Lernens: „Aber das Gute an Private Equity, sie wissen vom ersten Tag an, wo sie dran sind. Das heißt, die Ziele sind klar. [...] haben Sie einen Businessplan dazu aufgestellt.“ PE3: 10).
PE3 stellt in der vorliegenden Sequenz „das Gute“ an Private Equity-Investoren im Gesamten heraus, was durchaus auch die Lesart eines möglichen alternativen ‚Schlechten‘ impliziert. „..sie wissen vom ersten Tag an, wo sie dran sind“ erscheint im Untersuchungskontext insofern als zentrale Aussage, als dass sich hier im Hinblick auf institutionelle Näheformen wesentlich klarer definierte und ex ante strukturierte Prozessabläufe zeigen, was der professionsethischen Grundhaltung der deutschen Führungskraft im Sinne eines Institutional Fits mit den Private Equity-Eignern offenbar sehr entgegen kommt. „...klare Ziele“ und ein „Businessplan“ (der in der Regel im BRIC-Kontext nicht auszumachen ist) untermauern diese Lesart von konformen Deutungs- und Handlungsstrukturen im Sinne einer institutionellen Nähe. Für die professionsethische Grundhaltung des PE3 scheint dieser Sachverhalt von geradezu elementarer Bedeutung zu sein, was die Lesart einer sehr grundlegenden Strukturdeutung dieser Handlungsabläufe untermauert.
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Interessant erscheint in dem Zusammenhang und im Sinne Oevermanns konfrontierender Materialrekonstruktion (ausführlich: Kap. 6) der Blick auf diejenigen Private Equity-Konstellationen, bei denen sich die basalen Deutungslogiken weniger konform zeigen. So offenbarte die Übernahme durch einen ‚nordischen‘ Investor (hier: aus Finnland), dass Hierarchien im deutschen Management ebenfalls sehr deutlich ausgeprägt sind. In diesem speziellen Fall mussten sich die deutschen Führungskräfte daran gewöhnen, dass die Hierarchien dieses Investors wesentlich ,flacher‘ sind (z. B. gibt es dort keine eigenen Büros, sondern eine große Arbeitshalle). Dieser empirische Ausreißer (Kap. 6) ist für die allgemeine Fallstruktur insofern spannend, weil er zwei Dinge sichtbar macht: Erstens existieren auch im deutschen Management bisweilen deutliche Hierarchien; und zweitens erscheint das Präsentieren der eigenen als ‚flach‘ angesehenen Hierarchiestrukturen bis zu einem gewissen Grad als Wunschvorstellung des deutschen Managements, aber auch als Teil der argumentativen Abgrenzungsstrategie gegenüber den BRIC-Eignern in anderem Kontext. 7.7.3 Differente Deutungen von Verantwortungsethik für das deutsche Unternehmen Verantwortung erscheint vor allem im Kontext politischer und medialer Diskurse als eines der zentralen gesellschaftlichen Deutungsschemata bei Unternehmensübernahmen, vor allem im viel diskutierten und medial beachteten Bereich der Private-Equity-Investoren (z. B. ‚Heuschrecken‘-Debatte). Aus Deutungsmustersicht ergeben sich im untersuchten Material ebenfalls einige grundlegende Argumentationsmuster, die für das Handeln der Führungskräfte von Bedeutung erscheinen. Dabei wird das Thema des verantwortungsvollen Handelns von den befragten Führungskräften in sehr unterschiedlichem Maße aufgegriffen und argumentiert. BRIC-Eignerstruktur Hier wird das Muster sozialer Verantwortung sprachlich oftmals mit Tradition, also der des deutschen Unternehmens, verknüpft. Vor allem aber wird das Thema auf Handlungsebene selbst diskutiert: Der Manager ist verantwortlich, dass es weiter und voran geht mit dem Unternehmen und hat dementsprechend zu handeln: „...unsere Belegschaften, und damit wissen sie: Jetzt ist nur noch der Kampf des Marktes da, aber nicht mehr irgendein Synergien- und Konsolidierungsrisiko für die Leute.“ – so eine Führungskraft in einer BRIC-Eignerstruktur (EE10: 12).
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EE10 referiert hier, ausgehend von „unseren Belegschaften“, auf den „Kampf des Marktes“, den EE10 als quasinatürliches Geschehen begreift, das die Belegschaften wie auch das Unternehmen selbst aushalten müssen. Jedoch erscheint EE10 es als wichtig, auch durch die Wahl des geeigneten Investors (= Kontextwissen) „irgendein Synergien- und Konsolidierungsrisiko“ auszuschließen oder zumindest zu vermeiden, so dass für „die Leute“, hier eine eher neutrale Lesart, diese Form des betriebswirtschaftlichen Risikos nicht mehr oder nur wenig besteht. Dabei zeigt sich bei EE10, stellvertretend für die Fallstruktur der deutschen Führungskräfte in den BRIC-Eignerstrukturen, eine Form der gewachsenen Verantwortungsethik gegenüber der eigenen Belegschaft, was hermeneutisch auch im Kontext der bereits diskutierten professionsethischen Grundhaltungen der Führungskräfte zu verstehen ist. Vor allem in den traditionsreichen Industrieunternehmen, die überwiegend von chinesischen Eignern übernommen wurden, zeigt sich das Muster des verantwortungsvollen Handelns der Führungskraft des Unternehmens für die eigene Belegschaft. Unterschwellig, sei es etwa in Vertragsaushandlungen und ‚Jobgarantien‘ (z. B. Fünfjahresgarantie für einen deutschen Standort im Ruhrgebiet), erscheint dabei durchaus ein normatives Muster der gesellschaftlichen Verantwortung und (persönlichen) Verantwortungsethik. Dies wird offenbar umso mehr handlungswirksam, je länger die Führungskraft im Unternehmen tätig ist: Gerade im Bereich der deutschen Traditionsunternehmen haben einige der befragten Führungskräfte ‚Karriere im Unternehmen‘ gemacht, was die Deutung von Bindung zum Unternehmen noch offensichtlicher macht. Gleichzeitig zeigt sich eine unterschwellige Kritik an den ausländischen Investoren: Erstens wird von den Führungskräften eine Langzeitstrategie für das Unternehmen von Seiten der BRIC-Eigner vermisst. Für die Deutungen strategischer Unternehmensführung bedeutet dies, auch im Sinne der eigenen Belegschaft, einen klaren Verstoß gegen die Vorstellungen der deutschen Manager. Zweitens zeigt sich auch in der kurzfristigen Dimension unternehmerischen Handelns eine latente Kritik an der fehlenden Führungs- und Entscheidungsfähigkeit der BRIC-Eigner. Diese bewusste Positionierung als ‚Macher‘ korrespondiert auch mit den bereits diskutierten Bestrebungen nach Machterhalt und Handlungsautonomie auf Seiten der deutschen Führungskräfte im Kontext der kommunikativen Neuaushandlungen der ‚Verantwortlichkeiten‘ („...Chinesen, die tun sich unendlich schwer, etwas zu entscheiden.“ EE3: 4; vgl. dazu die präzise Auswertung in Kap. 7.3). Private-Equity-Eignerstruktur Innerhalb der Private-Equity-Strukturen wird von den befragten Führungskräften oftmals auf das medial negativ konnotierte Grundmuster einer negativen Darstellung der Investoren referiert („Heuschrecken“; PE6: 3). Dieses negative Referenz-
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muster zeigt nicht nur die Diffusion von Deutungsmustern auf gesellschaftlichem Maßstab, sondern bildet in den untersuchten Interviews argumentationslogisch auch den Ausgangspunkt für eine im Hinblick auf die eigene Konstellation durchweg und bewusst positive Darstellung der Struktur und der Unternehmenskonstellation; dies jedoch immer in argumentationslogischer Referenz auf das negative gesellschaftliche Deutungsmuster, was aus sozialgeographischer Sicht als hochgradig fallstrukturrelevant erscheint. Im Hinblick auf Verantwortung gegenüber der Belegschaft zeigt sich ein differenzierteres Bild in den Private Equity-Strukturen. In zahlreichen untersuchten Strukturen weist die Rekonstruktion der Tiefenmuster darauf hin, dass ökonomische Überlegungen (= gewinnmaximierendes Handeln) das überragende Muster in den Argumentationen der Führungskräfte ist. Es zeigen sich aber auch in dieser Struktur Ausnahmen: In denjenigen Fällen, wo die Führungskraft für einen längeren oder sehr langen Zeitraum im Unternehmen agiert, offenbaren sich ebenfalls Muster von Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Belegschaft („Also insofern gibt’s natürlich auch eine soziale Verantwortung.“ (PE 3: 34/35).
7.8 PHASEN DER UNTERNEHMENSÜBERNAHME AUS DEUTUNGSMUSTERPERSPEKTIVE: ANNÄHERUNG ODER DISTANZIERUNG IM PROZESS DER POST-MERGER-INTEGRATIONSPHASE? 7.8.1 Deutungsmuster der Annäherung und normativen Offenheit in der Pre-Merger-Phase Auch wenn die primäre Erhebung der empirischen Daten stets nach der eigentlichen Übernahme des Unternehmens erfolgte und die Deutungsmuster jeweils narrative Erinnerungen aus dem verschrifteten Material darstellen, zeichnet sich in den Interviewprotokollen durchaus eine methodologisch nachvollziehbare Dynamik in der Struktur des Übernahmegeschehens ab (vgl. hierzu auch Fuchs/Schalljo 2017a).10 Angesprochen auf die Bewertung der Investoren vor der Unternehmensübernahme, äußerten die Führungskräfte eine vergleichsweise offene Erwartungshaltung („waitand-see“; EE1: 3) gegenüber den neuen Eignern, was dem Deutungsmuster einer normativen Offenheitshaltung entspricht; vgl. Schueth/O’Loughlin 2008): „...wir haben uns versucht, zunächst mal von den rein sachlichen Dingen leiten zu lassen, und rein von der Sachebene war eine hohe Wahrscheinlichkeit gegeben, dass XX hier [...] einen
10 Dies wurde durch eine entsprechende Befragungsmethodik evoziert (vgl. zum Interviewleitfaden dieser Untersuchung den Anhang sowie Kap. 6).
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guten Platz in der XX finden würde. [...] Und insofern sind wir da relativ gelassen reingegangen.“ – so eine Führungskraft in einer BRIC-Eignerstruktur (EE1: 3).
Die vorliegende Sequenz verdeutlicht anschaulich die Strukturdeutung der deutschen Führungskräfte in der Pre-Merger-Phase, also die Haltung gegenüber den ausländischen Investoren. Auffällig und für die allgemeine Fallstruktur am deutlichsten zeigt sich diese Haltung in der sich wiederholenden sprachlichen Figur des Sachlichen, also der Bezugnahme auf inhaltliche Themen im Kontext des Unternehmens und der Übernahme. Der Begriff der Wahrscheinlichkeit, einem Terminus der Mathematik entstammend, unterstützt hier die Lesart einer Fokussierung auf die sachlichen, respektive rein ökonomischen Aspekte der Unternehmensübernahme und -zusammenführung. Wichtig erscheint dabei der offensichtlich formulierte Wunsch von EE1, dass das deutsche Unternehmen einen „Platz“ im neuen Unternehmen finden solle, was die Lesart einer Autonomiebekundung auf operativer Ebene zulässt. „Gelassen“ erscheint im Kontext des inhaltlichen Themas der Äußerung (= propositionaler Sprechakt) als durchaus ungewöhnlich, kann aber im Sinne der allgemeinen Fallstruktur als ökonomisch motivierte Offenheitshaltung gegenüber neuen Investoren und Partnern gedeutet werden, mit denen ex ante in jedem Falle ein positives Verhältnis angestrebt wird. Zum Kontextbezug: EE1 betont hier zwar die normative Offenheitshaltung gegenüber den ausländischen Investoren, jedoch treten die Probleme mit dem BRICInvestor vor allem auf operativer und kultureller Ebene im weiteren Verlaufe des Interviews recht deutlich und oftmals erst nach expliziter Nachfrage zutage. EE1 ist bemüht, den eigenen Übernahmefall als positiv darzustellen, gelangt aber selbst zu dem Ergebnis, dass sich die Probleme mit dem neuen Investor als wesentlich umfangreicher und gravierender herausgestellt haben als dies ex ante anvisiert wurde. EE1 führt dabei vor allem sprachliche und kulturelle Faktoren an, und dies in zum Teil deutlicher semantischer Abgrenzung zu den ausländischen Eignern. Dieses hier analysierte Denkmuster, das sich strukturübergreifend aufzeigen lässt, erscheint vor allem als normative Haltung gegenüber den neuen Investoren, da diese unter ökonomischen Gesichtspunkten (z. B. potenzielle Geldgeber, Erschließung neuer Märkte, Joint Ventures) dem deutschen Unternehmen eine Wachstumsgelegenheit bieten (vgl. Fuchs/Schalljo 2017a). Die genauere Rekonstruktion der Sprachstrategien offenbart jedoch bereits hier eine kritisch-abwartende und an spezifische Bedingungen geknüpfte Erwartung der deutschen Führungskräfte, die zum Ausgangspunkt der späteren Distanzierungspraktik gegenüber den Investoren im Verlaufe der Post-Merger-Phase avanciert. Dies bedeutet, dass in der Pre-Merger-Phase vor allem strategisch-ökonomische Aspekte die Entscheidung für den Merger und den jeweiligen Investor motiviert haben. Kulturelle Aspekte tauchen derweil in dieser Phase des Narrativs selten bis gar nicht auf („The only culture we have is agriculture.“ – EE7: 8). Etwas später im
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zuvor untersuchten Einzelfall zeigen sich, repräsentativ für die gesamte Fallstruktur der BRIC-Eignerstrukturen, diese kulturellen Faktoren dann umso deutlicher („Und die Kultur und die kulturellen Unterschiede beschäftigen uns heute nach zwei Jahren noch genauso intensiv wie zu Anfang.“ EE1: 5). Dies erscheint nicht nur im Hinblick auf die Pre-Merger-Phase als interessant, sondern aufgrund der vorliegenden Schilderung, dass in diesem Case offenbar auch nach zwei Jahren kaum Synergien und Annäherungen zwischen den Unternehmen stattgefunden haben. 7.8.2 Stabile Deutungsmuster im Prozess der Übernahme als latenter Prüfstein der Annäherungs- und Distanzierungspraxis gegenüber den ausländischen Investoren: eine erste Einordnung der Ergebnisse Oevermann konzipiert seinen Theorieansatz keineswegs statisch (ausführlich: Kap. 3): Deutungsmuster sind zwar langfristig stabile, wiederkehrende Muster der Problemlösung, können (und müssen) sich aber entsprechend der realen Handlungsprobleme und -anforderungen verändern und problemadäquat anpassen (ausführlich: Garz/Raven 2015: 20ff). Zwar deuten sich im untersuchten Material durchaus krisenhafte Tendenzen und argumentative Distanzierungslogiken an, dies vor allem im Kontext der Handlungsautonomie der Führungskräfte sowie den Verstößen gegen die professionsethischen Vorstellungen der deutschen Führungskräfte in den BRIC-Eignerstrukturen, jedoch bleiben die untersuchten Deutungsmuster in ihrer strukturellen Verankerung (z. B. tradierte Vorstellungen, gewohnte Prozessabläufe) stabil während des Prozesses der Unternehmensübernahme und auch im weiteren Verlauf der Post-Merger-Integration. Ein Prozessverständnis deutet sich methodologisch in der narrativen ex post-Betrachtung der Führungskräfte darin an, dass der Grundbestand an Deutungsmustern erst durch manifeste, also sichtbare Probleme mit den BRIC-Eignern aktiviert und mobilisiert wird (vgl. Fuchs/Schalljo 2016: 24-26; Abb. 27). Die semantische Rekonstruktion der BRIC-Eignerstrukturen zeigt ein hochgradig fallstrukturrelevantes Muster auf (Abb. 27): Zu Beginn der Beschreibung der Investoren und der Kooperationsstrukturen wird nahezu ausschließlich ein positives Bild des eigenen Falles und deutschen Unternehmens sowie von der Kooperation mit den Investoren präsentiert. Noch mehr verweisen die sprachlichen Offenheitssemantiken der deutschen Führungskräfte auf ein normatives Denkmuster der ökonomisch motivierten Offenheit gegenüber den ausländischen Investoren. Die Denkstruktur dahinter zeigt auf, dass die Suche nach einem/dem geeigneten Investor nahezu immer von normativen ökonomischen Prämissen geleitet ist („Aber rein vom Papier her war die russische Firma diejenige, wo man wirklich sagen kann, das [...] war ein Fit.“ (EE1: 3); vgl. dazu die Deutungslogiken zum institutionellen Fit).
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Im Verlaufe der narrativ rekonstruierten Fallstruktur der Zusammenführung der Unternehmen (= Post-Merger-Integration) zeigen sich im Untersuchungsmaterial der BRIC-Eignerstrukturen jedoch zum Teil erhebliche Probleme auf der manifesten Ebene der tatsächlichen Kooperation. Als Folge, aber auch als Ursache dieser Dynamik, kommt es zu einer problembezogenen Aktivierung und Mobilisierung von Deutungsmustern (Abb. 27). In den kulturellen und sozialen Differenzerfahrungen der alltäglichen Kooperation (Kap. 5) offenbaren sich auf Deutungsmusterebene vor allem divergierende Professions- und Handlungsvorstellungen im Hinblick auf die Strukturen und Prozesse des deutschen Unternehmens, bei denen vor allem die BRIC-Eigner als störendes Element im Unternehmen dargestellt werden. Die BRIC-Eigner werden von den deutschen Führungskräften an diesen verankerten Denklogiken gemessen. Die Aktivierung der Deutungsmuster ist dabei sequenzanalytisch gesehen die erste prozessuale Dimension im untersuchten Material (Abb. 27). Nicht minder spannend erscheint das Ergebnis, dass die Führungskräfte sich nun von den BRIC-Eignern bewusst abgrenzen und dabei vor allem mit einer Kultur- und wertebezogenen Semantik argumentieren. Dies erscheint insofern als ein relevantes sprachliches Muster, da diese argumentativen Bezugnahmen in der Anfangsphase der Übernahme im Untersuchungsmaterial wenig bis keine Rolle gespielt haben. Im Verlaufe der Interviews aber beziehen die Führungskräfte diese professionsethisch fundierte Differenzerfahrung stets auf ein argumentatives Muster des kulturellen ‚Andersseins‘ („Das kann man mit Chinesen nicht.“ EE3: 5; vgl. Rothfuß 2009; 2013). Dieser zentrale Befund erscheint auch im Kontext der in Kapitel 5 vorgestellten Kulturdebatten in der M&A-Literatur hochgradig relevant, zeichnet sich doch hier rekonstruktiv eine Fallstruktur ab, innerhalb derer kulturelle Aspekte der Unternehmensübernahme zunächst zugunsten von rein ökonomischen Aspekten ausgeblendet werden, jedoch im Prozess der Übernahme zunehmend von argumentations- und handlungsleitender Bedeutung werden und so die Distanzierungslogik gegenüber den ausländischen Eignern, vor allem gegenüber den BRICInvestoren, initial erst ermöglichen (Abb. 27).
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Abbildung 27: Aktivierung von Deutungsmustern durch manifeste Probleme der Kooperation in den BRIC-Eignerstrukturen: Ansatzpunkte einer dynamischen Sichtweise auf den Post-Merger-Prozess
Dabei verändern sich einige der latenten Sichtweisen der Führungskräfte gegenüber den ausländischen Investoren (z. B. die anfängliche Offenheit dem Investor gegenüber zu einer Semantik der institutionellen, kulturellen und sozialen Distanz), jedoch zeigen sich die grundlegenden und handlungsleitenden Schematisierungsmuster, vor allem das einer spezifisch ‚westlichen‘ Professionsethik, als stabil. Mehr noch, das untersuchte Material ist vor allem durch eben diese Strukturen gekennzeichnet, gegen deren westlich-professionsbezogene Deutungsmuster vor allem die ‚jungen Investoren‘ aus den BRIC-Staaten verstoßen und diese dadurch methodologisch erst sichtbar und rekonstruktionslogisch zugänglich machen. 7.8.3 Erfolg des M&A trotz Distanzierungsprozesse in der Post-Merger-Phase? Deutungen der Unternehmensübernahme ex post Die Übernahme durch den ausländischen Eigner wird von allen befragten Führungskräften unabhängig, ob deren Unternehmen von einem Private EquityEigentümer oder einen BRIC-Eigner übernommen wurde, auf der inhaltslogischmanifesten Ebene zunächst nahezu durchweg als Erfolg bewertet. Die hermeneutische Rekonstruktion ergibt dabei jedoch einen detaillierten Befund, was sich in zwei differenten Sprachstrategien der deutschen Führungskräfte offenbart:
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• Auf spezifische Nachfrage nach jenen Aspekten, welche die Führungskräfte aus
der eigenen Perspektive heraus ‚besser‘ gemacht hätten, ergibt sich ein wesentlich differenzierteres Bild, das vor allem die Kritik im Hinblick auf fehlende Integrationsprozesse und ökonomische Synergien vermittelt. Auffällig ist die zunächst durchweg positive Darstellung des ‚eigenen‘ Falles, in teils scharfer sprachlicher Abgrenzung zu (fiktiven) anderen Fällen. Es zeigt sich bei den Führungskräften das Movens der unbedingt ‚positiven‘ Darstellung des eigenen Cases und die bisherige Bilanz in distanzierender Abgrenzung zu den ausländischen Investoren. Dabei erscheinen die Sprachstrukturen der in Private EquityKonstellationen wirkenden Führungskräfte tendenziell noch stärker auf die Legitimation dieser Investorenstruktur und des erreichten Erfolgs abzuzielen: „Es gibt auch schlechte Private Equity. Es gibt auch diejenigen, die das Geld rausziehen und danach ein Unternehmen in eine Insolvenz stürzen lassen. Leider gibt es diese Fälle. Und daher kommen ja auch die Missverständnisse. Also, es ist keineswegs so.“ – so eine Führungskraft in einer Private Equity-Eignerstruktur (PE7: 6).
Interessant erscheint hier die binär schematisierte Gegenüberstellung zwischen ,gut‘ und ,schlecht‘, wobei PE7 darum bemüht ist, deutlich zu machen, dass sein Case positiv ist und alles andere ein „Missverständnis“ wäre. PE7 grenzt sich dabei scharf von diesen Fällen ab, verdeutlicht aber durch seine Aussagen im Interviewkontext (= Kontextbezug), dass die Handlungen des Private EquityInvestors einer vergleichbaren Handlungslogik folgen (u. a. Personalkürzungen). Hier zeigt sich folglich die sich wiederholende Sprachstruktur dem Interviewer gegenüber, dass es im eigenen Unternehmen, anders als allgemein verbreitet, positiv anders ist. Diese Struktur der Argumentation gleicht dabei einer Selbstlegitimation der eigenen Strukturen vor dem Hintergrund der ökonomischen Entwicklung des deutschen Unternehmens. Aus sozialgeographischer Sicht ergibt sich so der spannende Befund, dass die befragten Führungskräfte offensichtlich auf ein negativ konnotiertes Denkmuster, was Übernahmen, vor allem durch Private Equity-Investoren im Allgemeinen anbelangt, referieren. Offenbar ist der eher negative Blick auf ausländische Investoren, dabei sowohl auf chinesische als auch auf institutionelle Investoren, auch im deutschen Management als Denkmuster verankert, das, zumindest dem Interviewpartner gegenüber, prinzipiell als legitimierungsbedürftig erscheint. • Passend und analog dazu ist die argumentative Darstellung der Unternehmens-
übernahme aus einer ‚Wir‘-Perspektive geschildert, wobei damit das deutsche Management und nicht die ausländischen Eigner im Sinne eines gemeinsamen ‚Wirs‘ mit adressiert ist. Hier werden zumeist ökonomische Kennzahlen der Unternehmensentwicklung sowie die für positiv gedeuteten Zukunftsaussichten an-
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geführt. Erst im Verlaufe der Interviews offenbart sich ein wesentlich differenzierteres Bild, gerade wenn es nicht vordergründig die ökonomischen Faktoren der Übernahme, sondern vor allem die kulturellen, sozialen und institutionellen Distanzen innerhalb der Investorenkonstellationen betrifft, welche im Verlaufe der Post-Merger-Integration mobilisiert werden (vgl. auch Fuchs/Schalljo 2017a). Gerade im Kontext der BRIC-Investoren relativiert sich diese normativpositive Gesamtdarstellung der Übernahme, auch motiviert durch Verhaltenseffekte einer positiven Darstellung, sehr deutlich in den Interviewprotokollen. Zwar wird hier ebenfalls eine positive ökonomische Entwicklung im Hinblick auf das deutsche Unternehmen gesehen, jedoch erscheinen all jene übernahmerelevanten Erfolgsfaktoren, die mit der direkten operativen und sozialen Aushandlung mit den ausländischen Eignern korrespondieren, negativ im Verlaufe der Argumentation.
7.9 DIE UNTERNEHMENSÜBERNAHME IM KONTEXT SPEZIFISCH KULTURELLER DEUTUNGS- UND ASKRIPTIONSLOGIKEN 7.9.1 Askriptionen von Kultur und kulturellen Unterschieden durch die deutschen Führungskräfte Neben den essentiellen und handlungsleitenden Deutungsmustern wird auch das Thema Kultur und dessen Rolle während und nach der Unternehmensübernahme dezidiert angesprochen, dies sowohl auf Nachfrage als auch als eigenständige Agenda seitens der Führungskräfte, was hermeneutisch als ungleich interessanter erscheint. Dabei lassen sich wesentliche Strukturdeutungen rekonstruieren, die sowohl tiefere Einblicke in das Geschehen transkultureller Übernahmen ermöglichen (vgl. Frantz 2015: 103ff) als auch die wirtschaftsgeographische Debatte über internationale Arbeitsstrukturen und -identitäten (Kap. 4 u. 5) um die erkenntnistheoretische Dimension latenter Deutungs- und Askriptionslogiken von Kultur erweitern können (vgl. Fuchs et al. 2017a). Auffällig in der Argumentation der Führungskräfte ist, wann und in welchem Zusammenhang von Kultur und kulturellen Unterschieden gesprochen wird: Immer dann, wenn es um die Probleme und Schwierigkeiten mit dem Investor geht, und dies ist im Kontext der BRIC-Eigner wesentlich öfter und umfangreicher der Fall, wird sogleich auf das Argumentationsmuster des kulturellen Andersseins referiert. Dabei bleiben die offensichtlichen Kritikpunkte an den Handlungsweisen der BRIC-Eigner zumeist ohne inhaltliche Präzisierung. Argumentationslogisch wird häufig auf unterschiedliche administrative Prozesse, differente Entscheidungsstruk-
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turen (dabei vor allem unterschiedliche Hierarchien) und der zumeist diffusen Referenz auf eine Verantwortungsethik für das Unternehmen referiert: „Das kann man mit den Chinesen nicht. [...] Also es ist eben von der Kultur her, weil jetzt, wenn es um die Inhalte geht und die Methodik, sehr unterschiedlich.“ (EE3: 5).
EE3 eröffnet den Aussagesatz mit einem „das“, was sich auf einen zuvor thematisierten Sachverhalt bezieht (= Kontextbezug), in dem EE3 die Probleme mit dem asiatischen Eigner diffus thematisiert und dabei vor allem unterschiedliche Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen kritisch betrachtet. „...mit den Chinesen“ erscheint hier als deiktische Formulierung und Grobschematisierung ‚der‘ chinesischen Kultur, die von EE3 nicht weiter unterschieden und/oder präzisiert wird. Abermals deutet sich sequenzlogisch eine strikte Unterscheidung zwischen einem fiktiven ‚wir‘ (= Kontextbezug) und „den Chinesen“ als ‚Andere‘ an, die zumeist als negativer Referenzpunkt positioniert werden. EE3 konkretisiert seine Aussage mit der Bezugnahme auf eine „Kultur“, die er offensichtlich als Summe dieser differenten Handlungslogiken ansieht. Ohne diese Sachverhalte weiter zu präzisieren, spricht EE3 nachfolgend von „Inhalt“ und „Methodik“, die sich unterscheiden würden. „Methodik“ erscheint dabei im Kontext der untersuchten Passage (= Kontextbezug) noch eher nachvollziehbar, da der Terminus vor allem auf den Modus Operandi eines Prozesses abzielt, also wie etwas gemacht wird. Das (nur kurz) analysierte Beispiel kann als stellvertretend für die Fallstruktur der Askriptionspraktiken der Führungskräfte angesehen werden. Hier zeigt sich, dass diese Askriptionsleistungen zwar zumeist inhaltlich motiviert sind, jedoch vor allem das Movens einer grob schematisierten Differenz zu einem ‚Anderen‘ die Deutungslogik der Führungskräfte leitet. Folgerichtig kann kaum von einer wirklichen Auseinandersetzung mit den kulturellen Unterschieden von Seiten der deutschen Führungskräfte gesprochen werden, schon gar nicht im Kontext von möglichen Synergiepotenzialen, was den bereits rekonstruierten Befund strukturkonservativer Deutungen untermauert („...es passt nicht in unsere Kultur, das passt einfach nicht.“; EE3: 8). Unterstützt wird diese Fallstrukturhypothese durch zumeist sehr unpräzise kulturelle Grobschematisierungen („Amerikaner sind mehr Marketing.“ – EE5: 8). Dabei wird, in Analogie zu den theoretischen Einsichten und Unterscheidungen in Kapitel 5, von den handelnden Akteuren selbst zumeist auf die Kategorie nationaler Kulturen referiert und nur in wenigen Fällen auf die organisationale Ebene (zur Unterscheidung vgl. Kap. 5). Dies ist insofern relevant, da in der direkten Kooperation zwischen den Akteuren der Unternehmen eigentlich erwartbar wäre, dass auf die Organisation als Referenzmaßstab fokussiert wird. Dennoch sprechen die Führungskräfte selbst immer von nationalen Kulturen, was die Fallstrukturhypothese bekräftigt, dass in den Deutungen der Führungskräfte sehr grundlegende Kategorisierungs- und Schematisierungsmechanismen verankert sind (= Stereotype),
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die gesellschaftlich und medial erlernt sind und als latentes Erfahrungswissen und immanente Fremdheitskonstruktionen in den kommunikativen Aushandlungsmechanismen mit einem kulturellen ‚Anderen‘ nur aktiviert werden (Rothfuß 2013: 201f; 2009; „Europäer sind vielleicht durch die Erziehung kreativer als Asiaten. [...] Da lernt man vielleicht die Kreativität nicht jetzt so wie in Amerika, äh Europa. Amerikaner sind mehr Marketing.“ – EE5: 8). Zentral für die Rekonstruktion der Fallstruktur ist dabei, dass kulturelles Anderssein in den Deutungsmustern der Führungskräfte vor allem negativ konnotiert ist (vgl. dazu Valentine 2010: 519ff). So fallen im Kontext der BRIC-Investoren sprachlogisch vor allem die deiktischen Argumentationen auf (vgl. dazu das ausführliche Analysebeispiel zu Beginn der empirischen Darstellung). Semantisch wird hierbei nicht nur eine klare Abgrenzung gegenüber den Investoren sichtbar, sondern gleichermaßen das Motiv des Abwertens: „Was bei uns normal ist, das kennen die nicht.“ (EE3: 7).
Das kurze Beispiel spiegelt die in den Interviews der BRIC-Eignerstrukturen typische Askriptionspraxis des kulturellen Otherings prägnant wieder. Dies betrifft sowohl die deiktische Gegenüberstellung von „bei uns“ gegenüber „die“ (Anderen) als auch, und vor allem, die Referenz auf das „Normal(e)“, was für EE3 hier als räumlich anzutreffende Handlungsrationalität schematisiert wird, gleichermaßen und kontextbezogen aber auch zum Maßstab der Kooperation mit den Investoren avanciert und gegen welchen (den Maßstab) vor allem die BRIC-Eigner in manifesten Kriterien der Kooperation verstoßen. Die Argumentationslogiken der deutschen Führungskräfte gegenüber den BRIC-Eignern erscheinen dabei eindeutig asymmetrisch, wie aus den vorherigen Ausführungen bereits hervorgegangen ist. Der BRICEigner wird dabei zumeist als „Fremdkörper“ (EE10: 9) schematisiert, wobei in einigen der untersuchten Interviews auch mit Stereotypen argumentiert wird, wie sie in gesellschaftlichen Deutungslogiken gemeinhin als verbreitet erscheinen: „Die Chinesen haben ja eingefrorene Gesichtszüge. [...] Ich kann einem Europäer nicht aufzwingen, dass er eingefrorene Gesichtszüge hat, ja.“ (EE 6: 12).
Ohne das vorliegende Zitat an dieser Stelle der Argumentation sequenzanalytisch zu analysieren, so fällt doch die stereotype Darstellung ,der Chinesen‘ besonders auf („eingefrorene Gesichtszüge“), was für EE6 an dieser Stelle grob schematisiert offenbar für alle „Chinesen“ gilt, ohne auch nur die theoretische Möglichkeit weiterer Differenzierungen. Zentral für die Analyse der Fallstruktur ist hier aber nicht nur die grob schematisierte Askription von Kultur, sondern gleichermaßen die resistente Haltung von EE6, sich „nicht aufzwingen“ zu lassen, „dass er eingefrorene Gesichtszüge hat“, womit das deutsche Management gemeint ist. Hier deutet sich,
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auch kontextbezogen, die Lesart einer strukturkonservativen Haltung der deutschen Führungskraft an, wie zuvor bereits analysiert. „Amerikaner, das ist zumindest meine Wahrnehmung, sind da noch deutlich dichter an unserem Kulturkreis.“ (EE 9: 6).
Auch hier zeigt sich die offenbar handlungsimmanente Logik grundlegender Askriptionen im Hinblick auf „Kulturkreis(e)“: Die Interviews, dabei vor allem die der BRIC-Eignerstrukturen, zeigen auf, dass die deutschen Führungskräfte offenbar über ein Set an grundlegenden Schematisierungsmustern verfügen, die situationsund problembezogen aktiviert und mobilisiert werden. Diese grob schematisierten Askriptionen von Kultur zeigen sich auch im Untersuchungsmaterial der Private Equity-Strukturen, wenngleich deutlich schwächer ausgeprägt. Im Kontext von nationalen Kulturen wird vollständig auf differente Kulturbetrachtungen verzichtet und tendenziell vermehrt auf organisationale Kulturen fokussiert (Kap. 5): „Also, ich würd’, glaub ich nicht, dass ich für XX arbeiten möchte.“ [...] Dann fühlen sie sich gegängelt.“ (PE 3: 15). Dafür sind im Wesentlichen zwei Gründe auszumachen: erstens die offenbar vergleichbare und weitestgehend konforme Deutungslogik, die sich in den manifesten Strukturen der Kooperation zeigt; sowie zweitens der Mechanismus einer ex ante vertraglich eindeutig geregelten Kooperationsstruktur, bei der gewissermaßen der Modus Operandi des Arbeitsverhältnisses initial gerahmt wird. Interessant für die Rekonstruktion der Deutungslogik der Führungskräfte ist die Selbstdarstellung der Führungskräfte als kosmopolitisch denkende und handelnde Personen. Vor allem in der Private EquityStruktur wird oftmals auf dieses kulturelle Erfahrungswissen referiert (Tacit Knowledge), was gleichermaßen als Handlungslegitimation fungiert (im Gegensatz zur ‚Excel-Sheet-Realität‘ der Private Equity-Eigner; vgl. das entsprechende Analysebeispiel). Diese basale Selbsteinschätzung zeigt sich auch bei den in BRICKonstellationen wirkenden Managern, wird aber angesichts der latent krisenhaften Tendenzen im Material oftmals als Wunschdenken entlarvt. Dabei zeigen sich in den BRIC-Konstellationen sowohl der Mechanismus der Abgrenzung und Distanzierung (Othering) als auch die semantischen Grobschematisierungen der Investoren (deiktische Argumentation) vor dem Hintergrund der eigenen tradierten Denkmuster wesentlich deutlicher (vgl. dazu auch Cranston 2016).
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7.9.2 Kultur und Krise: Deutungsmuster und kulturelle Askriptionslogiken als Ansatzpunkte zur Erklärung krisenhafter Kooperationsstrukturen im Untersuchungsmaterial – empirische Evidenzen und deren Einordnung Entsprechend der exemplarischen Einzelfallrekonstruktionen im vorangegangenen Abschnitt soll abschließend auf der Grundlage der bereits durchgeführten Rekonstruktionen der Frage nachgegangen werden, inwiefern die kulturellen und kulturspezifischen Deutungs- und Askriptionslogiken als Erklärungsansatz für die offensichtlich oftmals krisenhaft ausgeprägten Strukturen bei transkulturellen M&As (vgl. Shenkar 2012: 12f; Frantz 2015: 103ff) fungieren können, oder anders formuliert: Was erklären die Deutungsmuster im Kontext krisenhafter Kooperationsstrukturen im untersuchten Material? Im Hinblick auf die Askriptionslogiken kultureller Aspekte in der Kooperation mit den ausländischen Investoren zeigen sich dabei einige zentrale „Strukturprobleme“ (Oevermann 2001c) in den Schematisierungen der deutschen Führungskräfte: • Zunächst erscheint es so, als habe bis dato keine wirkliche Auseinandersetzung
mit den BRIC-Investoren stattgefunden, so dass zum jetzigen Zeitpunkt versucht wird, mögliche Differenzen in die Zukunft zu verschieben. Dennoch ist das untersuchte BRIC-Material bereits jetzt von teilweise erheblichen Krisentendenzen geprägt, was sich vor allem in deutlichen Aus- und Abgrenzungsmechanismen seitens der deutschen Führungskräfte zeigt. In der strukturellen Momentaufnahme der Materialrekonstruktion ergibt sich daraus das Paradoxon, dass die abwartende und ‚lernende‘ Haltung der BRIC-Eigner sich günstig auf die Deutungen von Handlungsautonomie der deutschen Führungskräfte auswirkt. • Zentral erscheint dabei jedoch der Befund, dass sich die Deutungen der deutschen Führungskräfte als sehr statisch erweisen. In ihrem Strukturkern zeigen sich die Deutungsmuster als stabil und verweisen vor allem auf eine strukturkonservative Haltung im Hinblick auf die Strukturen und Prozesse im deutschen Unternehmen, bei denen vor allem Tacit Knowledge, also an Personen gebundenes Wissen über Handlungsabläufe im deutschen Unternehmen, als Ausgangspunkt der Distanzierungspraxis gegenüber den ausländischen Investoren fungiert. Diese Überlegenheitsdeutungen zeigen sich in den untersuchten BRIC-Eignerstrukturen ungleich stärker. Die Auswertungen machen hier den Mechanismus der Distanzierung und Ausgrenzung gegenüber den Investoren deutlich (= Othering, Distancing; vgl. Cranston 2016). Der status quo zeigt bereits krisenhafte Tendenzen, die sich, sofern eine wirkliche Auseinandersetzung einmal stattfinden wird, weiter potenzieren können. Unterstützt wird diese materialbezogene Hypothese durch jene Fälle,
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bei denen der BRIC-Eigner massiver in die Abläufe des deutschen Unternehmens eingegriffen hat. Dabei zeigt sich umgehend eine latente Strukturkrise, bedingt durch die nun tatsächlich notwendig gewordenen Aushandlungsprozesse mit den Investoren. In den entsprechenden Interviews führt dies zu resistenten und abwehrenden Haltungen gegenüber den Investoren. • In der Aktivierung von Deutungsmustern nach der Unternehmensübernahme zeigt sich ein latentes Spannungsfeld zwischen normativer Offenheitssemantik und tradierten, strukturkonservativen Deutungen im deutschen Management, innerhalb derer wenig bis gar nicht von kulturellen Synergien die Rede ist. Insofern erscheint die Kooperation zwischen den deutschen Unternehmen und den BRICEignern in der Momentaufnahme der Materialauswertung vor allem als ökonomisch motivierte Zweckehe (vgl. Fuchs/Schalljo 2017a), bei der vor allem der Erfolg des deutschen Unternehmens die Motive der Führungskräfte steuert, kaum oder gar nicht aber die kooperative Passgenauigkeit mit dem ausländischen Investor. Simplifizierend formuliert könnte man hier die Hypothese aufstellen, dass kulturelle Aspekte der Unternehmensübernahme und -zusammenführung offenbar drastisch unterschätzt werden, vor allem in der Pre-Merger-Phase, innerhalb derer es vor allem darum geht, „den besten Deal zu machen“ oder den „Wunscheigentümer“ (EE10: 2) im ökonomischen Sinne zu finden (z. B. Wachstums- und Absatzmärkte). Diese Fallstrukturhypothese wird auch durch die Argumentationsstrukturen der Führungskräfte selbst gestützt: Während zu Beginn der Interviews wenig bis gar nicht von kulturellen Aspekten die Rede ist, treten diese in Form einer zumeist negativen Darstellung im weiteren Verlauf der Befragung oftmals sehr deutlich zu Tage. Wenn also oftmals formuliert wird, dass zahlreiche Unternehmensübernahmen an kulturellen Differenzen scheitern (vgl. Child et al. 2001; Dauber 2012; Frantz 2015; Kap. 5.5), so kann dieser Befund hier annähernd bestätigt und mit Hilfe der objektiv-hermeneutischen Materialrekonstruktion inhaltlich und tiefenstrukturell präzisiert werden. So zeigte sich in der materialvergleichenden Betrachtung der rekonstruierten Fallstrukturen die selektive Aktivierung der Deutungsrahmen der deutschen Manager in den beiden Investorenstrukturen. Dabei erscheint, auch im Sinne Oevermanns Konzeptualisierung langfristig stabiler Deutungsmuster (vgl. Oevermann 1973; 2001a), nicht nur der in Deutungsmustern manifestierte kulturelle Unterschied als eine potenziell krisenanfällige Struktur, sondern vor allem das Aufrechterhalten dieser tradierten Denkmuster im Sinne einer strukturkonservativen Haltung gegenüber den Veränderungen und Herausforderungen transnationaler Kooperationen in globalen Arbeitskontexten (vgl. Faulconbridge 2008; Gertler 2001; Schoenberger 1997).
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7.10 EMPIRISCHE NACHLESE: ZWEITE ERHEBUNGSPHASE NACH ZWÖLF MONATEN – VERIFIZIERUNG UND KONKRETISIERUNG DER ALLGEMEINEN FALLSTRUKTUR Eine selektive Nacherhebung (2015/2016) ein Jahr nach der ersten Haupterhebungsphase (2014/2015) sollte die erhobenen Ergebnisse und die in der ersten Erhebungsphase durchgeführten Fallstrukturrekonstruktionen (exemplarisch: Wernet 2011) weiter konkretisieren und dabei auch Entwicklungen in den Unternehmen und bei den Führungskräften selbst berücksichtigen (hier: fünf Unternehmen). Die Konzeption des zweiten (Update-)Leitfadens berücksichtigte hier sowohl inhaltliche Bezüge zur ersten Haupterhebungsphase, aber auch offene narrative Fragestellungen, deren Gegenstand vor allem die Weiterentwicklung der untersuchten Struktur war (z. B. ‚Wie sehen Sie die Situation jetzt?‘; ‚Wie hat sich die Rolle des Investors verändert?‘; im Detail vgl. den Anhang dieser Arbeit – Update-Leitfaden). Die Ergebnisse dieses kurzen Updates sind dabei für die Konkretisierung der Fallstruktur in zwei wesentlichen Aspekten von Bedeutung: Es stellte sich erstens schon bei der erneuten Akquisition der Führungskräfte heraus, dass fast die Hälfte (acht von siebzehn) der befragten Führungskräfte innerhalb von einem Jahr nach der ersten Befragung aus dem Unternehmen ausgeschieden war, und dies unabhängig von der jeweiligen Investorenkonstellation (!). Dabei überrascht vor allem die hohe Anzahl an Führungskräften, welche die Position im Unternehmen aufgegeben haben, und dies in beiden Investorenstrukturen. In denjenigen Cases, bei denen sich resistente Deutungsmuster und Bestrebungen nach Handlungsautonomie sehr deutlich nachweisen lassen konnten, ist die befragte Führungskraft bereits nach wenigen Monaten nach ersten Erhebungsphase aus dem Unternehmen ausgeschieden (dies ergaben eigene Online-Recherchen). Auch wenn nicht in jedem Fall ein direkter Bezug zu den Handlungsproblemen mit den Investoren hergestellt werden kann, dies ist auch aus Erreichbarkeitsgründen nicht möglich gewesen, so kann dennoch diese hohe Fluktuationsrate durchaus als Bestätigung der Rekonstruktion einer prinzipiell krisenhaften Fallstruktur angesehen werden (Kap 7). Offensichtlich sind die aus den Interviews rekonstruierten Strukturkonflikte und Distanzierungsmechanismen in zahlreichen der untersuchten Fälle und Einzelstrukturrekonstruktionen auch handlungswirksam geworden. In den deutlich krisenhaften Sequenzen in einigen Interviews hat es dafür bereits zahlreiche latente Indizien auf Deutungsmusterebene gegeben, was sich vor allem in den Praktiken der Distanzierung zu den Investoren aufzeigen ließ. Ebenso spannend erscheint der Blick auf die inhaltliche Ebene der tatsächlich erhobenen Interviews, also mit denjenigen Führungskräften, die noch im Unternehmen angestellt waren und zu einem zweiten Gespräch bereit waren: Auffälligstes Strukturmerkmal ist das überraschend wenig Überraschende (!).
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Inhaltlich, und damit durchaus auch Bezug nehmend auf mögliche positive/negative Entwicklungen in den Unternehmen, ergab sich bei den erneut befragten Führungskräften kaum etwas Neues, weder organisatorisch noch strukturell, also auch nicht in den Kooperationsstrukturen mit den Investoren: „Eigentlich nicht wesentlich, würde ich sagen. Wir sind [...] immer noch in einer Art Transition. Ich würde sagen, wir verstehen uns immer noch eher als Mittelständler, denn als chinesischer Staatskonzern, das aber auch einfach daran liegt, dass wir ja bis dato auch... nicht integriert sind.“ – so eine Führungskraft in einer BRIC-Eignerstruktur (EE9b: 9).
EE9b betont im Rahmen der Nacherhebung, dass es bis heute keine „wesentlichen“ Weiterentwicklungen in der Struktur gegeben habe. EE9b begründet dies mit einer immer noch anhaltenden Phase der „Transition“, die sich bereits im ersten Interview rekonstruieren ließ (= Kontextbezug). Hermeneutisch relevant erscheint der nachfolgende Aussagesatz, bei dem EE9b das deutsche Unternehmen nach wie vor „eher als Mittelständler, denn als chinesischen Staatskonzern“ bezeichnet. Damit macht EE9b deutlich, dass sich an der grundlegenden Kooperationsstruktur, aber auch an seiner eigenen Haltung gegenüber möglichen Neuerungen innerhalb der Struktur wenig bis gar nichts geändert hat. Dabei erscheint der letzte Aussagesatz durchaus als kritische ‚Spitze‘ in Richtung der asiatischen Investoren, die das deutschen Unternehmen bis heute nicht integriert haben. Die Passage lässt sowohl die Lesart zu, dass es sich weiterhin um eine strukturkonservative Haltung der deutschen Führungskraft handelt („Mittelständler“), wie auch um eine kritischen Haltung gegenüber dem chinesischen Inhaber und seiner ,wait-and-see‘-Haltung und fehlenden strategischen Zukunftsperspektive, was, entsprechend der Auswertungen der Haupterhebungsphase, gleichermaßen den Verstoß gegen die Abläufe nach Planbarkeit und Zukunftsperspektive impliziert. Dies überrascht wenig vor dem bereits skizzierten Befund von wenig bis gar nicht vorhandenen Synergien zwischen den Unternehmen, aber auch zwischen den handelnden Personen selbst (= soziale Nähe). Sprachlich ist dabei auffällig, dass die befragten Führungskräfte in den entsprechenden Kontexten sogar ähnliche bis vergleichbare Formulierungen verwenden, so dass durchaus auch von ,Phrasen‘ gesprochen werden kann. Dies bekräftigt den Eindruck von einer sich in der Argumentation der Manager manifestierenden strukturell motivierten Haltung gegenüber den Investoren im Sinne der fortwährenden Legitimierung der eigenen Handlungsbasis im Unternehmen. Sequenzanalytisch sind dabei kaum Veränderungen oder Entwicklungen auszumachen, was im Sinne der rekonstruierten Fallstruktur von wesentlicher Bedeutung ist. Abermals verweisen die Argumentationen der Führungskräfte auf die persistente Strukturdeutung einer ‚westlich‘ geprägten Denk- und Professionsethik, die in ihrer jeweiligen Dynamik als Reaktion auf die Neuaushandlung kooperativer Struktu-
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ren mit dem ausländischen Investor zu verstehen ist und auch das Nacherhebungsmaterial dominiert. Oevermanns Theoriekern kann damit gleichbedeutend in zwei Punkten als bestätigt angesehen werden: Erstens verfügen die Führungskräfte über einen festen Bestand ein zeitstabilen Deutungsmustern und Handlungslogiken, die je nach Problemlage selektiv aktiviert und mobilisiert werden; zweitens bleiben diese Muster auch nach der Unternehmensübernahme und den Kommunikationsprozessen mit den Investoren stabil und modifizieren sich lediglich marginal. Insofern kann zumindest in der Momentaufnahme der Rekonstruktion von einer „distanzierten Partnerschaft“ (Fuchs/Schalljo 2017a: 9) in den BRIC-Eignerstrukturen gesprochen werden. Dies untermauert die im theoretischen Unterbau der Arbeit aufgestellte These von milieuspezifisch anzutreffenden Deutungsmustern, die in unterschiedlichen Arbeitssettings aktiviert werden. Dennoch kann gleichermaßen von universell gültigen Managementpraktiken gesprochen werden, wie sie an ‚westlichen‘ Hochschulen und Managementschulen propagiert und gelehrt werden, als Common Sense in den globalen Raum diffundieren und dabei gleichsam die Anforderungen einer globalen „work practice“ (Jones 2008a: 14; 2008b) definieren, die dann ihrerseits über tradierte Deutungsschemata eine räumliche Konkretisierung erfahren.
8
Zusammenfassung der Forschungsergebnisse und Einbettung in wirtschaftsgeographische Debatten
8.1 INHALTLICHE ZUSAMMENFASSUNG UND ÜBERSICHT DER ZENTRALEN FORSCHUNGSERGEBNISSE Die objektiv-hermeneutische Analyse des Materials hat materialübergreifend aufgezeigt, dass sich die sozialen Motivlagen und Deutungsmuster als deren „Strukturverdichtungen“ (Matthiesen 1994: 80) in der krisenhaften Situation der Unternehmensübernahme durch einen ausländischen Eigner besonders deutlich zeigen, in der situativen Konfrontation und Wirklichkeitsaushandlung verstärkt auftreten und investorenspezifisch selektiv aktiviert und so handlungswirksam werden (vgl. auch Fuchs/Schalljo 2016: 24f). Die grundlegenden Deutungsrahmen, wie Handlungen organisiert und geleitet werden, sind dabei Grundbestand und Teil der ökonomischen und soziokulturellen Sozialisation der deutschen Führungskräfte, was sich in deren Deutungs- und Argumentationslogiken widerspiegelt (vgl. Müller 2007: 19ff), sowie in den organisationalen Routinen (vgl. Kinder/Radwan 2010) und Identitäten (vgl. Giustiniano/de Bernardis 2017) der deutschen Unternehmen, die sich auch nach der Übernahme als konstant zeigen (vgl. dazu auch Durand 2017). So verwundert auch der Befund nicht, dass die untersuchten basalen Deutungsmuster auch nach der Unternehmensübernahme im Verlaufe der Post-Merger-Integration stabil bleiben. Hier kann die Theorie Oevermanns (1973; 2001a/b) empiriebezogen als ,bestätigt‘ angesehen werden: Die Deutungsmuster der Führungskräfte konstituieren einen raumbezogenen Denkrahmen, der die jeweiligen Handlungs- und Entscheidungsmechanismen determiniert (vgl. Dörfler 2013a: 246f), und dies sowohl in der räumlichen Konkretisierung einer ‚westlichen‘ Professionsethik als auch in der milieuspezifischen (vgl. Oevermann 2001b: 38) Ausdeutung tradierter Deutungsmuster, die im transkulturellen „Zwischenraum“ (Fuchs 2013: 38; Fuchs et al. 2017a: 2-4) global-lokaler Arbeitskontexte der tatsächlichen Kooperation (hier:
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M&As) neu justiert und damit aktiviert und mobilisiert werden (vgl. dazu auch Fuchs/Schalljo 2016; Jones/Murphy 2011: 370f). Während für Oevermann selbst jedes Deutungsmuster eine soziale Handlung initiiert (vgl. Oevermann 1973: 5f), konnte im Material differenziert werden zwischen latent vorhandenen und teilweise konkurrierenden Deutungsmustern der Annäherungs- und Distanzierungspraxis und jenen, bei denen sich deutliche Handlungsbezüge zeigen, etwa in den Mustern einer organisierten und abgesprochenen Resistenz gegenüber den BRIC-Eignern. Im untersuchten Sample erscheinen dabei zwei strukturelle Deutungsmuster materialübergreifend als zentrale Motive der Askription und Ausdeutung von Nähe und Distanz, bei denen viele weitere Deutungsmuster in ihrer Dynamik auf eben diesen gemeinsamen argumentativen Fluchtpunkt verweisen: • persistente Deutungsmuster einer spezifisch westlich gefassten Professionsethik
und Berufsauffassung, vor allem im Hinblick auf den Modus Operandi, wie ein deutsches Unternehmen in den Sichtweisen der Führungskräfte idealtypisch zu leiten sei und an denen die ausländischen Eigner, unabhängig von ihrer Herkunft, in manifesten Kategorien der Kooperation und Kommunikation gemessen, bewertet und im Hinblick auf alltägliche Geographien (vgl. Werlen 1997: 39ff) von Annäherung und Distanzierung eingeordnet werden, • sowie die eigene Handlungsautonomie der Führungskräfte im Kontext der situativen Neuaushandlung sozialer und kommunikativer Machtstrukturen im Unternehmen (Abb. 28), was im untersuchten Material zu dynamischen Mechanismen der Distanzierung und Abgrenzung gegenüber den Investoren führt, besonders deutlich ausgeprägt in den semantischen Abgrenzungslogiken der deutschen Führungskräfte gegenüber den BRIC-Eignern (= Othering). Ausgehend von diesen elementaren Strukturdeutungen zeigen sich im untersuchten Material weitere latent wirksame Mechanismen der Nähe- und Distanzproduktion, wobei deren Dynamik im Kontext der BRIC-Eignerstrukturen deutlicher in den Vordergrund tritt. Dies verwundert insofern nicht, da in dieser Konstellation größere Differenzen in den Deutungslogiken aufgrund der kulturell als unterschiedlich angenommenen Sozialisation und damit Ausprägung von Deutungsmustern zu erwarten waren (zur Einordnung: Kap. 5 u. 8.2). Die anfängliche Offenheit der Führungskräfte gegenüber den BRIC-Investoren führt in der Post-Merger-Phase überraschenderweise zu Mechanismen der Distanzierung gegenüber den ‚jungen‘ Investoren und nicht zu einer Angleichung und Annäherung im idealtypischen Sinne von Synergien (vgl. Fuchs/Schalljo 2016: 23-26). Zu erwarten gewesen wäre hier zumindest der Versuch von Seiten der Führungskräfte, ein gewisses Maß an kulturellem Austausch und Annäherung im Sinne des Unternehmens zu forcieren. Sämtliche Bemühungen der deutschen Führungskräfte zielen jedoch argumentationslo-
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gisch auf das deutsche Unternehmen selbst ab, was nicht nur die normative Offenheitshaltung initial begründet (= Chancen), sondern auch die Mechanismen der Abund teilweise Ausgrenzung der neuen Investoren (vgl. dazu auch Fuchs/Schalljo 2017b). Abbildung 28: Zur Aktivierung von Deutungsmustern in den beiden untersuchten Investorenkonstellationen in der Post-Merger-Phase in deutungsvergleichender Perspektive
Hierfür sind im Wesentlichen die beiden bereits diskutierten Faktoren verantwortlich: erstens der offensichtliche Verstoß der BRIC-Investoren (Abb. 28 = ‚Emerging Economies‘) gegen die latente westliche Professionsethik im deutschen Management, was sich vor allem in manifesten Kategorien der problematischen Kooperation zeigt (z. B. Hierarchien, Entscheidungsstrukturen, unklare Zukunftsperspektive); sowie zweitens der Versuch des Aufrechterhaltens der eigenen tradierten Handlungs- und Gestaltungsautonomie im ‚eigenen‘ Unternehmen (Abb. 28). Besonders hervorzuheben sind dabei auf der Ebene der sprachbasierten Sequenzanalyse die deutlichen semantischen Abgrenzungsstrategien der Führungskräfte, verbunden mit einem oftmals deiktischen Sprachgebrauch gegenüber den Investoren (vgl. dazu auch Cranston 2016; Mattissek 2007: 50). Hier konstituieren sich auf symbolischer Ebene latente Machtkonflikte und neu ausgehandelte Näheund Distanz-Relationen zu den Investoren (vgl. Boschma 2005; Fuchs et al. 2017a; Kap. 5). Die geographisch-kulturelle Distanz zum Investor manifestiert sich dabei sprachlogisch und symbolisch in bewussten Abgrenzungsstrategien vom ‚hier‘ und ‚dort‘ zum ‚wir‘ und die ‚Anderen‘ (vgl. Cartwright/Cooper 2000: 79; Cranston
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2016: 65-67; von Löwis 2015). Dabei zeigen sich auch symbolische Raumproduktionen (z. B. ‚Wir hier‘ versus ‚die da drüben‘), die nicht nur auf die grundlegenden Deutungsrahmen der Führungskräfte verweisen, sondern auch handlungsinitiierend auf der Grundlage unterschiedlich gedeuteter nationaler Kulturen als Referenzmaßstab („der Chinese“) wirken (vgl. dazu auch Cranston 2016). Auch wenn sich bisher wenig bis keine Synergien zwischen den Unternehmen in der BRIC-Eignerstruktur zeigen, werden die Übernahmen dennoch zumeist als Erfolg bewertet. Der Grund hierin, und deshalb auch wenig überraschend, besteht in der Fokussierung einer normativ motivierten ökonomischen Perspektive auf das ‚eigene‘ Unternehmen, verbunden mit dem Versuch, die eigene Handlungsautonomie aufrechtzuerhalten. Synergien, wie sie oftmals als Erfolgsfaktor bei Unternehmensübernahmen diskutiert werden (vgl. Dauber 2012: 376f; Frantz 2015: 106f), erscheinen dabei mehr als normative Semantik der deutschen Führungskräfte denn als handlungsbezogenes Postulat. Im Gegenteil: Es zeigen sich deutlich strukturkonservative Deutungsmuster, bei denen die eigene Handlungsautonomie und der Bezug zum deutschen Unternehmen zentraler Gegenstand der Abgrenzungslogik ist. Die rekonstruierten Deutungs- und Handlungsmuster zeigen sich pfadabhängig, vor allem wenn tradierte Strukturen von Unternehmensabläufen und -prozessen Gegenstand der Argumentation sind. Das elementare Denkmuster der westlichen Professionsethik wird strukturell als überlegen gedeutet und dominiert das Material an zahlreichen Stellen. Im Kontext der Synergiedeutungen konkretisiert sich die Fallstruktur von einer strikten Bezugnahme auf das Aufrechterhalten der eigenen Denk- und Deutungslogiken. Dass dies zu weiten Teilen eine perspektivisch kaum haltbare Systematisierung der Führungskräfte selbst ist, verdeutlichen jene Fälle, bei denen der ausländische Eigner massiver in die Abläufe der deutschen Unternehmen eingegriffen hat. Hier zeigt sich die krisenanfällige Struktur noch deutlicher: Die deutschen Führungskräfte sind auf die Adaption ‚fremder‘ Strukturen aufgrund der veränderten Machtverhältnisse im Unternehmen angewiesen. Die Deutung der eigenen Handlungsautonomie und Machtbefugnisse gerät dabei in eine strukturelle Krise (vgl. Garz/Raven 2015: 20f, 40f). Dies führt im Material entweder zu resistenten Haltungen oder zu Mechanismen des operativen Umgangs mit einem ‚schwierigen‘ Investor. Die BRIC-Investoren werden als lernende Investoren gedeutet, was die deutschen Führungskräfte in eine Position des Dozierens bringt und was gleichermaßen als argumentativer Mechanismus der Abgrenzung gegenüber den Investoren zu verstehen ist. Motiviert ist diese asymmetrische Macht- und Kommunikationsform (vgl. Weber 1972: 28ff) gegenüber den BRIC-Eignern über die als überlegen gedeutete fachliche Expertise der deutschen Manager als basale Machtlegitimation (vgl. Müller 2007:121f) im Hinblick auf Sprache, administrative Prozesse und Management-Know-How, aber auch durch die sehr passive Haltung der BRICInvestoren selbst. Daraus ergibt sich aus hermeneutischer Sicht der paradoxe Be-
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fund, dass sich die abwartende Haltung der BRIC-Investoren, auch wenn sie von den deutschen Führungskräften (normativ) kritisiert wird, strukturell positiv auf die Handlungsfreiheit der deutschen Führungskräfte auswirkt. Die BRIC-Eignerstruktur zeigt dabei, dass auch „distanzierte Partnerschaften“ (vgl. Fuchs/Schalljo 2017a: 9; vgl. dazu auch Grabher/Ibert 2014) erfolgreich sein können, wobei die Zukunftsperspektive zumeist gänzlich unklar bleibt: Wird es zu einer kulturellen Angleichung und zu Synergien zwischen den Unternehmen kommen, und wird dies von den deutschen Führungskräften überhaupt angestrebt? Die strukturkonservativen Deutungen der Führungskräfte sprechen dabei im Moment eine eindeutige Sprache. Diese Werthaltungen und kulturspezifischen Askriptionslogiken der deutschen Führungskräfte begründen ein sprachliches Abgrenzungsverhalten gegenüber denjenigen, die schlichtweg ‚anders‘ agieren und argumentieren. Diese Abgrenzungslogik ist sprachlich von einer stark deiktischen Semantik geprägt (‚Wir‘ – machen es so; ‚die‘ – machen es so; vgl. Mattissek 2007: 50). Die beiden zentralen Deutungslogiken manifestieren dabei Distanzierungsstrategien seitens der deutschen Führungskräfte, die sich im untersuchten Material im Wesentlichen in drei unterschiedlichen Aspekten zeigen: • Zum einen ermöglichen die BRIC-Eigner mit ihrer zurückhaltenden und abwar-
tenden Haltung gegenüber dem deutschen Management eine Struktur, in welcher sowohl Kompetenzen als auch operative Umsetzung klar zugunsten des deutschen Managements verteilt sind (vgl. Hans-Böckler-Stiftung 2017). Die BRICInvestoren finden sich dabei in den Deutungen der deutschen Führungskräfte in der Rolle eines ‚lernenden‘ Investors wieder, der alleine aufgrund der oftmals fehlenden branchenspezifischen Expertise vom deutschen Management nicht als gleichwertiger Partner in fachlichen Dingen betrachtet wird. • Daran inhaltslogisch anknüpfend, aber strukturell tiefer motiviert, offenbart sich im Interviewmaterial ein „Strukturproblem“ (Oevermann 2001c), das von der kulturell determinierten fehlenden Passgenauigkeit zwischen deutschem Management und BRIC-Eignern herrührt. In den Deutungen der Führungskräfte manifestiert sich, unabhängig von deren tatsächlichem Wahrheitsgehalt, eine Form von kritischem Unverständnis gegenüber der fehlenden Expertise der BRICInvestoren vor dem Hintergrund der eigenen professionellen Herangehensweise. • Ist in den Private Equity-Konstellationen noch eine gewisse professionstheoretische Passgenauigkeit in den Deutungen der Manager auszumachen, so deutet sich in der BRIC-Konstellation frühzeitig ein Verstoß der ausländischen Investoren gegen professionsethisch geprägte Handlungslogiken der deutschen Führungskräfte an, was sich vor allem in operativen Handlungskonstellationen offenbart (vor allem im Hinblick auf Entscheidungsprozesse, Absprachen, Kommunikation, Vertragsausgestaltungen, Verbindlichkeit von Vereinbarungen, Ablauf und Struktur von Verhandlungen).
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Im Hinblick auf die kulturellen Askriptionslogiken der deutschen Führungskräfte findet sich auffällig oft eine intrinsisch angelegte argumentative Verknüpfung von divergierenden Vorstellungen, was fachliche und administrative Prozesse anbelangt, und kulturellem Othering („Das kann man mit Chinesen nicht“; EE3: 5). Semantisch wird auch diese Haltung nicht weiter inhalts- und problemorientiert ausgebaut (was denn nun das Problem mit den BRIC-Eignern genau ist), sondern mündet in sprachliche Grobschematisierungen und kulturelle Kategorisierungen, die, wenn auch nicht sehr detailliert, dennoch Aufschlüsse darüber geben, wie die Investoren kulturspezifisch gedeutet werden (Kap. 7.9). Ein Anderssein wird dabei sprachlich umgehend mit dem umfassenden Thema Kultur verknüpft (vgl. dazu auch Chapman 2003), wobei die Adaptions- und Akkulturationsstrategien (= Interfirm Learning; vgl. Gertler 2001; Si/Liefner 2014) der deutschen Führungskräfte zumeist in die bereits diskutierte Distanzierungsstrategie zugunsten der eigenen professionsethisch verankerten Handlungsautonomie münden (vgl. auch Fuchs/Schalljo 2016). Im Kontext der untersuchten Private Equity-Eignerstrukturen zeigen sich die Deutungsmuster grundlegend konformer mit den professionstheoretischen Vorstellungen der deutschen Führungskräfte, und zwar im Sinne eines Institutional Fits (Kap. 4). Auch wenn die Deutungsmuster im Sinne der Theorie Oevermanns als Teil einer spezifischen Professionsethik, elementaren Handlungslogik und als gemeinsam geteilter Grundbestand gleichermaßen vorhanden sind, werden sie doch im Vergleich zur BRIC-Eignerstruktur wesentlich schwächer aktiviert und zeigen sich folgerichtig auch weniger handlungswirksam. Aber auch in dieser Eignerstruktur zeigen sich deutliche latente Bestrebungen nach Handlungsautonomie sowie krisenhafte Tendenzen im untersuchten Material. Dies überrascht insofern, als dass diese Investoren-Management-Struktur ex ante klar definiert und in den meisten Fällen sogar vertraglich fixiert ist, was Gegenstand des Leistungsverhältnisses und der jeweiligen Verantwortlichkeiten ist. In beiden untersuchten Strukturen zeigen sich latent krisenanfällige Muster und Tendenzen, wobei deren potenzielle Handlungswirksamkeit im Kontext der BRIC-Eignerstrukturen prinzipiell stärker ausgeprägt ist. Die in der Nacherhebung festgestellten hohen Fluktuationsraten im Management der untersuchten Unternehmen untermauern den Befund krisenhafter Deutungsmuster und bestätigen die Fallstruktur der Deutungen im deutschen Management gegenüber den ausländischen Investoren (siehe Tab. 10 für eine zusammenfassende Übersicht der Forschungsergebnisse).
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Tabelle 10: Übersicht der zentralen Forschungsergebnisse der Untersuchung in deutungsvergleichender Perspektive: selektive Aktivierung und Mobilisierung von Deutungsmustern
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8.2 REKAPITULATION UND EINORDNUNG DER FORSCHUNGSERGEBNISSE IN AKTUELLE WIRTSCHAFTSGEOGRAPHISCHE DEBATTEN: ZUR LEISTUNGSFÄHIGKEIT DER DEUTUNGSMUSTERANALYSE IM KONTEXT DER UNTERSUCHUNGSFRAGEN 8.2.1 Nähe- und Distanzdebatten im Proximity-Diskurs: Vertiefung der Erkenntnisperspektive Für den Analysefokus der Produktion von Nähe und Distanz bei internationalen Unternehmensübernahmen hat sich das Analyseverfahren der objektiven Hermeneutik als geeignetes methodologisches Instrument erwiesen, um die Dynamik der Nähe- und Distanzproduktion aus den akteursspezifischen Schematisierungen der deutschen Führungskräfte zu rekonstruieren. Es konnte aufgezeigt werden, wie die unterschiedlichen Formen und Ausprägungen von Nähe und Distanz (vgl. Boschma 2005; Brökel 2016; Ibert et al. 2014; Kap. 4) durch die milieuspezifischen Schematisierungsleistungen der Akteure als Teil eines soziokulturellen Systems selektiv und dynamisch aktiviert werden und dabei auch eine raumbezogene Eigenlogik aufzeigen (vgl. Fuchs/Schalljo 2016). Im Hinblick auf die wirtschaftsgeographische Debatte der (Interfirm-)Practices als konkrete Ausformung der Kommunikationsund Kooperationsstrukturen (exemplarisch: Schoenberger 1999; Faulconbridge 2008: 502ff) zeigen die Handlungsstrategien der deutschen Führungskräfte eine je unterschiedliche Ausdeutung und lebenspraktische Ausformung von Nähe- und Distanz-Relationen in globalen Arbeitskontexten auf („cultures of work“, „work practices“; Ettlinger 2003: 146/147; Jones 2008a: 14; Faulconbridge 2008: 502). Die Deutungen der Führungskräfte zeigen dabei nicht nur divergierende Ansichten im Hinblick auf die faktischen Arbeitsmentalitäten (vgl. Jones 2008a: 12ff) und deren Transformation in den deutsch-asiatischen Arbeitsbeziehungen auf, sondern offenbaren zugleich ein Spannungsverhältnis zwischen den normativen kosmopolitischen Anforderungen global-lokaler Kooperationspraktiken sowie basaler Stereotypen und distanzierender Verhaltensweisen (exemplarisch: Nussbaum 1996) auf Deutungsmusterebene (= Othering, Distancing; Cranston 2016). Diese Geographical Imaginations (z. B. Raumbilder, Raumdeutungen) global-lokal agierender Subjekte im Kontext von Kosmopolitanismus und Nationalismus (vgl. Harvey 2003) fungieren dabei als grundlegende und handlungsleitende Deutungsschemata, die gleichermaßen die Praktiken von Annäherung und Distanzierung gegenüber den ausländischen Eignern steuern (vgl. Warf 2012; „Work is located practice“ (Jones 2008a: 14). Harvey (2003) diagnostiziert dabei, in Analogie zum hier diskutierten Befund, entgegen dem Leitbild kosmopolitanen Handelns des Managers (vgl.
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Woodward et al. 2008) einen westlichen Imperialismus in den Denkweisen der Subjekte (ausführlich: Harvey 2003), was sich auch in den untersuchten Semantiken der deutschen Führungskräfte in räumlich anzutreffenden Deutungs- und Askriptionslogiken, anhand derer die ausländischen Investoren gemessen und bewertet werden, zeigt. Dabei konnten mit Hilfe des Deutungsmusteransatzes gültige Routinen und Best Practices als Teil eines soziokulturellen Systems (vgl. Peck/Zhang 2013: 357f) in den deutschen Unternehmen rekonstruiert werden (vgl. auch Gertler 2001: 18f), die vor allem im Untersuchungskontext der BRIC-Eignerstrukturen als tradierter Managementstil und „common sense“ (Oevermann 1973: 3) erklärt werden können und denen sich die ausländischen Eigner unterzuordnen haben. Im untersuchten Sample der BRIC-Eignerstrukturen zeigt sich im Hinblick auf den ProximityDiskurs (Kap. 4) weder ausgeprägte organisationale noch relationale Nähe (zur Einordnung vgl. Boschma 2005) Mehr noch ist zu beobachten, dass die kooperative Distanz, produziert auch durch den Prozess der Distanzierung und Ausgrenzung der ausländischen Investoren, erst jenen von den Führungskräften selbst eingeforderten operativen Handlungsspielraum auf Deutungsmusterebene indiziert. Insofern kann, räumlich-ortsbezogen betrachtet, weniger von der Transformation eines „rise of global work“ (Jones 2008a: 12) gesprochen werden, sondern vor allem von lokal spezifischen Deutungsmustern, die in ihrer Struktur und Dynamik räumlich wirksam sind (‚westlich‘) und gewissermaßen als Prüfstein der Annäherung und Distanzierung der ‚Anderen‘, die gegen diese Professionsvorstellungen verstoßen, fungieren (Fuchs/Schalljo 2016: 26f). Harveys (2003) Diagnose von einem sich ausbreitenden westlichen Imperialismus (vgl. Beck 1998: 92f; Harvey 2003) handlungsleitender Denkmuster als globaler Common Sense erscheint in diesem Kontext zutreffender: Die anfängliche kosmopolitane Offenheit als normatives Denkmuster zugunsten des ökonomischen Erfolgs des deutschen Unternehmens (vgl. dazu Warf 2012: 271ff) wird dabei prozessual abgelöst zugunsten von Deutungsmustern der eigenen tradierten ‚westlichen‘ Handlungsweisen (vgl. auch Müller 2007: 19ff). Dies unterstützt auch Wevers (1995) Argument von einer Dominanz des Arbeitsstils der Gastländer der Akquisition in der Phase der faktischen Annäherung der Unternehmen (vgl. auch Gertler 2001: 15), wie es auch Schoenberger (1999) in anderem Kontext grundlegend diagnostiziert (vgl. Schoenberger 1999: 211/212; Faulconbridge 2008: 499; im M&A-Kontext vgl. Sanna-Randaccio 2002). Es dürfte dabei interessant sein, den Fortlauf der kommunikativen Aushandlungs- und möglicherweise Adaptionsprozesse (beiderseitig) in den untersuchten Unternehmen in verlängerter Zeitperspektive erneut zu untersuchen, schließlich zielt die hermeneutische Rekonstruktion vor allem auf den Bestand an momentan sichtbaren Deutungsschemata ab (vgl. Fuchs/Schalljo 2016: 26). Die empirischen Einsichten zeigen dabei weitere interessante Erweiterungen der geographischen Proximity-Debatte auf (Kap. 4 u. 5): Offenbar existiert ein enger
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Zusammenhang der verschiedenen Näheformen (z.B. auf gefühlter, kognitiver, psychischer, sozialer, kultureller, organisationaler und institutioneller Ebene, vgl. Boschma 2005; Ibert 2010; Ibert et al. 2014; Torre/Rallet 2005), wobei hier die latente Deutungsmusterebene als Ursache anzusehen ist, indem die gefühlte Distanz und organisationale Differenzen die manifesten und krisenhaften Anlässe sind, die dazu beitragen, dass Abgrenzungs- und Distanzierungspraktiken räumlich und organisatorisch aktiviert und handlungswirksam werden. Bei der Konstitution von Praxisformen (vgl. Plummer/Sheppard 2006: 621f) kann soziale Distanz für erfolgreiche Kooperationen also auch von Vorteil sein (vgl. dazu auch Grabher/Ibert 2014), wofür die BRIC-Eignerstruktur zumindest im Moment ein Indiz ist. Die BRIC-Eignerstruktur offenbart dabei das temporale Paradoxon, dass sich zumindest in der Momentaufnahme der Rekonstruktion die organisationale und geographische Distanz positiv auf die Kooperationsstrukturen auswirkt, da die deutschen Führungskräfte so ihre Handlungsautonomie bewahren und das deutsche Unternehmen nach dem Modus Operandi ihrer eigenen ‚westlichen‘ Professionsvorstellungen lenken können. Gleichzeitig erscheint die räumliche und soziale Distanz zwischen BRIC-Eignern und deutschem Management ebenfalls als positiv im Sinne der operativen Handlungsautonomie der Führungskräfte. Wevers (1995) Studie gelangt, auch aus der Sicht der hier durchgeführten Untersuchung, zu dem spannenden Ergebnis, dass US-Unternehmen in Deutschland trotz gegenteiliger Absicht nach einiger Zeit einen „German style of industrial relations and work practices“ (Wever 1995: 621; vgl. Gertler 2001: 15) adaptieren. Wever diagnostiziert diese Adaptionstendenzen auch für deutsche Unternehmen in den Vereinigten Staaten und folgert daraus, dass die jeweiligen Gastländer von Akquisitionen (= Host Countries) die Regeln der Kooperation definieren (vgl. Gertler 2001: 15; Wever 1995). Dieser Befund lässt sich in der vorliegenden Rekonstruktion vorwiegend bestätigen, darüber hinaus analytisch präzisieren: Vor allem im Kontext der BRIC-Eignerstrukturen zeigt sich diese Adaptionshaltung der ausländischen Investoren gegenüber dem Common Sense nachdrücklich. Gertler (2001) zeigt dabei dezidiert die lokale Geschichte dieser Denkprozesse und Einflüsse auf die „interfirm-practices“ (Gertler 2001: 21) als Forschungslücke innerhalb der Wirtschaftsgeographie auf. Mit Hilfe der Deutungsmusteranalyse konnte diese Genese und Dynamik von milieuspezifisch anzutreffenden Deutungsmustern empirisch besser nachvollzogen werden. Das Untersuchungsmaterial zeigt diese lokal und/oder milieuspezifisch anzutreffenden Best Practices und Common SenseRationalitäten (vgl. Bohnsack et al. 2013: 12), die ihrerseits als gültiger Handlungsrahmen gedeutet werden und in den Raum diffundieren (vgl. dazu auch Fuchs 2013). Die M&A-Literatur als zweite theoretische Referenz der vorliegenden Untersuchung betrachtet dabei hingegen weniger den Raum als Determinante des Erfolgs oder Nichterfolgs, sondern vor allem kulturelle und soziale/organisatorische Nähe
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als Faktor bei M&As (exemplarisch: Dauber 2012; Frantz 2015). Der überwiegende Teil der Autoren gelangt zu dem Ergebnis, dass ein gewisses Maß an soziokultureller Nähe dem Erfolg des Mergers eher zuträglich ist (Dauber 2012: 375ff; Frantz 2015). Organisationale Routinen und Kommunikationsmuster müssen in der PostMerger-Phase neu justiert werden (vgl. Gersick/Hackman 1990: 65ff; Frantz 2015). Van Dick et al. (2004; 2006) hingegen argumentieren konträr dazu und liefern einen wichtigen Hinweis für die vorliegende Untersuchung: Für sie sind die Identifikation und organisationale Bindung an das eigene Unternehmen und die Modi der Pre-Merger-Kommunikationsroutinen eher von Vorteil für laufende administrative Prozesse sowie den operativen Erfolg des Unternehmens (vgl. van Dick et al. 2004: 121ff; 2006; Frantz 2015: 115), was sich im Kontext der BRIC-Eignerstrukturen durchaus (für den Moment) bestätigen lässt. In der Momentaufnahme der Rekonstruktion sind die deutschen Führungskräfte vor allem darum bemüht, den „Fremdkörper“ (EE10: 9) weitest möglich ‚draußen zu lassen‘, um die tradierten Handlungsmechanismen aufrechtzuerhalten. Dabei zeigt sich gleichermaßen der Erkenntnismehrwert der Methode: Die Rekonstruktion raumrelevanter Strukturen und Prozesse im Unternehmen gelingt aus dieser Forschungsperspektive wesentlich präziser und handlungsnäher (vgl. Jones 2014; Jones/Murphy 2011 für die Geographie). Die Analyse der Manager-Argumentationen verweist darüber hinaus auch auf zwei praxisorientierte Dimensionen: Erstens konnte anhand der Analyse latenter Sichtweisen aufgezeigt werden, dass die Strukturen und Mechanismen von Annäherung und Distanzierung bei internationalen Unternehmensübernahmen und Arbeitskooperationen offenbar wesentlich komplexer sind, als es die meisten Analysen in diesem Forschungsbereich (exemplarisch: Faulconbridge 2008; Jones 2008a/b; Weber et al. 2009; Zhang/Stening 2013: 75ff) erkennen lassen (praxisbezogen vgl. exemplarisch: Ernst & Young 2013; Kinkel/Malocka 2008; 2009; PricewaterhouseCoopers 2013). Deutsche Unternehmen und ihre Entscheidungsträger sehen sich vielfältigen Anforderungen gegenüberstehen, deren Bewältigung einer detaillierten ex ante-Betrachtung bedarf und bei der kulturelle Aspekte offenbar nach wie vor unterschätzt werden (vgl. Reh 2009: 113ff; Rehner/Neumair 2009: 27ff). Die krisenhaften Deutungsmuster im rekonstruierten Material sowie die zum Teil hohen Fluktuationsraten in den deutschen Unternehmen (vgl. Kap. 7.10: Empirische Nachlese) untermauern diese Hypothese auch empirisch. Zweitens hat die Analyse deutlich gemacht, dass das in der Praxis von Unternehmen weit verbreitete Denkmuster von kulturellem Lernen aus Deutungsmusterperspektive rasch an seine Grenzen stößt. Die Mechanismen transkultureller Kooperation sind im Hinblick auf Nähe und Distanz des Mergers und dessen Erfolgsaussichten derart komplex, dass es langfristiger strategischer Maßnahmen bedarf, um wirklich zu einem erfolgsorientierten gegenseitigen Verständnis zu gelangen (vgl. Cranston 2016: 65; Scheuring/Moosmüller 2009: 185f). Die nachgewiesenen stabilen Deutungsmuster haben
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deutlich gemacht, dass die latenten Denk- und Handlungsmuster der Führungskräfte in sehr grundlegende Strukturdeutungen eingebettet sind, die ihrerseits einer typischen Resistenz gegenüber Neuem unterliegen (vgl. Oevermann 1973; 2001a; vgl. dazu auch Sundermeier 1996). 8.2.2 Wissensasymmetrien versus Synergien der Kooperation als Ausgangspunkte der Nähe- und Distanzproduktion: Rekapitulation der Forschungsergebnisse Im Kontext der Analyse von Nähe- und Distanzproduktionen in internationalen M&As standen auch die Wirkungen von Wissens- und Kooperationsprozessen (vgl. Brökel 2016: 19ff; Fuchs 2014: 44ff; Jones/Murphy 2011: 370; Kap. 4) und organisationalem Lernen in den untersuchten Unternehmen und Investorenstrukturen im Vordergrund der empirischen Betrachtung. Die Umsetzung ökonomischer und kultureller Synergiepotenziale wird vor allem innerhalb der M&A-Literatur zumeist als integraler Bestandteil einer erfolgreichen Post-Merger-Integration verstanden (exemplarisch: El Zuhairy et al. 2015; Frantz 2015; Gomes et al. 2013). Doch sowohl in der M&A-Literatur als auch in der wirtschaftsgeographischen Diskussion existieren kontroverse Studien, die das Postulat von Synergien in Zweifel ziehen (vgl. Dauber 2012: 380f; Kap. 5). Die Wirtschaftsgeographie konkretisiert diese Debatten in räumlicher Perspektive vor allem im Kontext von Nähe- und DistanzRelationen als Determinante für den Erfolg von Unternehmen und Regionen (vgl. das vorangegangene Kap.). Im Untersuchungskontext der deutschen Unternehmen konnte dabei mit Hilfe des methodischen Verfahrens aufgezeigt werden, dass Wissen in der impliziten Konzeption des Tacit Knowledge räumlich anzutreffen und als „lokal situierte Praxis“ (Ibert 2006: 104) stets kontextualisiert ist (Fuchs 2012: 73), was sich analytisch vor allem im impliziten Erfahrungs- und Orientierungswissen der deutschen Führungskräfte offenbarte (vgl. Meusburger 2005: 148f), sowie in den organisationalen Routinen der deutschen Unternehmen (vgl. Fuchs/Scharmanski 2008; Kinder/Radwan 2010). Dieses inkorporierte Erfahrungswissen fungierte dabei gleichermaßen zum argumentationslogischen Ausgangspunkt der semantisch indizierten Handlungspraktiken von Annäherung und Distanzierung gegenüber den beiden Investorengruppen (vgl. dazu Bohnsack et al. 2013: 14f) im Sinne einer „Repräsentation sozialer Strukturen im Wissen“ (Meuser 2013: 224; vgl. dazu auch Fuchs 2014 im globalen Kontext). Die sequenzielle Analyse der Interviewprotokolle konnte so zu einem vertieften Verständnis der Dynamiken von Wissen, Wissensasymmetrien sowie Lern- und Synergiepotenzialen in den untersuchten Strukturen beitragen. So offenbarte sich in der BRIC-Eignerstruktur ein einseitig argumentierter Wissensfluss von der Expertise der deutschen Führungskräfte zu den BRIC-Eignern, die ganz bewusst als ler-
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nende Investoren schematisiert werden. Die fachlichen Wissensunterschiede führen dabei auch zu einer dezidierten Struktur- und Aushandlungslogik, welche die deutschen Führungskräfte in eine Position des Dozierens bringt und gleichzeitig deren Handlungsfreiheit sicherstellt. Deutungsmuster können erkenntnistheoretisch als steuerndes Element genetisch-dynamischer Wissens- und Institutionalisierungsprozesse verstanden werden (vgl. dazu auch Fuchs 2012: 71ff; Meusburger et al. 2011: 221ff). Die Kategorie des orts- und personengebundenen Tacit Knowledge erscheint als organisationale Routine („reservoire of knowledge“; Kinder/Radwan 2010: 43f), anhand derer die ausländischen Investoren bewertet werden (Fuchs/Schalljo 2016: 24). Die Produktion von Nähe und Distanz zeigt sich also gleichermaßen in den dynamischen und personengebundenen Wissens- und Institutionalisierungsprozessen (vgl. Ettlinger 2003: 146ff). Paradoxerweise führt das Fehlen von Synergien auf kultureller und fachlicher (= Wissen) Ebene zunächst zu einer positiven, weil klar definierten Struktur- und Entscheidungslogik in den Unternehmen in BRICEignerschaft. Wissenssynergien werden von den Führungskräften zwar postuliert, aber nur in Form eines normativen Offenheitsbekenntnisses. Im operativen Geschäft kommt es derweil zu gegenläufigen Deutungsstrategien einer bewussten Distanzierung der ausländischen Investoren zugunsten der eigenen als überlegen gedeuteten Handlungskompetenz. Implizites Wissen (Tacit Knowledge) erscheint dabei als räumlich wirksames Tauschgut (vgl. Brökel 2016: 46f), über dessen Wert sich die deutschen Führungskräfte bewusst sind und dementsprechend gegenüber den ausländischen Investoren agieren. Der Deutungsmusteransatz konnte dabei zu einem vertieften Verständnis der räumlich oder milieuspezifisch anzutreffenden Routinen (vgl. auch Weig 2016: 65; sowie: Kroon/Rouzies: 2016: 197f) in den basalen Deutungs- und Askriptionslogiken der Akteure beitragen (vgl. auch Cranston 2014: 1124ff). Dies umfasst gleichermaßen eine dynamische Perspektive, was sich in der empirischen Untersuchung vor allem als Prozess der Distanzierung zu den BRIC-Eignern im Verlaufe der Post-Merger-Integration nachzeichnen ließ. Während in den Private EquityEignerstrukturen die Deutungssysteme auf einen Institutional Fit schließen lassen, also auf eine grundlegende institutionelle Nähe (vgl. Brökel 2016: 62f), zeigt die Analyse latenter Handlungsmuster erhebliche Mechanismen der Aus- und Abgrenzung gegenüber den BRIC-Investoren (vgl. Cranston 2016), wobei sich hier vor allem institutionelle Differenzen zeigen. Nähe und Distanz sind dabei erkenntnistheoretisch also nicht losgelöst von den sozialen Strukturen zu verstehen, die sie steuern und motivieren (vgl. Fuchs 2012: 71f).
9
Rückbettung in den theoretischkonzeptionellen Kontext Das methodische Potenzial von objektiver Hermeneutik und Deutungsmusteranalyse für wirtschaftsgeographische Fragestellungen – mögliche Forschungsperspektiven und deren Implikationen
9.1 MÖGLICHKEITEN UND BEDINGUNGEN EINER WIRTSCHAFTSGEOGRAPHISCHEN DEUTUNGSMUSTERANALYSE: ALLGEMEINE ANSATZPUNKTE Die Wirtschaftsgeographie versteht sich in ihrer programmatischen Ausrichtung als Disziplin, bei der nicht nur die Nähe zum Forschungsgegenstand seit jeher eine wichtige Rolle spielt, sondern auch die fachliche Reflexion über die ‚geeigneten‘ erkenntnistheoretischen Zugänge und Forschungsperspektiven (Kap. 2). Schamps (2003) Plädoyer für eine „pragmatische Wirtschaftsgeographie“ (Schamp 2003: 154), die sich in ihren Methoden und Erkenntnisperspektiven zunächst an der Diversität (Clark 1998: 74) konkreter gesellschaftlicher Problemstellungen orientieren sollte (vgl. dazu auch Glücker 2002; Schamp 2003; Rothfuß/Dörfler 2013: sowie: Clark 1998), kann dabei gleichsam als Ausgangspunkt einer raumbezogenen Hermeneutik betrachtet werden. Der Raum als tradierte Erkenntnisperspektive der Geographie wird dabei zum Erscheinungsraum menschlicher Aktivitäten (u a. Glückler 2002; Ibert 2010; Koch 2011), wobei „Strukturprobleme“ (Oevermann 2001c) im Raum den Ausgangspunkt des Erkenntnisinteresses begründen (vgl. Dörfler 2013a: 245f: Kap. 4). Die Möglichkeiten einer sozialwissenschaftlich revidierten und inspirierten Wirtschaftsgeographie im Allgemeinen und einer rekonstruktiven Erkenntnisperspektive im Besonderen liegen in der pragmatischen Fokussierung auf ein gesellschaftliches (Raum-)Phänomen bei gleichzeitiger Reflexi-
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on über Gegenstand und Methode der gewählten Forschungsperspektive (Dörfler 2013a: 248; Pohl 1986). Eine hermeneutische Raumwissenschaft identifiziert raumwirksame Akteure (vgl. Werlen 1997) in ihrem lebensweltlichen (vgl. Pohl 1986: 173f) und relationalen Kontext (vgl. Dörfler 2013a: 247f). Eine hermeneutische Erkenntnisperspektive für die Wirtschaftsgeographie versucht den intentionalen Gehalt von Strukturaussagen, hier die Produktion von Nähe und Distanz in den Deutungs- und Askriptionslogiken der deutschen Führungskräfte in internationalen M&As, um deren latenten Gehalt zu erweitern, um so dem kausalen Verstehen (Pohl 1986: 174f) von Strukturen und Prozessen der räumlichen „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 281) über rein deskriptive Betrachtungen hinaus näher zu kommen (Jones/Murphy 2011: 378, 383f; Kap. 5). Der Deutungsmusteransatz fokussiert dabei vor allem auf die verborgenen Steuerungsmechanismen und impliziten Wissensbestände (z. B. Tacit Knowledge) sozialen Handelns. Gleichzeitig verweisen auch aktuelle wirtschaftsgeographische Debatten (hier: Kap 2, 4 u. 5) auf die Notwendigkeit, die handelnden und entscheidenden Akteure gesellschaftlicher Prozesse selbst mehr in den Vordergrund der Betrachtung zu stellen (z. B. Finanzakteure, Führungskräfte; vgl. dazu v. a. Ouma/Schippler 2010; Scheuplein/Zademach 2015). Dabei lassen sich auch zahlreiche thematische Anknüpfungspunkte und methodologische Möglichkeiten in wirtschaftsgeographischen Forschungsfeldern ausmachen (vgl. das nachfolgende Kap.), wobei in der vorliegenden Untersuchung vor allem auf die akteursspezifische Produktion von Nähe- und Distanzformen, deren Determinanten (hier: Wissensasymmetrien, Lernprozesse) und deren dynamischer Entwicklung fokussiert wurde (ausführlich: Kap. 4). Hier zeigte sich, dass die methodologische Konkretisierung einer verstehenden Akteursperspektive („black box“ von Managerdeutungen; Leyshon 2011: 383) zu einem vertieften Verständnis dieser relationalen Kontexte und impliziten Wirklichkeitskonstruktionen (z. B. Lebenswelten, Wissen) beitragen kann (vgl. dazu auch Boeckler/Berndt 2005). Gerade wenn es etwa um den hier untersuchten Forschungsgegenstand kultureller Askriptionen in internationalen Kooperationen geht, verhilft die Analyse zu einem vertieften Verständnis dieser deskriptiven Labels (vgl. Frantz 2015: 103f) im Hinblick auf deren latente bedeutungsgenerierende Mechanismen. Nachfolgend sollen diese erkenntnistheoretischen Einsichten zunächst im Hinblick auf deren mögliche Restriktionen, Implikationen und mögliche Probleme des Analyseverfahrens aus wirtschaftsgeographischer Perspektive sowie auf deren mögliche Lösungswege diskutiert und eingeordnet werden. Dies umfasst sowohl allgemeine konstitutionstheoretische Probleme der Analyse aus raumwissenschaftlicher Sicht als auch konkrete Erfahrungen im Kontext der durchgeführten Untersuchung. Die Arbeit schließt mit einer Übersicht möglicher Forschungsperspektiven und Anwendungsmöglichkeiten in wirtschaftsgeographischen Forschungsfeldern, wobei diese, ausgehend von der Einordnung der vorliegenden Untersuchung, explizit als
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grundlegende Denkansätze im Sinne einer Öffnung der Forschungsperspektive(n) konzipiert sind.
9.2 PROBLEME UND RESTRIKTIONEN DER DEUTUNGSMUSTERANALYSE AUS WIRTSCHAFTSGEOGRAPHISCHER ERKENNTNISPERSPEKTIVE: KONSTITUTIONSTHEORETISCHE KRITIKPUNKTE Die sequenzanalytische Rekonstruktion von Deutungsmustern mit Hilfe der objektiven Hermeneutik birgt sowohl methodologische und epistemologische als auch fachbezogene Herausforderungen, die im Sinne einer problembezogenen Verwendung der Methodik ex ante reflektiert werden müssen (ausführlicher: Reichertz 1986; Ullrich 1999a). Für den interdisziplinären Methodentransfer der objektiven Hermeneutik in eine wirtschaftsgeographische Anwendungsperspektive, bei welcher der Raum nach wie vor Gegenstand des Forschungsinteresses ist (zur Einordnung vgl. Kap. 2 u. 4), sind dabei einige zentrale Aspekte zu beachten, die an dieser Stelle, selektiv und bezogen auf den vorliegenden Untersuchungsfall, kurz thematisiert werden sollen: • zum Problem der Reichweite von Deutungsmustern: Die Wirtschaftsgeographie
konkretisiert ihre Untersuchungsfragen zumeist nicht auf makrogesellschaftlicher Maßstabsebene (= Makro-Soziologie; vgl. Kap. 2), sondern vorwiegend auf subnationale Wirklichkeitsausschnitte (vgl. Fuchs 2012: 79; Milieus, Netzwerke, Regionen). Dabei ist die Abgrenzung von ‚Deutungsmuster-Milieus‘ nicht immer eindeutig, was konsequenterweise die Frage nach der Reichweite von Deutungsmustern aufwirft (vgl. dazu Fuchs 2012: 79; Oevermann 2001b: 38f). Wie weit ist ein Deutungsmuster gesellschaftlich, aber auch in räumlicher Perspektive gültig? Dabei erscheint Oevermanns Konzeptualisierung von sozialen Milieus (vgl. Oevermann 2001a/b; Kap. 3) als vage und methodologisch schwer zu operationalisieren (vgl. dazu Reichertz 1986: 185f). Andere Autoren konzeptualisieren Deutungsmuster eher in makrogesellschaftlicher Perspektive (vgl. Kassner 2003; Soeffner 2004), bleiben jedoch wiederum vage, wie die milieuspezifischen Ausdeutungen aussehen könnten. Entscheidend erscheint dabei vor allem, dass die Deutungsmuster auf der jeweiligen Maßstabsebene, innerhalb derer sie handlungswirksam sind, systematisch und methodisch kontrolliert rekonstruiert werden (Fuchs 2012: 79; exemplarisch: Fuchs/Schalljo 2016). Mit Rückblick auf die vorliegende Untersuchung wird hier die These vertreten, dass es auf der Grundlage von Deutungsmustern mit großer gesellschaftlicher Reichweite auch zu einer mi-
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lieuspezifischen Ausformung und damit Konkretisierung von Deutungsmustern kommt. So zeigte die Rekonstruktion, dass die befragten Führungskräfte nach den Prämissen einer spezifischen Professionsethik ‚unter Managern‘ agieren, die für ihren Berufsstand universelle und verbindliche Gültigkeit hat (= Common Sense; Müller 2007: 119f). Gleichzeitig sind diese Denk- und Handlungsmuster räumlich-abgrenzend anzutreffen (vgl. dazu auch Fuchs 2012: 74f), hier in Form einer westlich-deutschen Handlungslogik, die als lokal verorteter Prüfstein die Kooperationsmechanismen mit den ausländischen Investoren, die oftmals gegen diese Deutungslogiken verstoßen, in wesentlichem Umfang determinieren und prägen (vgl. Fuchs/Schalljo 2016; 2017a). Die Abgrenzung dieser Muster gelingt dabei aber nicht über den metrischen Raum, etwa in Form von administrativen Grenzen, sondern ausschließlich über die Deutungsbezüge der Akteure selbst (vgl. dazu auch Fuchs 2012: 78/79). • evolutionäre Forschungskonzeptionen: Auch wenn Oevermanns Theorieentwurf explizit eine genetisch-evolutionäre Perspektive beinhaltet, ist es oftmals schwer nachzuvollziehen, wann und wo welches Deutungsmuster anzutreffen ist und milieuspezifisch (vgl. Oevermann 2001a/b; Dörfler 2013a) vorherrschend wird, auch in prognostischer Perspektive (vgl. Fuchs 2012: 79). Diese „Antizipation der Situationsentwicklung[en]“ (Plaß/Schetsche 2001: 525) erscheint problematisch, verweisen Deutungsmuster im Kern doch auf bisher bewährte Problemlösungsmuster, so dass sich Voraussagen von Handlungen als nicht unproblematisch erweisen (vgl. Plaß/Schetsche 2001: 525f; Reichertz 1986: 155f). Im Kontext der vorliegenden Untersuchung konnte dabei jedoch aufgezeigt werden, dass die Genauigkeit der Sequenzanalyse eine dynamische Veränderung von Deutungsmustern durchaus zu analysieren vermag, wie sie sich im Rahmen der Rekonstruktion vor allem in den distanzierenden Denkmustern der Führungskräfte in der PostMerger-Integration aufzeigen ließ. • dynamische Forschungskonzeptionen: Deutungsmuster weisen in der Konzeptualisierung Oevermanns (1973; 2001a/b) eine relativ große zeitliche Stabilität auf (vgl. Ullrich 1999b: 2), was sie jedoch für eine dynamische Perspektive, wie sie in zentralen wirtschaftsgeographischen Forschungsfeldern durchaus üblich ist (z. B. institutioneller Wandel), methodologisch wie erkenntnistheoretisch weniger zugänglich macht: Wann und warum verändert sich ein Deutungsmuster? Wirtschaftsgeographische Konzepte und Debatten verweisen dabei oftmals auf dynamische Prozesse und evolutionäre Veränderungen (ausführlich: Fuchs 2012: 79f). Einiges spricht dafür, dass die Theorie Oevermanns methodologisch weiterentwickelt werden müsste, um auch Dynamiken von latenten Sichtweisen besser analysieren zu können. Dabei darf die grundlegende Konzeption Oevermanns jedoch nicht „verwässert“ werden (Fuchs 2012: 79; sowie: Plaß/Schetsche 2001: 529). • zum methodischen Problem der Rekonstruktion: Es erscheint aus erkenntnistheoretischer Sicht problematisch, als Forscher nicht doch, und entgegen den Prämis-
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sen kontextfreier Interpretationen (Kap. 6), in einigen Analysepunkten erkenntnisinteressengeleitet Interviewmaterial auszuwerten (vgl. hierzu v. a. Reichertz 1986: 49f). Eine genuin struktural-hermeneutische Auswertung ohne forschungsleitende Vorannahmen würde, aus den praktischen Erfahrungen der Untersuchung betrachtet, zu teils ausufernden Interpretationen und Ergebnissen führen, die, weil nicht Bestandteil des wirtschaftsgeographischen Erkenntnisinteresses oder der Forschungsfragen, nicht Gegenstand der Ergebnisdarstellung sind oder sein können (ausführlich: Reichertz 1986: 49f). Insofern erscheint es pragmatisch gesehen als durchaus sinnvoll, eine Materialauswahl im Sinne eines zielgerichteten Erkenntnisinteresses zu treffen, dabei aber ‚offen‘ für neue Tendenzen und Befunde im Untersuchungsmaterial zu sein. • zum Verhältnis von Deutungsmustern, Handlung und Raum(verhalten) (Kap. 4): Die Analyse zeigt per se ein gewisses Abstraktionsniveau auf. Nicht jedes Deutungsmuster kann und muss dabei handlungspräjudizierend sein (vgl. dazu Fuchs 2012: 79; Ullrich 1999b: 3f). Eine akteurszentrierte Methodik und hermeneutische Geographie als Theorieprogramm gleicht dabei eher einer falsifizierenden Spurensuche nach Strukturen und Prozessen der Erscheinungswelt (vgl. Reichertz 1986: 293), bei welcher die Offenheit im Forschungsprozess zentral ist (vgl. dazu v. a. Rothfuß/Dörfler 2013), und bricht damit mit klassischen geographischen Raumkonzepten (Kap. 2). Der Akteur selbst wird zum Raumgestalter („Geographie-Machen“; vgl. Werlen 1997: 25), zum Raumdeuter und zum ‚Bewohner‘ einer Lebenswelt, dessen Deuten und Handeln als prinzipiell raumwirksam betrachtet werden kann (vgl. Dörfler 2013a; Kaspar 2013; Pohl 1996). • zur Kausalität von Handlungsproblemen: Deutungsmuster können kausal betrachtet als zeitstabile Denkschablonen und Antwort auf realweltliche Handlungsprobleme verstanden werden (vgl. Garz/Raven 2015: 31f; Oevermann 2001a). Unklar bleibt in dieser Erkenntnisperspektive jedoch, wann und wie sich Handlungsprobleme verändern und wie genau immanente Deutungsmuster sich analog dazu anpassen. Die Analyse von Fallbeispielen vermag Deutungsmuster methodisch kontrolliert zu identifizieren, fasst aber zeitlich betrachtet und notwendigerweise eben jene Muster und Denkschablonen zusammen, die sich bereits im Material abgelagert haben (Fuchs 2012: 79). Dabei erscheint für die Wirtschaftsgeographie jedoch vor allem die Frage spannend, wie es kommt, dass Deutungsmuster vorherrschend werden und wie sie sich verbreiten (ebd.: 79). • zum kulturellen Kontext: Die Textinterpretation auf der Grundlage der sequenziellen Analyse eines gemeinsam geteilten Sprachsystems stößt bei transkulturellen und mehrsprachigen Analysen mit unterschiedlichen Bedeutungszuweisungen von Sprache an ihre Grenzen. So wurde im untersuchten Sample ausschließlich auf die Sichtweisen der deutschen Führungskräfte fokussiert. Eine vertiefte Analyse der Deutungsmuster der ausländischen Eigner erscheint im Sinne einer kontrastierenden (vgl. Dörfler 2013a: 253) und komparativen Methodologie (vgl.
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Vogelpohl 2013: 74f) als hochgradig forschungsrelevant („...für die ist das ja noch viel stärker ein Schock als für uns...“ - so eine Führungskraft in einer BRICEignerstruktur; EE9: 8). 9.2.1 Implikationen und Grenzen der Analyse im Erfahrungskontext der vorliegenden Untersuchung: operative Probleme der Methodenanwendung Neben den zuvor bereits angeführten und diskutierten allgemeinen Restriktionen und konstitutionstheoretischen Problemen einer wirtschaftsgeographischen Deutungsmusteranalyse zeigen sich im Kontext der durchgeführten Untersuchung einige spezifische Probleme der methodologischen Umsetzung, die an dieser Stelle kurz skizziert werden sollen: • Genauigkeit der Analyse versus Abstraktionszwänge der Darstellung: Die herme-
neutisch rekonstruierten Einzelauswertungen erschienen im Kontext der Gruppenauswertungen als derart detailliert (vgl. das Auswertungsbeispiel in Kap. 7), dass der überwiegende Teil der durchgeführten Einzelrekonstruktionen gar nicht oder nur zum Teil in die empirische Darstellung aufgenommen werden konnte und oftmals auch gar nicht relevant im Sinne der wirtschaftsgeographischen Fragestellung(en) erschien.1 Dies impliziert sowohl ein inhaltslogisches als auch ein forschungsökonomisches Problem, da die Textauswertungen sehr zeitaufwendig sind, jedoch im Sinne der hermeneutischen Offenheit gegenüber Neuem (vgl. Pohl 1986) nicht einfach zielgerichtet im Hinblick auf die formulierten Forschungsfragen erfolgen sollten (vgl. Ullrich 1999a: 429ff; Kap. 6). Gleichwohl hat sich dabei eine fallstrukturspezifische Auswahl von Schlüsselstellen als brauchbar und zulässig im Sinne der konstitutionstheoretischen Prämissen der objektiven Hermeneutik erwiesen (Garz/Raven 2015: 147f; Kap. 3 u. 6). Grundlegend ließ sich im Kontext der Untersuchung dennoch ein gewisses Spannungsfeld zwischen Detailliertheit der Analyse und den begrenzten Möglichkeiten und Abstraktionszwängen der empirischen Darstellung ausmachen. Die objektivhermeneutische Analyse konnte im Untersuchungsfeld dann als abgeschlossen betrachtet werden, wenn materialbezogen wenig bis keine für die Fallstruktur
1
Wobei diese Unterscheidung relativ ist und ganz im Sinne der Fragestellungen und des Erkenntnisinteresses des Interpreten liegt. Der hier vertretene Ansatz verbindet den Ansatz einer subjektzentrierten Geographie mit der Konstitutionstheorie der objektiven Hermeneutik. Ziel der Analyse ist die problembezogene Rekonstruktion eines Strukturproblems und erst sekundär dessen räumliche Auswirkungen, die gleichwohl bestehen (Kap. 7).
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neuen Erkenntnisse mehr dazu kamen und/oder diese durch neues Material validiert werden konnte (Oevermann 2002: 20/21; Soeffner 2004: 217; ausführlich: Kap 6). Übertragen auf die gedankenlogische Darstellung der Forschungsergebnisse mussten diese, gewissermaßen analog zur Auswertungslogik, die problemorientierte „Bedeutungsstruktur“ (Wernet 2011: 7) des Untersuchungsbereichs umfassend und vollständig darstellen (ebd.: 7). • Einzel- versus Gruppenauswertung: Im Hinblick auf forschungspraktische Probleme der Materialauswertung gestaltete sich weniger die Konstruktion der Fragestellungen oder die methodologische Umsetzung eines Interviewleitfadens als problematisch, sondern vor allem die komplexe und sehr zeitaufwendige Textauswertungsmethode, gewissermaßen als Kernstück des objektiv-hermeneutischen Forschungsansatzes (vgl. Oevermann 1973; 2001a). Im Hinblick auf die Kosten (z. B. Zeit) ist zu berücksichtigen, dass es aus den Erfahrungen der vorliegenden Untersuchung wenig Sinn macht, mit Einzelauswertungen zu beginnen. Der Hauptteil des in dieser Untersuchung erhobenen Materials wurde in Forschergruppen ausgewertet, was erfahrungsgemäß nicht nur zu valideren Ergebnissen führt (Kap. 6), sondern überdies zu einer notwendigen methodologischen Sensibilisierung für den Umgang mit der Detailliertheit der Sequenzanalyse und mit dem Ziel, nachfolgend auch Einzelauswertungen durchzuführen (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 255). • empirisches Material und Datenmengen: Entgegen des in der Humangeographie bisweilen auffälligen Trends zu umfangreichen Interviewzahlen in den empirischen Beiträgen (vgl. den eigenen Befund in Kap. 2 dieser Arbeit) empfiehlt es sich, sparsam mit der Anzahl zu erhebender Datenmengen umzugehen (vgl. Wernet 2009; Kap. 6). Da es der objektiven Hermeneutik nicht um eine quantifizierende Aussage auf der Grundlage eines ‚großen n‘ (n = Fallzahlen) geht, sondern um die Rekonstruktion einer Strukturgesetzlichkeit eines Wirklichkeitsausschnitts (Oevermann 2002: 18-22; exemplarisch: Oevermann 2001c), sind für die Rekonstruktion gerade so viele Einzelstrukturrekonstruktionen notwendig, bis diese zum allgemeinen Verständnis der untersuchten Problemlage (= Fallstruktur) ausreichen. Forschungslogisch empfiehlt sich dementsprechend eine wohldurchdachte Erhebungsstrategie (wen befragen und worüber?), um nicht unnötig viel auszuwertendes Material zu produzieren und jeweils problembezogen zu arbeiten (vgl. Wernet 2009: 20ff). Die Auswertung gelingt vor allem über das frühzeitige Bilden von Fallstrukturhypothesen (exemplarisch: Oevermann 2001c), also der hypothetischen Konstruktion von möglichen Handlungsmotiven zu Beginn der Auswertungen (= materialbezogene Handlungsbezüge; Kap. 7). Die Hinzunahme weiterer Fälle und Textpassagen dient dann der nachfolgenden Verifizierung, Konkretisierung oder Revision der bereits getroffenen Strukturaussage(n). Mit Hilfe dieser Auswertungstechnik können somit auch größere Interviewmengen, wie sie in der Wirtschaftsgeographie nicht unüblich (Kap. 2), in der objektiv-
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hermeneutischen Methodologie jedoch eher selten sind (exemplarisch: Oevermann 2001c), gehandhabt werden.
9.3 DEUTUNGSMUSTER ALS WIRTSCHAFTSGEOGRAPHISCHE ERKENNTNISPERSPEKTIVE: FORSCHUNGS- UND ANWENDUNGSMÖGLICHKEITEN DES ANALYSEVERFAHRENS – DENKANSÄTZE UND PERSPEKTIVEN Die theoretische (Kap. 3 u. 4), methodologische (Kap. 6) und inhaltliche (Kap. 5 u. 8) Auseinandersetzung mit den konstitutionstheoretischen Prämissen der objektiven Hermeneutik und dem empirischen Beispiel der Deutungsmuster deutscher Führungskräfte in internationalen M&As (Kap. 7) hat aufzuzeigen versucht, dass sich im Kontext wirtschaftsgeographischer Debatten (Kap. 2 u. 4) vielfältige mögliche Anwendungsfelder und Forschungsperspektiven für die Wirtschaftsgeographie ergeben (vgl. dazu die Übersichtsabbildung, Abb. 29). Dies ist vor allem damit zu begründen, dass innerhalb des objektiv-hermeneutischen Theoriegebäudes Sprache metatheoretisch als das Medium der Interaktion und Wirklichkeitsproduktion konzeptualisiert wird (vgl. Oevermann 1973; 2001a) und dass insofern also multiperspektivische Anknüpfungspunkte an bisherige wirtschaftsgeographische Forschungsfelder als möglich erscheinen (vgl. dazu Kap. 2 u. 4). Der Deutungsmusteranalyse geht es dabei um Strukturdeutungen aus der Subjektperspektive des raumdeutenden und raumgestaltenden Akteurs (Kap. 4), bei denen latente Sichtweisen und Dynamiken das ‚Soziale‘ steuern und formen (vgl. Yeung 2003: 445f; Dörfler 2013a: 247f). Dabei deuten sich sowohl vertiefende Forschungsperspektiven in relationalen Analysekontexten an, etwa im Kontext transkultureller Fragestellungen, als auch der evolutionäre Wandel akteursbezogener Denk- und Handlungsmuster im und über den Raum in der Erscheinungsform impliziter Wirklichkeitskonstruktionen, hier diskutiert in der Form von Distanzproduktionen sowie Wissens- und Lernprozessen (zur Einordnung vgl. die Übersichtsabbildung, Abb. 29). Ausgehend von den empirischen Einsichten der vorliegenden Untersuchung (Kap. 7) verweist die vertiefte Analyse der Handlungspraktiken der deutschen Führungskräfte in ihren alltäglichen Geographien (vgl. Werlen 1997: 25ff) als Erkenntnisperspektive auch auf die Analyse von Akteursnetzwerken im Sinne geographischer Embeddedness (u. a. Endres/Fuchs 2007; Glückler 2001; Oinas 1999: 352f) und organisationaler Routinen (= Black Box; Kinder/Radwan 2010: 41, 43) aus sprachpragmatischer Sichtweise. Dabei erscheint aus der Sichtweise des Deutungsmusteransatzes vor allem die Frage forschungsrelevant, wie sich in relationa-
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len Kontexten die latenten Steuerungsmechanismen und Denkschablonen der beteiligten Akteure konstituieren und im Zeitverlauf verändern (z. B. Untraded Interdependencies; vgl. Storper/Scott 1990; sowie: Kinder/Radwan 2010: 43f): Was macht den Social Glue in einer Region aus? Wie kommt es zu Lock-In-Phänomenen (z. B. im Ruhrgebiet der 1980/1990er Jahre; vgl. Grabher 1993; Hassink 2005) im Sinne von nicht mehr adäquaten Deutungsmustern (vgl. auch Asheim/Coenen 2007; Asheim/Isaksen 2002). Die Analyse sozialer Deutungsmuster zielt darüber hinaus auf die Rekonstruktion der strukturierenden Prinzipien und abgrenzenden Verhaltensmuster im Sinne einer spezifischen Kultur ab, die als kulturelle Askriptionslogiken sichtbar und handlungswirksam werden, was innerhalb der vorliegenden Untersuchung vor allem in den BRIC-Eignerstrukturen aufgezeigt werden konnte (vgl. auch Meyer 2000: 148ff). Kulturelle Askriptionslogiken werden dabei als „relationaler Prozess mit konstruktivem Charakter verstanden und betrachten Identitäten als hybrid“ (Meyer 2000: 157; vgl. auch: Clifford 1986; 1996), was in abgewandelter Form auch für die untersuchten Interaktionen in internationalen Unternehmensbeziehungen gilt (exemplarisch: Depner/Bathelt 2006; vgl. dazu Boeckler/Berndt 2005: 72ff). Eng verbunden und oftmals integraler Bestandteil relationaler Konzepte in der Wirtschaftsgeographie sind evolutionäre und pfadabhängige Perspektiven (vgl. Schamp 2002; 2003; Boschma/Frenken 2006). So untersucht etwa die ‚neue Kulturgeographie‘ die „kollektiven, stabilen gesellschaftlichen Identitäten“ (Gebhardt et al. 2003: 1; Gebhardt 2008) in ihrem historischen und lebensweltlichen Wandel (vgl. Wardenga 2005: 27). Gertler (2001), Faulconbridge (2008) und Jones (2008a) konkretisieren diese Debatten, bezogen auf den ökonomischen Kontext der vorliegenden Untersuchung, im Hinblick auf spezifische „cultures of work“ (Faulconbridge 2008: 502), „industrial practices“ (Gertler 2001: 12) und „global work practices“ (Jones 2008a: 14) und verweisen dabei explizit auf die „underlying social actions within the firm“ (Schoenberger 1997: 116; Faulconbridge 2008: 498). Gerade im Hinblick auf Stabilität und Wandel dieser „Konstruktionen des Ökonomischen“ (Boeckler/Berndt 2005: 76), wie sie die vorliegende Untersuchung nachgezeichnet hat, erscheint die Deutungsmusteranalyse als Erweiterung der Erkenntnisperspektive, da sie strukturell auf die tieferliegenden Handlungsmotive in solchen Konstellationen fokussiert (vgl. Fuchs/Schalljo 2016; Kap. 7). So erscheint etwa der Aspekt der innerbetrieblichen Partizipation und Mitbestimmung (vgl. Scholz 2016; HansBöckler-Stiftung 2017) im Kontext von transnationalen Unternehmensübernahmen empiriebezogen und erkenntnistheoretisch (Veränderung von gesellschaftlichen Denkmustern) als hochgradig analyserelevant. Konkretisiert auf die methodologische Perspektive der vorliegenden Untersuchung (Kap. 8.2) erscheint die Analyse vor allem im Kontext semantischer und praktikenbezogener Arbeiten, wie sie innerhalb der englisch- und deutschsprachigen Geographie in der letzten Dekade zunehmend zu beobachten sind, als Vertiefung der Erkenntnisperspektive (vgl. Jo-
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nes/Murphy 2011: 382; Kap. 2). Praxisorientierte Arbeiten (= Practice Turn, Performative Turn; vgl. Bachmann/Medick 2009) stellen dabei im eigentlichen Sinne keine eigenständige Erkenntnisperspektive dar, sondern beschreiben eher den Modus des Feldzugangs (oftmals ethnographisch), wobei jeweils die akteursspezifischen Praktiken auf der Mikroebene Gegenstand der Analyse sind (vgl. Jones/Murphy 2011: 373f). Dieser verstärkten erkenntnistheoretischen Orientierung auf raumwirksame Praktiken handelnder Akteure (Glasze/Pütz 2007: 3; Jones/Murphy 2011: 366ff; Yeung 2005: 442-450)2 ist gemeinsam, dass der Fokus auf den räumlichen Konsequenzen menschlichen Handelns liegt (vgl. Boeckler et al. 2014: 129-132): „...economic geographers need to pay more attention to the mechanisms of such changes in culture, and the processes of change in national business systems more widely...“ (Faulconbridge 2008: 497). Dabei kann die Deutungsmusteranalyse zu einer Vertiefung und Erweiterung der Debatten beitragen, indem sie ebenfalls am handelnden Akteur und dessen routinisierte Praktiken ansetzt (vgl. Jones 2014: 608; Jones/Murphy 2011: 373; z. B. symbolische Raumproduktionen). Der zentrale erkenntnistheoretische Mehrwert dieser Erweiterung besteht in der Verknüpfung von Mikrofaktoren (= Akteursebene) mit Makrofaktoren der Analyse im Sinne einer mesoskaligen und genetischen Herangehensweise (vgl. dazu Jones/Murpy 2011: 371ff; Schamp 2003: 150; Yeung 2005; im theoretischen Kontext: Coleman 1986). So lautet einer der zentralen Kritikpunkte der englischsprachigen Debatte an den Mikroansätzen, dass diese kaum makrogesellschaftliche Strukturen zu erklären vermögen und umgekehrt (vgl. Jones 2014: 609f) und dass eine relationale und integrative Perspektive vor allem die Alltagspraktiken der handelnden Akteure im Kontext genetischer Wissens- und Institutionalisierungsprozesse berücksichtigen sollte (Fuchs 2012: 71f; 76f; Jones 2014: 610/611), etwa im Kontext der „black box“ (vgl. Kinder/Radwan 2010: 41f; Leyshon 2011: 383) von Distanzierungspraktiken und -wahrnehmungen und deren soziokultureller Einbettung (Maskell 2001: 329ff; Si/Liefner 2014) und organisationaler Routinen (Amin/Cohendet 2000: 93- 97; Kinder/Radwan 2010: 41-45), wie sie die vorliegende Arbeit bei internationalen M&As untersucht hat. Dabei bietet eine hermeneutische Methodologie, entgegen dem oftmals ‚laschen‘ Umgang mit den Prämissen qualitativer Sozialforschung (vgl. Barnes et al. 2007: 1-3; 24; Kap. 2), eine empirisch erprobte Erkenntnisperspektive, was sich vor allem auf die Problematik eines mikroanalytischen Zugangs und dessen Verallgemeinerungsanspruch in makrostrukturellen Kontexten bezieht (Jones 2003; 2014: 609; Jones/Murphy 2011: 380ff).
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In der deutschen Humangeographie wurde in diesem Kontext jüngst (2016) ein DFGGemeinschaftsprojekt unter der Leitung von Dr. Susann Schäfer (Jena) initiiert, dessen Fokus auf „humangeographischen Forschungsperspektiven nach dem Practice Turn“ liegt.
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Die Deutungsmusteranalyse kann aus der Sichtweise der vorliegenden Arbeit aber auch neue Denkansätze für klassische Konzepte der Raumwirtschaftslehre liefern und so neue methodologische Perspektiven aufzeigen. Auch wenn die klassische Raumwirtschaftslehre grundlegend anderen erkenntnistheoretischen Positionen und methodologischen Ansätzen verhaftet ist (Kap. 2), bieten sich dennoch zahlreiche Anknüpfungspunkte inhaltlicher Art an, die aus der Erkenntnisperspektive latenter Handlungsmuster neu reflektiert werden und so einen Brückenschlag liefern können. Wenn etwa vom Analyseniveau klassischer Marktlogiken oder Produktzyklen die Rede ist, erscheint der Deutungsmusteransatz brauchbar, um die performativen Steuerungsmechanismen und Deutungen der Entscheidungsträger zu rekonstruieren (vgl. Berndt/Boeckler 2007; 2011). Was dabei erkenntnistheoretisch zuvor einer genuin chorologischen Raumsichtweise verhaftet war (Kap. 2), kann mit Hilfe einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive neu reflektiert werden. Auch die Unternehmensgeographie untersucht das räumliche Wirken (= Lokalisierung) von Unternehmen und deren vielfältige räumliche und regionale Implikationen. Vernachlässigt wird aber oftmals eine Erkenntnisperspektive, die es vermag, Handlungsmotive und raumrelevantes Verhalten aus der Perspektive der tatsächlich handelnden und entscheidenden Akteure zu rekonstruieren (z. B. Manager, Banker, vgl. Dietz/Stern 1995; Geppert/Dörrenbächer 2011). Dabei steht im Sinne einer Rekonzeptualisierung der Erkenntnisperspektive (Kap. 4) nicht mehr der Raum als Ausgangspunkt der Untersuchung im Vordergrund, sondern vielmehr der den Raum ‚produzierende‘ Akteur (vgl. Dörfler 2013a: 247ff; Kaspar 2013; Kap. 4). Innerhalb der letzten Dekade sind über diese praktikenorientierte Sichtweise innerhalb der Wirtschaftsgeographie, vor allem innerhalb der deutschen Sozialgeographie, zahlreiche Arbeiten entstanden, die sich mit semantischen Analysen von individuellen Raumkonstruktionen und -deutungen befassen (exemplarisch: Glasze/Mattissek 2009; Glasze/Pütz 2007; Mattissek 2007; Miggelbrink/Meyer 2015; Pott 2007; Hasse 2010; Schlottmann 2005, 2007; Strüver 2015), dabei auch aus systemtheoretischer Sichtweise (vgl. Pott 2007) sowie aus der theoretischen Sichtweise der phänomenologischen und handlungstheoretischen Aktionsraumforschung (vgl. Scheiner 1998). Die Nähe dieser Ansätze zur Deutungsmusteranalyse besteht dabei auf zwei Ebenen: einem erkenntnistheoretischen Theorie- und Forschungsverständnis vom Individuum als Gestalter und Deuter des Raumes (vgl. Dirksmeier 2009; Dörfler 2013a; von Löwis 2015) sowie der expliziten Bezugnahme auf sprach- und zeichenwissenschaftliche Konzepte auf methodologischer Ebene nach dem Linguistic Turn (vgl. Mattissek 2007; Kap. 2). Die thematische und methodische Bandbreite sozialgeographischer Konzepte reicht von performativen Ansätzen (vgl. Boeckler et al. 2014; Hasse 2010; Strüver 2015), sprechakttheoretischen Analysen (vgl. Schlottmann 2005), medialen räumlichen Repräsentationen (vgl. Miggelbrink/Meyer 2015; Reuber/Schlottmann 2015), Diskursanalysen (vgl. Mattissek 2007) und metapherntheoretisch geleiteten Analysen (vgl. Fuchs 2011). Der epis-
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temische Fokus sind dabei jeweils die Repräsentationsweisen kollektiver und individueller Identitäts- und Handlungsmuster auf Subjektebene (Miggelbrink/Meyer 2015: 202; Reuber/Schlottmann 2015: 193). ‚Sprechen‘ materialisiert sich dabei in Analogie zu Oevermanns Theorie (1973; 2001a) in Texten und wird als performativer Akt handlungsfähiger Subjekte verstanden, der sich in der Beziehung von Sprache und Subjekt diskursiv fortsetzt (Schlottmann 2005: 5ff). Die Bezugnahme auf gruppenbezogene semantische Konzepte und Identitätsartikulationen (Miggelbrink/Meyer 2015: 208) als Rekonstruktionen der subjektiven Wahrnehmung weist eindeutige Parallelen zu Oevermanns milieuspezifischen Deutungsmustern auf (vgl. Oevermann 1973; 2001a). Subjekte deuten im Rahmen ihrer Artikulationen direkt oder indirekt mit Bezugnahme auf (sozial-)räumliche Repräsentationen (Miggelbrink/Meyer 2015: 209), die sich als Strukturdeterminanten im Subjekt abgelagert haben (vgl. Oevermann 2001b). So konnte etwa innerhalb der detaillierten Einzelfallrekonstruktionen oftmals alleine anhand der spezifischen Sprachverwendung der Manager die Herkunft der jeweiligen Führungskraft bestimmt werden (z. B. aus dem ‚badischen Raum‘; vgl. dazu Felgenhauer 2007a/b). Viele sozialgeographische Analysen neigen jedoch methodologisch zu eher subjektivistischen Perspektiven, dabei vor allem phänomenologische (vgl. Buttimer 1969; 1974; Scheiner 1998), handlungstheoretische und performative Analysen (z. B. Aktionsraumforschung). Hier ist auch die subjektivistisch inspirierte sozialgeographische Denktradition der Perzeptionsforschung sowie die Wahrnehmung von Naturrisiken einzuordnen (= Hazard-Forschung; vgl. Felgentreff/Glade 2008).
Rückbettung in den theoretisch-konzeptionellen Kontext | 339
Abbildung 29: Erkenntnisperspektiven und Forschungsfelder als mögliche Anwendungsfelder einer hermeneutischen Forschungsperspektive in der Humangeographie, konkretisiert auf wirtschaftsgeographische Debatten
Der konkrete Mehrwert der Analyse besteht darin, dass Sinn aus der Sichtweise der hier vertretenen Erkenntnisperspektive als analytische Kategorie weder objektiv noch subjektiv zu begreifen ist. Sinn verobjektiviert sich in Handlungen aufgrund der sprachlichen Intersubjektivität der „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 281), d. h. er wird in gesellschaftlichen Sinn verwandelt und ändert sich fortlaufend (vgl. auch Oevermann 2002: 1-5; Scheiner 2008: 55). Handlungen sind demnach immer auch Ausdruck des durch vorangegangene Handlungen geschaffenen Kontextes (Scheiner 1998: 55). Die objektive Hermeneutik bietet dieser theoretischen Verortung auch eine methodologische Grundlage, versucht sie doch mit einer genetisch-strukturalistischen Konzeption den Dualismus von Subjektivismus und Objektivismus zu überwinden (vgl. Oevermann 1993: 107ff). Raum ist dabei eine Erfahrung, die dem Individuum durch Handlungen vermittelt wird und sich auf diese Weise konstituiert (Scheiner 1998: 56; Werlen 1995: 236ff; ausführlich: Fuchs 2013), gleichzeitig ‚produzieren‘ Individuen aber auch den Raum. Diese Zeitlichkeit räumlicher Bezugnahmen (vgl. von Löwis 2015) verdeutlicht die epistemische Dualität: Deutungen sind nicht vom Raum zu trennen (= objektivistische Perspektive) und Raum ist in seiner gesellschaftlichen Bedeutung nicht von historisch gewachsenen Deutungen zu trennen (Fuchs 2012: 74ff; 2013: 32ff; Hasse 2010: 67ff).
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Oevermanns Theorie sozialer Deutungsmuster kann hier eine Brücke bauen, betrachtet die objektive Hermeneutik Texte doch als das Ergebnis relationaler Handlungspraxis, wobei die Kategorie Sinn subjektiv so gefasst wird, dass sie Ausdruck eines sequenziellen Auswahlmechanismus auf der Grundlage ‚objektiver‘ Handlungsmöglichkeiten ist (vgl. Oevermann 1993: 107f). Gleichzeitig materialisieren sich in Texten milieuspezifische Strukturen der „Erscheinungswelt“ (Oevermann 2001c: 281) und verweisen auf die zugrundeliegenden Handlungsmuster. Auf methodologischer Ebene stellt die Sequenzanalyse, etwa im Gegensatz zu phänomenologischen Analysen oder ‚Einfühlungshermeneutiken‘, eine systematische Methode zur Rekonstruktion der tatsächlich handlungsrelevanten und damit raumproduzierenden Sinnkategorien dar (Kap. 3). Am empirischen Beispiel der Deutungslogiken deutscher Führungskräfte in internationalen M&As sowie der systematischen Auseinandersetzung mit den theoretischen Prämissen und methodologischen Implikationen der Deutungsmusteranalyse in räumlicher Perspektive zielte die vorliegende Untersuchung vor allem darauf ab, zu einer Öffnung und Vertiefung wirtschaftsgeographischer Erkenntnisperspektiven beizutragen.
Anhang
I.) Entwicklung von Themenblöcken für den Interviewleitfaden: Block 1: Allgemeine Informationen zu Person und Unternehmen • Position im Unternehmen/Eigene Rolle bei der Übernahme • Situation des Unternehmens vor der Übernahme/wirtschaftliche Situation • Gründe für den Verkauf • … Block 2: Deutungsmuster und medial vermittelte Informationen und Ansichten über Investoren und deren Herkunftsländer • Ansichten der Entscheidungsträger vor den Übernahmegesprächen • „Alte“ versus „neue“ Investoren • Bisheriger Erfahrungshorizont Block 3: Pre-Merger-Phase – Anbahnung der Übernahme Suchprozess im Unternehmen bzw. des Investors • Entscheidungsprozess und -struktur im Unternehmen • Auswahl und Gründe für den Investor • Kontaktanbahnung und Übernahmegespräche -Narrative SequenzenBlock 4: Merger-Phase – Übernahme des Unternehmens • Veränderungen der Entscheidungsstrukturen und Kompetenzen • Rolle des Investors im Unternehmen • Chancen- versus Risikobetrachtung
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Block 5: Post-Merger-Phase – Bewertung der Transaktion • Bewertung und Rekapitulation der Übernahme • Ausblick für das Unternehmen • Fehler in der Bewertungsphase Block 6: Offener Teil – Anmerkungen, Hinweise, Rückfragen • Ggf. thematische/leitfadenbezogene Rückfragen • Möglichkeit weiterer Gespräche (auch im Unternehmen) • Anregungen und Kritik zum Projekt
II.) Narrativer Interviewleitfaden für die Expertengespräche (= idealtypische Fragen) Einführung: • Vorstellung der Personen und des Projektes (Bezug zu Direktinvesitionen nach Deutschland und Einordnung der Erfahrungshorizonte der Experten). • Konzeption des Gesprächs als narratives Interview: Reproduktion von Ereignisabläufen/Thematische Blöcke/beabsichtigte Erzählungssequenzen und spezifische Nachfragen; Bitte um Tonbandaufzeichnung. Block I: Einleitung: zur Person und zum Unternehmen 1.) Können Sie kurz Ihre Position und Ihren Verantwortungsbereich im Unternehmen skizzieren? 2.) Wie lange sind Sie schon im Unternehmen beschäftigt? 3.) Können Sie einleitend kurz die wirtschaftliche Situation des Unternehmens vor der Übernahme schildern? (ohne sensible Unternehmensdaten!) 4.) Was waren entscheidende Gründe für die Übernahme durch den Investor? a.) Unternehmensseite versus Investorenseite. Block II: Deutungsmuster und medial vermittelte Informationen und Ansichten über Investoren und deren Herkunftsländer 5.) Wie waren allgemein Ihre Ansichten gegenüber den Investoren? Was ist Ihr bisheriger Erfahrungshorizont bezüglich M&As? 6.) Gab/gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung bezüglich des Herkunftsland der Investoren? Was denken Sie über z.B. chinesische Investoren? a.) Persönliche Einschätzung versus Wahrnehmung im Unternehmen. b.) Nachfrage: Bezug auf BRIC-Staaten oder Private Equity?
Anhang | 343
c.) Unterschiede zwischen Investoren aus „alten“ und „neuen“ Herkunfts-
ländern. 7.) Woher erhalten Sie die Informationen, die Grundlage einer Einschätzung bil-
den? 8.) Wie glauben Sie wird das Thema in den Medien dargestellt, mit welchem Ein-
fluss? Block III: Pre-Merger-Phase – Anbahnung der Übernahme 9.) Können Sie die Entscheidungsstruktur im Unternehmen kurz skizzieren? 10.) War die Suche nach einem neuen Investor eher risiko- oder chancenbehaftet? 11.) Beschreiben Sie den Suchprozess im Unternehmen nach einem ,geeigneten‘ Investor! Warum gerade dieser Investor? a.) Auswahl und Gründe für den Investor? (Problem: Möglichkeit der Fremdentscheidung!). b.) Welche Faktoren könnten Ihrer Meinung nach die Entscheidung beeinflusst haben? c.) Hätten Sie sich für diesen Investor entschieden? (Achtung!) 12.) Wie kam es zu dem Kontakt (= Kontaktanbahnung)? 13.) Wie bewerten Sie aus heutiger Sicht die Entscheidung und den Entscheidungsprozess? a.) Was hätte man Ihrer Meinung nach von Seiten des Investors ,besser‘ machen können oder müssen? Block III: Merger-Phase – Übernahme des Unternehmens 14.) Wie verliefen die Gespräche mit dem Investor? a.) Unterschiede zu vorherigen Erfahrungen. b.) Die persönliche Rolle des Investors in den Gesprächen?! 15.) Wie bewerten Sie die heutige Rolle des Investors im Unternehmen (= Koope-
ration, Reporting, Kommunikation, Kultur)? 16.) Inwiefern und inwieweit haben sich die Entscheidungs- und Kompetenzstrukturen im Unternehmen geändert? a.) Ist das Leitbild des Unternehmens internationaler geworden (= Selbstwahrnehmung)? b.) Denken Sie heute „chinesischer“? c.) Wie würden Sie Partizipation im deutschen Unternehmen im Hinblick auf den neuen Investor definieren? 17.) Wie hat sich der Investor während der Gespräche verhalten (= Dialogstrukturen)? 18.) Wie bewerten Sie das Know-How des Investors bei der Übernahme des Unternehmens, vor allem in Bezug auf die Kommunikationsstruktur?
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Block IV: Post-Merger-Phase – Bewertung und Einordnung der Transaktion 19.) Wie bewerten Sie die Übernahme durch den ausländischen Investor, möglicherweise auch im Kontext zu bisher gemachten Erfahrungen? a.) Welchen Einfluss haben kulturelle Unterschiede gespielt? 20.) Würden Sie die Übernahme als Erfolg bzw. als Gewinn für das Unternehmen bezeichnen? a.) Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial? 21.) Wie nehmen Sie den Investor und seine Rolle im Unternehmen jetzt, nach der Übernahme, wahr? a.) Würden Sie sagen, Sie sind jetzt ein deutsch-chinesisches Unternehmen? b.) Ist es eigentlich korrekt hier von einer ‚Übernahme‘ zu sprechen (versus ‚Investor‘ oder ‚Finanzgeber‘)? 22.) Wie schätzen Sie die Perspektive für das Unternehmen nach der Übernahme ein (neue Geschäftsfelder, Absatzmärkte, usw.)? a.) In welche ,Richtung‘ will der chinesische Investor Ihrer Meinung nach gehen? 23.) Hätten Sie sich wieder für diesen Investor entschieden? a.) Was hätten Sie aus der heutigen Betrachtung vielleicht anders gemacht? Abschluss: Anmerkungen, Hinweise, Rückfragen • Eventuelle thematische und/oder leitfadenbezogene Rückfragen. • Möglichkeit weiterer Gespräche, auch im Unternehmen. • Platz für Anregungen und Kritik zum Projekt sowie möglicherweise eigene Rele-
vanzstrukturen. • Zusicherung eines Management-Summaries nach Beendigung des Projekts.
III.) Kategorien-Leitfaden für die Nacherhebung – Untersuchungszeitraum: Februar/März 2016 (ca. 20 min – telefonisch/Face-to-Face) Allgemeine Strukturlogik (A) Übernahmedeutungen Strukturvergleich Prozessperspektive/Dynamik Handlung und Raum Nutzen für die Wirtschaftsgeographie
Anhang | 345
Wie sehen Sie die Investoren heute? Wie haben sich Ihre Ansichten gegenüber den Investoren verändert? Wie bewerten Sie aus heutiger Sicht die Entscheidung und den Entscheidungsprozess? Was hätte man Ihrer Meinung nach von Seiten des Investors besser machen können/müssen? Was hat der Investor verändert im Unternehmen? Wie ist seine heutige Rolle im Unternehmen (Schwerpunkt: Synergien/kulturelle Faktoren)? Ist Ihr Bild positiver oder negativer geworden? Welche Konsequenzen haben sich für das Unternehmen im Gesamten ergeben (= präzise Schilderung von Entwicklungen im Unternehmen)? Wie hat sich das Know-How des Investors entwickelt? Hat eine Anpassung/Weiterentwicklung stattgefunden? Handelt es sich nun um ein deutsch-chinesisches Unternehmen? Wie sieht Ihre Perspektive für das Unternehmen nun aus? Wie schätzen Sie Ihre eigene Perspektive ein? Wie hat sich Ihr eigner Handlungsspielraum im Unternehmen seit der Übernahme verändert? Was wäre ein Grund für Sie aus dem Unternehmen auszuscheiden?
Gab es räumliche Konsequenzen in der Organisation des Unternehmens/der Wertschöpfungskette? Wie intensiv ist der Austausch mit dem Investor, auch in räumlicher Perspektive? Gibt es Pläne zur Abwanderung von Teilen des Unternehmens nach ,Fernost‘?
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In welche Richtung, glauben Sie, werden sich Management-Strukturen des Unternehmens bewegen? Welche Rolle spielt der Raum bei der Kooperation mit dem neuen Eigentümer?
Abbildungen
Abbildung 1: Zu argumentativem Aufbau und konzeptioneller Gliederung dieser Untersuchung | 30 Abbildung 2: Zum konzeptionellen Grundgerüst der Argumentation einer hermeneutischen Wirtschaftsgeographie innerhalb dieser Untersuchung | 37 Abbildung 3: Entwicklungslinien und Paradigmen der deutschen/englischsprachigen Wirtschaftsgeographie und wesentliche sozialgeographische Einflussfaktoren, bezogen auf die konzeptionelle Position dieser Untersuchung | 46 Abbildung 4: Zur erkenntnistheoretischen Verortung einer hermeneutischen Forschungsperspektive im Dreiklang von Erkenntnistheorie, Methodik und empirischer Erkenntnis | 88 Abbildung 5: Deutungsmuster, Handlung und soziale Praxis als dynamischer und interdependenter Prozess zwischen latenten Deutungsmustern und manifesten Praktiken in räumlicher Erkenntnisperspektive | 105 Abbildung 6: Erzeugungs- und Auswahlparameter als Grundlage für Handlungskompetenz und Verortung des Forschungsprojekts in die Konstitutionstheorie Oevermanns | 107 Abbildung 7: Zur Genese und Dynamik von Deutungsmusterformationen im Kontext subjektiver Dispositionen und sozialer Deutungsangebote in dynamischer Perspektive | 111 Abbildung 8: Zur Logik des abduktiven Schlusses innerhalb der sequenzanalytischen Methodologie | 113 Abbildung 9: Deutungsmuster und Handlung als epistemische Grundpfeiler einer hermeneutischen Erkenntnisperspektive | 129 Abbildung 10: Konzeptionelles Dreieck über die erkenntnistheoretische Relation der Grundbegriffe Raum(-ausschnitt), Handlung und Deutung und den damit verbundenen Mechanismen aus Deutungsmusterperspektive | 132 Abbildung 11: Zentrale Anknüpfungspunkte wirtschaftsgeographischer Erkenntnisperspektiven und Debatten an die vorliegende Untersuchung | 138
348 | Managerhandeln im globalen Kontext
Abbildung 12: Konzeptualisierung von Nähe- und Distanzrelationen verorteter Organisationen im metrischen und relational gedeuteten Raum aus Deutungsmusterperspektive | 144 Abbildung 13: Zum konzeptionellen Verhältnis von Wissen, Institutionen und Deutungsmustern in dynamischer Perspektive | 148 Abbildung 14: Sphären des handelnden und deutenden Subjekts im ontischen Raum und Verortung des Forschungsprojekts: sinnverfasste Deutungspraktiken im relationalen Raum | 155 Abbildung 15: Zur Übersicht und Vorgehensweise in diesem Kapitel | 159 Abbildung 16: Zur Investitionslogik von Private Equity-Investoren | 178 Abbildung 17: Höhe des In- und Outflow-FDIs 1995-2014 und proportionaler Anteil der Entwicklungsländer | 181 Abbildung 18: Zur Strukturlogik und -dynamik des Investitions- und Verkaufsgeschehens der untersuchten Unternehmen | 183 Abbildung 19: Trichter-Abbildung zur argumentativen Vorgehensweise in diesem Kapitel: Einordnung aktueller Debatten und Verdichtung auf das ‚Strukturproblem‘ transkulturelle Unternehmensübernahme | 188 Abbildung 20: Drei Ebenen von Kultur aus Deutungsmusterperspektive in Anlehnung an das Konzept von Schein 1985 | 192 Abbildung 21: Forschungsansätze zur Messung kultureller Faktoren bei Unternehmensübernahmen und -kooperationen innerhalb der M&A-Literatur und deren methodologische Herangehensweisen | 197 Abbildung 22: Kulturorientierte Debatten in der M&A- und wirtschaftsgeographischen Literatur: differente Analyseebenen und Positionierung eines hermeneutischen Forschungsansatzes | 203 Abbildung 23: Deutungsmuster, Handlung und soziale Praxis: zu einer räumlichevolutionären Perspektive auf räumliches Handeln | 217 Abbildung 24: Kriterien zur Eingrenzung der untersuchten Führungskräfte und Unternehmen | 223 Abbildung 25: Idealtypische Vorgehensweise und Schritte der objektiv-hermeneutischen Gruppenauswertung als methodische Check-List | 234 Abbildung 26: Übersicht und Vorgehensweise in der empirischen Darstellung: Nähe- und Distanzproduktionen aus Deutungsmusterperspektive | 243 Abbildung 27: Aktivierung von Deutungsmustern durch manifeste Probleme der Kooperation in den BRIC-Eignerstrukturen: Ansatzpunkte einer dynamischen Sichtweise auf den Post-Merger-Prozess | 301 Abbildung 28: Zur Aktivierung von Deutungsmustern in den beiden untersuchten Investorenkonstellationen in der Post-Merger-Phase in deutungsvergleichender Perspektive | 315
Abbildungen | 349
Abbildung 29: Erkenntnisperspektiven und Forschungsfelder als mögliche Anwendungsfelder einer hermeneutischen Forschungsperspektive in der Humangeographie, konkretisiert auf wirtschaftsgeographische Debatten | 339
Tabellen
Tabelle 1: Übersicht der zentralen forschungsleitenden Fragen und kurze Erläuterungen | 24 Tabelle 2: Zentrale Erkenntnisperspektiven und deren Inkommensurabilitäten im Vergleich: Handlungstheorie, Poststrukturalismus und strukturale Hermeneutik | 43 Tabelle 3: Quantitative Auswertung qualitativer empirischer Forschungsbeiträge in ausgesuchten englisch- und deutschsprachigen humangeographischen Zeitschriften im Zeitraum von August 2015 bis Juli/August 2016 | 49 Tabelle 4: Qualitative Auswertung empirischer Forschungsbeiträge in ausgesuchten englisch- und deutschsprachigen humangeographischen Zeitschriften im Zeitraum von 2006 bis 2016 als allgemeine Anknüpfungspunkte an diese Arbeit | 57 Tabelle 5: Thematische und methodologische Schwerpunkte sowie allgemeine Strömungen in den untersuchten qualitativen humangeographischen Forschungsbeiträgen (2006-2016) | 83 Tabelle 6: Zur erkenntnistheoretischen und methodologischen Positionierung der vorliegenden Untersuchung: Verortung von objektiver Hermeneutik und Rekonstruktionsmethodologie in Bezug auf inhaltsanalytisch-kategorisierende und ethnographische Forschungsansätze | 93 Tabelle 7: Auswahl zentraler empirischer Artikel innerhalb der wirtschaftsgeographischen Diskussion der letzten eineinhalb Dekaden als Anknüpfungspunkte an die vorliegende Untersuchung | 168 Tabelle 8: Übersicht der BRIC-Investorengruppen in Deutschland: Anzahl der Unternehmen, Branchen, Zielregionen, Beschäftigungsvolumen und dominante Investitionsmotive | 174 Tabelle 9: Empiriebezogene Auswahl thematisch relevanter wirtschaftsgeographischer Arbeiten als Anknüpfungspunkte an die vorliegende Untersuchung | 208
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Tabelle 10: Übersicht der zentralen Forschungsergebnisse der Untersuchung in deutungsvergleichender Perspektive: selektive Aktivierung und Mobilisierung von Deutungsmustern | 319
Literatur
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