Macht und Kontrolle im Unternehmen: Die politische Ökonomie des Aktionärsschutzes im Deutschen Reich, 1870–1945 [1 ed.] 9783666352164, 9783525352168


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German Pages [353] Year 2020

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Macht und Kontrolle im Unternehmen: Die politische Ökonomie des Aktionärsschutzes im Deutschen Reich, 1870–1945 [1 ed.]
 9783666352164, 9783525352168

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Felix Selgert

Macht und Kontrolle im Unternehmen Die politische Ökonomie des Aktionärsschutzes im Deutschen Reich, 1870–1945

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Christina Morina, Paul Nolte, Alexander Nützenadel, Hans-Peter Ullmann

Frühere Herausgeber Helmut Berding, Hans-Ulrich Wehler (1972–2011) und Jürgen Kocka (1972–2013)

Band 240

Felix Selgert

Macht und Kontrolle im Unternehmen Die politische Ökonomie des Aktionärsschutzes im Deutschen Reich, 1870–1945

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Hermann Groeber, Gründung der IG Farbenindustrie 1924. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0130 ISBN 978-3-666-35216-4

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Die gesetzliche Regelung von Unternehmenskontrolle und Offenlegungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Unternehmenskontrolle und Offenlegungsverpflichtungen im Deutschen Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die wilde Weiterentwicklung des Aktienrechts in den 1920er Jahren und die Notverordnung von 1931 . . . . . . 1.3 Die Aktienrechtsreform im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . 1.4 Die unterschiedlichen Systeme des Aktionärsschutzes und der Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 35 50 61 65

2. Politische Eliten, Vetospieler und Verhandlungsstrukturen . . . . . . 2.1 Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Weimar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Politische Institutionen, 1870 bis 1937 . . . . . . . . . . . . . . . .

71 73 98 109 117

3. Präferenzen der Vetospieler und Verhandlungsergebnisse . . . . . . . 3.1 Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Weimar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die Bedeutung von Vetomacht, Akteurskonstellationen und politischen Institutionen, 1870 bis 1937 . . . . . . . . . . . . .

121 126 150 166

4. Advokatenkoalitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Konstituierung und Zerfall von Advokatenkoalitionen, 1870 bis 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

187 188 202 219

181

231 5

5. Advokatenkoalitionen, Umweltbedingungen und die Entstehung der Präferenzen der Vetospieler . . . . . . . . . . . . . 5.1 Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Der Einfluss von Advokatenkoalitionen und Umwelteinflüssen auf die Präferenzen der Vetospieler, 1870–1937

237 238 261 277 292

6. Die Antriebskräfte politischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Archivalische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedruckte Quellen und Quelleneditionen . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitgenössische Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissenschaftliche Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

323 323 324 328 331

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346

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Vorwort Die vorliegende Studie ist das Ergebnis einer langjährigen Beschäftigung mit der Funktionsweise des politischen Systems des Deutschen Reiches zwischen 1870 und 1937 auf der einen und der Organisation der Unternehmensform »Aktiengesellschaft« auf der anderen Seite. Den Anstoß zu dieser Studie gab Carsten Burhop, der mir 2016 die Mitarbeit an dem von der DFG geförderten Projekt »Die Beherrschung der Aktiengesellschaft« ermöglichte. Ihm sei an dieser Stelle ganz besonders für sein Vertrauen, sein Engagement und seine vielen Anregungen gedankt. Zu danken habe ich außerdem meiner Wiener Kollegin Angela Bol und meiner Bonner Kollegin Regine Jägers, mit denen ich den Text in unterschiedlichen Phasen seiner Entstehung diskutieren konnte. Regine Jägers hat sich zudem der Mühe unterzogen, das Manuskript kritisch durchzusehen. Zu danken habe ich zudem den vielen Teilnehmern der Forschungskolloquien in Bochum, Köln, Mannheim und Münster, denen ich Teile des Manuskripts vorstellen durfte. Andere Teilprojekte aus dem Umfeld der Arbeit konnte ich auf Konferenzen in Bielefeld, Münster, Siegen und Weimar präsentieren und im Rahmen von Sammelbandbeiträgen veröffentlichen. Den Organisatoren dieser Konferenzen und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern möchte ich für das Interesse an dem Thema und den wissenschaftlichen Austausch herzlich danken. Die großzügige Förderung durch die DFG ermöglichte längere Forschungsaufenthalte im Berliner Bundesarchiv und zahlreichen deutschen Landesarchiven. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Archive sei an dieser Stelle für die Hilfe bei der Aktenrecherche und die Bereitstellung der großen Materialmengen gedankt. Ganz besonders bedanken muss ich mich aber bei Rolf und Doris Schnelle, die mich und meine junge Familie im Herbst 2013 für mehrere Wochen bei sich in Berlin wohnen ließen und so zu einem perfekten Start des Projekts beigetragen haben. Die an der Universität Wien begonnene Arbeit wurde nach meinem Wechsel an die Universität Bonn dort im Dezember 2019 von der Philosophischen Fakultät als Habilitation angenommen. Den Gutachtern der Arbeit, Carsten Burhop, Sibylle Lehmann-Hasemeyer, Joachim Scholtyseck und Dieter Ziegler gilt ein ganz besonderer Dank für die Übernahme der Gutachten und ihre konstruktive Kritik. Gleiches gilt für den Herausgeberkreis der Kritischen Studien, die den nun überarbeiteten Text der Bonner Habilitationsschrift in ihre Reihe aufgenommen haben.

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Einleitung Zwar hat sich der Kapitalismus am Ende des 20. Jahrhunderts gegenüber anderen Formen der Wirtschaftsorganisation durchgesetzt, dies bedeutet aber keineswegs eine Konvergenz landesspezifischer Entwicklungspfade. Vielmehr beobachten Sozialwissenschaftler verschiedene Spielarten der kapitalistischen Wirtschaftsorganisation.1 Die deutsche Spielart war bis in die 1990er Jahre von einem hohen finanziellen und personellen Verflechtungsgrad zwischen Indus­ trieunternehmen und Großbanken geprägt.2 Diese als Deutschland AG bekannt gewordene Form hat ihren Vorgänger im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.3 Auch diese, von der Forschung als organisierter Kapitalismus bezeichnete, Spielart war durch personelle und spätestens seit den 1920er Jahren auch durch finanzielle Vernetzung geprägt.4 Hinzu kam die Organisation der Wirtschaft über Kartelle, Trusts, Syndikate und Konzernbildung und die damit verbundene teilweise Ausschaltung von Marktmechanismen.5 Die Feststellung der Pertinenz landesspezifischer Spielarten der Wirtschaftsorganisation weist gleichzeitig auf den Bedarf nach einer Analyse dieser Entwicklungspfade hin. Träger der hier skizzierten deutschen Wirtschaftsorganisation waren seit dem 19. Jahrhundert Unternehmen, insbesondere die als Aktiengesellschaften organisierten Großunternehmen.6 Das System der Unternehmenskontrolle (Corporate ­Governance) ist somit unumkehrbar mit der Wirtschaftsorganisation eines LanHall u. Soskice. Beyer. Ahrens u. a.; Winkler. Fohlin, Finance; Franks u. a.; Maier; Marx u. Krenn; Wehler, Kapitalismus; Windolf. Da Aktiengesellschaften im 19. Jahrhundert keine Aktionärsverzeichnisse führen mussten, ist über die Besitzverhältnisse deutscher Aktiengesellschaften nur sehr wenig bekannt. Es wird aber angenommen, dass die deutschen Aktiengesellschaften schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert von einer kleinen Elite beherrscht wurden. Vgl. Pross, S. 60–67; Kocka u. Siegrist, S. 64–79. Neuere quantitative Untersuchungen suggerieren dagegen einen relativ hohen Streubesitz, der sich erst in den 1920er und 1930er Jahren zu Gunsten einer engeren Verflechtung zwischen Industrieunternehmen auflöste. Vgl. Franks u. a. Die Studie von Franks et al. baut allerdings auf einem sehr kleinen Datensatz deutscher Provinzbörsen auf, so dass die Repräsentativität der Studie nicht gesichert erscheint. 5 Kocka, Organisierter Kapitalismus. In der Bundesrepublik war die Ausschaltung des Wettbewerbs aufgrund des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung in dieser Form nicht mehr möglich war. Ziel der Protagonisten der Deutschland AG blieb es aber, den Wettbewerb zwischen den Unternehmen abzumildern und zu koordinieren. Vgl. Köster. 6 Wehler, Kapitalismus. In den Stichjahren 1887 und 1907 wählten jeweils knapp 80 Prozent der hundert größten Industrieunternehmen in Deutschland die Rechtsform der Aktiengesellschaft, im Stichjahr 1927 waren es 88 Prozent. Vgl. Kocka u. Siegrist, S. 80–83; Siegrist, S. 86–87. 1 2 3 4

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des verbunden.7 Auf welche Art und Weise sich das deutsche System der Unternehmenskontrolle im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert herausgebildet hat, ist zentraler Gegenstand des vorliegenden Buches. Unternehmenskontrolle kann dabei definiert werden als die Kompetenz, die Unternehmensleitung zu bestellen und zu entlassen sowie die langfristigen strategischen Ziele des Unternehmens zu bestimmen und deren Umsetzung zu überwachen.8 Die wirtschaftshistorische Forschung liefert erste Ansatzpunkte für eine Untersuchung über die Entstehung des deutschen Systems der Unternehmenskontrolle. So gehört die These von der engen Verflechtung zwischen organisierter Wirtschaft und Staat, die Ersterer einen großen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik gesichert habe, zu einer der zentralen Überlegungen der Theorie des organisierten Kapitalismus.9 Für das »Dritte Reich« betont die Forschung seit den wegweisenden Arbeiten von Henry Turner10 und Peter Hayes11 dagegen das Primat des Staates gegenüber der Wirtschaft. Die Debatten über die Wirtschaftsorganisation des Kaiserreichs und die Rolle der Industrie im »Dritten Reich« haben eine Vielzahl von Untersuchungen zu wirtschaftlichen Interessenverbänden angestoßen und einige Studien zum Wirken dieser Gruppen im politischen Prozess angeregt.12 Der Einfluss anderer Gruppen auf wirtschaftspolitische Entscheidungen sowie der Gesetzgebungsprozess an sich wurden bisher jedoch kaum systematisch untersucht.13 Die vorliegende Studie soll einen Beitrag zum Füllen dieser Forschungslücke leisten, indem sie anhand der Verschiebungen der im Aktienrecht kodifizierten Unternehmenskontrolle zwischen 1870 und 1937 die Determinanten legislativen Wandels analysiert. Insbesondere interessiert dabei, welche gesellschaftlichen Gruppen Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen konnten. Die Zahl der im Deutschen Reich registrierten Aktiengesellschaften unterlag im Untersuchungszeitraum einem beträchtlichen Wandel (siehe Abb. 1). Sie nahm von 200 im Jahr 1870 auf knapp über tausend Gesellschaften im Jahr 1873 zu. Dieser Anstieg erklärt sich unter anderem mit der Aufgabe des Konzes-

7 Horn; Reich, Auswirkungen. 8 Pross, S. 18–19. 9 Wehler, Kapitalismus; Stürmer, Parteienstaat; Ders., Regierung. Kritisch dagegen Hentschel. 10 Turner. 11 Hayes, Industry. 12 Für das Kaiserreich vgl. Biggeleben; Feldman u. Nocken; Fischer, Unternehmerschaft; Gehlen, Handelstag; Kaelble; Lichter; Ullmann, Bund der Industriellen; Rosenberg; Torp; Wehler, Kaiserreich. Für die Weimarer Republik siehe: Gehlen, Silverberg; Grübler; Neebe; Pohl, Wirksamkeit; Schäfer, Industrie- und Handelstag; Wolff-Rohé. Für das »Dritte Reich«: Bähr; Ebi; James, Verbandspolitik; Hensler; Kahn; Luntowski; Nicosia u. Huener; Scherner; Wengst, Reichsverband. Übergreifend: Ullmann, Interessenverbände. 13 Eine gewisse Ausnahme stellen Rechtshistoriker dar, die sich in den letzten Jahren verstärkt mit dem Einfluss der Juristenschaft auf den Wandel des Kapitalmarktrechts beschäftigt haben. Vgl. Bayer; Bayer u. Habersack; Schubert, Weimarer Republik; Ders., Aktienrechtsreform; Schubert u. a.; Schubert u. Hommelhoff. Der genaue Ablauf des Gesetzgebungsprozesses wird aber auch von ihnen nicht untersucht.

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18.000 16.000 14.000 12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 1870

1880

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1940

Anmerkung: Die Daten stammen aus Rahlf (2015) Daten.

Abb. 1: Zahl der in Deutschland registrierten Aktiengesellschaften, 1870–1941.

sionssystems und der Freigabe der Gründung unter Beachtung einiger weniger gesetzlich vorgegebener Normativvorschriften durch die Aktienrechtsnovelle vom 11. Juni 1870.14 Weitere Ursachen sind in dem durch Reichsgründung, Geldmengenexpansion, und französischen Reparationen angestoßenen Wachstumsspurt der deutschen Wirtschaft zu suchen.15 Dieser Gründungsboom kam jedoch im Herbst 1873 zu einem jähen Halt und schlug in eine langanhaltende Abschwungphase um. Zwar sind aus dieser Zeit keine Angaben zur Gesamtzahl deutscher Aktiengesellschaften vorhanden, Markus Baltzer kann aber einen deutlichen Rückgang der an der Berliner Börse notierten Aktiengesellschaften nachweisen, der bis Ende der 1870er Jahre anhielt.16 Mit Beginn der 1880er Jahre erholte sich der Kapitalmarkt wieder und im Jahr 1886 existierten im Deutschen Reich etwa doppelt so viele Aktiengesellschaften als zu Beginn der 1870er Jahre. Bis zur Jahrhundertwende war die Zahl der Aktiengesellschaften auf über 5.000 gewachsen, obwohl mit der GmbH seit 1892 eine attraktive alternative Rechtsform existierte.17 In den Inflationsjahren, insbesondere während der Hyper­inflation wuchs die Zahl der im Deutschen Reich registrierten Aktiengesellschaften dann besonders rasant auf über 17.000 im Jahr 1924. Mit 14 Reich, Entwicklung. 15 Baltzer, Kapitalmarkt, S. 1; 4–7; Weigt, S. 7–9; 12–13. 16 Baltzer, Spekulation. 17 Guinnane u. a.

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der Stabilisierung von Währung und Wirtschaft ist in den folgenden Jahren jedoch ein Rückgang zu verzeichnen. Dieser setzte sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten beschleunigt fort, so dass 1937 nur noch etwas über 6.000 Aktiengesellschaften, 1943 sogar nur noch etwas über 5.300 Gesellschaften gezählt wurden. Die Zahlen unterstreichen die zunehmende Bedeutung der Aktiengesellschaft als Organisationsform von Unternehmen im Kaiserreich und insbesondere der Weimarer Republik. Im Rückgang der Zahl der Aktiengesellschaften während der NS-Diktatur spiegelt sich dann die Skepsis der Nationalsozialisten gegenüber anonymen Großunternehmen und die Bemühungen des Regimes die Rechtsform Aktiengesellschaft unattraktiver zu machen. Im Vergleich zu anderen Rechtsformen machten Aktiengesellschaften zwar nur einen geringen Anteil aus,18 sie waren aber in der Lage, sehr große Kapitalsummen aufzubringen und Investitionsrisiken zu diversifizieren.19 Aktiengesellschaften wurden daher oft in neuen, risikoreicheren Geschäftsfeldern gegründet – etwa im Eisenbahnbau oder der Farbenchemie. In Bezug auf das in einer Aktiengesellschaft gesammelte Kapital lässt sich im Untersuchungszeitraum ein deutlicher Wandel beobachten. So betrug die Bilanzsumme – also der Wert aller Anlagen und sonstigen Wertgegenstände – eines ausgewählten Samples von Industrieaktiengesellschaften Anfang der 1880er Jahre knapp unter fünf Millionen Mark (Abb. 2). Bis zum Ende des Jahrzehnts blieb dieser Wert stabil, dann ist aber eine deutliche Zunahme der durchschnittlichen Bilanzsumme einer Industrieaktiengesellschaft zu verzeichnen. Am Endpunkt des Kaiserreichs lag sie um die 28 Mio. Mark. Diese Werte verdeutlichen den in den 1890er Jahre einsetzenden Wandel der Aktiengesellschaft von einem doch noch recht überschaubaren, oft durch den Gründer geleiteten hin zu einem managergeführten, mehrere Produktionslinien und Standorte umfassenden Großunternehmen.20 Aktiengesellschaften kam damit eine große volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung zu. Sie beschäftigten viele Arbeiter und Angestellte und standen immer wieder im Zentrum von Finanz- und Wirtschaftskrisen. Zu denken ist hier beispielsweise an die Gründerkrise, die Bankenkrise von 1901 und natürlich die Weltwirtschaftskrise.21 Diese Krisen offenbarten regelmäßig Defizite des Systems der Unternehmenskontrolle und lösten eine gesellschaftliche Reformdebatte aus.22 Darüber hinaus waren sie auch Anstoß zu Debatten über Gerechtigkeitsfragen.23 Die gesetzlichen Regeln der Unternehmenskon­ trolle und die Frage nach den Ursachen ihres Wandels sind daher von besonderem Interesse für die Forschung. 18 Ebd., S. 370. 19 Burhop, Corporate Governance. 20 Kocka, Großunternehmen; Ders., Management. 21 Plumpe, S. 62–70; 81–91. 22 Baltzer, Spekulation; Lieder, Aufsichtsrat, S. 203–211. 23 So stand beispielsweise die hohe Vergütung von Aufsichtsrat und Vorstand ab der Jahrhundertwende immer wieder in der Kritik. Selgert, Lohn.

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Millionen

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Anmerkung: Die Daten stammen aus Saling’s Börsenpapieren. In die Berechnung sind die Informationen von 47 in Berlin gelisteten Industrieaktiengesellschaften eingeflossen.

Abb. 2: Durchschnittliche Bilanzsumme deutscher Industrieaktiengesellschaften, 1871–1937.

Dabei kristallisieren sich für die Periode zwischen 1870 und 1937 drei Regime der Unternehmenskontrolle heraus. Während die Aktienrechtsnovelle des Jahres 1870 in Gänze auf die bürgerliche Vertragsfreiheit setzte, übertrugen die Aktienrechtsnovellen der Jahre 1884 und 1897 den Aktionären mehr Kontrollrechte und setzte damit auf das Prinzip ›Hilfe zur Selbsthilfe‹.24 Die Verwerfungen der Kriegs- und Nachkriegsjahre führten zu einer wilden Weiterentwicklung des Aktienrechts. Das Aufkommen von Mehrstimmrechtsaktien und ein Rückgang der Offenlegung schwächten die Kontrollmöglichkeiten freier, nicht an der Unternehmensführung beteiligter Aktionäre. Auf den Rückgang der Offenlegung reagierte die Reichsregierung im Jahr 1931 mit der Einführung einer verpflichtenden externen Bilanzprüfung und strengeren Pflichtangaben in Bilanz und Geschäftsbericht. Das Problem der Mehrstimmrechte wurde allerdings nicht angegangen. Das bis in die 1990er Jahre das deutsche Aktienrecht prägende Aktiengesetz aus dem Jahr 1937 bestätigte zwar die neuen Offen­ legungsvorschriften, zementierte aber den Verlust direkter Einflussmöglichkeiten der freien Aktionäre auf die Geschäftsführung und stärkte die Position des Vorstands.25 Der hier äußerst knapp skizzierte Wandel des Systems der Unternehmenskontrolle ging im Kaiserreich und der Weimarer Republik hauptsächlich auf die Initiative juristischer Experten zurück. Die durch Handelskammern und Inter24 Hofer, S. 398–413. 25 Kropff.

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essenverbände der Wirtschaft repräsentierten Aufsichtsräte und Vorstände beschränkten sich darauf, die etablierten Herrschaftsverhältnisse zu verteidigen. Erst im »Dritten Reich« gelang es der Wirtschaft, entscheidenden Einfluss auf das System der Unternehmenskontrolle zu gewinnen. Dieses Ergebnis bestätigt die Studie von Torp, der die Einwirkung wirtschaftlicher Interessenverbände auf die Schutzzollpolitik im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts relativiert, kontrastiert jedoch mit anderen Studien, die für das Kaiserreich und die Weimarer Republik durchaus eine große Einflussnahme wirtschaftlicher Interessenverbände und Großunternehmer auf die Wirtschaftspolitik feststellen können.26 Die zunehmende Bedeutung der Unternehmensführer und Bankiers für die Gesetzgebung im »Dritten Reich« widerspricht zudem den Ergebnissen von Hayes.27 Solch voneinander abweichende Ergebnisse lassen sich mit Unterschieden im Gesetzgebungsprozess erklären, die sich neben politischen Institutionen und externen Umwelteinflüssen auch auf spezifische Akteurskonstellationen erstreckten. Da diese Studie mit dem Deutschen Kaiserreich, der Weimarer Republik und dem »Dritten Reich« drei politische Regime umfasst, lassen sich Gemeinsamkeiten und Brüche des politischen Entscheidungsprozesses herausarbeiten. Besonders interessieren die Rolle des Parlaments in diesem Entscheidungsprozess sowie die Frage nach der Pluralität des Gesetzgebungsprozesses. Hier knüpft die Arbeit an Debatten um die Bedeutung des Reichstags im Kaiserreich und der Weimarer Republik an. Verweisen etwa Michael Stürmer28 und Hans-Ulrich Wehler29 auf die Machtlosigkeit des Reichstags unter Bismarcks Kanzlerschaft und in den Regierungsjahren Kaiser Wilhelms II., sprechen ihm andere Autoren durchaus Einfluss zu und betonen die modernen, demokratischen Elemente des Kaiserreichs.30 In den Krisenzeiten der Weimarer Republik zwischen 1919 und 1924 und dann wieder ab 1929 zog sich der Reichstag aus dem Gesetz­ gebungsprozess zurück.31 Welche Konsequenzen dies für den 1928 begonnenen und 1931 mit einer Teilreform des Aktienrechts endenden Gesetzgebungsprozess der Weimarer Republik hatte, soll an dieser Stelle ebenfalls untersucht werden. Der Wandel des Systems der Unternehmenskontrolle ist noch auf einem weiteren Feld relevant. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die Beziehung zwischen Unternehmensfinanzierung und Wirtschaftswachstum immer stärker in den Vordergrund der (ökonomischen) Forschung gerückt. Dahinter steht die theoretische, sich mit empirischen Beobachtungen deckende Annahme, dass besser entwickelte Kapitalmärkte eine kostengünstigere Finanzierung be26 Reckendrees; Rosenberg; Wehler, Kaiserreich. 27 Hayes, Industry. 28 Stürmer, Regierung. 29 Wehler, Kaiserreich. 30 Fehrenbach; Gall; Morsey; Nipperdey; Zwehl. 31 Bracher; Kolb; Stürmer, Parteienstaat.

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stehender Unternehmen ermöglichen und neugegründeten Unternehmen die Aufnahme des benötigten Kapitals erleichtert wird.32 Für den deutschen Fall ging die Forschung lange Zeit davon aus, dass der deutsche Kapitalmarkt bereits im 19. Jahrhundert ähnlich wie im 20. Jahrhundert nur schwach entwickelt und bankdominiert gewesen sei.33 Neuere Untersuchungen konnten dagegen zeigen, dass Deutschland ab circa 1880 neben einem starken Bankensystem über einen relativ weit entwickelten Kapitalmarkt verfügte, der über die Finanzierung von Aktiengesellschaften einen wichtigen Beitrag zum deutschen Wachstumsspurt im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts leistete. Während der Inflation der frühen 1920er Jahre erlebte der deutsche Kapitalmarkt eine weitere Blüte. Unternehmenszusammenbrüche während der Hochphase der Hyperinflation und zahlreiche Kapitalreduzierungen deutscher Aktiengesellschaften im Zuge der Stabilisierung der Mark im Jahr 1924 führten jedoch zu einem langsamen Rückzug der Anleger vom deutschen Kapitalmarkt, der sich durch die Bankenund Wirtschaftskrise nach 1929 noch einmal beschleunigte und einer bis in die 1990er Jahre andauernden starken Verflechtung von Industrieunternehmen und Großbanken Platz machte.34 Als wichtige Grundbausteine entwickelter Kapitalmärkte kristallisieren sich in der Forschung Aktionärsschutz, also der Grad, in dem freien Aktionären Kontrollrechte zugesprochen werden, und Offenlegungsverpflichtungen heraus.35 Der kausale Zusammenhang zwischen Kapitalmarktregulierung und Kapitalmarktentwicklung ist jedoch unklar und von Land zu Land verschieden. Für das Deutsche Reich lassen sich die Entstehung eines entwickelten Kapitalmarkts im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und die Umkehr dieser Entwicklung im beginnenden 20. Jahrhundert auf Veränderungen des gesetzlichen Aktionärsschutzes und der Offenlegungsstandards zurückführen.36 Studien über andere Staaten suggerieren dagegen eine umgekehrte Kausalität. In den Vereinigten 32 Gerschenkron; La Porta u. a., External Finance; Rajan u. Zingales, Dependence; Dies., Great reversals; Tilly, German banks; Ders., Zollverein, S. 90–91; Ders., Kapital; Tirole, S. 53–54. Ein Kapitalmarkt wird als weit entwickelt bezeichnet, wenn er in der Lage ist, bestehende und neue Unternehmen auch ohne Mithilfe von Banken zu finanzieren und den Investoren eine angemessene Rendite zu garantieren. Gleichzeitig wird von entwickelten Kapitalmärkten erwartet, Marktrisiken so zu strukturieren, dass sie von den Marktteilnehmern getragen werden, die am besten mit diesen Risiken umgehen können. Indem der Kapitalmarkt in der Lage ist, gewinnversprechende Projekte unabhängig von der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen oder Organisationen zu finanzieren und Risiken optimal zu verteilen, trägt er zum Wachstum einer Volkswirtschaft bei. Vgl. Rajan u. Zingales, Great reversals, S. 9. 33 Gerschenkron; Kindleberger, S. 129–130; Tilly, German banks; Ders., Zollverein; Ders., ­Kapital. 34 Baltzer, Kapitalmarkt; Beer; Burhop u. a., Law; Franks u. a.; Fohlin, Finance; Lehmann; Marx u. Krenn; Rajan u. Zingales, Great reversals; Tilly, Geld, S. 100–110; Weigt; Windolf. 35 Bebchuk u. Weisbach; Burhop u. a.; La Porta u. a., Law; Dies., External Finance; Dies., Securities; Dies., Legal Origins; Morck u. Steier. 36 Burhop u. a.

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Staaten und Großbritannien scheint die Kapitalmarktentwicklung während des 20. Jahrhunderts zumindest zeitweise einem Ausbau von Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften vorausgegangen zu sein. Im Fall des Vereinigten Königreichs existieren dabei Hinweise, die es erlauben, den Ausbau des Aktionärsschutzes in den 1950er und 1960er Jahren auf die politischen Bemühungen institutioneller Investoren zurückzuführen. In Japan war die Rückentwicklung des Kapitalmarkts dagegen mit einem Ausbau des Investorenschutzes verbunden. All dies legt eine komplexe Wechselbeziehung von Aktionärsschutz und Offenlegungsstandards auf der einen und der Kapitalmarktentwicklung auf der anderen Seite nahe. Im Zentrum dieses Konflikts der verschiedenen mit der Aktiengesellschaft verbundenen Gruppen scheint der Versuch zu stehen, bestehende Besitz- und Herrschaftsverhältnisse mit Hilfe gesetzlicher Regelungen abzusichern beziehungsweise aufzubrechen.37 Auch im deutschen Fall lässt sich Kapitalmarktregulierung als das Ergebnis politischer Einflussnahme verschiedener Stakeholdergruppen interpretieren. Die Gründerkrise der frühen 1870er Jahre war beispielsweise in den Augen vieler Zeitgenossen auf eine unzureichende Kontrolle der Unternehmensleitung zurückzuführen. Um zukünftigen Schaden von der Volkswirtschaft abzuwenden, machten sie sich daher für einen Ausbau der Unternehmenskontrolle stark. Trotz dieser Bemühungen führten das starke Wachstum der Gesellschaften seit den 1880er Jahren und die zunehmende Verflechtung in Form von Kartellen, Interessengemeinschaften und Fusionen spätestens während des Ersten Weltkriegs zu einer immer stärkeren Machtkonzentration in den Händen kleiner Führungszirkel.38 Als die Position dieser Gruppen in der Inflationszeit in Gefahr geriet, schufen sie unter Ausnutzung des Prinzips der Vertragsfreiheit ihrerseits Schutzmechanismen gegen feindliche Übernahmen.39 Zum einen entstanden nun Mehrstimmrechts- und Schutzaktien, die vertraglich zu Gunsten der eingesessenen Unternehmensführung gebunden waren. Zum anderen nahm der Geheimhaltungswille der Unternehmen zu. Damit sanken die Eingriffsmöglichkeiten der freien Aktionäre also schon vor ihrer formalen Einschränkung durch das Aktiengesetz von 1937 beträchtlich. Die Einführung detaillierter Bilanzierungsregeln und der Pflichtprüfung der Bilanz muss in diesem Zusammenhang als eine direkte Reaktion auf die in den 1920er Jahren zurückgegangenen Offenlegungsstandards verstanden werden. Indem die vorliegende Arbeit auf breiter Quellenbasis die Funktionsweise des politischen Entscheidungsprozesses und die Bedeutung verschiedener an der Aktiengesellschaft interessierter Gruppen für den Wandel von gesetzlichem Aktionärsschutz und Offenlegungsstandards für den Zeitraum zwischen 1870 und 1937 herausarbeitet, wirft sie vor allem Licht auf die komplizierten Wechselwirkungen zwischen Kapitalmarktregulierung und Kapitalmarktent37 Vgl. Musacchio u. Turner. 38 Kocka, Großunternehmen; Pross, S. 64–68; 77–78. 39 Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der Deutschen Wirtschaft, S. 7–11.

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wicklung im Allgemeinen sowie auf die Entstehung der spezifisch deutschen Spielart des Kapitalismus. Um die den Wandel von Aktionärsschutz und Offenlegungsstandards treibenden sozialen und politischen Mechanismen identifizieren zu können, braucht es zunächst ein methodisches Konzept, mit dessen Hilfe sich Politikwandel analysieren lässt und das in den folgenden Abschnitten entwickelt wird. Bevor dies geschehen kann, muss jedoch noch kurz auf die tieferen theoretischen Ursachen des Interessenskonflikts zwischen Unternehmensleitung und Kapitalgebern eingegangen und herausgearbeitet werden, wie gesetzliche Regelungen dieses Verhältnis beeinflussen können.

Das Prinzipal-Agenten Problem der Aktiengesellschaft Seit jeher wohnt der Aktiengesellschaft ein Interessenkonflikt zwischen Unternehmensleitung und Kapitalgebern inne. Deutlich wurde dies in letzter Zeit an dem von den freien Aktionären der Deutschen Bank im Sommer 2015 erzwun­ genen Führungswechsel. Diese hatten dem Vorstand der Bank um Anshu Jain und Jürgen Fitschen nicht mehr zugetraut, mit den vielen kostspieligen Skandalen und Fehlentwicklungen, für die Jain als ehemaliger Chef der Investmentsparte die Verantwortung trug, fertig zu werden.40 Auch das Verhalten des Vorstands der Volkswagen AG, der im Frühjahr 2016 auf millionenschwere Bonuszahlungen beharrte, obwohl Aktionäre und Unternehmen durch den Skandal um Falschangaben bei den Abgaswerten von Dieselfahrzeugen schwer geschädigt worden waren, illustriert den Interessengegensatz zwischen Unternehmensleitung und Kapitalgebern sehr gut.41 Es sind aber nicht nur Vorstände und Aufsichtsräte, die nicht im Interesse der Aktionäre handeln. Auch die Kapitalgeber können Interessen verfolgen, die im Widerspruch zu denen der Unternehmensleitung und der Belegschaft stehen, etwa wenn Aktionäre bereit sind, einem Dritten ihre Aktien zu einem für sie vorteilhaften Preis gegen den Willen des Vorstands zu verkaufen und so einen Wechsel der Besitzverhältnisse und der Führungsspitze in Kauf zu nehmen. Da solche feindlichen Übernahmen oft mit Umstrukturierungen und Entlassungen verbunden sind, handeln Aktionäre in diesem Fall auch gegen die Interessen der Angestellten und Arbeiter der Gesellschaft. Prominente Beispiele für solche Fälle sind etwa die Übernahmen von 40 Vgl. SZ (8.6.2015), Verheddert. Anshu Jain und Jürgen Fitschen mussten ihre Posten räumen, nachdem ihnen auf der Hauptversammlung der Bank nur 60 Prozent des anwesenden Kapitals Entlastung erteilt hatten. 41 Vgl. Manager Magazin (18.4.2016), VW-Vorstand; FAZ (22.6.2016), Volkswagen. Zwischen dem Bekanntwerden des Abgasskandals im September 2015 und Juni 2016 brach der Aktienkurs der Volkswagen-Aktie um fast 30 Prozent ein. Zudem wurde die Dividende der Aktionäre gekürzt und Investitionen zurückgestellt.

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Mannesmann durch Vodafone im Jahr 2000 und der Continental AG durch die Schaeffler-Gruppe acht Jahre später.42 Dem Interessenkonflikt zwischen Unternehmensleitung und Kapitalgebern liegt ein Zielkonflikt zugrunde, der in den Wirtschaftswissenschaften als Prinzipal-Agenten Problem bekannt ist. In einer Aktiengesellschaft geben die Besitzer des Unternehmens, die Prinzipale, in der Regel die Kontrolle über die Führung des Unternehmens an angestellte Manager, die Agenten, ab. Diese Trennung zwischen Besitz und Kontrolle wurde zuerst im Jahr 1932 von Adolf Berle und Gardiner Means prominent behandelt und 1977 von Alfred Chandler idealtypisch beschrieben.43 Der Zielkonflikt zwischen Prinzipal und Agent lässt sich im Kern folgendermaßen skizzieren: Aktionäre ohne Leitungsinteresse, außenstehende oder freie Aktionäre, werden in der Regel an hohen Dividenden und steigenden Kursen interessiert sein. Die Unternehmensleitung, in Deutschland bestehend aus Vorstand und Aufsichtsrat,44 wird dagegen langfristige strategische Ziele, wie etwa ein umsatzgetriebenes Wachstum, verfolgen. Es ist aber auch denkbar, dass die Unternehmensleitung nur das eigene, monetäre Interesse im Sinn hat und sich beispielsweise über hohe Gewinnbeteiligungen oder durch Sicherung anderer persönlicher Vorteile auf Kosten der freien Aktionäre zu bereichern sucht und dabei auch nicht vor Bilanzmanipulationen und korrupten Praktiken zurückschreckt.45 Erleichtert wird ein solches Verhalten durch die ungleiche, asymmetrische Verteilung von Informationen über die Geschäftslage und Geschäftsaussichten des Unternehmens, die die freien Aktionäre benachteiligt, und die bessere Organisation der Unternehmensleitung. Neben der Unternehmensleitung und den freien Aktionären gibt es weitere an der Leitung der Aktiengesellschaft beteiligte Stakeholder, die individuelle strategische Ziele verfolgen können. Dabei kann es sich beispielsweise um Banken und andere Aktiengesellschaften handeln, die daran interessiert sind, Geschäftsbeziehungen anzubahnen, auszubauen oder zu erhalten. Daneben kann ein Interesse an der Begrenzung beziehungsweise der »Koordination« des Wettbewerbs bestehen.46 Diese Ziele können dem Gewinninteresse der freien Aktionäre entgegenstehen, wenn etwa Verträge mit Lieferanten zu überhöhten Preisen abgeschlossen werden oder das Unternehmen für einen Kredit zu hohe Zinsen bezahlen muss. 42 Handelsblatt (4.2.2015), 15 Jahre Mannesmann-Übernahme; Handelsblatt (21.8.2008), Scheffler. Die Mannesmannübernahme ging mit einer Zerschlagung des Konzerns einher. Vodafone behielt lediglich die Mobilfunksparte, die traditionellen Röhrenwerke, Mannesmann Sachs und die Luxusmarken Jaeger LeCoultre und Lange & Söhne wurden verkauft. 43 Berle u. Means; Chandler. 44 Im Untersuchungszeitraum verfügte die Unternehmensleitung, meist in Person des Aufsichtsrats, in der Regel über Aktienbesitz, so dass den freien Aktionären oft Unternehmensaktionäre mit Leitungsinteressen gegenüberstanden. Die Abgrenzung der Kompetenzen der beiden Leitungsorgane hat sich darüber hinaus über die Zeit verändert. Siehe Kapitel 1 für eine genauere Diskussion. 45 Jensen u. Meckling; vgl. Pagano u. Volpin; Pross; Tirole, S. 15. 46 Vitlos, S. 341–342; Windolf.

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Um den Prinzipal-Agenten Konflikt zu lösen und die Kapitalbesitzer (Prin­ zipal) in die Lage zu versetzen, die Unternehmensleitung (Agent) zur Umsetzung ihrer Interessen zu bewegen, existieren zwei Wege. Zum einen können Aktionäre durch den Kauf und Verkauf der Aktien eines Unternehmens Handlungsdruck erzeugen, indem sie etwa der Unternehmensleitung durch einen Verkauf ihrer Anteile das Vertrauen entziehen und so den Aufsichtsrat zum Handeln zwingen.47 Die Bindung der Entlohnung der Unternehmensführung an die Aktienkursentwicklung kann in diesem Zusammenhang einen Anreiz für das Management darstellen, das eingesetzte Kapital möglichst gewinnbringend zu nutzen. Zudem erlaubt der spekulative, auf den eigenen Gewinn ausgerichtete Kauf und Verkauf von Aktien die Entstehung eines Marktes für Übernahmen. Die Disziplinierung der Unternehmensleitung findet hier vor allem über die drohende Gefahr des Verlusts der eigenen Position nach der Übernahme statt. Die zweite Möglichkeit, den Prinzipal-Agenten Konflikt zu lösen, besteht in einer direkten Kontrolle der Unternehmensleitung durch die Aktionäre.48 In einer idealen Welt könnten beide Parteien einen Vertrag schließen, der für alle Eventualitäten eine Handlungsanweisung der Aktionäre an die Unternehmensleitung enthält. Da in einer solchen Welt alle Geschäftsergebnisse ohne Kosten zu beobachten wären und eindeutig der Leistung der Unternehmensleitung zugeordnet werden könnten, wäre auch die Überwachung der Einhaltung der Vertragsbestimmungen ohne Probleme möglich. In der Realität ist die Leistung der Unternehmensleitung jedoch eine private Information, die von außen nur schwer beobachtet werden kann. Das Vorliegen asymmetrischer Informationen erschwert somit die Überwachung des Agenten. Freiwillige oder gesetzlich vorgeschriebene Offenlegungsverpflichtungen können diese Kosten reduzieren.49 Zudem ist es in der Realität nicht möglich, alle aufrufbaren Eventualitäten zu kennen und vertraglich zu fixieren. Aus diesem Grund legen die Verträge zwischen den ersten Eigenkapitalgebern in der Regel fest, welchen Gruppen – Aktionären, Aufsichtsrat oder Vorstand – welche Entscheidungskompetenzen zustehen und in welchem Umfang sie für ihr Handeln zivil- und strafrechtlich haftbar gemacht werden können.50 Daneben kann ein solcher Gesellschaftsvertrag auch Grundsätze für die Gewinnermittlung und -verteilung enthalten. Gesellschafterverträge unterliegen grundsätzlich der Vertragsfreiheit, die Parteien können also selbst bestimmen, wie sie Entscheidungskompetenzen und Haftungsrisiken verteilen möchten. Der Gesetzgeber kann diese Freiheit jedoch einschränken und vorschreiben, über welche Fragen der Gesellschaftsvertrag eine Entscheidung zu treffen hat, beziehungsweise wie bestimmte Entscheidungskompetenzen und Haftungsrisiken verteilt sein müssen.51 Entscheidet 47 Tirole, S. 28. 48 Grundlegend Shleifer u. Vishny. 49 Jensen u. Meckling. 50 Hart u. Moore; Grossman u. Hart. 51 Burhop, Governance, S. 571–572.

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sich der Gesetzgeber für einen starken Aktionärsschutz und strenge Offen­ legungsvorschriften, macht er die Kontrolle der Unternehmensleitungen durch eine Vielzahl von freien Aktionären möglich. Dies geschieht entweder in direkten Verhandlungen zwischen den Parteien oder indirekt über einen aufgrund breiter Verfügbarkeit von Informationen funktionierenden Markt für Unternehmensübernahmen.52 Fehlt es den Aktionären dagegen an Möglichkeiten, die Unternehmensleitung zu kontrollieren, und haben sie nur wenige Informationen über die Vorgänge innerhalb des Unternehmens, funktionieren Kapitalmärkte weniger effizient, und die Aktionäre müssen andere Strategien der Kontrolle entwickeln. Die historische Erfahrung hat gezeigt, dass die Kontrolle der Unternehmensführung in diesen Fällen oft durch einen oder mehrere Großaktionäre übernommen wird. Bei diesen Großaktionären kann es sich um Familien, Banken, andere Industrieunternehmen oder den Staat handeln. Wie bereits erwähnt sind diese Stakeholder oft nicht an hohen Kursen oder Dividenden interessiert, sondern verfolgen strategische Eigeninteressen. Dazu gehört auch, die Konkurrenz durch andere Unternehmen einzuschränken. Das Resultat ist eine größere Verflechtung und Organisation der Wirtschaft, ein geringeres Wettbewerbsniveau und unter Umständen auch eine ungleichere Vermögensverteilung. Die Kontrolle der Aktiengesellschaft durch einen oder mehrere Großaktionäre wird noch wahrscheinlicher, wenn der Gesetzgeber die Gesellschaft aktiv vor der Kontrolle durch die freien Aktionäre schützt, indem er etwa nur Langzeitaktionären Stimmrechte gewährt und die Ausübung von Aktionärsrechten an Mindestbesitzzeiten bindet. Über die Ausgestaltung von Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften hat der Gesetzgeber somit einen großen Einfluss auf die Wirtschaftsordnung eines Staates.53

Theorien des politischen Wandels Die Erklärung politischen Wandels steht im Zentrum politikgeschichtlicher Forschung. Zur Identifizierung wichtiger Triebfedern dieses Wandels ist der Historiker allerdings auf theoretische Konzepte aus anderen Wissenschaften angewiesen. Als besonders fruchtbar erweisen sich entsprechende wirtschaftswissenschaftliche und politikwissenschaftliche Theorien. Die Wirtschaftswissenschaftler Raghuram Rajan und Luigi Zingales argumentieren beispielsweise, Phasen der wirtschaftlichen Abschottung – wie etwa nach der Weltwirtschaftskrise – hätten alteingesessenen Unternehmen den Anreiz gegeben, sich bei der politischen Klasse für eine Begrenzung des Zugangs zum heimischen Kapital-

52 Morck u. Steier. 53 Die Wettbewerbspolitik ist eine weitere wichtige Stellschraube. Sie kann als Komplement oder Substitut der Kapitalmarktgesetzgebung wirken. Vgl. Dunlavy u. Welskopp.

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markt stark zu machen und so neue Konkurrenten zu verhindern.54 Der Wandel von gesetzlichem Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften ist in diesem Modell auf unterschiedliche Offenheitsgrade und solche politische Institutionen zurückzuführen, die der Einflussnahme etablierter Interessen kaum Schutz­ mechanismen entgegensetzen. Der Einfluss von Lobbygruppen wird ebenfalls von Ludan Bebchuk und Zvika Neeman betont.55 Im Gegensatz zu Rajan und Zingales, die Regulierung als das (politische) Ergebnis eines Interessens­konflikts zwischen bestehenden und neuen Unternehmen interpretieren, betonen Bebchuk und Neeman den Verteilungskampf zwischen leitungsnahen und freien Aktionären. Enrico Perotti und Ernst-Ludwig von Thadden verweisen dagegen auf die Rolle der Mehrheitsmeinung in einer Demokratie.56 Die beiden Autoren argumentieren, dass sich in einer Demokratie im Fall einer starken Ungleichverteilung von Vermögenswerten zu Gunsten einer kleinen Gruppe eine poli­ tische Mehrheit für ein System der Unternehmenskontrolle finden lässt, das den Faktor Arbeit gegenüber dem Produktionsfaktor Kapital bevorzugt. In einem solchen theoretischen Modell kann politischer Wandel mit einem exogenen Schock erklärt werden, der die Vermögen einer breiteren Bevölkerungsschicht vernichtet. Die Inflationsbewegungen in Europa und insbesondere in Deutschland zu Beginn der 1920er Jahre waren solch ein Schock. Auch bei Mark Roe ist es die Einstellung der politischen Mehrheit, die über das System der Unternehmenskontrolle entscheidet.57 So seien sozialdemokratisch geprägte Staaten eher geneigt, Aktionärsschutz zu Gunsten der Stabilität des Arbeitsmarkts zu vernachlässigen. Marco Pagano und Paolo Volpin führen schließlich Unterschiede des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsstandards auf das Wahlsystem zurück.58 So sei es für politische Parteien unter einem Verhältniswahlrecht sinnvoller, sich auf Arbeitnehmerinteressen zu konzentrieren, während es in einem Mehrheitswahlrecht wichtiger sein kann, die Wünsche von Kapitalbesitzern zu berücksichtigen. In einem weiteren Aufsatz verweist Mark Roe schließlich auf den politischen Systemwettbewerb nach dem Zweiten Weltkrieg, unter dem die politischen Entscheidungen über die Ausgestaltung des Kapitalmarkts getroffen wurden.59 So seien viele europäische und ostasiatische Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg beispielsweise vor allem damit beschäftigt gewesen, ihre Arbeitsmärkte wieder in Gang zu bringen und die Bedrohungen des Kommunismus abzuwehren. Sie hätten aus diesen Gründen eher für eine kapitalmarktfeind­ lichere Politik als die angelsächsischen Staaten votiert, die weniger stark von den Folgen der Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs betroffen gewesen seien. Im

54 Rajan u. Zingales, Great reversals. 55 Bebchuk u. Neeman. 56 Perotti u. Thadden. 57 Roe, Corporate Governance. 58 Pagano u. Volpin. 59 Roe, Legal origins.

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Kern verweist Roe hier also auf die Präferenzen breiter Bevölkerungsschichten bezüglich des Kapitalmarkts. Als wichtige Einflussfaktoren politischen Wandels kristallisieren sich in den wirtschaftswissenschaftlichen Modellen drei Elemente heraus. Immer wieder wird auf die Einflussnahme der mit der Aktiengesellschaft verbundenen Gruppen verwiesen. Daneben spielen aber auch politische Institutionen und exogene Umwelteinflüsse wie makroökonomische Schocks oder die Einstellung der Bevölkerung zu Kapitalmärkten eine Rolle. Das Manko vieler wirtschaftswissenschaftlicher Studien liegt jedoch darin, dass sie zwar die Bedeutung des Politischen immer stärker betonen, jedoch vor einer detaillierten Analyse der wirkenden sozialen Mechanismen zurückschrecken. So mag der Grad der Offenheit und der Kapitalmarktentwicklung miteinander korreliert sein und unter diesen Umständen ein theoretischer Anreiz für alteingesessene Unternehmen bestehen, das Aufkommen neuer Konkurrenten mit Hilfe der Beschränkung des Zugangs zum Kapitalmarkt zu verhindern.60 Ob diese Motive im deutschen Fall wirklich handlungsleitend waren und über welche Wege es den relevanten Lobbygruppen gelang, ihre Interessen durchzusetzen, wird dagegen nicht erläutert. In ähnlicher Weise gilt dies auch für die anderen vorgestellten Erklärungsansätze. Hier versprechen politikwissenschaftliche Ansätze Abhilfe, die den politischen Entscheidungsprozess genauer modellieren. Die Politikwissenschaft hat verschiedene Theorien des Politikwandels entwickelt, die für die empirische Analyse alle gewisse Vor- und Nachteile bieten. Zuvorderst ist hier die durch George Tsebelis in den frühen 1990er Jahren entwickelte Vetospieler-Theorie zu nennen.61 Der Ansatz hat seinen Ursprung in der vergleichenden Regierungslehre. Im Zentrum der Vetospieler-Theorie steht die Erkenntnis, die Änderung beziehungsweise Stagnation des gesetzlichen Status quo sei das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Vetospielern – also den politischen Akteuren, die laut geschriebener und ungeschriebener Verfassung des zu untersuchenden politischen Gemeinwesens einer Änderung des Status quo zustimmen müssen. In der Regel handelt es sich bei den durch die geschriebene Verfassung bestimmten Vetospielern um Kabinette, Parlamente und Staatsoberhäupter. Im Fall der nicht-konstitutionellen Vetospieler ist etwa an die zentralen Parteigremien in einem Einparteienstaat, das Militär oder starke Gewerkschaften, die in der Lage sind, breite Bevölkerungsschichten zu mobilisieren, zu denken. In den meisten Fällen handelt es sich bei Vetospielern demnach um aus mehreren Individuen bestehenden Organisationen. Solche Vetospieler werden als kollektive Vetospieler bezeichnet. Ob sich die Vetospieler auf eine Änderung des Status quo einigen können, hängt von verschiedenen institutionellen Faktoren ab. Hierzu zählt zunächst die Zahl der Vetospieler selbst. Nimmt diese bei sonst gleichbleibenden Bedingungen (ceteris paribus) zu, wird, solange der hinzugekommene Veto-Punkt nicht durch die bereits vorhandenen Präferen60 Rajan u. Zingales, Great reversals. 61 Tsebelis, Veto Players; ders., Decision Making; ders., Institutional Analysis; Kaiser.

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zen anderer Vetospieler dargestellt werden kann, die Kompromissfindung der Vetospieler schwieriger und die Persistenz des aktuellen gesetzlichen Status quo wahrscheinlicher.62 Auf gleiche Weise kann die anzuwendende Abstimmungsregel eine Einigung der Vetospieler beeinflussen: Wird für einen positiven Beschluss eines kollektiven Vetospielers lediglich eine einfache Stimmenmehrheit benötigt, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Einigung der Vetospieler ceteris paribus wesentlich größer als im Fall einer unitaristischen Abstimmung.63 Daneben stellt der Grad der ideologischen Differenzen zwischen den Vetospielern eine wichtige Determinante des Verhandlungsergebnisses dar, da eine Einigung (ceteris paribus) umso unwahrscheinlich wird, je weiter die Präferenzen der einzelnen Vetospieler auseinanderliegen.64 Zuletzt kommt im Modell von Tsebelis der festgelegten Entscheidungssequenz eine große Bedeutung zu. Nimmt man an, der Vetospieler, der den anderen Verhandlungsteilnehmern eine Entscheidungsvorlage machen kann – Agendasetzer genannt –, kenne die Präferenzen der anderen Verhandlungsteilnehmer, kann dieser Spieler seine Entscheidungsvorlage so wählen, dass sie seinem optimalen Politikpunkt am nächsten kommt und für die anderen Verhandlungsteilnehmer gerade noch annehmbar ist.65 Dies ist besonders dann von Vorteil, wenn der optimale Politikpunkt des Agendasetzers im Vergleich zu den optimalen Politikpunkten der anderen Vetospieler »zentral« gelegen ist, also bereits einen Kompromiss aus allen vorhandenen Regelungsvorschlägen enthält. Der große Vorteil der Vetospieler-Theorie liegt in der klaren Identifikation politischer Institutionen, die in ihrer Kombination mit den Präferenzen der Vetospieler bezüglich eines politischen Problems legislativen Wandel erlauben oder verhindern. Für die empirische Analyse bedeutet dies zunächst, die handelnden Vetospieler zu bestimmen und ihre Präferenzen zu identifizieren. Der Wandel von gesetzlichem Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften kann dann entweder mit einem Wandel der Präferenzen der Vetospieler oder einer Verschiebung institutioneller Arrangements erklärt werden. Eine solche Erklärung birgt jedoch einige Probleme. Zum einen wird die Vetospieler-Theorie oft als zu deterministisch kritisiert, da sie den handelnden Akteuren kaum Handlungsfreiheiten lässt.66 So berücksichtigt die Vetospieler-Theorie weder die Möglichkeit verschiedener Verhandlungsstrategien noch die Tatsache, dass Vetomacht, also die Möglichkeit, glaubhaft mit dem Abbruch der Verhandlungen drohen zu können, je nach Akteurs- und Verhandlungssituation unterschiedlich verteilt sein kann. In Anlehnung an den von Renate Mayntz und Fritz Scharpf entwickelten 62 Ebd., S. 24–26. 63 Ebd., S. 45–51. 64 Ebd., S. 30–31. 65 Ebd., S. 35–37. 66 Benz, Politik, S. 54–56. Kaiser, S. 467–468. Dies mag damit zusammenhängen, dass es Tsebelis vornehmlich darum geht, die Stabilität politischer Systeme zu erklären. Vgl. Tsebelis, Veto Players, S. 3–5.

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Analyserahmen des akteurszentrierten Institutionalismus schlägt Arthur Benz daher vor, politische Institutionen nur als die Verhandlungen der Vetospieler begrenzendes beziehungsweise bestimmte Verhandlungsräume öffnendes Element zu betrachten.67 Für die Analyse bedeutet dies vor allem, die jeweiligen Handlungssituationen und Interaktionskonstellationen genauer auszuleuchten. So ist es durchaus wahrscheinlich, dass ein Vetospieler nicht mit seinem optimalen Politikpunkt in die Verhandlungen geht, sondern seine Position schärfer formuliert beziehungsweise von vorneherein auf seine Maximalforderung verzichtet – je nachdem, wie stark er seine Verhandlungsposition einschätzt. Die tatsächliche Vetomacht eines Spielers muss dabei nicht zwangsläufig institutionell vorgegeben sein, sondern kann sich aus situationsspezifischen Akteurskonstellationen ergeben. So kann Vetomacht entscheidend von der relativen Lage der Präferenzen der Vetospieler und den mit einem Scheitern einer Einigung verbundenen (politischen) Kosten abhängig sein. Diese können durchaus unterschiedlich zwischen den Vetospielern verteilt sein und so einer Partei deutlich mehr Drohpotential an die Hand geben. Die situationsspezifische Verteilung von Machtverhältnissen kann somit auch die Wahl der Verhandlungsstrategie beeinflussen. Diese kann kompetitiv ausgerichtet und durch die Drohung eines Abbruchs der Verhandlungen gekennzeichnet sein; denkbar sind aber auch auf einem Austausch von Sachargumenten aufbauende Konsensstrategien.68 Die Einbeziehung eines stärker akteurszentrierten Blicks in die empirische Analyse ist zwar in der Lage, dem streng deterministischen Impetus der Vetospieler-Theorie entgegenzutreten, eine weitere Einschränkung bleibt aber bestehen. Auch in ihrer akteurszentrierten Ausrichtung liefert die Vetospieler-Theorie keine Antwort auf die Frage, wie die Präferenzen der Vetospieler entstehen. Möchte man aber den weiter oben skizzierten Hinweisen auf die politische Einflussnahme der mit der Aktiengesellschaft verbundenen Gruppen beziehungsweise die Bedeutung der Präferenzen des Medianwählers für die Ausgestaltung der Kapitalmarktregulierung nachgehen, ist es unerlässlich, diese Gruppen in die Analyse einzubeziehen. Der von Paul Sabatier und Hank Jenkins-Smith in den 1980er Jahren entwickelte Advokatenkoalitionen-Ansatz kann genau dies leisten.69 Im Fokus des Advokatenkoalitionen-Ansatzes steht eine an einem bestimmten Politikfeld interessierte politische Elite, die aus Unternehmen, Lobbygruppen, Parlamentariern, Regierungsvertretern und Bürokraten, aber auch aus Journalisten und Wissenschaftlern bestehen kann. Diese Elite selektiert sich in unterschiedliche Koalitionen, die durch die gemeinsame Vorstellung über den wahren Kern eines gesellschaftlichen Problems und den dazu passenden Lösungsvorschlägen geeint wird. Im politischen Prozess wird

67 Benz, Politik, S. 83–85; Mayntz u. Scharpf; Scharpf. 68 Benz, Politik, S. 87. 69 Sabatier, Advocacy coalition; Jenkins-Smith; Sabatier u. Jenkins-Smith. Kurzer Überblick bei: Sabatier, Assessment, S. 117–118; Weible u. a., S. 122–124.

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Politische Eliten Politikvermittler

Advokaten

Vetomacht

keine Vetomacht

Abb. 3: Politische Eliten und Vetospieler.

sich, so die Vorhersage des Analyseansatzes, die Koalition durchsetzen, die über die meisten (Macht-)Ressourcen verfügt. Im Kontext der Vetospieler-Theorie bedeutet dies, es wird sich die Koalition durchsetzen, die genügend Vetospieler von ihrer Position überzeugen kann beziehungsweise der genügend Vetospieler angehören. Zwar erlaubt es der Analyserahmen Sabatiers den Advokatenkoalitionen, durch die Beobachtung des Wirkens vergangener Politikmaßnahmen mehr über die Natur des zu lösenden Problems zu lernen und ihre Lösungsvorschläge anzupassen – dieser Lernprozess führt im Modell Sabatiers jedoch nur zu inkrementellen Änderungen des Status quo. Politischer Wandel sei nur durch eine Änderung der Umweltbedingungen möglich, wie etwa einen Wechsel der Regierungskoalition oder einen exogenen Schock, der die vorherrschende Problemlage und damit die Interessenlage der Advokatenkoalitionen signifikant umformt. Ähnlich wie Mayntz und Scharpf verweist Sabatier hier also auf eine Verschiebung der Handlungsimperative der politischen Elite. Der große Vorteil des Ansatzes von Sabatier besteht darin, dass er es ermöglicht, die vielen heterogenen, sich zu Änderungen des Aktienrechts äußernden Gruppen in sinnvollen Aggregaten zusammenzufassen. So beteiligten sich im Untersuchungszeitraum nicht nur klassische Interessengruppen wie Handelskammern, der Reichsverband der Deutschen Industrie oder Banken an der politischen Entscheidungsfindung, sondern auch Wissenschaftler, Anwälte und Journalisten. Der Advokatenkoalitionen-Ansatz und die Vetospieler-Theorie ergänzen sich zudem sehr gut. So ist es kein Widerspruch mit Abbildung 3 anzunehmen, dass ein Teil der politischen Elite mit Vetomacht ausgestattet ist. Zu denken ist hier an Ministerialbeamte und Mitglieder von Parlamentsausschüssen, die unter Sabatiers Definition der politischen Elite fallen. Sabatier unterscheidet zudem zwischen Advokaten und Politikvermittlern. Unter Ersteren versteht er politische Eliten, die voll und ganz einer Advokatenkoalition zugeordnet werden können und den Standpunkt der eigenen Koalition kompromisslos gegenüber Gegnern verteidigen. Demgegenüber stehen Politikvermittler (policy broker), die zwar zu einer Advokatenkoalition tendieren können, deren vornehmliche Aufgabe es jedoch ist, einen Kompromiss zwischen miteinander konkurrierenden Koalitionen auszuhandeln. Damit ihnen das gelingen kann, müssen sie wiederum mit Vetomacht ausgestattet sein. Dies schließt jedoch nicht aus, dass auch reine Advokaten über Vetomacht verfügen können. 25

Eine Kombination des Advokatenkoalitionen-Ansatzes mit dem VetospielerAnsatz bietet sich auch deswegen an, da die beiden ihre gegenseitigen Schwächen ausgleichen. Die Vetospieler-Theorie nimmt beispielsweise die Präferenzen der Vetospieler als gegeben hin, während der Advokatenkoalitionen-Ansatz deren Entstehung in den Blick nimmt. Auf der anderen Seite modelliert der Vetospieler-Ansatz den politischen Aushandlungsprozess, der wiederum im Advokatenkoalitionen-Ansatz zu kurz kommt. Als Nachteil eines solchen kombinierten Analyseansatzes mag angeführt werden, dass er die Präferenzen des Medianwählers nicht berücksichtigt. Dies kann insofern problematisch sein, als mehrere wirtschaftswissenschaftliche Studien Änderungen der Kapitalmarktentwicklung mit einer Verschiebung der Präferenzen des Medianwählers erklären. Im hier untersuchten Politikfeld scheint die Annahme, dass politische Eliten und nicht das Wahlvolk Politikwandel entscheidend mit beeinflussen, allerdings besser mit der historischen Realität übereinzustimmen. Zum einen funktionieren Medianwählermodelle nur in demokratischen Systemen und dort auch nur dann, wenn man das Entscheidungsproblem des Politikers auf ein eindimensionales Entscheidungsdilemma begrenzt.70 Im Untersuchungszeitraum waren jedoch zahlreiche, nicht an eine Wiederwahl gebundene Vetospieler aktiv – man denke nur an die Reichsämter, den Bundesrat und die Reichsregierung in der Zeit des Nationalsozialismus. Zum anderen hat das Aktienrecht weder im Kaiserreich noch in der Weimarer Republik im Wahlkampf eine Rolle gespielt, es gibt also keine Hinweise auf eine Beeinflussung der Vetospieler durch Wählerpräferenzen.71 Nichtsdestoweniger kommt der Wahlbevölkerung auch in dem hier genutzten Analyseeinsatz keine unbedeutende Rolle zu, da sie (direkt oder indirekt) die Zusammensetzung der herrschenden Regierungskoalition bestimmt. Die grundlegenden Präferenzen dieser Koalition in Bezug auf den Nutzen und die Funktion von Kapitalmärkten sowie die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung wirken dabei als die Lösungsvorschläge der Advokatenkoalitionen und die Verhandlungen der Vetospieler begrenzendes Element. Am deutlichsten wird dies für die Zeit nach 1933, als die durch den Medianwähler an die Macht gelangten Nationalsozialisten begannen, das Aktienrecht nach ihren ideologischen Vorstellungen umzubauen.

70 Die Präferenzen der Wähler im klassischen Medianwählermodell sind eingipflig, d. h. die Wähler präferieren exakt einen Zustand der Welt gegenüber allen anderen Zuständen. Mehrgipflige Präferenzen können dagegen nur sehr schlecht dargestellt werden. Medianwählermodelle eignen sich daher nur, um einfache Entscheidungsprobleme, etwa die Höhe der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, darzustellen. 71 Sperber; Steinbach, Zähmung, III; Ders., Zähmung, II; Lau.

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Analyserahmen Abbildung 4 fasst den oben skizzierten Analyserahmen noch einmal zusammen. Der Wandel von gesetzlichen Regelungen des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsvorschriften wird als das Ergebnis von Verhandlungen zwischen mit Vetomacht ausgestatteten politischen Eliten verstanden. Diese Verhandlungen lassen sich anhand der optimalen Politikpunkte der Vetospieler, der Verhandlungsstrategien der Spieler und der Verteilung von Verhandlungsmacht (Vetomacht) darstellen. Diese drei Elemente wiederum werden von diversen Umwelteinflüssen, institutionellen Faktoren und dem Wirken von Advokatenkoalitionen geprägt. Unter Umwelteinflüssen werden makroökonomische Schocks wie Banken- und Finanzkrisen und ihre Auswirkungen auf den Kapital­ markt verstanden. Für den Untersuchungszeitraum relevant waren dabei vor allem die Gründerkrise der 1870er Jahre, die Hyperinflation der frühen 1920er Jahre und die Banken- und Wirtschaftskrise der frühen 1930er Jahre. Hier wird zu fragen sein, wie diese Krisen die optimalen Politikpunkte und Verhandlungsstrategien der Vetospieler beeinflusst haben. Neben makroökonomischen Schocks fällt auch ein Wandel der herrschenden Regierungskoalition in die Kategorie der Umwelteinflüsse. Ein Herrschaftswandel kann die Verhandlungen der Vetospieler auf verschiedene Weisen beeinflussen. Zum einen können sich durch einen Herrschaftswandel politische Institutionen und damit die Zusammensetzung der Vetospieler selbst verändern. Zum anderen kann sich auch das den Verhandlungen der Vetospieler zu Grunde liegende gesellschaftliche Bild des Regulierungsgegenstands grundsätzlich wandeln und damit die optimalen Politikpunkte der Vetospieler verschieben. In diesem Zusammenhang muss insbesondere die Frage aufgegriffen werden, inwieweit nationalsozialistische Wirtschaftsideologie und Aufrüstungsbestrebungen die optimalen Politikpunkte der Vetospieler beeinflusst haben. Während sich verändernde Umwelteinflüsse hauptsächlich auf die optimalen Politikpunkte der Vetospieler auswirken, beeinflussen politische Institutionen die Verhandlungen der Vetospieler, indem sie Vetomacht zuordnen und die Anzahl der potentiellen Verhandlungsstrategien begrenzen. Konkret wird zu fragen sein, wie sich die Anzahl der Vetospieler, die Festlegung des Agendasetzers und der Entscheidungssequenz sowie die Wahl der Abstimmungsregel auf Verhandlungsmacht und Verhandlungsstrategien einzelner Vetospieler ausgewirkt haben. Institutionen können darüber hinaus manchen Advokatenkoalitionen den Zugang zu den Vetospielern erleichtern – beispielsweise über die Mitgliedschaft in festen Beratungsgremien, die gewohnheitsmäßig gehört werden oder deren Mitarbeit verfassungsrechtlich vorgesehen ist. Inwiefern dies im Untersuchungszeitraum der Fall war, gilt es zu ermitteln. Advokatenkoalitionen wirken mit ihren Lösungsvorschlägen wiederum auf die optimalen Politikpunkte der Vetospieler. Hier gilt es zu klären, aus welchen Gruppen und Personen sich die für die Entwicklung von Aktionärsschutz und 27

• Makroökonomische Schocks

• welche Akteure halten Vetomacht

• Problemdefinition und Lösungsvorschläge

• Austausch der Regierungskoalition

• Verhandlungsstruktur (Sequenz, Agendasetzung, Entscheidungsregel)

• politisches Lernen innerhalb und zwischen Koalitionen

Institutionen

Advokatenkoalition

Umwelteinflüsse

Verhandlungen der Veto-Spieler • optimale Politikpunkte • Verhandlungsstrategien • Vetomacht

Politikergebnis Abb. 4: Graphische Darstellung des Analyserahmens.

Offenlegungsvorschriften relevante politische Elite zusammensetzte, zu welchen Koalitionen sich diese Elite zusammenfand, wie sich beides über die Zeit geändert hat und inwiefern Lernprozesse dabei eine Rolle gespielt haben. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf die Frage zu legen, ob und auf welche Art und Weise Vetospieler in verschiedenen Advokatenkoalitionen eingebunden waren, oder ob sie die Rolle eines Politikvermittlers einnahmen, der versuchte, aus gegensätzlichen Lösungsvorschlägen Kompromisse zu schmieden. Dahinter steht auf der einen Seite die Überlegung, dass vor allem hierarchische Vetospieler, wie etwa Ministerien, auf die Beratung der Regulierungsempfänger angewiesen sind und dadurch ein Wettbewerb der konkurrierenden Advokatenkoalitionen um die Aufmerksamkeit des Vetospielers erzeugt wird.72 Im Fall gewählter Vetospieler ist es auf der anderen Seite möglich, dass Mitglieder einer Advokatenkoalition in eine Vetoposition gelangen, die sie zum Vorteil ihrer Koalition ausnutzen können. Zur Beantwortung der skizzierten Fragen zieht die folgende Untersuchung umfangreiches Quellenmaterial aus dem Bundesarchiv und zahlreichen Landesarchiven heran.73 Von besonderer Bedeutung sind die Überlieferungen des 72 Tsebelis, Veto Players, S. 215–216; Scharpf, S. 174–178. 73 Material aus folgenden Landesarchiven ist in die Studie eingeflossen: Badisches Generallandesarchiv, bayrisches Hauptstaatsarchiv, Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kul-

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Reichsjustizamts / Reichsjustizministeriums, des Reichsamts des Inneren, des Reichstags, des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe, der bayrischen Staatsministerien für Inneres und Justiz sowie der Hamburger Verwaltungsbehörden. Rechtshistoriker haben zudem mehrere Quelleneditionen zu Entstehung und Entwicklung des Aktienrechts vorgelegt.74 Um das Verwaltungsschriftgut durch eine Außenperspektive zu ergänzen, wurde daneben Material aus den im Berliner Bundesarchiv lagernden Beständen der Rechtsabteilung der Deutschen Bank sowie zahlreiche zeitgenössische Druckschriften herangezogen. Indem die Studie umfangreiches Material aus Landesarchiven nutzbar macht, erlaubt sie zudem, die bisher nur wenig beachtete Bedeutung der Bundesstaaten für die Innenpolitik des Kaiserreichs genauer zu studieren und so zur Eröffnung einer neuen Forschungsperspektive beizutragen.75 Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, anhand der Reformprozesse der Jahre 1873/84, 1928/31 und 1934/37 herauszuarbeiten, wie die hier beschriebenen Komponenten im Fall der gesetzlichen Regelung des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsvorschriften ineinanderwirkten und welchen Faktoren eine besonders hohe Erklärungskraft zukommt. Die Reform des Aktienrechts im Zuge der Neufassung des Handelsgesetzbuchs in den Jahren 1895/97 bleibt dagegen in der Analyse außen vor. Dies hat zwei Gründe. Zum einen waren die Reformen des Jahres 1897 inkrementeller Natur;76 zum anderen blieben das institutionelle Setting und die Akteurskonstellationen im Vergleich zu den 1870er und 1880er Jahren relativ ähnlich, so dass kaum ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn durch eine genauere Analyse der Reform 1895/97 zu erwarten ist.77 Dies gilt im Übrigen auch für die Reform des Jahres 1870.78 Die für diese Studie entwickelte Kombination der Veto-Spieler Theorie und des Advokatenkoalitionen-Ansatzes ist in dieser Form neu. Die beiden Literaturstränge stehen bisher ohne aufeinander Bezug zu nehmen nebeneinander,79 obwohl grade der Advokatenkoalitionen-Ansatz immer weiter entwickelt wurde und neue Theorieelemente aufgenommen hat.80 Beiden Ansätzen gemeinsam turbesitz, Hamburger Staatsarchiv, sächsisches Hauptstaatsarchiv und württembergisches Hauptstaatsarchiv. 74 Schubert u. Hommelhof; Schubert u. a.; Schubert, Aktienrechtsreform; Ders., Weimarer Republik; Ders., Aktiengesetz. Die letztgenannte Edition ist nach Fertigstellung des Hauptteils des Manuskripts veröffentlicht worden. 75 Neben der hier vorgelegten Studie beschäftigt sich das DFG-Projekt »Integrieren durch Regieren: Funktionsweise und Wandel des Föderalismus im Deutschen Reich, 1870–1914« intensiv mit der Bedeutung der Einzelstaaten für die (Innen-)Politik des Kaiserreichs. Für erste Ergebnisse siehe: Hähnel u. a.; Hähnel; Höfer; Liedloff. 76 Schubert, Quellen, Bd. 1, S. 66–75; kritisch dagegen: Pahlow. 77 Für eine Detailbetrachtung der Reform 1895/97 siehe: Selgert, Entscheidungsfindung. 78 Vgl. zu dieser Reform: Lieder, Aktienrechtsnovelle. 79 Eine Abfrage im Web of Science (webofknowledge.com) nach den Suchbegriffen ›Veto Player‹ und ›Advocacy Coalition‹ ergibt keine einschlägigen Treffer. Einzeln generieren die Suchbegriffe knapp 700 bzw. über 1.100 Treffer (zuletzt: 10.02.2020). 80 Weible u. a., S. 123–124.

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ist, dass sie hauptsächlich in der Politikwissenschaft und verwandten Wissenschaftszweigen wie der Verwaltungslehre und der Umweltforschung auf Interesse stoßen.81 Die Veto-Spieler Theorie findet zudem in der Volkswirtschaftslehre Anwendung. Für den Advokatenkoalitionen-Ansatz existieren darüber hinaus Meta-Studien, die nach den Anwendungsbereichen des Analyserahmens fragen.82 Die große Mehrheit der erfassten Aufsätze untersucht die Umwelt- und Energiepolitik. Dahinter folgen Themen zu Bildung, Verteidigung und Wissenschaft. Es werden aber auch Fragen der Sozial- und Wirtschaftspolitik untersucht. Geographisch konzentrieren sich die meisten Aufsätze auf Nordamerika und Europa. Für die Geschichtswissenschaft wurde noch keiner der beiden Ansätze fruchtbar gemacht. Die hier vorgestellte neue Kombination der verschiedenen Theorieansätze hat dabei keinen umfassenden theoretischen Anspruch, vielmehr soll ein Analyserahmen vorgeschlagen werden, der den Werkzeugkasten der geschichtswissenschaftlichen Methoden erweitert. Zunächst diente der vorgeschlagene Analyserahmen als Hilfe für das Finden der für die Untersuchung relevanten Quellen. Insbesondere unterstützte er aber die Arbeit am Text bei der Strukturierung des Quellenmaterials und der Interpretation der aus dem Quellenmaterial gewonnen Informationen. In diesem Zusammenhang versteht sich die vorliegende Studie als Plädoyer für eine stärkere Verzahnung hermeneutischer und politikwissenschaftlicher Methoden. Im Schlusskapitel soll daher auch die Frage diskutiert werden, inwiefern sich die hier vorgestellte Methodenverzahnung auf andere geschichtswissenschaftliche Fragen übertragen lässt.

Zum Aufbau des Buches Der Aufbau des Textes wird von dem oben diskutierten Analyserahmen vorgegeben. Dadurch folgen die Kapitel, bis auf das erste Kapitel, einer systematischen Gliederung. Innerhalb der einzelnen Kapitel ist jedoch die chronologische Gliederung erhalten geblieben, so dass Kapitel zwei bis fünf auch ›quergelesen‹ werden können. Kapitel eins gibt zunächst einen Überblick über die Entwicklung von gesetzlichem Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften vor dem Hintergrund sich ändernder Umwelteinflüsse. Nach der Darstellung des Verhandlungsergebnisses wendet sich Kapitel zwei der Beschreibung der politischen Institutionen zu. Dabei konzentriert sich das Kapitel auf die Identifikation der relevanten Vetospieler und des Agendasetzers, die Entscheidungssequenzen, die Abstimmungsregeln und die Einbindung der politischen Elite in den politischen Prozess. Kapitel drei arbeitet die optimalen Politikpunkte der Veto­spieler heraus 81 Dies ergibt eine entsprechende Abfrage im Web of Science (webofknowledge.com) nach der Zuordnung der Suchbegriffe ›Veto Player‹ und ›Advocacy Coalition‹ zu den dort definierten Wissenschaftszweigen (zuletzt: 10.02.2020). 82 Pierce u. a.; Sabatier, Assessment; Weible u. a.

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und analysiert, welche Vetospieler sich in den Verhandlungen durchsetzen konnten, welche Verhandlungsstrategien dabei angewandt wurden und welche Rolle die Verteilung von Verhandlungsmacht gespielt hat. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Frage einzugehen sein, inwiefern institutionelle Faktoren wie die Anzahl der Vetospieler und die Verteilung von Agendamacht das Verhandlungsergebnis mitbestimmt haben. In der Regel werden sich zwischen politischen Institutionen und Verhandlungsergebnissen keine bindenden Zusammenhänge ergeben. Inwieweit Vetomacht und die Wahl der Verhandlungsstrategie von spezifischen Akteurskonstellationen abhingen, ist daher auch Thema des Kapitels. Spezifische Akteurskonstellationen lassen sich als die relative Lage der Präferenzen der Vetospieler und die damit verbundenen unterschiedlichen Kosten eines Verhandlungsabbruchs definieren. Kapitel vier und fünf nehmen daher die Entstehung der optimalen Politikpunkte der Vetospieler in den Blick. Kapitel vier identifiziert zunächst die handelnden Advokatenkoalitionen, stellt die von ihnen entwickelten Lösungsvorschläge vor und fragt, ob die einzelnen Koalitionen und Politikvermittler aufgrund der Beobachtung des Wirkens vergangener Politikmaßnahmen ihre Lösungsvorschläge anpassten. Kapitel fünf widmet sich der Frage nach den Determinanten der optimalen Politikpunkte und der daraus resultierenden Interessenkonflikte der Vetospieler. Das Kapitel nimmt die Perspektive der Vetospieler ein und fragt, inwiefern es einzelnen Advokatenkoalitionen gelang, wichtige Vetospieler auf ihre Seite zu ziehen, oder ob die Vetospieler ihre Politikpunkte unabhängig von dem Wirken einzelner Advokatenkoalitionen, etwa unter Eindruck bestimmter, krisenhafter Umwelteinflüsse, einnahmen. Dahinter steht die Feststellung, dass die von den Vetospielern vertretenen Lösungsvorschläge zwar mit den Reformvorstellungen bestimmter Advokatenkoalitionen zusammenfallen können, zwischen den beiden Gruppen aber kein Austausch bestehen muss, der eine Zuordnung einzelner Vetospieler zu einer Advokatenkoalition rechtfertigen würde. Abschließend führt Kapitel sechs die Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel zusammen, indem es die Erklärungskraft von Umwelteinflüssen, institutionellen Variablen, Advokatenkoalitionen sowie situationsbedingten Akteurs- und Interaktionskonstellationen diskutiert und gewichtet und die Ergebnisse der Studie in einen breiteren Kontext einordnet.

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1. Die gesetzliche Regelung von Unternehmenskontrolle und Offenlegungsverpflichtungen

Das Bedürfnis nach einem gesetzlichen Aktionärsschutz und Offenlegungs­ verpflichtungen erwächst durch das für die Aktiengesellschaft charakteris­ tische Auseinanderfallen von Besitz am Eigenkapital der Gesellschaft und der Kontrolle über die Gesellschaft. Um diesen Prinzipal-Agenten Konflikt zu lösen und die Kapitalbesitzer (Prinzipal) in die Lage zu versetzen, die Unternehmensleitung (Agent) zur Umsetzung ihrer Interessen zu bringen, legen die Verträge zwischen den Eigenkapitalgebern in der Regel fest, welchen Gruppen – Aktionären, Aufsichtsrat oder Vorstand – welche Entscheidungskompetenzen zustehen, in welchem Umfang die einzelnen Gesellschaftsorgane für ihr Handeln zivil- und strafrechtlich haftbar gemacht werden können, auf welche Weise der Gewinn berechnet und verteilt wird und über welche Ereignisse den Aktionären Mitteilung gemacht werden muss. Zwar unterliegen Gesellschafterverträge grundsätzlich der Vertragsfreiheit, der Gesetzgeber kann diese Freiheit jedoch einschränken und vorschreiben, über welche Fragen der Gesellschaftsvertrag eine Entscheidung zu treffen hat beziehungsweise wie bestimmte Regeln ausgestaltet sein müssen. Insgesamt lassen sich drei Kategorien unterscheiden, entlang derer sich die Entwicklung des Aktionärsschutzes zwischen 1870 und 1937 nachverfolgen lässt.1 Erstens, die gesetzliche Regelung des Kräfteverhältnisses zwischen Aktio­ nären und Unternehmensleitung. In diese Kategorie fallen die Verteilung von Entscheidungskompetenzen und Verantwortlichkeiten sowie die Festlegung von Haftungsstandards und die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegenüber der Unternehmensleitung. Zweitens, Regelungen zum Stimmrecht und der damit verbundenen Teilnahme an der Generalversammlung. Neben der Zuteilung von Entscheidungskompetenzen an die Aktionäre bestimmt die Ausgestaltung des Stimmrechts darüber, inwiefern die Aktionäre ihre Kontrollrechte tatsächlich wahrnehmen können. Drittens, die Regelung von Gewinnbezugsrechten. In diese Kategorie fallen zum einen Vorschriften, die die Feststellung und Verteilung des Gewinns unter Aktionäre (Dividenden), Unternehmensleitung (Gewinnbeteiligungen) und Gesellschaft (Kapitalrücklagen) regeln. Zum anderen werden auch Fragen der Bilanzkontrolle und Rechnungsprüfung berührt. Insofern durch eine solche Prüfung Informationen generiert werden, die zur Unternehmensbewertung und Überwachung der Unterneh1 Burhop, Governance, S. 575–580.

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mensführung beitragen, werden hier auch Offenlegungsaspekte angesprochen. Primär sollen unter gesetzlicher Offenlegungsverpflichtung aber alle gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtmitteilungen an die Aktionäre und die Öffentlichkeit verstanden werden. Der weitaus größte Teil der gesetzlichen Regelungen zu Unternehmenskontrolle und Offenlegungsverpflichtungen findet sich für die Zeit von 1870 bis 1937 in der Reichsgesetzgebung über Aktiengesellschaften (AG) und Komman­ ditgesellschaften auf Aktien (KGaA). Bis 1937 waren die Vorschriften über die beiden Gesellschaftsformen im Handelsgesetzbuch kodifiziert. Von dieser Tradition wurde erstmals in den 1930er Jahren durch eine Notverordnung des Reichspräsidenten abgewichen. Mit dem Aktiengesetz vom 1. Januar 1937 wurde das Aktienrecht vollständig aus dem Handelsgesetzbuch gelöst und in einem eigenständigen Gesetzbuch kodifiziert. Insgesamt lassen sich im Untersuchungszeitraum fünf wichtige Reformen ausmachen. Den Beginn macht die Novelle zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB) vom 11. Juni 18702, die das bis dahin weit verbreitete Konzessionssystem abschaffte und an dessen Stelle ein System von Normen und Schutzvorschriften setzte und somit die Grundlage für das System der Unternehmenskontrolle im Kaiserreich legte. Das so geschaffene System wurde im Kaiserreich noch zweimal reformiert. Im Jahr 1884 wurden die Normativbestimmungen, die sich in der Gründerkrise von 1873 als unzureichend erwiesen hatten, grundlegend erweitert und ergänzt.3 Das am 1. Januar 1900 in Kraft getretene Handelsgesetzbuch (HGB) enthielt ebenfalls einige Abänderungen und Ergänzungen.4 Nach der Jahrhundertwende setzte eine sich nach dem Ersten Weltkrieg beschleunigende, vom Gesetzgeber so nicht erwartete wilde Weiterentwicklung des Aktienrechts ein, die erhebliche Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Kontrollrechte und der Offenlegung hatte.5 Der Gesetzgeber reagierte Ende der 1920er Jahre mit den Bemühungen um eine Reform des Aktienrechts, die in der Weimarer Republik jedoch nicht zum Abschluss gebracht werden konnte.6 Teile der geplanten Reform wurden allerdings vor dem Hintergrund der Bankenkrise im Jahr 1931 durch eine Notverordnung des Reichspräsidenten umgesetzt.7 Nach der Machtübernahme der

2 Norddeutscher Bund, Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, in: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1870 Heft 21 (25.06.1870). 3 Deutsches Reich, Aktienrechtsnovelle 1884, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1884 Heft 22 (31.07.1884). 4 Deutsches Reich, Handelsgesetzbuch 1897, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1897 Heft 23 (21.05.1897). 5 Spindler; Bayer u. Engelke. 6 Schubert, Aktienrechtsreform; Ders., Weimarer Republik. 7 Deutsches Reich, Verordnung des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über die Steueramnestie, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1931 Heft 63 (19.09.1931).

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Nationalsozialisten ruhte die Gesetzgebung zunächst.8 Im Jahr 1935 wurden die Reformarbeiten im Reichsjustizministerium wieder aufgenommen und Ende 1936 zum Abschluss gebracht, so dass das Reichskabinett das neue Aktiengesetz Ende Januar 1937 verabschieden konnte.9

1.1 Unternehmenskontrolle und Offenlegungsverpflichtungen im Deutschen Kaiserreich Bis zum Jahr 1870 galt in den meisten deutschen Staaten, darunter Preußen, eine Konzessionspflicht für Aktiengesellschaften.10 Sollte eine Aktiengesellschaft neu errichtet werden, musste zunächst der Gesellschaftsvertrag durch eine staatliche Stelle genehmigt werden. Gegen Ende der 1860er Jahre erwies sich dieses System immer mehr als zu umständlich. Aufgrund der anziehenden Konjunktur wurden vermehrt Anträge auf Erteilung einer Konzession zum Betrieb einer Aktiengesellschaft gestellt. Die Genehmigungsverfahren zogen sich daher in die Länge. Zudem bot auch die staatliche Kontrolle der Gründungsstatuten keine Garantie für die Solidität der Gesellschaft. Darüber hinaus befürchteten die Regierungen, die amtliche Prüfung der Statuten könnte die Aktionäre dazu verleiten, auf eine eigene Prüfung der Gesellschaft zu verzichten.11 Gegen Ende der 1860er Jahre wurde eine Reform des Aktienrechts auf Bundesebene daher immer drängender. Im Jahr 1870 hob der Norddeutsche Bund per Gesetz vom 11. Juni die Konzessionspflicht für Aktiengesellschaften auf.12 An Stelle der staatlichen Prüfung setzte das Gesetz Schutzvorschriften, die es den Aktionären erlauben sollten, den Gründungshergang und die Geschäftsführung der Gesellschaft selbstständig zu kontrollieren. Dazu gehörten Regeln für die Gründung einer Aktiengesellschaft und die Schaffung eines Aufsichtsrats, der den Vorstand in seiner Tätigkeit überwachen sollte. Daneben wurden Vorschriften über die Aufbringung des Grundkapitals, die Erstellung der Bilanz sowie der Gewinn-

8 Schubert u. a., S. XL–L. 9 Deutsches Reich, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz), in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1937 Heft 15 (04.02.1937). 10 Seit den 1860er Jahren war die Konzessionspflicht lediglich in Anhalt, Baden, den Hansestädten, Oldenburg, Sachsen und Württemberg aufgehoben. Siehe Reich, Entwicklung, S. 261–262. 11 Baltzer, Spekulation, S. 96–98. 12 Norddeutscher Bund, Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, in: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1870 Heft 21 (25.06.1870). Neben den hier angeführten Überlegungen spielten auch der Rechtsvergleich mit den modernen Volkswirtschaften Englands und Frankreichs sowie der liberale Zeitgeist, der die volle Vertragsfreiheit propagierte, eine Rolle für das preußische Handelsministerium. Siehe Baltzer, Spekulation, S. 96–98.

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und Verlustrechnung und über die straf- und zivilrechtliche Haftung der Gesellschaftsorgane eingeführt.13 Das deutsche Aktienrecht in der Fassung von 1870 baute auf dem liberalen Prinzip der Vertragsfreiheit auf und enthielt daher in Bezug auf die Verteilung und Einschränkung von Entscheidungskompetenzen noch recht wenige Bestimmungen.14 De jure lag der Schwerpunkt der Entscheidungskompetenz bei der Generalversammlung und damit bei den Aktionären der Gesellschaft. Diese hatten über Auflösung und Fortführung des Unternehmens sowie über Änderungen des Gesellschaftsvertrags, wozu auch Kapitalerhöhungen und -herabsetzungen zu zählen sind, zu entscheiden.15 Auch in Bezug auf die Geschäftsführung machte das Gesetz in der Fassung von 1870 die durch die Generalversammlung vertretenen Aktionäre zum Prinzipal, indem es ihnen das Recht auf die Geschäftsführung zusprach und der Generalversammlung gestattete, die Kompetenzen des Vorstands auf bestimmte Felder einzugrenzen.16 Die Generalversammlung sollte zudem über die Prüfung und Annahme der Bilanz sowie über die Gewinnverteilung entscheiden.17 Die Machtstellung der Generalversammlung kommt auch durch ihre Befugnis zum Ausdruck, den Aufsichtsrat zu wählen, der seinerseits den Vorstand bestimmte. Auch die direkte Berufung des Vorstands durch die Generalversammlung war möglich.18 Darüber hinaus war der Vorstand Dritten gegenüber, also auch Aktionären, zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er die ihm von Generalversammlung oder Gesellschafts­ vertrag gesetzten Grenzen überschritt.19 Die Hauptaufgabe des aus den Reihen der Aktionäre zu wählenden Aufsichtsrats war die Kontrolle der Geschäftsführung des Vorstands.20 Zudem sollte er die Aktionäre über die Vorgänge innerhalb des Unternehmens informieren.21

13 Norddeutscher Bund, Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, in: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1870 Heft 21 (25.06.1870). Einen Überblick über die Gesetzgebung geben auch: Baltzer, Spekulation; Lieder, Aktienrechtsnovelle und Reich, Entwicklung. 14 Burhop, Governance, S. 572; Lieder, Aktienrechtsnovelle, S. 320–321. 15 Norddeutscher Bund, Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, in: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1870 Heft 21 (25.06.1870), Art. 214. 16 Ebd., Art. 224, 231. Die Begrenzungen des Handlungsspielraums des Vorstands galten nur im Innenverhältnis. Gegenüber Dritten, bspw. Geschäftspartnern und Kunden, blieb der Vorstand voll vertretungsberechtigt. 17 Ebd., Art. 224. 18 Ebd., Art. 209. Das Gesetz stellte es den Gesellschaftsstatuten frei, Bestimmungen über die Art und Weise zu treffen, wie der Vorstand gewählt werden sollte. 19 Ebd., Art. 241. Dies galt explizit für den Fall, dass der Vorstand Dividenden oder Zinsen verteilte, die nicht mehr durch den Gewinn gedeckt waren, sowie wenn er weiterhin Zahlungen anwies, obwohl ihm die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft bereits bekannt war. 20 Ebd., Art. 209, 225. 21 Burhop, Governance, S. 578

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Die Vorschriften der Aktienrechtsnovelle von 1870 waren in vielen Punkten jedoch nicht bindend für die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags. Die gesellschaftsrechtliche Vertragsfreiheit war daher kaum eingeschränkt. In der Praxis machten viele Unternehmen von dieser Vertragsfreiheit Gebrauch und installierten den Aufsichtsrat als das eigentliche Machtzentrum der Gesellschaft.22 Ermöglicht wurde die Ausschaltung der freien Aktionäre durch die vom Gesetz gestattete Übertragung wichtiger Kompetenzen der Generalversammlung wie die Entscheidung über Statutenänderungen und insbesondere Kapitalerhö­ hungen an den Aufsichtsrat.23 Das Gesetz erlaubte auch einen Passus in den Gesellschaftsverträgen, der eine Weisungsbefugnis des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand statuierte. Der Aufsichtsrat eignete sich auch deswegen so gut als Herrschaftsvehikel, da er sich faktisch selbst kooptieren und nicht durch die Aktionäre abgewählt werden konnte. Zwar war er durch die Aktionäre zu wählen. Diese Bestimmung konnte aber leicht umgangen werden, indem die Gründer die Wahl des Aufsichtsrats vor dem Börsengang vornahmen. Da der Aufsichtsrat oft nur indirekt mit Hilfe von Weisungen die strategischen Entscheidungen der Gesellschaft beeinflusste, war auch nicht er, sondern der Vorstand für die Konsequenzen der Handlung haftbar zu machen.24 Die Haftung gegenüber den Aktionären und Gläubigern konnte sogar ganz ausgeschaltet werden, wenn der Aufsichtsrat vertretungsweise eine Vorstandsposition übernahm; denn nur der Vorstand, nicht aber der diesen vertretende Aufsichtsrat war von den Haftungsregeln betroffen. Faktisch wurde so der Aufsichtsrat zum entscheidenden Gremium in der Aktiengesellschaft der 1870er Jahre. Die vorgesehenen Kontrollpflichten des Aufsichtsrats wurden zur Makulatur, musste doch der Aufsichtsrat seine eigene Geschäftstätigkeit kontrollieren.25 Hinzu kam, dass die Kontrollpflicht im Gesetz so formuliert war, als beschränke sich die Verpflichtung zur Kontrolle nur auf die Prüfung der Bilanz und die Vorschläge zur Gewinnverteilung und nicht auf die allgemeine Geschäftsführung.26 22 Burhop, Banken, S. 3; Fohlin, History, S. 227–231; Horn, S. 145–146, 150–153; Kocka u. Siegrist, S. 64–79; Lieder, Aktienrechtsnovelle, S. 360–364; Pohl, Leitung, S. 165–167. Es gab allerdings auch Unternehmen, bei denen eine größere Entscheidungskompetenz beim Vorstand lag. Siehe Horn, S. 145; Königreich Preußen, Antrag. 23 Vgl. Burhop, Governance, S. 578–579; Lieder, Aktienrechtsnovelle, S. 360–364. Die Aussagen Burhops beruhen auf einer Analyse der Statuten von ca. 200 Banken im Jahr 1872. Lieder stützt seine Ergebnisse auf zeitgenössisches, überwiegend juristisches Schriftgut. 24 Burhop, Governance, S. 579. 25 Wenn ein Aufsichtsratsmitglied einen Vorstandsposten übernahm, ruhte dessen Mandat. Die personellen Ressourcen des Aufsichtsrats zur Kontrolle des Vorstands wurden somit geschwächt. Siehe: Ebd. 26 Artikel 225a lautete: »Der Aufsichtsrath überwacht die Geschäftsführung der Gesellschaft in allen Zweigen der Verwaltung, er kann sich von dem Gange der Angelegenheiten der Gesellschaft unterrichten, die Bücher und Schriften derselben jederzeit einsehen und den Bestand der Gesellschaftskasse untersuchen. Er hat die Jahresrechnungen, die Bilanzen und die Vorschläge zur Gewinnvertheilung zu prüfen und darüber alljährlich der Generalversammlung der Aktionaire Bericht zu erstatten. Er hat eine Generalversammlung zu berufen, wenn dies im Interesse der Gesellschaft erforderlich ist.«

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Die Generalversammlung der Aktionäre spielte daher zu keiner Zeit die ihr vom Gesetzgeber zugedachte Rolle. Dies lag auch an der Einschränkung der Stimmrechte der Aktionäre und deren Beteiligungsmöglichkeiten an der Entscheidung über die Gewinnverteilung. Die Aktienrechtsnovelle von 1870 sah als Standard eine »one share – one vote« Regelung vor.27 Von dieser konnte der Gesellschaftsvertrag aber abweichen. Nach Berechnungen von Carsten Burhop war dies bei mehr als 90 Prozent aller 202 von ihm untersuchten Aktiengesellschaften der Fall.28 In der Regel machten die Statuten das Stimmrecht von einer Mindestzahl an Aktien abhängig; es wurde aber auch nach oben begrenzt, so dass auch Großaktionäre, die nicht in die Geschäftsführung eingebunden waren, nur einen geringen Einfluss auf die Leitung der Gesellschaft nehmen konnten.29 Eine andere Möglichkeit, die Beteiligung der freien Aktionäre an den strategischen Entscheidungen der Gesellschaften zu reduzieren, bestand darin, die Teilnahme an der Generalversammlung von der Hinterlegung der Aktien abhängig zu machen und gleichzeitig die Versammlung so spät zu berufen, dass für die Hinterlegung nur sehr wenig oder gar keine Zeit blieb.30 Im Normalfall wurde die Generalversammlung durch den Vorstand einberufen.31 Das Gesetz billigte dieses Recht jedoch auch einer Minderheit von zehn Prozent des Aktienkapitals zu.32 Aber auch hier wurde die Umgehung durch den Gesellschaftsvertrag explizit durch das Gesetz gebilligt.33 Bezüglich der Gewinnverteilung ließ das Gesetz in der Fassung von 1870 den Gesellschaften großen Spielraum. So existierten keine Regelungen zur Hierarchisierung der den Aktionären (in Form von Dividenden), der Gesellschaft (in Form von Reserven), dem Aufsichtsrat und dem Vorstand (jeweils in Form von Bonuszahlungen) zustehenden Gewinnbeteiligungen. Auch die Frage, ob überschüssige Gewinne automatisch unter die Aktionäre verteilt werden sollten,

27 Norddeutscher Bund, Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, in: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1870 Heft 21 (25.06.1870), Art. 224. 28 Burhop, Governance, S. 576. 29 Siehe: Ebd. Eine solche Beschränkung des Stimmrechts nach unten sowie nach oben war seit der Jahrhundertmitte üblich. Siehe: Dunlavy u. Welskopp, S. 55–56, sowie Dunlavy, S. 84. 30 Burhop, Governance, S. 576. Im Falle des von Burhop untersuchten Banken-Samples gewährten die Gesellschaften im Durchschnitt 11 Tage für die Hinterlegung. Dabei gab es aber auch negative Beobachtungen, d. h. einige Banken machten die Teilnahme an der Generalversammlung von einer Hinterlegung vor der Ankündigung der Versammlung abhängig. In diesen Fällen konnten nur Insider oder Aktionäre, die ihre Aktien dauerhaft hinterlegten, an der Generalversammlung teilnehmen. 31 Norddeutscher Bund, Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, in: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1870 Heft 21 (25.06.1870), Art 236. 32 Ebd., Art. 237. 33 Burhop, Governance, S. 576. Burhop berechnet für sein Sample ein durchschnittliches Quorum von 16 Prozent.

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oder ob eine andere Regelung greifen sollte, wurde den Statuten überlassen.34 Daneben konnten sich die Gründer in den Statuten Sonderrechte für ihre Aktien gewähren lassen.35 Zudem fehlten detaillierte Bilanzierungsregeln, die den Spielraum der Verwaltung zur Bildung und Auflösung stiller Reserven eingeschränkt hätten.36 Den Aktionären stand lediglich das Recht auf Prüfung der Bilanz zu.37 Hierzu wurden von der Generalversammlung Buchprüfer gewählt. Das Gesellschaftsstatut konnte das Recht der Buchprüfung aber auch an den Aufsichtsrat übertragen, wovon nicht wenige Gesellschaften Gebrauch machten.38 Eine verpflichtende externe Wirtschaftsprüfung durch von der Generalversammlung gewählte Buchprüfer existierte somit nicht.39 Auch im Bereich der Offenlegung gab es nur sehr wenige Vorschriften, die leicht umgangen werden konnten. Zum einen führte das Gesetz von 1870 eine Veröffentlichungspflicht der Bilanz ein.40 Aber auch hier blieb ein großer Handlungsspielraum der Gesellschaft gewahrt. Die Unternehmen konnten nämlich in den Statuten festlegen, in welchen Blättern sie die Bilanz veröffentlichen wollten.41 Dabei konnte es sich auch um wenig gelesene und schwer zu beziehende Veröffentlichungsorgane handeln.42 Zum anderen führte das Gesetz von 1870 als weitere wichtige Neuerung im Fall der Einbringung nicht barer Vermögens34 Ebd., S. 577. Die Regelungen in den Statuten waren in der Regel wohl recht aktionärsfreundlich. So hatten 174 der 202 von Burhop untersuchten Banken folgende Regelung zur Gewinnverteilung: Zunächst bezogen die Aktionäre im Durchschnitt 4 Prozent Dividende, dann wurde der Reservefonds der Gesellschaft bedient (ca. 9 Prozent), danach erhielten die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats eine Bonuszahlung in durchschnittlicher Höhe von 11.2 bzw. 8.9 Prozent. Eine automatische Verteilung der überschüssigen Gewinne an die Aktionäre war in 74 Prozent aller Statuten verankert. In 41 Prozent der Fälle hatten die Aktionäre über die Verteilung der überschüssigen Gewinne abzustimmen. 35 Lieder, Aktienrechtsnovelle, S. 351. 36 Ebd., S. 365–367. 37 Norddeutscher Bund, Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, in: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1870 Heft 21 (25.06.1870), Art. 224. 38 Burhop, Governance, S. 577. In dem von Burhop untersuchten Bankensample schlossen 45 Prozent aller Gesellschaften das Recht der Aktionäre zur Bestimmung der Bilanzprüfer aus. 39 Für einen Überblick über die Entwicklung der Wirtschaftsprüfung in Deutschland vgl. Henning, Unternehmensprüfung und List. 40 Norddeutscher Bund, Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, in: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1870 Heft 21 (25.06.1870), Art. 239. 41 Ebd., Art. 209. 42 Auch hier hat Burhop für sein Bankensample den Anteil der Gesellschaften berechnet, die im Jahr 1872 ihre Bilanzen landesweit verfügbaren Zeitschriften veröffentlicht wurden. Der Anteil lag bei 72 Prozent, mehr als ein Viertel aller untersuchten Gesellschaften versuchte also eine allzu weitgehende Publizität zu vermeiden. Als landesweit verfügbare Zeitungen definiert Burhop den Preußischen Staatsanzeiger, die Berliner Börsenzeitung, die Norddeutsche Allgemeine Zeitung und die Frankfurter Zeitung. Burhop, Governance, S. 578.

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stücke gegen Aktien oder Bargeld bei der Gründung (sog. »qualifizierte Gründung«) die Offenlegung der Zahl der dafür ausgegebenen Aktien beziehungsweise des Übernahmepreises ein.43 Aber auch hier waren die Schutzvorschriften nicht ausreichend, um spätere Aktionäre vor einer Übervorteilung durch die Gründer zu bewahren. In vielen Fällen wurden Vermögensgegenstände zu deutlich überhöhten Preisen in die Gesellschaft eingebracht.44 Dies war möglich, weil die Gründer die Übernahmepreise nicht rechtfertigen mussten. Auch fehlte es an einer Prüfung durch Sachverständige, auf die man trotz Beispielen aus England und Frankreich verzichtet hatte.45 Das grundsätzliche Problem des Gesetzes von 1870 bestand somit darin, dass zwar Standards gesetzt worden waren, diese aber durch den Gesellschaftsvertrag wieder außer Kraft gesetzt beziehungsweise anderweitig umgangen werden konnten. Von dieser Möglichkeit wurde vielfach Gebrauch gemacht. Der vom Gesetzgeber vorgesehene Schutz der freien Aktionäre konnte so nicht erreicht werden. Das Ziel der Aktienrechtsreform von 1884 war es, diese Mängel zu beseitigen. Das Aktiengesetz in der Fassung vom 18. Juli 188446 setzte den 1870 begonnenen Weg konsequent fort. Im Vergleich zu 1870 schränkte es jedoch die Vertragsfreiheit der Gesellschafter stärker ein und machte deutlich mehr bindende Vorschriften. Dabei ging es dem Gesetzgeber darum, die Kompetenzen der Gesellschaftsorgane genauer gegeneinander abzugrenzen und die Kontrollbefugnisse der Aktionäre zu erhöhen.47 Als neues Element kamen Regelungen zum Minderheitenschutz hinzu. Auch die Offenlegung sollte verbessert werden. Wichtigstes Ziel des Gesetzes war es jedoch, den Gründungshergang neu zu regeln und die Kapitalaufbringung der neuen Gesellschaft zu sichern.48 Auf diesen Gebieten waren unmittelbar nach der Freigabe der Gründung im Jahr 1870 Missstände zu Tage getreten, die schon den Zeitgenossen als eine der Ursachen für die Gründerkrise des Jahres 1873 galten.49 Fehlende Offenlegungsvorschriften und schwacher gesetzlicher Aktionärsschutz ermöglichten die Gründung 43 Norddeutscher Bund, Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, in: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1870 Heft 21 (25.06.1870), Art. 209b. 44 Behrend; Glagau, Berlin; Glagau, Deutschland; Goldschmidt; Reich, Entwicklung, S. 268– 269; Reichsoberhandelsgericht. Eine sehr detaillierte Schilderung von Missbräuchen findet sich auch in dem Bericht des Berliner Polizeipräsidenten an das preußische Ministerium für Handel und Gewerbe vom 27.11.1881, in: BArch, R 3001/2866. 45 Baltzer, Spekulation, S. 98–103; Reich, Entwicklung, S. 267–268. 46 Deutsches Reich, Aktienrechtsnovelle 1884, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1884 Heft 22 (31.07.1884). 47 Deutscher Reichstag, Drucksachen 1884, Drucksache 21, S. 245. 48 Ebd. 49 Baltzer, Spekulation, S. 98–103. Als weitere Ursachen werden in der Literatur die Nationalstaatsgründung und die hohe Marktliquidität als Folge der französischen Reparationszahlungen genannt. Allgemein zur Gründerkrise vgl. auch Baltzer, Kapitalmarkt; Burhop, Kreditbanken, S. 23–34; Weigt.

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zahlreicher spekulativer, unterfinanzierter Gesellschaften ohne werthaltiges Geschäftsmodell, deren Aktien mit großem Gewinn beim Publikum untergebracht werden konnten. Über die Besetzung des Aufsichtsrats sicherten sich die Gründer zudem auch für die Zeit nach der Emission der Aktien die Kontrolle über die Aktiengesellschaft und damit verbundene Sondervorteile. Aufgrund der unzureichenden Zuordnung von Haftungsbestimmungen stellte ein solches Vorgehen für die Gründer und Aufsichtsräte dieser Gesellschaften fast kein Risiko dar.50 Auf diese Weise befeuerte das Gesetz aus dem Jahr 1870 eine Spekulationsblase, die dann Ende 1872 platzte und zu einem bis Mitte 1878 anhaltendem Kursverfall am Berliner Aktienmarkt führte.51 Die Zahl der neugegründeten, an der Berliner Börse gelisteten Gesellschaften stieg von 32 im Jahr 1870 auf 140 im Jahr 1871 und 275 im Jahr 1872.52 Die Zahl der an der Berliner Börse gelisteten Aktiengesellschaften sprang folglich von 200 Gesellschaften am Jahresende 1870 auf 631 Gesellschaften am Jahresende 1873. Insgesamt flossen dem Berliner Kapitalmarkt zwischen 1870 und 1873 etwas über eine Milliarde Taler zu. Nach 1873 nahm die Zahl der Neugründungen deutlich ab; zwischen 1874 und 1880 wurden lediglich 32 Gesellschaften an die Berliner Börse gebracht, und die Summe der Kapitalzuflüsse fiel auf etwas mehr als 250 Millionen Taler – in etwa einem Viertel des Wertes der Jahre 1870–1873. Im Gegenzug stieg die Zahl der Liquidationen rasch an. Wurden zwischen 1870 und 1872 lediglich drei Gesellschaften liquidiert, stieg die Zahl der Geschäftsauflösungen über 28 im Jahr 1873 auf 46 beziehungsweise 47 in den Jahren 1874 und 1875. Die Zahl der Liquidationen blieb in den folgenden Jahren hoch; bis 1878 wurden im Durchschnitt 38 Gesellschaften aufgelöst, so dass Ende 1878 nur noch 454 Aktiengesellschaften an der Berliner Börse gelistet waren. In nur acht Jahren waren somit knapp 200 Aktiengesellschaften vom Berliner Kapitalmarkt verschwunden; gleichzeitig sanken die Geldzuflüsse auf ein Viertel des Wertes der Boomjahre. Es scheint daher nicht übertrieben, von einem Austrocknen des Kapitalmarkts in den 1870er Jahren zu sprechen, das den Gesetzgeber zwang, regulatorisch tätig zu werden.53 Das Aktiengesetz von 1884 baute die Kompetenzen der Aktionäre aus und beschränkte die Macht des Aufsichtsrats und des Vorstands. Die Befugnis, über eine Änderung der Statuten und insbesondere eine Kapitalerhöhung zu entschei-

50 Behrend, S. 37–47. 51 Baltzer, Kapitalmarkt, S. 20–22. 52 Zahlen bei: Baltzer, Spekulation, S. 100. Weigt, S. 33–39, präsentiert abweichende Zahlen der an der Berliner Börse notierten Aktiengesellschaften und Neugründungen. Die Zahlen unterscheiden sich aber nur im Niveau von denen Baltzers, die Trendbewegungen gleichen sich. Der Unterschied der beiden Reihen rührt wohl daher, dass Weigt nur Unternehmen berücksichtigt, deren Kurse in den einschlägigen Blättern veröffentlicht wurden, während Baltzers Datensatz auf einer Vollerhebung der in Saling’s Börsenpapieren gelisteten Aktiengesellschaften beruht. 53 Baltzer, Spekulation.

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den, wurde zu einem unentziehbaren Recht der Generalversammlung erklärt.54 In den Aufsichtsrat konnten nun auch Nicht-Aktionäre gewählt werden, was zumindest theoretisch die Wahl unabhängiger Kontrolleure zuließ.55 Zudem konnte die Generalversammlung ein Aufsichtsratsmitglied jederzeit mit einer Dreiviertelmehrheit abwählen.56 Die Übernahme eines Vorstandspostens durch ein Mitglied des Aufsichtsrats wurde grundsätzlich untersagt und nur für zeitlich begrenzte, kurzfristige Vertretungsfälle zugelassen.57 Für das vertretende Aufsichtsratsmitglied galten in diesem Fall die gleichen Einschränkungen und Haftungsregeln wie für ein ordentliches Vorstandsmitglied. Indem das Gesetz den Aufsichtsrat nun explizit zur Kontrolle der Geschäfts­ führung des Vorstands verpflichtete und ihm bei der Einhaltung dieser Pflicht die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes auferlegte, wurde gleich­ zeitig die Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats gegenüber den Aktionären verschärft.58 Analog zu den Bestimmungen über die Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats wurde auch der Vorstand zur Einhaltung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes verpflichtet.59 Schadensersatzansprüche der Aktionäre gegenüber dem Aufsichtsrat und dem Vorstand konnten mit einfacher Stimmenmehrheit geltend gemacht werden.60 Auch Gläubiger waren berechtigt, gegenüber den beiden Gremien auf Schadensersatz zu klagen.61 Durch diese beiden Bestimmungen vereinfachte die Aktienrechtsnovelle von 1884 die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch Aktionäre und Gläubiger. Zusammen mit gestiegenen Strafandrohungen62 übte die verschärfte zivilrechtliche Haftung einen Druck auf Aufsichtsrat und Vorstand aus, die ihnen vom Gesetz auferlegten Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft und ihren Aktionären einzuhalten. Die Stärkung der Generalversammlung gegenüber Aufsichtsrat und Vorstand stand zwar in der Tradition der Novelle von 1870, die die Generalversammlung als den Prinzipal des Aufsichtsrats und des Vorstands konstruiert hatte. Das Gesetz von 1884 durchbrach diese Konstruktion aber in einem wichtigen Punkt, indem es Individual- und Minderheitenrechte als schützenwertes Gut anerkannte. Ein einzelner Aktionär konnte nun gegen einen Generalversammlungsbeschluss klagen, sofern dieser gegen das Gesetz oder den Gesellschafts54 Deutsches Reich, Aktienrechtsnovelle 1884, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1884 Heft 22 (31.07.1884), Art. 215, 215a, 242, 248. 55 Ebd., Art. 191. 56 Ebd. 57 Ebd., Art. 225a. 58 Ebd., Art. 226. 59 Ebd., Art. 241. 60 Ebd., Art. 223. 61 Ebd., Art. 226 u. 241. 62 Ebd., Art. 249, 249b, u. 249c. Das Gesetz vom 18.07.1884 führte neue Straftatbestände ein und erhöhte die Gefängnisstrafen von drei Monaten auf bis zu ein Jahr. Neu eingeführt wurden auch Geldstrafen, die bis zu 20.000 Mark betragen konnten.

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vertrag verstieß.63 Zudem war eine Minderheit, die zehn Prozent des Grundkapitals besitzen musste, berechtigt, eine Sonderprüfung über nicht länger als zwei Jahre zurückliegende Hergänge bei der Geschäftsführung zu verlangen.64 Komplementär dazu konnte eine Minderheit von 20 Prozent des Grundkapitals die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Aufsichtsrat und Vorstand erzwingen.65 Die Einführung von Minderheitenrechten stärkte die Position der freien Aktionäre gegenüber der Unternehmensleitung zusätzlich. Dies gilt umso mehr, als im 19. Jahrhundert die Unternehmensleitung meist in den Händen eines oder einiger weniger Großaktionäre lag.66 Um einen Missbrauch dieser Minderheitenrechte zu Ungunsten der anderen Aktionäre sowie des Aufsichtsrats und des Vorstands zu verhindern, führte das Gesetz mehrere Schutzmaßnahmen ein, die einen solchen Missbrauch unattraktiv machen sollten. Einzelaktionäre und Minderheiten, die grundlos und mit schädigender Absicht von ihren Rechten Gebrauch machten, waren der Gesellschaft zu Schadensersatz verpflichtet.67 Um sicherzustellen, dass der Schadensersatzanspruch bedient wurde, mussten die Aktionäre bei Gericht eine von diesem festzulegende Sicherheitsleistung deponieren. Zudem hatten Einzelaktionäre beziehungsweise die Minderheit nachzuweisen, dass die Aktien seit mindestens sechs Monaten in ihrem Besitz waren. Für die Dauer des Prozesses beziehungsweise der Untersuchung waren die Aktien darüber hinaus bei Gericht zu hinterlegen.68 Hier wurde also gewissermaßen vom Gesetzgeber anerkannt, dass es sich auch bei der Gesellschaft an sich um ein schützenswertes Rechtsgut handelte. Indem das Gesetz der Generalversammlung, Einzelaktionären und Minderheiten mehr Kompetenzen zusprach und die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Aufsichtsrat und Vorstand erleichterte, stärkte es die Machtposition der Aktionäre.69 Das dem Gesetz immanente Ziel, die Ge63 Ebd., Art. 222 u. 190a. Nach der allgemeinen Rechtsauffassung stand dieses Recht den Aktionären schon vor 1884 zu. Das Gesetz vom 18.07.1884 formulierte diesen Rechtsanspruch allerdings das erste Mal explizit. 64 Ebd., Art. 222a. Die Revisoren wurden durch das Gericht bestellt. 65 Ebd., Art. 223. Die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches musste vorher von der Generalversammlung verweigert worden sein. 66 Franks u. a., S. 565–568; Kocka u. Siegrist, S. 64–79; Pross, S. 65–68. Den Schlussfolgerungen von Franks, Mayer und Wagner liegt eine Stichprobe über die Besitzverhältnisse von an den Börsen Frankfurt und München gelisteten Aktiengesellschaften zu Grunde. Die Aussagen von Pross sowie von Kocka und Siegrist basieren auf der Lektüre zeitgenössischer Literatur. 67 Deutsches Reich, Aktienrechtsnovelle 1884, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1884 Heft 22 (31.07.1884), Art. 190a, b, 222a u. 223. 68 Die Anfechtung eines Generalversammlungsbeschlusses durch einen Einzelaktionär war zudem nur möglich, wenn der klagende Aktionär auf der Generalversammlung anwesend gewesen war und dort seinen Widerspruch gegen den Beschluss zu Protokoll gegeben hatte oder, wenn er unrechtmäßig nicht zur Generalversammlung zugelassen worden war. 69 Lieder, Aufsichtsrat, S. 186, betont dagegen, das die Ausweitung der Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats kaum einen Effekt auf die Unternehmenspraxis hatte, da den Minderheitenrechten auf Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zu hohe Hürden entgegen-

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neralversammlung als den Prinzipal des Aufsichtsrats und des Vorstands zu etablieren, wurde allerdings nicht konsequent zu Ende geführt. So konnten die Statuten dem Aufsichtsrat weiterhin bestimmte strategische Entscheidungen übertragen. Zudem verbot das Gesetz nicht, dem Aufsichtsrat eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Vorstand einzuräumen. Der Aufsichtsrat war damit nicht auf eine reine Überwachungstätigkeit im Auftrag der Generalversammlung beschränkt; er blieb Leitungsorgan, das unabhängig von den in der Generalversammlung vertretenen freien Aktionären strategische Ziele formulieren und deren Umsetzung durch den Vorstand überwachen konnte.70 Allerdings trug der Aufsichtsrat nun eine größere Verantwortung für sein Handeln.71 Das Ziel des Gesetzes, die Position der Aktionäre zu stärken, spiegelte sich auch in der Weiterentwicklung des Stimmrechts wider. Die Bestimmung, nach der das Statut die Ausübung des Stimmrechts an eine Mindestzahl von Aktien binden konnte, wurde gestrichen.72 Das Stimmrecht des Aufsichtsrats und des Vorstands, sofern diese Aktionäre waren, wurde hingegen geschwächt: Bei der Abstimmung über ihre Entlastung ruhte ihr Stimmrecht.73 Auch die Teilnahmemöglichkeit der Aktionäre an der Generalversammlung wurde vereinfacht. Die Generalversammlung musste zwei Wochen im Voraus angekündigt werden.74 War die Teilnahme an die Hinterlegung der Aktien gebunden, musste die Generalversammlung so zeitlich angekündigt werden, dass dem Aktionär zur Hinterlegung der Aktien bei der Gesellschaft mindestens zwei Wochen Zeit blieben. Zudem regelte das Gesetz erstmals die Vertretungsbefugnis. Aktionären war es erlaubt, ihre Stimme einem Vertreter zu übertragen,75 was die Bündelung von verstreuten Einzelstimmen theoretisch möglich machte.76 Das Recht einer Minderheit, eine Generalversammlung einberufen zu können beziehungsweise standen. Die Aussagen Lieders basieren auf der zeitgenössischen Literatur um die Jahrhundertwende, eine moderne, quellengestützte unternehmenshistorische Studie, die die Auswirkung von Corporate Governance Regeln auf die internen Strukturen und Machtverhältnisse zum Thema hat, existiert derzeit noch nicht. 70 Horn, S. 145–146. Damit wurde auch das für Deutschland typische System der Zweiteilung der Unternehmensführung festgeschrieben. 71 Faktisch bildete der Aufsichtsrat in vielen Gesellschaften auch nach der Novelle von 1884 das Machtzentrum. Burhop, Banken, S. 7; Pohl, Leitung, S. 165–167. Hierin erkannten schon einige zeitgenössische Kommentatoren, wie Esser, einen Konstruktionsfehler des Gesetzes. Lieder, Aufsichtsrat, S. 177–178, stimmt dem zu. 72 Deutsches Reich, Aktienrechtsnovelle 1884, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1884 Heft 22 (31.07.1884), Art. 190. Die Festlegung einer Maximalzahl von Stimmen war weiterhin möglich. 73 Ebd. Die gleiche Regelung griff, wenn die Generalversammlung über eine Rechtshandlung mit einem Aktionär der Gesellschaft abstimmte. 74 Ebd., Art. 238. 75 Ebd., Art. 190. Zur Vertretung war die schriftliche Vollmacht des Aktieninhabers notwendig. 76 Ziel des Gesetzes war es, die bestehende, unkontrollierte Praxis der Aktienleihe zur Durchsetzung von Lenkungsansprüchen in der Generalversammlung transparenter zu gestalten. Vgl. Deutscher Reichstag, Drucksachen 1884, Drucksache 21, S. 294.

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die Tagesordnung einer bereits berufenen Versammlung zu ergänzen, wurde ebenfalls gestärkt. Das notwendige Quorum wurde von zehn auf fünf Prozent des Grundkapitals herabgesetzt. Das Statut durfte von dieser Regel nicht mehr zu Ungunsten der Minderheit abweichen; niedrigere Voraussetzungen waren dagegen zugelassen.77 Einige wichtige Schlupflöcher des Gesetzes von 1870, die es erlaubt hatten, die Teilnahme der freien Aktionäre an der Generalversammlung zu erschweren und ihr Stimmrecht einzuschränken, wurden somit 1884 geschlossen. Auf dem Feld der Gewinnverteilung griff der Gesetzgeber erstmals in die Hierarchie der Gewinnverteilung ein, indem er allen Gesellschaften die Bildung eines Reservefonds vorschrieb, in den solange fünf Prozent des Jahresgewinns einzuzahlen waren, bis der Fonds eine Größe von zehn Prozent des Grundkapitals besaß.78 Faktisch rückten die Aktionäre dadurch bei der Gewinnverteilung an die zweite Stelle. Andererseits erhöhte der Reservefonds die Stabilität der Gesellschaften und reduzierte für den einzelnen Aktionär so das Risiko des Investments. In eine ähnliche Richtung zielte eine weitere Reform: die Einführung des strengen Niederstwertprinzips.79 Vermögenswerte durften fortan nur noch zu ihrem Börsen- oder Marktwert (dem Zeitwert) beziehungsweise, wenn diese niedriger waren, zum Anschaffungswert oder den Herstellungskosten in die Bilanz eingestellt werden. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass nur tatsächlich erwirtschaftete Gewinne zur Verteilung kamen und die Aktiva der Gesellschaft nicht wissentlich überbewertet wurden.80 Auf der anderen Seite schuf das Gesetz keine Vorkehrung zur Verhinderung der Bildung stiller Reserven.81 In einigen Fällen bestand sogar ein Zwang zur Bildung solcher Reserven – etwa wenn Grundstücke oder Unternehmensbeteiligungen, die über die Jahre an Wert gewonnen hatten, zu ihrem Anschaffungswert angesetzt werden mussten.82 Bezüglich der Kontrolle der Bilanz wurde die Position der Aktionäre gestärkt. Zwar war es weiterhin möglich, die Kontrolle der Bilanz allein dem Aufsichtsrat zu übertragen, die Generalversammlung konnte allerdings mit einfacher Stimmenmehrheit die Vertagung der Verhandlungen über die Bilanz beschließen.83 77 Deutsches Reich, Aktienrechtsnovelle 1884, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1884 Heft 22 (31.07.1884), Art. 237. 78 Ebd., Art. 185b. Außerdem waren in den Fonds alle Gewinne einzustellen, die sich aus der Ausgabe von Aktien über ihrem Nominalwert ergaben. 79 Ebd., Art. 239c. 80 Deutscher Reichstag, Drucksachen 1884, Drucksache 21, S. 303–304. 81 Stille Reserven entstehen, wenn die Schulden des Unternehmens überbewertet beziehungsweise die Vermögenswerte des Unternehmens unterbewertet werden. Im ersten Fall werden beispielsweise fiktive Gläubiger in die Bilanz eingestellt, im zweiten Fall können Abschreibungen angesetzt werden, die die tatsächliche, technische Abnutzungsrate des Maschinenparks oder anderer Vermögenswerte überschreiten. Vgl. hierzu: Spoerer, S. 63–69. 82 Ebd., S. 68. 83 Deutsches Reich, Aktienrechtsnovelle 1884, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1884 Heft 22 (31.07.1884), Art. 239a.

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Das gleiche Recht stand einer Minderheit von zehn Prozent des Grundkapitals zu, sofern die Minderheit hinreichende Gründe anführte. Der Vorstand war dann gezwungen, den bemängelten Bilanzposten zu korrigieren beziehungsweise die Versammlung oder die Minderheit von dessen Richtigkeit zu überzeugen. Auch im Hinblick auf die Veröffentlichung der Bilanz führte das Gesetz eine Erleichterung ein, indem es den Reichsanzeiger als verpflichtendes Publikationsorgan bestimmte. Den Aktionären waren die Bilanzen somit im Vergleich zum Status quo der 1870er Jahre relativ einfach zugänglich. Die lückenhaften Offenlegungsvorschriften im Fall der qualifizierten Gründung wurden ebenfalls reformiert. Die Gründer waren nun verpflichtet, in einem Bericht alle Nebenverträge, die mit der Errichtung der Gesellschaft in Verbindung standen, offenzulegen.84 Dabei hatten sie auch auf die Übernahmepreise von gegen Aktien oder Bargeld übernommene Vermögensgegenstände einzugehen. Der Bericht der Gründer musste von Aufsichtsrat und Vorstand auf Vollständigkeit und Richtigkeit geprüft werden.85 Sollten diese Gremien befangen sein, weil sie selbst zu den Gründern der Gesellschaft gehörten oder der Gesellschaft ein Vermögensstück überlassen hatten, wurde die Prüfung von durch die Handelskammern zu benennenden Sachverständigen durchgeführt. Die Gründer hafteten dabei für die in ihrem Bericht gemachten Angaben.86 Daneben hatten auch Aufsichtsrat und Vorstand sowie die Emittenten der Aktien für die Richtigkeit der Gründerangaben zu bürgen.87 Das Gesetz von 1884 entwickelte also ein umfangreiches System zum Schutz der späteren Aktionäre vor Übervorteilung durch die Gründer der Gesellschaft, das sich auch in der Praxis bewährte.88 Hinzu kamen Offenlegungsvorschriften für die laufende Geschäftsführung. So hatte der Vorstand zusätzlich zur Bilanz eine Gewinn und Verlustrechnung zu präsentieren und einen Bericht zu verfassen, aus dem der Vermögensstand und die allgemeinen Verhältnisse der Gesellschaft zu entnehmen waren.89 Anders als die Aktienrechtsnovelle von 1884 spielte sich die Reform des Aktienrechts im Rahmen der Reform des Handelsgesetzbuchs nicht vor dem Hintergrund einer Finanzmarktkrise, sondern in konjunkturell ruhigem Fahrwasser ab.90 Bei der Reform des Handelsgesetzbuchs handelte es sich um ein lang geplantes Gesetzgebungsvorhaben, das nach langen Vorarbeiten Mitte der 1890er Jahre abgeschlossen werden konnte.91 Da das Aktienrecht im Handelsgesetzbuch kodifiziert war, nutzte der Gesetzgeber die Gelegenheit, um das 84 Ebd., Art. 209g. 85 Ebd., Art. 209h. 86 Ebd., Art. 213a. 87 Ebd., Art. 213b, c. 88 Henning, Handbuch, S. 820–821; Hofer. 89 Deutsches Reich, Aktienrechtsnovelle 1884, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1884 Heft 22 (31.07.1884), Art. 239. 90 Burhop, Wirtschaftsgeschichte, S. 69–74. 91 Zur Reform des Handelsgesetzbuchs Schubert, Quellen, Bd. 1, S. 1–30.

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13 Jahre alte Aktienrecht in einigen reformbedürftigen Punkten vorsichtig zu überarbeiten. Die Reform des Handelsgesetzbuchs brachte somit keine grundlegenden Neuerungen im Investorenschutz.92 Das Gesetz beließ es bei der 1884 festgelegten Machtverteilung zwischen Generalversammlung, Aufsichtsrat und Vorstand. Die Rechte von Aktionärsminderheiten wurden dagegen leicht ausgebaut, an anderer Stelle aber auch zum Schutz der Gesellschaft und deren Leitungsorganen eingeschränkt. Die notwendige Minderheit zur Erzwingung der Geltendmachung von Schadensersatz gegenüber dem Aufsichtsrat und dem Vorstand wurde von 20 Prozent des Grundkapitals auf zehn Prozent reduziert.93 Die Minderheit wurde im Gegenzug allerdings dazu verpflichtet, die Prozesskosten zu tragen und auf Verlangen der beklagten Personen, wegen der diesen drohenden Nachteile, eine Sicherheitsleistung bei Gericht zu hinterlegen. Auch das Anfechtungsrecht des einzelnen Aktionärs wurde zum Schutz der Gesellschaft leicht eingeschränkt. Baute die Klage darauf auf, dass Abschreibungen oder Rückstellungen über das vom Gesetz festgelegte Maß vorgenommen worden waren, die Generalversammlung also den ausschüttbaren Gewinn deutlich zu Gunsten der Bildung stiller Reserven beschränkt hatte, musste der Aktienbesitz des Aktionärs (oder der klagenden Minderheit) mindestens fünf Prozent des Grundkapitals betragen.94 In einer anderen Richtung wurden die Rechte der Aktionärsgesamtheit gestärkt. Im Falle einer Kapitalerhöhung war den Altaktionären eine ihrem Anteil am Grundkapital entsprechende Zahl der neuen Aktien anzubieten, was die Verwässerung des Aktienbesitzes der Alteigentümer reduzieren sollte.95 Die Generalversammlung konnte dieses Bezugsrecht allerdings mit einfacher Stimmenmehrheit ausschließen. Auch in den 1880er und 1890er Jahren hielt sich die Teilnahme der freien Aktionäre an den Generalversammlungen augenscheinlich in Grenzen.96 Um die Teilnahme an den Versammlungen zu beleben, führte das Handelsgesetzbuch weitere Erleichterungen ein. Der Hinterlegungspflicht konnte nun schon durch die Hinterlegung der Aktien bei einem Notar entsprochen werden, und die Anmeldung zur Generalversammlung musste bis drei Tage vor der Versammlung

92 Ebd., S. 68–75. Dagegen argumentiert Pahlow, S. 417–418, das Handelsgesetzbuch führe erhebliche materielle Änderungen in das Aktienrecht ein; auch wenn an den Grundlagen des Aktienrechts nichts geändert wurde. 93 Deutsches Reich, Handelsgesetzbuch 1897, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1897 Heft 23 (21.05.1897), § 268. 94 Ebd., § 271. 95 Ebd., § 282. 96 Burhop, Kreditbanken, S. 36–37; Pross, Manager, S. 66–67. Für die 1870er Jahre siehe exem­ plarisch die Zusammenstellung Burhops für die Bank für Handel und Industrie und den Schaaffhausen’schen Bankverein. Im ersten Fall lag die Beteiligung der Aktionäre in den Jahren zwischen 1870 und 1878 bei durchschnittlich fünf Prozent, im Fall des Schaaffhausen’schen Bankvereins waren immerhin im Durchschnitt etwas mehr als ein Viertel der Aktionäre vertreten.

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möglich bleiben.97 Dies sollte gerade auswärtigen Aktionären die Teilnahme an der Generalversammlung erleichtern. Hinterlegte der Aktionär eine Aktie bei der Gesellschaft, hatte diese ihn persönlich über den Termin der Generalversammlung sowie über die zur Beschlussfassung anstehenden Anträge und die Abstimmungsergebnisse zu informieren.98 Um die Aktionäre auf für sie wichtige Beschlussfassungen aufmerksam zu machen, wurde der Vorstand angewiesen, bei der Berufung der Generalversammlung alle Anträge ihrem Sinn nach zu erläutern.99 Wichtige Beschlüsse, die eine Änderung des Gesellschaftsvertrags wie etwa Kapitalerhöhungen oder die Änderung des Gesellschaftszwecks zum Ziel hatten, waren zwei Wochen im Voraus anzukündigen.100 Dies gab den Aktionären mehr Zeit, um sich über die geplante Änderung zu informieren und den Besuch der Generalversammlung vorzubereiten. Was die Berufung der Generalversammlung durch eine Minderheit anging, wurden deren Rechte leicht gestärkt, zugleich jedoch zum Schutz der Gesellschaft auch eingeschränkt. Die Berufung hatte nun in jedem Fall stattzufinden und war nicht mehr ins Ermessen des Gerichts gestellt.101 Jedoch sah das Handelsgesetzbuch zugleich vor, dass die Kosten einer von einer Minderheit berufenen Generalversammlung nicht zwangsläufig von der Gesellschaft zu tragen waren, sondern die Generalversammlung über die Kostenübernahme zu entscheiden hatte. Das Risiko für die einberufende Minderheit nahm somit zu. Langfristig am bedeutendsten war aber eine andere Neuerung: Existierten verschiedene Gattungen von Aktien, die sich etwa in ihren Dividendenrechten unterschieden, konnten diesen Gattungen unterschiedlich hohe Stimmrechte zugeteilt werden. Der Grundsatz, dass jede Aktie mindestens eine Stimme gewähren musste, blieb gewahrt, allerdings löste sich das Stimmrecht von dem durch die Aktie repräsentierten Anteil am Grundkapital der Gesellschaft. Theoretisch war es nun möglich, mit Hilfe von Mehrstimmrechtsaktien, die nur einen kleinen Teil des Grundkapitals repräsentierten, die Generalversammlung zu beherrschen. Im Vergleich zum Status quo des Jahres 1884 konnte dies eine deutliche Einschränkung der Beteiligungsmöglichkeiten freier Aktionäre bedeuten. Im Kaiserreich wurde das Problem allerdings noch nicht relevant. Erst in den Inflationsjahren begannen die Unternehmen, von der Möglichkeit zur Schaffung von Mehrstimmrechtsaktien Gebrauch zu machen.102 97 Deutsches Reich, Handelsgesetzbuch 1897, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1897 Heft 23 (21.05.1897), § 255. 98 Ebd., §§ 256–257. 99 Ebd., § 255. 100 Ebd., § 256. 101 Ebd., § 254. 102 Spindler, S. 454, Fn. 49. Bis zum Kriegsende hatten die Zulassungsstellen wohl die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien verhindert. Siehe Planitz, S. 28. Die einzige bekannte Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien vor der Inflation wurde durch die Hibernia AG vorgenommen (vgl. Horrwitz, S. 1). Bei der Hibernia AG handelte es sich um den um die Jahrhundertwende viertgrößten deutschen Kohleproduzenten und das drittgrößte Berg-

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Im Bereich der Gewinnverteilung führte das Handelsgesetzbuch einige wichtige Neuerungen ein. Sollte dem Aufsichtsrat eine Gewinnbeteiligung gewährt werden, waren zunächst die Aktionäre mit einer Dividende von mindestens vier Prozent zu bedienen.103 Nach 1884 griff der Gesetzgeber hier ein zweites Mal in die Hierarchie der Gewinnverteilung ein. Faktisch war nun zunächst der Reservefonds aufzufüllen und dann den Aktionären eine Dividende von mindestens vier Prozent zu zahlen, bevor der Aufsichtsrat eine Gewinnbeteiligung erhalten konnte.104 Der Anspruch des Vorstands konnte allerdings vor dem der Aktionäre bedient werden. Erstmals nahm das Gesetz auch zu der Frage Stellung, auf welcher Basis eine Gewinnbeteiligung von Aufsichtsrat und Vorstand berechnet werden sollte.105 Die Beteiligung war auf den Reingewinn, also den Gewinn nach Abzug aller Abschreibungen und Rücklagen, zu berechnen. Die in den Statuten festgelegten Regelungen zur Gewinnbeteiligung des Aufsichtsrats konnte die Generalversammlung darüber hinaus mit einfacher Stimmenmehrheit ändern.106 Auch auf dem Feld der Gewinnverteilung kam es zu einer Einschränkung der Minderheitenrechte. Um zu verhindern, dass das Recht der Minderheit, die Bilanzbesprechung zu vertagen, zur Blockade der Generalversammlung benutzt wurde,107 legte das Handelsgesetzbuch fest, dass eine zweite Vertagung der Bilanzbesprechung durch die Minderheit nur stattfinden durfte, wenn keine Aufklärung über die bemängelten Bilanzposten erteilt worden war.108 Offenlegung und Kontrolle des Gründungshergangs wurden durch das Handelsgesetzbuch weiter verbessert. So hatte der Bericht der Gründer im Falle werksunternehmen an der Ruhr. Ende Juli 1904 gab der preußische Handelsminister bekannt, dass er das Unternehmen verstaatlichen wolle. Zu diesem Zweck hatte er bereits ein großes Aktienpaket durch die Dresdner Bank ankaufen lassen. In der folgenden Übernahmeschlacht beschloss der Aufsichtsrat unter Führung der Berliner Handelsgesellschaft (BHG) und des Bankhauses Bleichröder eine Kapitalerhöhung in Höhe von 6,5 Millionen Mark. Die Aktien wurden unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre von Bleichröder und der BHG übernommen und nur zu 25 Prozent eingezahlt. Daneben wurden den Aktien Sonderrechte eingeräumt, so dass eine eigene Aktiengattung entstand. Siehe: Bleidick, S. 188–281, insbesondere S. 229–230 und 245–250. 103 Deutsches Reich, Handelsgesetzbuch 1897, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1897 Heft 23 (21.05.1897), § 245. 104 Daneben machte das Gesetz auch Vorschriften über die Gewinnverteilung für den Fall, dass nicht alle Aktien gleichmäßig einbezahlt waren. In einem solchen Fall erhielten die Aktionäre zunächst vier Prozent des auf ihre Aktien eingezahlten Betrages als Gewinnbeteiligung ausgeschüttet (Ebd., § 214). 105 Ebd., §§ 237 u. 245. 106 Ebd., § 245. 107 Vgl. die diesbezüglich in der Sachverständigenkommission erhobenen Bedenken zu § 219 des ersten Referentenentwurfs aus dem Jahr 1895. Die Kommissionsprotokolle finden sich in BArch, R 3001/2665 sowie in Schubert, Quellen, Bd. 1, S. 259–532. Die Kommission tagte zwischen dem 21. November und 18. Dezember 1895. 108 Deutsches Reich, Handelsgesetzbuch 1897, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1897 Heft 23 (21.05.1897), § 264.

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der Übernahme eines Betriebes durch die zu gründende Gesellschaft die Geschäftsergebnisse der letzten zwei Jahre des Übernahmeobjektes offenzulegen; daneben wurde die Verpflichtung der Revisoren zu einer materiellen Prüfung des Gründungsberichts präziser formuliert.109 Das Handelsgesetzbuch stärkte zudem die Position der von den Handelskammern zu ernennenden Revisoren gegenüber den Gründern der Gesellschaft: Bei Streitigkeiten zwischen Revisoren und Gründern hatten die Handelskammern zu entscheiden, weigerten sich die Gründer der Entscheidung nachzukommen, unterblieb die Erstattung des Prüfberichts, und die Gesellschaft konnte nicht in das Handelsregister eingetragen werden.110 Die Vergütung der Revisoren wurde ebenfalls in das Ermessen der Handelskammern gestellt, was die Abhängigkeit der Revisoren von der zu gründenden Gesellschaft reduzierte. Zuletzt erleichterte das Handelsgesetzbuch die Einsichtnahme in den Prüfbericht der Revisoren, der nun auch bei den Handelskammern eingesehen werden konnte.111 Bei der laufenden Geschäftsführung beließ es das Handelsgesetzbuch allerdings bei den Offenlegungsvorschriften der Novelle von 1884.

1.2 Die wilde Weiterentwicklung des Aktienrechts in den 1920er Jahren und die Notverordnung von 1931 Die formale Unternehmensverfassung, die im Mittelpunkt dieses Kapitels steht, war in der Regel im aktienrechtlichen Teil des Handelsgesetzbuchs, später im Aktiengesetz, kodifiziert. Eine Ausnahme stellten jedoch die 1920er und 1930er Jahre dar. In der ersten Hälfte der 1920er Jahre wurde das im Handelsgesetzbuch kodifizierte Aktienrecht durch die Schaffung neuer Rechtsformen so ausgehöhlt, dass faktisch eine neue formale Rechtsordnung entstand.112 Diese Entwicklung wurde auch von den Zeitgenossen entsprechend wahrgenommen. In der Einleitung zu seiner 1930 erschienenen Schrift Aktienreform und Moral – Die sittliche Seite der Aktienrechtsreform weist Oswald von Nell-Breuning darauf hin, ein Leser der aktienrechtlichen Paragraphen des Handelsgesetzbuchs »würde wohl kaum auf den Gedanken verfallen, in dem was ihm aus dem Leben der Aktiengesellschaft bekannt und vertraut ist, jenes Gebilde wiedererkennen zu wollen, von dem das Gesetz unter dem gleichen Namen spricht […]. Der Unterschied ist zu groß; es sind tatsächlich nur noch einige Äußerlichkeiten, die der heutigen Aktien­ 109 Ebd., §§ 191 u.193. § 193 verpflichtete die Revisoren, ein Urteil über die Angemessenheit der gezahlten Übernahmepreise abzugeben und sich über eventuelle Bedenken gegen die Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister zu äußern. 110 Ebd., § 194. 111 Ebd., §§ 193 u. 199. Das Gesetz von 1884 beschränkte die Einsichtnahme auf die Registergerichte. 112 Pross, S. 76; Schubert, Aktienrechtsreform, S. 25–26; Spindler, S. 445–448.

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gesellschaft mit dem im HGB dargestellten Gebilde gleichen Namens gemeinsam sind – im übrigen sind sie schlechthin wesensverschieden.«113

Treibende Kraft hinter dieser Entwicklung waren Unternehmensjuristen, die während und nach der Inflationszeit die relative Freiheit des Gesellschaftsrechts ausnutzten, um neue Rechtsinstitute zu schaffen, die die Intention des Gesetzes von 1897 aushebelten.114 Das Vorgehen dieser Juristen wurde in den meisten Fällen durch Urteile des Reichsgerichts und des Reichsfinanzhofs sanktioniert. Im Gegensatz zur Vorkriegszeit ließ sich das Reichsgericht in seiner Recht­ sprechung dabei von der Idee des auf eine Stetigkeit der Produktion gerichteten Gesellschaftsinteresses leiten.115 Gesetzgeberische Eingriffe wie die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat hatten dagegen im Vergleich zu der wilden Weiterentwicklung des Aktienrechts nur einen geringen Einfluss auf die Unternehmensverfassung.116 Am bedeutendsten waren die Verschiebungen des Aktienrechts auf dem Feld der Machtbeziehungen zwischen den Gesellschaftsorganen und damit zusammenhängend dem Stimmrecht zu spüren. Aber auch Regelungen zur Offenlegung waren betroffen. In beiden Fällen rückte der Schutz der Position und des Handlungsspielraums der bisherigen Leitungsorgane in den Vordergrund.117 Diese Entwicklung muss als eine Antwort auf die Verschiebung der Besitzverhältnisse während der Inflationszeit verstanden werden. Bereits während des Krieges war eine Zunahme der Wertpapierumsätze zu verzeichnen.118 Die Hausse setzte sich nach Kriegsende, nur kurz durch die revolutionären Unruhen im November 1919 unterbrochen, weiter fort. Besonders deutlich wird diese Entwicklung durch die Zahl der Börsengänge, die mit 209 Neuaufnahmen zwischen 1920 und 1923 deutlich über ihrem langjährigen Mittelwert lag.119 Die immer schneller wachsenden Inflationsraten trieben zahlreiche, an der Realisierung möglichst großer Gewinne interessierte Privatanleger in die Anlageform Aktie.120 Hinzu kamen deutsche Finanzinvestoren wie Friedrich Flick, Hugo Stinnes oder Otto Wolff, denen es darum ging, ihre Unternehmen zu vergrößern und zu diversifizieren. Dabei schreckten sie 113 Nell-Breuning, S. 1. Diese Einschätzung wurde auch von anderen Zeitgenossen geteilt. Vgl. exemplarisch Planitz, S. 3. Auch Nörr, S. 156, weist auf das Auseinanderdriften von Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit in den 1920er Jahren hin, die allerdings schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt hätte. 114 Nörr, S. 159–160; Spindler, S. 445–448. 115 Ausführlich Popp, S. 14–15, 19–21, 34. Der Gedanke, das »Unternehmen an sich« als eine eigenständige Organisation zu betrachten, deren Interessen von denen der in der General­ versammlung organisierten Kapitaleigner verschieden war, wurde zuerst von Rathenau prominent vertreten. 116 Spindler, S. 448–449. 117 Selgert, Börsenzulassungsstellen, S. 79–88. 118 Beer, S. 156–163. 119 Burhop u. a., S. 14. 120 Ahrends, S. 70–71.

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auch nicht vor feindlichen Übernahmeversuchen zurück.121 Zu der steigenden Zahl inländischer Aktionäre traten wohl auch immer mehr Ausländer hinzu.122 Dies ließ die Befürchtung entstehen, dass deutsches Fachwissen und Betriebsgeheimnisse an die ausländische Konkurrenz fallen könnten.123 Insgesamt stieg also die Zahl der Aktionäre, die ihre Aktien nur kurzfristig und zu spekulativen Zwecken hielten und die Position der eingesessenen Unternehmensverwaltung gefährdeten; zudem wurde ein immer größerer, leider nicht quantifizierbarer Teil des deutschen Aktienkapitals von Ausländern gehalten.124 Die der Aktiengesellschaft inhärenten Interessengegensätze zwischen verschiedenen Aktionärsgruppen und der Unternehmensleitung intensivierten sich zu Beginn der 1920er Jahre also deutlich. Damit wuchs auch der Anreiz für die Unternehmensleitungen, Stimmrechtsvehikel zu schaffen, die ihnen die Kontrolle über die Gesellschaft auch dann garantierten, wenn die Mehrheit der Aktien nur kurzfristig, von an einer möglichst hohen Rendite interessierten Aktionären gehalten wurde beziehungsweise die Aktionäre mehrheitlich aus dem Ausland stammten. Gleichzeitig bestand unter diesen Umweltbedingungen ein Anreiz, den Aktionären und der Öffentlichkeit möglichst wenige Informationen über die Ertragslage des Unternehmens zukommen zu lassen und so einen aus Sicht des Unternehmens unerwünschten Transfer des Gewinns in die Taschen der Aktionäre zu verhindern.125 Begründet wurden diese Eingriffe in der Regel mit dem vom Reichsgericht akzeptierten Argument des Schutzes der auf eine stetige Produktion gerichteten Gesellschaftsinteressen. Zwar konnte die Generalversammlung auch im Kaiserreich nicht die vom Gesetzgeber intendierte Kontrolle der Unternehmensleitung ausüben, mit Beginn der 1920er Jahre wurde sie aber in vielen Unternehmen gänzlich von der Unternehmenskontrolle ausgeschlossen.126 Dies gelang mit Hilfe der Schaffung

121 Feldman, Überfremdung, S. 94–96; Kiehling, S. 87–89. Siehe dazu auch Selgert, Börsenzulassungsstellen. 122 Ahrends, S. 68–69; Kleist, S. 53–92; Kiehling, S. 87–89; Spindler, S. 445–448. 123 Feldman, Überfremdung, S. 92–96. 124 Die Zunahme des Aktienbesitzes in ausländischer Hand war Anlass einer Besprechung zwischen dem Reichswirtschaftsministerium, dem Reichsverband der Industrie (RDI) und dem Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) am 13.10.1919. Ziel der Spitzenverbände war es, die Reichsregierung zum Einschreiten gegen die Übernahme deutscher Aktiengesellschaften durch Ausländer zu bewegen. Das Reichswirtschaftsministerium sah aufgrund des Versailler Vertrags jedoch seine Hände gebunden, riet den Verbänden jedoch, ihren Mitgliedern die Ausgabe von Schutzaktien zu empfehlen, jedoch ohne dabei auf die Reichsregierung zu verweisen. RDI und DIHT folgten dieser Empfehlung. Siehe: BArch, R 3101/17547 und BArch, R 3101/17548. 125 Spoerer, S. 63–64. In gleicher Weise mag die Zunahme der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften den Unternehmensleitungen einen Anreiz gegeben haben, Gewinne vor den Arbeitern zu verstecken und so dem Begehren nach Lohnerhöhungen keinen weiteren Vorschub zu leisten. 126 Horrwitz, S. 1–5; Passow, S. 328–333, 479–494; Pohl, Leitung, S. 165–167; Pross, S. 66, 86–87.

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von Schutzaktien, die es einem an der Leitung beteiligten Großaktionär oder dem Vorstand erlaubten, mit wenig Kapitaleinsatz die Generalversammlung zu beherrschen. Nach Zahlen des Statistischen Reichsamts verfügten im Jahr 1925 knapp 54 Prozent der an einer deutschen Börse gehandelten Aktiengesellschaften über Mehrstimmrechtsaktien. Die Konzentration des Stimmrechts war erheblich. So entfielen bei den von der Behörde untersuchten Aktiengesellschaften auf 2,4 Prozent des Nominalkapitals 38,2 Prozent der auf der Generalversammlung gültigen Stimmen.127 Empfänger dieser Schutzaktien waren in der Regel der Unternehmensleitung nahestehende Banken oder Konsortien, Konzernunternehmen sowie Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder oder diesen nahestehende Personen.128 Typischerweise traten Schutzaktien in Form von Mehrstimmrechtsaktien und Vorratsaktien auf.129 Bei Mehrstimmrechtsaktien handelte es sich um reine Schutzaktien, die teilweise nur zu 25 Prozent eingezahlt waren und ein deutlich höheres Stimmrecht als die Stammaktien besaßen. Dabei wiesen manche Aktien ein exorbitant hohes Stimmrecht auf.130 Rechtliche Grundlage für die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien war § 252, Absatz 1 des Handelsgesetzbuchs von 1897, der die Emission von Aktiengattungen mit höheren Stimmrechten gestattete. Oft wurden die Aktien als Namensaktien ausgegeben, die nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats weiterveräußert werden durften. Hinzu kam eine Bindung des Stimmrechts: Viele Satzungen verpflichteten die Inhaber von Mehrstimmrechtsaktien in bestimmten Fällen, beispielsweise bei der Abstimmung über den Jahresabschluss und die Gewinnverteilung, im Sinne des Vorstands der Gesellschaft zu stimmen. Die Stimmrechtsbindung konnte allerdings auch in Nebenverträgen geregelt werden, so dass den freien Aktionären unbekannt blieb, wie viele Mehrstimmrechtsaktien tatsächlich existierten. Eine Änderung des Gesellschaftsvertrags konnte mit Hilfe von Mehrstimmrechtsaktien nicht durchgesetzt werden, da § 275 HGB bestimmte, dass in Fällen, in denen die Inhaber einer Aktiengattung durch einen Gesellschafterbeschluss benachteiligt werden sollten, die unterschiedlichen Aktiengattungen getrennt über die Satzungsänderung abzustimmen hatten. Die Änderung kam nur zu Stande, wenn ihr alle Aktiengattungen zugestimmt hatten. Da Mehrstimmrechtsaktien eine eigene Aktiengattung darstellten, konnten ihre Besitzer eine Statutenänderung nur verhindern, aber nicht erzwingen. Aus diesem Grund be-

127 Statistisches Reichsamt, Stimmrechts- und Vorzugsaktien, S. 737–740. Vgl. auch das Schreiben des Präsidenten des Statistischen Reichsamts am den Reichswirtschaftsminister vom 29.01.1931 (Abschrift an das Reichsjustizministerium), in: BArch, R 3001/2935; Selgert, Börsenzulassungsstellen, S. 95–101. 128 Kurz, S. 37–48; Spindler, S. 455. 129 Vgl. die Zusammenfassung bei Spindler, S. 454–460; siehe auch: Horrwitz, S. 1–5; Nußbaum, Aktionär, S. 1–4, 19–25; Passow, S. 335–343; Kurz, S. 37–48; Planitz, S. 28–38. 130 In einigen Fällen hatten Mehrstimmrechtsaktien im Vergleich zu den Stammaktien ein 500faches Stimmrecht. Vgl. die Angaben bei Spindler, S. 454.

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zeichnen Spindler und Nörr sie als ein defensives Werkzeug in den Händen der Unternehmensleitung.131 Bei Vorratsaktien handelte es sich um von Dritten auf Rechnung der Gesellschaft übernommene Aktien, deren Stimmrechte durch Abschluss eines (gehei­ men) Bindungsvertrags bei der Gesellschaft verblieben. Faktisch handelte es sich bei Vorratsaktien also um im Stimmrecht gebundene eigene Aktien der Gesellschaft, die unter Umgehung des Bezugsrechts der Aktionäre zur Kapitalerhöhung genutzt werden konnten. Problematisch war dabei nicht nur die Verwässerung des Kapitalanteils der Stammaktionäre, sondern oftmals auch die Ungewissheit, wie viele Vorratsaktien das Unternehmen ausgegeben hatte – mussten Vorratsaktien doch nicht durch von der Generalversammlung zu beschließende Kapitalerhöhungen entstehen, sondern konnten durch den Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft geschaffen werden. Da es sich bei den Vorratsaktien in der Regel um normale Stammaktien handelte, konnten diese anders als Mehrstimmrechtsaktien auch dazu benutzt werden, eine positive Änderung des Gesellschaftsvertrags herbeizuführen.132 Sollten die Vorratsaktien auch als Mehrstimmrechtsaktie dienen, aber trotzdem zur positiven Herbeiführung von Generalversammlungsbeschlüssen genutzt werden, wurden die Aktien nur zu 25 Prozent eingezahlt, erhielten aber durch eine Klausel im Gesellschaftsvertrag das volle Stimmrecht. Besonders die Schaffung von Mehrstimmrechtsaktien war Gegenstand vieler Klagen vor den Reichsgerichten. Die Gerichte tendierten dazu, die Schaffung von Mehrstimmrechtsaktien zu sanktionieren, sofern sie, wie die Verwaltungen oftmals argumentierten, der Abwehr einer Überfremdung deutscher Unternehmen durch ausländische Investoren dienten. Häufig war das Überfremdungsargument jedoch vorgeschoben, um den durch den gesteigerten Kapitalbedarf der Unternehmen drohenden Kontrollverlust der das Unternehmen beherrschenden Gruppen zu verhindern.133 131 Nörr, S. 162–163; Planitz, S. 38; Spindler, S. 458–459. Aufgrund der Möglichkeit mit Hilfe von Mehrstimmrechtsaktien den Jahresabschluss und die Gewinnverteilung zu beschließen, dem Aufsichtsrat und Vorstand die Entlastung zu erteilen sowie den Aufsichtsrat zu wählen und die Geschäftsstrategie des Unternehmens zu bestimmen, kann in den Mehrstimmrechtsaktien aber durchaus ein Werkzeug gesehen werden, mit deren Hilfe die Unternehmensleitung den Einfluss der freien Aktionäre ausschließen konnte. Vgl. hierzu die Ausführungen von Planitz, S. 28 u. 36–37, nach dessen Ansicht die Stimmrechtsaktien die Stammaktien vollständig »Deklassieren« und die »kapitallose Herrschaft über das Kapital« ermöglichen. Ähnlich äußert sich Nußbaum, Aktionär, S. 3–4. 132 Vorratsaktien wurden daher vielfach kritischer gesehen als Mehrstimmrechtsaktien. Siehe die am 26.10.1926 in Berlin vor der Studiengesellschaft für Währungs- und Finanzreform gehaltene Rede des späteren Staatssekretärs im Reichsjustizministerium Franz Schlegelberger, in: BArch, R 3103/21. Die Rede ist im selben Jahr unter dem Titel »Probleme des Aktienrechts« bei Glöckner in Leipzig erschienen. Vgl. auch Spindler, S. 459–460. Dieser bezeichnet die Vorratsaktie übereinstimmend mit Nörr, S. 162–163, als »aggressive« Schutzaktie. 133 Pross, S. 84–85; Spindler, S. 456–457, 460–463. Die Rechtsprechung war allerdings nicht einheitlich. Die Gerichte entschieden von Fall zu Fall, ob die Schaffung von Mehrstimm-

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Ein weiteres Instrument zur Ausschaltung der Generalversammlung war das Depotstimmrecht der Banken.134 In den allgemeinen Geschäftsbedingungen ihrer Depotverträge ließen sich die großen Banken das Stimmrecht für die von ihnen verwalteten Aktien übertragen.135 Auf der einen Seite bot das Depotstimmrecht auch Kleinaktionären die Möglichkeit über ihre Bankenvertreter das Stimmrecht auszuüben. Auf der anderen Seite waren die Banken an keine Willenserklärung der Kunden gebunden, d. h. sie konnten nach der Übertragung des Stimmrechts frei darüber verfügen und mussten nicht vor jeder Generalversammlung um Instruktionen bitten. In der Praxis stimmten die Banken laut den Beobachtungen vieler Zeitgenossen in der Generalversammlung wohl meist für die Vorlagen der Unternehmensleitung, der sie über eine Vertretung im Aufsichtsrat nicht selten angehörten.136 Dabei war es aber bei den Banken, nach eigener Aussage, üblich die Kunden um Instruktionen für ihr Stimmrecht zu bitten, wenn sich im Vorfeld der Generalversammlung eine erkennbare Opposition gegenüber der Unternehmensleitung zeigte.137 Die Rechtsmäßigkeit des Depotstimmrechts selbst war ebenfalls umstritten, da sie von § 252 HGB nicht abgedeckt war. Der Paragraph verlangte eigentlich eine schriftliche Vollmacht für die Vertretung von Stimmen in der Generalversammlung, eine automatisierte Generalvollmacht kannte er nicht. Die Gerichte standen dem Depotstimmrecht daher auch zunächst skeptisch gegenüber. Noch in den Jahren 1904 und 1908 erklärte das Reichsgericht diese Art der Stimmrechtsausübung für

rechtsaktien ein berechtigtes Gesellschaftsinteresse darstellte oder ob dadurch der Einfluss von Minderheiten zum Nachteil der Gesamtheit der Aktionäre zu stark zurückgedrängt werden würde. Siehe Spindler, S. 454–464. 134 Planitz, S. 10–21. 135 Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der Deutschen Wirtschaft, S. 26–27; Fohlin, History, S. 254–256; Dies., Finance, S. 121–122; Passow, S. 334. Der Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft wurde 1926 durch ein Reichsgesetz gegründet. Er war beim vorläufigen Reichswirtschaftsrat angesiedelt. Der Enquete-Ausschuss bildete mehrere Untergruppen. Der hier zitierte Generalbericht fiel in das Aufgabengebiet der 3. Arbeitsgruppe des I. Unterausschusses, die sich mit den »Wandlungen der wirtschaftlichen Organisationsbedingungen« beschäftigte. Siehe: Nörr, S. 160. Zum vorläufigen Reichswirtschaftsrat vgl. Schubert, Aktienrechtsreform, S. 9–25. 136 Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der Deutschen Wirtschaft, S. 27–28; Burhop, Banken, S. 13; Fohlin, Finance, S. 134–144; Spindler, S. 454–464; Windolf, S. 212–220. Anders als bei den Schutzaktien verzichteten die Aktionäre im Fall des Depotstimmrechts freiwillig auf ihr Stimmrecht. Wollten sie die (recht aufwendige) Verwaltung ihrer Aktien und anderer Wertpapiere jedoch nicht selbst übernehmen, blieb ihnen außer der Nutzung der Depotverwaltung der Reichsbank kaum eine andere Möglichkeit als auf die Bedingungen der großen Banken einzugehen. Ähnlich äußert sich Passow, S. 333–334. 137 Zentralverband des deutschen Bank- und Bankiergewerbes, Antwort auf den Fragebogen IV (Generalversammlung und Stimmrecht), Referat von Gustav Sintenis (Geschäftsinhaber der Berliner Handelsgesellschaft).

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ungültig. Ab 1923 begannen die Reichsgerichte jedoch die Abtretung des Stimmrechts über die AGBs zu legalisieren.138 Die Entmachtung der freien Aktionäre durch Schutzaktien und Depotstimm­ recht wurde durch einen Rückgang der Publizität komplettiert.139 Aus den Bilanzen gingen nur selten Vermögensstand und Beteiligungsverhältnisse der Unternehmen hervor. Ebenso fehlten Angaben zu Mehrstimmrechts- und Vorratsaktien. Zudem bildeten die Unternehmen nach Schätzungen von Mark Spoerer ab dem Jahr 1924 wieder verstärkt stille Reserven, die dann die Dividenden der Aktionäre schmälerten.140 Auch die Geschäftsberichte informierten die Aktionäre nur unzulänglich über Vermögensstand, Besitzverhältnisse und die Schaffung stiller Reserven.141 Das Auskunftsrecht der Aktionäre wurde zu Beginn der 1920er Jahre durch die Gerichte eingeschränkt. Galt dem Reichsgericht das Recht auf Auskunftserteilung im späten 19. Jahrhundert noch als Individualrecht, sprach das Gericht dieses Recht nun der Mehrheit der durch die Unternehmensleitung dominierten Generalversammlung zu.142 Zudem kam es zu teilweise massiven Verzögerungen bei der Bilanzveröffentlichung.143 Hier verstießen die Unternehmen zwar nicht gegen das Gesetz, dem mit der Vorlage einer Bilanz, des Geschäftsberichts und der Gewinn und Verlustrechnung genüge getan war; die Intention des Gesetzes, das in Bilanz und Geschäftsbericht ein zentrales Informationsmittel der Aktionäre sah, erfüllten sie jedoch auch nicht.144 Aufgrund der fehlenden Informationen waren die Aktionäre weder in der Lage, die Arbeit der Unternehmensleitung zu bewerten, noch kannten sie den genauen Jahresgewinn, der durch die Bildung stiller Reserven zu Ungunsten der Aktionäre eingeschränkt werden konnte. Aufgrund mangelnder Transparenz konnte die Generalversammlung daher faktisch auch bei einem Fehlen

138 Bayer u. Engelke, S. 629, Fn. 48. 139 Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der Deutschen Wirtschaft, S. 31–34; Planitz, S. 20–21. 140 Spoerer, S. 109–114. Gemessen an der Heftigkeit der zeitgenössischen Debatte über die Angemessenheit stiller Reserven erscheinen die Schätzungen Spoerers moderat. Spoerer weist aber auch darauf hin, dass es sich bei seinen Schätzungen um eine Durchschnittsbetrachtung handelt, einzelne Unternehmen somit in beträchtlichem Maße stille Reserven gebildet haben können. 141 Der Inhalt des Geschäftsberichts wurde zuerst während des Krieges eingeschränkt. Aufgrund der in der Inflationszeit üblichen Handelsspionage kehrte man Anfang der 1920er Jahre nicht zu umfassenderen Berichten zurück. Siehe die Ausführungen in: Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der Deutschen Wirtschaft, S. 33–34. 142 Ebd., S. 34; Planitz, S. 20–21. Hinzu kam noch, dass das Reichsgericht die Verweigerung der Auskunft ermöglichte, sofern durch die Auskunftserteilung die Interessen des Unternehmens verletzt würden. 143 Für den letzten Punkt siehe die Artikelserie der Frankfurter Zeitung »Zur Reform des Aktienrechts« aus dem Jahr 1926. Die Serie erschien in den Ausgaben 351, 355, 378 und 387 vom 12. bis zum 27. Mai und findet sich in: BArch, R 3103/21. 144 Ebd.

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von Schutzaktien oft nicht nach eigenem Ermessen über die Gewinnverteilung entscheiden.145 Innerhalb der Unternehmensführung war in den 1920er Jahren eine Verschiebung der Machtverhältnisse vom Aufsichtsrat zum Vorstand hin zu beobachten.146 Eine bedeutende Minderheit der deutschen Aktiengesellschaften näherte sich so dem von Alfred Chandler beschriebenen Typ des managergeführ­ten Unternehmens an.147 Von einzelnen Großaktionären dominierte Unter­nehmen stellten jedoch weiterhin die Mehrheit. Allerdings verschob sich hier die Machtzentrale vom Aufsichtsrat hin zu einzelnen Aufsichtsratsausschüssen.148 Mit dieser Entwicklung reagierten die Unternehmen auf das durch Konzernbildung und Konzentration bedingte Wachstum der Aufsichtsräte nach der Jahrhundertwende.149 Die Ausschüsse stellten aber auch ein Mittel dar, um die Betriebsratsmitglieder von wichtigen unternehmerischen Entscheidungen fernzuhalten.150 Der übrige Aufsichtsrat wurde von den Entscheidungen der zentralen Aufsichtsratsausschüsse häufig so spät informiert, dass dieser die Beschlüsse der internen Führungsgruppe nur noch akzeptieren konnte, aber keinen Einfluss mehr auf die strategischen Entscheidungen des Führungszirkels hatte.151 Eine effektive Kontrolle der Unternehmensführung fand so nicht statt. In der Tat wurde der Aufsichtsrat von den handelnden Akteuren wohl eher als ein Gremium zur Pflege von Geschäftsbeziehungen und Beratungsorgan denn als ein Kontrollorgan gesehen.152 An der zunehmenden Fortentwicklung der Rechtswirklichkeit von der Rechtsnorm, den Vermachtungstendenzen und der abnehmenden Publizität entzündete sich ab Mitte der 1920er Jahre öffentliche Kritik, die in eine intensive Debatte um eine Reform des Aktienrechts mündete.153 Nach langem Ab-

145 Vgl. Pross, S. 83. 146 Kocka u. Siegrist, S. 64–79; Pross, S. 78; Siegrist, S. 88. 147 Chandler. 148 Pross, S. 81–82. Beispielhaft sei auf die Organisation der Vereinigten Stahlwerke verwiesen. Hier wurden alle wichtigen strategischen Entscheidungen in der »Industriellen Kommission« vorbereitet, bevor sie dem Aufsichtsrat vorgelegt wurden. An den Sitzungen der Kommission nahmen neben den Gründungsgesellschaftern auch der Vorstandsvorsitzende Vögler und seine Stellvertreter teil. Später reduzierte sich der Führungskreis auf die Gesellschafter Thyssen und Flick sowie Vögler. Siehe: Reckendrees, S. 291–293. 149 Teilweise hatten die Aufsichtsräte großer Unternehmen 50 bis 80 Mitglieder. Die Zahlen finden sich bei Pross, S. 80. Der Aufsichtsrat der Deutschen Bank war im Jahr 1932 sogar 102 Mann stark. Vgl. James, Deutsche Bank, S. 4. 150 Pross, S. 81; Reckendrees, S. 292. 151 Pross, S. 80–82, Reckendrees, S. 292. 152 Hopt, S. 235–239; Riesser, Aufsichtsratsfrage, S. 296–299. Das Versagen des Aufsichtsrats als Kontrollorgan wurde schon um die Jahrhundertwende erkannt. Henning, Unternehmensprüfung, S. 18. Vgl. auch: Stier-Somlo; Riesser, Aufsichtsratsfrage; Warschauer. Ausführlich zu dieser sogenannten Aufsichtsratsfrage auch Lieder, Aufsichtsrat, S. 203–262. 153 Vgl. Schubert, Weimarer Republik; Ders., Aktienrechtsreform; Spindler.

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warten nahm das Reichsjustizministerium Ende 1928 die Reformarbeiten auf.154 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Kapitalmarktumfeld bereits gedreht.155 Das Platzen der Inflationsblase am Aktienmarkt, die mit der Hyperinflation einhergehende massive Vernichtung von Geldvermögen, die stetige Verwässerung des Aktienbesitzes kleinerer Aktionäre durch die zahlreichen Kapitalerhöhungen der Inflationszeit unter Ausschluss des Bezugsrechts der freien Aktionäre, die besonders die Kleinaktionäre treffende Zusammenlegung von Aktien nach der Stabilisierung der Mark im Jahr 1924 sowie die ungünstigen Herrschaftsverhältnisse ließen vermögende Schichten ab Mitte der 1920er Jahre von der Anlage in Aktien Abstand nehmen.156 Im Sommer 1930 veröffentlichte das Ministerium einen ersten Gesetzentwurf. Nach Beratungen mit den Ländern und den anderen an der Gesetzgebung beteiligten Reichsministerien legte das Reichsjustiz­ministerium im Juli 1931 einen zweiten Entwurf vor. Zu einem ordentlichen Abschluss des Gesetzgebungsprozesses kam es in der Weimarer Zeit allerdings nicht mehr. Die Entwicklungen der Weltwirtschaftskrise zwangen die Reichsregierung zu einem schnellen Handeln. Da aber gegen die Einführung des gesamten Entwurfs per Notverordnung sowohl im Kabinett als auch in der Öffentlichkeit Bedenken bestanden, entschied die Reichsregierung, nur einen Teil des Entwurfs per Notverordnung umzusetzen. Unmittelbarer Anlass für die Entscheidung, einen Teil des bereits ausgearbeiteten Entwurfs per Notverordnung in Kraft zu setzen, waren die Ereignisse, die zur Bankenkrise des Sommers 1931 führten.157 Seit dem Jahr 1929 machten zahlreiche Unternehmenszusammenbrüche und Bilanzskandale deutlich, dass das System des Handelsgesetzbuchs zur Kontrolle der unternehmerischen Entscheidungen der Leitungsgremien der Aktiengesellschaften versagt hatte.158 Am bekanntesten sind die Fälle der Frankfurter Versicherungs-AG (FAVAG) und der Nordwolle AG.159 Im Fall der FAVAG entgingen dem Aufsichtsrat Unterschlagungen, Geheimbuchungen und Bilanzverschleierungen in Millionenhöhe.160 Zudem blieb er auch nach Warnungen des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherungen und der Handelspresse untätig und gestattete die Verteilung einer Dividende, die sich das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr leisten 154 Schubert, Weimarer Republik, S. 15–25. 155 Vgl. dazu Rajan u. Zingales, Great reversals. 156 Ahrends, S. 89–91; Beer, S. 156–163, 209–210. 157 Engelke u. Maltschew; Henning, Unternehmensprüfung; Manâa; Schubert, Aktienrechtsreform; Ders., Weimarer Republik. 158 Die Unternehmenszusammenbrüche standen auch mit dem Rückkauf eigener Aktien in Verbindung. Um das Fallen der Kurse zu stoppen, kauften viele Banken und Industrieunternehmen ihre eigenen Aktien auf. Diese wurden zum Nominalwert in die Bilanz aufgenommen und dienten damit auch dem buchmäßigen Ausgleich von durch die Wirtschaftskrise verursachten Verlusten. Siehe: Engelke u. Maltschew, S. 577–578. 159 Lieder, Aufsichtsrat, S. 282–283; Engelke u. Maltschew, S. 578–579; Henning, Unternehmensprüfung, S. 1, 25. 160 Zur FAVAG insbesondere: Feldman, Collapse, S. 58–69.

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konnte. Auch im Falle der Nordwolle AG entgingen dem Aufsichtsrat Bilanzverschleierungen des Vorstands. Die Pleite der Nordwolle AG brachte auch deren Hausbank, die Darmstädter und Nationalbank (Danat-Bank), in Zahlungsschwierigkeiten, deren Zusammenbruch die deutsche Bankenkrise einleitete.161 Die Reichsregierung reagierte, indem sie Teile des Entwurfs zur Neuordnung des Aktienrechts, die die Kontrolle der Bilanz durch externe Wirtschaftsprüfer, die Publizität sowie die Kapitalbeschaffung- und herabsetzung betrafen, am 19. September 1931 in Form einer Notverordnung veröffentlichte.162 Der Schwerpunkt der Notverordnung lag nicht auf der Regelung der Beziehungen zwischen Generalversammlung, Aufsichtsrat und Vorstand, sondern auf dem Verhältnis zwischen den beiden Leitungsorganen.163 So führte die Notverordnung eine vierteljährliche Berichtspflicht des Vorstands an den Aufsichtsrat ein und stärkte die Position von Minderheiten im Aufsichtsrat.164 Der Aufsichtsrat konnte nun durch zwei seiner Mitglieder einberufen werden.165 Eine Minderheit von zwei, bei Gesellschaften mit mehr als 20 Aufsichtsratsmitgliedern von drei Aufsichtsratsmitgliedern konnte jederzeit vom Vorstand Auskunft verlangen.166 Damit reagierte der Gesetzgeber auf die zunehmende Autonomie des Vorstands und die Probleme des Aufsichtsrats, diesen effektiv zu kontrollieren. Zudem wurden die Rechte der Betriebsratsmitglieder gestärkt, die wohl in vielen Fällen die wichtigste Minderheit im Aufsichtsrat bildeten. Um den Missbrauch des Berufungsrechts der Minderheit zu verhindern, hatte dieselbe bei einer un-

161 Grundlegend zur deutschen Bankenkrise siehe: Born. 162 Deutsches Reich, Verordnung des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über die Steueramnestie, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1931 Heft 63 (19.09.1931); Schubert, Weimarer Republik, S. 21–25; Ders., Aktienrechtsreform, S. 29–34. Gegen die Einführung des gesamten Entwurfs per Notverordnung sprachen aus Sicht der Reichsregierung und der Öffentlichkeit verfassungsrechtliche Bedenken. 163 Die Notverordnung erweiterte die Haftung von Aufsichtsrat und Vorstand nur leicht. Die beiden Organe hafteten nun auch für die Einhaltung der neuen Bestimmungen zur Herabsetzung des Grundkapitals (§ 226, 227 u. 227a) und die Kreditvergabe an den Vorstand (§ 240a). Um eine Schädigung der Gesellschaft zu vermeiden, war der Ankauf eigener Aktien nur bis zu einem Betrag von zehn Prozent des Grundkapitals gestattet, die Kreditvergabe an den Vorstand und seine Familienmitglieder war ausdrücklich durch den Aufsichtsrat zu genehmigen (Deutsches Reich, Verordnung des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über die Steueramnestie, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1931 Heft 63 [19.09.1931]). Mit diesen Vorschriften reagierte der Gesetzgeber auf zwei wesentliche Ursachen, die die Unternehmen während der Weltwirtschaftskrise in Schwierigkeiten gebracht hatten: den übermäßigen Rückkauf eigener Aktien zur Vertuschung von Verlusten und die verdeckte Kreditvergabe an Führungskräfte der Gesellschaften. Vgl. Engelke u. Maltschew, S. 577–579. 164 Deutsches Reich, Verordnung des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über die Steueramnestie, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1931 Heft 63 (19.09.1931), §§ 239a, 244a, 246. 165 Ebd., § 244a. 166 Ebd., § 246. Die Auskunft war dem gesamten Aufsichtsrat zu erteilen.

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begründeten Einberufung des Aufsichtsrats die Kosten der Sitzung zu tragen.167 Die wichtigste Neuerung auf dem Feld der Unternehmensorganisation war aber die Schaffung eines neuen, externen Gesellschaftsorgans, des Wirtschafts­ prüfers.168 Der Wirtschaftsprüfer wurde von der Generalversammlung mit einfacher Mehrheit gewählt und hatte besondere fachliche Fähigkeiten nachzuweisen.169 Um eine unabhängige Prüfung zu garantieren, durfte er beziehungsweise die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in keinem Abhängigkeitsverhältnis zum Vorstand oder Aufsichtsrat der zu prüfenden Gesellschaft stehen.170 Hauptaufgabe des Wirtschaftsprüfers war die sachliche Prüfung der Bilanz, der Prüfer hatte also nicht nur die formale Richtigkeit des Jahresabschlusses, sondern auch die Wertansätze in der Bilanz zu kontrollieren.171 Über das Ergebnis der Prüfung hatte er dem Aufsichtsrat schriftlich zu berichten. Vor dem Beschluss über die Annahme des Jahresabschlusses war die Generalversammlung darüber zu informieren, ob in dem Bericht des Prüfers »wesentliche Beanstandungen« gemacht worden waren.172 Indem die externen Wirtschaftsprüfer das Ergebnis der Geschäftsführung des Vorstands prüften, nahmen sie eine Aufgabe wahr, die Generalversammlung und Aufsichtsrat so nicht erfüllen konnten. Die Kontrolle der Unternehmensleitung wurde damit verstärkt und die den Aktionären zur Verfügung stehenden Informationen vermehrt. Die externe Bewertung des Unternehmens mag für den Vorstand auch als ein Anreiz gedient haben, das Eigenkapital effizienter zu nutzen und die Rendite der Aktionäre zu steigern. Die Stärkung der Aktionäre hätte aber durchaus größer ausfallen können. So hätte die Notverordnung beispielweise der Generalversammlung den Bericht der Wirtschaftsprüfer zugänglich machen können. Auf Steigerung der den Aktionären zur Verfügung stehenden Informationen zielte noch eine weitere Neuerung der Notverordnung ab: In mehreren Paragraphen wurden Gliederungsvorschriften für die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung gemacht, der Geschäftsbericht hatte zahlreiche Pflichtangaben zu machen, darunter auch Angaben zu deutlichen Änderungen von Wertansätzen in der Bilanz.173 Zudem hatten die Unternehmen erstmals auch über ihre Verbindlichkeiten, Konzernverflechtungen und den Bestand an eigenen Aktien zu berichten. Über die Verteilung von Stimmrechten traf die Notverordnung von 1931 keine Entscheidung. Auch das vielfach kritisierte Depotstimmrecht der Banken wurde durch die Notverordnung nicht geregelt. Den Aktionären standen somit zwar detailliertere Informationen zur Verfügung, auf deren Basis sie entscheiden 167 Ebd., § 244a. 168 Ebd., §§ 262a–g. 169 Ebd., §§ 262a, c. Eine Minderheit von zehn Prozent des Grundkapitals konnte der Berufung widersprechen. 170 Ebd., § 262c. 171 Ebd., § 262a. 172 Ebd., § 262e. 173 Ebd., §§ 260a, 261a–e.

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konnten, ob sich ein Engagement bei der Gesellschaft für sie weiterhin lohnte; die aktive Beeinflussung strategischer Entscheidungen im Unternehmen durch die Aktionäre wurde durch die Notverordnung jedoch nicht verbessert.

1.3 Die Aktienrechtsreform im Nationalsozialismus Die Notverordnung von 1931 nahm sich zwar einiger der drängendsten Probleme des deutschen Aktienrechts an, der Reformdruck blieb insgesamt jedoch sehr groß.174 Trotzdem ruhte der Gesetzgebungsprozess zunächst für einige Jahre. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler war der 1932 fertiggestellte zweite Entwurf des Aktiengesetzes zwar noch einmal Gegenstand der Debatte im vorläufigen Reichswirtschaftsrat, zu einer schnellen Verabschiedung des neuen Gesetzes kam es allerdings nicht mehr.175 Das Reichsjustizministerium beschränkte sich zunächst darauf, die neue politische und ideologische Lage zu sondieren.176 Kernstück der nationalsozialistischen Wirtschaftsideologie war die Lehre vom Primat des Staates über die Wirtschaft.177 Die Wirtschaft und damit auch der Kapitalmarkt hatten von nun an Staat und Volk zu dienen.178 In der Praxis zeigte sich jedoch rasch, dass es keine einheitliche Vorstellung davon gab, wie das Kapitalmarktrecht nach nationalsozialistischen Gesichtspunkten umgearbeitet werden könnte.179 So standen Vorstellungen, die der Arbeiterschaft mehr Einfluss auf Unternehmensentscheidungen geben wollten, Ideen gegenüber, die auf eine Stärkung der Leitungsorgane zielten. Idealerweise sollte in diesem Zuge die anonyme Kapitalgesellschaft in eine Gesellschaft vollverantwortlicher Großinvestoren umgebaut werden. Dem stand wiederum die Notwendigkeit einer möglichst ungestört funktionierenden Wirtschaft gegenüber, sollten die Aufrüstungs- und Autarkieziele erreicht werden.180 Da die Reformvorstellungen der nationalsozialistischen Wirtschaftsideologen nicht in Übereinstimmung zu bringen waren, wartete das Reichsjustizministerium wohl das Ergebnis der Debatte der neu gegründeten Akademie für Deutsches Recht ab.181 174 Bayer u. Engelke, S. 623–625. 175 Schubert, Aktienrechtsreform, S. 62–69; Ders., Weimarer Republik, S. 21–25. 176 Bayer u. Engelke, S. 623–625; Schubert u. a., S. XL–L. 177 Ambrosius, S. 90–92; Zitelmann, S. 204. 178 James, Deutsche Bank, S. 23. 179 Vgl. für die folgende Zusammenfassung das Schreiben von Staatssekretär Schlegelberger an den Vorsitzenden des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht, Kißkalt, vom 11.12.1933, in: BArch, R 3001/2948. 180 Schacht. 181 Schubert u. a., S. XL–L. Die Akademie für Deutsches Recht wurde am 26.06.1933 federführend von dem Reichsjustizkommissar und bayrischem Staatsminister Hans Frank zunächst als privater Verein gegründet. Am 22.09.1933 verlieh der bayrische Staat der Akademie den Rang einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, seit dem 11.07.1934 wurde ihr dieser Status auch auf Reichsebene verliehen. Aufgabe der Akademie war seitdem die Förderung

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Nachdem die Abschlussberichte der Akademie vorlagen, legte das Ministerium im Mai 1935 einen ersten Gesetzentwurf vor. Nach längeren Verhandlungen mit dem Reichswirtschaftsministerium und der NSDAP, vertreten durch das Ministerium des Führerstellvertreters Heß, billigte das Reichskabinett am 26. Januar 1937 den endgültigen Entwurf des Aktiengesetzes.182 Neben dem Aktiengesetz von 1937 hatte ein zweiter gesetzgeberischer Eingriff weitreichende Folgen für die formale Entwicklung der Unternehmenskontrolle in Deutschland. Das Anleihestockgesetz vom 4. Dezember 1934 beschränkte im Zusammenspiel mit dem Kapitalanlagegesetz vom 29. März 1934 und mehreren Ausführungsverordnungen die ausschüttbare Dividende und griff damit stark in die Gewinnverteilung ein.183 Neue Offenlegungsvorschriften führte das Aktiengesetz nicht ein. Die sehr umfangreichen Offenlegungsvorschriften der Notverordnung sowie die Bestimmungen zur obligatorischen Pflichtprüfung wurden allerdings in das Gesetz übernommen. Bezüglich der innergesellschaftlichen Kompetenzverteilung sanktionierte das Aktiengesetz von 1937 die Entwicklung der 1920er Jahre. Somit stellte es einen deutlichen Bruch mit der Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts dar.184 Die Generalversammlung, nun Hauptversammlung genannt, wurde jetzt auch formal entmachtet, indem ihr das Recht genommen wurde, den Vorstand zu be­ rufen und zu entlassen, Entscheidungen über die Geschäftsführung zu treffen und den Jahresabschluss zu genehmigen.185 Die Kompetenzen der Hauptverdes deutschen Rechts im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie. Explizit gehörten die »Anregung, Begutachtung, Vorbereitung und Ausarbeitung von Gesetzentwürfen« zu ihren Aufgaben. Der Vorsitzende der Akademie wurde durch den Reichskanzler ernannt. Erster Vorsitzender war bis zum Sommer 1942 Hans Frank, sein Nachfolger war Reichsjustizminister Otto Thierack. Siehe Ebd., S. VII–XIII. 182 Ebd., S. XL–L. Das Gesetz wurde am 30.01.1937 durch Hitler vollzogen und am 04.02.1937 im Reichsanzeiger verkündet (Deutsches Reich, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz), in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1937 Heft 15 [04.02.1937]). 183 Bähr, S. 56–58. Das Anleihestockgesetz galt zunächst nur für drei Jahre. Im Jahr 1937 wurde es jedoch für weitere drei Jahre verlängert. Im Jahr 1941 wurde das Anleihestockgesetz durch die Dividendenabgabeverordnung abgelöst, die ebenfalls durch Beschränkung der Dividendenhöhe in die Gewinnverteilung eingriff. Siehe Ebd., S. 56–58, 66. 184 Bähr sieht bereits in der Notverordnung von 1931 einen grundsätzlichen Bruch mit der bisherigen, auf möglichst uneingeschränkter Gewerbefreiheit fußenden Wirtschaftspolitik des Kaiserreichs. Dies macht er fest an der Einführung der obligatorischen Bilanzprüfung, der Auflagen für die Kreditgewährung an den Vorstand und die Höchstzahlen für die Mitgliederzahl des Aufsichtsrats sowie die Zahl der Mandate, die eine Person auf sich vereinigen durfte. Vgl. Ebd., S. 39–40. 185 Deutsches Reich, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz), in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1937 Heft 15 (04.02.1937), §§ 75, 103 u. 125. Waren sich Aufsichtsrat und Vorstand über die Feststellung des Jahresabschlusses nicht einig, hatte die Hauptversammlung zu entscheiden. Dies galt auch, wenn Aufsichtsrat und Vorstand die Entscheidung der Hauptversammlung freiwillig anheimstellten.

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sammlung zur Berufung des Vorstands und des Entscheids über den Jahresabschluss gingen auf den Aufsichtsrat über. Dieser wurde immer noch von der Hauptversammlung gewählt. Allerdings konnte bestimmten Aktionären ein Entsendungsrecht zugesprochen werden, das an vinkulierte Namensaktien gebunden war.186 Den Inhabern dieser Aktien stand das Recht zu, einen Vertreter in den Aufsichtsrat zu entsenden und wieder abzuberufen.187 Das Recht der freien Aktionäre zur Wahl des Aufsichtsrats konnte so zu Gunsten anderer Stakeholder eingeschränkt werden. Dem Aufsichtsrat durften durch das Statut keine Leitungsfunktionen mehr übertragen werden; diese lagen nun vollständig in der Hand des Vorstands.188 So bestimmte § 70, Absatz 1 des Gesetzes, dass »der Vorstand […] unter eigener Verantwortung die Gesellschaft […] zu leiten [hat]«. Damit machte das Gesetz den Vorstand zum zentralen Leitungsorgan der Aktiengesellschaft; auch diese Bestimmung stellte einen klaren Bruch des Rechtsrahmens des Kaiserreichs und der Weimarer Republik dar. Der Vorstand war nun nicht mehr nur den Aktionären verpflichtet, sondern hatte das Unternehmen so zu führen, wie es das »Wohl des Betriebs und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich […] fordern«.189 Die Aktionäre waren also nur eine von vielen Interessengruppen, denen der Vorstand gerecht werden musste. Zudem waren sie in den Augen des Gesetzes eher unwichtig, da sie in § 70, Absatz 1, nicht erwähnt wurden. Gleichzeitig wurden die Aktionärsrechte jedoch leicht gestärkt.190 So wurde erstmals ein Fragerecht der Aktionäre zu Gegenständen, die auf der Hauptversammlung verhandelt wurden, kodifiziert.191 Die Auskunft konnte allerdings vom Vorstand mit der sehr dehnbaren Begründung des Schutzes der Interessen der Gesellschaft oder des Reichs verweigert werden. Daneben wurden die für die Geltendmachung der Minderheitenrechte vorgeschriebenen Haltefristen von Aktien von sechs auf drei Monate reduziert.192 Sollte aus dem Bericht der Wirtschaftsprüfer ein Fehlverhalten von Aufsichtsrat oder Vorstand hervorgehen, konnte das Recht zur Erzwingung der Geltendmachung von Schadensersatz­ 186 Ebd., § 88. Eine vinkulierte Namensaktie bedarf zu ihrer Übertragung der Zustimmung der Gesellschaft. 187 Bei Vorliegen wichtiger Gründe konnte eine Minderheit von zehn Prozent des Grundkapitals die Ablösung des entsandten Aufsichtsratsmitglieds durch das Gericht verlangen. 188 Deutsches Reich, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz), in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1937 Heft 15 (04.02.1937), § 95. Bestimmte Geschäfte konnten aber weiterhin von der Zustimmung des Aufsichtsrats abhängig gemacht werden. 189 Ebd., § 70, Abs. 1. 190 Laut Bayer u. Engelke, S. 649, wurde auch die Haftung des Vorstands ausgeweitet, da der § 84, Abs. 3 des Aktiengesetzes die enumerative Haftung des § 241, Abs. 3 HGB aufgehoben habe. 191 Deutsches Reich, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz), in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1937 Heft 15 (04.02.1937), § 112. 192 Ebd., §§ 118, 123.

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ansprüchen bereits von einer Minderheit von fünf Prozent (statt zehn Prozent) in Anspruch genommen werden.193 Der formalen Entmachtung der Aktionäre im innergesellschaftlichen Kräfteverhältnis stand eine Milderung der Stimmrechtsproblematik entgegen. So verbot das Gesetz die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien.194 Auch bestehende Mehrstimmrechtsaktien sollten ihren Vorzug im Stimmrecht verlieren. Der Status quo des Jahres 1884 wurde durch diese Regelung aber nicht wieder erreicht. Das Reichsjustizministerium konnte nämlich in Absprache mit dem Reichswirtschaftsministerium Ausnahmen zulassen. Zudem führte das Gesetz die Möglichkeit zur Schaffung stimmrechtloser Vorzugsaktien ein. Eine weitere wichtige Regelung betraf das Depotstimmrecht der Banken. Die Banken mussten nun zur Ausübung des Stimmrechts von ihren Kunden ausdrücklich ermächtigt werden.195 Eine solche Ermächtigung musste nach 15 Monaten erneuert werden oder verlor ihre Gültigkeit. Die Einholung einer unbeschränkten Vertretungsbefugnis durch die AGBs der Banken war damit nicht mehr möglich. Hier wurde die Stellung der Banken geschwächt und die der freien Aktionäre gestärkt. Dazu trug auch das explizite Gebot bei, dass das Stimmrecht von Aktien, die in Besitz der Gesellschaft oder deren Tochtergesellschaften waren, zu ruhen hatte. Sowohl das Aktiengesetz von 1937 als auch das Anleihestockgesetz aus dem Jahr 1934 griffen zu Ungunsten der Aktionäre in die Gewinnverteilung ein. Das Aktiengesetz nahm der Hauptversammlung das Recht, über die Gewinnverteilung zu entscheiden.196 Die Hauptversammlung war an den vom Aufsichtsrat zu billigenden Vorschlag des Vorstands gebunden. Sie konnte lediglich die Verteilung des Reingewinns gänzlich ausschließen. Hier fand also ebenfalls eine bedeutende Machtverschiebung von der Hauptversammlung hin zum Vorstand statt. Hinzu kam die Beschränkung der Dividende auf sechs Prozent durch das Anleihestockgesetz.197 Allerdings wurde nicht nur die Gewinnbeteiligung der Aktionäre eingeschränkt. So schrieb das Gesetz vor, dass die Gewinnbeteiligung des Aufsichts193 Die Bestimmungen zur Berichtspflicht des Vorstands an den Aufsichtsrat galten weiterhin. Die Rechte der Minderheiten im Aufsichtsrat wurden allerdings leicht eingeschränkt. Lehnte der Vorstand ein Auskunftsersuchen eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds ab, musste nun der Aufsichtsratsvorsitzende das Gesuch des Mitglieds unterstützen, um die Auskunft gegenüber dem Vorstand zu erzwingen (Ebd., § 95). 194 Ebd., § 12. 195 Ebd., § 114. 196 Ebd., § 126. 197 Hatte die Dividende im Vorjahr bei sechs Prozent gelegen, durfte eine Dividende von acht Prozent ausgeschüttet werden. Ausschüttungen, die den Betrag von sechs beziehungsweise acht Prozent überschritten, mussten bei der Deutschen Golddiskontbank in Reichsanleihen oder anderen öffentlichen Schuldtiteln angelegt werden. Insgesamt kamen durch diese Maßnahmen keine großen Summen zusammen, sie dürften aber ein Signal gesetzt haben, dass das Regime bereit war, zur Erreichung seiner Ziele Eigentumsrechte einzuschränken. Die psychologische Wirkung des Gesetzes sollte daher nach Bähr nicht unterschätzt werden. Für Details siehe: Bähr, S. 56–66.

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rats und des Vorstands in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufwendun­gen zu Gunsten der Angestellten des Unternehmens oder gemeinnütziger Organisationen stehen musste.198 Die Einhaltung dieser Vorschrift konnte durch die Staatsanwaltschaft erzwungen werden.199 Indem das Gesetz bei der Gewinnverteilung nun indirekt auch die Arbeiterschaft berücksichtigte, wurde die Wahrung der Aktionärsinteressen weiter an den Rand gedrängt.

1.4 Die unterschiedlichen Systeme des Aktionärsschutzes und der Offenlegung Die gesetzliche Regelung von Aktionärsschutz und Offenlegungsverpflichtungen haben in den Jahren zwischen 1870 und 1937 grundlegende Änderungen erfahren. Insgesamt lassen sich drei verschiedene Systeme unterscheiden, die schematisch in Abbildung 5 wiedergegeben werden. Die Abbildung trägt auf der vertikalen Achse den Grad der Offenlegungsverpflichtung ab, ein weiter vom Ursprung entfernt liegender Punkt repräsentiert dabei strengere Offenlegungsvorschriften. Auf der horizontalen Achse ist der Grad des Aktionärsschutzes abgetragen, also die den freien Aktionären durch die Gesetzgebung zugestandenen Kontroll-, Stimm- und Gewinnbezugsrechte. Analog zu den Offenlegungsvorschriften repräsentieren weiter vom Ursprung entfernt liegende Punkte einen höheren Aktionärsschutz. Der in den vorangegangenen Abschnitten beschriebene gesetzgeberische Status quo wird mit SQ abgekürzt, die tiefgestellte Jahreszahl bezeichnet das die Unternehmensverfassung und Offenlegungsverpflichtungen festlegende Gesetz, Kreise markieren die drei unterschiedlichen Corporate Governance Systeme. Dabei gilt es an dieser Stelle festzuhalten, dass es sich bei den in Abbildung 5 dargestellten Punkten um eine rein ordinale Ordnung handelt, die auf der vorangegangenen Darstellung der Entwicklung des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsstandards basiert. Aussagekraft kommt daher nur den relativen Abständen zwischen den einzelnen Punkten, nicht aber den absoluten Abständen zu. Die Aktienrechtsnovelle von 1870 legte die Grundlagen für das System des Aktionärsschutzes und der Offenlegung im Kaiserreich. Letzte Entscheidungsinstanz sollte die Generalversammlung sein, die auch die Umsetzung ihrer Entscheidungen durch den Vorstand kontrollieren sollte. Das Gesetz litt allerdings 198 Deutsches Reich, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz), in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1937 Heft 15 (04.02.1937), §§ 77 u. 98. 199 Daneben sollten auch die Gesamtbezüge des Aufsichtsrats und des Vorstands in einem angemessenen Verhältnis zu der Lage der Gesellschaft und den Aufgaben des Vorstands stehen. Bei einer Änderung der geschäftlichen Lage war der Aufsichtsrat berechtigt, die Bezüge entsprechend anzupassen (Ebd., §§ 78 u. 98).

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Offenlegungsverpflichtungen

SQ1937 SQ1931 SQ1897 SQ1920er SQ1884 SQ1870 Aktionärsschutz

Anmerkung: SQ Jahreszahl = Status Quo, die Jahreszahl bezieht sich auf den Zeitpunkt der Gesetzesänderung.

Abb. 5: Veränderung des Status quo des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsverpflichtungen, 1870–1937.

unter zahlreichen »Kinderkrankheiten«200, enthielt es doch in vielen Fällen nur Soll-Vorschriften, die über die Statuten der Gesellschaften wieder ausgehebelt werden konnten. So konnte kleineren Aktionären beispielsweise das Stimmrecht verweigert und die faktische Kontrolle über das Unternehmen dem Aufsichtsrat übertragen werden. Eine wirkliche formale Regelung des Aktionärsschutzes war so nicht gegeben. Daneben fehlte es an detaillierten Offenlegungsbestimmungen. Die Novelle von 1870 bestimmte lediglich, dass eine Bilanz aufzustellen und zu veröffentlichen sei. In welcher Form dies zu geschehen hatte, war den Beteiligten selbst überlassen. Etwas genauere Vorschriften machte die Novelle in Bezug auf die Offenlegung von Übernahmeverträgen bei der Gesellschaftsgründung. Aber auch hier blieben die Vorschriften unzureichend und konnten leicht umgangen werden. Das System der Novelle des Jahres 1870 war somit durch einen niedrigen Aktionärsschutz und nur rudimentäre Offenlegungsverpflichtungen gekennzeichnet. Die Regulierung der 1870er Novelle unterstützte also eine Form der Unternehmenskontrolle, bei der Gründer und ihre Familien sowie Banken eine dominante Rolle spielten.201 200 Lieder, Aktienrechtsnovelle, S. 383. 201 Diese Formen der Unternehmenskontrolle sind unter den Schlagworten »familiy capitalism« und »bank capitalism« bekannt. Siehe Morck, S. 4–7.

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Das System der Novelle von 1870 wurde durch das Gesetz aus dem Jahr 1884 grundlegend im Sinne der freien Aktionäre verbessert. Zwar wurde an dem 1870 aufgestellten System der Unternehmenskontrolle nicht gerüttelt, das Gesetz von 1884 schloss jedoch die Schlupflöcher, die Letzteres gelassen hatte und führte ein universales Stimmrecht sowie Individual- und Minderheitenrechte ein, die aktiven Aktionären die Einflussnahme auf die Unternehmenspolitik und deren Kontrolle ermöglichten. Der formale Aktionärsschutz wurde so deutlich verbessert. Ähnliches gilt für die Offenlegungsverpflichtungen, insbesondere für den Gründungsprozess. Durch die Verpflichtung des Vorstands, einen Geschäftsbericht zu veröffentlichen, der die Bilanz erläutern und Angaben zum Vermögensstand der Gesellschaft enthalten sollte, verbesserte sich auch die Publizität der laufenden Geschäftsführung.202 Das 1897 verabschiedete und Anfang des Jahres 1900 in Kraft getretene Handelsgesetzbuch setzte diesen Trend fort. Minderheitenrechte wurden leicht ausgebaut, an anderer Stelle aber auch zu Gunsten eines besseren Schutzes der Unternehmen vor Missbrauch eingeschränkt.203 Daneben wurde die Teilnahme an der Generalversammlung erleichtert, die Informationen über den Inhalt der Versammlung verbessert und den Aktionären eine Mindestdividende garantiert.204 Auch im Bereich der Gründungsoffenlegung gab es Fortschritte. Die Revisoren wurden gegenüber den Gründern gestärkt und das Prinzip der materiellen Prüfung stärker betont. Zusammen mit den seit Anfang des Jahres 1900 geltenden aktienrechtlichen Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs bildete das Gesetz von 1884 ein auf die freien Aktionäre zugeschnittenes System des Aktionärsschutzes und der Offenlegung.205 In den 1920er Jahren kehrte sich der Aktionärsschutz um. Durch die von den Gerichten sanktionierte Schaffung von Mehrstimmrechts- und Vorratsaktien 202 Allerdings nahm der Aktionärsschutz stärker zu als die Offenlegungsverpflichtungen. 203 Pahlow, S. 436–438. 204 Für den Fall, dass der Aufsichtsrat am Gewinn beteiligt wurde. Laut La Porta u. a., Law, kann eine garantierte Mindestdividende auf einen schwachen Aktionärsschutz hinweisen. Die garantierte Mindestdividende dient dann gewissermaßen als Kompensation für eine Benachteiligung der freien Aktionäre in Kontrollfragen. Der deutsche Fall scheint allerdings nicht in diese Argumentation zu passen. 205 Vgl. dazu Schubert u. Hommelhoff, die bereits im Titel ihrer Schrift implizieren, dass die Geburtsstunde des modernen deutschen Aktienrechts im Jahr 1884 und nicht im Jahr 1870 zu verorten ist und damit auf den deutlichen Unterschied zwischen dem System der Novelle von 1870 und dem Gesetz von 1884 hinweisen. Kritisch zu dieser Sichtweise äußert sich Hofer, S. 388–389. Hofer verweist darauf, dass bereits Zeitgenossen nicht von einem Systemwechsel sprechen wollten. Diesen unterschiedlichen Sichtweisen liegen voneinander abweichende Definitionen des Systembegriffs zugrunde. Während sich Hofers Definition auf das Genehmigungsverfahren bezieht, stellen Schubert und Hommelhoff auf die Unternehmensverfassung ab. Legt man erstere Definition zu Grunde, stellt die Ablösung des staatlichen Konzessionssystems durch das Normativsystem durch das Gesetz von 1870 den großen Bruch in der Rechtsordnung dar. Hier soll aber auf die zweite Definition abgestellt werden. In diesem Fall kann, wie oben dargelegt, von einem deutlichen Bruch nach 1884 gesprochen werden.

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sowie die Legalisierung des Depotstimmrechts der Banken verloren die nicht an der Leitung beteiligten Aktionäre faktisch ihren Einfluss auf die Unternehmenskontrolle. Zu dieser Entwicklung trug auch die (sinngemäße) Nichtbeachtung der Offenlegungsvorschriften des HGB bei. Auch diese Entwicklung wurde von den Reichsgerichten akzeptiert. Zwar handelte es sich bei der Entwicklung der 1920er Jahre nicht um eine formale Gesetzesänderung, die Schaffung neuer Rechtsinstitute wurde aber durch die Reichsgerichte legalisiert, so dass man von einer quasi-formalen Änderung des Aktienrechts sprechen kann. Aus diesem Grund sind die Modifikationen der 1920er Jahre in die Darstellung aufgenommen worden.206 Die Notverordnung von 1931 nahm sich nicht nur des Problems der mangelhaften Publizität an, sondern führte mit den Gliederungsvorschriften für Bilanz, Geschäftsbericht und Gewinn- und Verlustrechnung sowie mit der verpflichtenden Prüfung der Bilanz durch einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer bisher nicht dagewesene Offenlegungsstandards ein. Die Kontrolle des Vorstands durch den Aufsichtsrat wurde durch die Einführung der periodischen Berichtspflicht und des Auskunftsrechts einzelner Aufsichtsratsmitglieder ebenfalls gestärkt. Zu den Stimmrechts- und den damit verbundenen Kontrollproblemen traf die Notverordnung keine Entscheidung. Diese Probleme wurden erst mit dem Aktiengesetz von 1937 geregelt. Das Gesetz schrieb im Wesentlichen den Status quo der 1920er und 1930er Jahre fest. Indem der Generalversammlung die Möglichkeit genommen wurde, die Unternehmensstrategie zu bestimmen, deren Umsetzung zu kontrollieren und über die Gewinnverteilung zu entscheiden, wurde die Entmachtung der Aktionäre nun allerdings auch formal vollzogen.207 Auch das Recht der freien Aktionäre, den Aufsichtsrat zu bestimmen, wurde durch die Einführung des Entsendungsrechts beschnitten. Daneben schränkte die Anleihestockgesetzgebung den Dividendenbezug ein. Die Hauptversammlung verlor somit ihre Rolle als Prinzipal der Gesellschaft an den Vorstand.208 Dieser war nun nicht mehr alleine den Aktionären verantwortlich, sondern hatte auch gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen zu berück206 Die Verortung des Punktes SQ1920er fällt im Vergleich zu den anderen Punkten schwerer, da es sich hier um eine nicht kodifizierte Rechtsordnung handelt. Aufgrund des massiven Auftretens von Stimmrechtsbeschränkungen und der damit einhergehenden faktischen Entmachtung der freien Aktionäre erscheint eine Verortung des Punktes SQ1920er links des Punktes SQ1884 gerechtfertigt. Der Rückgang der Publizität lässt es angemessen erscheinen, den Punkt SQ1920er unterhalb des Punktes SQ1897 zu platzieren. Ob die Offenlegungsstandards in den 1920er Jahren deutlich schlechter waren als in den frühen 1880er Jahren, ist dagegen unklar. In Bezug auf die Offenlegungsstandards ist der Punkt SQ1920er daher als eine Obergrenze zu interpretieren. 207 Spindelmann, S. 44–46, 55. 208 Ebd., S. 55 weist darauf hin, dass die Teilhabemöglichkeiten der Hauptversammlung stark eingeschränkt wurden. Unter Geltung des HGB konnte die Generalversammlung über alle Gesellschaftsvorgänge entscheiden, es sei denn, sie waren explizit durch das Gesetz oder den Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen. Das Aktiengesetz von 1937 definierte dagegen einen engen Kreis von Vorgängen, denen die Hauptversammlung zustimmen musste.

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sichtigen.209 Insgesamt lag der Investorenschutz daher noch unter dem Niveau der 1920er und 1930er Jahre. Die umfangreichen Offenlegungsvorschriften der Notverordnung wurden durch das Aktiengesetz von 1937 übernommen. Zusammen mit der Notverordnung von 1931 stellte das Aktiengesetz somit ein System der Unternehmenskontrolle dar, das die freien Aktionäre im Vergleich zu den Leitungsgremien der Gesellschaft benachteiligte.210 Erstere wurden allerdings für den Verlust ihres Einflusses auf die Unternehmenskontrolle durch deutlich strengere Offenlegungsverpflichtungen entschädigt. Der oben beschriebene Systemwandel fand vor dem Hintergrund sich ändernder makroökonomischer und politischer Umweltbedingungen statt. Die starke Kapitalnachfrage der späten 1860er Jahre und der damit zusammenhängende starke Anstieg der Gesuche auf Erteilung einer Konzession zu Errichtung einer Aktiengesellschaft ließen die Liberalisierung des Gesellschaftsrechts im Juli 1870 sinnvoll erscheinen. Die auf die Börsenkrise des Oktobers 1873 folgende langanhaltende Finanzmarktkrise machte die Defizite der überhasteten Gesetzgebung der frühen 1870er Jahre mehr als deutlich und erzeugte so einen starken Reformdruck, der Anfang der 1880er Jahre realisiert wurde. Im Vergleich hierzu vollzog sich die Reform des Aktienrechts im Jahr 1897 in ruhigem Fahrwasser. Einen deutlichen Wandel erfuhr das Kapitalmarktumfeld während der letzten Kriegsjahre und der Inflationszeit. Der wachsende Geldüberhang und die Inflation ließen die Geldanlage in Aktien für breitere Bevölkerungsschichten attraktiv erscheinen, so dass die Zahl der renditeorientierten Aktionäre zunahm. Gleichzeitig kam es vermehrt zu feindlichen Übernahmen durch ausländische und deutsche Investoren. Beide Entwicklungen führten zu einer Intensivierung der Interessensgegensätze zwischen den Aktionären und der Unternehmensleitung und begünstigten wohl das Bestreben, die Position der eingesessenen Unternehmensleitung zu stärken und damit den Schutz der Ressourcen der Gesellschaft zu forcieren. Hinzu kam die geänderte Rechtsauffassung des Reichsgerichts, das basierend auf der Idee des Gesellschaftsinteresses vielen der von Unternehmensjuristen entwickelten Schutzmechanismen zu Gunsten der etablierten Unternehmensverwaltung zustimmte. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre kehrte sich die Kapitalmarktentwicklung wieder um. Immer mehr Privatanleger zogen sich aus dem Aktienmarkt zurück, und die Kapitalknappheit nahm zu. Im Zusammenspiel mit der wilden Weiterentwicklung des Aktienrechts entstand so ein erheblicher Reformdruck, der zur Aufnahme von Gesetz209 Vgl. Bayer u. Engelke, S. 668. 210 Ebd. weisen dagegen darauf hin, dass sich die vermögensrechtliche Lage der Aktionäre aufgrund ausgewogenerer Schutzbestimmungen verbessert habe. Dies mag stimmen. Dem Anstieg der Sicherheit der Investition stand aber der Verlust der Eingriffsmöglichkeit in die Unternehmenspolitik und in die Gewinnverteilung gegenüber. Im Vergleich zum Kaiserreich und der Weimarer Republik standen den Aktionären damit deutlich weniger Mittel zur Verfügung, eine in ihren Augen wertmindernde Unternehmens- oder Dividendenpolitik zu verhindern. Hinzu kam das erhöhte Risiko einer (schleichenden) Enteignung von Kapitalgewinnen durch die Anleihestockgesetzgebung.

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gebungsarbeiten im Jahr 1928 führte. Unmittelbare Auslöser gesetzgeberischer Maßnahmen waren aber die in der Weltwirtschaftskrise ab 1929 offen zu Tage tretenden Bilanzverschleierungen. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten verhinderte jedoch die Fortführung der 1928 begonnenen Gesetzgebungsarbeiten. Stattdessen machte sich die Reichsregierung daran, das Aktienrecht nach nationalsozialistischen Gesichtspunkten umzugestalten. Hier wirkte demnach ein politischer Schock auf den Wandel des Systems der Unternehmensverfassung. Wie stark die hier skizzierten Kausalbeziehungen zwischen dem Wandel der makroökonomischen und politischen Umweltbedingungen einerseits und dem Wandel von gesetzlichem Aktionärsschutz und Offenlegungsstandards andererseits waren und welche sozialen Mechanismen dabei ihre Wirkung zeigten, soll in den folgenden Kapiteln genauer untersucht werden.211

211 Unter einem sozialen Mechanismus soll dabei mit Hedström u. Swedberg, S. 7, ein kohärenter, Ursachen und Wirkung verbindender Erklärungsansatz verstanden werden.

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2. Politische Eliten, Vetospieler und Verhandlungsstrukturen

Über Veränderung und Stagnation von gesetzlichem Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften wurde in Verhandlungen zwischen Vetospielern entschieden, die versuchten, ihre präferierten Politikpunkte durchzusetzen. Diese Vetospieler waren wiederum Teil einer politischen Elite, in der verschiedene Vorstellungen über den Ausbau von gesetzlichem Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschlägen existierten. In diesem Kapitel soll daher der Frage nachgegangen werden, welche politischen Eliten sich an diesen Verhandlungen beteiligten und welchen politischen Entscheidungsträgern in den drei untersuchten politischen Systemen die Eigenschaft eines Vetospielers zukam. Zur politischen Elite zählt grundsätzlich jedes Individuum oder jede Organisation, die sich mit Fragen eines bestimmten Politikfelds beschäftigen und eine Vorstellung darüber entwickeln, wie bestimmte Probleme am besten zu lösen sind.1 Hierzu gehören politische Entscheidungsträger wie etwa Abgeordnete oder Minister, Verwaltungsbeamte, aber auch betroffene Gruppen wie Aktionäre, Aufsichtsräte und Vorstände und ihre Interessenvertretungen sowie Journalisten und Wissenschaftler. Unter Vetospielern verstehe ich mit George Tsebelis diejenigen politischen Entscheidungsträger, die einer Gesetzesänderung zustimmen müssen.2 Die Vetospieler stellen somit eine wichtige Teilmenge der politischen Elite dar, deren bloße Größe über das Zustandekommen eines positiven Verhandlungsergebnisses mit entscheiden kann.3 Dahinter steht die Überlegung, dass mit zunehmender Anzahl der Vetospieler die Kompromissfindung schwieriger wird. In der Regel handelt es sich bei Vetospielern um Kabinette, Parlamente und Staatsoberhäupter. Vetospieler werden somit durch die Verfassung eines Staates definiert. Es können aber auch Individuen als Vetospieler austreten, etwa Staatsoberhäupter wie der Kaiser des Deutschen Reichs und der Reichspräsident in der Weimarer Republik oder ein Minister. Neben diesen individuellen Vetospielern existieren kollektive Vetospieler, die sich aus mehreren Vetospielern zusammensetzen und nach einer festgesetzten Entscheidungsregel abstimmen. Der Abstimmungsregel kann dabei eine gewisse Bedeutung zukommen, indem sie die Handlungsfähigkeit eines kollektiven Vetospielers beeinflussen kann. So wird es etwa im Fall einer unitaristischen Abstimmungsregel deutlich schwieriger,

1 Sabatier, Advocacy coalition. 2 Tsebelis, Veto Players, S. 2–3. 3 Ebd., S. 24–26.

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einen Kompromiss zu erzielen und die Verhandlungen der Vetospieler zu einem positiven Ende zu bringen. Die vorherrschenden Entscheidungsregeln sind daher ebenfalls von Interesse. So bestand der Reichstag aus verschiedenen Parteien, die mit einfacher Stimmenmehrheit ein Gesetz annehmen oder blockieren konnten. Gleiches gilt für den Bundesrat des Deutschen Kaiserreichs. Hier übernahmen die einzelnen Bundesstaaten die Rollen der Parteien.4 Bei den Kabinetten handelt es sich ebenfalls um einen aus den Ministern bestehenden kollektiven Vetospieler, die ebenfalls mit einfacher Stimmenmehrheit über die Annahme eines Gesetzentwurfs entschieden. Daneben können noch andere, nicht zwangsläufig durch die Verfassung definierte Vetospieler existieren. Zu denken ist dabei etwa an die zentralen Parteigremien in einem Einparteienstaat oder das Militär. Es reicht daher nicht, sich bei der Identifikation der Vetospieler auf die geschriebene Verfassung des zu untersuchenden politischen Systems zu konzentrieren – die ungeschriebene Verfassungspraxis muss ebenfalls Berücksichtigung finden. Inwiefern Vetospieler tatsächlich zu dem Ausgang der Verhandlungen über die in dieser Untersuchung behandelten Gegenstände beitrugen, ist nicht gesagt. Dies war nur dann der Fall, wenn ein Vetospieler über einen präferierten Politikpunkt verfügte beziehungsweise, wenn sein präferierter Politikpunkt nicht bereits durch andere Vetospieler vertreten wurde. Neben der Frage nach den durch Verfassung und Verfassungspraxis definierten Vetospielern ist daher auch die Verhandlungsstruktur von Bedeutung. Verhandlungen zwischen Vetospielern laufen in der Regel sequenziell ab.5 Zunächst macht ein Vetospieler oder eine Gruppe von Vetospielern, der oder die sogenannten Agendasetzer, den anderen Spielern einen Vorschlag, der in nachfolgenden Verhandlungen modifiziert werden kann, bevor über die Annahme des so modifizierten Vorschlags entschieden wird.6 Die Möglichkeit, die Agenda bestimmen zu können, ist für das Verhandlungsergebnis von großer Bedeutung, da durch die Formulierung eines Entscheidungsvorschlags bestimmte Alternativen von vorneherein ausgeschlossen werden können und der Agendasetzer somit in der Lage ist, den anderen Vetospielern einen Vorschlag zu unterbreiten, der seinem eigenen präferierten Politikpunkt sehr nahe kommt.7 Dieser Vorteil des Agendasetzers ist umso größer, je mehr sein optimaler Politikpunkt zwischen den präferierten Lösungen der anderen Vetospieler liegt und so ein Konsens der Beteiligten leicht zu erreichen ist.8 Die Herausarbeitung des oder der Agendasetzer muss daher

4 Dabei sind die politischen Parteien und Bundesstaaten wiederum kollektive Vetospieler, bestehend aus einzelnen Abgeordneten oder Ministern. 5 Benz, Politik, S. 54. 6 Tsebelis, Veto Players, S. 2. Die Entscheidungssequenz wurde ebenfalls durch die Verfassung sowie die Geschäftsordnung des Parlaments und der Regierung festgelegt. 7 Laut Tsebelis, S. 10, wurde die Bedeutung der Möglichkeit zur Bestimmung der Agenda zuerst von dem römischen Historiker Titius Livius (* 59 v. Chr. † 17 n. Chr.) erkannt. Theoretisch formuliert wurde das Argument zuerst von McKelvey. 8 Tsebelis, Veto Players, S. 35–37.

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ebenfalls Aufgabe dieses Kapitels sein. An dieser Stelle lassen sich zudem zwei weitere Typen von Vetospielern unterscheiden: Je nachdem, ob ein Entscheidungsträger das Verhandlungsergebnis beeinflussen kann oder ob er nur über die Annahme des modifizierten Verhandlungsergebnisses entscheiden kann, soll von internen und externen Vetospielern die Rede sein.9 Zwar entscheiden Vetospieler über das Verhandlungsergebnis und damit die gesetzliche Ausgestaltung von Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften, dabei sind sie jedoch häufig nicht in der Lage, auf sich allein gestellt adäquate Lösungen für aktuelle Problemlagen zu erarbeiten oder gar Handlungsbedarf zu erkennen. Dies gilt insbesondere für hierarchisch organisierte Vetospieler wie Behörden und Ministerien, die auf Informationen und Anregungen von außen angewiesen sind.10 In dieser Funktion kam im Untersuchungszeitraum auch den nicht zu den Vetospielern zählenden politischen Eliten eine wichtige Rolle zu, indem sie Handlungsbedarf identifizierten und den Vetospielern Lösungsvorschläge anboten. Teilweise wurden diese Beziehungen zwischen Vetospielern und übriger politischer Elite in feste institutionelle Bahnen gelenkt, etwa durch die Berufung von Sachverständigenkommissionen, Enqueten bei den Handelskammern oder die Gründung ständiger Beratungsgremien. Da mit der Einbindung in solche institutionellen Gremien gewisse Vorteile, wie beispielsweise ein leichterer Zugang zu den Vetospielern, verbunden sein können, gilt es an dieser Stelle diese institutionellen Beziehungen ebenfalls zu identifizieren.

2.1 Kaiserreich Gemessen an den in den Quellen und der zeitgenössischen Literatur anfallenden Debattenbeiträgen, setzte sich die nicht zu den Vetospielern zählende politische Elite im für die Entstehung des Aktiengesetzes von 1884 maßgebenden Zeitraum (1873–1884) hauptsächlich aus Aufsichtsräten und Vorständen von Aktiengesellschaften, Bankiers, praktischen Juristen, Richtern sowie Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlern zusammen.11 Obwohl Mitglieder dieser Gruppen zahlreiche Einzelschriften verfassten, die Fragen des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsbestimmungen berührten, agierten sie meist nicht als Individuen, sondern durch Organisationen, wie Handelskammern, dem Deutschen Handelstag, dem Deutschen Juristentag und dem Verein für Socialpolitik. In vielen Fällen dienten die genannten Organisationen als »Impulsgeber« und »Katalysa­ toren«,12 die die vielen Einzelmeinungen zu einem Ausgleich brachten und der Öffentlichkeit präsentierten. Die Interessen der leitungsnahen Stakeholder, der 9 Benz, Politik, S. 55. 10 Jann u. Wegrich, S. 99; Scharpf, S. 174–178; Tsebelis, Veto Players, S. 215–216. 11 Siehe: BArch, R 3001/2865; BArch, R 3001/2866; BArch, R 1501/100006; BArch, R 101/5121. 12 Lieder, Reformbestrebungen, S. 112–113.

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Tab. 1: Direkt in der Handelskammer Dortmund vertretene Aktiengesellschaften, 1864–1897. Aktiengesellschaft

Periode

Karl Ruez & Co. (KGaA)

1864–1878

Union AG für Bergbau, Eisen und Stahlindustrie

ab 1872

Hörder Bergwerks- und Hüttenverein

ab 1872

Dortmund-Gronau-Enscheder-Eisenbahngesellschaft

1876–1883

Eisenindustrie zu Menden und Schwerte

1876–1883

Dortmunder Union Brauerei

1886–1892

Eisen- und Stahlwerke Hoesch

1886–1898

Vereinigte Deutsche Nickelwerke

1896–1923

Gelsenkirchener Bergwerks AG

1897–1907

Aufsichtsräte, Vorstände und Bankiers – die wiederum oft als Aufsichtsräte fungierten13 – wurden hauptsächlich durch die Handelskammern und den Deutschen Handelstag vertreten. Die genaue Zusammensetzung der Handelskammern und kaufmännischen Korporationen kann heute nicht mehr rekonstruiert werden. Für einige Aktiengesellschaften lässt sich die Verflechtung von Aktiengesellschaften und Handelskammern jedoch genauer zeigen. Erfreu­licherweise gehen nämlich einige Kammergeschichten auf die Frage ein, inwieweit Aktiengesellschaften in den Handelskammern der 1870er und 1880er Jahre vertreten waren. Für die Handelskammer Dortmund legt Paul Mertes eine Liste aller in der Handelskammer vertretenen Personen und der von ihnen repräsentierten Firmen vor, aus der sich ermitteln lässt, wie viele Aktiengesellschaften direkt in Person ihre Vorstände Mitglied in der Handelskammer waren.14 Das Ergebnis ist in Tabelle 1 zusammengefasst. In dem für die Reform des Aktienrechts relevanten Zeitraum von 1873 bis 1884 hatten insgesamt fünf Aktiengesellschaften einen Sitz in der Handelskammer Dortmund. Mit der Union AG saß auch das größte deutsche Unternehmen seit seiner Gründung im Jahr 1872 in der Dortmunder Kammer.15 Die Zahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Kammer vertretenen Aktiengesellschaften schwankte zwischen drei (im Jahr 1872) und fünf (im Jahr 1876). Bei einer Mitgliederzahl von zwölf Personen erreichten die Aktiengesellschaften nie eine Mehrheit, ihre Zahl war aber auch nicht

13 Burhop, Banken; Fohlin, History. 14 Mertes, S. 143–148. 15 Das nominelle Eigenkapital der Union AG betrug im Jahr 1887 39,7 Mio. RM. Neben der Union AG zählte auch der Hörder Bergwerksverein zu den 100 größten deutschen Unternehmen. Siehe: Kocka u. Siegrist.

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Tab. 2: Die Zahl der Aufsichtsratsmandate der Mitglieder der Frankfurter Handelskammer in den Jahren 1873 und 1883. Aufsichtsratsmandate

1873

1883

Absolut

Relativ

Absolut

Relativ

10

0,50

8

0,44

1

4

0,20

2

0,11

2

1

0,05

3

0,17

3

2

0,10

2

0,11

4

2

0,10

1

0,06

1

0,06

1

0,06

Kein Mandat

5 6 15 Summe

1 20

0,05 1

18

1

so unerheblich, dass sie die Stellungnahmen der Handelskammer nicht beeinflussen konnten. Die direkte Vertretung der Aktiengesellschaften durch ihre Vorstandsmitglieder war allerdings nicht die einzige Möglichkeit für Aktiengesellschaften, in der Handelskammer vertreten zu sein. Neben der direkten bestand die Möglichkeit der indirekten Teilhabe durch Aufsichtsräte und Großaktionäre, die als Inhaber einer Personengesellschaft in die Handelskammer gewählt worden waren.16 Da den Aufsichtsräten im Kaiserreich auch immer eine wichtige Leitungsfunktion zukam, darf dieser indirekte Einfluss nicht unterschätzt werden.17 Für die Handelskammer Dortmund lässt sich dieser Einfluss leider nicht quantifizieren. In einer 1908 erschienenen Festschrift der Handelskammer Frankfurt finden sich allerdings Angaben zu Aufsichtsratsmandaten ihrer Mitglieder.18 Die Verteilung für die Jahre 1873 und 1883 ist in Tabelle 2 abgebildet. Demnach hatten 50 Prozent (1873) beziehungsweise 56 Prozent (1883) aller Mitglieder mindestens ein Aufsichtsratsmandat inne. Die meisten Mitglieder (45 Prozent 1874; 51 Prozent 1883) nahmen zwischen einem und sechs Mandate wahr. Nur ein Mitglied kumulierte in beiden Stichjahren 15 Mandate. Eine Aufstellung aller Aufsichtsratsmandate der Kammermitglieder wie sie die Frankfurter Handelskammer in ihrer Festschrift bereitstellt, findet sich in dieser Form bei keiner anderen Kammer. Für die Berliner Kaufmannschaft lässt sich aber mit Hilfe des Mitgliederverzeichnisses19 und Informationen aus der 16 Mertes, S. 45–53. 17 Hopt, S. 232–237. 18 Handelskammer zu Frankfurt a. M., S. 1066–1076. 19 Älteste der Berliner Kaufmannschaft, Verzeichnis.

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Neuen Deutschen Biographie (NDB) für einige Mitglieder der Ältestenschaft, dem Führungsgremium der Korporation, ebenfalls eine Verbindung zu Aktien­ gesellschaften nachweisen. Die in Tabelle 3 präsentierten Daten stellen eine Untergrenze dar, da nur die prominentesten Mitglieder der Ältestenschaft Eingang in die NDB gefunden haben. Trotzdem weist im Jahr 1886 fast die Hälfte der Mitglieder des Führungsgremiums eine direkte (Vorstand) oder indirekte (Aufsichtsrat) Verbindung zu Aktiengesellschaften auf. Die Handelskammer Frankfurt und die Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft waren stark von Banken geprägt, was die Zahl der ausgeübten Aufsichtsratsmandate positiv beeinflusst haben mag. Insgesamt dürfte es aber auch in anderen Handelskammern, wie von Mertes für den Dortmunder Raum bestätigt, eine Verbindung von Aufsichtsräten und Handelskammermitgliedern gegeben haben. Den Eindruck, den Daten und Literatur vom Einfluss der an der Führung von Aktiengesellschaften beteiligten Personen auf die Handelskammern geben, muss unvollständig bleiben. Es scheint aber plausibel, dass der Einfluss dieser Personen auf die Reformvorstellungen der Handelskammern nicht unerheblich gewesen ist. Diese Position wird auch von Zeitgenossen geteilt. So warf Friedrich Wachtel, ehemaliger Mitarbeiter einer Frankfurter Privatbank, die sich im Jahr 1872 in eine AG umwandelte, in einer an den preußischen Handelsminister gerichteten Denkschrift den Mitgliedern der Handelskammern vor, die Fragen des preußischen Handelsministeriums nicht unparteiisch beantworten zu können, da nicht wenige Handelskammermitglieder an Gründungen beteiligt gewesen seien, bei denen es zu Manipulation auf Kosten der Aktionäre gekommen sei.20 Der Eindruck Wachtels wird von der Schutzvereinigung der Aktionäre der rumänischen Eisenbahnaktiengesellschaft bestätigt. In ihrem Schreiben an das Reichskanzleramt raten die Aktionärsvertreter davon ab, die Handelskammern, die Ältestenkollegien der Kaufmannschaften oder den Handelstag in die Beratungen über ein neues Aktiengesetz einzubeziehen, da diese die Leitungsorgane der Aktiengesellschaften und deren Interessen repräsentieren würden.21 Man kann also davon ausgehen, dass die Führungsgremien von Aktiengesellschaften – mit regionalen Unterschieden und Besonderheiten – in vielen Fällen Einfluss auf die Politik der Handels- und Gewerbekammern im Kaiserreich nehmen konnten.

20 Siehe die Denkschrift Wachtels vom 02.07.1873 an den preußischen Minister für Handel und Gewerbe, in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 7. 21 Siehe das Schreiben des Vorstands Schutzvereins gegen Schädigung und Ausbeutung der Aktionäre der rumänischen Eisenbahnaktiengesellschaft an das Reichskanzleramt, Essen 08.11.1877, in: BArch, R 3001/2865.

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Tab. 3: Vorstands- und Aufsichtsratsmandate der Mitglieder der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft im Jahr 1886.22 Name

Vorname

Verbindung zu Aktiengesellschaften

Verbindung zu AGs in NDB nachgewiesen Delbrück

Adelbert

AR Vorsitzender der Deutschen Bank; von 1886–1889 Vorsitzender des AR der Deutschen Überseebank

Frentzel

Adolf

Direktor der Berliner Produkten- und ­Handelsbank

Goldschmidt

Friedrich

Direktor der Aktienbrauereigesellschaft Friedrichs­höhe, vormals Patzenhofer

Hagelberg

Wolff

Hecker

Emil

Discontogesellschaft

Herz

Wilhelm

AR Vorsitzender der Schultheiß Brauerei; evtl. schon Mitglied des AR der Deutschen Bank

Kaempf

Johannes

Neben dem Vorstandsposten der Darm­ städter Bank (Bank für Handel und Indus­ trie) zahlreiche Aufsichtsratsmandate

Mendelsohn

Franz von (Präsident)

Mendelsohn & Co.

Schwabach

Julius

S. Bleichröder

Siemens

Georg von

Vorstand der Deutschen Bank, zahlreiche AR Mandate; Vorsitzender bei sieben Gesellschaften, stell. Vorsitzender bei vier Gesellschaften

In NDB keine Verbindung zu AGs nach­gewiesen Behrens, Ernst; Dietrich, Gustav (Vize­präsident); Kochhann, Heinrich; Kühnemann, Fritz; Kunheim, Heinrich Georg; Liebermann, Benjamin (Vizepräsident); Meyer, Carl; Reichenheim, Julius; Schlicke, Friedrich; Sobernheim, Siegfried; Weigert, Max Anmerkung: Als Mitglied der persönlich haftenden Gesellschafter der Discontogesellschaft wird vermutet, dass Emil Hecker Mitglied in einigen Aufsichtsräten war. Für Franz von Mendelsohn und Julius Schwabach werden ebenfalls Aufsichtsratsmitgliedschaften angenommen, da beide Inhaber bedeutender Privatbanken (Mendelsohn & Co., S. Bleichröder) waren. Für die beiden Personen existiert aber kein NDB-Eintrag.

22 Ebd.; Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, NDB.

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In der preußischen Provinz Hannover und dem Großherzogtum Braunschweig bildete sich darüber hinaus im Vorfeld der Bundesratsverhandlungen im Winter 1883 unter Führung der Hannover’schen Bank eine spontane Interessenvertretung von Aktiengesellschaften aus diesen zwei Territorien.23 Über den Direktor der Ilseder Hütte und Aufsichtsrat der Bank, Gerhard Lucas Meyer, gelang es der Hannover’schen Bank wohl auch, die lokale Handelskammer für ihre Zwecke einzuspannen – das im Februar entstandene Gutachten der Handelskammer stimmt mit der im Januar entstandenen Petition der Hannover’schen Bank in vielen Passagen wörtlich überein.24 Insgesamt scheint es somit, als hätten die Banken im Kaiserreich die Meinungsführerschaft innerhalb des Lagers der leitungsnahen Gruppen inne. Dafür spricht ebenfalls, dass die beiden Gutachten der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft aus den Jahren 1873 und 1883 häufig von anderen Kammern zitiert wurden.25 Die Berliner Kaufmannschaft betrieb die größte Börse des Reichs.26 In ihrem Führungsgremium, der Ältestenschaft, waren zudem viele renommierte Privatbankiers und Führungsmitglieder von Aktiengroßbanken vertreten.27 Für das Jahr 1886 lassen sich beispielsweise sieben der 21 Ältesten (33 Prozent) mit einer Privat- oder Aktiengroßbank in Verbindung bringen.28 Der Deutsche Handelstag wurde mit Adelbert ­Delbrück (Deutsche Bank) ebenfalls durch einen bedeutenden Bankier geleitet, der so Einfluss auf die offiziellen Stellungnahmen des Verbands nehmen konnte. Zusammen mit Emil Russel, dem Geschäftsinhaber der Discontogesellschaft, war Delbrück auch Mitglied einer Sachverständigenkommission, die im Frühjahr 1882 auf Betreiben des Reichsamts des Inneren und des Reichsjustizamts zusammentrat.

23 Siehe die Eingabe der Vereinigung beim Reichsamt des Inneren von Ende Januar 1884, in: BArch, R 1501/100006. 24 Das Gutachten der Handelskammer Hannover trägt das Datum vom 11.02.1884; die Petition der Hannover’schen Bank muss Mitte / Ende Januar 1884 entstanden sein. Beide Gutachten finden sich in: BArch, R 1501/100006. 25 Am deutlichsten wird dies im Gutachten der Danziger Kaufmannschaft aus dem Herbst 1883, das sich in den meisten Punkten den Argumenten der Berliner Kaufmannschaft anschließt. Das Gutachten findet sich in: BArch, R 1501/100006. Aber auch die Hamburger Handelskammer zitiert das Gutachten der Berliner Kaufmannschaft zustimmend. Siehe das Gutachten der Hamburger Handelskammer aus dem Januar 1884, in: BArch, R 3001/2867. 26 Zur Berliner Börse jetzt: Buchner. 27 Biggeleben. 28 Unter den Aktiengroßbanken waren die Deutsche Bank, die Discontogesellschaft und die Darmstädter Bank vertreten. Zu den vertretenen Privatbanken gehörten so bedeutende Häuser wie das Bankhaus Bleichröder, Delbrück, Leo & Co. und Mendelsohn. Die Auswertung basiert auf der im Mitgliederverzeichnis abgedruckten Namensliste der Ältesten und der Recherche in der Online-Version der Neuen Deutschen Biographie (https://www.deutschebiographie.de/). Siehe: Älteste der Berliner Kaufmannschaft, Verzeichnis und Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, NDB.

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Anwälte, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler sowie Richter trugen ihre Problemperzeptionen und Lösungsvorschläge vor allem über den Juristentag und den Verein für Socialpolitik vor, die jeweils in den Jahren 1873 (Juristentag und Verein für Socialpolitik) und 1880 (Juristentag) konferierten und dabei die drängenden Fragen des Aktienrechts besprachen, Gutachten erstellten und Resolutionen formulierten.29 Neben diese privaten Organisationen trat mit dem Reichsoberhandelsgericht, das im Jahr 1877 ein Gutachten mit Reformvorschlägen vorlegte, eine staatliche, mit Juristen besetzte Organisation.30 Außer den hier genannten Gruppen müssen freie Aktionäre und einige kritische Journalisten zur politischen Elite gezählt werden.31 Gemessen an den Beiträgen in den Quellen, die ihnen zugeordnet werden können, haben sie in der politischen Debatte des Kaiserreichs jedoch eine geringere Rolle gespielt. Auffallend ist der niedrige Organisationsgrad der freien Aktionäre. Eine reichsweite Schutzvereinigung privater Aktionäre scheint im Kaiserreich nicht existiert zu haben. Einem Versuch, einen solchen Verein im Jahr 1875 in Preußen zu gründen, war wohl kein Erfolg beschieden.32 Zumindest wurde der Verein in der Diskussion um das Aktiengesetz in der ersten Hälfte des Jahres 1884 nicht aktiv. Auf Unternehmensebene lassen sich allerdings – für das Kaiserreich33 – einige wenige Zusammenschlüsse freier Aktionäre nachweisen.34 Die periphere Rolle der freien Aktionäre und ihr geringer Organisationsgrad hängt sehr wahrscheinlich mit ihrer geringen Zahl zusammen. Es existieren jedoch leider kaum Informationen über die Zusammensetzung der Anteilseigner deutscher Aktiengesellschaften.35 Eine Aussage über soziale Herkunft und dem Anteil von Aktionären an der Bevölkerung ist daher äußerst schwer zu treffen. Für das Kaiserreich gibt es allerdings Daten über durchschnittliche Depotgrößen der von der Reichsbank verwalteten Wertpapiere. Kombiniert mit 29 Behrend u. a.; Deutscher Juristentag, Verhandlungen 1874; Deutscher Juristentag, Verhandlungen 1881; Lieder, Reformbestrebungen; Verein für Socialpolitik, Verhandlungen 1873. 30 Reichsoberhandelsgericht. 31 Perrot, Aktienschwindel; Ders., Votum; Glagau, Berlin; Ders., Deutschland. 32 Der Aufruf, sich dem neugegründeten Schutzverein für Aktionäre anzuschließen, findet sich in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 8. Ziel des Vereins war es, die »Energien« der Aktionäre zu bündeln, um deren Interessen besser gegenüber Vorstand und Aufsichtsrat durchsetzen zu können. 33 Das muss nicht heißen, dass solche Zusammenschlüsse nicht auch in der Weimarer Republik oder im »Dritten Reich« existierten. Ihre Zahl war aber wohl überschaubar, auch im Kaiserreich. 34 So findet sich in den Akten des Reichsjustizamts eine Eingabe des »Schutzvereins gegen Schädigung und Ausbeutung der Actionaire der Rheinischen Eisenbahn Actien Gesellschaft« vom 08.11.1875. Von der Vereinigung der freien Aktionäre der Berliner Handelsgesellschaft zu Beginn der 1880er Jahre war bereits die Rede. Siehe: BArch, R 3001/2865 und BArch, R 3001/2866. 35 Ein an der Universität Hohenheim angesiedeltes DFG-Projekt unternimmt zur Zeit Bemühungen diese Forschungslücke zu schließen. Siehe: Neumayer; Neumayer u. Lehmann. Außerdem Franks u. a.

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Tab. 4: Offene Wertpapierdepots der Reichsbank, Bestand zum 31. Dezember (1886–1915). Jahr

Zahl der Deponenten

Anteil der ausländischen Wertpapiere und deutscher Staatsanleihen

Durchschnitt­ liche Depotgröße pro Deponent

Für deutsche Aktien freies Depot

1886

31.171

0.47

51.137

24.209

1890

42.644

0.67

50.748

33.886

1895

57.671

0.62

47.182

29.223

1900

68.228

0.58

42.340

24.419

1905

73.703

0.56

43.241

24.040

1910

74.293

0.55

42.829

23.440

1915

121.816

0.59

32.921

19.530

Informationen über Einkommensverteilung sowie Ausgabe- und Sparverhalten von Haushalten im Deutschen Kaiserreich lassen sich aber vorsichtige Aussagen über die soziale Herkunft von Aktionären und deren Anteil an der Gesamtbevölkerung machen. Tabelle 4 zeigt die Entwicklung der Zahl der Deponenten und der durchschnittlichen Depotgröße der durch die Reichsbank verwalteten Wertpapierdepots.36 Das Angebot der Reichsbank traf nach Bekunden der Bank auf ein weit verbreitetes Bedürfnis, da die größeren Geschäftsbanken zunächst nur ihren langjährigen Kunden die Deponierung und Verwaltung von Wertpapieren anboten.37 Obwohl die physische Deponierung der Wertpapiere auf die Berliner Zentrale begrenzt blieb, zählten Personen aus allen Reichsteilen zu den Kunden der Bank. Die durchschnittliche Depotgröße dürfte somit einigermaßen repräsentativ für das Reichsgebiet sein. Sie lag im Jahr 1886 bei etwa 51.137 Mark, wovon etwas mehr als die Hälfte in Aktien angelegt worden sein könnte. Um die Frage zu beantworten, welche Personen sich solch ein Depot leisten konnten, bieten sich zwei Wege an. Am Naheliegendsten ist es, die Zahl der Deponenten heranzuziehen. Im Jahr 1886 lag diese bei 31.171 Personen, bezogen auf eine Bevölkerung von etwa 48,9 Millionen entspricht dies 0,07 Prozent der Gesamtbevölkerung des Jahres 1885. Diese Zahl erscheint jedoch zu niedrig, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Depotstruktur der Reichsbank nur eine Stichprobe aus einer größeren Grundgesamtheit darstellt. Anhand der von Henrik 36 Die Aufgabe der Reichsbank bestand einmal in der sicheren Lagerung der Wertpapiere. Mitarbeiter der Reichsbank kümmerten sich aber auch um die anfallenden Verwaltungsaufgaben, etwa die Abtrennung von Zinsscheinen und die Einziehung von Zinsen, die Beschaffung von Ersatzstücken sowie neuer Gewinnanteilsscheine usw. Vgl. Reichsbank, S. 201–211. 37 Ebd.

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Fischer erstellten Meta-Studie zum Ausgabeverhalten deutscher Haushalte im Kaiserreich soll daher versucht werden, plausible Überlegungen darüber anzustellen, welche sozialen Gruppen die Finanzkraft besaßen, um ein Depot von etwa 51.000 Mark anzulegen.38 Die preußische Einkommenssteuerstatistik kann dann zur Errechnung des Anteils dieser Gruppe an der Gesamtbevölkerung verwendet werden. In seiner auf einer Clusteranalyse basierenden Studie ordnet Fischer die von ihm untersuchten Haushalte verschiedenen Konsummustern und gesellschaftlichen Gruppen zu.39 Daneben liefert er auch Angaben zum Sparverhalten der verschiedenen Haushaltstypen.40 Ein Depot in Höhe von 51.000 Mark entsprach etwas mehr als dem 50-fachen des Einkommens eines Arbeiterhaushalts.41 Die durchschnittliche Sparleistung eines solchen Haushalts lag um die 118 Mark. Zum Aufbau eines Durchschnittsdepots hätte ein Arbeiterhaushalt demnach mehr als 430 Jahre benötigt. Selbst Haushalte mit einem Einkommen um die 7.600 Mark legten im Durchschnitt nur 997 Mark jährlich zurück. Ein solcher Haushalt hätte ohne geerbtes Vermögen immer noch 50 Jahre zum Aufbau eines Durchschnittsdepots benötigt. Erst Haushalte mit einem Jahreseinkommen um die 17.500 Mark hatten eine Sparquote, die ihnen den Aufbau eines Durchschnittsdepots innerhalb von etwas mehr als zehn Jahren erlaubte.42 Zu einer solchen Vermögensbildung waren nur bürgerliche Haushalte in der Lage.43 Betrachtet man die preußische Einkommenssteuerstatistik von 1896 besaßen nur 0,63 Prozent der steuerpflichtigen Haushalte Preußens ein jährliches Einkommen von mehr als 9.500 Mark.44 Geht man davon aus, dass bürgerliche Haushalte über mehrere Generationen Vermögen gebildet haben und bezieht daher auch die Einkommensgruppe von 6.000 bis unter 9.500 Mark mit ein – die das Cluster der um die 7.600 Mark verdienenden Haushalte mit einschließt –, erhöht sich der Anteil der potentiell aktienbesitzenden Haushalte auf 1,26 Prozent der Bevölkerung. Das heißt natürlich nicht, dass sich Aktienbesitz auf diese

38 Fischer, Konsum. 39 Ebd., S. 213–262. 40 Ebd., S. 347. 41 Dabei wird davon ausgegangen, dass sich Einkommen und Ausgaben in etwa die Waage gehalten haben. Das Einkommen eines »proletarischen« Konsummustern (Fischer) folgenden Haushalts lag bei etwa 930 Mark. In diesem Cluster finden sich hauptsächlich Arbeiter- und Handwerkerhaushalte. 42 Die durchschnittliche Ersparnis eines »freizeitbezogenen« Konsummustern folgenden Haushalts (Fischer) lag bei 4.357 Mark jährlich. 43 Die Haushaltsrechnungen, die den hier beschriebenen Konsummustern zugeordnet werden, stammen ausschließlich von höheren Beamten und Richtern. Da die Überlieferungslage von Haushaltsrechnungen aus dem Bürgertum nur sehr lückenhaft ist, ist davon auszugehen, dass sich auch andere bürgerliche Berufsgruppen den von Fischer beschriebenen Lebensstandard leisten konnten. Zur Überlieferungslage siehe: Fischer, Konsum, S. 240–242. 44 Ebd., S. 166.

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sehr kleine Gruppe beschränkt haben muss.45 So berichtet die Reichsbank von einer erheblichen Spannweite der von ihr verwalteten Vermögen, die zwischen unter 100 Mark und vier Millionen Mark lag.46 Es können also auch Lehrer, mittlere Beamte und Angestellte im Besitz von Aktien gewesen sein.47 In heißen Marktphasen mögen auch Handwerker und Arbeiter ihre Ersparnisse in Aktien investiert haben. Hinweise darauf finden sich bei Markus Baltzer, der aus dem Quotienten von Emissionsvolumen und Nettosozialprodukt eine Aktiensparquote für die Jahre zwischen 1870 und 1880 errechnet.48 Im Jahr 1870 lag diese Aktiensparquote bei 1,55 Prozent, bis 1872 war sie auf 9,29 Prozent gestiegen, um dann wieder deutlich unter ein Prozent zu fallen. Bei einer jährlichen Sparleistung der mittleren und unteren Einkommensgruppen zwischen 100 und 300 Mark49 kann der Prokopfaktienbesitz dieser Gruppen jedoch nicht erheblich gewesen sein. Dies gilt auch dann, wenn man ein für Kleinanleger attraktives Aktienangebot annimmt. Dazu gehören ein Mindestnennwert von 300 Mark pro Aktie wie er in den 1860er und 1870er Jahren üblich war, ein Kauf der Aktie bei pari und die Befreiung der Einzahlungspflicht auf den vollen Nennwert der Aktie nach Einzahlung von 40 Prozent der geschuldeten Summe.50 Der Preis für eine Aktie läge unter diesen Umständen dann immer noch bei 120 Mark. Ein Lehrerhaushalt mit einem Jahreseinkommen von etwa 3.300 Mark und einer jährlichen Ersparnis von um die 300 Mark hätte sich so in einem Jahr höchsten zwei Aktien leisten können.51 Der enorme Anstieg der Aktiensparquote während des Gründerbooms ist daher wohl mehr auf eine Ausweitung des Kleinstbesitzes an Aktien als auf die Zunahme der Zahl größerer Aktiendepots zurückzuführen. Der Kreis derjenigen, die im Kaiserreich in erheblicherem Maß Aktien besessen haben, war höchstwahrscheinlich nur sehr klein. Sein Anteil an der Gesamtbevölkerung dürfte zwischen 0,6 und 1,2 Prozent gelegen haben.52 Zur Ermittlung der für das politische System des Deutschen Kaiserreichs in der Periode von 1873 bis 1884 maßgebenden Vetospieler lohnt sich zunächst ein Blick in die Reichsverfassung vom 16. April 1871. Artikel 5 der Verfassung 45 Über den Aktienbesitz breiter Bevölkerungsschichten ist wenig bekannt. In der Literatur wird er in der Regel als gering eingeschätzt. Vgl. Pross, S. 62–67. 46 Reichsbank, S. 201–211. 47 Daneben existierte wohl die Möglichkeit, über Rentenbanken Aktienbeteiligungen auf Kredit zu erwerben. Vgl. Gareis, S. 20–21. 48 Baltzer, Kapitalmarkt, S. 16. 49 Fischer, Konsum, S. 347. 50 Nach der Erhöhung des Mindestnennwerts auf 1.000 Mark durch das Gesetz von 1884 dürften diese Gruppen dann vom Kauf neu auszugebender Aktien ausgeschlossen gewesen sein. 51 Fischer, Konsum, S. 213–262. Ein etwas stärkeres Engagement in den Aktienmarkt wäre bei einer Hinwendung zum Terminmarkt möglich gewesen. Hier zahlte der Händler nur den Differenzbetrag zwischen dem aktuellen und dem erwarteten Kurs. Vgl. Baltzer, Kapitalmarkt, S. 14–15. Dabei handelte es sich jedoch um extrem riskante Geschäfte. 52 Anders mag es sich bei der Aktienspekulation verhalten haben, die bereits mit kleineren Summen über sogenannte Bucketshops oder Winkelbanken möglich war. Vgl. Buchner, S. 192 ff.

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legte fest, dass für das Inkrafttreten eines neuen Gesetzes ein entsprechender Mehrheitsbeschluss des Reichstags und des Bundesrats notwendig war. Zusätzlich zu den Mehrheitsvoten von Reichstag und Bundesrat musste jedes Reichsgesetz vom Kaiser unterschrieben und verkündet werden. Zu seiner Gültigkeit bedurfte es zudem noch der Gegenzeichnung des Reichskanzlers.53 Als durch die Verfassung festgelegte Vetospieler kristallisieren sich somit der Reichstag, der Bundesrat, der Reichskanzler und der Kaiser heraus. Bei den beiden Ersteren handelte es sich um kollektive Vetospieler, die aus politischen Parteien (Reichstag) beziehungsweise den Regierungen der deutschen Bundesstaaten (Bundesrat) bestanden und mit einfacher Stimmenmehrheit über die Annahme eines Gesetzes abstimmten. Inwiefern den durch die Verfassung festgelegten Vetospielern auch in der Realität Vetomacht zukam, war allerding lange Zeit Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Debatten. Während die Rolle des Bundesrats kaum beleuchtet und lediglich festgestellt wurde, dass seine Bedeutung auf Kosten der Reichsleitung zurückging,54 drehten sich die Forschungskontroversen der 1970er und 1980er Jahre hauptsächlich um die Frage der Machtverteilung zwischen dem Reichskanzler Bismarck und dem Reichstag. Michael Stürmer und Hans-Ulrich Wehler sehen im Reichstag nur einen unerheblichen55 beziehungsweise gar keinen eigenständen56 Machtfaktor und messen dem Einfluss Bismarcks entscheidendes Gewicht bei.57 Dieser sehr einseitigen Auffassung wurde von anderer Seite widersprochen. So betonen zahlreiche Autoren die modernen Elemente des Kaiserreichs unter Bismarck, in dem zwar der Kanzler das Zentrum der politischen Macht blieb, der Reichstag sich aber aufgrund des großen Gesetzgebungsdrucks und seines Budgetrechts zu einem eigenständigen Machtfaktor entwickelte, ohne allerdings je so stark zu werden, dass von einer Parlamentarisierung des Kaiserreichs die Rede sein kann.58 Betrachtet man die Verhandlungen über die Ausgestaltung des Aktienrechts in der ersten Hälfte der 1880er Jahre, ist sicherlich der zweiten Lesart zuzustimmen. Wie die Analyse in Kapitel drei zeigt, war die Reichsleitung gezwungen, auf die Forderungen der Parteien einzugehen und Kompromisse zu akzeptieren, ohne die der Gesetzentwurf nicht hätte verabschiedet werden können. Der Reichstag besaß somit durchaus Vetomacht.

53 Deutsches Reich, Verfassung, in: Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes, 1871 Heft 16 (16.04.1871), Art 17. 54 Morsey, S. 314–321; Nipperdey, S. 90. 55 Stürmer, Regierung, S. 329–332. 56 Wehler, Kaiserreich, S. 62–63. 57 Dieses Herrschaftsmodell wurde von Stürmer als cäsaristisch beschrieben. Wehler vergleicht die Herrschaft Bismarcks mit der »bonapartistischen« Herrschaft Napoleons III. Grundlage dieses Herrschaftstyps sei, so beide Autoren, das Ausnutzen plebiszitärer Herrschaftstechniken und die Sicherung der eigenen Machtbasis durch eine negative Integration nach Innen und Außen. 58 Fehrenbach; Gall; Morsey, S. 314–321; Nipperdey, S. 101–106; Zwehl.

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Tab. 5: Sitzverteilung der politischen Parteien im Reichstag nach der Wahl im Jahr 1881.59 Politische Richtung Konservative Liberale

Partei Deutschkonservative Partei

50

Deutsche Reichspartei

28

Rechtsliberal

Nationalliberale Partei

47

Linksliberal

Deutsch Freisinnige Partei Deutsche Volkspartei

Katholiken

Anzahl Sitze

Zentrumspartei

106 9 100

Sozialisten

Sozialdemokraten

12

Regionalparteien, Minderheiten

Polen

18

Elsass-Lothringische Partei

15

Welfen

10

Dänen

2

Gesamt

397

Es gilt daher, die Präferenzen der im Jahr 1884 im Reichstag vertretenen Parteien und der Regierungen der Bundesstaaten herauszuarbeiten. Bei den Parteien handelte es sich um die Deutschkonservative Partei (DKP), die ebenfalls dem konservativen Spektrum zugehörige Deutsche Reichspartei (DRP), die katholische Zentrumspartei (Z), die rechtsliberale Nationalliberale Partei (NLP), die im März 1884 mit der Deutschen Fortschrittspartei (DtFP) zur links-liberalen Deutsch Freisinnigen Partei (DFP)60 fusionierende Liberale Vereinigung (LV), die ebenfalls linksliberale Deutsche Volkspartei (DtVP), die sozialistische Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SAPD) und einige Regional- und Minderheitenparteien.61 Die Stimmenverhältnisse im Reichstag gestalteten sich so, dass keine Partei alleine eine Gesetzesvorlage blockieren konnte (siehe Tab. 5). Eine Blockade, aber auch ein positives Votum, war nur in einer Koalition aus mehreren Parteien möglich. Insgesamt verfügte der 1881 gewählte Reichstag, der im Jahr 1884 über das Aktienrecht verhandelte, über 397 Sitze. Die größte Fraktion stellte die im März 1884 entstandene Deutsch Freisinnige Partei mit 106 Sitzen, gefolgt von der Zentrumspartei mit 100, der Deutschkonservativen Partei mit 50 und der Nationalliberalen Partei mit 47 Sitzen. Die letzte größere Fraktion, 59 Ritter u. Niehuss, S. 39. 60 Die Deutsch Freisinnige Partei hatte sich Anfang März gegründet. Die erste Lesung des Gesetzentwurfs fand in der 11. Sitzung des Reichstags am 11. März statt. Siehe: Deutscher Reichstag, Verhandlungen 1884, S. 197–222. 61 Zu den Regionalparteien zählten die Deutsch-Hannoverische Partei und die Elsaß-Lothringische Partei. Zu den Minderheitenparteien ist die Partei der Polen und der Dänen zu zählen. Für eine genauere Beschreibung aller Parteien vgl. Nipperdey, S. 311–358.

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die Deutsche Reichspartei, hielt 28 Sitze. Die Polen (18), die Elsaß-Lothringische Partei (15), die Sozialdemokraten (12), die Welfenpartei (10), die Deutsche Volkspartei (9) und die Dänen (2) stellten nur sehr kleine Fraktionen. Die den Regierungskurs tragenden Konservativen kamen in dem 1881 gewählten Reichstag nur auf 78 von 199 benötigten Stimmen zur Erreichung der einfachen Mehrheit. Die oppositionellen Linksliberalen und das Zentrum stellten dagegen 206 Stimmen, sieben Stimmen mehr als für eine einfache Mehrheit notwendig war.62 Bei »Regierungs-« und »Oppositionspartei« handelte es sich aber nicht um starre Blöcke. Zentrum und Fortschrittspartei ging es im Konflikt mit Bismarck vor allem darum, die Rechte des Reichstags gegenüber der Reichsleitung zu verteidigen. Es war also durchaus möglich, in Sachfragen, im Falle entsprechender Konzessionen, auch die Unterstützung der Oppositionsparteien oder zumindest einzelner Abgeordneter zu gewinnen.63 Aufgrund ihrer Bedeutung für das Zustandekommen eines Mehrheitsbeschlusses konzentriert sich die Untersuchung auf die fünf großen, im Reichstag vertretenen Parteien.64 Die Bedeutung dieser fünf Vetospieler wird auch dadurch deutlich, dass es die Mitglieder dieser Parteien waren, die die Reichstagskommission zur Vorbereitung der Beschlussfassung über den Entwurf des Bundesrats bildeten.65 Innerhalb der Kommission hatte die größte Fraktion der Deutsch Freisinnigen Partei acht Sitze inne, die Zentrumspartei hielt sechs, die Fraktionen der Nationalliberalen Partei und der Deutschkonservativen Partei je drei und die Deutsche Reichspartei einen der insgesamt 21 Sitze. Die Sitzverteilung in der Kommission war relevant, da auch hier mit einfacher Stimmenmehrheit über Änderungsanträge abgestimmt wurde. Bevor die Rolle des Reichskanzlers und der Reichsleitung diskutiert wird, muss auf die Bedeutung des Bundesrats eingegangen werden. Erst seit Kurzem existieren politikwissenschaftlich angelegte Studien über das Kaiserreich, die das Wirken des Bundesrats genauer untersuchen.66 Insgesamt ist seine Bedeutung für den Gesetzgebungsprozess jedoch noch relativ schlecht erforscht. Einigkeit herrscht allerdings darüber, dass der Bundesrat nie die Rolle ausüben konnte, die ihm durch die Verfassung zugesprochen wurde – die eines regierenden Ministerrats aller deutscher Staaten.67 Gesetzesentwürfe entstanden mehr und mehr in den preußischen Ministerien und den Reichsämtern. Dies bedeutete 62 Zu den am Anfang der 1880er bestehenden Koalitionen vgl. Nipperdey, S. 311–358. Siehe auch Ullmann, Politik, S. 16–17. Nach 1884 gelang es Bismarck, wieder eine tragfähige Koalition aus Nationalliberalen und Konservativen zu schmieden. 63 Ullmann, Politik, S. 16; Nipperdey, S. 105. 64 Auch Nipperdey, S. 312–313, betont die Bedeutung dieser fünf Parteien. Er spricht von einem Fünfparteiensystem, bestehend aus Konservativen, rechts- und linksliberalen Parteien, den Katholiken und den Sozialisten. Letztere fallen aus der Betrachtung heraus, da sie faktisch von den Verhandlungen über das Aktienrecht ausgeschlossen waren. 65 Die Zusammensetzung der Kommission findet sich in: BArch, R 101/797. 66 Hähnel; Höfer; Liedloff. 67 Morsey, S. 314–321; Nipperdey, S. 90.

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aber nicht, dass die Bundesstaaten als Machtfaktor übergangen werden konnten. So haben Paul Hähnel, Philipp Höfer und Julia Liedloff kürzlich gezeigt, dass die Bundesstaaten in den 1890er Jahren auf dem Feld der Finanz- und Sozialpolitik sowie der Lebensmittelregulierung bedeutenden Einfluss auf die Gesetzgebung des Zentralstaats nehmen konnten.68 Thomas Nipperdey verweist zudem auf Bismarcks Bemühungen, den Bundesrat als Gegengewicht zum Reichstag nicht unnötig zu schwächen.69 Dies bedeutete aber auch, dass Preußen den Ausgleich mit den anderen Bundesstaaten, allen voran Bayern, suchen musste. Die im dritten Kapitel vorgelegte Analyse des Verhandlungsprozesses bestätigt die Ergebnisse von Hähnel, Höfer, Liedloff und Nipperdey – der Bundesrat und mit ihm die Bundesstaaten konnten in den Verhandlungen über das Aktienrecht nicht umgangen werden. Es galt einen Kompromiss zwischen unterschiedlichen Positionen zu finden. Wie im Fall des Reichstags waren auch bei dem zweiten kollektiven Veto­ spieler nicht alle Entscheidungsträger maßgebend. Dies lag einmal an dem Übergewicht Preußens im Plenum des Bundesrats; das Königreich Preußen besaß 17 der 58 Stimmen. Abgeschlagen folgten Bayern mit sechs, Sachsen und Württemberg mit je vier, Baden und Hessen mit drei sowie Braunschweig und Mecklenburg-Schwerin mit zwei Stimmen. Die übrigen 17 norddeutschen Kleinstaaten und die Hansestädte verfügten jeweils über nur eine Stimme.70 Zur Erreichung der absoluten Mehrheit waren 29 Stimmen notwendig, die Preußen in einer Koalition mit den von ihr abhängigen norddeutschen Kleinstaaten fast alleine aufbringen konnte.71 Die Mittelstaaten kamen dagegen nur auf 20 Stimmen und waren somit nicht in der Lage, die Politik des Bundes zu bestimmen.72 In der Praxis war die preußische Bundesratspolitik aber auf einen breiten Konsens der »verbündeten Regierungen« ausgerichtet.73 Ein solcher Konsens wurde in den 1870er und frühen 1880er Jahren in der Regel in den von der Verfassung vorgesehenen Bundesratsausschüssen ausgehandelt, in denen den kleineren Bundesstaaten ein größeres Gewicht zukam.74 In der Verfassung waren acht ständige Ausschüsse 68 Hähnel u. a. 69 Nipperdey, S. 91–94. Bismarck ging es wohl vor allem darum, eine weitere Parlamentarisierung des Reichs zu verhindern. Die Reichsverfassung enthielt einen Passus, wonach niemand gleichzeitig Mitglied des Reichstags und des Bundesrats sein konnte. Nach allgemein anerkannter Interpretation sollte diese Bestimmung verhindern, dass die Funktion des Reichskanzlers oder Staatssekretärs von Abgeordneten ausgeübt werden konnte. Die Macht des Reichskanzlers und der Staatssekretäre bestand nämlich in der Kontrolle der preußischen Stimmen im Bundesrat, die sie aber nur als Bundesratsbevollmächtigte ausüben konnten. 70 Deutsches Reich, Verfassung, in: Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes, 1871 Heft 16 (16.04.1871), Art. 6. 71 Vgl. Ullmann, Politik, S. 3; Nipperdey, S. 88. 72 Eine Koalition zwischen den Mittelstaaten war dabei sehr unwahrscheinlich, da Hessen, Sachsen und die drei süddeutschen Staaten jeweils bessere Beziehungen zu Preußen als untereinander unterhielten. Vgl. Nipperdey, S. 88. 73 Hähnel u. a.; Nipperdey, S. 91–92. 74 Selgert, Entscheidungsfindung.

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vorgesehen. Dabei handelte es sich um die Ausschüsse für das »Landheer und die Festungen«, für das »Seewesen«, für »Zoll- und Steuer­wesen«, für »Handel und Verkehr«, für »Eisenbahnen, Post und Telegraphen«, für »Justizwesen« und für »Rechnungswesen« sowie um einen Ausschuss für »Auswärtige Angelegenheiten«.75 Jeder Bundesratsausschuss hatte mindestens vier Mitglieder, die aus der Mitte der Bundesratsbevollmächtigten zu wählen waren. Das fünfte Mitglied stellte Preußen, das damit automatisch in jedem Ausschuss vertreten war.76 Die Ausschüsse, in denen jedes Mitglied eine Stimme hielt, entschieden mit einfacher Stimmenmehrheit und reduzierten auf diese Weise den Einfluss Preußens. Die Novellierung des Aktienrechts wurde zum Jahresanfang 1884 in den gemeinsam tagenden Bundesratsausschüssen für Handel und Verkehr sowie für Justizwesen diskutiert. In der Sitzungsperiode 1883/84 bestanden die beiden Ausschüsse aus sieben ordentlichen und einem (Handel und Verkehr) beziehungsweise zwei (Justizwesen) stellvertretenden Mitgliedern.77 In beiden Ausschüssen waren Preußen, Bayern, das Königreich Sachsen, Württemberg und Hessen vertreten. Diese Staaten führten somit zwei Stimmen.78 Da Hamburg (Handel und Verkehr) und Lübeck (Justizwesen) bis zu einem gewissen Punkt in den Verhandlungen ihr Vorgehen koordinierten, verfügten auch die Hansestädte über zwei Stimmen. Über eine Stimme verfügten das Großherzogtum Sachsen (Handel und Verkehr) und Braunschweig (Justizwesen). Als Stellvertreter nahmen auch Baden und Schwarzburg-Rudolstadt (beide Justizwesen) an den Sitzungen teil. Der Bundesratsbevollmächtigte Lübecks, Krüger, war gleichzeitig stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Handel und Verkehr. Betrachtet man die Verhandlungen der gemeinsam tagenden Ausschüsse, zeigt sich schnell, dass die Position vieler Bundesregierungen durch die Positionen Preußens, Bayerns und der Hansestädte absorbiert wurden.79 Im Folgenden müssen daher die Präferenzen dieser drei Bundesregierungen herausgearbeitet werden, die in der Regel in den Stellungnahmen der jeweiligen Bundesratsbevollmächtigten sowie der beteiligten Fach- und Staatsministerien greifbar werden. Ein besonderes 75 Deutsches Reich, Verfassung, in: Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes, 1871 Heft 16 (16.04.1871), Art. 8. 76 Die Besetzung des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten wich von dieser Regel ab. Ständige Mitglieder waren hier Bayern, Sachsen und Württemberg, der Vorsitz des Ausschusses stand Bayern zu. Bayern hatte zudem einen ständigen Sitz im Ausschuss für das Landheer und die Festungen. Siehe: Ebd. 77 Angaben zur Besetzung der Ausschüsse finden sich in HStA DD, 10719/2377. Die endgültige Größe der Ausschüsse wurde durch § 17 der Geschäftsordnung des Bundesrats festgelegt, diese findet sich in: Deutsches Reich, Geschäftsordnung Bundesrat 1880. 78 Laut § 8 der Geschäftsordnung des Bundesrats führte jeder Staat innerhalb eines Ausschusses nur eine Stimme; tagten mehrere Ausschüsse zusammen, besaß aber jedes Ausschussmitglied eine Stimme. 79 Zu den Verhandlungen siehe die Berichte der Bundesratsbevollmächtigten Badens, Bayerns, Sachsens und der hanseatischen Gesandtschaft, in: GLA, 234/4628; HStA Mü, MJu 17037; HStA DD, 10719/1941; StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a).

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Augenmerk muss dabei auf die Position Bayerns gelegt werden. Der bayrische Bundesratsbevollmächtigte hatte die Rolle des Referenten übernommen. Seine Aufgabe war es, durch die Formulierung von Änderungsanträgen die Verhandlungen der Ausschüsse vorzubereiten. Die bayrischen Änderungsanträge dürften dabei den Konsens der Ausschussmitglieder und nicht alleine die Position der bayrischen Regierung darstellen. Zwar handelte es sich bei den Regierungen der Bundesstaaten um mit Stimmenmehrheit entscheidende kollegiale Organisationen und somit um kollektive Vetospieler,80 in der Praxis übernahmen die Regierungen allerdings die Präferenzen der mit den Sachfragen betrauten Fachministerien. Mächtigster Vetospieler im politischen System des Kaiserreichs war – solange Bismarck diese Position ausfüllte – der Reichskanzler.81 Er führte den Vorsitz im Bundesrat,82 kontrollierte in seiner Funktion als preußischer Minister­präsident und Außenminister die preußischen Bundesratsbevollmächtigten83 und hatte die Reichsgesetze gegenzuzeichnen84 – dabei war er einzig dem Kaiser, nicht aber dem Reichstag oder den anderen Bundesregierungen gegenüber verantwortlich. Aktiv gestaltend griff Bismarck in die Verhandlungen über die Neuordnung des Aktienrechts nicht ein. Dies überließ er seinen Staatssekretären im Reichsjustizamt und dem Reichsamt des Inneren. Bismarck agierte in Form eines externen Vetospielers, indem er sich vorbehielt, den Ausarbeitungen und Entwürfen der Staatssekretäre zuzustimmen.85 Im Fall des Aktienrechts scheint er zu diesem Zweck stärker über das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe als über die Reichskanzlei gewirkt zu haben.86 Auch wenn die vom Kaiser ernannten Staatssekretäre gegenüber dem Reichskanzler weisungsgebunden waren, hatten sie bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs einen so großen Handlungsspielraum, dass sie als Vetospieler zu gelten haben. So konnte der Staatssekretär im Reichsjustizamt die Aufstellung eines ersten Referentenentwurfs bis in das Jahr 1880 verzögern, obwohl ihm der Reichskanzler schon 1877 den Auftrag zur Aus-

80 Vgl. Knemeyer, S. 290–304; Klein, S. 206, 209, 214–220. Das Ministerialsystem entstand in Preußen und den meisten Mittelstaaten Anfang des 19. Jahrhunderts. Nur in Württemberg regierte der König bis 1876 durch seinen Geheimen Rat. 81 Vgl. Nipperdey, S. 101. 82 Deutsches Reich, Verfassung, in: Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes, 1871 Heft 16 (16.04.1871), Art. 15. 83 Nipperdey, S. 95–96. 84 Deutsches Reich, Verfassung, in: Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes, 1871 Heft 16 (16.04.1871), Art. 17. 85 Bei der Reichsleitung handelte es sich zwar in gewisser Weise um einen kollektiven Vetospieler. Seine Abstimmungsregel war aber nicht klar definiert. Bismarck bestand bei vielen Gelegenheiten den Staatssekretären gegenüber auf seine Weisungsbefugnis. Siehe Morsey, S. 92–103. 86 Bismarck war von 1880 bis zu seiner Entlassung 1890 Präsident des Preußischen Handelsministeriums.

88

arbeitung eines neuen Gesetzes gegeben hatte.87 Viel wichtiger ist noch die Tatsache, dass es die Staatssekretäre waren, die innerhalb der Vorgaben Preußens und des Reichskanzlers den ersten Gesetzesvorschlag ausarbeiteten und so an der Agendamacht partizipierten. Mit den Staatssekretären des Reichsjustizamts und des Reichsamts des Inneren stehen somit zwei Vetospieler im Fokus der Untersuchung, die nicht durch die geschriebene Verfassung, sondern durch die ungeschriebene Verfassungswirklichkeit definiert wurden. Die Rolle des Kaisers im Gesetzgebungsprozess beschränkte sich hauptsächlich auf die Ausfertigung und den Vollzug der Reichsgesetze.88 Ob mit dem kaiserlichen Ausfertigungsrecht auch ein Vetorecht verbunden war, lässt die Verfassung ungeklärt. Zwar war der Kaiser verpflichtet verfassungskonforme Gesetze auszufertigen, ihm war dazu aber keine Frist gesetzt und es existierten keine Sanktionsmöglichkeiten gegenüber dem Kaiser, um ihn zur Unterschrift eines verfassungskonform zustande gekommenen Gesetzes zu zwingen. Theoretisch bestand so ein absolutes Vetorecht des Kaisers, dem aber praktisch schon im Hinblick auf die Reaktion der Öffentlichkeit keine Bedeutung zukam.89 Die Teilhabe des Kaisers an der Gesetzgebung erfolgte vielmehr in seiner Eigenschaft als preußischer König über die letztinstanzliche Kontrolle des preu­ßischen Verhaltens im Bundesrat.90 Im Fall des Aktienrechts stimmte Wilhelm I. stillschweigend der Position der preußischen Ministerien und der Reichsleitung zu, so dass davon auszugehen ist, dass sein präferierter Politikpunkt durch die anderen Vetospieler absorbiert worden ist. Zu den für die Bestimmung des Verhandlungsergebnisses wichtigsten Vetospielern gehörten im Kaiserreich also die fünf großen Reichstagsparteien, die preußischen und bayrischen Fachministerien sowie die Senate Hamburgs und Lübecks mit ihren Senatskommissionen und die Staatssekretäre im Reichsjustizamt und dem Reichsamt des Inneren. 87 Schubert u. Hommelhoff, S. 20–21. 88 Deutsches Reich, Verfassung, in: Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes, 1871 Heft 16 (16.04.1871), Art. 17. Zur verfassungsrechtlichen Stellung des Kaisers in der Reichsverfassung: Stellung; Huber, Verfassungsgeschichte, III, S. 809–820; 922–926; Ostermann. 89 Lediglich Friedrich III. hat im Jahr 1888 die Ausfertigung zweier Gesetze zunächst verweigert. Beide Gesetze waren noch vor dem Regierantritt des Kaisers verabschiedet worden und widersprachen seinen liberalen Grundauffassungen (Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags, Verlängerung des Sozialistengesetzes). Zudem war sich der Kaiser zu diesem Zeitpunkt schon seines bevorstehenden Todes bewusst. Huber, Verfassungsgeschichte IV, S. 169–170; Ostermann, S. 148–149. 90 Indirekt kam dem Kaiser über seine Befugnis, den Reichskanzler und die Staatssekretäre zu ernennen, natürlich große Macht zu (Deutsches Reich, Verfassung, in: Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes, 1871 Heft 16 (16.04.1871), Art. 15), eine Macht, die Wilhelm I. anders als Wilhelm II. allerdings nie nutzte. Daneben konnte der Kaiser in Militärfragen frei entscheiden (s.g. Kommandogewalt) und über seine Kabinette einen gewissen Einfluss ausüben. Die verschiedenen Kabinette des Kaisers (Zivil-, Marine- und Militärkabinett) gewannen jedoch erst nach der Entlassung Bismarcks unter Kaiser Wilhelm II. an Bedeutung. Vgl. Nipperdey, S. 98–99; Ullmann, Politik, S. 3–4, 68.

89

Antrag Preußens beim Bundesrat; Bundesrat beschließt Reform

Enquete bei den Handelskammern, juristische und wissenschaftliche Gutachten, Tagespresse und Publizistik

Erster Referentenentwurf (Reichsjustizamt und Reichsamt des Inneren)

Fachkommission

Zweiter Referentenentwurf; kommissarische Besprechungen mit den preußischen Ministerien Bundesratsvorlage; Besprechung in den Ausschüssen und dem Plenum des Bundesrats Reichstagsvorlage; Besprechung im Plenum und einer Kommission des Reichstags

Gutachten der Handelskammern, des Handelstags und anderer leitungsnaher Organisationen, juristische Gutachten

Annahme der Gesetzesvorlage des Reichstags durch den Bundesrat Unterzeichnung des Gesetzes durch den Kaiser Abb. 6: Entscheidungssequenz im Kaiserreich.

Neben der Frage, welchen politischen Entscheidungsträgern Vetomacht zukommt, ist die in Abbildung 6 visualisierte Sequenz des Entscheidungsprozesses und die institutionelle Einbindung der politischen Eliten in den Gesetzgebungsprozess für den Ausgang der Verhandlungen zwischen den Vetospielern von Bedeutung. Das Recht, einen Gesetzentwurf und damit eine Entscheidungsvorlage in den politischen Prozess einzubringen, stand laut Verfassung dem Bundesrat und dem Reichstag zu.91 Im Fall des Bundesrats lag das Initiativrecht formal bei den einzelnen Bundesstaaten. Die weitaus meisten Gesetzesvorlagen wurden allerdings in den preußischen Ministerien und den Reichsämtern ausgearbeitet und über die preußischen Bundesratsvertreter eingebracht.92 Auch das Aktiengesetz von 1884 nahm diesen Weg. Schon vor dem Höhepunkt des Gründerbooms wies der nationalliberale Reichstagsabgeordnete Eduard Lasker auf bestehende Missstände bei der Grün91 Deutsches Reich, Verfassung, in: Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes, 1871 Heft 16 (16.04.1871), Art. 7 und 23. 92 Nipperdey, S. 88.

90

dung und Geschäftsführung von Aktiengesellschaften hin.93 Am 27. März 1873 erwirkte er im Reichstag eine Interpellation an die Reichsregierung mit der Frage, ob dieser die Missstände im Aktienwesen bekannt seien und welche Maßnahmen sie dagegen zu ergreifen gedenke.94 Die Diskussion der Interpellation in der Sitzung vom 4. April 1873 erfuhr eine große öffentliche Resonanz und zwang die preußische Regierung und die Reichsleitung zum Handeln.95 So gab der preußische Handelsminister im Mai 1873 eine große Enquete bei den Handelskammern und kaufmännischen Korporationen in Auftrag, die sich zu den Missständen im Aktienwesen und möglichen Reformen äußern sollten.96 Daneben bat auch das Reichskanzleramt die übrigen Landesregierungen, eine ähnliche Enquete bei ihren Handelskammern in Angriff zu nehmen. In der Reichsleitung scheint es ernsthafte Überlegungen gegeben zu haben, das erst 1870 erlassene Gesetz über die Aktiengesellschaften erneut zu novellieren.97 In seiner Sitzung vom 9. Juni 1874 sprach sich der Justizausschuss des Bundesrats jedoch gegen eine rasche Reform aus und empfahl, die Neugestaltung des Aktienrechts mit der anstehenden Reform des Handelsgesetzbuchs zu verbinden.98 Dieser Empfehlung schloss sich der Bundesrat zunächst an. Auf Druck des preußischen Abgeordnetenhauses – wieder unter Führung Eduard Laskers – drang 93 * 14.10.1829 in Jarotschin Kreis Pleschen (Provinz Posen) † 5.1.1884 in New York. Lasker war Mitbegründer der nationalliberalen Partei und in der ersten Hälfte der 1870er Jahre einer der führenden Köpfe der Partei. Neben einem Reichstagsmandat hatte er auch einen Sitz im preußischen Abgeordnetenhaus. Siehe: Pollmann. 94 Die Interpellation ist als Aktenstück Nr. 30 in den Drucksachen zu den Verhandlungen des Deutschen Reichstags zu finden (Deutscher Reichstag [1873], Verhandlungen Drucksachen 1873, S. 154). Bereits im Jahr 1872 hatte Lasker im preußischen Abgeordnetenhaus und im Reichstag auf Missstände im Aktienwesen, insbesondere bei den Eisenbahnaktiengesellschaften, hingewiesen. In diesem Zusammenhang sah sich die preußische Staatsregierung genötigt, eine Untersuchungskommission einzusetzen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen führten zum Rücktritt des langjährigen preußischen Handelsministers von Itzenblitz. Siehe dazu: Pollmann. 95 Schubert u. Hommelhoff, S. 8–13. Die Reichstagsdebatte über die Interpellation Laskers vom 04.04.1873 findet sich in: Deutscher Reichstag, Verhandlungen 1873, S. 213. 96 Preußisches Ministerium für Handel und Gewerbe. 97 In der Reichstagssitzung vom April 1873 hatte der Präsident des Reichskanzleramts, Delbrück, auf die Interpellation Laskers geantwortet, man sei sich des Problems bewusst und denke über gesetzgeberische Maßnahmen zur Abstellung der Missstände im Aktienwesen nach. Siehe: Deutscher Reichstag, Verhandlungen 1873, S. 224. Der preußische Handelsminister sprach sich in seinem Votum für das preußische Staatsministerium (28.11.1873) für eine zügige Reform der Paragraphen des Aktiengesetzes aus, die den zu beobachtenden Missständen Vorschub geleistet hätten. Siehe: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 7. 98 Siehe: BArch, R 3001/2859, gedruckte Zusammenfassung der Sitzung des Justizausschusses des Bundesrats vom 09.06.1874. Die Idee, die Reform des Aktienrechts mit der allgemeinen Reform des Handelsrechts zu verbinden, ging wohl auf den Bundesratsbevollmächtigten Braunschweigs, von Liebe (* 18.12.1809 in Braunschweig † 9.4.1885 in Berlin), zurück (vgl. Schubert u. Hommelhoff, S. 11–12). Über von Liebe siehe Schubert, Materialien, S. 113, und Lilla, Föderalismus, S. 402–403.

91

das preußische Staatsministerium Ende 1876 jedoch wieder auf eine Teilreform des Aktienrechts.99 In einer auf Gutachten der preußischen Ministerien für Handel und Gewerbe sowie Justiz zurückgehenden Denkschrift empfahl das Staatsministerium dem Bundesrat die Gesetzgebungsarbeiten aufzunehmen.100 Die kombinierten Ausschüsse des Bundesrats für Handel und Verkehr und für Justizwesen traten in ihrer Sitzung vom 8. Februar 1877 dem preußischen Antrag bei, und der Bundesrat beschloss, den Reichskanzler mit der Ausarbeitung einer Gesetzesnovelle zu beauftragen.101 In der Folgezeit arbeiteten das 1877 neugeschaffene Reichsjustizamt und das im Jahr 1879 aus dem Reichskanzleramt hervorgegangene Reichsamt des Inneren mehrere, den in der preußischen Denkschrift festgelegten Richtlinien folgende Referentenentwürfe aus.102 Bevor das Gesetz in den Bundesrat eingebracht wurde, legten die beiden Reichsämter ihren Entwurf einer Sachverständigenkonferenz vor und beseitigten in einer kommissarischen Besprechung mit den preußischen Ministerien für Handel und Gewerbe und Justiz letzte Meinungsverschiedenheiten.103 Im Bundesrat wurde der Entwurf in den gemeinsam tagenden Ausschüssen für Handel und Verkehr und 99 Als Reaktion auf die Ergebnisse der Eisenbahnuntersuchungskommission stellte Eduard Lasker zusammen mit dem Abgeordneten von Köller am 22.03.1876 den Antrag, das preußische Staatsministerium solle im Bundesrat auf eine Reform des Aktienrechts hinwirken. Dabei solle es sich von folgenden Überlegungen lenken lassen: 1. der Sicherstellung eines besseren Schutzes aller im öffentlichen Interesse gegebenen Gesetzesvorschriften, 2. der Schaffung einer größeren Verantwortlichkeit aller bei Gründung, Leitung und Beaufsichtigung des Unternehmens beteiligten Personen, 3. einer selbstständigen und wirksamen Kontrolle über die Geschäftsführung und 4. der leichteren Verfolgbarkeit von Übertretungen der im öffentlichen Interesse gegebenen Vorschriften. Der Antrag wurde in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 29.03.1876 mit großer Mehrheit angenommen. Siehe: Königreich Preußen, Stenographische Berichte, S. 881–915. 100 Antrag Preußens auf Reform der Aktiengesetzgebung, nebst einer Denkschrift, eingereicht durch das Reichskanzleramt, Berlin 17.11.1876, in: BArch, R 3001/2859. Gedruckt als Drucksache des Bundesrats Nr. 89, in: Bundesrat des Deutschen Reichs, Drucksachen 1876. 101 Siehe: BArch, R 3001/2859 und StHa, 111-1, Nr. 13853 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  3). In der Sitzung der vereinigten Ausschüsse für Handel und Verkehr und für Justiz votierten nur der braunschweigische Bevollmächtigte von Liebe und der hanseatische Bundesratsbevollmächtigte Krüger gegen den preußischen Antrag. Die Mittelstaaten stellten sich auf die Seite Preußens. 102 Als einziges Ministerium des Norddeutschen Bundes wurde 1867 das Bundeskanzleramt eingerichtet. Mit der Reichsgründung blieb diese Organisation zunächst  – bis auf die Schaffung eines separaten Auswärtigen Amtes – bestehen. Ab 1873 begann Bismarck, Kompetenzen aus dem Reichskanzleramt an andere, neu zu schaffende Reichsämter auszugliedern, die von weisungsgebundenen Staatssekretären geleitet wurden. Im Jahr 1879 war der Ausgliederungsprozess weitgehend abgeschlossen. Die noch bestehenden Abteilungen des Reichskanzleramts wurden in Reichsamt des Inneren umbenannt und das Büro des Reichskanzlers ausgegliedert. Dieses erhielt mit der Reichskanzlei eine eigene Organisation. Zu der hier skizierten Ausdifferenzierung der Reichsverwaltung siehe: Nipperdey, S. 112–114. 103 Siehe das Protokoll der Besprechung vom 2. und 3. Juli, in: BArch, R 3001/2863.

92

für Justizwesen in zwei Lesungen am 22. und 26. Februar 1884 diskutiert und mit einigen Änderungen und Ergänzungen versehen, die am 1. März durch das Plenum des Bundesrats angenommen wurden. Dabei konnten die Ausschussmitglieder auf zahlreiche Petitionen und von den Bundesregierungen in Auftrag gegebene Handelskammergutachten aufbauen. Der Bundesratsentwurf wurde dem Reichstag übersendet, der den Entwurf nach einer ersten Lesung einer aus den fünf großen Parteien bestehenden Kommission von 21 Mitgliedern übergab. In den Kommissionssitzungen, an denen auch Vertreter der Reichsleitung und Bayerns teilnahmen, wurden vielfache Änderungsvorschläge eingebracht. Auch hier standen den Kommissionsmitgliedern zahlreiche Petitionen, Handelskammergutachten und Expertisen aus der Hand von Juristen zur Verfügung. Der durch die Kommission abgeänderte Entwurf wurde am 17. Juni wieder in das Plenum des Reichstags eingebracht und nach zwei weiteren Lesungen festgestellt. Der Bundesrat akzeptierte den im Reichstag ausgehandelten Kompromiss, so dass der Kaiser das Gesetz am 18. Juli 1884 unterzeichnen konnte.104 Die Beschreibung der Sequenz des Entscheidungsprozesses zeigt, dass Agendamacht im politischen System des Kaiserreichs auf unterschiedliche Ebenen verteilt war. Preußen stieß den Gesetzgebungsprozess an und legte die Grundlinien der Gesetzgebung fest. Das Reichsamt der Justiz arbeitete daraufhin in Kooperation mit dem Reichsamt des Inneren eine Entscheidungsvorlage aus. Die zwischen den preußischen Ministerien und der Reichsleitung aufgeteilte Agendamacht ließ dabei jedoch Koordinationsprobleme entstehen, die in Kapitel drei genauer dargestellt werden sollen.105 Darüber hinaus wird aus der Beschreibung der Entscheidungssequenz deutlich, an welchen Stellen politische Eliten institutionell in den Gesetzgebungsprozess eingebunden waren. Hier sind zunächst die zahlreichen Petitionen an Bundesrat und Reichstag zu nennen, die hauptsächlich aus der Feder von Handelskammern und anderen leitungsnahen Interessengruppen wie dem Deutschen Handelstag, dem Verein zur Wahrung der gemeinsamen Interessen in Rheinland und Westfalen oder der Interessengemeinschaft der hannoverschen und braunschweigischen Aktiengesellschaften stammten. Daneben holten die Vetospieler über Enqueten bei den Handelskammern in den Jahren 1873 und 1883 auch aktiv Stellungnahmen leitungsnaher Interessengruppen ein. Die Berufung einer Sachverständigenkonferenz im Jahr 1882 stellte eine weitere Institutionalisierung der Beziehungen zwischen Vetospielern und übriger politischer Elite dar.106 Die Sachverständigenkommission setzte sich aus den Professoren Goldschmidt, Sicherer (beide Handelsrechtler) und Wagner (Ökonom), den Rechtsanwälten Embden und Keyssner, den Bankiers Delbrück (Delbrück, 104 Das Gesetz wurde am 31.07.1884 im Reichsgesetzblatt verkündet. (Deutsches Reich, Aktienrechtsnovelle 1884, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1884 Heft 22 [31.07.1884]). 105 Zu diesen Kooperationsproblemen: Nipperdey, S. 90. 106 Die Protokolle der Sachverständigenkommission nebst einem Teilnehmerverzeichnis finden sich in: Schubert u. Hommelhoff, S. 288–386.

93

Tab. 6: Im Reichstag und der Reichstagskommission vertretene Berufsgruppen (absolut und in Prozent).107 Reichstag Berufsgruppe

Absolut

Unternehmer

52

Kommission

Anteil (%) 13,1

Absolut

Anteil (%)

5

24

Rentiers

10

2,5

Landbesitzer

99

24,9

4

19

Beamte, Richter und Bürgermeister

90

22,7

6

29

Anwälte

38

9,6

6

29

Sonstige

56

23,7

Keine Angabe

52

13,1 21

100

Gesamt

397

100

Anmerkung: Die Gruppe »Sonstige« enthält die Berufsgruppen »Geistliche«, »Journalisten und Schriftsteller«, »Professoren«, »Arbeiter«, »Ärzte« und »Lehrer«. Die Bemerkung »keine Angabe« bezieht sich auf die Abgeordneten, die keine Angabe zu ihrem Beruf gemacht haben oder die sich keiner Berufsgruppe zuordnen lassen.

Leo & Co.; Deutsche Bank; Präsident des Deutschen Handelstags), Russel (Dis­ contogesellschaft) und Schauss (Süddeutsche Bodenkreditbank) sowie dem Direktor der Preußischen Zentralbodenkreditbank Jacobi und dem Direktoriumsmitglied der Reichsbank Koch zusammen.108 Die Kommission bestand somit aus vier juristischen, einem nationalökonomischen und fünf kaufmännischen Mitgliedern, wobei die Zusammensetzung auf der kaufmännischen Seite vollständig bankendominiert war. Eine weitere, auf den ersten Blick nicht sofort ersichtliche, institutionelle Einbindung politischer Eliten in den Gesetzgebungsprozess bot der Reichstag 107

107 Alle Angaben beziehen sich auf den 1881 gewählten Reichstag ohne Zu- und Abgänge von Abgeordneten während der Legislaturperiode. Eine Verfälschung der Ergebnisse ist dadurch nicht zu befürchten, da die Fluktuation unter den Abgeordneten sehr gering war. Insgesamt waren in der Zeit von 1881 bis 1884 nur 31 Nachwahlen notwendig. Damit wurden lediglich 7,8 Prozent der Reichstagsmandate im Laufe der Legislaturperiode neu besetzt. Unter den Begriff Unternehmer werden an dieser Stelle auch Bankiers und Handelskammersyndici gefasst. Die Informationen über die Reichstagsabgeordneten stammen aus der BIROAB-KAISERREICH Datenbank des Zentrums für historische Sozialforschung in Leipzig. 108 Die Professoren Goldschmidt und Wagner setzten sich auch schon im Zuge der Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik mit der Frage der Aktienrechtsreform auseinander. Goldschmidt  – damals noch Richter am Reichsoberhandelsgericht  – erstellte eines der Gutachten, Wagner trat als Referent in der Plenarversammlung auf. Zur Biographie Goldschmidts vgl. Weyhe.

94

Tab. 7: Gesamtzahl und Anteile der im Reichstag vertretenen Unternehmer.109 Anteil in Prozent der Bezugsgröße Absolut

Mitglieder des Reichstags

Unternehmer

Abgeordnete der Partei

DFP

20

5

40

18,9

NLP

15

3,8

30

31,9

DtVP

2

0,5

4

22,2

37

9,3

74

22,8

Zentrum

Summe Liberale

4

1,0

8

4,0

Konservative

4

1,0

8

5,1

Sonstige

7

1,8

14

12,3

Summe

52

13,8

100

Anmerkung: DFP – Deutsch Freisinnige Partei; NLP – Nationalliberale Partei; DtVP – Deutsche Volkspartei; Konservative – Deutschkonservative und Deutsche Reichspartei

selbst, da dieser, anders als im Fall der Reichsämter und der Bundesstaaten, von einzelnen Advokatenkoalitionen übernommen werden konnte und weniger als neutraler Politikvermittler agierte.110 So waren im 1881 gewählten Reichstag 52 (13,1 Prozent) Unternehmer vertreten (Tab. 6). Auf die Abgeordnetenstärke der einzelnen Parteien bezogen bedeutete dies, dass 18,9 Prozent aller Abgeordneten des Freisinns und 31,9 Prozent aller Abgeordneten der Nationalliberalen Partei dem Unternehmerlager zugeordnet werden können (Tab. 7). Die Gruppe der Unternehmer war zudem mit fünf Vertretern (24 Prozent) gemessen an ihrer Gesamtzahl überproportional stark in der den Gesetzentwurf verhandelnden Reichstagskommission vertreten (Tab. 6). Die Unternehmer waren damit auch deutlich stärker als die Gruppe der Rentiers, die insgesamt nur 2,5 Prozent aller Abgeordneten und 2,8 beziehungsweise 2,1 Prozent der Abgeordneten des Freisinns und der Nationalliberalen Partei ausmachten und keinen Vertreter in die Reichstagskommission entsenden konnten (Tab. 8). Der große Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen ist bedeutend, da sich von den Unternehmern eine starke Affinität zu den Interessen der Aufsichtsräte und Vorstände erwarten lässt. Unter Umständen waren sie selbst als Aufsichtsräte oder Vorstände aktiv, zumindest aber waren sie ähnlichen Denkmustern verhaftet. Von den Rentiers lässt sich dagegen erwarten, dass es sich 109

109 Datenbank der Abgeordneten der Reichstage des Deutschen Kaiserreichs 1867/71–1918 (BIORAB Kaiserreich). 110 Stürmer bezeichnet den Reichstag daher als »Interessenbörse«. Siehe: Stürmer, Regierung, S. 319–320.

95

Tab. 8: Gesamtzahl und Anteile der im Reichstag vertretenen Rentiers.111 Anteil in Prozent der Bezugsgröße Absolut

Mitglieder des Reichstags

Rentiers

Abgeordnete der Partei

DFP

3

0,76

30

2,8

NLP

1

0,25

10

2,1

DtVP

2

0,50

20

22,2

Summe Liberale

6

1,51

60

3,7

Zentrum

2

0,50

20

2,0

Konservative

1

0,25

10

1,3

Andere

1

0,25

10

1,8

Summe

10

2,5

100

2,5

Anmerkung: DFP – Deutsch Freisinnige Partei; NLP – Nationalliberale Partei; DtVP – Deutsche Volkspartei; Konservative – Deutschkonservative und Deutsche Reichspartei

um sehr wohlhabende Personen handelte, die ihr Vermögen zu Teilen in Aktien angelegt hatten. Diese Gruppe mag daher am ehesten die Interessen der freien Aktionäre vertreten haben. Die Annahme, Unternehmer stünden grundsätzlich für die Interessen der Aufsichtsräte und Vorstände ein, ist zwar plausibel, bedarf jedoch zur Zeichnung eines belastbaren Gesamtbildes der Ergänzung. Hier bietet sich eine weitere Alternative an. Mitte der 1870er Jahre legte Otto Glagau eine Liste derjenigen Reichstagsabgeordneten, preußischen Abgeordneten und Mitgliedern des preußischen Herrenhauses vor, die bis zu diesem Zeitpunkt als Gründer von Aktiengesellschaften aufgetreten waren und Aufsichtsratsposten übernommen hatten.112 Glagau liefert damit Informationen über eine Interessenverflechtung zwischen Aufsichtsräten und Parlamentariern, die auf anderem Weg nicht zu ermitteln ist.113 Für die Mitte der 1870er Jahre zählt Glagau die Namen 111

111 Datenbank der Abgeordneten der Reichstage des Deutschen Kaiserreichs 1867/71–1918 (BIORAB Kaiserreich). 112 Glagau, Deutschland, S. 497–519. In seinen Artikeln konzentriert sich Glagau darauf, Missstände zu benennen und die für sie verantwortlichen Personen zu identifizieren. Dabei legt Glagau besonderen Wert darauf, die Rolle jüdischstämmiger Unternehmer und Bankiers auf polarisierende Weise herauszustellen. 113 Als Zeitgenosse und genauer Beobachter der Gründerperiode verfügte Glagau wohl über ein exklusives Wissen über Mitgliedschaften in Aufsichtsräten, das sich nicht über die biographischen Angaben im Handbuch der Reichstagsabgeordneten ermitteln lässt. Das macht die Angaben Glagaus zu einer wertvollen Quelle.

96

Tab. 9: Beteiligungen der Reichstagsabgeordneten an Gründungen Anfang der 1870er Jahre (bezogen auf die Zusammensetzung des Reichstags von 1881).114 Absolut

Anteil alle Abg. (%)

Verteilung auf Parteien (%)

Anteil innerhalb Partei (%)

DFP

14

3,53

29,8

13,2

NLP

10

2,52

21,3

21,3

DtVP

1

0,25

2,1

11,1

25

6,30

53,2

15,4

2

0,50

4,3

2,0

Summe (Liberale) Zentrum Konservative

15

3,78

31,9

19,2

Sonstige

5

1,26

10,6

8,8

Summe

47

100,0

11,8

11,8

Anmerkung: DFP – Deutsch Freisinnige Partei; NLP – Nationalliberale Partei; DtVP – Deutsche Volkspartei; Konservative – Deutschkonservative und Deutsche Reichspartei

von 205 Abgeordneten auf. Knapp zehn Jahre später waren von diesen 205 Abgeordneten noch 47 Personen (22,3 Prozent) im Reichstag vertreten. Von diesen 47 Personen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch als Aufsichtsräte und Leiter von Aktiengesellschaften aktiv waren, kann man mit großer Sicherheit annehmen, dass sie sich für die Interessen von Aufsichtsrat und Vorstand eingesetzt haben.115 Mit 47 Abgeordneten stellte die Gruppe der Aufsichtsräte eine ähnlich große Zahl wie die Unternehmer. Ihr Anteil an allen Abgeordneten lag bei 11,8 Prozent (Tab. 9) und ist damit vergleichbar zu dem von Alexander Opitz für das Jahr 1913 berechneten Anteil von Aufsichtsräten unter den Parlamentariern.116 Etwas mehr als die Hälfte (24) waren in den beiden großen liberalen Parteien vertreten. Für die Freisinnigen entsprach dies einem Anteil von 13,2 Prozent, für die Nationalliberale Partei einem Anteil von 21,3 Prozent. Die Gruppe der Aufsichtsräte war somit stark genug, den optimalen Politikpunkt ihrer Fraktionen in Richtung ihrer Vorstellungen zu beeinflussen. Noch wichtiger war allerdings, dass insgesamt sechs Personen aus der Gruppe der Aufsichtsräte in der Kom114

114 Datenbank der Abgeordneten der Reichstage des Deutschen Kaiserreichs 1867/71–1918 (BIORAB Kaiserreich). Beteiligung an Gründungen nach: Ebd. 115 Hierbei handelt es sich um eine Untergrenze, da nur die Personen erfasst sind, über die Informationen aus der Mitte der 1870er Jahre vorliegen. Bei der Wahl von 1881 neu hinzugekommene Aufsichtsräte sind nicht erfasst. 116 Opitz, S. 170 kommt auf einen Anteil von 11,5 Prozent.

97

mission zur Vorbereitung des Gesetzentwurfs vertreten waren.117 Gemessen an den 21 Mitgliedern der Kommission machten die an dem Entwurf persönlich interessierten Mitglieder 28,6 Prozent aus, die in den Verhandlungen nicht igno­ riert werden konnten. Interessanterweise existierte auch innerhalb der konservativen Parteien eine recht große Gruppe von Aufsichtsräten. Hier hatten 15 Aufsichtsräte ihr politisches Zuhause. Gemessen an der Zahl der konservativen Abgeordneten waren dies knapp 20 Prozent. Im Zentrum finden sich dagegen nur zwei Aufsichtsräte, was lediglich einem Anteil von zwei Prozent aller Abgeordneten des Zentrums entsprach.

2.2 Weimar Im Vergleich zum Kaiserreich veränderte sich die Zusammensetzung der politischen Elite in der Weimarer Republik deutlich. Zwar stellten Aufsichtsräte, Bankiers, Rechtsgelehrte und Vorstände weiterhin die wichtigsten Protagonisten, im Unterschied zum Kaiserreich nahm jedoch die Meinungsvielfalt innerhalb dieser Gruppen zu, zudem traten neue Eliten hinzu. Am offensichtlichsten wird die wachsende Heterogenität im Fall der Banken, bei denen ein wachsender Interessenkonflikt zwischen Privat- und Aktiengroßbanken festzustellen ist. Aber auch innerhalb der Juristenschaft ist in der Weimarer Republik ein größeres Meinungsspektrum beobachtbar. Eine bedeutende Erweiterung erfuhr die politische Elite durch die zunehmende Bedeutung der Handelspresse, die sich ab Mitte der 1920er Jahre immer klarer mit eigenen Problemkonzeptionen und Reformvorstellungen hervortat. Weniger bedeutend, aber ebenfalls am politischen Diskurs beteiligt, waren die Gewerkschaften und öffentliche Unternehmen. Die Gruppe der freien Aktionäre hatte – gemessen an der Quellenüberlieferung – in der Weimarer Republik wohl ihre größte Bedeutung. Im Vergleich zu den leitungsnahen Eliten rund um Aufsichtsräte, Vorstände und Großbankiers sowie der Juristenschaft, aber auch der Handelspresse und den Privatbankiers, beteiligten sie sich jedoch weniger intensiv an den Reformdebatten der 1920er Jahre. Wie im Kaiserreich ist auch hier der Grund für die geringe Repräsentation der Aktionäre in ihrer relativ kleinen Zahl zu suchen. Die Zahl der potentiellen Aktionäre in der Weimarer Republik kann dank der Vermögenssteuerstatistik auf direkterem Weg beziffert werden als für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Von der Vermögenssteuer waren alle juristische Personen mit einem Vermögen von mehr als 5.000 RM und alle natürlichen Personen mit einem Vermögen

117 Vier Vertreter aus dieser Gruppe waren Mitglied der Fraktion des Freisinns. Daneben war je ein Mitglied in der Nationalliberalen Partei und der Deutschkonservativen Partei organisiert.

98

von mehr als 10.000 RM und einem Jahreseinkommen über 3.000 RM betroffen.118 Die Vermögenssteuer wurde auf Betriebsvermögen, Grundvermögen, land- und forstwirtschaftliches Vermögen und sonstiges Kapitalvermögen erhoben. Da Aktienbesitz zu dieser letzten Vermögensart zu zählen ist, genügt es, diese Kategorie zu betrachten. Der Kreis der Personen, der im Jahr 1927 sonstiges Kapitalvermögen zu versteuern hatte, war überschaubar (siehe Tab. 10). Insgesamt wurden in dieser Kategorie nur 759.642 Personen herangezogen. Bei einer Bevölkerung von 62,4 Millionen machte dies gerade einmal 1,2 Prozent der Bevölkerung aus. Dabei handelte es sich überwiegend um natürliche Personen – die Kategorie erfasste nur 1.683 juristische Personen.119 Der Anteil der Steuerpflichtigen, die maximal 6.000 Reichsmark an sonstigem Kapitalvermögen zu versteuern hatten, machte mit 51,5 Prozent aller Steuerpflichtigen dieser Kategorie den Löwenanteil aus. In das Verhältnis zur Bevölkerung gesetzt, betrug der Anteil der Steuerpflichtigen, die ein Kapitalvermögen von maximal 6.000 Reichsmark zu versteuern hatten, 0,63 Prozent. Im Durchschnitt hielten die Steuerpflichtigen in dieser Klasse ein Kapitalvermögen von 2.100 Reichsmark. Bei einem Nennwert einer Aktie von 100 Reichsmark und einem Kauf zu Pari konnten so maximal 21 Aktien erworben werden. Ein Aktienbesitz in dieser Größenordnung kann kaum als nennenswert bezeichnet werden. Wenn man davon ausgeht, dass die nicht zur Steuer herangezogenen Personen einen ähnlichen Portfoliomix bevorzugt haben, können auch diese Personen keinen erheblichen Aktienbesitz aufgewiesen haben. Je weitere 15 und 14 Prozent der Steuerpflichtigen hatten ein Kapitalvermögen von zwischen 6.000 und 10.000 beziehungsweise 20.000 Reichsmark zu versteuern. Im Durchschnitt kamen diese beiden Gruppen auf ein Kapitalvermögen von etwa 8.000 beziehungsweise 14.300 Reichsmark. Mit solch einem Vermögen konnte immerhin ein etwas größeres und diversifizierteres Portfolio zusammengestellt werden. Große Sprünge waren in diesen beiden Gruppen, zusammen 0,36 Prozent der Gesamtbevölkerung, aber auch noch nicht denkbar. Dies mag erst bei den Vermögen möglich gewesen sein, die in die Klassen von über 20.000 Reichsmark fielen. Diese machten jedoch nur noch 0,23 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Insgesamt dürfte der Anteil der Bevölkerung, der im Besitz größerer Aktienportfolios war, somit nicht größer, wahrscheinlich sogar etwas niedriger, als im Kaiserreich gewesen sein.

118 Bei zwei minderjährigen Kindern erhöhte sich die Einkommensgrenze auf 4.000 Reichsmark, bei drei und vier Kindern lag sie bei 5.000, bei mehr als vier Kindern stieg sie auf 6.000 Reichsmark. War der Steuerpflichtige älter als 60 Jahre oder erwerbsunfähig, erhöhte sich der Freibetrag des Vermögens auf 20.000 (30.000) Reichsmark, der des Jahreseinkommens auf 5.000 (4.000) Reichsmark. Auch hier galten höhere Freibeträge, wenn im Haushalt des Steuerpflichtigen minderjährige Kinder wohnten. Statistisches Reichsamt, Vermögenssteuerveranlagung, S. 7. 119 Ebd., S. 26–28.

99

Tab. 10: Schichtung der Sonstigen Kapitalvermögen im Jahr 1927. Vermögensklasse (in 1000 RM) über

bis

Anzahl Steuerpflichtige

6

391.077

Anteil Steuerpflichtige in dieser Klasse in Prozent

Anteil Steuerpflichtige an Bevölkerung 1925 in Prozent

51,5

0,6

Durchschnittliches Rohvermögen pro Steuerpflichtigen 2.163

6

10

107.382

14,1

0,2

8.003

10

20

116.916

15,4

0,2

14.374

20

30

47.709

6,3

0,1

24.669

30

50

40.664

5,4

0,1

38.729

50

100

30.760

4,0

0,05

69.508

100

250

17.521

2,3

0,03

150.713

250

500

4.820

0,6

0,01

343.835

500

1.000

1.806

0,2

0,003

684.039

1.000

2.500

774

0,1

0,001

1.464.903

2.500

5.000

138

0,02

0,0002

3.442.804

5.000

10.000

55

0,01

0,0001

6.686.891

0,003

0,00003

21.041.250

10.000

20

Gesamt

759.642

100

1,22

21.335

Im Vergleich mit dem Kaiserreich veränderte sich nicht nur die Zusammensetzung der politischen Elite, sondern auch deren Organisation. So spielten die Handelskammern in den 1920er Jahren kaum noch eine Rolle. Die Interessen der leitungsnahen Eliten und der Banken wurden nun von reichsweit agierenden Spitzenverbänden wie dem Reichsverband der deutschen Industrie (RDI), dem Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) und dem Zentralverband des Bank- und Bankiergewerbes vertreten. Der damit verbundene Bedeutungsverlust der Handelskammern ist institutionell zu erklären. Im Jahr 1924 legten die Reichsministerien in ihrer gemeinsamen Geschäftsordnung fest, künftig nur noch Verbände zu konsultieren beziehungsweise Zugang zu Regierungsstellen zu gewähren, deren »Wirkungskreis das gesamte Reichsgebiet« umfasst.120 Neue Organisationen traten aber auch aufgrund der zunehmenden Zersplitterung der politischen Elite hervor. So sammelten sich reformbefürwortende Juristen in der Vereinigung für Aktienrecht,121 die stärker als der durch Banken und Firmen120 Deutsches Reich, Geschäftsordnung 1927, § 27. 121 Unter der Führung des Berliner Handelsrechtlers Arthur Nußbaum gab die Vereinigung eine Schriftenreihe heraus, deren Autoren sich für eine Reform des Aktienrechts einsetzten. Bei den Beiträgen handelte es sich oft um gedruckte Vorträge, die auf von der Vereinigung organisierte Vortragsabende zurückgingen.

100

anwälte dominierte Juristentag122 auf eine Reform des Aktienrechts drängte. Schließlich sind auch für den Teil der politischen Elite, der unter die Vetospieler zu zählen ist, Veränderungen zu beobachten. So war die Zahl der Vetospieler, die in der Weimarer Republik in den Jahren zwischen 1929 und 1932 über die Ausgestaltung des Aktienrechts verhandelten, deutlich geringer als im Kaiserreich. Dies lag zum einen daran, dass die Weimarer Reichsverfassung den Reichsrat zu einem externen Vetospieler degradierte und seine Vetomacht massiv einschränkte.123 So hatte der Reichsrat zwar Gesetzentwürfen der Reichsregierung zuzustimmen, bevor diese an den Reichstag gingen, im Falle von Meinungsverschiedenheiten konnte die Reichsregierung allerdings ihren Gesetzentwurf unter Darstellung der abweichenden Meinung des Reichsrats in den Reichstag einbringen.124 Zum anderen war die Zustimmung des Reichsrats zu einem Reichsgesetz für das Zustandekommen eines Gesetzes nicht mehr notwendig.125 Er konnte nur noch ein Veto gegen ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz geltend machen.126 Im Fall des Einspruchs wurde dem Reichstag das Gesetz noch einmal vorgelegt. Dieser konnte die Änderungswünsche des Reichsrats entweder akzeptieren oder ihn mit einer Zweidrittelmehrheit überstimmen.127 Der Reichsrat besaß somit kein hartes Vetorecht mehr. Im Gegensatz zum Reichstag konnte er aber unter den Präsidialkabinetten unter Führung des Zentrums122 Schmidt, S. 262–264; Schubert, Weimarer Republik, S. 13–14. So war Georg Solmssen, Geschäftsinhaber der Discontogesellschaft, einer der Berichterstatter zu der 1926 von dem Juristentag debattierte Frage, ob eine Reform des deutschen Aktienrechts nach angelsächsischem Vorbild sinnvoll erscheint. In der zur weiteren Klärung dieser Frage gebildeten Spezialkommission waren neben Solmssen mit Ernst von Simson und Julius Flechtheim auch der RDI und mit Jacob Riesser der Zentralverband des deutschen Bank- und Bankiergewerbes vertreten. Mit Max Hachenburg und Karl Geiler waren zudem zwei Rechtsanwälte in der Kommission vertreten, die die in den 1920er Jahren neu geschaffenen Rechtsformen entscheidend mitgeprägt haben. Für die Teilnehmerliste siehe die Protokolle der Juristentagskommission, in: Schubert, Weimarer Republik, S. 35–117. 123 Boldt, Reichsverfassung, S. 50–57; Deutsches Reich, Verfassung 1919, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1919 Heft 152 (14.08.1919). 124 Deutsches Reich, Verfassung 1919, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1919 Heft 152 (14.08.1919), Art. 69. Der Reichsrat hatte aber nicht das Recht, seine Position selbst im Reichstag zu vertreten, so wie dies im Kaiserreich jedem Bundesstaat möglich gewesen war. Siehe: Deutsches Reich, Verfassung, in: Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes, 1871 Heft 16 (16.04.1871), Art. 9. 125 Deutsches Reich, Verfassung 1919, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1919 Heft 152 (14.08.1919), Art. 68. 126 Ebd., Art. 74. Der Einspruch hatte innerhalb von zwei Wochen zu erfolgen, spätestens nach zwei weiteren Wochen musste der Einspruch begründet werden. 127 Als weitere Option sah die Weimarer Reichsverfassung die Möglichkeit eines Volksentscheids vor. Konnten sich Reichsrat und Reichstag nicht einigen, konnte der Reichspräsident über die Meinungsverschiedenheit per Volksentscheid abstimmen lassen. Der Reichspräsident war dazu aber nicht gezwungen. Wenn weder der Reichspräsident einen Volksentscheid anordnete, noch Reichsrat und Reichstag sich einigen konnten und der Reichstag den Reichsrat nicht überstimmte, galt das Gesetz als nicht zustande gekommen.

101

politikers Heinrich Brüning seinen Einfluss auf die Politik der Reichsregierung wahren.128 So wurde der Reichsrat in die Verhandlungen zur Ausgestaltung des Aktienrechts in Form von kommissarischen Besprechungen eingebunden, während der Reichstag nicht in die Verhandlungen eingriff. Innerhalb des Reichsrats spielte Preußen immer noch eine zentrale Rolle. Zwar verlor Preußen seine Vormachtstellung im Reich, das Land verfügte aber weiterhin über die meisten Stimmen im Reichsrat und konnte Versuche, das Land zu zerschlagen oder die preußische Regierung mit der Reichsverwaltung zusammenzulegen, erfolgreich abwehren.129 Dabei stützte Preußen seinen Einfluss im Reich auch darauf, dass die Weimarer Koalition anders als im Reichstag in Preußen durchgehend eine demokratisch legitimierte Mehrheit besaß. Die in der Weimarer Reichsverfassung vorgesehenen zentralen Vetospieler waren der Reichstag und der Reichspräsident.130 Der Reichstag hatte das Recht, Gesetzesvorschläge einzubringen und musste jedem Gesetz zustimmen, Einsprüche des Reichsrats konnte er mit einer Zweidrittelmehrheit zurückweisen und die Reichsregierung durch ein Misstrauensvotum stürzen.131 Praktisch konnte der Reichstag seine von der Verfassung vorgesehene Rolle jedoch nie ausfüllen. Da sich die Parteien besonders in den Krisenzeiten der Republik zwischen 1919 und 1924 und dann wieder ab 1929 als wenig kompromissbereit und verantwortungsbewusst zeigten, zog sich der Reichstag rasch aus der Gesetzgebungsarbeit zurück und überließ der Reichsregierung und dem Reichspräsidenten das Feld.132 Bis 1924 hatte der Reichstag seine Gesetzgebungsbefugnisse bereits sechsmal per Ermächtigungsgesetz an die Reichsregierung übertragen, in derselben Zeit hatte der Reichspräsident 136 Notverordnungen erlassen.133 Zahlen aus den Jahren 1923/24 veranschaulichen den Rückzug des Parlaments aus der Gesetzgebung noch prononcierter. Nach Berechnungen von Heinrich Oberreuter durchliefen zwischen Oktober 1923 und Oktober 1924 nur 15 Prozent aller Gesetze das normale parlamentarische Verfahren.134 Die große Mehrheit der 150 in diesem Zeitraum erlassenen Gesetze basierte auf zwei Ermächtigungsgesetzen (110 Gesetze) oder einer Notverordnung nach Artikel 48 (17 Gesetze). In den Jahren zwischen 1925 und 1929 kam es dann zwar nur selten zu einer Aus-

128 Vgl. Wengst, Staatsaufbau, S. 70–74. 129 Orlow, Weimar Prussia, I, S. 114. Mit dem Aufkommen der Präsidialkabinette ging der Einfluss Preußens allerdings schrittweise zurück. Orlow, Weimar Prussia, II, S. 197. 130 Vgl. dazu Kolb, S. 19–20. 131 Deutsches Reich, Verfassung 1919, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1919 Heft 152 (14.08.1919), Art. 54, 68 u. 74. 132 Boldt, Artikel 48, S. 296; Bracher, S. 28–30; Kolb, S. 181–182; Schulze, S. 69–85; Stürmer, Koalition, S. 240–242, 246–247; Wengst, Staatsaufbau, S. 70–74. 133 Oberreuter, S. 304–311. Kolb, S. 182, zählt zwischen 1920 und 1924 sogar 400 »gesetzesvertretende Verordnungen«. In der gleichen Zeit wurden 700 Gesetze auf formellem Weg verabschiedet. 134 Oberreuter, S. 304–311.

102

nahmegesetzgebung, ab 1928 begann jedoch die Auflösung des seit dem Kaiserreich etablierten Parteiensystems zu Gunsten radikaler, demokratiefeindlicher Kräfte.135 Vor dem Hintergrund des Zerfalls des Parteiensystems und der aufziehenden Weltwirtschaftskrise zogen sich die republikfreundlichen Parteien erneut aus der Verantwortung zurück und machten dem parlamentarisch zunächst durch die SPD tolerierten Präsidialregime Brünings Platz. Die Zahl der Notverordnungen stieg darauf wieder von fünf im Jahr 1930 über 44 im Jahr 1931 auf 60 im Jahr 1932.136 Der ohnehin schon schwache Reichstag verlor damit weiter an Bedeutung. Während der Reichstag im Jahr 1930 noch 98 Gesetze beschlossen hatte, sank diese Zahl auf 34 im Jahr 1931 und fünf im Jahr 1932. Die Zahl seiner Sitzungstage reduzierte sich von 94 (davon 67 unter dem Präsidialkabinett Brünings) im Jahr 1930 auf 42 im Jahr 1931 und 13 im Jahr 1932.137 Damit büßte der Reichstag in der für die Untersuchung relevanten Periode von 1929 bis 1932 faktisch seine Rolle als Vetospieler ein – an der Aushandlung eines neuen Aktiengesetzes war er im Gegensatz zum Reichsrat nicht mehr beteiligt. Im Gegenzug wuchs die Bedeutung des Reichspräsidenten und der von ihm ernannten Reichsregierung.138 Die besondere Machtposition des Reichspräsidenten erwuchs aus verschiedenen, in der Verfassung vorgesehenen Eingriffsmöglichkeiten des Präsidenten in die Gesetzgebung. So erlaubte es ihm Artikel 73 der Weimarer Reichsverfassung, durch den Reichstag beschlossene Gesetze auszusetzen und in einen Volksentscheid zu überführen. Noch wichtiger war die Bestimmung des Artikels 48 der Verfassung, die es dem Reichspräsidenten ermöglichte, Gesetze per Notverordnung unter Umgehung des Reichstags in Kraft zu setzen. Das Notverordnungsrecht des Präsidenten erschließt sich dabei nicht auf den ersten Blick.139 Der Artikel war vor dem Hintergrund revolutionärer Unruhen im Jahr 1919 entstanden und war zur Regelung des Ausnahmezustands gedacht. Die Formulierung des zweiten Absatzes des Artikels140 wurde aber schon von Friedrich Ebert als Ermächtigung des Reichspräsidenten zur Verabschiedung von Notgesetzen ver-

135 Kolb, S. 190; Oberreuter, S. 304–311. 136 Oberreuter, S. 304–311. 137 Kolb, S. 135. 138 Deutsches Reich, Verfassung 1919, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1919 Heft 152 (14.08.1919), Art. 53. 139 Kolb, S. 182; Kurz, S. 44–46, 59–60, 65–67. Die Bedeutung des Artikels wurde daher auch nur von den wenigsten Abgeordneten der Nationalversammlung erkannt und blieb unbestritten. Kolb, S. 19–20. 140 Die Formulierung lautet: »Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reich die öffent­ liche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zweck darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.«

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standen.141 Ebert achtete dabei noch darauf, die Autorität des Artikels 48 nur zur Beschleunigung von solchen Gesetzgebungsprozessen zu nutzen, die eine Mehrheit im Reichstag hatten. Eine Verabschiedung von im Reichstag gescheiterten Gesetzesentwürfen lehnte er ab. Erst mit dem ersten Präsidialkabinett unter der Leitung des Zentrumpolitikers Heinrich Brüning wurde das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten – entgegen der zeitgenössischen Rechtsaufassung – genutzt, um vom Reichstag abgelehnte Gesetzesentwürfe in Kraft zu setzen.142 Der Reichstag konnte zwar die Notverordnungen des Präsidenten wieder aufheben, dem stand allerdings das seit 1930 aktiv genutzte Recht des Reichspräsidenten zur Auflösung des Reichstags gegenüber.143 Da nach den Wahlen vom September 1932 – die der ersten Auflösung des Reichstags durch Reichspräsident Hindenburg im Juli 1930 folgten – zu befürchten stand, dass NSDAP und KPD bei erneuten Wahlen weitere Stimmgewinne verzeichnen würden, entschloss sich die SPD, das Präsidialregime Brünings parlamentarisch zu tolerieren und damit zu stabilisieren.144 Der Reichspräsident agierte jedoch – zumindest im Fall des Aktienrechts – nicht als aktiver Vetospieler. Vielmehr nutzte die Reichsregierung die Gesetzgebungskompetenzen des Präsidenten, um den von ihr unter kommissarischer Hinzuziehung des Reichsrats ausgearbeiteten Entwürfen Gesetzeskraft zu verleihen. Einziger starker Vetospieler war damit – solange ihr die Unterstützung des Reichspräsidenten sicher war – die Reichsregierung. Bei der Reichsregierung handelte es sich um einen kollektiven Vetospieler, dessen Kompetenzen in der Weimarer Reichsverfassung und der Geschäftsordnung der Reichsregierung vom Mai 1924 festgelegt waren.145 Der Reichskanzler gab zwar die Richtlinien der Politik vor, Gesetzesentwürfe mussten aber vom Kabinett gebilligt werden.146 Das Kabinett traf seine Entscheidungen mit einfacher Stimmenmehr141 In den ersten drei Jahren der Republik wurde der Artikel noch hauptsächlich zur Niederschlagung von Aufständen und Unruhen eingesetzt. Ab 1922 vollzog sich der Wandel hin zur Notgesetzgebung. Kolb, S. 182–183. 142 Ebd., S. 133, 182; Oberreuter, S. 304–311. 143 Deutsches Reich, Verfassung 1919, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1919 Heft 152 (14.08.1919), Art. 25; Kolb, S. 131–133. Der Reichstag konnte wiederum mit einer Zweidrittelmehrheit einen Volksentscheid über die Absetzung des Reichspräsidenten erzwingen (Deutsches Reich, Verfassung 1919, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1919 Heft 152 [14.08.1919], Art. 43). Die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag ergaben jedoch zu keiner Zeit eine so stabile Zweidrittelmehrheit, dass dies möglich gewesen wäre. 144 Die SPD stimmte in Folge gegen Anträge zur Aufhebung der von der Reichsregierung erlassenen Notverordnungen. 145 Deutsches Reich, Geschäftsordnung 1924. 146 Deutsches Reich, Verfassung 1919, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1919 Heft 152 (14.08.1919), Art. 56 u. 57. Die Minister führten innerhalb der vom Reichskanzler vorgegebenen Richtlinien ihren Bereich in eigener Verantwortung. Gesetze, an denen sie maßgeblich beteiligt waren, wurden von ihnen gegengezeichnet. (Deutsches Reich, Verfassung 1919, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1919 Heft 152 [14.08.1919], Art. 50 u. 56; Deutsches Reich, Geschäftsordnung 1924, § 25).

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heit, bei Stimmengleichheit entschied die Stimme des Vorsitzenden, dies war in der Regel der Reichskanzler.147 Bevor ein Gesetzentwurf in das Kabinett eingebracht wurde, sollten sich die beteiligten Fachministerien allerdings abstimmen und bemühen, bestehende Meinungsverschiedenheiten zu lösen.148 Diese Vorschrift der Geschäftsordnung führte dazu, dass die Verhandlungen über das Aktienrecht hauptsächlich zwischen den beteiligten Fachministerien für Justiz und Wirtschaft geführt wurden.149 In geringerem Umfang waren andere Fachministerien in die Verhandlungen eingebunden.150 In Kapitel drei müssen daher vor allem die präferierten Politikpunkte der genannten zwei Ministerien herausgearbeitet werden. Daneben müssen die Präferenzen der Mitglieder des Reichsrats dargestellt werden, die in Form kommissarischer Besprechungen schon in der Entwurfsphase in die Verhandlungen miteinbezogen wurden. Die Entscheidungssequenz im politischen System der Weimarer Republik ist in Abbildung 7 wiedergegeben. Laut Verfassung lag das Initiativrecht, also das Recht, die Agenda zu bestimmen, bei Reichstag und der Reichsregierung.151 Da der Reichstag sich kaum an der Gesetzgebung beteiligte, fiel die Agendamacht in der Regel der Reichsregierung zu – so auch im Fall des Aktienrechts.152 Innerhalb der Reichsregierung lag die Agendamacht beim Reichsjustizministerium, das in enger Abstimmung mit dem Reichswirtschaftsministerium unter der Leitung des Ministerialdirektors und späteren Staatssekretärs Franz Schlegelberger153, federführend für die Ausarbeitung des Entwurfs verantwortlich war.154 147 Deutsches Reich, Verfassung 1919, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1919 Heft 152 (14.08.1919), S. 58; Deutsches Reich, Geschäftsordnung 1924, § 29. Das Reichskabinett war beschlussfähig, wenn inklusive des Vorsitzenden mindestens die Hälfte der Minister anwesend waren oder durch einen Staatssekretär vertreten wurden (Ebd., § 31). 148 Deutsches Reich, Geschäftsordnung 1924, §§ 22–23. 149 Schubert, Weimarer Republik, S. 21–25. 150 So waren auch das Reichsfinanzministerium und das preußische Ministerium für Handel und Gewerbe in die Entwurfsphase eingebunden. Ebd. 151 Deutsches Reich, Verfassung 1919, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1919 Heft 152 (14.08.1919), Art. 68. 152 Schubert, Weimarer Republik, S. 21–25. 153 * 23.10.1876 in Königsberg (Ostpreußen) † 14.12.1970 in Flensburg. Seit 1918 im Reichsjustizamt / Reichsjustizministerium, 1920 Ernennung zum Ministerialrat, 1927 zum Ministerialdirektor, 1931 wurde Schlegelberger zum Staatssekretär berufen, nach dem Tod von Justizminister Franz Gürtner leitete er ab 1941 provisorisch das Reichsjustizministerium, nach der Ernennung von Otto Thierack zum Reichsjustizminister im Jahr 1942 trat er in den Ruhestand. Im Zuge der Nürnberger Prozesse wurde Schlegelberger 1947 zu lebenslanger Haft verurteilt, 1951 aufgrund einer Herzkrankheit aber wieder entlassen. Innerhalb des Justizministeriums war er für Handels-, Gewerbe-, Arbeits- und Völkerrecht zuständig und verantwortete somit in den 1930er Jahren auch die Reformen des Aktienrechts. Zur Person Schlegelbergers siehe: Thier, außerdem: Förster. 154 Schubert, Weimarer Republik, S. 21–25; Ders., Aktienrechtsreform, S. 29–30. Am 23.01.1929 einigten sich das Reichsjustizministerium und das Reichswirtschaftsministerium auf die Leitlinien der Reform: Ziel sollte es sein, das gesamte Aktienrecht einer Prüfung zu unterziehen. Dabei sollte an den geänderten Machtverhältnissen festgehalten werden, der ge-

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Erster Entwurf (Reichsjustizministerium); Veröffentlichung des Entwurfs

Kommissarische Besprechungen mit dem Reichswirtschaftsministerium, dem Reichsfinanzministerium und den Ländern Zweiter Entwurf Besprechung der Notverordnung im Reichskabinett Behandlung des Entwurfs im Reichswirtschaftsrat

Tagespresse, Publizistik, Vorträge, juristische und wissenschaftliche Gutachten, Wirtschaftsenquet, Fragebogen des Reichsjustizministeriums

Stellungnahmen der Spitzenverbände der Wirtschaft, Kritik in der Tagespresse, Eingaben von Unternehmen und Privatpersonen

Unterzeichnung der Notverordnung durch Reichspräsident

Nach Machtergreifung Abbruch der Reform

Abb. 7: Entscheidungssequenz in der Weimarer Republik.

Seit dem Jahr 1924 wurden verstärkt Stimmen laut, welche die im ersten Kapitel beschriebene Auseinanderentwicklung des im Handelsgesetzbuch kodifizierten Aktienrechts und der Rechtspraxis kritisierten. Die Reichsregierung beobachtete die Entwicklung der Debatte und begann, über eine Reform des Aktienrechts nachzudenken. In seiner Eröffnungsrede zum Juristentag im Jahr 1926 stellte Reichsjustizminister Bell (Zentrum) eine Reform des Aktienrechts in den kommenden ein bis eineinhalb Jahren in Aussicht. Noch während des Juristentags widersprach ihm aber sein für das Aktienrecht zuständiger Abteilungsleiter Ministerialdirigent Franz Schlegelberger. Laut Schlegelberger wollte sich die Reichsregierung zunächst von der Notwendigkeit einer Reform überzeugen.155 Einer solchen Notwendigkeit erteilte der von Bankvertretern dominierte Juristentag eine Absage.156 Ganz wollte man die Frage nach einer Reform des Aktienstiegenen Macht der Unternehmensführung sollte aber ein Gegengewicht in Form größerer Publizität und strengerer Kontrolle gesetzt werden. Siehe: Protokoll der Sitzung zwischen Reichsjustizministerium und Reichswirtschaftsministerium vom 26.01.1929 (Berlin), in: BArch, R 3001/2937. 155 Reichswirtschaftsministerium, Bericht zum 34. Deutschen Juristentag in Köln, Berlin 9.10.1926, in: BArch, R 3101/17553. 156 Ebd. sowie Berichte der Tagespresse in: BArch, R 3103/21.

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rechts aber nicht verneinen. So entschied sich der Juristentag eine Kommission zu bilden, die die Notwendigkeit einer Reform prüfen sollte.157 Etwa zeitgleich begannen die Handelspresse und die Vereinigung für Aktienrecht, auf eine Reform zu drängen. Zudem beschäftigte sich der vom Reichswirtschaftsrat eingesetzte Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft mit der Frage der Reform des Aktienrechts.158 Die Reichsregierung entschloss sich Ende 1928 doch noch, die Reformarbeiten anzugehen. Zu diesem Zweck einigte sich das Reichsjustizministerium mit dem Reichswirtschaftsministerium auf die Ausgabe von Fragebögen, die an alle mit dem Aktienrecht in Berührung stehende Gruppen verteilt wurden und die bis Anfang des Jahres 1931 an die Regierung zurückgegangen waren.159 Im Vergleich mit dem Kaiserreich wurde somit ein größerer Teil der politischen Elite institutionell in den Entscheidungsprozess der Vetospieler eingebunden. Zeitgleich zu der Entscheidung der Reichsregierung, das Aktienrecht zu reformieren, begann auch der parlamentarische Druck auf die Reichsregierung zu wachsen. Besonders der Skandal um den Frankfurter Allgemeinen Versicherungskonzern (FAVAG) Ende 1929 und die beginnende Weltwirtschaftskrise führten zu einem verstärkten Druck des Reichstags und einiger Länder auf die Reichsregierung, die Reform voranzutreiben. So informierte das preußische Justizministerium das Reichsjustizministerium Anfang Oktober über einen Beschluss des preußischen Landtags, der die Staatsregierung aufforderte, beim Reich auf einen besseren Schutz der Kleinaktionäre und Minderheiten von Aktiengesellschaften zu drängen.160 Einen ähnlichen Beschluss fasste der württembergische Landtag.161 Auch die DDP-Fraktion fragte Ende September 1929 bei der Reichsregierung an, ob diese die Vorgänge bei der FAVAG zum Anlass nehme, die Reformarbeiten zu beschleunigen und insbesondere auf eine höhere Publizität und einen verbesserten Aktionärsschutz hinzuwirken. Der Reichsjustizminister antwor-

157 Siehe Reichswirtschaftsministerium, Bericht zum 34. Deutschen Juristentag in Köln, Berlin 9.10.1926, in: BArch, R 3101/17553. Die Bildung der Kommission verlief nicht ohne Widerstand. Auf dem Juristentag sprachen sich der Direktor der Discontogesellschaft und Ministerialdirigent Schlegelberger gegen die Bildung einer Kommission bzw. einen Beschluss aus, der die Regierung zwingen würde, eine Sachverständigenkommission zu bilden. Beide hatten Angst, dadurch Pateiinteressen in das Aktienrecht hineinzutragen. Siehe dazu: Ebd. und Artikel von Kurt Weikel im Berliner Tageblatt vom 18.09.1926, in: BArch, R 3103/21. 158 Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der Deutschen Wirtschaft. 159 Schubert, Weimarer Republik, S. 16–17. 160 Schreiben des preußischen Justizministers an das Reichsjustizministerium vom 03.10.1929 (Berlin), in: BArch, R 3001/2937. 161 Reichswirtschaftsministerium an Reichsjustizministerium, 09.09.1929 (Berlin), in: Ebd. Der Beschluss des württembergischen Landtags forderte eine größere Offenlegung bei Kartellen. Dazu gehörte in seinen Augen auch eine erhöhte Publizität bei den Aktiengesellschaften.

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tete Anfang Oktober, man würde mit erhöhtem Tempo an der Reform arbeiten und einen besseren Aktionärsschutz prüfen.162 Der Druck des Parlaments ließ jedoch nicht nach. Mitte Mai sprachen sich einige Abgeordnete dafür aus, den Gesetzgebungsprozess zu beschleunigen. Die Abgeordneten verlangten ein Sofortprogramm, das die Herrschaft der Verwaltungen und der Großbanken einschränken und die Publizität vergrößern sollte.163 Ende Mai 1930 forderte auch die SPD-Fraktion im Reichstag die Reichsregierung zur baldigen Vorlage eines Aktiengesetzes auf, das den Investorenschutz und die Rechte der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat verbessern und die Macht der Verwaltungen und Banken begrenzen sollte.164 Der erste Entwurf eines neuen Aktiengesetzes konnte schließlich im Sommer 1930 vorgelegt und veröffentlicht werden.165 Vor dem Hintergrund der öffentlichen Besprechung des Entwurfs fanden im Winter 1930/31 und Frühjahr 1931 kommissarische Verhandlungen der beteiligten Reichsressorts mit den Ländern statt. Hier taten sich, wie in Kapitel drei zu sehen ist, besonders die preußischen Ministerien hervor. Gleichzeitig begann das Reichsjustizministerium einen zweiten Entwurf auszuarbeiten, der im Juli 1931 fertiggestellt und ohne Begründung veröffentlicht wurde. Aufgrund der Bankenkrise wurden die Gesetzgebungsarbeiten noch einmal beschleunigt. Da aber verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Verkündung des gesamten Gesetzes per Notverordnung bestanden, wurden aus dem zweiten Entwurf einige zentrale Elemente herausgelöst und als Ergänzung des Handelsgesetzbuchs per Notverordnung in Kraft gesetzt. In dieser zweiten Phase vom Sommer 1930 bis Sommer 1931 ging noch einmal eine Vielzahl von Petitionen bei den zuständigen Ministerien ein.166 Besonders taten sich dabei die Spitzenverbände der leitungsnahen Interessengruppen und Banken hervor, die versuchten, durch Gutachten und persönliche Gespräche in den Ministerien die Entscheidung der Vetospieler zu beeinflussen.167 Aber auch die Handelspresse und die Vereinigung für Aktienrecht bezogen dezidiert Stellung zu den Regierungsentwürfen. 162 Anfrage der Fraktion der DDP vom 20.09.1929 (Berlin); Antwort des Reichsjustizministers vom 04.10.1929 (Berlin), in: Ebd. 163 Siehe Sitzung des Reichstags vom 16.05.1930 (165. Sitzung), in: BArch, R 3001/2938. In der Sitzung erteilte der Minister einer Teilreform mit dem Argument die Absage, die Reformarbeiten wären schon zu weit vorangeschritten, um sich jetzt mit einer Teilreform zu begnügen. 164 Entschließung der SPD-Fraktion im Reichstag vom 26.05.1930, in: Ebd. 165 Schubert, Weimarer Republik, S. 21–25. 166 BArch, R 3001/2938; BArch, R 3001/2939 sowie BArch, R 43-I/1082. 167 Siehe die Gutachten des Reichsverbands der deutschen Industrie, des Zentralverbands des deutschen Bank- und Bankiergewerbes, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (alle in: BArch, R 3001/2943) und der Berliner Handelskammer (in: BArch, R 3103/21) aus dem Januar / Februar 1931 sowie das Protokoll einer Besprechung zwischen Julius Flechtheim (RDI) und dem Reichsjustizministerium vom 06.01.1931 (in: BArch, R 3001/2943).

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In der Folgezeit wurde an einer Begründung zum zweiten Entwurf gearbeitet, die im Frühsommer für den internen Gebrauch der Regierung veröffentlicht wurde. Gleichzeitig wurde der Entwurf dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat – einem paritätisch zusammengesetzten Beratungsgremium – übergeben.168 Die Beratungen des Reichswirtschaftsrats zogen sich bis in den Januar 1931 hin169 Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor der Weimarer-Entwurf seine Aktualität – das Aktienrecht sollte jetzt unter nationalsozialistischen Gesichtspunkten neu gestaltet werden.170

2.3 Nationalsozialismus Die Weltwirtschaftskrise und die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 wirkten unmittelbar auf die Zusammensetzung der politischen Elite. So fiel der Anteil der Personen, die Geldvermögen zu versteuern hatten und bei denen es sich folglich um potentielle Besitzer von Aktien handelte deutlich. Für die Zeit des Nationalsozialismus kann der Anteil auf eine zur Weimarer Zeit ähnliche Methode mit Hilfe der Vermögenssteuerstatistik berechnet werden. So liegen Informationen über das Kapitalvermögen der deutschen Bevölkerung im Jahr 1935 vor.171 Allerdings änderten sich im Vergleich zum Jahr 1927 die Steuerfreibeträge und damit auch die Erhebungsmethode des Statistischen Reichsamts. Der Freibetrag des Steuerpflichtigen betrug jetzt 10.000 Reichsmark. Hinzu kam ein weiterer Freibetrag von 10.000 Reichsmark für die Ehefrau und jedes im Haushalt des Steuerpflichtigen lebende minderjährige Kind sowie für volljährige Kinder bis zum 25. Lebensjahr, die nicht im Haushalt des 168 Die Übergabe erfolgte am 30.06.1932. Siehe Schubert, Weimarer Republik, S. 21–25. Bei dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat handelte es sich um ein auf Artikel 165 zurückgehendes Beratungsgremium der Reichsregierung. Artikel 165 sah die Bildung von paritätisch, aus Unternehmern, Arbeitern und Mitgliedern der freien Berufe besetzten Bezirkswirtschaftsräten und einem Reichswirtschaftsrat als deren Spitzenorganisation vor. Zur Gründung der Bezirkswirtschaftsräte kam es allerdings nie. Artikel 165 sah vor, dass alle wichtigen sozial- und wirtschaftspolitischen Gesetzesvorhaben dem Reichswirtschaftsrat zur Begutachtung übergeben werden mussten. Der Reichswirtschaftsrat durfte auch selbst Gesetzesvorschläge machen – er war somit eines der wenigen Elemente der Rätedemokratie in der Verfassungswirklichkeit der Weimarer Republik. Die Reichsregierung war allerdings nicht an das Ergebnis der Beratungen des Reichswirtschaftsrats gebunden. Dem Reichswirtschaftsrat kommt somit nicht die Funktion eines Vetospielers zu. Vgl. dazu grundsätzlich Schubert, Aktienrechtsreform, S. 9–18. 169 Schubert, Aktienrechtsreform, S. 9–18. Der vorläufige Reichswirtschaftsrat stellte somit auch eine institutionalisierte Form der Einbindung politischer Eliten in den Entscheidungsprozess der Vetospieler dar. Aufgrund des Abbruchs der Verhandlungen zwischen den Vetospielern nach Januar 1933 wurde dieses Potential jedoch nicht aktiviert. 170 Schubert u. a., S. XL–L. 171 Statistisches Reichsamt, Hauptveranlagung, S. 178.

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Steuerpflichtigen lebten, aber eine Berufsausbildung absolvierten.172 Aufgrund der höheren Freibeträge – und wahrscheinlich auch der Weltwirtschaftskrise, die viele Vermögen vernichtet hatte – verschob sich die Verteilung der Kapitalvermögen im Jahr 1935 im Vergleich zur Weimarer Republik deutlich (Tab. 11). Vermögen bis zu einer Höhe von 20.000 Reichsmark – die erste vom Statistischen Reichsamt berichtete Klasse  – machten nur 6,93 Prozent aller Steuerpflichtigen aus. Die Steuerpflichtigen in dieser Klasse verfügten schon über ein durchschnittliches Kapitalvermögen von 11.240 Mark, mit dem sich wohl ein kleineres Aktienportfolio zusammenstellen ließ. Insgesamt lag die Zahl der im Jahr 1935 zur Versteuerung von sonstigem Kapitalvermögen herangezogenen Personen mit 494.653 unverkennbar niedriger als im Jahr 1927 (759.642). Bezogen auf die Bevölkerung des Deutschen Reichs im Jahr 1933 machte die Gruppe der Personen, die im Jahr 1935 sonstiges Kapitalvermögen zu versteuern hatten, lediglich 0,76 Prozent aus. Auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass Personen mit kleineren Vermögen Aktien hielten, kann dieser Kreis bei einem durchschnittlichen Arbeitseinkommen von 1.697 Reichsmark im Jahr 1935 nicht besonders groß gewesen sein.173 Somit machte der Kreis der Aktionäre im »Dritten Reich« wohl noch weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus. Es kann daher kaum überraschen, dass sich für die Periode des Nationalsozialismus deutlich weniger Eingaben freier (Klein-)Aktionäre finden lassen. Insgesamt ist im »Dritten Reich« ein klarer Umbruch der politischen Elite festzustellen, der vor allem auf die Politik des nationalsozialistischen Staates zurückgeführt werden kann. Die Einschränkung der Pressefreiheit nach 1933 brachte die rege Teilnahme der Handelspresse an der Reformdebatte zum Erliegen. Die Einschüchterung jüdischer Bürger und die Berufsbeschränkungen jüdischer Juristen sowie die Massenentlassungen an den Hochschulen führten zu einer (inneren) Emigration vieler Rechtswissenschaftler und damit zu einer Verödung der lebhaften handelsrechtlichen Debatte der 1920er Jahre.174 So emigrierte mit Arthur Nußbaum ein führender Kopf der Vereinigung für Aktienrecht in die Vereinigten Staaten, andere wie der renommierte Firmenanwalt Karl Geiler zogen sich aus der Öffentlichkeit zurück.175 Die mit der Arisierung verbundene gesellschaftliche Diskriminierung, Diskreditierung und Verfolgung jüdischer Bankiers schloss zudem viele Privatbankiers, deren Zahl bereits seit 1929 aufgrund der Wirtschafts- und Bankenkrise zurückgegangen war, spätestens ab

172 Ebd., S. 4. Weitere 10.000 RM Freibetrag kamen hinzu, wenn der Steuerpflichtige älter als 60 Jahre alt bzw. zu erwarten war, dass er mindestens drei Jahre erwerbsunfähig sein würde und im Vorfeld nicht mehr als 3.000 RM Jahreseinkommen gehabt hatte. Juristischen Personen wurde der Freibetrag komplett gestrichen. 173 Hoffmann, Wachstum, S. 468–471. Das gilt auch, wenn man die leicht höheren Löhne der Angestellten mitberücksichtigt. Hoffmann errechnet dann einen Durchschnittsverdienst für das Jahr 1935 von 1.731 RM. 174 Grüttner, S. 295; Morris, S. 107–110; Schubert u. a., S. L–LXV. 175 Emmert; Weis.

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Tab. 11: Schichtung der Sonstigen Kapitalvermögen im Jahr 1935. Vermögensklasse (in 1000 RM) über

Steuerpflichtige

Anteil Steuerpflichtige in dieser Klasse in Prozent

Anteil Steuerpflichtige an Bevölkerung 1933 in Prozent

34.263

6,9

0,05

11.240

bis 20

Durchschnittliches Rohvermögen pro Steuerpflichtigen

20

30

69.501

14,1

0,11

13.800

30

40

82.360

16,7

0,13

16.785

40

50

64.894

13,1

0,10

20.993

50

70

81.028

16,4

0,12

27.517

70

100

59.990

12,1

0,09

39.658

100

250

73.980

15,0

0,11

75.535

250

500

18.423

3,7

0,03

181.105

500

1.000

6.689

1,4

0,01

372.963

3.525

0,7

0,01

1.465.299

1.000 Gesamt

494.653

100

0,76

1935 aus der politischen Elite aus.176 Auch die Großbanken hatten vor dem Hintergrund der Bankenkrise und der negativen Einstellung der Nationalsozialisten zum Finanzkapital einen schwereren Stand als in der Weimarer Republik und dem Kaiserreich und verloren zeitweise ihrer Beraterfunktion.177 So war in dem Ausschuss der Akademie für Deutsches Recht, der dem Reichsjustizministerium Reformvorschläge unterbreitete, mit dem Syndikus der Berliner Handelsgesellschaft, Breska, nur ein Mitglied einer Großbank vertreten.178 Erst mit der Übernahme des Wirtschaftsministeriums durch den ehemaligen Großbankier Hjalmar Schacht nahm die Beteiligung der Großbanken an der Reformdebatte wieder zu. Die Zerschlagung der Gewerkschaften führte schließlich zur Verdrängung eines weiteren Teils der politischen Elite der Weimarer Republik. Lediglich den Aufsichtsräten und Vorständen der großen Aktiengesellschaften gelang es, ihre Position in das »Dritte Reich« zu retten und weiterhin rege an der politischen Debatte teilzunehmen. An die Stelle der verdrängten Eliten­ gruppen traten dagegen nationalsozialistische Ideologen und Wirtschaftsdenker wie der Wirtschaftsbeauftragte des Führers Wilhelm Keppler und das Mitglied der Deutschen Arbeitsfront Werner Bachmann. Gleichzeitig lösten die Nationalsozialisten die Organisationen auf, in denen sich die politische Elite bisher

176 Köhler, S. 94–191; Wixforth u. Ziegler, Privatbanken, S. 214–219. 177 James, Verbandspolitik, S. 45–46; Ders., Deutsche Bank, S. 6–17. 178 Bähr, S. 45–48.

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zusammengeschlossen hatte, und ersetzte sie durch neue Konstruktionen. So trat der Juristentag von 1933 bis zu seiner formalen Auflösung 1937 nicht mehr zusammen.179 Auch der Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) und der Deutsche Handelstag wurden aufgelöst. Der RDI fusionierte zunächst im Juni 1933 mit dem Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (VDA) zum Reichsstand Industrie.180 Auf Basis des Gesetzes zum vorläufigen Aufbau der deutschen Industrie wurde der Reichsstand der Industrie wieder aufgelöst und in der Reichsgruppe Industrie neu organisiert. Auch der Zentralverband des deutschen Bank- und Bankiergewerbes wurde im November 1934 formal aufgelöst und der Wirtschaftsgruppe »Privates Bankgewerbe« einverleibt.181 Dem Verband gelang es dabei allerdings, seine Strukturen weitgehend zu erhalten. Es wurde ihm sogar gestattet, seinen alten Namen zusätzlich zur Bezeichnung »Wirtschaftsgruppe Privates Bankgewerbe« weiterzuführen.182 Ähnlich wie die Nicht-Vetospieler, unterlagen auch die Vetospieler nach 1933 erheblichen Verschiebungen. Im Zuge der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde zwar keine neue Verfassungsurkunde eingeführt. Die Verfassung der Weimarer Republik wurde aber derart ausgehöhlt, dass eine neue Verfassungswirklichkeit entstand, die häufig als Polykratie oder autoritäre Anarchie, jüngst auch als ›Neue Staatlichkeit‹, bezeichnet wurde.183 Die Aushöhlung der Weimarer Reichsverfassung fand auf strikt legalistischem Wege statt.184 Am 24. März 1933 beschloss der Reichstag mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit, dass die Reichsregierung in Zukunft Gesetze ohne Zustimmung des Reichstags und des Reichsrats beschließen konnte.185 Für auf diese Weise beschlossene 179 Conrad, S. 11–12. 180 Kahn, S. 163–164, 205–208; Neebe, S. 181–188; Wengst, Reichsverband. 181 James, Verbandspolitik, S. 88–91. 182 Ebd., S. 53–54. Die langjährigen jüdischstämmigen Vorstandsmitglieder wurden allerdings schon im Mai 1933 aus dem Zentralverband herausgedrängt bzw. nahmen freiwillig ihren Abschied. 183 Hildebrand, S. 224–225; Hehl, S. 10–15; Mommsen, S. 417–420. Der Kennzeichnung der nationalsozialistischen Herrschaft als Polykratie beziehungsweise organisiertes Chaos wird in letzter Zeit das Konzept von der ›Neuen Staatlichkeit‹ zur Seite gestellt. Die These von der ›Neuen Staatlichkeit‹ betont die Rolle nicht-staatlicher NS-Organisationen, allen voran der zahlreichen Sonderkommissare, Gauleiter und Reichsstaathalter für die Koordinierung und Steuerung der polykratischen Säulen des NS-Herrschaftssystems. Vgl. Hachtmann, S. 265–270. 184 Vgl. zur Machtergreifung grundsätzlich Hildebrand, S. 2–10. 185 Deutsches Reich, Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1933 Heft 25 (24.03.1933). Nur die SPD hatte im Reichstag gegen dieses Ermächtigungsgesetz gestimmt. Vgl. Hildebrand, S. 5. Das Ermächtigungsgesetz galt formal nur bis zum 01.04.1937, wurde aber per Gesetz 1937 bis 1941 und 1939 bis 1943 verlängert (Deutsches Reich, Gesetz zur Verlängerung des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1937 Heft 114 [30.01.1937]; Deutsches Reich, Gesetz zur Verlängerung des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1939 Heft 15 [30.01.1939]). Per

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Gesetze sollten die zahlreichen Einspruchsrechte der anderen Verfassungsorgane, die in den Artikeln 68 bis 77 der Weimarer Reichsverfassung festgelegt waren, keine Anwendung finden. Mit dem Verbot aller politischen Parteien außer der NSDAP Mitte 1933 durch das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien186 und dem damit verbundenen Bedeutungsverlust des Reichstags, der Auflösung des Reichsrats im Februar 1934187 und der Vereinigung des Amts des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers in der Person Hitlers im August desselben Jahres188, hatten sich drei Machtzentren herausgebildet, die bis Ende 1937 das politische System des Nationalsozialismus bestimmten: die von konservativen Kräften beherrschte Reichsregierung, die Partei und Hitler selbst.189 Damit existierten im politischen System des »Dritten Reichs« drei Vetospieler. In seiner Funktion als Reichskanzler war Hitler jedoch formal in die Reichsregierung integriert. Das gleiche gilt für die NSDAP, die durch das Ministerium von Hitlers Stellvertreter in der Partei, Rudolph Heß, im Kabinett vertreten war.190 Das politische System des Nationalsozialismus kannte somit nur noch einen kollektiven Vetospieler – die Reichsregierung. Die Bedeutung der Reichsregierung nahm über die Zeit allerdings ab. Insgesamt erließ die Reichsregierung während der Zeit des Nationalsozialismus 985 im Reichsgesetzblatt publizierte Gesetze, die meisten davon in den ersten drei Jahren.191 Mit Kriegsausbruch ging die Gesetzgebungskompetenz auf andere Gremien wie den Ministerrat Führererlass vom 10.05.1943 wurde das Gesetz fristlos verlängert (Deutsches Reich, Erlass des Führers über die Regierungsgesetzgebung, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1943 Heft 49 [10.05.1943]). 186 Deutsches Reich, Gesetz gegen die Neubildung von Parteien, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1933 Heft 81 (15.07.1933). 187 Deutsches Reich, Gesetz über die Aufhebung des Reichsrats, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1933 Heft 16 (14.02.1934). Bereits am 30.01.1934 wurden die Landesparlamente aufgehoben und die Landesregierungen der Reichsregierung unterstellt (Gleichschaltung). Siehe: Deutsches Reich, Gesetz über den Neuaufbau des Reichs, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1933 Heft 11 (30.01.1934). 188 Deutsches Reich, Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1933 Heft 89 (01.08.1934). 189 Broszat, S. 327–328. Ähnlich Kershaw, S. 144–145. Bis Ende 1937/Anfang 1938 standen fünf nationalsozialistischen Ministern sieben konservative Minister gegenüber. Mit dem Außenministerium (v. Neurath), dem Finanzministerium (Schwerin v. Krosigk), dem Wirtschaftsministerium (Schacht), dem Justizministerium (Gürtner) und dem Reichswehrministerium (v. Blomberg) besetzten die konservativen Minister fast alle wichtigen Fachressorts. 190 Rebentisch, S. 739–740. Das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 01.12.1933 bestimmte den Eintritt des Stellvertreters des Führers als Minister in die Reichsregierung (Deutsches Reich, Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1933 Heft 135 [02.12.1933]). 191 Mertens, Rechtsetzung, S. 14–15. Mertens berichtet von 150 bis 223 Gesetzen, die in den Jahren 1933 bis 1936 jährlich erlassen wurden. Die Zahl sank in den Jahren 1937 bis 1939 auf etwa 100 Gesetze jährlich. Nach Kriegsbeginn ging die Gesetzgebungskompetenz auf andere Gremien über.

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und das Dreierkollegium  – beide Gremien waren gewissermaßen Kabinettsausschüsse  – sowie auf Einzelminister und Beauftragte (etwa die Vierjahresplanbehörde) über.192 Mit der Zeit wuchs auch die Zahl der Führererlasse. Das Aktiengesetz folgte jedoch noch dem herkömmlichen, bis Anfang 1937 üblichen Verfahrensgang. Da die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung über die Reichsregierung von nationalsozialistischen Eingriffen unberührt blieben, mussten de jure Gesetze weiterhin mit einfacher Stimmenmehrheit vom Kabinett gebilligt werden. Faktisch zog sich Hitler aber immer mehr aus der aktiven Kabinettsarbeit zurück und verzichtete auf förmliche Abstimmungen innerhalb des Kabinetts.193 Die Minister waren daher gezwungen, Meinungsverschiedenheiten in Chef- und Referentenverhandlungen zu lösen, bevor das Gesetz in das Kabinett eingebracht und dort der Form nach verabschiedet werden konnte. Faktisch verschob sich die Abstimmungsregel damit zu einem Einstimmigkeitsprinzip. Hitler nahm nur noch die Funktion eines externen Vetospielers wahr, der einem Ministerial­entwurf zustimmte oder ihn ablehnte und auf diese Weise Meinungsverschie­denheiten unter den Ministern auflöste.194 Da sich die Reichsministerien im Fall des Aktienrechts untereinander einigen konnten, war Hitler nicht gezwungen, in die Verhandlungen einzugreifen. Er verzichtete auch auf die Aufstellung allgemeiner Richtlinien, an die sich die Ministerien bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs hätten halten müssen. An den interministeriellen Verhandlungen waren, da die Geschäftsordnung der Reichsregierung von 1924 immer noch Geltung hatte, weiterhin die von der Gesetzgebung betroffenen Ministerien beteiligt.195 Im Fall der Reform des Aktienrechts waren damit wieder das Reichsjustizministerium und das Reichswirtschaftsministerium die bestimmenden Faktoren, deren Präferenzen es im Folgenden herauszuarbeiten gilt. Daneben spielte das Reichsinnenministerium eine gewisse Rolle. Der Logik nationalsozialistischer Herrschaft folgend, trat auch die NSDAP in Form des Stabs des Stellvertreters des Führers Heß in den Verhandlungsprozess ein.196 Durch eine Verordnung vom 27. Juli 1934 wurde dem Ministerium des Führerstellvertreters die Eigenschaft eines Beteiligten Reichsministeriums in allen Gesetzgebungs192 Broszat, S. 349–359; Hehl, S. 10–15; Kershaw, S. 175–186; Mertens, Rechtsetzung, S. 20–32. 193 Broszat, S. 349–359. 194 Kershaw, S. 148–149. Der Einfluss einzelner Minister hing daher mehr und mehr vom direkten Zugang zu Hitler ab. Es war dieser Umstand, kombiniert mit einer Zunahme an Sonderbeauftragten, denen Kompetenzen der klassischen Ministerien übertragen wurden und die direkt an Hitler berichteten, der schließlich zu einem Machtverlust der klassischen Fachressorts führte und die nationalsozialistische Polykratie von Verwaltungsträgern beziehungsweise eine ›Neue Staatlichkeit‹ entstehen ließ. Vgl. dazu Broszat, S. 349–359; Hachtmann, S. 265–270. 195 Vgl. Mertens, Rechtsetzung, S. 15–17, 36–43. 196 Rudolph Heß war Stellvertreter des Führers und damit formal zweiter Mann der NSDAP. In dieser Eigenschaft war er auch als Minister ohne Geschäftsbereich Mitglied der Reichsregierung.

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Erster Entwurf (Reichsjustizministerium)

Kommissarische Besprechung und Verhandlungen zwischen Reichsjustizministerium, Reichswirtschaftsministerium und anderen Fachministerien münden in zweitem Entwurf

Akademie für Deutsches Recht, nationalsozialistische Presse und Publizistik

Reichsgruppe Industrie nimmt an kommissarischen Besprechungen teil, Kontakte der Banken zum Reichswirtschaftsministerium

Verhandlungen zwischen Reichsjustizministerium, Reichswirtschaftsministerium und dem Stab des Stellvertreters des Führers Hess (NSDAP)

Reichskabinett akzeptiert finalen Entwurf

Hitler unterzeichnet das Gesetz

Abb. 8: Entscheidungssequenz im Dritten Reich.

angelegenheiten zugesprochen.197 Laut Geschäftsordnung der Reichsregierung musste das Ministerium daher schon im Entwurfsprozess in die Gesetzgebungsarbeiten eingebunden werden, was dem Stab des Stellvertreters des Führers zu einem wichtigen Vetospieler innerhalb der Reichsregierung erhob. Die Entscheidungssequenz des Gesetzgebungsprozesses im »Dritten Reich« zeigt Abbildung 8. Nach der Machtergreifung verschwanden die 1930 und 1931 ausgearbeiteten Reformentwürfe zunächst in den Schubladen des Reichsjustizministeriums.198 Da eine Neuordnung des Aktienrechts aber weiterhin notwendig blieb, begann das Ministerium Anregungen nationalsozialistischer Rechtswissenschaftler, Betriebswirte und Publizisten zu sammeln. Da die Ideen aus dem nationalsozialistischen Lager teilweise widersprüchlich waren, entschloss sich das Reichsjustizministerium, zunächst die Beratungen des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht abzuwarten.199 Die Akademie für

197 Rundschreiben des Reichskanzlers an die Reichsminister vom 27.07.1934, in: Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, I, S. 1381–1382 (Dokument Nr. 380). 198 Schubert u. a., S. XL–L. 199 Ebd., S. VII–XIII.

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Deutsches Recht wurde am 26. Juni 1933 von Hans Frank gegründet.200 Schon im September des selben Jahres wurde ihr durch den Freistaat Bayern der Charakter einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft verliehen. Gesetzgeberischer Auftrag der Akademie war es, die Neuordnung des deutschen Rechts im Sinne des nationalsozialistischen Programms zu fördern. Explizit sollte die Akademie Gesetzesänderungen anregen und vorbereiten. Daneben sollte sie Gesetzesentwürfe begutachten und selbst ausarbeiten. Bei der Akademie für Deutsches Recht handelte es sich also um ein institutionalisiertes Beratungsorgan. Der für die Diskussion einer Aktienrechtsreform gebildete Ausschuss bestand neben dem Ausschussvorsitzenden Wilhelm Kißkalt (Vorstandsvorsitzender der Münchner Rückversicherung) aus vier bedeutenden Führungspersönlichkeiten von Industrieaktiengesellschaften, einem Vertreter der Großbanken, zwei Rechtsprofessoren, einem Professor für Betriebswirtschaftslehre sowie dem Chefsyndikus der Industrie- und Handelskammer München und dem württembergischen Staatsminister für Wirtschaft.201 Daneben nahmen unter anderem der für die Reform zuständige Staatssekretär des Reichsjustizministeriums, Schlegelberger, und der Wirtschaftsbeauftragte des Führers, Keppler, als Gäste an den Beratungen teil. In Person des ständigen Ausschussmitglieds Max Ebbecke und des Gastmitglieds Werner Bachmann waren auch die Reichsgruppe Industrie beziehungsweise der linke Parteiflügel der NSDAP und die Deutsche Arbeitsfront in die Beratungen eingebunden.202 Der durch das Reichsjustizministerium ausgearbeitete, auf den Beratungen der Akademie für Deutsches Recht und dem Entwurf vom Sommer 1931 basierende, erste Entwurf des Aktiengesetzes konnte im Frühjahr 1935 fertiggestellt werden. Der Entwurf diente als Basis für die Verhandlungen zwischen dem Reichsjustizministerium und den anderen Fachministerien; insbesondere dem Reichswirtschaftsministerium. Ausgangspunkt dieser Verhandlungen war eine kommissarische Besprechung Anfang Oktober 1935, an der neben den beteiligten Reichsministerien auch die Reichsbank, der Wirtschaftsbeauftragte des Führers, der Vorsitzende des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht sowie Vertreter der Reichsgruppe Industrie teilnahmen.203 Die Industrie scheint somit – neben Parteieliten – besonders gut in den Entscheidungsfindungsprozess der Vetospieler eingebunden gewesen zu sein. Die Banken, die noch im Kaiserreich die einzigen 200 Ebd. 201 Vgl. Ebd. sowie Bähr. Die Vertreter der Industrieaktiengesellschaften waren Max Ebbecke (Vorstand der Elektrische Licht- und Kraftanalagen AG), Hermann Schmitz (Vorstand der IG Farben), Carl Friedrich von Siemens (Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens und Halske AG sowie der Siemens Schuckert Werke) und Willy Tischbein (Vorstandsvorsitzender der Continental Gummiwerke AG). Bei den Rechtsprofessoren handelte es sich um Ernst Heymann und Friedrich Klausing, bei dem Professor für Betriebswirtschaftslehre um Erwin Geldmacher. Fünf der elf ständigen Ausschussmitglieder waren auch Parteimitglieder. 202 Bähr, S. 45–48; Schubert u. a., S. L–LXV. 203 Vgl. das Protokoll der kommissarischen Besprechung vom 08.10.1935, in: BArch, R 3001/​ 10228.

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Wirtschaftsvertreter in der von den Reichsämtern berufenen Sachverständigenkommission gewesen waren, scheinen hingegen ihre privilegierte Einbindung in den politischen Prozess verloren zu haben. Über enge persönliche Kontakte unterhielten die Banken jedoch weiterhin gute Beziehungen zum Reichswirtschaftsministerium.204 Im Gegensatz zu den Banken mussten unabhängige Rechtswissenschaftler und Journalisten vollständig auf einen Zugang zu den Vetospielern verzichten. Die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen den Fachministerien fanden ihren Niederschlag in einem zweiten Entwurf, der im Mai 1936 fertiggestellt werden konnte. Anscheinend erst jetzt trat der Stab des Führerstellvertreters aktiver in die Verhandlungen ein. Während des Herbstes und Winters 1936 trafen sich Vertreter des Reichsjustizministeriums, des Reichswirtschaftsministeriums und des Stabs des Führerstellvertreters zu mehreren Verhandlungsrunden. Um die Jahreswende konnten diese Verhandlungen abgeschlossen werden. Das Kabinett verabschiedete das Aktiengesetz am 16. Januar 1937, am 30. Januar wurde es von Hitler vollzogen und am 4. Februar 1937 im Reichsgesetzblatt verkündet.205 Agendasetzer blieb somit das Reichsjustizministerium. Das Reichswirtschaftsministerium wurde im Vergleich zu den Reformvorhaben der Weimarer Republik erst nach der Aufstellung des ersten Entwurfs eingebunden, es war somit – anders als Ende der 1920er Jahre – nicht in der Position, die Leitlinien der Reform mit zu bestimmen.

2.4 Politische Institutionen, 1870 bis 1937 Im Zentrum dieses Kapitels standen die Fragen, welche politischen Eliten sich im Zeitverlauf an der Debatte über Aktionärsschutz und Offenlegungsstandards beteiligten und wie groß die Anzahl derjenigen Mitglieder der politischen Elite war, die einer Änderung des Status quo zustimmen mussten. Daneben rückten die die Verhandlungen dieser Vetospieler begrenzenden institutionellen Faktoren ins Zentrum der Darstellung. Die Zusammensetzung der nicht unmittelbar am politischen Entscheidungsprozess beteiligten Elite variierte deutlich mit dem politischen System. Dabei erscheinen die Unterschiede zwischen dem Nationalsozialismus und der Weimarer Republik prononcierter als zwischen den beiden früheren Perioden. Aufsichtsräte, Vorstände und Bankiers machten neben Anwälten, Richtern und Wirtschaftswissenschaftlern sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik den Löwenanteil der politischen Elite aus. Auffallend ist zudem, dass freie Aktionäre in beiden Perioden – im Kaiserreich noch mehr als in der Wei204 Vgl. Kapitel fünf. 205 Deutsches Reich, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz), in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1937 Heft 15 (04.02.1937).

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marer Republik – nur eine untergeordnete Rolle spielten. Dies mag damit zusammenhängen, dass der Prozentsatz der Bevölkerung, der so vermögend war, dass er sich ein größeres Aktienportfolio leisten konnte, in beiden Perioden wohl nicht über ein Prozent betrug. Im Gegensatz zum Kaiserreich war die politische Elite in der Weimarer Republik jedoch offener. Dies zeigt sich besonders in der sehr aktiven Teilnahme der Handelspresse, aber auch an der Einbindung der Gewerkschaften, dem größeren Gewicht der freien Aktionäre und der größeren Heterogenität innerhalb einzelner Gruppen. So müssen beispielsweise die Privatbanken in der Weimarer Republik als eigenständige Untergruppe gezählt werden, deren Problemkonzeption und Lösungsvorschläge deutlich von denen der Großbanken abwichen. Gleiches gilt für die Gruppe unabhängiger Anwälte und Rechtswissenschaftler, die sich in der Vereinigung für Aktienrecht zusammenfand und deren Stellungnahmen sich klar von denen des von Banken und Firmenanwälten dominierten Juristentags unterschieden. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten erfuhr die politische Elite eine deutliche Umwälzung. Insbesondere Journalisten, Publizisten und Juristen fielen aus der politischen Elite heraus, sofern sie keine Ideen vertraten, die mit der nationalsozialistischen Wirtschaftsideologie kompatibel waren. Neben Aufsichtsräte, Bankiers und Vorstände traten nun nationalsozialistische Theoretiker und Ideologen. Vergleicht man die Erklärungsmodelle von Politikwissenschaftlern und Ökonomen mit der historischen Wirklichkeit des Deutschen Reichs zwischen 1870 und 1937, zeigt sich, dass die genannten Modelle wichtige Akteursgruppen, wie die Juristenschaft und die Handelspresse, weitgehend ignorieren.206 Der Einfluss anderer Akteursgruppen, wie etwa der freien Aktionäre207 oder der Arbeiterschaft208, war dagegen im Untersuchungszeitraum deutlich geringer als von der Literatur angenommen. In erster Linie mögen diese Unterschiede darauf zurückgehen, dass die erwähnten theoretischen Modelle für demokratische Systeme entwickelt wurden. Aber auch in der Weimarer Republik, auf die sich Enrico Perotti und Ernst-Ludwig von Thadden209 direkt und Mark Roe210 indirekt beziehen, dominierten weder die freien Aktionäre noch die Arbeiterschaft die politische Elite. Die Zahl der für die Verhandlungen über die Ausgestaltung des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsvorschriften relevanten Vetospieler nahm über den Untersuchungszeitraum hinweg ab. Damit ging auch die Komplexität der Verhandlungsstruktur zurück. Das Aktiengesetz von 1884 war das Ergebnis eines Kompromisses der Positionen der Bundesstaaten, der Reichsleitung und 206 Nur Bebchuk u. Neeman erwähnen die Presse als eine mögliche Akteursgruppe, verzichten jedoch darauf, ihren Einfluss auf den politischen Prozess genau zu modellieren. 207 Bebchuk u. Neeman; Pagano u. Volpin; Perotti u. Thadden. 208 Roe, Corporate governance; Pagano u. Volpin; Perotti u. Thadden. 209 Perotti u. Thadden. 210 Roe, Corporate governance.

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der Reichstagsparteien. Es war durch Verhandlungen auf drei verschiedenen Ebenen –innerhalb der um Preußen erweiterten Reichsleitung, der Bundesstaaten mit Preußen und dem Reich sowie im Reichstag – zustande gekommen. In Summe waren zwei Reichsämter, drei Bundesstaaten und fünf Reichstagsparteien intensiv in die Verhandlungen eingebunden. Im Vergleich dazu fällt die Zahl der Vetospieler in der Weimarer Republik deutlich ab. Der Reichstag verlor seine Position als Vetospieler. Da die Brüning’schen Präsidialkabinette immer unabhängiger vom Reichstag agierten, galt dies auch für die Parteien insgesamt.211 Der Reichsregierung stand einzig der Reichsrat, wenn auch als schwacher, zweiter kollektiver Vetospieler gegenüber.212 Der Rückgang der Zahl der Vetospieler reduzierte auch die Komplexität der Verhandlungen, die sich faktisch auf die Fachressorts innerhalb der Reichsregierung und der preußischen Landesregierung beschränkten. Auch wenn es seine unbestrittene Vormachtstellung im Reich verloren hatte, spielte Preußen immer noch eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des Aktienrechts. Dies änderte sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933. Nach der Ausschaltung des Reichsrats als Vetospieler blieb einzig die Reichsregierung als kollektiver Vetospieler übrig. Innerhalb dieses Gremiums traten freilich neue Vetospieler hinzu – neben den Fachressorts beteiligte sich nun auch die NSDAP an den Verhandlungen. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Komplexität der Verhandlungsstruktur weiter abnahm. Neben dem Rückgang der Zahl der Vetospieler und einer Reduktion der Komplexität der Verhandlungsstruktur ist im Vergleich der politischen Systeme eine Verlagerung der Agendamacht zu beobachten. Während man für das Kaiserreich von einer zwischen Preußen und dem Reich geteilten Agendamacht sprechen kann, ist in der Weimarer Republik und dem »Dritten Reich« eine klare Verlagerung auf die Reichsregierung und innerhalb dieser auf das Reichsjustizministerium zu beobachten. Im Vergleich zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus zeigt sich, dass die Agendamacht des Reichsjustizminis­ teriums im »Dritten Reich« etwas größer war. Im Jahr 1929 einigten sich Reichsjustizministerium und Reichswirtschaftsministerium vor dem Beginn der Entwurfsarbeiten im Justizressort auf die grundlegenden Richtlinien der Reform. Den Entwurf des Jahres 1935 arbeitete das Reichsjustizministerium dagegen ohne vorherige Konsultation mit dem Reichswirtschaftsministerium aus. Alle hier betrachteten kollektiven Vetospieler  – auch die Kabinette  – entschieden mit Ausnahme des »Dritten Reichs« mit einfacher Stimmenmehrheit. Dabei wurde jedoch immer versucht, vor der entscheidenden Abstimmung im Plenum oder Kabinett einen Konsens der beteiligten Akteure herbeizuführen. Im politischen System des Nationalsozialismus hatte Hitler im Falle von Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Reichsministern das letzte Wort, 211 Kolb, S. 135–136. 212 Es war nicht von Anfang an beabsichtigt, das Aktiengesetz per Notverordnung in Gang zu setzen. Die Reichsregierung plante daher, sich zunächst mit dem Reichsrat abzusprechen.

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die Minister waren aber angehalten, sich zu einigen. Die Abstimmungsregel verschob sich folglich in Richtung eines Einstimmigkeitsprinzips. Die hohe Komplexität des Aktienrechts erschwerte es den Vetospielern, Handlungsbedarf zu erkennen und Lösungen zu erarbeiten. Aus diesem Grund waren vor allem hierarchisch organisierte Vetospieler auf Personen und Gruppen angewiesen, die in diesem Bereich über Fachwissen und praktische Erfahrung verfügten. Dieser Beratungsprozess fand im Untersuchungszeitraum teilweise innerhalb eines festen Rahmens statt, was einem Teil der politischen Elite einen privilegierten Zugang zu den Vetospielern verschaffte. So war es etwa üblich, die Zusammenschlüsse der Unternehmerschaft zu wichtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen zu hören. Im Kaiserreich waren so die Handelskammern, in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus die Spitzenorganisationen der Industrie und der Banken in den Entscheidungsprozess der Vetospieler eingebunden. Daneben bedienten sich die Vetospieler sowohl im Kaiserreich als auch im »Dritten Reich« der Expertise von Sachverständigenkommissionen, in denen hauptsächlich Aufsichtsräte, Bankiers, Rechtswissenschaftler und Vorstände saßen. Bei der Besetzung dieser Sachverständigenkommissionen gilt es, auf den Wandel der Rolle der Banken hinzuweisen. Waren diese in der 1882 berufenen Sachverständigenkommission noch die einzigen Wirtschaftsvertreter und genossen so einen privilegierten Zugang zu den Vetospielern, verfügten die Banken im Aktienrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht nur noch über einen Vertreter. Die größte und homogenste Gruppe innerhalb des Aktienrechtsausschusses stellten nun die Aufsichtsräte und Vorstände der Industrieaktiengesellschaften. Gemessen an der durch die Vetospieler aktiv eingeholten Beratung war das politische System der Weimarer Republik am offensten. Reichsjustiz- und Reichswirtschaftsministerium verzichteten Ende der 1920er Jahre auf die Bildung einer Sachverständigenkommission und einigten sich auf die Ausgabe von Fragebögen, die an alle am Aktienrecht interessierten Gruppen verschickt wurden. Eine besondere Form der institutionellen Einbindung in den Entscheidungsprozess der Vetospieler ist im Fall des Reichstags im Kaiserreich zu beobachten. Anders als bei den übrigen Vetospielern, die mehr die Rolle eines Politikvermittlers einnahmen, konnten die Machtressourcen des Reichstags von Advokatengruppen zu deren eigenem Vorteil verwendet werden. Diese Möglichkeit scheint insbesondere von Aufsichtsräten und Vorständen von Aktiengesellschaften genutzt worden zu sein.

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3. Präferenzen der Vetospieler und Verhandlungsergebnisse

In diesem Kapitel werden die Präferenzen der im vorangegangenen Kapitel definierten Vetospieler bezüglich Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften herausgearbeitet. Außerdem wird untersucht, welche Vetospieler sich mit den von ihnen präferierten Politikpunkten in den zu beschreibenden Verhandlungsprozessen durchgesetzt haben, oder anders ausgedrückt, welche Spieler über mehr Vetomacht als die anderen Spieler verfügten. Der Verhandlungsbegriff lässt sich mit John Nash spieltheoretisch fassen.1 Demnach konstituiert sich jeder Verhandlungsprozess aus einer bestimmten Anzahl Spieler, die über eine bestimmte Menge von Strategien verfügen und einen bestimmten Nutzen aus den verschiedenen potentiellen Verhandlungsergebnissen ziehen.2 Die möglichen Verhandlungsergebnisse bestehen dabei aus einer Kombination der präferierten Politikpunkte der Vetospieler. Ein mögliches Verhandlungsergebnis ist jedoch auch immer der Abbruch der Verhandlungen, also der Rückfall auf den Status quo. Ob es zu einem positiven Verhandlungsergebnis kommt, hängt daher davon ab, ob der Nutzen der Vetospieler aus einer Verhandlungslösung größer ist als der Nutzen aus dem Status quo.3 Im Fall von gesetzlichem Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften liegt der Nutzen eines Vetospielers nicht sofort auf der Hand, er kann aber als die Entscheidung darüber interpretiert werden, welchen Gruppen die Kontrolle über die Aktiengesellschaft zukommt. Der Nutzen des Vetospielers aus dieser Entscheidung kann zum einen darin bestehen, dass die Verteilung von Kontrollrechten oder Ressourcen an Gruppen verteilt wird, die für seine politische Legitimation beziehungsweise Macht wichtige sind. Zum anderen kann die Wirtschaftsstruktur in die Richtung gelenkt werden, die der Vetospieler und die ihn unterstützenden gesellschaftlichen Gruppen präferieren. Das Verhandlungsergebnis spiegelt auch die Verhandlungsmacht oder Vetomacht der einzelnen Vetospieler wider. Die Vetomacht eines Vetospielers ist umso größer, je näher das Verhandlungsergebnis an seinem optimalen Politikpunkt liegt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Spieler mit der größten 1 Nash. 2 Die Bedeutung John Nashs liegt darin, zu zeigen, dass in solch einer Konstellation ein Gleichgewicht existiert, d. h. eine Kombination aus Strategien der beteiligten Spieler, die den Nutzen der Spieler maximiert. In einem solchen Nash-Gleichgewicht hat dann kein Spieler mehr ein Interesse daran, seine Strategie zu ändern. 3 Vgl. dazu auch Benz, Verhandlungen, S. 107–111.

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Verhandlungsmacht am glaubhaftesten mit dem Abbruch der Verhandlungen drohen kann.4 Die Möglichkeit, die Entscheidungsvorlage so zu gestalten, dass sie dem eigenen optimalen Politikpunkt sehr nahe kommt oder mit dem Abbruch der Verhandlungen droht, verweist auf die Verhandlungsstrategien der Vetospieler. Unter einer Strategie ist grundsätzlich jede sinnvolle Handlungsalternative innerhalb eines Verhandlungsprozesses zu verstehen. Die den Vetospielern zur Verfügung stehenden Strategien unterscheiden sich daher je nach Art der Verhandlungen und können in ihrer Komplexität erheblich variieren. Ein Beispiel für eine sehr einfache Strategie ist die Alternative eines wegen eines Verbrechens inhaftierten Angeklagten – er kann seine Tat entweder gestehen oder zu den Vorwürfen schweigen. Im Fall politischer Verhandlungsprozesse ist die Menge der Handlungsalternativen etwas größer. Es lassen sich aber mehrere Grundtypen unterscheiden.5 Zum einen stehen den Spielern Konfliktstrategien zur Verfügung, indem sie etwa drohen, die Verhandlungen abzubrechen oder den Verhandlungspartner in der Öffentlichkeit unter Druck zu setzen. Daneben existieren Verständigungsstrategien, die darin bestehen, die Verhandlungspartner durch Argumente von der eigenen Position zu überzeugen. Finden die Verhandlungen wie im Kaiserreich zwischen verschiedenen Ebenen statt, stehen den Spielern zusätzlich Inklusionsstrategien zur Verfügung. Hierzu gehört die Entscheidung, ob die Vetospieler der einen Ebene die Spieler der anderen Ebene schon früh in gemeinsame Vorverhandlungen miteinbeziehen oder sie mit ihrem Entscheidungsvorschlag überrennen, indem sie diesen den Spielern der anderen Ebene erst kurz vor dem terminierten Entscheidungsdatum zur Kenntnis bringen. Welche dieser Strategien die Vetospieler in den Verhandlungen über den Aktionärsschutz und die Offenlegungsvorschriften im Untersuchungszeitraum gewählt haben, soll daher ebenfalls im vorliegenden Kapitel untersucht werden. Die beobachtete Vetomacht und die angewendeten Strategien der Vetospieler gilt es zudem zu erklären. Es wird zu fragen sein, ob sich Vetomacht und Verhandlungsstrategien durch die in Kapitel zwei beschriebenen Institutionen begründen lassen oder ob sich das Verhandlungsergebnis besser mit Hilfe von Akteurskonstellationen erfassen lässt, die zwar durch den institutionellen Rahmen strukturiert, aber nicht determiniert werden.6 Konkret wird dabei auf die Zuordnung von Agendamacht, die Entscheidungssequenz und die Abstimmungsregel sowie die Zahl der Vetospieler zu blicken sein. Die Zuordnung von Agendamacht kann eine wichtige Determinante der Vetomacht eines Vetospielers sein. Theoretisch ist es dem Agendasetzer möglich, seinen Entscheidungsvorschlag so zu gestalten und den anderen Spielern zu präsentieren, dass er einerseits den Präferenzen der anderen Vetospieler nahe genug kommt, um die Annahmewahrscheinlichkeit seines Vorschlags zu 4 Ebd. 5 Benz, Politik, S. 87. 6 Mayntz u. Scharpf.

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maximieren, andererseits der Entscheidungsvorschlag aber nur so große Zugeständnisse macht, dass der Agendasetzer nur minimal von seinem optimalen Politikpunkt abweichen muss. Damit eine solche Strategie gelingen kann, muss der Agendasetzer allerdings die Präferenzen aller anderen Vetospieler kennen. Der Begriff der Präferenz bezeichnet dabei die Bevorzugung einer Alternative durch einen Vetospieler gegenüber einer anderen denkbaren Alternative.7 Ordnet man alle Präferenzen entsprechend den Vorlieben eines Akteurs in der von ihm bevorzugten Reihenfolge, ergibt sich eine Präferenzordnung. Die im Sinne des Akteurs beste Alternative steht dabei an der Spitze der Reihenfolge, gefolgt von der zweitbesten, die in seinen Augen ungünstigste Alternative findet sich auf dem letzten Platz wieder.8 Die vollständige Information des Agendasetzers über die komplette Präferenzordnung der anderen Vetospieler mag theoretisch möglich sein, ist in der historischen Realität aber sehr unwahrscheinlich und wird in seiner extremen Form kaum nachweisbar sein. Die Ausgestaltung der Entscheidungssequenz kann vor allem Auswirkungen auf die Wahl der Verhandlungsstrategie eines Vetospielers haben, indem sie Handlungsspielräume öffnet beziehungsweise verschließt. So werden Inklusionsstrategien und Strategien des Überrennens von Verhandlungspartnern erst durch sequenzielle Verhandlungen möglich. Die Möglichkeit, mit dem Abbruch der Verhandlungen zu drohen, mag zudem dann besonders effizient sein, wenn sie von den später eingebundenen Verhandlungspartnern glaubhaft vertreten wird, denn zu diesem Zeitpunkt ist bereits eine Einigung zwischen den meisten Verhandlungspartnern erzielt und die Kosten eines Rückfalls auf den Status quo wären besonders hoch. Die Abstimmungsregel kann Vetomacht und Verhandlungsstrategie ebenfalls beeinflussen. Die Vetomacht einzelner Gruppen oder individueller Vetospieler sollte dabei mit der für einen positiven Beschluss benötigten Stimmenmehrheit steigen. Ist beispielsweise Einstimmigkeit gefragt, wird auch die Zustimmung des letzten Vetospielers benötigt. Konfliktstrategien funktionieren daher umso besser, je größer die benötigte Stimmenmehrheit ist. Freilich steigt dadurch auch die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns der Verhandlungen, da nun bereits ein einzelner oder eine kleine Gruppe von Vetospielern eine positive Entscheidung verhindern kann. Nach einer ähnlichen Logik nimmt die Einigungswahrscheinlichkeit auch mit der Zahl der Vetospieler ab. Dahinter steht die Überlegung, dass sich einige wenige Vetospieler, bei gleichbleibenden übrigen Bedingungen, leichter auf eine Änderung des Status quo verständigen können, als dies einer großen Zahl an Vetospielern mit vielen unterschiedlichen 7 Varian, S. 33. 8 Existieren drei Alternativen A, B, C und bevorzugt ein politischer Entscheidungsträger A gegenüber B und B gegenüber C lässt sich eine Präferenzordnung folgendermaßen darstellen: A > B > C . Dabei wird davon ausgegangen, dass es sich um transitive Präferenzen handelt, d. h. die Relation zwischen A und B und B und C wird nicht durch das Auftauchen einer dritten Alternative verändert. Vgl. hierzu: Varian, S. 32–35.

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Interessen möglich wäre. Inwiefern die Abstimmungsregel und die Zahl der Verhandlungsteilnehmer auf das Verhandlungsergebnis gewirkt haben, lässt sich allerdings nur schwer empirisch feststellen. Die Aussagen über die Wirkung beider Institutionen basieren nämlich auf einem komparativ-statischen Vergleich zwischen zwei Zuständen, die sich in allen Einflussfaktoren bis auf die Ausprägung der interessierenden Variabel gleichen. Eine solche Situation tritt in der historischen Realität jedoch nicht auf. So mochte zwar die Zahl der Vetospieler zwischen den zu untersuchenden politischen Regimen variieren, innerhalb ein und desselben Verhandlungsprozesses blieb sie aber konstant, gleiches gilt für die Abstimmungsregeln. Abhilfe versprechen hier kontrafaktische Herangehensweisen. So kann etwa gefragt werden, wie sich die Vetomacht bestimmter Veto­spieler und damit das Verhandlungsergebnis geändert hätte, wenn etwa im Bundesrat statt einer einfachen Stimmenmehrheit Einstimmigkeit gefordert gewesen wäre. Wenn im Folgenden die optimalen Politikpunkte der Vetospieler auf Basis ihrer Äußerungen zu den Problemen des Investorenschutzes herausgearbeitet werden sollen, müssen zunächst einige grundlegende Einschränkungen vorausgeschickt werden. Naturgemäß hinterlassen handelnde Akteure in den wenigsten Fällen Zeugnisse über ihre zu einem gewissen Zeitpunkt und zu einer bestimmten Frage bestehende Präferenzordnung. Hinzu kommt, dass handelnde Akteure auch zum Zeitpunkt der Entscheidung keine vollständige Präferenzordnung entwickeln, die alle theoretisch möglichen Alternativen berücksichtigt. Eine komplette Präferenzordnung der hier untersuchten Vetospieler lässt sich aus den Quellen daher nicht ermitteln. Die handelnden Akteure mussten vielmehr zwischen verschiedenen realen Alternativen, also solchen, die durch die wissenschaftliche Literatur, die öffentliche Meinung oder bereits existierende Gesetzesvorschläge determiniert wurden, entscheiden. Dieser Gewichtungsprozess wird in den Quellen sichtbar und gestattet es, Aussagen über einzelne Präferenzrelationen der untersuchten Vetospieler zu machen. Es sind also Aussagen darüber möglich, welche Alternativen einzelne Vetospieler gegenüber dem Status quo, den in der Öffentlichkeit diskutierten Lösungen oder einer von einem anderen Vetospieler eingebrachten Gegenvorschlag bevorzugt haben. Da an dieser Stelle die Frage im Vordergrund steht, wie sich die Verhandlungen zwischen den Vetospielern gestaltet haben, konzentriert sich die Darstellung in diesem Kapitel auf diese optimalen Politikpunkte der Vetospieler, also auf die Alternative, die ein Vetospieler gegenüber allen anderen Alternativen bevorzugt hat. Aufgrund der sequenziellen Verhandlungsstruktur äußerten sich nicht alle Spieler zu jedem der im ersten Kapitel definierten Kategorien »Kräfteverhältnisse«, »Stimmrechte«, »Gewinnbezugsrechte« und »Offenlegung«. Die Verhandlung zwischen den Vetospielern war dynamisch. Auf den unterschied­lichen Verhandlungsstufen wurden verschiedene Fragen diskutiert, die auf einer früheren (weil das Problem noch nicht als relevant eingestuft wurde) oder auf einer späteren Stufe (weil offene Fragen mittlerweile geklärt waren) noch nicht oder nicht mehr verhandelt wurden. Im zweiten Fall ist es plausibel anzunehmen, 124

dass auch die erst später in die Verhandlung einsteigenden Vetospieler die vorgeschlagene Lösung akzeptiert haben und ihre Präferenzen somit durch die Verhandlungslösung der vorangegangenen Stufe absorbiert wurden. Im ersten Fall kann keine solche Aussage getroffen werden. Praktisch tritt das beschriebene Problem jedoch nur im Kaiserreich mit seiner komplexen, mehrere Ebenen umspannenden Verhandlungsstruktur auf. Die Verhandlungsstruktur des Kaiserreichs war jedoch so gestaltet, dass die vorhergehenden Vetospieler – Preußen, die Reichsleitung, der Bundesrat – dem Verhandlungsergebnis der nachfolgenden Vetospieler  – dem Bundesrat und dem Reichstag  – zustimmen mussten, damit eine Gesetzesreform zustande kommen konnte. So waren an den Reichstagsverhandlungen sowohl der Staatssekretär des Reichsjustizamts als auch der bayrische Bundesratsbevollmächtigte beteiligt. Darüber hinaus mussten die preußischen Ministerien der durch die Reichsleitung ausgearbeiteten Bundesratsvorlage zustimmen. Ebenso musste der Bundesrat das Verhandlungsergebnis des Reichstags annehmen. Sollten in der Zwischenzeit Fragen relevant geworden sein, zu denen die Agendasetzer keine Präferenzen gebildet hatten, hatten sie zu einem späteren Zeitpunkt dazu die Möglichkeit. Sofern also Stellungnahmen der vorangehenden Vetospieler gegenüber den nachfolgenden Spielern zur Analyse herangezogen werden, sollte ein möglichst umfassendes Bild der Präferenzen aller Vetospieler gezeichnet werden können.9 Aussagen der Vetospieler über einzelne Präferenzrelationen basieren auf einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen. Dazu gehören Gesetzentwürfe, die dazugehörigen Begründungen, Änderungsanträge von Reichstagsmitgliedern und Bundesratsbeauftragten, Briefwechsel, Sitzungsprotokolle und Memoranden. Die hier benutzten Quellen stammen aus zahlreichen Archiven. Für die Reichsebene waren hauptsächlich die Bestände des Reichsjustizamts (später Reichsjustizministerium), des Reichsamts des Inneren (Reichsinnenministerium), des Reichswirtschaftsministeriums und des Reichstags relevant, die alle im Berliner Bundesarchiv lagern. Daneben waren vor allem die Bestände der bayrischen, preußischen und hamburgischen Fachministerien und Behörden sowie einiger anderer deutscher Bundesstaaten von Bedeutung. Um die im Folgenden nachgezeichneten optimalen Politikpunkte der Veto­ spieler, den Verhandlungsprozess und das Verhandlungsergebnis einfacher nachvollziehen zu können, sind jedem Unterkapitel schematische Zeichnungen angefügt, die den Status quo, die optimalen Politikpunkte der Vetospieler und das Verhandlungsergebnis darstellen (Abbildung 9, Abbildung 10, Abbildung 11). Die Abbildungen folgen demselben Aufbau wie in Kapitel eins. Auf der 9 Mit der Durchbrechung der sequenziellen Ordnung ist es theoretisch möglich, dass die Präferenzen der vorangehenden Vetospieler intransitiv werden, d. h. eine neu hinzukommende Alternative etwa in Form eines Gegenvorschlags des Reichstags die Präferenzordnung der Reichsleitung oder des Bundesrats umkehrt und ein neuer Optimalpunkt entsteht. In der Praxis der Verhandlungen ist eine solche Umkehr der Präferenzordnung jedoch nicht zu beobachten.

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horizontalen Achse wird der Aktionärsschutz, auf der vertikalen Achse werden die Offenlegungsstandards abgetragen. Weiter vom Ursprung entfernte Punkte repräsentieren einen höheren Grad des Aktionärsschutzes beziehungsweise der Offenlegungsstandards. Bei den in den Abbildungen dargestellten Punkten handelt es sich wieder um eine rein ordinale Ordnung, die auf den aus den Quellen herausgearbeiteten optimalen Politikpunkten der Vetospieler basiert.

3.1 Kaiserreich Die frühesten Überlegungen zu einer Reform des Aktienrechts wurden in den preußischen Ministerien angestellt. Die erste Entscheidungsvorlage wurde durch das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe und das Preußische Justizministerium in ihren Voten vom 28. November 1873 und 5. Mai 1874 ausgearbeitet.10 Nachdem der Bundesrat im Frühsommer 1874 beschlossen hatte, die Reform des Aktienrechts zu verschieben, wurden auch die Gutachten der preußischen Ministerien zunächst ad acta gelegt. Nach der Wiederaufnahme der Gesetzgebungspläne durch das preußische Staatsministerium Ende 1876 wurden die Stellungnahmen der beiden Ministerien in einer Denkschrift zusammengefasst, die dem Bundesrat zusammen mit dem preußischen Antrag zur Aufnahme der Gesetzgebungsarbeiten übergeben wurde.11 Diese preußische Denkschrift legte einen der Grundsteine für die Ausarbeitung eines ersten Gesetzentwurfs durch das Reichsjustizamt und das Reichsamt des Inneren. Das Ministerium für Handel und Gewerbe gab Ende 1873 das ausführlichste Gutachten ab. Das Ministerium sprach sich für eine Neuregelung der Kräfteverhältnisse der Gesellschaftsorgane untereinander aus. Konkret bedeutete dies für das Ministerium, die Macht des Aufsichtsrats als Leitungsorgan einzuschränken und seine Kontrollfunktion stärker zu betonen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten die Delegation des Aufsichtsrats in den Vorstand verboten und die Kontrollpflicht des Gremiums ausgeweitet werden, indem seine Kontrollbefugnisse erweitert und die zivil- und strafrechtliche Haftung für die Einhaltung seiner Kontrollpflichten geschärft werden sollten. Für eine völlige Trennung des Aufsichtsorgans von der Geschäftsführung sprach sich das Handelsministerium dagegen nicht aus. Eine Teilhabe an der Verwaltung war in den Augen des Ministeriums notwendig, um eine effektive Kontrolle der Geschäftsführung des

10 Die Gutachten befinden sich in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 7 (Gutachten des Handelsministeriums) und GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 8 (Gutachten des Justizministeriums). 11 Antrag und Denkschrift wurden am 17.11.1876 durch das Reichkanzleramt beim Bundesrat eingereicht. Die Denkschrift befindet sich in: BArch, R 3001/2859.

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Vorstands zu garantieren.12 Parallel zur Einschränkung der Macht des Aufsichtsrats präferierte das Handelsministerium einen Ausbau der Kompetenzen der Generalversammlung mit Hilfe von unentziehbaren Entscheidungsrechten bei der Finanzierung des Unternehmens über die Ausgabe neuer Aktien und die Begebung von Anleihen, bei der Gewinnverteilung und der Verfügung über den Reservefonds.13 Der optimale Politikpunkt des Justizministeriums stimmte in großen Teilen mit dem des Handelsministeriums überein.14 Ersteres empfahl aber, der Generalversammlung auch das alleinige Recht auf Änderung der Statuten einzuräumen. Beide Ministerien präferierten neben einer Stärkung der Generalversammlung die Einführung eines individuellen Klagerechts gegen gesetz- und statutenwidrige Generalversammlungsbeschlüsse sowie ein Minderheitenrecht auf Sonderprüfung der Geschäftsführung, das als Grundlage für die Durchsetzung von Schadensersatzleistungen dienen sollte. Das Justizministerium warnte allerdings, die Individual- und Minderheitenrechte so auszugestalten, dass sie nicht zum Schaden der Gesellschaft missbraucht werden konnten. Zu Fragen des Stimmrechts äußerte sich das Handelsministerium in seinem Votum vom November 1873 nur am Rande. So wollte das Ministerium die illegale Übertragung von Stimmrechten strenger bestrafen. Auf diesem Standpunkt stand auch das Justizministerium. Daneben empfahl es, die Aktionäre, die einen Vertrag mit der Gesellschaft schließen wollten oder über ihre eigene Entlastung abzustimmen hatten, in den jeweiligen Fällen von der Ausübung ihres Stimmrechts auszuschließen. Zu diesem frühen Zeitpunkt scheinen die beiden Ministerien aber keine weiteren Präferenzen zu Stimmrechtsfragen ausgebildet zu haben. Die Entwurfsarbeiten des Reichsjustizamts und des Reichsamts des Inneren brachten dann einige neue Aspekte in den Verhandlungsprozess ein. Der Vorschlag des Reichsjustizamts aus dem Jahr 1880, jedem Aktionär mindestens eine Stimme zu gewähren, wurde anscheinend von beiden Ministerien akzeptiert, so dass von einer Deckung der Präferenzen der preußischen Minis-

12 Gegen eine Kontrolle durch ein nicht an der Geschäftsführung beteiligtes Organ sprach, dass dieses nicht genügend über die internen Abläufe im Unternehmen informiert sei und so seine Kontrollfunktion nicht effektiv ausüben könne. Die gleiche Argumentation wurde auch für die Kontrolle des Vorstands durch die Generalversammlung geltend gemacht. Vgl. das Votum des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 7. 13 Besonders groß war das Vertrauen des Ministeriums in die Fähigkeiten der Aktionäre, die richtigen Entscheidungen für das Unternehmen treffen zu können, allerdings nicht. Viele Aktionäre, so bemängelte das Gutachten des Handelsministeriums, seien nicht an der Teilhabe und Kontrolle der Verwaltung der Gesellschaft, sondern nur an der Erzielung eines mühelosen Gewinns interessiert. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 7. 14 Das Votum des Handelsministeriums lag dem Justizministerium vor und ist als Kommentar zu diesem gestaltet. Vgl. die einleitenden Bemerkungen des Votums des Preußischen Justizministeriums vom 05.05.1874, in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 8.

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terien und der Reichsleitung ausgegangen werden kann.15 Gleiches gilt für den Vorschlag des Reichsamts des Inneren aus dem Jahr 1881, die Ankündigung der Generalversammlung so zu terminieren, dass für die Hinterlegung der Aktien zwei Wochen Zeit blieben, und so einen Ausschluss der freien Aktionäre von der Generalversammlung durch die Hintertür zu verhindern.16 Bezüglich der Gewinnbezugsrechte scheinen die zuständigen preußischen Ministerien relativ starke Präferenzen für den Status quo des Jahres 1870 gehabt zu haben. Das Handelsministerium schlug lediglich vor, den Aktionären das Recht einzuräumen, innerhalb von zwei Wochen vor der Generalversammlung eine Abschrift der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung verlangen zu können. Das Justizministerium empfahl darüber hinaus eine fixe Kapitalquote für das Recht der Minderheit, die Generalversammlung berufen zu dürfen. Auch hier brachten Reichsjustizamt und Reichsamt des Inneren neue Aspekte in den Verhandlungsprozess ein. Ein Widerspruch gegen die Vorschläge der Reichsleitung blieb aus, so dass davon ausgegangen werden kann, dass der optimale Politikpunkt der preußischen Ministerien in diesem Fall mit dem der Reichsleistung zusammenfiel.17 Die von der Reichsleitung vorgeschlagenen Neuerungen betrafen den Reservefonds, die Einführung des Niederstwertprinzips, die Einführung des Reichsanzeigers als Pflichtorgan der Gesellschaft, die Ermächtigung des Reichskanzlers, besondere Bilanzformulare aufzustellen, sowie die Verabschiedung der Bilanz durch die Generalversammlung und das Recht einer Minderheit, gegen bestimmte Bilanzposten Widerspruch einlegen zu dürfen. Was die Offenlegung im laufenden Geschäft anging, bildeten die beiden preußischen Ministerien zunächst keine Präferenzen aus. Der Vorschlag des Reichsjustizamts, den Vorstand zur Vorlage eines Geschäftsberichts zu verpflichten, in dem dieser über den Gang der Geschäfte und den Vermögensstand des Unternehmens zu berichten hatte, wurde allerdings von Seiten des preußischen Staatsministeriums angenommen. Im Vergleich zum Status quo des Gesetzes von 1870 präferierten die preußischen Ministerien somit einen deutlich größeren Aktionärsschutz. Viele der Elemente, die in den Voten des Handelsministeriums und des Justizminis­ teriums vorkamen, fanden sich dann auch – durch das Reichsjustizamt und das Reichsamt des Inneren im Detail ausgearbeitet  – im Gesetzestext des Jahres 1884 wieder. Die Ausarbeitung des Gesetzes durch die Reichsleitung folgte im Wesent­ lichen den Vorgaben der preußischen Denkschrift aus dem Jahr 1876. Es ist also 15 Der Vorschlag findet sich in Art. 224, Absatz 2 des ersten Referentenentwurfs vom Juni 1880. Schubert u. Hommelhoff, S. 22–28. 16 Vgl. das Schreiben des Reichsamts des Inneren an das Reichskanzleramt vom 22.04.1881 (dem Reichsjustizamt am 07.06.1881 überreicht), in: BArch, R 3001/2860. 17 Vgl. das Protokoll der kommissarischen Besprechungen zwischen Preußen und der Reichsleitung am 2. und 3. Juli, in: BArch, R 3001/2863. Eine Parallelüberlieferung findet sich in: GStA PK, I. HA Rep. 84a Justizministerium, Nr. 10446.

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anzunehmen, dass der optimale Politikpunkt des Reichsjustizamts und des Reichsamts des Inneren ähnlich gelagert war wie der der preußischen Ministerien. Im Detail gab es allerdings einige interessante Entwicklungen, auf die im Folgenden eingegangen werden soll. Betrachtet man die verschiedenen Gesetzesentwürfe vom Juni und Dezember 1880, Januar 1882 und die Bundesratsvorlage vom September 1883, fällt auf, dass das Reichsamt der Justiz die teilweise sehr strengen Bestimmungen der ersten Entwürfe immer wieder leicht abgeschwächt hat.18 Das Reichsamt des Inneren trat dagegen unbeirrt für einen möglichst hohen Aktionärsschutz und größtmögliche Offenlegung ein. Die hier skizzierten Tendenzen sollen im Folgenden an einigen, für den Aktionärsschutz wichtigen Elementen kurz dargelegt werden. So sah der erste Entwurf aus dem Juni 1880 zunächst eine Auflistung von unentziehbaren Kompetenzen der Generalversammlung vor. Dazu gehörten die Wahl des Aufsichtsrats, die dessen Mitgliedern zu gewährende Vergütung und die Genehmigung der Dienstverträge des Vorstands und derjenigen Manager, die einen Anteil des Jahresgewinns als Bonus erhielten. Außerdem sollten die Genehmigung der Jahresbilanz und der Gewinnverteilung, die Entlastung des Vorstands, die Erhöhung und Herabsetzung sowie die teilweise Rückzahlung des Grundkapitals, die Festsetzung des Emissionspreises bei Kapitalerhöhungen sowie die Aufnahme von Anleihen explizit in die Hände der Generalversammlung gelegt werden.19 Der Artikel 224a, der die Auflistung enthielt, wurde allerdings bereits im Dezemberentwurf durch das Reichsjustizamt gestrichen. Hätten diese Bestimmungen ihren Weg in das Gesetz gefunden, wäre der Einfluss der Generalversammlung auf die Geschäftsführung der Gesellschaft ungleich höher gewesen, als er dies unter dem 1884 verabschiedeten Gesetz tatsächlich war. Warum das Reichsjustizamt die Rechte der Generalversammlung wieder eingeschränkt hat, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Da es sich bei dem Junientwurf um einen internen Referentenentwurf gehandelt hat, ist ein Einfluss des Reichsamts des Inneren auszuschließen. Vermutlich trauten die Referenten im Reichsjustizamt den Aktionären nicht zu, mit der größeren Verantwortung umzugehen, die ihnen der Artikel 224a auferlegte – setzte eine größere Teilhabe an der Geschäftsführung doch ein größeres Interesse und Engagement der Aktionäre voraus. Die teilweise Rücknahme der Ausweitung der Kompetenzen der Generalversammlung ist nicht das einzige Beispiel für die Aufweichung des sehr strengen ersten Entwurfs. So finden sich die strengeren Bestimmungen der frühen Entwürfe zu den Kontrollpflichten des Aufsichtsrats in der Bundesratsvorlage 18 Hierbei handelt es sich um die wichtigsten Schritte der Gesetzgebung. Im Zusammenhang mit der Sachverständigenkonferenz stellte das Reichsjustizamt noch einige Zwischenentwürfe auf. Vgl. Schubert u. Hommelhoff, die ausführlich über die Entwürfe vom Juni und Dezember 1880 berichten und den Entwurf vom Januar 1882 abdrucken. Eine Sammlung aller Entwürfe findet sich in den Akten des Reichsamts der Justiz. Siehe: BArch, R 3001/2859; BArch, R 3001/2860; BArch, R 3001/2861; BArch, R 3001/2862; BArch, R 3001/2863. 19 Schubert u. Hommelhoff, S. 23–24.

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nicht mehr wieder.20 Der Gesinnungswandel im Reichsjustizamt fand nach der Sitzung der Sachverständigenkommission statt, die in 14 Sitzungen im März und April 1882 auf Basis des Entwurfs vom Januar 1882 tagte.21 Ein ähnliches Muster lässt sich für die Etablierung des Niederstwertprinzips und die Zwischenbilanzen nachweisen. In beiden Fällen ging das Reichsjustizamt von seinen früheren Präferenzen leicht ab. So wollte das Reichsjustizamt dem Statut erlauben, andere Bilanzierungsgrundsätze festzulegen, wogegen das Reichsamt des Inneren jedoch sein Veto einlegte.22 Gleichzeitig verzichtete das Reichsjustizamt auf die seit dem Entwurf vom Juni 1880 vorgesehenen halbjährlichen Zwischenbilanzen.23 Die hier beschriebenen Episoden zeigen, dass die Sachverständigenkonferenz anscheinend einen gewissen Einfluss auf die Bildung des optimalen Politikpunkts des Reichsjustizamts hatte. Auf das Zusammenspiel zwischen Advokatenkoalitionen und Vetospielern wird in Kapitel fünf zurückzukommen sein. Während das Reichsjustizamt im Laufe des Gesetzgebungsprozesses von seinem anfangs sehr aktionärsfreundlichem optimalen Politikpunkt leicht abrückte, trat das Reichsamt des Inneren die meiste Zeit für den Ausbau beziehungsweise den Erhalt eines hohen Niveaus des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsverpflichtungen ein. So bestand das Reichsamt des Inneren gegenüber dem Reichsjustizamt wiederholt darauf, die Änderung des Gesellschaftsvertrags klar in die Hände der Generalversammlung zu legen.24 Zudem präferierte das Reichsamt des Inneren ein möglichst uneingeschränktes Minderheitenrecht, das nicht durch den Zwang zur gerichtlichen Hinterlegung von Aktien eingeschränkt werden sollte.25 Auch in anderen Punkten bevorzugte das 20 Die Entwürfe vom Juni und Dezember 1880 verpflichteten den Aufsichtsrat, alle drei Monate die Geschäftsführung des Vorstands zu kontrollieren, die Geschäftskasse sollte sogar jeden Monat geprüft werden. Vgl. Schubert u. Hommelhoff, S. 24 und 27. Die Bestimmungen finden sich in den Juni- und Dezemberentwürfen des Jahres 1880 in Artikel 225b, im Entwurf aus dem Januar 1882 ist die Bestimmung in den Artikel 225a gewandert. Die Bundesratsvorlage findet sich in: Bundesrat des Deutschen Reichs, Entwurf 1883. 21 Die Protokolle der Sachverständigenkonferenzen finden sich in: Schubert u. Hommelhoff, S. 288–386. Die originalen Protokolle finden sich in: BArch, R 3001/2862. Die Kommission tagte in 14 Sitzungen zwischen dem 24.03. und dem 08.04.1882. 22 Vgl. das Schreiben des Reichsamts des Inneren an das Reichsjustizamt vom 28.07.1882, in: BArch, R 3001/2862. In dem Schreiben kritisiert das Reichsamt des Inneren die von dem Reichsjustizamt vorgenommenen Änderungen. 23 Sogenannte Semestralbilanzen. 24 Siehe das Schreiben des Reichsamts des Inneren an das Reichskanzleramt vom 22.04.1881 (dem Reichsjustizamt am 07.06.1881 überreicht), in: BArch, R 3001/2860. Das Schreiben bezieht sich auf den Entwurf des Reichsjustizamts vom Dezember 1880. 25 Siehe das Schreiben des Reichsamts des Inneren an das Reichsjustizamt vom 28.07.1882, in: BArch, R 3001/2862. Das Schreiben bezieht sich auf einen Entwurf des Reichsjustizamts, den dieses nach den Sitzungen der Sachverständigenkonferenz im Frühjahr 1882 erstellt hatte. In dem Schreiben deutet das Reichsamt des Inneren an, dass es auch eine Lösung akzeptieren würde, nach der die Minderheitsaktionäre nicht gezwungen seien, die eigenen – das Minderheitenrecht konstituierenden – Aktien bei Gericht zu hinterlegen.

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Reichsamt des Inneren einen weitgehenderen Aktionärsschutz als das Reichsjustizamt. So war es das Reichsamt des Inneren, das eine Bestimmung forderte, wonach für die Hinterlegung der Aktien bei der Gesellschaft für die Zulassung zur Generalversammlung zwischen Ankündigung und Beginn der Versammlung mindestens zwei Wochen Zeit bleiben mussten.26 Des Weiteren forderte das Reichsamt des Inneren strengere Regelungen für die Entlastung des Vorstands.27 Nach dem Vorschlag des Reichsjustizamts sollte der Vorstand bereits als entlastet gelten, wenn die Generalversammlung zu keinem der aufgeführten Bilanzposten Widerspruch erhoben hatte. Dem Reichsamt des Inneren ging diese Regelung nicht weit genug. Es wollte dem Vorstand erst nach eingehender Revision der Bilanz Entlastung erteilen lassen. Wie bereits oben erwähnt, wehrte sich das Reichsamt des Inneren auch gegen die Aufweichung des Niederstwertprinzips.28 Zuletzt setzte sich das Reichsamt für eine Verbesserung der Offenlegung ein. Zwar akzeptierte es die Streichung der halbjährlichen Zwischenbilanzen, dafür forderte es aber die fakultative Einführung von Bilanzformularen.29 Die Regelung sollte es dem Reichskanzler ermöglichen, bei Bedarf für bestimmte Branchen und Unternehmensarten spezielle Bilanzierungsvorschriften aufzustellen. Zu den vom Reichsamt des Inneren präferierten Offenlegungsvorschriften zählte auch die Etablierung des Reichsanzeigers als obligatorisches Veröffentlichungsorgan.30 Mit seinen sehr aktionärsfreundlichen Positionen setzte sich das Reichsamt des Inneren in fast allen Punkten durch. Lediglich bei den Minderheitenrechten musste es Abstriche machen und akzeptieren, dass die Minderheit weiterhin ihre Aktien zu hinterlegen hatte, um von ihrem Recht auf die Erzwingung einer Schadensersatzklage Gebrauch machen zu können.31 Das Reichsjustizamt rückte aber von der Vorstellung ab, dass die Minderheit ihre eigenen Aktien zu hinterlegen hatte. Artikel 223 der Bundesratsvorlage aus dem Jahr 1883 sprach nur davon, dass der »fünfte Teil des Grundkapitals in Aktien der Gesellschaft« gerichtlich zu hinterlegen sei.32 Der Hinterlegungspflicht konnte also auch mit fremden, beispielsweise geliehenen Aktien nachgekommen werden. Mit dieser Formulierung entsprach das Reichsjustizamt der nächstbes26 Schreiben des Reichsamts des Inneren an das Reichskanzleramt vom 22.04.1881 (dem Reichsjustizamt am 07.06.1881 überreicht), in: BArch, R 3001/2860. 27 Ebd. 28 Auch in einem weiteren Fall wendete sich das Reichsamt des Inneren gegen eine, in seinen Augen, Aufweichung der Vorentwürfe durch den Entwurf vom Frühjahr 1882. Das Reichsjustizamt hatte die Passagen der Artikel 209f und 210 neu gefasst und dadurch nach Meinung des Reichsamts den Prüfauftrag von Aufsichtsrat und Vorstand bei der Gründung eingeschränkt. Es forderte, diesen Schritt rückgängig zu machen und eine umfassende Prüfung der Gründerangaben zu verlangen. 29 Schreiben des Reichsamts des Inneren an das Reichsjustizamt vom 28.07.1882, in: BArch, R 3001/2862. 30 Ebd. 31 Vgl. die Fassung des Artikels 223 der Bundesratsvorlage in: Bundesrat des Deutschen Reichs, Entwurf 1883. 32 Ebd.

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ten, durch das Reichsamt des Inneren präferierten Alternative.33 Die Vetomacht des Reichsamts des Inneren – gemessen an der Fähigkeit eines Vetospielers, seinen optimalen Politikpunkt gegenüber den anderen Spielern durchzusetzen – war somit an diesem Punkt der Verhandlungen nicht unerheblich. Dabei setzte das Reichsamt des Inneren auf eine Verständigungsstrategie. Es versuchte, das Reichsjustizamt mit den besseren Argumenten zu überzeugen. Das Reichs­ justizamt ging auf diese Strategie ein, indem es die Argumente des Reichsamts des Inneren akzeptierte. Da die preußischen Ministerien die Ausarbeitungen der Reichsämter ebenfalls billigten, kam es zwischen diesen Spielern kaum zu ernsthaften Verhandlungen, so dass auch Aussagen über die verwendeten Strategien wenig sinnvoll erscheinen. Die Tatsache, dass die preußischen Ministerien die Ausarbeitung der Reichsämter annahmen, bedeutet jedoch nicht, dass Preußen keine Vetomacht zukam. Vielmehr waren es ja die Reichsämter, die den Gesetzentwurf nach den preußischen Vorgaben ausgearbeitet hatten. An dieser Stelle sei noch einmal betont, dass es sich bei den hier beschriebenen Unterschieden in den optimalen Politikpunkten der an der Gesetzgebung beteiligten Reichsämter und preußischen Ministerien um Nuancen und Details handelt. Im Großen – das zeigt sich insbesondere im Vergleich zu den optimalen Politikpunkten des Bundesrats und des Reichstags – hatten die vier behandelten Vetospieler starke Präferenzen für eine Änderung des Status quo und einen Ausbau von Aktionärsschutz und Offenlegungsmaßnahmen. Bedeutende Differenzen zwischen den preußischen Ministerien und der Reichsleitung bestanden allerdings bei der Frage über den richtigen Zeitpunkt der Reform. Während sich das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe in seinem Votum vom November 1873 für eine baldige Reform derjenigen Artikel des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs (ADHGB) aussprach, die nach Meinung des Ministeriums zu den Anfang der 1870er Jahre zu beobachtenden Missständen im Aktienwesen geführt hatten, empfahl das Justizministerium mit einer Reform des Aktienrechts noch zu warten.34 Aufgrund des Beschlusses des Bundesrats vom 9. Juni 1874, die Reform des Aktienrechts mit der 33 Vgl. das Schreiben des Reichsamts des Inneren an das Reichsjustizamt vom 28.07.1882, in: BArch, R 3001/2862. In der Frage der Entlastung des Vorstands entsprach das Reichsjustizamt mehr oder weniger den Vorstellungen des Reichsamts des Inneren, indem es die Vertagung der Genehmigung der Bilanz durch einfache Stimmenmehrheit zuließ und die Revision der Bilanz durch spezielle Revisoren ermöglichte. Vgl. Artikel 239a der Bundesratsvorlage, in: Bundesrat des Deutschen Reichs, Entwurf 1883. 34 Vgl. die Voten des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe und des Preußischen Justizministeriums vom 28.11.1873 und 05.05.1874, in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 7; GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 8. In den Augen des Justizministeriums war eine sofortige Reform nicht zu empfehlen, da zum einen aufgrund der eingetretenen Wirtschaftstätigkeit die Neugründungen von Aktiengesellschaften stark zurückgegangen waren und damit eine baldige Wiederholung einer Gründungskrise nicht wahrscheinlich sei. Zum anderen bestand nach Meinung des Justizministeriums die Gefahr, unter dem Eindruck

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geplanten Reform des Handelsgesetzbuchs zu verbinden, wurden die Differenzen der beiden Ministerien hinfällig.35 Nach dem Beschluss des Bundesrats vom Februar 1877, die Reform des Aktienrechts doch unabhängig von der Reform des Handelsgesetzbuchs in Angriff zu nehmen, traten erneut deutliche Präferenzunterschiede über den optimalen Zeitpunkt hervor.36 Diesmal verlief die Frontlinie zwischen dem Preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe und dem neugegründeten Reichsjustizamt unter der Führung von Staatssekretär Heinrich von Friedberg.37 Dieser hatte sich gegenüber dem hanseatischen Bundesratsgesandten bereits vor der Sitzung der vereinigten Ausschüsse für Handel und Verkehr und Justizwesen gegen eine sofortige Reform ausgesprochen.38 Auch nach dem Beschluss des Bundesrats, die Reformarbeiten wieder aufzunehmen, bestand das Reichsjustizamt auf dem Standpunkt, dass »die Reform der Aktiengesetzgebung […] nicht zu den dringlichen Aufgaben des Reichsjustizamts« gehöre.39 In der Folgezeit verzögerte das Reichsjustizamt die Erstellung eines Entwurfs durch nur zögerlich durchgeführte Vorarbeiten.40 Der Reichskanzler sowie das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe drangen dagegen auf eine Beschleunigung der Reformarbeiten.41 Mit dem liberalen Staatssekretär von Friedberg, der sehr darauf bedacht war, einen möglichen Konjunkturaufschwung nicht durch eine übermäßige Beschneidung der wirtschaftlichen Vertragsfreiheit abzuwürgen, war eine Beschleunigung der Reformarbeiten jedoch

der »aufgeheizten Stimmung« in der Bevölkerung zu strenge Vorschriften zu erlassen, die die Neugründung von Aktiengesellschaften erschweren und damit einen möglichen Konjunkturaufschwung abbremsen würden. 35 Der Bundesratsbeschluss findet sich in: BArch, R 3001/2859. 36 Der Bundesratsbeschluss findet sich ebenfalls in: Ebd. 37 * 27.01.1813 † 02.06.1865. Zu Friedberg siehe auch: Döhring. 38 Siehe das Schreiben des hanseatischen Gesandten Krüger an den Hamburger Senator Weber vom 21.01.1877, in: StHa, 111-1, Nr. 13853 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  3). Aufgrund der Opposition Friedbergs ging Krüger davon aus, dass sich der Justizausschuss gegen den preußischen Antrag auf ein Reformgesetz aussprechen würde. Dies wäre im Sinne Hamburgs gewesen. An der entscheidenden Sitzung der vereinigten Bundesratsausschüsse nahm Friedberg jedoch nicht teil, was von Krüger als einen Grund für den positiven Beschluss der Ausschüsse anführt. Siehe den Bericht Krügers über die Sitzung der vereinigten Bundesratsausschüsse für Handel und Verkehr sowie Justizwesen vom 08.02.1877 sowie das Schreiben der Verwaltungsabteilung für Justizwesen an den hanseatischen Gesandten in Berlin vom 29.01.1877. 39 Das Zitat findet sich in einer Aktennotiz vom 01.03.1878 aus der Feder der Referenten ­Hagens und Gutbrod. Die Notiz findet sich in: BArch, R 3001/2859. Siehe auch: Schubert u. Hommelhoff, S. 20, 22. 40 Siehe exemplarisch das Schreiben des Reichsjustizamts an das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe vom 04.10.1879, in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 10. Siehe auch: Schubert u. Hommelhoff, S. 20–22. 41 Schreiben des Reichskanzlers vom 09.12.1877 sowie Schreiben des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe vom 24.11.1879, in: BArch, R 3001/2859 und GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 10.

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nicht zu erreichen.42 Dies gelang erst unter dessen Nachfolger Herrmann von Schelling,43 der sich Anfang Dezember 1879 der Auffassung des preußischen Handelsministers anschloss, dass die Vorarbeiten abzukürzen und die Entwurfsarbeiten zu beginnen seien.44 Der Streit um den richtigen Zeitpunkt der Reform des Aktienrechts zeigt, dass in Einzelfällen auch einzelne Personen die Position eines Vetospielers einnehmen und mit ihren Präferenzen das Verhandlungsergebnis maßgeblich beeinflussen konnten. Nachdem sich die preußischen Ministerien mit dem Reichsjustizamt und dem Reichsamt des Inneren in kommissarischen Besprechungen Anfang Juli auf einige kleinere Änderungen geeinigt hatten, konnte der Entwurf im September 1883 in den Bundesrat eingebracht und den Ausschüssen für Handel und Verkehr und für das Justizwesen übergeben werden.45 Die Ausschüsse wiederum benannten Referenten, die Änderungsvorschläge zu dem Entwurf vorbereiten und ausarbeiten sollten. Der Justizausschuss benannte den bayrischen Bundesratsbevollmächtigten Wilhelm von Kastner46, der Ausschuss für Handel und Verkehr den hanseatischen Gesandten Daniel Christian Friedrich Krüger.47 In den vereinigten Ausschüssen nahm Kastner die Rolle des Referenten, Krüger die 42 Friedberg äußerte sich mehrfach besorgt, dem Handelsverkehr durch eine zu frühe, unter dem Eindruck der Krise stehende Reform »zu starke Fesseln« anzulegen. Siehe exemplarisch sein Schreiben an den preußischen Handelsminister Hofmann vom 04.10.1879, in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 10. Hieraus stammt auch das Zitat. 43 * 19.04.1824 in Erlangen † 15.11.1908 in Berlin. Biographische Details bei Spenkuch. 44 Siehe das Schreiben des Reichsjustizamts an das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe vom 06.12.1879, in: BArch, R 3001/2859. Heinrich von Friedberg wurde Ende Oktober zum Preußischen Justizminister ernannt. Siehe: Döhring. 45 Die kommissarischen Besprechungen fanden am 2. und 3. Juli statt. Als Ergebnis der Verhandlungen wurde die Haftpflicht des Aufsichtsrats und des Vorstands leicht ausgedehnt. Zudem sollte den Aktionären nun auch auf ihr Verlangen der Geschäftsbericht zugesandt werden – die Vorlage der Reichsleitung sah lediglich die Zusendung von Bilanz und Gewinnund Verlustrechnung vor. Siehe die Zusammenfassung der Ergebnisse der kommissarischen Besprechungen in: BArch, R 3001/2863. Eine Parallelüberlieferung findet sich in: GStA PK, I. HA Rep. 84a Justizministerium, Nr. 10446. Dabei sprach sich das Reichsjustizamt zunächst dafür aus, eventuell vorhandene Differenzen mit Preußen in den Bundesratsausschüssen zu klären. Das Handelsministerium unter der Leitung Bismarcks bestand allerding auf die kommissarischen Besprechungen und sicherte sich so einen größeren Einfluss auf die Gestaltung der Agenda. Siehe die Schreiben des Reichsjustizamts an die Preußischen Ministerien für Handel und Gewerbe und Justiz vom 08.05.1883 und die Rückantwort des Handelsministeriums vom 18.06.1883. 46 Heinrich von Kastner (* 10.05.1824 † 19.02.1911) war zwischen 1877 und 1887 stellvertretender Bundesratsbevollmächtigter Bayerns. Gleichzeitig fungierter er als Ministerialrat im bayrischen Justizministerium. Siehe: Lilla, S. 352–353. 47 Die Hansestädte unterhielten eine gemeinsame Gesandtschaft in Berlin. Daniel Christian Friedrich Krüger (* 22.09.1819 † 17.01.1896) war ab 1868 Bevollmächtigter Lübecks und ab 1873 stellvertretender Bevollmächtigter Hamburgs. Zur Person Krügers siehe: Ebd., S. ­380–381.

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Rolle des Korreferenten ein.48 Die finalen Änderungsanträge waren sehr stark von den bayrischen Vorstellungen geprägt – die gemeinsamen Anträge des Referenten und Korreferenten basierten fast ausschließlich auf denen, die Kastner in seiner Funktion als Referent des Justizausschusses ausgearbeitet hatte.49 Durch das Recht, im Vorfeld Änderungsanträge auszuarbeiten, die dann den anderen Mitgliedern der vereinigten Bundesratsausschüsse zur Abstimmung vorgelegt wurden, gelang es vor allem Bayern, das Verhandlungsergebnis im Bundesrat maßgeblich zu beeinflussen. Fast alle Änderungsvorschläge der Referenten wurden in den vereinigten Bundesratsausschüssen ohne Diskussion angenommen, so dass man davon ausgehen kann, dass die optimalen Politikpunkte der anderen in den Ausschüssen vertretenen Staaten weitgehend mit den vor allen bayrisch geprägten Anträgen übereinstimmten.50 Für die meisten Bundesstaaten ist die Überlieferung bezüglich der verwaltungsinternen Entscheidungsprozesse leider schlecht, so dass nur schwer auf ihre tatsächlichen Präferenzen geschlossen werden kann. Für einige größere Bundesstaaten kann man aber exemplarisch eine Übereinstimmung mit den bayrischen Anträgen zeigen. So standen Sachsen und Baden genau wie Bayern dem Individualrecht auf eine Anfechtungsklage bei Verletzung des Statuts oder des Gesetzes51 leicht kritisch gegenüber und setzten sich wie Bayern für eine Fristverkürzung zur Klageerhebung ein.52 Es lässt sich auch kontrafaktisch argumentieren: Dort, wo unterschiedliche Präferenzen existierten, wie etwa bei den Mindestnennbeträgen der Aktien, der Beweispflicht von Aufsichtsrat, Vorstand und Emissionshäusern sowie der Stellvertreterpflicht, entspannten sich lange, intensive Debatten.53 Deutliche Abweichungen zu dem bayrischen Politikpunkt zeigten eigentlich nur die Hansestädte Lübeck und Hamburg. Im Folgenden sollen daher der optimale Politikpunkt Bayerns und der übrigen in den Ausschüssen vertretenen Staaten 48 Bericht des hanseatischen Bevollmächtigten Krüger an Bürgermeister Petersen vom 23.10.1883, in: StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a). 49 Dies wird deutlich, wenn man die Änderungsanträge vergleicht, die an die Mitglieder des Justizausschusses und des Ausschusses für Handel und Verkehr übersandt wurden. Die Änderungsanträge finden sich u. a. in: BArch, R 3001/2863. 50 Siehe dazu den Bericht des sächsischen Gesandten in Berlin vom 19./20.02.1884, in: HStA DD, 10719/1941. 51 Bundesrat des Deutschen Reichs, Entwurf 1883, Art. 191. 52 Vgl. den Bericht des bayrischen Gesandten von Raesfeldt vom 23.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037, sowie den Bericht des badischen Bundesratsbevollmächtigten von Marschall vom 26./27.02.1884, in: GLA, 234/4628, sowie die Anträge Bayerns im Bundesrat, in: BArch, R 3001/2863. Der Bundesratsentwurf sah eine Frist von drei Monaten vor, innerhalb derer eine Anfechtungsklage erhoben werden konnte. Der bayrische Antrag wollte diese Frist auf sechs Wochen verkürzen, Sachsen trat für eine Fristverkürzung auf vier Wochen ein. Der sächsische Antrag setzte sich durch und scheint auch mit den Präferenzen des badischen Justizministeriums übereingestimmt zu haben. 53 Vgl. die Berichte der Bundesratsbevollmächtigten Badens, Bayerns, Sachsens und der hansea­ tischen Gesandtschaft, in: GLA, 234/4628; HStA Mü, MJu 17037; HStA DD, 10719/1941; StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a).

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mit den hanseatischen Präferenzen verglichen und gezeigt werden, inwiefern sich die optimalen Politikpunkte der Bundesstaaten von denen Preußens und der Reichsleitung unterschieden. Die bayrischen Ministerien für Inneres und für Justiz unterstützten im Großen und Ganzen den Entwurf der Reichsämter.54 In einigen Detailfragen waren sie jedoch anderer Auffassung. Diese betrafen vor allem die Individualund Minderheitenrechte und die Regelung zur jederzeitigen Abwahl des Aufsichtsrats. Die bayrischen Ministerien befürchteten, dass diese Rechte der Aktionäre von einzelnen Personen oder Gruppen zum Schaden der Gesellschaft missbraucht werden könnten. Aus diesem Grund präferierten sie eine leichte Einschränkung der Minderheiten- und Individualrechte über eine Verkürzung von Klagefristen sowie eine Erhöhung der notwendigen Kapitalquote und der Haftung für entstandene Schäden, wenn das Minderheitenrecht auf Ernennung von Bilanzrevisoren böswillig missbraucht wurde. Das Innenministerium empfahl zudem zu prüfen, ob es gerechtfertigt sei, einer die Bilanz anzweifelnden Minderheit automatisch das Recht auf Ernennung von Bilanzrevisoren zu gewähren. In Bezug auf die jederzeitige Abberufbarkeit des Aufsichtsrats empfahlen die bayrischen Fachministerien, dieses Recht nur der ordentlichen Generalversammlung zuzugestehen (Justiz), beziehungsweise die Abberufung an eine größere Mehrheit als die einfache Stimmenmehrheit zu binden (Inneres). In einem weiteren Detail wich der optimale Politikpunkt der bayrischen Fachministerien von dem der Reichsleitung und Preußens ab. So sprach sich das bayrische Innenministerium dafür aus, die Kompetenzen des Reichskanzlers zur Erstellung von Bilanzformularen auf den Bundesrat zu übertragen. Hierbei handelte es sich allerdings nicht um eine Präferenz über den Aktionärsschutz – hier übernahm das Innenministerium die Position der Reichsleitung –, sondern um eine Präferenz über die Machtverteilung zwischen Reichskanzler und Bundesstaaten im föderativen politischen System des Kaiserreichs. Die Präferenzen der bayrischen Fachministerien wurden von dem für die Reichspolitik zuständigen bayrischen Außen- und königlichem Hausministerium übernommen und stellten die Grundlage der bayrischen Änderungsanträge dar.55

54 Siehe die Schreiben des bayrischen Justizministeriums und des bayrischen Innenministeriums an das bayrische Außen- und Staatsministerium vom 13.02. und 15.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. 55 Siehe das Schreiben des bayrischen Ministeriums für das königliche Haus und das Äußere an die bayrische Gesandtschaft in Berlin vom 18.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. Inwiefern von Kastner Kenntnis der Gutachten der Fachministerien hatte, ist widersprüchlich. In seinem Bericht an das Ministerium für das königliche Haus und das Äußere vom 22.02.1884 schreibt von Kastner, dass er die Gutachten der Fachministerien erst erhalten habe, nachdem seine Anträge verteilt waren. In seinem Bericht vom 23.02.1884 schreibt der Bevollmächtigte von Raesfeldt jedoch, man habe die Gutachten gekannt und sich an ihnen orientiert, hätte aber noch keine endgültigen Instruktionen durch das Außenministerium erhalten. Aufgrund der engen personellen Verbindung der Bundesratsbevollmächtigten mit

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Parallel zu der Position der bayrischen Fachministerien setzte sich der bayrische Referent in den Bundesratsausschüssen für eine Reduzierung der Frist zur Erhebung der Anfechtungsklage von drei Monaten auf sechs Wochen ein. Zudem forderte er die Haftung der Minderheit im Fall böswilliger Handlungsweise und die Hinterlegung einer Sicherheitsleistung durch die Minderheit, wenn diese eine Sonderprüfung der Geschäftsführung oder Gründung verlangt hatte.56 Daneben beantragte der bayrische Bundesratsbevollmächtigte, die für die Vertagung der Generalversammlung notwendige Minderheitenquote von fünf auf zehn Prozent zu erhöhen und der Minderheit das Recht auf Ernennung eigener Bilanzrevisoren zu streichen.57 Die Abwahl des Aufsichtsrats sollte nur durch eine Dreiviertelmehrheit vorgenommen werden können.58 Die in den bayrischen Anträgen geforderte Einschränkung der Minder­ heitenrechte lässt etwas strengere Präferenzen zur Beschränkung dieser Rechte erkennen als diese durch die bayrischen Fachministerien geäußert wurden. Daneben nahmen die bayrischen Anträge auch Punkte auf, die von den bayrischen Ministerien nicht behandelt wurden, wie etwa die Streichung der Möglichkeit einzelner Aktionäre, auf Auflösung der Gesellschaft zu klagen, wenn der Geschäftszweck erreicht oder unerfüllbar geworden war.59 Auch die Ein­ schränkung der Haftung des Aufsichtsrats auf die Einhaltung der explizit in Artikel 225 genannten Obliegenheiten zählte hierzu.60 Die Existenz solcher »nichtbayrischen« Anträge kann als weiterer Hinweis dafür gedeutet werden, dass von Kastner in seinen Anträgen auch die Interessen anderer Vetospieler berücksichtigte.61 Dazu zählten wohl nicht nur andere Bundesstaaten, sondern auch die der Ministerial­bürokratie ist es durchaus plausibel anzunehmen, dass von Kastner die Gutachten zumindest im Entwurf gekannt hat. Das Problem bestand wohl eher darin, dass von Kastner handeln musste, ohne endgültige Instruktionen aus München zu haben, die ihm nur das Außenministerium erteilen konnte. 56 Vgl. die bayrischen Anträge Nr. 23, 24, 48, 49 und 50 zu den Artikeln 190a, 190b, 222, 222a (neu) und 223, in: BArch, R 3001/2863. 57 Vgl. den bayrischen Antrag Nr. 55 zu Artikel 239a, in: Ebd. 58 Vgl. den bayrischen Antrag Nr. 25 zu Artikel 191, in: Ebd. Der Antrag, dem Bundesrat die Kompetenz zur Erstellung von Bilanzformularen zu übertragen, wurde durch den Korreferenten, den hanseatischen Bevollmächtigten Krüger, gestellt. Siehe Antrag Nr. 21 zu Artikel 185a der gemeinsamen Anträge der Ausschüsse für Handel und Verkehr und für das Justizwesen. 59 Vgl. den bayrischen Antrag Nr. 58 zu Artikel 242, in: Ebd. 60 Vgl. den bayrischen Antrag Nr. 51 zu Artikel 226, in: Ebd. Zu den in Artikel 225 genannten Obliegenheiten zählten die Kontrolle der Bilanz und die Berufung der Generalversammlung, wenn dies im Interesse der Gesellschaft nötig war. Weitere Verpflichtungen konnten durch das Statut aufgestellt werden. 61 Zu den »nicht-bayrischen« Anträgen gehörte auch eine leichte Schärfung des Niederstwertprinzips. Marktgängige Wertpapiere sollten laut Antrag Nr. 20 zu Artikel 185a zum Marktpreis beziehungsweise, wenn dieser den Anschaffungspreis überstieg, zu Letzterem angesetzt werden. Der zweite Halbsatz fehlte in der Bundesratsvorlage. Die Bestimmung des Entwurfs vom Januar 1882, wonach der Durchschnittspreis des letzten Monats die Höchstgrenze darstellen sollte, war zwischenzeitlich fallen gelassen worden.

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Reichsämter. So weist der Bericht des bayrischen Bundesratsbevollmächtigten Ferdinand Raesfeldt darauf hin, dass von Kastners Änderungsanträge auch mit dem Reichsamt der Justiz abgestimmt waren.62 Vergleicht man die Positionen Bayerns und der anderen in den Bundesratsausschüssen vertretenen Bundesstaaten – mit Ausnahme der Hansestädte, von denen gleich am Beispiel Hamburgs zu berichten sein wird – mit dem Status quo des Jahres 1870, hatten diese immer noch sehr starke Präferenzen für eine Erhöhung des Aktionärsschutzes. Anders als die Reichsleitung und Preußen trat die Mehrheit der in den Bundesratsausschüssen für Handel und Verkehr und Justizwesen vertretenen Staaten jedoch für eine Abschwächung der Aktionärsrechte ein. Daneben gab es auch andere Auffassungen über die Kompetenzverteilung zwischen Bundesstaaten und Reichskanzler. Die Hansestädte standen dem Bundesratsentwurf äußerst skeptisch gegenüber und präferierten in Bezug auf den Aktionärsschutz den Status quo; so erklärte die Deputation für Handel und Schifffahrt der Hansestadt Hamburg, in etwa das Pendant zu den für Wirtschaft zuständigen Ministerien der Mittelstaaten und Preußens, den Gesetzentwurf in seiner derzeitigen Fassung für »unannehmbar«.63 In der Konsequenz stimmte Hamburg im Plenum des Bundesrats dann auch gegen den durch die Anträge der Bundesratsausschüsse für Handel und Verkehr und für Justizwesen geänderten Entwurf.64 Bremen und Lübeck erklärten in der Sitzung ebenfalls ihre Bedenken, votierten aber für den Entwurf. Im Fall Hamburgs können die optimalen Politikpunkte anhand der vorhandenen Akten sehr gut rekonstruiert werden. In seiner Sitzung vom 13. Februar 1884 beschloss der Hamburger Senat, dem hanseatischen Gesandten Krüger die von ihm in Auftrag gegebenen Gutachten der Deputation für Handel und Schifffahrt und des Landgerichts zuzusenden, damit dieser auf eine Änderung in Richtung der Gutachten hinwirken könne.65 Die Präferenzen der beiden genannten Organisationen stellen daher wohl eine gute Annäherung an diejenigen des Ham­burger Senats – des eigentlichen Vetospielers im System des Kaiserreichs – dar. Was waren nun die Punkte, die die Annahme des Bundesratsentwurfs für Hamburg unannehmbar machten? Auch im Fall der Hansestadt spielten Bedenken gegen die Minderheitenrechte und die zu einfache Abwahlmöglichkeit des Aufsichtsrats eine wichtige Rolle. So bezeichnete das Hamburger Landgericht das Recht der Minderheit, eine Sonderprüfung der Geschäftsführung oder der Gründung erzwingen zu können und das Recht eigene Bilanzrevisioren er­ 62 Siehe den Bericht Raesfeldts an das Ministerium des königlichen Hauses und des Äußeren vom 23.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. Raesfeld war der bayrische Vertreter im Ausschuss für Handel und Verkehr. Biographische Details zu Raesfeldt bei Lilla, S. 495. 63 Siehe die Stellungnahme der Deputation für Handel und Schifffahrt vom 12.02.1884, in: StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a). 64 Siehe das Protokoll der 9. Sitzung des Bundesrats vom 01.03.1884, in: Bundesrat des Deutschen Reichs, Drucksachen 1884. Siehe auch: Schubert u. Hommelhoff, S. 34–36. 65 Protokoll der Sitzung des Hamburger Senats vom 13.02.1884, in: StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a).

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nennen zu dürfen, als »nicht mit der Natur der Aktiengesellschaft vereinbar«.66 Die Deputation für Handel und Schifffahrt zählte die Minderheitenrechte zu den Punkten, die die Annahme des Entwurfs in ihren Augen unannehmbar machten, und forderte die Streichung der jederzeitigen Abwahl des Aufsichtsrats durch die Generalversammlung.67 Sie befürchteten, dass die strengen Haftungsbestimmungen geeignete Personen von der Übernahme eines Aufsichtsratsmandats oder Vorstandspostens abhalten würden. Aus ähnlichen Gründen wurde von den Hamburger Verwaltungsstellen die Umkehr der Beweislast für Aufsichtsrat und Vorstand kritisiert. Der Entwurf verlangte von beiden Gesellschaftsorganen die Anwendung der »Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes«, die im Schadensfall zu beweisen war.68 Dabei handelte es sich zwar – wie das Gutachten der Deputation für Handel und Schifffahrt anerkannte – um die Festschreibung geltender Rechtsgrundsätze. Trotzdem befürchtete die Deputation, die Formulierung würde Anlass zu »frivolen Klagen« geben und so die Übernahme eines Aufsichtsratsmandats oder Vorstandspostens unattraktiv machen. Daneben wendete sich die Deputation für Handel und Schifffahrt gegen das Ruhen des Stimmrechts in Fällen, in denen ein Aktionär über seine eigene Entlastung oder den Abschluss eines Rechtsgeschäfts der Gesellschaft mit ihm selbst abzustimmen hätte. Das Hamburger Landgericht bezeichnete zudem die Vorschrift, wonach Aufsichtsrat und Vorstand Stellung zur Angemessenheit von Übernahmepreisen von in die Gesellschaft eingebrachten Vermögensgegenständen zu nehmen hatten, als »sinnlos«, da keine objektiven Maßstäbe für die Angemessenheit dieser Preise gefunden werden könnten. Die Deputation für Handel und Schifffahrt sprach sich zudem komplett gegen Bilanzformulare aus – konnte sich aber gesetzliche Bilanzierungsvorschriften für einzelne Branchen vorstellen. In Summe lag der optimale Politikpunkt Hamburgs näher am, ein recht hohes Maß an wirtschaftlicher Vertragsfreiheit gewährenden Status quo des Jahres 1870. Anders gewendet lässt sich sagen, dass der optimale Politikpunkt der Hamburger Verwaltungsstellen den Schutz der Unternehmen vor schädlichem Verhalten der Aktionäre beinhaltete. Im Bundesrat setzte sich, wie bereits angedeutet, die sich in den bayrischen Anträgen widerspiegelnde Position der Mehrheit der in den Bundesrats­ ausschüssen vertretenen Bundesstaaten durch. Dabei wird leider nicht klar, inwieweit die bayrischen Anträge von der Position Hamburgs und Lübecks 66 Gutachten des Hamburger Landgerichts vom 18.02.1884, in: StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a). Die Deputation für Handel und Schifffahrt hielt es dagegen für richtiger, das Sonderprüfungsrecht einzelnen Aktionären und nicht einer Minderheit zuzugestehen. Siehe das Gutachten der Deputation für Handel und Schifffahrt vom 12.02.1884, in: Ebd. 67 Siehe das Gutachten der Deputation für Handel und Schifffahrt vom 12.02.1884, in: StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a). Auch das Landgericht kritisierte die jederzeitige Abberufbarkeit des Aufsichtsrats. 68 Siehe exemplarisch die Formulierung des Artikels 226 des Entwurfs, in: Bundesrat des Deutschen Reichs, Entwurf 1883.

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beeinflusst waren, enthielten sie doch mit den Einschränkungen der Minderheitenrechte und der Abwahl des Aufsichtsrats Konzessionen an die hansea­ tische Position, die von Seiten Krügers gegenüber dem Hamburger Senat auch als Verhandlungserfolg verkauft wurde.69 Ihre radikalen Positionen konnten die Hansestädte jedoch nicht durchsetzen. Aber auch die auf einen hohen Aktionärsschutz setzenden Reichsämter und preußischen Ministerien mussten einen Kompromiss eingehen, der ihnen aber keine großen Opfer abverlangte. Bayern kam im politischen System des Bundesrats demnach eine wichtige Veto­position zu, die Vetomacht der Hansestädte war im Vergleich dazu sehr gering. Wichtigster Vetospieler blieb natürlich Preußen, das mit der Setzung der Agenda die Ausgestaltung des Aktienrechtsentwurfs maßgeblich bestimmte. An diesen Grundsatzentscheidungen zu rütteln, stellte für die anderen Bundesstaaten keine Option dar. Die Bedeutung Bayerns zeigte sich auch in den von Preußen angewandten Strategien. Im Vergleich zu den anderen Bundesstaaten wurde Bayern mit der Übernahme der Referentenrolle relativ früh in den Entscheidungsprozess einbezogen. Nichtsdestoweniger wurde auch Bayern durch die preußische Strategie unter Druck gesetzt, die zwei Ausschusssitzungen und die entscheidende Plenarsitzung innerhalb der letzten Februarwoche so knapp zu terminieren, dass den Regierungen in München und den anderen Landeshauptstädten kaum Zeit zu einer eingehenden Stellungnahme und Instruierung ihrer Bundesratsbevollmächtigten blieb.70 Der Ton der Verhandlungen in den Ausschüssen blieb – trotz der fundamentalen Opposition der Hansestädte – konziliant. Den Bevollmächtigten war wenig an Konfrontation gelegen, vielmehr setzten auch die im Bundesrat vertretenen Vetospieler auf eine Verständigung mittels überzeugender Argumente. Diese Tendenz zum Kompromiss, gepaart mit der geplanten Überrumpelung der anderen Bundesstaaten, scheint, wie Nipperdey schreibt, eine häufig von Preußen in den Bundesratsverhandlungen angewendete Strategie gewesen zu sein.71 Der am 1. März 1884 vom Bundesrat ergänzte Entwurf wurde am 7. des Monats in den Reichstag eingebracht und in der ersten Lesung einer Kommission von 21 Mitgliedern übergeben.72 Die optimalen Politikpunkte der fünf großen Parteien bezüglich Aktionärsschutz und Offenlegungsverpflichtungen lassen 69 Bericht des hanseatischen Gesandten Krüger an den Hamburger Senat vom 24.02.1884, in: StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a). 70 So hatte von Kastner bei der Ausarbeitung seiner Referentenanträge zwar Kenntnis der Stellungnahmen der Fachministerien, eine Instruktion des Außenministeriums hatte er jedoch vor der ersten Ausschusssitzung nicht erhalten. Siehe das Schreiben von Kastners an das Ministerium der Justiz vom 22.02.1884 sowie den Bericht Raesfeldt vom 23.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. Raesfeldt berichtet in seinem Schreiben vom 26.02.1884 zudem, dass die Abstimmung über den Entwurf im Plenum um einige Tage verschoben werden musste, da noch nicht alle Bevollmächtigten Instruktionen ihrer Landesregierungen erhalten hatten. Das Schreiben findet sich ebenfalls in: Ebd. 71 Nipperdey, S. 90–91. 72 Deutscher Reichstag, Drucksachen 1884, Drucksache 21; Schubert u. Hommelhoff, S. 36–37.

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sich anhand der Reden, Stellungnahmen und Anträge verschiedener Abgeordneter in den Plenumssitzungen und den Kommissionsbesprechungen recht gut rekonstruieren.73 Dabei konnte es innerhalb einer Partei durchaus unterschiedliche Positionen geben. Die heftigste Kritik erfuhr der Gesetzentwurf durch die linksliberalen Freisinnigen und die Nationalliberale Partei. Zwar akzeptierten beide den Entwurf im Grundsatz, einige Bestimmungen gingen ihnen aber entschieden zu weit. Im Fokus der liberalen Kritik stand zunächst die gestiegene Verantwortlichkeit der Aufsichtsräte und des Vorstands sowie die Umkehr der Beweislast – die Pflicht der Gesellschaftsorgane nachzuweisen, dass sie ihre Aufgaben mit der Sorgfalt »eines ordentlichen Geschäftsmannes« erfüllt hätten. Letztere wurde im Verlauf der ersten Lesung des Gesetzentwurfs von den Abgeordneten Otto Büsing (NLP) und Heinrich Horrwitz (DFP) als »Mißtrauen gegenüber allen an der Aktiengesellschaft beteiligten Personen« (Büsing) beziehungsweise als »generelles Mißtrauen gegenüber dem Handelsstand« (Horrwitz) interpretiert. Ein weiterer zentraler Kritikpunkt der liberalen Parteien waren die Minderheitenrechte. Sowohl Büsing als auch Horrwitz wiesen darauf hin, dass es ein Fehler sei, lediglich die Minderheit vor der Mehrheit zu schützen. Minderheiten könnten durchaus Eigeninteressen verfolgen, die der Gesellschaft schadeten  – etwa, wenn Konkurrenten oder Spekulanten den Unternehmenswert mit Hilfe fingierter Anschuldigung gegen den Aufsichtsrat oder den Vorstand zu zerstören versuchten. Die bereits durch den Bundesrat eingeführten Schutzmaßnahmen seien weitestgehend »zahnlos« (Büsing), da es beispielsweise sehr schwer sei, der Minderheit eine böswillige Absicht nachzuweisen. Büsing schloss daraus, dass die Minderheitenrechte am besten ganz zu streichen wären, lediglich im Aufsichtsrat wollte er Minderheiten zulassen. Der Abgeordnete Horrwitz forderte in seiner Rede vor dem Plenum, den »Schutz der Gesellschaft« nicht außer Acht zu lassen. Gleichzeitig äußerte Horrwitz Zweifel, ob eine Stärkung der Kompetenzen der Generalversammlung sinnvoll sei. In der Regel komme es für den Unternehmenserfolg nicht auf die Aktionäre, sondern auf »die Führung der Aktiengesellschaft« an. Diese sehr kritische Haltung gegenüber Verantwortlichkeit und Beweispflicht der Gesellschaftsorgane sowie den Aktionärsrechten wurde 73 Die Analyse der Präferenzen basiert auf Redebeiträgen von Abgeordneten während der ersten und zweiten Lesung des Gesetzes im Plenum in der 11 Sitzung vom 24.03.1884 und der 39. Sitzung vom 23.06.1884 sowie auf den Protokollen der Ausschusssitzungen. Die Sitzungsprotokolle befinden sich in: Deutscher Reichstag, Verhandlungen 1884, sowie online unter: www.reichstagsprotokolle.de. Protokolle der Ausschusssitzungen finden sich in: BArch, R 101/797 und HStA Mü, MJu 17038. Bei Ersteren handelt es sich um die offiziellen Protokolle des Reichstags; die Akten des bayrischen Justizministeriums enthalten das ausführlichere Protokoll des bayrischen Bundesratsbevollmächtigten von Kastner, der den Sitzungen zusammen mit den Referenten der Reichsämter und dem Chef des Reichsjustizamts, Staatssekretär von Schelling, beiwohnte. Die Darstellung stützt sich auf das ausführlichere Protokoll von Kastners, das an wichtigen Stellen um die Informationen des offiziellen Protokolls des Reichstags ergänzt wurde.

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nicht von allen liberalen Abgeordneten geteilt. Wilhelm Oechelhäuser, Abgeordneter der Nationalliberalen Partei, sprach sich während der ersten Lesung des Gesetzentwurfs beispielsweise klar für die Einführung von Minderheitenrechten aus – aber auch Oechelhäuser kritisierte die Umkehr der Beweislast. Im Fall der Offenlegung der laufenden Geschäftsführung äußerte sich der Abgeordnete Horrwitz leicht kritisch, indem er sich gegen unterschiedliche Bilanzierungsbestimmungen für einzelne Branchen aussprach. Anders als die liberalen Parteien stellten sich das Zentrum und die konservativen Parteien klar hinter den Entwurf. Am deutlichsten wurde der Zentrumsabgeordnete Peter Reichensperger, der in seiner Rede während der ersten Lesung klar für die Umkehr der Beweislast, die gestiegene Verantwortung der Gesellschaftsorgane und die Minderheitenrechte eintrat. Insbesondere Letztere verteidigte er leidenschaftlich gegen die »Räuberbanden«-Kritik seiner liberalen Vorredner. Reichensperger betonte vielmehr die Gefahr der Ausbeutung der Gesellschaft und ihrer Aktionäre durch Aufsichtsrat und Vorstand. Um dem vorzubeugen, sprach er sich für ein Verbot der Berufung Verwandter in die Führungsgremien und eine im Gesellschaftsvertrag festgesetzte Begrenzung der Gewinnbeteiligung des Aufsichtsrats aus. Die konservativen Parteien ließen eine eigene Programmatik in der ersten Lesung vermissen. Ihr Sprecher, der Abgeordnete Karl Hartmann (DKP), stellte sich hinter den Regierungsentwurf. Gleichzeitig signalisierte er aber auch Kompromissbereitschaft bei den von den Liberalen kritisierten Punkten.74 Die Deutschkonservative Partei übernahm dabei die Führungsrolle innerhalb des konservativen Lagers. Die Deutsche Reichspartei griff nicht nennenswert in die Verhandlungen ein – ihre Präferenzen scheinen durch die Positionen der Deutschkonservativen Abgeordneten absorbiert worden zu sein. Die hier skizzierten Positionen der Reichstagsparteien in Hinsicht auf Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften finden sich in den Anträgen und Redebeiträgen der von den fünf großen Parteien entsandten Kommissionsmitgliedern wieder. Bezüglich der Verantwortlichkeit von Aufsichtsrat und Vorstand stellte der Abgeordnete Alexander Meyer (DFP) in der 8. Sitzung der Kommission einen Antrag auf Aufhebung der Beweislastumkehr. Ein ähnlicher Antrag wurde auf derselben Sitzung durch den Nationalliberalen Abgeordneten Büsing gestellt. Drei Anträge bezogen sich auf den Abbau der Verantwortlichkeit der ständigen Gesellschaftsorgane im laufenden Geschäftsverkehr. In der 14. Sitzung der Kommission (21. Mai 1884), stellte Büsing den Antrag, den Artikel 225 so zu formulieren, dass der Aufsichtsrat nicht zu jeder Zeit über die Geschäftsführung des Vorstands informiert zu sein habe.75 In der zweiten 74 Auch in der konservativen Partei gab es abweichende Positionen. Zu nennen ist hier unbedingt der Abgeordnete Franz Perrot, der als früher »Kapitalismuskritiker« die Rechtsform der Aktiengesellschaft grundsätzlich ablehnte. 75 Der Satz lautet: »Der Aufsichtsrat hat den Vorstand bei seiner Geschäftsführung in allen Zweigen der Geschäftsführung zu überwachen und s i c h v o n d e m G a n g e d e r A n g e ­

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Lesung – Sitzung vom 11. Juni 1884 – beantragte der Abgeordnete Meyer (DFP) Verjährungsfristen von fünf Jahren einzuführen, innerhalb derer Ansprüche gegenüber Aufsichtsrat und Vorstand geltend gemacht werden mussten. Ein Antrag des Zentrumspolitikers Felix Porsch (14. Sitzung vom 21. Mai) ging schließlich dahin, die Formulierung der Artikel 226 und 241, wonach Aufsichtsrat und Vorstand im Schadensfall nachzuweisen hatten, dass sie ihren Verpflichtungen mit der notwendigen Sorgfalt nachgekommen waren, zu streichen. Die Tat­sache, dass ein Antrag auf Streichung der Beweisumkehr aus dem Zentrum kam, überrascht zunächst, hatte doch Peter Reichensperger die Beweisumkehr in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs als Festschreibung von geltendem Recht gegen die liberale Position verteidigt. Bei Porschs Antrag handelte es sich wohl – wie auch bei einigen anderen Anträgen der Konservativen und des Zentrums – um einen Kompromissantrag. Laut der Protokolle von Kastners scheint die Reichstagskommission in ihren Ansichten tief gespalten gewesen zu sein. Am Anfang der 9. Sitzung vom 14. Mai wurde dieser Bruch offenbar, als einige Abgeordnete Bedenken äußerten, ob der Entwurf nach den Kommissionsberatungen ins Plenum des Reichstags zurückgehen oder nicht besser mit dem in der Kommission erarbeiteten Material ein neuer Gesetzentwurf ausgearbeitet werden solle. Die geäußerten Zweifel veranlassten den anwesenden Staatssekretär des Reichsjustizamts, von Schelling, zu der Bemerkung, dass der Reichsleitung, insbesondere dem Reichskanzler, viel an einer Lösung der Aktienrechtsfrage noch innerhalb der laufenden Sitzungsperiode des Reichstags gelegen sei. Da weder eine »Koali­ tion« aus Konservativen und Zentrum noch eine rein liberale »Koalition«, bestehend aus Nationalliberalen, Freisinnigen und Deutscher Volkspartei, eine Mehrheit im Reichstag hatten, war bei den gegebenen Bruchlinien ein Kompromiss der beiden Lager notwendig, um den Entwurf noch in der laufenden Legislaturperiode zu verabschieden.76 An dieser Stelle wird die Konfliktstrategie der liberalen Parteien deutlich. Die faktische Drohung mit dem Abbruch der Verhandlungen führte dazu, dass die anderen – an einer baldigen Reform interessierten – Vetospieler ihre optimalen Politikpunkte in Teilen aufgaben. Ein Antrag auf Streichung der Individual- und Minderheitenrechte wurde – vermutlich, weil er aussichtslos erschien – seitens der liberalen Parteien nicht l e g e n h e i t e n d e r G e s e l l s c h a f t z u u n t e r r i c h t e n .« (Deutscher Reichstag, Drucksachen 1884, Drucksache 21, Art. 225). Die Pflicht des Aufsichtsrats zur ständigen Kontrolle des Vorstands wurde aus dem gesperrt gedruckten zweiten Halbsatz hergeleitet. Büsing forderte daher in seinem Antrag, den zweiten Halbsatz zu streichen. 76 Wie bereits weiter oben erwähnt, existierten im politischen System des Kaiserreichs keine festen Koalitionen, sondern mehr Gelegenheitsbündnisse, die dem Erreichen unterschied­ licher politischer Ziele dienten. Daher steht der Koalitionsbegriff hier in Anführungszeichen. Im Fall des Aktienrechts kam die »Koalition« aus Zentrum und Konservativen auf 178 Stimmen (100 Zentrum, 50 Deutschkonservative, 28 Deutsche Reichspartei), die liberale »Koalition« auf 162 Stimmen (106 Freisinnige, 47 Nationalliberale Partei, 9 Deutsche Volkspartei). Zur Stimmenmehrheit waren bei einer Gesamtzahl von 397 Sitzen 199 Stimmen notwendig. Siehe Ritter u. Niehuss, S. 39.

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gestellt. Die Abgeordneten des Freisinns und der Nationalliberalen versuchten jedoch, die im Entwurf des Bundesrats vorgesehenen Minderheitenrechte weiter einzuschränken. So beantragte der Abgeordnete des Freisinns Horrwitz in der 12. Sitzung vom 17. Mai 1884, die Minderheitenrechte an einen Aktienbesitz von einem Jahr zu binden. Die anderen Parteien konnten dieser Forderung im Grundsatz zustimmen, sprachen sich aber – in Form des Antrages des konservativen Abgeordneten Hartmann – für eine nur sechsmonatige Mindestbesitzzeit aus. Gerade die Festlegung von Mindestbesitzzeiten stellte eine bedeutende Einschränkung der Minderheitenrechte dar – schloss sie doch all die Aktionäre aus, die nur kurzfristig an der Gesellschaft interessiert waren. Zudem erhöhte die Bestimmung die Kosten der Inanspruchnahme der Minderheitenrechte auch für Langzeitaktionäre, die nun den Nachweis erbringen mussten, dass die Aktien schon seit mindestens sechs Monaten in ihrem Besitz waren.77 Neben der Mindestbesitzzeit zielten andere Anträge freisinniger Abgeordneter auf eine Einschränkung der Minderheitenrechte. Ebenfalls in der 12. Sitzung beantragte der Abgeordnete Robert Beisert, das in Artikel 222a der Reichstagsvorlage verankerte Recht der Minderheit auf Sonderprüfung auf Unregelmäßigkeiten bei der Gründung zu beschränken. Die Geschäftsführung des Vorstands und des Aufsichtsrats wären dann von dem Sonderprüfungsrecht ausgenommen gewesen. Der Abgeordnete Meyer wollte das Minderheitenrecht auf Sonderprüfung mit Hilfe der Erhöhung der zur Geltendmachung dieses Rechts notwendigen Kapitalquote von zehn auf 20 Prozent und strengeren Haftungsbestimmungen noch weiter einschränken. Unterstützt wurden die Abgeordneten des Freisinns durch die Mitglieder der Nationalliberalen Partei. So beantragte der Abgeordnete Karl Heydemann, im Fall der Ablehnung des Büsing’schen Antrags auf Streichung der Sonderprüfung der Geschäftsführung durch die Minderheit, eine Einschränkung des Sonderprüfungsrechts auf Vorgänge, die nicht weiter als zwei Jahre zurückliegen dürften. Der Abgeordnete Büsing wollte gleichzeitig die Hinterlegung der Aktien der Minderheit vorschreiben und die zur Geltendmachung des Rechts notwendige Quote des Grundkapitals auf 20 Prozent erhöhen. Daneben verlangte Büsing in der 18. Sitzung vom 27. Mai, böswilliges Handeln von Minderheiten auch strafrechtlich zu verfolgen und mit Geld- und Gefängnisstrafen zu belegen. Von Seiten des Zentrums wurde auf der 12. und 13. Sitzung vom 17. und 18. Mai 1884 ein weiterer Kompromissantrag gestellt. So sollte das Gericht im Fall der Klage eines einzelnen Aktionärs oder einer Minderheit gegen die ständigen Gesellschaftsorgane eine nach freiem Ermessen festzulegende Sicherheitsleistung verlangen können, die etwaige Schäden kompensieren sollte. Neben den hier behandelten großen Themen des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsverpflichtungen schnitten die Kommissionsverhandlungen noch einige Randaspekte an. In der 14. Sitzung vom 21. Mai beantragte der freisinnige 77 Die Kaufurkunden mussten beispielsweise ähnlich sicher aufbewahrt werden wie die Aktien selber.

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Abgeordnete Heinrich Kochhann beispielsweise, die Delegation des Aufsichtsrats, anders als im Entwurf des Bundesrats vorgesehen, zeitweilig doch zuzulassen, um vor allem kleinere Gesellschaften mit nur einem Vorstand in Übergangsphasen nicht vor allzu große Schwierigkeiten zu stellen.78 In derselben Sitzung beantragte Kochhann zudem, die Wahl der Bilanzrevisoren auf jeden Fall durch die Generalversammlung vornehmen zu lassen – die Reichstagsvorlage sprach nur davon, dass zur Prüfung der Bilanz besondere Revisoren bestellt werden können. In diesem Fall trat ein freisinniger Abgeordneter einmal für eine Stärkung der Rechte der Generalversammlung ein. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welche Positionen sich in den Kommissionsverhandlungen und den anschließenden zwei Lesungen im Reichstag am 23. und 28. Juni durchgesetzt haben. Blickt man auf die drei großen, den Aktionärsschutz und die Offenlegungsvorschriften betreffenden Themen der Verhandlungen, ergibt sich folgendes Bild: Das Ziel der liberalen Parteien, die Verantwortung von Aufsichtsrat und Vorstand einzugrenzen, wurde nicht erreicht. Hier setzten sich die Unterstützer der Bundesratsvorlage durch. Auch im laufenden Geschäftsverkehr wurden die Pflichten und Haftungsregeln des Aufsichtsrats nicht mehr angepasst. Somit blieb es im Wesent­ lichen bei den Bestimmungen der Bundesratsvorlage; eine leichte Einschränkung stellte lediglich die von der Freisinnigen Partei geforderte Einführung einer Frist dar, innerhalb derer Ansprüche gegen Aufsichtsrat und Vorstand geltend gemacht werden konnten.79 Mit fünf Jahren war diese Frist allerdings sehr großzügig bemessen. Die Streichung der Beweislastumkehr hatte lediglich symbo­ lischen Charakter, änderte sie doch nichts an der Rechtslage.80 Erfolgreicher waren die liberalen Parteien bei der Durchsetzung ihrer Präferenzen für schwache Minderheitenrechte beziehungsweise bei einem Ausbau des Schutzes der Gesellschaft vor »Sonderinteressen« ihrer Aktionäre. Eine generelle Streichung der Individual- und Minderheitenrechte konnten sie zwar nicht erreichen, und auch eine Erhöhung der zur Geltendmachung von Minderheitenrechten notwendigen Kapitalquoten und die Einführung einer strafrechtlichen Haftung für böswilligen Missbrauch der Schutzrechte konnten die liberalen Abgeordneten nicht durchsetzen. Ihnen gelang es aber, bedeutende Einschränkungen der Individual- und Minderheitenrechte in das Gesetz hineinzuschreiben. Hierzu zählten in erster Linie die Einführung einer Mindestbesitzzeit von sechs Monaten,81 die Hinterlegung einer Sicherheitsleistung im Fall der Klage gegen 78 Folglich sollte für die Zeit der Delegation das Aufsichtsratsmandat des Mitglieds ruhen. 79 Deutsches Reich, Aktienrechtsnovelle 1884, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1884 Heft 22 (31.07.1884), Art. 226, 241. 80 Ebd. Laut Zivilprozessordnung musste der Kläger zunächst nachweisen, dass ein Schaden entstanden war und dass die Verhinderung dieses Schadens in das Aufgabengebiet des Beklagten fiel. Danach hatte der Beklagte nachzuweisen, dass er alles getan hatte, um den Schaden abzuwenden. Diese Sichtweise wurde im Prinzip von allen Seiten akzeptiert. 81 Deutsches Reich, Aktienrechtsnovelle 1884, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1884 Heft 22 (31.07.1884), Art. 222a, 223, 244.

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die Gesellschaft beziehungsweise einzelne Gesellschaftsorgane und die zeitliche Einschränkung des Sonderprüfungsrechtes auf Vorgänge in der Geschäftsführung, die nicht weiter als zwei Jahre zurücklagen.82 Daneben hatte die Minderheit nun auch im Falle der Sonderprüfung für den Zeitraum der Prüfung die die Minderheit konstituierende Zahl der Aktien zu hinterlegen.83 Das Verlangen einer Sicherheitsleistung und die Zeitbeschränkungen verminderten den Schutz der freien Aktionäre nicht unerheblich. Eine leichte Stärkung erfuhr der Aktionärsschutz allerdings durch die – auf Antrag des Abgeordneten des Freisinns Kochhann zustande gekommene – Implementierung der Wahl der Bilanzrevisoren durch die Generalversammlung.84 Zudem setzten die liberalen Präferenzen eine möglichst große Freiheit der Unternehmen bei der Bilanzierung durch – die Klausel, wonach der Reichskanzler für bestimmte Branchen Bilanzformulare aufstellen konnte, findet sich im Gesetz nicht wieder. In den Reichstagsverhandlungen konnte keine Partei ihren optimalen Politikpunkt durchsetzen. Dies gilt nicht nur für die liberalen Parteien, sondern auch für das Zentrum, das die anderen Parteien weder von einer Fixierung der Gewinnbeteiligung des Aufsichtsrats im Gesellschaftsvertrag noch von einem Verbot von Verwandten in Aufsichtsrat und Vorstand überzeugen konnte. Auch wenn es den liberalen Parteien nicht gelang, ihren optimalen Politikpunkt durchzusetzen, kam den Liberalen – gestützt auf ihre Fraktionsstärke – erhebliche Vetomacht zu. Ihre Stärke im Reichstag (162 der 397 Sitze)  nutzten die liberalen Parteien für eine Mischung aus einer Konflikt- und Verständigungsstrategie, die die anderen Parteien zwang, sich auf ihre Position zuzubewegen. Die vom Reichstag beschlossenen Ergänzungen wurden durch den Bundes­ rat einstimmig  – jetzt auch mit der Stimme Hamburgs  – angenommen und dem Kaiser von Bismarck zur Annahme empfohlen.85 Dieser fertigte das Gesetz am 18. Juli aus.86 Am 31. Juli 1884 wurde das Gesetz im Reichsgesetzblatt verkündet.87 Der Reichstagsentwurf stellte somit die finale Version des Gesetz­ gebungsprozesses dar. Die Annahme des Reichstagsentwurfs durch den Bundesrat verlief auch deswegen so reibungslos, weil dieser in Person des Präsidenten des Reichsjustizamts von Schelling und des bayrischen Bundesratsbevollmächtigten von Kastner in die Reichstagsverhandlungen eingebunden war. Beide 82 Ebd., Art. 190a, 222a, 223. 83 Ebd., Art. 222a. 84 Ebd., Art. 239a. 85 Siehe das Schreiben des Reichskanzlers an den Kaiser vom 11.07.1884, in: BArch, R 3001/2864, sowie das Protokoll des Senats der Stadt Hamburg vom 02.07.1884, in: StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a). In seinem Schreiben erwähnt Bismarck die Einschränkungen der Minderheitenrechte als eine wesentliche Änderung zum Entwurf der Reichsleitung. Diese waren wohl ein wichtiger Grund für Hamburg, dem Gesetzentwurf schlussendlich zuzustimmen. 86 Schubert u. Hommelhoff, S. 40. 87 Deutsches Reich, Aktienrechtsnovelle 1884, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1884 Heft 22 (31.07.1884).

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nahmen regelmäßig an den Sitzungen der Kommission teil und konnten dort den Parteien signalisieren, bis zu welchem Punkt der Bundesrat gewillt war, Änderungen zuzustimmen.88 Da dem Reichskanzler viel an einer zügigen Verabschiedung des Aktiengesetzes lag, war der Bundesrat bereit, viele der Änderungswünsche des Reichstags zu akzeptieren – im Vergleich zum Bundesrat hielt der Reichstag in diesem Fall somit die größere Vetomacht. Vetomacht, gemessen an der Fähigkeit, den eigenen optimalen Politikpunkt durchzusetzen, lag im Kaiserreich hauptsächlich bei Preußen und der Reichsleitung auf der einen und den liberalen Reichstagsparteien auf der anderen Seite. Die große Vetomacht des Reichstags bestätigen die Autoren, die im Reichstag unter der Kanzlerschaft Bismarcks einen eigenständigen Machtfaktor neben der Reichsleitung sehen und die die modernen, in Ansätzen demokratischen Elemente des Kaiserreichs betonen.89 Bayern, das die Mittelstaaten repräsentierte, konnte im Bundesrat ebenfalls einige Änderungen durchsetzen, so dass auch den Mittelstaaten und mit ihnen dem Bundesrat eine gewisse Vetomacht zukam. Am schwächsten war die Vetomacht Hamburgs, der Zentrumspartei und der konservativen Reichstagsparteien ausgeprägt. Die Vetomacht Preußens und der Reichsleitung korreliert deutlich mit der diesen Vetospielern zugeordneten Agendamacht. Dies gilt auch für Bayern, dessen Vetomacht auf der Übernahme der die Ausschusssitzungen und Änderungsvorschläge vorbereitenden Referentenrolle basierte. Und auch im Reichstag waren es die liberalen Parteien, die mit ihren Änderungsanträgen die Richtung der Kommissionsverhandlungen bestimmten. Die Zuordnung von Agendamacht hatte also eine gewisse Bedeutung für die Ausbildung von Vetomacht. Es würde aber zu weit gehen, von einer determinierenden Wirkung zu sprechen. Ein Blick auf Abbildung 9 visualisiert noch einmal, dass die Positionen Preußens, der Reichsleitung, der von Bayern repräsentierten Mittelstaaten, der Zentrumspartei und der konservativen Parteien eng beieinanderlagen – all diese Vetospieler waren von der Notwendigkeit einer Verbesserung des Aktionärsschutzes und im Grundsatz auch mit den von der Reichsleitung zur Erreichung dieses Ziels vorgeschlagenen Mitteln einverstanden. Die Agendamacht der Reichsleitung war also deswegen so groß, weil der optimale Politikpunkt der Reichsleitung nahe den optimalen Politikpunkten der meisten anderen Vetospieler lag. Es war somit auch die konkrete Akteurskonstellation, die die Vetomacht der Reichsleitung und Preußens bestimmte.90 Neben der Agendamacht spielte die Entscheidungssequenz im Kaiserreich eine wichtige Rolle für die Wahl der Verhandlungsstrategie. Zwar waren die 88 Vgl. die Protokolle der Sitzungen der Reichstagskommission aus den Händen von Kastners, in: HStA Mü, MJu 17038. Die Einbindung des Bundesrats in Kommissionssitzungen war nicht ungewöhnlich und gehörte zum Repertoire, mit dem die politischen Akteure im Kaiserreich das Problem der Mehrebenenpolitik zu lösen versuchten. Vgl. Nipperdey, S. 91–92. 89 Fehrenbach; Gall; Morsey, S. 314–321; Nipperdey, S. 101–106; Zwehl. 90 Dies deckt sich mit den theoretischen Annahmen von Tsebelis, der argumentiert, dass die Zuordnung von Agendamacht dann besonders groß ist, wenn die Position des Agendasetzers zwischen den Vetopunkten der übrigen Vetospieler liegt. Vgl. Tsebelis, Veto Players, S. 35–37.

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Offenlegungsverpflichtungen

HAM DFP/NLP SQ1870

RT = SQ1884

DKP/DRP Z BR

Reichsleitung Preussen

BAY Aktionärsschutz

Anmerkung: SQ1870 = Status Quo des Jahres 1870, SQ1884 = Status Quo des Jahres 1884/Verhandlungsergebnis; BAY = Präferenzen Bayerns, HAM = Präferenzen Hamburgs, BR = Präferenzen der Bundesratsmehrheit / Reichstagsvorlage; DFP = Deutsch Freisinnige Partei, NLP = Nationalliberale Partei, Z = Zentrum, DKP = Deutsch-Konservative Partei, DRP = Deutsche Reichspartei.

Abb. 9: Status Quo des Gesetzes von 1870, optimale Politikpunkte der Veto-Spieler und Verhandlungsergebnis des Jahres 1884.

Verhandlungen überwiegend von Verständigungsstrategien geprägt, die sequenzielle Verhandlungsstruktur eröffnete jedoch auch Räume für aggressivere Strategien. Dies zeigt sich beispielsweise an der engen Terminierung der Ausschusssitzungen und der Abstimmung im Plenum des Bundesrats innerhalb der letzten Februarwoche, mit deren Hilfe die Reichsleitung die übrigen Bundesstaaten zwang, den in den Ausschüssen abgesprochenen Änderungen schnell und ohne eingehendere Prüfung zuzustimmen. Eine noch aggressivere Strategie wählten die liberalen Reichstagsparteien, indem sie mit dem Abbruch der Verhandlungen drohten und mit Hilfe dieser Strategie wichtige Elemente ihres optimalen Politikpunkts durchsetzen konnten. Diese Erpressungsstrategie war allerdings nur erfolgreich, weil die Reichsleitung auf die Zustimmung zumindest eines Teils der liberalen Abgeordneten angewiesen war und gleichzeitig das Gesetz noch in der bald ablaufenden Legislaturperiode verabschieden wollte.91 Die Vetomacht der liberalen Reichstagsparteien speiste sich also ebenfalls aus spezifischen Akteurskonstellationen, die zwar von politischen Institutionen strukturiert, aber nicht determiniert wurden. Aussagen über die Wirkung der Abstimmungsregel auf Vetomacht und Verhandlungsstrategien sind aufgrund des fehlenden Vergleichsmaßstabs schwieriger zu treffen. Kontrafaktisch lässt sich allerdings argumentieren, dass die Vetomacht Hamburgs deutlich größer gewesen wäre, hätten der Bundesrat oder 91 Die Legislaturperiode endete am 28.06.1884. Die dritte Lesung des Gesetzentwurfs fand in dieser letzten Sitzung statt. Siehe: Deutscher Reichstag, Verhandlungen 1884.

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die Ausschüsse nicht mit Stimmenmehrheit, sondern einstimmig entschieden, wie dies etwa noch für die Zollvereinskonferenz galt.92 Um die Zustimmung Hamburgs zu erlangen, hätten die anderen Bundesstaaten dann größere Zugeständnisse machen müssen. Ähnliches gilt für den Reichstag. Wäre dort etwa eine Dreiviertelmehrheit vorgesehen gewesen, hätten die anderen Parteien den liberalen Abgeordneten wohl noch mehr entgegenkommen müssen, um auch die reformskeptischsten Abgeordneten zu überzeugen. Innerhalb der Fraktion des Freisinns gab es nämlich auch nach Beendigung der Kommissionsverhandlungen Abgeordnete, die sich gegen den Entwurf aussprachen.93 Bei einer größeren erforderlichen Stimmenmehrheit hätten die Stimmen dieser Abgeordneten innerhalb der liberalen Fraktion ein stärkeres Gewicht gehabt und ihnen eine größere Verhandlungsmacht gegeben. Eine Änderung der Abstimmungsregel in Bundesrat oder Reichstag hätte also, bei sonst gleichbleibenden Bedingungen, höchstwahrscheinlich das Verhandlungsergebnis in Richtung einer Schwächung der freien Aktionäre verschoben. Aber auch in diesem Szenario wäre das Verhandlungsergebnis von der relativen Lage der optimalen Politikpunkte der Veto­ spieler beeinflusst worden. Über den Effekt einer Veränderung der Zahl der Vetospieler lassen sich ebenfalls nur kontrafaktische Aussagen treffen. Da alle von der Verfassung vorgesehenen Vetospieler an den Verhandlungen beteiligt waren, macht es wenig Sinn, über den Effekt der Zunahme der Zahl der Vetospieler nachzudenken. Es lassen sich allerdings Vermutungen darüber anstellen, welchen Effekt eine Vertagung des Gesetzgebungsverfahrens auf den im Jahr 1884 neugewählten Reichstag gehabt hätte. Eine solche Vertagung erscheint plausibel, da man lediglich annehmen muss, dass die Reichsleitung bereit gewesen wäre, mit der Verabschiedung des Gesetzes ein halbes Jahr zu warten. Da die liberalen Parteien in der Oktoberwahl Stimmen einbüßten, das Zentrum seinen Stimmenanteil halten konnte und die Konservativen hinzu gewannen, ergab sich nun eine knappe Stimmenmehrheit von 205 von 199 notwendigen Sitzen für die den Reichstagsentwurf befürwortenden Parteien (Zentrum und Konservative).94 Eine solche Verschiebung der Sitzverhältnisse hätte die Verhandlungsmacht der liberalen Reichstagsparteien erheblich geschwächt, so dass sich der optimale Politikpunkt auf den des Bundesrats zubewegt hätte und gesetzlicher Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften strenger ausgefallen wären. Da der optimale Politikpunkt des Reichstags in diesem Fall faktisch durch den optimalen Politikpunkt des Bundesrats absorbiert worden wäre, käme eine Vertagung des Gesetzge92 Hahn, Zollverein, S. 111. 93 Vgl. die Äußerungen des Abgeordneten Gustav Lipke (Freisinn) während der zweiten Lesung am 23.06.1884, in der er sich gegen eine Annahme des Gesetzes aussprach und sich damit gegen die Mehrheitsmeinung innerhalb seiner Fraktion stellte. Das Protokoll der Sitzung findet sich in: Deutscher Reichstag, Verhandlungen 1884. 94 Die liberalen Parteien verloren 36 Sitze, während das Zentrum lediglich einen Sitz einbüßte und die Deutschkonservative Partei 28 Sitze hinzugewinnen konnte. Vgl. Ritter u. Niehuss, S. 39.

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bungsprozesses auf den im Oktober 1884 gewählten Reichstag einer Reduzierung der Zahl der Vetospieler gleich, was, wie von der Theorie vorhergesagt, zu einer einfacheren Kompromissfindung geführt hätte.95 Eine Reduktion der Zahl der Vetospieler hätte noch an einer anderen Stelle einen bedeutenden Effekt auf den Gesetzgebungsprozess gehabt. Die Aufteilung der Agendamacht auf Preußen und die Reichsleitung führte zunächst zu einer Blockade dieser beiden Spieler, da das Reichsjustizamt anfangs einer sofortigen Reform skeptisch gegenüberstand und die Entwurfsarbeiten trotz Drängen des preußischen Handelsministeriums verzögerte. Hätte sich das Preußische Handelsministerium entschieden, die Reichsleitung zu umgehen und einen eigenen Gesetzentwurf auszuarbeiten und diesen selbst in das Plenum des Bundesrats einzubringen, wäre der Reformprozess wahrscheinlich deutlich schneller verlaufen – und hätte, sofern die optimalen Politikpunkte der übrigen Vetospieler unverändert geblieben wären, zu einem ähnlichen Verhandlungsergebnis geführt. In Summe ist also festzuhalten, dass die politischen Institutionen des Kaiserreichs Vetomacht, Verhandlungsstrategien und -ergebnis beeinflusst haben, jedoch keine eindeutigen Ursache-Wirkung-Beziehungen zu beobachten sind. Vetomacht, Verhandlungsstrategien und -ergebnis hingen immer auch von konkreten Akteurskonstellationen oder, anders ausgedrückt, von der relativen Lage der optimalen Politikpunkte der Vetospieler zueinander ab.

3.2 Weimar Zur Herausarbeitung der optimalen Politikpunkte der für die Weimarer Republik relevanten Vetospieler wird hauptsächlich auf das bis Sommer 1931 entstandene Material zurückgegriffen. Wichtigste Quellenbasis sind die beiden Entwürfe des Justizministeriums aus dem Sommer 1930 und 1931 sowie die kommissarischen Besprechungen der Reichsressorts mit den Ländern aus dem ersten Quartal des Jahres 1931.96 Die Kompetenzverteilung zwischen Aufsichtsrat, Vorstand und freien Aktionären wollte das Reichsjustizministerium in ihrer grundlegenden Struktur nicht verändern. Das Ministerium präferierte aber einige kleinere Änderungen zu Gunsten der Stärkung der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats, der Aktionäre, aber auch des Schutzes der Gesellschaft vor Einzel- und Sonderinteressen. So schlug das Reichsjustizministerium eine vierteljährliche Berichtspflicht des Vor95 Tsebelis, Veto Players, S. 24–26. 96 Die Gesetzentwürfe finden sich in Schubert, Weimarer Republik, S. 847–927 (E 1 1930), und Ders., Aktienrechtsreform, S. 849–902 (E 2 1931). Die Protokolle der kommissarischen Besprechungen sind ebenfalls bei Schubert, Weimarer Republik, S. 977–1105 abgedruckt. Vgl. außerdem die Berichte des bayrischen Bevollmächtigten zum Reichsrat, Ministerialrat Dürr, in: HStA Mü, MJu 17141.

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Offenlegungsverpflichtungen

SQ1931 SQ1920s

E 21931

Preußen

E 11930= RJM Hanse

Aktionärsschutz Anmerkung: SQ1920s = Status Quo der 1920er Jahre, SQ1931 = Status Quo nach Erlass der Notverordnung im September 1931, E11930 = Entwurf des Sommers 1930, E21931 = Entwurf des Sommers 1931, RJM = Reichsjustizministerium, Hanse = Hansestädte Hamburg und Bremen

Abb. 10: Status Quo der 1920er Jahre, optimale Politikpunkte der Veto-Spieler und Verhandlungsergebnis des Jahres 1931.

stands an den Aufsichtsrat vor (§ 70 E 1). Insbesondere sollten aber die Kontrollrechte einzelner Mitglieder innerhalb des Aufsichtsrats gestärkt werden. So sah der Entwurf des Reichsjustizministeriums vor, einem Einzelmitglied das Recht auf Berufung des Aufsichtsrats (§ 77 E 1) sowie das Recht, jederzeit vom Vorstand einen Bericht über die Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen zu dürfen (§ 79 E 1), zuzugestehen. Parallel dazu sollten die Kontrollrechte einzelner Aktionärsgruppen und Minderheiten gestärkt werden. Paragraph 74 sah die Möglichkeit vor, im Gesellschaftsvertrag ein Entsendungsrecht von Aufsichtsratsvertretern für Aktionärsminderheiten festzuschreiben. Das Reichsjustiz­ministerium ließ also eine leichte Präferenz für die Stärkung von Minderheiten im Aufsichtsrat erkennen. Dabei hatte es auch öffentliche Körperschaften im Sinne, denen es durch das Entsendungsrecht leichter gemacht werden sollte, Unternehmen, an denen sie eine Minderheitenbeteiligung hielten, zu kontrollieren.97 Neben Aufsichtsrat, Vorstand und den freien Aktionären rückte hier ein neuer Stakeholder erstmals in den Vordergrund der Gesetzgebung. Mit der Bestimmung, wonach das Gericht auf Antrag des Vorstands oder einer Aktionärsminderheit 97 Reichsjustizministerium, Erläuternde Bemerkungen (1930), S. 942.

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im Falle der Vakanz den Aufsichtsrat auf seine vorgesehene Mitgliederzahl ergänzen konnte, wollte das Reichsjustizministerium zudem sicherstellen, dass der Aufsichtsrat immer vollbesetzt und funktionsfähig blieb (§ 75 E 1). Eine weitere Bestimmung, die den Aufsichtsrat verpflichtete anzugeben, auf welche Art und Weise und in welchem sachlichen Umfang er seinen Kontrollpflichten nachgekommen war, betonte die Kontrollfunktion des Aufsichtsrats (§ 79 E 1). Neben deutlichen Präferenzen für die Stärkung der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats enthielt der optimale Politikpunkt des Reichsjustizministeriums auch eine Präferenz für die Stärkung des operativen Handlungsspielraums des Vorstands und den Schutz der Gesellschaft vor Einzel- und Sonderinteressen.98 Ersteres zeigt sich in der Einführung des Instituts des genehmigten Kapitals (§ 171 E 1), das es dem Vorstand ermöglichte, jederzeit eine im Gesellschaftsvertrag festgelegte Kapitalerhöhung vorzunehmen, ohne vorher eine Generalversammlung einberufen zu müssen.99 Der Schutz der Gesellschaft vor Sonderinteressen einzelner Aktionäre sollte mit einer Klausel sichergestellt werden, die Aktionäre für eine die Gesellschaft schädigende Einflussnahme auf Mitglieder des Aufsichtsrats oder Vorstands haftbar machen sollte (§ 80 E 1).100 Zuletzt ließ das Reichsjustizministerium Präferenzen für eine leichte Stärkung von Minderheitenrechten erkennen. So sollten die Mindesthaltefristen von sechs auf drei Monate reduziert werden und die für eine Klage auf Schadensersatz gegen die ständigen Gesellschaftsorgane notwendige Minderheitenquote auf fünf Prozent herabgesetzt werden, wenn die Ansprüche der Minderheit auf den Ergebnissen einer vorher stattgefundenen Sonderprüfung fußten. Daneben sollte die Generalversammlung nicht nur die Bilanz, sondern auch die Gewinn- und Verlustrechnung feststellen dürfen (§ 109 E 1). Bezüglich der Kräfteverhältnisse zwischen Aktionären und ständigen Gesellschaftsorganen präferierte das Reichsjustizministerium nur eine leichte Verschiebung des Status quo. Dies galt nicht für die Ausgestaltung des Stimmrechts, das in den 1920er Jahren die Kräfteverhältnisse zwischen den an der Aktiengesellschaft beteiligten Gruppen maßgeblich beeinflusste.101 Insgesamt ging der optimale Politikpunkt des Reichsjustizministeriums dahin, das Stimmrecht wieder stärker an das eingesetzte Kapital zu binden. Zu einem generellen Verbot von Mehrstimmrechts- und anderen Schutzaktien konnte sich das Ministerium 98 Vgl. hierzu auch die Begründung zum ersten Entwurf. Hier heißt es, die Aktiengesellschaft sei »ein Rechtsgut besonderer Eigenart und eine Einrichtung mit besonderen Aufgaben […], der der Staat Schutz und Förderung auch insoweit nicht vorenthalten dürfe, als das Schutz- und Förderungsbedürfnis im Widerstreit mit den Sonderinteressen der Aktionäre gerät.« Zitiert nach: Reichsjustizministerium, Erläuternde Bemerkungen (1930), S. 936. 99 Die Kapitalerhöhung sollte an die Zustimmung des Aufsichtsrats gebunden werden können. Reichsjustizministerium, E 1 (1930), § 171. 100 Das manipulierende Aufsichtsrats- oder Vorstandsmitglied sollte solidarisch mit dem Aktionär haften. Ebd., § 80. Diese Bestimmung fand unter dem Schlagwort »Generalklausel« Eingang in die zeitgenössische Diskussion. Vgl. Spindler, S. 481. 101 Vgl. Kapitel 1.

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aber nicht durchringen. Zur Erreichung seiner Ziele schlug das Reichsjustiz­ ministerium ein Bündel von Maßnahmen vor: Sollte nicht voll eingezahlten Aktien das Stimmrecht gewährt werden, hatten Dreiviertel des auf der Generalversammlung anwesenden Grundkapitals zuzustimmen (§ 93 E 1).102 Die gleiche Zustimmungsregel galt für die Schaffung klassischer Mehrstimmrechtsaktien, also von Aktien, deren Stimmrecht gegenüber dem der Stammaktien erhöht war (§ 94 E 1). Nach fünf Jahren sollte die Generalversammlung die Mehrstimmrechtsaktien mit einfacher Mehrheit des Grundkapitals – also unter Ausschluss des erhöhten Stimmrechts der Mehrstimmrechtsaktien – wieder einziehen oder in normale Stammaktien verwandeln können (§ 96 E 1). Die Zustimmung einer Mehrheit des auf der Generalversammlung vertretenen Grundkapitals wurde für weitere wichtige unternehmerische Entscheidungen festgeschrieben. Dazu gehörten die Änderung des Gesellschaftsvertrags, Änderungen des Grundkapitals und der Ausschluss des Bezugsrechts. Das Sonderstimmrecht der Mehrstimmrechtsaktien blieb  – nach den Vorschlägen des Agendasetzers  – somit nur für die Wahl und Abwahl des Aufsichtsrats, die Wahl der Bilanzprüfer, die Abstimmung über die Bilanz und die Gewinnverteilung sowie für die Entlastung der Gesellschaftsorgane bestehen. Das Stimmrecht gebundener Aktien sollte bis auf einige Ausnahmen komplett entfallen (§§ 93 und 95 E 1).103 Zum Depotstimmrecht der Banken äußerte sich der Entwurf des Reichsjustizministeriums nicht. Hier scheint das Ministerium eine klare Präferenz für den Status quo gehabt zu haben. Wie im Fall des Kräfteverhältnisses zwischen Aktionären und Verwaltung hatte das Reichsjustizministerium auch bei den Gewinnbezugsrechten starke Präferenzen für den Status quo. Dies bedeutete insbesondere, dass das Ministerium die Möglichkeit zur Bildung stiller Reserven erhalten wollte. Es sprach sich allerdings für eine größere Transparenz der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung aus, die Aktionäre in die Lage versetzten sollte, sich besser über die Rentabilität der Gesellschaft zu informieren (§§ 111, 113–116 E 1). Paragraph 111 verpflichtete die Unternehmen, die Bilanzen klar und übersichtlich aufzustellen und damit den Aktionären einen umfassenderen Einblick in die Verhältnisse der Gesellschaft zu gewähren. Daneben legte der Entwurf eine ganze Reihe von Pflichtangaben in Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung fest. Zu den Pflichtangaben in der Bilanz zählten auch Angaben über Beteiligungen bei anderen Unternehmen von mehr als 25 Prozent der Aktien. Daneben sollte die Reichsregierung ermächtigt werden, abweichende Bilanzierungs­ 102 Zudem musste auch auf Rechnung der Gesellschaft gezeichneten Aktien der Nominal­ betrag voll eingezahlt werden, um das Stimmrecht zu erhalten. Für die Einzahlung des vollen Betrags war der Halter der Aktie verantwortlich, der sich nicht mehr darauf berufen konnte, dass die Aktie nur auf Rechnung der Gesellschaft gekauft wurde. Reichsjustizministerium, E 1 (1930), § 41. 103 Der Begriff gebundene Aktien bezeichnet im Stimmrecht gebundene Aktien, etwa die Verpflichtung der Aktienhalter, immer im Sinne einer bestimmten Aktionärsgruppe bzw. der Verwaltung zu stimmen.

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vorschriften für bestimmte Arten von Unternehmen zu erlassen. Hintergedanke war es dabei wohl, einige Gesellschaften – hauptsächlich nicht an der Börse gelistete Unternehmen und Familiengesellschaften – von den strengen Berichtspflichten auszunehmen.104 Trotz dieser Einschränkung zeigt sich hier, vor allem im Vergleich zum Status quo der 1920er Jahre, eine starke Präferenz des Justizressorts zur Vergrößerung der Offenlegungsverpflichtungen. Diese Präferenz wird auch in den Bestimmungen zum Geschäftsbericht deutlich. Auch hier wurde ein Katalog von Pflichtangaben aufgelistet – unter anderem sollten die Unternehmen verpflichtet werden, über gebundene Aktien, Aktien in Besitz der Gesellschaft, ihr genehmigtes Kapital, ihre langfristigen Verbindlichkeiten und Haftungsrisiken sowie über »Vorgänge von besonderer Bedeutung, die nach Ende der Berichtszeit eingetreten sind« zu berichten (§ 110 E 1). Zudem sollte der Geschäftsbericht Konzernverhältnisse offenlegen und Angaben zu Abweichungen bei den Bilanzierungsprinzipien machen. Letztere Bestimmung sollte den Aktionären einen Hinweis auf die im laufenden Geschäftsjahr angelegten stillen Reserven geben. Ergänzt wurden die Offenlegungsvorschriften durch ein umfangreiches Auskunftsrecht der Aktionäre zu Gegenständen, über die auf der Generalversammlung beraten wurde. Dieses Auskunftsrecht bezog sich ausdrücklich auch auf andere Gesellschaften, insbesondere Tochtergesellschaften (§ 86 E 1 1931).105 Die mit Abstand wichtigste Neuerung auf dem Feld der Offenlegungs­ vorschriften war aber die Einführung der Pflichtprüfung der Bilanz durch externe, sachverständige, von der Gesellschaft unabhängige, durch die Generalversammlung zu wählende Buchprüfer (§§ 118–125 E 1 1931). Die Prüfung durch diese Experten hatte sich auf den gesamten Jahresabschluss, die Gewinn- und Verlustrechnung und die Angaben des Geschäftsberichts zu erstrecken. Dabei sollte sich die Prüfung nicht nur auf eine rechnerische Richtigkeit, sondern auch auf die sachgemäße Umsetzung der den Jahresabschluss und Geschäftsbericht betreffenden Paragraphen beziehen. Die Prüfung war Voraussetzung für die

104 Vgl. das Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an das Reichsjustizministerium vom 21.06.1930, Abschrift in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 16. 105 Das Auskunftsrecht war als Individualrecht konzipiert. Sollte die Auskunft nicht den Anforderungen gewissenhafter Rechenschaftspflicht genügen oder wurde sie verweigert, sollte die Generalversammlung mit der Mehrheit ihrer Stimmen die Verhandlung über den betroffenen Gegenstand vertagen. Das gleiche Recht stand einer Minderheit von zehn Prozent des Grundkapitals zu (Reichsjustizministerium, E 1 [1930], § 87). Für den Fall, dass die Verweigerung des Auskunftsrechts nach § 86 Grundlage einer Anfechtungsklage werden sollte, sah der Entwurf Spruchstellen vor, die über die Rechtmäßigkeit der Auskunftsverweigerung entscheiden sollten (§ 88 E 1). Um das Schlichtungsverfahren zu vereinfachen, sah der zweite Entwurf einen Passus vor, wonach die Generalversammlung mit der Zustimmung von zehn Prozent des Grundkapitals die Weigerung des Vorstands zur Auskunftserteilung aufheben konnte (§ 88 E 2).

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Abstimmung der Gesellschaft über den Jahresabschluss und die Entlastung der ständigen Gesellschaftsorgane.106 Der optimale Politikpunkt des Reichsjustizministeriums ließ klare Präferenzen für eine Änderung des Stimmrechts zu Gunsten der freien Aktionäre und eine Vergrößerung der Offenlegungsverpflichtungen erkennen. Im Folgenden sollen die Positionen der anderen an den Verhandlungen beteiligten Vetospieler analysiert werden. Innerhalb der Reichsregierung gab es kaum größere Konflikte. So hielt sich das Reichsfinanzministerium mit eigenen Vorschlägen und Kritik an dem Entwurf sehr zurück.107 Das Reichswirtschaftsministerium unterstützte den Entwurf des Reichsjustizministeriums in den meisten Punkten.108 Dies lag wohl auch an der sehr engen Einbindung des Ressorts in die Entwurfsarbeiten, die durch regelmäßige Konsultationen auf Referentenebene sichergestellt wurden.109 Der größte Konfliktpunkt zwischen den beiden Ministerien stellten die Vorratsaktien dar, die das Reichswirtschaftsministerium gerne behalten wollte. Letztendlich akzeptierte das Ministerium aber das Veto des Justizressorts.110 Daneben existierten nur kleinere Unstimmigkeiten, vor allem bei der Regelung der Kräfteverhältnisse zwischen Aktionären, Vorstand und Aufsichtsrat.111 In zentralen Punkten des Entwurfs, wie der Frage der Ausgestaltung des Stimmrechts und der Erhöhung der Offenlegungsverpflichtungen, stand das Reichswirtschaftsministerium dagegen hinter den Vorschlägen des Reichs-

106 Weiterhin ist zu den umfangreichen Offenlegungsbestimmungen die Regelung des § 79 E 1 zu zählen. In diesem Paragraphen wurde der Aufsichtsrat verpflichtet, darüber Auskunft zu geben, auf welche Art und Weise und in welchem sachlichen Umfang er die Prüfung der Geschäftsführung durchgeführt hat. 107 Reichsjustizministerium, Kommissarische Beratungen (1930/31). 108 Ebd. Vgl. auch das Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an das Reichsjustiz­ ministerium vom 21.06.1930, Abschrift in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 16. 109 Siehe dazu das Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an das Reichsjustizministerium vom 21.06.1930. In dem Schreiben wird auf die enge Zusammenarbeit zwischen den Ministerien verwiesen. Die Vorschriften zu den Wertansätzen in der Bilanz (Reichsjustizministerium, E 1 [1930], § 112) wurden durch das Reichswirtschaftsministerium ausgearbeitet. Eine Abschrift des Schreibens findet sich in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 16. 110 Siehe Ebd. An die Stelle der Vorratsaktien trat das genehmigte Kapital. 111 So stand das Reichswirtschaftsministerium dem vom Reichsjustizministerium vorgeschlagenen Recht der Minderheit zur Entsendung von Aufsichtsratsvertretern skeptisch gegenüber, ohne jedoch eine Bewegung des Justizressorts in diesen Punkten zur Bedingung zu machen. Siehe das Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an das Reichsjustizministerium vom 21.06.1930, Abschrift in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 16. Zudem befürchtete das Reichswirtschaftsministerium, dass in dem Entwurf vorgesehene Spruchkammerverfahren zur Lösung von Konflikten über das Auskunftsrecht sei zu kompliziert. Vgl. den Bericht des bayrischen Bevollmächtigten zum Bundesrat, Ministerialrat Dürr, vom 13.01.1931, in: HStA Mü, MJu 17141.

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justizministeriums.112 Der größte Konflikt innerhalb der Reichsregierung spielte sich zwischen dem von Adam Stegerwald (Z) geführten Reichsarbeitsministerium und dem DDP-geführten Reichswirtschaftsministerium ab.113 In einem Schreiben an das Reichsjustizministerium von Ende Januar 1931 bestand der Reichsarbeitsminister auf die Einarbeitung zahlreicher Bestimmungen, die die Stellung der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat stärken sollten und die seiner Ansicht nach in den Verhandlungen auf Referentenebene nicht hinreichend berücksichtigt worden waren.114 Zu den wichtigsten Forderungen, die der Reichsarbeitsminister erhob, gehörten folgende Bestimmungen: Das Stimmrecht der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat sollte proportional zur Zahl der gewählten Aufsichtsratsmitglieder gestaltet werden; Betriebsratsmitglieder sollten als Beobachter an Aufsichtsratsausschüssen teilnehmen dürfen, in die sie nicht hineingewählt worden waren; ihnen sollte eine beratende Stimme in der Generalversammlung zugestanden und im Vorfeld der Generalversammlung eine Abschrift der Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung und des Geschäftsberichts zugesandt werden. Zudem wollte der Minister jedem Aufsichtsratsmitglied ein Anfechtungsrecht gegen gesetz- oder statutenwidrige Generalversammlungsbeschlüsse einräumen. Die Forderungen des Reichsarbeitsministers stießen im Reichswirtschaftsministerium auf deutlichen Widerstand. In den Augen des Ministeriums waren die Forderungen entweder überflüssig, da sie bereits geltende Praxis waren (Stimmrecht der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat, beratende Stimme in der Generalversammlung, Zusendung von Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Geschäftsbericht), oder es würden den Betriebsratsmitgliedern »untragbare« Sonderrechte gewährt werden (automatische Vertretung in jedem Ausschuss, Anfechtungsrecht).115 Die gleiche Position nahmen auch Preußen und Bayern ein.116 Gegen diesen kombinierten Widerstand konnte sich der Reichsarbeitsminister nicht durchsetzen. So fanden sich nur die von den 112 Siehe dazu das Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an das Reichsjustizministerium vom 21.06.1930, Abschrift in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 16. Für die Stimmrechtsfragen geht die Übereinstimmung auch aus einer Note des Reichsjustizministeriums über eine gemeinsame Besprechung mit dem Reichswirtschaftsministerium auf Referentenebene am 12.03.1930 hervor. Die Note trägt das Datum vom 17.03.1930 und findet sich in: BArch, R 3001/2941. 113 Das Reichswirtschaftsministerium unterstand der kommissarischen Leitung von Ernst Trendelenburg (* 13.2.1882 † 28.4.1945). 114 Siehe das Schreiben des Reichsarbeitsministeriums an das Reichsjustizministerium vom 31.01.1931, Abschrift in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abt. A XII 5 Nr. 1 Bd. 17. 115 Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an das Reichsjustizministerium vom 17.03.​ 1931, Abschrift in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abt. A XII 5 Nr. 1 Bd. 17. 116 Siehe das Schreiben des Preußischen Justizministeriums an das Reichsjustizministerium vom 30.03.1931, Abschrift in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abt. A XII 5 Nr. 1 Bd. 17. Für Bayern siehe das Schreiben des bayrischen Staatsministeriums des Äußeren an das bayrische Staatsministerium der Justiz vom 05.05.1931

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anderen Vetospielern als überflüssig bezeichneten Vorschriften im zweiten Entwurf vom Sommer 1931 wieder. Neben der Stärkung der Betriebsratsmitglieder setzte sich der Reichsarbeitsminister auch für eine vollständige Abschaffung des Mehrstimmrechts ein. Aber auch hier wurde er von seinen Kabinettskollegen überstimmt.117 Profilierteste Gegner einer vollständigen Abschaffung des Mehrstimmrechts waren der Reichsbankpräsident Luther und der Staatssekretär im Postministerium Sautter. Während Ersterer das Argument der Überfremdungsgefahr anführte, befürchtete Sautter, die Kontrolle über einige Aktiengesellschaften zu verlieren, an denen der Staat beteiligt war und bei denen er sich die Kontrolle des Unternehmens mit Hilfe von Mehrstimmrechten gesichert hatte. Neben den Mitgliedern der Reichsregierung brachte sich das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe im Rahmen der kommissarischen Besprechungen zwischen Reichsregierung und Reichsrat am intensivsten mit eigenen Vorschlägen und Kritik am Gesetzentwurf des Reichsjustizministeriums in die Debatte ein. Insbesondere beim Stimmrecht wollte das preußische Ministerium weiter gehen als das Reichsjustizministerium.118 So sprach sich das Preußische Handelsministerium dafür aus, nicht volleingezahlten Aktien das Stimmrecht nur nach den eingezahlten Bruchteilen zu gewähren. Dadurch sollte die Möglichkeit verhindert werden, dass nicht vollgezahlte Aktien bei Abstimmungen nach Kapitalmehrheit wie vollgezahlte Aktien behandelt würden und damit trotz Abstellung auf Kapitalmehrheit Mehrstimmrechtsaktien erhalten blieben – eine Lücke, die der Gesetzentwurf des Reichsjustizministeriums zuließ. Daneben regte das Handelsministerium an, das Mehrstimmrecht in Form eines maximalen Stimmenaufschlags zu begrenzen und die Namen der Inhaber des Mehrstimmrechts zu veröffentlichen.119 Dieser Vorschlag stieß allerdings bei Reichswirtschafts- und Justizministerium wie auch bei Hamburg, Bayern und Bremen auf klaren Widerspruch. Das Handelsministerium zeigte also eine deutliche Präferenz dafür, die Kontrolle der Generalversammlung in die Hände der Kapitalmehrheit zu legen. Zuletzt setzte sich das Handelsministerium für einen Stimmrechtsausschluss für Aktionäre ein, der für Beschlüsse über die Einleitung oder Beendigung eines Rechtstreits zwischen der Gesellschaft und dem betroffenen Aktionär gelten sollte. Eine entsprechende Regelung des Handelsgesetzbuchs von 1897 ließ das Stimmrecht in diesem Fall nicht ruhen.120 sowie das Schreiben des bayrischen Staatsministeriums der Justiz an den bayrischen Bundesratsbevollmächtigten vom 13.05.1931. Beide Schreiben in: HStA Mü, MJu 17141. 117 Siehe das Protokoll der Ministerbesprechung vom 14.09.1931, in: BArch, R 43-I/1082. 118 Reichsjustizministerium, Kommissarische Beratungen (1930/31). 119 Das Ministerium wollte das Stimmrecht der Mehrstimmrechtsaktien auf das zehnfache des Stimmrechts der Stammaktien beschränken. Bericht des bayrischen Bevollmächtigten zum Bundesrat, Ministerialrat Dürr, vom 17.02.1931, in: HStA Mü, MJu 17141. 120 Deutsches Reich, Handelsgesetzbuch 1897, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1897 Heft 23 (21.05.1897), § 252. Der Paragraph schloss das Stimmrecht aber für die Fälle aus, in denen über die Entlastung des betroffenen Aktionärs abgestimmt werden sollte, und in den Fällen, in denen die Gesellschaft ein Rechtsgeschäft mit dem Aktionär einging.

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In Summe präferierte das preußische Handelsministerium auch strengere Offenlegungsvorschriften als das Reichsjustiz- und das Reichswirtschaftsminis­ terium. Zwar sprach es sich dafür aus, langfristige Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern und Angestellten nicht mehr gesondert in der Bilanz auszuweisen, dafür sollten die Bilanzen aber über langfristige Verbindlichkeiten informieren und die Soll- und Habenzinsen in der GuV nicht saldiert werden. Beide Vorschläge waren im Sinne der Aktionäre, da sie die Rendite- und Risikobewertung der Unternehmen erleichterten. Gegen diese Vorschläge erhob sich jedoch der Widerspruch des Reichsjustizministeriums und des Reichswirtschaftsministeriums. Daneben forderte das Preußische Handelsministerium eine größere Offenlegung der Vorstandsgehälter und Bezüge der Aufsichtsratsmitglieder im Geschäftsbericht sowie eine Ausdehnung der Berichtspflicht auf Tochtergesellschaften. Die Unabhängigkeit der obligatorischen Bilanzprüfer sollte noch verschärft und die Prüfer zu einer möglichst detaillierten Berichterstattung angehalten werden. Dagegen sah es das Preußische Handelsministerium als überflüssig an, im Geschäftsbericht den Vermögensstand der Gesellschaft zu entwickeln und auf die Abweichung in den Bilanzierungsstandards einzugehen – in diesem Punkt präferierte das Handelsministerium also einen größeren Handlungsspielraum zur Schaffung stiller Reserven. Dafür sollten die Gesellschaften in ihren Geschäftsberichten aber auf Haftungsübernahmen sowie auf Risiken eingehen, die sich aus Rechtsstreitigkeiten ergeben könnten. Die Bezüge des Aufsichtsrats standen schon seit der Jahrhundertwende in der Kritik.121 Um den dem Aufsichtsrat zustehenden Gewinnanteil zu begrenzen und transparenter zu machen, etablierte die Zentrumspartei 1897 eine Klausel im Handelsgesetzbuch, wonach der Aufsichtsrat nur am Gewinn beteiligt werden durfte, wenn den Aktionären eine Dividende in Höhe von vier Prozent des Grundkapitals ausgezahlt wurde.122 In den 1920er Jahren wurde diese Regelung jedoch oft umgangen, indem dem Aufsichtsrat in den Statuten feste Bezüge garantiert wurden.123 Auf diese Weise konnten dem Aufsichtsrat auch dann Bezüge ausgezahlt werden, wenn die Dividende der Aktionäre unter vier Prozent lag oder gar keine Dividende gezahlt wurde. Aus diesem Grund sprach sich das Handelsministerium in den kommissarischen Besprechungen für eine Be­grenzung der festen Vergütung des Aufsichtsrats aus. Um Übertreibungen

121 Die Diskussion zusammenfassend Stier-Somlo, S. 70–76. 122 Siehe den Bericht der Reichstagskommission zur Besprechung des Entwurfs eines Handelsgesetzbuchs vom 01.04.1897, in: BArch, R 101/787, sowie den Bericht des bayrischen Bundesratsbevollmächtigten Heller über die Sitzungen der Reichstagskommission, Heller. 123 Siehe das Schreiben des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe und des Preußischen Justizministeriums an das Reichsjustizministerium vom 05.09.1931, in: BArch, R 43-I/1082. Parallelüberlieferung in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abt. A XII 5 Nr. 1 Bd. 17. Die Umgehung der Bestimmung lässt sich bereits für das Kaiserreich nachweisen. Selgert, Lohn.

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bei der variablen Vergütung zu verhindern, wollte das Ministerium zudem die Staffelung der Gewinnbeteiligungssätze des Aufsichtsrats an die den Aktionären gezahlte Dividende binden. Einen ähnlichen Vorschlag machte das Handelsministerium auch bezüglich der Gewinnbeteiligung des Vorstands. Hier war es teilweise üblich geworden, dem Vorstand eine garantierte Gewinnbeteiligung zu gewähren, die nicht an den Jahresgewinn gebunden war.124 Diese Praxis sollte in den Augen des Handelsministeriums explizit untersagt werden. Beim Preußischen Handelsministerium bestanden demnach starke Präferenzen, die Gewinnverteilung stärker zu Gunsten der Aktionäre umzugestalten. Bei den anderen Teilnehmern der Besprechung, namentlich dem Reichswirtschaftsministerium sowie den Vertretern Bayerns und Hamburgs, stießen die preußischen Vorschläge allerdings auf deutliche Ablehnung. Nicht zuletzt entwickelte das Preußische Handelsministerium eine eigene Position zu den Vorschlägen des Reichsjustizministeriums, die Stellung des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds zu stärken. In den kommissarischen Besprechungen votierte das Handelsministerium gegen ein individuelles Auskunftsrecht des einzelnen Aufsichtsrats. Unterstützung erhielt das Handelsministerium durch das Preußische Justizministerium, das vorschlug, dem Vorstand ein Recht zur Auskunftsverweigerung zuzugestehen, das nur durch eine Minderheit innerhalb des Aufsichtsrats wieder aufgehoben werden konnte. Auch das Einberufungsrecht des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds ging dem Preußischen Handelsministerium zu weit. Es wollte dieses Recht nur einer Minderheit von zehn Prozent der Mitglieder des Aufsichtsrats zugestehen und bei einer missbräuchlichen Einberufung den Einberufenden die Kosten auferlegen. Die preußischen Ministerien wollten also die Individualrechte der Aufsichtsratsmitglieder in Minderheitenrechte umwandeln. Ziel war es hier vor allem, eine missbräuchliche Einberufung des Aufsichtsrats durch Betriebsratsmitglieder zu verhindern.125 Der Vorschlag der Missbrauchsverhütung stieß dabei auf die Akzeptanz des Reichswirtschaftsministeriums und des Reichsjustizministeriums. In dem Vorschlag der Umwandlung der Individual- in Minderheitenrechte sah das Reichsjustizministerium jedoch nicht das geeignete Mittel, da sich der preußische Vorschlag zu eindeutig gegen die Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat richtete.126 Zeigte das Preußische Handelsministerium auf der einen Seite eine Präferenz dafür, die Position des einzelnen Aufsichtsrats zu schwächen, wollte es auf der anderen Seite die Vertretung von Aktionärsminderheiten im Aufsichtsrat stärken, indem es die Vertretung der größten Minderheit im Aufsichtsrat fest im Gesetz zu verankern gedachte. Dazu sollte eine Minderheit, die zehn Prozent 124 Ebd. 125 Vgl. den Bericht des bayrischen Bevollmächtigten zum Bundesrat, Ministerialrat Dürr, vom 13.01.1931, in: HStA Mü, MJu 17141. 126 Reichsjustizministerium, Kommissarische Beratungen (1930/31), sowie Bericht des bayrischen Bevollmächtigten zum Bundesrat, Ministerialrat Dürr, vom 13.01.1931, in: HStA Mü, MJu 17141.

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des Grundkapitals repräsentierte, verlangen können, über jedes Aufsichtsratsmitglied einzeln abzustimmen, und einen eigenen Vertreter aufstellen können. Sollte dieser Vertreter bis zur Besetzung des letzten freien Platzes nicht gewählt worden sein, sollte dem Vertreter der Minderheit der freie Platz automatisch zustehen. In Summe präferierte das Handelsministerium also auch bei der Gestaltung des Aufsichtsrats eine Stärkung der freien Aktionäre gegenüber anderen Stakeholdern, wie etwa den Arbeitnehmervertretern. Die anderen im Reichsrat vertretenen Landesregierungen offenbarten bis auf die Hansestädte Hamburg und Bremen kaum eigenständige Präferenzen. Die Position der beiden Hansestädte wich in einigen Punkten von dem optimalen Politikpunkt des Reichsjustizministeriums zugunsten des Status quo der 1920er Jahre ab. So sprach sich Hamburg dafür aus, den gebundenen Aktien ihr Stimmrecht zu belassen. Bremen wollte das Stimmrecht gebundener Aktien nur für den Fall ausschließen, dass der Schutzcharakter der Aktien klar aus dem Bindungsvertrag hervorging. Daneben zeigten die Hansestädte Präferenzen für niedrigere Offenlegungsstandards und eine geringere Beteiligung der Aktionäre an der Führung der Gesellschaft. Dies zeigt sich an der Forderung Hamburgs, die periodische Berichtspflicht des Vorstands auf bestimmte Punkte einzuschränken.127 Die beiden Hansestädte wollten zudem die Wahl der Bilanzprüfer statt durch die Generalversammlung vom Aufsichtsrat vornehmen lassen. Zuletzt wollten sie – unterstützt durch Bayern – auf die Angaben im Geschäftsbericht zu langfristen Verbindlichkeiten verzichten. Die Präferenz der Hansestädte für den Erhalt des Status quo bedeutete an anderer Stelle jedoch den Einsatz gegen eine Schwächung der freien Aktionäre. So sprachen sich Hamburg und Bremen etwa gegen das Recht der öffentlichen Hand aus, Vertreter in den Aufsichtsrat entsenden zu dürfen, auch wenn diese nicht die Mehrheit der Stimmen hielt.128 Außer den Vertretern Preußens, Hamburgs und Bremens brachten sich auch die bayrischen Vertreter in die Debatte zwischen Reichsrat und Reichsregierung ein. Sie ließen es dabei aber an eigenen Positionen fehlen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass ihre optimalen Politikpunkte durch die der anderen Vetospieler absorbiert wurden. Fragt man nun, welche Vetospieler sich in den Verhandlungen zwischen Reichsregierung und Ländern durchgesetzt haben, ist eine Einschränkung zu beachten. Nach Erstellung des zweiten Entwurfs im Sommer 1931 und mit der Entscheidung, einen Teil des Entwurfs in Form einer Notverordnung zu veröffentlichen, wurden die Verhandlungen über ein neues Aktiengesetz faktisch abgebrochen. Dies ist relevant, da die preußische Landesregierung im September 1931 noch einmal versuchte, auf die Reichsregierung einzuwirken, um einige 127 Daneben sprach sich Hamburg auch dagegen aus, den Aufsichtsrat über Art und Weise sowie über Umfang seiner Prüfung Rechenschaft ablegen zu lassen. 128 Daneben setzten sich die Hansestädte auch für eine Wiederaufnahme der Gläubigerschutzbestimmungen des HGB ein, die in den §§ 217 und 218 des ersten Entwurfs vom Sommer 1930 nicht mehr auftauchten.

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bisher noch nicht beachtete Positionen durchzusetzen.129 Aufgrund der neuen Situation, die mit der Notverordnung eintrat, wurde das Schreiben allerdings in vielen Punkten gegenstandslos. Trotzdem zeigt sich in dem Schreiben der Einfluss Preußens auf die Reichsregierung und die Reichsgesetzgebung. Die besondere Rolle Preußens wird auch an zwei anderen Punkten deutlich. Wie selbstverständlich nahm die preußische Regierung beispielsweise Stellung zu den Forderungen des Reichsarbeitsministers, die Position der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat zu stärken.130 Zudem war es fast nur Preußen, das sich mit eigenen Positionen in die kommissarischen Besprechungen zwischen Reichsrat und Reichsregierung einbrachte und einige Kernforderungen durchsetzen konnte. Dazu gehörte die Neugestaltung des Stimmrechts nichtvollgezahlter Aktien nach den der Einzahlungsquote entsprechenden Bruchteilen (§ 95 E 2) sowie die verpflichtende Vertretung von Minderheiten im Aufsichtsrat (§ 76 E 2). Bei der Bekämpfung der Individualrechte des Aufsichtsrats war Preußen teilweise erfolgreich. Zwar konnte das Preußische Handelsministerium nicht erreichen, dass die Individualrechte in Minderheitenrechte umgewandelt wurden, das Recht zur Einberufung des Aufsichtsrats wurde jedoch an den Antrag von zwei Mitgliedern gebunden. Bei Missbrauch hatten die berufenden Mitglieder, wie von Preußen vorgeschlagen, die Kosten der Sitzung zu tragen (§ 80 E 2, Artikel 244a NVO). Ein ähnlicher Kompromiss wurde im Fall des Auskunftsrechts gegenüber dem Vorstand gefunden. Hier sollte der Vorstand dem einzelnen Mitglied die Auskunft verweigern können. Gegen die Weigerung des Vorstands konnte eine Auskunft nur erzwungen werden, wenn der Antrag des Einzelmitglieds durch mindestens ein, bei Aufsichtsräten ab einer Gesamtgröße von 20 Personen von mindestens zwei anderen Mitgliedern unterstützt wurde (§ 80 E 2, Artikel 246 NVO). Nicht gehört wurden die preußischen Vorschläge im Fall der Begrenzung der festen Bezüge und Gewinnbeteiligungen des Aufsichtsrats sowie der garantierten Gewinnbeteiligung des Vorstands. Auch die Begrenzung des Stimmrechts der Mehrstimmrechtsaktien sowie den Stimmrechtsausschluss betroffener Aktionäre im Fall eines Generalversammlungsbeschlusses über die Einleitung oder Beendigung von Rechtsstreitigkeiten konnte das Preußische Handelsministerium nicht durchsetzen. In der Frage der Offenlegungsverpflichtungen konnte Preußen nur einen Teilerfolg erzielen. So gelang es, die langfristigen Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber Aufsichtsräten und Angestellten aus den Pflichtangaben in der Bilanz zu entfernen und im Geschäftsbericht den Verzicht auf die Offenlegung einer Änderung der Bilanzierungsansätze durchzusetzen (§§ 115 und 112 E 2, Artikel 261a und 260a 129 Schreiben des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe und des Preußischen Justizministeriums an das Reichsjustizministerium vom 05.09.1931, in: BArch, R 43-I/1082. Parallelüberlieferung in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abt. A XII 5 Nr. 1 Bd. 17. 130 Schreiben des Preußischen Justizministeriums an das Reichsjustizministerium vom 30.03.1931, Abschrift in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abt. A XII 5 Nr. 1 Bd. 17.

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NVO). Die anderen – in den meisten Fällen die Offenlegung verbessernden – Forderungen Preußens wurden bis auf die Veröffentlichung der Gesamtbezüge von Aufsichtsrat und Vorstand im Geschäftsbericht von den anderen Vetospielern nicht angenommen (§ 112 E 2, Artikel 260a NVO). Die Hansestädte Hamburg und Bremen waren erfolgreich bei der Durch­ setzung ihrer Forderung, das Stimmrecht der gebundenen Aktien nicht vollständig abzuschaffen. Der zweite Entwurf enthielt eine Klausel, die den gebundenen Aktien das Stimmrecht gewährte, wenn dies im »überwiegenden Interesse der Gesellschaft oder der Allgemeinheit« war (§ 95 E 2).131 Daneben gelang es den Hansestädten, Angaben zu langfristigen Verbindlichkeiten aus dem Pflichtangabenkatalog des Geschäftsberichts zu entfernen. In allen anderen Fällen – Einschränkung der periodischen Berichtspflicht, Wahl der Bilanzprüfer durch den Aufsichtsrat, Ablehnung des Entsendungsrechts – konnten die Hansestädte ihren optimalen Politikpunkt allerdings nicht durchsetzen. In allen anderen Punkten blieb es bei dem durch das Reichsjustizministerium ausgearbeiteten Entwurf.132 Die Verhandlungen innerhalb der Reichsregierung sowie zwischen Regierung und Reichsrat waren von einem Verständigungsansatz geprägt. Die Vetospieler tauschten sachliche Argumente aus und versuchten, ihren Gegenpart von diesen zu überzeugen. So konnte sich kein Vetospieler mit einer Einzelposition durchsetzen. Dies gelang nur, wenn ein Vorschlag von einem Großteil der Vetospieler geteilt wurde. Das Fehlen von Konfliktstrategien war freilich auch der schwachen Position der Länder geschuldet. Im politischen System der Weimarer Republik war der Reichsrat gar nicht in der Lage, glaubhaft mit dem Abbruch von Verhandlungen zu drohen, da die Reichsregierung einen Gesetzentwurf notfalls auch ohne die volle Zustimmung des Reichsrats in Kraft setzen konnte. Auffallend ist der immer noch große Einfluss Preußens auf die Verhandlungen zwischen den Vetospielern. Dabei setzte sich Preußen – im Großen und Ganzen – wie im Kaiserreich für die Belange der freien Aktionäre ein. Auch die Hansestädte Hamburg und Bremen nahmen wie im Kaiserreich rege an den Verhandlungen teil und versuchten, den Gesetzentwurf in ihrem Sinne zu ändern. Im Fall der Hansestädte hieß dies: stärkere Bewahrung des Status quo der 1920er Jahre. Preußen und mit Abstrichen auch die Hansestädte konnten sich innerhalb des Reichsrats also eine gewisse Vetomacht bewahren. 131 In der Formulierung taucht implizit wieder der Gedanke auf, dass die Gesellschaft als eigenständige Rechtspersönlichkeit einen Selbstzweck hat. Neben die Aktionäre als klassische Stakeholder tritt zudem die Allgemeinheit, worunter zunächst die Gesamtwirtschaft und der Staat zu verstehen sind. 132 Im Fall des Auskunftsrechts der Aktionäre trat das Reichsjustizministerium selbst von der Fassung des ersten Entwurfs zurück. Schon während der kommissarischen Besprechungen präferierte das Ministerium ein Verweigerungsrecht des Vorstands, das von einer Minderheit aufgehoben werden konnte. In diesem Fall blieb dem Vorstand jedoch noch die Möglichkeit, die Auskunft aufgrund des überwiegenden Interesses der Gesellschaft oder der Allgemeinheit zu verweigern. Reichsjustizministerium, Kommissarische Beratungen (1930/31) sowie Ders., E 2 (1931), § 88.

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Dies scheint für Bayern nicht mehr der Fall gewesen zu sein, dessen Einfluss auf die hier dargestellten Verhandlungen nur sehr gering war. Dies kontrastiert stark mit der Rolle, die Bayern im Bundesrat des Deutschen Kaiserreiches spielte. Der Schwerpunkt der Vetomacht lag jedoch ohnehin nicht beim Reichsrat, sondern bei der Reichsregierung und hier besonders beim Reichsjustizministerium und dem Reichswirtschaftsministerium. Zuletzt soll noch auf eine Kontinuität der Verhandlungen von 1883/84 und 1930/31 verwiesen werden. Wie im Kaiserreich wurde auch in der Weimarer Republik das Problem der Mehrebenenverhandlung durch eine Inklusionsstrategie gelöst. Die Einbindung des Reichsrats durch kommissarische Besprechungen in der Frühphase des Gesetzgebungsprozesses war verfassungsrechtlich nicht vorgesehen, entwickelte sich aber zur Praxis in der Weimarer Republik.133 Die Verhandlungen über das neue Aktiengesetz wurden nach der Fertigstellung des zweiten Entwurfs, wie bereits erwähnt, nicht fortgesetzt. Stattdessen entschloss man sich vor dem Hintergrund der Bankenkrise, einen Teil des Gesetzentwurfs, der die neuen Bilanzierungsvorschriften, die Vorschriften zur Pflichtprüfung sowie die den Aufsichtsrat betreffenden Regeln beinhaltete, in Form einer Notverordnung in Kraft treten zu lassen. Die Verhandlungen über die Notverordnung zeitigten jedoch keine grundsätzlich neuen Verhandlungsergebnisse. Erwähnenswert ist lediglich die Intervention des Reichsinnenministeriums, das in der Kabinettssitzung vom 19. September 1931 auf die Bedenken des Reichsverbands der Industrie bezüglich der Offenlegung der Haftungsverhältnisse, der Gesamtbezüge des Aufsichtsrats und des Vorstands sowie der Verbindlichkeiten aus Bürgschaften, Wechselbürgschaften, Scheckbürgschaften und Garantieverträgen hinwies. Deren Offenlegung hätte das Vertrauen in die deutsche Industrie auf dem Höhepunkt der Banken- und Wirtschaftskrise wahrscheinlich weiter erschüttert. Auf Vorschlag des Reichskanzlers wurde daraufhin eine Bestimmung in die Notverordnung aufgenommen, die die Vorschriften über Bilanz und GuV zunächst aussetzte.134 Nicht zuletzt enthielt die Notverordnung auch eine Bestimmung, die die Zahl der Aufsichtsratsmitgliedschaften pro Person auf 20 Mandate festlegte und die Gesamtzahl des Aufsichtsrats einer Gesellschaft auf 30 Personen begrenzte.135 In der Weimarer Republik war fast ausschließlich das Reichsjustizministerium mit Vetomacht ausgestattet. Es absorbierte den optimalen Politikpunkt des Reichswirtschaftsministeriums und konnte fast alle Elemente seines Politikpunkts durchsetzen. Mit Abstand folgten das Preußische Handelsministerium und die Stadtstaaten Bremen und Hamburg, denen es ebenfalls gelang, einen 133 Der besondere Teil der gemeinsamen Geschäftsordnung der Reichsministerien vom 01.08.​ 1924 sah in § 28 die Beteiligung des Reichsrats im Frühstadium der Gesetzgebungsarbeit vor. Siehe: Deutsches Reich, Geschäftsordnung 1927. 134 Deutsches Reich, Verordnung des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über die Steueramnestie, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1931 Heft 63 (19.09.1931), Art. XIII. 135 Ebd., Art. VIII.

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Teil ihres optimalen Politikpunkts in den Regierungsentwurf einzubringen. Das Reichsarbeitsministerium, das als einziges Mitglied der Reichsregierung mit eigenen Reformvorstellungen hervortrat, hatte dagegen keine Vetomacht. Mit dem Reichsjustizministerium hielt wie im Kaiserreich wieder der Agendasetzer die größte Vetomacht. Das Recht, eine Entscheidungsvorlage ausarbeiten zu dürfen, scheint also auch in der Weimarer Republik positiv auf die Vetomacht einzelner Spieler gewirkt zu haben. Die große Agendamacht des Reichsjustizministeriums hing aber auch hier von der relativen Lage der optimalen Politikpunkte der Vetospieler ab. So bildete innerhalb der Reichsregierung lediglich das Reichsarbeitsministerium eigene Präferenzen aus, und auch Preußen und Hamburg schlugen nur in relativ wenigen Punkten Änderungen vor. Aufgrund der schwachen verfassungsrechtlichen Position des Reichsrats, der mehr einem Beratungsgremium der Reichsregierung als einem eigenständigen Vetospieler glich, war die Verhandlungsmacht der Landesregierungen jedoch deutlich eingeschränkt. Zudem hatte sich mit dem Reichstag der zweite wichtige Vetospieler der Weimarer Republik spätestens seit den Juliwahlen 1932 selbst ausgeschaltet. Es war also auch in Weimar die aktuelle Akteurskonstellation, die die Position des Agendasetzers so wertvoll machte. Die nie stattgefundene Abstimmung über den zweiten Regierungsentwurf aus dem Sommer 1932 stellt sicherlich ein großes Problem dar, möchte man Aussagen über den Zusammenhang von politischen Institutionen und Verteilung von Vetomacht treffen. Zwar sollte der optimale Politikpunkt der Regierungskoalition in einer parlamentarischen Republik in der Regel bereits die Wünsche der Koalitionsfraktionen beinhalten, unter dem Notverordnungsregime und der Möglichkeit, den Reichstag jederzeit auflösen zu können, ist dies aber nicht gesichert. Es ist daher interessant, kontrafaktisch zu fragen, welchen Effekt eine funktionierende Weimarer Demokratie auf das Verhandlungsergebnis und die Verteilung von Vetomacht gehabt hätte. Um einen solchen Kontrafakt zu konstruieren, ist lediglich anzunehmen, dass das Kabinett Brüning I noch bis zum Ablauf der Legislaturperiode im Jahr 1934 weiterregiert hätte und zuverlässig durch die SPD toleriert worden wäre.136 In diesem Fall hätten der Regierungskoalition 322 von 288 für die einfache Mehrheit notwendige Stimmen zur Verfügung gestanden. Dabei hätten wohl die Wünsche der SPD besondere Berücksichtigung verlangt, da sie mit 143 Abgeordneten mit Abstand die größte Fraktion stellte.137 Im Reichstag trat die SPD für eine Stärkung des Betriebsrats ein, indem sie die Sitzungen der Aufsichtsratsausschüsse für alle Aufsichtsrats136 Im Kabinett Brüning I waren vertreten: DDP, DVP, Zentrum, CNBL, BVP, KVP und bis Dezember 1930 die Wirtschaftspartei. Vgl. zur Zusammensetzung des Kabinetts Brüning: Akten der Reichskanzlei, Die Regierung Brüning, S. XX–XLVI. Siehe auch: Falter u. a., S. 45. 137 Als nächstgrößte Fraktionen stellte die NSDAP 107 und die KPD 77 Abgeordnete, darauf folgten das Zentrum mit 68 Abgeordneten, die DNVP mit 41, die DVP mit 30, die Wirtschaftspartei mit 23 und die DDP mit 20 sowie BVP und CNBL mit je 19 Abgeordneten. Die restlichen 30 Sitze verteilten sich auf Splitterparteien. Vgl. Falter u. a., S. 44.

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mitglieder öffnen wollte.138 Daneben forderte die SPD, die Ausgabe neuer Mehrstimmrechtsaktien von der Zustimmung des Reichswirtschaftsministeriums abhängig zu machen.139 Ob diese Forderungen vom Zentrum und den Parteien des rechten, mit der Industrie verbundenen Spektrums akzeptiert worden wären, ist unklar.140 Die Verhandlungen des vorläufigen Reichswirtschaftsrats geben aber Hinweise auf die Kompromissbereitschaft der Wirtschaft. Bei dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat handelte es sich um ein auf dem Rätegedanken aufbauendes, paritätisch aus Arbeitgebern, Arbeitnehmern und freien Berufen besetztes Beratungsgremium der Reichsregierung, das in der Regel bei allen wirtschaftspolitischen Gesetzesvorhaben zu hören war.141 Dem Reichswirtschaftsrat wurde der zweite Entwurf des Reichsjustizministeriums am 21. September 1932 vorgelegt.142 Das Gremium bildete einen aktienrechtlichen Ausschuss, der den Entwurf bis Mitte Januar 1933 durchberiet. In den Verhandlungen waren die Arbeitgeber offenbar bereit, die Beteiligung aller Aufsichtsratsmitglieder an den Ausschusssitzungen zu akzeptieren, sofern es möglich blieb, im Fall einer Gefährdung der Interessen der Allgemeinheit oder der Gesellschaft im Geheimen zu tagen.143 Die Zulassung neuer Mehrstimmrechtsaktien durch den Reichswirtschaftsminister stieß dagegen auf Ablehnung. Es fand sich aber eine Mehrheit, die das Mehrstimmrecht auf das fünffache der Stammaktien beschränken wollte und die Hauptversammlung nach Ablauf von fünf Jahren obligatorisch mit einfacher Kapitalmehrheit über den Fortbestand des Mehrstimmrechts abstimmen lassen wollte.144 Bis auf die hier genannten Punkte stieß der Entwurf der Reichsregierung aber sowohl bei Arbeitnehmervertretern als auch bei den Vertretern der Industrie- und Bankenverbände auf große Akzeptanz.145 Es ist also zu vermuten, dass der Entwurf aus dem Jahr 1932 mit einer gewissen Stärkung des Betriebsrats und der freien Aktionäre in Kraft getreten wäre. Die Agendamacht des Reichsjustizministeriums wäre dadurch kaum eingeschränkt worden. Die Vetomacht des Reichstags wäre als bemerkbar, aber im Vergleich zum Reichsjustizministerium oder dem Reichstag des Jahres 1884 wesentlich geringer zu charakterisieren. Dies lag allerdings wiederum daran, dass die optimalen Politikpunkte der Reichstagsparteien beziehungsweise der durch diese 138 Vgl. den als Reaktion auf die Notverordnung formulierten Antrag Breitscheid und Genossen, Nr. 1182 vom 14.10.1931, in: BArch, R 43-I/1082. 139 Ebd. 140 Besonders die DVP stand dem RDI nahe, die Arbeitgeberverbände waren stärker mit der DNVP verbunden. Siehe: Benz u. Büttner, S. 450; Stürmer, Koalition, S. 240–242. 141 Schubert, Aktienrechtsreform, S. 9–18. 142 Ebd., S. 64. 143 Vgl. für das Folgende Hachenburg. 144 Zudem sollten Mehrstimmrechtsaktien einen Mindestnennbetrag von 500 Mark haben. 145 Die »versuchte Versöhnung« (Hachenburg, S. 824) der verschiedenen Reformlager wurde ausdrücklich begrüßt. Bis auf die im Text genannten Änderungsvorschläge gab es keine größeren Bedenken. Erwähnenswert erscheint lediglich die Forderung nach einer Bestimmung, die die Vertretung von Minderheiten im Aufsichtsrat an einen längeren Aktienbesitz binden sollte. Ebd., S. 827.

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vertretenen Interessengruppen, soweit diese in groben Zügen rekonstruierbar sind, nicht weit von dem optimalen Politikpunkt des Reichsjustizministeriums entfernt lagen. Ebenfalls erwähnenswert erscheint, dass die Hinzunahme eines Vetospielers in dieser Akteurskonstellation das Verhandlungsergebnis kaum verändert hätte. Aussagen zu Abstimmungsregel und Entscheidungssequenz erscheinen an dieser Stelle wenig sinnvoll, da hierzu keine belastbare Datenbasis existiert. So ist nicht zu rekonstruieren, welche unterschiedlichen Reformvorstellungen innerhalb der Reichstagsfraktionen vorherrschten. Die Verhandlungen über den Gesetzentwurf fanden zudem mehr oder weniger auf derselben Politikebene statt. Ganz allgemein lassen sich aber die Aussagen, die für das Kaiserreich über eine Änderung der Abstimmungsregel des Reichstags getroffen wurden, auf die Weimarer Republik übertragen

3.3 Nationalsozialismus Im Gegensatz zu den späten 1920er und frühen 1930er Jahren, während denen das Reichsjustizministerium einer Verbesserung des Aktionärsschutzes gegenüber dem Status quo den Vorzug gab, zeigte es ab 1935 klare Präferenzen für eine Stärkung des Vorstands und anderer Stakeholder zu Lasten des Aufsichtsrats und der freien Aktionäre. So sollte der Vorstand nach dem ersten Entwurf des Reichsjustizministeriums vom Mai / Juni 1935 (E 1 1935) mehr Entscheidungskompetenzen erhalten.146 Der Entwurf sprach dem Vorstand das alleinige Recht auf die Führung der Geschäfte (§ 101 E 1 1935), die Feststellung von Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Gewinnverteilung zu (§ 124 E 1 1935) – alles Rechte, die bisher in den Händen der Generalversammlung und damit der Aktionäre gelegen hatten.147 Daneben sollte die Generalversammlung, jetzt Hauptversammlung genannt, das Recht auf die Anstellung des Vorstands und die Beschränkung von dessen Geschäftsführungskompetenzen verlieren (§§ 73, 74 E 1 1935). Das Recht auf Beschränkung der Geschäftsführungskompetenzen sowie Anstellung und Entlassung sollte auf den Aufsichtsrat übergehen.148 Die Entlassung des Vorstands sollte dabei nur bei Vorliegen wichtiger Gründe möglich sein. Die Hauptversammlung sollte nur noch über die Entlastung von 146 Der maschinenschriftliche Entwurf findet sich in: BArch, R 3001/20541. 147 Die Mitsprache der Aktionäre war nur noch als Option vorgesehen. So konnte der Vorstand die Hauptversammlung über ausgewählte Geschäftsführungsfragen entscheiden lassen. Stimmte der Aufsichtsrat der Feststellung des Jahresabschlusses und der Gewinnverteilung nicht zu, musste die Hauptversammlung zur Entscheidung angerufen werden (§§ 101, 124 E 1 1935, in: BArch, R 3001/20541). 148 Die Geschäftsführungskompetenzen des Vorstands nach innen konnten durch die Satzung beschränkt werden.

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Vorstand und Aufsichtsrat abstimmen können (§ 124 E 1 1935). Innerhalb des Vorstands sollten die Entscheidungsstrukturen streng hierarchisch nach dem Führerprinzip geordnet werden. Paragraph 69 sah vor, dass bei einem mehrgliedrigen Vorstand der zwangsweise zu ernennende Vorsitzende (§ 74 E 1 1935) als »Führer« der Aktiengesellschaft zu gelten hatte, der bei Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Gremiums die letzte Entscheidung traf. Im Vergleich zu der Stärkung der Position des Vorstands sah der Entwurf des Reichsjustizministeriums vom Mai / Juni 1935 nur eine unerhebliche Stärkung der Aktionäre bei der Durchsetzung von Minderheitenrechten vor. Der Entwurf verlangte für die Geltendmachung der Minderheitenrechte statt einer sechs- eine dreimonatige Frist und erleichterte die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch die Minderheit, wenn der Anspruch auf einem durch eine Sonderprüfung aufgedeckten Fehlverhalten von Vorstand oder Aufsichtsrat basierte (§§ 188, 121, 122 E 1 1935).149 Daneben stärkte der Entwurf die Position der Aktionäre bei Entscheidungen über Kapitalerhöhungen und den Ausschluss des Bezugsrechts, indem er in diesen Fällen eine Mehrheit von Dreivierteln der abgegebenen Stimmen verlangte (§§ 147, 151 E 1 1935). Diese Mehrheitsanforderung konnte allerdings durch die Satzung aufgehoben werden.150 Der Aufsichtsrat sollte auf seine Kontrollfunktionen zurückgedrängt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, übernahm der Entwurf die Vorschriften der Notverordnung zur periodischen Berichtspflicht des Vorstands und den Individualrechten der Aufsichtsratsmitglieder bezüglich Auskunfts- und Einberufungsrecht (§§ 80, 92, 94 E 1 1935).151 Zusätzlich sah der Entwurf des Reichsjustizministeriums vor, dem Aufsichtsrat explizit das Recht zu entziehen, Geschäftsführungsaufgaben zu übernehmen (§ 94 E 1 1935) und das Gremium zu verkleinern.152 Gesellschaften mit einem Grundkapital unter drei Millionen Reichsmark sollten lediglich sieben, solche mit einem Grundkapital zwischen

149 Die zur Geltendmachung des Schadensersatzes notwendige Kapitalquote sollte für diesen Fall von zehn auf fünf Prozent gesenkt werden. 150 Ebenfalls zu den Schutzrechten zu zählen ist die schon 1930/31 diskutierte Generalklausel (§ 99 E 1 1935, in: BArch, R 3001/20541), die eine Schadensersatzpflicht für diejenigen Personen stipulierte, die zur Erreichung eines gesellschaftsfremden Sondervorteils für sich oder einen Dritten Einfluss auf Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats ausübten. Da sich diese Klausel nicht nur gegen Aktionäre wand, die der Verwaltung nahestanden, sondern auch auf freie Aktionäre anwendbar war, ist ihre Schutzwirkung ex ante nicht eindeutig. Im Kern handelt es sich um die Anerkennung des Prinzips, dass das Unternehmen an sich ein schützenswertes Rechtsgut darstellt. Vgl. Spindler, S. 481. 151 Eine kleine Änderung sah der Entwurf in Bezug auf das Auskunftsrecht vor. Verweigerte der Vorstand dem Aufsichtsratsmitglied die Auskunft, war die Unterstützung des Aufsichtsratsvorsitzenden, und nicht eines weiteren einfachen Aufsichtsratsmitglieds, notwendig. 152 Die Verkleinerung des Gremiums sollte der Stärkung der Aufsichtsfunktion dienen, denn zur Kontrolle sei ein zu großer Aufsichtsrat »hierfür […] nicht geeignet«. Siehe die Begründung zum zweiten Entwurf (S. 139), in: BArch, R 3001/20542.

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Offenlegungsverpflichtungen

RJM, MinH

SQ1937

SQ1931= RWM, RIM

SQ1920s

Aktionärsschutz Anmerkungen: SQ1920s = Status Quo der 1920er Jahre, SQ1931 = Status Quo nach Erlass der Notverordnung im September 1931; SQ1937 = Status Quo des Aktiengesetzes von 1937; RJM = Reichsjustizministerium; MinH = Ministerium des Stabs des Führerstellvertreters Heß (NSDAP); RWM = Reichswirtschaftsministerium; RIM = Reichsinnenministerium.

Abb. 11: Status Quo, optimale Politikpunkte der Veto-Spieler und Verhandlungsergebnis des Jahres 1937.

drei Millionen und 20 Millionen Reichsmark maximal zwölf und solche mit einem Grundkapital über 20 Millionen Reichsmark höchstens 20 Aufsichtsratsmandate vergeben (§ 85 E 1 1935). Die Zahl der Mandate, die eine Person auf sich vereinigen durfte, wurde ebenfalls auf 20 gedeckelt.153 Wie bereits in den Entwürfen von 1930 und 1931 vorgesehen, sollte ein Entsendungsrecht für die Inhaber bestimmter Aktien eingeführt werden. Dadurch sollte vor allem die Position der öffentlichen Hand in den Aufsichtsräten gemischt-wirtschaftlicher 153 Die hier beschriebenen Beschränkungen wurden bereits durch die Notverordnung aus dem Jahr 1931 eingeführt. Artikel VIII der Notverordnung setzt die Maximalzahl des Aufsichtsrats unabhängig von der Höhe des Grundkapitals auf 30 Personen fest. Die Mandatszahl pro Aufsichtsratsmitglied wurde ebenfalls auf 20 Mandate begrenzt. Siehe: Deutsches Reich, Verordnung des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über die Steueramnestie, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1931 Heft 63 (19.09.1931), Art. VIII.

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Unternehmen gestärkt werden.154 Anders als noch im zweiten Weimarer Entwurf vorgesehen, hatte das Reichsjustizministerium nicht mehr die Absicht, die Vertretung von Minderheiten im Aufsichtsrat zu stärken – der entsprechende Artikel fand sich im Entwurf von 1935 nicht mehr wieder.155 Die Entmachtung von Aufsichtsrat und Aktionären zeigt sich noch in weiteren Bestimmungen des Entwurfs, die erstmals anderen Stakeholdern eine gewisse Beteiligung an den strategischen Entscheidungen der Gesellschaft zugestehen wollten. So sah der Entwurf des Reichsjustizministeriums vor, den Vorstand darauf zu verpflichten, sich in seiner Geschäftsführung an dem »Wohl des Betriebes und der Gefolgschaft« sowie dem »Nutzen von Volk und Reich« zu orientieren (§ 69 E 1 1935). Die Kapitalgeber wurden mit keinem Wort erwähnt. Auch wenn es sich bei Paragraph 69 um eine bloße Soll-Vorschrift ohne konkrete Kompetenzzuweisungen handelte, zeigt sie doch, wie sehr sich das gesellschaftliche Verständnis der Aktiengesellschaft geändert hatte.156 Die Rendite der Aktionäre stand nach dem Verständnis des Reichsjustizministeriums nicht im Zentrum der Verantwortung des Vorstands. Die gewachsene Bedeutung der Gesellschaft an sich und seiner Angestellten zeigt sich noch an weiteren Stellen im Entwurf des Reichsjustizministeriums. Die Vergütungen von Vorstand und Aufsichtsrat sollten in Zukunft an die wirtschaftliche Lage des Unternehmens gebunden werden, das Gehalt des Vorstands sollte sogar einseitig durch den Aufsichtsrat gekürzt werden können, sollte sich die Lage der Gesellschaft mit der Zeit verschlechtern (§§ 77, 96 E 1 1935).157 Neben der Gesellschaft und ihren Angestellten trat, wie bereits angedeutet, der Staat als weiterer Stakeholder stärker in den Vordergrund. Zum einen übertrug der Entwurf dem Reichsjustizministerium und dem Reichswirtschaftsministerium in vielen Fällen die Möglichkeit, Ausnahmeregelungen zu schaffen beziehungsweise Durchführungsverordnungen zu erlassen.158 Zum anderen sollte die Reichsregierung das weit in die Vertragsfreiheit eingreifende Recht erhalten, Aktiengesellschaften aufzulösen, sollten sich die Aktien alle in einer Hand befinden (§ 198 E 1 1935) beziehungsweise das Allgemeinwohl gefährden oder gegen die Grundsätze verantwortungsbewusster Wirtschaftsführung verstoßen (§ 281 E 1 1935).159 Vor allem in der Bestimmung des Paragraphen 198 zeigt sich die Präferenz des 154 Vgl. die Begründung zum zweiten Entwurf, S. 140, in: BArch, R 3001/20542. 155 In der Begründung zum zweiten Entwurf (S. 140) heißt es ganz klar: »Minderheiten sind nicht berechtigt, Vertreter in den Aufsichtsrat zu entsenden.« 156 Vgl. auch Mertens, Aktiengesetz, S. 99. 157 Die Möglichkeit der Reduzierung des Gehalts des Vorstands in wirtschaftlich schlechten Zeiten sollte sich auch auf die Ruhegehälter ehemaliger Vorstandsmitglieder erstrecken. 158 Etwa bei den Regeln zur Bestellung öffentlicher Wirtschaftsprüfer (§ 139), Ausnahmen von der Gliederung der Bilanz und der GuV (§ 131) und der Pflichtprüfung (§ 140) sowie beim Mindestnennbetrag der Aktien (§ 8) und dem Erwerb eigener Aktien (§ 64). Zitiert nach: BArch, R 3001/20541. 159 Mertens, Aktiengesetz, S. 103, sieht in der Bestimmung des § 281 die »bewusste Zersetzung des überkommenen rechtsstaatlichen Fundaments im privaten Wirtschaftsrecht«.

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Reichsjustizministeriums, die Rechtsform Aktiengesellschaft im Vergleich zu Personengesellschaften unattraktiver zu machen.160 Die Präferenz des Reichsjustizministeriums, die Mitsprache der Aktionäre zu Gunsten des Vorstands einzuschränken, fand ihren Niederschlag auch in den Bestimmungen zum Stimmrecht. Zwar sah der Entwurf des Reichsjustizministeriums vor, die Neuschaffung von Mehrstimmrechtsaktien zu untersagen (§ 12 E 1 1935) und das Stimmrecht bestehender Mehrstimmrechtsaktien bis zum 31.12.1940 auslaufen zu lassen sowie nicht voll eingezahlten Aktien nur ein proportionales Stimmrecht zuzugestehen (§ 113 E 1 1935).161 Der Wegfall des Mehrstimmrechts und der Möglichkeit zur Schaffung von Schutzaktien sollte jedoch durch die Einführung eines Vorstandsstimmrechts in Höhe von 20 Prozent des Stimmrechts der übrigen Teilnehmer an der Hauptversammlung kompensiert werden (§ 114 E 1 1935). Einzige Einschränkung der Macht des Vorstands war das Vetorecht des Aufsichtsrats, der der Ausübung des Vorstandsstimmrechts widersprechen konnte.162 Da das Vorstandsstimmrecht aber auch für die Wahl und Abwahl des Aufsichtsrats gelten sollte und dessen Vetorecht in diesem Fall ruhte, erlaubte der Entwurf des Reichsjustizministeriums dem Vorstand, einen ihm loyalen Aufsichtsrat zu benennen. Neben der Einführung des Vorstandsstimmrechts sah der Entwurf des Reichsjustizministeriums eine weitere Neuerung im Stimmrecht vor: die Begrenzung des Bankenstimmrechts. Depotkunden sollten den Banken nun separate Vollmachtsurkunden ausstellen müssen, die nur für 15 Monate gültig sein sollten und nicht zwischen den Banken übertragen werden durften. Zudem sollten die Banken gezwungen werden, die Namen der Aktieninhaber bei der Anmeldung der von ihnen vertretenen Aktien anzugeben. Hier zeigt sich wieder die Präferenz des Reichsjus160 Dies zeigt sich auch in der Einführung eines Mindestgrundkapitals von 500.000 RM für neuzugründende Aktiengesellschaften (§ 7). In der Begründung zum zweiten Entwurf heißt es auf Seite 120 dazu: »Nach nationalsozialistischer Auffassung kann die Aktiengesellschaft nur da zugelassen werden, wo es sich darum handelt, ein Unternehmen auf breiter geldlicher Grundlage zu schaffen […]. Im Übrigen soll der Unternehmer die persönliche Verantwortung uneingeschränkt tragen.« Die Begründung findet sich in: BArch, R 3001/20542. 161 Die Bestimmung, wonach das Stimmrecht erst mit der Volleinzahlung beginnen sollte, blieb erhalten. Die Satzung konnte allerdings Ausnahmen zulassen. In diesem Fall musste sich das Stimmrecht aber am eingezahlten Grundkapital orientieren. Die Schaffung von Schutzaktien war somit nicht mehr möglich. Der erste Entwurf regelte die Frage, wie bestehende Mehrstimmrechte zu behandeln sein sollten, noch nicht. Erst der Entwurf zum Einführungsgesetz des zweiten Entwurfs traf in § 9 entsprechende Aussagen. Der Paragraph legte den 31.12.1940 als Stichtag fest, das Reichswirtschaftsministerium konnte in Übereinstimmung mit dem Reichsjustizministerium aber Ausnahmen zulassen. Das Einführungsgesetz findet sich in: Ebd. 162 Das Vorstandsstimmrecht galt zudem nicht, wenn damit Minderheitenrechte geltend gemacht werden sollten. Das Stimmrecht des Vorstands ruhte ebenfalls, wenn die Haupt­ versammlung über die Bildung einer Sonderprüfungskommission zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beziehungsweise über deren Verzicht entscheiden sollte.

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tizministeriums, gegen die Anonymität des Kapitals vorzugehen. Der Entwurf erschwerte so den Banken die Vertretung der Aktien ihrer Depotkunden und schwächte damit ihre Position auf der Hauptversammlung. Die Präferenz des Reichsjustizministeriums, den Einfluss der Banken auf die Aktiengesellschaften zurückzudrängen, zeigt sich auch an anderer Stelle. Die Begrenzung der Aufsichtsratsmandate pro Kopf und die Verkleinerung der Aufsichtsräte traf vor allem die Großbanken, die in vielen Aufsichtsräten deutscher Aktiengesellschaften vertreten waren und deren leitende Manager viele Aufsichtsratsposten auf sich vereinten.163 Bezüglich der Gewinnbezugsrechte und der damit verbundenen Frage der Bildung stiller Reserven machte der Entwurf des Reichsjustizministeriums, bis auf den Verlust des Rechts der Aktionäre, über die Gewinnverteilung entscheiden zu können, keine wesentlichen neuen Vorschläge. Die Entscheidung über die Gewinnverteilung stellt allerdings ein sehr wichtiges Aktionärsrecht dar, und der Entzug dieses Rechts kann als ein bedeutender Eingriff in die Verfügungsgewalt über das Privateigentum gewertet werden. Im Fall der Offenlegungsvorschriften übernahm der Entwurf des Reichs­ justizministeriums das Paket des Entwurfs aus dem Jahr 1931 und der Notverordnung. Die obligatorische Pflichtprüfung und die Pflichtangaben des Geschäftsberichts wurden somit genauso beibehalten wie die Gliederungsvorschriften von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung. Neu eingeführt wurde das in den Entwürfen von 1930 und 1931 vorgesehene, aber nicht in der Notverordnung enthaltene Auskunftsrecht der Aktionäre über Gegenstände, die mit den auf der Hauptversammlung verhandelten Themen zusammenhingen, wobei dem Vorstand ein sehr weitgehendes Auskunftsverweigerungsrecht eingeräumt wurde (§ 111 E 1 1935).164 Die im Vergleich zu den Jahren 1930 und 1931 sehr deutliche Präferenzverschiebung des Reichsjustizministeriums hin zu einer Schwächung des Aktionärsschutzes sticht besonders im Vergleich zur Position des Reichswirtschaftsministeriums heraus. Das zu diesem Zeitpunkt durch den ehemaligen Großbankier Hjalmar Schacht165 in Personalunion mit der Reichsbank geführte Wirtschaftsressort sprach sich während der ersten kommissarischen Be163 Fohlin, History; Windolf. 164 Der Vorstand konnte die Auskunft unter Hinweis auf das Wohl der Gesellschaft oder eines beteiligten Unternehmens beziehungsweise dem gemeinen Nutzen von Volk und Reich verweigern. Die Entscheidung darüber legte der Entwurf in das Ermessen des Vorstands. Die Entwürfe aus den Jahren 1930 und 1931 hatten für diesen Fall den Widerspruch der Generalversammlung beziehungsweise einer Minderheit und die Schaffung eines Schlichtungsverfahrens durch eine neutrale Stelle vorgesehen. Reichsjustizministerium, E 1 (1930), §§ 86–91 und Ders., E 2 (1931), §§ 88–94. 165 Schacht (* 22.01.1877 † 03.06.1970) war zwischen 1923 und 1930 und dann wieder ab März 1933 Reichsbankpräsident. Von Mitte 1934 bis Ende November 1937 hatte Schacht zusätzlich das Amt des Reichswirtschaftsministers inne. Im Januar 1939 wurde er auch als Reichsbankpräsident entlassen. Für eine ausführliche Biographie Schachts siehe: Kopper.

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sprechung vom 8. Oktober 1935 sehr deutlich gegen eine Übertragung natio­ nalsozialistischer Prinzipien auf ein Wirtschaftsgesetz aus.166 Insbesondere wandte sich das Reichswirtschaftsministerium gegen die Übernahme des Führerprinzips im Vorstand der Aktiengesellschaft.167 Der Vertreter des Reichswirtschaftsministeriums bezeichnete dessen Einführung als ein »Unding«.168 Dem Vorstandsvorsitzenden könne »keine schrankenlose Verfügung über die Aktiengesellschaft eingeräumt werden«. Gerade in der Konzentration von Entscheidungsbefugnissen in einer Hand, so der Vertreter des Wirtschaftsministeriums, liege eine große Gefahr für die Gesellschaft, denn »fast jeder größere Zusammenbruch sei auf die Überspitzung des Führerprinzips zurückzuführen«. Das Reichswirtschaftsministerium präferierte folglich die Beibehaltung des Kollegialprinzips, also Beibehaltung der gemeinsamen Zeichnungsbefugnis des Vorstands nach außen und keiner »monarchischen« Entscheidungsstruktur nach innen. In dieser Position wurde das Reichswirtschaftsministerium durch die Vertreter des Reichsfinanzministeriums unterstützt. Auch in weiteren entscheidenden Punkten sprach sich das Reichswirtschaftsministerium gegen die Vorschläge des Reichsjustizministeriums und für die Bewahrung des Status quo aus. In den Augen des Reichswirtschaftsministeriums sollte die Entscheidung über die Gewinnverteilung unbedingt den Aktionären zustehen, und auch über Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung sollten die Aktionäre entscheiden dürfen. An dieser Stelle verteidigte das Ministerium also die Position der freien Aktionäre. Dies gilt auch für das vom Reichswirtschaftsministerium opponierte Vorstandsstimmrecht. Hier trat das Reichswirtschaftsministerium, unterstützt von Reichsbank und Reichsfinanzministerium, in der kommissarischen Besprechung als ein »entschiedener Gegner auf«. Das Reichswirtschaftsministerium äußerte allerdings auch Bedenken gegen einen generellen Wegfall des Mehrstimmrechts. Besonders für die öffentliche Hand wollte es Ausnahmen zulassen. Dazu sollte das Reichswirtschaftsministerium ermächtigt werden, über

166 Das Protokoll der kommissarischen Besprechung vom 08.10.1935 findet sich in: BArch, R 3001/10228. Die Besprechung fand im Reichsjustizministerium unter dem Vorsitz von Justizminister Gürtner statt. Neben Vertretern des Reichswirtschaftsministeriums und der Reichsbank nahmen auch Vertreter des Reichsjustiz-, des Reichsfinanz-, des Reichsarbeits- sowie des Reichsinnenministeriums und des Ministeriums des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, der Wirtschaftsbeauftragte des Führers, Hans Kehrl und zwei Vertreter der Akademie für Deutsches Recht, Ebbecke und Kißkalt, an der Besprechung teil. Reichswirtschaftsminister Schacht war nicht anwesend. In der Folge konzentriert sich die Darstellung auf die Position der in der Besprechung vertretenen Vetospieler. Die Position der Akademiemitglieder und des Wirtschaftsberaters des Führers wird demnach vernachlässigt. 167 Während seiner Zeit als Reichswirtschaftsminister versuchte Schacht, eine ideologische Überformung der Wirtschaftspolitik zu verhindern. Siehe Kopper, S. 251–253. 168 Dieses und die folgenden Zitate nach dem Protokoll der kommissarischen Besprechungen vom 08.10.1935, in: BArch, R 3001/10228.

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entsprechende Ausnahmegenehmigungen zu entscheiden.169 Dies zeigt, dass es auch dem Reichswirtschaftsministerium in erster Linie nicht um einen Ausbau des Aktionärsschutzes, sondern um die Bewahrung des Status quo ging, wie er sich nach Erlass der Notverordnung aus dem Jahr 1931 darstellte. Auch in anderen Punkten hatte das Reichswirtschaftsministerium einen leicht abweichenden optimalen Politikpunkt. So wollte es sicherstellen, dass das Entsendungsrecht nur der öffentlichen Hand zugutekommen sollte. Die vom Reichsjustizministerium vorgesehene Begrenzung der entsandten Aufsichtsratsmitglieder sollte dann fallen.170 Im Übrigen akzeptierte das Reichswirtschaftsministerium zwar die Staffelung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder nach der Höhe des Grundkapitals, forderte aber, für bestimmte Unternehmen Ausnahmen zuzulassen. Zudem erschienen den Vertretern des Reichswirtschaftsministeriums die Voraussetzungen für die Herabsetzung des Gehalts des Vorstands als zu hart. Sie setzten sich daher dafür ein, die Kürzungen der Gehälter nur bei »wesentlichen Verschlechterungen« greifen zu lassen und nicht auf Ruhebezüge auszudehnen.171 In Bezug auf die Neuregelung des Bankenstimmrechts akzeptierte das Reichswirtschaftsministerium zwar die Einführung spezieller Vollmachtsurkunden, wendete sich aber gegen die Vorschrift, wonach die Banken gezwungen sein sollten, die Namen der Inhaber der von ihnen vertretenen Aktien bei der Anmeldung zur Hauptversammlung offenzulegen. Daneben kritisierte das Reichswirtschaftsministerium noch das Verbot, Depotstimmrechte an eine dritte Bank weiter zu verleihen.172 Auch in einem letzten – nicht originär mit Fragen des Aktionärsschutzes und der Offenlegung in Verbindung stehendem – Punkt zeigten sich Differenzen zwischen dem Reichswirtschaftsministerium und dem Reichsjustizministerium. Ersteres forderte die Ent­scheidungskompetenz für viele Ausnahmegenehmigungen und Durchfüh-

169 Neben dem Protokoll der kommissarischen Besprechung siehe das Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an das Reichsjustizministerium vom 12.08.1935, in: BArch, R 3001/​10228. 170 Siehe das Protokoll der kommissarischen Besprechung und das Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an das Reichsjustizministerium vom 25.03.1936, in: BArch, R 3001/10229. 171 Siehe das Schreiben von Ministerialrat Bernard (Reichswirtschaftsministerium) an Ministerialrat Quassowski (Reichsjustizministerium) vom 06.11.1935, in: BArch, R 3001/10228. 172 Siehe das Protokoll der kommissarischen Besprechung vom 08.10.1935, in: BArch, R 3001/10228. Daneben wies das Reichswirtschaftsministerium auf einige Lücken im Entwurf des Reichsjustizministeriums hin. So konnte nach der Regelung zum Stimmrecht in dem Fall, dass alle Aktien nicht volleingezahlt waren, das Stimmrecht erst beginnen, wenn der Aktionär mehr als eine Aktie besaß. Diese Lücke sollte geschlossen werden. Zudem bemängelte das Reichswirtschaftsministerium, dass es dem Vorstand nicht möglich sei, von sich aus den Aufsichtsrat zu berufen. Auch diese Lücke sollte geschlossen werden. Siehe das Protokoll der kommissarischen Besprechung des Gesetzentwurfs vom 08.10.1935 sowie den sich anschließenden Schriftwechsel zwischen den Ministerien, in: BArch, R 3001/10228 und BArch, R 3001/10229.

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rungsvorschriften für sich, da sie dem Bereich der Wirtschaft zuzuordnen seien, für den das Wirtschaftsministerium die Zuständigkeit in der Reichsregierung beanspruchte.173 In dem Konflikt ging es hauptsächlich um die Frage, welchem Ressort die Federführung bei der Entscheidung zustehen sollte. Gleichzeitig verteilte das Gesetz aber auch Vetomacht bezüglich verschiedener aktienrechtlicher Ausnahmegenehmigungen und anderer Entscheidungen. Neben dem Reichswirtschaftsministerium beteiligte sich vor allem das Reichsinnenministerium an den Verhandlungen über die Ausgestaltung des Aktienrechts. Ähnlich wie das Reichswirtschaftsministerium sprach sich auch das Innenministerium gegen die Einführung des Führerprinzips und die gestiegene Macht des Vorstands aus. Das Innenministerium handelte jedoch aus einer anderen Motivation heraus. Während der optimale Politikpunkt des Reichswirtschaftsministeriums den Status quo beinhaltete, wollte das Innenministerium lediglich die Position staatlicher Gebietskörperschaften in gemischtwirtschaftlichen Unternehmen – in der Regel Versorgungsunternehmen in kommunalem Besitz  – sicherstellen. In der hierarchischen Ordnung des Vorstands, dessen Macht, die Gewinnverteilung zu bestimmen, und dem Vorstandsstimmrecht sah das Innenministerium eine Schwächung der Position der öffentlichen Hand.174 Es sprach sich daher für eine Sonderbehandlung solcher Unternehmen aus, an denen staatliche Gebietskörperschaften beteiligt waren. Dazu gehörte auch die Aufrechterhaltung des Mehrstimmrechts und die Aufhebung des Verbots der Einmanngesellschaft – zumindest insofern staatliche Gebietskörperschaften beteiligt waren.175 Um die Position der öffentlichen Hand in den Aufsichtsräten zu stärken, forderte das Innenministerium zudem, das Entsendungsrecht der öffentlichen Hand auszuweiten; für Unternehmen, an denen staatliche Gebietskörperschaften beteiligt waren, sollte die Begrenzung der entsandten Aufsichtsräte auf ein Drittel der Gesamtzahl des Gremiums nicht gelten.176 Da für rein kommunale Unternehmen strengere Regeln für die Bilanzprüfung bestanden, verlangte das Reichsinnenministerium eine Anpassung des Aktienrechts in diesem Bereich, um Umgehungsstrategien zu vermeiden.177 173 Siehe das Schreiben von Ministerialrat Bernard (Reichswirtschaftsministerium) an Ministerialrat Quassowski (Reichsjustizministerium) vom 06.11.1935, in: BArch, R 3001/10228, sowie den Vermerk über eine Besprechung zwischen den beiden Ressorts vom 01.04.1936, in: BArch, R 3001/10229. 174 Siehe das Protokoll der kommissarischen Besprechungen vom 08.10.1935, in: BArch, R 3001/10228, sowie das Schreiben des Reichsinnenministeriums an das Reichsjustizministerium vom 03.12.1935, in: BArch, R 3001/10229. 175 Laut Innenministerium kam es vor, dass sich der Energieversorgung dienende Aktiengesellschaften komplett in kommunaler Hand befanden. Siehe das Schreiben des Reichsinnenministeriums an das Reichsjustizministerium vom 02.10.1935, in: BArch, R 3001/10228. 176 Siehe das Schreiben des Reichsinnenministeriums an das Reichsjustizministerium vom 03.12.1935, in: BArch, R 3001/10228. 177 Schreiben des Reichsinnenministeriums an das Reichsjustizministerium vom 02.10.1935, in: BArch, R 3001/10228.

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Ansonsten äußerten sich weder das Innenministerium noch das Wirtschaftsministerium weiter zu den vom Reichsjustizministerium vorgeschlagenen Offenlegungsvorschriften, so dass in diesem Fall von einer Übereinstimmung der optimalen Politikpunkte der drei Ressorts ausgegangen werden kann. Die Präferenzen des Reichsinnenministeriums scheinen stark von einem Ressortegoismus getrieben gewesen zu sein. In den Verhandlungen ging es ihm hauptsächlich darum, die Position des Staates und seiner Gebietskörperschaften in der Wirtschaft nicht zu verschlechtern.178 Dieser Ressortegoismus zeigt sich auch in der Diskussion darüber, welche Ministerien bei den zahlreichen im Gesetz vorgesehenen Ausnahmegenehmigungen beteiligt werden sollten und welchem Ministerium die Federführung übertragen werden sollte. Das Reichsinnenministerium beanspruchte in einigen Fällen  – insbesondere bei der Regelung des Mehrstimmrechts – ein Mitspracherecht und wollte unbedingt die Federführung des Reichswirtschaftsministeriums verhindern, da dieses einer staatlichen Beteiligung am Wirtschaftsleben eher skeptisch gegenüberstand.179 Zwar nahmen Vertreter der NSDAP an der kommissarischen Besprechung über den ersten Entwurf Anfang Oktober 1935 teil, in die Verhandlungen über die Ausgestaltung des Aktienrechts, die in der Ausarbeitung eines zweiten Entwurfs durch das Reichsjustizministerium im Mai 1936 mündeten, griffen sie jedoch nicht maßgeblich ein und überließen den Fachressorts das Feld.180 In der kommissarischen Besprechung wurde rasch klar, dass besonders zwischen dem Reichsjustiz- und dem Reichswirtschaftsministerium bedeutende Differenzen bestanden. In mehreren Besprechungen auf Sachbearbeiter- und Führungsebene und diversen Schriftwechseln versuchten die beiden Ressorts ihre Unstimmigkeiten beizulegen. Gleichzeitig stand das Reichsjustizministerium auch mit dem Reichsinnen- und dem Reichsfinanzministerium in Kontakt. Dabei bemühten sich die beteiligten Ressorts auf der einen Seite um eine Verständigung mittels sachlicher Argumente. Die Drohung, die Verhandlungen abzubrechen, wurde nie offen ausgesprochen. Auf der anderen Seite machten Reichswirtschaftsministerium und Reichsinnenministerium schon früh deutlich, welche roten Linien nicht überschritten werden dürften, wenn man dem Gesetzentwurf zustimmen sollte. In Summe lässt sich daher von einer gemischten Strategie sprechen, bestehend aus argumentativen und konfrontativen Elementen. Die Aufnahme

178 Dies kann an weiteren Einwürfen des Innenministeriums festgemacht werden. So sprach es sich in den kommissarischen Besprechungen vom 08.10.1935 gegen die Begrenzung der Vertragslaufzeit des Vorstands auf fünf Jahre aus (§ 74 E 1 1935, in: BArch, R 3001/20541), da die Kommunen die Stellung des Vorstands in vielen Fällen an die Beamtenlaufbahn anglichen. 179 Siehe die kommissarische Besprechung zum zweiten Entwurf vom 07.11.1936, in: BArch, R 3001/10229, sowie das Schreiben des Reichsinnenministeriums an das Reichsjustiz­ ministerium vom 23.12.1936, in: BArch, R 3001/20532. 180 Der zweite Entwurf findet sich in: BArch, R 3001/20542.

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von Konfliktelementen in die Verhandlungsstrategien des Reichswirtschaftsministeriums und des Reichsinnenministeriums ist auch ein Zeichen für die den beiden Ministerien zukommende Vetomacht. Diese zeigt sich auch im Entgegenkommen des Reichsjustizministeriums. Der zweite Entwurf vom Mai 1936 verzichtete auf die Führerrhetorik und die strikte Umsetzung des Führerprinzips. Zwar sollte der Vorstandsvorsitzende weiterhin bei Meinungsverschiedenheiten im Vorstand entscheiden, der Aufsichtsrat war jetzt jedoch nicht mehr gezwungen, einen Vorsitzenden des Vorstands zu benennen (§§ 70, 75 E 2 1936). Verzichtete der Gesellschaftsvertrag auf eine entsprechende Regelung, blieb also das Kollegialsystem erhalten. Auch zur Willenserklärung nach außen sollte nun wieder der Vorstand als Gesamtgremium, und nicht einzig der Vorsitzende, berechtigt sein (§ 71 E 2 1936). Die durch Reichswirtschaftsministerium und Reichsinnenministerium kritisierte Feststellung der Gewinnverteilung durch den Vorstand wurde wieder der Hauptversammlung übertragen (§ 126 E 2 1936). Allerdings konnte die Hauptversammlung nur der vom Vorstand vorgelegten und vom Aufsichtsrat gebilligten Gewinnverteilung zustimmen oder den Reingewinn gänzlich von der Verteilung ausschließen, eine größere Ausschüttung zugunsten der Aktionäre sollte die Hauptversammlung dagegen nicht beschließen können. Des Weiteren sollte die Hauptversammlung auch wieder die Kompetenzen des Vorstands nach innen beschränken können (§ 74 E 2 1936). Ansonsten blieb es aber bei den vom Reichsjustizministerium vorgeschlagenen Einschränkungen.181 Es war also weiterhin der Vorstand, der im Zusammenspiel mit dem Aufsichtsrat die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung feststellte, die Gewinnverteilung im Wesentlichen bestimmte und in alleiniger Verantwortung die Geschäfte führte. Auch was die Einschränkungen der Kompetenzen des Aufsichtsrats und die Stellung der anderen Stakeholder anging, blieb es bei den Vorschlägen des Reichsjustizministeriums. Ein Zugeständnis machte das Ministerium lediglich bei der Maximalzahl der Aufsichtsratsmitglieder – hier konnten Gesellschaften nun mit Ausnahmegenehmigungen größere Aufsichtsgremien bilden (§ 86 E 2 1936). Das von den Fachressorts kritisierte Vorstandsstimmrecht wurde vom Reichsjustizministerium fallengelassen. Als Ersatz wurde das Mehrstimmrecht nicht gestrichen. Zwar sprach Paragraph zwölf des zweiten Entwurfs weiterhin ein Verbot von Mehrstimmrechtsaktien aus; der Paragraph ließ aber Ausnahmen durch das Reichswirtschaftsminis­ terium und das Reichsjustizministerium zu. Bestehende Mehrstimmrechts­ aktien sollten laut Paragraph neun des Entwurfs des Einführungsgesetzes nach dem 31. Dezember 1940 ihre Gültigkeit verlieren, aber auch hier blieben Ausnahmen zulässig.182 In der endgültigen Fassung des Einführungsgesetzes fiel auch

181 Im zweiten Entwurf sind alle verlangten Dreiviertelmehrheiten nicht mehr an die Stimmenzahl der Aktien, sondern an das durch die Aktie vertretene Grundkapital gebunden, so dass Kapitalsperrminoritäten entstehen. 182 Der Entwurf des Einführungsgesetzes findet sich in: BArch, R 3001/20542.

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dieses Stichdatum.183 Das Datum der Abschaffung bestehender Mehrstimmrechtsaktien sollte jetzt durch die Reichsregierung festgelegt werden. Dazu kam es jedoch nicht. In der dritten Durchführungsverordnung zum Aktiengesetz vom 21. Dezember 1938 wurde lediglich die Möglichkeit der Einziehung von Mehrstimmrechtsaktien nach den Regeln der ordentlichen Kapitalherabsetzung eingeführt.184 Zuletzt akzeptierte das Reichsjustizministerium auch eine Aufweichung in den Einschränkungen des Depotstimmrechts der Banken. Paragraph 113, Absatz 4 des zweiten Entwurfs verlangte nun nicht mehr die Offenlegung der Namen der vertretenen Aktionäre und erlaubte wieder die Übertragung des Depotstimmrechts an eine dritte Bank. Das Reichsjustizministerium kam den anderen Ressorts auch in kleineren Punkten entgegen. So findet sich die vom Reichsinnenministerium kritisierte Auflösung der Aktiengesellschaft durch das Gericht für den Fall, dass sich alle Aktien in einer Hand befanden, im zweiten Entwurf nicht mehr wieder (§ 203 E 2 1936). Aber auch das Reichswirtschaftsministerium fand mit seinen unwesentlicheren Beanstandungen Gehör. So wurde die Reduzierung der Vorstandsgehälter an strengere Voraussetzungen gebunden und für Ruhegehäl­ter ganz gestrichen (§ 78 E 2 1936). Auch bei der Größe des Aufsichtsrats kam das Justizministerium den Bedenken der anderen Ressorts entgegen und ließ durch das Reichswirtschaftsministerium zu bewilligende Ausnahmen zu (§ 86 E 2 1936). Lediglich im Fall des Entsendungsrechts ging es nicht auf die Forderung des Innenministeriums und des Wirtschaftsministeriums ein, das Entsendungsrecht lediglich für Gesellschaften, an denen staatliche Gebietskörperschaften beteiligt waren, zuzulassen. Zuletzt gelang es den Ressorts, sich auch auf die Federführung und Beteiligung an Ausnahmeentscheidungen zu einigen. Hier kam es zu einem regelrechten Kuhhandel zwischen dem Reichswirtschafts- und dem Reichsjustizministerium, die begannen, einzelne Entscheidungskompetenzen gegeneinander zu tauschen.185 An diesem Spiel beteiligte sich auch das Reichsinnenministerium, dem es gelang, an für das Ressort wichtigen Ausnahmeentscheidungen, wie etwa Ausnahmen vom Wegfall des Mehrstimmrechts, beteiligt zu werden. Der Stab des Führerstellvertreters Heß hielt sich lange Zeit mit eigenen Reformvorstellungen zurück. Erst nach Fertigstellung des zweiten Entwurfs trat er aktiv in die Verhandlungen ein und verzögerte mit seinen Forderungen nach Einschätzung Schuberts den Gesetzgebungsprozess.186 In einer Besprechung mit dem Reichswirtschaftsministerium und dem Reichsjustizministerium sprach 183 Siehe: Deutsches Reich, Einführungsgesetz zum Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1937 Heft 15 (04.02.1937). 184 Bayer u. Engelke, S. 654, Fn. 206. 185 Vgl. den Vermerk über eine Besprechung zwischen dem Reichsjustiz- und dem Reichswirtschaftsministerium vom 01.04.1936, in: BArch, R 3001/10229. 186 Schubert u. a., S. XL–L.

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sich der Stab des Führerstellvertreters Heß dafür aus, die Zahl der Aufsichtsratsmandate pro Kopf auf fünf beziehungsweise zehn zu reduzieren und die Gewinnbeteiligung von Aufsichtsrat und Vorstand an die Aufwendungen des Unternehmens für soziale Zwecke zu binden.187 In der Besprechung mit den beiden Fachressorts erklärte sich das Ministerium bereit, Ausnahmen von der Maximalzahl der Aufsichtsratsmandate pro Kopf zuzulassen. Die daraus erwachsenden Gewinnbeteiligungen sollten jedoch nicht in die Taschen der Aufsichtsräte fließen, sondern an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt abgeführt werden.188 Dem Stab des Führerstellvertreters Heß und der NSDAP ging es vor allem darum, die nationalsozialistische Wirtschaftsideologie im Aktienrecht zu implementieren.189 Dort wo die Debatten in die technischen Details hineingingen, hielten sich die Mitarbeiter des Führerstellvertreters allerdings zurück und bildeten keine Präferenzen beziehungsweise übernahmen die Präferenzen der anderen Vetospieler. Bei der Bindung der Gewinnbeteiligung an die sozialen Aufwendungen des Unternehmens sowie bei der Reduzierung der Aufsichtsratsmandate von 20 auf zehn Mandate pro Kopf konnte der Stab des Führerstellvertreters Heß einen Erfolg verbuchen; auch wenn es im ersteren Fall noch weitergehen wollte und im zweiten Fall eine durch Reichswirtschafts- und Reichsjustizministerium zu autori­sierende Ausnahmegenehmigung akzeptieren musste. Auch die Abführung der Gewinnbeteiligung an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt konnte der Stab des Führerstellvertreters nicht durchsetzen. Auf wichtige Elemente der nationalsozialistischen Ideologie wie etwa der Einführung des Führerprinzips musste er ebenfalls verzichten. Alles in allem kann die Vetomacht der Parteigremien auf die Gestaltung des Aktienrechts in den Verhandlungen innerhalb der Reichsregierung als nicht besonders groß beschrieben werden. Anscheinend gelang es dem Stab des Führerstellvertreters nicht, einen glaubhaften Drohpunkt aufzubauen, der die anderen Fachressorts dazu gezwungen hätte, stärker auf die Forderungen der Partei einzugehen. Letztendlich ließ sich der Stab des Stellvertreters des Führers mit Hilfe sachlicher Argumente über-

187 Besprechungsnotiz des Reichsjustizministeriums vom 31.10.1936, in: BArch, R 3001/10229. In einem Schreiben des Vertreters des Ministeriums des Führerstellvertreters Heß, Sommer, an den Staatssekretär im Reichsjustizministerium, Schlegelberger, vom 03.11.1936 erklärte sich die NSDAP bereit, eine Maximalzahl von zehn Aufsichtsratsposten pro Kopf zu akzeptieren. Das Schreiben findet sich in: Ebd. Die Begrenzung der Gewinnbeteiligung wurde auch vom Wirtschaftsbeauftragten der Reichskanzlei befürwortet. Siehe das Schreiben Wilhelm Kepplers an das Reichsjustizministerium vom 30.11.1935, in: Ebd. 188 Siehe das Schreiben Sommers an Schlegelberger vom 03.11.1936, in: BArch, R 3001/10229. 189 So entsprach es auch der Wirtschaftsideologie des Nationalsozialismus, auf dem Verbot der Einmanngesellschaft und der ausschließlichen Zulassung der AG für Handelsunternehmen zu beharren und so die ungeliebte Rechtsform zurückzudrängen. Siehe die Besprechungsnotiz des Reichsjustizministeriums vom 31.10.1936, in: BArch, R 3001/10229.

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zeugen. Die geringe Vetomacht des die Parteiinteressen repräsentierenden Stabs des Führerstellvertreters mag auch in seiner späten Einbindung in die Verhandlungen begründet sein. Der Stellvertreter des Führers nahm erst wieder an den Verhandlungen teil, nachdem sich die Fachministerien auf eine gemeinsame Linie geeinigt hatten und der allgemeine Wunsch aufkam, das Gesetz bald zu verabschieden.190 Inwiefern die späte Einbindung selbst gewählt war, weil der notwendige Sachverstand fehlte, oder ob nicht vielmehr die Fachressorts die Partei absichtlich aus ihren Verhandlungen im Winter 1935/36 herausgehalten haben, ist ungewiss. Andere Gesetzgebungsprozesse weisen allerdings darauf hin, dass die Beteiligung der Partei an der Gesetzgebung bei den Fachressorts auf Widerstand stieß und die Tendenz vorherrschte, den Stab des Führerstellvertreters Heß – obwohl er als beteiligtes Ministerium galt – erst sehr spät in die Entwurfsarbeiten einzubeziehen.191 Hinzu kam, dass innerhalb der NSDAP oft verschiedene Ansichten miteinander konkurrierten, es also keinen eindeutigen Parteiwillen gab, den es durchzusetzen galt.192 Daneben gilt Heß in der Forschung als nicht besonders durchsetzungsstark, was auch bei anderen Konflikten zwischen Heß und Schacht deutlich wurde.193 Die Isolierung des Führerstellvertreters kann auch rein geographisch begründet gewesen sein – anders als die Fachministerien war der Stab des Stellvertreters des Führers in München angesiedelt, die zuständigen Mitarbeiter waren daher schwerer greifbar als die der übrigen Ressorts. Die geringe Vetomacht des Führerstellvertreters darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Aktiengesetz von 1937 in Bezug auf den Ausbau der Entscheidungskompetenzen des Vorstands und die stärkeren Eingriffsrechte des Staats in die Aktiengesellschaft nationalsozialistischen Vorstellungen durchaus entgegenkam.194 Durchgesetzt wurden diese Elemente jedoch vom Reichsjustizministerium und nicht durch das Ministerium des Stellvertreters des Führers. Im »Dritten Reich« verteilte sich Vetomacht relativ gleichmäßig auf das Reichsjustiz-, das Reichswirtschafts- und, mit Abstrichen, auf das Reichsinnenministerium. Dem die NSDAP repräsentierenden Stab des Führerstellvertreters Heß gelang es dagegen kaum, den eigenen Politikpunkt gegenüber den Fach­ ministerien durchzusetzen.

190 Reichsjustizminister Gürtner wollte das Gesetz schon Ende April 1936 in das Reichskabinett einbringen. Siehe das Schreiben Gürtners an Reichswirtschaftsminister Schacht vom 22.04.1936, in: BArch, R 3001/10229. 191 Mertens, Rechtsetzung, S. 37; Rebentisch, S. 739–740. Dazu mag auch die Persönlichkeit von Walther Sommer, dem Leiter der politischen Abteilung des Ministeriums des Führerstellvertreters Heß, beigetragen haben. Rebentisch, S. 739, beschreibt ihn als problematischen, wenig konzilianten und den radikalen Positionen der Bewegung zugewandten Charakter. 192 Broszat, S. 311–312. 193 Ebd.; Kopper, S. 265. 194 Vgl. Mertens, Aktiengesetz.

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Die Zuordnung von Agendamacht war im Nationalsozialismus also nicht so wichtig wie in der Weimarer Republik und dem Kaiserreich. Hier zeigt sich wieder, dass Agendamacht zwar Vetomacht beeinflussen kann, diese aber nicht determiniert. Dass in der Weimarer Republik und dem Kaiserreich die Vetomacht der Agendasetzer vergleichsweise groß war, lag unter anderem daran, dass die optimalen Politikpunkte der Agendasetzer nahe bei den optimalen Politikpunkten der meisten anderen Vetospieler lagen. Nach der gleichen Logik brachte das Recht, den anderen Spielern einen Entscheidungsvorschlag unterbreiten zu können, im »Dritten Reich« weniger Verhandlungsvorteile mit sich, da die optimalen Politikpunkte des Agendasetzers (des Reichsjustizministeriums) auf der einen und des Reichswirtschafts- und Reichsinnenministeriums auf der anderen Seite weiter auseinanderlagen. Gleichzeitig zwang die Geschäftsordnungsvorschrift der Reichsregierung, wonach Gesetzesvorlagen zunächst von den beteiligten Fachministerien auszuarbeiten und dabei eventuelle Differenzen auszuräumen seien, die genannten Ministerien jedoch, einen Kompromiss auszuhandeln.195 Verstärkt wurde dieser Zwang durch die Verschiebung der Abstimmungsregel im Reichskabinett zu einem faktischen Einstimmigkeitsprinzip, da nun Meinungsverschiedenheiten zwischen den beteiligten Fachministerien, anders als in der Weimarer Republik, nicht mehr durch eine Abstimmung im Reichskabinett gelöst werden konnten, sondern im Vorfeld der Kabinettssitzung zu beseitigen waren. Die Vetomacht des Reichswirtschafts- und des Reichsinnenministeriums lässt sich also zum Teil auf ihre Stellung als beteiligte Fachressorts in Kombination mit dem Zwang der Zustimmung aller am Gesetzgebungsverfahren beteiligter Ministerien zurückführen. Auch hier lässt sich wieder kontrafaktisch argumentieren. Wäre es möglich gewesen, einen Gesetzentwurf im Reichskabinett durch Beratung und einen anschließenden einfachen Mehrheitsentscheid in Kraft zu setzen, hätte das Reichsjustizministerium die Änderungswünsche des Reichswirtschaftsministeriums ignorieren können, sofern sich genügend andere Minister für den Entwurf des Justizressorts ausgesprochen hätten. Die gleiche Logik gilt natürlich auch für das Reichswirtschaftsministerium. In beiden Fällen wäre allerdings die Vetomacht des einen Spielers auf Kosten des anderen höher ausgefallen. Die Stellung eines beteiligten Fachministeriums hatte der Stab des Führerstellvertreters Heß aufgrund der Verordnung vom 27. Juni 1934 ebenfalls inne, so dass man auch für diesen Vetospieler eine mit den anderen Spielern vergleichbare Vetomacht erwarten könnte.196 Die Vetomacht des Führerstellvertreters blieb allerdings bescheiden. Erklären lässt sich dieser Widerspruch mit dem von den Fachministerien wahrscheinlich aktiv geförderten Ausschluss des Ministeriums von der ersten Verhandlungsrunde. Dessen späte Einbindung in den Entscheidungsprozess erhöhte anscheinend den Druck, auf weitgehende Ände195 Deutsches Reich, Geschäftsordnung 1927, § 26. 196 Rundschreiben des Reichskanzlers an die Reichsminister vom 27.07.1934, in: Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, I, S. 1381–1382 (Dokument Nr. 380).

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rungswünsche zu verzichten. Erfolgreich war diese Strategie des »Überfahrens« vermutlich jedoch nur, weil Heß innerhalb des Kabinetts, und insbesondere gegenüber Reichswirtschaftsminister Schacht, nicht besonders durchsetzungsstark war. So waren es auch im politischen System des Nationalsozialismus konkrete Akteurskonstellationen, die innerhalb des von den politischen Institutionen gesetzten Handlungsrahmens die Verteilung von Vetomacht bestimmten. Lässt sich die Bedeutung von Agendamacht, Entscheidungssequenz und Abstimmungsregel für die Verteilung von Vetomacht für das »Dritte Reich« recht gut herausarbeiten, ist dies für einen Effekt der Veränderung der Zahl der Vetospieler nur schwer möglich. Ein sinnvoller Kontrafakt, der die Zahl der Vetospieler im System des Nationalsozialismus erhöht, ist kaum möglich, da fast keine Informationen über die optimalen Politikpunkte der anderen Reichsministerien existieren. Ihre Politikpunkte wurden anscheinend durch die der hier beschriebenen Ministerien absorbiert. Gleiches scheint für den optimalen Politikpunkt Hitlers zu gelten. Die Zahl der Vetospieler über das Reichskabinett hinaus zu erhöhen, erscheint dagegen nicht plausibel, da es ja gerade im Wesen der NSDiktatur lag, die Vetospieler der Weimarer Republik auszuschalten.

3.4 Die Bedeutung von Vetomacht, Akteurskonstellationen und politischen Institutionen, 1870 bis 1937 Ordnet man die optimalen Politikpunkte der Vetospieler entsprechend des präferierten Grades von Aktionärsschutz und Offenlegungsverpflichtungen, ergibt sich folgendes Bild: Im Kaiserreich waren es Preußen und die Reichsämter sowie das Zentrum und die konservativen Parteien, die die Position der Aktionäre bei der Kontrolle der Gesellschaft gegenüber Vorstand und Aufsichtsrat stärken wollten. Bayern und insbesondere Hamburg und die liberalen Parteien betonten dagegen die Gefahr, die aus der vermehrten Zuordnung von Residualrechten an die Aktionäre entstehen könnte. Im Prinzip vertrat diese Gruppe bereits im 19. Jahrhundert die Auffassung, dass das Unternehmen an sich ein schützenswertes Rechtsgut sei.197 Dieser Konflikt zwischen den Befürwortern eines strengeren Aktionärsschutzes und den Befürwortern einer Stärkung der Gesellschaft und seiner Führungsorgane mit dem Argument des Schutzes der Gesellschaft vor den Eigeninteressen der Aktionäre stellt einen Grundkonflikt dar, der in jeder der hier untersuchten Reformverhandlungen aufflammte. Offenlegungsfra197 Die Lehre von »Unternehmen an sich« wurde nach dem Ersten Weltkrieg von Walter Rathenau entwickelt. Aufbauend auf der Idee, dass das Unternehmen ein schützenswertes Rechtsgut sei, ging Rathenau einen Schritt weiter. Aufgrund der gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Funktionen, die eine Aktiengesellschaft ausüben konnte, sah er es als gerechtfertigt an, die Verfügungsgewalt der Aktionäre über die Gesellschaft aufzuheben. Diese Überlegungen waren eng mit der Idee der Gemeinwirtschaft verknüpft. Vgl. Schubert, Aktienrechtsreform, S. 25–26, und Spindler, S. 448–454.

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gen spielten im Kaiserreich eine untergeordnete Rolle, die Trennlinien zwischen den Vetospielern verliefen aber ähnlich wie beim Aktionärsschutz.198 Im Vergleich zum Kaiserreich setzten sich die Vetospieler in den Verhandlungen am Ende der Weimarer Republik weniger pointiert für einen Ausbau des Aktionärsschutzes ein. In den Verhandlungen ging es vielmehr darum, inwieweit man zum Status quo des Handelsgesetzbuchs von 1897 zurückkehren wollte und inwiefern der Rechtsentwicklung seit 1900 Rechnung zu tragen sei. Die aktionärsfreundlichste Position nahm dabei das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe ein, das sich für eine deutliche Einschränkung von Mehrstimmrechten, die Bindung der Vergütungen der Führungsorgane an die Gewinnbeteiligung der Aktionäre und die Vertretung von Minderheiten im Aufsichtsrat einsetzte. Das Preußische Handelsministerium war damit sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik ein Verfechter des Ausbaus beziehungsweise der Wiederherstellung der Kontrollrechte der Aktionäre. Das Reichsjustizministerium und das Reichswirtschaftsministerium tendierten dagegen Anfang der 1930er Jahre stärker dazu, den Führungsorganen – insbesondere dem Vorstand – die Spielräume, die sich diese Gremien durch die wilde Weiterentwicklung des Aktienrechts in den 1920er Jahren erarbeitet hatten, zu erhalten. Aber auch diese beiden Ressorts setzten sich für eine Einschränkung der Mehrstimmrechte und eine bessere Kontrolle des Unternehmens durch den Aufsichtsrat ein, ohne allerdings die Kontrollrechte der freien Aktionäre erweitern zu wollen. Der Grundsatz, dass die Gesellschaft an sich ein eigenständiges Rechtsgut darstellt, das wie die Aktionäre durch das Gesetz geschützt werden müsse, hatte sich in den frühen 1930er Jahren bei allen beteiligten Vetospielern durchgesetzt. Bezüglich der Offenlegungsstandards enthielt der optimale Politikpunkt aller Vetospieler eine deutliche Erweiterung. In der Einführung einer detaillierten Gliederung von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung, Pflichtangaben im Geschäftsbericht, einem – in der Notverordnung von 1931 nicht umgesetzten – Auskunftsrecht und allen voran der Einführung einer obligatorischen Bilanzprüfung durch unabhängige Wirtschaftsprüfer liegt sicherlich der große Beitrag des 1931 abgebrochenen Gesetzgebungsprozesses der Weimarer Republik. In den Verhandlungen der Weimarer Republik ging es im Kern um die Frage, ob man den Status quo der 1920er Jahre akzeptieren und in Gesetzesform bringen oder den Zustand des späten 19. Jahrhunderts wiederherstellen sollte. Letztere Option stand in den Verhandlungen über das Aktienrecht im »Dritten Reich« nicht mehr zur Disposition. Jetzt ging es um die Frage, ob der Status quo der 1920er Jahre erhalten werden sollte, oder ob der Vorstandsvorsitzende gemäß dem Führerprinzip gegenüber den Aktionären weiter gestärkt werden und anderen Stakeholdern wie Belegschaft und Staat größerer Einfluss auf die 198 Wie bei den Minderheitenrechten sahen die Gegner eines Ausbaus des Aktionärsschutzes in einer größeren Offenlegung die Gefahr des Missbrauchs durch Konkurrenten oder Spekulanten.

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Unternehmenskontrolle gewährt werden sollte. Für die Bewahrung des Status quo der 1920er Jahre setzten sich im »Dritten Reich« hauptsächlich das Reichswirtschafts- und das Reichsinnenministerium ein. Beide Ressorts nahmen in den Verhandlungen damit die aktionärsfreundlichste Position ein. Das Reichsjustizministerium und die NSDAP setzten sich dagegen für eine Stärkung des Vorstandsvorsitzenden und eine Entmachtung der Generalversammlung ein. So sollten alle wichtigen Entscheidungskompetenzen auf den Vorstand übergehen, dessen Vorsitzender nahezu alleine entscheidungs- und handlungsberechtigt sein sollte. Daneben betonten diese Vetospieler die Bedeutung der Belegschaft, der Gesamtwirtschaft und des Staates für die Aktiengesellschaft – nicht aber die der freien Aktionäre. Die Überlegung, die entmachteten Aktionäre mit einem Ausbau der Offenlegungsstandards zu kompensieren, war auch im »Dritten Reich« Bestandteil der optimalen Politikpunkte aller Vetospieler. Hier zeigt sich die Kontinuität der Verhandlungsprozesse in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. In der Tat baute der Entwurf des Reichsjustizministeriums aus dem Jahr 1935 auf dem zweiten Entwurf eines Aktiengesetzes des Jahres 1931 auf, fügte ihm aber an vielen Stellen ideologisch motivierte Änderungen an.199 Einigen Vetospielern gelang es besser, ihren optimalen Politikpunkt im Verhandlungsprozess durchzusetzen als anderen  – diese Spieler hielten folglich große Vetomacht. Im Kaiserreich war die Vetomacht der Preußischen Ministerien, des Reichsamts des Inneren und der liberalen Reichstagsparteien besonders stark ausgeprägt. Der Reichstag – um auf die im zweiten Kapitel skizzierte Debatte zurückzukommen – stellte folglich einen eigenständigen Machtfaktor im politischen System des Kaiserreichs dar. Aber auch der Bundesrat, hier vor allem Bayern und die anderen Mittelstaaten, konnten wichtige Elemente ihrer Politikpunkte gegenüber der Reichsleitung durchsetzen. Hamburg gelang es dagegen kaum, mit seiner den Bundesratsentwurf ablehnenden Position durchzudringen. In der Weimarer Republik hielt vor allem das Reichsjustizministerium Vetomacht. Eine gewisse Vetomacht kam, trotz der Schwächung des Reichsrats in der Verfassung der Weimarer Republik, immer noch Preußen und mit weiteren Abstrichen den Hansestädten zu. Der Reichstag und die Parteien hatten zu dem Zeitpunkt der Verhandlungen über das Aktienrecht die Verantwortung für die Gesetzgebung bereits an das Präsidialkabinett Brünings abgegeben. Folglich hielten sie keine Vetomacht mehr. Im politischen System des Nationalsozialismus verteilte sich die Vetomacht gleichmäßiger auf das Reichsjustiz-, das Reichswirtschafts- und das Reichsinnenministerium. Der Einfluss der NSDAP – repräsentiert durch den Stab des Führerstellvertreters Heß – war dagegen begrenzt. So gelang es dem Stab des Stellvertreters des Führers nicht, die Wiedereinführung des Führerprinzips durchzusetzen, nachdem sich die Fachministerien auf dessen Abschaffung geeinigt hatten. Festzuhalten bleibt, dass kein Vetospieler absolute Vetomacht besaß, er seinen optimalen Politikpunkt also nicht unumschränkt 199 Vgl. Mertens, Aktiengesetz.

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durchsetzen konnte. Das Ergebnis der Verhandlungen war immer Folge eines Kompromisses. Die Durchsetzung des eigenen optimalen Politikpunkts hing von der Wahl der Verhandlungsstrategie ab. Den Vetospielern standen – leicht vereinfacht – zwei Handlungsalternativen zur Verfügung. Sie konnten eine Konfliktstrategie wählen und versuchen, ihre Position mit der Drohung des Verhandlungsabbruchs durchzusetzen, oder sie konnten sich bemühen, ihre Verhandlungspartner mit Hilfe sachlicher Argumente zu überzeugen. Eine solche Verständigungsstrategie auf Basis sachlicher Argumente war die Regel. Daneben ist aber auch die Wahl von Konfliktstrategien, wie etwa bei den liberalen Parteien im Reichstag, zu beobachten. Dabei handelte es sich jedoch nicht um reine Strategien, sondern um eine Mischung aus Verständigungs- und konfrontativen Strategien.200 Neben Konflikt- und Konfrontationsstrategien ist ein dritter Typus zu unterscheiden. Bei sequenziellen Verhandlungen, wie sie im Mehrebenensystem des Kaiserreichs – aber auch in den Verhandlungen des Kabinetts im »Dritten Reich« – vorkamen, war es möglich, das Verhandlungsergebnis durch den Zeitpunkt der Einbindung der anderen Vetospieler zu beeinflussen. So sollten die kommissarischen Besprechungen zwischen Preußen und den Reichsämtern sicherstellen, dass zwischen diesen Spielern bestehende Differenzen beseitigt waren, bevor die Verhandlungen im Bundesrat aufgenommen wurden. Die gleiche Überlegung stand hinter der Beteiligung preußischer und bayrischer Bundesratsbevollmächtigter an den Sitzungen der Reichstagskommission. Um eine Verzögerung oder Blockade der Gesetzgebung zu verhindern, wurden die Verhandlungen zwischen Reichstag und Bundesrat in diejenigen der Reichstagskommission integriert. Eine Umkehr der beschriebenen Strategie ist ebenfalls zu beobachten. So setzte Preußen die übrigen Mitglieder des Bundesrats mit der knappen Ansetzung des Abstimmungstermins über die Bundesratsvorlage unter Entscheidungsdruck. Den übrigen Vetospielern blieb weniger Zeit zur Prüfung des Vorschlags des Agendasetzers, der Formulierung eines eigenen Politikpunkts und der Entwicklung von Argumenten zu dessen Durchsetzung. Eine ähnliche Ausschlussstrategie ist auch im »Dritten Reich« zu beobachten. Obwohl einiges dafürspricht, ist nicht ganz klar, ob die Fachressorts die NSDAP absichtlich von den Verhandlungen über den Gesetzentwurf fernhielten. Dem Stab des Führerstellvertreters Heß wäre es aber sicherlich einfacher gefallen das Führerprinzip aufrechtzuerhalten, wenn es schon vor Ausarbeitung des zweiten Entwurfs aktiv in die Verhandlungen zwischen den Reichsministerien eingebunden gewesen wäre. Politische Institutionen beeinflussten Vetomacht sowie die Wahl der Verhandlungsstrategien, indem sie den Handlungsrahmen absteckten, innerhalb dessen sich die Vetospieler bewegten. Der konkrete Effekt des institutionellen Arrangements auf die Verteilung von Vetomacht und Verhandlungsstrategien 200 Voraussetzung für eine erfolgreiche Konfliktstrategie ist dabei, wie glaubwürdig die Drohung mit dem Abbruch der Verhandlungen ist.

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hing jedoch immer auch von den gegebenen Akteurskonstellationen ab. Am deutlichsten wird dies im Fall des Agendasetzers. Das Recht, den anderen Vetospielern einen ersten Entscheidungsvorschlag unterbreiten zu dürfen, korrelierte im Fall der Reichsämter und des Weimarer Reichsjustizministeriums mit einer großen Vetomacht. Dabei profitierten die Agendasetzer aber davon, dass ihre optimalen Politikpunkte nah bei denen der meisten anderen Vetospieler lagen. Die Bedeutung der relativen Lage der Politikpunkte der Vetospieler wird am Beispiel des »Dritten Reichs« deutlich. Hier lagen die optimalen Politikpunkte der Vetospieler weiter auseinander, was zu einer gleichmäßigeren Verteilung von Vetomacht zwischen dem Reichsjustizministerium, dem Agendasetzer, und dem Reichswirtschafts- und dem Reichsinnenministerium führte. Auch im Fall der Institution »Entscheidungssequenz« entschied die Akteurskonstellation darüber, wie diese von den einzelnen Vetospielern genutzt werden konnte. So zogen die liberalen Reichstagsparteien Nutzen aus der Tatsache, dass sie im Reichstag über eine große Fraktionsstärke verfügten und die Reichsleitung den Gesetzentwurf unbedingt im Sommer 1884 verabschiedet wissen wollte und somit auf die Zustimmung der Liberalen angewiesen war. Der Stab des Führerstellvertreters Heß, der wie der Reichstag im Jahr 1884 am Ende der Entscheidungssequenz stand, konnte diese Position dagegen nicht nutzen, um den anderen Vetospielern den eigenen Politikpunkt aufzudrängen. Auch der Effekt der Abstimmungsregel auf Vetomacht und Verhandlungsergebnis hing von der konkreten Akteurskonstellation ab. So hätte beispielsweise eine Einstimmigkeitsregel im Bundesrat bei den vorherrschenden Bedenken Hamburgs entweder zu einem Abbruch der Verhandlungen oder zu weitreichenden Zugeständnissen an die Hansestadt geführt. Hätte der optimale Politikpunkt Hamburgs allerdings näher bei den anderen Mitgliedern des Bundesrats gelegen, hätte auch das Verlangen nach Einstimmigkeit keinen Effekt auf das Verhandlungsergebnis gehabt. Ein ähnliches Argument lässt sich für den Reichstag anführen. Hier kam den liberalen Parteien Vetomacht zu, da allein mit den Stimmen des Zentrums und der konservativen Reichstagsparteien kein positiver Beschluss möglich gewesen wäre. Hätte dagegen der im Oktober 1884 gewählte Reichstag, in dem Konservative und Zentrum über die einfache Stimmenmehrheit verfügten, über den Gesetzentwurf entschieden, wäre den liberalen Parteien kaum Vetomacht zugekommen. Nicht zuletzt hing auch der Effekt einer Veränderung der Zahl der Vetospieler von der relativen Lage ihrer Politikpunkte ab. Dies lässt sich gut am Beispiel der Weimarer Republik zeigen. So scheint die kontrafaktische Hinzunahme des Reichstags als Vetospieler die Verteilung von Vetomacht und das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Reichsregierung und Reichsrat kaum verändert zu haben. Dies lag freilich daran, dass auch in dem kontrafaktischen Szenario die optimalen Politikpunkte der Vetospieler eng beieinanderlagen. Ein wichtiges Ziel dieser Untersuchung muss es daher sein, zu klären, wie die Vetospieler ihre Präferenzen bildeten und ihren optimalen Politikpunkte wählten. 185

4. Advokatenkoalitionen Um der Frage nachgehen zu können, inwieweit die Präferenzen der Veto­spieler durch Reformpositionen verschiedener Advokatenkoalitionen beeinflusst wurden, sollen an dieser Stelle zunächst die jeweiligen, die historische Debatte bestimmenden Koalitionen und deren Problemperzeptionen und Lösungsvorschläge herausgearbeitet werden. Hierzu gehört es auch, die im zweiten Kapitel vorgestellten politischen Eliten den jeweiligen Koalitionen zuzuordnen und deren Motive zu beschreiben. Dazu werden die verschiedenen Debattenbeiträge der Mitglieder der politischen Elite analysiert und einer Advokatenkoalition zugeordnet. Diese Vorgehensweise erlaubt es, die eine Koalition einenden, gemeinsamen Vorstellungen über die Ausgestaltung von Aktionärsschutz und Offenlegungsstandards konzise darzustellen. Der zeitliche Verlauf der Debatte verschwimmt dagegen. Hier sei der Leser auf die Darstellung in Kapitel eins und zwei verwiesen. Inhaltlich baut die Darstellung auf der umfangreichen Reformliteratur der 1870er und 1920er Jahre sowie den zahlreichen Gutachten und Stellungnahmen der verschiedenen Wirtschaftsverbände auf. Hierzu zählen die Handelskammern, der Reichsverband der Deutschen Industrie und der Deutsche (Industrie- und) Handelstag, der Deutsche Juristentag und der Verein für Socialpolitik. Für das »Dritte Reich« waren zudem die Protokolle des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht relevant, während die Bedeutung der zeitgenössischen Reformliteratur abnimmt. Daneben wurden die zahlreichen Einzelzuschriften freier Aktionäre, Privatbankiers, Großbankiers, Unternehmer und deren Interessenvertreter an die Reichsämter und Ministerien sowie die durch Ministerialbeamte erstellten Meinungsbilder und Sammlungen von Zeitungsartikeln für die Analyse herangezogen.1 Die genutzten Quellen gehen auf drei verschiedene Entstehungszusammenhänge zurück. Die Reformliteratur sowie Zeitungsartikel und die Zuschriften freier Aktionäre und Privatbankiers entstanden in der Regel aus Eigeninitiative und speisten sich aus der Überzeugung, eine Reform von Aktionärsschutz und Offenlegungsstandards sei aus gesellschaftlichem oder volkswirtschaftlichem Interesse beziehungsweise dem Eigeninteresse der freien Aktionäre notwendig. Dies gilt auch für die gedruckten 1 Unberücksichtigt bleibt dagegen der Generalbericht des Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der Deutschen Wirtschaft. Der Bericht beschreibt zwar die Rechtsverhältnisse der Weimarer Zeit hervorragend, macht aber keine Reformvorschläge, die nicht schon vorher durch die gleichen Personen geäußert wurden. Gleiches gilt für die Antworten des Deutschen Anwaltsvereins auf den Fragebogen des Reichsjustizministeriums. Die Antworten finden sich in: BArch, R 3001/3017, und sind abgedruckt in: Deutscher Anwaltsverein.

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Debatten, Gutachten und Stellungnahmen des Juristentags und des Vereins für Socialpolitik. Die Stellungnahmen von Wirtschaftsverbänden, Unternehmern und Großbankiers gingen dagegen in der Regel auf eine Meinungsumfrage in Form von Fragebogenaktionen und Sachverständigenkonferenzen der verantwortlichen Reichsämter und Ministerien zurück. Sie entstanden also weniger aus Eigeninitiative, sondern aufgrund der institutionellen Einbindung dieser Gruppen in den Gesetzgebungsprozess.2 Die Zusammenstellung von Zeitungsartikeln und anderen Meinungen, etwa der Besuch relevanter Vortragsabende durch Ministerialreferenten oder die Sammlung verschiedener Reformschriften durch die Reichsämter und Ministerien, dienten schließlich zwei Zwecken. Zum einen sollte auf diesem Weg ein Überblick über die laufende Debatte gewonnen werden. Zum anderen ging es den Ministerien darum, Reaktionen auf die veröffentlichten Reformentwürfe zu erhalten und auszuwerten.

4.1 Kaiserreich Zwei Aspekte standen im Zentrum der Reformdebatte der 1870er und 1880er Jahre. Zum einen äußerten sich die politischen Eliten zu dem hier nicht näher zu erörternden Problem unterkapitalisierter und intransparenter Unternehmensgründungen.3 Zum anderen wurde die Kontrolle der Geschäftsführung durch die Aktionäre und das damit verbundene Problem der optimalen Verteilung von Entscheidungskompetenzen auf die Gesellschaftsorgane heftig debattiert. Weniger Aufmerksamkeit erfuhren Fragen bezüglich des Stimmrechts, der Zuordnung von Gewinnbezugsrechten sowie der optimalen Ausgestaltung von Offenlegungsstandards. Bei der grundsätzlichen Frage der Notwendigkeit einer Reform existierten wiederum große Meinungsverschiedenheiten. Die Notwendigkeit einer Reform des erst 1870 novellierten Aktienrechts, wurde von den Mitgliedern der politischen Elite direkt nach dem Gründerkrach unterschiedlich bewertet. So erklärte Mitte der 1870er Jahre der neugegründete Schutzverein der Aktionäre die Bekämpfung der Misswirtschaft der Unternehmensleitungen zu seinem Ziel, und für den Schutzverein der Aktionäre der rumänischen Eisenbahn AG stand der Schutz der freien Aktionäre der Gesellschaft vor der »Ausbeutung durch den Aufsichtsrath« im Zentrum.4 Auch der 2 Der Frage, ob die institutionelle Einbindung in den Gesetzgebungsprozess diesen Gruppen einen Vorteil bei der Durchsetzung ihrer Reformvorstellungen gab, wird im folgenden Kapitel behandelt. 3 Überblick bei Reich, Entwicklung, S. 270–274. 4 Siehe den Gründungsaufruf des Schutzvereins der Aktionäre, in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 8, sowie das Schreiben des Schutzvereins gegen Schädigung und Ausbeutung der Aktionäre der rumänischen Eisenbahnaktiengesellschaft an das Reichskanzleramt, Essen 08.11.1877, in: BArch, R 3001/2865.

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Deutsche Juristentag und der Verein für Socialpolitik betonten gegen Mitte der 1870er Jahre die Notwendigkeit einer Reform.5 Zur selben Zeit erschienen auch zahlreiche Schriften, meist juristisch oder kaufmännisch ausgebildeter Autoren, die eine Reform des Aktienrechts forderten und Lösungsvorschläge für eine Gesetzesnovelle unterbreiteten.6 Daneben beteiligten sich solche Autoren an der Reformdebatte, die das Aktienwesen grundsätzlich kritisierten, aber keine konstruktiven Vorschläge zu Vermeidung künftiger Missstände machten. Zu nennen wäre hier etwa Otto Glagau, der in mehreren Artikeln in der Gartenlaube die Missstände bei der Gründung und Führung von Aktiengesellschaften Anfang der 1870er Jahre beschrieb.7 In seinen Artikeln konzentrierte sich Glagau darauf, Missstände zu benennen und die für diese verantwortlichen Personen zu identifizieren. Dabei legte er besonderen Wert darauf, die Rolle jüdisch-stämmiger Unternehmer und Bankiers auf polarisierende Weise herauszustellen. Im Ton etwas zurückhaltender – aber ebenfalls von einer antisemitischen Grundhaltung getragen  – äußerte sich der konservative Reichstagsabgeordnete und Journalist Franz Perrot.8 Um den schädigenden Einfluss der Aktiengesellschaften auf die Volkswirtschaft zu brechen, schlug Perrot als radikales Mittel die Abschaffung der Aktiengesellschaft vor.9 Am deutlichsten wird dies in einem Redebeitrag im Deutschen Reichstag vom 3. Dezember 1881:10 »Mein Votum ist also das, meine Herren, wir kommen der Sache niemals bei, so lange wir uns nicht entschließen ein Gesetz zu machen, dessen § 1 lautet: in Zukunft dürfen keine Aktiengesellschaften mehr gegründet werden.«

Zudem sollte die Gesetzgebung dahin wirken, alle noch existierenden Aktiengesellschaften abzuwickeln.11 Auf der anderen Seite des Spektrums standen leitungsnahe politische Eliten. Die in den 1870er und 1880er Jahren entstandenen Eingaben und Gutachten von Handelskammern, Ältestengremien der Kaufmannschaften, dem Deutschen 5 Deutscher Juristentag, Beschlüsse (1873); Verein für Socialpolitik, Beschlüsse (1873). 6 Behrend u. a.; Hecht; Löwenfeld; Oechelhäuser, Krisis; Ders., Nachteile; Strombeck; Tellkampf; Wagner. 7 Glagau, Berlin; Ders., Deutschland. 8 * 05.04.1835 in Trier † 10.11.1891 in Wiesbaden. Nach seiner Militärlaufbahn war Perrot als Redakteur bei mehreren konservativen Zeitungen in Dresden, Frankfurt am Main und Stuttgart tätig. In den 1870er Jahren veröffentlichte er in der Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung) antisemitisch gefärbte Artikel gegen die liberale Wirtschaftspolitik der Reichsregierung. Die Artikelserie führte zum Bruch zwischen Bismarck und den Konservativen im Reichstag. Siehe: Nipperdey, S. 331–337. 9 Perrot, Aktienschwindel; Ders., Votum. 10 Deutscher Reichstag, 9. Sitzung 1881, S. 190. 11 Neben dieser radikalen Position schlugen einige Autoren vor, die beschränkte Haftung der Aktiengesellschaft aufzuheben, beziehungsweise die Aktiengesellschaft auf Unternehmen zu beschränken, die keine öffentlichen Güter produzierten. Vgl. dazu: Tellkampf sowie Wagner. Wagner äußerte sich zunächst auf der Sitzung des Vereins für Socialpolitik. Siehe: Verein für Socialpolitik, Verhandlungen 1873, S. 55–57.

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Handelstag und anderen Interessensorganisationen zeigen, dass die Leiter der Aktiengesellschafen – anders als die freien Aktionäre, juristischen Experten und Teile der Öffentlichkeit – nach der Gründerkrise keinen unmittelbaren Druck zu einer Reform des Aktienrechts verspürten.12 In ihren Antworten auf die Enquete des preußischen Handelsministeriums und des Reichskanzleramts, die diese nach dem Zusammenbruch an der Berliner Börse bei den Handelskammern und kaufmännischen Korporationen durchgeführt hatten, sprachen sich die meisten Kammern und Korporationen dafür aus, zunächst die Entwicklung der nächsten Jahre abzuwarten, bevor ein erst kürzlich erlassenes Gesetz erneut reformiert würde.13 Der ständige Ausschuss des Deutschen Handelstags befürwortete im November 1873 zwar, gegen eine größere Minderheit in den eigenen Reihen, eine baldige Reform.14 Im Jahr 1877 gewannen jedoch auch hier die Skeptiker die Mehrheit, und der Ausschuss bat das Reichskanzleramt, von den dortigen Reformplänen Abstand zu nehmen und die weitere Entwicklung im Aktienwesen abzuwarten.15 Mitte der 1870er Jahre standen sich also in der Reformfrage zwei große Lager gegenüber. Eine breite Koalition aus Juristen, Nationalökonomen und freien Aktionären forderte eine baldige Reform des Aktienrechts, die leitungsnahen politischen Eliten sprachen sich dagegen für den Status quo aus.16 Neben diesen beiden großen Lagern gab es weitere öffentlich Stimmen, die Missstände im Aktienwesen kritisierten, aber keine konstruktiven Reformvorschläge machten. Hauptproblem des durch die Aktienrechtsnovelle aus dem Jahr 1870 eingeführten Systems der Kontrolle der Geschäftsführung war die fehlende Verantwortung des Aufsichtsrats für die Qualität dieser Kontrolle. Hinzu kam die Übertragung vieler Geschäftsführungskompetenzen auf den Aufsichtsrat, was dazu führte, dass dieser in vielen Fällen seine eigene Geschäftsführung zu kontrollieren hatte und im Schadensfall kaum zu Ersatzleistungen herangezogen werden konnte. Dieses Problem wurde vor allem von juristischen, im Handelsrecht geschulten Experten und Praktikern behandelt. Die von dem Handels­ 12 Auf die Vertretung der Leiter von Aktiengesellschaften durch Handelskammern, kaufmännische Korporationen, den Handelstag und andere Interessenorganisationen, wie den Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen und den Zentralverband Deutscher Industrieller, wird weiter unten eingegangen. 13 Eine Sammlung der Antworten der Handelskammern findet sich in: Hecht. Zurückhaltende Antworten stammten von den Handelskammern Bremen, Hamburg, Köln und Mannheim sowie von der Kaufmannschaft Elbig. Auch die Handelskammer Frankfurt stand einer sofortigen Reform des Aktienrechts skeptisch gegenüber. Siehe: Handelskammer zu Frankfurt a. M., S. 902. 14 Ständiger Ausschuss des Deutschen Handelstags, Bericht. 15 Ständiger Ausschuss des Deutschen Handelstags, Eingabe. 16 Eine wichtige Ausnahme stellt die Handelskammer Chemnitz dar, die bereits 1872 vor der Gefahr eines Börsenkrachs warnte und die Aktiengesellschaft aufgrund ihrer beschränkten Haftung als wettbewerbsverzerrend kritisierte. Ziel der Kammer war die Abschaffung der AG. Vgl. Handels- und Gewerbekammer Chemnitz.

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gerichtsrat Levin Goldschmidt,17 dem Nationalökonomen Adolph Wagner und anderen vorgebrachte Idee der Schaffung eines staatlichen Kontrollorgans, etwa in Form eines Reichsamts für das Aktienwesen, war dabei vor dem Hintergrund der (wirtschafts-)liberalen Grundhaltung der 1870er Jahre sicherlich das radikalste Reformkonzept.18 Aufgabe eines solchen Reichsamtes sollte vor allem die Überwachung der Aktiengesellschaften sein, insbesondere bei der Bilanzierung. Daneben sollte es als neutrale, unabhängige Beschwerdeinstanz der freien Aktionäre dazu dienen, akute Probleme des Aktienrechts zu benennen und Reformvorschläge zu machen.19 Wagner ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er nicht nur staatliche Kontrollämter forderte, sondern die Rechtsform der Aktiengesellschaft bei solchen Unternehmungen, die öffentliche Güter produzierten, nicht zulassen wollte.20 Einen, dem Gedanken der Schaffung eines staatlichen Kontrollorgans ähnlichen, jedoch auf einen direkten Staatseingriff verzichtenden Vorschlag, unterbreiteten Heinrich Wiener in seinem Gutachten für den Verein für Socialpolitik aus dem Jahr 1873 und Isaac Wolffson in seinem Referat für den Deutschen Juristentag 1874.21 Beide Juristen plädierten für die gesetzliche Einführung einer Bilanzprüfung durch ein unabhängiges, von der Generalversammlung gewähltes Prüforgan, das die Geschäftsführung und die Rechnungslegung des Vorstands kontrollieren sollte. In ähnlicher Weise sprach sich auch der Schutzverein der Aktionäre der rumänischen Eisenbahn für eine verpflichtende, monatliche materielle Prüfung der Gesellschaft durch externe Buchhalter aus. Wilhelm Oechelhäuser, Direktor der Deutschen Continental Gasgesellschaft und Reichstagsabgeordneter (1878–1893), wollte sogar noch weiter gehen und den Prüfern die Vertretung der Aktionärsinteressen vor Gericht übertragen.22 Eine 17 Goldschmidt war zunächst Professor in Heidelberg und wechselte 1870 als Handelsgerichtsrat an das Reichsoberhandelsgericht in Leipzig. Im Jahr 1875 folgte er einem Ruf auf einen eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl für Handelsrecht nach Berlin. Siehe: Weyhe, S. 96–97, 119–121. 18 Deutscher Juristentag, Verhandlungen 1874, S. 110–111; Goldschmidt; Wagner. 19 Auf dem Juristentag wurde die Idee der Schaffung eines Reichsamts für das Aktienwesen durch den ehemaligen sächsischen Gerichtsreferendar und ehemaligen Bankangestellten Friedrich Wachtel aus Frankfurt am Main vertreten. Etwa zur gleichen Zeit formulierte Wachtel seine Ideen auch in einer an den preußischen Handelsminister gerichteten Denkschrift. Die Denkschrift findet sich in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 7. Die Angaben zu Wachtels Werdegang sind dieser Denkschrift entnommen. Dass die beiden Beiträge aus einer Feder stammen, geht neben dem gemeinsamen Nachnamen und Wohnort aus der nahezu identischen Formulierung der Vorschläge auf dem Juristentag im August 1873 und in der Denkschrift vom Juli 1873 hervor. Wachtel scheint dabei nach eigenen Angaben von seinen Erfahrungen geleitet gewesen zu sein, die er als Bankangestellter während der Gründerperiode machen konnte und in seiner Denkschrift exemplarisch beschreibt. 20 Wagner, S. 271–273. 21 Deutscher Juristentag, Verhandlungen 1874, S. 71–136; Wiener, Gutachten. 22 Oechelhäuser, Nachteile.

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Pflichtprüfung der Bilanz durch externe Experten wurde also schon lange vor ihrer Einführung im Jahr 1931 als Lösung für das Kontrollproblem diskutiert. Durch eine solche Konstruktion hätte der Aufsichtsrat faktisch seine Überwachungsfunktion verloren und wäre als zweites geschäftsführendes Organ klar hervorgetreten. Eine Zusammenlegung von Vorstand und Aufsichtsrat  – wie beispielweise von dem Berliner Rechtswissenschaftler Jakob Behrend und dem ehemaligen preußischen Gerichtsassessor und Banksyndikus Hermann Löwenfeld empfohlen – wäre in diesem Zusammenhang durchaus konsequent gewesen.23 In der Folge ähnlich, aber mit einer etwas anderen Stoßrichtung, war der ebenfalls auf dem Juristentag 1873 geäußerte Vorschlag des Wiener Rechtsanwalts Heinrich Jacques, dem Aufsichtsrat seine Geschäftsführungskompetenzen zu nehmen und ihm einzig die Überwachung des Vorstands aufzutragen.24 Der Antrag Jacques war dabei so formuliert, dass eine Übertragung von Geschäftsführungskompetenzen des Vorstands nur auf die Generalversammlung, nicht aber auf den Aufsichtsrat möglich sein sollte. Mit diesem Vorschlag nahm Jacques die Regelung des Aktiengesetzes von 1937 voraus. Die hier skizzierten Vorschläge fanden in der Debatte um die Reform des Aktionärsschutzes einige Resonanz.25 Sie stellten aber nicht die durch das vom Reichsjustizamt in Auftrag gegebene Gutachten des Reichsoberhandelsgericht und die Resolutionen der Juristentage von 1873 und 1880 repräsentierte Mehrheitsmeinung der im Handelsrecht geschulten, juristischen Experten und Praktiker dar. Stattdessen sollte das Grundprinzip der Novelle des Jahres 1871 beibehalten werden. Der Aufsichtsrat sollte also weiterhin für die Kontrolle der Geschäftsführung verantwortlich bleiben und, um ihn in die Lage zu versetzen, den Vorstand effektiv kontrollieren zu können, Geschäftsführungsaufgaben übernehmen dürfen. Zum Schutz der Aktionäre und zur Wiederherstellung des im Allgemeinen Handelsgesetzbuch formulierten Prinzips, das die Generalversammlung zum höchsten Geschäftsführungsorgan erhob,26 sollte dabei jedoch die Entscheidungskompetenz der Generalversammlung gestärkt, die Verantwortung des Aufsichtsrats verschärft und der Minderheit zur Durchsetzung dieser Prinzipen Kontrollrechte an die Hand gegeben werden.27 Konkret wurde emp23 Behrend; Löwenfeld. Eine ähnliche Auffassung vertrat auch Wolffson. In einer Erwiderung auf die seinem Referat folgenden Redebeiträge sprach er sich dafür aus, die Einführung eines Aufsichtsrats den Statuten zu überlassen. Siehe: Deutscher Juristentag, Verhandlungen 1874, S. 132–133. 24 Deutscher Juristentag, Verhandlungen 1874 S. 104. Jacques (* 24.02.1831 in Wien † 25.01.1894) leitete ab Ende der 1850er Jahre die Privatbank Wertheimstein. Ab 1879 war Jacques Abgeordneter des österreichischen Reichstags für die linksliberale Vereinigte Deutsche Linke. Vgl. Österreichische Akademie der Wissenschaften. 25 So lag auch für Esser, S. 76–77, die Lösung des Kontrollproblems in der Reduzierung des Aufsichtsrats auf ein reines Kontrollorgan. 26 Renaud, S. 498; Simon, S. 471–474. 27 Behrend; Deutscher Juristentag, Verhandlungen 1874, S. 71–136; Deutscher Juristentag, Verhandlungen 1881, S. 153–240; Lieder, Reformbestrebungen; Oechelhäuser, Nachteile; Reichsoberhandelsgericht; Strombeck. Die Stärkung der Generalversammlung, eine Verschärfung

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fohlen, das Recht der Generalversammlung auf die Beschlussfassung über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat (Oechelhäuser) sowie über Statutenänderungen (Behrend, Oechelhäuser, Reichsoberhandelsgericht, Schutzverein der Aktionäre der rumänischen Eisenbahn AG), insbesondere die Ausgabe neuer Aktien und Anleihen, Fusionen und die Auflösung der Gesellschaft, für unentziehbar zu erklären. Bezüglich der strengeren Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats empfahl das Reichsoberhandelsgericht, die Kontrollpflichten des Aufsichtsrats genauer zu benennen und ihm für die Kontrolle der Geschäftsführung die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmanns aufzuerlegen. Die Anwendung dieser Sorgfaltspflicht sollte der Aufsichtsrat im Schadensfall zwar nicht in allen Fällen, jedoch zwingend für die Kontrolle der Bilanz nachweisen müssen. Darüber hinaus empfahl das Reichsoberhandelsgericht, den Aufsichtsrat für die von ihm durchgeführten Geschäftsführungsakte haftbar zu machen. Dies rechtfertigte in den Augen des Gerichts auch die jederzeitige Abwahl des Aufsichtsrats durch die Generalversammlung. Auch der Vorstand sollte strenger in die Verantwortung genommen und im Schadensfall verpflichtet werden nachzuweisen, dass der Schaden trotz aller angewandter Sorgfalt durch ihn nicht zu verhindern gewesen wäre. In Ergänzung der Stärkung der Generalversammlung griffen sowohl die beiden Juristentage der Jahre 1873 und 1880 als auch das Reichsoberhandelsgericht Überlegungen von Behrend auf und empfahlen einen Ausbau der Minderheitenrechte.28 So sollte eine Minderheit von zehn Prozent des Grundkapitals das Recht haben, die Generalversammlung zu berufen beziehungsweise eine Ergänzung der Tagesordnung zu verlangen. Dieselbe Minderheit sollte die Einsetzung einer Prüfkommission zur Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten in der Geschäftsführung verlangen können, um so die Basis für Schadensersatzklagen gegen die Gesellschaft legen zu können. Eine etwas größere Minderheit, das Reichsoberhandelsgericht schlug 30 Prozent des Grundkapitals vor, sollte die Vertagung der Bilanzverhandlung und die Einsetzung eigener Bilanzrevisoren verlangen können. Einen ähnlichen Vorschlag formulierte der Deutsche Juristentag im Jahr 1873. Um einen Missbrauch dieses Rechts zu verhindern, sollte ein entsprechender Antrag jedoch durch das zuständige Handelsgericht geprüft und dem Antrag nur zugestimmt werden, wenn gewichtige Gründe vorlägen.29 Mit dieser Einschränkung sollte Erpressungsversuchen und einer fahrlässigen Rufschädigung des Unternehmens durch die Minderheit vorgebeugt werden. Flankiert wurden diese Minderheitenrechte durch ein Einzelrecht auf Schadensersatzklage gegen die Gesellschaft sowie auf Einhaltung von Statut und Gesetz. Die Mehrheit der juristischen Experten zog also Selbstschutzkonder Verantwortung des Aufsichtsrats und die Schaffung von Minderheitenrechten wurden auch von der Schutzvereinigung der Aktionäre der rumänischen Eisenbahn AG gefordert. Siehe das Schreiben der Schutzvereinigung an das Reichskanzleramt vom 08.11.1877, in: BArch, R 3001/2865. 28 Behrend. Gerade bei der Formulierung der Minderheitenrechte befruchteten sich Juristentag und Reichsoberhandelsgericht gegenseitig. Vgl. Lieder, Aufsichtsrat, S. 89–112. 29 Deutscher Juristentag, Verhandlungen 1874, S. 95–96, 120–122.

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zeptionen staatlichen Schutzkonzeptionen vor.30 Besonders deutlich wird dies in der Stellungnahme von Siegfried Albrecht, dem Präses des Handelsgerichts Hamburg, der in seinem Korreferat während des Juristentags von 1873 alle staatlichen Eingriffe als »polizeiliche Maaßregeln« ablehnte.31 Die liberalen, auf die Verteidigung der Vertragsfreiheit bedachten Juristen erkannten zudem bereits im Grunde das Prinzip des Schutzes der Gesellschaftsinteressen vor den Eigeninteressen der Aktionäre an. Deutlich wird dies in dem Votum des Juristentags, die Entscheidung über eine Nachprüfung der Bilanz in die Hände des Handelsgerichts zu legen. Und auch das Reichsoberhandelsgericht erkannte an, dass das Interesse der Aktionäre nicht mit dem Interesse der Gesellschaft gleichzusetzen sei. Aus diesem Grund wollte das Gericht Vorstand und Aufsichtsrat zwar der Generalversammlung gegenüber verantwortlicher machen, die Geschäftsführung aber auf keinen Fall in die Hände der Gesamtheit der Aktionäre legen.32 Interessanterweise stimmten dieser Position auch einige Handelskammern zu. So sprach sich die Handelskammer Reutlingen in ihrem Gutachten über den Bundesratsentwurf im Herbst 1883 explizit dafür aus, Aufsichtsrat und Vorstand zu verpflichten, die Anwendung ihrer Sorgfalt im laufenden Geschäftsbetrieb zu beweisen, sollte es zu einem Schaden der Gesellschaft kommen.33 Die württembergischen Handelskammern scheinen auch mit den im Bundesratsentwurf vorgesehenen Minderheitenrechten einverstanden gewesen zu sein.34 Die oben skizzierten Lösungsvorschläge unterscheiden sich teilweise deutlich voneinander. Gemeinsam ist ihnen aber die Erkenntnis, dass das geltende System der Unternehmenskontrolle keinen hinreichenden Schutz für die freien Aktionäre bot und die daraus erwachsende Annahme, dass nur eine tiefgreifende Reform des Status quo Besserung verspräche. Dabei verweisen nur die wenigen aus der Feder von freien Aktionären stammenden Äußerungen auf die Wahrung von Gewinninteressen.35 Die sich an der Reformdebatte beteiligenden Juristen, Nationalökonomen und kaufmännischen Praktiker begründeten ihre Reformempfehlungen dagegen hauptsächlich mit gesamtwirtschaftlichen und rechtsmoralischen Überlegungen. So sprach Strombeck von einem »öffentlichen Interesse« an der Aktiengesellschaft aufgrund ihrer Bedeutung für die »Real- und Geldwirtschaft«, aber auch aufgrund der »Wahrung der öffentlichen Moral«.36 30 So auch Hofer, S. 398–413. 31 Deutscher Juristentag, Verhandlungen 1874, S. 90. Der Verlauf der Debatte auf dem Juristentag von 1873 wird sehr schön und übersichtlich von Jan Lieder zusammengefasst. Vgl. Lieder, Reformbestrebungen. 32 Reichsoberhandelsgericht, S. 199–200. 33 Siehe die Zusammenstellung der Gutachten der württembergischen Handelskammern vom Oktober / November 1883, in: BArch, R 3001/2867. 34 Ebd. 35 So sprach der Gründungsaufruf des Schutzvereins der Aktionäre Mitte der 1870er Jahre davon, die »Ausbeutung durch den Aufsichtsrath« beenden zu wollen. Das Schreiben findet sich in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 8. 36 Strombeck, S. 10.

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Wilhelm Oechelhäuser vertrat die Ansicht, dass der durch die Aktienrechtsnovelle von 1870 ausgelöste Spekulationsboom an der Börse lediglich zu einer Steigerung des vergänglichen Luxuskonsums, nicht aber zu einer Zunahme produktiver Investitionsgüter geführt habe.37 Adolph Wagner argumentierte ähnlich. Er sprach davon, dass gerade auf dem Gebiet der Aktiengesellschaft die »charakteristische[n] Schäden der modernen Volkswirthschaft und der Verteilung des Nationalvermögens zum Vorschein gekommen« seien.38 Die anonyme Schrift eines Juristen mit dem Titel »Ein Mahnruf zur Reform des Aktienrechts« aus dem Jahr 1876 führte ebenfalls aus, das wahre Problem des Gründerkrachs liege nicht in der Vernichtung individueller Vermögen, sondern darin, dass diese Vermögen nun keinem produktiven Zweck mehr zugeführt werden könnten.39 Zudem betonte der Autor, dass die nun offenbar werdenden massiven Betrügereien der Gründerjahre zu einem »sittlichen Schaden« geführt hätten.40 Die Annahme von der Notwendigkeit einer tiefgreifenden Reform des Status quo in der Frage der Kontrolle der Geschäftsführung wurde von einem Großteil der leitungsnahen Eliten nicht geteilt. Im Ausbau der Mitentscheidungsrechte der nicht zur Führung der Gesellschaft ausgebildeten freien Aktionäre sahen sie vielmehr eine große Gefahr für die Entwicklung des Unternehmens.41 Ihre Position lässt sich für das Kaiserreich sehr gut an den Stellungnahmen der Handelskammern und kaufmännischen Korporationen ablesen. Ähnlich äußerten sich auch der Deutsche Handelstag, der Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen sowie eine Interessengemeinschaft hannoverischer und braunschweigischer Aktiengesellschaften. Kennzeichnend für diese Stellungnahmen ist ihr defensiver, auf politische Ereignisse reagierender Charakter. Während die oben beschriebenen Gruppen und Personen Eigeninitiative entwickelten und von sich aus Antworten auf die ökonomischen Herausforderungen ihrer Zeit formulierten, brauchte es bei den Letztgenannten in der Regel des Anstoßes von außen, etwa in Form der 1873 durch das preußische Handelsministerium und das Reichskanzleramt durchgeführten Enqueten und der Veröffentlichung des Bundesratsentwurfs im Herbst des Jahres 1883.42 Ein weiteres Kennzeichen der hier zu behandelnden 37 Oechelhäuser, Krisis, S. 18–19, 31–32. 38 Wagner, S. 280. 39 Anonym, S. 5. 40 Ebd., S. 6. 41 Delbrück, S. 28–38. Siehe auch die Gutachten der Handelskammern Bremen und Chemnitz, in: BArch, R 3001/2867. 42 Siehe das Rundschreiben des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe an die Handelskammern und kaufmännischen Korporationen vom 23.05.1873 Preußisches Ministerium für Handel und Gewerbe. Für den Bundesratsentwurf siehe: Drucksache Nr. 74, in: Bundesrat des Deutschen Reichs, Drucksachen 1883. Die Äußerungen der reformbefürwortenden Eliten und der reformkonservativen Gruppen ist somit von einer gewissen Ungleichzeitigkeit gekennzeichnet, was dazu führt, dass sich die Stellungnahmen der beiden Gruppen nicht direkt, sondern nur indirekt durch den voranschreitenden Gesetzgebungsprozess aufeinander beziehen.

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Stellungnahmen ist die klare Meinungsführerschaft der Banken. Dafür spricht besonders, dass sowohl 1873 als auch 1883/84 die vielbeachteten Gutachten der bankendominierten Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft häufig zitiert wurden.43 Der Deutsche Handelstag wurde mit Adelbert Delbrück (Deutsche Bank, Delbrück, Leo & Co.) ebenfalls durch einen bedeutenden Bankier geleitet, der sich auch öffentlich kritisch zu dem Bundesratsentwurf äußerte.44 Auf dem Handelstag selbst wurde ein zentrales Referat vom Geschäftsinhaber der Discontogesellschaft, Emil Russel, gehalten. Neben dem Münchner Bankier und Rechtsanwalt Friedrich von Schauss waren Delbrück und Russel auch in den Beratungen der Sachverständigenkommission im Jahr 1882 die einzigen Vertreter aus der Wirtschaft. Daneben waren weitere Interessenorganisationen bankendominiert. So kam die Vereinigung der hannoverischen und braunschweigischen Aktiengesellschaften auf eine Initiative der Hannoverischen Bank zustande, die bei der Ausarbeitung der Petition an den Bundesrat federführend wirkte.45 Über den Direktor der Ilseder Hütte und Aufsichtsrat der Bank, Gerhard Lucas Meyer, gelang es der Hannoverischen Bank wohl auch, die lokale Handelskammer für ihre Zwecke einzuspannen.46 Was die Verteilung des Kräfteverhältnisses zwischen Generalversammlung und Unternehmensführung anging, sprachen sich zwar nicht wenige Handelskammern für eine leichte Stärkung der Generalversammlung aus, diese sollte aber nicht so weit gehen und die Generalversammlung zum geschäftsführenden Organ erheben. Bezeichnend hierfür ist die Position der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft, die sich einerseits für verpflichtende Bilanzrevisoren aussprach und künftig die Generalversammlung über Kapitalerhöhungen entscheiden lassen sowie die Berufung der Generalversammlung erleichtern w ­ ollte.47 Andererseits verwehrten sich die Ältesten aber gegen die Idee einer Ausweitung der Haftungsverpflichtungen des Aufsichtsrats und gegen ein alleiniges Entscheidungsrecht der Generalversammlung im Falle von Statutenänderungen oder der Entlastung von Aufsichtsrat und Vorstand. Insbesondere warnte die 43 Am deutlichsten wird dies im Gutachten der Danziger Kaufmannschaft aus dem Herbst 1883, das sich in den meisten Punkten den Argumenten der Berliner Kaufmannschaft anschließt. Das Gutachten findet sich in: BArch, R 1501/100006. Aber auch die Hamburger Handelskammer zitiert das Gutachten der Berliner Kaufmannschaft zustimmend. Siehe das Gutachten der Hamburger Handelskammer aus dem Januar 1884, in: BArch, R 3001/2867. Zur Bankendominanz der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft Biggeleben, S. ­115–118. 44 Delbrück. 45 Das in den Akten des Reichsamts des Inneren überlieferte Protokoll der Versammlung macht deutlich, dass die Resolution durch die Bank ausgearbeitet worden ist. Das Schreiben wurde dem Reichsamt des Inneren Ende Januar 1884 überreicht. Siehe: BArch, R 1501/100006. 46 Das im Februar 1884 entstandene Gutachten der Handelskammer gleicht der im Januar entstandenen Petition der Hannoverischen Bank in vielen Passagen wörtlich. Das Gutachten findet sich in: BArch, R 1501/100006. 47 Älteste der Berliner Kaufmannschaft, Bericht (1873).

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Kaufmannschaft auch vor Minderheiten- und Individualrechten, der Möglichkeit der vorzeitigen Abberufbarkeit des Aufsichtsrats durch eine Mehrheit der Generalversammlung sowie der im Bundesratsentwurf von 1883 vorgesehenen Verpflichtung von Aufsichtsrat und Vorstand, im Schadensfall die Anwendung ihrer Sorgfaltspflicht beweisen zu müssen.48 Zur Begründung wurde auf den potentiellen Schaden für die Gesellschaft verwiesen, den ein Missbrauch von Minderheitenrechten zum Vorteil einer kleinen, nur am eigenen Gewinn und nicht am Fortbestand des Unternehmens interessierten Gruppe nach sich ziehen könnte. Ähnlich wurde im Fall der Abwahl des Aufsichtsrats durch die Generalversammlung argumentiert.49 Zuletzt warnte die Berliner Kaufmannschaft davor, die im Bundesratsentwurf vorgesehene Beweispflicht des Aufsichtsrats und des Vorstands würde geeignete Kandidaten aus Furcht vor unbegründeten Schadensersatzforderungen abschrecken beziehungsweise die Geschäftsführung lähmen. Die handelnden Personen wären dann nicht mehr bereit, Risiken einzugehen und müssten einen enormen Aufwand betreiben, um im laufenden Geschäftsbetrieb die Anwendung ihrer Sorgfalt zu dokumentieren.50 Der Position und den Argumenten der Berliner Kaufmannschaft konnten sich die meisten Handelskammern, der Handelstag und die Interessenorganisation der hannoverischen und braunschweigischen Aktiengesellschaften anschließen.51 Dies bezog auch die Forderung mit ein, den Missbrauch von Minderheitenrechten durch Schutzklauseln zu erschweren, die Abwahl des Aufsichtsrats an eine qualifizierte Mehrheit zu binden und die vorgesehene Beweispflicht von Aufsichtsrat und Vorstand zu streichen.52 Die Kritik der Handelskammern, kaufmännischen Korporationen und anderen Interessenorganisationen leitungsnaher Eliten wurde von den Reichstagsabgeordneten des Freisinns und der 48 Siehe die Gutachten der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft vom 17.11.1873 und 31.12.1883. Ebd. beziehungsweise BArch, R 3001/2867. 49 Dieses Argument wurde von der Handelskammer Oberbayern (München) vorgebracht. Siehe den Bericht der Handelskammer an das bayrische Staatsministerium des Inneren vom 23.12.1883, in: BArch, R 3001/2867. 50 Diese Argumentation findet sich wieder in der Stellungnahme der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft vom 31.12.1883, in: BArch, R 3001/2867. 51 Vgl. für die 1870er Jahre die von Hecht gesammelten Gutachten, in: Hecht. Für die frühen 1880er Jahre finden sich die relevanten Gutachten in: BArch, R 3001/2867 und BArch, R 1501/100006. Eine Parallelüberlieferung findet sich in den Akten des Reichstags: BArch, R 101/797. Explizit verwiesen sei auf die Gutachten der Kaufmannschaften von Königsberg und Stettin und der Handelskammer Mannheim (alle 1873/74) sowie die Gutachten der bayrischen und sächsischen Handelskammern, der Handelskammern Aachen, Hannover, Mannheim und Darmstadt, der Ältestenschaft der Danziger Kaufmannschaft und der Vereinigung der hannoverischen und braunschweigischen Aktiengesellschaften sowie die Referate auf dem Deutschen Handelstag vom 02. und 03.04.1884. 52 Gefordert wurden Mindesthaltefristen der Aktien, die Hinterlegung von Sicherheitsleistungen und die Haftung der Minderheit für den Fall eines absichtlich schädigenden Verhaltens. Die Vereinigung der hannoverischen und braunschweigischen Aktiengesellschaften forderte darüber hinaus die Statuierung einer Treuepflicht der Aktionäre gegenüber der Gesellschaft.

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Nationalliberalen Partei geteilt, die die Schärfung der Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats und die Idee der Minderheitenrechte als »generelles Mißtrauen gegenüber dem Handelsstand« interpretierten, das dazu führen würde, verantwortungsbewusste Personen von der Übernahme eines Aufsichtsrats- oder Vorstandspostens abzuschrecken.53 Dies ist umso erstaunlicher, da das preußische Abgeordnetenhaus auf Betreiben des Nationalliberalen Abgeordneten Eduard Lasker eine Resolution verabschiedet hatte, die die preußische Staatsregierung aufforderte, die Verantwortlichkeit der bei der Leitung und Beaufsichtigung wirkenden Personen zu schärfen und Bestimmungen für eine wirksame Kontrolle der Verwaltung zu treffen.54 Von der oben skizzierten Mittelposition wichen einige Kammern ab, indem sie den Schutz der Gesellschaft noch deutlicher propagierten. So sprach sich die Handelskammer Elberfeld in ihrem Gutachten vom Juli 1873 gegen eine Stärkung der Generalversammlung in Form der Übertragung von zusätzlichen Entscheidungskompetenzen sowie gegen die Einführung von Minderheitenrechten und gegen eine strengere Verantwortlichkeit von Aufsichtsrat und Vorstand aus.55 Die beiden Hansestädte Hamburg und Lübeck forderten ebenfalls die Streichung aller Minderheitenrechte, auch die Möglichkeit der jederzeitigen Abwahl des Aufsichtsrats sollte nach Meinung der beiden hanseatischen Handelskammern nicht Gesetz werden.56 Die Ausgestaltung von Stimmrechten und Gewinnbezugsrechten stand nicht im Zentrum der Reformdiskussion der 1870er und 1880er Jahre. Bezüglich des Stimmrechts sind kaum Differenzen innerhalb der politischen Elite feststellbar. Der Vorschlag des Reichsoberhandelsgerichts aus dem Jahr 1877, jeder Aktie das Stimmrecht zu gewähren,57 das Ausleihen von Aktien zu verbieten58 und das Ruhen des Stimmrechts bei Interessenkonflikten vorzuschreiben, wurde weitgehend akzeptiert. Komplettiert wurden die Vorschläge des Reichsoberhandelsgerichts durch die Empfehlung, die Teilnahme an der Generalversammlung zu erleichtern und die Praxis des Ausschlusses der freien Aktionäre von der Gene-

53 Vgl. die Redebeiträge der Abgeordneten Horrwitz (Freisinn) und Büsing (Nationalliberale Partei) während der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am 24.03.1884 (11. Sitzung), in: Deutscher Reichstag, Verhandlungen 1884. Das Zitat stammt von dem Abgeordneten Horrwitz. Von einem generellen Misstrauen gegenüber dem Handelsstand und der Gefahr einer Verdrängung verantwortungsbewusster Personen spricht auch Delbrück in seiner im Jahr 1883 erschienenen Kritik an dem Bundesratsentwurf. Vgl. Delbrück, S. 28–38. 54 Königreich Preußen, Stenographische Berichte, S. 881–915. 55 Handelskammer Elberfeld. 56 Siehe die Gutachten der Handelskammern Hamburg und Lübeck vom Januar 1884 beziehungsweise Dezember 1883, in: BArch, R 3001/2867. 57 Dabei sollten die maximal auf eine Person entfallenden Stimmen durch das Statut nach oben begrenzt werden können. 58 Die Entsendung eines bevollmächtigten Vertreters sollte jedoch erlaubt sein. Der Regelungsvorschlag richtete sich v. a. gegen die Praxis, Aktien gegen Geld zu verleihen.

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ralversammlung abzustellen.59 Die Aufhebung von Stimmrechtsbeschränkungen und der Versuch, das Stimmrecht auf eine Art und Weise zu gestalten, die die Verfolgung von Sonderinteressen erschweren sollte, muss als Komplement zur Idee der Stärkung der Generalversammlung verstanden werden. Sollten der Generalversammlung mehr Kompetenzen übertragen werden, mussten auch die dort erscheinenden freien Aktionäre mit ihrer Stimme eine positive Entscheidung herbeiführen können. Folglich stellten sich auch nur die Mitglieder der leitungsnahen Eliten gegen den Vorschlag einer allgemeinen Stimmrechtsgewährung, die auch die Stärkung der Generalversammlung ablehnten.60 Fragen der Gewinnverteilung wurden ebenfalls nur am Rande berührt. So existierten außer dem Vorschlag der Zentrumsfraktion, die Gewinnbeteiligung des Aufsichtsrats zu begrenzen, keine weiteren Vorschläge, die Gewinnverteilung gesetzlich zu normieren.61 Die vom Juristentag empfohlenen individuellen Rechte auf Einhaltung der Statuten – und damit auch der dort festgelegten Gewinnverteilungsschlüssel – sowie auf Einsichtnahme in die Bilanz hatten jedoch indirekte Auswirkungen auf die Gewinnverteilung, da es die Möglichkeit der Aktionäre vergrößerte, gegen die Bildung stiller Reserven vorzugehen und ihre Dividendenansprüche durchzusetzen. Hier zeigt sich die bereits angesprochene Überlappung von Gewinnverteilungsrechten und Offenlegungsvorschriften. Abseits der allseits anerkannten Notwendigkeit der Offenlegung des Gründungshergangs wurden Offenlegungsfragen ebenfalls nicht besonders intensiv debattiert. Als wichtige Verfechter einer größeren Öffentlichkeit bei der Geschäftsführung müssen Jakob Behrend, Felix Hecht, Ignaz von Strombeck und Adolph Wagner gelten.62 Letzterer ging so weit, die Aufstellung branchen­ spezifischer Bilanzformulare durch eine staatliche Kontrollstelle zu fordern, an die sich die Gesellschaften bei der Bilanzerstellung zu halten hätten.63 Heinrich Wiener konzentrierte sich dagegen in seinem Gutachten für den Verein für Socialpolitik hauptsächlich auf die Offenlegung der Gründung.64 Auch das Reichsoberhandelsgericht empfahl eine Ausweitung der Offenlegung. So sollte über die Verhandlungen der Generalversammlung Protokoll geführt werden. Darüber 59 Strombeck; Schreiben des Schutzvereins an das Reichskanzleramt, Essen 08.11.1877, in: BArch, R 3001/2865. 60 Handelskammer Elberfeld). 61 Stellungnahme des Abgeordneten Reichensperger während der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am 24.03.1884, in: Deutscher Reichstag, Verhandlungen 1884. 62 Behrend; Hecht; Strombeck; Wagner. 63 Wagner, S. 277–278. Die Bilanzaufstellung sollte jährlich, im Fall von Banken und Versicherungen mindestens vierteljährlich erfolgen. 64 Wiener, Gutachten. Eine Konzentration auf die Offenlegung des Gründungshergangs zeigt sich auch im Wolffson’schen Referat für den Deutschen Juristentag. Wolffson forderte eine weitgehende Offenlegung des Gründungshergangs mit Hilfe eines Prospekts. Dem widersprach Albrecht, der die Prüfung der Gründung in die Hände der Aktionäre legen wollte. Die Mehrheit des Juristentags schloss sich aber den Vorschlägen Wolffsons an. Siehe: Lieder, Reformbestrebungen, S. 68–75.

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hinaus sprach sich das Gericht für eine Vorschrift aus, die es den Aktionären ermöglichte, schon im Vorfeld der Generalversammlung die Zusendung von Bilanz, Jahresbericht und Gewinn- und Verlustrechnung zu verlangen. Dieser Vorschlag wurde von dem Referenten des Juristentags, Heinrich Jacques, in seine Empfehlungen an den im Sommer 1880 tagenden Juristentag aufgenommen.65 Weitergehende Offenlegungsvorschriften, wie etwa die von Wagner geforderte Einführung von Bilanzschemata oder Pflichtangaben im Geschäftsbericht, empfahlen Reichsoberhandelsgericht und Juristentag allerdings nicht. Levin Goldschmidt nahm in seinem Gutachten für den Verein für Socialpolitik dagegen den Standpunkt ein, das Prinzip der Öffentlichkeit bei der Geschäftsführung sei schon weitgehend durch die Novelle von 1870 hergestellt und empfahl, auf weitere Maßnahmen – etwa die Einführung von Bilanzformularen – zu verzichten.66 Und auch auf dem Juristentag gab es Stimmen, die vor den Gefahren einer Offenlegung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung warnten.67 Ähnlich skeptisch gegenüber zu weitgehenden Offenlegungsstandards bei der Geschäftsführung scheinen die leitungsnahen Eliten gewesen sein. Zwar widersprachen nur einige wenige Handelskammern in ihren Gutachten zu dem Entwurf des Bundesrats der vorgeschlagenen Veröffentlichung von Bilanz (Oberbayern) und Gewinn- und Verlustrechnung (Dresden).68 Die Mehrheit der Handelskammern wehrte sich allerdings gegen die Ermächtigung des Reichskanzlers, für bestimmte Unternehmenstypen Bilanzformulare vorschreiben zu dürfen.69 Viele Unternehmensleiter fürchteten, der Reichskanzler könne eine zu weitgehende Offenlegung verlangen, die die Unternehmen zwingen würde, Geschäftsgeheimnisse zu verraten.70 Andere betonten die hohen Kosten einer erzwungenen Umstellung der Bilanz.71 Wieder andere sahen in den Bilanzformularen eine versteckte Wiedereinführung der Staatsaufsicht.72 Ähnliche Bedenken wurden auch von den Vertretern der liberalen Parteien im Reichstag

65 Deutscher Juristentag, Verhandlungen 1881, S. 153–155. 66 Goldschmidt. 67 Deutscher Juristentag, Verhandlungen 1881, S. 171–172, 203–204 und 207–208. 68 Siehe die Gutachten der beiden Kammern vom 23. beziehungsweise 17.12.1883, in: BArch, R 3001/2867. 69 Vgl. die Stellungnahmen der Handelskammern beziehungsweise Ältestenschaften von Bremen, Berlin, Leipzig, Lübeck, Hamburg, Hannover, Mannheim und Unterfranken sowie der Vereinigung der hannoverischen und braunschweigischen Aktiengesellschaften, in: BArch, R 3001/2867 und BArch, R 1501/100006. 70 So die Kammern beziehungsweise Ältestenschaften von Berlin, Bremen, Leipzig, Mannheim und Hamburg. 71 Stellungnahmen der Handelskammern Leipzig, Lübeck und Hamburg. 72 Stellungnahmen der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft und der Handelskammer Bremen. Daneben wurde auch davor gewarnt, die Machtbefugnisse des Reichskanzlers in Wirtschaftsfragen auszuweiten. Siehe die Gutachten der Handelskammer Leipzig, Hannover und Unterfranken sowie die Petition der Vereinigung der hannoverischen und braunschweigischen Aktiengesellschaften.

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vorgebracht.73 Nur die württembergischen Kammern akzeptierten den Regierungsvorschlag voll und ganz. In Summe lassen sich zwei große Advokatenkoalitionen im Kaiserreich unterscheiden. Auf der einen Seite stand eine Koalition aus juristischen Experten, Nationalökonomen, der Zentrumsfraktion im Reichstag, einigen wenigen Unternehmensleitern und einzelnen süddeutschen Handelskammern, die von der Notwendigkeit einer Reform des Status quo des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsverpflichtungen überzeugt waren und sich für eine Stärkung der Generalversammlung, eine effektivere Kontrolle der Geschäftsführung und bessere Offenlegungsstandards einsetzte. Auf der anderen Seite stand eine Koalition, die der Reform des Status quo skeptisch gegenüberstand und die Notwendigkeit des Schutzes der Gesellschaft vor schädlichen Sonderinteressen einer Aktionärsminderheit betonte. Diese Koalition bestand hauptsächlich aus Organisationen, die den Unternehmensleitungen und den Banken nahestanden sowie aus den beiden großen liberalen Reichstagsfraktionen, wobei sich die Nationalliberale Partei zunächst für einen besseren Aktionärsschutz ausgesprochen hatte. Aber auch einige wenige juristische Experten lassen sich zu dieser Koalition zählen. Innerhalb dieser beiden großen Koalitionen findet sich eine größere Variation. So betonten zwar die Reformskeptiker den Schutz der Gesellschaftsinteressen, die Mehrheit erkannte aber durchaus die Notwendigkeit einer Stärkung der Generalversammlung und verbesserter Offenlegungsstandards an, und nur eine Minderheit sprach sich gegen jedwede Änderung des Status quo aus. Innerhalb der Koalition der Reformbefürworter gab es wiederum eine Minderheit, die sich für eine größere Rolle des Staates bei der Kontrolle der Geschäftsführung oder zumindest für die Schaffung einer verpflichtenden Bilanzprüfung durch externe Revisoren stark machte und auch bei den Offenlegungsverpflichtungen ein größeres Engagement des Staates forderte. Dem stand eine Mehrheit gegenüber, die auf den Selbstschutz der Aktionäre setzte, dabei jedoch den Schutz der Gesellschaft nicht außer Acht lassen und auch die Offenlegung nicht zu weit treiben wollte. Die Tatsache, dass auch die Befürworter eines stärkeren Minderheitenschutzes das Bedürfnis der Gesellschaft nach einem Schutz vor den Sonderinteressen einiger Aktionäre anerkannten, kann zudem als ein Hinweis auf ein gegenseitiges Lernen der Advokatenkoalitionen interpretiert werden.

73 Redebeiträge der Abgeordneten Horrwitz (Freisinn) und Büsing (Nationalliberale Partei) während der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am 24.3.1884 (11. Sitzung), in: Deutscher Reichstag, Verhandlungen 1884.

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4.2 Weimarer Republik Zentrales Thema der Aktienrechtsdebatte der 1920er Jahre war die Machtkonzentration in den Händen der Verwaltung und die Intransparenz der Vermögensverhältnisse der großen Aktienkonzerne. Besondere Aufmerksamkeit erfuhren dabei Stimmrechts- und Offenlegungsfragen. Die Ausgestaltung des Kräfteverhältnisses zwischen den Gesellschaftsorganen wurde aber genauso angeschnitten wie Fragen der Gewinnbezugsrechte. Die Debatte über die Reform des Aktienrechts wurde in der Weimarer Republik ähnlich wie im Kaiserreich durch den Deutschen Juristentag entscheidend mitgeprägt. Im Zentrum des Juristentags des Jahres 1924 stand die hier nicht näher behandelte Frage, wie durch die Übernahme angelsächsischer Rechtsinstitute in das deutsche Aktienrecht die Beschaffung dringend notwendigen Kapitals aus dem Ausland erleichtert werden könnte.74 Vor dem Hintergrund des immer weiteren Auseinanderdriftens von Gesetz und Rechtswirklichkeit diskutierte der Kölner Juristentag des Jahres 1926, ob die Vermachtungstendenzen innerhalb der Aktiengesellschaften eine grundlegende Reform erforderten. Sowohl der Gutachter, der Frankfurter Rechtsanwalt Julius Lehmann, als auch die Berichterstatter, Rechtsanwalt Albert Pinner, Professor Ernst Heymann und der Geschäftsinhaber der Discontogesellschaft Georg Solmssen, sprachen sich gegen eine sofortige und umfassende Reform aus.75 Am deutlichsten wandte sich Georg Solmssen gegen die Novellierung des Aktienrechts. Er befürchtete, das noch junge parlamentarische System sei mit einer Reform von der Größe und Bedeutung eines Handelsgesetzbuchs überfordert. Lediglich bei der Kapitalaufbringung empfahl Solmssen Änderungen, die die Beschaffung von Auslandskapital erleichtern sollten. Ernst Heymann stand einer umfassenden Reform ebenfalls kritisch gegenüber, empfahl aber, sich des Problems der Mehrstimmrechts- und Vorratsaktien sowie des Depotstimmrechts der Banken in einem Spezialgesetz anzunehmen. Der für das Aktienrecht zuständige Ministerialdirektor im Reichsjustizministerium, Franz Schlegelberger, stellte sich jedoch entschieden gegen den Heymann’schen Vorschlag eines Spezialgesetzes und teilte mit, das Ministerium prüfe bereits die Notwendigkeit einer Reform. Er empfahl daher, den Antrag Pinners auf die Bildung einer Spezialkommission zur Prüfung der Reformbedürftigkeit des deutschen Aktienrechts anzunehmen. Dieser Empfehlung schloss sich die Mehrheit des Juristentags an. Laut einem der größten Kritiker der Entwicklung des Aktienrechts in den 1920er Jahren, Arthur Nußbaum, war die vom Juristentag eingesetzte Kommission von Wirtschaftsanwälten – also jener Gruppe, die an der Entwicklung neuer Rechtsfiguren teil hatte  – von Unternehmensjuristen und Verbandvertretern dominiert.76 Dass 74 Für einen Überblick Hoffmann, Kapitalbeschaffung. 75 Schmidt, S. 262–264. 76 Schubert, Weimarer Republik, S. 13–14.

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diese Einschätzung nicht von der Hand zu weisen ist, zeigt ein Blick auf die Mitgliederliste der Spezialkommission. Von den 31 Mitgliedern waren 16 freischaffende Rechtsanwälte, die wohl hauptsächlich für größere Aktiengesellschaften tätig waren, darunter so bedeutende Wirtschaftsanwälte wie Max Hachenburg und Karl Geiler.77 Hinzu kamen Unternehmensjuristen wie Julius Flechtheim, Leiter der Rechtsabteilung der IG Farben, und Georg Solmssen. Banken und Großindustrie waren aber auch durch Vertreter des Reichsverbands der Deutschen Industrie und des Zentralverbands des Bank- und Bankiergewerbes präsent.78 Bei einer solchen Besetzung der Kommission mag es nicht verwundern, wenn ihr Abschlussbericht sehr konservativ ausfiel und nur inkrementelle Verbesserungen empfahl.79 In der Frage der Wiederherstellung des durch das Handelsgesetzbuch aus dem Jahr 1900 festgeschriebenen Kräfteverhältnisses zwischen den Gesellschaftsorganen sprach sich die Mehrheit der Kommission folglich für den Status quo und gegen Vorschläge aus, Vorstand und Aufsichtsrat zusammenzulegen, die Bildung von Aufsichtsratskommissionen gesetzlich zu regeln oder ein Proportionalwahlrecht bei den Wahlen zum Aufsichtsrat einzuführen. Gerade Letzteres hätte eine Aufwertung der freien Aktionäre bedeutet.80 Die Mehrheit der Kommission wandte sich auch gegen die Kritik an der Häufung von Aufsichtsratsmandaten in den Händen einiger weniger Industrieller und Bankiers. Die Kommission empfahl lediglich ein staatliches Entsendungsrecht von Aufsichtsratsmitgliedern bei gemeinwirtschaftlichen Unternehmen. Daneben sollte der Vorstand verpflichtet werden, dem Aufsichtsrat in festen Zeitabständen über die Geschäftsentwicklung zu berichten. Diese konservative Grundhaltung behielt die Kommission, trotz der Bereitschaft einiger Zugeständnisse, auch in der Stimmrechtsfrage bei. Vorratsaktien wurden zwar kritisiert, aber als notwendig erachtet.81 Da es sich bei den Vorratsaktien jedoch um eigene Aktien handelte, empfahl die Kommission das Ruhen des Stimm- und Bezugsrechts. Die zur Behandlung von Stimmrechtsfragen gegründete Unterkommission, bestehend aus Solmssen, Ring, Gieseke und Nußbaum, sprach sich zudem – gegen die Stimme Nußbaums – für eine Beibehaltung des Mehrstimmrechts und des

77 Vgl. die Protokolle der vom Juristentag eingesetzten Spezialkommission. Deutscher Juristentag, Protokolle (1926/1928). Zu Karl Geiler vgl. Weis. Geiler beriet u. a. die IG Farben und vertrat die Interessen zahlreicher Mandanten in verschiedenen Aufsichtsräten (S. 71–74). Zu Hachenburg vgl. Duden und Schubert, Aktienrechtsreform, S. 1–7. In der Einleitung bezeichnet Hommelhoff Hachenburg als einen Vertreter einer sich für die Vorherrschaft der Verwaltung stark machenden Reformrichtung. 78 Für den RDI nahmen das Präsidialmitglied Ernst von Simson und das Vorstandsmitglied Julius Flechtheim an den Sitzungen teil. Der Bankenverband wurde von seinem Geschäftsführer und Aufsichtsratsvorsitzendem der Darmstädter Bank Jacob Riesser vertreten. Zur Person Riessers Zilch. 79 Deutscher Juristentag, Bericht 1928, S. 6. 80 Ebd., S. 20–23. 81 Ebd., S. 11–20.

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Depotstimmrechts sowie für eine Stärkung von Daueraktionären aus.82 Diesen Empfehlungen folgte die Mehrheit der Kommission nur in Teilen. So votierte die Kommission zwar für eine Beibehaltung der Mehrstimmrechtsaktien und des Depotstimmrechts, der Antrag auf Stärkung von Daueraktionären wurde jedoch nicht übernommen.83 Zudem empfahl die Kommission einige Einschränkungen bei den Mehrstimmrechtsaktien. Diese sollten nur mit einer Dreiviertelmehrheit geschaffen werden und nach fünf Jahren durch die Generalversammlung eingezogen werden können. Parallel dazu sollte nicht volleingezahlten Aktien nur mit einer Dreiviertelmehrheit das Stimmrecht gewährt werden. Zur Verhinderung einer missbräuchlichen Nutzung des Stimmrechts, schlug die Kommission das Ruhen des Stimmrechts im Fall von Interessenkonflikten vor.84 Mit dieser sogenannten Generalklausel sollte auch ein Schadensersatzanspruch gegen Aktionäre verbunden sein, die in der Generalversammlung für gesellschaftsfremde Sondervorteile für sich oder einen Dritten stimmten. Diese in Summe sehr zurückhaltende Reformposition der Juristentagskommission wurde von den leitungsnahen Eliten geteilt. In der Antwort auf einen umfangreichen, vom Reichsjustizministerium an wichtige Interessengruppen versandten Fragebogen verwies der RDI im Jahr 1930 darauf, dass man keine Notwendigkeit für eine Reform des Aktienrechts sehe.85 Ähnlich äußerte sich der Deutsche Industrie- und Handelstag, der sich für eine »behutsame« Reform aussprach.86 Folglich wandten sich die beiden Spitzenverbände der Wirtschaft gegen eine Stärkung der Generalversammlung und der freien Aktionäre. Der RDI forderte in seinem Antwortschreiben sogar ausdrücklich, den Schutz der Unternehmen vor Minderheiten mit gesellschaftsschädigenden Interessen auszubauen.87 Der Unternehmensschutz wurde auch vom DIHT betont.88 Das 82 Die Protokolle der Unterkommission finden sich in: Deutscher Juristentag, Protokolle (1926/1928), S. 74–85. 83 Deutscher Juristentag, Bericht 1928, S. 24–32. 84 Die Generalklausel war dabei als Ersatz für den enger gefassten, den Stimmrechtsausschluss regelnden Artikel 252, Absatz 3 HGB, gedacht. 85 Die Antwort des RDI auf den Fragebogen ist abgedruckt in: Reichsverband der Industrie, hier besonders S. 652. Der Fragebogen war mit über 800 Fragen sehr umfangreich. Er wurde an eine Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen, darunter die Spitzenverbände der Wirtschaft, den Deutschen Anwaltsverein, die Vereinigung der Berliner Handelsredakteure und die Gewerkschaften, verschickt. Die Antworten der verschiedenen Gruppen finden sich in den Akten des Bundesarchivs in Berlin unter den Signaturen BArch, R 3001/3007 bis BArch, R 3001/3021. Die wichtigsten Antworten sind abgedruckt in: Schubert, Weimarer Republik. 86 Deutscher Industrie- und Handelstag. 87 Reichsverband der Industrie. 88 Deutscher Industrie- und Handelstag. Zwischen den beiden Verbänden gab es allerdings unterschiedliche Auffassungen, wie dieser Schutz erreicht werden sollte. Der RDI sah in der vom Juristentag vorgeschlagenen Generalklausel den richtigen Weg. Die Klausel sollte es ermöglichen, Aktionäre für gesellschaftsschädigendes Verhalten haftbar zu machen. Dem DIHT war die Klausel jedoch zu schwammig formuliert, so dass er befürchtete, die Generalklausel könne von der Unternehmensführung missbräuchlich gegen unliebsame Aktionäre eingesetzt werden.

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Kräfteverhältnis zwischen den beiden Führungsorganen, dem Aufsichtsrat und dem Vorstand, sollte weitgehend unangetastet bleiben. Der RDI empfahl lediglich, die Kontrollfunktion des Aufsichtsrats durch die Einführung einer vierteljährlichen Berichtspflicht zu stärken. Die Präferenz der Unternehmensleiter für den Erhalt des Status quo zeigt sich auch in der Stimmrechtsfrage. Sowohl der RDI als auch die Mehrheit der Handelskammern sprachen sich für die Beibehaltung der umstrittenen Mehrstimmrechtsaktien aus.89 Der RDI trat sogar für eine Legalisierung der Vorratsaktien ein. Auch in der Frage des Depotstimmrechts der Banken sprachen sich die beiden Verbände für die Wahrung des Status quo aus. Unterstützung erfuhren sie durch die Großbanken, die ebenfalls in umfangreicher Form auf den Fragebogen des Reichsjustizministeriums geantwortet und sich in Person von Georg Solmssen bereits in der Juristentagskommission für eine Beibehaltung des Status quo ausgesprochen hatten.90 Für die Mehrheit des Juristentags stellte das Auseinanderdriften zwischen Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit kein Problem dar, solange dieses den sozialen und wirtschaftlichen Umbrüchen der Zeit geschuldet war.91 Die mit Hilfe neuer, preater oder gar contra legem geschaffener Rechtsinstitute entstandene Machtkonzentration bei der Unternehmensleitung wurde als ein Ergebnis dieser Umbrüche interpretiert. Diese Sichtweise wurde auch von den mit der Juristentagsmehrheit teilweise identischen leitungsnahen Eliten geteilt. Die Machtkonzentration auf die Führungsorgane und die Entmachtung der Aktionäre waren in den Augen dieser Gruppen sogar notwendig, um den gesellschaftlichen Zweck der Aktiengesellschaft, die Güterproduktion, zu erfüllen.92 Besonders deutlich wird diese Sichtweise in der 1928 erschienenen Schrift Georg Solmssens. Solmssen sprach den freien Aktionären die Fähigkeit ab, den typischen Großbetrieb überblicken und lenken zu können. Die »oligarchische Organisation« sei daher der einzig gangbare Weg, einen modernen Großkonzern zu führen.93 Die Aktionäre hätten dagegen oft gar kein Interesse, sich an der Führung des Unternehmens zu beteiligen und würden häufig die Gesellschaft schädigende »Eigeninteressen« verfolgen. Der Schutz der Unternehmensleitung vor lediglich an hohen Renditen interessierten Aktionären sei daher dringend geboten.94 Eine Reform des Aktienrechts habe daher die neue Rechtswirklichkeit anzuerkennen und ihr

89 Eine Minderheit der Handelskammern forderte die Abschaffung des Mehrstimmrechts, eine andere Minderheit sprach sich zwar für die Abschaffung aus, wollte dies aber der Wirtschaft überlassen. Vgl. die Antworten des RDI und des DIHT auf den Fragebogen des Reichsjustizministeriums, Deutscher Industrie- und Handelstag; Reichsverband der Industrie. 90 Referate der Großbankenvertreter in der Antwort des Zentralverbands des Deutschen Bankund Bankiergewerbes auf den Fragebogen des Reichsjustizministeriums. Zentralverband des deutschen Bank- und Bankiergewerbes. 91 Dazu Geiler, S. 5. 92 Popp, S. 20–21. 93 Solmssen, S. 105–106. Vgl. auch Rathenau. 94 Solmssen, S. 116–118.

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nur dort entgegenzutreten, wo sich diese nicht zum Wohl aller an der Aktiengesellschaft beteiligten Gruppen entwickele.95 Während Unternehmensjuristen und leitungsnahe Eliten also das Wohl der Gesellschaft und aller mit ihr verbundenen Gruppen zum Maßstab erhoben, stand bei einem anderen Teil der politischen Elite der freie Aktionär im Mittelpunkt der Reformüberlegungen. Die schleichende Entrechtung der freien Aktionäre durch die sich immer weiter öffnende Schere von Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit wurde von dieser Gruppe daher viel kritischer gesehen. Ihr Ziel war es, den Aktionär wieder in seine angestammten Mitentscheidungsrechte einzusetzen und, in etwas geringerem Maße, dem Auseinanderdriften von Rechtsnorm und Rechtspraxis entgegenzutreten, da dieses das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung verletzte.96 Der Rechtsentwicklung der 1920er Jahre kritisch gegenüber eingestellte Juristen waren in der vom Juristentag eingesetzten Sachverständigenkommission in der Minderheit und mussten auf andere Plattformen ausweichen, wie etwa die Vereinigung für Aktienrecht. Die Vereinigung war eine der ersten Kritikerinnen der Auseinanderentwicklung von Rechtsnorm und Rechtspraxis und eine der wichtigsten Fürsprecherinnen für eine baldige und umfassende Reform.97 Das Hauptaugenmerk der Vereinigung für Aktienrecht lag auf der Organisation von Vorträgen, für die kritische – meist an Hochschulen lehrende – Juristen gewonnen werden konnten. Daneben übernahm sie die Drucklegung der ausgearbeiteten Vorträge.98 Innerhalb der Vereinigung für Aktienrecht besaß der an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Handelsrechtler Arthur Nußbaum eine wichtige Funktion. Nußbaum übernahm eine Art Sprecherrolle und gab die Reihe mit den Vortragsbeiträgen unter dem Namen Gesellschaftsrechtliche Abhandlungen heraus. Daneben war Nußbaum selbst als Autor aktiv und zudem Mitglied der Sachverständigenkommission des Juristentags.99 In Summe trat die Vereinigung für Aktienrecht im Speziellen und die unternehmenskritischen Juristen im Allgemeinen für eine Anpassung des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsstandards an die geänderten Verhältnisse ein. Dies beinhaltete die Forderung nach einem besseren Schutz von Minderheiten – etwa durch den Wegfall der Sicherheitsleistung bei Schadensersatzklagen, die Einführung eines Klagerechts für einzelne Aktionäre und Gläubiger beziehungsweise eines Individualrechts auf Anrufung des Handelsgerichts zwecks Prüfung eines Generalversammlungsbeschlusses auf die Bedienung von Sonderinteressen.100 Parallel dazu wurde eine Stärkung der 95 Geiler, S. 5. 96 Meyerowitz, S. 31–32; Nell-Breuning, S. 14–15; Nußbaum, Aktionär, S. 1–4. 97 Über die innere Struktur der Vereinigung für Aktienrecht ist recht wenig bekannt. Wahrscheinlich war sich als Verein organisiert. Die Quellen lassen darauf schließen, dass es verschiedene Ortsgruppen gab. 98 Nußbaum, Abhandlungen. 99 Nußbaum, Aktionär. 100 Deutscher Juristentag, Bericht 1928, S. 5; Vermerk eines Referenten des Reichsjustizministeriums zu einem von der Vereinigung für Aktienrecht organisierten Vortrag vom 24.10.1929,

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Generalversammlung empfohlen und die Konzentration von Aufsichtsrats­ mandaten in den Händen einiger weniger Industriekapitäne kritisiert.101 Die von der Mehrheit der Sachverständigenkommission des Juristentags vorgeschlagene Generalklausel lehnten die unternehmenskritischen Juristen dagegen unter Hinweis auf die Missbrauchsgefahr zu Lasten der freien Aktionäre ab.102 Insbesondere standen jedoch Stimmrechtsfragen im Zentrum der Kritik der reformbefürwortenden Handelsrechtler. So bezeichnete Arthur Nußbaum während der Sitzung der von der Sachverständigenkommission des Juristentags eingesetzten Unterkommission für Stimmrechtsfragen Mehrstimmrechtsaktien als Entrechtung der Aktionäre.103 Die prononciertesten Reformvorschläge stammten ebenfalls von Nußbaum.104 Er schlug vor, Stimmrechtsaktien auf 25 Prozent aller in der Generalversammlung vertretenen Stimmen zu beschränken und das Mehrstimmrecht nur für die Wahl des Aufsichtsrats, die Änderung der Satzung und die Auflösung der Gesellschaft zuzulassen.105 Zudem sollte den Aktionären gestattet sein, auf Beseitigung bestehender Mehrstimmrechtsaktien zu klagen. Die Schaffung neuer Mehrstimmrechtsaktien sollte nur mit Zustimmung von Dreivierteln des auf der Generalversammlung vertretenen Grundkapitals – also unter Anwendung einer one share one vote Regel – möglich sein, das Stimmrecht selbst sollte von der Vollzahlung der Aktie abhängig gemacht

Berlin 28.10.1929, in: BArch, R 3001/2937. Redner war Bruno Buchwald; Schreiben von Dr. de Castro an Landgerichtsrat Schmölder vom 18.02.1930, in: BArch, R 3001/2938. De Castro war ebenfalls als Redner der Vereinigung für Aktienrecht aktiv. Vgl. den Bericht des Berliner Börsen-Couriers über den Vortragsabend der Hamburger Ortsgruppe der Vereinigung für Aktienrecht vom 17.02.1930, in: BArch, R 3001/2887. 101 Deutscher Juristentag, Bericht 1928, S. 20–23; Schreiben de Castros vom 18.02.1930, in: BArch, R 3001/2938. De Castro schlug in seinem Brief an Schmölder vor, der Generalversammlung zu erlauben, die Vertretungsbefugnis des Vorstands künftig auch nach außen zu begrenzen und den Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre grundsätzlich zu verbieten. 102 Deutscher Juristentag, Bericht 1928, S. 24–32; Oswald von Nell-Breuning in einem Referat für die Vereinigung für Aktienrecht, gehalten am 24.02.1930. Siehe den Bericht von Rechtsanwalt Netter an Ministerialdirektor Schlegelberger vom 26.02.1930, in: BArch, R 3001/2938. 103 Siehe die Protokolle der Unterkommission, in: Deutscher Juristentag, Protokolle (1926/1928), S. 74–85. Ebenfalls kritisch äußerte sich Nußbaum in seiner (1928) erschienenen Schrift Aktionär und Verwaltung. Nußbaum war nicht der einzige Kritiker. Beispielhaft sei auf die Vorträge von Oswald von Nell-Breuning und Hugo Horrwitz aus den Jahren 1930 bzw. 1925 verwiesen. Vgl. den Bericht von Rechtsanwalt Netter an Ministerialdirektor Schlegelberger vom 26.02.1930, in: BArch, R 3001/2938, sowie den Bericht des Berliner Tageblatts vom 16.11.1925 über einen Vortragsabend der Vereinigung für Aktienrecht, in: BArch, R 3103/21. 104 Nußbaum, Aktionär, S. 11–19. 105 Eine ähnliche Auffassung vertrat de Castro. In seinem Brief an Schmölder sprach er sich für eine Beschränkung der Mehrstimmrechtsaktien auf zehn Prozent des Grundkapitals aus. Siehe das Schreiben de Castros vom 18.02.1930, in: BArch, R 3001/2938.

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werden.106 Mit diesen Vorschlägen akzeptierte Nußbaum die Tatsache, dass sich die Mehrstimmrechtsaktie aufgrund des Widerstands der Banken und der Industrie nicht – wie etwa von Hugo Horrwitz und einem Teil der Handelspresse empfohlen – abschaffen lassen würde.107 Auch die Existenz der Vorratsaktien wurde von Nußbaum nicht bestritten, er machte jedoch zahlreiche Vorschläge, die den Handlungsspielraum der Verwaltungen eingrenzen und die Transparenz erhöhen sollten.108 Konkret schlug er vor, den für die Schaffung von Vorratsaktien notwendigen Bezugsrechtsausschluss an einen Mehrheitsbeschluss von Dreivierteln des auf der Generalversammlung vertretenen Grundkapitals zu binden. Die so geschaffenen Vorratsaktien sollten innerhalb von zwei Jahren verwertet werden, ihr Stimmrecht sollte in dieser Zeit ruhen.109 Zudem empfahl Nußbaum eine Erhöhung der Transparenz in Form eines Berichts über die Verwertung der Aktien und einen Ausweis in Bilanz und Geschäftsbericht. Neben den Stimmrechts- und Vorratsaktien stand auch das Depotstimmrecht der Banken in der Kritik.110 Da das Depotstimmrecht jedoch auch ein gewisses Gegengewicht zu den Mehrstimmrechten der Führungsorgane darstellte, sprach sich aber auch Nußbaum gegen dessen Abschaffung aus. Die Erteilung von Blankovollmachten an die Banken mittels der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sollte allerdings gestoppt werden. Stattdessen sollten die Banken verpflichtet werden, aktiv von jedem Kunden zeitlich begrenzte Spezialvollmachten ein­ zuholen.111 Die ab den 1890er Jahren einsetzende Konzernbildung schuf weitere Stimmrechtsprobleme. Konzerne entstanden durch den gegenseitigen Austausch von Aktien beziehungsweise durch den Ankauf größerer Aktienpakete durch ein Unternehmen. Dies führte dazu, dass abhängige Konzernunternehmen in den Generalversammlungen der beherrschenden Gesellschaften stimmberechtigt waren und so die Stimmenmacht der Verwaltungsorgane noch vergrößerten. 106 Andere Vorschläge gingen in die Richtung, die Schaffung von Mehrstimmrechtsaktien durch die staatlichen Börsenaufsichtsorgane genehmigen zu lassen. Siehe das Schreiben de Castros an Schmölder vom 18.02.1930, in: BArch, R 3001/2938. 107 Für die Position von Horrwitz vergleiche den Artikel im Berliner Tageblatt vom 16.11.1925 über einen Vortragsabend der Vereinigung für Aktienrecht, in: BArch, R 3103/21. Zu der Position der Handelspresse vgl. die Sammlung kritischer Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf durch das Reichsjustizministerium, in: BArch, R 3001/2942. 108 Nußbaum, Aktionär, S. 25–26. Oswald von Nell-Breuning äußerte sich ebenfalls kritisch zu den Vorratsaktien. Siehe den Bericht von Rechtsanwalt Netter an Ministerialdirektor Schlegelberger vom 26.02.1930, in: BArch, R 3001/2938. 109 Dies empfahl auch de Castro. Zusätzlich solle auch das Bezugsrecht der Vorratsaktieninhaber ausgeschlossen und eine Höchstgrenze festgelegt werden, bis zu der Vorratsaktien geschaffen werden durften. Siehe das Schreiben de Castros an Schmölder vom 18.02.1930, in: BArch, R 3001/2938. 110 Nußbaum, Aktionär, S. 26–28; vgl. auch die von Netter überlieferten Kommentare NellBreunings, in: BArch, R 3001/2938. 111 Vgl. den Bericht des Berliner Börsencouriers vom 17.02.1930 über die Vorträge de Castros und des Hamburger Rechtsanwalts Eduard Hallier auf einem Veranstaltungsabend der Hamburger Ortsgruppe der Vereinigung für Aktienrecht, in: BArch, R 3001/2887.

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Das Handelsgesetzbuch von 1897 kannte diese Problematik noch nicht. Mitte der 1920er Jahre stellte sich also die Frage, wie das Stimmrecht abhängiger Konzerngesellschaften zu regeln sei. Unternehmenskritische Juristen beantworteten diese Frage in der Regel mit der Empfehlung, das Stimmrecht abhängiger Konzernunternehmen auf den Generalversammlungen der Konzernmütter ruhen zu lassen.112 Neben den reformbefürwortenden Juristen war in den 1920er Jahren vor allem die Handelspresse ein aktiver Kritiker der Rechtsentwicklung und Fürsprecher von Reformen. In zahlreichen Artikeln berichtete sie über Missstände im Aktienwesen, machte Reformvorschläge, druckte Debattenbeiträge Dritter und begleitete den Gesetzgebungsprozess kritisch.113 Eine umfassende Presseschau kann an dieser Stelle ob der zahlreichen Artikel nicht geleistet werden. Die Präferenzen der Berliner Handelsredakteure – Hauptsitz der meisten (Handels-)Zeitungen – lassen sich jedoch sehr gut anhand ihrer Antworten auf den Fragebogen des Reichsjustizministeriums zur Reform des Aktienrechts nachvollziehen.114 Die Berliner Handelsredakteure präferierten eine Stärkung der freien Aktionäre und der Minderheiten. So sprach sich die Vereinigung gegen ein staatliches oder privates Entsendungsrecht und für ein Proportionalwahlrecht zum Aufsichtsrat sowie für den Wegfall der Sicherheitsleistung bei einer von der Minderheit auf den Weg gebrachten Sonderprüfung und der anschließenden Schadensersatzklage durch die Minderheit aus.115 In den Fällen, in denen die Sonderprüfung durch eine Mehrheit auf den Weg gebracht worden war, sollte es einer Minderheit zudem erlaubt sein, ein eigenes Mitglied in die Prüfkommission zu entsenden. Darüber hinaus empfahl die Vereinigung der Berliner Handelsredakteure, die Aufhebung des Bezugsrechts zu erschweren, und kritisierte die vom Juristentag vorgeschlagene Generalklausel als schlecht formuliert und anfällig für einen Missbrauch durch die Mehrheit. Bezüglich des Aufsichtsrats präferierten die Berliner Handelsredakteure eine Stärkung der Kontrollfunktion und eine Erhöhung der Transparenz innerhalb des Gremiums.116 Darüber hinaus existierten Stimmen, die den Aufsichtsrat einer stärkeren staatlichen Kontrolle unterwerfen wollten. Beispielsweise empfahl die Frankfurter Zeitung die Errichtung eines Reichsaktienamts, das an Stelle der

112 Schreiben de Castros an Schmölder vom 18.02.1930, in: BArch, R 3001/2938. 113 Eine schöne und informative Sammlung von Presseartikeln zum Aktienrecht findet sich in: BArch, R 3103/21 und BArch, R 3001/2887. 114 Die Antworten der Berliner Handelsredakteure auf den Fragebogen des Reichsjustizministeriums finden sich in: BArch, R 3001/3012. Sie sind außerdem teilweise abgedruckt in: Vereinigung Berliner Handelsredakteure. 115 Ob die Kosten der Untersuchung von der Minderheit getragen werden mussten, sollte ein Gericht entscheiden. 116 Die Vereinigung der Handelsredakteure empfahl die Einführung einer periodischen Berichtspflicht des Vorstands an den Aufsichtsrat, genauso wie eine Berichtspflicht der einzelnen Aufsichtsratskommissionen an den Gesamtaufsichtsrat.

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freien Aktionäre gegen pflichtsäumige Aufsichtsräte klagen sollte.117 Dahinter stand die Feststellung, dass – obwohl viele Aufsichtsräte ihrer Kontrollfunktion nicht nachkamen – nur wenige Aktionäre aufgrund hoher Prozesskosten und Kautionen gegen pflichtsäumige Aufsichtsräte klagten. In der Stimmrechtsfrage stellten sich die Berliner Handelsredakteure auf den Standpunkt, dass das Kapitalrisiko und die Einflussmöglichkeiten auf unternehmerische Entscheidungen wieder in Übereinstimmung gebracht werden müssten. Konsequenterweise forderten sie daher die Abschaffung der Vorrats- und Stimmrechtsaktien. Sollte sich der Gesetzgeber entscheiden, die Mehrstimmrechtsaktien beizubehalten, sollten diese künftig von einer staatlichen oder treuhänderischen Stelle verwaltet werden.118 Das Depotstimmrecht der Banken wurde ebenfalls als reformbedürftig kritisiert und empfohlen, Blankovollmachten zu verbieten. Stattdessen sprachen sich die Berliner Handelsredakteure für Spezialvollmachten aus, die für einen begrenzten Zeitraum aktiv durch die Banken von ihren Depotkunden angefordert werden sollten.119 Interessanterweise traten auch viele Privatbanken für eine Stärkung der freien Aktionäre gegenüber Vorstand und Aufsichtsrat ein. So sind Präferenzen für eine Verhältniswahl des Aufsichtsrats, die Minderheiten eine Vertretung in dem Führungsgremium sichern sollte, nachweisbar.120 Daneben sprachen sich Privatbankiers für eine gesetzliche Stärkung der Minderheitenrechte, insbesondere für eine Erleichterung der Voraussetzungen für Schadensersatzklagen, sowie für strengere Haftungsregeln für Aufsichtsrat und Vorstand aus.121 Einige Bankiers gingen sogar soweit, ein Aktienaufsichtsamt zu fordern, das Aktionärsrechte gegenüber den Führungsorganen der Aktiengesellschaften durchsetzen sollte.122 Nach den Skandalen bei der Frankfurter Allgemeinen Versicherung AG und der Nordwolle AG plädierten Hamburger Privatbanken zudem für eine sofortige Neuwahl aller Aufsichtsräte und eine Begrenzung ihrer Mandatszahl.123 In der Stimmrechtsfrage war ein breites Meinungsspektrum vorhanden: Während sich

117 Siehe die Artikelserie der Frankfurter Zeitung zur Reform des Aktienrechts in den Nummern 351, 355, 378 und 387 vom 12., 14., 23. und 27.05.1926, in: BArch, R 3103/21. 118 Mehrstimmrechtsaktien sollten zudem nur mit Zustimmung der Generalversammlung übertragen werden können. 119 Eine Abstimmung mittelst Briefs lehnte die Vereinigung der Berliner Handelsredakteure dagegen ab. 120 Vgl. die Eingabe des Bankhauses Hugo Mainz aus Hamburg vom 06.02.1930, in: BArch, R 3001/2938. 121 Siehe die Referate von Arthur Hirschfeld (Hirschfeld & Co.), Paul Hamel (Sponholz & Co.), Arthur Hofmann (Schwarz, Goldschmidt & Co.) und Leopold Merzbach (Merzbach), in: Zentralverband des deutschen Bank- und Bankiergewerbes, sowie die Eingaben des Vereins für die Interessen der Fondsbörse in Hamburg vom 11.06.1930, in: BArch, R 3001/2938. Der Verein repräsentierte nach eigenen Angaben einen Großteil der Hamburger Privatbanken. 122 Vgl. die Eingabe des Bankhauses Hugo Mainz in Hamburg vom 06.02.1930, in: Ebd. 123 Siehe die Eingabe des Vereins für die Interessen der Fondsbörse in Hamburg vom 17.07.1931 sowie die Eingabe des Bankhauses Hugo Mainz vom 18.07.1931, in: BArch, R 3001/2939.

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Paul Hamel vom Bankhaus Sponholz & Co. für eine Beibehaltung des Depotstimmrechts und der Mehrstimmrechtsaktien aussprach, forderte das Bankhaus Lichtenberger & Co. die Abschaffung dieser Stimmrechte.124 Dazwischen gab es Abstufungen. So präferierte der Verein für die Interessen der Fondsbörse in Hamburg ein staatliches Genehmigungsrecht für den Einsatz von Mehrstimmrechtsaktien, das Bankhaus Hugo Mainz in Hamburg setzte sich dafür ein, die automatische Übertragung des Stimmrechts der Depotkunden durch die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken zu untersagen und die Depotbanken vor jeder Generalversammlung zur Einholung von Spezialvollmachten zu verpflichten.125 Ähnlich äußerte sich auch die Vereinigung Deutscher Privatbankiers in einer Unterredung mit einem Vertreter des Reichsjustizministeriums am 8. September 1930.126 Innerhalb des 1900 gegründeten Zentralverbands des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes offenbarte sich Ende der 1920er Jahre also eine deutliche Kluft zwischen den Interessen der großen Aktienbanken und den Privatbanken.127 Der Interessenskonflikt war so groß, dass sich die beiden Lager nicht auf eine gemeinsame Antwort auf den Fragebogen des Reichsjustizministeriums einigen konnten.128 Anstatt einer geschlossenen Antwort auf die Fragenkomplexe übersandte der Bankenverband daher die einzelnen, die Beratungen der eingesetzten Kommission vorbereitenden Referate. Diese waren so aufgeteilt, dass zu jedem Fragenkomplex mindestens ein Vertreter der Großbanken und ein Vertreter der Privatbanken Stellung bezog. Die deutliche Diskrepanz zwischen den Präferenzen der Privat- und der Aktiengroßbanken lässt sich mit der Tatsache erklären, dass sich die Privatbanken nach der Jahrhundertwende mehr und mehr auf den Aktienhandel spezialisiert hatten, während das Geschäft der Industriefinanzierung, das Emissions- sowie das Depotgeschäft fast ausschließlich in den

124 Siehe das Referat von Paul Hamel, in: Zentralverband des deutschen Bank- und Bankiergewerbes, sowie die Eingabe des Bankhauses Lichtenberger & Co. (Hannover) an den Reichskanzler vom 05.08.1931, in: BArch, R 43-I/1082. 125 Siehe die Eingaben des Vereins für die Interessen der Fondsbörse in Hamburg und des Bankhauses Hugo Mainz vom 11.06. bzw. 06.02.1930, in: BArch, R 3001/2938. 126 Die Notiz findet sich in: BArch, R 3001/2942. Leider war nicht zu ermitteln, wen das Reichsjustizministerium zu dem Treffen entsandt hat. 127 Ein solcher Interessensgegensatz ist für das Kaiserreich nicht nachweisbar. Dies liegt wohl auch daran, dass die Aktiengroßbanken bis in die 1880er Jahren von ihren Gründungskonsortien – bestehend aus den bedeutendsten Privatbankiers – dominiert wurden. Vgl. Wixforth u. Ziegler, Universal banking, S. 100–101. 128 Siehe das Begleitschreiben des Zentralverbands des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes zu den Antworten auf den Fragebogen des Reichsjustizministeriums, Berlin 08.10.1929, in: Zentralverband des deutschen Bank- und Bankiergewerbes. Auf die deutlichen Differenzen zwischen Privat- und Großbanken weist auch der Geschäftsinhaber der Berliner Handelsgesellschaft, Sintentis, in seinem Schreiben an die Deutsche Bank und Discontogesellschaft hin. Das Schreiben vom 02.12.1930 findet sich in: BArch, R  8119 F / P9295.

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Händen der Großbanken lagen.129 Gerade der Aktienhandel litt jedoch an der zunehmenden Entmachtung der Aktionäre, die sich mehr und mehr aus dem Geschäft zurückzogen.130 Indem die Privatbanken für größere Aktionärsrechte und strengere Offenlegungsstandards eintraten, versuchten sie also, den Verfall eines wichtigen Geschäftsfelds aufzuhalten und im besten Fall in sein Gegenteil zu verkehren. Von den hier skizzierten Reformvorstellungen unternehmenskritischer Juristen, Wirtschaftsjournalisten und Privatbankiers wichen die Lösungsvorschläge der Gewerkschaften noch einmal ab. Die Antworten des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds und des Allgemeinen freien Angestelltenbunds auf den Fragebogen des Justizministeriums lassen auf klare Präferenzen für eine Stärkung des Betriebsrats innerhalb der Aktiengesellschaft schließen.131 So empfahlen die Gewerkschaften eine gesetzliche Verankerung der Vertretung des Betriebsrats im Aufsichtsrat sowie die Beteiligung des Betriebsrats an allen Aufsichtsratsausschüssen. Letzteres war entscheidend, wurden die Betriebsratsmitglieder doch in der Regel durch die Schaffung spezieller Ausschüsse von wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen. Zudem empfahlen die Gewerkschaften, den im Aufsichtsrat vertretenen Betriebsratsmitgliedern in der Generalversammlung ein Rederecht einzuräumen, auch wenn diese keine Aktien des Unternehmens hielten. Zudem sollten mit der Schaffung eines Reichsaktienamts die Aufsichtsrechte des Staats gestärkt werden. Für eine Ausweitung der Aktionärsrechte traten die Gewerkschaften dagegen nicht ein. Zwar sprachen sie sich für Erleichterungen bei der Schadensersatzklage gegen den Aufsichtsrat aus, eine Ausdehnung von Minderheitenrechten stand aber nicht auf ihrer Agenda. Im Begleitschreiben zu den beantworteten Fragebögen verwiesen die Gewerkschaften darauf, die Aktiengesellschaft sei ein eigenständiges, schützenswertes Rechtsgut, das einer Kontrolle der »Volksgesamtheit« und nicht der einzelnen Aktionäre unterworfen werden müsse. Dies konnte in den Augen der Gewerkschaften auch eine Verstaatlichung der Gesellschaft rechtfertigen.132 Dieser Grundsatz wird auch durch die Präferenzen der Gewerkschaften bezüglich des Stimmrechts widergespiegelt. Zwar sahen die Gewerkschaften die Mehrstimmrechtsaktien kritisch, zur Abwehr ungewollter ausländischer »Überfremdung« seien sie jedoch eine Notwendigkeit. Um Missbrauch zu verhindern, sollte die Neuausgabe solcher Schutzaktien aber durch eine »zentrale« Stelle genehmigt 129 Riesser, Großbanken, S. 280–326; Ulrich, S. 132–135; Wixforth u. Ziegler, Privatbanken, S. 226–228. 130 Vgl. die Ausführungen des Vereins für die Interessen der Fondsbörse in Hamburg und des Bankhauses Lichtenberger & Co. vom 11.06.1930 bzw. 05.08.1931, in: BArch, R 3001/2938 bzw. BArch, R 43-I/1082. Ulrich, S. 135, kann für die Bankhäuser Hirschfeld und Warburg einen deutlichen Rückgang der Kundendepots ab dem Jahr 1924 zeigen. 131 Die Antworten finden sich in: Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund u. Allgemeiner freier Angestelltenbund. 132 Die Abwicklung einer solchen Verstaatlichung sollte ebenfalls Aufgabe des Reichsaktienamts sein.

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werden müssen.133 Einen ähnlichen Standpunkt nahmen die Gewerkschaften beim Depotstimmrecht ein. Obwohl die Legitimationsübertragung an die Banken kritisch gesehen wurde, wurde sie akzeptiert. Allerdings sollte die Stimmabgabe der Banken von einer vor jeder Generalversammlung aktiv einzuholenden Sondervollmacht abhängig gemacht werden. Im Bereich der Richtlinien zur Gewinnverteilung und den Offenlegungsvorschriften zeigte die Mehrheit der Juristentagskommission noch weniger Bewegungsspielraum als in der Frage der Machtkonzentration und der Stimmrechtsfrage. So sprach sich die Mehrheit der Kommission gegen ein Verbot stiller Reserven und die Einführung einer unbedingten Auskunftspflicht aus.134 Auch die vorgeschlagene obligatorische Bilanzprüfung durch unabhängige, externe Sachverständige und die Einführung gesetzlicher Bilanzschemata wurde von der Kommissionsmehrheit abgelehnt.135 Gegen eine obligatorische Pflichtprüfung der Bilanz sprach aus Sicht der Juristentagskommission vor allem das Fehlen geeigneter Sachverständiger sowie die große Belastung der Revisoren, die kaum in der Lage seien, sich innerhalb kürzerer Zeit einen Überblick über die Vermögenslage eines großen Konzerns zu verschaffen. Dabei sprach sich die Kommission nicht grundsätzlich gegen eine Vergrößerung der Publizität aus, die Mehrheit war allerdings der Meinung, diese würde sich mit der Zeit von selbst einstellen. Auch RDI, DIHT und die Großbanken standen allzu weitgehenden Offenlegungsverpflichtungen skeptisch gegenüber.136 So sprachen sie sich gegen eine Offenlegung von Konzernverflechtungen und stillen Reserven sowie gegen ein individuelles Auskunftsrecht der Aktionäre aus. Die beiden Spitzenverbände der Wirtschaft erkannten jedoch prinzipiell die Ausbauwürdigkeit der Bilanzierungsvorschriften und des Geschäftsberichts an. Die Großbanken äußerten sich hier etwas zurückhaltender, indem sie zwar ebenfalls die Notwendigkeit einer größeren Transparenz akzeptierten, in der Aufstellung von Bilanz­schemata und Spezialvorschriften für den Geschäftsbericht aber keine Lösung sahen. Die Notwendigkeit einer verpflichtenden Wirtschaftsprüfung durch externe Wirtschaftsprüfer wurde von den Spitzenverbänden der Wirtschaft prinzipiell an133 Daneben waren weitere Schutzmaßnahmen vorgesehen. So sollte das Mehrstimmrecht durch einen Richter ausgesetzt werden können, neue Mehrstimmrechtsaktien nur mit Dreiviertelmehrheit geschaffen werden, das Stimmrecht nur nach Volleinzahlung gewährt werden und die Stimmrechtsverhältnisse durch ein beim Handelsregister einzureichendes Verzeichnis offengelegt werden. Das Stimmrecht der Vorratsaktien sollte ausgeschlossen werden. 134 Deutscher Juristentag, Bericht 1928, S. 33–35. 135 Ebd., S. 20–23, 33–35. Die Kommission empfahl lediglich, eigene Aktien in der Bilanz kenntlich zu machen. 136 Vgl. die Antworten des RDI und des DIHT auf den Fragebogen des Reichsjustizministeriums, in Deutscher Industrie- und Handelstag; Reichsverband der Industrie; sowie die Referate der Bankiers Reinhart (Commerz- und Privatbank), Hartmann (Preußische Zentralbodenkreditanstalt) und Mosler (Discontogesellschaft), in: Zentralverband des deutschen Bank- und Bankiergewerbes.

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erkannt. Im Gegensatz zum DIHT äußerte sich der RDI jedoch skeptisch, ob die in den Kinderschuhen steckende Wirtschaftsprüfungsbranche den Anforderungen der Pflichtprüfung gewachsen sei und empfahl, zunächst von einer Einführung abzusehen. Diese Bedenken teilte der DIHT nicht. Die Großbankenvertreter lehnten die Pflichtprüfung von Bilanz und Geschäftsbericht dagegen ab. Eine ganz andere Auffassung vertraten naturgemäß die freien Aktionäre in ihren Zuschriften an das Reichswirtschaftsministerium, das Reichskanzleramt und den Reichspräsidenten. Freie Aktionäre beklagten während der zweiten Hälfte der 1930er Jahre häufig, dass die Stammaktionäre nur eine geringe oder überhaupt keine Dividende erhielten, während Aufsichtsräte und Vorstände ihre Machtposition durch bevorzugten Bezug von Aktien ausbauten, für ihre Privatunternehmen oder die von ihnen repräsentierten Aktiengesellschaften vorteilhafte Geschäftsbeziehungen knüpften oder auch mit krimineller Energie dem Unternehmen zu ihren Gunsten die Substanz entzögen.137 Als besonders reformbedürftig wurde allerdings der hohe Tantiemebezug des Aufsichtsrats kritisiert. In den Augen vieler Aktionäre wurde den Aufsichtsräten eine Gewinnbeteiligung gewährt, ohne dass sie wirklich in der Verantwortung standen.138 Hinzu kam, dass die Gremien oft sehr groß waren und sich die Mandate stark auf eine kleine Elite konzentrierten. Die Tantieme des Aufsichtsrats reduzierte somit – in den Augen der freien Aktionäre – den an die Aktionäre verteilbaren Gewinn, ohne die Produktivität der Gesellschaft zu erhöhen. Eine Reform des Aktienrechts im Sinne eines stärkeren Schutzes der Kleinaktionäre wurde von allen Petenten direkt oder indirekt gefordert. In der Regel beschränkten sich die Schreiben zwar auf eine Schilderung der unhaltbaren Situation, an die sich die Bitte anschloss, die Reichsregierung solle auf dem Gebiet des Aktienrechts im Sinne der Kleinaktionäre aktiv werden. Manche Petenten unterbreiteten aber auch konkrete Vorschläge. So machten sich Tenheaff in einem Brief an Reichspräsident Hindenburg sowie Schulze in einem Schreiben an Reichskanzler Luther dafür stark, jedem Aktionär, unabhängig von einem Besuch der Generalversammlung, ein Klagerecht gegen Generalversammlungsbeschlüsse einzuräumen, um so die Gewinnbezugsrechte der freien Aktionäre zu wahren. Um dieses Recht nicht gleich wieder auszuhebeln, sollte der Streitwert dabei nicht höher angesetzt werden als der Nominalwert der Aktien des Klägers.139 137 A. Rettich an Reichskanzler Luther, Düsseldorf 30.10.1925; Ludwig Bothas an das Reichswirtschaftsministerium, Wiesbaden 30.08.1934, beide in: BArch, R 3101/17541; Dr. Tenhaeff an Reichspräsident Hindenburg, Köln 09.04.1926, in: BArch, R 3101/17553, und Schreiben von Paul Loof an das Reichsjustizministerium, Mainz 12.07.1929, in: BArch, R 3001/2937. 138 Siehe hierzu insbesondere das Schreiben Tenheaffs sowie eine Eingabe der schleswig-­ holsteinischen Kleinaktionäre, Flensburg 14.04.1926, beide in: BArch, R 3101/17553. 139 Siehe die Schreiben von Tenhaeff und Schulz, in: BArch, R 3101/17553.

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Die Reformbefürworter unter den Juristen bezogen ebenfalls zur Frage der Gewinnverteilung Stellung. Sie empfahlen, die Aktionärsrechte mittels des Verbots beziehungsweise der erschwerten Bildung stiller Reserven und eines festen Verteilungsschlüssels zwischen Stamm- und Vorzugsaktien zu stärken.140 Beide Vorschläge waren im Sinne der freien Aktionäre, die aufgrund der Bildung stiller Reserven unter niedrigen Dividenden litten und oft im Besitz der in der Gewinnverteilung benachteiligten Stammaktien waren. Nicht zuletzt empfahlen die reformorientierten Juristen vor dem Hintergrund einer immer weiter abnehmenden Bilanzwahrheit eine deutliche Ausdehnung der Offenlegungsstandards.141 Die Reformvorschläge bauten auf drei Säulen auf. Erstens wurde ein Ausbau des Auskunftsrechts in Form individueller Auskunftsrechte in der Generalversammlung verlangt.142 Daneben wurde empfohlen, offizielle Stellen einzurichten, über die Aktionäre entsprechende Auskünfte beziehen könnten.143 Zweitens machten sich die reformbefürwortenden Juristen für eine gesetzliche Bilanzgliederung und Pflichtangaben im Geschäftsbericht, unter anderem zum Vermögensstand der Gesellschaft, zu einzelnen Bilanzposten, den Bilanzierungsansätzen und eventuell vorhandenen Stimmrechts- und Vorratsaktien, stark.144 Außerdem sollten Konzerne verpflichtet werden, auch die Bilanzen ihrer Tochtergesellschaften offenzulegen. Ein noch radikalerer Vorschlag des Berliner Rechtsanwalts Max Lion ging in die Richtung, die Bilanzierungsregeln der Handelsbilanz an die der Steuerbilanz anzupassen und so die Bildung stiller Reserven zu erschweren.145 Zuletzt empfahlen die reformbefürwortenden Juristen die Einführung einer obligatorischen Pflichtprüfung

140 Vgl. das Schreiben de Castros an Schmölder vom 18.02.1930, in: BArch, R 3001/2938, sowie den Vortrag Max Lions vor der Vereinigung für Aktienrecht vom 13.12.1926, abgedruckt in: Lion. 141 Zur Kritik der zeitgenössischen Bilanzierungspraxis: Referat Nell-Breunings vom 24.02.1926 (Bericht Netters an Schlegelberger vom 26.02.1930), in: BArch, R 3001/2938. 142 Schreiben de Castros an Schmölder vom 18.02.1930, in: BArch, R 3001/2938, sowie Bericht des Berliner Börsencouriers vom 17.02.1930 über die Vorträge de Castros und Halliers auf einem Veranstaltungsabend der Hamburger Ortsgruppe der Vereinigung für Aktienrecht, in: BArch, R 3001/2887. 143 Schreiben der Hamburger Ortsgruppe der Vereinigung für Aktienrecht an das Reichsjustizministerium vom 08.07.1930, in: BArch, R 3001/2938. Die Ortsgruppe empfahl, die Handelskammern zu Auskunftsstellen auszubauen. 144 Schreiben de Castros an Schmölder vom 18.02.1930, in: BArch, R 3001/2938, sowie den Vermerk vom 28.10.1929 über einen Vortrag von Bruno Buchwald, gehalten auf einer Veranstaltung der Vereinigung für Aktienrecht am 24.10.1929, in: BArch, R 3001/2937. 145 Lion, S. 36–37. Anders als die handelsrechtlichen Regelungen waren die Bilanzierungs­ regeln der Steuerbilanz darauf ausgelegt, den Gewinn des Unternehmens nicht zu niedrig zu berechnen. Damit eine exaktere Gewinnberechnung nicht zu einer übermäßigen, die Gesellschaft eventuell schwächenden Gewinnausschüttung führen würde, schlug Lion vor, detailliertere Gewinnverteilungsregeln in das Aktienrecht aufzunehmen. Ebd., S. 4 und 19–20.

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durch externe Wirtschaftsprüfer.146 Die Befürchtung der Juristentagskommission, dass zur Einführung einer solchen Prüfung im Deutschen Reich nicht genügend fachkundige Personen vorhanden seien, teilten die in der Vereinigung für Aktienrecht organisierten Juristen nicht. Ähnlich wie die reformbefürwortenden Juristen sprachen sich die Berliner Handelsredakteure für ein weitreichendes Auskunftsrecht der Aktionäre, detailliertere Bilanzen und Geschäftsberichte und die Einführung der Pflichtprüfung aus.147 In einigen Punkten gingen ihre Vorschläge noch weiter als die der Juristen. Ihren Antworten auf den Fragebogen des Reichsjustizministeriums gaben die Handelsredakteure beispielsweise ein ausgearbeitetes Bilanzierungsschema bei. Zudem betonten sie die Notwendigkeit, Konzernverflechtungen und Stimmrechtsverhältnisse im Geschäftsbericht offenzulegen.148 Nicht zuletzt empfahlen sie auch die Offenlegung der Vergütungen für Vorstand und Aufsichtsrat. Auch die Privatbanken forderten einen deutlichen Ausbau der Offenlegungsstandards. Dazu zählten Forderungen nach Herstellung größtmöglicher Publizität im Geschäftsbericht, die die Berichterstattung über Konzernverflechtungen, Abreden und Bindungen, Aktientypen, stille Reserven und Bezüge des Aufsichtsrats und Vorstands einschloss.149 Stille Reserven sollten zugelassen, jedoch gesetzlich an bestimmte Voraussetzungen gebunden werden.150 Ergänzt wurden diese Forderungen um die Empfehlung, Bilanzschemata und verpflichtende, unterjährige Zwischenberichte einzuführen.151

146 Schreiben de Castros an Schmölder vom 18.02.1930, in: BArch, R 3001/2938, sowie Vermerk vom 28.10.1929 über einen Vortrag von Bruno Buchwald, gehalten auf einer Veranstaltung der Vereinigung für Aktienrecht am 24.10.1929, in: BArch, R 3001/2937. 147 Auch hier sollte nach Vorstellung der Frankfurter Zeitung das Reichsaktienamt aktiv werden und die Einhaltung von Publizitätsvorschriften überwachen. Siehe die Artikelserie in der Frankfurter Zeitung zur Reform des Aktienrechts in den Nummern 351, 355, 378 und 387 vom 12., 14., 23. und 27.05.1926, in: BArch, R 3103/21, sowie die Antworten der Berliner Handelsredakteure auf die Fragebögen des Reichsjustizministeriums, in: BArch, R 3001/3012. 148 So mahnten die Berliner Handelsredakteure die Offenlegung von Beteiligungsverhältnissen an und verlangten die Vorlage von Konzernbilanzen. Um den großen Konzernen Bilanzverschleierungen schwerer zu machen, empfahlen die Handelsredakteure zudem die Angleichung der Bilanzierungsstandards der Aktiengesellschaften und der GmbHs. In Bezug auf die Stimmrechtsfrage forderten sie insbesondere die Pflicht, auch Verträge über die Bindung von Stimmrechten beim Handelsregister einzureichen und im Geschäftsbericht offenzulegen. 149 Siehe die Eingaben des Bankhauses Hugo Mainz in Hamburg vom 06.02.1930 und des Vereins für die Interessen der Fondsbörse in Hamburg vom 30.06.1930, in: BArch, R 3001/​ 2938, sowie die Eingabe des Bankhauses Lichtenberger & Co. an den Reichskanzler vom 05.08.1931, in: BArch, R 43-I/1082, sowie das Referat von Leopold Merzbach, in: Zentralverband des deutschen Bank- und Bankiergewerbes. 150 Vgl. das Referat von Arthur Hirschfeld, in: Ebd. 151 Vgl. das Referat von Leopold Merzbach, in: Ebd., sowie die Eingabe des Vereins für die Interessen der Fondsbörse in Hamburg vom 30.06.1930, in: BArch, R 3001/2938.

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Die Präferenzen der Gewerkschaften bezüglich der Offenlegungsvorschriften entsprachen ebenfalls dem von vielen Seiten geforderten Ausbau der Publizität. Der Geschäftsbericht sollte Angaben zu Vorrats- und Mehrstimmrechtsaktien enthalten. Die Bilanz sollte deutlich aussagekräftiger werden. Dazu gehörte eine detaillierte Aufgliederung der Bilanzposten, das Recht der Reichsregierung, Bilanzierungsvorschriften zu erlassen, sowie die Offenlegung von Konzernverhältnissen und Bezügen des Vorstands und des Aufsichtsrats.152 Die öffentliche Kontrolle der Gesellschaftsangaben sollte verschärft werden, indem Bilanz und Geschäftsbericht der Kontrolle unabhängiger Wirtschaftsprüfer unterworfen werden sollten. Ebenso sollten Bilanzposten durch ein einzelnes Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied  – also auch einen Betriebsrat  – beziehungsweise durch eine Aktionärsminderheit von zehn Prozent des Grundkapitals bemängelt werden können. Stille Reserven sollten allerdings nicht verboten werden, sondern nur die Änderung der Bilanzierungsgrundsätze im Geschäftsbericht offengelegt werden. Hier unterschied sich der Standpunkt der Gewerkschaften also deutlich von dem der freien Aktionäre. Wie im Kaiserreich lassen sich auch für die Weimarer Zeit zwei große Advokatenkoalitionen identifizieren. Auf der einen Seite stand eine große Koalition aus Unternehmensjuristen, Wirtschaftsverbänden und Großbanken, die für die Bewahrung des in der ersten Hälfte der 1920er Jahre entstandenen Status quo und des damit verbundenen Schutzes der in den 1890er Jahren entstandenen managergeführten Großunternehmen und ihrer eingesessenen Führung eintrat und lediglich zu marginalen Reformschritten bereit war. Dieser gegenüber stand eine Koalition aus reformorientierten Juristen, der Handelspresse, zahlreichen Privatbankiers und freien Aktionären, die sich für eine Wiederherstellung angestammter Aktionärsrechte und für bessere Offenlegungsstandards stark machte. Zu dieser Reformkoalition sind auch der Reichstag und einige Landesparlamente zu zählen, die zwar kaum detaillierte Reformvorschläge machten, ab Ende 1929 jedoch verstärkt auf einen besseren Schutz von Kleinaktionären und eine Ausweitung der Offenlegungsstandards drangen.153 Daneben kann 152 Um den Konzernen eine Bilanzverschleierung noch weiter zu erschweren, empfahlen die Gewerkschaften zudem die Anpassung der Bilanzierungsvorschriften bei AG und GmbH. 153 Der württembergische Landtag verlangte Anfang September 1929 zum Zweck einer größeren Offenlegung von Kartellen, auch die Publizität bei den Aktiengesellschaften zu vergrößern (Mitteilung des Reichswirtschaftsministeriums an das Reichsjustizministerium vom 09.9.1929). Im Lichte des FAVAG-Skandals forderte der preußische Landtag Ende September 1929 die preußische Regierung auf, beim Reich auf einen besseren Schutz der Kleinaktionäre und Minderheiten zu drängen (Mitteilung des preußischen Justizministeriums an das Reichsjustizministerium vom 03.10.1929). Auch die DDP-Fraktion fragte am 20.09.1929 bei der Reichsregierung an, ob diese die Vorgänge bei der FAVAG zum Anlass nehme, die Reformarbeiten zu beschleunigen und insbesondere auf eine höhere Publizität und einen verbesserten Aktionärsschutz hinzuwirken. Während der Reichstagssitzung vom 16.05.1930 (165. Sitzung) verlangten einige Abgeordnete, den Gesetzgebungsprozess zu beschleunigen. Die Abgeordneten forderten ein Sofortprogramm, das die Herrschaft der

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eine weitere Koalition identifiziert werden, die im Wesentlichen aus den Gewerkschaften, unterstützt von der SPD-Fraktion im Reichstag, bestand und sich vor allem für eine größere Beteiligung der Betriebsräte an der Verwaltung der Aktiengesellschaft einsetzte.154 In Offenlegungsfragen stand die Arbeiterschaft auf Seiten der Koalition der Reformbefürworter. In der Stimmrechtsfrage und der Frage eines Verbots stiller Reserven sprachen sich die Gewerkschaften allerdings genau wie die Koalition der Reformskeptiker für den Status quo und damit für einen Schutz der Gesellschaft vor feindlichen Übernahmen und dem Verlust angesparter Finanzpolster aus. Innerhalb der beiden großen Advokatenkoalitionen lässt sich wie im Kaiserreich eine nicht unerhebliche Variation des Meinungsspektrums konstatieren. Für die Weimarer Zeit gilt dies insbesondere für die Koalition der Reformbefürworter, bei der sich einmal zwischen Realisten und Reformutopisten unterscheiden lässt. Zu der ersten Gruppe zählte etwa Arthur Nußbaum, der zwar das Mehrstimmrechtsaktienwesen kritisierte, jedoch akzeptierte, dass sich dieser Aktientyp aufgrund der herrschenden Machtverhältnisse und der weitverbreiteten Angst vor feindlichen Übernahmen aus dem Ausland nicht abschaffen lassen würde.155 Strengere Vorschriften über die Ausgabe und Verwendung von Mehrstimmrechtsaktien hielt Nußbaum dagegen für durchsetzbar. Ähnliches gilt für ein Verbot stiller Reserven. Aufgrund der Bedeutung der stillen Reserven für die Unternehmensfinanzierung erschien vielen Mitgliedern der Reformkoalition ein striktes Verbot unrealistisch. Zu der Gruppe der Reformutopisten sind dagegen Hugo Horrwitz und der Landgerichtsrat de Castro zu zählen, die eine Abschaffung aller Mehrstimmrechtsaktien beziehungsweise ein Verbot stiller Reserven forderten. Neben die Aufteilung in Realisten und Reformutopisten tritt eine weitere Unterscheidungskategorie. Wie im Kaiserreich gab es Stimmen, die auf eine stärkere staatliche Einmischung in die internen Abläufe der Aktiengesellschaft drangen, indem einem staatlichen Aktienaufsichtsamt Kontrollfunktionen übertragen werden sollten. Demgegenüber stand eine große Mehrheit, die auf den Ausbau der Selbstkontrolle der Aktionäre setzte, die der Staat lediglich durch Normativvorschriften, wie Bilanzierungsvorschriften und die Verpflichtung zur Wahl geprüfter Bilanzrevisoren, zu unterstützen hatte. Vergleicht man die Positionen der beiden großen Advokatenkoalitionen fällt zudem in einigen Punkten eine Überlappung auf, die als ein gegenseitiges Lernen der unterschiedlichen Gruppen interpretiert werden kann. Die Erkenntnis Verwaltungen und der Großbanken einschränken (Abschaffung der Mehrstimmrechtsaktien und des Depotstimmrechts der Banken) und die Publizität vergrößern sollte. Ein Auszug des Protokolls der Reichstagssitzung findet sich in: BArch, R 3001/2938. Der restliche hier zitierte Schriftverkehr befindet sich in: BArch, R 3001/2937. 154 In einer Entschließung vom 26.05.1930 forderte die SPD-Fraktion die Reichsregierung auf, möglichst bald ein neues Gesetz vorzulegen, dass den Schutz der Aktionäre und die Rechte der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat verbessern sollte. Siehe: BArch, R 3001/2938. 155 Nußbaum, Aktionär, S. 11.

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Nußbaums, dass Mehrstimmrechtsaktien einer gewissen wirtschaftlichen Notwendigkeit entsprungen sind, kann hier wieder als Beispiel dienen. Indem sich die Juristentagskommission für die Möglichkeit einer Einziehung bestehender Mehrstimmrechtsaktien und das Ruhen des Stimmrechts nicht vollgezahlter Aktien aussprach, erkannten aber auch die Reformskeptiker die Notwendigkeit, die Schaffung und Verwendung von Mehrstimmrechts- und Schutzaktien strenger zu regulieren. Nichtsdestotrotz sprachen sich jedoch auch in der Koalition der Reformskeptiker viele für eine größere Publizität aus.156

4.3 Nationalsozialismus Im Zuge der nationalsozialistischen Machtübernahme erlahmte die lebhafte öffentliche Reformdebatte der 1920er Jahre zusehends. Unter den neuen Leitmotiven Führerprinzip und Abbau der Anonymität des Kapitals wurde hauptsächlich über die zukünftige Rolle der Aktiengesellschaft im nationalsozialistischen Staat debattiert. Inhaltlich standen damit die Neuordnung des Kräfteverhältnisses zwischen den Gesellschaftsorganen, die damit zusammenhängenden Stimmrechtsfragen sowie das Verhältnis zwischen Aktiengesellschaft und Staat im Mittelpunkt. Fragen der Gewinnverteilung und der Offenlegungsstandards wurden nur am Rand beziehungsweise nur von wenigen Gruppen diskutiert. Parallel zum Erlahmen der Reformdebatte und der anderen Schwerpunktsetzung, ist auch ein deutlicher Wandel der politischen Elite und der Advokatenkoalitionen zu beobachten. Augenfällig wird dieser Wandel in der Verdrängung reformbefürwortender Handelsrechtler, der Handelspresse, der Privatbanken und der freien Aktionäre durch NS-Ideologen aus Wissenschaft, Politik und Praxis. Auffallend ist aber auch der Bruch zwischen den Interessen der Industrie und der Großbanken. Die extremsten Vorschläge bezüglich einer Neuordnung des Aktienrechts im nationalsozialistischen Sinne stammten aus dem Umfeld des sozialistischen (Arbeiter-)Flügels der NSDAP. Besonders gut lassen sie sich am Standpunkt Werner Bachmanns (Deutsche Arbeitsgemeinschaft, DAG) festmachen. Das DAG-Mitglied Bachmann entwickelte seine Position in mehreren Artikeln in der nationalsozialistischen »Deutschen Volkswirtschaft«.157 Gleichzeitig war er Mitglied der Aktienrechtskommission der Akademie für Deutsches Recht. Daneben existierte mit dem Lex DIAG noch mindestens ein weiterer einflussrei-

156 In der Frage der Umsetzung existierten dagegen größere Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Koalitionen. Während die Reformbefürworter strengere staatliche Normativvorschriften empfahlen, setzten die Reformskeptiker auf eine Selbstinitiative der Wirtschaft. 157 Bayer u. Engelke, S. 633–634; Schubert u. a., S. L, LXVII.

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cher Reformvorschlag aus dem Umfeld des sozialistischen Flügels der NSDAP.158 Bachmann trat für eine durchgreifende Neuordnung der Aktiengesellschaft ein.159 Der von ihm als »Unternehmer« bezeichnete Vorstand sollte weder der Generalversammlung noch dem Aufsichtsrat, sondern alleine dem Staat verantwortlich sein. Die Generalversammlung sollte ganz wegfallen und durch eine Versammlung von Aktionären ersetzt werden, die bereit waren, an der Verwaltung der Gesellschaft mitzuarbeiten. Die Entmachtung der Generalversammlung schloss auch die Beseitigung des Depotstimmrechts der Banken mit ein. Den neu zu schaffenden Verwaltungsaktionären sollte nur ein eingeschränktes Fragerecht und ein Mitspracherecht bei der Besetzung des Aufsichtsrats eingeräumt werden. Den größeren Einfluss auf die Besetzung des Aufsichtsrats sollte dem Staat vorbehalten bleiben, der auch berechtigt sein sollte, einen eigenen, mit einem Vetorecht ausgestatteten Vertreter zu den Sitzungen zu entsenden. Der Aufsichtsrat sollte auch die Aufgaben der Generalversammlung übernehmen, insbesondere sollte er Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung genehmigen und über die Gewinnverteilung beschließen. Wichtige Entscheidungen  – wie etwa Sanierungen, eine Neuorganisation oder Satzungsänderungen – sollten in der Vorstellung Bachmanns genehmigungspflichtig sein. Bei internen Streitigkeiten schlug Bachmann eine staatliche Schlichtung vor. Eine Verpflichtung des Staats zum Eingreifen war jedoch nicht vorgesehen. In den Vorstellungen Bachmanns sollten also die Aktionäre ihre Mitverwaltungsrechte vollständig verlieren und die Kontrolle der Unternehmensführung in die Hände der »Volksgemeinschaft« gelegt werden. In diesem Zusammenhang ist es konsistent, dass Bachmann im Aufsichtsrat auch die Arbeitnehmerseite vertreten wissen wollte. Machtzentrum der neu organisierten Aktiengesellschaft sollte der allein verantwortliche, alleinentscheidende Vorstandsvorsitzende  – der »Unter­ nehmer«  – sein. Damit verbunden war die Idee von der Erfolgshaftung des Unternehmers. Das Gehalt des Vorstandsvorsitzenden sollte zum größten Teil aus einem variablen Anteil bestehen, der sich an der Gewinnentwicklung und der Beschäftigungslage des Unternehmens orientieren sollte. Parallel dazu sollte der Unternehmer im Verlustfall mit seinem eigenen Vermögen haften, wenn das Vermögen der Gesellschaft aufgebraucht war. 158 Das Lex DIAG – Gesetz für Deutsche Industrie Aktien Gesellschaften (Notverordnung zum Schutze des Aktionärs vor Ausbeutung und zur Wiedergewinnung des Vertrauens der Geldgeber für die Industrie) – wurde von W. Kaulitz formuliert und am 30.04.1933 an das Reichsjustizministerium übermittelt. Da das erklärte Ziel des Gesetzes in der Belebung der Produktion lag und die vorgeschlagenen Maßnahmen sozialistische Züge tragen, wird der Vorschlag unter dem Abschnitt Arbeiterschaft behandelt. Über Kaulitz ist außer seinem Wohnort – Braunschweig – nichts bekannt. Die Eingabe findet sich in: BArch, R 3001/2948. 159 Siehe die Stellungnahmen Bachmanns während der zweiten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht vom 09.02.1934, in: Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 19–78, sowie die Zusammenstellung des Reichsjustizministeriums über Reformvorschläge aus dem nationalsozialistischen Umfeld aus dem zweiten Halbjahr 1933, in: BArch, R 3001/2948.

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Die Stärkung der Arbeiterschaft war ebenfalls ein Kernpunkt des Lex DIAG. Diese sollte zum einen durch einen verbesserten Kündigungsschutz für Betriebsangehörige zwischen 40 und 60 Jahren erreicht werden.160 Zum anderen sollte die Belegschaft in der Generalversammlung gestärkt werden. Hierzu war vorgesehen, die Banken nur noch für ihre eigenen Aktien und höchstens ein Zehntel ihrer Depotaktien abstimmen zu lassen. Das Stimmrecht aller nicht auf der Generalversammlung vertretenen Aktien sollte dagegen von einem leitenden Angestellten der Gesellschaft – aber nicht durch den Vorstand – ausgeübt werden. Auf diese Weise sollte der Belegschaft ein direkter Einfluss auf die Unternehmenspolitik ermöglicht werden. In den von Bachmann skizzierten Maßnahmen werden die drei Kernelemente deutlich, die nationalsozialistische Theoretiker in Bezug auf die Neuordnung des Aktienrechts entwickelten: 1. Der Abbau der Anonymität des Kapitals sowie die Stärkung des persönlichen Elements in der Unternehmensführung und damit die Verdrängung freier, anonymer Aktionäre aus der Aktiengesellschaft. 2. Damit zusammenhängend die Etablierung des Führerprinzips, wie es in der Politik verwirklicht war. 3. Die Unterwerfung der Wirtschaft unter das Primat des Staates, was wiederum die Indienstnahme der Aktiengesellschaft für Staat, Belegschaft und andere Stakeholdergruppen implizierte.161 Was die Umsetzung der drei genannten Kernelemente anging, gab es allerdings verschiedene Vorstellungen innerhalb des nationalsozialistischen Lagers. So sprach sich Werner Bachmann mit seiner Forderung nach einer Vollhaftung des Vorstands faktisch für eine Abschaffung der Aktiengesellschaft und eine Rückkehr zum privaten Unternehmertum aus. Andere wichtige nationalsozialistische Rechtswissenschaftler und Wirtschaftstheoretiker erkannten dagegen, dass sich die Aktiengesellschaft als ein Unternehmen mit beschränkter Haftung und im Prinzip als ein Zusammenschluss vieler anonymer Investoren nicht ohne eine Schädigung der deutschen Volkswirtschaft beseitigen lassen würde. Zu dieser Gruppe zählten vor allem der Berliner Handelsrechtler und Aktienrechtsexperte Ernst Heymann, der Beauftragte des Führers in Wirtschaftsfragen Wilhelm Keppler, der Frankfurter Handelsrechtler (und frühes NSDAP-Mitglied) Friedrich Klausing sowie der Göttinger Handelsrechtler Hans Würdinger.162 160 Bei verheirateten Mitarbeitern sollte der strengere Kündigungsschutz bereits mit 35 Jahren beginnen. Über sechzigjährige sollten dagegen entlassen werden, da sie den Zenit ihrer Arbeitskraft überschritten hätten. 161 Dazu auch Mertens, Aktiengesetz, S. 99–108. 162 Kurzbiographien zu allen genannten Personen finden sich bei: Schubert u. a., S. L–LXV. Natürlich äußerten sich noch andere Personen in den 1930er Jahren zu aktienrechtlichen Fragen. Die vier genannten wurden jedoch nachweisbar von den Vetospielern rezipiert. Die Schriften Würdingers finden sich beispielsweise in einer Zusammenstellung des Reichsjustizministeriums über aktuelle Fragen der Aktienrechtsreform im Jahr 1933. Alle hier genannten waren zudem als Referent oder ordentliches Mitglied an den Sitzungen des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht beteiligt, an denen auch der für den Entwurf des Aktiengesetzes zuständige Staatssekretär, Franz Schlegelberger, regelmäßig teilnahm. Vgl. Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, sowie BArch, R 3001/2948.

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Zwar ging es auch diesen Personen vornehmlich um eine Reduzierung der Anonymität und die Schaffung eines verantwortlichen, dem Staat und der Volks­gemeinschaft dienenden Unternehmertums, sie lehnten allerdings die unbeschränkte Haftung des Vorstands ab und widersprachen damit den Vorstellungen des sozialistischen Flügels der NSDAP.163 Nichtsdestoweniger empfahlen sie eine Stärkung des Vorstands beziehungsweise derjenigen Aktionäre, die sich bereit erklärten, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.164 Auch hier ging die Forderung nach einer Stärkung des Vorstands und eventuell einiger Großaktionäre einher mit einer Schwächung der Generalversammlung. Nach den Vorstellungen des Wirtschaftsbeauftragten des Führers, Keppler, sollte die Generalversammlung dem Vorstand nur noch das Vertrauen aussprechen können.165 Ähnlich argumentierte auch Klausing, der aber gleichzeitig vor einer zu weitgehenden Entrechtung der Aktionäre warnte.166 Würdinger wollte sogar so weit gehen und allen Inhaberaktien das Stimmrecht entziehen und im Gegenzug eine Gruppe namentlich hervortretender, verantwortlicher Groß­ aktionäre schaffen.167 Stärkung des Vorstands bedeutete ebenfalls Schwächung 163 Bayer u. Engelke, S. 633–634. 164 Stellungnahmen Würdingers, Heymanns, Kepplers und Klausings während der zweiten und dritten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht, in: Schubert u. a., S. 19–149. Vorstand und leitende Aktionäre sollten jedoch durchaus in die Verantwortung miteinbezogen werden. Aus diesem Grund empfahl Würdinger gegenüber dem Reichsjustizministerium die Bildung eines Haftungsstocks aus zurückgehaltenen Teilen der Vorstandsvergütung. Eine vollständige Auszahlung dieses Haftungsstocks an den Vorstand sollte erst fünf Jahre nach dem Ausscheiden des Mitglieds möglich sein. Siehe Würdingers Memorandum mit dem Titel »Hauptgesichtspunkte einer Reform der Kapitalgesellschaften« aus dem Jahr 1933 und die Aktennotiz zu einer Besprechung Würdingers mit den zuständigen Referenten des Reichsjustizministeriums vom 26.09.1933, in: BArch, R 3001/2948. 165 Vgl. die Stellungnahmen Kepplers während der dritten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht. Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 79–149. 166 Vgl. die Stellungnahme Klausings auf der dritten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht. Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 79–149. 167 Würdinger schwebte eine Trennung in Finanzaktionäre und Unternehmeraktionäre vor. Erstere seien nur an Kursgewinnen und Dividenden interessiert und würden daher für Inhaberaktien votieren. Letztere seien an einer langfristigen strategischen Beteiligung an der Gesellschaft interessiert und bereit, an der Leitung der Gesellschaft »verantwortlich« mitzuarbeiten. Zu diesem Zweck sollten Namensaktien ausgegeben werden, die nur mit Zustimmung der Gesellschaft weiter veräußert werden dürften und im Gegensatz zu den Inhaberaktien ihr Stimmrecht behielten. Vgl. das Referat Würdingers auf der zweiten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht. Ebd., S. 19–78. Vgl. außerdem Würdingers Memorandum mit dem Titel »Hauptgesichtspunkte einer Reform der Kapitalgesellschaften« aus dem Jahr 1933 und die Aktennotiz zu einer Besprechung Würdingers mit den zuständigen Referenten des Reichsjustizministeriums vom 26.09.1933, in: BArch, R 3001/2948. Die Ideen Würdingers gehen auf Müller-Erzbach zurück, der als erster die Trennung in stimmrechtslose Kleinaktionäre und unbeschränkt haftender Groß-

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des Aufsichtsrats, der seine Geschäftsführungskompetenzen verlieren und deutlich verkleinert werden sollte. Gleichzeitig wurde empfohlen, die Eingriffsrechte des Staates zu stärken, indem ihm gestattet werden sollte, entscheidend auf die Besetzung des Aufsichtsrats einwirken zu können. Zudem sollte dem Staat die Möglichkeit gegeben werden, Aktiengesellschaften mit nur einem Aktionär zwangsweise aufzulösen.168 Ergänzend zum Abbau der Anonymität und der Einführung des Führer­ prinzips innerhalb des Vorstands der Aktiengesellschaft bekämpften die natio­ nalsozialistischen Wirtschaftstheoretiker das Depotstimmrecht der Banken.169 Dies lag zum einen in der generellen Skepsis der Nationalsozialisten gegenüber den Banken begründet.170 Zum anderen widersprach das Depotstimmrecht aber auch dem Führerprinzip und der Idee, die Aktionäre persönlich für die Geschäfte der Gesellschaft zu interessieren.171 Als Gegenmaßnahme gegen das Depotstimmrecht wurde unter anderem vorgeschlagen, die Banken für ihr Abstimmungsverhalten haftbar zu machen.172 Auch in Bezug auf das Mehrstimmrecht machte die Gruppe der nationalsozialistischen Handelsrechtler und Wirtschaftstheoretiker Bedenken geltend und empfahl dessen Abschaffung. Die leitungsnahen Eliten waren gezwungen, sich mit den nationalsozialisti­ schen Forderungen auseinanderzusetzen. Einigkeit herrschte dabei in der Ablehnung allzu weit gehender Eingriffs- und Kontrollrechte des Staates.173 Die Idee einer Stärkung des Vorstands gegenüber Aufsichtsrat und Generalversamm-

aktionäre forderte. Die unbeschränkte Haftung drückt sich bei Müller-Erzbach dabei in der Verpflichtung aus, beim vollen Verlust des Grundkapitals, den vollen Nominalbetrag der Aktien noch einmal einzahlen zu müssen (S. 42–43). 168 Siehe das Memorandum Würdingers mit dem Titel »Hauptgesichtspunkte einer Reform der Kapitalgesellschaften« aus dem Jahr 1933 und die Aktennotiz zu einer Besprechung Würdingers mit den zuständigen Referenten des Reichsjustizministeriums vom 26.09.1933, in BArch, R 3001/2948. Würdinger argumentierte, es handle sich um eine Ungerechtigkeit, wenn einem voll verantwortlichen Unternehmer das Privileg der beschränkten Haftung zustehen würde. 169 Siehe die Stellungnahmen Würdingers und Kepplers während der zweiten beziehungsweise dritten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht (Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 19–149) sowie das Schreiben Kepplers an das Reichswirtschaftsministerium vom 27.10.1933, in: BArch, R 3001/2948. 170 Siehe die Stellungnahmen Kepplers während der dritten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht. Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 79–149. 171 So wieder Würdinger in seinem Referat auf der zweiten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht. Ebd., S. 19–78. 172 Siehe die Stellungnahme Heymanns während der dritten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht. Ebd., S. 79–149. 173 Vgl. die Stellungnahmen von Flotows (Bankhaus Hardy & Co.) und Vöglers (Vereinigte Stahlwerke AG) während der zweiten, um Sachverständige ergänzte, Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht (Ebd., S. 19–78) sowie den Bericht des Vorsitzenden des Aktienrechtsausschusses vom April 1934 (Kißkalt, Bericht [1934]).

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lung fand dagegen bei einem Teil der Unternehmensleiter Anklang. So unterstützen der Vorsitzende des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht und Vorstandsvorsitzende der Münchner Rück, Wilhelm ­K ißkalt, sowie Carl Friedrich Siemens, Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens-Schuckert Werke, und Willy Tischbein, Vorstand der Continental-Gummi Werke, die Forderung, der Generalversammlung all ihre Geschäftsführungskompetenzen zu entziehen.174 Gleichzeitig sollte der Vorstand gegenüber dem Aufsichtsrat gestärkt werden. Dieser sollte auf seine Kontroll- und Beratungsfunktion reduziert werden und keine Geschäftsführungskompetenzen mehr besitzen. Um dieses Ziel zu erreichen, sprachen sich viele Unternehmensleiter, aber auch einige Privatbankiers, für eine Verkleinerung des Aufsichtsrats auf unter zehn Mitglieder aus.175 Die Reichsgruppe Industrie – in Person von Max Ebbecke – stand einer solchen Verkleinerung allerdings skeptisch gegenüber und forderte, zumindest für Großunternehmen eine höhere Zahl zuzulassen. Die von den Mitgliedern des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht formulierten Präferenzen stießen nicht bei allen Unternehmensleitern auf positive Resonanz. So sprach sich beispielsweise Hans von Raumer in einem Schreiben an das Reichsjustizministerium im August 1935 gegen eine Stärkung des Vorstands und eine Verkleinerung des Aufsichtsrats aus.176 Raumer war Anfang der 1920er Jahre Reichsschatz- und Reichswirtschaftsminister und bis 1933 geschäftsführendes Mitglied des Zentralverbands der deutschen Elektrotechnischen Industrie gewesen.177 Darüber hinaus war er in zahlreichen Aufsichtsräten vertreten. Auch bei der Durchsetzung des Führerprinzips innerhalb des Vorstands gab es unterschiedliche Auffassungen. So sprachen sich der Ministerialrat a. D. Schmölder sowie die Reichsgruppe Industrie gegen den Vorschlag des Reichsjustizministeriums aus, den Vorstandsvorsitzenden im Konfliktfall alleine entscheiden zu lassen.178 Die Handelskammer Hamburg stellte sich sogar auf die Seite der freien Aktionäre und warnte vor den negativen Folgen für

174 Die bestehenden Minderheitenrechte sollten nicht abgeschafft, aber auch nicht ausgeweitet werden. Vgl. das Protokoll der dritten und der sechsten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht vom 10.02.1934 und 25.10.1934 (Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 79–149 u. 231–290) sowie Kißkalt, Bericht (1934). 175 Für die Unternehmensleiter vgl. die Position Kißkalts und Siemens, wie sie aus dem Protokoll der dritten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht vom 10.02.1934 hervorgeht. Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 79–149. Für die Privatbankiers vgl. die Stellungnahmen von Flotows (Bankhaus Hardy & Co.) und von Fincks (Bankhaus Merck, Finck & Co.) während der zweiten Sitzung der Kommission. Ebd., S. 19–78. 176 Siehe das Schreiben Raumers an Staatssekretär Schlegelberger vom 19.08.1935, in: BArch, R 3001/10228. 177 Menges. 178 Schreiben Karl Schmölders an Ministerialrat Quassowski, Berlin 21.09.1935; Besprechung Quassowskis mit der Reichsgruppe Industrie, Notiz vom 07.10.1935, beides in: BArch, R 3001/10228.

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den Kapitalmarkt, wenn den Aktionären ihre wichtigsten Kontrollrechte entzogen würden.179 Auch den Großbanken ging die geforderte Entmachtung der Aktionäre zu weit.180 Natürlich wollten sie die Generalversammlung nicht zum eigentlichen geschäftsführenden Organ umgestalten, ihr sollte aber die Entscheidungsbefugnis über die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung belassen werden. In den Augen der Großbanken kam die durch den Vorsitzenden des Aktienrechtsausschusses angestrebte Reduzierung der Aufgaben der Generalversammlung auf die Wahl des Aufsichtsrats jedoch einer Enteignung der Aktionäre sehr nahe, die zu einem Rückzug der Aktionäre vom Kapitalmarkt führen und so mit einem Austrocknen des gesamten Markts – also auch des Emissionsgeschäfts – einhergehen würde. Auch dem Führerprinzip standen die Großbanken skeptischer gegenüber als einige Leiter von Industrieaktiengesellschaften. Insbesondere das Alleinentscheidungsrecht des Vorstandsvorsitzenden bei Konflikten innerhalb des Gremiums wurde kritisch gesehen.181 Einmal, so die Befürchtung, würde man damit Entscheidungskompetenzen an Personen übertragen, die eventuell überhaupt nicht zur alleinigen Führung der Gesellschaft befähigt wären beziehungsweise, die Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen hätten, die sie alleine gar nicht überblicken könnten. Dieses Argument war nicht uneigennützig, waren doch die Vorstandsgremien der Großbanken kollegial organisiert. Neben dem kollegial organisierten Vorstand als Standardvorgabe des Gesetzes verteidigten die Großbanken aus naheliegenden Gründen den Status quo bei der Mitgliederzahl des Aufsichtsrats.182 Differenzen innerhalb der leitungsnahen Eliten bestanden auch bezüglich des Stimmrechts. So sprachen sich der Vorsitzende des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht, Wilhelm Kißkalt, und Max Ebbecke für ein Vorstandsstimmrecht in Höhe von 20 bis 25 Prozent der auf der Generalversammlung vertretenen Stimmen aus.183 Neben dem Vorstandsstimmrecht for179 Siehe das Schreiben der Handelskammer Hamburg an das Reichsjustizministerium, Hamburg 12.09.1935, in: BArch, R 3001/10228. 180 Stellungnahme des Syndikus der Deutschen Bank Simon sowie die Redebeiträge des Syndikus der Berliner Handelsgesellschaft Breska während der zweiten Sitzung des Aktienrechtsausschusses vom 09.02.1934. Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 19–78. 181 Vgl. das Schreiben des Zentralverbands des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes an das Reichsjustizministerium vom 23.08.1935 sowie das Schreiben Schmölders an Quassowski vom 21.09.1935. Beide Dokumente finden sich in: BArch, R 3001/10228. 182 Vgl. die Stellungnahmen des Chefsyndikus der Deutschen Bank Simon in der zweiten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Deutschen Bank am 09.02.1934 (Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 19–78) sowie die beiden Schreiben des Zentralverbands des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes an das Reichsjustizministerium vom 15.05. und 23.08.1935, in: BArch, R 3001/10228. Nach Angaben von James, Deutsche Bank, S. 4, hatte die Deutsche Bank Anfang der 1930er Jahre 102 Aufsichtsratsmitglieder. 183 Vgl. die Äußerungen der beiden Genannten während der kommissarischen Besprechungen des ersten Entwurfs am 08.10.1935, in: BArch, R 3001/10228. Auf der Besprechung verteidigten beide Wirtschaftsvertreter das Vorstandsstimmrecht gegenüber dem Reichs-

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derten die im Aktienrechtsausschuss vertretenen Industriellen die Einführung eines doppelten Stimmrechts für solche Aktionäre, die ihre Aktien unter Angabe ihres Namens und ihrer Adresse für mindestens zwei Jahre bei der Gesellschaft hinterlegten.184 Um den Aktionären einen weiteren Anreiz zur Hinterlegung ihrer Aktien bei der Gesellschaft zu bieten, sollten ihnen neben dem automa­ tischen Zugang von Geschäftsbericht, Tagesordnung der Generalversammlung und Stimmkarte steuerliche Vorteile gewährt werden. So war vorgesehen, Dividenden auf nicht bei der Gesellschaft hinterlegte Aktien stärker zu besteuern. Das Doppelstimmrecht ist damit auch als Angriff auf das Depotstimmrecht der Banken zu verstehen, deren großer Einfluss auf die Aktiengesellschaften immer kritischer gesehen wurde. Um die Macht der Banken zu reduzieren, sollte das Depotstimmrecht reformiert werden. Die Banken sollten nur noch für die Kundenaktien abstimmen können, für die eine ausdrückliche Vollmacht des Kunden vorlag.185 Diese Ideen stießen allerdings nicht bei allen beteiligten Industrievertretern auf Gegenliebe. So sah der Vertreter der Reichsgruppe Industrie, Max Ebbecke, keine Alternative zum Status quo.186 Die Präferenz für eine Neukonzeption des Stimmrechts mit Hilfe eines Vorstandsstimmrechts und eines Doppelstimmrechts für langfristig orientierte Aktionäre machte die vielfach kritisierte Mehrstimmrechtsaktie obsolet. Allerdings waren nicht alle Industrievertreter bereit, auf Mehrstimmrechtsaktien zu verzichten. So argumentierte die Reichsgruppe Industrie in Person von Max Ebbecke und Gustav Schwartz gegenüber dem Reichsjustizministerium, dass einige Gesellschaften weiterhin auf dieses Instrument angewiesen seien und baten, im Gesetz Ausnahmen zuzulassen.187 Alles in allem gingen die Präferenzen wirtschaftsministerium. Der Vorschlag selbst stammte vom Syndikus der Berliner Handelsgesellschaft, Herbert von Breska, und wurde von Kißkalt in den ersten Bericht des Aktienrechtsausschusses an den Vorsitzenden der Akademie aufgenommen. Siehe das Protokoll der dritten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht vom 10.02.1934 (Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 79–149) sowie Kißkalt, Bericht (1934). 184 Protokoll der fünften Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht vom 09.06.1934 (Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 175–230) sowie der zweite Bericht des Vorsitzenden des Aktienrechtsausschusses, Kißkalt, an den Leiter der Akademie für Deutsches Recht vom April 1935 (Kißkalt, Bericht [1935]). Der Vorschlag zum Doppelstimmrecht stammte von Kißkalt und wurde von Ebbecke unterstützt. 185 Protokoll der dritten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht vom 10.02.1934 (Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 79–149) sowie Kißkalt, Bericht (1934). 186 Stellungnahme Ebbeckes während der dritten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht. Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 79–149. 187 Besprechung Quassowskis mit der Reichsgruppe Industrie, Notiz vom 07.10.1935, in: BArch, R 3001/10228. Die Position wurde von den wenigen in der politischen Elite vertretenen Privatbankiers geteilt. Siehe die Stellungnahmen von Flotows (Bankhaus Hardy & Co.) und von Fincks (Bankhaus Merck, Finck & Co) während der zweiten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht. Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 19–78.

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der Aufsichtsräte und Vorstände jedoch dahin, das Stimmrecht zum Vorteil der alteingesessenen Unternehmensführung auszugestalten. Die Großbanken präferierten schließlich eine noch geringere Verschiebung des Status quo. Zwar wurde die Idee des Vorstandsstimmrechts in den Beratungen des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht durch den Syndikus der Berliner Handelsgesellschaft, Breska, ins Spiel gebracht, einem Doppelstimmrecht für Langzeitaktionäre standen die Banken im Aktienrechtsausschuss aber skeptisch gegenüber.188 Dies lag wohl auch daran, dass nach dem Kißkalt’schen Vorschlag das Doppelstimmrecht in Konkurrenz zum Depotstimmrecht der Banken treten sollte, das es aus Sicht der Großbanken zu verteidigen galt.189 Den Plänen zu einer grundlegenden Umgestaltung des Stimmrechts standen auch Vertreter öffentlicher Unternehmen skeptisch gegenüber. Sie bekämpften vor allem Vorschläge zur Beschränkung des Stimmrechts und Abschaffung von Mehrstimmrechtsaktien. Bereits im Sommer 1930 hatte beispielsweise der Bürgermeister der Stadt Kaiserslautern gefordert, Aktiengesellschaften in staatlichem Besitz von der Bestimmung auszunehmen, die es gestattete, in den Statuten ein Höchststimmrecht für die Inhaber mehrerer Aktien festzulegen.190 Mitte der 1930er Jahre versuchte der bayrische Kreis Niederbayern-Oberpfalz, den Wegfall des Mehrstimmrechts zu verhindern, der zum Verlust der Kon­ trolle über mehrere Überlandwerke, die die Kommunen des Kreises mit Strom versorgten, geführt hätte.191 Dazu bediente sich der Kreis verschiedener Wege. Zunächst wandte er sich an seine vorgesetzte Dienststelle, das bayrische Staatsministerium des Inneren. Dieses setzte sich dann beim Reichsjustizministerium für die Interessen des Kreises ein. Die betroffenen Werke intervenierten aber 188 Protokolle der zweiten und der fünften Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht vom 09.02. und 09.06.1934. Ebd., S. 19–78 u. 175–230. Das Vorstandsstimmrecht sollte aber für die Wahl des Aufsichtsrats ruhen, damit sich der Vorstand nicht einen ihm genehmen Aufsichtsrat schaffen konnte. Siehe das Schreiben des Deutsche Bank-Vorstands Karl Kimmich an Staatssekretär Schlegelberger vom 06.09.1935, in: BArch, R 3001/10229. 189 Stellungnahmen von Breska und Simon während der zweiten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht. Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 19–78; Schreiben Schmölders an Quassowski vom 21.09.1935, in: BArch, R 3001/10228; die Schreiben des Zentralverbands des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes vom 15.05. und 23.08.1935, ebenfalls in: BArch, R 3001/10228, sowie das Schreiben des Deutsche Bank -orstands Karl Kimmich an Staatssekretär Schlegelberger vom 06.09.1935, in: BArch, R 3001/10229. 190 Siehe die Zusammenstellung der Äußerungen zum ersten Entwurf des Aktiengesetzes von 1930 (§§ 61–108), in: BArch, R 3001/2942. Die Zusammenstellung stammt höchstwahrscheinlich von Mitte September 1930. 191 Siehe das Schreiben des bayrischen Staatsministeriums der Justiz an das Reichsjustizministerium vom 29.01.1935, in: HStA Mü, MJu 17141, sowie die Kopie des Schreibens des Direktors der Oberpfalzwerke an Staatssekretär Schlegelberger (Reichsjustizministerium) vom 11.11.1935, in: BArch, R  8119 F / P9297.

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auch direkt bei der Ministerialbürokratie beziehungsweise dem Aktienrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht. Die Skepsis gegenüber dem Wegfall von Mehrstimmrechtsaktien wurde auch vom Reichsverkehrsministerium geteilt, das vielen Aktiengesellschaften in staatlichem Besitz vorstand.192 Der Verkehrsminister warnte zudem davor, dass das Vorstandsstimmrecht bei Gesellschaften, in denen die öffentliche Hand die Mehrheit des Aktienkapitals hielt, kontraproduktiv sein könnte, da es dem Vorstand eine größere Unabhängigkeit von den Aktionären gewährte.193 Fragen der Gewinnverteilung und der Offenlegungsstandards wurden im »Dritten Reich« nur am Rande diskutiert. Die radikalsten Vorschläge stammten auch hier wieder aus dem Umfeld des linken Parteiflügels der NSDAP. So sah das Programm Werner Bachmanns eine gesetzliche Gewinnbeteiligung für Arbeiter und Angestellte auf Kosten der freien Aktionäre vor. Auch im Lex DIAG waren implizite Vorschläge zur Gewinnverteilung enthalten. Vorstandsgehälter sollten beispielsweise in Relation zu der ausgezahlten Dividende und der Gesamtlohnsumme des Unternehmens gesetzt werden. Alle Einkommen über 9.600 Mark sollten als Wohlstandseinkommen gelten. Sollte die Dividende unter fünf Prozent fallen, sah der Gesetzesvorschlag eine proportionale Kürzung des Wohlstandseinkommens vor, die durch einen Anstieg der Gesamtlohnsumme wieder teilweise kompensiert werden konnte. Die Vergütung des Aufsichtsrats sollte ebenfalls nach der Dividende gestaffelt werden.194 Das Lex DIAG wollte also einen Anreiz schaffen, die Aktionäre gebührend an den Unternehmensgewinnen zu beteiligen, dabei jedoch auch die Arbeiter am Unternehmenserfolg partizipieren zu lassen. Neben der Bindung der Vorstandsgehälter an Dividende und Lohnsumme, sah das Gesetz auch Gehaltsobergrenzen für die gesamte Belegschaft vor, die umso niedriger ausfallen sollten, je höher die nicht aus dem Angestelltenverhältnis resultierenden Einkommen des Arbeitnehmers waren.195 Schließlich sollte von allen Wohlstandsgehältern mindestens fünf Prozent abgeführt und einem Unterstützungsfonds für die Belegschaft zugeführt werden. Von den übrigen Mitgliedern der politischen Elite sind kaum Äußerungen zur Ausgestaltung von Gewinnbezugsrechten und Offenlegungsvorschriften 192 Siehe die Stellungnahme des Preußischen und Reichsverkehrsministers zum ersten Entwurf des Reichsjustizministeriums vom 03.04.1936, in: BArch, R 43-II/302a. In dem Schreiben bezieht sich der Verkehrsminister insbesondere auf die Schifffahrtsindustrie, die dann nicht mehr zu kontrollieren wäre. 193 Daneben machte sich der Verkehrsminister für weitere Sonderinteressen staatlicher Aktiengesellschaften stark. So sollten auch juristische Personen – etwa Behörden – im Vorstand zugelassen und die Verantwortlichkeit des Vorstands staatlicher Gesellschaften eingeschränkt werden, da diese nicht selten weisungsgebunden seien, etwa wenn sie in einem Beamtenverhältnis zur Reichsregierung standen. Nicht zuletzt sah der Verkehrsminister auch das in Aussicht genommene Verbot der Einmanngesellschaft kritisch, da hiervon auch Aktiengesellschaften in staatlicher Hand betroffen sein könnten. 194 Daneben sah das Gesetz Kürzungen der Bezüge von Aufsichtsrat und Vorstand im Fall von Kapitalzusammenlegungen vor. 195 Der Text spricht von »Privateinkommen«.

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überliefert. Es wird aber klar, dass sich die im Aktienrechtsausschuss vertretenen Unternehmensleiter in Fragen der Gewinnverteilung und der Offenlegung in großer Einstimmigkeit für die Übernahme des Status quo einsetzten. So erteilte der Ausschuss einer Beschränkung der Bezüge des Aufsichtsrats genauso explizit eine Absage wie den Überlegungen, Offenlegungsstandards über das Niveau der Novelle von 1931 hinaus zu vergrößern.196 Dabei wurde insbesondere auch einem Verbot stiller Reserven widersprochen.197 Der Abschlussbericht des Ausschussvorsitzenden übernahm allerdings die von nationalsozialistischen Wirtschaftsdenkern inspirierte Forderung, die Vergütung von Aufsichtsrat und Vorstand in ein angemessenes Verhältnis zur wirtschaftlichen Lage des Unternehmens zu stellen.198 Sowohl die Zahl als auch die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Advokatenkoalitionen waren im »Dritten Reich« deutlich größer als im Kaiserreich oder der Weimarer Republik. So lassen sich für das politische System des Nationalsozialismus insgesamt vier Advokatenkoalitionen definieren, deren Problemperzeption und Lösungsvorschläge sich in Bezug auf eine Reform des Aktionärsschutzes teilweise erheblich unterschieden. Am stärksten traten nationalsozialistische Wirtschaftstheoretiker und Rechtswissenschaftler für eine Neuordnung des deutschen Gesellschaftsrechts ein. Ihre Vorschläge reichten dabei von einer faktischen Abschaffung der Aktiengesellschaft als anonymes Kapitalsammelbecken bis hin zu einer Stärkung des Vorstands und einiger sich an der Unternehmensführung beteiligenden Großaktionäre auf Kosten des Aufsichtsrats und der freien Aktionäre (Führerprinzip). Daneben propagierten sie die Schwächung der Bankenmacht, einen größeren Einfluss des Staates auf die Aktiengesellschaft sowie die stärkere Berücksichtigung anderer Stakeholdergruppen, insbesondere der Arbeiterschaft. Die Koalition der leitungsnahen Eliten aus der Industrie, zu denen auch der aufgrund seiner großen Eigenständigkeit bei der Erstellung der Abschlussberichte sehr einflussreiche Vorsitzende des Aktienrechtsausschusses zählte, lehnte dagegen einen gesteigerten Staatseinfluss ab. Sie nahm jedoch die Idee einer Stärkung des Vorstands, etwa durch die Einführung des Führerprinzips und eines Vorstandsstimmrechts, bei gleichzeitiger Übertragung der Geschäftsführungskompetenzen der Generalversammlung auf. Daneben setzte sich auch diese Koalition für eine Schwächung der mit dem Depotstimmrecht verbundenen Bankenmacht und für eine Stärkung von 196 Vgl. die Referate Ebbeckes und Schmitzens während der siebten beziehungsweise achten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht vom 30.11.1934 und 01./02.02.1935. Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 291–348 u. 349–398. 197 Vgl. das Referat Lehnichs auf der achten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht vom 01./02.02.1935. Ebd., S. 349–398. Lehnich war Wirtschaftsminister in Württemberg und kann somit nicht unmittelbar dem Lager der Leiter von Aktiengesellschaften zugeordnet werden. Von der Seite der Unternehmensführung kam allerdings kein Widerspruch. Dies ist wenig verwunderlich, verteidigten Aufsichtsräte und Vorstände doch schon seit den 1920er Jahren das Prinzip der stillen Reserven. 198 Siehe Kißkalt, Bericht (1935), S. 508–509.

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Langzeitaktionären durch die Einführung eines Doppelstimmrechts ein. Die Beibehaltung der problematischen Mehrstimmrechtsaktien war in den Augen dieser Koalition nicht mehr notwendig. Eine dritte Koalition, unter anderem bestehend aus Vertretern der Reichsgruppe Industrie sowie der Großbanken, sah die Übernahme des Führerprinzips kritischer, und auch die Entmachtung der Generalversammlung ging ihr zu weit. In Stimmrechtsfragen nahm diese Koalition ebenfalls einen konservativeren Standpunkt ein. Zwar sprach man sich für die Einführung eines Vorstandsstimmrechts aus, Mehrstimmrechtsaktien sollten jedoch nicht abgeschafft und das Depotstimmrecht der Banken sollte erhalten bleiben. Die Koalition aus Industrie und Großbanken brach im »Dritten Reich« also auseinander. Ein Teil der Industrievertreter sah den Zeitpunkt gekommen, die in Ungnade gefallenen Großbanken aus ihrer Führungsposition zu verdrängen. Deutlich wird dies in der Äußerung des einzigen Bankenvertreters im Aktienrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht, dem Syndikus der Berliner Handelsgesellschaft Breska, der sich Mitte März gegenüber der Rechtsabteilung der Deutschen Bank beklagte, im Aktienrechtsausschuss auf »verlorenem Posten« zu stehen und lediglich hin und wieder bei dem Vertreter der Reichsgruppe Industrie Unterstützung zu finden.199 Für den Erhalt ihres Mehrstimmrechts sprachen sich auch Vertreter öffentlicher Unternehmen aus, die aufgrund der Fokussierung auf ihre eigenen Interessen als eigene Koalition zu gelten haben. Obwohl sich zwischen den Koalitionen deutliche Unterschiede in Bezug auf die Frage nach der optimalen Ausgestaltung der Unternehmenskon­ trolle auftaten, lassen sich auch für das »Dritte Reich« Episoden eines gegen­ seitigen Lernens der Advokatenkoalitionen nachweisen. So übernahm die der nationalsozialistischen Wirtschaftsideologie näherstehende Koalition der leitungsnahen Eliten die zuerst von nationalsozialistischen Wirtschaftsdenkern formulierte Idee der Entmachtung der Generalversammlung zu Gunsten des Vorstands und der Einführung des Führerprinzips innerhalb des Vorstands. Die durch den Vorsitzenden des Aktienrechtsausschusses entwickelte Idee des Doppelstimmrechts für Langzeitaktionäre scheint zudem durch den Vorschlag Würdingers, zwei Aktionärsgruppen mit unterschiedlich ausgestatteten Rechten und Pflichten zu bilden, inspiriert gewesen zu sein. Die Idee zur Einführung eines Vorstandsstimmrechts wurde dagegen zuerst durch einen Großbankenvertreter formuliert und dann positiv durch Industrievertreter und nationalsozialistische Wirtschaftsdenker rezipiert.200

199 Aktennotiz Kleins vom 15.03.1934, in: BArch, R  8119 F / P9297. 200 Stellungnahme eines Mitarbeiters des Wirtschaftsbeauftragten des Führers während der kommissarischen Besprechung des ersten Entwurfs (Oktober 1935) am 08.10.1935, in: BArch, R 3001/10228.

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4.4 Konstituierung und Zerfall von Advokatenkoalitionen, 1870 bis 1937 Sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik bildeten sich zwei große Advokatenkoalitionen heraus, die sich jeweils für beziehungsweise gegen eine grundlegende Reform des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsstandards aussprachen. Zum Lager der Reformskeptiker zählten in beiden Fällen Aufsichtsräte, Vorstände und (Groß-)Bankiers sowie deren Interessenorganisationen, wobei gerade den Großbankiers eine wichtige Führungsrolle zukam. Im Kaiserreich fanden die Reformskeptiker Unterstützung bei einigen juristischen Experten, meist Anwälten, und den beiden großen liberalen Reichstagsfraktionen. In der Weimarer Republik schlossen sich auch viele juristische Experten, meist Wirtschaftsanwälte, dieser Koalition an. Im Lager der Reformbefürworter waren in beiden Perioden vor allem wiederum juristische Experten wie Handelsrechtler und Richter, und nicht etwa Vertreter freier Aktionäre, tonangebend. Im Kaiserreich zählten außerdem die Abgeordneten des Zentrums zu dieser Koalition. In der Weimarer Republik machten sich unter dem Eindruck des ­FAVAG-Skandals und der Bankenkrise ab dem Jahr 1929 ebenfalls Politiker der Reichstagsfraktion der DDP sowie die Landtage Preußens und Württembergs für eine Reform stark. Wichtiger als die Parteien waren aber die Handelspresse und Privatbankiers, die sich ab Mitte der 1920er Jahre als Kritiker des bestehenden Rechtszustands hervortaten. In der Weimarer Republik existierte mit der Arbeiterschaft und der Reichstagsfraktion der SPD zudem noch eine weitere Koalition, die hauptsächlich Sonderinteressen verfolgte. Die hier klar hervortretende Bedeutung der Anwaltschaft für die Reform des Aktienrechts, der im gewissen Sinne die Rolle eines Agendasetzers zukommt, wird zwar in der rechtshistorischen Literatur betont,201 wurde bisher jedoch weder von der ökonomischen noch von der historischen Literatur aufgegriffen. Diese sieht entweder in den Aktionären202 und der Verwaltung der Aktiengesellschaft203 oder in der Arbeiterschaft204 beziehungsweise deren Interessenorganisationen205 wichtige Triebfedern des gesetzlichen Wandels. Auch die wichtige Scharnierfunktion der Groß- und Privatbanken wird von der ökonomischen und historischen Literatur unterschätzt.206 Die Bedeutung juristischer Experten 201 Bayer; Bayer u. Habersack; Schubert, Weimarer Republik; Ders., Aktienrechtsreform. 202 Bebchuk u. Neeman; Pagano u. Volpin; Perotti u. Thadden. 203 Bebchuk u. Neeman; Pagano u. Volpin; Rajan u. Zingales, Great reversals. 204 Roe, Corporate governance; Pagano u. Volpin; Perotti u. Thadden. 205 Fischer, Unternehmerschaft; Ullmann, Bund der Industriellen; Ders., Interessenverbände; Wehler, Kapitalismus. 206 Bankiers spielen in den Modellen von Volkswirten keine Rolle. Historische Studien, die sich mit dem Einfluss von Bankenverbänden auf die Politik auseinandersetzen, existieren kaum. Für die Weimarer Zeit ist lediglich die Studie von Grübler zu nennen. Für das Kaiserreich siehe: Biggeleben.

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und Bankiers kann auf deren große rechtliche und praktische Expertise zurückgeführt werden, über die die Entscheider in den Ministerien und Reichsämtern nicht verfügten. Somit weisen die hier behandelten Advokatenkoalitionen große Gemeinsamkeiten mit epistemischen Gemeinschaften auf, also mit Expertennetzwerken, die über politisch relevantes Wissen und damit über Deutungsmacht und politischen Einfluss verfügen.207 Dies mag auch erklären, warum der Einfluss der freien Aktionäre auf die Positionen der Advokatenkoalitionen so gering war. Die freien Aktionäre waren, gemessen an der Gesamtbevölkerung, nicht nur eine kleine und aufgrund ihrer Heterogenität schwer organisierbare Gruppe, ihnen fehlte auch das nötige juristische Fachwissen, um Teil der, aufgrund ihres Wissens und praktischen Expertise dominierenden, Koalition werden zu können. Die sich als quasi-epistemische Gemeinschaften bildenden Advokatenkoalitionen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik konkurrierten um politischen Einfluss. Die große Konfliktlinie verlief dabei entlang der Frage, wie der Schutz des Einzelaktionärs gegenüber dem Schutz des Unternehmens und der das Unternehmen repräsentierenden Verwaltung abzuwägen sei. Implizit beinhaltete dies die Frage, wie groß der Einfluss der freien Aktionäre auf die Geschäftsführung der Gesellschaft sein sollte. Am Rande wurde dabei auch immer wieder die Frage berührt, inwieweit der Staat die Geschäftsführung der Gesellschaft kontrollieren und beeinflussen sollte. Auf der einen Seite stand dabei die Überzeugung, der Tendenz der Entrechtung der Kapitalbesitzer entgegenzuwirken und den Erhalt ihrer Verfügungs- und Gewinnbeteiligungsrechte sichern zu müssen. Dieses Motiv scheint Mitte der 1920er Jahre, vor dem Hintergrund einer zunehmenden Machtkonzentration der eingesessenen Verwaltungen, besonders wichtig gewesen zu sein. Ein weiteres starkes, vor allem in den 1870er Jahren und dann wieder ab Ende der 1920er Jahre wirkmächtiges Motiv war die Verhinderung von Finanz- und Wirtschaftskrisen, die durch unkontrolliert und unverantwortlich handelnde Unternehmensleiter hervorgerufen wurden. Als drittes Motiv kristallisierten sich rechtsmoralische Überlegungen heraus. Vertreter dieser Position sahen die Autorität des Rechts gefährdet, wenn dieses offensichtliches Unrecht oder gar betrügerische Handlungen sanktionierte. Die Verfechter eines besseren Schutzes des Unternehmens führten dagegen immer wieder die Notwendigkeit stabiler Verhältnisse in der Unternehmensführung und der Bildung ausreichender finanzieller Rücklagen an. Beides sahen sie durch 207 Grundlegend Haas, Knowledge, S. 3–4. Nach Haas definiert sich eine epistemische Gemeinschaft unter anderem über gemeinsame normative Vorstellungen, eine gemeinsame Wissensbasis und identische Politikvorstellungen. Im Unterschied zu Interessengruppen ziehen sich epistemische Gemeinschaften aus der Debatte zurück, sobald ihre Vorstellungen von Kausalzusammenhängen und Ursache-Wirkungszusammenhängen durch reale Entwicklungen erschüttert werden. Unter dieser engen Definition lässt sich unter Umständen noch die Juristenschaft als eine epistemische Gemeinschaft verstehen. Die Banken- und Unternehmensvertreter fallen indes nicht mehr in die Definition von Haas. Vgl. Ders., Introduction, S. 3, 18–19.

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einen Ausbau der Rechte der Einzelaktionäre gefährdet. Gefahr drohte dabei aus drei Gründen. Einmal, so die Kritik, fehlte es den freien Aktionären an der nötigen fachlichen Expertise zur Mitführung der Gesellschaft. Immer wieder betonten die Reformgegner zudem die Möglichkeit des Missbrauchs von Stimmund Minderheitenrechten sowie Offenlegungsvorschriften zu Zwecken der Konkurrenz in Form des Ausspähens von Geschäftsgeheimnissen oder feindlicher Übernahmen. Zuletzt bestand in den Augen der Reformgegner die Gefahr einer Schwächung der Kapitalbasis der Gesellschaft durch überzogene Gewinnbeteiligungsforderungen der nicht am dauerhaften Unternehmenserfolg interessierten Aktionäre. Mit leicht unterschiedlicher Gewichtung wurden diese Argumente sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik vorgebracht.208 So findet sich auch die Idee, das Unternehmen »an sich« sei ein schützenswertes Rechtsgut, in Ansätzen bereits in den 1880er Jahren, wenn der Privatbankier und Vorsitzende des Aufsichtsrats der Deutschen Bank Adelbert Delbrück die Förderung und den Schutz des »thätigen, unternehmenden Geschäftsmannes« gegenüber dem das »Erworbene oder Ererbte genießenden Capitalisten« forderte.209 Die rechtliche Anerkennung dieses Prinzips durch das Reichsgericht und die Entwicklung einer eigenständigen Rechtsfigur war allerding der Weimarer Republik vorbehalten.210 Interessanterweise argumentierten die Befürworter eines stärkeren Unternehmensschutzes, zumindest in den 1920er Jahren, ebenfalls mit rechtsmoralischen Überlegungen. So fand in der Weimarer Republik immer mehr die Lehre von der Anpassung des Rechts an die durch soziale und wirtschaftliche Kräfte geformte Rechtswirklichkeit Anklang.211 Würde die Anpassung von Rechtswirklichkeit und Gesetz versäumt, büße das Recht seine Autorität ein, auch nähme die Rechtsunsicherheit zu, da die Richter zwischen der buchstäblichen Anerkennung des Gesetzestextes und der Rechtswirklichkeit gewissermaßen zwischen zwei Stühlen säßen.212 Bei der Betonung der Differenzen der Koalitionen darf jedoch nicht vergessen werden, dass es auch Episoden des gegenseitigen Lernens und Angleichens der Positionen gab. So etwa, wenn der Juristentag im Jahr 1873 den von ihm empfohlenen Minderheitenrechten gewisse Missbrauchsvorkehrungen beigab, oder Arthur Nußbaum die Tatsache anerkennen musste, dass Mehrstimmrechtsaktien zwar zu regulieren und einzuschränken, aber kaum abzuschaffen waren. Die Befunde für das Kaiserreich und die Weimarer Republik gelten für die Zeit des Nationalsozialismus nur bedingt. Zum einen änderte sich die Zusammensetzung der Advokatenkoalitionen drastisch. Juristische Experten, Wirtschaftsjournalisten und Privatbankiers fanden kaum noch Gehör, und auch 208 In der Weimarer Republik waren es weniger die Minderheitenrechte, die eine Gefahr für die Stetigkeit der Geschäftsführung darstellten, sondern das Schwinden der Aktien­mehrheiten der eingesessenen Verwaltungen, was die Gefahr feindlicher Übernahmen steigen ließ. 209 Delbrück, S. 38. 210 Überblick bei Laux. 211 Ebd., S. 118–123. 212 Geiler, S. 4.

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Großbankiers wurden im Aktienrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht an den Rand gedrängt und gewannen erst mit der Übernahme des Reichswirtschaftsministeriums durch Hjalmar Schacht wieder an Einfluss.213 Freie Aktionäre scheinen überhaupt keine Rolle mehr gespielt zu haben. Nur die Vorstände und Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften und ihre neuformierten Interessenorganisationen waren weiterhin ungeschmälert vertreten. An die Stelle der verdrängten Gruppen traten nationalsozialistische Ideologen, Wirtschaftsdenker und Parteivertreter. Die Zugehörigkeit zur politischen Elite scheint damit weniger an ein exklusives Fachwissen gebunden gewesen zu sein. Zwar war mit Friedrich Klausing auch ein anerkannter Aktienrechtsexperte prominent an der Reformdebatte beteiligt, Werner Bachmann oder Wilhelm Keppler können aber kaum als solche bezeichnet werden. Nimmt man das Urteil des Syndikus der Berliner Handelsgesellschaft, Breska, für bare Münze, handelte es sich bei den ständigen Mitgliedern des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht, abgesehen vom Vertreter der Reichsgruppe Industrie, E ­ bbecke, und ihm selbst, um »theoretisierende Wissenschaftler« oder Kaufleute, die »mit dem Aktienrecht wenig vertraut« seien.214 Breskas Äußerung mag von der Enttäuschung über die Zurücksetzung der Großbanken geprägt gewesen sein, in der Tat hielten sich die meisten Industrievertreter in den Ausschussberatungen jedoch merklich zurück. Eine Ausnahme bildeten tatsächlich Max Ebbecke, der Vertreter der Reichsgruppe Industrie, und der Leiter des Ausschusses, Wilhelm Kißkalt. Während Fachwissen eine geringere Rolle spielte, war die Zugehörigkeit zur politischen Elite im »Dritten Reich« stärker an Parteizugehörigkeit und Gesinnung gebunden. Von den elf ständigen Mitgliedern des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht waren mindestens fünf Parteimitglieder.215 Wilhelm Kißkalt, der Vorsitzende des Aktienrechtsausschusses, war zwar kein Parteimitglied, aber eng mit der politischen Führung verflochten. Kißkalt war Vorstandsvorsitzender der Münchner Rück AG und Aufsichtsrat bei der eng mit der Münchner Rück AG verbundenen Allianz AG, deren langjähriger Vorstandsvorsitzender, Kurt Schmitt, wiederum zwischen 1933 und 1935 das Wirtschaftsministerium führte und der schon vor 1933 mit führenden Nationalsozialisten verkehrte.216 Von einer durch ein gemeinsames Fachwissen definierten epistemischen Gemeinschaft zu sprechen, fällt für das »Dritte Reich« daher schwer. Der Zerfall der Advokatenkoalitionen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik und der diese konstituierenden epistemischen Gemeinschaften spie213 Nur eins der elf ständigen Mitglieder des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht, der Syndikus der Berliner Handelsgesellschaft, kann einer Großbank zugeordnet werden. Vgl. die Teilnehmerliste der Protokolle des Aktienrechtsausschusses bei Schubert u. a. Siehe auch Bähr, S. 45–48. 214 Der Chefsyndikus Breska in einer Besprechung mit der Rechtsabteilung der Deutschen Bank, Aktennotiz Kleins vom 15.03.1934, in: BArch, R  8119 F / P9297. 215 Bähr, S. 45–48; Schubert u. a., S. L–LXV. 216 Schubert u. a., S. LVI u. LXI; Feldman, Allianz, S. 78–88.

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gelt sich auch in einer Verschiebung der Konfliktlinien zwischen den Koalitionen wider. Diese verliefen nun verstärkt zwischen den nationalsozialistischen Befürwortern einer grundlegenden Neuordnung des Kapitalmarktrechts und den sich aus konservativen Kräften der Industrie und der Großbanken zusammensetzenden Befürwortern einer gesetzlichen Sanktionierung des Status quo. Dazwischen, einige Vorschläge der beiden anderen Koalitionen aufgreifend und gewissermaßen als Synthese der beiden Pole, vertrat eine einflussreiche Gruppe um den Leiter des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht eine Stärkung des Vorstands und der langfristig an die Gesellschaft gebundenen Aktionäre zu Lasten des Aufsichtsrats, der Großbanken und der freien Aktionäre. Eine Koalition, die sich für den Schutz des Einzelaktionärs einsetzte, existierte dagegen nicht mehr. Einen letzten Punkt gilt es noch festzuhalten. Im Kaiserreich und der Weimarer Republik befanden sich Aufsichtsräte, Vorstände und (Groß-)Bankiers regelmäßig in einer defensiven, auf Reformvorschläge anderer Gruppen reagierenden Position. Der Anstoß zu einem gesetzlichen Wandel des Aktienrechts ging stets von anderen Gruppen, vornehmlich von juristischen Experten, in der Weimarer Republik auch von Wirtschaftsjournalisten und Privatbankiers, aus. Das gilt auch für das politische System des Nationalsozialismus. Nur waren es hier die nationalsozialistischen Ideologen, die die leitungsnahen Eliten zu einer Reaktion zwangen.

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5. Advokatenkoalitionen, Umweltbedingungen und die Entstehung der Präferenzen der Vetospieler

In Kapitel drei wurde argumentiert, das Ergebnis der Verhandlungen der Vetospieler sei unter anderem durch die relative Lage ihrer optimalen Politikpunkte bestimmt. An dieser Stelle soll daher der Frage nachgegangen werden, welche Faktoren die Bildung dieser optimalen Politikpunkte maßgeblich beeinflusst haben. Zwei Erklärungsansätze stehen dabei im Vordergrund. Erstens mögen die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Advokatenkoalitionen die optimalen Politikpunkte der Vetospieler beeinflusst haben. Dem liegen zwei Überlegungen zu Grunde. Zum einen können aus juristischen und kaufmännischen Experten bestehende Advokatenkoalitionen den Vetospielern wichtiges, diesen jedoch unbekanntes, Wissen über den Regulierungsgegenstand beziehungsweise die Bedürfnisse der zu regulierenden Gruppen liefern. Dieser modellhafte Ansatz ist besonders auf die Ministerien und Reichsämter zugeschnitten.1 Im Zusammenhang mit solch einem einfachen Beratungsmodell stellt sich die Frage, inwiefern bestimmte Advokaten einen institutionalisierten oder auf andere Weise privilegierten Zugang zu einem Vetospieler hatten und ob es ihnen gelang, ihre Problemkonzeption und Lösungsvorschläge exklusiv zu vermitteln oder ob die Vetospieler nicht doch unabhängige, eigene Politikziele formulierten, um dann aus verschiedenen Lösungsvorschlägen die zur Zielerreichung geeignetsten Mittel auszuwählen. Einfacher formuliert geht es um die Frage nach den Handlungsspielräumen der Vetospieler gegenüber den Advokatenkoalitionen, oder anders ausgedrückt, um die Frage, ob die Vetospieler als Teil einer Advokatenkoalition oder als Politikvermittler agierten.2 Neben dem Beratungsmodell existiert zum anderen die Möglichkeit der personalen Überlappung von Vetospielern und wichtigen Mitgliedern einer Advokatenkoalition. Eine solche Situation kann auftreten, wenn Advokaten Mitglied des Parlaments, der vorbereitenden Parlamentsausschüsse oder der Ministerialbürokratie sind und sie somit Veto-Macht halten. Eine alleinige Konzentration auf das Zusammenspiel von Advokatenkoalitionen und Vetospielern verstellt allerdings den Blick auf andere mögliche Einflussfaktoren und kann daher nicht genügen, um die Formulierung der optimalen Politikpunkte zu erklären. Immer wieder verweisen Politikwissenschaftler auf sich verändernde Umweltbedingungen und das den Vetospielern inhärente langfristige Überlebensinteresse, die Handlungsimperative setzen und Hand1 Eberlein u. Grande, S. 155–156; Scharpf, S. 174–178. 2 Vgl. Sabatier, Advocacy coalition, S. 141.

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lungsspielräume öffnen oder begrenzen.3 Es wird daher auch zu fragen sein, inwiefern die Übernahme bestimmter Lösungsvorschläge durch die Vetospieler auf die Überzeugungskraft oder die institutionelle Einbindung von Advokaten in die Organisation der Vetospieler zurückgeführt werden kann oder ob sich die Entscheidungen der Vetospieler nicht vielmehr an externen Faktoren orientierten. So machte die Gründerkrise eine weitere Liberalisierung des Aktienrechts unmöglich, und die Machtergreifung der Nationalsozialisten zwang die Ministerialbürokratie dazu, über die Kompatibilität von Aktienrecht und nationalsozialistischer Wirtschaftsideologie nachzudenken. Zur Beantwortung dieser Fragen werden zunächst die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Positionen der Advokatenkoalitionen mit den im dritten Kapitel herausgearbeiteten optimalen Politikpunkten der Vetospieler verglichen und anhand der Quellenüberlieferung Kausalzusammenhänge herausgearbeitet.4 Gleichzeitig werden die Entscheidungen der Vetospieler mit den im ersten Kapitel näher beschriebenen Umweltbedingungen abgeglichen und auch hier die kausalen Zusammenhänge analysiert.

5.1 Kaiserreich Schon direkt nach dem Höhepunkt der Börsenkrise im Herbst 1873 stellten das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe und das Reichskanzleramt erste Reformüberlegungen an.5 Der preußische Vorschlag einer sofortigen Reform wurde 1874 im Bundesrat abgelehnt, die öffentliche Debatte war jedoch im vollen Gange. Auf die Anfrage der Bundesstaaten hin hatten sich bereits 1873 zahlreiche Handelskammern und kaufmännische Korporationen zur Frage der Reform des Aktienrechts geäußert. Auch der Deutsche Handelstag hatte in seinem Vereinsorgan, dem Deutschen Handelsblatt, Stellung bezogen. Der Deutsche Juristentag und der Verein für Socialpolitik beschäftigten sich ebenfalls im Jahr 1873, der Juristentag nochmals 1880, mit den Missständen des Aktienrechts und erarbeiteten Reformvorschläge. Gleichzeitig entstanden in den 1870er Jahren zahlreiche Einzelschriften, vornehmlich aus der Feder juristisch ausgebildeter Autoren. Der offizielle Gesetzgebungsauftrag des Bundesrats an die Reichsverwaltung erging, wieder auf Betreiben Preußens, im Jahr 1877. Im gleichen Jahr gab das Reichsjustizamt ein Gutachten beim Reichsoberhandelsgericht in Auftrag, verschleppte die Gesetzgebungsarbeiten jedoch zunächst bis 3 Mayntz u. Scharpf, S. 52–55; Sabatier, Advocacy coalition, S. 134–137. Für eine historische Anwendung dieser theoretischen Überlegungen vgl. Torp, S. 366, 369. 4 Für genauere Quellenbelege sei dabei auf die jeweiligen Kapitel verwiesen. Die Position der Vetospieler findet sich im dritten Kapitel, die Reformvorschläge der Advokatenkoalitionen werden im vierten Kapitel herausgearbeitet. 5 Für einen genaueren Überblick vgl. Kapitel 2. 

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Ende 1879. Unter neuer Leitung erarbeitete das Reichsjustizamt zusammen mit dem Reichsamt des Inneren mehrere Referentenentwürfe, die im Frühjahr 1882 einer Sachverständigenkommission vorgelegt wurden. Nachdem die Anregungen der Sachverständigen begutachtet und teilweise in die Entwürfe eingearbeitet worden waren, wurde der Gesetzentwurf im Herbst 1883 in den Bundesrat eingebracht. Um besser zu dem Gesetzentwurf der Reichsämter Stellung beziehen zu können, beauftragten alle Bundesstaaten außer Preußen ihre Handelskammern, Gutachten zu dem Gesetzentwurf anzufertigen. Die Veröffentlichung des Gesetzentwurfs im Herbst 1883 brachte aber auch Rechtswissenschaftler, preußische Handelskammern und Korporationen sowie andere Interessenorganisationen von Aufsichtsräten, Bankiers und Vorständen dazu, über den Winter 1883/84 Stellungnahmen zu dem Gesetzentwurf abzugeben und Petitionen an den Bundesrat und später an den Reichstag zu senden. Der Deutsche Handelstag bezog dagegen erst sehr spät, im April 1884, Position zu dem Gesetzentwurf und konnte, da der Bundesrat bereits Anfang März über den Entwurf entschieden hatte, nur noch auf die Reichstagsverhandlungen einwirken. Im Fall der preußischen Ministerien konzentriert sich die Untersuchung auf das Ministerium für Handel und Gewerbe, das die meisten Anregungen für die Gesetzgebung gab und dessen Akten gut überliefert sind. Das Ministerium sah sich den beiden großen, im vierten Kapitel im Detail beschriebenen Advokatenkoalitionen gegenüber. Zum einen finden sich in den Akten des Handelsministeriums Stellungnahmen des Deutschen Juristentags und des Vereins für Social­politik sowie Eingaben einiger weniger Aktionärsverbände.6 Zum anderen konnte das Ministerium auf die im Mai 1872 in Auftrag gegebenen Gutachten der Handelskammern und kaufmännischen Korporationen zurückgreifen.7 Die Mehrheit der Handelskammern und Korporationen sprach sich gegen eine Schärfung der Verantwortung und Haftung von Aufsichtsrat und Vorstand aus, da die hierzu geeigneten Personen nicht bereit seien, das damit verbundene Risiko zu tragen und so geeignete Personen von der Übernahme eines Aufsichtsratsmandats abgehalten würden.8 Auch dem angedachten Verbot der Delegation des Aufsichtsrats in den Vorstand wurde von Seiten der Kammern widersprochen, da gerade durch die Teilhabe des Aufsichtsrats an der Geschäfts6 Der Juristentag tagte im August 1873, der Verein für Socialpolitik im Oktober 1873. Das Votum des Handelsministeriums trägt das Datum vom 28.11.1873. Es ist also davon auszugehen, dass das Handelsministerium über die Verhandlungen der beiden Organisationen informiert war. 7 Die Gutachten wurden Ende Mai vom Handelsministerium eingefordert. Siehe Preußisches Ministerium für Handel und Gewerbe. 8 Siehe für dieses Argument exemplarisch das Gutachten der Ältesten der Berliner Kaufmannschaft, in: Älteste der Berliner Kaufmannschaft, Bericht (1873). Eine Minderheit war einer Schärfung der Verantwortung nicht abgeneigt. So empfahl beispielsweise die Königsberger Kaufmannschaft, den Aufsichtsrat zu verpflichten, in seiner Gesamtheit mindestens zehn Prozent des Aktienkapitals zu halten, um ihm einen Anreiz zu geben, seinen Kontrollpflichten nachzukommen. Siehe: Königsberger Kaufmannschaft.

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führung wichtige Informationen für die Kontrolle der Geschäftsführung des Vorstands gewonnen werden könnten.9 Fast durchgehend standen die Handels­ kammern und Korporationen auch den Individual- und Minderheitenrechten skeptisch gegenüber.10 Bezüglich der unentziehbaren Rechte der General­ versammlung waren die Handelskammern weniger kritisch. So sprach sich die Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft dafür aus, die Entscheidung über Kapitalerhöhungen der Generalversammlung zu übertragen, die Handelskammer Augsburg empfahl, die Generalversammlung auch über die Ausgabe von Anleihen entscheiden zu lassen.11 Dem gegenüber drangen Juristen, reformorientierte Sozialwissenschaftler und einzelne Schutzvereine der Aktionäre auf eine strengere Haftung des Aufsichtsrats, die Stärkung der Generalversammlung durch die Statuierung unentziehbarer Rechte und die Einführung von Schutzrechten in Form von Individual- und Minderheitenrechten. Das preußische Handelsministerium – und mit ihm die preußische Denkschrift aus dem Jahr 1876 – folgte in seinem Votum vornehmlich den Empfehlungen der Juristen und Nationalökonomen sowie den Interessen der freien Aktionäre, indem es sich für die Stärkung der Kontrollpflicht des Aufsichtsrats, die Schaffung unentzieh­ barer Rechte der Generalversammlung und die Einführung von Individual- und Minderheitenrechte stark machte.12 Das heißt aber nicht, dass die Anregungen der Handelskammern vollständig ignoriert wurden. Anscheinend konnte die Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft das Handelsministerium von ihrem Argument überzeugen, dass ein gewisser Grad der Teilnahme des Aufsichtsrats an der Geschäftsführung notwendig sei. Denn in seinem Votum aus dem November 1873 empfahl das Handelsministerium zwar die Delegation des Aufsichtsrats in den Vorstand zu verbieten, wollte dem Aufsichtsrat aber auch nicht vollständig seine Geschäftsführungskompetenzen nehmen. Das Preußische Justizministerium beantragte darüber hinaus, die Minderheitenrechte so auszugestalten, dass die Missbrauchsgefahr minimiert würde.13 Hier scheinen die Befürchtungen der Handelskammern gehört und geteilt worden zu sein –

9 Vgl. auch hier wieder exemplarisch: Älteste der Berliner Kaufmannschaft, Bericht (1873). An dieser Stelle sei auch auf die Sammlung der Gutachten mehrerer Handelskammern und kaufmännischen Korporationen in: Hecht verwiesen. 10 Vgl. die von Hecht gesammelten Antworten auf das Rundschreiben des Handelsministeriums von Ende Mai 1873. 11 Älteste der Berliner Kaufmannschaft, Bericht (1873); Handelskammer Augsburg. Die Augsburger Kammer antwortete nicht auf das Rundschreiben des Handelsministers, sondern auf ein gleichlautendes Rundschreiben des Reichskanzlers. 12 In der Frage der Statuierung unentziehbarer Rechte der Generalversammlung scheinen die Positionen der Handelskammern und der Juristen recht nahe beieinander gelegen zu haben, da auch einige Handelskammern der Generalversammlung solche Rechte zuerkennen ­wollten. 13 Votum des Preußischen Justizministeriums vom 05.05.1874, in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 8.

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auch wenn das Justizministerium andere Schlüsse zog und an der Einführung von Minderheitenrechten weiter festhielt. Auf dem Feld des Stimmrechts, der Gewinnbeteiligungsrechte und der Offenlegungsstandards machten die Preußischen Ministerien nur wenige konkrete Vorschläge. Hier hielten sich aber auch die Advokatenkoalitionen während der 1870er Jahre mit eigenständigen Reformvorschlägen zurück. Interessant ist allerdings, dass weder das Handels- noch das Justizministerium die die von allen Seiten eingebrachte Empfehlung zur Einführung einer verpflichtenden Bilanz­prüfung durch externe Revisoren beachteten.14 Auf den zweiten Blick ist dies jedoch weniger überraschend, stellte diese Empfehlung doch eine Minderheitenmeinung auf dem Juristentag dar und war auch unter den Handelskammern umstritten.15 Die Entscheidung der preußischen Ministerien, den Empfehlungen der Advo­ katen hinsichtlich eines Ausbaus des Aktionärsschutzes zu folgen, hatte auch strategische und wirtschaftspolitische Gründe. Einen wichtigen Anstoß für den wiederholten preußischen Vorstoß bezüglich der Reform des Aktienrechts im Jahr 1876 stellte die Intervention des preußischen Abgeordnetenhauses vom 29. März 1876 dar, die das preußische Staatsministerium aufforderte, auf eine schnelle Reform des Aktienrechts zu drängen.16 Offensichtlich befürchtete das preußische Staatsministerium einen Ansehensverlust für das monarchische Prinzip, wenn der Reichstag die Interpellation des preußischen Abgeordnetenhauses aufgreifen und einen Aktiengesetzentwurf einbringen und damit den Beschluss des Bundesrats aus dem Jahr 1874, die Reform des Aktienrechts zunächst zurückzustellen, kassieren würde.17 Es sei daher machtpolitisch klüger – so das 14 Eine verpflichtende Bilanzprüfung durch unabhängige Revisoren wurde nicht nur von freien Aktionären und Juristen (Wiener und Wolffson) vorgeschlagen, sondern auch von der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft in ihrem Gutachten vom 17.11.1873, der Königsberger Kaufmannschaft in ihrem Gutachten aus dem September 1873 und der Stettiner Kaufmannschaft in ihrem Gutachten vom 30.09.1873 empfohlen. Älteste der Berliner Kaufmannschaft, Bericht (1873); Königsberger Kaufmannschaft; Stettiner Kaufmannschaft. 15 Für die kritische Haltung innerhalb der Handelskammern zu einer Pflichtprüfung der Bilanz vgl. das Gutachten der Breslauer Handelskammer vom 26.09.1873. Handelskammer Breslau. 16 Königreich Preußen, Stenographische Berichte, S. 915. Voten des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe vom 27.04.1876 sowie des Preußischen Justizministeriums vom 13.06.1876, in: BArch, R 3001/2859. Der Antrag Laskers findet sich auch in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 8. Zusammengefasst forderte der Antrag eine größere Transparenz und Kontrolle der Gründung und der laufenden Geschäftsführung sowie geeignete Maßnahmen, um die Normvorschriften der Novelle des Jahres 1870 tatsächlich durchsetzen zu können. 17 Aufgrund der breiten Unterstützung für die Interpellation Laskers im Abgeordnetenhaus und im Herrenhaus, hätte sich das Preußische Staatsministerium im Bundesrat nur schwer gegen einen solchen Entwurf wenden können. Votum des Preußischen Justizministeriums vom 13.06.1876 und Protokoll des Staatsministeriums vom Oktober 1876, in: BArch, R 3001/2859 beziehungsweise GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 9.

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Preußische Justizministerium –, wenn der Antrag auf eine baldige Reform des Aktienrechts von einem Bundesstaat ausginge. Daneben spielten wirtschaftspolitische Überlegungen eine Rolle. Mitte der 1870er Jahre zeichnete sich eine langsame Erholung des Kapitalmarkts ab.18 Damit stieg auch die Wahrscheinlichkeit einer neuen Welle von Aktienneugründungen und die damit verbundene Gefahr einer erneuten Finanz- und Wirtschaftskrise. Der Kritik, hiergegen auf dem Weg der Gesetzgebung nichts unternommen zu haben, wollte sich das preußische Staatsministerium nicht aussetzen. Damit war die grundlegende Reformrichtung aber bereits vorgezeichnet. Eine Rückkehr zu noch größerer Vertragsfreiheit war unter dem Eindruck der zahlreichen Verfehlungen der Gründerkrise nicht mehr möglich. Der einzige Weg, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, bestand darin, die im Gesetz von 1870 enthaltenen Schutzbestimmungen auszubauen und zu ergänzen. Sich verändernde Umweltbedingungen hatten somit einen doppelten Effekt auf die Präferenzbildung der preußischen Ministerien. Zum einen legten sie die Defizite des geltenden Rechts offen und provozierten Lösungsvorschläge von Advokatenkoalitionen. Zum anderen erzeugten sie politischen Druck, Reformen in eine bestimmte Richtung zu unternehmen. In diesem Fall bedeutete dies, den Empfehlungen der reformbefür­ wortenden Advokaten zu folgen. Wie die Preußischen Ministerien setzten sich auch Reichsamt des Inneren und das Reichsjustizamt mit dem gesamten, bis Anfang der 1880er Jahre entstandenen Schriftgut der beiden im vierten Kapitel ausführlich beschriebenen Advokatenkoalitionen auseinander. Eindrucksvoll deutlich wird dies durch die Lektüre der Begründung des dem Bundesrat im September 1883 vorgelegten Reformentwurfs, der neben Lehrbüchern zum Aktienrecht auch die juristische Reformliteratur, die Stellungsnahmen des Juristentags und des Vereins für Socialpolitik sowie die in den 1870er Jahren entstandenen Handelskammergutachten zitiert.19 Zudem griffen die Reichsämter auf das vom Reichsjustizamt in Auftrag gegebene Gutachten des Reichsoberhandelsgerichts aus dem Jahr 1877 zurück.20 In der näheren Betrachtung zeigt sich, dass die Reichsämter bei der Abwägung der unterschiedlichen Interessen mehr Gewicht auf die Empfehlungen der reformorientierten Advokatenkoalition legten. So betonte der Bundesratsentwurf die Kontrollpflicht des Aufsichtsrats und seine Haftung im Falle einer Verletzung seiner Pflichten, nahm ihm allerdings nicht seine Geschäftsführungskompetenzen, wie dies etwa der Wiener Rechtsanwalt Jacques auf dem Juristentag von 1873 gefordert hatte. Vielmehr folgten die Reichsämter genau wie das Preußische Handelsministerium der Empfehlung der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft und dem Gutachten des Reichsoberhandelsgerichts. In der Ausgestaltung der Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats nahmen die Reichsämter jedoch wieder die Empfehlung der Reformbefürworter auf und 18 Baltzer, Kapitalmarkt, S. 20–22. 19 Bundesrat des Deutschen Reichs, Entwurf 1883, S. 43–204. 20 Reichsoberhandelsgericht.

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führten die vom Reichsoberhandelsgericht vorgeschlagene Bestimmung ein, wonach einem Aufsichtsratsmitglied jederzeit durch die Generalversammlung das Mandat entzogen werden konnte.21 Das besondere Gewicht des Reichsoberhandelsgerichts zeigt sich auch bei der Ausgestaltung der unentziehbaren Rechte der Generalversammlung. Zwar legte das Reichsjustizamt zunächst eine Liste mit unentziehbaren Rechten der Generalversammlung vor, zog diese in späteren Entwürfen aber wieder zurück und legte nur, wie vom Reichsoberhandelsgericht empfohlen, die Änderung der Statuten sowie die Entscheidung über Fusion und Auflösung der Gesellschaft in die Hand der Generalversammlung.22 Der Einfluss des Reichsoberhandelsgerichts und des Deutschen Juristentags ist auch auf dem Feld der Individual- und Minderheitenrechte  – einer der zentralen Neuerungen des Reformentwurfs – unübersehbar. So übernahmen die Reichsämter die Empfehlung beider Organisationen zur Statuierung eines individuellen Klagerechts auf Einhaltung von Statut und Gesetz sowie den Vorschlag zur Schaffung eines Sonderprüfungsrechts für eine Minderheit.23 Der Empfehlung des Reichsoberhandelsgerichts und des Juristentags von 1880, auch ein Einzelrecht des Aktionärs auf eine Schadensersatzklage gegen Aufsichtsrat und Vorstand zu statuieren, folgten die Reichsämter allerdings nicht und ließen sich von den Argumenten der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft überzeugen, die eine Ausweitung der Individualrechte als für die Praxis schädlich bezeichnet hatte.24 Das Argument der Handelskammern, die Minderheitenrechte könnten ein schikanöses Verhalten mancher Aktionäre begünstigen, blieb somit nicht ungehört. Das Argument der Kammern schlug sich auch in der Bestimmung des Bundesratsentwurfs nieder, die das individuelle Klagerecht auf Einhaltung der Statuten und des Gesetzes an eine Dreimonatsfrist band und zudem nur den Aktionären zugestand, die auf der Generalversammlung ihren Widerspruch zu Protokoll gegeben und ihre Aktien für die Dauer des Prozesses gerichtlich hinterlegt hatten. Nach der gleichen Logik sollte auch das Sonder-

21 Die Erhöhung der Verantwortung des Aufsichtsrats war wiederum nicht im Sinne der Vorstände und Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften, deren Vorstellungen die Handelskammergutachten geprägt haben. 22 Daneben erklärten Art. 239 und 239a auch die Genehmigung der Bilanz zu einem unentziehbaren Recht der Generalversammlung. 23 Das Reichsoberhandelsgericht empfahl zudem, das Recht einer Minderheit zur Berufung der Generalversammlung an eine Kapitalquote von zehn Prozent zu binden. Der Entwurf gesteht dieses Recht bereits einer Minderheit zu, die fünf Prozent des Grundkapitals stellt. Das Minderheitenrecht auf Berufung der Generalversammlung wurde allerdings auch von der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft empfohlen. Darüber hinaus sprachen sich auch die freien Aktionäre für eine Stärkung von Minderheiten aus. Die Reichsämter setzten hier also eine Forderung um, die von fast allen wichtigen Lobbygruppen unterstützt wurde. Vgl. das Gutachten der Berliner Kaufmannschaft, in: Älteste der Berliner Kaufmannschaft, Bericht (1873). 24 Ebd.; Bundesrat des Deutschen Reichs, Entwurf 1883, S. 163, Fn. 3.

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prüfungsrecht der Minderheit an die Hinterlegung einer Sicherheitsleistung gebunden werden.25 Bei der Einführung des Systems aus Minderheiten- und Individualrechten orientierten sich die Reichsämter stark an von liberalen Juristen entwickelten Rechtsfiguren, die auf den Selbstschutz der Aktionäre vertrauten. Reformvorstellungen, die den Aufsichtsrat auf ein reines Kontrollorgan ohne Geschäftsführungskompetenz reduzieren wollten oder auf die Einführung einer verpflichtenden Bilanzprüfung durch externe Revisoren setzten, wurden dagegen von den Reichsämtern ignoriert. Gleiches gilt auch für Reformvorstellungen, die eine stärkere staatliche Beteiligung an der Kontrolle der Geschäftsführung von Aktiengesellschaften – etwa in Form eines Reichsaktienamts – propagierten. Die Reformdebatte der 1870er Jahre konzentrierte sich hauptsächlich auf die Ausgestaltung des Kräfteverhältnisses der Gesellschaftsorgane und – die hier nicht behandelte – Neuregelung der Gründungsvorschriften. Zu Stimmrecht, Gewinnbeteiligungsrechten und Offenlegungsstandards existierten dagegen deutlich weniger Äußerungen, auf die die Reichsämter bei der Erstellung der ersten Entwürfe zurückgreifen konnten. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Reichsämter hier autonomer entscheiden konnten. Nichtsdestoweniger lassen sich auch für diese Kategorien Übereinstimmungen zwischen den Entwürfen der Reichsämter und den Empfehlungen von Juristen, dem Juristentag und dem Reichsoberhandelsgericht finden. So können der Vorschlag des Reichsjustizamts, jedem Aktionär mindestens eine Stimme zu gewähren, sowie der Vorschlag des Reichsamts des Inneren, die Anmeldung zur Generalversammlung zu erleichtern, mit entsprechenden Vorschlägen Behrends und des Reichsoberhandelsgerichts in Verbindung gebracht werden. Aber auch die Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft sprach sich in ihrem Gutachten vom November 1873 für Erleichterungen bei der Teilnahme an der Generalversammlung aus, so dass das Reichsamt des Inneren in diesem Fall wohl eine Konsensposition der beiden Advokatenkoalitionen aufgegriffen hat. Auf dem Feld der Gewinnbeteiligungsrechte lassen sich das Recht einer zehn Prozent des Grundkapitals repräsentierenden Minderheit auf Vertagung der Bilanzverhandlung und Benennung von Bilanzrevisoren durch das Handelsgericht auf das Gutachten des Reichsoberhandelsgerichts zurückführen.26 Dass die Genehmigung der Bilanz in Artikel 239a des Bundesratsentwurfs überhaupt in die Hände der Generalversammlung gelegt wurde, war zudem eine weitere Forderung zahlreicher reformorientierter Juristen. Auf dem Feld der Offenlegungs25 Zudem erlaubte das Sonderrecht der Minderheit lediglich, bei dem zuständigen Handelsgericht um die Ernennung von Prüfern zur Untersuchung von Unregelmäßigkeiten bei der Geschäftsführung zu bitten. Eine eigenständige Ernennung durch die Minderheit selbst war nicht vorgesehen. Die Zwischenschaltung des Handelsgerichts stellte somit einen weiteren Missbrauchsschutz dar. 26 Das Reichsoberhandelsgericht wollte das Minderheitenrecht allerdings an eine Kapitalquote von 30 Prozent binden, dann der Minderheit aber erlauben, die Bilanzrevisoren selbst zu bestimmen. Siehe: Reichsoberhandelsgericht.

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vorschriften übernahmen die Reichsämter dagegen – genau wie die Preußischen Ministerien – keine der Anregungen zur Schaffung einer größeren Transparenz (Behrend und Strombeck), der Etablierung eines externen Prüforgans (Berliner Kaufmannschaft) oder der Zusendung von Bilanz, Gewinn und Verlustrechnung und Geschäftsbericht an die Aktionäre im Vorfeld der Generalversammlung (Reichsoberhandelsgericht).27 Die Positionen des Reichsjustizamts und des Reichsamts des Inneren scheinen also in großem Maß auf Empfehlungen der reformorientierten Advokaten­ koalition, insbesondere des Reichsoberhandelsgerichts und des Juristentags, zurückzugehen. Dabei hat die Analyse bis hierhin eine Quellengruppe vernachlässigt, die helfen kann, die Genese der optimalen Politikpunkte der Reichsämter noch genauer nachzuverfolgen. Im Frühjahr 1882 legten die Reichsämter den von ihnen ausgearbeiteten Entwurf einer Gruppe aus zehn Sachverständigen vor, die in 13 Sitzungen zahlreiche Änderungsempfehlungen machte.28 Auf Basis dieser Empfehlungen handelten das Reichsjustizamt und das Reichsamt des Inneren die finale Entwurfsfassung aus, die im September 1883 dem Bundesrat zur Abstimmung vorgelegt wurde. Die Sachverständigenkommission setzte sich aus den Professoren Goldschmidt, Sicherer (beide Handelsrecht) und Wagner (Nationalökonomie), den Rechtsanwälten Embden und Keyssner, den Bankiers Delbrück (Delbrück, Leo & Co.; Deutsche Bank; Präsident des Deutschen Handelstags), Russel (Discontogesellschaft) und Schauss (Süddeutsche Bodenkreditbank) sowie dem Direktor der Preußischen Zentralbodenkreditbank Jacobi und dem Direktoriumsmitglied der Reichsbank Koch zusammen. Die Kommission bestand somit aus fünf juristischen und fünf kaufmännischen Mitgliedern, wobei die Zusammensetzung auf der kaufmännischen Seite vollständig bankendominiert war. Über ihre Mitgliedschaft im Deutschen Handelstag lassen sich die Sachverständigen Delbrück und Russel der Koalition der Reformskeptiker zuschlagen. Goldschmidt und Wagner waren dagegen bereits während der Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik als Gutachter und Referent tätig. Basierend auf ihren Anfang der 1870er Jahre vorgetragenen Lösungsvorschlägen sind sie der Koalition der Reformbefürworter zuzuordnen. In der Tat lässt sich zeigen, dass die genannten Sachverständigen auch in den Kommissionsberatungen die Positionen ihrer jeweiligen Koalitionen vertraten und in der Lage waren, die optimalen Politikpunkte der Reichsämter in vielen Bereichen zu beeinflussen. Beispielsweise nahm das Reichsjustizamt erst nach Abhaltung der Kommissionssitzungen den Passus auf, wonach Aufsichtsrat und Vorstand im Schadensfall zu beweisen hatten, dass sie in ihrer Geschäftsführung 27 Die Bemühungen der Reichsämter konzentrierten sich klar auf die Schaffung einer größeren Transparenz des Gründungshergangs. Dies mag die Vernachlässigung der Offenlegungsstandards im laufenden Geschäftsverkehr erklären. 28 Die Protokolle der Sachverständigenkommission sind abgedruckt in: Schubert u. Hommel­ hoff, S. 288–386. Das Protokoll spricht von 14 Sitzungen; allerdings fand wohl nie eine 13. Sitzung statt.

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alle Maßnahmen zur Verhinderung des eingetretenen Verlusts ergriffen hatten. Hier scheint das Reichsjustizamt der Empfehlung Goldschmidts gefolgt zu sein, der sich in der zehnten Sitzung vom 4. April 1882 für eine solche Klausel ausgesprochen hatte. Auch dass man die Bestimmungen hinsichtlich des Aufsichtsrats aufweichte, lässt sich auf eine Empfehlung der Sachverständigen Schauss, Keyssner, Russel und Delbrück zurückführen. Alle vier bezeichneten es als »bedenklich«, den Aufsichtsrat ganz von der Geschäftsführung auszuschließen und ihm so jede Möglichkeit zur Kontrolle derselben zu nehmen.29 Zudem sahen sie in den Spezialvorschriften, die den Aufsichtsrat zur monatlichen Kontrolle der Gesellschaftskasse und der periodischen Kontrolle der Geschäftsführung des Vorstands anhielten, keinen Mehrwert. Dieser Sichtweise schlossen sich auch die juristischen Sachverständigen an. Die breite Opposition überzeugte das Reichsjustizamt anscheinend, beide Bestimmungen finden sich in der Bundesratsvorlage nicht mehr. Die Rücknahme des strengen Niederstwertprinzips und der Halbjahresbilanzen durch das Reichsjustizamt kann ebenfalls auf die Intervention der Sachverständigen zurückgeführt werden. In beiden Fällen waren es die Bankiers Russel und Delbrück, die mit ihrer Warnung, die Buchhaltung einer Aktiengesellschaft lasse sich nicht in gesetzlich vorgegebene Normen pressen beziehungsweise die Erstellung von Halbjahresbilanzen fördere nur die Spekulation, gegenüber dem Reichsjustizamt durchdrangen.30 Das Reichsamt des Inneren zeigte sich den Argumenten der kaufmännischen Mitglieder der Kommission dagegen weniger aufgeschlossen und setzte sich erfolgreich für den Erhalt des strengen Niederstwertprinzips ein. Zudem griff das Reichsamt des Inneren den innerhalb der Kommission abgelehnten Antrag Wagners und Goldschmidts auf, dem Reichskanzler zu erlauben, für bestimmte Unternehmen die Aufstellung von Bilanzformularen vorzuschreiben.31 Genauso geht auch die Empfehlung des Reichsamts des Inneren, den Reichsanzeiger zum Pflichtorgan der Gesellschaft zu machen, auf einen Antrag der Sachverständigenkommission zurück.32 Die im dritten Kapitel herausgearbeiteten Präferenzen der Reichsämter lassen sich in Teilen also auf die Intervention der Sachverständigenkon29 Vgl. die Debatte zu den Artikeln 225a und  b während der 9. und 10. Sitzung der Sach­ verständigenkommission am 3. und 4. April 1882. Reichsamt des Inneren, S. 343–358. 30 Im Fall der Halbjahresbilanzen wurden Delbrück und Russel von Jacobi und Keyssner unterstützt. Die Anträge wurden auf der elften und zwölften Sitzung vom 05.04. und 06.04.1882 eingebracht (Ebd., S. 359–365 u. 365–378). Die Offenheit des Reichsjustizamts gegenüber vielen Vorschlägen der kaufmännischen Sachverständigen wurde durch das Reichsamt des Inneren bemängelt. Vgl. das Schreiben des Reichsamts des Inneren an das Reichsjustizamt vom 28.07.1882, in: BArch, R 3001/2862. 31 Der Antrag wurde auf der elften Sitzung vom 05.04.1882 eingebracht und besonders von Russel und Delbrück bekämpft. Reichsamt des Inneren, S. 359–365. In seinem Schreiben vom 28.07.1882 an das Reichsjustizamt verweist das Reichsamt des Inneren auf diesen Antrag. Das Schreiben befindet sich in: BArch, R 3001/2862. 32 Siehe das Schreiben des Reichsamts des Inneren an das Reichsjustizamt vom 28.07.1882, in: BArch, R 3001/2862.

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ferenz und im besonderen Maße auf die beiden Bankiers Russel und Delbrück zurückführen.33 Neben den im dritten Kapitel hervorgehobenen Bestimmungen konnten die Sachverständigen die Präferenzen der Reichsämter auch noch in anderen Punkten beeinflussen. So übernahm der Bundesratsentwurf den Vorschlag Goldschmidts, für eine Statutenänderung eine Dreiviertelmehrheit vorzuschreiben.34 Die Bestimmung, wonach die Minderheit, die gegenüber den Gesellschaftsorganen Schadensersatzklage erheben wollte, ihre Aktien zu hinterlegen hatte und der Gesellschaft für die Prozesskosten haften musste, geht offensichtlich auf die Empfehlung Keyssners zurück, der damit einen Missbrauch des Minderheitenrechts verhindern wollte.35 Auf Empfehlung der kaufmännischen Sachverständigen Jacobi und Koch wurde zudem die Hinterlegungspflicht auf das individuelle Klagerecht auf Einhaltung von Gesetz und Statut ausgedehnt.36 Der Vorschlag Keyssners, auch für das Minderheitenrecht auf eine Sonderprüfung im Fall von Unregelmäßigkeiten bei der Geschäftsführung eine Hinterlegungspflicht einzuführen, wurde dagegen von den übrigen Sachverständigen abgelehnt und fand keinen Eingang in den Bundesratsentwurf.37 Daneben griffen die Reichsämter den Antrag Delbrücks auf, der sich gegen eine Bestimmung des Entwurfs vom Januar 1882 wandte, die dem Aufsichtsrat verbot, Aktien anderer Aktionäre zu vertreten.38 Schließlich war auch ein Antrag Russels erfolgreich, der die Berufungsfrist zur Generalversammlung von drei auf zwei Wochen verkürzte.39 Jedoch wurden auch viele Empfehlungen der Sachverständigen nicht berücksichtigt. Hierzu gehörten unter anderem ein Antrag Goldschmidts, dem einzelnen Aktionär das Recht auf die Erhebung einer Schadensersatzklage zuzugestehen,40 der Antrag Delbrücks, nur Aktionäre als Aufsichtsrat zuzulassen,41 der Antrag Russels, den Aufsichtsrat von seiner Haftung 33 Die Streichung der Verpflichtung des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung des Vorstands in Dreimonatsintervallen zu kontrollieren, und die Rücknahme der Auflistung der unentziehbaren Rechte der Generalversammlung können nicht auf die Intervention der Sachverständigenkonferenz zurückgeführt werden. 34 Goldschmidt unterbreitete den Vorschlag während der sechsten Sitzung der Kommission am 30.03.1882. Reichsamt des Inneren, S. 322–329. Der Bundesratsentwurf sah eine bindende Dreiviertelmehrheit jedoch nur im Fall der Änderung des Gesellschaftszwecks, der Fusion oder der Auflösung vor. Bundesrat des Deutschen Reichs, Drucksachen 1883, Drucksache Nr. 74, Art. 215. 35 Siehe das Protokoll der neunten Sitzung vom 03.04.1882. Reichsamt des Inneren, S. 343–351. 36 Ebd. 37 Ebd. 38 Siehe das Protokoll der achten Sitzung vom 01.04.1882. Ebd., S. 336–343. 39 Siehe das Protokoll der elften Sitzung vom 05.04.1882. Ebd., S. 359–365. 40 Siehe das Protokoll der fünften Sitzung vom 29.03.1882. Ebd., S. 315–321. 41 Interessanterweise wird der Wegfall dieser Bestimmung in der Novelle von 1884 in der Literatur immer wieder als wichtige Voraussetzung für die Schaffung des von den Großbanken dominierten Systems miteinander vernetzter Aufsichtsratsmandate genannt. Es ist daher etwas überraschend, dass sich Delbrück, immerhin Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank, im Jahr 1882 gegen die Bestimmung wehrte. Vgl. Burhop, Banken, S. 2; Reich, Auswirkungen, S. 268–273; Windolf, S. 194.

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zu entbinden, wenn er dabei lediglich einen Generalversammlungsbeschluss ausführen sollte42, sowie ein Antrag Delbrücks, Russels, Jacobis und Keyssners, der Generalversammlung nicht die detaillierte, für den Aufsichtsrat erstellte Bilanz vorlegen zu müssen.43 In Verbindung mit der Aufnahme einiger von der Kommission abgelehnter Änderungsanträge zeigt sich hierin eine relativ große Unabhängigkeit der Reichsämter von ihren Beratern. Gleichwohl verdeutlicht die Berufung der Sachverständigenkommission den großen Beratungsbedarf der Reichsämter, der wohl einmal aus den hohen juristischen Anforderungen des Aktienrechts, aber auch aus der relativen Unkenntnis der Ministerialbürokratie bezüglich unternehmensinterner Abläufe herrührte. Gestillt wurde dieser Beratungsbedarf durch die Konsultation ju­ ristischer Experten und Bankiers, die durch ihre handelsrechtliche Expertise beziehungsweise ihre Tätigkeit als Emittenten neuer Aktien, der Industrie­ finanzierung und des Aktienkommissionsgeschäfts wertvolles Wissen besaßen. Die Reichsämter verhielten sich in diesem Prozess jedoch keineswegs passiv. Ihnen oblag es, die bereitgestellten Informationen zu verarbeiten und zwischen widersprüchlichen Lösungsvorschlägen zu vermitteln. Zu einem Teil spielte sich dieser Vermittlungsprozess nicht innerhalb, sondern zwischen den Reichsämtern ab. Aufbauend auf den Ergebnissen des dritten Kapitels lassen sich die optimalen Politikpunkte der Bundesstaaten in zwei Lager teilen. Auf der einen Seite standen die Hansestädte Hamburg und Lübeck, die den Entwurf der Reichsämter rundweg ablehnten, auf der anderen Seite fanden sich Bayern und die anderen Mittelstaaten, die nur kleinere Änderungsvorschläge in die Verhandlungen einbrachten. Hierzu zählten die leichte Einschränkung der Individual- und Minderheitenrechte durch eine Verkürzung der Klagefristen, das Verlangen von Sicherheitsleistungen und die Einführung einer Haftung der Minderheit im Falle des böswilligen Missbrauchs sowie die Erhöhung der Mindestkapitalquote im Falle der Bemängelung einzelner Bilanzposten von fünf auf zehn Prozent. Darüber hinaus sollte das Recht einer 25 Prozent des Grundkapitals repräsentierenden Minderheit, auf Auflösung der Gesellschaft klagen zu können, wegfallen. Ziel dieser Ergänzungen war es, einen Missbrauch der Minderheitenrechte zum Schaden der Gesellschaft zu verhindern. Bezüglich des Aufsichtsrats forderten das bayrische Innenministerium und das bayrische Justizministerium, eine Abberufung des Aufsichtsrats nur durch eine größere als die einfache Mehrheit zu erlauben (Inneres), beziehungsweise die Abwahl des Aufsichtsrats nur einer ordentlichen Generalversammlung zuzugestehen (Justiz). Auch diese Einschränkung sollte dem Missbrauchsschutz dienen. Zuletzt beantragte der bayrische Referent in den Bundesratsausschüssen, die Haftung des Aufsichtsrats auf

42 Siehe für beide Anträge das Protokoll der zehnten Sitzung vom 04.04.1882. Reichsamt des Inneren, S. 351–358. 43 Siehe das Protokoll der elften Sitzung vom 05.04.1882. Ebd., S. 359–365.

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die explizit in Artikel 225 des Bundesratsentwurfs genannten Obliegenheiten einzugrenzen.44 In den bayrischen und hanseatischen Politikpunkten spiegelte sich die, vor allem über die Handelskammern vorgetragene Kritik der auf einen Schutz der Gesellschaft bedachten Advokatenkoalition an dem Bundesratsentwurf.45 Hierzu zählten insbesondere die Kritik an den Minderheitenrechten, an der zu hohen Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats sowie der zu weit gehenden Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen durch die vorgesehene Möglichkeit zur Schaffung von Bilanzformularen. Neben dem globalen Vergleich der optimalen Politikpunkte Bayerns und Hamburgs kann mit dem vorhandenen Quellenmaterial auch eine genauere Analyse der Präferenzbildung der beiden Vetospieler geleistet werden. Dazu soll zunächst untersucht werden, welche Gruppen den bayrischen Politikpunkt, wie er sich in den Anträgen des bayrischen Referenten widerspiegelt, beeinflussen konnten. Danach wendet sich die Analyse dem Fall Hamburgs zu. Für Bayern sind neben den Anträgen des Referenten in den Bundesratsausschüssen und den Gutachten der Handelskammern auch die Stellungnahmen der Gewerbeabteilung des Innenministeriums und des Justizministeriums zu den Vorschlägen der Handelskammern erhalten. So lässt sich sehr genau rekonstruieren, inwiefern der bayrische Politikpunkt durch die Stellungnahmen der bayrischen Handelskammern geprägt wurde.46 Um einen Missbrauch des Einzelnen zu erschweren beziehungsweise um die Auszahlung der Dividende an die Aktionäre wegen der Klage eines einzelnen Aktionärs nicht ungerechtfertigt zu verzögern, schlugen die bayrischen Handelskammern vor, die Fristen für das Individualrecht zur Klage auf Einhaltung von Statut und Gesetz (Artikel 190a der Bundesratsvorlage)  auf sechs beziehungsweise vier Wochen zu verkürzen.47 Die Gewerbeabteilung des Innenministeriums konnte sich mit 44 Der Art. 225 des Bundesratsentwurfs bestimmte, dass der Aufsichtsrat die Geschäftsführung des Vorstands »in allen Zweigen der Verwaltung« zu überwachen und sich über den »Gang der Angelegenheiten der Gesellschaft« zu informieren habe. Außerdem musste er die GuV, die Bilanz und die Vorschläge des Vorstands zur Gewinnverteilung prüfen und der Generalversammlung darüber Bericht erstatten. Zuletzt hatte er die Generalversammlung zu berufen, wenn dies im Interesse der Gesellschaft lag. Vgl. Bundesrat des Deutschen Reichs, Drucksachen 1883, Drucksache Nr. 74, Art. 225. 45 Alle Bundesstaaten außer Preußen forderten ihre Handelskammern auf, zu dem Entwurf Stellung zu nehmen. Obwohl sie nicht zu einer Stellungnahme aufgefordert wurden, wandten sich auch einige preußische Handelskammern und preußische Korporationen mit Änderungsvorschlägen an den Bundesrat und den Reichstag. Die Stellungnahmen der Handelskammern liegen gesammelt vor, in: BArch, R 3001/2867. 46 Die Stellungnahme der bayrischen Fachministerien finden sich in: HStA Mü, MJu 17037. In den Akten des bayrischen Justizministeriums findet sich auch eine Parallelüberlieferung der Referentenanträge im Bundesrat und der Gutachten der bayrischen Handelskammern. 47 Siehe die Zusammenfassung der Gutachten der bayrischen Handelskammern, in: BArch, R 3001/2867. Die Verkürzung der Klagefrist auf vier Wochen wurde von der Handelskammer Oberbayerns (München) gefordert, sechs Wochen empfahl die Handelskammer Nieder­ bayerns.

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einer Reduzierung der Klagefrist auf sechs Wochen anfreunden.48 Zwar erwuchs aus der Stellungnahme der Gewerbeabteilung keine formale Weisung an die bayrischen Bundesratsbevollmächtigten, die bayrischen Anträge im Bundesrat griffen die Empfehlung zur Reduzierung der Klagefrist auf sechs Wochen jedoch auf.49 In Bezug auf das Sonderprüfungsrecht (Artikel 190b der Bundesratsvorlage)50 empfahlen die bayrischen Handelskammern, die zur Geltendmachung des Minderheitenrechts notwendige Kapitalquote zu erhöhen.51 Die Gewerbeabteilung des Innenministeriums bemerkte hierzu, dass zwar kein »zwingender Grund« bestehe, um auf diese Abänderungsanträge einzugehen, eine »gewisse Berechtigung« jedoch anzuerkennen sei.52 Der bayrische Bundesratsbevollmächtigte Kastner interpretierte die Stellungnahme wohl so, dass er nicht zwingend auf die Forderung einzugehen habe, und nahm sie nicht in seine Anträge auf. Dafür enthielten die bayrischen Anträge zu den Artikeln 190a, 190b und 223 der Bundesratsvorlage den Vorschlag, die Minderheit für missbräuchliche Anträge auf Sonderprüfung oder Schadensersatzklagen haftbar zu machen und im Fall des Artikels 190b zu diesem Zweck eine Sicherheitsleistung zu verlangen.53 Für beide Anträge existiert keine Entsprechung auf Seiten der bayrischen Handelskammern. Die Handelskammer Oberbayern empfahl allerdings im Fall 48 Stellungnahme der Gewerbeabteilung des bayrischen Innenministeriums. Die Stellungnahme ist einem Schreiben des Innenministeriums vom 15.02.1884 angefügt, ist aber wohl einige Zeit vorher entstanden. Auf der Basis der Analyse der Gewerbeabteilung formulierte das Schreiben vom 15.02.1884 die Anträge, die nach Meinung des Innenministeriums unbedingt in den bayrischen Anträgen enthalten sein müssten. In seinem Schreiben vom 22.02.1884 teilte der Bundesratsbevollmächtigte von Kastner zwar mit, dass ihm das Schreiben des Innenministeriums vom 15.02.1884 vor Fertigstellung und Verteilung seiner Anträge nicht bekannt gewesen sei. Die große Übereinstimmung zwischen den Anträgen von Kastners und der Stellungnahme der Gewerbeabteilung des Innenministeriums zu den Gutachten der bayrischen Handelskammern lässt jedoch darauf schließen, dass dieses ältere Schreiben in Berlin vorlag. Alle Schreiben finden sich in: HStA Mü, MJu 17037. 49 Vgl. die Anträge Bayerns im Bundesrat, in: BArch, R 3001/2863. Letztendlich setzte sich aber der sächsische Antrag durch, der die Reduzierung der Klagefristen auf vier Wochen forderte. Vgl. den Bericht des badischen Bundesratsgesandten von Marschall vom 26./27.02.1884, in: GLA, 234/4628. 50 Der Artikel 190b bezog sich auf die KGaA. Für die Aktiengesellschaft verwies der Artikel 222 auf dieselben Vorschriften. 51 Die Handelskammer Oberbayern schlug eine Erhöhung auf 20 Prozent, Unterfranken auf 25 Prozent und Oberfranken gar auf 33 Prozent vor. Siehe die Zusammenfassung der Stellungnahmen der bayrischen Handelskammern, in: BArch, R 3001/2867. 52 Siehe die Stellungnahme der Gewerbeabteilung des bayrischen Innenministeriums vom 15.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. 53 Zu diesem Zweck strukturierten die bayrischen Anträge die Artikel des Entwurfs um. Die Schadensersatzpflicht für den Fall einer missbräuchlichen Klage wurde in Artikel 190b aufgenommen. Der alte Artikel 190b (Sonderprüfung) fiel weg. Sein Inhalt wurde inklusive Sicherheitsleistung und Schadensersatzklage als neuer Artikel 222a in den Entwurf aufgenommen. Der Artikel 222 verwies jetzt nur noch auf das Individualrecht zur Klage auf Einhaltung der Statuten und des Gesetzes. Durch diese Neukonstruktion fiel das Recht

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des Artikels 239a eine Schadensersatzpflicht, sollte die Minderheit bei ihrem Antrag auf Ernennung eigener Bilanzrevisoren missbräuchlich gehandelt haben.54 Diese Empfehlung wurde wiederum von der Gewerbeabteilung des Innenministeriums unterstützt.55 Ob die bayrischen Referentenanträge aber wirklich auf diese Stellungnahme des Innenministeriums zurückgeführt werden können, ist zweifelhaft. Wahrscheinlicher ist es, dass die bayrischen Anträge zu den Artikeln 190a, 190b und 223 auf die Petition der hannoverischen und braunschweigischen Aktiengesellschaften zurückgeht, die Ende Januar 1884 dem Bundesrat überreicht wurde und die in den genannten Artikeln die Haftbarkeit der Minderheit für ein böswilliges Verhalten forderte.56 Der Antrag des bayrischen Referenten im Justizausschuss des Bundesrats, die Auflösung der Gesellschaft durch richterliches Urteil und damit auch das Minderheitenrecht auf eine Auflösungsklage zu streichen, scheint ebenfalls nicht durch eine bayrische Initiative zustande gekommen zu sein.57 Zwar sprach sich die Handelskammer der Pfalz für die Streichung dieses Minderheitenrechts aus, aber weder das bayrische Innenministerium noch das bayrische Justizministerium bezogen zu dieser Forderung Stellung.58 Dem Bundesrat lag aber eine entsprechende Forderung des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen und der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft vor. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich der bayrische Referent an diesen Anträgen orientiert hat, da es zu seinen Aufgaben gehörte, alle an den Bundesrat gegangenen Petitionen zu erledigen.59

der Minderheit zur Ernennung von Sonderprüfern im Fall der Kommanditgesellschaft auf Aktien fort. Siehe die Anträge Nr. 24, 48, 49 und 50 des bayrischen Referenten im Justizausschuss des Bundesrats, in: BArch, R 3001/2863. 54 Siehe die Zusammenfassung der Stellungnahmen der bayrischen Handelskammern, in: BArch, R 3001/2867. 55 Siehe die Stellungnahme der Gewerbeabteilung des bayrischen Innenministeriums vom 15.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. 56 Siehe die Petition der auf Initiative der hannoverschen Bank gegründeten Interessenvereinigung der Aktiengesellschaften in der Provinz Hannover und dem Großherzogtum Braunschweig an den Bundesrat vom 29.01.1884, in: BArch, R 1501/100006. 57 Siehe den Antrag Nr. 58 des bayrischen Referenten im Justizausschuss, in: BArch, R  3001/2863. 58 Siehe die Zusammenfassung der Stellungnahmen der bayrischen Handelskammern, in: BArch, R 3001/2867, sowie die Gutachten des bayrischen Innenministeriums vom 15.02.1884 und des bayrischen Justizministeriums vom 13.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. 59 Das Gutachten der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft wurde in der Korrespondenz der Berliner Kaufmannschaft veröffentlicht und trägt das Datum vom 31.01.1884, das Gutachten des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen war an den Bundesrat gerichtet und datiert vom 20.02.1884. Die Gutachten befinden sich in: BArch, R 3001/2867 beziehungsweise BArch, R 1501/100006. Der Referent hatte die Entscheidungen des Ausschusses vorzubereiten, dabei verpflichtete sich der Bundesrat in seiner Geschäftsordnung, Eingaben an den Bundesrat zu berücksichtigen, sofern sie zum »Geschäftskreis« des Bundesrats zählten. Vgl. die Geschäftsordnung des Bundesrats vom 26.04.1880, in: Huber, Dokumente, S. 417–422, insbesondere § 9.

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Neben den Minderheitenrechten kritisierten die Handelskammern vor allem die Neufassung der Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats gegenüber den Aktionären. Auch die bayrischen Kammern hielten in dieser Frage ihre Meinung nicht zurück. Die Kammern Oberbayerns, Unterfrankens und der Pfalz bezeichneten insbesondere den Artikel 191 – der die jederzeitige Abwahl eines Aufsichtsratsmitglieds durch die Generalversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit ermöglichte – als bedenklich und forderten die Unterstützung einer größeren Mehrheit (Unterfranken) beziehungsweise das Vorliegen gewichtiger Gründe (Pfalz).60 Die Gewerbeabteilung des bayrischen Innenministeriums bemerkte dazu, die Sorge der Handelskammern ob eines Missbrauchs sei »in der That nicht unbegründet«. Man könne daher einem Antrag, »daß die Entsetzung des Aufsichtsraths nur mittelst einer größeren Stimmenmehrheit oder aus bestimmten Gründen zulässig sein solle« zustimmen.61 Und auch das bayrische Justizministerium bezeichnete die Vorschrift des Artikels als nicht »ganz unbedenklich«.62 Auch hier mündete die Position der Gewerbeabteilung im bayrischen Innenministerium nicht in einer formalen Instruktion des Staatsministeriums an die Bundesratsbevollmächtigten. Der bayrische Referent nahm die Stellungnahme der Gewerbeabteilung aber wohl als Hinweis, in seinen Anträgen die Abwahl des Aufsichtsrats an eine Dreiviertelmehrheit zu binden.63 Dabei mag die Kritik vieler anderer Handelskammern und Interessensgemeinschaften an Artikel 191 ebenfalls eine Rolle gespielt haben.64 So findet sich der Vorschlag zur Statuierung einer Dreiviertelmehrheit in den Stellungnahmen der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft und des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen. Dem Antrag der Handelskammer Hannover und der Interessengemeinschaft der hannoverischen und braunschweigischen Aktiengesellschaften auf Streichung der jederzeitigen Abwählbarkeit des Aufsichtsrats entsprachen die Referentenanträge dagegen nicht.65

60 Vgl. die Stellungnahmen der bayrischen Handelskammern, in: BArch, R 3001/2867. Der Art. 191 galt für die KGaA. Für die Aktiengesellschaft verwies der Artikel 224 auf dieselbe Formulierung. 61 Gutachten der Gewerbeabteilung des bayrischen Innenministeriums vom 15.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. 62 Schreiben des bayrischen Justizministeriums an das bayrische Staatsministerium des königlichen Hauses vom 13.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. 63 Antrag Nr. 25 des bayrischen Referenten im Justizausschuss, in: BArch, R 3001/2863. 64 Stellungnahmen der Handelskammern Dresden, Stuttgart, Heilbronn, Darmstadt und Hannover sowie die Stellungnahmen der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft, des Vereins zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen und der Interessengemeinschaft der hannoverschen und braunschweigischen Aktiengesellschaften, in: BArch, R 3001/2867 beziehungsweise BArch, R 1501/100006. 65 Die Stellungnahme der Handelskammer Hannover vom 22.02.1884 war direkt an den Bundesrat adressiert. Sie muss dem bayrischen Bundesratsbevollmächtigten daher vorgelegen haben. Vgl. BArch, R 1501/100006.

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Die Umkehr der Beweislast von Aufsichtsrat und Vorstand wurde ebenfalls durchweg von den Handelskammern und Interessengemeinschaften leitungsnaher Eliten kritisiert.66 Die Handelskammern und der Deutsche Handelstag störten sich hauptsächlich an dem in ihren Augen in der Formulierung enthaltenen generellen Misstrauen gegenüber den Gesellschaftsorganen. Zudem wurde argumentiert, die Vorschrift würde die zu einer erfolgreichen Geschäftsführung notwendige Risikobereitschaft von Aufsichtsrat und Vorstand zu stark reduzieren. Aus diesem Grund forderten die Handelskammern und andere Interessengemeinschaften leitungsnaher Eliten, unter ihnen auch die bayrischen Handelskammern, die entsprechenden Bestimmungen in den Artikeln 226 (Aufsichtsrat) und 241 (Vorstand) zu streichen. Da es sich hierbei um eine Frage der Prozessordnung handelte, fühlte sich die Gewerbeabteilung des bayrischen Innenministeriums nicht dazu berufen, zu der Forderung der Handelskammern Stellung zu beziehen und verwies die Frage an das bayrische Justizministerium.67 Dieses urteilte am 19. Februar 1884, es habe an der Begründung des Bundesratsentwurfs nichts auszusetzen und könne sich daher nicht für eine Streichung der Umkehr der Beweislast aussprechen.68 Erwartungsgemäß folgte der bayrische Referent im Justizausschuss den Vorgaben seines Ministeriums und verzichtete trotz der vielen anderslautenden Petitionen an den Bundesrat auf einen Streichungsantrag. Die Anträge des bayrischen Referenten beinhalteten jedoch einen Antrag, der die Beweispflicht des Aufsichtsrats für die Anwendung seiner Sorgfalt auf die in Artikel 225 definierten Pflichten beschränkte.69 Zu diesen Pflichten gehörte, die Geschäftsführung des Vorstands »in allen Zweigen der Verwaltung« zu kontrollieren und »sich vom Gang der Angelegenheiten der Gesellschaft« ein Bild zu machen.70 Zudem hatte er die Bilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung und die Vorschläge des Vorstands zur Gewinnverteilung zu prüfen und der Generalversammlung hierüber Bericht zu erstatten. Wenn es im Interesse der Gesellschaft lag, war er darüber hinaus verpflichtet, die Generalversammlung zu berufen. Für den Referentenvorschlag findet sich in den Stellungnahmen der bayrischen Fachministerien kein Vorbild. Vielmehr scheint der bayrische Referent einen Vorschlag des Reichsamts des Inneren aufgegrif66 Einzig die Handelskammer Reutlingen sprach sich für die Umkehr der Beweispflicht aus. Siehe die Gutachten der Handelskammern zum Bundesratsentwurf, in: BArch, R 3001/2867, sowie die Stellungnahmen der Interessengemeinschaft der hannoverischen und braunschweigischen Aktiengesellschaften und des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen, in: BArch, R 1501/100006. 67 Siehe das Gutachten der Gewerbeabteilung des bayrischen Innenministeriums vom 15.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. 68 Das Schreiben des bayrischen Justizministeriums an das Staatsministerium des königlichen Hauses, in dem sich das Ministerium auf die Anfrage des Innenministeriums bezieht, findet sich in: HStA Mü, MJu 17037. 69 Siehe den Antrag Nr. 51 des bayrischen Referenten im Justizausschuss des Bundesrats, in: BArch, R 3001/2863. 70 Bundesrat des Deutschen Reichs, Entwurf 1883, Art. 225.

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fen zu haben, mit dem das Reichsamt der Kritik an der Beweispflicht des Aufsichtsrats entgegenkommen wollte. Darauf lässt ein handschriftlicher Vermerk des Reichsamts auf der Eingabe der Interessengemeinschaft der hannoverschen und braunschweigischen Aktiengesellschaften schließen.71 Die Interessengemeinschaft hatte zu Artikel 226 die Streichung der Umkehr der Beweislast gefordert. Darunter findet sich der handgeschriebene Kommentar, dies sei nicht möglich, da es sich bei der Beweispflicht um einen »Kardinalpunkt« der Reform handele und der Aufsichtsrat bei einer Streichung des Passus »tatsächlich ohne Verantwortung« sei. Man könne der Forderung aber entgegenkommen – so der Kommentar weiter – indem man die »die Beweislast der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes nur bezüglich der ihnen [dem Aufsichtsrat F. S.] durch Gesetz oder ausdrückliche Vorschrift des Statuts auferlegten Verpflichtungen« verlange. Dass der Antrag des bayrischen Bevollmächtigten auf die hier skizzierten Überlegungen des Reichsamts des Inneren zurückgeht, ist schon alleine wegen der Übereinstimmung der beiden Schriftstücke sehr wahrscheinlich. Bekräftigt wird der Kausalzusammenhang noch weiter durch die Bemerkung des bayrischen Bundesratsbevollmächtigten von Raesfeld, man habe sich bei der Gestaltung der Anträge an die Stellungnahmen der Gewerbeabteilung des bayrischen Innenministeriums und des Justizministeriums sowie an Absprachen mit dem Reichsamt des Inneren gehalten.72 Bezüglich der Bilanzaufstellung bemängelten einige bayrische Handelskammern, das Niederstwertprinzip würde die Konkurrenzfähigkeit und Kreditwürdigkeit der Aktiengesellschaft einschränken, und forderten die Streichung des Artikels.73 Die Gewerbeabteilung des bayrischen Innenministeriums zeigte sich von dieser Forderung unbeeindruckt, schlug aber vor, das Recht zur Erstellung von Bilanzformularen nicht dem Reichskanzler, sondern dem Bundesrat zu übertragen.74 Das Staatsministerium des königlichen Hauses griff diese Idee auf und übernahm sie in ihre Instruktionen an die bayrischen Bundesrats­ bevollmächtigten.75 Ausschlaggebend für die bayrische Instruktion waren jedoch keine wirtschaftlichen, sondern machtpolitische Motive. Das Recht zur 71 Der Vermerk findet sich auf Seite 22 der Eingabe der Interessengemeinschaft der hannoverschen und braunschweigischen Aktiengesellschaften. Die Eingabe selbst findet sich in: BArch, R 1501/100006. 72 Siehe das Schreiben des Bundesratsbevollmächtigten von Raesfeld vom 23.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. 73 Siehe die Zusammenfassung der Stellungnahme der bayrischen Handelskammern, in: BArch, R 3001/2867. 74 Ähnlich wie im Fall der Bilanzierungsvorschriften prallte auch die Kritik der Handels­ kammern am Stellvertretersystem bei der Gründungskontrolle an der Gewerbeabteilung des Innenministeriums ab. Siehe die Zusammenstellung der Gutachten der bayrischen Handelskammern, in: BArch, R 3001/2867, und die Stellungnahme der Gewerbeabteilung im bayrischen Handelsministerium, in: HStA Mü, MJu 17037. 75 Schreiben des bayrischen Staatsministeriums des königlichen Hauses an die bayrische Gesandtschaft in Berlin vom 18.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037.

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Aufstellung von Bilanzformularen hätte nämlich die wirtschaftspolitische Kompetenz des Reichskanzlers auf Kosten der Einzelstaaten gestärkt. Das bayrische Beispiel zeigt, dass es der reformskeptischen Advokaten­ koalition durchaus gelang, den optimalen Politikpunkt der Bundesstaaten zu beeinflussen. Dabei flossen nicht nur die Empfehlungen der bayrischen Handelskammern in die Anträge des bayrischen Referenten ein. Vielmehr scheint es die Aufgabe des bayrischen Referenten gewesen zu sein, alle an den Bundesrat gerichteten Petitionen zu berücksichtigen. Die hier skizzierten Reaktionen der bayrischen Fachministerien und des Reichsamts des Inneren zeigen aber auch, wie vorsichtig sie die Anregungen der Interessenorganisationen der leitungsnahen Eliten aufnahmen. Die Gewerbeabteilung des Innenministeriums sah in den Kritikpunkten der Handelskammern lediglich Anregungen, über die es sich lohnte nachzudenken. Eine klare Handlungsanweisung, die dann durch das Staatsministerium des königlichen Hauses in eine bindende Instruktion für die bayrischen Bundesratsbevollmächtigten verwandelt wurde, formulierte das Ministerium nur im Fall der Bilanzformulare – und hier ging es nicht um die Ausgestaltung der Bilanzierungsregeln, sondern um die machtpolitische Frage, welchem Herrschaftsträger das Recht der Aufstellung von Bilanzformularen zufallen sollte.76 Das Reichsamt des Inneren war trotz zahlreicher Petitionen ebenfalls nur zu Zugeständnissen bereit – auf die Kernpunkte der Reform sollte aber vor dem Hintergrund eines sich erholenden Aktienmarkts und der Gefahr einer Wiederholung der Auswüchse der Gründerjahre nicht verzichtet werden.77 Die Anträge des bayrischen Referenten spiegeln diesen Standpunkt wider, hatte sich Bayern doch bereits 1873 grundsätzlich für einen Ausbau des Aktionärsschutzes ausgesprochen,78 um so in Zukunft »Ausschreitungen bei der Gründung, der Verwaltung und dem geschäftlichen Betrieb der Aktienunternehmungen« zu verhindern.79 In Hamburg stellte sich die Lage dagegen vollkommen anders da. 76 Schreiben des Innenministeriums an das Staatsministerium des königlichen Hauses vom 15.02.1884 sowie die Instruktionen des bayrischen Staatsministeriums des königlichen Hauses an die bayrischen Bundesratsbevollmächtigten vom 18. und 22.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. Neben der Übertragung des Rechts zur Erstellung von Bilanzformularen empfahl das Innenministerium noch die Senkung des Mindestnominalbetrags der Aktien und die Streichung der Leitung der ersten Generalversammlung durch den Handelsrichter. Beide Punkte fallen unter die Gründungsvorschriften und werden daher hier nicht behandelt. 77 Siehe das Schreiben des Staatssekretärs im Reichsjustizamt, von Schelling, an den Preußischen Handelsminister Hoffmann vom 06.12.1879, in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 10. In einem vorangegangenen Schreiben vom November 1879 hatte der Handelsminister das Reichsjustizamt ermahnt, die Reformarbeiten zu beschleunigen, um zukünftige »Ausschreitungen« zu verhindern. 78 Schreiben der Fachabteilung für Gewerbe im bayrischen Innenministerium an das Staatsministerium vom 15.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. 79 Schreiben des bayrischen Justizministeriums an das Staatsministerium vom 13.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. Das bayrische Justizministerium macht sich hier den Bundesrats­ beschluss aus dem Jahr 1877 zu eigen. Auf Grundlage dieses Beschlusses sah das Ministerium alle Argumente gegen eine Reform als gegenstandslos an.

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Dort war die Handelskammer institutionell in die Deputation für Handel und Schifffahrt eingebunden und hatte somit einen viel größeren Einfluss auf den optimalen Politikpunkt der Hansestadt.80 In der Tat bestimmte das Gutachten der Deputation für Handel und Schifffahrt zusammen mit dem Gut­achten des Hamburger Landgerichts ganz wesentlich die ablehnende Haltung des Senats der Hansestadt zu dem Gesetzentwurf.81 Die Forderung der Hamburger Handels­kammer zur Streichung der Artikel bezüglich der Minderheitenrechte, der Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats und des Vorstands, der Umkehr der Beweislast, der jederzeitigen Abberufung des Aufsichtsrats, des Stimmrechtsausschlusses im Fall einer Entlastungsentscheidung sowie der Bilanzformulare findet sich unverändert im Gutachten der Deputation für Handel und Schifffahrt wieder.82 So heißt es im Handelskammergutachten in Bezug auf die Minderheitenrechte: »In Betreff der den Minoritäten […] im Entwurf gewährten Rechte kann die Handelskammer den Standpunkt der Verfasser nicht theilen. Sie hält es vielmehr für außerordentlich bedenklich, zu bestimmen, daß eine Minderheit welche 10 % des Aktienkapitals besitzt eine gerichtliche Untersuchung […] soll beantragen können.«83

Die Deputation für Handel und Schifffahrt bemerkte hierzu unter anderem: »Daß schon eine Minorität eine gerichtliche Untersuchung der Geschäftslage bzw. die Ernennung gerichtlicher Revisoren zur Untersuchung der Bilanz fordern [kann] […] ist abzulehnen.«84

Bezüglich der Abwählbarkeit des Aufsichtsrats formulierte die Handelskammer: »Nach Art. 191 bzw. 224 kann die Bestellung zum Mitgliede des Aufsichtsraths jederzeit durch die Generalversammlung widerrufen werden. Diese Bestimmung entspricht nach Ansicht der Handelskammer nicht der verantwortlichen Stellung, die der Entwurf den Aufsichtsrathsmitgliedern zuweisen will. [Missbrauchsfälle werden] so verschwindent selten sein, daß ihretwegen eine Änderung des jetzigen Rechtszustandes ungerechtfertigt wäre.«85

80 Fischer, Unternehmerschaft, S. 43–52. Innerhalb der städtischen Verwaltung übernahm die Deputation für Handel und Schifffahrt eine ähnliche Rolle wie die Gewerbeabteilung im bayrischen Innenministerium. 81 Protokolle der Senatssitzungen vom 13.02. und 29.02.1884, in: StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a). 82 Gutachten der Hamburger Handelskammer sowie Stellungnahme der Deputation für Handel und Schifffahrt vom 12.02.1884, in: BArch, R 3001/2867 und StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a). Das Handelskammergutachten war von der Deputation für Handel und Schifffahrt in Auftrag gegeben worden. 83 Gutachten der Handelskammer Hamburg, in: BArch, R 3001/2867. 84 Gutachten der Deputation für Handel und Schifffahrt vom 12.02.1884, in: StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a). 85 Gutachten der Handelskammer Hamburg, in: BArch, R 3001/2867.

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In Übereinstimmung mit dieser Position schrieb die Deputation für Handel und Schifffahrt in ihrem Gutachten vom 12. Februar 1884: »Die Streichung der Widerruflichkeit der Ernennung zum Aufsichtsrat wird auch von der Deputation empfohlen.«86

In Summe kam die Deputation für Handel und Schifffahrt daher zu dem Schluss, der Entwurf sei in seiner jetzigen Form »unannehmbar«.87 Vergleicht man das Gutachten der Deputation für Handel und Schifffahrt – das zusammen mit dem Gutachten des Hamburger Landgerichts die Entscheidungsgrundlage für die den Entwurf ablehnende Haltung des Hamburger Senats bildete88 – mit dem Gutachten der Handelskammer, ist der Einfluss Letzterer auf den optimalen Politikpunkt der Hansestadt nicht zu leugnen. Anders als im Fall der bayrischen Ministerialbürokratie oder der Beamten des Reichsamts des Inneren traf das Handelskammergutachten aber auch auf eine politische Elite, die dem liberalen Grundsatz der Vertragsfreiheit besonders eng verbunden war und andere Schlüsse aus der Gründerkrise zog.89 Für die Hamburger Elite waren der Börsenkrach und das Missmanagement vieler Aktiengesellschaften vor allem den mangelnden kaufmännischen Fähigkeiten der Aktionäre und nur sehr begrenzt ungenügenden gesetzlichen Schutzvorschriften geschuldet. Dies zeige sich gerade daran, so die Hamburger Handelskammer, dass in Hamburg, wo es nie ein Konzessionssystem gegeben habe und die Aktionäre daher bereits mit den Besonderheiten der Aktiengesellschaft und der Börse vertraut gewesen seien, in den Jahren 1872 und 1873 auch zu keiner Börsenkrise gekommen sei.90 Ähnlich wie der Bundesrat war auch der Reichstag in zwei Lager gespalten. Wie im dritten Kapitel herausgearbeitet wurde, stand die Mehrheit der liberalen Abgeordneten den Minderheitenrechten sehr kritisch gegenüber. Der Abgeordnete des Freisinns, Büsing, wollte sogar alle Minderheitenrechte streichen.91 Auch die gestiegene Verantwortung des Aufsichtsrats und des Vorstands wollten die liberalen Abgeordneten nicht akzeptieren. Dabei hängte sich die Kritik der 86 Gutachten der Deputation für Handel und Schifffahrt vom 12.02.1884, in: StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a). Hervorhebung nicht im Original. 87 Siehe das Gutachten der Deputation für Handel und Schifffahrt vom 12.02.1884, in: Ebd. 88 Siehe die Protokolle der Senatssitzungen vom 13.02 und 29.02.1884, in: Ebd. 89 Die Wahl in die Bürgerschaft und den Senat war an hohe Einkommensgrenzen und Mitgliedschaften in Kollegien gebunden. Vgl. Schäfer, Hamburgische Verfassung, S. 160–162. So wurde sichergestellt, dass vor allem die kaufmännische Elite der Hansestadt in Senat und Bürgerschaft vertreten war. 90 Handelskammer Hamburg. Siehe außerdem das Gutachten der Handelskammer Hamburg vom Januar 1884, in: BArch, R 3001/2867. Auch das Hamburger Landgericht verwies in seinem Gutachten vom Februar 1884 auf die besonderen Verhältnisse in Hamburg, wo es nie ein Konzessionssystem gegeben habe und auch die Gründerkrise glimpflicher verlaufen sei. Das Gutachten findet sich in: StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a). 91 Einzig die Vertretung der Minderheit im Aufsichtsrat wollte Büsing zulassen. Vgl. die Rede Büsings während der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am 24.03.1884 (11. Sitzung), in: Deutscher Reichstag, Verhandlungen 1884.

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Abgeordneten des Freisinns und der Nationalliberalen Partei hauptsächlich an der Umkehr der Beweislast auf. Aber auch das Verbot der Delegation des Aufsichtsrats in den Vorstand wurde als drückend empfunden. Zuletzt wandte sich die Kritik der liberalen Abgeordneten auch gegen strengere Bilanzierungsregeln und die Stärkung der Offenlegungsstandards. So wollte der Abgeordnete des Freisinns, Horrwitz, keine Bilanzformulare zulassen. Im Gegensatz zu den beiden großen liberalen Parteien verteidigten die Konservativen und das Zentrum den Entwurf der Reichsleitung mit den vom Bundesrat verabschiedeten Änderungen. Dies hieß auch, dass sie sich mit eigenen Änderungsanträgen sehr zurückhielten. Lediglich das Zentrum brachte einige eigene Vorstellungen in die Debatte mit ein. Dabei handelte es sich zum einen um ein Verbot der Berufung Verwandter in den Aufsichtsrat oder den Vorstand. Zum anderen präferierte das Zentrum eine Festsetzung der Gewinnbeteiligungssätze des Aufsichtsrats im Gesellschaftsvertrag. Damit wollte die Partei eine gerechtere Verteilung zwischen Dividenden und Aufsichtsratstantiemen zu Gunsten der Aktionäre erreichen. Da sich vor allem die liberalen Parteien mit Änderungsanträgen zu dem Entwurf des Bundesrats hervortaten, gilt es insbesondere, die Beziehungen der Nationalliberalen Partei und des Freisinns zu den im vierten Kapitel beschriebenen Advokatenkoalitionen herauszuarbeiten und zu analysieren, inwiefern diese Koalitionen die Präferenzen der liberalen Abgeordneten beeinflusst haben. Im Fall des Reichstags ist dabei eine wichtige Besonderheit zu beachten. Anders als bei der Ministerialbürokratie verwischte beim Reichstag die Grenze zwischen Vetospielern – den Parteien – und der reformskeptischen, um einen Schutz der Gesellschaft bemühten Advokatenkoalition.92 So waren, wie im zweiten Kapitel gezeigt wurde, im 1881 gewählten Reichstag 52 Unternehmer (inklusive Bankiers und Handelskammersyndici) vertreten. Eine ähnlich große Zahl, insgesamt 47 Personen, hielt zudem mindestens ein Aufsichtsratsmandat. Die meisten dieser Unternehmer und Aufsichtsräte waren Mitglied einer der beiden liberalen Parteien. Auf die Abgeordnetenstärke der Fraktionen bezogen, lassen sich bei der Freisinnigen Partei 18,9 Prozent dem Unternehmerlager und 13,2 Prozent dem Aufsichtsratslager zuordnen. Für die Nationalliberale Partei ergeben sich jeweils Anteile von 31,9 und 21,3 Prozent.93 In den beiden großen liberalen Parteien stellten Unternehmer beziehungsweise Aufsichtsräte somit bedeutende Gruppen, die höchstwahrscheinlich in der Lage waren, den optimalen Politikpunkt der Fraktion entscheidend zu beeinflussen.94 Aufsichtsräte und Unternehmer überwogen auch deutlich die wohl stärker an einem Ausbau von 92 Stürmer bezeichnete den Reichstag daher als »Interessenbörse«. Siehe: Stürmer, Regierung, S. 319–320. 93 Da die Zuordnung der Aufsichtsratsmandate aus den frühen 1870er Jahren stammt, dürfte es sich bei den Angaben für die beiden liberalen Parteien um Untergrenzen handeln. 94 Auf den weiteren Plätzen lagen beim Freisinn die Anwälte mit 17 Prozent und Landbesitzer mit 16 Prozent. Bei der Nationalliberalen Partei folgten auf die Unternehmer Landbesitzer und Anwälte mit 14,9 Prozent. Beamte und Richter machten bei der Deutsch Freisinnigen

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Aktionärsrechten interessierte Gruppe der Rentiers. Zudem waren sie überproportional stark in der Reichstagskommission vertreten, die den Gesetzentwurf für die Plenumsverhandlungen vorbereitete. In der Reichstagskommission waren mit Robert Beisert, dem Syndikus der Berliner Kaufmannschaft, und ­A lexander Meyer, einem ehemaligen Generalsekretär des Deutschen Handelstags, zudem Personen vertreten, die der reformskeptischen Advokatenkoalition zugeordnet werden können.95 Unterstützung erhielten Beisert und Meyer durch drei Mitglieder der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft, von denen zwei Mitglieder zudem in der Kommission zur Bearbeitung des Gesetzentwurfs vertreten waren.96 Innerhalb der Konservativen Parteien fand sich ebenfalls eine recht große Gruppe von Aufsichtsräten – fast 20 Prozent der konservativen Abgeordneten kann ein Aufsichtsratsmandat zugeordnet werden. Innerhalb des Zentrums hielten dagegen nur zwei Abgeordnete ein Aufsichtsratsmandat, was lediglich einem Anteil von zwei Prozent aller Abgeordneten entsprach. Bezeichnenderweise war das Zentrum die einzige Partei, die Anträge zur Verbesserung des Aktionärsschutzes in die Verhandlungen einbrachte. Sowohl bei den liberalen Parteien als auch bei den Konservativen gab es dagegen einen Block von Abgeordneten, für den sich eine Verschärfung der Verantwortung von Aufsichtsrat und Vorstand negativ auswirken würde und der stark genug war, Einfluss auf die Gestaltung des optimalen Politikpunkts ihrer Fraktion zu nehmen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, wenn sich in den Änderungsanträgen und Redebeiträgen der liberalen Abgeordneten die Präferenzen der Handelskammern, kaufmännischen Korporationen und anderen Interessenvertretungen der Aufsichtsräte und Vorstände widerspiegelten. Die Forderung nach Streichung der Umkehr der Beweispflicht findet sich wie beschrieben bei den meisten Handelskammern wie etwa der Bremer Handelskammer, der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft und dem Handelstag. Dies gilt auch für den Antrag Büsings, das Sonderprüfungsrecht einer Minderheit an die Hinterlegung der Aktien und eine Kapitalquote von 20 Prozent zu binden sowie ein böswilliges Handeln der Minderheit strafrechtlich zu verfolgen. Für den ersten Teil des Büsing’schen Vorschlags lassen sich Entsprechungen in den Gutachten der Handelskammer Oberbayern, der Handelskammer Darmstadt und der Handelskammer für Aachen und Burscheid finden.97 Die Idee der strafrechtlichen Verfolgung einer böswillig handelnden Minderheit findet sich im Gutachten der Partei jeweils 8,5 Prozent aus. Die entsprechenden Anteile der Nationalliberalen Partei betrugen 8,5 und 6,4 Prozent. 95 Die Stellungnahme der Berliner Kaufmannschaft wurde von Beisert redaktionell betreut. Siehe das Gutachten der Berliner Kaufmannschaft, in: BArch, R 3001/2867. Zu Beisert: ­Biggeleben, S. 138, 181–183. 96 Biggeleben, S. 181–183. Bei den übrigen Abgeordneten der Berliner Kaufmannschaft handelte es sich um: Friedrich Johannes Goldschmidt (Vorstand der Aktienbrauerei Friedrichshöhe), Heinrich Kochhann (Getreidehändler) und Ludwig Loewe (Ludwig Loewe & Co KGaA). 97 Siehe die Gutachten dieser Handelskammern, in: BArch, R 3001/2867.

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Handelskammer Leipzig.98 Der Vorschlag des Abgeordneten Horrwitz, Minderheitenrechte überhaupt nicht zuzulassen, hat seine Entsprechung unter anderem im Gutachten der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft.99 Überhaupt wurde das Argument, die Minderheit könne durchaus auch der Mehrheit Schaden zufügen, von Büsing und Horrwitz in ihren Reden während der ersten Lesung des Gesetzentwurfs aufgegriffen. Es waren allerdings nicht nur die Handelskammergutachten und Stellungnahmen anderer leitungsnaher Verbände, die die Anträge der liberalen Abgeordneten inspirierten. Der Antrag Meyers griff beispielsweise die Empfehlung des Reichsgerichtsrats Heinrich Wiener auf, Verjährungsfristen von fünf Jahren für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Aufsichtsrat und Vorstand einzuführen.100 Andere Anträge lassen sich dagegen keiner spezifischen Quelle zuordnen. So scheinen zwar die Anträge von Beisert und Horrwitz, die Minderheitenrechte an einen Aktienbesitz von einem Jahr zu binden und das Recht auf Sonderprüfung zeitlich einzuschränken, von der reformskeptischen Advokatenkoalition geprägt zu sein, eine konkrete Entsprechung lässt sich jedoch nicht nachweisen. Anders als bei den liberalen Parteien, unterlag der optimale Politikpunkt des Zentrums keinem nachweisbaren Einfluss der Advokatenkoalitionen. Am ehesten nahm das Zentrum Forderungen der Befürworter eines größeren Aktionärsschutzes auf. Die meisten Anträge des Zentrums müssen aber aus der Verhandlungssituation in der Reichstagskommission interpretiert werden. Um das Zustandekommen des Gesetzes in der laufenden Legislaturperiode zu ermöglichen, griffen die Abgeordneten des Zentrums Anträge der Liberalen auf, entschärften diese und konnten so am Ende einen Kompromiss vermitteln.101 Fragt man abschließend, welche Advokatenkoalition sich gegenüber welchem Vetospieler durchgesetzt hat, ergibt sich folgendes Bild. Die Ideen der reformorientierten Advokatenkoalition fanden besonders bei den preußischen Ministerien und den Reichsämtern Anklang. Hier setzten sich insbesondere die Lösungsvorschläge des Deutschen Juristentags und des Reichsoberhandelsgerichts mit der von ihnen angeregten Ausgestaltung des Aufsichtsrats und der Minderheitenrechte durch. Reformempfehlungen, die auf externe Prüfungsorgane oder gar die Errichtung eines Reichsaktienamts setzten, wurden dagegen ignoriert, was auf einen gewissen Handlungsspielraum der Vetospieler hindeutet. Die Reichsämter nahmen aber auch Argumente der Reformskeptiker auf, indem sie etwa, wie von der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft und den kaufmännischen Mitgliedern der Sachverständigenkommission empfohlen, dem Aufsichtsrat die Geschäftsführungskompetenz beließen. Zudem konnten sie sich, wie das Reichsjustizamt, mit einer Aufweichung des Niederstwert­ 98 Ebd. 99 Ebd. 100 Siehe Wiener, Aktiengesetzentwurf zu den §§ 226 und 241. 101 Gleiches gilt für die Konservativen.

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prinzips anfreunden und den Vorschlag einer Hinterlegungspflicht im Fall der Schadensersatzklage durch eine Minderheit akzeptieren. Ähnliches, allerdings mit anderen Vorzeichen, gilt für Bayern und wohl die meisten anderen Mitglieder des Bundesratsausschusses. Die bayrischen Fachministerien und der bayrische Referent in den Bundesratsausschüssen zeigten sich den Bedenken der Reformskeptiker gegenüber offen, waren aber nicht bereit, von den Grundprinzipien des Entwurfs der Reichsämter abzuweichen. Sowohl im Fall der bayrischen und preußischen Ministerien als auch der Reichsämter agierten die handelnden Ministerialbeamten als Politikvermittler, die, auf die Beratung durch über wertvolles Fachwissen verfügende Juristen und kaufmännische Praktiker angewiesen, um einen Ausgleich sich widersprechender Positionen bemüht waren. In Summe folgten sie jedoch mehr den Empfehlungen der Befürworter eines Ausbaus von Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften. Dabei waren es nicht unbedingt die Argumente der Reformbefürworter, die die Vetospieler überzeugten, sondern die durch die Umweltbedingungen erzeugten Handlungsimperative, die die Ministerialbürokratie zu einem Ausbau des Aktionärsschutzes zwangen.102 Die relative Stärke der unorganisierten und über wenig finanzielle Mittel verfügenden Pro-Reform Koalition im Vergleich zu der über Handelskammern, Korporationen und Interessenvertretern gut organisierten und finanzstarken Koalition der Reformskeptiker rührte somit auch aus dem drohenden Legitimitäts- und Machtverlust, sollte der Staat nicht in der Lage sein, eine Wiederholung der Gründerkrise aus eigener Initiative heraus zu verhindern. Die Advokaten eines stärkeren Schutzes der Gesellschaft fanden dagegen vor allem bei den liberalen Reichstagsparteien und den Hansestädten Unterstützer. Da diese Vetospieler die Positionen der reformskeptischen Advokatenkoalition fast vollständig übernahmen, kann man in ihrem Fall schwerlich von Politikvermittlern sprechen. Vielmehr waren sie selbst Teil der Advokatenkoalition. Dabei kam der Koalition der Reformskeptiker zu Gute, dass sie, wie die Hamburger Handelskammer und die liberalen Reichstagsparteien, fest in die Vetospieler eingebunden war. Aber auch die institutionalisierte Beratungsfunktion der Handelskammern in den anderen Bundesstaaten scheint dem Einfluss der reformskeptischen Advokaten förderlich gewesen zu sein.

5.2 Weimarer Republik Die durch Weltkrieg, Inflation, Entstehung von Großunternehmen und Konzernbildung ausgelösten Verwerfungen des Aktienrechts wurden bereits nach der Stabilisierung der Mark im Herbst 1924 kritisiert. Erste zaghafte Reformüberlegungen stellte die Reichsregierung wohl 1926 an. In diesem Jahr beschäftigte sich auch der Deutsche Juristentag mit der Frage einer weitgehenden Re102 Ähnlich argumentiert Torp, S. 358, im Fall der Zollgesetzgebung.

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form des deutschen Aktienrechts. Richtig Fahrt nahm die Reformdebatte jedoch erst in den Jahren zwischen 1927 und 1931 auf. Zu nennen sind hier insbesondere der Bericht der Juristentagskommission aus dem Jahr 1928 und die Fragebogenaktion des Reichsjustizministeriums aus dem Jahr 1929. Gleichzeitig entstanden in diesem Zeitraum aber auch sehr viele Reformschriften aus der Feder juristischer Autoren. Der Entwurf des Reichsjustizministeriums vom Sommer 1930 provozierte weitere Stellungnahmen und Petitionen interessierter Kreise, die in die Verhandlungen zwischen Reichsrat und Reichsregierung im Frühjahr 1931 einflossen und teilweise Eingang in die Notverordnung vom Sommer 1931 und den zweiten Entwurf aus dem Sommer 1932 fanden. Dieser Entwurf war zwar noch einmal Gegenstand von Beratungen im vorläufigen Reichswirtschaftsrat, aufgrund der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 blieben die Anregungen dieses Gremiums jedoch ungehört. Ziel des Justizministeriums war es, den Schutz der freien Aktionäre zu verbessern, ohne die seit dem späten 19. Jahrhundert im Zuge der Entstehung von Großunternehmen gewachsenen Strukturen der Unternehmenskontrolle radikal aufzubrechen. Zu diesem Zweck schlug das Ministerium verschiedene, im dritten Kapitel detailliert behandelte Modifikationen bei der Ausgestaltung des Kräfteverhältnisses der Gesellschaftsorgane zueinander und dem Stimmrecht vor. Darüber hinaus sollten die Offenlegungsstandards deutlich ausgebaut werden. Vergleicht man den optimalen Politikpunkt des Reichsjustizministeriums mit den im vierten Kapitel herausgearbeiteten Präferenzen der beiden großen Advokatenkoalitionen der 1920er Jahre zeigt sich, dass das Reichsjustizministerium um einen Ausgleich der vielfältigen miteinander konkurrierenden Interessen bemüht war. Während sich nämlich die großen Industrieverbände, die Großbanken und die Sonderkommission des Deutschen Juristentags für die Beibehaltung des Status quo des Kräfteverhältnisses zwischen den Gesellschaftsorganen aussprachen, drangen reformorientierte Juristen, die Handelspresse und einige Privatbanken auf folgende Punkte: Erleichterungen bei der Schadensersatzklage durch eine Minderheit, Wegfall der Sicherheitsleistung als Voraussetzung für die Geltendmachung von Minderheitenrechten, Stärkung von Individualrechten, Minderheitenwahlrecht zum Aufsichtsrat, Stärkung der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats sowie eine Begrenzung der Zahl der durch eine Person akkumulierbaren Aufsichtsratsmandate. Zudem wurde von Teilen der Handelspresse ein Reichsaktienamt gefordert, das helfen sollte, Minderheitenrechte durchzusetzen. Übereinstimmung gab es bei beiden Advokatenkoalitionen nur im Fall der periodischen Berichtspflicht des Vorstands. Diese wurde von der Sonderkommission des Deutschen Juristentags ins Spiel gebracht und von allen Gruppen befürwortet. Insbesondere beim Ausbau der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats und der Stärkung der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder nahm das Reichsjustizministerium die Reformvorschläge der Kritiker des Status quo auf, indem es einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern ein Auskunfts- und Berufungsrecht zusprach – verzichtete aber auf die Übernahme allzu radikaler Reformvorstellungen. Am 262

deutlichsten wird dies im Fall des Reichsaktienamts, aber auch den Forderungen nach dem Wegfall der Sicherheitsleistung, dem Ausbau von Individualrechten und der Begrenzung der von einer Person akkumulierbaren Aufsichtsratsmandate wurde nicht entsprochen. Besonders eindrücklich zeigt sich der Kompromisscharakter des optimalen Politikpunkts des Reichsjustizministeriums bei der Frage der Minderheitenvertretung im Aufsichtsrat. Der Forderung nach einem Minderheitenwahlrecht wollte das Ministerium offensichtlich nicht entsprechen, komplett abgeneigt war es der Idee jedoch auch nicht und schlug den anderen Vetospielern vor, den Gesellschaften in ihren Statuten die Aufnahme eines Entsendungsrechts für bestimmte Minderheiten zu ermöglichen. Die auf eine Stärkung der Mitbestimmungsrechte der Arbeiterschaft zielenden Reformvorschläge der Koalition aus Gewerkschaften und SPD ignorierte das Reichsjustizministerium dagegen vollkommen.103 In der Stimmrechtsfrage konkurrierten ebenfalls verschiedene Reformvorstellungen miteinander. Die Spannbreite reichte dabei von der Empfehlung der Unternehmerverbände und der Großbanken, den Status quo im Stimmrecht zu erhalten, bis hin zu Vorschlägen einzelner Reformjuristen und Aktionäre, Mehrstimmrechtsaktien und Vorratsaktien abzuschaffen und das Depotstimmrecht der Banken einzuschränken.104 In der Mehrstimmrechtsfrage folgte der Entwurf des Reichsjustizministeriums im Wesentlichen den Vorschlägen der Sonderkommission des Deutschen Juristentags, die Schaffung neuer Mehrstimmrechtsaktien nur mit einer Dreiviertelkapitalmehrheit zuzulassen und der Generalversammlung zu ermöglichen, Mehrstimmrechtsaktien fünf Jahre nach ihrer Schaffung wieder einzuziehen. Auch das Ruhen des Stimmrechts gebundener Aktien kann auf eine Empfehlung der Sonderkommission des Deutschen Juristentags zurückgeführt werden. Der Einfluss des Juristentags und der durch ihn vertretenen unternehmensnahen Juristen auf den Entwurf des Reichsjustizministeriums war zweifellos groß.105 Nicht zuletzt, da das Reichsjustizministerium auch der Empfehlung der Sonderkommission bezüglich der Beibehaltung des Depotstimmrechts der Banken in seiner aktuellen Form folgte und Teile der 103 Die Gewerkschaften hatten vorgeschlagen, die Vertretung des Betriebsrats im Aufsichtsrat im Aktiengesetz zu verankern, den Betriebsratsmitgliedern zu erlauben, an allen Ausschusssitzungen teilzunehmen (auch wenn sie dem Ausschuss nicht angehörten) und den betrieblichen Aufsichtsratsmitgliedern auf der Generalversammlung ein Rederecht zu gewähren. 104 Die Gewerkschaften unterstützten die ablehnende Haltung der Unternehmerverbände und Großbankenvertreter bezüglich des Mehrstimmrechts. Allerdings wollten sie neugeschaffene Mehrstimmrechtsaktien unter die Kontrolle eines Reichsaktienamts stellen. 105 Schubert räumt dem Juristentag dagegen einen nur geringen Einfluss auf den Entwurf ein. Dagegen hätten die Antworten des Deutschen Anwaltsvereins auf den Fragebogen des Reichjustizministeriums eine wichtige Rolle gespielt. Siehe: Schubert, Weimarer Republik, S. 14–17. Viele der Positionen des Anwaltsvereins wurden jedoch durch die Diskussion auf dem Juristentag vorformuliert, so dass man doch von einem Einfluss des Juristentags beziehungsweise der durch die Mehrheit des Juristentags vertretenen unternehmensnahen Juristen sprechen kann.

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von der Kommission vorgeschlagenen Generalklausel übernahm.106 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Empfehlungen der Sonderkommission des Juristentags ohne den Druck der Reformjuristen nicht zu Stande gekommen wären. Die sich mit der Stimmrechtsfrage beschäftigende Unterkommission empfahl nämlich die Beibehaltung des Mehrstimmrechts und sprach sich sogar für ein Sonderstimmrecht für Langzeitaktionäre aus. Die Beschlüsse der Unterkommission kamen hauptsächlich auf Betreiben des Geschäftsinhabers der Discontogesellschaft, Georg Solmssen, zu Stande. Bekämpft wurden sie von Arthur Nußbaum, einem der führenden Mitglieder der Vereinigung für Aktienrecht. Es waren schließlich Nußbaums Kompromissvorschläge, die die Sonderkommission in leicht abgeschwächter Form in ihr Programm übernahm und die so ihren Weg in den Entwurf des Reichsjustizministeriums fanden.107 Nußbaums Reformvorstellungen scheinen das Reichsjustizministerium aber auch direkt erreicht zu haben. So übernahm es die in seinem Buch vorgestellte Idee, das Mehrstimmrecht auf wenige Steuerungsfälle zu begrenzen, indem für die meisten Abstimmungen eine auf das Grundkapital – und nicht die Stimmenzahl – bezogene Mehrheit verlangt wurde.108 Andere Vorschläge reformorientierter Juristen, der Handelspresse und der Gewerkschaften, wie etwa die vollkommene Abschaffung von Mehrstimmrechtsaktien (Horrwitz, Handelspresse) beziehungsweise die Übergabe der Mehrstimmrechtsaktien an eine neutrale treuhänderische Stelle, die das Mehrstimmrecht nur zur Abwehr feindlicher Übernahmeversuche aus dem Ausland einsetzen sollte (Handels­ presse, Gewerkschaften), nahm das Reichsjustizministerium nicht auf. Im Fall des Depotstimmrechts waren die reformorientierten Juristen, die Handelspresse, die Privatbanken und die Gewerkschaften dagegen nicht erfolgreich. Ihrer Forderung nach einer Einschränkung des Depotstimmrechts durch das 106 Die Sonderkommission des Juristentags schlug vor, das Stimmrecht des Aktionärs bei Interessenkonflikten ruhen und die Aktionäre für eine missbräuchliche Ausübung ihres Stimmrechts haften zu lassen. Den ersten Teil des Vorschlags übernahm das Ministerium nicht. Den zweiten Teil adaptierte es in einer etwas erweiterten Form, indem es Aktionäre für eine missbräuchliche Einflussnahme auf Aufsichtsrat und Vorstand zum Zwecke des Erreichens von Sondervorteilen für den Aktionär oder Dritte haftbar machte. 107 Nußbaum empfahl, das Stimmrecht der Mehrstimmrechtsaktien auf ein Viertel aller auf der Generalversammlung vertretenen Stimmen einzuschränken, die Neuschaffung von Stimmrechtsaktien an eine Dreiviertelkapitalmehrheit zu binden, die Laufzeit der Stimmrechtsaktien zu begrenzen, nur die schwerer übertragbaren Namensaktien als Stimmrechtsaktien zuzulassen und das Mehrstimmrecht generell auf die Wahl des Aufsichtsrats, Satzungsänderungen und die Entscheidung über die Auflösung der Gesellschaft zu beschränken. Siehe die Protokolle der Unterkommission der Sonderkommission des Deutschen Juristentags vom 28.09.1927, 05.10.1927 und 19.01.1928, in: Deutscher Juristentag, Protokolle (1926/1928), S. 75–79. 108 Nußbaum, Aktionär, S. 11–19. Der Entwurf des Reichsjustizministeriums beschränkte die Mehrstimmrechte auf die Wahl des Aufsichtsrats, die Wahl der Bilanzprüfer und die Entlastungsentscheidung. Nußbaum hatte die Einschränkung für Wahl des Aufsichtsrats, Satzungsänderungen und die Entscheidung über die Auflösung der Gesellschaft empfohlen.

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Verlangen aktiv einzuholender, separater, zeitlich begrenzter Vollmachtsurkunden folgten die Beamten des Reichsjustizministeriums nicht. Hier setzte sich die auf einen Schutz des Unternehmens bedachte Advokatenkoalition durch. Auch in Offenlegungsfragen und Fragen zur Ausgestaltung der Gewinnbezugsrechte verliefen die Fronten hauptsächlich zwischen der Koalition für einen besseren Aktionärsschutz und der Koalition der Befürworter des Status quo. Die Gewerkschaftskoalition hielt sich dagegen mit eigenen Positionen zurück. Anders als bei den zuvor diskutierten Bestandteilen des Aktionärsschutzes lehnten die Unternehmensleiter, Bankiers und unternehmensnahen Juristen nur ein Verbot der stillen Reserven, eine Berichterstattung über Konzernverflechtungen und einen Ausbau des Auskunftsrechts rundweg ab. Dagegen erkannten sie an, dass ein Ausbau der Offenlegung grundsätzlich wünschenswert sei, und waren auch der obligatorischen Bilanzprüfung durch externe Wirtschaftsprüfer nicht abgeneigt. Allerdings waren sie der Ansicht, der notwendige Grad der Publizität würde sich mit der Zeit von selbst einstellen und der Zeitpunkt für eine Einführung der Pflichtprüfung sei – aufgrund fehlender Fachkräfte – zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich. Gegenüber dem Reichsjustizministerium waren diese Argumente jedoch nicht erfolgreich. Das Ministerium folgte stattdessen den Anregungen der reformorientierten Advokatenkoalition und nahm die vielfältigen Vorschläge zum Ausbau der Pflichtangaben im Geschäftsbericht (der auch auf Konzernverflechtungen einzugehen hatte), zur Einführung detaillierter, aussagekräftiger Bilanzierungsvorschriften, zur Einführung einer obligatorischen, unabhängigen Prüfung von Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Geschäftsbericht sowie zum Ausbau des Auskunftsrechts auf. Aber auch hier war das Reichsjustizministerium um einen Ausgleich bemüht. So lehnte es die Idee, die Bildung stiller Reserven vollständig zu verbieten, ab und führte stattdessen die bereits erwähnte Vorschrift ein, die die Bildung stiller Reserven transparenter machen sollte.109 Zwar zeigt die Gegenüberstellung des im dritten Kapitel analysierten optimalen Politikpunkts des Reichsjustizministeriums mit den im vierten Kapitel herausgearbeiteten Präferenzen der Advokatenkoalitionen viele Gemeinsamkeiten. Dies kann als Beleg für einen kausalen Einfluss Letzterer auf die Präferenzen des Vetospielers jedoch noch nicht genügen. Durch einen Blick in die Akten des Reichsjustizministeriums verschwinden die Zweifel allerdings rasch. In Abstimmung mit dem Reichswirtschaftsministerium hatte das Reichsjustizministerium Ende 1928 einen circa 800 Fragen umfassenden, auf alle Reformaspekte eingehenden Fragebogen entworfen und an eine Vielzahl an der Reform des Aktienrechts interessierte Verbände, Universitäten, Länder und Privat­personen

109 Daneben übernahm das Ministerium auch nicht die Empfehlung der Privatbanken, unterjährige Zwischenberichte zu verlangen. Und auch die Empfehlung der Gewerkschaften, individuelle Bilanzposten durch ein individuelles Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied anfechtbar zu machen, wurde nicht übernommen.

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versandt.110 Die Formulierung der Fragen alleine zeigt schon, wie gut das Reichsjustizministerium die Reformdebatte der 1920er Jahre verfolgt hatte. So wurde beispielsweise gefragt, ob eine Angleichung der Handels- an die Steuerbilanz zu empfehlen sei, wie dies Max Lion 1927 in einem von der Vereinigung für Aktienrecht organisierten und als Druckschrift vorliegenden Vortrag gefordert hatte.111 Daneben finden sich die zahlreichen Reformvorschläge der Sonderkommission des Juristentags in dem Fragebogen wieder.112 Nicht zuletzt gingen die Frage­ bögen an mehreren Stellen auf das Problem ein, inwieweit die neue Rechtsfigur des Unternehmens an sich in ein neues Aktiengesetz aufgenommen werden sollte.113 Vergleicht man den Aufbau des Fragebogens mit der organisatorischen Behandlung der Reformfragen durch den Juristentag zeigt sich zudem, dass Ersterer der organisatorischen Einteilung des Stoffs durch den Juristentag folgte. Der Rücklauf der Fragebögen zwischen 1929 und 1931 füllte dann eine komplette Aktenserie im Berliner Bestand des Reichsjustizministeriums.114 In den Akten des Reichsjustizministeriums finden sich für die Phase vor und während der Entwurfsarbeiten auch mehrere Schreiben von Privatbankiers und Aktionären, die bestimmte Probleme anmahnten und Reformvorschläge machten.115 Nicht zuletzt sind das Interesse und die Teilnahme von Referenten des Justizministeriums an Versammlungen der Vereinigung für Aktienrecht belegt.116 Daneben wandten sich reformorientierte Juristen auch direkt an die zuständigen Referenten im Reichsjustizministerium.117 Ganz zu schweigen davon, dass die Handels110 Schubert, Weimarer Republik, S. 15–16. 111 Lion. 112 Das ist nicht überraschend. Zum einen lag der Abschlussbericht des Juristentags in gedruckter Form vor (vgl. Deutscher Juristentag, Bericht 1928); zum anderen war es Ministerialdirektor Schlegelberger, der dem Juristentag im Jahr 1926 nahelegte, der Regierung sei mehr an der Bildung einer Sonderkommission als an einem abschließenden Bericht des Juristentags gelegen. Siehe hierzu: Schmidt, S. 262–264. 113 Laux, S. 229–236. 114 Die Antworten finden sich im Bestand des Reichsjustizministeriums unter den Nummern BArch, R 3001/3008 bis BArch, R 3001/3021. 115 Vgl. v. a. BArch, R 3001/2937 und BArch, R 3001/2938. Siehe beispielsweise den Brief Paul Loeffs an den Reichsjustizminister vom 12.07.1929 beziehungsweise das Schreiben des Bankhauses Hugo Mainz (Hamburg) vom 06.02.1930 an das Reichsjustizministerium. 116 Siehe exemplarisch den Referentenvermerk über einen Vortrag Bruno Buchwalds bei der Vereinigung für Aktienrecht am 24.10.1929 (Datum des Vermerks vom 28.10.1929), in: BArch, R 3001/2937. Das Ministerium ließ sich aber auch über Dritte von solchen Vorträgen berichten. Siehe beispielsweise das Schreiben von Rechtsanwalt Netter an Ministerialdirektor Schlegelberger vom 26.02.1930, in: BArch, R 3001/2938. 117 Siehe beispielsweise das Schreiben Arthur Nußbaums an Ministerialdirektor Schlegelberger vom 05.11.1929, in: BArch, R 3001/2937. Als direkte Kontaktaufnahme ist auch das Schreiben de Castros an einen der Bearbeiter des Entwurfs, Karl Schmölder, zu werten. In dem Schreiben bezieht sich de Castro ebenfalls auf einen Vortrag, den er auf einer Versammlung der Vereinigung für Aktienrecht gehalten hat. Über den Inhalt sollte Schmölder jetzt informiert werden. Siehe das Schreiben de Castros vom 18.02.1930, in: BArch, R 3001/2938.

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presse über diese Versammlungen berichtete und in zahlreichen Artikeln die Probleme des deutschen Aktienrechts anmahnte und auf Reformen drang.118 Die zahlreichen von den Advokatenkoalitionen während der zweiten Hälfte der 1920er Jahre formulierten Lösungsvorschläge hatten einen unübersehbaren Einfluss auf die Bildung des optimalen Politikpunkts des Reichsjustizministeriums. Die Bedeutung der Advokatenkoalitionen darf jedoch nicht überbewertet werden und muss in den Kontext makroökonomischer Entwicklungen gestellt werden. Die durch Inflation, Stabilisierung, Kapitalknappheit und Konzernbildung getriebene wilde Weiterentwicklung des Aktienrechts führte zu einem Machtkampf um die Beherrschung der Aktiengesellschaft und einem Auseinanderdriften von Gesetz und gelebtem Recht. Durch das Wachstum und die zunehmende Konzentration der Aktiengesellschaften stieg zudem deren Bedeutung für einen erfolgreichen Wiederaufschwung der deutschen Volkswirtschaft. Im Kern dieses Konflikts stand also die Frage, ob die Aktiengesellschaft zunächst ihren leitenden Angestellten und Aufsichtsräten, den freien Aktionären oder der Volkswirtschaft verpflichtet war. Diese Frage war in den Augen des Reichsjustizministeriums gegen Ende der 1920er Jahre nicht mehr mit Hilfe des Handelsgesetzbuchs von 1900 zu beantworten.119 Der um die Mitte der 1920er Jahre offen zu Tage tretende Machtkampf innerhalb der Aktiengesellschaft war somit nicht nur Anstoß der Reformdebatte, sondern, zusammen mit der großen Bedeutung der Aktiengesellschaft für eine funktionierende Wirtschaft, auch Antrieb für das Reichsjustizministerium, das Aktienrecht weiterzuentwickeln und an die Bedürfnisse der Zeit anzupassen. Neben solchen strukturellen Überlegungen waren es die Bilanzskandale der späten 1920er Jahre, zuvorderst nennt das Reichsjustizministerium wieder den Skandal um die FAVAG, die das Ministerium zum Handeln zwangen, indem sie die Defizite des geltenden Systems der Unternehmenskontrolle aufdeckten und den politischen Druck erhöhten, die Offenlegungsstandards anzupassen und die Kontrolle der Geschäftsführung zu erhöhen.120 In der Weimarer Republik waren es hauptsächlich das Reichsarbeitsministerium und das Preußische Handelsministerium, deren Präferenzen nicht durch den optimalen Politikpunkt des Reichsjustizministeriums absorbiert wurden.121 118 Eine schöne Presseschau liefert: BArch, R 3103/21. Das Reichsjustizministerium erstellte aber auch einen eigenen Pressespiegel. BArch, R 3001/2885; BArch, R 3001/2886; BArch, R 3001/2887. 119 Reichsjustizministerium, Erläuternde Bemerkungen (1930), S. 935–937. 120 Ebd.; Anfrage der DDP-Fraktion vom 20.09.1929, in: BArch, R 3001/2937. Die Fraktion fragte an, ob die Reichsregierung die Vorgänge bei der FAVAG zum Anlass nähme, die Reformarbeiten zu beschleunigen und auf einen besseren Aktionärsschutz hinzuwirken. 121 Der optimale Politikpunkt des Reichswirtschaftsministeriums wurde anscheinend in fast allen Punkten durch das Reichsjustizministerium absorbiert. Nur in der Frage der Vorratsaktien und der Gewährung eines Entsendungsrechts für Minderheiten war das Wirtschaftsministerium leicht anderer Ansicht. Das Reichspostministerium und die Reichsbank sprachen sich zudem gegen die Einschränkung des Mehrstimmrechts aus.

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Der optimale Politikpunkt des Reichsarbeitsministeriums wich hauptsächlich in der Frage der Vertretung des Betriebsrats im Aufsichtsrat von den Standpunkten der anderen Mitglieder der Reichsregierung ab. Das Ministerium pochte darauf, das Stimmrecht der Betriebsratsmitglieder proportional zur Zahl der gewählten Mitglieder des Aufsichtsrats auszugestalten und den Betriebsratsmitgliedern vollen Zugang zu allen Aufsichtsratskommissionen zu gewähren. Dies schloss auch die Aufsichtsratsausschüsse ein, in denen wichtige Führungsfragen beraten wurden und die oft gerade zwecks Ausschaltung der Betriebsratsmitglieder gebildet worden waren. Außerdem sollte dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied ein Anfechtungsrecht auf Einhaltung von Statut und Gesetz gewährt und den betrieblichen Aufsichtsratsmitgliedern das Rederecht auf der Generalversammlung eingeräumt werden. Zuletzt sollte jedem Aufsichtsratsmitglied im Vorfeld der Generalversammlung die Bilanz und der Geschäftsbericht zugesendet werden. Viele, wenn auch nicht alle, dieser Forderungen finden sich auch bei der im vierten Kapitel beschriebenen Gewerkschaftskoalition. So forderten die Dachverbände der Gewerkschaften in ihren Antworten auf den Fragebogen des Reichsjustizministeriums beispielsweise, den betrieblichen Aufsichtsratsmitgliedern das Recht der Teilnahme an allen Ausschusssitzungen zu gewähren sowie ein Rederecht auf der Generalversammlung zuzugestehen. Ganz allgemein verlangten die Gewerkschaften auch, die Vertretung des Betriebsrats im Aufsichtsrat fest im Aktiengesetz zu verankern. Die weitergehenden Vorschläge des Reichsarbeitsministeriums können somit durchaus als eine Reaktion auf diese Aufforderungen verstanden werden. In der Frage der Mehrstimmrechtsaktien deckten sich die Präferenzen von Reichsarbeitsministerium und Gewerkschaften allerdings nicht. So sprach sich das Reichsarbeitsministerium für eine Abschaffung, die Dachverbände der Gewerkschaften gegen die Abschaffung des Mehrstimmrechts aus. Und auch die Forderung nach der Schaffung eines Reichsaktienamts – das unter anderem das Stimmrecht der Mehrstimmrechtsaktien ausüben sollte – übernahm das zentrumsgeführte Reichsarbeitsministerium nicht. Hier zeigt sich wieder, dass sich die Vetospieler zwar durch Positionen von Interessengruppen beeinflussen ließen, aber durchaus auch eigenständig handelten.122 Der im dritten Kapitel herausgearbeitete optimale Politikpunkt des Preußischen Handelsministeriums wich in der Frage der Ausgestaltung des Aufsichtsrats, der Gewinnverteilung und besonders der Regelungen zum Stimmrecht und Die Reichsbank fürchtete wohl vor allem feindliche Übernahmen aus dem Ausland, das Reichspostministerium dagegen den drohenden Kontrollverlust über Gesellschaften, an denen die öffentliche Hand beteiligt war. 122 Im Bestand des Reichsarbeitsministeriums finden sich leider keine Akten zur Reform des Aktienrechts. Es lässt sich daher nicht ermitteln, ob sich die Gewerkschaften direkt an das Ministerium wandten. Die klare Übereinstimmung der Forderungen der Gewerkschaften und des Reichsarbeitsministeriums lässt aber auf einen gegenseitigen Austausch schließen. Dies ist umso wahrscheinlicher, da die politischen Wurzeln von Reichsarbeitsminister Stegerwald in der (christlichen) Gewerkschaftsbewegung lagen.

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den Offenlegungsvorschriften von den optimalen Politikpunkten der anderen Vetospieler ab. Im Fall des Aufsichtsrats sprach sich das Preußische Handelsministerium für ein vollwertiges Minderheitenwahlrecht zum Aufsichtsrat aus. Es wandte sich aber gegen das Individualrecht der Aufsichtsratsmitglieder auf Einberufung und das Recht, jederzeit vom Vorstand einen Bericht über die Lage der Gesellschaft oder einzelne Geschäftszweige verlangen zu dürfen, und empfahl, dieses Recht nur einer Minderheit zuzusprechen. Im ersten Fall folgte das Handelsministerium Vorschlägen, die vor und während der Entwurfsarbeiten von Privatbankiers und der Handelspresse formuliert worden waren. Im Fall der Individualrechte der Aufsichtsratsmitglieder ist dagegen eine Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Leiters der Rechtsabteilung der IG Farben und Vorstandsmitglieds des RDI, Julius Flechtheim, während einer Besprechung mit den zuständigen Referenten des Reichsjustizministeriums am 6. Januar 1931 sowie einem Gutachten des Zentralverbands des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes vom selben Tag zu beobachten.123 Da beide Bemerkungen gegenüber dem Reichsjustizministerium gemacht wurden, ist nicht klar, ob die Präferenz des Preußischen Handelsministeriums auf einen direkten Einfluss des RDI oder des Bankenverbands zurückgeführt werden kann oder ob sie autarken Überlegungen innerhalb des Ministeriums entsprang  – es ist allerdings nicht unwahrscheinlich, dass zumindest der Bankenverband sein Gutachten auch an die preußische Regierung versandt hat. Zudem war der Standpunkt der Großbanken und der Leiter von Industrieaktiengesellschaften bezüglich der Reform des Aufsichtsrats auch in den Antworten dieser Gruppen auf die Fragebögen des Justizministeriums klar formuliert. Die Fragebögen und die zugehörigen Antworten lagen dem Preußischen Handelsministerium vor.124 Bezüglich der Gewinnverteilung sprach sich das Preußische Handelsministerium für eine Begrenzung der fixen Vergütung des Aufsichtsrats, die Bindung der Gewinnbeteiligung des Aufsichtsrats an die Dividenden der Aktionäre und eine stärkere Bindung der Vorstandsgehälter an den Reingewinn aus. Hier griff das Preußische Handelsministerium offensichtlich Interessen der freien Aktionäre auf, die immer wieder den hohen Tantiemebezug des Aufsichtsrats bei gleichzeitig niedrigen oder fehlenden Dividenden beklagten. Auch im Fall des Stimmrechts nahm das Preußische Handelsministerium eine Position ein, die mehr den Interessen der freien Aktionäre und der anderen Kritiker des Status quo des deutschen Aktienrechts entsprach. So drang das Ministerium darauf, nicht voll gezahlten Aktien das Stimmrecht nur entsprechend der eingezahlten Bruchteile auf den Nominalwert der Aktie zu gewähren und den maximalen Stimmenaufschlag der Mehrstimmrechtsaktien zu begrenzen sowie die Namen

123 Vgl. jeweils BArch, R 3001/2943. Die Sitzung der Reichsregierung mit den Ländern, in der Preußen zu den Individualrechten des Aufsichtsrats Stellung bezog, fand sechs Tage nach den oben skizzierten Stellungnahmen, am 12.01.1931, statt. 124 GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 16.

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der Inhaber von Mehrstimmrechtsaktien zu veröffentlichen.125 In Summe wollte das Preußische Handelsministerium das Mehrstimmrecht also nicht abschaffen, aber doch deutlich einschränken. Dies entsprach der Position vieler reformorientierter Juristen und Privatbankiers. Radikalen Vorschlägen nach einer Abschaffung des Mehrstimmrechts entsprach das Handelsministerium dagegen nicht. Auch in der Offenlegungsfrage schloss sich das Preußische Handelsministerium im Großen und Ganzen den Vorschlägen an, die die reformorientierten Interessengruppen vor und während der Arbeiten am ersten Entwurf des Aktien­gesetzes in die Debatte eingebracht hatten. Insbesondere folgte es Empfehlungen, die Vorstandsgehälter und Aufsichtsratsbezüge offenzulegen, strenge Be­richtspflichten über Konzernverflechtungen einzuführen und die Unabhängigkeit der Bilanzprüfer fest im Aktiengesetz zu verankern. Nur in der Frage der stillen Reserven entsprach das Handelsministerium mehr der Kritik der Wirtschaftsverbände und Banken, indem es sich gegen Angaben im Geschäftsbericht zu Änderungen bei den Wertansätzen in der Bilanz wandte. Die Position des Preußischen Handelsministeriums scheint vornehmlich von den Empfehlungen der reformorientierten Advokatenkoalition geleitet gewesen zu sein  – auch wenn das Ministerium einige Bedenken der Reformskeptiker aufnahm. Dass es sich hierbei um einen kausalen Einfluss gehandelt hat, ist unbestritten. So lagen dem Handelsministerium die Antworten der verschiedenen Interessengruppen auf die Fragebögen des Reichsjustizministeriums vor. Zudem erstellte es eine eigene, umfassende Materialsammlung, in der sich beispielsweise auch ein Bericht Flechtheims über die Verhandlungen der Juristentagskommission sowie ein Gutachten zum Rechnungswesen der FAVAG befindet.126 Wahrscheinlich ebenso wichtig für die Präferenzbildung des Handelsministeriums war der politische Druck des Preußischen Landtags, der die Preußische Regierung vor dem Hintergrund des FAVAG-Skandals aufforderte, bei der Reichsregierung auf eine Verbesserung des Aktionärsschutzes zu dringen.127 Die Veröffentlichung des ersten Entwurfs durch das Reichsjustizministerium provozierte zahlreiche Stellungnahmen der verschiedenen politischen Eliten. Dabei bedienten sich diese Gruppen unterschiedlicher Kanäle. Die Wirtschafts- und Bankenverbände suchten vornehmlich den direkten Kontakt zu 125 Zudem sprach sich das Preußische Handelsministerium für einen Stimmrechtsausschluss derjenigen Aktionäre aus, gegen die die Generalversammlung per Abstimmung einen Rechtsstreit einleiten oder beenden sollte. 126 GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 16 u. 17. 127 Mitteilung des Preußischen Justizministeriums an das Reichsjustizministerium vom 03.10.1929, in: BArch, R 3001/2937. Im September 1931, nach Abschluss der Konsultationen zwischen Reichsrat und Reichsregierung, wiederholte der Preußische Landtag seine Aufforderung. Vgl. das Schreiben des Handelsministeriums an das Justizministerium vom 01.10.1931, in: GStA PK, I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, Abtl. A XII 5 Nr. 1 Bd. 18.

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den Reichsministerien, indem sie die mit der Reform beauftragten Referenten zu Besprechungen trafen und ausführliche Gutachten an die Adresse der Reichsministerien sandten.128 Daneben nahmen sie auch in Beiträgen in der Tagespresse und Verbandspublikationen Stellung zu dem Entwurf.129 Den reformorientierten Juristen blieb dagegen nur der Weg über die Presse.130 Die Kritik der Advokatenkoalitionen an dem Entwurf des Reichsjustizministeriums bewegte sich erwartungsgemäß entlang der im vorangegangenen Kapitel skizzierten Präferenzen. So sprachen sich die den Unternehmensleitern und Banken nahestehenden Verbände beispielsweise gegen die Möglichkeit der Aufnahme eines Entsendungsrechts für Minderheiten in die Statuten (§ 74 E 1 1930)131 und die Individualrechte der Aufsichtsratsmitglieder aus (§ 77 und 79 E 1 1930).132 Die Reichsregierung ging auf diese Kritik aber kaum ein. Im ersten Fall wurde die Möglichkeit eines Entsendungsrechts für Minderheiten sogar in ein echtes Minderheitenwahlrecht umgewandelt. Hier folgte das Reichsjustizministerium– wohl auf Drängen Preußens  – der Kritik reformorientierter Juristen und der Handelspresse.133 Im Fall der Individualrechte des Aufsichtsrats akzeptierte die Reichsregierung dagegen die Bedenken aus Bank- und Wirtschaftskreisen und 128 So traf sich Julius Flechtheim am 06.01.1931 mit Schlegelberger und Quassowski – den für die Reform verantwortlichen Beamten des Reichsjustizministeriums. Am selben Tag ging im Reichsjustizministerium ein Schreiben des Zentralverbands des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes ein. Die Bemerkungen des Deutschen Industrie- und Handelstags und des RDI folgten am 22./24.01.1931 beziehungsweise am 27.01.1931. Alle Besprechungsnotizen und Schreiben finden sich in: BArch, R 3001/2943. Schließlich sind auch persönliche Treffen von Vertretern des Zentralverbands des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes in Person des Präsidenten Solmssen und des Generalsekretärs Bernstein mit den verantwortlichen Beamten des Reichsjustizministeriums (Schlegelberger, Quassowski) am 17.07.1931 und 28.09.1931 überliefert. Siehe: BArch, R  8119 F / P9296. 129 Zusammenstellungen des Reichsjustizministeriums zu den Bemerkungen zum Gesetz­ entwurf, in: BArch, R 3001/2942. 130 Ebd. 131 Bedenken des Zentralverbands des deutschen Bank- und Bankiergewerbes, der Industrie- und Handelskammer Hildesheim und der Industrie- und Handelskammer Berlin, übermittelt durch das schriftliche Gutachten des Zentralverbands vom 06.01.1931, die Bemerkungen des Deutschen Industrie- und Handelstags zur Reform des Aktienrechts vom 22.01.1931 und das Schreiben der Industrie- und Handelskammer Berlin vom 07.02.1931. Die ersten beiden Schreiben finden sich in: BArch, R 3001/2943. Das Schreiben der Industrie- und Handelskammer Berlin findet sich in: BArch, R 3103/21, ist aber an das Reichsjustizministerium adressiert. In seinem Schreiben vom 06.01.1931 betont der Zentralverband, dass es sich bei den Bemerkungen um einen Konsens innerhalb des Verbandes handele, also auch die Meinung der Privatbanken widerspiegele. 132 Bemerkungen Flechtheims gegenüber Schlegelberger und Quassowski in einer Besprechung im Reichsjustizministerium am 06.01.1931 sowie Gutachten des Deutschen Indus­ trie- und Handelstags und des Zentralverbands des deutschen Bank- und Bankiergewerbes vom 24.01. beziehungsweise 06.01.1931, in: BArch, R 3001/2943. 133 Siehe die Stellungnahme im Berliner Tageblatt sowie den Kommentar von Horrwitz ebenfalls im Berliner Tageblatt, zitiert nach der Sammlung kritischer Bemerkungen zum Gesetzentwurf durch das Reichsjustizministerium, in: BArch, R 3001/2942.

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entsprach der Empfehlung Flechtheims, das Einberufungsrecht zwei statt einem einzelnen Aufsichtsratsmitglied zuzugestehen.134 Der Anregung des Banken­ verbands, den Umfang der Auskunftspflicht durch den Gesamtaufsichtsrat festlegen zu lassen und so das individuelle Auskunftsrecht einzuschränken, schloss sich das Reichsjustizministerium jedoch nicht an.135 Stattdessen führte es die Vorschrift ein, wonach der Vorstand nach einer Verweigerung des Auskunftsersuchens auf Antrag eines einzelnen Aufsichtsrats nur durch die Unterstützung von einem anderen Aufsichtsratsmitglied zur Auskunftserteilung gezwungen werden konnte (§ 82 E 2 1931).136 Auch auf die Kritik der Bank- und Wirtschaftsverbände betreffend die Kontrollpflicht des Aufsichtsrats (§ 79 E 1 1930),137 die Generalklausel (§ 81 E 1 1930)138 und das Auskunftsrecht (§§ 86–91 E 1 1930)139 ging das Reichsjustizministerium nicht ein und ließ die entsprechenden Passagen im zweiten Entwurf unverändert (§§ 82, 86 und 89–93 E 2 1931).140 Im Fall des Anfechtungsrechts betraf die zögerliche Haltung des Reichsjustizministeriums auch Anregungen der Handelspresse, ein Auskunftsrecht außerhalb der 134 Siehe die Notiz zu dem Treffen Flechtheims mit Quassowski und Schlegelberger am 06.01.1931, in: BArch, R 3001/2943, und den § 80 E 2 1931 sowie Art. 244a NVO. 135 Siehe das Schreiben des Zentralverbands des deutschen Bank- und Bankiergewerbes vom 06.01.1931, in: BArch, R 3001/2943. 136 Bei einem Aufsichtsrat von mehr als 20 Mitgliedern war die Unterstützung durch zwei weitere Aufsichtsratsmitglieder vorgesehen. 137 Zentralverband des deutschen Bank- und Bankiergewerbes vom 06.01.1931. Bezüglich der Kontrollpflicht empfahl der Bankenverband, den Aufsichtsrat nur darüber berichten zu lassen, ob die Prüfung ordnungsgemäß vorgenommen worden sei, aber keinen Bericht über Art, sachlichen Umfang und Zeitabschnitte der Prüfung zu verlangen. Siehe: BArch, R 3001/2943. Zur Kontrollpflicht des Aufsichtsrats äußerte sich auch Pinner, der dem Aufsichtsrat die Kontrolle des Vorstands nur noch in »zumutbarer Weise« und nicht mehr in allen Geschäftszweigen auferlegen wollte. Siehe die Sammlung kritischer Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf durch das Reichsjustizministerium, in: BArch, R 3001/2942. 138 Auch hier war der Bankenverband federführend. Gegen die Generalklausel wandte sich der Verband, weil er durch den Paragraphen das Stimmrecht der Aktionäre eingeschränkt und Rechtsgeschäfte miteinander verflochtener Gesellschaften gefährdet sah. In diese Richtung äußerte sich auch der Deutsche Industrie- und Handelstag in seiner Eingabe vom 24.01.1931, beide Schreiben befinden sich in: BArch, R 3001/2943. 139 Hier gab es eine breitere Front der Ablehnung. Flechtheim sprach sich in seinem Treffen mit Schlegelberger und Quassowski gegen das Individualrecht der Aktionäre und für ein Minderheitenrecht aus. Dieser Empfehlung schlossen sich der Deutsche Industrie- und Handelstag in seinem Schreiben vom 24.01.1931 und die Industrie- und Handelskammer Berlin in ihrem Schreiben vom 07.02.1931 an. Der Zentralverband des deutschen Bankund Bankiergewerbes kritisierte v. a. die Spruchstellen, in denen er ein gesellschaftsfremdes Organ beziehungsweise eine Sondergerichtsbarkeit erblickte, die (in den Augen des Deutschen Industrie- und Handelstags) unter Umständen nicht unabhängig genug von politischen Einflüssen fungieren würde. Die Schreiben befinden sich bis auf das der IHK Berlin in: BArch, R 3001/2943. Das Schreiben der IHK Berlin findet sich in: BArch, R 3103/21, ist aber an das Reichsjustizministerium adressiert. 140 Der zweite Entwurf enthielt lediglich einen Zusatz, der eine anhaltende Blockade durch eine Minderheit verhindern sollte.

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Generalversammlung zu gewähren (Berliner Tageblatt) und die Begründungen der im Entwurf vorgesehenen Spruchstellen öffentlich zu machen (Vossische Zeitung).141 Erfolgreich war die Koalition der Befürworter eines Ausbaus des Aktionärsschutzes dagegen mit ihrer Forderung, die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder zu begrenzen und eine Höchstzahl der durch eine Person akkumulierbaren Aufsichtsratsmandate durchzusetzen.142 Es scheint allerdings, als sei die Reichsregierung zu diesem Schritt nur vor dem Hintergrund der Bankenkrise bereit gewesen, da sich die Bestimmung erst in Artikel VIII der durch die Bankenkrise angestoßenen Notverordnung findet. Dies lässt darauf schließen, dass die Bestimmung erst kurzfristig, aufgrund des nun offenbar werdenden Versagens zahlreicher Aufsichtsräte bei der Überwachung der ihnen anvertrauten Gesellschaften, aufgenommen wurde. Die Regelung des Stimmrechts provozierte besonders viele Kommentare (§§ 93–96 E 1 1930). Die Kritik der Bank- und Wirtschaftsverbände richtete sich in erster Linie nicht gegen die Einschränkung der Mehrstimmrechtsaktien, sondern stärker gegen den Wegfall des Stimmrechts gebundener Aktien und der – in ihren Augen  – zu leichten Einziehbarkeit der Mehrstimmrechtsaktien.143 Gleichzeitig forderten einige reformorientierte Juristen und Artikel in der Handelspresse die vollkommene Abschaffung des Mehrstimmrechts.144 Besonders scharf wurde aber die Nicht-Regelung des Depotstimmrechts der Banken kritisiert und die Einführung aktiv einzuholender Separatvollmachten gefordert. Auf diese Forderungen ging der zweite Entwurf nicht ein (§§ 95–98 E 2 1931), schloss aber – auf Vorschlag Preußens – eine wichtige Lücke, indem er nicht voll141 Siehe die Sammlung kritischer Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf durch das Reichsjustizministerium, in: BArch, R 3001/2942. 142 Deutsches Reich, Verordnung des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über die Steueramnestie, in: Reichsgesetzblatt für das Deutsche Reich, 1931 Heft 63 (19.09.1931), Art. VIII. Schreiben des Chefredakteurs des Berliner Börsencouriers, Erich W. Abraham, an den Reichskanzler vom 10.09.1931. Dem Schreiben liegt ein Artikel Abrahams bei, in der er seine Forderung nach einer Begrenzung der Zahl der Aufsichtsratsmandate pro Kopf begründet. Abraham argumentiert dabei, dass ein Aufsichtsrat, der mehr als zehn oder zwölf Mandate innehat, nicht mehr in der Lage sei, die ihm anvertrauten Gesellschaften wirksam zu kontrollieren. Das Schreiben befindet sich in: BArch, R 43-I/1082. Ähnlich argumentiert auch Max Homburger in der Kölnischen Zeitung vom 06.08.1931, ebenfalls in: BArch, R 43-I/1082. 143 Schreiben des Zentralverbands des deutschen Bank- und Bankiergewerbes vom 06.01.1931; Schreiben des Deutschen Industrie- und Handelstags; Schreiben der IHK Berlin, in: BArch, R 3001/2943 beziehungsweise BArch, R 3103/21. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass die Handelskammer Sachsen die Bindung des Depotstimmrechts der Banken an eine aktiv einzuholende Separatvollmacht knüpfen wollte. Die Bemerkung wurde durch den Bericht des Deutschen Industrie- und Handelstags vom 22.01.1931 übermittelt. Siehe: BArch, R 3001/2943. 144 Für die Position von Horrwitz vgl. den Artikel im Berliner Tageblatt vom 16.11.1925 über einen Vortragsabend der Vereinigung für Aktienrecht, in: BArch, R 3103/21. Siehe darüber hinaus die Sammlung kritischer Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf durch das Reichsjustizministerium, in: BArch, R 3001/2942.

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gezahlten Aktien das Stimmrecht (wenn ein entsprechender Generalversamm­ lungsbeschluss vorlag, der das Stimmrecht dieser Aktien aktivierte) nur im Verhältnis der auf den Nominalbetrag eingezahlten Bruchteile gewährte. Gleichwohl ging der zweite Entwurf aber auch auf die Kritik aus dem Lager der Unternehmensführer und Bankiers ein. So sollte gebundenen Aktien nämlich dann das Stimmrecht doch nicht verweigert werden, wenn dies im überwiegenden Interesse der Gesellschaft oder der Allgemeinheit lag. Genau wie das Stimmrecht provozierten auch die neuen Offenlegungs­ vorschriften der §§ 110 bis 124 des ersten Entwurfs die Kritik der Bank- und Wirtschaftsverbände. So wurde kritisiert, die Detailvorschriften für Geschäftsbericht und Bilanz seien unnötig.145 Insbesondere wurde den Offenlegungsvorschriften widersprochen. Die Industrie- und Handelskammer Berlin forderte sogar, die Offenlegungsverpflichtungen nur für börsennotierte Aktiengesellschaften vorzuschreiben.146 Zwar gelang es den Kritikern der Offenlegungsverpflichtungen nicht, die Detailbestimmungen wieder aus dem Entwurf zu entfernen, das Reichsjustizministerium verzichtete im zweiten Entwurf aber auf eine detaillierte Angabe zu einer Änderung der Bilanzansätze sowie einer Offenlegung langfristiger Verbindlichkeiten und Haftungsverpflichtungen (§§ 112–115 E 2 1931).147 Darüber hinaus gelang es dem RDI kurzfristig, das Inkrafttreten der neuen Offenlegungsvorschriften durch die Notverordnung bis Ende 1932 zu verzögern, indem er davor warnte, dass eine Offenlegung der Verbindlichkeiten und Haftungsübernahmen vor dem Hintergrund der Banken- und Wirtschaftskrise die wirtschaftliche Lage vieler Gesellschaften noch verschlimmern könnte.148 Bezüglich der Pflichtprüfung kritisierten Banken- und Wirtschaftsverbände, die Prüfung sei zu weitgehend und würde zu einer Überlastung der Prüfer führen,149 und forderten, die Prüfer durch den Aufsichtsrat ernennen und nicht von der Generalversammlung wählen zu lassen.150 Zudem sollten die Regeln, die die Unabhängigkeit der Bilanzprüfer sicherstellen sollten, so gefasst werden, dass auch Banktreuhandgesellschaften zur Prüfung der Bilanz herangezogen werden

145 Schreiben des Zentralverbands des deutschen Bank- und Bankiergewerbes vom 06.01.1931; Schreiben des Deutschen Industrie- und Handelstags vom 24.01.1931; Schreiben des RDI vom 27.01.1931, in: BArch, R 3001/2943. 146 Schreiben der IHK Berlin an das Reichsjustizministerium vom 07.02.1931, in: BArch, R 3103/21. 147 Der § 112 E 2 1931 verlangte nur noch, dass die Gesellschaften auf »wesentliche« Abweichungen in den Bilanzansätzen eingingen. 148 Protokoll der Kabinettssitzung vom 19.09.1931, in: BArch, R 43-I/1082. Die Offenlegungsvorschriften sind dann wohl für alle Aktiengesellschaften Ende 1932 in Kraft getreten. Vgl. Süddeutsche Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft, S. 12, sowie Brandt. 149 So die Handelskammern Thüringens und Hamburgs, übermittelt durch ein Schreiben des Deutschen Industrie- und Handelstags vom 22.01.1931, in: BArch, R 3001/2943. 150 Schreiben des Zentralverbands des deutschen Bank- und Bankiergewerbes; Schreiben der IHK Berlin vom 07.02.1931, in BArch, R 3001/2943 beziehungsweise BArch, R 3103/21.

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konnten.151 Die Industrie- und Handelskammer Berlin nahm wiederum die radikalste Position ein und sprach sich grundsätzlich gegen die Pflichtprüfung aus.152 Dieser Kritik folgte der zweite Entwurf nicht und ließ die Bestimmungen zur Pflichtprüfung weitestgehend unverändert, erlaubte aber die Prüfung durch Banktreuhandgesellschaften (§§ 120–126 E 2 1931). Fragt man nach dem Einfluss der beiden großen Advokatenkoalitionen auf den optimalen Politikpunkt des Reichsjustizministeriums und des Preußischen Handelsministeriums, muss der Erfolg der reformbefürwortenden Koalition besonders hervorgehoben werden. Zum einen gelang es hier einer recht unorganisierten, finanzschwachen, dafür aber öffentlichkeitswirksam agierenden Gruppe, mit ihren Ideen zu den Vetospielern vorzustoßen. Zum anderen unterstreicht der Erfolg der Reformbefürworter die Bedeutung juristischer Experten – sowie der Handelspresse und der Privatbankiers –, die im Gegensatz zu den Interessenorganisationen der Wirtschaft bisher kaum als Träger politischen Einflusses beachtet wurden.153 Richtig ist aber auch, dass insbesondere das Reichsjustizministerium auf die Bedenken und Bedürfnisse der für einen besseren Schutz der Gesellschaft eintretenden Koalition einging. In Summe waren die Entwürfe des Reichsjustizministeriums von dem Ziel geprägt, die Interessen der Unternehmensleitungen und der freien Aktionäre auszugleichen und gleichzeitig das Verständnis beider Gruppen für ihre volkswirtschaftliche Verantwortung zu schärfen.154 Während das Reichsjustizministerium als Prototyp eines Politikvermittlers agierte, nahm das Preußische Handelsministerium stärker die Positionen der reformbefürwortenden Advokatenkoalition auf. Noch extremer orientierte sich das Reicharbeitsministerium an den Reformvorstellungen der Gewerkschaftskoalition. Beide Vetospieler sind daher eher einzelnen Advokatenkoalitionen zuzuordnen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Positionen der Arbeiterschaft im Vergleich zu den Argumenten juristischer Experten nur wenig Anklang bei den Vetospielern fanden, steht dieses Ergebnis doch im Widerspruch zu den theoretischen Argumenten von Roe und Perotti und von Thadden, die der Arbeiterschaft in einem auf Ausgleich sozialer 151 Nach der Formulierung des Paragraphen 120 konnten Treuhandgesellschaften nicht zur Prüfung herangezogen werden, sobald ein Unternehmen, zu der die Treuhandgesellschaft gehörte, in dem zu prüfenden Unternehmen ein Aufsichtsratsmitglied stellte. Da dies aufgrund der starken Vertretung der Banken in den Aufsichtsräten von Industrieaktiengesellschaften sehr häufig vorkam, wären Banktreuhandgesellschaften durch die Formulierung von Paragraph 120 E 1 in der Regel von der Prüfung ausgeschlossen gewesen. Die Forderung wurde vom Zentralverband des deutschen Bank- und Bankiergewerbes und dem Deutschen Industrie- und Handelstag erhoben. Siehe die Schreiben in: BArch, R 3001/2943. 152 Schreiben der IHK Berlin an das Reichsjustizministerium vom 07.02.1931, in: BArch, R 3103/21. 153 Die Einflussnahme der Großindustrie und der Großbanken auf die politischen Akteure in der Weimarer Republik ist dagegen etwas besser erforscht. Vgl. Wolff-Rohé; Grübler; Neebe. 154 Reichsjustizministerium, Erläuternde Bemerkungen (1930), S. 935–937.

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Interessen aufbauenden demokratischen System großen Einfluss auf die Ausgestaltung der Corporate Governance zusprechen.155 Die im Vergleich zu Großindustrie und Großbanken vielleicht etwas überraschende Stärke der reformbefürwortenden Advokatenkoalition ist mit den vorherrschenden Umweltbedingungen zu erklären. So provozierte der FAVAGSkandal einen Beschluss des Preußischen Landtags, der das Staatsministerium zwang, sich gegenüber der Reichsregierung für einen Ausbau von Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften einzusetzen. Der Skandal scheint auch dem Reichsjustizministerium Handlungsimperative gesetzt zu haben; nicht zuletzt, weil mit der DDP-Fraktion im Reichstag ein Mitglied der Regierungs­ koalition auf die Verbesserung von Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften drängte.156 Die Bankenkrise setzte ebenfalls Handlungsimperative, indem sie zu einem Umdenken in der Frage der Beschränkung von Aufsichtsratsmandaten und einem verspäteten Inkrafttreten einzelner Offenlegungsbestimmungen führte. Ganz besonders war es aber die Entwicklung des gelebten Aktienrechts und der aus den Umwälzungen der frühen 1920er Jahre erwachsende Herrschaftskonflikt in Kombination mit der gewachsenen volkswirtschaftlichen Bedeutung der Aktiengesellschaft, die den Ausschlag für die Reformbemühungen des Reichsjustizministeriums gaben. Die Lösung dieses Konflikts zum Wohle der gesamten Volkswirtschaft war aber nur möglich, wenn das Reichsjustizministerium auf beide Seiten einging und gleichzeitig von allen Parteien Kompromisse verlangte. Zuletzt stellt sich die Frage, inwiefern eine institutionelle Einbindung politischer Eliten in den Entscheidungsfindungsprozess Vorteile gewährte. Für die Weimarer Republik ist hier zunächst festzuhalten, dass das Reichsjustizministerium über die Fragebogenaktion alle an der Reform des Aktienrechts interessierten Gruppen einbezog, und man von einem sehr demokratischen Entscheidungsfindungsprozess der Reichsregierung sprechen muss. Darüber hinaus waren die Spitzenverbände der Wirtschaft und des Bankengewerbes zusätzlich eingebunden, indem die gemeinsame Geschäftsordnung der Reichsministerien festlegte, dass nur solche Verbände zu den Reichsministerien Zugang haben sollten, deren »Wirkungskreis sich auf das ganze Reich« erstreckte.157 Dies schloss nicht nur einen präferierten schriftlichen, sondern auch einen persönlichen Zugang ein. So waren etwa Julius Flechtheim vom Reichsverband der Deutschen Industrie sowie Vertreter des Zentralverbands des Deutschen Bankund Bankiergewerbes Anfang der 1930er Jahre mehrmals im Justizministerium zu Gast und kommunizierten schriftlich mit dem Preußischen Handelsministerium. Vertreter der Vereinigung für Aktienrecht, der Handelspresse und der 155 Roe, Corporate governance; Perotti u. Thadden. 156 Die DDP war Mitglied der großen Koalition unter Reichskanzler Hermann Müller, die von Ende Juni 1928 bis Ende März 1930 regierte. Die Eingabe der DDP-Fraktion datiert auf den 20.09.1929. Vgl. BArch, R 3001/2937. 157 Deutsches Reich, Geschäftsordnung 1927, § 27.

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Privatbanken mussten sich auf ihre Öffentlichkeitsarbeit beziehungsweise Zuschriften an die Ministerien beschränken. Der marginale Effekt einer stärkeren Einbindung wichtiger Mitglieder der Koalition der Reformskeptiker scheint in der Weimarer Republik jedoch sehr gering gewesen zu sein

5.3 Nationalsozialismus Im Vergleich zur sehr lebhaften Debatte der 1920er Jahre verengte sich die Reformdiskussion nach 1933 deutlich. Das Reichsjustizministerium beschränkte sich zunächst darauf, Anregungen aus dem nationalsozialistischen Lager zu sammeln, wartete jedoch die Verhandlungen des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht ab, bevor es im Frühjahr 1935 einen ersten Entwurf vorlegte. Eine offizielle Veröffentlichung des Entwurfs fand, anders als 1931 und 1932, nicht statt. Staatssekretär Schlegelberger stellte die Eckpunkte des Entwurfs allerdings in einer Rede vor der IHK Hamburg der Öffentlichkeit vor. Die Rede provozierte viele Zuschriften an das Reichsjustiz- und das Reichswirtschaftsministerium. Die dort vorgebrachten Argumente fanden teilweise Eingang in die Verhandlungen zwischen dem Reichsjustizministerium auf der einen und dem Reichswirtschafts- und dem Reichsinnenministerium auf der anderen Seite. Als Ergebnis dieser Verhandlungen zwischen den Fachministerien konnte im Mai 1936 ein zweiter Entwurf fertiggestellt werden. Als dieser in das Reichskabinett eingebracht werden sollte, meldete der Stab des Führerstellvertreters Heß Bedenken an. In der Folge verhandelten das Reichsjustizministerium, das Reichswirtschaftsministerium und der Stab des Führerstellvertreters Heß über die Wiederaufnahme nationalsozialistischer Elemente in den Entwurf. Der so leicht ergänzte Gesetzentwurf konnte im Winter 1936 in das Reichskabinett eingebracht und im Januar 1937 im Reichsgesetzblatt verkündet werden. In seinem Entwurf aus dem Frühsommer des Jahres 1935 sprach sich das Reichsjustizministerium für eine deutliche Stärkung des Vorstands gegenüber den anderen beiden Gesellschaftsorganen und die Einführung des Führerprinzips aus.158 So sollten die Geschäftsführungskompetenzen des Aufsichtsrats und der Generalversammlung komplett wegfallen und innerhalb des Vorstands das Führerprinzip implementiert werden. Auch das Recht der Generalversammlung, Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung zu kontrollieren und die Gewinnverteilung zu beschließen, wollte das Reichsjustizministerium streichen. Der Aufsichtsrat sollte verkleinert und nach der Höhe des Grundkapitals gestaffelt werden; bestimmten Aktionären sollte ein Entsendungsrecht in den Aufsichtsrat eingeräumt werden können, eine Vertretung von Minderheiten war allerdings im Gegensatz zu den Entwürfen aus den Jahren 1930 und 1931 nicht vorgesehen. Als Ausgleich für die gesteigerte Machtfülle des Vorstands sollte auch dessen 158 Zur Position des Reichsjustizministeriums vgl. Kapitel 4.

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Verantwortung steigen. Dies drückte sich vor allem in der Formulierung aus, der Vorstand habe die Gesellschaft zum »Wohle des Betriebs und der Gesellschaft« und zum »Nutzen von Volk und Reich« zu leiten. Eine besondere Verantwortung gegenüber den Aktionären war jedoch nicht vorgesehen. Die Abwendung des Reichsjustizministeriums von den freien Aktionären und Hinwendung zu den anderen an der Gesellschaft beteiligten Stakeholdern zeigt sich auch in den Vorschriften zur Bindung der Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat an die wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Die Abwendung des Reichsjustizministeriums von den Interessen der freien Aktionäre wird ebenfalls im Ausbau staatlicher Eingriffsrechte in die Aktiengesellschaft deutlich. Neben der Neuordnung der Kräfteverhältnisse innerhalb der Aktiengesellschaft und der Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Aktiengesellschaft, Staat und Gesellschaft sprach sich das Reichsjustizministerium für eine Reform des Stimmrechts aus. Es brachte ein Verbot der Ausgabe neuer Mehrstimmrechtsaktien in Vorschlag und wollte bestehende Mehrstimmrechts­a ktien auslaufen lassen sowie nicht vollgezahlten Aktien nur ein proportionales Stimmrecht zugestehen. Eine Stärkung der freien Aktionäre hatte das Reichsjustizministerium dabei jedoch nicht im Sinn. Gewissermaßen als Gegengewicht zum Stimmrecht der freien Aktionäre sollte ein Vorstandsstimmrecht in Höhe von 20 Prozent der auf der Generalversammlung vertretenen Stimmen geschaffen und gleichzeitig das Depotstimmrecht der Banken eingeschränkt werden. Ein Großteil des im Entwurf des Reichsjustizministeriums aus dem Jahr 1935 formulierten optimalen Politikpunkts scheint auf die Verhandlungen des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht und die beiden Berichte des Ausschussvorsitzenden Kißkalt zurückzugehen.159 In den beiden Abschlussberichten vom April 1934 beziehungsweise 1935 empfahl Kißkalt die Reduzierung der Kompetenzen der Generalversammlung auf die Wahl des Aufsichtsrats, die Entscheidung über eine Statutenänderung und die Entlastungserteilung.160 Der Entwurf des Reichsjustizministeriums übernahm diese Empfehlung. Damit setzte sich Kißkalt gegen den Vertreter der Berliner Großbanken (Breska) durch, der die Generalversammlung weiterhin über Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Gewinnverteilung entscheiden lassen wollte. Aber auch die noch radikaleren Vorstellungen der nationalsozialistischen Wirtschaftstheoretiker – volle Verantwortlichkeit des Vorstands, komplette Abschaffung der Generalversammlung und Ersatz durch Versammlung leitender Großaktionäre  – fanden keinen Niederschlag in den Abschlussberichten Kißkalts und dem darauf aufbauenden Entwurf des Reichsjustizministeriums. Die mit der Entmachtung der Generalversammlung – und der Stärkung des Vorstands – einhergehende Einführung des Führerprinzips innerhalb des Vorstands sowie die Entmachtung und Verkleinerung des Aufsichtsrats gingen wohl ebenfalls

159 Siehe Kißkalt, Bericht (1934); Kißkalt, Bericht (1935). 160 Kißkalt, Bericht (1934), S. 485–486.

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auf die Empfehlungen der Kißkalt’schen Abschlussberichte zurück.161 Bezüglich der Verkleinerung des Aufsichtsrats waren die Meinungen innerhalb des Aktienrechtsausschusses stärker geteilt. Während einige Vertreter von Industrieaktiengesellschaften sowie der Wirtschaftsbeauftragte des Führers und die akademischen Berater des Reichsjustizministeriums eine Verkleinerung empfahlen, warnten der Vertreter der Großbanken und der Repräsentant der Reichsgruppe Industrie vor einem zu weitgehenden Eingriff. Dies mag der Grund dafür gewesen sein, dass das Reichsjustizministerium in der Frage der Größe des Aufsichtsrats nicht vollständig dem Abschlussbericht folgte und eine Staffelung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder nach der Höhe des Grundkapitals präferierte, statt den Aufsichtsrat, wie von Kißkalt empfohlen, auf sieben Personen zu begrenzen. Wiederum keinen Niederschlag im Abschlussbericht der Akademie für Deutsches Recht fand die Position nationalsozialistischer Wirtschaftstheore­ tiker, dem Staat ein größeres Eingriffsrecht bei der Benennung des Aufsichtsrats und der Kontrolle des Unternehmens einzuräumen. Auch die Forderung nach einer stärkeren Vertretung von Arbeitnehmern im Aufsichtsgremium fand keine Aufnahme in den optimalen Politikpunkt des Reichsjustizministeriums. Auch in der Frage des Schutzes der Aktionäre vor einer ungetreuen Geschäftsbesorgung des Vorstands folgte das Reichsjustizministerium in großen Teilen den Vorschlägen der Akademie für Deutsches Recht. In den Ausschusssitzungen hatten sich alle Mitglieder gegen einen weiteren Ausbau der Minderheitenrechte, aber für eine Ausweitung der Verantwortung des Vorstands ausgesprochen. Die Vorschrift, wonach der Vorstand seine Geschäfte zum »Wohle des Betriebs und seiner Gefolgschaft« sowie zum »Nutzen von Volk und Staat« zu führen habe, hat das Reichsjustizministerium dabei dem ersten Abschlussbericht des Aktienrechtsausschusses entnommen.162 Uneinigkeit bestand innerhalb des Ausschusses allerdings in der Frage, welchen Umfang die Haftung des Vorstands haben sollte. Während nationalsozialistische Wirtschaftsideologen die Erfolgshaftung – d. h. die Haftung des Vorstands im Verlustfall – einführen wollten, sprachen sich die im Ausschuss vertretenen Vorstände und Aufsichtsräte für den Status quo aus. Dieser Auffassung folgte auch das Reichsjustizministerium. Die Reduzierung der zur Geltendmachung von Minderheitenrechten erforderlichen Mindesthaltefristen, die Erleichterungen bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen sowie die Erschwerung des Ausschlusses des Bezugsrechts wurde dagegen weder im Abschlussbericht der Akademie für Deutsches Recht noch von den an den Sitzungen des Ausschusses teilnehmenden Ausschussmitgliedern prominent vertreten. Hier scheint das Reichsjustiz­ ministerium eigenständig Teile des Weimarer Entwurfs übernommen zu haben. Womöglich ließ sich das Reichsjustizministerium dabei von den zahlreichen Eingaben freier Aktionäre leiten, die in den 1920er und 1930er Jahren immer

161 Ebd., S. 487–494. 162 Ebd., S. 490.

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wieder die Bevorzugung von Verwaltungskreisen bei dem Bezug junger Aktien kritisiert hatten. Die stärkere Berücksichtigung anderer Stakeholder durch den optimalen Politik­punkt des Reichsjustizministeriums kann ebenfalls auf die Debatten in der Akademie für Deutsches Recht zurückgeführt werden. Zuvorderst ist hier die Verpflichtung des Vorstands auf das Wohl des Betriebs, der Gesellschaft und des Staats zu nennen. So gehen die staatlichen Eingriffsrechte entweder auf die Empfehlung des Abschlussberichts des Vorsitzenden des Aktienrechtsausschusses vom April 1935 (Auflösung bei Gefährdung des Allgemeinwohls und unverantwortlicher Wirtschaftsführung) oder auf die Reformvorschläge Würdingers aus dem Jahr 1933 zurück.163 In der Vergütungsfrage zeigte sich zudem eine stärkere Hinwendung zur Arbeiterschaft. Zwar sprachen sich die Vertreter der Großbanken und der Industrieaktiengesellschaften gegen Vorschriften zur Begrenzung der Vergütungen von Vorstand und Aufsichtsrat beziehungsweise gegen eine Gewinnbeteiligung der Arbeiter aus, wie es etwa nationalsozialistische Arbeitnehmervertreter gefordert hatten.164 Der Abschlussbericht Kißkalts vom April 1935 empfahl allerdings die Aufnahme einer Vorschrift, wonach die Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat in einem angemessenen Verhältnis zur wirtschaftlichen Lage des Unternehmens zu stehen habe.165 Auch in diesem Fall übernahm das Reichsjustizministerium die Empfehlung des Abschlussberichts. Dem Wunsch vieler Kleinaktionäre, die Tantieme von Vorstand und Aufsichtsrat stärker an die Dividendenzahlung zu koppeln, wurde jedoch nicht entsprochen. Auch auf die Forderungen des nationalsozialistischen Arbeitnehmerflügels, das Gehalt des Vorstands an die Entwicklung der Gesamtlohnsumme zu binden, ging das Reichsjustizministerium nicht ein. Genauso erfolglos waren die nationalsozialistischen Wirtschaftsdenker mit ihrer Forderung nach einem strengeren Kündigungsschutz für Arbeitnehmer zwischen 35 und 60 Jahren.166 Eines der umstrittensten Themen der 1920er und 1930er Jahre war die Stimmrechtsfrage. Hier prallten verschiedene Auffassungen aufeinander. Auf der einen Seite standen die freien Aktionäre, die in den Mehrstimmrechts­a ktien und dem Depotstimmrecht der Banken die Ursache für ihre Machtlosigkeit sahen und die Abschaffung oder zumindest Einschränkung dieser Machtmittel forderten. Diese Forderungen wurden von den nationalsozialistischen Wirtschaftstheoretikern aufgenommen. Auch einige Vertreter von Industrieaktiengesellschaften sahen das Bankenstimmrecht kritisch. Die Großbanken und der Vertreter der Reichsgruppe Industrie setzten sich auf der anderen Seite unumwunden für den Erhalt des Status quo ein.

163 Kißkalt, Bericht (1935), S. 499–500. Zur Position Würdingers siehe: BArch, R 3001/2948. 164 Vgl. vor allem die Ausführungen Bachmanns in den Sitzungen der Akademie für Deutsches Recht und das Lex DIAG aus dem Jahr 1933, in: BArch, R 3001/2948. 165 Kißkalt, Bericht (1935), S. 508–509. 166 Vgl. das Lex DIAG, in: BArch, R 3001/2948.

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Zwar waren die genannten Gruppen in der Ablehnung der Mehrstimmrechts­ aktien und besonders des Depotstimmrechts geeint, sie verfolgten dabei jedoch unterschiedliche Ziele, was sich auch in ihren Reformvorstellungen äußerte. Während sich die freien Aktionäre ein Erstarken ihrer Mitspracherechte erhoff­ ten, zielte das Bemühen der nationalsozialistischen Wirtschaftstheoretiker auf eine Stärkung der Arbeiter und Angestellten der Gesellschaft.167 Die Vertreter der Industrieaktiengesellschaften erwarteten dagegen eine Schwächung des Bankeneinflusses und eine Stärkung des Vorstands. Entsprechend vielschichtig waren die Reformvorschläge bezüglich des Stimmrechts. Während die freien Aktionäre für die Wiedereinführung der »one vote, one share« Regel und der Einschränkung des Bankenstimmrechts eintraten, wollten einige nationalsozialistische Wirtschaftstheoretiker das Stimmrecht nicht vertretener Aktien einem leitenden Angestellten der Gesellschaft  – nicht aber dem Vorstand  – übertragen. Mehrere Vertreter von Industrieaktiengesellschaften sprachen sich dagegen in den Beratungen des Aktienrechtsausschusses für die Ersetzung des Mehrstimmrechts durch ein Vorstandsstimmrecht und ein doppeltes Stimmrecht für Langzeitaktionäre aus. Daneben traten sie für die Einschränkung des Depotstimmrechts der Banken durch das Verlangen einer separaten Kundenvollmacht und die Offenlegung der Namen der vertretenen Kunden ein. Die Großbanken wiederum standen hinter dem Vorstandsstimmrecht, lehnten aber die Einführung eines Doppelstimmrechts für Langzeitaktionäre und die Einschränkung ihres Depotstimmrechts ab. In seinen Abschlussberichten nahm der Vorsitzende des Aktienrechtsausschusses die Mehrheitsposition der Industrieaktiengesellschaften auf.168 Das Reichsjustizministerium folgte diesen Vorschlägen in den Punkten Abschaffung der Mehrstimmrechtsaktien, Einführung eines Vorstandsstimmrechts und Einschränkung des Depotstimmrechts der Banken. Das Doppelstimmrecht der Langzeitaktionäre übernahm es dagegen nicht. Hier dürfte die grundsätzlich ablehnende Haltung der verantwortlichen Referenten gegenüber der Schaffung von unterschiedlichen Aktionärsgruppen eine Rolle gespielt haben.169 Zuletzt lässt sich auch für die Position des Reichsjustizministeriums in Bezug auf die Regelungen zur Gewinnverteilung und zu den Offenlegungsvorschriften die Einflussnahme von Advokatenkoalitionen nachweisen. So empfahl der Abschlussbericht Kißkalts vom April 1935 als Gegengewicht zur gesteigerten 167 Das Stimmrecht nicht vertretener Aktien sollte nach den Vorstellungen von Kaulitz (Lex DIAG) von einem leitenden Angestellten der Gesellschaft ausgeübt werden. 168 Der Vorschlag des Stimmrechts für Langzeitaktionäre stammt von Kißkalt selbst. Kißkalt trat in den Ausschussberatungen auch als lauter Kritiker der Bankenmacht in den Aufsichtsräten auf. 169 Diese Auffassung äußerten Ministerialdirektor Richter und Ministerialrat Quassowski auf einer Besprechung mit dem Handelsrechtler Würdinger über dessen Vorschlag, die Aktionäre in stimmrechtslose Finanzaktionäre und stimmberechtigte, für unternehmerische Entscheidungen haftende Unternehmeraktionäre zu trennen. Gesprächsnotiz aus der Feder von Gerichtsassessor Nostitz vom 27.09.1933, in: BArch, R 3001/2948.

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Machtfülle des Vorstands eine Ausweitung des Auskunftsrechts, dem aber ein weitgehendes Auskunftsverweigerungsrecht des Vorstands gegenüberstehen sollte.170 Insbesondere lehnte der Abschlussbericht die Errichtung der in den Weimarer Entwürfen vorgesehenen Spruchkammern zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Aktionären und Verwaltung über die Rechtmäßigkeit einer Auskunftsverweigerung ab. Das Reichsjustizministerium übernahm diese Empfehlung. Gleiches gilt für den auf dem Konsens der beteiligten Gruppen beruhenden Vorschlag der Akademie, die Publizitätsvorschriften der Notverordnung von 1931 nicht zu verschärfen und die Bildung stiller Reserven weiter zu erlauben.171 Der große Einfluss der beiden Abschlussberichte des Vorsitzenden des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht weist auf die große Durchsetzungskraft der von den nationalsozialistischen Wirtschaftstheoretikern inspirierten Industrievertreter hin. Dass es sich bei dieser Einflussnahme um einen kausalen Zusammenhang und nicht etwa um eine bloße Korrelation zweier unabhängiger Prozesse handelte, liegt auf der Hand. So bestand der Zweck der Akademie für Deutsches Recht gerade darin, das deutsche Rechtsleben im Sinne des nationalsozialistischen Parteiprogramms neu zu gestalten und dazu Gesetzentwürfe anzuregen, vorzubereiten und zu begutachten.172 Aus diesem Grund nahm das Reichsjustizministerium nicht nur die Abschlussberichte Kißkalts wahr, sondern beteiligte sich auch in Person von Staatssekretär Schlegelberger – dem für die Reform verantwortlichen Beamten – und Ministerialrat Quassowski – einer der beiden Leiter der für die Entwurfsarbeiten zuständigen Arbeitsgruppe – an den Sitzungen des Aktienrechtsausschusses.173 Nachdem der Inhalt des Entwurfs Ende August 1935 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden war, setzte eine weitere Runde der Einflussnahme – jetzt vornehmlich über schriftliche Stellungnahmen – auf das Reichsjustizministerium ein. In dieser Phase versuchte insbesondere die Koalition der ideologiekritischen Industrievertreter und Großbanken, deren Interessen in den Abschlussberichten Kißkalts zu kurz gekommen waren, das Reichsjustizministerium von einer Änderung der entsprechenden Paragraphen zu überzeugen. Die Einführung des Führerprinzips innerhalb des Vorstands wurde beispiels170 Kißkalt, Bericht (1935), S. 505–506. 171 Die Empfehlungen gehen jeweils auf ein Referat des Vorstandsmitglieds der IG Farben, Schmitz, und des württembergischen Wirtschaftsministers Lehnich zurück. Über beide Punkte entspannte sich keine Diskussion, was auf stille Zustimmung der anderen Teilnehmer schließen lässt. Protokoll der achten Sitzung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht vom 01./02.02.1935. Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 349–398. 172 Schubert u. a., S. VII–XIII. 173 Schlegelberger nahm an sieben der zehn Sitzungen teil; Quassowski war nur während der letzten Sitzung nicht anwesend. Vgl. die Teilnehmerlisten zu Beginn der Protokolle des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht, abgedruckt in: Schubert u. a., S. 1–398. Zur Aufgabenverteilung innerhalb des Ministeriums vgl. Ebd., S. XL–L.

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weise von dem ehemaligen DVP-Politiker, Reichsminister, Unternehmer und bis 1933 geschäftsführendem Vorstand des Zentralverbands der Deutschen Elektrotechnischen Industrie, Hans von Raumer, sowie von Karl Schmölder, dem ehemaligen Ministerialrat im Reichswirtschaftsministerium und aktuellem Vorstand der Rheinischen Hypothekenbank in Mannheim, kritisiert.174 Zusammen mit der Reichsgruppe Industrie sprach sich Raumer auch für Ausnahmen bei der Begrenzung der Zahl der Aufsichtsratsmandate aus.175 Die Reichsgruppe Industrie empfahl in einer Besprechung mit Ministerialrat Quassowski zudem Ausnahmen beim Wegfall der Mehrstimmrechte und setzte sich für die unumschränkte Beibehaltung des Depotstimmrechts der Banken ein. Dieser letzte Punkt wurde auch in dem Schreiben Schmölders an Quassowski betont, der auf diesem Weg seine alten Kontakte in das Reichsjustizministerium ­nutzte.176 Erwartungsgemäß trat auch der Vorstand der Deutschen Bank, Karl Kimmich, in seinem Schreiben an Staatssekretär Schlegelberger für die Aufhebung des Übertragungsverbots des Depotstimmrechts an andere Banken und gegen die Pflicht, die Namen der vertretenen Aktionäre zu benennen, ein.177 Zuletzt warnten sowohl die Reichsgruppe Industrie als auch Kimmich vor dem Verbot der Einmanngesellschaft. Als Paradebeispiel wurde die für die deutsche Aufrüstung zentrale Firma Krupp angeführt, bei der sich alle Aktien in der Hand von Bertha Krupp befanden. Eine ganz andere Position nahm die ­Industrie- und Handelskammer Hamburg ein. Sie warnte davor, die Entmachtung der Aktionäre nicht zu weit zu treiben und diesen allen Einfluss auf die Gewinnverteilung zu nehmen.178 Nach der Vorstellung der Handelskammer sollte den Aktionären das Recht zustehen, den Gewinnverteilungsvorschlag des Vorstands mit einer Dreiviertelmehrheit zu ändern. Außerdem sollte den Aktionären ein restloses Auskunftsrecht zustehen und das Vorstandsstimmrecht nicht für die Wahl des Aufsichtsrats gelten. Zuletzt sprach sich die IHK Hamburg für längere Übergangsfristen bei der Abschaffung der Mehrstimmrechtsaktien aus. Auch aus 174 Schreiben Hans von Raumers an Staatssekretär Schlegelberger vom 19.08.1935; Schreiben Schmölders an Quassowski vom 21.09.1935, beide in: BArch, R 3001/10228. Raumer trat 1932 aus der DVP aus. Zur Biographie Raumers siehe: Menges. 175 Besprechung der Reichsgruppe Industrie (in Person von Ebbecke und Schwarz) mit ­Quassowski am 07.10.1935; Stellungnahmen Ebbeckes während der kommissarischen Besprechungen des Entwurfs einen Tag später, in: BArch, R 3001/10228. 176 Bevor Karl Schmölder als Ministerialrat in das Reichswirtschaftsministerium wechselte, war er als Oberregierungsrat im Reichsjustizministerium tätig. Hier arbeitete er zusammen mit Quassowski die Weimarer Aktienrechtsentwürfe aus. Ende 1934 schied er aus dem Ministerialdienst aus und wurde Direktor der Berliner Hypothekenbank, die 1935 mit der Rheinischen Hypothekenbank in Mannheim fusionierte. In dieser Funktion war er auch Mitglied zahlreicher Aufsichtsräte. Für die Biographie Schmölders vgl. Schubert u. a., S. LXI. 177 Schreiben Karl Kimmichs an Staatssekretär Schlegelberger vom 06.09.1935, in: BArch, R 3001/10229. 178 Schreiben der Industrie- und Handelskammer Hamburg an Staatssekretär Schlegelberger vom 12.09.1935, in: BArch, R 3001/10228.

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dem Lager der freien Aktionäre kam Kritik an dem Entwurf des Reichsjustizministeriums.179 Der Mühlheimer Aktionär Hennes kritisierte beispielsweise in seinem Schreiben an Staatssekretär Schlegelberger, der Entwurf greife das Problem, dass die Mehrheitsbesitzer auf Kosten der Minderheitenaktionäre in die eigene Tasche wirtschaften würden, nicht auf. Hennes sah sogar die Gefahr, dass die Einführung des Führerprinzips dieses Problem noch verschärfen könne. Da etwa zeitgleich mit den oben skizzierten Eingaben an das Reichsjustizministerium die Verhandlungen zwischen den Fachministerien begannen, ist nicht mehr genau ermittelbar, inwiefern die ideologiekritischere Advokatenkoalition eine Verschiebung der Präferenzen des Ministeriums verursacht hat. Festzuhalten ist jedoch, dass das Reichsjustizministerium den anderen Fachministerien in allen Punkten, bis auf die Ausweitung des Auskunftsrechts, Zugeständnisse machte und dabei die Gegenargumente Kißkalts, der sich gegen die Aufweichung seiner Vorschläge wandte, ignorierte.180 So akzeptierte das Justizministerium etwa die Aufhebung des Führerprinzips (mitsamt der Führerrhetorik) und Ausnahmeregelungen bei der Größe des Aufsichtsrats sowie der Abschaffung der Mehrstimmrechte, nahm Einschränkungen beim Depotstimmrecht der Banken zurück und erlaubte die Einmanngesellschaft. Es scheint daher plausibel, dass die skizzierten Einflussversuche mit dazu beigetragen haben, die verantwortlichen Beamten des Reichsjustizministeriums in einigen Punkten des Entwurfs zum Umdenken zu bewegen. Die zweite Runde der Einflussnahme von Interessengruppen macht noch einen anderen Punkt deutlich: Im »Dritten Reich« scheint die persönliche Vernetzung zwischen Interessengruppen und den für die Reform zuständigen Beamten ein besonders wichtiger Faktor gewesen zu sein. Dies zeigt sich nicht nur an der Teilnahme von Staatssekretär Schlegelberger und Ministerialrat Quassowski an den Sitzungen des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht. Die Verbindungen gingen tiefer. Hans von Raumer, der wohl als Interessenvertreter der Elektrotechnischen Industrie auftrat, war Anfang der 1920er Jahre Reichsschatz- und Reichswirtschaftsminister gewesen. Es ist anzunehmen, dass er aus dieser Zeit über wichtige Kontakte in die Ministerialbürokratie verfügte und davon ausgehen durfte, dass sein Schreiben an Staatssekretär Schlegelberger ernst genommen werden würde. Das gleiche muss für Karl Schmölder gelten, der Anfang der 1930er Jahre zusammen mit Quassowski 179 Schreiben von C. A.  Hennes (Mühlheim-Ruhr) an Staatssekretär Schlegelberger vom 16.08.1935, in: BArch, R 3001/10228. 180 Protokoll der kommissarischen Besprechungen vom 08.10.1935, in: BArch, R 3001/10228. Während der Besprechung versuchte Kißkalt v. a. seine Vorstellung eines kleinen (höchstens aus sieben Personen bestehenden) Aufsichtsrats durchzusetzen und wehrte sich gegen eine Streichung des Vorstandsstimmrechts. Das geringe Gewicht Kißkalts in der Verhandlungsphase zwischen den Reichsämtern wird auch in einem Schreiben Schlegelbergers an Kißkalt vom 19.06.1936 deutlich. In diesem Schreiben lehnt Schlegelberger nahezu alle Änderungswünsche Kißkalts ab oder bezeichnet sie als durch die Verhandlungen mit dem Wirtschaftsministerium erledigt. Das Schreiben findet sich in: BArch, R 3001/10229.

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im Reichsjustizministerium für die Entwürfe des Aktiengesetzes zuständig gewesen war. Im Jahr 1933 wechselte Schmölder auf den Posten eines Ministerialrats in die wirtschaftspolitische Abteilung des Reichswirtschaftsministeriums. Zu Quassowski hatte er so eine besonders enge Beziehung und gewissermaßen einen privilegierten Zugang. Auch für die Großbanken ist ein persönlicher Kontakt zu den leitenden Personen im Reichsjustizministerium verbrieft. Karl Kimmich, Vorstand der Deutschen Bank, und Staatssekretär Schlegelberger kamen demnach auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung zusammen.181 Der Chefsyndikus der Deutschen Bank, Hans-Alfons Simon, hatte sogar die Gelegenheit, sich mit Reichsjustizminister Gürtner über die Reform des Aktienrechts auszutauschen, und verfügte wohl auch über direkten, persönlichen Zugang zu Staatssekretär Schlegelberger.182 Zudem gibt es Hinweise auf informelle Treffen zwischen Vertretern von Aktiengesellschaften und leitenden Mitgliedern des Reichsjustizministeriums.183 In den Verhandlungen der Reichsregierung zählten das Reichswirtschaftsund das Reichsinnenministerium zu den härtesten Kritikern des durch das Reichsjustizministerium ausgearbeiteten Entwurfs. Beide Ministerien zeigten sich gegenüber dem Führerprinzip skeptisch. Das Reichswirtschaftsministerium sah in der extremen Betonung der Entscheidungsgewalt eines Einzelnen die Gefahr, die Wahrscheinlichkeit von Unternehmenszusammenbrüchen in der Zukunft zu erhöhen. Das Reichsinnenministerium fürchtete einen alleinverantwortlichen Vorstandsvorsitzenden hauptsächlich wegen des damit verbundenen Rückgangs des Einflusses der öffentlichen Hand auf die strategischen Entscheidungen öffentlicher Unternehmen. Das Reichsinnenministerium machte sich aus diesem Grund für eine Sonderbehandlung öffentlicher Unternehmen stark. Das Reichswirtschaftsministerium sprach sich für die Beibehaltung des Kollegialprinzips im Vorstand und die Streichung des Alleinzeichnungsrechts des Vorstandsvorsitzenden aus. Zudem sollten nach den Vorstellungen des Reichswirtschaftsministeriums die Aktionäre wieder über Gewinnverteilung, Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung entscheiden können. Das Reichswirtschaftsministerium stand auch der Begrenzung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder skeptisch gegenüber. Zwar akzeptierte es die vom Reichsjustizministerium vorgeschlagene Staffelung nach dem Grundkapital, forderte aber die Möglichkeit, in Ausnahmefällen eine größere Zahl zuzulassen. Bezüglich des Entsendungs181 Das geht aus dem Schreiben Kimmichs an Schlegelberger vom 06.09.1935 hervor. Das Schreiben findet sich in: BArch, R 3001/10229. 182 Das Treffen zwischen Simon und Gürtner wird in einer Aktennotiz der Rechtsabteilung der Deutschen Bank vom 29.10.1935 erwähnt. Dort findet sich auch eine Notiz zu einem Treffen zwischen Simon und Schlegelberger am 13.01.1935. Beide Dokumente finden sich in: BArch, R  8119 F / P9297. 183 Ein solches Treffen, an dem der im Reichsjustizministerium für die Reform verantwortliche Staatssekretär Schlegelberger teilnahm, fand wohl Mitte Januar 1936 im Haus von Karl Kimmich, einem Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, statt. Siehe das Schreiben Kimmichs vom 25.01.1936 an Jacob Hasslacher, in: BArch, R  8119 F / P9297.

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rechts in den Aufsichtsrat verlangten beide Ministerien eine Bevorzugung der öffentlichen Hand. Was den staatlichen Eingriff in die Vergütung des Vorstands anging, präferierte das Reichswirtschaftsministerium eine etwas großzügigere Regelung als das Reichsjustizministerium. So sollte die Vergütung des Vorstands nur bei einer sehr deutlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens herabgesetzt und die Regelung nicht auf Pensionen ausgedehnt werden. Das Reichsinnenministerium wandte sich zudem gegen die Auflösung von Aktiengesellschaften, deren gesamter Aktienbesitz in einer Hand vereint war, da von einer solchen Bestimmung wahrscheinlich auch kommunale Unternehmen betroffen gewesen wären. Neben diesen kleineren Bedenken lehnten beide Ministerien die Neugestaltung des Stimmrechts weitgehend ab. Sowohl das Vorstandsstimmrecht als auch der Wegfall des Mehrstimmrechts stießen bei den beiden Fachressorts auf Ablehnung. Das Reichswirtschaftsministerium sprach sich zudem gegen die strenge Begrenzung des Depotstimmrechts der Banken aus. Zwar akzeptierte das Ministerium das Erfordernis einer separaten, fünfzehn Monate gültigen Spezialvollmacht, lehnte aber das Verbot der Aktienleihe zwischen den Banken und die Vorschrift, wonach die Namen der vertretenen Aktionäre offenzulegen waren, strikt ab. Wie im Fall des Reichsjustizministeriums bildeten das Reichswirtschaftsund das Reichsinnenministerium die hier knapp skizzierten optimalen Politikpunkte nicht autark, sondern nahmen Argumente verschiedener Advokatenkoalitionen auf. Im Fall des Reichswirtschaftsministeriums ist die Rolle der Großbanken besonders hervorzuheben, beim Reichsinnenministerium spielten kommunale und öffentliche Unternehmen eine wichtige Rolle. Das Zusammenfallen der Präferenzen des Reichswirtschaftsministeriums mit den Reform­ vorstellungen der Großbanken wird bei den Themenkomplexen »Stärkung des Vorstands« (Führerprinzip) und »Stimmrecht« am deutlichsten. In den Sitzungen des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht sowie in mehreren Schreiben der Wirtschaftsgruppe Privates Bankgewerbe sprachen sich die Großbanken gegen das Alleinzeichnungs- und das Alleinentscheidungsrecht des Vorstandsvorsitzenden aus. In den Augen der Reichsgruppe Privates Bankgewerbe lag in der Bestellung eines alleinverantwortlichen Führers eine große Gefahr für die Gesellschaft – nämlich in dem wahrscheinlichen Fall, dass die bestellte Person gar nicht zur alleinigen Führung der Gesellschaft und Übernahme der kompletten Verantwortung geeignet wäre.184 Zudem sei das Führerprinzip – so die Argumentation des Bankenverbands – für die nach einem Kollegialsystem arbeitenden Großbanken völlig ungeeignet und ein Umbau des Vorstands mit hohen Kosten verbunden.185 Das Reichswirtschaftsministe­ rium scheint diese Begründungen teilweise aufgegriffen zu haben. So argumen­ 184 Schreiben der Reichsgruppe Privates Bankgewerbe an den Reichsjustizminister vom 23.08.1935, in: BArch, R 3001/10228. Es ist davon auszugehen, dass die Inhalte des Schreibens auch an das Reichswirtschaftsministerium herangetragen wurden. 185 Ebd.

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tierte der Ministeriumsvertreter auf der kommissarischen Besprechung der am Gesetzentwurf beteiligten Reichsministerien vom 8. Oktober 1935, die meisten Unternehmenszusammenbrüche in letzter Zeit seien auf eine »Überspitzung« des Führerprinzips zurückzuführen.186 Auch im Fall der Begrenzung des Rechts der Generalversammlung, über die Gewinnverteilung, die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung zu entscheiden, ähnelte die Argumentation des Reichswirtschaftsministeriums derjenigen der Bankenvertreter im Aktienrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht.187 Beide Male wurde es als unmöglich bezeichnet, dass der Vorstand den Geldgebern gegenüber nicht für die Verwendung des von ihnen eingezahlten Kapitals verantwortlich sei. Die Banken warnten davor, dass in solch einem Fall der Rückzug der Anleger vom Kapitalmarkt drohe. Dieses Argument übernahm auch Reichswirtschaftsminister Schacht.188 Die ablehnende Haltung des Reichswirtschaftsministeriums bezüglich des Vorstandsstimmrechts scheint dagegen auf die Initiative Schachts zurückzugehen, der anscheinend besorgt war, das Vorstandsstimmrecht würde (ausländisches) Kapital von Neugründungen fernhalten und so die Unternehmensfinanzierung erschweren.189 Mit der Ablehnung des Vorstandsstimmrechts wandte sich das Reichswirtschaftsministerium explizit gegen einen Reformvorschlag der Großbanken. Im Fall der Einschränkungen des Depotstimmrechts der Banken übernahm das Reichswirtschaftsministerium jedoch wieder die Argumentation der Großbanken, die im Verbot der Ausstellung von Untervollmachten an andere Banken eine einseitige Diskriminierung sahen und durch die Erstellung von Listen der vertretenen Kunden eine finanzielle Belastung befürchteten.190 Ins­besondere übernahm das Reichswirtschaftsministerium das Argument, dass durch die Offenlegung der Namen der durch die Bank vertrete186 Protokoll dieser Sitzung, in: BArch, R 3001/10228. Genauso argumentierte auch Reichswirtschaftsminister Schacht in einer Rede auf der Vollversammlung der Akademie für Deutsches Recht am 30.11.1935. Die Rede findet sich abgedruckt in: Schacht, hier besonders S. 15. 187 Protokoll der kommissarischen Besprechungen vom 08.10.1935, in: BArch, R 3001/10228; Stellungnahme des Syndikus der Deutschen Bank Simon; Redebeiträge des Syndikus der Berliner Handelsgesellschaft Breska während der zweiten Sitzung des Aktienrechtsausschusses vom 09.02.1934. Akademie für Deutsches Recht, Protokolle, S. 19–78. 188 Rede Schachts vor der Vollversammlung der Akademie für Deutsches Recht am 30.11.1935, abgedruckt in: Schacht, hier besonders S. 17. Schacht argumentierte, es müsse eine gewisse Verantwortung des Vorstands gegenüber den Geldgebern bestehen, sonst wären diese nicht bereit, der Gesellschaft ihr Kapital anzuvertrauen. 189 Stellungnahme des Vertreters des Reichswirtschaftsministeriums während der kommissarischen Besprechung vom 08.10.1935, in: BArch, R 3001/10228. Gegenüber dem Chefsyndikus der Deutschen Bank, Simon, war der Ministerialrat im Reichswirtschaftsministerium, Bernhard, noch zuversichtlich, Schacht von der Notwendigkeit des Vorstandsstimmrechts überzeugen zu können. Siehe die Aktennotiz Simons vom 29.10.1935, in: BArch, R 8119 F / P9297. 190 Ausführungen des Syndikus der Deutschen Bank, Simon, gegenüber Ministerialrat B ­ ernard (Reichswirtschaftsministerium) am 08.08.1935, in: BArch, R  8119 F / P9297.

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nen Aktionäre viele Aktionäre ganz auf eine Vertretung ihrer Aktien verzichten würden.191 Nicht zuletzt fällt auch die Forderung des Reichswirtschaftsministeriums, für bestimmte Unternehmen einen größeren Aufsichtsrat zuzulassen, mit den Präferenzen der Großbanken zusammen. In allen übrigen hier skizzierten Dimensionen des optimalen Politikpunkts des Reichswirtschaftsministeriums ist keine Beeinflussung durch eine Advokatenkoalition nachweisbar. Es gilt jedoch festzuhalten, dass das Reichswirtschaftsministerium dem Entwurf des Reichsjustizministeriums in vielen Punkten zustimmte  – also grundsätzlich für eine Stärkung des Vorstands und die Schwächung des Aufsichtsrats und der Generalversammlung eintrat sowie die Abschaffung der Mehrstimmrechte und die separaten Vollmachten zur Stimmrechtsübertragung an die Banken akzeptierte. Der allgemeinen Tendenz der Beratungen des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht und der Abschlussberichte Kißkalts verschloss sich das Reichswirtschaftsministerium also nicht. Es fällt jedoch auf, wie deutlich es sich gegen die Übernahme von durch die nationalsozialistische Ideologie geprägten Rechtselementen und sprachlichen Formulierungen wehrte.192 Dies war auch der vornehmliche Zweck der Rede, die Reichswirtschaftsminister Schacht Ende November vor der Vollversammlung der Akademie für Deutsches Recht hielt.193 Die Parallelen in der Argumentation des Reichswirtschaftsministeriums und der Großbanken lassen es auch hier sehr plausibel erscheinen, dass der optimale Politikpunkt des Reichswirtschaftsministeriums in der Frage des Führerprinzips, des Bankenstimmrechts und der Aufsichtsratsgröße in der Tat durch die Großbanken beeinflusst wurde und es sich nicht nur um eine bloße Korrelation handelte. Leider ist die Überlieferung des Reichswirtschaftsministeriums für die zweite Hälfte der 1930er Jahre sehr lückenhaft, so dass nur wenig über die Abläufe innerhalb des Ministeriums bekannt ist. Aus den Akten der Deutschen Bank geht jedoch die enge Verbindung zwischen den Großbanken und dem Reichswirtschaftsministerium hervor. Eine besondere Vertrauensbeziehung bestand anscheinend zwischen dem Chefsyndikus der Deutschen Bank, Hans-Alfons Simon, und dem im Reichswirtschaftsministerium für die Reform des Aktienrechts zuständigen Ministerialrat Karl Bernard.194 Im Sommer und

191 Die Banken argumentierten zudem, die Offenlegung der Namen würde die Konkurrenz zwischen den Banken erhöhen, da es nun leichter möglich sei, an die Adressen von Kunden der Konkurrenzinstitute zu kommen und diese gezielt abzuwerben. Zudem steige die Gefahr, dass »zwielichtige« Geschäftsleute in unlauterer Absicht an die Aktionäre herantreten würden. Siehe die Ausführungen Simons gegenüber Bernard, in: BArch, R  8119 F / P9297. 192 Bayer u. Engelke, S. 642–644. 193 Schacht. Eine ähnliche Entideologisierung war Schacht auch im Fall der Bankengesetz­ gebung gelungen. James, Deutsche Bank, S. 23–25. 194 Karl Bernard (* 8.4.1890 † 15.1.1972) war auch Leiter der Rechtsabteilung des Reichswirtschaftsministeriums. Ende 1935 wurde Bernard aus dem Reichsdienst entlassen. Anfang 1936 übernahm er einen Vorstandsposten bei der Frankfurter Hypothekenbank

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Herbst des Jahres 1935 kam es vor und während der Entwurfsverhandlungen zu mehreren Treffen der beiden Männer. Bei diesen sicherte Bernard Simon seine Unterstützung zu und berichtete vertraulich über die Ergebnisse der Verhandlungen.195 Das Vertrauen der beiden Männer ging sogar so weit, dass sie taktische Überlegungen, wie die Ministerialbürokratie am besten zu bearbeiten sei, miteinander austauschten.196 Das Reichswirtschaftsministerium muss aber auch über die Position der anderen Interessengruppen gut informiert gewesen sein, da Bernard regelmäßig an den Treffen des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht teilnahm und sich an den Debatten beteiligte.197 Im Fall des Reichsinnenministeriums ist die Quellenlage noch schlechter als für das Reichswirtschaftsministerium. Im Berliner Bestand des Ministeriums finden sich für die Zeit des Nationalsozialismus keine Aktenserien zur Reform des Aktienrechts, und auch in anderen Beständen hat das Reichsinnenministerium in der Frage der Aktienrechtsreform nur wenig Spuren hinterlassen. Dies hängt möglicherweise damit zusammen, dass sich das Innenministerium we­ niger stark in die Verhandlungen einbrachte als das Reichswirtschaftsministerium. In der Tat beschränkte es sich darauf, auf den Erhalt der Machtposition staatlicher Gebietskörperschaften in Unternehmen, an denen die öffentliche Hand beteiligt war, zu drängen. Deutlich wird dies in der Forderung des Ministeriums, das Führerprinzip und das Vorstandsstimmrecht nur bei Aktien­ gesellschaften, an denen die öffentliche Hand beteiligt war, nicht einzuführen und bei diesen Unternehmen Ausnahmen bezüglich des Wegfalls der Mehr-

(­1936–1948). 1947/48 gehörte er dem Sachverständigengremium an, das die Währungs­ reform vorbereitete. Von Mai 1948 bis Ende 1957 war er Präsident des Zentralbankrats der Bank deutscher Länder. Zur Biographie siehe: Schubert u. a., S. LI. 195 Notizen Simons zu den Treffen mit Bernard vom 08.08.1935, 19.09.1935 und 29.10.1935. Zudem hatte die Reichsgruppe Privates Bankgewerbe wohl schon im Mai 1935 eine Eingabe an das Reichswirtschaftsministerium formuliert. Alle Dokumente finden sich in: BArch, R  8119 F / P9297. 196 In seinem Gespräch mit Bernard am 19.09.1935 deutete Simon nach eigenem Bekunden an, er habe gegenüber Bernard erwähnt, dass es besonderen Eindruck auf Staatssekretär Schlegelberger (Reichsjustizministerium) machen würde, wenn das Reichswirtschaftsministerium eine Aufstockung der Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder befürworten würde. Während des Treffens der beiden am 29.10.1935 war es hingegen Bernard, der Simon einen taktischen Rat gab: Auf die Frage, ob es sinnvoll sei, neben Bernard noch eine andere Person im Reichswirtschaftsministerium für die Sache der Banken zu »instrumentieren«, antwortete Bernard, dass dies wohl nicht zielführend sei. Diese Episode kann zudem auch als ein Hinweis interpretiert werden, dass die Deutsche Bank neben Bernard noch über weitere gute Kontakte in das Reichswirtschaftsministerium verfügte. 197 Bernard nahm nur an der letzten Sitzung des Aktienrechtsausschusses nicht teil. Neben Bernard nahm auch Karl Schmölder bis zu seinem Ausscheiden aus dem Ministerialdienst an den Sitzungen teil. Siehe die Teilnehmerlisten der Protokolle der Ausschusssitzungen, abgedruckt in: Schubert u. a. Inwiefern Schmölder nach seinem Eintritt in die Berliner Hypothekenbank versucht hat, seine Kontakte in das Reichswirtschaftsministerium zu nutzen, ist leider nicht bekannt.

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stimmrechtsaktien zuzulassen. In das gleiche Horn stieß die Forderung des Innenministeriums, das Entsendungsrecht der öffentlichen Hand auszuweiten. Die Argumentation des Reichsinnenministeriums kann daher als ein Beleg erfolgreicher Einflussnahme der Koalition öffentlicher Unternehmen gewertet werden.198 Der Stab des Führerstellvertreters Heß trat in den Verhandlungen über den Gesetzentwurf mit zwei wichtigen Forderungen hervor. Zum einen sollte die Zahl der Aufsichtsratsmandate pro Kopf auf zehn begrenzt werden.199 Zum anderen forderte das Ministerium, die Gewinnbeteiligungen von Aufsichtsrat und Vorstand an die Wohlfahrtsausgaben des Unternehmens zu binden.200 In beiden Fällen ist der Einfluss der Koalition nationalsozialistischer Wirtschaftstheoretiker klar nachvollziehbar. Laut dem Vertreter des Ministeriums des Führerstellvertreters Heß, Ministerialdirektor Sommer, war die Reduzierung der Zahl der Aufsichtsratsmandate pro Kopf eine wichtige Kernforderung des nationalsozialistischen Wirtschaftsprogramms, auf deren Umsetzung die Partei nicht verzichten dürfe.201 Die Forderung nach einer Bindung der Tantieme von Aufsichtsrat und Vorstand an die Wohlfahrtsaufwendungen des Unter­nehmens kommt den von Werner Bachmann und den im Lex DIAG formulierten Vorstellungen von einer Verknüpfung des Vorstandsgehalts mit der Gesamtlohnsumme des Unternehmens und der Bildung eines Wohlfahrtsfonds auf Basis einer Zwangsabgabe von Wohlstandsgehältern recht nahe  – auch wenn sie deutlich stärker an das geltende Aktienrecht angepasst war. Zwar existiert auch für das Ministerium des Führerstellvertreters Heß keine zusammenhängende Überlieferung, die Vertretung von Parteiinteressen durch das Ministerium ist jedoch offensichtlich. Anders als im Kaiserreich und der Weimarer Republik existierte im poli­ tischen System des Nationalsozialismus kein klarer Politikvermittler. Einzelne Vetospieler traten vielmehr als Mitglieder von Advokatenkoalitionen auf. So übernahm das Reichsjustizministerium die Position ideologiefreundlicher Industrievertreter, während sich das Reichswirtschaftsministerium für die Belange der ideologiekritischeren Advokatenkoalition stark machte. Bei beiden 198 Dass eine solche Einflussnahme stattfand, ist belegt. Adressat der vorliegenden Eingaben war jedoch das in der Reformfrage federführende Reichsjustizministerium. Siehe das Schreiben des bayrischen Staatsministeriums des Inneren an das Reichsjustizministerium vom 19.01.1935, in: HStA Mü, MJu 17141. 199 Die Notverordnung von 1931 erlaubte eine Höchstzahl von 20 Mandaten pro Person. 200 Damit waren die Forderungen des Ministeriums des Führerstellvertreters Heß nicht erschöpft. Die übrigen Forderungen berührten die hier untersuchten Kategorien des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsvorschriften jedoch nur am Rande. So forderte das Ministerium beispielsweise die Wiedereinführung des Konzessionssystems. Siehe das Protokoll der Besprechung zwischen Reichsjustiz-, Reichswirtschaftsministerium und dem Ministerium Heß am 31.10.1936, in: BArch, R 3001/10229, sowie die Zusammenfassung Schuberts, in: Schubert u. a., S. XLIII–XLIV. 201 Protokoll der Besprechung vom 31.10.1936, in: BArch, R 3001/10229.

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Ministerien existierte die Bereitschaft, Positionen der anderen zu akzeptieren, so dass ihnen eine Politikvermittlerrolle nicht vollständig abgesprochen werden kann. Ganz klar als Advokaten trat dagegen das Reichsinnenministerium und der Stab des Führerstellvertreters Heß auf. Dabei wird offensichtlich, wie die Machtergreifung der Nationalsozialisten die Handlungsspielräume der Vetospieler einschränkte und Handlungsimperative setzte. Die Einsetzung des zweiten Weimarer Entwurfs war nach 1933 nicht mehr möglich, eine Reform des Aktienrechts musste nationalsozialistischen Grundüberzeugungen folgen. Vergleicht man allerdings die Position der Vetospieler mit denen der Koalition nationalsozialistischer Wirtschaftstheoretiker zeigt sich, dass sich Letztere mit ihren Vorstellungen kaum durchsetzen konnten. Erfolgreicher war dagegen die Koalition der Industrievertreter, die gewisse ideologische Elemente aufnahm, so lange sie der Stärkung des Vorstands und der Schwächung von Aufsichtsrat, Banken und Generalversammlung dienten. Die hier präsentierten Resultate relativieren die Ergebnisse von Bernd Mertens, der argumentiert, der Einfluss nationalsozialistischer Ideologie sei, anders als von der älteren Forschung behauptet, recht groß und es handle sich bei dem Aktiengesetz von 1937 mitnichten um den Schlussstein der Mitte der 1920er Jahre einsetzenden Reformbewegung.202 Bei der Hervorhebung des eigenständigen Charakters des Gesetzes von 1937 und dem Bruch mit den Rechtsüberlegungen der Weimarer Republik liegt Mertens sicherlich richtig. Hätte sich statt der Koalition der Industrievertreter allerdings die Koalition der nationalsozialistischen Wirtschaftsdenker stärker gegenüber den Vetospielern durchgesetzt, wäre der Bruch sicherlich noch deutlicher ausgefallen. Gleichzeitig konnte an dieser Stelle gezeigt werden, dass der Umbau des deutschen Aktienrechts im »Dritten Reich« weniger durch nationalsozialistische Ideologen, sondern stärker durch Industrievertreter, die sich die neue Ideologie zur Stärkung ihrer Position in der Aktiengesellschaft zu eigen machten, angestoßen wurde. Im Vergleich zum Kaiserreich und besonders im Vergleich zur Weimarer Republik scheint im Nationalsozialismus die institutionelle und persönliche Einbindung von Elitengruppen in die Vetospieler essentiell gewesen zu sein. Dies zeigt sich an der großen Bedeutung des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht, insbesondere aber an der Relevanz des Berichts des Ausschussvorsitzenden für die Bildung des optimalen Politikpunkts des Reichsjustizministeriums. Versuche der Einflussnahme fanden zudem verstärkt auf persönlicher Ebene statt. Eine gute Vernetzung, wie etwa die der Großbanken in das Reichswirtschafts- und Reichsjustizministerium, scheinen im »Dritten Reich« besonders wertvoll gewesen zu sein. Die Beteiligung der Reichsgruppe Industrie und der Akademie für Deutsches Recht an der kommissarischen Beratung im Oktober 1935 hatte dagegen wohl keinen bedeutenden Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess. Der Ausschussvorsitzende Kißkalt und der Vertreter 202 Mertens, Aktiengesetz.

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der Reichsgruppe Industrie, Ebbecke, hielten sich während der Beratung zurück und beschränkten sich auf die Wiederholung bereits geäußerter Argumente und Positionen.203

5.4 Der Einfluss von Advokatenkoalitionen und Umwelteinflüssen auf die Präferenzen der Vetospieler, 1870–1937 Der kausale Einfluss von Advokatenkoalitionen auf die Entstehung der optimalen Politikpunkte der Vetospieler ist über den gesamten Untersuchungszeitraum klar nachweisbar. Die Vetospieler lassen sich dabei zum einen der Gruppe der koalitionsunabhängigen Politikvermittler und zum anderen der Gruppe der Advokaten zuordnen. Zur Gruppe der Politikvermittler ist zuvorderst das Weimarer Reichsjustizministerium zu zählen, das, zum Wohle der gesamten Volkswirtschaft, zwar den Aktionärsschutz verbessern, gleichzeitig aber auch den Schutz der Unternehmen vor Markt- und Eigentümerschwankungen stärken wollte. Folglich übernahm das Reichsjustizministerium sowohl Lösungsvorschläge der Reformbefürworter als auch der Advokaten eines besseren Unternehmensschutzes, ignorierte aber die Sonderinteressen der Gewerkschaftskoalition. Der Politikvermittlerfunktion des Weimarer Reichsjustizministeriums am nächsten kamen die bayrischen und preußischen Fachministerien und die Reichsämter. Zwar berücksichtigten diese Vetospieler die Interessen der reformskeptischen Advokatenkoalition (bayrische Fachministerien) beziehungsweise die Position der Advokaten eines Ausbaus des Aktionärsschutzes (preußische Fachministerien, Reichsämter) etwas stärker, nahmen aber auch Argumente und Bedenken der Gegenseite auf. Ziel war auch hier nicht die einseitige Förderung der Interessen einer der an der Aktiengesellschaft beteiligten Gruppen, sondern das Sicherstellen eines funktionierenden Kapitalmarktes und die Vermeidung zukünftiger Wirtschaftskrisen. Bei der Gruppe der Advokaten ist das Bemühen der Vetospieler um einen Ausgleich der Positionen verschiedener Koalitionen weniger stark oder gar nicht zu beobachten. So stellte sich das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe während der frühen 1930er Jahren nachdrücklich auf die Seite der Advokaten eines besseren Aktionärsschutzes. Noch deutlicher standen die liberalen Parteien und die Hamburger Verwaltungsstellen in den Jahren 1883 und 1884 auf der Seite der Befürworter des Gesellschaftsschutzes. Der Fall der Hamburger Verwaltungsstellen und der liberalen Reichstagsparteien im Kaiserreich zeichnet sich dabei dadurch aus, dass hier ein und dieselben Personen und Institutionen sowohl in die Advokatenkoalition als auch in einen Vetospieler eingebunden waren. Im Fall Hamburgs war die Handelskammer Teil der Deputation für Handel und Schifffahrt. Im Fall der Reichstagsparteien konnte 203 Vgl. die Redebeiträge Kißkalts und Ebbeckes während der kommissarischen Besprechung vom 08.10.1935, in: BArch, R 3001/10228.

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gezeigt werden, dass zahlreiche Aufsichtsräte sowie Vertreter der Berliner Kaufmannschaft und des Handelstags in der vorbereitenden Reichstagskommission saßen. Obwohl sich für das »Dritte Reich« keine personelle oder institutionelle Integration von Mitgliedern einer Advokatenkoalition in die Reichsministerien nachweisen lässt, neigten die Ministerien jeweils zur ausschließlichen Übernahme einzelner Lösungsvorschläge. So nahm das Reichsjustizministerium die auf die Stärkung des Vorstands ausgerichteten, von nationalsozialistischen Ideen beeinflussten Vorschläge des Vorsitzenden der Akademie für Deutsches Recht auf. Das Reichswirtschaftsministerium tendierte stärker zu der Position der sich aus Industrie- und Bankenkreisen zusammensetzenden Befürworter des Status quo der 1920er Jahre. Das Reichsinnenministerium vertrat die Interessen der öffentlichen Unternehmen. Der Stab des Führerstellvertreters Heß trat schließlich für den Erhalt des Führerprinzips und eine stärkere Bindung des Gehalts von Aufsichtsrat und Vorstand an Gewinnentwicklung und Sozialausgaben zu Gunsten der Belegschaft ein. Damit wurden wichtige Forderungen der Koalition der nationalsozialistischen Wirtschaftstheoretiker übernommen. In Summe war die letztgenannte Koalition jedoch äußerst durchsetzungsschwach, was mit ihren sehr heterogenen und utopischen Vorschlägen erklärt werden kann. Fragt man abschließend, welche Koalitionen gegenüber den Vetospielern als besonders durchsetzungsstark bezeichnet werden können, sticht die Bedeutung der von juristischen Experten, in der Weimarer Republik auch von der Handelspresse und den Privatbanken getragenen Koalition der Befürworter eines Ausbaus des Aktionärsschutzes und strengerer Offenlegungsvorschriften ins Auge. Sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik setzten diese von der Forschung bisher wenig beachteten Gruppen wichtige Impulse. Die vornehmlich aus Aufsichtsräten, Vorständen und (Groß)Bankiers bestehende Koalition der Advokaten eines besseren Unternehmensschutzes nahm demgegenüber eine defensive Position ein. Im »Dritten Reich« kehrten sich die Verhältnisse allerdings um. Die Koalition der Reformbefürworter war zerschlagen, und die leitungsnahen Eliten setzten jetzt die Impulse für die Gesetzgebung. Einheitlich ging es dabei nicht zu, vielmehr versuchten nun die verschiedenen, an der Leitung beteiligten Gruppen, Vorstände, Aufsichtsräte und Großbankiers, ihre Interessen durchzusetzen. Zudem fallen zwei weitere Aspekte auf. Erstens scheinen freie Aktionäre innerhalb der Koalition der Befürworter eines besseren Aktionärsschutzes und strengerer Offenlegungsvorschriften keine große Rolle gespielt zu haben. Diese Feststellung ist relevant, da Aktionären von der ökonomischen Literatur Einfluss auf die Ausgestaltung des Aktienrechts zugesprochen wird.204 Gleiches gilt zwei204 Bebchuk u. Neeman; Pagano u. Volpin; Perotti u. Thadden. Die Argumente dieser Autoren beziehen sich auf demokratische Systeme. Außer im »Dritten Reich« musste eine Gesetzesänderung aber auch im Kaiserreich und der Weimarer Republik das Parlament passieren. Diesen Weg wäre auch der zweite Entwurf des Aktiengesetzes aus dem Jahr 1932 gegangen, da gegen eine in Kraftsetzung des gesamten Entwurfs per Notverordnung verfassungsrechtliche Bedenken bestanden.

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tens für die Gewerkschaften, denen von Wirtschaftswissenschaftlern ebenfalls Einfluss auf die Ausgestaltung des Aktienrechts zugestanden wird.205 Dieser Befund gilt für Sozialdemokratien, zu denen die Weimarer Republik sicherlich zu zählen ist. Eine besondere Beeinflussung politischer Entscheidungsträger der Weimarer Republik durch die Gewerkschaften kann im Fall des Aktienrechts jedoch nicht festgestellt werden. Zwar existiert für den Untersuchungszeitraum ein klarer kausaler Nexus zwischen einzelnen Lösungsvorschlägen verschiedener Advokatenkoalitionen und den optimalen Politikpunkten der Vetospieler. Die grundlegende Entscheidung der Vetospieler, eine Reform anzustoßen und bestimmte Lösungsvorschläge zu präferieren, war jedoch auch von sich ändernden externen Umweltbedingungen abhängig. So beschränkten die Gründerkrise der 1870er Jahre, der FAVAGSkandal von 1929, die Bankenkrise von 1931 sowie die den makroökonomischen Verwerfungen und Änderungsprozessen der Weimarer Republik geschuldete wilde Weiterentwicklung des Aktienrechts die Handlungsmöglichkeiten der Vetospieler. Anders gewendet bestanden also gewisse exogene Zwänge, Reformschritte in eine bestimmte Richtung zu lenken. Diese Handlungsimperative scheinen für die Argumente der unorganisierteren und finanzschwächeren Advokatenkoalition eines besseren Aktionärsschutzes und strengerer Offenlegungsvorschriften unterstützend gewirkt zu haben und können als Erklärung dafür dienen, warum es dieser Koalition gelang, der Gesetzgebung zwischen 1870 und 1931 wichtige Impulse zu geben. Auf ähnliche Weise beschränkte die Machtergreifung der Nationalsozialisten die Handlungsspielräume der Vetospieler. Nun wurden die Gruppen, die bisher für einen Ausbau des Aktionärsschutzes eingetreten waren, von der öffentlichen Diskussion ausgeschlossen. In diese Lücke stießen vor allem Vertreter von Industrieaktiengesellschaften, die sich für eine Stärkung des Vorstands und eine Schwächung von Aufsichtsrat, Banken und freien Aktionären stark machten. Diese Gruppe übernahm zwar aus egoistischen Motiven nationalsozialistische Ideen zur Neugestaltung des Gesellschaftsrechts, die Koalition der nationalsozialistischen Wirtschaftstheoretiker selbst konnte allerdings das für sie recht günstige politische Umfeld aus oben genannten Gründen kaum nutzen. Zuletzt lässt sich nach den Vorteilen der institutionellen Einbindung in den politischen Entscheidungsfindungsprozess fragen. Weiter oben wurde bereits auf die institutionelle Einbindung der Hamburger Handelskammer und der in den liberalen Parteien vertretenen Aufsichtsräte und Mitglieder der Berliner Kaufmannschaft eingegangen. Die Handelskammern waren aber auch in Bayern und anderen Staaten fest in den Entscheidungsfindungsprozess integriert und konnten sich so gegenüber den Vetospielern leicht Gehör verschaffen. Nichtsdestoweniger nahmen die Reichsämter eine Vielzahl der auf einen Ausbau des Aktionärsschutzes drängenden Reformschriften wahr. Mit dem Verein für Socialpolitik und dem Deutschen Juristentag verfügten die Advokaten 205 Perotti u. Thadden; Roe, Corporate governance.

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eines besseren Aktionärsschutzes zudem über wichtige Organisationen, deren Meinung, insbesondere die des Juristentags, einen hohen Stellenwert in der Ministerialbürokratie hatte. Gleiches gilt auch für das Reichsoberhandelsgericht. Insgesamt erscheint die Debatte im Kaiserreich sehr offen und pluralistisch. Jede an der Aktiengesellschaft interessierte Gruppe konnte sich zu Wort melden und wurde gehört. Das gilt auch für die freien Aktionäre, deren sehr schwache Stimme eher auf die geringe Zahl der Aktionäre im Kaiserreich als eine aktive Unterdrückung oder Nichtbeachtung zurückzuführen ist. Auch wenn das Kaiserreich Bismarck’scher Prägung sicherlich keine Demokratie war, scheint zumindest in Wirtschaftsfragen eine für ein funktionierendes demokratisches System notwendige Debattenkultur vorgeherrscht zu haben. In der Weimarer Republik waren über die Fragebogenaktion des Reichsjustizministeriums alle an der Reform des Aktienrechts interessierten Gruppen – mit Ausnahme der freien Aktionäre – institutionell eingebunden. Der durch die gemeinsame Geschäftsordnung der Reichsministerien eröffnete besondere Zugang der Spitzenorganisationen von Wirtschaft und Banken hatte vor diesem Hintergrund keine Bedeutung mehr. Da sich die Reichsregierung neben den Fragebögen auch intensiv mit den anderen Beiträgen zur Aktienrechtsdebatte auseinandergesetzt hat, kann der Entscheidungsfindungsprozess zwischen 1928 und 1931 sicherlich als der demokratischste bezeichnet werden, auch wenn der Reichstag selbst nicht mehr an diesem Prozess beteiligt war. Im Gegensatz zur Weimarer Republik und dem Kaiserreich zeichnete sich das »Dritte« Reich durch den Ausschluss vieler Gruppen von der Reformdebatte und der damit einhergehenden Verengung der Debatte aus. Auch wurde die institutionelle Einbindung einzelner Advokatenkoalitionen in den Entscheidungsprozess wieder wichtiger. Gleiches scheint für personelle Netzwerke zu gelten.

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6. Die Antriebskräfte politischen Wandels Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stand die Frage nach den Antriebskräften politischen Wandels. Untersucht wurde sie anhand der formalgesetzlichen Zuschreibung von Kontrollrechten und Offenlegungsvorschriften bei der Aktiengesellschaft im Deutschen Reich zwischen 1870 und 1937. Die Arbeit versteht sich somit auch als ein Beitrag zu der Entwicklung der institutionellen Grundlagen des deutschen Systems der Unternehmenskontrolle. Das die Untersuchung leitende Erklärungsmodell interpretiert gesetzlichen Wandel als das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Vetospielern, die über mehrdimensionale Politikpunkte, faktische Vetomacht und Verhandlungsstrategien verfügen. Die Entstehung optimaler Politikpunkte, die Verteilung von Vetomacht und die Wahl der Verhandlungsstrategie werden in diesem analytischen Ansatz mit dem Einfluss diverser, zu Advokatenkoalitionen zusammengeschlossenen Experten- und Interessengruppen, politischen Institutionen, makroökonomischen und politischen Umweltbedingungen und verhandlungsspezifischen Interaktionskonstellationen erklärt. Zwischen 1870 und 1937 lässt sich ein grundlegender Wandel der formalrechtlichen Kontrollrechte und Offenlegungsvorschriften beobachten. Mit der Aktienrechtsnovelle des Sommers 1870 wurde erstmals für Gesamtdeutschland bei der Gründung einer Aktiengesellschaft von einer Staatsgenehmigung abgesehen. An die Stelle der staatlichen Prüfung des Gesellschaftsvertrags traten nun Normativbestimmungen, die den Gründungshergang und die Aufnahme neuen Kapitals sowie die Kontrolle der Geschäftsführung regelten, Geschäftsführungskompetenzen zwischen Aktionären, Aufsichtsrat und Vorstand verteilten und vorschrieben, welche Informationen die Geschäftsführung der Gesellschaft mit den Aktionären zu teilen hatte. Zwar machte das Gesetz des Jahres 1870 die Aktionäre zum Prinzipal des Vorstands, indem es ihnen die Geschäftsführungskompetenz und das Recht zur Benennung und Kontrolle der Unternehmensleitung zuschrieb, sah aber davon ab, die Beziehungen zwischen den einzelnen Gesellschaftsorganen detailliert zu regeln. In der Tat enthielt das Gesetz vornehmlich Kann-Vorschriften, die nur subsidiär zu der Regelung des Gesellschaftsvertrags galten und die von vielen Aktiengesellschaften zu Gunsten einer Machtkonzentration des Aufsichtsrats umgangen wurden. Ähnliches ist im Fall der Offenlegungsstandards zu beobachten. Auch hier setzte der Gesetzgeber im Jahr 1870 auf eine freiwillige Regelung unter den Beteiligten im Gesellschaftsvertrag. Lediglich die Veröffentlichung einer Bilanz wurde vorgeschrieben, detaillierte Bestimmungen, in welcher Form und an welcher Stelle die Veröffentlichung zu erfolgen hatte, wurden jedoch nicht gegeben. Nach den Erfahrungen der Gründerkrise stärkte der Gesetzgeber in den Jahren 1884 und 1897 die Mitentscheidungs- und Kontrollrechte der Aktionäre, 297

indem diese explizit der Generalversammlung zugesprochen wurden und die Kontrollpflichten des Aufsichtsrats klarer formuliert und geschärft wurden. Der Aufsichtsrat sollte als zentrales Kontrollorgan der Aktionäre dienen, daneben wurde nun aber auch Aktionärsminderheiten die Möglichkeit gegeben, die Geschäftsführung zu kontrollieren und gegebenenfalls Schadensersatz geltend zu machen. Dabei wurde jedoch bereits 1884 darauf geachtet, den Missbrauch dieser Rechte zum Schaden der Gesellschaft zu verhindern. Im Jahr 1897 wurden diese Vorschriften noch einmal leicht ausgebaut. Ebenfalls 1897 wurde den Aktionären eine Mindestdividende garantiert, sofern auch der Aufsichtsrat am Gewinn beteiligt werden sollte. Der Aktionärsschutz wurde gegenüber dem Gesetz des Jahres 1870 somit deutlich erhöht. Und auch die Offenlegungsvorschriften wurden etwas strenger, indem neben der Bilanz nun auch ein Geschäftsbericht zu veröffentlichen war, der Erstere zu erläutern und Angaben über den Vermögensstand der Gesellschaft zu machen hatte. Indem das Gesetz von 1884 die Bildung eines Reservefonds vorschrieb und das strenge Niederstwertprinzip bei der Bilanzierung etablierte, stärkte es auch den Schutz der Gesellschaft vor Liquiditätsengpässen. Dies mag nicht im Interesse von kurzfristig handelnden, an hohen Dividenden und steigenden Kursen interessierten Aktionären gewesen sein. Langfristig ausgerichteten, an stetigen Dividendenzahlungen orientierten Aktionären mögen diese Regelungen jedoch zu Gute gekommen sein. Die Auflösung des den Schutz und die Selbstkontrolle der Aktionäre betonenden Corporate Governance Systems des Kaiserreichs setzte im Ersten Weltkrieg ein und erreichte seinen Höhepunkt während der Hyperinflation des Jahres 1923. Aufgrund des Zwangs zur Geheimhaltung während des Krieges ging der Informationsgehalt der Unternehmensbilanzen und Geschäftsberichte zurück. Nach dem Krieg sahen die eingesessenen Unternehmensverwaltungen aufgrund der zunehmenden Zahl kurzfristig, an hohen Dividenden interessierten Aktionären und dem verstärkten Verkauf deutscher Aktien in das Ausland keinen Grund, die Publizität wieder auf das Vorkriegsniveau zu heben. Aus dem gleichen Grund gingen die Unternehmen spätestens nach der Stabilisierung der Mark verstärkt dazu über, Gewinne mit Hilfe der Bildung stiller Reserven vor den Aktionären zu verstecken.1 Hinzu kam, dass der Aufsichtsrat im Zuge der Konzernbildung und Verflechtung der Wirtschaft seinen Kontrollpflichten immer weniger nachkam und sich zu einem Beratungsorgan wandelte. Die Gefahr der »Überfremdung« der Aktiengesellschaft durch neue in- und ausländische Investoren stellte für die eingesessenen Verwaltungen zudem einen Anreiz dar, Rechtsinstrumente zu schaffen, die ihnen die Kontrolle über die Gesellschaft sicherten, ohne über die Kapitalmehrheit verfügen zu müssen. Dabei handelte es sich zwar nicht um eine formalrechtliche Verschiebung von Kontrollrechten und Offenlegungsstandards zu Gunsten eines Schutzes der Gesellschaft vor ihren Aktionären. Die hierzu geschaffenen Mehrstimmrechts- und Vorratsaktien wurden jedoch in der Regel von den Reichsgerichten gebilligt, die 1 Spoerer, S. 109–114.

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gelebte Rechtspraxis also anerkannt. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass sich all diese Entwicklungen auf dem Boden der 1884 etablierten und 1897 ergänzten Rechtsordnung abspielten. Die Bildung stiller Reserven war 1884 durch die neuen Bilanzierungsregeln deutlich erleichtert worden, bis zu einem gewissen Grad sogar intendiert gewesen.2 Fehlende Detailvorschriften in Bezug auf die Veröffentlichung von Bilanz und Geschäftsbericht ermöglichten die im Krieg einsetzende größere Geheimhaltung. Auch die Verflechtung von Gesellschaften und Großbanken über den Aufsichtsrat war 1884 möglich geworden, weil dem Aufsichtsrat Geschäftsführungskompetenzen belassen worden waren. Gleichzeitig wurden Nicht-Aktionäre im Aufsichtsrat zugelassen und dabei keine Begrenzung der sich in einer Person vereinigenden Aufsichtsratsmandate beschlossen.3 Nicht zuletzt waren auch die Grundlagen des Depotstimmrechts der Banken und die Möglichkeit zur Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien bereits 1884 beziehungsweise 1897 geschaffen, während des Kaiserreichs jedoch kaum genutzt worden.4 Es waren also die vom Gesetzgeber nicht vorhersehbaren Weiterentwicklungen der in ihrer Intention aktionärsfreundlichen Vorschriften der Gesetze von 1884 und 1897, die ab Mitte der 1920er Jahre Reformdruck aufbauten. Das Problem mangelnder Transparenz war spätestens nach den Bilanzskandalen bei der Nordwolle AG und der FAVAG offenbar und wurde 1931 mittels Notverordnung angegangen. Die Verordnung aus dem Sommer 1931 führte erstmals in Deutschland eine Prüfung der Bilanz durch externe, von der Generalversammlung zu wählende Wirtschaftsprüfer ein und machte ausführliche und detaillierte Vorschriften, wie Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung zu gliedern waren und welche Angaben der Geschäftsbericht zu enthalten habe. Auf diese Weise erhöhte die Notverordnung die Qualität der Informationen, die den Aktionären zur Verfügung standen, erheblich. Indem die Zahl der auf eine Person zu vereinigenden Aufsichtsratsmandate auf 20 Mandate begrenzt und eine Berichtspflicht des Vorstands an den Aufsichtsrat eingeführt wurde, versuchte die Notverordnung auch, die Kontrollfunktion des Aufsichtsrats zu stärken. Maßnahmen, die den Aktionären wieder ein größeres Mitspracherecht an unternehmensinternen Entscheidungen und der Kontrolle der Geschäftsführung gegeben hätten, enthielt die Notverordnung allerdings nicht. Das bis in die 1990er Jahre das deutsche Aktienrecht prägende Gesetz aus dem Jahr 1937 zementierte schließlich diese Verhältnisse. Zwar schaffte das Gesetz Vorratsaktien ab und band die Schaffung von Mehrstimmrechtsaktien an ministerielle Ausnahmegenehmigungen, dafür übertrug es die Geschäftsführungskompetenz und viele weitere Aktionärsrechte, insbesondere das Gewinnverteilungsrecht der Generalversammlung, auf den Vorstand, der das Unternehmen künftig alleinverantwortlich und explizit zum Wohle der Belegschaft, des Volks und des 2 Ebd., S. 63–64. 3 Hopt, S. 232–235; Reich, Auswirkungen, S. 265–268. 4 Reich, Auswirkungen, S. 270–271.

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Staates, jedoch nicht der Aktionäre zu führen hatte. Diese verloren zudem das Recht, den Vorstand direkt zu bestimmen. Letzterer wurde nun alleinig durch den von den Aktionären zu wählenden Aufsichtsrat benannt. Aber auch hier konnten die Einflussmöglichkeiten der freien Aktionäre durch das Recht einzelner Aktionäre, einen Vertreter in den Aufsichtsrat entsenden zu dürfen, eingeschränkt werden. Die Offenlegungsvorschriften der Notverordnung behielt das Gesetz des Jahres 1937 allerdings bei. Die formalrechtlichen Kontrollrechte und Offenlegungsvorschriften unterlagen folglich zwischen 1870 und 1937 einem deutlichen Wandel. Während das System der Novelle von 1870 dem Gesellschaftsvertrag kaum bindende Vorschriften machte, betonten die Gesetze von 1884 und 1897 vor allem die Mitentscheidungs- und Kontrollrechte der Aktionäre, etablierten aber nur relativ geringe Offenlegungsstandards. Die Notverordnung von 1931 und das Aktiengesetz von 1937 führten dagegen weitgehende Offenlegungsverpflichtungen ein, zementierten aber den Kontrollverlust der Aktionäre und die Stärkung des Vorstands sowie die damit einhergehende Betonung der Gesellschaft als eigenständiges Rechtssubjekt. Vor allem diesen Bruch gilt es zu erklären. Zu erklären sind aber auch unterbliebene Entwicklungen. So hätte einerseits das Aktiengesetz von 1884 noch deutlich aktionärsfreundlicher ausfallen können. Beispielsweise sah noch der Bundesratsentwurf die Möglichkeit detaillierterer Bilanzierungsvorschriften vor. Vor allem aber schränkten Bundesrat und Reichstag die im Entwurf der Reichsleitung vorgesehenen Minderheitenrechte deutlich ein und betonten so die Notwendigkeit eines Schutzes der Gesellschaft vor »räuberischen« Aktionären. Das Aktiengesetz des Jahres 1937 hätte andererseits deutlich stärker von der Wirtschaftsideologie der Nationalsozialisten geprägt sein und eine wirksamere Kontrolle des Staates enthalten können. Und auch die Stellung des Vorstandsvorsitzenden hätte noch mächtiger ausfallen können, wären Führerprinzip und Vorstandsstimmrecht Gesetz geworden. Die formalrechtliche Regelung der Zuordnung von Kontrollrechten und Offenlegungsvorschriften wäre in den nachfolgenden Jahrzehnten schlussendlich eine ganz andere gewesen, wäre der Weimarer Gesetzentwurf aus dem Sommer 1931 in geltendes Recht umgesetzt worden. Neben strengeren Auskunfts- und Offenlegungsverpflichtungen reduzierte der Entwurf nämlich auch den Wirkungskreis der Mehrstimmrechtsaktien und versuchte so, die Interessen der Aktionäre, des Unternehmens und der Volkswirtschaft auszugleichen. Der Wandel formalrechtlicher Kontrollrechte und Offenlegungsvorschriften zwischen 1870 und 1937 spiegelt auch die Frage, in welcher Stellung der Aktionär zur Aktiengesellschaft steht. Zwar erkannte die Aktienrechtsnovelle von 1884 die Gesellschaft als schützenswertes Rechtssubjekt und akzeptierte damit eine Trennung zwischen den Interessen des Unternehmens und seinen Aktionären. Die Aktienrechtsnovellen des Norddeutschen Bundes und des Kaiserreichs sprachen der Generalversammlung aber immer eine Geschäftsführungskompetenz zu. In diesem Sinne war die Aktiengesellschaft ein Zusammenschluss von Unternehmern zum Erreichen eines gemeinsamen Geschäftszwecks. Ganz 300

deutlich wird dies in der Bestimmung, dass den Aktionären keine Zinsen gewährt werden dürfen und sie nur am Gewinn (und damit am unternehmerischen Risiko) be­teiligt werden können. Unter dieser Prämisse erscheint es logisch, die Mitentscheidungsrechte (Minderheitenrechte, Stimmrechte) der Aktionäre zu stärken. Mit dem Aufstieg des Börsenhandels und dem Wandel recht übersichtlicher Eigentümerunternehmen hin zu managergeführten Großunternehmen trat aber wohl das unternehmerische Motiv der meisten freien nicht an der Unternehmensleitung beteiligten Aktionäre immer mehr zurück und es überwogen lang- oder kurzfristige Anlageinteressen. Für diese Aktionäre waren der Besuch der Generalversammlung und die Ausübung ihrer Aktionärsrechte anscheinend weniger wichtig als die Abstimmung über die Unternehmensleitung per Kauf oder Verkauf von Aktien. Verstärkt wurden diese Tendenzen durch die Manipulierung des Stimmrechts zu Ungunsten der freien Aktionäre in den 1920er Jahren. In diesem Kontext gewannen Offenlegungsbestimmungen an Bedeutung, da sie die Transparenz am Kapitalmarkt erhöhten und die Steuerung der Unternehmensleitung über den Aktienkurs ermöglichten. Das Aktiengesetz von 1937 zementierte diese Rechtspraxis dann durch die nun auch formalrechtliche Entmachtung der Generalversammlung. Um die Jahrhundertwende gingen Reichsgericht und Rechtsauffassung noch davon aus, dass die Aktiengesellschaft für die Aktionäre zu arbeiten habe und kein »selbstnütziges Vermögenssubjekt« sei.5 Diese Auffassung wandelte sich spätestens in den 1920er Jahre als zahlreiche Unternehmensjuristen die juristische, soziologische und wirtschaftliche Eigenständigkeit der Aktiengesellschaft betonten und das Reichsgericht diese »Lehre vom Unternehmen an sich« durch seine Rechtsprechung anerkannte.6 Mit dem Aktiengesetz von 1937 wurde diese Rechtspraxis dann in formalrechtliche Normen gegossen. Die Aktiengesellschaft hatte sich damit endgültig von ihren Aktionären gelöst und zu einer eigenständigen langlebigen Organisation im Sinne der von Douglas North, John Wallis und Barry Weingast geprägten Open-Access Ordnung entwickelt.7 Dabei determinierten der Wandel von Rechtspraxis und Rechtsprechung jedoch keineswegs die Entstehung formalrechtlicher Normen. So suchte der am Ende der Weimarer Demokratie erarbeitete Aktienrechts­ entwurf einen Kompromiss zwischen der »Lehre vom Unternehmen an sich« und den Befürwortern einer Stärkung der »Aktionärsdemokratie«. Will man den oben skizzierten gesetzlichen Wandel und die ausgebliebenen Entwicklungen erklären, gilt es, die Verhandlungen derjenigen Akteure nachzuvollziehen, die einer Gesetzesänderung zustimmen mussten. Diese Vetospieler werden in der Regel von der geschriebenen Verfassung eines politischen Gemeinwesens bestimmt. Ihre Position als Vetospieler kann sich aber auch aus ungeschriebenen Verfassungsregeln und der gelebten Verfassungswirklichkeit speisen. So waren die Reichsämter in der geschriebenen Verfassung des Kaiser5 Laux, S. 31–32. 6 Ebd., S. 99–105, 205–206. Inhaltlich geht der Begriff auf Rathenau zurück. 7 North u. a.

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reichs überhaupt nicht vorgesehen, trotzdem kam ihnen die Position eines Vetospielers zu. Auf ähnliche Weise konnte der Reichsrat in der Weimarer Republik die Rolle eines schwachen Vetospielers einnehmen, obwohl ihm keine verfassungsgemäße Vetoposition zustand. Umgekehrt nahmen die Staatsoberhäupter in allen drei hier behandelten politischen Gemeinwesen keinen Einfluss auf die Gesetzgebung, obwohl sie laut geschriebener Verfassung die Rolle eines Vetospielers innehatten.8 Die Zahl der Vetospieler nahm über den Untersuchungszeitraum kontinuierlich ab. Waren es im Kaiserreich mit dem Preußischen Staatsministerium, der Reichsleitung, dem Bundesrat und dem Reichstag noch vier kollektive Vetospieler, die über eine Reform von Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften entschieden, ging die Zahl der Vetospieler in der Weimarer Republik auf zwei zurück. Der Reichstag spielte ab März 1930 keine Rolle für die Gesetzgebung mehr und griff nie ernstzunehmend in den Entscheidungsprozess ein. Die Verhandlungen über eine Verschiebung des Status quo spielten sich daher nur zwischen der Reichsregierung und dem Reichsrat ab. Im »Dritten Reich« verlor auch der Reichsrat seinen Einfluss auf die Gesetzgebung. Die Verhandlungen über das 1937 verabschiedete Aktiengesetz beschränkten sich damit auf die Reichsregierung. Der erste Schritt, um das Zustandekommen des Verhandlungsergebnisses zu verstehen, besteht in einer Erklärung der optimalen Politikpunkte der Vetospieler. Geformt wurden diese zum einen durch von Advokatenkoalitionen formulierte Reformvorschläge, zum anderen durch Umweltbedingungen, die den Vetospielern Handlungsimperative auferlegten, beziehungsweise Handlungsspielräume begrenzten. Für das Kaiserreich und die Weimarer Republik lassen sich zwei große Koalitionen unterscheiden, die versuchten, den optimalen Politikpunkt der Vetospieler zu beeinflussen. Die Trennlinie verlief dabei zwischen den Befürwortern stärkerer Mitentscheidungs- und Kontrollrechte für die Aktionäre und strengerer Offenlegungsvorschriften auf der einen Seite und den Advokaten eines besseren Schutzes der Gesellschaft vor einem Verrat von Geschäftsgeheimnissen an die Konkurrenz und Aktionären, die lediglich an hohen Gewinnausschüttungen interessiert waren, auf der anderen Seite. Diese zweite Koalition wurde erwartungsgemäß von in den Interessenorganisationen der Wirtschaft und der Banken zusammengeschlossenen, Aufsichtsräten und Vorständen getragen. Im Kaiserreich waren dies vor allem die Handelskammern und kaufmännischen Korporationen sowie deren Spitzenorganisation, der Deutsche Handelstag. In der Weimarer Republik ging die Bedeutung der Handelskammern aufgrund der Entscheidung der Reichsregierung, nur noch reichsweit agierende Spitzenverbände zu konsultieren, zurück. Unterstützung fanden die Aufsichtsräte, Großbankiers und Vorstände in der Weimarer Republik in den Unternehmensjuristen, einem neuen Typus von Anwälten, die sich 8 Dem Deutschen Kaiser kam die Vetospielereigenschaft dabei als preußischer König zu, in der er letztinstanzlich das preußische Verhalten im Bundesrat bestimmte. Siehe Kapitel 2. 

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auf die Beratung und juristische Betreuung großer Unternehmen spezialisiert hatten. Ziel dieser Gruppen war es, das Unternehmen und seine Führung vor feindlichen Übernahmen, Schädigungsversuchen der Konkurrenz und dividendenhungrigen Aktionären zu schützen. Einige Unternehmensjuristen argumentierten während der 1920er Jahre auch mit rechtsmoralischen Überlegungen. So wurde argumentiert, das Recht habe sich der Entwicklung der Rechtswirklichkeit anzupassen. Die Koalition der Advokaten eines besseren Aktionärsschutzes und strengerer Offenlegungsvorschriften wurde hauptsächlich von juristischen Experten und Wissenschaftlern anderer Fachbereiche getragen. Während der Weimarer Republik wurden sie von der Handelspresse und Privatbankiers unterstützt. Aktionäre oder die Arbeiterschaft spielten dagegen keine beziehungsweise nur eine untergeordnete Rolle. Drei Motive trieben diese Koalition an: Erstens wollten ihre Mitglieder die Entrechtung der Kapitalbesitzer aufhalten, wichtiger war ihnen, zweitens, allerdings, die Kontrolle über die Aktiengesellschaft so auszugestalten, dass Fehlentscheidungen ihres Führungspersonals in Zukunft nicht mehr zu größeren Wirtschaftskrisen führen würden. Dies wurde mit der wachsenden Zahl der Aktiengesellschaften und ihrer zunehmenden Größe immer wichtiger. Drittens argumentierten auch die Befürworter eines größeren Aktionärsschutzes mit rechtsmoralischen Argumenten, nur dass bei ihnen die Überzeugung im Vordergrund stand, das Recht solle vor allem den Schwachen vor dem Starken schützen und Machtmissbrauch verhindern. Im politischen System des Nationalsozialismus verschoben sich die Advokatenkoalitionen erheblich. Eine Koalition, die für einen besseren Aktionärsschutz und höhere Offenlegungsstandards eintrat, existierte nun nicht mehr. Viele Vertreter dieser Koalition während der Weimarer Jahre, juristische Experten, die Handelspresse und Privatbankiers, wurden von den Nationalsozialisten bedrängt und verfolgt, so dass sie sich aus der Öffentlichkeit zurückzogen oder emigrierten. Stattdessen formierte sich nun eine Koalition aus nationalsozialistischen Ideologen, Wirtschaftstheoretikern und Vertretern des linken Parteiflügels der NSDAP, die sich für eine vollkommene Neuordnung des Aktienrechts nach nationalsozialistischen Gesichtspunkten stark machte. Den Gegenpol hierzu bildeten konservative Vertreter der Großindustrie und der Großbanken, die den Status quo des Jahres 1931 beibehalten wollten. Dazwischen lässt sich eine Koalition aus Industrievertretern um den Leiter des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht identifizieren, die für die Übernahme einiger nationalsozialistischer Ideen, wie etwa das Führerprinzip, plädierte, diese aber hauptsächlich nutzen wollte, um die Position des Vorstands gegenüber Aufsichtsrat, Aktionären und Großbanken zu stärken. Fragt man nun, wie die Advokatenkoalitionen den optimalen Politikpunkt der Vetospieler beeinflussten, kristallisieren sich zwei Idealtypen heraus. Auf der einen Seite standen die Politikvermittler, deren Ziel es war, einen Regelungsrahmen zu entwickeln, der den Bedürfnissen der Aktionäre, der Gesellschaft und der Öffentlichkeit entgegenkam und die teilweise widersprüchlichen An303

sprüche ausglich. Das Reichsjustizministerium kam diesem Ideal in den frühen 1930er Jahren am nächsten. Um sein Ziel zu erreichen, nahm das Ministerium sowohl Argumente der Advokaten strengerer Offenlegungsvorschriften und eines besseren Aktionärsschutzes als auch Ideen der Befürworter eines besseren Schutzes der Gesellschaft auf. Auch die bayrischen und preußischen Fachministerien und die Reichsleitung der 1870er und 1880er Jahre fallen in diese Gruppe. Zwar ließen sich diese Vetospieler mehr von den Vorstellungen der einen oder der anderen Koalition leiten, trotzdem nahmen sie auch Argumente der jeweils anderen Seite auf. Wichtigstes Ziel war auch bei diesen Vetospielern die Vermeidung zukünftiger Wirtschaftskrisen und nicht die Stärkung der einen oder anderen mit der Aktiengesellschaft verbundenen Gruppe. Vetospieler konnten aber auch die Rolle eines Advokaten einnehmen. Im Gegensatz zu den Politikvermittlern vertraten diese Vetospieler mehr oder weniger komplett die Position einer bestimmten Advokatenkoalition und versuchten, diese Position in den Verhandlungen mit den anderen Vetospielern durchzusetzen. Zu dieser Gruppe gehörten zuvorderst die liberalen Reichstagsparteien der 1880er Jahre und die Hamburger Verwaltungsstellen der 1870er, 1880er und 1930er Jahre, die sich für die Belange der Unternehmensführung stark machten. Das während der Reichsratsverhandlungen im Jahr 1931 vehement für einen besseren Aktionärsschutz eintretende Preußische Handelsministerium ist ebenfalls in diese Gruppe einzuordnen. Nicht zuletzt zählen auch die Ministerien im »Dritten Reich« zu den Advokaten. Die auf eine Stärkung des Vorstands setzenden Koalition um den Leiter des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht fand dabei vor allem beim Reichsjustizministerium Gehör, die Advokaten des Status quo konnten das Reichswirtschaftsministerium mit ihren Argumenten überzeugen. Den Befürwortern eines nationalsozialistisch geprägten Aktienrechts fiel es dagegen schwer, mit ihren Vorstellungen beim Reichswirtschafts- und Reichsjustizministerium vorzudringen, nur beim Stab des Führerstellvertreters fanden sie Zustimmung. Weil sich dieser in den Verhandlungen mit den Fachministerien nicht durchsetzen konnte, blieb der Einfluss nationalsozialistischer Ideologie auf Aktionärsschutz und Offenlegungsbestimmungen hinter den Möglichkeiten zurück. Die Beziehung zwischen Advokatenkoalitionen und Vetospielern fußte dabei auf dem Fachwissen und der praktischen Erfahrung Ersterer und dem Beratungsbedarf Letzterer. Im Fall der als Advokaten agierenden Vetospieler ist aber auch eine noch direktere Verbindung festzustellen. So war die Hamburger Handelskammer fest in der die Senatsentscheidung vorbereitenden Deputation für Handel und Schifffahrt integriert. In den liberalen Reichstagsfraktionen und insbesondere in der den Gesetzentwurf bearbeitenden Reichstagskommission saßen zudem viele Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften. Dort waren auch Mitglieder der Berliner Kaufmannschaft und dem Deutschen Handelstag nahestehende Personen vertreten, die sich alle als prononcierte Kritiker des Bundesratsentwurfs präsentierten. Für das »Dritte Reich« lässt sich keine solch direkte Einbindung von Mitgliedern einer Advokatenkoalition in einen Vetospieler 304

feststellen. Es bestanden aber anscheinend enge informelle Netzwerke zwischen Industrievertretern, Großbankiers und der Ministerialbürokratie, die in dieser Form in der Weimarer Republik und dem Kaiserreich noch nicht zu beobachten sind.9 Die Beobachtung einer größeren Relevanz personeller Netzwerk in der NS-Diktatur korrespondiert mit Ergebnissen von Arbeiten zur ›Neuen Staatlichkeit‹ des NS-Herrschaftssystems, die ebenfalls die informelle Koordinierungsfunktion elitärer Netzwerke betonen.10 Zwar existiert für den Untersuchungszeitraum eine klare Kausalbeziehung zwischen einzelnen Lösungsvorschlägen verschiedener Advokatenkoalitionen und den optimalen Politikpunkten der Vetospieler. Die grundlegende Entscheidung der Vetospieler, und insbesondere der Politikvermittler, eine Reform anzustoßen und bestimmte Lösungsvorschläge zu präferieren, war jedoch auch von sich ändernden externen Umweltbedingungen abhängig. So setzte die wachsende Zahl von Aktiengesellschaften und der Wandel dieser Gesellschaften zu Großkonzernen, die Finanz- und Wirtschaftskrisen sowie die wilde Weiterentwicklung des Aktienrechts in den 1920er Jahren Handlungsimperative, Reformschritte in eine bestimmte Richtung zu unternehmen. Die Initiative der Agendasetzer zum Anstoß einer Reform lässt sich damit stärker auf externe Faktoren als auf einen zunehmenden Regulierungswillen der zuständigen Ministerien zurückführen. Aus dieser Perspektive ist das Aufkommen des Interventionsstaats einer immer komplexer werdenden und immer stärker verflochtenen Umwelt geschuldet. Diese Handlungsimperative scheinen für die Argumente der Advokaten eines besseren Aktionärsschutzes und strengerer Offenlegungsvorschriften unterstützend gewirkt zu haben und können erklären, warum es diesen Koalitionen gelang, der Gesetzgebung zwischen 1870 und 1931 wichtige Impulse zu geben. Auf ähnliche Weise beschränkte die Machtergreifung der Nationalsozialisten die Handlungsspielräume der Vetospieler. Mit der Machtergreifung wurden die Gruppen, die bisher für einen Ausbau des Aktionärsschutzes eingetreten waren, von der öffentlichen Diskussion ausgeschlossen. In diese Lücke stießen vor allem Vertreter von Industrieaktiengesellschaften, die für eine Stärkung des Vorstands und eine Schwächung von Aufsichtsrat, Banken und freien Aktionären plädierten. Diese Gruppe machte sich zwar nationalsozialistische Ideen zur Neugestaltung des Gesellschaftsrechts zu Nutze, die Koalition der nationalsozialistischen Wirtschaftstheoretiker selbst konnte allerdings das für sie recht günstige Umfeld kaum nutzen. Grund dafür war die Schwäche des Führerstellvertreters Heß, dessen Mitarbeiter sich gegen die anderen Ministerien nicht durchsetzen konnten. Entscheidend für das Verhandlungsergebnis waren die tatsächliche Vetomacht und die Verhandlungsstrategien der Vetospieler. In den Verhandlungen der frühen 1880er Jahre hielten hauptsächlich die Reichsleitung, Preußen und 9 Für das Kaiserreich zeigt Bührer explizit, dass kaum persönliche Kontakte zwischen Unternehmerverbänden und Bismarck beziehungsweise der Ministerialbürokratie bestanden. 10 Überblick bei: Hachtmann, S. 267.

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die liberalen Reichstagsparteien Vetomacht. Mit Abstrichen kam auch den um Bayern organisierten Mittelstaaten Vetomacht zu, den Hansestädten gelang es dagegen im Bundesrat nicht, ihren optimalen Politikpunkt durchzusetzen. Das Ergebnis war ein Kompromiss zwischen den aktionärsfreundlichen Politikpunkten Preußens sowie der Reichsleitung und den unternehmensfreundlicheren Politikpunkten der liberalen Reichstagsparteien. In der Weimarer Republik fand der Interessensausgleich zwischen den verschiedenen Advokatenkoalitionen dagegen hauptsächlich innerhalb des Reichsjustizministeriums statt. Das aktionärsfreundliche Preußische Handelsministerium sowie die unternehmensfreundlichen Hansestädte konnten lediglich einige Konzessionen durchsetzen. Im »Dritten Reich« war Vetomacht relativ gleichmäßig zwischen dem Reichsjustiz-, dem Reichswirtschafts- und dem Reichsinnenministerium verteilt. Das die NSDAP vertretende Ministerium des Führerstellvertreters Heß hielt dagegen kaum Vetomacht. Das Ergebnis der Verhandlungen zwischen den Vetospielern war somit hauptsächlich ein Kompromiss aus den optimalen Politikpunkten der Fachministerien, die vor allem die Argumente der nicht nationalsozialistisch dominierten Advokatenkoalitionen übernommen hatten, beziehungsweise im Fall des Innenministeriums für die Sonderinteressen der kommunalen Aktiengesellschaften eintraten. In ihren Verhandlungen setzten die Vetospieler hauptsächlich auf Verständigungsstrategien und versuchten, ihre Kontrahenten mit Sachargumenten zu überzeugen. Es lassen sich aber auch, wie im Fall des Reichstags im Jahr 1884, vereinzelt Konfliktstrategien beobachten, bei denen einzelne Spieler mit dem Abbruch der Verhandlungen drohten, um ihre Position durchzusetzen. Dabei machte sich der Reichstag seine Position am Ende der Entscheidungssequenz zu nutze. Auf der anderen Seite versuchte die Reichsleitung von ihrer Position an der Spitze der Entscheidungssequenz Gebrauch zu machen, indem sie die Verhandlungs- und Abstimmungstermine im Bundesrat knapp terminierte und damit die anderen Bundesstaaten zwang, eine weniger informierte Entscheidung zu treffen. Im Nationalsozialismus wiederum gelang es den Fachministerien, den Stab des Stellvertreters des Führers von der ersten Verhandlungsrunde auszuschließen. Anders als im Fall des Reichstags 1884 konnte der Stellvertreter des Führers seine Position am Ende der Entscheidungssequenz jedoch nicht nutzen, um seinen optimalen Politikpunkt durchzusetzen. Die Analyse der Verhandlungen der Vetospieler zeigt, dass die Verteilung von Vetomacht nicht a priori durch die Verfassung geregelt war. Diese legte lediglich fest, welche Organisationen und Individuen am Gesetzgebungsprozess beteiligt waren. Vetomacht, definiert als die Fähigkeit eines Vetospielers, seinen optimalen Politikpunkt gegenüber anderen Vetospielern durchzusetzen, speiste sich dagegen aus einer Kombination weiterer politischer Institutionen und spezifischen Akteurskonstellationen, die sich mit Hilfe der relativen Lage der optimalen Politikpunkte der Vetospieler und deren unterschiedlichen Kosten eines Verhandlungsabbruchs beschreiben lassen. Besonders gut lässt sich dies am Beispiel der Verteilung von Agendamacht zeigen. Theoretisch sollte ein 306

mit Agendamacht ausgestatteter Akteur in der Lage sein, seinen Entscheidungsvorschlag so zu gestalten, dass er möglichst nahe an seinem optimalen Politikpunkt liegt und dabei die Wahrscheinlichkeit der Annahme durch die anderen Vetospieler maximiert wird. Dies gelingt umso einfacher, je mehr der optimale Politikpunkt des Agendasetzers zwischen den Politikpunkten der anderen Vetospieler liegt, er also bereits Teile dieser Politikpunkte enthält. Im Kaiserreich und der Weimarer Republik war dies eher der Fall als im »Dritten Reich«. Und tatsächlich scheint Agendamacht im Kaiserreich und in der Weimarer Republik die Vetomacht Preußens und der Reichsleitung beziehungsweise des Reichsjustizministeriums mit bestimmt zu haben. Im Vergleich zu den beiden genannten politischen Gemeinwesen musste das Reichsjustizministerium im »Dritten Reich« seinen Entscheidungsvorschlag auf Drängen des Reichswirtschafts- und des Reichsinnenministeriums deutlich abändern. Auch im Fall der Entscheidungssequenz beeinflusste nicht diese allein, sondern nur in Kombination mit spezifischen Akteurskonstellationen die Zuordnung von Vetomacht. So war es den liberalen Reichstagsparteien 1884 nur möglich, die anderen Vetospieler mit der Drohung eines Verhandlungsabbruchs zu erpressen, weil die Kosten eines solchen Abbruchs in den Augen der Reichsleitung zu hoch waren. Dies war wiederum den Umweltbedingungen geschuldet, befürchteten doch Preußen und die Reichsämter, dass der sich abzeichnende Aufschwung am Kapitalmarkt zu einer neuen Gründungswelle und wiederum zu einer Spekulationskrise führen könne. Der Effekt der Abstimmungsregel auf das Verhandlungsergebnis war ebenfalls an Akteurskonstellationen gebunden. So kam den liberalen Reichstagsparteien aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Reichstag Vetomacht zu. Ohne ihre Zustimmung wurde die notwendige einfache Mehrheit nicht erreicht. Hätte die Abstimmung dagegen ein Jahr später, nach den Oktoberwahlen 1884, stattgefunden, wäre die Zustimmung der Liberalen nicht mehr notwendig gewesen, da nun die auf dem Boden des Entwurfs stehende Zentrumspartei und die Konservativen die Mehrheit stellten. Im politischen System des Nationalsozialismus führte schließlich das faktische Verlangen nach Einstimmigkeitsentscheidungen, die im Vorfeld der Kabinettssitzungen in Verhandlungen der beteiligten Ministerien herzustellen waren, zu einer relativ großen Vetomacht des Reichswirtschafts- und des Reichsinnenministeriums. Für den Effekt einer Veränderung der Zahl der Vetospieler auf das Verhandlungsergebnis existiert zuletzt nur schwache Evidenz. Kontrafaktische Überlegungen anhand der Hinzunahme des Reichstags in den Entscheidungsprozess der Weimarer Republik zeigen aber auch hier, dass es an der relativen Lage des optimalen Politikpunkts der hinzukommenden Vetospieler liegt, ob sich, wie von der Theorie vorhergesagt, die Einigungswahrscheinlichkeit reduziert. Im Zentrum einer Erklärung gesetzlichen Wandels stehen somit die Beziehungen zwischen Advokatenkoalitionen und Vetospielern sowie die Machtverhältnisse der Vetospieler untereinander. Strukturiert wurden diese Beziehungen durch Umweltbedingungen, die Handlungsspielräume definierten, aber, wie im Fall des »Dritten Reichs«, auch direkt in diese Beziehungen eingriffen. Als 307

weiteres strukturierendes Element kamen politische Institutionen hinzu, die je nach Verhandlungssituation einigen Vetospielern mehr Handlungsoptionen an die Hand gaben und so deren Vetomacht stärkten. Die große Bedeutung der Beziehungen verschiedenster Akteure für formalrechtlichen Wandel macht daher a priori Aussagen über das Ergebnis des politischen Prozesses innerhalb und über Systemgrenzen hinweg schwierig. Einige generalisierende Aussagen sind dennoch möglich. So ähnelten sich die Argumente, Motive und Ziele der sich im Kaiserreich und der Weimarer Republik bildenden Advokatenkoalitionen, die in beiden politischen Systemen zudem von ähnlichen Gruppen getragen wurden. Gemeinsamkeiten gab es auch bei den Umweltbedingungen. Sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik waren es Missstände der gelebten Unternehmenskontrolle, die durch Krisenerscheinungen offenbar wurden. Dies erzeugte parlamentarischen und öffentlichen Druck, auf den die Ministerialbürokratie reagieren musste. In beiden Fällen stärkte dies die Advokaten eines besseren Aktionärsschutzes und strengerer Offenlegungsvorschriften gegenüber den sich in der Defensive befindenden Advokaten des gesetzlichen Status quo. Das Ergebnis des Gesetzgebungsprozesses glich sich ebenfalls, trotz einiger Unterschiede in den politischen Institutionen und dem Ablauf der Verhandlungen. In beiden Fällen handelten die Vetospieler einen Kompromiss aus mit dem Ziel, von der Aktiengesellschaft ausgehende systemische Risiken zu minimieren. Auch wenn die Bedeutung der Aktiengesellschaft für Gesellschaft und Volkswirtschaft und damit die Bedeutung der Unternehmensleitung in den 1920er Jahren stärker in den Fokus rückte, gingen die handelnden Akteure nicht von der Überzeugung ab, dass die Aktionäre eine wichtige Rolle in der Aktiengesellschaft zu spielen hätten. Ein 1931 oder 1932 verabschiedetes Aktiengesetz hätte somit keinen tiefen Bruch mit der Rechtsordnung des Kaiserreichs bedeutet und das im Kaiserreich etablierte System der Unternehmenskontrolle lediglich mittels Ergänzungen und detaillierterer Bestimmungen den neuen Realitäten managergeführter Großunternehmen und Konzerne angepasst. Diese Erkenntnis deckt sich mit den theoretischen Überlegungen Sabatiers, der argumentiert, nur ein starker makroökonomischer oder politischer Schock sei in der Lage, die politischen Überzeugungen der Advokatenkoalitionen und die bestehenden Machtverhältnisse zwischen den Koalitionen aufzubrechen und so den gesetzlichen Status quo signifikant zu verschieben.11 Die Umwälzungen der Jahrhundertwende stellten anscheinend keinen solchen Schock dar. Nach 1933 wandelten sich Umweltbedingungen und politische Institutionen dagegen beträchtlich. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde der größte Teil der aus Handelspresse, kritischen Juristen und Privatbankiers bestehenden, einen größeren Aktionärsschutz befürwortenden politischen Eliten ausgeschaltet. An ihre Stellen traten Mitglieder des linken Parteiflügels der NSDAP wie Werner Bachmann und nationalsozialistische Wirtschaftstheoretiker wie Wilhelm Keppler. Die Zahl der Vetospieler reduzierte sich ebenfalls erheblich. Gleichzeitig än11 Sabatier, Advocacy coalition.

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derten sich auch die Entscheidungsmechanismen in der politischen Führung deutlich. Die daraus resultierende Neuordnung der Advokatenkoalitionen, der Beziehungen dieser Koalitionen zu der Ministerialbürokratie und die Machtverhältnisse innerhalb der Regierung hatten einen klaren Bruch mit der bisherigen Ausgestaltung von Kontroll- und Mitentscheidungsrechten bei der Aktiengesellschaft zur Folge, der bis in die Bundesrepublik ausstrahlte.12 Dieser deutliche Bruch der Gesetzgebung des »Dritten Reichs« mit der des Kaiserreiches und der Weimarer Republik wird auch von Bernd Mertens betont, der, anders als die ältere Literatur, die neuen, spezifisch nationalsozialistischen Elemente des Aktiengesetzes von 1937 hervorhebt.13 Anders gewendet bedeutet dies, dass die wilde Weiterentwicklung des Aktienrechts im Zuge von Inflation und der Entstehung aktienrechtlich organisierter Großunternehmen an sich nicht grundlegend genug war, um bestehende politische Überzeugungen und Machtverhältnisse zu sprengen. Das Aktienrecht war dabei kein Einzelfall. So belegt Albrecht Ritschl, anhand vieler Einzelbeispiele, einen bis in die 2000er Jahre ausstrahlenden Bruch der deutschen Wirtschaftsordnung während der Frühphase des »Dritten Reichs«, der sich in der Zunahme von Markteingriffen und der Etablierung neuer Lenkungsstrukturen äußerte.14 Die vorliegende Analyse des Gesetzgebungsprozesses hat dabei gezeigt, dass das Aktiengesetz von 1937 noch stärker von nationalsozialistischer Ideologie hätte geprägt sein können, und dass es letztendlich nicht Parteivertreter oder nationalsozialistische Ideologen, sondern die zu regulierenden Kreise selbst waren, die im Zusammenspiel mit der konservativen Ministerialbürokratie die Gesetzgebung gestalteten. Ein solches Resultat deckt sich mit den Ergebnissen Schweitzers, der in der Frühphase des »Dritten Reichs« einen bedeutenden Einfluss der Großindustrie auf die Gestaltung der Wirtschaftspolitik feststellt.15 Die hier skizzierten Ergebnisse lassen somit auch Aussagen über den Einfluss organisierter Interessen auf den politischen Prozess des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des »Dritten Reichs« zu. Im Modell des organisierten Kapitalismus wird der in Verbänden und Interessengruppen organisierten Wirtschaft des Kaiserreichs und der Weimarer Republik ein großer Einfluss auf politische Entscheidungen zugesprochen.16 Obwohl diese These bereits kurz nach ihrem Erscheinen ihre Kritiker fand, entwickelte sie eine große Wirkmächtigkeit.17 Fallstudien konnten in den letzten Jahren allerdings zeigen, dass der Einfluss organisierter Interessen auf so wichtige politische Entscheidungen wie die Zoll12 Kropff. 13 Mertens, Aktiengesetz. Eine gegenteilige Auffassung vertritt dagegen Bähr. 14 Ritschl. Eine etwas gegenteilige Auffassung vertritt Stier, der im Fall des Energiewirtschaftsgesetzes aus dem Jahr 1935 auf die Kontinuität zur Wirtschaftsordnung der Weimarer Republik verweist. So habe sich das System der Gebietskartelle beispielsweise bereits in den 1920er Jahren herausgebildet und sei 1935 lediglich durch den Gesetzgeber sanktioniert worden. 15 Schweitzer. 16 Wehler, Kapitalismus; Stürmer, Parteienstaat; Ders., Regierung. 17 Hentschel.

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gesetzgebung im Kaiserreich geringer war, als bisher angenommen.18 Ähn­liches gilt wohl auch für den Fall der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung.19 Und auch dem Präsidialregime Brünings wird, anders als dem Weimarer Reichstag, eine relative Unabhängigkeit von den Interessen der organisierten Wirtschaft attestiert.20 Aber auch im Fall des Weimarer Reichstags für dessen Abgeordnete durchaus politische Verbindungen nachgewiesen werden können, scheint der Wert dieser Verbindungen für die Unternehmen nur gering gewesen zu sein.21 In den meisten Fällen konzentriert sich die Forschung auf die Beziehungen zwischen Wirtschaftsverbänden auf der einen und Ministerialbürokratie und dem Reichstag auf der anderen Seite. Bundesrat und Bundesstaaten beziehungsweise Reichsrat und Länder werden dabei ebenso wenig mit in die Untersuchung einbezogen wie andere politikrelevante Gruppen.22 Die an dieser Stelle unternommene umfassende Analyse des politischen Entscheidungsprozesses liefert dagegen ein konsistenteres Gesamtbild. Im Ergebnis lässt sich für den Fall des Aktienrechts zwar die Lobbyarbeit von Handelskammern und Spitzenverbänden der Wirtschaft beobachten und auch eine Vernetzung zwischen Staat und Wirtschaft in Form einer Einbindung kaufmännischer Sachverständiger, der Handelskammern und von Mitgliedschaften im Reichstag während des Kaiserreichs, beziehungsweise in Form des schriftlichen und persönlichen Zugangs zur Weimarer Ministerialbürokratie nachweisen. Dabei fällt aber auch auf, dass sich die organisierte Wirtschaft sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik gegenüber Vorschlägen, die die Aktiengesellschaft einer größeren Kontrolle der Aktionäre und der Öffentlichkeit unterwerfen wollten, in der Defensive befand. Hinzu kommt die Tatsache, dass innerhalb der Wirtschaftsverbände nicht immer Einigkeit herrschte. So kam es 1929/30 innerhalb des Zentralverbands des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes zu Spannungen zwischen den Großbanken und Privatbankiers. Letztere unterstützten aus wirtschaftlichem Eigeninteresse die Reformbewegung, während die Großbanken den Status quo der 1920er Jahre verteidigten. Als Agendasetzer in der öffentlichen Debatte fungierten aber die aus nur lose organisierten Juristen, während der Weimarer Zeit auch aus Journalisten, bestehende Expertengruppe. Dieser quasi als epistemische Gemeinschaft agierenden Expertengruppe gelang es, die Kontrollrechte der Aktionäre zu stärken und strengere Offenlegungsstandards durchzusetzen. Die Fokussierung auf den Einfluss der organisierten Wirtschaft auf den politischen Entscheidungsprozess führt somit zu einem verengten Blick. Zwar konnten die Interessenvertretungen der Wirtschaft allzu weitgehende Kontrollrechte für die 18 Torp. 19 Bührer. 20 Gehlen, Silverberg, S. 395–404; Neebe, S. 200–202; Stürmer, Koalition, S. 240–242; Ullmann, Interessenverbände, S. 138–140. 21 Opitz; Lehmann-Hasemeyer u. Opitz. 22 Die Bedeutung des Bundesrats für das politische System des Kaiserreichs findet in allerneuster Zeit mehr Aufmerksamkeit. Vgl. Hähnel u. a.

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Aktionäre verhindern, einen bestimmenden Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess hatten sie jedoch nicht. Vielmehr mussten sich Aufsichtsräte, Bankiers und Vorstände ihren Einfluss auf die Politik mit juristischen Experten und Journalisten teilen. Der Ausgang des Entscheidungsfindungsprozesses hing zudem von weiteren Faktoren wie Umweltbedingungen, politischen Institutionen und der Verhandlungskonstellation selbst ab und war damit deutlich komplexer als die These von der engen Vernetzung zwischen Staat und Wirtschaft suggeriert. Die Forschung zum Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft im »Dritten Reich« ist weniger von der These des organisierten Kapitalismus geprägt.23 Stattdessen steht die Frage nach den Handlungsspielräumen von Unternehmen in der gelenkten Wirtschaft des Nationalsozialismus im Mittelpunkt der Debatte. Geprägt wurde diese Debatte in den letzten Jahren vor allem durch Christoph Buchheim, Peter Hayes und Jonas Scherner. Während Hayes den Zwangscharakter des NS-Regimes und den limitierten Einfluss der Wirtschaft auf politische Entscheidungen betont und davon spricht, dass Unternehmen quasi weisungsgebundene, staatliche Institutionen geworden seien, betonen Buchheim und Scherner die unternehmerischen Handlungsspielräume von Investitionsentscheidungen sowie den Einfluss der Industrie auf die Gesetzgebung.24 Für den Fall des Aktienrechts lässt sich tatsächlich ein erheblicher Einfluss von Industrievertretern und Großbankiers auf die Gesetzgebung feststellen. Dabei befanden sich Aufsichtsräte, Bankiers und Vorstände zunächst auch im Nationalsozialismus in der Defensive, mit dem einzigen Unterschied, dass sie sich nun gegen Neuordnungsvorstellungen linker Parteivertreter und nationalsozialistischer Wirtschaftstheoretiker zur Wehr setzen mussten. Innerhalb des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht gelang es den Industrievertretern allerdings relativ rasch, mit Hilfe der Unterstützung der Ministerialbürokratie die Argumente nationalsozialistischer Ideologen und linker Parteivertreter ins Leere laufen zu lassen und sich so einen größeren Einfluss auf die Entscheidung der Vetospieler zu sichern.25 Besondere Bedeutung kommt in diesem Punkt wohl dem Einsatz Schachts zu, dem es gelang, Öffentlichkeit und Partei davon zu überzeugen, dass sich die nationalsozialistische Ideologie nicht ohne Schaden für die Autarkie- und Rüstungspolitik auf das System der Unternehmenskontrolle übertragen lasse.26 Auch wenn Vertretern von Aktiengesellschaften ein großes Gewicht bei der Ausgestaltung des Aktiengesetzes von 1937 zukommt, darf nicht übersehen werden, dass Industrie und Großbanken nicht mit einer Stimme auftraten. Geprägt wurde das Gesetz vor 23 Ältere Interpretationen gehen dagegen davon aus, die monopolisierte Großindustrie hätte Hitler zum eigenen Nutzen an die Macht gebracht. Diese These gilt mittlerweile als widerlegt. Vgl. Turner. 24 Buchheim; Buchheim u. Scherner; Hayes, Industry; Ders., Degussa; Ders., Corporate Freedom; Scherner. Eine vermittelnde Position hat zuletzt Donges eingenommen. 25 Bähr. 26 Bayer u. Engelke, S. 642–644; Schacht.

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allem von den Vorstellungen von Industrievertretern um den Vorsitzenden des Aktienrechtsausschusses Kißkalt, der einige nationalsozialistische Vorschläge aufgriff, um den Vorstand der Aktiengesellschaft zu stärken. Dem gegenüber stand die Reichsgruppe Industrie und vor allem die Wirtschaftsgruppe des Privaten Bankgewerbes, die stärker an der Bewahrung des Status quo der 1920er Jahre interessiert waren. Im Hinblick auf den Gesetzgebungsprozess verloren die traditionellen Einflussorgane der Industrie und der Banken somit ihren Alleinvertretungsanspruch.27 Für die Aktienrechtsgesetzgebung lässt sich weder die These eines organisierten Kapitalismus in Kaiserreich und Weimarer Republik noch die These vom Primat des Staates im »Dritten Reich« bestätigen. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Einfluss der organisierten Wirtschaft an anderer Stelle größer beziehungsweise kleiner gewesen ist, wie dies beispielsweise Reckendrees und Hayes anhand der Vereinigten Stahlwerke und der IG Farben für die Weimarer Republik beziehungsweise das »Dritte Reich« zeigen.28 Entscheidend für den Einfluss der Industrie waren die Konstellation gesellschaftlicher Präferenzen und die themen- und zeitabhängigen Machtverhältnisse der Vetospieler. So gab es Mitte der 1920er Jahre beispielsweise kaum Widerstand anderer gesellschaftlicher Gruppen gegen einen Zusammenschluss mehrerer großer Unternehmen der Schwerindustrie zu den Vereinigten Stahlwerken.29 Mehrheitlich wurde der Zusammenschluss sogar begrüßt. Die positive öffentliche Meinung zur Gründung der Vereinigten Stahlwerke versetzte die Schwerindustrie in die Lage, gegenüber der Reichsregierung eine Änderung des Steuerrechts durchzusetzen, was die bei der Fusion anfallenden Steuern mehr als halbierte. Im »Dritten Reich« waren es die Machtverhältnisse zwischen den Vetospielern, die der Großindustrie und den Banken bis Anfang 1937 ein großes Mitspracherecht an wirtschaftspolitischen Entscheidungen garantierten. Bis Ende 1937 befanden sich die wichtigsten Ministerien, darunter die Ministerien für Arbeit, des Äußeren, Finanzen, Justiz, Verkehr und Wirtschaft, in den Händen nationalkonservativer Politiker.30 Die NSDAP musste ihre Macht somit mit der Großindustrie, den Bankiers und Militärs teilen, die durch die konservativen Minister repräsentiert wurden.31 Albert Schweitzer spricht gar von einer »bilateralen Machtstruktur«, in der sich eine Koalition aus Großwirtschaft und Militär auf der einen und NSDAP und SS auf der anderen Seite die Macht im Staat geteilt hätten.32 Der organisierten Großindustrie sei es dabei gelungen, so Schweitzer, die Wirtschaftspolitik 27 Von diesem Alleinvertretungsanspruch geht noch Ullmann, Interessenverbände, S. 198, aus, der die Bedeutung der Reichsgruppe Industrie für die Aktiengesetzgebung herausstreicht. Die Akademie für Deutsches Recht spielt in seinen Ausführungen keine Rolle. 28 Hayes, Industry; Reckendrees. 29 Reckendrees, S. 222–238. 30 Broszat, S. 327–328; Kershaw, S. 144–145. 31 Kershaw, S. 144–145; Schweitzer, S. 504–505. 32 Schweitzer, S. 288–289.

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zu dominieren.33 Die NSDAP konnte dagegen das Feld der Gesellschafts- und Kulturpolitik besetzen und kontrollierte den Propagandaapparat.34 Die Macht der Großindustrie ging erst zurück, als die Koalition mit den Militärs über die Devisenkrise des Jahres 1936 zerbrach.35 Diese Schwäche nutzte die NSDAP, um in das entstandene Machtvakuum vorzudringen. Wenn also an dieser Stelle ein großer Einfluss der Großindustrie und der Banken auf die Wirtschaftspolitik in der Frühphase des »Dritten Reichs« festgestellt wird, stellt dies keinen Widerspruch zu Studien dar, die der Großindustrie diesen Einfluss zu einem späteren Zeitpunkt oder auf einem anderen, nicht originär wirtschaftspolitischem Politikfeld wie etwa der Arisierung und der Rassenpolitik absprechen.36 Viele wirtschaftswissenschaftliche Studien interpretieren den formalrechtlichen Wandel der Zuschreibung von Kontrollrechten und Offenlegungsstandards als das Ergebnis eines Kampfes zwischen den verschiedenen mit der Aktiengesellschaft verbundenen Gruppen um Einfluss über die Aktiengesellschaft. Betrachtet werden dabei vornehmlich Aktionäre und Unternehmensleitung sowie die Arbeiterschaft.37 Die Positionen der Advokatenkoalitionen zwischen 1870 und 1937 bestätigen diese Sichtweise auf den ersten Blick, drehen sich die Reformvorschläge der verschiedenen Koalitionen doch darum, den Aktionären, den Arbeitern, dem Staat oder der Unternehmensleitung mehr Kontrollrechte über die Aktiengesellschaft zuzuordnen. Blickt man allerdings hinter die Kulissen und fragt, von welchen Gruppen die Reformvorstellungen maßgeblich getragen wurden, offenbart sich eine nur sehr schwache Präsenz der freien Aktionäre. Ihre Belange wurden sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik von juristischen Experten, Journalisten und Privatbankiers vertreten.38 Diese hatten dabei weniger das Aktionärsinteresse, sondern stärker gesamtwirtschaftliche Aspekte im Blick. Die Zuordnung von Kontrollrechten an die Aktionäre und die Etablierung von Offenlegungsstandards sollten die öffentliche Kontrolle der Aktiengesellschaft stärken und dazu beitragen, den Kapitalmarkt zu beleben und künftige von der Aktiengesellschaft ausgehende Wirtschaftskrisen zu 33 Der Erkenntnis Schweitzers ist sicherlich zuzustimmen. Seine These von einer als monolithisch auftretenden Großindustrie in der Frühphase des »Dritten Reichs« muss aber, wie weiter oben dargelegt, widersprochen werden. 34 Das Militär besetzte alle wichtigen Positionen des Heeres, musste aber die Kontrolle der Luftwaffe der NSDAP überlassen. Die SS kontrollierte den Polizeiapparat. Vgl. Schweitzer, S. 504–505. 35 Für die Rüstungspolitik war die Rüstungsindustrie auf Rohstoffimporte angewiesen. Immer knapper werdende Devisenreserven führten zu einem Verteilungskonflikt und dem Zwang, mehr Waren zu exportieren. Ohne staatliche Lenkungsmechanismen war dies jedoch nicht zu erreichen. Vgl. dazu Schweitzer, S. 537–547. 36 Das gleiche Argument gilt auch für die Studie Scherners, der den Einfluss der Großindustrie am Rohstoffgarantiegesetz aus den Jahren 1934/35 festmacht. Scherner, S. 345–349. 37 Bebchuk u. Neeman; Pagano u. Volpin; Perotti u. Thadden; Roe, Corporate governance. 38 Die Rolle juristischer Experten für die Aktiengesetzgebung wurde bisher nur von Rechtshistorikern beachtet. Bayer; Bayer u. Habersack; Schubert, Weimarer Republik; Ders., Aktienrechtsreform; Schubert u. a.; Schubert u. Hommelhoff.

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verhindern. Von den Privatbanken wurde dieses Argument durchaus aus wirtschaftlichem Eigeninteresse vorgebracht, litten sie doch unter dem Rückzug zahlreicher Investoren vom deutschen Kapitalmarkt während der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Nicht zuletzt wurden die juristischen Experten auch von der Befürchtung angetrieben, dass rechtlich sanktionierter Betrug, beziehungsweise eine Aushöhlung handelsrechtlicher Vorschriften, der Autorität des Rechts schaden würden. Dass die freien Aktionäre in der historischen Realität eine deutlich geringere Rolle spielten, als von den theoretischen Modellen erwartet wird, lässt sich auf ihren geringen Organisationsgrad zurückführen. Das Ausbleiben einer Organisation von Gruppeninteressen ist dabei nicht ungewöhnlich und entspricht der Vorhersage Olsons, dass sich rational handelnde Individuen einer bestimmten Gruppe nur durch Zwang oder besondere Anreize anschließen.39 Zwar war die Zahl der Aktionäre gemessen an der Gesamtbevölkerung recht gering, betrug aber immer noch einige hunderttausend Individuen aus verschiedenen sozialen Milieus. Die Schaffung eines reichsweiten Aktionärsschutzverbundes, der sich für die Belange aller Aktionäre eingesetzt hätte, wäre also nur unter staatlichem Zwang oder mithilfe zusätzlicher Anreize, wie etwa einer Depotverwaltung oder der Leistung von Rechtsbeistand, möglich gewesen. Der Zusammenschluss von Aktionären einzelner Aktiengesellschaften ist dagegen nach Olsons theoretischen Überlegungen einfacher, was erklären mag, warum auf Unternehmensebene die Bildung vereinzelter Schutzvereinigungen zu beobachten ist. Ähnlich wie die Aktionäre, scheint auch die Arbeiterschaft nur eine unter­ geordnete Rolle für die Entwicklung von Aktionärsschutz und Offenlegungsvorschriften gespielt zu haben. Zuallererst lag dies wohl an der Tatsache, dass über das Aktienrecht, anders als in vielen wirtschaftswissenschaftlichen Modellen angenommen, nicht in Wahlen, sondern über die Konsultation von Expertengruppen entschieden wurde. Allerdings wäre der Arbeiterschaft in der Weimarer Republik wohl ein höheres Gewicht zugekommen, hätte das Gesetz, wie von der Verfassung vorgesehen, seinen Weg durch den Reichswirtschaftsrat und den Reichstag genommen. In beiden Gremien war die organisierte Arbeiterschaft stark vertreten und wäre wohl in der Lage gewesen, ihr wichtige Änderungen, wie eine Stärkung des Betriebsrats im Aufsichtsrat, durchzusetzen. Für die Unternehmensverfassung bedeutete dies die Konservierung der patriarchalischen Beziehung zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten, die sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu wandeln begann. Die Nachfrage der Vetospieler nach Beratung durch im Aktienrecht bewanderte Experten begünstigte neben Juristen vor allem Bankiers, die neben juristischem Wissen auch über breite praktische Erfahrung verfügten. Besonders einflussreich scheint diese Gruppe im Kaiserreich gewesen zu sein, aber auch in der Weimarer Republik beteiligte sie sich lebhaft an der Debatte. Im National­ sozialismus ging ihr Einfluss zurück. Privatbankiers traten, anders als in der 39 Olson.

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Weimarer Republik, kaum noch in Erscheinung. Auch die Großbankiers hatten nach dem Desaster der Bankenkrise einen schweren Stand im Aktienrechts­ ausschuss der Akademie für Deutsches Recht und konnten ihren Einfluss nur über gute Verbindungen in das vom ehemaligen Großbankenvorstand und Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht geleitete Reichswirtschaftsministerium sichern. Trotz ihres großen Einflusses auf die Ausgestaltung von Kontrollrechten und Offenlegungsstandards hat die Gruppe der Bankiers in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung kaum Beachtung gefunden. Aber auch in der historischen Forschung existieren kaum Arbeiten, die den Einfluss von Banken und Bankiers auf die Politik systematisch untersuchen.40 Die vorliegende Analyse erlaubt es zuletzt auch, Überlegungen darüber anzustellen, wie demokratisch die hier behandelten Entscheidungsprozesse abliefen.41 Dies soll zum einen am Einfluss der Parlamente auf den Entscheidungsprozess, zum anderen aber auch an der Pluralität des Entscheidungsprozesses festgemacht werden. Gemessen an diesen beiden Standards ist der Entscheidungsprozess im »Dritten Reich« erwartungsgemäß als äußerst undemokratisch zu bezeichnen. Der Reichstag spielte keine Rolle für die Gesetzgebung, und die Reformdebatte blieb auf einige wenige Stimmen beschränkt. Von Pluralität konnte nicht die Rede sein. Anders lag die Sache im Kaiserreich und der Weimarer Republik. Gerade im Kaiserreich spielte der Reichstag eine wichtige Rolle. Aber auch die Bedeutung des preußischen Abgeordnetenhauses, das den Gesetzgebungsprozess Mitte der 1870er Jahre letztlich anschob und die aktionärsfreundliche Ausrichtung der Entwürfe der Reichsleitung mitbestimmte, darf nicht unterschätzt werden. Dies bestätigt den Forschungsstand, der das moderne, demokratische Element des Kaiserreichs betont.42 Aber auch außerhalb des Reichstags war eine lebhafte Debatte zu beobachten, die sowohl von den für die Reform zuständigen Ministerien der Bundesstaaten als auch der Reichsleitung wahrgenommen wurde. Gleichwohl waren bestimmte Gruppen wie die Arbeiterschaft von der Debatte ausgeschlossen, und andere Gruppen, allen voran die Handelskammern, hatten einen privilegierten Zugang zu den Vetospielern. Gerade den Handelskammern gelang es, diesen Zugang zu nutzen, um die Interessen der von ihnen vertretenen Aufsichtsräte und Vorstände durchzusetzen. Über den Gesetzentwurf der Weimarer Republik wurde dagegen nie im Reichstag abgestimmt. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten und die Selbstausschaltung des Reichstags verhinderten einen erfolgreichen Abschluss des Gesetzgebungsprozesses. Kontrafaktische Überlegungen zeigen aber, dass wohl vor allem die SPD-Fraktion noch einmal einige wichtige Änderungen am 40 So existiert bisher keine Studie zum Zentralverband des deutschen Bank- und Bankiergewerbes. In letzter Zeit hat allerdings Harold James eine Untersuchung zur Wirtschaftsgruppe Privates Bankgewerbe vorgelegt. James, Verbandspolitik. Die wohl klassischste Studie zum Verhältnis zwischen Bankiers und Politik stammt von Fritz Stern. Vgl. Stern. 41 Dazu auch: Selgert, Zivilgesellschaft. 42 Fehrenbach; Gall; Morsey; Nipperdey; Zwehl.

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Regierungsentwurf durchgesetzt hätte. Doch auch ohne diese Überlegung muss der Entscheidungsprozess der Weimarer Republik als sehr demokratisch gewertet werden. Zum einen waren es auch in der Weimarer Republik die Landes­ parlamente, insbesondere der preußische Landtag, und Reichstagsfraktionen, die erfolgreich Druck auf die Regierung ausübten, den Gesetzgebungsprozess zu starten und dabei vor allem gegen bestehende Missstände im System der Unternehmenskontrolle vorzugehen. Zum anderen war die Reformdebatte von einer großen Pluralität geprägt, die von der Regierung durch die Ausgabe von Fragebögen an eine Vielzahl von Verbänden und Organisationen noch gefördert wurde. Das Reichsjustizministerium nahm die Antworten auf die Fragebögen ernst und versuchte, die Interessen von Aktionären und Gesellschaft zum Wohle der Gesamtwirtschaft auszugleichen. Gleichzeitig ignorierte es weitgehend die Sonderwünsche der organisierten Industrie und der Großbanken, die diese über institutionalisierte Kanäle persönlich oder schriftlich im Ministerium vor­trugen. In gewissem Sinne übernahm die Ministerialbürokratie damit die in Weimar nie vorhandene Kompromissfindungsfunktion des Parlaments. Zuletzt erlaubt die detaillierte Analyse des Verhandlungsprozesses auch Aussagen über die Bedeutung des Föderalismus im Kaiserreich und der Weimarer Republik. Obwohl als Bundesstaat organisiert, fehlt es gerade für das Kaiserreich an Studien über die Rolle des Bundesrats. Neuere Arbeiten zur Bedeutung des Föderalismus im Kaiserreich betonen die »weitreichenden Einflussmöglichkeiten« der Bundesstaaten während der 1890er Jahre in den Politikfeldern Finanzen, Unfallversicherung und Nahrungsmittelregulierung.43 Im Fall des Aktienrechts von einem weitreichenden Einfluss zu sprechen, scheint übertrieben, dennoch spielte der Bundesrat auch in diesem Politikfeld eine wichtige, wenn auch im Vergleich zum Reichstag nur untergeordnete Rolle.44 Erklärt werden kann diese Diskrepanz zwischen den einzelnen Politikfeldern mit der im Vergleich zum Aktienrecht größeren finanziellen Bedeutung der Steuer- und Sozialgesetzgebung. Fragen der Nahrungsmittelregulierung trafen die Wirtschaft vieler Bundesstaaten ebenfalls viel direkter als die Regulierung der Aktiengesellschaft. In der Tat war die Gründerkrise ja vor allem ein preußisches Phänomen.45 In der Weimarer Republik ging der Einfluss der Länder auf die Gesetzgebung weiter zurück. Trotzdem erhielten sich sowohl Preußen als auch die in der Aktienrechtsfrage bereits in den 1880er Jahren sehr aktiven Hansestädte einen gewissen Einfluss auf die Gesetzgebung. Die Bedeutung der Länder zeigt sich auch daran, dass das Reichsjustizministerium wie selbstverständlich die Meinung Bayerns und Preußens über die Forderungen des Reichsarbeitsministers bezüg43 Hähnel u. a., S. 131. 44 Selgert, Entscheidungsfindung. 45 Vgl. die Stellungnahme der Fachabteilung für Gewerbe im bayrischen Innenministerium vom 15.02.1884, in: HStA Mü, MJu 17037. Siehe auch das Gutachten des Hamburger Landgerichts vom Februar 1884, in: StHa, 111-1, Nr. 13855 (Cl. I, Lit T, Nr. 9c, Vol. 6b, Fasc.  4a).

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lich einer Stärkung der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat einholte. Für die Weimarer Republik findet sich hier somit die These bestätigt, dass der Reichsrat mehr politische Macht hielt, als dies von der Reichsverfassung vorgesehen war.46 Für diese Studie wurden mit der Vetospieler-Theorie und dem Advokatenkoalitionen-Ansatz in der Politikwissenschaft entwickelte Modelle für die geschichtswissenschaftliche Forschung fruchtbar gemacht. Beide Ansätze sind auf die historische Wirklichkeit übertragbar. So war es möglich die Träger von Advokatenkoalitionen und deren politischen Grundüberzeugungen aus den Quellen zu rekonstruieren. Dass an dieser Stelle zwei beziehungsweise für das »Dritte Reich« drei klar voneinander abgrenzbare Koalitionen herausgearbeitet werden konnten deckt sich mit der Mehrheit der politikwissenschaftlichen Anwendungen des Advokatenkoalitionen-Ansatzes. Dies ergibt der Vergleich mit einer Meta-Studie, die 80 Anwendungen des Advokatenkoalitionen-Ansatzes miteinander vergleicht. In den dort untersuchten Studien wurden in 63 Prozent der Fälle zwei Advokatenkoalitionen untersucht, in 19 Prozent drei Koalitionen.47 Der Ansatz eignet sich also dann besonders gut, wenn die politische Elite in Problemperzeption und Lösungsvorschlägen über lange Zeit deutlich gespalten ist. Dies war für die hier untersuchte formalrechtliche Regelung von Aktionärsschutz und Offenlegung der Fall. Es existierten klar abgrenzbare Kernüberzeugungen, die nicht aufgegeben wurden. Der Advokatenkoalitionen-Ansatz eignet sich außerdem dann besonders gut für die Analyse, wenn der Gegenstand über den im politischen Prozess entschieden wird technisch komplex ist und die Entscheidungsträger auf das Wissen (externer) Experten zurückgreifen müssen. Dies ist für das Aktienrecht ebenso gegeben wie für Umwelt- und Energie­ fragen – dem Standardanwendungsfall des Advokatenkoalitionen-Ansatzes. Die Vetospieler-Theorie erwies sich ebenfalls als wertvoll für die Untersuchung, insbesondere für das Verständnis des politischen Entscheidungsprozesses. Die Vetospieler selbst konnten gut mit Hilfe der Literatur und den Quellen identifiziert werden. Insbesondere der Fokus des Modells auf die Präferenzen der politischen Entscheidungsträger war sehr nützlich, um strukturiert über den Aushandlungsprozess nachzudenken. Es zeigte sich aber auch, dass der Ausgang der Verhandlungen und die Bedeutung von Agenda- und Vetomacht von den jeweiligen Akteurskonstellationen, Umweltbedingungen und politischen Institutionen abhängig waren. Hier zeigt sich der Wert der Empirie für die Theorie – denn erst durch die Verzahnung der komparativ-statischen Vetospieler-Theorie mit dem Konzept des akteurszentrierten Institutionalismus und dem stärker empirieorientierten Advokatenkoalitionen-Ansatz kann der politischen Entscheidungsprozess hinreichend erklärt werden. Die Arbeit mit sozialwissenschaftlichen Theorien erweist sich in dieser Form als sehr fruchtbarer Analyseansatz für die Geschichtswissenschaft. Er unterstützt bei der Identifizierung der wichtigen Akteure und Quellengruppen und 46 Wengst, Staatsaufbau, S. 70–74. 47 Weible u. a., S. 131–132.

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der Interpretation des Materials. Die Auseinandersetzung mit sozialwissenschaftlichen Modellen und Theorien hilft zudem alle relevanten Variablen einzubeziehen. In diesem Fall waren dies die politischen Entscheidungsträger und ihre Verhandlungen sowie die Umweltbedingungen und gesellschaftlichen Gruppen, die auf diese Verhandlungen einwirkten. Durch diese Herangehensweise wird die black box der politischen Entscheidung aufgebrochen und das Politische als sozialer Prozess transparent gemacht. Anders ausgedrückt ist es mit diesem Ansatz möglich, die Entstehung gesellschaftlicher Normen (Institutionen im North’schen Sinne) herauszuarbeiten. Wichtig ist hierfür allerdings ein flexibler, empirieorientierter Ansatz der sich mit der quellenkritischen Arbeit verzahnen lässt. Strenge, deterministische Modellvorgaben lassen sich nur bedingt mit einer kritischen Quellenstudie verbinden, da sie zu oft eine funktionale Logik unterstellen – das Ergebnis des Politikprozesses also durch die gegebenen Strukturen erklären und den handelnden Akteuren keine Gestaltungsmacht zusprechen.48 Solch einen flexiblen, akteursorientierten Ansatz bietet der in der Einleitung skizzierte Analyserahmen. In der vorliegenden Form kann er auf ähnliche Fragestellungen übertragen werden, die nach der Genese gesellschaftlicher Normen in anderen, nicht originär wirtschaftshistorischen, Politikfeldern fragen und die an einer Soziologisierung der Politik interessiert sind.49 In diesem Sinne versteht sich die vorliegende Studie als Plädoyer für einen intensiveren Dialog der Geschichtswissenschaft mit den Sozialwissenschaften über die Wirtschafts- und Sozialgeschichte hinaus.

48 Vgl. Welskopp, S. 182–183. 49 Ebd., S. 183.

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Abkürzungsverzeichnis ADHGB Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch AG Aktiengesellschaft AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen BArch Bundesarchiv Berlin BAY Bayern BHG Berliner Handelsgesellschaft BR Bundesrat BVP Bayerische Volkspartei CNBL Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei DAG Deutsche Arbeitsgemeinschaft DDP Deutsche Demokratische Partei DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft DFP Deutsche Freisinnige Partei DHT Deutscher Handelstag DIHT Deutscher Industrie- und Handelstag DKP Deutschkonservative Partei DNVP Deutschnationale Volkspartei DRP Deutsche Reichspartei DtFP Deutsche Fortschrittspartei DtVP Deutsche Volkspartei (Kaiserreich) DVP Deutsche Volkspartei (Weimarer Republik) FAVAG Frankfurter Allgemeine Versicherungs-AG FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung GLA Generallandesarchiv Karlsruhe GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GStA PK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz GuV Gewinn- und Verlustrechnung HAM Hamburg HGB Handelsgesetzbuch HStA DD Hauptstaatsarchiv Dresden HStA Mü Hauptarchiv München IG Interessengemeinschaft IHK Industrie- und Handelskammer KGaA Kommanditgesellschaft auf Aktien KPD Kommunistische Partei Deutschlands KVP Konservative Volkspartei Lex DIAG Gesetz für Deutsche Industrie Aktien Gesellschaft LV Liberale Vereinigung MinH Ministerium des Stabs des Führerstellvertreters Heß NDB Neue Deutsche Biographie NLP Nationalliberale Partei

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NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NVO Notverordnung RDI Reichsverband der Industrie RIM Reichsinnenministerium RJM Reichsjustizministerium RM Reichsmark RT Reichstag RWM Reichswirtschaftsministerium SAPD Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SQ Status quo StHa Staatsarchiv Hamburg VDA Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände Z Deutsche Zentrumspartei

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Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Abbildungen Abb. 1:

Zahl der in Deutschland registrierten Aktiengesellschaften, 1870–1941. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 2: Durchschnittliche Bilanzsumme deutscher Industrieaktiengesellschaften, 1871–1937. . . . . . . . . . . . . Abb. 3: Politische Eliten und Vetospieler. . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 4: Graphische Darstellung des Analyserahmens. . . . . . . . . . Abb. 5: Veränderung des Status quo des Aktionärsschutzes und der Offenlegungsverpflichtungen, 1870–1937. . . . . . . . . . Abb. 6: Entscheidungssequenz im Kaiserreich. . . . . . . . . . . . . . Abb. 7: Entscheidungssequenz in der Weimarer Republik. . . . . . . Abb. 8: Entscheidungssequenz im Dritten Reich. . . . . . . . . . . . . Abb. 9: Status Quo des Gesetzes von 1870, optimale Politikpunkte der Veto-Spieler und Verhandlungsergebnis des Jahres 1884. Abb. 10: Status Quo der 1920er Jahre, optimale Politikpunkte der Veto-Spieler und Verhandlungsergebnis des Jahres 1931. Abb. 11: Status Quo, optimale Politikpunkte der Veto-Spieler und Verhandlungsergebnis des Jahres 1937. . . . . . . . . . . . . .

11 13 25 28 66 90 106 115 148 151 168

Tabellen Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4:

Direkt in der Handelskammer Dortmund vertretene Aktiengesellschaften, 1864–1897. . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zahl der Aufsichtsratsmandate der Mitglieder der Frankfurter Handelskammer in den Jahren 1873 und 1883. . . Vorstands- und Aufsichtsratsmandate der Mitglieder der Ältestenschaft der Berliner Kaufmannschaft im Jahr 1886. . . Offene Wertpapierdepots der Reichsbank, Bestand zum 31. Dezember (1886–1915). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74 75 77 80 321

Tab. 5:

Sitzverteilung der politischen Parteien im Reichstag nach der Wahl im Jahr 1881. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 6: Im Reichstag und der Reichstagskommission vertretene Berufsgruppen (absolut und in Prozent). . . . . . . . . . . . . Tab. 7: Gesamtzahl und Anteile der im Reichstag vertretenen Unternehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 8: Gesamtzahl und Anteile der im Reichstag vertretenen Rentiers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 9: Beteiligungen der Reichstagsabgeordneten an Gründungen Anfang der 1870er Jahre (bezogen auf die Zusammensetzung des Reichstags von 1881). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 10: Schichtung der Sonstigen Kapitalvermögen im Jahr 1927. . . Tab. 11: Schichtung der Sonstigen Kapitalvermögen im Jahr 1935. . .

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84 94 95 96

97 100 111

Quellen- und Literaturverzeichnis

Archivalische Quellen Bundesarchiv Berlin Bestand Deutsche Bank (R 8119 F): P9295, P9296, P9297. Bestand Deutscher Reichstag (R 101): 787, 797, 5121. Bestand Reichsamt des Inneren (R 1501): 100006. Bestand Reichsjustizamt / Reichsjustizministerium (R 3001): 2665, 2859, 2860, 2861, 2862, 2863, 2864, 2865, 2866, 2867, 2885, 2886, 2887, 2935, 2937, 2938, 2939, 2941, 2942, 2943, 2948, 3007, 3008, 3012, 3017, 3021, 10228, 10229, 20532, 20541, 20542. Bestände der Reichskanzlei (R 43): II/302a, I/1082. Bestand Reichswirtschaftsministerium (R 3101): 17541, 17547, 17548, 17553. Bestand des Staatskommissars bei der Berliner Börse (R 3103): 21. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz I. HA Rep. 84a Justizministerium: Nr. 10446. I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe: Abt. A XII 5 Nr. 1 Bd. 7, 8, 9, 10, 16, 17, 18. Generallandesarchiv Karlsruhe Bestand Justizministerium (234): 4628. Hauptstaatsarchiv Dresden Bestand Sächsische Gesandtschaft in Berlin (10719): 1941, 2377.

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Hauptstaatsarchiv München Bestand Justizministerium (MJu): 17037, 17038, 17141. Staatsarchiv Hamburg Senat (111-1): 13853, 13855.

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Register

Personenregister Albrecht, Siegfried  194 Bachmann, Werner  111, 116, 219–221, 228, 234, 290 Behrend, Jakob  192 f., 199, 244 f. Behrens, Ernst  77 Beisert, Robert  144, 259, 260 Bell, Johannes  106 Bismarck, Otto von  83, 85 f., 88, 146 Breska, Herbert von  111, 227, 230, 234, 278 Brüning, Heinrich  102–104, 310 Büsing, Otto  141 f., 144, 257, 259 f. de Castro, Curt Rodrigo Franz  218 Delbrück, Adelbert  77 f., 93, 196, 233, 245–248 Dietrich, Gustav  77 Ebbecke, Max  224–226, 234, 292 Ebert, Friedrich  103 f. Embden, George Heinrich  93, 245 Flechtheim, Julius  203, 269–272, 276 Frank, Hans  116 Frentzel, Adolf  77 Friedberg, Heinrich von  133 Geiler, Karl  110, 203 Glagau, Otto  96, 189 Goldschmidt, Friedrich  77 Goldschmidt, Levin  93, 191, 200, 245–247 Gürtner, Franz  285 Hagelberg, Wolff  77 Hamel, Paul  211 Hartmann, Karl Alvin  142, 144 Hecht, Felix  199 Hecker, Emil  77 Hennes, C.A.  284 Herz, Wilhelm  77

Heß, Rudolph  62, 113 f., 177–181, 183–185, 227, 290 f., 293, 305 f. Heydemann, Karl  144 Heymann, Ernst  202, 221 Hitler, Adolf  61, 113 f., 115, 117, 119, 181 Horrwitz, Heinrich Joseph  141 f., 144, 258, 260 Horrwitz, Hugo  208, 218, 264 Jacobi, Karl Rudolf von  94, 245, 247 f. Jacques, Heinrich  192, 200, 242 Kaempf, Johannes  77 Kastner, Wilhelm von  134 f., 137 f., 143, 146, 250 Keppler, Wilhelm  111, 116, 221 f., 234, 308 Keyssner, Hugo  93, 245–248 Kimmich, Karl  283, 285 Kißkalt, Wilhelm  116, 224 f., 227, 234, ­278–284, 288, 291, 312 Klausing, Friedrich  221 f., 234 Koch, Richard  94, 245, 247 Kochhann, Heinrich  77, 145 f. Krüger, Daniel   87, 134, 138, 140 Krupp, Bertha  283 Kühnemann, Fritz  77 Kunheim, Heinrich Georg  77 Lasker, Eduard  90 f., 198 Lehmann, Julius  202 Liebermann, Benjamin  77 Lion, Max  215, 266 Löwenfeld, Herrmann  192 Luther, Hans  157, 214 Mendelsohn, Franz von  77 Meyer, Alexander  142–144, 259 f. Meyer, Carl  77 Meyer, Gehard Lucas  78, 196 Nell-Breuning, Oswald von  50

345

Nußbaum, Arthur  110, 202 f., 206–208, 218 f., 233, 264 Oechelhäuser, Wilhelm  142, 191, 193, 195 Perrot, Franz  189 Pinner, Albert  202 Porsch, Felix  143 Quassowski, Hans  282–285 Raesfeldt, Ferdinand  138 Raumer, Hans  224, 283 f. Reichenheim, Julius  77 Reichensperger, Peter  142 f. Russel, Emil  78, 94, 196, 245–248

Schlicke, Friedrich  77 Schmitt, Kurt  234 Schmölder, Karl  224, 283–285 Schwabach, Julius  77 Schwartz, Gustav  226 Sicherer, Hermann von  93, 245 Siemens, Carl Friedrich  224 Siemens, Georg von  77 Simon, Hans-Alfons  285, 288 f. Sobernheim, Siegfried  77 Solmssen, Georg  202 f., 205, 264 Stegerwald, Adam  156 Strombeck, Ignaz von  194, 199, 245 Tischbein, Willi  224

Sautter, Karl  157 Schacht, Hjalmar  111, 171, 179, 181, 234, 287 f., 311, 315 Schauss, Friedrich von  94, 196, 245 f. Schelling, Hermann von  134, 143, 146 Schlegelberger, Franz  105 f., 116, 202, 277, 282–285

Wachtel, Friedrich  76 Wagner, Adolph  93, 191, 195, 199 f., 245 f. Weigert, Max  77 Wiener, Heinrich  191, 199, 260 Wilhelm I.  89 Würdinger, Hans  221 f., 230, 280

Sachregister Advokatenkoalitionen Ansatz  24–26, 29–30, 317 Agendamacht  31, 89, 93, 105, 119, 122, 147 f., 164 f., 180 f., 306 f. Akademie für Deutsches Recht – Aktienrechtsausschuss  115 f., 120, 187, 225–230, 234, 277 f., 279, 281 f., 284, 286– 289, 291, 303 f., 311 f., 315 – Abschlussbericht  62, 229, 278–282, 288 – Beratungen  115 f., 227, 234, 277 f., 281, 288 – Vorsitzender  116, 224 f., 229 f., 234 f., 281 f., 303 f., 312 Akteurskonstellation  14, 24, 29, 31, 122, 147–150, 164, 166, 181, 185, 306 f., 317 akteurszentrierter Institutionalismus  23, 317 Aktie – Emission  41, 53, 82, 129, 211 – gebundene  16, 54, 153 f., 160, 162, 263, 273 f. – Gattung  48, 53

346

– Hinterlegung  38, 44, 47, 128, 130 f., 137, 144 f., 226, 244, 247, 259, 261 – Mehrstimmrechtsaktie  13, 48, 53 f., 64, 153, 157, 161, 165, 170, 176 f., 204 f., 207 f., 210–212, 217–219, 226–230, 233, 263 f., 268–270, 273, 278, 280–283, 299 f. – Schutzaktie  16, 53, 56 f., 152, 170, 212, 219 – Vorratsaktie  53 f., 56, 67, 155, 202 f., 205, 208, 215, 263, 298 f. Aktiengesellschaft – Bedeutung 12 – Entwicklung 10–12 – Gründer  12, 37, 39–41, 46, 49 f., 66 f., 96 – Gründung  11, 35, 40 f., 46, 49 f., 66 f., 76, 97, 137 f., 144, 189, 199, 242, 255 – Kontrolle der  16, 19 f., 52, 60, 297, 313 – Konzessionspflicht  34 f., 69 – Prinzipal-Agenten Problem der  18 – Überfremdung  54, 157, 212, 298

Aktiengesetz 1937 siehe Aktienrecht Aktienrecht – Aktiengesetz 1937  34 f., 62–65 – Neuordnung  59, 88, 115, 219–221, 278, 303 – Notverordnung 1931  34 f., 58–61 – Novelle 1870  34 f., 36–40 – Novelle 1884  34 f., 40–46 – wilde Weiterentwicklung  51–57 Aktienrechtsnovelle 1870 siehe Aktienrecht Aktienrechtsnovelle 1884 siehe Aktienrecht Aktionäre – Aktionärsanteil  79–82, 98–100, 109–110 – Auskunftsrecht  56, 154, 171, 182, 213, 215 f., 265, 272, 281–284 – Daueraktionäre 204 – Dividende  38, 48 f., 56, 62, 64, 67 f., 158 f., 199, 214 f., 226, 249, 258, 298 – Entmachtung  56, 64, 68, 169, 205, 212, 225, 283 – freie  18, 79, 117 f., 214, 234, 293 f. – Kleinaktionäre  55, 58, 107, 214, 217, 280 – Kontrollrechte  13, 15, 34, 151, 182, 192, 224 f., 297 f., 300, 302, 310, 313 – Minderheit  43 f., 47, 107, 146, 151, 159 f., 182, 201, 217, 284, 298 – Schutzvereinigung  76, 79, 314 – Sonderinteressen  145, 150, 152, 199, 201, 206 Aktionärsdemokratie 301 Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch siehe Handelsgesetzbuch Älteste / Ä ltestenschaft der Berliner Kaufmannschaft siehe Berliner Kaufmannschaft Analyserahmen 25–28 Anleihestockgesetz  62, 64, 68 Arbeiter(schaft)  61, 65, 82, 118, 218 f., 221, 228 f., 231, 263, 275, 280 f., 303, 314 f., Aufsichtsrat – Abwahl des  42, 136–140, 153, 170, 193, 197 f., 248, 252, 256 – Auskunftsrecht des  68, 159, 161, 272 – Beweispflicht  135, 139, 141 f., 194, 197, 245 f., 253 f., 259 – Bezüge  158, 163, 216, 229 – Entlastung  44, 153–155, 166 f., 192 f., 196 f., 278 – Entsendungsrecht  63, 68, 151, 162, 168 f., 173 f., 177, 203, 209, 263, 271, 277, 290

– Geschäftsführung des  42, 126 f., 190, 192, 222 f., 240, 242, 277, 299 – Gewinnbeteiligung  38 f., 49, 63 f., 142, 146, 159, 161, 178, 182, 199, 214, 258, 269, 280, 290 – Haftung  35 f., 37, 42, 126, 137, 139, 145, 196, 210, 239 f., 242, 247–249 – Individualrechte  161, 167, 271 – Kontrollpflicht  37, 42, 126, 129, 152, 192 f., 239 f., 242, 246, 298 – Mandatsbegrenzung  163, 168, 171, 178, 262 f., 273, 276, 283, 290, 299 – Minderheit  59, 151, 159–161, 182, 263, 269, 271, 277 – Schadensersatzpflicht  42 f., 47, 152, 167, 197, 209 f., 212, 243, 247, 260 – Verantwortlichkeit des  42, 193, 197 f., 242, 249, 252, 256 – Vergütung  129, 158 f., 169, 182, 216, 228 f., 269, 278, 280 – Wahl  36 f., 62 f., 129, 153, 159 f., 170, 203, 209 f., 225, 262 f., 269, 271, 278 Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft  107 Banken – Depotstimmrecht siehe Stimmrecht – Rolle von  73 f., 76–78, 93 f., 98–100, 106, 108, 110 f., 115–120, 245–248, 262–266, 269–277, 278–288, 291–295 Berliner Kaufmannschaft  75–78, 196 f., 240, 242–245, 251 f., 259 f., 293 f., 304 Betriebsrat  51, 57, 59, 108, 156 f., 159, 161, 164 f., 212, 217 f., 268, 314, 317 Bezugsrecht  47, 54, 58, 153, 167, 203, ­208–209, 279 Bilanz – Bilanzformular  128, 131, 136, 139, 146, 199 f., 246, 249, 254–258 – Bilanzierungsregeln  16, 39, 131, 139, 154, 163, 213, 215, 217 f., 255, 258, 265, 299 f. – Bilanzschemata  200, 213, 216 – Bilanzwahrheit 215 – Pflichtangaben  13, 60, 153, 161 – Pflichtprüfung  16, 62, 154, 163, 192, 213–216, 265, 274 f. – Prüfung der  37, 39, 60, 68, 145, 191, 194, 274, 299 Börse  37, 41, 45, 51, 154, 257, 301

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Börsenkrise 1873 siehe Gründerkrise Bundesrat  26, 72, 82 f., 85 f., 90–93, 134 f., 139 f., 146 f., 183–185, 250–257, 306, 316 – Ausschuss für Handel und Verkehr  87, 134 – Ausschuss für Justizwesen  91, 134 f., 251, 253 – Bevollmächtigter  87 f., 125, 134, 137 f., 140, 146, 184, 250, 252, 254 f. Continental-Gummi Werke  224 Corporate Governance siehe auch Unternehmensverfassung  9 f., 65, 276, 298 Depotstimmrecht siehe Stimmrecht Deputation für Handel und Schifffahrt ​ 138 f., 256 f., 292, 304 Deutsch Freisinnige Partei (DFP)  84, 95–97, 141–143, 148 Deutsche Arbeitsfront (DAF)  111, 116 Deutsche Bank  17, 29, 57, 77 f., 94, 196, 245, 247, 283, 285 Deutsche Demokratische Partei (DDP)  107, 156, 231, 276 Deutsche Fortschrittspartei (DtFP)  84 f. Deutsche Reichspartei (DRP)  84 f., 95–97, 142, 148 Deutsche Volkspartei (DVP)  164 f., 283 Deutsche Volkspartei (DtVP)  84 f., 95–97, 143 Deutscher Handelstag (DHK)  73 f., 76, 78, 90, 93 f., 112, 189, 195–197, 238 f., 245, 253, 259, 302, 304 Deutscher Industrie und Handelskammertag (DIHT)  52, 100, 204, 214 Deutscher Juristentag (DJT)  73, 79, 106 f., 112, 187, 202, 205, 233, 241, 266, 294 f. – Empfehlung  191–194, 199 f. 202, 242, 244, 262 – Kommission  106 f., 202–207, 213, 216, 219, 262–264, 266, 270 – Stellungsnahme  189, 194 Deutschkonservative Partei (DKP)  84 f., 95–98, 142 f., 148 Discontogesellschaft  77 f., 94, 196, 202, 245, 264 Dividende  38, 48 f., 56, 62, 64, 67 f., 158 f., 199, 214 f., 226, 228, 249, 258, 269, 280, 298 Emission  41, 53, 82, 129, 135, 211 – Emissionsgeschäft 225

348

Entscheidungskompetenzen  19, 33, 36, 177, 188 – Generalversammlung  37, 41, 62, 127, 129, 141, 198, 229, 278 – Vorstand  166, 225, 179, 183 Entscheidungssequenz  23, 27, 30, 90, 93, 105 f., 115, 122 f., 147, 166, 181, 185, 306 f. epistemische Gemeinschaft  232, 234, 310 Experten  13, 154, 190, 192 f., 201, 231–235, 237, 248, 275, 293, 297, 303, 310 f., 314, 317 Finanzmarktkrise (1873) siehe Gründerkrise Firmenanwälte siehe Unternehmensjuristen Frankfurter Allgemeine Versicherungs AG (FAVAG)  58, 107, 210, 231, 267, 270, 276, 294, 299 Führerprinzip  167, 172, 174, 176, 178, 182–184, 219, 221, 223–225, 229 f., 277 f., 282–289, 293, 300, 303 Generalversammlung – Ankündigung  128, 131 – Berufung der  48, 59, 196, 247 – Beschluss  42, 48, 53 f., 60, 127, 156 f., 161, 193, 206, 208, 214, 274 – Entmachtung  183, 220, 230, 278, 301 – Kompetenzen der  37, 41, 62, 127, 129, 141, 229, 278, – Schwächung der  138, 149, 160, 222 – Stärkung der  42, 60, 127, 141, 145, 150, 160, 167, 193, 196–201, 204, 206 f., 209 f., 240, 278, 301 – Teilnahme an  33, 38, 44, 47 f., 67, 198, 244 – unentziehbare Rechte  41 f., 127, 129, 193, 240, 243 Geschäftsbericht  – Pflichtangaben  13, 60, 154, 162, 171, 182, 200, 215, 265 – Pflichtprüfung  171, 213–216, 265, 274 f. Gesellschaftsvertrag siehe auch Statuten  19, 22, 33, 35–40, 48, 53 f., 127, 130, 142, 146, 151–153, 176, 258, 297, 300 Gewerkschaften  22, 98, 111, 118, 212 f., 217 f., 263–265, 268, 275, 292, 294 Gewinn- und Verlustrechnung  35 f., 46, 56, 60, 68, 128, 152–156, 166, 171 f., 176, 182, 200, 220, 225, 245, 253, 265, 277 f., 285, 287, 299

Gewinnbezugsrecht  33, 65, 124, 128, 153, 171, 188, 198, 202, 214, 228 f., 265 Gewinnverteilung  36–38, 45, 49, 53, 57, 62, 64 f., 68, 127, 129, 153, 159, 166, 171 f., 174, 176, 199, 213, 215, 219 f., 228 f., 253, 268 f., 277 f., 281–287, 299 f. Großbanken siehe auch Banken – Bank für Handel und Industrie  77 – Darmstädter und Nationalbank  59, 77 – Deutsche Bank siehe Haupteintrag Deutsche Bank – Discontogesellschaft siehe Haupteintrag Discontogesellschaft – Vertreter  214, 230 Gründerboom  11, 82, 90 f. Gründerkrise  16, 27, 34, 40, 46, 63, 69, 190, 195, 238, 242, 257, 261, 294, 297, 316 Grundkapital  35, 45–48, 129, 131, 144, 153 f., 158–160, 167 f., 173, 207 f., 248, 264, 277, 279, 285 – Minderheit  38, 43, 46 f., 152, 193, 217, 244, 259 Haftung – des Aufsichtsrats  35 f., 37, 42, 126, 137, 139, 145, 196, 210, 239 f., 242, 247–249 – der Minderheit  136 f., 144 f., 247 f. – des Vorstands  35 f., 42, 139, 210, 220– 222, 239, 279 Handelsgericht  193 f., 206, 244 Handelsgesetzbuch  29, 46–53, 58, 67, 91, 106–108, 157 f., 182, 192, 202 f., 267 Handelskammer – Aachen und Burscheid  259 – bayrische  249 f., 253–255 – Darmstadt 259 – Dortmund  74 f. – Enquete  73, 90–93, 190, 195 – Frankfurt  75 f. – Gutachten  93, 242, 256 f., 260 – Hamburg  198, 224, 256, 283, 292, 294, 304 – Leipzig 260 – Oberbayern  250, 252, 259 – preußische 239 – Stellungsnahme  194–201, 205, 224, 239 f., 249–256, 259, 274 f., 283 – württembergische  194, 201 Handelspresse  24 f., 58, 79, 98, 107 f., 110, 117 f., 208–210, 216 f., 219, 231, 233, 235, 262, 264, 269, 271–273, 275–277, 293, 303, 308, 310, 313

Handelsrechtler  93, 206 f., 219, 221, 223, 231, 245, 281 Handelsredakteure siehe Handelspresse Handelstag siehe Deutscher Handelstag Hannover’sche Bank  78, 196 Hauptversammlung siehe auch General­ versammlung  62–64, 68, 165 f., 170–173, 176 IG Farben  203, 269, 312 Ilseder Hütte  78, 196 Individualrecht – der Aktionäre  42, 67, 127, 135 f., 143–145, 240, 243, 248 f. – des Aufsichtsrats  159, 269 Industrie- und Handelskammertag siehe Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHT) Innenministerium (Bayern)  136, 248–256 Journalisten siehe Handelspresse Juristen siehe auch Unternehmensjuristen  13, 73, 79, 93, 98–101, 110, 118, 190– 192, 196, 201, 209, 215, 231, 235, 240–245, 264–266, 270 f., 314 Juristentag siehe Deutscher Juristentag (DJT) Justizministerium (Bayern)  248 f., 251–254 Justizministerium (Preußen)  107, 126–128, 159, 240–242 Kabinett siehe Reichsregierung Kaiser  83, 88–90, 93 Kapitalerhöhung  36, 41, 47 f., 54, 129, 152, 167, 196, 240 Kapitalherabsetzung  59, 177 Kapitalismus  9, 17 – organisierter Kapitalismus  9 f., 309, 311 f. Kapitalmarkt  61, 225, 287, 301, 307, 313 f. – Entwicklung des   11 f., 15, 41 – Regulierung  22, 61 f., 64, 68 Konzernbildung  9, 57, 208, 298 Landgericht, Hamburg  138 f., 256 f. Landtag, preußischer  107, 231, 270, 276, 316 Lex DIAG  219, 221, 228, 290 Liberale Vereinigung (LV)  84 Minderheitenrecht – Einführung  40–43, 67, 142, 244, 297 f.

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– Missbrauch  43, 127, 136 f. 141, 193, 197, 201, 204, 233, 240, 247–250, 259 – Schwächung  47 f. 49, 67, 136 f., 144 f., 198, 240, 243 f., 248–250, 259 f., 300 – Stärkung  40, 42–48, 59, 63 f., 67, 107, 127–131, 147, 151 f., 160, 167, 182, 192 f., 206, 209 f., 240, 282 – Streichung  139, 143, 198, 256, 257, 259 Mindestbesitzzeit  20, 144 f. Ministerium für Handel und Gewerbe  29, 76, 88, 91 f., 126 f., 132–134, 157 f., 161, 182, 195, 238–240, 269 f., 275 f., 292 Münchner Rück AG  116, 224, 234 Nationalliberale Partei (NLP)  84 f., 90, ­95–97, 141–144, 148, 198, 201, 258 Nationalsozialisten – Machtergreifung  12, 70, 109, 115, 118 f., 238, 262, 291, 294, 305, 308, 315 – Wirtschaftsideologie  61, 118, 178, 230, 238, 279, 300 Neue Staatlichkeit  112 Niederstwertprinzip  45, 128, 130 f., 246, 254, 260 f., 298 Nordwolle AG  58 f., 210, 299 NSDAP  62, 104, 113 f., 119, 168, 175, 178 f., 183 f., 306, 312 f. – linker Parteiflügel  219 f., 221 f., 228, 303, 308, 311 Organisation der Wirtschaft  9, 20 Pflichtprüfung  16, 62, 154, 163, 171, 192, 213–216, 265, 274 f. politische Elite  24–28, 73–82, 93–102, ­109–112, 118, 189, 257, 317 Präferenz  24–26, 31 – Präferenzordnung  123 f. Presse siehe Handelspresse Prinzipal-Agenten Problem  18 – Lösung des  19, 33 Privatbank – Delbrück, Leo & Co.  93 f., 196, 245 – Hamburger 210 – Hugo Mainz  211 – Lichtenberger & Co  211 – Sponholz & Co.  211 Publizität  56–59, 67 f., 107 f., 213, 216–219, 265, 282, 298 Rechtsanwalt siehe Juristen

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Rechtswissenschaftler  110, 115–120, 192, 221, 229, 239 Reichsaktienamt  209, 212, 244, 260–263, 268 Reichsamt des Inneren – Agendamacht  88 f., 93, 119 – Präferenzen 127–132 – Vetomacht  132, 147–149 Reichsarbeitsministerium  156 f., 161, 164, 267 f., 316 Reichsbank  79–82, 94, 116, 157, 171 f., 245, 315 Reichsgericht  51–56, 68 f., 233, 260, 298, 301 Reichsinnenministerium – Präferenzen  174 f. – Vetomacht  163, 179 f. Reichsjustizamt – Agendamacht  88 f., 93, 119 – Gesetzentwurf 127–132 – Präferenzen 127–132 – Vetomacht 147–149 Reichsjustizministerium – Agendamacht  105, 115 f., 119, 164 f. – Gesetzentwurf  150–155, 166–171 – Präferenzen  150–155, 166–171 – Vetomacht  163 f., 179 f. Reichskanzler  61, 83, 85, 88 f., 92, 104 f., 113, 133, 138, 143, 146 f., 163 – Genehmigung Bilanzformulare  128, 131, 136, 200, 246, 254 f. Reichskanzleramt  76, 91 f., 190, 195, 214, 238 Reichsleitung – Agendamacht  93, 147 – Vetomacht 147–149 Reichsoberhandelsgericht  79, 192–194, ­198–200, 238, 242–245, 260, 295 Reichspräsident  34, 71, 102–106, 113, 214 Reichsrat  101–105, 112 f., 119, 157, 160–164, 183–185, 262, 302–304, 310, 317 Reichsregierung – Besprechung  108, 115 f., 150, 157–159, 161, 163, 172–179, 286 f. – Geschäftsordung  100, 105, 114 f., 180, 276, 295 Reichsstand Industrie  112 Reichstag – Agendamacht 105 – Gesetzentwurf  140 f. – Präferenzen 141–146 – Vetomacht  146–149, 164 f.

Reichstagskommission  85, 90, 94, 140–149, 184, 259 f., 293, 304 Reichsverband der Industrie (RDI)  25, 100, 112, 187, 204 f., 213 f., 269, 274, 276 Reichswirtschaftsministerium – Agendamacht  105, 116, 119 – Präferenzen  155–157, 171–174 – Vetomacht  163, 179 f. Reserven  38, 45, 49, 127 f., 298 – stille  39, 47, 56, 153 f., 158, 171, 199, 213, 215–218, 229, 265, 270, 282, 298 f. Revisoren  50, 67, 136 f., 145 f., 193, 196, 201, 213, 218, 241, 244, 251, 256 Sachverständigenkommission  73, 78, 93, 117, 120, 130, 196, 206 f., 239, 245–248, 260 Sachverständigenkonferenz  92 f., 130, 188 Schadensersatz  33, 36, 42 f., 47, 63, 127, 131, 152, 167, 193, 197, 204, 206, 209 f., 212, 243, 247, 250 f., 260–262, 298 Sicherheitsleistung  43, 47, 137, 144–146, 206, 209, 244, 248–250, 262 f. Siemens-Schuckert Werke  224 Sonderprüfung  43, 127, 137 f., 144, 146, 152, 167, 209, 243, 247, 250, 259 f. Sozialdemokratische Partei (SPD)  84, 103 f., 108, 164 f., 218, 231, 263, 315 Spekulation  41, 195, 246, 307 Staatsministerium (Preußen)  92, 126, 128, 241 f., 276, 302 Stab des Führerstellvertreters siehe Stellvertreter des Führers Statuten – Änderung der   37, 41 f., 53, 127, 193, 196 f., 207, 243, 247, 278 Stellvertreter des Führers   62, 114 f., 117, 183–185, 277, 290 f., 293, 304–306 – Präferenzen  177 f. – Vetomacht 178 Stimmrecht  33, 44 f., 51, 64–67, 152 f., 156 f., 160–162, 198 f., 221 f., 244, 262 f., 268 f., 274 – Depotstimmrecht  55 f., 60, 64, 68, 153, 173, 177, 202–205, 208, 210–213, 220, 223, 226 f., 229 f., 263 f., 273, 278, 280–287, 299 – Doppelstimmrecht  281, 226–230 – Mehrstimmrecht  48, 53–56, 152 f., 170– 177, 202–212, 217–219, 226–233, 263 f., 268–273, 278–288 – one share – one vote  38, 207, 281

– Vorstandsstimmrecht  170–176, 225–230, 278–281, 286–289, 300 Unternehmensjuristen siehe auch Juristen ​ 10, 34, 62, 183, 194, 202 f., 230, 262, 267 Unternehmenskontrolle – deutsches System der  9 f., 12, 297 – Regime  13 f., 16, 21, 62, 66–69, 308, 311, 316 Unternehmensleitung siehe Aufsichtsrat, Vorstand Unternehmensverfassung siehe auch Cor­ porate Governance  50 f., 65, 70, 314 Varieties of capitalism siehe Kapitalismus Verein für Socialpolitik  73, 79, 187, 189, 191, 199 f., 238, 294 Vereinigte Stahlwerke  312 Vereinigung für Aktienrecht  100, 107 f., 110, 118, 206, 216, 264, 266, 276 Verhandlungsmacht  27, 31, 121 f., 149, 164 Verhandlungsstrategie  23 f., 27 f., 31, 122 f., 147–150, 176, 184, 297, 305 Vetomacht  132, 146–149, 163–165, 179 f., 183–185 Vetospieler – kollektiver  22 f., 71 f., 83, 86–88, 104, 113, 119, 302 – Theorie  22–26, 29 f., 149 f., 307, 317 f. – Verhandlungsmacht  27, 31, 121 f., 149, 164 – Zahl der   22, 27, 31, 71, 101, 118 f., ­122–124, 146, 149 f., 181, 185, 302, 307 f. Vorstand – Auskunftspflicht  67 f., 128, 150, 154, 158–162, 167, 200, 203, 205, 213, 216, 262, 270–272, 299 – Berufung des  36, 62 f., 142, 258 – Beweispflicht  135, 139, 141 f., 194, 197, 245 f., 259 – Entlastung  44, 129, 131, 153–155, 166 f., 192 f., 196 f., 278 – Führerprinzip siehe Haupteintrag Führerprinzip – Gewinnbeteiligung  38 f., 49, 63 f., 160 f., 178, 182, 269, 280, 290 – Überwachung des  18–20, 36 f., 42, 44, 52, 57 f., 68, 126 f., 181 f., 188, 190–195, 201, 220, 239 f., 246, 267, 273 – Verantwortlichkeit des  42, 256, 278

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– Vergütung  169, 182, 216, 229, 278, 280, 286 – Vorstandsstimmrecht siehe Stimmrecht Weltwirtschaftskrise  12, 15, 20, 27, 34, 58 f., 70, 103, 107–111, 163, 231, 273 f., 276, 294, 315 Wirtschaftsbeauftragter des Führers  111, 116, 222, 279 Wirtschaftsgruppe Privates Bankgewerbe  112, 286

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Wirtschaftswissenschaftler  73, 79, 117, 294 Zentralbodenkreditbank  94, 245 Zentralverband der deutschen Elektro­ technischen Industrie  224, 238, 284 Zentralverband des Bank- und Bankier­ gewerbes  100, 112, 165, 203, 211, 224, 269–272, 276, 283, 286, 310 Zentrum(spartei) (Z)  84 f., 95–98, 101 f., 104, 106, 142–149, 158, 165, 181, 185, 199, 201, 231, 258–260, 268, 307