Kontrolle der Macht: Formen und Regeln politischer Beratung im Mittelalter 3534267842, 9783534267842

Die sogenannte >konsensuale Produktdetails ProduktdetailsVerlag: WBG AcademicSeitenzahl: 360Erscheinungstermin: 16.

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German Pages 360 Year 2016

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Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
I. Einleitung
1. Einstieg in das Problem mittelalterlicher Beratung
2. Ausgangspunkte und Erkenntnisziele
3. Verhandlungen in Konflikten als Sonderform: Unterhändler, Mediatoren und Schiedsrichter
4. Zur Verschleierung des kompetitiven Charakters der Beratung
5. Beratung und Herrschaftsrepräsentation
6. Untersuchungsansatz und Prämissen
II. Karolingerzeit
1. Der consensus fidelium in Merowinger- und früher Karolingerzeit
2. Beratung in Krisenzeiten: Ludwig der Fromme zwischen „falschen Ratgebern" und selbstbewussten Bischöfen
3. Hincmar von Reims zur Theorie und Praxis der Beratung in der späten Karolingerzeit
Hincmars theoretische Vorstellungen über Beratung
Hincmars Darstellung von Beratung in seiner Historiographie
Hincmars De ordine palatii
4. Zusätzliche Beispiele für Beratung des Herrschers in der Karolingerzeit
5. „Staatskirchentum" und Beratung im endenden 9. und beginnenden 10. Jahrhundert
III. Ottonenzeit
1. Die quellenarme Zeit des frühen 10. Jahrhunderts
2. Beratungen in den Krisen der Herrschaft Ottos des Großen
Die erste Krise (936–939)
Die zweite Krise (953–954)
3. Beratungen Heinrichs II. aus der „indiskreten" Sicht Thietmars von Merseburg
Beratungen und Verhandlungen vor der Königserhebung 1002
Heinrich II. in Beratungen mit sächsischen Großen
Heinrich II. in Beratungen mit Bischöfen
4. Einzelbeispiele für Beratungen in der Ottonenzeit
IV. Salierzeit
1. Die Jugend Heinrichs IV.: die schlecht beratenen Regenten
2. Der erwachsene Heinrich IV.: das Bild eines beratungsresistenten Tyrannen
3. Verhandlungen mit Papst Gregor VII.
4. Vom „treuen Sohn der Kirche" zum „Friedensstörer in Reich und Kirche": Heinrich V.
Die Entmachtung Kaiser Heinrichs IV.
Heinrichs V. Verhandlungen mit der Papstkirche, der Bruch von Ponte Mammolo und das Wormser Konkordat
V. Stauferzeit
1. Die Wahl Friedrich Barbarossas: offiziöse Darstellung und vertrauliche Beratungen
2. Loyalitäten im Schisma: Friedrichs Schwierigkeiten mit Erzbischof Eberhard von Salzburg
3. Die Wegbereiter des Friedens von Venedig 1177
4. Konsensherstellung im Konflikt mit Heinrich dem Löwen
5. Die Sicht eines Praktikers: Gislebert von Mons
6. Beratungen und Verhandlungen im Thronstreit 1198
Die Ausgangslage
Die Rolle Papst Innocenz' III. bei der gütlichen Lösung des Thronstreits
Parteiwechsel, Abwerbungsversuche und Einflussnahmen im Thronstreit
Zur Konkurrenz der Normen im Thronstreit
VI. Zusammenfassung
1. Beratung im Spannungsfeld von Gewohnheit und Willkür
2. Die Rolle der geistlichen Berater
3. Zum Verhältnis informeller und formeller Beratungen
4. Möglichkeiten und Grenzen königlicher Lenkung der Beratung
5. Ausblick auf die weitere Entwicklung
Quellen- und Literaturverzeichnis
Register
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Kontrolle der Macht: Formen und Regeln politischer Beratung im Mittelalter
 3534267842, 9783534267842

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Gerd Althoff

Kontrolle der Macht Formen und Regeln politischer Beratung im Mittelalter

Frontispiz: Herrscher mit Ratgebern, identifiziert als Karl d. Gr. oder aber als Ludwig d. Fr. BNF Manuscripts Latin 5927, fol. 157, 11. Jh. (vgl. dazu M.-H. TESNIERE u.a.: Creating French Culture, New Haven, Conn. 1995, S. 55).

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2016 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Redaktion: Daphne Schadewaldt, Berlin Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a.d. Donau Covergestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Coverbild: Disputation zwischen König Heinrich II. von England und Thomas Becket. Englische Buchmalerei, Anfang des 14. Jhs. Foto: akg-images Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de 978-3-534-26784-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74093-2 eBook (epub): 978-3-534-74094-9

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Einstieg in das Problem mittelalterlicher Beratung . . . . . . . . . . . . . 11 2. Ausgangspunkte und Erkenntnisziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3. Verhandlungen in Konflikten als Sonderform: Unterhändler, Mediatoren und Schiedsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4. Zur Verschleierung des kompetitiven Charakters der Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 5. Beratung und Herrschaftsrepräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 6. Untersuchungsansatz und Prämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Karolingerzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Der consensus fidelium in Merowinger- und früher Karolingerzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Beratung in Krisenzeiten: Ludwig der Fromme zwischen „falschen Ratgebern“ und selbstbewussten Bischöfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Hincmar von Reims zur Theorie und Praxis der Beratung in der späten Karolingerzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Hincmars theoretische Vorstellungen über Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Hincmars Darstellung von Beratung in seiner Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Hincmars De ordine palatii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4. Zusätzliche Beispiele für Beratung des Herrschers in der Karolingerzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 5. „Staatskirchentum“ und Beratung im endenden 9. und beginnenden 10. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 III. Ottonenzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Die quellenarme Zeit des frühen 10. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . 94 2. Beratungen in den Krisen der Herrschaft Ottos des Großen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Die erste Krise (936–939) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Die zweite Krise (953–954) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 5

Inhalt

3. Beratungen Heinrichs II. aus der „indiskreten“ Sicht Thietmars von Merseburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Beratungen und Verhandlungen vor der Königserhebung 1002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Heinrich II. in Beratungen mit sächsischen Großen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Heinrich II. in Beratungen mit Bischöfen . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4. Einzelbeispiele für Beratungen in der Ottonenzeit . . . . . . . . . . . . 132 IV. Salierzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Die Jugend Heinrichs IV.: die schlecht beratenen Regenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Der erwachsene Heinrich IV.: das Bild eines beratungsresistenten Tyrannen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Verhandlungen mit Papst Gregor VII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4. Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Die Entmachtung Kaiser Heinrichs IV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Heinrichs V. Verhandlungen mit der Papstkirche, der Bruch von Ponte Mammolo und das Wormser Konkordat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 V. Stauferzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Die Wahl Friedrich Barbarossas: offiziöse Darstellung und vertrauliche Beratungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2. Loyalitäten im Schisma: Friedrichs Schwierigkeiten mit Erzbischof Eberhard von Salzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3. Die Wegbereiter des Friedens von Venedig 1177 . . . . . . . . . . . . . . 236 4. Konsensherstellung im Konflikt mit Heinrich dem Löwen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 5. Die Sicht eines Praktikers: Gislebert von Mons . . . . . . . . . . . . . . . 251 6. Beratungen und Verhandlungen im Thronstreit 1198 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Die Rolle Papst Innocenz’ III. bei der gütlichen Lösung des Thronstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Parteiwechsel, Abwerbungsversuche und Einflussnahmen im Thronstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Zur Konkurrenz der Normen im Thronstreit . . . . . . . . . . . . . 297

6

Inhalt

VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Beratung im Spannungsfeld von Gewohnheit und Willkür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 2. Die Rolle der geistlichen Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 3. Zum Verhältnis informeller und formeller Beratungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 4. Möglichkeiten und Grenzen königlicher Lenkung der Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 5. Ausblick auf die weitere Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Register

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

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Vorwort Das Thema dieses Buches hat mich seit langem umgetrieben. Schon bei den Forschungen zur Bedeutung der Gruppenbindungen in „Verwandte, Freunde und Getreue“ und bei den Arbeiten zu den „Spielregeln der Politik im Mittelalter“ spielten die verschiedenartigsten Treffen und Versammlungen eine wichtige Rolle, die vorrangig der Beratung anstehender Probleme dienten. Aber auch bei den späteren Forschungen zur symbolisch-rituellen Kommunikation stand immer wieder die Beobachtung im Vordergrund, dass die „rituellen Aufführungen“ ohne vorhergehende Beratungen und Absprachen nicht denkbar waren. Nur in Einzelfällen ließ sich dies nachweisen, weil die Quellen in dieser Frage ungewöhnlich schweigsam waren. Auch meine jüngeren Arbeiten zu den Auseinandersetzungen zwischen König und Papst in der Zeit Heinrichs  IV. und Gregors VII. mussten notwendig ihre Aufmerksamkeit auf die zahllosen Versuche richten, face to face, aber auch brieflich, über Unterhändler oder mittels gelehrter Traktate die anstehenden Fragen einer Lösung näherzubringen, was mit beträchtlichem Aufwand versucht wurde. Immer wieder wurde bei diesen Arbeiten klar, dass ein Eindringen in die vertrauliche Sphäre dieser Beratungen, eine Aufarbeitung der in der Beratung geltenden Regeln und der benutzten Strategien nicht einfach war. Die Verteilung der Gewichte in dieser Beratung und die Möglichkeiten, eigene Interessen und Anliegen durchzusetzen, sind immer noch schwer zu durchschauen. Dass das Buch jetzt geschrieben wurde, bedeutet nicht, dass es einen Durchbruch in diesen Fragen gegeben hätte und der Schlüssel zum Verständnis dieses wich­ tigen Betätigungsfeldes der mittelalterlichen Eliten gefunden sei. Immerhin aber sind genügend Quellenbelege aus dem Zeitraum des frühen und hohen Mittelalters gesammelt, die auf ganz unterschiedliche Weise Einblick in die Beratung der Könige ermöglichen. Sie konnten daher in chronologischer Folge dargeboten und mit vergleichender Perspektive analysiert werden. So ließ sich eine ganze Reihe von Beobachtungen machen, die regelgeleitetes Verhalten nachweisen und Rückschlüsse auf die Funktionsweisen der Beratungspraxis erlauben: Die Beratung gab den Ratgebern die Möglichkeit, Einfluss auf die Entscheidung auszuüben; der König hatte aber auch Möglichkeiten, die Beratung in seinem Sinne zu lenken und zu dominieren. Die Fülle der Befunde erlaubt einige begründete Hinweise, die ein besseres Verständnis der mittelalterlichen Beratung ermöglichen. Mit ihr etablierte sich eine gewisse 9

Vorwort

Kontrollfunktion gegenüber der Königsherrschaft, die herrscherlicher Willkür Grenzen setzen konnte. Die folgenden Ausführungen werden aber auch zeigen, dass den Königen viele Möglichkeiten zur Verfügung standen, den Rat ihrer Ratgeber zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die Arbeit entstand in der anregenden Atmosphäre des Clusters „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne“; geschrieben wurde sie in der Position eines Seniorprofessors, der von Alltagspflichten weitestgehend befreit ist, ohne die Vorzüge einer intensiven Diskussionskultur missen zu müssen. Stellvertretend für viele sei daher den Sprechern Barbara Stollberg-Rilinger und Detlef Pollack und der Geschäftsführerin Iris Fleßen­ kemper dafür Dank gesagt, dass sie für die nötige materielle und immaterielle Unterstützung sorgten, die der Arbeit gewiss zugute gekommen ist. Barbara Stollberg-Rilinger, Knut Görich, Jan Keupp, Steffen Patzold und Stefan Weinfurter lasen Teile der Arbeit und gaben wertvolle Hinweise, wofür ich sehr herzlich danke. Für die zuverlässige Hilfe bei der Bücherbeschaffung und den Finessen der Computernutzung bin ich Alexander Hillebrandt zu großem Dank verpflichtet. Münster, im Mai 2015 

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Gerd Althoff

I. Einleitung 1. Einstieg in das Problem mittelalterlicher Beratung Beratung und Ratgeber hatten nicht nur einen sehr hohen Stellenwert für das Funktionieren mittelalterlicher Königsherrschaft. Auch war die Praxis der Beratung nicht auf den Bereich von Herrschaft beschränkt. Schon seit den antiken Philosophen stellte „Rat“ vielmehr ein häufig behandeltes Thema im ­Zusammenhang rechter Lebensführung des Menschen dar.1 Man schätzte ­sowohl das Mit-sich-zu-Rate-Gehen in einem Prozess des Innehaltens und der Sammlung als auch den Rat erfahrener Dritter als wesentliche Vorgänge bei der Vervollkommnung menschlicher Existenz. Der Rat sollte das Produkt des Einsatzes von Wissen und Weisheit sein und durch Sammlung und Über­ legung zustande kommen. Insofern galten auch Alter und Erfahrung als Voraussetzungen für guten Rat. Im Unterschied zum Gebot (preceptum) ließ der Rat (consilium) genügend Raum für eine freie Entscheidung und gewann dadurch eine besondere Qualität. Nichtsdestotrotz tendierte ein Rat natürlich zu einem Versuch der Einflussnahme und der Mitsprache vor einer Entscheidung. Die nach einer Entscheidung zu erwartende Hilfe war nicht gänzlich unabhängig davon, ob die Beratung zu einem Konsens aller geführt hatte. Andererseits beeinflussten Machtkonstellationen auch die Möglichkeiten des Ratgebens. Der Rat konnte zu einer Pflicht zur Zustimmung degenerieren. Schon in der Politik der antiken Welt hatten die Beratung und der Rat einen festen Platz. In Athen und anderen griechischen poleis existierte bereits in der Königszeit ein Adelsrat, dem eine bestimmte Anzahl von Angehörigen der ­vornehmsten Geschlechter der Stadt auf Lebenszeit angehörte. Er fungierte als „vorberatendes und kontrollierendes Organ im Prozess der politischen Willensbildung“ und bekam eine Ergänzung in der Volksversammlung, die zunächst wohl noch in akklamatorischer Weise Entscheidungen fällte, dann aber auch zu Mehrheitsentscheidungen mit Stimmenzählung überging, wie sie etwa im Ostrakismus praktiziert wurden.2 In Rom verstand sich der Senat als consilium publicum; in der Kaiserzeit etablierte sich ein consilium principis als 1 2

Vgl. zu diesen Überlegungen den Art. „Rat“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, Sp. 29–37. Vgl. WELWEI, Die griechische Polis, S. 66 ff.

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I. Einleitung

Gremium, dem ehemalige Konsuln und Prätoren angehörten. Aber auch der pater familias rief für Kapitalstrafen in der Familie ein consilium ein, dessen Entscheidung er beitrat.3 Die Wertschätzung des Rates als Entscheidungshilfe führte zu allen Zeiten zu einer Vielzahl von Versammlungen mit Teilnehmern verwandtschaftlicher, genossenschaftlicher oder herrschaftlicher Bindung, die durch Beratung Konsens zu erzeugen und diesen in Entscheidungen und praktisches Handeln umzusetzen versuchten. Auch im Alten Testament ist die Vorstellung bezeugt, dass Herrschaft über Menschen des Rates bedurfte und Herrscher weise Rat­ geber haben sollten. Oft kommunizierte Gott über Propheten mit den Königen, dessen Ratschläge dann allerdings mit dem Anspruch auf Gehorsam ausgestattet waren.4 Unter den vielen schlechten Herrschaftsformen galt die Tyrannis nicht zuletzt deshalb als eine besonders schlechte, weil der Tyrann keiner Beratung zugänglich war, sondern aus eigener Willkür regierte. Insofern bildet das Mittelalter keineswegs eine Ausnahme, wenn es der Beratung allgemein und der von Herrschern im Besonderen einen hohen Stellenwert beimaß. ­Könige regierten ihre Eliten nicht mit dem Mittel von Befehl und Gehorsam, sie erhielten „Rat und Hilfe“ (consilium und auxilium). Es war aber keineswegs ­explizit festgelegt, was davon als Recht und was als Pflicht der Eliten aufgefasst werden musste. Aber auch der Blick in andere Kulturen lehrt schnell, dass Rat und Ratgeben dort gleichfalls eine geschätzte Praxis war und ist. Ethnologen stoßen gerade bei der Untersuchung vorstaatlicher Verhältnisse immer wieder auf die Beratung in unterschiedlichsten Kontexten, deren Stellenwert mit dem eingedeutschten Wort „Palaver“ und seinem pejorativen Beigeschmack kaum ­adäquat wiedergegeben wird.5 Die pejorative Bedeutung des Wortes in der M ­ oderne bringt vielmehr zum Ausdruck, dass Beratung als eine zeitaufwendige und nicht notwendig effektive Form der Entscheidungsfindung angesehen wird, weil zu viele Köche den Brei verderben, wie das Sprichwort sagt. Dagegen bezeugen viele vorstaatliche Herrschafts- und Sozialformen die hohe Wertschätzung, die den Beratungen anstehender Probleme eingeräumt wurde. Es scheint also geraten, diese Wertschätzung ernster zu nehmen, als man dies bisher getan hat, und nach ihren Gründen zu fragen. Angesichts der epochen- und kulturübergreifenden Dimension des Themas „Beratung“ ist es nämlich erstaunlich, wie wenig man sich gerade für die Zeiten des Früh- und Hochmittelalters um die Formen und Inhalte der Beratung, die 3 4 5

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Vgl. den Art. „Consilium“, in: Der kleine Pauly, Sp. 1280 f. Vgl. z. B. 1 Kön 12, 6 und 12, 13 sowie 2 Chr 10, 6 und 10, 13; zur Rolle der Propheten als Berater der Könige s. SCHMITT, Mantik im Alten Testament, S. 30 ff. und 83 ff. Vgl. zur der Beratung vergleichbaren Bedeutung des Palavers in Afrika HELFRICH, ­A frikanische Renaissance und traditionelle Konfliktlösung, S. 70 ff.: „2.2.2 Das Palaver als Kernelement traditioneller politischer Systeme“ mit weiteren Hinweisen.

1. Einstieg in das Problem mittelalterlicher Beratung

Möglichkeiten und Grenzen des Rat-gebens und um deren Bedeutung für das Funktionieren der mittelalterlichen Herrschaft wie der gesellschaftlichen Ordnung gekümmert hat. Im Vordergrund des Interesses an „Reichsversammlungen“ und „Hoftagen“ als den vorrangigen Anlässen der Beratung des Königs mit seinen Getreuen standen formale Fragen wie die nach dem Kreis der berechtigten bzw. unverzichtbaren Teilnehmer, nach der Dauer und Regelmäßigkeit der Treffen, nach den Modi der Einberufung; nicht hingegen Fragen nach der politischen Qualität der Beratung selbst als einer Form von Teilhabe an und Einflussnahme auf Herrschaft. Dieses Desinteresse hatte seine Ursachen zum Teil in einer schwierigen Überlieferungslage, die den Einblick in Formen und vor allem Inhalte der ­Beratung verwehrt. Es wurzelt aber wohl auch in einer gewissen Unfähigkeit der modernen Betrachter, die Bedeutung des Aufkommens von Beratung im Bereich der mittelalterlichen Herrschafts- und Gesellschaftsordnung adäquat zu würdigen. Dabei liegt doch eigentlich auf der Hand, dass die Beratung anstehender Probleme ein Indiz dafür ist, dass sich der Kreis derjenigen vergrößert, die an der Entscheidungsfindung beteiligt werden wollen. In der Tat macht aber die Überlieferung ein Eindringen in die Prozeduren der Beratung und ihre Spielregeln nicht eben leicht. Man lüftete selten den Schleier der Vertraulichkeit, der über den Beratungen gewöhnlich lag, sondern akzeptierte, dass im Bereich von Herrschaft der Prozess des Zustandekommens von Beschlüssen und Entscheidungen nicht transparent gemacht wurde. An­ dererseits ist aber die moderne Öffentlichkeit gewohnt, eben diese Transparenz zu fordern, so dass moderne Menschen vertraulichen und verdeckten Formen der Willensbildung mit Misstrauen und Unverständnis begegnen. Mit der Bewertung „freiwillige Selbstbindung durch Zustimmung“ hat man der mittelalterlichen Beratung der Herrschaftsverbände um den König in der Forschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zudem ein Etikett gegeben, das verrät, wie voreingenommen man der Sache gegenüberstand.6 Nur eine selbstbindende Wirkung des Rates hatte diese Formel im Auge, nicht seine etwaige Beeinflussung und Begrenzung der herrscherlichen Entscheidungswillkür. Dass die Beratung auch der Königsherrschaft Grenzen setzen sollte und konnte, lag wohl noch außerhalb der Vorstellungskraft einer Mediävistik, die auf ein machtvolles deutsches Königtum im Hochmittelalter fixiert war. Diese Fixierung auf die Königsmacht, die als unbegrenzt und willkürlich gedacht wurde, stand aber in unbemerktem Gegensatz zu 6

Vgl. die Darstellung einschlägiger Vorstellungen bei HANNIG, Consensus fidelium, S. 20–26, mit der besonderen Würdigung der Arbeiten von Fritz Kern, Heinrich Mitteis und Otto Brunner. Das Zitat s. bei HANNIG, S. 25 zu BRUNNER, Land und Herrschaft, S. 428 f. und dessen Bewertung: „Es war zweckmäßig … durch Einholung des Rates der zur Huldigung Verpflichteten jeden zukünftigen Einwand abzuschneiden.“

13

I. Einleitung

mittelalterlichen Einschätzungen.7 Sie konnte sich Beratung lediglich als eine Form der Akklamation vorstellen. Der Anspruch auf Partizipation, den Beratung implizit oder explizit erhebt, blieb dagegen mehr oder weniger ­unbeachtet. Daher lag es nahe, diese Frage bereits im Titel des Buches zu stellen: Inwieweit war mit der Beratung des Herrschers eine Kontrolle seiner Macht intendiert und verbunden? Bisher suchte man, wenn überhaupt, nach den Wurzeln der mittelalterlichen Beratung in den Thingversammlungen der germanischen Stämme, wie sie etwa Tacitus zu schildern schien, und im germanischen Gefolgschaftswesen.8 Die Vorstellung von freier Rede freier Männer in einer germanischen Urdemokratie hat sich aber als Mythos erwiesen.9 Selbst wenn dort Anknüpfungspunkte existiert haben sollten, bedeutete der Rekurs auf germanische Wurzeln der Beratung eine Engführung, schon weil er die Rolle der christlichen Kirche bei der Beratung des Königs nicht genügend in Rechnung stellte. Diese beanspruchte nämlich spätestens seit der Karolingerzeit ein besonderes Gewicht ihres Rates, weil sie sich dafür verantwortlich fühlte, auch die Könige auf dem „rechten Weg“ zu halten.10 Auch in den folgenden Jahrhunderten nahmen die Versuche der Kirche, durch Beratung Einfluss auf die Herrschaft der Könige zu nehmen, keineswegs ab, so dass die Rolle der geistlichen Berater des Königs und ihr spezifischer Beitrag notwendig ins Zentrum der folgenden Ausführungen rücken müssen. Überdies wurden im Früh- und Hochmittel­ alter große Konflikte um das wechselseitige Verhältnis von Kirche und Königtum geführt, die sich nicht zuletzt an der Frage entzündeten, ob der Rat der Priester nicht Gebotsqualität habe und sie nicht auch von Königen Gehorsam verlangen dürften.11 Diese Konflikte machten unzählige Beratungen nötig, in denen die Argumente ausgetauscht wurden, die die jeweiligen Positionen stützten. Die Kirche, aber auch die „Hofkleriker“ brachten hier in erster Linie die Bibel als normative Grundlage ihrer Positionen ins Spiel, was durch die Jahrhunderte zu durchaus neuen Begründungen und Herleitungen verschie7

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9 10 11

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Vgl. zur Fixierung der Forschung auf den Machtbegriff zuletzt ALTHOFF, Hochmittelalterliches Königtum, S.  78  ff. Grundlage meiner Auffassung bildet MAX WEBER (Wirtschaqft und Gesellschaft, Studienausgabe Tübingen 5. Rev. Ausg. 1976, S. 29) mit der bekannten Definition von ‚Macht‘ im Unterschied zu ‚Herrschaft‘. Allg. zu Formen der Begrenzung von Macht im Mittelalter s. bereits den Art. „Macht, Gewalt“ (Geschichtliche Grundbegriffe, hg. v. OTTO BRUNNER u. a., Bd. 3, Stuttgart 1982, S. 817 ff., bes. III, 2, S. 837 ff.: „‘Potestas‘ und ‚Gewalt‘ als rechtmäßige Herrschaft.“ Vgl. etwa SCHLESINGER, Herrschaft und Gefolgschaft, bes. S. 235; kritisch zu Tacitus und seiner Verwendung zur Erforschung germanischer Eigenarten und Gewohnheiten s. immer noch NORDEN, Die germanische Urgeschichte in Tacitus Germania, bes. S. 124–130. Vgl. dazu WEITZEL, Dinggenossenschaft und Recht, S. 143 ff. S. dazu ausführlich unten bei Anm. 94 ff. S. dazu unten bei Anm. 437.

1. Einstieg in das Problem mittelalterlicher Beratung

dener Ansprüche führte. Diese Langzeitauseinandersetzung ist daher in ihren unterschiedlichen Phasen zu verfolgen. Im vorliegenden Buch geht es folglich darum, durch die Analyse besonders aussagekräftiger Fälle das Wissen um die Formen und Inhalte von Beratung im Früh- und Hochmittelalter zu verbessern und vor allem auch ihre politischen Dimensionen zu verstehen. Diese bestehen ja ohne Zweifel darin, dass mit dem Ratgeben eine Form von Partizipation an der Herrschaft eröffnet wurde, die eine Begrenzung der Willkür dieser Herrschaft ermöglichte. Mit dem Rat wurde eine Art von Mitsprache institutionalisiert, die Entscheidungen beeinflussen konnte. Ob dies wirklich gelang, ist aber alles andere als sicher, da die Entscheidung weiter dem vorbehalten blieb, dem geraten wurde. Intendiert war am Ende der Beratung nämlich ein allgemeiner Konsens, der die Entscheidung, wie man heute zu sagen pflegt, alternativlos machte, obgleich eine alternativlose Entscheidung ein Widerspruch in sich selbst ist. Dennoch wurde die Entscheidung bekanntlich nicht von den Ratgebern, sondern vom Herrn oder König getroffen, der selbst seine Konsequenzen aus der Beratung und den gegebenen Ratschlägen zog. Wie eng diese Konsequenzen sich an den gegebenen Rat anzulehnen hatten, ist eine wichtige Frage. Das Problem sei einleitend nur mit einem anekdotischen Beispiel verdeutlicht, das geeignet ­erscheint, Ähnlichkeiten wie Unterschiede moderner und mittelalterlicher Vorstellungen über die Funktion von Beratung sichtbar zu machen. Im 12. Jahrhundert konstruierten Lorscher Mönche die Geschichte einer Beratungsrunde unter Karl dem Großen, die mit einiger Sicherheit nicht auf geschichtlichen Ereignissen beruht.12 Nichtsdestotrotz macht sie Vorstellungen von den Verfahren und Formen, von den Möglichkeiten und Grenzen von Beratung sichtbar. Der Herrscher informierte nach dieser Geschichte seine Ratgeber über ein schwieriges Problem und bat um ihren Rat: Er hatte gesehen, dass Einhard, der berühmte Geschichtsschreiber, eine Nacht bei Karls Tochter Imma verbracht hatte. Während dieser Nacht hatte es geschneit, so dass Imma sich genötigt sah, Einhard auf ihrem Rücken zurück zu seiner Behausung zu tragen, damit sich der nächtliche Besucher nicht durch seine Fußspuren verriet. Dies beobachtete der Kaiser von seinem Fenster aus, rief seine Ratgeber zusammen, stellte ihnen die Majestätsverletzung vor und forderte von ihnen Rat und Entscheidungsvorschläge. Die Ratgeber waren unterschiedlicher Meinung und machten verschiedene Vorschläge von der Todesstrafe bis zum Exil. Karl hörte sich den Rat an, präferierte jedoch eine ganz andere Lösung, „die ihm besser geeignet schien, zum Ruhme seiner Herrschaft beizutragen: Er wolle ihrer Jugend Rechnung tragen und sie in 12

Vgl. dazu Codex Laureshamensis, Bd. 1, cap. 9, S. 298 f.; s. dazu bereits ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, S. 160 f.

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I. Einleitung

g­ esetzlicher Ehe verbinden, damit eine so unschöne Sache mit der Farbe der Ehrenhaftigkeit überdeckt würde.“13 Die Anekdote spielt so ironisch mit den Stereotypen der beflissenen Rat­ geber und des souveränen Herrschers, der seinen eigenen Vorstellungen folgt – und sie markiert keinen Einzelfall, sondern eine häufiger zu beobachtende ironische Charakterisierung mittelalterlicher Beratungen.14 Deshalb erlaubt sie zumindest eine Hypothese: Wesentliche Rahmenbedingungen und Verhaltensmuster bei mittelalterlicher Beratung sind unseren Vorstellungen von ­Beratung nicht fremd: Die Suche nach dem einleuchtenden Argument zur ­Lösung eines Problems prägte auch die Vorstellungen der mittelalterlichen Zeitgenossen von angemessener Beratung ebenso wie die Überzeugungskraft origineller Lösungen. Durch Rang und Stand, Ehre und Stellung, Macht und Beziehungen wurden jedoch die Möglichkeiten freier Argumentation in ­realen Beratungen beeinträchtigt, gänzlich entmachten ließen sich die Wirkungen des geschliffenen Wortes und der problemlösenden Idee jedoch wohl nicht. Sie konnte aber auch der Herrscher für sich reklamieren. Wie diese Spannung in konkreten Beratungen zum Austrag kam und wer sich im Einzelfall mit seinen Vorstellungen durchsetzte, soll an Beispielen behandelt werden. Aus diesen Beobachtungen lassen sich mit einiger Gewissheit vertiefte Einschätzungen in die Spielregeln und Verhaltensstrategien gewinnen, die die Akteure im politischen Beratungsgeschäft befolgten oder auch brachen und manipulierten. Denn dass die Situation der Beratung der Ort war, an dem immer wieder die Alternative von Konsens oder Konflikt zur Debatte stand, sollte bewusst bleiben. Die unbezweifelbare Nähe der Beratung zum Konflikt lässt auch eine ­Erweiterung des Themas sinnvoll erscheinen. Neben den Beratungen innerhalb eines Verbandes sollen auch die Verhandlungen zweier Verbände, die der gütlichen Beilegung von Konflikten dienten, in die Untersuchungen ­einbezogen werden. Dies scheint aus folgendem Grund gerechtfertigt: Verhandlungen standen häufig in einem engen Verhältnis zu Beratungen, weil sie deren direkte Fortsetzung waren. Gelang nämlich die Konsensherstellung in der Beratung eines Verbandes nicht, folgte daraus häufig ein Konflikt, der durch Verhandlungen der Parteien, die sich nun gebildet hatten, beigelegt werden konnte. Diese Verhandlungen unterlagen zwar anderen ­Regeln als die internen Beratungen, dienten aber gleicherweise der Herstellung von Konsens.15 Wir gewinnen also durch die Einbeziehung von Ver13

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Ebd., S. 299: Unde dignius et laudabilius imperii nostri glorie arbitramur congruere, ut data adolescentie uenia, legitimo eos matrimonio coniungam, et rei probose honestatis colorem superducam. Vgl. dazu ALTHOFF – MEIER, Ironie im Mittelalter, bes. S. 69 ff., 74 ff. S. dazu unten bei Anm. 36.

2. Ausgangspunkte und Erkenntnisziele

handlungen in Konflikten Anschauungsmaterial, das das Feld einvernehmlicher Willensbildung erweitert.

2. Ausgangspunkte und Erkenntnisziele Schon Georg Waitz formulierte in seiner mehrbändigen Verfassungsgeschichte des deutschen Reiches in der Mitte des 19. Jahrhunderts, dass uns die Formen und Inhalte mittelalterlicher Beratung mit dem Herrscher nicht zugänglich seien: „Über die Art der Verhandlung und Beschlussfassung fehlt jede nähere Kunde.“16 Diese Feststellung ist im Wesentlichen heute noch gültig, auch wenn der hohe Stellenwert der Beratung für die Etablierung und Aufrechterhaltung mittelalterlicher Ordnung inzwischen häufiger betont und zum Thema von Forschung wurde.17 In der Tat werden moderne Erwartungen bezüglich der formalen und normativen Grundlagen mittelalterlicher Beratung wie ihrer konkreten Ausgestaltung durch die Aussagen der zeitgenössischen Überlie­ ferung nicht unbedingt befriedigt. Für moderne Betrachter fehlt es in den Quellen an verwertbaren Informa­ tionen zum formal berechtigten bzw. notwendigen Teilnehmerkreis an den Beratungen, zu beratungspflichtigen Themen, zum geregelten Ablauf der Konsensherstellung, zum Zustandekommen der Entscheidungen und zu vielem mehr. Hiermit sind aber wohl anachronistische Erwartungen formuliert. Eine semi-orale vormoderne Gesellschaft kreierte nämlich viel weniger explizite Regelungen als eine moderne. Sie kam mit einer begrenzten Zahl allgemeiner und grundsätzlicher Festlegungen aus und „fand“ „Gewohnheiten“ dann, wenn es konkrete Probleme nötig machten.18 Ansonsten machte man es so, wie es gute, alte Sitte, Brauch oder eben Gewohnheit war. Andererseits überrascht die Vehemenz des Protestes und Widerspruchs, wenn etwa Könige sich zu weit von den für uns schwer durchschaubaren 16 17

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Vgl. WAITZ, Deutsche Verfassungsgeschichte, 6, S. 397 ff., das Zitat S. 442. Waitz bezeichnet die Beratung des Königs als „Beirath“. Zu neueren Versuchen einer Annäherung an das Phänomen der politischen Beratung vgl. nach HANNIG, Consensus fidelium; KELLER, Zur Struktur der Königsherrschaft; ALTHOFF, Colloquium; REUTER, Assembly Politics; SCHNEIDMÜLLER, Konsensuale Herrschaft; POSTEL, „Communiter inito consilio“; PATZOLD, Konsens und Konkurrenz; DÜCKER, Reichsversammlungen; AIRLIE, Talking Heads; EICHLER, Reichsversammlungen unter Ludwig dem Frommen; SUCHAN, Mahnen und Regieren. Zur Diskussion um mittelalterliche „Rechtsgewohnheiten“, die weit intensiver erforscht sind als „politische“ Gewohnheiten dieser Zeit, vgl. zuletzt PILCH, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten, bes. S.  273–355; zur Indifferenz der mittelalterlichen Gesellschaft gegenüber einer unbezweifelbaren Mehrdeutigkeit (Ambiguität) ihrer „politischen Gewohnheiten“ vgl. zuletzt ALTHOFF, Problem der Ambiguität, S. 45 ff.; DERS., Mittelalterliche Verfassungsgeschichte und Spielregeln der Politik: ein Nachwort, bes. S. 373 ff.

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I. Einleitung

­ ewohnheiten entfernten, die für Beratungen offensichtlich doch etabliert G ­waren.19 Widerstand setzte sowohl ein, wenn Könige die Beratung wichtiger Themen unterließen, als auch, wenn sie nicht für eine ausgewogene Gruppe ihrer Ratgeber sorgten, sondern einseitig lediglich den Rat bestimmter Personen einholten. Gänzlich arbiträr war die Praxis der Beratung also sicher nicht. Normative Grundlagen für mittelalterliche Beratung erwähnen die Quellen aber nicht eben häufig. Es wurde zumeist das Prinzip der Vertraulichkeit respektiert. Die Reihenfolge der Redner in der Beratung scheint sich nach ihrem Platz in der Rangordnung gerichtet zu haben, was den Höchstrangigen die größten Möglichkeiten gab, die Richtung der Willensbildung zu dominieren. Was beraten wurde, bestimmte der König oder Herr. Behandelte er wichtige Themen zu lange dilatorisch, gab es Probleme. Zudem hören wir genügend Einzelstimmen, die bezeugen, dass mit vielerlei Mitteln versucht wurde, Entscheidungen verdeckt zu beeinflussen, was nicht immer akzeptiert wurde. Schon diese wenigen Bemerkungen raten dazu, die Andersartigkeit mittelalterlicher Beratung zu beachten, genauer nach ihrer Eigenlogik und ihren Spiel­ regeln zu fragen. Systematisch ist solch ein Versuch bisher jedoch noch nicht unternommen worden. Durch neuere Untersuchungen mehrten sich die Indizien dafür, dass sich in den Beratungen für gewöhnlich weniger eine Kultur der freien Meinungsäußerung und des geschliffenen Arguments etablierte als eine Kultur der Inszenierung und der „Konsensfassaden“, die dafür sorgten, dass die Konsensherstellung im Interesse der Mächtigen vonstatten ging.20 Ein überlegt vorgehender König, der die Ranghöchsten seiner Ratgeber in seine Planungen einbezog, hatte anscheinend viele Möglichkeiten, seine Interessen und Anliegen durchzusetzen, weil diese Ranghöchsten als Erste ihren Rat gaben und so die Richtung der Meinungsbildung entscheidend beeinflussten. Schließlich stand am Ende solcher Beratungen keine Abstimmung; vielmehr scheint es Aufgabe und alleiniges Recht des Herrn oder Königs gewesen zu sein, Ratschläge und Argumente zu gewichten und daraus eine Entscheidung abzuleiten, die ihm die richtige zu sein schien – oder auch, keine zu treffen. Die häufigen Konflikte und Herrschaftskrisen zeigen jedoch, dass die an der Herrschaft partizipierenden Kräfte dann die Zusammenarbeit verweigerten, wenn die königlichen Entscheidungen zu eindeutig ihre Interessen verletzten. Die Überlieferung ist allerdings wohl noch nie systematisch daraufhin befragt worden, welche Einsichten sie darüber zulässt, wann und warum die Inszenie19 20

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Vgl. dazu etwa unten bei Anm. 388 ff. den massiven Protest gegen die Beratungspraxis König Heinrichs IV. Vgl. GÖRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas, bes. S. 162 ff.; GARNIER, Die Kultur der Bitte, bes. S. 369 ff.; ALTHOFF, Inszenierte Freiwilligkeit, bes. S. 88 ff.; mit auch für das Mittelalter interessanten Einsichten STOLLBERG-RILINGER, Organisierte Heuchelei, S. 99 ff.

2. Ausgangspunkte und Erkenntnisziele

rung von Willensbildung scheiterte und die Konsensherstellung zu einem komplizierten und kompetitiven Spiel der Kräfte und Koalitionen mutierte. Einzelfälle bezeugen aber ganz deutlich, dass es feste Gewohnheiten gab, zu reagieren, wenn die eigenen Vorstellungen und Interessen bei der Konsensherstellung keine Berücksichtigung fanden. Dann griff man nämlich zum Mittel der conspiratio, des conventiculum und der coniuratio und stellte so an einem anderen Ort Konsens in einem Teil eines Verbandes her, der sich nicht selten in bewaffnetem Vorgehen gegen andere Meinungen konkretisierte.21 Dann aber begannen in aller Regel auch Verhandlungen, durch die zum Konsens zurückgefunden werden sollte. Aus diesen einführenden Bemerkungen über den Forschungsstand zum Thema Beratung und zu seinen Problemen lässt sich eine Reihe von Folgerungen ableiten, die für die angestrebten Untersuchungen von Gewicht sind: ­Zunächst einmal ist die Beratung des Königs mit „den“ Ratgebern von der ­Einflussnahme einzelner Ratgeber auf königliche Entscheidungen zu unterscheiden. Formen der Intervention oder der Fürsprache sind teilweise Begleiterscheinungen von Prozessen der Konsensherstellung, teilweise unterlaufen sie aber auch die Beteiligung aller Ratgeber zugunsten besonderer Vertrauter. Das Verhältnis zwischen vom König anberaumten allgemeinen Beratungen und der zumeist verdeckten Einflussnahme verschiedenster Kräfte auf die königliche oder allgemeine Willensbildung ist daher zu klären und gegebenenfalls als Spannungsverhältnis zu beschreiben. Unterschieden wird daher in dieser Arbeit zwischen informell-vertraulichen und formell-öffentlichen Beratungen innerhalb eines Verbandes. Letztere zeichnet ein regelhafter Ablauf aus, an den alle Teilnehmer gebunden sind; erstere hängen von der Huld und Gnade des Herrn ab und werden Einzelnen gewährt, ohne dass ein Anspruch auf sie besteht. Sie gelten zwar als hohe Auszeichnung und als eine hervorragende Möglichkeit, verdeckt Einfluss auszuüben. Doch werden diese Möglichkeiten entscheidend von der Willkür des Herrn bestimmt, der sie gewährt. Er ist niemandem Rechenschaft darüber schuldig, ob er einem informellen Rat oder Vorstoß Folge leistet. Allerdings genügen auch die Regeln der formellen Beratungen heutigen Ansprüchen auf Beteiligung an Entscheidungen nur bedingt: Zwar war festgelegt, dass der einberufende König oder Herr den versammelten Ratgebern ein Problem schilderte und um Rat bat, den die Anwesenden dann nach ihrem Rang geordnet gaben, ehe der König die Konsequenz aus den Ratschlägen zog und eine Entscheidung verkündete. Dies musste allerdings nicht einmal immer ­geschehen. Auch wurde kein fester Teilnehmerkreis bestimmt, der Anspruch auf Teilnahme an den Beratungen erheben konnte, wie keine Mindestzahl an 21

Vgl. dazu bereits ALTHOFF; Verwandte, Freunde und Getreue, bes. S. 120 ff. und unten bei Anm. 892 ff.

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I. Einleitung

­ atgebern festgelegt war, die für solche Beratungen erreicht werden musste. R Zumindest Angehörige der Führungsschichten aber haben den Anspruch erhoben, an solchen Beratungen beteiligt zu werden. Eine spezifische Öffentlichkeit der Beratung wurde überdies dadurch erreicht, dass die Ratgeber sie entweder selbst herstellten, weil sie unterschiedlichen Netzwerken angehörten, oder aber Zuhörer gestattet waren, die sich zumeist aus dem Kreis der Vasallen rekrutierten, was jedoch nur selten praktiziert wurde. Es reicht zudem wohl nicht aus, auf dem Felde der Beratung lediglich zwischen informellen und formellen Formen zu differenzieren, die zudem durch ihren vertraulichen bzw. öffentlichen Charakter charakterisiert sind. Genauso wichtig scheint es, zwischen den Beratungen innerhalb einer Gruppe und den Verhandlungen zwischen verschiedenen Gruppen oder Parteiungen zu unterscheiden. Auch bei Verhandlungen über die Beendigung von Konflikten oder den Abschluss von Bündnissen zwischen Gruppen sollte ja Konsens und Einigkeit über bestimmte Sachfragen hergestellt werden, entweder im direkten Austausch oder unter Zuhilfenahme von Boten, Gesandten und Vermittlern.22 Diese Verhandlungen sind wie die Beratungen durch den Austausch von Argumenten, durch die Anbahnung von Kompromissen, den Ausgleich von Interessen charakterisiert, und damit geschieht die Herstellung von Konsens in ganz ähnlichen Formen wie in den Beratungen eines Verbandes. Sie sind aber aufgrund einer unter Umständen temporären Spaltung des Verbandes dadurch gekennzeichnet, dass nun nicht mehr eine Person die Beratung leitet und am Ende ihr Ergebnis formuliert, sondern zwei oder mehr Parteien Konsens über Probleme herzustellen versuchen, ohne dass dabei jemandem eine dominierende Rolle zugebilligt würde.23 Beide Formen der Konsensherstellung sind also für die folgenden Untersuchungen in gleicher Weise wertvoll. Alle bisher angesprochenen Formen der Beratung unterscheiden sich deutlich von königlichen Entscheidungen, die nicht auf der Grundlage von Beratungen oder Verhandlungen mit „den“ Getreuen, sondern aufgrund von Entschlüssen zustande kamen, die allenfalls durch verdeckte Einflussnahme besonderer Vertrauter in bestimmte Richtungen gelenkt worden waren. Der königlichen Pflicht, sich beraten zu lassen, war anscheinend manchmal schon dadurch Genüge getan, dass Probleme mit einzelnen, weisen Ratgebern besprochen wurden. Welche Fälle es jedoch waren, in denen man dies akzeptierte, und wann nicht, können wir zurzeit nicht mit Bestimmtheit erkennen. Es ist auch grundsätzlich fraglich, ob die mittelalterlichen Zeitgenossen abstrakt und theoretisch genau unterschieden haben, welche Probleme einer allgemeinen Beratung bedurften und welche lediglich mit besonderen Vertrauten zu erörtern waren. 22 23

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Vgl. dazu allg. KAMP, Friedensstifter und Vermittler, S. 14 ff.; mit Schwerpunkt auf den englischen Verhältnissen BENHAM, Peacemaking in the Middle Ages. Vgl. dazu instruktive Beispiele bei THIEME, „So möge alles Volk wissen“, bes. S. 159 ff.

2. Ausgangspunkte und Erkenntnisziele

In den Untersuchungskapiteln sind daher vorrangig politische Problem­ lagen analysiert, in denen besonders intensiv von Beratung und Verhandlung die Rede ist. Dort wird es möglich, an konkreten Beispielen die Regelhaftigkeit des Vorgehens und Verhaltens sowie die Handlungsspielräume der Akteure und ihre Limitierung zu erkennen. Hier sollte man auch daran erinnern, dass der Vorgang der formellen Beratung große Ähnlichkeit mit Sitzungen des Königsgerichts hat, in denen der König „Urteilern“ ein Problem vorlegte, das diese dann in Kommunikation mit der Gerichtsgemeinde in einem Urteilsvorschlag lösten, dem der König in aller Regel zustimmte.24 Auch hier thematisieren die Quellen so gut wie nie, in welchem Ausmaß die Urteiler verdeckt mit den anderen Beteiligten kommunizierten, ehe sie einen Urteilsvorschlag machten. In der Formel consilio vel iudicio ist aber die Nähe der beiden Vorgänge, Rat oder Urteil, zum Ausdruck gebracht.25 Häufiger scheint man bei einem Problem zunächst nämlich offen gelassen zu haben, ob man es durch Rat oder durch ein Urteil lösen wollte. Erst wenn etwa die gütliche Konfliktbeilegung durch einen Ratschlag nicht gelang, griff man zum Urteil, das einen stärkeren Anspruch auf Befolgung erhob.26 Gab es aber einen Anspruch bestimmter Ratgeber, an solchen formellen Beratungen beteiligt zu werden? Zweifelsohne existierte ein Zusammenhang zwischen dem Rang einer Person und diesem Anspruch. Es war für einen König sicher schwer, die höheren kirchlichen und weltlichen Ränge wie Erzbischöfe und Herzöge bei einer formellen Beratung zu übergehen, wenn sie denn anwesend waren. Daneben ist aber immer wieder zu lesen, dass Könige oder auch Regentinnen ein besonderes Verhältnis zu einzelnen Ratgebern entwickelt und diesen besonderes Gehör geschenkt hätten. Das war zweifelsohne möglich, zugleich aber auch sehr konfliktträchtig, wenn diese Vertrauten nicht zu den Ranghöchsten gehörten.27 Was wissen wir zudem über Rahmenbedingungen solcher Beratungen? Es sind wieder nur verstreute Einzelnachrichten, die den Eindruck erzeugen, dass die Teilnehmer einer formellen Beratung mit dem König davon ausgingen, dass die anvisierte und vom König angestrebte Lösung des Problems zuvor bereits mit wichtigen Leuten abgesprochen war.28 Dies gebot die politische Klugheit, die den König darauf verwies, vorab sicherzustellen, dass die wichtigen Rat­geber mit seiner Sicht der Dinge übereinstimmten. Man darf insgesamt wohl formulieren, dass dem König einige Möglichkeiten solcher Einflussnahme auf die Ergebnisse der Beratung zu Gebote standen: Er konnte 24 25 26 27 28

Vgl. dazu KAUFMANN, Art. „Königsgericht“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, Sp. 1o34 ff. mit weiteren Hinweisen. Vgl. dazu bereits SCHÄFER, mit minne oder mit rechte; KRAUSE, Consilio et iudicio. Vgl. PILCH, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten, S. 141 ff. Vgl. dazu unten bei Anm. 357. Vgl. dazu unten bei Anm. 837.

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I. Einleitung

das Problem dilatorisch behandeln, bis er genügend Unterstützung gefunden hatte; er konnte ­Unterstützung so längerfristig und mit Kompensationsangeboten anbahnen; er konnte das Problem erst dann thematisieren, wenn die ständig wechselnde Konstellation der Ratgeber für seine Ansicht günstig war. Er musste nicht alle Ratgeber auf seiner Seite haben, sondern vor allem die ranghöchsten, weil diese als Erste ihren Rat gaben. Und er formulierte last, not least auch selbst den Konsens, der sich aus den Ratschlägen ergab. Stellt man solche Rahmenbedingungen der Konsensherstellung in Rechnung, wird auch das Phänomen des Fernbleibens von solchen Beratungen verständlicher. Es zeigt einmal, dass bestimmte Ratgeber schon vorher wussten, welche Probleme wie entschieden werden sollten. Deshalb praktizierten sie eine subtile und wahrscheinlich auch wirksame Form des Widerspruchs gegen Entscheidungen, die sie nicht verhindern konnten, aber auch nicht mittragen wollten. Nahm das Fernbleiben ein größeres Ausmaß an, signalisierte es unzweideutig eine Opposition gegen die Amtsführung des Königs.29 Das schwierige Geschäft der Konsensherstellung führte also ganz offensichtlich zu einer Reihe von Praktiken, die einem ungeschützten Aufeinanderprallen kontroverser Meinungen durch Vorklärungen und Absprachen vorzubeugen versuchten. Gerade wenn schwierige Fragen zu entscheiden waren, berieten sich schon vor einer allgemeinen Aussprache Verwandte und Freunde allein miteinander und sondierten so die Stimmung, wie wir etwa im Falle der Königswahl zur Nachfolge Kaiser Heinrichs II. hören, bei der es unterschied­ liche Präferenzen gab.30 Erst wenn man sich so über die Chancen der Konsensherstellung vergewissert und den Weg zu einer einvernehmlichen Lösung gefunden hatte, wagte man die Einberufung einer Versammlung, in der nach gut vorbereiteter Willensbildung dann eine Entscheidung gefällt wurde. Durch solche Vorklärungen bekamen die formellen Beratungen aber den Charakter von Inszenierungen, in denen ein vertraulich vorbereiteter Konsens öffentlich bestätigt wurde. Man wird davon ausgehen dürfen, dass vielen Akteuren in diesem politischen Kräftespiel der Beratung bewusst war, dass es sich hierbei um ein vorbereitetes Unternehmen handelte, bei dem Rollen vorweg verteilt und Ziele abgesprochen waren.31 Diese Tatsache wurde jedoch sorg­ fältig verborgen zugunsten der Fiktion, dass die richtige Lösung durch die ­Argumentationen der Ratgeber erst gefunden würde.32 Die Spannung, ob sich auch alle an die abgesprochenen Rollen halten würden, blieb aber in jedem Fall 29 30 31 32

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S. dazu das Verhalten der Lehnsleute des Kölner Erzbischofs beim Mainzer Hoffest, ebd. bei Anm. 837. Vgl. dazu Wipo, Gesta Chuonradi, cap. 2, S. 536 ff. Ein Paradebeispiel hierfür sind die Beratungen Friedrich Barbarossas mit den Großen auf dem Mainzer Hoffest 1184, s. dazu unten bei Anm. 837. Dies hat schon Hincmar von Reims klar erkannt und deutlich formuliert; vgl. unten bei Anm. 204.

3. Verhandlungen in Konflikten als Sonderform

erhalten. Überraschungen waren immer möglich, wie etwa die Königswahl von 1125 zeigte, die durch einen überraschenden Parteiwechsel Herzog Heinrichs von Bayern entschieden wurde.33 Insgesamt ergeben die Versuche einer Annäherung an die Problematik der Beratung damit eine Fülle von Eindrücken, die Schlaglichter auf Rahmen­ bedingungen und Praktiken werfen. Ob die Momentaufnahmen allgemein gültige Befunde abbilden oder Ausnahmesituationen betreffen, ist nicht immer sicher zu beurteilen. Hier kann nur eine systematischere Aufbereitung des zur Verfügung stehenden Materials die Voraussetzungen verbessern.

3. Verhandlungen in Konflikten als Sonderform: Unterhändler, Mediatoren und Schiedsrichter Es wurde schon betont, dass es nötig erscheint, die zahllosen Zeugnisse für Verhandlungen von Konfliktparteien in die Überlegungen einzubeziehen, auch wenn diese Art der Konsensherstellung unter anderen Bedingungen stand als die Beratung eines Verbandes, bei der eine einzige Person über das Ergebnis der Beratung entschied. Verhandlungen erbrachten dagegen nur dann ein positives Ergebnis, wenn alle beteiligten Parteien mit ihm einverstanden waren. Folgerichtig finden wir eine Reihe von Institutionen, die helfen sollten, dieses Einverständnis zu erzielen. Die Zuhilfenahme von Vermittlern etwa scheint regelmäßig vorgenommen worden zu sein, so dass die gütliche, außergerichtliche Streitschlichtung in allen Jahrhunderten des Untersuchungszeitraums sozusagen eine Standardlösung für die Beendigung von Konflikten innerhalb der Führungsschichten darstellte, auch wenn sich Befugnisse und Autorität der Vermittler im Laufe dieser Zeit durchaus wandelten.34 Zum Verständnis ihrer Arbeit ist vor allem darauf hinzuweisen, dass solche Vermittler keine Entscheidungs- oder Urteilsmacht hatten; sie widmeten sich vielmehr der Aufgabe, die Kommunikation unter den Konfliktparteien aufrechtzuerhalten und mit Vorschlägen und Argumenten Wege zum Frieden zu eröffnen. Ohne die Zustimmung der Parteien waren sie jedoch nicht zu Lösungen fähig. Damit schufen sie aber immer wieder Situationen, in denen beraten und verhandelt, das heißt abgewogen und argumentiert, Lösungen skizziert oder verworfen werden mussten. 33

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Der wechselte von der staufischen Partei zu jener Lothars von Supplingenburg, vgl. Regesta Imperii IV, 1, Nr. 92, S. 53; die kurz darauf geschlossene Ehe seines Sohnes mit der Erbtochter Lothars (ebd., Nr. 139, S. 90 f.) enthüllt wohl den Preis des Parteiwechsels; vgl. zu den Folgen HECHBERGER, Staufer und Welfen, bes. S. 18 ff. Vgl. dazu grundlegend KAMP, Friedensstifter und Vermittler; neuerdings, mit Beiträgen zur Institution der Vermittlung aus verschiedenen Epochen und Kulturen ALTHOFF (Hg.), Frieden stiften.

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I. Einleitung

Angesichts der Schwierigkeiten solchen Unterfangens spielte sich die Tätigkeit dieser Vermittler weitestgehend im Bereich der Vertraulichkeit ab und hatte allenfalls nach erfolgreichen informellen Kontakten einen formellen Teil: wenn nämlich die Vermittler die Parteien persönlich zum Ritual des Friedensschlusses führten, das in aller Regel aus einer Unterwerfung (deditio) und einer Versöhnung bestand, die öffentlich vollzogen wurden.35 Im vertraulichen Teil der Verhandlungen zählte aber wie in anderen Beratungen die Fähigkeit, zu überzeugen, mit Argumenten die Bereitschaft der ­Parteien zum Einlenken und zum Frieden zu erreichen – oder auch durch Mahnungen und Drohungen ein Umdenken zu erzwingen. Die rhetorischen und anderen Fähigkeiten, die hierzu nötig waren, dürften die gleichen gewesen sein wie in anderen Beratungen. Die von einem Vermittler erforderten Fähigkeiten und Eigenschaften ähneln daher denen eines guten Ratgebers sehr. Folgerichtig waren die ranghohen Ratgeber der Könige, wie etwa Erzbischöfe oder Herzöge, auch häufig als Vermittler tätig. Es spricht alles dafür, dass diese ­Tätigkeit wiederum positive Rückwirkungen auf ihr Gewicht bei Beratungen gehabt haben dürfte. Von den Vermittlern unterscheiden lassen sich bei den Verhandlungen verschiedener Verbände Boten, Unterhändler, Gesandte und Legaten, die von einer Konfliktpartei zur anderen gesandt wurden und die sehr unterschied­ lichen Spielraum bei der Führung von Verhandlungen haben konnten.36 Dieser reichte in Extremfällen bis zur plenaria potestas, den Konflikt im Auftrage einer Partei selbständig beilegen zu können.37 Diese Bevollmächtigung korrespondiert mit der Einsetzung von Schiedsgremien, die über mehr Befugnisse verfügten als die Institution des Vermittlers. Diese wurden von Vertretern der Konfliktparteien paritätisch besetzt und sollten sich einvernehmlich auf eine Lösung des Konflikts verständigen. Gelang dies, bekam ihr Schiedsspruch eine autoritative Qualität, die einem Gerichtsurteil nahekam.38 Die Wirkmacht dieser Schiedsgremien versuchte man seit dem 12. Jahrhundert noch dadurch zu erhöhen, dass auch die Möglichkeit diskutiert wurde, ihnen Mehrheitsentscheidungen zu erlauben.39 Zu einer solchen Entscheidung ist es in dieser Zeit allerdings wohl nicht gekommen. Es verdient aber erwähnt zu werden, dass die 35 36

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Vgl. dazu ALTHOFF, Die Macht der Rituale, bes. S.  68  ff.; STOLLBERG-RILINGER, ­R ituale, bes. S. 141 ff. Zum mittelalterlichen Gesandtschaftswesen vgl. SCHWINGES – WRIEDT, Gesandtschafts- und Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa; zu den päpstlichen Legaten und ihren Aufgaben ZEY, Die Augen des Papstes, S. 79 ff. mit vielen weiteren Hinweisen auf das 11. und 12.  Jahrhundert; MALECZEK, Die päpstlichen Legaten im 14. und 15. Jahrhundert, S. 33 ff. mit ausführlichen bibliographischen Hinweisen in Anm. 5. Vgl. dazu unten bei Anm. 639. Vgl. dazu GARNIER, Amicus amicis, S. 244 ff. Vgl. dazu unten bei Anm. 651.

4. Zur Verschleierung des kompetitiven Charakters der Beratung

Anführer der Konfliktparteien in der Regel an diesen Schiedsgremien nicht beteiligt waren, womit man die Suche nach einer Lösung offensichtlich erleichtern wollte.40 Auch die Tätigkeit der Schiedsrichter dürfte deshalb nicht ohne Wirkungen auf die Handlungsspielräume von Ratgebern geblieben sein und hat uns deshalb zu interessieren.

4. Zur Verschleierung des kompetitiven Charakters der Beratung Konsensherstellung durch Beratung ist als Schlüsselbegriff für das Verständnis mittelalterlicher Königsherrschaft inzwischen anerkannt, was mit der Formel von der „konsensualen Herrschaft“ auf den Begriff gebracht worden ist.41 Dagegen ist aber auch zu Recht eingewandt worden, der Begriff verschleiere den „kompetitiven Unterbau“ der Konsensherstellung.42 In der Tat war die Konsensherstellung wohl ein durchaus umkämpfter Vorgang, bei dem mit allen erlaubten und auch vielen unerlaubten Mitteln agiert wurde. Es gibt eine Fülle von Hinweisen auf den agonalen Charakter, den Beratungsvorgänge hatten oder bekommen konnten. Ein frühes Beispiel hierfür bieten zum Jahre 754 fast beiläufige Bemerkungen in Einhards Vita Karoli über die Revolte einiger Franken gegen König Pippins Feldzugsplan, als nämlich einige, „mit denen sich Pippin gewöhnlich zu beraten pflegte, erklärten, sie würden den König verlassen und nach Hause zurückkehren“.43 Solch massiver Widerspruch in Beratungen ist aus allen Jahrhunderten des Mittelalters bezeugt, gehäuft in der Zeit Ludwigs des Frommen, Heinrichs  II., Heinrichs  IV. und Heinrichs V., und nicht zuletzt Friedrich Barbarossas.44 Dies kann nicht überraschen, denn schließlich sollten in Beratungen und Verhandlungen häufig Fragen gütlich entschieden werden, um die man bewaffnete Konflikte führte, die Konsequenzen für das Ranggefüge hatten oder schlicht die Ehre tangierten, kurz: die existentielle Bedeutung besaßen. Dass die Beratung solcher Fragen höchste Anforderungen an die Selbstbeherrschung stellte und die Gefahr von Eklat und Tumult erzeugte, sollte einsichtig sein. Dieser Befund zwingt wohl dazu zu fragen, ob Begriffe wie „Beratung“ (consilium) oder „Konsens“ (consensus) nicht vorrangig Schlagwörter der politischen Kultur des Mittelalters waren, die die Funktion erfüllten, durch Euphemismen agonale Vorgänge akzeptabler zu machen, deren Ablauf in der Realität nicht zuletzt 40 41 42 43 44

Vgl. jedoch eine Ausnahme beim Schiedsgremium zur Herstellung des Friedens von Venedig, das mit Papst Alexander III. direkt verhandelte, unten bei Anm. 647. Vgl. SCHNEIDMÜLLER, Konsensuale Herrschaft. So PATZOLD, Konsens und Konkurrenz, S. 102. Einhard, Vita Karoli, cap. 6, S. 172 f. S. dazu unten bei Anm. 94 ff.; Anm. 308 ff.; Anm. 357 ff.; Anm. 495 ff.; Anm. 586 ff.

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I. Einleitung

dadurch gekennzeichnet war, dass die Mächtigsten das Heft in der Hand zu ­behalten versuchten. Die Begriffe suggerieren ja eine Beteiligung an den Entscheidungen, ein Bemühen um die Herstellung von Einmütigkeit (consensus, unanimitas), sie attestieren dem Herrscher die Befolgung christlicher Herrschaftsmaximen. Sie verschleiern dagegen die agonalen Aspekte bei dieser Konsensherstellung, indem sie die Techniken der Inszenierung wie der Mani­ pulation durch die Mächtigen nicht erkennen lassen. Ähnliches ist für den Zusammenhang von „demütigem Bitten“ und „gnädigem Gewähren“ kürzlich beobachtet worden, bei dem die Terminologie gleichfalls gute Dienste tut, das Dissimulative, Agonale und Kompetitive des Vorgangs zu bemänteln.45 Die am Rang orientierten Formen demütigen und gnädigen Verhaltens dürften auch bei der Beratung nicht selten als Fassaden gedient haben, die agonale Realitäten gekonnt verschleierten. Auch bei der Konsensherstellung und Beratung ist die Bitte nämlich ein häufig eingesetztes Verhaltensmuster. Angesichts des Stellenwerts von Ehre und Prestige berücksichtigt die Form der Bitte die Notwendigkeit, das Gesicht des Gebetenen zu wahren. Sie lässt ihm die Möglichkeit des großzügigen Gewährens, auch wenn hinter der Bitte eine massive Forderung steht, die den Konsens praktisch erzwingt, diesen Zwang aber mit den benutzten Ausdrucksformen verschleiert. All diese Erscheinungen müssen bewusst bleiben, weil die Bitte integraler Bestandteil der Konsensherstellung war und hierbei ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen konnte: Wir kennen einerseits den „bittenden“ Herrscher, der sich sogar zum Fußfall oder Fußkuss erniedrigte, um sich damit aber nur umso sicherer durchzusetzen. Wir kennen andererseits die Technik, dass selbst harte Forderungen an den Herrscher in Form demütiger Bitten oder der bittenden Intervention von Fürsprechern vorgebracht wurden. All dies sind auch im Prozess der Konsensherstellung effektvolle performative Aktionen, deren Wirkung gerade darauf beruht, dass sie Realitäten verschleiern, die das Geschehen bestimmen. Sie gehören zum Repertoire einer Kultur, die es ­verstand, sowohl ihre Interessen durchzusetzen als auch das Gesicht des ­Gegenübers zu wahren. Beides war auch in Rahmen von Beratungen eine ­unverzichtbare Grundlage für Erfolg.

5. Beratung und Herrschaftsrepräsentation Die Erforschung der Beratung im Mittelalter wäre einseitig in Angriff genommen, wenn nicht auch berücksichtigt würde, welcher Zusammenhang zwischen den größtenteils vertraulichen Prozessen der Willensbildung, Beratung, Verhandlung und Entscheidung und den öffentlichen Teilen der Herrschafts45

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Vgl. GARNIER, Die Kultur der Bitte, bes. S. 88 ff.

6. Untersuchungsansatz und Prämissen

repräsentation bestand, die im Mittelalter eine unbezweifelbar große Rolle spielten. Mit dem Begriff „Repräsentation“ ist vor allem die rituell-symbolische Kommunikation angesprochen, mit deren Hilfe Ergebnisse der Beratungen und Verhandlungen in aller Regel durch Handlungssequenzen (Rituale) der mittelalterlichen Öffentlichkeit vermittelt wurden. Als bloße Darstellung oder gar „Zurschaustellung“ bestehender Verhältnisse ist diese Art der Kommunikation missverstanden, denn viele Ergebnisse der Beratungen wurden erst ­dadurch zu verbindlichen Entscheidungen, dass sie öffentlich handelnd „auf­ geführt“ wurden.46 Mit ihren öffentlichen symbolischen Handlungen versprachen die Akteure, dass ihr zukünftiges Verhalten den getätigten Handlungen und Aussagen entsprechen würde. Voraussetzung für diese Art der Stiftung von Verbindlichkeit war natürlich, dass allen die grundsätzliche Bedeutung der benutzten Gesten und Gebärden vertraut war. Die öffentlich sichtbaren Gesten und symbolischen Handlungen erfüllten daher eine wichtige Aufgabe: den gefundenen Konsens verbindlich zu machen. Insofern benötigten die herrschaftsstabilisierenden Rituale einerseits die Vorbereitung durch Beratung und Absprachen, andererseits bedurften die in den Beratungen angebahnten Entscheidungen der öffentlichen Rituale, durch die die Entscheidung erst konstitutiv wurde. Das Thema der Beratung ist also in doppelter Weise mit dem Thema der rituellen Herrschaftsrepräsentation verwoben: In Beratungen musste auch erörtert und festgelegt werden, wie der gefundene Konsens der mittelalterlichen Öffentlichkeit vermittelt werden sollte. Mittels Ritualen wurde symbolisch verdichtet zum Ausdruck gebracht, auf welches zukünftige Verhalten sich die Akteure in den Beratungen geeinigt hatten.

6. Untersuchungsansatz und Prämissen Die einführenden Bemerkungen dienten nicht zuletzt zur Rechtfertigung des Tatbestandes, dass mehrere Leitfragen die folgenden Analysen bestimmen ­sollen: Vorrangig wird versucht zu klären, wann und wie die Verpflichtung des Herrschers zur Beratung überhaupt eingeführt und durchgesetzt worden ist. In der Forschung hat man verschiedene Ursprünge dieser Institution proklamiert: Zunächst galt die schon bei Tacitus erwähnte Beratung der Volksversammlung der germanischen Stämme als Ursprung. Danach sah man die Wurzeln im germanischen Gefolgschaftswesen, wo der freiwillige Anschluss eines Gefolgsmannes an einen Herrn neben der wechselseitigen Verpflichtung zur Treue (fides) auch die Verschränkung von Rat und Hilfe mit sich gebracht 46

Vgl. dazu aus der unübersehbaren Fülle einschlägiger Literatur ALTHOFF, Die Macht der Rituale, bes. S. 199 ff.; STOLLBERG-RILINGER, Rituale, bes. S. 177 ff.

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I. Einleitung

habe.47 Offen blieb jedoch, ob es sich beim Konsens um eine „Selbstbindung durch Zustimmung“ handelte oder ob die Hilfe der Gefolgsleute mit der Bedingung verknüpft war, dass zuvor ihr Rat gehört werden musste.48 In jüngerer Zeit geriet dagegen immer mehr die Rolle der Kirche in das ­Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Kirche dehnte ihre Aufgabe zur admonitio und correctio aller Gläubigen auch auf die Herrscher aus und nutzte die bereits im Alten Testament akzentuierte Verpflichtung der Könige, sich weise Rat­ geber zu suchen, dahingehend, den Herrschern mittels Mahnbriefen und Fürstenspiegeln immer wieder die Notwendigkeit vor Augen zu führen, ihre Herrschaft durch Beratung mit geistlichen Großen zu legitimieren.49 Vor allem in der Karolingerzeit ist der steigende Einfluss der Kirche auf die Herrschaft des Sakralkönigtums unübersehbar geworden und die Auswirkung synodaler Beratungspraxis auf die Praktiken und Verfahren der Königsherrschaft deutlich hervorgetreten.50 Es gab also viele gute Gründe, hier mit den Untersuchungen zu beginnen. Zweitens fehlen bisher genauere Kenntnisse darüber, wann und zu welchen Themen formelle Beratungen eines Verbandes überhaupt stattfanden. Es wäre sicher anachronistisch anzunehmen, ein Herr oder Herrscher hätte mehr oder weniger regelmäßig über alle seine Aktivitäten Rechenschaft geben und in allen Fragen vorweg Rat einholen müssen. Eine solche Forderung nach Transparenz, Kontrolle und prospektiver Planung lag wohl außerhalb des Denk­ horizonts der politischen Akteure des früheren Mittelalters.51 Wie auf anderen Gebieten stellten die Gewohnheiten auch auf dem Gebiete der Beratung vielmehr keine genauen Bestimmungen und detaillierten Verhaltensregeln zur Verfügung, sondern begnügten sich mit generellen Festlegungen der Art, dass alles Wichtige beraten werden müsse und alle wichtigen Leute an den Beratungen zu beteiligen seien.52 So wurden allgemeine Handlungsrahmen geschaffen, ohne sie bereits detailliert auszufüllen. Dies führte wohl dazu, dass außer­ gewöhnliche Aktivitäten wie die Wahl eines neuen Königs oder ein Heereszug nach Italien vorweg Beratung erforderten; desgleichen wurden Beratungen und Verhandlungen unabdingbar, wenn Dissens und Konflikte entstanden, 47 48 49

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Vgl. dazu SCHLESINGER, Herrschaft und Gefolgschaft, bes. S. 147 ff. Vgl. dazu HANNIG, Consensus fidelium, S. 24 f. Vgl. den allgemeinen Abriss der Entwicklung schon bei EWIG, Zum christlichen Königsgedanken im Frühmittelalter, S. 17 ff.; zur Bedeutung der Zeit Ludwigs des Frommen für diese Thematik s. zuletzt PATZOLD, Episcopus, bes. S. 140 ff. Vgl. hierzu PATZOLD, Episcopus, S. 21 ff.; HARTMANN, Synoden der Karolingerzeit, S. 404 ff. Obgleich sie in theoretischen Äußerungen Hincmars von Reims zumindest anklingt, s. dazu unten bei Anm. 203 ff. Zum Verständnis der mittelalterlichen Gewohnheiten im Allgemeinen und der Rechtsgewohnheiten im Besonderen vgl. PILCH, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten, bes. S. 280 ff.

6. Untersuchungsansatz und Prämissen

deren Beilegung dringlich wurde. So erscheint es keineswegs als Zufall, dass die Geschichte der Beratung weitgehend entlang einer Geschichte des Umgangs mit Problemen und Konflikten geschrieben werden muss.53 Drittens liegt über dem Ablauf der Beratungen und den konkreten Ausführungen der Ratgeber in aller Regel der Schleier des Schweigens. Die wenigen angeblich wörtlichen Äußerungen in den Beratungs- und Verhandlungsrunden, über die uns berichtet wird, stehen unter dem Verdacht der Stilisierung, da es mittelalterlichen Historiographen nach ihrer Theorie durchaus erlaubt war, Reden ihrer Protagonisten zu fingieren.54 Wir sind deshalb schon froh, wenn wir wenigstens fingierte Reden aus solchen Situationen haben. Sie zeigen nämlich, welche Art von Argumentationen zumindest denkbar war bzw. als wirkungsvoll oder auch unangemessen eingeschätzt wurde. Man darf angesichts dieser Ausgangssituation einige Beobachtungen wohl bereits vorweg formulieren, die den Unterschied des Redens in Beratungen und Verhandlungen betreffen: Einerseits ist vielfach bezeugt, dass die überlieferten Wortbeiträge aus Beratungen sehr stark darauf fixiert waren, Ehre und Rang des Adressaten dieser Reden zu achten und deshalb große Vorsicht bei der Wortwahl und bei Kritik walten zu lassen.55 Andererseits hat man gerade im Falle von Verhandlungen kontroverse Positionen durchaus klar zum Ausdruck gebracht und Forderungen deutlich und unmissverständlich artikuliert. Dem Unterhändler nutzte wohl die Garantie seiner körperlichen Unversehrtheit, kontroverse Positionen unverblümter ansprechen zu können, als dies in der Beratung eines Verbandes gegenüber dem Herrn oder König möglich war. Beratungen mit dem Ziel einer Entscheidung durch den Konsens aller standen so unter anderen Bedingungen als Verhandlungen, in denen kontroverse Positionen durch gütliche Einigung aufgelöst werden sollten. Viertens schließlich steht die vom Herrn oder König einberufene Beratung seiner Getreuen und Großen im Zusammenhang einer Vielzahl vorbereitender, begleitender oder auch torpedierender Aktivitäten. Die Herrschaftstechnik, vertrauliche Gespräche als Hulderweise einzusetzen und so besonderen Vertrauten Möglichkeiten zu verdecktem Einfluss zu gewähren, war im gesam53

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Die Auswahl der Untersuchungskapitel war notwendig dieser Tatsache verpflichtet, weil in der Regel nur dann viel über Beratungen und Verhandlungen berichtet wurde, wenn es zu Konflikten gekommen war. Vgl. dazu bereits BEUMANN, Widukind von Korvei, S. 69 ff. So grundsätzliche Reflexionen wie Thukydides in seiner Geschichte des Peloponnesischen Krieges (1, 22,1) scheinen mittelalterliche Autoren jedoch nicht über ihre Möglichkeiten und Grenzen bei der Ausgestaltung wörtlich wiedergegebener Reden angestellt zu haben; vgl. dazu ­M ARTIN HAGMAIER, Rhetorik und Geschichte. Eine Studie zu den Kriegsreden im ersten Buch des Thukydides, Berlin (u. a.) 2008, S.  242  ff. (Ich danke Christel Meier, Münster, für freundliche Hinweise.) Vgl. hierzu exemplarisch bereits GÖRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas, bes. S. 36 ff.: Sprechen vor dem Kaiser.

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I. Einleitung

ten Untersuchungszeitraum bekannt und wurde offensichtlich ausgiebig benutzt – auch und gerade zur Vorbereitung formeller Beratungen.56 Die Nachrichten über Interventionen, Fürbitten und andere Versuche der verdeckten oder offenen Einflussnahme auf Entscheidungen des Herrschers sind denn auch längst Thema der Forschung.57 Es gehört überdies zur Topik der Bischofsviten in dieser Zeit, zu versichern, dass ihr Protagonist jederzeit Zugang zum Herrscher und Gelegenheit zu vertraulichem Gespräch hatte, bei dem offen über alle anstehenden Probleme gesprochen werden konnte.58 All diese Befunde aber lassen sich für unsere Fragestellung nutzen: Wir besitzen mit ihnen theoretische wie praktische Belege für die Annahme, dass die einberufenen Beratungen durch derartige informelle Kontakte vorbereitet wurden. Ihre Entscheidungen scheinen also nicht dem Zufall oder dem freien Spiel der Argumente überlassen worden, sondern Gegenstand einer umsichtigen Vorplanung gewesen zu sein.59 Diesbezüglichen Hinweisen hat daher besondere Aufmerksamkeit zu gelten. Fünftens soll schließlich versucht werden, darauf zu achten, ob sich Veränderungen und Entwicklungen auf dem Gebiet der Konsensherstellung beobachten lassen. Hierzu liegen etwa für die Institution des Vermittlers einschlägige Untersuchungen vor.60 Auch die sich im Untersuchungszeitraum entwickelnde Einrichtung von Schiedsgremien, die in die sog. Schiedsgerichtsbarkeit mündet, ist für unsere Thematik von großem Interesse.61 Überdies ist aber ­darauf zu achten, ob sich eine fortschreitende Formalisierung der Beratungsverfahren, eine genauere Festlegung des Teilnehmerkreises und Veränderungen im Gewicht der Stimmen feststellen lassen. Etwaige Veränderungen sind ­darauf zu befragen, inwieweit sie die Möglichkeiten und Grenzen von Königsherrschaft verschoben und zu wessen Gunsten das geschah. Jürgen Hannig ging bei seiner Untersuchung der Rahmenbedingungen des consensus fidelium von der Annahme aus, dass die Karolinger sich mit der oftmals wiederholten Behauptung, ihre Herrschaft ruhe auf dem Konsens der Getreuen, die nötige 56 57

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Vgl. dazu bereits ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, bes. S. 220 ff. Vgl. dazu bereits FICHTENAU, Die Reihung der Zeugen und Konsentienten, S. 167 ff.; GAWLIK, Intervenienten und Zeugen, S.  1  ff.; neuerdings GARNIER, Die Kultur der Bitte, bes. S. 2 ff., S. 67 ff., S. 154 ff. Vgl. dazu HAARLÄNDER, Vitae episcoporum, bes. S. 317–328 mit einschlägigen Beispielen. Theoretisch ist dies bereits von Hincmar von Reims behandelt, s. dazu unten bei Anm. 203 ff.; vgl. auch die Bemerkungen in der Zusammenfassung bei Anm. 889 ff. Vgl. dazu KAMP, Friedensstifter und Vermittler; MILLER, The Messenger, jeweils mit weiteren Hinweisen. Zur Geschichte der Schiedsgerichtsbarkeit vgl. KRAUSE, Die geschichtliche Entwicklung des Schiedsgerichtswesens; RENNEFAHRT, Herkunft des Schiedsgerichtswesens; SCHNEIDER, Zum frühmittelalterlichen Schiedswesen, S. 389 ff.; GARNIER, Amicus amicis, bes. S. 290 ff.

6. Untersuchungsansatz und Prämissen

Legitimation ihrer Herrschaft zu verschaffen versucht hätten, dass sie jedoch die Geister, die sie so riefen, nicht mehr los geworden seien.62 Aus dieser Sicht erscheint die Entscheidung, sich mit den Eliten zu beraten, geradezu als ein Fehler mit beträchtlichen Konsequenzen. Es wird jedoch zu prüfen sein, inwieweit die Konsensherstellung nicht auch oder sogar vorrangig eine Möglichkeit der Herrschaftsintensivierung durch Beteiligung wichtiger Kräfte aus Adel und Kirche schuf. Zugespitzt kann man fragen, ob nicht eine Herrschaft, die auf Rat und Hilfe (consilium et auxilium) aufruht, derjenigen überlegen ist, die sich hauptsächlich auf Befehl und Gehorsam verlässt. Erstere hat sicher komplexere Entscheidungswege zu bewältigen; erreicht aber durch angemessene Partizipation auch ein höheres Maß an Engagement. Im Folgenden sollen daher in chronologischer Folge Beratungs- und Verhandlungssituationen vorgestellt und vor allem unter den angesprochenen fünf Leitaspekten analysiert werden. Dabei geht es nicht in erster Linie darum zu erweisen, dass die Beratung in der konkret geschilderten Situation in der Tat so durchgeführt wurde wie beschrieben. Vielmehr ist es das vorrangige Erkenntnisziel zu prüfen, ob die Beschreibungen Anhaltspunkte für ein Regelverständnis des Vorgangs liefern; ob wir mit der Summe der berichteten Befunde in die Lage versetzt werden, die Rahmenbedingungen der Argumentations- wie der Einflussmöglichkeiten bei solchen Beratungen zu beschreiben; ob wir die Möglichkeiten und die Grenzen der Ratgeber wie des Königs verstehen lernen, in diesen Beratungen ihre Absichten und Interessen zur Geltung zu bringen. Die Präsentation kann nur exemplarisch geschehen und keinesfalls irgendeinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. In den folgenden Kapiteln werden vielmehr immer wieder Vorgänge in den Mittelpunkt der Untersuchung ­gerückt, in denen Konflikte und Krisen die Notwendigkeit von Beratung und Verhandlung offensichtlich erhöhten. Die jeweils angespannte und agonale ­Situation bewirkte, dass die Quellen den Versuchen besondere Beachtung schenkten, Konflikt und Krise in den Griff zu bekommen: deshalb zollten sie den Beratungen und Verhandlungen besondere Aufmerksamkeit. Nicht wenige „Geschichtsquellen“ hatten geradezu den Charakter von Dokumenta­tionen, die bestimmte Positionen der Konfliktparteien dem Gedächtnis bewahren wollten, weil sie als Argumente bei der Führung oder auch Beendigung des Konfliktes nützlich sein konnten.63 Es besteht somit begründete Hoffnung, dass sich durch die genauere Analyse einer Hauptbeschäftigung der politischen Eliten des Mittelalters, wie es die Beratung und Verhandlung mit dem Ziel der Konsensherstellung mit Sicher62 63

Vgl. HANNIG, Consensus fidelium, S. 300 f. Dies ist in der Krisenzeit Heinrichs  IV. ein hervorstechendes Merkmal verschiedener Werke, s. dazu bereits SUCHAN, Königsherrschaft im Streit, bes. S. 248 ff.; ALTHOFF, Heinrich IV., bes. S. 254 ff.

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I. Einleitung

heit war, ein vertieftes Verständnis für die Funktionsweisen und Probleme einer Ordnung gewinnen lässt, die sich gegenüber einer Beschreibung als staatliche Ordnung als sperrig erwiesen hat.64 Deshalb ist wohl auch in den letzten Jahrzehnten die Bereitschaft der Mediävisten langsam gewachsen, der Fremdheit und Andersartigkeit mittelalterlicher Herrschaftsausübung stärker Rechnung zu tragen. Auch für die Beratung und Verhandlung gilt nämlich, dass sie zumindest teilweise nach anderen Kriterien vonstatten gingen und andere Anforderungen für sie galten, als wir sie in modernen Beratungen und Verhandlungen erwarten und praktizieren. Um diese Unterschiede genauer benennen zu können, ist aber zunächst einmal ein Überblick über die verstreuten Quellenaussagen nötig, aus dem man die für Beratung und Verhandlung geltenden Gewohnheiten und Regeln gewinnen kann. Es geht also in diesem Buch nicht in erster Linie darum, „wie es eigentlich gewesen“, sondern um die Feststellung von regelgeleitetem Verhalten bei und im Umfeld der politischen Willensbildung, das aus den Beschreibungen und Wertungen der Überlieferung rekonstruiert werden soll. Dabei ist weniger die Frage von Gewicht, ob das Geschehen wirklich so abgelaufen ist wie ­beschrieben, was man ohnehin zumeist nicht gesichert feststellen kann. Uns reicht jedoch, dass es so denkbar war und den in dieser Zeit zu beobachtenden Verhaltensregeln entsprach. Ein Überblick über einschlägige Zeugnisse zu diesen Fragen wird in den folgenden Untersuchungskapiteln zu geben versucht, wohl wissend, dass die hier diskutierten Beispiele durch viele weitere ergänzt und bereichert werden könnten. Ob die Auswahl glücklich ist und repräsentative Ansprüche erheben kann, werden wohl erst weitere Forschungen klären können. Abschließend ist noch eine Entscheidung zu begründen, die Erstaunen ­hervorrufen mag. Viele dürften erwarten, dass die Königsurkunden eine maßgebliche Grundlage dieser Untersuchung bilden werden. Schließlich sind in ihnen vielfach Schenkungen, Privilegien und Rechte schriftlich fixiert, die der König durch Interventionen von besonderen Vertrauten oder auch mit dem Konsens der Getreuen bestimmten Personen gewährte.65 Dies wird in den Narrationes der Diplome häufig und formelhaft zum Ausdruck gebracht. Die Zeugenreihen der Königsurkunden machen seit dem endenden 11.  Jahrhundert auch deutlich, dass ein mehr oder weniger großer Kreis von Magnaten, Nachbarn, Interessenten in bestimmter Weise am Abschluss des Rechtsgeschäftes mitwirkte. Überdies verraten die Arengen der Urkunden – wieder formelhaft 64

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Zur unabgeschlossenen Diskussion um den „Staat des Mittelalters“ vgl. zuletzt die Beiträge in: AIRLIE (u. a.) (Hg.), Staat im frühen Mittelalter; POHL – WIESER (Hg.), Der frühmittelalterliche Staat – europäische Perspektiven. Vgl. zur Rolle der Intervenienten in Königsurkunden und zur Entwicklung der Zeugenformel GAWLIK, Intervenienten und Zeugen, S. 1 ff.; vgl. weitere Hinweise in Anm. 57.

6. Untersuchungsansatz und Prämissen

– viel über die Selbstsicht, die Könige von ihren Rechten, aber auch Pflichten hatten. All dies scheint die Urkunden zu einer wichtigen Quelle für Praktiken der Konsensherstellung durch Beratung zu machen. Ein Hauptgrund führte aber letztlich dazu, sich gegen eine systematische Einbeziehung dieser Quellengattung zu entscheiden. Königsurkunden werden nur in wenigen Ausnahmefällen – der berühmteste ist sicher die Gelnhäuser Urkunde66 – durch historiographische oder andere Nachrichten so ergänzt, dass sie tieferen Einblick in den historischen Kontext und die Vorgeschichte der Urkundenausstellung gestatten. Es scheint, als hätte sich der Prozess, der zu einer Urkundenausstellung führte, in aller Regel im vertraulichen Bereich vollzogen, zu dem Intervenienten und Fürsprecher Zugang hatten, in dem aber gewöhnlich keine Beratung im engeren Sinne stattfand, die dem König Hilfestellung bei seiner Entscheidung bot. Keineswegs ist die Urkundenvergabe in irgendeiner Form beratungspflichtig gewesen. Sie gehört vielmehr in den Bereich, in dem der König seine Vorstellungen von Huld und Gnade sowie seine Verpflichtung zur Belohnung der Getreuen verwirklichte. Und hierzu musste er seine Großen nicht um Rat fragen. Erst die Einlösung dieser Verpflichtung wurde daher manchmal zu einem öffentlichen repräsentativen Akt gestaltet, der in jüngerer Zeit in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt ist.67 Diese Lage macht die Kontextualisierung der Königsurkunden und ihren eventuellen Zusammenhang mit Beratungen zu einem kaum lösbaren Unterfangen, und dies führte neben zeitökonomischen Argumenten dazu, die ­Königsurkunden nicht systematisch in die Untersuchungen einzubeziehen.

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S. dazu unten bei Anm. 676. S. hierzu vor allem die Arbeiten Hagen Kellers und seiner Schüler in dem Projekt „Öffentlichkeit und Schriftdenkmal in der mittelalterlichen Gesellschaft“ des Münsteraner SFB 496; vgl. dazu KELLER, Mediale Aspekte der „Öffentlichkeit“ im Mittelalter, S.  277  ff.; DERS., Hulderweise durch Privilegien, S. 309 ff., jeweils mit weiteren Hinweisen.

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II. Karolingerzeit 1. Der consensus fidelium in Merowingerund früher Karolingerzeit Es bedarf sicher einer Begründung, die eigentliche Untersuchung erst in der Karolingerzeit zu beginnen. Die Entscheidung resultiert aus vielen Beobachtungen der Forschung, dass sich in dieser Zeit die Nachrichten über die Beratung der Herrscher mit geistlichen und weltlichen fideles massiv häufen. Mit guten Gründen ist aus diesem Befund schon der Schluss gezogen worden, dass die Karolinger die Problematik ihrer Usurpation der Macht zu kompensieren versucht hätten, indem sie stärker betonten, ihre Herrschaft auf dem consensus ihrer fideles zu gründen.68 Zu deutlich ist in den frühkarolingischen Quellen das Bemühen, in wichtigen Fragen wie der Herrschaftsnachfolge oder der Italien- und Langobardenpolitik den Konsens des fränkischen Adels zu betonen, weil dessen Proteste gegen bestimmte karolingische Maßnahmen offensichtlich unüberhörbar waren und mehrfach Konflikte drohten, wenn die Karolinger gegen die Interessen dieses Adels handelten.69 Ob diese Betonung des consensus fidelium allerdings schon früh eine wirk­ liche Partizipation von Kirche und Adel bei wichtigen Entscheidungen anzeigte, ist damit noch nicht gesagt. Gerade aus der Zeit Karls des Großen gibt es einige Anzeichen dafür, dass der Konsens zu herrscherlichen Maßnahmen kaum eine eigenständige Entscheidung der Großen darstellte, sondern eher als eine akklamierende Zustimmung zu dem zu verstehen ist, was der Herrscher öffentlich ankündigte. Dennoch ist insgesamt nicht zu übersehen, dass die in Historiographie und Hagiographie, Kapitularien und Konzilsakten, Briefen und Urkunden in verschiedenen Varianten begegnende Formel vom consensus fidelium, auf dem die Königsherrschaft gründe, für die Karolingerzeit aufgrund ihrer Omnipräsenz auf historische Veränderungen weist, die auf einen gestiegenen Stellenwert der Partizipation von Kirche und Adel an der Königsherrschaft deuten. Mit dieser Entscheidung für einen späten Anfang der Untersuchung soll ­jedoch nicht in Abrede gestellt werden, dass bereits in der Merowingerzeit Nach68 69

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Vgl. dazu HANNIG, Consensus fidelium, bes. S. 130–199; AFFELDT, Mitwirkung des Adels an politischen Entscheidungsprozessen, S. 411 ff. Vgl. HANNIG, S. 147 ff.

1. Der consensus fidelium in Merowinger- und früher Karolingerzeit

richten über die Beratung des Königs mit geistlichen bzw. weltlichen Großen begegnen, seltener allerdings mit Angehörigen beider Gruppen zugleich. Jürgen Hannig hat detailliert untersucht, wie sich der Gedanke vom consensus fidelium zu den Aktivitäten des Herrschers von der Merowinger- zur Karolingerzeit ­intensivierte. Er hat jedoch nicht von einer scharfen Zäsur zwischen den einschlägigen Erscheinungen in beiden Epochen gesprochen, sondern von einer „breiten Zwischenzone“, in der Fragen aus den Bereichen Religion und Politik nicht als Angelegenheiten getrennter Sphären betrachtet, sondern als Probleme aufgefasst wurden, die gemeinsamer Anstrengungen des Königs und der geist­ lichen bzw. weltlichen Gewalten bedurften.70 Dies wies auf den Weg der Beratung. Zu beobachten ist nämlich bereits unter den Merowingern sowohl die Beteiligung des Herrschers und vornehmer Laien an den Konzilien, also weltliche Beteiligung an kirchlichen Beratungen, wie die Beteiligung der Bischöfe an herrscherlichen Entscheidungen und Maßnahmen im Rahmen von Hoftagen.71 Schon Gregor von Tour bietet denn auch instruktive Beispiele für das Bewusstsein der Bischöfe, dass sie eine Aufsichtspflicht auch über die Handlungen des Königs hätten, gemäß jener Ezechiel-Stelle (33, 6): „Wo der Wächter (speculator) sähe die Sünde eines Menschen und sagte sie nicht an, so wäre er schuldig an der verlorenen Seele.“72 Diese Bibelstelle hat Gregor nach eigener Aussage seinen Mitbischöfen in Erinnerung gerufen, als König Chilperich von ihnen verlangte, ihren Mitbischof Praetextatus wegen verschiedener Vergehen gegen den König zu verurteilen. Gregor hat die Ungnade des Königs riskiert, als er sie in dieser synodalen Beratung weiter aufforderte: „Schweiget also nicht, sondern redet und leget dem König seine Sünden vor Augen, auf dass ihn nicht ein Übel treffe und ihr schuldig seid an seiner Seele.“73 Erfolgreich war er mit diesem Appell zwar nicht, doch nicht nur an dieser Stelle tritt im Werk Gregors das Selbstverständnis der Bischöfe als Mahner und Warner der Könige deutlich zutage, das wir in den Untersuchungen späterer Zeiten wiederfinden werden.74 Es sei also schon hier die Frage aufgeworfen, ob nicht das Selbstverständnis der Bischöfe, über die Lebensführung der sündigen Menschen wachen zu müssen, 70 71

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Vgl. ebd., S. 163. Vgl. dazu bereits WAITZ, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2.1, S. 189 ff.; HANNIG, Consensus fidelium, S. 99 ff., der insbesondere die von Gregor von Tours immer wieder erwähnte Begrenzung der königlichen Gewalt gegenüber den Mitgliedern des fränkischen Episkopats herausarbeitet. Zur Nutzung dieser Stelle und des Begriffs speculator zur Beschreibung der Rolle der Bischöfe in der Karolingerzeit s. bereits ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos, S. 347 f. und 425, s. auch unten bei Anm. 194. Vgl. Gregor von Tours, Historiae Francorum, V, 18, s. dazu HANNIG, Consensus fidelium, S. 104 mit Anm. 47. Vgl. dazu bereits HANNIG, Consensus fidelium, S. 104 ff.; jetzt SUCHAN, Mahnen und Regieren.

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II. Karolingerzeit

ein starkes Motiv war, diese Verpflichtung gerade auch bei der Beratung des Königs einzulösen. Vergleichbare Nachrichten zur Beratung des fränkischen Adels mit den ­Königen gibt es dagegen bei Gregor von Tours nur höchst selten.75 Erst in der ­späteren Geschichtsschreibung des Pseudo-Fredegar und des Liber historiae Francorum erscheinen Gruppen von proceres und optimates mit einem aus­ geprägten Stammesbewusstsein, die in Beratungen Belange ihrer Teilreiche ­gegenüber den Königen vertraten.76 Dieser Trend verstärkt sich mit dem Aufstieg der karolingischen Hausmeier, wie er in den Fortsetzungen Fredegars fassbar wird, in denen die Tatsache der Beratung der Franken untereinander als Grundlage aller politischen Entscheidungen zur Formel wird.77 Die Dar­ stellung akzentuiert nun die Bindung der frühkarolingischen Politik an die Einholung des Rates der „Großen“. Deshalb ist es nicht überraschend, auch häufiger zu hören, dass die frühen Karolinger durchaus Widerspruch gegen ihre Politik erfahren haben. Spuren finden sich noch in der Vita Karoli Einhards, der von König Pippins Krieg gegen die Langobarden 754 Folgendes zu berichten weiß: „Diesen Krieg hat auch schon sein (Karls) Vater unternommen, nicht ohne große Schwierigkeiten, denn einige fränkische Große, mit denen er gewöhnlich zu Rate ging, sprachen sich so entschieden gegen sein Vorhaben aus, dass sie sogar ganz offen erklärten, sie würden den König verlassen und nach Hause zurückkehren.“78 Hier ist von fränkischen Großen die Rede, mit denen Pippin sich „gewöhnlich beriet“. Diese drohen aber mit einer eigenmächtigen Handlung, die als harisliz, Heeresverlassung oder Fahnenflucht, wenig später zum Hauptgrund für den Sturz des Bayernherzogs Tassilo wurde.79 Hier wird sie aber „ganz offen“ in einer Beratung als Drohung verwandt und als Konsequenz angedroht. Dies zeigt, wie weit fränkische Adlige in dieser Zeit schon zu gehen bereit waren, wenn sie ihre ­politische Opposition in der Beratung zur Geltung bringen wollten. Angesichts dieser Bemerkungen Einhards erscheint auch eine detaillierte Beschreibung der Begegnung Papst Stephans und König Pippins im gleichen Jahre 754 in den Annales Mettenses in einem besonderen Licht, da sie ausdrücklich von der aktiven Beteiligung der fränkischen Großen an dem Hilfeversprechen gegen den Langobardenkönig Aistulf berichtet: „Am folgenden Tage warf er (Papst Stephan) sich zusammen mit seinem Gefolge in Sack und Asche auf die Erde und beschwor den König Pippin bei der Gnade des allmächtigen Gottes und der Macht der seligen Apostel Petrus und Paulus, dass er ihn 75 76 77 78 79

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Vgl. ebd., S. 112 ff. Vgl. ebd., S. 123 ff. Ebd., S. 130 ff. Vgl. Einhard, Vita Karoli, cap. 6, S. 172 f. Vgl. Annales regni Francorum, a. 788, S. 56 f.

1. Der consensus fidelium in Merowinger- und früher Karolingerzeit

selbst und das römische Volk aus der Hand der Langobarden und des an­ maßenden Königs Aistulf Knechtschaft befreie. Und nicht eher wollte er sich von der Erde erheben, als bis ihm König Pippin mit seinen Söhnen und den Großen der Franken die Hand reichte und ihn selbst zum Zeichen des künftigen Bündnisses und der Befreiung von der Erde aufhob.“80 Die karolingische Quelle betont nachdrücklich das Einverständnis des fränkischen Adels mit Pippins Versprechen für den Papst, indem sie schildert, wie fränkische Große durch ihre Mitwirkung beim rituellen Erheben des Papstes symbolisch ihre Zustimmung zu dem Bündnis gaben, das dem Papst Hilfe gegen die Langobarden bringen sollte. Das Verhalten im Bittritual verpflichtete so den König und seine Großen gleichermaßen. Diese Schilderung passt gar nicht zum angeblichen Protest fränkischer Adliger gegen jedes Eingreifen Pippins in Italien. Die Auflösung des scheinbaren Widerspruchs der beiden Quellen scheint am ehesten dadurch möglich, dass man von zwei unterschiedlichen Fraktionen im fränkischen Adel ausgeht, von denen die beiden Quellen Zeugnis geben.81 Unabhängig davon bezeugen aber beide Quellen, dass der fränkische Adel ein Wort bei weitreichenden Entscheidungen der Könige mitzusprechen hatte, was auch die Mitwirkung im Ritual nachhaltig verdeutlicht. Diese Hinweise mögen als Belege dafür genügen, dass auch in den frühen Jahrhunderten des Mittelalters die Beratung von anstehenden Problemen mit Hofleuten, Bischöfen und proceres bereits eine gängige Praxis war. Vor allem die Bischöfe scheinen in diesem Zusammenhang den Königen Elemente der christlichen Ethik als Richtschnur ihres Handelns intensiv nahegebracht zu haben, wenn diese vom rechten Weg abzuweichen drohten. Dass solche Beratung sich als Begrenzung der Königsmacht auswirkte oder gar bewusst in diesem Sinne durchgeführt wurde, ist aber allenfalls an Einzelbelegen und nicht kontinuierlich zu erkennen. Erst Erfahrungen in der Zeit Ludwigs des Frommen markieren hier einen grundsätzlichen Wandel und lassen die Bindung des Königs an den gegebenen Rat als ein vorrangiges Ziel geistlicher wie weltlicher Großer erkennen. Dass mit dieser Einschätzung die Zeit Karls des Großen quasi übersprungen wird, mag befremdlich erscheinen. Doch erscheint sie, trotz der Existenz eines internationalen Kreises von Gelehrten im Umfeld Karls,82 der sich auch als Kreis von Ratgebern auffassen lässt, nicht als eine Zeit, in der die Großen als 80

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Annales Mettenses priores, a. 754, S. 44 f. Vgl. dazu BUC, Warum weniger die Handelnden selbst als eher die Chronisten das politische Ritual erzeugten, S. 28 ff.; s. dazu die Replik bei ALTHOFF, Mittelalterliche Verfassungsgeschichte und Spielregeln der Politik: ein Nachwort, S. 383–387. Vgl. dazu auch AFFELDT, Mitwirkung des Adels an politischen Entscheidungsprozessen, S. 410 ff. Vgl. dazu zuletzt WEINFURTER, Karl der Große, bes. S. 183 ff.; FRIED, Karl der Große, bes. S. 395 ff. mit weiteren Hinweisen.

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II. Karolingerzeit

Berater des Königs ein besonderes und eigenständiges Profil gewännen. Zwar ist der Forschung längst aufgefallen, dass die offiziösen Reichsannalen die ­Großen der Franken zunächst konsequent und formelhaft neben dem König nennen, wenn sie das Zustandekommen wichtiger Entscheidungen beschreiben. Es scheint somit, als sei die Partizipation der Großen an der Königsherrschaft in aller Regel gegeben.83 Doch erscheinen sie immer in Positionen, in denen sie den königlichen Vorhaben und Wünschen zustimmen. Und überdies zeigt sich ein abrupter Wandel schon für die 90er Jahre des 8. Jahrhunderts, denn ein neuer Autor der Annalen legte keinen Wert mehr auf die Erwähnung von Beratungen der Großen mit dem König. Der dominante Akteur wurde nun allein Karl selbst.84 Als ein Beispiel für diese Dominanz mag Einhards Schilderung dienen, wie Karl seine Nachfolge regelte: „Gegen Ende seines Lebens, als ihn schon sehr Alter und Krankheit schwächten, berief er seinen Sohn Ludwig … zu sich und erklärte ihn in feierlicher Versammlung der Großen aus dem ganzen Frankenreich mit aller Zustimmung zum Mitregenten im ganzen Reich und zum Erben des kaiserlichen Namens, setzte ihm das Diadem auf das Haupt und ließ ihn Kaiser und Augustus nennen. Diese seine Absicht wurde von allen Anwesenden mit großem Beifall aufgenommen, schien es doch, als wäre ihm dieser ­Gedanke zum Besten des Reiches vom Himmel eingegeben worden.“85 Thegan, der Biograph Ludwigs, ergänzt hierzu Einzelheiten, wie Karl den Konsens der Großen einforderte: „Mit ihnen hielt er (sc. den Bischöfen, Äbten, Herzögen und Grafen) in Frieden und Ehren eine allgemeine Beratung (generale colloquium) ab in der Pfalz Aachen, ermahnte sie zur Treue gegenüber ­seinem Sohn, und fragte sie alle, vom Höchsten bis zum Niedrigsten, ob es ihnen genehm sei, dass er seinen kaiserlichen Namen auf seinen Sohn Ludwig übertrage. Da antworteten alle unter Jubel, das sei eine Eingebung Gottes.“86 Man wird diesen Vorgang als Akklamation, aber wohl kaum als Partizipation an einer Entscheidung bezeichnen können. Hier ist vielmehr die Vorstellung von der „Selbstbindung durch Zustimmung“ wohl angemessen.87 Noch der St.  Galler Mönch Notker hat in seinen Gesta Karoli ein anekdotisches, aber bezeichnendes Bild von der Herrschaft des großen Karl gezeichnet, das wenig Raum für die Vorstellung lässt, Bischöfe oder andere Große hätten diesem Herrscher mit dem Mittel des Rates Schranken setzen oder Zügel anlegen können.88 83 84 85 86 87 88

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Vgl. AFFELDT, Mitwirkung des Adels an politischen Entscheidungsprozessen, S. 418 ff.; HANNIG, Consensus fidelium, S. 136 ff. Vgl. HANNIG, Consensus fidelium, S. 138. Einhard, Vita Karoli, cap. 30, S. 200 ff. Thegan, Vita Hludowici, cap. 6, S. 181 f. Vgl. dazu oben Anm. 6. Vgl. dazu GOETZ, Strukturen der spätkarolingischen Epoche, bes. S. 45 ff.

2. Beratung in Krisenzeiten

Vielleicht ist es nur das Ergebnis einer einseitigen Überlieferung, aber die Dominanz dieses Herrschers bei Entscheidungen tritt immer wieder überdeutlich vor Augen. Hierzu passt, dass die Überarbeitung der Reichsannalen, die am Ende seiner Regierungszeit in den sog. Annales Einhardi vorgenommen wurde, ebenfalls konsequent die Erwähnung des consensus fidelium an königlichen Entscheidungen tilgte, wie sie die ältere Fassung der Reichsannalen bis 790 enthalten hatte – und Karl auch für die frühere Zeit als alleinigen Akteur präsentierte.89 Dies änderte sich zu Zeiten seines Sohnes wieder fast schlagartig. In den Krisen seiner Regierungszeit, so kann man vorwegnehmend formulieren, wird die Beratung des Herrschers erstmals erkennbar zu einer Institution, mit deren Hilfe verschiedene politische Kräfte ihre Ansichten und Interessen in neuer Weise zur Geltung brachten. Die Erscheinungsformen dieses Wandels dürfen daher alle Aufmerksamkeit beanspruchen.

2. Beratung in Krisenzeiten: Ludwig der Fromme zwischen „falschen Ratgebern“ und selbstbewussten Bischöfen Es wurde schon einleitend unterstrichen, dass Krisen der Königsherrschaft sich als Zeiten erweisen, in denen die Beratung des Herrschers ein vorrangiges und umstrittenes Thema wird. Konflikte und Krisen erhöhten den Bedarf an Beratung, die sich in der Krise zudem nicht akklamierend auf Zustimmung beschränken konnte, sondern Kompromisse und Problemlösungen hervorbringen musste, die aus den Konflikten herausführten. Auf diese Herausforderungen war die mittelalterliche Gesellschaft jedoch nicht gänzlich unvorbereitet, kannte sie doch Verfahren wie das der Mediation durch Dritte, durch die der gütliche Ausgleich eines Konflikts ermöglicht wurde.90 Aber auch von ­Ursachenforschung der von Konflikt und Krise Betroffenen ist in solchen Situationen verstärkt die Rede. In diesem Zusammenhang ist nämlich immer wieder zu beobachten, dass die Ursachen der Krise in Sünden der Konfliktparteien gesucht wurden, die Gottes Zorn erregt und seine Strafen zur Folge hatten. Niederlagen in der Schlacht, Hungersnöte, Seuchen und andere Unglücksfälle wurden als Konsequenzen von Sünden angesehen, die auch dem König angelastet wurden.91 Die 89 90 91

Vgl. AFFELDT, Mitwirkung des Adels an politischen Entscheidungsprozessen, S. 418– 421. Vgl. dazu grundlegend KAMP, Friedensstifter und Vermittler, S. 17 ff. mit Beobachtungen zur Entstehung dieser Institution eines gütlichen Ausgleichs von Konflikten. Vgl. dazu allg. BLATTMANN, „Ein Unglück für sein Volk“, S. 80–102, mit vielen Beispielen für den erfolglosen, weil sündhaften König aus dem 7. bis 12. Jahrhundert, ohne allerdings Ludwig den Frommen zu behandeln.

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II. Karolingerzeit

Beratung zielte deshalb nicht zuletzt darauf, die Sünder zu identifizieren und Gott durch geeignete Bußleistungen zu versöhnen. Das gab auch den Vertretern der Kirche in diesen Beratungen ein besonderes Gewicht. Mit dieser Überlegung wird die Frage nach der Genese der königlichen Pflicht, sich beraten zu lassen, neu aufgeworfen. Neben die germanischen Thingversammlungen und das Gefolgschaftswesen, die die ältere Forschung als Vorläufer der königlichen Beratungspraxis annahm,92 tritt nun die Rolle der Kirche und ihr Anspruch auf Lenkung königlichen Verhaltens. Es wird zu fragen sein, inwieweit die Kirche nicht den Anspruch erhob und durchsetzte, durch Beratung und Ermahnung des Königs auf die christliche Ausgestaltung seiner Herrschaft Einfluss zu nehmen. Dieser Anspruch konkretisierte sich ja entscheidend darin, dass die Bischöfe die Funktion eines Aufsehers (speculator) gegenüber den Königen reklamierten.93 Dahinter verbarg sich bereits ein höherer Anspruch als der eines einfachen Ratgebers. Allem Anschein nach hat die Bedeutung bischöflichen Rats in der Krise der Herrschaft Ludwigs des Frommen erst dadurch frappierend zugenommen, dass Bischöfe im Auftrage Ludwigs selbst intensiv und ohne die Anwesenheit des Kaisers danach suchen sollten, „wie man vom rechten Weg abgekommen sei“.94 Hatte Karl der Große sich noch vorrangig als Herr der Bischöfe, ja als „Bischof der Bischöfe“ (episcopus episcoporum) und unnachsichtiger Überwacher ihrer Amts- und Lebensführung betätigt,95 akzeptierte Ludwig nicht nur mehrfach ein bischöfliches Mahn-, sondern auch ein Bußstrafrecht über sich selbst, den Kaiser. Er forderte und förderte zudem intensiv das Nachdenken der Bischöfe über die Ursachen des göttlichen Zorns, der das Reich in einen immer beklagenswerteren Zustand gebracht hatte. Dass im Ergebnis die „Stellvertreter Christi und Schlüsselträger des Himmelreiches“ herausfanden, dass es die Sünden des Kaisers selbst waren, die diesen Zustand bewirkt hatten, kennzeichnet die Dynamik, die der von Ludwig zumindest mitausgelöste Prozess gewonnen hatte.96 In diesem Prozess trat zu der Stütze, die die Kirche dem 92 93 94 95

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Vgl. den ausführlichen Abriss der Forschungsgeschichte bei HANNIG, Consensus fidelium, bes. S. 3 ff. Vgl. ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos, bes. S. 425 ff. Vgl. dazu DE JONG, The Penitential State, bes. S. 112 ff.; zuletzt PATZOLD, Episcopus, S. 135 ff., bes. S. 152 f. Vgl. dazu zuletzt PATZOLD, Episcopus, insb. S. 101, wo ihre Rolle als „Befehlsempfänger“ Karls zusammenfassend gewürdigt wird. Zum Epitheton episcopus episcoporum s. Notker, Gesta Karoli, lib. I, cap. 25. Zur Eigenart des Sakralkönigtums allg. und zu seiner Ausformung unter Karl dem Großen im Besonderen s. ERKENS, Herrschersakralität, bes. S. 133 ff. Zu Notker und seiner Sicht auf das Verhältnis Karls des Großen zu den Bischöfen vgl. GOETZ, Strukturen der spätkarolingischen Epoche, bes. S. 45 ff. In der Episcoporum de poenitentia, quam Hludowicus imperator professus est, relatio Compendiensis, S.  51  ff., in der die Bischöfe die Notwendigkeit der Kirchenbuße des Kaisers begründeten, wird gleich im ersten Satz auf ihre Binde- und Lösegewalt als vi-

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­ önigtum dadurch gab, dass sie ihm eine sakrale Funktion und Aura zugeK stand und ihm durch die Salbung Anteil am Numinosen gab,97 nicht nur der theoretische Anspruch, über die Amts- und Lebensführung des Königs zu ­wachen. Vielmehr gelang neben der überzeugenden Herleitung dieses Anspruchs aus den Texten der christlichen Tradition auch seine praktische Umsetzung in der Politik. Zahlreiche Texte gerade aus dem langen Krisenjahrzehnt von 822 bis 835 erlauben Einblicke in die Entstehung der argumentativen Grundlagen dieser Aufsichtsfunktion, die die Bischöfe in dieser Zeit über den Kaiser und alle Christgläubigen etablierten. Diese Entwicklung ist kürzlich von Steffen Patzold eindringlich analysiert worden, dessen zentrales Interesse jedoch nicht den Formen und Inhalten der Beratung des Herrschers, sondern dem „Wissen über Bischöfe“ galt.98 Es lohnt sich daher, die Krise noch einmal unter dem Aspekt zu analysieren, welche Neuerungen sie auf dem Felde der Beratung des Königs hervorbrachte. Ihre tieferen Ursachen hatte die Krise der 20er Jahre wohl schon in der Neuformierung des Herrschaftsverbandes nach dem Tode Karls des Großen, bei der es mehrfach zur Entmachtung und zu Gewaltakten gegenüber Angehörigen der Führungsschichten und karolingischer Verwandter gekommen war. Diese hatte nicht zuletzt den Sinn, den Kreis der wichtigsten Berater Ludwigs des Frommen neu zu formieren.99 Im Kern ging es hierbei um die Frage, wer als Berater und Mitglied des engsten Führungszirkels Einfluss auf die Entscheidungen des Herrschers nehmen konnte. Negative Höhepunkte dieses Revirements waren gewiss die Entmachtung der einflussreichen Ratgeber und Verwandten Karls des Großen, Adalhard und Wala; die Blendung von Ludwigs „aufständischem“ Neffen Bernhard, die zu dessen Tode führte; sowie die Vermönchung der illegitimen Halbbrüder Ludwigs, Drogo, Hugo und Theoderich, mit der ihr potentieller Anspruch auf weltliche Herrschaft zunichte gemacht wurde. Die Spannungen wurden verstärkt durch die zweite Heirat Ludwigs mit der Welfin Judith, die deren Brüder zu besonderem Einfluss brachte und Vertreter traditioneller Machteliten weiter an den Rand drängte. Überdies stellte sich durch die Geburt eines weiteren legitimen Sohnes, Karls des Kahlen, die Frage seiner königlichen Ausstattung. Dieses Problem machte die Nachfolgeordnung von 817 revisionsbedürftig, die lediglich die drei Söhne Ludwigs aus

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carios Christi und clavigeros regni caelorum nach Mt 16, 18 hingewiesen und überdies mit Ez 3, 18 begründet, dass Gott von ihnen Rechenschaft fordere, wenn sie die Sünder nicht auf ihre Sündhaftigkeit hinwiesen, s. dazu DE JONG, The Penitential State, S. 114 f. Vgl. dazu ERKENS, Herrschersakralität, bes. S. 133 ff. Vgl. PATZOLD, Episcopus, bes. S. 135–184; zu vergleichen jetzt auch SUCHAN, Mahnen und Regieren, S. 233 – 317.. Vgl. dazu BOSHOF, Ludwig der Fromme, S. 91 ff. und 141 ff.

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seiner ersten Ehe angemessen versorgt hatte. Zunehmende militärische Misserfolge und Bedrohungen durch auswärtige Feinde sorgten schließlich dafür, dass Ludwig den Kreis seiner engsten Berater relativ willkürlich veränderte, was für zusätzliche Unruhe sorgte. Das Wirken Bernhards von Septimanien als alleiniger Ratgeber und die dadurch ausgelöste Krise bieten hierfür das beste Beispiel.100 Ohne dass wir sicher wüssten, wessen Einflüsse auf den Herrscher im Einzelnen besonders wirksam waren, ist bemerkenswert, dass Ludwig sich immer wieder zu Maßnahmen bereitfand, die von ihm getroffene Entscheidungen zu korrigieren versuchten, soweit das noch möglich war: Anhänger des getöteten Bernhard erhielten eine Amnestie, Adalhard und Wala erlangten ihre einflussreiche Stellung am Hof zurück, mit seinen ins Kloster ­geschickten Halb­brüdern söhnte sich der Herrscher aus. Für die Blendung seines Neffen Bernhard leistete der Kaiser sogar öffentlich während einer Reichsversammlung in Attigny Kirchenbuße. Sein Astronomus genannter Biograph nennt dies eine poenitentia spontanea, eine freiwillige Buße, die durch das Beispiel des spätantiken Kaisers Theodosius inspiriert worden sei. Damit habe Ludwig sich wegen einer legal angeordneten Maßnahme gerechtfertigt, als ob sie das Ergebnis seiner Grausamkeit gewesen sei.101 Das kann man durchaus als Kritik in dem Sinne verstehen, dass dies doch gar nicht nötig gewesen wäre. Dennoch sorgte die kaiserliche Bereitschaft zur Korrektur von Entscheidungen keineswegs für ein Ende der Konflikte. Sie verstärkte vielmehr den Eindruck, dass Ludwig nicht mehr selbst Herr der Lage sei, sondern von Personen seiner Umgebung, hier insbesondere von seiner Gemahlin Judith, beherrscht, ja geradezu behext werde.102 Damit stellt sich die Situation für den modernen Betrachter zunächst einmal als ein politischer Machtkampf dar, der nicht zuletzt durch die familiäre Situation des Herrschers selbst angeheizt wurde. Einzelheiten etwaiger konkreter Beratungen über die eben angesprochenen Probleme sind uns allerdings nicht überliefert. Die Konflikte lösten vielmehr grundsätzliches Nachdenken darüber aus, welche Aufgaben die gottgewollte Ordnung für die verschiedenen ordines des Frankenreiches vorsah und wie deren Zusammenarbeit zu gestalten sei. Diese Herangehensweise an das Problem hat sich in den erhaltenen Quellen vielfältig niedergeschlagen. Man kann eine maßgebliche Beteiligung der Bi100 101

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Vgl. zu Bernhard von Septimanien und seiner Rolle als engster Berater Ludwigs ­DEPREUX, Prosopographie, bes. S. 137 ff. Vgl. Astronomus, Vita Hludowici, cap. 35, S. 314: Imitatus Theodosii imperatoris exemplum, poenitentiam spontaneam suscepit … adeo divinitatem sibi placare curabat, quasi haec quae legaliter super unumquemque decucurrerant, sua gesta fuerant crudelitate. Zur Rolle der Judith s. WARD, Caesar’s Wife; BOSHOF, Agobard von Lyon, S. 228 ff.; DE JONG, The Penitential State, S. 195 ff.

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schöfe an dieser Willensbildung deshalb begründet vermuten, weil sich von ihnen bereits früh diesbezügliche capitula erhalten haben, die die Forschung dem Hoftag von Attigny 822 zuordnet.103 Darin bekennen die ungenannten Bischöfe, dass sie „durch die Eingebung des allmächtigen Gottes und durch euren (sc. Ludwigs) frommen Eifer ermahnt und durch euer heilsames Beispiel veranlasst, sich in mehr Fällen, als man vernünftigerweise aufzählen könne, in ihrer Lebensführung und in der Lehre wie auch in ihrem Dienst als nachlässig gezeigt hätten.“ Sie beginnen also mit einer Selbstkritik und versprechen dann eine sorgfältigere Amtsführung, wenn ihnen Ludwigs Wohlwollen Möglichkeit und Gelegenheit dazu einräume. Die nicht endenden Konflikte erzeugten also bereits früh ein Bewusstsein der Verantwortlichen, dass eigene Fehler für die krisenhafte Zuspitzung der Lage verantwortlich seien und man diese Fehler feststellen und beheben müsse, um mit Gottes Hilfe wieder zu friedvollem Miteinander zurückzufinden. Das Handeln der Führungsschichten war also nicht allein von ihren Machtinteressen bestimmt, sie erkannten auch an, dass dieses Handeln den göttlichen Vorschriften genügen und entsprechen müsse, was angesichts des endlosen Streits offensichtlich nicht mehr der Fall war. Für moderne Interpreten scheint es daher wichtig, in Rechnung zu stellen, dass die Konflikte anscheinend nicht allein nach der Logik weltlicher Machtkämpfe geführt wurden. Die Vorstellungen von den zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen wurden vielmehr deutlich geprägt durch die Normen, die die christliche Religion für die Herrschenden in ihren heiligen Texten zur Verfügung stellte. Verantwortlich für das normengerechte Verhalten aller aber waren ganz ­wesentlich die Bischöfe, deren Nachlässigkeit auf diesem Felde nach eigener Einschätzung ihr eigenes Seelenheil gefährdete. Folgerichtig erhöhten sie in der Krise ihre exegetischen Anstrengungen, um den heiligen Texten Aussagen über den rechten Weg zu entnehmen. Nicht minder fühlte sich aber der Kaiser selbst für eine Korrektur der falschen Wege verantwortlich, die man unter ­seiner Führung offensichtlich eingeschlagen hatte. Besonders deutlich wird dieses Bemühen Kaiser Ludwigs um eine Verbesserung der Zusammenarbeit aller Amtsträger des Frankenreiches schon in seiner admonitio an alle Stände des Reiches, die er in den Jahren zwischen 823 und 825 verfassen ließ.104 Allen Amtsträgern bescheinigte der Kaiser, „dass jeder von euch an seinem Platz und in seinem Stand Teil an unserem Amt (ministeVgl. Capitula ab episcopis Attiniaci data, S. 357 f.: Dei igitur omnipotentis inspiratione vestroque piissimo studio admoniti, vestroque etiam saluberrimo exemplo provocati, confitemur, nos in pluribus locis quam modo aut ratio aut possibilitas enumerare permittat tam in vita quamque doctrina et ministerio neglegentes extitisse. 104 Vgl. Admonitio ad omnes regni ordines, S.  303–307; s. dazu PATZOLD. Episcopus, S. 140 ff.; zuletzt SUCHAN, Mahnen und Regieren, S. 240ff. 103

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rium) habe“.105 Und daraus folge, „dass ich euer aller Mahner (admonitor) sein muss, und ihr alle unsere Helfer (adiutores) sein müsst.“106 Insbesondere an die Bischöfe gerichtet war die Mahnung, „dass sie darauf die meiste Arbeit verwenden möchten … dass sie uns wahre Helfer bei der Ausübung unseres Amtes sind, damit wir nicht im Jüngsten Gericht für unsere und eure Nachlässigkeit verdammt, sondern eher für unserer beider guten Eifer belohnt zu werden verdienen.“107 Die hier bereits vom Kaiser akzeptierte Verantwortung der Bischöfe für sein Seelenheil, die in der Folgezeit auch von den Bischöfen immer wieder betont wurde, eignete sich aber hervorragend als Argument, eine Mahn- und Aufsichtsfunktion dieser Bischöfe über den Herrscher zu begründen, wie wir noch sehen werden.108 Aus der Tatsache, dass er als der Kaiser der Mahner sein müsse, folgerte Ludwig zunächst einmal, dass alle die Pflicht hätten, ihn über den Diensteifer und die Pflichterfüllung der anderen Stände genau zu informieren. Die ­Zusammenarbeit sollte also durchaus der Kontrolle des Kaisers über die Helfer seiner Herrschaft dienen.109 Es ist hervorzuheben, dass die Differenzierung zwischen admonitio und adiutorium, zwischen Mahnung und Hilfe, dem Kaiser gerade unter dem Gesichtspunkt der Beratung und Willensbildung die aktive Rolle zubilligte. Er behielt sich die Rolle des Mahners vor, während den anderen die Rolle der Helfer zugeordnet wurde. Dass die Bischöfe auch den Kaiser mahnen könnten oder sogar sollten, wird zumindest nicht explizit angesprochen. Das sollte sich ändern. Trotz solcher admonitiones des Herrschers und anderer Anstrengungen dauerten die krisenhaften Zustände in Ludwigs Reich jedoch an. Man verbreitete Visionen und Himmelsbotschaften, die auf ihre Weise beredte Klagen über die herrschenden Zustände zum Ausdruck brachten.110 Erneut reagierte Kaiser Ludwig ähnlich wie vor seiner Kirchenbuße im Jahre 822 und versammelte im Winter 828 in Aachen einen exklusiven Kreis von Großen, der mehrere Wochen darüber beriet, was die Beleidigung der göttlichen Majestät verursacht haben Ebd., S.  303: ut unusquisque vestrum in suo loco et ordine partem nostri ministerii ­habere cognoscatur. 106 Ebd., S.  303: quod ego omnium vestrum admonitor esse debeo, et omnes vos nostri ­adiutores esse debetis. 107 Ebd., S. 303 f.: ut in hoc maxime elaborare studeatis … nobis veri adiutores in administratione ministerii nobis commissi existatis, ut in iuditio non condemnari pro nostra et vestra neglegentia, sed potius pro utrorumque bono studio remunerari mereamur. 108 Vgl. dazu unten bei Anm. 129 ff. Die folgenden Ausführungen wurden auch genutzt in einer interdisziplinären Diskussion über „Differenzierung von Religion und Politik im Mittelalter“ zwischen Detlef Pollack, Sita Steckel und mir (vgl. Gerd Althoff, Differenzierung zwischen Königtum und Kirche im Mittelalter, in: FMSt 47 (2013), S. 353–367). Die ganze Diskussion s. ebd., S. 273–377. 109 Vgl. Admonitio ad omnes regni ordines, bes. S. 305, Nr. 14 und S. 307, Nr. 26. 110 Vgl. BOSHOF, Ludwig der Fromme, S. 174. 105

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könnte, deren Konsequenzen sich schon so lange am Schicksal des Franken­ reiches zeigten.111 Der Hebel zur Lösung des Konflikts wurde also wieder nicht in einem innerweltlichen Ausgleich der Gegensätze gesucht, man sah ihn in der Feststellung und Abstellung dessen, was Gott beleidigt hatte. Diese Gewissheit prägte ganz offensichtlich die Such- und Blickrichtung der Beteiligten. Durch einen Überlieferungszufall erhalten wir einen tieferen Einblick in diese Beratungen, weil Paschasius Radbertus eine Biographie des Karolingers Wala in Dialogform verfasst hat, für die er nach eigenen Angaben Aufzeichnungen benutzte, die Wala für seine Beiträge bei diesem „Krisengipfel“ des Jahres 828 gemacht hatte.112 Auch wenn die Darstellung erst Jahrzehnte nach den Ereignissen verfasst und Paschasius ein gewiss zugunsten seines Helden Wala argumentierender Zeuge ist, bieten die Redebeiträge, die Wala nach den Aussagen des Paschasius bei diesen Zusammenkünften in Aachen an den ­Kaiser gerichtet haben soll, eine ausgesprochen wertvolle und seltene Quelle: Paschasius versuchte mit diesen Ausführungen, jüngere Mönche im Kloster Corbie zu überzeugen, dass Wala sich in dieser Krise verantwortungsvoll als Berater und Mahner des Kaisers betätigt habe. Die vorgeblich wörtliche Wiedergabe von Redebeiträgen in diesen Verhandlungen ist daher ein höchst wichtiges Zeugnis, auch wenn der Verdacht der späteren Stilisierung natürlich nicht gänzlich auszuräumen ist. Ausdrücklich spricht Paschasius einleitend davon, Wala habe zum Zwecke dieser Beratung mit dem Kaiser einen „Spickzettel“, eine parva scedula, für sich als Gedächtnisstütze erarbeitet, die er dann vor dem Kaiser und den versammelten Bischöfen und „Senatoren“ nutzte, um zu beweisen, dass der Zustand des Reiches verdorben und tadelnswert sei.113 Wala fixierte nach dieser Darstellung unter anderem die Aufgaben (officia) der verschiedenen ordines und formulierte so etwas wie eine Theorie des Verhältnisses von weltlicher und geistlicher Gewalt, wobei er deutlich um die Berücksichtigung sowohl der herrschaftlichen wie der kirchlichen Interessen bemüht war.114 Er nannte ­sowohl mehrere Übergriffe des Kaisers in die kirchliche Sphäre illegitim – darunter die Vergabe von Kirchengut an Laien und die Beteiligung des Kaisers an Investituren von Klerikern –, wie er mithilfe des Paulus-Wortes unterstrich, 111 112 113

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Vgl. Paschasius Radbertus, Epitaphium Arsenii, II, S. 61: quid esset quod divina maiestas offensa tot taliaque longo in tempore isto premonstraret in populo. Vgl. dazu DÜMMLER, Einleitung in Paschasius Radbertus, Epitaphium Arsenii, S. 12; WEINRICH, Wala, S. 62 ff.; DE JONG, The Penitential State, S. 164 ff. Vgl. Paschasius Radbertus, Epitaphium Arsenii, S.  61: Qua de causa parvam edidit ­scedulam, siquidem sibi ad memoriam, in qua litteris depinxit universa regni huius ­efficaciter vitia, sicque circumspecte, ut nullus adversariorum omnia ita non esse negare posset. Inde ad comitatum rediens, omnia coram augusto et coram cunctis ecclesiarum presulibus et senatoribus proposuit singillatim diversorum ordinum officia, excrescentibus malis, et ostendit cuncta esse corrupta et depravata. Vgl. dazu WEINRICH, Wala, bes. S. 60 ff.; Patzold, Episcopus, S. 150 ff.

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dass „niemand, der für Gott kämpft, sich in weltliche Angelegenheiten ver­ stricken“ dürfe.115 Hiermit geißelte er den Einsatz namentlich der Bischöfe im weltlichen Dienste des Herrschers. In seinen weiteren Ausführungen zitiert Paschasius mehrfach in wörtlicher Rede, welche Argumente Wala direkt an den Kaiser richtete. Wie ein zweiter Jeremias habe Wala in göttlichem Auftrag gezeigt, inwiefern alle Gott beleidigt hätten.116 Bei diesen direkten Anreden Ludwigs nahm Wala angeblich kein Blatt vor den Mund: „Im Übrigen steht dir, König, wenn du nicht beachtest, was ­vorgeschrieben ist, eine stärkere Qual bevor, und alles in dir wird ein einziger Untergang, wenn Gott verschmäht wird. Daher vernachlässige die Vorsorge nicht, weil auf dir allein, nach Salomo, die ganze Stütze des Reiches ruht; in göttlichen Angelegenheiten aber bringe dich nicht mehr ein als erforderlich.“117 Wichtig war Wala insbesondere die richtige Verteilung der Rechte und Pflichten des Kaisers und der Priester: Der Kaiser und König solle sich auf seine Aufgaben konzentrieren und seine Befugnisse nicht überschreiten, weil Gott im Gericht von ihm über alles Rechenschaft fordern werde. Bischöfe und Priester sollten das leisten, was in besonderer Weise Gott gebühre.118 In diesem Zusammenhang griff er die herrscherliche Praxis direkt an, Kirchengut an Laien zu vergeben, und wandte sich auch gegen eine Beteiligung des Herrschers bei der Einsetzung der Bischöfe: „Wenn du aber Weihen und den heiligen Geist, den bisher von Gott Erwählte würdig vom Herrn und von heiligen ­geweihten Bischöfen erhalten haben, aufgrund göttlicher Autorität selbst zu geben dich unterstehst, sollst du wissen, dass es außerhalb deiner Aufgaben ist, was du dir anmaßt.“119 Die Ausführungen Walas lösten im Kreis der Berater angeblich eine heftige Diskussion und Widerspruch sowohl der geistlichen wie der weltlichen Großen aus, über deren Inhalte leider nichts berichtet wird. Wichtig für unsere Thematik ist einmal der gewährte Einblick in den Ablauf von Beratungen mit dem 115

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Vgl. hierzu 2 Tim 2, 4 („keiner, der in den Krieg zieht, lässt sich in Alltagsgeschäfte verwickeln, denn er will, dass sein Heerführer mit ihm zufrieden ist“); s. dazu ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos, S. 202 ff. Paschasius Radbertus, S. 62: ut cunctis ex divina auctoritate, acsi Hieremias alter, ostenderet, in quibus Deum omnes offenderent. Ebd., S. 62: Alioquin tu, rex, nisi servaveris quod preceptum est, fortiori tibi cruciatus instat, et omnibus in te, si avertatur Deus, unus interitus. Ideo providendum nihil neglegas, quia in te uno, secundum Salomonem, totius stabilimentum est regni; in divinis autem ne ultra te ingeras quam expediat. Ebd., S. 62: ut sit imperator et rex suo mancipatus officio, nec aliena gerat, sed ea quae sui iuris competunt propria, neque pretermittat ea, quia pro his omnibus adducet eum Dominus in iudicio: episcopus vero et ministri ecclesiarum, specialius quae Dei sunt, agant. Ebd., S. 63: Si autem benedictiones et Spiritum sanctum, quem digne Deo electi deinceps a Domino et a sacris consecratis presulibus percepturi sunt, auctoritate divina dare a te existimas, noveris, quod extra officii tui est, quod presumis.

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Herrscher. Auch wenn die behauptete Verwendung authentischen Materials aus der von Wala vorbereiteten Argumentation letztlich nicht nachprüfbar ist, zeigt das Beispiel zumindest, wie man sich erfolgreiches Agieren in der Beratungsrunde vorstellte und präsentierte. Gestützt auf biblische und patristische Autoritäten war ein kritischer und selbstbewusster Ton gegenüber dem Herrscher möglich, der diesen an Pflichten und Normen erinnerte, denen der christliche Herrscher unterworfen war. Das Verhalten und Argumentieren Walas muss also so zumindest denkbar gewesen sein. Mit Paschasius Radbertus informiert uns überdies ein Autor, der nach neuestem Forschungsstand der Fälscher der pseudo-isidorischen Dekretalen war, mit denen päpstlich-kirchliche Ansprüche in erheblichem Ausmaß gesteigert wurden.120 Das macht den von ihm gelüfteten Schleier über die vertraulichen Beratungen mit dem Kaiser gewiss nicht uninteressanter. Der Krisengipfel von 828 fand jedoch Fortsetzungen, die weiteres und noch wertvolleres Material bereitstellen, um Themen und Inhalte der Beratung mit Ludwig dem Frommen zu analysieren. Aus dieser ersten, langen Unterredung der Verantwortlichen mit dem Kaiser resultierte nämlich direkt die Aufforderung Ludwigs an die Bischöfe, sich in vier Regionalsynoden ohne ihn zu treffen und sich grundsätzliche Gedanken darüber zu machen, „welche Gelegenheiten es in beiden ordines bewirkt hatten, dass man vom rechten Pfade abkam.“121 Es kennzeichnet die ernste Stimmung, in dem dieser Brief von beiden Kaisern, Ludwig und Lothar, geschrieben wurde, wohl genügend, dass sie die Ergebnisse dieser Nachforschungen für absolut vertraulich erklärten.122 Verlangt aber wurde nicht weniger als ein unabhängiges und grundsätzliches Nachdenken der Bischöfe über Verhalten kirchlicher wie weltlicher Herrschaftsträger, das Gottes Zorn erregt hatte, weil es als sündhaft eingeschätzt werden musste. Erhalten haben sich nur die Ergebnisse der Überlegungen, die die im Jahre 829 in Paris tagenden Bischöfe sowohl in ausführlicher wie in komprimierter Form verschriftlichten.123 Schon am Beispiel der komprimierten Zusammen­ fassung der Beratungen, die offensichtlich die Materialbasis für die weitere Vgl. zur Genese der pseudo-isidorischen Dekretalen zuletzt ZECHIEL-ECKES, Fälschung als Mittel der politischen Auseinandersetzung, S. 16 ff. mit einer Würdigung der Rolle des Paschasius Radbertus als Autor der pseudo-isidorischen Fälschungen. 121 Vgl. Hludowici et Hlotharii epistola generalis, S. 6: quae occasiones in utroque ordine id effecerint, ut a recto tramite deviatum sit. 122 Vgl. ebd., S. 6: Et quicquid de his causis inventum fuerit, tam sollerti cura custodiatur, ut nullatenus ad aliorum noticiam pervenire permittant ante tempus constitutum. 123 Vgl. eine verkürzte Version: Episcoporum ad Hludowicum imperatorem relatio, S. 26– 51; die ausführliche Version in Concilium Parisiense, S.  605–680; vgl. dazu HARTMANN, Synoden der Karolingerzeit, S. 179 ff.; DE JONG, The Penitential State, S. 170– 184; PATZOLD, Episcopus, S. 149 ff.; zuletzt SUCHAN, Mahnen und Regieren, S. 278ff. jeweils mit weiteren Hinweisen. 120

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­ ehandlung der Probleme auf einer Wormser Reichsversammlung des Jahres B 829 abgeben sollte, wird immer wieder deutlich, welchen Fundus an Verhaltensnormen die Bischöfe auch und gerade für die Beratung und Entscheidung politischer Fragen zusammengetragen hatten. Mit einer überwältigenden Anzahl von Belegstellen aus der Bibel und der patristischen Tradition werden in der Art der Fürstenspiegel Beispiele für richtiges und falsches Verhalten präsentiert, die von jedem Ratgeber auf konkrete Situationen angewandt werden konnten und ihn zu biblisch abgesicherten und somit gut begründeten Hinweisen für das Verhalten kirchlicher wie weltlicher Amtsträger befähigten. Ausführlich nahmen die Bischöfe zu den Anforderungen an die persona ­regalis Stellung, also zu der Rolle des Königs. Zuvor hatten sie aber bereits ­detailliert das Profil der persona sacerdotalis behandelt und Befugnisse und Aufgaben der Priester bestimmt. Sie richteten ihre Überlegungen also wieder auf zwei Bereiche, den königlichen und den priesterlichen, denen sie ein je spezifisches Profil zuordneten. Und sie baten in diesem Zusammenhang ­ durchaus selbstbewusst den Kaiser, seinen Söhnen und seinen Großen den Namen, die Macht, die Kraft und die Würde der Priester zu vermitteln, indem sie mithilfe von Matthäus 16, 18 und Johannes 20, 22 eindringlich auf ihre ­Gewalt verwiesen, im Himmel und auf Erden zu binden und zu lösen bzw. Sünden zu vergeben oder dies auch zu verweigern. Zugleich zitierten sie den Kaiser Konstantin, der gesagt haben soll, dass die Priester zwar alle richten dürften, selbst aber von niemandem gerichtet werden könnten.124 Die Pariser Versammlung hat auch zum ersten Mal im Mittelalter die gelasianische Zwei-Gewalten-Lehre zitiert und akzentuiert, die bekanntlich einem höheren Gewicht der Bischöfe im Vergleich mit der höchsten weltlichen Gewalt das Wort redet.125 In diesem Selbstverständnis, das sich von dem des Reformpapsttums im 11. Jahrhundert nur wenig unterscheidet, gingen die Bischöfe in Paris an die vom Kaiser verordnete Arbeit. Die Aufgaben des Königs werden zunächst mit Isidor von Sevilla und der Gegenüberstellung von rex und tyrannus angesprochen. Mit Gregor dem Großen „werden die richtigerweise Könige genannt, die sowohl sich selbst als auch die Untergeordneten durch gutes Verhalten zu befrieden verstehen.“126 Fulgentius bietet als höchste Bestimmung des Kaisers: „wenn er in kaiserlicher Erhabenheit in rechtem Glauben lebt und wenn in wahrer Demut des Herzens der Gipfel der königlichen Würde sich der heiligen Religion unterordnet.“127 Selbstkontrolle, Glaube und Demut werden Vgl. Episcoporum ad Hludowicum imperatorem relatio, S. 35 f. Vgl. ANTON, Fürstenspiegel, S. 205 f. mit Anm. 341; ENSSLIN, Auctoritas und Potestas, S. 661–668. 126 Vgl. Episcoporum ad Hludowicum imperatorum relatio, S. 46 f.: Recte igitur illi reges vocantur, qui tam semetipsos, quam subiectos bene gerendo pacificare noverunt. 127 Vgl. ebd., S. 47: si in imperiali culmine recta fide vivat et vera cordis humilitate preditus culmen regiae dignitatis sanctae religioni subiciat. 124 125

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so zu unverzichtbaren Tugenden der Herrscher. Die „Unterordnung“ des Kaisers unter die heilige Religion lässt sich aber vor allem dadurch realisieren, dass er den Ratschlägen und Mahnungen der Bischöfe Folge leistet. Erinnert wird Ludwig auch daran, dass aequitas und iustitia, pax und concordia die Richtschnur für das regale ministerium bilden. Seinen ganzen Eifer soll der Herrscher darauf verwenden, dass keine Ungerechtigkeit geschieht, nichts ungerächt bleibt, und dass von ihm eingesetzte Stellvertreter es nie aus fehlendem Rechtsbewusstsein oder Nachlässigkeit zulassen, dass die Armen Unterdrückung ertragen müssen. Neben anderen soll ihm das Buch der Weisheit Richtschnur sein: „Liebet Gerechtigkeit, ihr Herrscher der Erde, denkt in Frömmigkeit an den Herrn, sucht ihn mit reinem Herzen.“128 Natürlich, so möchte man fast sagen, kommt der zusammenfassende Text auch explizit auf die Bedeutung der Ratgeber und des Rates für die Königsherrschaft zu sprechen: „Wir bitten auch eure Gnaden wegen der göttlichen Barmherzigkeit und eures Heils und des Nutzen des ganzen Volkes und auch wegen der Ehre des Reiches und seiner Dauer, dass euer Gnaden die größtmögliche Wachsamkeit darauf verwendet, dass die Ratgeber und die Diener eurer Würde und die Wächter über eure Seele und euren Körper, die innerhalb des Reiches anderen Vorbild und Beispiel zum Guten sein müssen und für auswärtige Völker die Grundlage guten Ansehens, dass diese untereinander Frieden und Eintracht haben und alle Verstellung und List hintanstellen, damit sie nach dem Willen Gottes und eurer Ehrhaftigkeit gemeinsam kämpfen und euch als wahre Helfer in allem einträchtig zur Seite stehen.“129 Schon diese zusammenfassenden Ausführungen scheinen von der Gewissheit geprägt, dass die Einträchtigkeit und Gemeinsamkeit der Ratgeber ein erstrebenswerter Zustand ist, der keinesfalls als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Die Intensität und Systematik des Nachdenkens der Bischöfe über die Grundlagen des rechten Weges, auf dem der König wie seine Ratgeber wandeln sollten, wird aber erst dann richtig deutlich, wenn man die ausführliche Fassung zur Kenntnis nimmt, die die Pariser Bischofssynode von den Ergebnissen ihrer Beratungen herstellen ließ.130 Diese Fassung, die wesentlich von Bischof Jonas von Orleans redigiert worden sein soll, legt nämlich viel systematischer als die Zusammenfassung offen, aus welchen biblischen Belegen die Bischöfe ihre normativen Folgerungen zogen.131 Man geht wohl richtig in der Annahme, dass die normativen Grundlagen für das Zusammenwirken Vgl. ebd., S. 47: Diligite iustitiam, qui iudicatis terram, sentite de Domino in bonitate et in simplicitate cordis quaerite illum. 129 Ebd., S. 49. 130 Vgl. DE JONG, The Penitential State, S. 180 ff.; PATZOLD, Episcopus S. 152 ff., mit einer allgemeinen Charakteristik der bischöflichen Ausführungen. 131 Zur Frage der Verfasserschaft des Jonas vgl. HARTMANN, Synoden, S. 182 mit weiteren Hinweisen. 128

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zwischen dem König und seinen Ratgebern hier erstmals im Mittelalter so systematisch aus biblischen und patristischen Texten entwickelt und explizit gemacht wurden. Es scheint für ein angemessenes Verständnis der bischöflichen Positionen ­unabdingbar, die biblischen Autoritäten, mit denen sie die gottgewollten ­Anforderungen sowohl an den König wie auch an die Ratgeber ausführlich begründeten, genau zur Kenntnis zu nehmen, denn erst der Wortlaut und der Kontext der zitierten Belege erschließt den normativen ­Anspruch dieser Zitate und die Intensität, mit der die Bischöfe einschlägige Bibelstellen dem Herrscher als Richtschnur seines Verhaltens nahebrachten. Man darf sich gewiss vorstellen, dass die folgenden Bibelstellen auch in Beratungen mit dem Herrscher die Grundlage bischöflicher Ratschläge und Ermahnungen sein konnten bzw. waren. Schon im ersten Kapitel über die Wesensbestimmung des Königs und über die Frage, was er tun und was er lassen muss, tritt dieses Zusammenspiel von Bibelzitat und bischöflicher Exegese für den König deutlich vor Augen. Aus der deuteronomischen Gesetzessammlung (Dtn 17, 17–20) werden lange Passagen über die Einsetzung eines Königs und die Anforderungen an ihn zitiert: „er soll sich keine große Zahl von Frauen nehmen, damit sein Sinn nicht vom rechten Wege abweicht. Er soll nicht zu viel Gold und Silber anhäufen. Und wenn er seinen Königsthron bestiegen hat, soll er sich von dieser Weisung (also dem hier zitierten Buch), die die levitischen Priester aufbewahren, auf einer Schriftrolle eine Zweitschrift anfertigen lassen. Sein Leben lang soll er die Weisung mit sich führen und in der Rolle lesen, damit er lernt, den Herrn, seinen Gott zu fürchten, auf alle Worte dieser Weisung und dieser Gesetze zu achten, sie zu halten, sein Herz nicht über seine Brüder zu erheben und vom Gebot weder rechts noch links abzuweichen, damit er lange als König in Israels Mitte lebt, er und seine Nachkommen.“ Dieses ausführliche Zitat der biblischen Anforderungen an einen König vertiefen die Bischöfe dann durch ihre Mahnung: „Beachte, dass Gottesfurcht, die Beachtung seiner Gebote, die Demut, die es nicht erlaubt, dass er sich über seine Brüder erhebt, und das Richtmaß der Gerechtigkeit es bewirken, dass nicht nur der König, sondern auch seine Söhne lange Zeit regieren.“132 Die Verpflichtung des Königs, sich nicht über andere zu erheben, wird anschließend durch weitere biblische Belege vertieft (Jesus Sirach, 32, 1): „Zum Fürsten haben sie dich eingesetzt. Erhebe dich nicht über sie, sondern sei unter ihnen wie einer von ihnen“, und (Spr 29, 14 und 20, 28): „Spricht ein König den Geringen zuverlässig Recht, hat sein Thron für immer Bestand“; „Barmherzigkeit und Wahrheit schützen den König, er stützt seinen Thron durch Milde“. Man 132

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Vgl. Concilium Parisiense, S. 650: Adtende, quod timor Dei et custodia praeceptorum eius et humilitas, quae non patitur eum extollere super fratres suos et iustitiae rectitudo non solum regem, sed et filios eius longo faciet regnare tempore.

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muss wohl nicht ausführen, wie geeignet alle diese Belege als Argumente in ­Situationen waren, in denen die Bischöfe dem König Rat in Fragen seiner Amts- oder Lebensführung zu geben hatten. Im nächsten Kapitel skizzieren die Bischöfe das Amt (ministerium) des ­Königs unter anderem mit Aussagen des Propheten Ijob (29, 25, 11-17): „Als ich thronte wie ein König inmitten der Schar, war ich dennoch ein Tröster der Betrübten. Hörte mich ein Ohr, pries es mich glücklich; das Auge, das mich sah, stimmte mir zu, denn ich rettete den Armen, der schrie, die Waise, die ohne Hilfe war. Der Segen des Verlorenen kam über mich und jubeln ließ ich das Herz der Witwe. Ich bekleidete mich mit Gerechtigkeit, wie Mantel und Kopfbund umhüllte mich mein Recht. Auge war ich für den Blinden, dem Lahmen wurde ich zum Fuß. Vater war ich für die Armen, des Unbekannten Rechtsstreit prüfte ich. Ich zerschmetterte des Bösen Kiefer, entriss die Beute seinen Zähnen.“ Diesem positiven Tätigkeitskatalog wird wirkungsvoll die Mahnung angefügt, die sich im Buch der Weisheit (6, 2-9) findet: „Hört also, ihr Könige, und seid verständig, lernt, ihr Gebieter der ganzen Welt. Hört, ihr Herrscher der Massen, die ihr stolz seid auf Völkerscharen. Der Herr hat euch die Gewalt ­gegeben, der Höchste die Herrschaft, er, der eure Taten prüft und eure Pläne durchforscht. Ihr seid Diener seines Reiches, aber habt ihr kein gerechtes Urteil gefällt, das Gesetz nicht bewahrt und die Weisung Gottes nicht befolgt, furchtbar und schnell wird er kommen und euch bestrafen, denn über die Großen ergeht ein strenges Gericht. Der Geringe erfährt Nachsicht und Erbarmen, doch die Mächtigen werden gerichtet mit Macht. Denn der Herrscher des Alls scheut niemand und weicht vor keiner Größe zurück. Er hat Klein und Groß geschaffen und trägt die gleiche Sorge für alle; den Mächtigen aber droht strenge Untersuchung.“ Ein weiteres Kapitel thematisiert die Gefahr, die der Herrschaft des Königs durch schlechte Ratgeber droht. Nach Meinung der Bischöfe bietet nämlich das Buch Exodus Anweisungen dafür, wie auch der König nach dem Beispiel des Moses die Last der Regierung auf mehrere Schultern zu verteilen hat: (Ex 18, 21-25) „Du aber sieh dich im ganzen Volk nach tüchtigen, gottesfürchtigen und zuverlässigen Männern um, die Bestechung ablehnen. Gib dem Volk Vorsteher für je tausend, hundert, fünfzig und zehn. Sie sollen dem Volk jederzeit als Richter vorstehen. Alle wichtigen Fälle sollen sie vor dich bringen, die leichteren sollen sie selber entscheiden. Entlaste dich und lass andere Verantwortung tragen. Wenn du das tust, erfüllst du den Befehl des Herrn und kannst seine Gebote aufrechterhalten. Und alles Volk kehrt in Frieden heim.“ Überhaupt ist nach Meinung der Bischöfe die Auswahl der Helfer und Minister, „ die in eurer Vertretung das Volk Gottes lenken, führen und richten müssen“, mit kluger Weitsicht vorzunehmen. Deshalb ziehen die Bischöfe den gerade zitierten göttlichen Befehl an Moses aus Exodus 18, 21–23 noch einmal 51

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als Richtschnur heran.133 Sie vertiefen ihn aber mit weiteren biblischen Belegen, die beweisen sollen, dass Gott immer wieder befohlen hat, die Herrschaft mit weisen und gerechten Männern zu teilen. Deuteronomium 16, 18–19: „Richter und Magister sollst du in allen Stadtbereichen einsetzen, die der Herr, dein Gott, dir in deinen Stammesgebieten gibt. Sie sollen dem Volk Recht sprechen und gerechte Urteile fällen“; sowie mit Deuteronomium 1, 9–13: „Damals habe ich (sc. Moses) zu euch gesagt: Ich kann euch nicht allein tragen. Der Herr, euer Gott, hat euch zahlreich gemacht … Wie soll ich euch alleine tragen: eure Bürde, eure Last, eure Rechtshändel? Schlagt für jeden eurer Stämme weise, gebildete und bewährte Männer vor, damit ich sie als eure Führer einsetze.“ Ein weiteres Exempel bietet schließlich der König Josaphat (2 Chr 19, 5‑7): „Er ­bestellte Richter im Land für jede einzelne feste Stadt Judas und gab ihnen die Weisung: Seht zu, was ihr tut, denn nicht im Auftrag von Menschen haltet ihr Gericht, sondern im Auftrag des Herrn. Und worüber ihr richtet, wird auf euch zurückfallen. Lasst euch also von der Furcht des Herrn leiten und handelt gewissenhaft; denn beim Herrn, eurem Gott, gibt es keine Ungerechtigkeit, kein Ansehen der Person, keine Bestechlichkeit.“134 Diese Hinweise werden im folgenden Kapitel zu der eindringlichen Bitte an den König verdichtet, zu seinem eigenen Heil und dem Nutzen des Volkes größte Sorgfalt und Wachsamkeit auf seine Ratgeber und Minister zu richten, die die Wächter seiner Seele und seines Körpers seien.135 Sie hätten nach innen für andere ein Beispiel an Zierde und Gutheit zu sein, nach außen die Grundlage einer guten Meinung. Untereinander sollten sie Liebe, Frieden und Eintracht wahren und alle Verstellung und List hintanstellen. Nur so könnten sie wahre Helfer des Königs sein: „Wo nämlich alle Streitigkeit und Zwietracht zu unterbinden und alle Schlechtigkeit durch kaiserliche Autorität zu unterdrücken ist, ist es nötig, dass das, was man bei anderen zu korrigieren die Aufgabe hat, keinesfalls bei einem selbst gefunden werden darf.“136 Dies sind nur wenige Hinweise auf Ergebnisse des intensiven Nachdenkens über rechtes Verhalten, das geistliche und weltliche Amtsträger als Ratgeber des Königs an den Tag legen sollten, damit die gottgewollte Ordnung verwirklicht und so Frieden und Eintracht wiederhergestellt werden könnten. Die ­Bemühungen, der Krise durch die Befolgung göttlicher Anordnungen Herr zu werden, wie sie die Bibel dokumentierte, erbrachten unter erheblichem Aufwand die Sammlung und Verfügbarkeit der Aussagen, die biblische AutoritäVgl. ebd., cap. (90) XXIII, S. 677 f., dort auch die im Text zitierte Passage. Die zitierten Belege bietet auch schon die Kurzfassung, vgl. Episcoporum ad Hludowicum imperatorem relatio, cap. (59), IV, S. 48 f. 135 Vgl. Concilium Parisiense, cap. (91) XXIIII, S. 678. 136 Ebd.: Ubi igitur omnes dissensiones et discordiae dirimende et omnis malitia imperiali auctoritate est comprimenda, necesse est ut quod in aliis corrigere decernit in ea minime reperiatur. 133

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ten zu generellen wie konkreten Fragen der Zusammenarbeit im Herrschaftsverband gemacht hatten. Man kann also sagen, dass die Reflexion der Bischöfe über die Ursachen der Krise ganz vorrangig mithilfe christlich-normativer Anleihen vonstatten ging. Mit diesen Anleihen glaubte man zum „rechten Weg“ zurückzufinden, von dem man nach Ausweis der vielen Unglücke, Niederlagen, Streitigkeiten und unglückverheißenden Vorzeichen abgekommen sein musste. Für unsere Leitfrage aber scheint vor allem eines wichtig: In zukünftigen Beratungen konnte man nun ein ganzes Arsenal christlicher Argumente zur Beurteilung vieler Bereiche von Herrschaft nutzen. Und dies ist auch in einem nachweisbar großen Ausmaß geschehen.137 Vergleichbar explizit formulierte Normen über weltliche Anforderungen an den Herrscher hatte der Kreis der weltlichen Ratgeber gewiss nicht zur Hand. Es stellt sich daher die Frage, ob durch diese Vorarbeiten nicht eine nachhaltig von christlichem Gedankengut geprägte Beratung des Herrschers begünstigt wurde. Bischöfen und Äbten als höchsten Repräsentanten der Kirche im herrscherlichen Umfeld stand jedenfalls ein biblisch fundiertes Argumentationsmaterial zur Verfügung. Dass sie es auch nutzten, dafür gibt es ganz zeitnahe Anhaltspunkte. Ihre Wirksamkeit bewies diese kirchliche Selbstvergewisserung zu Auf­ gaben, Rechten und Pflichten aller Amtsträger in der gottgewollten Herrschaftsordnung erstmals nämlich schon wenige Jahre später, als Bischöfe Ludwig den Frommen 833 in Soissons zu einer erneuten Kirchenbuße veranlassten, in der er nicht nur seine Fehler und Vergehen detailliert einräumte, sondern nach Reuebekundungen und Sündenbekenntnis auch seine weltlichen Rangabzeichen ablegte und sich von den Bischöfen mit dem Büßergewand bekleiden ließ. In ihrer relatio zu diesen Vorgängen stellten die Bischöfe wieder gleich eingangs klar, dass ihrer Wachsamkeit (vigilantia) und Sorge (sollicitudo) das Seelenheil aller anvertraut sei; sie seien die Stellvertreter Christi und Schlüsselträger des Himmelreiches, die die Binde- und Lösegewalt im Himmel und auf Erden besäßen. Wenn sie sich hierin als nachlässig erwiesen, drohe ihnen nach Ezechiel 3, 18 Gefahr für ihr eigenes Seelenheil („wenn du ihn nicht warnst und nicht redest, um den Schuldigen von seinem schuldhaften Weg a­ bzubringen, dann wird der Schuldige seiner Sünde wegen sterben; von dir aber fordere ich Rechenschaft für sein Blut“). Genau deshalb hätten sie den Kaiser, „der den priesterlichen Ermahnungen nicht habe folgen wollen“,138 verurteilt, „um zu zeigen, wie groß die Gewalt Dies macht PATZOLD, Episcopus, S.  168–254 mit seinem Abriss der Überlieferungsund Wirkungsgeschichte der Modelle und Schlüsseltexte der 20er Jahre klar, der nachweist, dass dieses neue Wissen weit verbreitet wurde. 138 Vgl. Episcoporum ad Hludowicum imperatorem relatio, S. 52: qui monitis sacerdotalibus obedire noluerit. 137

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(vigor) und Macht (potestas) des priesterlichen Amtes sei.“139 Nach einer solchen Buße, so schließt der Bericht absichtsvoll, kann niemand zur weltlichen militia, das heißt zur Herrschaftsausübung, zurückkehren.140 Genau diesen Zweck hatte die Veranstaltung, bei der die Bischöfe die kirchenrechtliche Legitimation für die politischen Absichten der Söhne Ludwigs des Frommen lieferten. Damit festigten sie zugleich aber ihre Rolle als Mahner, deren Argumente nicht missachtet werden konnten, ohne dass dies massive Konsequenzen nach sich zog. Vorangegangen war der „Aufstand“ seiner Söhne Lothar, Ludwig und Pippin gegen den Kaiser, der auf dem „Lügenfeld von Colmar“ trotz der Vermittlungsbemühungen Papst Gregors  IV. zu einer Herrscherverlassung geführt und Ludwig in die Gefangenschaft Lothars gebracht hatte.141 Gemeinsam mit den Bischöfen hatte Lothar seinen Vater zu einem umfassenden Schuldein­ geständnis genötigt.142 Dieses Register seiner Hauptverfehlungen wurde dem Kaiser zur öffentlichen Verlesung in Compiègne in die Hand gegeben und er beschuldigte sich mehrfach der dort aufgezeichneten Sünden, wie Agobard von Lyon als Augenzeuge in einer cartula notierte und so sein Einverständnis mit dem Geschehenen zum Ausdruck brachte. Diese cartula gab er dann wie alle anderen anwesenden Bischöfe Kaiser Lothar zur Aufbewahrung und Erinnerung.143 Man mag aus diesem Vorgehen das gegenseitige Misstrauen der Akteure entnehmen, die in der Tat etwas bisher Unerhörtes ins Werk zu setzen versuchten. Die vormals strittigen politischen Entscheidungen wurden in dem Verzeichnis nun als Sünden Ludwigs aufgelistet: Die Gewalt gegen seine Halbbrüder und seinen Neffen Bernhard bezeichnete man als Sakrileg und Mord, weil Ludwig sich damit nicht an väterliche Ermahnungen und ein Gott gegebenes ­Versprechen gehalten habe.144 Man nannte ihn auctor scandali, perturbator pacis und violator sacramentorum, weil er die Ordinatio imperii von 817 später zugunsten seines nachgeborenen Sohnes Karl habe verändern lassen, obgleich sie zuvor eidlich bekräftigt worden war. Dass all dies sündhaft war, bewies man mit den unfriedlichen Zeiten, die folgten: „Wie sehr Gott dies missfiel, wird dadurch völlig klar, dass später weder er selbst (sc. Ludwig) noch das ihm ­untergebene Volk Frieden fand, vielmehr alle im Unfrieden die Strafe der Ebd., S. 52: manifestare iuxta iniunctum nobis ministerium curavimus, qualis sit vigor et potestas sive ministerium sacerdotale. 140 Vgl. Episcoporum de poenitentia, quam Hludowicus imperator professus est, relatio Compendiensis, S.  51  ff. das Zitat S.  55: ut post tantam talemque poenitentiam nemo ultra ad militiam saecularem redeat. 141 Vgl. BOSHOF, Ludwig der Fromme, S. 195 ff. 142 Vgl. BUND, Thronsturz, S. 414 ff. 143 Vgl. Agobardi Cartula de Poenitentia ab Imperatore acta, S. 56 f. Die Angaben zur Übergabe an Lothar finden sich in der Vorrede. 144 Ebd., S. 54, Absatz 1. 139

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Sünde und den gerechten Urteilsspruch Gottes ertragen mussten.“145 Was er an ungerechten Urteilen, falschen Zeugnissen und Meineiden zu verantworten habe und wie sehr Gott dies beleidigt habe, wisse er selbst.146 Schließlich habe er das Volk gezwungen zu schwören, gegen seine Söhne wie gegen Feinde vorzugehen, obwohl er selbst sie mit väterlicher Autorität und mit dem Rat seiner Getreuen hätte befrieden können.147 Die Einschätzungen der über Ludwig Richtenden orientierten sich ganz offenkundig nicht an gängigen politischen Praktiken und Spielregeln, sie wandten ein religiöses Normengefüge an, mit dem sie vieles als Sünde und Beleidigung Gottes deklarieren konnten, das im Alltag der Kriegergesellschaft ­gebräuchliche Praxis war. Das taten sie sicher im Bewusstsein, so der wahren Lehre Christi zum Durchbruch zu verhelfen. Auch Karls des Großen Herrschaft hätte man aber mit der Anwendung dieser Normen wohl als die eines Tyrannen darstellen können. Die aufsehenerregende Buße Kaiser Ludwigs zeigt jedenfalls mit einiger Nachdrücklichkeit, wie entschlossen die Bischöfe der Aufforderung Ludwigs von 828 gefolgt waren, sich an der Definition des „rechten Weges“ zu beteiligen, den die Königsherrschaft zu beschreiten habe. Mit dieser Definition aber schufen sie die Voraussetzungen, ihre Rolle als Wächter (speculatores) über königliches Verhalten zu etablieren. Wie bekannt, ist diese Entmachtung Kaiser Ludwigs bald und dramatisch gescheitert. Der Nachweis der Sündhaftigkeit der kaiserlichen Herrschaftsausübung und des daraus resultierenden Zornes Gottes, der Ludwigs Herrschaftsverlust und Buße unabdingbar gemacht hatte, besaß plötzlich keine Chance mehr, sich gegen gewandelte weltliche Machtverhältnisse zu behaupten. Die jüngeren Söhne Kaiser Ludwigs und weite Teile ihres Anhangs sahen nun in der Herrschaft des ältesten Sohnes, Lothar, das größere Übel, ohne dass ihre Gründe für den Umschwung im Einzelnen sichtbar würden. Sie zogen hieraus sehr pragmatisch die Konsequenz, sich wieder der Herrschaft des alten Kaisers zu unterstellen. Die fränkischen Bischöfe standen deshalb am 2. Februar 835, dem Fest Mariae Reinigung, vor der Aufgabe, die Entscheidungen von Compiègne zurückzunehmen und für unkanonisch zu erklären. Hierzu wählten sie vielleicht nicht zufällig einen ganz ähnlichen Weg wie in Soissons, indem nun Erzbischof Ebo von Reims die Rolle des Sündenbocks übernehmen musste, während Ludwig feierlich in seine alte Würde restituiert wurde.148 Dieser abrupte Umschwung warnt nicht zuletzt nachdrücklich davor, die Rolle der Kirche bei der politischen Willensbildung zu überschätzen. So wortmächtig und biblisch gut begründet uns die kirchliche Argumentation in den 145 146 147 148

Ebd., S. 54, Absatz 2. Ebd., S. 55, Absatz 5. Ebd., S. 55, Absatz 7. Vgl. BUND, Thronsturz, S. 425; BOSHOF, Ludwig der Fromme, S. 208 ff.

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Quellen auch entgegentritt, dies konnte nicht verhindern, dass weltliche Machtinteressen das politische Geschehen in ganz andere Richtungen lenkten, als die Bischöfe es mit großem Aufwand versucht hatten. Man kann auch deutlicher formulieren, dass die Kaiser Ludwig von den Bischöfen attestierten zahlreichen Todsünden plötzlich nicht mehr zählten, als die jüngeren Söhne des Kaisers und ihr Anhang den Eindruck gewannen, dass die Herrschaft ihres älteren Bruders Lothar für sie unangenehmer werden würde als die des Vaters. Argumente des Machterhalts erwiesen sich in dieser Situation den ­Argumenten weit überlegen, die Verstöße gegen die christlichen Herrscherpflichten anprangerten. Offensichtlich aber gewannen in dieser Situation auch wieder die Vorstellungen an Gewicht, dass der König sein Amt unmittelbar von Gott erhalten habe und nicht der Aufsicht der Priester unterstehe. Ein deutliches Zeichen hierfür bietet Thegan, der Biograph Ludwigs des Frommen, der nach dem Tode des Kaisers genau diese Tradition in den Vordergrund rückte. In Kapitel 44 seiner Biographie Ludwigs setzte er sich rhetorisch vor allem mit Erzbischof Ebo von Reims auseinander, dem er mit biblischen Belegen das Verbrecherische seines Tuns vorwarf, als er den Kaiser zum freiwilligen Eintritt ins Kloster zu zwingen versuchte:149 „Weshalb hast du die Weisung jenes Apostels missachtet, der bis in den dritten Himmel entrückt war, um unter den Engeln zu lernen, was er den Menschen befehlen sollte? Er hat so gelehrt und gesprochen: ‚Ordnet euch jeder obrigkeitlichen Gewalt unter, denn es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott stammt.‘ (Römer 13, 1). Und wiederum ein anderer sagt: ‚Fürchtet Gott, ehret den König. Ihr Knechte, unterwerft euch in aller Furcht den Herren, nicht nur den gütigen und freundlichen, sondern auch den launen­ haften. Denn das ist Gnade.‘“ (1 Petr 2, 17 f.). Damit hatte er mit Belegen aus den Apostelbriefen die Rolle des Königs ganz anders beschrieben und dem bischöflichen Vorgehen gegen den König eine grundsätzliche Absage erteilt. Dennoch war sicher nicht entschieden, ob diese Meinung von der Unrichtbarkeit der Könige die herrschende werden oder bleiben würde. Die bischöflichen Vorstellungen über ihre eigene Rolle als Mahner und Wächter über königliche Herrschaftsausübung scheinen von dieser Wendung nämlich nicht grundsätzlich tangiert worden zu sein. Natürlich ist nicht im Einzelnen festzustellen, inwieweit die Wächterrolle der Bischöfe über den König seit diesen Umbrüchen in Theorie und Praxis akzeptiert und wirkmächtig war. Dass sie weiter als ein Argument im politischen Kräftefeld benutzt wurde und in unterschiedlichen Konstellationen unterschiedliche Durchschlagskraft entfaltete, ist aber nachweisbar. Dies sei für die Folgezeit exemplarisch an einem der profiliertesten Akteure im religiösen wie politischen Feld gezeigt.

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Vgl. Thegan, Vita Hludowici, cap. 44, S. 240 ff.

3. Hincmar von Reims zur Theorie und Praxis der Beratung in der späten Karolingerzeit

3. Hincmar von Reims zur Theorie und Praxis der Beratung in der späten Karolingerzeit Es gibt wohl kaum ein Beispiel, an dem man die Nachhaltigkeit der Anstöße aus der Krisenzeit des karolingischen Reiches, das Verhältnis von Königen und Bischöfen betreffend, besser überprüfen könnte als am Wirken und Werk Erzbischof Hincmars von Reims.150 Er hat sich mit diesem Verhältnis nämlich ­t heoretisch und praktisch beschäftigt sowie kommentierend und bewertend auseinandergesetzt und hierbei immer wieder die Rollen der regales und der sacerdotales personae, ihre Rechte und Pflichten, zu fixieren versucht. Ihre wechselseitige Angewiesenheit auf Zusammenwirken und Beratung und die normative Basis dieser Beratung hat Hincmar dabei ausführlich behandelt. Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden festzustellen, inwieweit Hincmar die von den Bischöfen der Krisenjahre erarbeiteten Positionen zu Aufgaben und Pflichten der Ratgeber des Königs wie zur Verpflichtung des Königs, auf Rat zu hören, übernommen oder auch weiterentwickelt hat. Das reiche Oeuvre Hincmars bietet gute Möglichkeiten zu prüfen, ob die seit 829 formulierten Positionen und ihre biblischen und patristischen Begründungen weiterwirkten und zu einer akzeptierten und rezipierten Tradition wurden. Der Reimser Erzbischof eignet sich nämlich aus mehreren Gründen zum Kronzeugen für diese Fragestellung: Er nahm als Berater mehrerer karolingischer Könige selbst lange und intensiv am Beratungsgeschehen seiner Zeit teil; er äußerte sich zu den anstehenden Fragen in vielen Briefen und Traktaten in grundsätzlicher Absicht; er beschrieb und kommentierte das politische Geschehen überdies zwei Jahrzehnte lang in den Annales Bertiniani; und er verfasste schließlich am Ende seines Wirkens mit der Schrift De ordine palatii eine Abhandlung, die ausführlich auf Formen und Funk­ tionen der Beratung in der politischen Ordnung des Frankenreiches eingeht.151 Im Laufe dieses Wirkens erlebte er zudem alle Höhen und Tiefen der politischen Rolle als königlicher Ratgeber, sonnte sich in königlicher Huld und hatte königliche Ungnade auszuhalten, die ihm die Beteiligung an der Beratung des Herrschers verwehrte.152 In drei Untersuchungsschritten soll daher geprüft werden, was seine vielen Stellungnahmen über Hincmars Vorstellungen von der „richtigen“ Beratung 150 151

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Die folgenden Ausführungen haben sehr von PATZOLD, Episcopus, S. 266–314 profitiert. Aus der reichen Literatur sei hier nur hingewiesen auf SCHRÖRS, Hinkmar; DEVISSE, Hincmar; ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos, S.  281–355; PATZOLD, Konsens und Konkurrenz, S. 77–88. Diesen letzteren Aspekt unterstreicht zu Recht PATZOLD, Konsens und Konkurrenz, S. 77 ff.

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des Herrschers zu erkennen geben und in welchem Zusammenhang sie mit den von der Pariser Synode von 829 grundgelegten Vorgaben stehen: einmal ­mittels der Analyse seiner theoretischen und paränetischen Konzepte zu den Rechten und Pflichten des Königs wie der Ratgeber, zweitens durch seine historiographischen Hinweise auf Vorgänge der Beratung des Königs in konkreten historischen Situationen und deren Bewertung, und drittens schließlich durch eine Analyse der Beschreibung und Bewertung von Beratung in De ­ordine palatii, einem erst kurz vor seinem Tode entstandenen Werk.

Hincmars theoretische Vorstellungen über Beratung Hincmar hat sich mehrfach in der Form von Traktaten und Briefen mit Fragen des richtigen Verhaltens der Herrscher und gegenüber den Herrschern beschäftigt. In diesem Zusammenhang kam er auch häufiger auf das notwendige Profil königlicher Ratgeber zu sprechen, das in der Tradition bereits relativ fest verankert war. Hincmar wiederholte etwa mehrfach allgemeine Ausführungen, die der Kirchenvater Hieronymus zu dieser Frage gemacht hatte:153 So soll die Rede des Ratgebers „heilsam und untadelig“ sein, sein Rat „nützlich“, seine Lebensführung „ehrenhaft“, sein Urteil „geziemend“. Ein Ratgeber soll auch „nichts Nebulöses an sich haben“, „nichts Trügerisches“, „nichts Unglaubliches“, „nichts Geheucheltes, das durch seine Lebensführung und seine Sitten widerlegt wird“, „nichts Übertriebenes und Missgünstiges, das die Ratsuchenden abschreckt“.154 Solche und ähnliche dicta waren fester Bestandteil der Tradition. Schon Augustin hatte seine Warnung, dass der Herrscher sich nicht durch Geschenke oder Schmeicheleien verführen lassen solle, mit Geschichten des Alten Testaments plastisch verdeutlicht, was Hincmar gleichfalls aufnahm. Ausführlich erzählt er etwa die Geschichte Ben Hadads, des Königs von Aram, der in einer Notsituation es durch Schmeicheleien erreicht hatte, dass der König von Israel ihn verschonte und ein Bündnis mit ihm schloss. Sogleich erhielt dieser aber von einem Propheten den Bescheid des Herrn: „Weil du den Mann, dessen Verderben ich wollte, aus deiner Hand entlassen hast, muss dein Leben für sein Leben, dein Volk für sein Volk einstehen.“155 Diese Tradition nutzte Hincmar, um deutlich zu machen, dass Milde, die aus Schmeicheleien resultierte, Gott erzürnte, und Könige sich also vor den Schmeicheleien ihrer Ratgeber zu hüten hätten. Einmal im Traktat De regis persona et regio ministerio, cap. IV, Sp. 837: Quales sibi adhibere debeat rex consiliarios; zum anderen in: Ad episcopos regni admonitio altera, cap. IX, Sp. 1013. 154 Vgl. De regis persona et regio ministerio, Sp. 837C/D. 155 Vgl. Ad episcopos regni admonitio altera, Sp. 1014, cap. X mit Hinweis auf 1 Kön 20, 30–34, 42; wiederholt in: De regis persona et regio ministerio, vgl. unten nach Anm. 171. 153

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3. Hincmar von Reims zur Theorie und Praxis der Beratung in der späten Karolingerzeit

Für die Handlungsoptionen der königlichen Ratgeber wichtiger noch sind aber Hincmars Stellungnahmen, die auf der Basis der gelasianischen ZweiGewalten-Lehre die Rolle der Bischöfe der der Könige überordnen und die Abhängigkeit der Könige von den Mahnungen der Priester betonen. Hiermit akzentuiert Hincmar, dass der König gerade den Rat der Priester zu beachten habe. Er steht damit vollständig in der Tradition der Ausführungen der Pariser Synodalen und sorgt durch seine programmatische Betonung der bischöflichen Rolle für die Fortsetzung der festen Verankerung dieser Rolle in der Tradition. Auch wenn er in diesen Zusammenhängen gar nicht konkret auf Formen und Inhalte von Beratung zu sprechen kommt, sondern vor allem die Verantwortung der Priester für das Seelenheil der Herrscher betont, für die sie beim Jüngsten Gericht Rechenschaft ablegen müssen, wird implizit klar, dass die Priester dieser Verantwortung nur durch Mahnung und Rat gerecht werden können, auf dessen Befolgung sie zudem zu dringen haben. Umgekehrt resultiert aus dieser Verantwortung der Priester aber die dringende Verpflichtung der Könige, ihrem Rat das nötige Gehör zu schenken und ihn zu befolgen. Unser Interesse an Hincmars Darstellung des Verhältnisses von Königen und Bischöfen resultiert also nicht zuletzt aus der Annahme, dass die reklamierte Verantwortung der Bischöfe für das Seelenheil der Könige ein entscheidendes Argument für die Möglichkeit der Etablierung ihrer Beratung und Ermahnung des Königs darstellte. Jeder Versuch, sich dieser Funktion der Bischöfe als Wächter und Aufseher (speculator) zu entziehen, machte den König zu einem rex iniquus, wie nicht nur Hincmar betont.156 Dies wird sehr deutlich an der ­Reaktion der Bischöfe auf das Verhalten Lothars II., als dieser sich von seiner Ehefrau Theutberga trennen wollte. Der sich jahrelang hinziehende Konflikt ist ein Protobeispiel dafür, wie ernst Bischöfe in dieser Zeit ihre Wächterfunktion über Könige nahmen. Überdies wird an diesem Fall auch deutlich, wie synodale Beratungen von schriftlichen Anfragen und gelehrten Stellungnahmen und Gutachten unterstützt und begleitet wurden. In seinem ausführlichen Gutachten über die Problematik der Ehetrennung König Lothars II. von Theutberga beschäftigte sich Hincmar in questio 6 ausführlich mit der Frage, ob König Lothar, wie einige seiner Anhänger offensichtlich sagten, keinen Gesetzen und Urteilen unterstehe außer allein denen Gottes, weshalb er auch von seinen und fremden Bischöfen nicht gerichtet ­werden könne, weil geschrieben stehe: „Das Herz des Königs ist in der Hand Gottes, er lenkt es, wohin er will.“ (Spr. 21, 1).157 Dies war durchaus keine E ­ inzelposition, 156 157

Zu dieser Funktion der Bischöfe Wächter (speculator) zu sein, s. die Belege bei ANTON, Fürstenspiegel, S. 425 mit Anm. 301. Vgl. Hincmar, De divortio Lotharii, S. 247, 33 ff. u. 249, 34 ff.; zu Entstehung und Argumentation dieser Schrift vgl. ebd., S. 28 ff. die Einleitung der Herausgeberin.

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sondern hatte seine Grundlage in den herrschenden Vorstellungen von der ­sakralen Position des Königs, wie sie gerade in der Zeit Karls des Großen entwickelt und propagiert worden waren.158 In seiner responsio weist Hincmar diese Meinung mit großem Aufwand zurück und charakterisiert sie gleich eingangs als „blasphemisch und voll vom Geist des Teufels“. Ihm ist es sehr wichtig, breit zu belegen, dass die Könige in der gottgewollten Ordnung unter der Aufsicht der Priester stünden und ihren Ratschlägen zu folgen hätten.159 Er beginnt seine Zurückweisung mit den Beispielen biblischer Könige wie David, Saul, Rehabeam und anderer, die nach dem Ausweis der Bibel durch Propheten auf ihre Fehler und Sünden aufmerksam gemacht worden waren. Ausführlich zitiert er dann die göttlichen Gebote an Israel aus Deuteronomium 17, 8–13, die die Rolle der levitischen Priester akzentuieren: „Wenn bei einem Urteilsspruch … der Fall für dich schwierig und mehrdeutig zu sein scheint, dann sollst du dich aufmachen und hinaufgehen zu der Stätte, die der Herr, dein Gott, auserwählt hat, und vor die levitischen Priester und den Richter treten, der dann amtiert. Du sollst von ihnen verlangen, dass sie dir die Wahrheit des Urteilsspruchs verkünden. Dann sollst du dich an den Spruch halten … und du sollst auf alles, was sie dich lehren, genau achten und es halten … Ein Mann aber, der so vermessen ist, auf den Priester, der dort steht, um vor dem Herrn, deinem Gott, Dienst zu tun, oder auf den Richter nicht zu hören, der soll sterben.“ Diese alttestamentlichen Belege für die herausragende Rolle der Priester und die Verpflichtung aller, ihren Geboten zu gehorchen, vertieft Hincmar mit dem Hinweis auf den neutestamentlichen Hebräerbrief, dem er in sehr freier Interpretation entnimmt, „dass auch die apostolische Autorität mahnt, dass die Könige ihren Vorgesetzten im Herrn gehorchen sollen, die über ihre Seelen ­wachen, damit sie das nicht mit Traurigkeit tun.“160 Von Königen ist aber im Hebräerbrief ebenso wenig die Rede wie in Deuteronomium 17; diesen Bezug stellt erst Hincmar her.161 Gleich anschließend bietet auch er die viel zitierte Stelle aus dem Brief Papst Gelasius’ I. an den Kaiser Anastasius, die sog. gelasianische Zwei-Gewalten-Lehre: „Es sind zwei personae, durch die grundsätzlich die Welt regiert wird, die pontificalis auctoritas und die regalis potestas. Und das Gewicht der Priester ist insoweit größer, als von ihnen auch über die ­Könige bei Gott Rechenschaft abgelegt werden muss.“162 158 159 160

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Vgl. dazu ERKENS, Herrschersakralität, bes. S. 130 ff. Vgl. Hincmar, De divortio Lotharii, S. 247. Vgl. ebd., S.  247, 21: Et apostolica auctoritas commonet, ut et reges etiam obediant ­praepositis suis in Domino, qui pro animabus eorum invigilant, ut non cum tristitia hoc faciant. Vgl. Hebr 13, 17. Zur Wirkung der gelasianischen Zwei-Gewalten-Lehre im 9. Jahrhundert vgl. KNABE, Die gelasianische Zweigewaltenlehre bis zum Ende des Investiturstreits, S. 45 ff.; LEVI-

3. Hincmar von Reims zur Theorie und Praxis der Beratung in der späten Karolingerzeit

Mit den Beispielen des Mailänder Erzbischofs Ambrosius, der Kaiser Theodosius zur Kirchenbuße veranlasst hatte, und jener Bischöfe des Frankenreiches, die Kaiser Ludwig den Frommen zur Kirchenbuße verurteilten, bietet Hincmar dann Präzedenzfälle dafür, dass Kaiser in der Tat die Jurisdiktionsgewalt der Priester anerkannt hätten. Wenn aber die Priester eine Jurisdiktionsgewalt über Kaiser hatten, dann musste dies auch zur Folge haben, dass der Rat der Priester für die Könige und ihre Amts- wie Lebensführung von besonderer Bedeutung war. Diesen Schluss hatte Hincmar bereits zuvor mit dem Zitat des Psalm 2, 10–12 programmatisch angekündigt: „Durch die Priester nämlich spricht der Herr: ‚Nun denn, ihr Könige, kommt zur Einsicht; lasst euch warnen, ihr Gebieter der Erde; dient dem Herrn in Furcht, und preist ihn mit Zittern, bewahrt die Zucht, damit Gott nicht erzürnt und ihr nicht von rechten Weg abkommt.‘“163 Und wenig später macht er mit mehreren einschlägigen biblischen Zitaten noch einmal deutlich, dass derjenige, „der nicht auf die Kirche hört, für dich sei wie ein Heide oder Zöllner“ (Mt 18, 17). Dem folgt der Hinweis Christi auf die Binde- und Lösegewalt der Priester (Mt 16, 18) und sein Dictum: „Wer euch hört, hört mich, und wer euch ablehnt, lehnt mich ab.“ (Lk 10, 16). Aus den Ausführungen Hincmars wird somit mehr als deutlich, dass er in souveräner Weise aus der Bibel begründen konnte, dass alle, auch Könige, dem Gebot der Priester Folge zu leisten hatten. Man muss wohl nicht näher ausführen, dass Hinweise auf solche Bibelstellen auch in einer konkreten Beratung mit dem König ihre Wirkung nicht ­verfehlt haben dürften, wenn einmal grundsätzlich anerkannt war, dass diese Belege eine Richtschnur für das Verhalten zeitgenössischer Könige boten. Ihre Verankerung in den Texten der kirchlichen Tradition dürfte zudem geeignet gewesen sein, das Selbstverständnis bischöflicher Berater der Könige zu prägen. Es ist daher nur folgerichtig, dass der Reimser Erzbischof mehrfach gleichlautende Argumentationen bietet.164 Einen Höhepunkt dieser grundsätzlichen Fixierung der Pflichten des könig­ lichen ministerium stellt der Traktat De regis persona et regio ministerio dar, den Hincmar Karl dem Kahlen widmete, der ihn in einer kritischen Situation wohl auch veranlasst hatte.165 Die Abhandlung geht in Kapitel 4 explizit auf die SON, Die mittelalterliche Lehre von den beiden Schwertern, S. 14–42; ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos, bes. S. 325 ff. 163 Vgl. Hincmar, De divortio Lotharii, S. 247, 19 ff.; die folgenden Zitate S. 248, 20 ff. 164 Dies machen die reichen Hinweise auf mehrfach benutzte Bibelzitate in den Registern von De divortio Lotharii, S. 265 ff. ebenso wie die Verweise auf Hincmars wiederholte Ausführungen in den Anmerkungen zu De ordine palatii, hg. von GROSS – SCHIEFFER immer wieder deutlich; vgl. dazu auch ERKENS, Herrschersakralität, S. 152 f. 165 Vgl. dazu SCHRÖRS, Hinkmar, S. 386 ff.; ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos, S. 286 ff. Den Anlass könnte die Blendung von Karls unbotmäßigem Sohn Karlmann geboten haben, die ein grundsätzliches Nachdenken über das Amt des Königs ausgelöst haben könnte.

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notwendigen Qualitäten der Ratgeber des Königs ein. Wichtiger noch aber scheint für unsere Fragestellung zu sein, dass sie Aufgaben, Rechte und Pflichten der Könige umfassend definiert und ihre normativen Grundlagen offenlegt. Damit erstellte sie implizit auch ein Raster, an dem die Ratgeber ihre Tätigkeit für die Könige ausrichten konnten. Schließlich waren sie die Aufseher (speculatores), die auf ein rechtes Verhalten der Könige zu achten hatten. Bei der Beschreibung des Profils königlicher Ratgeber nutzt Hincmar zunächst die schon erwähnte Tradition von Kirchenvätern wie Ambrosius, die den Ratgebern eine Reihe von Eigenschaften zuwies, die für ihre Tätigkeit unabdingbar seien.166 Insgesamt aber legte er die Messlatte für den Ratgeber sehr hoch und betonte vor allem die Unabhängigkeit des Ratgebers von den Erwartungen des Königs, etwa mit dem Hinweis auf das Buch der Sprichwörter (27, 6): „Nützlicher sind die Schläge eines Freundes als die Küsse anderer.“ Diesen Gedanken hatte er schon einleitend durch ein Terenz-Zitat Karl dem Kahlen nahegebracht: „Willfährigkeit erzeugt Freunde, die Wahrheit Hass.“167 Dies verstärkend urteilte er in Kapitel 4 dezidiert, dass derjenige, von dem Rat erbeten werde, wertvoller sein müsse als derjenige, der ihn erbitte.168 Das Vertrauen des Ratsuchenden müsse überdies so groß sein, dass er mit dem Buch Jesus Sirach, 22, 31 sage: „Und wenn mir durch ihn Schlechtes widerfährt, halte ich es aus.“ Und den Ratgebenden schlägt Hincmar ein Verhalten wie das des Zöllners Zachäus vor, der vierfach zurückgeben wollte (Lk 19, 8). So sollte sich beim Rat auch der Ratgeber verhalten.169 Neben diesem intensiven Versuch einer christlichen Profilbildung des königlichen Ratgebers sind in diesem Traktat viele andere Kapitel von Interesse, die in Art der Fürstenspiegel die Rahmenbedingungen für und Anforderungen an herrscherliches Handeln festlegen. Mit der Festlegung von christlichen Anforderungen an königliche Herrschaftsausübung ist zugleich fixiert, worauf Ratgeber bei ihrer Mitwirkung an königlichen Entscheidungen zu achten haben, welche Normen sie ihrem Rat zugrunde legen dürfen und vor welchen Schritten sie die Könige zu warnen haben. So bieten etwa die Kapitel über die Milde und Barmherzigkeit des Königs eine Fülle von Normen, die Ratgeber in konkreten Situationen den Herrschern als Richtschnur vorzuhalten haben. In Kapitel 19 wird über die Klugheit (discretio) gehandelt, mit der der König Barmherzigkeit walten lassen solle. Mit alttestamentlichen Belegen wird abgesichert, dass es gerechtfertigte und ungerechtfertigte Barmherzigkeit gebe: „Du sollst in dir kein Mitleid aufkommen 166 167 168 169

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Vgl. dazu oben Anm. 163. De regis persona et regio ministerio, Sp. 833: Obsequium amicos, veritas odium parit. Ebd., Sp. 838 D: Necesse est igitur ut praestantius sit a quo consilium petatur, quam ille est qui petit. Ebd., Sp. 839 B.

3. Hincmar von Reims zur Theorie und Praxis der Beratung in der späten Karolingerzeit

lassen“ (Dtn 19, 13) ist für Hincmar eine Norm, ebenso wie das Verhalten Sauls gegenüber dem Amalekiter-König Agag, dessen Verschonung Gott erzürnte, falsches Mitleid war. Er bemüht auch das Beispiel des Arztes, der sich nicht von den Tränen des Kranken davon abbringen lassen wird, die Narbe einer inwendig eiternden Wunde aufzuschneiden, denn das wäre falsche Barmherzigkeit. Und er verweist auf den Apostel Paulus, der bereits die Güte wie die Strenge Gottes so beschrieben hatte: „Die Strenge gegen jene, die gefallen sind, Gottes Güte aber gegen dich, sofern du in seiner Güte bleibst“(Röm 11, 22).170 In zwei weiteren Kapiteln warnt Hincmar den König davor, sich einerseits durch Geschenke und Schmeicheleien der Bösen täuschen zu lassen, andererseits sich ihnen in Freundschaft zu verbinden.171 Gegen die Schmeichler führt er in einem langen Zitat die Geschichte des Königs Ben-Hadad ins Feld, der nach verlorener Schlacht den König von Israel durch seine Unterwerfung zur Milde und Schonung bewogen hatte. Ein Prophet hatte daraufhin dem König von Israel drastisch den Gotteszorn über diese Haltung verkündet: „Weil du den Mann, dessen Verderben ich wollte, aus deiner Hand entlassen hast, muss dein Leben für sein Leben, dein Volk für sein Volk einstehen.“ (1 Kön 20, 42). Auch Josaphat, dem König von Juda, trug nach Hincmar seine angebliche Freundschaft mit einem gegnerischen König den Zorn des Herrn ein, wie ihm der Seher Jehu vorhielt: „Musstest du dem ­Frevler helfen und liebst du jene, die den Herrn hassen? So lastet nun der Zorn des Herrn auf dir.“ (2 Chr 19, 2). Es ist auch für eine Reihe anderer Kapitel Hincmars charakteristisch, dass Probleme, die sich dem Herrscher im politischen Alltag stellten, im Sinne christlicher Herrschaftstheorie gelöst werden. So wird ihm klargemacht, dass er „seine verwerflich handelnden Verwandten nicht aus dem Gefühl fleisch­ licher Verbundenheit heraus schonen“ darf (cap. 29); ebenso darf er „Söhne oder Verwandte, die sündigen, nicht schonen“ (cap. 30); dagegen darf „bei einer Vielzahl von Sündern die Strafe wegen der Schwierigkeit (sie durchzusetzen) hintangestellt oder abgeändert werden“ (cap. 33). Da die Argumentationen Hincmars reich mit biblischen und patristischen Autoritäten abgesichert sind, konnten sie wie ein Handbuch für das Agieren von Ratgebern des Königs gelesen werden, wie natürlich andere Fürstenspiegel auch. Da ihm selbst das Arsenal der erarbeiteten Argumente und Belege jederzeit zur Verfügung stand, kann man sich lebhaft vorstellen, ein welch hilf­ reicher oder auch unbequemer Ratgeber der Reimser Erzbischof sein konnte, je nachdem, welche Lösungen ein König in politischen Problemlagen anstrebte. Dass Hincmar über ein ausgereiftes Argumentationssystem verfügte, das jeden König auf die Bahnen christlicher Herrschaftsausübung zu führen in der Lage 170 171

Ebd., Sp. 846 D. Ebd., cap. 21 und 22, Sp. 847–849.

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war, kann kaum zweifelhaft sein. Man wird überdies wohl recht daran tun, das Wissen über seine Argumentationen als weit verbreitet anzusehen. Die Intensität, mit der der Reimser Erzbischof auf die Rahmenbedingungen karolingischer Königsherrschaft einwirkte, nahm mit zunehmender Erfahrung denn auch keineswegs ab. Als Hincmar etwa noch im Jahre 881, also in hohem Alter, die Akten der Synode von S.  Macra (Fismes) redigierte, deren Ausführungen durch einen Streit um die königliche Beteiligung an der Besetzung eines Bischofsstuhles bestimmt wurden, begann er im Geiste Papst Gelasius’ I. die Argumentation gleich im ersten Kapitel mit der Definition der Aufgaben der „königlichen Gewalt“(potestas) und der bischöflichen Autorität (auctoritas), die unterschiedlich seien.172 Er akzentuierte auch hier ein scharfes Bewusstsein der Differenzierung ­zwischen weltlicher Herrschaft und Kirche. Nur Jesus Christus habe zugleich König und Priester sein können. Nach dessen Himmelfahrt dürfe weder der König die Würde des Bischofs noch der Bischof die königliche Gewalt usurpieren. Es bedürften sowohl die christlichen Könige für ihr Seelenheil der Bischöfe, wie die Bischöfe in weltlichen Angelegenheiten die Anordnungen der Könige nutzen müssten. Aber – und hier bietet er eine weitere Begründung für den Vorrang der Bischöfe: „Insoweit ist die Würde der Bischöfe größer als die der Könige, weil die Könige von den Bischöfen zu ihrer königlichen Höhe geweiht werden, die Bischöfe aber nicht von den Königen geweiht werden können.“173 Daran schließt Hincmar wieder die gelasianische Wertung von dem höheren Gewicht der Priester im Vergleich zu den Königen an, die Erstere aufgrund ihrer Verantwortung für Letztere beim Jüngsten Gericht hätten. Er zitiert frei aus Deuteronomium 17, 18–19, dass die Könige von den Priestern bei ihrer Salbung und Krönung auch das Gesetz überreicht bekämen, damit sie lernten und einsähen, wie sie sich und die ihnen Unterworfenen zu regieren und die Priester des Herrn zu ehren hätten. Die Szene präsentiert die Bischöfe wiederum in einer im Vergleich mit den Königen übergeordneten Stellung. Abgeschlossen wird dieses erste Kapitel mit dem einigermaßen drohenden Hinweis, dass man in den heiligen Schriften ja lesen könne, was mit dem König Urija passiert sei, der sich angemaßt hatte, ein Rauchopfer darzubringen, was nicht königliche, sondern priesterliche Aufgabe sei: Er war von Gott sofort mit Aussatz geschlagen worden.174 Dieses wie mehrere andere Exempel 172

173

174

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Vgl. Capitula in synodo apud S. Macram, Sp. 1071 B-D: Quod distinctae sint potestas regia et auctoritas pontificum. S.  dazu ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos, S. 236 ff. Vgl. ebd., Sp. 1071 C: Et tanto est dignitas pontificum major quam regum, quia reges in culmen regium sacrantur a pontificibus, pontifices autem a regibus consecrari non possunt. Ebd.: Legimus etiam in sacra historia quia Ozias rex praesumpsit incensum ponere quod non regii, sed sacerdotalis erat ministerii: lepra est a Deo percussus (2 Chr 26, 16–21).

3. Hincmar von Reims zur Theorie und Praxis der Beratung in der späten Karolingerzeit

dafür, wie Gott mit denen umging, die sich Aufgaben und Vorrechte der ­Priester anzumaßen versuchten, prägten dann im 11. Jahrhundert das Selbstverständnis des Reformpapsttums in seiner Auseinandersetzung mit den weltlichen Herrschern.175 Es war das Anliegen der Synode, eine königliche Einmischung in die Besetzung eines vakanten Bistums zu verhindern, das die grundsätzliche Stellungnahme zu den Rechten und Pflichten der Bischöfe wie der Könige auslöste und einen umfassenden Fürstenspiegel hervorbrachte, in dem in Kapitel 8 folgerichtig auch die Notwendigkeit der Auswahl guter Ratgeber zur Sprache kam. Karl der Große, so belehrt Hincmar König Ludwig  III., habe zu keiner Zeit ohne mindestens drei der weiseren und hervorragenden Ratgeber sein wollen.176 Wie sehr der König insbesondere angesichts seiner Jugend guter und erfahrener Ratgeber bedürfe, macht Hincmar mit verschiedenen Bibelstellen, die vor der Jugend warnen und die Weisheit des Alters preisen, ausgesprochen drastisch deutlich: „Weh dem Land, dessen König ein Kind ist und dessen Fürsten in der Frühe tafeln.“ (Prediger 10, 16). Er solle beachten, dass die Heilige Schrift den jungen König nicht aufgrund seines Alters herabwürdige, sondern wegen seiner Sitten, seiner Lebensführung und Dummheit, die durch keine Strenge eines Ratschlages gebändigt würden.177 Und dann belegt Hincmar noch mit dem Buch der Weisheit (4, 8‑9): „Ehrenvolles Alter besteht nicht in einem langen Leben und wird nicht an der Zahl der Jahre gemessen. Mehr als graues Haar bedeutet für die Menschen die Klugheit und mehr als Greisenalter wiegt ein Leben ohne Tadel.“178 Man kann sich fragen, ob der Reimser Erzbischof bei der Auswahl dieser Zitate nicht auch an sich selbst dachte. Ein weiteres Mal kam Hincmar ausführlich auf das Profil königlicher Ratgeber zu sprechen, als er Kaiser Karl III. im Jahre 877 aufforderte, den jungen Söhnen König Ludwigs des Stammlers geeignete Lehrer und Ratgeber beizu­ geben. Nach historischen und biblischen Beispielen für die Wirksamkeit der Lehrer und Ratgeber beginnt Hincmar mit deren wichtigster Aufgabe: „Sie mögen sie durch Wort und Beispiel lehren, die heilige Kirche und ihre Diener zu ehren.“ Diese Verpflichtung untermauert er mit den biblischen Belegen: „Vor den Priestern demütige deine Seele, vor den Magnaten beuge dein Haupt“ (Jesus Sirach, 4, 7); „Wer auf euch hört, hört auf mich, und wer euch ablehnt, lehnt mich ab“(Lk 10, 16); „die mich ehren, werde ich ehren, die aber mich ­verachten, werden in Schande geraten“ (1 Sam 2, 30). 175 176 177 178

Vgl. dazu ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, S. 69 f. Capitula in synodo apud S. Macram, Sp. 1084 D: nullo umquam tempus sine tribus de sapientioribus et eminentioribus consiliariis suis esse patiebatur. Ebd., Sp. 1086 B: Et attendite, quia non detestatur Scriptura aetate juvenem, sed moribus, et vita, atque stultitia, quae nulla consilii gravitate deprimuntur. Ebd., Sp. 1086 B: Senectus venerabilis est, non diuturna, neque numero annorum computata. Cani sunt autem sensus hominis, et aetas senectutis vita immaculata.

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Hincmar wusste aber auch, welche Gefahren der Königsherrschaft drohten, wenn Könige einige ihrer Vasallen bevorzugt behandelten. Nach dem Tode Karls des Kahlen führte er diese Gefahren schriftlich und eindringlich dessen Nachfolger, Ludwig dem Stammler, vor Augen. Dieser hatte bei seinem Herrschaftsantritt angeblich einigen seiner Getreuen bereits ihre Lehen und Besitzungen bestätigt, mit anderen aber noch keinen Kontakt aufgenommen. Nachdem Hincmar kurz das besonnene Verhalten der Vorgänger Ludwigs bei ihrer Herrschaftsübernahme charakterisiert hat, rät er dringend, „dass die Großen des Reiches, die in seiner Umgebung weilten, sich und ihre eigenen Wünsche so mäßigen sollten, dass sie nicht die anderen Großen des Reiches durch ihre Gier und Nachlässigkeit zu einem Skandal provozierten.“179 Dieser schriftlich gegebene Rat hätte wohl auch in vielen mündlichen Beratungssituationen seinen Platz gehabt, da wir in verschiedenen Zeiten des Mittelalters immer wieder hören, dass die Großen in der Umgebung des Königs diese Nähe skrupellos nutzten, um ihre eigenen Interessen zu fördern. Er wurde übrigens keineswegs ohne Eigeninteresse gegeben, denn Hincmar suchte mit seinem Schreiben bei Ludwig wieder die Position zu erlangen, die er bei dessen Vater Karl dem Kahlen verloren hatte.180 Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen verschiedene Ausführungen auf Hincmars eigene Problematik zu verweisen, wie etwa: „Und stellt euch so auf sie (die Großen) ein, dass sie euch wahrhaftigen Rat geben können und dies auch wagen. Weil, wie ich von vielen gehört habe, viel Nützliches in diesem Reich dadurch zunichte gemacht wurde, dass die Ratgeber das Gute und Nützliche, das sie wussten, nicht mehr auszusprechen wagten oder aber keine Möglichkeit hatten, es auszusprechen.“181 Dieser Ratschlag ist wohl mit Steffen Patzold so zu verstehen, dass wir hier den „Versuch eines Ausgegrenzten (vor uns haben), wieder ins Zentrum der Entscheidungsfindung zurückzukehren“.182 Er wusste um die Hindernisse, die einer objektiven und optimalen Beratung des Herrschers in der Praxis ent­ gegenstanden: Ein Herrscher konnte seine Ratgeber so auswählen, behandeln und beeinflussen, dass sie ihm nur das rieten, was er zu hören wünschte; und er konnte denjenigen, deren Rat ihm zu kritisch war, die Möglichkeit nehmen, diesen Rat überhaupt vorzubringen. Nicht jeder Herrscher besaß die Weisheit und Größe, Rat, der Kritik enthielt, als „Schläge eines Freundes“ für wichtiger zu halten als Schmeicheleien.

Vgl. Instructio ad Ludowicum Balbum, Sp. 986 B/C: Propterea videtur exiguitati meae, vestrum esse consilium … et regni primores, qui vobiscum sunt, sic seipsos et suas ­voluntates contemperent, ne alios istius regni primores per scandalum per suam cupiditatem aut negligentiam provocent. 180 S. dazu bereits eingehend PATZOLD, Konsens und Konkurrenz, S. 81 ff. 181 Instructio ad Ludowicum Balbum, Sp. 988A. 182 PATZOLD, Konsens und Konkurrenz, S. 82. 179

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3. Hincmar von Reims zur Theorie und Praxis der Beratung in der späten Karolingerzeit

Abgesichert hat Hincmar seinen Vorstoß mit einer ganzen Kaskade biblischer Zitate, die die Söhne König Ludwigs auf den Stellenwert guten Rates für den König verweisen: „Der Weise wird hörend weiser, der Verständige wird die Führung innehaben; wer seinen eigenen Überlegungen vertraut, handelt gottlos“(Spr 1, 5; 12, 2); „Fehlt es aber einem an Weisheit, dann soll er sie von Gott erbitten; Gott wird sie ihm geben“ (Jak 1, 5); „Ich werde dir sagen, Mensch, was gut ist und was Gott von dir fordert: nichts anderes als Recht tun und in Ehrfurcht den Weg gehen mit deinem Gott“(Mi 6, 8); „Gerechtigkeit, Gerechtigkeit sollst du erstreben.“ (Dtn 16, 20). Die brieflich und in Traktatform überlieferten Ausführungen Hincmars zur normativen Basis der Beratung des Königs erbringen also insgesamt reiches Anschauungsmaterial dafür, dass Hincmar über ein breites Spektrum an biblischen Äußerungen verfügte, die allesamt die Mahn-, Kontroll- und Aufsichtsfunktion der Priester über die Amts- und Lebensführung aller Christen, aber eben auch der Könige, belegten. Dieses Wissen hat er „seinen“ Herrschern eindringlich vorgetragen. Ob sie sich davon immer haben beeindrucken lassen, ist aber durchaus nicht über jeden Zweifel erhaben.

Hincmars Darstellung von Beratung in seiner Historiographie Es ist für unsere Fragestellung von besonderem Interesse, dass Hincmar auf die Vorgänge, die er in seinem Mahnschreiben an Ludwig den Stammler angesprochen hatte, auch in seiner Geschichtsschreibung, den Annales Bertiniani, zu sprechen kam. Hier charakterisierte er die Vorgänge deutlich verändert und unverhohlen als falsches Verhalten des jungen Königs: „Als Ludwig in Orville den Tod seines Vaters erfuhr, suchte er sofort möglichst viele für sich zu gewinnen, indem er Abteien, Grafschaften und Güter verlieh, wie jeder forderte.“ Hincmar nahm auch kein Blatt vor den Mund, was die Konsequenzen dieses Verhaltens anging: „Als er (Ludwig) hörte, die Großen des Reiches, sowohl Äbte wie Grafen, seien empört, weil er ohne ihren Konsens einigen Lehen gegeben hatte, und sie hätten sich deshalb wider ihn verschworen, ging er nach Compiègne. Diese Großen aber kamen mit Richildis (Ludwigs Stiefmutter), alles verwüstend, was auf ihrem Weg lag, nach dem Kloster Avenay, beriefen eine Versammlung der Ihren nach Montaimé und entsandten von da ihre ­Abgeordneten an Ludwig, der ebenfalls seine Gesandten an sie schickte.“183 183

Annales Bertiniani, a. 877, S. 254 ff.: Hludowicus, accepto nuncio in Audriaca villa de morte patris sui, quos potuit conciliavit sibi, dans eis abbatias et comitatus ac villas secundum uniuscuiusque postulationem … ubi audiens … regni primores tam abbates quam comites indignatos, quia quibusdam honores dederat sine illorum consensu, et ob id adversum se conspiratos esse, reversus est Compendium. Ipsi autem primores cum Richilde, diripientes omnia quae in via illorum erant, usque ad Avennacum monaste-

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Der Vergleich der beiden Argumentationen Hincmars zu demselben Vorgang bietet Anschauungsmaterial dafür, wie ein Ratgeber bei einer direkten Ansprache eines Herrschers die Probleme umschreiben und bemänteln musste, um seinen Herrn nicht vor den Kopf zu stoßen. Diese Bemäntelung vergrößerte wohl die Aussicht auf Annahme des Rates entscheidend. Im ­zitierten Mahnschreiben wurden deshalb ausschließlich die Großen kritisiert, die sich und ihre Forderungen mäßigen sollten. Eine negative Bemerkung über die Rolle des Herrschers bei den übereilten und konfliktträchtigen Vergaben von Lehen, durch die er schnell Unterstützung gewinnen wollte, wird dagegen vermieden. Die Dramatik der Situation wird ebenfalls nicht angesprochen. Der dem König schriftlich übermittelte Rat nahm also Rücksicht auf Empfindlichkeiten des Herrschers und konzentrierte sich geschickt auf das Wesentliche: Ludwig solle durch Verhandlungen mit den bisher nicht Kontaktierten die Lage beruhigen. Der Geschichtsschreiber Hincmar wurde dagegen viel deutlicher, was die Kritik am Herrscher angeht. Er scheint nicht damit gerechnet zu haben, dass der kritisierte König oder sein Nachfolger die Wertungen zu Gesicht bekamen, die der Erzbischof über die königliche Handlungsweise niederschrieb.184 Einen ganz ähnlichen Eindruck vermittelt auch Hincmars historiographischer Bericht über die Synode von Ponthion im Jahre 876. Hier versuchte der zum Kaiser gekrönte Karl der Kahle mit Unterstützung des Papstes, einen päpstlichen Vikar für das West- und Ostreich zu installieren, und hatte für diese Aufgabe nicht Hincmar ausersehen, sondern den Erzbischof Ansegis von Sens. Hincmar ist diesem Ansinnen auf der Synode in Ponthion so weit wie möglich entgegengetreten, und er hat in seinem detaillierten Synodalbericht in den Annales Bertiniani viele Details vermerkt, die einen Eindruck davon ­vermitteln, wie man in einer solch kontroversen Situation agieren konnte. Die Möglichkeiten und Grenzen der Vertretung unterschiedlicher Interessen und Ansichten im Rahmen einer synodalen Beratung in Anwesenheit des Kaisers werden so zumindest ungefähr erkennbar. Folgende Informationen notierte der Reimser Erzbischof über den Verlauf einer Synode, auf der ihn selbst nachhaltig betreffende Entscheidungen vor­ bereitet und kontrovers diskutiert wurden: Nach der feierlichen Eröffnung der Synode durch Gebet und Gesang las ein päpstlicher Legat dem anwesenden rium pervenerunt et conventum suum ad Montem-Witmari condixerunt, indeque missos suos ad Hlodowicum direxerunt; sed et Hlodowicus legatos suos ad eos direxit. 184 Die Eigenart der Historiographie Hincmars, Geschehnisse, bei denen er Akteur war, sehr parteiisch aus seiner Perspektive zu kommentieren, ohne diese Tatsache anzusprechen, hat die Forschung längst als auffällig herausgearbeitet, vgl. NELSON; Annals of St-Bertin, S. 11 ff.; zuletzt PATZOLD, Episcopus, S. 400 ff. Für unseren Zusammenhang sind diese Kommentare jedoch besonders wertvoll, da sie ungewöhnliche Einblicke in Situationen erlauben, in denen Dissens ausgetragen wurde.

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3. Hincmar von Reims zur Theorie und Praxis der Beratung in der späten Karolingerzeit

Kaiser und den fränkischen Bischöfen einen päpstlichen Brief vor, in dem die Einrichtung einer Stellvertretung des Papstes in Gallien und Germanien ­verkündet, als erster Inhaber dieses neuen Amtes Erzbischof Ansegis von Sens namhaft gemacht, sowie seine Rechte und Aufgaben – wenn auch knapp – angesprochen wurden.185 Man kann gewiss sagen, dass dieser Brief für Hincmar, den Metropoliten von Reims, eine Zumutung darstellte, installierte er doch eine dem Metropoliten übergeordnete Position päpstlicher Stellvertretung für das gesamte Frankenreich. Damit wurde dort eine neue kirchliche Position begründet, in der sich der Reimser Erzbischof gewiss nur sich selbst vorstellen konnte. Durch das Einvernehmen von Papst Johannes VIII. und Kaiser Karl dem Kahlen war Hincmar jedoch übergangen worden. Folgerichtig kam es bei der Verlesung des Papstbriefes schon zum ersten Dissens, „als die Bischöfe darum baten, dass man ihnen, an welche dieses Schreiben gerichtet sei, gestatte, es selbst zu lesen.“186 Der Sinn dieser Intervention dürfte klar sein: Man wollte durch genaue Lektüre Zeit gewinnen und untereinander Konsens herstellen, wie man mit dieser Neuerung umzugehen habe. Kaiser Karl der Kahle verweigerte dies jedoch angeblich „und verlangte von ihnen eine direkte Antwort, was sie auf diese päpstlichen Anordnungen zu erwidern hätten.“ Das königliche Verhalten wird von Hincmar als schroff ­abweisend und konfrontativ charakterisiert. Man muss natürlich in Rechnung stellen, dass Hincmar hier das Verhalten Kaiser Karls einseitig akzentuiert, um ihn von vorneherein ins Unrecht zu setzen. Ein solch schroffes kaiserliches Verhalten gegenüber den Teilnehmern einer Synode muss aber wohl zumindest denkbar gewesen sein. Darauf versuchten es die Bischöfe nach Hincmar mit einem Vorbehalt: Vorbehaltlich der Rechte der einzelnen Metropoliten wollten sie den Befehlen des Papstes gehorchen. Das war natürlich ein Versuch, sich eine Hintertür offenzuhalten und mit ihren Metropolitanrechten die Möglichkeiten des päpstlichen Stellvertreters einzuschränken. Sehr detailliert hatte das kurze Schreiben Papst Johannes’ VIII. dessen Rechte nämlich nicht beschrieben. Immerhin aber sollte er das Recht haben, Synoden einzuberufen und andere negotia in Stellvertretung des Papstes durchzuführen.187 Allein dies gab ihm schon den höchs185 186

187

Der relativ kurze und knappe Brief findet sich in MIGNE PL 126, S. 660 B–C. Annales Bertiniani, a. 876, S. 240 f.: Petentibus autem episcopis, ut eis permitteretur ipsa legi epistula quibus erit directa, non adquieuit imperator, sed responsum quaesiuit ab eis quid de his iussis apostolici responderent. Zu den Verhandlungen der Synode allg. vgl. HARTMANN, Synoden der Karolingerzeit, S. 333 ff. Vgl. Ad episcopos Galliae et Germanie, Sp. 66o B: Ansegisum fratrem et coepiscopum nostrum Senonensis Ecclesiae praesulem, qui quoties utilitas ecclesiastica dictaverit, sive in vocanda synodo, sive in aliis negotiis exercendis per Gallias et Germanias vice nostra fruatur. Et volumus ut decreta sedis apostlolicae per ipsum vobis manifesta efficiantur, et rursus quae gesta fuerint, ejus nobis relatione, si necesse fuerit, pandantur.

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ten Rang im westfränkischen Episkopat, was Hincmar ganz sicher nicht ge­ fallen konnte. In dementsprechend scharfer Sprache kritisierte er denn auch das Vorgehen Karls des Kahlen und der päpstlichen Legaten in seiner Geschichtsschreibung: „Und als der Kaiser und die Legaten des Papstes alles daransetzten (satis egerint), dass die Erzbischöfe vorbehaltlos (absolute) erklären sollten, dass sie dem Primat des Ansegis, so wie es der Papst schrieb, gehorchen würden, konnte er ihnen doch keine andere als die oben bezeichnete Antwort abpressen (extorquere), ausgenommen Bischof Frotarius von Bordeaux, der aus Schmeichelei, weil er von Bordeaux nach Poitiers und von da nach Bourges durch die Gunst des Herrschers gegen die Vorschriften gekommen war, das erwiderte, was, wie er wusste, dem Kaiser gefiel.“188 Mit dieser einzelnen Zustimmung war natürlich alles andere als ein Konsens hergestellt. Hincmars Polemik macht aber ­zugleich deutlich, dass sich unter den Ratgebern immer auch solche befanden, deren Abhängigkeit vom König so groß war, dass sie ihm den Rat gaben, der seinen Wünschen entsprach. Diese Zustimmung nahm der Kaiser angeblich denn auch zum Anlass, sich zu erheben und zu erklären: „der Papst habe ihn zu seinem Stellvertreter auf der Synode ernannt, und er werde das, was jener befohlen, auszuführen bemüht sein … Darauf ließ er einen Sessel vor alle Bischöfe seines diesseits der Alpen gelegenen Reiches neben Johannes von Toscanella (einen der beiden päpstlichen Legaten) stellen, der zu seiner Rechten saß, und befahl dem Ansegisus, dass er an allen vor ihm Ordinierten vorbeischreiten und sich auf diesen Stuhl setzen sollte.“189 Damit hatte er vollendete Tatsachen geschaffen, die Rangerhöhung des Ansegis war durch die Einnahme des Sitzes auf der Synode vollzogen worden. Schweigen hierzu bedeutete Zustimmung; öffentlicher Protest gegen einen ­solchen Befehl des Kaisers hätte dagegen einen Eklat dargestellt. Hincmar wandte jedoch nach eigenen Angaben genau dieses letzte Mittel an, das ihm gegen den Lösungsweg des Kaisers blieb: „Dagegen erhob der Erzbischof von Reims, so dass es alle hörten, Einspruch, indem er dies Verfahren als den heiligen Vorschriften widersprechend bezeichnete. Der Kaiser aber beharrte auf seinem Willen.“190 Genauer werden Form und Inhalt dieses Protestes und seiner Ablehnung durch Karl den Kahlen nicht beschrieben. Wichtig ist aber sicher der Hinweis, dass alle Hincmars Widerspruch hören konnten. Er Annales Bertiniani, a. 876, S. 240 f. Ebd.: Tunc motus imperator dixit, quod domnus papa ei suas uices commisit in synodo, et quod isdem praecepit ille exequi studeret … et iussit sellam plectilem ponere ante omnes episcopos Cisalpini regni sui iuxta Iohannem Tuscanensem, qui ad dexteram illius sedebat, et praecepit Ansigiso, ut supergrederetur omnes ante se ordinatos et sederet in eadem sella. 190 Ebd.: reclamante Remorum archiepiscopo, audientibus omnibus, hoc factum sacris ­regulis obviare. Imperator tamen in sua sententia permansit. 188 189

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war also eigentlich nicht zu übergehen. Allem Anschein nach war er jedoch nicht erfolgreich. Nicht einmal die von den Bischöfen dann erbetene Abschrift des päpstlichen Schreibens erhielten sie. Die Synode beendete ihre Beratung für diesen Tag dennoch scheinbar geordnet. Man wird sich die Empörung auf beiden Seiten jedoch als durchaus groß vorstellen dürfen, auch wenn man sie nicht offen austrug. Erst gut drei Wochen später, nachdem die Bischöfe mit und ohne den Kaiser bei mehreren Zusammenkünften unterschiedlichste andere Fragen beraten hatten, wurde die Frage des Primats und Vikariats Bischof Ansegis’ von Sens überraschenderweise noch einmal thematisiert. In einer Sitzung ohne den Kaiser verlas der Legat Johannes von Toscanella auf Befehl Karls des Kahlen den Brief des Papstes in dieser Sache noch einmal. Hincmar deutet mit keinem Wort an, warum das geschah. Ihm zufolge gaben die Bischöfe wieder die ­Antwort, die sie schon bei der ersten Sitzung gegeben hatten: Sie machten also wieder den Vorbehalt ihrer Metropolitanrechte geltend. Dunkel kommentiert Hincmar jetzt nur: „Und ihre Antwort wurde jetzt weniger schwierig aufgenommen als in der Gegenwart des Kaisers.“191 Unser Gewährsmann bleibt auch in der Kommentierung der nächsten dieses Problem betreffenden Sitzung, die zwei Tage später stattfand, sehr allgemein. Zwar erwähnt er ausführlich den Einzug des gekrönten Kaisers in die Sitzung und die feierliche Eröffnung. Dann aber unterlässt er es vollständig, konkrete Mitteilungen über den nun offensichtlich von Seiten Karls wiederholten Versuch zu machen, die uneingeschränkte Zustimmung des Episkopats zum Primat des Ansegis zu erlangen. Seine Kritik an diesem Versuch ist zwar scharf, sie erlaubt aber keinen profunden Einblick in das Vorgehen der Gegenseite: „Nun verlas Johannes von Arezzo ein der Vernunft und der Autorität w ­ idersprechendes Schriftstück; darnach las Bischof Odo von Beauvais mehrere Kapitel, welche die Gesandten des Papstes mit Ansegisus und diesem Odo ohne Wissen der Synode aufgesetzt hatten. Sie standen nicht im Einklang miteinander und hatten keinen Nutzen, sondern liefen der Vernunft und der Autorität entgegen … Wiederum aber wurde die Frage über den Primat des Ansegisus gestellt und nach vielen heftigen Worten des Kaisers und der Gesandten des Papstes gegen die Bischöfe erreichte schließlich Ansegisus in dieser letzten Sitzung doch eben nur das, was er auch am ersten Tag der Synode erlangt hatte.“192 Hincmars Kritik am Vorgehen der Gegenseite ist unverblümt: Man verlas mehrere unsinnige Schriftstücke, die ohne Wissen der Synodalen angefertigt worden waren; der Kaiser und die Legaten wurden gegen die Synodalen heftig. Erreicht haben sie damit wohl nichts, denn am ersten Tag hatte ja nur ein Ebd., S.  242  f.: Et facilius est illorum admissa responsio, quam fuerat in imperatoris ­praesentia. 192 Ebd., S. 244 f. 191

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Machtwort des Kaisers eine Lösung gebracht, die den Dissens nicht verhüllte. Auch jetzt scheint der Erfolg nicht größer gewesen zu sein, doch Hincmar stellt Position und Argumentation der opponierenden Bischöfe nicht dar. Wie auch immer die Beratung im Einzelnen vor sich gegangen sein mag, wir können e­ rkennen, dass vorbereitete Versuche gemacht wurden, die Gegenseite argumentativ zu überzeugen; es scheint zu heftigen Wortwechseln gekommen zu sein. Karl der Kahle hat trotz aller Versuche und aller päpstlichen Unterstützung aber nur Teilerfolge bei seinen Versuchen der Veränderung der kirchlichen Rangordnung in seinem Reich erzielt. Das seit der Zeit Ludwigs des Frommen erworbene und gehütete Wissen um die Aufgaben, Rechte und Pflichten der ministeria des Königs und der Bischöfe hat sicher mit dazu beigetragen, dass die bischöfliche Abwehr dieser Neuerung konsequent durchgehalten wurde.

Hincmars De ordine palatii Das Verhältnis der Bischöfe zur höchsten weltlichen Gewalt, dem König und Kaiser, beschäftigte Hincmar buchstäblich bis zu seinem Tode, denn noch in seinen letzten Lebensmonaten entstand in augenscheinlich großer Eile ein Traktat, den Hincmar wohl nicht ohne Grund admonitio nannte.193 Gerichtet war die Schrift an die Großen des Reiches; sie sollte aber wohl auch als Richtschnur für die Erziehung des jungen Königs Karlmann dienen. Sie ist ganz in dem Bewusstsein verfasst, dass zwei Gewalten die Aufgabe haben, die gott­ gewollte Ordnung aufrechtzuerhalten. So zitiert er denn auch gleich zu Beginn des zweiten Kapitels den schon mehrfach angesprochenen Satz des Gelasius, den man als „Grundgesetz des Gewaltendualismus“ bezeichnet hat:194 „Es sind zwei, von denen diese Welt hauptsächlich regiert wird.“ Dieses Zitat erweitert er aber um die Präzisierung, dass diese Regierung „zusammen mit Untergebenen geschehe, die sich besonders dieser Aufgabe widmeten“.195 Hincmar, De ordine palatii, hg. v. GROSS – SCHIEFFER, dort Einleitung S. 10 ff. die nötigen Hinweise zur Überlieferungsgeschichte und zum Titel des Werks. Hilfreich sind auch die Querverweise in der Edition auf andere Schriften Hincmars, in denen die gleiche Argumentation und die gleichen Belege der christlichen Tradition Verwendung ­fanden. Zum Herrschaftskonzept von De ordine palatii s. LÖWE, Apocrisiar, S. 219 ff.; ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos, S. 288 ff.; NELSON, Legislation and Consensus, S. 103 ff.; neuerdings POSTEL, „Communiter inito consilio“, S. 12 ff., die sich der nicht unumstritten geltenden Meinung anschließt, dass das Werk weitgehend auf ­Adalhard von Corbie zurückgehe. 194 Vgl. ANTON, Fürstenspiegel, S. 237. 195 Hincmar, De ordine palatii, S. 42, Z. 93 ff.: duo sunt, quibus principaliter unacum specialiter cuiusque curae subiectis mundus hic regitur: auctoritas sacra pontificum et regalis potestas. S.  dort auch Anm.  51 mit Hinweisen der Herausgeber auf die sonstige Verwendung des Gedankens bei Hincmar. 193

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Die je spezifischen Aufgaben der beiden Gewalten charakterisiert er mit ­ zechiel 3, 17 im Falle der Bischöfe als Tätigkeit des „Aufsehers“ (speculator), E der die ihm Anvertrauten zu beobachten und sie dann durch Wort und Tat zu bessern habe: episcopus bedeute ja nichts anderes als speculator, zitiert er in diesem Zusammenhang das zehnte Kapitel der pseudo-cyprianischen Schrift von den XII abusivis saeculi. Der König dagegen habe das Amt des „Lenkers“ (rectoris) zu versehen. Diese Beobachtungs- und Mahnfunktion der Bischöfe schließt für Hincmar auch die königliche Amtsführung ein, wie aus den folgenden detaillierten Beschreibungen der Funktionsweisen des Hofes wie der Verfahren der Lenkung des ganzen Reiches deutlich wird. Hincmar bietet eine Mischung erstaunlich konkreter Angaben über die Organisation des Hofes und der Reichsregierung, die etwa die Mechanismen des Zugangs zum König wie die Vorprüfung der an ihn herangetragenen Anliegen durch Amtsträger verdeutlichen, und eingestreuter Werturteile, die den Sinn der Verfahren und Maßnahmen unter den Aspekten der Gerechtigkeit und Billigkeit kommentieren. Für unseren Zusammenhang ist von höchstem Interesse, wie häufig und ausführlich er dabei auf den Stellenwert und die Arbeitsweise der königlichen Ratgeber sowie auf das Anforderungsprofil, das sie erfüllen müssen, zu sprechen kommt. Die ganze komplizierte Organisation des Hofes, so resümiert er den ersten Teil seiner Ausführungen, habe nicht zuletzt den Sinn, dass „niemals fähige Ratgeber fehlten“.196 Nur so werde garantiert, dass jeder, der mit welchem Anliegen auch immer an den Hof komme, „stets bei Hochgestellten wie auch bei jedem niedrigen Hofbeamten Erbarmen und Zuwendung ­vorfinde, wodurch die einzelnen bis zu den milden Ohren des Herrschers vordringen könnten.“197 Was hier als Möglichkeit positiv formuliert und bewertet ist, b ­ edeutete aber gleich­zeitig, dass der Zugang zum Herrscher limitiert war und bis auf Ausnahmen nur über die Vermittlung der Hofbediensteten möglich wurde.198 Sogar auf eine Rollenverteilung unter den Ratgebern bei der Vermittlung der vorgebrachten Anliegen an den Herrscher kommt Hincmar in diesem Zusammenhang zu sprechen: „Sodann sollte die Stimme eines Ratgebers die Berechtigung eines Planes, die eines anderen die Milderung durch Erbarmen und Wohlwollen, eine dritte aber die Mittel von List und Wagemut betonen.“199 Und schließlich spricht er die Praxis an, dass auch diejenigen, die würdig seien, eine Ebd., S. 78, Z. 414. Ebd., S. 78, Z. 422 f.: tam seniorum quamque et mediocrium uniusquisque secundum suam indigentiam vel qualitatem, dominorum vero misericordiam et pietatem semper ad manum haberet, per quem singuli ad pias aures principis perferre potuissent. 198 Vgl. dazu bereits ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, S. 188 ff. 199 Hincmar, De ordine palatii, S. 78, Z. 416 ff.: Deinde primus consilii rectitudinem, secundus misericordiae et benignitatis consolationem, tertius vero versutiae seu temeritatis sermo referret medicinam. 196 197

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Belohnung vom Herrscher zu erhalten, diese nicht selbst erbitten, sondern „die Treue und das Pflichtgefühl der Hofleute“ in Anspruch nehmen sollten. Diese übernahmen den Vortrag beim Herrscher nach Hincmar deshalb, „weil sie mit Gerechtigkeit und Güte Gott gefielen, sodann um den im Königsdienst Verbleibenden unerschütterliche Treue und Ausdauer im zuverlässigen Dienen einzugeben, ferner um bei der Ausdehnung des ganzen Reiches auch den weit Entfernten Freude und Genugtuung zu vermitteln.“200 Angesichts der im Mittelalter ständig wachsenden Hofkritik, die in dem Urteil „bei Hof, bei Höll“ gipfelte, ist man geneigt, den Realitätsgehalt dieser Ausführungen mit dem Epitheton „utopisch“ zu versehen.201 Schließlich war der Hang der Rat­ geber, den König sehr einseitig und von eigenen Interessen geleitet zu informieren, in den Krisen der Regierung Ludwigs des Frommen bereits mehr als deutlich geworden.202 Hincmar scheint also hier mehr seine Vorstellungen von der gottgewollten Ordnung zu artikulieren als real existierende Verhältnisse zu beschreiben. Größeren Realitätsgehalt scheint dagegen das zu haben, was Hincmar zu Formen und Inhalten der Beratung des Königs auf den Reichsversammlungen zu sagen hatte, wenn auch einige Akzente der Darstellung durchaus Anlass zu Zweifeln geben. Hincmar unterscheidet zwei Arten von Versammlungen: Die eine vereinte die Gesamtheit der weltlichen und geistlichen Großen; die andere wurde nur mit den senioribus et praecipuis consiliariis abgehalten.203 Letztere beriet und plante alle wichtigen Sachen weit im Voraus und behandelte die getroffenen und in Aussicht genommenen Entscheidungen absolut vertraulich. Angeblich ging man sogar so weit, auf der allgemeinen Versammlung, „um die übrigen Großen zufriedenzustellen oder den Eifer der Volksmenge … anzu­ fachen, als ob nichts dieser Art früher im Voraus bedacht worden wäre, von neuem mit deren Rat und Zustimmung die Anordnung zu beschließen.“204 Eine derartige Inszenierungstechnik zur Motivierung von Mitarbeitern, die darin besteht, dass man ihnen das Gefühl gibt, an der Entscheidungsfindung beteiligt gewesen zu sein, wirkt durchaus modern bzw. zeugt von guter Kenntnis menschlicher Eigenart. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass die InszenieEbd., S. 80, Z. 431 ff.: propter quod cum iustitia et misericordia Deo placerent, deinde in militia remanentibus certissimam fideliter serviendi fidem et constantiam ministrarent; deinde ut etiam longe positis per totius regni ambitum laetitiam et gaudium demonstrarent. 201 Zu den vielfältigen Erscheinungsformen von Hofkritik vgl. SZABO, Der mittelalterliche Hof zwischen Kritik und Idealisierung, S. 350 ff.; SCHNELL, Hofliteratur und Hofkritik in Deutschland, S. 323 ff. 202 Vgl. dazu oben bei Anm. 99. 203 Hincmar, De ordine palatii, S. 84, Z. 480; s. dazu LÖWE, Apocrisiar, S. 222 f. 204 Ebd., S. 86, Z. 502: vel propter satisfactionem ceterorum seniorum vel propter … accendendum animum populorum, ac si ita prius exinde praecogitatum nihil fuisset, ita nunc a novo consilio et consensu illorum … inveniretur. 200

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rung von gut vorbereiteten Handlungen durchaus zum gebräuchlichen Kommunikationsstil in der mittelalterlichen Herrschaftsordnung gehört.205 Bei der Beschreibung des Profils, das Kleriker wie Laien erfüllen sollten, die als königliche Ratgeber fungierten, scheint Hincmar sich dann wieder weit von allen Realitäten zu entfernen und ein Idealbild zu zeichnen, das die der Zeit bekannten Probleme bei der Beratung im Herrschaftsverband völlig ausblendet:206 Es sollten ihm zufolge Ratgeber nämlich dadurch ausgezeichnet sein, dass sie „vor allem entsprechend ihrer jeweiligen Eignung und Aufgabe den Herrn fürchteten, sodann eine derartige Ergebenheit zeigten, dass sie – abgesehen vom ewigen Leben – nichts dem König und seiner Herrschaft vorzogen: also nicht seine Freunde, nicht seine Feinde, nicht seine Verwandten waren, keine Geschenke brachten, keine Schmeicheleien vortrugen, keine aufreizenden Reden führten, nicht sophistisch oder verschlagen oder nach der Weisheit dieser Welt, die Gott feindlich ist, dachten, sondern diejenige Weisheit und Verstandeskraft kannten, mit der sie jene, die ihr Vertrauen auf die erwähnte menschliche Schlauheit setzten, durch gerechte und richtige Weisheit nicht bloß völlig zurückdrängen, sondern von Grund auf überwinden konnten.“ Hier ist zwar das ganze Spektrum angeführt, das die Tätigkeit als Ratgeber negativ beeinflussen kann, doch findet sich gewiss niemand, der die Gesamtheit dieser Anforderungen erfüllen könnte. Hincmar bietet zudem einen genauen Abriss des Ablaufs der Beratung, wie er sonst weder für diese frühe Zeit noch auch für die nächsten Jahrhunderte erhalten ist. Zunächst einmal betont er, dass die Beratung auf beiden Reichsversammlungen anfangs ohne die Beteiligung des Königs vonstatten ging. Dieser widmete sich angeblich in der Zeit, in der die Ratgeber tagten und nach Antworten auf die ihnen vom König gestellten Fragen suchten, dem Empfang von vornehmen Gästen, der Entgegennahme von Geschenken oder einfach dem Kontakt mit Älteren und Jüngeren. Die Beratungsthemen aber hatte der Herrscher in schriftlich fixierten capitula vorgegeben.207 Zur Beratung ließ der Herrscher den Großen genügend Zeit – im Bedarfsfall mehrere Tage – und gab ihnen auch Gelegenheit, über Boten Kontakt mit Hofbediensteten aufzunehmen, um deren Meinung bei der Erstellung des Rates zu berücksichtigen. Dies alles blieb strikt vertraulich und keinem Außenstehenden wurde ein Einblick in diesen Prozess der Willensbildung und Konsens­ herstellung gewährt, „bis die einzelnen zu einer Lösung gebrachten Probleme dem ruhmreichen Herrscher vor seinen geheiligten Augen zu Gehör gebracht Vgl. dazu ALTHOFF, Die Macht der Rituale, S. 26 ff. Zu diesen Problemen vgl. die Hinweise oben Anm. 201. 207 Vgl. hierzu und zum Folgenden die Ausführungen in Hincmar, De ordine palatii, S. 90 ff., Z. 575 ff. 205

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waren, und, was seine von Gott verliehene Weisheit auswählte, von allen übernommen wurde.“208 Hincmar unterstreicht zudem, um zu zeigen, in welcher Harmonie die Beratung und Entscheidungsfindung vonstatten gehen sollte, dass „sie (vor dem Herrscher) auch offen wiedergaben, in welchen gegen­ seitigen Meinungsverschiedenheiten oder Streitgesprächen oder freundschaft­ lichen Auseinandersetzungen sie die Entscheidung gesucht hatten.“209 Und er erwähnt schließlich die nicht unwesentliche Einzelheit, dass die geistlichen und weltlichen Großen auch die Möglichkeit hatten, getrennt voneinander zu beraten, ehe sie sich zu gemeinsamen Sitzungen trafen. All dies wirkt wohldurchdacht und geordnet, passt aber nicht in allen Einzelheiten zu den Forderungen, die Hincmar in seinen anderen Schriften hinsichtlich der Rolle der Bischöfe erhob. Vor allem die Behauptung, dass es „der von Gott verliehenen Weisheit des Herrschers“ überlassen bleiben solle, sich aus den Vorschlägen der Ratgeber diejenigen auszuwählen, die ihm am besten zu sein schienen, verträgt sich kaum mit den eindringlichen Aufforderungen an die Könige, den Mahnungen der Bischöfe zu folgen.210 Hier scheint die von den Bischöfen seit 829 verfestigte Mahn-, Kontroll- und Aufsichtsfunktion über die königliche Herrschaftsausübung zurückgenommen zugunsten einer autokratischen Stellung des Sakralkönigs, der seine Weisheit direkt von Gott erhält. Es ist an dieser Stelle daran zu erinnern, dass Hincmar ausdrücklich davon spricht, er habe eine Schrift Adalhards, des Verwandten und „Ersten unter den ersten Ratgebern“ Karls des Großen, gelesen und abgeschrieben.211 Es liegt also die Vermutung nahe, dass die fragliche Stelle sich Übernahmen aus der Schrift Adalhards verdankt, der die zur Zeit Karls des Großen übliche Praxis wiedergab. Wieso Hincmar hier die Vorlage unverändert übernommen hat, obgleich er in seinen Schriften zuvor großen Wert darauf gelegt hatte, die Könige auf die Verbindlichkeit des Rates der Bischöfe hinzuweisen, ist damit allerdings nicht geklärt. Man könnte die fragliche Stelle allerdings auch so verstehen, dass der König nur in den Fällen mit seiner von Gott verliehenen Weisheit das auswählte, was die Ratgeber ihm an denkbaren Lösungen anboten, wenn sie sich untereinander nicht auf eine einzige Lösung hatten einigen können. Dagegen hätte in den Fällen, in denen sie einmütig nur eine Lösung vorschlugen, dem König nicht die Freiheit zur Wahl einer anderen offengestanden. Diese Interpretation

Ebd., S. 92, Z. 585 ff.: donec res singulae ad effectum perductae gloriosi principis auditui in sacris eius obtutibus exponerentur, et quicquid a Deo data sapientia eius eligeret, omnes sequerentur. 209 Ebd., S.  92, Z. 598  f.: quantaque mutua hinc et inde altercatione vel disputatione seu amica contentione decertassent, apertius recitabant. 210 S. dazu etwa oben bei Anm. 169, 173, 176 u.ö. 211 Vgl. Hincmar, De ordine palatii, S. 54 mit Anm. 101. 208

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4. Zusätzliche Beispiele für Beratung des Herrschers in der Karolingerzeit

würde besser zum Gewicht passen, das die Ratgeber in den Krisen des Karolingerreiches gewonnen hatten. Insgesamt beweist das Werk Hincmars im Allgemeinen und De ordine palatii im Besonderen, welch elaborierte, biblisch begründete Tradition sich seit der Krise der Herrschaft Ludwigs des Frommen herausgebildet hatte, die den Herrscher mit der ganzen Wucht theologisch-kirchlicher Argumentation darauf festzulegen versuchte, seine Herrschaft am Rat der Kleriker zu orientieren. In dem Jahrhundert der Fürstenspiegel ist man in vielfältigen Formen an die Herrscher herangetreten und hat ihnen klargemacht, dass sie ohne die Beratung durch die Kleriker den „rechten Pfad“ nicht finden würden, der ihnen und ihrem Volk die ewige Seligkeit garantierte. An den Krisen der Karolingerherrschaft und dem Zerfall des Reiches konnte man immer wieder verdeutlichen, dass die herrschenden Zustände Gottes Zorn erregt hatten und verändert werden mussten. Die erste Zeit der zunehmenden Zeugnisse für die Beratung im königlichen Herrschaftsverband ist damit eine Zeit, in der die kirchlichen Stimmen das Thema der Beratung so gut wie monopolisierten. Von der Beratung der Herrscher durch die weltlichen Großen hören wir dagegen nur sehr wenig. Es ist also an der Zeit, die Rolle der Kirche bei der Verpflichtung der christlichen Könige auf Beratung stärker in den Vordergrund zu rücken. Suchte man in der älteren Forschung die Ursprünge der Beratungspflicht des mittelalter­lichen Herrschers im Vorbild germanischer Thingversammlungen oder im Gefolgschaftswesen,212 so ist nun das Gewicht kirchlicher Argumentation hervorzuheben, die auf biblischer Grundlage dem Herrscher seine Pflicht vor Augen hielt, auf die Stimmen der Priester zu hören, und so seine Verpflichtung zur Beratung auf eine feste Basis stellte. Dies hat die Gewichte im herrscherlichen Rat zweifelsohne zugunsten der klerikalen Teilnehmer beeinflusst, die ihm auf dem breiten Fundament christlicher Tradition sowohl den rechten Weg weisen wie ihn warnen konnten, wenn er im Begriffe schien, ihn zu verfehlen.

4. Zusätzliche Beispiele für Beratung des Herrschers in der Karolingerzeit Insgesamt sind konkrete Beispiele aus der Karolingerzeit, an denen man die Verfahren wie die Möglichkeiten und Grenzen der Beratung des Königs durch geistliche und weltliche Große erkennen könnte, durchaus nicht reich gesät. Zwar wird die Tatsache der Beratung häufig angesprochen, nicht jedoch ihr Verlauf, die vorgebrachten Argumente und die einzuhaltenden Regeln. Es 212

Vgl. dazu bereits SCHLESINGER, Herrschaft und Gefolgschaft, S.  147  ff. und oben Anm. 8.

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scheint, als hätten die Techniken der Herstellung von Konsens in der Tat zu den arcana imperii, den Geheimbereichen von Herrschaft, gehört, in die Autoren sich nicht befugt fühlten hineinzuleuchten. Die Geschichte der Beratung scheint vielmehr dadurch charakterisiert zu sein, dass erst in späteren Jahrhunderten die Stimmen zahlreicher werden, die auch über Opposition und Dissens bei der Konsensherstellung sprechen und so die hochgehaltene Vertraulichkeit durchbrechen, in der die Willensbildung in aller Regel vonstatten ging. Der eben behandelte Hincmar von Reims bildete hier eine Ausnahme, weil er seinen Widerspruch zu Königen mehrfach und auf verschiedene Weise in einiger Deutlichkeit zum Ausdruck brachte. Der Stellenwert und die Bedeutung des Rates ergeben sich allerdings schon aus den gar nicht seltenen Fällen, in denen Personen gestürzt oder zumindest aus der Nähe des Herrschers entfernt wurden, denen man nachsagte, dass sie die Position des „Günstlings“ und bevorzugten Ratgebers einnähmen und so den Einfluss anderer behinderten. Solche Bevorzugung löste Gegenreaktionen aller vermeintlich Benachteiligten aus, die selbst für den König nicht mehr zu beherrschen waren. Diese Maßnahmen zeugen nachhaltig davon, wie wichtig die Institution der Beratung und die Position des Ratgebers genommen wurden und wie man auf vermeintlichen oder wirklichen Missbrauch reagierte. Schon nach dem Tode Karls des Großen warteten die anderen Großen zunächst ab, wie sich Ludwig der Fromme und der engste Ratgeber Karls, Wala, zueinander verhalten würden. Erst als sich der einflussreiche Ratgeber Karls dem neuen Herrscher wider Erwarten demütig unterwarf, „ahmten ihn bald die übrigen Großen der Franken nach und eilten um die Wette in großen Mengen dem Kaiser entgegen.“213 Dem Vertrauten Karls des Großen nutzte seine schnelle Huldigung dennoch nichts; er verlor seinen Einfluss am Hof und wurde wie seine Brüder vom neuen Herrscher genötigt, in Klöster des Frankenreiches einzutreten.214 Auch dies lässt ahnen, wie prekär die Stellung des besonderen Ratgebers namentlich bei einem Herrscherwechsel wurde, da der neue Herrscher die Stellung des secundus a rege verständlicherweise mit einem seiner besonderen Vertrauten besetzen wollte. Aus der Zeit Ludwigs des Frommen sind insbesondere Graf Bernhard von Septimanien, die welfischen Brüder der Kaiserin Judith, Konrad und Rudolf, und die Kaiserin selbst zu nennen, die von der Krise der Herrschaft Ludwigs gravierend betroffen wurden, weil sie als seine engsten Ratgeber galten und für Ludwigs Verhalten mitverantwortlich gemacht wurden.215 Den Sturz ­Kaiser Karls  III. im Jahre 887 läutete es dagegen sozusagen ein, dass man Vgl. Astronomus, Vita Hlodowici, cap. 21; s. dazu WEINRICH, Wala, S. 28 ff. Vgl. KASTEN, Adalhard von Corbie, S. 85 ff. 215 Vgl. dazu ALTHOFF, Verwandte, Freunde und Getreue, S. 159 ff. mit weiteren Hin­ weisen. 213 214

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4. Zusätzliche Beispiele für Beratung des Herrschers in der Karolingerzeit

s­einen engsten Ratgeber, den Bischof Liutward von Vercelli, vom Hof ver­ treiben konnte.216 Auch Karl der Einfältige wurde von den Großen gezwungen, seinen Günstling Hagano fortzuschicken, unter dessen verderblichem Einfluss er nach Meinung der Großen stand.217 Wohl nicht zufällig ist es unter den Geschichtsschreibern Nithard, als Enkel Karls des Großen selbst Mitglied der königlichen Dynastie, der dem Thema der Beratung in den Krisen der Bruderkriege nach dem Tode Ludwigs des Frommen große Aufmerksamkeit zuwendet. Nithard war als Anhänger Karls des Kahlen in dessen Auftrag an den Beratungen beteiligt, in denen ein Ausgleich mit Lothar, dem ältesten der Brüder, gesucht, jedoch nicht gefunden wurde.218 Zwar schrieb er ganz aus der Perspektive Karls des Kahlen und suchte folgerichtig vor allem die Schlechtigkeit und Wortbrüchigkeit Lothars nachzuweisen, doch wird er für unsere Fragestellung gerade dadurch besonders wertvoll, dass er wegen dieser Absicht die Beratungen der befreundeten wie die Verhandlungen der verfeindeten Parteien immer wieder ausführlich schildert. So lassen sich aus seiner Darstellung einige Techniken der Konsensherstellung gerade in schwierigen Lagen rekonstruieren. Dies sei an zwei einschlägigen Beispielen genauer erläutert. Im Rückblick auf die Geschehnisse, die die Feindschaft unter den drei ­Söhnen Ludwigs des Frommen auslösten, schildert Nithard ausführlich Aktivitäten, die die Kaiserin Judith und andere Parteigänger Karls des Kahlen ein Jahr vor dem Tode Ludwigs des Frommen unternommen hatten. Sie fürchteten, dass nach dem absehbaren Tod des alten Kaisers seine Söhne Lothar und Ludwig der Deutsche sich auf Kosten Karls einigen und sie „dem Zorne der Brüder zur Vernichtung preisgegeben würden“.219 Dem wollte man zuvorkommen, indem der alte Kaiser seinem ältesten Sohn Lothar auf Anraten seiner Berater ein Bündnis anbot, das diesen zum Schutze Karls des Kahlen und zur Zusammenarbeit mit ihm verpflichten sollte. So verbunden hoffte man, dem dritten Bruder, Ludwig dem Deutschen, gewachsen zu sein, der in dieser Zeit bei seinem Vater in Ungnade gefallen war und dessen Herrschaftsbereich deshalb auf Bayern beschränkt bleiben sollte.220 Lothars Unterstützung gab es aber natürlich nicht umsonst. Vgl. Annales Fuldenses, a. 887 mit den unterschiedlichen Akzenten der Mainzer und Regensburger Version; s. dazu bereits DÜMMLER, Geschichte des ostfränkischen Reiches, Bd. 3, S. 280 ff. 217 Vgl. Flodoardus Remensis, Annales, a. 920, S.  2: pene omnes Franciae comites regem suum, Karolum, apud urbem Suessonicam , quia Haganonem consiliarium suum, quem de mediocribus potentem fecerat, dimittere nolebat, reliquerunt. Dort auch in Anm. 3 weitere Hinweise auf das breite Echo des Vorfalles in anderen Quellen. 218 Zu Nithards Geschichtsschreibung vgl. NELSON, Public Histories and Private History in the Work of Nithard, S. 195 ff. 219 Vgl. Nithard, I, 6, S. 398 f.: odia fratrum usque ad internitionem sibi insurgere. 220 Zu den Geschehnissen vgl. zuletzt GOLDBERG, Struggle for Empire, S. 86 ff. 216

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Folgendes Angebot ließ man deshalb durch Gesandte Lothar in Italien unterbreiten: „Wenn er fernerhin des Vaters Willen gegen Karl aufrechterhalten wolle (also dessen Herrschaftsstellung garantierte), solle ihm alles, was er bisher gegen jenen verbrochen hätte, verziehen und das ganze Reich mit Ausnahme Bayerns zwischen ihm und Karl geteilt werden.“221 Machiavelli hätte wohl seine Freude an dieser ungeschminkten Machtpolitik gehabt, die zwei Brüdern auf Kosten des dritten alle Vorteile bringen sollte. Lothar scheint das Angebot aber gleich eingeleuchtet zu haben, denn Nithard fährt lakonisch fort: „Da dies Lothar und den Seinigen annehmbar erschien, leistete man von beiden Seiten das eidliche Gelöbnis, dass man dies wolle und so durchführen werde.“ Man wird davon ausgehen dürfen, dass die geschilderten Verhandlungen vertraulich geführt wurden. In dieser Vertraulichkeit aber sprach und verstand man Klartext, und hatte offensichtlich selbst in einer von Misstrauen geprägten Situation keine Schwierigkeit, sich auf weitreichende Abmachungen zu einigen. Die Beteiligung eines größeren Kreises von Ratgebern an diesem Vorhaben und ihr Einverständnis scheint dagegen sehr unwahrscheinlich. Nithard erzählt direkt anschließend auch, ohne den geringsten Skrupel hinsichtlich der moralischen Bewertung des Verhaltens der Akteure, wie auf einer nach Worms einberufenen Reichsversammlung dieser eidlich vorbereitete Bündnisschluss nun öffentlich inszeniert wurde: „Hier warf sich Lothar demütig vor allem Volk zu Füßen des Vaters nieder und sprach: ‚Ich weiß, dass ich vor Gott und dir, Herr Vater, gesündigt habe; nicht um ein Reich, sondern um deine Vergebung und Gnade bitte ich.‘ Ludwig aber als ein milder und ­gütiger Vater verzieh dem Flehenden die begangenen Übeltaten und schenkte ihm die erbetene Gnade unter der Bedingung, dass er künftig wider des Vaters Willen nichts in irgendeiner Weise, weder gegen Karl noch das Reich, irgendwo unternehme. Dann hob er ihn gütig vom Boden auf, küsste ihn und dankte Gott für den verlorenen Sohn.“222 Am folgenden Tag erhielt Lothar dann in der Tat die von den Gesandten eidlich versprochene Belohnung des Vaters: „Siehe, mein Sohn, wie ich versprochen habe, liegt hier das ganze Reich vor dir; teile es nach deinem Gefallen. Wenn du teilst, soll Karl die Wahl seines Teiles zustehen; wenn wir aber die Teilung machen, sollst du ebenso deinen Teil dir wählen.“223 Das hiermit die Interessen eines dritten Bruders vollständig übergangen wurden, scheint Nithard, I, 6, S. 398 ff.: Quam ob rem missos deligunt et in Italiam ad Lodharium mitunt promittentes, si patris voluntatem deinceps erga Karolum conservare vellet, omnia, quae in illum actenus deliquerat, remitti et omne regnum absque Baioaria inter illum et ­Karolum dividendum. 222 Ebd., I, 7, S. 400 f. 223 Ebd. 221

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4. Zusätzliche Beispiele für Beratung des Herrschers in der Karolingerzeit

keine Rolle gespielt zu haben. Vielmehr versuchte Lothar zunächst drei Tage lang, einen Vorschlag auszuarbeiten, der das Reich in zwei möglichst gleiche Teile teilte. Seine Akribie bei dieser Aufteilung erklärt sich daraus, dass dann der Bruder Karl die erste Wahl eines Teils haben sollte. Lothar gab den Versuch jedoch auf, da er das Land nicht genau genug kannte. Daraufhin teilte der alte Kaiser das Reich in zwei Teile, und Lothar wählte daraufhin den Teil östlich der Maas, während Karl den westlichen Teil erhielt. Die Geschichte zeigt in aller Eindringlichkeit, welche Überlegungen innerhalb politischer Gruppen angestellt und als Angebote an die Gegenseite gerichtet werden konnten. Wenn diese Angebote Vorteile brachten, blieb für moralische Skrupel kaum Platz – und dies ist nicht nur hier zu beobachten. Andererseits macht der Fortgang der Geschichte aber auch deutlich, wie ­verbrämt getroffene Abmachungen dann einer Öffentlichkeit der Vasallen vermittelt wurden. Es tritt deutlich die Diskrepanz zwischen den klaren und eindeutigen politischen Angeboten und Abmachungen in einer vertraulichen Sphäre der Beratung und der deutlich geschönten Vermittlung dieser Übereinkünfte an eine mittelalterliche Öffentlichkeit vor Augen. Der Begriff „Inszenierung“ erweist sich wohl als angemessen für die geschilderte öffentliche Aufführung, die deutlich dem Gleichnis vom verlorenen Sohn nachempfunden war und öffentlich Sündenbewusstsein, Reue und die Bitte um Vergebung aufführte, während sie die zuvor getroffenen Absprachen verschleierte und erst als Ergebnis der Versöhnung einführte.224 Das vom Vater inaugurierte Bündnis zwischen Lothar und Karl zerbrach aus Gründen, die hier nicht erläutert werden müssen. Es fanden sich nach dem Tode Ludwigs des Frommen aus ähnlich pragmatisch-machtpolitischen Gründen vielmehr Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle zusammen, die ihre Interessen gegen Lothar erfolgreich verteidigten und ihn schließlich 841 in der Schlacht von Fontenoy besiegten. Nach dem Sieg aber begaben sie sich mit ihren Getreuen nach Aachen und „hielten am Tag nach ihrer Ankunft Beratung, was nun mit dem Volk und Reich zu tun sei, welches der Bruder verlassen habe.“225 Auch hier gibt Nithard wieder einen ausführlichen Bericht, der eindringlich zeigt, dass die bereits betonte Bedeutung der Bischöfe bei der Beratung der Herrscher keineswegs ein nur theoretisch formulierter Anspruch ­geblieben war. In Aachen fasste man nämlich nach Nithard als Erstes den Beschluss, „die Angelegenheit an die Bischöfe und Priester, von denen eine große Zahl zugegen war, zu überweisen, damit durch ihren Spruch, wie durch Gottes Wink, die Ursache und das Gewicht der anstehenden Probleme angegeben Zu dieser mittelalterlichen Informationstechnik und der hinter ihr stehenden Logik vgl. bereits ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, bes. S. 233 ff. 225 Vgl. Nithard, IV, 1, S.  446  f.: sequenti vero die, quid consultius de populo ac regno a fratre relicto agendum videretur, deliberaturi. 224

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würde.“226 Diese nahmen sich daraufhin der Sache an und „gingen Lothars Taten von Anfang an durch“. Es folgt eine detaillierte Aufzählung der bischöflichen Untersuchungen, die den sündhaften Charakter vieler Handlungen Lothars erwiesen hatten. Im Einzelnen beanstandeten sie Folgendes: „wie er seinen Vater vom Reich vertrieben, wie oft er durch seine Herrschsucht das christliche Volk eid­ brüchig gemacht hatte, wie oft dieser die dem Vater und den Brüdern geleisteten Eide gebrochen, wie oft er nach des Vaters Tod seine Brüder zu enterben und zu verderben versucht habe, wie viel Mord, Ehebruch, Brand und Schandtaten jeder Art die gesamte Kirche durch seine ruchlose Habgier ­erduldet habe.“ Man ist lebhaft an die Beratungen der Bischöfe über das Sündenregister Ludwigs des Frommen erinnert, die ganz ähnliche Verfehlungen des Herrschers hervorgebracht hatten.227 All dies brachte die Kleriker jedenfalls zu dem Schluss, dass Lothar weder Fähigkeit noch guten Willen zur Regierung besäße. Und deshalb habe er „nach dem gerechten Urteil des ­a llmächtigen Gottes zuerst vom Schlachtfeld und dann aus seinem Reich w ­ eichen müssen“.228 Damit war aber die Aufgabe der Kleriker in dieser grundsätzlichen Beratung noch nicht beendet, denn nach Nithard prüften sie nun die Herrschaftsbefähigung der beiden anderen Brüder, indem sie diese öffentlich befragten, „ob sie das Reich nach Art des verjagten Bruders oder nach Gottes Willen regieren wollten“. Erst als Ludwig und Karl bekräftigten, „dass sie, soweit ihnen Gott Wissen und Macht verleihe, nach seinem Willen sich und die Ihrigen regieren und leiten wollten“, erhielten sie von den Bischöfen den Herrschaftsauftrag: „Nach dem Willen Gottes ermahnen, raten und befehlen wir euch, dieses Reich zu übernehmen und nach dem Willen Gottes zu regieren.“ An dieser Darstellung sind sicher Abstriche zu machen, die Inszenierung der Legitimität königlicher Herrschaft, wie sie hier geschildert wird, darf nicht als alleinige bischöfliche Entscheidungsgewalt darüber missverstanden werden, wer als König regieren dürfe. Doch erscheint die Rolle der Bischöfe als Wächter über königliches Verhalten nicht nur hier in den Vordergrund gerückt worden zu sein. Es hat den Anschein, als sei sie gerade bei Dissens und im Konflikt in der Tat wirkmächtig gewesen, weil man ihnen die Definition des rechten Weges, den Könige zu gehen hatten, zubilligte. Wie unabhängig von den jeweiligen Machthabern sie diese Meinung formulieren und durchsetzen konnten, ist damit allerdings nicht entschieden. Ebd.: ut rem ad episcopos sacerdotesque, qorum aderat pars maxima, conferrent, ut illorum consultu veluti numine divino harum rerum exordium atque auctoritas proderetur. 227 S. dazu oben bei Anm. 144; s. auch unten bei Anm. 444 ein vergleichbares Vorgehen der Großen gegen Heinrich IV. 228 Die letzten Zitate alle Nithard, IV, 1, S. 446 f. 226

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4. Zusätzliche Beispiele für Beratung des Herrschers in der Karolingerzeit

Nithard war Augenzeuge dieser Szene, denn er wurde nach eigener Aussage direkt anschließend als einer der zwölf bestimmt, die jeder der beiden Könige auswählte, damit sie das Reich gerecht unter den beiden teilten. Und auch als Lothar wenig später einlenkte und Friedensverhandlungen mit seinen beiden Brüdern eröffnete, die dann 843 zum Vertrag von Verdun führten, „brachten sie die Sache wieder in gewohnter Weise vor die Bischöfe und Priester“,229 deren herausragende Rolle im Bemühen um ein Ende der Konflikte so noch einmal deutlich wird. So wie Ludwig der Fromme von seinen Bischöfen Auskunft darüber verlangt hatte, wie es dazu gekommen sei, dass man vom rechten Pfad abkam, hatten nach der Schlacht von Fontenoy die siegreichen Brüder den Bischöfen und Klerikern die Aufgabe übertragen, festzustellen, was nun zu tun sei. Diese waren in einer ausführlichen Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen, dass Lothar von Gott verworfen worden und sein Reich zu Recht den Brüdern „als den Besseren in der Herrschaft“ zugefallen sei. Dieses Ergebnis hatte man im Heere der beiden siegreichen Brüder sicher auch von ihnen erwartet. Dennoch wäre es angesichts der Tradition, in der diese Beauftragung der Kleriker stand, wohl verfehlt anzunehmen, dass der klerikale Rat lediglich beflissen das zum Ausdruck brachte, was die Herrschenden hören wollten. Zu intensiv und ertragreich dürfte das Bemühen um die Fundierung des bischöflichen Aufgabenfeldes als Mahner und Aufseher der Könige im 9.  Jahrhundert gewesen sein, um noch die Annahme zuzulassen, ihre admonitiones hätten in der konkreten Politik nach Gutdünken bestellt werden können. Auch Nithard bezeugt dies mit seiner Akzentuierung der bischöflichen Rolle in den Konflikten der Krisenjahre 838 bis 843. Die Kleriker erscheinen bei ihm als diejenigen, denen zumindest die „guten“ Herrscher großen Einfluss auf ihre Entscheidungen einräumten. Ob dieser Einfluss wirklich so groß war, hing gewiss von vielen Faktoren ab. In jedem Fall reduzierte er die Möglichkeiten königlicher Willkür deutlich, weil die Bischöfe detaillierte Vorstellungen darüber hatten, wann man vom rechten Weg abwich. Eindringliche Beispiele für Beratung der Bischöfe mit dem König bieten auch die Synoden, auf denen der Ehestreit Lothars II. verhandelt wurde.230 Die Anklagen des Königs auf den Synoden, die im Januar und Februar 860 und im April 862 in Aachen stattfanden, und das Geständnis seiner Gemahlin Theutberga werden in den Texten ebenso ausführlich referiert, wie mehrere gutachterliche Stellungnahmen von Bischöfen. Überdies wurden die Verhandlungen protokolliert. Man mag hieran ersehen, dass kirchliche Beratungen in ganz

Vgl. ebd., IV, 3, S. 450 f.: Verumtamen solito more ad episcopos sacerdotesque rem referunt. 230 Vgl. dazu HARTMANN, Synoden der Karolingerzeit, S. 274 ff. 229

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anderer Intensität von Schriftlichkeit beeinflusst wurden, als dies bei den Beratungen über Themen politischer Natur der Fall war. Für eine Geschichte der königlichen Beratung sind überdies die sog. Frankentage von hohem Gewicht, zu denen sich die Könige fränkischer Teilreiche und ihre Großen seit dem Vertrag von Verdun trafen, um den Frieden ­zwischen den Teilreichen zu sichern oder zu erneuern.231 Von diesen Treffen hat sich eine ganze Reihe von protokollartigen Niederschriften erhalten, die die eidlichen Versprechen der Könige im Wortlaut wiedergeben, mit denen sie ihre wechselseitigen Verpflichtungen öffentlich anerkannten. Für unsere Fragestellung ist von besonderem Interesse, dass in diesen Texten den an den Treffen teilnehmenden geistlichen wie auch weltlichen Großen erhebliche Aufmerksamkeit gezollt wird. Ihre Namen sind häufiger aufgeführt, ihre ­Initiative zur Verabschiedung eines Friedensschlusses wird zudem konkret angesprochen. Aus diesen Zeugnissen lässt sich für die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts konkret ermitteln, dass die Großen in Verhandlungen und Beratungen auf den Frieden drängten, sich eidlich verpflichteten, seine Einhaltung zu garantieren, und sogar eidlich versprachen, ihre Herren, die ­Könige, zu verlassen, wenn diese den fraglichen Vertrag nicht einhalten sollten. Diese tragende Rolle geistlicher wie weltlicher Großer bei den Beratungen der Verträge wird schon in den Straßburger Eiden fassbar, die nicht nur Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche im Jahre 842 leisteten, sondern auch die Großen der beiden Heere. Dadurch wird unmittelbar evident, dass auch die Großen auf das eidlich Versprochene verpflichtet waren und seine Einhaltung garantierten. Wie auch in anderen Fällen sprach Ludwig der Deutsche vor der Eidesleistung in Straßburg die versammelten Großen deshalb direkt an. Er bezog sich mehrfach darauf, dass sie die gegenwärtige Lage selbst genau kannten und erläuterte die Absichten der beiden Könige: „Wie oft Lothar mich und diesen meinen Bruder nach dem Tode unseres Vaters verfolgt und bis zur gänzlichen Vernichtung zu verderben gesucht hat, wisst ihr … Deshalb sind wir jetzt von der Not gedrängt zusammengekommen, und da wir glauben, dass ihr an unserer beständigen Treue und unveränderlichen brüderlichen Liebe zweifelt, haben wir beschlossen, diesen Eid zwischen uns vor euren Augen zu schwören … Wenn ich aber, was ferne sei, den Eid, welchen ich meinem Bruder schwöre, zu brechen mich vermesse, so spreche ich einen jeden von euch vom Gehorsam und dem Eide, welchen ihr mir geschworen habt, los und ledig.“232 Diese Argumentation vermittelt wohl einen realistischen Eindruck davon, wie die Könige argumentativ auf ihre Getreuen eingewirkt und welche MögGrundlegend hierzu SCHNEIDER, Brüdergemeine und Schwurfreundschaft, S. 11 ff.; s. auch ALTHOFF, Verwandte, Freunde und Getreue, S. 97 ff. 232 Vgl. Nithard, III, 5, S. 438 ff., dort auch das nächste Zitat. 231

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4. Zusätzliche Beispiele für Beratung des Herrschers in der Karolingerzeit

lichkeiten der Einflussnahme sie ihnen zugebilligt haben. Doch damit nicht genug: Auch die Angehörigen der beiden Heere schworen jeweils in ihrer Sprache: „Wenn Ludwig (bzw. Karl) den Eid, den er seinem Bruder schwört, hält und Karl (bzw. Ludwig), mein Herr, ihn seinerseits nicht hält, werde weder ich, wenn ich ihn davon nicht abbringen kann, noch irgendeiner, den ich davon abbringen kann, ihm gegen Ludwig (bzw. Karl) irgendwelchen Beistand geben.“ Die Argumentation des Königs ist ganz darauf ausgerichtet, die Großen als Kontrollorgan des Verhaltens beider Könige anzuerkennen und sie davon zu überzeugen, dass die Könige deren Wachen über ihre Vertragstreue akzeptierten und auch bereit waren, diese Großen im Falle eines königlichen Vertragsbruchs von all ihren Verpflichtungen freizustellen. Mit diesen Formulierungen war so weit wie möglich sichergestellt, dass ein einmal in der Beratung gefundener Konsens für den König wie für die Ratgeber verbindlich blieb. Die Verpflichtung der Großen zur Unterstützung des Königs wurde so davon abhängig gemacht, dass der König den Boden des gefundenen Konsenses nicht verließ. Dies dürfte erheblich zur Festigkeit der Bündnisse beigetragen haben, weil es die Partner auf einmal gemachte Zusagen festlegte. In gewisser Weise hat hiermit der ursprünglich bischöfliche Anspruch, eine Wächterfunktion über die Handlungen der Könige ausüben zu müssen, eine Ausweitung erfahren, die auch den weltlichen Großen die Wächterrolle zubilligte. Es passt zu dieser Technik der Einbindung der Vasallen, dass nur wenig ­später im sog. Vertrag von Coulaines die Großen des Westfrankenreiches ihren König, Karl den Kahlen, dazu brachten, sich einem Freundschaftsbündnis (amicitia), das sie untereinander eingegangen waren, anzuschließen.233 Auch das sollte dem Zweck dienen, dass alle in Freundschaft miteinander verbunden seien, und nicht spezielle Freundschaften mit dem König zur über­ mäßigen Begünstigung Einzelner und damit zum Konflikt führten. Diese institutionalisierte Rolle der Großen als Aufseher über die Friedensbereitschaft der Könige zeigt sich auch bei der Bewältigung der Krise nach dem Jahre 858, als Ludwig der Deutsche mit der Unterstützung westfrän­ kischer Großer versucht hatte, die Herrschaft im Reiche Karls des Kahlen zu übernehmen. Diese Übernahme wurde als Kampf gegen „Karls Tyrannei“ bemäntelt und durch die Hilfebitte westfränkischer Großer zu legitimieren versucht, die den ostfränkischen König zur Herrschaftsübernahme im Westen „eingeladen“ hatten.234 Der Übergriff gelang jedoch nicht und führte zu Vermittlungsversuchen, die bei einem Treffen der Kontrahenten Karl und 233 234

Vgl. CLASSEN, Die Verträge von Verdun und Coulaines, S. 1 ff. Vgl. dazu zuletzt GOLDBERG, Struggle for Empire, S.  250  ff.; DEUTINGER, Königsherrschaft, S. 234 f.

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Ludwig sowie des Vermittlers Lothars II. 860 in Koblenz schließlich zum Erfolg führten. Für uns ist von besonderem Interesse, dass nun die geistlichen und weltlichen Großen in den Akten des Treffens namentlich aufgeführt sind: Genannt werden immerhin 11 Bischöfe, 2 Äbte und 33 vornehme Laien aus den betroffenen Teilen des Reiches. Diese namentliche Nennung der beteiligten Großen sucht man in den Aufzeichnungen früherer Treffen der Könige v­ ergeblich; sie ist danach aber mehrfach zu beobachten.235 Ihre maßgebliche Beteiligung an der Vereinbarung wird aber vor allem dadurch deutlich, dass sie in der Sakristei der Kirche des heiligen Castor, also nicht-öffentlich, am 5. Juni den Vertrag (firmitatem), den die Könige am 7. Juni abschlossen, zuvor reiflich abwogen (consideraverunt) und ausdrücklich ihre Zustimmung gaben (acceptaverunt), dass die Bestimmungen (capitula) von allen eingehalten werden müssten.236 Nach den Aufzeichnungen beschränkte sich Karl als der Angegriffene in seiner einleitenden adnuntiatio dann darauf, das Verhalten seines Bruders so schonend wie möglich anzusprechen. Es war nach den Vorgesprächen nicht mehr opportun, Öl ins Feuer zu gießen: „Ihr wisst, wie einige Menschen, die Gott weniger fürchten als nötig, unseren Bruder Ludwig gleichsam in guter Absicht in diesem Jahr dazu lockten, dass er in unser Reich in einer Weise kam, die ihr kennt. Und ihr wisst auch genau, weshalb uns Gott und eure Treue in dieser Lage half.“237 Verlesen wurden dann aber gerade die capitula, mit denen sich bereits im Jahre 851 die drei Brüder Lothar, Ludwig und Karl zusammen mit ihren Großen auf gegenseitigen Frieden und wechselseitige Hilfe verpflichtet hatten. Sie sollten von Neuem beachtet werden und wurden nun noch ergänzt um Bestimmungen, die eine vorschnelle Exkommunikation von Sündern durch die Bischöfe verhindern sollten, was wohl gegen einen ­bischöflichen Übereifer in politischen Auseinandersetzungen gerichtet war.238 Der Frieden von Koblenz ist also in allen Phasen durch aktive Beteiligung der ­Großen an seinem Zustandekommen gekennzeichnet. Ihre Meinung und ihre Zustimmung waren bei den nicht-öffentlichen wie den öffentlichen Schritten zur Beilegung des Konflikts gefragt. Mit dem Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Bonner Vertrages zwischen Karl dem Einfältigen und Heinrich I. seien die Hinweise auf BeratungsVgl. dazu SCHNEIDER, Brüdergemeine und Schwurfreundschaft, S. 40 ff. Hludowici, Karoli et Hlotharii  II. conventus apud Confluentes, S.  154: Haec sunt nomina episcoporum, qui anno incarnationis dominicae DCCCLX Nonis Iuniis in secretario basilicae sancti Castoris consideraverunt cum nobilibus et fidelibus laicis firmitatem, quam gloriosi reges nostril Hludowicus et Karolus atque Hlotharius inter se fece­ runt VII Idus Iunias in eodem monasterio, et qui haec capitula ab omnibus conservanda acceptaverunt. 237 Ebd., S. 153. 238 S. dazu ausführlich DÜMMLER, Geschichte des ostfränkischen Reiches, 1, S. 457 f. 235

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4. Zusätzliche Beispiele für Beratung des Herrschers in der Karolingerzeit

situationen in der Karolingerzeit abgeschlossen, in denen zuvor zerstrittene Könige zusammen mit den Großen durch Verträge und Bündnisse Frieden und Zusammenarbeit vereinbarten. In der Narratio des Bonner Vertrages wird gleichfalls die Rolle der Großen bei seinem Zustandekommen akzentuiert, und es finden sich auch die Namen von weltlichen wie geistlichen Großen beider Seiten, die das pactum unanimitatis ac societatis amicitia, das die beiden ­Könige auf einem mitten im Rhein verankerten Schiff schlossen, durch ihre Zustimmung akzeptierten (collaudando acceptaverunt) und durch einen Eid bekräftigten, dass der Bund niemals von ihnen zerstört werde.239 Es wird überdies ausgeführt, dass der genaue Ablauf des Treffens bereits von hin- und hergehenden Gesandten genau fixiert worden war, die sich eidlich dafür ­verbürgt hatten, dass die Könige sich an das vereinbarte Procedere halten würden.240 Auch diese Aussagen werfen ein bezeichnendes Licht auf die Beteiligung der Großen an der Ausgestaltung des Freundschaftsbündnisses. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beratung des Königs in der Karolingerzeit einer wechselvollen Geschichte unterlag. Der Rat der Großen war in der Zeit Karls des Großen wohl noch eine „Selbstbindung durch ­Zustimmung“ und erhob gewiss nicht den Anspruch, dem Herrscher den rechten Weg verbindlich vorzuschreiben. Wenn Karl der Große vor der Einsetzung Ludwigs des Frommen zum Mitkaiser jeden Großen vom Ranghöchsten bis zum Niedrigsten öffentlich fragte, ob er mit dieser Erhebung einverstanden sei, ist dies als ein Protobeispiel für gelenkte Konsensherstellung zu verstehen, die durch Zustimmung Verpflichtungen schuf.241 Dies änderte sich in und nach der Krisenzeit der Herrschaft Ludwigs des Frommen jedoch nachhaltig. Es waren vor allem die Bischöfe, die auf der Basis der gelasianischen Zwei-Gewalten-Lehre eine Theorie gottgewollter Herrschaft entwickelten, die sie selbst als Mahner und Aufseher der Königsherrschaft zu etablieren versuchte und den „schlechten“ Herrscher einem bischöflichen Buß- und Strafrecht unterwarf. Wirkmächtig wurde diese Theorie sowohl bei den Versuchen der Absetzung Ludwigs des Frommen als auch in den Wirren der Bruderkriege wie in den Auseinandersetzungen um den Zerfall des fränkischen Großreiches. Vgl. Pactum cum Karolo rege Franciae occidentalis, S. 2: Haec sunt nomina episcoporum qui cum nobilibus ac fidelibus laicis firmitatem, quam praenominati reges inter se fecerunt, collaudando acceptaverunt et manibus suis sacramentum firmaverunt numquam a se destruendam. Dann folgen die Namen von fünf Bischöfen und zehn Grafen der Seite Karls sowie von sechs Bischöfen und elf Grafen von Seiten Heinrichs. 240 Vgl. ebd., S. 1: Convenerunt enim ambo illustres reges, sicut inter se discurrentibus legatis convenerant … Et ea tantum die mutuis se visibus intuentes super ripas eiusdem fluminis huc et ultra, ut sui fierent fideles innoxii sacramento, quo hanc eorum conventionem fuerant polliciti. 241 Vgl. dazu oben bei Anm. 85 f. 239

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II. Karolingerzeit

Diese Theorie scheint aber nur partiell die Auffassung vom besonderen S­ tatus der Könige und ihrer ausschließlichen und unmittelbaren Verantwortlichkeit gegenüber Gott verdrängt zu haben. Letztere billigte dem König als Schützer und Verteidiger der Kirche auch eine Herrschaftsgewalt in dieser Kirche und über die Bischöfe zu, die in der Institution der Reichskirche und ihrem spezifischen Verhältnis zum Königtum in den beiden folgenden Jahrhunderten bis zum „Investiturstreit“ die Erscheinungsformen der Beratung des Königs im entstehenden deutschen Reich bestimmte. Die daraus resultierende Spannung, wer denn nun das entscheidende Wort zu sagen habe, dürfte gerade bei der ­Beratung des Königs spürbar geworden sein. Die königliche und die priesterliche Rolle, die in der Beratung für konkrete Entscheidungen festgelegt und austariert wurden, waren einerseits geprägt vom Bewusstsein, dass Religion und Politik differenzierte Bereiche mit je eigenen Aufgaben und ­Zuständigkeiten darstellten. Aus diesem Bewusstsein heraus konnte man dem König verwehren, Kirchengut zu vergeben oder Bischöfe einzusetzen, weil er sich damit Kompetenzen anmaßte, die ihm nicht zustanden.242 Andererseits gab es immer wieder massive Versuche der Entdifferenzierung, die von beiden Seiten unternommen wurden. Der König nahm sich als Schützer und Verteidiger des Glaubens und der Kirche das Recht heraus, in kirchliche Belange einzugreifen. Hierzu legitimierte ihn die Vorstellung seines unmittelbaren Gottesgnadentums, die ihm eine Doppelstellung in Kirche und Welt einräumte. Die Bischöfe wiederum ­reklamierten mit ihrer Verantwortung für die gesamte Herde – und somit auch für das Seelenheil der Könige – das Recht, ja die Pflicht, mahnend, warnend und strafend in den Bereich der Politik einzuwirken, wenn man vom rechten Weg abzukommen drohte.243 Es hängt wohl vor allem mit der so gut wie immer gewahrten Vertraulichkeit einschlägiger Beratungen zusammen, dass wir nur wenig vom Austrag der hier skizzierten Spannung zu hören ­bekommen. Dass aber die Großen maßgeblich am Zustandekommen aller Entscheidungen beteiligt waren, die den Frieden zwischen den Königen betrafen, kann nach unseren Untersuchungen nicht zweifelhaft sein. Ebenso wenig ist die dominante Rolle der Bischöfe gegenüber dem Laienadel bei der Lösung dieser strittigen Fragen zu übersehen. Das Bündnis der Karolinger mit der Kirche hatte so massive Konsequenzen. Die vorgestellten Quellen der Karolingerzeit, aus denen sich Argumente zur Legitimierung der Differenzierung wie der Entdifferenzierung von Religion und Politik aus der biblischen und patristischen Tradition herausarbeiteten ließen, belegen vor allem, wie bemüht man um die Fixierung gerade der königlichen und der bischöflichen Rolle in dieser Zeit war. In Konflikten der 242 243

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S. dazu oben bei Anm. 113 ff. S. dazu oben bei Anm. 130 ff.

5. „Staatskirchentum“ und Beratung im endenden 9. und beginnenden 10. Jahrhundert

Könige untereinander haben nachweislich die Bischöfe großen Einfluss auf die Wiederherstellung des Friedens gewonnen, wie mehrere Fallbeispiele verdeutlichten. Dennoch blieb die Frage, wer seine Position in der Beratung einer konkreten Entscheidung durchzusetzen vermochte, grundsätzlich offen. Ihre Beantwortung ließ sich nicht theoretisch präjudizieren, sondern hing von den komplexen Interessen- und Kräfteverhältnissen ebenso ab wie von den Zeichen, mit denen Gott seine Meinung zum menschlichen Verhalten kundtat. Wenn diese Zeichen von Gottes Zorn auf die Herrschenden zu künden schienen, stärkte dies die Position der kirchlichen Mahner und ­Warner deutlich. Hinweise auf solche Zeichen und ihre zielgerichtete Interpretation blieben auch in den folgenden Jahrhunderten wirkungsvolle Argumente der Ratgeber. Andererseits ist schon in den Konflikten um die Absetzung und Wiedereinsetzung Ludwigs des Frommen unübersehbar, dass kirchliche Theorien von der Wächterfunktion der Bischöfe über die Könige und ihrem Recht, Bußen und Herrschaftsverlust anzuordnen, nicht unabhängig von politischen Machtverhältnissen wirksam werden konnten. Bei der Absetzung Kaiser Ludwigs, in den Bruderkriegen wie in späteren Konflikten etwa um Lothar II. oder Ludwig den Deutschen wurden die kirchlichen Stellungnahmen vielmehr stark von politischen Interessen beeinflusst, um nicht zu sagen dominiert. Die Waage neigte sich nicht kontinuierlich zu einer Seite. Als charakteristisch erscheint vielmehr die Spannung zwischen der königlichen und der bischöflichen Rolle, die sich mal in die eine, mal in die andere Richtung entlud.

5. „Staatskirchentum“ und Beratung im endenden 9. und beginnenden 10. Jahrhundert Die bisher vor allem verfolgte Entwicklungslinie, die das kirchlich-bischöf­ liche Selbstverständnis als „Aufseher“ und Kontrollorgan der königlichen Amtsführung herausarbeitete und sein Potential für den Anspruch auf Beratung des Königs hervorhob, war, wie schon angedeutet, nicht die einzige Perspektive, aus der heraus in der Karolingerzeit das Verhältnis zwischen dem König und seinen Ratgebern grundsätzlich zu bestimmen versucht wurde. Mal stärker und mal schwächer machten sich auch schon im 9. Jahrhundert Stimmen bemerkbar, die das Gottesgnadentum der Könige und den sakralen Charakter ihrer Würde betonten.244 Dieser Vorstellungshorizont präsentiert den Herrscher in einem unmittelbaren Verhältnis zu Gott und unterstellt ihn 244

Vgl. dazu allg. KERN, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht, S. 357–362; TELLENBACH, Libertas, S.  85  ff.; neuerdings HARTMANN, Synoden der Karolingerzeit, S. 403 ff.; ERKENS, Herrschersakralität, bes. S. 133 ff.

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damit in gewisser Weise weniger dem Einfluss und den Mahnungen der Kleriker. Er ist deshalb für unsere Thematik wichtig, weil er mit dem 10. Jahrhundert deutlich an Gewicht gewann, so dass in dieser Zeit die Herrschaft der Könige über die Kirche weit mehr im Vordergrund zu stehen scheint als die Aufsichtsfunktion der Kleriker über die Könige. Dies dürfte naturgemäß Konsequenzen auch für die Möglichkeiten und Grenzen der Beratung des Herrschers gehabt haben. Schon Hincmar von Reims bezeugte die Wirkmächtigkeit dieser Vorstellungen für seine Zeit, auch wenn er sie abwertend als „Hoftheologie“ charakterisierte. In der schon behandelten responsio 6 seiner Abhandlung über die Ehescheidung Lothars griff Hincmar nämlich die Meinung derjenigen „Weisen“ an, die die Position verträten, „dass der König ein Fürst sei, der keinerlei ­Gesetzen oder Urteilen unterworfen ist als ausschließlich denen Gottes“. Als biblischen Beleg für die von ihm bekämpfte Position führte er in diesem Zusammenhang an: „Das Herz des Königs liegt in Gottes Hand“ (Spr 21, 1).245 Vor Hincmar hatte auch schon Hrabanus Maurus in Trostschriften für Ludwig den Frommen den Standpunkt vertreten, dass man sich nicht nur den guten Herrschern, sondern auch den Tyrannen unterordnen müsse, „weil es keine Gewalt gebe, wenn nicht von Gott“.246 Aus der Zeit Karls des Großen sind sogar die Stimmen übermächtig, die den sakralen Charakter der Königsherrschaft Karls und seine Leitungsfunktionen in der Kirche priesen, indem sie ihn unter an­ derem mit dem biblischen rex et sacerdos David verglichen.247 Erneut artikuliert hat sich diese „monarchisch-theokratische Hierarchievorstellung“ (Tellenbach), die nach Karl dem Großen und vor allem seit der Herrschaftskrise Ludwigs des Frommen deutlich in die Defensive geraten war, seit dem 10. Jahrhundert wohl deshalb, weil derjenige, der Schutz gab, nach den Vorstellungen dieser Zeit auch legitim Herrschaft beanspruchen konnte. Und Schutz gab nun einmal der König. Hierdurch konnten sich Vorstellungen halten und verfestigen, die den König als Eigenkirchenherrn auch der Bistümer seines Reiches auffassten, der zudem durch die Vergabe von Regalien an die Kirchen Leistungen erbrachte, für die er Gegenleistungen erwarten durfte. Deshalb wurde ihm unter zahlreichen Rechten auch die Mitsprache bei der Einsetzung der Bischöfe wie bei der Verwaltung des Kirchengutes zugebilligt, wovor Theologen der Karolingerzeit ja nachdrücklich gewarnt hatten.248 Dieser Prozess, der die im vorigen Kapitel in den Vordergrund gerückten Bemühungen, die Bischöfe mit einer Aufsichtsfunktion über die Könige auszuVgl. Hincmar, De divortio Lotharii regis, S. 249, 34; zu Hincmars grundsätzlicher Haltung und den Motiven seines Eingreifens in den Streit vgl. ebd. die Ausführungen in der Einleitung von Letha BÖHRINGER, S. 11 ff. 246 Vgl. Hrabani epistolae, Nr. 16, S. 417, 42. 247 Vgl. TELLENBACH, Libertas, S. 73. 248 Vgl. ebd., S. 85 ff. sowie oben bei Anm. 119. 245

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5. „Staatskirchentum“ und Beratung im endenden 9. und beginnenden 10. Jahrhundert

statten, wieder in den Hintergrund drängte, ist jedoch schwerer im Einzelnen zu belegen, da die schriftlichen Zeugnisse für entsprechende Argumentationen im endenden 9. und in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts versiegen.249 Vor allem für den ostfränkischen Bereich kann man daran zweifeln, ob die ­Bischöfe das „Pariser Modell“ von 829 in der Tat längere Zeit als Schlüsseltext für ihr Verhalten gegenüber den Königen verstanden und benutzt haben. Hier scheinen eher die Vorstellungen von einem unmittelbaren Gottesgnadentum der Könige das Bewusstsein einer prinzipiellen Überordnung der Priester über die Könige überdeckt zu haben. Genauer erkennen und in den zeitgenössischen Quellen exakter belegen kann man dies aber nur schwer. Ein solches Bewusstsein bringt aber zumindest indirekt das Einleitungsschreiben zur Synode von Tribur im Jahre 895 zum Ausdruck, das den „neuen Fürsten“ König Arnulf feiert, der „durch den rex regum allen kirchlichen und weltlichen ordines und dignitates vorangestellt sei; dessen Herz die Glut des Heiligen Geistes entflammen und zum Eifer für die göttliche Sache entbrennen wolle, damit die ganze Welt erkenne, dass er nicht vom Menschen und durch den Menschen, sondern von Gott selbst erwählt worden sei.“250 Es sei dieser weiseste der Fürsten gewesen, der die geistlichen wie die weltlichen Großen nach Tribur geladen habe, um Göttliches und Menschliches zu behandeln, „damit die heilige Kirche umso freier ihre Ehre genieße“. In diesen Sätzen ist von einer Aufsichtsfunktion der Bischöfe über den so beschriebenen König nichts zu spüren, was aber nicht unbedingt heißen muss, dass diese Funktion vollständig in Vergessenheit geraten sei. Zunächst einmal trennten sich in Tribur die königliche und die priester­ liche Gewalt: Der König beriet mit den weltlichen Großen über den Zustand des Reiches, die Geistlichen eröffneten in der Kirche die Synode.251 Dann aber – ohne dass ein konkreter Grund genannt wird – schickten die Geistlichen „erfahrene und geeignete Vermittler“ (mediatores) zum König, die von ihm erfragen sollten, „mit welchem Eifer und welcher Güte er gemäß der Weisheit und der Möglichkeit, die ihm von Gott selbst gegeben sei, die Kirche Christi Vgl. dazu PATZOLD, Episcopus, bes. S. 521 ff.; HARTMANN, Synoden der Karolingerzeit, S. 367 ff. 250 Vgl. Concilium Triburiense, Nr. 252, S. 210 A: Quapropter rex regum … omnibus ecclesiasticae sublimitatis ordinibus nec non et secularis potentiae dignitatibus novum principem Arnolfum regem pacifico ordine perpetuae tranquillitatis praeferre dignatus est, cuius cor sancti Spiritus ardore inflammare et zelo divini amoris voluit accendere, ut totus cognoscat mundus non ab homine neque per hominem, sed per ipsum Dominum eum esse electum. Das folgende Zitat S. 211 A. Zur Nutzung und Funktion der HirtenMetapher vgl. nun allg. SUCHAN, Mahnen und Regieren, passim, zur Synode von ­Triburg, S. 380f. 251 Vgl. DÜMMLER, Geschichte des ostfränkischen Reiches, 3, S. 396 ff. Zu den verschiedenen Einleitungsschreiben zu dieser Synode vgl. PATZOLD, Episcopus, S. 281 ff. mit der älteren Literatur. 249

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II. Karolingerzeit

verteidigen und das Amt der Kleriker erhöhen wolle.“ Sie stellten ihm in diesem Zusammenhang seine königliche Hoheit und die mit ihr verbundenen Verpflichtungen vor, die sie mit Zitaten aus dem Buch der Sprichwörter und anderen Autoritäten belegten. Die vorgetragenen biblischen Belege verpflichteten den König auf die Anerkennung der Tatsache, dass Könige nur durch Gott regieren und nur die Befolgung der Anweisungen Gottes eine gerechte Regierung ermögliche. In seiner Antwort offenbarte der König den mit ihren Ausführungen tief in die Theologie eindringenden Vermittlern das Geheimnis seiner Herrschaftsstellung (archanum mysterii sui) – weil, wie die Schrift sagt, „das Herz der ­Könige unerforschlich ist“ – mit folgenden Worten: „Ihr Hirten der Kirchen Christi und hellste Leuchten der Welt, oblieget eurer Hirtenpflicht, wie es euch aufgetragen ist. Gemäß dem Apostel tretet dafür ein, gelegen oder ungelegen, strafet, tadelt, ermahnt, scheltet mit aller Geduld und Unterweisung, auf dass ihr in wachsamer Sorge und durch unablässige Mahnung die Schafe Christi in die Hürde des ewigen Lebens treiben möget. Mich habt ihr als den entschlossensten Widersacher all derer, die der Kirche Christi widerstreben und sich eurem priesterlichen Amt nicht fügen.“252 Hiermit hatte er dem priesterlichen Amt alle Unterstützung versprochen und die Priester zu äußerster Wachsamkeit bei der Leitung der Herde ermuntert, wie wir es aus der Karolingerzeit kennen. Dass er sich allerdings selbst als Teil dieser Herde sah, hatte er damit wohl nicht gesagt. Zumindest sind wohl Zweifel erlaubt, ob er wirklich dieser Meinung war. Die Antwort erregte dennoch bei den Synodalen, als sie ihnen von den mediatores berichtet wurde, höchste Freude. Sie brachen in den Ruf aus: „Christus erhöre uns: Es lebe der große König Arnulf.“ Liest man diese Ausführungen im Vergleich mit denjenigen der Pariser Texte von 829 oder auch der ­Argumentationen Hincmars, fällt auf, wie erhöht die Stellung des Königs hier erscheint. Es ist die dem König von Gott selbst gegebene Weisheit, die ihn zum geeigneten Verteidiger der Kirche macht. Er muss den Klerikern ihre Aufgabe der unablässigen Mahnung und Schelte nahebringen und ihnen klarmachen, dass sie in ihm den entschlossensten Unterstützer gegen die haben werden, die sich den priesterlichen Anweisungen nicht fügen. An keiner Stelle wird dagegen auch nur angedeutet, welches Gewicht die Mahnungen der Priester für ihn selbst haben sollen. Der König erscheint hier mit anderen Worten viel unabhängiger von der Aufsicht der Bischöfe als in den früheren Texten. Seine 252

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Concilium Triburense, S.  213 A: O pastores ecclesiarum Christi et clarissima lumina mundi, agite, quae vobis inposita est, curam pastoralem; et, iuxta apostolum, instate oportune inportune, arguite, obsecrate, increpate in omni patientia et doctrina, ut vigili cura et admonitione sedula oves Christi ad caulas aeternae vitae introducere mereamini. Habetis me omnibus ecclesiae Christi adversantibus et vestro sacerdotali ministerio ­renitentibus obpositissimum bellatorem.

5. „Staatskirchentum“ und Beratung im endenden 9. und beginnenden 10. Jahrhundert

unmittelbare Beziehung zu Gott wird hervorgehoben, nicht bestritten. Es scheint, als habe sich hier bereits wieder die Hierarchievorstellung Bahn gebrochen, die dem König im 10. Jahrhundert eine dominantere Rolle in Welt und Kirche ermöglichte. Dies dürfte nicht ohne Auswirkungen auf das Gewicht der Stimmen bei der Beratung geblieben sein. Dennoch ist die Kirche auch im 10. und 11. Jahrhundert trotz intensiver Inanspruchnahme ihrer wirtschaftlichen wie personalen Mittel durch die Könige nie zum willfährigen Instrument der Königsherrschaft geworden. Vielmehr hat sie gerade auf dem Felde der Beratung ihren Anspruch auf Mahnung und Warnung der Herrscher angesichts ihrer Verantwortung für deren Seelenheil verteidigt und behauptet, auch wenn aus dieser Zeit neben den Fürstenspiegeln auch die Traktate über die Rolle der priesterlichen Würde und der königlichen Macht fehlen. In konkreten Situationen politischer Willensbildung aber haben Vertreter der Kirche nachhaltig auf die ­Könige einzuwirken versucht.

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III. Ottonenzeit 1. Die quellenarme Zeit des frühen 10. Jahrhunderts Es ist der Quellenlage geschuldet, dass wir weder über Beratungen aus der Zeit Ludwigs des Kindes, noch Konrads I., noch Heinrichs I. genügend Nachrichten besitzen, um eventuelle Veränderungen gegenüber der Karolingerzeit ­bemerken zu können. Zwar begegnen in den Urkunden Ludwigs des Kindes immer wieder geistliche und weltliche Große in ungewöhnlich hoher Anzahl als Intervenienten, und wir können angesichts ihrer so bezeugten Anwesenheit in der Umgebung des Königs davon ausgehen, dass sie an den Beratungen dieser Zeit teilnahmen, in der Erzbischof Hatto von Mainz und andere Bischöfe augenscheinlich die Regentenfunktion für den minderjährigen König ausfüllten.253 Doch über die Beratungen selbst informieren uns die zeitgenössischen Quellen nicht. Einblicke in Einzelheiten der politischen Willensbildung dieser Zeit bieten in erster Linie spätere Anekdoten aus der Feder Widukinds von Corvey oder aus dem St. Gallen Ekkehards IV., die ein sehr scharfes Licht auf die Aktivi­ täten Erzbischof Hattos von Mainz und Bischof Salomos  III. von Konstanz werfen, wenn sie denn vertrauenswürdig sind.254 Sie sprechen von trickreichen Manövern und Hinterhältigkeiten der politischen Eliten, die Bischöfe keineswegs ausgenommen, die auch vor Heimtücke im Machtkampf bis hin zum Mord nicht zurückgescheut hätten. Selbst die umwälzenden Entscheidungen des Herrschaftsübergangs von den Franken auf die Sachsen nach dem Tode König Konrads I. sind uns nur als Geschichtserinnerung der Sieger fassbar, die wenig Einblick in die sicher anzunehmenden Beratungen und Verhandlungen zulässt. Es sei denn, man folgte der später propagierten Version, die eine alleinige Entscheidung Konrads I. auf dem Sterbebett in den Vordergrund rückt.255 Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass in der letzten Lebensphase König Konrads I. angesichts seines absehbaren Todes in Beratungen die Lösung gefunden wurde, den äußeren Bedrohungen Vgl. dazu OFFERGELD, Reges pueri, bes. S. 538 ff. Vgl. dazu ALTHOFF, Verformungen durch mündliche Tradition, S. 438 ff. 255 Vgl. dazu KELLER – ALTHOFF, Späte Karolinger und Ottonen, bes. S. 115 ff. mit weiteren Hinweisen. 253

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1. Die quellenarme Zeit des frühen 10. Jahrhunderts

mit einem Schulterschluss im Inneren zu begegnen. Und dazu gehörte in erster Linie, den Kampf des Königs gegen die Herzöge um Vorrang bzw. Unterordnung zu beenden. Dies könnte die in Beratungen geklärte Voraussetzung der Erhebung Heinrichs I. gewesen sein, über die wir aber nur Vermutungen anstellen können. Auch die zweifelsohne nicht ohne erfolgreiche Beratung und Konsens­ herstellung mit den geistlichen und weltlichen Eliten des Reiches denkbare ­Politik Heinrichs I., die mit Salbungs- und Krönungsverzicht wie mit freundschaftlicher Bindung zu allen Herzögen geradezu eine neue Art von Königtum etablierte und auf dieser Basis eine Befriedung der inneren Gegensätze erreichte, lässt aufgrund der Quellenlage in keiner Weise erkennen, wie dieser Konsens über eine Politik zustande kam, die sich von der bisherigen wie der nachfolgenden fundamental unterschied. Ob es Heinrich I. selbst war, der sein Königtum ohne Salbung und Krönung auf der Freundschaft mit den Herzögen, den Einungen der Adligen und Bündnissen zwischen König, Adel und Kirche gründete, oder ob er von den Eliten zu dem Verzicht auf die wesent­ lichen königlichen Prärogative gebracht oder sogar gezwungen wurde, entzieht sich vollständig unserer Kenntnis, weil die späteren Quellen über die Positionen und Argumente schweigen, die zu diesen Neuerungen führten.256 Man kann lediglich allgemein aus der längerfristigen Entwicklung schließen, dass das Königtum des beginnenden 10.  Jahrhunderts gezwungen war, sein Verhältnis zu den adligen Eliten durch Zugeständnisse neu zu regeln: Die adligen Herrschaftsstellungen wurden seit dieser Zeit erblich, die Könige konnten deshalb die Rangordnung innerhalb ihres Adels kaum noch willkürlich verändern.257 Es ist naheliegend anzunehmen, dass solche Prozesse nicht ohne Auswirkung auf die Partizipation dieses Adels an der Königsherrschaft blieben – und zu einer bewussteren Vertretung seiner Interessen in der Beratung geführt haben dürften. Genauer zu erkennen ist dies jedoch erst für die späteren Jahrzehnte. Die Möglichkeit, Beratungssituationen genauer zu analysieren, ergibt sich nämlich erst für die Regierungszeit Ottos des Großen, die trotz seiner Erfolge auch dadurch gekennzeichnet war, dass eine Fülle von Konflikten der Großen mit dem Herrscher aufbrach. Beigelegt wurden sie nach bewaffneten Auseinandersetzungen durch die Beratung der Konfliktparteien unter Beteiligung von Vermittlern,258 wobei die Quellen dem Verlauf und den Argumenten dieser Beratungen wieder deutlich mehr Aufmerksamkeit zuwandten. Die AufseherVgl. dazu ALTHOFF, Amicitiae und Pacta, bes. S. 16 ff.; skeptisch GIESE, Heinrich I., bes. S.  78  ff., der allerdings die Freundschaftsbündnisse und Einungsbestrebungen Heinrichs I. sehr marginalisiert; zuletzt KELLER – ALTHOFF, Späte Karolinger und Ottonen, bes. S. 115 ff. 257 Vgl. KELLER – ALTHOFF, Späte Karolinger und Ottonen, S. 87 ff. 258 Vgl. KAMP, Friedensstifter und Vermittler, bes. S. 160 ff. 256

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III. Ottonenzeit

Funktion der Priester über die königliche Amtsführung wurde dabei allerdings nicht mehr in den Vordergrund gerückt. Die radikale Verneinung einer königlichen Verantwortlichkeit allein gegenüber Gott, wie sie in der Karolingerzeit bereits formuliert worden war, scheint vielmehr durch die Betonung unmittelbaren königlichen Gottesgnadentums verdrängt worden zu sein.259

2. Beratungen in den Krisen der Herrschaft Ottos des Großen In der ersten Hälfte der Herrschaft Ottos des Großen gibt es zwei Krisen­ phasen, die sich in vielem ähneln, in einer Hinsicht aber signifikant unterscheiden. Während wir aus der ersten Krise nach seinem Herrschaftsantritt (936– 939) viel von bewaffneten Auseinandersetzungen Ottos mit seinen Brüdern und den Angehörigen des höchsten Adels, aber so gut wie nichts von Beratungen zum Ausgleich der Gegensätze hören, sind die Quellen voll von Nachrichten über Versuche, die zweite Krise, die durch den Konflikt mit Ottos Sohn und Schwiegersohn, Liudolf und Konrad, ausgelöst wurde, durch Verhandlungen beizulegen. Hier deutet sich ein Unterschied an, der für unsere Frage­ stellung von erheblicher Bedeutung zu sein scheint.

Die erste Krise (936–939) Für die Konflikte, die direkt nach dem Regierungsantritt Ottos ausbrachen, ist charakteristisch, dass die Quellen, und hier namentlich Widukind von Corvey, eine ganze Reihe von herrscherlichen Maßnahmen und Entscheidungen anführen, die von Angehörigen und Verwandten des Königshauses ebenso wie von Mitgliedern des Hochadels, aber auch von Bischöfen als unakzeptabel aufgefasst wurden: Otto überging erbliche Ansprüche des Adels auf Führungspositionen gleich in mehreren Fällen, er verurteilte herzogliche Vasallen zu Schmachstrafen, und er bekam Probleme mit Bischöfen, die in den Konflikten zu vermitteln versuchten. In all den strittigen Fällen, die Widukind von Corvey kommentarlos nacheinander aufführt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie zuvor Gegenstand von Beratung und Konsensherstellung waren.260 Vielmehr stellte Otto den Hochadel durch einsame Entscheidungen offensichtlich vor vollendete Tatsachen. Daraus muss man folgern, dass Otto die Beziehungen des Adels und der Kirche zum König Vgl. hierzu ERKENS, Herrschersakralität, S. 157 ff.; BORNSCHEUER, Miseriae regum, passim, dessen differenzierte Untersuchung keine Belege für den Gedanken erbrachte, dass die Kleriker als Aufseher über die Könige fungierten. 260 Vgl. Widukind, Sachsengeschichte, II, cap. 4–10, S. 92 ff. 259

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2. Beratungen in den Krisen der Herrschaft Ottos des Großen

deutlicher als Unterordnung gestalten wollte, als dies sein Vater getan hatte. Die von ­diesen königlichen Entscheidungen Betroffenen fühlten sich dadurch in ihrer Ehre so verletzt, dass sie mit Verbündeten den offenen Kampf gegen den König wagten. Und sie fanden offensichtlich eine große Zahl von Gleich­ gesinnten und Verbündeten, so dass die Herrschaft Ottos bald nahe am Rand des Scheiterns stand.261 Ausführlich erzählen die ottonischen Geschichtsschreiber von den könig­ lichen Entscheidungen, den Reaktionen der Adligen und von den teilweise erbitterten Kämpfen. Was sie aber nicht erwähnen, sind Beratungen, in denen diese Entscheidungen vorweg besprochen und durch die Herstellung von Konsens legitimiert worden wären. Da dies in der zweiten großen Krise der Regierung Ottos in den 50er Jahren des 10. Jahrhunderts deutlich anders wird, bietet sich ein Vergleich der beiden Krisen- und Konfliktzeiten an, der sich auf den Stellenwert der Beratung während dieser Krisen konzentriert. Otto hat in diesen Krisen nämlich ganz sicher nicht, wie zuvor Ludwig der Fromme, die Bischöfe beauftragt, darüber nachzudenken, wie es dazu kommen konnte, dass man vom rechten Wege abwich. Es scheint eher, als hätte er erst durch Erfahrung dazugelernt und in der zweiten Krisenphase der Beratung der Probleme deutlich mehr Raum gegeben oder geben müssen. Für diese erste Krisenphase (936–939) gibt es nur eine einzige Passage in der Darstellung Widukinds von Corvey, die ein wenig den Schleier des Schweigens über das Zustandekommen der Entscheidungen in den Anfangsjahren von Ottos Regierung lüftet. Widukind leitet diese Darstellung mit einer ausdrücklichen Bitte um Verzeihung ein, falls er sich mit seinen Äußerungen etwas ­zuschulden kommen lasse. Er deutet damit die Brisanz seiner folgenden Ausführungen explizit an: „Den Grund des Abfalls (der Herzöge Eberhard von Franken und Giselbert von Lothringen von König Otto) mitzuteilen und die königlichen Geheimnisse zu enthüllen, steht mir nicht zu. Doch glaube ich, der Geschichte Genugtuung geben zu müssen; lasse ich mir dabei etwas zuschulden kommen, so möge man es mir verzeihen.“ 262 Dieses ungewöhnliche Bekenntnis ist geeignet, die Aufmerksamkeit der Leser oder Hörer ganz auf die folgenden Ausführungen zu konzentrieren, die denn auch ungewöhnliche Vorgänge thematisieren: „Der Erzbischof (Friedrich von Mainz), der zu Eberhard zur Herstellung des Friedens und der Eintracht geschickt wurde, setzte, da es ihn hiernach dringend verlangte, bei dem wechselseitigen Vertrag seinen Eid zum Pfand und soll deshalb gesagt haben, er Vgl. zuletzt KELLER – ALTHOFF, Späte Karolinger und Ottonen, S. 156–166 mit weiteren Hinweisen. 262 Widukind, Sachsengeschichte, II, 25, S. 110: Defectionis causam edicere et regalia misteria pandere super nos est, verum historiae satisfaciendum arbitramur; quicquid in hac parte peccemus, veniabile sit. 261

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könne davon nicht abgehen.“263 Hier ist die Rede von vermittelnden Friedensbemühungen, zu denen Otto Erzbischof Friedrich zu Herzog Eberhard von Franken gesandt hatte. Dieser hatte daraufhin für den König ein pactum mutuum, einen wechselseitig bindenden Vertrag, mit Herzog Eberhard abgeschlossen und sich eidlich für die Einhaltung dieser Vereinbarung durch den König verbürgt. So wollte er den Frieden wiederherstellen. Otto aber desavouierte seinen Unterhändler: „Der König aber, der durch den Bischof eine Antwort (an Eberhard) sandte, die seiner Würde angemessen war, wollte sich durch nichts binden lassen, was der Bischof ohne sein Geheiß getan hätte. Deshalb, weil er (Erzbischof Friedrich) gegen Gottes Wort nicht dem Könige als dem Oberherrn untertan sein wollte, sondern sich von ihm entfernte, wurde er, wie zur Verbannung, nach Hamburg verwiesen.“264 In diesen Ausführungen Widukinds ist der erste Petrusbrief (2, 13) zitiert: „Unterwerft euch um des Herren willen jeder menschlichen Ordnung: dem Kaiser, weil er über allen steht.“ Gegen dieses Gebot aber hatte nach Meinung des Geschichtsschreibers der Erzbischof verstoßen, als er das Heer verlassen hatte, weil der Herrscher das Ergebnis seiner Verhandlungen nicht akzeptierte. Warum aber musste Widukind diese doch eindeutige Parteinahme für den König so einleiten, als ob ihn die Enthüllung des Sachverhalts in größte Schwierigkeiten bringen könnte? Man versteht die Sorge Widukinds vielleicht besser, wenn man in Rechnung stellt, dass Erzbischof Friedrich hier offensichtlich als Vermittler (mediator) zwischen dem König und seinen Gegnern tätig war. Damit begegnet er in einer Funktion, die im hohen Mittelalter eine zentrale Rolle bei der gütlichen Beilegung von Konflikten spielte, deren Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und Grenzen sich aber in dieser Zeit erst herausbildeten.265 Vermittler ermöglichten durch ihre Tätigkeit die Beratung zwischen verfeindeten Parteien während eines Konflikts, indem sie, nur der Wiederherstellung des Friedens verpflichtet, die Kommunikation zwischen den Konfliktparteien aufrechterhielten und so die aktive Suche nach Vergleichen und Kompromissen förderten. Ihre Tätigkeit ­gestattete ihnen keine eigene Entscheidungsbefugnis über die Köpfe der Parteien hinweg, sondern nötigte sie zu ständigen Rückversicherungen, ob beide Parteien mit den anvisierten Lösungen einverstanden waren. Erst wenn dies der Fall war, konnten Vermittler an die Abfassung von Verträgen (pacta) denken. Ebd.: Summus pontifex missus ad Evurhardum pro concordia et pace, cum esset earum rerum desiderantissimus, pacto mutuo suum interposuit sacramentum, et ideo ab eo non posse desipere fertur narrasse. 264 Ebd.: Rex autem per pontificem officio suo congruentia dirigens responsa, nil ad se pertinere voluit, quicquid episcopus egisset sine suo imperio. Quare quia contra auctoritatem regi quasi precellenti noluit subici, sed recessit ab eo, in Hammaburgensem urbem quasi in exilium destinavit. 265 Vgl. dazu KAMP, Friedensstifter, bes. S. 174 ff., und bereits oben bei Anm. 34. 263

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2. Beratungen in den Krisen der Herrschaft Ottos des Großen

Der Erzbischof müsste sich also eigentlich des Einverständnisses Ottos zuvor vergewissert haben, bevor er einen Vertrag mit Herzog Eberhard schloss, dessen Bedingungen auch König Otto binden sollten. Der König war offenbar aber nicht der Meinung, dass er hinreichend informiert worden war und einem solchen pactum zugestimmt hatte. Die Tatsache, dass Erzbischof Friedrich daraufhin das Heerlager des Königs verließ, deutet wiederum nachhaltig darauf hin, dass er sich vom König desavouiert fühlte. Dass Otto ihn daraufhin in die Verbannung nach Hamburg schickte, macht deutlich, wie ernst auch der König die Situation nahm. Das Beispiel enthüllt also eine gravierende Kommunikationsstörung zwischen König Otto und seinem wichtigsten Reichsbischof, die offensichtlich unterschiedliche Auffassungen darüber hatten, welche Freiheiten einem Vermittler bei seiner Tätigkeit zustanden. Wir können nicht entscheiden, wer von beiden hier im Recht war, dürfen den Bericht aber als ein Beispiel dafür nehmen, welch gravierende Konsequenzen es hatte, wenn wichtige Grundsätze der Beratung und Verhandlungsführung strittig wurden. Widukind hielt die Sache jedenfalls für so brisant, dass er noch Jahrzehnte später große Nachteile dadurch befürchtete, dass er sie überhaupt thematisierte. Dass er dies dennoch unter Hinweis auf seine Pflicht als Geschichtsschreiber tat, ist wohl auch ein Indiz dafür, dass er den Handlungsweisen Erzbischof Friedrichs zumindest nicht gänzlich ablehnend gegenüberstand.266 Insgesamt kann man für die Anfänge der Regierung Ottos des Großen konstatieren, dass das Ausmaß und die Intensität der Konflikte mit seinen Verwandten, dem Hochadel und wichtigen Bischöfen außergewöhnlich sind und darauf hindeuten, dass viele Personen dieser Elite Verhaltensweisen des Herrschers nicht billigten, sondern sie für so unakzeptabel hielten, dass sie sich zu bewaffnetem Widerstand berechtigt fühlten. Zwar wird nirgendwo expressis verbis gesagt, dass zu den unakzeptablen Verhaltensweisen Ottos auch gehörte, dass er sich mit den Eliten nicht genügend beriet. Die fehlenden Nachrichten über Beratung mit den Großen wie die Schwierigkeiten mit dem Vermittler markieren aber einen deutlichen Unterschied zur Politik seines Vaters, die vorrangig und erfolgreich auf einen Ausgleich der Gegensätze, auf Einungen, Bündnisse und Befriedung gesetzt und dem Prinzip der Konsensherstellung durch Beratung und Verhandlung immer Priorität eingeräumt hatte, auch wenn er dieses Prinzip durchaus mit militärischen Drohgebärden verband.267 Dies bezeugen auch Widukinds Urteile über Erzbischof Friedrich, als dieser im Konflikt Ottos mit seinem Sohn Liudolf wieder beim Herrscher in Ungnade fiel; vgl. dazu unten bei Anm. 280. 267 Vgl. dazu ALTHOFF, Amicitiae und Pacta, bes. S. 27 ff.; GIESE, Heinrich I., bes. S. 70– 73. 266

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III. Ottonenzeit

Die zweite Krise (953–954) Diese Einschätzung wird dadurch gestützt, dass in der zweiten Krisenzeit der Herrschaft Ottos zu Beginn der 50er Jahre des 10. Jahrhunderts die Berichte über Beratungen unverhältnismäßig zahlreicher und inhaltlicher werden. Es scheint, als hätten nun alle Konfliktparteien die Notwendigkeit von Beratungen und des Einsatzes von Vermittlern eingesehen. Vor allem König Otto scheint seine Versuche autokratischer Entscheidung aufgegeben zu haben und auf die Vorstellungen des Adels und der Bischöfe bezüglich des Stellenwerts von Beratung eingeschwenkt zu sein. Protagonisten der zweiten Phase der Konflikte mit König Otto war eine neue Generation seiner engsten Verwandten, insbesondere sein Sohn, Herzog Liudolf von Schwaben, und sein Schwiegersohn, Herzog Konrad von Lothringen. Aber auch der schon erwähnte Erzbischof Friedrich von Mainz interpretierte seine Rolle als Vermittler erneut so, dass er beim König in den Verdacht kam, mit den „Aufständischen“ gemeinsame Sache zu machen.268 Ausgelöst wurde dieser Konflikt durch die Italienpolitik Ottos des Großen, die eine ganze Reihe neuer Problemfelder schuf. Durch die zweite Heirat Ottos schwächte sie die Stellung des schon designierten Nachfolgers Liudolf, der zudem durch einen eigenmächtigen Italienzug den Vater verärgert und seinen Onkel Heinrich, den Herzog von Bayern, zu seinem Kontrahenten gemacht hatte, weil auch dieser Herrschaftsinteressen in Italien verfolgte. Es ist interessant, dass wir in dem sich anbahnenden Konflikt zunächst von den Beratungen der Gegner des Königs hören, die zu diesem Zweck auch noch einen entlegenen Ort aufsuchten: „Als dies (sc. die Heirat Ottos mit Adelheid) sein Sohn Liudolf gesehen hatte, verließ er missvergnügt den König, zog nach Sachsen und hielt sich längere Zeit zu Saalfeld auf, einem Ort unheilvoll aufgrund (früherer) Beratungen.“269 Eine ganz ähnliche Aussage macht Adalbert von Magdeburg zu diesen Vorgängen: „Herzog Liudolf feierte, von Italien zurückgekehrt, mit königlichem Pomp das Weihnachtsfest zu Saalfeld, wo er Erzbischof Friedrich und alle Großen des Reiches, die zugegen waren, um sich scharte. Dieses Fest (convivium) begannen viele bereits für verdächtig zu halten und es hieß, dass dort mehr über Zerstörung als über Nutzen verhandelt wurde.“270 Zu dieser zweiten Konfliktphase s. KELLER – ALTHOFF, Späte Karolinger und Ottonen, bes. S. 186 ff. mit weiteren Hinweisen. 269 Vgl. Widukind, Sachsengeschichte, III. 9, S. 134: Quod cum vidisset filius eius Liudulfus, tristis a rege discessit, profectusque in Saxoniam aliquamdiu moratus est in loco consiliis funesto Salaveldun. 270 Vgl. (Adalbert), Continuatio Reginonis, a. 952, S. 206: Liudolfus dux de Italia revertens regio ambitu natale Domini Salefeld celebravit, ubi Fridericum archiepiscopum omnesque, qui in promptu erant, regni maiores secum detinuit. Quod convivium iam multis suspitiosum coepit haberi, et plus ibi destructionis quam utilitatis ferebatur tractari. 268

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2. Beratungen in den Krisen der Herrschaft Ottos des Großen

Zum Verständnis dieses Vorgangs ist wichtig zu berücksichtigen, dass schon in der ersten Pase der Konflikte Ottos Bruder Heinrich Saalfeld aufgesucht hatte, als er sich entschloss, seinem Bruder bewaffneten Widerstand entgegenzusetzen: „Danach gab Heinrich, der von Begierde nach dem Königtum brannte, ein großes Fest (convivium) an einem Ort, der Saalfeld genannt wird. Und da er groß und von königlicher Hoheit war, beschenkte er sehr viele mit großen Gütern und gewann dadurch eine große Menge für sich zu Genossen seiner Verschwörung. Doch waren viele der Meinung, dass es besser sei, die Sache geheim zu halten, nur zu dem Zweck, dass sie nicht als schuldig an dem Bruderzwist erfunden würden. Sie gaben aber einen Rat, wodurch der Krieg umso leichter zum Ausbruch kommen sollte.“271 Durch diese Belege gewinnen wir einen sehr genauen Eindruck vom Vorgehen der Gegner des Königs, wenn sie durch dessen Verhalten provoziert worden waren: Sie versammelten sich mehrfach an ein und demselben Ort, feierten dort ein convivium, ein prächtiges Fest oder Gelage, das zum Ausgang ihrer Schwureinung (coniuratio) wurde. In diesem Zusammenhang berieten sie über aktuelle Probleme und planten ihre zukünftigen Aktivitäten. Zeitgenossen wussten deshalb bereits, was bevorstand, wenn sich bestimmte Leute in Saalfeld versammelten, und erwarteten von den dortigen Beratungen nichts Gutes.272 Die Belege vermitteln den nachhaltigen Eindruck, dass auch Entscheidungen der Gegner des Königs nicht ohne Konsensherstellung durch Beratung zustande kamen, die charakteristischerweise im Zusammenhang von convivia durchgeführt wurde.273 Die zweimal gleiche Ortswahl erzeugt überdies den Verdacht, dass sich hier Leute miteinander trafen, die schon ältere Beziehungen untereinander hatten, diese jedoch für einen konkreten Zweck durch einen Eid aktivierten, nachdem sie sich über die Notwendigkeit gemeinsamen

Vgl. Widukind, Sachsengeschichte, II, 15, S. 100: Post haec Heinricus ardens cupiditate regnandi celebre parat convivium in loco qui dicitur Salaveldun. Cumque esset magnus ac potens maiestate et potestate regali, plurimis plurima donat et factionis huiuscemodi plurimos ob id sibi associat. Fuere tamen multi, qui rem celare potius arbitrate sunt, ad hoc tantum, ne rei fraternae discordiae invenirentur. Dabant tamen consilium, quo ­facilius bellum solveretur…. 272 Vgl. zur Einbettung dieser Befunde in das mittelalterliche Einungswesen bereits ALTHOFF, Zur Frage nach der Organisation sächsischer coniurationes, S. 130 ff. Vgl. auch ähnliche Hinweise auf Beratungen eines Welfen mit „Verwandten, Freunden und Getreuen“, um diese zur Hilfe in einem Konflikt zu bewegen: Historia Welforum, cap. 22, 25 und 30. 273 Dieser Befund passt gut zu einer Vielzahl von Belegen, dass genossenschaftliche Gruppen ihre Beratungen im Rahmen von Feiern und Gelagen durchführten, vgl. dazu ­bereits ALTHOFF, Verwandte, Freunde und Getreue, S. 20 f. u. 210 f.; für gleiche Praktiken in spätmittelalterlichen Gilden und Zünften vgl. REININGHAUS, Entstehung der Gesellengilden, S. 188 ff. 271

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Vorgehens verständigt hatten.274 Wir finden hier also Anhaltspunkte für dauerhafte Bindungen innerhalb der Adelsgesellschaft, die man zu gegebenem Anlass und durch Eidesleistungen aktivieren konnte. Nach der Übereinkunft Herzog Liudolfs mit seinen Genossen in Saalfeld begann der bewaffnete Konflikt gegen den König keineswegs sofort. Vielmehr fand sich Liudolf zur Osterfeier 952 in Magdeburg ein, wohin König Otto mit seiner neuen Gemahlin nach ihrer Rückkehr aus Italien ebenfalls gekommen war.275 Zu diesem festlichen Hoftag kam in Begleitung Herzog Konrads auch der italienische König Berengar, um sich Otto zu ergeben und Frieden zu schließen. Zu diesem Verhalten hatte ihm Herzog Konrad geraten und ihm wohl in Aussicht gestellt, dass Berengar mit der Milde des Herrschers rechnen könne. Die Ereignisse in Magdeburg zeigen aber deutlich, dass hier verschiedene politische Kräfte eher gegen- als miteinander arbeiteten und dass von einer rechtzeitigen Abstimmung über die Behandlung Berengars nicht die Rede sein kann. Vielmehr setzten unterschiedliche Parteien öffentlich sich widersprechende Akzente. Widukind schildert die fraglichen Ereignisse ganz ähnlich wie Adalbert: „Als er (Berengar) sich der königlichen Stadt (Magdeburg) ­näherte, kamen ihm eine Meile vor der Stadt die Herzöge und Grafen und die ersten der Hofleute entgegen, und er wurde königlich empfangen und in die Stadt geleitet, wo man ihn in einer für ihn bereiteten Herberge bleiben hieß. Das Angesicht des Königs zu schauen wurde ihm nämlich drei Tage lang nicht gestattet. Hierdurch fand sich Konrad, welcher ihn hingeleitet hatte, beleidigt, und Liudolf, des Königs Sohn, teilte seinen Unmut. Beide suchten den Grund dafür bei Heinrich, dem Bruder des Königs, als ob ihn alter Hass dazu antreibe, und gingen ihm aus dem Wege. Dieser aber, welcher wusste, dass der Jüngling (Liudolf) der mütterlichen Hilfe beraubt war, fing an, ihn verächtlich zu behandeln, und ging so weit, dass er ihn auch mit höhnischen Worten nicht verschonte.“276 Der Bericht ermöglicht einen seltenen Einblick in Verhältnisse, in denen zwei Gruppierungen gegeneinander arbeiten, ohne den geringsten Anschein von Konsensfassaden zu wahren. Der Empfang der Herzöge, Grafen und der Ersten der Hofleute für Berengar, den Gegner Ottos und – was wichtig ist – den Peiniger der neuen Gemahlin Ottos, die er vier Monate in Kerkerhaft ­gehalten hatte, kann eigentlich nur als ein provokanter Affront gewertet 274 275 276

Zu einem gleichartigen Verhalten sächsischer Eliten im 11. Jahrhundert s. auch unten bei Anm. 396. Zu den Einzelheiten und den Quellenaussagen vgl. Regesta Imperii II, 1 Nr. 211a, S. 98 f. Vgl. Widukind, Sachsengeschichte, III, 10, S. 134 f.; Adalbert ergänzt in der Continuatio Reginonis, a. 952, S. 206 f. vor allem folgendes wichtige Detail: „Damals wurden Erzbischof Friedrich und Herzog Konrad Freunde; denn bis dahin waren sie einander feind.“ Man sieht daran, wie sich die Parteien für den Konflikt formierten.

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2. Beratungen in den Krisen der Herrschaft Ottos des Großen

­ erden. Er richtete sich zumindest indirekt gegen den König und auch gegen w seine Gemahlin, weil dieser Empfang Berengar öffentlich ehrte und als König anerkannte – und Ottos Entscheidung über sein Verhältnis zu ihm so quasi vorwegnahm. Die Reaktion des Königs, den Geehrten drei Tage warten zu lassen, war nicht weniger provokant, denn damit machte er den Dissens öffentlich. Eine andere Wahl blieb ihm aber wohl nicht, wenn er sein Gesicht wahren wollte. Dass Liudolf zur Partei derjenigen gehörte, die Berengar ehrenvoll empfangen hatten, zeigt nachdrücklich sein „Unmut“ über das Verhalten des Vaters. Die weiteren Informationen belegen die kontrollierte Eskalation der feindseligen Handlungen: Die eine Partei mied Heinrich, den sie für den Verursacher der meisten Probleme hielt; dieser selbst ging mehr als einen Schritt weiter, in dem er Liudolf verächtlich behandelte und verhöhnte. Angesichts dieser Atmosphäre scheint es fast ein Wunder, dass sich König Otto doch noch mit Berengar auf eine gütliche Lösung ihres Konflikts einigte: König und Königin nahmen Berengar wieder zu Gnaden an; dieser gelobte, sich an einem anderen Ort, nämlich Augsburg, zu unterwerfen und dort ein freiwilliges Bündnis (foedus spontaneum) mit König Otto einzugehen, was man einige Zeit später auch verwirklichte. Ob dies durch eine Beratung mit den Großen entschieden worden war, wissen wir nicht. Immerhin nahmen aber sowohl Herzog Liudolf wie Erzbischof Friedrich von Mainz an dem Hoftag in Augsburg teil. Zugleich aber gingen die Vorbereitungen für eine bewaffnete Erhebung weiter, die sich nach Aussagen der „Aufständischen“ vornehmlich gegen Heinrich, den Herzog von Bayern, richtete, und den König nur deshalb betraf, weil er seinen Bruder weiterhin unterstützte. Dem König blieb dies nicht lange verborgen und er stellte interessanterweise zunächst den Kontakt mit Erzbischof Friedrich her, den er in Mainz aufsuchte und offensichtlich in der Angelegenheit erneut als Vermittler tätig werden ließ. Dies lässt sich den knappen Angaben Widukinds von Corvey entnehmen: „Sohn und Schwiegersohn erkannten, dass ihre ruchlosen Pläne verraten waren; auf den Rat des Erzbischofs baten sie um Gelegenheit, sich von dem Verdacht zu reinigen, und erhielten sie.“277 Damit dürfte genügend deutlich zum Ausdruck gebracht sein, dass Erzbischof Friedrich erneut als Vermittler zwischen den Konfliktparteien fungierte. Adalberts Bericht über die Vorgänge hat die gleiche Tendenz, bietet aber wieder einige zusätzliche Details: „Darauf kamen Liudolf und Konrad mit einer, wie sich ­später zeigte, geheuchelten Demut vor ihn (Otto), sagten, dass sie nichts dieser Art gegen ihn unternommen hätten, leugneten jedoch nicht, dass sie sei277

Widukind, Sachsengeschichte, III, 13, S.  136  f.: Nefanda consilia prodita a filio generoque animadversa; purgandi locum criminis cum consilio pontificis petunt et inpe­ trant.

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nen Bruder Heinrich gefangen nehmen würden, wenn er zu Ostern nach Ingelheim kommen würde.“278 In beiden Quellen ist deutlich von einem Versuch die Rede, durch persönliche Beratung der Protagonisten den sich anbahnenden Konflikt einzudämmen bzw. zu verhindern. Widukind erzählt sogar, dass zu diesem Zweck unter Vermittlung des Erzbischofs ein Vertrag (pactum) geschlossen worden sei. Den Vertrag allerdings hat Otto für nichtig erklärt, nachdem er aus Mainz in seine sächsische Heimat zurückgekehrt war: „Denn ermutigt durch die Gegenwart seiner Freunde und seines eigenen Volkes vernichtete er den Vertrag, von dem er erklärte, dass er darin nur aus Not eingewilligt habe, und er befahl seinem Sohn und Schwiegersohn, die Urheber des ruchlosen Unternehmens zur Bestrafung auszuliefern; anderenfalls wisse er, dass sie ‚Staatsfeinde‘ (hostes publicos) seien. Der Erzbischof verwandte sich für den früheren Vertrag, gleich als ob er für Frieden und Eintracht sorgen wolle, und erschien dadurch dem König verdächtig, den Räten und Freunden des Königs aber durchaus verwerflich.“279 Diese Nachrichten lassen den Ablauf intensiver Beratungen und die Posi­ tionen der verschiedenen Parteien deutlich erkennen: Erzbischof Friedrich hat seine Rolle als Vermittler so interpretiert, dass er Liudolf und Konrad zunächst die Möglichkeit zu schaffen hatte, ihre Position in einem persönlichen Gespräch mit dem König zu erläutern. Im Zuge dieser Zusammenkunft vermittelte er einen Vertrag, für dessen Einhaltung er auch noch plädierte, als ihn der König als erzwungen verworfen hatte. Diese Haltung brachte ihn wieder in Verdacht, die Partei der Gegner des Königs zu begünstigen. Leider erfahren wir nichts über die Inhalte dieser vertraglichen Verein­ barung, sehr viel indes über die Argumente beider Seiten in den Beratungen. Liudolf und Konrad konkretisierten in dem Gespräch, dass ihre Aktionen sich gegen Herzog Heinrich richteten und nicht gegen den König. Otto hingegen machte in Mainz gute Miene zu einem seiner Meinung nach bösen Zusammenspiel zwischen dem Erzbischof, Liudolf und Konrad. Er forderte nach der Aufkündigung des Vertrages aber aus der Ferne von seinem Sohn und Schwiegersohn, ungenannte Urheber des Unternehmens zur Bestrafung auszuliefern, was mit ihrer Ehre ganz sicher nicht vereinbar war. Widukind kommentiert Continuatio Reginonis, a. 953, S. 208 f.: Tunc Liudolfus et Cuonradus ibi ficta ad eum humilitate, ut post claruit, venientes nihil talium se in eius contrarietatem egisse dicebant; sed si Heinricus frater eius in pascha Inglinheim veniret, illum se comprehensuros non negabant. 279 Widukind, Sachsengeschichte, III, 15, S. 136 f.: Nam confortatus amicorum gentisque propriae presentia, irritum fecit pactum, quod coactus inire confessus est, edictumque est filio generoque auctores sceleris puniendos tradere aut certe se hostes publicos nosse. Pactis pristinis pontifex intercessit, tamquam paci et concordiae consulturus. Ob id regi fit suspectus, amicis regalibus consiliariisque omnimodis spernendus. 278

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dieses Verhalten des Königs indirekt, indem er Erzbischof Friedrich ausdrücklich wegen anderer Vorzüge lobt und abschließend bemerkt: „Übrigens ist es der Herr, der da richtet über die vorgebrachten Beschuldigungen.“280 Der König versuchte auch weiterhin, den Konflikt auf dem Wege der Beratungen zu lösen, und rief eine allgemeine Zusammenkunft (universalis conventus) nach Fritzlar ein, um über die Sache vor der Öffentlichkeit der Heeresversammlung zu beraten. Dieser Schritt zur Beteiligung weiterer Kreise an der Entscheidungsfindung ist äußerst ungewöhnlich und verlässt den Weg der üblichen Vertraulichkeit der Konsensherstellung. Liudolf und Konrad scheinen der Ladung nach Fritzlar nicht gefolgt zu sein, sehr wohl aber Erzbischof Friedrich. In Fritzlar trug nämlich Ottos Bruder Heinrich „gegen den Erzbischof viele Beschuldigungen vor, und über diesem entlud sich der Unwille des Königs und fast des ganzen Heeres, weil sie ihn nach dessen Aussagen für ­völlig schuldig hielten“.281 Damit werden Nachteile der öffentlichen Beratung in einer Heeresversammlung, aber auch tiefe Meinungsunterschiede über das erlaubte Verhaltensspektrum eines Vermittlers deutlich, die auch schon bei Friedrichs Verhalten in den früheren Konflikten unübersehbar waren.282 Otto der Große scheint immer noch nicht akzeptiert zu haben, dass der Vermittler Friedrich auch die Belange seiner Gegner zu vertreten hatte. Von irgendeiner Verteidigung seiner Gegner ist in Fritzlar nicht die Rede. Vielmehr hatten Heinrichs Anschuldigungen eine Reihe von rechtlichen Konsequenzen: Der König übergab „ausgezeichnete und ihm früher teure Männer“ seinem Bruder Heinrich und in die Verbannung; Erzbischof Friedrich verlor das Erzkanzleramt; Herzog Konrad wohl sein Herzogtum. Nur Liudolf scheint noch geschont worden zu sein. 283 Widukind übt auch hier indirekte Kritik am Verhalten des Königs, indem er anmerkt, dass „dessen Gemüt infolge des jüngsten Unrechts verhärtet war“.284 Der Ausgang dieses Hoftages scheint die Entschlossenheit der Gegner Ottos jedoch nur gestärkt zu haben. Sie eröffneten nun die bewaffneten Auseinandersetzungen und versuchten, gerade große und befestigte Städte in ihre Hand zu bringen. In Mainz waren sie hiermit erfolgreich.285 Erzbischof Friedrich Ebd.: caeterum de accusatis causis qui iudicat Dominus est; vgl. zum Lob der Gegner Ottos bei Widukind VAERST, Laus inimicorum, passim. 281 Ebd., III, 16, S. 138 f.: multas ac graves causas summo pontifici obiciebat; proptereaque regis totiusque pene exercitus offensam incurrit, dum eum penitus culpabilem ex illius dictis censerent. 282 S. oben bei Anm. 263. 283 Vgl. Regesta Imperii II, 1, Nr. 231a, S. 107 mit den Einzelheiten. 284 Widukind, Sachsengeschichte III, 16, S. 138 f.: rex seviorem animum gerens ex recenti iniuria. 285 Zu den Ereignissen und den einschlägigen Quellen s. Regesta Imperii II, 1 Nr. 231c–e; DÜMMLER – KÖPKE, Otto der Große, S. 219 ff. 280

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v­erließ daraufhin seine Stadt und verbrachte den Sommer bei Einsiedlern, während König Otto sich mit Kräften aus Sachsen, Franken und Lothringen an die Belagerung der Stadt Mainz machte. Für unsere Fragestellung ist interessant, dass es nach rund zweimonatiger intensiver, aber erfolgloser Belagerung wieder zu direkten Verhandlungen der Protagonisten des Konflikts kam: Liudolf und Konrad erklärten sich nach der Stellung von Geiseln bereit, zu Verhandlungen in das Lager des Königs zu kommen. Es ist wieder Widukind, der dem Verlauf der Verhandlungen große Aufmerksamkeit widmet: „Der Sohn und der Schwiegersohn kamen in das Lager, warfen sich dem König zu Füßen und erklärten, sie seien bereit, für ihr Vergehen alles zu erdulden, wenn nur ihre Freunde und Helfer in Gnaden ­angenommen würden und ihnen nichts Böses geschähe. Der König aber, der keine Möglichkeit sah, den Sohn nach Verdienst zu bestrafen, verlangte die Auslieferung der Mitschuldigen seiner Verschwörung. Jene dagegen, durch ­gegenseitige Eide gebunden und gewissermaßen durch die Kunst des alten Feindes gefesselt, verweigerten dies durchaus.“286 Damit wurden die alten Positionen bekräftigt. Andere Beispiele lassen erkennen, dass die Forderung nach Auslieferung der eigenen Freunde und Helfer zur Bestrafung für Adlige in dieser Zeit unannehmbar war, aber dennoch mehrfach gestellt wurde.287 Für uns ist wohl nicht mehr nachvollziehbar, warum der König zwar keine Möglichkeit sah, den Sohn angemessen zu bestrafen, ­jedoch die Auslieferung seiner Helfer forderte. Man muss wohl in Rechnung stellen, dass nahe Verwandte besonderen Anspruch auf Milde reklamieren konnten.288 Insgesamt aber werden wir durch die Schilderungen Widukinds sehr detailliert mit den Positionen und Argumentationen der Konfliktparteien vertraut gemacht. Man kann nicht sagen, dass er einseitig die Position des ­Königs begünstigte. Widukind bringt in diesem Zusammenhang überdies eine Nachricht, die für die öffentliche Bewertung solcher Verhandlungen hochinteressant ist: „Währenddessen entstand gewaltige Freude im Lager und vom Lager aus ­verbreitete sich ringsum das Gerücht, sie (sc. Liudolf und Konrad) würden ­niemals die Stadt verlassen haben, wenn sie nicht allen Geboten des Königs ­gehorchen wollten.“ Man ging im Lager offensichtlich davon aus, dass solche Verhandlungen nur dann persönlich geführt wurden, wenn man zuvor sicherVgl. Widukind, Sachsengeschichte, III, 18, S.  138  f.; dort auch das nächste Zitat, zur ­Interpretation vgl. zuletzt THIEME, „So möge alles Volk wissen“, S. 166 ff. 287 Ähnliche Forderungen nach Auslieferung der Helfer und Unterstützer finden sich von Seiten der Könige mehrfach; vgl. dazu ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, S. 41 f. Sie werden jedoch aus begreiflichen Gründen abgelehnt. 288 Auch im Falle seines Bruders Heinrich hatte Otto zwar dessen Mitverschwörer hart ­bestraft, seinen Bruder jedoch nicht; vgl. Widukind, Sachsengeschichte, II, 31 und 36, S. 114 ff. 286

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gestellt hatte, dass ein Einvernehmen hergestellt werden konnte.289 Die Praktiken der Konfliktbeilegung gaben zu dieser Einschätzung allen Anlass.290 Über diese Verhandlungen sind wir noch durch eine zweite Quelle ausführlich unterrichtet, die einem der Protagonisten in diesen Wirren gewidmet ist: Erzbischof Brun von Köln. Otto hatte nämlich seinen Bruder Brun in dieser Zeit nicht nur zum Kölner Erzbischof erhoben, sondern ihn auch anstelle Friedrichs von Mainz mit der Erzkanzlerwürde betraut. Diese neuen Aufgaben wie seine Verwandtschaft mit den „Verschwörern“ machten Brun zu einer Schlüsselfigur bei der Lösung des Konflikts, und seine Lebensbeschreibung beschäftigt sich ausführlich mit der Darstellung seiner diesbezüglichen Rolle.291 Sie bietet daher eine Fülle von Einblicken in die Versuche der Konfliktbeilegung durch Beratung und Vermittlung und auch in die Positionen und Argumentationen der verschiedenen Parteien. Die Parteinahme des Biographen in dieser Sache sei mit einem Zitat verdeutlicht: „In dieser stürmischen Zeit belagerte der König mit seinem Heer die edle und mächtige Stadt Mainz. Sie steckte nämlich voll von offenen und geheimen Feinden des Reiches, und wo sonst die Religion in unversehrter Reinheit blühte, floss nun der ganze Abschaum des Streits zusammen.“292 Nichtsdestotrotz verhehlt er aber auch nicht, dass die Meinungen über diesen Konflikt sehr divergierten, was angeblich selbst den Kreis der Ratgeber König Ottos spaltete: „ Hier standen sich Befürworter beider Seiten gegenüber, und es war beinahe unsicher, wem man eigentlich glauben sollte. Gar nicht so selten konnte man selbst bei denen, die im Lager des Königs dienten, die Tapferkeit der Gegenseite rühmen und deren gutes Recht hervorheben hören, weil sie nur widerwillig und gezwungen diese Mühen auf sich nähmen.“293 Wichtiger aber ist, dass er sehr ins Detail gehend schildert, mit welchen Argumenten Brun im vertraulichen Gespräch auf Liudolf einzuwirken versuchte. Die Szene ist dem Autor so wichtig, dass er sie in wörtlicher Rede wiedergibt. Diese Unterredung Bruns mit Liudolf ist gewiss vom Autor stilisiert, sie gibt aber genauso gewiss Argumente wieder, die man in dieser Zeit für wirkungsvoll hielt: „Als dieser (sc. Liudolf) einmal, ungestüm wie ein wildes Tier, nachdem ihm durch Geiseln Sicherheit verbürgt worden war, ins Lager kam, soll Brun ihn aus der Menge beiseite genommen und unter vier Augen Folgendes gesagt haben: ‚Weißt du denn nicht, du Bester unter der Jugend, die die Erde Dies entspricht der bis heute üblichen Technik, persönliche Begegnungen hochrangiger Politiker erst dann durchzuführen, wenn positive Ergebnisse ihrer Treffen durch Vor­ bereitungen sichergestellt sind. 290 Beispiele hierfür bei ALTHOFF, Die Macht der Rituale, S. 68–73. 291 Vgl. Ruotger, Vita Brunonis, cap. 15–24. 292 Ebd., cap. 16. 293 Ebd., cap. 17; allg. zur häufig positiven Beurteilung der Gegner Ottos des Großen in der Historiographie der Ottonenzeit vgl. VAERST, Laus inimicorum, passim. 289

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trägt, wie sehr du dir und den Deinen nützt, wenn du dir meine Ermahnungen recht tief zu Herzen nähmst? Du, das Lieblingskind deines ruhmreichen Vaters und unser Stolz, was lässt du uns noch zu hoffen, wenn ausgerechnet du dich unseren Wünschen entziehst? Nimmst du denn keine Rücksicht auf das ehrwürdige graue Haupt deines milden Vaters? Ihn zu betrüben, ihm Schmach anzutun, steht dir nicht an … Gott beleidigst du, glaub mir, wenn du den Vater verachtest. Es gibt keine Entschuldigung für dich, Unrecht gegen ihn ist, was du da Neues gegen dieses Reich gegen seinen Willen ins Werk setzt. Du betreibst deine Sache mit deinen Feinden anstatt mit deinen Freunden, wie es sich gehörte … Mach endlich Schluss, Absalom zu sein, damit du Salomon sein kannst. Bedenke, wer dich so hoch erhob, wer dir alle Fürsten des Reiches durch Treueid verband. Warum tat er das? Etwa, damit du Undank bezeigst? Oder vielleicht, damit du ein Verräter zu sein erlernst? … Ach, dein unschuldiges Herz ist durch giftige Schmeicheleien verführt, das liebende Herz deines Vaters aber steht offen, und es ist kein Falsch in ihm. Der milde Vater trauert um den Sohn, den ihm die Bosheit verdorbener Menschen entriss, freuen wird er sich, wenn er zurückkehrt … Und er wird dann auch annehmen, dass dies alles nicht ein Frevel, sondern ein Irrtum war, wenn er dich nur wieder bei sich sieht, den er mehr liebte als sich selbst.‘“294 Die Argumente, mit denen Brun seinen Neffen in vertraulichem Gespräch zur Beendigung des Konflikts mit dem Vater zu bewegen versucht, stammen alle aus dem Arsenal christlicher Vorstellungen über die Pflichten des Sohnes. Durch sein Verhalten beleidigt Liudolf Gott, weil er sich wie Absalom und nicht wie Salomon verhält. Die politischen Dimensionen des Konfliktes, bei dem es ja nicht zuletzt um Einfluss und Ehre ging, sind hier irrelevant. Die ­höherwertigen Pflichten des Vater-Sohn-Verhältnisses werden beschworen, die Otto angeblich einzuhalten bereit ist, Liudolf dagegen nicht. Dass er hierzu durch Schmeichler, die eigentlich seine Feinde sind, verführt worden sein soll, öffnet ihm eine Möglichkeit, ohne Gesichtsverlust aus der Angelegenheit ­herauszukommen. Die Argumente dieser Rede korrespondieren daher in bestimmter Weise mit der schon erwähnten Forderung Ottos an Liudolf, die­ jenigen, die ihn verführt hätten, zur Bestrafung auszuliefern und so selbst straflos auszugehen. Als die Einbrüche der Ungarn dann Otto und Brun zwangen, sich zu trennen, weil der eine den Westen des Reiches schützen, der andere den Ungarn entgegentreten musste, hat nach dem Autor der Bruns-Vita König Otto noch einmal in einem langen Gespräch unter vier Augen seinem Bruder Brun seine Position in diesem Streit erläutert und ihm vor allem alle Freiheiten gegeben, die inneren Kämpfe irgendwie zu verhindern und zu beenden: „Tu also alles, gottgeweihter Mann, ich bitte dich, tu alles, um durch deinen Einfluss, durch 294

Ebd., cap. 18.

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den du so viel vermagst, je nach den örtlichen und zeitlichen Umständen –  nicht so schnell wie möglich, sondern so wirkungsvoll wie möglich – die Kämpfe entweder zu verhindern oder sie durch irgendein Vertragswerk beizulegen. Auch wenn ich dir äußerlich fern bin, wirst du, wo immer ich auch sein werde, meine Freude sein, werden deine Umsicht und Besonnenheit meinen dankbaren Beifall finden. Ich werde für Recht befinden, was du tun wirst, mögest auch du für Recht befinden, was ich tun werde.“295 Man ist unwillkürlich an die vielen Konflikte Ottos mit Erzbischof Friedrich von Mainz erinnert, dessen Bemühungen um Frieden Otto nie zu würdigen wusste,296 während er diesmal schon vorweg seinem Bruder verspricht, ihm jede Freiheit zu lassen. Ob wir hier durch den Autor Ruotger einseitig unterrichtet werden oder ob Otto aus seinen Erfahrungen gelernt hatte, Vermittlern größere Freiheit lassen zu müssen, dürfte schwer zu entscheiden sein. In jedem Fall aber legt gerade der Autor dieser Bischofsvita größten Wert darauf, seine Leser ausführlich über die vertraulichsten Beratungen zu informieren, denen er mehrfach einen so hohen Stellenwert zuschreibt, dass er sie in seitenlangen Reden der Protagonisten wörtlich zu dokumentieren versucht. Angesichts dieses Blicks in die Welt vertraulicher Unterredungen scheint es sinnvoll, weitere einschlägige Äußerungen gerade aus den Lebensbeschreibungen von Bischöfen dieser Zeit anzufügen. Es ist nämlich auffällig, wie häufig auch andere damalige Autoren ihre Protagonisten rühmen, aufgrund ihrer vertrauten Beziehung zum Herrscher uneingeschränkten Zugang zu ihm gehabt und dies zur informell-vertraulichen Beratung vieler anstehender Probleme genutzt zu haben.297 So schildert etwa die Lebensbeschreibung des Augsburger Bischofs Ulrich, welche Aufnahme Ulrich anlässlich eines Besuches bei Otto dem Großen fand: „Als der Kaiser aber bemerkte, dass er so nahe war, da lief er, an dem einen Fuß beschuht, am anderen aber noch ohne Schuh, ihm eilends entgegen, um ihn liebenswürdig zu empfangen. So demütig und glühend vor Liebe zu Gott war er. Als sie sich im Gemach (des Kaisers) in Anwesenheit der Kaiserin freundlich unterhielten und in wechselseitigen Reden den Fortgang verschiedener Ereignisse verhandelten, begann der heilige Mann …“298 Ganz ähnlich erging es nach der Darstellung seiner Vita Bischof Bernward von Hildesheim, als er in Rom Kaiser Otto  III. aufsuchte, um seine Unterstützung im sog. Ganders­ heimer Streit zu gewinnen: „Als der fromme und demütige Kaiser das vernahm (die Ankunft Bernwards), konnte er es vor Sehnsucht nicht mehr erwarten, bis er seinen geliebten Lehrer zu Gesicht bekam. Weil er ihn aber nicht zu sich Vgl. ebd., cap. 20. S. dazu oben bei Anm. 264 und 279. 297 Vgl. dazu allg. HAARLÄNDER, Vitae episcoporum, S. 278 ff., S. 317. 298 Vgl. Gerhard, Vita Uodalrici, cap. 21, S. 247. 295

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­ emühen wollte, zog er ihm eilends fast zwei Meilen weit bis zur Kirche des b heiligen Petrus entgegen, empfing ihn mit der größten Liebe, umarmte und küsste ihn wie seinen besten Freund und begleitete ihn in seine Herberge. Dort sprach er noch lange mit ihm und bat ihn, am nächsten Tag in den Palast zu kommen … Am anderen Morgen lud der Kaiser den Herrn Papst (Silvester II.) ein, um den geliebten Gast zu empfangen … Auch ließ man ihn nicht mehr in seine Herberge zurückkehren, sondern der Kaiser stellte ihm unmittelbar neben seinen eigenen Gemächern eine großartige Wohnung zur Verfügung. Dann saßen sie beieinander, bald im Gemach des Kaisers, bald in dem des ­Bischofs und sprachen über gerichtliche Streitfälle und über die Angelegenheiten der res publica.“299 Die Vita Bernwardi ist nicht die einzige Quelle, die ein enges und vertrautes Verhältnis Kaiser Ottos III. mit einem Bischof bezeugt. Auch Franco, dem Vorgänger Bischof Burkhards von Worms, wird in der Lebensbeschreibung des Letzteren in gleicher Weise ein Verhältnis der familiaritas mit dem Kaiser ­bescheinigt, das ihm vor allem eine herausragende Stellung bei der Beratung eintrug: „Dort mühte er sich mehr als ein Jahr mit wachem Geist im Dienste des Kaisers, nahm an dessen geheimen Dingen häufig teil und wenn etwas Wichtiges zu behandeln war, hatte er zum Kaiser eine solche familiaritas und bei ihm solches Ansehen … dass ohne seinen Rat selten etwas bestimmt wurde … auf seinen Rat hin züchtigte er die Bösen und regierte das Reich in Frieden.“300 Eine eher noch größere Nähe ihrer Protagonisten zum Kaiser bringen die Viten der Bischöfe Heribert von Köln und Adalbert von Prag zum Ausdruck. Bei Heribert äußerte sich diese Vertrautheit zunächst einmal in überschwänglicher Begrüßung, „er wurde (von Otto  III.) mit unendlicher Liebe aufgenommen, umarmt, geküsst mit vertrauter Zuneigung, wie einer, von ­dessen unverbrüchlicher Treue fast alles abhing.“ 301 Symptomatisch für das enge Verhältnis war aber auch, dass Otto Heribert als Erstem alle seine Geheimnisse anvertrauen wollte. Beim Prager Bischof Adalbert wird von einer gewissermaßen noch gesteigerten Vertrautheit geredet, indem der Kaiser darauf bestand, dass der Bischof mit ihm das Schlafgemach teilte.302 Dies sind nur einige der Belege, die im 10. Jahrhundert den Stellenwert informellen Austausches von Bischöfen mit dem Herrscher verdeutlichen oder auch die Kommunikation als Vermittler mit seinen Gegnern schildern. Wie Brun war übrigens auch Bischof Ulrich von Augsburg zusammen mit Bischof Hartbert von Chur im Konflikt zwischen Otto dem Großen und seinem Sohn Vgl. Thangmar, Vita Bernwardi, cap. 19, S. 767. Vgl. Vita Burchardi, cap. 3, S. 833. 301 Vgl. Lantbert, Vita Heriberti, cap. 5, S. 743, das Folgende ebd., cap. 4, S. 742. 302 Vgl. dazu Brun von Querfurt, Vita Adalberti, cap. 20, S. 25, zu diesen und anderen Fällen vgl. bereits ALTHOFF, Otto  III., S.  198  ff.; HAARLÄNDER, Vitae episcoporum, S. 321 ff. 299

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2. Beratungen in den Krisen der Herrschaft Ottos des Großen

Liudolf in dieser Hinsicht tätig.303 Man wird die übereinstimmenden Aussagen, dass die vermittelnden Bischöfe mit Ermahnungen und biblischen Beispielen im Konflikt zwischen Otto und Liudolf die verhärteten Gemüter der Konfliktparteien zu erweichen suchten, als realitätsnah auffassen dürfen. Sie verdeut­ lichen die immensen Bemühungen, den inneren Streit durch Beratung und Verhandlung gütlich beizulegen. Hierbei entschloss man sich dann auch zu einem äußerst ungewöhnlichen Schritt. Genötigt durch einen erneuten Einfall der Ungarn, an dem sich die Parteien wechselseitig die Schuld gaben, traf man sich nämlich persönlich in Langenzenn, um öffentlich vor dem gesamten Heer über den Streit zu beraten.304 Namentlich Widukind von Corvey nahm die Sache in seiner Sachsenge­ schichte so wichtig, dass er die angeblichen Reden und Argumente der Protagonisten wörtlich wiedergab. Als Ersten ließ er Otto den Großen ausführlich begründen, was er am Verhalten seiner Gegner noch akzeptierte und was er verwerflich fand. Angesichts seines Leserkreises spricht einiges dafür, dass er in dieser wichtigen Frage sich kaum größere Abweichungen von der herrschenden ­Meinung gestatten konnte. Der Bericht bietet also die seltene Möglichkeit, zu erkennen, welche Argumente die Parteien für ihre Haltung im Konflikt vorbrachten. Otto begründete nach Widukind seine Position folgendermaßen: „Ich wollte es ertragen, wenn der Grimm meines Sohnes und der übrigen Verschwörer nur mich allein peinigte und nicht das ganze Volk der Christenheit durcheinanderbrächte. Es ginge noch an, dass sie meine Burgen wie Räuber über­ fallen und ganze Landstriche von meiner Herrschaft losgerissen haben, wenn sie sich nicht auch noch am Blute meiner Verwandten und meiner liebsten Genossen sättigten … Doch auch dieses wäre noch so oder so zu ertragen, wenn nicht die Feinde Gottes und der Menschen (sc. der Ungarn) in diese Händel hineingezogen würden.“ Mit diesen einleitenden Sätzen hat der König prinzipiell das Recht seiner Gegner akzeptiert, ihre Interessen gegen ihn mit Waffengewalt zu vertreten. Seine Vorwürfe gegen sie konzentrieren sich ganz auf die Beschuldigung, die Ungarn zu ihrer Unterstützung herbeigerufen zu haben: „Eben haben sie (die Ungarn) mein Reich verödet, das Volk gefangen oder getötet, die Burgen zerstört, die Kirchen verbrannt, die Priester erschlagen; noch triefen vom Blut die Straßen; bereichert kehren die Feinde Christi in ihr Land zurück. Welcher ­Frevel, welche Treulosigkeit nun noch übrig ist, vermag ich nicht auszudenken.“ 303 304

Vgl. Gerhard, Vita Uodalrici, cap. 12, S. 190 ff. Widukind, Sachsengeschichte, III, 32, S. 144 ff. nennt die Versammlung universalis populi conventus. Die folgenden Zitate stammen alle aus III, 32. Zu dieser Versammlung s. zuletzt und mit einer Einordnung der sehr ungewöhnlichen Praxis öffentlicher Beratung THIEME, „So möge alles Volk wissen“, S. 169 ff.

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III. Ottonenzeit

Als Nächster sprach Ottos Bruder Heinrich, der Herzog von Bayern, gegen den sich die Aktivitäten der Liudolf-Anhänger vor allem richteten. Seine Rede gibt Widukind nur in indirekter Sprache wieder: Heinrich habe dem König beigepflichtet und hinzugefügt, „dass die zweimal im offenen Kampf besiegten Feinde auf böswillige und übelste Weise gemietet würden, wodurch man ihnen den Weg, Schaden zu stiften, wiederum eröffne.“ Er, Heinrich, würde so etwas niemals tun. Damit ist der Vorwurf der Kollaboration mit den Feinden Gottes und des Reiches wiederholt und als zentraler Punkt des Dissenses und der Anklage markiert. Hierauf sprach für die Gegenpartei denn auch Liudolf, dessen Rede Widukind wie Ottos wörtlich wiedergibt: „Von denen, die man gegen mich gedungen hat, habe ich, wie ich gestehe, um Geld erlangt, dass sie mich und die mir Untergebenen nicht schädigen. Wenn ich hierin schuldig gesprochen werde, so möge alles Volk wissen, dass ich dies nicht aus freien Stücken, sondern durch die äußerste Not getrieben getan habe.“ Liudolfs einziges Argument, das Widukind erwähnt, besteht also darin, sozusagen den Spieß umzudrehen und Ungenannte zu beschuldigen, sie hätten zuerst die Ungarn gegen ihn gedungen, was ihn dann dazu veranlasst habe, sich durch Geld loszukaufen. Gemeint haben dürfte Liudolf hier den Herzog Heinrich von Bayern, was jedoch nirgendwo konkret gesagt wird. Ob und wie die Beratung eventuell weiterging, lässt Widukind im Dunkeln. Es scheint, als hielte er seine Leser mit den zitierten Ausführungen über die Vorgänge für genügend informiert, um sich ein Urteil zu bilden. Als Nächstes berichtet er nämlich, sei der ebenfalls in Verdacht geratene Erzbischof Friedrich von Mainz eingetreten – er war also offensichtlich zuvor nicht anwesend – und habe angeboten, „mit jeder Art von Schwur seine Treue (gegenüber dem König) zu beweisen“. Er sei nie dem König feindlich gesinnt gewesen. Otto habe darauf erwidert: „Von euch verlange ich keinen Schwur, sondern nur, dass ihr mein Bemühen um Frieden und Eintracht, soviel an euch ist, fördert.“ Dies habe Friedrich versprochen und sei in Treue und Frieden entlassen worden. Abschließend schildert Widukind ganz knapp die Konsequenzen, die dieser verbale Austausch der Protagonisten vor dem versammelten Heer hatte: „Da der Erzbischof und Herzog Konrad den Jüngling (sc. Liudolf) nicht bewegen konnten, sich seinem Vater zu unterwerfen und sich willfährig dessen Spruch zu fügen, trennten sie sich von ihm und schlossen sich an Gott und den König an.“305 Des Weiteren berichtet er von der Abreise des unversöhnten Liudolf, von wei­teren Kämpfen seiner verbliebenen Anhänger mit dem König vor allem um Regensburg und schließlich von einer fußfälligen Unterwerfung Liudolfs, als der Vater auf der Jagd weilte, was den Frieden zwischen beiden wiederherstellte. 305

Ebd., III, 33, S. 146 f.: Pontifex cum duce Cuonrado, cum adolescentem non possent inclinare, quatinus patri subderetur eiusque sententiam secutus sustineret, discesserunt ab eo, Deo regique sese iungentes.

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3. Beratungen Heinrichs II. aus der „indiskreten“ Sicht Thietmars von Merseburg

Damit scheint durch die öffentliche Beratung in Langenzenn der Weg zum Frieden geebnet worden zu sein. Wie man sich eine etwaige Entscheidung oder den Sinneswandel jedoch konkret vorzustellen hat, bleibt im Verborgenen. Durch die Reden der Protagonisten war lediglich klargestellt, dass die Zusammenarbeit mit den Ungarn von niemandem wirklich gewollt war und das größte Übel darstellte. Dies mag den Weg zur Einigung geebnet haben. Von weiteren Aussprachen oder Verhandlungen hören wir nichts. Ein offizielles ­Ergebnis oder eine Entscheidung scheint die öffentliche Aussprache nicht gebracht zu haben, wenn Widukind uns nicht unvollständig informiert. Wir können lediglich begründet annehmen, dass nach der Versammlung die Parteien unter sich und miteinander wieder vertraulich berieten, welche Konsequenzen zu ziehen seien. Hierbei brach sozusagen die Partei Liudolfs auseinander, indem Herzog Konrad und Erzbischof Friedrich bereit waren, sofort Frieden mit dem König zu schließen; Liudolf erst nach längerem Überlegen und weiteren Kämpfen. Es gehörte aber zu der vom König geforderten Milde, dass keiner der Beteiligten nach Friedensschluss bzw. Unterwerfung wirklich in Ungnade verblieb, was auch in diesem Fall zu beobachten ist.306 Abschließend sei noch einmal daran erinnert, wie außergewöhnlich die öffentliche Beratung eines äußerst kontroversen Themas in dieser Zeit war. Es muss wohl die extreme Notsituation gewesen sein, die die Verantwortlichen zweimal, in Fritzlar und in Langenzenn, zu diesem Mittel greifen ließ. Auf eingespielte Gewohnheiten konnten sie hierbei wohl nicht zurückgreifen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die langwierigen Auseinandersetzungen Ottos des Großen mit Verwandten und deren Vasallen eine deutliche Intensivierung der Beratungen der Konfliktparteien wie der Verhandlungen zwischen den Parteien mit sich brachten. Für die zweite Konfliktphase ist dies stärker zu beobachten als für die erste, was nicht nur daran liegen dürfte, dass die letzteren Vorgänge näher an der Abfassungszeit der Quellen lagen als die ersten. Dass zudem in der zweiten Phase die Verhandlungen mehrfach vor der Öffentlichkeit der Vasallen stattfanden, markiert einen Wandel, der Beachtung verdient. Er scheint allerdings eine temporäre Erscheinung geblieben zu sein, die der Ungarnnot geschuldet war, denn diese Praxis wurde in der Folgezeit von den Königen nicht weitergeführt.

3. Beratungen Heinrichs II. aus der „indiskreten“ Sicht Thietmars von Merseburg Den nächsten intensiven Einblick in Interna der Beratungen und Verhand­ lungen in der Ottonenzeit ermöglicht ein Autor, der eine besondere causa ­scribendi hatte und der deshalb häufiger Vorhänge lüftete und Details berich306

Vgl. dazu KELLER – ALTHOFF, Späte Karolinger und Ottonen, S. 358 ff.

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III. Ottonenzeit

tete, die eigentlich zu den regalia mysteria oder arcana imperii gehörten.307 Der Bischof Thietmar von Merseburg schrieb sein Werk erklärtermaßen für seine Nachfolger, um diese mit seinen Kenntnissen auszustatten, damit so etwas wie die Auflösung des Bistums Merseburg im Jahre 981 nicht noch einmal geschehen könnte. Deshalb notierte er auch und gerade die informellen und vertraulichen Vorgänge in der Merseburger und in der Reichsgeschichte, soweit sie ihm zugänglich waren, da durch sie immer wieder die entscheidenden Weichen für das Schicksal seines Bistums gestellt worden waren. Insoweit ist er ein sehr wertvoller Zeuge. Thietmars Zugehörigkeit zum hohen sächsischen Adel tat ein Übriges, ihn mit den notwendigen Informationen und Hintergründen zu versorgen. Da es König Heinrich II. gewesen war, der das Bistum Merseburg 1004 wieder eingerichtet hatte, und dieser Herrscher überdies als Angehöriger des bayerischen Zweiges der Ottonen eine besondere Beziehung zu dem Ort Merseburg hatte, der seinem Großvater sozusagen als Abfindung für den Ausschluss aus der Nachfolge im Königtum übereignet worden war, schreibt Thietmar in Dankbarkeit und mit viel Verständnis für die Politik dieses Herrschers. Diese Dankbarkeit hatte allerdings nicht zur Folge, dass er Kritik an ihm gänzlich unterdrückt hätte. Als Zeitgenosse und Akteur kannte und nutzte er zudem viele Wege und Praktiken der informellen Willensbildung, so dass sein Werk eine Fundgrube für Aussagen zu den offenen und verdeckten Formen der Beratung ist, über die er immer wieder detailliert Auskunft gibt.

Beratungen und Verhandlungen vor der Königserhebung 1002 Schon zum Jahre 1002 nach dem plötzlichen Tod des jungen Kaisers Otto III. und angesichts der offenen Nachfolgefrage bietet Thietmar eine Menge Ein­ blicke in informelle und formelle politische Aktivitäten, die die in diesem Fall äußerst schwierige Willensbildung vorantreiben sollten. Hierzu wurden sowohl einzelne Kandidaten aktiv als auch Versammlungen von durchaus heterogenen politischen Gruppierungen einberufen, die dem Zwecke der Einigung auf einen Kandidaten dienten. Thietmar schildert auch ausführlich, wie durchsetzungsstark Heinrich selbst seine Kandidatur betrieb. Er empfing nämlich schon den Leichenzug Ottos III. im bayerischen Polling und „unter großen Versprechungen ersuchte er (die Begleiter des Zuges) einzeln, ihn zu ihrem Herrn und König zu wählen.“308 Was sehr viel später als Wahlkapitu­ Zu Thietmar als Geschichtsschreiber vgl. bereits LIPPELT, Thietmar von Merseburg, passim; zuletzt SCHULMEYER-AHL, Der Anfang vom Ende der Ottonen, S. 105 ff. 308 Vgl. Thietmar, Chronicon, IV, 50, S. 166 f.: Quos singulatim, ut se in dominum sibi et regem eligere voluissent, multis promissionibus hortatur. 307

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3. Beratungen Heinrichs II. aus der „indiskreten“ Sicht Thietmars von Merseburg

lationen der deutschen Könige institutionalisiert wurde, findet sich hier in seinen informellen Frühformen, die nach dem Prinzip des do ut des angelegt waren.309 Der Kandidat versprach Gegenleistungen nach der Wahl für die ­Unterstützung bei der Wahl. Hervorzuheben scheint insbesondere, dass die fraglichen Absprachen jeweils in Einzelgesprächen getätigt wurden, was ­offensichtlich eine gängige politische Praxis darstellte. In dieser vertraulichen Situation des Einzelgesprächs scheinen aber von beiden Seiten alle Register politischen Tauschhandels gezogen worden zu sein. Aus Äußerungen Thietmars wird nämlich auch ersichtlich, was unter „großen Versprechungen“ konkret zu verstehen ist: Heinrich hat seinem Namensvetter Heinrich von Schweinfurt etwa die bayerische Herzogswürde versprochen, falls er mit dessen Unterstützung König werden würde, hat sich aber später nicht an dieses Versprechen gehalten, was eine der Ursachen dafür war, dass sich Heinrich von Schweinfurt mit anderen Gegnern des Königs zum bewaffneten Vorgehen gegen diesen verband.310 Wie rabiat Heinrich überdies in Polling vorging, macht Thietmar mit der Bemerkung deutlich, er habe Erzbischof Heribert von Köln, der die Heilige Lanze heimlich vorausgeschickt hatte, damit sie nicht in Heinrichs Hand fiel, in Beugehaft genommen, so dass dieser die Herrschaftsinsignie schließlich herausgeben musste. Auch in Sachsen wurde man nach Thietmar auf die Nachricht vom Tode des jungen Königs in bezeichnender Weise aktiv: Mehrere von Thietmar namentlich genannte Bischöfe und weltliche Große Sachsens versammelten sich auf dem Königshof Frohse zu informellen Beratungen über die Nachfolge.311 Wie die Versammlung dann erwies, hatten die Teilnehmer durchaus unterschiedliche Vorstellungen in der Nachfolgefrage. Hier kam es nämlich zu einer Kontroverse zwischen zwei sächsischen Markgrafen, Liuthar und Ekkehard von Meißen, die wegen eines kurz zuvor aufgelösten Verlöbnisses ihrer Kinder und anschließendem Raub der Braut durch den Bräutigam aus dem Stift Quedlinburg miteinander verfeindet waren. Thietmar hatte in seiner Chronik über all diese Einzelheiten ausführlich berichtet.312 Und auch bei ­dieser Kontroverse nahm er kein Blatt vor den Mund, sondern schilderte den Vorgang in aller Offenheit: „Als nun Graf Liuthar Ekkehards Absicht bemerkte, sich über sie zu erheben, rief er den besseren Teil der Großen zu einer geheimen Besprechung (secretum colloquium) hinaus.“

309

310 311 312

Vgl. dazu den Art. „Wahlkapitulation“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, Sp. 1914 ff. Zu ganz ähnlichen Vorgängen im Zusammenhang der Wahl Friedrich Barbarossas 1152 s. unten bei Anm. 572. Vgl. dazu ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, S. 24 f. mit weiteren Hinweisen. Vgl. Thietmar, Chronicon, IV, 52, S. 166 ff. Ebd., IV, 39–42, S. 154–159.

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III. Ottonenzeit

Hier wird zunächst einmal erkennbar, dass man eine drohende Kontroverse aus der Öffentlichkeit einer Versammlung aller herauszunehmen bemüht war, um sie im „kleinen Kreis“ (sanior pars) der Ranghöchsten zu klären. Zum Zweiten macht Thietmar deutlich, dass Ekkehard die Zusammenkunft nutzte, um seine Ambitionen auf das Königsamt bekannt zu machen, von denen zumindest sein Feind Liuthar bis dahin nichts gewusst zu haben scheint. Den Vorschlag Liuthars zum Procedere hat aber auch der Kontrahent Ekkehard ­a kzeptiert, denn Thietmar erzählt weiter, was dann in dem kleinen Kreis ­passierte, zu dem auch Markgraf Ekkehard gehörte: „Hier machte er (Liuthar) allen den Vorschlag, sich eidlich zu verpflichten, vor einem nach Werla anberaumten Tage weder gemeinsam noch einzeln einen Herrn und König zu ­erwählen.“ Dieser Vorschlag konnte sich wohl nur gegen die Pläne Markgraf Ekkehards und seiner Anhänger richten, die bei diesem Treffen in Frohse um eine verbindliche Zustimmung zu dessen Königskandidatur werben wollten. Durch den Vorschlag Liuthars wird überdies deutlich, dass sich in Frohse zur Willensbildung lediglich ein Teil der sächsischen Großen aus durchaus unterschiedlichen politischen Lagern getroffen hatte, die ihre unterschiedlichen Auffassungen jedoch nicht überbrücken konnten. Wieso der Markgraf Ekkehard sich bei seinen Ambitionen auf das Königsamt darauf einließ, seinen Feind Liuthar an diesen ersten Sondierungen zu beteiligen, lässt Thietmar offen, und es bleibt unverständlich. Der weitere Fortgang der Beratung macht jedenfalls klar, dass dies aus der Sicht Markgraf Ekkehards und seiner Freunde ein gravierender Fehler war. Es stimmten nämlich erstaunlicherweise alle dem Vorschlag Liuthars zu, sich nicht vorweg zu binden, „nur Ekkehard nicht“. Der verlor vielmehr die Beherrschung: „Voller Unmut darüber, dass man ihn vorläufig von der Königswürde fernhalten wollte, brach er los: ‚Was hast du gegen mich, Graf Liuthar?‘ Und der darauf: ‚Merkst du es nicht? Dir fehlt das vierte Rad am Wagen.‘“ Weiter kam man nicht, sondern brach die Unterredung ergebnislos ab – und Thietmar kommentiert: „Es bestätigte sich das alte Wort: Eine Nacht Aufschub ist ein Jahr Verzug, das aber heißt Verzögerung bis ans Lebensende.“ Über den Sinn dieser offenen Kontroverse in vertraulichster Umgebung hat man bereits viel gerätselt. Bis heute ist nicht geklärt, ob Liuthar mit dem Hinweis auf das fehlende „vierte Rad am Wagen“ Ekkehards fehlende Verwandtschaft mit den Ottonen oder das Fehlen einer der Kardinaltugenden wie Demut oder Milde gemeint hatte.313 Genauso ungeklärt ist, wieso in Frohse 313

Vgl. zu der hinter dieser Frage stehenden grundsätzlicheren Kontroverse zuletzt HLAWITSCHKA, Konradiner-Genealogie, unstatthafte Verwandtenehen und spätottonisch-frühsalische Thronbesetzungspraxis; WOLF, Zur Königswahl Heinrichs  II. im Jahre 1002, S. 278 ff.

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3. Beratungen Heinrichs II. aus der „indiskreten“ Sicht Thietmars von Merseburg

­ nhänger Ekkehards, die sich auch später noch massiv für seine KönigskandiA datur einsetzten, wie etwa der sächsische Herzog Bernhard, sich sozusagen von Ekkehards Feind Liuthar dominieren ließen und eine doch sicher zumindest von einigen geplante Vorbereitung der Königskandidatur Ekkehards deshalb dramatisch scheiterte. Darüber verrät uns auch Thietmar nichts. Dennoch ist Thietmars Erzählung von großem Wert, weil sie detailliert über vertrauliche Vorgänge der politischen Willensbildung berichtet, die, wie in diesem Fall, auch Kontroversen auslösen und scheitern konnten. Der Merseburger Bischof schildert anschließend weiter minutiös das Vorgehen der sächsischen Großen, von denen der erwähnte Markgraf Liuthar sehr aktiv blieb: Er zog nämlich mit einem Verwandten nach Bamberg zum anderen Thronbewerber, zu Heinrich  II.: „und er gewann des Herzogs Huld und die Aussicht auf Rückgabe und Vergrößerung seines Lehens, obwohl er ihm, seinem (in Frohse) geleisteten Eid getreu, keine Huldigung leistete.“314 Liuthar hielt sich also formal an die Abmachung von Frohse, die, wie wir hier hören, eidlich bekräftigt worden war. Dennoch unterlief er sie zugleich mittels informeller Kontakte, bei denen er vom Kandidaten – in diesem Falle Heinrich – zukünftige Leistungen in Aussicht gestellt bekam, die implizit natürlich an seine Unterstützung bei der Königswahl geknüpft waren. Schließlich kam es in Sachsen zu einem Stammestag in der Pfalz Werla, der als durchaus interessantes Ergebnis die Entscheidung einer Mehrheit, aber auch die machtvolle Demonstration einer Minderheit brachte. „Auf (Liuthars) Rat entsandte der Herzog (also Heinrich) einen Ritter in die Pfalz Werla an seine Cousinen, die Schwestern Sofia und Adelheid, und an alle dort versammelten Großen des Reiches. Der (Bote) eröffnete der Versammlung seinen Auftrag und versprach allen großen Lohn, die seinem Herrn zum Thron verhelfen würden. Sogleich gab ihm die große Menge einmütig Bescheid: Heinrich solle mit Christi Hilfe nach Erbrecht König sein … Und das bestätigten sie mit ­erhobener Rechten.“315 Die Versuche Liuthars, Ekkehards Ambitionen auf das Königsamt zu torpedieren, führten hier also zum Erfolg. Über vorhergehende Aktivitäten, die in ihrer Summe die Teilnehmer der Versammlung zur Unterstützung Heinrichs  II. brachten, erzählt Thietmar nichts. Man geht jedoch wohl nicht fehl in der Annahme, wenn man vorausgehende „Lobbyarbeit“ ­Liuthars und anderer für Heinrich annimmt, die ihm die Unterstützung der Versammelten einbrachte. Als der Bote Heinrichs vor der Versammlung das Angebot seines Herrn verkündete, war mit anderen Worten bereits alles für eine günstige Aufnahme dieses Angebots getan worden. 314

315

Vgl. Thietmar, Chronicon, V, 3, S. 196 f.: gratiam ducis ac spem retinendi et augendi beneficii, quamquam servato adhuc sacramento manus eidem non applicuit, tamen cum sui nepotis Heinrici auxilio adeptus. Ebd., S. 196 f.

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III. Ottonenzeit

Allerdings wird durch Thietmars weiteren Bericht auch klar, dass wichtige sächsische Große noch immer Ekkehard unterstützten: „Ekkehard, der mit den Seinen (an der Versammlung) nicht teilgenommen hatte, gab sich zum Scheine nachgiebig … Doch als man den Herrinnen am Abend im Palast die Sessel mit Teppichen geschmückt und die Tafel reich mit Speisen gerüstet hatte, da nahm plötzlich Ekkehard dort Platz und speiste mit Bischof Arnulf (von Halberstadt) und Herzog Bernhard … Die trauernden Schwestern und ihre zahlreichen Gäste waren entrüstet darüber.“316 Sie waren, so könnte man anfügen, aber offensichtlich nicht in der Lage, die Provokation zu verhindern oder zu beenden. Thietmar erzählt dann weiter, dass Markgraf Ekkehard von Werla aus mit Bischof Bernward von Hildesheim in dessen Bischofsstadt ritt und dort wie ein König empfangen wurde. Damit dürfte endgültig klar sein, wie groß die Unterstützung in Sachsen für eine Kandidatur Ekkehards immer noch war: Neben dem sächsischen Herzog gaben zwei angesehene sächsische Bischöfe Ekkehards Kandidatur immer noch den Vorzug vor derjenigen Heinrichs. Ekkehard brach denn auch von Hildesheim in den Westen auf, um in Lothringen weiter für seine Kandidatur zu werben, wurde allerdings auf dieser Reise von sächsischen Gegnern erschlagen, die er in einer anderen Sache tödlich beleidigt hatte.317 Es sei zusammenfassend hervorgehoben, wie viele Details unterschiedlicher Formen der Willensbildung die Berichte Thietmars preisgeben. Wir hören von informellen Einzelkontakten mit Versprechungen beider Seiten, von vertrau­ lichen und geheimen Versammlungen „kleiner Kreise“ mit der Absicht konzertierter Aktionen nach der Einigung auf einen Kandidaten, die, wie gesehen, auch schiefgehen konnten. Selbst eine Stammesversammlung wie die in Werla konnte noch in unterschiedliche Parteiungen auseinanderfallen, die gegensätzliche Ziele verfolgten. All dies aber scheint im Prozess der Willensbildung akzeptiert worden zu sein und brachte keine erhöhte Gefahr des Umschlags in gewaltsame Auseinandersetzungen, weil man in diesem Prozess anscheinend mit Kontroversen rechnete und umgehen konnte. Dies alles erzählt Thietmar im Übrigen, bevor er auf die eigentliche Königswahl zu sprechen kommt, die im Falle Heinrichs II. in der Tat einen „gestreckten Verlauf“ nahm, da die unterschiedlichen „Stämme“ zu lange uneins blieben. So hören wir von einem ersten formellen Akt der Königserhebung in Mainz im Juni 1002, den vor allem Erzbischof Willigis von Mainz verantwortete. Diesem folgte ein Umritt Heinrichs II. durchs Reich über Thüringen nach Sachsen und von dort nach Aachen, wo in jeweils unterschiedlichen Formen die in Mainz nicht anwesenden „Stämme“ ihre Wahl oder Anerkennung nachholten. 316 317

Ebd., V, 4, S. 196 f. S.  dazu zuletzt RUPP, Ekkehardiner, bes. S.  81  ff.; SCHULMEYER-AHL, Der Anfang vom Ende der Ottonen, S. 377 f.

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3. Beratungen Heinrichs II. aus der „indiskreten“ Sicht Thietmars von Merseburg

Am interessantesten für unsere Thematik ist sicher die „Nachwahl“ Heinrichs in Merseburg durch die Sachsen, weil sie von den Sachsen als Verhandlung mit dem König gestaltet wurde, wie Thietmar ausführlich berichtet: „Am Tage darauf, am 25. Juli, machte Herzog Bernhard mit Zustimmung aller in Anwesenheit des Königs den Willen des versammelten Volkes bekannt, legte ihre Bedürfnisse im Allgemeinen und die rechtlichen Verhältnisse im Besonderen dar und stellte eindringlich die Frage, was er (Heinrich) ihnen in barmherziger Gnade mündlich zusichern oder sogleich durch die Tat gewähren wolle. Diesem Verlangen erteilte Bescheid die Antwort des Königs: ‚Meinen Dank zunächst Gott und dann euch allen gebührend abzustatten, vermag ich nicht. Deshalb will ich euch zumindest meine innerste Absicht nennen, die ich mit Christi Hilfe für euch alle verwirklichen möchte. Ich weiß sehr wohl, wie getreu ihr immer und überall bemüht gewesen seid, euren Königen Gehorsam und Unterstützung zu leisten. Umso mehr ist es mein Wunsch, eure Ehre in allem aufs Beste zu wahren, euch zu lieben und euch zum Nutzen für das Reich und zu unserem eigenen Heil zu schützen. Und damit ihr dessen gewiss seid, erkläre ich nach eurem Verlangen, unbeschadet der Rechte des Königtums: Nicht gegen euren Wunsch und Willen, sondern nur mit eurer Zustimmung und auf euren Ruf bin ich hier in königlichem Schmuck erschienen. Euer Recht will ich nicht antasten, sondern vielmehr in Gnaden zeitlebens streng beachten und euren berechtigten Wünschen, soweit ich es vermag, stets Gehör schenken.‘“318 Diese Rede fand den Beifall des Volkes und erst dann betraute Herzog Bernhard im Namen der Sachsen Heinrich mit der Sorge um das Reich, indem er ihm die Heilige Lanze als Investitursymbol überreichte. An der gesamten Inszenierung aber, die sicher zuvor mit dem Herrscher abgesprochen worden war, kann man den Stellenwert erkennen, den die Beratung wichtiger Angelegenheiten inzwischen gewonnen hatte. Mit dem Anhören der sächsischen ­Positionen und Forderungen wie mit einer entsprechenden Antwort zeigte der König, dass er seine Herrschaft im Konsens mit den Sachsen führen wollte. Zwar fällt dem modernen Leser auf, wie viele Vorbehalte oder auch Leer­ formeln die Rede des Königs enthält, so dass sie ihn inhaltlich nicht genauer festlegte. Doch ist davon unbenommen, dass er mit dieser Inszenierung den Anspruch der Sachsen auf Wahrung ihrer Ehre und ihres Rechts und ihre angemessene Beteiligung an der Herrschaft akzeptiert und zugesichert hatte, der mittels Beratung zukünftig eingelöst werden musste. Festgelegt waren damit wie üblich generelle Verhaltensweisen und -normen, die dem Herrscher wie den Sachsen ein gewisses Spektrum an Handlungsoptionen ließen. An die ­Herstellung von Konsens zu seinen herrscherlichen Entscheidungen war Heinrich II. jedoch nachhaltig gebunden. 318

Vgl. Thietmar, Chronicon, V, 16, S. 208 ff.

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III. Ottonenzeit

Heinrich II. in Beratungen mit sächsischen Großen Was hier so harmonisch zu beginnen schien, hat sich in der politischen Realität gerade in Sachsen jedoch nicht immer bewährt. Thietmar schildert aus der Zeit Heinrichs  II. detailliert mehrere Beratungssituationen, in denen der König den Rat hochrangiger Sachsen eindeutig missachtete oder die Beratungen gegen ihren Willen zu manipulieren versuchte. Es ist interessant, dass Thietmar auch solche Einzelheiten in aller Deutlichkeit anspricht, obgleich er zumeist auch nicht verhehlt, dass er auf der Seite des Herrschers steht. Wir konzentrieren uns daher in den folgenden Beispielen wieder auf die Beratungen und Verhandlungen und erläutern Ursachen und Verlauf der Konflikte nur soweit nötig. Ein Zentrum der Konflikte, die die ganze Regierungszeit des neuen Königs überschatteten, bildete Heinrichs Verhältnis zu Bolesław Chrobry, dem Polenherrscher, der mit wichtigen Gruppen des sächsischen Adels verwandtschaftlich und freundschaftlich verbunden war. Es gelang trotz vielfältiger militärischer Bemühungen in Heinrichs gesamter Regierungszeit nicht, das Verhältnis zu Bolesław als friedliches zu gestalten. Die früher „Polenkriege“ genannten Auseinandersetzungen, die mit kurzen Unterbrechungen von 1002 bis 1018 dauerten, spalteten den sächsischen Adel aber in zwei Lager, von denen das eine Heinrich, das andere den polnischen Verwandten und Freund Bolesław so weit wie möglich unterstützte. Das führte zu einer angespannten und von immer wieder aufbrechenden Konflikten gekennzeichneten Situation in Sachsen, die auch einen erheblichen Beratungsbedarf schuf.319 Hierbei hat auch Heinrich massive Fehler gemacht, die schon den Missionserzbischof Brun von Querfurt, selbst ein Angehöriger des sächsischen Hochadels, zu einer brieflichen Klage und zur Frage an Heinrich veranlassten: „Warum, o König, willst du alles mit Gewalt machen und niemals mit Barmherzigkeit?“320 Gegen einen christlichen König war damit ein schwerwiegender Vorwurf erhoben. Mehrfach hat Heinrich in diesen Auseinandersetzungen in der Tat christliche Herrschertugenden in den Hintergrund gedrängt, deren Einhaltung man in dieser Zeit vom Herrscher verlangte. Seine Verpflichtung zur Beratung hat er überdies manchmal sehr eigenwillig interpretiert, worauf das besondere Interesse gerichtet werden soll. Das erste Beispiel betrifft Heinrichs Verhalten in einer Fehde der sächsischen Grafen Hermann und Gunzelin. Es handelt sich um den Sohn und den Bruder des Markgrafen Ekkehard von Meißen. Sohn und Bruder führten eine Fehde Vgl. dazu bereits ALTHOFF, Königs- und Adelsfamilien, bes. S.  106  ff.; neuerdings WEINFURTER, Heinrich II., bes. S. 206 ff. 320 Vgl. Brun von Querfurt, Epistola ad Henricum regem, S. 102: Caue, o rex, si uis omnia facere cum potestate, nunquam cum misericordia; s. dazu WENSKUS, Gedankenwelt Bruns von Querfurt, bes. S. 192 ff. 319

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3. Beratungen Heinrichs II. aus der „indiskreten“ Sicht Thietmars von Merseburg

um dessen Erbe. Als der König sie daraufhin an seinen Hof bestellte, um der Fehde Einhalt zu bieten und die Sache als Vermittler gütlich beizulegen, wie es seine Aufgabe war, kam es zu folgender Szene: Der König ergriff massiv Partei für Hermann und gegen Gunzelin, was eigentlich eben nicht seine Aufgabe war. Erstaunlich sind vor allem die Argumente, die Heinrich nach Thietmar in der Beratung für seine Haltung vorbrachte: „Er erklärte, alle Schuld liege bei Gunzelin, der ihn schon früher vielfach missachtet habe und darum jetzt nicht ­erwarten könne, in ihm einen Rächer für erlittene Kränkungen zu finden … Ferner beklagte er sich darüber, dass er bis heute mehr Gunst bei seinem Schwager Bolesław genieße, als ihm zieme und dem König recht sein könne.“321 Dies hatte eigentlich mit der Fehde gar nichts zu tun und war alles andere als neutrale Streitschlichtung, wie man sie von einem König erwartete. Heinrich nahm vielmehr gegen Gunzelin Partei, weil dieser aus verschiedenen Gründen nicht in seiner Huld stand. Es kam aber noch schlimmer: Nach weiterem Austausch von Anschuldigungen und Verteidigung „erbat der König dann eine gemeinsame Empfehlung der Fürsten (in dieser Sache, wie es üblich war), die nach langer geheimer Beratung erwiderten: ‚Offensichtlich steht er (Gunzelin) nicht ganz ungerechtfertigt vor euch. Wir sind daher der Meinung, er solle sich ohne jeden Vorbehalt eurer Huld anvertrauen. Euch aber lasse der barmherzige Gott nicht nach seinen Handlungsweisen, sondern nach eurer ­unermesslichen Milde gegen ihn verfahren, zum Vorbild für jeden, der zu euch zurückkehrt.‘“ Das war ein salomonischer Rat, den die Fürsten in geheimer Beratung erarbeitet hatten, was den formellen Charakter der Beratung mit dem König unterstreicht. Der Rat wies den König wie Gunzelin auf den Weg einer gütlichen Einigung, wie sie schon oft praktiziert worden war. Milde und Huld auf der einen, Unterwerfung im Vertrauen auf diese Milde auf der anderen Seite sollten die handlungsleitenden Kategorien sein, wie es üblich war. Damit waren die Akteure eigentlich auf ein entsprechendes Verhalten festgelegt, obwohl die Formulierungen so allgemein gehalten waren, dass sie keine konkreten Schritte vorgaben, sondern eine grundsätzliche Richtung des Verhaltens anrieten. Thietmar fährt aber fort: „Der König stimmte ihrem Rat (consultus) zu, nahm ihn in Gnaden auf und übergab ihn Bischof Arnulf (von Halberstadt) in sichere Verwahrung … In der nächsten Erntezeit aber verlieh er die Mark auf Verwendung der Königin und auf den Rat seines lieben Tagino (des Erzbischofs von Magdeburg) mit Empfehlung und Zustimmung der anderen Fürsten an Graf Hermann.“ Es ist mehr als fraglich, ob die Fürsten dies Verhalten im Auge hatten, als sie ihren eben zitierten Rat gaben. Heinrich nahm Gunzelin in Haft und ließ 321

Vgl. Thietmar, Chronicon, VI, 54, S. 302 f; dort auch die nächsten Zitate; zu den Einzelheiten s. RUPP, Ekkehardiner, bes. S. 105 ff.

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III. Ottonenzeit

ihn überdies, wie Thietmar gleichfalls, aber viel später bemerkt,322 erst acht Jahre später wieder frei, übergab aber das Erbe bereits nach einem Jahr dessen Kontrahenten. Von unermesslicher Milde, auf die die Fürsten den König verwiesen hatten, konnte also keine Rede sein. Vielmehr begünstigte er die eine Partei und entmachtete die andere vollständig. Thietmar ist zu diskret, um zu erläutern, wie der König angesichts des ihm gegebenen Rates die Fürsten wenig später dazu brachte, der Übergabe der Mark an Graf Hermann zuzustimmen, während er Gunzelin in Haft behielt. Er enthält sich jeden Kommentars, indem er aber den Rat der Fürsten wörtlich und die Handlungen Heinrichs detailliert schilderte, hatte er wohl schon genügend deutlich gemacht, dass Heinrich gegen den Rat der Fürsten handelte. Mit seinem Verhalten erbitterte Heinrich jedenfalls weite Teile des sächsischen Adels, wie die folgenden Jahre zeigten. Mehr als problematisch war auch Heinrichs Verhalten im Jahre 1014, als ein glücklicher Zufall ihm den Sohn Bolesławs, Mieszko, in die Hände spielte. Der war nämlich mit einer Gesandtschaft zum Böhmenherzog gekommen, der ihn wider alle Gepflogenheiten gefangen nahm und seine Begleiter töten ließ. Gesandtschaften standen aber unter dem Schutz eines frühen Völkerrechts, der Böhmenherzog hatte also grobes Unrecht getan. Heinrich zwang denn auch den Böhmenherzog, ihm Mieszko auszuliefern, und zwar mit dem Argument, dass dieser sein Lehnsmann sei. Er ließ Mieszko dann aber ebenfalls nicht frei, sondern versuchte mit ihm als Druckmittel dessen Vater Bolesław zu bewegen, an seinem Hof zu erscheinen. Dort sollte er Rechenschaft dafür geben, dass er Heinrich ein Jahr zuvor nicht zu dessen Romzug begleitet hatte, wie es seine Pflicht als Lehnsmann gewesen wäre – nach Auffassung des Kaisers. Man kann das, was Heinrich hier tat, Machtpolitik nennen, in Einklang mit den herrschenden Normen für einen christlichen König war es ganz sicher nicht. Thietmar schilderte auch dies scheinbar neutral, verhehlte aber nicht, was die sächsischen Fürsten vom Verhalten ihres Herrschers hielten: „Der Cäsar (also Heinrich) beriet mit allen Fürsten, was er in dieser Angelegenheit unternehmen solle. Erzbischof Gero (von Magdeburg) ergriff als erster von ihnen das Wort: ‚Als es Zeit war und in Ehren geschehen konnte, habt ihr nicht auf meinen Rat gehört. Jetzt ist Bolesław wegen der langen Festhaltung und Haft seines Sohnes ergrimmt auf euch und ich fürchte, schickt ihr ihn ohne Geiseln oder andere Sicherungen zurück, so werdet ihr in Zukunft von beiden treue Dienste nicht erwarten können.‘ Diesen Worten schloss sich eine große 322

Vgl. ebd., VII, 66, S. 428 f. Der Merseburger Bischof hat seiner diesbezüglichen Nachricht mit eigener Hand hinzugefügt, dass „Gunzelin durch göttliche Allmacht von den Ketten befreit worden sei“, was sich einerseits dahin deuten lässt, dass die überaus lange Haft keineswegs sehr ehrenvoll gestaltet worden war, andererseits scheint das Eingreifen Gottes mehr als anzudeuten, dass Heinrichs Verhalten als problematisch aufzufassen ist.

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3. Beratungen Heinrichs II. aus der „indiskreten“ Sicht Thietmars von Merseburg

Zahl der Anwesenden an, und auch gekaufte Leute klagten darüber, dass hier schwerlich noch große Ehre zu gewinnen sei. Geld siegte über guten Rat, und um Bolesław recht zu Gefallen zu sein, übernahmen sie den Mieszko vom ­Caesar und führten ihn zurück.“323 Auf Geiselstellung wurde also verzichtet. Aus Thietmars Schilderung wird die Problematik von Heinrichs Herrscherhandeln in mehrfacher Hinsicht deutlich. Der Erzbischof hatte dem König in aller Klarheit und ins Angesicht den Vorwurf gemacht, Mieszko gegen seinen früheren Rat zu lange festgehalten zu haben, und hatte ihm nun geraten, Geiseln zu nehmen, um die Folgen dieses Fehlers zu minimieren. Ein verständ­ licher und guter Rat. Dagegen hatten von Bolesław angeblich gekaufte Leute Heinrich II. überredet, ihn ohne solche Sicherheiten zurückzugeben. Selbst der Anhänger Heinrichs beschreibt hier also in aller Deutlichkeit Handlungsweisen des Herrschers und Zustände in seinem Beraterkreis, die allen Anlass zur Kritik boten, die zugleich aber zeigen, wie uneins der Beraterkreis Heinrichs hinsichtlich der Politik gegenüber Bolesław war. Es ist natürlich möglich, dass Thietmar diese offene Kontroverse im Nachhinein zugespitzt hat, dass er sie aber gänzlich erfunden haben könnte, ist eher wenig wahrscheinlich, weil er in der Beurteilung des Polen Bolesław Heinrich ansonsten immer unterstützte. Warum sollte er daher Kritik am Herrscher in der Beratung oder die Uneinigkeit der Ratgeber erfinden, wenn es sie gar nicht gegeben hatte? Angefügt sei eine dritte Geschichte, die wir dem Bericht Alperts von Metz über einen Konflikt im Münsterland verdanken, über den auch Thietmar ausführlich berichtet. Dort hatten zwei Adelsfamilien zunächst eine bewaffnete Auseinandersetzung gegeneinander geführt. Um diesen Konflikt beizulegen, hatten sich die Kontrahenten, ein Graf Balderich und ein Graf Wichmann aus dem sächsischen Herzogsgeschlecht der Billunger, zu einem gemeinsamen, friedenstiftenden Mahl und Gelage (convivium) getroffen – so war es üblich. Balderich und vor allem seine Gemahlin Adela hatten diese Gelegenheit aber dazu benutzt, den Grafen Wichmann beim Mahl zu vergiften und ihn danach von Knechten erschlagen zu lassen. Dessen Verwandte, unter ihnen auch der Bischof von Münster, übten sofort Vergeltung und belagerten unter anderem diesen Grafen Balderich.324 Wie es seine Aufgabe war, eilte Heinrich daraufhin zur Schlichtung des Konflikts an den Niederrhein. Wieder aber ergriff er nach Meinung vieler Zeitgenossen widerrechtlich Partei für den Grafen Balderich, Vgl. ebd., VII, 12, S. 364 f.: Cum tempus fuit et cum vestro honore id fieri potuit, me ista hortantem non exaudistis. Nunc a vobis est mens Bolislavi ob longam filii retentionem et custodiam aversa, et vereor, si hunc sine obsidibus aut aliis confirmationibus remittitis, ut in posterum fidelis servitii in ambobus careatis. Talia loquentem maxima presentium turba consequitur, et pars corrupta id cum honore magno fieri non posse ingeminat. Vicit pecunia consilium et, ut hoc Bolislavo carius esset, in fidem suam et cum omnibus, quae habebant, Miseconem, haec a cesare suscipiens, reduxit…. 324 Vgl. ebd., VII, 47/48, S. 404 ff. 323

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III. Ottonenzeit

der ein Lehnsmann Erzbischof Heriberts von Köln war. Dies zeigte sich vor allem daran, dass er dem Grafen Gelegenheit geben wollte, sich auf einem Hoftag in Nimwegen öffentlich zu verteidigen. Nach Meinung der Herzöge Gotfried von Lothringen und Bernhard von Sachsen war dies eine Ungeheuerlichkeit, die darauf hinauslief, dem Grafen die Möglichkeit zu bieten, sich aus der Affäre zu ziehen.325 Es kam daraufhin zum Eklat, indem die Herzöge von Sachsen und Niederlothringen gegen den König geltend machten, Balderich habe jeden Anspruch auf Rechtfertigung verwirkt.326 Als dieser dennoch weiterreden wollte, brach ein Tumult aus, der Balderich am Weiterreden hinderte und den Heinrich II. nur dadurch zu besänftigen vermochte, dass er sich von seinem Thron erhob und betonte, dass er sein Wort für die Sicherheit Balderichs gegeben habe. So gelang es, ihn wenigstens unversehrt vom Hoftag wegzubringen. Der königliche Versuch, den Konflikt zugunsten Balderichs zu beenden, war jedenfalls dramatisch gescheitert. Verwandte und Freunde des Getöteten hatten in den öffent­lichen Verhandlungen während des Hoftages ihren Standpunkt durchgesetzt und den Versuchen des Herrschers, eine ihm genehme Lösung zu protegieren, eine entschiedene Absage erteilt. Dass der sächsische Herzog Bernhard wenig später den ganzen sächsischen Stamm zum „Aufstand“ gegen Heinrich II. vereinte, dürfte nicht zuletzt mit dieser Erfahrung zusammenhängen. Dies sind nur drei Geschichten, in denen Heinrichs Ansichten von gerechter Königsherrschaft sich gravierend von den Ansichten unterschieden, die weite Teile des Adels und auch der Bischöfe hatten. Weitere ließen sich anfügen, die in eine gleiche Richtung weisen. Doch scheint für ein Urteil über den Herrscher und auch für unsere Fragestellung wichtiger zu betonen, dass solche ­Differenzen zwischen Königtum und Adel wie die geschilderten charakteristisch für das weitere 11. Jahrhundert und die Herrschaft der Salier wurden. Die aus solchen Differenzen entstandenen Konflikte verschärften sich sogar beträchtlich – und dies gilt für alle Nachfolger Heinrichs II. Auf einen Nenner gebracht, verlangte der Adel von den Königen seit dem 10.  Jahrhundert eine Sonderbehandlung, gerade was die Beilegung von Konflikten anging. Herrscherliche Milde und die gütliche Beilegung der Konflikte ohne Strafen wurden häufig praktiziert und waren so quasi zur adligen Forderung geworden. Dieser Forderung setzte Heinrich als Erster deutlichen Widerstand entgegen, Vgl. Alpert von Metz, De diversitate temporum, II, 17, S. 47 f.: Cumque ad hunc conventum multi adessent, imperator Baldricum, publice data fide, advenire iussit. In quem cum acerrime sententiae proferrentur, et ille summo conatu se inculpabilem per omnes justicias, quas imperator constitueret, demonstrare cuperet, dux Godefridus et Bernhardus omnem purgationem sui faciendum legibus interdixerunt. 326 Ebd., S. 48: propterea quod saepius inter illum (sc. Balderich) et Wichmannum fides et pax sacramento firmata, semper ille prius discidium fecerit, et ideo ejus satisfactionem ulterius non recipiendam esse, qui convictus tam manifestis indiciis perjurus existeret. 325

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3. Beratungen Heinrichs II. aus der „indiskreten“ Sicht Thietmars von Merseburg

seine salischen Nachfolger blieben auf dieser Linie und verstärkten die königliche Strenge und Härte, was zu vielen Auseinandersetzungen führte, die wir noch ausführlich behandeln werden. Dieser Dissens wird auch in den Berichten über Beratungen deutlich, in denen um diese Fragen gerungen wurde.

Heinrich II. in Beratungen mit Bischöfen Auch vom Umgang Heinrichs II. mit den Bischöfen gibt es sowohl Nachrichten über informell-vertrauliche wie über formale Beratungen, mit denen unsere Kenntnisse über die praktizierten Gewohnheiten und Regeln verbreitert werden. Einige von ihnen bietet wiederum Thietmar, der insbesondere ein waches Auge auf Heinrichs Aktivitäten bei der Besetzung der Bischofswürden im Erzbistum Magdeburg hatte. Exemplarisch seien die Beratungen bei den Einsetzungen der Bischöfe Tagino und Walthard von Magdeburg sowie Thietmars von Merseburg genutzt. Heinrichs gegen den anfänglichen Widerstand der Bischöfe erfolgreicher Versuch der Gründung des Bistums Bamberg bietet ein weiteres Exempel. In Magdeburg besaß man zwar ein von Kaiser Otto II. verliehenes Recht auf freie Bischofswahl, doch war es in der ottonisch-salischen Reichskirche üblich geworden, dass der König bei der Bischofseinsetzung das letzte Wort hatte. Dies war im Jahre 1004 beim Tode des Magdeburger Erzbischofs Giselher besonders wichtig, weil König Heinrich II. das Bistum Merseburg wieder einrichten wollte, das von Otto II. aufgelöst worden war. Hierzu brauchte er aber auf dem Magdeburger Stuhl einen Bischof, der bereit war, das von Merseburg an Magdeburg abgetretene Gebiet zurückzugeben, was alles andere als selbst­ verständlich war. In diesem Bewusstsein gingen denn auch der König wie das Magdeburger Domkapitel in die anstehenden Beratungen. Thietmar von ­Merseburg kommentierte die Vorgänge sehr genau, weil sie für die Geschichte Merseburgs von zentraler Bedeutung waren. Heinrich II. schickte nach dem Tode Erzbischof Giselhers sofort seinen Kaplan Wigbert nach Magdeburg, „damit er einen einstimmigen Beschluss der Brüder über die Wahl Taginos herbeiführe“.327 Diese Bevormundung war keine ungewöhnliche Praxis: Der König nannte den Namen desjenigen, den er sich als nächsten Erzbischof dachte. Die Kleriker wählten diesen dann. Doch der Propst des Domkapitels, Walthard, kam in diesem Falle der Initiative des ­Königs noch zuvor. Er hatte schon vor dem Eintreffen des königlichen Boten die Mitglieder des Domkapitels inständig gebeten, sofort jemanden zu wählen, um ihr bestehendes Wahlrecht demonstrativ zu wahren. Die hatten nicht ge­zögert und ihn selbst als ihren Wunschkandidaten bezeichnet. „Dies nahm 327

Thietmar, Chronicon, V, 40, S. 234 f. Zu den Einzelheiten s. CLAUDE, Geschichte des Erzbistums Magdeburg, 1, S. 214 ff.

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III. Ottonenzeit

er, wie es sich gehört, mit tiefer Demut zur Kenntnis und bat sie kniefällig um Vergebung.“328 Im Hintergrund dieses Verhaltens stand in Magdeburg das Wissen, dass Heinrich II. das Bistum Merseburg wieder einrichten wollte. Dazu benötigte er die Rückgabe der Teile des Merseburger Bistums, die bei der Auflösung an Magdeburg gelangt waren. Und hierzu benötigte er wiederum die Zustimmung des neuen Magdeburger Erzbischofs, die er von Walthard wohl nicht, von seinem Vertrauten Tagino aber mit einiger Gewissheit erwarten konnte. Diese Situation erklärt das Verhalten der beiden Parteien, auch wenn dies Thietmar nicht explizit anspricht. Als am nächsten Morgen der König Arnulf, den Bischof von Halberstadt, zum Domkapitel sandte, um die Wahl Taginos durchführen zu lassen, trat ihm Walthard als Wortführer entgegen und eröffnete ihm selbstbewusst die Position des Kapitels: „Wir kennen die Absicht eures Herrn. Wir wünschen, wenn irgend möglich, unser Wahlrecht wahrzunehmen. Alle hier Versammelten haben trotz meiner Unwürdigkeit verlangt, ich solle auf dem freiwerdenden Stuhl nachfolgen. Ihr könnt euch selbst davon überzeugen. Wir fürchten schwere Schädigungen für unsere Kirche und erbitten, um das zu verhindern, des Königs Gewogenheit und eure Fürsprache. Wohl kennen wir den Ausspruch des Weisen: ‚Die Freiheit des Volkes, das unter einem Könige steht, geht zugrunde vor der Freiheit des Herrschers; nur ihr Schatten bleibt übrig, will man all seinen Weisungen folgen.‘“329 Walthard brachte die ernsthaften Argumente des Kapitels in eine Situation ein, die der König schon entschieden glaubte: das Magdeburger Wahlrecht, die Einmütigkeit des Kapitels, die Furcht vor den Schädigungen, die der Magdeburger Kirche drohten. Nicht zuletzt aber bat er ziemlich selbstbewusst, trotz des Wissens, „dass nur ein Schatten bleibe von der Freiheit, wenn man allen Weisungen des Herrschers folge“, um die Fürsprache des Bischofs bei diesem Herrscher. Bischof Arnulf versuchte denn auch gar nicht weiter, den Willen des Herrschers durchzusetzen, sondern erstattete diesem Bericht. „Der ließ sogleich den Propst (Walthard) kommen, machte ihm viele Zusicherungen und erlangte seine Zustimmung und seiner Kapitelgenossen Einwilligung zur Wahl Taginos.“ Ebd., S. 236 f.: Hoc cum magna, ut decuit, humilitate idem suscipiens veniam prostratus peciit. 329 Ebd., V, 41, S. 236 f.: Scimus.. quid vester senior intendat. Volumus, si licet fieri, potestatem habere eligendi; et cunctis presentibus his, me quamvis indignum voluerunt in ­vacuum succedere, ut ipsi potestis probare. Detrimentum aecclesiae fieri nostrae multum veremur; quod ne eveniat, regiam pietatem ac vestram petimus intercessionem. Non sumus inmemores proverbii cuiusdam sapientis: Libertatem populi, quem regna cohercent, libertate dominantis perire tantumque eius umbram servari, si cunctis eiusdem velit obtemperare preceptis. Das folgende Zitat ebd. 328

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3. Beratungen Heinrichs II. aus der „indiskreten“ Sicht Thietmars von Merseburg

Obgleich der Herrscher das eigentlich gar nicht vorgesehen hatte, war es doch zu einer Verhandlungssituation gekommen, in die beide Seiten ihre Positionen einbrachten und diese Positionen auch veränderten, wenn auch nicht grundlegend. Heinrich setzte zwar seinen ursprünglichen Willen durch, machte jedoch Walthard viele Zusicherungen, die Thietmar nicht spezifiziert. Sie werden den Magdeburgern und Walthard ihre Zustimmung jedoch erleichtert haben. Die Vertraulichkeit der Vorgänge verhinderte es offensichtlich, dass Thietmar über Einzelheiten berichten konnte. Immerhin aber bezeugt dieses Beispiel, dass man dem König auch Zugeständnisse abhandeln konnte, auch wenn Thietmar nicht klärt, welche das waren. Es wird jedoch bei der nächsten Bischofswahl deutlich, um welche Zugeständnisse es sich wohl gehandelt hatte, da nun Walthard in Magdeburg zum Zuge kam. Die Vorgänge wiederholten sich nämlich in sehr ähnlichen Formen, als Erzbischof Tagino im Jahre 1012 verstarb. Wieder schickte Heinrich II. einen Boten zu den Magdeburgern, diesmal den Bischof Erich von Havelberg, der dem Domkapitel den Auftrag seines Herrn übermitteln sollte, keinen neuen Erzbischof zu wählen, sondern dem Herrscher nur einen einmütigen Vorschlag zur Wahl zu unterbreiten. Das war immerhin die Andeutung einer Bereitschaft des Herrschers, auf Magdeburger Vorschläge einzugehen, was mit den Zusicherungen Heinrichs an Walthard bei der Wahl Taginos zusammenhängen könnte. Nach Thietmar, der in Magdeburg anwesend und sehr aktiv war, hatte der Havelberger Bischof jedoch nur mit Propst Walthard gesprochen und sich dann sofort und für eine auffällig lange Zeit schlafen gelegt. Thietmar stieß hinzu, als das Kapitel zur Beratung über die neue Sachlage versammelt war. Er hörte von Walthard, dass sich alle für ihn als Nachfolger Taginos entschieden hatten. Daraufhin hat Thietmar nach eigener Aussage die Sache selbst vorangetrieben: „‚Ich gehöre zu denen (so soll er vor der Versammlung das Wort ergriffen haben), die an dieser Wahl und Weihe teilnehmen müssen. Ich empfehle euch Folgendes und will dafür eintreten, so gut ich kann. Mein Herr mag gebieten, was er will. Ihr aber hütet euch vor dem Verlust von Rechten, die ihr von Gott und von seinen Vorgängern erhalten habt. Als Erster will ich dich, mein Bruder, zu meinem Erzbischof wählen … Und dann möchte ich die Ansicht aller Anwesenden einzeln kennenlernen.‘ Daraufhin gaben sie mir den einmütigen Bescheid: ‚Walthard erwählen wir zu unserem Herrn und Erzbischof!‘“ Wieder wurde also ein Versuch gemacht, Magdeburger Interessen zu wahren, indem man auf sein Wahlrecht stärker pochte, als es dem König wohl genehm war. Man versuchte durch die Wahl Tatsachen zu schaffen, an denen Heinrich nicht vorbeigehen konnte. Auffällig ist die freimütige Bemerkung Thietmars vor dem Domkapitel: „Mein Herr mag gebieten, was er will“, die zeigt, dass man sich Rechte nicht einfach durch Gebote des Herrschers nehmen ließ. 127

III. Ottonenzeit

Thietmars Bericht bietet aber auch eine Möglichkeit, zu verstehen, warum er selbst sich mit so starken Worten für Walthards Wahl engagierte. Als das Kapitel nämlich Walthard einmütig gewählt hatte, warf dieser sich demütig zu Boden „und gelobte seinerseits Wohlwollen“ gegenüber seinen Wählern. Da, führt Thietmar aus, „beugte ich mich und bat ihn, er möge mir für den Fall, dass er diese Würde erlange, im Namen des Herrn und aus echter Bruderliebe die Zurückerstattung des rechtmäßigen Sprengels meiner schwer geschädigten Kirche und anderer entfremdeter Besitzungen eidlich zusichern. Das sagte er mir auch in Gegenwart aller mit Bestimmtheit zu.“330 Das Verhalten der ­Protagonisten in diesen Beratungen scheint also jeweils von strategischen Überlegungen geprägt zu sein, die die eigenen Vorteile nicht außer Acht ließen. Thietmar vertraute offensichtlich darauf, dass er von dem Magdeburger Erzbischof Walthard verlässlicher eine Rückgabe der Merseburger Besitzungen erwarten könne als von einem anderen Kandidaten. Allerdings hat ihn diese Gewissheit getäuscht. Die Magdeburger sandten dann einen der Ihren zum König, der Heinrich bitten sollte, „eingedenk des Herrn und seiner früheren Versprechungen dem seines Vaters beraubten, tief trauernden Hause des heiligen Mauritius Trost zu gewähren“.331 Dieser „erreichte das Erbetene jedoch nur zögernd“. Vielmehr ließ der König Walthard zu sich in die Pfalz Grone rufen und mit ihm Thietmar. Heinrich empfing sie zwar gnädig, aber nur kurz. Erst am nächsten Tag wurden sie zur Kemenate des Königs bestellt, aber nur Walthard erhielt Zutritt. Mehrere Stunden verhandelte der König mit Walthard offensichtlich unter vier Augen und Thietmar wartete vor der Tür. Als Walthard schließlich herauskam, zeigte er ihm einen Ring an seiner Hand und erklärte: „Hier seht ihr das Zeichen zukünftiger Huld.“ Direkt danach wurde Walthard von anwesenden Magdeburgern zum Erzbischof erwählt und vom König investiert. Thietmars Erzählungen erlauben seltene Einblicke in Beratungs- und Entscheidungssituationen anlässlich einer Bischofserhebung. Manches kann man für anekdotisch verformt halten. Gegen die Fiktionalität seiner Erzählungen spricht jedoch seine durchgehende Darstellungsabsicht, Erfahrungswissen aus den Auseinandersetzungen um die neugegründeten sächsischen Bistümer an seine Nachfolger weiterzugeben, weil dieses Wissen künftiges Unheil verhindern könne. Diese Überlegung rückt die Argumentationen und Beweisführungen Thietmars wieder näher an die Realitäten der Beratungssituationen sächsischer Bischofseinsetzungen heran, die der König dominierte, die Domkapitel und Vertraute des Herrschers aber auch beeinflussen konnten. Hiervon spricht Thietmar auch in aller Deutlichkeit im Falle der Vorgänge anlässlich seiner eigenen Erhebung. Erzbischof Tagino verhandelte nach 330 331

Vgl. ebd., VI, 62, S. 310 ff. Ebd., VI, 63, S. 312 f.; die folgenden Zitate ebd., VI, 66, S. 314 f.

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3. Beratungen Heinrichs II. aus der „indiskreten“ Sicht Thietmars von Merseburg

Thietmar bereits zu Lebzeiten des Bischofs Wigbert von Merseburg mit Heinrich II. über dessen Nachfolge, da der Tod des Bischofs offensichtlich absehbar war.332 Taginos Fürsprache bei Heinrich II. für Thietmar war kurz und erfolgreich: „In meinem Stift lebt Bruder Thietmar; ihr kennt ihn wohl. Seine Pflicht nimmt er klug war; mit Gottes Willen halte ich ihn für geeignet.“ Der König erwiderte ebenso knapp: „Nähme er doch an. Er fände in mir bestimmt einen zuverlässigen Förderer all seiner Anliegen.“ Man hat bei diesem Dialog den Eindruck, als hätten die beiden hier nicht zum ersten Mal über Thietmar gesprochen, sondern ein bestehendes Einvernehmen über seine Person nur bestätigt. Als Nächstes wurde Thietmars Vetter Dietrich zu ihm geschickt, um seine Einwilligung sicherzustellen. Thietmar gibt seine eigene Antwort ebenfalls in wörtlicher Rede wieder. Sie verrät, dass er alle Aspekte der Angelegenheit bedachte: „Der allmächtige Gott möge unserem frommen Herrn und Vater ­vergelten, dass er in Gnaden meiner gedacht hat. Ich halte mich jedoch für unwürdig hierzu und darf es daher gar nicht wagen, zuzustimmen. Gott hat die Macht, den noch lebenden Bischof der Hand des Todes zu entreißen. Lehne ich aber völlig ab, so fürchte ich den Verlust der gewohnten Huld meines Herrn. Außer ihm habe ich jedoch keinen Förderer, von dem ich dies und noch mehr erlangen könnte. Wenn ich am Leben bleibe, will ich deshalb nach dem Tode des Bischofs gerne in alles willigen, was Gott und der von ihm ­eingesetzten Obrigkeit gefällt.“ Thietmar war offensichtlich bewusst, was bei der Antwort zu bedenken war: Seine eigene Unwürdigkeit zu betonen, war unabdingbar, um zu zeigen, dass er von Ehrgeiz frei sei. Zu Lebzeiten eines Bischofs über dessen Nachfolge zu reden, war dennoch Sünde. Durch eine vollständige Ablehnung konnte andererseits die Huld Heinrichs verscherzt werden, was Thietmar keinesfalls riskieren wollte. Also versprach er, nach dem Tode des Bischofs dem Willen Gottes und der Obrigkeit gehorchen zu wollen. Als dieser Tod eingetreten war, kam die Sache jedoch in eine Krise, wie Thietmar betont: „Auf Veranlassung gewisser Leute richtete er (Heinrich) ­seinen Blick bereits von mir auf Bessere. Wollte er doch dem verdienstvollen Adalger die Würde zuwenden.“ Es gab also außer Tagino noch andere (ungenannte) Kräfte, die ihren Einfluss auf die königliche Entscheidung zur Geltung zu bringen versuchten. Thietmar hält in der Darstellung seine Demut durch und bezeichnet den neuen Kandidaten Adalger als verdienstvoll und den „Besseren“. Durch die Konkurrenz gab sich sein Förderer Tagino aber ­keineswegs geschlagen: „Als das des Königs Freund Tagino erkannte, widersetzte er sich energisch, und auf sein unermüdliches Bitten durfte er mich im Einverständnis mit dem 332

Vgl. zum Folgenden ebd., VI, 38–40, S. 240 ff.

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III. Ottonenzeit

König durch Propst Geso vorladen.“ Wir dürfen diesen Details entnehmen, dass ein freundschaftliches Verhältnis zum König in die Lage versetzte, sich mit Nachdruck und erfolgreich für die eigenen Interessen einzusetzen, was Tagino hier tat. Die Sache war damit aber alles andere als entschieden. Vielmehr war es nun Tagino, der Thietmar spezifische „Wünsche“ des Königs mitteilte, deren Erfüllung wohl Voraussetzung für seine Erhebung sein sollte: „Er fragte mich auf Weisung des Königs, ob ich meiner (zukünftigen) Kirche mit Teilen meines Erbguts helfen wolle.“ Hierzu muss man zunächst einmal wissen, dass Thietmar durch den Tod seiner älteren Brüder über ein sehr großes Erbe verfügte.333 Wichtiger aber noch ist, dass der König sich mit seiner Frage dem Vorwurf der Simonie aussetzte, wollte er doch die Investitur in ein geistliches Amt von einer materiellen Gegenleistung abhängig machen. Thietmar scheint das sehr genau gewusst zu haben, auch wenn er es nicht ­direkt thematisiert. Er gab nach seiner Darstellung Tagino eine ebenso mehrdeutige wie diplomatische Antwort, die ihn nicht wirklich festlegte: „Darauf kann und will ich jetzt noch nichts Endgültiges antworten. Wenn sich durch Gottes Willen und des Königs Gabe euer mir stets liebevoll gewogener Plan verwirklicht, dann werde ich in Demut alles erfüllen, was ich in diesem Falle oder anderweitig zum Heile für meine Seele und in der Verpflichtung für das mir anvertraute Amt tun kann.“ Thietmar löste durch seine Antwort jeden Zusammenhang zwischen der Amtseinsetzung und seinen eventuellen Schenkungen an Merseburg auf. Vielmehr erklärte er sie zu Leistungen für sein Seelenheil und zur Erfüllung der Verpflichtungen seines Amtes, wenn er dieses Amt innehaben sollte. Damit aber war Tagino zufrieden und er brachte ihn zum König, der ihm gleich nach der Wahl der Anwesenden mit einem Stab die Hirtenwürde über Merseburg anvertraute. Insgesamt sehen wir auch an der Bischofserhebung Thietmars wie an den anderen geschilderten Fällen, wie intensiv die Entscheidungen in informellen Kontakten vorbereitet wurden; wie direkt die vertraulich vorgebrachten Forderungen des Königs waren; wie geschickt sich die Kleriker aber auch in den Entscheidungssituationen zu verhalten wussten. Dass andererseits auch Heinrich II. in der Zusammenarbeit mit den Bischöfen im Geheimen wie öffentlich geschickt zu agieren verstand, lässt sich an ­seinem Verhalten auf der Synode von Frankfurt erkennen, die im Jahre 1007 über die Gründung des Bistums Bamberg beriet. Die Verhandlungen auf dieser Synode sind durch mehrere zeitgenössische Zeugnisse gut zu rekonstruieren.334 Im Kern ging es um das Problem, dass für die Gründung von Bamberg ein Teil des Würzburger Bistumsgebiets benötigt wurde. Dies verweigerte der Würzburger Bischof, der gar nicht zur Synode gekommen war, sondern sich durch 333 334

Vgl. LIPPELT, Thietmar von Merseburg, S. 46 ff. Vgl. dazu Regesta Imperii II, 4, Nrn. 1645a–1646, S. 937 f.

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3. Beratungen Heinrichs II. aus der „indiskreten“ Sicht Thietmars von Merseburg

einen seiner Kapläne vertreten ließ. Ohne die Zustimmung des Ortsbischofs aber ließ sich die Einrichtung einer neuen Diözese eigentlich nicht realisieren. Heinrich argumentierte denn auch auf verschiedenen Ebenen: Da er keine Erben habe, wolle er mit der Gründung Christus zu seinem Erben einsetzen; der Bischof von Würzburg habe ihm seine Zustimmung schon früher durch die Überreichung seines Bischofsstabes gegeben. Das hatte der aber nur getan, weil Heinrich ihm die Erzbischofswürde für Würzburg versprochen hatte, dem das neue Bistum Bamberg unterstellt werden sollte. Das wiederum widersprach Mainzer Interessen und ließ sich nicht realisieren. Bereits zu Beginn der Synode aber hatte sich König Heinrich vor den versammelten Bischöfen auf den Boden geworfen, um sie mit dieser Bittgeste gnädig zu stimmen. Diesen Bittgestus wiederholte er im Verlaufe der Synode noch mehrfach, und zwar immer dann, wenn die Bischöfe nach vertraulichen Beratungen zurück in den Versammlungsraum kamen und er an ihren ernsten Mienen zu sehen glaubte, dass sie seinen Wunsch ablehnen würden. Da man einem kniefällig bittenden König seinen Wunsch nie abzuschlagen wagte, erreichte es Heinrich auf diese Weise schließlich, dass Erzbischof Willigis der Versammlung formell die Frage stellte, ob die Gründung des Bistums recht­ mäßig vorgenommen werden könne. Dies konnte der Mainzer Erzbischof aber nur tun, wenn er sicher war, dass sich die Bischöfe zu einer einmütigen Entscheidung durchgerungen hatten. Wie es zu diesem Umschlag der bischöflichen Ansicht gekommen war, erfahren wir nicht. Es war jedoch Erzbischof Tagino von Magdeburg, der auf die Frage des Mainzers als Erster erklärte, das Vorhaben der Gründung des Bistums Bamberg sei vollkommen legal. Der „Freund des Königs“ hatte also die widerstrebenden Bischöfe zur Einsicht gebracht, dem königlichen Wunsch zustimmen zu müssen, und er übernahm jetzt die Verantwortung der ersten Stellungnahme. Dieser stimmten wiederum alle übrigen zu, wie es in Beratungen geistlicher wie weltlicher Verbände üblich war.335 Man muss sich aber auch hier wieder vergegenwärtigen, dass eine solche Frage nur gestellt werden konnte, wenn man sich zuvor der Zustimmung aller anderen versichert hatte. Die Bereitschaft hierzu hatte sich bei den Bischöfen offensichtlich unter dem Eindruck der andauernden königlichen Fußfälle ausgebildet. In einem Brief des Halberstädter Bischofs Arnulf an den abwesenden Würzburger Bischof Heinrich ist diese Sinnesänderung mit einiger Eindringlichkeit beschrieben: „Du selber würdest, wie ich dich kenne, wärest du zugegen gewesen, Mitleid mit ihm gehabt haben.“336 Es dürften aber auch noch andere Aktivitäten hinzugekommen sein, die einen Ausweg aus der fast hoffnungslosen Lage ermöglichten. Über die werden wir jedoch nicht informiert. 335 336

S. dazu die Hinweise in der Zusammenfassung unten bei Anm. 907. Vgl. dazu Monumenta Bambergensia, S. 478.

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III. Ottonenzeit

Sucht man nach Ursachen dafür, dass aus der Regierungszeit Heinrichs II. außergewöhnlich viele und detaillierte Nachrichten über Beratungen und Verhandlungen in den unterschiedlichsten Kontexten überliefert sind, wird man zwei in den Vordergrund rücken. Einmal sorgte die Darstellungsabsicht wie die Informiertheit Thietmars dafür, dass eine Fülle von heiklen Themen von ihm offener angesprochen wurde, als es allgemein üblich war. Viele der diskutierten Erzählungen, die uns Details über Verhandlungen und Beratungen bieten, gehören ja entweder in den thematischen Zusammenhang der Konsequenzen, die die Auflösung bzw. Wiedereinrichtung des Bistums Merseburg hatte, oder in den Zusammenhang der Konflikte, die sich aus den Folgen der Wahl Heinrichs  II. ergaben. Daneben wird man auch nicht übersehen, dass eine ­größere Anzahl von Beratungen, deren Details überliefert werden, mit der Tatsache befasst war, dass neuartige Verhaltensweisen des Herrschers, wie Strenge und Härte, auf Widerspruch stießen. Diese zweite Ursache für ein gesteigertes Interesse der Autoren an den Beratungen verstärkt sich in der Salierzeit erheblich, in der die traditionellen Gattungen der Geschichtsschreibung immer intensiver zur dokumentierenden und beweiskräftigen Niederschrift aktueller Probleme und Positionen genutzt wurden.337 Durch diese neue Funktion der Geschichtsschreibung widmet sie sich den Beratungen und Verhandlungen auch in neuer Intensität.

4. Einzelbeispiele für Beratungen in der Ottonenzeit Obgleich die Überlieferungslage im 10.  Jahrhundert, abgesehen vom Werk Thietmars von Merseburg, insgesamt für die Erforschung der Beratung eher ungünstig ist, erlaubt sie an einigen Stellen sozusagen Momentaufnahmen, die beweisen, dass Entscheidungen durch mündlich-persönliche Intervention hochrangiger Ratgeber massiv beeinflusst wurden und dass dabei wesentliche Weichen im vertraulichen Bereich der Kommunikation gestellt wurden. Dieser Befund sei exemplarisch an einigen einschlägigen Fällen verdeutlicht, die konkret belegen, welche Personen die Möglichkeit besaßen, auf wirksame Weise in Entscheidungsprozesse einzugreifen. Diese Hinweise sollen die schon angesprochenen Beobachtungen ergänzen, dass die Rituale der Königserhebung im 10. und 11. Jahrhundert nicht ohne detaillierte Vereinbarungen denkbar sind, die von geistlichen und weltlichen Großen im Vorfeld der Erhebung getroffen 337

Vgl. dazu grundlegend SUCHAN, Königsherrschaft im Streit, bes. S. 202 ff., der trotz mancher Kritik an ihrem Ansatz das Verdienst zukommt, diese Problematik als Erste systematisch angegangen zu haben. Vgl. hierzu nun allgemein die Beiträge in ALTHOFF (Hg.), Heinrich IV., die einen neuen Überblick über die Vorwürfe ermöglichen, die in zeitgenössischen Quellen gegen diesen König erhoben wurden.

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4. Einzelbeispiele für Beratungen in der Ottonenzeit

worden sein müssen.338 Während aber nur unterstellt werden kann, dass der Salbungs- und Krönungsverzicht Heinrichs I., die Antworten Heinrichs II. auf die Fragen des sächsischen Herzogs, die Fürsorge Konrads II. für die um Gerechtigkeit bittende Witwe, die Waise und einen ins Elend Gefallenen, aber auch die Annahme der Krönungsinsignien durch Otto I. vorherige Beratungen und Absprachen der Großen mit den Kandidaten voraussetzen,339 ist in anderen Fällen konkret erwähnt, dass auf die Könige mittels „Ratschlägen“ eingewirkt wurde, die eine positive Aufnahme fanden. Mehrfach wurde etwa durch Interventionen besonderer Vertrauter ein bereits beschlossenes Vorgehen radikal verändert bzw. abgebrochen. So erreichte es der Erzbischof Willigis von Mainz bei König Heinrich  II. durch sein bittendes Eingreifen, dass ein in einer Fehde in Gefangenschaft geratener Ernst, der vor den König geführt und von Richtern aus unbekanntem Grund zum Tode verurteilt worden war, gegen eine dem König akzeptable Geldsumme freigekauft werden konnte.340 Man dürfte nicht fehl in der Annahme gehen, dass die bittende Intervention eines Erzbischofs um die könig­ liche Milde angesichts der festen Verankerung der clementia in der Herrscher­ ethik einen Rat darstellte, der kaum übergangen werden konnte. Ähnlich dürfte auch die Situation gewesen sein, von der gleichfalls Thietmar von Merseburg erzählt: Otto der Große hätte auch die Hinrichtung von Thietmars Großvater gerne gesehen, der sich 941 an der Seite von Ottos Bruder Heinrich gegen ihn verschworen hatte. Mehrere der Beteiligten an dieser Verschwörung hat der König in der Tat töten lassen. Doch im Falle des Großvaters Liuthar schafften es nicht namentlich genannte „vertraute Fürsten“ mit ihrer Intervention, „ihn zum Grafen Berthold nach Bayern in Haft zu schicken; all sein Vermögen wurde eingezogen und gründlich aufgeteilt; erst nach einem vollen Jahr gewann er die Huld des Königs und seinen gesamten Besitz zurück, dazu eine große Geldsumme und zwei Höfe.“341 Man kann noch anfügen, dass die Haft nicht zu beschwerlich gewesen sein dürfte, denn kurze Zeit später hat Liuthar die Tochter dessen geheiratet, bei dem er in Haft gewesen war. Auch im Falle des Anführers dieser Verschwörung, seines Bruders Heinrich, schaffte es Otto nicht, wie geplant einen Rat der Weisen entscheiden zu lassen, S. dazu oben bei Anm. 255 ff. Vgl. dazu bereits ALTHOFF, Wer verantwortete die „artistische“ Zeichensetzung in Investitur- und Krönungsritualen des hohen Mittelalters, S. 96 ff. mit weiteren Hinweisen. 340 Vgl. dazu Thietmar, Chronicon, V, 34, S.  230  f.: Presentatoque regi captivo capitalis ­sententia a iudicibus decernitur, quae Magontinae archipresulis Willigisi intercessione supplici et, quae regi placuit, redemptione amovetur. 341 Ebd., II, 21, S. 56 f.: Avum autem meum nomine Liutharium, eiusdem consilii participem, libenter perdere voluit; sed sibi familiarium devictus consilio principum, captum hunc misit tunc Bawariam ad comitem Bertoldum, comprehensis sibi omnibus suimet rebus ac late distributis, usque in annum integrum; tuncque gratiam regis et sua omnia cum magna pecunia et predio in Sonterslevo et in Vodenesvege iacenti acquisivit. 338 339

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III. Ottonenzeit

was er mit ihm tun solle, nachdem er ihn in Ingelheim hatte inhaftieren lassen.342 Dieser entkam nämlich aus der Haft und warf sich ihm am Weihnachtsfest in der Kirche zu Füßen, wobei sowohl Bischöfe als auch vor allem seine Mutter Mathilde als diejenigen genannt werden, die ein besonderes Verdienst an der Versöhnung der Brüder hatten. Hieraus mag man gleichfalls die Einschätzung ableiten, dass sich Heinrich seinem Bruder nicht ohne jede Vorbereitung am weihnachtlichen Friedensfest zu Füßen warf. Der Inszenierungscharakter des Geschehens lässt sich für diesen Fall zwar nicht beweisen, wird aber durch vergleichbare Fälle nahegelegt. Auch Heinrich wurde jedenfalls bald in eine angemessene Herrschaftsposition eingewiesen, das Herzogtum Bayern, und so endgültig wieder in den Herrschaftsverband integriert. Wir sehen in allen Beispielen, dass gerade hochrangige Gegner der Könige durch Interven­ tionen Vertrauter des Herrschers vor gravierenden Folgen ihres Widerstandes geschützt waren, weil sie über die Fürsprecher verfügten, denen die Herrscher Bitten nicht abschlagen konnten. Mit einem aus St. Gallen überlieferten Fall lässt sich belegen, dass Interventionen von Vertrauten zugetraut wurde, selbst laufende Verfahren im Königs­ gericht torpedieren zu können. Die St. Galler Mönche hatten sich nämlich bei Kaiser Otto  III. brieflich über ihren Abt beschwert. Der Kaiser hatte nach durchaus kontroverser Beratung unter seinen Fürsten sich für den Rat der ­sanior pars entschieden, beide Parteien vor das Königsgericht zu laden. Nach weiteren Kontroversen über Einzelheiten des Verfahrens hatten die Mönche in der Tat ihre gravamina gegen ihren anwesenden Abt vortragen können. Angeblich schwand dem der Glaube an den guten Ausgang seiner Sache, nachdem er die Anklagen seiner Mönche gehört hatte. Deshalb bestach er durch Geschenke und Versprechungen einen Grafen namens Muozo, der zu dieser Zeit primus in aula Ottos III. war, worauf dieser für den Abt beim Kaiser intervenierte. Er erreichte es, dass Otto am nächsten Tag den Prozess nicht weiterführte, sondern den beiden Konfliktparteien nur ein consilium gab, es noch einmal in Frieden miteinander zu versuchen. Erst bei der nächsten Beschwerde würde er tätig werden und den Abt absetzen. Gegen diese Entscheidung erhob sich kein grundsätzlicher Widerspruch, auch wenn die St.  Galler Mönche auf dem Heimweg angeblich Spottverse über die Bestechlichkeit des Kaisers sangen.343 Voll von Interventionen aller Art und anderen Versuchen, sich in der Beratung mit allen Mitteln durchzusetzen, sind auch die Berichte über den sog. Gandersheimer Streit, den die Bischöfe von Hildesheim mit den Erzbischöfen von Mainz um die Diözesanhoheit über das ottonische Frauenstift GandersVgl. Liutprand von Cremona, Antapodosis, IV, 35, S. 444 f.; vgl. dazu bereits DÜMMLER – KÖPKE, Otto der Große, S.  116–121 mit allen Quellenbelegen zu dieser Geschichte. 343 Vgl. dazu Casuum Sancti Galli Continuatio II, S. 148–163, S. 152 ff. 342

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4. Einzelbeispiele für Beratungen in der Ottonenzeit

heim austrugen, in dem Mitglieder der Herrscherfamilie Nonnen und Äbtissinnen waren.344 Berichtet wird sowohl von vertraulichen Treffen der Parteien mit den Herrschern als auch von synodalen Verhandlungen und Kontroversen, in denen man verbal wie nonverbal versuchte, die eigenen Positionen durchzusetzen. Der Streit entzündete sich an Sophia, der Tochter Ottos II., die sich für ihre Einkleidung als Nonne in Gandersheim Erzbischof Willigis und nicht den bis dahin zuständigen Diözesanbischof Osdag von Hildesheim aussuchte. Der Mainzer Erzbischof ließ sich auf dieses nach kanonischem Recht bedenkliche Angebot ein und befahl seinem Hildesheimer Suffraganbischof, an der Einkleidung Sophias in Gandersheim teilzunehmen. Dies führte zu offen ausgetragenem Streit im Beisein des minderjährigen Königs und seiner Mutter Theophanu, der sich schrittweise entwickelte: „In einem günstigen Augenblick fragte Osdag den Erzbischof vertraulich (secretius), mit welcher Berechtigung er das tue. Darauf gab ihm der Erzbischof mit drohendem Blick gereizt zur Antwort, Gandersheim gehöre zu seinem Sprengel. Zugleich bekräftigte er, dass er am festgesetzten Tag die Mägde Gottes einkleiden und die volle bischöfliche Gewalt an diesem Ort an sich nehmen werde. Als man nun an diesem Tag zusammenkam, widersetzte sich der Bischof Osdag mit ganzer Kraft in Gegenwart König Ottos III. und seiner königlichen Mutter Theophanu sowie der Bischöfe Rethar von Paderborn, Milo von Minden, Hildebold von Worms und anderer Fürsten, die zur feierlichen Einkleidung der Jungfrauen erschienen waren.“ Damit war eine Situation entstanden, wie man sie gewöhnlich mit allen Mitteln durch Vorabklärungen zu vermeiden suchte. Dies hatte der Halberstädter Bischof durch seine vertrauliche Frage an seinen Mainzer Amtsbruder auch ohne Erfolg versucht. Die ungeklärte Frage der bischöflichen Befugnisse drohte dann einen Eklat hervorzurufen, in den die Königsfamilie notwendig hineingezogen werden musste, da keiner der beiden Anstalten machte, zurückzutreten. Es ist höchst aufschlussreich, wie man diese gefährliche Situation dennoch durch einen Kompromiss entschärfte: „Da sich ein langer Streit erhob, ließ der Herr Osdag, offen und einfach, wie er war, auf göttliche Eingebung seinen Bischofsstuhl neben dem Altar aufstellen, um auf diese Weise den Ort und sein Herrschaftsrecht zu verteidigen. Fast alle waren ihm wohlgesinnt, da ihnen die anmaßende Art des Erzbischofs missfiel, auch wenn sie es aus Furcht vor ihm nicht offen zeigten. So sah sich der Erzbischof von der Gunst der Mehrheit im Stich gelassen. Er, der zuvor alles für sich beansprucht hatte, konnte nur mit Mühe, und indem er selber in schier unglaublicher Weise darum bat, erreichen, dass Theophanu und die ­Bischöfe für ihn eintraten und dass er an diesem Tage an dem Hauptaltar die Messe feiern durfte. Die Einkleidung Sophias aber sollten beide Bischöfe 344

Zum Streit s. zuletzt GÖRICH, Der Gandersheimer Streit; ALTHOFF, Otto III., S. 160 ff.

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III. Ottonenzeit

z­ugleich vornehmen, während die Einkleidung der übrigen (Nonnen) von Herrn Osdag allein besorgt werden sollte.“345 Die gewiss stark tendenziöse Hildesheimer Darstellung lässt einige Ergebnisse der in dieser kontroversen Situation vorgenommenen Beratungen und Entscheidungen deutlich werden: Es waren Theophanu und die Bischöfe, die den Kompromiss durchsetzten. Erzbischof Willigis musste dabei anscheinend das stärkste Mittel einsetzen, das hochrangige Personen hatten: die selbsterniedrigende Bitte.346 Man darf sich vorstellen, dass er sich bittend der Kaiserin oder dem jungen König zu Füßen geworfen hat, um zu retten, was zu retten war. Das heißt aber zugleich, dass dieser Vorteil der Ranghohen als äußerst wirkmächtig einzuschätzen ist. Wenn sie das Mittel einsetzten, war ihnen der Erfolg einigermaßen sicher, auch wenn die Gegner wie die neutralen Beobachter sich noch so sehr empörten. Es scheint aber auch, dass man mit solchen Mitteln nur Teilerfolge erringen konnte, denn der Streit war damit alles andere als beendet. Bischof Bernward von Hildesheim setzte in der Folgezeit auf den jungen Kaiser, den Papst und auf römische Synoden, die seine Ansprüche dann auch immer wieder bestätigten. Erzbischof Willigis versuchte mit Regionalsynoden unter seinem Vorsitz dagegenzuhalten, die allerdings wegen der Abwesenheit Bischof Bernwards nicht entscheidungsfähig waren, was der ihn vertretende Bischof Ekkehard von Schleswig auch deutlich zum Ausdruck brachte. Die Situation eskalierte erneut, als der junge Papstlegat Friedrich, ein Sachse, ins Reich kam – „im Schmucke päpstlicher Gewänder, nicht anders, als ob der Papst selber käme“ – und den Vorsitz auf einer Synode in Pöhlde beanspruchte, die das Gandersheimer Problem lösen sollte. Der ausführliche ­Bericht der Vita Bernwards gibt tiefe Einblicke, wie es bei der Beratung einer synodalen Versammlung zugehen konnte, bei der alles strittig war. Weder war der Vorsitz geregelt noch Konsens über das zu lösende Problem abzusehen oder gar hergestellt. Mit ihrem Dissens hielten die Parteien vielmehr nicht hinter dem Berg: „Den Legaten empfing man mit unterschiedlicher Gesinnung. Der Erzbischof und seine Partei zeigten ihm ihre Geringschätzung in unglaublicher Weise durch Äußerungen des Unwillens und Verwünschungen. Bischof Bernward dagegen, Erzbischof Liawizo von Hamburg-Bremen und noch viele andere behandelten ihn mit Hochachtung und erwiesen ihm besondere Ehre. Als man sich nun versammelt hatte, kam es zu schier unbeschreiblichem Streit und Tumult. Denn dem Stellvertreter des Papstes gestand man nicht einmal einen angemessenen Sitzplatz zu.“347 Thangmar, Vita Bernwardi, cap. 13, S. 296 f. Vergleichbare Fälle analysiert GARNIER, Die Kultur der Bitte, S. 65–88. 347 Thangmar, Vita Bernwardi, cap. 28, S. 324 f. 345

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4. Einzelbeispiele für Beratungen in der Ottonenzeit

Was sich hier in unakzeptablem Benehmen und tumultartigen Zuständen äußert, ist der Streit um den Vorsitz, den der Stellvertreter des Papstes beanspruchen konnte, den Erzbischof Willigis ihm aber nicht einräumen wollte. Deshalb zeigte dessen Partei dem Legaten ihren Unwillen demonstrativ und verweigerte ihm vor allem den Platz des Vorsitzenden. In der Sitzordnung hat man dann einen Kompromiss gefunden, denn der Legat wurde zwischen Liawizo von Hamburg-Bremen und Bernward von Hildesheim platziert. Wo Erzbischof Willigis von Mainz saß, wird leider nicht gesagt. Jedenfalls konnte die Sitzung der Synode beginnen und nahm auch zunächst einen durchaus geordneten Verlauf: „Der Stellvertreter des Papstes … verkündete, dass er ein Schreiben des Papstes und eine Botschaft an die Bischöfe bei sich habe, und bat, sich seines Auftrags entledigen zu dürfen. Als endlich Stille eingetreten war, mahnte der Legat die Bischöfe mit sanften Worten zu Friede, Liebe und Eintracht. Dann zog er das Schreiben des Papstes an den Erzbischof hervor und bat, es öffentlich vor aller Ohren zu verlesen. Der Erzbischof wies mit Entrüstung von sich, das Schreiben entgegenzunehmen oder auch nur anzuschauen. Daraufhin wurde es auf Beschluss der Bischöfe öffentlich verlesen. In dem Schreiben wurde der Erzbischof offen getadelt und zu brüderlicher Eintracht und zum Gehorsam ermahnt. Der Legat …. forderte ihn kraft seiner apostolischen Vollmacht in sanftem Tone auf, in allen ihm zur Last gelegten Punkten gemäß dem Urteil der Brüder gehorsam Genugtuung zu leisten. Hierüber fragte der Erz­ bischof seine Mitbrüder und namentlich den Erzbischof Liawizo um Rat. ­Liawizo gab ihm zur Antwort, da der verletzte Mitbruder (also Bernward) die Hilfe unseres höchsten Herrn, des Papstes und des Kaisers, in Anspruch genommen habe, so scheine es ihm gut, wenn er vor ihrem Stellvertreter gemäß dem Urteil der Bischöfe Genugtuung leistete.“348 Auch Willigis scheint also zunächst die vom Legaten begonnene Untersuchung seines Verhaltens akzeptiert zu haben, wie seine Frage an die Mitbrüder und Erzbischof Liawizo, was er angesichts der Forderung des Legaten tun solle, deutlich macht. Wahrscheinlich hat er von ihnen eine Antwort erwartet, die seine Position stützte. Ob ihm die Antwort Liawizos gefiel oder nicht, klärt der Autor jedoch nicht mehr, denn in diesem Moment drangen nach seiner Darstellung Laien in den Raum und die Mainzer riefen nach Waffen. Viel spricht also dafür, dass es Liawizos Antwort war, die Erzbischof Willigis veranlasste, die Sitzung zu sprengen. Schließlich hatte der ihm ja geraten, in der Sache klein beizugeben und durch Genugtuungsleistung sein bisheriges Verhalten zu sühnen. Alles drohte im Tumult unterzugehen, so dass die Bischöfe den Rat gaben, sich auf den nächsten Tag zu vertagen. Sie verbürgten sich sogar, dass Erz­ bischof Willigis zur nächsten Sitzung erscheinen und „sich gehorsam der 348

Ebd., cap. 28, S. 324 ff.

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III. Ottonenzeit

­ erechtigkeit fügen werde“. Das war jedoch nicht der Fall, denn Willigis reiste G am frühen Morgen heimlich ab, worauf ihn der Legat von seinem Amt suspendierte, bis er persönlich vor dem Papst erschienen sei. Wir müssen den Streit nicht weiter verfolgen, in dem Willigis erst unter Heinrich  II. das tat, was ihm Erzbischof Liawizo geraten hatte: Er gab seine Ansprüche auf und leistete Genugtuung. Aber auch danach ist der Streit unter den nächsten Bischöfen der beiden Diözesen noch einmal aufgeflammt, weshalb ein charakteristisches Detail aus dieser Phase des Streits noch erwähnt sei. Der Mainzer Erzbischof Aribo versuchte es nämlich wieder mit dem Mittel eines Fußfalls, sich in der Sache durchzusetzen. In diesem Fall erpresste er damit seinen Hildesheimer Amtsbruder Godehard, der jedoch ein Gegenmittel anwandte: Er warf sich nämlich gleichfalls vor dem auf dem Boden liegenden Mainzer nieder und konterkarierte so dessen dringliche Bitte mit seiner eigenen.349 Dies erlaubte ihm, auf seinen Rechten an Gandersheim zu beharren, erzählt zumindest die erneut parteiische Stimme aus Hildesheim. Heikle Beratungen standen auch dem Konvent von St. Gallen bevor, als ihm Otto der Große eine Kommission von ehrwürdigen Bischöfen und Äbten ins Haus schickte, die den Vorwurf untersuchen sollten, dass die St. Galler nicht nach den Geboten der Benediktsregel lebten.350 Die von Ekkehard  IV. von St. Gallen in großer Ausführlichkeit und Detailfreude erzählte Geschichte, die hier nicht annähernd adäquat wiedergegeben werden kann, lebt von der Offenheit, mit der sie vertrauliche Einschätzungen vieler Beteiligter berichtet, die deren innere Einstellung in einer sehr delikaten Angelegenheit erhellen. Vor allem aber zeigt sie das Agieren um die Aufmerksamkeit und Gunst der Könige und seinen durchaus agonalen Charakter. Diese Gunst besaß aus St.  Galler Sicht ihr Mönch Ekkehard  II. in über­ reichem Maße: „Ekkehard wurde auf Betreiben der (Herzogin) Hadwig an den Hof der Ottonen geholt, damit er als ständiges Mitglied der Hofkapelle sowohl für die Unterweisung des jungen Königs als auch für die wichtigsten Beratungen verfügbar sei. Und dort erwies er sich binnen kurzem als solche Persönlichkeit, dass allgemein die Rede ging, ihn erwarte ein höchstes geistliches Amt.“351 Dies trug ihm kaum überraschend den Neid anderer am Hof Ambitionierter ein, unter denen der Mönch Ruodmann von der Reichenau ein besonderer Feind der St. Galler war: „Dort war auch Ruodmann den Höflingen, indem er ihnen vieles spendete, eng befreundet, und als Ekkehard 349 350

351

Vgl. Wolfherii, Vita Godehardi, cap. 27, S. 187 f. Die Geschichte hat in der deutschen Forschung keine große Aufmerksamkeit gefunden, was wohl damit zusammenhängt, dass KÖPKE – DÜMMLER, Kaiser Otto der Große, in ihren „Jahrbüchern der Deutschen Geschichte“ sie nicht behandelt haben, also wohl nicht für historisch hielten. Vgl. dazu Ekkehard IV., Casus Sancti Galli, cap. 98, S. 198 ff.; dort auch das folgende Zitat.

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4. Einzelbeispiele für Beratungen in der Ottonenzeit

einmal … sich für eine Weile von der Pfalz entfernt hatte, zischelte er wider ihn, aber auch, wie gewöhnlich, gegen die übrigen Mönche des heiligen Gallus, weil angeblich Ekkehard und einige andere unter ihnen, reich an eigenem Besitz, verwöhnter lebten, die übrigen (Mönche) aber als arme Schlucker Hunger litten.“ Damit war ein schwerer Vorwurf bezüglich eines Verstoßes gegen die benediktinische Mönchsregel erhoben, den auch der Herrscher nicht übergehen konnte: „Die Worte gelangten dem Kaiser zu Ohren, und siehe, Ekkehard kam, da er zurückkehrte, eben dazu. Vertraulich (secreto) berichteten ihm die Ottonen (sc. Otto I. und Otto II.) von dem Schimpf und fragten ihn selbst um seine Meinung. Aber er warf sich beiden zu Füßen und bat sie, doch nur an unser Privileg zu denken. Im übrigen möchten sie hinschicken, wen immer sie wollten, um genau Nachschau zu halten, was für ein geistliches Leben in St. Gallen herrsche, und falls dort etwas Abwegiges zum Vorschein komme, so sollten sie es nach dem Rat der Prüfenden dann freilich verbessern.“352 Nach weiterem Wortwechsel formulierte Ekkehard noch die Bedingung, dass der Reichenauer Ruodmann keinesfalls Mitglied dieser Prüfgruppe sein dürfe: „weil eben dies Gerücht durch seine Listen an eurem Hofe lebt“. Die Darstellung lebt von der Vorstellung, dass der Herrscher besondere Vertraute in alles einweiht und ihren Rat erfragt, selbst wenn sie, wie in diesem Falle, hochgradig befangen sind. Man kann sich natürlich fragen, ob dies in der Realität so abgelaufen sein kann. Ähnliche Auszeichnung besonderer Vertrauter begegnet in der Tat nicht selten. Auch bei der Zusammensetzung der Prüfgruppe spielte die Frage der Befangenheit keine Rolle; lediglich Ruodmann wurde nicht beteiligt, was die Logik der Geschichte als Ergebnis der Einlassung Ekkehards verbucht. Unter den 16 beteiligten Bischöfen und Äbten befanden sich dagegen solche, die ihre Profess in St. Gallen abgelegt oder dort die Schule absolviert hatten. Einige von ihnen teilten ihre positive Voreingenommenheit den Herrschern in einer Vorbesprechung auch ganz offen mit. So sagte angeblich Bischof Hildebold von Chur: „Alles, was man dort findet, gütiger König, ist des Lobes würdig, außer dass sie dort einiges an Eigenem besitzen und etliche von ihnen Fleischspeisen genießen. Und ebendies haben sie, um nicht zugrunde zu gehen, jedenfalls immer mit Erlaubnis ihrer Äbte getan.“ Dann schilderte er Kaiser und König detailliert die St. Galler Besonderheiten, um selbstbewusst zu schließen: „Und wenn ich mich erkühnen darf, etwas von mir aus, ohne dem Kaiser nahezutreten, beizufügen, so kann ich wahrheitsgemäß dies sagen: dass ihr, wenn der Gerechte sich selbst das Gesetz ist (1 Tim 1, 9; Röm 2, 14), in eurem Reiche keine regelgerechteren Mönche habt. Ich bin nämlich unter ihnen erzogen worden … so weiß ich, was ich sage.“ 352

Ebd., cap. 99, dort auch das folgende Zitat.

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III. Ottonenzeit

Auch der St. Galler Abt, der zunächst über die kaiserliche Entscheidung entsetzt war, fasste bald Selbstvertrauen und soll einen energischen Brief an den Herrscher verfasst haben, in dem er nicht zuletzt auf die immensen Kosten verwies, die die Verköstigung der Prüfgruppe St. Gallen auferlegte: „Möge, so bete ich, der heilige Geist meinen Abtsstab sich zum Schwerte schärfen und, da ich meinteils die Geschosse Ruodmanns nicht abzuwehren vermag, selber sie zunichte machen. Zuletzt möge eure Majestät, wenn sie mich schon mit jener Invasion nicht verschonen wollte, vor allem zusehen, von welcher Kost sich so viel Volk bei uns nähren soll.“353 Nach einem Kontrollgang durch die Vorratsräume der Mönche und des Abtes, durch den sich die Kommission erste Eindrücke verschaffte, traf man sich zu einer Sitzung mit dem Konvent im Kapitelsaal. Noch beim Einzug der Kommission machten ältere Mönche freundlich-spöttische Bemerkungen durchaus derberer Art zu ihren ehemaligen Zöglingen, was bedeutet, dass sie keineswegs vor Ehrfurcht erstarrt waren: „Du trägst das Buch gegen mich daher, das ich geschlossen besser kenne als du geöffnet? Mach es zu“, soll einer der Mönche den jungen Bischof Dietrich von Metz, dessen Lehrer er früher gewesen war, angeherrscht haben, worauf dieser sich verneigt und gehorcht habe. Als die Sitzung durch den Erzbischof von Trier eröffnet worden war, wunderte sich der St. Galler Abt in seiner Begrüßung, warum der Kaiser so viele Prüfer nach St.  Gallen geschickt habe, einer hätte doch ausgereicht. Bischof Erpho von Worms antwortete ihm für die Prüfgruppe freundlich-ironisch: „Mit so vielen Streitern des Heiligen Geistes zu kämpfen, wie wir sie hier sehen, heiliger Vater, wäre für einen zu viel gewesen.“ Als dann aber der Ablauf des klösterlichen Alltags durch ausgewählte Mönche geschildert worden war und einige heikle Punkte wie Privatbesitz und Fleischverzehr eingehender diskutiert worden waren, zogen sich Bischöfe und Äbte der Prüfgruppe zu geheimen Beratungen zurück. Diese sollen eine geraume Zeit gedauert haben, sie hatten aber ein signifikantes Ergebnis, das Erzbischof Heinrich von Trier verkündete: „Wir kennen euch … als Leute von so großer Klugheit, dass wir den Erfolg unserer Mission euch zur freien Entscheidung in die Hand legen möchten. Wir sind nämlich übereingekommen, euch ab jetzt Platz zu machen. Beratet euch gemeinsam, so wünschen wir, damit ihr … das Gute, das ihr tut, der Regel des heiligen Benedikt konform gestaltet.“354 So geschah es und der St.  Galler Konvent legte in eigener Beratung und Entscheidung fest, was man am eigenen Verhalten verändern wollte. Der Rest des Aufenthalts diente dem fröhlichen Zusammensein von Kommission und Konvent, der Abfassung eines Berichts an den Kaiser, wie vor allem der 353 354

Vgl. ebd., cap. 101; die folgenden Zitate cap. 103 und 104. Vgl. ebd., cap. 106.

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4. Einzelbeispiele für Beratungen in der Ottonenzeit

g­ egenseitigen Verbrüderung, Beschenkung und der Stiftung von Liebesmählern. Als „eingetragenen Mitbrüdern“ (fratres conscripti) stand den ehemaligen Prüfern nun sogar die Klausur offen. Auch am Hofe wurde nach einigem Hin und Her das Ergebnis der Begutachtung akzeptiert und Otto der Große soll geäußert haben, „er würde eher seine Krone zerbrechen, als die Mönche des heiligen Gallus ohne die Mittel zu entlassen, mit denen sie die Regel erfüllen könnten.“ Die lange Geschichte ist unabhängig davon für unser Thema von Interesse, ob die Vorgänge so stattgefunden haben wie berichtet oder sich einer Fiktion verdanken. In jedem Fall nämlich hat sich die Darstellung an zeitgenössischen Vorstellungen orientiert, wie vertrauliche und formelle Beratungen der einschlägigen Probleme ablaufen konnten. Auch wenn einige oder sogar viele der kolportierten Äußerungen und Handlungen stilisiert und zugespitzt sein mögen, dass in solchen Beratungen Positionen selbstbewusst und mutig vertreten wurden, dass auch Witz und ironische Schärfe zu den eingesetzten Mitteln zählten, kann nach unseren Untersuchungen nicht grundsätzlich zweifelhaft sein. Die Geschichte bietet also verwendbares Anschauungsmaterial, auch wenn die St.  Galler Mönche mit einiger Wahrscheinlichkeit besser bewertet wurden, als sie es verdienten.

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IV. Salierzeit Die Fortsetzung der Tendenz zu einer unnachgiebigeren Durchsetzung königlicher Strafgewalt, wie sie Heinrich II. begonnen hatte, zeigte sich auch unter den ersten salischen Königen Konrad  II. und Heinrich  III., was sich etwa in spektakulären und langdauernden Konflikten Konrads mit seinem Stiefsohn Ernst und Heinrichs mit Herzog Gottfried von Lothringen manifestierte, deren gütliche Beendigung in beiden Fällen nicht gelang.355 Doch sind unter diesen Herrschern keine Zeugnisse entstanden, die der Beratung solcher Problemlagen größere Aufmerksamkeit zuwendeten, wenn man von Wipos ausführ­ lichem Bericht über die politische Willensbildung nach dem Tode Heinrichs II. einmal absieht.356 Dies änderte sich erst seit dem Tode Heinrichs III. und mit dem Beginn der Vormundschaftsregierung der Kaiserin Agnes, und dies in gravierender Weise. Geradezu schlagartig tritt nun die Problematik der Beratung in den Vordergrund, und der Grund liegt darin, dass ihre Regeln nun häufiger verletzt und missachtet wurden. Die zweite Hälfte des 11.  Jahrhunderts bildet daher für die Geschichte der politischen Willensbildung eine Zeit der Krise; sie stellt zugleich aber auch einen Zeitraum der Innovationen auf diesem Gebiete dar.

1. Die Jugend Heinrichs IV.: die schlecht beratenen Regenten Es ist angesichts einer doch schon langen Tradition, die die Beratung des Königs mit kirchlichen und weltlichen Magnaten im 11. Jahrhundert bereits hatte, höchst erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit es sich offensichtlich Regenten in der Jugendzeit Heinrichs IV. erlaubten, gegen elementare Regeln und Prinzipien der Beratung zu verstoßen, obgleich eigentlich hätte bekannt sein müssen, dass dies sofort und massiv Widerstände provozieren würde. Die Regenten neigten zu informellen und eigenwilligen Praktiken, mit denen sie Willens­ bildung in exklusivem Kreis und ohne die Beteiligung der Gesamtheit der Vgl. bereits ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, bes. S.  209  f. zu Herzog Ernst; BOSHOF, Lothringen, Frankreich und das Reich, S. 94 ff. zu Herzog Gottfried. 356 Vgl. hierzu Wipo, Gesta Chuonradi, cap. 1–3 und 5, hierzu WOLFRAM, Konrad  II., S. 60 ff.; ERKENS, Konrad II., S. 37 ff. 355

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1. Die Jugend Heinrichs IV.: die schlecht beratenen Regenten

Fürsten betrieben und dabei den minderjährigen König zum Spielball ihrer Interessen machten. Dieser Vorwurf trifft verschiedene Regenten in der Zeit der Minderjährigkeit Heinrichs IV.357 Sowohl seine Mutter Agnes wie die Erzbischöfe Anno von Köln und Adalbert von Hamburg-Bremen mussten sich mit dem massiven Vorwurf auseinandersetzen, ihre Stellung als erste Berater des Königs dadurch missbraucht zu haben, dass sie andere Fürsten nicht in ­adäquater Weise an der Entscheidungsfindung beteiligten. Hierbei scheuten sowohl die bischöflichen als auch die herzoglichen Mitglieder des engsten Führungszirkels nicht davor zurück, sich durch königliche Schenkungen und Übertragungen, die offensichtlich nicht Gegenstand allgemeiner Beratungen und Entscheidungen gewesen waren, erheblich bereichern zu lassen. Diese Vorwürfe verschärften sich aber noch, als der junge König nach 1066 die selbständige Regierung angetreten hatte und namentlich in Sachsen heftig dafür angegriffen wurde, dass er sich nicht mit den Fürsten, sondern, wenn überhaupt, mit niederrangigen Vertrauten und Kumpanen beriet. Man kann sich fragen, ob diese Reaktion des jungen Königs dadurch ausgelöst worden sein könnte, dass er in seiner Jugend mit dem unerbittlichen Machtkampf seiner engsten Ratgeber konfrontiert worden war.358 Die könnten ihm das Vertrauen in die Praktiken konsensualer Herrschaft früh ausgetrieben haben. Aus der Entschiedenheit, mit der die Gesamtheit der Fürsten mehrfach gegen vermeintliche Missbräuche einzelner ankämpfte, mag man aber auch ermessen, wie wichtig die Beteiligung aller Magnaten an der Beratung anstehender Probleme inzwischen genommen wurde. In jedem Fall besitzen die zwei Jahrzehnte nach dem Tode Kaiser Heinrichs III. eine Schlüsselfunktion für das Verständnis der Normen und Regeln, die für die Beratung des könig­ lichen Herrschaftsverbandes galten. Vielleicht wird an den vielen Auseinandersetzungen in dieser Zeit auch deutlich, dass zu wenig explizite Regeln existierten und das praktizierte „Herrschaftssystem“ überdies einen erwachsenen und voll handlungsfähigen König benötigte. Was drohte, wenn die dynastische Situation die Herrschaft eines Kindes unvermeidbar machte, konnte man im Alten Testament nachlesen: „Wehe dem Land, dessen König ein Kind ist und dessen Fürsten in der Frühe tafeln.“359 Die sich gerade in diesen ersten Jahrzehnten der Herrschaft Heinrichs  IV. häufenden Konflikte und Krisen werden in den zahlreichen Quellen, die sie thematisieren, ganz vorrangig mit der Tatsache begründet, dass sich Personen und Gruppen von der Beteiligung an der Entscheidungsfindung ausgeschlossen Vgl. hierzu neuerdings JENAL, Erzbischof Anno  II. von Köln, bes. S.  175  ff.; OFFERGELD, Reges pueri, bes. S. 791 ff., der S. 538 ff. auch ähnliche Erscheinungen während der Regentschaft der Bischöfe Hatto von Mainz, Adalbero von Augsburg und Salomo von Konstanz für König Ludwig das Kind am Anfang des 10. Jahrhunderts behandelt. 358 Vgl. dazu bereits ALTHOFF, Heinrich IV., S. 292 ff. 359 Vgl. Pred 10, 16. 357

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IV. Salierzeit

fühlten, die ein Anrecht auf Mitsprache zu haben glaubten. Die Reaktionen der von solchem Ausschluss Betroffenen waren relativ gleich: Man versicherte sich in konspirativen Treffen der gegenseitigen Unterstützung und ergriff dann Maßnahmen gegen die als ungerecht empfundene Herrschaftsausübung mit dem Ergebnis, dass mehrfach ein Herrschaftswechsel, ein Sturz der alten Rat­ geber, vollzogen wurde. Der Erfolg dieser Vorstöße macht auch deutlich, dass man auf breite Unterstützung rechnen durfte, wenn man gegen Tendenzen zur ­Cliquen- oder sogar Alleinherrschaft ganz weniger Mächtiger vorging. Nichtsdestotrotz scheint die Versuchung, die Vertrauensstellung als erster Ratgeber eines minderjährigen Königs zu missbrauchen, indem man diesen von allen anderen Einflüssen abzuschneiden versuchte, übermächtig gewesen zu sein. Nicht zuletzt diese Tendenz zur Bevorzugung eines einzigen Ratgebers kostete schon die Kaiserin Agnes die Regentschaft für ihren Sohn, die ihr 1062 von einer konspirativen Gruppe um Erzbischof Anno von Köln, Herzog Otto von Nordheim und den sächsischen Grafen Ekbert durch die Entführung Heinrichs IV. in Kaiserswerth entrissen wurde.360 Lampert von Hersfeld, der die Vorgänge detailliert und als Anhänger Erzbischof Annos von Köln beschreibt, spricht die Ursachen der Entführung unverblümt an: „Während der Minderjährigkeit ihres Sohnes führte die Kaiserin selber die Regierungsgeschäfte, und sie bediente sich dabei in erster Linie des Rates des Bischofs Heinrich von Augsburg. Deshalb konnte sie dem Verdacht unzüchtiger Liebe nicht entgehen, denn allgemein ging das Gerücht, ein so vertrauliches Verhältnis sei nicht ohne unsittlichen Verkehr erwachsen. Daran nahmen die Fürsten schweren Anstoß, sahen sie doch, dass wegen der persönlichen Liebe zu einem Mann ihr Einfluss, der im ganzen Reich am meisten hätte gelten müssen, fast gänzlich ausgeschaltet war. Diesen unwürdigen Zustand ertrugen sie nicht: Sie veranstalteten deshalb häufige Zusammenkünfte (conventicula), erfüllten ihre Pflichten gegen das Reich nur lässig, reizten die Volksstimmung gegen die Kaiserin auf und trachteten endlich mit allen Mitteln danach, den Sohn dem Einfluss der Mutter zu entziehen und die Verwaltung des Reiches in die Hand zu bekommen.“361 Uns interessiert hier weniger der Vorwurf des „unsittlichen Verkehrs“ mit dem Augsburger Bischof als die Tatsache, dass die Bevorzugung eines Ratgebers die anderen auf den Plan brachte, die diesen Zustand radikal zu ändern verstanden, indem sie in Kaiserswerth den königlichen Knaben in ihre Gewalt brachten.362 Zuvor hatten sie, wie in anderen Fällen auch, in gesonderten VersammZu den Vorgängen, den Quellen und der älteren Literatur zu diesem „Staatsstreich“ s. neuerdings Regesta Imperii III, 2, Nr. 252–255, S. 103 ff. 361 Vgl. Lampert, Annales, a. 1062, S. 72 ff. 362 Zu diesen und weiteren „sittlichen“ Vorwürfen gegen Agnes vgl. zuletzt ZEY, Vormünder und Berater Heinrichs  IV., bes. S.  100  ff.; zur Entführung von Kaiserswerth und ihrer Vorbereitung vgl. Regesta Imperii III, 2 Nr. 238–239, S. 97 f., Nr. 252/253, S. 103 f. mit weiteren Hinweisen. 360

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1. Die Jugend Heinrichs IV.: die schlecht beratenen Regenten

lungen (conventicula) untereinander beratschlagt und ihr Vorgehen abgestimmt.363 Lamperts Wertung macht unmissverständlich klar, dass der Anspruch der Gesamtheit der Fürsten auf angemessene Beteiligung an den politischen Entscheidungen breit verankert war und als ein Recht angesehen wurde, das man sich nicht vorenthalten ließ. Wurde es verletzt, rechtfertigte dies offensichtlich selbst so extreme Reaktionen wie die Entführung des jungen Königs. Die Reaktionen im Reich auf den gewaltsamen Übergriff blieben denn auch relativ dezent. Immerhin scheint sich Erzbischof Anno, wenn man Lampert glauben darf, sehr bewusst gewesen zu sein, dass er sich hüten musste, nun ebenfalls den Eindruck von Alleinherrschaft an der Seite des minderjährigen Königs zu erwecken. Er soll deshalb verfügt haben, „dass jeder Bischof, in dessen Diözese sich der König jeweils aufhalte, dafür zu sorgen habe, dass der Staat keinen Schaden leide, und dass er bei Angelegenheiten, die vor den König gebracht würden, vornehmlich (potissimum) Bescheid erteile.“364 Diese Bestimmung markiert zumindest einen Versuch, die Aufgabe der Beratung des Königs auf verschiedene Schultern zu verteilen. Dass diese weitgehende Arbeitsteilung wohl eher theoretisch blieb, kann man der ein Jahr später von Lampert charakterisierten Ordnung des Hofes und der „Reichsregierung“ entnehmen, die immerhin mehrere Erzbischöfe an der Machtausübung beteiligte: „Die Erziehung des Königs und die gesamte Regierung lag in den Händen der Bischöfe, und unter ihnen hatten die Erzbischöfe von Mainz und Köln überragende auctoritas. Als dann von diesen Erzbischof Adalbert von Bremen in die Beratungsrunde (in partem consilii) aufgenommen wurde, sowohl wegen seines erlauchten Geschlechts als auch wegen des Alters und der Bedeutung seines Erzbistums, hatte dieser den König durch häufige Unterredungen und auch durch Willfährigkeit und Liebedienerei bald so stark an sich gefesselt, dass dieser sich unter Hintansetzung der übrigen Bischöfe ausschließlich an ihn hielt und dass er sich in der gemeinsamen Regierung fast die Alleinherrschaft anzueignen schien.“365 Diese Beschreibung akzentuiert, dass der Einfluss auf den König wohl erneut nur von ganz wenigen ausgeübt wurde, die zudem noch wetteiferten, sich gegenseitig auszustechen. Zu diesem häufiger zu beobachtenden Vorgehen s. zusammenfassend unten bei Anm. 892. 364 Vgl. Lampert, Annales, a. 1062, S. 75. Überlegungen zum Verständnis dieser Stelle bei JENAL, Erzbischof Anno II. von Köln, S. 197 f., der vorschlägt, hier nur an Erzbischöfe zu denken, mit denen Anno die Regentschaft teilen wollte. 365 Vgl. ebd., a. 1063, S. 86 ff.: Educatio regis atque ordinatio omnium rerum publicarum penes episcopos erat, eminebatque inter eos Moguntini et Coloniensis archiepiscoporum auctoritas. A quibus cum in partem consilii Adelbertus Premensis archiepiscopus assumptus fuisset, tum propter claritatem generis, tum propter aetatis atque archiepiscopatus prerogativam, ille sepius colloquendo, obsequendo etiam atque assentando ita sibi regem brevi devinxerat, ut, caeteris episcopis posthabitis, totus in eum inclinaretur, et ipse in regno communi pene monarchiam usurpare videretur. 363

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IV. Salierzeit

Diesen Aspekt betont in vergleichbarer Weise auch Adam von Bremen, der im Unterschied zu Lampert ein sehr düsteres Bild vom Wirken Annos von Köln zeichnet, aber auch die Schwächen seines Erzbischofs Adalbert nicht verhehlt: „Als die Aufstände endlich dem Frieden weichen mussten, wurden die Erzbischöfe Adalbert und Anno zu obersten Reichsregenten ernannt, und von jetzt an hing die Leitung der Staatsgeschäfte von ihren Entschlüssen ab. Nun waren wohl beide Männer klug und tüchtig in der Sorge für den Staat, trotzdem aber zeigte sich, dass der eine den anderen an Glück und Fleiß weit übertraf.“366 An dieser Stelle ist den ursprünglichen Ausführungen Adams eine kommentierende Ergänzung angefügt: „Deshalb blieb die nur scheinbare Einigkeit der Bischöfe nicht sehr lange erhalten, und wenn auch beide mit dem Munde offensichtlich von Frieden sprachen, so stritten sie doch im Herzen mit tödlichem Hass gegeneinander. Der Bischof von Bremen jedoch führte seine Sache mit größerer Berechtigung, denn er neigte mehr zum Erbarmen und lehrte, seinem Könige und Herrn müsse man Treue bis in den Tod halten. Der Kölner dagegen, ein Herr von düsterem Wesen, wurde sogar des Treuebruchs gegenüber dem König beschuldigt. In allen Verschwörungen seiner Zeit war er außerdem immer der Drahtzieher.“367 In mehreren folgenden Kapiteln charakterisiert Adam dann ausführlich die unterschiedliche Strategie der beiden Erzbischöfe zum Erhalt und zur Vergrößerung ihrer Macht und ihres Einflusses: Während Anno nicht müde geworden sei, seine Verwandten, Freunde und Kleriker mit Würden und Ämtern zu überhäufen, so dass sie in der Folge gewetteifert hätten, ihrem Gönner seine Vorgaben durch ihre Gegengaben zu vergelten, sei Erzbischof Adalbert nur auf sein eigenes Ansehen und seinen Ruhm aus gewesen und habe sein Geld an Schmeichler und andere nichtswürdige Leute vergeudet, die ihn zudem ausgenutzt hätten.368 Deutlich spricht aber auch Lampert die Missstände an, die die Herrschaft einer kleinen Clique mächtiger Erzbischöfe samt einiger hochrangiger Laien mit sich brachte, auch wenn er hierbei den Kölner Erzbischof Anno in den Hintergrund rückt und die Hauptschuld an den Missständen Erzbischof Adalbert von Hamburg-Bremen und einem mit ihm zusammenwirkenden Grafen Werner anlastet: „Diese beiden herrschten an Stelle des Königs, von ihnen wurden Bistümer und Abteien, von ihnen wurde alles, was es an kirchlichen, was es an Adam, Hamburgische Kirchengeschichte, III, cap. 34, S. 370 f. Ebd., die zitierten Sätze finden sich nur in den Handschriftengruppen B und C, was bedeutet, dass es sich um Hinzufügungen zum ursprünglichen Text handelt, die aber mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Adam selbst zurückgehen; vgl. die Hinweise in der Einleitung zur Edition, S. 155. 368 Vgl. ebd., III, cap. 35–42, S.  370  ff. mit einer schonungslosen Analyse der charakter­ lichen Schwächen Erzbischof Adalberts und ihrer fatalen politischen Folgen für das Erzbistum Hamburg-Bremen. 366 367

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1. Die Jugend Heinrichs IV.: die schlecht beratenen Regenten

weltlichen Würden gibt, gekauft … Von Bischöfen und Herzögen allerdings hielten sie ihre Hände fern, doch mehr aus Furcht als aus Gewissensbissen. Gegen Äbte dagegen … übten sie ihre Raubzüge mit völliger Hemmungslosigkeit … Sie machten einen Angriff auf die Klöster und teilten sie unter sich wie Provinzen, und der König stimmte mit kindlicher Bereitwilligkeit allem zu, was man verlangte. So nahm der Bremer Erzbischof zwei Abteien in Besitz, Lorsch und Corvey, und behauptete, das sei die Belohnung für seine Ergebenheit und Treue gegenüber dem König. Damit es aber nicht Missgunst unter den übrigen Reichsfürsten erwecke, gab er mit Einwilligung des Königs dem Erzbischof von Köln (Anno) zwei, Malmedy und Kornelimünster, dem Erzbischof von Mainz eine, Seligenstadt, dem Herzog Otto von Bayern eine, Altaich, und dem Herzog Rudolf von Schwaben eine, Kempten.“369 Man würde diese Beschreibung einer überaus dreisten Selbstbedienung der Bischöfe bei den Reichsklöstern für übertriebene Polemik Lamperts halten, wenn das Echo dieser Aktion in verschiedenen Quellen nicht gewaltig wäre und mehrfach die Aktivität der begünstigten Bischöfe betont würde.370 Insofern scheint es begründet, die Übertragungen der Reichsklöster an bischöf­ liche und weltliche Klosterherren nicht auf eine selbständige Aktion des jungen Königs zurückzuführen. Vielmehr ist eine Absprache der wichtigsten Ratgeber anzunehmen, die nach dem Prinzip „Eine Hand wäscht die andere“ ihren Einfluss auf den jungen König dazu benutzten, sich und ihre Kirchen zu bereichern. Mehrere von Lampert unbeeinflusste Stellungnahmen lassen den König nämlich als abhängigen, nicht als gestaltenden Herrscher erscheinen, auch wenn er seit 1065 ein formell selbständig handelnder König war.371 Diese Einschätzung sei genauer begründet, da durch sie ein informelles Zusammenwirken des engsten Beraterkreises um den jungen Heinrich IV. sichtbar wird, das den Beteiligten zwar den maximalen Nutzen aus ihrer Stellung bescherte, aber die Prinzipien der Partizipation der Fürsten an Entscheidungen sozusagen mit Füßen trat. So zog sich der Kampf der Stabloer Mönche um die entfremdete Schwesterabtei Malmedy, die Erzbischof Anno von Köln im Jahre 1065 von König Heinrich IV. auf einem Hoftag in Trier übertragen worden war, über mehrere Jahre 369 370

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Vgl. Lampert, Annales, a. 1063, S. 88 f. Zu weiteren Vergaben von Klöstern an Bischöfe in dieser Zeit s. SEIBERT, Geld, Gehorsam, Gerechtigkeit, Gebet, S. 308 ff. Ausführliche Untersuchung der Vorgänge bei JENAL, Erzbischof Anno  II. von Köln, S. 56–109 mit dem Beispiel Malmedy; zur Übertragung der Klöster Corvey und Lorsch an Erzbischof Adalbert vgl. Regesta Imperii III, 2, Nrn. 414/415, S. 28 f. mit allen Hinweisen auf Quellen und Literatur. Zur Interpretation der Aktion s. zuletzt SEIBERT, Geld, Gehorsam, Gerechtigkeit, Gebet, S. 308 ff., der im Unterschied zur hier gegebenen Deutung Heinrich IV. als den Urheber der Schenkungen zu erweisen sucht und ihm ein durchdachtes Konzept zubilligt. Zur sog. Schwertleite Heinrichs im März 1065 vgl. Regesta Imperii III, 2, Nr. 60, S. 159.

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IV. Salierzeit

hin.372 Im Triumphus Sancti Remacli haben die Stabloer eine ausgesprochen ­detaillierte und prononcierte Version ihrer Sicht der Dinge niedergelegt. Aus dieser Darstellung wird zweierlei unmittelbar einsichtig: erstens, dass die Stabloer im festen Bewusstsein ihrer guten alten Rechte mit allen Mitteln gegen die Loslösung Malmedys von Stablo vorgingen und hierdurch ein Parade­beispiel dafür lieferten, mit welchen Mitteln man in dieser Zeit gegen willkürliche Entscheidungen des Herrschers angehen konnte. Zweitens, dass die Stabloer Erz­ bischof Anno von Köln ganz eindeutig als denjenigen ansahen, der der Drahtzieher der ganzen Angelegenheit war, und nicht etwa den König. Es sei hier nur darauf verwiesen, mit welchem Erfolg die Reliquien des heiligen Remaclus gegen den Versuch der Entfremdung Malmedys am Königshof eingesetzt wurden und durch ihre Wundertätigkeit Wirkung erzielten, so dass Heinrich IV. im Jahre 1071 schließlich ein Einsehen hatte und Malmedy wieder mit Stablo vereinigte.373 Zuvor hatten die Stabloer aber deutlich ihre Meinung zum Ausdruck gebracht, dass Heinrich unter dem verderblichen Einfluss Erzbischof Annos stand, „der den Sinn des Königs beherrschte wie den eines Leibeigenen“.374 Nur dadurch gelang es dem Erzbischof aus der Sicht der Stabloer, durch Hinhaltetaktiken die Klärung der Angelegenheit immer wieder zu verzögern.375 Im Falle der Übertragung von Corvey und Lorsch an Erzbischof Adalbert besitzen wir einschlägige Bemerkungen selbst in der Bremer Kirchengeschichte Adams, der einige Anstrengungen unternahm, ein verständnisvoller Darsteller der Politik seines Erzbischofs Adalbert zu sein. Doch kam auch er nicht umhin, die übersteigerten Pläne wie die Besitzgier dieses Erzbischofs immer wieder kritisch anzusprechen.376 Dies gilt auch für die Übernahme der Klöster Corvey und Lorsch. An drei Stellen kommt Adam direkt auf den problematischen Erwerb zu sprechen: „Damals erhielt er (Adalbert) auch die Anwartschaft auf Erwerb und Überlassung von Grafschaften, Abteien und Gütern, die wir später unter gefährlichen Belastungen unserer Kirche erkauft haben, nämlich der Klöster 372

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375 376

Vgl. dazu ausführlich und mit allen Hinweisen auf die reichhaltigen Quellen und die einschlägige Literatur JENAL, Erzbischof Anno II. von Köln, S. 56–109; Regesta Imperii III, 2 Nr. 399, S. 20 f. S. dort auch die Übertragungen weiterer Klöster an Otto von Northeim (Nr. 395) und Anno von Köln (Nrn. 400, 401). Ausführlich berichten auch Lampert, Annales, a. 1071, S. 143 ff. und die Annales Altahenses, a. 1071, S. 80 f. von den Wundern, mit denen der heilige Remaclus ein Ende des Streits herbeiführte; s. dazu Regesta Imperii III, 2 Nr. 572/573, S. 100 f.; GARNIER, Der bittende Herrscher, S. 209 ff. Vgl. Triumphus Remacli I, cap. 14, S.  444: Nam animo episcopi male fixa sententia ­minime avelli potuit, immo ipsius regis animum, quem possidebat velut quoddam ­mancipium, pravo ingenio a recti sententia deduxit. Vgl. JENAL, Erzbischof Anno II. von Köln, S. 74 ff. Vgl. dazu Adam, Hamburgische Kirchengeschichte, III, cap. 28, 36, 37, 38, 39, 40, 46, 47, 56, 57, 62.

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Lorsch und Corvey, der Grafschaften Bernhards und Ekberts, der Höfe Sinzig, Plesse, Groningen, Duisburg und Lesum. Und als er das alles unter zweifelhaften Rechtstiteln besaß, glaubte der Erzbischof, er könne über das Meer wandeln und seine Schiffe über Land führen, wie es so treffend von Xerxes heißt, kurz, er werde alle seine Pläne leicht verwirklichen können.“377 Auch wenn Adam Adalberts Bemühen um die genannten Klöster fälschlich bereits in die Zeit Kaiser Heinrichs  III. verlegt, bleibt davon unbenommen, dass er das Streben nach ihnen der unersättlichen Gier des Erzbischofs zuschreibt. Diesen Gedanken wiederholt er wenig später, als er von Schenkungen Heinrichs IV. an die Bremer Kirche berichtet: „Auch die Klöster Corvey und Lorsch, um die sich der Erzbischof seit langem viel bemühte, sollen damals ­urkundlich der Hamburger Kirche übertragen worden sein.“378 Ein drittes Mal spricht Adam die Sache der Klöster an, als Adalbert nach seinem Sturz wieder in höchster Gunst Heinrichs IV. stand: „So befand er sich wieder in glänzender Lage … Manche sprachen von einer Zusicherung des Königs, der Fürstentag zu Utrecht am Rhein habe ihm am nächsten Osterfest alles bestätigen sollen, was sich sein Herz in Bezug auf Lorsch, Corvey und die übrigen Abteien wünschte. Andere versicherten, der König habe den Bischof durch listiges Zögern hingehalten, damit er auf Lorsch verzichte und er ihm dafür an beliebiger Stelle im Reich doppelt so große Gaben für seine Kirche verleihen könne. Er aber blieb hartnäckig und erklärte, keine anderen Wünsche zu haben. Doch als seine Bemühungen schließlich scheiterten, brach er zusammen.“379 All diese Bemerkungen Adams, die im Zusammenhang seiner grundsätzlich kritischen Haltung zum „Größenwahn“ Adalberts stehen, lassen deutlich erkennen, dass er das nachhaltige Streben seines Erzbischofs nach dem Besitz der Klöster kritisch betrachtete und verurteilte. Er kam aber nicht auf die Idee, die Übertragung als Initiative des Königs darzustellen. Auch die heftigen Reaktionen in Corvey und Lorsch selbst gegen die Übertragung richteten sich deutlich gegen Erzbischof Adalbert und nicht gegen den König.380 Überdies hat Heinrich IV. sofort nach dem Sturze Erzbischof Adalberts im Jahre 1066 die Übertragung der Abteien an Hamburg-Bremen wieder rückgängig gemacht, was sicher nicht dafür spricht, dass diese zu einem von ihm verfolgten Konzept gehört hatten.381 Auch in Niederaltaich hat man schließlich auf den neuen Klosterherrn, Herzog Otto von Northeim, sehr reserviert reagiert und Adam, Hamburgische Kirchengeschichte, III, cap. 28, S. 362 ff. Ebd., III, cap. 45, S. 384 f. 379 Ebd., III, cap. 61, S. 406 ff. 380 Vgl. dazu Regesta Imperii III, 2, Nr. 415, S. 29 mit Hinweis auf Codex Laureshamensis, cap. 123c, S. 391 f., wo der Lorscher Autor der Sicht seines Konvents zur Übertragung des Klosters an Erzbischof Adalbert vehementen Ausdruck gibt; s. ferner auch die Nrn. 417, 422–424, 428 f. in den Regesta Imperii III, 2. 381 Vgl. dazu ebd., Nr. 434 für Lorsch; Nr. 445 für Corvey. 377 378

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ihn mit einiger Feindseligkeit porträtiert.382 Deshalb dürfte es gerechtfertigt sein, die auffällige Übertragung von Reichsklöstern an Personen, die für Heinrich IV. die Regentschaft ausübten, als Ergebnis des Missbrauchs ihrer temporären Machtposition zu verstehen. Diese Einschätzung wird dadurch zusätzlich gestützt, dass im Jahre 1066, also in unmittelbarem zeitlichen Umfeld der Übertragungen, sich der Unmut aller über die derzeitige Umgebung des Königs dahingehend entlud, dass man den vermeintlichen Hauptschuldigen, nämlich Erzbischof Adalbert von Bremen, stürzte und aus der Umgebung des Königs verjagte. Die Geduld der Großen mit den Zuständen im Beraterkreis des Königs war also ein zweites Mal innerhalb von vier Jahren erschöpft. Wieder erfahren wir aus verschiedenen Perspektiven eine Fülle von Einzelheiten über Vorbereitung, Durchführung und Ziele der Aktion, die uns auch ex negativo über die Vorstellungen der Akteure informieren, welche Anforderungen der Beraterkreis des Königs zu erfüllen hatte. Wieder bietet Lampert von Hersfeld eine ausführliche und in sich konsistente Darstellung der Vorgänge, was nicht ausschließt, dass er die Geschehnisse in seinem Sinne verformt haben könnte. Die Ausgangslage skizziert er wie folgt: „Der König feierte Weihnachten 1066 in Goslar. Er hatte sich dort schon von Beginn des Herbstes an bis zu diesem Tag des Winters wie in einem Standlager aufgehalten und dabei mit so geringem Aufwand gelebt, wie es der glänzenden Hofhaltung an Königshöfen ganz und gar nicht entsprach. Denn außer dem Wenigen, das aus den Einkünften des königlichen Fiskus einkam und was die Äbte gezwungenermaßen lieferten, wurde alles Übrige für den täglichen Bedarf jeweils für einen Tag eingekauft. Das geschah aus Hass gegen den Erzbischof von Bremen, den alle beschuldigten, er habe sich unter dem Vorwand der vertrauten Freundschaft mit dem König eine offenkundig tyrannische Herrschaft angemaßt. Deshalb verweigerten sie dem König auch die ­üblichen Abgaben, und der Bischof wollte den König nicht in andere Teile des Reiches bringen, um den ersten Platz im Rat und im vertrauten Umgang mit dem König nicht mit anderen Fürsten teilen zu müssen und dadurch die Gipfelhöhe seiner angemaßten Einzelherrschaft zu verringern.“383 Wenn diese Darstellung nicht wahr sein sollte, ist sie jedenfalls wirkungsvoll angelegt, um das ganze Ausmaß der Missstände deutlich zu machen, welche durch die von Adalbert eingenommene Vorrangstellung eingerissen waren. Lampert schildert aber auch die Aktivitäten, die in seinem Verständnis verantwortungsvolle Fürsten gegen diesen Missstand unternahmen: „Aber offensichtVgl. dazu Annales Altahenses, a. 1065, S. 71 mit der skeptischen Bemerkung, dass viele Ottos Herrschaft über das Kloster nicht für einen Glücksfall hielten; a. 1069, S. 76 f. mit der Erzählung, dass Otto einen heimlichen Mordanschlag auf Heinrich IV. geplant und versucht habe; a. 1070, S. 79 f. mit der Darstellung des gerichtlichen Vorgehens gegen Otto. 383 Vgl. Lampert, Annales, a. 1066, S. 106 f. 382

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lich waren die übrigen Reichsfürsten nicht gewillt, diese Verletzung ihres Rechts weiterhin zu dulden. Die Erzbischöfe von Mainz und Köln hielten mit den übrigen Fürsten, denen das Wohl des Reiches am Herzen lag, häufige Versammlungen (conventicula) ab und forderten alle auf, gemeinsam zu überlegen, was zu tun sei. Als dann die Verschwörung (conspiratio) zur Reife gediehen war, sagten sie allen Fürsten einen Reichstag (diem generalis colloquii) zu Tribur an. Hier sollten alle den Bremer Erzbischof, den gemeinsamen Feind aller, gemeinsam bekämpfen und dem König ankündigen, dass er entweder abdanken oder seine vertraute Freundschaft mit dem Bremer Erzbischof aufgeben müsse.“384 Von vertraulichen Versammlungen zur politischen Willensbildung haben wir schon mehrfach gehört. Sie gehörten zu den üblichen Formen, in denen sich Gruppierungen auf gemeinsames Vorgehen verständigten, ehe sie aktiv wurden.385 Häufig verpflichteten sie sich in diesen Zusammenkünften auch noch eidlich, ein bestimmtes Ziel mit allen Kräften zu verfolgen. Das gemeinsame Ziel war in diesem Fall, die einseitige Bevorzugung eines Ratgebers zu beenden, da man die Aufgabe der Beratung als Recht aller Fürsten ansah. Lampert ist denn auch bemüht zu betonen, dass die Ranghöchsten alle einluden und dass gemeinsam überlegt wurde, was zu tun ist. Auch nach vollzogener Willensbildung beriefen sie angeblich alle nach Tribur, um gemeinsam den gemeinsamen Feind zu bekämpfen, in dem sie nicht den König, sondern den Erzbischof sahen. Damit übernahmen sie eine Aufgabe, die eigentlich dem König zukam, nämlich die Großen zu einem Hoftag zu rufen. In diesem Falle benachrichtigten die ­A kteure jedoch den König darüber, dass sie einen Tag und einen Ort für eine Zusammenkunft festgelegt hätten. Für uns ist weniger wichtig, ob sich alles genau so abgespielt hat, wie Lampert es erzählt. So, wie erzählt, sah jedoch mit einiger Sicherheit verantwortungsvolles politisches Verhalten aus. Es sah die konspirative Beratung durchaus vor, drängte aber auf Beteiligung aller an wichtigen Entscheidungen. Mit anderen Worten war das von dem Mainzer und Kölner Erzbischof praktizierte Vorgehen politisch korrekt im Unterschied zu den tyrannischen Alleingängen des Hamburger Erzbischofs. Schauen wir uns zum Kontrast an, wie der kritische Vertraute des Hamburger Erzbischofs, Adam, die gleiche Sachlage schildert: „(Adalbert) aber … bemühte sich verbissen ausschließlich um den Hof und jagte hinter dem Ruhm her. Er selbst hat als Grund für sein Streben nach der Leitung der Reichs­ Ebd., a. 1066, S. 106 f.: Sed non ultra laturi iniuriam videbantur principes regni. Archiepiscopi Moguntinus et Coloniensis cum caeteris, quibus curae erat res publica, crebra conventicula faciebant atque omnes in commune, quid facto opus esset, consulere rogitabant. Dein iam adulta conspiratione, diem generalis colloquii omnibus indixere regni principibus, ut Triburiam convenientes Premensem archiepiscopum, communem omnium hostem, communibus omnes studiis oppugnarent regique denunciarent aut regno ei cedendum esse aut familiaritate et amicicia Premensis archiepiscopi defungendum…. 385 Vgl. dazu unten bei Anm. 917. 384

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geschäfte angegeben, er habe es nicht mit ansehen können, dass die Leute seinen Herrn und König wie einen Gefangenen umherzerrten. Und schon stand er auf der obersten Rangstufe, schon hatte er seine Mitbewerber beiseite gedrängt und saß allein im beherrschenden Kapitol, freilich nicht ohne angefeindet zu werden, aber das ist ja immer eine Folge des Ruhms. Nun jedoch wollte unser Erzbischof in seiner hohen Stellung die goldene Zeit erneuern und soll vorgehabt haben, aus dem Reiche Gottes alle auszutilgen, die gegen das Recht verstießen, vor allem aber ihre Hände gegen den König erhoben, oder die offensichtlich Kirchen ausgeraubt hatten. Nun waren sich freilich fast alle Bischöfe und Großen des Reiches eines Anteils an diesem Verbrechen bewusst, und so taten sie sich in einmütiger Feindschaft zu seinem Sturz zusammen, um andere vor der Gefahr zu retten. Darum versammelten sich alle zu Tribur, wo der König weilte, und vertrieben unseren Erzbischof als Gaukler und Verführer vom Hof.“386 Auf den ersten Blick scheint Adam eine ganz andere Geschichte zu erzählen als Lampert, bei näherem Hinsehen haben wir hier jedoch so etwas wie zwei verschiedene Hinsichten auf die erkennbar gleiche Geschichte vor uns. Auch Adam verhehlt nicht, dass Adalbert alle anderen beiseite gedrängt, als einziger die oberste Rangstufe besetzt hatte. Nur die Motive Adalberts schildert er anders: Er konnte die unwürdige Behandlung des jungen Königs durch die anderen nicht mitansehen, er wollte die goldene Zeit erneuern und alle bekämpfen, die gegen das Recht verstießen, die sich gegen den König stellten oder Kirchen ausraubten. Genau Letzteres, so entschuldigt Adam seinen Erzbischof nicht ungeschickt, taten aber alle anderen Bischöfe und Großen, und deshalb verschworen sie sich zum Sturz Adalberts, weil sie nur so verhindern konnten, dass er ihren Anteil an diesen Verbrechen offenlegte. Kein anderer Regent trat an dessen Stelle. Heinrich  IV. wurde nun selbst für die Organisation und Durchführung der Beratung seines Herrschaftsverbandes verantwortlich.

2. Der erwachsene Heinrich IV.: das Bild eines ­beratungsresistenten Tyrannen Dass es dem jungen König nach dem Sturz seines Vertrauten Erzbischof Adalbert an erfahrenen Beratern mangelte, zeigen in der Zeit nach 1066 eine ganze Reihe ungeschickter Aktionen Heinrichs, von denen sein Begehren auf Scheidung von seiner Gemahlin Bertha hier nur kurz erwähnt sei. Die Begründung dieses Wunsches mit „unüberwindlicher Abneigung“ und bisher nicht vollzogener Ehe war ungewöhnlich und wurde Heinrich nicht abgenommen; sie erfüllte nicht die kirchenrechtlichen Anforderungen an eine Trennung. So scheiterte der Versuch kläglich, zumal der aus Rom zur Klärung der Angelegenheit ins Reich 386

Vgl. Adam, Hamburgische Kirchengeschichte, III, cap. 47, S. 386 ff.

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geschickte Kardinal Petrus Damiani dem König in aller Deutlichkeit seine Vorbildfunktion vor Augen stellte, die er gerade zu zerstören im Begriffe sei.387 Dass Heinrich nach den schlechten Anfangserfahrungen in der Zeit seiner Jugend nun zu der Praxis überging, die Fürsten in wichtigen Fragen gar nicht mehr zur Beratung heranzuziehen, wurde bald deutlich, als er nämlich vor allem rund um den Harz mit dem Bau von befestigten Höhenburgen begann, ohne diese ungewöhnlichen Maßnahmen zuvor zum Gegenstand von Beratungen zu machen. Es kann nicht überraschen, dass die fehlende Bereitschaft des Königs, seine Pläne den sächsischen Großen zu erläutern und ihren Konsens einzuholen, in Sachsen das Bewusstsein erzeugte, der König führe Böses im Schilde und wolle alte Rechte der Sachsen grundsätzlich angreifen.388 Bald ­kursierten Gerüchte über Pläne des Königs, alle Sachsen zu versklaven.389 Zum Ärger über den Burgenbau und den Ausschluss der sächsischen Großen von der politischen Willensbildung gesellten sich zunehmend mehr Gerüchte über Willkürakte und Verbrechen des Königs, die zu Widerstand aufforderten, bevor es zu spät war. Selbst im fernen Niederaltaich schrieb der Chronist schon zum Jahre 1072 ein verheerendes Fazit über Heinrichs Politik nieder, das die Frage der Beratung in den Mittelpunkt rückte: „Seit langem schon hatte der König begonnen, alle Mächtigen zu verachten, dagegen die Geringeren durch Reichtümer und Hilfen emporzuheben, und nach dem Rat der Letzteren verwaltete er, was zu verwalten war. Von den Vornehmen aber ließ er selten einen zu seinen geheimen Angelegenheiten zu. Und weil vieles gegen die Ordnung geschah, entzogen sich die Bischöfe, die Herzöge und andere Große des Reiches den Angelegenheiten des Königs.“390 An diesen Reaktionen wird ein grundsätzliches Dilemma mittelalterlicher Herrschaftsausübung deutlich: Einerseits existierte kein expliziter Kanon von Rechten und Pflichten des Königs, der ihm genaue Vorschriften gemacht hätte, wer über den Burgenbau zu informieren und zur Beratung und Zustimmung heranzuziehen war. Andererseits aber führte ein eigenmächtiges Verlassen des Korridors, der königlichem Handeln auf diesem sensiblen Feld offenstand, zu Unterstellungen und in der Folge zu einer Oppositionshaltung, die entschlossen durchzusetzen versuchte, dass solch weitreichende Entscheidungen der gemeinsamen Beratung aller Zuständigen bedurften. Vgl. dazu allg. ZEY, „Scheidung“ zu Recht? Vgl. dazu FENSKE, Adelsopposition, S. 29 ff.; GIESE, Der Stamm der Sachsen und das Reich, bes. S. 150 ff., beide mit starker Betonung des königlichen Burgenbaus als auslösender Ursache; SUCHAN, Königsherrschaft im Streit, bes. S.  61  ff. mit stärkerer Berücksichtigung der Weigerung Heinrichs, sich mit den Sachsen zu beraten. 389 Vgl. Lampert, Annales, a. 1073, S. 174: Rex … machinari cepit, videlicet ut omnes Saxones et Turingos in servitudinem redigeret et predia eorum fisco publico adiceret. 390 Annales Altahenses, a. 1072, S. 84. 387

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Zu einem Angriff auf die Ordnung zählten viele Fürsten sicher auch Heinrichs Vorgehen gegen Herzog Otto von Northeim, als diesem von einem übel beleumundeten Adligen namens Egino im Jahre 1070 der Vorwurf gemacht wurde, er habe ihn zur Ermordung König Heinrichs anstiften wollen. Als Beweis wies der Haudegen lediglich ein Schwert vor, das der Herzog ihm angeblich zu diesem Zweck übergeben hatte. Er erklärte sich aber bereit, die Wahrheit seiner Anschuldigung in einem gerichtlichen Zweikampf mit Herzog Otto zu erweisen. Dies ordnete der König dann auch an, ohne dazu den vom Herzog geforderten Rat der Fürsten einzuholen. Deshalb fingen diese nach Lampert an, „sich über die Unbilligkeit dieser Auflage zu beschweren: Es sei nicht recht und billig, dass ein Mann von höchstem Adel und völlig unbescholtenem Ruf … mit einem solchen durch und durch verrufenen Menschen kämpfen solle.“391 Dennoch versuchte Heinrich, den Zweikampf durchzusetzen, und ließ den sich ­weiterhin weigernden Herzog Otto nicht nur absetzen, sondern sogar zum Tode verurteilen. Im sich anschließenden bewaffneten Konflikt mit dem König erhielt Otto jedoch so viel Unterstützung, dass der König schließlich einer ­gütlichen Beendigung des Streits zustimmen musste, die in den gewohnten Bahnen der Unterwerfung und der sich bald anschließenden Versöhnung vollzogen wurde. Nicht zufällig wurde Otto danach aber einer der Anführer der Sachsen in den Auseinandersetzungen mit Heinrich, zumal er sein Herzogtum Bayern nicht zurückerhielt. 392 Die in dieser Zeit also bereits äußerst angespannte Situation hat zu einer ungewöhnlichen Quellenlage geführt, da vor allem die Gegner des Königs zum Mittel der schriftlichen Fixierung ihrer Positionen und zur Dokumentation des königlichen Unrechts in Form von Geschichtsschreibung griffen. Wir werden über die sächsische Sicht der Probleme durch die Annalen Lamperts von Hersfeld und Brunos Buch vom Sachsenkrieg viel intensiver, wenn auch durchaus parteiisch, informiert als über die Auffassung des Königs, die nur sehr allgemein im Carmen de bello Saxonico eines anonymen Verfassers zum Ausdruck kommt. Viel spricht dafür, dass die Sachsen ihre Positionen deshalb schriftlich niederlegten, weil sie dieses Wissen in Verhandlungen mit dem König und den Reichsfürsten benötigten und benutzen wollten. Wir beobachten hier mit anderen Worten, wie in komplexen Problemlagen zum Mittel der Schriftlichkeit gegriffen wurde, um für die zu erwartenden Verhandlungen über die Beilegung des Konflikts wichtige Argumente verfügbar zu halten. Die Sachsen haben nämlich Eigenmächtigkeiten, Übergriffe, Vergehen und Verbrechen des Königs gesammelt, indem sie ihre Stammesgenossen aufforderten, öffentlich darzutun, welches Unrecht der König ihnen zugefügt hatte. Viele dieser Geschichten sind auf nicht genauer rekon391 392

Lampert, Annales, a. 1070, S. 124 f. Vgl. dazu zuletzt BORCHERT, Otto von Northeim, bes. S. 103 ff.

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struierbaren Wegen in die Geschichtsschreibung Lamperts und Bruns eingegangen, ohne dass man sich für ihren Wahrheitsgehalt verbürgen möchte. Es ist aber auch nicht allein entscheidend, ob die Vorwürfe gegen Heinrich IV. und seine Herrschaft wahr sind. Allein durch die Tatsache, dass sie erhoben wurden und so in der Welt waren, erzeugten sie eine politische Wirkung. Sie zerstörten jedes Vertrauen in die Herrschaft des Königs und vergifteten das politische Klima. Wie ein roter Faden ziehen sich durch diesen Konflikt aber die Versuche der Sachsen, mit dem König selbst oder mit den in seinem Namen verhandelnden Reichsfürsten über die Missstände zu sprechen, die Heinrichs Herrschaft in Sachsen nach ihrer Meinung hervorgebracht hatte. Sie reklamierten damit das alte Recht auf Beratung anstehender Probleme, das ihnen von Heinrich IV. verweigert werde.393 Immer wieder erhoben sie bei diesen Gelegenheiten auch die gleiche Palette von Vorwürfen, mit denen sie zugleich ihr Recht auf Widerstand begründeten. An dieser Hartnäckigkeit lässt sich mit einiger Sicherheit ablesen, dass die Sachsen von der Berechtigung ihrer Vorwürfe gegen den König zutiefst überzeugt waren. Es ist an einer dichten Folge von Berichten über Beratungen und Verhandlungen und den dort vorgebrachten Argumenten aber auch in einiger Deutlichkeit zu erkennen, in welchen Formen die politischen Auseinandersetzungen mit dem König geführt werden konnten und welche Verfahren man im Falle von gravierendem Dissens benutzte. Nach der Darstellung beider Gewährsleute sprach man in den vertraulich geführten Verhandlungen Missstände in aller Deutlichkeit an und formulierte die eigenen Forderungen drastisch. Wir erhalten durch die Berichte einen nachhaltigen Eindruck davon, wie man die eigene und die gegnerische Argumentation festhielt und erinnerte. Ungeachtet ihrer Parteilichkeit sind die Berichte deshalb von unschätzbarem Wert, weil sie in völliger Offenheit Argumente und Standpunkte der Parteien bieten, die in den Beratungen und Verhandlungen eingenommen wurden oder werden konnten. So sind sie in jedem Fall seltene Zeugnisse für die politische Streitkultur, die Möglichkeiten und Grenzen, mittels rationaler Argumentation Anhänger und auch Gegner zu beeindrucken oder auch zu überzeugen. Dies wird in wenigen Bereichen der mittelalterlichen Geschichte so klar nachweisbar wie in den Beratungen und Verhandlungen der Parteien, die noch 393

Vgl. dazu bereits SUCHAN, Königsherrschaft im Streit, S. 61 ff. und 90 ff.; ALTHOFF, Heinrich  IV., S.  89  ff.; DERS., Noch einmal zu den Vorwürfen gegen Heinrich  IV., S. 260 ff. in Widerspruch zu PATZOLD, Die Lust des Herrschers, bes. S. 228 ff., der die Entstehung der Vorwürfe bezüglich Heinrichs sexueller Verfehlungen mit den Abfassungszeiten der Schriften bestimmt, in denen von ihnen berichtet wird. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass in diesen Schriften mehrfach konkret davon gesprochen wird, dass die Vorwürfe von den Sachsen bereits in früheren Jahren erhoben wurden. Die Vorwürfe dürften damit älter sein, als Patzold annimmt.

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vor den sog. Sachsenkriegen Heinrichs  IV. stattfanden. Man muss hervorheben, dass es in diesen Verhandlungen immerhin gelang, einen bewaffneten Konflikt zunächst zu vermeiden und eine gütliche Lösung zu vereinbaren, die eine vollständige Änderung der königlichen Politik gegenüber den Sachsen vorsah. Es lag nicht an den verantwortlichen Kräften dieses Prozesses, dass der vereinbarte Frieden nicht lange hielt und es zu massiven kriegerischen Auseinandersetzungen kam.394 Der Verlauf der letztlich erfolgreichen Beratungen und Verhandlungen über das Verhalten des Königs im Jahre 1073/74 sei daher genauer analysiert. Nach Bruno führten schon die ersten sächsischen Bemühungen, auf dem Recht auf Beratung mit dem König zu bestehen, zum Eklat, als der König sächsische Große, die sich zu vereinbarten Beratungen eingefunden hatten, absichtsvoll brüskierte: „Als der Tag herangekommen war (29. Juni 1073), den man für Verhandlungen festgesetzt hatte, versammelten sich die Bischöfe, Herzöge, Grafen und die übrigen Fürsten am frühen Morgen vor der Pfalz (in Goslar) und warteten dort vergeblich, dass der König zu ihnen herauskäme oder sie zu sich hereinriefe. Denn er hatte die Türen seiner Kammer verschlossen und trieb innen mit seinen Schranzen Würfelspiel und andere unnütze Dinge unbekümmert darum, dass er so viele bedeutende Männer vor seiner Tür warten ließ, als seien sie die niedrigsten Knechte … Als es schon Nacht geworden war, kam einer von seinen Höflingen heraus und fragte die Fürsten höhnisch, wie lange sie dort noch warten wollten, da der König schon zu einer anderen Tür hinausgegangen sei und in schnellem Ritt zu seiner Burg eile.“395 Die so brüskierten Sachsen zogen daraus eine naheliegende und mehrfach zu beobachtende Konsequenz: Sie trafen sich noch in derselben Nacht in einer Kirche, um eine Schwureinung (coniuratio) abzuschließen, deren Mitglieder sich zum Ziel setzten, lieber zu sterben als diese Schande ungerächt zu lassen. Folgerichtig riefen sie bald danach einen Stammestag in Hoetensleben ein, auf dem sie alle Sachsen von der Gerechtigkeit ihrer Sache überzeugen und zu ­gemeinsamen Aktionen bewegen wollten. Die sächsischen Maßnahmen erinnern sehr an die Aktivitäten der Gegner Ottos des Großen am Beginn ihrer Kämpfe gegen diesen Herrscher.396 Bruno zitiert die Eingangsrede Herzog Ottos von Northeim auf dieser Versammlung in Hoetensleben wörtlich, in der die wichtigsten gravamina der Sachsen gegen die Herrschaftsführung Heinrichs  IV. angesprochen wurden: „Unbill und Schmach, die unser König bereits seit langem über jeden einzelnen von euch allen gebracht hat, sind groß und unerträglich; aber was er noch zu Zu den Gründen vgl. ausführlich Regesta imperii III, 2, Nr. 699, S. 157 f. mit den Quellen und der einschlägigen Literatur. 395 Bruno, De bello Saxonico, cap. 23, S. 221. 396 S. dazu oben bei Anm. 270 f. 394

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tun vorhat, falls es der allmächtige Gott zulässt, ist noch weit größer und schwerer. Starke Burgen hatte er, wie ihr wisst, in großer Zahl an von Natur aus festen Plätzen errichtet und ziemlich bedeutende Kräfte seiner Vasallen, mit aller Art von Waffen reichlich versehen, in sie gelegt. Was diese Burgen bedeuten, haben die meisten erfahren, und wenn es nicht Gottes Barmherzigkeit und eure Macht verhindern, werden es bald alle wissen … Euch, die ihr in ihrer Nähe wohnt, nahmen sie mit Gewalt eure Habe und schleppten sie in diese Burgen. Eure Frauen und Töchter missbrauchten sie nach Gefallen zu ihrer Lust. Eure Knechte und euer Zugvieh fordern sie nach Belieben zu ihrem Dienst … Aber wenn ich mir in Gedanken vorstelle, was unser noch harrt, erscheint mir alles, was ihr jetzt erduldet, noch erträglich. Wenn er nämlich seine Burgen in unserem ganzen Land erbaut haben wird … dann wird er eure Habe nicht mehr vereinzelt plündern, sondern alles, was ihr besitzt, wird er euch mit einem Schlag entreißen … und euch selbst, freie und adlige Männer, unbekannten Menschen als Knechte dienen heißen.“397 Nach Herzog Otto standen dann andere Sachsen, Bischöfe, Adlige und Freie auf und schilderten gleichfalls das Unrecht, das ihnen der König angetan habe. Zunächst erhoben die Bischöfe von Magdeburg und Halberstadt ihre Klagen, es folgten noch einmal Herzog Otto, Markgraf Dedi, Graf Hermann, der Billunger, Pfalzgraf Friedrich sowie zwei Freie, denen der König Freiheit und Besitz zu nehmen versucht hatte.398 Sie standen für die Richtigkeit ihrer Aussagen allein mit ihrer Ehre ein und überzeugten so viele, dass alle einzeln einen Eid schworen, ihre vom König bedrohte Freiheit mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen zu wollen. Anschließend wurden sie sofort aktiv. Es setzte sich ein sehr großes Heer nach Goslar in Bewegung, um nun den König zu Verhandlungen über diese Beschwerden zu zwingen. Diese entschlossene Reaktion zwang den König in der Tat dazu, von seiner grundsätzlichen Verweigerungshaltung, was Beratung und Mitsprache an ­seinen Entscheidungen anging, Abstand zu nehmen. Die Sachsen schickten nämlich Abgesandte zu ihm, die ihm die sächsischen Beschwerden gegen seine Amtsführung im Einzelnen vortrugen. Angesichts des sie drohend begleitenden Heeres musste der König ihre Forderungen offensichtlich anhören: „Er solle die Burgen niederlegen lassen, die er überall auf Bergen und Hügeln zur Vernichtung Sachsens erbaut hatte, er solle ferner den sächsischen Fürsten, deren Güter er ohne gerichtliche Untersuchung eingezogen hatte, aufgrund eines Urteilsspruchs ihres Fürstengerichts Genugtuung leisten; er solle Sachsen, wo er schon seit seiner Kindheit residiere und in Müßiggang und Faulheit schon nahezu völlig erschlafft sei, zeitweise verlassen und auch einmal andere Teile seines Reiches aufsuchen; er solle das Gesindel, durch dessen Ratschläge 397 398

Bruno, De bello Saxonico, cap. 25, S. 222–225. Ebd., cap. 26, S. 224 ff.

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er sich und das Land zu Grunde gerichtet habe, vom Hofe verjagen und die Verwaltung der Reichsgeschäfte den Fürsten überlassen, denen sie zustehe; er solle auch den Schwarm Konkubinen verabschieden, denen er gegen die kanonischen Bestimmungen beiwohne, ohne vor Scham zu erröten …“399 Die Vorwürfe, die Otto von Northeim auf dem Stammestag in Hoetensleben gegen die Amts- und Lebensführung Heinrichs formuliert hatte, sind nach dieser Darstellung nun auch als sächsische Forderungen dem König ins Angesicht vorgetragen worden. Unter ihnen fand sich auch die, seine niederrangigen Ratgeber zu entlassen und die Fürsten wieder an den Reichsgeschäften zu beteiligen, wie es immer üblich gewesen war. Die Achtung vor der Unverletztlichkeit der Boten und Unterhändler reichte hier offensichtlich aus, die ausgesandten Sachsen vor der Willkür des Herrschers zu schützen. Heinrich musste sich nun angesichts des militärischen Drucks auf Verhandlungen mit den Sachsen einlassen, die er jedoch nicht persönlich, sondern durch Unterhändler führte. Hierzu schickte er mehrere seiner Anhänger, vor allem aber den Herzog Berthold von Zähringen, zu den Sachsen.400 Damit stellte sich natürlich das grundsätzliche Problem, wie viel Spielraum er den Unterhändlern bei den Verhandlungen zugestehen wollte oder musste. Es zeigte sich interessanterweise, dass dieser Spielraum sich kaum wirkungsvoll begrenzen ließ, eine Erfahrung, die auch schon Otto der Große hatte machen müssen.401 Lampert und Bruno schildern die folgenden Verhandlungen weiter ausführlich, aber mit durchaus unterschiedlichen Akzentsetzungen. Lampert macht mit einer Bemerkung über die anschließende Flucht des Königs allerdings deutlich, dass er seine Ausführungen erst erheblich später niedergeschrieben haben dürfte: „Und in der Tat, wenn sie ausreichend dafür Sorge getragen hätten (die Flucht zu verhindern), dann wäre mit geringen Verlusten in wenigen Tagen eine Sache erledigt gewesen, die sich dann so lange hinzog und alle Länder des Reiches an den Rand des Untergangs brachte.“402 Wir müssen also bei der Analyse beider Berichte bedenken, dass sie in Kenntnis des gesamten Verlaufs der Sachsenkriege geschrieben sind und gezielte Verformungen zu Ungunsten Heinrichs IV. enthalten können. Lampert akzentuiert vor allem, dass schon in den ersten Verhandlungen, die unter der Führung Herzog Bertholds von Zähringen stattfanden, die Unterhändler Heinrichs die berechtigten Gründe der Sachsen, zu den Waffen zu Lampert, Annales, a. 1073, S. 180 ff. Nach Lampert, Annales, a. 1073, S.  184  f. waren es die Bischöfe Eppo von Zeitz und Benno von Osnabrück, die mit Herzog Berthold zu den Sachsen gingen; Bruno De bello Saxonico, cap. 27, S. 228 f. nennt andere geistliche Würdenträger, den Bischof Friedrich von Münster und den königlichen Kaplan Siegfried, aber gleichfalls Herzog Berthold. 401 Vgl. dazu dessen Erfahrungen mit Erzbischof Friedrich von Mainz oben bei Anm. 263 f. und Anm. 277 ff. 402 Vgl. Lampert, Annales, a. 1073, S. 188 f. 399

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g­ reifen, anerkannt hätten: „Wohl sei ihre Sache gerecht, denn die unerbittliche Härte des Königs habe sie durch zahlreiche Ungerechtigkeiten zum Äußersten getrieben, doch sollten sie mehr auf ihren guten Ruf bedacht sein … Sie möchten auf den Waffenlärm verzichten, zu friedlicher Gesinnung zurückkehren … und Ort und Zeit bestimmen, damit der König die Fürsten des ganzen Reiches berufen könne, um sich aufgrund einer gemeinsamen Entscheidung von den Vorwürfen zu reinigen und zu bessern, was der Besserung zu bedürfen scheine.“403 Man muss hier kommentierend anfügen, dass dieses Angebot der königlichen Unterhändler den König durchaus begünstigte. Schließlich war es für ihn nicht schwer, Vorwürfe durch einen Reinigungseid abzuwehren. Das wichtige Zugeständnis an die Sachsen bestand allerdings darin, dass den Fürsten die Entscheidung über Reinigung und Besserung zustehen sollte. Mit diesem Zugeständnis der Unterhändler wurde eine wesentliche Forderung der Sachsen akzeptiert, die der König bisher konsequent missachtet hatte: die Fürsten nämlich angemessen am Entscheidungsprozess zu beteiligen. Nach Lampert waren die sächsischen Verhandlungsführer mit diesem Vorgehen aber nicht mehr einverstanden. Die Fürsten seien nicht in gleicher Weise wie die Sachsen vom Unrecht des Königs betroffen, argumentierten sie. Deshalb „liegt uns nicht daran, über unsere eigenen Nöte die Entscheidung anderer abzuwarten.“404 Man wollte vielmehr als glaubhaften Beweis von Scham und Reue des Königs über seine Schandtaten, dass er „unverzüglich die Burgen ­abbrechen lasse … die Erbgüter zurückerstatte … und endlich soll er uns einen Eid leisten, dass er zukünftig nie mehr versuchen wolle, die unserem Volk seit frühesten Zeiten zustehenden Rechte zu verletzen.“405 Die Sachsen verlangten mit diesem Eid des Königs verbindliche Zusagen, wie sie sie auch schon Heinrich II. bei seiner „Nachwahl“ in Merseburg im Jahre 1002 abverlangt hatten.406 Nur so wollten sie sich davon abhalten lassen, gewaltsam das Schicksal, das ihnen der König zu bereiten drohte, abzuwenden. So endete der Verhandlungsversuch nach Lampert ohne greifbares Ergebnis. Bruno ist in seiner Darstellung knapper und legt den Akzent ganz auf das verschlagene Agieren Heinrichs: „Als der König sie (die sächsische Heeresmacht) sah, entsetzte er sich, von plötzlichem Schrecken ergriffen, aber da er sich ja gut zu verstellen wusste, ließ er durch Boten ausrichten, als sei er ganz unbesorgt: Er könne gar nicht begreifen, wozu sich eine solche Menge Volks versammelt habe, er glaube nicht, dass ihm um irgendeiner Sache willen eine so große Schuld ihnen gegenüber zur Last falle, dass sie darum berechtigt wären, einen Bürgerkrieg anzufangen … Wenn sie sich zu beklagen hätten, so Ebd., a. 1073, S. 184 ff. Ebd., a. 1073, S. 186 f. 405 Ebd. 406 S. dazu oben bei Anm. 318. 403

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sei er bereit, es ruhigen Sinnes anzuhören, und wenn etwas zu bessern sei, es nach dem Rat seiner Fürsten und Freunde zu bessern.“407 Bei Bruno fehlt jeder Hinweis auf ein verständnisvolles und kompromissorientiertes Verhalten der Unterhändler, die er im Unterschied zu Lampert, der von legati spricht, auch nur nuntii nennt. Hiermit soll wohl deutlich werden, dass die „Boten“ keinen Spielraum für Verhandlungen hatten. Aber auch das scheinbare Zugeständnis Heinrichs, er wolle sich anhören, was die Sachsen vorzubringen hätten, und dann nach dem Rat seiner Fürsten und Freunde das bessern, was zu bessern sei, bedeutete kein wirkliches Einlenken: Schließlich behielt sich Heinrich nach dem Wortlaut offensichtlich vor, allein zu entscheiden, ob überhaupt etwas zu bessern sei. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass Brun bewusst so formulierte, um die Hinterhältigkeit des Königs deutlich zu machen, die denn auch von den sächsischen Unterhändlern durchschaut und von Otto von Northeim mit der Forderung beantwortet wurde: „Er möge die Burgen zerstören, sonst wisse man, wozu er sie gebaut habe.“408 Die königliche Hinterhältigkeit zu verdeutlichen, ist wohl auch das Ziel des den Bericht abschließenden Kommentars: „Als die Boten nach ihrer Rückkehr dies dem König berichteten und ihn, so sehr sie sich auch bemühten, nicht überreden konnten, die Bitten zu erfüllen, da traute er selbst seinen engsten Freunden nicht mehr, weil sie ihm nicht den Rat gegeben hatten, den er hören wollte. Er entfernte sie alle und überlegte ganz allein, was er tun solle.“409 Das aber war das typische Verhalten eines Tyrannen. Trotz aller Unterschiede im Detail der beiden Berichte, die erkennbar nicht voneinander abhängen, darf man wohl aus beiden mit einiger Sicherheit schließen, dass es vor der Harzburg in Verhandlungen zu einem Austausch der ­jeweiligen Positionen gekommen ist. Die Sachsen scheinen ihre Empörung über das königliche Verhalten und ihre Forderungen unverblümt zum Ausdruck gebracht zu haben. Beim berichteten Verhalten Heinrichs bleibt unentscheidbar, ob der König die Sachsen durch Boten lediglich hinzuhalten versuchte (Bruno) oder ob sogar seine Unterhändler Verständnis für die sächsische Sache aufbrachten und als Kompromiss eine Entscheidung unter Beteiligung der Fürsten in Aussicht stellten (Lampert). Vollkommen einig sind sich beide Autoren dann, dass Heinrich nach diesem Misslingen der Verhandlungen die Gelegenheit zu einer schmählichen Flucht ergriff. Durch diese Flucht befreite er sich aus der misslichen Situation in der Bruno, De bello Saxonico, cap. 27, S. 226 ff. Ebd., cap. 27, S. 228 f.: se petere, ut castella … vellet destruere; si vero nollet, tunc se intellegere, quare constructa fuissent. 409 Ebd., cap. 27, S. 228 f.: Cumque nuntii reversi regi talia retulissent ipsique, quamvis multum temptarent, ei, quo rogata faceret, persuadere non potuissent, ipse iam nec amicis familiaribus, quia non, ut volebat, sibi consilium dederant, fidem habuit, sed omnibus semotis solus secum, quid ageret, deliberans. 407

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Harzburg und nahm Kontakt zu anderen Reichsfürsten auf, bei denen er Klage gegen die Anmaßung der Sachsen führte und ihre Unterstützung bei der Rache für die Verletzung der königlichen Ehre forderte. Es ist interessant, wie viel Aufmerksamkeit die beiden Autoren der sächsischen Seite sowohl den diesbezüg­ lichen Beratungen des Königs mit den Reichsfürsten wie den dann folgenden Verhandlungen von einigen Reichsfürsten mit sächsischen Unterhändlern schenken. Sie tun dies offenkundig, um nachzuweisen, wie unköniglich sich Heinrich bei seinem Bemühungen um Unterstützung verhielt und wie vollständig schließlich die von den Reichsfürsten ausgehandelte gütliche Einigung die Position der Sachsen stützte. Selbst die Stimme aus dem königlichen Lager kann nicht umhin, die Tatsache anzusprechen, dass die schließlich gefundene Lösung des Konflikts einen vollständigen Sieg der Sachsen bedeutete.410 Angesichts der Ausführlichkeit, mit der die Quellen Einzelheiten der Vorgänge und die vorgebrachten Argumente schildern, muss es ausreichen, die grundsätzliche Tendenz der Darstellung deutlich zu machen. Übereinstimmend berichten Lampert und Bruno, dass der König flehend und klagend den Reichsfürsten die Schmach und Schande dargestellt habe, die nicht nur er, sondern vor allem sie selbst durch das Verhalten der Sachsen gegenüber ihm, den sie doch zum König gewählt hatten, erlitten hätten. Hierzu soll er sich nach Lampert den Fürsten sogar zu Füßen geworfen und durch seine Klage allen Anwesenden Tränen entlockt haben.411 Dies ist nur einer der vielen Belege dafür, dass in den Beratungen mit expressiven Ausdrucksformen und Gesten versucht wurde, Wirkungen zu erzielen, die der eigenen Position zugute kamen. Dass durch eine Beleidigung des Königs auch die Reichsfürsten beleidigt würden, entsprach dabei durchaus gängigen Vorstellungen.412 Nach Bruno, der über die Vorgänge sehr viel knapper informiert als Lampert, zeigten die Fürsten wenig Bereitschaft, den König militärisch zu unterstützen: „Weil aber fast alle wussten, wie viel Unglück er über die Sachsen gebracht hatte, ließen sich nur wenige von seinen Reden bewegen … sie trugen mehr Sorge um ihre eigene Ehre als um die des Königs und versprachen ihm Hilfe unter der Bedingung, dass die Sachsen zu einer Verhandlung (placitum) berufen würden und sie sorgfältig die Sache beider Parteien untersuchen könnten.“413 Lampert bringt keine so klare Stellungnahme der Fürsten, erzählt dafür aber ausführlich über Verhandlungen, die unter der Führung des Erzbischofs Siegfried von Mainz im August 1073 tatsächlich in Corvey mit den Sachsen geführt wurden. Insofern ergänzen sich die beiden Berichte erneut gut. Bei 410 411 412 413

Vgl. unten bei Anm. 418. Vgl. Lampert, Annales, a. 1073, S. 190 f.; Bruno, De bello Saxonico, cap. 30, S. 230 f. Vgl. hierzu etwa einschlägige Argumentationen aus dem 12.  Jahrhundert, s. dazu ­GÖRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas, S. 23 ff. Vgl. Bruno, De bello Saxonco, cap. 30, S. 230 f.

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­ iesen Verhandlungen verschärften die Sachsen ihre Vorwürfe gegen den d König noch einmal nicht unerheblich: „Sie … brachten außer den bekannten Rechtswidrigkeiten, durch die der König ihnen großen Schaden zugefügt hatte, noch wichtige Gesichtspunkte vor zum Beweis dafür, dass er ohne schwere Schädigung des christlichen Glaubens nicht länger regieren könne, habe er doch gegen seine vertrautesten Freunde, gegen seine Gemahlin, gegen seine ­eigene Schwester, die Äbtissin von Quedlinburg, und gegen andere, ihm durch Verwandtschaft aufs engste verbundene Personen derartige Schandtaten begangen, dass in einem Verfahren nach dem Kirchenrecht ein Urteil auf Ehescheidung, den Entzug des Rittergürtels und den völligen Ausschluss vom welt­lichen Leben und erst recht von der Regierung ergehen müsste.“414 Diese Vorwürfe wie die Konsequenzen, die gefordert wurden, waren neu und scheinen immerhin so ernst genommen worden zu sein, dass man in Corvey den Beschluss fasste, ein weiteres Treffen der Reichsfürsten mit den sächsischen Unterhändlern durch wechselseitige Bürgen abzusichern. Auf diesem Treffen, für das der Ort Gerstungen und der 20. Oktober in Aussicht genommen wurde, wollte man nun sogar im Beisein des Königs die Anschuldigungen untersuchen und Heinrich die Gelegenheit geben, „die Anklagen zu wider­legen“. Man muss wissen, dass etwa die „Schandtat“ gegen seine Schwester Adelheid, die Äbtissin von Quedlinburg, darin bestanden haben soll, dass er diese Schwester von seinen milites habe vergewaltigen lassen. Diese Information ist sicher hilfreich, um ermessen zu können, was man im Beisein des ­Königs, aber nicht unter seinem Vorsitz, in Gerstungen untersuchen wollte. Man merkt dadurch, dass sich die Rolle der Fürsten im Streit zunehmend veränderte: Waren sie zunächst nur Unterhändler im Auftrage des Königs, wurden sie zunehmend mehr zu Vermittlern, ja zu Schiedsrichtern, die nicht nur die Parteien zum gütlichen Ausgleich bringen, sondern nach eingehender Prüfung der Sachlage den Konflikt durch ihre Entscheidung beenden wollten.415 Dem König ist damit allem Anschein nach mehr und mehr die Kontrolle über den Fortgang der Verhandlungen entglitten. Dass je nach Ergebnis der Prüfungen vielleicht über die Frage entschieden werden musste, ob Heinrich noch länger König sein könne, dürfte den Beteiligten klar gewesen sein. In Gerstungen traf man sich dann in der Tat zu den vereinbarten Verhandlungen ohne den König, dafür aber mit einer hochkarätigen Delegation von 414

415

Vgl. Lampert, Annales, a. 1073, S.  198  f. Zur Bewertung dieser Anschuldigungen s. jetzt STRUVE, War Heinrich IV. ein Wüstling?; PATZOLD, Die Lust des Herrschers; ALTHOFF, Noch einmal zu den Vorwürfen gegen Heinrich IV. jeweils mit weiteren Hinweisen. Zum signifikanten Unterschied zwischen Vermittler und Schiedsrichter vgl. KAMP, Friedensstifter und Vermittler, bes. S. 236 ff.; zur Geschichte des Schiedsgerichtswesens s. MALECZEK, Das Frieden stiftende Papsttum, S. 280 ff.; GARNIER, Amicus amicis, S. 234 ff.

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Vertretern der königlichen Seite, an deren Spitze die Erzbischöfe von Mainz und Köln, die Bischöfe von Metz und Bamberg sowie die Herzöge Gozelo von Lothringen, Rudolf von Schwaben und Berthold von Kärnten standen.416 Schon diese Gruppe macht wohl den Stellenwert deutlich, den man auf Seiten des Königs und vor allem der Reichsfürsten diesen Verhandlungen einräumte. Nach Lampert waren sich die sächsischen Fürsten sehr bewusst, dass sie die Mitglieder der königlichen Delegation überzeugen mussten, und sie machten dies gleich zu Beginn der Versammlung überdeutlich: „Die sächsischen Fürsten baten die Abgesandten des Königs fußfällig um Gottes willen, bei der Behandlung der Sache (causa) genau zu prüfen und gerecht zu richten und dabei nicht in Betracht zu ziehen, was für ein folgenschweres und im Reich ungewöhnliches Unternehmen sie in Angriff genommen hätten, sondern durch welche Notlage sie zu diesem Äußersten gezwungen worden seien.“417 Lampert benutzt in seiner Darstellung wohl bewusst Rechtstermini (causa, cognitores, iusti iudices), um den Verhandlungen die Aura einer gerichtlichen Untersuchung zu verleihen. Dies behält er in der weiteren Schilderung bei: „Als ihnen dann das Wort erteilt wurde, legten sie nacheinander dar, was für abscheuliche Verbrechen (nefanda facinora) der König gegen jeden einzelnen wie gegen ihren ganzen Stamm begangen habe und durch welch unerhörte Schandtaten (inauditis criminibus) er außerdem noch die Majestät des königlichen Namens befleckt habe. Da staunten die vom König abgeordneten Fürsten, und wegen der Ungeheuerlichkeit der Verbrechen klangen, wie der Prophet sagt, allen die Ohren (Jer 19,3), und sie waren nun der Meinung, dass die Sachsen nicht deshalb schuldhaft seien (culpandos), weil sie für ihre Freiheit, für Weib und Kind zu den Waffen gegriffen, sondern weil sie mit weibischer Geduld unerträgliche Schmach so lange ertragen hätten.“ Bis hierhin wird der Bericht Lamperts in gewisser Weise durch die Stimme der königlichen Partei, das Carmen de bello Saxonico, bestätigt, in dem gleichfalls berichtet wird, dass die Fürsten sich mit den Sachsen und ihren Forderungen solidarisierten: „Die Bischöfe also, die Vornehmsten, Grafen und Herzöge, trafen mit den Sachsen auf dem Feld zusammen. Manche Klage führten die Sachsen über den König, bald auch erinnerten sie an die oben genannten Beschwerden, dass sie nur gereizt begonnen hätten, solches zu betreiben; mit solchem Ränkespiel brachten sie die Fürsten vom Recht ab, so dass jeder von ihnen ihr Beginnen billigte und sie die feste Zusicherung gaben, den König zu mahnen, dass er ihnen das Recht der Väter zurückgebe und das Vorgefallene verzeihe.“418 416 417 418

Vgl. dazu Regesta Imperiii III, 2, Nr. 662, S. 143 mit den Quellenbelegen und der Literatur, wo jedoch das Ergebnis der Verhandlungen sehr einseitig dargestellt wird. Vgl. Lampert, Annales, a. 1073, S. 202 ff., dort auch die folgenden Zitate. Vgl. Carmen de bello Saxonico, II, 32 ff., S. 160 f.

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Lampert ergänzt seinen Bericht aber noch um weitere Abmachungen, deren Wahrheitsgehalt in der Forschung bis heute unterschiedlich eingeschätzt wird: „Drei Tage lang hielten sie Rat und erwogen in gemeinsamer Bemühung, was zu tun sei. Schließlich fällten sie einstimmig das Urteil (sententia), den König zu verwerfen und einen anderen zu wählen, der für die Regierung des Reiches geeignet sei. Man beschloss jedoch, dies nicht vorzeitig der Öffentlichkeit bekanntzumachen, bevor sie den König unter dem Vorwand des Friedensschlusses in entlegenere Teile des Reiches entfernt und diesen Beschluss den übrigen Reichsfürsten mitgeteilt hätten.“419 Folgt man diesen Angaben, dann haben sich die in Gerstungen Versammelten als Schiedsgericht verstanden, das zu einem Urteil (sententia) von großer Tragweite berechtigt war, nämlich dem König die Gefolgschaft zu verweigern und die Wahl eines anderen Königs in die Wege zu leiten. Wir müssen hier nicht entscheiden, welchen Wahrheitsgehalt diese Angaben beanspruchen können; umgesetzt wurden sie jedenfalls sicher nicht. Ob man sie deshalb aber vollständig verwerfen darf, ist zweifelhaft. Man kann sich bei einer Verwerfung dieser Nachrichten eigentlich nur darauf berufen, dass Lampert die Tendenz habe, Geschehnisse zu erfinden, um Heinrich in schlechtes Licht zu setzen. Hier hätte er allerdings Geschehnisse erfunden, die die Sachsen und die Fürsten in ein schlechtes Licht setzten, weil sie Absprachen trafen, die sie aus unbekannten Gründen gar nicht zu realisieren versuchten. Man wird daher wohl mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass die Frage der Absetzung Heinrichs schon hier diskutiert worden ist und für notwendig erachtet wurde, dass aber weitere Sondierungen wohl keine genügend breite Mehrheit für diese Maßnahme erbrachten. Unsere Schwierigkeit, die angeblichen Beschlüsse der Gerstunger Versammlung einzuordnen, besteht aber vor allem darin, dass wir zwischen rechtlichen und politischen Entscheidungen strikt zu unterscheiden gewohnt sind, während hier zweifelhaft zu sein scheint, welchem Bereich die Gerstunger Verhandlungen zugehörten. Die Ausdifferenzierung von Recht und Politik war wohl nicht in gleicher Weise gegeben, wie wir es gewohnt sind. Dies hatte zur Folge, dass die Beratungen das Vorgehen in einem rechtlichen Verfahren wie dem späteren Schiedsgericht mit politischen Beschlüssen zu mischen scheinen, ohne dass wir sicher sein könnten, ob die Verhandlung überhaupt die Kompetenz eines Schiedsgerichtes hatte. Der Kern der politischen Abmachungen dieses ersten Treffens in Gerstungen, Heinrich zu einer Änderung seiner Politik zu bringen, die den sächsischen Forderungen Rechnung trug, wurde dagegen nachweislich weiter verfolgt und noch im Winter 1074 mithilfe der Fürsten realisiert. Dies geschah in einer Situation, in der sich im strengen Winter ein sächsisches Heer und Truppen 419

Vgl. Lampert, Annales, a. 1073, S. 202 f.

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Heinrichs und der ihn unterstützenden Reichsfürsten mehr oder weniger kampfbereit gegenüberstanden. Am 2. Februar 1074 trafen sich nämlich erneut in Gerstungen Fürsten aus Heinrichs Lager mit Vertretern der Sachsen. Dennoch gestaltete sich die Vereinbarung des Friedens auf beiden Seiten schwierig, da sich nicht nur der König, sondern auch auf der sächsischen Seite starke Kräfte für eine Entscheidung durch einen Waffengang stark machten. Zunächst hatte man nach Lampert vier Bischöfe abgeordnet, die im Namen des Königs mit den Sachsen verhandelten. Sie hatten angeblich die Befugnis zu ­versprechen, dass der König „allem bereitwillig beistimme, was sie berechtigterweise forderten und was erwählte Schiedsrichter (electi ex utraque parte iudices) für billig erachten würden“.420 Die Sachsen wiederholten hierzu ihre schon mehrfach erhobenen Forderungen: Niederlegung der Burgen, Rückgabe entfremdeten Gutes, Restitution Herzog Ottos, zukünftige Achtung der Freiheit und der Rechte der Sachsen, Aufenthalt auch in anderen Teilen des Reiches und die Einhaltung königlicher Sitten. Diese Forderungen wurden nun mit Heinrich  IV. einerseits und im Lager der Sachsen andererseits vorbesprochen, was in beiden Fällen heftige Widerstände auslöste. Im Falle Heinrichs ging das angeblich so weit, dass er den angebotenen Frieden dadurch zu verwerfen suchte, indem er durch Boten alle im Heerlager anwesenden Fürsten auffordern ließ, sich mit ihren Kontingenten kampfbereit einzufinden, um in die Schlacht zu ziehen. Dem Aufruf hätten sich allerdings alle verweigert. Auch im sächsischen Lager hatte sich das niedere Volk empört und Herzog Otto aufgefordert, die königliche Gewalt direkt zu übernehmen und sie in den Kampf zu führen. Schließlich erbrachte aber angeblich die Haltung der vertrautesten Ratgeber Heinrichs den Durchbruch, die ihn mahnten: „Wir haben, o König, keinen anderen Weg: Du musst die Bedingungen, die sie dir aufer­ legen, mit Gleichmut auf dich nehmen, oder du verlierst den Thron, noch dazu unter schwerster Lebensgefahr.“421 Und dann machten sie ihm klar, dass seine Krieger, die sich schon geweigert hatten, zum Kampf auszuziehen, kaum eine Chance gegen den entschlossenen und überlegenen Feind haben würden, wenn es wirklich zum Kampf käme. Wenn er jetzt aber allen Forderungen nachgäbe, bestünde die Chance, seinen Thron zu retten. Da endlich lenkte der König ein und 15 Bischöfe sowie alle Fürsten aus seinem Lager gingen zu den Sachsen, um die Friedensbedingungen festzulegen. Hier vereinbarten sie Folgendes: Wenn der König diesen Frieden und seine Bedingungen nicht einhalte, „dann würden sie (die Sachsen) wieder, wie jetzt zu einer Eidgenossenschaft verbunden, zu den Waffen greifen, dem Unrecht begegnen und ihn als offenkundigen Eidbruchs schuldig mithilfe sämtlicher Fürsten des Reiches vom Throne 420 421

Vgl. ebd., a. 1074, S. 222 f. Ebd., S. 224 f.

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stoßen.“422 Die Bestimmungen des Friedensschlusses orientierten sich inhaltlich völlig an den sächsischen Forderungen, die wir schon mehrmals zitiert haben. So weit sind wir den überaus detaillierten Darlegungen Lamperts gefolgt, die sich mit den knapperen Aussagen bei Bruno gut vereinbaren lassen. Dieser akzentuiert wie Lampert als Ergebnis der Verhandlungen das völlige Einlenken des Königs: „Deshalb musste der König auf Geheiß seiner Fürsten zu den Sachsen schicken und ihnen versprechen, alles zu tun, was sie ihm vorschreiben würden, wenn sie ihm nur nicht die vom Vater vererbte Würde versagen wollten, obgleich er sie, wie er selbst zugab, durch die Schuld seiner unbedachten Jugend und schlechter Ratgeber verloren habe.“423 Dann zitiert auch Bruno die schon bekannten Forderungen der Sachsen, denen der König fidelissime nachzukommen versprochen habe. Er habe danach sein Heer entlassen und sei von den Sachsen mit Lob und Triumphgesängen nach Goslar geleitet worden. Lampert berichtet zudem, dass die Sachsen, angeführt von den Fürsten, die die Vermittler (mediatores) des Friedensschlusses gewesen waren, zu Heinrich gezogen seien, der sie mit allen Ehren empfangen und ihnen den Friedenskuss gewährt habe. Erst dann sei er mit den Sachsen nach Goslar gezogen. Der Frieden und das Einlenken des Königs war also der Vermittlungstätigkeit der ­Fürsten zu verdanken, die damit der bisherigen Politik des Königs eine herbe Lektion erteilt hatten. Sie hatten alle sächsischen Forderungen anerkannt und zur Grundlage des Friedensschlusses gemacht. Heinrich wurde so gezwungen, seine bisherige Politik gegenüber den Sachsen vollständig aufzugeben. Solch ein Beratungs- und Verhandlungsergebnis, das den König so ins Unrecht setzte, hatte es noch nie gegeben. Es war offensichtlich der fehlenden Beherrschung sächsischer Bauernkrieger geschuldet, dass Heinrich bald mit einiger Berechtigung behaupten konnte, dass die Sachsen diesen Frieden auf ungeheuerliche Weise gebrochen hätten. Bei der Zerstörung der Harzburg, die das Symbol der königlichen Unterdrückungspolitik gewesen war, hatten Sachsen nämlich Gräber der Königsfamilie geschändet und überdies angeblich auch Reliquien aus den Altären der dortigen Kirche entehrt. Alle Beteuerungen der sächsischen Bischöfe und Fürsten, sie hätten nichts von diesem Frevel gewusst und seien bereit, die Frevler aufs Härteste zu betrafen, verfingen nicht. Der König forderte von den Reichsfürsten Unterstützung bei der Rache für diesen Friedensbruch und die ungeheuerliche Beleidigung seiner Majestät und er erhielt sie auch. In den diesbezüglichen Beratungen mit den Fürsten hat er, wenn man der Darstellung Brunos Glauben schenken darf, alle Register königlicher Verzweiflung und Empörung gezogen: „Er versammelte die Fürsten jener Lande, warf sich bald vor den einzelnen, bald vor der ganzen Versammlung demütig zu 422 423

Ebd., S. 226 f. Bruno, De bello Saxonico, cap. 31, S. 232 f.

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Boden und erhob Klage, dass das Unrecht, das ihm früher mit seiner Vertreibung zugefügt worden sei, ihm nun unbedeutend erscheine, dieses neue dagegen groß und unsühnbar … (dann erzählte er von der Kirchen- und Grabschändung in dramatischen Worten). Das alles brachte er unter Tränen hervor, dann küsste er jedem die Füße und bat, sie möchten wenigstens die Gott und seinen Heiligen angetane Schmach nicht ungestraft lassen, wenn sie schon das ihm selbst zugefügte Unrecht nicht rächen wollten.“424 Heinrichs Reaktion, die von den übrigen Fürsten weitgehend geteilt wurde, ist ein sicheres Indiz dafür, wie ernst man die Verpflichtung nahm, einen durch Vermittlung gestifteten Frieden zu halten. Auch in anderen Fällen, in denen solch ein Frieden brach, hat man danach jede neue Verhandlung ver­ weigert und die Entscheidung mittels Waffengewalt gesucht.425 Und in der Tat verweigerte sich der König nun lange jedweden Verhandlungsversuchen der Sachsen, und er erhielt dabei nachhaltige Unterstützung von den Fürsten, durch deren Hilfe er auch in einer Schlacht bei Homburg im Juni 1075 siegte. Wieder schildern gerade Brun und Lampert in großer Ausführlichkeit und Intensität sowohl die sächsischen Versuche, den König zu Verhandlungen zu bewegen, wie Heinrichs erfolgreiche Bemühungen, jedwede Verhandlungen zu verbieten und abzulehnen. Da weder sächsische Gesandtschaften noch Fürsten Zugang zum König erhielten, versuchte es etwa der Erzbischof von Magdeburg brieflich mehrmals, bischöfliche Mitbrüder als Vermittler beim König zu gewinnen.426 Doch dieser verweigerte sich Verhandlungen grundsätzlich und verbot sie seinen Fürsten. Allenfalls einer bedingungslosen Kapitulation der Sachsen wollte er zustimmen. Heinrich hatte nach Lampert sogar „von allen seinen Fürsten die eidliche Zusage erhalten, keine ihrer (sc. der sächsischen) Gesandtschaften ohne seine Zustimmung vorzulassen, sie weder offen mit den Waffen noch insgeheim mit ihrem Rat zu unterstützen, noch für sie jemals an ihn Bitten oder Gnadengesuche zu richten, bis er selbst als Richter oder Zeuge anerkenne, dass er den Makel der von ihnen erlittenen Schmach durch die ihnen gebührende Strafe abgewaschen habe.“427 Durch diese angeblichen Zusagen wird implizit deutlich, welches Verhalten im Normalfall praktiziert wurde, um Konflikte zwischen dem König und seinen Widersachern zu entschärfen. Die königliche Rigorosität ließ sich jedoch nach der Schlacht bei Homburg, in der beide Seiten viele Tote zu beklagen hatten, nicht mehr durchhalten. Als der König im Oktober 1075 den nächsten Feldzug gegen die Sachsen begann, versuchten vielmehr bischöfliche und herzogliche Fürsten die nächste Schlacht zu verhindern. Nun ging es allerdings nicht mehr um die Durchsetzung sächEbd., cap. 35, S. 238 f. Vgl. zu anderen Fällen ALTHOFF, Heinrich IV., S. 109 mit Anm. 41. 426 Vgl. Bruno, De bello Saxonico, cap. 42–51, S. 246 ff. 427 Lampert, Annales, a. 1075, S. 280 f. 424 425

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sischer Forderungen nach einer Veränderung der königlichen Politik, sondern nur um die Bedingungen der sächsischen Unterwerfung zur Wiedererlangung der königlichen Huld. Auf vielen Seiten erzählt vor allem Lampert, wie die Reichsfürsten immer wieder den Sachsen die üblichen Bedingungen anboten, dass nämlich ihre Freiheit, ihre Ehre und ihre Güter durch eine Unterwerfung nicht beeinträchtigt werden sollten, dass sie angesichts des Zweifels der Sachsen an der Vertrauenswürdigkeit der königlichen Zusagen sich auch mehrfach bei Heinrich IV rückversicherten und von ihm die Bestätigung erhielten, dass er diese Bedingungen einhalten wolle.428 Man geht wohl richtig in der Annahme, dass Lampert diese Vorgänge so genau beschrieb, um besonders wirkungsvoll zeigen zu können, dass Heinrich all seine Versprechungen und Zusagen in den Wind schlug, als sich die sächsische Führungsschicht ihm im Oktober 1075 bei Spier tatsächlich „wie vereinbart“ unterwarf: „Der König übergab sie einzeln seinen Fürsten zur Verwahrung, bis in einer gemeinsamen Beratung über sie entschieden würde. Aber schon kurz danach brach er den Vertrag, missachtete alle Eidesbande, durch die er sich verpflichtet hatte, und ließ sie nach verschiedenen Orten in Gallien, Schwaben, Bayern, Italien und Burgund bringen. Auch verteilte er ihre Lehen unter diejenigen seiner Krieger, die ihm im Sachsenkrieg besondere Dienste geleistet hatten.“429 Deutlicher als durch diesen Vertrauensbruch konnte Heinrich die in weiten Kreisen herrschende Beurteilung seiner Person nicht bestätigen. Von sofortigen Reaktionen der Fürsten, deren Vermittlungstätigkeit durch diesen Vertragsbruch des Königs vollständig desavouiert wurde, hören wir zwar nichts; das dürfte jedoch entscheidend damit zusammenhängen, dass wenig später der Konflikt Heinrichs mit Gregor VII. eskalierte, dessen Auswirkungen auf dem Felde der Beratung uns im nächsten Kapitel beschäftigen wird. Man hat bereits die 60er und frühen 70er Jahre des 11. Jahrhunderts als eine Krisenzeit der „konsensualen Herrschaftsform“ charakterisiert.430 Das ist sie in der Tat. Wir können nach unseren Untersuchungen jedoch genauer sagen, warum das so war. In den beiden letzten Unterkapiteln über die Zeit der Vormundschaft wie über die ersten Jahre der selbständigen Regierung Heinrichs bestätigte sich nämlich eine unserer Leitthesen in besonders auffälliger Weise: Beratung wird dann und wohl nur dann zu einer zentralen und umkämpften politischen Forderung von einiger Brisanz, wenn sie zuvor in gravierender Vgl. dazu bereits SUCHAN, Königsherrschaft im Streit, S.  42  f.; ALTHOFF, Heinrich IV., S. 112 ff. mit den einschlägigen Passagen Lamperts. 429 Lampert, Annales, a. 1075, S. 322 f.: Rex eos principibus suis, singulis singulos, donec de eis communi consilio deliberaretur, servandos commisit, et paulo post rupto federe, contemptis omnibus, quibus se obligaverat, iurisiurandi vinculis, eos per Galliam, Sueviam et Baioariam, per Italiam et Burgundiam deportari fecit. Beneficia quoque eorum militibus suis, quorum praecipue opera in bello Saxonico usus fuerat, distribuit. 430 Vgl. PATZOLT, Konsens und Konflikt, bes. S. 89 ff. 428

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Weise vernachlässigt, missbraucht oder verweigert wurde. Angesichts fehlender expliziter Normen und Regeln, wie, mit wem und worüber beraten werden musste, blieb den Herren und Herrschern ein breiterer Spielraum, ihrer grundsätzlichen Verpflichtung zur Beratung gerecht zu werden. Und diesen Spielraum hat die Gesamtheit der geistlichen und weltlichen Großen den jeweiligen Herrschern mit einigem Langmut eingeräumt. Nur wenn selbst dieser Rahmen gesprengt oder missachtet wurde und dadurch Rechte und Interessen anderer deutlich tangiert wurden, formierte sich Widerspruch und Widerstand, der auf Klärung durch Beratung mit allen relevanten Kräften drängte. Dies war sowohl in den Zeiten verschiedener Regenten als auch nach Heinrichs Übernahme der selbständigen Herrschaft in hohem Maße der Fall. Nie zuvor waren längere Jahresberichte in Annalen verfasst worden, als dies Lampert von Hersfeld tat, der wie Bruno gerade Beratungen in dieser Krisenzeit mit größter Aufmerksamkeit notierte und ihre Ergebnisse festhielt. Dies erklärt sich einigermaßen zwanglos mit der Annahme, dass Heinrich  IV. eben in ­außergewöhnlicher Weise den großen Spielraum missbrauchte und die wenigen Spielregeln verletzte, die für die Beratung galten. Das hatte die mit den Händen zu greifende Konsequenz, dass der Bedarf an Beratungen rapide stieg, die Informationen über die Inhalte der Beratung immer zahlreicher wurden und schließlich auch immer mehr Entscheidungen nötig wurden.

3. Verhandlungen mit Papst Gregor VII. Die Krise des Investiturstreits, die unmittelbar nach dem Ende des Sachsenkrieges scheinbar abrupt ausbrach, gehört zu den am intensivsten erforschten Themen des Mittelalters. Nichtsdestotrotz ist sie bis heute Gegenstand massiver Kontroversen, die sich nicht zuletzt an Fragen der Beratung und Techniken der Konsensherstellung entzündeten.431 Insofern ist diese Krise auch für die Geschichte der mittelalterlichen Beratung von einiger Bedeutung. Sie besaß in der Tat die Dimension eines „Kampfes um die rechte Ordnung der Welt“ (Tellenbach), die weit über die Investiturproblematik hinausging, und sie veränderte die Grundlagen und Grundsätze bisheriger Beratung und Entscheidungs­ findung.432 Im Folgenden kann sie schon aus Platzgründen nicht umfassend dargestellt werden. Die Konzentration gilt vielmehr dem Versuch, herauszu­ Vgl. zur aktuellen Forschungssituation: WEINFURTER, Canossa; ALTHOFF, Heinrich IV.; zudem DERS. (Hg.), Heinrich IV.; FRIED, Canossa. Entlarvung einer Legende; ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“. 432 Vgl. dazu grundsätzliche Erklärungsansätze bei MIRBT, Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII., neuerdings MELVE, Inventing the Public Sphere; BERMAN, Law and Revolution; THIER, Hierarchie und Autonomie, bes. S.  308  ff.; im Rückblick TELLENBACH, Die westliche Kirche, bes. S. 152 ff. 431

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arbeiten, welche Auswirkungen die neuen Geltungsansprüche des Reformpapsttums auf die Theorie wie die Praxis der Beratung und Konsensherstellung hatten, und welche neuen Formen und Medien der beratenden Kommunikation in der Krise eingesetzt wurden. Der zeitliche Rahmen ergibt sich im Wesentlichen durch die Amtsjahre Gregors VII. (1073–1085). Am Anfang der Eskalation stand, wie die Forschung seit langem erkannt hat, ein Brief Gregors  VII. vom 8. Dezember 1075 an Heinrich  IV., der den König um die Jahreswende in Goslar erreichte. Zuvor hatte es bereits eine Reihe von Problemen zwischen Heinrich IV. und dem Papsttum gegeben, die sich aber vertraulich und gütlich hatten beilegen lassen.433 Schon in der Grußadresse des fraglichen Briefes kommen aber die neuen Geltungsansprüche des Papsttums, die den königlichen Vorstellungen Heinrichs diametral entgegengesetzt waren, unverhohlen zum Ausdruck: „Bischof Gregor, Knecht der Knechte Gottes, sendet König Heinrich Gruß und apostolischen Segen, wenn er denn dem apostolischen Stuhl gehorcht, wie es einem christlichen König geziemt.“434 Mit dieser Formulierung fiel Gregor sozusagen mit der Tür ins Haus und konfrontierte den König mit einem päpstlichen Selbstverständnis, das diesen und seine Umgebung provoziert haben dürfte. Gregor forderte Gehorsam von einem christlichen König und zukünftigen Kaiser; er machte seine Bereitschaft, ihn zu grüßen und zu segnen, also ein positives Verhältnis zu ihm zu pflegen, von diesem Gehorsam abhängig, den Heinrich IV. ihm nach seiner Auffassung nicht leistete. Die Forderung Gregors aber war alles andere als unbedacht. Es stellte vielmehr das Zentrum von Gregors neuem Amtsverständnis dar, von allen Christen unter Einschluss der Könige unbedingten Gehorsam fordern zu können, und diese Gewissheit beruhte auf einer biblischen Grundlage, die Gregor im fraglichen Brief und in vielen anderen angesprochen hat.435 Diese Grundlage hatten Gregor und sein Anhang aus der biblischen Tradition neu erarbeitet, nachdem das Papsttum vom salischen Kaiser Heinrich III. dadurch herausgefordert worden war, dass dieser die Besetzung des päpstlichen Stuhls seit 1046 allein entschied.436 Ihr neues Amtsverständnis begründeten die Päpste vorrangig aus dem ersten Buch Samuel (15, 22 ff.), wo erzählt wird, dass Gott den Propheten Samuel zu König Saul geschickt hatte, um ihm zu übermitteln, dass Gott ihn wegen seines Ungehorsams verworfen hatte: „Hat der Herr an Brandopfern und Schlachtopfern das gleiche Gefallen wie am Gehorsam gegenüber der Stimme des Herrn? Wahrhaftig, Gehorsam ist Zu den Anfängen der Beziehungsgeschichte Heinrichs und Gregors s. ALTHOFF, Heinrich IV., S. 116 ff. 434 Vgl. Das Register Gregors VII., 3, 10, S. 263. 435 S. dazu ausführlich ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, bes. S. 43 ff. 436 Zur Bedeutung der Synode von Sutri und der Entstehung des Reformpapsttums s. TELLENBACH, Die westliche Kirche, S. 133 ff. 433

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besser als Opfer, Hinhören besser als das Fett von Widdern. Denn Trotz ist ebenso eine Sünde wie die Zauberei, Widerspruch ist ebenso (schlimm) wie Frevel und Götzendienst. Weil du das Wort des Herrn verworfen hast, verwirft er dich als König.“ Aus dieser Bibelstelle folgerten Gregor und sein Anhang, dass Gott der Gehorsam der Menschen gegenüber seinen Geboten das Wichtigste sei, dass er Ungehorsam als Götzendienst ansehe und dieser damit wie Häresie zu bekämpfen sei. Hinzu nahmen sie Bibelstellen wir die der Binde- und Lösegewalt im Himmel und auf Erden, die Christus nach Matthäus 16, 18 an Petrus übertragen hatte. Damit konnten die Päpste als Nachfolger Petri und Stellvertreter Christi postulieren, dass ihre Entscheidungen im Himmel und auf Erden bindend seien. In Verknüpfung dieser Bibelstellen folgerten sie, dass alle Menschen den Päpsten unbedingten Gehorsam zu zollen hätten – auch die Könige und Kaiser. Damit knüpften sie teilweise an die Aussagen der Pariser Synode von 829 an, gingen andererseits aber weit über deren Positionen hinaus.437 In dem zitierten Brief machte Gregor diese Verpflichtung des Königs daher nicht nur in der Grußadresse klar, er belehrte ihn im Brief auch: „Falls du zu den Schafen des Herrn gehörst, bist du ihm (sc. Petrus) durch das Wort und die Macht des Herrn übergeben, dass er dich weide, als ihm Christus sagte: ‚Petrus, weide meine Schafe‘ (Joh 21, 17).“438 Und er mahnte ihn am Ende des Briefes, er solle eingedenk sein, was König Saul passierte, als er der Worte des Propheten nicht eingedenk gewesen sei und dafür von Gott verworfen wurde.439 Die Gehorsamsforderung des Papstes konnte für Heinrich nicht ganz überraschend kommen, denn er selbst hatte dem Papst bereits zwei Jahre zuvor in einem demütigen Brief seine Reue über eigene Fehler und Missetaten versichert und eindringlich versprochen, „eure Vorschrift (preceptum) in allem eifrigst zu beachten“.440 Dennoch veranlasste ihn der Brief zu einer heftigen Reaktion. Er rief nämlich seine Bischöfe umgehend zu einer Synode nach Worms, wo er gemeinsam mit ihnen Gregor VII. in Briefen aufforderte, den Stuhl Petri zu räumen, da er kein Hirte, sondern ein Eindringling sei. Diese Behauptung versuchten Heinrich und die Bischöfe in getrennten Briefen mit verschiedenen Vorwürfen zu untermauern.441 Als Antwort auf diesen königlichen und bischöflichen Angriff auf seine Stellung exkommunizierte Gregor bekanntlich Heinrich IV. auf der römischen Fastensynode 1076 und löste auch S.  zu den Parallelen zur kirchlichen Argumentation in der Karolingerzeit oben bei Anm. 124 ff.; zu den im 11. Jahrhundert neu formulierten Positionen des Papsttums vgl. ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, S. 39 ff. 438 Vgl. Das Register Gregors VII., 3, 10 S. 264 f. 439 Ebd., S. 267. 440 Vgl. Die Briefe Heinrichs IV., Nr. 5, S. 8 f. 441 Zur Wormser Synode s. COWDREY, Pope Gregory VII, S.  135  ff.; WEINFURTER, ­Canossa, S. 119 ff.; ALTHOFF, Heinrich IV., S. 134 ff. 437

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alle Eide, die Heinrich geschworen worden waren. Die Bischöfe behandelte er differenzierter: Diejenigen, die die Wormser Beschlüsse freiwillig unterschrieben hatten, suspendierte er; diejenigen, die das gezwungen getan hatten, bekamen bis zu einem bestimmten Termin freigestellt, sich in Rom von den Vorwürfen zu reinigen.442 Ohne hier auf die folgende Ereignisgeschichte des Konfliktes einzugehen, lässt sich feststellen, dass einige Zeit verging, bis die Anhänger Gregors und Gegner Heinrichs einen Weg zur Lösung der noch nie dagewesenen Situation gefunden hatten. Versuche Heinrichs, den Konflikt durch einen Heereszug nach Rom zu lösen, scheiterten daran, dass viele Fürsten bereits ein Kommen zu dem Mainzer Hoftag, der diesen Heereszug beschließen sollte, vermieden.443 Insgesamt zeichnete sich ein rapider Abfall von König Heinrich ab, während seine Gegner nach vorbereitenden Zusammentreffen informeller Art, den üblichen conventicula, für den Oktober 1076 einen „königslosen“ Tag nach Tribur beriefen. Hier wollten sich seine Gegner treffen, um ohne den König und seine Anhänger nach Lösungen aus der Krise zu suchen. Der König wartete in dieser Zeit auf der anderen Rheinseite in Oppenheim und suchte die Versammlung und ihre Beratungen intensiv, aber vergeblich zu beeinflussen.444 Diese Versammlung bedeutet für die Geschichte der Beratung einen Meilenstein: Zwar hatten sich auch zuvor bereits Gegner des Königs zu vertraulichen Beratungen, zu conspirationes und conventicula, getroffen. Auch hatten Reichsfürsten im Auftrage des Königs und ohne seine Anwesenheit mit Gegnern verhandelt. Dass sich aber die Großen des Reiches zu Beratungen über den König trafen und diesem die Beteiligung verwehrten, war neu. In Tribur nahm man sich nach Lampert, Bruno und Berthold sieben oder sogar zehn Tage Zeit, die gesamte Amts- und Lebensführung des Königs von Kindesbeinen an zu untersuchen, wie man es auch in den Verhandlungen der Reichsfürsten mit den Sachsen in Corvey und Gerstungen getan hatte. Wenn man so will, knüpfte man damit direkt an die Beratungen in Gerstungen an, die angeblich schon einmal zu dem Entschluss geführt hatten, Heinrich als König abzusetzen und einen neuen zu erheben.445 Wieder hat man das ganze Arsenal unterschiedlichster Vorwürfe zum Thema gemacht und schien einhellig entschlossen, Heinrich keine Chance mehr zur Weiterführung der Herrschaft zu geben. Dennoch war das Ergebnis der Beratungen ein anderes, ohne dass wir sicher erführen, wodurch es zustande kam. Vgl. dazu WEINFURTER, Canossa, S. 124. Vgl. zu den Einzelheiten bereits MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs  IV., Bd. 2, S. 676–683. 444 Diesbezügliche Versuche Heinrichs IV., die auf konsequente Ablehnung der Versammelten gestoßen seien, schildert vor allem Lampert, Annales, a. 1076, S. 384 ff. ausführlich; vgl. aber auch Bruno, De bello Saxonico, cap. 88, S. 328 ff. 445 Vgl. dazu oben bei Anm. 416. 442 443

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Nach Lampert schickten schließlich, als schon eine Entscheidungsschlacht drohte, „die Schwaben und Sachsen Gesandte zum König, die ihm ausrichten sollten: Obwohl er sich weder im Krieg noch im Frieden jemals um Gerechtigkeit und Gesetz gekümmert habe, wollten sie doch nach den Gesetzen mit ihm verfahren und, obgleich die Vergehen, deren man ihn beschuldigte, allen sonnenklar seien, würden sie trotzdem keine Entscheidung treffen, sie vielmehr dem Papst überlassen (rem integram Romani pontificis cognitioni reservare).“446 Damit hatten sie anerkannt, dass der Papst berechtigt sei, auch über Könige zu richten, wie es die neue päpstliche Amtsauffassung postulierte. Diese überraschende Entscheidung könnte durch einen Brief Gregors VII. veranlasst worden sein, der erkennbar versuchte, auf die Verhandlungen in Tribur Einfluss zu nehmen und die drohende Absetzung des Königs zu verhindern. Bereits am 3. September hatte er nämlich einen Brief „an alle Bischöfe, Herzöge und Grafen des Deutschen Reiches, die den christlichen Glauben verteidigen“ gesandt, in dem er konkrete Vorschläge gemacht hatte, wie man im Falle des exkommunizierten Heinrich zu verfahren habe.447 Der Brief ist eines der vielen Zeugnisse aus der Zeit der Krise, die verdeutlichen, wie die komplexe Beratungssituation nun neue Medien, etwa die Gattung des „Rundbriefes“, hervorbrachte, die die Meinungsbildung der eigenen Partei beeinflussen und mit Argumenten versorgen wollten.448 Es war angesichts der schnellen und dramatischen Entwicklung des Konflikts unabdingbar geworden, die eigenen Anhänger und Helfer auf den jeweils neuesten Stand der Informationen zu bringen, sie von der Richtigkeit des eigenen Tuns zu überzeugen und sie so gegen die Argumente der Gegenseite zu immunisieren. Hiervon zeugen nicht nur die Briefe „an alle“, sondern im weiteren ­Verlauf des Streits auch Traktate und Streitschriften, die sich mit unterschiedlichsten Themen und Problemen in aller Ausführlichkeit beschäftigen.449 Diese Kommunikationsmedien ersetzten zumindest teilweise auch p ­ ersönliche Treffen der verfeindeten Parteien, indem sie den Austausch von Argumenten und Dialoge möglich machten, die von Angesicht zu Angesicht scheiterten, weil eine Partei Äußerungen der anderen häufig als Beleidigung auffasste oder sich außerstande erklärte, ad hoc auf neue Argumente antworten zu können. Vgl. Lampert, Annales, a. 1076, S. 390 f. Der hier benutzte Begriff cognitio hat auch eine rechtliche Bedeutung und kann eine gerichtliche Untersuchung meinen. Eine ähnliche Nachricht bietet Bruno, De bello Saxonico, cap. 88 (Ende), S. 330: Tunc misso legato rogaverunt apostolicum, ut in principio Februarii vellet Augustam venire, ut, causa diligenter examinata coram omnibus, vel eum (sc. Heinrich  IV.) solveret, vel, eo fortius adhuc ligato, alium sibi cum ipsius consensu quaererent, qui regnare sciret. 447 Vgl. Das Register Gregors VII., IV, 3, S. 297 ff.; zu dem Brief s. COWDREY, Pope Gregory VII, S. 149. 448 Zum Treffen in Tribur, das der Brief beeinflussen wollte, s. SUCHAN, Königsherrschaft im Streit, S. 112 ff. mit der älteren Literatur. 449 Vgl. dazu schon MIRBT, Die Publizistik im Zeitalter Gregors  VII.; ERDMANN, Anfänge der staatlichen Propaganda; neuerdings MELVE, Inventing the Public Sphere. 446

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Im fraglichen Brief hatte der Papst ausdrücklich betont, so wie er sich bei der Exkommunikation Heinrichs nicht von Hochmut (superbia) und welt­ lichem Ehrgeiz (vana mundi cupiditas) habe leiten lassen, so sollten auch die Fürsten ihn nun „gütig aufnehmen, wenn er sich aus ganzem Herzen zu Gott bekehrt, und ihm gegenüber nicht die Gerechtigkeit anwenden, die ihm zu herrschen verbietet, sondern die Barmherzigkeit, die viele Verbrechen tilgt.“450 Andererseits hatte er allerdings auch gefordert, Heinrich dürfe nicht weiterhin glauben, „die heilige Kirche sei ihm untertan wie eine Magd, sondern vorgesetzt wie eine Herrin“.451 Zudem hatte er für den Fall, dass man sich zu einer Neuwahl eines Königs entschlösse, darauf gedrungen, vorher die Person und die Eignung (mores) des Kandidaten prüfen zu wollen. Diesen päpstlichen Wünschen oder Forderungen wurde die in Tribur vereinbarte Lösung vollkommen gerecht, so dass man begründet einen großen Einfluss der anwesenden päpstlichen Legaten, des Patriarchen Heinrich von Aquileja und des Bischofs Altmann von Passau, auf den Entschluss vermuten darf. Die Entscheidung über den König wurde in Tribur nämlich in der Tat dem Papst überlassen, denn man kam überein, „dass er (Gregor) am Fest der Reinigung der heiligen Maria nach Augsburg komme und dort auf einem all­ gemeinen Hoftag (conventu principum totius regni) nach Untersuchung der Aussagen beider Parteien den Beschuldigten (accusatum) mit seinem Urteil (iudicium) entweder schuldig oder losspreche.“452 In einer promissio hat Heinrich selbst sich ebenfalls auf dieses Procedere verpflichten müssen: „Auf den Rat meiner Getreuen hin verspreche ich dem apostolischen Stuhl und dir, Papst Gregor, in allen Stücken schuldigen Gehorsam leisten zu wollen. Ich werde in allen Punkten, in denen ich dem apostolischen Stuhl oder dir Schaden an der Ehre zugefügt habe, demütige Genugtuung leisten. Da ich aber noch viel Schwereres gegen jenen Apostelsitz und gegen deine würdige ­Person getan habe, werde ich mich zu gegebener Zeit durch das Zeugnis der Unschuld reinigen, wenn Gott mir hilft, oder ich werde gerne eine angemessene Strafe auf mich nehmen.“453 Vgl. Das Register Gregors VII., IV, 3, S. 298, 15 ff.: ut eum benigne, si ex toto corde ad Deum conversus fuerit, suscipiatis et circa eum non tantum iustitiam, que illum regnare prohibit, sed misericordiam, que multa delet scelera, ostendatis. 451 Ebd., S.  298, 36  f.: Non ultra putet sanctam ecclesiam sibi subiectam ut ancillam, sed prelatam ut dominam. 452 Vgl. Lampert, Annales, a. 1076, S. 390 f.: ipse suo iudicio vel addicat vel absolvat accusatum. Die Interpretation bei FRIED, Canossa. Entlarvung einer Legende, bes. S. 133 f., Heinrich sei nicht Beklagter, sondern selbst Richter gewesen, ist inzwischen mehrfach als „abwegig“ abgelehnt worden; zuletzt von WILFRIED HARTMANN in einer Rezension des Fried’schen Buches in HZ 298, 2 (2014), S. 472 f. 453 Vgl. Epistolae Heinrici  IV., Nr.  14, S.  20  f.; zur Diskussion um diese promissio vgl. COWDREY, Pope Gregory VII, S.  151  ff.; WEINFURTER, Canossa, S.  20  ff.; anders FRIED, Canossa. Entlarvung einer Legende, S. 100 ff. 450

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Damit waren in Tribur alle Weichen in Richtung auf eine Untersuchung der Amts-und Lebensführung König Heinrichs unter Vorsitz des Papstes und der Beteiligung aller Fürsten gestellt, die nach Lampert durch ein iudicium Gregors die Entscheidung darüber herbeiführen sollte, ob Heinrich schuldig oder unschuldig sei. Das aber meinte, ob er noch weiter König sein könne oder nicht. So war ein wesentliches Ziel Gregors grundsätzlich erreicht: Die Verpflichtung des Königs zu Gehorsam gegenüber dem Papst war anerkannt, und zugleich auch Gregors Recht, über Könige zu richten und sie abzusetzen. Nun musste dies nur noch praktisch realisiert werden. Auf die Realisierung dieses Vorhabens mittels eines Verfahrens, für das Gregor und andere vielfach den Terminus colloquium benutzten, hat der Papst denn auch die nächsten Jahre viel Energie verwendet. Dies geschah mit einiger Wahrscheinlichkeit in dem klaren Bewusstsein, so einen Präzedenzfall und damit eine wichtige Legitimation für das päpstliche Richteramt über Könige zu schaffen. Damit wäre wohl auch die Frage der Rangordnung von Papst und Kaiser entschieden gewesen. Aber auch für die Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Königsherrschaft und für die Rahmenbedingungen der Willensbildung und Konsensherstellung hätte ein solches colloquium in der Tat wohl fundamentale Bedeutung gehabt. Die Suprematie des Papstes in Kirche und Welt wäre so verwirklicht und in die politische Praxis umgesetzt worden. Dass es nicht zustande kam, macht die intensiven Bemühungen um sein Zustandekommen für unsere Thematik aber nicht weniger interessant. Schließlich ähnelt das Vorhaben auffällig einer Schiedsgerichtsbarkeit vor der Entstehung der eigentlichen Schiedsgerichtsbarkeit.454 Die Möglichkeit des Papstes, bei dem colloquium das Urteil (iudicium) zu fällen, unterschied ihn ja deutlich vom ­traditionellen Vermittler, der diese Möglichkeit nicht hatte, sondern auf die ­Zustimmung der Parteien zu seinen Vorschlägen angewiesen war.455 In Augsburg aber sollte, wenn man sich nicht gütlich einigte, ein Urteil des Papstes die causa entscheiden. Man scheint die Konsequenz aus der Tatsache gezogen zu haben, dass Vermittler in den Jahren zuvor bei ihren Versuchen Schiffbruch erlitten hatten, Konflikte mit Heinrich gütlich beizulegen. Was hören wir also in der Zeit nach Tribur und Canossa über die Vorbereitungen und Planungen dieses neuartigen colloquium mit dem Ziel einer Gerichtsentscheidung? Von besonderem Interesse und Gewicht sind hier natürlich die Zeugnisse über die Geschehnisse in Canossa, wo Heinrich dem colloquium zuvorkam und es bekanntlich erreichte, dass Gregor ihn vom Kirchenbann löste. Dieser Die Rechtsgeschichte datiert die Entstehung der Schiedsgerichtsbarkeit allerdings erst ins 13. Jahrhundert; vgl. dazu SELLERT, Art. „Schiedsgericht“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Sp. 1386–1393; vgl. zum komplexen Entstehungsprozess KAMP, Friedensstifter und Vermittler, S. 236 ff.; GARNIER, Amicus amicis, S. 290 ff. 455 Vgl. dazu KAMP, Friedensstifter und Vermittler, bes. S. 186 ff. 454

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Akt schien bereits eine Antwort auf Fragen zu sein, die auf dem colloquium erst noch untersucht werden sollten. So haben in der Tat einige der beteiligten ­Gegner Heinrichs argumentiert, wie sich etwa aus Briefen der Sachsen an ­Gregor VII. entnehmen lässt, und sie haben mit diesem Argument die Wiederaufnahme Heinrichs in die Gemeinschaft der Gläubigen kritisiert.456 Dieser Meinung trat Gregor VII. allerdings entschieden entgegen. Dies erfahren wir vor allem aus dem Rechenschaftsbericht, den Gregor den deutschen Fürsten gab, um sein Handeln zu rechtfertigen, das in der Tat nicht unbedingt zu den Vereinbarungen von Tribur zu passen schien. Nach Gregors Bericht hatte Heinrich bereits vor seiner Ankunft in Canossa durch Gesandte versprechen lassen, „er werde zur Besserung seines Lebens jeden Gehorsam wahren“. Dann kam er persönlich und zwang mit seinen, wie Gregor sagt, nicht vereinbarten Bußleistungen den Papst geradezu, ihn wieder in die Kirche aufzunehmen. Der Papst ist in seinem Bericht eindringlich ­bemüht, den Fürsten klarzumachen, dass er sich dem Drängen der Vermittler nicht habe widersetzen können und dass er den König angesichts seiner Reue und seines Willens, zu büßen, wieder in die Kirche aufnehmen musste, um nicht „der Grausamkeit tyrannischer Wildheit“ geziehen zu werden. In der Tat konnte der Hirte ja dem Schaf, das reumütig die Wiederaufnahme in die Herde anstrebte, dies nicht verweigern.457 Dann aber beschwört der Papst die deutschen Fürsten eindringlich, „dass er bei erster Gelegenheit zu ihnen zu kommen wünsche“, dass sie überdies den in Canossa gegebenen Sicherheiten entnehmen könnten, „dass bisher die ganze Sache noch in der Schwebe ist, so dass sowohl unsere Ankunft als auch die Einmütigkeit eurer Ratschläge sehr, sehr nötig zu sein scheinen“.458 Er sei nämlich dem König lediglich durch klare Worte verpflichtet, dass dieser nur insoweit auf ihn hoffen könne, als er ihm zu seinem Heil und seiner Ehre „entweder durch Recht oder durch Barmherzigkeit ohne Gefahr für ihr beider Seelenheil helfen würde.“459 Dies alles lässt sich eigentlich nur als Versicherung lesen, er, Vgl. etwa den Brief der Sachsen an Gregor bei Bruno, De bello Saxonico, cap. 108, S. 354 ff.; s. dazu COWDREY, Pope Gregory VII, bes. S. 182. 457 Zu dieser Argumentation vgl. WEINFURTER, Canossa, S.  20  f.; ALTHOFF, Heinrich IV., bes. S. 152 ff. Allg. zur Funktion der Hirten-Metapher im früheren Mittelalter nun SUCHAN, Mahnen und Regieren, passim. 458 Vgl. Das Register Gregors VII., IV, 12, S. 313: ad partes vestras data primum oportunitate transire cupimus. Hoc enim dilectionem vestram indubitanter scire volumus, quoniam, sicut in descriptis securitatibus cognoscere potestis, ita adhuc totius negotii causa suspensa est, ut et adventus noster et consiliorum vestrorum unanimitas permaxime necessaria esse videantur. 459 Ebd., S. 313 f.: nos non aliter regi obligatos esse, nisi quod puro sermone, sicut michi mos est, in his eum de nobis sperare dixerimus, in quibus eum ad salutem et honorem suum aut cum iustitia aut cum misericordia sine nostre et illius anime periculo adiuvare ­possimus. 456

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Gregor, wolle in keiner Weise von der Durchführung und den Zielen des colloquium Abstand nehmen, und er habe bisher auch nichts getan, was diesem ­colloquium vorgreife. Diese Darstellung des Papstes wird durch den Eid, den er Heinrich IV. in Canossa abverlangte, deutlich bestätigt, denn mit dem Eid verpflichtete sich Heinrich, sich einem Verfahren zu unterziehen, mit dem nur das colloquium gemeint sein konnte, auch wenn der Begriff nicht fällt. Neuerdings ist nun aber durch Thesen Johannes Frieds das Verständnis der Sicherheiten strittig geworden, die Heinrich in Canossa durch zwei Bischöfe Papst Gregor eidlich geben ließ, weil ein König üblicherweise nach seiner Krönung keinen Eid mehr leistete. Diese eidlichen Sicherheiten sollten den König auf ein zukünftiges Verhalten festlegen: „Innerhalb eines Zeitraums, den Papst Gregor festlegen wird, werde ich mich dem Recht stellen (iustitiam faciam) gemäß Gregors Urteil (iudicium) oder Eintracht (concordia) gemäß seinem Rat (consilium) herstellen“, so ließ Gregor selbst den Kern dieses Eids in sein Register eintragen.460 Fried hat hierzu folgende Interpretation angeboten: „Wenn hier jemand als Richter agieren sollte, dann allein der König. Iustitia und concordia sollten von ihm ausgehen – wie in jedem königlichen Gerichts- und Vermittlungsverfahren. Der Papst trat dabei als derjenige hervor, der – wie sonst die Urteilsfinder im Königsgericht – das Urteil oder die Schlichtungsformel ‚finden‘ sollte. ‚Recht geben‘ wollte also der König.“461 Fried bemerkte zwar, dass der römische Kardinal Cencius im 12. Jahrhundert die Formel ganz anders verstanden hatte: „Schwur des Kaisers Heinrich, sich dem Recht zu stellen nach Rat und Urteil des Herrn Papstes Gregor.“ In Cencius’ Verständnis war also Papst Gregor der Ratende bzw. der Richter. Dies schob Fried aber damit zur Seite, dass Cencius erst geschrieben habe, als „die Kanonistik ausgiebig die Richtergewalt des Papstes über Könige und Fürsten diskutiert und legitimiert hatte“.462 Genau dies hatte aber nachweislich schon Gregor VII. selbst getan, indem er mit aller Macht den Jurisdiktionsprimat für sich forderte und durchsetzte.463 Alles spricht also dafür, dass Cencius wie auch die moderne Forschung den Eid richtig interpretieren, wenn sie die Richterfunktion beim in Aussicht genommenen colloquium Gregor zuweisen. Es verrät keine gründliche Lektüre, wenn Vgl. Das Register Gregors  VII., IV, 12a, S.  315: infra terminum, quem dominus papa GREGORIUS constituerit, aut iustitiam secundum iudicium eius aut concordiam secundum consilium eius faciam. Fried übersetzt hier anders und unangemessen, wie im Folgenden deutlich werden wird. Die im Folgenden gebotene Argumentation findet sich auch bei GERD ALTHOFF, Das Amtsverständnis Gregors VII. und die neue These vom Friedenspakt in Canossa, in: FMSt 48 (2014), S. 261–276, S. 271 ff.. 461 FRIED, Canossa. Entlarvung einer Legende, S. 133. 462 Ebd., S. 134. 463 Vgl. dazu COWDREY, Pope Gregory VII, S. 520 ff.; WEINFURTER, Canossa, S. 107 ff. 460

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Fried als seinen Gewährsmann Hermann Krause anführt, der gerade im Sinne der hier gegebenen Interpretation Folgendes schreibt und reich belegt: „Es ist die Welt der Angeklagten, der Ungehorsamen, der Gebannten, es ist das iustitiam non facere: Sich nicht der gerichtlichen Entscheidung stellen, sich nicht verantworten, sich nicht verklagen lassen; während das iustitiam facere positiv verlangt, tun, was das Recht fordert, Schuldiges leisten, Verpflichtungen erfüllen, Recht bieten, Recht geben, Genugtuung leisten.“464 Heinrich hatte also eidlich versprochen, zu tun, was das Recht gebiete nach dem iudicium Gregors, oder Eintracht herzustellen gemäß seinem Rat. Mit dieser Formulierung differenzierte man zwischen einer gütlichen und einer gerichtlichen Konflikt­lösung.465 Damit dürfte klar sein, dass Gregor VII. in Canossa keineswegs vergessen hatte, was man in Tribur hinsichtlich des zukünftigen colloquium in Aussicht genommen hatte, im Gegenteil. Er hatte vielmehr durch Eid sicherstellen lassen, dass Heinrich sich diesem colloquium unter seiner Leitung stellte. Für diese Sicht gibt es zudem ein durchschlagendes Argument, das aus späteren Äußerungen Gregors gewonnen werden kann: Als Gregor im Jahre 1080 Heinrich nämlich ein zweites Mal bannte, tat er dies wieder mittels eines ausführlichen Gebets zu dem Apostelfürsten Petrus. In diesem Gebet referierte er die Vorgänge in Canossa wie folgt: Als er Heinrich gedemütigt gesehen und viele Versprechungen von ihm empfangen hatte über die Besserung seines _ Lebens, habe er Heinrich allein die Kommunion erlaubt und ihn nicht wieder in das Königtum eingesetzt, von dem er ihn auf der römischen Synode (1076) abgesetzt habe. „Und dies habe ich ihm deshalb vorenthalten, damit ich zwischen ihm und den deutschen Bischöfen und Fürsten, die ihm aufgrund des Befehls eurer Kirche widerstanden hatten, Gerechtigkeit herstellen oder Frieden vermitteln könnte (iustitiam facerem vel pacem componerem), wie Heinrich selbst es im Eid durch zwei Bischöfe mir versprochen hat.“466 Klarer kann man wohl nicht zum Ausdruck bringen, wer in dieser Angelegenheit der Richter war. Gregor hat ganz offensichtlich nicht daran gedacht, dass Heinrich Richter in eigener Sache sein könnte, was ohnehin eine eigenartige Vorstellung ist. Die zitierten Nachrichten von den Vereinbarungen in Canossa wie die spätere Interpretation dieser Ereignisse durch Gregor bei der zweiten Bannung Heinrichs bieten also dieselben Informationen wie die Nachrichten über Tribur: Heinrich sollte sich bei dem colloquium einer Untersuchung stellen und diese Untersuchung sollte durch ein iudicium oder consilium Gregors ­abgeschlossen werden. Vgl. dazu KRAUSE, Consilio et iudicio, S. 18. Vgl. dazu ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, bes. S. 21 ff. 466 Das Register Gregors VII., VII, 14a, S. 484: Et hec ideo detinui, ut inter eum et episcopos vel principes ultramontanos, qui ei causa iussionis vestre ecclesie restiterant, iustitiam facerem vel pacem componerem, sicut ipse Heinricus iuramento per duos episcopos michi promisit. 464 465

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Es gibt zudem in den drei Jahren zwischen Canossa und der zweiten Bannung Heinrichs mehrere eindeutige Stellungnahmen Gregors, die seine gleichbleibende Auffassung belegen, er müsse in der causa regum (der Könige Heinrich und Rudolf) nun entweder entscheiden, was Recht sei, oder eine gütliche Lösung finden. Durch die Wahl der deutschen Fürsten am 15. März 1077 in Forchheim stand man ja vor dem Problem, dass Rudolf von Rheinfelden neuer König geworden war, ohne dass das geplante colloquium über Heinrich entschieden hatte. Dieser neue Sachverhalt hat die Sache zweifellos verkompliziert und Heinrich unbeabsichtigt die Chance gegeben, sich seinen Verpflichtungen zu entziehen. Papst Gregor ließ sich jedoch nicht von seiner Linie abbringen. Schon am 31.  Mai 1077 schrieb Gregor einen Brief an seine beiden Legaten in Deutschland, den Kardinaldiakon Bernhard und den Abt Bernhard von St.  Viktor in Marseille: „Wir wünschen nämlich mit dem Rat der Kleriker und Laien dieses Reiches, die Gott fürchten und lieben, den Fall (causam) zwischen ihnen (sc. Heinrich und Rudolf) mit Gottes Hilfe zu untersuchen und zu entscheiden, wessen Partei die Gerechtigkeit mehr zur Führung des Reiches begünstigt. Ihr wisst nämlich, dass es unserer Amtsaufgabe und der Wachsamkeit des apostolischen Stuhles zukommt, die schwereren Fälle der Kirchen zu untersuchen und gemäß der Gerechtigkeit zu entscheiden.“467 Hiermit hatte er ein von ihm beanspruchtes Recht des Papstes angesprochen, das er auch im Dictatus Papae verankert hatte: „Dass die wichtigeren Fälle (maiores causae) welcher Kirche auch immer ihr (der römischen Kirche) zu übergeben sind.“468 Welcher Fall aber konnte wichtiger sein als die causa der beiden streitenden Könige, die ja auch alle Kirchen des Reiches betraf? In einem Parallelschreiben an alle seine fideles im Reich wiederholte er diese seine Bereitschaft, „die Billigkeit (aequitas) des Falles der beiden (Könige) zu entscheiden und dem Hilfe zu gewähren, den die Gerechtigkeit zur Führung des Reiches zu begünstigen erkannt wird.“469 Im weiteren Verlauf des genannten Briefes schärfte Gregor den Legaten noch ein, demjenigen der beiden Könige, der sich seinem Willen oder den Mahnungen der Legaten widersetzen sollte, notfalls bis zum Tode zu widerstehen und ihn zu exkommunizieren, wobei sie immer in Erinnerung behalten sollten, dass der das Verbrechen des Götzendienstes begehe, der es unterlässt, Vgl. Das Register Gregors VII., IV, 23, S. 335: Desideramus enim cum consilio clericorum atque laicorum eiusdem regni, qui Deum timent et diligunt, causam inter eos Deo favente discutere et, cuius parti magis ad regni gubernacula iustitia favet, demonstrare. Scitis enim, quia nostri officii et apostolice sedis est providentiae maiora ecclesiarum negotia discutere et dictante iustitia diffinire. 468 Ebd., II, 55, S. 206: XXI. Quod maiores cause cuiuscunque ecclesie ad eam (sc. Romanam) referri debeant. 469 Ebd., IV, 24 S. 337: equitatem cause utrimque decernere et ei prebere auxilium, cui iustitia ad regni gubernacula favere dinoscitur. 467

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dem römischen Stuhl zu gehorchen.470 Hiermit hatte er einmal mehr das Zitat 1 Samuel 15, 22 ff. zur Legitimation seiner Politik aufgerufen. Aber auch als Gregor aufgrund vieler Schwierigkeiten den ursprünglichen Plan fallen lassen musste, selbst dem colloquium vorzusitzen, versuchte er weiterhin, es durchführen zu lassen, wenn auch nur unter der Leitung seiner Legaten. So gibt das Protokoll der römischen Fastensynode von 1079 den Eid der Gesandten König Heinrichs und König Rudolfs wieder. Im Kern lautete er im Falle der Gesandten Heinrichs: „und der Herr König wird ihnen (den päpst­ lichen Gesandten) gehorsam sein in allem gemäß der iustitia und ihres iudicium.“ Rudolfs Gesandte schworen im Kern: „König Rudolf wird bereit sein, das Urteil, das die heilige römische Kirche fällt in der causa des Reiches, anzuerkennen.“471 Die Durchsetzung der päpstlichen Jurisdiktionsgewalt über Könige hatte für Gregor also immer noch höchste Priorität. All diese Belege sprechen eine Sprache: Das colloquium, das die Frage entscheiden sollte, welchen der Könige die Gerechtigkeit begünstigte, sollte den Papst oder seine Legaten mit geistlichen und weltlichen Fürsten zusammenführen, und nach gemeinsamer Beratung sollte entweder ein consilium des Papstes bzw. seiner Legaten eine gütliche Lösung der Frage herbeiführen oder ihr iudicium sollte die Entscheidung bringen. Für dieses von ihm beanspruchte Recht hatte Gregor in der bisherigen Kirchengeschichte keine überzeugenden Präzedenzfälle gefunden, wie ihm seine Gegner in Streitschriften vorhielten.472 Als er dann merkte, dass es Heinrich nicht in den Sinn kam, sich diesem colloquium überhaupt zu stellen, bannte er ihn ein zweites Mal und formulierte als einzigen Grund für die Bannung in seinem Gebet an die Apostelfürsten ausdrücklich: „weil er das colloquium verhinderte“.473 Deutlicher konnte er den Stellenwert nicht zum Ausdruck bringen, den das colloquium für ihn die ganze Zeit gehabt hatte. Die über mehrere Jahre gleichlautende und dichte Kette der Belege, die sich mit gleichartigen Äußerungen in der Geschichtsschreibung und in den Streitschriften noch leicht verlängern ließe, bringt immer wieder die gleiche GrundEbd., S.  336: ei resistite et totius regni gubernacula contradicendo tam illum quam omnes sibi consentientes a participatione corporis et sanguinis domini nostri Iesu Christi et a liminibus sancte ecclesie separate illud semper habentes in memoria, quia scelus idolatrie incurrit, qui apostolice sedi oboedire contendit. 471 Ebd., VI, 17a S. 428: et domnus rex (sc. Heinricus) oboediens erit illis in omnibus secundum iustitiam et iudicium illorum … Rex Rodulfus … paratusque erit iudicium, quod sancta Romana ecclesia decreverit de causa regni, subire. 472 Vgl. dazu MIRBT, Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII., S. 134 ff. 473 Das Register Gregors VII., VII, 14a, S. 485 f.: Et quia putabam, quod iniustior pars colloquium nollet fieri, ubi iustitia suum locum servaret, excommunicavi et anathemate alligavi omnes personas sive regis sive ducis aut episcopi seu alicuius hominis, qui colloquium aliquot ingenio impediret, ut non fieret. Predictus autem Heinricus cum suis fautoribus non timens periculum inoboedientie, quod est scelus idolatrie, colloquium impediendo excommunicationem incurrit. 470

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haltung des Papstes zum Ausdruck.474 Diese Haltung war durch sein neu entwickeltes Amtsverständnis und dessen biblische Begründung entscheidend geprägt. Über die Berechtigung seiner neuen Geltungsansprüche gab es bei Gregor keinerlei Zweifel: Der König war ihm zu Gehorsam verpflichtet wie alle Christen und unterstand dem päpstlichen Jurisdiktionsprimat. Im Falle von Ungehorsam, zumal hartnäckigem, war er als Häretiker aus der Gemeinschaft der Gläubigen auszuschließen und durch die Lösung der Treueeide seiner fideles herrschaftsunfähig zu machen. Legitimiert wurden diese Geltungsansprüche durch die angeführten biblischen Belege, die Gregor denn auch immer wieder zitierte, wenn er sein Verhalten im Falle Heinrichs begründete. Eine Zusammenschau von Gregors Amtstheorie und ihrer Umsetzung in praktische Politik ergibt damit den sicheren Befund, dass sie zusammenpassen wie zwei Seiten einer Medaille. Man muss allerdings betonen, dass die hier referierte päpstliche Argumentation und ihre biblischen Grundlagen Neuerungen darstellten, die mit den bis dahin herrschenden Gewohnheiten nicht übereinstimmten. Dies erschwerte die Konsensherstellung im Grenzgebiet von Religion und Politik, gerade wenn es um die Festlegung von Rechten und Pflichten ging, die die höchste geistliche und weltliche Gewalt in ihrem Binnenverhältnis hatten. Es gehört zu den erstaunlichsten Leistungen der Gregorianer, dass sie diese Neuerungen in kurzer Zeit von der Theorie in die politische Praxis überführten, auch wenn es letztlich nicht zu der Richtersituation Gregors kam, in der er darüber entscheiden konnte, ob Heinrich aufgrund seiner Amts- und Lebensführung noch länger König sein könne. Nach der zweiten Bannung im Jahre 1080 hat es dann keine ernsthaften Versuche mehr gegeben, das vereinbarte colloquium unter Leitung des Papstes oder seiner Legaten wirklich zu realisieren. Das Blatt wandelte sich nämlich gravierend, nicht zuletzt unter dem Eindruck des Schlachtentodes von Rudolf von Rheinfelden. Dieser Tod hatte für die Zeitgenossen deutliche Züge eines Gottesurteils, weil Gregor zum einen bei seiner zweiten Bannung König Heinrichs von den Apostelfürsten Petrus und Paulus öffentlich und ultimativ gefordert hatte, Heinrich bald zu stürzen, was erkennbar ausblieb. Zum anderen war Rudolf in der Schlacht ja die Schwurhand abgeschlagen worden, was man nur als „weisende Strafe“ Gottes für seinen Eidbruch gegenüber Heinrich ansehen konnte.475 Gregor geriet deshalb sehr in die Defensive, die causa regis wandelte sich zu einer causa papae.476 474 475

476

Vgl. ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, bes. die Kapitel II, III und IV. Zu den fraglichen Vorgängen, die vielfach dargestellt wurden, vgl. nur SUCHAN, Königsherrschaft im Streit, S. 131 ff.; COWDREY, Pope Gregory VII, S. 206 ff.; ALTHOFF, Heinrich IV., S. 168 ff. Vgl. SUCHAN, Königsherrschaft im Streit, S. 140 ff.

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IV. Salierzeit

Das war aber nicht das Ende der Bemühungen, den Konflikt durch Beratungen und Verhandlungen gütlich beizulegen. Nördlich der Alpen scheint man vielmehr zur Technik der direkten Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien – ohne die Beteiligung des Papstes und seiner Legaten – zurückgekehrt zu sein, die schon im Februar 1081 je fünf Bischöfe als Vertreter beider Parteien im Kaufunger Wald durchführen sollten. Unser Kronzeuge für diese Verhandlungen, Bruno, erwähnt ein interessantes Detail, das schon bei den vorbereitenden Vereinbarungen kontrovers war: „Während jene (die Bischöfe der Partei Heinrichs) eine geheime Unterredung (secretum colloquium) nur mit den Fürsten allein wünschten, wollten die Unsrigen kein Wort mit ihnen wechseln, das nicht alle Anwesenden, vornehme und geringe, hören dürften.“477 In Sachsen, wo auch die niedrigen Stände ihre Kontingente zum sächsischen Heer stellten, scheint man besonderen Wert darauf gelegt zu haben, Verhandlungen transparent zu führen, um alle Betroffenen über den Stand der Dinge auf dem Laufenden zu halten.478 Bruno akzentuiert auch, dass der erste Sprecher bei diesen Verhandlungen bestimmte Verhaltensweisen beherzigte, um das erstrebte Ziel nicht zu gefährden. Erzbischof Gebhard von Salzburg, der als Sprecher der Sachsen die Unterredung eröffnete, tat dies nämlich „mit bescheidener Miene und mäßiger Stimme seinem weisen und frommen Sinne entsprechend“.479 So versuchte er offensichtlich deutlich zu machen, dass seine Partei nicht auf die Durchsetzung ihrer Standpunkte, sondern auf die Versöhnung hinarbeitete. Dennoch enthielt die Rede des Erzbischofs, die Bruno in langer, wörtlicher Rede wiedergibt, kaum wirkliche Ansatzpunkte für einen Kompromiss. Nicht ungeschickt rief Gebhard zwar ausführlich in Erinnerung, dass sie, die Bischöfe und Fürsten der Gegenseite, früher bereits oft von den Sachsen um Hilfe gebeten worden seien, um Unrecht Heinrichs abzuwehren: „Wir machen nicht euch einen Vorwurf daraus, denn wir wissen, dass ihr euch oft in unserer Sache bemüht habt, wenn es uns auch wenig nützte … Alle Beschwernisse, die ihr uns bisher bereitet habt, wollen wir euch vergeben und unseren Sünden zuschreiben und sie eine Züchtigung der göttlichen Barmherzigkeit nennen, wenn wir von heute an vor Unrecht eurerseits sicher sein können.“480 All diese captationes benevolentiae konnten jedoch nicht verdecken, dass die sächsische Haltung gegenüber Heinrich noch immer die gleiche war und auch ihre Vorstellungen, wie man der Krise Herr werden könne, sich nicht verändert hatten. Im zweiten Teil seiner Rede brach es vielmehr aus Gebhard sozusagen heraus und er wiederholte die massiven Vorwürfe der Sachsen Vgl. Bruno, De bello Saxonico, cap. 126, S. 396 f. S. dazu schon oben bei Anm. 396. 479 Bruno, De bello Saxonico, cap. 126, S. 396 f. 480 Ebd., cap. 127, S. 398 f. 477 478

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gegen Heinrich, um daran seinen Vorschlag zum Procedere dieser Beratung anzuschließen: „Vielerlei Drangsal fürwahr hat euer Herr Heinrich grausamerweise über uns gebracht, durch vielerlei Unheil hat er uns über jedes Maß zu schaffen gemacht, und dennoch, seht, sind wir bereit, ihn wie einst als König anzunehmen, seht, wir sind bereit, ihm Treue und Unterwerfung zu schwören und das Beschworene treu und willig zu halten; nur zeigt uns mit überzeugenden Beweisen, dass wir, ohne unserem Stand zuwider zu handeln, und die Laien ohne Nachteil für den heiligen Glauben, dies tun können, und wir wollen dieses Feld hier nicht verlassen, ohne alles zu erfüllen, was ich gesagt habe. Wenn ihr aber geruhen wollt, unsere Ansicht anzuhören, dann ­werden wir euch mit wahren, handgreiflichen und durch das Zeugnis der Schriften gesicherten Gründen zeigen, dass wir – Kleriker und Laien – den Herrn Heinrich nicht zum König haben können, ohne unser Seelenheil zu verlieren … Das also ist der Kern unserer Bitte: Zeigt uns überzeugend, dass Herr Heinrich rechtmäßig König sein kann, oder lasst uns euch als wahr erweisen, dass er es nicht sein kann; und wenn eines von beidem bewiesen ist, dann hört auf, uns mit Feuer und Schwert zu verfolgen.“481 Das war genau die alte Position der Sachsen, die fest darauf setzten, dass jeder von Heinrichs Schlechtigkeit überzeugt würde, wenn sie nur die Gelegenheit bekämen, alle ihre Argumente in Ruhe vorzutragen.482 Hier setzten sie sich damit aber nicht durch, denn die Vertreter der Partei Heinrichs entgegneten, „sie seien nicht gekommen, um diese Sache zu verhandeln, noch besäßen sie so große Weisheit, dass sie eine Sache von solcher Bedeutung ohne Vorbereitung vorzunehmen wagten, zumal es scheine, dass die Angelegenheit nicht sie allein, sondern auch den König und alle seiner Herrschaft Unterstehenden angehe.“483 Danach dauerte es nicht mehr lange, bis man sich gegenseitig beschimpfte und bedrohte und auseinanderging, nachdem man sich nur für sieben Tage Frieden versprochen hatte. Immerhin bemerkt Bruno als Erfolg der Sachsen: „Die niederen Vasallen der gegnerischen Partei riefen laut, dass unser Vorschlag billig sei, ihre Fürsten aber weder Entsprechendes anböten noch annähmen. Sie seien in Zukunft weniger bereit zum Kämpfen als bisher, weil sie erkannt hätten, dass die gerechte Sache bei den Sachsen sei und uns diese Versammlung mehr Nutzen bringe als drei siegreiche Schlachten; denn sie hätten ja nun mit eigenen Ohren gehört, was sie früher nicht glauben konnten, dass nämlich die Unsrigen in Demut Gerechtigkeit forderten und anböten.“484 Mag diese klare Stellungnahme auch von Bruno im sächsischen Sinne geschönt sein, sie bietet zumindest Indizien für den Einfluss, den auch Ebd., S. 401 f. Vgl. ähnliche Argumentationen oben nach Anm. 417. 483 Bruno, De bello Saxonico, cap. 128, S. 400 f. 484 Ebd., S. 402 f. 481

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die Vasallen auf die Entwicklungen nehmen konnten, indem sie Informationen nutzten, um ihre eigenen Positionen zu überdenken. Genauso wichtig erscheint aber der Nachweis, dass Erzbischof Gebhard ­direkt nach diesen gescheiterten Verhandlungen brieflich dem Metzer Bischof Hermann die sächsischen Positionen in allen Einzelheiten erläuterte, wozu er im Kaufunger Wald ja gerade nicht gekommen war.485 Er tat dies, um den Metzer Bischof zu munitionieren, falls er als Vermittler eingeschaltet werden würde. Dieser Brief scheint daher ein sprechendes Beispiel für Versuche, Argumente, die man in direkter Kommunikation nicht hatte anbringen können, auf anderem Wege doch in den Prozess der Meinungsbildung einzuspeisen. Vermittler waren hier sicher wichtige Transporteure. Sie mussten außerdem von einer Sache überzeugt werden, um sich wirkungsvoll für sie einzusetzen. Hierfür leisteten die Argumente und Beispiele, die Erzbischof Gebhard Bischof Hermann von Metz in schriftlicher Form zugänglich machte, gute Dienste. Man hat wohl recht mit der Annahme, dass seine Argumentation im Brief auch als ­Argumentation in einer mündlich-persönlichen Verhandlung nutzbar war. So spricht er in Kapitel 6 das Problem der Zwietracht und Uneinigkeit unter den Vertretern der Kirche an und gibt zu bedenken, dass sie nach Art der Aufseher (more speculatorum) sich zunächst untereinander selbst einigen müssten, dann würde auch die Einigung des Volkes erreicht werden. Mit dem Begriff des Aufsehers für den Bischof hat Gebhard mit einiger Wahrscheinlichkeit an die Tradition der Karolingerzeit erinnert, die diese Funktion der Bischöfe über die Könige durchzusetzen versuchte. Dies wird dadurch fast zur Gewissheit, dass er im gleichen Zusammenhang aus Ezechiel 3, 18 zitiert, dass, wenn die Bischöfe ihrer Aufsichtspflicht nicht genügten, das Blut der Sünder über sie kommen werde, wie es auch in den Äußerungen der Pariser Synode zu finden ist. Mit diesen Hinweisen ist einer Argumentation das Wort geredet, die dafür ­plädiert, angesichts der Aufsichtspflicht alle Zwietracht und Uneinigkeit zu beenden, um gemeinsam den rechten Weg für die Könige zu suchen. Nachdem Gebhard überdies in mehreren Kapiteln Hermann von Metz vor Augen geführt hat, wie viel Wert die alten Konzilien darauf gelegt hätten, nichts ohne genaue Prüfung bisheriger Regelungen in Frage zu stellen und zu verwerfen, macht er den Gegnern Gregors VII. in Kapitel 15 den zentralen Vorwurf, nach der zweiten Bannsentenz von 1080 gegen Heinrich  IV. nichts geprüft oder erörtert zu haben, vielmehr sogleich „mehr aus Unbesonnenheit als aus Notwendigkeit“ Exkommunizierte wieder in ihre Gemeinschaft aufgenommen zu haben. Auch dies ist ein Argument dafür, diese Prüfungen zunächst sorgfältig nachzuholen, um so Unbesonnenheiten aus dem Weg zu ­räumen, die der Eintracht im Wege stünden. 485

Vgl. Gebehardi epistola ad Herimannum, bes. cap. 5–37, S.  126  ff.; s. dazu SUCHAN, Königsherrschaft im Streit, S. 154.

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2. Der erwachsene Heinrich IV.: das Bild eines b ­ eratungsresistenten Tyrannen

Besonders dezidiert argumentiert Gebhard, als er das Vorgehen Heinrichs IV. und der Bischöfe auf der Wormser Synode vom Januar 1076 gegen Gregor VII. bewertet: „Was konnte so rasch dazwischenkommen, dass jener Mann (sc. Gregor VII.), der kurz vor Weihnachten in der Kirche noch ein so hervorragendes Ansehen hatte, dass auf seinen Wink hin Ämter gewechselt wurden, dass eben derselbe wenige Tage nach dem Geburtsfest, ohne dass mit ihm gesprochen, ohne dass er gehört, und ohne jegliche Kenntnis einer Misshelligkeit geächtet wurde? Denn von jenem Zeitpunkt an, an dem er von ihnen, ja von allen noch hoch in Ehren gehalten wurde, erhielt er von ihnen keine Botschaft mehr, bis dann jene kam, in der es hieß: ‚Steige herab, steige herab!‘“ (cap. 34). Diese Fragen, die man bis heute kaum schlüssig beantworten kann, sind in der Tat geeignet, berechtigte von unberechtigten Reaktionen zu sondern. Wenn Bischof Hermann sie bei Gelegenheit der Gegenseite vortrug und diese sich auf sie einließ, konnte das sicher zur Klärung beitragen. Zu mehr als solchen Versuchen scheint es in dieser Zeit aber nicht gekommen zu sein. Nachdem der Konflikt ab 1081 längere Zeit unterbrochen wurde, unter ­anderem durch den Italienzug Heinrichs IV., der zu seiner Kaiserkrönung, zur Einsetzung des Gegenpapstes Clemens und zum Abzug Gregors nach Salerno führte, kam es im Januar 1085 ein zweites Mal zu einem Treffen von Bischöfen beider Seiten, das in Gerstungen stattfand. Es scheint besser vorbereitet gewesen zu sein als das erste im Kaufunger Wald. Man hatte sich sowohl auf ein Generalthema geeinigt: die Pflicht, Exkommunizierte zu meiden, sollte die causa sein; und auch die Art und Weise, wie man darüber debattieren wollte, war festgelegt: auf der Basis kanonischer Argumente und Schriften.486 Man merkt an diesen Vorabsprachen, dass die Parteien durchaus Konsequenzen aus den Erfahrungen des Scheiterns von Verhandlungen zogen. Es war erneut Erzbischof Gebhard von Salzburg, der als Erster überzeugend und mit vielen kanonischen Autoritäten die gregorianische und sächsische ­Position begründete, dass man mit Exkommunizierten keine Gemeinschaft pflegen dürfe.487 Dieses Mal waren die heinricianischen Bischöfe jedoch besser vorbereitet. Der Bischof von Utrecht brachte als ihr Sprecher ein Argument vor, das die Gegenseite völlig überraschte: „Unser Herr (sc. Heinrich), dessen Sache hier erörtert wird, ist gar nicht gebannt worden, weil der Papst ungerecht an ihm gehandelt hat, da er den bannte, den er nicht bannen durfte.“488 Gut vorbereitet bat er dann den Erzbischof Wezilo von Mainz, ein päpstliches Dekret ­vorzulesen: „Dieser stand auf und las vor, dass jemand, der seines Eigentums Vgl. dazu bereits FUHRMANN, Pseudoisidor, S. 53 ff.; SUCHAN, Königsherrschaft im Streit, S. 156 ff. 487 Vgl. die Schilderung der Beratung beim Annalista Saxo, a. 1085, S.  722, s. dazu auch ALTHOFF, Heinrich IV., S. 198 ff. 488 Ebd., S. 722: dominum nostrum, cuius hic causa discutitur, negamus excommunicatum, quia apostolicus iniuste secum egit, excommunicans quem excommunicare non debuit. 486

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beraubt oder mit Gewaltakten von seinem Sitz vertrieben wurde, nicht angeklagt, vorgeladen, gerichtet oder verurteilt werden kann, bevor ihm nicht alles Geraubte vollständig zurückerstattet, sein Eigentumsrecht mit allen seinen Vorrechten wiederhergestellt ist und er in Frieden lange Zeit seine Ämter ausüben kann, nachdem ihm sein eigener Sitz vorschriftsmäßig zurückgegeben ist.“489 Die zitierte Stelle stammte aus den pseudo-isidorischen Dekretalen, einer Fälschung des 9. Jahrhunderts. Sie handelte von Bischöfen, die nicht gerichtet werden dürften, solange sie aus ihren Bischofssitzen vertrieben seien. Die Heinricianer nutzten diese Bestimmung nun zur Verteidigung ihres Königs, der ja zum Zeitpunkt der Exkommunikation durch Gregor seinen Königsthron nicht uneingeschränkt innehaben konnte, weil die Sachsen ihn aus ihrem Land vertrieben hatten. Mit diesem Argument hatte die gregorianische Seite nicht gerechnet und sie wusste nichts darauf zu erwidern: „Da waren alle Bischöfe der Gegenseite so verwirrt und zerschmettert, dass sie nichts darauf antworten konnten, und der Sieg blieb bei der Kirche Gottes, denn der Lügner Mund verstummte.“490 Es gehörte zu den Spielregeln einer kanonistischen disputatio, dass derjenige obsiegte, dessen Gegner kein Gegenargument mehr hatte. Es dauerte denn auch eine ganze Zeit, ehe der anwesende Legat Odo von Ostia, der später als Urban  II. Nachfolger Gregors auf dem Papstthron wurde, mit einem Rundschreiben dem vorgebrachten Argument entgegentreten und nachweisen konnte, dass der Text gar nicht auf den Fall Heinrichs anzuwenden war. Da aber war es bereits zu spät. Es scheint nicht nötig, die sich in den 80er und 90er Jahren fortsetzenden Bemühungen um die Herstellung des Friedens genauer zu verfolgen, die immer wieder an den gleichen Problemen scheiterten, auch wenn es temporär wirksame Friedensvereinbarungen ebenso gab wie Parteiwechsel und militärische Versuche der Entscheidung des Konflikts.491 Wirklich beendet wurde der Konflikt erst durch den Tod Heinrichs  IV. 1106, wenn es auch schien, dass die ­Rebellion seines Sohnes Heinrichs V. zu diesem Zeitpunkt erfolgreich der Herrschaft seines Vaters ein Ende gesetzt hatte. Für uns ist wichtiger, zusammenfassend zu betonen, welche gravierenden Auswirkungen die eigentlich die ganze Zeit Heinrichs umfassende Herrschaftskrise auf die Rahmenbedingungen der Beratungen und Verhandlungen in Konflikten hatte. Eine wichtige Neuerung scheint zu sein, dass in dieser Zeit die Technik, paritätisch ausgewählte Vertreter beider Parteien über einvernehm­liche Lösungen verhandeln zu lassen, ihre Feuerprobe bestand. 489 490 491

Vgl. Liber de unitate ecclesiae conservanda, lib. 2, cap. 18, S. 234. Ebd., S. 235. Zu den Einzelheiten s. immer noch MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs IV., Bd. 4 und 5; GIESE, Der Stamm der Sachsen und das Reich, S. 173 ff.; SUCHAN, Königsherrschaft im Streit, S. 158 ff.; SCHLICK, König, Fürsten und Reich, bes. S. 48 ff.

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4. Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V.

Man wird ein­ gehender zu prüfen haben, ob hier nicht die Anfänge der Schiedsgerichtsbarkeit liegen, die später gerade in Herrschaftskonflikten eine so große Rolle spielte.492 Zweitens sind die Auswirkungen hervorzuheben, die das neue Amtsverständnis des Reformpapsttums auf sein Verhältnis zum Königtum hatte. Die neuen päpstlichen Geltungsansprüche, die biblisch und mit Argumenten des kanonischen Rechts belegt wurden, veränderten und prägten die Rahmen­ bedingungen von Beratungen und Verhandlungen nachhaltig, weil sie die „Gewohnheiten“ in ihrer führenden Rolle bei Entscheidungen dadurch unterminierten, dass päpstliche Stellungnahmen, Ratschläge, Gebote und Dekrete mit dem höherrangigen Anspruch auf „Wahrheit“ auftraten, die Christus über Petrus seinen Nachfolgern vermacht habe.493 Mit dem Rekurs auf christliche Autoritäten, Präzedenzfälle und Exempla verband sich ein erhöhter Geltungsanspruch und der veränderte gewiss auch das Gewicht der Argumente in den mündlichen Beratungen und Verhandlungen. Drittens steht der gewaltige Anstieg schriftlicher Fixierung unterschiedlichster Themen, Nachrichten und Argumente in engem Zusammenhang mit den Beratungen und Verhandlungen dieser Langzeitkrise. Er lässt sich in den konventionellen Gattungen der Historiographie wie den Briefen, insbesondere aber in der neuen Gattung der „Streitschriften“ beobachten. Die schriftliche Form der Sammlung und Nutzung von Daten bewirkte mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Veränderung der Argumentationsmöglichkeiten in Beratungen, weil sie Wissen zur Verfügung stellte, das als Argument in Face-toface-Situationen wie zur Beeinflussung Abwesender, zur Information, zur Propaganda, zur Beeinflussung einer im eingeschränkten Sinne „öffentlichen“ Meinung Verwendung finden konnte und fand. Es lohnt sich, darauf zu achten, inwieweit diese Neuerungen dauerhaft zu beobachten sind und inwieweit sie alte Techniken und Verfahren der Beratung veränderten.

4. Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V. Die Zeit der Herrschaft Heinrichs V. (1105–1122) scheint kaum weniger von Konflikten geprägt als die seines Vaters. Sie lässt sich aus der Perspektive seiner Beratungen und Verhandlungen mit der Kirche und den Großen grob in drei Phasen einteilen. Zunächst setzte die Kirche wie viele der Großen auf den Vgl. dazu bereits GARNIER, Amicus amicis, bes. S.  244–277; KAMP, Friedensstifter und Vermittler, S. 236 ff. 493 Vgl. dazu HARTMANN, Wahrheit und Gewohnheit, S. 67 ff.; ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, S. 40 ff. 492

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­ önigssohn, um sich der ungeliebten Herrschaft seines Vaters zu entledigen; K dann mühte man sich intensiv und mit aufsehenerregenden Ergebnissen um eine grundsätzliche Regelung des Verhältnisses von Königtum und Kirche. Als dies scheiterte, wandte sich zunächst die Kirche, dann aber auch die Mehrheit der Großen gegen Heinrich V., und ihre Koalition zwang den letzten Salier schließlich zur Einigung mit der Kirche im Wormser Konkordat, dessen Kompromisscharakter unübersehbar ist. Für alle drei Phasen erscheint es als charakteristisch, dass Praktiken der traditionellen Beratung neben „moderneren“ Techniken der Information und Kommunikation begegnen.494 Ein Unterschied zur Zeit Heinrichs IV. ist allerdings unübersehbar: Im Falle Heinrichs V. gelang schließlich ein gütlicher Ausgleich der Gegensätze.

Die Entmachtung Kaiser Heinrichs IV. Am Anfang der Konflikte sah es zunächst mehr danach aus, als ob die kriegerischen Auseinandersetzungen einem neuen Höhepunkt zusteuerten. Heinrich V., der bei seiner förmlichen Erhebung zum König seinem kaiserlichen Vater eidlich versprochen hatte, sich zu dessen Lebzeiten niemals in dessen Herrschaft einzumischen, verließ in der Nacht plötzlich und heimlich das Heer seines Vaters und zog nach Bayern, wo er von einer Gruppe junger Hochadliger aufgenommen und in seinem Bestreben unterstützt wurde, den Vater aus der Herrschaft zu verdrängen.495 Für unsere Fragestellung ist besonders wichtig, dass diese oppositionelle Bewegung es verstanden hatte, die Tatsache ihrer _Bildung und ihrer Pläne vollständig geheim zu halten. Auch über ihre vorrangigen Motive herrscht bis heute weitgehende Unsicherheit.496 Dennoch setzt ihre plötzliche und zielstrebige Aktivität intensive vorherige Kontakte, Beratungen und Absprachen voraus, die offensichtlich vertraulich und unbemerkt vonstatten gegangen waren. Wir treffen also auch hier auf den Befund, dass es für die Vorbereitung und Ausarbeitung konspirativer Pläne gängige Wege gab, die ­sicherstellten, dass die Tatsache wie die Ergebnisse vertraulicher

Vgl. hierzu SCHLICK, König, Fürsten und Reich, bes. S. 51 ff., die das gewachsene Interesse der Quellen an beratenden Versammlungen dokumentiert. 495 Zu den Vorgängen vgl. WEINFURTER, Reformidee und Königtum im spätsalischen Reich, S. 290 ff.; SUCHAN, Königsherrschaft im Streit, S. 166 f.; SCHLICK, König, Fürsten und Reich, S. 54 ff. 496 Strittig ist etwa, ob ein Vorfall in Regensburg die auslösende Ursache war, als Heinrich  IV. die Tötung des Grafen Sigihard durch seine Ministerialen nicht verhindert hatte, obgleich Heinrich V. als Vermittler sich für den Grafen eingesetzt hatte; vgl. MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs IV., Bd. 5, S. 195 ff. Schon in den zeit­ genössischen Quellen werden aber auch Herrschsucht Heinrichs V. und seine Angst ­genannt, seine Aussichten auf das Königtum zu verspielen, wenn er länger an der Seite seines exkommunizierten Vaters bleibe. 494

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4. Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V.

Beratungen nur einem beschränkten Personenkreis bekannt wurden.497 Erst nachdem ihre Entschlossenheit zum Widerstand öffentlich sichtbar geworden war, erfahren wir auch manches über die angeblichen Motive und Ziele, die ihr Tun hatte. Die Quellenaussagen beider Seiten geben viele Hinweise auf die Rechtfertigung Heinrichs und der Adligen, die ihn in dieser Sache unterstützten. Die Verschwörer werden in der modernen Forschung mit dem Begriff „Reformadel“ charakterisiert.498 Zunächst einmal scheinen alle Beteiligten zutiefst davon durchdrungen gewesen zu sein, dass man dem exkommunizierten Kaiser Heinrich IV. die Gefolgschaft „aus Eifer für Gott und aus Gehorsam gegenüber dem apostolischen Glauben“ verweigern müsse, wie Heinrich V. später seinem Vater schrieb, als er sein Verhalten erläuterte und verteidigte.499 Zuvor aber hatte er den Inhalt dieses Briefes durch Erzbischof Heinrich von Magdeburg öffentlich bekanntmachen lassen. Eifer (zelus) für Gott und Gehorsam (oboedientia) gegenüber der Kirche waren schon Zentralbegriffe der gregorianischen Argumentation gegenüber Heinrich  IV. gewesen, deren Erbe die ­Anhänger Heinrichs V. durch diese Formulierung für sich in Anspruch nahmen.500 Diese Begründung bestimmte sowohl ihre brieflichen Argumentationen und ihr Handeln beim persönlichen Zusammentreffen mit Heinrich  IV. und seinen Anhängern wie auch das öffentliche Auftreten Heinrichs V. auf Hoftagen und Synoden, wie an vielen Zeugnissen verdeutlicht werden kann, die die Perspektive Heinrichs V. einnehmen und wiedergeben. Sie zeichnen aber lediglich ein sehr gereinigtes Bild von Heinrich V. als „treuem Sohn der Kirche“, das sein Vorgehen vor jedem Vorwurf schützen will. Wie viel militärischer und psychischer Druck auf den Vater ausgeübt wurde, wird dagegen vor allem aus den Briefen Heinrichs IV. an Abt Hugo von Cluny und den französischen König Philipp I. ersichtlich. Hinzu kommen Einzelnachrichten, die das Bild vom Vorgehen Heinrichs V. nachhaltig verändern. Die Konfrontation dieser beiden Perspektiven erlaubt einige Einsichten in Vorgehens­ weisen und Strategien bei den diesbezüglichen Beratungen, deren augenscheinliches Ziel es war, ein gewaltsames Vorgehen möglichst zu ver­meiden, aber dennoch den alten Kaiser zur freiwilligen Übergabe seiner Herrschaft und ihrer Insignien an den Sohn zu veranlassen.501 Hierbei wandte man offensichtlich auch Vgl. ähnliches Vorgehen etwa bei den Gegnern Ottos des Großen und Heinrichs  IV., oben bei Anm. 270 ff. und 396 ff. 498 Vgl. hierzu vor allem WEINFURTER, Reformidee und Königtum im spätsalischen Reich, S. 291 ff. 499 Dies formulierte Heinrich V. in einem Brief an seinen Vater, den die Chronik Ekkehards von Aura (dritte Fassung), S. 282 ff. (die zitierten Worte S. 285) wiedergibt. 500 Vgl. dazu ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, S. 59. 501 Vgl. dazu bereits HUTH, Reichsinsignien und Herrschaftsentzug, S. 287 ff.; neuerdings ALTHOFF, Inszenierte Freiwilligkeit, bes. S. 94 ff. 497

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IV. Salierzeit

Methoden an, die nicht allein mit dem Eifer für Gott in Einklang zu bringen sind, sondern aus dem Arsenal weltlicher Machtpolitik stammen. Die religiöse Verankerung der Legitimation der Gegner Heinrichs IV. und Unterstützer seines Sohnes zeigt sehr deutlich ein Brief, den der sächsische Pfalzgraf Friedrich an die bayerischen Empörer richtete, um sich und seine sächsischen Verbündeten ihnen anzuschließen: Dieser Brief begründete die Notwendigkeit des Widerstands nämlich mit dem schon biblischen Hinweis: „Niemand ist in der Sintflut gerettet worden außerhalb der Arche, welche die Gestalt der Kirche hatte.“502 Da Heinrich IV. jedoch schon seit 1080 zum zweiten Mal exkommuniziert war, bleibt die Frage, warum Heinrich V. und seine Helfer erst 1105 diese Exkommunikation als Hauptgrund für ihre Loslösung von Heinrich IV. in den Vordergrund rückten. Die kirchlich-christliche Motivation der Empörer scheint dadurch noch unterstrichen zu werden, dass sie sofort brieflichen Kontakt zu Papst Paschalis II. aufnahmen und von diesem in mehrfacher Hinsicht nachhaltige Unterstützung bekamen. Er ließ nämlich nicht nur brieflich versichern, dass der mit dem Abfall Heinrichs V. begangene Eidbruch von ihm, dem Papst, beim Jüngsten Gericht verantwortet werden würde.503 Überdies ernannte er den aus Konstanz vertriebenen Bischof Gebhard III., der schon länger Kontakte zum bayerischen und schwäbischen Reformadel hatte, zum päpstlichen Legaten, der von nun an den jungen König bei seinem Versuch tatkräftig unterstützte, seinen Anhang zu vergrößern und den Vater zur Abdankung zu bewegen.504 Unabhängig davon, welches nun die „eigentlichen“ und „wahren“ Motive der Verschwörer waren, ist erkennbar, dass die Gruppe ganz auf eine einzige Art von Argumentation setzte: Man müsse die „schon fast vierzig Jahre währende Spaltung des römischen Reiches endlich beenden, die die göttlichen und menschlichen Gesetze schon fast ganz ausgelöscht hat und die, nicht zu reden von all den Arten von Totschlag, Sakrilegien, Meineiden, Plünderungen und Brandschatzungen, unser Reich selbst nicht nur in eine Einöde verwandelt, sondern auch zum Abfall vom katholischen Glauben, ja fast zum Heidentum gebracht hat.“505 Die kirchliche Unterstützung und die in den Vordergrund gestellte christ­ liche Motivation der Empörer erklärt freilich noch nicht, wie diese ihren Edition des Briefes in Monumenta Bambergensia, Nr. 116, S. 228: Nullus salutus est in diluvio extra archam, quae figuram gerebat ecclesiae; vgl. dazu WEINFURTER, Reformidee und Königtum im spätsalischen Reich, S. 296. 503 Vgl. dazu MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs IV., Bd. 5 S. 215 f. mit Hinweis auf den sog. Libellus de rebellione in den Annales Hildesheimenses, a. 1104–1106. 504 Vgl. dazu SCHLICK, König, Fürsten und Reich, S. 49 ff.; WEINFURTER, Reformidee und Königtum im spätsalischen Reich, S. 298 ff. 505 So der Beginn des von der Chronik Ekkehards von Aura (dritte Fassung), S. 283 f. überlieferten Briefes, den Heinrich V. an seinen Vater schickte. 502

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4. Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V.

­ usammenschluss so erfolgreich und unbemerkt betreiben konnten. Eine Z Stimme aus der Umgebung Heinrichs IV. bezeugt jedoch auf ziemlich eindeutige Art und Weise, dass es auch in diesem Fall die traditionellen Formen der Gruppenbildung waren, mit denen die Verschwörer vertraulich ihren Zusammenhalt festigten, ihre Verbindung ausdehnten und ihre Pläne besprachen. In der Lebensbeschreibung Heinrichs IV. wird die Initiative zu diesem Tun interessanterweise nicht Heinrich V. selbst, sondern den jungen Grafen angelastet. Ihr Verhalten wird scharf kritisiert, aber zugleich sehr genau beschrieben: „Um Gelegenheit für ihre Einflüsterungen zu finden, griffen sie zu den besten Lockmitteln der Verführung: Sie nahmen ihn häufig mit zur Jagd, luden ihn zu üppigen Gelagen (convivia) ein, trübten durch Scherze seine geistige Klarheit und verleiteten ihn zu vielen Streichen, wie sie der Jugend eben einfallen. Und wie es unter jungen Leuten dann so geht, schlossen sie sich zu enger Gemeinschaft (glutino societatis) zusammen und gelobten einander durch Handschlag, treu alle Geheimnisse zu wahren. Als sie ihn mit mancherlei Listen umgarnt hatten und glaubten, ihn jetzt auf Irrwege führen zu können, brachten sie eines Tages, wie aus Zufall, das Gespräch auf seinen Vater: Sie wunderten sich, dass er einen so strengen Vater ertragen könne, nichts unterscheide ihn von einem Knecht, da er wie ein Knecht alles geduldig aushalte.“506 Durch alle Kritik hindurch ist nicht zu übersehen, dass uns hier Formen adliger Gruppenbindung beschrieben werden, wie sie in gleicher Weise auch vom Beginn der Erhebungen gegen Otto den Großen und der sächsischen Verschwörungen gegen Heinrich  IV. berichtet werden.507 Im ersteren Fall waren die Mitglieder der königlichen Familie, Heinrich und Liudolf, jedoch die Aktiven bei der coniuratio. Dies macht einen Teil der Darstellung des unbekannten Autors eher unglaubwürdig, weil er den jungen König als Verführten darstellt. Die gemeinschaftsstiftende Wirkung solcher Gelage, die von Beratungen, Gabentausch und Eidesleistungen begleitet wurden, begegnet uns aber so häufig am Beginn bewaffneter Auseinandersetzungen, dass wir die These wagen können: Heinrichs Abfall vom Vater wurde in vertraulichen conventicula und convivia junger Adliger mit ihm vorbereitet, die Zeit und Raum für verdeckte Beratungen boten und deren Beschlüsse dann mit Nachdruck in die Tat umgesetzt wurden. Der auf Eid beruhende Gruppenzusammenhalt könnte die Gewähr dafür geboten haben, dass sie ihre Pläne geheim zu halten wussten, zugleich aber über Verwandte und Freunde Verbindungen wirksam werden ließen, die bis nach Sachsen und zum päpstlichen Stuhl reichten. Politische Willensbildung vollzog sich in diesen gildeartigen Vereinigungen unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit und führte zu Aktivitäten, bei denen sich die Schwurgenossen nachhaltige Unterstützung gaben. Dies erklärt den Erfolg der 506 507

Vgl. Vita Heinrici IV., cap. 9, S. 440 f. Vgl. dazu oben bei Anm. 270 ff. und Anm. 396 ff.

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IV. Salierzeit

Initiative zur Genüge, die natürlich auf einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der Herrschaft Heinrichs  IV. aufbauen konnte. Dass Heinrich V. hierzu von anderen verführt werden musste, ist als Argument nicht unbedingt plausibel, wird aber auch beim Königssohn Liudolf benutzt, um ihm die Rückkehr zum Vater zu erleichtern.508 Interessant für unsere Thematik sind auch die nächsten Schritte des jungen Königs, die zeigen, dass er sich in den folgenden Beratungen und Verhandlungen durchaus geschickt verhielt. Dies erwies sich zunächst an seinem Verhalten gegenüber den Sachsen, die ihn zu Verhandlungen nach Quedlinburg eingeladen hatten, um über die Frage ihrer Unterstützung seiner Sache zu entscheiden.509 Interessant ist hier, dass auf die briefliche Einladung Heinrichs V. durch sächsische Grafen zunächst Sondierungsgespräche folgten, die zwei bayerische Grafen und Anhänger Heinrichs mit den Sachsen führten. Sie erbrachten offensichtlich eine so große Übereinstimmung, dass Heinrich V. in Begleitung des Erzbischofs Ruthard von Mainz und des päpstlichen Legaten Gebhard von Konstanz nun persönlich zum Osterfest nach Quedlinburg ziehen konnte, wo sich die Großen des sächsischen Stammes versammelt hatten. Die Vorverhandlungen hatten ein Ergebnis gebracht, das ein persönliches Zusammentreffen mit dem Ziel der sächsischen Anerkennung Heinrichs als König aussichtsreich erscheinen ließ. Heinrich folgte hier einem gängigen Verhaltensmuster, indem er in dieser entscheidenden Frage nichts dem Zufall überließ, sondern sich durch Vorverhandlungen über die Chancen einer Zusammenarbeit vergewisserte. Man sollte es wohl als einen Ausweis seiner demütigen Gesinnung gegenüber der Kirche auffassen, dass Heinrich V. am Karfreitag von Gernrode kommend seinen Einzug in Quedlinburg barfüßig durchführte. Die Sachsen anerkannten ihn denn auch sofort unter der Bedingung, „dass er um die Kirche Gottes Sorge trage, wie es sich gehört, und in allem ein gerechtes Urteil fälle“.510 Wieder steht am Beginn der Zusammenarbeit eine ganz allgemeine Grundsatzerklärung, die als Basis genügte, obgleich sie eigentlich in keiner Weise strittige Fragen klärte. Heinrich begann aber sogleich mit der Einlösung dieses Versprechens, indem er zusammen mit Erzbischof Ruthard und dem päpstlichen Legaten mehrere sächsische Bischöfe ihres Amtes enthob und ihre geistlichen Handlungen für ungültig erklärte. In Hildesheim und Halberstadt setzte er diese Maßnahmen auch tatsächlich durch. Bald kam man überdies überein, eine Synode in Nordhausen abzuhalten, die die Reinigung der sächsischen Kirche von Anhängern seines Vaters fortsetzen sollte. 508 509 510

Vgl. dazu oben bei Anm. 294. Zu den Einzelheiten vgl. MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs  IV., Bd.  5, S. 219 ff. Vgl. Annales Patherbrunnenses, a. 1105, S. 109: Principes Saxoniae Heinricum, filium Heinrici imperatoris, suscipiunt in regem et fidelitatem sibi iurant contra partem, ea conditione, quod ecclesiae dei, sicut debet, provideat et omnibus iustum iudicium faciat.

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4. Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V.

Auf dieser Synode zeigte der junge König wieder ein in mehrfacher Hinsicht vorbildliches Verhalten, das größte Hoffnungen für eine Regentschaft in Frieden mit der Kirche rechtfertigte: „Denn obgleich er der Versammlung der Diener Gottes nur auf deren ausdrücklichen Wunsch beiwohnen wollte … erneuerte er schließlich, während er in schlichtem Gewand auf erhöhtem Platz stand, allen gemäß den Verfügungen der Könige voller Einsicht ihre ­Gesetze und Rechte … In allem bewahrte er für sich selbst in wunderbarer Weise die Bescheidenheit des jungen Mannes und erwies den Priestern Christi die angemessene Ehrerbietung. Dabei rief er unter Tränen den König des Himmels selbst und die ganze himmlische Heerschar zu Zeugen an, dass er nicht aus Herrschsucht die Herrschergewalt des Vaters an sich reiße und keineswegs wünsche, dass sein Herr und Vater des römischen Reiches verlustig gehe, dass er vielmehr dessen Halsstarrigkeit und Ungehorsam stets das schuldige Mitleid entgegenbringe, für den Fall aber, dass dieser sich gemäß dem christlichen Gesetz dem heiligen Petrus und dessen Nachfolgern unterwerfen werde, versprach er, ihm im Reich Platz zu machen und untertänig dienen zu wollen.“511 Alle öffentlichen Gesten und Äußerungen des jungen Königs nach seinem Abfall vom Vater verkünden also immer wieder dieselbe Botschaft: dass ihn nicht Herrschbegier zu seinem Verhalten gebracht habe, sondern die Sorge, mit der weiteren Unterstützung seines Vaters Schaden an seinem Seelenheil zu nehmen. Falls dieser seinen Frieden mit der Kirche mache, werde er sofort an seinen alten Platz in der Herrschaftsordnung zurücktreten. Wir müssen und können hier nicht entscheiden, ob diese Motive echt oder vorgeschoben sind. Wir können lediglich gegenüberstellen, welche Auffassung die Gegenseite, nämlich Heinrich IV., von den Motiven hatte, die Heinrich V. antrieben. Vor allem aber ist für uns wichtig zu erklären, wie durch Verhandlungen und Vereinbarungen letztlich eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den Parteien immer wieder vermieden werden konnte. Es war nämlich alles andere als selbstverständlich, dass sich diese Abkehr des Sohnes vom Vater nicht zu einem „vatermörderischen Krieg“ ausweitete. Es sind vor allem briefliche Quellen, die einen lebendigen Eindruck davon vermitteln, wie intensiv auch Kaiser Heinrich  IV. in seiner Bedrängnis sich darum bemüht hat, sowohl die Front seiner Gegner zu sprengen wie die eigenen Anhänger bei der Stange zu halten. Die räumliche Trennung machte es dabei nötig, Argumente, die man bei persönlichen Treffen mündlich vorgebracht hätte, nun der Schrift und Boten anzuvertrauen. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang ein Brief an den neuen Papst Paschalis II., in dem Heinrich IV. ihm nichts weniger als einen Neuanfang ihrer Beziehungen in Liebe und Freundschaft (caritative et amicabiliter) vorschlägt, allerdings 511

Vgl. Anonyme Kaiserchronik, a. 1105, S. 228 f.

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„ohne dass dabei die Würde des Königtums, des Kaisertums und unserer ganzen Stellung angetastet wird“.512 Konkreter wird der Brief in der Sache nicht, er bietet dem Papst jedoch an, wenn er Frieden mit ihm schließen wolle, seinerseits Boten mit persönlichem Schreiben und geheimem Auftrag zu ihm zu senden und so den Weg zu weiteren Verhandlungen zu eröffnen. Dann nämlich würde er, Heinrich, „solche Männer aus unseren vornehmsten Fürsten zu dir senden, wie es zur Regelung einer so wichtigen Angelegenheit uns dir zu schicken und dir von uns zu empfangen ziemt. Durch sie kannst du unzweideutig und klar erkennen, dass wir wirklich ausführen wollen, was wir dir insgeheim antragen.“ Das Angebot des alten Kaisers spricht explizit Regeln an, die bei der Aufnahme von Verhandlungen zu beachten waren. Ganz ähnlich wie im Falle Heinrichs V. und der Sachsen ist auch hier wieder eine gestufte Intensi­ vierung der Verhandlungen vorgeschlagen, die einer plausiblen Logik folgt: Man eröffnet Verhandlungen mit einem allgemeinen und grundsätzlichen Angebot, erwartet ein positives Zeichen des Einverständnisses vom poten­ tiellen Verhandlungspartner durch Boten mit persönlichem Schreiben und geheimem Auftrag, um dann durch hochrangige Unterhändler die eigentlichen Verhandlungen beginnen zu lassen. Heinrich IV. spricht hier Gewohnheiten der Verhandlungsführung an, die darauf bauen, dass die Vornehmheit der ausgewählten Verhandlungsführer die Sicherheit vermittelt, dass die Gegenseite die Verhandlungen ohne Vorbehalt und betrügerische Absichten führen will. Vornehmen Unterhändler unterstellte man offensichtlich, dass sie ihrem Herrn nur zu seriösen Verhandlungen zur Verfügung standen, weil dissimulatorisches Verhalten oder betrügerische Winkelzüge auch ihre Ehre beschädigten. Ein Brief des neuen Bischofs Erlung von Würzburg an seinen Förderer und Amtsbruder Otto von Bamberg aus dieser Zeit deutet gleichfalls darauf hin, dass Heinrich IV. alle Hebel in Bewegung setzte, seine Herrschaft durch eine gütliche Einigung zu retten: „Unser Herr hat Gehorsam dem Papste und die Rückführung des Erzbischofs von Mainz gelobt, und dass er hinsichtlich seines Sohnes tun werde, was immer die Fürsten raten werden. Alles andere steht noch in der Schwebe.“513 Man scheint in der Umgebung Heinrichs IV. dessen Sache also noch keineswegs verloren gegeben zu haben. Vielmehr versuchte man, wie dieser Brief bezeugt, gleichfalls durch sehr allgemeine Versprechungen eine neue Basis für Verhandlungen zu schaffen. 512

513

Vgl. Briefe Heinrichs IV., Nr. 34, S. 108 f.: mittimus tibi nuncium istum, cum legacione nostra. Per hunc quippe volumus cognoscere; si est tibi voluntati te nobis caritative et amicabiliter et nos uniri tibi; salvo nobis honore reni et imperii et totius nostre dignitatis.Das nächste Zitat ebd., S. 110 f. Vgl. MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs IV., 5, S. 213.

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4. Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V.

Sein Sohn Heinrich V. blieb in der gleichen Zeit aber offensichtlich auch nicht untätig – und hatte mehr Erfolg als der Vater. Die Ereignisse überschlugen sich am Fluss Regen, wo sich die Heere beider Könige zunächst kampfbereit gegenüberstanden. Doch dann gelang es dem Sohn, durch vertrauliche Verhandlungen die wichtigsten Fürsten im Heere des Vaters zu einem Parteiwechsel zu veranlassen. Wie dies im Einzelnen geschah, entzieht sich unserer Kenntnis, da die Hauptquelle, Ekkehard, die Geschichte in zwei Rezensionen sehr einseitig zugunsten Heinrichs V. erzählt. Ekkehard lässt nämlich alle Hinweise auf eine vertrauliche Vorbereitung der Entscheidung aus, wenn er sie denn kannte, und betont, sie sei den Fürsten beider Heere von Gott eingegeben worden: „Jedoch an dem Tag vor dem mit Sicherheit bevorstehenden Kampf begannen die Fürsten, die die mächtigsten Häupter beider Heere zu sein schienen, miteinander Friedensgespräche: Sie erörterten lange untereinander die Ursachen des gegenwärtigen Krieges und begegneten sich schließlich – wie man glaubt, belehrt vom Geiste Gottes – in der einmütigen Überlegung, dass in einem so harten und gefahrvollen Unternehmen wenig Gerechtigkeit und ­Erfolg sei. Deshalb kamen sie zu dem übereinstimmenden Urteil, dass man die Brüder, das heisst, das Volk, das ja auf beiden Seiten aus Christen bestand, schonen und überhaupt von einem vatermörderischen Krieg Abstand nehmen müsse.“514 Dass Heinrich V. an diesem scheinbar von Gott eingegebenen Entschluss der Fürsten nicht ganz unbeteiligt war, macht Ekkehard dadurch deutlich, dass er dem König eine lange Rede an seine Unterstützer in den Mund legt, ohne deutlich zu machen, wann diese Rede gehalten wurde: „Wenn auch schon, wie wir sagten, der blutige Mars mit den Zähnen zu knirschen begonnen hatte, da auf beiden Seiten die Schlachtreihen geordnet waren, soll doch auch der junge König im Innersten bewegt über seinen Vater voll Trauer gesagt haben: ‚Meine tapferen Gefährten! Höchsten Dank sage ich euch für eure Zuneigung zu mir. Ich werde nicht anstehen, jedem von euch Gleiches mit Gleichem zu vergelten, wenn es erforderlich sein sollte. Dennoch möge niemand wünschen oder glauben, ich wäre mit ihm dazu verbündet, auf dass er sich rühme, durch ihn sei mein Herr und Vater getötet worden, oder damit er jemals meine, er müsse getötet werden. Ich möchte als Erbe und Nachfolger des Kaisers ein Reich innehaben, das mir nach christlichen Gesetzen untertan ist, wenn es dem Herrscher aller Dinge so gefällt; ich möchte wahrhaftig nicht Vatermörder heißen oder gar sein. Wenn mein Vater sich gehorsam dem Joch des Papstes unterwirft, werde ich sogleich mit dem zufrieden sein, was er mir in seiner Güte gewähren wird.‘“ Heinrich ist sich nach dieser Darstellung vollkommen einig mit den Vernünftigen in beiden Heeren und vertritt überdies vollständig die gregoriani514

Vgl. Ekkehard von Aura, Chronik (erste Fassung), S. 194 f.

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IV. Salierzeit

sche Position, die „die gehorsame Unterwerfung des Königs unter das Joch des Papstes“ verlangt. Von etwaigen vertraulichen Vorbereitungen des plötzlichen Gesinnungswandels der Fürsten und den ihn bewirkenden Angeboten sagt ­Ekkehard nichts. Die Forschung hat jedoch schon lange erkannt, dass dem Gesinnungswandel wichtiger Helfer Heinrichs  IV. mit Versprechungen nachgeholfen worden war. Der Markgraf Liutpold, der Kaiser Heinrich IV. am nächsten Tag mitteilte, dass niemand für ihn zu kämpfen bereit sei, war dadurch zum Parteiwechsel gewonnen worden, dass er Heinrichs IV. Tochter Agnes, die Witwe des Staufers Friedrich, von Heinrich V., ihrem Bruder, zur Gattin versprochen erhielt.515 Damit können wir in diesem Fall zwei Strategien Heinrichs V. beim Kampf um die Macht deutlich unterscheiden. Einerseits hielten er und seine Anhänger in allen Verhandlungen strikt die Argumentation durch, lediglich aus Eifer für Gott und die Kirche die Herrschaft des Vaters beenden zu wollen. Auf der anderen Seite haben sie offensichtlich alle üblichen Mittel des politischen Machtkampfs eingesetzt, um den kaiserlichen Vater der Unterstützung zu berauben. Hierbei war das Angebot einer günstigen dynastischen Heirat immer ein sehr probates Mittel. Es gehörte aber zur politischen Raison, diese Themen der Beratung nicht öffentlich zu machen. Nach dieser Entscheidung am Fluss Regen war der Machtkampf zwischen Vater und Sohn jedoch nicht beendet. Ekkehard arbeitet in seiner Darstellung unverändert heraus, dass Heinrich V. nach wie vor nichts anderes im Sinne gehabt habe, als den Vater zur Vernunft zu bringen. In einem persönlichen Treffen vor einem für Weihnachten in Mainz geplanten Hoftag „mahnte der Sohn den Vater mündlich wegen des Kirchenbannes und der übrigen ungewöhn­ lichen Vergehen gegen das Gemeinwesen und versprach den schuldigen Gehorsam, sobald der Kaiser nur zur Vernunft zu kommen geruhe. Der Ältere (sc. Heinrich IV.) indessen verschob diese und andere derartige Angelegenheiten bis zur Verhandlung durch die Fürsten und deren Beschluss auf dem bevorstehenden Hoftag, und so wandten sich beide in gegenseitiger friedlicher Gesinnung gemeinsam zu der oft genannten Metropole.“516 Das Treffen von Vater und Sohn, von dem hier die Rede ist, ist zweifelsohne historisch, da es auch durch Briefe Heinrichs IV. bezeugt wird.517 Der physische und psychische Druck, dem der Kaiser durch seinen Sohn ausgesetzt war, wie der Einsatz von Zwang werden aber nur in diesen Briefen deutlich, in denen Heinrich IV. teils Vertrauten seine Situation schildert, teils aber auch Informa515

516 517

Vgl. dazu bereits MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs IV., 5, S. 241 f. mit dem Hinweis auf Otto von Freising, Chronica, lib. VII, cap. 9, dessen Zeugnis wohl deshalb besonders wertvoll ist, weil er ein Sohn aus der in dieser Situation verabredeten Ehe war, die den jüngeren Babenbergern Anteil am königlichen Geblüt bescherte. Vgl. Ekkehard von Aura, Chronik (erste Fassung), a. 1105 S. 198 ff. Vgl. die Diskussion der Quellenzeugnisse bei MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs IV., 5, S. 257 ff.

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4. Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V.

tionen an eine mittelalterliche Öffentlichkeit geben will, indem er sich als vom Sohn verratener und gepeinigter Vater darstellt: „Als er (sc. Heinrich V.) darauf für das nächste Weihnachtsfest eine Unterredung in Mainz angekündigt hatte, sammelten wir unsere Getreuen und begannen dorthin zu ziehen. Sobald er das vernahm, eilte er uns bis Koblenz entgegen. Da er dort mit Gewalt nichts gegen uns ausrichten konnte, verlegte er sich auf Täuschung, Betrug und jegliche List. Er sandte uns nämlich seine Boten, wir möchten mit ihm verhandeln, wir aber sagten auf den Rat unserer Getreuen hin zu.“518 Heinrich IV. geht in seiner Darstellung wie Ekkehard davon aus, dass die strittigen Fragen zwischen Vater und Sohn auf dem Hoftag in Mainz unter Beteiligung der Fürsten verhandelt werden sollten. Auf Initiative des Sohnes kam es nach seiner Darstellung jedoch zu persönlichen Vorverhandlungen, die durch Boten vereinbart wurden, wie es üblich war. Solche persönlichen Treffen hatten zur Voraussetzung, dass auf beiden Seiten der Wille zu einer gütlichen Einigung vorhanden und der Weg zu ihr vorgezeichnet war. Man kann allerdings daran zweifeln, ob dies auch hier der Fall war. Das Verhalten und die Argumentation beider Seiten schildert Heinrich  IV. jedenfalls sehr detailliert: „Nachdem wir uns dort getroffen hatten, warfen wir uns ihm sogleich zu Füßen und baten einzig um Gottes und seiner Seele willen aufs Innigste, er möge doch von der unmenschlichen Verfolgung seines Vaters ablassen. Er aber warf sich seinerseits unter dem Anschein und Deckmantel des Friedens und Einverständnisses uns zu Füßen und bat unter Tränen und beschwor uns, wir möchten uns ihm bei seiner Seele und seiner Treue anvertrauen und, da er von unserem Bein und Fleisch sei, nicht zögern, mit ihm zu dem genannten Tag nach Mainz zu gehen … Auf diese Bürgschaft hin entließen wir ohne Argwohn unsere Leute … und brachen mit ihm auf … Mitten auf dem Weg aber wurde uns heimlich hinterbracht, dass wir verraten werden sollten … Am Morgen aber umzingelte er uns unter Waffenlärm und jeglicher Art Bedrohung und sagte, er wolle uns nicht nach Mainz bringen sondern auf eine Burg. Wir warfen uns daraufhin ihm und den anderen zu Füßen, er möge uns gemäß dem gegebenen Treueversprechen nach Mainz führen oder uns frei ziehen lassen … Uns aber wurde die Antwort, es sei uns nichts anderes erlaubt, als zur genannten Burg zu gehen.“519 Diesen Verlauf bestätigt auch die Darstellung Ekkehards, nur mit gänzlich anderer Begründung: „Unterdessen (auf dem Weg nach Mainz) meldeten dem Sohn einige Getreue, der Vater suche vermittels geheimer Boten einiges in die Wege zu leiten, was diesem Vertrag und dem Frieden nicht entspreche, und es schien ihnen richtiger, dass der Vater allein mit den Seinen in einer absolut 518 519

Vgl. Briefe Heinrichs IV. Nr. 37, S. 116 f. Ebd.

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IV. Salierzeit

s­icheren Burg die Fürstenversammlung abwarte, zumal die Bischöfe von Mainz und von Speyer sowie die übrigen Anwesenden öffentlich geltend machten, ihm in ihren erst kürzlich wieder versöhnten Kirchen keine Gemeinschaft gewähren zu können. So geschah es denn auch … die Torheit des gemeinen Volkes aber verbreitete überall das falsche Gerücht, der Vater sei mit List vom Sohne gefangen genommen und in Gewahrsam gebracht worden.“520 Für den modernen Beobachter ist offensichtlich, dass hier dem Vater etwas zum Vorwurf gemacht wird, was der Sohn zuvor in den Verhandlungen am Regen gleichfalls praktiziert hatte: durch vertrauliche Angebote und Verhandlungen den Kreis seiner Unterstützer vergrößern zu wollen. Folgerichtig wird auch die nach dem Tode Heinrichs  IV. verfasste Lebensbeschreibung des ­Kaisers nicht müde, die verschlagene Art des Sohnes anzuklagen, der den Vater bei dieser Begegnung vollständig und heimtückisch hinters Licht geführt habe: „Da (auf der Reise nach Mainz) war der Sohn ganz gehorsam gegen seinen Vater, der Vater erfreute sich die ganze Nacht unsäglich an ihm, unterhielt sich mit ihm, scherzte mit ihm, umarmte und küsste ihn, begierig, die lang vermissten Zärtlichkeiten nachzuholen, aber er ahnte nicht, dass dies die letzte Nacht der Freude für ihn war.“521 Als Ergebnis der persönlichen Unterredung hat der Sohn den Vater gefangen genommen. Ob dies aus reiner Willkür geschah oder durch Aktivitäten des Vaters ausgelöst wurde, die der Sohn als Verrat ansah, muss offenbleiben. Es ist aber Zweifel erlaubt, ob Heinrich V. wirklich jemals plante, den Streit zwischen seinem Vater und ihm auf dem anberaumten Fürstentag in Mainz beraten und beilegen zu lassen. Hierzu wären eigentlich Vorverhandlungen nötig gewesen, die bereits greifbare Ergebnisse hätten erbringen müssen, was in diesem Fall jedoch nicht geschehen war. Man darf es daher für sehr unwahrscheinlich halten, dass Heinrich V. wirklich plante, die offene Streitfrage zum Gegenstand von Verhandlungen des Mainzer Hoftages zu machen. Viel naheliegender ist die Annahme, dass der Sohn den Vater gefangen nahm, als er beim persön­ lichen Treffen erfahren musste, dass der Kaiser nicht freiwillig auf sein Amt verzichten würde. In der Gefangenschaft wurde Heinrich  IV. dann nach eigenen Angaben massiv unter Druck gesetzt, die Insignien seiner Königswürde herauszugeben und so daran mitzuwirken, die Fiktion eines freiwilligen Herrschaftsverzichts zu erzeugen: „Indessen wurde uns ausgerichtet, es gebe für uns keinen Gedanken an Befreiung, wenn wir ihm nicht alsbald Kreuz, Lanze und die übrigen Herrschaftszeichen ausliefern würden. Als wir uns völlig darüber klar geworden waren, dass es für uns keinen anderen Weg zur Freiheit gab, erteilten wir

520 521

Vgl. Ekkehard von Aura, Chronik (erste Fassung), a. 1105, S. 200 f. Vgl. Vita Heinrici IV., cap. 10, S. 448 f.

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4. Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V.

den Leuten der Burg, in der die Herrschaftszeichen aufbewahrt wurden, den Auftrag, uns auf diese Weise wenigstens das Leben zu erkaufen.“522 Nach der erfolgreichen Überrumpelung seines Vaters zog Heinrich V. mit seinen Anhängern zum Hoftag in Mainz, der von 52 Fürsten besucht worden sein soll. Nur der sehr gebrechliche Herzog Magnus von Sachsen habe nicht erscheinen können.523 Es liegt nahe zu konstatieren, dass die Großen damit in ihrer großen Mehrzahl bereit waren, sich der Herrschaft des Sohnes zu unterstellen. Gestützt wird diese Einschätzung durch die Aktivitäten auf diesem Hoftag: Unter Mitwirkung der päpstlichen Legaten wurde noch einmal bekräftigt, wie lange Heinrich durch die Exkommunikation mehrerer Päpste von der Kirche getrennt sei, so dass sich seine Entfernung vom Thron und der Übergang der Herrschaft auf den Sohn rechtfertige. Eine endgültige Entscheidung scheint der Hoftag jedoch nicht getroffen zu haben. Vielmehr kam es zu einem erneuten Zusammentreffen zwischen Vater und Sohn in Ingelheim, an dem nach Aussagen Heinrichs IV. nur seine Feinde teilnahmen, während seine Unterstützer in Mainz geblieben seien. Ekkehard schildert dagegen erneut die Version Heinrichs V. von einem freiwilligen Machtverzicht des alten Kaisers, der das Ergebnis der Verhandlungen in Ingelheim gewesen sei: „Sie sprachen ihm zu und veranlassten ihn schließlich auf allgemeinen Rat hin, seine Schuld zu bekennen und Genugtuung zu versprechen. Da die Legaten ihm im Augenblick die kirchliche Gemeinschaft und das Maß der Busse nicht ohne Urteil einer allgemeinen Synode und des Papstes gewähren konnten, stimmte er dem Rat beider Seiten zu und übergab die königlichen und kaiserlichen Insignien, nämlich Kreuz und Lanze, Zepter, Weltkugel und Krone in die Gewalt des Sohnes. Er wünschte diesem Glück, empfahl ihn unter zahlreichen Tränen den Fürsten und versprach, von nun an gemäß den Verfügungen des Papstes und der ganzen Kirche für seine Seele zu sorgen.“524 Heinrichs eigene Darstellung des gleichen Sachverhalts steht in schärfstem Kontrast zur Version Ekkehards: „Nach diesen unmenschlichen Handlungen, bei denen sie sich über Gott und jedes Recht und jede Gerechtigkeit hinwegsetzten, führten sie uns aus diesem schrecklichen Gefängnis nach Ingelheim bei Mainz … Nicht aus eifernder Gewissenhaftigkeit, sondern aus dem Bemühen, uns zu verdammen, wurde uns dort von unseren Feinden so viel an Unverschämtheiten vorgeworfen, wie unserem Wohl und unserer Würde nur zuwider sein konnte. Als wir dagegen verlangten, antworten und uns gegen alle Vorwürfe in würdiger Weise rechtfertigen zu dürfen, schlugen sie es gebie­ terisch ab; das würden selbst Barbaren nicht einmal einem Knecht antun. Wir Vgl. Briefe Heinrichs IV., Nr. 37, S. 118 f. Zu den erhaltenen Nachrichten vgl. MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs IV., 5, S. 263 ff. 524 Vgl. Ekkehard von Aura, Chronik (erste Fassung), a. 1106, S. 202 ff. 522 523

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IV. Salierzeit

sahen also, dass uns doch nur Gewalt und ein längst gefälltes Urteil würde, und warfen uns deshalb ihnen zu Füßen und baten um Gott und ihrer Ehre willen, derartige Verhöre und Vorwürfe dem apostolischen Stuhl zu überlassen und uns bis dahin die Würde der persönlichen Freiheit zu belassen. Es möge uns doch erlaubt sein, vor dem heiligen Stuhl in Gegenwart des römischen Klerus und Volkes ohne Hass und Neid und was sonst der Gerechtigkeit zuwider ist, uns von den Vorwürfen zu reinigen und demütig Genugtuung zu leisten. Aber das wurde uns entgegen der Menschlichkeit verweigert. Wir erfragten darauf eindringlich, ob es für uns noch irgendeine Hoffnung auf Leben und Rettung gebe oder eine Möglichkeit freizukommen. Man gab uns zur Antwort, wir könnten der drückenden Gefangenschaft nur entrinnen, wenn wir das ausführten, was sie uns gegen Recht und Würde abverlangten, nämlich, dass wir nach ihrem Willen die Krone des Reiches herausgäben.“525 Beide Parteien unterscheiden sich in ihrer Darstellung der fortdauernden Verhandlungen zwischen Vater und Sohn vor allem in einer Frage: ob die Abdankung Heinrichs IV. freiwillig vonstatten ging oder erzwungen wurde. Folgerichtig akzentuiert die Seite Heinrichs V. das, was öffentlich zur Sprache kam; während Heinrich  IV. in eindringlicher und vielleicht auch übertreibender Weise enthüllt, wie man in vertraulichen Zusammenkünften agierte, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Insofern bieten seine Briefe die seltene Möglichkeit, den Druck und die Drohungen zu ermessen, mit denen die Partei Heinrichs V. angestrebte Entscheidungen durchzusetzen versuchte. Wie ehrlich andererseits Heinrichs IV. Angebot, er wolle sich vor dem Heiligen Stuhl von allen Vorwürfen reinigen und demütig Genugtuung leisten, in dieser Situation gemeint war, ist gewiss nicht einfach einzuschätzen. Jedenfalls bietet uns die ungewöhnliche Quellenlage die Chance, die Geschehnisse sowohl auf der Vorder- wie auf der Hinterbühne zur Kenntnis zu nehmen und zu analysieren. Warum aber war es der Partei Heinrichs V. so wichtig, das Schuldeingeständnis und die Abdankung als freiwillige Tat Heinrichs IV. erscheinen zu lassen? Konkret beantwortet wird diese Frage in den verschiedenen Quellen nicht. Für Heinrich V. scheint es sehr wichtig gewesen zu sein, nicht als begierig auf die Übernahme der Herrschaft seines Vaters zu erscheinen, sondern getrieben von der Sorge um sein Seelenheil, die ihn zum Gehorsam gegenüber dem Apostolischen Stuhl und zum Eifer für die Durchsetzung der päpstlichen Forderungen veranlasste. Zu dieser Selbstdarstellung passte kein Einsatz von Gewalt und bestimmt kein Vatermord, sondern nur ein freiwilliger Herrschaftsverzicht des Vaters. Aber auch ein Zusammenhang mit dem neuen Selbstverständnis der Kirche und des Papsttums, wie es sich seit Gregor VII. entwickelt und durchgesetzt hatte, scheint naheliegend. Für die Papstkirche war das freiwillige Eingeständnis des alten Kaisers, dass die Kirche über ihn richten und 525

Vgl. Briefe Heinrichs IV., Nr. 37, S. 118 ff.

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4. Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V.

ihn bei hartnäckigem Ungehorsam absetzen dürfe, schon lange von grundsätzlicher Bedeutung.526 Mit dem intensiv geplanten colloquium unter Vorsitz Gregors VII. hatte man zwischen 1076 und 1080 nach der ersten Exkommunikation Heinrichs IV. durch Gregor bereits einen Präzedenzfall zu schaffen versucht.527 Dies war jedoch durch die Wahl von Forchheim und Heinrichs  IV. hinhaltendes Taktieren vereitelt worden. In den Verhandlungen von Mainz scheint es, als sei von den päpstlichen Legaten und der Partei Heinrichs V. wieder die Lösung favorisiert worden, dass Heinrich sich vor dem päpstlichen Stuhl verantworten und sein Leben nach den Anweisungen des Papstes gestalten sollte, was Heinrich IV. nach seinen brieflichen Äußerungen akzeptiert zu haben scheint. Doch wurde nicht genügend Sorge dafür getragen, dass der alte Kaiser sich tatsächlich zum Papst begab und sich endlich dem colloquium stellte. Heinrich IV. entkam vielmehr seinen Gegnern, erhielt weiter militärische Unterstützung und versuchte bis zu seinem plötzlichen Tod, seine Herrschaft mit Waffengewalt zu retten. Doch muss das Ende der Geschichte hier nicht mehr behandelt werden. Die Ergebnisse der Analysen seien kurz zusammengefasst. Die Möglichkeit, in den vielen Verhandlungen die Position beider Parteien zur Kenntnis zu nehmen, erlaubt gute Einblicke in die Praktiken der Verhandlungsführung wie der Werbung um Unterstützung in diesen Auseinandersetzungen. Es verdient hervorgehoben zu werden, dass sich zwei Ebenen der Argumentation und Begründung der eigenen Absichten deutlich unterscheiden lassen: Auf einer grundsätzlichen Ebene scheint wichtig gewesen zu sein, ob man sein Handeln an der päpstlichen Position im Streit um die „rechte Ordnung von Kirche und Welt“ ausrichtete, wie es Heinrich V. konsequent tat, oder ob man die königliche Unabhängigkeit von päpstlicher Superiorität zu verteidigen suchte. Unterhalb dieser grundsätzlichen Ebene kann man eine Fülle von größtenteils vertraulichen Aktivitäten beobachten, mit denen der eigene Anhang vergrößert oder auch nach Kompromissen gesucht wurde. Hier ist vor allem auffällig, dass man die Anwendung von Waffengewalt und das „Gottesurteil“ der Schlacht zu vermeiden suchte und hiermit letztendlich erfolgreich war. Heinrich V. wie seine Unterstützer scheint die Aussicht, einen „Vatermord“ verantworten zu müssen, abgeschreckt zu haben. Christliche wie adlige Normvorstellungen setzten der Gewaltanwendung unter engen Verwandten starken Widerstand entgegen. Unterhalb der Schwelle der Gewalt kamen jedoch alle Mittel zum Einsatz, die im politischen Kräftespiel Vorteile versprachen, auch wenn sie von der Gegenseite als Betrug, Hinterlist oder Verrat gebrandmarkt wurden. Soweit der Kommentar zur Position und Perspektive Heinrichs V. Heinrichs IV. Darstel526 527

Vgl. dazu ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, bes. S. 44 ff. Dies war in den letzten Jahren ein Kern der Kontroverse zwischen Johannes Fried und vielen Kontrahenten, vgl. dazu bereits oben bei Anm. 452 ff.

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IV. Salierzeit

lung des Konfliktverlaufs, seiner Ziele wie seiner Kompromissbereitschaft ­unterscheidet sich diametral von der seines Sohnes. Man kann sich freilich des Eindrucks nicht erwehren, dass seine Briefe die reale Lage kaum realistisch einschätzen und darstellen. Auch wirken seine Beteuerungen, nun die Entscheidung des Streits dem päpstlichen Stuhl überlassen und gerne dessen Urteil und Buße auf sich nehmen zu wollen, nach dem 30-jährigen Konflikt doch eher wie ein Griff nach dem letzten Strohhalm und wie ein verzweifelter Versuch, noch einmal Zeit zu gewinnen. Der Tod des Kaisers ist dann all diesen Optionen zuvorgekommen.

Heinrichs V. Verhandlungen mit der Papstkirche, der Bruch von Ponte Mammolo und das Wormser Konkordat Nach dem Tod Heinrichs IV. im August des Jahres 1106 bemühte man sich von päpstlicher Seite, in Verhandlungen mit dem neuen König, der sich als „treuer Sohn“ der Kirche zu erweisen versprochen hatte, eine stabile Grundlage der Beziehungen zwischen Königtum und Papsttum zu schaffen. Im Kampf mit dem Vater hatte sich bereits gezeigt, dass Heinrich V. von geistlichen wie weltlichen Großen umgeben war, die sich als „Heilsgemeinschaft“ verstanden und „aus Eifer für Gott und aus Gehorsam gegenüber dem apostolischen Stuhl“ handeln wollten.528 Dennoch stellte sich schnell heraus, dass dieser Gehorsam seine Grenzen hatte, wenn es um die Investiturfrage ging. Papst Paschalis II. machte nämlich bald deutlich, was auch er für das zentrale Problem hielt: Die libertas ecclesiae sei vor allem dadurch eingeschränkt und verletzt, dass die ­Bischöfe vom König investiert würden. Der König und die Fürsten sollten sich als Schützer der Kirche erweisen, aber auf jede Beteiligung an der Einsetzung der Bischöfe verzichten.529 Der Lösung dieses Problems galten in den nächsten Jahren große Anstrengungen beider Seiten, die sich in den verschiedensten Verhandlungsversuchen konkretisierten, in denen jedoch zunächst vor allem die Unterschiedlichkeit der Positionen deutlich wurde. Diese Versuche bieten eine gute Möglichkeit, zu beobachten, wie man bei grundsätzlichem Einvernehmen mit sachlichem ­Dissens umging. Der personelle Wechsel im Königsamt brachte zwar unzweifelhaft Bewegung in die verhärteten Fronten; allerdings dämpfte sich bald die Hoffnung auf eine schnelle Einigung. Mit der Forderung des Reformpapsttums auf Investiturverzicht konnte sich nämlich auch der neue König nicht anfreunden. Es ließ sich bald nicht mehr verheimlichen, dass die beiderseitigen Vorstellungen weit auseinander lagen. 528 529

Vgl. WEINFURTER, Reformidee und Königtum im spätsalischen Reich, bes. S. 308 ff. S. dazu den Brief Papst Paschalis’ an Erzbischof Ruthard von Mainz vom 11. November 1105; vgl. dazu SERVATIUS, Paschalis II., S. 154 f., 217 f. und 272 f.

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4. Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V.

Man reagierte darauf mit den üblichen Mitteln: Eine geplante Reise Papst Paschalis’  II. ins Reich zum Zwecke der persönlichen Begegnung mit dem neuen König wurde vertagt, weil offensichtlich keine positiven Ergebnisse garantiert werden konnten. Stattdessen verhandelte man indirekt mittels Gesandter, um erst einmal die Voraussetzungen für eine Einigung zu schaffen. Diese Praxis kann man als eine gängige Gewohnheit bezeichnen.530 Auffällig ist angesichts des Dissenses in einer die Kirche vorrangig betreffenden Frage, wie intensiv weltliche Große auf Seiten Heinrichs V. an den Beratungen über das Investiturproblem beteiligt waren. Dennoch mündeten die intensiven Einigungsversuche wieder in ein großes Desaster, was nicht zuletzt damit zusammenhing, dass man wichtige Entscheidungen vertraulich und über die Köpfe von Betroffenen hinweg vorbereitete. Zunächst trafen sich Gesandte Heinrichs V. in Oberitalien und danach in Frankreich mit der päpstlichen Seite zu Sondierungen der Positionen, die aber wohl vor allem deutlich machten, wie weit man voneinander entfernt war.531 In Guastalla verhandelte eine Gesandtschaft von Reichsbischöfen unter der Führung der Erzbischöfe Bruno von Trier und Konrad von Salzburg mit Papst Paschalis, der dort eine Synode mit italienischen und auch französischen Bischöfen abhielt. Die erhaltenen Quellen lassen nicht genau erkennen, wie intensiv über ein Investiturrecht des deutschen Königs gesprochen worden ist. Die Akten der Synode nehmen aber entschieden Stellung gegen jede Investitur von Klerikern durch Laien: „Schon lange ist von verderbten Menschen, sowohl Geistlichen als auch Laien, die rechtgläubige Kirche zertreten, und daraus sind zu unseren Zeiten Spaltungen und Ketzereien emporgekommen. Jetzt aber ­erhebt sich, weil durch Gottes Gnade die Urheber dieser Nichtswürdigkeit ­dahinschwinden, die Kirche wieder zur angeborenen Freiheit. Deswegen muss vorgesorgt werden, dass die Ursachen dieser Spaltungen vollständig abgeschnitten werden. Indem wir also mit den Anordnungen unserer Väter übereinstimmen, verbieten wir gänzlich, dass durch Laien Investituren von Kirchen vorgenommen werden.“532 Dieser Passus lässt an Entschlossenheit nichts zu wünschen übrig und spricht nicht dafür, dass die Unterhändler Heinrichs V. auf offene Ohren für 530

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Häufig begannen die Verhandlungen mit Gesandten von relativ niedrigem Status; im Falle positiver Anfänge wurden sie durch höherrangige Gesandte fortgeführt; vgl. dazu unten bei Anm. 920. Zum Ablauf und zur Beurteilung der Verhandlungen s. MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs IV. und Heinrichs V., 6, S. 20–33; 45–57; 105–111; 140–171; neuerdings MINNINGER, Von Clermont zum Wormser Konkordat, S. 128 ff.; MILLOTAT, Transpersonale Staatsvorstellungen, S. 207 ff.; ERKENS, Die Trierer Kirchenprovinz, S. 148 ff; WEINFURTER, Papsttum, Reich und kaiserliche Autorität, S. 82 ff. Vgl. Paschalis  II., Concilium Guastallense, MGH Const. I, Nr.  395, S.  564–567) § 5, S. 567; Übersetzung MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs IV. und Heinrichs V., 6, S. 29.

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eine Fortsetzung der Investiturpraxis der deutschen Könige gestoßen wären, die Heinrich V. aber nach seiner Herrschaftsübernahme beibehalten hatte. Zusätzlich berichtet Donizo, der Biograph der auf dieser Synode anwesenden Markgräfin Mathilde, dass dort über ein ius regni verhandelt worden sei, ohne dies genauer zu spezifizieren.533 Man darf indes aufgrund der anschließenden Entwicklung mit einiger Berechtigung ableiten, dass mit diesem ius regni das Gewohnheitsrecht der königlichen Einsetzung der Bischöfe im Reich gemeint war. Hochinteressant ist in diesem Zusammenhang, dass Ekkehard von Aura, der gleichfalls auf der Synode anwesend war, zwar ausführlich und positiv über die dort beschlossenen Maßnahmen berichtet, den zitierten Passus zum generellen Investiturverbot für Laien jedoch unerwähnt lässt. Allem Anschein nach ist es jedenfalls nicht zu einer Einigung in dieser Frage gekommen. Dennoch artikuliert Ekkehard noch die Gewissheit, dass Papst Paschalis bald ins Reich aufbrechen und das Weihnachtsfest in Mainz mit König Heinrich V. und den Großen feiern werde.534 Dies tat der Papst jedoch nicht, sondern zog nach Frankreich, wo er in Châlons-sur-Marne im Mai 1107 erneut mit einer Gesandtschaft Heinrichs V. zusammentraf, die wieder Erzbischof Bruno von Trier leitete. Neben einigen Bischöfen umfasste sie nun aber auch mehrere weltliche Magnaten: Genannt werden immerhin die Herzöge Welf von Bayern und Berthold von Zähringen sowie die sächsischen Grafen Hermann von Wintzenburg und Wiprecht von Groitsch, alles enge Vertraute Heinrichs V.535 Bemerkenswert ist, dass sich König Heinrich V. zur gleichen Zeit mit großer Begleitung in die Nähe der französischen Grenze begab. Man dürfte dies wohl richtig so deuten, dass im Erfolgsfalle der Verhandlungen ein direktes Treffen von König und Papst in Aussicht genommen worden wäre. Nur kam es zwar zu Verhandlungen über die strittige Hauptfrage, doch nicht zu einer Annäherung. Suger, der spätere Abt von S.  Denis, hat in seiner Lebensbeschreibung des französischen Königs Ludwig VI. relativ ausführlich über die Verhandlungen berichtet und auch die deutsche Gesandtschaft aus seiner Sicht pointiert kommentiert.536 Gnade vor seinen Augen fand nur Erzbischof Bruno, dessen geschliffene Sprache und Verhandlungsgeschick er lobte, während ihm die hochadligen Vgl. DONIZO, Vita Mathildis, II, 17, S. 400; s. dazu ERKENS, Die Trierer Kirchenprovinz, S. 150; WEINFURTER, Papsttum. Reich und kaiserliche Autorität, S. 82 f. Durch Ausführungen Sugers von S.  Denis wird aber deutlich, was unter diesem ius regni zu verstehen war; s. dazu unten bei Anm. 537. 534 Vgl. Anonyme Kaiserchronik, a. 1106, S. 246 f.: eo quod certi essemus domni apostolici profectionem sic fuisse dispositam, quatinus iter nostrum quam mature subsequens natalem Domini Moguntie celebraturus esset, presente cum universis regni principibus novo rege nostro Heinrico. 535 Vgl. MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs IV. und Heinrichs V., 6, S. 45 ff. 536 Vgl. Suger, Vie de Louis VI., cap. X, S. 56–60. 533

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Laien mit ihrer auftrumpfenden und lärmenden Art ein Gräuel waren. Sie hätten in den Verhandlungen drohend insistiert, dass man die Sache in Rom mit den Waffen entscheiden werde. Namentlich Herzog Welf fiel dem gebildeten Mönch wegen seiner lärmenden Art, seiner Fettleibigkeit und der Eigenart negativ auf, dass er sich stets ein Schwert voraustragen ließ. Von Suger erfahren wir auch die königliche Position in der Investiturfrage, die Erzbischof Bruno Papst Paschalis persönlich vortrug: „Solcher Gestalt ist die Rechtsangelegenheit, für die wir abgeordnet worden sind. Zu den Zeiten eurer Vorgänger, der heiligen und apostolischen Männer, Gregors des Großen und anderer, wird das als zum Rechte der kaiserlichen Herrschaft gehörig erkannt, dass bei jeder Wahl diese Ordnung beobachtet werde, nämlich, ehe eine Erwählung öffentlich bekannt gemacht werde, die Sache vor die Ohren des Herrn Kaisers zu bringen und, wenn die Persönlichkeit als eine passende erscheine, von ihm vor geschehener Wahl die Zustimmung einzuholen, darauf in der Versammlung nach den kirchlichen Vorschriften durch das Ansuchen des Volkes, die Wahl der Geistlichkeit, die Zustimmung des die Ehre Erteilenden jene Wahl bekannt zu geben, damit dann der in freier und nicht in simonistischer Weise Geweihte zur Erteilung der Regalien, um mit Ring und Stab investiert zu werden, zu dem Herrn Kaiser zurückgehe, Treue und Lehnseid ihm schwöre …Wenn der Herr Papst das aufrechterhält, dann haften Reich und Kirche zu Gottes Ehre glücklich und in gutem Frieden aneinander.“537 Damit war die Position Heinrichs V. klar formuliert, die seine Berechtigung zur Beteiligung an der Bischofsinvestitur aus den Gewohnheiten ableitete. ­A llerdings war sie unvereinbar mit der kirchlichen Haltung, wie Paschalis denn auch in einer Antwort durch den Bischof von Piacenza replizieren ließ: „Die Kirche, die durch Jesu Christi kostbares Blut erlöst und frei gestellt sei, dürfe um keinen Preis wieder zur Magd werden, und sie unterliege der Knechtschaft, wenn sie keinen Vorgesetzten erwählen könne, ohne den König um Rat zu fragen.“538 Damit waren die gregorianischen Positionen, die Forderung nach der libertas ecclesiae betreffend, wiederholt. Vgl. ebd., S. 56 ff.: Talis est, inquit, domini nostri imperatoris pro qua mittimur causa. Temporibus antecessorum nostrorum, sanctorum et apostolicorum virorum magni Gregorii et aliorum, hoc ad jus imperii pertinere dinoscitur, ut in omni electione hic ordo servetur: antequam electio in palam proferatur, ad aures domini imperatoris perferre, et, si personam deceat, assensum ab eo ante factam electionem assumere; deinde in conventu, secundum canones, peticione populi, electione cleri, assensu honoratoris proferre, consecratum libere nec simoniace ad dominum imperatorem pro regalibus, ut anulo et virga investiatur, redire, fidelitatem et hominium facere… Si hec dominus papa sustineat, prospere et bona pace regnum et ecclesiam ad honorem Dei inherere. Übersetzung nach MEYER VON KNONAU, S. 46. Hier ist das ius regni eindeutig beschrieben, auf das allgemein schon Donizo in der Vita Mathildis hinwies; s. oben Anm. 533. 538 Ebd., S. 58: Ecclesiam precioso Jesu Christi sanguine redemptam et liberam constitutam, nullo modo iterato ancillari oportere; si ecclesia eo inconsulto prelatum eligere non 537

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Diese Antwort veranlasste die deutsche Delegation nach Suger zu erregtem Protest. Die mündliche Verhandlung mit dem Papst scheint damit beendet worden zu sein. Suger fügt lediglich noch das interessante Detail an, dass Papst Paschalis daraufhin erfahrene Unterhändler zu Heinrichs Kanzler Adalbert, dem späteren Erzbischof von Mainz, sandte, die ihn ruhig und friedlich bitten sollten, weiterhin für den Frieden zwischen König und Papst zu sorgen. Es ist nicht bekannt, warum der Kanzler sich zwar in der Nähe von Châlons aufhielt, aber nicht an der Gesandtschaft teilgenommen hatte. Der Versuch des Papstes, so den Gesprächsfaden weiterzuknüpfen, scheint jedenfalls erfolglos geblieben zu sein. Damit war nun zweimal zumindest im engen Kreis der Führungskräfte offenkundig geworden, dass auch der reformorientierte neue König und nicht ­weniger sein geistlicher und weltlicher Beraterkreis in Grundfragen des Verhältnisses von geistlicher und weltlicher Gewalt gänzlich andere Positionen vertraten als der amtierende Papst, der die Forderungen seiner Vorgänger nach einem Verbot der Investitur der Bischöfe durch den Herrscher aufrechterhielt. Die Hoffnungen auf eine rückhaltlose Unterstützung der päpstlichen Stellung durch den „treuen Sohn der Kirche“ erwiesen sich damit als zu optimistisch. Dennoch schaltete man auch jetzt nicht auf Konfrontation, sondern unternahm weitere Versuche, die Gegenseite mit Argumenten zu überzeugen, die auf der Basis von biblischen Belegen, exempla der Kirchengeschichte und dicta der Kirchenväter den rechten Weg in der Frage des königlichen Investiturrechts wiesen. Bevor König Heinrich V. im Jahre 1109 nämlich einen neuen Versuch startete, durch eine Gesandtschaft Bewegung in die festgefahrene Diskussion zu bringen, hat man sich in seiner Umgebung gründlich vorbereitet und in dem Traktat De investitura episcoporum Belege und Argumente zusammengefasst, die man für ein königliches Investiturrecht zu haben glaubte. Als Autor dieses Traktats hat man seit langem Sigibert von Gembloux namhaft gemacht und man geht auch davon aus, dass dieser Traktat den Gesandten 1109 nach Rom mitgegeben wurde, um auf dieser Basis Bewegung in die Verhandlungen zu bringen. Man machte sich damit wohl die Erfahrungen der heißen Zeit des Investiturstreits zu Nutze, als man in Streitschriften bereits Argumente zu strittigen Einzelfragen ausführlich aufbereitet hatte, was in mündlich-persönlichen Verhandlungen schlecht möglich war.539 Mit diesen schriftlich präsentierten Argu-

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possit, cassata Christi morte, ei serviliter subjacere. Übersetzung MEYER VON KNONAU, S. 46. Das Material ist in immer noch unübertroffener Weise systematisch aufbereitet bei MIRBT, Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII.; zum Traktat De investitura episcoporum s. ebd., S.  74; neuerdings vor allem BEUMANN, Sigebert, S.  91  ff.; MILLOTAT, Transpersonale Staatsvorstellungen, S.  265  ff.; MINNINGER, Von Clermont zum Wormser Konkordat, S. 146 ff.

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4. Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V.

menten konnte sich die Gegenseite in Ruhe auseinandersetzen und zudem nach Kompromissen suchen. In dem Traktat ist die königliche Position zur Investitur der Bischöfe denn auch in beachtlicher Stringenz entwickelt und mit vielen Autoritäten abgesichert. Der Traktat hilft so, zu erklären, warum die päpstliche Seite bald danach ihre Position in der Tat gewaltig veränderte und einen neuen Lösungsvorschlag unterbreitete. Mit großer Entschiedenheit und Sachkenntnis wird in dem Traktat nämlich betont, dass das Verbot der Investitur der Bischöfe durch die Könige, wie es seit Gregor VII. von den Päpsten ausgesprochen wurde, eine unzulässige Neuerung darstelle, die lange und von vielen Päpsten und Königen geachtete Praktiken verwerfe. Neu und bedenkenswert ist aber vor allem der ausdrücklich betonte Grund, warum diese Neuerung unangemessen sei: „Nachdem aber seit (Papst) Silvester die Kirchen durch die christlichen Könige und Kaiser beschenkt, bereichert und erhöht wurden, durch Grundbesitz und andere bewegliche Habe, und den Bischöfen öffentliche Rechte an Zöllen, Münzen, Verwaltern und Schöffen, Grafschaften, Vogteien und Gerichtsbann durch die Könige übertragen worden waren, war es angemessen und folgerichtig, dass der König, der einzigartig ist im Volk und Haupt des Volkes, den Bischof investiert und inthronisiert und dass er bei einem feindlichen Überfall weiß, wem er seine Stadt anvertraut, da er ja sein eigenes Recht auf ihr Haus übertragen hat.“540 Die Ausstattung der Kirche mit Rechten und Besitzungen weltlicher Herrscher war in der Tat seit der Konstantinischen Wende eine kontinuierliche Praxis, die viele Kaiser und Könige und viele, auch heilige Päpste geübt bzw. akzeptiert hatten. Viele hatten daraus die noch unstrittige Konsequenz gezogen, dass die weltlichen Herrscher ein Recht hatten, auf die Besetzung der Bistümer Einfluss zu nehmen. Der Autor weiß genau, dass erst in der Reformzeit des 11. Jahrhunderts diese Praxis als mala consuetudo verteufelt und verboten worden war. Und er weiß auch, welche Bibelzitate zur Legitimation dieser Neuerung vor allem herangezogen worden waren. Dieses Wissen nutzte er folgerichtig zu einer ernsten Mahnung an den gegenwärtigen Papst, indem er eines dieser Zitate in Erinnerung rief und problematisierte: „Jeder Papst aber muss sich aus dem innersten Verständnis der Schrift (gemeint ist Mt 16, 18 ff.) sorgfältig hüten, dass nicht das, was er auf Erden bindet, Gott im Himmel löst, oder wenn er etwas löst auf Erden, Gott es im Himmel bindet. Es entspringt der Ruhmsucht und allzu starken Emotionen, wenn nachfolgende Päpste die Beschlüsse und Exkommunikationen ihrer Vorgänger ändern oder aufheben.“541 Man muss wissen, mit welcher Entschiedenheit Gregor VII. mit dem gleichen Matthäus-Zitat die Wahrheit und Verbindlichkeit seiner Dekrete und 540 541

De investitura episcoporum, S. 590 f. Ebd., S. 584 f.

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­ efehle postuliert hatte,542 um zu ermessen, welch fundamentaler Widerspruch B zum päpstlichen Amtsverständnis hier formuliert wurde. Von königlicher Seite war nun entschieden festgestellt worden, dass die gegenwärtige päpstliche Position, die ihren Reichtum, entstanden durch Übergabe von Rechten und Besitzungen der Herrscher an die Kirchen, behalten, zugleich aber ihre Freiheit vom Einfluss der Herrscher auf die Bischofsernennungen gewinnen wollte, nicht ausreichend begründet war und deshalb von der Seite Heinrichs V. und seiner Reichsbischöfe nicht akzeptiert wurde. Der Traktat hatte eindringlich und auf höchstem theologischem und kirchenrechtlichem Niveau klargemacht, dass die lange geübte Praxis, wenn sie ohne den Missbrauch der Simonie betrieben wurde, vielmehr gut begründet war. Es ist ja bis heute plausibel, dass der, der große Teile seiner Besitzungen und Rechte den Bischöfen seines Reiches übergibt, auch ein Interesse haben muss, mitzubestimmen, wer der­ jenige ist, der dies alles übernimmt und verwaltet. Wohl deshalb scheint diese mit der Heiligen Schrift und der Tradition argumentierende Fixierung des königlichen Standpunktes auf päpstlicher Seite ein grundsätzliches Nachdenken über neue Positionen in die Wege geleitet zu haben, was in den Verhandlungen von 1109, über die wir allerdings keine Einzelheiten erfahren, wohl nicht mehr zum Tragen gekommen ist.543 Immerhin setzte man die Verhandlungen 1110 fort, denn eine Gesandtschaft Paschalis’ II. traf in Lüttich mit Heinrich V. zusammen. Die in diesen Zusammenhängen ausgetauschten beruhigenden Nachrichten über die päpstliche Bereitschaft, Heinrich zu ehren, wenn er sich weiter als „treuer Sohn der Kirche“ erweisen sollte, stehen in einem gewissen Kontrast zu beiderseitigen Bemühungen, sich auf eine bewaffnete Konfrontation zumindest vorzubereiten. Paschalis II. sondierte bei den Normannen in Süditalien, ob er Hilfe gegen den deutschen König erwarten könne. Heinrich V. dagegen bot für seinen Italienzug ein ungewöhnlich großes Heer auf. Es ist von 30 000 Teilnehmern die Rede.544 Als sich im Februar 1111 in Sutri wiederum eine Gesandtschaft Heinrichs V. mit Papst Paschalis traf, der außer dem Kanzler Adalbert nur weltliche Große angehörten, zollte der Papst in erstaunlicher Konsequenz dem Gedankengang Respekt, den der Traktat De investitura episcoporum in den Vordergrund gestellt hatte: dass es für die Kirche nicht den Reichtum königlicher Regalien und die Freiheit vom königlichen Einfluss zugleich geben könne. Wir erfahren mit keinem Wort, wie es zu diesem Sinneswandel gekommen ist und ob er überhaupt das Ergebnis von Verhandlungen mit der Gegenseite war. Er gibt jedoch zumindest einen deutlichen Hinweis darauf, wie ernsthaft die päpstliche Seite Vgl. dazu ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, bes. S. 43 f. Vgl. dazu MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs  IV. und Heinrichs V., 6, S. 105 ff. 544 Vgl. ebd., S. 122–135. 542 543

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die Ausarbeitung der königlichen Position geprüft hatte. Das päpstliche Angebot einer Lösung der Investiturfrage beharrte nun nämlich nicht mehr allein auf dem Verzicht des Königs auf die Investitur, sondern versprach dem König die Rückgabe aller Regalien, wenn er auf diese Investitur verzichte. Papst Paschalis hatte endlich mit dem Paulus-Wort ernst gemacht, „dass niemand, der für Christus kämpft, sich in weltliche Angelegenheiten verstricken darf“.545 Da der Besitz der Regalien für die Bischöfe eine Vielzahl weltlicher Verpflichtungen mit sich gebracht hatte, machte der Papst mit seinem Vorschlag sozusagen vollständig reinen Tisch: Die Aufgabe der Besitzungen entpflichtete die Bischöfe vom Königsdienst und schuf damit zugleich die Möglichkeit für den König, auf ihre Investitur zu verzichten. An der Investitur eines armen Bischofs, so hatte schon der Traktat De investitura episcoporum argumentiert, konnte der König kein Interesse haben, von ihm „brauchte er keinen Treueid, keinen Lehnseid, keine Geiseln“.546 Überdies hatte er formuliert: „Und du sollst, wenn du dem Kaiser nichts schuldig sein willst, nichts besitzen, was zur Welt gehört; wenn du aber Besitzungen hast, bist du dem Kaiser etwas schuldig. Wenn du also dem irdischen König nichts schuldig sein willst, entsage allem und folge Christus.“547 Die Konsequenz aus diesen Überlegungen wurde die Grundlage des Vertrages von Sutri, der am 4. Februar paraphiert und von den Eiden der Unterhändler bekräftigt wurde, obwohl diese nach einer späteren Bemerkung Heinrichs V. bereits da wussten, „dass dies auf keine Weise würde realisiert werden können“.548 Der Verzicht des Königs auf die Investitur der Bischöfe sollte mit der Rückgabe der Regalien durch die Bischofskirchen an ihn honoriert werden. Als Papst Paschalis die getroffene Vereinbarung im Rahmen der Kaiserkrönung Heinrichs V. öffentlich verkünden wollte, „schrien ihm die versammelten Bischöfe und Äbte, seine und unsere, und auch die weltlichen Fürsten ins Gesicht, dass sein Dekret voller Häresie sei“.549 Diese Reaktion macht zum einen deutlich, dass König und Papst die Verhandlungsergebnisse vollständig geheim gehalten hatten. Zum anderen ist sie vollauf verständlich, denn die vollständige Vgl. hierzu 2 Tim 2, 4; zur Rezeption dieser Stelle bereits in der Karolingerzeit vgl. ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos, S. 202 ff. 546 Vgl. De investitura episcoporum, S. 590 f. 547 Vgl. ebd., S. 495 Z. 4 f.: Et tu, si non vis esse obnoxius cesaris, noli habere quae mundi sunt, sed si habes dicitias, obnoxius es cesaris. Si vis igitur nihil debere regi terreno, dimitte omnia et sequere Christum. Der Argumentation zugrunde liegen Lk 18, 22; Mt 19, 21 und Mk 19, 21, s. dazu MILLOTAT, Transpersonale Staatsvorstellungen, S. 276 f. 548 Vgl. MGH Const. I, Nr. 83–86, S. 137–139; und Nr. 100 Encyclica Heinrici V., S. 150 f. mit der zitierten Bewertung: Quod tamen nullo modo posse fieri sciebant. 549 Vgl. dazu Ekkehard von Aura, Chronik (dritte Fassung), S. 302 f.; Encyclica Heinrici V., S. 151: universis in faciem eius (sc. Paschalis) resistentibus et decreto suo planam heresim inclamantibus, scilicet episcopis, abbatibus, tam suis quam nostris, et omnibus ­ecclesiae filiis, hoc, si salva pace ecclesiae dici potest, privilegium proferre voluit. 545

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Rückgabe all der in den Händen der Kirche befindlichen Besitzungen und Rechte an den König hätte eine unglaubliche Veränderung der wirtschaftlichen, und damit auch der politischen Verhältnisse im Reich bewirkt. Hiervon wäre nicht nur die Kirche, sondern auch der Adel massiv betroffen gewesen, denn er hatte ja viele dieser Besitzungen als Lehen inne. Der Versuch der Einigung vor der Kaiserkrönung endete denn auch im Eklat und Heinrich V. führte den Papst und die Kardinäle gefangen fort, weil sie das vertraglich Vereinbarte nicht eingehalten hatten. Dass er dem Papst im Vertrag von Ponte Mammolo dann am 11. April Investiturrecht und Kaiserkrönung abpresste, hat Heinrich V. die Exkommunikation eingetragen, die erst ein Jahrzehnt später durch die Einigung im Wormser Konkordat beendet wurde. Die erste Phase der Verhandlungen macht damit klar, dass auch gutgewillte Verhandlungspartner sich nicht leicht damit taten, das durch die neuen Geltungsansprüche und Forderungen der gregorianischen Reform grundsätzlich veränderte Verhältnis von Kirche und Welt wieder ins Lot zu bringen. Es ist interessant, wie aktuell die damals erwogene, aber unrealistische Lösung von der „Entweltlichung“ der Kirche heute immer noch ist.550 Damals aber hatte sie gar keine Chance auf Realisierung, weil weder die Reichskirche noch der Adel an einer derartigen Stärkung des Königtums Interesse hatten. Die zweite Phase der Verhandlungen, die nach der Exkommunikation Heinrichs V. und einer längeren Pause einsetzte, kann kürzer behandelt werden. Erst nach dem Tode Paschalis’ II. kam unter seinem Nachfolger Calixt II. im Jahre 1119 wieder Bewegung in die festgefahrenen Beziehungen, wobei nun die Reichsfürsten einen deutlichen Druck in Richtung einer Kompromisslösung ausübten. Dies zeigt sich nicht zuletzt in einer veränderten Haltung Heinrichs V., der nun mehrfach darauf hinwies, dass er nichts ohne den Rat und die Zustimmung der Reichsfürsten vereinbaren wolle. Diese Haltung ist deutlich von den römischen Erfahrungen im Jahre 1111 bestimmt, als sich die fehlende Beteiligung der Fürsten an der Lösung des Problems verheerend ausgewirkt hatte, weil diese die Durchführung der Entscheidung verhinderten. So ist es letztlich nicht überraschend, dass die Einigung zwischen regnum und sacerdotium nicht durch direkte Verhandlungen zustande kam, sondern durch einen energischen Eingriff der Reichsfürsten. Schon bei den direkten Verhandlungen zwischen Vertretern des neuen Papstes, Calixt II., und Heinrichs V., die 1119 in Straßburg und Mouzon stattfanden, wurde immer wieder deutlich, dass Heinrich V. keine vertraglichen Abmachungen mehr mit dem 550

Erinnert sei an die Forderung Papst Benedikts XVI. nach „Entweltlichung“ der heutigen katholischen Kirche, ausgesprochen bei seinem letzten Besuch in Deutschland 2013; zur Spannung zwischen den Tendenzen zur „Weltgewinnung“ bzw. „Weltabwendung“ in der Geschichte der katholischen Kirche im Mittelalter vgl. TELLENBACH, Libertas, S. 32 ff., S. 195.

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Papst eingehen wollte, ohne zuvor die ausdrückliche Zustimmung der Fürsten einzuholen.551 Dies lässt die minutiöse Schilderung des Straßburger magister scolarum Hesso erkennen, der als Teilnehmer der Verhandlungen ihren Ablauf genau protokollierte und dabei immer wieder die Argumentationen beider Seiten in wörtlicher Rede wiedergab. Dadurch ergibt sich ein genauer Eindruck von der Strategie beider Partner, auch wenn nicht auszuschließen ist, dass Hesso Heinrich V. bewusst die Schuld am Scheitern der Verhandlungen zuschieben wollte.552 Hesso akzentuiert vor allem, wie selbstbewusst schon die beiden Unterhändler des Papstes, Bischof Wilhelm von Châlons und Abt Pontius von Cluny, dem Kaiser gegenübertraten. Wilhelm von Châlons etwa überzeugte Heinrich von den Vorteilen eines Verzichts auf die Investitur der Bischöfe, ohne die eine Einigung mit dem Papsttum undenkbar war, dadurch, dass er dem Kaiser am französischen Beispiel erläuterte, dass er durch diesen Verzicht keine Einbußen erleide: „Wenn du, Herr König, den wahren Frieden zu haben wünschst, ist es nötig, dass du auf die Investitur in Bistümer und Klöster vollständig verzichtest. Dass du aber hierdurch ganz sicher keine Schmälerung deines Reiches erfährst, glaube mir, dem in Frankreich erwählten Bischof, der weder vor noch nach der Weihe irgendetwas aus der Hand des Königs erhalten hat. Dem diene ich dennoch in Hinblick auf Abgaben, Kriegsdienst, Zoll und anderes, was seit alters zum Gemeinwesen gehört, genauso treu, wie in deinem Reich die Bischöfe dir dienen, durch deren bisherige Investitur du dir diese Zwietracht, ja sogar die Exkommunikation eingehandelt hast.“553 Der König soll auf diese ­Argumentation mit erhobenen Armen geantwortet haben: „Eia, so möge es geschehen. Ich trachte nach nichts mehr.“ Als so im Grundsätzlichen zwischen den Parteien eine erste Einigkeit hergestellt war, bestand der Bischof darauf, dass er sich beim Papst über die beabsichtigten schriftlichen capitula der Übereinkunft rückversichern müsse, weil er so den Papst auch leichter zur Zustimmung bringen könne. So kehrten die Unterhändler zunächst zu Papst Calixt  II. zurück, der mit ihrem bisherigen Vorgehen vollständig einverstanden war. Danach suchte die päpstliche Delegation, hochrangig verstärkt um zwei Kardinäle, die später selbst Päpste wurden, wieder Heinrich V. auf, um die capitula sorgfältig zu formulieren und die beiderseitigen Verpflichtungen festzulegen. Nachdem dies geschehen war, versprachen sich beide Seiten in die Hand, nun bei einem persönlichen Treffen von Papst und Kaiser in Mouzon die Einigung auf dieser Grundlage getreulich 551

552 553

Vgl. dazu vor allem den sehr detaillierten Bericht über diese Verhandlungen in Hessonis scolastici relatio, S.  21  ff.; s. dazu MILLOTAT, Transpersonale Staatsvorstellungen, S. 292 ff. Vgl. dazu MEYER VON KNONAU, Jahrbücher Heinrichs  IV. und Heinrichs V., 6, S. 120 ff. Vgl. Hessonis scolastici relatio, S. 22, Z. 31 ff.; das folgende Zitat gleich anschließend.

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und ohne Falsch zu vollziehen. Das Versprechen Heinrichs V. verstärkten durch ihren Schwur eine ganze Reihe von Fürsten. Hesso zitiert auch die wechselseitigen Verpflichtungen: „Ich, Heinrich … gebe jede Investitur aller Kirchen auf und gebe wahren Frieden allen, die, seitdem die Zwietracht anfing, für die Kirche im Kampf waren und sind … Ich, Calixtus … gebe wahren Frieden Heinrich, dem Kaiser der Römer, und allen, die für ihn gegen die Kirche waren und sind.“554 Zudem versprachen beide, aufkommende Fragen, wenn sie kanonischer Natur sein sollten, nach kanonischem Recht; wenn säkularer Natur, nach weltlichem Recht zu entscheiden. Papst Calixt hielt die Vereinbarungen für so wichtig, dass er die Teilnehmer des in Reims tagenden Konzils bat, sie möchten ihre Sitzungen unterbrechen, damit er Zeit gewinne, nach Mouzon zu reisen und den Frieden mit dem Kaiser herzustellen. Als diesem Vorhaben zugestimmt und der Papst mit großer Begleitung zum persönlichen Treffen mit Heinrich V. aufgebrochen war, passierte etwas Überraschendes, über das Hesso allerdings nicht in der bisherigen Genauigkeit berichtet. Am Ort des geplanten colloquium beriet nach seiner Darstellung Calixt zunächst vertraulich (in cameram) mit den ihn begleitenden Erzbischöfen, Bischöfen und Äbten noch einmal über die Formulierungen der capitula des Friedensvertrages. Hierbei diskutierten sie zunächst die Formulierung der Verpflichtung Heinrichs: „Ich werde jede Investitur aller Kirchen aufgeben.“555 Sie kamen zu dem Ergebnis, dass diese Formulierung nur dann ausreichend sei, wenn der König einfach und ehrlich agiere. Falls er aber mit Wortklaubereien komme, bedürfe dieser Satz einer präziseren Sinngebung. Gleiche Defizite fanden sie in der Verpflichtung des Papstes: „Ich werde dem König wahren Frieden geben und allen, die mit ihm in jenem Konflikt waren und sind.“556 Hier argwöhnten sie, dass man in die Formulierung vielleicht mehr hineinlesen könne als die Wiederaufnahme Heinrichs und seiner Anhänger in die Gemeinschaft der Kirche. Sie fürchteten, dass man mit dieser unscharfen Formulierung die Kirche zwingen könnte, die Anhänger Heinrichs den legitimen Hirten vorzuziehen. Aus dieser eingehenden Beschäftigung mit dem Text zogen Calixt und seine Berater die Konsequenz, zunächst eine hochrangige Delegation zu Heinrich V. zu schicken, die mit ihm sozusagen die Schwächen des Textes ausmerzen sollte. Welche neuen Formulierungen nun die Grundlage der verbesserten Vereinbarung bilden sollten, sagt Hesso allerdings nicht. Heinrich reagierte ungehalten, Ebd., S. 23, Z. 30 ff. und S. 24, Z. 24 ff. Ebd., S. 25, Z. 6 ff.: Feria sexta, vocatis in cameram archiepiscopis, episcopis et abbatibus, et ceteris sapientibus viris, quos multos secum duxerat, coram omnibus fecit legi utrumque scriptum concordiae. Cumque lectum fuisset scriptum regis, diligentius ­retractare coeperunt episcopi, maxime illud capitulum ubi dicebatur: Dimitto omnem investituram omnium ecclesiarum. 556 Ebd., S. 25, Z. 15 ff. 554 555

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als er offensichtlich mit der Forderung nach neuen und präziseren Formulierungen konfrontiert wurde, und er leugnete, dass er jemals diesbezügliche Versprechungen gemacht habe. Daraufhin antwortete ihm Bischof Wilhelm von Châlons, „vom Eifer für Gott entflammt und mit dem Schwert des Wortes Gottes gegürtet“: „Wenn du, Herr König, die Schrift, die wir in Händen halten, verleugnen willst und die Präzisierungen, die du gehört hast, dann bin ich bereit, mit dem Zeugnis religiöser Männer, die mit mir und dir zusammen waren, zu schwören auf die Reliquien der Heiligen und das Evangelium Christi, dass du das alles in meine Hände versprochen und mir unter dieser Definition zugestanden hast.“557 Nach der Darstellung Hessos zwang dieses entschiedene Votum Bischof Wilhelms den Kaiser, das einzugestehen, was er vorher verneint hatte. Er bestand aber darauf, dass er zunächst mit seinen Fürsten beraten müsse, ehe er neue Vereinbarungen akzeptieren könne. Man begann dann noch die Aussprache über ein anderes Thema: Anhänger Heinrichs fragten nach dem Modus seiner Absolution bei dem bevorstehenden Friedensschluss. Sie hielten es für untragbar, dass er diese, wie üblich, mit bloßen Füßen durchzuführen hätte. Die Delegation der Gegenseite versprach, sich beim Papst dafür einzusetzen, dass er die Prozedur mit Schuhen an den Füßen und möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollziehen dürfe. Dennoch hatten die Versuche der Nachbesserung an den vereinbarten Verpflichtungen, wie sie die päpstliche Seite vorgenommen hatte, den Effekt, dass die Verhandlungen gänzlich scheiterten. Papst Calixt, der zurück nach Reims musste, verlor das Vertrauen in die Zuverlässigkeit Heinrichs und reiste am nächsten Tag ab. Heinrich V. war auch nicht gewillt oder nicht in der Lage, sehr schnell die Zustimmung der Fürsten zu detaillierteren Verpflichtungen gegenüber der Kirche zu bekommen. Der Bericht Hessos bietet dennoch sehr konkrete Informationen über das Procedere bei solchen Verhandlungen. Man kann wieder die langsame Steigerung des Rangs der Unterhändler beobachten, wenn sich Einigungen abzeichnen; das persönliche Zusammentreffen der ehemaligen Opponenten als Höhe- und Schlusspunkt erfolgreicher Einigung verhinderten hier nur die spät auftretenden Differenzen. Man hört aber auch durch Hesso sehr eindrucksvoll, welch selbstbewusste Sprache Unterhändler einerseits pflegten, wie sie andererseits aber stetiger Rückversicherung bedurften, um sicherzustellen, dass sie die Zustimmung ihres Herrn fanden. Nach diesem misslungenen Versuch fiel die Entscheidung, den Streit ­zwischen Papst und Kaiser zu beenden, nicht durch direkte Verhandlungen 557

Ebd., S. 25, Z. 26 ff.: Si, domne rex, negare vis scriptum quod tenemus in manibus, et determinationem quam audisti, paratus sum sub testimonio religiosorum virorum, qui inter me et te fuerunt, iurare super reliquias sanctorum et super evangelium Christi, te ista omnia in manu mea firmasse, et me sub hac determinatione recepisse.

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IV. Salierzeit

zwischen beiden, sondern durch ein entschiedenes Eingreifen der deutschen Fürsten, die den Kaiser ultimativ auf den Weg zur Verständigung mit Calixt II. wiesen. Dies geschah, als sich im Jahre 1121 die Kontroversen im Reich zu einem großen bewaffneten Konflikt auszuweiten drohten. Als Heinrich V. mit einem Heer vor Mainz stand und der mit ihm verfeindete Erzbischof Adalbert ein sächsisches Entsatzheer zu seiner Bischofsstadt führte, einigten sich die weltlichen und geistlichen Großen beider Heere mit Heinrich V. auf ein Schiedsgericht, das paritätisch mit je zwölf Großen beider Seiten besetzt wurde. Dieses Gremium sollte eine Entscheidung in dem gegenwärtigen Streit „zwischen Kaiser und Reich“ formulieren, die auch Heinrich V. anzuerkennen versprach. Die Beschlüsse der 24 haben sich in schriftlicher Form erhalten; überliefert sind aber nicht nur die Beschlüsse, sondern auch die Maßnahmen, die die Mitglieder verabredeten, falls der Kaiser ihren Entscheidungen nicht Folge leisten sollte: „Wenn aber der Herr Kaiser dieses consilium nicht befolgt, werden die Fürsten die Treue, die sie sich gegenseitig versprochen haben, untereinander bewahren.“558 Dies kann nichts anderes meinen, als dass sie sich dann gemeinsam gegen den Kaiser stellen wollten. Schwureinungen gegen den Herrscher kennen wir bereits aus früheren Konflikten, hier aber entschließt sich ein paritätisch von beiden Seiten besetztes Gremium, das eine einvernehmliche Lösung suchen soll, sich gegen den Kaiser zu wenden, falls er der einvernehmlich gefundenen Lösung nicht beitritt. Zu Recht hat man aus diesem Verhalten gefolgert, dass hiermit die Fürstenverantwortung für das Reich eine neue Dimension erreichte.559 Gleich mit dem ersten ihrer Beschlüsse wiesen die 24 unbekannten Fürsten auch den Weg, wie der Streit zwischen Kaiser und Papst entschieden werden sollte: „Der Herr Kaiser soll dem apostolischen Stuhl gehorchen. Über die Klagen, die die Kirche gegen ihn hat, soll mit Rat und Hilfe der Fürsten zwischen Kaiser und Papst ein Vergleich zustande gebracht werden, und es soll ein fester und sicherer Friede herrschen, so dass der Kaiser hat, was sein und des Reiches ist, die Kirchen aber und jedermann das Ihrige in Ruhe und Frieden besitzen können.“560 Damit erkannten die Fürsten an, dass der Kaiser gegenüber dem Papst eine Verpflichtung zum Gehorsam hatte, wie es die gregorianische Seite Vgl. Principum de restituenda pace consilium Wirceburgense, MGH Const. 1, Nr. 106, S. 158: Si autem domnus imperator hoc consilium preterierit, principes sicut ad invicem fidem dederunt, ita eam observent. 559 Vgl. SCHLICK, König, Fürsten und Reich, S. 78 ff. 560 Principum de restituenda pace consilium Wirceburgense, MGH Const. 1, Nr.  106, S. 158: Domnus imperator apostolico sedi obediat. Et de calumpnia, quam adversus eum habet eclesia, ex consilio et auxilio principum inter ipsum et domnum papam componatur, et sit firma et stabilis pax, ita quod domnus inperator que sua et que regni sunt ­habeat, eclesie et unusquisque sua quiete et pacifice possideant. Zur Einsetzung dieses paritätisch besetzten Schiedsgremiums s. auch Ekkehard von Aura, Chronik (vierte ­Fassung), a. 1121, S. 350 f. 558

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4. Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V.

seit langem postulierte. Andererseits überließen sie detailliertere Regelungen, an denen die Verhandlungen in Mouzon gescheitert waren, einem von den Fürsten vermittelten Vergleich. Heinrich V. hat sich diesem Beschluss gebeugt und so den Weg zum Wormser Konkordat freigemacht, das man in der Tat als einen Vergleich zwischen den Interessen beider Parteien bezeichnen kann.561 Zusammenfassend ist zu akzentuieren, dass die krisengeschüttelte zweite Hälfte der Salierzeit durch ihre vielen und tiefgreifenden Konflikte um das Verhältnis von Kirche und Königtum wie um die Beteiligung der Großen an den politischen Entscheidungen auch eine zunehmende Erfahrung und Rationalität bei der Suche nach gütlicher Beilegung dieser Konflikte mit sich gebracht hat. Zwar blieb die Anwendung oder Androhung von Gewalt in den Konflikten stets eine Option, doch mehren sich schon in der zweiten Phase der Regierung Heinrichs  IV. und verstärkt in der seines Sohnes die Beispiele, in denen dem Verhandlungsweg der Vorzug gegeben und durch zum Teil langwierige und zähe Annäherung ein Kompromiss gefunden wurde.562 Sowohl die Bereitschaft zur Verhandlung wie ihre Verfahren verraten, dass man gelernt hatte, die Positionen und Argumente der anderen Seite hinsichtlich ihrer Berechtigung zu bewerten und den Kern des Dissenses zu erkennen. Dies schuf bessere Möglichkeiten, die Chancen für einen Kompromiss zu ergreifen. Überdies scheint man, vielleicht angesichts der Erfahrung, dass das Gottesurteil der Schlacht zu selten eindeutig ausfiel, mit der Anwendung dieser Option deutlich zurückhaltender umgegangen zu sein als in früheren Zeiten.

Vgl. dazu WEINFURTER, Papsttum, Reich und kaiserliche Autorität, S. 87 f. mit wei­ teren Hinweisen. 562 Als einschlägige Beispiele seien genannt die hier nicht behandelten Verhandlungen Kaiser Heinrichs  IV. zum Frieden mit den süddeutschen Fürsten in den 90er Jahren des 11. Jahrhunderts, die unter intensiver Beteiligung von Bischöfen vonstatten gingen (vgl. dazu SCHLICK, König, Fürsten und Reich, S. 49 ff.); ferner die Verhandlungen der Für­ sten am Fluss Regen, vgl. oben bei Anm. 514; die persönlichen Verhandlungen zwischen Heinrich IV. und Heinrich V. unter Beteiligung der päpstlichen Legaten und der Für­ sten, oben Anm. 524 ff.; sowie die langen Verhandlungen Heinrichs V. mit der Kurie und den Fürsten, oben Anm. 531 ff. 561

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V. Stauferzeit 1. Die Wahl Friedrich Barbarossas: offiziöse Darstellung und vertrauliche Beratungen Es liegt nahe, gleich eingangs zu fragen, ob die für die endende Salierzeit ­konstatierten immensen Anstrengungen zur Bewältigung von Dissens durch Verhandlungen auch in der Stauferzeit weiterhin zu beobachten sind. Immerhin brachten die drei ersten Königswahlen dieser Epoche strittige Entscheidungen, die zumindest die Gefahr einer gewaltsamen Lösung des Problems heraufbeschworen.563 Sowohl Lothar von Supplingenburg als auch Konrad III. hatten mehr oder weniger ihre gesamte Regierungszeit damit zu tun, sich mit den Ansprüchen der bei der Wahl unterlegenen Partei auseinanderzusetzen.564 So ist der Letztere längere Zeit Gegenkönig gegen den Ersteren gewesen. Trotz des Einsatzes geistlicher und weltlicher Machtmittel gegen die jeweilige Opposition – zunächst die der Staufer, dann die der Welfen565 – ist jedoch nicht zu übersehen, dass auch hier die Versuche, eine militärische Entscheidung herbeizuführen, gegenüber gütlichen und gerichtlichen Lösungsversuchen hintangestellt wurden. Dass dieser Befund auf eine neue Kultur der Verhandlungslösungen zurückgeführt werden kann, macht vielleicht die dritte Königswahl dieser Zeit besonders deutlich, mit der ein Kandidat den Königsthron bestieg, mit dem zunächst keiner gerechnet haben dürfte. Er schien aber vor allem geeignet, als „Eckstein“ die konkurrierenden Parteien zu verbinden und so dem Langzeitkonflikt dauerhaft ein Ende zu bereiten. So lautete zumindest die offiziöse Begründung seiner Wahl zum König, wie sie Otto von Freising formulierte. Nicht nur aus diesem Grund aber bietet sich eine genauere Untersuchung der Königswahl Friedrich Barbarossas und der sie begleitenden Beratungen und Verhandlungen an. Die erhaltene Überlieferung ermöglicht nämlich Zu den fraglichen Königswahlen von 1125 und 1138, die hier nicht behandelt werden sollen, vgl. bereits REULING, Die Kur in Deutschland und Frankreich, bes. S.  143  ff. und 175 ff.; SCHMIDT, Königswahl und Thronfolge, bes. S. 34 ff. und 69 ff.; zusammenfassend SCHLICK, König, Fürsten und Reich, bes. S. 83 ff., S. 131 ff. 564 Vgl. dazu SCHLICK, S. 95 ff. und 145 ff.; GÖRICH, Wahrung des honor, S. 290 ff. 565 Zur Problematik dieser eingeführten Begriffe, die der Komplexität der Verhältnisse nicht angemessen sind, vgl. grundsätzlich HECHBERGER, Staufer und Welfen. 563

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1. Die Wahl Friedrich Barbarossas: offiziöse Darstellung und vertrauliche Beratungen

s­ owohl einen Einblick in die offiziöse Version der Vorgänge, die in der Darstellung Ottos von Freising fassbar ist, als auch deren Ergänzung und Kritik durch eine Vielzahl verstreuter Nachrichten, die direkt oder indirekt über Hintergrundaktivitäten, Gerüchte und politische Bewertungen der Vorgänge Auskunft geben. Durch die Möglichkeit, die verschiedenen Perspektiven und Informationen zu vergleichen, ergibt sich die Chance für ein vertieftes Verständnis des Handelns der Akteure wie ihrer nachträglichen Darstellung ­dieses Handelns.566 Vor allem aber lassen verschiedene der verstreuten Nachrichten auf intensive, vertrauliche Beratungen und Verhandlungen schließen, durch die erst die Voraussetzungen für die einmütige Wahl Friedrich Barbarossas geschaffen wurden. Diese günstige Quellenkonstellation erlaubt eine begründete Rekonstruktion der vertraulichen Willensbildung, die hier exemplarisch vorgestellt sei. Beginnen wir mit der gewissermaßen offiziellen Version der Königserhebung in den „Taten Friedrichs“, deren erste beide Bücher sein Verwandter, der Bischof Otto von Freising, in den Jahren 1157/58 verfasste, nachdem ihm Friedrich auf seine Bitte hin einen schriftlichen Kurzbericht seiner ersten Taten als Herrscher hatte zukommen lassen, den Otto an den Beginn seiner Gesta ­stellte.567 Dort erwähnt der Kaiser selbst die Verhandlungen und Absprachen vor seiner Königserhebung allerdings mit keinem Wort: „Nach der ersten Salbung in Aachen und dem Empfang der Krone des Reiches haben wir zu Pfingsten einen Hoftag in Merseburg abgehalten“, lautet vielmehr der Beginn seiner Darstellung der Geschehnisse. Dieser Einsatz mit dem Aachener Akt macht schon deutlich, dass der Herrscher es keinesfalls für nötig hielt, über die seine Wahl erst ermöglichenden Verhandlungen vor und in Frankfurt Auskunft zu geben. Otto von Freising widmet dieser Frage erheblich mehr Aufmerksamkeit, ohne jedoch den Schleier der Vertraulichkeit, der über solchen Beratungen lag, wirklich zu lüften. Nicht politischen Absprachen, sondern dem Wirken Gottes schreibt er die einmütige Bereitschaft der Wähler in Frankfurt zu, Friedrich Barbarossa zum König zu erheben. Otto bezeichnet es zunächst als wunderbar (mirum dictu), wie schnell sich nach dem Tode König Konrads III. (15. Februar) die Fürsten dieses großen Reiches „gewissermaßen zu einem Leibe vereinigt“ in Frankfurt versammelten (4. März). „Als dort die Fürsten über die Wahl des Königs berieten … wurde schließlich Herzog Friedrich von Schwaben, der Sohn des Herzogs Friedrich, Die folgenden Ausführungen profitieren stark von GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 93 ff. 567 Vgl. Otto von Freising, Gesta Friderici, S. 82–89; vgl. dort auch das folgende Zitat, S. 82 f. Die knappe Schilderung seiner bisherigen Taten verfasste Barbarossa nach dem 24. März 1157. 566

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V. Stauferzeit

von allen gefordert und durch die Gunst aller zum König gewählt.“568 Nachdem er in diesem Zusammenhang betont hatte, dass die Wahl des Königs durch die Fürsten ein besonderes Privileg dieses Reiches sei, setzte er zu einer ausführ­ lichen Erklärung an, warum die Wahl der Fürsten „mit Gottes Hilfe“ auf Friedrich gefallen sei: Zwei berühmte Familien, die er „Heinriche von Waiblingen“ und „Welfen von Altdorf“ nennt,569 von denen in der Vergangenheit die erste Kaiser, die zweite große Herzöge hervorgebracht habe, hätten oft durch ihre Rivalität die Ruhe des Reiches gestört. Deshalb habe es nach dem Ratschluss Gottes, „der die Ruhe seines Volkes für die Zukunft sichern wollte“, unter Kaiser Heinrich V. bereits ein Heiratsbündnis zwischen diesen beiden Familien gegeben, und aus dieser Ehe sei Friedrich Barbarossa hervorgegangen. Er sei deshalb besonders geeignet, quasi als „Eckstein“ die Feindschaft zwischen den beiden Häusern zu überwinden. Deshalb hätten die Fürsten ihn dem minderjährigen Sohn König Konrads, gleichfalls mit Namen Friedrich, vorgezogen, keinesfalls aus Hass gegen König Konrad. „Dies war die Überlegung bei der Wahl Friedrichs und ihr Verlauf.“570 Man wird nicht einmal bezweifeln wollen, dass dieses Motiv die Entscheidung der Fürsten bestimmt oder beeinflusst haben könnte. Nur waren sie nicht ohne weiteres und allein zu dieser Einsicht gekommen. Vielmehr hatte sich Barbarossa aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Unterstützung durch massive Zugeständnisse und Versprechungen erst erkauft. Die Wahl Barbarossas lässt nämlich wie keine andere den Zusammenhang zwischen Entscheidung bei der Wahl und Gegenleistung des Gewählten nach der Wahl erkennen. Diese ­Gegenleistungen waren aber mit einiger Sicherheit kein unverhoffter Dank für die Wahl, sondern beruhten auf Absprachen, zu denen auch die Unterstützung der betreffenden Großen bei der Wahl gehörte. Der Ausschluss des minderjährigen Königssohnes von der Nachfolge ist damit als Ergebnis einer gezielten Zusammenarbeit Friedrich Barbarossas mit einer Reihe von geistlichen und weltlichen Fürsten anzusehen, die in sehr kurzer Zeit und vertraulich vonstatten ging und der sich nur der Erzbischof Heinrich von Mainz widersetzte.571 Eine Reihe erhaltener Quellen bezeugt nämlich direkt oder indirekt ein intensives Werben Friedrich Barbarossas gerade um Personen aus dem Kreis der Bischöfe und dem welfischen Lager, deren Unterstützung für seine Königswahl von fundamentaler Bedeutung war. Dies 568 569 570 571

Otto von Freising, Gesta Friderici, II, 1, S. 284 f. Vgl. dazu SCHMID, De regia stirpe Waiblingensium. Alle zitierten Stellen Otto von Freising, Gesta Friderici, II, 2, S. 284 ff. Vgl. dazu GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S.  102 mit Hinweis auf eine entsprechende Nachricht der Chronica regia Coloniensis, S.  89. Die bald danach erfolgte Absetzung dieses Erzbischofs auf Betreiben Barbarossas dürfte eine Folge dieser Haltung sein; vgl. GÖRICH, S. 103. Zu den späteren Reaktionen des bei der Wahl übergangenen Friedrich vgl. ALTHOFF, Friedrich von Rothenburg, S. 313 ff.

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1. Die Wahl Friedrich Barbarossas: offiziöse Darstellung und vertrauliche Beratungen

g­ eschah teilweise anlässlich persönlicher Treffen vertraulichen Charakters, in denen offensichtlich Leistungen vereinbart wurden, die die fraglichen Personen veranlassten, die Königskandidatur Friedrichs zu unterstützen. Natürlich nennt keine der Quellen explizit den Zusammenhang der Absprachen mit der Königserhebung, doch macht die politische Entwicklung der nächsten Jahre evident, dass bestimmte politische Entscheidungen die Ein­lösung von Versprechungen Barbarossas gewesen sein dürften, mit denen er die Unterstützung für seine Kandidatur belohnte.572 Mustern wir daher kurz die Großen, die nach der Wahl außergewöhnliche Begünstigungen des neu erhobenen Herrschers erhielten, die als Gegenleistungen für ihre Unterstützung bei der Wahl angesehen werden können. Nutznießer waren vor allem Angehörige, Verwandte und Parteigänger der Welfen, so dass man berechtigt davon sprechen kann, dass Friedrich Barbarossa sich vor allem der Unterstützung dieser Gegner des früheren Königs Konrads III. vergewisserte, die ja zugleich seine Verwandten waren. Ein wichtiger potentieller Gegenspieler oder sogar Gegenkandidat bei der fraglichen Wahl hätte gewiss Herzog Heinrich der Löwe werden können, dessen Forderung nach dem Herzogtum Bayern König Konrad  III. hartnäckig abgelehnt hatte, ohne dass der Löwe sie deshalb aufgegeben hätte. Es war daher davon auszugehen, dass er diese Forderung im Rahmen der Neubesetzung des Königsthrones wieder erheben würde. Mit ihm und vier Bischöfen, darunter den Erzbischöfen von Mainz und Köln, traf sich Friedrich denn auch im hessischen Arnsburg nachweislich in dem kurzen Zeitraum zwischen dem Tod König Konrads und der Königswahl. Gelegenheit bot die Weihe der Klosterkirche eines hessischen Ministerialengeschlechts. Dieses Treffen weist nur die Zeugenreihe einer Königsurkunde Barbarossas nach, die schon in der Zeit der Thronvakanz kon­ zipiert, aber erst nach seiner Königserhebung ausgefertigt wurde.573 Dies war das erste bezeugte Treffen der beiden Vettern und dürfte die Weichen für eine Zusammenarbeit gestellt haben. Da Heinrich der Löwe wenig später bei und nach der Königswahl immer in der engsten Umgebung Friedrichs begegnet und ihn massiv unterstützte, haben die beiden Verwandten mit einiger Sicherheit in Arnsburg Einvernehmen über ihre zukünftige Rollenverteilung hergestellt und eine wechselseitige Unterstützung und Zusammenarbeit vereinbart.574 Vgl. zu dieser Entwicklung STEHKÄMPER, Geld bei deutschen Königswahlen des 13. Jahrhunderts, bes. S. 190 ff., dessen Untersuchungen belegen, dass erst ab der Doppelwahl 1198 die Quellen offener gerade über Geldzahlungen im Zusammenhang von Wahlen sprechen. 573 Vgl. DD F I, Nr. 38, S. 63 ff.; Friedrich Barbarossa erscheint in dieser Urkunde sowohl als dux in der Zeugenreihe wie auch – nachgetragen – als rex und Aussteller der Urkunde. S. dazu bereits APPELT, Heinrich der Löwe und die Wahl Friedrich Barbarossas, S. 97–108; zuletzt GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 101 f. 574 Vgl. dazu ausführlich zuletzt EHLERS, Heinrich der Löwe, S. 79 ff., der allerdings das Arnsburger Treffen nicht erwähnt. 572

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V. Stauferzeit

Das wird nicht zuletzt dadurch klar, dass Friedrich Barbarossa noch im Jahre 1152 zielstrebig damit begann, den Boden für die Rückgabe des Herzogtums Bayern an Heinrich den Löwen vorzubereiten.575 Allerdings stellte sich der gegenwärtige Amtsinhaber, Herzog Heinrich Jasomirgott, den Plänen Friedrichs lange Zeit hartnäckig entgegen, was den Herrscher zu mehreren vertraulichen Einzelgesprächen auch mit ihm veranlasste, da dieser mehreren Ladungen zu Hoftagen des neuen Königs nicht folgte. Es verdient hervorgehoben zu werden, dass Barbarossa trotz dieser Missachtung seiner Autorität nicht den Weg der Verhandlungen aufgab, obgleich eine Entscheidung des Königs­ gerichts im Juni 1154 in Goslar bereits die Rückgabe des Herzogtums Bayern an Heinrich den Löwen verfügt hatte.576 Er traf sich danach vielmehr noch mehrfach mit seinem Onkel Heinrich Jasomirgott und fand im Zusammen­ wirken mit ihm, Heinrich dem Löwen und sicher auch mit der Zustimmung anderer Reichsfürsten eine komplizierte Lösung, mit der die Mark Österreich zum Herzogtum erhoben, Bayern also verkleinert wurde. Dieses neue Herzogtum und einige wichtige Privilegien stellten Heinrich Jasomirgott schließlich zufrieden und er willigte in die Übergabe Rest-Bayerns an Heinrich den Löwen ein, der wiederum die Verkleinerung Bayerns akzeptierte. Dieser Vorgang zog sich immerhin bis zum Jahre 1156 hin, ehe mit einem wohl eigens für diese Gelegenheit konstruierten Übergaberitual Bayern an Heinrich den Löwen gegeben, Heinrich Jasomirgott dagegen mit dem später sog. Privilegium minus, dem neu gebildeten Herzogtum Österreich und einer Reihe persönlicher Privilegien abgefunden wurde.577 Der Preis, den Barbarossa dem Löwen für seine Unterstützung bei der Königserhebung zahlte, liegt also klar zutage. Es ist nicht nötig, weitere Einzelheiten der Neuregelung hier aufzulisten. Wichtiger scheint die Beobachtung, welch umwälzende Neuerungen offensichtlich auf der Grundlage vertraulicher Einzelabsprachen angebahnt und ­realisiert werden konnten. Wir wissen nicht, wie detailliert die Absprachen zwischen Friedrich und Heinrich dem Löwen in Arnsburg waren. Schrift­ lichen Niederschlag scheinen sie nicht gefunden zu haben. Jedenfalls begründeten sie eine erfolgreiche Zusammenarbeit der beiden, die die Rückgabe des Herzogtums Bayern an den Welfen ebenso einschloss wie die Überlassung Ebd., S. 85 mit dem Hinweis, dass sich der Löwe schon auf dem Pfingsthoftag am 18. Mai 1152 in Merseburg als „Herzog von Bayern und Sachsen“ bezeichnete; vgl. dazu LINDNER, Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe und die ostsächsischen Fürsten, S. 197– 209, hier S. 209. 576 Über die einzelnen Etappen dieses Entscheidungsprozesses gibt Otto von Freising, Gesta Friderici, II, 7, 11, 12, 44, 45, 49 und 57 relativ detaillierte Auskunft; vgl. dazu zuletzt EHLERS, Heinrich der Löwe, S. 96 ff.; GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 128 f. 577 Vgl. dazu GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 127 ff.; EHLERS, Heinrich der Löwe, bes. S. 96 ff. 575

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1. Die Wahl Friedrich Barbarossas: offiziöse Darstellung und vertrauliche Beratungen

k­ öniglicher Investiturrechte in Diözesen östlich der Elbe und einiges andere mehr. Im Gegenzug engagierte sich der Welfe nicht nur auf Hoftagen im Reich, sondern auch auf den ersten Italienzügen Barbarossas in auffälliger Weise. Somit scheinen beide Seiten die Vereinbarungen, wie konkret auch immer sie formuliert gewesen sein mögen, ernst genommen und realisiert zu haben. Der Stellenwert vertraulicher Absprachen für die Gestaltung politischer Verhältnisse wird an diesem Beispiel unmittelbar evident. Den Vertrauensvorschuss gab in diesem Falle Heinrich der Löwe, denn er erbrachte die erste Leistung: nämlich die Unterstützung der Königskandidatur Friedrichs. Welche Sicherheiten er hatte, dass Barbarossa nach seiner Wahl seine Versprechungen in die Tat umsetzen würde, wissen wir nicht. Immerhin aber waren, wie gesagt, beim Arnsburger Treffen auch vier Bischöfe anwesend. Sie könnten als Garanten der Abmachungen fungiert haben. Man wird gewiss auch die Ehre als wichtige Kategorie in Rechnung stellen müssen, die Könige und Adlige geradezu zwang, Verpflichtungen einzuhalten. Jedenfalls wurde der Löwe vom neuen König nicht enttäuscht. Nicht weniger kompliziert dürfte für Barbarossa die Regelung seines Verhältnisses zu Berthold  IV. von Zähringen gewesen sein, dessen Schwester ­Clementia Gemahlin Heinrichs des Löwen war. Friedrichs Verhältnis zu den Zähringern war erheblich dadurch belastet, dass er noch 1146 eine Fehde gegen Konrad von Zähringen geführt und ihn dabei schwer gedemütigt hatte. Otto von Freising erzählt ausführlich davon und spottet in diesem Zusammenhang über die Zähringer als „Herzöge ohne Herzogtum“, deren Misserfolg er mit dem Aufstieg und Erfolg der Staufer kontrastiert.578 Gerade deshalb gab es einigen Grund für Friedrich Barbarossa, vor seiner Wahl auch einen Ausgleich mit Berthold IV. zu suchen. Dies tat er erfolgreich, indem er dem Zähringer in Fortführung der Politik Kaiser Lothars eine außergewöhnliche Rangerhöhung und Steigerung seiner Macht anbot: nicht weniger als eine Herzogsstellung in Burgund und darüber hinaus die Stellvertretung des Königs in Burgund und der Provence, solange dieser in den Ländern nicht persönlich anwesend war. In diesem Fall besitzen wir gar keine Hinweise auf vertrauliche Verhandlungen über dieses Bündnis, die es mit Sicherheit gegeben haben muss. Durch einen Überlieferungszufall kennen wir vielmehr den schriftlichen Vertrag, der zwischen dem neuen König und Berthold IV. noch vor Juni 1152 geschlossen wurde. Es ist der älteste erhaltene schriftliche Vertrag zwischen einem König und einem Reichsfürsten, steht aber am Anfang einer Entwicklung, für die es bald danach zunehmend mehr Zeugnisse gibt.579 Der Vertrag hat sich deshalb Vgl. dazu und zu den folgenden Ausführungen bereits ALTHOFF, Die Zähringerherrschaft im Urteil Ottos von Freising, S. 45 ff.; DERS., Die Zähringer. Herzöge ohne Herzogtum, S. 83 ff.; zuletzt GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 67 ff. 579 Vgl. dazu RAUCH, Die Bündnisse deutscher Herrscher mit Reichsangehörigen, S. 5 ff. 578

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erhalten, weil ihn Abt Wibald von Stablo und Corvey, der einflussreiche Ratgeber Konrads III. und Friedrich Barbarossas, in sein Briefbuch eintrug, dem er in der fraglichen Zeit auch einige andere Aufzeichnungen anvertraute, die von besonderer politischer Bedeutung waren. Es ist überdies gesichert, dass auch andere wichtige Vertrauensleute Friedrichs von den Einzelheiten der Abmachung Kenntnis hatten, weil diesen Vertrag eine ganze Reihe von Großen bezeugte: an der Spitze Heinrich der Löwe und Welf VI. Wir sehen daran, dass Friedrich einen durchaus ausgewählten Kreis von Fürsten an seinem Werben um Unterstützung beteiligte. Die Parallelität des hier fassbaren Vorgehens mit dem der Verhandlungen zwischen Herrschern und Päpsten, wie sie unter Heinrich V. in Rom, Straßburg und Mouzon fassbar sind, scheint evident.580 Man hat im Zuge der Verhandlungen getroffene Absprachen verschriftlicht. Im Unterschied zu den Absprachen mit Heinrich dem Löwen, bei denen kaum alle Details vorweg geklärt worden sein dürften, vor allem nicht die Zustimmung Herzog Heinrichs von Bayern eingeholt worden war, gab es im Fall des Zähringers auch einen genauen Plan, wie man die neue Herrschaftsstellung Bertholds IV. in Burgund und der Provence etablieren wollte. Nach den Formulierungen des Vertrages war den Partnern klar, dass man die Regionen erst in einem Heereszug „unterwerfen“ (subiugare) musste. Schließlich hatten deutsche Könige seit langem in beiden Gebieten nur eine nominelle Oberherrschaft ausgeübt:581 „Der Herr König wird dem Herzog das Gebiet Burgunds und der Provence geben und wird mit ihm in diese Länder ein­ rücken und ihm helfen, sie zu unterwerfen, nach dem Rat der bei dieser Heerfahrt beteiligten Fürsten.“582 Man war sich nicht nur klar, dass die Übergabe der Herrschaft an Berthold einen Heereszug erforderlich machte, man legte zudem genau fest, wie sich Herzog Berthold an diesem Zug zu beteiligen hatte: „Herzog Berthold wird mit dem Herrn König 1000 Panzerreiter führen, solange der Herr König in diesen Ländern sein wird.“583 Zusätzlich wurde der Herzog verpflichtet, dem König auf dem anstehenden Italienzug mit 500 Panzerreitern und 50 Bogenschützen zu folgen. Bedenkt man die Größe des königlichen Heeres beim ersten Italienzug Barbarossas, die mit 1800 Panzerreitern angegeben wird,584 verdeutlicht sich die Größenordnung der Verpflichtung, die Herzog Berthold in diesem S. dazu oben bei Anm. 531 ff. und 551 ff. Vgl. dazu KAMP, Burgund, S. 39 ff. 582 Vgl. DD F I, Nr. 12, S. 23: Dominus rex dabit eidem duci terram Burgundie et Provincie et intrabit cum eodem duce in predictas terras et adiuvabit eum easdem terras subiugare per bonam fidem ex consilio principum, qui in eadem expeditione erunt. 583 Ebd.: Dux Bertolfus habebit cum domino rege mille loricatos equites, quamdiu dominus rex in eisdem terris fuerit. 584 Vgl. dazu SIMONSFELD, Jahrbücher Friedrichs I., S. 242 ff. 580 581

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1. Die Wahl Friedrich Barbarossas: offiziöse Darstellung und vertrauliche Beratungen

Vertrag einging. Es muss hier nicht eingehender diskutiert werden, dass Herzog Berthold die Einhaltung des Vertrages offensichtlich nicht gelang und folglich die erhoffte Stellung in Burgund und der Provence vom Zähringer nie angetreten wurde.585 Davon bleibt die Feststellung unbenommen, dass Friedrich Barbarossa mit dem Lockmittel dieses Vertrages einen wichtigen Reichsfürsten auf seine Seite gezogen haben dürfte. Man könnte die Reihe der Indizien, die auf ähnliche Absprachen Barbarossas mit wichtigen Reichsfürsten deuten, noch verlängern: So erhielt Bischof Eberhard von Bamberg, der die Voraussetzungen für ein Begräbnis König Konrads III. in Bamberg geschaffen und Friedrich auch in den folgenden Wochen unterstützt hatte, noch in Aachen ein Privileg, das Bamberg die Reichsabtei Niederaltaich unterstellte.586 Noch drei Tage früher hatte Friedrich dem schon erwähnten Abt Wibald von Stablo und Corvey ein Privileg für Stablo ausgestellt, in dem er ausdrücklich erwähnte, dass dieser sich im Zusammenhang seiner Königserhebung um ihn verdient gemacht habe.587 Welf VI., der Protagonist der süddeutschen Linie der Welfen, ein erbitterter Gegner König Konrads III., erscheint noch im Jahre 1152 als dux Spoletanus et marchio Tuscie et princeps Sardinie.588 Auch ihm waren offensichtlich Herrschaftsrechte angeboten worden, die alles andere als im sicheren Besitz des Königs waren, Welf aber an die Seite Friedrichs brachten, zu dem er auch zuvor schon gute Beziehungen gehabt hatte.589 Auch Graf Konrad von Dachau, ein Vertrauter Welfs VI., erscheint in der gleichen Urkunde wie Welf VI. als dux Meranus, was auf eine Rangerhöhung deutet, die allerdings in der Folgezeit ebenso wenig konkretisiert wurde wie Welfs VI. Herrschaftsstellung in Italien.590 Insgesamt lassen die erhaltenen Quellen eine Fülle von Aussagen zu, die alle darauf hinauslaufen, dass Friedrich Barbarossa sich durch konkrete Versprechungen und Abmachungen die nötige Unterstützung für seine Königskandidatur verschaffte. Hierzu war er bereit, die politischen Kräfteverhältnisse im Reich gewaltig zu verändern, was sich insbesondere am Doppelherzogtum Heinrichs des Löwen, der in Aussicht genommenen Stellung des Zähringers Berthold IV. in Burgund und der Provence sowie an den italienischen Posi­tionen Welfs VI. nachweisen lässt. Nicht alle diese Absprachen sind Vgl. zu den Versuchen, den Vertrag umzusetzen, und ihrem Scheitern ALTHOFF, Die Zähringer. Herzöge ohne Herzogtum, S. 88 ff. 586 Vgl. DD F I, Nr. 3, S. 6 f.; zu Eberhards Unterstützung Barbarossas im Umfeld der Wahl s. GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 97 ff. 587 Vgl. DD F I, Nr. 1, S. 1; vgl. GÖRICH, S. 102. 588 Vgl. DD F I, Nr. 14, S. 26 f. 589 Zur Rolle Welfs VI. in den fraglichen Jahren vgl. GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 65 ff. 590 Allg. zum Phänomen des Titelherzogtums, mit dem die Ambitionen bestimmter Hochadliger auf Rangerhöhung befriedigt wurden, vgl. bereits WERLE, Titelherzogtum. 585

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V. Stauferzeit

eingelöst worden. Dies lag aber nicht allein an Friedrich Barbarossa, der gerade im Falle Heinrichs des Löwen mit großem Nachdruck seine Versprechungen verwirklichte. Wie kreativ er dabei vorging, zeigt vor allem die Einrichtung eines neuen Herzogtums Österreich für den Verlierer in diesem Machtpoker, Herzog Heinrich Jasomirgott. Ihm wurde die Bereitschaft zur Übernahme des kleineren Herzogtums mit so vielen Privilegien vergütet, dass man hierin zu Recht einen Meilenstein der Entwicklung zur fürstlichen Landesherrschaft sieht: die Verpflichtungen des neuen Herzogs von Österreich gegenüber dem Königtum waren minimal, die Rechte im Herzogtum dagegen optimal ausgestaltet.591 Für unsere Fragestellung ist aber vor allem interessant, wie konsequent Friedrich auch die Lösung dieses schwierigen Problems auf dem Wege vertraulichpersönlicher Verhandlungen mit Heinrich Jasomirgott suchte, obwohl dieser sich hartnäckig allen herrscherlichen Ladungen zu Hoftagen verweigert hatte, die eine Entscheidung der Angelegenheit durch Rat oder Urteil der Fürsten bringen sollten. Nichtsdestotrotz traf sich Barbarossa wieder und wieder mit ­seinem störrischen Onkel, um ihm in vertraulichen Verhandlungen sein Einverständnis abzuringen. Diese Bereitschaft Barbarossas zur Konsensherstellung fand ihren adäquaten symbolischen Ausdruck darin, dass er mit seinen Fürsten schließlich sogar zum Übergaberitual in das Zeltlager Heinrich Jasomirgotts kam und dort die Veröffentlichung der gütlichen Einigung vor­ genommen wurde.592 Es sei abschließend ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die schwierige Neujustierung der Kräfteverhältnisse ohne Gewaltanwendung – und allem Anschein nach auch ohne die Drohung hierzu – gelang. Zwar bringen eine ganze Reihe späterer Quellen Erzählungen, die darauf abheben, wie gekonnt Friedrich Barbarossa die Fürsten im Zusammenhang der Königserhebung hinters Licht geführt habe; wir hören in späteren Jahren auch von heftigen Reaktionen des übergangenen Königssohnes Friedrich von Rotenburg, die darauf hindeuten, dass sein Verhältnis zu Barbarossa einigermaßen zerrüttet gewesen sein dürfte.593 Doch sprechen die hier diskutierten Quellen gegen eine Über­ tölpelung der Fürsten. Vielmehr sehen wir, dass Barbarossa deren vitale Interessen richtig einschätzte und bereit war, diesen so weit wie möglich zu entsprechen. Hierdurch hat er entscheidende Leute an sich gebunden und zudem Vgl. dazu zuletzt GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 127 ff.; zu dem Verlauf des Streits und den einzelnen Schritten Barbarossas zu seiner Beilegung vgl. Regesta Imperii IV, 2, 1. Nrn. 95, 104, 135, 178, 196, 202, 364, 365, 397, 415, 417. S.  dort auch die jeweiligen Quellen und die ältere Literatur. 592 Vgl. Regesta Imperii IV, 2, 1 Nr. 415, S. 126. 593 Vgl. dazu GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 104; zu Friedrich von Rotenburg und seinem späteren Verhältnis zu Barbarossa vgl. ALTHOFF, Friedrich von Rotenburg, S. 313 ff. 591

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1. Die Wahl Friedrich Barbarossas: offiziöse Darstellung und vertrauliche Beratungen

s­ icher die Abneigung der Fürsten gegen eine lange Vormundschaftsregierung genutzt, um seine eigene Kandidatur erfolgreich zu gestalten. Es spricht für eine durchaus gehobene Kultur der Kompromissfindung, dass dies ohne ­Gewaltanwendung gelang. Dieses Beispiel aber steht in einer langen Reihe ­vergleichbarer, die bezeugen, dass man in vertraulichen Beratungen durch weitgehende Angebote radikale Positionswechsel zu erreichen vermochte.594

2. Loyalitäten im Schisma: Friedrichs Schwierigkeiten mit Erzbischof Eberhard von Salzburg Als besonders auffällig erschien in den Darlegungen des vorigen Kapitels die Geduld, die Friedrich über einen längeren Zeitraum gegenüber dem Herzog von Bayern, Heinrich Jasomirgott, aufbrachte, als dieser sich der anstehenden Entscheidung dadurch zu entziehen versuchte, dass er auf Hoftagen mehrfach nicht erschien. In der Tat war dies ein beliebtes Mittel, Obstruktion gegen ­absehbare Entscheidungen zu betreiben, mit denen man nicht einverstanden war.595 In Abwesenheit der Betroffenen konnten nämlich nach den gängigen Gewohnheiten Entscheidungen nicht gefällt werden, so dass man mit dem Fernbleiben das Nicht-Gewollte zumindest hinausschob. Das Verhalten Heinrich Jasomirgotts war und blieb denn auch kein Einzelfall, was die Effektivität der Konsensherstellung häufig und erheblich beeinträchtigte. In ganz ähnlicher Weise hat schon wenig später Erzbischof Eberhard von Salzburg durch sein Verhalten nach der päpstlichen Doppelwahl im Jahre 1159, die ein Schisma zwischen Victor  IV. und Alexander  III. schuf, versucht, seine Opposition gegen die Unterstützung Friedrich Barbarossas für Victor IV. durchzuhalten, indem er persönliche Treffen mit dem Herrscher zu vermeiden suchte. Da er die anstehenden Entscheidungen nicht mittragen konnte und wollte, blieb ihm keine andere Möglichkeit, als zu versuchen, abwesend zu bleiben, um eindeutige Stellungnahmen zu vermeiden. In dieser Situation zeigte sich erneut die Umsicht, mit der Barbarossa auf solchen Widerstand reagierte; es zeigten sich zugleich aber auch die begrenzten Möglichkeiten des Königs, solchen Widerstand zu überwinden, wenn sich die Opponenten geschickt verhielten. Das Beispiel Eberhards erlaubt nämlich tiefe Einblicke in die Strategien, mit denen beide Seiten Festlegungen zu erreichen bzw. zu vermeiden versuchten. Der Fall ist auch deshalb von einigem Interesse, weil ein Briefbuch erhalten blieb, in dem die Korrespondenz gesammelt wurde, die im Laufe dieses Kon594 595

Vgl. dazu etwa die Beispiele aus der Zeit des Thronstreits unten bei Anm. 797 ff. Vgl. etwa das Verhalten Heinrichs des Löwen, unten bei Anm. 676 ff.; schon die Ausein­ andersetzung König Konrads III. mit den Welfen wurde von dieser Problematik geprägt; vgl. dazu ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, S. 73 ff.

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flikts in Salzburg anfiel.596 Diese Sammlung bietet einen selten möglichen Einblick, wie viel schriftliche Kommunikation gerade ein solcher Konflikt auslöste, wie viele Personen in ihn eingriffen oder an ihm teilhatten. Wir finden vorbereitenden wie nachbereitenden Gedankenaustausch, Warnungen und Drohungen wie auch alle Formen von Versuchen der Beeinflussung durch informelle Aktivitäten. Man muss wohl spätestens seit dem endenden 11. Jahrhundert davon ausgehen, dass die Beratung wichtiger Probleme von vielfäl­ tigen schriftlichen Initiativen vorbereitet, begleitet und nachbereitet wurde, von denen uns wenig erhalten ist. Auch wenn die Briefe nicht unbedingt von den Ausstellern persönlich formuliert wurden und überdies formelhaft abgefasst sind, lassen sie die grundsätzlichen Positionen der Parteien in diesem Konflikt sehr deutlich erkennen, obgleich gerade Wichtiges häufig nur dem mündlichen Vortrag des Boten oder Gesandten anvertraut wurde und überdies auf die Ehre und Würde des Gegenübers geachtet wurde. Letzteres dürfte aber in mündlicher Face-to-face-Kommunikation in ähnlicher Weise der Fall gewesen sein. Die Entwicklung des Konflikts sei anhand der Briefe exemplarisch genauer verfolgt, weil er ein Protobeispiel für selbstbewusstes, aber dennoch Eskalationen vermeidendes Rollenverhalten von Bischof und Kaiser bietet. Besonders hervorzuheben ist die Tendenz beider Parteien, strittige Dinge so weit wie möglich auszuklammern. So wird der Hauptstreitpunkt, die Lösung des Papstschismas, in den Briefen zwischen Friedrich und Eberhard so gut wie nie angesprochen. Am Beginn der Auseinandersetzung steht ein Brief Friedrich Barbarossas (Nr. 39), in dem der Kaiser den Salzburger Erzbischof aus Italien über den Tod Papst Hadrians IV. informiert und von drohenden Spannungen in Rom berichtet, die ein Schisma auslösen könnten. Der Kaiser legt hier größten Wert darauf, dass Erzbischof Eberhard in den zu erwartenden Auseinandersetzungen mit ihm abgestimmt handelt. Gleichermaßen wichtig ist es dem Kaiser zudem, den Erzbischof über seine Versuche zu informieren, den französischen und englischen König „zu einem festen Frieden und einer dauerhaften Freundschaft“ zu gewinnen, um so ein fundamentum für die Wahl eines geeigneten Nachfolgers auf dem Stuhl Petri zu bekommen.597 Ein Gesandter, Bischof Petrus von Pavia, sollte nach Friedrichs Darstellung bewirken, dass die drei Könige sich nur nach Verständigung untereinander auf einen Kandidaten festlegten. Es scheint hier so, als informiere Friedrich den Erzbischof offen und vollständig über seine Pläne und setze große Stücke auf ihn als Ratgeber in der Vgl. HÖDL – CLASSEN, Admonter Briefsammlung; HÖDL, Die Admonter Briefsammlung 1158–1162, S. 347–470; DOPSCH, Geschichte Salzburgs, 1. S. 274 ff. 597 Vgl. HÖDL – CLASSEN, Nr.  39, S.  77, 27  ff.: De cetero noster predictus legatus hoc verum electionis de Romano pontifice in cordibus eorum ita firmabit, ut ipsi una nobis­ cum unum inde velint et sapient nec in aliquam personam favorem suum tam subito ponant, nisi quam nostrum trium unicus laudaverit assensus. 596

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2. Loyalitäten im Schisma: Friedrichs Schwierigkeiten mit Erzbischof Eberhard von Salzburg

sich abzeichnenden schwierigen Lage. Er schätzt nach eigener Aussage Eberhards Hilfe bei der Aufrechterhaltung der Einheit als äußerst wichtig ein, um die er deshalb inständig bittet. Auch die weitere Entwicklung will er mithilfe von Eberhards Rat und seiner discretio meistern. Einigermaßen deutlich wird aber auch eine gewisse Angst, dass Eberhard seine Gunst (favor) einem anderen Kandidaten für die Papstwürde zuwenden könne, als Friedrich selbst dies plant.598 Konkrete Namen von Kandidaten nennt der Kaiser aber nicht. Insgesamt formuliert der Brief aus der Ferne das Angebot einer vertrauensvollen Zusammenarbeit in der Frage der Besetzung des römischen Bischofsstuhles und gibt keinen wirklichen Hinweis darauf, dass der Kaiser Erzbischof Eberhard für einen problematischen Bündnispartner oder gar Gegner hält. In der gleichen Zeit informierte der enge Vertraute Barbarossas, Bischof Eberhard II. von Bamberg, den Salzburger Erzbischof, der sein Freund war, brieflich ein wenig genauer über die Parteiungen in Rom, von denen eine bereits unter Führung des Kardinalbischofs von Tusculum den Octavian zum Papst erwählt habe. Dennoch sei Streit und Zwietracht in der Stadt und es werde Blut vergossen.599 Daher müssten Eberhard und die anderen Fürsten daran denken, „Gott vor allem, aber auch dem Kaiser die schuldige Ehre zukommen zu lassen“. Dies scheint eine vorsichtige, aber zugleich deutliche Mahnung an den Erzbischof zu sein, die Interessen des Kaisers in dieser Angelegenheit nicht unberücksichtigt zu lassen. Auch hier ist die Mahnung, wenn es denn überhaupt eine ist, äußerst vorsichtig formuliert. Interessant ist aber vor allem die Beobachtung, dass in diesen Briefen der intensive Versuch fassbar wird, trotz räumlicher Trennung frühzeitig eine gemeinsame Position abzusprechen. Die erhaltene Überlieferung lässt nicht erkennen, ob Barbarossa so etwas nur mit ganz wenigen herausragenden Ratgebern ein­ leitete oder ob solche Vorklärungen einen weiteren Kreis von Fürsten einschlossen. Die nächsten Texte im Briefbuch zeigen dann in aller Deutlichkeit, dass Erzbischof Eberhard auch von der Gegenseite, die inzwischen den Kardinal Roland Bandinelli als Alexander  III. zum Papst erhoben hatte, informiert und somit in ihr Kommunikationsnetzwerk einbezogen wurde. Eine ausführliche Rechtfertigung Alexanders und die Nachricht über dessen Exkommunikation Octavians erreichten wohl über Bologna den Salzburger Erz­ bischof (Nr. 41) ebenso wie weitere Rechtfertigungsschriften der Gegenseite (Nr. 42, 44). Seine eigene, nach außen sorgfältig verborgene Haltung wird in Ebd: si forte pro aliquo Romane sedis electo assensus discretionis tue requisitus fuerit, non … nobis inconsultis favorem tuum adhibeas, sed, ne imperium nostris temporibus in se ipsum divisum desoletur, ad unitatem nobiscum studeas operam dari. 599 Ebd., Nr. 40, S. 79: Lis tamen in urbe est et contencio et sanguinis effusio. Dort auch das nächste Zitat. 598

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einem Schreiben an seinen vertrauten Suffraganbischof Roman von Gurk in überraschender Weise deutlich. Eberhard hatte sich offensichtlich aufgemacht, um das von Friedrich Barbarossa einberufene Konzil zu Pavia (Februar 1160) zu besuchen, das nach Friedrichs Vorstellungen angesichts der schismatischen Wahlen eine Entscheidung zwischen den Prätendenten fällen sollte. Schon die Einberufung dieses Konzils durch den Kaiser schuf ein gravierendes Problem, da eine Beteiligung des Kaisers an einer Papstwahl durch das Dekret von 1059 ausgeschlossen worden war.600 Nach eigenen Angaben kam Eberhard bis Treviso, wo er mit dem Patriarchen Peregrin von Aquileja offensichtlich verhandelte. Dieser besuchte dann das fragliche Konzil in Pavia. Eberhard formuliert über diese Verhandlung nur für den Empfänger verständlich: „Dort haben wir mit Gottes Hilfe alles ­vollendet gemäß dem, was wir mit euch abgemacht hatten.“601 Der Patriarch habe dann, schreibt der Salzburger Erzbischof weiter, Eberhards Rückreise auf das Sorgfältigste vorbereitet, daher werde er bald in Reichenburg sein. Erst am Schluss fügt er an, dass er den Propst Heinrich von Berchtesgaden zu Kaiser Friedrich mit Geschenken geschickt habe, um ihn wegen Krankheit zu entschuldigen. Zuvor aber hatte er Bischof Roman gedrängte Informationen über die Unterstützung gegeben, die Alexander III. bei vielen gefunden hatte; ebenso verweigerten nach seinen Informationen viele Octavian die Anerkennung, und wenn ihn jemand anerkenne, dann mehr aus Furcht als aus Liebe. Außerdem berichtete Eberhard über gewaltsame Übergriffe auf Anhänger Alexanders, den er im Unterschied zu Victor/Octavian mit seinem Papstnamen anspricht. Der Brief lässt also die Parteinahme Eberhards für Alexander überdeutlich erkennen. Die Rückreise erweist sich somit als „Täuschungsmanöver“,602 um seine ausdrückliche Stellungnahme für Alexander und damit eine Konfrontation auf dem Konzil zu Pavia zu vermeiden. Der Erzbischof scheint es also nicht für ratsam oder möglich gehalten zu haben, dem Kaiser auf dem Konzil offen zu widersprechen. Seine Taktik lief vielmehr wohl darauf hinaus, dass das Fernbleiben wichtiger Kirchenfürsten die bindende Wirkung der Konzilsbeschlüsse verringern, wenn nicht gar ­verhindern würde. Friedrich Barbarossa scheint diese Taktik des Erzbischofs nicht durchschaut zu haben, oder er ließ es sich nicht anmerken. Vielmehr berichtete er Eberhard kurze Zeit später in einem Brief von seinem Sieg über die Stadt Crema, weil er Eberhard als einen sehr teuren (karissimus) Getreuen einschätze, der Teilhaber an der Ehre und den Freuden sein solle, die der Sieg über Crema für den Kaiser Vgl. dazu GÖRICH, Friedrich Barbarossa, bes. S. 393 ff. Ebd., Nr. 43, S. 88: Ibi vero Domino favente omnia complevimus, secundum quod vobis­ cum in consilio conveneramus. 602 So schon DOPSCH, Geschichte Salzburgs, 1, S. 279. 600 601

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und das Reich gebracht habe.603 Außerdem sagte er ihm Dank für die übersandten Geschenke. Bezüglich der in Pavia hinsichtlich des Schismas getroffenen Entscheidung, nämlich der Anerkennung Papst Victors, bat und mahnte er ihn inständig, war sich zugleich aber auch sehr sicher, dass Eberhard das, was die ganze Kirche entschieden habe, akzeptieren und mittragen werde.604 Überdies ging ein längerer Brief Friedrichs an Eberhard und seine Suffraganbischöfe, in dem der Kaiser noch einmal die Entwicklung in Italien nach dem Tode Hadrians, die Auseinandersetzung mit Mailand sowie die Entscheidung von Pavia und ihre Ursachen erläuterte.605 Am Ende bittet er die Bischöfe, den Beschluss von Pavia anzuerkennen, aufrechtzuerhalten und zu bewahren. Ein Wissen oder einen Verdacht, dass sie hierzu nicht bereit sein könnten, lässt sich dem Brief nicht entnehmen. Dabei musste doch auch Friedrich Barbarossa ­eigentlich wissen, dass es seit Gregor VII. päpstlicher Anspruch war, von niemandem gerichtet werden zu können, so dass die Absetzung eines Papstes, sogar eines Abwesenden, wie in Pavia praktiziert, kanonisch nicht gerecht­ fertigt werden konnte. Ein Wissen um diese Problematik wird in den Briefen Barbarossas jedoch nicht einmal angedeutet. Ein halbes Jahr später wiederholte Friedrich seine Aufforderung an den Erzbischof, ihm in Italien militärische Hilfe zu leisten und sich deshalb in Pavia einzufinden. Man kann eine gewisse Schärfe in diesem Brief feststellen, weil Friedrich mit dem Hinweis schließt, wenn sich jemand in dieser Zeit entzöge, würde dieser weder von ihm noch von seinem Reich als Getreuer angesehen.606 Von der strittigen Papstfrage ist in dem Brief jedoch wieder mit keinem Wort die Rede. Als Eberhard dieser Ladung aber erneut nicht folgte und auch eine Einladung Papst Victors nicht beachtete, las ihm Friedrich intensiver die Leviten, indem er die Verwunderung aller ausmalte, namentlich auch der welt­ lichen und geistlichen Fürsten, dass er „in der Zeit der Bedrängnis sich nicht selbst als unbezwingbare Mauer für das Haus Israel zur Verfügung stelle.“607 Auf die Kernfrage, die Beendigung des Schismas, aber kam Barbarossa nur ­indirekt zu sprechen. Dass in diesem Problem die Ursache für Eberhards Fernbleiben liegen könnte, wird wieder nicht thematisiert.

Vgl. HÖDL – CLASSEN, Nr. 46, S. 94 f.: Quod ideo tue dilectioni ac desiderio significamus sicut karissimo, quia te participem honoris et gaudiorum credimus. 604 Ebd., S. 95: rogamus et propensius te monemus certi, immo certissimi de tua dilectione esse volentes, ut, quicquid ecclesia tota iudicaverit, tu quoque nobiscum teneas et ratum habeas. 605 Ebd., Nr. 49, S. 96 ff., die im Folgenden zitierten Verben approbare, tenere und conservare S. 98. 606 Ebd., Nr. 52, S. 103: Si quis autem se nunc temporis aliquatinus subtraxerit, hunc nec nobis nec imperio nostro fidelem esse censemus. 607 Ebd., Nr. 55, S. 108: quod in tempore tribulationis te ipsum quasi murum inexpugnabilem pro domo Israel non opposueris. Zitiert ist hier Ez 13, 5. 603

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Dies auch nur anzudeuten, vermied Eberhard ebenfalls in seiner Antwort an den Kaiser, die er Friedrich wohl unverzüglich zukommen ließ. Er verwies auf Fehden in Bayern, die in dieser Zeit Heinrich der Löwe gegen den Bischof von Regensburg führte, und begründete so die Notwendigkeit seines Verbleibens nördlich der Alpen. Ein versteckter Hinweis auf das eigentliche Gravamen könnte sich allenfalls im abschließenden Segenswunsch Eberhards finden: „Der Herr möge, um den Frieden und die Einheit seiner Kirche zu schützen und zu bewahren, durch die Erleuchtung seines Geistes euer Herz beugen und ermutigen.“608 Man kann sich aber keineswegs sicher sein, dass Eberhard hiermit den Kaiser implizit bittet, zugunsten der Einheit auf seinen Kandidaten zu verzichten. Barbarossa verschärfte in seiner prompten Antwort auf diesen Brief seine Tonlage und seine Empörung über das Verhalten Erzbischof Eberhards noch einmal, indem er seine große Verwunderung darüber zum Ausdruck brachte, dass der Erzbischof sein Kommen in einer Situation verweigerte, in der der Kaiser den Dienst der Salzburger Kirche besonders nötig hatte. Er konstatierte einen „untragbaren Nachteil“ (intollerabilem defectum), wenn er sich in wichtigen Angelegenheiten ohne die Hilfe der Salzburger „abschwitze“ (insudavimus et insudamus). Friedrich suchte überdies das Erscheinen des Erzbischofs und die Ableistung des schuldigen Dienstes dadurch zu sichern, dass er Eberhard zum Versprechen in die Hand des kaiserlichen Überbringers des Briefes veranlassen wollte, nun endlich zu einem bestimmten Termin nach Verona zu kommen. „Wenn er aber überhaupt nicht kommen wolle, solle er unzweifelhaft wissen, dass er (Friedrich) mit Gottes Gunst und Güte und mit dem Rat der Fürsten und Kleriker so über die Salzburger Kirche verfügen werde, dass sowohl die Ehre Gottes und der Religion nicht beeinträchtigt als auch dem Reich der schuldige Dienst vernünftig geleistet wird.“609 Angesichts der üblichen ­diplomatischen Zurückhaltung war dies gewiss eine der höchsten Alarm­ stufen, die brieflich ausgedrückt werden konnte. Das heikle Thema der Anerkennung eines der beiden Päpste durch Eberhard hatte Friedrich aber erneut nicht thematisiert. Ergänzt wurde das kaiserliche Schreiben an Eberhard durch einen Brief an Bischof Roman von Gurk mit der Bitte, auf seinen Erzbischof im kaiserlichen Sinne einzuwirken.610 Auch diese Briefe bewogen den Salzburger Erzbischof jedoch nicht, den ­Kaiserhof in Italien aufzusuchen. Vielmehr musste Friedrich erneut einen Ebd., Nr. 56, S. 109: Dominus ad tuendam et conservandam pacem et unitatem ecclesie sue illustratione spiritus sui cor vestrum inclinare et confortare dignetur. 609 Ebd., Nr. 57, S. 110 f.: Quodsi … omnino venire volueris, indubitanter scire te volumus, quod nos favente et semper nos precedente Dei clementia cum consilio principum et ­religiosorum ita de Salzburgensi ecclesia ordinabimus, ut et honor Dei et religio non ­imminuatur et debitum servitium imperio de cetero rationabiliter exsolvatur. 610 Ebd., Nr. 58. 608

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e­ mpörten Brief an Eberhard schicken, weil dieser auch der dringlichen dritten Ladung keine Folge geleistet hatte. Allerdings hatte er, wie Friedrich entrüstet bemerkte, dem Kaiser Geld zukommen lassen, um sich damit von der Heeresfolge freizukaufen.611 Doch dieser hatte einen Fürstenbeschluss herbeigeführt, dass er kein Geld von jemandem annehmen könne, gegen den er Hass im Herzen trage.612 Dennoch, teilte er Eberhard des Weiteren mit, werde er sich über dessen persönliche Ankunft in Italien freuen und gerne mit ihm und den ­anderen Fürsten beraten. Zwei enge Vertraute Friedrichs, Bischof Eberhard von Bamberg und der Kanzler Ulrich, bemühten sich gleichzeitig, Erzbischof Eberhard brieflich davon zu üerzeugen, dass der Zorn Barbarossas bereits besänftigt sei; Ulrich bot ihm sogar freies Geleit zum Herrscher an, was offensichtlich nicht mehr selbstverständlich war.613 Diese Briefe brachten Erzbischof Eberhard schließlich dazu, sich persönlich der Reise an den Kaiserhof zu unterziehen, und er traf sich in Italien mehrfach mit Kaiser Friedrich, nachdem er auf dem Weg dorthin in Cremona noch eine Einladung zum Gespräch mit Papst Victor  IV. abgelehnt hatte. Dennoch wurde er von Friedrich, wie er selbst berichtete,614 in Pavia ehrenvoll und freundschaftlich (honeste et familiariter) empfangen, obwohl dieser bereits von Victor informiert worden war, dass Eberhard abgelehnt hatte, mit ihm in Kontakt zu treten. Schlussendlich stellte der Kaiser Erzbischof Eberhard in einer Mailänder Versammlung mit zwei Kardinälen, zwölf Bischöfen und vielen anderen Fürsten, die gewiss alle Anhänger Papst Victors IV. waren, sozusagen die Gretchenfrage: für welchen Papst er sich entscheide. „Und wir haben klar gesagt, dass wir Alexander erwählt haben und diese Wahl sehr bekräftigen; und wir erhielten dafür vom Herrn Kaiser nichts Nachteiliges.“615 Lediglich die beiden Kardinäle Victors hätten ihn in Diskussionen verwickeln wollen; er habe sie jedoch nur weniger Worte gewürdigt. Der Versuch, die briefliche Kommunikation zwischen Friedrich und Eberhard und einigen anderen sozusagen wie eine Beratung über größere Entfernungen zu lesen, hat damit einige interessante Befunde gebracht. Es kann wenig Zweifel daran bestehen, dass Friedrich Erzbischof Eberhard deshalb so 611

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Zu den Versuchen der Fürsten in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, persönliche Heeresfolgepflichten durch Geldzahlungen abzulösen, vgl. ALTHOFF, Die Historio­ graphie bewältigt, bes. S. 168 ff. Vgl. HÖDL – CLASSEN, Nr. 59, S. 112 f.: nos communicato cum principibus nostris consilio pecuniam tuam cum honore non potuimus accipere, quia nostre consuetudinis non est alicuius pecuniam accipere et odium contra eum in mente retinere. Vgl. ebd., Nr. 60 und 61, S. 113 ff. Ebd., Nr. 64, S. 117 f. Ebd., S. 118: nosque clare Alexandrum nos recipisse et hanc partem magis nos approbare diximus; nichilque super hoc gravaminis a domino imperatore sustinuimus.

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nachdrücklich an seinen Hof befohlen hatte, um dort dessen Entscheidung für „seinen“ Papst Victor IV. zu beeinflussen bzw. sicherzustellen. Dies konnte er aber allem Anschein nach nicht als Grund anführen, sondern musste ihn laden, damit er seine Verpflichtung zu Rat und Hilfe einlöse. Dem Kaiser Rat und Hilfe zu geben, konnte Eberhard nicht verweigern, ohne sich ins Unrecht zu setzen. Deshalb musste er Ausflüchte suchen wie Krankheit oder Unabkömmlichkeit, mit denen er allerdings nur Zeit gewinnen, nicht seine Verpflichtung zu Rat und Hilfe grundsätzlich ablehnen konnte. Barbarossa hatte andererseits keine rechtliche Handhabe, dem Salzburger seine Entscheidung in der Papstfrage vorzuschreiben. Als Eberhard sich letztendlich entschieden für Alexander erklärte, musste Barbarossa dies offensichtlich akzeptieren. Die Vorsicht und Achtung, mit der sich Kaiser und Erzbischof trotz des Dissenses aus der Ferne behandelten, darf man mit einiger Berechtigung wohl auch für die Beratung unter Anwesenden annehmen. Auch Papst Alexander erlaubte Eberhard nach seiner Entscheidung weiter den Kontakt mit dem exkommunizierten Kaiser, damit er als propugnator und defensor ecclesiae auf ihn einwirken könne. Er bot durch ihn Friedrich sogar an, er werde ihm alle Schädigungen, Bekämpfungen und Beschwernisse, die dieser der Kirche zugefügt habe, vergeben, wenn er sich bekehren und zur Einheit zurückkehren wolle.616 Überdies ernannte Papst Alexander bald den Salzburger Erzbischof zu seinem ständigen Legaten im Reich, dem Gehorsam zu leisten sei.617 Eberhard hätte wohl die Funktion eines Vermittlers im Schisma übernehmen können, doch starb er bereits im Jahre 1164, was den Versuchen einer gütlichen Beendigung des Streits gewiss Abbruch tat. Nichtsdestotrotz sind die Argumentationen der beiden Kontrahenten in ihrem Briefwechsel ein gutes Beispiel für die Möglichkeiten und Grenzen der Argumentation im Dissens. Wir beobachten auf beiden Seiten eine Meisterschaft im Ausklammern und in allgemeinen Andeutungen, wie sie wohl auch beim „Sprechen vor dem Kaiser“ üblich waren.618 Die Verpflichtung, die Formen zu wahren und sich nichts zu vergeben, bewirkte eine Kultur der Zurückhaltung und Andeutung, die dem späteren Interpreten größte Schwierigkeiten macht. Klartext enthalten die Briefe beider Seiten gewiss nicht. Durch einen zweiten Gewährsmann erfahren wir mehr Einzelheiten über die Positionen und Argumentationen der Parteien im Alexandrinischen Schisma. Propst Gerhoch von Reichersberg, der ein enger Vertrauter Erzbischof Eberhards war, hat nämlich über mehrere seiner diesbezüglichen Unterredungen mit Barbarossa Rechenschaft gegeben. Sie vermitteln einen genauen 616 617 618

Ebd., Nr. 73, S. 129–131. Ebd., Anhang Nr. 1, S. 201 f. Vgl. hierzu grundsätzlich GÖRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas, S.  36  ff.; DERS., Friedrich Barbarossa, S. 206 ff.

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2. Loyalitäten im Schisma: Friedrichs Schwierigkeiten mit Erzbischof Eberhard von Salzburg

Eindruck von den inhaltlichen Argumenten beider Parteien, wie er uns von Erzbischof Eberhard selbst nicht überliefert ist.619 Gerhoch skizziert die Position Kaiser Friedrichs wie folgt: „Als ich dies mehrmals insgeheim mit dem Herrn Kaiser besprach, beschwor dieser aufs Bestimmteste, er wolle sehr gern mit seinem eigenen Recht vorliebnehmen und einen römischen Papst, der ihm daran keinen Abbruch tue, demütig in der Leitung der Kirche fördern; einem Papst aber, der ihm an seinem Recht Abbruch tue, wolle er sich auf jede Weise und mit allen Kräften des Reiches entgegenstellen. Denn er sei überzeugt – so sagte der Kaiser –, wahrer Nachfolger Petri – der da spricht ‚Fürchtet Gott, ehret den König!‘ – und wahrer Nachahmer Christi – der da spricht ‚Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist‘ – könne niemand sein, der aus stolzer Habsucht und habsüchtigem Stolz unter dem päpstlichen Namen nicht nur im Klerus, sondern auch im Reiche herrschen wolle.“620 Damit hat nach Gerhoch Friedrich die beiden Bibelstellen zitiert, die in der Königstheologie immer benutzt wurden, wenn die Rechte des Königs über die Kirche in Frage standen. Es war nach dem Verständnis der zitierten Bibelstellen bis ins 11.  Jahrhundert nicht zweifelhaft gewesen, dass dem König Rechte in der Kirche zustanden. Welche Rechte das genau waren, ließ sich den zitierten Stellen nicht entnehmen. Diese Frage war mithilfe der Gewohnheiten beantwortet worden, durch die sich weitgehende Königsrechte in der Kirche ausgebildet hatten. Genau diese Praxis aber war seit dem Reformpapsttum und seinem neu entwickelten Amtsverständnis strittig geworden. Investiturrechte und simonistische Praktiken hatte die Kirche seither dem König verboten. Und sie hatte akzentuiert, dass der König nur ein Laie sei. Das päpstliche Amtsverständnis hatte sich zudem grundlegend verändert: Die Päpste wollten in der Tat, wie Barbarossa es formulierte, nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Welt herrschen.621 Gegen diesen für ihn überzogenen Herrschaftsanspruch der Päpste argumentierte Friedrich im zitierten Dictum: Für ihn waren diejenigen, die diesen Anspruch erhoben, keine Nachfolger Petri und keine Nachahmer Christi. Damit stand er durchaus in einer Tradition hofnaher Theologen, deren Positionen allerdings schon Hinc­ mar von Reims abgelehnt hatte.622 Interessant ist daher, was Gerhoch auf die Ausführungen Friedrichs nach eigener Aussage antwortete: „Als der Kaiser etwa dieses in deutscher Sprache Zu Gerhochs Berichten über Verhandlungen im Schisma vgl. bereits CLASSEN, Gerhoch von Reichersberg, bes. S. 273 ff.; GÖRICH, Friedrich Barbarossa, bes. S. 405 ff. 620 Vgl. Gerhoch von Reichersberg, Opusculum, S. 321; zitiert auch bei CLASSEN, Gerhoch, S. 276; GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 406; die zitierten Bibelstellen vgl. bei Mt 22, 21 und Mk 12, 17 und Lk 20, 25. 621 S.  zu dieser neuen Theorie päpstlicher Rechtsansprüche in Kirche und Welt zuletzt ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, S. 59 ff. 622 S. dazu oben bei Anm. 157 ff. 619

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sagte und an seinem Papst (sc. Victor  IV.) lobte, dass der kein Gegner des ­Reiches sei und sich nicht mit den Reichsfeinden verbündet habe, auch nicht selbst im Reich König sein und herrschen wolle, da verschmähte ich diesen ­seinen Papst so, dass ich unter dem Beistand der Gnade Gottes sagte, nie würde ich jenem gehorchen, der von keinem Kardinalbischof geweiht sei und auf dessen Seite es den Leib des Herrn nicht gebe, der bekanntlich außerhalb der Kircheneinheit im Schisma nicht dargebracht werden könne.“623 Mit dieser Argumentation wies Gerhoch sehr freimütig auf das kirchenrechtliche Defizit der Wahl Victors hin, da nach dem Papstwahldekret von 1059 bei der Wahl und Weihe des Papstes den Kardinälen Vorrechte eingeräumt wurden, bei der Wahl und Weihe Victors die Kardinäle aber bis auf einen gar nicht teilgenommen hatten. Aus diesem Defekt seiner Wahl und Weihe folgerte Gerhoch, dass Victor IV. außerhalb der Einheit der Kirche stehe und deshalb auch keine gültigen Sakramente spenden könne. So wie Eberhard scheint er seinen Standpunkt im Angesichte Friedrich Barbarossas unverblümt vertreten zu haben; im Unterschied zu Eberhard berichtet er aber genauer, was dann geschah: „Bei diesen Worten entstand eine derartige Erregung der Fürsten gegen mich, dass mir einer von ihnen den Galgen androhte, ein anderer den Raub meiner Güter und anderes Böses mehr, wovon jetzt nicht im Einzelnen zu sprechen ist. Der Kaiser aber hörte dies alles gelassen an, spendete den Fürsten jedoch keinen boshaften Beifall; denn hätte er zugestimmt, so wäre ich in große Gefahr für Leib und Leben geraten, der ich damals unter Gottes Schutz entrann.“624 Mit dieser Situationsschilderung werden wir erneut darauf verwiesen, dass Friedrich Barbarossa in Beratungen über die Beendigung des Schismas ­begründeten Widerspruch gelten, zumindest nicht mit Gewaltmaßnahmen beantworten ließ, auch wenn bei seinen Anhängern die Bereitschaft dazu durchaus vorhanden war. Diese Beobachtung lässt die grundsätzliche Dimension der Auseinandersetzung zwischen Königtum und Kirche vor Augen treten, die hier nicht erschöpfend behandelt werden konnte, die sich aber wie ein roter Faden durch die Beratungen der strittigen Probleme seit den sieb­ ziger Jahren des 11.  Jahrhunderts zog:625 Durch das neue Verständnis der Kirche von den Ansprüchen und Rechten des Papsttums hatte sich eine Unvereinbarkeit mit den bestehenden Ansprüchen und Rechten des König- und Kaisertums ergeben, die Kompromisse gravierend erschwerte, wenn nicht unmöglich machte. Der Anspruch des Papstes auf Gehorsam aller Christen kollidierte mit dem Anspruch des Königs, sein Amt unmittelbar von Gott zu bekommen und deshalb nicht unter der Richtergewalt des Papstes zu steVgl. Gerhoch von Reichersberg, Opusculum, S. 321. Vgl. ebd. 625 S. dazu bereits TELLENBACH, Libertas, S. 175–192. 623

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hen.626 Umgekehrt verweigerte sich Papst Alexander konsequent jeder Überprüfung seiner Amtsführung, da er zwar alle richten dürfe, aber von niemandem gerichtet werden könne.627 Diese Haltung verhinderte jede Form von Schieds­gericht, wie sie sich in anderen Konflikten langsam herausbildete und Friedrich Barbarossa wie einigen Kardinälen als Lösungsweg auch im Schisma offensichtlich vorschwebte.628 Beide Seiten hatten ihre Ansprüche aus biblischen Geschichten und dicta abgeleitet, deren Aussagekraft nicht stringent genug war, um die jeweils andere Partei zu überzeugen.629 Für die Verhandlungen zwischen den Parteien bedeutete dies eine schwere Belastungsprobe, weil man die beiderseitig herangezogenen christlichen Autoritäten nicht mehr als durchschlagende Belege akzeptierte. Es bedeutete aber zugleich, dass Laien in dieser Auseinandersetzung an den Rand gerieten, weil die normative Grundlage zur Entscheidung dieses Streits nirgendwo anders als in der christlichen Tradition gefunden werden konnte. Es standen sich daher in den Beratungen zur Beendigung des Schismas im Wesentlichen kaisertreue Kleriker und solche gegenüber, die die reformpäpstliche Argumentation Alexanders III. unterstützten. Vorwürfe Friedrich Barbarossas gegen Alexander  III., die auf Verletzung der kaiserlichen Ehre oder der Ehre des Reiches abzielten, hatten in diesen Friedensverhandlungen dagegen weniger Chancen, Gehör zu finden.630 Zwar ist der Laienadel immer wieder in beachtlicher Anzahl an solchen Beratungen beteiligt gewesen, er erscheint jedoch weniger als disputierender Akteur denn als Erzeuger einer Drohkulisse, die den Argumenten seiner Partei durch Zustimmung oder Ablehnung Durchsetzungskraft zu verschaffen versuchte. Daher scheint es von besonderem Interesse, wie dieses langanhaltende Schisma schließlich gelöst wurde, nachdem keine Partei sich durch Argumente oder durch Machtanwendung hatte durchsetzen können. Die Katastrophe des kaiserlichen Heeres in Rom 1167 nach der Einnahme der Stadt, als eine plötzlich ausbrechende Seuche viele Opfer im Heer forderte, hatte wohl allen Beteiligten deutlich gemacht, dass Gott keine Lösung des Konflikts durch Machtausübung unterstützte.631 Dennoch dauerte es ein weiteres Jahrzehnt, ehe eine ­Einigung gelang.

Vgl. dazu bereits ULLMANN, Die Machtstellung des Papsttums, S. 420 ff. Vgl. dazu LAUDAGE, Alexander III. und Friedrich Barbarossa, S. 120 mit Anm. 94 und weiteren Hinweisen. 628 Vgl. GÖRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas, S. 124. 629 Vgl. DERS., Friedrich Barbarossa, S. 434 ff. 630 Zu den Positionen und Argumenten Barbarossas seit Ausbruch des Schismas vgl. ebd., S. 393 ff. 631 Vgl. ebd., S. 413 ff. 626 627

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3. Die Wegbereiter des Friedens von Venedig 1177 Der Frieden von Venedig, der die Anerkennung Papst Alexanders  III. durch Friedrich Barbarossa und eine umfassende gütliche Einigung der zahlreichen Konfliktparteien mit sich brachte, ist in vertraulichen Beratungen und zähen Verhandlungen verschiedener Parteien vorbereitet worden, die in der Forschung schon mehrfach intensiv behandelt wurden.632 Weder die Ereignisgeschichte noch der Verlauf der Verhandlungen sollen daher hier noch einmal nachgezeichnet werden. Für uns ist vielmehr von Interesse, inwieweit die Verhandlungen zur Beendigung des langen Schismas Neuerungen brachten, die für die Geschichte der Konsensherstellung von Bedeutung sind. Erwähnenswert ist vor allem die mehrfach bezeugte Tatsache, dass die von Friedrich mit der Vermittlung des Friedens beauftragten geistlichen Fürsten mit Vollmachten ausgestattet wurden, die ihnen die Rolle eines Schiedsrichters im Unterschied zu der eines Vermittlers ermöglichten. In den Verhandlungen zur Beendigung des Schismas beschleunigte und konkretisierte sich damit eine Entwicklung, die das Gewicht und die Unabhängigkeit der Fürsten bei der Entscheidungsfindung verstärkte, indem sie den Königen, sofern sie eine Partei im Konflikt waren, die Möglichkeit, Einfluss auf die anstehende Entscheidung zu nehmen, weiter beschnitt. Die Schiedsrichter unterschieden sich von den Vermittlern ja dadurch, dass sie eine definitive Lösung des Konflikts nicht nur im Kontakt mit den Parteien und mit deren Einverständnis herbeiführten, sondern sie aufgrund der Autorität ihres Schiedsspruches schaffen und durchsetzen sollten.633 Deshalb wurden Schiedsgremien paritätisch mit der gleichen Anzahl von Vertretern besetzt, die die jeweiligen Konfliktparteien bestimmen durften. Danach waren diese zumindest in der Theorie unabhängig von der Zustimmung der Parteien, sie hatten sich vielmehr untereinander einvernehmlich auf einen Schiedsspruch zu verständigen, der dann galt. Es sei daran erinnert, welche Schwierigkeiten Vermittler bekommen konnten, weil sich Könige wie Otto der Große oder Heinrich IV. mit den von ihnen gemachten Vorschlägen nicht einverstanden erklärten oder ihr gegebenes Einverständnis einfach ignorierten.634 Daher beseitigt diese Neuerung in der Tat eine Schwäche bisheriger Konfliktregulierung. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass man Tendenzen einer Entwicklung von der Mediation zur Schiedsgerichtsbarkeit bereits im früheren 12. JahrhunVgl. etwa OPPL, Friedrich Barbarossa, S. 119 ff.; LAUDAGE, Alexander III und Friedrich Barbarossa, S. 202 ff.; GÖRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas, S. 163 ff.; DERS., FrIedrich Barbarossa, S. 428 ff. 633 Vgl. hierzu die Skizzierungen des Forschungsstandes zum Schiedswesen bei GARNIER, Amicus amicis, S. 233 ff.; MALECZEK, Das Frieden stiftende Papsttum, S. 287 ff. 634 S. dazu oben bei Anm. 265 ff., 277 ff. und 429. 632

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3. Die Wegbereiter des Friedens von Venedig 1177

dert beobachten kann, wenn man an Schiedsgremien denkt, die paritätisch besetzt wurden und deren Entscheidungen Könige vorweg zu akzeptieren versprachen.635 Diese Entwicklung lässt sich insbesondere dann beobachten, wenn Königtum und Kirche grundsätzliche Konflikte um ihr Verhältnis austrugen. Der Aspekt der Unabhängigkeit solcher Schiedsgremien sei daher im Folgenden in den Vordergrund gerückt. Noch vor den Schritten zur Herstellung des Friedens mit Alexander III. war Friedrich Barbarossa nach langer erfolgloser Belagerung der lombardischen Bundesfeste Alessandria auf ein Friedensangebot des Städtebundes eingegangen und hatte eine concordia abgeschlossen, die das Verfahren zum Frieden mit den lombardischen Städten regeln sollte.636 Vorgesehen waren die Niederlegung der Waffen und die Bitte um die Gnade des Kaisers seitens der Lombarden sowie die Gewährung des Friedens durch den Kaiser. Für unseren Zusammenhang ist vor allem interessant, dass man ein Schiedsgremium einrichten wollte, das die Schritte zu einem dauerhaften Frieden festlegen sollte.637 Das Vorhaben scheiterte schließlich daran, dass man sich über die Einbeziehung Alessandrias in den Frieden nicht einigen konnte; nichtsdestotrotz bleibt bemerkenswert, wie präsent der Gedanke der Friedensstiftung mittels Schiedsgremien offensichtlich war. Bei den Unterhändlern für den Frieden mit Papst Alexander wird ebenfalls ihre Unabhängigkeit von der Beeinflussung des Herrschers durch mehrere Quellen hervorgehoben. So ist durch einen Brief des Patriarchen Ulrich von Aquileja bezeugt, bei der Bestellung des Erzbischofs Wichmann von Magdeburg zu einem der Schiedsleute Friedrich Barbarossas habe der Kaiser durch Eid versprochen, sich Wichmanns Anordnung (mandato) und seinen Ratschlägen (consiliis) zu unterstellen.638 Passend dazu spricht Kardinal Boso in seiner Vita Papst Alexanders III. davon, dass Friedrich den Magdeburger Erzbischof Wichmann, den Mainzer Erzbischof Christian, den gewählten Wormser S. dazu oben das Schiedsgremium auf dem Würzburger Hoftag 1121 bei Anm. 558, das Heinrich V. zum Gehorsam gegenüber dem Papsttum verpflichtete; vergleichbar ist auch das 1125 gebildete Gremium, das einen neuen König bestimmen sollte, jedoch zu keiner Einigung kam; vgl. dazu SCHLICK, König, Fürsten und Reich, S. 89 ff. 636 Vgl. DD F I, Nr. 638, S. 136 f.; dazu LAUDAGE, Alexander III. und Friedrich Barbarossa, S. 193 ff. 637 Vgl. DD F I, Nr. 638, S. 136 Z. 25–40: quod tres persone debent eligi a parte domini imperatoris et tres ex parte civitatum … Et isti sex debent arbitrari predicta usque ad medium madium. Et si dissenserint in aliquo, tunc consules Cremone debent ea predicta arbitrari de eo, de quo dissenserint, inde ad quindecim dies; s. auch Romuald von Salerno, Chronicon, S. 264, Z. 8–10. 638 Die Edition des Briefs bei PEZ, Thesaurus, 6.1, S. 422, Nr. 4: Per Wecelonem vero de Camino … didicimus, quod Magdeburgensis Archiepiscopus, et W. Episcopus, quorum mandato et consiliis Dominus Imperator in infirmitate super negotio Ecclesiae se iure, uti fertur, iurando supposuit, Romanam Curiam pro pacis reformatione adierint; s. dazu GÖRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas, S. 163 mit Anm. 361 und weiteren Hinweisen. 635

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­ ischof Konrad und den Protonotar Wortwin zu Papst Alexander geschickt B habe „mit der Vollgewalt (plenaria potestate), den Frieden zwischen Reich und Kirche abzuschließen“.639 Boso berichtet überdies in diesem Zusammenhang, dass Barbarossas eigene Fürsten dem Kaiser gedroht hätten, ihm keine Unterstützung mehr zu geben, wenn er nicht seinen Frieden mit der Kirche mache.640 Haben also nach vielen vergeblichen Versuchen Friedrichs, Papst Alexander vom Stuhle Petri zu entfernen, die Fürsten ihren eigenen Kaiser, ganz ähnlich wie im Jahre 1121, zu einem Richtungswechsel seiner Politik genötigt, den sie dann selbst durch ausgewählte Vertreter bewirkten? Direkt und persönlich war Friedrich Barbarossa in der Tat nur an der ersten Verhandlungsrunde zum Frieden beteiligt, als mehrere Kardinäle Alexanders III. ihn in Pavia aufsuchten, nachdem der Lombardenbund 1175 darauf bestanden hatte, die päpstliche Seite in die Friedensverhandlungen des Kaisers mit den oberitalienischen Städten einzubeziehen. Vorausgegangen waren bereits erste Sondierungen seines Vertrauten Bischof Eberhard von Bamberg, der im Auftrage Barbarossas dessen grundsätzliche Bereitschaft übermittelt hatte, nicht weiter gegen Alexander vorzugehen. Wir sehen also auch hier zunächst einmal die übliche Verfahrensweise, dass ein vertrauter Unterhändler die Lage sondiert, was im Erfolgsfalle zu einer höherrangigen Gesandtschaft der an­ deren Seite führt, die die Verhandlungen fortsetzt.641 Vor einer vollständigen Anerkennung Alexanders schreckte Barbarossa anscheinend in dieser Phase noch zurück, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, wie dies gehen solle. Ihm scheint eine stillschweigende Anerkennung durch Duldung vorgeschwebt zu haben; jedenfalls scheint er versucht zu haben, förmliche Akte der Anerkennung, die der Kaiser öffentlich durchzuführen hatte, zu vermeiden. Einer ­solchen Lösung standen ja seine Würzburger Eide, Alexander niemals anzuerkennen, auch nachhaltig entgegen. Der Unterhändler aber wurde mit der vollen Wucht der gregorianischen Ansprüche des Papsttums konfrontiert, die auch Alexander immer noch als unverhandelbar ansah: „Wenn er zu den Schafen gerechnet werden will, die Gott dem heiligen Petrus zu weiden befahl, weshalb weigert er sich dann, vor demselben Apostelfürsten seinen Nacken zu beugen und sich der recht­ gläubigen Einheit anzuschließen?“642 Hiermit war nur wenig verblümt die Hauptforderung des Reformpapsttums im 11.  Jahrhundert wiederholt, dass die Könige die höhere Stellung des Papstes anerkennen und ihm Gehorsam Vgl. Boso, Liber pontificalis 2, S. 433 Z. 33. Ebd., S. 433, Z. 25 ff. 641 Vgl. dazu zusammenfassend unten nach Anm. 921. 642 Vgl. Boso, Liber pontificalis 2, S. 422; hierzu und zum Folgenden s. vor allem GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S.  421  ff., der die auch hier eingenommene Perspektive auf die Verhandlungen grundlegend erarbeitet hat; zur päpstlichen Gehorsamsforderung vgl. ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, S. 44 ff. und S. 189 ff. 639

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leisten sollten, weil nirgendwo geschrieben stehe, dass die Könige nicht zu den Schafen gehörten, die dem heiligen Petrus von Christus zur Obhut anempfohlen worden waren.643 In Pavia verhandelten die alexandrinischen Kardinäle dann sowohl mit dem Kaiser allein wie auch mit ihm im Beisein seiner Berater, wie auch mit den ­Beratern allein, ohne jedoch die grundsätzlichen Hindernisse ausräumen zu können, die sich nach Boso, dem Papstbiographen, darin konkretisierten, dass Barbarossa Eingriffsmöglichkeiten in geistliche Belange forderte, „die keinem Laien zugestanden werden können“.644 Welche Forderungen dies konkret waren, sagt Boso leider nicht. Da auch die Verhandlungen mit dem Lombardenbund an der Frage der Feste Alessandria scheiterten, ging man in Pavia auseinander, ohne Ergebnisse erzielt zu haben. Dennoch bedeutete dies keinen Abbruch der Friedensbemühungen. Die Forschung hat einige Indizien zusammengetragen, welche Kräfte vor allem für den Fortgang dieser Bemühungen verantwortlich waren. Wichtig scheint vor allem die Bemerkung Bosos, dass die weltlichen wie geistlichen Fürsten der Umgebung Friedrichs die Fortsetzung der Friedensbemühungen ohne die Person Friedrichs versucht hätten, jedoch ohne seine Zustimmung zu ihrer Haltung in den konträren Verhandlungspunkten zu erhalten.645 Einschneidende Wirkung könnte deshalb eine Erkrankung Barbarossas im Sommer 1176 gehabt haben, die ihm die Notwendigkeit eines Friedensschlusses mit der Kirche klarmachte, wollte er nicht riskieren, als Exkommunizierter vor das Gericht Gottes treten zu müssen.646 Wie dem auch sei, jedenfalls setzte man die Verhandlungen mit Alexander III. im Herbst 1176 in Anagni in deutlich anderer Weise fort, weil die Erzbischöfe Wichmann von Magdeburg und Christian von Mainz, der Bischof Konrad von Worms sowie der Protonotar Barbarossas, Wortwin, in den Verhandlungen mit Alexander und seinen Kardinälen nun mit der schon zitierten plenaria potestas auftreten konnten. Sie waren von Barbarossa offensichtlich ermächtigt, unabhängig von ihm und ohne Rückfragen für ihn einen Frieden auszuhandeln. Man darf annehmen, dass Friedrich darauf vertraute, die ­Bischöfe würden alles unternehmen, um einen ihm genehmen Frieden zu ­erreichen. Ergebnis der mehr als zweiwöchigen Verhandlungen war der sog. Vorvertrag von Anagni, der generelle und auch detaillierte Friedensverein­ Vgl. zu diesbezüglichen Äußerungen Gregors  VII. bereits ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, S. 44 f. 644 Vgl. Boso, Liber pontificalis 2, S. 431: ipse in cunctis modum nimis excedens, et ab Ecclesia in spiritualibus postulavit quod nulli umquam layco invenitur fuisse concessum; s. dazu GÖRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas, S. 160 ff. 645 Vgl. Boso, Liber pontificalis, S. 431, 17–27. 646 Vgl. dazu ausführlich und mit plausiblen Argumenten GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 428 ff. 643

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barungen in Aussicht nahm und schriftlich fixierte. Er war durch intensive Verhandlungen der genannten kaiserlichen Schiedsrichter mit Papst Alexander III. und seinen Ratgebern zustande gekommen. Damit war nur Barbarossa, nicht Papst Alexander von direkter Beteiligung an der Suche nach einem Ausgleich ausgeschlossen gewesen. Den anvisierten Frieden gründete man in den Verhandlungen auf „kirchenrechtliche Autoritäten, kaiserliche Privilegien und alte Gewohnheiten sowie tausend Begründungen“.647 Gleich zu Beginn fixierte der Vertrag das, was er als „das Erste und Wichtigste“ bezeichnete, dass nämlich Friedrich Barbarossa sowie seine Gemahlin und sein Sohn (Heinrich VI.) Alexander als Papst anerkennen und ihm die schuldige Ehrerbietung (debita reverentia) bezeigen sollten.648 Es scheint dringend nötig, klarzustellen, was sich hinter dieser Formulierung verbirgt, da man ihre Brisanz leicht überliest. Da wir anlässlich des späteren Abschlusses des Friedens in Venedig, dessen vertragliche Vereinbarungen weitgehend identisch mit den Formulierungen von Anagni waren, von verschiedenen Autoren hören, was Friedrich dem Papst an „schuldiger Ehrerbietung“ leistete, sei hier vorweggenommen, welche Leistungen des Kaisers die Unterhändler in Anagni unter debita reverentia vereinbart haben dürften. Bei dem Zusammentreffen mit Alexander in Venedig und den mehrwöchigen Feierlichkeiten zum Abschluss des Friedens führte Kaiser Friedrich folgende symbolische Handlungen teilweise mehrfach durch: Er küsste mehrfach zunächst die Füße des Papstes, ehe er von ihm zum Friedenskuss erhoben wurde. Er leistete Alexander mehrfach den sog. Strator- und Marschalldienst, indem er das Pferd des Papstes am Zügel führte und ihm beim Auf- oder Absteigen half. Beide symbolischen Handlungen der Unterordnung hatte man erst im 12.  Jahrhundert in die Rituale der Papst-Kaiser-Begegnungen eingeführt. Friedrich führte den Papst überdies an der Hand in die Kathedrale, vertrieb die Laien aus dem Chor, trat bei der Predigt des Papstes unter die Kanzel, um jedes Wort aufmerksam zu hören. Er suchte den Papst in seinen Privat­ gemächern auf und unterhielt sich mit ihm und den Anwesenden freundlich und scherzend, hierdurch seine neue Gesinnung unter Beweis stellend. Last, not least ehrte er den Papst mehrfach mit reichen Geschenken.649 Vgl. Boso, Liber pontificalis, S. 434, 26 f.: In quo spatio sanctorum Patrum auctoritates, privilegia imperatorum et antique consuetudines atque mille rationes ostense sunt, et super eis diutius est laboratum atque subtiliter disputatum. 648 Vgl. DD F I, Nr. 658, S. 162, Z. 40 ff.: Dominus imperator et domina imperatrix et dominus Heinricus rex filius eorum et principes universi exibent ecclesie Romane, quod primum et principale est, videlicet quod dominum papam Alexandrum in catholicum et universalem papam recipient et ei debitam reverentiam exibebunt, sicut katholici sui antecessores suis catholicis antecessoribus exibuerunt. 649 Vgl. dazu HACK, Empfangszeremoniell, bes. S. 540 ff.; ALTHOFF, Friedrich Barbarossa als Schauspieler?, bes. S.  8  ff.; LAUDAGE, Gewinner und Verlierer des Friedens von 647

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Mit all diesen symbolischen Handlungen „beugte der Kaiser seinen Nacken“ und ordnete sich dem Papst unter, wie dieser es verlangt hatte. Er zeigte zudem, dass er in Zukunft auf das Wort des Papstes hören und ihm ein treuer und gehorsamer Helfer sein werde. Da öffentlich gezeigte symbolische Handlungen die Akteure auf das, was sie dort zeigten, in der Zukunft verpflichteten, hatte Friedrich deutlich gemacht, wie er sein zukünftiges Verhältnis zu Alexander gestalten wollte.650 Und er hatte sich mit seinen öffentlichen Handlungen für die Zukunft fest auf Unterordnung und Gehorsam verpflichtet. Um den ersten und wichtigsten Satz des Vorfriedens von Anagni verständlich zu machen, mussten wir ein wenig vorgreifen. Worauf sich das Schiedsgremium ansonsten geeinigt hatte, muss hier nicht im Einzelnen vorgestellt werden. Paraphiert wurden sowohl allgemeine Absichtserklärungen, die das zukünftige Verhältnis grundsätzlich regeln, als auch konkrete Bestimmungen, die aus dem langjährigen Schisma resultierende Folgen beseitigen sollten. Von besonderem Interesse ist die in einem Paragraphen fast versteckte Neuerung, dass für den Fall, dass sich das Schiedsgremium nach erfolgreicher Herstellung des Friedens zwischen Kaiser und Papst nicht einvernehmlich auf eine Lösung der Probleme von Kaiser und lombardischen Städten einigen könne, bereits die Entscheidung der Mehrheit (maior pars) seiner Mitglieder ausreichen solle.651 Hier macht sich die wachsende Bedeutung des Mehrheitsprinzips, dessen Ursprünge wohl im Bereich kirchlicher und städtischer Entscheidungsfindung liegen, wohl erstmals auch im Bereich des Königtums bemerkbar.652 Der Vorfrieden von Anagni sollte lediglich die Grundlage für die endgültigen Beratungen des Friedens zwischen Kaisertum und Kirche abgeben, deren Ort als Nächstes verhandelt wurde. Zur Frage standen Bologna, Ravenna und Venedig. Als Alexander III. zudem weitere Änderungswünsche gegenüber den Festlegungen von Anagni anmeldete – anstelle eines allgemeinen Friedensschlusses, über den keine Einigung zu erzielen war, sollte mit den Lombarden und mit dem Königreich Sizilien lediglich ein längerer Waffenstillstand vereinbart werden –, fühlten sich die Schiedsleute der kaiserlichen Seite trotz ihrer plenaria potestas aufgerufen, Rücksprache mit dem Herrscher zu nehmen. Dies ­ enedig, S. 107 ff.; GÖRICH, Friedrich Barbarossa, bes. S. 442 mit Anm. 3 und weiterer V Literatur. 650 Vgl. dazu ALTHOFF, Die Macht der Rituale, S. 199 ff.; STOLLBERG-RILINGER, Rituale, S. 201 ff. 651 Vgl. DD F I, Nr. 658, S. 163, Z. 26 ff.: Et postquam de pace inter dominum papam, ecclesiam et imperatorem dispositum fuerit sufficienter, aliquid in tractatu pacis domini imperatoris et Lombardorum emerserit, quod per mediatores componi non possit, arbitrio maioris partis mediatorum, qui ex parte domini pape et domini imperatoris ad id con­ stituti sunt, stabitur. 652 Vgl. dazu DILCHER, Die Entstehung der lombardischen Stadtkommune, S. 80 ff.; KELLER, Die Entstehung der italienischen Stadtkommunen, S.  206  ff.; MALECZEK, Abstimmungsarten. Wie kommt man zu einem vernünftigen Wahlergebnis? S. 101 ff.

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macht schlagend deutlich, dass sie die ihnen zugestandene Unabhängigkeit nicht übermäßig strapazieren wollten. Als sie diese Änderungswünsche Barbarossa vortrugen, zeigte es sich denn auch, wie sehr der Kaiser unter der ihm auferlegten Inaktivität litt: „Er herrschte sie schwer empört an und warf ihnen vor, sie hätten bei dieser Friedensverhandlung mehr für die Ehre des Papstes Alexander und dessen Vorteil als für die Würde des Imperiums gesorgt. Er befahl ihnen daher, zum Papst zurückzukehren und ihm mit Bestimmtheit von seiner Seite vorzutragen, dass er selbst mit ihm und der Kirche gerne Frieden schließe, aber einen Waffenstillstand für den König von Sizilien und die ­Lombarden verweigere.“653 Knut Görich hat gute Gründe dafür vorgetragen, warum die Änderung Barbarossa so erzürnte: Wenn Frieden nur mit dem Papst geschlossen wurde, mit den Lombarden dagegen nur ein Waffenstillstand, entfielen die bei einem allgemeinen Frieden fälligen Unterwerfungsakte der Lombarden und damit fehlte der Unterwerfung des Kaisers unter den Papst das ausgleichende Element. Friedrich war dann der Einzige, der sich temporär demütigenden Akten zu unterziehen hatte – und das war dem Staufer verständlicherweise nicht genehm.654 Er hätte wohl den Eindruck seiner humiliatio vor dem Papst gerne durch die exaltatio angesichts der sich unterwerfenden Lombarden verwischt. Barbarossa beließ es nicht bei diesem Protest, sondern torpedierte die ­Unabhängigkeit seiner Schiedsleute zusätzlich dadurch, dass er über Dritte versuchte, an ihnen vorbei eine neue Verhandlungsebene mit Alexander zu eröffnen und überdies auch auf die Stimmung in Venedig einzuwirken, auf das man sich inzwischen als Ort der endgültigen Friedensvereinbarungen geeinigt ­hatte.655 Das tat er so hartnäckig, dass die entscheidenden Verhandlungen noch vor ihrem Beginn zu scheitern drohten, weil einige Teilnehmer ihre Abreise vorbereiteten. Alexander reagierte auf Friedrichs Vorschläge entschieden und ablehnend. Er wusste offensichtlich, dass mit den inzwischen vier Erzbischöfen von Mainz, Köln, Trier und Magdeburg an der Spitze eine ­seinen Interessen gewogene Gruppe von Schiedsleuten der kaiserlichen Seite eingesetzt war, und verweigerte sich zusätzlichen Verhandlungen. Die Schiedsleute selbst reagierten ihrerseits entrüstet, da Friedrich ihnen ja die plenaria potestas gegeben hatte, den Frieden für ihn zu vermitteln, und sie stellten den Kaiser vor die Wahl: „Da ihr indessen der Herr unserer Leiber, doch nicht der Seelen seid, wollen wir nicht um euretwillen unsere Seelen Vgl. Romuald von Salerno, Chronicon, S. 278: aduersus eos uehementer indignatus infremuit, asserens illos in hoc tractatu pacis magis Alexandri pape honori et commodo, quam dignitati imperii prouidisse. Quare precepit eis, ut ad papam redeuntes firmiter ei ex sua parte proponerent, quod ipse cum eo et ecclesia pacem libenter faceret, sed regis Sicilie et Lombardorum treuguas denegaret. 654 Vgl. GÖRICH, Friedrich Barbarossa; S. 437 f. 655 Ebd., S. 438 f. 653

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verlieren und Irdisches dem Himmlischen voranstellen. Daher nehme eure kaiserliche Klugheit zur Kenntnis, dass wir fürderhin Alexander als katholischen Papst annehmen und in den geistlichen Angelegenheiten ihm als Vater gehorchen werden.“ Trotz der immer noch ehrerbietigen Sprache hatten die Erzbischöfe so dem Kaiser ihre Entschlossenheit deutlich gemacht, die entscheidende Forderung des Papstes – die nach Gehorsam – für sich zu akzeptieren. Erst nach dem Vollzug des Friedens in Venedig gibt es aber einen schriftlichen Beleg dafür, dass sich Friedrich Barbarossa diese Gehorsamsverpflichtung letztendlich auch zu eigen machte.656 Deutlicher konnte man dem Kaiser jedenfalls Entschlossenheit kaum vermitteln, die denn auch ihre Wirkung nicht verfehlte: Friedrich „legte die löwenhafte Wildheit ab, nahm die Sanftmut eines Schafes an und antwortete ihnen voll Demut und freundlich, indem er sagte: ‚Eure Treue möge zur Kenntnis nehmen, dass ich nicht euren Rat aufgeben und dem Vorhaben des Friedens, der durch euch verhandelt worden ist, ausweichen will; vielmehr wollen wir das, was auf euren Rat hin geregelt worden ist, unverbrüchlich beachten.‘“657 Zwar sind die zitierten Nachrichten, die Einblicke in die konkrete Argumentation der Beratung Friedrich Barbarossas mit seinen Schiedsleuten anbieten, aus der Geschichtsschreibung Romualds, des Erzbischofs von Salerno, ­genommen, der der Delegation des normannischen Königs in Venedig angehörte und beobachtender Teilnehmer der Verhandlungen war. Sie bieten daher die Perspektive einer Partei, die Friedrich nicht unbedingt wohlgesonnen war. Andererseits hat sich Romuald in der bisherigen Forschung den Rang eines Kronzeugen verdient,658 so dass seine Angaben in ihrer Tendenz auch hier ernst zu nehmen sind, obgleich der Wortlaut der Argumente vom Autor stilisiert worden sein dürfte. Jedenfalls passt die geschilderte selbstbewusste Vertretung ihrer Position als unabhängige Schiedsleute gut in das Spektrum anderer Überlieferungssplitter, das den Frieden von Venedig maßgeblich auf die selbständige Initiative der deutschen Erzbischöfe zurückführt. Vgl. den zitierten Text bei Romuald von Salerno, Chronicon, S. 283: Sed quia nostrorum estis corporum, non animarum dominus nolumus pro uobis animas nostras perdere et terrena celestibus anteferre. Quare noscat imperialis discretio, quod nos de cetero Alexandrum in catholicum papam recipimus, et ei ut patri in spiritualibus obedimus. Erst in DD F I, Nr. 707, S. 242 vom 17. September 1177 gab Friedrich in der Grußadresse explizit seiner Bereitschaft zum Gehorsam gegenüber Alexander Ausdruck, indem er dem Papst debitam obedientiam et filialis dilectionis affectum versprach. 657 Ebd., S. 283: Quibus auditis, imperator … leonina feritate deposita ouinam mansuetudinem induit, et eis humiliter et benigne respondit dicens: Noscat uestra fidelitas, dilectissimi, quod non est mee uoluntatis consilium uestrum deserere, et pacis per uos tractate propositum euitare, quin potius uolumus ea, que uestro sunt ordinate consilio, firmiter observare; die Übersetzungen sind GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 439 entnommen. 658 Zum Quellenwert Romualds vgl. HOFFMANN, Hugo Falcandus und Romuald von Salerno, S. 116 ff. 656

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V. Stauferzeit

Wir sehen in den Verhandlungen von Venedig also zum zweiten Mal, dass Schiedsgremien in verfahrenen Situationen die Kraft fanden, den Kaisern einen Richtungswechsel ihrer Politik zu oktroyieren, der nicht unbedingt deren vollständige Zustimmung fand. Die dazu nötige Unabhängigkeit der Entscheidung war dem Gremium zuvor zugesichert worden, was nicht heißen musste, dass die Kaiser nicht feste Erwartungen hinsichtlich des Ergebnisses der Beratungen hatten. Es war jedenfalls erforderlich, dass die Vertreter verschiedener Parteien in dem Gremium Einmütigkeit herstellten, was sicher nur in extremen Situationen gelingen konnte. So ist es wohl kein Zufall, dass wir dies zweimal in Situationen beobachten können, in denen es langjährige Konflikte zwischen Päpsten und Kaisern gegeben hatte.659 In beiden Fällen setzten sich nicht die Positionen der Kaiser durch.

4. Konsensherstellung im Konflikt mit Heinrich dem Löwen Fast mehr noch als der Frieden von Venedig gehören bis heute die Ereignisse um den Sturz Heinrichs des Löwen zu den Zentralthemen der deutschen ­Mediävistik. In der älteren Forschung standen die beiden Protagonisten, der Kaiser und der Herzog, als Repräsentanten verschiedener Konzepte von den überzeitlichen Aufgaben des deutschen Volkes: Der Löwe symbolisierte den Vorrang innerstaatlicher Verdichtung und der Expansion nach dem Osten als dauerhafte Ziele der deutschen Politik seit dem 12. Jahrhundert; Friedrich Barbarossa die deutsche Aufgabe der Festigung einer kaiserlichen Hegemonial­ stellung in Europa, gern auch „Weltherrschaft“ genannt. 660 Inzwischen hat die ­moderne Forschung die älteren Wertungen deutlich hinter sich gelassen und nimmt den Konflikt eher zum Anlass radikaler Erinnerungskritik.661 Folgerichtig haben sich zentrale Annahmen hinsichtlich der Motive und Ziele der Akteure verändert, gerade die Rolle Friedrich Barbarossas in dem Geschehen ist einer weitgehenden Revision unterzogen worden.662 Für uns ist der Fall aber deshalb von besonderem Interesse, weil der Verlauf des Konflikts erheblich von vergleichbaren Auseinandersetzungen abweicht. Und dies zeigt sich sehr deutlich in der Art und Weise, wie in diesem Fall beraten und verhandelt wurde. Vgl. hierzu LAUDAGE, Alexander III. und Friedrich Barbarossa, S. 203 mit Anm. 118 und einer Dokumentation älterer und neuerer Arbeiten, die bereits auf diesen Zusammenhang hinwiesen. 660 Exemplarisch etwa die 1944 publizierte Arbeit von MAYER, Friedrich I. und Heinrich der Löwe. 661 Vgl. dazu HECHBERGER, Staufer und Welfen, bes. S.  303  ff.; neuerdings EHLERS, Heinrich der Löwe, S. 220 ff. und 317 ff.; GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 461 ff. 662 Vgl. die (durchaus unterschiedlichen) Akzente bei EHLERS, Heinrich der Löwe, S. 330 ff. und GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 462. 659

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4. Konsensherstellung im Konflikt mit Heinrich dem Löwen

Der Perspektivenwechsel betrifft schon die den Konflikt auslösenden Ereignisse. In Chiavenna, teils auch in Como oder Partenkirchen verorten mehrere Quellen ein persönliches Treffen zwischen Friedrich und Heinrich, bei dem der Kaiser den Herzog eindringlich um persönliche Beteiligung des Letzteren an seinem Italienzug gebeten habe. Man kann dieses Treffen leicht jenen informell-vertraulichen Aktivitäten zuordnen, die in den Quellen als colloquium familiare oder secretum bezeichnet werden und abgehalten wurden, um Entscheidungen „im kleinen Kreis“ vorzubereiten. Das Treffen, so es denn stattgefunden hat, verdankte sich einer ausgesprochenen Notsituation, Barbarossas, als er sich militärisch in der Defensive gegen den lombardischen Städtebund befand und dringend Unterstützung durch neue Heereskontingente benötigte. Zudem geriet der Kaiser selbst bald danach durch die Schlacht von Legnano in eine verschärfte Notsituation und es war einige Tage unbekannt, ob er überhaupt überlebt hatte.663 Die Intensität der in diesem Kontext angeblich ausgesprochenen kaiserlichen Bitte um Hilfe konkretisierte sich in einer ganzen Reihe von Quellen denn auch in der Behauptung, Barbarossa habe sich dem Löwen bittend zu Füßen geworfen, um seine Beteiligung am Heereszug zu erreichen: „Weil dieser (Heinrich) ihm (Friedrich) die Hilfe verweigerte, warf sich der Kaiser ihm zu Füßen und ging damit über das schuldige Maß hinaus. Aber dieser blieb hartnäckig bei seiner Weigerung und hielt es nicht für nötig, seinen Herrn zu er­ hören und den zu seinen Füßen Liegenden aufzuheben.“664 Es ist interessant, aber kaum überraschend, dass diese in mehreren Variationen begegnende ­Geschichte immer weiter mit Details angereichert und verändert wurde. Die Veränderungen zielten dabei zumeist darauf, Argumente für die Position Friedrichs oder Heinrichs in der Frage der Hilfeleistung zu liefern. Welfisch gesonnene Quellen versuchten, die Reaktion des Löwen auf den kaiserlichen Fußfall als sehr behutsam darzustellen und Heinrich so zu exkulpieren; staufische Quellen rückten durch Ausschmückung hochmütiger Reaktionen des Welfen und seiner Anhänger das Verwerfliche und Unakzeptable an Heinrichs Verhalten in den Vordergrund.665 Einig sind sich aber alle Quellen, die den Vorgang erwähnen, dass der Löwe die Bitte abschlägig beschied. Die moderne Forschung hat mit dem Hinweis, dass die ersten Erzählungen von diesem Fußfall erst 20 Jahre nach dem angeblichen Ereignis niedergeschrieben wurden, verstärkt Zweifel an der Faktizität des ganzen GescheVgl. zur Schlacht und zu ihrem Echo in Italien zuletzt GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 381 ff. 664 Vgl. Gislebert von Mons, Chronicon Hanoniense, § 54, S. 94: et cum ille auxilium ei negaret, imperator ultra quam deberet pedibus illius se prostravit; sed ille in sua perdurans nequicia, dominum suum exaudire et ad suos pedes jacentem sprevit relevare. 665 Vgl. zu den unterschiedlichen Positionen der älteren Forschung bereits ALTHOFF, Die Historiographie bewältigt, S. 165 ff. mit Anm. 6 und 7. 663

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hens geäußert, so dass die Szene heute nicht mehr unbesehen als Auslöser zum Sturz des Löwen dargeboten werden kann.666 Für unsere Fragestellung wird sie dennoch nicht wertlos, denn sie zeigt ja zumindest, wie man sich unter Zeitgenossen den Auslöser des Konflikts vorstellte, über den man vielleicht keine wirklich sicheren Kenntnisse hatte. Man hielt es in jedem Fall für plausibel, dass Könige und Kaiser in schwierigen Situationen zu dem Mittel griffen, die Dringlichkeit ihrer Bitten oder Anliegen mittels eines Fußfalls anzuzeigen. Hiermit setzten sie in anderen Fällen ihren Willen durch, weil sie ihr ganzes Prestige mit dieser demonstrativen Verhaltensweise in die Waagschale warfen und den Adressaten des Fußfalls so die Möglichkeit nahmen, die Bitte abzuschlagen.667 Die Verweigerung Heinrichs des Löwen wäre der einzig bezeugte Fall, in dem der Fußfall eines Königs nicht die beabsichtigte Wirkung gezeitigt hätte. Dies aber verdeutlicht auch das Anklagepotential der Behauptung, Heinrich habe sich der Bitte verweigert, und es erklärt zugleich die Bemühungen der welfischen Seite, diesen Makel im Verhalten Heinrichs zu bewältigen. Ob es den Fußfall also gegeben hat oder nicht, in der Erinnerung der Zeit bildete sich ein Wissen um eine intensive Bitte Friedrichs an Heinrich, mit der er dessen militärische Hilfe im Kampf gegen die Lombarden erreichen wollte, eine Bitte, die der Löwe jedoch abschlägig beschied. Dass diese Bitte in irgendeiner Form tatsächlich ausgedrückt und abgewiesen worden sein dürfte, kann angesichts der Vehemenz, mit der um sie gestritten wird, eigentlich kaum zweifelhaft sein. Es fragt sich aber immer noch, ob der Kaiser dies zum politischen Anlass nahm, dem Löwen seine Unterstützung zu entziehen und diese Haltung bis zu dessen Sturz durchzuhalten. Als Alternativlösung käme in Frage, dass es die Fürsten waren, deren langwierige Konflikte mit dem machtbewussten Herzog von Sachsen und Bayern den Anlass gaben, beim Kaiser die Entmachtung seines engsten Vertrauten durchzusetzen. Der Kaiser hätte nach dieser Version lediglich seine frühere Bevorzugung Heinrichs beendet und dem Drängen der Fürsten nachgegeben. Es dürfte einsichtig sein, dass die Entscheidung dieser Frage nicht ohne Folgen für die Beurteilung Friedrichs als Herrscher bleibt. Aber auch für die Einschätzung der Rolle des Herrschers bei Beratungen und Verhandlungen ist eine Antwort auf diese Frage von Gewicht. Zur Entscheidung dieser Frage bietet die Art und Weise, wie der Konflikt geführt wurde, einiges Anschauungsmaterial, weil sie doch signifikant anders ist als das Verhalten in vergleichbaren vorherigen Konflikten. Es lohnt sich daher, der Frage nachzugehen, was es eigentlich bedeutet, dass man in der Vgl. dazu EHLERS, Heinrich der Löwe, S. 220 ff., der an der Faktizität des Ereignisses festhält; GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 483 f. mit dem Referat anderer Positionen. 667 Vgl. dazu einschlägige Fälle bei ALTHOFF, Die Macht der Rituale, S. 123 ff. sowie oben bei Anm. 334 und 424. 666

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causa Heinrichs des Löwen vom bis dahin üblichen Procedere der Bewältigung und Beilegung solcher Konflikte abwich. Dass in der Tat eine beträchtliche Abweichung von den Gewohnheiten vorliegt, sei kurz mit Hinweisen auf die Praktiken verdeutlicht, mit denen man in den Jahrhunderten zuvor vergleichbare Konflikte zwischen Königen und Adligen oder Adligen untereinander beigelegt hatte. Im Vordergrund der Maßnahmen standen seit dem 10. Jahrhundert immer Verhandlungen, die auf eine gütliche Beilegung des Konfliktes zielten und deshalb regelmäßig die Institution des Vermittlers nutzten. Erste Versuche, auch das Königsgericht einzuschalten, beobachten wir seit der Salierzeit, doch trafen solche Versuche auf den Widerstand der Großen und fanden wenig Akzeptanz.668 König Lothar von Supplingenburg erwehrte sich der Opposition der Staufer zunächst mit Waffengewalt. Er legte den Konflikt nach langen, erfolglosen militärischen Bemühungen aber durch Verhandlungen bei, in denen konventionelle Lösungen abgesprochen wurden. Beide staufischen Brüder, Friedrich und Konrad, unterzogen sich ­öffentlichen Unterwerfungsakten, wurden danach aber in den Herrschaftsverband reintegriert und behielten ihre frühere Stellung. Für die Friedensvermittlung hatte die Kaiserin Richenza gesorgt, die eine entfernte Verwandte der Staufer war.669 Der staufische König Konrad  III. setzte sich gegen die welfische Übermacht nach seiner umstrittenen Königserhebung dann in der Tat mithilfe seines ­Königsgerichts zur Wehr, indem er dem die Huldigung verweigernden Welfen Heinrich dem Stolzen zunächst das Herzogtum Sachsen und dann Bayern ­absprechen ließ und diese Herzogtümer an andere Kandidaten vergab. Doch folgte daraus während seiner gesamten Regierungszeit ein Konflikt mit den Welfen, der im Norden durch das jugendliche Alter Heinrichs des Löwen nicht eskalierte, doch im Süden, wo Welf VI. seine Ansprüche auf das bayerische Herzogtum nie aufgab, zu ständigen Fehdehandlungen führte.670 Die gütliche Beilegung des Konflikts erfolgte dort ausgerechnet durch die Vermittlung des jungen Friedrich Barbarossa.671 Als Vermittler und Verwandter beider Konfliktparteien handelte Friedrich so günstige Bedingungen für den Welfen aus, dass diesem selbst die übliche öffentliche Unterwerfung gegenüber dem König erspart wurde. Das angestrebte bayerische Herzogtum bekam Welf VI. allerdings nicht. Vgl. dazu bereits ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, S. 44 ff. und 73 ff. in den Beiträgen „Königsherrschaft und Konfliktbewältigung im 10. und 11. Jahrhundert“ sowie „Königsherrschaft und Konfliktverhalten. Die Welfen im 12. Jahrhundert“. 669 Vgl. die Einzelheiten dazu schon bei BERNHARDI; Lothar von Supplinburg, S. 555 f. und 579; neuerdings Regesta Imperii IV, 1, Lothar III. Nr. 417, S. 266 f.; Nr. 429, S. 272 ff. und Nr. 456, S. 291 f. 670 Vgl. dazu, unter besonderer Berücksichtigung der Stellung Barbarossas in diesen Konflikten, GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 87 ff. 671 Vgl. Historia Welforum, cap. 28, S. 56 f. 668

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Mit einer ganz ähnlichen Situation war Barbarossa dann als König im Falle der Auseinandersetzung zwischen Heinrich dem Löwen und dem bayerischen Herzog Heinrich Jasomirgott konfrontiert, als Letzterer sich weigerte, die Entscheidung des Königsgerichts über die Rückgabe des Herzogtums an den Welfen zu akzeptieren. Wie Heinrich der Löwe im Jahre 1179 hatte auch der bayerische Herzog Heinrich Ladungen missachtet und sich so der contumatia schuldig gemacht.672 Doch hatte dies nicht die gleichen Konsequenzen wie im Falle des Löwen. Vielmehr suchte Friedrich hier mehrfach vertraulichen Kontakt zu seinem Verwandten und Kontrahenten und handelte mit ihm eine Kompromisslösung aus, die dem Babenberger eine privilegierte Herzogsstellung im neu eingerichteten Herzogtum Österreich ermöglichte.673 Das Ausmaß der Kompromissbereitschaft Friedrichs mag man in diesem Fall daran ablesen, dass die gefundene Lösung bis heute als Meilenstein auf dem Wege in eine weitgehend unabhängige Landesherrschaft der Fürsten gilt.674 Den Interessen des Babenbergers wurde also trotz seiner Weigerungen, der Ladung Friedrichs zu folgen, in hohem Maße Rechnung getragen. Aus diesem knappen Überblick über vergleichbare Fälle und die dort praktizierten Lösungen lassen sich einige Folgerungen zum Fall Heinrichs des Löwen ableiten. Zwar sind seit der Salierzeit Versuche der Einschaltung des Königsgerichts in Konflikte zwischen Hochadel und Königen mehrfach zu beobachten. Doch waren sie jeweils umstritten und hatten gegenüber den üblichen Verfahren der gütlichen Beilegung solcher Konflikte unter Einschaltung von Vermittlern wenig Chancen, als endgültige Entscheidungsinstanzen akzeptiert zu werden. Es war gerade die Fürstensolidarität, die in mehreren Fällen eine solche Behandlung eines Standesgenossen kritisierte und verhinderte. Friedrich Barbarossa hatte sowohl als Herzog wie in seinen frühen Jahren als König diese Haltung ebenfalls an den Tag gelegt oder zumindest akzeptiert.675 Im Falle Heinrichs des Löwen hat Friedrich Barbarossa dagegen das gerichtliche Verfahren ganz in den Vordergrund gestellt. Hiervon gibt etwa die vielbehandelte Narratio der Gelnhäuser Urkunde intensiv Zeugnis, die bei der Schilderung der Ursachen und des Verlaufs des Konflikts ausschließlich den Gerichtsgang anspricht und als Schuld des Herzogs allein seine Weigerung, den Ladungen zur Gerichtsverhandlung zu folgen, und die damit zum AusS. dazu oben bei Anm. 592. S. dazu GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 129 ff. 674 Vgl. dazu APPELT, Privilegium Minus, bes. S.  55  ff.; neuerdings die Beiträge in: SCHMID – WANDERWITZ (Hg.), Die Geburt Österreichs. 850 Jahre Privilegium minus. 675 Vgl. hierzu die weiterführenden Überlegungen bei DILCHER, Die Zwangsgewalt und der Rechtsbegriff vorstaatlicher Ordnungen, bes. S. 143 ff., wie schwierig und langwierig sich die Unterordnung des Adels unter königliche Gerichtsbarkeit und Zwangsgewalt gestaltete. 672 673

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druck gebrachte Verachtung (contemptus) dieses königlichen Gerichts und der kaiserlichen Majestät akzentuiert, nicht etwa seine Verweigerung einer Betei­ ligung am Italienzug.676 Es ist interessant, dass vor allem der welfische Autor Arnold von Lübeck in seiner ausführlichen Darstellung des Konfliktverlaufes mehrfach auf Ansätze zu einer gütlichen Einigung in dem Konflikt zu sprechen kommt – und Gründe für ihr Scheitern nennt oder andeutet. Er legt besonderen Wert darauf, zu betonen, dass diese Initiativen von Heinrich dem Löwen ausgingen. Schon als Heinrich den Ladungen zu den Hoftagen nicht Folge leistete, soll er den Kaiser um ein vertrauliches colloquium gebeten haben, was auch in Haldens­ leben zustande kam: „Der Kaiser begab sich auch an den bezeichneten Ort und hier suchte ihn der Herzog mit friedlichen Worten zu besänftigen. Da forderte der Kaiser von ihm 5000 Mark, indem er ihm den Rat gab, diesen Ehrenzoll der kaiserlichen Majestät darzubringen, worauf er dann durch seine Vermittlung vor den Fürsten Gnade finden solle. Ihm aber dünkte das Verlangen, eine solche Summe aufzubringen, zu hart, und er entfernte sich, ohne auf das Wort des Kaisers zu hören.“677 Da Arnold in vieler Hinsicht Heinrich den Löwen in Schutz nahm und Barbarossas Verhalten im Konflikt problematisierte, kann man begründet vermuten, dass er auch hier die kaiserliche Forderung als ­unberechtigt erweisen wollte. In der Tat gibt es ansonsten keine Belege dafür, dass Könige ihre Vermittlungstätigkeit von hohen Geldzahlungen einer Konfliktpartei abhängig machten. Arnold kommt noch ein zweites Mal auf die Bemühungen des Löwen zu sprechen, beim Kaiser eine friedliche Beilegung ihres Konfliktes zu erreichen. In diesem Fall kam es jedoch nicht einmal zu einer persönlichen Unterredung, obgleich Heinrich angeblich beim Eintreffen im kaiserlichen Lager von Rittern Barbarossas ehrenvoll empfangen und „friedlich begrüßt“ worden war. Friedrich soll sich nur auf Verhandlungen über Dritte eingelassen haben, die jedoch keine Ergebnisse zeitigten. Der Kaiser setzte ihm einen Hoftag in Quedlinburg an, wo iustitia mediante entschieden werden sollte. Man ist erstaunt, dass sich dennoch angeblich „alle Freunde des Löwen darüber freuten, weil sie erwarteten, dass dort etwas Günstiges über ihn verfügt werden könnte“.678 Vgl. dazu schon ERDMANN, Der Prozeß Heinrichs des Löwen; neuerdings DENDORFER, Das Lehnrecht und die Ordnung des Reiches, S. 203 ff. 677 Vgl. Arnold von Lübeck, Chronik, II, 10, S. 48: Imperator itaque exivit ad eum ad locum placiti. Quem dux verbis compositis lenire studuit. Imperator autem quinque milia marcarum ab eo expetiit, hoc ei dans consilium, ut hunc honorem imperatoris maiestati deferret et sic ipso mediante gratiam principum, quos offenderat, inveniret. Illi autem durum visum est tantam persolvere pecuniam, et non acquiescens verbis imperatoris discessit. 678 Ebd., II, 22, S. 66 f.: Unde gavisi sunt omnes amici ducis, sperantes aliquid boni ibi de eo ordinandum. 676

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Aus all dem ist eine große Entschlossenheit sowohl Barbarossas als auch der beteiligten Fürsten zu folgern, in diesem Fall den Sanktionsmöglichkeiten eines Gerichtsurteils den Vorzug vor den Möglichkeiten einer gütlichen ­Lösung des Konflikts zu geben, weil die Konfliktparteien sich nichts vom Kompromisscharakter einer gütlichen Lösung versprachen. Sie hätte ja Heinrich den Löwen gewiss, wenn auch vielleicht geschwächt, als politischen Akteur und Konkurrenten im politischen Kräftespiel belassen. Daran konnten weder die Fürsten, die vor allem unter seiner rabiaten Territorialpolitik gelitten hatten, noch der Kaiser nach all seinen vergeblichen Versuchen, das Verhältnis zwischen Heinrich und anderen Fürsten zu befrieden, wirklich Interesse haben.679 Die Alternative, ob Friedrich Barbarossa in der causa Heinrichs „ein Jäger des Löwen“ (so die ältere Forschung) oder ein „Getriebener der Fürsten“ (so Stimmen der jüngeren) gewesen sei, scheint so überspitzt und eine falsch gestellte Frage.680 Viele Indizien sprechen dafür, dass beide Kräfte in den endenden 70er Jahren ein unterschiedlich begründetes, aber gleich vitales Interesse daran hatten, die übermächtige Herrschaftsstellung des Löwen zu zerstören. Deshalb einigten sich Kaiser und Fürsten folgerichtig auf den Weg des Gerichtsverfahrens, da dieses mehr Möglichkeiten der Ausübung von Zwangsgewalt bot als Formen der gütlichen Konfliktlösung, die auf dem Wege der Beratung und Verhandlung Konsens der Konfliktparteien erzeugten und so naturgemäß den Interessen aller Beteiligten stärker Rechnung ­tragen mussten. Der Fall Heinrichs des Löwen bereichert also unser Spektrum an Beispielen, welche Optionen für eine Lösung von Dissens zur Verfügung standen. Auffällig ist hier der Verzicht auf Vermittlung und auch auf ein Schiedsgericht zugunsten einer Kombination der mehrfachen Ladung vor das Königsgericht samt einem Urteil auf Verlust der Lehen wegen hartnäckiger Missachtung dieses Gerichts, das durch militärische Mobilmachung und den Aufmarsch eines Heeres auch durchgesetzt wurde. Dass Heinrich der Löwe sich am Ende dieses „Verfahrens“ auch noch in Erfurt einem Unterwerfungsritual unterzog und sich Barbarossa zu Füßen warf, haben schon Zeitgenossen wie Arnold von Lübeck irritiert aufgenommen, weil er gar keine vollständige Verzeihung fand, wie man eigentlich erwarten durfte, sondern ins Exil nach England ging.

Es genügt, darauf hinzuweisen, dass im langen Jahrzehnt zwischen 1163 und 1176 immer wieder Gruppierungen sächsischer und auch bayerischer Fürsten sich zu coniurationes gegen Heinrich den Löwen verbanden und intensive Konflikte mit ihm führten, die Friedrich Barbarossa und von ihm eingesetzte Vermittler nur mühsam und temporär befrieden konnten; vgl. dazu EHLERS, Heinrich der Löwe, bes. S. 141 ff.; GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 463 ff. 680 Vgl. dazu GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 462, mit Hinweisen auf ältere und jüngere Einschätzungen. Die zitierten Begriffe bei SCHNEIDMÜLLER, Die Welfen, S. 226. 679

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5. Die Sicht eines Praktikers: Gislebert von Mons

5. Die Sicht eines Praktikers: Gislebert von Mons Mittelalterliche Historiographen haben in ganz unterschiedlichem Ausmaß ihre Aufmerksamkeit auf die genaue Darstellung von Beratungen und Verhandlungen gerichtet. Dies mag damit zusammenhängen, dass viele keinen Einblick in die vertraulich geführten Beratungen hatten oder sie sich nicht berufen fühlten, regalia mysteria zu lüften.681 Je stärker jedoch die Darstellungsabsicht der Autoren von aktuellen Problemen beeinflusst war, desto mehr wurden in den Beratungen vertretene Positionen zum schlagenden Argument und Beweis – und desto ausführlicher nutzten die Autoren die Chance, die Vorbereitungen von Entscheidungen zu beschreiben und auch den vorgebrachten Argumenten in ihrer Darstellung Raum zu geben. Wir konnten dies bereits bei dem Karolinger Nithard, bei Thietmar von Merseburg, bei Bruno und Lampert von Hersfeld und nicht zuletzt bei Otto von Freising und Arnold von Lübeck beobachten, deren Darstellungsabsicht sie dazu brachte, die Positionen bestimmter Parteien in Konflikten deutlicher herauszuarbeiten. Im Folgenden steht ein Autor im Mittelpunkt, der durch ein besonderes Interesse an der Darstellung von Beratungen und Verhandlungen auffällt. Und das hat einen einleuchtenden Grund: Er war über lange Zeit der Leiter der Kanzlei der Grafen vom Hennegau und als solcher nicht nur mit der Abfassung der Schriftstücke dieser Kanzlei beschäftigt, sondern auch immer wieder als Gesandter der Grafen in die Beratungen und Verhandlungen ihrer Angelegenheiten involviert.682 Erst am Ende seiner „diplomatischen“ Tätigkeit schrieb er eine Geschichte dieser Grafen vom Hennegau, die auch als Vermächtnis an seine Nachfolger in der Kanzlei konzipiert war und gelesen werden kann. Sie gibt nämlich explizit und implizit Antworten auf viele praktische Fragen: wie man sich auf dem Parkett der Verhandlungen erfolgreich bewegte, welches Auftreten angemessen war und mit welchen Verhaltensweisen und natürlich auch Widerständen man zu rechnen hatte. Die praktische Hilfestellung, die diese Geschichtsschreibung für Akteure im politischen Kräftefeld bietet, geht so weit, dass Gislebert häufig auch detailliert die Stationen des Reisewegs angibt, die seine Herren oder ihre Gesandtschaften wählten.683 Dies dürfte eine wichtige Hilfe für die zukünftigen Reiseplanungen gewesen sein. Er selbst nennt sich überdies vielfach als aktiven Verfechter der Belange seines Herrn und hält sich nicht zurück, die Erfolge seiner Verhandlungsführung ins rechte Licht zu rücken. Allerdings lässt er nie erkennen, dass der handelnde Vgl. dazu die Bemerkung Widukinds von Corvey oben Anm. 262. Zu seiner Person und Geschichtsschreibung vgl. immer noch die detaillierte Abhandlung von KÖNIG, Die Politik des Grafen Balduin V. von Hennegau. 683 Vgl. beispielsweise Gislebert von Mons, Chronicon Hanoniense, § 107, S. 151, 5 ff.; § 109, S. 155, 10 ff.; § 136, S. 203, 22 ff. Vergleichbare Angaben finden sich häufiger. 681

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Gesandte in seiner Geschichtsschreibung und ihr Autor ein und dieselbe Person sind. Am deutlichsten wird sein indirektes Eigenlob an der Stelle, an der er ausführlich beschreibt, mit wie viel Pfründen und anderen Vergünstigungen sein Herr, Graf Balduin, den erfolgreichen Einsatz seines Gesandten Gislebert am Kaiserhof belohnte.684 Durch urkundliche Zeugnisse ist Gislebert seit 1183 als Leiter der gräflichen Kanzlei bezeugt, so dass es kaum Zufall sein dürfte, dass auch in seiner Geschichtsschreibung Erzählungen über Beratungen und Verhandlungen seit diesem Zeitraum besonders eindringlich über eine Fülle von Verhaltensweisen, Argumentationen und sonstige Details berichten. Dies geschieht teilweise in einem knappen, fast formelhaften Stil, aus dem unmittelbar evident wird, auf was der Gesandte offensichtlich sein besonderes Augenmerk richtete. So schiebt der Autor etwa immer wieder knappe Hinweise ein, dass Per­ sonen verdeckt Versuche der Einflussnahme auf Mächtige starteten, von denen er nur erwähnt, ob sie erfolgreich waren oder scheiterten. Gislebert charakte­ risiert diese Versuche stereotyp mit den Worten laborare und efficere. Verwandte, Freunde oder Gesandte einer Person „bearbeiteten“ etwa den Herrscher immer wieder vertraulich, um eine Begünstigung für diese Person zu erreichen. Das konnte Erfolg haben, aber auch nichts bewirken. Jedenfalls sind für Gislebert solche Vorstöße integraler Bestandteil der Politik, die stark davon beeinflusst wird, ob eine Beziehung durch gratia (Huld), familiaritas oder Freundschaft geprägt war. Zwar wird dies ansatzweise in allen unseren Untersuchungskapiteln erkennbar, nirgendwo wird die Intensität dieser Technik der Einflussnahme aber so deutlich angesprochen wie bei Gislebert. Charakteristisch ist überdies, mit welcher Selbstverständlichkeit er immer wieder berichtet, dass in solchen Situationen dem Kaiser wie seiner Umgebung verdeckt Geldangebote gemacht wurden, um seine Unterstützung bestimmter Vorhaben zu erreichen.685 Sie scheinen gleichfalls ein integraler Teil des Ringens um Huld und Gnade gewesen zu sein. Es sei im Folgenden daher mithilfe eines close reading an einigen Beispielen von Beratung und Verhandlung, die längere Zeit Gisleberts Aufmerksamkeit fanden, verdeutlicht, wie viel Ein­ blicke in Verhaltensweisen auf diesem Felde seine Art der Geschichtsschreibung bietet und ermöglicht. Ebd., § 149, S. 230: Tacendum autem non est, sed palam proferendum, ut universis ad serviendum dominis suis fideliter exemplum detur, quod unus nunciorum istorum, scilicet Gislebertus clericus, duas prebendas, quas tantummodo habebat, absente et nesciente domino suo comite Hanoniensi, pro promotione domini sui negotii, duobus in curia dedit; qui eciam duas antea ad voluntatem domini sui resignaverat. Dominus autem comes pro bona ipsius voluntate, servicium fidele ei remunerans.. Dann folgt die Aufzählung von sieben Pfründen. 685 Vgl. hierzu schon STEHKÄMPER, Geld bei deutschen Königswahlen des 13. Jahrhunderts; neuerdings GÖRICH, Geld und „honor“; KAMP, Geld, Politik und Moral. 684

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Schon zum Jahre seines Eintritts in die Kanzlei des Grafen (1183) lenkt ­ islebert die Aufmerksamkeit auf eine komplexe und delikate VerhandlungsG sache, die nach mehreren Jahren dazu führte, dass der Graf vom Hennegau durch Kaiser Friedrich Barbarossa zum Markgrafen von Namur und zum Reichsfürsten erhoben wurde. Ihren Sinn bekam diese außergewöhnliche Förderung eines Grafen im westlichen Grenzgebiet vor allem dadurch, dass Friedrich Barbarossa dringend regionale Gegengewichte gegen den mit ihm in ­dieser Zeit verfeindeten Erzbischof von Köln und seinen Anhang sowie gegen den französischen König brauchte.686 Der Versuch einer deutlichen Verschiebung der Kräfteverhältnisse durch die staufischen Herrscher brachte aber alle interessierten Kräfte der Region auf den Plan, die sich aller erlaubten und unerlaubten Mittel bedienten, dies zu fördern oder zu verhindern. Als Beginn notiert Gislebert programmatisch, „dass der Graf vom Hennegau auf die Huld des römischen Kaisers bezüglich der Länder seines Onkels, des Grafen von Namur und Luxemburg, mit allen Mitteln hinarbeiten wollte“.687 Man muss wissen, dass der Graf von Namur zu der Zeit schon älter und kinderlos war und Graf Balduin vom Hennegau als nächster Verwandter begründete Erbansprüche auf dessen Eigengüter und Lehen stellen konnte – wenn auch nicht allein. Gislebert notiert denn auch schon im ersten Teil seines Werkes mehrfach, dass es schon früher konkrete Absprachen zwischen dem Grafen von Namur und dem Grafen vom Hennegau gegeben hatte, die Balduins Hoffnung auf Nachfolge (spes succedendi) durch schriftliche Vereinbarungen und durch die Eide der Leute des Grafen von Namur auf eine rechtliche Grundlage stellten.688 Überdies wird Gislebert nicht müde, immer wieder zu unterstreichen, dass der Graf vom Hennegau seinem Onkel in allen Auseinandersetzungen tatkräftig und auf eigene Kosten geholfen hatte.689 Dies dient ihm als ­Argument, um die Versuche Graf Heinrichs von Namur zu kritisieren, das Erbe anders zu vergeben. Balduin hielt sich 1183 bei seinem Vorstoß an die gängigen Verhaltensmuster: Er schickte zunächst zwei Gesandte aus dem Kreis seiner milites an den Ausführliche Behandlung der Vorgänge in der älteren Literatur bei TOECHE, Heinrich VI., S. 64 ff.; sehr detailliert und materialreich auch KÖNIG, Die Politik des Grafen Balduin V. von Hennegau; neuerdings GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S.  510  ff., der die komplexen Auseinandersetzungen mit guten Gründen zu den Folgeerscheinungen des Sturzes Heinrichs des Löwen rechnet. 687 Gislebert von Mons, Chronicon Hanoniense, § 107, S. 150: Eodem anno, cum dominus comes Hanoniensis pro gratia domini imperatoris Romanorum super terra avunculi sui comitis Namurcensis et Lusceleborch omnimodis laborare vellet. 688 Ebd., § 33, S. 60 ff.; § 71, S. 110 ff., dort S. 111 mit der Formulierung: comes Namurcensis comiti Hanoniensi, suo tunc dilectissimo nepoti, fidelitates et securitates ab hominibus suis nobilibus et servilis conditionis, super possessionibus suis in spe succedendi, interpositis iuramentis, renovari fecit. 689 Ebd., § 65, S. 103 f.; § 71, S. 110 ff. 686

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Kaiserhof, die Gislebert als sehr erprobt und fähig kennzeichnet. Man wird aber auch sagen können, dass er mit diesen Gesandten den Kaiser keineswegs unter Druck setzte. Es wäre ein Leichtes für Barbarossa gewesen, das Anliegen dieser Gesandtschaft zu ignorieren oder dilatorisch zu behandeln. Gislebert erwähnt in diesem Zusammenhang denn auch lakonisch, dass ein anderer Bittsteller, der für sich und seinen Bruder hinsichtlich einer Grafschaft „ar­ beiten“ wollte, nichts erreichen konnte. Solche Vorstöße blieben mit einiger ­Sicherheit im Interesse aller Beteiligten vertraulich und schlugen so keine hohen Wellen, wenn sie scheiterten. Die Reaktion Barbarossas auf die Gesandten aus dem Hennegau aber war überaus positiv: „Der Kaiser antwortete den Gesandten (nuntiis) gütig, dass der Graf vom Hennegau in eigener Person zu ihm kommen solle.“690 Man wird dies gewiss als einen großen Hulderweis auffassen dürfen, der bereits ziemlich ­unzweideutig zum Ausdruck brachte, dass der Kaiser den Plan des Grafen zu fördern bereit war. Der Graf verstand denn auch und brach nun mit immerhin zwölf seiner Lehns- und Gefolgsleute, die Gislebert namentlich aufführt, zur Pfalz Hagenau auf, die er am Sonntag Laetare Jerusalem erreichte. Zuvor hatte er sich vom Grafen von Namur, dem Erblasser, der zu dieser Zeit offensichtlich noch mit dem Vorhaben einverstanden war, Bittbriefe an den Kaiser besorgt, die dessen Zustimmung zu dem Projekt zum Ausdruck brachten.691 Schon unter kaiserlichem Geleit ist der Graf vom Hennegau nach Hagenau gezogen und wurde von Barbarossa und seinen beiden Söhnen Heinrich und Friedrich gütig empfangen. Über alle fraglichen Besitzungen des Grafen von Namur „räumten sie ihm ihre Huld ein und damit seine Bitte abgesichert würde, bestimmten sie ihm einen Hoftag für Pfingsten in der Stadt Mainz“.692 Als Treffpunkt in Aussicht genommen war damit das bis heute berühmte Hoffest von Mainz im Jahre 1184, das eine bisher nie erreichte Zahl von Großen und Rittern vorgeblich vor allem zur Schwertleite der Söhne Barbarossas zusammenführte und in vielen Quellen ein nachhaltiges Echo fand.693 Dass die Politik im Zusammenhang dieses Festes nicht zu kurz kam, machen nicht nur die Bemerkungen Gisleberts deutlich.694 Ohne dass Gislebert explizit darauf zu sprechen kommt, sehen wir am bisherigen Verlauf des gräflichen Vorstoßes, dass er von den Akteuren zunehEbd., § 107, S.  151: Dominus vero imperator, nuntiis domini comitis Hanoniensis benig­ne respondens, comiti Hanoniensi ut ad se in propria persona veniret mandavit. 691 Ebd.: per Namurcum, ubi avunculus suus comes Namurcensis litteras deprecatorias ad dominum imperatorem concessit. 692 Ebd.: et super omnibus possessionibus comitis Namurcensis gratiam suam ei concedentes, ut sanius et plenius fieret ejus peticio, diem sibi constituerunt in festivitate pentecostes apud Manguntiam civitatem. 693 Vgl. dazu BUMKE, Höfische Kultur, S. 276 ff., aus historischer Sicht MORAW, Die Hoffeste Kaiser Friedrich Barbarossas. 694 Zu anderen Beratungen auf dem Mainzer Hoffest s. unten bei Anm. 835. 690

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mend mehr in die Sphäre mittelalterlicher Öffentlichkeit verlegt wurde. Blieb die erste Botschaft der Gesandten Balduins mit einiger Sicherheit noch vollständig im Bereich des Vertraulichen, kann dies für einen unter kaiserlichem Geleit stehenden Zug des Grafen vom Hennegau und seiner zwölf Gefolgsleute zum Herrscher nach Hagenau kaum noch gelten, zumal diese ja gewiss nicht ohne standesgemäße Begleitung unterwegs waren. Gütiger Empfang und vertrauliche Verhandlungen dürften das Ihre dazu beigetragen haben, dass die Hofgesellschaft aufmerksam wurde. Schließlich dürfte die noch größere Öffentlichkeit des Hoffestes von Mainz für den nächsten Schritt des Unternehmens wieder bewusst gewählt worden sein, wobei bewusst bleiben muss, dass zu Lebzeiten des Grafen von Namur allenfalls Anwartschaften oder Expektanzen auf das Erbe sichtbar gemacht werden konnten – eine Entscheidung hat Friedrich Barbarossa zu diesem Zeitpunkt denn auch nicht gefällt, sondern dem Grafen nur auf demonstrative Weise seine und seiner Söhne Huld versichert und ihm so auch zukünftige Gewogenheit versprochen, was eine sichere Hoffnung auf Realisierung des Erbplanes begründete. Gislebert geht ausführlich darauf ein, wie viele Hindernisse und politische Probleme sich dem Vorhaben noch vor dem Mainzer Hoffest in den Weg stellten. Der französische König kam in Konflikte mit dem Grafen von Flandern, den der Graf vom Hennegau als Lehnsmann zu unterstützen hatte, obgleich seine Tochter Elizabeth die Gemahlin des französischen Königs war. Eine Verwicklung in diese Konflikte brachte den Grafen vom Hennegau aber in die Nähe von politischen Kräften, die den Staufern höchst suspekt waren. Zu allem Überfluss betrieben einflussreiche Kräfte in Frankreich die Scheidung des ­Königspaares, während der Graf von Flandern durch neidische und übelwollende Kräfte darüber informiert wurde, dass der Graf vom Hennegau sich dem französischen König angeschlossen habe und ihm keine Hilfe mehr leisten wolle. All dies führte nach Gislebert dazu, dass der nichts ahnende Graf vom Hennegau sich vom Grafen von Flandern für den Mainzer Hoftag unterstützende Fürsprache beim Kaiser erbat, doch der Graf ihm durch seine Boten beim Kaiser eher zu schaden versuchte.695 Hier wird die verbreitete Technik fassbar, dass man sich für anstehende Beratungen mit dem Herrscher Fürsprecher und Unterstützer verschaffte, was in diesem Falle jedoch misslang. In den Wirren dieses politischen Kräftespiels konnte man durch unvorsichtiges Taktieren leicht die Huld der staufischen Seite verlieren. Dennoch gerieten die Verabredungen für das Mainzer Hoffest offensichtlich nicht in die Krise. 695

Gislebert von Mons, Chronicon Hanoniense, § 109, S. 154 f.: comes Hanoniensis, qui ad curiam Maguncie celebrandam pro hereditate sua perquirenda ire proposuerat, comitem Flandrensem, ejus suspectionis ignarus, postulavit … ut ipse dominum imperatorem et consanguineum suum Henricum regem, imperatoris filium, pro eo per nuntios suos rogaret; quod comes Flandrie ei concessit et promisit; attamen per nuncios suos … comiti Hanoniensi, quem iuvare promiserat, si potuisset nocuisset.

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In großer Ausführlichkeit schildert Gislebert den Auftritt des Hennegauer Grafens und seines Gefolges auf diesem Hoffest und akzentuiert zunächst vor allem die Ehren, die dem Hennegauer vom Kaiser öffentlich zuteil wurden, sowie die Pracht, die die Hennegauer entfalteten.696 Besonders wichtig ist ihm zu erwähnen, dass es einen Streit der mächtigsten Reichsfürsten gegeben habe, wer des Kaisers Schwert tragen dürfe, als dieser und sein Sohn Heinrich zu Pfingsten „unter der Krone“ gingen. Trotz des Anspruchs, den angeblich drei Herzöge und der Landgraf von Thüringen für sich erhoben, habe der Kaiser an diesem Fest die Funktion des Schwertträgers dem Grafen vom Hennegau zu­ gestanden und niemand habe widersprochen.697 Man kann sich heute fragen, ob der erfahrene Gislebert die Funktion dieses Schwertträgerdienstes richtig verstanden und wiedergegeben hat: Von einem Streit der ranghöchsten Fürsten um diesen Dienst hört man nämlich nur von ihm und in keinem anderen der vielen einschlägigen Fälle. Viele andere Beispiele machen vielmehr deutlich, dass der Dienst von den Kaisern nur von Personen gefordert wurde, die zuvor Zweifel an ihrer Loyalität und Dienstbereitschaft hatten aufkommen lassen.698 Indem sie öffentlich das Schwert des Kaisers trugen, gaben sie das nötige Versprechen zukünftiger Dienstbereitschaft ab und verpflichteten sich so öffentlich dem Herrscher. Für eine besondere Ehrung der Schwertträger bestand – da sie zuvor an ihrer Loyalität Zweifel hatten aufkommen lassen – in den vielen anderen Fällen nicht der geringste Anlass, und sie werden auch nie als eine solche Ehrung dargestellt. Eine diesbezüglich gleiche Absicht Barbarossas anzunehmen, ergibt auch im Falle des Grafen vom Hennegau guten Sinn, weil dieser zum ersten Mal am Hofe weilte und so ein öffentliches Bekenntnis seiner Dienstbereitschaft gegenüber den Staufern angesichts seiner anderen Bindungen und Verpflichtungen durchaus erwünscht und nötig war. Wenn diese Interpretation in die richtige Richtung geht, hätte Gislebert den Sachverhalt zugunsten seines Herrn deutlich verformt. Außerdem aber erwähnt er Einzelheiten über Balduins vertrauliche Verhandlungen mit Friedrich Barbarossa, die sehr ungewöhnliche Einblicke in die Verhandlungsführung und ihre Themen erlauben. Graf Balduin habe mit einem ebenfalls erbberechtigten Verwandten, dem Herzog Bertold von Zähringen, eine Vereinbarung treffen und diesen um des Friedens willen mit einer Abfindung von 1600 Mark reinen Silbers Kölner Prägung zu einem Erbverzicht Ebd., S.  155. Gislebert schildert die prächtige Aufmachung der Hennegauer wie ihrer Diener und erwähnt zudem, dass diese mehr und prächtigere Zelte gehabt hätten als die anderen Fürsten. 697 Ebd., S. 156: Cum autem in coronamento illo principes potentissimi gestamentum gladii imperialis de jure reclamarent … dominus imperator gladium illum comiti Hanoniensi commisit gestandum. 698 Vgl. ALTHOFF – WITTHÖFT, Services symboliques, bes. S. 1301 ff. 696

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bewegen wollen. Als der Kaiser von diesem Vorhaben hörte, überzeugte er den Grafen, das nicht zu tun, weil es doch sehr wahrscheinlich sei, dass der Herzog von Zähringen eher sterbe als der Graf von Namur. Der Graf vom Hennegau ließ sich von diesem praktischen Rat leiten und in der Tat verstarb der Herzog vor dem Grafen von Namur.699 So sparte der Graf vom Hennegau viel Geld. Auf den eigentlichen Fortschritt, der in diesen Verhandlungen erzielt wurde, geht Gislebert dagegen nur mit wenigen Sätzen ein: „Der Herr Kaiser der Römer verbriefte dem Grafen vom Hennegau seine Huld über sämtliche Güter seines Oheims, des Grafen von Namur, sowohl dessen Eigengüter als auch die Lehen, und bestärkte ihm dies gemäß dem Rat seiner Genossen und ihrer Vereinbarung und mithilfe der Ausführung des Notars dieses Grafen, Gislebert, durch sein Privileg.“700 Dieses kaiserliche Privileg hat sich erhalten, so dass wir mit seiner Hilfe erkennen können, wie weit in Form und Inhalt das Projekt im Rahmen des Hoftages vorangetrieben worden war. In seiner Geschichtsschreibung geht Gislebert auf den Inhalt des Vertrages vielleicht deshalb nicht ein, weil er ja in der gräflichen Kanzlei eingesehen werden konnte. Er charakterisiert aber sehr lobend einige Vertraute des Kaisers, die sich offensichtlich in dieser Sache für den Grafen vom Hennegau eingesetzt hatten. Da die Abfassung des Vertrages nicht den Gewohnheiten der königlichen Kanzlei entspricht, geht man davon aus, dass die Formulierung von Gislebert selbst vorgenommen worden sein dürfte, wie er in dem zitierten Satz auch andeutet. Der Vorgang ist als Erhebung in den Reichsfürstenstand aufgrund mehrerer Beispiele gut bekannt:701 Der Graf vom Hennegau sollte zunächst dafür sorgen, dass dem Reich das ganze Allod des Grafen von Namur durch diesen selbst oder den Grafen vom Hennegau übertragen („aufgelassen“) würde. Danach versprach der Kaiser, dieses Allod und alle Lehen, die der Graf Heinrich von Namur vom Reich hielt, Balduin zu Lehen geben und aus Lehen und Allod eine Markgrafschaft des Reiches zu machen, die der Graf vom Hennegau vom Kaiser empfangen und aufgrund derer er als Reichsfürst (princeps imperii) bezeichnet werden und sich des Privilegs des Reichsfürsten(standes) erfreuen solle. Es folgen noch Bestimmungen über die Erbfolge in dem neuen Herrschaftsgebiet, die Verpflichtung des Sohnes Barbarossas, im Falle von dessen frühzeitigem Tod die Vereinbarungen gleichfalls durchzuführen, sowie die Zahlungspflichten Balduins gegenüber den Herrschern und der Kaiserin, die 699 700

701

Vgl. Gislebert von Mons, Chronicon Hanoniense, S. 161. Ebd., S. 161: Dominus autem imperator Romanorum comiti Hanoniensi gratiam suam super omnibus bonis avunculi sui comitis Namurcensis, tam allodiis quam feodis, concessit, et ei secundum consilium sociorum suorum et eorum dispositionem et Gisleberti ipsius comitis notarii ordinationem privilegio suo confirmavit. Vgl. DD F I, Nr. 857, S. 90 f. Klassisch zu solchen Erhebungen in den Reichsfürstenstand immer noch FICKER, Reichsfürstenstand, hier § 72, S. 107 ff.; neuerdings STÜRNER, Dreizehntes Jahrhundert, S. 108 mit Anm. 12 und weiteren Hinweisen.

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sich auf moderate 800 Mark Silber bzw. 5 Mark Gold belaufen. Die Abmachung bezeugten auf kaiserlicher Seite zwei Bischöfe, zwei leitende Mitglieder der kaiserlichen Kanzlei, zwei Grafen und vier Reichsministerialen; von Seiten des Grafen sind in der Urkunde fünf seiner Leute genannt, die zum Teil auch von Gislebert als seine Begleitpersonen beim Mainzer Hoffest erwähnt werden. Bis hierin gibt das Fallbeispiel beredtes Zeugnis dafür, welche Wirkung eine entschlossene Parteinahme für die Staufer, wie sie der Graf vom Hennegau praktizierte, in einer prekären politischen Lage entfalten konnte. Sie brachte die Huld der Herrscher mit sich und ihre Bereitschaft, die Parteinahme angemessen zu belohnen. Mehr als eine schriftlich fixierte Absichtserklärung war damit aber noch nicht erreicht. Wer nämlich annähme, durch diesen Vertrag mit dem Kaiser sei das Vorhaben Balduins rechtlich gesichert und allseits akzeptiert gewesen, den ernüchtern die weiteren Ausführungen Gisleberts, der aus den nächsten sechs Jahren über eine Fülle von Initiativen im politischen Kräftefeld des westlichen Teils des Reiches und in Frankreich berichtet, die darauf zielten und dafür sorgten, dass die anvisierte Rangerhöhung des Grafen vom Hennegau in ernste Gefahren geriet. Es ist erstaunlich, was sich die von der Rangerhöhung und dem Machtzuwachs des Grafen vom Hennegau Betroffenen alles einfallen ließen, um dessen neue Stellung zu torpedieren. Weil vor allem Friedrich Barbarossa konsequent zum Grafen vom Hennegau stand, gelang es allerdings immer wieder, die angespannte Lage in Beratungen und Verhandlungen zu entschärfen, über die Gislebert detailliert Rechenschaft gibt. Dunkle Wolken hatte Gislebert bereits auf dem Mainzer Hoffest heranziehen sehen, da „auf jenem Hoftag Gesandte des Grafen von Flandern anwesend waren, um für diesen Grafen die Hilfe des Königs Heinrich, des Kaisers Sohn, und des Erzbischofs von Köln und vieler anderer gegen den französischen König zu erlangen.“702 Diese Hilfe hat nach Gislebert die Gesandtschaft auch erreicht, was sich sehr zum Schaden für den Grafen vom Hennegau ausgewirkt habe. Man hat vermutet, dass Friedrich Barbarossa und sein Sohn in dieser Zeit bewusst zwei verfeindete Parteien unterstützt haben könnten, um möglichst viele Trümpfe in dem Kräftespiel des Westens in der Hand zu halten.703 Wie dem auch sei, diese Aktivitäten führten 1185 nach vielen Wirren und Ausgleichsversuchen dazu, dass Graf Philipp von Flandern bei König Heinrich VI. gegen den französischen König und den Grafen vom Hennegau eine „schwere Klage“ (gravem querimoniam) erhob. Man wollte so offensichtlich den Grafen vom Hennegau dazu bringen, seine Beziehung und sein Bündnis mit dem Gislebert von Mons, Chronicon Hanoniense, S. 162: In curia illa fuerunt nunciii predicti comitis Flandrensis, ut auxilium regis Henrici, imperatoris filii, et archiepiscopi Coloniensis et aliorum multorum comes Flandrie contra regem Francorum haberet. 703 Vgl. TOECHE, Heinrich VI., S. 51. 702

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König von Frankreich zu beenden.704 König Heinrich versprach Graf Philipp Hilfe und forderte den Grafen vom Hennegau in scharfer Form (districtius) auf, zu ihm zu kommen. Der willigte ein, aber erst nachdem er sicheres Geleit zugesagt bekommen hatte, weil am Hofe Heinrichs sich mächtige Männer, wie der Erzbischof von Köln sowie die Grafen von Flandern und von Löwen aufhielten, die seine Feinde waren. Gislebert referiert dann ausführlich die Streitpunkte, die dort mündlichpersönlich verhandelt wurden, und gibt so auch Einblicke in das Klima und die Argumentation einer kontroversen Beratung:705 König Heinrich verlangte zunächst herrisch von dem Grafen vom Hennegau, er müsse dem Grafen von Flandern gegen den französischen König helfen und auch den königlichen Truppen seine Burgen im Hennegau öffnen und ihnen den Durchzug durch sein Land erlauben. König Heinrich wollte offensichtlich militärisch auf der Seite des Grafen von Flandern in die Auseinandersetzungen eingreifen. Schon durch diese unzweifelhafte Parteinahme dürfte dem Hennegauer klar geworden sein, dass er durch eine falsche Reaktion die Huld des jungen Staufers verlieren könne. Aus dieser schwierigen Lage fand Balduin jedoch einen klugen Ausweg. Der Graf vom Hennegau antwortete zunächst, dass er sich wundere, dass der Graf von Flandern im Falle seines ligischen Lehnsherrn (des französischen Königs), mit dem er neuerlich doch Frieden geschlossen habe und von dem er als sein Mann und Freund geschieden sei, und dem er auch keine Fehde angesagt habe, nun auf dessen Schaden hinarbeite. Damit hatte er sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er sich nur ungern gegen den französischen König verpflichten lassen wollte. Dann gab er aber zu, dass er dem Grafen von Flandern helfen müsse. Leider sagt er hier nicht, welche Bindung diese Verpflichtung begründete, da er doch immerhin der Schwiegervater des französischen Königs war.706 Überdies erklärte er, dass er den Leuten des römischen Königs seine Burgen nicht übergeben müsse und ihnen auch nicht den Durchzug durch sein Land erlauben müsse, weil dadurch die Verwüstung seines Landes drohe. Er befinde sich nämlich in der Mark des Römischen Reiches und Frankreichs und müsse sein Land in deren Kriegen schützen. Damit brachte er normative Vorstellungen ins Spiel, die aus den regionalen Gewohnheiten stammten. Deren Geltungsan-

Vgl. Gislebert von Mons, Chronicon Hanoniense, § 121, S. 188: ut ab amore et confederatione regis Francorum separeretur. 705 Ebd., S. 189 f. 706 Vgl. ebd., § 59, S. 99 f. die confoederatio zwischen den beiden aus einem früheren Jahr, die im Zusammenhang einer Heirat zwischen beiden Adelsfamilien geschlossen worden war und die wohl die Begründung für die Hilfsverpflichtung abgibt. S. dazu unten bei Anm. 752. 704

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spruch ist für uns schwer einzuschätzen; dass Balduin sie vortrug, zeigt aber immerhin, dass er ihren Anspruch hoch einschätzte. Außerdem sagte der Graf vom Hennegau, dass er das ganze Land Hennegau vom Bischof von Lüttich, der anwesend sei, zu Lehen erhalten habe, von dem er niemals abgefallen sei, und alle seine Pflichten als Lehnsmann erfüllt habe. Und schließlich sagte der Graf vom Hennegau, wenn aber sein Herr, der Bischof von Lüttich, etwas über sein Land und seine Burgen zu sagen habe, dann sei er sofort bereit, nach dem Rat seiner Standesgenossen nach Recht Genug­ tuung zu leisten. Damit hatte er sich einigermaßen geschickt um eine eigene Entscheidung gedrückt und wohl darauf gesetzt, dass ihm der Bischof von Lüttich nicht in den Rücken fallen würde. Darauf bot der Bischof von Lüttich, nachdem er den Rat seiner Kirche und seiner Leute eingeholt hatte, dem römischen König an, wenn jemand etwas gegen seinen getreuen Grafen zu sagen habe, werde er mit ihm verfahren, wie seine Standesgenossen, die Reichsfürsten, urteilten.707 Diese Stellungnahme rettete offensichtlich den Grafen vom Hennegau, denn es unterstützte niemand aktiv die Forderungen König Heinrichs an ihn. Er konnte vielmehr die Versammlung (curia) ungestört verlassen, hatte aber damit zu rechnen, dass ihm die heftige Missgunst König Heinrichs drohte, weil dessen versuchter Angriff ganz offensichtlich gescheitert war. Hiervon blieb er allerdings nach Gislebert mit Gottes Hilfe verschont, weil der Graf von Flandern mit dem französischen König einen Waffenstillstand schloss, ohne sich zuvor mit dem römischen König abzusprechen. Damit war die kurze Allianz zwischen König Heinrich VI. und dem Grafen von Flandern beendet. Die Episode zeigt also auch, wie schnell sich die politische Wetterlage gleich mehrfach ändern konnte. Welche Ziele König Heinrich mit seiner Unterstützung des Grafen von Flandern verfolgte, lässt sich nicht zuletzt deshalb nicht genauer erkennen, weil Gislebert sich hierzu nicht äußert. Für unsere Fragestellung ist die verbale Auseinandersetzung zwischen König Heinrich VI. und dem Grafen vom Hennegau, die durch eine querimonia des Grafen von Flandern beim König ausgelöst wurde, deshalb von besonderem Interesse, weil hier beide Parteien ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber artikulieren, welche Verpflichtungen sie aus bestehenden Beziehungen ableiten. Es ist beachtlich, wie deutlich Balduin vom Hennegau dem römischen König Heinrich widerspricht, auf dessen Huld er doch angesichts der Erbfragen angewiesen war. Seine Argumentation, die sich auf seine Verpflichtung zum Schutz seines Landes und seine alleinige rantwortlichkeit gegenüber seinem Lehnsherrn, dem Bischof von Lüttich, beruft und König Heinrich jede Hilfe verweigert, scheint deshalb erfolgreich, weil sie mit den in der Region praktizierten Gewohnheiten in Einklang steht. Jedenfalls unterstützte der ­Bischof von Lüttich mit seiner Intervention die Position des Hennegauers deut707

Vgl. ebd., S. 190: de eo quicquid pares sui principes imperii judicarent, faceret.

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lich, auch wenn er scheinbar konziliant jeder Klage gegen ihn nachgehen wollte. Auffällig ist überdies, welchen Stellenwert bei dieser Auseinandersetzung um Rechte und Pflichten der Rat und die Stellungnahme der eigenen Getreuen offensichtlich hatten. Sowohl der Graf vom Hennegau wie auch der Bischof von Lüttich machen ihr Verhalten davon abhängig, was Lehnsherren bzw. Getreue als richtig ansehen. Dazu passt, dass Gislebert bei allen seinen Berichten über Beratungen und Verhandlungen dieser Art in großer Genauigkeit aufführt, welche Gefolgsleute der Parteien anwesend waren. Ihnen kam als Ratgebern für fällige Verfahrens- und Entscheidungsschritte allem Anschein nach große Bedeutung zu. Zwei Jahre später verursachte Graf Heinrich von Namur dann die nächste Krise der hennegauischen Pläne, als er seine verstoßene Gattin wieder zu sich nahm und mit ihr noch eine Tochter zeugte. Damit jedoch nicht genug, schloss er einen Heiratsvertrag zwischen dem Grafen Heinrich von der Champagne und seiner noch nicht einjährigen Tochter Ermensind und versprach diesem heimlich die Erbschaft seines ganzen Landes, obgleich dieser Graf bereits zuvor geschworen hatte, die Tochter des Grafen vom Hennegau zu heiraten. Drahtzieher dieser Intrige waren nach Gislebert der Erzbischof von Köln, der Graf von Flandern und der Herzog von Brabant, die alle ein Interesse daran hatten, einen Anhänger der Staufer nicht zu stark werden zu lassen.708 Als der Graf vom Hennegau hiervon erfuhr, schickte er sofort zwei seiner bewährten Gesandten, unter ihnen den Kanzler Gislebert, zu Kaiser Friedrich Barbarossa, um ihm diese Entwicklung anzuzeigen und seine Meinung darüber zu erfahren. Der Kaiser gab offensichtlich eine formelle responsio, wie man der nicht eindeutigen Bemerkung Gisleberts wohl entnehmen darf: „Diesen (sc. den Gesandten) antwortete der Herr Kaiser bei Toul während der Feierlichkeit des Pfingstfestes, dass nach dem Hinscheiden des Grafen von Namur und Luxemburg alle Lehen von ihm (dem Kaiser) vergeben würden, und er sie niemandem übertrüge als allein dem Grafen vom Hennegau, dem er die Lehen und Eigengüter auf dem Mainzer Hoftag bereits bestätigt habe; auch in den Eigengütern des Grafen von Namur würde er niemanden aus dem Westfrankenreich jenem nachfolgen lassen.“709 Gislebert berichtet mehrfach davon, dass der Graf vom Hennegau solche Anfragen an den Kaiser stellte und jeweils eine formelle Antwort bekam. Wir fassen hier also die Technik, verbindliche Aussagen über eine strittige Frage durch eine formelle Anfrage einzuholen, aufgrund derer der Kaiser dann entweder selbst eine responsio formulierte oder aber einen oder mehrere Fürsten um eine sententia bat.710 Ebd., S. 190: instinctu Coloniensis archiepiscopi et comitis Flandrie et ducis Lovaniensis. 709 Ebd., § 129, S. 196. 710 S. dazu unten Anm. 714 und 717. 708

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Als sich die Gesandten mit dieser Botschaft auf die Heimreise machten, versprach der Kaiser dem Grafen vom Hennegau noch viele Wohltaten (bona). Friedrich Barbarossa hatte sich also erneut auf seine Zusage festgelegt und die Erwähnung der „Feierlichkeit des Pfingstfestes“ als Zeitpunkt der kaiserlichen Antwort lässt zumindest die Annahme zu, dass die Gesandten diese Antwort in formeller Form und öffentlich erhielten, was für eine verstärkte Bindung Barbarossas an seine Aussage gesorgt haben dürfte. Dennoch ging der Streit um das Erbe auf regionaler Ebene weiter. Graf Heinrich von der Champagne kam nämlich ungeachtet der kaiserlichen Stellungnahme, von der wir nicht sicher wissen, ob sie ihm überhaupt bekannt war, wenig später nach Namur, erneuerte zusammen mit seinen Lehnsleuten sein Heiratsversprechen und nahm seine einjährige Braut mit sich. Der Graf von Namur ließ bei diesem Treffen seine Leute Sicherheiten geben, dass sie nach seinem Ableben die hier und jetzt getroffenen Vereinbarungen einhalten würden. Es verdient wieder hervorgehoben zu werden, dass beide Grafen darauf bedacht waren, ihre Lehnsleute jeweils in ihre Abmachungen einzubinden und sie so auf deren Einhaltung festzulegen. Als der Graf vom Hennegau von diesem Treffen erfuhr, kam er „ohne Waffen“ zu dieser Versammlung und mahnte den Grafen von Namur und seine Leute, die älteren Vereinbarungen mit ihm und seinen Eltern einzuhalten. Auch den Grafen von der Champagne mahnte er eindringlich, dass er seine Rechte nicht usurpieren solle. Er erinnerte ihn auch daran, dass dieser und seine Leute, die hier anwesend seien, schon früher geschworen hätten, dass er seine Tochter zur Gemahlin nehmen werde.711 Es war also möglich, ungeladen auf einer solchen Versammlung der Gegenpartei aufzutreten und seinen ­Anspruch argumentativ zu vertreten, ohne dass dies zum Ausbruch von Gewalt führen musste. Aller Widerspruch und alle Einwände des Grafen vom Hennegau, die offensichtlich auf dieser Versammlung Auge in Auge vorgebracht wurden, nützten jedoch nichts, nach Gislebert gaben die Leute des Grafen von Namur, teils durch das Geld des Grafen von der Champagne, teils durch die Furcht vor dem Grafen von Namur veranlasst, ersterem Treueversprechen und Huldigung.712 Erneut wandte sich der Graf vom Hennegau durch seine Gesandten an Friedrich Barbarossa, als dieser seinen Großen einen Hoftag zu Worms angesagt hatte. Er fand mit seinem Anliegen auch sofort Gehör. Vor dem Kaiser und seinen Fürsten durften die Gesandten, unter ihnen wieder Gislebert, die Rechtsposition des Grafen vom Hennegau in allen Einzelheiten darlegen und die alten und neuen Sicherheiten und Privilegien vorstellen. Diesmal geschah dies mit Sicherheit in der Öffentlichkeit der Fürsten, denn „diese wunderten 711 712

Ebd., § 132, S. 198. Ebd.

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5. Die Sicht eines Praktikers: Gislebert von Mons

sich alle über die Niedertracht des Grafen von Namur, dass er seinen Neffen, den Grafen vom Hennegau, der sein Verteidiger gegen alle Menschen gewesen war, so in seinem Recht betrogen hatte.“713 Der Kaiser zog aus dieser Unter­ suchung vor allen Fürsten und anderen adligen Männern die nötige Konsequenz und sagte: „dass, solange er selbst lebe, der Graf von der Champagne oder ein anderer mächtiger Fürst der Franzosen dem Grafen von Namur ­niemals in dessen Gütern nachfolgen würden.“714 Und wieder schieden die Gesandten mit der Huld des Herrschers vom Hoftag. Diese Unterstützung Kaiser Friedrichs genoss der Graf vom Hennegau auch weiterhin. Friedrich wollte ihn 1187 sogar als Ratgeber zum Treffen mit dem französischen König Philippe Auguste mitnehmen, obgleich ihn dieser zuerst aufgefordert hatte, dort als sein Ratgeber aufzutreten. Nach Gislebert agierte Balduin dort dann angeblich als summus consiliarius beider Herrscher, obgleich Balduin, weil er zum Reich gehöre, sich entschieden hatte, Friedrich Barbarossa zu dem Treffen zu begleiten.715 Beide Herrscher, und das will Gislebert hervorheben, wussten genau um das besondere Vertrauen, das der Graf vom Hennegau beim jeweils anderen Herrscher genoss und das wollten beide zu ihren Gunsten einsetzen. Andererseits arbeitete auch der Graf von der Champagne selbst und durch seine Oheime, den Reimser Erzbischof, den Grafen Theobald und den Herzog von Burgund, bei Kaiser Friedrich anlässlich dieses Treffens darauf hin, hinsichtlich der terra Namur seine Huld zu gewinnen, aber sie hatten damit keinen Erfolg.716 Selbst der französische König verwandte sich in dieser Frage angeblich mehr für den Grafen vom Hennegau als für den Grafen von der Champagne. Trotz des Misserfolges dieser Vorstöße bleibt zu notieren, dass sich offensichtlich so gut wie alle einflussreichen Personen, die Verbindungen zu einer der Parteien hatten, aufgerufen fühlten, sich in der Angelegenheit für diese zu verwenden. Dies führte zu einer unablässigen Folge von Initiativen, mit denen Einfluss zu nehmen versucht wurde. Dabei ging es weniger um neue Argumente oder Vorschläge zur Lösung des Problems als um den Einsatz von Fürsprache, deren Gewicht sich nach der Bedeutung der fürsprechenden Person beim Adressaten bemaß. Personen, die Entscheidun713

714 715 716

Ebd., S. 199: Quod audientes universi, super perfidia comitis Namurcensis mirati sunt, quod nepotem suum comitem Hanoniensem, qui ejus defensor contra omnes homines fuerat, ita in jure suo defraudaverat. Ebd.: universis audientibus principibus et aliis viris nobilibus, dixit et asseruit, quod dum ipse viveret, comes Campanensis in tantis bonis nequaquam succederet. Ebd., § 136, S. 201. Ebd., S. 203: In colloquio equidem illo comes Campanensis apud dominum imperatorem per se et per patruos suos, Willelmum scilicet Remensem archiepiscopum et comitem Theobaldum et consobrinum suum ducem Burgundie, super terra comitis Namurcensis, ut ejus gratiam haberet, laborabat, sed nihil ei profuit.

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gen zu treffen hatten, mussten sich angesichts dieser Einflussnahmen gut überlegen, wen sie mit ihrer Entscheidung begünstigen und wen sie vor den Kopf stoßen wollten. Hierin lag aber wohl der tiefere Sinn solcher Fürsprachen. Man wird solches Verhalten auch in vielen anderen Fällen unterstellen dürfen, auch wenn wir selten so ausführlich unterrichtet werden, wie dies durch Gislebert geschieht. Als dann jedoch der Graf vom Hennegau aktiv wurde, um die alten Zusagen durch Barbarossa erneuern zu lassen, verwies dieser ihn darauf, dass er dies nicht ohne die Zustimmung und Anwesenheit seines Sohnes tun wolle, der zu dieser Zeit in Italien weilte. Er versprach dem Grafen vom Hennegau zugleich, dass er seinen Sohn nach dessen Rückkehr selbst um seine Zustimmung und Huld in dieser Frage bitten werde. Auch der Kaiser arbeitete also mit dem Mittel der Fürsprache und der Bitte, hinter denen natürlich das Gewicht seines Amtes stand. Dies dürfte Balduin dennoch nicht gänzlich gefallen haben, da er sich der Huld Heinrichs VI. wegen der Vorfälle um die Öffnung seines Landes wohl nicht in gleicher Weise sicher sein konnte wie der des Kaisers. Gislebert äußert sich hierzu jedoch nicht. Als Graf Balduin 1188 den zurückgekehrten König Heinrich in Ingelheim traf, erlebte er eine positive Überraschung. Der junge Herrscher begegnete ihm nämlich gütig und freundschaftlich (benigne et amicabiliter) und versprach Balduin, sich selbst beim Vater für sein Anliegen verwenden zu wollen. Er schickte Personen seines Vertrauens zum Kaiser und verwandte sich seinerseits bei diesem für den Grafen, was auch dem Kaiser gefiel. So bestätigten sie gemeinsam mit ihren Privilegien die alten Ansprüche, was sie so zuvor noch nicht getan hatten.717 Gislebert betont, dass auch Heinrichs neue Gemahlin Konstanze, die eine Verwandte des Grafen vom Hennegau war, mit ihren Bitten zu intervenieren bemüht gewesen sei. Dieser Rückhalt des Grafen vom Hennegau am Kaiserhof überzeugte dann auch den Grafen von Namur, seine entgegenlaufenden Pläne aufzugeben und eine neue pax und concordia mit ihm zu schließen. Er schien nun bereit, von allen Vereinbarungen mit dem Grafen von der Champagne zurückzutreten und dem Grafen vom Hennegau sein Erbe zuzuwenden.718 Wie angespannt dennoch das Verhältnis der beiden blieb, macht die Tatsache überdeutlich, dass der Graf von Namur kurze Zeit später dem Grafen vom Hennegau den Zugang zu seiner Burg verwehrte, als dieser ihn besuchen wollte. Ausgelöst worden war der neuerliche Zwist durch die strenge Rechtsprechung des Grafen vom Hennegau, der einen Übeltäter hatte verbrennen lassen. Deshalb hatten die Gefolgsleute des Grafen von Namur diesen gegen den Grafen vom Hennegau aufgehetzt und erreicht, dass er wieder Gesandte an den Grafen 717 718

Ebd., § 139, S. 207 f. Ebd., S. 208 f.

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von der Champagne schickte, um von ihm bewaffnete Hilfe zu erbitten.719 Als der Graf von Namur sogar mit Gewalt drohte, beriet sich der Graf vom Hennegau zunächst mit seinen Leuten mit dem Ergebnis, dass sie verlangten, vor ihrem Rückzug den Grafen von Namur zu sprechen. Vor allen Zuhörern löste dann der Graf vom Hennegau formell sein Verhältnis zum Grafen von Namur, indem er ihm Folgendes entgegenhielt: „Herr, ich habe in guter Treue, mit Mühe und auf eigene Kosten, nach eurem Willen den Schutz und die Gerechtsame eures Landes übernommen. Ich sehe und höre aber, dass dies euch und euren Ratgebern missfällt, da ihr mich eure Burg zu verlassen zwingt, was gewiss weder euch noch mir ehrenvoll zu sein scheint. Ich will daher, wenn es euch gefällt, dass ihr mich von der zum Pfand gesetzten Treue und dem geleisteten Eid für euer Wohlergehen und den Frieden vollständig befreit weg­ schickt.“720 Dies war so formvollendet und zugleich wirkungsvoll formuliert, dass dem Grafen von Namur nur einfiel zu antworten, er könne sein Land mit seinen Leuten allein beschützen. Mit diesem Akt hatten die beiden ihr bisheriges Verhältnis aufgelöst, was natürlich die Erbangelegenheit neuerlich in eine Krise brachte. Dem Grafen vom Hennegau wurde denn auch bei der wieder aufflackernden Fehde mit dem Grafen von der Champagne schnell deutlich, dass viele seiner Verwandten, Freunde, Nachbarn und Getreuen als seine Helfer ausfielen, weil sie die gleichen Bindungen auch an seine Gegner hatten – und er so auf sich allein gestellt blieb.721 Gislebert resümiert, dass Graf Balduin in dieser Zeit weder vom französischen König noch vom Grafen von Flandern Unterstützung erwarten konnte und dass ihm sogar einige von Drohungen der staufischen Herrscher gegen ihn berichteten.722 In dieser Situation suchte Balduin vom Hennegau dennoch erneut sein Heil in der Unterstützung durch die staufischen Herrscher und fand sie auch im erhofften Maße. Obgleich Balduin nicht einmal persönlich ins Reich reisen konnte, fanden seine bewährten Unterhändler, unter ihnen wieder Gislebert selbst, gnädige Aufnahme und Hilfe durch Heinrich VI., der im Ergebnis ein Gespräch zwischen den beiden Staufern und dem Hennegauer im sächsischen Altenburg in Aussicht stellte. Zuvor hatten die Gesandten ihm eindringlich klarmachen können, dass der Graf vom Hennegau die Burgen seines Oheims notwendigerweise besetzen musste, weil

Ebd., § 142, S. 116. Ebd., S. 218 f.: Domine, ego bona fide cum labore et expensa propria assumpseram per voluntatem vestram terre vestre protectionem et justiciam. Video autem et audio quod et vobis et consiliariis vestris displiceat, cum vos me a burgo vestro exire coegeritis; quod quidem nec vobis nec mihi honestum videtur. Volo igitur, si vobis placeat, a fide interposita et juramento prestito pro bono et pace vestra me liberum prorsus dimittatis. 721 Ebd., § 147, S. 224 ff. schildert Gislebert ausführlich diese Problematik. 722 Ebd., § 144, S. 222 f. 719

720

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ihm die Enterbung drohte.723 Damit wird klar, bis in welche Details der Herrscher auch mit den Gesandten eines Grafen verhandelte. Als Balduin dann den vereinbarten Termin nicht selbst wahrnehmen konnte, reisten wieder die beiden Gesandten in Eilmärschen zu den staufischen Herrschern, die ihretwegen ihren Aufenthalt in Sachsen um drei Tage verlängerten. Schon diese Einzelheiten der Berichterstattung Gisleberts sollen nicht zuletzt die ungewöhnliche Bevorzugung vor Augen führen, die der Graf vom Hennegau durch die Staufer erfuhr. Gislebert unterstreicht diese Ausnahmestellung des Grafen vom Hennegau aber noch durch eine andere Geschichte, die gleichfalls über die Rahmenbedingungen solcher Verhandlungen interessante Auskünfte gibt. Im Auftrage des Grafen von der Champagne sei zur gleichen Zeit nämlich der Bischof Petrus von Toul am staufischen Hof gewesen. Er habe dem Kaiser und dem König je 5000 Mark, der Königin 1000 Mark, dem Hof 1000 Mark und neben anderen den Ratgebern des Hofes 1700 Mark versprochen, wenn er ihre Huld hinsichtlich der Besitzungen des Grafen von Namur und ihre Hilfe und Kräfte gegen den Grafen vom Hennegau bekäme. Sollten sie aber ihm keine Hilfe gegen den Grafen vom Hennegau gewähren wollen, sondern nur ihre Huld, versprach er ihnen noch die Hälfte der genannten Summen. Als aber die Boten des Grafen vom Hennegau angekommen waren, seien die Worte und Versprechungen des Bischofs sofort gering geachtet und ihm die Erlaubnis zur Abreise eingeräumt worden. Die Boten des Grafen vom Hennegau hätten dann für versprochene 1500 Mark die Huld des Kaisers und des Königs erhalten, wobei ihnen zudem erlaubt worden sei, die Summe in drei Raten zu zahlen.724 Die Erlaubnis zur Abreise für den Bischof von Toul war damit gleichbedeutend mit der Aussage gewesen, dass weitere Bemühungen in seiner Sache zwecklos seien.

Ebd., § 148, S. 227: Cum autem ei insinuassent plenius, quomodo comes Hanoniensis ex necessitate castra avunculi sui occupaverat, quia exheredationem sibi videbat imminere. 724 Ebd., S. 229: Erat enim ibidem dominus Petrus Tullensis episcopus, homo discretus et vividus, missus ad dominos imperatorem et regem pro parte comitis Campanensis, promittens ex parte comitis Campanensis domino imperatori 5 milia marchas, et domino regi 5 milia marchas et domine regine mille marchas, et curie mille marchas et ultra aliis curie consiliariis circiter 1700 marchas, ita inquam quod eorum gratiam super possessionibus comitis Namurcensis, et auxilium et vires contra comitem Hanoniensem haberet; si autem contra comitem Hanoniensem auxilium ferre nollent, saltem pro eorum gratia tantummodo habenda, medietatem omnium que nominate sunt promittebat. Cum autem nuncii comitis Hanoniensis advenissent, statim ipsius episcopi verbis et promissis spretis, ipsi episcopo licentia recendendi concessa est. Nuncii quidem comitis Hanoniensis per promissas 1550 marchas gratiam domini imperatoris et domini regis obtinuerunt, de quibus solvendis terciam partem in natali Domini, terciam in pascha Domini, terciam vero post decessum comitis Namurcensis, vel post concordiam inter eos factam, inducias habuit. 723

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So gelang es angesichts der unerschütterlichen Huld der Staufer zugunsten des Grafen vom Hennegau und angesichts des Geschicks seiner Unterhändler zu vereinbaren, dass der Graf vom Hennegau durch König Heinrich VI. bald in der vorgesehenen Weise zum Markgrafen von Namur erhoben und in den Reichsfürstenstand aufgenommen werden sollte. Ihm wurde daraufhin von verschiedenen Großen Geleit bis Worms gegeben, wo ihn König Heinrich mit friedlichem und heiterem Antlitz empfing. Hier wurden unter dem Zeugnis verschiedener Reichsfürsten mit Erzbischof Konrad von Mainz an der Spitze von Graf Balduin vom Hennegau zunächst alle Eigengüter des Grafen von Namur König Heinrich übergeben. König Heinrich vereinigte dann alle ­A llodien, Lehen, familiae und Kirchen in den fraglichen Grafschaften, die zum Imperium gehörten, und machte aus ihnen ein Fürstentum, das Mark genannt wird, und er gab diese Mark dem Grafen vom Hennegau zu ligischem Lehen. So wurde der Graf vom Hennegau Reichsfürst und Markgraf von Namur. Allerdings gebot der Kaiser seinen Getreuen Schweigen hierüber, bis der Graf von Namur entweder gestorben sei oder der Graf vom Hennegau mit ihm eine Übereinkunft getroffen habe. Daraus darf man mit einiger Gewissheit folgern, dass er die Umsetzung dieser Entscheidung für nicht unproblematisch hielt. Heinrich VI. fühlte sich folgerichtig verpflichtet, etwas für den Frieden zwischen dem Grafen vom Hennegau und dem Grafen von Namur zu tun. Er setzte daher beiden einen Tag in Löwen an. Dorthin kam der Graf vom Hennegau mit seinen Ratgebern und vielen anderen. Sie kamen waffenlos, während der Graf von Namur mit 100 bewaffneten Rittern erschien und der ihn unterstützende Herzog von Brabant sogar mit 300 Rittern. Dieser anmaßende Auftritt beleidigte verständlicherweise König Heinrich schwer und belastete die Friedensverhandlungen, die denn auch nur einen halben Erfolg brachten. König Heinrich entließ zunächst den Grafen von Namur und versuchte lediglich den Grafen vom Hennegau und den Herzog von Brabant zu versöhnen, was schließlich auch gelang. Die detaillierten Bestimmungen dieses Friedens wurden durch Geiseln gesichert und sollten auch in den Ländern beider Partner den Gefolgsleuten verkündet werden.725 Auch hierdurch wird wieder der Einbezug der Getreuen in die Abmachungen ihrer Herren deutlich, der gewiss die Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen fördern sollte. Überdies aber rät dieses Beispiel, auch die Bedeutung demonstrativer Handlungen im Umfeld der Beratung ernst zu nehmen. Wer schwer bewaffnet zu Friedensverhandlungen kam, zeigte in aller Deutlichkeit, dass es ihm an dem nötigen Willen zum Frieden fehlte. So etwas geschah nicht aus Unachtsamkeit, sondern war als Machtdemonstration und Provokation gedacht und wurde auch so aufgefasst. Wie eng andererseits die Zusammenarbeit zwischen Hein725

Ebd., § 150, S. 233 f.

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rich VI. und dem Grafen vom Hennegau geworden war, zeigt schließlich auch die Bemerkung Gisleberts, der König habe dem Grafen versprochen, falls er einen seiner Söhne zum Kleriker machen lasse, werde er ihm nach 15 Jahren entweder einen der Erzbischofsstühle von Köln, Mainz oder Trier oder aber den Bischofssitz von Lüttich geben. Man sieht hieran, wie weit vorausschauend Netzwerke geknüpft wurden. Allerdings ging der Graf vom Hennegau nicht auf dieses Angebot ein, sondern alle seine Söhne blieben Laien.726 Auch andere Große waren in dieser Zeit intensiv darum bemüht, Frieden zwischen den verschiedenen Konfliktparteien zu stiften. So der französische König zwischen dem Grafen von der Champagne und dem Grafen vom Hennegau, was aber nicht zum Erfolg führte; der Graf von Flandern zwischen dem Herzog von Brabant und dem Grafen vom Hennegau; der Erzbischof Philipp von Köln zwischen dem Grafen von Namur und dem Grafen vom Hennegau. Dies geschah in aller Regel auf dem Wege eines colloquium, zu dem sich die Konfliktparteien und die Friedensstifter persönlich trafen und auf dem dann Friedensvereinbarungen und Genugtuungsleistungen verabredet wurden, von denen Gislebert detailliert Zeugnis gibt.727 Als im Jahre 1190 König Heinrich VI. durch Gislebert von Mons dann schließlich mittels der Briefe des Kölner Erzbischofs und des Grafen von Namur der Frieden zwischen dem Hennegauer und dem Namurer zur Kenntnis gebracht wurde, verkündete er endlich auch öffentlich, dass er aus Namur und anderen Gebieten eine Mark gemacht, sie dem Grafen vom Hennegau als ligisches Lehen übertragen und ihn so mit Zustimmung einiger Fürsten zum Markgrafen und Reichsfürsten gemacht habe. Dies tat er in der Erwartung, dass diese Entscheidung nun alle Reichsfürsten anerkennen würden. Als dies jedoch der Herzog von Brabant hörte, brachte er vor, „dass er durch diese Erhebung in seiner Ehre gemindert würde, deshalb fordere er in dieser Angelegenheit eine Beratung und wolle darüber sprechen.“728 Er beriet sich außerdem mit dem Grafen von Flandern und seinen Leuten und ließ dann durch seinen Vorsprecher (prolocutor), eben den Grafen von Flandern, zum Ausdruck bringen, „dass in der terra Namur oder Rocha keiner Fürst (princeps) werden könne, weil es (dies Land) in seinem Herzogtum liege.“729 Die öffentliche Ankündigung des Herrschers, dass er eine nachhaltige Kräfteverschiebung und Veränderung der Rangordnung in einer Region vorgenommen habe, zog also sofort massive Reaktionen der von diesen Maßnahmen BeEbd., § 153, S. 237. Ebd., § 156, S. 242 f.; § 157, S. 243 f.; § 161, S. 245 f. 728 Ebd., § 170, S. 250 f.: Quo audito dux Lovaniensis dixit, quod in hoc sue dignitati derogabatur, et super hoc consilium vellet habere et inde loqui. 729 Ebd., S. 251: Habitoque comitis Flandrensis consilio, et hominibus suis adhibitis per prolocutorem suum, scilicet comitem Flandrie, dixit, quod in terra Namurcensi vel Rocha nullus fieri potest princeps, quia in ducatu suo erat. 726 727

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troffenen nach sich, die an der Entscheidung nicht beteiligt gewesen waren. Sie berieten sich zunächst allein, kamen dann aber mit der Forderung in die Versammlung, dass die herrscherliche Entscheidung zurückzunehmen sei, weil sie die Rechte des Brabanters als Herzog verletze. Die Berechtigung dieser Forderung wurde hierauf in kontroverser Beratung geklärt. Zunächst widersprach Gislebert als Vertreter des neuen Markgrafen mit dem inhaltlichen Argument, dass weder die Herzöge von Bouillon noch die von Limburg, noch später die Grafen oder Herzöge von Brabant die Herzogsgewalt in der Grafschaft Namur oder Rocha oder dem Hennegau besessen hätten und auch der Herzog selbst für sich oder für seine Vorgänger nicht nachweisen könne, diese Gewalt innegehabt zu haben.730 Außerdem machte er dem König einen formalen Vorschlag zum weiteren Procedere: „Herr König, mein Herr, der Graf vom Hennegau, hält die Mark Namur durch eure Vergabe wie ein Fürst, wie ihr wisst, wofür er Fürsten als Standesgenossen und Zeugen hat. Wenn jemand aber etwas gegen seine diesbezügliche Berechtigung und seine Ehre zu sagen hat, ist er bereit, sich an einem ihm angesetzten Gerichtstag dem Recht und dem Urteil zu stellen.“731 König Heinrich VI. reagierte auf diese offen ausgetragene Kontroverse über seine Entscheidung auf eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Weise: Er forderte zunächst ausgerechnet den Grafen von Flandern, den Vorsprecher des Herzogs von Brabant, auf, zu der Streitfrage eine sententia, ein Urteil, abzugeben. Ein zweites Urteil holte er vom Markgrafen von Meißen ein. Beide Urteile kamen zum gleichen Ergebnis und fanden auch die Zustimmung der anderen Fürsten: dass der Graf vom Hennegau vom König zu Recht über jene Gebiete sowohl zum Markgrafen als auch zum Reichsfürst gemacht werden konnte, weil der Herzog weder für sich noch für seine Vorgänger zeigen könne, dass sie die Herzogsgewalt (tenorem ducatus) in jenen Gebieten hatten.732 Beide Urteiler unterschieden damit zwischen Grafschaften, die der Herzog selbst in der Hand hielt, und solchen, die andere Grafen in seinem Herzogsbereich innehatten. In Letzteren gestanden sie dem Herzog keine Herzogsgewalt zu, sondern hielten diese Grafschaften für exempt von seiner Gewalt.733 Ebd., S. 251: Ad hec Gislebertus clericus dicebat, quod nullum in comitatu Namurcensi vel Rocha vel Hanonia duces de Bullione, nec post illos duces de Lemborch, nec postea comites Lovanienses vel duces ducatum habuissent, nec tenorem in hiis ipse dux pro se vel pro suis antecessoribus monstrare posset. 731 Ebd.: Domine rex, dominus meus comes Hanoniensis marchiam Namurcensem a vobis tenet ut princeps, sicut cognoscitis, unde pares et testes habet principes. Si quis autem contra tenorem vel honorem suum habet dicere, ipse paratus est die legitimo sibi con­ stituto juri et judicio stare. 732 Ebd., S. 252: quod comes Hanoniensis super terris illis juste posset fieri et marchio et princeps, cum dux tenorem ducatus in terris illis se vel suos antecessores habuisse non posset monstrare. 733 Zum Prozess der Zersetzung der Herzogsgewalt seit dem 11. Jahrhundert durch sog. ­Titelherzogtümer vgl. allg. WERLE, Titelherzogtum. 730

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Damit war der Fall jedoch noch nicht erledigt, denn Heinrich VI. forderte den Herzog nun auf, diejenigen Grafschaften seines Herzogtums öffentlich zu nennen, die er selbst in Besitz habe. Damit zielte er auf die Klärung der Frage, inwiefern der Herzog die Grafschaft Hennegau oder Namur als solche erweisen könne, die er selbst halte. Bereits als dieser unter anderen die Grafschaft von Looz aufführte, die zu seinen Grafschaften zähle, weil er dort das Geleitrecht bis zur Mosel innehabe, erntete er allerdings den mannhaften (viriliter) Widerspruch des anwesenden Grafen von Looz, der ihn folgendermaßen belehrte: „Herr Herzog, ich halte die Grafschaft von Looz vom Herrn Bischof von Lüttich. Dass ihr aber das Geleitrecht durch mein Land habt, kommt daher, dass mein Vorgänger euren Vorgänger getötet hat, und im Zuge der Wiederherstellung der Eintracht hat er ihm (seinem Nachfolger) das Geleitrecht durch sein Land eingeräumt.“734 Weil dies von vielen für wahr gehalten wurde, war der Einspruch des Herzogs gegen die Erhebung des Hennegauers insgesamt ab­ geschmettert. Auf den Rat der Fürsten wurde daher dem Grafen vom Hennegau das erteilte Privileg erneut zugestanden. Nichtsdestotrotz, so ergänzt Gislebert, „arbeitete der Herzog von Brabant zusammen mit dem Grafen von Flandern noch neun Tage daran, dass das im schwäbischen Hall zu seinem Schaden dem Grafen vom Hennegau erteilte Privileg der Erhebung in den Reichsfürstenstand durch andere Fürsten, die bei Augsburg versammelt waren, widerrufen würde. Zu diesem Zweck wurden von den Ratgebern des Herzogs dem Herrn König und seinem Hof 500 Mark versprochen, wenn sie den Herrn König dazu brächten, dass er selbst die Abfassung des Privilegs widerrief. Sie konnten aber gegen den Grafen vom Hennegau nichts bewirken.“735 Angesichts der zu vergleichbaren Gelegenheiten eingesetzten Summen scheint das Angebot von 500 Mark ein unverhältnismäßig geringer Aufwand für ein so dreistes Unterfangen.736 Dennoch ist dieser Hinweis Gisleberts bemerkenswert, weil er zeigt, dass man es für denkbar hielt, einmal gefasste Beschlüsse auf einem folgenden Hoftag durch andere Fürsten widerrufen zu lassen – und dafür zu zahlen bereit war. Es fällt insgesamt nicht leicht zu erkennen, von welchem Verfahren im referierten Bericht Gisleberts eigentlich die Rede ist. Die öffentliche Verkündigung Gislebert von Mons, Chronicon Hanoniense, S. 253: Domine dux, ego comitatum de Loz a domno episcopo Leodiensi teneo. Quod autem conductum per terram meam habetis, hoc ex eo habetis, quod antecessor meus antecessorem vestrum occidit, et in concordia facta conductum per terram suam ei concessit. 735 Ebd.: Postea autem dux Lovaniensis, per auxilium comitis Flandrie, laborabat per dies 9, ut sententia in detrimentum suum et ad promotionem comitis Hanoniensis lata apud Hallam in Suevia, per alios principes apud Augustam civitatem congregatos revocaretur, et inde a consiliariis ducis domino regi et curie 500 marce promittebantur, unde dominum regem ad hoc inducerent, quod ipse privilegium faciendum revocaret; attamen contra comitem Hanoniensem nichil proficere potuerunt, sicque stetit lata sententia. 736 Vgl. dazu die in Anm. 724 genannten Zahlen ganz anderer Größenordnung. 734

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einer königlichen Entscheidung sorgt für Widerspruch und für die Forderung, diese Entscheidung nach erneuter Beratung zurückzunehmen. Der König lässt sich darauf ein und erbittet von zwei Fürsten eine sententia, also ihr Urteil, inwieweit diese Forderung gerechtfertigt sei. Die lehnen die Forderung mit dem Hinweis ab, der Herzog könne nicht beweisen, dass er über die Herzogsgewalt in den Gebieten verfüge, die der König zu einer Markgrafschaft vereint und erhoben habe. Daraufhin stellt der König dem Beschwerde führenden Herzog die Frage, welche Grafschaften in seinem Herzogsgebiet er selbst halte. Dessen Aufzählung, die die fragliche Grafschaft von Namur gar nicht erwähnt, löst in einem Fall den Widerspruch eines Betroffenen aus, der mit seiner Argumentation überzeugt, dass der Herzog in seiner Grafschaft keine Herzogsgewalt, sondern nur aus konkreten Gründen das Geleitrecht ausübe. Daraufhin wird der Einspruch als Ganzes abgelehnt. Zur Frage steht auch hier, ob wir den Verlauf und die Argumentationen einer politischen Versammlung verfolgen oder ob man besser von einer Gerichtsentscheidung sprechen sollte. Diese Nähe politischer und gerichtlicher Beratung und Entscheidung ist aber auch anderenorts häufiger zu beobachten.737 Zusammenfassend sei noch einmal hervorgehoben, dass die Geschichtsschreibung Gisleberts von Mons für das Thema der mittelalterlichen Beratung und Verhandlung eine Fundgrube darstellt, die hier nicht umfassend ausgewertet werden konnte. Da diese Einschätzung nur am Beispiel der Erhebung des Grafen vom Hennegau zum Markgrafen von Namur und Reichsfürsten genauer vorgestellt wurde, lohnt es sich, zudem auf einige Befunde hinzu­ weisen, die über diesen Einzelfall hinaus von Bedeutung sein können. Dichte Hinweise gibt Gislebert immer wieder auf die Rolle der Getreuen, worunter in erster Linie Lehnsleute und Ministerialen fallen, die bei den Beratungen und Verhandlungen ihrer Herren eine doppelte Funktion erfüllten. Sie zu erwähnen hält Gislebert offensichtlich für sehr wichtig, weshalb er immer wieder lange Listen dieser Getreuen bietet, die ihren Herrn zu Verhandlungen begleiteten, ihm während dieser Verhandlungen aber auch beratend zur Seite standen. Bei den Verhandlungen selbst traten die Getreuen zum einen in Aktion, wenn sie zur Zwischenberatung zusammengerufen wurden, bevor der Herr sich in Verhandlungen festlegte.738 Man wird daraus schließen können, dass der Herr sich vorweg vergewissern musste, dass seine Getreuen mit den Bündnissen und Verpflichtungen, die er einzugehen im Begriffe war, einverstanden waren. Zum anderen erwähnt Gislebert aber häufiger, dass die ­Getreuen die getroffenen Vereinbarungen mitbeschworen und so quasi zum Garanten der Verpflichtungen ihres Herrn wurden. Da dies eine vielgeübte 737 738

Vgl. dazu bereits die Hinweise in der Einleitung bei Anm. 24–26. Dies erwähnt Gislebert häufiger mit der formelhaften Wendung habito consilio cum suis oder ähnlich, s. dazu unten Anm. 891 mit mehreren Beispielen.

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Praxis war, könnte sich aus dieser Verpflichtung auch ein Recht herleiten, zuvor informiert zu werden und Gelegenheit zur Stellungnahme zu bekommen. Aus diesem Blickwinkel erscheint es auch als symptomatisch, dass der französische König eine confoederatio mit dem Grafen vom Hennegau, die sich gegen den Grafen von Flandern richtete, nicht nur in Paris abschloss, da der Graf vom Hennegau dorthin nur mit wenigen seiner Leute gekommen war. Das genügte dem französischen König offensichtlich nicht. Er lud vielmehr zu einem weiteren Treffen nach Soissons, „um dort viele Fürsten und Edle Franziens dabei zu haben und damit der Graf vom Hennegau viele erprobte und wichtige Männer seines Landes mitbringen könne.“739 Es kann nicht über­ raschen, dass dies den Grafen von Flandern heftig erzürnte und zum bewaffneten Vorgehen gegen den Grafen vom Hennegau veranlasste. Diese Funktion der Getreuen als Zeugen und Garanten eines Vertrages ist auch in anderen Zeiten und Regionen vielfach bezeugt.740 In ungewöhnlicher Offenheit und Detailliertheit schildert Gislebert zudem mehrfach Versuche der verdeckten Einflussnahme auf Prozesse der Willensbildung und Entscheidung, die uns auch in allen anderen Jahrhunderten immer wieder begegneten.741 So beobachtet man im Umkreis der Bemühungen um das Erbe Graf Heinrichs von Namur mehrfach, dass in Auseinandersetzungen verwickelte Parteien sich an mächtige und ranghohe Personen wandten, die „Fürsprache“ für sie und ihr Anliegen einlegen sollten.742 Diese Fürsprache konnte schriftlich an die Adressaten gerichtet werden, Gislebert berichtet allerdings auch darüber, dass einzelne Fürsprecher oder deren Gesandte hartnäckiger waren und mehrere Tage daran „arbeiteten“, am staufischen Hof die Stimmung zugunsten einer Partei zu wenden. Dies konnte Erfolg haben oder auch nicht, derartiges Verhalten war jedenfalls akzeptierter Bestandteil mittelalterlicher Willensbildung.743 Der Graf vom Hennegau, der so hoch in der Gunst des staufischen Hofes stand, machte etwa bei seinen Versuchen der Einflussnahme auf den französischen König, der immerhin sein Schwiegervater war, ganz andere Erfahrungen 739

740 741 742 743

Vgl. Gislebert von Mons, Chronicon Hanoniense, § 113, S. 168: ut ibi plures principes et nobiles Francie haberet, et ut comes Hanoniensis plures terre sue viros probos et valentiores ad confederationem illam confirmandam adduceret. Vgl. dazu etwa oben bei Anm. 232–239 mit den Beispielen aus den Krisen des Karolingerreiches. Zu dem Facettenreichtum der Phänomene s. grundlegend GARNIER, Die Kultur der Bitte, bes. S. 16 ff.; 65 ff.; 148 ff.; 205 ff.; 294 ff.; 369 ff. S. dazu etwa oben Anm. 691, 695, 724. S. Beispiele hierfür bereits oben Anm. 724, 729; Hinweise auf die Arbeit (labor, laborare) von Abgesandten und Fürsprechern auch bei Gislebert § 107, S.  150  f.: laborabat, sed nihil proficere poterat; § 136 S. 203: ut ejus gratiam haberet, laborabat, sed nihil ei profuit; § 139, S. 209: promittens ei se omnimodis laboraturum ad hoc, ut filiam suam rehaberet.

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als bei den Staufern. Als er seinen Gesandten zum König schickte, weigerte sich dieser, vertraulich mit dem Gesandten zu sprechen, und gab ihm die unfreundliche Antwort, er wolle von ihm nichts hören, was nicht auch der Graf von der Champagne, der damalige Hauptgegner in der Erbschaftsfrage, hören könne.744 Zur Strategie des Herrn oder Königs gehörte es wohl auch, gegenüber seinen Getreuen und ihren Wünschen und Forderungen eine gewisse Unberechen­ barkeit an den Tag zu legen. Andererseits scheint man durchaus rational Vor- und Nachteile des Eingehens auf indirekte Einflussnahme abgewogen zu haben. Seit dem 12. Jahrhundert spielten bei diesem Geschäft auch Geldangebote eine große Rolle, von denen in früheren Jahrhunderten seltener und nicht so detailliert die Rede ist.745 Für Gislebert war es völlig selbstverständlich, dass auch sein Herr und er selbst dem staufischen Hof größere Summen für die Erhaltung ihrer Huld zu zahlen hatten. Er war sogar stolz darauf, dass das Angebot des Grafen vom Hennegau erfolgreich war, obgleich es viel niedriger ausfiel als dasjenige des Grafen von der Champagne, für den zudem immerhin der Bischof von Toul „arbeitete“.746 Wichtige Informationen stellt Gislebert uns schließlich dadurch zur Verfügung, dass er sowohl Verfahrensfragen wie auch den inhaltlichen Argumenten in kontroversen Beratungssituationen sein Interesse widmet. Dies tat er nicht nur im behandelten Beispiel der Erhöhung des Hennegauers zum Markgrafen und Reichsfürsten. Auch der Kommunikation des Grafen vom Hennegau mit seinen Getreuen zollte Gislebert vielfach Aufmerksamkeit und lässt so erkennen, dass sie in geregelten Formen vonstatten ging. So schildert er ausführlich ein Verfahren am Hof des Grafen vom Hennegau, in dem die Frage entschieden wurde, ob ein gewisser Achardus de Verli freier Herkunft sei oder ein Dienstmann des Gerardus de Sancto Oberto. Dieser Fall wurde vor vielen geistlichen und weltlichen Angehörigen des Hennegauer Hofes verhandelt. Die Verhandlung begann damit, dass ein Verwandter des Beklagten, Robertus de Belren, das Wort ergriff und den Gerardus öffentlich der Lüge bezichtigte. Er bot auch seine Bereitschaft zum Duell mit dem Beleidigten an, um die Wahrheit seiner Behauptung zu erweisen. Gerardus beriet sich daraufhin schnell mit den Seinen und antwortete seinerseits, dass Robert gelogen habe und er gleichfalls zum Duell bereit sei. Daraufhin fällte der Hof das Urteil, dass beide in 744

745

746

Vgl. Gislebert von Mons, Chronicon Hanoniense, § 148, S. 227: Interim dominus comes Hanoniensis nuncium suum ad dominum regem Francorum miserat … Qui cum domino rege Francorum secretius loqui vellet, dominus rex Francorum ei austere respondens nichil ab eo audire voluit, quod comes Campanie, qui presens aderat, audire non posset. Vgl. dazu STEHKÄMPER, Geld bei deutschen Königswahlen des 13.  Jahrhunderts; ­GÖRICH, Geld und „honor“; KAMP, Geld, Politik und Moral; DERS., Gutes Geld und böses Geld. S. dazu oben Anm. 724.

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ihrer Bereitschaft zum Duell übereinstimmten und deshalb beide zu einem bestimmten Tag in Mons zum Duell erscheinen sollten. Zu diesem Tag lud der Graf auch alle Vornehmen und Weisen seines Landes ein, von denen Gislebert 56 namentlich aufzählt. Robertus erschien jedoch nicht zur vereinbarten neunten Stunde. Als er dann doch, aber zu spät auftauchte, wurde er entwaffnet und der Graf übergab ihn nach dem Urteil des Hofes seinem Gegner, der ihn in Fesseln abführte. Der übte dann Barmherzigkeit und ließ ihn gegen das Treueversprechen, ein Dienstmann sein zu wollen, später frei. Daraufhin aber ging Robertus zum staufischen Königshof Heinrichs VI. und erhob Klage gegen das Urteil, das der Hof des Grafen vom Hennegau gegen ihn gefällt hatte. Da niemand eine Gegenrede hielt, erlangte er vom Hof des Königs ein Schriftstück, das jenes Urteil widerrief. Obgleich man sich in Mons wunderte, dass König Heinrich, der in einem anderen Fall gleich geurteilt hatte wie der Hof des Grafen vom Hennegau, nun das Urteil kassierte, akzeptierte man das königliche Urteil und widerrief das eigene.747 Mit dieser Geschichte lassen sich mehrere Beobachtungen belegen, die von allgemeinerem Interesse sind: Durch öffentliche Beleidigung und den Vorwurf der Lüge konnte man in einem solchen Verfahren die Gegenseite quasi zum Duell zwingen, da deren Ehre es nicht zuließ, diesen Vorwurf auf sich sitzen zu lassen. Hier wird ein Verhaltensmuster fassbar, das zu Missbrauch geradezu einlud und das wir auch in anderen Fällen beobachten konnten.748 Ferner war es in dieser Zeit offenbar allgemein üblich, an den Königshof eine querimonia in einer bestimmten Rechtsfrage zu richten, wie es der vom Hennegauer Hof ins Unrecht gesetzte Robertus tat, oder auch eine sententia vom Königshof zu erbitten. Letzteres praktizierte auch der Graf vom Hennegau mehrfach in unterschiedlichen Angelegenheiten und erhielt jeweils eine responsio vom König, die die Qualität einer rechtlichen Auskunft hatte und daher in politischen Auseinandersetzungen sehr wirkungsvoll gewesen sein dürfte.749 Schließlich wird am Erfolg der querimonia des Klägers am Hofe Heinrichs VI. deutlich, wie wichtig es war, in den einschlägigen Versammlungen Personen vertreten zu haben, die, wenn eben möglich, gegen solche Klagen Widerspruch einlegten, weil eine Klage dann erfolgreich war, wenn niemand widersprach. Indirekt weist diese Erfahrung auf die Bedeutung der Netzwerke hin, die nicht zuletzt die Funktion hatten, sicherzustellen, dass Interessen ihrer Angehörigen gewahrt wurden. Gislebert erwähnt in seinen Schilderungen häufiger kontroverse Äußerungen in Beratungen und Verhandlungen, die er teils in wörtlicher Rede bietet, und vermittelt so einen Eindruck von Möglichkeiten und Grenzen, die für die Artikulation von Widerspruch galten. Wir finden eine ganze Reihe von Bele747 748 749

Vgl. Gislebert von Mons, Chronicon Hanoniense, § 140 und 141, S. 209–215. S. dazu oben bei Anm. 391. Vgl. dazu oben bei Anm. 714 und 726.

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gen, die dafür sprechen, dass man manchmal kein Blatt vor den Mund nahm, sondern seine Entschlossenheit oder Entrüstung ungebremst zum Ausdruck brachte. Dies konnte sich auch gegen den eigenen Herrn richten, wie das Beispiel eines Friedenskolloquiums zwischen dem französischen König und dem Grafen von Flandern im Jahre 1184 belegt. Dort wollte der Graf von Flandern bereits den konkreten Festlegungen einer compositio zustimmen, als sein wichtigster Berater, Jacobus von Avesnes, massiv widersprach und seinem Herrn drohte, wenn er dem französischen König auch nur einen Fuß des Vermandois überließe, würde er ihm nicht länger dienen, noch in seiner Lehnsmannschaft verbleiben.750 Zwar sagt Gislebert nicht, ob dieser Ausbruch unter vier Augen oder sogar vor Zuhörern stattfand, doch teilt er mit, dass dieser Widerspruch den Friedensschluss verhinderte. Dass andererseits Kontroversen sachlich, aber deutlich ausgetragen wurden, zeigt ein Rededuell zwischen dem Grafen von Flandern und dem Grafen vom Hennegau, das 1184 in einer Situation stattfand, in der ihre Zusammenarbeit in einer schweren Krise steckte. Folgerichtig schildert Gislebert die Stimmung bei Beginn der Friedensgespräche als eisig: Der Graf von Flandern zeigte einen aufgewühlten Gesichtsausdruck, die Ratgeber beider Seiten schwiegen. Dennoch forderte der Graf vom Hennegau den Grafen von Flandern als seinen geschworenen Verbündeten (confederatum et juratum) auf, ihm gegen den Herzog von Brabant dabei zu helfen, seine Ehre und sein Erbe zurückzubekommen. Der Graf von Flandern beklagte dagegen die Situation und bat den Grafen vom Hennegau, dass er dem Herzog von Brabant einen Waffenstillstand zubilligen und ihm selbst gegen seinen Todfeind, den König von Frankreich, helfen möge. Darauf antwortete der Graf vom Hennegau, dass er dem Herzog von Brabant keinen Waffenstillstand gebe, aber wenn der Graf von Flandern sofort gegen den Herrn König von Frankreich den Krieg beginne, werde er ihm sofort gegen den französischen König mit allen Kräften helfen. Wenn er aber den Krieg gegen den französischen König nicht sofort führen wolle, wolle er, der Graf vom Hennegau, seine Hilfe gegen den Herzog von Brabant haben.751 Man ist geneigt, das Angebot für ironisch zu halten, da der Graf von Flandern sicher kein Inte750

751

Vgl. Gislebert von Mons, Chronicon Hanoniense, § 109, S.  154: Jacobus scilicet de Avethnis contradicebat, dicens quod si comes Flandrie unum pedem Viromandie regi Francorum relinqueret, non ulterius ei serviret, nec in ejus hominio maneret. Ebd., § 112, S. 165: Cui comes Flandrie turbidum nimis vultum pretendit; sedentibusque universis et pro turbatione ipsorum comitum tacentibus, comes Hanoniensis comitem Flandrie tamquam confederatum et juratum suum submonuit ut contra ducem Lovaniensem eum juvaret super honore suo et hereditate sua retinenda. Comes autem Flandrie, querens occasiones, rogabat comitem Hanoniensem ut inducias daret duci Lovaniensi, et ipsum contra inimicum suum mortalem regem Francie juvaret. Ad hoc comes Hanoniensis respondit quod nullas duci Lovaniensi super his daret inducias; sed si ipse comes Flandrie statim domino regi Francorum guerram moveret, ipse statim eum contra regem Francorum in totis viribus suis juvaret; si autem statim contra regem Francorum

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resse daran haben konnte, selbst einen bewaffneten Konflikt gegen den französischen König zu eröffnen. Insofern hatte die Beteuerung, ihm dabei sofort mit allen Kräften zu helfen, wenig Realitätsbezug. Die Forderung nach Hilfe gegen den Herzog von Brabant brachte den Grafen von Flandern dagegen in große Schwierigkeiten, weil er mit diesem verbündet war, zugleich aber vor langer Zeit dem Grafen vom Hennegau anlässlich seiner Hochzeit mit dessen Schwester versprochen hatte, er werde ihm gegen jedermann helfen, außer gegen den französischen König.752 Wir fassen hier eine bekannte Schwäche der von allen eng geknüpften Netzwerke, die keine wirkungsvolle Unterstützung mehr zuließen, weil man zu vielen Personen Hilfe versprochen hatte.753 Ein anderes sprechendes Beispiel für eine Kontroverse Auge in Auge wurde schon oben behandelt: die Auseinandersetzung zwischen König Heinrich VI. und dem Grafen vom Hennegau.754 Es ist hier jedoch noch einmal in Erinnerung zu rufen, wie selbstbewusst der Graf vom Hennegau König Heinrich VI., auf dessen Huld er doch nachhaltig angewiesen war, in einer öffentlichen Verhandlungssituation widersprach, indem er seine Verpflichtungen ganz anders definierte, als dies der König getan hatte. Auch hier ist der Redebeitrag sachlich, wenngleich nicht frei von Ironie. Er zeigt aber vor allem, dass Balduin regionale Gewohnheiten und sein Lehnsverhältnis zum Lütticher Bischof gegen die königlichen Forderungen ausspielte und hierbei auf die Unterstützung des Lütticher Bischofs rechnen konnte. Dies ist nur ein Beispiel dafür, welch unterschiedliche Normvorstellungen in komplexen Problemlagen relevant wurden, ohne dass eindeutige Festlegungen einer Hierarchie dieser Normen existiert hätten. Heinrich VI. konnte zwar auf den Widerspruch, den er erfahren hatte, mit seiner Ungnade reagieren, brechen konnte er ihn offensichtlich aber nicht.

6. Beratungen und Verhandlungen im Thronstreit 1198 Die Ausgangslage Mit dem deutschen Thronstreit nach dem Tode Kaiser Heinrichs VI., der sich ohne größere Unterbrechungen weit länger als ein Jahrzehnt hinzog, steht ein Beispiel am Ende der Untersuchungen, das früher häufiger als eine der „Wenden des Mittelalters“ charakterisiert und als ursächlich für den Machtverlust guerram facere nollet, ipse comes Hanoniensis ejus auxilium contra ducem Lovaniensem habere vellet. 752 Vgl. ebd., § 59, S. 99 f.: firmata inter comitem Flandrie et comitem Hanoniensem confederatione, fide interposita tactisque sacrosanctis; ita quidem quod comes Flandrie comitem Hanoniensem ad omnes necessitates suas contra omnes homines juvaret, excepto domino suo ligio rege Francorum. 753 Vgl. dazu bereits die Beobachtungen bei GARNIER, Amicus amicis, bes. S. 226 ff. 754 S. dazu oben bei Anm. 704.

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6. Beratungen und Verhandlungen im Thronstreit 1198

des deutschen Königtums angesehen wurde.755 In der Tat ist der Streit ein Beispiel dafür, dass die Wahlmöglichkeit der Fürsten und des Papstes zwischen rivalisierenden Kandidaten zu Situationen und zu Forderungen führte, die die materiellen und immateriellen Gegenleistungen der Könige für Unterstützung in die Höhe trieben. Diese Konstellation als hauptverantwortlich für einen größeren Machtverlust des Königtums zu sehen, hat man jedoch schon seit längerem aufgegeben. In unserem Zusammenhang ist der lange Konflikt vor allem deshalb interessant, weil er neben bewaffneten Auseinandersetzungen auch eine Fülle von Beratungen und Verhandlungen nötig machte. Allerdings wurden diese nicht mehr vorrangig unter Anwesenden geführt. Wir erfahren viel über die von den unterschiedlichen Parteien vertretenen Positionen und Argumente auch aus Briefen und anderen schriftlichen Aufzeichnungen. Sie sind vor allem dadurch erhalten geblieben, dass Papst Innocenz  III. viele von ihnen in ein „Thron­ streitsregister“ eintragen ließ. In den dort verzeichneten Dokumenten formulierten die unterschiedlichen Parteien ihre Stellungnahmen teilweise sehr grundsätzlich und begründeten sie ausführlich. Da die dort verzeichneten Argumente aber gewiss zentrale Verhandlungspositionen der Parteien vermitteln, die schriftlich verbreitet wurden, erlauben sie Einblicke in die Versuche, die Krise gütlich zu beenden, auch wenn die jeweiligen Absichten manchmal nur sehr diplomatisch und verklausuliert angesprochen werden. Sie ergänzen und vertiefen in vielfältiger Weise Berichte der Geschichtsschreibung über die Verhandlungen, die den Argumentationen der Parteien keine gleich große Aufmerksamkeit widmen. Vor allem die Position des Papsttums in diesem Streit knüpft eng an Vorstellungen an, die seit dem 11. Jahrhundert im Streit der höchsten geistlichen und weltlichen Gewalt um die Suprematie entwickelt worden waren, aber auch schon im 9. Jahrhundert in den Auseinandersetzungen von Kirche und Königtum um ihre jeweiligen Aufgaben in der rechten Ordnung der Welt eine große Rolle gespielt hatten.756 Aus seiner besonderen Verantwortung für die Könige leitete auch Papst Innocenz  III. das Recht und die Pflicht ab, beratend und entscheidend in den Streit der Kandidaten um die Königswürde eingreifen zu dürfen, und er definierte die Eignung der Kandidaten für das Amt nicht zuletzt nach ihrer Bereitschaft, dem Papsttum Ergebenheit und Gehorsam entgegenzubringen. In dieser Frage harmonierten die Auffassungen der welfischen Partei und des Papsttums scheinbar sehr gut, weil sich Otto IV. auf die Anerkennung der päpstlichen Suprematieansprüche einließ, während sich zwischen Papsttum Vgl. etwa einschlägige Wertungen der älteren Forschung bei HAMPE, Hochmittelalter, S. 312 ff.; HALLER, Epochen der deutschen Geschichte, S. 74 ff. 756 Vgl. dazu bereits oben bei Anm. 94 ff. und Anm. 435 ff. 755

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und Stauferpartei ein tiefer Graben auftat, weil König Philipp, aber auch sein starker Anhang diese Ansprüche des Papsttums ignorierten. Es gehört indes zur Pragmatik der Akteure, dass diese Differenzen nicht unüberbrückbar waren, wenn es die politischen Verhältnisse nahelegten, wie die Annäherung Papst Innocenz’ an den Staufer Philipp in der späteren Phase des Konflikts deutlich macht, als sich die politisch-militärische Waagschale zu dessen Gunsten geneigt hatte. Andererseits streifte Otto  IV. seine Rolle als devoter Sohn der Kirche in dem Moment ab, als sein Rivale Philipp im Jahre 1208 ermordet worden war. Neben den Dokumenten, die von einer Grundsatzdiskussion Zeugnis geben, erwähnen andere Quellen vielfältige Verhandlungen, in denen durch Angebote aller Art Lösungen des Konflikts gesucht, mehr noch aber die Anhänger der Konfliktparteien bei der Stange gehalten oder aber zum Parteiwechsel veranlasst werden sollten. Deshalb soll an signifikanten Beispielen deutlich gemacht werden, welche Ausmaße und Formen die Versuche annahmen, durch vertrauliche Angebote und Verhandlungen die Kräfteverhältnisse im Streit zu verändern. Auch hier ist wie schon häufiger zu beobachten, dass der eigene Vorteil die Handlungsweisen stärker beeinflusste als Fragen der Moral.757 Angesichts lang erprobter Praktiken der Vorbereitung und Planung einer Königswahl – der Mainzer Erzbischof konnte mit anderen Großen zu einer Wahlversammlung einladen; es besprachen sich aber vorweg auch Verwandte und Freunde vertraulich miteinander und lenkten so die politische Willensbildung schon vor der Versammlung in bestimmte Richtungen758 – fällt es für 1198 auf, dass sich im Reich von vorneherein zwei Parteien bildeten, die gar keinen ernsthaften Versuch machten, Konsens über einen zukünftigen König in gemeinsamen Beratungen herzustellen. Anführer der einen Partei war der Staufer Philipp, der zunächst seinem minderjährigen Neffen Friedrich II., auf dessen Nachfolge sich die Großen schon zu Lebzeiten des Vaters festgelegt hatten, die Anerkennung verschaffen wollte. Als er schnell merkte, dass dies ein aussichtloses Unterfangen war, entschloss er sich auf Drängen vieler Großer, selbst die Königswürde anzustreben. Dass diese Partei die zahlenmäßig deutlich stärkere war, zeigt ihre schriftliche „Erklärung von Speyer“ wohl schon aus dem Jahre 1199, die sich im Register Innocenz’ III. erhalten hat.759 Sie unterzeichneten nämlich 26 weltliche und geistliche Reichsfürsten, während 24 weitere zum Ausdruck brachten, Neuere Arbeiten zum Thema vgl. HUCKER, Otto IV.; CSENDES, Philipp von Schwaben; SCHÜTTE, König Philipp von Schwaben; KRIEB, Vermitteln und Versöhnen; MAMSCH, Kommunikation in der Krise, jeweils mit weiteren Hinweisen. 758 Vgl. dazu etwa die Einladung der Großen zur Wahl 1125, MGH Const. I, Nr.  112, S. 165 f.; zur Beratung von Verwandten und Freunde vor der Wahl s. Wipo, Gesta Chuonradi, cap. 2, S. 536 ff. 759 Vgl. Regestum Innocentii III papae super negotio imperii, Nr. 14, S. 33 ff. 757

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dass die Erklärung ihre Billigung habe. Zum einen bekannten sie sich eindeutig zum Königtum Philipps und wollten ihn auch zur Kaiserwürde führen, zum anderen forderten sie den Papst auf, nicht durch seine Einmischung in die Wahl Reichsrechte zu verletzen, und schließlich verwandten sie sich nachhaltig bei Innocenz für Markward von Annweiler und seine Rolle als procurator regni Siciliae. Mit ihren beiden letzten Stellungnahmen begaben sie sich in einen ausdrücklichen Gegensatz zu Positionen, die Innocenz nachdrücklich vertrat, und taten dies mit einiger Sicherheit in Kenntnis der Unvereinbarkeit ihrer Forderungen mit den päpstlichen Vorstellungen über die Rolle des Kaisers in Italien und Sizilien. Innocenz hat diese Auffassungen in einer ausführlichen Stellungnahme zurückgewiesen, ohne allerdings in diesem Zusammenhang eine endgültige Festlegung seiner Unterstützung für einen der Kandidaten vorzunehmen.760 Führer einer Gegenpartei, die fest entschlossen war, keinen Staufer ins ­Königsamt zu wählen, war der Kölner Erzbischof Adolf von Altena. Diese Partei hatte zunächst Schwierigkeiten, überhaupt einen Kandidaten zu finden, der bereit und in der Lage war, zu kandidieren. Herzog Bernhard von Sachsen und Herzog Berthold V. von Zähringen verzichteten nach Verhandlungen auf ihre Kandidatur, weil sie wohl die zu erwartenden Kosten abschreckten, und schlossen sich zu allem Überfluss dann auch noch der staufischen Partei an. Schließlich gelang es Erzbischof Adolf, mit Otto, einem jüngeren Sohn Heinrichs des Löwen, einen dritten Hochadeligen zur Kandidatur zu bewegen, der auch vom englischen König nachhaltig unterstützt wurde.761 Die politische Willensbildung wurde nach dem Tode Heinrichs VI. nicht unwesentlich dadurch erschwert, dass sich viele und wichtige Reichsfürsten zu dieser Zeit auf dem Kreuzzug im Heiligen Land befanden. Im Unterschied zu den Fürsten im Reich fanden diese sich interessanterweise zu einer gemeinsamen Versammlung ein, obgleich nach dem Zeugnis Arnolds von Lübeck auch unter ihnen große Unsicherheit und Zwietracht über die Nachfolge herrschte. Die „Aufregung“, so der Gewährsmann, habe sich aber gelegt, nachdem man sich darauf geeinigt hatte, den minderjährigen Friedrich II. als Nachfolger anzuerkennen. Arnold preist den spiritus consilii, der sie auf den rechten Weg ­geführt habe.762 Ein vergleichbarer Versuch ist im Reich offensichtlich unterblieben, so dass die eine Partei im März 1198 im sächsischen Mühlhausen 760 761

762

Vgl. ebd., Nr. 15, S. 38 ff.; dazu grundlegend immer noch KEMPF, Papsttum und Kaisertum bei Innocenz III., bes. S. 34 ff. S. zu den Einzelheiten der Kandidatensuche immer noch WINKELMANN, Philipp von Schwaben und Otto  IV., S.  59–91; neuerdings unter besonderer Berücksichtigung der Beratungen und Verhandlungen MAMSCH, Kommunikation in der Krise, S. 22–56. Vgl. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum, V, 27, S. 203: Inter hac fluctuationes non defuit suis spiritus consilii, qui colligationes impietatis in eis dissolveret et in suo proposito constantes faceret. Nam principes celebrato colloquio hoc statuerunt, ut omnes

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­ hilipp von Schwaben, die andere im Juni in Köln sowie im Juli in Aachen P Otto IV. zum König wählte. Dadurch waren Fakten geschaffen, die einen Kompromiss sehr erschwerten und in der Folgezeit zu unzähligen Versuchen führten, auf militärischem Wege, durch Abwerbeaktivitäten, vor allem aber durch die Autorität Papst Innocenz’  III. einem der gewählten Könige zum Sieg zu verhelfen. Es sei daher zunächst gefragt, in welchen Formen und mit welchen Argumenten der Papst in den Thronstreit eingriff und welche Wirkungen sein Eingreifen zeitigte.

Die Rolle Papst Innocenz’ III. bei der gütlichen Lösung des Thronstreits Es ist interessant, dass zunächst der aus dem Heiligen Land zurückgekehrte Mainzer Erzbischof Konrad mit dem Plan hervortrat, den Thronstreit durch ein Schiedsgericht zu beenden, das paritätisch mit 16 Männern, je acht aus dem staufischen und dem welfischen Lager, besetzt von Erzbischof Konrad als 17. geleitet werden sollte und dessen Mehrheitsentscheidung von allen akzeptiert werden sollte. Wir sehen hier wieder, wie schon in den Verhandlungen um das alexandrinische Schisma, sowohl das Mittel des Schiedsgerichts wie die Inaussichtnahme einer Mehrheitsentscheidung der Schiedsleute zumindest im Bereich einer Option.763 Dabei ist sehr auffällig, dass die in Aussicht genommenen Vertreter der beiden Parteien in diesem Schiedsgremium durchaus nicht nur zu den „glühendsten Anhängern des jeweiligen Kandidaten“ zählten.764 Neben auf eine Seite festgelegten Parteigängern scheint eine Anzahl von Personen für das Gremium vorgesehen worden zu sein, die versprachen, für Kompromisse offen zu sein. Wenn nicht alles täuscht, hat man also zumindest versucht, personelle Voraussetzungen für eine kompromissorientierte politische Willensbildung zu schaffen. Allerdings fehlt jeder Hinweis darauf, dass dieser Lösungsweg von beiden Parteien akzeptiert worden wäre. Dennoch scheint bemerkenswert, dass man inzwischen zumindest gedanklich über Vermittlungslösungen ohne Entscheidungskompetenz der Vermittler hinausgekommen zu sein scheint und paritätisch besetzten Gremien sogar verbindliche Mehrheitsentscheidungen einräumen wollte. Man darf begründet vermuten, dass eine besondere Bedeutung dem Vorsitz in diesen Gremien zukam, den schon Gregor VII. im Jahre 1077 regni primores ibi presentes sacramentaliter fidem facerent imperatoris filio. Et sic quievit commotio. 763 Vgl. oben bei Anm. 651 sowie KRIEB, Vermitteln und Versöhnen, S. 58 ff. Allg. zu Auftreten und Erscheinungsformen von Schiedgerichtsbarkeit vgl. den instruktiven Überblick bei MALECZEK, Das Frieden stiftende Papsttum, bes. S. 287 ff. 764 Vgl. dazu KRIEB, Vermitteln und Versöhnen, S. 63 ff., der die Beziehungen der Mitglieder des Gremiums zu den Konfliktparteien als durchaus differenziert erweist.

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in der causa der Könige Heinrich und Rudolf anstrebte – und der jetzt wohl kaum zufällig von Papst Innocenz keineswegs dem Mainzer Erzbischof zugebilligt wurde. Wir kennen den Plan zunächst nur durch die Diskussion Ottos IV. mit Papst Innocenz, in der der Welfe ausdrücklich davon spricht, dass die Mehrheit (maior pars) der beteiligten Fürsten den Ausschlag für die Beendigung des Thronstreits geben soll.765 Otto  IV. scheint deshalb dem Gedanken dieser ­Lösung nähergetreten zu sein, weil er sich von Innocenz III. Unterstützung bei der Beeinflussung der Schiedsrichter in seinem Sinne erwartete. Allerdings hat Innocenz diese Hoffnung enttäuscht und mit seinen Aktivitäten dafür gesorgt, dass dieses Schiedsgericht nicht tätig wurde. Den Mainzer Erzbischof tadelte er in diesem Zusammenhang durchaus heftig, dass er seine ihm persönlich gegebenen Versprechen, nichts Endgültiges über die Regelung der Königsfrage in die Wege zu leiten, durch das von ihm in Aussicht genommene colloquium gebrochen habe.766 Der Hauptgrund für diese ablehnende Haltung des Papstes dürfte gewesen sein, dass er selbst bei der Entscheidung des Thronstreits in führender Rolle tätig werden wollte, wie er einige Zeit später in einer geheimen und heute berühmten Konsistorialansprache vor den Kardinälen in aller Entschiedenheit zum Ausdruck brachte. Nachdem er dort beide staufischen ­Anwärter als nicht geeignet charakterisiert hatte, kündigte er an, durch seine Legaten auf die Fürsten einwirken zu wollen, dass sie sich entweder auf eine geeignete Person einigten oder aber sich seinem Urteil oder Schiedsspruch anvertrauten.767 Daran anschließend eröffnete er den Kardinälen, dass er Otto entschieden begünstigen und bei der Erlangung der Königswürde ­unterstützen würde. Man sollte hieraus nicht den Schluss ziehen, dass Innocenz damit ein falsches Spiel spielte, weil er sich einerseits für Otto entschieden hatte, andererseits aber als Vermittler oder Schiedsrichter in einem Verfahren agieren wollte, in dem die Königsfrage erst geklärt werden sollte. Vielmehr fühlte er sich Vgl. Regestum Innocentii III papae super negotio imperii, Nr. 20, S. 57, 3 ff.: Qui principes finaliter de facto imperii in eo colloquio tractare debent et presentibus dissidiis omnino finem imponere; et quod a maiori parte ipsorum de corona Romani imperii statutum fuerit, hoc ab ipsis ceterisque Alamannie principibus inuiolabiliter uolunt ­observari. 766 Vgl. ebd., Nr. 22, S. 65: Miramur autem non modicum quod, cum publice nobis coram fratribus promiseris uiva uoce quod nichil prius finaliter de imperii ordinatione tractares, quam per litteras et nuntios tuos nostre consuleres beneplacitum voluntatis, nuper in colloquio … celebratum, aliquid diceris quasi finaliter tractauisse, cum facta compromissione in quosdam principes tam ecclesiasticos quam etiam seculares, quod illi decreuerint in colloquio, quod in proximo est condictum, ab universis debeat obseruari. 767 Vgl. ebd., Nr. 29, S. 90: De cetero uero agendum per legatum nostrum apud principes, ut uel conueniant in personam idoneam uel se iudicio aut arbitrio nostro committant. 765

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a­ ufgrund seiner päpstlichen Stellung berufen, in der Königsfrage entscheidend mitzusprechen. Wie er mehrfach betonte, gehe den Papst die Kaiserwürde principaliter und finaliter an, weil seine Vorgänger diese Würde vom Osten auf den Westen übertragen hätten und weil nur der Papst die Kaiserkrönung vornehmen könne.768 Dies prädestinierte ihn bei einem Streit um diese Würde zum Vermittler wie zum Schiedsrichter, der durchaus eine Meinung darüber haben durfte, wer für das Amt geeigneter sei. Mit dieser Meinung hielt Innocenz vor den Kardinälen denn auch gar nicht hinterm Berg. Dies hatte er jedoch bereits zuvor nicht getan, was in der Forschung weniger beachtet wurde. Als nämlich Gesandte König Philipps im Jahre 1199 Kontakt mit ihm suchten und einen ziemlich unbefriedigenden Beglaubigungsbrief des Staufers vorlegten, der weder den Willen zur Devotion noch gar zum Gehorsam Philipps gegenüber dem Papst zum Ausdruck brachte und nicht einmal die Tatsache andeutete, dass im Reich mit Otto IV. ein zweiter König gewählt worden war, nutzte der Papst die Gelegenheit, vor diesen Gesandten in einer Konsistorialansprache das Verhältnis von weltlicher und geistlicher Gewalt grundsätzlich zu erörtern.769 Er tat dies auf der Höhe der kirchlichen Doktrin über dieses Verhältnis, wie sie bereits im 9. und im 11. Jahrhundert formuliert worden war.770 Für den Kundigen ließ Innocenz’ Argumentation und ihre reiche biblische Begründung keinen Zweifel daran, was er vom König verlangte und wie er das Verhältnis königlicher und päpstlicher Gewalt einschätzte. Er bot eine elaborierte Verfeinerung der gregorianischen Positionen, die aber immer noch auf eine Überordnung der Kirche und des Papsttums über das Königtum zielte. Angesichts der Erfahrungen, die die salischen und staufischen Könige vor Philipp mit diesen päpstlichen Positionen gemacht hatten, war nicht zu erwarten, dass Philipp sich diese Sicht der Dinge zu eigen machen würde. Der Papst nutzte aber gleich diese erste Gelegenheit, um Grundsatzfragen sozusagen auf den Tisch zu bringen. Er durfte mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass die Gesandten den staufischen König Philipp darüber so genau wie möglich informieren würden. Innocenz begann seine Beweisführung mit dem Beispiel Melchisedechs und Abrahams (Gen 14, 18), an dem er den Vorrang des Priestertums vor dem ­Königtum nachwies, denn Abraham gab Melchisedech den Zehnten, der ihn dafür als Priester des Höchsten segnete. Daraus leitete Innocenz diese Folgerung ab: „Würdiger ist nämlich derjenige, der die Zehnten empfängt, als der, Ebd., Nr. 31, S. 97; Nr. 33, S. 104; s. dazu MALECZEK, Das Frieden stiftende Papsttum, S.  281; grundlegend bereits KEMPF, Papsttum und Kaisertum bei Innocenz  III., bes. S. 57 ff. 769 Die einschlägigen Schriftstücke in Regestum Innocentii III papae super negotio imperii, Nr. 17, S. 43 ff. und Nr. 18, S. 45 ff. 770 Vgl. dazu oben bei Anm. 124 ff. und Anm. 431 ff. 768

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der sie gibt, und geringer der, der gesegnet wird, als der, der segnet.“771 Die gleiche Beweisführung wiederholte Innocenz am Beispiel der Salbung, da auch hier derjenige würdiger sei, der salbt, als derjenige, der gesalbt wird. Und es salbten nun einmal die Priester die Könige, während die Priester nicht von den Königen gesalbt werden konnten. Als herausragender (excellentius) für seine Beweisführung bezeichnete der Papst dann aber das Herrenwort (Mt 16, 18): „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und was du auf Erden binden wirst, wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein.“ Und er zog daraus die Konsequenz: „Den Fürsten ist Gewalt gegeben auf Erden, den Priestern aber auch im Himmel. Jenen nur über die Körper, diesen auch über die Seelen.“772 Und so viel würdiger die Seele als der Körper sei, so viel würdiger sei auch das Priestertum im Vergleich mit dem Königtum. Schließlich sei das Priestertum von Gott eingesetzt, das Königtum dagegen Ergebnis menschlicher Erpressung (extorsio). Und dann zitierte er 1 Sam 8, 7 mit der Forderung des Volkes nach einem König, die Gott alles andere als erfreut hatte. Auch diese Stelle ist deutlich geeignet, die Stellung des Königtums in Misskredit zu bringen und die der Priester als höherrangig einzustufen. Stellt man in Rechnung, dass seit über einhundert Jahren in den Konflikten zwischen Papsttum und Kaisertum darum gerungen worden war, was aus dieser höheren Würde der Priester folgte, und dass die Priester dabei immer die Forderung aufrechterhalten hatten, dass sie Ergebenheit und Gehorsam auch von den Königen und Kaisern verlangen könnten, dann ist diese Rede Innocenz’ als gezielte Antwort auf die Tatsache zu verstehen, dass Philipp in seinem Begleitschreiben jeden Hinweis auf seine Bereitschaft zu Devotion und Gehorsam vermieden hatte. So lange er dies tat, konnte er nicht darauf rechnen, dass ihm Innocenz eine besondere Eignung für die Königs- und Kaiserwürde einräumte. Wir werden sehen, dass der Staufer einige Jahre später dieses gravierende Hindernis einer Verständigung mit dem Papst aus dem Wege räumte. In seiner weiteren Rede beschäftigte sich Innocenz dann mit den Schismen in Kirche und Welt und zeigte, dass die Schismen in der Kirche mit Gottes Hilfe günstig ausgegangen waren. Er vergaß dabei nicht, auch die Schismen zu erwähnen, die Philipps Vorfahren zu verantworten hatten. Nun aber sei die Kirche geeint, das Reich hingegen durch ein Schisma zerrisssen. Deshalb hätte Vgl. Regestum Innocentii III papae super negotio imperii, Nr. 18, S. 46: ad notandum tamen preminentiam quam sacerdotium habet ad regnum, cum Abraham rediret a cede regum, dedit Melchisedech ex omnibus decimas, qui benedixit ei proferens panem et uinum; erat enim sacerdos Altissimi. Dignior autem est qui decimas recipit quam qui decimas tribuit, et minor qui benedicitur quam ille qui benedicit. 772 Ebd., S. 48: Principibus datur potestas in terris, sacerdotibus autem potestas tribuitur et in celis. Illis solummodo super corpora, istis etiam super animas. 771

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man sich schon früher an den Apostolischen Stuhl wenden müssen, dem das Geschäft der Beendigung des Schismas principaliter und finaliter zustehe. „Principaliter, weil er das Kaisertum vom Osten in den Westen überführt hat; finaliter, weil er die Kaiserkrone vergibt.“773 Hiermit ist schon, wie später an anderen Stellen, energisch darauf verwiesen, dass die Leitung von Versuchen, das Schisma der beiden Könige zu beenden, dem päpstlichen Stuhl zustehe, weil er das Kaisertum vergab, das ja beide Könige anstrebten. Diese Haltung erklärt auch, warum Innocenz der Initiative des Mainzer Erzbischofs ablehnend gegenübergestanden hatte. Insgesamt ist mit dieser Belehrung den Boten König Philipps nachdrücklich das kirchlich-päpstliche Amtsverständnis expliziert worden, das sich einen höheren Rang zuschreibt als dem Königtum und aus diesem Selbstverständnis heraus auch beansprucht, für die Beendigung des gegenwärtigen Schismas in erster Linie sorgen zu müssen. Hierzu standen die Formen der Vermittlung eines gütlichen Ausgleichs durch den Papst oder der Entscheidung eines Schiedsgerichts über den geeigneteren Kandidaten zur Verfügung. Innocenz aber hatte durch seine Ausführungen sicher auch deutlich gemacht, dass der­ jenige, der die hier ausgebreiteten päpstlichen Auffassungen über das Verhältnis von Kirche und Welt nicht teilte, keinesfalls als geeignet für die Kaiserwürde angesehen werden konnte. Als Innocenz diese Position vor den Gesandten des Staufers bezog, hatte er bereits briefliche Kunde davon, dass dessen welfischer Gegenspieler besonderen Wert darauf legte zu beteuern, dass er die päpstliche Forderung nach Devotion und Gehorsam erfüllen wolle. Otto  IV. hatte nämlich in seinem Antrittsschreiben darauf abgehoben, dass schon sein Vater der Kirche in Zeiten der Verfolgung Treue und Devotion bewahrt und deshalb seine Ämter verloren habe und ins Exil geschickt worden sei. Er vergaß natürlich nicht zu erwähnen, dass hierfür Friedrich Barbarossa, der Vater seines Gegenspielers Philipp, verantwortlich gewesen war. Nun aber habe Gott diese Treue an seinen Nachkommen belohnt und ihn, Otto, zur Königswürde erhoben. Deshalb verspreche er eidlich, die Rechte und Besitzungen der Kirche in seinem Reich zu achten, auf das Spolienrecht zu verzichten und die Lehnsverpflichtungen der geistlichen Fürsten zu lockern.774 Diese Zusicherungen fanden wenig später ihre verbindliche Fixierung im „Neusser Eid“ Ottos vom 8. Juni 1201, an dessen Ende die vollständige Unterordnung Ottos unter den päpstlichen Willen festgeschrieben war: „Ich werde dir, meinem Herrn Papst Innocenz, und deinen Nach­ folgern Gehorsam und Ehrerbietung erweisen, wie ergebene und katholische 773

774

Ebd., S. 52: Uerum ad apostolicam sedem iam pridem fuerat recurrendum, ad quam negotium istud principaliter et finaliter dinoscitur pertinere; principaliter, quia ipsa trans­ tulit imperium ab oriente in occidentem; finaliter, quia ipsa concedit coronam imperii. Ebd., Nr. 3, S. 10 ff.

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Kaiser dem heiligen Stuhl zu erweisen gewohnt sind. Ich werde mich an deinen Rat und Schiedsspruch halten hinsichtlich der guten Gewohnheiten, die dem römischen Volk zu bewahren und zu gestatten sind, und der gesellschaftlichen Verhältnisse Tusziens und der Lombardei. Gleichermaßen werde ich auch deinem Rat und Mandat gehorchen hinsichtlich des Abschlusses von Frieden und Eintracht zwischen mir und König Philipp von Frankreich.“775 Damit gibt es genügend sichere Zeugnisse dafür, dass Innocenz sein Recht auf führende Beteiligung an der Beilegung der zwiespältigen Königswahl aus dem grundsätzlichen Verständnis seiner Amtsbefugnisse ableitete und diese Einschätzung auch frühzeitig beiden Parteien vermittelte. Genauso eindeutig hat er in den ersten Jahren des Streits Argumente für die unterschiedliche Eignung der für die Königswürde in Aussicht genommenen Kandidaten formuliert und den Parteien bekannt gemacht. Dies geschah einmal sehr ausführlich in einer Konsistorialberatung mit den römischen Kardinälen, die auf die Jahreswende 1200/01 zu datieren ist.776 Bereits in der Mitte des Jahres 1200 hatte er jedoch auch den deutschen Fürsten die wesentlichen Argumente mitgeteilt, die aus seiner Sicht gegen Philipp von Schwaben und für Otto IV. sprachen.777 Und als er den deutschen Fürsten seine Entscheidung gegen Philipp und für Otto im März 1201 verkündete, wiederholte er in komprimierter Form noch einmal die wesentlichen Argumente, die für bzw. gegen den jeweiligen Kandidaten vorzubringen waren.778 Insgesamt sind die päpstlichen Positionen im Thronstreit, ihre Voraussetzungen und ihre Begründungen so in aller Deutlichkeit erkennbar. Was wir in diesen grundsätzlichen Äußerungen Innocenz’ III. an Argumenten und Gründen für die päpstliche Haltung finden, dürfte mit einiger Sicherheit in allen Beratungen und Verhandlungen zur Lösung des Streits Verwendung gefunden haben. Neben der Ablehnung Friedrichs II. als Kandidat, die vorrangig mit seiner Jugend und der Tatsache begründet wurde, dass er selbst noch der Lenkung bedürfe und daher nicht selbst lenken könne, resultierte die Ablehnung Philipps von Schwaben sowohl aus kirchenrechtlichen wie auch aus politischen Argumenten, die den Staufer teilweise in Sippenhaft für die Taten seiner Vorfahren, das genus persecutorum, nahmen.779 Zwar werden die Übeltaten seiner Vgl. ebd., Nr. 77, S. 211: Tibi etiam domino meo Innocentio pape et successoribus tuis omnem obedientiam et honorificentiam exhibebo quam devoti et catholici imperatores consueuerunt sedi apostolice exhibere. Stabo etiam ad consilium et arbitrium tuum de bonis consuetudinibus populo Romano seruandis et exhibendis et de negotio societatis Tuscie ac Lombardie. Similiter etiam consilio tuo et mandato parebo de pace uel concordia facienda inter me et Philippum regem Francorum. 776 Vgl. ebd., Nr. 29, S. 74–91. 777 Vgl. ebd., Nr. 21, S. 59–64. 778 Vgl. ebd., Nr. 33, S. 102–110, bes. S. 104 ff. 779 Vgl. dazu ebd., Nr. 29, S. 83 ff., wo die Übergriffe der salisch-staufischen Kaiser in Belange der Kirche und des Papsttums detailliert abgehandelt werden. 775

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Vorgänger und Vorfahren im Einzelnen abgehandelt, doch ist interessant, dass die unterschiedliche Amtsauffassung, die immer wieder zum Dissens und Konflikt geführt hatte, nicht explizit angesprochen wird: der Anspruch des Papsttums auf Suprematie in Kirche und Welt, und daraus abgeleitet auf Gehorsam der Könige und Kaiser. Dieser Anspruch aber schloss die Unterstützung des Staufers so lange aus, wie dieser nicht zur Anerkennung seiner Gehorsamsverpflichtung bereit war. Kirchenrechtlich gravierend war dagegen die Einschätzung, dass Philipp als Exkommunizierter zum König gewählt worden war, was seiner Wahl einen ernsten Makel anheftete.780 Aus der Summe dieser Argumente ergab sich die entschiedene Ablehnung des Staufers, daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass sich eine große Anzahl von Wählern mit großem Eifer (zelus) für Philipp entschieden hatte. Im Umkehrschluss stellte der treue Dienst, den Ottos Vorfahren der Kirche und dem Papsttum geleistet hatten, genügend Kapital bereit, mit dem der Welfe wuchern konnte. Schließlich entstammte er, wie Innocenz ausführt, sowohl mütterlicher- wie väterlicherseits aus einem Geschlecht von der Kirche Ergebenen (genus devotorum).781 Dagegen fiel nach Innocenz nicht ins Gewicht, dass er nur von wenigen erwählt worden war, weil unter ihnen solche waren, denen die Königswahl principaliter zur Aufgabe gestellt war.782 Auch im Falle Ottos aber bleibt das wichtige Argument, das für Otto sprach, in Innocenz’ Überlegungen eher unausgesprochen: dass er sich in umfassender Weise zum Gehorsam gegenüber dem Apostolischen Stuhl verpflichtet hatte, was Philipp von Schwaben gerade in der Anfangsphase vollständig vermied.783 Zu einem Schiedsgericht unter dem Vorsitz Innocenz’ ist es in dem ganzen Verlauf des Konflikts jedoch nicht gekommen, obgleich der Papst diese ­Option nie aus dem Auge verlor. In der Folgezeit musste er daher mehr auf die Wirkung des favor apostolicus setzen, der päpstlichen Unterstützung Ottos, da er von der unter den Fürsten des Reiches verbreiteten Haltung wusste, dem Papst keine autoritative Einmischung in die deutsche Königswahl zu gestatten.784 Damit fügte er sich flexibel den politischen Kräfteverhältnissen und versuchte nicht, die Ansprüche päpstlicher Vollgewalt um jeden Preis durchzusetzen.

Vgl. dazu ebd., S. 80 f. mit der Schlussfolgerung: Unde patet, quod fuerit excommunicatus electus. 781 Ebd., S. 90. 782 Ebd., S 88, hiermit sind wohl die drei rheinischen Erzbischöfe gemeint. 783 Vgl. jedoch die Veränderung seiner Haltung in dieser Frage unten bei Anm. 791. 784 Vgl. dazu MALECZEK, Das Frieden stiftende Papsttum, S. 280 ff. (mit Hinweisen auf die ältere Literatur in Anm. 130); KRIEB, Vermitteln und Versöhnen, S. 88 ff.; STÜRNER, Dreizehntes Jahrhundert, S. 165 ff. 780

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In der Forschung ist viel über den rechtlichen wie den politischen Charakter dieses favor apostolicus geschrieben worden.785 Er umfasste Begünstigung und Unterstützung in allen relevanten Bereichen, wie sie Innocenz denn auch in der Folgezeit Otto IV. dadurch zukommen ließ, dass er seinen Einfluss in vielfältiger Weise für ihn geltend machte, geistliche und weltliche Fürsten zu seiner Anerkennung aufforderte, ihm selbst Ratschläge für seine Lebens- und Herrschaftsführung gab und vieles mehr. Nicht zuletzt legte er ihm eindringlich ans Herz, die Herrschertugend der Freigiebigkeit zu beachten und nicht mit Belohnungen und Ehrungen zu geizen, um die ihn unterstützenden Magnaten zufriedenzustellen, und erwies auch so, dass er realistische Vorstellungen davon hatte, wie die Politik seiner Zeit funktionierte: „Wohlwollen und Zuneigung, Ehre und Gnade erweise allen, teuerster Sohn, und enthalte dich harter Reden und gewalttätiger Taten. Mit Zugeständnissen sei nicht schwierig, mit Versprechungen nicht karg, aber halte sie auch getreulich.“786 Neben solchen direkten Einwirkungen auf das Verhalten Ottos unterstützte den Welfen vor allem das Wirken der päpstlichen Legaten, die auch mit dem Mittel der Exkommunikation drohten, um Anhänger Philipps in ihrer Haltung schwankend zu machen. Überdies war Innocenz aus der Ferne durch Briefe aktiv, mit denen er zugunsten Ottos in die Auseinandersetzungen einzugreifen und auf die Anhänger wie die Gegner des Welfen Einfluss zu nehmen suchte. Der Hinweis auf die Flut von Briefen, mit denen er am 1. März 1201 seine Entscheidung für Otto IV. öffentlich bekannt machte, mag ausreichen, um die Intensität des favor apostolicus für den Welfen anzudeuten.787 Welch große Rolle hierbei die Forderung unbedingten Gehorsams gegenüber dem Apostolischen Stuhl spielte, sei mit den Drohungen gegenüber den Erzbischöfen Ludolf von Magdeburg und Adolf von Köln verdeutlicht, die unter Hinweis auf 1 Samuel 15, 22  ff., dem bevorzugten Zitat schon Papst Gregors VII., mit der Exkommunikation bedroht wurden und so in die Front der Unterstützer Ottos IV. gezwungen werden sollten.788 Seine eigene Position hat Innocenz also mehrfach sehr grundsätzlich artikuliert, wobei die Forschung zu Recht betont hat, dass er hierbei seine territorialpolitischen Ansprüche auf Mittelitalien und auf die Trennung Siziliens vom Reich in den Hintergrund rückte, obgleich diese seine Haltung im Vgl. dazu grundlegend KEMPF, Der „favor apostolicus“, sowie KRIEB, Vermitteln und Versöhnen, bes. S. 91 ff. mit weiteren Hinweisen. 786 Vgl. Regestum Innocentii III papae super negotio imperii, Nr. 153, S. 351; dazu KRIEB, Vermitteln und Versöhnen, S. 105 f.; ALTHOFF, Otto IV., S. 209. 787 Vgl. ebd., Nrn. 32–49, S. 97–135, wobei immer wieder mit der Formulierung in eundem modum deutlich gemacht wird, dass die entsprechenden Briefe gleichlautend an viele weitere Empfänger gingen. 788 Vgl. ebd., Nr. 109, S. 271 (Ludolf von Magdeburg); Nr. 116, S. 288 (Adolf von Köln); s. dazu bereits ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, S. 205 f. 785

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Thronstreit gewiss auch stark bestimmten. Begründet hat er seine Positionen viel grundsätzlicher und hierbei Aspekte des Rechts, der Moral und des politischen Nutzens akzentuiert, die er für alle drei Kandidaten zunächst in einer deliberatio vor den Kardinälen und in Briefen an die deutschen Fürsten systematisch ausbreitete.789 Ziel des Papstes blieb dabei immer, bei einer gütlichen Lösung des Konflikts als mediator beteiligt zu sein oder als arbiter einen Schiedsspruch fällen zu können, obgleich er eigentlich durch seine parteiischen Äußerungen für diese Funktionen kein idealer Kandidat war. Sein Besitz der plenitudo ­potestatis prädestinierte ihn nach eigener Einschätzung jedoch zum Entscheider in dieser Angelegenheit, und dieses Bewusstsein prägte sein ganzes Verhalten. In dem lang andauernden Streit haben sich die Fronten und Kräfteverhältnisse mehrfach gravierend verändert. Dies lag weniger an der Wirkung der grundsätzlichen Argumente als vielmehr an politisch-militärischen Veränderungen durch Parteiwechsel und militärische Erfolge. Dies muss in unserem Zusammenhang nicht genauer dargestellt werden. Schließlich gewann jedenfalls die Partei Philipps so an Stärke, dass Papst Innocenz trotz aller Zuneigung zum genus devotorum der Welfen und seiner Abneigung gegen das genus persecutorum der Staufer sich genötigt sah, Kontakte zum siegreichen Philipp aufzunehmen. Hierbei erwies es sich, dass auch die staufische Partei wusste, dass die Bereitschaft zu Ehrerbietung und Gehorsam unabdingbare Voraussetzung einer Zusammenarbeit mit dem Papst war. Dementsprechend gestaltete der Staufer nun seine Annäherung an Innocenz. Dies zeigt sich nirgends deutlicher als in einem Brief, mit dem Philipp von Schwaben den erneuten Kontakt zu Innocenz zu knüpfen versuchte. An der Abfassung des Briefes war vielleicht Wolfger, der Patriarch von Aquileja, beteiligt, der in dieser Zeit als Vermittler Innocenz’ am Hofe Philipps von Schwaben weilte, eine Tätigkeit, die er auch in der Folgezeit wahrnahm.790 In dem Brief lässt der Staufer die lange Reihe der Dissenzen und Streitpunkte mit Innocenz Revue passieren, bittet um Verständnis für seine Sicht der Dinge und macht Vorschläge zur Lösung der Probleme. Am Schluss aber eröffnete er dem Papst einige überraschende Angebote, die er mit der Anerkennung bisher abgelehnter päpstlicher Geltungsansprüche verband: So versprach Philipp, zur Herstellung von pax und concordia zwischen ­sacerdotium und regnum sich „euren Kardinälen und unseren Fürsten zu unterwerfen“.791 Er brachte nun also selbst die Idee eines Schiedsgerichts ins 789 790 791

Vgl. vor allem ebd., Nr. 21, S. 59–64; Nr. 29, S. 74–91(Deliberatio); Nr. 33, S. 102–110. Vgl. dazu KRIEB, Vermitteln und Versöhnen, S. 172 ff. mit weiteren Hinweisen. Vgl. Regestum Innocentii III papae super negotio imperii Nr. 136, S. 322: Preteria pro reformanda pace et concordia inter uos et nos, inter sacerdotium et imperium, quam nos semper desiderauimus, subiecimus nos uestris cardinalibus et nostris principibus. Der

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Spiel. Dann bekannte er zu glauben, zu wissen und zu bezeugen, dass Christus dem heiligen Petrus die Schlüssel des Himmelreiches und das Recht zu binden und zu lösen übertragen habe, dem die Päpste in dieser Stellung mit Vollgewalt (plenitudo potestatis) nachfolgten, und diese könnten deshalb von Menschen nicht gerichtet werden, sondern das Urteil über sie sei Gott allein vorbehalten, was er, Philipp, nicht usurpieren wolle.792 Nach diesem Bekenntnis des Glaubens an die wesentlichen Geltungsansprüche des Papsttums seit Gregor  VII. bat Philipp Innocenz um Entgegenkommen in der Frage seiner Exkommunikation, von der er nichts gewusst habe. Direkt anschließend gab er erstmals ein umfassendes Gehorsamsversprechen: „Über alles andere, das ihr uns vorzuwerfen entschieden habt, werden wir wie euer ehrerbietiger Sohn uns gehorsam eurem Urteil und eurer Entscheidung unterwerfen.“793 Wenn Innocenz diese seine Bereitschaft zum ­Gehorsam erst kennengelernt habe, werde er ihn in seine väterliche Liebe aufnehmen. Angesichts solcher Beteuerungen überrascht es nicht, dass Innocenz Philipps Brief äußerst positiv aufnahm und Wolfger von Aquileja mitteilte, dass der Brief „katholische Wahrheit“ wie auch „fromme Ergebenheit“ zeige.794 Der Papst dürfte die Äußerungen Philipps so aufgefasst haben, dass dieser nun ebenfalls seine Pflicht zum Gehorsam gegenüber dem Apostolischen Stuhl anerkannte. Diese Bereitschaft öffnete die Tür für weitere Versuche des Ausgleichs und der Beendigung des Thronstreits, die durch die Ermordung Philipps allerdings nicht zu einem erfolgreichen Abschluss kamen. Damit ist hoffentlich deutlich geworden, dass man die von Innocenz ins sog. „Thronstreitsregister“ aufgenommenen Texte auch als Zeugnisse lesen kann, die uns über Beratungs- und Verhandlungspositionen der Parteien in diesem Streit sehr genau unterrichten. Sie machen zugleich deutlich, welch große Rolle auf kirchlicher Seite die seit dem 11.  Jahrhundert entwickelten Geltungs­ ansprüche des Papsttums bei strittigen Königswahlen immer noch spielten. In Fragen der Binde- und Lösegewalt, der Unrichtbarkeit der Päpste, ihrer For­ derung nach Gehorsam oder ihrer Verantwortung für die Seelen gab es wenig Spielraum, wenn ein Kandidat die päpstliche Unterstützung erhalten wollte. Herausgeber Kempf macht hier die Anmerkung, dass die Äußerung bewusst unklar gehalten sei, was man aus unserer Perspektive eigentlich nicht sagen kann. 792 Ebd.: Cum enim nos pie credamus … Iesum Christum beato Petro apostolo claues regni celorum contulisse et tradidisse ius ligandi atque soluendi, scimus et protestamur quod uos, qui in locum suum cum plenitudo potestatis successistis, in huiusmodi articulis ab homine non estis iudicandus, sed iudicium uestrum soli Deo reseruatur; cuius iudicium et examen, quod tibi soli debetur, nobis non querimus usurpare. 793 Ebd., S.  323: Super omnibus autem aliis que nobis obicere decreueritis sicut deuotus ­f ilius uester obedienter nos discretioni et ordinationi uestre submittemus. 794 Ebd., Nr. 137, S. 324: Responsionem autem ipsius gratam in multis habemus, tum quia sapit catholicam ueritatem, tum quia piam deuotionem ostendit.

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Der favor apostolicus wurde vielmehr nur demjenigen zuteil, der sich als ergebener und gehorsamer Sohn der Kirche auswies und bewährte. Dieser päpstliche Vorstellungshorizont hat aber die politischen Entscheidungen der Akteure in der Zeit des Thronstreits nicht allein bestimmt, sonst wäre der Erfolg des Staufers Philipp kaum zustande gekommen, der vor 1208 den Welfen Otto ganz an den Rand drängte. Vielmehr hören wir von massiven Bemühungen beider Parteien, ihre Anhängerschaft auf Kosten der Gegner zu vergrößern. Die hierbei benutzten Formen und Praktiken stammten aus dem Arsenal der adligen Kriegergesellschaft, die seit langem Verhaltensregeln der Konfliktführung etabliert hatte, von denen wir auch im Thronstreit durchaus häufig hören. Diese Verhaltensregeln wiesen vor allem Wege, wie man im Konflikt die Zahl und die Motivation seiner Helfer beeinflussen konnte. Hier regierte das Prinzip des Gabentausches, das Leistungen durch Gegenleistungen belohnte. Wobei die Knappheit der Ressource Unterstützung den Preis der ­Gegenleistungen durchaus in die Höhe trieb. Diese Vorgänge seien an signifikanten Beispielen vorgestellt, die auch einen Blick in die Beratungen dieser ­Angelegenheiten erlauben.

Parteiwechsel, Abwerbungsversuche und Einflussnahmen im Thronstreit Es dürfte nach der Lektüre anderer Kapitel dieses Buches nicht überraschen, dass auch im Thronstreit nicht nur biblische Exempel und dicta die Argumentationen der Akteure in Beratungen und Verhandlungen bestimmten. Man war vielmehr auch in der Lage, seine Interessen mit sehr diesseitigen Argumenten zur Geltung zu bringen. Überzeugend ist in der Forschung bereits die große Rolle des Geldes in der Politik der Stauferzeit herausgearbeitet worden, die gerade in strittigen Situationen zu beobachten ist.795 So stehen sich in der Tat zwei schwer zu vereinbarende Befunde gegenüber, die das Verhalten der Akteure im Thronstreit beeinflussten. Von unbezweifelbarem Gewicht sind einmal die schon behandelten grundsätzlichen Argumente über die Rollen und Aufgaben der geistlichen wie der weltlichen Gewalt, hinter denen der Geltungsanspruch stand, in grundsätzlichen Fragen wie dem Thronstreit den „rechten Weg“ weisen zu können. Daneben und damit unvereinbar beobachtet man ein intensives Kräftespiel von ­Angebot und Nachfrage, in dem durch Versprechungen wie durch Drohungen die Anhängerschaft beider Parteien in ihrer Loyalität zum Wanken gebracht wurde. Es gehörte wohl nicht zum selbstverständlichen Ehrenkodex der Führungsschichten, verlockende Angebote der Gegenseite allein deshalb zu igno795

Vgl. dazu STEHKÄMPER, Geld bei deutschen Königswahlen des 13.  Jahrhunderts; ­GÖRICH, Geld und „honor“; KAMP, Geld, Politik und Moral.

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rieren, weil man zur Treue gegenüber den bestehenden Bindungen verpflichtet war. Selbst Innocenz III. war sich ja bewusst, dass politischer Erfolg ohne Freigiebigkeit und die Bereitschaft zu großzügiger Belohnung der Getreuen nicht zu haben war.796 Folgerichtig wurde mit beträchtlichem finanziellen und anderem Einsatz versucht, Große in vertraulichen Beratungen zum Parteiwechsel zu veranlassen, was in nicht wenigen Fällen gelang. Diese Tatsache weist auf eine Ebene von Beratung und Verhandlung in den politischen Kräftefeldern, auf der der eigene Vorteil das Denken und Handeln bestimmte und weniger die so häufig beschworene Treue zu bestehenden Bindungen. Es sei an einigen Fällen verdeutlicht, welche Formen dieses Denken und Handeln unter den Bedingungen des Thronstreits annahm. Spektakulär und symptomatisch war der Fall von König Ottos eigenem Bruder Heinrich, des Pfalzgrafen bei Rhein, dessen Parteiwechsel und seine Hintergründe durch den welfischen Geschichtsschreiber Arnold von Lübeck ausführlich beschrieben werden.797 Es sei vorweg betont, dass das Verhalten des Pfalzgrafen Heinrich durchaus Verständnis des Geschichtsschreibers fand. Damit dürfte klar sein, dass sich seine Forderungen im Rahmen des Üblichen und Erwartbaren bewegten; die Reaktionen seines königlichen Bruders da­ gegen nicht. Arnold schildert die Ausgangslage, die zum Bruch der Brüder führte, wie folgt: „Der Pfalzgraf (Heinrich), welcher mit aller Anstrengung die Partei seines Bruders unterstützte, wurde von Philipp unaufhörlich mit dem Verlust seiner Pfalzgrafschaft am Rhein bedroht, wenn er nicht von seinem Bruder lasse … Daher kam es dem Pfalzgrafen hart vor, auf beiden Seiten Einbußen leiden zu sollen, nämlich im Dienste seines Bruders das Seinige aufzuwenden und dadurch, dass er Philipp hintansetze, die Pfalzgrafenwürde zu verlieren.“798 Um diese missliche Situation zu beenden, brachte er seine Lage vor dem Bruder vertraulich (clanculo) zur Sprache und stellte dabei eine Forderung, die er als billig (aequum) ansah: „Bruder, ich bin dir zu dienen aus doppelten Gründen verpflichtet, sowohl wegen der Bande des Blutes, als wegen der der königlichen Majestät schuldigen Treue. Um dich nun in vollem Maße unterstützen zu können, so ist es billig, dass ich von dir einige Vorteile dafür erhalte. Darum übergib mir die Stadt Braunschweig und die Burg Lichtenberg, damit ich, durch diese festen Plätze stark und sicher, allen deinen Widersachern ringsumher zu widerstehen vermag.“ Pfalzgraf Heinrich hatte damit in höflicher Form auf ein Grundgesetz in mittelalterlichen Beziehungen hingewiesen: dass man für Leistungen Gegen-

Vgl. oben bei Anm. 786. Vgl. dazu bereits HUCKER, Otto IV., S. 359 ff.; ALTHOFF, Otto IV., S. 204 ff. 798 Vgl. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum, VI, 6, S. 227. Die folgenden Zitate ebd. 796 797

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leistungen erwarten durfte (do ut des).799 Er hatte überdies die Ehre des Bruders gewahrt, indem er die Spielregeln der Politik einhielt, strittige Fragen vertraulich anzusprechen. Selbst Arnold deutet seine Meinung zur Frage der Berechtigung dieser Forderung dadurch an, dass er König Ottos Antwort als tendenziell verächtlich (non sine dedignatione) charakterisiert: „Nicht so, mein ­Bruder; besser ist es, dass ich zuerst der Zügel des Reiches mich kraftvoll bemächtige und dass du dann alles, was du willst, mit mir zusammen gemeinschaftlich besitzest. Es soll nicht scheinen, als täte ich aus Furcht oder Besorgnis etwas, was ich vielleicht nachher zu bereuen hätte und dann wieder zurückzunehmen mich genötigt sähe.“ Die Antwort seines königlichen Bruders verletzte das angesprochene Grundgesetz, denn sie vertröstete Pfalzgraf Heinrich auf eine ungewisse Zukunft, wobei er auf einen vagen gemeinschaftlichen Besitzanspruch verwiesen wurde, in der Gegenwart jedoch keine Gegenleistungen bekommen sollte, obgleich er sie dringend benötigte. Man ist hier lebhaft an die Mahnung erinnert, die Papst Innocenz Otto mit auf den Weg gab: „Mit Zugeständnissen sei nicht schwierig, mit Versprechungen nicht karg, aber halte sie auch getreulich.“800 Damit hatte selbst der Papst dem adligen Standesethos Rechnung getragen, das der Freigiebigkeit einen hohen Stellenwert einräumte.801 Nichts davon scheint der Welfe hier zu beherzigen, denn das Angebot, alles gemeinschaftlich zu besitzen, wenn er sich erst einmal als König durchgesetzt habe, deutet in der Tat auf Verächtlichmachung des Bruders hin, weil eine Herrschaft „zu gesamter Hand“ im Falle des Königtums völlig unüblich war. Jedenfalls entzog sich Otto der Forderung, dass Könige die Leistungen ihrer Getreuen großzügig und freigiebig zu belohnen hatten, mit dieser Antwort vollständig. So erscheint die ­Reaktion des Bruders konsequent, er ging zu Philipp über, der ihn nach einer Unterwerfung als Lehnsmann annahm und ihm auch die Pfalzgrafschaft bei Rhein beließ.802 Wie man sich in solchen Situationen als König richtig verhielt, erzählt Arnold an anderer Stelle am Beispiel König Philipps, der ihm angebotene vertrauliche Hilfsdienste überaus reich belohnte: „Der Graf von Jülich begann hinterlistige Pläne zu schmieden, indem er heimlich Boten und Briefe an König Philipp sandte mit dem Angebot, wenn der König ihm Ehren und Reichtümer verleihen wolle, werde er alle vornehmen Anhänger Ottos, und darunter selbst den Erzbischof von Köln, für ihn gewinnen.“803 S. dazu BIJSTERFELD, Do ut des, bes. S. 17 ff. Vgl. oben Anm. 786. 801 S.  dazu bereits KALLFELZ, Standesethos des Adels, bes. S.  23  ff.; STÖRMER, Früher Adel, bes. S. 464 ff. 802 S. dazu KRIEB, Vermitteln und Versöhnen, S. 37 mit Anm. 100. 803 Vgl. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum, VII, 1, S.  254  f.; das folgende Zitat ebd. Ausführliche Analyse des Vorgangs schon bei KRIEB, Vermitteln und Versöhnen, 799

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Es soll nicht behauptet werden, dass diese Nachrichten tatsächliches Geschehen wiedergeben. Sie sind für uns aber schon deshalb wertvoll, weil sie ­offensichtlich Verhalten schildern, das der Autor als denkbar und plausibel einschätzte, wie nicht zuletzt die anschließend berichtete Reaktion König Philipps beweist: „Dieser ließ hocherfreut antworten, er möge an einem bestimmten Ort mit ihm zusammenkommen, was denn auch geschah. Nun nahm ihn Philipp durch einen Eidschwur auf das Engste für sich in Pflicht und gab ihm einen Hof, welcher 600 Mark Rente zahlte, zu Lehen, entließ ihn auch erst, nachdem er ihn mit Gold und Silber, kostbaren Kleidern und Rossen reich beschenkt und auch seine Begleiter und Angehörigen wohl bedacht hatte. Danach wusste Graf Wilhelm den Erzbischof und alle angesehenen Männer so zu täuschen, dass alle sich von Otto ab- und Philipp zuwandten.“ Auch dies muss nicht alles so geschehen sein. Es spricht allerdings viel dafür, dass die beschriebenen Verhaltensweisen beider Seiten denkbar und angemessen waren. Wir haben hier wieder den Typus eines Fürsprechers und Unterhändlers vor uns, der für eine Partei bei einer anderen „arbeitet“, zu der er gute Beziehungen hat. Auf diese Weise wurden Möglichkeiten von Allianzen und Bündnissen ausgelotet und vertraulich vorbereitet.804 Wertvolle Unterstützung aber hatte Anspruch auf hohe Belohnung, und das unabhängig von einer moralischen Bewertung dieser Unterstützung, wie wir gleichfalls schon den Ausführungen Gisleberts von Mons entnehmen konnten.805 Auch aus früheren Jahrhunderten haben wir genügend Belege für Personen, in deren Hände man die Beeinflussung Mächtiger legte und die dann an dieser Aufgabe „arbeiteten“.806 Diese Aufgabe scheint also institutionalisiert gewesen zu sein und vor allem dann Erfolg versprochen zu haben, wenn sie von einer Person mit Geschick und Prestige übernommen wurde. So konnte man auch die ungewöhnliche Tatsache erklären, dass Erzbischof Adolf von Köln in der Tat von dem König abfiel, dem er selbst die Königskrone verschafft hatte, und sich seinem Gegenspieler anschloss.807 Allerdings ist dieser Parteiwechsel keineswegs allein dem Wirken des Grafen von Jülich zuzuschreiben. Die entscheidenden Verhandlungen in Andernach führten neben König Philipp nämlich die Bischöfe Johann von Trier, S. 44 ff. mit Hinweisen auf bestätigende Quellenäußerungen. Vgl. dazu bereits Kap. V. 5 mit den Berichten Gisleberts von Mons, in denen dieser Typus nahezu regelmäßig auftaucht. 805 Vgl. oben bei Anm. 716, 724, 735 mit Belegen, wie Unterhändler sich für neue Allianzen und für die Aufgabe bestehender Bindungen stark machen. 806 Vgl. dazu etwa die Beauftragung Bischof Giselberts von Merseburg durch Magdeburger Domkleriker zur Beeinflussung Kaiser Ottos II., Thietmar, Chronicon, III, 13, S. 98 ff.; die Beauftragung Ottos II. durch St. Galler Mönche zur Beeinflussung Ottos I., Ekkehard, Casus Sancti Galli, cap. 128–133, S. 248–261. 807 Zu den Hintergründen der Entscheidung Erzbischof Adolfs vgl. HUCKER, Otto  IV., S. 78 ff.; STÜRNER, Dreizehntes Jahrhundert, S. 168 f. 804

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­ iethelm von Konstanz und Konrad von Speyer, die ebenfalls gute BeziehunD gen zu beiden Seiten hatten.808 Hier ist also wieder das Prinzip zu fassen, im Laufe der Anbahnung von Bündnissen zunehmend höherrangige Vermittler und Fürsprecher einzuschalten. Überdies sprechen die Quellen auch in diesem Fall davon, dass König Philipp die Bereitschaft des Kölner Erzbischofs nicht nur zum Parteiwechsel, sondern auch zur Gewinnung weiterer Überläufer durch eine sehr hohe Geldsumme von 9000 Mark förderte, die dem Kölner seine größten Geldsorgen abnahm.809 Gezielt sollte sich Erzbischof Adolf um den Herzog Heinrich von Brabant, und damit um den Schwiegervater König Ottos, bemühen, was dieser denn auch erfolgreich tat. Er konnte dies wohl deshalb erfolgreich tun, weil er mit dem Herzog ein Freundschaftsbündnis abgeschlossen hatte, das beide verpflichtete, die Bande ihrer Freundschaft nicht aufgrund anderer Freund- oder Feindschaften zu ­lösen.810 Das konnte man so interpretieren, dass beide einen Wechsel ihrer Freunde und Feinde zugleich vornehmen mussten, wie es Erzbischof Adolf und Herzog Heinrich dann auch taten. Ein Veto des Freundes hätte den Parteiwechsel aber auch unmöglich machen können. Man sieht an diesem Beispiel sehr deutlich, wie die enge Netzwerkstruktur der Führungsschichten sozusagen Dominoeffekte ermöglichte, weil es keine unstrittige Hierarchie der unterschiedlichen Bindungen und Verpflichtungen gab. So leistete Herzog Heinrich von Brabant bei einem weiteren Treffen zusammen mit dem Kölner Erzbischof und anderen vornehmen Lothringern König Philipp den Treueeid.811 Es versteht sich, dass der Herzog dabei von seinem neuen Herrn reich ausgestattet wurde. Genauso wertvoll war wohl sein in diesem Zusammenhang mit König Philipp geschlossener Vertrag, dass man in Zukunft ­sowohl seine Freunde wie seine Feinde teilen wolle. Nahm man dies nämlich ernst, schob es zukünftigen Veränderungen der Parteien doch einen Riegel vor. Das schlagende Beispiel für Praktiken der vertraulichen Willensbildung und daraus resultierende Parteiwechsel in diesem Thronstreit stellt aber das Verhalten des Landgrafen Hermann von Thüringen dar, dem sein Verhalten den ­Beinamen „Windfahne“ eintrug, weil er mehrfach von einem König zum an­ deren wechselte.812 Mehrere Quellen geben ausführlich Auskunft darüber, mit Vgl. dazu KRIEB, Vermitteln und Versöhnen, S. 44 ff.; MAMSCH, Kommunikation in der Krise, S. 244 ff. 809 Vgl. Annales Sancti Pantaleonis, a. 1204, S. 218. 810 Vgl. dazu KRIEB, Vermitteln und Versöhnen, S. 46. 811 Chronica Regia Coloniensis, Cintinuatio III, S. 219: Coloniensis vero episcopus sacramentum, quod dudum Ottoni fecerat, parvipendens et periurium et excommunicationem apostolici non metuens, post festum sancti Martini ad eundem Philippum cum duce Lovaniae et aliis nobilibus viris Confluentiam venit et ei iuramentum fidelitatis cum duce ibidem fecit. 812 Zu diesem Fall s. ausführlich WIEGAND, Windfahne; TEBRUCK, Reinhardsbrunner Geschichtsschreibung; KRIEB, Vermitteln und Versöhnen, S.  38  ff.; WEINFURTER, 808

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­ elchen Angeboten die Könige seine Parteiwechsel motivierten und honorierten w und auf welche Art und Weise diese Wechsel in die Wege geleitet wurden. Landgraf Hermann, der sich beim Tode Heinrichs VI. auf dem Kreuzzug befunden hatte, scheint angesichts der Wichtigkeit seiner Parteinahme von beiden streitenden Königskandidaten mit Versprechungen überschüttet worden zu sein. Zumindest akzentuiert dies die Hausgeschichtsschreibung der Landgrafen, die Cronica Reinhardsbrunnensis, die hervorhebt, dass König Philipp dem Landgrafen für seine Unterstützung reichlich Burgen und Städte zu Lehen anbot, doch habe König Otto diese Angebote jeweils verdoppelt.813 Andererseits nimmt der unbekannte Autor seinen Landgrafen vor dem möglichen Vorwurf in Schutz, er habe seine Entscheidung nur nach materiellen Vorteilen gefällt. Er erinnert nämlich daran, wie unangemessen der verstorbene Heinrich VI. Otto behandelt habe und dass auch Friedrich Barbarossa den untadeligen Heinrich den Löwen durch ein kaiserliches Urteil gestraft habe. Deshalb habe der Landgraf der beweinenswerten Klage König Ottos nachgegeben und ihn als König erkoren.814 An dieser Argumentation fällt doch auf, dass dem ­Geschichtsschreiber der thüringischen Landgrafen stark daran gelegen war, entlastende Argumente für die Entscheidung seines Herrn zu präsentieren. Immerhin hatte Hermann mit der Zurückweisung König Philipps einen engeren Verwandten im Stich gelassen. Man würde jedoch eine aus „politischer Solidarität“ mit dem Welfen getroffene Entscheidung Hermanns wohl ohne größere Skepsis akzeptieren, wenn es bei dieser einen Entscheidung geblieben wäre.815 Als jedoch König Otto es offensichtlich versäumte, seine materiellen Versprechungen vollständig einzulösen, schloss Landgraf Hermann sich unversehens König Philipp an, von dem er nach Auskunft der Reinhardsbrunner Chronik erneut reich mit Gütern und Besitzungen ausgestattet wurde.816 Dass sich Landgraf Hermann zunächst gegen seinen Verwandten König Philipp entschieden hatte, nahm ihm der Staufer offensichtlich nicht nachhaltig übel. Die Kontaktaufnahme aber hatte nach der

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Verträge und politisches Handeln um 1200, S. 26ff.; MAMSCH, Kommunikation in der Krise, S. 306 ff. Vgl. Cronica Reinhardsbrunnensis, S. 560: Quocirca pacificos mittens ad eum nuncios, urbes, opida, civitates et castra iure feodi ei copiose obtulit (sc. Philipp) … Sane rex Otto eundem adversa fronte principem sibi querens esse favorabilem, quecumque in simplo Philippus obtulit, ille duplicia deleganda spospondit. Ebd.: Enimvero lantgravius Ottoni duci-regis, gerens morem lacrimabili eius querimonie, cum tota miseracione occurrit. Vgl. den zitierten Begriff der „politischen Solidarität“ bei TEBRUCK, Reinhardsbrunner Geschichtsschreibung, S. 323. Vgl. Cronica Reinhardsbrunnensis, S.  562: Proinde neglecta peccunia Thuringie princeps a sacramento fidelitatis se ratus absolutum, mediante regis consilio Odackari ad Philippum applicuit atque innumeras imperii emunitates et predia feodante Philippo indubitanter obtinuit, seque ei fidelitatis sacramento obligavit.

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z­ itierten Quelle König Ottokar von Böhmen besorgt, der in dieser Zeit König Philipp nachhaltig unterstützte und deshalb für die Aufgabe der vorbereitenden Kontakte besonders prädestiniert war.817 Auch hier tat also ein Vermittler gute Dienste, der enge Beziehungen zu beiden Seiten hatte und deshalb auch so delikate Angelegenheiten wie Parteiwechsel vertraulich anbahnen konnte. Papst Innocenz nahm die Sache so ernst, dass er in einem Brief an Erzbischof Konrad von Mainz den Landgrafen mit dem Bann und sein Land mit dem Interdikt ­bedrohte.818 Genützt hat diese Drohung zunächst allerdings nicht. Doch auch diese neue Bindung hielt nur kurze Zeit, denn wohl im Zusammenhang mit der endgültigen Entscheidung Papst Innocenz’ für Otto  IV. wechselte Landgraf Hermann erneut die Seiten, ohne dass ihm König Philipp einen erkennbaren Grund für seinen Abfall gegeben hätte. Wieder reichte es, dass er seine erneuerte Beziehung zu König Otto mit Eid und hominium festigte.819 Die Reaktion König Philipps machte nun aber deutlich, dass er dem bösen Spiel auf seine Kosten ein Ende bereiten wollte. Er unternahm nämlich mit einem großen Heer einen Feldzug gegen den treubrüchigen Landgrafen. Dieser suchte daraufhin erneut die Unterstützung König Ottokars von Böhmen, der sich freilich ähnlich verräterisch verhielt, wie es der Landgraf selbst mehrfach praktiziert hatte. Er erschien zwar mit einem Heer zur Unterstützung Hermanns, knüpfte aber zur gleichen Zeit über den Markgrafen Konrad von Landsberg Kontakte zu König Philipp, um dessen Huld zu gewinnen. Doch auch seinen Vermittler hinterging er, indem es sich durch übereilte Flucht allen weiteren Verhandlungen entzog. Daraufhin blieb auch Landgraf Hermann nichts anderes übrig, als sich König Philipp auf Gnade und Ungnade zu unterwerfen. Die deditio, der sich der Landgraf unterziehen musste, unterschied sich in charakteristischer Weise von anderen Unterwerfungen, wie wir der ausführlichen Darstellung Arnolds von Lübeck entnehmen können: „Als das der Landgraf erfuhr (die Flucht König Ottokars von Böhmen), geriet er noch mehr in Furcht und da er keinen Ausweg mehr zu finden wusste, warf er sich auf Gnade und Ungnade Philipp zu Füßen. Lange Zeit lag er so am Boden, der König aber warf ihm seine Treulosigkeit und Torheit vor, bis er ihn endlich auf Zuraten der Umstehenden aufhob und mit einem Kuss zu Gnaden annahm. Ottokar aber wurde von Philipp so gedemütigt, dass er kaum die Hälfte seines Herzogtums behielt.“820 Vergleicht man dieses Ritual der Versöhnung mit gleichartigen aus der gleichen Zeit, fällt auf, dass einige Akzentsetzungen der rituellen Performance auf Vgl. WINKELMANN, Philipp von Schwaben und Otto IV., S. 138 mit Anm. 2. Vgl. Regestum Innocentii III papae super negotio imperii, Nr. 27, S. 71 f. 819 Vgl. KRIEB, Vermitteln und Versöhnen, S.  40  f.; MAMSCH, Kommunikation in der Krise, S. 314 ff. 820 Vgl. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum, VI, 8, S. 229. 817 818

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bestimmte Aussagen zielten, die den Berichterstattern wichtig gewesen sein müssen. So gewinnt die Bemerkung, dass Philipp den Landgrafen lange am Boden liegen ließ, durchaus durch andere Fälle Plausibilität, in denen zum Ausdruck gebracht wurde, dass dies der Ehre des sich Unterwerfenden besonders abträglich sei.821 Mit der Dauer des Verweilens auf dem Boden wurde nämlich sichtbar gemacht, dass der sich Unterwerfende besonderen Anlass hatte, sich selbst zu entehren: An der Dauer seines Fußfalls konnte man das Maß der Genugtuungsleistung ablesen. Die Notwendigkeit der langen Genugtuungsleistung ergab sich im Falle Hermanns von Thüringen mit einiger Sicherheit aus seinem mehrfachen Parteiwechsel. Und diese Botschaft wurde im Ritual dadurch noch entscheidend verstärkt, dass König Philipp den auf dem Boden Liegenden lange beschimpfte, indem er ihm seine Treulosigkeit und seine Dummheit vorwarf. Erst das Zureden der Anwesenden hat nach der Darstellung den zornigen König bewogen, seine Tiraden einzustellen und mit der Begnadigung und Versöhnung zu beginnen. Einen solchen Akzent hat man meines Wissens sonst nie gesetzt, was zugleich deutlich macht, wie wirkungsvoll er für die Zeitgenossen gewesen sein dürfte. Stellt man in Rechnung, dass die Einzelheiten einer solchen rituellen Aufführung – zumal wenn sie vom Gewöhnlichen so weit abwichen wie hier – geplant und abgesprochen werden mussten, dann dürfte klar werden, welch ausdrucksstarke Variante des Unterwerfungsrituals man in diesem Fall für nötig hielt und vereinbart hatte. Ziel der rituellen Darbietung war sicher nicht zuletzt, dem Landgrafen einen erneuten Wechsel der Parteinahme unmöglich zu machen. Damit wirft die Dramaturgie des Unterwerfungsrituals erhellendes Licht auf die Argumente, die in den Verhandlungen zu dieser Akzentsetzung geführt hatten. Die Regisseure des Rituals hatten in den Verhandlungen durchgesetzt, dass der Kritik am Verhalten des Landgrafen großer Raum gegeben wurde. Dies geschah durch die Länge des Fußfalls und die gleichzeitige Beschimpfung durch den König. In der Performance des Rituals erkennen wir so die Argumente, die sich in den vorbereitenden Verhandlungen durchgesetzt hatten: das Verhalten des Landgrafen war unakzeptabel und musste durch eine massive Genugtuung ausgeglichen werden.

Zur Konkurrenz der Normen im Thronstreit Unsere Untersuchung der Beratungen und Verhandlungen im Zuge des Thronstreits hat wohl einen Befund besonders deutlich vor Augen geführt: Die 821

Vgl. die Geschichte des Markgrafen Dietrich von der Ostmark, der 1177 beim Frieden von Venedig eingegriffen haben soll, als Papst Alexander Friedrich Barbarossa zu lange auf dem Boden liegen ließ, weil dies die Ehre des Kaisers beschädige; s. Chronicon Montis Sereni, S. 156; dazu GÖRICH, Friedrich Barbarossa, S. 451 f.

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Argumentationsstrategien, mit denen die Akteure dem Thronstreit nach 1198 beikommen und ein Ende setzen wollten, konnten unterschiedlicher nicht sein. Sie manifestieren in aller Deutlichkeit das Problem, dass die mittelalterliche Politik von zwei sehr unterschiedlichen Wertevorstellungen geprägt wurde: von der christlichen Theorie einer gottgewollten Ordnung der Welt und von den Gewohnheiten einer ranggeordneten Kriegergesellschaft. Die Frage, welcher dieser normativen Vorstellungen der Vorrang gebühre, hat im gesamten Untersuchungszeitraum immer wieder zu Diskussionen und zu Konflikten -geführt. Für die Zeit des Thronstreits scheint besonders evident, dass die ­Argumentationen auf sehr unterschiedlichem Level angesiedelt waren und weitgehend unabhängig voneinander geführt wurden. Während das Papsttum aus seiner biblischen Legitimation wie der Bindeund Lösegewalt im Himmel und auf Erden (Mt 16, 18) grundsätzliche Folgerungen für seine autoritative Zuständigkeit in wichtigen irdischen Fragen zog und deshalb seine Berechtigung zur Letztentscheidung im Thronstreit durchzusetzen versuchte, war man auf der anderen Seite bemüht, das Problem des Doppelkönigtums in den Beratungen der adligen Kriegergesellschaft mit gängigen Gewohnheiten zu lösen. Man sammelte und vergrößerte mit allen bekannten Mitteln den eigenen Anhang und operierte dabei wie gewöhnlich mit „Versprechungen und Drohungen“.822 Keiner dieser unterschiedlichen Ansätze aber erwies sich in der langen Zeit des Thronstreits als so überzeugend, dass er den alleinigen Geltungsanspruch durchsetzen konnte. Dies ist nicht so über­ raschend, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen könnte. Schließlich sind gerade durch die Beobachtung des Feldes der Beratung seit dem 9. Jahrhundert immer wieder Konstellationen ins Blickfeld getreten, in denen theo­ logisch-hierarchische Vorstellungen auf pragmatisch-utilitaristische stießen, ohne dass sich eine auf Dauer durchsetzte. Insofern markiert der Thronstreit ein besonders signifikantes Beispiel für die Unvereinbarkeit der beiden normativen Vorstellungswelten. Nichtsdestotrotz richteten Bischöfe wie Laien ihr Verhalten im Konflikt an normativen Vorgaben beider Horizonte aus, was für uns schwer nachvollziehbar ist. Doch ließen sie sich häufig auch weder vom drohenden Ehrverlust durch Treuebruch noch von drohender ewiger Verdammnis durch Ungehorsam gegen den Papst davon abhalten, ihre Loyalitäten und Bindungen diametral zu ändern. In den Netzwerken ihrer Gesellschaft fanden sie zudem häufig angesehene Personen, die daran „arbeiteten“, solche Veränderungen zu befördern, und hierbei beträchtliche Erfolge hatten. Trotz aller Vehemenz, mit der in den zeit822

Schon seit dem Frühmittelalter begegnet regelmäßig die Herrschaftstechnik, Unterstützung sowohl durch Versprechungen als auch durch Drohungen (partim blanditiis partim terroribus) sicherzustellen; vgl. dazu bereits ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, S. 266 mit Anm. 26.

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genössischen Quellen Verhalten der Gegner verdammt wird, bleibt so der Eindruck, dass die konstatierte Normenkonkurrenz von den Akteuren des 13. Jahrhunderts dahingehend genutzt wurde, sich für das Normenangebot zu entscheiden, das im konkreten Fall mit den eigenen Interessen, aber auch Sensibilitäten so weit wie möglich konform ging. Diese Entscheidung sorgte dafür, dass die einen sich vorrangig an kirchlich-theologischen Normen orientierten, die anderen mehr den Vorgaben der Freundschafts- oder Verwandtschaftsmoral Folge leisteten, die dritten ihren materiellen Interessen den Vorzug gaben. Eine solche Orientierung war jedoch nicht irreversibel, wie die zahlreichen Parteiwechsel belegen. Sie machen deutlich, dass Treue keineswegs ohne entsprechende Leistungen erwartet werden konnte. Die Netzwerke blieben alles andere als stabil, sondern veränderten sich durch Angebot und Nachfrage deutlich, weil das Prinzip von Leistung und Gegenleistung die Entscheidungen vieler bestimmte.

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VI. Zusammenfassung Die Zusammenfassung kann und soll nicht die Funktion erfüllen, den Gang der Untersuchungen noch einmal in geraffter Form nachzuzeichnen. Die einzelnen Kapitel gewinnen ihre Existenzberechtigung auch dadurch, dass empirische Befunde zur Beratung des königlichen Herrschaftsverbandes der Karolinger, Ottonen, Salier und Staufer aus der Überlieferung erarbeitet wurden. Zumindest die Vorstellungen der Autoren, wie sie sich Ablauf und Argumentation in Beratungen und Verhandlungen dachten und wiedergaben, sind auf diese Weise gesammelt und der Auswertung zugänglich gemacht worden. Dies erscheint unabhängig davon von Wert, ob sich die Darstellungen in ihrer Gesamtheit zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen lassen oder nicht. Dennoch fehlt uns ohne Zweifel an vielen Stellen ein ausreichendes Verständnis für die beschriebenen Vorgänge. Wir durchschauen bisher etwa nicht wirklich, welchen Sinn die Vermischung von informellen und formellen Beratungen hatte, noch können wir das Ausmaß an Vorbereitungen einschätzen, das formelle Beratungen dem Anschein nach zu Inszenierungen mit abgesprochenem Ausgang machte.823 Dies sind nur zwei der vielen Fragen, die diese Untersuchung nicht beantwortet, sondern lediglich bewusster gemacht hat. Es ist deshalb nicht das geringste Anliegen der Zusammenfassung, auf Probleme und Schwierigkeiten hinzuweisen, die die komplexen Vorgänge um die Beratung und Konsensherstellung im Mittelalter dem modernen Verständnis bereiten. Wie auf anderen Feldern der mittelalterlichen Geschichte scheint man auch hier gut beraten, die Fremdartigkeit der herrschenden Vorstellungen und Praktiken nicht zu verschleiern, sondern zum Thema zu machen. Unter vier Aspekten soll daher nicht zuletzt von Schwierigkeiten und Herausforderungen die Rede sein, die das Gebiet der mittelalterlichen Beratung dem modernen Verständnis bietet, zugleich aber werden Hinweise auf einige Aspekte des Themas gegeben, die durch die vorliegenden Untersuchungen ins Blickfeld gerückt wurden.

823

Vgl. dazu aber unten nach Anm. 888.

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1. Beratung im Spannungsfeld von Gewohnheit und Willkür

1. Beratung im Spannungsfeld von Gewohnheit und Willkür Begonnen sei mit dem Versuch einer Antwort auf die Frage, inwieweit Regeln das Verhalten der Akteure in den Beratungen festlegten oder aber Freiräume existierten, die vor allem der Willkür des Königs und seiner ranghöchsten Ratgeber Möglichkeiten boten, die Beratungen in ihrem Interesse zu lenken und zu instrumentalisieren. Die Frage nach den Regeln zielt implizit auf die Bewertung des politischen Stellenwerts der Beratung: Ist die Beratung des Herrschaftsverbandes als eine Institution einzuschätzen, mit der echte Partizipation von Kirche und Adel an der Königsherrschaft möglich und erreicht wurde, oder diente Beratung eher als Inszenierung von scheinbarer Partizipation, die von der Willkür des Königs abhängig blieb? Es dürfte selbstverständlich sein, dass diese Frage nicht im Sinne eines strikten entweder-oder, sondern eher mit einem „mehr oder weniger“ beantwortet werden kann. Die in diesem Buch vorgenommene Analyse einer großen Anzahl von einschlägigen Berichten erbrachte jedenfalls ausreichende und konkrete Belege dafür, dass für die Beratung des königlichen Herrschaftsverbandes eine Reihe von Regeln existierte, die alle Beteiligten, auch der König, zu befolgen hatten. Dies bedeutet natürlich nicht, dass sie nicht auch gebrochen wurden. Diese ­Regeln gaben der Königsherrschaft Struktur, setzten ihr aber auch Schranken. Sie konkretisierten sich in „Gewohnheiten“, die nirgendwo schriftlich fixiert waren.824 Die Gewohnheiten existierten vielmehr als kollektive Vorstellungen in den Köpfen der politischen Akteure, was mit einer beträchtlichen Unschärfe einherging. Da man sich deshalb immer wieder explizit darüber verständigen musste, welche Gewohnheit anzuwenden war und was sie konkret beinhaltete, fragte man gewöhnlich erfahrene, weise und ranghohe Männer. Diese „fanden“ dann die Gewohnheit und konkretisierten ihren Inhalt, indem sie ihre Kenntnis von Präzedenzfällen und exempla nutzten oder auch Sinnsprüche anwandten oder biblische Vorbilder als Verhaltensnorm heranzogen.825 Sie griffen mit anderen Worten auf Normvorstellungen unterschiedlicher Herkunft zurück. Erst Auf diesem weiten Feld sind die „Rechtsgewohnheiten“ weit intensiver erforscht worden – vgl. im europäischen Vergleich ANDERSEN – MÜNSTER-SWENDSEN (Hg.), Custom; aus deutscher Perspektive DILCHER (u. a.) (Hg.), Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheiten im Mittelalter; PILCH, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten, bes. S. 273 ff. – als der durch Gewohnheiten geregelte Ablauf des sozialen und politischen Lebens, s. dazu zuletzt ALTHOFF, Mittelalterliche Verfassungsgeschichte und Spielregeln der Politik: ein Nachwort. 825 Vgl. dazu grundlegend KERN, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht, S. 122 ff. mit Anhang VII, Anm. 276 (Rechtsfindung und Rechtsgebot), S. 266 ff.; neuerdings KROESCHELL, Rechtsfindung; zuletzt die Beiträge in JANSEN – OESTMANN, Gewohnheit, Gebot, Gesetz. 824

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VI. Zusammenfassung

­ adurch, dass im konkreten Fall über sie verhandelt wurde, bekamen solche d Gewohnheiten einen expliziten Charakter und gewannen so an Eindeutigkeit. Welche Gewohnheiten, die als normative Grundlagen von Beratung fungierten, kann man nun konkret benennen? Ein grundsätzliches Recht auf Beteiligung an der Beratung wurde bereits seit der Karolingerzeit von Angehörigen des Adels und Vertretern der Kirche als Anspruch erhoben, der sich schnell verfestigte. Dieses Recht zu missachten, führte zu gravierenden Konsequenzen. Es genügt, an die Fälle zu erinnern, in denen die Nichtberücksichtigung politischer Kräfte aus Adel oder Kirche Empörung und Widerstand auslöste und zu bewaffneten Konflikten führte.826 Die Betroffenen sahen sich um ein Recht gebracht, für das sie zu kämpfen bereit waren. Die Unterstützung, die sie in aller Regel bekamen, zeigt wohl auch, dass ihre Ansprüche von vielen als gute, alte Gewohnheit angesehen wurden. Der grundsätzliche Anspruch von Adel und Kirche auf Beteiligung an der Beratung war also durch die Gewohnheiten gedeckt. Es wäre allerdings verfehlt anzunehmen, dass dieser Anspruch bis in alle Einzelheiten geregelt gewesen wäre. Dass exakte Regelungen fehlten, bot gewiss dem König seinerseits große Möglichkeiten, die Beratungen an seinen Interessen auszurichten. Die deutliche Bevorzugung Einzelner bei der Beratung führte ebenfalls zu massiven Konflikten, weil auch dies als Bruch der guten Gewohnheiten angesehen wurde.827 Es war mehrfach von der Vertreibung eines „Günstlings“ aus der Nähe der Herrscher zu berichten, was zeigt, wie sensibel ein Herrschaftsverband reagieren konnte, wenn an die Stelle der Beratung mit „den“ Großen die Bevorzugung eines einzelnen Ratgebers trat, zumal wenn es sich bei diesem um eine Person niederen Ranges handelte.828 Deshalb ist kaum zu bezweifeln, dass bei der Herstellung des Konsenses der Getreuen bestimmte Ratgeber größeres Gewicht hatten als andere. Dies bezeugt auch eine weitere Regel von einigem Gewicht, denn die Reihenfolge, in der Rat gegeben wurde, orientierte sich am Rang der Personen, die an einer Beratung teilnahmen. Mit einiger Sicherheit folgte daraus, dass die ranghöchsten Ratgeber als erste Sprecher die Richtung bestimmten, in die die Entscheidungsvorschläge und damit die Meinungsbildung gingen. Die Fälle, in denen kontroverse Äußerungen dazu führten, dass die allgemeine Beratung unterbrochen und in „kleinerem Kreis“ fortgesetzt wurde, machen zudem deutlich, dass man den Austrag von Meinungsverschiedenheiten so weit wie möglich zu vermeiden suchte.829 Polemische, ironische oder gar höhVgl. nur die Beispiele des Verhaltens Ludwigs des Frommen, oben bei Anm. 99 ff.; Ottos des Großen, oben bei Anm. 260; Heinrichs IV., oben bei Anm. 395. 827 Vgl. dazu die Beispiele bei Anm. 100, 361 und 377. 828 Vgl. dazu weitere Beispiele bei Anm. 215 ff. 829 Vgl. dazu die Beispiele aus Anlass der sächsischen Willensbildung im Jahre 1002, oben bei Anm. 311 ff.; oder die separate Beratung der Bischöfe bei der Gründung Bambergs 826

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nische Einlassungen waren schnell konfliktauslösend, auch wenn sie hin und wieder vorkamen.830 Man sollte hier auch die zahlreichen Hinweise bedenken, dass die Regeln eine Rang und Ehre des Gegenübers achtende Sprache verlangten.831 Gerade gegenüber dem König hat dies dazu geführt, dass die licentia loquendi oder gar lamentandi nötig war, um überhaupt das Wort ergreifen zu können. Überdies erforderte die Ehre des Königs und die anderer ranghoher Beteiligter, dass Form und Inhalt der Äußerungen die Ehre des Gegenübers achteten. Das bedeutete, dass Forderungen nur als Bitten vorgetragen werden konnten oder Kritik als Mahnung. Die Beachtung der Rangordnung prägte also das Verhalten bei der Beratung nachhaltig. Die Beendigung von Beratungen im Tumult oder ihr Abbruch beweisen andererseits, dass bestimmte Verhaltensweisen nicht toleriert wurden, aber dennoch vorkamen, so dass ein Verstoß gegen diese Erwartungshaltung zum Scheitern der Beratung führte.832 So wurden in den Auseinandersetzungen zwischen der höchsten geistlichen und weltlichen Gewalt im 11.  Jahrhundert mehrfach Beratungen und Verhandlungen abgebrochen, weil die eine Seite Äußerungen der anderen als Beleidigung von König bzw. Papst auffasste, die sie nicht einmal anhören wollte.833 Auch dies weist auf einen hohen Geltungsanspruch von Regeln, die für das Verhalten bei der Beratung hinsichtlich Wortwahl und Rücksichtnahme auf Rang und Ehre der Beteiligten existierten. Wenn Geschichtsschreiber, was sie nicht selten tun, Redebeiträge in einer Beratung in wörtlicher Rede wiedergeben, wird gleichfalls in aller Regel deutlich, dass strikte Formen der Ehrerbietung und Höflichkeit zu beachten waren, wenn man von den Königen um Rat gebeten wurde oder die Erlaubnis erhielt, ein Anliegen vorzutragen.834 Dies sei noch einmal unterstrichen mit dem Beispiel einer Beratung unter Friedrich Barbarossa, bei der es um die Sitzordnung der Fürsten ging. Arnold von Lübeck schildert diese Szene in großer Ausführ1007, oben bei Anm. 334 f. Es ist hier darauf hinzuweisen, dass in der mittelalterlichen Literatur kontroverse Beratungen viel häufiger begegnen als in historiographischen Quellen; vgl. dazu RIEGER, „E trait sos meillors omes ab un consel“, S. 231 ff. 830 Vgl. dazu etwa die Äußerungen Herzog Heinrichs von Bayern gegen den Königssohn Liudolf 954, oben bei Anm. 276. Allg s. auch ALTHOFF – MEIER, Ironie im Mittelalter, bes. S. 74 ff. 831 Vgl. dazu bereits GÖRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas, S.  36  ff.; GARNIER; Die Kultur der Bitte, S. 369 ff. 832 Vgl. dazu den eskalierenden Streit und Tumult unter Heinrich II., oben bei Anm. 326; während der Verhandlungen heinrizianischer und gregorianischer Bischöfe, oben Anm. 490; unter Heinrich V. 1111 in Ponte Mammolo, oben Anm. 549. 833 Vgl. dazu oben bei Anm. 479 ff. 834 Grundsätzlich hierzu bereits GÖRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas, S. 36 ff.; DERS., Friedrich Barbarossa, S. 206 ff.

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lichkeit und mit langen Wiedergaben der Wortwechsel, die eine brisante Auseinandersetzung in vollendeten Formen dokumentieren: „Als nun am heiligen Pfingsttage … der Kaiser die Kirche betreten und bei ihm die höchsten Kirchenhäupter und die Fürsten sich niedergelassen hatten, erhob sich der Herr Abt von Fulda und sprach zu ihm: ‚Ich bitte euch, o Herr, mich anhören zu wollen.‘ Der Kaiser antwortete: ‚Ich höre.‘ Darauf sagte er: ‚Herr, schon seit geraumer Zeit hat der Kölner Herr, der hier anwesend ist, die Kirche und das Kloster von Fulda, dem ich durch Gottes Gnade und eure Güte vorstehe, eines ihr zukommenden Rechtes beraubt.‘ Der Kaiser antwortete: ‚Bezeichnet näher, was ihr meint.‘ Der Abt sagte: ‚Die Kirche von Fulda hat das ihr von den alten Kaisern verliehene Vorrecht, dass, so oft zu Mainz ein allgemeiner Hoftag gehalten wird, der Abt von Fulda dem Kaiser zur Linken sitzt, während der Herr Erzbischof dieses Ortes rechts von ihm seinen Platz hat. Da nun aber der Kölner Herr mich schon lange von diesem Platz verdrängt hat, so bitten wir euch zu verhüten, dass er auch heute den mir zustehenden Platz widerrechtlich einnimmt.‘“835 Alles spricht dafür, das hier beschriebene Verhalten als regelgeleitet aufzufassen: In vollendeter Form eröffnete der Abt den Dialog allein mit der Bitte um Gehör.836 Erst nachdem er die Erlaubnis zu sprechen bekommen hatte, charakterisierte er in allgemeiner Form das Anliegen. Danach gab ihm der Kaiser zusätzlich die Erlaubnis, sein Anliegen ausführlicher zu begründen. Er hätte also die Sache hier auch beenden oder aufschieben können. In einem späteren Teil der Unterredung machte der betroffene Kölner Erzbischof mit seiner Bewertung des Vorgehens interessanterweise deutlich, dass er davon ausging, dieser Angriff auf Kölner Rechte sei zuvor mit dem Kaiser abgesprochen und von diesem vorweg gutgeheißen worden. Er zog nämlich folgenden Schluss aus dem eben geschilderten Vorgehen des Fuldaer Abtes: „Es wundert mich, dass ihr mir heute diesen Abt habt vorziehen wollen, dessen Anmaßung euch selbst mir verdächtig macht; denn hätte er nicht gemerkt, dass ihr mit meiner Demütigung einverstanden wart, so hätte er gegen mich nie seine Ferse erhoben.“837 Hier wird mit dem Wissen argumentiert, dass niemand solche Forderungen an den Kaiser herantragen könne, wie es der Fuldaer Abt getan hatte, ohne sich zuvor des kaiserlichen Einverständnisses vergewissert zu haben. Damit aber hatte der Kölner Erzbischof vor den versammelten Fürsten einen massiven Vorwurf gegen Friedrich erhoben. Zuvor hatte der Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg, dessen Namen der Gewährsmann hier gar nicht nennt, diesen Angriff aber noch eleganter abgeschlagen, als er vorgetragen worden war. Als Friedrich Barbarossa ihn nämVgl. Arnold von Lübeck, Chronik, III, 9, S. 88 f. Vgl. dazu grundlegend GARNIER, Die Kultur der Bitte, bes. S. 148 ff. 837 Vgl. Arnold von Lübeck, Chronik, III, 9, S. 90, dort auch das nächste Zitat auf S. 89. 835

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lich vor den Fürsten gebeten hatte, dem Fuldaer für heute seinen Platz zu überlassen, um den Frieden des Festes nicht zu stören, hatte der Erzbischof geantwortet: „Herr, es geschehe, wie es euch gefällt. Der Herr Abt möge den Platz, den er verlangt, einnehmen. Ich aber will mich mit eurer Erlaubnis in meine Herberge begeben.“ Als er sich daraufhin anschickte fortzugehen, standen wie auf Kommando auch seine hervorragendsten Lehnsleute auf, mit dem Bruder Barbarossas an der Spitze, und baten gleichfalls höflich darum, ihrem Herrn folgen und sich entfernen zu dürfen. Die Sache drohte so zum Eklat zu werden, denn ein Fehlen des Kölner Erzbischofs samt seiner hochadligen Vasallen beim bevorstehenden Fest hätte den Streit öffentlich gemacht und den Glanz des Festes getrübt. Der junge Thronfolger Heinrich VI. fiel dem Kölner Erzbischof daraufhin um den Hals und bat ihn dringend zu bleiben; Barbarossa erklärte sich sogar zu einem Eid bereit, dass er die Sache nicht abgekartet habe. Überdies wies er die Forderung des Fuldaer Abtes nun ab und stellte damit den Kölner zufrieden. Die Szene könnte von Arnold oder anderen stilisiert oder sogar erfunden worden sein, dennoch bleibt sie für uns von höchstem Interesse: Scheint doch der Autor die Regeln für das Reden bei Beratungen berücksichtigt und zu einer Verstärkung seiner beabsichtigten Wirkung genutzt zu haben. Die Geschichte ist darauf angelegt zu zeigen, welch agonalen Charakter die Beratung trotz oder sogar wegen der Beachtung strikter Formen annehmen konnte und dass es ­k lugen Magnaten durchaus möglich war, den Herrscher in solcher Situation in die Schranken zu weisen. Es erübrigt sich wohl, die vielen Belege hier noch einmal anzuführen, die in den Untersuchungskapiteln wörtliche Reden ähnlicher Art bezeugten. Wir dürfen vielmehr die hier fassbare Art des Sprechens als wichtigen Teil der Gewohnheiten auf dem Felde der Beratung betrachten: Man hatte die Empfindlichkeiten aller Beteiligten durch äußerste Zurückhaltung in Wortwahl und Diktion zu beachten. Dies schloss aber nicht aus, dass man im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten seine Interessen wirkungsvoll vertrat, wie es dem Kölner Erzbischof nach dieser Darstellung zweifellos gelungen war. Derselbe Autor Arnold von Lübeck machte im Übrigen den Respekt, den die Großen in solchen Beratungen dem Herrscher zu erweisen hatten, noch in einer anderen Situation deutlich. Er schilderte ausführlich ein vertrauliches und kontroverses Gespräch zwischen Friedrich Barbarossa und dem gleichen Erzbischof Philipp von Köln, in dem der Kaiser in Erfahrung bringen wollte, ob der Erzbischof den Papst in den Fragen unterstützte, in denen dieser mit dem Kaiser uneins war. Der Erzbischof blieb in seiner Wortwahl wieder sehr beherrscht, in der Sache aber hart, so dass Barbarossa erkannte, dass dieser in der Tat auf Seiten des Papstes stand. Diese Erkenntnis setzte er in folgende Forderung um, die er seinerseits scheinbar zurückhaltend in einem Wunsch zum Ausdruck brachte: „Da ich sehe, dass ihr mit mir nicht übereinstimmt, so ­w ünsche ich, dass ihr an dem Hoftag, der zu Gelnhausen gehalten und wo eine 305

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Zusammenkunft der Bischöfe stattfinden wird, nicht erscheint.“ Darauf erwiderte der Erzbischof: „Es geschehe gemäß eurem Beschluss.“838 Man wird somit in Rechnung stellen müssen, dass die Regeln für das Sprechen mit dem Herrscher diesem auch einige Vorteile einräumten. Sie verlangten gegenüber dem König Ehrerbietung und Zurückhaltung in der Wortwahl und erlaubten dem Herrscher andererseits, Wünsche mit Befehlscharakter zu äußern, durch die er seine Position unangreifbar machte. In der Tat wurde ­später auf Vorschlag des Erzbischofs von Mainz auf dem genannten Hoftag von mehreren Bischöfen und dem Kaiser ein Brief aufgesetzt, der den Papst ermahnte, Friedrich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.839 Der Kölner Erzbischof aber hatte aufgrund seiner erzwungenen Abwesenheit keine Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen. Er konnte, wie diese Geschichte lehrt, zwar nicht zu jeder Unterstützung herrscherlicher Positionen gezwungen, aber daran gehindert werden, dagegen Stellung zu beziehen. Dies eröffnete dem Herrscher wirkungsvolle Optionen, mit eigenwilligen Bischöfen umzugehen. Im Untersuchungszeitraum kann man aber auch Entwicklungen beobachten, die neue „Gewohnheiten“ begründeten. Hier ist in erster Linie die Institution des Vermittlers zu nennen, dessen Aufgabe die gütliche Beilegung von Konflikten war, die er in mündlich-persönlicher Beratung im getrennten Kontakt mit den Parteien in die Wege zu leiten versuchte. Er fällte hierbei keine Entscheidung, der die Parteien zu folgen hatten, sondern erreichte nur dann sein Ziel, wenn die Parteien seinen Ratschlägen zustimmten. Dies war verständlicherweise von besonderer Brisanz, wenn eine Konfliktpartei der König war. Durch seine temporäre Funktion der Friedensstiftung erhielt aber naturgemäß der Rat, den der Vermittler den Konfliktparteien gab, ein besonderes Gewicht. Man kann somit diese Institution als eine Sonderform politischer Beratung verstehen, die im Untersuchungszeitraum auf dem höchsten Niveau der Gesellschaft – und zwar zunächst innerhalb der karolingischen Königsfamilie selbst – ihre erfolgreiche Arbeit aufnahm, sie dann auf den Hochadel ausdehnte, um schließlich seit dem 10. und 11. Jahrhundert in vielen Konflikten der Stadt- und der Kriegergesellschaft tätig zu werden.840 Es dürfte kaum Zufall sein, dass ein sehr früher erfolgreicher Fall von Vermittlungstätigkeit bereits im Zusammenhang der Krise der Herrschaft Ludwigs des Frommen beobachtet werden kann, die ja auch eine Krise der Beratung gewesen ist.841 Drei „Vermittler“ schafften es nämlich, einen gütlichen Ausgleich zwischen Kaiser Ludwig und seinem Sohn und Mitkaiser Lothar zu erreichen, indem sie ein Unterwerfungsritual Ebd., III, 18, S. 106. Ebd., IIII, 19, S. 108 f. 840 Vgl. dazu KAMP, Friedensstifter und Vermittler, S. 63 ff. mit einer ausführlichen Diskussion der Gewohnheiten, die in der Vermittlertätigkeit gebündelt wurden. 841 Vgl. dazu oben Anm. 99 ff. 838 839

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Lothars vereinbarten, dem sie die anschließende Vergebung des Vaters garantierten. So leiteten sie die Versöhnung des Sohnes mit dem Vater in die Wege.842 Diese Praxis bewährte sich bald als geeignetes Mittel, Konflikte weit über den Bereich der königlichen Familie hinaus gütlich beizulegen. Seit dem frühen 12. Jahrhundert wurde in bestimmten Fällen versucht, die Vermittler durch Schiedsgremien zu ersetzen, die eine Weiterentwicklung darstellen, aber immer noch eng mit dem Feld der Beratung und Verhandlung verbunden sind. Im Zusammenhang der Exkommunikation König Heinrichs IV. 1076 war die Planung eines Schiedsgerichts unter Leitung Gregors VII. bereits weit gediehen, letztlich aber nicht zur Ausführung gekommen.843 Paritätisch besetzte Schiedsgremien richtete man schon kurze Zeit später mehrfach ein, wenn es um die Beilegung von Konflikten zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt ging.844 Ihre Arbeit unterschied sich von der der Vermittler dadurch, dass sie nun selbst Entscheidungen fällten und nicht nur die Parteien zur Einsicht brachten, den Konflikt gütlich zu beenden. Hierzu mussten sich allerdings paritätisch ausgewählte Vertreter beider Konfliktparteien auf eine gemeinsame Lösung einigen. Erwogen wurde auch die Möglichkeit, dass diese Schiedsgremien mit der Mehrheit ihrer Mitglieder entscheiden könnten,845 was allerdings in diesen Anfangsphasen nie in die Praxis umgesetzt wurde. Auf dem Felde der Beratung ist aber auch eine Reihe von Praktiken bezeugt, die für einen relativ großen Handlungsspielraum der Herrscher wie anderer Akteure sprechen. Dies gilt nicht nur für die informellen Treffen, sondern auch für die formellen Beratungen, deren geregelter Ablauf bereits im zweiten Kapitel der Einleitung skizziert wurde. Selbst bei ihnen scheint der formale Ablauf aber nur grob geregelt gewesen zu sein: Wer Zutritt zu einer Beratung hatte, wer reden durfte, wann genügend Leute für eine formelle Beratung anwesend waren und ob bestimmte Leute nicht fehlen durften, wird nie explizit als Regel formuliert, machte jedoch anscheinend selten gravierende Probleme. Ebenso lässt sich kaum einmal erkennen, welche Themen zwingend der Beratung bedurften und bei welchen dies nicht nötig war. Es mag überraschen, aber selbst so wichtige Entscheidungen wie die Besetzung der Bischofsstühle im ottonisch-salischen Reich, bei denen der König das größte Gewicht hatte, waren nie Gegenstand einer formellen Beratung seines Herrschaftsverbandes, sondern wurden durch scheinbar willkürliche Initiativen verschiedenster Interessengruppen und vor allem des Herrschers selbst bestimmt. Aus dem 10. Jahrhundert gibt es zwei ausführliche Berichte über das Vgl. dazu bereits ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, bes. S. 116 ff. Vgl. dazu oben bei Anm. 453 ff. Es scheint symptomatisch, dass für dieses Vorhaben in den Quellen zumeist die Bezeichnung colloquium benutzt wird, die zugleich als zentraler Terminus für Beratungen dient. 844 Vgl. dazu oben bei Anm. 558 ff.; 651 ff.; 763 ff. 845 Vgl. dazu oben bei Anm. 651. 842 843

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VI. Zusammenfassung

Vorgehen von Domkapiteln (Magdeburg) und Mönchskonventen (St.  Gallen), die beim König die Zustimmung zur Wahl eines Bischofs bzw. eines Abtes erreichen wollten.846 Sie hatten zwar von den Königen das Privileg der freien Bischofs- bzw. Abtswahl erhalten, doch befreite sie das nicht von der königlichen Zustimmung, die de facto die Entscheidung dem König zubilligte. Ihr Verhalten am Hof macht zudem deutlich, dass sie ihr Vorgehen an festen Gewohnheiten zu orientieren hatten. Von einer formellen Beratung ihrer Angelegenheit durch die Großen ist indes nicht die Rede. Beide schickten nämlich Abordnungen an den Hof, nachdem sie sich für einen Kandidaten entschieden hatten. Beide suchten dort als Erstes Personen ihres Vertrauens, denen sie die Aufgabe übertrugen, die Rolle der Fürsprecher zu übernehmen, um so den König zu veranlassen, der Entscheidung des Konvents seine Zustimmung zu geben. Im St. Galler Fall klappte dies auch dank des umsichtigen Verhaltens der hochrangigen Fürsprecher; im Magdeburger Fall gerieten sie dagegen an einen Fürsprecher, der die Situation für sich selbst ausnutzte. In beiden Fällen wurde somit die Angelegenheit mithilfe von Vertrauten vertraulich entschieden, ohne einen Kreis von Ratgebern dazu zu hören. Und dies war augenscheinlich der Regelfall. Hier scheinen also die Funktionen des Fürsprechers und des Ratgebers in eigenartiger Weise zusammenzufallen. Ein sprechendes Beispiel für die Verbreitung dieser Praxis sind auch die Beratungen Heinrichs II. über Magdeburger und Merseburger Bischofserhebungen in Situationen, über die wir durch Thietmar von Merseburg ungewöhnlich viel erfahren.847 König Heinrich agierte in verschiedenen Fällen persönlich und mithilfe von bischöflichen Unterhändlern ausschließlich in vertraulichen Bahnen, äußerte dabei sogar offen simonistische Erwartungen, wurde aber andererseits auch von Intervenienten und Fürsprechern bedrängt, die auf vertrau­ lichem Wege bestimmte Kandidaten durchzusetzen versuchten. Was er dagegen nie tat, war, einen Beraterkreis mit der Frage zu beschäftigen, wer der nächste Bischof in Magdeburg oder Merseburg werden sollte. Eigeninitiativen der Könige ohne Abstimmung mit einem formell einberufenen Kreis von Beratern finden sich in einiger Häufigkeit auch auf anderen Feldern. Die Summe dieser Beobachtungen legt den Schluss nahe, dass die Ratgeber längst nicht zu allen königlichen Initiativen gefragt werden mussten. Es waren häufiger sogar ganz wichtige Aktionen, die der König eigenmächtig und verdeckt in die Wege leitete, ohne dass dies auf Widerspruch stieß. So entmachtete etwa Ludwig der Fromme gegen Ende seiner Herrschaft seinen Sohn S. dazu bereits ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, S. 190 ff. Stefan Weinfurter verdanke ich den Hinweis auf Kapitel 34 der Eichstätter Bischofsgeschichte des Anonymus Haserensis, in dem Heinrich III. mit Bischöfen über die Besetzung in Eichstätt berät. Das Gespräch scheint jedoch informellen Charakters zu sein. 847 S. dazu oben bei Anm. 327 ff. 846

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1. Beratung im Spannungsfeld von Gewohnheit und Willkür

Ludwig, indem er auf vertraulichem Weg ein Bündnis zwischen seinen anderen Söhnen, Lothar und Karl, einfädelte.848 Ratgeber waren hierzu nicht befragt worden. Otto der Große folgte im Jahre 938 in einer wichtigen Erbschaftsangelegenheit „besserem Rat“, obgleich eine allgemeine Beratung auf einem Hoftag bereits zu einem Beschluss geführt hatte.849 Auch hier hört man nichts von einer Kritik an diesem Verhalten. Gleichermaßen unabhängig von der Beratung mit der Gesamtheit seiner Ratgeber entschied auch Friedrich Barbarossa mehrere brennende Fragen seines Verhältnisses zu weltlichen Großen. Zwar verbürgten sich einige weltliche Große im Jahre 1152 dafür, dass Barbarossa den spektakulären Vertrag mit Herzog Berthold von Zähringen einhalten werde, der diesem eine deutliche Erweiterung seiner Herrschaftsstellung in Burgund und der Provence zusicherte. Doch ist größter Zweifel erlaubt, ob diese Entscheidung zuvor Gegenstand einer allgemeinen Beratung des Herrschaftsverbandes war. Überliefert wird der Vertrag nämlich nur im Briefbuch Abt Wibalds, zudem ergibt sich sein vertraulicher Charakter mit einiger Wahrscheinlichkeit daraus, dass er Einlösung eines Wahlversprechens des Staufers gewesen sein dürfte.850 Wenige Jahre später machen Angaben Ottos von Freising deutlich, dass Barbarossa die ungewöhnliche Kompensation Herzog Heinrich Jasomirgotts für seinen Verzicht auf Bayern, wie sie 1156 im Privilegium minus verbrieft wurde, mit seinem Verwandten mehr in vertraulichen Gesprächen als durch eine formelle Beratung und Entscheidung der Fürsten erreicht hatte.851 Auch die langjährigen Vorwürfe und Anklagen der sächsischen Fürsten gegen Heinrich den Löwen veranlassten Friedrich Barbarossa lange nicht, sie zum Gegenstand einer formellen Beratung oder eines Gerichtsverfahrens zu machen – bis er selbst gleichfalls Grund hatte, den Löwen in die Schranken zu weisen.852 Angesichts dieser Beispiele wird unabweisbar, dass der Willkür der Herrscher ein breiterer Spielraum gegeben war, welche Fragen sie den Beratern ­vorlegten und in welchen Fällen sie ohne allgemeine Beratung aktiv wurden. Man wird auch hier wieder davon ausgehen dürfen, dass die Gewohnheiten Spielraum ließen. Und diese Unbestimmtheit erklärt auch, warum in vielen Problemlagen Intervenienten und Fürsprecher einzuwirken versuchten, um die Waagschale zugunsten ihrer Netzwerke zu beeinflussen. Solche „Arbeit“ für den eigenen Verband wurde offensichtlich als integraler Bestandteil poli­ S. dazu oben bei Anm. 220 ff. Vgl. dazu Widukind, Sachsengeschichte, II, 10, S. 94 f.: factumque est, ut causa inter arbitros iudicaretur debere examinari. Rex autem meliori consilio usus noluit viros nobiles ac senes populi inhoneste tractari, sed magis rem inter gladiatores discerni iussit. 850 S. dazu DD F I, Nr. 12, S. 22 ff. und oben bei Anm. 579 ff. 851 Vgl. dazu oben bei Anm. 575 ff. 852 S. dazu oben bei Anm. 676 ff. 848 849

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VI. Zusammenfassung

tischen Wirkens angesehen, wie es nicht nur einschlägige Schilderungen Gisleberts von Mons vermitteln.853 Damit drängt sich die grundsätzliche Frage auf, ob nicht die Erwartung, es habe ein einziges darstellbares Regelsystem für Beratung existiert, dem alle immer Folge zu leisten hatten, an den Realitäten des hohen Mittelalters vorbeigeht. Es scheint eher so, als sei dem König lediglich die allgemeine Verpflichtung aufgegeben gewesen, sich in wichtigen Fragen von den richtigen Leuten beraten zu lassen. Wie er das machte, scheint ihm weitgehend überlassen worden zu sein, solange er bei niemand Wichtigem auf Widerstand stieß. So war die Figur des „Günstlings“ durchaus eine Erscheinung, die akzeptiert oder zumindest geduldet werden konnte. Trieb ein Herr oder König die Bevorzugung Einzelner indes zu weit, formierten sich Kräfte zum „Günstlingssturz“.854 Es wäre aber wohl anachronistisch anzunehmen, alle hätten immer genau gewusst, wann die Schwelle zur unerlaubten Bevorzugung überschritten wurde. Dies entschied sich vielmehr dadurch, dass Betroffene energisch Widerspruch einlegten und Zustimmung fanden. Wir konnten in allen Jahrhunderten des Untersuchungszeitraums eine große Bereitschaft bei kirchlichen wie weltlichen Magnaten feststellen, einer als krass einseitig empfundenen Beratungspraxis der Könige kollektive Initiativen entgegenzusetzen, mit denen Opposition gegen ein solches Verhalten organisiert wurde. Auch hier folgte man ganz augenscheinlich Gewohnheiten: In heimlichen Zusammenkünften (conventicula, conspirationes) wurden Gegenmaßnahmen verabredet, die häufig eidlich bekräftigt und dann in politische, häufig sogar bewaffnete Aktivitäten umgesetzt wurden.855 Es bestand allem Anschein nach in den Führungsgruppen eine große Bereitschaft, die politische Willensbildung in die eigene Hand zu nehmen, wenn sie ein König nicht oder sehr einseitig betrieb. Hierzu nutzte man die aus Verwandten, Freunden und Genossen in der Gesellschaft ohnehin gebildeten Netzwerke und traf sich zu Beratungen ohne die Spitze des Verbandes. Dabei fielen dann Entscheidungen, die zu kollektivem politischem Handeln befähigten, das seinen Ausdruck in bewaffneten Aktionen gegen den König finden konnte, aber auch in Verhandlungen mit ihm und seinen Unterstützern, die den Dissens gütlich zu beseitigen versuchten. Aus all dem folgt, dass zwar keine expliziten Regeln existierten, wie Beratung im Einzelnen durchgeführt werden musste; es existierte aber ein sensibles S. dazu oben bei Anm. 743 mit Hinweisen auf Belege im Werke Gisleberts, dass hochrangige Unterhändler und Fürsprecher für die Interessen einer Partei „arbeiteten“, um sie durchzusetzen. 854 Vgl. dazu einschlägige Fälle oben bei Anm.  215–217; 361; 383. Allg. zum Phänomen „Günstling“ mit Schwerpunkt auf Spätmittelalter und Früher Neuzeit vgl. HIRSCHBIEGEL – PARAVICINI, Der Fall des Günstlings. 855 Vgl. die Vorbereitungen der Rebellionen gegen Otto den Großen (oben bei Anm. 269 ff.) oder gegen Heinrich IV. (oben bei Anm. 395 ff.); s. dazu auch unten bei Anm 892 ff. 853

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2. Die Rolle der geistlichen Berater

Verständnis dafür, wann die Pflicht zur Beratung gravierend verletzt oder unterlaufen wurde. Dies ergab sich in der Regel wohl aus einem Vergleich gegenwärtiger Praktiken mit den bisherigen Gewohnheiten. Die Messlatte der Gewohnheiten sorgte mit anderen Worten dafür, dass der Korridor für akzeptiertes Verhalten bekannt blieb. Auf die beschriebene Weise war den Akteuren zwar kein präzises Verhalten auf allen Feldern der Beratung vorgegeben, sondern eher ein breiterer Korridor mit einer Reihe von Verhaltensoptionen geboten; verließen sie diesen aber, mussten sie mit Widerstand rechnen, zu dem sich Betroffene wie deren Verwandte, Freunde und Vertraute schnell entschlossen. Dennoch fällt auf, wie häufig Könige und Regenten trotz absehbarer negativer Reaktionen der Versuchung erlagen, den bewährten Korridor der Verhaltensoptionen zu verlassen und mit willkürlichen Entscheidungen die Gewohnheiten der Beratung außer Acht zu lassen. Nicht nur der viel gescholtene Heinrich IV. bietet hier viele Beispiele;856 auch seine Regenten Kaiserin Agnes, Erzbischof Anno von Köln und Adalbert von Hamburg-Bremen verfielen in die gleichen Fehler;857 Kaiser Heinrich II. hatte schon früher durch ähnliches Verhalten große Teile des sächsischen Adels brüskiert;858 Otto der Große brachte so in der Anfangsphase seiner Regierung hohen Adel wie Bischöfe gegen sich auf;859 und ein Großteil der Herrschaftskrise unter Ludwig dem Frommen resultierte aus dessen Bevorzugung einzelner Ratgeber und seiner Distanzierung von anderen, was ihm den Vorwurf einbrachte, er lasse sich von seiner Umgebung „behexen“.860 Der übermächtige einzelne Ratgeber, der alle anderen vom Zugang zum Ohr des Herrschers abhält, steht dabei immer als Symbol für die Unzugänglichkeit des Herrschers, der nicht mehr den Anliegen aller Getreuen sein Ohr leiht, sondern nur noch einer Person, einem Netzwerk zur Verfügung steht. Dies wurde als inakzeptabel angesehen, weil dabei die Verpflichtung des Herrn zur Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben musste. Dass es dennoch so häufig zu beobachten ist, zeigt wohl auch, mit wie viel Reserve die Könige auf die Etablierung einer kollektiven Kontrolle ihrer Amtsführung reagierten, wie sie die Pflicht zur Beratung intendierte.

2. Die Rolle der geistlichen Berater In allen Kapiteln des Buches spielten geistliche Ratgeber der Könige eine große Rolle, was nicht unbedingt überraschend ist. Doch ist die Kirche durch diese Untersuchung in den Mittelpunkt der Prozesse politischer Willensbildung Vgl. oben bei Anm. 388 ff. Vgl. oben bei Anm. 357 ff. 858 Vgl. oben bei Anm. 319 ff. 859 Vgl. oben bei Anm. 260 ff. 860 Vgl. oben bei Anm. 99 ff. 856 857

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VI. Zusammenfassung

g­ erückt worden. Dies geschah vor allem dadurch, dass die lange Dauer und die Steigerung ihrer Bemühungen, sich in der Rolle des „Aufsehers“ über die Könige zu etablieren, beobachtet und beschrieben wurde. Der Anspruch auf „Aufsicht“ über die Amts- und Lebensführung der Herrscher resultierte aus der Verantwortung für das Seelenheil der Könige, die die Bischöfe seit dem 9. Jahrhundert für sich reklamierten. Dieser Anspruch dürfte nicht ohne Auswirkung auf ihr Gewicht in der Beratung geblieben sein. Es lassen sich jedoch durch die Jahrhunderte zwei Auffassungen vom Wesen des Königtums beobachten, die mit Zeugnissen der christlichen Tradition ­begründet wurden: zum einen die Vorstellung vom unmittelbaren Gottesgnadentum der Könige, nach der diese ihr Amt von Gott erhielten und auch lediglich von ihm gerichtet werden durften; zum zweiten die Meinung, dass die Priester als Aufseher über die Könige zu fungieren und deren Amts- und Lebensführung zu überwachen hätten. Beide Vorstellungen existierten lange Zeit neben- und auch gegeneinander, wobei die erstere häufiger die politische Praxis bestimmte. Seit dem Reformpapsttum des 11.  Jahrhunderts und der Formu­ lierung seiner gesteigerten Geltungsansprüche auch gegenüber dem Königtum gewann aber die zweite Auffassung zunehmend an Gewicht und führte unter anderem zu Exkommunikationen von Königen, die den Mahnungen der ­K leriker kein Gehör schenkten. Aus ihrer Verantwortung für die Seelen aller Menschen leiteten die Päpste seit dem 11. Jahrhundert auch den Anspruch auf Suprematie in Kirche und Welt ab, die plenitudo potestatis, ohne diesen Anspruch freilich in der politischen Praxis dauerhaft durchsetzen zu können. Die Aufgabe der Kleriker, als Aufseher über Könige zu fungieren, begründeten erstmals fränkische Bischöfe, die von Kaiser Ludwig dem Frommen selbst den Auftrag bekommen hatten, in der Krisensituation am Ende der 820er Jahre den „rechten Weg“ festzulegen, den alle Mitglieder des Herrschaftsverbandes einhalten müssten. Gerade im Alten Testament fanden sie so viele Geschichten und dicta, dass sie eine detaillierte Darstellung der geist­ lichen und königlichen Aufgaben und Pflichten vorlegen konnten. Diese neue Sicht dürfte die Möglichkeiten und Grenzen der Beratung von Königen mit einiger Sicherheit beeinflusst und das Gewicht der geistlichen Berater der ­Könige deutlich erhöht haben. Im Unterschied zu den adligen Laien verfügten die Geistlichen seither über ein ganzes Arsenal von Exempeln, Präzedenzfällen und dicta mit normativem Anspruch, mit denen in der Beratung den Königen der „rechte Weg“ gewiesen werden konnte. Indem das ewige Seelenheil der Menschen davon abhängig gemacht wurde, ob sie auf diesem rechten Wege wandelten, bekamen die ­Argumente der Kleriker eine existentielle Bedeutung. Es war in den Unter­ suchungskapiteln immer wieder darauf zu verweisen, dass geistliche Berater der Könige diesen Vorteil auch zu nutzen wussten. Allerdings nicht zu allen Zeiten in gleicher Weise. 312

2. Die Rolle der geistlichen Berater

Biblische Kernstellen, auf denen die Rolle der Kleriker nach dieser Lehre gründete, waren ihre Binde- und Lösegewalt im Himmel und auf Erden (Mt 16, 18), ihre Hirtenfunktion nach Johannes 20, 22 („Weide meine Schafe“), die Verantwortung der Priester für das Seelenheil der Menschen, die sie bei Gefahr für ihr eigenes Seelenheil dazu verpflichtete, als unbequeme Mahner tätig zu werden (Ez 3, 18 ff.), sowie eine Fülle von Bibelstellen, die die Könige auf ihre Pflichten verwiesen. Aktiviert und in der Politik eingesetzt wurde dieses Reservoir an Argumenten nicht nur gegen Ludwig den Frommen, sondern auch in der Zeit der Bruderkriege und in den Auseinandersetzungen Hincmars von Reims mit den westfränkischen Karolingern.861 Zu den von den Bischöfen hervorgehobenen Pflichten der Könige gehörte vorrangig die Sorge um die Schutzlosen und Unterprivilegierten; die Verpflichtung zu Demut, Milde und Barmherzigkeit; aber auch die Bestellung guter Ratgeber und das Hören auf deren Rat. Damit war ein ausschließlich aus christlicher Sicht formulierter Anforderungskatalog für die Könige erstellt, dessen Einhaltung der Wachsamkeit der Kleriker anvertraut war. Mit den Wertevorstellungen der adligen Kriegergesellschaft stand dieser Katalog nicht unbedingt in Einklang. Vielmehr erteilte er adligen Rang- und Ehrvorstellungen durch seine Demuts- und Barmherzigkeitsforderungen eine entschiedene Absage und verwies die Könige mit großer Entschiedenheit auf die Fürsorge für die Armen, Schutzlosen und Unterprivilegierten. Die Verantwortung für die Einhaltung dieser Gebote, so wurde im Anschluss an die gelasianische Zwei-Gewalten-Lehre formuliert, verschaffte den Klerikern ein größeres Gewicht als den Königen und verlangte Unterordnung und Gehorsam gegenüber ihren Mahnungen. Diese Sicht wurde mit der Mahnung aus dem Buch der Weisheit (6, 2‑9) und weiteren biblischen Belegen verschärft, dass über die Großen ein strenges Gericht Gottes ergehen werde. Diese neue Sicht auf die Aufgaben und Pflichten der Kleriker schien ihre Feuerprobe zu bestehen, als die Söhne Ludwigs des Frommen es 833/834 den Bischöfen überließen, die Entmachtung und Absetzung ihres kaiserlichen ­Vaters zu begründen und durchzuführen. Es zeigte sich aber bald, dass die Rolle der Bischöfe als Aufseher und Entscheider über das Schicksal von Kaisern nur in Einklang mit der politischen Machtsituation durchzuhalten war. Die Veränderung der politischen und militärischen Kräfteverhältnisse zwang die Bischöfe nämlich, ihre Absetzung Ludwigs als Unrecht zu widerrufen und einen Sünden­ bock für diesen Fehler namhaft zu machen. Thegan, Ludwigs Biograph, verur861

Vgl. dazu oben bei Anm. 132 ff.; die bischöflichen Ausführungen zu Rechten und Pflichten des Königs samt der biblischen Begründungen finden sich im liber secundus des Concilium Parisiense, S. 649–667. Die fortdauernd dominante Rolle der Bischöfe als Berater des Königs ergibt sich auch durch Beobachtungen aus der Zeit der Bruderkriege (vgl. oben Anm.  225  ff.) sowie der Schriften und Tätigkeiten Hincmars von Reims (Anm. 150 ff.).

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VI. Zusammenfassung

teilte das Geschehene dann aus der Retrospektive signifikanterweise mithilfe biblischer Belege, die die Gottunmittelbarkeit des Königs betonten und unterstrichen, dass er deshalb von niemandem gerichtet werden könne – also mit den Vorstellungen vom unmittelbaren Gottesgnadentum der Könige.862 Für die Wirkmacht dieser Vorstellung gibt es auch im weiteren 9., 10. und 11. Jahrhundert genügend Belege, während das Nachwirken des Gedankenguts der Pariser Synode von 829 trotz der Werke Hincmars von Reims in politischen Beratungen nicht häufig konkret zu fassen ist. Dies mag zum Teil damit zusammenhängen, dass mit dem Ende der karolingischen Epoche auch die Zeit der normativen Schriftlichkeit von Kapitularien, Denkschriften, Traktaten und Mahnschreiben zunächst einmal zu Ende ging. Aber auch in den Synodal­ akten und der Historiographie des 10. Jahrhunderts tritt dieses Gedankengut im ottonischen Reich nicht deutlicher in Erscheinung. Zwar ist gerade in der ottonischen Historiographie der Gedanke sehr präsent, dass die Krisen der ­Königsherrschaft und die miseriae der Könige auf Prüfungen und Strafen Gottes zurückgehen,863 doch wurde diese Gewissheit nicht mit dem Hinweis und dem Anspruch verbunden, dass diese deshalb den Mahnungen der Kleriker zu gehorchen hätten. Vor allem scheint die alte Frage, ob die königliche oder die priesterliche Rolle den Vorrang beanspruchen könne, in dieser Zeit nicht zugunsten der priesterlichen beantwortet worden zu sein. Die Bischöfe gestatteten den Herrschern, die ihnen Schutz boten, vielmehr einen Vorrang, indem sie deren ­unmittelbare Berufung durch Gott anerkannten und ihnen sogar vereinzelt die Stellung eines vicarius Christi zubilligten.864 Eine Bischofsfigur wie den streitbaren und wortgewaltigen Hincmar, der in Theorie und Praxis den Königen wie ein zweiter Hiob unbequem wurde, hat das 10. Jahrhundert anscheinend nicht hervorgebracht. Das bedeutet nicht, dass der Einfluss der Bischöfe auf die Herrschaftspraxis der Könige, den sie mittels der Beratung ausübten, in dieser Zeit wirkungslos geblieben wäre. Man kann im Gegenteil konstatieren, dass christliche Normen die Herrschaftsgestaltung der Könige eher noch nachhaltiger prägten, als dies schon in der Karolingerzeit zu beobachten war. Dies manifestiert sich in dieser Zeit vor allem durch rituelles Handeln, mit dem beim öffentlichen Auftreten der Könige demonstrativ immer wieder ihre Verpflichtung zur Einhaltung der christlichen Herrschertugenden betont wurde. Die Intensität und Häufigkeit dieser Handlungen steigerte sich im Vergleich zur Karolingerzeit noch deutlich und machte so das Versprechen der Könige immer wieder sichtbar, den Anforderungen der christlichen Herrscherethik zu entsprechen. Sie zeigten in vielfältigen Ritualen Vgl. dazu oben bei Anm. 149 f. S. dazu BORNSCHEUER, Miseriae regum, passim. 864 Vgl. dazu ERKENS, Herrschersakralität, S. 157 ff.; DERS., Vicarius Christi. 862

863

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2. Die Rolle der geistlichen Berater

ihre Bereitschaft zu Demut, Milde und Barmherzigkeit, zum Schutz der Armen und Schwachen, zu Vertrauen auf Gottes Hilfe, ohne die sie nichts vermöchten. Und sie statteten demonstrativ reichen Dank für solche Hilfe ab.865 Ein charakteristischer Unterschied zur Karolingerzeit besteht darin, dass der Einfluss der Bischöfe auf diese königlichen Handlungen sehr selten explizit angesprochen wird. Die sicher anzunehmenden vorbereitenden Planungen der Rituale, die ohne intensive Beratungen nicht denkbar sind, werden vielmehr von den Historiographen mit Schweigen übergangen. Man hat in den rituellen „Aufführungen“ die Freiwilligkeit und Spontaneität der Handlungen in den Vordergrund gestellt und deshalb die Tatsache vorhergehender Beratungen und Vereinbarungen unerwähnt gelassen. Erst in den Krisen des späteren 11.  Jahrhunderts erfahren wir in erwünschter Deutlichkeit, dass die Vorplanungen in der Tat intensiv waren.866 Dies berechtigt dazu, auch die Rituale des 9. und 10. Jahrhunderts als Ergebnisse von Beratungen aufzufassen, in denen die beabsichtigten Aussagen verhandelt und festgelegt wurden. Wir können mit anderen Worten aus den Aussagen, die die Könige in den Ritualen handelnd machen, ableiten, welche Ratschläge in der Vorbereitung akzeptiert und umgesetzt worden sind. Auf diese Weise gewinnen wir viel vom Einfluss, den geistliche Ratgeber auf die Könige ausübten, wieder, weil wir die Wirkung dieses Einflusses an den Handlungen der Herrscher ermessen können. Konkreter: Wenn König Konrad II. sich vor seiner Königserhebung direkt vor dem Mainzer Dom in demonstrativer Weise den Anliegen eines Bauern, einer Witwe, einer Waise und eines ins Elend ­Geratenen widmete, so wie es den Herrschern schon durch die Pariser Synode  829 unter Berufung auf Ijob (25, 11  ff.) eindringlich empfohlen worden war,867 dann sind wir berechtigt, diese Handlungen des Königs dem Einfluss geistlicher Ratgeber zuzuschreiben. Deren Rat dürfte dafür gesorgt haben, dass diese christlichen Verpflichtungen des Herrschers in den Ritualen seiner Erhebung angemessenen und intensiven Ausdruck fanden. Indem er diese aber durch sein symbolisches Handeln akzeptierte, wurde seine weitere Amtsführung an das Gezeigte gebunden. Angesichts der unübersehbaren christlichen Imprägnierung vieler demons­ trativ-ritueller Handlungen gerade der Herrscher des 10. und frühen 11. Jahrhunderts dürfte es nicht zu gewagt sein, auf diesem Felde den besonderen Einfluss bischöflicher Ratgeber am Werk zu sehen, die ansonsten im Schatten bleiben: Barfußgehen und Büßergewand; Prostrationen und demütige Bitten, Erbarmen unter Tränen, demonstrative Milde und Vergebung kennzeichnen herrscher­

Vgl. dazu ALTHOFF, Die Macht der Rituale, S. 106 ff. Vgl. dazu oben bei Anm. 428 ff. 867 Vgl. dazu oben bei Anm. 132. 865

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VI. Zusammenfassung

liches Verhalten gegenüber Gott wie gegenüber seinen Getreuen in dieser Zeit.868 Sie zeigen, wie aufgeschlossen die Herrscher gegenüber ihrer Verpflichtung zu christlich geprägter Amtsführung waren, auch wenn ihnen die geistlichen Ratgeber ihren unabhängigen sakralen Status und ihre Gottunmittelbarkeit in ­dieser Zeit nicht streitig machten, sondern eher bereitwillig akzeptierten. Die Zurückhaltung der Kleriker bei der Formulierung ihrer Geltungsansprüche ­gegenüber dem Königtum, wie sie im 10. und früheren 11. Jahrhundert zu beobachten ist, sollte deshalb nicht dazu verleiten, den Einfluss geistlichen Rats auf das Handeln der Könige als rückläufig anzusehen. Die sakrale Würde, die dem Königtum in dieser Zeit bereitwillig belassen wurde, verstärkte eher die Verpflichtung, sich dieser Auszeichnung würdig zu erweisen. Und dies lässt sich an der Intensität der rituellen Handlungen ablesen, mit denen die Könige ihre ­Verpflichtungen als christliche Herrscher akzeptierten. Stärker als bei der Gestaltung der Rituale tritt das Gewicht der geistlichen Ratgeber im 10. Jahrhundert allerdings dann zutage, wenn sie als Vermittler in Konflikten tätig wurden, die die Könige mit Angehörigen des hohen Adels führten. Hier wurde an verschiedenen Beispielen deutlich, dass diese Vermittler bei ihrer Tätigkeit eine gewisse Unabhängigkeit benötigten und beanspruchten. Sie scheinen sich jedenfalls Versuchen der Könige widersetzt zu haben, sie als abhängig von herrscherlichen Anweisungen zu betrachten. Hier war vor allem die Tätigkeit des Mainzer Erzbischofs Friedrich von exemplarischem Interesse, weil dieser sich mehrfach für Verträge einsetzte, die er zwischen Otto dem Großen und verschiedenen seiner Gegner sehr selbständig ausgehandelt hatte, was der Herrscher offensichtlich als unakzeptables Verhalten wertete.869 Der Erzbischof sah sich deshalb mehrfach massiven Angriffen und Beschuldigungen von Seiten der Anhänger des Königs ausgesetzt. Hier beobachten wir wohl Auseinandersetzungen um die Rahmenbedingungen der Arbeit von Vermittlern, deren Selbständigkeit und Unabhängigkeit von Weisungen noch nicht gesichert war. Zur Beurteilung dieses Dissenses scheint von grundsätzlichem Interesse, dass Otto der Große sich im Falle der Vermittlungstätigkeit seines Bruders Brun nur wenig später bereit erklärte, diesem völlig freie Hand zu lassen.870 Der Dissens mit Erzbischof Friedrich deutet damit auf charakteristische Schwierigkeiten bei der Etablierung einer Institution innerhalb des Beratungsspektrums, deren Anspruch auf Unabhängigkeit dem König Probleme bereitete. Der Geltungsanspruch der geistlichen Ratgeber des Königs erhöhte sich beträchtlich, als das Reformpapsttum sein Verhältnis zum Königtum grundsätzlich neu definierte. Dies geschah mit einiger Wahrscheinlichkeit in Reaktion Vgl. Anm. 865. Vgl. dazu oben bei Anm. 262 ff. und 277 ff. 870 Vgl. dazu oben bei Anm. 291 ff. 868 869

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2. Die Rolle der geistlichen Berater

auf die Übergriffe des salischen Kaisertums unter Heinrich III., der autoritativ die Ernennung der Päpste übernommen und damit die libertas ecclesiae an einer empfindlichen Stelle weiter eingeschränkt hatte.871 In einer groß angelegten Selbstvergewisserung über die eigenen Rechte aktivierte und verschärfte man in Kreisen des Reformpapsttums das alte Bewusstsein, eine AufseherFunktion über die Könige zu haben, und fand in Gregor VII. einen Papst, der in rigoroser Weise die teils aus der Bibel neu gewonnenen theoretischen ­Ansprüche in politische Praxis umzusetzen versuchte.872 Namentlich in den Auseinandersetzungen mit König Heinrich IV. formulierte er, dass der König die Kirche „nicht als seine Magd, sondern als seine Herrin“ anzusehen habe. Und er bot Heinrich in einem Brief nur dann „Gruß und apostolischen Segen, wenn er dem apostolischen Stuhl gehorcht, wie es einem christlichen König geziemt“.873 Die Behauptung einer Überordnung des Papsttums und einer Gehorsamsverpflichtung des Königtums veränderte nun die Grundlagen des Zusammenwirkens von regnum und sacerdotium doch radikal. Sie bot den Auslöser für einen Konflikt, der zur Exkommunikation des Königs und zu dem Präzedenzfall führte, in dem sich der König dem päpstlichen Bann unterwerfen musste. In Canossa löste Gregor Heinrich von diesem Bann, nachdem der König Bußleistungen eines Sünders vollbracht hatte. Der päpstliche Plan, auf den Gregor Heinrich in Canossa durch Eid verpflichtete, sah zudem vor, dass in einem colloquium unter Gregors Vorsitz mit den deutschen Fürsten darüber beraten werden sollte, ob Heinrich noch länger als König amtieren könne. Diese Beratungen sollten entweder mit Gregors Rat (consilium) eine gütliche Lösung finden oder mit Gregors Urteil (iudicium) eine gericht­ liche. Das colloquium, dem damit Funktionen des späteren Schiedsgerichts eingeräumt werden sollten, hätte die Richtergewalt des Papstes über Könige und Kaiser etabliert und das schon von Gelasius formulierte Problem des Verhältnisses von Königtum und Kirche durch eine eindeutige Über- und Unterordnung gelöst. Dies hätte die Rolle von Papst und Bischöfen bei der Beratung des Königs gewiss in gravierender Weise verändert. Diese Vorstellungen haben sich in der politischen Praxis jedoch nicht durchgesetzt. Im 12. Jahrhundert können wir zwischen Kaiser und Papst unter Beteiligung von Bischöfen und weltlichen Großen vielmehr immer wieder Verhandlungen beobachten, in denen Kompromisse zwischen divergierenden Vorstellungen beider Seiten gesucht wurden. Die Forderung nach Gehorsam der kaiserlichen Seite spielte dabei eine beträchtliche Rolle, wie die Verhandlungen Zum Gesamthorizont vgl. immer noch TELLENBACH, Libertas, S. 104 ff.; DERS., Die westliche Kirche, bes. S.  120  ff.; neuerdings HARTMANN, Der Investiturstreit, bes. S. 70 mit weiteren Hinweisen. 872 Vgl. hierzu zuletzt ALTHOFF, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, bes. S. 39 ff. 873 Vgl. die Belege im Register Gregors VII., IV, 3, S. 298 und III, 10, S. 263; sowie oben bei Anm. 451 und 434. 871

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VI. Zusammenfassung

unter Heinrich V. deutlich machen, die zum Wormser Konkordat führten.874 Auch bei den Bemühungen der Thronbewerber um die Gunst Papst Innocenz’ III. fällt auf, dass Otto IV. das Versprechen zukünftigen Gehorsams intensiv einsetzte, um die Gunst Innocenz’, den favor apostolicus, zu erlangen. Der Staufer Philipp ging mit solchen Versprechungen dagegen zunächst zurückhaltend um. Der eine war eben ein Nachkomme des „Geschlechtes der Verfolger“ (genus persecutorum), der andere des „Geschlechtes der Ergebenen“ (genus devotorum) der Kirche.875 In England zeigt sich im Streit König Heinrichs  II. mit dem Erzbischof von Canterbury, Thomas Beckett, dass die von Papst Gregor VII. mitilfe von 1 Samuel 15, 22 ff. in die Diskussion gebrachte Forderung nach Gehorsam der Könige gegenüber päpstlichen Befehlen nicht vergessen war.876 Auch wurde 1177 der Frieden von Venedig durch eine paritätisch besetzte Gruppe von deutschen Erzbischöfen und römischen Kardinälen vereinbart, die Friedrich Barbarossa sehr zu seinem Unwillen die Friedensbedingungen diktierten.877 Mit Unterordnung und Gehorsam sind die Aussagen richtig benannt, die Friedrich in symbolischen Handlungen gegenüber Papst Alexander in Venedig immer wieder öffentlich durchzuführen hatte. Doch zeigt die Dauer der verschiedenen Verhandlungsperioden ebenso wie ihr partielles Scheitern und die gefundenen Kompromisse, dass die päpstliche Seite keineswegs alle ihre Forderungen durchsetzen konnte. Schon die Bemühungen der Päpste, ihren Vorrang vor den Kaisern in Form einer Lehnsoberhoheit – und diese wiederum durch den Strator- und Marschalldienst des Kaisers – zu dokumentieren, brachten im 12. Jahrhundert neben Erfolgen durchaus auch Dissens.878 Gleiches gilt allem Anschein nach für die Rolle der Bischöfe bei Beratungen innerhalb des königlichen Herrschaftsverbandes. Zwar nahmen immer wieder Bischöfe Positionen ein, die den königlichen Erwartungen widersprachen, doch rechtfertigten sie dies nicht einfach mit ihrer „Aufseher“-Funktion oder gar mit einer Verpflichtung des Königs, gegenüber geistlichen Ermahnungen gehorsam zu sein.879 So wird man insgesamt die längerfristige Wirkung der S. dazu oben bei Anm. 560. S. dazu oben bei Anm. 769 ff. 876 Thomas Beckett verwies nämlich mehrfach auf genau diese Gehorsamsforderung in der Samuel-Geschichte, wie es Gregor  VII. in seinen Briefen getan hatte; vgl. dazu BARRAU, Bible, lettres et politique, S. 554 mit weiteren Hinweisen. 877 S. dazu oben bei Anm. 653. 878 Vgl. dazu HACK, Empfangszeremoniell, bes. S. 504 ff.; zur diesbezüglichen Kontroverse in Sutri 1155 vgl. zuletzt WEINFURTER, Die Päpste als „Lehnsherren“, S. 32 ff. mit weiteren Hinweisen. 879 Dies zeigt sich etwa daran, wie versteckt die Forderung nach Gehorsam sowohl im Alexandrinischen Schisma (vgl. oben bei Anm. 642 und 656) als auch im Thronstreit 1198 (vgl. oben Anm. 769 ff., aber auch 791 ff.) von päpstlicher Seite gegenüber den staufischen Herrschern erhoben wurde. 874

875

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3. Zum Verhältnis informeller und formeller Beratungen

g­ regorianischen Geltungsansprüche auf Suprematie des Papsttums in Kirche und Welt für das Feld der Beratung des Königs und Kaisers eher skeptisch betrachten. Sie haben in der Ausnahmesituation der Auseinandersetzung mit Heinrich IV. beträchtliche Wirkungen erzielt, die aber wohl auch durch eine unangemessene Politik dieses Königs und den Widerstand gegen sie begünstigt wurden. In der Folgezeit scheint eher wieder die labile Balance zwischen höchster geistlicher und höchster weltlicher Gewalt hergestellt worden zu sein, die keiner von beiden die unbestrittene Vorrangstellung erlaubte.

3. Zum Verhältnis informeller und formeller Beratungen In allen Untersuchungskapiteln begegneten Beispiele für Beratungen, die in informeller oder formeller Weise durchgeführt wurden. Beide Formen stellten also vielgenutzte Modi der Beratung dar. Bisher wurde jedoch die Frage ausgeklammert, wie sich die verschiedenen Typen von Beratung – dass man sich einmal vertraulich im „kleinen Kreis“ oder „unter vier Augen“ traf, das andere Mal die Gesamtheit der Ratgeber sozusagen offiziell einberufen wurde – zueinander verhielten. Nur im zweiten Fall kann man, wie schon in der Einleitung ausgeführt, auch von einem formellen Ablauf des Treffens sprechen, bei dem der König ein Problem thematisierte und die Versammelten um Rat fragte. Nachdem dieser Rat von verschiedenen Teilnehmern gegeben war, die nach ihrem Rang geordnet sprachen, blieb es jedoch dem Herrscher vorbehalten, seine Konsequenz aus dem Gesagten zu ziehen und daraus eine Entscheidung zu machen. Für die informellen Treffen scheint dagegen vor allem charakteristisch zu sein, dass sie in vertraulich-freundschaftlicher Atmosphäre und gegenseitiger Wertschätzung vonstatten gingen, einen offenen Gedankenaustausch möglich machten und pflegten und so die beste Gewähr dafür boten, auf die Willensbildung des Herrschers Einfluss nehmen zu können. Es haben sich bisher nur wenige Anhaltspunkte ergeben, zu erkennen, ob und wie die eine Form der Beratung mit der anderen zusammenhing oder abgestimmt war. Allenfalls ließen sich Belege dafür beibringen, dass das Scheitern von formellen Beratungen zu informellen Treffen eines Teils der Beratenden führte, die ihre Bereitschaft zum Widerstand ausloteten.880 Damit sind aber die vielen informell-vertraulichen Treffen keineswegs erklärt, die die Könige mit einzelnen ihrer Getreuen durchführten, die sie besonders schätzten und auf diese Weise auszeichneten. Zwar werden wir höchst selten darüber informiert, was dort konkret beraten wurde; doch allein die Möglichkeit, der vertraulichen Unterredung mit dem Herrscher für würdig befunden zu w ­ erden, 880

S. dazu oben bei Anm. 855.

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VI. Zusammenfassung

seine Meinung äußern, Gehör finden oder Anliegen vortragen zu können, galt als Ausweis größter Huld und deshalb als höchst erstrebenswerter Status. Die unzähligen bei diesen Treffen mündlich-persönlich oder durch Fürsprecher oder Intervenienten vertraulich vorgetragenen Bitten, Anliegen oder Forderungen, denen der Herrscher gnädig entsprach oder sie auch unbeachtet ließ, bieten damit gewiss Beispiele für eine ganz andere Art der Einflussnahme auf eine Entscheidung, als sie die Beratungsrunden der Magnaten darstellen, die der Herrscher formell einberief und um Rat bat. Erstere Vorgehensweise wird von Gislebert von Mons häufiger als „Arbeit“ bezeichnet, die den König geneigt machen sollte, einem bestimmten Anliegen zuzustimmen.881 Letztere, die formellen Zusammenkünfte, kann man noch einmal dahingehend differenzieren, dass die Magnaten zumeist der Bitte des Herrschers um Beratung in nicht-öffentlichen Sitzungen nachkamen. In seltenen Fällen konnte dies aber auch vor einer breiteren Zuhörerschaft aus dem Kreis ihrer Vasallen geschehen. In jedem Fall war das Procedere geregelt: Der König stellte ein Problem vor und fragte die Anwesenden um Rat in dieser Sache. Die Anwesenden gaben diesen Rat, wobei die Reihenfolge ihrer Beiträge sich nach ihrem Rang richtete. Die Analyse der Überlieferung hat nun einige zusätzliche Überlegungen ermöglicht, die das Zusammenspiel der informellen mit den formellen Beratungen betreffen. Dieses Zusammenspiel hängt nämlich eng mit Rahmenbedingungen zusammen, die das Verhalten der Führungsgruppen insgesamt bestimmten, weshalb man zur Erläuterung ein bisschen weiter ausholen muss. Die Mitglieder der mittelalterlichen Führungsschichten unterhielten untereinander viele Bindungen herrschaftlicher, verwandtschaftlicher und freundschaftlich-genossenschaftlicher Art. Diese Bindungen verpflichteten zu einem bestimmten Verhalten, das durch reziproken Austausch von Leistungen und Gegenleistungen charakterisiert ist.882 Es realisierte sich in materiellem und wohl mehr noch immateriellem Gabentausch großen Stils, durch den man sich wechselseitig förderte, half und begünstigte. Es bestand, anders ausgedrückt, in den Führungsschichten eine komplexe Struktur aus personalen Netzwerken, deren Mitglieder eine effektive Politik der wechselseitigen Unterstützung praktizierten. Diese war im Bereich von Verwandtschaft, Freundschaft und Genossenschaft, also den horizontalen Bindungen, erheblich unproblematischer mit Leben zu erfüllen als im Bereich von Herrschaft, in dem die vertikale Bindung aller an einen Herrn existierte. Die Gefolgs- und Lehnsleute waren nämlich zwar alle an den König gebunden, untereinander konkurrierten sie dagegen häufig. Zu Recht ist daher in der neuesten Forschung betont worden, dass in 881 882

S. dazu oben bei Anm. 743. Vgl. BIJSTERFELD, Do ut des, S. 17 ff.

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3. Zum Verhältnis informeller und formeller Beratungen

den Herrschaftsverbänden Konflikt und Konkurrenz zumindest so charakteristisch seien wie Eintracht und Konsens.883 Nicht gegenseitige Unterstützung war nämlich das oberste Prinzip der Lehns- und Gefolgsleute eines Herrschers, sondern eher der eifersüchtige Kampf um die größte Huld dieses Herrschers, von der Einfluss und Aufstieg weitgehend abhingen. Und diese Auseinandersetzung wurde nicht als Kampf von Einzelpersonen geführt, sondern brachte häufig auch die gesamten Netzwerke gegeneinander in Stellung. Nicht umsonst hatte im späteren Mittelalter die Wertung Konjunktur: Bei Hof, bei Höll. Dies brachte die Problematik mit sich, dass der König seine Hulderweise an seine Kronvasallen nicht unbedingt öffentlich vornehmen konnte, weil dies Neid und Missgunst aller anderen nur noch geschürt hätte, wovon man ohnehin häufig genug hört.884 Folgerichtig etablierte sich ein komplexes Spektrum vertraulicher Hulderweise des Königs, das von materiellen Schenkungen und Belohnungen bis zum uneingeschränkten Zugang und Gehör in allen wichtigen Fragen reichte, die nur besonderen Vertrauten gewährt wurden.885 In diesem Zusammenhang wird in den Quellen häufig die Bezeichnung familiaritas benutzt und von familiares gesprochen, die ein besonderes Verhältnis zum Herrn auszeichnete. Auch die Arengen der Herrscherurkunden sprechen in ihren formelhaften Begründungen herrscherlichen Verhaltens immer wieder davon, dass es dem Herrscher angelegen sei, „den eifrigen Dienst seiner Getreuen reich zu belohnen“, „ihren demütigen Bitten gerne Gehör zu schenken“.886 Seit der Karolingerzeit war es den Herrschern zudem nicht mehr freigestellt, die Rangordnung willkürlich nach ihren Bedürfnissen zu verändern.887 Auch ihre Hulderweise standen deshalb mit einiger Sicherheit nicht mehr vollständig in ihrem Belieben, sondern hatten sich an der Rangordnung zumindest zu orientieren.888 Offensichtlich war aber nicht zu verhindern, dass der König zu bestimmten Mitgliedern seines Herrschaftsverbandes ein Verhältnis besonderer familiaritas aufbaute, wobei sich dies nicht selten sogar so steigerte, dass ein Magnat als familiarissimus oder secundus a rege bezeichnet werden konnte. Indem der König seine konkreten Hulderweise für die Mitglieder seines Herrschaftsverbandes zu großen Teilen der Sichtbarkeit entzog, erschwerte er zunächst einmal die Möglichkeit des Vergleichs und verringerte so daraus Vgl. PATZOLD, Konsens und Konkurrenz, bes. S. 102 f. Als Beispiel sei nur auf das Verhältnis der Erzbischöfe Anno von Köln und Adalbert von Hamburg-Bremen verwiesen; s. dazu oben bei Anm. 365 ff. Andere Erzbischöfe mussten erst ein Freundschaftsbündnis miteinander abschließen, um offen über heikle Dinge reden zu können; vgl. ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, S. 169. 885 Vgl. dazu ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, bes. S. 220 ff. 886 Vgl. HAUSMANN – GAWLIK, Arengenverzeichnis zu den Königs- und Kaiserurkunden, s. etwa im Register unter Begriffen wie servitium (S. 805 f.) oder preces (S. 773 f.). 887 Vgl. dazu FICHTENAU, Lebensordnungen des 10. Jahrhunderts, S. 46 f. 888 S. dazu ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, S. 214 ff. 883

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VI. Zusammenfassung

r­esultierende Dissonanzen. Er behielt überdies sozusagen die Fäden in der Hand, denn auch der Hulderweis des unbeschränkten Zugangs und des Anhörens eines Magnaten in wichtigen Fragen bedeutete ja nicht unbedingt, dass dieser seine Ansichten beim Herrscher auch wirklich durchsetzen konnte. Auch die familiares waren damit genötigt, das Privileg ihrer Nähe zum Herrscher nur vorsichtig in Anspruch zu nehmen und zu nutzen, da es auch in ­Ungnade umschlagen konnte. Dass die besonderen Kontakte zu seinen Getreuen vornehmlich vertraulichen Situationen vorbehalten wurden, bescherte dem Herrscher aber noch weitere Vorteile, die in unserem Zusammenhang von besonderer Bedeutung sind. Er konnte nämlich solche vertraulichen Beratungen nutzen, um die Zusammenkünfte der Gesamtheit seiner Ratgeber mit ausgewählten Einzelnen vorzubereiten oder um Unterstützung zu werben. Und in der Tat gibt es genügend Quellenbelege, dass solche vertraulichen Gespräche die anstehenden politischen Fragen und Entscheidungen zum Thema hatten. Es liegt auf der Hand, dass dem Herrscher durch diese vertraulichen Kontakte die Möglichkeit eröffnet wurde, verdeckt die Weichen für Entscheidungen zu stellen. Es genügte wahrscheinlich schon, sich mit denen vorweg zu besprechen, die als Erste in der Beratung ihre Stimme erheben würden. Im Extremfall aber konnte er nachweislich sogar einen widerspenstigen Gefolgsmann dazu bringen, den Beratungen fernzubleiben, wenn dieser die Meinung des Königs nicht teilte.889 Damit sind wir mehr als berechtigt, die vielen informellen Kontakte der Herrscher mit einzelnen Angehörigen ihres Verbandes auch als vorbereitende Aktivitäten zur formellen Beratung aufzufassen. Sie sind somit als Bestandteil einer Inszenierungspraxis zu verstehen, die geeignet war, kontroversen Meinungsäußerungen in einer formellen Beratung entgegenzuwirken, indem sie dafür sorgten, dass solche Kontroversen bereits zuvor erkannt und vertraulich entschärft werden konnten. Formelle Kontakte mit allen wurden folgerichtig wohl erst dann eingeleitet, wenn ihr Ausgang prognostizierbar war. Zuvor „arbeitete“ man in verdeckten Kontakten an einer einvernehmlichen Lösung. Diese Einschätzung lässt auch verstehen, warum die häufig zu beobachtende „Arbeit“ von Fürsprechern akzeptiert wurde: Vertrauliches Werben um Unterstützung für eigene Pläne und Vorhaben gehörte zu den Alltagsbeschäftigungen aller Mitglieder der Führungsschichten – einschließlich des Königs. Die Praxis des Herrschers, bestimmten Bischöfen oder Adligen eine besondere Nähe (familiaritas) einzuräumen, die sich vor allem in solchen vertraulichen Beratungen konkretisierte, schuf also einmal für die so Begünstigten die Möglichkeit, auf den Herrscher in ihrem Interesse oder dem ihres Netzwerks einzuwirken und verdeckt Einfluss zu nehmen. Sie schuf aber auch für den Herrscher die Möglichkeit, die formelle Beratung seiner Pläne und Vorhaben 889

Vgl. dazu oben bei Anm. 839.

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3. Zum Verhältnis informeller und formeller Beratungen

so lange und so gut vorzubereiten, bis das vom Herrscher erwünschte Ergebnis sich abzeichnete, wie es schon Hincmar von Reims beschrieben und für sinnvoll gehalten hatte.890 Damit dürfte die undurchdringliche Gemengelage informeller und formeller Beratungen, die den ganzen Untersuchungszeitraum bestimmte, doch erheblich strukturierter gewesen sein, als es eingangs den Anschein hatte. Ein kluger Herrscher berief formelle Versammlungen seiner Ratgeber erst dann ein, wenn er über vertrauliche Kanäle sichergestellt hatte, dass die Ratgeber in seinem Sinne agieren würden. Zu dieser Einschätzung passt der Befund, dass die Zahl der formellen Beratungen des Verbandes keineswegs überwältigend groß war. Gerade wenn man, wofür es überzeugende Gründe gibt, die Verhandlungen zwischen zwei Verbänden von den Beratungen innerhalb eines Verbandes unterscheidet, drängt sich der Eindruck auf, dass Sitzungen der Mag­naten, in denen der Herrscher um Rat bat, nicht eben sehr zahlreich überliefert sind. Allerdings sind quantifizierende Aussagen auf diesem Gebiet zurzeit noch mit großer Unsicherheit behaftet, weil der Forschungsstand keinen zuverlässigen Überblick ermöglicht. Auch sind die einzelnen Autoren des Mittelalters unterschiedlich mitteilsam, was solche Beratungen betrifft.891 Formelle Beratungen vereinbarte aber nicht nur der König mit seinen Magnaten. Es fällt im Gegenteil mehrfach auf, dass auch die angesprochenen Netzwerke im adligen Herrschaftsverband, wenn sie in Opposition zum König gerieten, feste Formen nutzten, um in gemeinsamen Beratungen Entscheidungen über ihr zukünftiges Verhalten gegenüber dem König zu fällen. Und diese Formen waren denen der vom König einberufenen Versammlungen relativ ähnlich. Die Quellenterminologie für solche Aktivitäten oppositioneller Kräfte ist relativ einheitlich. Die Autoren sprechen von Zusammenkünften (conventicula), die dem Zwecke der verschwörerischen Beratung (conspiratio) dienten und zur Schwureinung (coniuratio) führten, durch die sich alle auf das Ziel verpflichteten, den Herrscher notfalls mit Gewalt zu einer Änderung seines Verhaltens zu bewegen.892 Dies konnte schon im Falle des Widerstands gegen Otto den Großen beobachtet werden, als sein Bruder Heinrich wie sein Sohn Vgl. dazu oben bei Anm. 208 ff. Einen ganz anderen Eindruck bietet nämlich Gislebert von Mons, der sogar häufiger von Zwischenberatungen einer Gruppe während der Verhandlung mit anderen Gruppen berichtet, weil ihm als Praktiker diese Thematik wichtig ist: s. z. B. § 139, S. 208, 11: habitoque, et pater et filius (sc. Friedrich I. und Heinrich VI.), communi consilio; § 140, S. 210, 19: habito festino suorum consilio; ebd., S. 212, 19: quem dominus comes de consilio hominum suorum cepit et eum dearmari et detentum custodiri fecit; § 142, S. 218, 21: Comes autem, sociorum suorum habito consilio, nunciis illis respondit. Diese Zitate aus einem engen Segment der Geschichtsschreibung ließen sich leicht vermehren. Sie vermitteln den Eindruck, dass selbst wichtige Zwischenentscheidungen der Gruppen aufgrund von Ad-hoc-Beratungen fielen. 892 Vgl. dazu oben bei Anm. 269 ff., 395 ff. 890 891

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VI. Zusammenfassung

Liudolf alle erreichbaren Großen um sich scharten und zu diesem Zweck jeweils den Ort Saalfeld aufsuchten. Dort fassten sie im Rahmen eines großen Festes und Gelages (convivium) den Beschluss, bestimmtem Verhalten des Königs Widerstand entgegenzusetzen.893 Auch in Breisach im Südwesten des Reiches gab es solch einen Ort, den Empörer gegen Otto den Großen aufzusuchen pflegten, um zu beraten, was die Zeitgenossen wie in Saalfeld bereits Böses ahnen ließ.894 Ganz ähnlich gezielt agierten die sächsischen Großen gegen König Heinrich  IV., als dieser sie vor Goslar düpiert hatte. Sie schlossen eine Schwur­ einung zunächst unter wenigen nachts in einer Kirche, riefen dann aber einen Stammestag nach Hoetensleben ein, um dort öffentlich in der Versammlung ihrer Stammesgenossen über Maßnahmen gegen den König zu beraten.895 Um die übrigen Sachsen von der Notwendigkeit bewaffneten Widerstands gegen den König zu überzeugen, traten nach Rang geordnet Bischöfe, Hochadlige und Freie vor und berichteten über konkretes Unrecht, das der König ihnen angetan hatte. Sie garantierten offensichtlich mit ihrer Ehre dafür, dass die Beschuldigungen den Tatsachen entsprachen. Im Ergebnis schloss sich der ganze Stamm zu einer Schwureinung gegen Heinrich zusammen. Diese Einung wurde auch gleich militärisch aktiv, indem alle bewaffnet vor die Harzburg zogen und so den König zu Verhandlungen zwangen. Mehrfach noch benutzten die Sachsen das gleiche Verfahren, als sie in verschiedenen Verhandlungen mit Reichsfürsten in Gerstungen wie in Tribur systematisch ihre Vorwürfe gegen Heinrich IV. vorbrachten und die Reichsfürsten angeblich überzeugten, dass dieser nach all seinen Verbrechen nicht mehr länger als König regieren könne.896 Da die sachsenfreundlichen Geschichtsschreiber jeweils lange und konkrete Aufzählungen dieser Vergehen und Verbrechen bieten, muss man sich das Vorgehen der Sachsen wohl so vorstellen, dass auch hier jeweils einzelne Personen diese Vorwürfe vortrugen und für ihre Richtigkeit einstanden. Jedenfalls sollen danach „allen die Ohren geklungen“ haben, und sie sollen von der Wahrheit der Anschuldigungen überzeugt gewesen sein. Wir können daher mit einiger Gewissheit den formell einberufenen Beratungen sowohl des Königs mit seinen Großen wie denen der Gegner des Königs die Funktion zuordnen, Entscheidungen zu fällen, die für alle Teilnehmer verbindlich waren, die gegen diese Entscheidungen nicht protestiert hatten, was verbal, aber auch durch Abreise oder Tumult geschehen konnte. Zu Heinrich vgl. Widukind, Sachsengeschichte, II, 12, S. 98 f., wie oben Anm. 271; zu Herzog Liudolf vgl. Adalbert, Continuatio Reginonis, a. 952, S. 206 f., wie oben Anm. 270. 894 Vgl. Adalbert, Continuatio Reginonis, a. 953, S. 208 f.: Ipse (sc. Erzbischof Friedrich von Mainz) Brisacam castellum, latibulum semper Deo regique rebellantium, intravit totamque ibi pene aestatem rei eventum expectaturus permansit. 895 Vgl. dazu oben bei Anm. 396. 896 Vgl. dazu oben bei Anm. 416 ff. und 445 ff. 893

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4. Möglichkeiten und Grenzen königlicher Lenkung der Beratung

Die Vielzahl der vertraulichen und verdeckten Initiativen, Vorstöße und Gespräche mit dem Herrscher hatte dagegen die Funktion, den Boden für einvernehmliche Lösungen in den allgemeinen Beratungen zu bereiten. Hier agierten vor allem die Personen, deren Verhältnis zum Herrscher durch eine besondere Huld (gratia) und Nähe (familiaritas) geprägt war. Sie taten dies aber wohl nicht nur selbstlos, sondern erlangten aufgrund ihrer Nähe zum Herrscher auch Privilegien, Schenkungen und andere Hulderweise, für die ein Herrscher keine Zustimmung seiner Magnaten benötigte. Durch die Gewohnheiten war allerdings nicht exakt geregelt, in welchen Fällen dies gestattet war und in welchen nicht.

4. Möglichkeiten und Grenzen königlicher Lenkung der Beratung Die Ausführungen des letzten Unterkapitels haben gewiss den Eindruck bestärkt, dass der König über breite Möglichkeiten verfügte, durch gezielte Vorbereitungen das von ihm gewünschte Ergebnis einer formellen Beratung zu präjudizieren. Da vertrauliche Gespräche Hulderweise und als solche hochbegehrt waren, konnte der Herrscher auf diesem Wege leicht verdeckten Einfluss nehmen und Weichen in seinem Sinne stellen. Tat er dies geschickt, dienten die Beratungen eher der Einlösung einer Zustimmungspflicht als einem wirklichen Mitspracherecht. Damit drängt sich die Frage auf, ob dies den Teilnehmern an den Beratungsrunden bewusst war, ob zumindest den ranghohen Ratgebern klar war, dass sie an einem Spiel teilnahmen, in dem die Rollen vorweg verteilt wurden. Hierfür gibt es einige Anhaltspunkte. Dieses Bewusstsein brachte etwa der Kölner Erzbischof Philipp bei den Beratungen der Fürsten mit dem Kaiser anlässlich des Mainzer Hoffestes von 1184 zum Ausdruck, als er den Angriff des Fuldaer Abtes auf seinen Platz an der Seite Friedrich Barbarossas kommentierte. Er verdächtigte Friedrich Barbarossa, vorweg in das Vorhaben eingeweiht gewesen zu sein, da sonst der Fuldaer Abt es „nie gewagt hätte, gegen ihn seine Ferse zu erheben“ und den Platz zu beanspruchen, den bisher der Kölner eingenommen hatte.897 Diese Gewissheit leitete der Erzbischof offensichtlich aus seiner Kenntnis der Gewohnheit ab, dass solche Bitten an den König nicht ohne vorbereitende Abstimmung herangetragen wurden. Diese Einschätzung wird durch eine Reihe anderer Beispiele gestützt, in denen besondere Vertraute durch ähnliche Initiativen herrscherliche Vergünstigungen erhielten. Der Merseburger Bischof Giselher etwa erreichte seine ­Erhebung auf den Magdeburger Erzbischofssitz scheinbar durch einen Fußfall 897

S. dazu bereits oben bei Anm. 837.

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VI. Zusammenfassung

vor Otto II., mit dem er den lang verdienten Lohn für seine Anstrengungen im Königsdienst erbat. Vorausgegangen waren jedoch Absprachen über die Aufhebung des Bistums Merseburg, weshalb Giselher auf einen anderen Sitz transferiert werden musste. Sein expressiver Bittgestus verschleierte die Tatsache dieser Planung vollständig, muss aber als eine Konsequenz dieser Planung verstanden werden.898 Schon die frühe Szene des päpstlichen Fußfalls vor König Pippin in Ponthion 754 bietet ein Beispiel dafür, dass demonstrative öffentliche Bittszenen im Mittelalter durch Vorkontakte abgesichert wurden, die eine angemessene Reaktion des Gebetenen sicherstellten.899 Dies muss nicht ausschließen, dass diese Gewohnheit außer Acht gelassen bzw. gegen sie auch verstoßen wurde. Erzbischof Willigis von Mainz machte man in der Vita Bernwards von Hildesheim den Vorwurf, er habe seine Vorstellungen im sog. Gandersheimer Streit nur durchgesetzt, „weil er in unverschämter Weise darum bat“.900 So konnte er allem Anschein nach die Mainzer Ansprüche auf Gandersheim gegen die Hildesheimer erfolgreich vertreten, weil der Herrscher einen bittenden Mainzer Erzbischof nicht unerhört lassen konnte. Hier scheint kein Verdacht aufgekommen zu sein, dass es sich um ein abgekartetes Spiel handeln könne. Der römische Stadtpräfekt Crescentius erlangte hingegen nicht die Vergebung Kaiser Ottos III., weil er sie improvisiert (ex improviso) zu erlangen versuchte, und das hieß, ohne die nötigen vorherigen Absprachen hinsichtlich der Genugtuungsleistungen, die zu erbringen waren. Der Herrscher war in diesem Fall nicht bereit zu verzeihen, weil es sich bei Crescentius um einen „Wiederholungstäter“ handelte, dem nach den Gewohnheiten kein Zugang zur Milde des Herrschers mehr offenstand.901 Die Möglichkeiten des Herrschers zur Beeinflussung von Beratungen waren somit schon deshalb groß, weil die Gewohnheiten nicht vorsahen, dass er mit Anliegen oder Bitten welcher Art auch immer überraschend konfrontiert werden konnte. Durch die nötigen informellen Vorsondierungen gewann ein Herrscher Zeit, um sowohl Unterstützung für ein Anliegen organisieren als auch Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. In der Lebensbeschreibung ­Bischof Bennos von Osnabrück wird ausführlich beschrieben, welch umfangreiche Konsultationen dieser Bischof tätigte, ehe er den Herrscher mit einem dringenden Anliegen zu konfrontieren wagte – und das nicht einmal persönlich: Er beriet sich nämlich zunächst mit seinen Freunden und mit Vertrauten des Herrschers über das Procedere und die erfolgversprechende Argumentation. Letztere überzeugten ihn, die Sache in ihre Hände zu geben und sie dem Vgl. dazu Thietmar, Chronicon, III, 13, S. 98 ff. S. dazu oben bei Anm. 80; grundsätzlich vgl. dazu GARNIER, Die Kultur der Bitte, bes. S. 24 ff. mit Hinweisen darauf, wie solche Vorkontakte in der Karolingerzeit hergestellt wurden 900 Vgl. Thangmar, Vita Bernwardi, cap. 13, S. 764; s. auch oben Anm. 345. 901 Vgl. dazu ALTHOFF, Otto III., S. 105 ff. 898

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4. Möglichkeiten und Grenzen königlicher Lenkung der Beratung

König vertraulich eben durch dessen Vertraute vortragen zu lassen.902 Nimmt man dies als gängigen Weg zum Ohr des Herrschers, dürfte klar sein, welch großer Respekt vor einer ungnädigen Aufnahme des Anliegens vorhanden war. Sie scheint nicht selten vorgekommen zu sein. Nicht nur Gislebert von Mons gibt in seinem Werk immer wieder Hinweise darauf, dass alle „Mühen“ vergebens waren, wenn der Herrscher Bitten ignorierte oder sich gegenüber Wünschen verschlossen zeigte.903 Es gab nur wenige Möglichkeiten, gegen solche herrscherliche Ignoranz vorzugehen, eigentlich nur die Aktivierung der eigenen Netzwerke mit dem Ziel einer coniuratio, die den Entschluss manifestierte, das Anliegen notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Herrscher selbst hingegen setzten das Mittel der Bitte durchaus überraschend und ohne jede Vorsondierung ein, wenn sie ihrerseits Widerstände in der Beratung überwinden wollten – und sie waren hierzu offensichtlich befugt. Auch diese Möglichkeit vergrößerte ihre Optionen im Falle von Dissens nicht unwesentlich. So konfrontierte König Heinrich II. eine Bischofssynode mehrfach mit seiner fußfälligen Bitte, als diese ihm nach separater Beratung die Gründung des Bistums Bamberg verwehren wollte. Einer sich zum Boden erniedrigenden Majestät konnte man ihre Bitte offensichtlich nicht abschlagen, und deshalb setzte Heinrich schließlich seinen Wunsch und Willen durch.904 Gegner Heinrichs  IV. sprechen nicht nur von Fußfällen des Königs vor den Reichsfürsten, um deren militärische Unterstützung zu bekommen, er soll ihnen dabei auch noch einzeln die Füße geküsst haben, ehe sie ihm das Verlangte bewilligten.905 Der einzige Fall, in dem angeblich ein fußfällig bittender Herrscher seinen Willen nicht durchsetzte, ist der berühmte Fußfall Friedrich Barbarossas vor Heinrich dem Löwen, dessen Faktizität umstritten ist.906 Man kann an ihm in der Tat zweifeln, weil die Durchschlagskraft des Vorwurfs, den fußfällig bittenden Kaiser nicht erhört zu haben, so hoch ist, dass man ihn gerade deshalb auch konstruiert haben könnte. Ein weiterer Vorteil der Herrscher bei der Beratung mit den Getreuen war die schon mehrfach angesprochene Gewohnheit, dass die Ratgeber in der formellen Beratung ihre Voten nach ihrem Rang geordnet abgaben. Damit kam es aller Wahrscheinlichkeit nach für den König vor allem darauf an, dass bei einer Beratung die Stellungnahmen der Ranghöchsten in die gleiche Richtung gingen, weil so die Beratung schnell einen Akklamationscharakter bekam, denn nach zwei oder drei Ratschlägen dürften in der Regel alle wichtigen Argumente angeführt gewesen sein, die für eine bestimmte Entscheidung sprachen. Die Vgl. dazu Norbert, Vita Bennonis, cap. 16, S. 402 ff. Vgl. dazu oben bei Anm. 724, 736 und 743. 904 Vgl. dazu oben bei Anm. 334. 905 Vgl. dazu oben bei Anm. 424. 906 Vgl. dazu oben bei Anm. 664. 902 903

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folgenden Sprecher konnten sich dann auf die Bekundung ihrer Zustimmmung beschränken, denn dass jemand noch gegen mehrere gleichlautende Voten der Ranghöchsten argumentierte, war wohl kaum vorstellbar. Lediglich in der Lebensbeschreibung des Trierer Erzbischofs Adalbero aus dem 12. Jahrhundert wird behauptet, er habe die Angewohnheit gehabt, entweder als Erster oder als Letzter zu sprechen.907 Diese Behauptung macht implizit deutlich, dass man dem Votum am Schluss der Beratung noch eine besondere Bedeutung zubilligte. Sie ist aber in ihrem Realitätsgehalt schwer einzuschätzen. Vielleicht hat man in Trier auf diese Weise zu bewältigen versucht, dass der eigene Erzbischof nicht der Ranghöchste im Reich war und deshalb selten als Erster sprechen konnte. In Unterschied zu den Verhandlungen zwischen Parteien scheint bei formellen Beratungen viel dafür getan worden zu sein, Kontroversen möglichst zu vermeiden. Mehrfach hören wir, dass im Falle einer sich abzeichnenden Kon­ troverse eine sanior pars der Anwesenden den Raum verließ und den Dissens vertraulich beizulegen versuchte. Dieses Mittel nutzte man 1002 in Sachsen, als es um die Königskandidatur Ekkehards von Meißen Streit gab.908 Auch die kontroverse Debatte um die Einrichtung des Bistums Bamberg war dadurch charakterisiert, dass die Bischöfe mehrfach die Versammlung verließen, um ihren Beschluss in einem kleineren Gremium zu fassen.909 Diese Beispiele ­ließen sich vermehren. Dass trotz solcher Sicherungen Auseinandersetzungen manchmal schwer zu vermeiden waren, sei am Beispiel einer Beratung verdeutlicht, bei der nicht sicher ist, ob sie als informell oder formell einzuschätzen ist, weil nur drei Akteure genannt werden. Dabei ging es nach der Lebensbeschreibung des Salzburger Erzbischofs Konrad um die Frage, ob dieser dem neuen König Konrad III. einen Lehnseid leisten müsse. Das war nach dem Investiturstreit umstritten und einige Bischöfe tendierten dazu, sich dem Eidesritual mit dem Argument zu verweigern, man könne als Bischof seine geweihten Hände nicht in die blutbefleckten eines Laien legen. Als der Herzog Konrad von Zähringen in dieser Frage König Konrad unterstützte und vehement forderte, der Erzbischof müsse den Lehnseid leisten, konterte dieser angeblich in feinster Ironie: „Herr Herzog, wenn ihr ein Wagen wäret, würdet ihr wohl vor den Ochsen einherlaufen.“910 Noch bevor der Zähringer erregt replizieren konnte, soll ihm König Konrad die Hand vor den Mund gehalten und entschieden haben, er fordere keinen Eid. Wenn diese Geschichte überhaupt historisch ist, war sie wohl eher im kleinen Vgl. dazu Balderich, Gesta Adalberonis, cap. 26, S. 604 f.: numquam in singulis conventibus, nisi auditis aliis, suum aperiebat consilium. 908 Vgl. dazu oben bei Anm. 312. 909 Vgl. dazu oben bei Anm. 334. 910 Vgl. Vita Chunradi archiepiscopi Salisburgensis, cap. 5, S. 66: Video, domine dux, quia si plaustrum essetis, boves precurrere non dubitaretis. 907

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4. Möglichkeiten und Grenzen königlicher Lenkung der Beratung

Kreis der vertraulichen Beratung einiger Fürsten mit dem König als in einer formellen Versammlung denkbar. Das beschriebene Eingreifen des Königs zeugt dabei wohl von der Strategie, bei aufkommendem Dissens eher auf ­Forderungen zu verzichten als einen Konflikt eskalieren zu lassen. Zusammengefasst darf man sicher betonen, dass die Möglichkeiten der Herrscher groß waren, formelle wie informelle Beratungen auf verschiedenste Art und Weise zu dominieren. Das wirksamste Mittel hierzu dürfte gewesen sein, sich vertraulich der Zustimmung der wichtigsten Leute zu versichern und erst dann formelle Beratungen einzuleiten, wenn diese Unterstützung gesichert war. Erfolgreich konnte man so allerdings nur regieren, wenn die Balance zwischen Leistung und Gegenleistung, Belastung und Belohnung sowie eine ausreichende und gerechte Partizipation aller relevanten Kräfte des Verbandes durch die Politik des Königs gewährleistet blieb. Es ist aber nicht zu übersehen, wie häufig und massiv die Herrscher nach Meinung ihrer Getreuen gerade gegen diese Prinzipien verstoßen haben. Dann zeigte sich zuverlässig, dass der Herrschaftsverband dies als Machtmissbrauch auffasste und entsprechend reagierte: Wurden diese Grenzen nach Meinung relevanter Kräfte überschritten, formierte sich nämlich Widerstand, der gewaltsame Formen der Auseinandersetzung nicht scheute, auch wenn zumeist zeitnah Versuche der gütlichen Beilegung des Konflikts einsetzten. Die zahllosen bewaffneten Konflikte zwischen Königen und Teilen ihres Herrschaftsverbandes, die in der älteren Forschung zumeist als „Aufstände“ oder „Rebellionen“ bezeichnet wurden, werden inzwischen weitgehend als integraler Teil der politischen Auseinandersetzung betrachtet. Bei ihnen ging es nicht oder häufig nicht um den Sturz und die Absetzung des Herrschers, sondern darum, ihn zur Änderung seines Verhaltens zu bewegen, indem man ihn und seine Unterstützer so lange bedrängte und schädigte, bis er einlenkte. Nicht selten entzündeten sich diese Konflikte gerade an Fragen der Beratung. Immer wieder löste es Krisen aus, wenn sich ein Herrscher einseitig von den vermeintlich falschen Leuten oder gar nicht beraten ließ. Zum Vorwurf und zum Anlass von bewaffneten Konflikten wurde dies in allen behandelten Zeiträumen und im Falle vieler Herrscher, die dennoch zum Teil hartnäckig den fundamentalen Fehler wiederholten, ihre Pflichten zur Beratung zumindest nach der Meinung einiger ihrer Getreuen zu verletzen. Die Krisen der Herrschaft Ludwigs des Frommen wie Ottos des Großen lassen sich plausibel damit erklären, dass Ersterer sich einseitig beraten ließ, Letzterer seine Verpflichtung zu angemessener Beratung am Anfang seiner Herrschaft ganz in den Hintergrund zu drängen versuchte.911 Einen bezeichnenden Versuch, den Herrscher zu ausgewogenem Verhalten bei der Beratung zu veranlassen, kann man schon zum Jahre 843 beobachten, als die Großen im Reiche Karls des 911

Vgl. dazu oben bei Anm. 99 ff. und Anm. 262 ff.

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VI. Zusammenfassung

Kahlen sich zu einer amicitia zusammenschlossen und den König dann nötigten, dieser beizutreten. Der explizit genannte Grund hierfür war, dass so durch die Freundschaft aller der verderbliche Einfluss der Freundschaft Einzelner mit dem König wirkungslos gemacht werden könne.912 Am höchsten stieg der Pegel der Empörung über das Thema der Beratung wohl im Falle Heinrichs IV., den der Vorwurf traf, die Fürsten grundsätzlich von ihr ausschließen und an ihre Stelle „Leute ohne Herkunft“ setzen zu wollen.913 Aber auch Heinrich V. agierte auf dem Felde der Beratung nur wenig erfolgreicher.914 Am geschicktesten scheint Friedrich Barbarossa die vielen sensiblen Entscheidungen seiner Amtszeit vorbereitet zu haben. Jedenfalls entzündeten sich Konflikte gegen ihn nicht daran, dass relevante Teile seiner Getreuen ihm einseitige Beratungspraktiken vorwarfen – oder sie drangen mit ihren Vorwürfen nicht durch.915 In all den Krisen der Königsherrschaft, die sich an der Beratung entzündeten, konnte man überdies eine Feststellung machen, die für ein Gesamturteil sehr wichtig ist: Nicht nur der Herrschaftsverband um den König pflegte eine entwickelte Kultur der Beratung. Dies taten auch viele der Gruppen, die sich zum Widerstand gegen den König entschlossen und vereinigten. Hierzu nutzten sie als intensive Form der Bindung und Unterstützung häufig die Schwur­ einung (coniuratio), die das Ergebnis von Beratungen war, die zu der konsensualen Entscheidung geführt hatten, gemeinsam gegen den König vorzugehen. Interessant ist, dass diese Gruppen zu den Beratungen mehrfach bestimmte Orte aufsuchten (Saalfeld, Breisach) und dort ihre Entscheidungen im Rahmen von Festen und Gelagen (convivia) vorbereiteten. Zeitgenossen wussten dann bereits, dass von diesen Treffen nichts Gutes zu erwarten war.916 Da wir diese convivia durch das Mittelalter hindurch auch bei genossenschaftlichen Vereinigungen wie Gilden und Zünften finden, liegt der Schluss nahe, dass die Struktur dieser Gruppen eine freundschaftlich-genossenschaftliche war. Dies ist deshalb hochinteressant, weil sich auch Mitglieder der Königsfamilie unter den Teilnehmern befanden. Die Verpflichtung durch den Eid scheint also ­beträchtliche Standesunterschiede überbrückt zu haben. Es kann daher nicht verwundern, dass Könige darauf bestanden, dass die „Rädelsführer“ dieser 912 913

914 915

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Vgl. dazu CLASSEN, Die Verträge von Verdun und Coulaines; ALTHOFF, Verwandte, Freunde und Getreue, S. 98 f. Vgl. dazu oben bei Anm. 399 mit dem Vorwurf, Heinrich IV. solle das „Gesindel“, auf dessen Rat hin er bisher das Reich zugrunde gerichtet habe, entlassen und wieder den Rat der Fürsten einholen. Vgl. dazu oben bei Anm. 530 ff. So verdiente etwa Arnold von Lübeck eine neue Untersuchung, inwieweit seine Darstellung Friedrich Barbarossas konsequent darauf ausgerichtet ist zu zeigen, dass dieser Spielregeln der Beratung verletzte bzw. zu seinen Gunsten manipulierte; vgl. dazu die Hinweise oben in Anm. 677 f. und 837 ff. Vgl. dazu oben die Hinweise bei Anm. 893 und 894.

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4. Möglichkeiten und Grenzen königlicher Lenkung der Beratung

Vereinigungen ihre „Genossen und Freunde“ zur Bestrafung ausliefern sollten, was diese regelmäßig verweigerten.917 Mit der eidlichen Bindung stand ein ­Mittel der Gruppenbildung zur Verfügung, das widerstandsfähige Strukturen innerhalb der Gesellschaft zu schaffen erlaubte. Dem versuchten die Könige entgegenzuwirken. Interessant ist auch, dass eine solche coniuratio, die sich 1073 nachts in einer Kirche gegen Heinrich  IV. gebildet hatte, wenig später zu dem Mittel griff, einen Stammestag der Sachsen in Hoetensleben einzurufen, um in der dortigen Beratung möglichst viele zu überzeugen, sich der Verbindung anzuschließen. Der Bericht von diesem Stammestag lässt die dort praktizierte Technik der Meinungsbildung sehr deutlich erkennen, denn nach ihrem Rang geordnet traten Männer auf, die vorbrachten, welches Unrecht sie vom König erfahren hatten. In ihrer Summe bewegten diese Vorwürfe dann angeblich den ganzen Stamm der Sachsen, sich der Schwureinung gegen Heinrich anzuschließen und seiner tyrannischen Herrschaft gemeinsam Widerstand zu leisten. In der schweren Herrschaftskrise unter Heinrich IV. entwickelten aber auch die Reichsfürsten Organisationsformen, die intensive Beratungen ohne den König, aber über seine angeblichen Vergehen und Verbrechen ermöglichten. Allem Anschein nach ergaben sie sich aus Verhandlungen, die ausgewählte Reichsfürsten im Auftrage Heinrichs IV. mit Vertretern des sächsischen Stammes geführt hatten.918 Hier hatten die Sachsen bereits mehrmals eindringlich gefordert, alle Beweise für Übergriffe, Untaten und Verbrechen des Königs vortragen zu dürfen, und damit auch bei den Reichsfürsten Wirkung erzielt. Ihre Höhepunkte erreichten diese Treffen wohl in den Zusammenkünften von Tribur (1076) und Forchheim (1077), als in der Beratung durch genaue Auflistung der Heinrich vorgeworfenen Vergehen den Teilnehmern klargemacht werden sollte, dass er jede Berechtigung verwirkt habe, noch weiter König zu sein.919 Die Tatsache, dass Fürsten in Krisensituationen über die Absetzung von ­Königen beraten konnten, mag abschließend noch einmal verdeutlichen, dass die Möglichkeiten des Königs, seinen Herrschaftsverband mit dem Instrument der Beratung zu dominieren, spätestens dann endeten, wenn er den Korridor an Handlungsoptionen, den ihm die Gewohnheiten zustanden, deutlich verließ. Die fehlende Explizitheit dieser Gewohnheiten königlicher Herrschaftsausübung begünstigte also zunächst einmal sicherlich den Herrscher und vergrößerte seine Möglichkeiten gestaltenden Eingreifens in Beratungsthemen wie auch dilatorischer Praktiken. Dieser Vorteil hatte aber nur so lange Bestand, bis sich ausreichend Stimmen erhoben, die Widerspruch gegen die Herrschaftsführung des Königs artikulierten. Wenn diese zeigen konnten, dass der 917 918 919

Vgl. dazu oben bei Anm. 279, 286–288. Vgl. dazu oben bei Anm. 400 ff. und 414 ff. Vgl. dazu SCHUBERT, Königsabsetzung im deutschen Mittelalter, bes. S. 129 ff.

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VI. Zusammenfassung

Herrscher den ihm eingeräumten Korridor an Optionen erkennbar verlassen hatte, wandte sich das Instrument der Beratung auch gegen ihn. Insofern scheint es durchaus gerechtfertigt, ihm die Funktion einer Kontrolle der Königsmacht zu attestieren. Argumente lieferten hierbei Vorwürfe, die auf ganz unterschiedlichen Wertevorstellungen beruhten: Maßnahmen und Verhalten des Herrschers konnten attackiert werden, indem man sie als sündhaft, als Verletzung der Ehre seiner Getreuen oder als unbillig deklarierte. Dies geschah bis ins 12.  Jahrhundert ohne gravierende Veränderung der Formen und Verfahren der Beratung, deren Unterteilung in informelle und formelle sich von Anfang bis Ende des Untersuchungszeitraums als sinnvoll erweist. Auch das schwer durchschaubare Zusammenspiel dieser beiden Arten von Beratung scheint sich so wenig gravierend verändert zu haben, wie die Beobachtung konstant gültig bleibt, dass Beratung eine Domäne der Mündlichkeit war, deren Verlauf so gut wie nie und deren Ergebnisse nur spärlich schriftlich festgehalten wurden. Im gesamten Untersuchungszeitraum standen dem Herrscher zudem die Berater als Einzelpersonen und nicht als Korporation gegenüber, was ihre Stellung schwächte. Ansätze zu einer korporativen Vereinigung der oder einiger Ratgeber realisierten lediglich die Beteiligten an coniurationes, die nach Abschluss ihr Schwureinung mit einer Stimme sprachen und den Herrscher auch nicht mehr berieten, sondern mit ihm verhandelten, wodurch ihre Möglichkeiten zur Durchsetzung eigener Positionen deutlich verbessert wurden. An einer ganzen Reihe von Beispielen war ablesbar, dass in den Führungsschichten feste Verhaltensmuster benutzt wurden, wenn in Beratungen tieferer Dissens nicht überbrückt werden konnte. Dann zog nämlich der Teil der Gruppe, der sich beachteiligt fühlte, ab und traf sich zu separaten Beratungen, die in den Quellen häufiger conventicula genannt werden. Die dort abgehaltenen Beratungen bezeichnete man von Seiten der Gegenpartei zumeist als ­conspirationes, womit ihre pejorative Bewertung deutlich ist. Ergebnis solcher separaten Willensbildung war denn auch häufig die coniuratio, mit der sich die Teilnehmer eidlich zu einem bestimmten Zweck und Ziel zusammenschlossen, das sie dann zumeist mittels bewaffneten Vorgehens zu erreichen suchten.920 Die Berücksichtigung von Verhandlungen als einer Sonderform der Beratung brachte schließlich eine Reihe systematischer Einsichten in gleichfalls feste Gewohnheiten. Auffällig, aber nicht unbedingt überraschend ist vor allem, dass in Verhandlungen eine kontroversere, nicht selten auch aggressivere Sprache zu beobachten ist als in den Beratungen eines Verbandes, bei denen auf den Anführer des Verbandes größte Rücksicht genommen wurde. Dies kann man von Verhandlungen nicht in gleicher Weise behaupten. Da die Abgesandten jeder Partei an Leib und Leben geschützt waren, konnten sie sich 920

S. dazu oben bei Anm. 269 ff.; 311 ff.; 395 ff.

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4. Möglichkeiten und Grenzen königlicher Lenkung der Beratung

bei der Erfüllung ihres Auftrages eine andere Sprache erlauben als etwa die Ratgeber eines Königs, die doch von dessen Huld abhängig waren. Abgesandte einer Partei vertraten deshalb häufig mit allem Nachdruck den Standpunkt ihrer Partei und scheuten auch nicht davor zurück, unangenehme Wahrheiten oder auch Drohungen und Beleidigungen auszusprechen. Zwar kam es in einzelnen Fällen zu Übergriffen auf Gesandte und Unterhändler, doch beließ man es dabei in aller Regel bei Schmähungen oder Drohungen und jagte sie unter Schimpf davon. Ihr Leben geriet dabei wohl selten wirklich in Gefahr.921 Interessant scheint ferner die Beobachtung, dass Verhandlungen häufig nach dem gleichen Muster abliefen. Sie begannen mit der Gesandtschaft einer Partei, die aus einem oder wenigen niederrangigen Boten bestand, der oder die lediglich die Aufgabe hatten zu testen, ob die andere Seite überhaupt verhandlungsbereit sei.922 Wenn sie dies war, schickte sie im Gegenzug und als Beweis ihres guten Willens eine höherrangige Delegation, die nun inhaltliche Befugnisse zu wirklichen Verhandlungen hatte und Zugeständnisse machen konnte. Erst in einem letzten Schritt trafen sich dann, wenn noch nötig, die Häupter der verhandelnden Parteien. Die Logik dieses stufenweisen Vorgehens bestand wohl darin, dass beide Seiten den Eindruck vermeiden wollten, sie seien dringend auf Verhandlungen angewiesen. Abschließend ist aber vor allem zu betonen, dass im gesamten Untersuchungszeitraum eine dichte Kette von Zeugnissen die ausgeprägte Bereitschaft belegt, auch schwierige Probleme durch Verhandlungen zu lösen und so kriegerische Gewalt zu vermeiden. Nicht selten gelang die Beendigung eines Konflikts so erst im letzten Moment und im unmittelbaren Vorfeld einer drohenden Schlacht. Diese Beobachtungen berechtigen sicher nicht dazu, das Klischee vom gewaltbereiten Mittelalter in sein Gegenteil zu verkehren. Doch mahnen sie immerhin, genau zu prüfen, welche Konfliktparteien sich gegenüberstehen und welche Ursachen der Konflikt hatte. Handelte es sich nämlich um Konflikte, in die Parteien gleichen Standes und gleicher Religionszugehörigkeit verwickelt waren, erhöhten sich die Schwelle zur Gewaltanwendung wie die Chance auf Verhandlungslösungen erheblich. Dies zeigten die Untersuchungen eines einzigen Herrschaftsverbandes unter den karolingischen, ottonischen, salischen und staufischen Königen in großer Gleichmäßigkeit. Diese Beobachtungen machen das Mittelalter keineswegs zu einem friedfertigen Zeitalter. Sie raten jedoch zu einer Differenzierung, die angemessen würdigt, dass in dem behandelten Herrschaftsverband für Konfliktfälle dauerhaft Instrumente zur Verfügung standen, die der Anwendung von Gewalt wirkungsvoll begegneten. Zu nennen ist hier die Institution der Vermittler und später der Schieds­ gremien, aber auch die Praxis des direkten Verhandelns zwischen den Parteien 921 922

Vgl. dazu bereits ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter, S. 271 ff. Vgl. dazu oben bei Anm. 641, 690 ff.

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VI. Zusammenfassung

als Sonderform der Beratung, die erfolgreich zur Eindämmung von Gewalt genutzt wurden. Aber auch die informellen wie die formellen Formen der Beratung des Herrschaftsverbandes trugen, wie Beispiele aus allen untersuchten Jahrhunderten bezeugten, immer wieder dazu bei, dass die Position der Gewaltvermeidung oder des Gewaltverzichts artikuliert und bei der politischen Willensbildung berücksichtigt wurde.

5. Ausblick auf die weitere Entwicklung Die weitere Entwicklung der Beratungen des königlichen Herrschaftsverbandes nach dem 12. Jahrhundert soll hier nur noch in ganz wenigen Strichen angedeutet werden, da diese Entwicklung in die Entstehung der Landesherrschaften im Reich und in die komplexen Prozesse der Ständebildung in Europa einmündet.923 So haben auch die im Spätmittelalter zu beobachtenden Prozesse der Institutionalisierung von neuen Beratungsformen unter der Überschrift „Vom Hoftag zum Reichstag“ bereits gebührende Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden.924 Mit diesem Begriffswechsel gelang es vor allem Peter Moraw zu markieren, dass sich das Gewicht bei der Beratung vom Kaiser auf die Stände des Reiches verlagerte. Damit scheint es so, als habe sich die von uns für die früheren Zeiten beobachtete Tendenz, durch Beratung eine reale Partizipation an der Königsherrschaft zu erreichen, in den späteren Jahrhunderten des Mittelalters in der Tat fortgesetzt. Daher soll im Folgenden der Fokus auf der Frage liegen, inwieweit Entwicklungen auf dem Felde der Beratung in der Tat eine stärkere Partizipation der Stände an der Königsherrschaft belegen. Die Einberufung der Versammlungen oblag im Spätmittelalter im Regelfall immer noch dem Herrscher, obgleich auch die Kurfürsten in Einzelfällen als Ladende aktiv wurden und königslose Tage veranstalteten, wie es auch schon in den hier behandelten Jahrhunderten durch die Initiative von Fürsten geschehen war.925 Geändert haben sich die Anforderungen an die Präsenz sowohl des Herrschers wie der anderen Teilnehmer. Man akzeptierte im Spätmittel­ alter für alle die Möglichkeit, sich vertreten zu lassen, auch wenn die persön­ liche Anwesenheit grundsätzlich erwartet wurde. Von der Anwesenheit des Vgl. dazu allg. REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt; BLOCKMANS, Geschichte der Macht in Europa. 924 Pionierarbeit leistete hier vor allem Peter MORAW, Versuch über die Entstehung des Reichstags; weiterführende Aspekte bieten vor allem SCHUBERT, König und Reich; ANNAS, Hoftag – Gemeiner Tag – Reichstag; PELTZER (u. a.) ( Hg.), Politische Versammlungen und ihre Rituale; DÜCKER, Reichsversammlungen, bes. S.  159  ff.; mit Schwerpunkt am Ende des Mittelalters und in der Frühen Neuzeit STOLLBERG-RILINGER, Des Kaisers alte Kleider. 925 S. dazu oben bei Anm. 384 ff. und 444 ff. 923

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5. Ausblick auf die weitere Entwicklung

Herrschers hing jedoch auch die Bereitschaft anderer Teilnehmer ab, sich persönlich auf dem Tag einzufinden. Ein sicher entscheidender Unterschied zu den früheren Zeiten bestand darin, dass die Teilnehmer an den Beratungen in verschiedenen Ständen, die auf den Reichstagen seit dem 16. Jahrhundert dann als Kurien agierten, korporativ organisiert waren. Die Bildung von Korporationen hatte auch große Auswirkungen auf die Art und Weise, wie beraten wurde. Eröffnet wurde die Beratung in aller Regel durch die Vorgabe einer kaiserlichen propositio, mit der etwa ein Ansinnen auf Hilfe oder auf Geldzahlung an die Versammlung gerichtet wurde. Dies ähnelte den früheren Praktiken noch stark. Die ständischen Korporationen berieten dann aber zunächst ohne den Kaiser oder seine Anwälte über ihre Stellungnahme zu diesem Ansinnen. Das konnten sie getrennt voneinander oder auch untereinander vereinigt tun, was ihre Stimme noch einmal aufwertete. In jedem Fall vollzog sich ihre Willensbildung prinzipiell unabhängig von direkter kaiserlicher Beeinflussung. Erst nach der separaten Beratung der Stände folgte nämlich eine weitere gemeinsame Sitzung, in der dem Kaiser eine oder mehrere Stellungnahmen der Stände mündlich oder schriftlich überbracht wurden. Vorbringen konnten die Stände hier zudem gravamina, wichtige andere Forderungen, deren Erledigung sie für vordringlicher hielten als die propositio des Kaisers. Dies erscheint als eine zusätzliche und wesentliche Erweiterung der Aktionsmöglichkeiten der Stände, wie sie in früheren Zeiten nicht gegeben war. Der Fortgang der Meinungsbildung erfolgte dann durch eine erneute Replik der herrscherlichen Seite und eventuell noch einmal durch Anworten der Stände und so weiter. Im günstigsten, aber nicht eben häufigen Fall kam es schnell zu einer Einigung, die dann in einem Reichstagsabschied verschriftlicht festgehalten wurde. Es muss nicht eingehender ausgeführt werden, dass diese Beratungen auf Hof- und Reichstagen nur verstanden werden können als integraler Bestandteil des Herrschaftszeremoniells, der Rituale, Feste und Feiern, aber auch der vertraulichen Audienzen und Kontakte, mit denen Politik gemacht und Einfluss ausgeübt wurde. Aus Sicht der Stände dürfte es aber als entscheidende Änderung und Verbesserung zu werten sein, dass die Ratgeber durch die Akzeptanz ihres Zusammenschlusses dem Herrscher nicht mehr als Einzelpersonen gegenüberstanden. Die in früheren Zeiten nur im Falle von Dissens eingegangene coniuratio war durch den ständischen Zusammenschluss der zur Beratung berechtigten Gruppen korporativ verfestigt und damit auf Dauer gestellt worden. Der Zusammenschluss wirkte stetig als Gegengewicht, um herrscherliche Dominanz bei der Beratung zu erschweren. Die hier ganz knapp angedeutete Ausdifferenzierung der früh- und hochmittelalterlichen Beratung des Herrschers im späteren Mittelalter wäre aber unvollständig angesprochen, wenn neben den ständisch geprägten Hof- und 335

VI. Zusammenfassung

Reichstagen nicht auch die parallele Ausbildung eines „Hofrates“ angeführt würde, der sich europaweit und so auch am Kaiserhof und an den Höfen der Landesherren des Reiches etablierte. Er nahm im Laufe der Entwicklung die Form einer Behörde an, die für Fragen der Verwaltung wie der Rechtsprechung zuständig war. Deren Mitglieder waren weniger einer Begrenzung der Befugnisse ihres Fürsten verpflichtet als der Optimierung herrschaftlichen Agierens durch sachkompetente Bedienstete. In der Geschichte der Beratung des Reiches konkretisiert sich so die Geschichte der Begrenzung wie der Intensivierung der Königsmacht mittels der Partizipation unterschiedlicher politischer Kräfte, die im Laufe der Jahrhunderte aus ganz unterschiedlichen Gründen zunehmend an Gewicht gewannen. In diesem Buch ist versucht worden, signifikante Phasen der frühen Entwicklung zu analysieren und so zum Verständnis der Praktiken wie der Logiken und Regeln mittelalterlicher Beratung beizutragen. Die schwierige Entschlüsselung der Praktiken dieser Beratung, die noch in den Anfängen steckt, mahnt dazu, die Anders- und Fremdartigkeit der politischen Verhältnisse des Mittelalters ernst zu nehmen. Beraten wird auch heute noch in der Politik und in vielen anderen Zusammenhängen. Es wäre jedoch vorschnell, daraus abzuleiten, dass das Wesen von Beratung im Kern wohl gleich geblieben sei. Ein wesentliches Ergebnis der hier vorgelegten Bemühungen ist vielmehr der Nachweis, wie nachhaltig politische, soziale und religiöse Rahmenbedingungen die Formen und Funktionen von Beratung beeinflussten. Für die hier untersuchten Jahrhunderte sei noch einmal an das Gewicht religiös begründeten Rats erinnert wie auch an die Intensität der Bemühungen der Mächtigen, dafür zu sorgen, dass sie nur den Rat bekamen, den sie akzeptieren konnten. Doch trotz aller Unterschiede bleibt es ein dauerhaftes Kennzeichen des Rates, dass er, einmal gegeben, sich nicht leicht gänzlich ignorieren lässt. Er entfaltet vielmehr eine Eigenwirkung, die nicht an bestehende Macht- und Kräfteverhältnisse gekettet ist, sondern diese auch irritieren und zersetzen kann. Auch wenn ein Ratschlag nur ein Vorschlag ist, kann er dann eine schlagende Wirkung entfalten, wenn er vernünftig, einleuchtend und problemlösend ist, aber nichtsdestotrotz in den Wind geschlagen wird. Dann wird er zur Hypothek für den, der ihn missachtet hat. Das gilt wohl nicht nur für die Mächtigen des Mittelalters.

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Quellen- und Literaturverzeichnis Abkürzungsverzeichnis DD F I Die Urkunden Friedrichs I. FMSt Frühmittelalterliche Studien FSGA Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe MGH Monumenta Germaniae Historica Capit. Capitularia regum Francorum Conc. Concilia Const. Constitutiones Dt. MA Deutsches Mittelalter. Kritische Studientexte Epp. Epistolae Epp. sel. Epistolae selectae Ldl Libelli de lite imperatorum et pontificum SS Scriptores SS rer. Germ. Scriptores rerum Germanicarum Scriptores rerum Germanicarum, Nova series SS rer. Germ. N.S. SS rer. Merov. Scriptores rerum Merovingicarum J.-P. Migne, Patrologia Latina Migne PL MPH Monumenta Poloniae Historica

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355

Register Folgende Abkürzungen werden verwendet: Äbt.: Äbtissin, altt.: alttestamentlicher; Bf.: Bischof, bibl.: biblische(r); Br.: Bruder, Ebf.: Erzbischof, Gem.: Gemahl/ Gemahlin, Gf.: Graf, Grf.: Gräfin, Hl.: Heiliger/Heilige, Hzg.: Herzog, Kard.: Kardinal, Kg.: König, Kgn.: Königin, Ks.: Kaiser, Ksn.: KaiserinLgf.: Landgraf, Mgf.: Markgraf, Mgfn.: Markgräfin, P.: Papst, Pfgf.: Pfalzgraf, Schw.: Schwester, S : Sohn, T.: Tochter. Abraham, bibl. Stammvater 282 Absalon, Sohn Davids 108 Achardus de Verli 273 Adalbero, Ebf. v. Trier († 1152) 328 Adalbero, Bf. v. Augsburg († 909) 143 Adalbert, Ebf. v. Hamburg-Bremen († 1072) 143, 145–152, 311F Adalbert, Ebf. v. Mainz († 1137) 206, 208, 214 Adalbert, Hl., Bf. v. Prag († 997) 110f. Adalger, Kleriker, Kandidat als Bf. v. Merseburg 129 Adalhard, Abt v. Corbie († 826) 41, 76 Adela v. Elten, lothr. Grfn. 123 Adelheid, Gem. Ks. Ottos I. (†  999) 100, 102 Adelheid, Schw. Ks. Ottos III., Äbt. v. Quedlinburg († 1043) 117 Adelheid, Schw. Ks. Heinrichs IV., Äbt. v. Quedlinburg († 1096) 162 Adolf v. Altena, Ebf. v. Köln († 1220) 279, 287, 293f. Agag, altt.Kg. d. Amalekiter 63 Agnes, Ksn., Mutter Ks. Heinrichs IV. († 1077) 143, 311 Agnes, T. Ks. Heinrichs IV. († 1143) 196 Agobard, Ebf. v. Lyon († 840) 54 Aistulf, Kg. der Langobarden († 756) 36

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Alexander III., P. († 1181) 225–228, 231f., 235f., 236–243, 318 Altmann, Bf. v. Passau († 1091) 174 Ambrosius, Ebf. v. Mailand, († 397) 61 Anastasius, byz. Kaiser († 518) 60 Anno II., Ebf. v. Köln (†  1075) 143–148, 311 Ansegis, Ebf. v. Sens († 883) 68–72 Aribo, Ebf. v. Mainz († 1031) 138 Arnulf v. Kärnten, Ks. († 899) 91f. Arnulf, Bf. v. Halberstadt (†  1023) 118, 121, 126, 131 Augustinus, Bf. v. Hippo († 430) 58 Balderich, lothr. Gf. 123 Balduin, Gf. v. Hennegau, Mgf. v. Namur († 1195) 251–276 Benno, Bf. v. Osnabrück († 1088) 158, 326 Berengar II., Kg. v. Italien († 966) 102f. Bernhard, päpstl. Legat, röm Kard. 179 Bernhard, päpstl. Legat, Abt. v. St. Viktor/ Marseille 179 Bernhard I., Hzg. in Sachsen (†  1011) 117ff. Bernhard II., Hzg. in Sachsen († 1059) 124 Bernhard III., Herzog von Sachsen († 1212) 279 Bernhard, Sohn Kg. Pippins v. Italien († 818) 41, 54 Bernhard v. Septimanien 42, 78 Bernward, Bf. v. Hildesheim († 1022) 110, 118, 136 Bertha, Gem. Ks. Heinrichs IV., (†  1069) 152 Berthold I. v. Zähringen, Hzg. v. Kärnten († 1078) 158, 163 Berthold II. Hzg. v. Zähringen (†  1111) 204 Berthold IV., Hzg. v. Zähringen (†  1186) 221ff., 256, 309

Register

Berthold V., Hzg. v. Zähringen († 1218) 279 Berthold, bayer. Gf. 133 Boleslaw I. Chrobry, Hzg. und Kg. v. Polen († 1025) 120ff. Brun, Br. Ks. Ottos I., Eb. v. Köln, († 965) 107ff., 316 Brun v. Querfurt, Missions-Eb. († 1009) 120 Bruno, Ebf. v. Trier († 1124) 203ff. Calixt II., P. († 1124) 210–213 Cencius, röm. Kard. 177 Chilperich I., merov. Kg. († 584) 35 Christian, Ebf. v. Mainz († 1183) 237, 239 Clemens III., Gegen-P. († 1100) 185 Clementia, Gem. Hzg. Heinrichs d. Löwen, († vor 1178) 221 Crescentius, röm. Stadtpräfekt († 998) 326 David, altt. Kg. 60, 90 Dedi, sächs. Mg. 157 Diethelm, Bf. v. Konstanz († 1206) 294 Dietrich, Bf. v. Metz († 984) 140 Dietrich, Vetter Thietmars v. Merseburg 129 Drogo, Halbbr. Ludwigs d. Frommen († 855/6) 41 Eberhard, Ebf. v. Salzburg (†  1164) 225– 234 Eberhard II., Bf. v. Bamberg († 1177) 223, 227, 231, 238 Eberhard, Hzg. v. Franken († 939) 97ff. Ebo, Ebf. v. Reims († 851) 55f. Egino, sächs. Adliger († 1073) 154 Einhard, frk. Geschichtsschreiber 15 Ekbert, sächs. Gf. 144 Ekkehard, Bf. v. Schleswig († 1026) 136 Ekkehard I., Mgf. v. Meißen († 1002) 115– 118, 120, 328 Ekkehard II., Mönch in. St. Gallen 138f. Elisabeth, T. d. Gf. Balduin v. Hennegau 255 Eppo, Bf. v. Zeitz († 1079) 158 Erich, Bf. v. Havelberg († nach 1028) 127 Erlung, Bf. v. Würzburg († 1121) 194 Ermensind, T. Gf. Heinrichs v. Namur 261 Ernst, Hzg. v. Schwaben († 1030) 142

Ernst, Gegner Kg. Heinrichs II. 133 Erpho, Bf. v. Worms († 999) 140 Franco, Bf. v. Worms († 999) 110 Friedrich I. Barbarossa, Ks. († 1190) 216– 258, 261–264, 284, 295, 303ff., 309, 318, 325, 327, 330 Friedrich II., Ks. († 1250) 278f., 279, 285 Friedrich v. Rothenburg, Sohn Kg. Konrads III., († 1167) 224 Friedrich I., Hzg. v. Schwaben, († 1105) 196 Friedrich II., Hzg. v. Schwaben († 1147) 247 Friedrich, Sohn Ks. Friedrichs I. (†  1191) 254 Friedrich, sächs. Pfalzgf. 157, 190 Friedrich, Sachse u. Papstlegat 136 Friedrich, Ebf. v. Mainz (†  954) 97–100, 103ff., 109, 112f., 316 Frotarius, Ebf. v. Bordeaux († 889) 70 Gelasius I. Papst († um 496) 60, 64, 72, 316 Gebhard, Ebf. v. Salzburg († 1088) 182— 185 Gebhard III., Bf. v. Konstanz, päpstl. Legat († 1110) 190, 192 Gerardus de Sancto Oberto, 273 Gerhoh v. Reichersberg († 1169) 232ff. Gero, Ebf. v. Magdeburg († 1023) 122 Geso, Propst in Magdeburg, 130 Giselbert, Hzg. v. Lothringen († 939). 97 Giselher, Bf. v. Merseburg, Ebf. v. Magdeburg († 1004) 125, 325 Gislebert v. Mons, Geschichtsschreiber († 1224) 251–276 Godehard, Bf. v. Hildesheim († 1038) 138 Gottfried I. Hzg. v. Lothringen († 1023) 124 Gottfried, der Bucklige, Hzg. v. Lothringen († 1076) 142, 163 Gregor IV. P. († 844) 54 Gregor VII., P. (†  1085) 169–181, 200f., 207, 229, 280, 287, 289, 307, 317f. Gunzelin, Mgf. v. Meißen (†  nach 1017) 120f. Hadrian IV., P. († 1159) 226 Hagano, Günstling Kg. Karls d. Einfältigen 79 Hartbert, Bf. v. Chur († 971/2) 110

357

Register

Hatto I., Ebf. v. Mainz († 913) 94, 143 Hathwig, Hzgn v. Schwaben († 994) 138 Heinrich I., Kg. († 936) 86, 95, 133 Heinrich II., Ks. (†  1024) 22, 113f., 117– 133, 159, 308, 311, 327 Heinrich III., Ks. († 1056) 142, 170, 317 Heinrich IV., Ks. (†  1106) 142–201, 236, 281, 307, 311, 317, 319, 324, 327, 330f. Heinrich V., Ks. (†  1125) 186–215, 218, 222, 318, 330 Heinrich VI., Ks. (†  1197) 240, 254, 256, 258, 260, 264, 264–270, 274, 276, 295, 305 Heinrich II., Kg. v. England († 1189) 318 Heinrich I., Hzg. v. Bayern (†  955) 100– 105, 112, 133f., 323 Heinrich der Stolze, Hzg. v. Sachsen u. Bayern († 1139) 23, 247 Heinrich Jasomirgott, Hzg. v. Bayern († 1177) 220, 222, 224f., 247, 309 Heinrich der Löwe, Hzg. v. Sachsen u. Bayern (†  1195) 219–224, 230, 244–250, 295, 327 Heinrich I., Hzg. v. Brabant († 1235) 294 Heinrich, Sohn Heinrichs d. Löwen, Pfalzgf. bei Rhein, († 1227) 291f. Heinrich v. Schweinfurt, Mgf. († 1017) 115 Heinrich, Gf. v. Namur († 1196) 253, 257, 261, 272 Heinrich, Gf. v. d. Champagne († 1197) 261ff. Heinrich, Patriarch v. Aquileja († 1084) 174 Heinrich, Ebf. v. Magdeburg († 1107) 189 Heinrich, Ebf. v. Mainz († 1153) 218 Heinrich, Ebf. v. Trier († 964) 140 Heinrich, Bf. v. Augsburg († 1063) 144 Heinrich, Bf. v. Würzburg († 1018) 131 Heinrich, Propst v. Berchtesgaden 228 Heribert, Ebf. v. Köln († 1021) 110f., 115, 124 Hermann, Landgf. v. Thüringen († 1217) 294–297 Hermann, sächs. Gf., Billunger († 1086) 157 Hermann v. Wintzenburg, sächs. Gf. († 1081) 204 Hermann, sächs. Gf., Ekkehardiner († 1038) 120f.

358

Hermann. Bf. v. Metz († 1090) 184f. Hieronimus, Kirchenvater († 420) 58 Hildebold. Bf. v. Worms († 998) 135 Hildebold, Bf. v. Chur († 995) 139 Hinkmar, Ebf. v. Reims († 882) 57–77, 90, 92, 233 Hrabanus Maurus, Abt v. Fulda, Ebf. v. Mainz († 856) 90 Hugo, Abt v. Cluny († 1109) 189 Hugo, Halbbr. Ks. Ludwigs d. Frommen 41 Imma, T. Karls d. Gr. 15 Innocenz III., P. († 1216) 277–292, 296, 318 Isidor v. Sevilla († 636) 48 Jacobus de Avesnes, Berater d. Grf. v. Flandern 275 Jeremias, altt. Prophet 46 Johannes VIII., P. († 882) 69f. Johannes v. Toscanella, päpstl. Legat 70f. Johannes, Ebf. v. Trier († 1212) 293 Johannes v. Arezzo 71 Jonas, Bf. v. Orleans († 843) 49 Josaphat, altt. König 52, 63 Judith, 2. Gem. Ks. Ludwigs d. Fr. († 843) 41f., 78f. Karl der Große, Ks. († 814) 15, 37ff., 54, 65, 78, 87, 90 Karl der Kahle, Ks. († 877) 41, 54, 61f., 66, 68–72, 79–82, 84ff., 309, 329 Karl III., der Dicke, Ks. († 888) 65, 78 Karl der Einfältige, westfrk. Kg. († 929) 79, 86 Karlmann, westfr. Karolinger († 884) 72 Konrad I., ostfrk. Kg. († 918) 94 Konrad II., Ks. († 1039) 146, 156, 315 Konrad III., Kg. († 1152) 216ff., 222f., 247, 328 Konrad, Hzg. v. Lothringen (†  955) 96, 100, 102, 112f. Konrad, Br. d. Ksn. Judith 78 Konrad v. Landsberg, Mgf. († 1210) 296 Konrad v. Zähringen († 1152) 221, 328 Konrad v. Dachau, bayr. Gf. († 1159) 223 Konrad, Ebf. v. Mainz (†  1200) 267, 280, 296 Konrad I., Ebf. v. Salzburg († 1147) 203, 328

Register

Konrad, Bf. v. Speyer († 1224) 294 Konrad, Bf. v. Worms († 1192) 237, 239 Konstanze, Gem. Ks. Heinrichs VI. († 1198) 264 Liawizo, Ebf. v. Hamburg/Bremen († 1013) 136ff. Liudolf, S. Ottos d. Gr., Hzg v. Schwaben († 957) 96, 100–108, 110–113, 191f., 324 Liuthar, sächs. Mgf. († 1003) 115ff. Liuthar, sächs. Gf., Großvater Thietmars v. Merseburg († 929) 133 Liutpold, bayer. Mg. 196 Liutward, Bf. v. Vercelli († 900/1) 79 Lothar I., Ks. († 855) 47, 54ff., 79–84, 86, 306, 309 Lothar II., frk. Kg. († 869) 59, 83, 86, 90 Lothar v. Supplingenburg, Ks. (†  1137) 216, 221, 247 Ludolf, Ebf. v. Magdeburg († 1205) 287 Ludwig der Fromme, Ks. (†  840) 38–49, 53–56, 78–83, 87–90, 306, 308f., 312ff., 329 Ludwig der Deutsche, ostfrk. Kg. (†  876) 54, 79ff., 82–86, 89, 309 Ludwig III., westfrk. Kg. († 882) 65–68 Ludwig das Kind, ostfrk. Kg (†  911) 94, 143 Magnus, Hzg v. Sachsen, Billunger († 1106) 199 Markward v. Annweiler, († 1202) 279 Mathilde, Gem. Kg. Heinrichs I. (†  968) 134 Mathilde, Mgfn v. Tuszien († 1115) 204 Melchisedech, altt. rex et sacerdos 282 Mieszko II., S. Boleslaw Chrobrys († 1034) 122f. Milo, Bf. v. Minden († um 996) 135 Moses, altt. Führer d. Israeliten 51 Muozo, Gf., primus in aula Ottos III. 134 Nithard, frk. Geschichtsschreiber (†  845) 79, 83f. Octavian s. Victor IV. Odo, Bf. v. Beauvais († 881) 71 Odo v. Ostia, päpstl. Legat s. Urban II., Osdag, Bf. v. Hildesheim († 989) 135f.

Otto I. der Große, Ks. (†  973) 95–113, 133f., 138, 141, 158, 236, 309, 311, 316, 323, 329 Otto II., Ks. († 983) 125, 325 Otto III., Ks. († 1002) 110f., 134f., 326 Otto IV., Ks. († 1218) 277, 279–282, 284– 296, 318 Otto v. Northeim, Sachse, Hzg. v. Bayern († 1083) 144, 147, 149, 154, 156ff., 160, 165 Otto, Bf. v. Freising, Geschichtsschreiber († 1158) 217ff. Otto, Bf. v. Bamberg († 1139) 194 Ottokar I., Kg. v. Böhmen († 1230) 296 Paschalis II., P. († 1118) 190, 193, 202–209 Paulus, Apostel 63, 181, 209 Peregrin, Patriarch v. Aquileja (†  1161) 228 Petrus, Apostel 171, 178, 181, 238f., 282, 289 Petrus, Bf. v.. Pavia († 1180) 226 Petrus, Bf. v. Toul († 1192) 266 Petrus Damiani, röm. Kardinal († 1072) 153 Philipp von Schwaben, Kg. († 1208) 278– 297, 318 Philipp I., Kg. v. Frankreich († 1108) 189 Philipp II. Auguste, Kg. v. Frankreich, († 1223) 263 Philipp, Gf. v. Flandern († 1191) 258 Philipp v. Heinsberg, Ebf. v. Köln, († 1191) 268, 303ff., 325 Pippin, frk. Kg. († 768) 25, 35f., 325 Pippin, S. Ks. Ludwigs d. Frommen († 838) 54 Pontius, Abt v. Cluny († 1122) 211 Praetextatus, Bf. v. Rouen († 586) 35 Rehabeam, altt. König, 60 Rethar, Bf. v. Paderborn († 1009) 135 Richenza, Gem. Ks. Lothars († 1141) 247 Richildis, Gem. Ks. Karls d. Kahlen († 910) 67 Robertus de Belren 273f. Roman, Bf. v. Gurk († 1167) 228, 230 Rudolf v. Rheinfelden, Hzg. v. Schwaben, Gegenkg. († 1080) 163, 179f., 181, 281 Rudolf, Br. d. Ks. Judith 78

359

Register

Ruodmann, Mönch d. Reichenau 138f. Ruthard, Ebf. v. Mainz († 1109) 192 Salomo III., Bf. v. Konstanz († 919/20) 94, 143 Salomo, altt. Kg. 108 Samuel, altt. Prophet 170 Saul, altt. König 60, 63, 170 Siegfried I., Ebf. v. Mainz († 1084) 161 Silvester I., P. († 335) 207 Silvester II., P. († 1003) 110 Sophia, Schw. Ks. Ottos III., Äbt. v. Gandersheim († 1039) 117, 135 Stephan II, P. († 757) 36 Tacitus, röm. Geschichtsschreiber 14, 27 Tagino, Ebf. v. Magdeburg († 1012) 121, 125–131 Tassilo, Hzg. v. Bayern († nach 794) 36 Theoderich, Halbbr. Ks. Ludwigs d. Frommen 41 Theodosius, röm. Kaiser († 395) 42, 61 Theophanu, Gem. Ks. Ottos II. († 991) 135f. Theutberga, Gem. Kg. Lothars II., 59, 83 Thietmar, Bf. v. Merseburg († 1018) 113– 132 Thomas Beckett, Ebf. v. Canterbury († 1170) 318 Ulrich, Patriarch v. Aquileja († 1181) 237 Ulrich, Bf. v. Augsburg († 973) 109f.

360

Ulrich, Kanzler Ks. Friedrichs I. 231 Urban II., P. († 1099) 186 Urija, altt. König 64 Victor IV.,(Octavian) P. († 1164) 225–234 Wala, Abt v. Corbie († 836) 41, 45ff., 78 Walthard, Ebf. v. Magdeburg († 1012) 125– 128 Welf II., Hzg. v. Bayern († 1120) 204 Welf VI., Mgf. v. Tuszien u. Spoleto († 1191) 222f., 247 Wezilo, Ebf. v. Mainz († 1088) 185 Wibald, Abt v. Stablo u. Corvey († 1158) 222f. Wichmann, Ebf. v. Magdeburg († 1190) 237, 239 Wichmann III., sächs. Gf., Billunger († 1016) 123 Wigbert, Kap. Ks. Heinrichs II., Bf. v. Merseburg († 1009) 125, 141 Wilhelm, Bf. v. Chalon († 1121) 211, 213 Wilhelm, Gf. v. Jülich († 1207) 292f. Willigis, Ebf. v. Mainz († 1011) 118, 131, 133, 135–138, 326 Wiprecht II. v. Groitsch, Mgf. v. Meißen († 1124) 204 Wolfger, Patriarch v. Aquileja († 1218) 288f. Wortwin, Protonotar Ks. Friedrichs I. 237, 239