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German Pages [384] Year 2008
Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Herausgegeben von Max Küchler, Peter Lampe und Gerd Theißen
Band 68
Vandenhoeck & Ruprecht
Nils Neumann
Lukas und Menippos Hoheit und Niedrigkeit in Lk 1,1–2,40 und in der menippeischen Literatur
Vandenhoeck & Ruprecht
Meinen Eltern
Dissertation der Universität Kassel Datum der Disputation: 29.11.2006 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-53965-1
© 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: b Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Vorwort
Wenn ich hier nun mit etwas Stolz die druckfertige Fassung meiner Dissertation vorlege, die sich insbesondere mit der idealen Rezeption eines Bibeltexts durch seine antike Leserschaft beschäftigt, dann kommt das nicht von Ungefähr. Denn es ist meine feste Überzeugung, dass die Rezeption, d.h. das Empfangen, einen ganz wesentlichen Zug des menschlichen Lebens ausmacht. Vieles verdanke ich eben nicht mir selbst, sondern anderen. Was ich literarisch von anderen empfangen habe, davon zeugt das Literaturverzeichnis dieser Arbeit. An dieser Stelle möchte ich nun aber besonders denjenigen meinen Dank ausdrücken, die mich persönlich begleitet haben und ohne deren Unterstützung die vorliegende Studie nicht in dieser Form existieren würde. So will ich mit dem Abschluss des Manuskripts nicht nur freudig ausrufen „Gott sei Dank!“, sondern auch den Menschen danken, die mir fachlich und persönlich wichtig sind: Ich danke zuerst meinem Lehrer und Chef Paul-Gerhard Klumbies, als dessen wissenschaftlicher Mitarbeiter ich in Kassel tätig sein kann, weil er mein Interesse für das Lukasevangelium geweckt und mich dafür sensibilisiert hat, dass die Beachtung hellenistischer Denkvoraussetzungen sich fruchtbar für die Interpretation des Lukasevangeliums auswirken kann. Außerdem gilt mein Dank den Kolleginnen Johanna von Cramon und Johanna Erzberger, die das Manuskript gelesen und mir viele hilfreiche Anregungen für die Gestaltung der vorliegenden Arbeit gegeben haben. Ich danke den Herausgebern Prof. Dr. Max Küchler, Prof. Dr. Peter Lampe und Prof. Dr. Gerd Theißen, die meine Untersuchung in die Reihe NTOA aufgenommen haben, sowie der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und der Evangelischen Kirche in Westfalen für ihre finanzielle Unterstützung. Ganz besonders danke ich an dieser Stelle aber auch meiner Frau Thekla Neumann und meinen Eltern Bärbel und Gerhard Krückemeier. Sie haben mich über all die Jahre in vielfältiger Weise unterstützt. Meinen Eltern will ich dieses Buch daher nun dankbar widmen. Kassel, im Juni 2008
Nils Neumann
Inhalt
Einleitung ................................................................................................
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Die zugrunde liegende Perspektive...................................................
10
Methodische Grundlagen ..................................................................
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Die These ..........................................................................................
13
Kapitel 1: Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40 .........................................
14
1.1 Kriterien zur Feststellung der Versform ..................................... 1.1.1 Der Parallelismus ............................................................... 1.1.2 Charakteristisches Vokabular ............................................ 1.1.3 Weitere stilistische Merkmale versförmiger Texte............ 1.1.4 Intertextuelle Referenzen ................................................... 1.1.5 Der Kontext........................................................................ 1.1.6 Bündelung: Die Unterscheidung zwischen Vers und Prosa...................................................
15 20 39 53 57 58 60
1.2 Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40 ...... 62 1.2.1 Der Parallelismus ............................................................... 63 1.2.2 Charakteristisches Vokabular ............................................ 81 1.2.3 Intertextuelle Referenzen ................................................... 85 1.2.4 Weitere stilistische Merkmale ........................................... 97 1.2.5 Der Kontext........................................................................ 101 1.3 Fazit: Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40 .................................... 111 Kapitel 2: Der Spannungsbogen in Lukas 1,1–2,40................................ 113 2.1 Gesalbtenerwartung und Herrscherverehrung ............................ 2.1.1 Die Erwartung eines königlichen Gesalbten im Judentum ...................................................................... 2.1.2 Die Herrscherverehrung im Hellenismus .......................... 2.1.3 Bündelung: Gemeinsamkeiten und Unterschiede..............
114 116 121 126
2.2 Der Verlauf der Erzählung in Lukas 1,1–2,40............................ 2.2.1 Das Proömium (1,1–4)....................................................... 2.2.2 Die Ankündigung der Geburt des Johannes (1,5–25)........ 2.2.3 Die Ankündigung der Geburt Jesu (1,26–38)....................
128 130 135 146
8
Inhalt
2.2.4 Die Begegnung zwischen Maria und Elisabet (1,39–56) ...................................................... 2.2.5 Die Geburt des Johannes (1,57–80)................................... 2.2.6 Die Geburt Jesu (2,1–7) ..................................................... 2.2.7 Die Verkündigung an die Hirten und deren Reaktion (2,8–21).................................................... 2.2.8 Die Ereignisse im Jerusalemer Tempel (2,22–40).............
153 159 171 175 186
2.3 Fazit: Ankündigungen und Erfüllungen...................................... 194 Kapitel 3: Die menippeische Literatur und Lukas 1,1–2,40 ................... 203 3.1 Die menippeische Literatur......................................................... 3.1.1 Der Hintergrund: Die kynische Philosophie...................... 3.1.2 Die relevanten Werke menippeischen Stils ....................... 3.1.3 Charakteristika der menippeischen Literatur.....................
205 205 210 267
3.2 Lukas 1,1–2,40 und die menippeische Literatur......................... 3.2.1 Die äußere Form ................................................................ 3.2.2 Die auftretenden Figuren ................................................... 3.2.3 Das erzählte Geschehen ..................................................... 3.2.4 Leserlenkung...................................................................... 3.2.5 Unterschiede ......................................................................
288 288 293 296 302 304
3.3 Fazit: Die lukanische Erzählung vor menippeischem Hintergrund ...................................................... 306 Kapitel 4: Fazit und Ausblick ................................................................. 309 4.1 Fazit: Ergebnisse der Studie........................................................ 309 4.2 Ausblick ...................................................................................... 4.2.1 Die Formgeschichte ........................................................... 4.2.2 Der Text und seine Leserschaft ......................................... 4.2.3 Das Verhältnis von Lukas 1,1–2,40 zum Fortgang der Schrift ..........................................................
312 312 314 318
Anhang I: Charakteristisches Vokabular der versförmigen Schriften in der Septuaginta ....................................... 321 Anhang II: Der Wechsel zwischen Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40.............................................................................. 343 Quellen, Literatur und Software.............................................................. 348 Stellenregister.......................................................................................... 363
Einleitung
Der Beginn des Lukasevangeliums – und insbesondere der Abschnitt Lk 2,1–7 – zählt zu den bekanntesten Textabschnitten der Bibel.1 Passagen aus den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums begegnen sowohl an exponierter Stelle im Verlauf des Kirchenjahres2 als auch in der regelmäßig wiederkehrenden Gottesdienst-Liturgie der großen christlichen Kirchen.3 Dabei fällt auf, dass gerade am Anfang des Lukasevangeliums einige versförmige Abschnitte auftauchen, die der kirchlichen Tradition als textliche Grundlage für liturgische Gesänge dienen. Es handelt sich hier um das sog. „Magnificat“ (Lk 1,46–55), das sog. „Benedictus“ (Lk 1,68–79), das sog. „Gloria“ (Lk 2,14) und das sog. „Nunc Dimittis“ (Lk 2,29–32). Der nach wie vor hohe Stellenwert von Adventszeit und Weihnachtsfest in der westlichen Gesellschaft4 trägt über dies dazu bei, dass auch solche Menschen mit den lukanischen Texten in Berührung kommen, welche der christlichen Kirche nicht unmittelbar nahe stehen. Eine sowohl kirchlich als auch gesamt-gesellschaftlich vergleichsweise hohe Präsenz zeichnet damit den Textabschnitt Lukas 1,1–2,40 aus.5 Infolge dieser weitreichenden Präsenz 1
Zumindest für den Bereich Deutschlands lässt sich dies empirisch belegen: In einer deutschlandweit angelegten repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach antworteten im August 2005 88% aller Befragten mit „diese Geschichte aus der Bibel kenne ich“ im Hinblick auf „die Geburt Christi in Bethlehem“ (INSTITUT FÜR DEMOSKOPIE ALLENSBACH, Geschichten, 4). Laut dieser Umfrage zeichnet sich die biblische Erzählung von der „Geburt Christi in Bethlehem“ – ohne dass dabei zwischen der matthäischen und der lukanischen Geburtserzählung differenziert würde – gegenwärtig durch den höchsten Bekanntheitsgrad in Deutschland aus (vgl. zur Bekanntheit der lukanischen „Weihnachtsgeschichte“ auch W.C. V. UNNIK, Bedeutung, 72). 2 Vgl. hierzu H. V. SCHADE/F. SCHULZ, Perikopen, 124. 3 Vgl. W. ECKEY, Lukasevangelium, 68; N. LOHFINK, Psalmen, 123. 4 In einer im April 2003 vom Meinungsforschungsinstitut Emnid in Deutschland durchgeführten repräsentativen Umfrage zum Thema religiöser Bräuche gaben 52% der Befragten an „an hohen Festtagen – wie zum Beispiel Weihnachten – besuche ich einen Gottesdienst“ (CHRISMON, Bedeutung, 1). Dieser Prozentanteil deckt sich mit einer weiteren Emnid-Umfrage vom November 2005 zum Thema „Gottesdienstbesuch“, in welcher die Summe der mit „ich gehe weiterhin nur zu bestimmten Anlässen wie Ostern, Weihnachten oder Familienfesten in die Kirche“ Antwortenden und der mit „ich bin regelmäßiger Kirchgänger, und das soll so bleiben“ Antwortenden ebenfalls 52% ausmacht (CHRISMON, Gottesdienstbesuche, 1). 5 Die Funktion des lukanischen Textes im Rahmen des kirchlichen Weihnachtsfestes führt außerdem m.E. zu einer Romantisierung der Erzählung (ähnlich auch W.L. HENDRICKS, Infancy Narratives, 246; R. PESCH, Weihnachtsevangelium, 97; vgl. hierzu ferner W. SCHMITHALS, Weihnachtsgeschichte, 285).
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Einleitung
stellt sich aber auch ein gewisser Gewöhnungs-Effekt ein, der forscherische Neugier möglicherweise eher lähmt anstatt sie zu fördern. Deswegen soll mit der vorliegenden Arbeit eine Relecture geschehen. Insbesondere der in Lukas 1,1–2,40 anscheinend mehrfach auftretende Wechsel zwischen prosaischen und versförmigen Abschnitten zieht dabei das Interesse auf sich.
Die zugrunde liegende Perspektive Das Hauptinteresse dieser Studie gilt der kommunikativen Interaktion zwischen dem biblischen Abschnitt Lukas 1,1–2,40 und seiner intendierten Leserschaft. Diese eine Frage hat zwei Dimensionen; bei ihnen handelt es sich um die beiden Seiten derselben Medaille. Mit dem Fokus auf der Gruppe von Leserinnen und Lesern lautet die Frage: Wie nehmen die Lesenden den Textabschnitt Lukas 1,1–2,40 wahr, und wie interpretieren sie ihn? Mit dem Fokus auf dem Text lässt sich komplementär fragen: Auf welche Weise lenkt der Text selbst die Rezeption seiner intendierten Leserinnen und Leser?6 Es geht im Folgenden also nicht darum, universale Urteile über das Sosein des Texts an sich zu fällen, sondern die auf den Text gerichteten Erwägungen geschehen in strenger Rückbindung an die Sicht der Lesenden. Und zwar derjenigen Lesenden, welche der Text selbst als ideale Lesende impliziert: Auf welche Gruppe von Rezipientinnen und Rezipienten ist der Text durch seine Darstellungsweise zugeschnitten? Wie unterscheiden diese Lesenden zwischen Vers und Prosa? Wo nehmen die Lesenden Schwerpunkte inhaltlicher Art bei ihrer Lektüre von Lukas 1,1–2,40 wahr? Und welche Dynamik stößt der Lektürevorgang in ihnen an? Mit diesen Fragen wird sich die folgende Analyse beschäftigen.
Methodische Grundlagen Ein gutes methodisches Instrumentarium zur Bearbeitung der soeben umrissenen Fragestellung bietet der exegetische Ansatz des aus dem englischen
6 Die sprachphilosophischen Überlegungen, die ein solches an der Textpragmatik interessiertes Vorgehen begründen, haben andere bereits ausführlich dargestellt. Ich verweise in diesem Zusammenhang beispielsweise auf den zweiten Punkt des ersten Kapitels in der Studie H.-G. Gradls zum Lukasevangelium. Vgl. dort insbes. H.-G. GRADL, Arm und Reich, 20–21; vgl. dort auch 51. Zur Orientierung an den Rezipientinnen und Rezipienten vgl. auch U. ECO, Kunstwerk, 29; DERS., Nachschrift, 55. Zur Textpragmatik vgl. ferner W. ISER, Akt, 89. Zur Theorie der Sprechakte vgl. insbes. J.L. AUSTIN, Sprechakte, 26–27.
Methodische Grundlagen
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Sprachraum stammenden New Literary Criticism.7 Diese Herangehensweise setzt bei der vorliegenden Gestalt des Bibeltextes an8 und untersucht diesen unter synchroner Perspektive.9 Diachrone Überlegungen, wie beispielsweise die Spekulationen um die Entstehung des Textes oder Rekonstruktionen möglicher Vorstufen bleiben dabei hingegen außenvor. Der New Literary Criticism verfolgt seine Zielsetzung unter Zuhilfenahme solcher Kategorien, die aus der jüngeren Literaturwissenschaft stammen, und geht daher zunächst davon aus, dass ein narrativer Text eine erzählte Welt konstruiert.10 Er fragt nach den dargestellten Ereignissen, welche sich in der erzählten Welt zutragen, und nach den Zusammenhängen zwischen einzelnen erzählten Ereignissen. Außerdem finden die sprachlichen Mittel Beachtung, welche dem Text zur Darstellung seiner erzählten Welt dienen. Der New Literary Criticism erkennt, dass jeder Text sich an eine bestimmte Leserschaft wendet, zu welcher sich anhand des Textes selbst präzise Aussagen treffen lassen. Diese somit im Text selbst zum Vorschein kommende intendierte Gruppe von Rezipientinnen und Rezipienten fasst der New Literary Criticism unter dem Begriff des „idealen“ bzw. „impliziten Lesers“ zusammen.11 Die so bezeichnete Leserschaft ist insofern ideal, als dass sie 7 Vgl. hierzu U.E. EISEN, Markusevangelium, 135–153; M. OEMING/A.-R. PREGLA, New Literary Criticism, 3–4; M.A. POWELL, Narrative Criticism, pass. sowie D. RHOADS/J. DEWEY/D. MICHIE, Mark, pass. 8 Vgl. hierzu insbes. M. OEMING/A.-R. PREGLA, New Literary Criticism, 20. 9 Vgl. hierzu auch H.-G. GRADL, Arm und Reich, 118. Die Terminologie von Synchronie und Diachronie geht zurück auf F. D. SAUSSURE, Grundfragen, 96. 10 Vgl. zum Stichwort der „Welt“ U. ECO, Lector, 165–166. 11 Vgl. hierzu auch H.-G. GRADL, Arm und Reich, 82–83 (zur Leserorientierung im New Literary Criticism vgl. ferner M. OEMING/A.-R. PREGLA, New Literary Criticism, 3). Wo ich mich dieses Denkansatzes bediene, werde ich im Folgenden aus Bemühung um political correctness von „idealen Lesenden“ bzw. von „idealen Leserinnen und Lesern“ sprechen. Außerdem scheint mir die Verwendung der Mehrzahl angebracht, da die Rede vom „idealen Leser“ im Singular zu einfach ist, weil zu homogen. Denn solche Texte, die sich an eine Mehrzahl von Adressatinnen und Adressaten wenden (davon, dass das Lukasevangelium sich an eine bestimmte Öffentlichkeit richtet, gehen auch aus: H.-G. GRADL, Arm und Reich, 129.147; E. LOHSE, Lukas, 66; W. RADL, Evangelium, 33; H. SCHÜRMANN, Evangelienschrift, 136; DERS., Lukasevangelium, 2; P. WINTER, Observations, 112; vgl. hierzu auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 57), haben m.E. eine innerhalb gewisser Grenzen durchaus heterogene Gruppe von intendierten Leserinnen und Lesern vor Augen. Auch lässt der abstrakte Begriff der „idealen Leserschaft“ sich nicht völlig von einer tatsächlichen, konkreten Leserschaft trennen. An eine solche Gruppe von idealen Lesenden, die sich durch eine gemeinsame kulturelle Enzyklopädie (s.u.) auszeichnet und dennoch einen gewissen Grad von Heterogenität besitzt, ist dort gedacht, wo die folgende Studie von „idealen Lesenden“ oder nur „Lesenden“ spricht. Der Begriff, wie ich ihn benutze, bezeichnet also keine rein textinterne sondern mindestens ebenso sehr eine textexterne Größe (vgl. hierzu die Kritik bei M. OEMING/A.-R. PREGLA, New Literary Criticism, 23); die Brücke der kulturellen Enzyklopädie verbindet die innerhalb des Textes gegebenen Hinweise auf den geistesgeschichtlichen Referenzrahmen der intendierten bzw. idealen Leserinnen und Leser mit der außerhalb des Textes liegenden Welt (vgl. hierzu auch U. ECO, Lector, 165; vgl. in diesem Zusammenhang ferner die Überle-
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Einleitung
alle Facetten der Erzählung in optimaler Weise verstehen kann; und sie ist insofern implizit, als dass die für das optimale Verstehen notwendigen geistesgeschichtlichen Voraussetzungen sich der Erzählung selbst entnehmen lassen, wobei die Erzählung auf dieser Basis die intendierte Rezeption lenkt.12 An die Adresse eines solchen Lesenden wendet sich der Text mit der erzählten Welt, welche er entwirft. So ergibt sich eine von dem Text als dem medialen Bestandteil eines kommunikativen Aktes angestoßene und durch den Rezeptions-Vorgang konstituierte Wirkung, die auf Seiten der Lesenden schließlich zu neuen Einsichten und Haltungen führt. Hier stellt sich die textpragmatische Frage nach der vom Text intendierten Rezeption, welche erst den Anlass für die kommunikative Begegnung zwischen dem Text und seiner idealen Leserschaft stiftet.13 Methodische Grundlagen Im Hinblick auf die idealen bzw. impliziten Leserinnen und Leser kann über dies die sprachwissenschaftliche Teildisziplin der Semiotik einen wichtigen Aspekt beisteuern: Die Semiotik sieht die menschliche Sprache als ein Zeichensystem an und befasst sich mit der Wahrnehmung sprachlicher Zeichen durch die Rezipientinnen und Rezipienten. Dabei weist sie auf die fundamentale Bedeutsamkeit der Ansichten hin, welche auf Seiten der Rezipierenden bereits vor dem Beginn des einzelnen konkreten RezeptionsProzesses vorhanden sind. Diese schon im Voraus bestehenden Ansichten determinieren als der Referenzrahmen des Wahrnehmungs-Prozesses den konkreten Rezeptions-Vorgang vollständig. Die Gesamtheit des in einer gesellschaftlichen Gruppe vorhandenen Wissens bzw. der dort vorhandenen Ansichten bezeichnet die Semiotik als kulturell bedingte „Enzyklopädie“.14 Dieser Fachterminus erweist sich als nützlich für die Analyse des Kommunikationsprozesses zwischen dem Text des Lukasevangeliums und seiner gungen zum „Repertoire“ eines Textes bei W. ISER, Akt, 114–116). Mein Konzept der „idealen Leserschaft“ ähnelt damit m.E. stark dem „Modelleser“ bei U. ECO (Lector, insbes. 72). 12 Anders akzentuiert W. Iser seinen Gebrauch der Terminologie vom „impliziten Leser“ (vgl. W. ISER, Akt, 61.66; zu Isers Begriff des „impliziten Lesers“ vgl. auch H. UTZSCHNEIDER/S. ARK NITSCHE, Arbeitsbuch, 155–156). Iser weist zu Recht darauf hin, dass es notwendig ist, die unterschiedlichen in der Literaturwissenschaft anzutreffenden Leser-Konzepte zu unterscheiden (W. ISER, Akt, 51). Aus diesem Grund habe ich die Vorstellung von den Lesenden, wie sie meiner Untersuchung zugrunde liegt, in ihren Konturen klar beschrieben. Es lässt sich dabei eine gewisse terminologische Unschärfe allerdings nicht vermeiden, da viele Studien – insbes. im exegetischen Bereich – die Begriffe „impliziter Leser“, „idealer Leser“, „intendierter Leser“ etc. synonym verwenden (so auch H.-G. GRADL, Kosten, 308, Anm. 14; vgl. außerdem U. ECO, Nachschrift, 55; vgl. hierzu auch das Konzept des „informierten Lesers“ bei S. FISH, Literature, 145). 13 Vgl. zur Textpragmatik grundsätzlich S. FISH, Literature, 125. Zum textpragmatischen Aspekt und seiner Umsetzung im New Literary Criticism vgl. auch D. RHOADS/J. DEWEY/D. MICHIE, Mark, 137–146. Zu dem Sachverhalt, dass der Text die Wahrnehmung seiner idealen Leserschaft lenkt, vgl. ferner H.-G. GRADL, Arm und Reich, 72.93. 14 Den Begriff führt S. ALKIER (Hinrichtungen, 119–121) in Aufnahme der Gedanken zur „Enzyklopädie“ von U. ECO (vgl. Lector, 94–106) ein und orientiert sich dabei an der Anwendbarkeit der Methodik in der neutestamentlichen Exegese.
Die These
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idealen Leserschaft. Denn die Hinweise, welche sich dem lukanischen Text hinsichtlich seiner idealen Leserinnen und Leser entnehmen lassen, erlauben Rückschlüsse auf die dabei vorausgesetzte kulturelle Enzyklopädie dieser idealen Lesenden. Und deren Kenntnis wiederum ermöglicht ein besseres Verständnis der Rezeptions-Vorgangs. Wo nun also in der folgenden Untersuchung auch andere wissenschaftliche Methoden zur Anwendung kommen, wie beispielsweise die Überlegungen zu Lexikostatistik und Intertextualität in Kapitel 1, die Wortfeldanalyse in Kapitel 2 oder die gattungsgeschichtlichen Erwägungen zur antiken hellenistischen Literatur in Kapitel 3, so stehen alle diese methodischen Hilfsmittel im Dienste eines besseren Verständnisses der kulturellen Enzyklopädie der idealen Leserschaft, an welche der Text Lukas 1,1–2,40 sich wendet.15 Die Methodik orientiert sich damit strikt an der bereits formulierten Zielsetzung: Es geht um eine Analyse der kommunikativen Interaktion zwischen dem lukanischen Text und seinen idealen Leserinnen und Lesern. Die These
Die These Auf der Basis des beschriebenen Vorgehens wird die vorliegende Arbeit die These aufstellen, dass der biblische Abschnitt Lukas 1,1–2,40 mit seinem Hin und Her zwischen prosaischen und versförmigen Abschnitten auf Seiten der Form (Kap. 1) und mit seinem Geflecht aus Ankündigungen und Bestätigung auf Seiten der erzählten Handlung (Kap. 2) sich von der idealen Leserschaft mit ihrer kulturellen Enzyklopädie, die auch Elemente hellenistischer Bildung umfasst, vor dem Hintergrund der menippeischen Literatur, welche aus dem antiken Kynismus stammt, plausibel verstehen lässt (Kap. 3).
15 Es ergibt sich damit gewissermaßen eine methodische Hierarchie. Das textpragmatische Interesse steht im Mittelpunkt aller Überlegungen und daher an der Spitze dieser Hierarchie. Auf diese Spitze hin ausgerichtet sind die weiteren aus der allgemeinen Sprachwissenschaft, der Philologie und der Bibelexegese stammenden Methoden, die in dieser Studie zum Einsatz kommen.
Kapitel 1: Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
In Lk 1–2 liegen sowohl prosa- als auch versförmige Abschnitte vor. Doch wodurch unterscheiden sich – aus der Sicht der Lesenden – die einen von den anderen? Es leidet ja in der neutestamentlichen Forschung durchweg keinen Zweifel, dass manche Abschnitte in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums Verse beinhalten, während dies für andere Abschnitte eben nicht gilt. Doch dieser auf das Ganze gesehen unumstrittene Befund nötigt zur präzisen Unterscheidung im Einzelnen. Die Einteilung zwischen Vers und Prosa in Lukas 1–2 darf nicht aufs Geratewohl vorgenommen werden, sondern sie muss sich anhand von aussagekräftigen Kriterien nachvollziehbar durchführen lassen. Leider ist dies aber in der bisherigen Forschung noch nicht in ausreichendem Umfange geschehen.1 Daher soll sich der erste Teil der vorliegenden Studie genau dieser Frage widmen. Die Frage nach der Vers- oder Prosaform2 eines Textes ist jedoch nicht eine ontologische Frage, die das So- oder Sosein des Textes pauschal durch die Anwendung analytischer Mittel beantworten könnte, sondern sie ist vielmehr eine Frage der Wahrnehmung. Die Leitfrage für die folgenden analytischen Schritte soll daher lauten: Mit welcher Wahrscheinlichkeit nehmen die idealen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums innerhalb 1
Infolge der Wirkungsgeschichte von Lk 1–2, die einigen Abschnitten aus den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums einen festen Platz in der Liturgie vieler Gottesdienste beschert hat (vgl. die Einleitung dieser Untersuchung), scheint der häufige gottesdienstliche Gebrauch dieser Abschnitte den Exegetinnen und Exegeten den Blick für die Frage zu vernebeln, weshalb eigentlich das sog. „Benedictus“, das sog. „Magnificat“, das sog. „Gloria“ und das sog. „Nunc Dimittis“ als versförmige Abschnitte zu gelten hätten. In der mir bekannten Literatur findet sich jedenfalls keine ausführliche Behandlung dieser Frage. Vielmehr nehmen verschiedene Forscherinnen und Forscher ihre verschiedenen Unterteilungen von Lk 1–2 in Vers und Prosa einfach vor, ohne ihre Entscheidungen im Einzelnen zu begründen (so verfahren z.B. TH. KAUT, Befreier, 87–88; W. RADL, Ursprung, 32; für das sog. Magnificat auch F. ZORELL, Magnificat, 754; ähnlich auch M. DIBELIUS, Jungfrauensohn, 4.15–16; zur Kritik an solchen Urteilen vgl. auch U. MITTMANNRICHERT, Magnifikat, 155–156). 2 Ich spreche im Hinblick auf die Unterscheidung von Vers und Prosa von der „Form“ bzw. „Struktur“ des Textes. Unter dieser Perspektive ist der Form-Begriff von demjenigen zu unterscheiden, welchen die exegetische Methode der Formgeschichte benutzt. Eine ähnliche Zweideutigkeit bringt auch die Verwendung des Begriffs „Struktur“, da dieser in der Sprach- und Literaturwissenschaft unter anderen Vorzeichen benutzt wird. Der Kontext der folgenden Ausführungen wird es je hinreichend explizieren, in welchem Sinne ich die Begriffe „Form“ und „Struktur“ verwende.
Kriterien zur Feststellung der Versform
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des Referenzrahmens ihrer zeitgenössischen kulturellen Enzyklopädie einen bestimmten Textabschnitt als prosa- oder versförmig wahr? Zur Beantwortung dieser Frage lassen sich Kriterien entwickeln, welche von Fall zu Fall treffsichere Entscheidungen ermöglichen. Nur wer diese Kriterien teilt, sie sich also angeeignet hat, wird den betreffenden Text auch entsprechend wahrnehmen, während der Text auch bei unterschiedlichen Wahrnehmungen ja ein und derselbe bleibt. Erst die Wahrnehmung der Rezipientinnen und Rezipienten macht die Struktur des Textes zu Vers oder Prosa. Diese Einsicht lässt sich freilich auch anders herum wenden: denn der Text selbst stammt ja aus einem bestimmten geistesgeschichtlichen Kontext und setzt allein dadurch eine gewisse Weise der Lektüre vor der Folie einer bestimmten kulturellen Enzyklopädie als eine nahe liegende voraus. Wo dieser Text also die zeitgenössisch gängigen Kriterien aufweist, welche Vers und Prosa unterscheiden, dort zeigt er an, dass er selbst auch entsprechend wahrgenommen werden will. Kriterien zur Feststellung der Versform
1.1 Kriterien zur Feststellung der Versform Diese Fragestellung verkompliziert sich allerdings dadurch, dass ja das Lukasevangelium – so wie der Rest des Neuen Testaments, aber eben anders als die hebräische Bibel – in griechischer Sprache abgefasst ist. Während das Neue Testament im Allgemeinen und das Lukasevangelium im Besonderen zahlreiche inhaltliche Impulse aus der hebräischen Gedankenwelt aufnehmen, sind sie gleichzeitig aber auch auf die geistesgeschichtliche Umwelt des zeitgenössischen Hellenismus hin ausgerichtet, was sich am deutlichsten im Gebrauch der griechischen Sprache der Koine manifestiert.3 Damit nimmt auch der Abschnitt Lukas 1–2 mit den anderen neutestamentlichen Schriften zusammen eine merkwürdige Stellung in der Schnittmenge zwischen hebräischer und hellenistischer Gedankenwelt ein; hier wie auch anderswo im Neuen Testament fließen jüdische und hellenistische geistesgeschichtliche Hintergründe ineinander.4 Nun bestehen allerdings gravierende Unterschiede zwischen dem VersBegriff der antiken griechischen Welt und demjenigen, auf dem die hebräischen poetischen Schriften beruhen: In der griechischen Literatur entscheidet das Vorhandensein einer metrisch geprägten Text-Struktur über die formelle Klassifikation in Vers oder Nicht-Vers.5 Dagegen kann die Metrik 3
So auch R. GARRISON, Context, 21–22. Die folgende Analyse wird noch zeigen, inwiefern dies für den Fall des Lukasevangeliums zutrifft. 5 Vgl. C.M.J. SICKING, Verslehre, 43–60, insbes. 45; E. ROBBINS, Lyrik, 587. 4
16
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
für die hebräische Literatur keinen vergleichbar ausschlaggebenden Stellenwert beanspruchen.6 Hier fällt vielmehr in erster Linie eine durch den Parallelismus zweier korrespondierender Vershälften bestimmte Struktur der Texte auf.7 Auch machen die ältesten neutestamentlichen Handschriften in ihrem Schriftbild keinen Unterschied zwischen Vers und Prosa kenntlich, wohingegen alte hebräische Psalmen-Handschriften mit jedem Vers auch eine neue Zeile beginnen und den Lesenden so durch dieses äußerliche Merkmal die Form des Textes anzeigen. Unter den unbestritten versförmigen Abschnitten in Lukas 1–2 haben das Gotteslob des Zacharias sowie das Gotteslob der Maria besonders viel Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen. Beide Texte weisen sowohl inhaltlich als auch formal eine große Nähe zu den Psalmen der hebräischen Bibel auf.8 Der lukanische Text selbst zeigt dadurch an, dass er vor dem Hintergrund einer kulturellen Enzyklopädie interpretiert werden will, welche die Kenntnis der aus der hebräischen Tradition stammenden Versdichtung beinhaltet. Eine ideale Leserschaft nimmt Marias und Zacharias’ Gotteslob darum als nach der Vorlage hebräischer Versdichtung gebildete Abschnitte wahr. Aus diesem Grunde ist es sinnvoll, mit der Suche nach Kriterien für eine Unterscheidung zwischen Vers und Prosa in Lukas 1–2 ebendort zu beginnen: Welche besonderen Merkmale unterscheiden im Text der hebräischen Bibel bzw. der Septuaginta versförmige von prosaischen Partien, und wo erscheinen diese Merkmale in Lukas 1–2? Der Versuch, in den beiden Anfangskapiteln des Lukasevangeliums eine mit der Wahrnehmung der antiken Leserschaft übereinstimmende und gut begründete Einteilung in Vers und Prosa vorzunehmen, wird sich auf innere – Struktur und Inhalt der Texte betreffende – Kriterien zu stützen haben und das Vergleichsmaterial hierfür in solcher Literatur suchen müssen, die aus dem Bereich der hebräischen Gedankenwelt herstammt. Insbesondere auch der Wortlaut der Septuaginta bietet sich zum Vergleich mit Lukas 1–2 an. Dies hat mehrere Gründe: Erstens nimmt die Septuaginta als die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel eine ähnliche geistesgeschichtliche Position in der Schnittmenge zwischen hebräischer und griechischer Antike ein wie auch die Schriften des Neuen Testaments. Zweitens rezipieren die neutestamentlichen Schriften die hebräische Bibel in den allermeisten Fäl-
6
Hierzu s.u. Punkt 1.1.6, Anm. 71. Hierzu s.u. Punkt 1.1.1. Möglicherweise zieht der geistesgeschichtliche Kontext der hebräischen Antike jedoch gar keine so strikte Trennungslinie zwischen Vers und Prosa wie das in der griechisch-römischen Gedankenwelt der Fall ist (so F. LANDY, Poetics, 65). 8 S.u. die Punkte 1.2.2 und 1.2.3. 7
Kriterien zur Feststellung der Versform
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len nach dem Wortlaut, den die Septuaginta bietet.9 Und drittens handelt es sich bei den impliziten Leserinnen und Lesern des Lukasevangeliums um hellenistische Christen,10 die die Septuaginta in weitaus stärkerem Maße benutzen als den hebräischen Text, falls sie letzteren überhaupt kennen. Als Musterbeispiel eines versförmigen Abschnitts aus der hebräischen Bibel soll im Folgenden Psalm 34 dienen, bzw. seine in der Septuaginta mit Ψ 33 vorliegende griechische Übersetzung. Denn Psalm 34 weist eine akrostische Struktur auf: seine Verse beginnen der Reihe nach mit den Buchstaben des Alephbets.11 Durch diese akrostische Gestaltung stellt der Text auch unabhängig vom Schriftsatz seine versförmige Struktur unter Beweis. Die aufeinander folgenden Anfangsbuchstaben zeigen genau an, wo der je nächste Vers beginnen soll. Aus diesem Grund steht die Abgrenzung der einzelnen Verse gegeneinander von vorn herein fest, so dass die Analyse sogleich damit beginnen kann, die Gestaltung der Verse zu untersuchen ohne sie zuvor noch eigens identifizieren zu müssen.12 Dabei bleibt Psalm 34 ganz deutlich ein Musterbeispiel. Wo ein Psalm der Leserschaft den Nachvollzug seiner Versstruktur so einfach macht, handelt es sich um einen Ausnahmefall. Dieser Psalm ist offensichtlich ganz besonders kunstvoll gestaltet; andere versförmige Texte mögen eine nicht ganz so gleichmäßige Struktur aufweisen, obwohl sie nichts desto weniger auch zur versförmigen Literatur gehören. Alle Aussagen über Merkmale der Versform im Hebräischen, die anhand von Psalm 34 gewonnen werden, müssen daher als ideale Aussagen gelten. Außerdem stellt Psalm 34 im Hinblick auf die Jahrhunderte lange Entwicklung der hebräischen Versdichtung eine Momentaufnahme dar. Er 9 Vgl. E. BÖHL, Citate, VI sowie XXII. Vgl. auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 45; J.A. FITZMYER, Gospel, 58; F. Ó FEARGHAIL, Imitation, 59–60; D.-A. KOCH, Überlieferung, 216; M. MEISER, Das Alte Testament, 170; N. TURNER, Relation, 102; H. ZIMMERMANN, Evangelium, 271. Dagegen geht P. WINTER, Observations, 119 davon aus, dass Teilen von Lk 1–2 eine hebräische Quelle zugrunde liegt. 10 Vgl. hierzu die Ausführungen zu Lk 1–2 und der Ähnlichkeit dieses Abschnitts zur menippeischen Literatur der hellenistischen Antike (Kapitel 3) und dort insbes. die Anm. 4. 11 Vgl. hierzu auch F.-L. HOSSFELD/E. ZENGER, Psalmen, 211 sowie H.-J. KRAUS, Psalmen, 36.417. 12 Aufgrund dieses Vorteils wählt auch schon R. LOWTH (Poetry, Bd. 1, 57–58) die akrostischen Psalmen als primäres Material für seine Untersuchungen an der hebräischen Versdichtung. Zwar erheben Kommentatoren Bedenken im Hinblick auf die ursprüngliche Gestalt des Psalms – insbesondere fällt auf, dass Vers 23 aus dem akrostischen Schema herausfällt (so auch H.-J. KRAUS, Psalmen, 417; vgl. auch dort die weiteren Überlegungen zum ursprünglichen Text; vgl. außerdem F.-L. HOSSFELD/E. ZENGER, Psalmen, 211) –, doch die vorliegende Textgestalt bildet die Grundlage für den 33. Psalm der Septuaginta und damit also für diejenige Version, welche den idealen Leserinnen und Lesern des Lukasevangeliums vorliegt. Aus diesem Grund müssen die folgenden Untersuchungen auf der endgültigen Textgestalt des Psalms basieren, denn das Ziel dieses Unterfangens besteht ja in der Beschreibung der Wahrnehmung von Versform durch die ideale Leserschaft des Lukasevangeliums.
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
kann nicht die gesamte Palette versförmiger Texte aus der hebräischen Bibel repräsentieren sondern soll hier – wie gesagt – ein Musterbeispiel bieten. Dennoch muss die Tatsache beachtet werden, dass die versförmigen Texte der hebräischen Literatur keine ganz einheitliche Masse bilden sondern eine gewisse Bandbreite umfassen, denn zur Zeit der Entstehung des Lukasevangeliums liegt diese Bandbreite in ihrer Vielfalt vor.13 Die impliziten Leserinnen und Leser des Evangeliums können diese kennen und vor ihrem Hintergrund die einzelnen Abschnitte aus Lukas 1–2 als vers- oder prosaförmig einordnen. Für die Analyse ergibt sich schließlich noch eine terminologische Schwierigkeit, denn der Begriff „Vers“ ist zweideutig: Er bezeichnet einerseits bei der Einteilung der biblischen Schriften in Kapitel und Verse die kleinste Einheit, einerlei ob es sich der Form nach um vers- oder prosaförmige Texte handelt. Andererseits bezeichnet der Begriff jedoch auch diejenige Einheit eines poetisch gestalteten Textes, die sich aufgrund ihrer sprachlichen Struktur als eine eigenständige Einheit zu erkennen gibt und daher graphisch eine eigene Zeile für sich beansprucht, was in dem Beispiel von Psalm 34 schon durch die alephbetisch aufeinanderfolgenden Anfangsbuchstaben der Verse zum Ausdruck kommt. In den versförmigen Texten der hebräischen Bibel fallen die grundsätzlich verschiedenen Einheiten „Vers“ und „Vers“ zwar häufig zusammen, für die Analyse bleibt es aber trotzdem wichtig, sie zu unterscheiden.14 Weil sowohl im einen als auch im anderen Sinne der Begriff „Vers“ den weitaus gängigsten Terminus darstellt, und weil es an brauchbaren Alternativen mangelt,15 soll der doppelte Gebrauch des Begriffs „Vers“ im Folgenden beibehalten werden. Der Kon-
13 Die vorliegende Bandbreite versförmiger Texte in der hebräischen Bibel hat auch den Exegetinnen und Exegeten oftmals Probleme bereitet. Besonders deutlich wird dies dort, wo Forschende ihren Analysen eine hypothetische ursprüngliche Lesart des Textes zugrunde legen, die aus der vorliegenden Textgestalt erst erschlossen werden muss. Der auf diese Weise gewonnene Wortlaut lässt sich dann leichter erklären, während die heute vorliegende Version des Textes als eine redaktionell verunreinigte deklariert wird. Besonders die Hypothesen zur hebräischen Metrik bedienen sich bisweilen dieser Methode (s.u. Anm. 71). Darin zeigt sich, dass die Bandbreite hebräischer Versdichtung zu komplex ist, um sich mit einer knappen Definition umgreifend erfassen zu lassen. 14 So auch J.P. FOKKELMAN, Poetry, 13. 15 Hier und da bringt ein wissenschaftlicher Beitrag den Terminus „Colon“ ins Spiel. Entweder wird der hebräische Vers als Bicolon aufgefasst, der im Parallelismus in zwei Cola zerfällt; oder er wird als Colon verstanden, das sich in zwei Semicola aufteilt (zur Terminologie vgl. auch W.G.E. WATSON, Poetry, 12–14). So weit halte ich den Begriff auch für ganz brauchbar. Doch leider gibt es zu ihm kein Adjektiv, mit dem sich die Form eines in Cola strukturierten Textes beschreiben ließe. Spätestens an dieser Stelle müsste also wieder das Adjektiv „versförmig“ herhalten und würde dann für Verwirrung sorgen. Deswegen bleibe ich von vorn herein bei dem Terminus „Vers“.
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text wird dabei ausreichend deutlich machen, in welchem der beiden Sinne der Terminus verstanden werden will. In der folgenden Darstellung stehen der hebräische Text von Psalm 34 und der griechische Wortlaut der Septuaginta (Ψ 33) einander gegenüber: לדוד בשנותו את טעמו לפני אבימלך ויגרשהו וילך
1
Τῷ Δαυιδ, ὁπότε ἠλλοίωσεν τὸ πρόσωπον αὐτοῦ ἐναντίον Αβιμελεχ, καὶ ἀπέλυσεν αὐτόν, καὶ ἀπῆλθεν.
אברכה את יהוה בכל עת תמיד תהלתו בפי
א
2
Εὐλογήσω τὸν κύριον ἐν παντὶ καιρῷ, διὰ παντὸς ἡ αἴνεσις αὐτοῦ ἐν τῷ στόματί μου.
ביהוה תתהלל נפשי ישמעו ענוים וישמחו
ב
3
ἐν τῷ κυρίῳ ἐπαινεσθήσεται ἡ ψυχή μου· ἀκουσάτωσαν πραεῖς καὶ εὐφρανθήτωσαν.
גדלו ליהוה אתי ונרוממה שמו יחדו
ג
4
μεγαλύνατε τὸν κύριον σὺν ἐμοί, καὶ ὑψώσωμεν τὸ ὄνομα αὐτοῦ ἐπὶ τὸ αὐτό.
דרשתי את יהוה וענני ומכל מגורותי הצילני
ד
5
ἐξεζήτησα τὸν κύριον, καὶ ἐπήκουσέν μου καὶ ἐκ πασῶν τῶν παροικιῶν μου ἐρρύσατό με.
הביטו אליו ונהרו ופניהם אל יחפרו
ה
6
προσέλθατε πρὸς αὐτὸν καὶ φωτίσθητε, καὶ τὰ πρόσωπα ὑμῶν οὐ μὴ καταισχυνθῇ.
זה עני קרש ויהוה שמע
ז
7
οὗτος ὁ πτωχὸς ἐκέκραξεν, καὶ ὁ κύριος εἰσήκουσεν αὐτοῦ καὶ ἐκ πασῶν τῶν θλίψεων αὐτοῦ ἔσωσεν αὐτόν.
ח
8
παρεμβαλεῖ ἄγγελος κυρίου κύκλῳ τῶν φοβουμένων αὐτὸν καὶ ῥύσεται αὐτούς.
טעמו וראו כי טוב יהוה אשרי הגבר יחסה בו
ט
9
γεύσασθε καὶ ἴδετε ὅτι χρηστὸς ὁ κύριος· μακάριος ἀνήρ, ὅς ἐλπίζει ἐπ' αὐτόν.
יראו את יהוה קדשיו כי אין מחסור לירשיו
י
10
φοβήθητε τὸν κύριον, οἱ ἅγιοι αὐτοῦ, ὅτι οὐκ ἔστιν ὑστέρημα τοῖς φοβουμένοις αὐτόν.
כפירים רשו ורעבו ודרשי יהוה לא יחסרו כל טוב
כ
11
πλούσιοι ἐπτώχευσαν καὶ ἐπείνασαν, οἱ δὲ ἐκζητοῦντες τὸν κύριον οὐκ ἐλαττωθήσονται παντὸς ἀγαθοῦ. διάψαλμα.
לכו בנים שמעו לי יראת יהוה אלמדכם
ל
12
δεῦτε, τέκνα, ἀκούσατέ μου· φόβον κυρίου διδάξω ὑμᾶς.
מי האיש החפץ חיים אהב ימים לראות טוב
מ
13
τίς ἐστιν ἄνθρωπος ὁ θέλων ζωὴν ἀγαπῶν ἡμέρας ἰδεῖν ἀγαθάς;
נצר לשונך מרע ושפתיך מדבר מרמה
נ
14
παῦσον τὴν γλῶσσάν σου ἀπὸ κακοῦ καὶ χείλη σου τοῦ μὴ λαλῆσαι δόλον.
סור מרע ועשה טוב בקש שלום ורדפהו
ס
15
ἔκκιλινον ἀπὸ κακοῦ καὶ ποίησον ἀγαθόν, ζήτησον εἰρήνην καὶ δίωξον αὐτήν.
עיני יהוה אל צדיקים ואזניו אל שועתם
ע
16
ὀφθαλμοὶ κυρίου ἐπὶ δικαίους, καὶ ὦτα αὐτοῦ εἰς δέησιν αὐτῶν.
פני יהוה בעשי רע להכרית מארץ זכרם
פ
17
πρόσωπον δὲ κυρίου ἐπὶ ποιοῦντας κακὰ τοῦ ἐξολεθρεῦσαι ἐκ γῆς τὸ μνημόσυνον αὐτῶν.
ומכל צרותיו הושיעו חנה מלאך יהוה סביב לירשיו ויחלצם
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40 צעקו ויהוה שמע
צ
18
ἐκέκραξαν οἱ δίκαιοι, καὶ ὁ κύριος εἰσήκουσεν αὐτῶν καὶ ἐκ πασῶν τῶν θλίψεων αὐτῶν ἐρρύσατο αὐτούς.
קרוב יהוה לנשברי לב ואת דכאי רוח יושיע
ק
19
ἐγγὺς κύριος τοῖς συντετριμμένοις τὴν καρδίαν καὶ τοὺς ταπεινοὺς τῷ πνεύματι σώσει.
רבות רעות צדיק ומכלם יצילנו יהוה
ר
20
πολλαὶ αἱ θλίψεις τῶν δικαίων, καὶ ἐκ πασῶν αὐτῶν ῥύσεται αὐτούς.
שמר כל עצמותיו אחת מהנה לא נשברה
ש
21
κύριος φυλάσσει πάντα τὰ ὀστᾶ αὐτῶν, ἕν ἐξ αὐτῶν οὐ συντριβήσεται.
תמותת רשע רעה ושנאי צדיק יאשמו
ת
22
θάνατος ἁμαρτωλῶν πονηρός, καὶ οἱ μισοῦντες τὸν δίκαιον πλημμελήσουσιν.
23
λυτρώσεται κύριος ψυχὰς δούλων αὐτοῦ, καὶ οὐ μὴ πλημμελήσωσιν πάντες οἱ ἐλπίζοντες ἐπ' αὐτόν.
ומכל צרותם הצילם
פודה יהוה נפש עבדיו ולא יאשמו כל החסים בו
Dieser Text weist eine Reihe von gestalterischen Merkmalen auf, die ihn von prosaischen Texten unterscheiden. 1.1.1 Der Parallelismus Als das Stilmerkmal schlechthin der hebräischen Versdichtung gilt seit langer Zeit der Parallelismus.16 Es lässt sich meist unschwer erkennen, dass die einzelnen Verse in versförmigen Abschnitten der hebräischen Literatur in zwei Halbverse, einen a-Teil und einen b-Teil zerfallen.17 Graphisch gehören beide Halbverse in dieselbe Textzeile, wie die akrostische Struktur des zitierten Beispielpsalms beweist.18 Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit mit dem griechischen Text sind jedoch die beiden Halbverse im obigen Beispiel je in aufeinander folgenden Zeilen gesetzt. Die beiden Halbverse stehen nun jeweils in einer engen Beziehung zueinander. Um diese Beziehung näher beschreiben zu können, hat die Forschung sich lange einer klassisch gewordenen Dreiteilung bedient, die den Parallelismus in einen synonymen, einen antithetischen und einen synthetischen kategorisiert.19 Im synonymen Parallelismus paraphrasiere der zweite 16
So auch R. SMEND, Entdecker, 185. Vgl. TH.H. ROBINSON, Principles, 440. Ähnlich spricht J.P. FOKKELMAN (Poetry, 5) englisch von „A-colon“ und „B-colon“ eines Verses. 18 D.h. die akrostische Anordnung betrifft nur jeweils den Anfangsbuchstaben des a-Teils eines jeden Verses. 19 Vgl. hierzu auch J.P. FOKKELMAN, Poetry, 25; F. HORST, Kennzeichen, 100; H.-J. KRAUS, Psalmen, 30. Die Unterscheidung dreier Arten des Parallelismus geht zurück auf die im 18. Jahrhundert von R. LOWTH (Poetry, Bd. 2, 34–57) vorgenommene Einteilung. Von dem Entsprechungsverhältnis spricht Lowth lateinisch als einem parallelismus der membra bzw. „Parallelismus 17
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Halbvers den ersten; im antithetischen bringe der zweite Halbvers das Gegenteil des ersten zur Sprache; und im synthetischen Parallelismus schließlich führe der zweite Halbvers den Gedanken des ersten in irgendeiner Weise weiter. Sicherlich bereitet es keine Schwierigkeiten jeden Vers eines Psalms einer der drei genannten Kategorien zuzuordnen – doch vom Text her legt sich eine solche Dreiteilung keineswegs nahe, wie die unten folgende Analyse von Psalm 34 zeigen wird. Insbesondere der sogenannte synthetische Parallelismus läuft Gefahr, zum Sammelbecken für all diejenigen Verse zu werden, die sich nicht in eine der beiden ersten Schubladen einordnen lassen,20 und damit die Vielfalt des Parallelismus, den die hebräische Dichtung bietet, zu überdecken. Grundsätzlich lässt sich das Entsprechungsverhältnis der beiden Halbverse einerseits anhand der Grammatik und andererseits anhand des Inhalts bzw. der Semantik beschreiben.21 Oft stehen beide Versteile einander sowohl grammatisch als auch inhaltlich nahe; mitunter ist dagegen nur entweder das eine oder das andere der Fall. Wo sich allerdings weder auf der grammatischen noch auf der semantischen Ebene ein Zusammenhang zwischen beiden Halbversen aufzeigen lässt, wird es schwierig. Denn der akrostische Aufbau von Psalm 34 beweist, dass jeder einzelne Vers als ein Vers verstanden sein will. Wenn aber kein Zusammenhang zwischen den Halbversen gegeben ist, der diesen Vers von einem Satz unterscheidet, der so auch in der Prosa begegnen könnte, kann der Vers für sich genommen zwischen den Gliedern jeder Periode“ (vgl. ebd. 34), woraus der Fachterminus des „Parallelismus Membrorum“ hervorgegangen ist (vgl. hierzu F. REHKOPF, Parallelismus, 47–50; R. SMEND, Entdecker, 197). Lowth behandelt den synonymen Parallelismus auf den Seiten 35–45, den antithetischen auf den Seiten 45–48 und den synthetischen auf den Seiten 48–54. Impulse für seine These vom Parallelismus Membrorum bezieht Lowth dabei von dem jüdischen Gelehrten Rabbi Azarias (ebd. 54). Indem die exegetische Forschung bis heute von einem Parallelismus Membrorum spricht, also von einer parallelen Strukturierung zweier gleichartiger Versglieder, betont sie stark die in ihren Augen vorhandene Ähnlichkeit zwischen den Gliedern des Parallelismus. Wie wenig gleich diese jedoch in Wirklichkeit oft sind, wird die folgende Analyse von Ψ 33 zeigen. Daher gebrauche ich entgegen dem Vorschlag F. REHKOPFS (Parallelismus, 57) den Terminus „Parallelismus“ absolut. 20 Vgl. hierzu auch die Kritik bei K. SEYBOLD, Psalmen, 86. 21 So stellt auch K. SEYBOLD (Psalmen, 83) seine Ausführungen zum Parallelismus unter die beiden Leitbegriffe „Syntax und Semantik“. J.P. FOKKELMAN (Poetry, 29) unterscheidet dagegen vier Dimensionen, in welchen der Parallelismus seiner Meinung nach zum Ausdruck kommt: die phonologische, die morphologische, die lexikalische und die semantische. Ich will keineswegs bestreiten, dass der Parallelismus sich mitunter auch in klanglichen oder lexikalischen Verbindungen zwischen a-Teil und b-Teil eines Verses manifestieren kann; jedoch geschieht dies m.E. nicht häufig genug, um diese Kategorien der grammatischen und der semantischen Kategorie als gleichwertig zur Seite zu stellen; vielmehr betrachte ich phonetische, morphologische und lexikalische Ähnlichkeiten als Spielarten des grammatischen Parallelismus. Zur Kritik vgl auch A. NICCACCI (Poetry, 90–91), welcher selbst auch zwischen grammatischem und lexikalischem Parallelismus differenziert (ebd., 81).
22
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
nicht eindeutig als Parallelismus gelten. Das analytische Instrumentarium ermöglicht in dieser Grauzone also keine absolute Trennung zwischen Vers und Prosa. Für ein paralleles Verhältnis beider Vershälften zueinander spricht dagegen die häufig anzutreffende Verwendung fester Wortpaare, welche sowohl die grammatische als auch die semantische Parallele unterstützen. Die inhaltliche Entsprechung zwischen den Halbversen führt dazu, dass auch einzelne Worte in beiden Hälften einander korrespondieren. Die auf diese Weise paarhaft zusammengehörenden Worte kommen mitunter an mehreren Stellen der hebräischen Bibel gemeinsam vor.22 Im Hinblick auf den Parallelismus zeigt sich in Psalm 34 (bzw. in Ψ 33) das folgende Bild: Ps 34,223 Beide Halbverse lassen sich in zwei Teile zerlegen, die jeweils eine Entsprechung im anderen Halbvers haben. Besonders deutlich ist dies bei den Ausdrücken בכל עתund תמיד, die dieselbe zeitliche Ausdehnung des Lobes beschreiben und dadurch semantisch parallel zueinander stehen. Als festes Paar können die beiden Ausdrücke nicht gelten, denn nur noch in Spr 5,19 formen sie miteinander in der hebräischen Bibel einen Parallelismus. In der Septuaginta treten die Wort ἐν παντὶ καιρῷ und διὰ παντὸς an ihre Stelle. Diese Ausdrücke stehen nur an dieser einen Stelle der Septuaginta parallel zueinander. Die restlichen Worte beider Halbverse bilden je eine Einheit. בפי הלתות ist eine Paraphrase zu der Aussage אברכה את יהוה. Ebenso verhält es sich im Griechischen mit εὐλογήσω τὸν κύριον und ἡ αἴνεσις αὐτοῦ ἐν τῷ στόματί μου. Damit bilden die Ausdrücke als Ganze eine semantische Parallele zueinander. Die Wortwahl des Bezeichnenden bzw. Signifikants wechselt, während das Bezeichnete bzw. Signifikat beider Versteile dasselbe bleibt.24 22 Vgl. W.G.E. WATSON, Poetry, 128. Dies wird seinen Grund nicht etwa darin haben, dass die Poeten ihre Wortpaare aus einer normativen Liste hätten wählen müssen, sondern darin, dass sich im Laufe der Entwicklungsgeschichte hebräischer Verdichtung bestimmte Verbindungen als gängige Wortpaare etabliert haben (vgl. J.P. FOKKELMAN, Poetry, 64–65; vgl. hierzu auch A. NICCACCI, Poetry, 81–82). 23 Dass der erste Vers des Psalms als Einleitung verstanden werden will, zeigt sich darin, dass der akrostische Aufbau des Psalms in Vers 2 mit dem Buchstaben אbeginnt. Vers 1 kann daher in der Analyse der Versform unberücksichtigt bleiben. 24 D.h. die Lautbilder /εὐλογήσω τὸν κύριον/ und /ἡ αἴνεσις αὐτοῦ ἐν τῷ στόματί μου/ stellen je ein Signifikant dar, welches durch das sprachliche Zeichen mit dem Signifikat verbunden ist; ebenso verhält es sich mit /ἐν παντὶ καιρῷ/ und /διὰ παντός/, die beide als Signifikant zu dem Signifikat fungieren (vgl. zu dieser semiotischen Terminologie S. ALKIER, Hinrichtungen, 113 und 122, Anm. 49; vgl. hierzu auch H.-G. GRADL, Arm und Reich, 42; die dort angewandte Terminologie geht zurück auf den Ansatz von F. D.
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Es ist nicht möglich, die Ausdrücke auseinanderzudividieren und die einzelnen Worte in Beziehung zueinander zu setzen.25 Die parallele Struktur von Vers 2 lässt sich somit folgendermaßen graphisch darstellen.26 Eὐλογήσω τὸν κύριον διὰ παντὸς
ἐν παντὶ καιρῷ, ἡ αἴνεσις αὐτοῦ ἐν τῷ στόματί μου.
Ps 34,3 Die Grammatik gibt den Hinweis auf eine leicht zu durchschauende Zweiteilung des Verses, denn beide Vershälften stellen eigenständige Hauptsätze dar. Die beiden Teile gehen in ihrer Syntax dabei aber nicht parallel. Es besteht eine finale Verbindung zwischen den Hälften: Der zweite Teil des Verses gibt an, zu welchem Zweck oder mit welcher Folge die erste Aussage sich vollzieht. Die Wortpaare הללhitp und שמחqal (Ps 63,12; 64,11; 105,3; 106,5; 1Chr 16,10) bzw. ἐπαινέω und εὐφραίνω (Ψ 62,12; 63,11; 104,3; 105,5) tauchen zwar in der hebräischen Bibel bzw. der Septuaginta nicht selten auf; im vorliegenden Vers jedoch bilden die Verben unterschiedliche grammatische Formen, wodurch der Eindruck der Parallelität im Vergleich zu solchen Konstruktionen, in denen beide Worte die gleiche Form aufweisen, geringer ausfällt. Der Zusammenhalt der beiden Teile des Verses ist damit relativ schwach; ein Parallelismus, der diesen Vers unzweifelhaft von einem Satz in prosaischem Kontext unterschiede, kann hier nicht festgestellt werden. Ἐν τῷ κυρίῳ ἀκουσάτωσαν πραεῖς
ἐπαινεσθήσεται
ἡ ψυχή μου·
καὶ εὐφρανθήτωσαν.
SAUSSURE, Grundfragen, 78–79; die graphische Darstellung nimmt indes einen Vorschlag von U. ECO, Semiotik, 19 auf). 25 Zwar gibt es Stellen, die einen parallelen Gebrauch des Verbums ברךpi mit dem Nomen תהלהnahe legen könnten, denn diese begegnen auch in Ps 66,8; 100,4; 145,21; Neh 9,5 im Parallelismus miteinander. Gleiches gilt für die Worte εὐλογέω und αἴνεσις in der LXX (Ψ 65,8; 144,21; 2Esr 19,5). Hierin zeigt sich ein Merkmal der Vielgestaltigkeit des Parallelismus, der offenbar sogar Vokabeln unterschiedlicher Wortarten in Beziehung setzen kann. An der vorliegenden Stelle ist der semantische Gehalt von εὐλογήσω jedoch erst dann vollständig parallelisiert, wenn die αἴνεσις eine Ergänzung durch ἐν τῷ στόματί μου erfährt. 26 Diese Art der graphischen Darstellung semantischer und grammatischer Parallelen übernehme ich von TH. KAUT, Befreier, 301.
24
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Ps 34,4 Dafür lässt der Zusammenhalt beider Halbverse in V. 4 sich um so besser erkennen und analysieren. In beiden Halbversen begegnen drei Glieder, die je in enger Verbindung zu einem Glied des anderen Halbverses stehen. Semantisch stimmen die beiden Teile des Verses überein: Μεγαλύνατε
τὸν κύριον
σὺν ἐμοί,
καὶ ὑψώσωμεν
τὸ ὄνομα αὐτοῦ
ἐπὶ τὸ αὐτό.
Darüber hinaus kennt die hebräische Bibel das Wortpaar יהוהund ( שמוPs 96,2.8; 99,6; 105,1). Genauso erscheinen auch in der Septuaginta die Worte κύριος und τὸ ὄνομα αὐτοῦ in anderen nach dem Parallelismus gestalteten Versen miteinander (Ψ 95,2; 98,6; 104,1). In V. 4 tritt der Parallelismus zwischen beiden Versteilen also so deutlich zutage, dass die Lesenden die Struktur der Konstruktion leicht als eine versförmige wahrnehmen können. Ps 34,5 Die beiden Hälften von V. 5 zielen inhaltlich in dieselbe Richtung, verhalten sich also semantisch parallel zueinander. Allerdings stimmen sie im Hinblick auf die Syntax nur am Ende überein: dort stehen im Hebräischen zwei Verben der 3. Person Singular mit dem Objektsuffix der 1. Person Singular: ענניund הצילני. In der Septuaginta verhält es sich ähnlich: Beide Verben stehen im Aorist der 3. Person Singular, und an die Stelle des hebräischen Suffixes ist ein Personalpronomen getreten: Ἐξεζήτησα τὸν κύριον, καὶ ἐκ πασῶν τῶν παροικιῶν μου
καὶ ἐπήκουσέν μου ἐρρύσατό με.
Auch weisen sich die Worte ἐπακούω und ῥύομαι als ein – freilich nicht besonders gängiges – Paar aus, das die Septuaginta an zwei weiteren Stellen bietet (Ψ 59,7; 80,8). Gleiches lässt sich für ענהqal und נצלhif im Hebräischen jedoch nicht behaupten. Die vorderen Teile der Vershälften unterscheiden sich sowohl grammatisch als auch semantisch voneinander. Es sind also nur die hinteren Teile der Vershälften, die in V. 5 den Zusammenhalt des Parallelismus konstruieren.
Kriterien zur Feststellung der Versform
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Ps 34,6 Der Vers lässt sich in zwei Teile untergliedern. Dabei lässt die Grammatik beide Teile insofern als zusammengehörig erscheinen, dass die Aussagen einander in Zeitform, Genus und Numerus entsprechen: Die Verben bilden im Hebräischen Erzähl-Tempora der 3. Person Plural; wohingegen die Septuaginta Verbformen der 2. Person Plural verwendet und in der ersten Vershälfte zwei Imperative hat. Aber näherhin können einzelne Glieder der beiden Teile einander nicht zugeordnet werden. Weder נהרqal und חפרqal noch φωτίζω und καταισχύνω stehen an anderer Stelle eindeutig parallel zueinander. Die grammatischen und semantischen Merkmale des Verses reichen also nicht aus, um ihn als einen deutlich von der Prosa unterschiedenen Parallelismus einzustufen, obwohl die akrostische Gestaltung des Psalms beweist, dass der Vers in seinem Kontext als ein Vers verstanden sein will, der sich sehr wohl von der Prosa abhebt. Προσέλθατε πρὸς αὐτὸν καὶ φωτίσθητε, καὶ τὰ πρόσωπα ὑμῶν οὐ μὴ καταισχυνθῇ.
Ps 34,7 In V. 7 liegen die den Zusammenhalt konstituierenden Elemente der Halbverse wieder an deren Enden. Semantisch entsprechen einander die Ausdrücke יהוה שמעund הושיעוim Hebräischen sowie ὁ κύριος εἰσήκουσεν αὐτοῦ und ἔσωσεν αὐτόν im Griechischen. Grammatisch gesehen umgreift die Parallele dagegen nur die Verbformen bzw. in der Septuaginta die Verbformen mit den Personalpronomen. Οὗτος ὁ πτωχὸς ἐκέκραξεν, καὶ ὁ κύριος καὶ ἐκ πασῶν τῶν θλίψεων αὐτοῦ
εἰσήκουσεν αὐτοῦ ἔσωσεν αὐτόν.
Darüber hinaus besteht auch eine deutliche grammatische Parallele innerhalb der ersten Vershälfte: עני קראund יהוה שמעsowie ὁ πτωχὸς ἐκέκραξεν und ὁ κύριος εἰσήκουσεν haben die gleiche Struktur, bestehend aus Subjekt – im Griechischen mit bestimmtem Artikel – und Verbform der Vergangenheit in der 3. Person Singular. Unterstützt werden diese Beobachtungen von dem Sachverhalt, dass die aufgezeigten Parallelen Wortpaare beinhalten, die auch sonst in versförmigen Texten gebräuchlich sind: עניund ( יהוהPs 10,12; 14,6; 102,1) sowie πτωχός und κύριος (Ψ 13,6; 101,1); קראqal und שמעqal (2Sam 22,7; Ps 4,4; 17,6; 18,7; 27,7 u.ö.) sowie ἐκκράζω und εἰσακούω (Ψ 16,6; 18,42;
26
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
26,7; 33,18; 55,17; 85,7; 119.1); schießlich שמעqal und ישעhif sowie εἰσακούω und σῴζω (jeweils Jes 59,1; Hab 1,2). Noch stärker als die Verbindung der beiden Vershälften des V. 7 untereinander ist die Parallele zu V. 5: V. 5a
ἐξεζήτησα
τὸν κύριον,
V. 7a οὗτος ὁ πτωχός
ἐκέκραξεν
V. 5b
καὶ ἐκ πασῶν
τῶν παροικιῶν
μου
ἐρρύσατό
με
V. 7b
καὶ ἐκ πασῶν
τῶν θλίψεων
αὐτοῦ
ἔσωσεν
αὐτόν
καὶ
καὶ
ὁ κύριος
ἐπήκουσέν μου εἰσήκουσεν αὐτοῦ
Der grammatische Blickwinkel schwenkt von der 1. Person des Verses 5 zur 3. Person des Verses 7. Sowohl semantisch als auch grammatisch sind die Parallelen enorm hoch, was am stärksten in den b-Teilen ins Auge fällt. Auch dieser Befund wird wieder von andernorts ebenfalls auftauchenden Wortpaaren unterstrichen: דרשqal und קראqal (Jes 55,6) sowie ἐκζητέω und ἐκκράζω (Ψ 118,145); daneben ענהqal und שמעqal (Jes 65,12.24; 66,4; Jer 7,13.27; 35,17; Jon 2,3; Ps 17,6; 27,7; 143,1; Hiob 20,3) sowie ἐπακούω und εἰσακούω (Ψ 16,6; 142,1). מגורהund צרהtauchen in der hebräischen Bibel sonst nirgends als Wortpaar zusammen auf, doch dafür hat die Septuaginta ein weiteres Beispiel für die Konstellation von παροικία und θλῖψις (Od 4,16). Ähnliches gilt für נצלhif und עישnif, die im Bereich der hebräischen Bibel nicht nocheinmal zusammen vorkommen, während das Wortpaar ῥύομαι und σῴζω in der Septuaginta sehr gebräuchlich ist (Ψ 6,5; 21,9; 58,3; 68,15; Hiob 6,23). Offenbar geht der Parallelismus hier also über die Versgrenzen hinaus; die parallele Gestaltung der Verse 5 und 7 verbindet diese stark miteinander, obwohl sie nicht einmal direkt aufeinander folgen. Ps 34,8 Wiederum anders verhält es sich in V. 8: Παρεμβαλεῖ καὶ ῥύσεται
ἄγγελος κυρίου κύκλῳ
τῶν φοβουμένων αὐτὸν αὐτούς.
Der b-Teil des Verses illustriert die Folge oder den Zweck des a-Teiles. Doch viel weiter geht der Parallelismus nicht. Die Beugung der hier am Zeilenbeginn dargestellten Verben stimmt nur in der griechischen Version überein. Auch finden sich weder in der hebräischen Bibel noch in der Sep-
Kriterien zur Feststellung der Versform
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tuaginta weitere Beispiele zu den Wortpaaren חנהqal und חלעpi bzw. παρεμβάλλω und ῥύομαι. Selbst die in der graphischen Darstellung angedeutete Parallele der φοβουμένων αὐτὸν zu dem Personalpronomen, das in der hebräischen Vorlage ja lediglich als Suffix existiert, wiegt alles andere als schwer. Wer gar ein Enjambement annehmen und die Worte τῶν φοβουμένων αὐτὸν zur bHälfte des Verses rechnen will, um so zwei Vershälften von ähnlicher Länge herzustellen, zerstört dadurch auch diese leichte Parallele noch. Für sich genommen können diese Beobachtungen deswegen keinen unzweifelhaften Beweis für die Versform der Worte in der Wahrnehmung ihrer antiken Leserschaft liefern. Ps 34,9 Zwischen den Aussagen „gut [ist] der Herr“ im a-Teil und „selig [ist] der Mann“ im b-Teil des Verses besteht eine kausale oder konsekutive Verbindung. In grammatischer Sicht rückt die nominale Konstruktion der Formulierungen, die in der Septuaginta eine deutlichere Ausprägung annimmt, diese in zusätzliche Nähe zueinander: Γεύσασθε καὶ ἴδετε ὅτι
χρηστὸς ὁ κύριος· μακάριος ἀνήρ,
ὅς ἐλπίζει ἐπ' αὐτόν.
Jedoch lassen sich kaum einschlägige Beispiele finden, die das Vorhandensein der auf diese Weise entstehenden Wortpaare auch in weiteren versförmigen Texten belegen.27 Lediglich die griechischen Worte κύριος und ἀνήρ bilden ein festes Paar (Spr 19,21; 21,2; Sir 38,4). Die bisher noch nicht behandelten Worte, die den ersten Teil der ersten Vershälfte und den zweiten Teil der zweiten Vershälfte ausmachen, weisen weder grammatisch noch semantisch eine direkte Abhängigkeit voneinander auf. Es ergibt sich folglich eine Treppenstufen-förmige Verknüpfung zwischen den beiden Halbversen, welche diese leicht miteinander verbindet.
27
Das gemeinsame Auftreten von טובund ( אשריSpr 16,20) und auch von יהוהund ( גברJes 22,17) besitzt hier nur geringe Beweiskraft, da die angegebenen Worte an diesen Referenzstellen nicht eindeutig parallel zueinander stehen. Und χρηστός und μακάριος werden – so weit ich sehe – sonst nirgends im Parallelismus miteinander gebraucht.
28
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Ps 34,10 In V. 10 bieten sich zweierlei Möglichkeiten der Zuordnung zwischen aHälfte und b-Hälfte des Verses an: Zuerst fällt auf, dass eine Vokabel zweifach begegnet, nämlich יראqal bzw. φοβέω. Indem diese sowohl den Beginn als auch das Ende des Verses formt, bindet sie diesen gleichsam an den Enden zusammen. Auch das Objekt der Furcht את יהוהbzw. τὸν κύριον vom Versanfang taucht am Versende in Form eines Objektsuffixes bzw. Personalpronomens wieder auf. Gleichzeitig besteht aber eine grammatische und inhaltliche Entsprechung an den Enden der beiden Vershälften. Denn die קדשיוund die יראיו bezeichnen ja dieselbe Gruppe von Menschen. Das Bezeichnende ändert sich von der ersten Vershälfte zur nächsten, während das Bezeichnete identisch ist. Entsprechendes gilt in der Septuaginta für die ἅγιοι αὐτοῦ und die φοβουμένοι αὐτόν. Die griechische Sprache muss hier allerdings anders als die hebräische bei den Personalpronomen zu unterschiedlichen Kasus greifen, so dass der Parallelismus im Hebräischen klarer hervortritt. Φοβήθητε τὸν κύριον,
οἱ ἅγιοι αὐτοῦ,
ὅτι οὐκ ἔστιν ὑστέρημα τοῖς φοβουμένοις αὐτόν.
Ps 34,11 Hier stehen zwei Personengruppen einander gegenüber, von welchen der Psalm spricht: Die einen, die Mangel leiden, und die anderen, die das nicht müssen. Die semantische Parallele zwischen den כפיריםund den דרשי יהוה des hebräischen Textes wird also durch dieses inhaltliche Gegenüber herbeigeführt, ohne dass beide Gruppen an sich schon einen selbstverständlichen Kontrast zueinander bildeten. Diesen Kontrast verstärkt die Übersetzung der Septuaginta, indem sie anstelle der כפיריםdas Wort πλούσιοι bietet, die dann eine den ἐκζητοῦντες τὸν κύριον gegenübertretende Personengruppe darstellen; eine Schnittmenge zwischen beiden kann es nicht geben. Πλούσιοι
ἐπτώχευσαν καὶ ἐπείνασαν,
οἱ δὲ ἐκζητοῦντες τὸν κύριον
οὐκ ἐλαττωθήσονται παντὸς ἀγαθοῦ.
[διάψαλμα.]
Deutlicher als in der Septuaginta beziehen sich in der hebräischen Bibel die Verben dieser Textstelle aufeinander: רשוund רעבוund יחסרוhaben alle die gleiche Personalendung der 3. Person Plural; allerdings stehen die beiden ersten Verben im Perfekt, während das dritte im Imperfekt steht. Dem trägt die Septuaginta Rechnung, indem sie auf die zwei Aoriste eine Futur-Form
Kriterien zur Feststellung der Versform
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folgen lässt. Wie רושqal, רעבqal und חסרqal im Hebräischen sind auch die griechischen Worte πτωχεύω, πεινάω und ἐλασσω semantisch eng miteinander verwandt. Die einzigen beiden von ihnen, die sonst noch einmal als Wortpaar begegnen, sind aber πεινάω und ἐλασσόω (1Sam 2,5). Zusätzlich besteht aber auch eine Parallele der b-Teile von V. 10 und V. 11 zueinander, denn eindeutig sagen die beiden Vershälften Gleiches aus; sie bilden eine semantische Parallele: V. 10b
ὅτι οὐκ ἔστιν ὑστέρημα
V. 11b
οἱ δὲ ἐκζητοῦντες τὸν κύριον
τοῖς φοβουμένοις αὐτόν οὐκ ἐλαττωθήσονται παντὸς ἀγαθοῦ
Es geht in beiden Teilen um dieselben Menschen, „die den Herrn Suchenden“ und „die ihn Fürchtenden“. Das Griechische drückt beides durch ein Partizip im Plural mit nachfolgendem Akkusativ-Objekt aus. Auch der hebräische Text hat hier zwei Partizipien. Das jeweils andere Glied der Vershälfte beschreibt in analoger Form, wie es diesen Menschen geht: sie werden keinen Mangel leiden. Den entsprechenden Ausdruck leitet die hebräische Bibel einmal mit איןund einmal mit לאein. Die Septuaginta benutzt hier zweimal οὐκ und macht in ihrem Wortlaut dadurch einen etwas stärker parallelen Eindruck auf die Lesenden. Ps 34,12 Inhaltlich gehören der Imperativ שמעו ליund das Imperfekt אלמדכםzusammen, denn das zweite umschreibt die Folge des ersten und der erste den Zweck des zweiten; Hören und Lehren sind komplementäre Verhaltensweisen, die sich aufeinander beziehen. In der Grammatik der Septuaginta tritt dieser inhaltliche Zusammenhang dadurch, dass auf beide Verben ein Personalpronomen folgt, noch etwas stärker zutage als im hebräischen Text, wo der Imperativ ein Pronomen und das Imperfekt ein Objektsuffix hat. Δεῦτε, τέκνα,
ἀκούσατέ μου·
φόβον κυρίου
διδάξω ὑμᾶς.
שמעqal und למדpi bilden an keiner weiteren Stelle der hebräischen Bibel eindeutig einen Parallelismus miteinander. Die Septuaginta kennt dagegen zwei Beispiele für die Parallele von ἀκούω und διδάσκω (Hiob 33,33; 42,4).
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Ps 34,13 In V. 13 liegt die stärkste Verbindung der Halbverse zwischen dem Ende der a-Hälfte und dem Anfang der b-Hälfte vor. Hier steht mit חפץ חייםund אהב ימיםim hebräischen Text jeweils ein Partizip qal maskulin Singular, gefolgt von einem Substantiv maskulin Plural. Dies kann die griechische Sprache nicht vollständig nachahmen, weil sie keine völlige Entsprechung zu den hebräischen חייםbilden kann sondern die ζωή nur im Singular kennt. Die parallele Verwendung von חפץqal und אהבqal findet sich auch in Ps 109,17. Τίς ἐστιν ἄνθρωπος ὁ
θέλων ζωήν ἀγαπῶν ἡμέρας
ἰδεῖν ἀγαθάς;
Der Parallelismus weist hier also wieder eine Treppenstufen-förmige Struktur auf, wobei die Halbverse am Ende der ersten und Anfang der zweiten zusammenhaften, während die übrigen Teile nicht streng aufeinander bezogen sind. Ps 34,14 Der Imperativ am Versbeginn bezieht sich auf beide Hälften. Semantisch gehören die menschlichen Sprechwerkzeuge, die im a-Teil und im b-Teil des Verses benannt werden, zusammen. Grammatisch kennzeichnet das in beiden Teilen gleiche hebräische Suffix bei לשונךund שפתיךsowie das zweimal verwendete griechische Personalpronomen σου sowohl die Zunge als auch die Lippen als diejenigen des Adressaten, an welchen der Imperativ sich wendet. Wovor er sich hüten soll, erfährt er in zwei parallelen Ausdrücken, die im hebräischen je mit dem Präfix מbeginnen. Schließlich korrespondieren die substantivisch gebrauchten Adjektive רעbzw. κακός in der ersten Vershälfte mit den Substantiven מרמהbzw. δόλος in der zweiten Vershälfte. Παῦσον
τὴν γλῶσσάν σου καὶ χείλη σου
ἀπὸ
κακοῦ
τοῦ μὴ λαλῆσαι δόλον.
Die Worte לשוןund ( שפהJes 30,27; 33,19; 59,3; Ps 12,4.5; 140,4; Hiob 27,4; Spr 12,19; 17,4; Hld 4,11) bzw. γλῶσσα und χεῖλος (Jes 59,3; Ψ 11,4.5; 139,4; Spr 12,19; 17,4; Hld 4,11) finden sowohl in der hebräischen Bibel als auch in der Septuaginta ausgesprochen häufig parallel zueinander Verwendung, so dass es sich hier eindeutig um beliebte Wortpaare handelt, die die parallele Wirkung der beiden Halbverse verstärken.
Kriterien zur Feststellung der Versform
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Ps 34,15 Hier handelt es sich um eine parataktische Reihe von vier Imperativen: –סור רדף – בקש –עשהbzw. ἔκκιλινον – ποίησον – ζήτησον – δίωξον. Der erste und zweite sowie der dritte und vierte Imperativ sind durch ein „und“ miteinander verbunden. Durch die Mittelstellung dieses verbindenden Gliedes ו bzw. καί bietet sich eine Einteilung an, bei der die Glieder der beiden Vershälften einander der Reihe nach entsprechen: das erste dem ersten, das zweite dem zweiten, das dritte dem dritten: Ἔκκιλινον ἀπὸ κακοῦ
καὶ
ποίησον ἀγαθόν,
ζήτησον εἰρήνην
καὶ
δίωξον αὐτήν.
Grundsätzlich stehen jedoch alle vier Imperative einander semantisch sehr nahe, so dass die Verben sich einander in allen möglichen Kombinationen zuordnen lassen. Bei keiner dieser sechs hebräischen und sechs griechischen Kombinations-Möglichkeiten ergibt sich jedoch ein Wortpaar, das auch sonst in der versförmigen Literatur häufig verwandt wird. Die einzige kleine Ausnahme hiervon stellt die Verbindung von ἐκκλίνω und ποιέω dar, die immerhin an zwei weiteren Stellen der Septuaginta auftaucht (Ψ 13,3; 52,4). In vergleichsweise größerem Umfang finden sich Parallelen, die die beiden substantivisch gebrauchten Adjektive im ersten und das Substantiv im zweiten Halbvers miteinander in Verbindung bringen: רעund ( טובSpr 14,22) sowie κακός und ἀγαθός (Spr 6,11; 11,27; 13,21; 14,22; 15,15; 17,20; Sir 11,25; 12,8.9; 39,27); außerdem טובund שלוםsowie ἀγαθός und εἰρήνη (jeweils Klgl 3,17). In der griechischen Übersetzung des Verses korrespondieren der zweite und der dritte Imperativ sowohl semantisch als auch grammatisch besonders eng miteinander, denn anders als das erste und das vierte haben hier die beiden Verben als Akkusativobjekt ein Substantiv bei sich. Während in der Septuaginta die grammatische Nähe stärker ins Auge fällt, ist es im hebräischen Text die semantische Nähe zwischen dem zweiten und dritten Imperativ. Die Aufforderungen עשה טובund בקש שלוםkönnen hier nahezu als synonym gelten; der טובentspricht dem שלוםin größerem Maße als im Griechischen der ἀγαθός der εἰρήνη. Diese Beobachtungen ermöglichen schließlich auch eine solche Zuordnung zwischen erster und zweiter Vershälfte, bei der die Verbindung des letzten Gliedes im ersten Halbvers mit dem ersten Glied im zweiten Halbvers stärker hervortritt: Ἔκκιλινον ἀπὸ κακοῦ ζήτησον εἰρήνην
καὶ
ποίησον ἀγαθόν,
καὶ
δίωξον αὐτήν.
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Ps 34,16 Beinahe jedes Glied des einen Halbverses findet eine genaue Entsprechung im anderen: Dies beginnt gleich mit dem sehr gebräuchlichen Wortpaar עין und 2) אזןKön 19,16; Jes 11,3; 32,3; 35,5; 37,17; 43,8; Ez 12,2; Ps 92,12; 94,9; Hiob 29,11; 2Chr 6,40; 7,15) bzw. ὀφθαλμός und οὖς (Jes 33,15; 35,5; 43,8; Jer 5,21; Ez 12,2; Ψ 91,12; 93,9; Hiob 29,11; Sir 16,5; 17,13). Wo die Septuaginta die beiden Präpositionen ἐπί und εἰς hat, steht im hebräischen Text zweimal אל, so dass die Parallele hier noch enger wirkt. An den Enden der beiden Vershälften treten noch die „Gerechten“ in eine Beziehung zu ihrem „Schreien“. Dem einzelnen Wort δικαίους muss die Septuaginta dabei den aus zwei Worten bestehenden Ausdruck δέησιν αὐτῶν gegenüberstellen, während der hebräische Text das possesive Verhältnis im zweiten Halbvers durch ein Suffix ausdrücken kann, so dass je nur ein Wort auf die Präposition folgt und die Ähnlichkeit der beiden Vershälften zueinander im Vergleich zur Septuaginta eine höhere ist. Allerdings wirkt sich am Beginn der Vershälften derselbe Effekt in genau umgekehrter Richtung aus: Hier entspricht dem Gottesnamen יהוהdes ersten Halbverses nur ein Suffix im zweiten, während das griechische κυρίου ein Pronomen als Gegenpart besitzt.
καὶ
Ὀφθαλμοὶ
κυρίου
ἐπὶ
δικαίους,
ὦτα
αὐτοῦ
εἰς
δέησιν αὐτῶν.
Ps 34,17 Sowohl im Griechischen als auch im Hebräischen enthält der b-Teil des Verses eine finale Infinitiv-Konstruktion. In beiden Teilen geht es um die Auseinandersetzung des Herrn mit denen, die Böses tun. Jedoch reichen diese Beobachtungen nicht aus, um einen Zusammenhalt zwischen beiden Halbversen zu konstituieren, der den Vers in unzweifelhafter Weise von einer prosaischen Aussage unterscheiden würde. Πρόσωπον δὲ κυρίου ἐπὶ ποιοῦντας κακὰ τοῦ ἐξολεθρεῦσαι ἐκ γῆς τὸ μνημόσυνον αὐτῶν.
Ps 34,18 Auf das Schreien der Menschen folgt das Hören des Herrn. Dieser ersten Aussage entspricht die zweite: dass er sie aus ihren Bedrängnissen errettet. Damit sind a-Teil und b-Teil des Verses umrissen:
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Kriterien zur Feststellung der Versform
Ἐκέκραξαν οἱ δίκαιοι, καὶ ὁ κύριος
εἰσήκουσεν αὐτῶν
καὶ ἐκ πασῶν τῶν θλίψεων αὐτῶν
ἐρρύσατο αὐτούς.
Innerhalb der ersten Vershälfte gibt es – besonders deutlich in der Septuaginta, die das Subjekt οἱ δίκαιοι gegenüber dem hebräischen Text ergänzt – zwei eigenständige Aussagen, die sich auch in einem EntsprechungsVerhältnis zueinander befinden: ἐκέκραξαν οἱ δίκαιοι und ὁ κύριος εἰσήκουσεν [αὐτῶν]. Subjekt und Prädikat korrespondieren hier je miteinander. Anders als das hebräische Paar צעקqal und שמעqal kommt das griechische Wortpaar ἐκκράζω und εἰσακούω an einigen weiteren Stellen versförmiger Texte vor (Ψ 16,6; 54,17; 85,7; 119,1). Mindestens ebenso eng gehören aber auch die Enden der beiden Vershälften zusammen, die jeweils das helfende Handeln des Herrn thematisieren. Wo sich im Hebräischen zwei Verben finden, von denen das zweite sein Objekt durch ein Suffix angibt, steht im Griechischen je ein Pronomen bei den Verbformen: שמעund הצילםbzw. εἰσήκουσεν αὐτῶν und ἐρρύσατο αὐτούς. Wieder ist die Entsprechung damit im Text der Septuaginta deutlicher erkennbar. Das gleiche inhaltliche Schema wie in V. 18 liegt darüber hinaus auch den Versen 5 und 7 zugrunde: Die um Hilfe rufenden Frommen – der sie erhörende Herr – und schließlich die Rettung aus allen Bedrängnissen. Somit wollen die drei Verse gemeinsam betrachtet werden: V. 5a V. 7a
οὗτος ὁ πτωχὸς
V. 18a
ἐκέκραξαν
ἐξεζήτησα
τὸν κύριον,
καὶ
ἐπήκουσέν με
ἐκέκραξεν,
καὶ
ὁ κύριος
εἰσήκουσεν αὐτοῦ
οἱ δίκαιοι,
καὶ
ὁ κύριος
εἰσήκουσεν αὐτῶν
V. 5b
καὶ
ἐκ πασῶν τῶν παροικιῶν μου
ἐρρύσατό με
V. 7b
καὶ
ἐκ πασῶν τῶν θλίψεων αὐτοῦ
ἔσωσεν αὐτόν
V. 18b
καὶ
ἐκ πασῶν τῶν θλίψεων αὐτῶν
ἐρρύσατο αὐτούς
Die sich ergebenden Wortpaare haben andernorts keine weiteren Parallelen. Besonders ausgeprägt ist dennoch die Parallele in den b-Teilen der Verse, denn hier entsprechen einander die Vershälften sogar Wort für Wort. Und wieder besteht somit ein klarer Parallelismus innerhalb des Textes, der sich weit über die Grenzen eines einzelnen Verses hinaus erstreckt.
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Ps 34,19 Zuerst fällt die Ähnlichkeit der beiden Objekt-Konstruktionen auf. Die Grammatik des griechischen Textes verhält sich hier analog zu der des hebräischen Textes: Die Menschen, an welchen der Herr handelt, werden im a-Teil des Verses durch ein Partizip Maskulinum Plural und im b-Teil durch ein Adjektiv Maskulinum Plural beschrieben. Sowohl auf das Partizip als auch auf das Adjektiv folgt dann ein Objekt im Singular. Und diese beiden Objekte wiederum bezeichnen wichtige anthropologische Grunddimensionen und bilden somit gängige Wortpaare: לבund ( רוחPs 51,12.19; 143,4; Hiob 34,14; Spr 17,22) bzw. καρδία und πνεῦμα (Ψ 50,12.19; 77,7; 142,4). Damit stehen die beiden Ausdrücke als ganze in einer gut erkennbaren Parallele zueinander. Ἐγγὺς
κύριος καὶ
τοῖς συντετριμμένοις τὴν καρδίαν τοὺς ταπεινοὺς τῷ πνεύματι
σώσει.
Auf semantischer Ebene entspricht aber auch die ganze Aussage des a-Teils der des b-Teils. Weil es sich sowohl in der Septuaginta als auch im hebräischen Text in der a-Hälfte um einen Nominalsatz handelt, der ein Adjektiv als Prädikat besitzt,28 während das Prädikat der b-Hälfte in einem Verb besteht, treten die beiden Prädikate in Beziehung zueinander, obwohl hier verschiedene Wortarten Verwendung finden: קרובund יושיעbzw. ἐγγύς und σώσει. Auf diese Weise korrespondieren das erste und das letzte Wort des ganzen Verses miteinander und verbinden so seinen Anfang mit dem Ende. Ps 34,20 Indem der Vers die Bedrängnis des Gerechten und das helfende Eingreifen des Herrn thematisiert, liegt er inhaltlich ganz auf der Linie des unmittelbar Vorangegangenen. Auch lässt der Vers sich gut in zwei Hälften einteilen, wobei וbzw. καί wie so oft den Beginn der zweiten Vershälfte markiert. Πολλαὶ αἱ θλίψεις τῶν δικαίων, καὶ ἐκ πασῶν αὐτῶν ῥύσεται αὐτούς.
Dennoch ist es nicht möglich, den Vers für sich betrachtet aufgrund eines beobachtbaren Parallelismus eindeutig als versförmig zu klassifizieren, weil
28
Das hebräische קרובlässt sich auch als Partizip interpretieren. Dies ändert jedoch nichts an der nominalen Struktur des Satzes.
Kriterien zur Feststellung der Versform
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die Verbindungen zwischen der a- und der b-Hälfte nicht über das auch in der Prosa anzutreffende Maß hinausreichen.29 Was aber auffällt, ist die Ähnlichkeit – insbesondere in der SeptuagintaVersion – der zweiten Hälfte von V. 20 zu den b-Teilen der Verse 5, 7 und 18. Das Wort αὐτῶν bezieht sich ja auf die im vorangehenden Halbvers angesprochenen θλίψεις des Gerechten, die auch schon in den Versen 7 und 18 des Psalms begegneten. V. 5b
καὶ ἐκ πασῶν
τῶν παροικιῶν μου
ἐρρύσατό με
V. 7b
καὶ ἐκ πασῶν
τῶν θλίψεων αὐτοῦ
ἔσωσεν αὐτόν
V. 18b
καὶ ἐκ πασῶν
τῶν θλίψεων αὐτῶν
ἐρρύσατο αὐτούς
V. 20b
καὶ ἐκ πασῶν
αὐτῶν
ῥύσεται αὐτούς
Es handelt sich hier also offenbar um ein zentrales Motiv des Texts, welches immer wieder auftritt und durch die Gleichförmigkeit der Formulierung einen starken Zusammenhalt über den gesamten Psalm hinweg herbeiführt. Ps 34,21 Hier beziehen sich die Glieder der Halbverse kreuzweise aufeinander. Die עצמותbzw. ὀστᾶ vom Ende der ersten Vershälfte begegnen am Beginn der zweiten wieder: אחת מהנהbzw. ἕν ἐξ αὐτῶν. Was mit diesen Knochen positiv und negativ passiert, geben die beiden Verbformen an, die auf diese Weise zusammengehören. Κύριος
φυλάσσει ἕν ἐξ αὐτῶν
πάντα τὰ ὀστᾶ αὐτῶν, οὐ συντριβήσεται.
Daneben gibt es auch eine semantische Parallele zwischen dem Schluss von V. 20b und dem Beginn von V. 21a, denn die Aussagen ( יצילנו יהוהV. 20b) und ( שמרV. 21a) weisen inhaltlich in dieselbe Richtung; das Bezeichnende wechselt, das Bezeichnete bleibt gleich. Dasselbe gilt im Griechischen für 29 Im hebräischen Text begründet das Gegenüber der Worte צדיקund יהוהmöglicherweise einen leichten Zusammenhalt zwischen den Vershälften, obgleich diese Worte nirgends sonst als festes Paar begegnen. Im Septuaginta-Text – nach der Ausgabe von A. Rahlfs – mit seiner gegenüber dem Wortlaut sekundären Verseinteilung ist diese Beziehung gar nicht möglich, weil hier das Wort κύριος schon dem folgenden Vers (V. 21) angehört. Der Vergleich mit der hebräischen Vorlage in ihrer akrostischen Struktur belegt dabei jedoch, dass das Element κύριος ursprünglich zum vorausgehenden Vers, d.h. dem späteren V. 20, gezählt werden will.
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
die Aussagen ῥύσεται αὐτούς und κύριος φυλάσσει. Die entsprechenden Verben נצלhif und שמרqal (Ps 25,20; 97,10) bzw. ῥύομαι und φυλάσσω (2Sam 22,44; Ψ 24,20; 96,10) finden mehrfach als Wortpaare Verwendung. Ps 34,22 Der erste Halbvers ist im Septuaginta-Text grammatisch nicht ganz klar. Es handelt sich um einen Nominalsatz, der die beiden Nominative θάνατος und πονηρός enthält, welche jeweils sowohl die Rolle des Subjekts als auch diejenige des Prädikats einnehmen können. Hier das Wort πονηρός als Prädikat und damit den θάνατος als grammatisches Subjekt aufzufassen, würde jedoch der Diktion des Kontextes widersprechen. Folglich ist es weitaus wahrscheinlicher, dass hier θάνατος als Prädikat und πονηρός als Subjekt verstanden werden will. Dem entspricht auch die in dieser Frage eindeutigere Grammatik des hebräischen Textes: Das schlechte Tun des Sünders bewirkt ihm den Tod. Diese Überlegungen sind deshalb wichtig, weil nun zu diesem nominalen Prädikat des ersten Halbverses das Prädikat des zweiten Halbverses in Beziehung tritt. Daneben handelt es sich bei den Menschen, die mit den Worten רשעund שנאי צדיקbeschrieben werden, um dieselbe Gruppe, so dass sich eine semantische Parallele ergibt. Deutlicher noch kommt in der Septuaginta-Version des Textes an diesem Punkt ein Entsprechungsverhältnis zustande, da hier sowohl die ἁμαρτωλοί als auch die μισοῦντες τὸν δίκαιον im Plural stehen. Es ergibt sich so die folgende Struktur des Verses: Θάνατος καὶ
οἱ μισοῦντες τὸν δίκαιον
ἁμαρτωλῶν
πονηρός,
πλημμελήσουσιν.
Ps 34,23 Auch in V. 23 signalisiert וbzw. καί den Beginn der zweiten Vershälfte. Wie in V. 22 begegnet auch hier in beiden Hälften dieselbe Menschengruppe; allerdings geht es nun um diejenigen, die nicht in einem schlechten sondern in einem guten Verhältnis zum Herrn stehen: die δούλοι αὐτοῦ bzw. πάντες οἱ ἐλπίζοντες ἐπ' αὐτόν. Hebräisch: עבדיוbzw. כל החסים בו. Was mit diesen Menschen passiert, drückt der a-Teil des Verses positiv und der b-Teil negativ aus. Graphisch stellt sich das Verhältnis zwischen den Halbversen damit folgendermaßen dar: Λυτρώσεται καὶ
οὐ μὴ πλημμελήσωσιν
κύριος
ψυχὰς δούλων αὐτοῦ, πάντες οἱ ἐλπίζοντες ἐπ' αὐτόν.
Kriterien zur Feststellung der Versform
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κύριος bzw. יהוהals das logische Subjekt beider Halbverse bleibt deshalb isoliert, weil sich zu ihm keine durch ein Wort vertretene Entsprechung im b-Teil des Verses findet. Inhaltlich kann der gesamte V. 23 als spiegelbildliches Gegenüber zu V. 22 aufgefasst werden. Dort geht es um die Menschen, die sich dem Herrn entgegenstellen, hier dagegen um diejenigen, die sich zu ihm halten. Ihr unterschiedliches Schicksal drückt die zweimalige Verwendung der Vokabel אשםqal bzw. πλημμελέω jeweils in den b-Teilen der beiden Verse aus. So liegt nicht nur versintern je ein Parallelismus vor, sondern die Verse 22 und 23 bilden auch miteinander einen versübergreifenden Parallelismus: V. 22a
θάνατος
V. 23a
λυτρώσεται
V. 22b
καὶ
V. 23b
ἁμαρτωλων κύριος
οἱ μισοῦντες τὸν δίκαιον οὐ μὴ πλημμελήσωσιν
πονηρός ψυχὰς δούλων αὐτοῦ πλημμελήσουσιν πάντες οἱ ελπίζοντες ἐπ' αὐτόν
Zwischenergebnis Die Analyse von Ps 34 hat damit einige Ergebnisse zutage gefördert, die sich auch dort als nützlich erweisen können, wo neutestamentliche Texte auf ihren vers- oder prosaförmigen Charakter hin untersucht werden sollen: Erstens: Wo der Parallelismus als ein Korrespondenzverhältnis zweier Halbverse zueinander sich beobachten und beschreiben lässt, zeigt sich eine große Vielfalt von Entsprechungs-Mustern. Die Art und Weise, wie die beiden Teile eines Verses zueinander in Beziehung stehen, ist zu komplex, als dass sie sich mit den drei klassischen Kategorien „synonym“, „antithetisch“ und „sythetisch“ adäquat fassen ließe. Auch finden sich im Text keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Verse von sich aus als einer der drei genannten Kategorien zugehörig verstanden werden wollen.30 Des Weiteren ist der Gegensatz von „synthetisch“ und „antithetisch“ deshalb problematisch, weil eine grammatische Antithese in sehr vielen Fällen eine semantische Synthese bedeutet, nämlich dann, wenn der b-Teil des Verses die Kehrseite derselben Medaille beschreibt, welche auch der a-Teil behandelt (z.B. VV. 6.11.21 sowie der Parallelismus zwischen den Versen 22 und 23). 30
So auch J.P. FOKKELMAN, Poetry, 26; F. LANDY, Poetics, 65; P.D. MILLER, Search, 101; TH.H. ROBINSON, Principles, 446. Vgl. hierzu auch F. LANDY, Poetics, 62–63. Zu den verschiedenen Formen, die der Parallelismus annehmen kann vgl. auch die graphischen Umsetzungen bei W.G.E. WATSON, Poetry, 150.208.211. Obwohl Watson die verschiedenen Formen, die er beobachtet, in unterschiedliche Kategorien einsortiert, die sich m.E. von den Texten her nicht nahe legen, können seine Untersuchungen doch treffend die Vielgestalt des Parallelismus illustrieren.
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Zweitens: Die beobachtbaren Parallelismen beschränken sich nicht auf Entsprechungen innerhalb eines einzigen Verses. Mehrfach besitzen Verse oder Versteile enge Verbindungen zu Teilen des Psalms, die über die Versgrenze und auch über den ganz unmittelbaren Kontext hinausreichen (z.B. VV. 5.7.18.20; VV. 20.21; VV. 22.23).31 Drittens: Durch die Übersetzung des hebräischen Textes ins Griechische der Septuaginta wird der Parallelismus mitunter verstärkt (z.B. VV. 9.18.22), mitunter auch abgeschwächt (z.B. VV. 13.16). Eine einseitige Tendenz lässt sich nicht feststellen. Viertens: Zwar lassen sich alle Verse des untersuchten Psalms ohne Mühe in zwei Vershälften unterteilen,32 doch mitunter lässt sich die Verbindung, die zwischen diesen beiden Hälften besteht, analytisch nur schwer oder gar nicht ausreichend erfassen (z.B. VV. 6.8.12.17.20).33 Manche Verse fallen in eine Grauzone, bei der ein Ermessensspielraum offen bleibt. In diesen Fällen erlaubt das der Analyse zur Verfügung stehende Instrumentarium es nicht, den Vers – je für sich betrachtet – unzweideutig als Parallelismus zu erweisen und ihn auf diese Weise klar von der Prosa zu unterscheiden.34 Die Behauptung, Psalm 34 sei durchgängig vom Parallelismus strukturiert, kann daher keine uneingeschränkte Gültigkeit für sich beanspruchen, denn nicht alle Verse weisen ein deutliches Entsprechungsverhältnis der beiden Halbverse auf. Und trotzdem zeigt der akrostische Aufbau des Psalms, dass auch dort Verse vorliegen, wo der Parallelismus sich 31 Vgl. hierzu auch K. SEYBOLD, Psalmen, 89. Seybold umreißt kurz den Facettenreichtum des Parallelismus. Vgl. hierzu z.B. auch J.P. FOKKELMAN, Poetry, 84; TH.H. ROBINSON, Hebrew Poetic Form, 136. Diese Beobachtung bestätigt mich darin, mich von der klassischen und nach wie vor in der Exegese häufig verwendeten Bezeichnung „Parallelismus Membrorum“ zu verabschieden. Denn diese Bezeichnung des „Parallelismus Membrorum“ als Parallelismus der Glieder (=Halbverse) verleitet zu der irrigen Annahme, einzig die zwei Teile eines Verses stünden in paralleler Beziehung zueinander. 32 Einen halben Parallelismus, bei dem ein Halbvers ohne Entsprechung durch einen weiteren Halbvers bliebe gibt es – zumindest in Ψ 33 – folglich nicht. Diese Tatsache kann bei der Anwendung des Kontext-Kriteriums (s.u.) relevant werden, wo dies als Negativ-Kriterium Verwendung findet und gegebenenfalls eine Sequenz, deren Vokabular oder Stil möglicherweise für eine versförmige Struktur sprächen, aufgrund des Fehlens eines zweiten Halbverses als nichtversförmig einstufen muss. 33 Während in manchen Versen jedes Glied des a-Teils ein offenkundig korrespondierendes Glied im b-Teil besitzt, lässt sich mitunter auch nur die Entsprechung eines einzelnen Gliedes des a-Teils mit einem einzelnen Glied des b-Teils aufweisen (so auch J.P. FOKKELMAN, Poetry, 62). Und vereinzelt tritt der Fall ein, dass ein solcher Zusammenhalt zwischen bestimmten Gliedern im a- und b-Teil eines Verses sich analytisch gar nicht ausmachen lässt. Vgl. hierzu auch F. LANDY, Poetics, 64, der annimmt, dass manche Psalmen von der Figur des Parallelismus überhaupt keinen Gebrauch machen. Ich beschränke mich aus der Perspektive der Rezipientinnen und Rezipienten dagegen lieber auf die Feststellung, dass der Parallelismus sich in manchen Abschnitten des Psalters analytisch nicht feststellen lässt. 34 Aus der Sicht der Leserschaft formuliert: Für sich allein betrachtet geben sich nicht alle Verse von Psalm 34 ihrer Leserschaft unzweideutig als versförmige Textsequenzen zu erkennen.
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analytisch nicht fassen lässt. Deshalb bedarf es für die Unterscheidung zwischen Vers und Prosa weiterer Kriterien. Würde das Kriterium „Parallelismus“ das einzige bleiben, dann ließen sich nur gut ¾ von Psalm 34 durch die Lesenden als versförmig begreifen. So reicht das ParallelismusKriterium alleine nicht aus, um von der Perspektive der Lesenden her eine wirklich präzise Einteilung eines Textes in versförmige und prosaförmige Abschnitte vorzunehmen.35 1.1.2 Charakteristisches Vokabular Versförmige Schriften bedienen sich in der hebräischen Bibel bzw. in der Septuaginta nicht nur einer spezifischen Stilistik sondern darüber hinaus auch eines spezifischen Vokabulars. Und die mathematische Methode der Lexikostatistik36 erlaubt es, dieses charakteristische Vokabular zu erheben.37 Zuvor stellt sich die Frage, ob der hebräische Bibeltext oder aber die Septuaginta dieser lexikostatistischen Untersuchung zugrunde liegen soll. Die Analyse dient ja dem Zweck, anschließend anhand des charakteristischen Vokabulars neutestamentliche Texte des Lukasevangeliums auf deren
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Auch noch aus einem weiteren Grunde lässt das Parallelismus-Kriterium für sich genommen keine präzise Unterscheidung von Vers und Prosa zu: denn mitunter kennt die hebräische Bibel auch parallele Wendungen innerhalb narrativer Abschnitte. Einige Beispiele aus der AbrahamErzählung seien hier nach der LXX zitiert: Ȟռ ԤIJijȧ Ȟչȥș Ԑȟո ȞջIJȡȟ ԚȞȡ ףȜįվ IJȡ ף/ Ȝįվ Ԑȟո ȞջIJȡȟ ijȟ ʍȡțȞջȟȧȟ ȞȡȤ / Ȝįվ Ԑȟո ȞջIJȡȟ ijȟ ʍȡțȞջȟȧȟ IJȡȤ (Gen 13,8). ıԼ IJւ ıԼȣ ԐȢțIJijıȢչ, Ԛȗք ıԼȣ İıȠțչǝ / ıԼ İպ IJւ ıԼȣ İıȠțչ, Ԛȗք ıԼȣ ԐȢțIJijıȢչ (13,9). ıԼ ij ԛȜįijȡȟijįıijı הȗıȟսIJıijįț, / Ȝįվ ıԼ ȉįȢȢį ԚȟıȟսȜȡȟijį Ԛijȟ ȡ՞IJį ijջȠıijįț; (17,17). ȡȜ įijցȣ Ȟȡț ıՂʍıȟ ԘİıȝĴս Ȟȡփ ԚIJijțȟ; / Ȝįվ įijս Ȟȡț ıՂʍıȟ ԘİıȝĴցȣ Ȟȡփ ԚIJijțȟ (20,5). Ȝįվ ȜփȢțȡȣ ԚʍıIJȜջȦįijȡ ijռȟ ȉįȢȢįȟ, ȜįȚո ıՂʍıȟ, / Ȝįվ ԚʍȡտșIJıȟ ȜփȢțȡȣ ij ׇȉįȢȢį, ȜįȚո ԚȝչȝșIJıȟ (21,1). Ȟռ ԚʍțȖչȝׄȣ ijռȟ ȥıהʍչ IJȡȤ Ԛʍվ ijր ʍįțİչȢțȡȟ / Ȟșİպ ʍȡțսIJׄȣ įij Ȟșİջȟ (22,12). թȣ ijȡւȣ ԐIJijջȢįȣ ijȡ ףȡȢįȟȡ ף/ Ȝįվ թȣ ijռȟ ԔȞȞȡȟ ijռȟ ʍįȢո ijր ȥıהȝȡȣ ij׆ȣ ȚįȝȝչIJIJșȣ (22,17). Dies gilt freilich nur unter der apriorischen Annahme, dass die ideale Leserschaft innerhalb eines narrativ-prosaischen Kontextes wahrscheinlich nicht eine einzelne parallele Wendung als versförmig wahrnimmt. 36 Vgl. hierzu insbes. CH. MULLER, Sprachstatistik, pass. 37 Es existieren bereits vielfältige sprachstatistische Untersuchungen, die in antiken Quellen die relativen Häufigkeiten des Gebrauchs von Vokabeln bzw. Wendungen oder anderer sprachlicher Phänomene messen und auf dieser Basis den Grad der Nähe der unterschiedlichen Quellen zueinander angeben können; so z.B. in der Chronologie der Dialoge Platons (L. BRANDWOOD, Stylometry, pass.) oder – neutestamentlich-exegetisch – in der Verhältnisbestimmung der Pastoralbriefe zu den genuinen Paulusbriefen (K. GREYSTON/G. HERDAN, Authorship, pass.; P.N. HARRISON, Problem, pass.) und in der Diskussion des Wortlauts von Q (Th. BERGEMANN, Q, 61–73; J. FRIEDRICH, Gott, insbes. 9–13; U. WEGNER, Hauptmann, 91–102). Mein hier dargestelltes Verfahren ist ähnlich insofern, dass es auch mit relativen Häufigkeiten arbeitet, unterscheidet sich aber von den genannten Ansätzen insofern, dass hier zwei Textkorpora miteinander verglichen werden, um zu Aussagen über das charakteristische Vokabular eines Textabschnitts zu gelangen.
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Charakter hin zu befragen. Deswegen stellt die Septuaginta eine für dieses Ziel sinnvollere textliche Basis dar.38 Als Grundlage für diese Berechnung bedarf es natürlich eines klar umrissenen Korpus von Schriften, d.h. es muss bereits vor der Berechnung eine Einteilung der biblischen Schriften in Vers und Prosa geschehen, und damit ist hier die Gefahr eines Zirkelschlusses gegeben. Denn selbstverständlich werden die Ergebnisse trivial, wenn das auf diese Weise festgestellte charakteristische Vokabular anschließend dazu dienen soll, Schriften auf ihren vers- oder prosaförmigen Charakter hin zu untersuchen, die ja bereits im Vorhinein der einen oder anderen Gruppe zugezählt werden mussten. Um die Gefahr des Zirkelschlusses zu minimieren, sollen die einzelnen biblischen Schriften nur je als Ganze in die eine oder andere Kategorie gerechnet werden, so dass sich für die Menge der versförmigen Schriften eine Gruppe ergibt, deren versförmiger Charakter in der Forschung deshalb unumstritten ist, weil sie sich aufs Ganze gesehen durch das ParallelismusKriterium als versförmig erweisen. Es kann kein Zweifel bestehen, dass auch außerhalb dieser Schriften, die als Ganze der Versform angehören, in der Septuaginta versförmige Abschnitte existieren: Das Loblied Israels nach dem Durchzug durchs Schilfmeer (Ex 15), das Deboralied (Ri 5), Davids Lob Gottes (2Sam 22 LXX), das Gebet Jonas (Jon 2), etc.39 Ebenso beinhalten auch die vorwiegend versförmigen Schriften mitunter prosaische Abschnitte (wie z.B. der Rahmen des Hiob-Buchs). Doch mit dem Einbezug auch kleinerer Abschnitte und einer apriorischen Unterscheidung über deren vers- oder prosaförmigen Charakter würde ein vergleichsweise größeres subjektives Moment Einzug erhalten und die Gefahr einer selektiven Auswahl bestehen, was dann wiederum bei der Anwendung des aus diesen Texten erhobenen charakteristischen Vokabulars zur Unterscheidung von Vers und Prosa in neutestamentlichen Abschnitten einen Zirkelschluss nach sich zöge. Deswegen müssen diese Abschnitte für die folgende Analyse unberücksichtigt bleiben. Aufgrund des großen Umfangs der Septuaginta werden sie nicht zu stark ins Gewicht fallen und dürfen daher vernachlässigt werden. Infolge dieser Überlegungen lassen sich – mathematisch gesprochen – die folgenden drei Mengen bilden: Zunächst die Menge LXX, zu der der gesamte Text der Septuaginta gehört. Als zweites die Menge Vers, zu der der Text der neun versförmigen Schriften der Septuaginta zählt, nämlich Ps,
38 In der Einleitung zu Punkt 1.1 habe ich in diesem Zusammenhang die folgenden drei Argumente zugunsten des Septuaginta-Textes angeführt: 1. Die gleiche griechische Sprache von LXX und NT; 2. Der an den Zitaten ablesbare Einfluss der LXX auf die Entstehung des NT; und 3. Die hellenistische Adressatenschaft des Lukasevangeliums. 39 Vgl. J.P. FOKKELMAN, Poetry, 2; N.D. FREEDMAN, Pottery, 18.
Kriterien zur Feststellung der Versform
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Spr, Koh40, Hld, Hiob, Weish, Sir, PsSal und Klgl. Die Oden (Od) müssen ganz außenvor bleiben: Da sie spät entstanden sind und Teile von Lk 1–2 beinhalten, dürfen sie zur Vermeidung eines weiteren Zirkelschlusses nicht in die Analyse einbezogen werden. Schließlich gibt es dann noch die Menge S = LXX\Vers, die den Text aller nicht-versförmigen Schriften umfasst. Mathematisch ausgedrückt: LXX = {Gen, Ex, Lev, Num, Dtn, Jos, Ri, Rut, 1Sam, 2Sam, 1Kön, 2Kön, 1Chr, 2Chr, Esr, Neh, Est, Jdt, Tob, 1Makk, 2Makk, 3Makk, 4Makk, Ps, Spr, Koh, Hld, Hiob, Weish, Sir, PsSal, Hos, Am, Jo, Obd, Jon, Mi, Nah, Hab, Zef, Hag, Sach, Mal, Jes, Jer, Bar, Klgl, EpJer, Ez, Sus, Dan, Bel} Vers = {Ps, Spr, Koh, Hld, Hiob, Weish, Sir, PsSal, Klgl} S = {Gen, Ex, Lev, Num, Dtn, Jos, Ri, Rut, 1Sam, 2Sam, 1Kön, 2Kön, 1Chr, 2Chr, Esr, Neh, Est, Jdt, Tob, 1Makk, 2Makk, 3Makk, 4Makk, Hos, Am, Jo, Obd, Jon, Mi, Nah, Hab, Zef, Hag, Sach, Mal, Jes, Jer, Bar, EpJer, Ez, Sus, Dan, Bel} Nicht alle der in der Menge Vers erfassten Schriften besitzen jedoch für die Entstehung des Neuen Testaments die gleiche Wichtigkeit; die Psalmen spielen im Neuen Testament eine vergleichsweise größere Rolle als zum Beispiel die Sprüche oder die Klagelieder. Messbar ist dies in der Anzahl von Zitaten aus versförmigen Schriften im Neuen Testament, an denen sich eine ganz klare Tendenz zugunsten der Psalmen ablesen lässt. Das Neue Testament beinhaltet Zitate aus ganz verschiedenen Bereichen der Septuaginta.41 Es lässt sich berechnen, in welcher Proportion die verschiedenen Schriften der Septuaginta, die den neutestamentlichen Texten als Quelle für ihre Zitate dienen, zueinander stehen. Das nachstehende Tortendiagramm veranschaulicht das Verhältnis der absoluten Werte: Sowohl im Neuen Testament als Ganzem als auch in den Kapiteln 3–24 des Lukasevangeliums stammen 24% aller Zitate aus den Psalmen, während andere versförmige Schriften nur selten als Quellen für Zitate dienen:
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Dagegen zählt E. KÖNIG (Poesie, 157) das Buch Qohelet unter die prosaischen Schriften der hebräischen Bibel. 41 E. BÖHL behandelt in seiner Untersuchung „Die alttestamentlichen Citate im Neuen Testament“ 275 neutestamentliche Stellen, an welchen die Schriften der hebräischen Bibel bzw. der Septuaginta zitiert werden (vgl. dort die Übersicht 345–351). Meine hier präsentierten Berechnungen folgen Böhls Aufstellung mit seiner Zuordnung der herkunftsorte dieser Zitate.
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Herkunftsorte der Zitate im NT gesamt (absolute Werte)
7 6
1
5 2
4
3
Herkunftsorte der Zitate in Lk 3–24 (absolute Werte)
6 1 5 4 3 Es bezeichnet in den Diagrammen: 1 2 3 4 5
den Pentateuch = {Gen; Ex; Lev; Num; Dtn} das Josuabuch, die Samuel- und Königebücher = {Jos; 1Sam; 2Sam; 1Kön; 2Kön} das Jesajabuch = Jes die weiteren großen Propheten = {Jer; Ez; Dan} das Zwölfprophetenbuch = {Hos; Jo; Am; Obd; Jon; Mi; Nah; Hab, Zef; Hag; Sach; Mal} 6 die Psalmen = Ps 7 die anderen versförmigen Schriften = {Spr; Koh; Hld; Hi; Weish; Sir; PsSal; Klgl}
N 124518 92619 27076 69390 23256 34965 63991
Dabei gibt der Wert N den Umfang der betreffenden Textgruppe in Worten an. Setzt man die absoluten Häufigkeits-Werte nun mit einer Division durch N in Relation zur Länge der zitierten
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Kriterien zur Feststellung der Versform
Schrift bzw. Schriften, ergibt sich ein interessantes Bild. Es verhält sich nämlich nicht so, dass umfangreiche Textteile der Septuaginta im Neuen Testament auch zwingend besonders häufig zitiert werden. Offenbar zitieren die neutestamentlichen Schriften beispielsweise Josua und die vier Königebücher sowie die großen Propheten Jeremia, Ezechiel und Daniel nur sehr selten, obwohl diese Textabschnitte in der Septuaginta einen breiten Raum einnehmen. Die Balkendiagramme verdeutlichen die Häufigkeit von Zitaten im Neuen Testament im Verhältnis zur Länge des zitierten Textabschnitts; lange Balken zeigen dabei an, dass der betreffende Textabschnitt relativ häufig in den neutestamentlichen Texten zitiert wird.
Häufig zitierte Schriften im NT gesamt 0,0025 0,002 0,0015 0,001 0,0005 0 1
2
3
4
5
6
7
Häufig zitierte Schriften in Lk 3–24 0,00016 0,00014 0,00012 0,0001 0,00008 0,00006 0,00004 0,00002 0 1
3
4
5
6
Es zeigt sich, dass sowohl das Neue Testament insgesamt als auch das Lukasevangelium als dessen Teilbereich die Psalmen und das Jesajabuch – gemessen am Umfang dieser Schriften –
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
besonders gerne zitieren.42 Die beiden ersten Kapitel des Lukasevangeliums sind für die Erstellung der beiden Diagramme zu den Zitaten im Lukasevangelium außer acht geblieben, da der weitere Verlauf des Kapitels ja Kriterien erarbeiten soll, welche zur Identifikation von Zitaten in Lk 1–2 dienen können. Ein Zirkelschluss wird auf diese Weise vermieden.43
Weil also die Psalmen im Neuen Testament deutlich stärker rezipiert werden als die anderen versförmigen Schriften der Septuaginta, muss das Vokabular der Psalmen in der folgenden Analyse stärker Berücksichtigung finden als das der weiteren versförmigen Schriften.44 In diesem Zusammenhang der Erhebung eines charakteristischen Vokabulars interessieren zu jeder in den Psalmen vorkommenden Vokabel vor allem zwei Informationen. Erstens: Wie häufig kommt diese Vokabel in den Psalmen vor? Und zweitens: Wie verhält sich ihre Häufigkeit in den Psalmen zu ihrer Häufigkeit in den nicht-versförmigen Schriften der Septuaginta? Um Antworten auf diese beiden Fragen zu erhalten bedarf es am Anfang zunächst einer schlichten Zählung. Doch diese kann erst dann beginnen, wenn klar ist, anhand von welcher Norm die Zählung vonstatten gehen soll. Der Einfachheit halber soll darum im Folgenden als ein Wort diejenige Einheit gelten, die sich innerhalb des Textes zwischen zwei Leerzeichen befindet. Die verschiedenen Wortarten, die zum selben Wortstamm gehören – wie Verbum, Substantiv und Adjektiv – werden als unterschiedliche Vokabeln behandelt. Gleiches gilt für die verschiedenen Bedeutungen von Homonymen, sofern das Lexikon diesen einen eigenen Eintrag zuerkennt. Auch Strukturwörter wie Artikel, Konjunktionen und Präpositionen sollen in der Zählung Berücksichtigung finden. Jedes der so definierten Worte, das im Text in einer flektierten Form vorliegt, lässt sich nun, so wie auch ein Lexikon seine Einträge sortiert, auf eine Grundform bringen; diejenigen Worte, die derselben Grundform angehören, gelten als Vertreter dieser Grundform als einer Vokabel des Textes.45 Die Summe aller Vokabeln bildet das Vokabular dieses Textes. Damit lässt sich nun zu jeder Vokabel x im Text der Psalmen eine absolute Häufigkeit a angeben. Der Wert a gibt also Auskunft darüber, wie oft 42
Vgl. hierzu ferner M. MEISER, Das Alte Testament, 191. Dennoch hätte auch der Einbezug derjenigen Zitate, die E. BÖHL (Citate, 345–351) in Lk 1– 2 ausmacht, keine signifikante Veränderung der Proportionen von verschiedenen im Lukasevangelium zitierten Schriftengruppen bewirkt. 44 Eine Liste charakteristischen Vokabulars der Psalmen in der LXX findet sich daher auszugsweise im Hauptteil dieser Arbeit, während die vollständige Liste sowie eine Liste mit charakteristischem Vokabular aller versförmigen Schriften der LXX im Anhang I folgt. 45 Konkret habe ich der Erhebung des charakteristischen Vokabulars von Psalmen und dem Schriftkorpus Vers aus praktischen Gründen das griechische Wörterbuch der Computersoftware Tnach zugrundegelegt. D.h: Als eigenständige Vokabeln gelten im Folgenden solche, die in dem genannten Wörterbuch eingetragen sind. Vgl. hierzu auch CH. MULLER, Sprachstatistik, 179–184. 43
45
Kriterien zur Feststellung der Versform
eine Vokabel in einem Textabschnitt vorkommt. Mathematisch bezeichnet dies die Variable aPs(x). Den entsprechenden Wert für die absolute Häufigkeit derselben Vokabel x in den nicht-versförmigen Schriften S gibt der Term aS(x) an. Diese absoluten Häufigkeiten können nun je zu der Länge des betreffenden Textes in Beziehung gebracht werden. Dies ist wichtig, um eine Vergleichbarkeit verschiedener Häufigkeits-Werte zu gewährleisten. Die Variable N bezeichnet die Anzahl der Wörter und damit den Umfang eines Textes. Wird die absolute Häufigkeit aPs(x) einer Vokabel durch den Umfang des betreffenden Textes NPs geteilt, so ergibt sich die relative Häufigkeit h der Vokabel x in dem Text Ps. Entsprechende Rechen-Operationen lassen sich wieder auch für jedes x in dem Text-Korpus S durchführen. Das heißt also: hPs ( x) =
aPs ( x) N Ps
hS ( x ) =
a S ( x) NS
Anhand eines Beispiels lässt dies sich veranschaulichen: Die Vokabel θεός kommt in den Psalmen 462mal vor. Ihre absolute Häufigkeit a beträgt also 462, d.h. aPs(θεός) = 462. Der Psalter umfasst in der Septuaginta 34965 Worte, daher gilt: NPs = 34965. Die relative Häufigkeit h der Vokabel θεός in den Psalmen der Septuaginta lässt sich nun durch eine Division ihrer absoluten Häufigkeit a durch die Gesamtlänge N des Psalters berechnen. Konkret: hPs(θεός) = aPs(θεός)/NPs = 462/34965 = 13,21‰. Das heißt: auf 1000 Worte der Psalmen in der Septuaginta kommt die Vokabel θεός im Schnitt 13,21mal vor. Unter zwei Bedingungen soll eine Vokabel im Folgenden nun als charakteristisch für den Text der Psalmen gelten, wenn nämlich erstens ihre absolute Häufigkeit mindestens 5 beträgt,46 und wenn zweitens ihre relative Häufigkeit die relative Häufigkeit derselben Vokabel innerhalb der nichtversförmigen Schriften S um mindestens den Faktor 2 übersteigt.47 Die letztgenannte Bedingung ist erfasst in der Ungleichung:
46 Die Grenze bei 5 ist willkürlich gewählt. Sie sorgt dafür, dass nicht Hapaxlegomena und andere selten auftretende Vokabeln infolge der Rechenoperationen den fälschlichen Eindruck erwecken, in den Psalmen besonders häufig vorzukommen. 47 CH. MULLER, Sprachstatistik, 243, geht in diesem Punkt anders vor. Er erhebt das charakteristische Vokabular allein aus einem einzigen vorliegenden Textkorpus und formuliert die folgende Bedingung: Als charakteristisch häufig gelten ihm solche Vokabeln, deren absolute Häufigkeit a die durchschnittliche Häufigkeit N/V um mindestens das zweifache Intervall der Standardabweichung σ übertrifft, wobei V den Umfang des Vokabulars bezeichnet, d.h. die Anzahl der verschiedenen im Text vorhandenen Vokabeln. Ich berechne in dieser Arbeit das charakteristische Vokabular auf andere Weise, da mir glücklicherweise zwei verschiedene Text-Korpora zur Verfügung stehen, die ich miteinander vergleichen kann. Die Gegenüberstellung einerseits der versförmigen
46
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
hPs ( x) ≥2 hS ( x )
Allerdings kann diese Berechnung nur für solche Vokabeln stattfinden, die nicht nur in den Psalmen sondern auch im Schrift-Korpus S Verwendung finden, wenn also gilt: a S ( x) ≥ 1 ⇔ x ∈ S
Anderenfalls ergäbe sich mit hS(x) = 0 im Nenner eine Division durch 0. Nun kann es jedoch durchaus solche Vokabeln geben, die häufig in den Psalmen begegnen, während sie in den nicht-versförmigen Schriften niemals vorkommen. Um solche Vokabeln nicht durch die Formulierung der Bedingung von der Erfassung auszuschließen, empfiehlt es sich, bei der Division der relativen Häufigkeiten mit dem äquivalenten Kehrwert zu operieren, d.h: hS ( x) ≤ 0,5 hPs ( x)
Diese Ungleichung können auch solche Vokabeln erfüllen, die ausschließlich in den Psalmen vorkommen. Es ergibt sich nun insgesamt die nachstehende Bedingung, die jede Vokabel x zu erfüllen hat, um als charakteristisch für den Wortschatz der Psalmen gelten zu können: a Ps ( x) ≥ 5 ∧
hS ( x ) ≤ 0,5 hPs ( x)
Diejenigen Vokabeln der Psalmen, für welche dies zutrifft, stehen im Anhang I dieser Arbeit in einer Liste; diese umgreift 366 Einträge.48 Die Angaben der relativen Häufigkeit zu jeder Vokabel und des Quotienten der relativen Häufigkeiten ermöglichen dabei eine Orientierung darüber, in welchem Maße eine Vokabel als charakteristisch für den Wortschatz der Psalmen anzusehen ist. Der Quotient hPs(x)/hS(x) gibt an, um welchen Faktor die relative Häufigkeit der Vokabel x in Ps die relative Häufigkeit dieser Vokabel im Schrift-Korpus S übersteigt. Wie bereits erwähnt lässt dieser Quotient sich für solche Vokabeln, die ausschließlich in den Psalmen vorund andererseits der prosaischen Schriften eliminiert in der Ergebnismenge solche Vokabeln, die in allen Schriften der Septuaginta gleichermaßen sehr häufig anzutreffen sind. 48 K. SEYBOLD (Psalmen, 49–51) bietet für den hebräischen Psalter ebenfalls eine Liste von Vokabeln, deren Vorkommen er als besonders häufig und daher als aussagekräftig betrachtet. Leider geht aus seinen Ausführungen nicht deutlich hervor, anhand welcher Bedingungen er das in der Liste aufgezählte Vokabular gewonnen hat.
Kriterien zur Feststellung der Versform
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kommen, nicht angeben. Die Liste kann sinnvoll entweder anhand der Größe hPs(x) oder anhand des Quotienten hPs(x)/hS(x) sortiert werden. An dieser Stelle seien nun nach beiden Sortierverfahren exemplarisch die je ersten 40 Vokabeln der Liste genannt:49
49
Bei allen Angaben verlasse ich mich auf die Werte, die ich mit Hilfe von Computersoftware errechnet habe: Die Zählung der Vokabeln in den unterschiedlichen Bereichen der LXX hat die Software Tnach besorgt. Dieses Programm besitzt den großen Vorteil, dass es in einem Suchvorgang alle Worte eines Textbereichs erfassen und die Treffer anschließend nach Vokabeln aufschlüsseln kann. Daher habe ich zu diesem Zweck genau dieses Programm und nicht eines der beiden in der wissenschaftlichen Exegese gängigen Bibelprogramme verwendet. Allerdings besteht der Nachteil von Tnach darin, dass diese Software in den Fällen nicht zu unterscheiden vermag, wo unterschiedliche Vokabeln gleiche Formen bilden. Das Wort ἀσεβῶν (Ψ 1,1) beispielsweise könnte sowohl eine Form des Verbs ἀσεβέω als auch des Adjektivs ἀσεβής sein. Tnach verbucht in solchen Fällen sowohl für das Verb als auch für das Adjektiv je einen Treffer. Folglich weichen die Treffer-Werte, die Tnach zählt, bisweilen leicht nach oben von der Anzahl der wirklichen Verwendungen einer Vokabel ab. Aus diesem Grunde habe ich zunächst auf der Basis der von Tnach gezählten Werte mit dem Programm MS Excel errechnet, auf welche der Vokabeln die beiden oben formulierten mathematischen Bedingungen zutreffen, und anschließend für alle Elemente der auf diesem Weg erhaltenen Liste einzeln mit der Software SESB nachgeprüft, ob die von Tnach gezählten Treffer-Werte stimmen, um diese gegebenenfalls nach unten zu korrigieren. Kleine Ungenauigkeiten lassen sich mit dieser Methode nicht völlig ausschließen; die 366 Vokabeln der Ergebnisliste dürfen m.E. jedoch durchaus als zuverlässiges charakteristisches Vokabular der Psalmen betrachtet werden.
48
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Ordnungskriterium: hPs(x) [in ‰] Nr. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40.
x ἐγώ σύ θεός ὅτι αἰών ψυχή καρδία ἔλεος ἐχθρός δικαιοσύνη ἀνομία οὐρανός γινώσκω τέλος εὐλογέω διάψαλμα ἐλπίζω ψαλμός ἐξομολογέω σῴζω ἀμαρτωλός ὡσεί τίθημι ῥύομαι στόμα φυλάσσω αἰνέω φοβέω ἀλήθεια γενεά ὑπέρ ἀγαλλιάω εὐφραίνω ὑψόω δόξα δοῦλος δίκαιος ἀγαπάω εἰσακούω κακός
ich du Gott dass Ewigkeit Seele Herz Erbarmen verfeindet Gerechtigkeit Gesetzlosigkeit Himmel erkennen Ende loben hoffen Psalm bekennen retten sündig wie setzen retten Mund bewachen loben fürchten Wahrheit Geschlecht über jubeln erfreuen erhöhen Glanz Knecht gerecht lieben hören schlecht
hPs(x) hS(x) hPs(x) [in ‰] 49,11 3,74 37,81 2,42 13,21 2,13 12,36 2,09 5,75 9,34 4,26 3,74 3,92 3,76 3,55 12,53 2,97 5,90 2,35 6,92 2,29 9,89 2,26 2,42 2,26 2,07 2,17 18,14 2,12 2,84 2,09 336,85 2,09 33,69 2,06 142,39 2,03 22,34 2,00 4,18 1,97 35,38 1,92 8,59 1,92 2,21 1,89 10,04 1,89 3,56 1,86 2,85 1,74 15,64 1,72 2,72 1,69 9,39 1,69 6,19 1,66 3,04 1,63 46,42 1,63 6,26 1,60 6,41 1,60 2,85 1,54 2,17 1,52 5,03 1,46 4,39 1,46 4,39 1,46 2,22
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Kriterien zur Feststellung der Versform
Ordnungskriterium: hPs(x) / hS(x) Nr. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40.
x ματαιότης λάρυγξ μεγαλοπέπεια ἀκακία ἐξαγγέλλω ἐντροπή στηλογραφία ἀκονάω φωτισμός διάψαλμα ἀλληλουιά ψαλμός διάβημα μελέτη ἀδολεσχέω χορτάζω ἀγαλλίασις ὑπερασπιστής ἀντιλήμπτωρ ἀνταναιρέω εὐδοκία ἐπελπίζω πεδάω χρηστότης ἐνδιαβάλλω ψάλλω εὐθύτης λόγιον δόλιος ἀγαλλιάω ἐξουδένωσις διαμένω ὅσιος ἀμαρτωλός ὁπότε ὡραιότης ὁδηγέω ἐλπίζω μελετάω ἐπανιστάνω
Eitelkeit Kehle Majestät Arglosigkeit weithinaus verkünden Beschämung Inschrift (auf einer Säule) schärfen Leuchten
Psalm Schritt Nachdenken nachsinnen sättigen Jubel Beschützer Beschützer zur Strafe wegnehmen guter Wille hoffen binden Güte widersetzen lobsingen Rechtschaffenheit Spruch heimtückisch jubeln Verachtung bleiben fromm sündig da Schönheit leiten hoffen sinnen auf aufstehen
hPs(x) [in ‰] 0,40 0,26 0,26 0,23 0,23 0,17 0,17 0,14 0,14 2,09 0,60 2,06 0,29 0,29 0,26 0,26 0,49 0,49 0,46 0,23 0,23 0,20 0,20 0,14 0,43 1,29 0,37 0,77 0,31 1,63 0,26 0,23 0,74 1,97 0,14 0,14 0,77 2,09 0,49 0,20
hPs(x) hS(x) ---------336,85 145,35 142,39 138,43 138,43 124,59 124,59 117,67 117,67 110,75 110,75 110,75 96,90 96,90 69,22 69,22 62,29 59,99 53,40 50,76 46,42 41,53 36,92 35,99 35,38 34,61 34,61 33,98 33,69 33,62 32,30
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Wie kann nun das soeben erhobene charakteristische Vokabular Anwendung für die Unterscheidung zwischen Vers und Prosa in Textabschnitten der Septuaginta finden? In einem Balkendiagramm lässt sich zunächst illustrieren, in welchem Umfang der Beispielpsalm Ψ 33 Vokabeln aus dieser Liste des charakteristischen Vokabulars beinhaltet. Jeder Halbvers ist dabei durch einen eigenen Balken vertreten; die Länge dieses Balkens gibt an, welcher Anteil der Gesamtzahl von Worten N dieses Halbverses aus charakteristischem Vokabular besteht:50
50 Bei diesem Verfahren, das lediglich die in einer Sequenz auftretenden charakteristischen Vokabeln zählt, werden alle dieser Vokabeln als gleichwertig behandelt, obwohl ja der Grad durchaus verschieden sein kann, zu dem eine bestimmte Vokabel als für den Sprachgebrauch der Psalmen charakteristisch anzusehen ist. Die Vokabel ἔλεος beispielsweise ist in den Psalmen mit der relativen Häufigkeit 3,09‰ vertreten und damit 12,49mal so häufig wie in den nichtversförmigen Schriften. Dagegen tritt die Vokabel γνῶσις in den Psalmen nur mit der relativen Häufigkeit 0,12‰ auf: 2,46mal so häufig wie in den nicht-versförmigen Abschnitten der Septuaginta. Es liegt auf der Hand, dass die Vokabel ἔλεος deswegen in einem weitaus höheren Maße als charakteristisch für den Wortschatz der Psalmen gelten kann als die Vokabel γνῶσις. Ein mathematisches Verfahren, das für alle Elemente des charakteristischen Vokabulars einen Koeffizienten aus hPs(x) und der Relation hPs(x)/hS(x) bildet, könnte den beschriebenen qualitativen Unterschied in der Analyse biblischer Textsequenzen berücksichtigen. Dieses Unterfangen scheitert jedoch am Vorhandensein solcher Vokabeln, die ausschließlich in den Psalmen vorkommen und für die sich der Quotient hPs(x)/hS(x) daher nicht angeben lässt. Wenn ich nun in der Untersuchung des charakteristischen Vokabulars in Textsequenzen der Bibel alle charakteristischen Vokabeln als gleichermaßen charakteristisch behandle, so ist dies ein Behelf. Ein Behelf freilich, der transparente Ergebnisse zu erzielen vermag.
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Kriterien zur Feststellung der Versform
Halbvers
Charakteristisches Vokabular in Ψ33 2a 2b 3a 3b 4a 4b 5a 5b 6a 6b 7a 7b 8a 8b 9a 9b 10a 10b 11a 11b 12a 12b 13a 13b 14a 14b 15a 15b 16a 16b 17a 17b 18a 18b 19a 19b 20a 20b 21a 21b 22a 22b 23a 23b
33,3% 33,3% 42,9% 50,0% 40,0% 12,5% 50,0% 37,5% 20,0% 14,3% 33,3% 25,0% 14,3% 33,3% 28,6% 33,3% 16,7% 28,6% 25,0% 18,2% 25,0% 50,0% 33,3% 25,0% 50,0% 42,9% 33,3% 0,0% 25,0% 33,3% 16,7% 0,0% 37,5% 25,0% 33,3% 33,3% 40,0% 16,7% 33,3% 0,0% 33,3% 33,3% 60,0% 11,1% 0%
10%
20%
30%
40%
50%
Anteil charakteristischen Vokabulars
60%
70%
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Es zeigt sich: Nicht alle Halbverse von Ψ 33 beinhalten charakteristisches Vokabular; in den Halbversen 15b.17b.21b beträgt deren Anteil 0%. Es lässt sich ein Durchschnittswert der prozentualen Anteile charakteristischen Vokabulars an den Halbversen von Ψ 33,2–23 bilden; dieser liegt bei 29,13%. Aus analytischer Perspektive gilt daher: Wo eine Textsequenz einen Anteil charakteristischen Vokabulars aus der obenstehenden Liste aufweist, welcher die 30%-Marke übersteigt, so handelt es sich bei ihr um eine Sequenz, die dem Vokabular der Psalmen nahe steht und die deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit von den antiken Adressatinnen und Adressaten vor der Folie ihrer kulturellen Enzyklopädie, welche die Kenntnis der Psalmen beinhaltet, als eine versförmige Textsequenz wahrgenommen wird. Zur Interpretation der Liste des charakteristischen Vokabulars ist es wichtig zu beachten, dass hier wie überall Stil und Inhalt der zugrundeliegenden Texte in einer unlöslichen Verbindung miteinander stehen.51 Deswegen dürfen die aufgelisteten Vokabeln nicht vorschnell als Indikatoren für versförmigen Stil missverstanden werden, denn in gleichem Maße weisen sie auch auf das in den Psalmen vorherrschende Thema hin: Es geht um den Gott lobenden Dialog des Menschen mit seinem Herrn. Wenn andere versförmige Schriften der hebräischen Bibel bzw. der Septuaginta ein anderes charakteristisches Vokabular aufweisen, so hängt dies offenbar mit den anderen Themen zusammen, welche diese Schriften behandeln: Die Sprüche geben praktische Weisheit weiter; das Hohelied beschreibt die Schönheit der Liebe zwischen Frau und Mann; und die Klagelieder beweinen den Untergang Judas; usf.52 Doch offenkundig empfinden die antiken Leserinnen und Leser der Texte die Versform als den angemessenen Stil für ebendiese Inhalte. So gehen Inhalt und Form eine unzertrennbare Verbindung ein. Sowenig das charakteristische Vokabular der Psalmen als Merkmal allein des Stils gelten kann, sowenig darf es auch als Charakteristikum einzig des Themas aufgefasst werden. In der Analyse neutestamentlicher Texte kann das Kriterium des charakteristischen Vokabulars es also nicht leisten, für sich genommen den Beweis in der Frage anzutreten, ob die idealen Lesenden mit ihrer entsprechenden antiken kulturellen Enzyklopädie einen Abschnitt als nach der Versform gestaltet wahrnehmen. Was es allerdings leisten kann, ist der Nachweis darüber, zu welchem Grad der Wortschatz eines neutestamentlichen Textes dem Sprachgebrauch der Psalmen in der Septuaginta nahe 51
Die Feststellung der Interdependenz zwischen Form und Inhalt eines Textes bildet auch das Fundament der formgeschichtlichen Methode in der Exegese (vgl. z.B. K. KOCH, Formgeschichte, 13; G. STANTON, Form Criticism, 20; vgl. hierzu auch F. OVERBECK, Anfänge, 19). Zum Zusammenhang zwischen Stil und Thema eines Textes und der Beachtung dieses Zusammenhangs in der Lexikostatistik vgl. auch CH. MULLER, Sprachstatistik, 168. 52 Vgl. hierzu die Liste mit charakteristischem Vokabular des Text-Korpus Vers im Anhang I.
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steht. In diesem Sinne bildet das Kriterium des charakteristischen Vokabulars dann aber auch – da ja Form und Inhalt eines Textes eng zusammengehören – einen Indikator, der einen Hinweis auf die Form des Abschnitts in der Wahrnehmung seiner idealen Adressatinnen und Adressaten zu geben vermag. 1.1.3 Weitere stilistische Merkmale versförmiger Texte Die erstellte und 366 Einträge umfassende Liste mit charakteristischem Vokabular der Psalmen in der Septuaginta beinhaltet neben vielen sog. „bedeutungstragenden“ Vokabeln – d.h. Verben, Substantiven, Adjektiven – auch eine ganze Reihe von sog. „Strukturworten“ – wie z.B. Pronomina, Konjunktionen, Präpositionen und Partikeln. Während die bedeutungstragenden Vokabeln in starkem Maße charakteristische Inhalte und Themen der Psalmen widerspiegeln, lassen die Strukturworte auch einige Folgerungen im Hinblick auf weitere stilistische Merkmale der Psalmen zu. Teilweise haben diese anderen Merkmale, die die versförmige Literatur der hebräischen Bibel aufweist, in der exegetischen Forschung bereits Beachtung gefunden. Um zu ergründen, inwieweit diese Merkmale für eine Untersuchung neutestamentlicher Texte mit dem Ziel der Unterscheidung zwischen Vers und Prosa gemäß der Wahrnehmung der idealen antiken Leserschaft fruchtbar gemacht werden können, bedürfen sie zunächst einer kurzen Erläuterung. 1.1.3.1 Eine Situation des Dialogs Gleich bei den beiden ersten Einträgen auf der obenstehenden und nach dem Ordnungskriterium hPs(x) sortierten Liste handelt es sich um die Pronomen ἐγώ und σύ, die in den Psalmen 3,7mal (ἐγώ) bzw 2,4mal (σύ) so häufig anzutreffen sind wie in den nicht-versförmigen Schriften. Anders als in erzählenden Texten, wo Pronomina der 3. Person vorherrschen, begegnen in den Psalmen also vergleichsweise häufig Pronomina der 1. und 2. Person. Hier findet folglich eine direkte Begegnung und Auseinandersetzung zwischen einem literarischen Ich und seinem Gegenüber statt.53 Mit dieser Situation des Dialogs verbinden sich auf der sprachlichen Seite daher häufig auch Verbformen der 1. und 2. Person. Hinzu kommen des Weiteren entsprechende Tempora: Während etwa narrative Texte in erster 53 Hierauf weist auch das Adjektiv σός hin, das unter der Nummer 257 in der Liste des charakteristischen Psalmen-Vokabulars steht und in den Psalmen 2,4mal häufiger als in S vertreten ist. Vgl. hierzu auch N.D. FREEDMAN, Pottery, 16–17.21 sowie F. LANDY, Poetics, 71.
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Linie solche Begebenheiten wiedergeben wollen, die sich in der Vergangenheit zugetragen haben, will ein Großteil der versförmigen Abschnitte aus der hebräischen Bibel zuerst solche Sachverhalte aussprechen, die sich an keinerlei zeitliche Begrenzungen knüpfen, überzeitliche Wahrheiten also,54 die aus der Perspektive des Textes betrachtet in der Gegenwart aktuell sind. Durch diese inhaltliche Zielrichtung ergibt sich die Notwendigkeit, zur Kommunikation der Inhalte geeignete sprachliche Mittel zu ergreifen. So benutzt die versförmige Literatur der hebräischen Bibel imperfektische Verbformen deutlich häufiger als perfektische. In der griechischen Sprache der Septuaginta tritt das Präsens an die Stelle des hebräischen Imperfekts. Der konstatierende und dialogische Stil greift vergleichsweise häufig auch zu nominalen Satzkonstruktionen, d.h. er bildet Aussagen, die keine Verbform enthalten; der dynamische Charakter narrativer Abschnitte erfordert dagegen in stärkerem Maße die Bildung von Verbalsätzen. So enthält auch der als Beispiel dienende Ψ 33 überwiegend Verbformen mit präsentischer Bedeutung und eine Reihe von Nominalsätzen (VV. 2b; 13ab; 16ab; 17a; 19a; 20a; 22a). Da aber hier keineswegs eine strikte Trennung herrscht und es sehr wohl versförmige Texte geben kann, die erzählend Ereignisse aus der Vergangenheit schildern (vgl. nur Ps 136), während noch viel häufiger präsentische Formulierungen und nominale Syntax in prosaischem Kontext begegnen, dürfen die genannten Merkmale in ihrem Nutzen für die analytische Unterscheidung zwischen Vers und Prosa nicht überschätzt werden, als würden präsentische Aussagen von den Lesenden durchweg als versförmig und Aussagen in Vergangenheitstempora als prosaisch wahrgenommen. Die Merkmale können deshalb nicht den Stellenwert von Kriterien einnehmen, welche deutlich Auskunft über den vers- oder prosaförmigen Charakter eines Textes in der Wahrnehmung seiner Leserschaft geben; allenfalls können präsentische und nominale Konstruktionen sowie Pronomina und Verbformen der 1. und 2. Person dort als leichte zusätzliche Indizien dienen, wo andere Kriterien bereits eindeutigere Hinweise auf den versförmigen Stil einer Aussage oder eines Abschnitts geliefert haben. 1.1.3.2 Bilderreiche Sprache Es scheint seit jeher unzweifelhaft zu sein, dass ein gewisser Bilderreichtum selbstverständlich zum stilistischen Inventar hebräischer Versdichtung
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Von den oben unter Punkt 1.2 als versförmig eingestuften Schriften gilt dies vor allem für Ps, Spr, Koh, Hld, Weish, Sir und die PsSal.
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gehört.55 In der bisherigen Forschung haben die diesbezüglichen Darstellungen jedoch darunter gelitten, dass erstens das Vorhandensein solchen Bilderreichtums im Gefolge der klassischen griechischen und römischen Versdichtung apriorisch und unhinterfragt auch für die hebräische Poesie vorausgesetzt wurde; und zweitens dienten zur Beschreibung der Beobachtungen in den hebräischen Texten ausschließlich Fachtermini, die aus dem römischen und griechischen Bereich herstammen, und die deswegen als fremde Begriffe den hebräischen Texten nicht ohne weiteres gerecht werden können.56 Auf der Grundlage der Liste mit charakteristischen Vokabeln lassen sich jedoch die folgenden empirisch abgesicherten Aussagen treffen: Unter den bedeutungstragenden Vokabeln der errechneten Liste finden sich viele, die Körperteile bzw. anthropologische Dimensionen des Menschen bezeichnen. In der nach dem Ordnungskriterium hPs(x) sortierten Liste (s. Anh. I) steht unter der Nummer 6 die ψυχή, deren relative Häufigkeit in den Ps diejenige im Schriften-Korpus S um den Faktor 3,7 übersteigt. Es folgen καρδία (Nr. 7; Faktor 3,8), στόμα (Nr. 25; Faktor 3,6), γλῶσσα (Nr. 51; Faktor 9,2), πούς (Nr. 57; Faktor 2,5), χεῖλος (Nr. 75; Faktor 6,2), οὖς (Nr. 111; Faktor 2,7), ὀστέον (Nr. 131; Faktor 2,8), λάρυγξ (Nr. 206; Faktor --57), γαστήρ (Nr. 223; Faktor 3,3), νῶτος (Nr. 323; Faktor 2,1) und νεφρός (Nr. 355; Faktor 3,2). Dieser Befund deutet darauf hin, dass diese unterschiedlichen Begriffe, die alle den gesamten Menschen unter je einer bestimmten Perspektive beschreiben, in bildhafter Weise in den Psalmen Verwendung finden und als eigenständige Subjekte oder Objekte bestimmter Handlungen in Erscheinung treten können. Dieses Stilmittel bezeichnet die wissenschaftliche Analyse griechischer und römischer Versdichtung häufig als Synekdoche; es ließe sich jedoch auch beim Stilmittel der Personifikation oder der Metonymie einreihen. Viele Halbverse des Beispielpsalms Ψ 33 weisen diese bildhafte Stilfigur auf: V. 2b (ἐν τῷ 55 Vgl. z.B. F. LANDY, Poetics, 72; W.G.E. WATSON, Poetry, 55. Vgl. hierzu auch P.D. MILLER, Search, 103. 56 Bereits R. LOWTH (Poetry, Bd. 1, 106–108) betrachtet die Figuren Metapher, Allegorie, Simile und Personifikation als die häufigsten Elemente bildhafter Sprache in der hebräischen Versdichtung. Einen aus den Texten selbst stammenden Hinweis auf den bildhaften Charakter antiker hebräischer Poesie findet er im semantischen Wert des Wortes משל, welches die gleichnishafte Redeweise eines so bezeichneten Spruchs impliziert (ebd., 104). Am Beispiel Lowths weist auch R.SMEND (Entdecker, 193) darauf hin, dass es nötig ist, die Auslegung hebräischer Poesie von den „Eierschalen der Betrachtung nach den Maßstäben der griechisch-römischen Dichtung und Philosophie“ zu befreien (vgl. hierzu auch TH.H. ROBINSON, Hebrew Poetic Form, 128; DERS., Principles, 449). Das einflussreiche Buch von W.G.E. WATSON (Poetry, 55.254.263) macht an diesem Punkt hingegen leider unreflektierten Gebrauch von der Fachsprache klassischer griechischrömischer Versdichtung. 57 Wie erwähnt lässt sich der Faktor in solchen Fällen nicht angeben, in denen eine Vokabel innerhalb der Psalmen verwendet wird, während sie in den nicht-versförmigen Schriften S gar nicht auftritt.
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στόματί μου); V. 3a (ἡ ψυχή μου); V. 4b (τὀ ὄνομα αὐτοῦ); V. 6b (τὰ πρόσωπα ὑμῶν); V. 14 (τὴν γλῶσσάν σου – καὶ χείλη σου); V. 16 (ὀφθαλμοὶ κυρίου – καὶ ὦτα αὐτοῦ); V. 17a (πρόσωπον ... κυρίου); V. 19 (τοῖς συντετριμμένοις τὴν καρδίαν – καὶ τοὺς ταπεινοὺς τῷ πνεύματι); V. 21a (τὰ ὀστᾶ αὐτῶν); und V. 23a (ψυχἀς δούλων αὐτοῦ). Des Weiteren begegnet die Vokabel ὡσεί als Eintrag Nummer 22 der Liste charakteristischen Vokabulars der Psalmen; ihre Verwendung dort übertrifft ihre Verwendung in den nicht-versförmigen Schriften S um den Faktor 8,6. Das bedeutet: der mit ὡσεί eingeleitete Vergleich spielt in den Psalmen eine verhältnismäßig wichtige Rolle.58 Interessanterweise kommen auch die Vokabeln ὡς und ὅμοιος in den Ps häufiger als in S vor; allerdings reichen die Faktoren von 1,3 (ὡς) und 1,8 (ὅμοιος) nicht aus, um diese Vokabeln als für die Psalmen charakteristisch zu bezeichnen.59 Dennoch lässt sich auch an ihnen empirisch belegen: Das Stilmittel des Vergleichs ist in den Psalmen häufiger anzutreffen als in nicht-versförmiger Literatur. In Ψ 33 findet ein solcher Vergleich allerdings an keiner Stelle statt. Trotzdem können beide der genannten bildhaften Stilmittel, wo sie in neutestamentlichen Texten auftauchen, einen Hinweis darauf geben, dass die idealen Leserinnen und Leser der Antike diese Stelle möglicherweise als eine versförmige Stelle wahrnehmen. 1.1.3.3 Begründungen und exponierte Wendepunkte Weitere Strukturworte aus der nach hPs(x) geordneten Liste, die eine Signalwirkung ausüben, sind die folgenden: ὅτι (Nr. 4; Faktor 2,1), ἄρα (Nr. 144; Faktor 3,0), ἕνεκα (Nr. 150; Faktor 13,8), μήποτε (Nr. 171; Faktor 2,5) sowie ἕνεκεν (Nr. 172; Faktor 2,1). Diese Vokabeln leiten BegründungsSätze ein, und offenbar geschieht dies in den Psalmen besonders häufig.60 Gegenüber prosaischen Texten fragen die Psalmen verstärkt nach Gründen, Handlungsmotiven, Zusammenhängen. Dies geschieht auch im Beispielpsalm Ψ 33, wo das sprechende Ich seine Hörerschaft auffordert φοβήθετε τὸν κύριον, οἱ ἅγιοι αὐτοῦ, und dies gleich anschließend mit den Worten ὅτι οὐκ ἔστιν ὑστέρημα τοῖς φοβουμένοις αὐτόν begründet (V. 10). 58 K. SEYBOLD (Psalmen, 195, Anm. 2) macht eine entsprechende Beobachtung für den hebräischen Text der Psalmen, in dem er die Komparationspartikel כbesonders häufig antrifft. 59 Jedoch tauchen weitere Signalvokabeln, die die Stilfigur des Vergleichs einleiten, im charakteristischen Vokabular der versförmigen Schriften S (s. Anhang I) auf: ὥσπερ (Nr. 28; Faktor 5,8), ὡσεί (Nr. 77; Faktor 3,3), ὅμοιος (Nr. 148; Faktor 3,2) und τοιοῦτος (Nr. 237; Faktor 2,2). 60 Auch im charakteristischen Vokabular des Schriften-Korpus S finden sich viele Signalvokabeln dieser Art: δέ (Nr. 2; Faktor 2,5), γάρ (Nr. 4; Faktor 3,6), ἵνα (Nr. 21; Faktor 2,1), μήποτε (Nr. 139; Faktor 3,2), πῶς (Nr. 140; Faktor 2,1), ἄρα (Nr. 174; Faktor 2,6) und ἕνεκα (Nr. 387; Faktor 5,6).
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Des Weiteren rückt in den Psalmen gelegentlich eine gewisse Sorte von Zeitangaben in den Mittelpunkt des Interesses. Dies passiert mithilfe von Vokabeln wie εὐθύς (Nr. 87; Faktor 7,7), πότε (Nr. 95; Faktor 8,8) oder ὁπότε (Nr. 328; Faktor 34,6). Wo solche Signalworte erscheinen, nimmt die Situation, von der die Rede ist, eine überraschende Wende (εὐθύς und ὁπότε); das Ich des Textes legt eine Erwartungshaltung an den Tag, die nach einer solchen Wende Ausschau hält (πότε).61 Solche Wendungen lassen sich auch in Ψ 33 beobachten, obgleich sie dort nicht durch die genannten Signalvokabeln eingeleitet werden. An vielen Stellen errettet dort der Herr mit seinem Eingreifen den hilfsbedürftigen Menschen aus seiner Notsituation. Diese Dynamik, die von der Not des Frommen plötzlich zum rettenden Handeln Gottes umschwenkt, ereignet sich in den Versen 5.7.18.20. Insgesamt benutzt die Sprache der Psalmen also gerne hypotaktische Strukturen. Ihre Syntax setzt verschiedene Aussagen in eine zeitliche oder begründungsmäßige Relation zueinander. Wo neutestamentliche Texte ebenso verfahren kann dies ein Indikator dafür sein, dass die idealen Lesenden, da sie auf der Basis ihrer kulturellen Enzyklopädie mit dem Stil der Psalmen vertraut sind, die Struktur des Textes möglicherweise als Versform wahrnehmen. 1.1.4 Intertextuelle Referenzen Ein anderes Kriterium zur Unterscheidung von Vers und Prosa, das sich nicht auf die hebräische Bibel anwenden lässt, dafür aber in der Analyse neutestamentlicher Abschnitte gute Dienste zu leisten vermag, ist das Kriterium der intertextuellen Referenzen. Ein mit 23,693% sehr hoher Anteil der Zitate im Neuen Testament stammt aus den Psalmen. Da die Psalmen gemessen am Textumfang nur 5,998% der Septuaginta ausmachen, übersteigt also der Anteil vom Psalmen-Zitaten im Neuen Testament den Anteil der Psalmen am Umfang des Septuaginta-Textes um den Faktor 3,950. Dies bedeutet, dass die Psalmen zu den meistrezipierten Quellen des Neuen Testaments und damit zu denjenigen Schriften gehören, die den idealen Leserinnen und Lesern des Lukasevangeliums am besten bekannt sind.62 61
Vgl. hierzu auch F. LANDY, Poetics, 72, der in der hebräischen Versdichtung eine „language of liminal situations“ feststellt. 62 Vgl. hierzu das Diagramm der Herkunftsorte von Zitaten im Neuen Testament (s.o. Punkt 1.1.2). Die Zahlen und prozentualen Angaben richten sich nach der Untersuchung von E. BÖHL: „Die alttestamentlichen Citate im Neuen Testament“. Neben den Psalmen (23,693%) bilden die Schriftengruppen Pentateuch (35,889%), Jesajabuch (21,603%) und Dodekapropheton (9,408%)
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Wo im Text des Neuen Testaments ein Zitat aus den Psalmen auftaucht, ruft dieses bei den antiken Rezipientinnen und Rezipienten sowohl inhaltliche als auch stilistische Assoziationen wach. Auch wenn ein solches Zitat zu kurz ist, um als Parallelismus erkannt zu werden, und wenn es kein für die Psalmen charakteristisches Vokabular beinhaltet, so können allusionskompetente63 Leserinnen und Leser es dennoch als eine versförmige Aussage identifizieren, da sie das Zitat in seinem ursprünglichen Kontext – dem Prätext – kennen und dieser gewissermaßen als ein Echo mit dem Zitat zusammen in den neuen Kontext – den Posttext – hineintransportiert wird.64 Infolge dieser echohaften Wirkung müssen Zitate aus versförmigen Teilen der Septuaginta auch im Neuen Testament unter der Leserinnen- und Leser-Perspektive als versförmige Sequenzen eingestuft werden, zumindest dann, wenn für den Herkunftsort des Zitats ein hoher Bekanntheitsgrad bei der Leserschaft des Neuen Testaments angenommen werden darf. Im Hinblick auf die Untersuchung des Lukasevangeliums lässt sich daher formulieren: Sofern erstens dem Prätext eines bei Lukas auftauchenden Zitats ein hoher Bekanntheitsgrad unter den idealen Rezipientinnen und Rezipienten des Posttexts eignet, und sofern zweitens der Prätext eine versförmige Struktur aufweist, nehmen die idealen Rezipientinnen und Rezipienten wahrscheinlich ebenfalls den Posttext als einen versförmigen wahr. 1.1.5 Der Kontext Auf welcher Ebene stellt sich die Frage nach dem Unterschied zwischen Vers und Prosa überhaupt? Auf der Wort-Ebene kann diese Frage schon die wichtigsten Quellen für Zitate im Neuen Testament. Die Anteile dieser Schriften am Textumfang der Septuaginta lassen sich auf der Grundlage der Wörterzahlen berechnen: NLXX = 582983; NPs = 34965; NJes = 27076; NPentateuch = 124518 und NDodekapropheton = 23256. Daraus ergeben sich die folgenden prozentualen Anteile der einzelnen Schriftengruppen am Textumfang der LXX: Für die Ps 5,998%; für Jes 4,644%; für den Pentateuch 21,359% und für das Dodekapropheton 3,989%. Für alle Gruppen übersteigt ihr Anteil an den Zitaten im NT also den Wert ihres Anteils am Textumfang der LXX. Die folgenden Werte geben den Grad bzw. Faktor dieses überbietenden Verhältnisses an: Für den Pentateuch 1,680; für das Dodekapropheton 2,358; für die Ps 3,950 und für Jes 4,652. Die Psalmen folgen in dieser Hinsicht damit an zweiter Stelle nach dem Jesajabuch. 63 Zur Allusions-Kompetenz der Leserschaft des Lukasevangeliums vgl. D. RUSAM, Das Alte Testament, 5. 64 R.B. Hays greift mit der Figur des „Echos“ ein Modell aus der Sprachwissenschaft auf und wendet es auf die Wirkung der Zitate in den Paulusbriefen an. Dabei setzt Hays seinen Akzent allerdings auf der inhaltlichen Ebene; der stilistische Kontext der zitierten Worte an ihrem Ursprungsort findet in seiner Untersuchung keine Erwähnung, lässt sich m.E. aber dennoch nicht vom inhaltlichen Kontext isolieren (vgl. R.B. HAYS, Schriftverständnis, insbes. 58; zum Zusammenhang zwischen Inhalt und Form eines Textes s.o. Punkt 1.1.2). Zur sprachwissenschaftlichen auf J. KRISTEVA (Bachtin, 348) zurückgehenden Theorie der Intertextualität mit ihrer Begrifflichkeit von „Prätext“ und „Posttext“ vgl. auch W. KAHL, Psalm 2, 232–238.
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einmal nicht beantwortet werden, denn ein einzelnes Wort ist in diesem Sinne stilistisch neutral und kann alleine noch keinen Vers bilden – auch dann nicht wenn es sich um eine für die Psalmen-Sprache besonders typische Vokabel handelt. Auf der Ebene einer aus mehreren Worten bestehenden Sequenz lässt sich schon eher ein Urteil über deren tendenziell versförmigen oder tendenziell prosaischen Charakter in der Wahrnehmung der idealen antiken Leserschaft fällen, denn hier können mehrere charakteristische Vokabeln zusammen auftreten, oder die Sequenz kann eine Anspielung oder ein Zitat aus einem bekannten versförmigen Abschnitt der Septuaginta beinhalten. Auf der Ebene ganzer Sätze bzw. mehrerer korrespondierender Halbverse erst kann das Parallelismus-Kriterium zum Einsatz kommen; wo es greift und eine deutliche parallele Struktur zweier Vershälften festgestellt werden kann, sprechen starke Gründe dafür, dass die idealen Lesenden die Sequenz auf dem Hintergrund ihrer kulturellen Enzyklopädie als eine versförmige einstufen. Darin zeigt sich, dass die Trennung zwischen Vers und Prosa mit wachsendem Umfang des Kontextes immer mehr Anhaltspunkte finden kann. Dies gilt auch für noch weitere Kontexte, deren Größe über die des aus zwei Vershälften bestehenden Parallelismus hinausreicht, denn ein Vers kommt selten allein.65 Je kleiner die Sinneinheit bemessen ist, um so geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass innerhalb dieser Sinneinheit ein stilistischer Wechsel stattfinden sollte. Der Kontext kann also Auskunft über die vers- oder prosaförmige Beschaffenheit einer Sequenz in der Sicht der Lesenden geben. So finden sich im Beispielpsalm Ψ 33 Teile, die sich weder durch das ParallelismusKriterium noch durch das Kriterium des charakteristischen Vokabulars eindeutig als versförmig zu erkennen geben. Dies gilt insbesondere für die Verse 6 und 17. Der unmittelbare Kontext beweist allerdings, dass auch diese Teile als versförmig angesehen werden wollen und von den idealen Lesenden auch entsprechend wahrgenommen werden, da diese Sequenzen offenbar von lauter Versen umgeben sind und mit diesen in enger Verbindung stehen. Die Anwendung des Kontext-Kriteriums auf Abschnitte den Neuen Testaments muss dennoch mit Vorsicht erfolgen, denn dort geschieht die Analyse ja unter der Voraussetzung, dass es einen Wechsel zwischen Vers und Prosa festzustellen gilt. Ein solcher Wechsel liegt in Lukas 1–2 in vergleichsweise hoher Frequenz vor. Daraus ergibt sich ein Problem im Hinblick auf die Trennschärfe: Mit wachsendem Umfang des Kontextes – unter 65 Insbesondere gilt: Ein einzelner Halbvers kommt – zumindest ist dies im Beispiel Ψ 33 der Fall – niemals allein! Ohne ein Entsprechungsverhältnis mindestens zweier Versteile zueinander kann es keinen Parallelismus geben.
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der Annahme von dessen Einheitlichkeit – kann das Kontext-Kriterium immer sicherer angewandt werden. Wo die Analyse neutestamentlicher Texte den Kontext jedoch zu groß wählt, läuft sie Gefahr, den Wechsel von Vers zur Prosa oder umgekehrt zu verpassen. Große Sicherheit kann das Kontext-Kriterium mit der Annahme, die idealen antiken Lesenden nähmen eine kurze Sequenz als versförmige Sequenz wahr, deshalb nur dann für sich beanspruchen, wenn diese Sequenz von größeren Textstücken umrahmt ist, welche bereits auf anderem Wege aus der Perspektive der Lesenden als versförmig erwiesen werden konnten. 1.1.6 Bündelung: Die Unterscheidung zwischen Vers und Prosa Im Neuen Testament und insbesondere im Lukasevangelium ist der Versuch einer Scheidung zwischen versförmigen und prosaischen Textabschnitten durchaus berechtigt, da die hellenistische Kultur, deren Hintergrund als Bestandteil der kulturellen Enzyklopädie für die Leserschaft des Evangeliums nach Lukas vorausgesetzt werden darf,66 hier eine scharfe stilistische Trennung kennt. Vers und Prosa unterscheiden sich in hellenistischer Perspektive deutlich voneinander; sprachliche Äußerungen, die sowohl der Vers- als auch der Prosaform zugehören wollen, existieren hier nicht. Unter entsprechenden Vorzeichen nehmen die zeitgenössischen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums die vers- und prosaförmigen Passagen in Lk 1–2 wahr. Allerdings gestaltet sich eine solche Unterscheidung in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums, wo Verse nach Art der hebräischen Bibel begegnen, schwierig. Denn die hebräische Art und Weise der Versdichtung gibt der Analyse kein Kriterium an die Hand, welches unfehlbar zwischen Vers und Prosa zu trennen vermöchte.67 Infolge dessen muss die sprachliche und stilistische Analyse hier einen Indizien-Prozess führen. Fünf Kriterien68 – drei relativ leistungsfähige und zwei etwas weniger leistungsfähige – erweisen sich für den Verlauf dieses Prozesses als hilfreich: Zunächst können das Kriterium des Parallelismus, das Kriterium des charakteristischen Vokabulars und das Kriterium der intertextuellen Referenz, wo sie deutlich 66
Vgl. hierzu insbes. die Anm. 4 am Beginn von Kapitel 3 der vorliegenden Studie. So auch F. LANDY, Poetics, 65–67 sowie A. NICCACCI, Poetry, 92 im Hinblick auf die hebräische Literatur. 68 W.G.E. WATSON (Poetry, 46–47) führt eine Liste von 19 Indikatoren zur Unterscheidung zwischen Prosa und Poesie an. Aus einem wesentlichen Grund erachte ich diese Liste als wenig hilfreich für die Analyse: Denn Watson setzt diese Indikatoren apriorisch voraus, ohne zu überprüfen, inwieweit sie auch tatsächlich als für poetische Texte charakteristisch gelten dürfen, d.h. ob diese Indikatoren in poetischen Texten signifikant häufiger anzutreffen sind als in prosaischen. 67
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erfüllt sind,69 eine sprachliche Sequenz mit verhältnismäßig großer Wahrscheinlichkeit als versförmig in der Sicht der antiken Leserinnen und Leser einstufen. Das Kriterium der weiteren stilistischen Merkmale70 – Dialogsituation, Bilderreichtum, Hypotaxe – und das Kriterium des Kontexts können dann dort als zusätzliche Indikatoren dienen, wo zumindest eines der drei leistungsfähigeren Kriterien bereits gegriffen hat.71 69
Nicht alle Teile des oben als Beispiel benutzten Ψ 33 erfüllen die Kriterien mit unbezweifelbarer Deutlichkeit; jedes Kriterium lässt stufenlose graduelle Unterschiede zu. Will die Analyse alle Teile des Psalms mit den Kriterien erfassen, so muss sie diese entsprechend lockerer handhaben und auch solche Teile des Psalms als versförmig betrachten, die die Kriterien nicht ganz so deutlich erfüllen. Würde die Analyse neutestamentlicher Texte ebenso vorgehen, dann brächte dies den Nachteil mit sich, dass so die Grenzen zur Prosa verwischt würden. Für die Anwendung der Kriterien auf Texte des Neuen Testaments ergibt sich aus diesem Zwiespalt eine Gratwanderung zwischen strikter und lockerer Handhabung der Kriterien. 70 Zur eingeschränkten Leistungsfähigkeit dieses Kriteriums, wo es für sich genommen zum Einsatz kommen soll, vgl. A. NICCACCI, Poetry, 93. 71 Weitere Kriterien für eine Unterscheidung zwischen Vers und Prosa in neutestamentlichen Texten sehe ich nicht. Allerdings galt der bisherigen exegetischen Forschung ja sehr oft die metrische Gestaltung als ein Charakteristikum hebräischer Versdichtung (so z.B. schon R. LOWTH, Poetry, Bd. 1, 62). Es hat in der vergangenen Zeit eine Reihe von Versuchen gegeben, in den versförmigen Schriften der hebräischen Bibel eine metrische Strukturierung zu entdecken und zu beschreiben. Allerdings leiden alle diese Versuche darunter, dass sie sich zunächst mit drei grundlegenden Schwierigkeiten auseinanderzusetzen haben: Erstens stimmt die Aussprache des Hebräischen zur Zeit der Entstehung der Psalmen oder ähnlicher versförmiger Stücke nicht mit derjenigen Aussprache überein, die der heute vorliegende masoretische Text empfiehlt (vgl. F. HORST, Kennzeichen, 103–104; vgl. hierzu auch S. MOWINCKEL, Problem, 386.392; TH.H. ROBINSON, Hebrew Poetic Form, 129; DERS., Principles, 444; W.G.E. WATSON, Poetry, 222). Zweitens haben die literar-, form- und redaktionskritischen Methoden in der Exegese an vielen Stellen des biblischen Textes zeitlich sekundäre Veränderungen des Wortlauts festgestellt; auch die Psalmen bleiben von solcherlei Vermutungen nicht ausgenommen. Und drittens bleibt noch immer die Frage offen, auf welcher Einheit denn eine etwaige hebräische Metrik basiere, welche Teile eines Verses denn gezählt und so gemessen werden sollen. Als Vorschläge liegen Systeme vor, die entweder Wortakzente oder Silben (vgl. N.D. FREEDMAN, Pottery, 11; S. MOWINCKEL, Problem, 384–385) oder auch syntaktische Einheiten des Verses auszumessen versuchen (vgl. auch T. LONGMAN, Critique, 232–248; TH. H.ROBINSON, Hebrew Poetic Form, 139–148). Diese drei Grundprobleme führten zu einem bunten Spektrum an metrischen Hypothesen, denn sie bieten es dem in der Metrik forschenden Exegeten ja förmlich an, durch sprachhistorische oder literar-, form- bzw. redaktionskritische Operationen einen vom vorliegenden Text abweichenden sogenannten Urtext anzunehmen, der dann nach der Zahl seiner Wortakzente, syntaktischen Einheiten oder Silben in ein metrisches System hineinpasst. Solche Modelle jedoch, die einen Text, der in ein metrisches Schema passt, zuvor erst künstlich herstellen müssen, bleiben daher an diesem Punkt stets angreifbar, da sie sich die Frage gefallen lassen müssen, ob hier nicht der Wunsch nach einem metrisch gleichförmigen Wortlaut apriorisch die den Text rekonstruierenden Untersuchungen geleitet hat (so auch T. LONGMAN, Critique, 241.248–249; vgl. als Illustration solchen Vorgehens etwa S. MOWINCKEL, Problem, 393). Keiner dieser Versuche kann am vorliegenden Wortlaut beispielsweise der Psalmen eine wiederkehrende metrische Struktur nachweisen. Doch ein Metrum ist per Selbstdefinition entweder wiederkehrend, oder es ist kein Metrum (so auch T. LONGMAN, Critique, 251). Wer dagegen (wie W.G.E. WATSON, Poetry, 92) von einem unregelmäßigen Metrum in der hebräischen Poesie ausgehen möchte, täte in meinen Augen besser
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Aus Sicht der Analyse erscheinen Prosa und Versform daher als die beiden einander gegenüberliegenden Pole auf der einen weiten Bandbreite sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten:72
Prosa
Vers
←⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯→
kein Parallelismus erkennbar kein charakteristisches Vokabular keine deutliche intertextuelle Referenz (keine weiteren stilistischen Merkmale) (kein versförmiger Kontext)
deutlicher Parallelismus erkennbar charakteristisches Vokabular deutliche intertextuelle Referenz (zahlreiche weitere stilistische Merkmale) (versförmiger Kontext)
Eine absolute Trennschärfe zwischen Vers und Prosa kann die Analyse deshalb nicht erzielen; eine Grauzone bleibt bestehen. Jedoch versetzen die fünf genannten Kriterien die Analyse in die Lage, gut begründete Wahrscheinlichkeitsurteile darüber abzugeben, welche Textteile des Neuen Testament die ideale Leserschaft als nach hebräischem Vorbild verfasste versförmige Stücke, und welche sie als prosaische wahrnimmt.
1.2 Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40 Die im bisherigen Verlauf des Kapitels angestellten Überlegungen haben ergeben, dass fünf Kriterien dabei helfen können, einen neutestamentlichen daran, sich zur Vermeidung von Verwirrung ganz von dem Begriff „Metrum“ zur Beschreibung dieses Phänomens zu verabschieden. Zum gesamten Problem der Feststellung einer metrischen Beschaffenheit hebräischer poetischer Texte vgl. auch J.P. FOKKELMAN, Poetry, 23; F. HORST, Kennzeichen, 103; H.-J. KRAUS, Psalmen, 31–33; T. LONGMAN, Critique, 230.253; P.D. MILLER, Search, 102. Die bloße Beobachtung, dass aufeinanderfolgende Halbverse oder Verse oftmals ähnliche Zeilenlängen aufweisen (so z.B. P.D. MILLER, Search, 103; A. NICCACCI, Poetry, 80), reicht zur Annahme einer bewusst metrischen Strukturierung eines Textes nicht aus. Denn diese ähnlichen Zeilenlängen können genauso gut auch durch die Gestaltung nach dem Parallelismus hervorgerufen werden oder schlicht der Singbarkeit des Textes dienen. Schließlich ist es äußerst zweifelhaft, inwieweit eine solche an sich schon sehr hypothetische hebräische Metrik auch noch nach der Übersetzung des Textes in die griechische Sprache der Septuaginta beobachtbar bliebe, und ob sich ihr Einfluss auch noch an bestimmten neutestamentlichen Abschnitten ablesen lassen sollte. Daher kann ein Kriterium der Metrik sich bei der Untersuchung eines Textes aus dem Neuen Testament auf Vers oder Prosa nicht als hilfreich erweisen. 72 Wohlgemerkt: aus Sicht der Analyse! Aus Sicht des Textes dagegen existiert die absolute Unterscheidung von Vers und Prosa durchaus. So zeigt beispielsweise Ps 34 durch seinen Kontext im Buch der Psalmen und seinen akrostischen Aufbau, dass durchweg alle seine Teile als versförmig verstanden werden wollen, obwohl die Analyse dies in den Einzelheiten nicht mit derselben Eindeutigkeit nachzeichnen kann. Zum Vorschlag, Prosa und Vers als die beiden äußeren Punkte desselben sprachlichen Kontinuums aufzufassen vgl. auch F. LANDY, Poetics, 70; P.D. MILLER, Search, 106.
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
63
Text daraufhin zu befragen, ob Lesende ihn als nach dem Vorbild antiker hebräischer Versdichtung konstruiert und deshalb als versförmig wahrnehmen: erstens das Kriterium des Parallelismus, zweitens das Kriterium des charakteristischen Vokabulars, drittens das Kriterium der intertextuellen Referenz, viertens das Kriterium der weiteren stilistischen Merkmale und fünftens das Kriterium des Kontexts. Diese fünf Kriterien sollen im Folgenden der Reihe nach am Text des Lukasevangeliums (Lk 1,1–2,40) zur Anwendung kommen. Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40 Dabei sollen nur solche Textstellen aus Lukas 1–2 Erwähnung finden, die eines der Kriterien erfüllen. Ein entsprechend negativer Beweis für all die anderen Stellen aus den beiden Kapiteln, die das jeweilige Kriterium nicht erfüllen, wird nicht eigens geführt werden; die positive Beweisführung erhebt allerdings Anspruch auf Vollständigkeit.73 1.2.1 Der Parallelismus In dem biblischen Abschnitt Lukas 1,1–2,40 finden sich eine Reihe von Sequenzen, die in zwei Teile zerfallen, welche grammatisch oder bzw. und semantisch parallel zueinander verlaufen. Lk 1,13bc Gabriel spricht den Priester Zacharias an; dabei leiten die Worte „Fürchte dich nicht, Zacharias“ die Rede des Engels ein. Den eigentlichen Parallelismus bilden die beiden Hälften der mit διότι eingeleiteten Begründung. Die Erzählung stellt ihren Leserinnen und Lesern die Eheleute Elisabet und Zacharias als ein kinderloses Paar dar. Solche zeitgenössischen Rezipientinnen und Rezipienten, die mit den Schriften der hebräischen Bibel und dem jüdischen Kulturraum vertraut sind, gehen zweifelsohne davon aus, dass die Kinderlosigkeit das Ehepaar in der Erzählung stark belastet, und dass sie Gott sicher oftmals um einen Nachkommen gebeten haben (vgl. z.B. 1Sam 1). Insofern hängen die beiden Aussagen „erhört worden ist dein Gebet“ und „deine Frau Elisabet wird dir einen Sohn gebären“ semantisch aufs Engste zusammen. Während die Formulierung des Bezeichnenden wechselt, zielen beide Halbverse auf das gleiche Bezeichnete ab. Die Pronomen σου und σοι an den Enden der beiden Ausdrücke verstärken dabei den Eindruck der Parallelität.
73
Damit zeige ich also an, dass ich für solche Textpassagen, die ich nicht erwähne, das jeweilige Kriterium nicht als erfüllt betrachte.
64
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Μὴ φοβοῦ, Ζαχαρία, διότι καὶ
εἰσηκούσθη ἡ δέησίς σου, ἡ γυνή σου Ἐλισάβετ γεννήσει υἱόν σοι.
Lk 1,14 Die Geburt, die Gabriel ankündigt, wird Freude hervorrufen; dies gilt sowohl für den Vater Zacharias als auch für viele andere Menschen; damit liegt ein semantischer Parallelismus vor: Καὶ
ἔσται χαρά σοι καὶ ἀγαλλίασις
καὶ
πολλοὶ ἐπὶ τῇ γενέσει αὐτοῦ χαρήσονται.
Das zweite καί, welches die zweite Aussage einleitet, verbindet die beiden Vershälften und zeigt so den Beginn der zweiten an. Der Wortstamm χαρbegegnet im Substantiv χαρά des ersten und im Verbum χαίρω des zweiten Halbverses und knüpft dadurch beide Hälften fest aneinander.74 Lk 1,16–17 Die Aussage, die die Versteile 17bc über den Mann treffen, dessen Geburt Gabriel ankündigt, wird auch wieder durch das Signalwort καί in der Mitte unterteilt. ἐπιστρέψαι καὶ
καρδίας πατέρων
ἐπὶ
τέκνα
ἀπειθεῖς
ἐν
φρονήσει δικαίων.
Dabei bezieht sich die Verbform ἐπιστρέψαι sowohl auf den Inhalt des ersten wie auch auf den des zweiten Halbverses. Die in diesem Sinne elliptische Konstruktion, bei der der zweite Halbvers gewissermaßen auf das Verbum des ersten zurückgreift, konstituiert einen starken Zusammenhalt zwischen den beiden Hälften. In beiden geht es darum, dass ein Gesinnungswandel sich vollzieht; eine Präposition zeigt jeweils die Richtung dieses Wandels an: ἐπί im ersten und ἐν im zweiten Halbvers. Die Herzen der Väter sollen sich den Kindern zuwenden, so wie sich auch die Ungehorsamen einer gerechten Haltung zuwenden. Dennoch dürfen hier nicht kurzerhand die Väter mit den Ungehorsamen und die Kinder mit den Gerech74
Die hierauf folgenden Halbverse V. 15bc bilden möglicherweise einen rein semantischen Parallelismus, da die Ausdrücke οἶνον καὶ σίκερα οὐ μὴ πίῃ sowie ἐκ κοιλίας μητρὸς αὐτοῦ deutlich die Terminologie für Charakteristika des Nasiräats aufnehmen (vgl. Ri 13,4.5; zu οἶνον καὶ σίκερα οὐ μὴ πίῃ vgl. auch 1Sam 1,11).
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
65
ten identifiziert werden. Auch eine kreuzweise Zuordnung der Personengruppen zueinander ist denkbar; sie wird durch die semantische Verwandtschaft der Begriffe καρδία und φρόνησις unterstützt: ἐπιστρέψαι
καρδίας πατέρων καὶ
ἀπειθεῖς
ἐπὶ
τέκνα
ἐν
φρονήσει δικαίων.
Doch auch hier liegt eine Identifikation der einander in der Verskonstruktion entsprechenden Personengruppen sicher nicht in der Absicht der Aussage. In beiden Vershälften geht es um Positionen oder Haltungen, die sich verändern. Die ursprüngliche Haltung steht im Glied vor der Präposition, die veränderte Haltung im Glied nach der Präposition. Darüber hinaus sticht die Parallelität dieser Aussagen zu Vers 16 ins Auge, denn auch dieser thematisiert eine sich verändernde menschliche Haltung; auch dort begegnet das Verb ἐπιστρέφω, auch dort steht die ursprüngliche Haltung am Anfang und die veränderte Haltung nach einer Präposition: V. 16
καὶ
V. 17b V. 17c καὶ
πολλοὺς τῶν υἱῶν Ἰσραὴλ ἐπιστρέψαι
ἐπιστρέψει
ἐπὶ
κύριον τὸν θεὸν αὐτῶν
καρδίας πατέρων
ἐπὶ
τέκνα
ἀπειθεῖς
ἐν
φρονήσει δικαίων
Der Parallelismus umgreift hier also drei Teile und reicht über die Grenzen des unmittelbaren Kontexts hinaus, denn zwischen Vers 16 und Vers 17b existieren noch einige Worte, die diesem sehr engen Parallelismus nicht zugehören. Diese Worte von Vers 17a καὶ αὐτὸς προελεύσεται ἐνώπιον αὐτοῦ ἐν πνεύματι καὶ δυνάμει Ἠλίου hängen dabei aber inhaltlich so eng mit der Aussage von Vers 17b zusammen, dass sich auch dieser Zusammenhang als ein Parallelismus bezeichnen lässt, welcher allerdings rein semantischer Natur ist und sich an der grammatischen Struktur der Versteile nicht ablesen lässt. Denn das Hinwenden der Väterherzen zu den Söhnen zählt nach Sir 48,10 und Mal 3,22–23 zu den Taten Elias. Vor dem Hintergrund von Sir 48 und Mal 3 eröffnet sich auch der Zweck, dem die bisherigen Aussagen von Lk 1,16–17c dienen, nämlich ἑτοιμάσαι κυρίῳ λαὸν κατεσκευασμένον (17d). Auf diese Weise erhält auch Vers 17d eine semantisch enge Anbindung an die vorausgehenden Versteile. Lk 1,18cd Das Adjektiv πρεσβύτης stellt eine semantische Parallele zu dem Ausdruck προβεβηκυῖα ἐν ταῖς ἡμέραις αὐτῆς dar. Beide bezeichnen denselben Sach-
66
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
verhalt; bei sich änderndem Signifikant bleibt das Signifikat gleich. Die in dieser Weise bezeichneten Personen sind allerdings zwei verschiedene: Zacharias und seine Frau. Deswegen verhalten sich ebenfalls das ἐγώ in der direkten Rede des Zacharias und die Worte ἡ γυνή μου parallel zueinander: Ἐγὼ καὶ
γὰρ εἰμι
ἡ γυνή μου
πρεσβύτης προβεβηκυῖα ἐν ταῖς ἡμέραις αὐτῆς.
Die zweite Vershälfte weist keine Verbform auf. Da der erste Halbvers eine Aussage in der ersten Person trifft, während der zweite in der dritten Person spricht, kann letztere auch nicht elliptisch auf das Verbum des ersten Halbverses zurückgreifen. In der zweiten Vershälfte liegt damit ein Nominalsatz vor, dessen Prädikat in den Worten προβεβηκυῖα ἐν ταῖς ἡμέραις αὐτῆς besteht. In dieser grammatischen Hinsicht lassen sich darum auch die gesamte Wendung εἰμι πρεσβύτης der ersten Vershälfte als parallel zu der gesamten Wendung προβεβηκυῖα ἐν ταῖς ἡμέραις αὐτῆς der zweiten ansehen: Ἐγὼ καὶ
ἡ γυνή μου
γὰρ
εἰμι πρεσβύτης προβεβηκυῖα ἐν ταῖς ἡμέραις αὐτῆς.
Lk 1,31 Vers 31 besteht aus drei Teilen, die alle mit καί beginnen und alle eine Verbform der 2. Person Singular im Futur besitzen. Dadurch dass die Verben συλλαμβάνω und τίκτω mediale Formen bilden, stehen sie einander auch phonetisch etwas näher als dem Verb καλέω, das eine aktive Form hat. Die beiden ersten Aussagen συλλήμψῃ ἐν γαστρί und τέξῃ υἱόν verhalten sich zueinander wie Ursache und Wirkung; Empfangen und Gebären sind die beiden Seiten derselben Münze. Deswegen enthält die Septuaginta auch weitere Belege für das Wortpaar συλλαμβάνω und τίκτω (1Sam 4,19; Ps 7,15). Somit trägt der Parallelismus zwischen dem ersten und dem zweiten Teil des Verses eine stark semantische Prägung. Zwischen dem zweiten und dem dritten Teil dagegen besteht ein stärker grammatischer und insbesondere syntaktischer Parallelismus: beide Teile beginnen mit καί, gefolgt von einem Verbum der 2. Person Singular Indikativ Futur, das ein Akkusativ-Objekt nach sich zieht. Während also der mittlere Teil des Verses mit den beiden ihn umrahmenden Teilen in enger Verbindung steht, liegen der erste und der dritte Teil sowohl semantisch als auch grammatisch weniger nahe aneinander.
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Καὶ
ἰδοὺ
συλλήμψῃ
67
ἐν γαστρὶ
καὶ
τέξῃ
υἱὸν
καὶ
καλέσεις
τὸ ὄνομα αὐτοῦ
Ἰησοῦν.
Zudem besitzt die Abfolge der Elemente συλλαμβάνω – τίκτω υἱόν – καλέω τὸ ὄνομα αὐτοῦ ΧΥ in der Septuaginta einen nahezu sprichwörtlichen Charakter. Sie begegnet vor allem in der Genesis (Gen 29,32.33.34.35; 30,5– 6.7–8.12–13.17–18.19–20.23–24; 38,3.4; 1Sam 1,20; 2Sam 12,24; Hos 1,3–4.8–9),75 so ist ja auch der Ausdruck καλέσεις τὸ ὄνομα αὐτοῦ bereits in Lk 1,13 vorgekommen. Lk 1,32ab Beide Verben stehen in der 3. Person Singular des Futurs und hängen nicht nur grammatisch sondern auch semantisch zusammen, denn in beiden Aussagen geht es um die Attribution eines Menschen, die mit ἔσται einmal absolut geschieht, während κληθήσεται sie stärker als eine dem Objekt von außen zugeschriebene Eigenschaft kenntlich macht. In diesem Sinne verwenden die Erzählungen der Genesis das Wortpaar εἰμί und καλέω bisweilen dort, wo Menschen von Gott einen neuen Namen erhalten (Gen 17,5.15; 32,29; 35,10).76 Die Attribute selber lauten im ersten Halbvers μέγας und im zweiten Halbvers υἱὸς ὑψίστου. Die Bezeichnung ὕψιστος fungiert hier als Synonym für θεός. Und dass der Sohn Gottes Großartiges vollbringt (Ψ 88), so dass er mit Fug und Recht als μέγας bezeichnet werden kann, leidet unter Menschen, die Ψ 88 von Herzen mitbeten, da er ihrer kulturellen Enzyklopädie angehört, keinen Zweifel. Deshalb besteht vor diesem Hintergrund zwischen den Attributen μέγας und υἱὸς ὑψίστου eine semantische Parallele. Außerdem spielen beide Attribute mit der Metaphorik von Größe bzw. Höhe, wodurch ihr Zusammenhalt sich verstärkt. Οὗτος καὶ
75
ἔσται
υἱὸς ὑψίστου
μέγας κληθήσεται.
Eine interessante kleine Ausnahme hierzu bildet Hos 1,6, wo die Elemente kein maskulines sondern ein feminines Objekt bei sich haben: συλλαμβάνω – τίκτω θυγατέρα – καλέω τὸ ὄνομα αὐτῆς ΧΥ. 76 Vgl. hierzu auch die poetische Verwendung des Wortpaars in Koh 6,10.
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Lk 1,32c–33 Wie schon Vers 31 so besteht auch Vers 32c–33 aus drei Teilen, die mit καί beginnen und je ein Verbum in der 3. Person Singular des Futurs beinhalten. Allerdings gehören diese drei grammatisch parallelen Verbformen zu unterschiedlichen Subjekten: δώσει bezieht sich auf Gott, βασιλεύσει auf den kommenden Herrscher und ἔσται auf dessen Herrschaft.77 Weit schwerer als der grammatische wiegt in diesem Abschnitt jedoch der semantische Parallelismus: In allen drei Teilen geht es um das Reich des kommenden Königs. Dieser wird erstens seine Macht vom Herrn erhalten, er wird zweitens über das Volk Israel regieren, und drittens wird seine Herrschaft ewigen Bestand haben. So setzen die drei Elemente des Verses in der Aussage je eigene Schwerpunkte, bleiben semantisch dabei aber eng verbunden. Καὶ
δώσει αὐτῷ κύριος ὁ θεὸς τὸν θρόνον
καὶ
βασιλεύσει
καὶ
τῆς βασιλείας αὐτοῦ
Δαυὶδ τοῦ πατρὸς αὐτοῦ
ἐπὶ τὸν οἶκον Ἰακὼβ
εἰς τοὺς αἰῶνας οὐκ ἔσται τέλος.
Die semantische Verbundenheit der drei Versteile reicht allerdings noch über das Herrschafts-Motiv hinaus. Der erste Teil nennt mit König Δαυίδ den Herrscher Israels, der die beiden Reiche Israel und Juda unter seinem Szepter vereinigen konnte und deswegen als der ideale König Gesamtisraels in der Vergangenheit gilt. Indem der zweite Versteil den οἶκος Ἰακώβ als Herrschaftsbereich des verheißenen Königs nennt, benutzt er die Erwähnung des Stammvaters Jakob dazu, ebenfalls die Zusammengehörigkeit Ganz-Israels unter dem Königtum des kommenden Regenten zu betonen, und zieht dadurch also eine semantische Parallele zum ersten Versteil.78 Auch der zweite und der dritte Versteil sind untereinander verbunden, und zwar dadurch, dass sie mit den Worten εἰς τοὺς αἰῶνας bzw. οὐκ ἔσται τέλος die immerwährende Dauer des verheißenen Reiches proklamieren. Die beiden Wendungen verhalten sich semantisch parallel; das Bezeichnende wird vom einen zum nächsten Versteil zwar verändert, doch das Bezeichnete ist das gleiche. In den Psalmen kommen mehrfach ganz ähnliche 77 Das grammatische Subjekt des letzten Teils besteht freilich in dem Wort τέλος. Doch die inversive Syntax legt den Akzent deutlich auf das logische Subjekt βασιλεία. 78 Der in der graphischen Darstellung angedeutete Einschnitt zwischen θρόνον und Δαυίδ ist grammatisch nicht vorhanden, da die Genitiv-Beziehung beide Worte dicht zusammenbindet. Doch um die semantische Parallele zum nächsten Versteil – die zwei Motive umfasst – visuell darzustellen, erscheint mir der so gewählte Einschnitt angemessen, denn die Vokabel θρόνος rechne ich noch zum Motiv des Herrschens an sich, während der Name Δαυίδ dann schon den Gedanken zum zweiten Motiv weiterführt, nämlich zum Herrschaftsbereich über das gesamte Volk Israel.
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
69
parallele Wendungen vor (Ψ 9,19; 48,10; 102,9); es handelt sich hier demnach nicht um ein Wort- sondern um ein Ausdrucks-Paar, welches den Parallelismus zwischen dem zweiten und dem dritten Versteil verstärkt. Lk 1,35bc Diese beiden Teile des Verses 35 verlaufen sowohl semantisch als auch grammatisch parallel:79 Die Angesprochene soll eine von Gott herkommende Kraft als Gabe erhalten. Beinahe jedes Wort des ersten Halbverses hat eine genaue Entsprechung im zweiten: Dem πνεῦμα ἅγιον entspricht die δύναμις ὑψίστου,80 dabei bezeichnet der jeweils erste Bestandteil dieser Glieder mit πνεῦμα bzw. δύναμις die Kraft selbst, während der je folgende Bestandteil mit ἅγιον bzw. ὑψίστου den Ursprung dieser Kraft markiert. Auch wenn es sich hier also um ein Adjektiv und ein Substantiv und damit verschiedene Wortarten handelt, besteht eine semantische Parallele zwischen diesen Worten. Die Prädikate ἐπελεύσεται und ἐπισκιάσει beginnen beide mit der Vorsilbe ἐπί bzw. ἐπ-; die offenkundige semantische wie auch grammatische Parallele erfährt so auf lexikalischer und phonetischer Ebene eine zusätzliche Verstärkung. Das Personalpronomen der 2. Person Singular im letzten Glied beider Vershälften gibt – einmal mit und einmal ohne Präposition – jeweils die Zielrichtung der von Gott kommenden Kraft an.
καὶ
Πνεῦμα ἅγιον
ἐπελεύσεται
ἐπὶ σε
δύναμις ὑψίστου
ἐπισκιάσει
σοι·
Lk 1,42bc In Vers 42bc fällt auf, dass gleich zu Beginn beider Halbverse ein Partizip Perfekt Passiv Singular von εὐλογέω begegnet: einmal als Femininum, einmal als Maskulinum. Auf das Partizip folgt je die Angabe des zu lobenden Objekts. Dies ist im ersten Halbvers die Angesprochene selbst und im zweiten Halbvers ihre Leibesfrucht. Neben der syntaktischen Stellung beider Glieder binden die Personalpronomen der 2. Person Singular diese zusammen.81
79
Vgl. hierzu auch J.A. FITZMYER, Gospel, 340. So auch R.E. BROWN, Birth, 290; W. ECKEY, Lukasevangelium, 91. 81 Zu diesem Parallelismus vgl. auch F. BOVON, Evangelium, 85; W. ECKEY, Lukasevangelium, 100; W. WIEFEL, Evangelium, 58. 80
70
καὶ
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40 Εὐλογημένη
σὺ
ἐν γυναιξὶν
εὐλογημένος
ὁ καρπὸς τῆς κοιλίας σου.
Lk 1,46b–47 Die Versteile sind sowohl grammatisch als auch semantisch weitgehend parallel gestaltet.82 Die Sprecherin lobt ihren Gott. In beiden Versteilen folgt auf eine präsentische Verbform mit ἡ ψυχή bzw. τὸ πνεῦμα zunächst das Subjekt, wobei das Pronomen μου in beiden Versteilen ψυχή und πνεῦμα als Seele und Geist der Sprecherin ausweist. Im Anschluss gibt jeweils ein Objekt den Herrn bzw. Gott als den Empfänger des Lobes an.
καὶ
Μεγαλύνει
ἡ ψυχή μου
τὸν κύριον,
ἠγαλλίασεν
τὸ πνεῦμά μου
ἐπὶ τῷ θεῷ
τῷ σωτῆρί μου.
Wie sehr neben der grammatischen auch die semantische Ähnlichkeit beide Teile des Verses aneinander bindet, lässt sich darin ablesen, dass diese eine Reihe von gängigen Wortpaaren beinhalten: Wie μεγαλύνω und ἀγαλλιάω (Ψ 19,6; 34,27; 39,17; 69,5) gebrauchen die poetischen Schriften der Septuaginta auch die Begriffe ψυχή und πνεῦμα (Hiob 12,10; Weish 15,11; 16,14; Sir 9,9) mehrfach parallel zueinander. Das Wortpaar κύριος und θεός schließlich taucht in der Septuaginta sehr häufig auf (z.B. Jes 1,10; 2,2.3; 3,17; 5,16; 17,10; 35,2; 38,7; 40,3.5; 45,25; 49,4; 60,19; 61,6; 62,3; Mi 6,6; 7,7; Hab 3,18; Zef 3,2; Ψ 17,7.22; 23,5; 29,9; 37,22; 46,6; 53,6; 54,17; 55,11; 57,7; 67,20.33; 76,2; 93,7.22; 94,1; 103,33; 114,5; 133,1; 134,2; 135,26; 145,2.10; 146,7; 147,1; Hiob 1,22; Spr 2,5; Weish 9,13; Sir 51,1), so dass seine Verwendung den Eindruck der Parallelität von Vers 46b–47 für solche Rezipientinnen und Rezipienten des Lukasevangeliums unterstreicht, denen die Schriften der Septuaginta vertraut sind. Das letzte Glied des zweiten Halbverses – τῷ σωτῆρί μου – hat keine Entsprechung im ersten Teil des Verses. Es herrscht somit keine völlige Parallelität zwischen beiden Halbversen, weil nicht jedes Glied einen eindeutigen Gegenpart besitzt; doch den Gesamteindruck der engen Verbindung beider Teile durch den Parallelismus schmälert dies nicht.
82 Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 336; W. ECKEY, Lukasevangelium, 106; S.C. FARRIS, Hymns, 117; R.C. TANNEHILL, Magnificat, 266. Zur Struktur von Lk 1,46–55 vgl. auch TH. KAUT, Befreier, 301; E. SCHWEIZER, Aufbau, 24–25.
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
71
Lk 1,49b–50 καὶ
ἅγιον
καὶ
τὸ ὄνομα αὐτοῦ, τὸ ἔλεος αὐτοῦ
εἰς γενεὰς καὶ γενεὰς τοῖς φοβουμένοις αὐτόν.
Hier beginnen beide Vershälften mit καί; darauf folgt jeweils ein Nominalsatz. Dadurch, dass die Subjekte dieser Nominalsätze – τὸ ὄνομα αὐτοῦ und τὸ ἔλεος αὐτοῦ – beide aus einem Substantiv Neutrum Singular mit Artikel und sich anschließendem Pronomen der 3. Person Singular bestehen, kommt eine deutliche grammatische Parallelität beider Vershälften zustande. Das Prädikat des ersten Halbverses wird durch das Adjektiv ἅγιον gebildet: „Und heilig [ist] sein Name.“ Im zweiten Halbvers lässt sich das Prädikat des Nominalsatzes dagegen nicht eindeutig bestimmen. Es könnte einerseits in dem Ausdruck εἰς γενεὰς καὶ γενεάς bestehen, so dass die Übersetzung lauten müsste: „Und sein Erbarmen [dauert] von Geschlecht zu Geschlecht [bei] den ihn Fürchtenden.“ Andererseits ist es jedoch auch denkbar, dass der zweite Halbvers elliptisch auf das Prädikat des ersten zurückgreift, nämlich auf das Adjektiv ἅγιον. In diesem Fall würde das Stilmittel der sog. Ellipse beide Vershälften grammatisch noch enger zusammenbinden. Die Übersetzung lautete dann: „Und [auch] sein Erbarmen [ist heilig] von Geschlecht zu Geschlecht [bei] den ihn Fürchtenden.“ Lk 1,51 Die zweite Vershälfte von Vers 51 konkretisiert die erste:83 „Er hat Stärke geübt mit seinem Arm: Er hat zerstreut, die im Denken ihres Herzens hochmütig sind.“ Insofern hängen die erste und die zweite Vershälfte semantisch zusammen, ohne dass sich dabei jedoch ein KorrespondenzVerhältnis einzelner Glieder zueinander zeigen ließe. Ἐποίησεν
κράτος
ἐν βραχίονι
αὐτοῦ,
διεσκόρπισεν
ὑπερηφάνους
διανοίᾳ
καρδίας αὐτῶν·
Unter grammatischer Perspektive dagegen verlaufen die beiden Hälften des Verses völlig parallel zueinander: Beide Halbverse beginnen mit einem Verbum der 3. Person Singular im Aorist. Auf dieses folgt in beiden Vershälften ein Akkusativ-Objekt. An dieses schließt sich je eine Ergänzung an, die aus einem Substantiv im Dativ besteht, welches um ein Pronomen bzw. eine Wortverbindung im Genitiv erweitert ist. Diese Ergänzung διανοίᾳ 83
Vgl. hierzu auch R.C. TANNEHILL, Magnificat, 266.
72
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
καρδίας αὐτῶν bezieht sich in der zweiten Vershälfte eindeutig auf das Objekt ὑπερηφάνους, während ἐν βραχίονι αὐτοῦ in der ersten Vershälfte stärker zum Prädikat ἐποίησεν zu gehören scheint. Lk 1,52–53 Die folgenden vier Halbverse legen aufgrund ihrer großen Nähe zueinander eine gemeinsame Betrachtung nahe: Es fällt hier zunächst auf, dass das Wort καί sowohl den zweiten als auch den vierten Halbvers eröffnet, d.h. καί verbindet sowohl den ersten und zweiten als auch den dritten und vierten Halbvers miteinander, wie es auch die Konjunktion וsehr häufig mit den beiden Hälften eines Verses in der antiken hebräischen Psalmendichtung tut. Auf diese Weise bleiben die beiden aus je zwei Hälften bestehenden Verse durchaus eigenständig; gleichzeitig zeigen sich aber auch einige versübergreifende Verbindungslinien:84
καὶ
καὶ
Καθεῖλεν
δυνάστας
ὕψωσεν
ταπεινούς,
ἀπὸ θρόνων
πεινῶντας
ἐνέπλησεν
ἀγαθῶν
πλουτοῦντας
ἐξαπέστειλεν
κενούς.
Grammatisch betrachtet umfasst jede der vier Vershälften sowohl eine Verbform der 3. Person Singular im Aorist sowie ein aus einem einzigen Wort bestehendes Akkusativ-Objekt im Plural. Während das Objekt in den beiden ersten Halbversen auf das Verbum folgt, ist die Reihenfolge im dritten und vierten Halbvers umgekehrt: dort findet sich die Verbform im Anschluss an das Objekt. Infolge der Ähnlichkeit der grammatischen Formen ergeben sich auch klangliche Verbindungen zwischen den Versteilen: Die flektierten Verba enden auf -ειλεν, -ωσεν, -ησεν und -ειλεν; die Akkusative auf -ας, -ους, -ας und -ας, so dass sich eine phonetisch parallele Wirkung ergibt. Drei der vier Vershälften umfassen schließlich noch eine weitere Ergänzung; diese Worte stehen grammatisch jedoch in keinem Entsprechungsverhältnis zueinander. Alle vier Halbverse thematisieren das Handeln Gottes, welches die irdischen sozialen Ordnungen umgekehrt hat; Gott stellt das logische Subjekt aller vier Vershälften dar. So tritt zu der grammatischen auch eine semantische Parallele. Innerhalb der beiden ersten Halbverse verhalten sich die 84
Vgl. hierzu auch R.C. TANNEHILL, Magnificat, 266.
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
73
Wortpaare καθαιρέω und ὑψόω sowie δυνάστης und ταπεινός antithetisch zueinander. Die Gesamtaussage von der Erniedrigung der Mächtigen und von der Erhöhung der Armen setzt die beiden Vershälften dann allerdings in ein synthetisches Entsprechungsverhältnis. Sodann findet sich in den beiden folgenden Halbversen, den Halbversen drei und vier, das antithetische Wortpaar πεινῶντοι und πλουτοῦντοι. Eine Antithese bilden auch die beiden Ausdrücke ἐμπίμπλημι ἀγαθῶν und ἐξαποστέλλω κενούς. Wieder ergibt sich aufs Ganze gesehen semantisch ein synthetischer Zusammenhang zwischen den Halbversen. Ebenso synthetisch verhalten sich nun auch die Aussagen der beiden Gesamtverse zueinander: Die Umkehrung der Verhältnisse durch das Einwirken Gottes wird je einmal negativ – als Erniedrigung der Reichen (erster und vierter Halbvers) – und einmal positiv – als Erhöhung der Geringen (zweiter und dritter Halbvers) – ausgedrückt. Einmal mehr reicht der Parallelismus hier also über den Bereich eines aus zwei Hälften bestehenden Verses hinaus. Lk 1,54–55 Die drei folgenden Versteile hängen nur lose semantisch zusammen, indem sie von Gottes Handeln an seinem Volk sprechen. Dabei wird der Name Ἰσραήλ im ersten Versteil bewusst als zweideutiger Begriff verwendet; denn die Bezeichnung Israels als παῖς Gottes lässt die Leserinnen und Leser einerseits an eine Einzelperson denken, nämlich an Ἰσραήλ, den Stammvater des Gottesvolkes. Andererseits zeigt der Kontext dabei aber, dass der παῖς Ἰσραήλ hier pars pro toto das Volk als Ganzes bezeichnet. Dieser Gedanke von der Gesamtheit des Gottesvolks, welches sich über seine Stammväter definiert, hält die drei Versteile semantisch zusammen. Die Wendung Ἀβραὰμ καὶ τὸ σπέρμα αὐτοῦ im dritten Versteil zieht dabei explizit die Verbindungslinie zwischen dem Stammvater und dem von ihm herkommenden Volk: Ἀντελάβετο καθὼς ἐλάλησεν
Ἰσραὴλ παιδὸς αὐτοῦ,
μνησθῆναι ἐλέους,
πρὸς τοὺς πατέρας ἡμῶν, τῷ Ἀβραὰμ καὶ τῷ σπέρματι αὐτοῦ
εἰς τὸν αἰῶνα.
Es finden sich auch in der poetischen Literatur der Septuaginta Stellen, die von den drei Elementen Ἰσραήλ – οἱ πατέρες ἡμῶν – Ἀβραάμ, die hier im Lukasevangelium parallel zueinander verwendet sind, je zwei als ein Wortpaar benutzen: Ἰσραήλ und πατέρες (Hos 9,10; Ψ 77,5; Est 4,17l); Ἰσραήλ und Ἀβραάμ (Jes 63,16; Dan 3,35); das Paar πατέρες und Ἀβραάμ begegnet
74
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
nirgends in den versförmigen Schriften als eindeutiges Wortpaar, doch gibt es mehrfach geprägte Wendungen, die beide Elemente miteinander verwenden (Mi 7,20; Tob 4,12; Bar 2,34; Od 12,1). 1Chr 29,18 vereinigt als prosaische Schriftstelle alle drei Elemente in einer Wendung zusammen. Lk 1,68–70 Die fünf folgenden Versteile bilden zusammen eine einzige Periode; entsprechend eng hängen sie auch inhaltlich zusammen. Deshalb empfiehlt es sich, diese fünf Versteile gemeinsam zu betrachten: Εὐλογητὸς κύριος ὁ θεὸς ὅτι ἐπεσκέψατο
καὶ ἐποίησεν λύτρωσιν καὶ ἤγειρεν κέρας σωτηρίας ἐν οἴκῳ Δαυὶδ
καθὼς ἐλάλησεν διὰ στόματος τῶν ἁγίων ἀπ' αἰῶνος
τοῦ Ἰσραήλ, τῷ λαῷ αὐτοῦ, ἡμῖν παιδὸς αὐτοῦ, προφητῶν αὐτοῦ.
Der erste Versteil spricht mit den Worten Εὐλογητὸς κύριος ὁ θεὸς τοῦ Ἰσραήλ eine verbreitete Lobes-Formel aus und benennt dabei neben dem Subjekt der folgenden Aussagen – κύριος ὁ θεός – mit dem Stichwort Ἰσραήλ auch das Objekt, an welchem der Herr als das Subjekt handelt. Konkret benennen der zweite und der dritte Versteil das Handeln Gottes an seinem Volk: Gott schenkt den Menschen Erlösung und Heil. Die Wendungen καὶ ἐποίησεν sowie καὶ ἤγειρεν stehen dabei in einer grammatischen und klanglichen d.h. phonetischen Parallele zueinander, während die beiden Worte λύτρωσις und σωτηρία eine semantische Parallele bilden. Die Menschengruppe, die diese Gaben von Gott empfängt, beschreibt der zweite Halbvers mit τῷ λαῷ αὐτοῦ und der dritte kurz mit ἡμῖν. Auf diese Weise treten nun alle drei Versteile in Beziehung zueinander, denn jeder dieser drei Teile nennt am jeweiligen Ende das Gottesvolk mit unterschiedlichen Formulierungen: Ἰσραήλ, τῷ λαῷ αὐτοῦ und ἡμῖν. Bei wechselndem Signifikant bleibt das Signifikat dasselbe. Auch an einigen Stellen der Septuaginta begegnet das Wortpaar Ἰσραήλ und λαὸς αὐτοῦ im poetischen Parallelismus (Jer 38,7; Mi 6,2; Ψ 13,7).85 Der vierte und der fünfte Versteil liefern sodann eine nähere Beschreibung der Umstände des Gotteshandelns am Volk Israel. Zunächst lokal: dies geschieht im Haus Davids. Die versförmige Literatur der Septuaginta 85
Vgl. zur Struktur der Verse außerdem auch E. SCHWEIZER, Aufbau, 20.
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
75
kennt die Begriffe Ἰσραήλ und οἴκος Δαυίδ als ein Paar von gegensätzlichen Begriffen (1Kön 12,19.20; 2Kön 17,21; 2Chr 10,19). Diese Antinomie besteht in Lk 1,69b jedoch offenbar nicht, sondern das Handeln Gottes am Haus Davids kommt dem Volk Israel zugute. Gemäß dem letzten Versteil haben die Propheten solches bereits angekündigt. Während David im vierten Versteil als παῖς αὐτοῦ (d.h. θεοῦ) bezeichnet wird, spricht der fünfte Versteil von den προφῆται αὐτοῦ. So entsteht auch an dieser Stelle wieder eine Parallele durch die Verbindung zweier Stichworte; denn mit der hebräischen Bibel bezeichnet auch die Septuaginta gerne die Propheten als Knechte Gottes (Jer 33,5; 42,15; 51,4; Dan 9,6.10; Bar 2,20.24; 1Esr 8,79), so dass die Worte παῖς und προφήτης in einer engen semantischen Beziehung zueinander stehen, auch wenn die poetischen Texte der Septuaginta sie nirgends in einer parallelen Wendung gebrauchen. Lk 1,71 Mit dem Stichwort σωτηρία knüpft Vers 71 an das Vorausgehende (insbes. V. 69a) an und stellt eine vergleichsweise lockere Verbindung her. Der Vers füllt die σωτηρία inhaltlich, indem er sie negativ als die Abwesenheit von Bedrohung durch Feinde umschreibt. Auf diese Weise unterstreicht auch V. 71 noch einmal die oben in V. 68b–69a aufgestellte Parallele von λύτρωσις und σωτηρία, denn hier wie dort erscheint die σωτηρία als ein befreiendes Handeln Gottes an seinem Volk. σωτηρίαν
ἐξ
καὶ
ἐκ
ἐχθρῶν ἡμῶν χειρὸς
πάντων τῶν μισούντων ἡμᾶς.
Die Präposition ἐξ bzw. ἐκ leitet in beiden Vershälften die Bestimmung des Gegenstandes ein, von welchem es das Gottesvolk zu befreien gilt. Dies sind nämlich die Feinde bzw. die Hassenden. Mit den Worten ἐχθροί und (πάντες) οἱ μισούντες ἡμᾶς greift der Vers eine in der Septuaginta sehr verbreitete Kombination zweier paralleler Ausdrücke auf. In exakter Entsprechung findet sich das Paar in Ψ 43,11, mit anderem Pronomen in Lev 26,17; Num 10,34; Dtn 30,7; 32,41; 33,11; 2Sam 22,18.41; Ψ 17,18.20.41; 20,9; 37,20; 54,13; 67,2; 68,5; 82,3; 88,24; 138,21; Dan 4,19; Od 2,41. Lk 1,72–73a Mehrfach sind die drei folgenden Versteile miteinander verbunden, die mit einer Infinitiv-Konstruktion an das Vorausgehende anknüpfen: Als erstes fällt die grammatische Parallele auf, welche die Anfänge der beiden ersten Versteile durch die Verwendung zweier Infinitive im Aorist zusammen-
76
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
schließt: ποιῆσαι und μνησθῆναι. Die Endungen auf –ησαι und –ηναι verursachen zusätzlich auch eine klangliche Nähe der Worte zueinander. Das Subjekt beider Infinitiv-Konstruktionen ist Gott. Ein nächstes Glied benennt sowohl im ersten als auch im zweiten Versteil den Inhalt des Gotteshandelns. Die Gnade Gottes wird für sein Volk im Bundesschluss erfahrbar. So besteht zwischen dem ἔλεος und der διαθήκη ἁγία ein semantischer Parallelismus.86 Auch Jes 54,10 und Ψ 88,29 gebrauchen die Worte ἔλεος und διαθήκη als Wortpaar miteinander. Der dritte Versteil konkretisiert als ganzer die διαθήκη ἁγία Gottes, schließt sich also semantisch direkt an den zweiten Versteil an und greift auf dessen Verbum zurück; die Substantive διαθήκη und ὅρκος stehen dabei parallel zueinander. Während die Verbindung zwischen dem zweiten und dem dritten Versteil damit eine sehr enge ist, bleibt sie jedoch nicht allein auf diese beiden Teile beschränkt: mit den Stichworten ἔλεος, διαθήκη und ὅρκος erstreckt sich eine Brücke über alle drei Versteile:
καὶ
ποιῆσαι
ἔλεος
μνησθῆναι
διαθήκης ἁγίας αὐτοῦ, ὅρκον
ὃν ὤμοσεν
μετὰ τῶν πατέρων ἡμῶν
πρὸς Ἀβραὰμ τὸν πατέρα ἡμῶν.
Schließlich kommen in einem letzten Glied des ersten und dritten Versteils die Empfänger von Gnade und Bundesschluss in den Blick. Der erste Versteil spricht hier allgemein von den Vätern; der dritte nennt Abraham als einen der Stammväter Israels beim Namen. Das Substantiv πατήρ, das einmal im Plural und einmal im Singular begegnet und sich jeweils mit dem Pronomen ἡμῶν verbindet, stellt über die semantische hinaus auch eine lexikalische Parallele zwischen beiden Teilen her. Lk 1,73b–75 Die drei folgenden Versteile beziehen sich auf die zuvor thematisierten guten Gaben Gottes an sein Volk und sprechen nun von der Reaktion des Gottesvolkes, die in dessen Gottesdienst – λατρεύειν – besteht. Diesen Dienst versteht der Text jedoch auch wiederum als eine Gabe Gottes an das Volk, da erst Gottes rettendes Handeln die Voraussetzungen schafft und so den Dienst ermöglicht, worauf der Infinitiv δοῦναι hinweist. Der Parallelismus ist dabei rein semantischer Natur:
86
So auch S.C. FARRIS, Hymns, 137.
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
τοῦ δοῦναι ἡμῖν
ἀφόβως ἐκ χειρὸς ἐχθρῶν ῥυσθέντας
λατρεύειν αὐτῷ
ἐν ὁσιότητι καὶ δικαιοσύνῃ
ἐνώπιον αὐτοῦ
77
πάσαις ἡμέραις ἡμῶν.
Zunächst beschreiben die beiden Ausdrücke ἀφόβως ἐκ χειρὸς ἐχθρῶν ῥυσθέντας und ἐν ὁσιότητι καὶ δικαιοσύνῃ den Modus, in welchem der Gottesdienst des Volkes stattfinden kann. Die Worte ἐνώπιον αὐτοῦ charakterisieren einerseits ebenfalls den Modus dieses Dienstes. Andererseits lenken sie den Fokus allerdings stärker als die vorausgehenden modalen Angaben auf Gott als den Empfänger des λατρεύειν, denn dieses geschieht in seinem Angesicht – ἐνώπιον αὐτοῦ. Insofern lässt diese Wendung sich auch als eine Konkretion und semantische Parallele zu den Worten λατρεύειν αὐτῷ des zweiten Versteils verstehen. Die beiden Formen des Pronomens αὐτός, das hier wie dort gebraucht wird, unterstreichen dies. Lk 1,76 In den beiden Halbversen konstituiert auf Seiten der Grammatik die Parallelität der beiden Verbformen κληθήσῃ und προπορεύσῃ einen Zusammenhang, denn bei beiden handelt es sich um futurische Formen der zweiten Person. Καὶ σὺ δέ, παιδίον,
προφήτης ὑψίστου κληθήσῃ· προπορεύσῃ γὰρ ἐνώπιον κυρίου
ἑτοιμάσαι ὁδοὺς αὐτοῦ.
Daneben besteht jedoch ebenfalls ein semantischer Parallelismus, da die beiden Aussagen προφήτης ὑψίστου κληθήσῃ und προπορεύσῃ γὰρ ἐνώπιον κυρίου ἑτοιμάσαι ὁδοὺς αὐτοῦ zwei Seiten derselben Münze beschreiben: denn nachdem bereits Vers 17 über die Anspielung auf Mal 3,23–24 und Sir 48,10 die Erwartung geweckt hat, das angekündigte Kind werde die traditionell dem Propheten Elia zugemessenen Aufgaben übernehmen, ist es in V. 76 nun selbstverständlich, dass dieser Knabe – in Erfüllung der genannten Septuaginta-Stellen – dem Herrn vorangehen wird. Denjenigen, in dessen Dienst dies geschieht, nennt die erste Vershälfte ὕψιστος und die zweite κύριος. Ein absolut gebrauchtes ὕψιστος steht in den versförmigen Partien der Septuaginta des öfteren im poetischen Parallelismus zu dem Wort κύριος (2Sam 22,14 = Ψ 17,14; Ψ 20,8; 82,19; 91,2; Weish 5,15; 6,3; Sir 39,5); entsprechend verstärkt das gemeinsame Auftreten dieser beiden Stichworte an dieser Stelle des Lukasevangeliums den Eindruck paralleler Gestaltung zwischen den beiden Vershälften.
78
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Lk 1,77 Grammatisch gesehen bezieht sich die folgende Infinitiv-Konstruktion auf den voranstehenden Vers 76, die direkte Ansprache an den Knaben. Doch auch hier geht es, wie bereits zuvor, wieder um die aktive Zuwendung Gottes zu seinem Volk. Damit zieht sich ein semantisches Band durch den gesamten Abschnitt hindurch, das sich vor allem im häufigen Gebrauch des Stichworts σωτηρία (VV. 69.71.77) manifestiert. Aber auch die Worte λύτρωσις (V. 68), ἔλεος (V. 72), δικαιοσύνη (V. 75) und ἄφεσις ἁμαρτιῶν (V. 77) gehören mit in diesen Zusammenhang.87 Im Vers 77 nun bilden die Ausdrücke γνῶσις σωτηρίας und ἄφεσις ἁμαρτιῶν eine semantische Parallele. Die Präposition ἐν verknüpft dabei die Sündenvergebung logisch mit der σωτηρία.88 Am Ende beider Halbverse steht – wie bereits etliche Male zuvor (VV. 68ab.69a.72a.73a) – wieder das Objekt des Gotteshandelns. Das Pronomen αὐτῶν im zweiten Halbvers stellt einen Rückbezug zu dem vorausgehenden λαὸς αὐτοῦ des ersten Halbverses her; hier wie dort ist dieselbe Menschengruppe gemeint. Neben dieser semantischen Parallele bindet auch die wiederholte Verwendung des Pronomens αὐτός beide Glieder zusammen: τοῦ δοῦναι
γνῶσιν σωτηρίας
τῷ λαῷ αὐτοῦ
ἐν
ἀφέσει ἁμαρτιῶν
αὐτῶν.
Lk 1,79 Die beiden Infinitive Aorist Aktiv ἐπιφᾶναι und κατευθῦναι stellen eine lockere grammatische und phonetische Parallele zwischen den Vershälften her. Zusätzlich besteht jedoch auch ein semantischer Parallelismus, da beide Vershälften sich der bildhaften Redeweise vom Lichtschein bedienen, der notwendig ist, um sich auf einem Weg gefahrlos bewegen zu können. Der zweite Halbvers schließt sich ja mit τοῦ – und nicht etwa mit καί – an den ersten an. Hier besteht also eine unmittelbare Verbindung; beide Halbverse beschreiben denselben Sachverhalt. Dabei steuert der erste Halbvers das Bild vom Licht und der zweite das vom Weg zu der sich insgesamt ergebenden bildhaften Rede vom Lichtschein auf dem Weg bei: 87
Einige dieser Begriffe kommen als Wortpaare in den versförmigen Abschnitten der Septuaginta vor: σωτηρία und ἔλεος (2Sam 22,51; Ψ 17,51); σωτηρία und δικαιοσύνη (Jes 46,13; Ψ 70,15); λύτρωσις und ἔλεος (Ψ 129,7); sowie ἔλεος und δικαιοσύνη (Jes 45,8; 63,7; Ψ 35,11; 84,11; 88,15). 88 Worin konkret das logische Verhältnis zwischen σωτηρία und ἄφεσις ἁμαρτιῶν besteht, untersuche ich im folgenden Kapitel unter Punkt 2.2.5.
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40 ἐπιφᾶναι τοῦ
79
τοῖς ἐν σκότει καὶ σκιᾷ θανάτου καθημένοις,
κατευχθῦναι
τοὺς πόδας ἡμῶν εἰς ὁδὸν εἰρήνης.
Lk 2,14 Eine zopfartige Verflechtung zwischen den beiden Vershälften ergibt sich in Lk 2,14 durch mehrere Stichwort-Verbindungen: „Ehre [ist] in den höchsten [Höhen] für Gott, und auf Erden [ist] Friede unter den Menschen des Wohlgefallens“. Zwei Nominalsätze stehen einander gegenüber, wobei jedes Glied der ersten eine Entsprechung in der zweiten Vershälfte hat.89 Über die Form der Nominalsätze ergibt sich zusätzlich eine grammatische Parallele: Δόξα καὶ
ἐπὶ γῆς
ἐν ὑψίστοις εἰρήνη
θεῷ ἐν ἀνθρώποις
εὐδοκίας.
Die an dieser Stelle sprechenden himmlischen Heere richten ihren Blick im ersten Halbvers auf Gott und im zweiten Halbvers auf die Menschen; sowohl in der ersten als auch in der zweiten Vershälfte findet sich neben einer mit Präposition eingeleiteten Ortsangabe auch der Gegenstand dessen, was einerseits Gott und andererseits den Menschen zusteht bzw. zukommt. Die auf diese Weise entstehenden Wortpaare δόξα und εἰρήνη, ὕψιστοι und γῆ sowie θεός und ἄνθρωποι kommen in den versförmigen Texten der Septuaginta selten oder gar nicht in dieser Weise vor. Eine einzige Ausnahme bildet die Verbindung von δόξα und εἰρήνη in Bar 5,4.90 Lk 2,32 Als Simeon, der geistbegabte Mann, den Säugling Jesus in die Arme nimmt, spricht er zu Gott: εἶδον οἱ ὀφθαλμοί μου τὸ σωτήριόν σου, ὃ ἡτοίμασας κατὰ πρόσωπον πάντων τῶν λαῶν. Direkt daran schließen sich die beiden Hälften von Vers 32 an, die das σωτήριον näher beschreiben: 89 Ähnlich auch R. DILLMANN, Kindheitsgeschichte, 92; W. ECKEY, Lukasevangelium, 147; W. GRUNDMANN, Evangelium, 84; H.J. HOLTZMANN, Synoptiker, 44; A. PLUMMER, Gospel, 57; G. SCHNEIDER, Evangelium, 67; G. SCHWARZ, Lobgesang, 260; W. WIEFEL, Evangelium, 73; J. WOBBE, Gloria, 128–129.231. Wenn B. OLSSON, Canticle, 155 aufgrund der unterschiedlichen Zeilenlängen urteilt, der vorliegende Vers sei „nicht besonders poetisch“, so zeigt sich darin nur, dass der so Urteilende nicht besonders vertraut mit der Vielgestaltigkeit des Parallelismus in der antiken hebräischen Literatur ist. 90 An einigen Stellen stehen sich jedoch die Begriffe θεός und ἄνθρωπος im Singular poetisch parallel gegenüber (z.B. 1Sam 16,7; Od 11,11; PsSal 15,2).
80
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
φῶς καὶ
εἰς ἀποκάλυψιν
δόξαν
ἐθνῶν λαοῦ σου Ἰσραήλ.
Für die Völker bringt das σωτήριον Licht, für das Volk Israel bringt es Ehre. Auf diese Weise ergibt sich ein semantischer Zusammenhang zwischen den Worten φῶς und δόξα; dieser wiegt um so schwerer, da im Wort δόξα ja auch dessen Bedeutung „Glanz“ mitschwingt, wodurch sich φῶς und δόξα über die Licht-Symbolik noch fester miteinander verbinden. Deutlich stehen auch die Völker und Israel in einem Entsprechungsverhältnis zueinander. Hier und da benutzt schon die Septuaginta die Worte ἔθνη und λαός (Jer 2,11) bzw. ἔθνη und Ἰσραήλ (Jes 11,12; Hos 8,8) im Parallelismus miteinander. Lk 2,34bc Wenig später fährt Simeon fort, über den Säugling und das, was dieser bewirken wird, zu weissagen: Ἰδοὺ οὗτος κεῖται
εἰς
πτῶσιν καὶ ἀνάστασιν
καὶ
εἰς
σημεῖον ἀντιλεγόμενον.
πολλῶν ἐν τῷ Ἰσραὴλ
Die Verbform κεῖται bezieht sich dabei auf beide Halbverse. Zweimal leitet die Präposition εἰς die Ausführungen darüber ein, in welchem Verhältnis die Angehörigen des Volkes Israel und Jesus zueinander stehen werden. Dabei bilden die Ausdrücke πτῶσιν καὶ ἀνάστασιν und σημεῖον ἀντιλεγόμενον eine semantische Parallele, welche vor allem die spannungsvollen Aspekte dieses Verhältnisses thematisiert. Zwischenergebnis: Nach der Durchsicht von Lk 1,1–2,40 zeigt sich, dass eine Reihe von Sequenzen parallele Züge tragen. Je deutlicher diese zutage treten, um so wahrscheinlicher ist es, dass die idealen Leserinnen und Leser diese Sequenzen als versförmig strukturiert wahrnehmen – sofern ihnen die versförmige Literatur der hebräischen Bibel bzw. der Septuaginta vertraut ist.91 Dies gilt in Lukas 1,1–2.40 mit hoher Wahrscheinlichkeit für die Verse 91 Dass allerdings die Kenntnis der Septuaginta deutlich zur kulturellen Enzyklopädie der idealen Leserschaft des Lukasevangeliums zählt, hat sich bereits mehrfach gezeigt: Einerseits deuten die im Lukasevangelium anzutreffenden Septuaginta-Zitate darauf hin, und andererseits verknüpft das Vorhandensein poetischer Parallelismen in griechischer Sprache den Text des Lukasevangeliums mit demjenigen der Septuaginta.
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
81
1,13bc; 14; 17bc; 18cd; 31; 32.ab; 32c.33; 35bc; 42bc; 46b.47; 49b.50; 51; 52.53; 54.55; 68.69.70; 71; 72.73a; 73b.74.75; 76; 77; 79; 2,14; 32; 34bc. 1.2.2 Charakteristisches Vokabular Die Analyse des Psalmen-Vokabulars in der Septuaginta (Punkt 1.1.2) hat ergeben, dass eine Reihe von Vokabeln charakteristisch häufig in den Psalmen auftreten und so deren Wortschatz deutlich vom Wortschatz prosaischer Schriften in der Septuaginta unterscheiden. Im Folgenden soll nun eine Untersuchung der beiden ersten Kapitel des Lukasevangeliums zeigen, ob und wo dieses charakteristische Psalmen-Vokabular auch hier in auffälliger Konzentration Verwendung findet. Dazu bedarf es zunächst einer Unterteilung des zu untersuchenden Textes in kleine Einheiten, die etwa der Länge eines Halbverses in den Psalmen entsprechen. Die bereits vorhandene Einteilung des Bibeltexts in einzelne Verse benötigt daher vielfach noch eine Erweiterung, indem lange Verse in kürzere Sequenzen zerlegt werden. Eine Orientierung an der grammatischen Struktur des jeweiligen Verses bietet sich dabei an; die auf diese Weise entstehenden Sequenzen lassen sich als a- und b-Teil, gegebenenfalls darüber hinaus auch noch als c- oder d-Teil des jeweiligen Evangelien-Verses bezeichnen.92 Für jede der so entstehenden Sequenzen lässt es sich sodann erheben, wie viele Vokabeln aus der Liste des charakteristischen PsalmenVokabulars sie enthält. Diese Zahl will jedoch in Relation zur Länge der jeweiligen Sequenz betrachtet werden; die entscheidende Frage lautet, welcher Anteil einer jeden Sequenz aus charakteristischem PsalmenVokabular besteht. Diese Angabe ergibt sich aus der Division der Anzahl charakteristischer Psalmen-Vokabeln durch die Gesamtlänge N – d.h. die Gesamtzahl von Worten – derselben Sequenz. Am besten lässt dieser Quotient sich in Prozent angeben. Das folgende Balkendiagramm zeigt auf der y-Achse jede einzelne TextSequenz von Lukas 1,1 bis 2,40. Die Länge des Balkens gibt dabei für jeden dieser Fälle an, wie groß der Anteil charakteristischen PsalmenVokabulars ist.
92 Infolge der Orientierung an der grammatischen Struktur ergeben sich dabei noch immer Sequenzen unterschiedlicher Längen. Durchweg ließen sich verschiedene und gleichermaßen sinnvolle Entscheidungen treffen, an welchen Stellen ein Vers unterteilt werden müsse. Meine Einteilung – die folglich nicht die einzig mögliche oder sinnvolle zu sein beansprucht – findet sich im Anhang II, eingezeichnet in den Text von Lk 1,1–2,40.
82
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Charakteristisches Vokabular der Psalmen in Lukas 1,1–2,40
1,1
1,10
1,20
1,30
1,40
Versteile
1,50
1,60
1,70
2,1
2,10
2,20
2,30
2,40 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
Anteil charakteristisches Vokabular der Psalmen
80%
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
83
Das charakteristische Vokabular der Psalmen umfasst solche Vokabeln, die in den Psalmen zwar deutlich häufiger als in den prosaischen Schriften der Septuaginta vorkommen – jedoch eben nicht ausschließlich in den Psalmen. Deswegen können einzelne Vokabeln, die aufgrund des relationalen Vergleichs als charakteristisch für die Sprache der Psalmen gelten müssen, durchaus auch in prosaischen Partien der Septuaginta oder des Neuen Testaments auftauchen. Wo eine einzelne dieser charakteristischen Vokabeln verwendet wird, ist damit also noch kein Urteil über ihre inhaltliche Nähe zu den Psalmen oder gar über die Form des Kontextes gefallen, in dem sie steht. Für die Deutung des Diagramms heißt dies, dass ein geringer Anteil charakteristischen Psalmen-Vokabulars in einer Sequenz als nichtaussagekräftig vernachlässigt werden muss, solange er eine gewisse Grenze nicht überschreitet. Ein einzelnes Wort entspricht in einer Sequenz von 5 Worten einem Anteil von 20%, in einer Sequenz von 7 Worten rund 15%. Diese Toleranzschwelle in Höhe von 15% ist im obigen Diagramm durch die vertikale gestrichelte Hilfslinie eingezeichnet. Sequenzen, deren Anteil charakteristischen Psalmen-Vokabulars diese Schwelle überschreitet, ermöglichen schon eher ein positives Urteil über deren sprachliche Nähe zu den Psalmen und geben so einen Hinweis auf ihre möglicherweise versförmige Struktur. Es fällt auf, dass die Sequenzen, deren Balken die 15%-Toleranzschwelle übertreffen, in Gruppen aufzutreten scheinen. Dies ist insbesondere in den Bereichen 1,13b–14a; 25; 42b–54 und 2,28b–32b deutlich der Fall.93 In der Analyse des Beispielpsalms Ψ 33 hatte es sich herausgestellt, dass die Halbverse dieses Psalms durchschnittlich rund 30% charakteristischen Psalmen-Vokabulars enthalten. Folglich empfinden die idealen antiken Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums diejenigen Versteile in Lukas 1,1–2,40 mit hoher Wahrscheinlichkeit als der Psalmensprache nahe stehend und stufen sie somit als möglicherweise versförmig ein,94 deren Balken im obigen Diagramm mindestens die 30%-Marke erreichen. Dies trifft für die folgenden Sequenzen zu; die Unterstreichungen kennzeichnen dabei solche Vokabeln, die der Liste von charakteristischem Vokabular der Psalmen angehören:95 93
Dies ist ein zusätzliches Anzeichen dafür, dass die Aussage „ein Vers kommt selten allein“ zutrifft, auf welcher das Kontext-Kriterium zur Unterscheidung zwischen Vers und Prosa im NT (s.o. Punkt 1.1.5) aufbaut. 94 Der Schluss von der Wortwahl auf die Form des Textes erfolgt dabei ja unter der Annahme, dass bei Texten, die in der Tradition hebräischer Versdichtung stehen, Form und Inhalt eine unlösbare Verbindung zueinander eingehen. 95 Ich habe also für jede Vokabel aus dem charakteristischen Vokabular der Psalmen überprüft, ob und wo sie in dem Textabschnitt Lk 1,1–2,40 vorkommt. Die hier präsentierte Liste umfasst all jene Textsequenzen aus Lk 1,1–2,40, die einen Anteil von mindestens 30% des charakteristischen Psalmen-Vokabulars aufweisen.
84
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
1,12b 13b 14a 25a 25b 35c 38b 42b 42c 46b 47 48a 49a 50 51b 52b 53a 54 58b 64b 68a 69a 71a 78a 79a 2,9c 11a 14a 28b 30 32b 40b
καὶ φόβος ἐπέπεσεν ἐπ’ αὐτόν μὴ φοβοῦ, Ζαχαρία, διότι εἰσηκούσθη ἡ δέησίς σου καὶ ἔσται χαρά σοι καὶ ἀγαλλίασις ὅτι οὕτως μοι πεποίηκεν κύριος ἐν ἡμέραις αἷς ἐπεῖδεν ἀφελεῖν ὄνειδός μου ἐν ἀνθρώποις καὶ δύναμις ὑψίστου ἐπισκιάσει σοι ἰδοὺ ἡ δούλη96 κυρίου· γένοιτό μοι κατὰ τὸ ῥῆμά σου εὐλογημένη σὺ ἐν γυναιξὶν καὶ εὐλογημένος ὁ καρπὸς τῆς κοιλίας σου Μεγαλύνει ἡ ψυχή μου τὸν κύριον καὶ ἠγαλλίασεν τὸ πνεῦμά μου ἐπὶ τῷ θεῷ τῷ σωτῆρί μου ὅτι ἐπέβλεψεν ἐπὶ τὴν ταπείνωσιν τῆς δούλης αὐτοῦ ὅτι ἐποίησέν μοι μεγάλα ὁ δυνατός καὶ τὸ ἔλεος αὐτοῦ εἰς γενεὰς καὶ γενεὰς τοῖς φοβουμένοις αὐτόν διεσκόρπισεν ὑπερηφάνους διανοίᾳ καρδίας αὐτῶν καὶ ὕψωσεν ταπεινούς πεινῶντας ἐνέπλησεν ἀγαθῶν ἀντελάβετο Ἰσραὴλ παιδὸς αὐτοῦ, μνησθῆναι ἐλέους ὅτι ἐμεγάλυνεν κύριος τὸ ἔλεος αὐτοῦ μετ’ αὐτῆς καὶ ἐλάλει εὐλογῶν τὸν θεόν Εὐλογητὸς κύριος ὁ θεὸς τοῦ Ἰσραήλ καὶ ἤγειρεν κέρας σωτηρίας ἡμῖν σωτηρίαν ἐξ ἐχθρῶν ἡμῶν διὰ σπλάγχνα ἐλέους θεοῦ ἡμῶν ἐπιφᾶναι τοῖς ἐν σκότει καὶ σκιᾷ θανάτου καθημένοις καὶ ἐφοβήθησαν φόβον μέγαν ὅτι ἐτέχθη ὑμῖν σήμερον σωτὴρ δόξα ἐν ὑψίστοις θεῷ καὶ εὐλόγησεν τὸν θεὸν καὶ εἶπεν ὅτι εἶδον οἱ ὀφθαλμοί μου τὸ σωτήριόν σου καὶ δόξαν λαοῦ σου Ἰσπαήλ καὶ ἐκραταιοῦτο πληρούμενον σοφίᾳ
(2/5 = 40%) (4/8 = 50%) (2/6 = 33,3%) (2/5 = 40%) (3/9 = 33,3%) (2/5 = 40%) (3/10 = 30%) (2/4 = 50%) (3/7 = 42,9%) (3/6 = 50%) (5/11 = 45,5%) (4/8 = 50%) (2/6 = 33,3%) (4/11 = 36,4%) (3/5 = 60%) (2/3 = 66,7%) (1/3 = 33,3%) (2/6 = 33,3%) (3/8 = 37,5%) (2/5 = 40%) (2/6 = 33,3%) (2/5 = 40%) (2/4 = 50%) (2/5 = 40%) (3/8 = 37,5%) (2/4 = 50%) (2/5 = 40%) (3/4 = 75%) (2/6 = 33,3%) (4/8 = 50%) (2/5 = 40%) (2/4 = 50%)
Auch diese Fälle bleiben jedoch vorerst diskussionswürdig. Denn aufgrund der Beschaffenheit des charakteristischen Vokabulars der Psalmen kann es durchaus bisweilen vorkommen, dass zwei als charakteristisch für die 96
Die Liste des charakteristischen Vokabulars beinhaltet die maskuline Form δοῦλος (s. auch unten zu V. 48a).
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
85
Psalmen geltende Vokabeln in einem prosaischen Kontext gemeinsam auftreten und so den Eindruck erwecken, die betreffende Sequenz stünde nicht nur in ihrer Wortwahl sondern auch in ihrer Form den Psalmen nahe. Aus diesem Grund ist es wichtig, besonders die anhand des Kriteriums des charakteristischen Vokabulars gewonnenen Ergebnisse mithilfe anderer Kriterien auf ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen. Insbesondere das Parallelismus- und das Kontext-Kriterium können hier gute Dienste tun.97 Eine solche Diskussion der Ergebnisse wird unter Punkt 1.2.5 am Ende dieses Kapitels stattfinden. 1.2.3 Intertextuelle Referenzen Neben vielfältigen Anspielungen auf Texte der hebräischen Bibel bzw. ihrer griechischen Übersetzung finden sich in Lukas 1,1–2,40 auch zahlreiche wörtliche Zitate, welche bekannte Stellen der Septuaginta aufnehmen.98 Wo dies der Fall ist, können solche Zitate sich auch für die Unterscheidung zwischen Vers und Prosa in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums als nützlich erweisen. Denn sie erlauben es, anzunehmen, dass die idealen Lesenden eine Sequenz als eine versförmige wahrnehmen, sofern zwei Bedingungen erfüllt sind: wenn nämlich erstens unter den Rezipientinnen und Rezipienten des Lukasevangeliums im ersten Jahrhundert ein hoher Bekanntheitsgrad des Prätexts angenommen werden darf; und wenn es sich bei diesem Prätext zweitens um einen versförmigen handelt. Ist dies beides gegeben, so ruft ein solches Zitat in den Rezipientinnen und Rezipienten unbewusst den Ursprungs-Kontext der zitierten Sequenz echohaft wach, wobei in einer solchen assoziativen Verknüpfung nicht nur inhaltliche sondern eben auch stilistische Merkmale mitschwingen. Das heißt: Wo im Posttext Zitate aus einem versförmigen Prätext begegnen, nehmen die 97 Für jede der Ergebnis-Sequenzen, die die Analyse des Vokabulars zutage gefördert hat, muss überprüft werden, ob sie erstens einen denkbaren vom Parallelismus strukturierten Gegenpart besitzt – auch wenn der Parallelismus an dieser Stelle sich nicht leicht anhand von Wortpaaren und paralleler Syntax aufspüren lässt –, und ob sie zweitens innerhalb eines versförmigen unmittelbaren Kontexts steht. Darüber hinaus kann auch das Kriterium der weiteren sprachlichen Merkmale (s.o. Punkt 1.1.3) sowohl positive als auch negative Anhaltspunkte zur Bestimmung der Form einer Sequenz beisteuern: wo beispielsweise eine Dialogsituation vorhanden ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Sequenz von ihren Leserinnen und Lesern der Versform zugeordnet wird, während diese Wahrscheinlichkeit bei einer nicht-vorhandenen Dialogsituation sinkt. 98 In meiner Unterscheidung zwischen Anspielungen und Zitaten bin ich mir der Tatsache bewusst, dass sich keine scharfe Grenze zwischen beiden ziehen lässt. Wo ich von einem Zitat spreche, nehme ich einen hohen Grad von Übereinstimmung zwischen Prätext und Posttext wahr; wo ich von einer Anspielung spreche, halte ich diesen Grad für geringer, während der Zusammenhang zwischen Prätext und Posttext dennoch deutlich erkennbar bleibt.
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Leserinnen und Leser, denen dieser Kontext vertraut ist, die zitierte Sequenz auch an ihrem neuen Ort als versförmig wahr. Eine solche Art der Rezeption bei der idealen Leserschaft des 1. Jahrhunderts ist in Lukas 1,1–2,40 für die folgenden Sequenzen denkbar: Lk 1,13cd Die Worte, die der Engel in Lk 1,13cd verwendet, um dem Priester Zacharias die Geburt seines Sohnes Johannes anzukündigen, zitieren deutlich die Worte Gottes bei der Sohnesverheißung an Abraham (Gen 17,19):99 Lk 1,13cd
Gen 17,19
καὶ ἡ γυνή σου Ἐλισάβετ γεννήσει υἱόν σοι
ἰδοὺ Σαρρα ἡ γυνή σου τέξεταί σοι υἱόν
καὶ καλέσεις τὸ ὄνομα αὐτοῦ Ἰωάννην.
καὶ καλέσεις τὸ ὄνομα αὐτοῦ Ἰσαακ.
Zwar ließe die Gottesrede in Gen 17,19 sich als semantisch vom Parallelismus strukturiert wahrnehmen, wobei die Konjunktion καί und die Präposition εἰς je den Beginn eines neuen Halbverses markierten: Ἰδοὺ Σαρρα ἡ γυνή σου τέξεταί σοι
υἱόν,
καὶ καλέσεις τὸ ὄνομα αὐτοῦ
Ἰσαακ,
καὶ στήσω
τὴν διαθήκην μου
πρὸς αὐτὸν
εἰς
διαθήκην αἰώνιον
καὶ τῷ σπέρματι αὐτοῦ
μετ' αὐτόν.
Die Sohnesverheißung an Abraham in der Genesis steht jedoch innerhalb eines prosaischen Kontexts, so dass das bloße Vorhandensein eines Zitats in Lk 1,13cd die ideale Leserschaft nicht zwingend dazu leiten muss, diese Sequenz als versförmig anzusehen. Es bestehen damit keine hinreichenden Gründe für die Annahme, dass die Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums am Ende des 1. Jahrhunderts das Zitat als ein versförmiges Zitat lesen mögen. Lk 1,17b Hier bilden die Worte ἐπιστρέψαι καρδίας πατέρων ἐπὶ τέκνα eindeutig ein Zitat der Wendung ἐπιστρέψαι καρδίαν πατρὸς πρὸς υἱόν aus Sir 48,10,
99
So auch M.D. GOULDER/M.L. SANDERSON, Genesis, 14.
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
87
welche wiederum auf das Prophetenwort ὃς ἀποκαταστήσει καρδίαν πατρὸς πρὸς υἱόν (Mal 3,23)100 zurückgeht. In Sir 48,10 steht das Zitat innerhalb einer dreigliedrigen Aufzählung, ohne dass sich dort ein eindeutiger Parallelismus diagnostizieren ließe. Anders verhält es sich mit dem Kontext von Mal 3,23; diese Sequenz ist nämlich eindeutig sowohl syntaktisch als auch semantisch vom Parallelismus geprägt: ὃς ἀποκαταστήσει καρδίαν καὶ
καρδίαν
πατρὸς
πρὸς
υἱὸν
ἀνθρώπου
πρὸς
τὸν πλησίον αὐτοῦ.
Folglich lesen solche Lukas-Leserinnen und -Leser die Sequenz als eine versförmige Sequenz, denen die Stelle Mal 3,23 mit ihrem dortigen Kontext geläufig ist. Lk 1,31 Wie oben unter 1.2.1 bereits gezeigt, erinnert die Formulierung von Vers 31 stark an Wendungen aus Geburts- oder Sohnesverheißungs-Erzählungen der hebräischen Bibel bzw. der Septuaginta, insbesondere der Genesis. καὶ ἰδοὺ συλλήμψῃ ἐν γαστρὶ καὶ τέξῃ υἱὸν καὶ καλέσεις τὸ ὄνομα αὐτοῦ Ἰησοῦν, spricht Gabriel zu Maria. Die anhand der drei Verben συλλαμβάνω bzw. ἔχω – τίκτω – καλέω entstehende Dreigliedrigkeit der vielfach begegnenden Formel101 lässt sich dabei als ein dreigliedriger Parallelismus auffassen. Dies kann z.B. in der Lektüre von Gen 16,11 geschehen:102 Ἰδοὺ σὺ ἐν γαστρὶ
ἔχεις
καὶ
τέξῃ
καὶ
καλέσεις
υἱὸν τὸ ὄνομα αὐτοῦ Ἰσμαηλ.
100
Vgl. hierzu auch H.J. HOLTZMANN, Synoptiker, 29; A. SCHLATTER, Evangelium, 158; N. TURNER, Relation, 101. 101 So auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 86. 102 Vgl. zu dieser Stelle aber auch die Wendung aus Jes 7,14: Ἰδοὺ ἡ παρθένος ἐν γαστρὶ
ἕξει
καὶ
τέξεται
καὶ
καλέσεις
υἱόν, τὸ ὄνομα αὐτοῦ Ἐμμανουηλ.
Die intertextuelle Referenz zwischen Lk 1,31 und Jes 7,14 verdient auch deswegen Beachtung, weil das Stichwort παρθένος wie in Jes 7,14 auch in Lk 1,27 auftaucht, wo die Erzählung ihren Leserinnen und Lesern Maria ausdrücklich als παρθένος vorstellt.
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Da die Formel sich in den Geburtserzählungen der Genesis allerdings in prosaischen Kontexten findet, ist eine solche Wahrnehmung der Formulierung als versförmige Formulierung jedoch nicht zwingend. Die Wahrnehmung der Leserinnen und Leser hängt an dieser Stelle des Lukasevangeliums daher letztendlich von anderen Indikatoren ab. Lk 1,37 Zwar nehmen die Worte ὅτι οὐκ ἀδυνατήσει παρὰ τοῦ θεοῦ πᾶν ῥῆμα in Lk 1,37 die rhetorische Frage μὴ ἀδυνατεῖ παρὰ τῷ θεῷ ῥῆμα; aus Gen 18,14 auf,103 indem sie sie in einen Aussagesatz umformen. Jedoch kann auch diese intertextuelle Referenz aufgrund des prosaischen Prätextes Gen 18 nicht dazu dienen, für den Posttext Lk 1,37 eine Wahrnehmung als versförmige Wendung durch die Lesenden anzunehmen. Lk 1,42c Das Zitat καὶ εὐλογημένος ὁ καρπὸς τῆς κοιλίας σου stammt aus Dtn 28,4,104 wo es heißt: εὐλογημένα τὰ ἔκγονα τῆς κοιλίας σου. Diese Aussage findet sich innerhalb einer langen Aufzählung von Aspekten des Wohlergehens, die die Segensverheißung an diejenigen konkretisieren, welche dem Gesetz Gottes die Treue halten. Dabei herrscht im gesamten Abschnitt Dtn 28,3–6 ein deutlicher semantischer und syntaktischer Parallelismus vor:
103
So auch M.D. GOULDER/M.L. SANDERSON, Genesis, 15; G. SCHNEIDER, Evangelium, 51; N. TURNER, Relation, 102. Vgl. hierzu auch J.A. FITZMYER, Gospel, 352; F. Ó FEARGHAIL, Imitation, 67. Dagegen nimmt A. SCHLATTER, Evangelium, 166 eine größere Nähe zu Jer 32,17 an. 104 Ähnlich auch J.A. FITZMYER, Gospel, 364.
89
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
καὶ
εὐλογημένος
σὺ
ἐν πόλει,
εὐλογημένος
σὺ
ἐν ἀγρῷ,
εὐλογημένα
τὰ ἔκγονα
τῆς κοιλίας
σου
τὰ γενήματα
τῆς γῆς
σου,
τὰ βουκόλια
τῶν βοῶν
σου
τὰ ποίμνια
τῶν προβάτων
σου,
καὶ
καὶ εὐλογημέναι καὶ
καὶ
αἱ ἀποθῆκαί
σου
τὰ ἐγκαταλείμματά
σου,
εὐλογημένος
σὺ
ἐν τῷ εἰσπορεύεσθαί
σε,
εὐλογημένος
σὺ
ἐν τῷ ἐκπορεύεσθαί
σε.
Lk 1,46b–47 Die beiden Halbverse Μεγαλύνει ἡ ψυχή μου τὸ κύριον, / καὶ ἠγαλλίασεν τὸ πνεῦμά μου ἐπὶ τῷ θεῷ τῷ σωτῆρί μου, welche bereits die Analyse unter Punkt 1.2.1 als vom Parallelismus durchformt erweisen konnte, haben in der Septuaginta gleich zwei Vorlagen, die beide Lk 1,46b–47 stark ähneln, nämlich Ψ 34,9 und Hab 3,18.105 Beide Stellen bestehen ebenfalls aus zwei Halbversen und weisen eine parallele Struktur auf: Ἡ δὲ ψυχή μου
Ἐγὼ δὲ
ἀγαλλιάσεται
ἐπὶ
τῷ κυρίῳ,
τερφθήσεται
ἐπὶ
τῷ σωτηρίῳ αὐτοῦ
ἐν τῷ κυρίῳ
ἀγαλλιάσομαι,
χαρήσομαι
ἐπὶ τῷ θεῷ τῷ σωτῆρί μου
(Ψ 34,9).
(Hab 3,18).
105 Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 358; vgl. außerdem F. BOVON, Evangelium, 88; W. ECKEY, Lukasevangelium, 103; A. SCHLATTER, Evangelium, 170. U. MITTMANN-RICHERT, Magnifikat, 9 geht von einer Verbindung von Hab 3,18 mit Jes 61,10 aus. Es fällt auf, dass Ψ 34,9 und Jes 61,10 sich stark ähneln, denn Jes 61,10 LXX lautet: ἀγαλλιάσθω ἡ ψυχή μου ἐπὶ τῷ κυρίῳ. Da das Lukasevangelium sowohl die Psalmen als auch das Jesajabuch bei den idealen Lesenden als bekannt voraussetzt (s.o. Punkt 1.1.2 sowie Anm. 62), lässt sich hier nicht entscheiden welche von beiden Septuaginta-Stellen die Leserschaft bei der Lektüre von Lk 1,46b–47 assoziiert.
90
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Lk 1,48a Mit der Sequenz ὅτι ἐπέβλεψεν ἐπὶ τὴν ταπεύνωσιν τῆς δούλης αὐτοῦ zitiert Lk 1,48a eine Aussage aus 1Sam 1,11: ἐπιβλέψῃς ἐπὶ τὴν ταπείνωσιν τῆς δούλης σου.106 Die zitierten Worte stammen aus einem dreigliedrigen Bedingungssatz, der am Beginn von 1Sam 1 im Kontext von Hannas Versprechen an Gott steht: ἐὰν ἐπιβλέπων
ἐπιβλέψῃς
ἐπὶ τὴν ταπείνωσιν
τῆς δούλης σου
καὶ
μνησθῇς
μου
καὶ
δῷς
τῇ δούλῃ σου
σπέρμα ἀνδρῶν.
Deutlich ist hier die grammatische Parallele der drei Glieder untereinander. Der Zusammenhang der Erzählung zeigt darüber hinaus aber auch, dass Hanna sich wünscht, Gott möge ihrer gedenken, indem er ihr ihren großen Wunsch nach einem männlichen Nachkommen erfüllt. Infolge dessen können die drei Teile der Aufzählung innerhalb dieser Erzählung auch als semantisch parallel angesehen werden. Lk 1,49b Die auf Gott bezogene Aussage καὶ ἅγιον τὸ ὄνομα αὐτοῦ zitiert unter Auslassung der beiden Worte καὶ φοβερόν einen Halbvers aus Ψ 110,9.107 Dort wiederum lässt sich für die Sequenz ἅγιον καὶ φοβερὸν τὸ ὄνομα αὐτοῦ zwar weder semantisch noch grammatisch ein deutlicher Parallelismus nachweisen; doch steht der Satz in Ψ 110 innerhalb eines zweifellos vom Parallelismus geformten Kontexts, so dass für diesen Prätext auch die Versform der fraglichen Sequenz selbstverständlich gegeben ist. Die allusions-kompetenten Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums identifizieren die Wendung in Lk 1,49b als Psalmzitat und nehmen darum auch den Posttext als versförmig wahr.
106
Vgl. hierzu auch F. BOVON, Evangelium, 88; R.E. BROWN, Annunciation, 67–68; DERS., Birth, 358; S.C. FARRIS, Hymns, 120; A. V. HARNACK, Magnificat, 71; A. SCHLATTER, Evangelium, 170; vgl. außerdem W. ECKEY, Lukasevangelium, 103; U. MITTMANN-RICHERT, Magnifikat, 10; A. PLUMMER, Gospel, 30. 107 Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 358; M.D. GOULDER/M.L. SANDERSON, Genesis, 22 sowie A. V. HARNACK, Magnificat, 71; vgl. außerdem W. ECKEY, Lukasevangelium, 103; U. MITTMANN-RICHERT, Magnifikat, 12; A. PLUMMER, Gospel, 30. A. SCHLATTER, Evangelium, 170 weist darüber hinaus auf die Ähnlichkeit der Formulierung zu Jes 57,15 hin.
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
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Lk 1,50 Mit den Worten καὶ τὸ ἔλεος αὐτοῦ εἰς γενεὰς καὶ γενεὰς τοῖς φοβουμένοις αὐτόν bietet Lk 1,50 mehr als eine bloße Anspielung auf einen Halbvers aus Ψ 102,17,108 der lautet: τὸ δὲ ἔλεος τοῦ κυρίου ἀπὸ τοῦ αἰῶνος καὶ ἕως τοῦ αἰῶνος ἐπὶ τοὺς φοβουμένους αὐτόν. Das Verwandtschaftsverhältnis zwischen beiden Stellen lässt sich als das eines freien Zitats charakterisieren. Der gesamte V. 17 des Ψ 102 weist dann auch ein sichtbar grammatisch wie semantisch paralleles Entsprechungsverhältnis zwischen zwei Vershälften auf:
καὶ
Τὸ δὲ ἔλεος
τοῦ κυρίου
ἡ δικαιοσύνη
αὐτοῦ
ἀπὸ τοῦ αἰῶνος καὶ ἕως τοῦ αἰῶνος
ἐπὶ
τοὺς φοβουμένους αὐτόν,
ἐπὶ
υἱοὺς υἱῶν.
Lk 1,52 Bereits die oben unter Punkt 1.2.1 durchgeführte Analyse hat ergeben, dass Lk 1,52 aus zwei parallelen Vershälften besteht: καθεῖλεν δυνάστας ἀπὸ θρόνων / καὶ ὕψωσεν ταπεινούς. Darüber hinaus beinhalten diese Zeilen jedoch auch wahrnehmbare Anklänge an zwei Stellen der Septuaginta: θρόνους ἀρχόντων καθεῖλεν ὁ κύριος (Sir 10,14)109 und ἐταπείνωσας τὸ ὑψηλὸν / καὶ τὸ ταπεινὸν ὕψωσας (Hes 21,31).110 Während Sir 10,14 dem ersten Halbvers von Lk 1,52 nahe steht, ähnelt Ez 21,31 eher dem zweiten Halbvers von Lk 1,52. Für die Stelle aus dem Sirach-Buch lässt sich die versförmige Struktur ihres Kontexts Sir 10,14–15 leicht zeigen: Θρόνους καὶ ῥίζας καὶ
ἀρχόντων
καθεῖλεν
ἐκάθισεν
πραεῖς
ἐθνῶν
ἐξέτιλεν
ἐφύτευσεν
ταπεινοὺς
ὁ κύριος ἀντ' αὐτῶν, ὁ κύριος ἀντ' αὐτῶν.
Auch Ez 21,31 weist eine parallele Beziehung zwischen beiden Vershälften auf, die sich zum einen an der grammatischen Beschaffenheit feststellen 108
Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 358; A. V. HARNACK, Magnificat, 71; U. MITTMANNRICHERT, Magnifikat, 12; vgl. außerdem W. ECKEY, Lukasevangelium, 103; A. PLUMMER, Gospel, 30. 109 Vgl. hierzu auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 104; S.C. FARRIS, Hymns, 121; U. MITTMANN-RICHERT, Magnifikat, 14. 110 Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 359; A. SCHLATTER, Evangelium, 171.
92
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
lässt – unter diesem Blickwinkel entsprechen einander die beiden Verbformen ἐταπείνωσας und ὕψωσας sowie die beiden Objekte τὸ ὑψηλὸν und τὸ ταπεινὸν. Zum anderen stehen beide Vershälften hier jedoch auch über die Wortstämme der Vokabeln, d.h. lexikalisch in Beziehung zueinander: denn der Wortstamm ταπειν- begegnet im Verb ταπεινόω des ersten und im Adjektiv ταπεινόν des zweiten Halbverses; in ähnlicher Weise taucht der Stamm ὑψ- im Adjektiv ὑψηλόν des ersten sowie im Verb ὑψόω des zweiten Halbverses auf. Graphisch lässt sich dieser Parallelismus daher auf zweierlei Arten darstellen: Parallele der Grammatik
καὶ
Parallele der Wortstämme
ἐταπείνωσας
τὸ ὑψηλὸν
τὸ ταπεινὸν
ὕψωσας.
καὶ
ἐταπείνωσας
τὸ ὑψηλὸν
τὸ ταπεινὸν
ὕψωσας.
Lk 1,53a Mit dem Ausdruck πεινῶντας ἐνέπλησεν ἀγαθῶν nimmt Lk 1,53a die Aussage καὶ ψυχὴν πεινῶσαν ἐνέπλησεν ἀγαθῶν aus Ψ 106,9 beinahe wörtlich auf.111 In ihrem Ursprungskontext sind die beiden Vershälften von Ψ 106,9 einander folgendermaßen parallel zugeordnet: ὅτι
ἐχόρτασεν
ψυχὴν
κενὴν
καὶ
ψυχὴν
πεινῶσαν
ἐνέπλησεν ἀγαθῶν.
Lk 1,55b Die Vershälfte τῷ Ἀβραὰμ καὶ τῷ σπέρματι αὐτοῦ εἰς τὸν αἰῶνα in Lk 1,55b stammt aus 2Sam 22,51 (= Ψ 17,51);112 lediglich der dort verwendete Name David ist im Lukasevangelium durch Abraham ersetzt, und anstelle von ἕως αἰῶνος heißt es in Lk 1,55b εἰς τὸν αἰῶνα. Die Zeile τῷ Δαυιδ καὶ τῷ σπέρματι αὐτοῦ ἕως αἰῶνος findet sich in 2Sam 22,51 am Ende von Davids Dankpsalm und im selben Wortlaut noch einmal in Ψ 17,51. Damit steht sie innerhalb eines ganz eindeutig versförmig strukturierten Kontexts. Die in Lk 1,55b aufgenommenen Worte stellen dabei den letzten von drei Versteilen des Gesamtverses 2Sam 22,51 dar: 111
Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 359; J.A. FITZMYER, Gospel, 368; A. V. HARNACK, Magnificat, 72; vgl. außerdem W. ECKEY, Lukasevangelium, 104; A. PLUMMER, Gospel, 31. 112 Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 360; U. MITTMANN-RICHERT, Magnifikat, 16. Vgl. außerdem A. PLUMMER, Gospel, 31.
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
καὶ
μεγαλύνων
σωτηρίας
ποιῶν
ἔλεος
93
βασιλέως αὐτοῦ τῷ
χριστῷ αὐτοῦ
τῷ
Δαυιδ
καὶ τῷ σπέρματι αὐτοῦ ἕως αἰῶνος.
Lk 1,68a Mit der Wendung Εὐλογητὸς κύριος ὁ θεὸς Ἰσραήλ beginnen oder enden viele lobende Gebete und Gesänge in der Septuaginta (z.B. 1Kön 1,48; Ψ 40,14; 105,48).113 Εὐλογητὸς κύριος ὁ θεὸς τοῦ Ἰσραήλ sind auch die ersten Worte im Gotteslob des Zacharias. Auf die mit der Septuaginta vertrauten Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums müssen diese Worte folglich eine Signalwirkung ausüben und ihnen anzeigen, dass hier nun ein poetisches Textstück anfängt. Zwar lässt sich für keine der Referenzstellen in der Septuaginta formal ein eindeutiger grammatischer oder semantischer Parallelismus zweier Halbverse feststellen. Der offensichtlich versförmige Kontext des Prätextes verbietet aber dennoch – insbesondere in den Belegen aus den Psalmen – jeglichen Zweifel an der Versform der Sequenz in ihrer Wahrnehmung durch die idealen Lesenden. Lk 1,68b Wenn es in Vers 68b heißt ὅτι ἐπεσκέψατο καὶ ἐποίησεν λύτρωσιν τῷ λαῷ αὐτοῦ, so erinnert der zweite Teil dieser Sequenz an die Wendung λύτρωσιν ἀπέστειλεν τῷ λαῷ αὐτοῦ aus Ψ 110,9,114 obschon der Psalm ein anderes Verbum benutzt und im Vergleich zu Lk 1,68b das Verbum mit dem Substantiv λύτρωσις syntaktisch vertauscht. Dennoch reicht die Ähnlichkeit aus, um einen Vergleich zu Ψ 110,9 in dessen Herkunfts-Kontext zu rechtfertigen. Innerhalb von Ψ 110 weisen die beiden Halbverse von V. 9 eine eher lose Verknüpfung auf: Semantisch entfalten beide das gute Handeln Gottes an seinem Volk. Grammatisch werden diese Wohltaten Gottes durch die bei113 Darüber hinaus auch noch 1Sam 25,32; 1Kön 8,15; Ψ 71,18; 1Chr 16,36; 2Chr 2,11; 6,4. Vgl. hierzu auch F. BOVON, Evangelium, 103; R.E. BROWN, Birth, 386; W. ECKEY, Lukasevangelium, 122; S.C. FARRIS, Hymns, 134; H. KLEIN, Lukasevangelium, 123; A. SCHLATTER, Evangelium, 179; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 86. Vgl. außerdem A. PLUMMER, Gospel, 39. M.D. GOULDER/M.L. SANDERSON, Genesis, 21–22 unterstreichen insbesondere die Parallele zwischen Lk 1,68 und 1Kön 1,48. Vgl. zu der Wendung außerdem H. GUNKEL, Lieder, 47; D. JONES, Background, 28. 114 Vgl. hierzu auch F. BOVON, Evangelium, 104; R.E. BROWN, Birth, 386; vgl. außerdem W. ECKEY, Lukasevangelium, 122; A. PLUMMER, Gospel, 39.
94
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
den im Akkusativ stehenden Substantive λύτρωσις und διαθήκη benannt. Jeder Halbvers hat eine Verbform der 3. Person Singular im Aorist. Eine zusätzliche Parallele zwischen ihnen kommt durch die Verwendung des Pronomens αὐτοῦ jeweils am Ende zustande. Λύτρωσιν ἐνετείλατο
ἀπέστειλεν εἰς
τῷ λαῷ
αὐτοῦ,
τὸν αἰῶνα διαθήκην
αὐτοῦ.
Auch wenn die sprachliche Analyse damit keine völlig eindeutige parallele Gestaltung des Prätextes aufzeigen kann – durch seine Stellung innerhalb des Gesamtpsalms und innerhalb des Psalters bleibt die Versform der Sequenz auch im Posttext für ihre idealen antiken Leserinnen und Leser unzweifelhaft. Lk 1,71 Lk 1,71 bildet mit den Worten σωτηρίαν ἐξ ἐχθρῶν ἡμῶν / καὶ ἐκ χειρὸς πάντων τῶν μισούντων ἡμᾶς für sich genommen schon einen poetischen Parallelismus.115 Darüber hinaus nimmt dieser Vers aber auch deutlich die Formulierung aus Ψ 105,10 auf, wo es heißt: καὶ ἔσωσεν αὐτοὺς ἐκ χειρὸς μισούντων / καὶ ἐλυτρώσατο αὐτοὺς ἐκ χειρὸς ἐχθροῦ.116 Diese beiden Vershälften verlaufen nicht nur semantisch und syntaktisch sondern weithin auch wörtlich parallel: καὶ
ἔσωσεν
αὐτοὺς
ἐκ
χειρὸς
μισούντων
καὶ
ἐλυτρώσατο
αὐτοὺς
ἐκ
χειρὸς
ἐχθροῦ.
Lk 1,72b Mit καὶ μνησθῆναι διαθήκης ἁγίας αὐτοῦ klingen in Lk 1,72b Worte aus Ψ 105,45 an, welche lauten: καὶ ἐμνήσθη τῆς διαθήκης αὐτοῦ.117 Der gesamte V. 45 in Ψ 105 besteht aus zwei parallelen Hälften: καὶ
ἐμνήσθη
τῆς διαθήκης
αὐτοῦ
καὶ
μετεμελήθη
κατὰ τὸ πλῆθος τοῦ ἐλέους
αὐτοῦ.
115
S.o. Punkt 1.2.1. Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 387; S.C. FARRIS, Hymns, 136; A. SCHLATTER, Evangelium, 179; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 87; vgl. außerdem W. ECKEY, Lukasevangelium, 122; A. PLUMMER, Gospel, 39. 117 Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 387; vgl. außerdem W. ECKEY, Lukasevangelium, 122; A. PLUMMER, Gospel, 39. 116
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
95
Wie bereits bei dem in Lk 1,68b aufgenommenen Ψ 110,9 verlaufen auch die beiden Halbverse von Ψ 105,45 in ihrem ursprünglichen Kontext vor allem semantisch parallel. Unter grammatischer Perspektive binden die beiden Verbformen der 3. Person Singular Aorist Passiv die Halbverse zusammen. Der weitere Kontext des Prätextes von Ψ 105 erweist aus der Perspektive der Lesenden die versförmige Struktur der Sequenz im Posttext jedoch deutlich. Lk 1,73a Auch die Aussage ὅρκον ὅν ὤμοσεν πρὸς Ἀβραὰμ τὸν πατέρα ἡμῶν hat eine Vorlage in der Septuaginta, nämlich in Jer 11,5:118 ὅπως στήσω τὸν ὅρκον μου ὅν ὤμοσα τοῖς πατράσιν ὑμῶν. Im Jeremia-Buch ist diese Sequenz Teil einer Zusage Gottes an sein Volk. Dieser Abschnitt weist zwar die Struktur kurzer Aussagesätze auf, ein poetischer Parallelismus lässt sich dort analytisch jedoch nicht nachweisen. Lk 1,76b Zacharias weissagt in Lk 1,76b an den neugeborenen Johannes gewandt: προπορεύσῃ γὰρ ἐνώπιον κυρίου ἑτοιμάσαι ὁδοὺς αὐτοῦ. Die zweite Hälfte dieser Sequenz stellt ein Zitat aus Jes 40,3 dar,119 welches grammatisch an den neuen Kontext angepasst ist. In Jes 40,3 findet sich nämlich nicht der Infinitiv sondern ein Imperativ: ἑτοιμάσατε τὴν ὁδὸν κυρίου. Dieser besitzt in einem folgenden zweiten Halbvers eine Entsprechung, mit welcher er sich zu einem Parallelismus zusammenfügt: Ἑτοιμάσατε
τὴν ὁδὸν
κυρίου,
εὐθείας ποιεῖτε
τὰς τρίβους
τοῦ θεοῦ ἡμῶν.
Mit dem Jesaja-Buch vertraute Leserinnen und Leser des Textes nehmen die Sequenz in Lk 1,76b daher als eine versförmige Sequenz wahr.
118 Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 388; vgl. außerdem W. ECKEY, Lukasevangelium, 122; A. PLUMMER, Gospel, 39. 119 Vgl. hierzu auch A. PLUMMER, Gospel, 39.
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Lk 1,79a Mit den Worten ἐπιφᾶναι τοῖς ἐν σκότει καὶ σκιᾷ θανάτου καθημένοις bietet Lk 1,79a eine offensichtliche Anspielung auf Ψ 106,10.120 Dort heißt es καθημένους ἐν σκότει καὶ σκιᾷ θανάτου. Das Zitat bleibt deutlich als solches zu erkennen, auch wenn es in seiner Gestalt von Lk 1,79a durch eine grammatische und syntaktische Änderung auf die Erfordernisse des lukanischen Kontexts zugeschnitten ist. καθημένους
ἐν
σκότει
καὶ
σκιᾷ θανάτου,
πεπεδημένους
ἐν
πτωχείᾳ
καὶ
σιδήρῳ.
Wie die schematische Darstellung illustriert, zeigt sich im Ursprungskontext die durch den Parallelismus bestimmte Struktur von Ψ 106,10 deutlich. Lk 2,32a Als Maria und Josef mit dem neugeborenen Jesus im Jerusalemer Tempel erscheinen, nimmt der vom Heiligen Geist geleitete Simeon das Kind in die Arme und beginnt, über es zu weissagen. Unter anderem erkennt Simeon in dem Jesus-Knaben φῶς εἰς ἀποκάλυψιν ἐθνῶν. Die Wendung εἰς φῶς ἐθνῶν stammt aus dem Jesajabuch (Jes 42,6)121 und bildet dort ein selbstständiges Glied im Parallelismus, dessen beide Halbverse folgendermaßen lauten: καὶ ἔδωκά σε
εἰς
διαθήκην
γένους,
εἰς
φῶς
ἐθνῶν.
Zwischenergebnis: Der Text Lk 1,1–2,40 enthält eine beachtliche Anzahl intertextueller Referenzen zu versförmigen Abschnitten der Septuaginta.122 Manche von ihnen 120 Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 389 sowie M.D. GOULDER/M.L. SANDERSON, Genesis, 22. Vgl. ferner A. PLUMMER, Gospel, 39. Außerdem findet sich eine ähnliche Wendung in Jes 9,1 (vgl. A. SCHLATTER, Evangelium, 181). 121 Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 458; J.A. FITZMYER, Gospel, 428; vgl. außerdem W. ECKEY, Lukasevangelium, 162. 122 Der dem Hebräischen ähnelnde Sprachgebrauch in Lk 1–2 hat die literarkritische Forschung vielfach dazu angeregt, aus der jüdischen bzw. judenchristlichen Gedankenwelt stammende und hinter dem Lukasevangelium stehende Quellen anzunehmen (vgl. z.B. S.C. FARRIS, Discerning, 211). Möglicherweise erklärt sich ein hoher Anteil der von der Literarkritik wahrgenommenen sog. „Semitismen“ in Lk 1–2 jedoch durch die in weitem Umfang vorhandenen intertextuellen Referenzen auf die Septuaginta. Außerdem gehen einige Forscher davon aus, dass eine bewusste Imitation der Septuaginta zu der so gearteten sprachlichen Gestaltung des lukanischen Texts
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
97
treten als verhältnismäßig wortgetreue Zitate auf (z.B. Lk 1,55b oder 79a) – obwohl nirgends völlig unverändert –, während andere einen Wortlaut aus der Septuaginta anklingen lassen, diesen jedoch so variieren, dass er sich grammatisch besser in den neuen Kontext einfügt (z.B. Lk 1,71 oder 73a). Viele der Schriftstellen, die in Lk 1,1–2,40 anklingen, haben an ihrem Ursprungsort einen durch den poetischen Parallelismus bestimmten und damit versförmigen Kontext (1,17b; 42c; 46b.47; 48a; 49b; 50; 52; 53a; 55b; 68a; 71; 72b; 76b; 79a; 2,32a); für andere lässt sich ein versförmiger Prätext mit analytischen Mitteln nicht eindeutig erweisen (1,13cd; 31; 37; 68b; 73a). Wo eine intertextuelle Referenz in Lk 1,1–2,40 sich auf einen versförmigen Abschnitt der Septuaginta zurückbezieht, rezipieren die idealen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums die betreffende Sequenz auch in ihrem neuen Kontext wahrscheinlich als eine versförmige Sequenz. Dies gilt dort umso mehr, wo für die zitierte Schrift der Septuaginta ein hoher Bekanntheitsgrad unter den idealen Leserinnen und Lesern des Lukasevangeliums angenommen werden darf. Wie bereits unter Punkt 1.1.2 gezeigt, ist dies insbesondere beim Jesajabuch und dem Psalter der Fall.123 1.2.4 Weitere stilistische Merkmale Einige weitere stilistische Merkmale haben sich in der Untersuchung von Ψ 33 als charakteristisch für versförmige Texte der Septuaginta erwiesen, nämlich erstens eine Situation des Dialogs, zweitens eine bilderreiche Sprache und drittens ein häufiges Auftreten von Begründungssätzen und sprachlich exponierten Wendepunkten. Obwohl diese Merkmale sich auffallend häufig in den versförmigen Schriften der Septuaginta vorfinden, ist dennoch der Umkehrschluss nicht zulässig, als müssten alle Texte, die solche Merkmale aufweisen, zwingend auch als versförmige Texte eingestuft werden. Das Kriterium der weiteren stilistischen Merkmale kann nur als zusätzlicher Indikator dienen, wo bereits andere Kriterien Hinweise auf die Versform einer Sequenz in der Wahrnehmung ihrer idealen Leserschaft geliefert haben; es muss mit Vorsicht gehandhabt werden. Eine Dialogsituation, bilderreiche Sprache oder Begründungssätze kommen in Lk 1,1–2,40 an verschiedenen Stellen vor: geführt hat (z.B. F. Ó FEARGHAIL, Imitation, 59–60; vgl. hierzu auch A. V. HARNACK, Magnificat, 80.84–85; A. SCHLATTER, Evangelium, 28). 123 Unter Punkt 1.1.4 in Anm. 62 bin ich davon ausgegangen, dass die Bekanntheit einer Schrift der hebräischen Bibel unter den Leserinnen und Lesern der neutestamentlichen Schriften daran ablesen lässt, wie häufig die betreffende Schrift im Neuen Testament zitiert wird. Der Quotient, der die Anzahl von Zitaten durch die Länge N der jeweiligen Schrift dividiert, gibt mathematisch den Bekanntheitsgrad dieser Schrift an.
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
1.2.4.1 Eine Situation des Dialogs Die folgende Liste enthält solche Textsequenzen aus Lk 1,1–2,40 die sich nicht nur indirekt als wörtliche Rede identifizieren lassen, sondern die auch selbst entsprechende Pronomina und Verbformen der 1. und 2. Person beinhalten: 1,3–4 ἔδοξε κἀμοὶ παρηκολουθηκότι ἄνωθεν πᾶσιν ἀκριβῶς καθεξῆς σοι γράψαι, κράτιστε Θεόφιλε, ἵνα ἐπιγνῷς περὶ ὧν κατηχήθης λόγων τὴν ἀσφάλειαν. 13b–14a μὴ φοβοῦ, Ζαχαρία, διότι εἰσηκούσθη ἡ δέησίς σου, καὶ ἡ γυνή σου Ἐλισάβετ γεννήσει υἱόν σοι καὶ καλέσεις τὸ ὄνομα αὐτοῦ Ἰωάννην. καὶ ἔσται χαρά σοι καὶ ἀγαλλίασις. 18b–d κατὰ τί γνώσομαι τοῦτο; ἐγὼ γάρ εἰμι πρεσβύτης καὶ ἡ γυνή μου προβεβηκυῖα ἐν ταῖς ἡμέραις αὐτῆς. 19b–20 ἐγώ εἰμι Γαβριὴλ ὁ παρεστηκὼς ἐνώπιον τοῦ θεοῦ καὶ ἀπεστάλην λαλῆσαι πρὸς σὲ καὶ εὐαγγελίσασθαί σοι ταῦτα· καὶ ἰδοὺ ἔσῃ σιωπῶν καὶ μὴ δυνάμενος λαλῆσαι ἄχρι ἦς ἡμέρας γένηται ταῦτα, ἀνθ’ ὧν οὐκ ἐπίστευσας τοῖς λόγοις μου, οἵτινες πληρωθήσονται εἰς τὸν καιρὸν αὐτῶν. 25 ὅτι οὕτως μοι πεποίηκεν κύριος ἐν ἡμέραις αἷς ἐπεῖδεν ἀφελεῖν ὄνειδός μου ἐν ἀνθρώποις. 28b χαῖρε, κεχαριτωμένη, ὁ κύριος μετὰ σοῦ. 30b–31 μὴ φοβοῦ, Μαριάμ, εὗρες γὰρ χάριν παρὰ τῷ θεῷ. καὶ ἰδοὺ συλλήμψῃ ἐν γαστρὶ καὶ τέξῃ υἱὸν καὶ καλέσεις τὸ ὄνομα αὐτοῦ Ἰησοῦν. 34b πῶς ἔσται τοῦτο, ἐπεὶ ἄνδρα οὐ γινώσκω; 35b–36 πνεῦμα ἅγιον ἐπελεύσεται ἐπὶ σε καὶ δύναμις ὑψίστου ἐπισκιάσει σοι· διὸ καὶ τὸ γεννώμενον ἅγιον κληθήσεται υἱὸς θεοῦ. καὶ ἰδοὺ Ἐλισάβετ ἡ συγγενίς σου καὶ αὐτὴ συνείληφεν υἱὸν ἐν γήρει αὐτῆς καὶ οὗτος μὴν ἕκτος ἐστὶν αὐτῇ τῇ καλουμένῃ στείρᾳ· 38b ἰδοὺ ἡ δούλη κυρίου· γένοιτό μοι κατὰ τὸ ῥῆμά σου. 42b–45 εὐλογημένη σὺ ἐν γυναιξὶν καὶ εὐλογημένος ὁ καρπὸς τῆς κοιλίας σου. καὶ πόθεν μοι τοῦτο ἵνα ἔλθῃ ἡ μήτερ τοῦ κυρίου μου πρὸς ἐμέ; ἰδοὺ γὰρ ὡς ἐγένετο ἡ φωνὴ τοῦ ἀσπασμοῦ σου εἰς τὰ ὦτά μου, ἐσκίρτησεν ἐν ἀγγαλιάσει τὸ βρέφος ἐν τῇ κοιλίᾳ μου. καὶ μακαρία ἡ πιστεύσασα ὅτι ἔσται τελείωσις τοῖς λελαλημένοις αὐτῇ παρὰ κυρίου. 46b–47 Μεγαλύνει ἡ ψυχή μου τὸν κύριον, καὶ ἠγαλλίασεν τὸ πνεῦμά μου ἐπὶ τῷ θεῷ τῷ σωτῆρί μου. 48b–49a ἰδοὺ γὰρ ἀπὸ τοῦ νῦν μακαριοῦσίν με πᾶσαι αἱ γενεαί, ὅτι ἐποίησέν μοι μεγάλα ὁ δυνατός. 61b ὅτι οὐδείς ἐστιν ἐκ τῆς συγγενείας σου ὅς καλεῖται τῷ ὀνόματι τούτῳ. 69a καὶ ἤγειρεν κέρας σωτηρίας ἡμῖν.
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
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71–76 σωτηρίαν ἐξ ἐχθρῶν ἡμῶν καὶ ἐκ χειρὸς πάντων τῶν μισούντων ἡμᾶς, ποιῆσαι ἔλεος μετὰ τῶν πατέρων ἡμῶν καὶ μνησθῆναι διαθήκης ἁγίας αὐτοῦ, ὅρκον ὃν ὤμοσεν πρὸς Ἀβραὰμ τὸν πατέρα ἡμῶν, τοῦ δοῦναι ἡμῖν ἀφόβως ἐκ χειρὸς ἐχθρῶν ῥυσθέντας λατρεύειν αὐτῷ ἐν ὁσιότητι καὶ δικαιοσύνῃ ἐνώπιον αὐτοῦ πάσαις ἡμέραις ἡμῶν. Καὶ σὺ δέ, παιδίον, προφήτης ὑψίστου κληθήσῃ· προπορεύσῃ γὰρ ἐνώπιον κυρίου ἑτοιμάσαι ὁδοὺς αὐτοῦ. 79b τοῦ κατευθῦναι τοὺς πόδας ἡμῶν εἰς ὁδὸν εἰρήνης. 2,10b–12 μὴ φοβεῖσθε, ἰδοὺ γὰρ εὐαγγελίζομαι ὑμῖν χαρὰν μεγάλην ἥτις ἔσται παντὶ τῷ λαῷ, ὅτι ἐτέχθη ὑμῖν σήμερον σωτὴρ ὅς ἐστιν χριστὸς κύριος ἐν πόλει Δαυίδ. καὶ τοῦτο ὑμῖν τὸ σημεῖον, εὑρήσετε βρέφος ἐσπαργανωμένον καὶ κείμενον ἐν φάτνῃ. 15cd διέλθωμεν δὴ ἕως Βηθλέεμ καὶ ἴδωμεν τὸ ῥῆμα τοῦτο τὸ γεγονὸς ὅ ὁ κύριος ἐγνώρισεν ἡμῖν. 29–32 νῦν ἀπολύεις τὸν δοῦλόν σου, δέσποτα, κατὰ τὸ ῥῆμά σου ἐν εἰρήνῃ· ὅτι εἶδον οἱ ὀφθαλμοί μου τὸ σωτήριόν σου, ὃ ἡτοίμασας κατὰ πρόσωπον πάντων τῶν λαῶν, φῶς εἰς ἀποκάλυψιν ἐθνῶν καὶ δόξαν λαοῦ σου Ἰσραήλ. 35a καὶ σοῦ δὲ αὐτῆς τὴν ψυχὴν διελεύσεται ῥομφαία.
1.2.4.2 Bilderreiche Sprache Es fällt auf, dass die bildhafte Stilfigur des Vergleichs innerhalb des gesamten Texts von Lukas 1,1–2,40 nicht ein einziges Mal vorkommt. Hingegen lassen sich einige Beispiele für diejenige Stilfigur nennen, die einen menschlichen Körperteil oder einen anderen anthropologischen Begriff, welcher den gesamten Menschen unter einer bestimmten Perspektive umschreibt, als selbstständiges Subjekt oder Objekt gewisser Aussagen auftreten lässt: 1,17b ἐπιστρέψαι καρδίας πατέρων ἐπὶ τέκνα 46b–47 Μεγαλύνει ἡ ψυχή μου τὸν κύριον, καὶ ἠγαλλίασεν τὸ πνεῦμά μου ἐπὶ τῷ θεῷ τῷ σωτῆρί μου. 49b καὶ ἅγιον τὸ ὄνομα αὐτοῦ 51 Ἐποίησεν κράτος ἐν βραχίονι αὐτοῦ, διεσκόρπισεν ὑπερηφάνους διανοίᾳ καρδίας αὐτῶν· 66 καὶ ἔθεντο πάντες οἱ ἀκούσαντες ἐν τῇ καρδίᾳ αὐτῶν λέγοντες· τί ἄρα τὸ παιδίον τοῦτο ἔσται; καὶ γὰρ χεὶρ κυρίου ἦν μετ’ αὐτοῦ. 70 καθὼς ἐλάλησεν διὰ στόματος τῶν ἁγίων ἀπ’ αἰῶνος προφητῶν αὐτοῦ 71b καὶ ἐκ χειρὸς πάντων τῶν μισούντων ἡμᾶς 74a ἀφόβως ἐκ χειρὸς ἐχθρῶν ῥυσθέντας
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Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
79b τοῦ κατευθῦναι τοὺς πόδας ἡμῶν εἰς ὁδὸν εἰρήνης 80a τὸ δὲ παιδίον ηὔξανεν καὶ ἐκραταιοῦτο πνεύματι 2,19 ἡ δὲ Μαριὰμ πάντα συνετήρει τὰ ῥήματα ταῦτα συμβάλλουσα ἐν τῇ καρδίᾳ αὐτῆς. 30 ὅτι εἶδον οἱ ὀφθαλμοί μου τὸ σωτήριόν σου 35 καὶ σοῦ δὲ αὐτῆς τὴν ψυχὴν διελεύσεται ῥομφαία – ὅπως ἂν ἀποκαλυφθῶσιν ἐκ πολλῶν καρδιῶν διαλογισμοί.
1.2.4.3 Begründungssätze Nach der Analyse sprachlicher Besonderheiten der Psalmen in der Septuaginta gehören exponierte Wendepunkte, die sich anhand von Signalvokabeln wie εὐθύς oder ὁπότε erkennen lassen, zu den charakteristischen Merkmalen versförmiger griechischer Texte, die in der Tradition hebräischer Dichtung stehen. Dies hat die oben stehende Untersuchung von Ψ 33 gezeigt. Jedoch kommen solche eindeutig exponierten Wendepunkte im Text von Lukas 1,1–2,40 nicht vor. Anders steht es mit Begründungssätzen, welche ja ebenfalls einen Hinweis auf den möglicherweise versförmigen Charakter einer Textsequenz in der Wahrnehmung durch die ideale antike Leserschaft zu geben vermögen. Diese Begründungssätze begegnen in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums häufig. Auch sie lassen sich an bestimmten Signalvokabeln ausmachen, zu welchen beispielsweise γάρ, ἕνεκα, ἵνα und ὅτι zählen. Die folgende Liste bietet eine Zusammenstellung solcher Begründungssätze aus Lukas 1,1–2,40 und verzichtet dabei auf solche Sequenzen, die von einem rezitativen ὅτι eingeleitet werden.124 1,1a 4 13b 15a 18bc 20c 22b 25a 30b 124
Ἐπειδήπερ πολλοὶ ἐπεχείρησαν ἀνατάξασθαι διήγησιν ἵνα ἐπιγνῷς περὶ ὧν κατηχήθης λόγων τὴν ἀσφάλειαν μὴ φοβοῦ, Ζαχαρία, διότι εἰσηκούσθη ἡ δέησίς σου ἔσται γὰρ μέγας ἐνώπιον τοῦ κυρίου κατὰ τί γνώσομαι τοῦτο; ἐγὼ γάρ εἰμι πρεσβύτης ἀνθ’ ὧν οὐκ ἐπίστευσας τοῖς λόγοις μου καὶ ἐπέγνωσαν ὅτι ὀπτασίαν ἑώρακεν ἐν τῷ ναῷ· ὅτι οὕτως μοι πεποίηκεν κύριος μὴ φοβοῦ, Μαριάμ, εὗρες γὰρ χάριν παρὰ τῷ θεῷ.
Wo ein sog. ὅτι recitativum die wörtliche Rede oder ein Zitat beginnt, handelt es sich nicht um einen Begründungssatz (z.B. Lk 1,61; 2,23). Ähnliches gilt bei der Verwendung eines narrativen δέ: In Lk 1,1–2,40 findet auch die Vokabel δέ vielfach am Beginn eines Satzes Verwendung. Wo dies der Fall ist, handelt es sich um ein narratives Stilmerkmal und ebenfalls nicht um einen Begründungssatz (z.B. Lk 1,6.8.11.13.22.24.26.29.34.38.39.56.57.62.64.76.80; 2,1.4.6.17.19.35. 40).
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
34b 35d 37 43 44a 45 48 49a 58b 66bc 68b 76b 2,4c 7b 10b 11a 30 35b
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πῶς ἔσται τοῦτο, ἐπεὶ ἄνδρα οὐ γινώσκω; διὸ καὶ τὸ γεννώμενον ἅγιον κληθήσεται υἱὸς θεοῦ. ὅτι οὐκ ἀδυνατήσει παρὰ τοῦ θεοῦ πᾶν ῥῆμα. καὶ πόθεν μοι τοῦτο ἵνα ἔλθῃ ἡ μήτερ τοῦ κυρίου μου πρὸς ἐμέ; ἰδοὺ γὰρ ὡς ἐγένετο ἡ φωνὴ τοῦ ἀσπασμοῦ σου εἰς τὰ ὦτά μου καὶ μακαρία ἡ πιστεύσασα ὅτι ἔσται τελείωσις τοῖς λελαλημένοις αὐτῇ παρὰ κυρίου. ὅτι ἐπέβλεψεν ἐπὶ τὴν ταπείνωσιν τῆς δούλης αὐτοῦ. ἰδοὺ γὰρ ἀπὸ τοῦ νῦν μακαριοῦσίν με πᾶσαι αἱ γενεαί ὅτι ἐποίησέν μοι μεγάλα ὁ δυνατός. ὅτι ἐμεγάλυνεν κύριος τὸ ἔλεος αὐτοῦ μετ’ αὐτῆς τί ἄρα τὸ παιδίον τοῦτο ἔσται; καὶ γὰρ χεὶρ κυρίου ἦν μετ’ αὐτοῦ. ὅτι ἐπεσκέψατο καὶ ἐποίησεν λύτρωσιν τῷ λαῷ αὐτοῦ προπορεύσῃ γὰρ ἐνώπιον κυρίου ἑτοιμάσαι ὁδοὺς αὐτοῦ διὰ τὸ εἶναι αὐτὸν ἐξ οἴκου καὶ πατριᾶς Δαυίδ καὶ ἐνέκλινεν αὐτὸν ἐν φάτνῃ, διότι οὐκ ἦν αὐτοῖς τόπος ἐν τῷ καταλύματι. μὴ φοβεῖσθε, ἰδοὺ γὰρ εὐαγγελίζομαι ὑμῖν χαρὰν μεγάλην ὅτι ἐτέχθη ὑμῖν σήμερον σωτὴρ ὅτι εἶδον οἱ ὀφθαλμοί μου τὸ σωτήριόν σου ὅπως ἂν ἀποκαλυφθῶσιν ἐκ πολλῶν καρδιῶν διαλογισμοί.
Die Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums können das Vorhandensein solcher unter den drei vorangehenden Gliederungspunkten beschriebenen Stilelemente – Dialogsituation, Bilderreichtum, Hypotaxe – gegebenenfalls als Hinweise auf die mögliche Versform der betreffenden Sequenzen verstehen, sofern weitere Indikatoren diese Hinweise bekräftigen. 1.2.5 Der Kontext Der Leitgedanke aller bisherigen Überlegungen beschäftigte sich mit der Wahrnehmung von Vers und Prosa durch die ideale Leserschaft des Lukasevangeliums vor der Folie ihrer antiken kulturellen Enzyklopädie. Auch am Ende des ersten Kapitels kann es daher nun nicht um gewissermaßen ontologische Aussagen über die Struktur von Lukas 1,1–2,40 gehen, sondern die bestimmende Frage der abschließenden Erwägungen lautet: Welche Passagen des zu behandelnden lukanischen Bibelabschnitts sehen seine antiken Leserinnen und Leser wahrscheinlich eher als versförmige und welche sehen sie wahrscheinlich eher als prosaische Passagen an? Nach der bisherigen Untersuchung des Textes von Lk 1,1–2,40 auf seinen versförmigen oder prosaischen Stil in der Wahrnehmung der Lesenden
102
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
lässt sich ein Zwischenstand erheben. Diejenigen Sequenzen, für die entweder das Kriterium des Parallelismus, das Kriterium des charakteristischen Vokabulars, das Kriterium der intertextuellen Referenz oder das Kriterium der weiteren stilistischen Merkmale greift, können zunächst in einer Tabelle zusammengestellt werden: Parallelismus
Vokabular
1,13bc 14
1,12b 13b 14a
16.17bc 18cd
Intertextualität weitere Merkmale 1,1a 3–4 13b–14a 1,17b
25a 25b
28b 30b–31
31 32ab 32c.33 35bc 42bc 46b.47
54.55
34b 35b–36 37 38b 42b–45
35c 38b 42b 42c 46b 47 48a 49a
49b.50 51 52.53
15a 17b 18b–d 19b–20 22c 25
50 51b 52b 53a 54 58b
42c 46b.47
46b–47
48a
48–49a
49b 50
49b 51
52 53a 55b 58b 61b
64b 66
Die Unterscheidung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Parallelismus 68.69.70
Vokabular 68a 69a
71 72.73a 73b.74.75 76 77
71a
103
Intertextualität weitere Merkmale 68a 68b 69a 70 71 71–76 72b 76b
79
78a 79a
2,14
2,9c 11a 14a
79a
79b 2,4c 7b 10b–12 15cd 19
32 34bc
28b 30 32b
29–32 2,32a 35
40b Punkt 1.1 der vorliegenden Studie hat zwischen relativ leistungsfähigen und weniger leistungsfähigen Kriterien für die Differenzierung zwischen Vers und Prosa durch die Leserschaft in neutestamentlichen Texten unterschieden. Zu den leistungsfähigeren Kriterien gehören das Kriterium des Parallelismus, das Kriterium des charakteristischen Vokabulars sowie das Kriterium der intertextuellen Referenz. Solche Textsequenzen, die mindestens zweien dieser drei Kriterien entsprechen, werden darum nun mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von den idealen Leserinnen und Lesern als versförmige Sequenzen wahrgenommen.125 Dies trifft auf die folgenden Sequenzen aus 125
Ein Sonderfall bedarf der Erläuterung: Wo eine intertextuelle Referenz existiert, da eine Sequenz aus Lk 1,1–2,40 auf einen Halbvers aus den Psalmen zurückgreift, ist die Wahrscheinlichkeit natürlich hoch, dass ebendiese Sequenz auch ein für die Psalmen charakteristisches Vokabular aufweist. Der eine Sachverhalt der intertextuellen Referenz führt hier also dazu, dass gleich zwei der relativ leistungsfähigen Kriterien greifen, obwohl ja faktisch nur dieser eine Sachverhalt vorliegt. Dieser Sonderfall trifft für den analysierten Text ausschließlich auf die Sequenz Lk 1,53a zu, wo eine intertextuelle Referenz auf einen Halbvers der Psalmen sowie ein für die Psalmen charakteristisches Vokabular vorliegt, während das Parallelismus-Kriterium nicht zur Anwendung
104
Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
Lk 1,1–2,40 zu: 1,13b.14a.17b.35c.42bc.46b.47.48a.49b.50.51b.52ab.53a. 54.55b.68a.69.71ab.72b.76b.79a; 2,14a.32ab. Diese von den Lesenden verhältnismäßig sicher als versförmig wahrgenommenen Sequenzen bilden ein Grundgerüst für die folgende Diskussion. Denn für all diejenigen Sequenzen, auf die nur eines der drei relativ leistungsfähigen Kriterien passt, muss das Kriterium des Kontexts unter Berücksichtigung des Kriteriums der weiteren stilistischen Merkmale von Fall zu Fall ein positives oder negatives Wahrscheinlichkeitsurteil fällen. Darüber hinaus kann das Kontext-Kriterium in Einzelfällen auch dort positiv Anwendung finden, wo keines der drei relativ leistungsfähigen Kriterien greift, während der Kontext starke Gründe für die Einstufung einer Textsequenz als versförmig liefert. Eine Orientierung bei solchem Vorgehen ermöglicht das Grundgerüst der aus Lesenden-Sicht bereits sicher als versförmig eingestuften Sequenzen. Lk 1,12b Für die Wahrnehmung der Sequenz als versförmig spricht ihr Vokabular, das zwei Worte aus dem für die Psalmen der Septuaginta charakteristischen Wortschatz enthält. Wegen der Kürze der Sequenz macht der Anteil charakteristischen Vokabulars 40% aus. Jedoch verleihen keine weiteren Hinweise dem etwaigen Impuls zur Rezeption der Sequenz als einer versförmigen zusätzlichen Auftrieb. Weder ein Parallelismus noch das Kriterium der weiteren stilistischen Merkmale deuten auf die versförmige Struktur der Sequenz hin. Der Kontext widerspricht dieser Art der Wahrnehmung sogar, denn Vers 12b befindet sich innerhalb eines erzählenden Abschnitts, welcher in der dritten Person von vergangenen Begebenheiten spricht. Bei Lk 1,12b handelt es sich folglich um eine Sequenz, die von den idealen Lesenden höchstwahrscheinlich als prosaisch wahrgenommen wird. Lk 1,13b–17 Deutlich wirken hier zunächst die Versteile 13b–14 versförmig: 13b hat über das Zusammentreffen von Parallelismus- und Vokabular-Kriterium eine Wahrnehmung der Sequenz als versförmig sehr nahegelegt. Versteil 13c ist aber über den Parallelismus und den Kontext engstens mit 13b verbunden, so dass auch seine versförmige Struktur für die Leserschaft auf der Hand liegt. Wie zuvor schon in 13b, so leiten auch in Versteil 14a sowohl kommen kann. Ich bin allerdings der Ansicht, dass der Sachverhalt der intertextuellen Referenz auf einen solch bekannten Text die Annahme rechtfertigt, dass die ideale Leserschaft des Lukasevangeliums am Ende des ersten Jahrhunderts diese Sequenz als eine versförmige liest.
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der Parallelismus als auch das Vokabular die Leserinnen und Leser dazu an, die Sequenz als eine versförmige wahrzunehmen. Der Versteil 14b steht aber durch Parallelismus sowie Kontext in einer untrennbaren Verbindung mit 14a und muss ihnen daher auch als versförmig gelten. Nun befindet sich die Sequenz 13d unmittelbar zwischen zwei als versförmig wahrgenommenen anderen Sequenzen, so dass sich den Lesenden auch ihre Versform als hoch wahrscheinlich nahe legt; einen zusätzlichen Grund für die Einstufung der Sequenz 13d als versförmig liefert der Leserschaft das Kriterium der intertextuellen Referenz, wenngleich die Septuaginta-Stelle, auf die die Sequenz sich zurückbezieht, außerhalb eines versförmigen Kontexts steht. Außerdem sprechen die weiteren stilistischen Merkmale für die Rezeption der Versteile 13b–14a als versförmig. Darüber hinaus ist auch die Wahrnehmung von Versform in den Versteilen 17a–d wahrscheinlich: Die Kriterien des Parallelismus und der intertextuellen Referenz haben dies für die Sequenz 17b gezeigt. 17c verbindet sich über den Parallelismus sehr eng mit 17b und wird von den idealen Lesenden darum auch wahrscheinlich als versförmig eingestuft. 17a hängt im Kontext ebenfalls eng mit dem nachfolgenden Parallelismus 17bc zusammen, was für eine Einordnung als versförmig durch die Lesenden spricht. Außerdem besteht – wie oben bereits erwähnt – ein semantischer Parallelismus zwischen den beiden Versteilen 17a und 17b, da sich auch in Sir 48 und Mal 3 das Elia-Motiv mit dem Gedanken der Hinwendung von Väterherzen zu den Kindern verbindet. Darüber hinaus lässt sich eventuell auch Vers 16 als über den Parallelismus mit 17bc verbunden betrachten. Dafür dass die Leserschaft schließlich auch den Versteil 17d als versförmig wahrnimmt, spricht der Kontext. Zwischen den beiden Abschnitten 13b–14 und 17, von welchen bisher klar geworden ist, dass ideale Lesende sie sehr wahrscheinlich als versförmig verstehen, steht noch der Abschnitt 15–16. Die Einordnung dieses Textstücks bleibt schwierig. Für eine Betrachtung von 15a als versförmig sprechen die weiteren Merkmale, die freilich nicht ausreichen, um von einer Rezeption als Versform auszugehen. Wie 13b–14 und 17 gehören aber auch 15–16 in den Kontext der Engelrede, so dass sich den Lesenden eine Einordnung des gesamten Abschnitts als versförmig anbietet. Lk 1,18cd Zwar weisen die beiden Sequenzen 18cd eine parallele Struktur auf, doch diese allein kann ja wie gezeigt auch in erzählenden Textpassagen der Septuaginta vorkommen und vermag daher allein den idealen Leserinnen und Lesern noch nicht die Versform eines Textstücks plausibel zu machen. Da es sich in 18cd um eine direkte Rede handelt, könnte auch das Kriterium
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der weiteren stilistischen Merkmale für eine versförmige Struktur von 18cd sprechen. Der Kontext legt dies jedoch nicht nahe, so dass die idealen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums vor der Folie ihrer antiken kulturellen Enzyklopädie dieses Stück wohl eher als eine prosaische Sequenz wahrnehmen. Lk 1,25 Obwohl sich in Vers 25 ein für die Psalmen charakteristisches Vokabular findet und auch die weiteren stilistischen Merkmale für die mögliche Versform dieser beiden Sequenzen sprechen könnten, ist hier jedoch keinerlei Parallelismus erkennbar. Auch der Kontext widerspricht der Wahrnehmung der Passage als versförmig. Lk 1,30b–33 Das Parallelismus-Kriterium greift sehr deutlich für den Abschnitt 31–33. In den beiden Sequenzen von Vers 31 liegt darüber hinaus auch eine intertextuelle Referenz vor, wobei die Analyse gezeigt hat, dass der Prätext in der Septuaginta, auf welchen der Posttext Lk 1,31 sich zurückbezieht, an seinem Herkunftsort keine versförmige Struktur aufweist. Insgesamt gehört der gesamte Abschnitt 30b–33 in den Kontext der Engelrede, und eine Wahrnehmung der idealen zeitgenössischen Rezipientinnen und Rezipienten, die die gesamte Engelrede als versförmig auffasst, ist damit denkbar. Lk 1,35bc Die Wahrnehmung von Versform in 35c kann als sicher gelten, da sowohl der Parallelismus als auch das Vokabular und die weiteren Merkmale dafür sprechen. Der vorausgehende Versteil 35b ist aber durch den Parallelismus und die weiteren Merkmale so eng mit 35c verbunden, dass auch er – von der Perspektive der Lesenden aus gesehen – als versförmig eingeordnet werden will. Die ideale Leserschaft mit ihrer kulturellen Enzyklopädie des 1. Jahrhunderts rezipiert deswegen sehr wahrscheinlich die beiden Sequenzen 35bc als versförmig. Der Kontext der Anrede Gabriels an Maria reicht allerdings noch über Vers 35bc hinaus. Setzt sich hier also auch die Versform fort, oder bricht sie ab? Insgesamt sprechen zu wenige Argumente für eine Wahrnehmung von 35b–37 als versförmig, so dass hier in der Tat eher mit der zweiten Möglichkeit zu rechnen ist.
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Lk 1,38b Neben der wörtlichen Rede – welche zu den weiteren stilistischen Merkmalen versförmiger Texte in der Septuaginta gehört – deutet auch das Vokabular auf die mögliche Versform der Sequenz 38b hin. Der Kontext legt die Wahrnehmung der Sequenz als einer versförmigen hingegen nicht deutlich nahe; auch lässt sich hier kein noch so lockerer Parallelismus feststellen. Darum hebt die Sequenz 38b sich nicht ausreichend von ihrem prosaischen unmittelbaren Kontext ab, um sich als versförmig wahrnehmen zu lassen. Lk 1,42bc Die Worte, die Elisabet bei ihrer Begegnung mit Maria ausruft, geben sich der idealen Leserschaft deutlich als versförmig strukturiert zu erkennen: hier greifen sowohl das Kriterium des Parallelismus als auch das Kriterium des charakteristischen Vokabulars und das Kriterium der weiteren Merkmale. Für 42c lässt sich darüber hinaus sogar auch noch eine intertextuelle Referenz feststellen. An der Versform der beiden Halbverse kann somit für die idealen Lesenden kein Zweifel bestehen. Doch der Kontext der Rede Elisabets reicht noch weiter. Für die Wahrnehmung von Versform in dem Abschnitt 43–45 sprechen jedoch einzig die weiteren stilistischen Merkmale, die alleine nicht ausreichen, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Lesende den Abschnitt als versförmig einordnen. Lk 1,46b–55 Der Textabschnitt 46b–55 gibt sich den idealen Leserinnen und Lesern so offenkundig wie kein anderer in Lk 1,1–2,40 als eine versförmige Partie zu erkennen: Die größten Teile des Gotteslobs der Maria, nämlich elf von 16 Sequenzen, erfüllen mindestens zwei der Kriterien zur Unterscheidung zwischen Vers und Prosa: 46b–48a.49b–50.51b–53a.54.55b. So spricht schon das Kontext-Kriterium sehr stark dafür, dass Lesende die dazwischen liegenden fünf Sequenzen 48b–49a.51a.53b.55a als versförmig rezipieren. Der Verdacht lässt sich leicht erhärten, denn für die Versform von 48b spricht das Kriterium der weiteren stilistischen Merkmale. Das gleiche Kriterium greift auch in der folgenden Sequenz 49a, welche sich den Lesenden zusätzlich auch durch ihr charakteristisches Vokabular als eine wahrscheinlich versförmige Sequenz zu erkennen gibt. Der Versteil 51a ist durch sein paralleles Entsprechungsverhältnis zu 51b fest mit diesem Versteil verbunden; darüber hinaus sprechen auch die weiteren stilistischen Merkmale für seine Rezeption als versförmig. Schließlich weisen auch die Sequenzen 53b und 55a die Struktur des poetischen Parallelismus auf: 53b steht hier in Wechselbeziehung zu 53a, während 55a mit 55b zusammen-
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hängt. Für den gesamten Textabschnitt Lk 1,46b–55 darf also angenommen werden, dass die ideale Leserschaft des ersten Jahrhunderts ihn als einen versförmigen Abschnitt rezipiert. Lk 1,58b Die Sequenz weist drei Vokabeln aus dem für die Psalmen der Septuaginta typischen Wortschatz auf. Ihr Anteil charakteristischen Vokabulars beträgt damit 37,5% und liegt so über der – künstlich an die Texte herangetragenen – 30%-Marke. Auch die Tatsache, dass es sich bei ihr um einen ὅτι-Satz handelt, könnte aus der Sicht der Lesenden ihre Einordnung als versförmig empfehlen, denn als Begründungssatz trifft auf sie das Kriterium der weiteren stilistischen Merkmale zu. Der Kontext spricht jedoch eine andere Sprache. Lk 1,58b befindet sich inmitten eines deutlich narrativen und prosaischen Abschnitts und kann als einzelne Sequenz innerhalb dieses Abschnitts sehr schlecht als versförmig wahrgenommen werden. Lk 1,64b Zwar deutet das Vokabular von 64b darauf hin, dass die zeitgenössische Leserschaft diese Sequenz möglicherweise als eine versförmige auffasst. Andererseits können die zwei der fünf Worte dieser Sequenz aber auch zufällig dem für die Psalmen charakteristischen Wortschatz entsprechen. Vom Kontext her bietet sich eine Wahrnehmung als versförmig nicht an. Lk 1,68–79 Der nun zu behandelnde Abschnitt umfasst 20 Sequenzen bzw. Versteile. Sechs von ihnen legen es der Leserschaft sehr nahe, sie als versförmige Sequenzen zu bestimmen, da auf sie mindestens zwei der vergleichsweise leistungsfähigen Kriterien zutreffen; dies sind 68a.69ab.71ab.72b.76b und 79a. Drei Teile des gesamten Abschnitts 68–79 werden von der Leserschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit als Verse verstanden. Zunächst 68–73a: Während es sich schon gezeigt hat, dass die Lesenden 68a.69ab.71ab.72b deutlich als versförmig rezipieren, sind die Versteile 68b.70.72a.73a durch den Kontext und den Parallelismus eng mit diesen Versteilen verknüpft. Die Sequenzen 68a–70 werden als ganze vom poetischen Parallelismus zusammen geflochten, und auch die Sequenzen 72ab.73a bilden eine vom Parallelismus strukturierte Einheit. Für eine Wahrnehmung von 68b.70.72a und 73 als versförmige Sequenzen sprechen außerdem die weiteren stilistischen Merkmale.
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Ähnliches gilt für den Teil 76ab: auch hier gibt das Kriterium der weiteren stilistischen Merkmale der Leserschaft einen Hinweis auf die Versform der beiden Halbverse. 76a und 76b formen dann auch deutlich einen Parallelismus miteinander, wobei 76b sich ja zuvor bereits als versförmig wahrzunehmend angeboten hat. Versform liegt aus der Sicht der idealen Leserinnen und Leser schließlich auch in dem Teil 79ab vor. Dass die Kriterien zur Unterscheidung zwischen Vers und Prosa, die für 79a greifen, die versförmige Struktur dieser Sequenz andeuten, hat sich oben schon gezeigt; 79b ist der vorausgehenden Sequenz im Parallelismus zugeordnet. Die weiteren stilistischen Merkmale bestätigen den Lesenden ihre Einstufung der Sequenz 79b als versförmig. Es darf damit als sicher gelten, dass die idealen Leserinnen und Leser des ersten Jahrhunderts innerhalb des Abschnitts Lk 1,68–79 die Teile 68– 72.76.79 als versförmig wahrnehmen. Damit steht aber noch die Beurteilung der Teile 73–75 und 77–78 aus. Innerhalb des Gotteslobs des Zacharias liefert natürlich das Kontext-Kriterium der Leserschaft starke Gründe dafür, auch diese beiden Teile als versförmige Textpassagen zu verbuchen. Der Teil 73–75 weist ohnehin ja eine vom Parallelismus bestimmte Struktur auf, und auch die weiteren stilistischen Merkmale empfehlen hier die Annahme, dass die zeitgenössische Leserschaft Verse in diesen Sequenzen erblickt. Auch die Sequenz 77ab lässt einen poetischen Parallelismus erkennen; 78a beinhaltet einen Anteil von 40% charakteristischen PsalmenVokabulars, so dass auch diese Sequenz sich von den Lesenden leicht als versförmig wahrnehmen lässt. Alles in allem legt es sich unter Anwendung des Kontext-Kriteriums nicht nahe, ein einzelnes kürzeres Stück innerhalb des Gotteslobs des Zacharias als prosaisch zu betrachten. Offenbar sprechen ja gute Gründe dafür, den größten Teil dieses Abschnitts als versförmig strukturiert zu verstehen. Darum empfinden die Rezipientinnen und Rezipienten des Abschnitts Lk 1,68–79 diesen höchstwahrscheinlich insgesamt als versförmig. Lk 2,9c Die kurze Sequenz enthält mit zwei von vier Worten einen hohen Anteil von Vokabular, das als charakteristisch für die Sprache der Psalmen angesehen werden kann. Doch können zwei dieser Vokabeln auch zufällig einmal miteinander auftreten. Der Kontext spricht hier jedenfalls deutlich gegen eine Wahrnehmung von Lk 2,9c als versförmig strukturiert.
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Lk 2,11a Das Vokabular und die weiteren stilistischen Merkmale sprechen für die Versform der Sequenz. Es ist aus diesem Grunde nicht auszuschließen, dass mache Rezipientinnen und Rezipienten die Rede des Engels als versförmig wahrnehmen mögen. Im Kontext weist für die umliegenden Sequenzen 10b–12 jedoch zu weniges auf die versförmige Struktur hin, so dass die Wahrnehmung als prosaisch eine höhere Wahrscheinlichkeit für sich verbuchen kann. Lk 2,14 Ein deutlicher poetischer Parallelismus verbindet die beiden Vershälften miteinander. Die Sequenz 14a erweist sich, von der Warte der Leserschaft aus, dadurch als versförmig, dass dort neben dem Parallelismus auch ein charakteristisches Vokabular auftritt. 14b lässt sich von dem vorausgehenden Halbvers nicht trennen. Daher empfinden die idealen Leserinnen und Leser mit ihrer zeitgenössischen antiken kulturellen Enzyklopädie diesen kurzen Textabschnitt sehr wahrscheinlich als versförmig. Lk 2,28b Auch die Sequenz Lk 2,28b weist zwar einen hohen Anteil charakteristischen Psalmen-Vokabulars auf. Der Kontext lässt jedoch eine deutliche Zäsur zwischen 28b und dem folgenden Abschnitt 29–32 erkennen, denn erst mit Lk 2,29 fängt die Rede des Simenon an. Darum muss auch hier eine negative Anwendung des Kontext-Kriteriums erfolgen. Ideale Lesende rezipieren die Sequenz als prosaisch. Lk 2,29–32 Deutlich empfehlen die Sequenzen Lk 2,32ab den Leserinnen und Lesern ihre Wahrnehmung als versförmige Sequenzen, da hier gleich mehrere der drei leistungsfähigeren Kriterien zur Unterscheidung von Vers und Prosa zutreffen. Doch die Rede Simeons beginnt bereits früher. Wie sind die drei vorauslaufenden Sequenzen 29.30.31 einzuordnen? In 30 spricht das charakteristische Vokabular dafür, die Sequenz als Vers wahrzunehmen. Der Anteil charakteristischen Vokabulars ist auch in der Sequenz 29 mit 25% hoch, obschon er unter der künstlichen 30%-Grenze liegt. Insgesamt sprechen die weiteren stilistischen Merkmale zusammen mit den KontextKriterium dafür, dass die Leserschaft die ganze erste Rede Simeons in Lk 2,29–32 als versförmig ansieht.
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Lk 2,34b–35 In Lk 34b–35 spricht Simeon ein zweites Mal. Die beiden Versteile 34bc stehen im Verhältnis des poetischen Parallelismus zueinander. In 35ab deuten nur die weiteren stilistischen Merkmale darauf hin, dass die Leserschaft die Sequenzen als versförmig strukturiert wahrnehmen könnte. Doch das ist wenig. Allein aufgrund des Kriteriums der weiteren Merkmale lässt sich keine Entscheidung zugunsten der Einstufung einer Sequenz als versförmig treffen. Andererseits haben die Rezipientinnen und Rezipienten ja kurz zuvor bereits Verse aus dem Munde Simeons vernommen, so dass sie seine zweite Rede möglicherweise mit einer dadurch vorgeprägten Erwartungshaltung lesen. Tendenziell nehmen sie darum auch den Abschnitt 34b– 35 mit einer etwas höheren Wahrscheinlichkeit als einen versförmigen Abschnitt wahr; doch ein eindeutiges Urteil lässt sich hier nicht fällen. Lk 2,40b Obwohl die Sequenz zwei Vokabeln aus dem charakteristischen Wortschatz der Psalmen enthält, so dass der Anteil charakteristischen Vokabulars aufgrund ihrer Kürze 50% beträgt, zeigt der Kontext doch klar, dass Lk 2,40b als prosaisch verstanden werden will.
1.3 Fazit: Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40 Das vorletzte Beispiel mit der Diskussion der Struktur des Abschnitts Lk 2,34b–35 verdeutlicht noch einmal, dass die Scheidung zwischen Vers und Prosa aus der Lesenden-Perspektive im Neuen Testament – bzw. konkret in Lk 1–2 – ein Indizien-Prozess bleibt, der häufig relativ eindeutige Entscheidungen erlaubt, mitunter jedoch nur tendenzielle Urteile fällen kann.126 Letzteres gilt insbesondere dort, wo schließlich das Kontext-Kriterium entweder positiv oder negativ zur Anwendung kommt. Dennoch hat die Analyse des Textes Lk 1,1–2,40 ein vergleichsweise klares Ergebnis erbracht. Wahrscheinlich nehmen die idealen zeitgenössischen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums bei ihrer Lektüre die einzelnen Abschnitte am Beginn der Schrift folgendermaßen strukturiert wahr:127 Fazit: Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40 126 Die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen Vers und Prosa in biblischen Texten attestiert auch S. WEITZMAN, Orientalization, 230. 127 Eine ganz ähnliche Aufteilung nimmt R.A. AYTOUN (Hymns, 275–287) vor: Er geht davon aus, dass sich innerhalb des Textes Lk 1–2 zehn Hymnen finden, welche er folgendermaßen abgrenzt: 1,14–17.30–33.35–37.42–45.46–66.68–79; 2,10–12.14.29.32.34–36. Wesentlich unter-
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Prosa 1,1–13a 18–30a 34–35a 35d–42a 43–46a 56–67 80–2,13 15–28 33–34a 36–40
Vers 13b–17 30b–33 35bc 42bc 46b–55 68–79 2,14 29–32 34b–35
Das heißt: Der Anfang des Lukasevangeliums Lk 1,1–2,40 zeichnet sich in der Perspektive seiner zeitgenössischen Leserschaft durch ein hochfrequentes Hin und Her zwischen prosaischen und versförmigen Passagen aus. Ein solch schneller Wechsel zwischen Vers und Prosa ist in keinem anderen Text des Neuen Testaments anzutreffen.128
scheidet sich diese Einteilung von der in dieser Arbeit vorgelegten Analyse also nur in einem Punkt, nämlich darin, dass Aytoun auch die Anrede des Engels an die Hirten (Lk 2,10–12) als versförmig betrachtet; vgl. zu der Einteilung von Lk 1–2 in Prosa und Vers auch W. RADL, Ursprung, 32. Für das sog. Magnificat (Lk 1,46–55) und das sog. Benedictus (1,68–79) stellt U. Mittmann-Richert das Vorhandensein einer an der hebräischen Versdichtung orientierten versförmigen Struktur weitgehend in Abrede (U. MITTMANN-RICHERT, Magnifikat, 155–161). Dieses Urteil hat seinen Grund m.E. darin, dass sie sich „dem klassischen Verständnis des Parallelismus membrorum“ (ebd., 160) verpflichtet weiß. Dieses auf der Dreiteilung von Lowth basierende klassische Verständnis kann aber – wie neben verschiedenen aktuellen Studien auch die Analyse von Ps 34 in der vorliegenden Arbeit gezeigt hat – der Vielgestaltigkeit antiker hebräischer Versdichtung nicht gerecht werden (s.o. Punkt 1.1.1). Nun taugt ein veraltetes Verständnis von Poesie in der hebräischen Bibel aber kaum mehr als Beleg für eine nicht-vorhandene Versform in Lk 1. 128 Die Struktur von Lk 1,1–2,40 lässt sich auch graphisch im Satz des Textes veranschaulichen. Dies geschieht im Anhang II zu dieser Arbeit: Dort stehen die prosaischen Abschnitte im Blocksatz, während jeder Versteil der versförmigen Passagen eine eigene Zeile erhält und nach rechts eingerückt ist.
Kapitel 2: Der Spannungsbogen in Lukas 1,1–2,40
Die Analyse der sprachlichen Form von Lukas 1,1–2,40 hat gezeigt, dass in diesem Text – aus der Perspektive der Leserinnen und Leser – ein ständiger Wechsel zwischen versförmigen und prosaischen Abschnitten vonstatten geht. Aus dieser Beobachtung ergibt sich nun die weitere Frage: Wie verhalten sich der formelle Befund und die inhaltlichen Aspekte des Texts zueinander? Welche inhaltlichen Beobachtungen lassen sich treffen, und in welchem Entsprechungsverhältnis stehen diese Inhalte mit der sprachlichen Struktur des Texts? Auf dem Weg zur Beantwortung dieser Frage bietet sich ein zweifacher Schritt an: Zunächst soll das Augenmerk ganz auf die Erzählung in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums gerichtet sein; das Ziel besteht dabei im Nachzeichnen des roten Fadens im lukanischen Text (Kapitel 2). Anschließend geht es um die Einordnung des so gewonnenen Befundes innerhalb der literarischen Welt des östlichen Mittelmeerraums im 1. Jahrhundert; sowohl die formelle als auch die inhaltliche Seite sollen dabei Berücksichtigung finden (Kapitel 3).1 Im Folgenden soll also erst einmal ein Durchgang durch den Anfangsteil des Lukasevangeliums (1,1–2,40) geschehen, der seine besondere Aufmerksamkeit darauf richtet, wie sich in diesem Textabschnitt eine Erzählung entfaltet: In welchem Verhältnis stehen die aufeinander folgenden Szenen zueinander? Wie verläuft der rote Faden der Erzählung? Welche Wirkungen erzielt die Darstellungsweise auf die ideale zeitgenössische Leserschaft? Auch wenn – wie literar- und formkritische Forschungsergebnisse nahe legen – der vorliegende Text Lk 1,1–2,40 verschiedene vormals voneinander unabhängige Traditionsstücke aufnimmt, bildet den Ausgangspunkt der folgenden Betrachtung die Endgestalt des Lukasevangeliums, denn die dieser Studie zugrunde liegende Perspektive folgt methodisch dem Anliegen des New Literary Criticism. Nur in der Endgestalt des Textes lassen sich die Szenen-übergreifenden Zusammenhänge aufzeigen, die den Spannungsbogen der Gesamterzählung überhaupt erst konstituieren. Der Text 1
Das Kapitel 3 wird dann auch die in Kapitel 1 erarbeiteten Erkenntnisse um das Wechselspiel zwischen Prosa und Versform wieder aufnehmen.
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des Lukasevangeliums muss also, wenn es darum geht, seinen Spannungsbogen nachzuvollziehen, als ein einheitlicher Text ins Auge gefasst werden.2
2.1 Gesalbtenerwartung und Herrscherverehrung Bevor das Nachzeichnen dieses Spannungsbogens beginnt, lohnen sich allerdings auch einige kurze Erläuterungen im Hinblick auf zwei Gedankenkomplexe, zu welchen der genannte Abschnitt des Lukasevangeliums vielerlei Ähnlichkeiten bietet. Entsprechend vorgebildete Leserinnen und Leser, denen diese Komplexe vertraut sind, empfinden die lukanischen Formulierungen in der einen oder anderen Weise als Anklänge. Um diese Vorstellungen an den Stellen des Lukasevangeliums, welche die ideale Adressatenschaft als Anspielungen sehen mag, besser fassen zu können, erfolgen diese Ausführungen vor dem Beginn der eigentlichen Arbeit am Evangelientext. Es handelt sich um die jüdische Gesalbtenerwartung3 auf der einen und um die hellenistische Herrscherverehrung auf der anderen Seite. In bestimmten Trägerkreisen des östlichen Mittelmeerraumes während des ersten Jahrhunderts sind die Gedankenkomplexe der jüdischen Gesalbtenerwartung bzw. der hellenistischen Herrscherverehrung lebendig. Ein geeignetes Mittel, um nachzuvollziehen, wo ebendiese Komplexe anklingen, besteht in der Wortfeldanalyse.4 Diese geht davon aus, dass die Dar2
Vor dieser Herausforderung stehen seine Rezipientinnen und Rezipienten seit der Antike. Es gilt daher, sich der Herausforderung zu stellen. Und dieses Unterfangen kann sehr wohl fruchten. Auch wenn die Methode der Literarkritik ihre Thesen oftmals plausibel explizieren kann, so hat sie in der Forschungsgeschichte doch häufig die vorliegende Endgestalt des Evangelientexts diffamiert (Beispiele dafür geben u.a. A. V. HARNACK, Zu Lc 1,34.35, 54–55; H.L. MACNEILL, Sitz, 123; C.S. MANN, Historicity, 53). Eine solche abwertende Haltung teile ich nicht, denn es ergeben sich interessante Einsichten, wo der lukanische Text als literarische Einheit wahr- und ernstgenommen wird. Zur Wahrnehmung der Einheitlichkeit des Textes vgl. auch E. SCHWEIZER, Aufbau, 12. 3 Zur Präsenz dieses Gedankenkreises in Lk 2 vgl. auch R. PESCH, Weihnachtsevangelium, 99. 4 Die Quellenlage erfordert in diesem Zusammenhang nun eine andere Methodik als sie in der Analyse des charakteristischen Vokabulars der Psalmen im vorausgehenden Kapitel angewandt werden konnte. Denn während ich in Kap. 1 zwei abgeschlossene Text-Korpora im Hinblick auf ihr Vokabular miteinander verglichen habe, steht mir hier für die jüdische Gesalbtenerwartung und die hellenistische Herrscherverehrung nur jeweils ein Text-Korpus zur Verfügung. Diese sind darüber hinaus auch noch sehr unterschiedlich beschaffen: Die Texte zur Gesalbtenerwartung liegen in Funden aus Qumran und darüber hinaus in Abschnitten der Psalmen Salomons vor. Weitere Quellen, die dem Lukasevangelium zeitlich und geographisch nahe stehen, gibt es nicht. Die Qumran-Texte sind in hebräischer Sprache abgefasst und teilweise nur fragmentarisch erhalten; es existieren nur wenige Quellen, so dass das in Kap. 1 benutzte mathematische Verfahren hier schon wegen des geringen Textumfangs der Quellen ausscheidet. Die Quellen zur Herrscher-
Gesalbtenerwartung und Herrscherverehrung
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stellung eines bestimmten gedanklichen Komplexes – bzw. Motivs – stets unter Verwendung eines charakteristischen Vokabulars erfolgt.5 Die einzelnen charakteristischen Vokabeln lassen sich solchen Quellentexten entnehmen, die unbezweifelbar dem zu untersuchenden Gedankenkomplex angehören,6 da die charakteristischen Vokabeln dort besonders häufig Verwendung finden. Die Gesamtheit der charakteristischen bedeutungstragenden Vokabeln desselben Gedankenkomplexes bildet das betreffende Wortfeld. Ein in diesem Sinne verstandenes Wortfeld kann Elemente umfassen, die verschiedenen Wortarten und -stämmen angehören.7 Gesalbtenerwartung und Herrscherverehrung Unter Rezipientinnen- und Rezipienten-orientierter Perspektive lässt sich in einem nächsten Schritt dann die folgende Aussage treffen: Wenn nun in verehrung dagegen sind zahlreich erhalten; es handelt sich aber um Textgattungen, die sich durch extreme Kürze auszeichnen. Ich lege meiner Untersuchung die Münzen des BMC zu den östlichen, griechisch-sprachigen Provinzen des Imperium Romanum zugrunde und ziehe außerdem die in den IK zusammengestellten Inschriften heran, da es sich hier um eine vergleichsweise aktuelle Edition handelt. 5 Zum Begriff des charakteristischen Vokabulars vgl. den Gliederungspunkt 1.1.2 dieser Arbeit. 6 In gewisser Weise geschieht mit diesem Ansatz also ein Zirkelschluss: Die Quellen, aus welchen ein Wortfeld erhoben werden soll, müssen im Voraus ausgewählt werden – wenn also analytisch noch nicht belegt ist, dass diese Quellen auch tatsächlich dem zu untersuchenden Gedankenkomplex zuzurechnen sind. Hier liegt der Schwachpunkt dieser Methode. Das Risiko lässt sich allerdings durch die Auswahl der Quellen minimieren, indem als Grundlage für das zu erhebende Wortfeld nur solche Quellen Beachtung finden, die nicht nur ihrem Inhalt sondern auch ihrer Form bzw. Gattung nach aus sich selbst heraus deutlich machen, dass sie zu dem betreffenden Gedankenkomplex gezählt werden wollen. Sehr gut lässt dies sich für den gedanklichen Komplex der hellenistischen Herrscherverehrung realisieren: hier werden vorwiegend antike kaiserliche Münzen und Inschriften aus dem Bereich der Herrscherverehrung – die sich beispielsweise auf den Sockeln von Kaiserstatuen oder im Bereich von Augustustempeln finden – als Quellen zu Worte kommen. Aufgrund der geringen Menge erhaltener Quellen ist eine Absicherung der Wortfeldanalyse über die Form der Quellen für den Gedankenkomplex der jüdischen Gesalbtenerwartung nicht in gleicher Weise möglich (S. SCHREIBER, Gesalbter, 549–550 hält jedoch die vorhandenen Quellen für ausreichend verschieden, um zu schlussfolgern, die Erwartung eines königlichen Gesalbten sei in der jüdischen Welt des 1. Jh. v.Chr. und des 1. Jh. n.Chr. weit verbreitet gewesen). Hier werden in erster Linie Abschnitte aus den Psalmen Salomons und aus Qumrantexten nach ihrem charakteristischen Vokabular befragt werden, die sich durch das gemeinsame Vorhandensein der Signalvokabeln משיחund מלךbzw. χριστός und βασιλεύω auszeichnen. Zur Interdependenz von Wortfeld und Form vgl. auch K. BERGER, Exegese, 147. Vgl. in diesem Zusammenhang außerdem G. FOHRER, Exegese, 113–114. 7 Die Erhebung von in dieser Weise verstandenen Wortfeldern halte ich mit K. BERGER (Exegese, 159) im Hinblick auf das gesetzte Ziel für die zweckmäßigste Herangehensweise. Zur Wortfeldanalyse insgesamt vgl. K. BERGER, Exegese, 137–159; DERS., Formgeschichte, 192. Berger spricht dort von „semantischen Feldern“. Vgl. hierzu auch J. TRIER, Wort- und Begriffsfelder, 1–3; Triers Wortfelder unterscheiden sich allerdings von Bergers semantischen Feldern, denn während Triers Wortfelder sich aus sinnverwandten Elementen zusammensetzen (wie F. D. SAUSSURE, Grundfragen, 150–151 sie unter der Überschrift „assoziative Beziehungen“ als „Gemeinsamkeit des Stammes“ und „Analogie des Bezeichneten“ verhandelt), zählt Berger zu einem Wortfeld – wie oben beschrieben – solche Elemente, die sich mit einer gemeinsamen Tradition bzw. einem gemeinsamen Gedankenkomplex verbinden.
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einem beliebigen Text innerhalb eines Abschnitts mehrere Elemente eines bestimmten Wortfelds gemeinsam auftreten, so rufen sie bei entsprechend vorgebildeten Leserinnen und Lesern Assoziationen auf den zugehörigen Gedankenkomplex hin wach. Die Konzentration charakteristischer Vokabeln determiniert dabei den Grad der Assoziation. Oder konkret ausgedrückt: Wo Elemente aus den noch zu erhebenden Wortfeldern der jüdischen Gesalbtenerwartung bzw. der hellenistischen Herrscherverehrung in den Kapiteln 1–2 des Lukasevangeliums konzentriert vorkommen, bezieht die zeitgenössische Leserschaft mit entsprechendem geistesgeschichtlichem Hintergrund den betreffenden gedanklichen Komplex assoziativ in die Wahrnehmung des Lukastexts ein.8 Die kulturelle Enzyklopädie der Lesenden bildet den Referenzrahmen des Wahrnehmungs-Prozesses.9 2.1.1 Die Erwartung eines königlichen Gesalbten im Judentum Obwohl das Judentum im 1. Jahrhundert n.Chr. in der Tradition der hebräischen Bibel auf die Herrschaft König Davids mit der immensen Ausdehnung des Gesamtreichs Israels und Judas zurückblicken kann, muss es in seiner gegenwärtigen Situation das genaue Gegenteil des längst vergangenen politischen Zustandes erleben: Ganz anders als zur Zeit König Davids befinden die Bewohnerinnen und Bewohner der Provinzen Judäa und Galiläa sich nun unter römischer Fremdherrschaft, in ihrer politischen Autonomie weitestgehend eingeschränkt. Auf diese Gegebenheiten10 reagieren bestimmte Kreise innerhalb des Judentums in Anknüpfung an die biblische Tradition mit der Erwartung eines endzeitlichen idealen Herrschers, welcher die Herrschaft König Davids 8 Die Wortfeldanalyse soll also schließlich dem Verständnis von Lk 1–2 und dem der Wirkung dieses Textes auf die ideale Adressatenschaft dienen. Aus dieser Zielsetzung heraus ergibt sich für die Auswahl der im Folgenden zu berücksichtigenden Quellen die Forderung, dass diese sowohl geographisch als auch zeitlich den geistesgeschichtlichen Hintergrund der idealen Leserschaft des Lukasevangeliums im ersten Jahrhundert n.Chr. repräsentieren können müssen. Die Quellen müssen daher aus dem östlichen Mittelmeerraum stammen und dürfen nicht nach dem 1. Jahrhundert n.Chr entstanden sein. 9 Bereits jetzt lässt sich sagen, dass die ideale Leserschaft des Lukasevangeliums jüdische und hellenistische Elemente in ihrer kulturellen Enzyklopädie vereinigt. Ersteres zeigt sich in den zahlreichen in Lk 1–2 anzutreffenden intertextuellen Referenzen auf die Tradition der hebräischen Bibel; zweiteres in der Benutzung der Septuaginta als eines in griechischer Sprache abgefassten und damit vom Hellenismus beeinflussten Dokuments. Sowohl die Vorstellung der jüdischen Gesalbtenerwartung als auch diejenige der hellenistischen Herrscherverehrung kommen darum prinzipiell als in der kulturellen Enzyklopädie der idealen Leserschaft des Lukasevangeliums vorhandene Motive in Betracht. 10 Vgl. zu der Situation, aus welcher heraus die Gesalbtenerwartung erwächst, auch E. LOHSE, König, 337–339.
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fortführen und dem Volk Israel Befreiung bringen werde.11 Von dieser Erwartung eines königlichen Gesalbten legen insbesondere einige in Qumran gefundene Texte12 und Teile der Psalmen Salomons13 Zeugnis ab. Trotz der deutlichen Verschiedenheit dieser Schriften14 lassen sich dennoch einige gemeinsame Züge herausarbeiten: 2Sam 7 erzählt davon, wie Gott dem König David den immerwährenden Fortbestand seiner Dynastie zusagt. Die für die Erwartung eines königlichen Gesalbten repräsentativen Texte nehmen daher häufig diesen Abschnitt der hebräischen Bibel – bzw. den Abschnitt 2Sam 7 der Septuaginta – auf.15 Daneben finden sich in ihnen viele Anlehnungen an den Abschnitt Jes 11,1–9.16 Den erwarteten Gesalbten bezeichnen die Texte hebräisch als משיח17 bzw. griechisch als χριστός18 oder auch als χριστὸς κυρίου19. Die letztgenannte Bezeichnung des Gesalbten als „Gesalbten des Herrn“ zeigt bereits an, dass seine Herrschaft durchweg als eine Herrschaft charakterisiert wird, die der Gesalbte von Gott empfängt.20 Gott ist es, der die Herr11 Zur Entstehung der Gesalbtenerwartung vgl. auch F. HESSE, χρίω, 495–500; L. WÄCHTER, Messianismus, 120–121. Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 506. Es handelt sich hierbei also um eine konkrete und politische Erwartung (vgl. H. GREßMANN, Messias, Vorwort, 5). Vgl. hierzu auch C. BENNEMA, Sword, 35. Freilich existieren im antiken Judentum neben dieser Vorstellung auch solche Erwartungen, die den משיחals eine nicht politische Figur denken; insbes. für die Gemeinschaft von Qumran lassen so geartete Aussagen sich belegen (vgl. etwa W. GRUNDMANN, Sohn Gottes, 114; G. STEMBERGER, Messias, 622; vgl. zur Heterogenität der Vorstellungen auch H. LICHTENBERGER, Erwartungen, 9). 12 Vgl. auch F. GARCÍA MARTÍNEZ, Erwartungen, 171; E. LOHSE, König, 340. Ich benutze im Folgenden die Texte 4Q161; 4Q174; 4Q252 und 4Q521, Frag. 2.2+4, übernehme damit also einige der von F. GARCÍA MARTÍNEZ, Erwartungen, 174–185 untersuchten Quellen. Gute Textausgaben finden sich für 4Q161 in DJD 5 (1968) 11–15, für 4Q174 in DJD 5 (1968) 53–57, für 4Q252 in DJD 22 (1996) 185–207 und für 4Q521, Frag. 2.2+4 in DJD 25 (1998) 10–18. 13 Zu ihnen vgl. auch H. LICHTENBERGER, Erwartungen, 14. 14 So auch S. SCHREIBER, Gesalbter, 241.541; vgl. hierzu auch F. HAHN, Hoheitstitel, 156.158; R.A. HORSELEY, Liberation, 75–76. Besonders in den Texten von Qumran verbinden sich sehr verschiedene Vorstellungen mit der Erwartung eines Gesalbten; dieser kann dort neben königlichen auch prophetische oder priesterliche Eigenschaften aufweisen (vgl. hierzu auch C. BENNEMA, Sword, 44; S. SCHREIBER, Gesalbter, 35). Für die Thematik der vorliegenden Untersuchung empfiehlt sich sachlich eine Konzentration auf diejenigen Texte, die von der Erwartung eines königlichen Gesalbten sprechen und dabei an die Davids-Tradition anknüpfen. 15 Besonders deutlich geschieht dies in 4Q174, Col. 1 und PsSal 17 (zur Rezeption von 2Sam 7 vgl. M. KARRER, Gesalbte, 251; E. LOHSE, König, 340; vgl. dazu auch R.E. BROWN, Birth, 310– 311; F. HAHN, Hoheitstitel, 134–135). 16 Vgl. etwa 4Q161, Frag. 8–10, Z. 11–16 und PsSal 18,7–9. Vgl. zu den in der Gesalbtenerwartung aufgenommenen biblischen Traditionen auch S. Schreiber, Gesalbter, 150.152; L. WÄCHTER, Messianismus, 123. 17 4Q174, Col. 1, Z. 19 (der Gebrauch von משיחlässt sich an dieser Stelle aufgrund des Zitats aus Ps 2,2 sicher erschließen); 4Q252, Col. 5, Z. 3; 4Q521, Frag. 2.2+4, Z. 1. 18 PsSal 18,5. Zur Bezeichnung χριστός vgl. auch J.A. FITZMYER, Gospel, 197–199. 19 PsSal 18,7. Vgl. hierzu auch die Wendung χριστὸς κύριος in PsSal 17,32. 20 Dies verdeutlicht ja auch schon die Titulatur des Herrschers als eines Gesalbten. Denn der Vorgang der Salbung dient ursprünglich schon als eine von Gott her verstandene Beauftragung und
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schaft des Gesalbten aufrichtet; die Quellen gebrauchen für diese Tätigkeit Gottes die Vokabeln קום21 und ἀνίστημι22. Gott schließt einen Bund – ברית23 – mit dem Königshaus Davids. In Aufnahme des Gedankens aus 2Sam 7,14 kann der erwartete Gesalbte auch als Sohn – hebr. בן24 – Gottes bezeichnet werden. Im Zusammenhang mit dem vom Gesalbten in idealer Weise fortgeführten Königtum Davids25 kehren die folgenden Stichworte in den Texten häufig wieder: Die hebräische Wurzel מלך26 und der griechische Wortstamm βασιλευ-27 begegnen vielfach. Ebenso der Name דויד28 bzw. Δαυιδ29. Gemäß der Erwartung wird der Gesalbte auf dem Thron sitzen, welcher als der Thron Davids gilt, so dass sich die Vokabel כסא30 sowie der Ausdruck כסא דויד31 bzw. θρόνος Δαυιδ32 an vielen Stellen der Texte vorfinden. Der Gesalbte gehört als Spross Davids oder Sohn Davids dem Haus Davids an und zählt zum Samen bzw. der Nachkommenschaft Davids. Entsprechend tauchen die Worte und Ausdrücke צמח דויד33, בית34, υἰὸς Δαυιδ35 und זרע36 bzw. σπέρμα37 vermehrt in den Quellentexten auf.38 Befähigung zur Herrschaft (so auch F. HESSE, χρίω, 488–489; S. SCHREIBER, Gesalbter, 145– 147.178.538; vgl. hierzu auch M. KARRER, Gesalbte, 97–99; M. SÆBØ, Verhältnis, 45–46). In diesem Sinne kann das Königtum des Gesalbten ausschließlich in Abhängigkeit von der Herrschaft Gottes existieren. Ebenso wie schon die gesalbten Könige der Vergangenheit Israels es sein sollten, stellt also auch der erwartete Gesalbte die Exekutive der Königsherrschaft Gottes dar (vgl. etwa PsSal 17; vgl. hierzu auch M. D. JONGE, χρίω, 505; M. KARRER, Gesalbte, 253; A.S. V.D. WOUDE, χρίω, 510). 21 4Q174, Col. 1, Z. 10. 22 PsSal 17,21. 23 4Q252, Col. 5, Z. 2.4. Beide Stellen sprechen vom „Bund des Königtums“. 24 4Q174, Col. 1, Z. 11; vgl. hierzu auch S. SCHREIBER, Gesalbter, 146. 25 Zum politischen und militärischen Charakter der Gesalbtenerwartung vgl. auch E. LOHSE, König, 343–344; L. WÄCHTER, Messianismus, 127–128. 26 4Q174, Col. 1, Z. 10 sowie das Substantiv מלכותin 4Q252, Col. 5, Z. 2.4; 4Q521, Frag. 2.2+4, Z. 7. 27 βασιλεύς in PsSal 17,4.21.32[2x].42. 28 4Q161, Frag. 8–10, Z. 17; 4Q174, Col. 1, Z. 7.13. 29 PsSal 17,4. 30 4Q174, Col. 1, Z. 10; 4Q521, Frag. 2.2+4, Z. 7; und wohl auch 4Q161, Frag. 8–10, Z. 19. 31 4Q252, Col. 5, Z. 2. 32 PsSal 17,6. 33 4Q174, Col. 1, Z. 11; 4Q252, Col. 5, Z. 3–4. Vgl. hierzu auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 89; H. LICHTENBERGER, Erwartungen, 11–12. 34 4Q174, Col. 1, Z. 10 im Hinblick auf David. 35 PsSal 17,21. 36 4Q174, Col. 1, Z. 10; 4Q252, Col. 5, Z. 4. 37 PsSal 17,4.7 sprechen je vom σπέρμα Davids. 38 S. SCHREIBER (Gesalbter, 543) allerdings hält das Motiv der davidischen Abstammung des χριστός für wenig zentral innerhalb des Gedankenkomplexes der jüdischen Gesalbtenerwartung. Dagegen zeigt F. HESSE, χρίω, 487; vgl. dort auch 493, dass sich schon in den Erzählungen der hebräischen Bibel der Gebrauch des Verbums משחin den allermeisten Fällen auf den König aus dem davidischen Königshaus bezieht.
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Der Gesalbte ist mit dem Geist Gottes begabt. Aufgrund dessen gehören Gerechtigkeit, Weisheit, Kraft und Gottesfurcht zu seinen Eigenschaften. Diesen Gedanken entwickeln die Texte häufig in Aufnahme von Jes 11,1–5. Das in diesem Zusammenhang verwandte Vokabular umfasst die Begriffe ʹʦʨ39 bzw. ʍȟıףȞį40 oder auch ʍȟıףȞį ԕȗțȡȟ41 sowie ʷʤʸʥ42 bzw. İțȜįțȡIJփȟș43, IJȡĴտį44, ԼIJȥփȣ45 und ĴցȖȡȣ Țıȡף46. Als auf diese Weise Begabter kann der Gesalbte seine politische Aufgabe wahrnehmen, indem er als Richter fungiert. Die Texte benutzen hier die charakteristischen Vokabeln ʺʵʩ47 bzw. ȜȢտȟȧ48. Darüber hinaus unternimmt der Gesalbte kriegerische Aktivitäten und leitet sein Volk Israel so zur Befreiung von den Feinden.49 Daher findet sich in den Quellen bisweilen der Name ʪʺʹʡʭ50 bzw. ՄIJȢįսȝ51. Die Worte ʳʮ52 bzw. ȝįցȣ53 bezeichnen dabei im Singular das eigene Volk; im Plural können sie auch die frem39
4Q161, Frag. 8–10, Z. 12. PsSal 18,7. 41 PsSal 17,37. 42 4Q252, Col. 5, Z. 3. 43 PsSal 17,23.26.29; 18,7.8. Vgl. hierzu auch die Verwendung des Adjektivs İտȜįțȡȣ in PsSal 17,32. 44 PsSal 17,23.29; 18,7. 45 PsSal 17,22.36.37.38; 18,7. 46 PsSal 18,7.8.9. 47 4Q161, Frag. 8–10, Z. 14.21. 48 PsSal 17,26.29.43[İțįȜȢտȟȧ]. 49 Dieser wesentliche Zug der Gesalbtenerwartung (vgl. S. SCHREIBER, Gesalbter, 171.240.537; vgl. hierzu außerdem F. HAHN, Hoheitstitel, 157) darf nicht durch den Hinweis darauf geschmälert werden, dass es sich eben um eine auf die Zukunft gerichtete Hoffnung handle (so charakterisiert etwa C. BENNEMA, Sword, 35.37.56; ausgewogener 41 die jüdische Gesalbtenerwartung als eine gewaltlose Reaktion auf die politischen Gegebenheiten ihrer Zeit). Wenngleich der Trägerkreis der Gesalbtenerwartung im Judentum nun aber in den meisten Fällen (S. SCHREIBER, Gesalbter, 309.314–315 hält es für denkbar, dass bei Josephus genannte Anführer jüdischer aufständischer Gruppen ihr Selbstverständnis aus der Tradition der Gesalbtenerwartung gewannen) auf handfeste eigene Gewaltanwendung gegen die Unterdrücker verzichtet, so erwartet er diese jedoch sehr konkret und lebendig vom ȥȢțIJijցȣ in der unmittelbaren Zukunft. Wer sich nun aber die militärische Befreiung von den Feinden gedanklich ausmalt und erhofft, kann m.E. schwerlich als völlig „gewaltlos“ beschrieben werden. Hilfreich für eine Präzision der skizzierten Frage ist m.E. die von G. THEISSEN (Aggression, 32) in die neutestamentliche Forschung eingebrachte Differenzierung. Theißen unterscheidet zwischen Aggression a. im Ethos, b. im Mythos und c. im Ritus einer religiösen Gruppe. Die unter dieser Perspektive im sog. „Mythos“ derjenigen Gruppen, die einen königlichen Gesalbten erwarten, deutlich vorhandenen Gewaltvorstellungen müssen nicht zwangsläufig auch mit praktischer Gewalt im „Ethos“ derselben Gruppe einhergehen. Zum politischmilitärischen Charakter der Gesalbtenerwartung in Qumran vgl. außerdem F. GARCÍA MARTÍNEZ, Erwartungen, 178.181–182. 50 4Q174, Col. 1, Z. 13. 51 PsSal 17,4.42[2x]. 52 Singular: 4Q252, Col. 5, Z. 4; 4Q174, Col. 1, Z. 2 (ʳʮ ʪʺʹʡʭ). Plural: 4Q161, Frag. 8–10, Z. 21. 53 Singular: PsSal 17,26.43. Plural: PsSal 17,29.30. 40
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den Völker meinen, von welchen es Israel zu befreien gilt. Die andersgläubigen Fremdvölker benennen die Quellentexte oft auch als גוים54 bzw. ἔθνη55. Ebenfalls taucht die Vokabel אויב56 als Bezeichnung des Kriegsgegners oder Widersachers auf. Schließlich erhoffen sich die Texte einen immerwährenden Fortbestand der Herrschaft des Gesalbten. Hier benutzen sie die hebräischen Worte עולם57 oder עד58 bzw. deren griechische Entsprechung αἰών59. Die ideale Königsherrschaft soll Bestand haben für Generationen – hebr. דורות60. So ergibt sich also ein Wortfeld aus denjenigen Begriffen und Ausdrücken, die sich in charakteristischer Weise mit der Erwartung eines königlichen Gesalbten verbinden. Dieses Wortfeld umfasst die folgenden Vokabeln:61 משיח וםק ברית מלך מלכות דויד [כסא ]דויד צמח דויד זרע רוח צדקה
שפט ישראל עם גוים 54
χριστός χριστὸς κυρίου ἀνίστημι (διαθήκη) βασιλεύς (βασιλεία) Δαυιδ θρόνος [Δαυιδ] σπέρμα πνεῦμα δικαιοσύνη σοφία ἰσχύς φόβος θεοῦ κρίνω Ἰσραήλ λαός ἔθνη
Gesalbter Gesalbter des Herrn aufrichten Bund König Königreich David Thron [Davids] Spross Davids Same Geist Gerechtigkeit Weisheit Stärke Furcht Gottes richten Israel Volk Völker
4Q174, Col. 1, Z. 18 und wahrscheinlich auch 4Q161, Frag. 8–10, Z. 20. PsSal 17,29.30.34. 56 4Q174, Col. 1, Z. 1.7 und wahrscheinlich auch 4Q161, Frag. 8–10, Z. 18. 57 4Q252, Col. 5, Z. 4 und sehr wahrscheinlich auch 4Q521, Frag. 2.2+4, Z. 9. 58 4Q521, Frag. 2.2+4, Z. 7. 59 PsSal 17,4. Vgl. zum ewigen Bestand der Königsherrschaft des Gesalbten auch J.A. FITZMYER, Gospel, 348. 60 4Q252, Col. 5, Z. 4. 61 Wo eine griechische Vokabel in runden Klammern steht, zeigt die Anzahl der gefundenen hebräischen Belege an, dass das betreffende Element zum Wortfeld zu zählen ist, obgleich es in den griechischen Quellen PsSal 17–18 nicht vorkommt. 55
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אויב עולם עד
(ἐχθρός)
Feind
αἰών
Ewigkeit
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2.1.2 Die Herrscherverehrung im Hellenismus Bereits die Angehörigen des ptolemäischen Herrschergeschlechts hatten sich mit ehrenvollen Beinamen geschmückt und sich beispielsweise als σωτήρ oder εὐεργέτης dem Volk gegenüber als Retter oder Wohltäter dargestellt, um von ihm entsprechende Verehrung zu verlangen.62 Mit der Machtübernahme römischer Herrscher im östlichen Mittelmeerraum nehmen nun auch diese solche Titulaturen auf, zu denen immer neue Ehrenbezeichnungen hinzukommen. Es entsteht auf diese Weise eine vielgestaltige Verehrung des Kaisers, die an vielen Orten des Imperium Romanum die Form eines regelrechten Kaiserkultes mit der Errichtung von Tempeln und der Darbringung von Opfern annimmt.63 Auch im griechischsprachigen Osten des Römischen Reiches verbreiten sich Praktiken dieser Art mit den dazu gehörigen Vorstellungen von der Göttlichkeit des Kaisers.64 Neben mancherlei literarischen Werken geben insbesondere Münzen und Inschriften ein Zeugnis von den Gedanken, die sich zur Zeit der Entstehung des Lukasevangeliums mit der Herrscherverehrung verbinden, und den in diesem Zusammenhang benutzten charakteristischen Vokabeln.65 Die mit 62 Zu den Bezeichnungen εὐεργέτης und σωτήρ vgl. auch A. WLOSOK, Einführung, 4. Im Ursprung der Entwicklung steht eine aufrichtige Dankbarkeit des Volkes dem Herrscher gegenüber für die von ihm ausgehenden Wohltaten (vgl. D.A. NOCK, Einrichtung, 377–378); die einmal aufgekeimte Verehrung ließ sich vom Herrscher dann aber leicht für seine politischen Zwecke instrumentalisieren (vgl. H.-J. KLAUCK, Umwelt, 29). Auf der anderen Seite geht der Herrscher, der sich als εὐεργέτης verehren lässt, aber auch eine gewisse Verpflichtung ein, dieser Bezeichnung und der mit ihr einhergehenden Verehrung auch zu genügen (vgl. M. PEPPEL, Gott, 77). 63 Vgl. zur Genese des Kults für den hellenistischen Bereich insbes. U. WILCKEN, Entstehung, 225–229.243–244. Und zu der Übertragung auf den römischen Kaiser vgl. M.P. NILSSON, Bedeutung, 296. Vgl. außerdem H.-J. KLAUCK, Umwelt, 27; E. NORDEN, Geburt, 156. Freilich darf diese Feststellung nicht zu der irrigen Annahme verleiten, es handle sich bei der kultischen Verehrung des Kaisers um ein im gesamten Imperium Romanum homogenes Phänomen (vgl. G.W. BOWERSOCK, Augustus, 389–390; C.K. ROWE, Luke-Acts, 280; A. WLOSOK, Einführung, 1.32). 64 Ich spreche in diesem Zusammenhang von der Herrscherverehrung – und nicht durchweg vom Kaiserkult –, um damit sprachlich anzuzeigen, dass sich meine Untersuchung nicht auf den strenggenommen religiösen Bereich der Verehrung des Kaisers beschränken soll. Manche Ehrenbezeichnungen für den Kaiser rühmen dessen militärische Erfolge, andere thematisieren den göttlichen Ursprung des Herrschers. Die tendenziell profanen Ehrennamen stehen in den Quellen vielfach jedoch unmittelbar neben den tendenziell religiösen. Der sog. Kaiserkult bildet daher m.E. einen Teilbereich der Herrscherverehrung. 65 Inschriften und Münzen als wichtige Quellen nennt auch F. TAEGER, Charisma 2, 186. Zu ihrer herausgehobenen Bedeutung äußert sich auch P. BARCELÓ, Augustus, 107. Zur Bedeutung
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griechischen Ehrentiteln versehenen Münzprägungen des Kaisers gehen von Hand zu Hand; und die Weihinschriften für den Kaiser, welche in der östlichen Mittelmeerwelt in griechischer Sprache verfasst sind, werden an öffentlichen Plätzen gut sichtbar angebracht. Aufgrund ihrer großen Verbreitung und ihrer alle sozialen Schichten erreichenden Öffentlichkeitswirksamkeit sollen die Münzen und Inschriften gegenüber den von Dichtern und Philosophen verfassten literarischen Werken als Quellen für die folgende Untersuchung des Wortfelds zur Herrscherverehrung den Vorzug erhalten.66 Die Beschaffenheit dieser Quellen bringt es mit sich, dass sie oft nur einige wenige Worte umfassen. Dies sind in der Regel die gebräuchlichsten Titel und Ehrenbezeichnungen des Kaisers; sie gehören als besonders charakteristische Vokabeln in das Wortfeld der hellenistischen Herrscherverehrung hinein. Über die sehr kurzen Quellen hinaus verdienen jedoch auch diejenigen Inschriften Beachtung, die sich einmal etwas ausführlicher zur Person des Kaisers äußern, denn aus ihnen lassen sich Beispiele für die konkretere Ausgestaltung von Gedanken rund um die Herrscherverehrung entnehmen. Sie sollen daher im Folgenden gleichfalls berücksichtigt werden, auch wenn die in ihnen verwendeten Vokabeln nicht in ebenso hohem Maße als charakteristisch für den Gedankenkreis der hellenistischen Herrscherverehrung gelten können wie die in den Quellen immer wiederkehrenden Titel. Während der ptolemäische Herrscher sich als ȖįIJțȝıփȣ67 bezeichnet, führt der römische den Titel ȜįהIJįȢ68. Die Ptolemäer legen sich ehrenvolle von Münzen als Medium für politische Botschaften vgl. auch CH. HOWGEGO, Geld, 84–85; K. MATTHIAE/E. SCHÖNERT-GEISS, Münzen, 42; E. STAUFFER, Christus, 36 und insbes. 55. Zur Bedeutung der Inschriften vgl. H.-J. KLAUCK, Umwelt, 18. 66 Zu Recht weist P. ZANKER, Augustus, 5 auf die wichtige Rolle hin, die auch bildhafte Darstellungen in diesem Zusammenhang der Herrscherverehrung spielen (vgl. hierzu z.B. auch K. MATTHIAE/E. SCHÖNERT-GEISS, Münzen, 41). Da aber das Ziel der Betrachtungen zur Herrscherverehrung im Kontext dieser Arbeit darin liegt, schließlich die neutestamentlichen Texte angemessen zu interpretieren, konzentriere ich mich an dieser Stelle auf das betreffende Wortfeld. Auch die in der Herrscherverehrung verwandten Worte entfalten ja einen erheblichen Einfluss auf das Denken der Bevölkerung (vgl. in seiner Antwort auf Zanker P. BARCELÓ, Augustus, 100.119). 67 Der Belege sind so viele, dass sie hier nicht alle aufgelistet werden müssen; allein der Katalog von N. ȉǻȆȈȎȄȆȉ enthält hunderte von Quellen, die den Ptolemäerkönig ȖįIJțȝıփȣ nennen. Vgl. z.B. ȉȖȡȢȧȟȡȣ Nr. 1415–1419.1717.1718–1719.1720.1722; BMC Gala, Antiochus IV Epiphanes Nr. 6.11–13. 68 BMC Arab, Philadelphia Nr. 4; BMC Lyca, Icomium Nr. 2–3; Augusta Nr. 4; Olba Nr. 7– 11.12–17; BMC Pale, Caesarea Nr. 5–11; Neapolis Nr. 1–2.4–5; Nysa-Scythopolis Nr. 4; BMC Lyci, Lycia Nr. 5.6.8; BMC Phoe, Aradus Nr. 367; Byblus Nr. 19; BMC Gala, Ancyra Nr. 1.2.3.4; Pessinus Nr. 3; Tavium Nr. 6.7; Caesarea Nr. 11–12.16.17.19.20.21–22.23.27.28–33; Antiochia Nr. 132.137.144.146. 147–149.150–153.163–165.189–193.195–200; Laodicea ad Mare Nr. 30.31.33.34–36.39; Seleucia Pieria Nr. 32.33–34; IK 1,131, Z. 2; IK 4,13, Z. 2; IK 4,26, Z. 6.19; IK 5,17, Z. 1; IK 12,260, Z. 2; 260A, Z. 2; IK 21,13; Z. 1; IK 22/1,1007, Z. 3; IK 34,31, Z. 1; 32, Z. 3; 34, Z. 5; IK 36/1,35, Z. 2; 37, Z. 2; IK 38,206, Z. 2; 512, Z. 4; IK 41,42, Z. 2; IK 43,31, Z. 2;
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Beinamen zu, um ihrem Volk durch Bezeichnungen wie σωτήρ69 – d.h. Retter – oder εὐεργέτης70 – d.h. Wohltäter – schon in ihrem Namen zu verstehen zu geben, dass sie auf das Wohl ihrer Untertanen bedacht seien.71 Der ptolemäische Beiname ἐπιφανής72 soll darüber hinaus anzeigen, dass der Herrscher sich als eine Gestalt von göttlicher Würde versteht.73 So können auch bereits die Ptolemäer sich bisweilen selbst als θεός74 bezeichnen und mit dem Prädikat μέγας75 schmücken.76 Nicht in allen Bezeichnungen folgen die römischen Kaiser den Ptolemäern; doch auch sie sehen sich als Retter und Wohltäter ihres Volkes und benutzen darum die Bezeichnungen σωτήρ77 und εὐεργέτης78. Allerdings begegnen die Stichworte ἐπιφανής bzw. ἐπιφαίνω und μέγας in den Quellen rund um die Verehrung des römischen Herrschers nur selten.79 Die Würdigung des Kaisers als eines Gottes – θεός80 – übernehmen die Römer jedoch von den Ptolemäern.81 Zusätzlich bringt die Herrscherverehrung im Imperium Romanum weitere Titel und Ehrennamen hervor, die sich so weit verbreiten, dass sie zu den IK 48,15, Z. 1; IK 49,9, Z. 4; 15, Z. 1; IK 53,13, Z. 2.5; IK 54,25, Z. 2–3; 31; 33, Z. 1; 56, Ostseite, Z. 2; IK 56,21, Z. 7.11; IK 59,149, Z. 4–5; 150, Z. 5; 153, Z. 7.9; IK 60/1,3, Z. 1. 69 Σβορωνος Nr. 388–407.430.433.436.607.650–679.681–684.686–695.697–698.700.701–704. 722–746.748–749.751–753. 755–756.757.765–778.780–784.786–787.795–817.821–822.824–833. 848–853. 897–898. 901–904. 930.1001.1013–1017.1019–1023.1025–1027.1029.1031.1033.1035– 1038.1039.1041–1044.1045.1089–1112.1121.1180.1205.1207–1208.1250.1717. Vgl. D. CUSS, Imperial Cult, 25. Im 1. Jh. n.Chr. ist der Gebrauch von σωτήρ als Bezeichnung für den Herrscher der vorherrschende (vgl. M. KARRER, Jesus, 159; vgl. hierzu auch L. BIELER, ΘΕΙΟΣ ΑΝΗΡ, 120– 121). Freilich existiert das Prädikat des σωτήρ jedoch auch andernorts in der hellenistischen Welt; etwa als Bezeichnung für verschiedene Gottheiten oder im Bereich des hellenistischen Judentums als Beschreibung Gottes in der Septuaginta (vgl. z.B. J.A. FITZMYER, Gospel, 204; P. WENDLAND, ΣΩΤΗΡ, 335–336). M. KARRER (Jesus, 158) geht – vom jüdischen Standpunkt her gesehen – von einer regelrechten Konkurrenzsituation aus, die sich aus dem Sachverhalt ergibt, dass sowohl Juden als auch verschiedene Kulte in der Umwelt des Judentums ihre Gottheit als σωτήρ titulieren. 70 Σβορωνος Nr. 1640–1648.1651–1656. 71 Vgl. hierzu auch A.D. NOCK, Christianity, 78.80. Mit der Bezeichnung σωτήρ verbindet sich die Vorstellung politischer Befreiung (vgl. P. WENDLAND, ΣΩΤΗΡ, 338; vgl. hierzu auch M. KARRER, Jesus, 163). 72 Σβορωνος Nr. 1249.1415–1419; BMC Gala, Antiochus IV Epiphanes Nr. 11–13. 73 Vgl. hierzu auch CH. HOWGEGO, Geld, 74.89 sowie A. WLOSOK, Einführung, 12. 74 Σβορωνος Nr. 1415–1419.1486. Vgl. auch Σβορωνος Nr. 1718–1719.1720. 75 BMC Gala, Antiochus IV Epiphanes Nr. 6.11–13. 76 Zu den genannten Ehrenbezeichnungen vgl. auch F. TAEGER, Charisma 2, 187–188. 77 IK 38,206, Z. 4; 256; 607, Z. 4; IK 41,42, Z. 4; IK 54,56, Ostseite, Z. 4. Siehe hierzu auch IK 28/2,602, Z. 2. Zu der Bezeichnung σωτήρ bei den römischen Kaisern vgl. auch A. DEISSMANN, Licht, 311; W. ECKEY, Lukasevangelium, 150; A. WLOSOK, Einführung, 14. 78 IK 34,32, Z. 6; IK 38,206, Z. 4; 256; 607, Z. 4. Siehe hierzu auch IK 28/2,602, Z. 2–3. 79 Belege führt S.R.F. PRICE, Gods, 86 an. 80 BMC Gala, Laodicea ad Mare Nr. 31; IK 4,26, Z. 8.19; IK 12,252, Z. 2; IK 21,13, Z. 2–3; IK 36/1,35, Z. 3; 39, Z. 3; IK 41,42, Z. 2; IK 53,13, Z. 3; IK 54,56, Ostseite, Z. 1[2x]; IK 56,21, Z. 7. 81 Σβορωνος Nr. 1415.1486.
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Der Spannungsbogen in Lukas 1,1–2,40
charakteristischen Vokabeln dieses Gedankenkreises gezählt werden können: Mit dem Ausdruck αὐτοκράτωρ82 – d.h. Alleinherrscher – beschreibt der Titel den politischen Status des Kaisers. Und dessen militärische Erfolge deutet der Beiname γερμανικός83 an, mit dem der Kaiser sich als Bezwinger der Germanen rühmt. Noch stärker als im politisch-militärischen führt die römische Herrscherverehrung im religiösen Bereich zu neuen charakteristischen Bezeichnungen des Kaisers. Es bleibt nicht bei der Benennung des Herrschers als θεός; besonders weite Verbreitung erfährt das Stichwort σεβαστός84 – d.h. der Anbetungswürdige.85 Beide Worte können sich bisweilen zu dem Ausdruck θεὸς σεβαστός86 verbinden. Auch die Anrede des Kaisers als himmlischer Gott – θεὸς ἐπουράνιος87 – kommt vor. Außerdem entsteht mit der Zeit die Vorstellung, dass der neue Kaiser als Sohn des ehemaligen, bereits als Gott anerkannten Kaisers, in gleicher Weise verehrungswürdig sei, so dass Bezeichnungen des Herrschers als θεοῦ υἱός88, σεβαστοῦ υἱός89 oder auch θεοῦ σεβαστοῦ υἱός90 vielfach begegnen.91 82 BMC Arab, Philadelphia Nr. 4; BMC Pale, Neapolis Nr. 4–5; BMC Lyci, Lycia Nr. 6.8; BMC Gala, Ancyra Nr. 1.2.3.4; Tavium Nr. 6.7; Caesarea Nr. 16.17.19.20.21–22.23.27.28–33.35– 36.37–38.39.41.42. 43.44; IK 5,17, Z. 1; IK 12,252, Z. 1; 259B, Z. 5: 260, Z. 5; 260A, Z. 3; IK 22/1, 1007, Z. 1; IK 34,31, Z. 1; 32, Z. 2; IK 36/1,35, Z. 1–2; 37, Z. 3; 39, Z. 3; IK 38,206, Z. 2; 512, Z. 2; 607, Z. 1; IK 41,42, Z. 1; IK 48,15, Z. 1; IK 49,15, Z. 1; IK 53,13, Z. 1; IK 54,25, Z. 1– 2; 56, Ostseite, Z. 2.4; IK 56,21, Z. 11; IK 59,149, Z. 4–5; 150, Z. 5; 153, Z. 7. 83 BMC Lyci, Lycia Nr. 6; BMC Gala, Caesarea Nr. 28–33.37–38.42–43; Antiochia Nr. 163– 165; Laodicea ad Mare Nr. 34–36; IK 4,26, Z. 6; IK 12,259B, Z. 3; 260, Z. 3; 260A, Z. 3; IK 34,34, Z. 6; IK 36/1,37, Z. 3; 39, Z. 2; IK 38,206, Z. 2; 512, Z. 6; IK 54,25, Z. 4; 31; IK 56,20, Z. 3; 21, Z. 2.11. 84 BMC Lyca, Icomium Nr. 2–3; Augusta Nr. 4; Olba Nr. 7–11.12–17; BMC Pale, Caesarea Nr. 5–11; Neapolis Nr. 1–2.4–5; Nysa-Scythopolis Nr. 4; Ascalon Nr. 84.88–95.104–116.117– 118.119–135; BMC Lyci, Lycia Nr. 5.6.8; Balbura Nr. 8; Bubon Nr. 2; BMC Phoe, Aradus Nr. 367; Byblus Nr. 19; BMC Gala, Ancyra Nr. 3.4; Pessinus Nr. 3; Tavium Nr. 6.7; Caesarea Nr. 11– 12.16.17.19.20.21–22.23.27.28–33.35–36.37–38.39.41.42–43.44; Antiochia Nr. 132.137.144.146. 147–149.150–153.161–162.163–165.189–193.195–200; Laodicea ad Mare Nr. 30.31.33.34–36.38. 39; Seleucia Pieria Nr. 32.33–34; IK 1,131, Z. 2; IK 4,26, Z. 6.19; IK 5,17, Z. 1; IK 12,259B, Z. 2; 260, Z. 2; 260A, Z. 2; IK 22/1,1007, Z. 4; IK 34,31, Z. 1; 32, Z. 4; IK 36/1,35, Z. 3; 37, Z. 2; 39, Z. 2; IK 38,206, Z. 3; 512, Z. 5; 607, Z. 3; IK 41,42, Z. 3; IK 43,31, Z. 2; IK 48,15, Z. 2; IK 49,15, Z. 1; IK 53,13, Z. 4.6; IK 54,25, Z. 3; 31; 33, Z. 1; 56, Ostseite, Z. 1[2x].3; IK 56,20, Z. 3; 21, Z. 2.7.11; IK 59,149, Z. 4–5; 150, Z. 5; 153, Z. 8; IK 60/1,3, Z. 1. 85 Vgl. hier zur lateinischen Form des Namens, Augustus, auch P. ZANKER, Augustus, 103. Zur Anbetungswürdigkeit des Kaisers vgl. ferner M. CLAUSS, Kaiser, 44–45; P.-G. KLUMBIES, Himmelfahrt, 147. 86 Z.B. IK 36/1,35, Z. 3; IK 54,56, Ostseite, Z. 1[2x]. Vgl. zu dieser Bezeichnung auch A. WLOSOK, Einführung, 41. 87 So wahrscheinlich in IK 1,131, Z. 3: ...ουρανίωι. 88 IK 5,17, Z. 1; IK 12,252, Z. 2; IK 34,31, Z. 1; 32, Z. 3–4; IK 53,13, Z. 3. Siehe hierzu auch IK 36/1,35, Z. 2–3; IK 41,42, Z. 2–3; IK 59,150, Z. 5. Vgl. hierzu auch die Wendung Νέρωνα Κλαύδιον θεοῦ Κλαυδίου Καίσαρος υἱόν (IK 36/1,40); ähnlich IK 49,15, Z. 1–2 sowie IK 56,20, Z. 2; 21, Z. 1, wo der Kaiser jeweils als θεοῦ Οὐεσπασιανοῦ υἱός bezeichnet wird. Zum Verhältnis
Gesalbtenerwartung und Herrscherverehrung
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Des Weiteren thematisieren manche Quellen den positiven Effekt, mit dem die Regierungstätigkeit des Kaisers auf das Wohlergehen der Menschen wirkt. Diese Darstellungen knüpfen an die Bezeichnungen des Herrschers als σωτήρ und εὐεργέτης an. Sie sprechen von der Hoffnung92 der Menschen und ihrer Freude – χαρά93 – über die Person und die Regierungstätigkeit des Kaisers. Grenzenlosigkeit kennzeichnet die guten Auswirkungen der kaiserlichen Machtausübung auf die Menschen: Die ganze Welt – κόσμος94 –, die bewohnte Erde – οἰκουμένη95 –, alle Menschen – πάντες ἄνθρωποι96 – und jedes Volk – πᾶν ἔθνος97 – profitieren von ihr.98 Nicht nur im Hinblick auf die Bevölkerung sondern auch im Hinblick auf die Zeitdauer kennt die Herrschaft des Kaisers keine Begrenzung; dies bringen die Quellen durch die Verwendung von Stichworten wie αἰών99 oder αἰώνιος100 zum Ausdruck.101 Aus den genannten charakteristischen Vokabeln ergibt sich ein Wortfeld rund um die Thematik der Herrscherverehrung in der antiken hellenistischen Welt bis in die Zeit einschließlich des ersten Jahrhunderts n.Chr. hinein. Dieses umfasst die folgenden Elemente:102
des griechischen Ausdrucks θεοῦ υἱός zu seiner lateinischen Vorlage divi filius, als dessen Übersetzung er fungiert, vgl. S.R.F. PRICE, Gods, 85; DERS., Rituals, 75. Vgl. dazu andererseits auch O. IMMISCH, Herrscherkult, 147. Zu der Bezeichnung als Gottessohn vgl. außerdem auch L. BIELER, ΘΕΙΟΣ ΑΝΗΡ, 134–135. 89 BMC Gala, Ancyra Nr. 1.2; Caesarea Nr. 19; IK 24/1,618, Z. 3; IK 59,153, Z. 9–10. Wahrscheinlich auch IK 4,13, Z. 2. Siehe hierzu auch IK 28/2,602, Z. 1. 90 BMC Lyca, Augusta Nr. 4; BMC Gala, Caesarea Nr. 11.12. Siehe hierzu auch IK 49,9, Z. 5– 6 mit der Wendung σεβαστοῦ θεοῦ υἱός. 91 Vgl. hierzu D.A. NOCK, Christianity, 85. Zur seit Octavian gängigen Bezeichnung des Kaisers als divi filius vgl. auch P. ZANKER, Augustus, 42–43. 92 Vgl. die Verwendung von ἐλπίζω in IK 4,26, Z. 5. 93 IK 4,26, Z. 7. 94 IK 4,26, Z. 7; IK 54,56, Ostseite, Z. 4. 95 Siehe hierzu auch IK 28/2,602, Z. 3. Zu κόσμος und οἰκουμένη vgl. auch M. KARRER, Jesus, 167–168. 96 IK 4,26, Z. 5; IK 38,206, Z. 3; 256; 607. Z. 4. 97 IK 4,26, Z. 8: πᾶν ἔθνος. 98 Vgl. hierzu auch S.R.F. PRICE, Rituals, 56; F. TAEGER, Charisma 2, 190–192; A. WLOSOK, Einführung, 43. 99 IK 4,26, Z. 9. Vgl. hierzu auch CH. AUFFARTH, Herrscherkult, 298. 100 IK 34,34, Z. 3. 101 Wo diese Stichworte sich nicht allein auf die Herrschaft des Kaisers sondern auf seine Person selbst beziehen (vgl. die Belege bei H.U. INSTINSKY, Kaiser, 326–327), stellen sie ihn in diesem Aspekt auf eine Stufe mit den Göttern, da es sich bei der Ewigkeit zunächst um ein göttliches Attribut handelt (vgl. H.U. INSTINSKY, Kaiser, 316. Instinsky bezieht sich dort auf das lateinische Wort aeternitas). Vgl. hierzu auch E. STAUFFER, Christus, 171. Vgl. zur Ewigkeit des Kaisers auch M. CLAUSS, Kaiser, 256–257. 102 In Klammern stehende Elemente gehören zu den für die Verehrung des ptolemäischen Herrschers charakteristischen Vokabeln, während sie im Gedankenkreis der Verehrung des römi-
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Der Spannungsbogen in Lukas 1,1–2,40
(βασιλεύς) καῖσαρ αὐτοκράτωρ (ἐπιφανής) σωτήρ εὐεργέτης γερμανικός σεβαστός θεοῦ υἱός σεβαστοῦ υἱός θεοῦ σεβαστοῦ υἱός θεός (μέγας) κόσμος πάντες ἄνθρωποι αἰών / αἰώνιος
König Kaiser Herrscher Erscheinender Retter Wohltäter Sieger über die Germanen anbetungswürdig Sohn Gottes Sohn des Anbetungswürdigen Sohn des anbetungswürdigen Gottes Gott groß Welt alle Menschen Ewigkeit / ewig
2.1.3 Bündelung: Gemeinsamkeiten und Unterschiede Eine Reihe von gemeinsamen Zügen verbindet die jüdische Erwartung eines königlichen Gesalbten auf der einen Seite mit der hellenistischen Herrscherverehrung auf der anderen Seite: In beiden Fällen steht der Gedanke einer idealen Herrschaft des βασιλεύς bzw. des καῖσαρ im Zentrum. Die Trägerkreise der jeweiligen Vorstellung malen sich diese Herrschaft als eine solche aus, die ungemein weitreichende und positive Auswirkungen mit sich bringt: „Das ganze Volk“ oder „alle Nationen“ oder „die gesamte Welt“ profitieren von der Regierung des idealen Herrschers, welche zudem von ewiger Dauer sein wird. Die Machtausübung des Königs bzw. des Kaisers verbindet sich in jedem Falle allerdings auch mit kriegerischer Aktivität: der ideale Herrscher bezwingt die Feinde und bringt auf diese Weise seinem Volk den Frieden. Gleichzeitig unterscheiden die Vorstellungen von Gesalbtenerwartung und Herrscherverehrung sich auch in einigen Punkten: Im Bereich des jüdischen Gedankenkreises nimmt die davidische Abstammung des Gesalbten und dessen Kontinuität zur Gottesverheißung aus 2Sam 7 einen breiten schen Kaisers nicht oder nur selten Verwendung finden. Da das Lukasevangelium in einer Zeit und an einem Ort entsteht, die durch die Vorherrschaft des Römischen Reiches geprägt sind, kommt für seine Analyse den in Klammern stehenden Begriffen also ein vergleichsweise geringeres Gewicht zu. Anders als es aus den im Zusammenhang dieser Arbeit untersuchten Quellen hervorgeht, sieht I. OPELT (Kaiserkult, 428) im griechischen Wort βασιλεύς allerdings eine gängige Übersetzung des lateinischen imperator.
Gesalbtenerwartung und Herrscherverehrung
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Raum ein; der Gesalbte sitzt auf dem θρόνος Δαυιδ. Seine Herrschaft empfängt er dabei direkt von Gott und ist diesem daher deutlich untergeordnet; alle Ehre für die Wohltaten, die das Volk durch die Regierung des Gesalbten empfängt, gebührt unter dieser Perspektive Gott selbst. Dem gegenüber ist der römische Herrscher als σεβαστός viel stärker selbst verehrungswürdig. Der göttliche Status des Kaisers kommt in vielen Formeln zur Sprache. Darüber hinaus ist die jüdische Gesalbtenerwartung – wenngleich ausgesprochen konkret so doch trotzdem – eschatologisch geprägt, während die Herrscherverehrung im hellenistischen Raum sich in erster Linie auf den gegenwärtig regierenden Kaiser bezieht.103 Trotz der deutlichen Unterschiede beider Vorstellungen weisen diese dennoch auch in zentralen Punkten Ähnlichkeiten auf. Die Wortfelder beinhalten die gemeinsamen Elemente βασιλεύς und αἰών. Das bedeutet: Eine völlige Trennschärfe zwischen den beiden Gedankenkreisen kann nicht erreicht werden.104 Es hängt somit stark von der geistesgeschichtlichen Prägung der Lesenden ab, in welcher Weise diese eine bestimmte Äußerung des Lukasevangeliums interpretieren: ob sie dort, wo sich Anklänge vorfinden, eher die jüdische Gesalbtenerwartung oder die hellenistische Herrscherverehrung assoziieren.105 Dies gilt umso mehr, da beide Gedankenkreise einander ja nicht zwingend ausschließen; vielmehr dürfen insbesondere für den Bereich des hellenistischen Judentums im ersten Jahrhundert n.Chr. beide Vorstellungen als möglicherweise gleichermaßen lebendig angenommen werden.106 103 Zusätzlich kommt auch den bereits verstorbenen Kaisern die Verehrung in kultischer Form zu. Auch diese dient aber vielfach dem Zweck, den regierenden Kaiser als σεβαστοῦ υἱός nicht nur zu legitimieren sondern ihn auch in besonderer Weise zu verehren, um seine gegenwärtige Herrschaft auf diese Weise zu festigen. 104 E. NORDEN, Geburt, 57 rechnet mit weitreichenden religionsgeschichtlichen Zusammenhängen. 105 Auf die Ambivalenz, die gewisse aus der hellenistischen Herrscherverehrung stammende Aussagen erhalten, sobald sie vor dem geistesgeschichtlichen Hintergrund des hellenistischen und mit der LXX vertrauten Christentums interpretiert werden, weist auch P. WENDLAND, ΣΩΤΗΡ, 351–352 hin. 106 Die Ähnlichkeit der beiden Gedankenkreise führt bezeichnenderweise sogar so weit, dass der hellenistisch-jüdische Schriftsteller Josephus den Kaiser als Messias verkündigen kann. Josephus ist dabei darum bemüht, seinem römischen Publikum gegenüber das jüdische Denken, aus dessen Tradition er stammt, zu legitimieren, indem er es mit dem philosophischen Gedankengut seiner hellenistisch-römischen Leserschaft auf einen Nenner zu bringen trachtet. Wo er die Herrschaft des Kaisers Vespasian lobt, bedient sich Josephus vor allem des Vokabulars aus dem Wortfeld der Herrscherverehrung: Jos Bell 3,399–408 berichtet davon, wie Josephus dem Vespasian bereits vor dessen Regierungsantritt seine künftige Kaiserwürde vorausgesagt habe: Vespasian werde zum καῖσαρ und αὐτοκράτωρ gemacht werden (3,401) und zwar sowohl über Land und Meer als auch über die Geschlechter aller Menschen (ἀλλὰ γῆς καὶ θαλάττης καὶ παντὸς ἀνθρώπων γένους: 3,402). Josephus beschreibt, wie das Volk den Vespasian als εὐεργέτης und σωτήρ preist (7,71), aber er ist auch der Überzeugung, die Macht sei dem Kaiser von Gott (ὑπὸ
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Der Spannungsbogen in Lukas 1,1–2,40
2.2 Der Verlauf der Erzählung in Lukas 1,1–2,40 Die nun folgende Analyse soll den Abschnitt Lk 1,1–2,40 als ein Textganzes würdigen. Die Gültigkeit literar- und formkritischer Thesen über das Wachstum des Textes bis hin zu seiner Endgestalt soll damit nicht abgestritten werden. Doch bleibt es eben die Endgestalt, mit der die Leserinnen und Leser sich seit dem Ende des 1. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit hinein konfrontiert sehen.107 Darum gilt es, diese Endgestalt als eine Einheit wahrund ernstzunehmen. Diese Art der Interpretation folgt also den Postulaten des New Literary Criticism, welcher den biblischen Text mit aus der allgemeinen Literaturwissenschaft stammenden Methoden analysiert.108 Drei für eine solche Herangehensweise besonders interessante Fragen lauten: Erstens: Welche Dynamik nimmt die Handlung der Erzählung, und in welchem Verhältnis stehen die Ereignisse zueinander, die sich in aufeinander folgenden Szenen abspielen? Wie verläuft der „rote Faden“, der Spannungsbogen? Zweitens: Welcher sprachlichen Mittel bedient sich der Text zur Darstellung des Erzählten? In welcher Weise kommuniziert er mit seiner idealen Leserschaft? Und drittens: Welchem Ziel dient dies? Es geht hier um die Perspektive der Textpragmatik: Welche Einsichten will der Text den Leserinnen und Lesern vermitteln, und zu welchen Lebenshaltungen ruft er sie auf?109 Alle drei Fragen sollen aus dem Blickwinkel der ideaijȡ ףȚıȡף: 5,2) verliehen worden. Die für den Zusammenhang dieser Untersuchung interessanteste Aussage trifft er jedoch in 6,310–315: Dort referiert Josephus die Vorstellung der Juden (ՄȡȤİįהȡț: 311), einer aus ihrem Land werde gemäß einer Ankündigung in den heiligen Schriften (Ԛȟ ijȡהȣ ԽıȢȡהȣ ... ȗȢչȞȞįIJțȟ: 312) über die bewohnte Erde (ȡԼȜȡȤȞջȟș: 312) herrschen. Diese offenkundig der Gesalbtenerwartung entstammende Vorstellung deutet Josephus seinerseits nun jedoch auf den Kaiser Vespasian, welcher auch in Judäa zum Herrscher ausgerufen worden ist (313). Er identifiziert damit die beiden Gedankenkreise der jüdischen Gesalbtenerwartung und der hellenistischen Herrscherverehrung miteinander (vgl. E. STAUFFER, Theologie, 85–86 und 257, Anm. 303; vgl. hierzu auch M. D. JONGE, ȥȢտȧ, 512; S. SCHREIBER, Gesalbter, 313). Interessanterweise schiebt H. GRESSMANN in seiner Monographie zum „Messias“ (462–478) einen Exkurs zu Vergils 4. Ekloge ein, zu einem Dokument also, das aus dem Gedankenkreis der römischen Kaiserverehrung stammt. Auch für Greßmann weisen die beiden Bereiche also erhebliche Gemeinsamkeiten auf. Die Vorstellung von der Gottessohnschaft des Herrschers findet sich in beiden Gedankenkreisen; möglicherweise gehen sowohl die jüdische Gesalbtenerwartung als auch die hellenistische Herrscherverehrung in diesem Punkt auf ägyptische Wurzeln zurück (vgl. dazu E. BRUNNER-TRAUT, Geburtsgeschichte, 98). 107 Ich traue also der textkritischen Forschung zu, dass sie der heutigen Exegese einen Text zu rekonstruieren vermag, der dem Text des Lukasevangeliums, wie es im 1. Jahrhundert vorlag, – wenn nicht wortwörtlich – so doch immerhin weitestgehend entspricht. 108 Eine kurze Einführung in die Arbeit des New Literary Criticism bietet U. EISEN, Markusevangelium, 135–153. Vgl. hierzu auch M.A. POWELL, Narrative Criticism, pass.; D. RHOADS/J. DEWEY/D. MICHIE, Mark, pass. 109 Bislang hat sich in der deutschsprachigen Exegese leider kein Fachvokabular etabliert, um die verschiedenen Aspekte der Textanalyse im New Literary Criticism auf den Punkt zu bringen. Die nordamerikanische Forschung spricht im Hinblick auf den Handlungsverlauf und den Span-
Der Verlauf der Erzählung in Lukas 1,1–2,40
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len Leserschaft des Lukasevangeliums im 1. Jahrhundert betrachtet werden.110 Der Verlauf der Erzählung in Lukas 1,1–2,40 Unter Berücksichtigung von Indikatoren wie dem Wechsel von Ort, Zeit oder Konstellation der auftretenden Figuren lässt sich der Textabschnitt Lk 1,1–2,40 folgendermaßen szenisch gliedern:111 I. 1,1–4
Das Proömium
II. 1,5–25 Die Ankündigung der Geburt des Johannes a. 5–7 Situationsbeschreibung: Zacharias und Elisabet b. 8–20 Die Begegnung zwischen Zacharias und Gabriel c. 21–22 Die Verwunderung des Volkes d. 23–25 Heimreise und Elisabets Schwangerschaft III. 1,26–38 Die Ankündigung der Geburt Jesu IV. 1,39–56 Die Begegnung zwischen Maria und Elisabet a. 39–45 Die Begegnung zwischen den Frauen b. 46–55 Das Gotteslob Marias c. 56 Marias Heimreise V. 1,57–80 Die Geburt des Johannes a. 57–66 Geburt und Namensgebung b. 67–79 Das Gotteslob des Zacharias c. 80 Das Heranwachsen des Kindes
nungsbogen der Erzählung von „story“ oder „plot“ (vgl. zu diesen Begriffen auch H. UTZSCHNEIDER/S. ARK NITSCHE, Arbeitsbuch, 152), und die im Dienste dieser Darstellung stehenden erzählerischen Mittel fasst sie unter dem Begriff „rhetoric“ oder „discourse“ zusammen (vgl. etwa U. EISEN, Markusevangelium, 136; P.-G. KLUMBIES, Mythos, 101; M.A. POWELL, Narrative Criticism, 23). P.-G. Klumbies schlägt vor, anstelle von „story“ den Begriff „Ereignisfolge“ zu verwenden und im Hinblick auf „rhetoric“ von den „Darstellungsmitteln“ zu sprechen. Ich schließe mich seinem Vorschlag weitgehend an, werde unter der Perspektive „story“ bisweilen aber auch vom „Plot“ oder „Spannungsbogen“ der Erzählung sprechen, da der Begriff des „Spannungsbogens“ m.E. stärker das dynamische Moment der Szenen-übergreifenden Zusammenhänge beinhaltet. Zu Missverständnissen kann möglicherweise die englische Bezeichnung „discourse“ führen, die ich daher vermeiden werde. Denn der New Literary Criticism fasst unter „discourse“ ja die rhetorischen Mittel der Darstellung zusammen und behandelt hier gerade nicht den der Erzählung innewohnenden thematischen Diskurs. Letzteren berührt hingegen die oben an dritter Stelle aufgeführte textpragmatische Frage nach der Wirkung des Texts auf die idealen Lesenden mit der Berücksichtigung etwaiger aus der Rezeption resultierender Haltungsänderungen (zu dieser Frageperspektive vgl. auch D. RHOADS/J. DEWEY/D. MICHIE, Mark, 137). Zur Textpragmatik vgl. auch H.-G. GRADL, Arm und Reich, 51. 110 Es geht hier also um die implizite Leserschaft (vgl. D. RHOADS/J. DEWEY/D. MICHIE, Mark, 137–138) mit ihrer spezifischen kulturellen Enzyklopädie (vgl. S. ALKIER, Hinrichtungen, 119– 121). 111 Zum Begriff der „Szene“ vgl. auch K. LÖNING, Geschichtswerk, 18.
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Der Spannungsbogen in Lukas 1,1–2,40
VI. 2,1–7 Die Geburt Jesu a. 1–3 Situationsbeschreibung: Der Befehl des Kaisers b. 4–5 Josefs Reise mit Maria nach Bethlehem c. 6–7 Die Geburt Jesu VII. 2,8–21
Die Verkündigung an die Hirten und deren Reaktion Die Beschneidung Jesu a. 8–14 Der Engel bei den Hirten b. 15–20 Der Weg zum Neugeborenen, die Verbreitung der Botschaft und das Gotteslob der Hirten c. 21 Die Beschneidung Jesu
VIII. 2,21–40 Die Ereignisse im Jerusalemer Tempel a. 22–24 Darbringen eines Opfers b. 25–35 Die Begegnung mit Simeon c. 36–38 Die Begegnung mit Hanna d. 39–40 Heimreise und das Heranwachsen des Kindes Im Anschluss an Lk 2,40 trennt eine deutliche Zäsur das Bisherige vom Folgenden: Erstens verstreicht auf der Ebene der erzählten Welt die beträchtliche Zeitspanne von 12 Jahren, und zweitens tritt die Figur Jesus dann zum ersten Mal selbstständig handelnd auf der Bühne vor dem inneren Auge der Lesenden auf. Aus diesen Gründen endet der Textteil, auf welchen die folgende Untersuchung sich bezieht, mit Lk 2,40. 2.2.1 Das Proömium (1,1–4) Das Lukasevangelium beginnt – wie auch andere Texte der hellenistischen Antike – mit einem Proömium (1,1–4).112 Raum und Zeit dieser einleitenden
112 Vgl. F. BOVON, Evangelium, 30; J.A. FITZMYER, Gospel, 288; H.-G. GRADL, Arm und Reich, 129; J.B. GREEN, Gospel, 34; DERS., Theology, 17–18; H. KLEIN, Lukasevangelium, 72; E. LOHSE, Lukas, 64; W. RADL, Evangelium, 24; W.C. V. UNNIK, Prologue, 8. Vgl. hierzu auch S. BROWN, Role, 101; A. PLUMMER, Gospel, 1; PH.L. SHULER, Luke, 83. D.E. AUNE diskutiert die These, ob an diesem Punkt eine Differenzierung zwischen Proömien einerseits historiographischer und andererseits wissenschaftlicher Schriften der hellenistischen Antike vonnöten sei. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die erhaltenen Quellen eine solche Unterscheidung nicht empfehlen (D.E. AUNE, Luke 1,1–4, 148; ähnlich im Hinblick auf die Einordnung der lukanischen Schriften auch PH.L. SHULER, Character, 174–175; und V.K. ROBBINS, Prefaces, 95–97 nimmt einen Vergleich zwischen dem lukanischen Proömium und biografischen Texten der hellenistischen Antike vor, während T. CALLAN, Preface, 557 ausgeprägtere Ähnlichkeiten zur Historiographie sieht; W. ECKEY, Lukasevangelium, 47 hingegen erkennt eine Nähe zu den Vorworten in technischen und medizinischen Texten; ähnlich auch L. ALEXANDER, Preface, 60, die das lukanische Proömium in die Nähe wissenschaftlicher griechischer Texte rückt). Es genügt für den Zusammenhang dieser
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vier Verse liegen außerhalb der Welt, in welcher die nachfolgende Erzählung spielt.113 Ein erzählendes Ich wendet sich in der ersten Person direkt an seinen Leser, den es bei dessen Namen „Theophilos“ (V. 3) anspricht, womit es der idealen Leserschaft eine Identifikationsfigur anbietet.114 Indem es gewissen literarischen Gepflogenheiten folgt, stellt sich das erzählende Ich in die Tradition antiker griechisch-römischer Schriftstellerei: Es nennt einige Versuche anderer, die seiner eigenen Niederschrift der Erzählung vorausgegangen sind (V. 1); es beruft sich auf Augenzeugen (αὐτόπται; V. 2) als Gewährsleute und versichert die Lesenden seiner Sorgfalt in Recherche (παρηκολουθηκότι ἄνωθεν πᾶσιν ἀκριβῶς), Ordnung und Niederschrift (καθεξῆς σοι γράψαι; V. 3) seines Gegenstandes. Ähnlich verfahren auch andere hellenistisch geprägte Schriftsteller dieser Zeit.115 Interessanterweise spricht die Stimme des Erzählers die Zielsetzung unverhohlen aus, die hinter dem gesamten folgenden Text steht: ἵνα ἐπιγνῷς περὶ ὧν κατηχήθης λόγων τὴν ἀσφάλειαν. Die Jesus-Erzählung des Lukasevangeliums stellt für die idealen Lesenden kein völliges Neuland dar; sie sind in diesen Dingen bereits unterrichtet worden – κατηχήθης. Dabei lässt sich allerdings allein anhand des Verbums nicht ausmachen, ob κατηχέω an dieser Stelle in einem allgemeinen oder doch im spezifisch christlichen Sinne verstanden werden will. Im ersten Falle wäre der angesprochene Theophilos als ein interessierter aber dem christlichen Glauben nicht unbedingt zugehöriger Leser zu sehen, der von den Inhalten der Jesus-Erzählung auf nicht genauer greifbare Weise bereits Kunde erhalten hat.116 Im anderen Falle könnte κατηχέω den Vorgang der Unterweisung im Rahmen des christlichen Taufunterrichts bezeichnen, an welchem Theophilos teilgenommen hat, um sich anschließend als getauftes Mitglied verbindlich einer christlichen Gemeinde anzuschließen.117 Der Kontext des Proömiums mit den hier erwähnten λόγοι lässt allerdings die zuletzt genannte Möglichkeit Studie daher die Feststellung, dass das Lukasevangelium mit einem aus der hellenistischen antiken Literatur bekannten Proömium beginnt und den entsprechenden literarischen Konventionen folgt. 113 Allerdings setzt sich das erzählende Ich im lukanischen Proömium über die Nennung der αὐτόπται (V. 2), die ihm als Gewährsleute dienen, in Relation zur erzählten Welt. Wenngleich das erzählende Ich nicht aktiv an den erzählten Ereignissen teilnimmt, spielen diese sich dennoch in derselben Welt ab, in der auch es verortet ist, da es ja in direkten persönlichen Kontakt mit den Augenzeugen treten kann. 114 Vgl. hierzu auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 62; K. LÖNING, Geschichtswerk, 23. Vgl. außerdem K.H. RENGSTORF, Evangelium, 7. 115 So z.B. auch E. PLÜMACHER, Neues Testament, insbes. 112. Vgl. hierzu auch H.-G. GRADL, Arm und Reich, 130; W.C. V. UNNIK, Prologue, 13–14. 116 Diese Ansicht vertritt TH. ZAHN, Evangelium, 59. 117 Im Neuen Testament lassen sich Beispiele für beide Arten – für den allgemeinen (Apg 21,21) wie auch den speziellen Gebrauch (Gal 6,6) von κατηχέω finden. Vgl. H.W. BEYER, κατηχέω, 639. Vgl. hierzu auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 62; H.-G. GRADL, Arm und Reich, 146–147; J.B. GREEN, Gospel, 45–46.
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als die wahrscheinlichere erscheinen. Bei der idealen Leserschaft des Lukasevangeliums handelt es sich damit um solche Menschen, die eine grundlegende Orientierung über christliche Lehrvorstellungen durch den Taufunterricht bereits besitzen. Von der ἀσφάλεια dieser Kunde bzw. dieser Unterrichtsinhalte soll sich der als Theophilos angeredete ideale Lesende anhand der folgenden Erzählung vergewissern.118 Als Modus dieser Vergewisserung dient die Besinnung auf die vergangenen Geschehnisse mittels menschlicher Logik.119 Es herrscht hier – anders als im modernen Denken120 – keine strikte Trennung zwischen dem Bereich der Vernunft oder Logik einerseits und dem Bereich der Religion oder des Glaubens andererseits.121 Aus der Perspektive des in Lk 1,1–4 zu Wort kommenden „Ich“ führt ein gangbarer Weg vom sorgfältigen Nachvollzug der Geschichte Jesu hin zur glaubenden Bejahung des christlichen Credos.122 Beide Bereiche sind über die Brücke der Reflexion miteinander verbunden. Dass die Schilderung der ab Lk 1,5 folgenden Jesus-Erzählung ein theologisches und christologisches123 Anliegen verfolgt, wird sich im weiteren Verlauf der Analyse noch zeigen.124 Doch bereits im Proömium des Lukasevangeliums verrät der Gebrauch des Wortes ἐπιγινώσκω die möglicherweise auf eine religiöse Wahrheit hin abzielende Blickrichtung. Denn auch andernorts im Neuen Testament bezeichnet ἐπιγινώσκω bzw. das zum selben Wortstamm gehörende Substantiv ἐπίγνωσις einen Prozess, der auf dem Wege des Nachdenkens eine Zustimmung zu Glaubensaussagen gewinnt (vgl. etwa Kol 2,2).125 Die Ange118
Vgl. hierzu auch J.B. GREEN, Gospel, 36. Vgl. hierzu auch D.P. MOESSNER, Prologues, 412–413. 120 Folgerichtig protestiert G. KLEIN, Lukas 1,1–4, 260–261 von seinem modernen Standpunkt aus gegen das Anliegen des lukanischen Prologs. 121 Aus dieser Beobachtung heraus teile ich die These H. Schürmanns nicht, der eine Diastase zwischen dem historischen und dem kirchlich-tradierenden Anliegen eines Textes diagnostiziert und dieses Gegenüber für den Fall des Lukasevangeliums einseitig in Richtung der kirchlichen Tradition auflöst (H. SCHÜRMANN, Evangelienschrift, 147). 122 Vgl. hierzu auch G. KLEIN, Lukas 1,1–4, 258–259; U. LUCK, Kerygma, 107; A. SCHLATTER, Evangelium, 17; W.C. V. UNNIK, Prologue, 19. Vgl. außerdem K. LÖNING, Geschichtswerk, 24–25; W. RADL, Evangelium, 35. J.B. GREEN, Gospel, 36; DERS., Theology, 19 geht sogar so weit, dass er Erzählung und Verkündigung im Lukasevangelium miteinander identifiziert. 123 Zur christologischen Orientierung der Erzählung in Lk 1–2 äußert sich beispielsweise auch H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 40. 124 U. LUCK, Kerygma, 99–101 bestimmt die in Lk 1,4 erwähnten λόγοι mit Hilfe von in der Apostelgeschichte formulierten Kurzfassungen des christlichen Glaubensbekenntnisses. Ähnlich verfährt auch H. SCHÜRMANN, Evangelienschrift, 145. 125 Für die Verwendung von ἐπιγινώσκω bei Lukas in einem Sinne, der physische Wahrnehmung mit dem Moment glaubenden Erkennens verbindet vgl. Lk 24,31. Zu weiteren neutestamentlichen Aussagen, die ἐπιγινώσκω in diesem Sinne gebrauchen vgl. R. BULTMANN, γινώσκω, 708. Auch Philo von Alexandrien, dessen Schriften sich ebenso wie das Lukasevangelium gleicherma119
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strebte ἀσφάλεια lässt sich daher – sofern die religiöse Komponente des Verbs ἐπιγινώσκω und die inhaltliche Ausrichtung der gesamten lukanischen Schrift auch hier mitschwingen – mit „Sicherheit“ treffend übersetzen. In dieser Sicherheit verbindet sich freilich kognitives Wissen mit dem Element religiöser Gewissheit.126 Die angesprochenen λόγοι, durch welche Lk 1,4 die Inhalte der nachstehenden Erzählung charakterisiert meinen unter diesem Blickwinkel nicht nur allgemein „Dinge“ sondern ganz konkret „Lehren“ als den Gegenstand philosophischer Reflexion, von welchem sich wiederum ein religiöses Moment nicht abtrennen lässt.127 Zwar beginnt das Lukasevangelium mit einem Proömium, dessen Form aus der antiken Schriftstellerei stammt und auch in historischen Werken Verwendung findet. Doch das Anliegen der Schrift unterscheidet sich von der Sichtweise des antiken Autoren Lukian von Samosata, der im 2. Jahrhundert n.Chr. fordert, historische Arbeit solle lediglich ergründen, welche Ereignisse sich in welcher Weise wirklich zugetragen haben.128 Lukians ßen aus hellenistischen wie auch jüdischen geistesgeschichtlichen Wurzeln speisen, benutzt die Worte ἐπιγινώσκω bzw. ἐπιγνώσις in dieser Weise: ἐπιγινώσκω kann sich auf den Prozess der Erkenntnis von Gottes Existenz beziehen (Som. 1,231) und ἐπιγνώσις die Erkenntnis der Einheit Gottes bezeichnen (Leg. All. 3,48). Auch im Zusammenhang mit wahrsagerischen Methoden kann Philo vom Bestreben zur ἐπιγνώσις der Zukunft sprechen (Spec. Leg. 1,64). Und er weiß von Magoi in Persien zu berichten, die – indem sie die Natur beobachten – zur ἐπιγνώσις der Wahrheit (ἀλήθεια) gelangen wollen (Omn. Prob. Lib. 74). 126 Im Regelfall bezeichnet ἀσφάλεια im Neuen Testament und seiner Umwelt eine physische Sicherheit; oftmals die Abwesenheit körperlicher Bedrohung (vgl. z.B. Apg 5,23; 1Thess 5,3; Lev 26,5; Dtn 12,10; Jes 8,15; vgl. hierzu auch K.L. SCHMIDT, ἀσφάλεια, 503). Mit ἀσφάλεια kann aber auch eine theoretische Sicherheit, die Stabilität gedanklicher Gebäude bezeichnet werden. Als aus dem hellenistischen Judentum stammende Belege hierfür mögen wieder einige Philo-Stellen dienen: Philo von Alexandrien sieht den Lernbegierigen als Besitzer der ἀσφάλεια an; als Instrument, sie zu erlangen, dient ihm die Vernunft, bzw. der λόγος (Rer. Div. Her. 125). Auch an einer anderen Stelle betrachtet Philo den Prozess des Nachdenkens (λογισμός) als Zugang zur ἀσφάλεια (Mut. Nom. 111). Philo kann den rhetorischen Wettstreit einem Schwertkampf vergleichen. In dieser metaphorischen Redeweise mischen sich bei ihm der physische und der theoretische Gebrauch von ἀσφάλεια (Det. Pot. Ins. 36; 37; 42). 127 Ähnlich auch W. RADL, Evangelium, 34. Vgl. hierzu auch J.B. GREEN, Theology, 19; J. KREMER, Lukasevangelium, 23; A. PLUMMER, Gospel, 5; ferner J. ERNST, Evangelium, 53. 128 Lukian lehnt jegliche Parteilichkeit der historischen Arbeit sowie deren Bestimmung durch eigensinnige Interessen des Historikers ab (z.B. Luc., Hist. Conscr. 9). Der Historiker soll seiner Ansicht nach nur darum bemüht sein, ein Ereignis so darzustellen, wie es tatsächlich gewesen ist – τοιοῦτος οἷος ἦν (Hist. Conscr. 32). Ähnliche Ziele verfolgt dann die historische Wissenschaft der Aufklärungszeit. Die aufklärerische Rationalität zeichnet sich insbesondere durch ihr großes Zutrauen in Fortschritt und Methodik aus, von welchen sie sich das Vordringen bis zu den reinen historischen Fakten erhofft. Die Historiographie dieser Epoche möchte nicht beurteilen sondern einzig ergründen „wie es eigentlich gewesen“ ist (L. V. RANKE, Vorrede, VII). Auch im Bereich der neutestamentlichen Forschung verbreitet sich in dieser Zeit derselbe Ansatz, der allein danach trachtet, zu „erkennen, was wirklich gewesen ist“ (W. WREDE, Aufgabe und Methode, 84; hierzu kritisch P.-G. KLUMBIES, Mythos, 9; vgl. hierzu auch schon die Weichenstellung bei J.PH. GABLER, Unterscheidung, 35). Bis in die jüngste Zeit hinein leben solche Ansätze in der neutestamentlichen Forschung weiter (vgl. H. RÄISÄNEN, Neutestamentliche Theologie, pass.). Räisänen
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Forderung resultiert allerdings aus der Beobachtung, dass viele Schriftsteller seiner Zeit sich selbst als Historiker betrachten und dennoch eine ideologische Zielsetzung mit ihrer Arbeit verbinden können.129 Eine entsprechende Verknüpfung von Historiographie und weltanschaulichem Anliegen begegnet auch im Lukasevangelium: Das erzählende Ich des Lukasevangeliums will gemäß seiner Selbstauskunft die idealen Lesenden zur ἀσφάλεια im Hinblick auf theologische und christologische Aussagen führen.130 Auf diese Weise generiert die Beschreibung der Zielrichtung Lk 1,4 – textpragmatisch betrachtet – bei den Lesenden eine Erwartungshaltung. Diese entsteht unabhängig davon, ob „Theophilos“ nun eine einzelne real existierende Person131 bezeichnen oder idealtypisch die gesamte Leserschaft132 der Schrift ansprechen soll.133 Die Zweckbestimmung ἵνα ἐπιγνῷς περὶ ὧν κατηχήθης λόγων τὴν ἀσφάλειαν begegnet allen Leserinnen und Lesern gleich zu Beginn des Textes und lenkt so ihre Aufmerksamkeit.134 Sofern sie dem erzählenden Ich Vertrauen schenken – und um dieses Vertrauen wirbt die Erzählstimme durch die Versicherung ihrer methodischen Kompetenz (V. 2–3)135 – erwarten sich die Lesenden vom Fortgang der Erzählung ἀσφάλεια im Hinblick auf bestimmte λόγοι.136 Sowohl für die zeitgenössischen Rezipientinnen und Rezipienten des Lukasevangeliums als auch für die heutige exegetische Forschung stellen sich damit zwei Fragen: Auf welche Weise versucht die nun beginnende Erzählung ἀσφάλεια zu erzeugen? Und durch welche konkreten Inhalte zeichnen sich die angesprochenen λόγοι aus? Diesen beiden Fragen soll die folgende Analyse in besonderem Maße Beachtung schenken. traut es nach wie vor den neutestamentlich Forschenden zu, von der „eigenen Überzeugung Abstand zu nehmen“ (ebd., 92; vgl. auch 83), um auf diese Weise empirisch historisch arbeiten zu können (vgl. insbes. ebd., 73–75). 129 Vgl. E. PLÜMACHER, ΤΕΡΑΤΕΙΑ, insbes. 90; DERS, Cicero und Lukas, insbes. 773. 130 Ähnlich auch F. BOVON, Evangelium, 41; M. DIEFENBACH, Komposition, 42; R. DILLMANN, Lukasevangelium, 93; H. KLEIN, Lukasevangelium, 76; E. LOHSE, Lukas, 66; vgl. hierzu auch H. SCHÜRMANN, Aufbau, 200–201. Nach H. SCHÜRMANN, Evangelienschrift, 139 beabsichtigt der Text es, den Lesenden die Inhalte der Überlieferung präsent werden zu lassen – diese Inhalte also buchstäblich zu repräsentieren (vgl. dort auch 160). Vgl. außerdem auch K. LÖNING, Geschichtswerk, 11–12. 131 Diese Ansicht vertreten F. BOVON, Evangelium, 3; J.B. GREEN, Gospel, 44–45; H. KLEIN, Lukasevangelium, 75; A. PLUMMER, Gospel, 5; W. RADL, Evangelium, 33. 132 In diesem Sinne kann sich als θεό-φιλος jeder Mensch angesprochen fühlen, der Gott lieb hat (vgl. hierzu auch H.-G. GRADL, Arm und Reich, 151). 133 Diese Frage diskutiert auch H.-G. GRADL, Arm und Reich, 145.148. 134 So auch R. DILLMANN, Lukasevangelium, 92–93. 135 So auch D.P. MOESSNER, Prologues, insbes. 413. Moessner macht seine Überlegungen in erster Linie an dem in Lk 1,3 benutzten Partizip παρηκολουθηκότι fest. Vgl. hierzu auch G. KLEIN, Lukas 1,1–4, 245. 136 Zur Textpragmatik von Eröffnungssätzen antiker Werke im Allgemeinen vgl. J.B. GREEN, Gospel, 33–34.
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2.2.2 Die Ankündigung der Geburt des Johannes (1,5–25) Das Wort ἐγένετο – „es geschah“ – fungiert an dieser Stelle als Signalwort und zeigt der Leserschaft an, dass das Proömium beendet ist und das erzählte Geschehen beginnt (V. 5).137 Aus der Welt des Proömiums heraus tauchen die Rezipientinnen und Rezipienten des Textes damit ab, hinein in die Welt der Erzählung. Mit der Wendung ἐν ταῖς ἡμέραις Ἡρῴδοω βασιλέως τῆς Ἰουδαίας verankert die Erzählung das erzählte Geschehen in Raum und Zeit.138 Zeitlich befindet man sich in der Amtszeit König Herodes’,139 und räumlich – sonst würde die Verankerung mit Hilfe der Regierungszeit gerade des judäischen Königs keinen Sinn ergeben – spielt die Erzählung in Judäa. Gleichzeitig dient die Erwähnung des Königs schon im ersten Atemzug der eigentlichen Erzählung jedoch auch als die Folie eines Kontrasts, vor welcher die Aussagen über eine Königsherrschaft ganz anderer Art im weiteren Verlauf der Handlung ein um so deutlicheres Profil erhalten: Der Wortstamm βασιλε- wird nämlich auch an späterer Stelle noch begegnen (V. 33: βασιλεύω sowie βασιλεία), dort allerdings auf einen Anderen bezogen. Nun treten die ersten an der Handlung der Erzählung beteiligten Figuren auf die vor dem inneren Auge der Lesenden sich befindende Bühne: Ein Priester namens Zacharias und seine Frau Elisabet werden vorgestellt (V. 5b). Beide sind fromme Leute; gemessen am Maßstab des göttlichen Gesetzes haben sie sich nichts zu Schulden kommen lassen (V. 6). Dennoch sind sie kinderlos, denn Elisabet ist unfruchtbar (V. 7: στεῖρα). Leserinnen und Leser, die sich in den Schriften der hebräischen Bibel auskennen,140 missdeuten die Kinderlosigkeit des Paares unter diesen Umständen keinesfalls als eine göttliche Strafe,141 denn an vielen Stellen der Septuaginta dient das Wort στεῖρα als Signal dafür, dass große Ereignisse ihre Schatten voraus137 So auch K. LÖNING, Geschichtswerk, 65. Vgl. hierzu auch M. DIEFENBACH, Komposition, 52; J.B. GREEN, Gospel, 47; H. ZIMMERMANN, Evangelium, 250. 138 Vgl. hierzu auch K. HAACKER, Quirinius, 39. 139 Das Wortfeld der hellenistischen Herrscherverehrung ist bereits Gegenstand meiner Ausführungen gewesen. Es wird im Verlauf der weiteren Untersuchung häufig wiederkehren. Der Text Lk 1,1–2,40 äußert sich bisweilen kritisch gegenüber der Überschätzung des Herrschers. In diesem Zusammenhang ist im Hinblick auf Herodes interessant, dass er den Kult des römischen Kaisers aktiv unterstützt hat (vgl. J.S. MCLAREN, Jews, 276). 140 Als eine solche in der hebräischen Bibel – bzw. vielmehr ihrer griechischen Übersetzung, der Septuaginta – kundige Leserschaft hat ja bereits die Analyse im Kapitel 1 die idealen lukanischen Rezipientinnen und Rezipienten erwiesen. 141 Dies gilt umso mehr, da ja gerade nach der Tora die Kinderlosigkeit als Strafe Gottes anzusehen ist (z.B. Lev 20,20–21; vgl. A. PLUMMER, Gospel, 10). Das Motiv der Kinderlosigkeit untadelig lebender Eltern hingegen besetzt einen fest etablierten Platz in der kulturellen Enzyklopädie der idealen Leserschaft des Lukasevangeliums, so dass insbesondere die Spannung zu den Aussagen des Gesetzes Lev 20 an dieser Stelle den Reiz der Erzählung ausmacht.
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werfen: Das Motiv von der frommen und gerechten aber unfruchtbaren Ahnfrau findet sich beispielsweise im Zusammenhang mit Sarah (Gen 11,30: στεῖρα), mit Rebekka (Gen 25,21: στεῖρα), mit Rahel (Gen 29,31: στεῖρα), mit der Frau des Manoah, der späteren Mutter Simsons (Ri 13,2.3: στεῖρα) und mit Hannah (1Sam 1,6: οὐκ ἔδωκεν αὐτῇ κύριος παιδίον).142 In all diesen Fällen folgt auf die Einführung der unfruchtbaren Frau sehr bald das helfende Handeln Gottes, der dem bislang kinderlosen aber gerechten Paar dann doch noch einen männlichen Nachkommen beschert, welcher schließlich auch eine besonders wichtige Rolle für den Fortgang der Geschichte spielt. Deswegen weckt in Lk 1,7 das Stichwort στεῖρα gewisse Erwartungen in der Leserschaft: Das Eingreifen Gottes zeichnet sich hier schon ab; ein bedeutsamer und von Gott gegebener Nachkomme wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Während die Erzählung gerade das erste Problem skizziert, assoziieren schriftkundige Adressatinnen und Adressaten also bereits eine Perspektive zu dessen Lösung.143 Mit einem erneuten ἐγένετο (V. 8) setzt nach der Schilderung der Situation die eigentliche Handlung ein. Zacharias ist an der Reihe, seinen Priesterdienst zu tun; per Losentscheid wird er ermittelt, ein Räucheropfer darzubringen.144 Dazu tritt er in den Tempel ein – εἰς τὸν ναόν (V. 9).145 Währenddessen bleibt die Volksmenge außerhalb (ἔξω) des ναός und betet (V. 10). Doch nun passiert etwas Außergewöhnliches: Ein Engel des Herrn erscheint dem Priester – ὤφθη δὲ αὐτῷ ἄγγελος κυρίου (V. 11). Damit findet eine Durchbrechung der Schranke zwischen irdischer und himmlischer Welt statt.146 Die der Septuaginta kundige ideale Leserschaft des Lukas142 Vgl. hierzu W. GRUNDMANN, Geschichte, 380; J. KREMER, Lukasevangelium, 24. Auch an weiteren Stellen kommt dieses Motiv unter Nennung des Signalworts στεῖρα vor: Das personifizierte Jerusalem tritt in Jes 66,9 als eine unfruchtbare Frau auf, die durch Gottes Eingreifen dann doch gebären kann; eine namenlose, typische Unfruchtbare kann in Ψ 112,9 durch Gottes Hilfe schließlich doch Kinder bekommen. Im Neuen Testament nimmt der Hebräerbrief (Hebr 11,11) das Sarah-Motiv auf und verwendet dabei das Wort στεῖρα. Auch R.E. Brown erblickt in der lukanischen Szene eine Anspielung auf ein häufiges Motiv der hebräischen Bibel (R.E. BROWN, Birth, 268–269; DERS., Method, 131; ähnlich auch F. Ó FEARGHAIL, Imitation, 71). Zu diesem Motiv der biblischen Geburts-Ankündigungen – nicht nur an unfruchtbare Frauen – vgl. ferner CH. BÖTTRICH, Geburtsgeschichte, 231–232; F. BOVON, Evangelium, 64; W. ECKEY, Lukasevangelium, 76–77; J.A. FITZMYER, Gospel, 335; W. RADL, Evangelium, 46; K.H. RENGSTORF, Evangelium, 20. 143 Ähnlich auch M. COLERIDGE, Birth, 31. Vgl. hierzu auch W. GRUNDMANN, Geschichte, 382. 144 Vgl. hierzu auch P. WINTER, Background, 166–167. 145 Vgl. zum Tempel in Lk 1–2 auch A. SCHLATTER, Evangelium, 149. Zur Bedeutung des Jerusalemer Tempels im Lukasevangelium vgl. auch N.H. TAYLOR, Luke-Acts, 709. Vgl. hierzu ferner – auch wenn dieser den Abschnitt Lk 1–2 in seiner Untersuchung ausspart – H. CONZELMANN, Lukasanalyse, 56 sowie DERS., Mitte, 153. 146 Vgl. hierzu auch K. LÖNING, Geschichtswerk, 82.
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evangeliums kennt ἄγγελοι κυρίου oder ἄγγελοι θεοῦ als Gottesboten, die normalerweise auf der Erde auftreten, dabei jedoch als Bindeglieder zur himmlischen Welt fungieren, welche den Menschen sonst nicht zugänglich ist (vgl. z.B. Gen 16,7; 19,1; 32,2). Dieser die himmlische mit der irdischen Welt verbindende Charakter von Engelserscheinungen kommt beispielsweise in der Genesis besonders deutlich dort zum Ausdruck, wo ein Engel der Hagar (Gen 21,17) oder dem Abraham (Gen 22,11) vom Himmel aus etwas zuruft, wo Jakob die Engel auf einer Leiter zwischen Himmel und Erde herauf- und herabsteigen sieht (Gen 28,12), oder wo der Engel im Traum zu Jakob spricht (Gen 31,11). Gleiches widerfährt in der lukanischen Erzählung jetzt also auch dem Priester Zacharias, und wie dies schon in der Septuaginta an einzelnen Stellen der Fall ist (vgl. z.B. Ri 13,6: σφόδρα; Jes 6,5: τάλας ἐγώ; Dan 8,17: θορυβέω; 10,11: τρέμω), reagiert auch er auf die Erscheinung mit Furcht (V. 12).147 So lauten die ersten Worte des Engels, der versförmig zu reden beginnt: μὴ φοβοῦ, Ζαχαρία (V. 13). Als beruhigende Aufforderung leitet die Wendung μὴ φοβοῦ in der Septuaginta viele wörtliche Reden ein, wo Gott zu Menschen spricht (vgl. etwa Gen 15,1; 21,17; 46,3 u.ö.).148 Gegenstand des menschlichen Fürchtens ist dabei in seltenen Fällen die Gotteserscheinung; in der Mehrheit der Stellen bezieht sich das Verb φοβέω auf die Ungewissheit des Angesprochenen im Hinblick auf sein Ergehen in der unmittelbaren Zukunft (sehr deutlich z.B. Gen 46,3; Dtn 1,21; 3,2; 20,3). Was die Leserinnen und Leser des Textes bereits erahnen – dass nämlich weder die Begegnung mit dem Engel des Herrn noch seine Kinderlosigkeit dem Zacharias Grund zur Sorge zu sein brauchen –, das muss dieser sich in der erzählten Welt nun erst zusagen lassen. Sein Gebet sei erhört worden, behauptet der ἄγγελος (V. 13). Als logisches Subjekt steht Gott hinter dem passivum divinum εἰσηκούσθη.149 Obgleich von einem Gebet des Zacharias im Verlauf der bisherigen Erzählung gar nicht die Rede gewesen ist, können die Adressatinnen und Adressaten des Textes sich zusammenreimen, dass Zacharias Gott um einen Sohn gebeten haben wird, da ihre Erwartung sich in dieser Bahn bewegt, seit ihnen 147 Die Furcht des Menschen stellt in diesen Zusammenhängen der hebräischen Bibel im ersten Moment also die selbstverständliche Reaktion des Menschen auf die Begegnung mit einem Repräsentanten der himmlischen Welt dar (vgl A. PLUMMER, Gospel, 12; G. WANKE, φοβέω, 197; vgl. hierzu auch J.B. GREEN, Gospel, 72; H. KLEIN, Lukasevangelium, 88; J. KREMER, Lukasevangelium, 25; U. WILCKENS, Empfangen, 56). 148 Vgl. hierzu auch J.A. FITZMYER, Gospel, 325; vgl. außerdem W. ECKEY, Lukasevangelium, 76; J. ERNST, Evangelium, 59; J.B. GREEN, Gospel, 69; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 32; W. WIEFEL, Evangelium, 47. Für die Verbindung zu Gen 15,1 vgl. auch E.W. CONRAD, Annunciation, 662. Zum formelhaften Charakter der Aussage vgl. außerdem G. SCHNEIDER, Evangelium, 45. 149 So auch K. LÖNING, Geschichtswerk, 72.
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das Signalwort στεῖρα begegnet ist (V. 7).150 Die idealen Lesenden füllen damit also die in der Erzählung begegnende Leerstelle des nicht-Erzählten, indem sie in diese Leerstelle ein vor dem Referenzrahmen ihrer kulturellen Enzyklopädie plausibles Element einfügen.151 Und prompt bestätigt sich ihnen auch diese Vermutung: von einem epexegetischen καί eingeleitet präzisiert der Engel seine Aussage dahingehend, dass dem Zacharias tatsächlich bald ein Sohn geschenkt werde (V. 13cd). Die Formulierung ἡ γυνή σου Ἐλισάβετ γεννήσει υἱόν σοι καὶ καλέσεις τὸ ὄνομα αὐτοῦ Ἰωάννην stimmt dabei nahezu buchstäblich mit den Worten überein, welche Gott an Abraham richtet, um ihm die Geburt seines Sohnes Isaak anzukündigen (Gen 17,19).152 Wenn schon die Verwendung von στεῖρα der zeitgenössischen Leserschaft des Lukasevangeliums eine Spur gelegt hatte, die sie auch im lukanischen Text die Geburt eines bedeutsamen Sohnes erwarten lässt, so bestätigt und erhöht sich diese Erwartung nun durch die Parallele zu Gen 17,19. Im weiteren Verlauf seiner Rede beschreibt der Engel jetzt genauer, worin die Bedeutsamkeit des angekündigten Nachkommen besteht: Zunächst spielt das Motiv der Freude eine Rolle; in den Wendungen ἔσται χαρά σοι und πολλοὶ χαρήσονται (V. 14) begegnet es gleich zweimal dicht hintereinander. Angeregt durch das Motiv der χαρά können die Leserinnen und Leser der Erzählung hier zweierlei Kontexte assoziieren: denn einerseits gibt in der Septuaginta, wo die Vokabel χαρά begegnet, häufig Gott mit seinem heilvollen Tun den Menschen Anlass zur Freude (z.B. Jes 55,12; 66,10; Jer 15,16; 16,9; Jon 4,6; Ψ 20,7; 125,2); und andererseits kommt das Motiv der χαρά auch im Zusammenhang mit der hellenistischen Herrscherverehrung vielfach vor.153 Der erste gedankliche Komplex gehört in die Welt der jüdischen Geistesgeschichte, der zweite dagegen in die Welt der hellenistischen. Es hängt damit von den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen der lesenden Einzelperson ab, welcher der beiden Gedankenkreise abgerufen wird, um dann als Folie für das Verständnis der χαρά in Lk 1,14
150 Vgl. hierzu auch M. COLERIDGE, Birth, 40; H. KLEIN, Lukasevangelium, 88; TH. ZAHN, Evangelium, 66. 151 Vgl. hierzu W. ISER, Appellstruktur, 235 und seine Erwägungen zur „Leerstelle“ eines Textes. Nach Iser besitzt dieser Prozess eine zentrale Wichtigkeit für die Teilnahme des Lesenden an der Konstitution des Texts (vgl. außerdem W. ISER, Akt, 301–302; vgl. auch ebd., 266.284–288). 152 Vgl. hierzu auch Punkt 1.2.3 zu Lk 1,13. Zu der intertextuellen Referenz des lukanischen Texts auf die Abraham-Erzählung der Genesis vgl. außerdem M.D. GOULDER/M.L. SANDERSON, Genesis, 14–15 sowie C.T. RUDDICK, Birth Narratives, 343. 153 Vgl. zu beiden Aspekten der χαρά H. CONZELMANN, χαίρω, 352–354. Zur Bedeutung des Stichworts χαρά in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums vgl. außerdem J.B. GREEN, Gospel, 74.
Der Verlauf der Erzählung in Lukas 1,1–2,40
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zu dienen.154 In jedem Falle kontrastiert die χαρά des Verses 14 den ihr kurz vorausgehenden φόβος des Zacharias.155 Der Engel präzisiert seine Ankündigung noch weiter und äußert sich zur Rolle des zu erwartenden Nachkommen: Er werde groß sein vor dem Angesicht des Herrn – ἔσται γὰρ μέγας ἀνώπιον τοῦ κυρίου (V. 15a). Wieder bestätigt die Aussage des Engels damit eine bereits bestehende Vermutung der Leserinnen und Leser, die bereits aufgrund des Signalworts στεῖρα (V. 7) und der Sohnesverheißung (V. 13) erwarten, dass der Sohn des Zacharias sich durch sein wichtiges Handeln für Gott auszeichnen werde. Unter dieser Hinsicht nimmt die ideale Leserschaft daher auch die Aussage des Engels auf, der Nachkomme werde sich als μέγας erweisen. Sein Verzicht auf Wein und alkoholisches Getränk (V. 15b) kennzeichnet den angekündigten Sohn darüber hinaus als einen Nasiräer, für welchen aufgrund seiner Aussonderung für Gott besondere Bestimmungen gelten (vgl. Num 6, insbes. V. 3).156 Unter den Nasiräern, von welchen die hebräische Bibel erzählt, stechen besonders die Figuren Simson (Ri 13) und Samuel (1Sam 1–2)157 hervor. Der Mutter Simsons kündigt, wie in Lk 1 dem Zacharias, ebenfalls ein Engel des Herrn die bevorstehende Geburt an und schreibt ihr – der Mutter! – dabei im Hinblick auf die bald beginnende Schwangerschaft vor: μὴ πίῃς οἶνον καὶ σίκερα (Ri 13,4.7). Im Vorfeld der 154 Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der inhaltlichen Untersuchung von Lk 1–2 lässt sich jedoch sagen, dass der bisherige Text eine implizite Leserschaft voraussetzt, welche mit beiden Gedankenwelten vertraut ist. Denn einerseits schickt der Text der eigentlichen Erzählung ein Proömium voraus, das in den Bereich der hellenistischen Geistesgeschichte gehört (Lk 1,1–4), und andererseits finden sich im Verlauf der Erzählung aber auch viele motivische Anspielungen auf die Texte der hebräischen Bibel, auf den Bereich der jüdischen Geistesgeschichte also. Es hat also den Anschein, als seien die beiden geistesgeschichtlichen Welten für den Text hier keine unverbunden nebeneinander stehenden Kreise, sondern als existiere eine Schnittmenge, in welcher die Erzählung die implizite Leserschaft ansiedelt. 155 Eine ähnliche Dynamik wird sich auch in der Szene finden, in der der Engel den Hirten begegnet (Lk 2,9–10; s.u. Punkt 2.2.7). 156 Vgl. hierzu auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 77; J.A. FITZMYER, Gospel, 325; A. PLUMMER, Gospel, 14; W. RADL, Evangelium, 48; E. SCHWEIZER, Evangelium, 15; TH. ZAHN, Evangelium, 68; vgl. außerdem J. ERNST, Evangelium, 60; J.B. GREEN, Gospel, 69; H.J. HOLTZMANN, Synoptiker, 29; anders A. SCHLATTER, Evangelium, 154; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 34. 157 F. BOVON, Evangelium, 55 unterscheidet zwischen dem Nasiräat Simsons in Ri 13 und der Aussonderung Samuels zum Priesterdienst in 1Sam 1. Auf der Basis dieser Unterscheidung argumentiert er, der lukanische Johannes werde eher als Priester und weniger als Nasiräer dargestellt (ähnlich auch H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 34). M.E. legt sich seine Differenzierung aus der Sicht der Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums allerdings nicht unbedingt nahe. Die Ähnlichkeit der sowohl in der Simson- als auch in der Samuel-Erzählung erwähnten Vorschriften in ihrer nahezu wörtlich gleichen Formulierung belegen es deutlich, dass hier aus der Sicht antiker Lesender allenfalls ein gradueller, keinesfalls jedoch ein prinzipieller Unterschied besteht (ähnlich auch J.B. GREEN, Gospel, 75; auch H. KLEIN, Lukasevangelium, 89; A. PLUMMER, Gospel, 14 nehmen in diesem Punkt keine Differenzierung vor).
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Der Spannungsbogen in Lukas 1,1–2,40
Geburt Samuels ist es die Mutter, die eine ähnliche Formulierung gebraucht, wenn sie von Gott einen Sohn erbittet und dabei verspricht: οἶνον καὶ μέθυσμα οὐ πίεται (1Sam 1,11). Beide Wendungen gleichen den Worten in Lk 1,15 – οἶνον καὶ σίκερα οὐ μὴ πίῃ – deutlich stärker als die Vorschrift des Gesetzes in Num 6,3. Für kundige Rezipientinnen und Rezipienten des Lukasevangeliums, denen die Simson- oder die Samuel-Erzählung vertraut ist, erhöhen sich so die Erwartungen, die sie in den verheißenen Sohn des Zacharias setzen. Die Parallele zu Simson und Samuel, denen beiden besonders politische Verdienste für das Volk Israel eignen,158 lässt auch die ideale Leserschaft von Lk 1–2 politische Taten in großer Dimension vom angekündigten Sohn des Zacharias erwarten.159 Darüber hinaus wird dieser Sohn gemäß der Ankündigung des Engels auch mit dem πνεῦμα ἅγιον erfüllt sein (V. 15c).160
158 Als Richter Israels engagiert Simson sich besonders in der Auseinandersetzung mit den Philistern (Ri 13–16), während Samuel in entscheidender Weise am Beginn des Königtums in Israel beteiligt ist (1Sam 8–10). 159 Vgl. hierzu auch K. LÖNING, Geschichtswerk, 76–77. 160 Das Motiv des Heiligen Geistes begegnet an dieser Stelle zum ersten Mal im Lukasevangelium. Es handelt sich hierbei jedoch um einen für die lukanische Erzählung wichtigen Bestandteil (so auch J.B. GREEN, Gospel, 22; A. PLUMMER, Gospel, 14; K.H. RENGSTORF, Evangelium, 5; H. ZIMMERMANN, Evangelium, 253; vgl. hierzu auch J.A. FITZMYER, Role, 171–172; K.A. KUHN, Beginning, 253; wegen der wichtigen Impulse, welche der Heilige Geist zum Verlauf des Spannungsbogens beiträgt, sieht L. LEGRAND, Visitation, 137 ihn als wesentlichen Protagonisten der lukanischen Erzählung an). Dies spiegelt sich bereits in der Statistik der absoluten Werte zum Gebrauch von πνεῦμα ἅγιον in den synoptischen Evangelien. Die Wendung πνεῦμα ἅγιον und ähnliche Formulierungen begegnen bei den Synoptikern an den folgenden Stellen: Mk 1,8; 3,29; 12,36; 13,11; Mt 1,18.20; 3,11; 12,32; 28,12; Lk 1,15.35.41.67; 2,25.26; 3,16.22; 4,1; 10,21; 11,13; 12,10.12. Die absoluten Häufigkeiten a betragen damit bei Markus 4, bei Matthäus 5 und bei Lukas 13; der Wert a liegt für das Lukasevangelium also höher als für die beiden anderen Synoptiker zusammen. Ein Tortendiagramm kann dies illustrieren.
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Der Verlauf der Erzählung in Lukas 1,1–2,40
πνεῦμα ἅγιον in den synoptischen Evangelien Mk
Mt
Lk
Allein sechsmal kommt die Wendung πνεῦμα ἅγιον in der sog. Kindheitserzählung des Lukasevangeliums vor (Lk 1,15.35.41.67; 2,25.26), häufiger also als im gesamten Markus- oder im gesamten Mätthäusevangelium. Allerdings übertrifft das Lukasevangelium aber auch sowohl das Markusevangelium als auch das Matthäusevangelium an Länge. Daher ist die relative Häufigkeit der Verwendung von πνεῦμα ἅγιον und ähnlichen Wendungen in den Schriften des Neuen Testaments von besonderem Interesse. Die relative Häufigkeit h ergibt sich, wenn die absolute Häufigkeit der Verwendung von πνεῦμα ἅγιον mittels einer Division in Beziehung zur Länge N der jeweiligen Schrift B gesetzt wird (s.o. Punkt 1.1.2). Der Wert N gibt dabei den Umfang der betreffenden Schrift oder Schriftengruppe in Worten an. Zum Beispiel umfasst das Lukasevangelium 19482 Worte, also gilt: NLk = 19482. Zur Berechnung der relativen Häufigkeiten für x = πνεῦμα ἅγιον in den einzelnen Schriften B des Neuen Testaments dient damit die folgende Formel:
hB ( x ) =
a B ( x) NB
Die außerhalb der synoptischen Evangelien liegenden Belegstellen für x = πνεῦμα ἅγιον lauten: Joh 1,33; 14,26; 20,22; Apg 1,2.5.8.16; 2,4.33.38; 4,8.25.31; 5,3.32; 6,5; 7,51.55; 8,15.17.19; 9,17.31; 10,38.44.45.47; 11,15.16.24; 13,2.4.9.52; 15,8.28; 16,6; 19,2[2x].6; 20,23.28; 21,11; 28,25; Röm 5,5; 9,1; 14,17; 15,13.16; 1Kor 6,19; 12,3; 2Kor 6,6; 13,13; 1Thess 1,5.6; 4,8; Eph 1,13; 4,30; 2Tim 1,14; Tit 3,5; Hebr 2,4; 3,7; 6,4; 9,8; 10,15; 1Petr 1,12; 2Petr 1,21; Jud 20. Damit existieren im gesamten Neuen Testament 90 Belege. Auf der Basis von NMk = 11304; NMt = 18346; NLk1,1–2,40 = 1839; NLk = 19482; NJoh = 15635; NApg = 18450; NPaulus = 24093 – wobei gilt: Paulus = {Röm; 1Kor; 2Kor; Gal; Phil; 1Thess; Phlm} –; NEph = 2422; NHebr = 4953; NNT = 138020 ergibt sich das folgende Diagramm; die relativen Häufigkeiten sind dabei in der Einheit hB(x)*103, d.h. in ‰ angegeben.
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Der Spannungsbogen in Lukas 1,1–2,40
Während der Engel sich in seiner bisherigen Rede eher allgemein zur Person des Nachkommen geäußert hat, umschreibt er nun dessen Handeln und seine Aufgabe genauer: Der verheißene Sohn werde bewirken, dass viele Angehörige des Volkes Israel sich wieder ihrem Gott zuwenden (V. 16); er werde Gott selbst vorausgehen – ἐν πνεύματι καὶ δυνάμει Ἠλίου – mit dem Geist und mit der Kraft Elias (17a); er werde dafür sorgen, dass die Väter sich wieder ihren Söhnen (17b) und dass die Ungehorsamen sich wieder einer gerechten inneren Haltung zuwenden (17c), um auf diese Weise das Volk auf seinen Gott vorzubereiten (17d). Diese Reihe von Aussagen erklärt sich deutlich vor der Folie der Elia-Tradition, die V. 17a mit der Nennung des Namens des Propheten explizit aufnimmt. In den Worten des Engels klingen Formulierungen aus der Septuaginta (Mal 3 und Sir 48) wörtlich an.161 In Mal 3 kündigt Gott seinem Volk aufgrund von dessen ruchlosen Lebensstil sein Gericht an; als letzte Chance, bevor dieses Gericht hereinbricht, sendet Gott dem Volk den Propheten Elia (Mal 3,1.22 LXX),162 welcher die Menschen dazu veranlassen soll, ihr Leben zu ändern, um nicht dem Gericht anheim fallen zu müssen. Insbesondere darin besteht
πνεῦμα ἅγιον im Neuen Testament 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 Paulus
Mk
Mt
Lk 1,1– 2,40
Lk
Apg
Joh
Eph
Hebr NT ges.
Hierin spiegelt sich deutlich die Bedeutsamkeit der Wendung πνεῦμα ἅγιον innerhalb der sog. Kindheitserzählung des Lukasevangeliums (Lk 1,1–2,40). 161 So auch K. LÖNING, Geschichtswerk, 77–78. Vgl. hierzu auch F. BOVON, Evangelium, 55.57–58; W. ECKEY, Lukasevangelium, 78; J.A. FITZMYER, Gospel, 326–327; B.C. FREIN, Narrative Predictions, 23; J.B. GREEN, Gospel, 69; W. GRUNDMANN, Evangelium, 51; J. KREMER, Lukasevangelium, 26; K.H. RENGSTORF, Evangelium, 21; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 34– 35; W. WIEFEL, Evangelium, 48; P. WINTER, Miszellen, 65. Vgl. außerdem M. DIBELIUS, Jungfrauensohn, 4. 162 Vgl. hierzu auch K.A. KUHN, Point, 42.
Der Verlauf der Erzählung in Lukas 1,1–2,40
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die Aufgabe Elias, dass ἀποκαταστήσει καρδίαν πατρὸς πρὸς υἱόν (Mal 3,23); die Parallele zu Lk 1,17b ist unverkennbar.163 Mit ähnlichen Worten spricht Sir 48,10 vom Wirken Elias in der Vergangenheit: ἐπιστρέψαι καρδίαν πατρὸς πρὸς υἱόν.164 Wenn nun die im Hinblick auf den Septuaginta-Text allusionskompetenten idealen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums die Ankündigung des Engels mit ihrer Vorkenntnis von Mal 3 wahrnehmen,165 sind sie gezwungen, den verheißenen Nachkommen des Zacharias mit dem wiederkehrenden Elia aus dem Maleachibuch zu identifizieren.166 Die intertextuelle Referenz zu Mal 3 fungiert hier so als ein darstellerisches Mittel zu Spannungssteigerung, das der Leserschaft einen zusätzlich mitschwingenden neuen Horizont eröffnet: Denn wenn es sich bei dem angekündigten Sohn tatsächlich um Elia handelt, dann wirft das eine große eschatologische Ereignis seine Schatten bereits voraus: Gott selbst wird in Bälde über die Menschen Gericht halten; unter der Perspektive des Weltgerichts ist es für Israel so wichtig, zu einem λαὸς κατεσκευσαμένος (Lk 1,17) zu werden. Mit diesen letzten Worten des Engels endet die versförmige Struktur des Textes. Angesichts des Ausmaßes dessen, was Zacharias soeben vom Engel vernommen hat, kann es die Leserinnen und Leser kaum verwundern, dass auch der Zacharias der Erzählung seinen Ohren nicht recht trauen mag. Es kommt zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Engel (Lk 1,18–20):167 Zacharias spricht die Frage aus, die auch die Leserschaft bewegt: κατὰ τί γνώσομαι τοῦτο; (V. 18). Woran werde ich das erkennen? Wie kann ich mir sicher sein, dass die Verheißung der Wahrheit entspricht? Hier begegnet explizit die zentrale Frage des Lukasevangeliums! die insbesondere die Kindheitsgeschichte Lk 1–2 beherrscht: Es handelt sich um die Frage nach der Bestätigung für das Unglaubliche.168 Zacharias kann es sich 163
So auch M.D. GOULDER/M.L. SANDERSON, Genesis, 15. Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Method, 137. 165 Die Parallele zu Mal 3 sehen auch R.E. BROWN, Birth, 261–262.277; J.B. GREEN, Gospel, 77–78; R. LAURENTIN, Struktur, 66–67. 166 Entsprechendes stellt auch W. RADL, Evangelium, 49 aus der Sicht des Textes fest. 167 Die Auseinandersetzung benennt auch K. LÖNING, Geschichtswerk, 73. Er findet sie illustriert in den einander gegenüberstehenden Aussagen Zacharias’ (ἐγὼ γάρ εἰμι, V. 18) und Gabriels (ἐγώ εἰμι, V. 19). 168 Als Unterstützung für meine These nenne ich zwei Belegstellen aus dem ersten und aus dem letzten Kapitel des Lukasevangeliums: Schon im Proömium (Lk 1,1–4) nennt das erzählende Ich seine Absicht beim Namen. Es möchte seinen Leserinnen und Lesern zur Erkenntnis der Wahrheit verhelfen (V. 4: ἵνα ἐπιγνῷς). Als Mittel zum Erreichen dieses Zwecks bedient es sich einer möglichst akkuraten historischen Methodik (V. 1–3; s.o. Punkt 2.2.1). Am Ende des Evangeliums thematisiert die Szene von den beiden Jüngern, die sich nach der Kreuzigung Jesu auf dem Weg nach Emmaus befinden und dabei ohne ihn zu erkennen ihrem auferstandenen Herrn begegnen (Lk 24,13–35), ebenfalls die Frage nach der Bestätigung für das Unglaubliche. Denn für die 164
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Der Spannungsbogen in Lukas 1,1–2,40
wegen seines hohen Alters und wegen des hohen Alters seiner Frau nicht vorstellen, dass sie noch einen Sohn bekommen könnten (V. 18). Als Antwort auf seine Bedenken muss er sich zunächst mit dem Hinweis auf die Autorität des Boten begnügen, der sich erst hier namentlich als Gabriel vorstellt (V. 19). Den Engel Gabriel können sowohl die allusionskompetenten Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums als auch der in der jüdischen Tradition fest verwurzelte Priester Zacharias (vgl. V. 6) bereits als eine im Danielbuch auftretende Figur kennen (Dan 8–9).169 Gabriel leitet dort den Seher Daniel zum rechten von Gott herrührenden Verständnis seiner Vision. Im Lukasevangelium nun lässt der Engel nach der Nennung seines Namens eine weitere Ankündigung folgen: Zacharias werde unfähig sein zu sprechen bis zum Zeitpunkt, zu dem das vom Engel Vorausgesagte eintreffen werde (V. 20). Gabriel ist sich dabei des Verheißungschrakters bewusst, den seine vorausgehenden Ansagen getragen haben; so kann er zum einzigen Mal innerhalb des Textabschnitts Lk 1,1–2,40 explizit das Thema der Erfüllung durch den Gebrauch des Verbums πληρόω ansprechen: Alles werde zu gegebener Zeit erfüllt werden (V. 20).170 Die Zeitangabe εἰς τὸν καιρὸν αὐτῶν bleibt dabei völlig vage. Die Erzählung fährt nun fort mit einem Orts- und Perspektivwechsel. Gedanklich befinden sich die Lesenden plötzlich außerhalb des Tempels (V. 21: ναός), in dem Zacharias gerade noch mit dem Engel gesprochen hat. Aus dem Blickwinkel der Volksmenge verfolgen sie den weiteren Verlauf der Dinge. Während das Volk auf der Ebene der Erzählung sich wundern muss, weshalb der Priester so lange auf sich warten lässt (V. 21), kennen die Lesenden den Grund dessen schon längst. Dennoch wundern auch sie sich infolge der Ankündigung des Engels nicht minder, so dass sie an der Verwunderung der Menge – wenngleich unter verschiedener inhaltlicher Füllung – partizipieren171 können. Das Motiv des Sich-Wunderns wird in
Jünger lassen sich Messianität und Kreuzestod Jesu nicht miteinander in Einklang bringen. Die Antwort, die der auferstandene Jesus selbst ihnen gibt, lautet: es muss genau so sein, denn der Einklang von Messianität und Leiden ist in den heiligen Schriften vorgegeben (V. 26–27). 169 Vgl. J. ERNST, Evangelium, 62; J. KREMER, Lukasevangelium, 26. Vgl. hierzu auch J.A. FITZMYER, Gospel, 327; R. LAURENTIN, Struktur, 53. Vgl. außerdem auch M. COLERIDGE, Birth, 42; J.B. GREEN, Gospel, 69; G. SCHNEIDER, Evangelium, 46; W. WIEFEL, Evangelium, 48; U. WILCKENS, Empfangen, 55; P. WINTER, Background, 237; TH. ZAHN, Evangelium, 71. Zur Figur des Engels Gabriel in der jüdischen Tradition vgl. des Weiteren A. PLUMMER, Gospel, 16. 170 Die Rede Gabriels von den λόγοι, von welchen gilt: πληρωθήσονται εἰς τὸν καιρὸν αὐτῶν, ist dabei sehr bildhaft geprägt. Wie mit einem Gefäß, das langsam mit Wasser vollläuft, verhält es sich auch mit den Ankündigungen – λόγοι – des Engels. Sobald der Zeitpunkt – καιρός – erreicht ist und das Gefäß gewissermaßen einen Pegelstand bis zu seinem Rand erreicht hat, wird das Vorausgesagte eintreten (zu der dem Verbum πληρόω innewohnenden Bildhaftigkeit vgl. auch E. LOHSE, Lukas, 71–72). 171 Zum Erleben der Lesenden vgl. auch W. ISER, Akt, 210.214–215.
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Der Verlauf der Erzählung in Lukas 1,1–2,40
der weiteren Erzählung – oftmals unter Verwendung des Schlüsselworts θαυμάζω – noch häufiger auftauchen.172 Weder das Volk noch die Leserschaft muss lange auf den Fortgang des Geschehens warten: Der Priester Zacharias tritt zum Volk heraus; die Leserschaft verfolgt dies aus der Sicht des Volkes mit (V. 22). Was der Engel zuletzt angekündigt hat, bewahrheitet sich jetzt zuerst: Zacharias kann tatsächlich nicht zu den Menschen sprechen und muss sich stattdessen mit der Verwendung von Handzeichen behelfen.173 Ein erneutes Angebot an die Leserschaft, sich an diesem Punkt der Erzählung mit der Volksmenge zu identifizieren, entsteht dadurch, dass das Volk auf der Ebene der Handlung sich das erschließt, was die Lesenden bereits wissen: dass nämlich Zachari-
172
Das Verb θαυμάζω kommt neben Lk 1,21 auch 1,61; 2,18 und 2,33 vor. Dass damit die Dichte der Verwendung von θαυμάζω in Lk 1,1–2,40 deutlich über den relativen Häufigkeiten derselben Vokabel in den anderen Bereichen des Neuen Testaments liegt, erweist die Statistik: a(x) N h(x) [in ‰]
Mk 5 11304 0,44
Mt 8 18346 0,44
Lk 1,1–2,40 4 1839 2,18
Lk & Apg 18 37932 0,47
Joh 7 15635 0,45
Offb 6 9851 0,61
NT ges. 49 138020 0,36
Deutlicher noch macht das Diagramm die Verhältnisse sichtbar:
θαυμάζω im Neuen Testament 2,5 2 1,5 1 0,5 0 Mk
Mt
Lk 1,1– 2,40
Lk & Apg
Joh
Offb
NT ges.
Die Belegstellen für die Verwendung der Vokabel θαυμάζω im Neuen Testament lauten: Mt 8,10.27; 9,33; 15,31; 21,20.42; 22,22; 27,14; Mk 5,20; 6,6; 12,11; 15,5.44; Lk 1,21.63; 2,18.33; 4,22; 7,9; 8,25; 9,43; 11,14.38; 20,26; 24,12.41; Joh 3,7; 4,27; 5,20.28; 7,15,21; 9,30; Apg 2,7; 3,12; 4,13; 7,31; 13,41; Gal 1,6; 2Thess 1,10; 1Petr 2,9; 1Joh 3,13; Jud 16; Offb 1,16; 13,3; 15,1.3; 17,6.7.8. 173 Vgl. hierzu auch M. COLERIDGE, Birth, 45.
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Der Spannungsbogen in Lukas 1,1–2,40
as ein Gesicht, d.h. eine Vision – ὀπτασία – gehabt haben muss.174 Der Priester wiederum erfährt am eigenen Leibe, dass Gabriel die Wahrheit gesagt hat, zumindest im Hinblick auf die Stummheit. Das Signalwort ἐγένετο (vgl. V. 5.8) kennzeichnet dann einen kleinen Einschnitt.175 Die Handlung vor dem Tempel bricht vergleichsweise unvermittelt ab. Der Tempeldienst Zacharias’ endet, und der Priester kehrt in seine Heimat zurück (V. 23). Dort wird Elisabet schwanger (V. 24); sie weiß, dass sie dies Gott verdankt. Ihr Ausspruch drückt Freude und Dank ihm gegenüber aus (V. 25). Indem der Text die beginnende Schwangerschaft Elisabets erzählt, bestätigt sich für die Leserschaft – ebenso wie in der erzählten Welt für den Priester Zacharias – erneut die Vertrauenswürdigkeit der Worte des Engels. Zweimal schon haben sich damit Ankündigungen Gabriels erfüllt: Erstens die der Stummheit Zacharias’ und zweitens die der Schwangerschaft Elisabets. Das lässt hoffen. Denn die spektakulärsten Voraussagen des Engels betrafen ja die Rolle, die der angekündigte Nachkomme einnehmen werde. Zwar steht deren Eintreffen noch aus; doch indem der Engel schon mehrfach Zutreffendes angekündigt hat, kommt ihm von Seiten der Leserschaft ein zunehmendes Vertrauen zu. So fällt ein entsprechendes Licht auch auf die Ankündigung der Rolle des Nachkommens. Die Leserinnen und Leser können daher ihre Lektüre gespannt fortsetzen. 2.2.3 Die Ankündigung der Geburt Jesu (1,26–38) Sie finden sich alsbald in einem neuen Kontext wieder (V. 26): Über die Zeitangabe ἐν δὲ τῷ μηνὶ τῷ ἕκτῳ wird dieser zum Vorausgehenden in Beziehung gesetzt.176 Die Handlung spielt nun nicht mehr in Judäa sondern in Galiläa, genauer: in Nazareth. Zwei Personen treten auf: Der Engel Gabriel (V. 26), welchen die Leserinnen und Leser bereits kennen, und eine bislang unbekannte Jungfrau namens Maria (V. 27). Zeit-, Ort- und Personenwechsel zeigen an, dass hier also eine neue Szene beginnt. 174 Primär fungiert die Stummheit für Zacharias hier als ein Mittel der Bestätigung für die Botschaft des Engels. Die Frage, inwiefern sie auch als Bestrafung für das Misstrauen des Priesters gelten kann, beantwortet der Text nicht explizit. Dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass hier Zweck und Mittel in einem inhaltlichen Entsprechungsverhältnis zueinander stehen: Seine Sprachlosigkeit hindert den Priester daran, weitere Bedenken zu äußern. Und indem sie dies tut, bestätigt sie ihm auch, dass dies gar nicht notwendig ist, da die Ankündigungen des Engels – zunächst die der Stummheit des Priesters – auch wirklich eintreten. Auf diese Weise kann die im ersten Schritt äußere Haltung des Zacharias sich zu einer inneren Haltung entwickeln: Er spricht keine Zweifel mehr aus. 175 So auch J. ERNST, Evangelium, 63; K. LÖNING, Geschichtswerk, 82. 176 So auch H. KLEIN, Lukasevangelium, 95.
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Der Verlauf der Erzählung in Lukas 1,1–2,40
Mit dem Auftreten Gabriels durchbricht die Erzählung ein zweites Mal die Trennung zwischen himmlischer und irdischer Welt.177 Im Vergleich zur Reaktion des Zacharias auf die Begegnung mit dem Engel als Repräsentant der himmlischen Sphäre scheint Maria eher besonnen; sie verwundert sich lediglich über den Gruß, mit welchem der Engel sie angesprochen hat (V.
177 Weder die Stadt Nazareth noch die Jungfrau Maria besitzen dabei eine besondere Würde, welche sie für die Begegnung mit der himmlischen Welt prädestinierte (vgl. J. ERNST, Evangelium, 67). Die Durchbrechung der Grenze zwischen Himmel und Erde passiert nun erneut durch das Auftreten eines Engels. Das Motiv des Engels besitzt in Lk 1,1–2,40 besondere Bedeutung. Die Häufigkeit, mit der die beiden ersten Kapitel des Lukasevangeliums die Vokabel ἄγγελος benutzen, kann dies verdeutlichen. Sie lässt sich in Beziehung zur Textlänge setzen und mit den entsprechenden relativen Häufigkeiten der Benutzung von ἄγγελος in anderen Bereichen des Neuen Testaments vergleichen. Die Belegstellen lauten: Mk 1,2.13; 8,38; 12,25; 13,27.32; Mt 1,20.24; 2,13.19; 4,6.11; 11,10; 13,39.41.49; 16,27; 18,10; 22,30; 24,31.36; 25,31.41; 26,53; 28,2.5; Lk 1,11.13.18.19.26.30.34.35.38; 2,9.10.13.15.21; 4,10; 7,24.27; 9,26.52; 12,8.9; 15,10; 16,22; 22,43; 24,23; Joh 1,51; 12,29; 20,12; Apg 5,19; 6,15; 7,30.35.38.53; 8,26; 10,3.7.22; 11,13; 12,7.8.9.10.11.15.23; 23,8.9; 27,23; Röm 8,38; 1Kor 4,9; 6,3; 11,10; 13,1; 2Kor 11,14; 12,7; Gal 1,8; 3,19; 4,14; Kol 2,18; 2Thess 1,7; 1Tim 3,16; 5,21; Hebr 1,4.5.6.7[2x].13; 2,2.5.7.9.16; 12,22; 13,2; Jak 2,25; 1Petr 1,12; 3,22; 2Petr 2,4.11; Jud 6; Offb 1,1.20; 2,1.8.12.18; 3,1.5.7.14; 5,2.11; 7,1.2[2x].11; 8,2.3.4.5.6.8.10.12.13; 9,1.11.13.14[2x].15; 10,1.5.7.8.9.10.15; 12,7[2x].9; 14,6.8.9. 10.15.17.18.19; 15,1.6.7.8; 16,1.5; 17,1.7; 18,1.21; 19,17; 20,1; 21,9.12.17; 22,6.8.16. Es handelt sich um 175 Belege. Daraus ergeben sich folgende relative Häufigkeiten:
Mk Mt Lk 1,1–2,40 Lk Joh Apg Paulus Hebr Offb NT ges. a(x) 6 20 14 25 3 21 10 13 67 175 N 11304 18346 1839 19482 15635 18450 24093 4953 9851 138020 h(x) [‰] 0,53 1,09 7,61 1,28 0,19 1,14 0,42 2,62 6,80 1,27 Noch deutlicher spricht das Balkendiagramm:
ἄγγελος im Neuen Testament 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Mk
Mt
Lk 1,1– 2,40
Lk
Joh
Apg
Paulus
Hebr
Offb
NT ges.
148
Der Spannungsbogen in Lukas 1,1–2,40
28–29).178 Dennoch beginnt Gabriel seine Rede wie auch schon in Jerusalemer Tempel erneut mit den Worten μὴ φοβοῦ (V. 30), die sich so entweder als Einleitungsfloskel oder als begründete Entgegnung zur tatsächlich auch vorhandenen Furcht Marias verstehen lassen. Und noch weitere Ähnlichkeiten zur Begegnung Gabriels mit Zacharias können die Leserinnen und Leser in der neuen Szene entdecken, denn auch hier beginnt der Engel in Versen zu sprechen: Zunächst versichert er die Maria der χάρις Gottes, die ihr zuteil geworden ist; Gottes Gnadenhandeln an Maria war bereits in der Anrede des Engels angeklungen, als er Maria als κεχαριτωμένη (V. 28) bezeichnet hatte. Mit dem neuerlichen Hinweis auf Gottes Gnade setzt die Rede des Engels gleich zu Beginn einen Doppelpunkt, der die Rezipientinnen und Rezipienten aufhorchen lässt,179 da er ihnen anzeigt, unter welchem Vorzeichen sie das nun Folgende verstehen sollen. Durch Gottes Gnade soll Maria einen Sohn gebären (V. 31). In den aufeinander folgenden Wendungen συλλαμβάνω – τίκτω υἱόν – καλέω τὸ ὄνομα αὐτοῦ klingen dabei die Ankündigungen der Geburten Samuels (1Sam 1,20) und Salomos (2Sam 12,24) wörtlich an. Da die ideale Leserschaft des Lukasevangeliums sich in den Schriften der Septuaginta gut auskennt, weckt das Darstellungsmittel der intertextuellen Referenz eine Spannung in ihnen. Gabriels Worte stellen den verheißenen Sohn Marias auf eine Stufe mit den in der Geschichte Israels ausgesprochen bedeutsamen Figuren Samuel und Salomo. Hier kündigt sich Großes an. Weil er vorher schon einmal eine Schwangerschaft zutreffend angesagt hat, können die Lesenden der Aussage des Engels hier Vertrauen schenken. Doch der Engel äußert sich – wie schon im Falle des Nachkommens Zacharias’ – im Anschluss auch zur Rolle des angekündigten Sohnes (V. 32– 33):180 μέγας werde dieser sein; man werde ihn υἱὸς ὑψίστου nennen;181 und 178 Es handelt sich bei dem Wort χαῖρε in diesem Kontext um eine aus dem hellenistischen Bereich stammende Grußformel (vgl. A. STROBEL, Gruß, 108; vgl. außerdem J. ERNST, Evangelium, 68). A. Strobel nennt als Vergleichsmaterial eine Homer-Stelle, in welcher sich auch die an eine Jungfrau ergehende Ankündigung eines von Gott gezeugten Kindes mit dem Gruß χαῖρε verbindet (Hom., Od. 11,235–251). Vgl. A. STROBEL, Gruß, 99–100. Der Imperativ χαῖρε lässt sich gleichzeitig aber auch als so gemeinter Aufruf zur Freude verstehen (vgl. J.B. GREEN, Gospel, 86–87). 179 U. WILCKENS, Empfangen, 54–55 weist in diesem Zusammenhang zu Recht auch auf das Darstellungsmittel der wörtlichen Rede hin, welche es den Lesenden erlaubt, umso direkter selbst Anteil an der erzählten Welt zu nehmen und sich angesprochen zu fühlen. 180 Vgl. hierzu auch PH.L. SHULER, Luke, 93. Es finden sich also viele Parallelen zwischen dieser und der vorausgehenden Szene, in welcher Gabriel dem Zacharias die Geburt des Johannes angekündigt hat. Beide Szenen nehmen Motive aus Geburts-Ankündigungen in der Septuaginta auf (vgl. z.B. J.B. GREEN, Gospel, 83). 181 Zur Verwendung von ὕψιστος als Gottesbezeichnung im Lukasevangelium vgl. auch H. ZIMMERMANN, Evangelium, 255–256. In seinem Aufsatz zum „Sohn Gottes“ spricht sich W. GRUNDMANN dafür aus, die Gottessohnschaft Jesu als Beschreibung seines besonderen Gottesver-
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er werde auf dem θρόνος Davids sitzen (V. 32). Indem der Engel den König David als Vater des verheißenen Sohnes bezeichnet, rechnet er den Sohn Marias also zu den Nachkommen Davids. Als Inhaber des Davidsthrons werde der Nachkomme über das Volk regieren. Der deutlich parallel strukturierte Vers 33 benutzt den Wortstamm βασιλευ- gleich zweifach: καὶ βασιλεύσει ἐπὶ τὸν οἶκον Ἰακὼβ εἰς τοὺς αἰῶνας καὶ τῆς βασιλείας αὐτοῦ οὐκ ἔσται τέλος. Das Haus Jakobs bildet das Objekt des herrschenden Handelns und steht dabei, indem es den Stammvater beim Namen nennt, als Synonym für das Volk Israel (vgl. Gen 32,29). Darüber hinaus bringen beide Vershälften mit den Wendungen εἰς τοὺς αἰῶνας bzw. οὐκ ἔσται τέλος die ewige Dauer der Herrschaft zum Ausdruck, in V. 33a unter Verwendung des Stichworts αἰών. Die beiden Verse Lk 1,32–33 beinhalten damit in hoher Konzentration Signalworte und -motive, die den Leserinnen und Lesern des Lukasevangeliums aus den Bereichen der jüdischen Gesalbtenerwartung182 oder der hellenistischen Herrscherverehrung bekannt sein können.183 Die Vokabeln βασιλεία, θρόνος, Δαυιδ und αἰών gehören zum Wortfeld der Gesalbtenerwartung. Auch der Gedanke der Gottessohnschaft und die Erwähnung des Hauses Jakobs mag die Rezipientinnen und Rezipienten diesen Gedankenkreis assoziieren lassen. Andererseits ist αἰών hier eine ambivalente Vokabel, denn sie zählt nicht nur zum Wortfeld der jüdischen Gesalbtenerwartung sondern ebenso auch zum Wortfeld der hellenistischen Herrscherverehrung. Letzteres umfasst zusätzlich ebenfalls das in Lk 1,32 verwendete Stichwort μέγας. Und auch das Motiv der Gottessohnschaft des Herrschers hältnisses zu verstehen, welches darin bestehe, dass Jesus der עבדGottes ist (insbes. 123). Durch seine Überlegungen relativiert Grundmann den politischen Charakter des Status Jesu als Sohn Gottes. Ein solches Verständnis legt sich im Hinblick auf Jesus als den υἱὸς ὑψίστου in Lk 1,32 jedoch m.E. nicht nahe. Ganz deutlich präzisiert der Engel die Gottessohnschaft des angekündigten Sohnes als eine Königsherrschaft in der Tradition König Davids. Nirgends deutet sich an, diese Aussage wolle als unpolitisch verstanden werden. Zur Verwendung von καλέω an dieser Stelle vgl. auch W. WIEFEL, Evangelium, 53. 182 Insbesondere besteht eine inhaltliche Nähe zu der in der Septuaginta erzählten Verheißung Gottes an König David von 2Sam 7 (vgl. R.E. BROWN, Annunciation, 64; DERS., Birth, 310; DERS., Method, 132; W. ECKEY, Lukasevangelium, 87; J. ERNST, Evangelium, 70; J.B. GREEN, Gospel, 88; H.J. HOLTZMANN, Synoptiker, 31; W. RADL, Evangelium, 64; M. RESE, Motive, 185; G. SCHNEIDER, Evangelium, 50). Vgl. hierzu auch F. BOVON, Evangelium, 69.75; W. GRUNDMANN, Evangelium, 57; L. LEGRAND, Angel, 1; K.H. RENGSTORF, Evangelium, 26; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 47; U. WILCKENS, Empfangen, 52.59–60. J.A. FITZMYER, Contribution, 393– 394 weist auf die Ähnlichkeit der Ankündigung zu einem in Qumran gefundenen Fragment hin. Auch dieses Fragment, 4Q243, handelt – obwohl das Signalwort משיחnicht vorkommt, wie Fitzmyer betont – von einem idealen Herrscher. 183 So für die Signalvokabeln μέγας und υἱὸς ὑψίστου auch F. BOVON, Evangelium, 75.
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nimmt im Gedankenkreis der Herrscherverehrung im Hellenismus einen deutlich breiteren Raum ein als im Zusammenhang der Erwartung eines königlichen Gesalbten im Judentum. So hängt es von den individuellen geistigen Voraussetzungen der einzelnen Lesenden ab, welcher der beiden Gedankenkreise ihnen als Hintergrund für das Verständnis der Ankündigung in Lk 1,32–33 dienen mag. Der Text erlaubt offenbar beide Arten des Verstehens, die in bestimmten sozialen Gruppen während der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts n.Chr. im östlichen Mittelmeerraum einen hohen Grad von Plausibilität für sich beanspruchen können. Stärker jüdisch denkende Menschen interpretieren die Worte Gabriels als die Ankündigung eines χριστός, während stärker hellenistisch-profan denkende Menschen sie als die Ankündigung eines neuen Kaisers verstehen. Die kulturelle Enzyklopädie determiniert den Wahrnehmungs-Prozess. In jedem Falle trifft der Engel für alle lesenden Zeitgenossen eine deutlich politische Aussage,184 welche neue Spannung erzeugt: Wird der Fortgang der Erzählung das hier Versprochene halten können?185 Maria ist sich im Hinblick auf diese Frage auch nicht ganz sicher (V. 34): Ihre Rückfrage setzt auf der eher grundsätzlichen, pragmatischen Ebene an. Sie möchte von Gabriel wissen, wie sie einen Sohn bekommen soll, da sie doch keinen Mann erkennt. Das Wort γινώσκω bezeichnet an dieser Stelle, wie vielerorts in der Septuaginta, den Vollzug sexuellen Verkehrs (vgl. etwa Gen 4,1.17.25).186 Dass sie überhaupt einen Sohn bekommt, ist ja die Voraussetzung dafür, dass dieser auch die von Gabriel verheißene Herrschaft ausüben kann. Maria zweifelt also am naheliegendsten weil grundlegenden Punkt der Verheißung.187 Der Engel antwortet in Versform und erwähnt den Heiligen Geist als Ursache von Marias bevorstehender Schwangerschaft.188 Da das πνεῦμα 184 185
88.
186
So auch L. LEGRAND, Angel, 1; anders W. RADL, Ursprung, 326. Die in den Lesenden hervorgerufene Erwartungshaltung benennt auch J.B. GREEN, Gospel,
So auch H. KLEIN, Lukasevangelium, 98. Als verlobte Frau hat Maria noch keinen Geschlechtsverkehr mit ihrem zukünftigen Ehemann (J. GEWIESS, Marienfrage, 229 empfindet diese Erklärung als nicht vollständig plausibel; seiner Ansicht nach dient die Nachfrage Marias an dieser Stelle zuvorderst erzählerischen Zwecken. Vgl. ebd., 243.253; ähnliche Zweifel äußert M. DIBELIUS, Jungfrauensohn, 11; und W. ECKEY, Lukasevangelium, 90 erkennt hinter der Nachfrage Marias nicht etwa Zweifel sondern Erstaunen; ähnlich M. COLERIDGE, Birth, 66). M.E. drückt sich in der Frage Marias deutlich ein vorhandener Zweifel an der Realisierbarkeit des Angekündigten aus (ganz ähnlich auch TH. ZAHN, Evangelium, 85). Es fällt mir auf, dass besonders katholische Exegeten der Figur Marias in der lukanischen Erzählung einen hohen Stellenwert zuerkennen und geneigt sind, Marias Äußerungen als Zeichen gläubiger Hingabe zu werten (vgl. insbes. M. COLERIDGE, Birth, 72–73; ähnlich auch J. ERNST, Evangelium, 112). 188 Das Motiv des Heiligen Geistes als Mittel, durch welches Gott in der irdischen Welt wirkt, kommt hier damit – nach V. 15 – zum zweiten Mal innerhalb der bisherigen Erzählung vor. 187
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ἅγιον189 hier in semantischer Parallele zur δύναμις ὑψίστου steht, wird deutlich, dass Gott allein das Kind im Leibe Marias entstehen lassen kann, ohne dabei der Mitwirkung eines Mannes zu bedürfen.190 Aus diesem Grunde verdient das Kind auch die Bezeichnung υἱὸς θεοῦ (V. 35). Mit dieser Wendung kann die Leserschaft wiederum den Gedankenkreis von Gesalbtenerwartung oder Herrscherverehrung assoziieren191 und sich in der Vermutung bestätigt fühlen, dass hier ein großer politischer Herrscher in die Welt treten wird. Zu seiner Behauptung fügt der Engel einen Beleg hinzu: Elisabet, Marias Verwandte sei schwanger geworden, obwohl sie unfruchtbar war (V. 36).192 In dieser Tatsache sieht der Engel den Grundsatz verwirklicht, ὅτι οὐκ ἀδυνατήσει παρὰ τοῦ θεοῦ πᾶν ῥῆμα (V. 37).193 Neben dem überprüfbaren Faktum der Schwangerschaft Elisabets benutzt der Engel mit dem Darstellungsmittel der Anspielung auf Gen 18,14 auch die Autorität der heiligen Schrift, um seiner Ankündigung Gewicht zu verleihen. Auf die ideale Leserschaft des Lukasevangeliums erzielen beide Aussagen ihre Wirkung. Denn erstens wissen die Lesenden aus ihrer bisherigen Lektüre bereits das, wovon Maria sich im Folgenden erst noch überzeugen muss, nämlich von der Schwangerschaft Elisabets. Und zweitens verstehen sie als allusionskompetente Leserinnen und Leser, die sich in der Septuaginta auskennen, auch die intertextuelle Referenz zu Gen 18,14. Eine entsprechende Erwartungshaltung entsteht in ihnen: Sie hoffen, dass auch die Ankündigung194 189 Mit dem Gebrauch des Lieblingsausdrucks πνεῦμα ἅγιον deutet sich bereits an dieser frühen Stelle des Lukasevangeliums an, dass auch das Wirken des verheißenen Sohnes von diesem πνεῦμα ἅγιον bestimmt sein wird (zum πνεῦμα an Jesus im Lukasevangelium vgl. auch P.-G. KLUMBIES, Das inszenierte Sterben Jesu, 294–295; DERS., Himmelfahrt, 153; DERS., Weg vom Grab, 158–162). 190 Allerdings wird die Mitwirkung eines Mannes bei der Zeugung des angekündigten Sohnes durch die Worte des Engels m.E. auch nicht ausgeschlossen. Sofern die Leserschaft das Prädikat υἱὸς θεοῦ (V. 35) als Gegensatz zu einem υἱὸς ἀνδρός versteht, wird sie in der Ankündigung Lk 1,35 eine Überbietung der Zeugung des Johannes wahrnehmen, da diese sich ja scheinbar unter Beteiligung eines menschlichen Vaters vollzogen hat – obwohl der Text auch dies nicht explizit ausspricht. Allerdings lässt sich der Gebrauch des Personalpronomens σοι in den Worten Gabriels Ἐλισάβετ γεννήσει υἱόν σοι (Lk 1,13) als Hinweis darauf verstehen, dass Zacharias als der leibliche Vater des Johannes gelten kann. 191 Die Parallele zur hellenistischen Herrscherverehrung ist hier m.E. jedoch stärker ausgeprägt, denn die sehr ähnliche Wendung θεοῦ υἱός gehört zum Wortfeld der Herrscherverehrung und begegnet auf Münzen und Inschriften, die zu diesem Bereich zählen, ausgesprochen häufig. 192 Damit erhält Maria so wie vorher auch Zacharias eine Bestätigung für die Zuverlässigkeit der Engelsworte (vgl. hierzu auch A. PLUMMER, Gospel, 25). 193 So auch H. KLEIN, Lukasevangelium, 103. 194 K. STOCK, Berufung, 464–465 vergleicht die Szene Lk 1,26–38 mit der Erzählung der Berufung Gideons in der Septuaginta (Ri 6,11–24). Aufgrund einiger motivischer Parallelen kommt er zu der Folgerung, die lukanische Szene wolle als Berufung Marias verstanden werden. Der Kontext des Lukasevangeliums bestätigt dies m.E. jedoch nicht, da Maria hier nicht mehr spezifisch als von Gott Berufene in Erscheinung tritt.
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Gabriels an Maria sich bewahrheiten werde, so wie dies mit der Ankündigung an Zacharias aus ihrer Sicht bereits teilweise passiert ist. Auch Maria vertraut auf die unwahrscheinliche Ankündigung des Engels und gibt diesem Vertrauen Ausdruck, indem sie gehorsam antwortet: ἰδοὺ ἡ δούλη κυρίου· γένοιτό μοι κατὰ τὸ ῥῆμά σου (V. 38).195
195 In den Aussagen οὐκ ἀδυνατήσει παρὰ τοῦ θεοῦ πᾶν ῥῆμα (Lk 1,37) und γένοιτό μοι κατὰ τὸ ῥῆμά σου (Lk 1,38) begegnet den Lesenden gleich zweimal hintereinander das Stichwort ῥῆμα, das in Lk 1,1–2,40 auffallend häufig vorkommt und eng mit der Frage nach der Bestätigung im Wechselspiel zwischen Ankündigungen und Erfüllungen zusammenhängt (zur Frage nach dem Gebrauch von ῥῆμα in Lk 1–2 vgl. auch CH. BURCHARD, Note, 294–295; vgl. hierzu außerdem M. MIYOSHI, Darstellung, 87). Das Wort des Engels als mittelbares Wort Gottes, welches die Figuren auf der Ebene der Erzählung in Lk 1–2 fortwährend vernehmen, verlangt nach Bestätigung. Eine Statistik kann die herausgehobene Bedeutsamkeit der Vokabel ῥῆμα in Lk 1,1–2,40 illustrieren (vgl. hierzu auch W.C. V. UNNIK, Bedeutung, 86). Im gesamten Neuen Testament steht die Vokabel ῥῆμα an den folgenden 68 Stellen: Mt 4,4; 12,36; 18,16; 26,75; 27,14; Mk 9,32; 14,72; Lk 1,37.38.65; 2,15.17.19.29.50.51; 3,2; 5,5; 7,1; 9,45[2x]; 18,34; 20,26; 22,61; 24,8.11; Joh 3,34; 5,47; 6,63.68; 8,20.47; 10,21; 12,47.48; 14,10; 15,7; 17,8; Apg 2,14; 5,20.32; 6,11.13; 10,22.37.44; 11,14.16; 13,42; 16,38; 26,25; 28,25; Röm 10,8[2x].17.18; 2Kor 12,4; 13,1; Eph 5,26; 6,17; Hebr 1,3; 6,5; 11,3; 12,19; 1Petr 1,25[2x]; 2Petr 3,2; Jud 17. Ein Balkendiagramm kann die relativen Häufigkeiten [in ‰] in den verschiedenen Bereichen des Neuen Testaments veranschaulichen:
ῥῆμα im Neuen Testament 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 Paulus
Mk
Mt
Lk 1,1– 2,40
Lk & Apg
Joh
NT ges.
Die als Grundlage für die Berechnung dienenden Zahlenwerte sind in der nachstehenden Tabelle aufgeführt: a(x) N h(x) [‰]
Paulus 6 24093 0,25
Mk 2 11304 0,18
Mt 5 18346 0,27
Lk 1,1–2,40 7 1839 3,81
Lk & Apg 33 37932 0,87
Joh 12 15635 0,77
NT ges. 68 138020 0,49
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2.2.4 Die Begegnung zwischen Maria und Elisabet (1,39–56) In der nun folgenden Szene treffen sich die beiden bisher noch weitgehend unverbundenen Stränge der Erzählung:196 Maria sucht Elisabet auf. Der Abschnitt spielt an einem neuen Ort, nämlich wieder in Judäa, diesmal beim Haus des Zacharias (V. 40). Als handelnde Figur tritt neben Maria und Elisabet auch das noch ungeborene Kind Johannes auf. Die vage Zeitangabe ἐν ταῖς ἡμέραις ταύταις (V. 39) schafft eine Verbindung zur vorangegangenen Situation. Sie lässt dabei die Frage offen, wie lange Maria vor ihrem Aufbruch zu Elisabet wartet. Der Hinweis, dass Maria sich μετὰ σπουδῆς auf den Weg begibt, spricht allerdings für eine baldige Abreise. Die Leserschaft, die gespannt ist zu erfahren, was es mit der Ankündigung des Engels auf sich hat, versteht auch den eiligen Aufbruch Marias in diesem Lichte: Anscheinend sucht Maria ebenso sehr wie die Lesenden nach Bestätigung für das Unglaubliche, das Gabriel ihr vorausgesagt hat.197 Daher möchte sie sich möglichst bald mit eigenen Augen von der Schwangerschaft Elisabets überzeugen.198 Wie schon das Zeichen der Stummheit, das Zacharias erhielt, soll ja auch das Zeichen der Schwangerschaft Elisabets gemäß der Engelsrede den Schluss a minore ad maius erlauben: Elisabets Schwangerschaft dient als Beleg dafür, dass auch die weiteren und größeren Verheißungen des Engels eintreffen werden. Als Maria bei Elisabet angelangt ist, geschieht jedoch noch mehr: Nicht nur kann Maria sich von der Schwangerschaft Elisabets überzeugen, sondern das noch ungeborene Kind beginnt sich in dem Moment heftig in ihrem Bauch zu bewegen, in dem Elisabet den Gruß Marias vernimmt (V. 41).199 Ein drittes Mal seit dem Beginn der Erzählung findet nun das πνεῦμα ἅγιον Erwähnung: Von ihm erfüllt fängt Elisabet an, Maria und deren Kind laut zu segnen (V. 41–42). Geben die spontanen Segensworte Elisabets an die Adresse Marias εὐλογημένη σὺ ἐν γυναιξίν (V. 42) den Lesenden bereits Anlass zur Verwunderung, so wird diese doch durch das Folgende noch übertroffen: καὶ εὐλογημένος ὁ καρπὸς τῆς κοιλίας σου. καὶ πόθεν μοι τοῦτο ἵνα ἔλθῃ ἡ μήτηρ τοῦ κυρίου μου πρὸς ἐμέ; (V. 42–43). Elisabet segnet nicht nur Maria selbst sondern auch ihre „Leibesfrucht“ (V. 42). Des 196
So auch W. GRUNDMANN, Evangelium, 61; K. LÖNING, Geschichtswerk, 90; E. SCHWEIZER, Evangelium, 22. Vgl. hierzu auch F. BOVON, Evangelium, 80. 197 So auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 99. Sicherlich zeugt Marias eiliger Aufbruch von einem gewissen Vertrauen auf das vom Engel Gesagte. M.E. steht der Wunsch nach Bestätigung aus der Sicht der idealen Leserschaft jedoch deutlich als Marias Motiv im Vordergrund (dagegen ist Marias Glaube in dieser Szene bei M. COLERIDGE, Birth, 78 m.E. weit überakzentuiert). 198 Die Erzählung beschreibt die Motivation Marias zur Abreise nicht in dieser Ausführlichkeit. Es entsteht dadurch eine Leerstelle in der Erzählung, welche die Lesenden mit den oben genannten Erwägungen füllen, die sich plausibel in ihre Rezeption einfügen. 199 Vgl. hierzu auch M. COLERIDGE, Birth, 80; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 64.
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Weiteren nennt sie Maria die „Mutter meines Herrn“ (V. 43). Von einem bereits geborenen Kind Marias kann Elisabet nicht sprechen, denn Maria ist den Leserinnen und Lesern ausdrücklich als Jungfrau – παρθένος (V. 27) – vorgestellt worden. Auch kann Maria ihren eventuellen zukünftigen Nachkommen in ihrem kurzen Gruß an Elisabet kaum erwähnt haben.200 Doch die segnende Anrede Elisabets an Maria folgt in der Erzählung unmittelbar auf den Gruß Marias. Daher muss der Heilige Geist die Quelle sein, aus der Elisabet von Marias verheißenem Sohn weiß. Und nun betitelt Elisabet das Kind Marias auch noch als κύριος. Zwar ist zuvor das Wort κύριος bereits oft als Bezeichnung Gottes vorgekommen (V. 6.9.11.15.16.17.25.28.32. 38),201 doch im Zusammenhang von Vers 43 kann es sich nur auf das Kind Jesus beziehen.202 Mit anderem Vokabular als der Engel Gabriel es benutzt hat, weist so auch Elisabet auf den herrschaftlichen Status des angekündigten Sohnes Jesus hin.203 Möglicherweise mögen die Adressatinnen und Adressaten der Erzählung das Wort κύριος hier aber auch als auf den noch ungeborenen Jesus angewandte göttliche Prädikation verstehen,204 da die laufende Erzählung die Vokabel durch immerhin zehn vorausgehende Verwendungen eindeutig auf ihre religiöse Bedeutung festgelegt hat.205 200 Zur Kürze eines Grußes vgl. H. WINDISCH, ἀσπάζομαι, insbes. 494. Zwar geht H. Windisch davon aus, dass es in neutestamentlicher Zeit auch zu „zeitraubenden Grußzeremonien“ (497) gekommen ist, doch leider führt er keine Belege aus den Quellen dafür an. Die Rezipientinnen und Rezipienten des Lukasevangeliums jedenfalls sind bei ihrer bisherigen Lektüre bereits einmal einem ἀσπασμός begegnet (V. 29). Dieser erging von Gabriel an Maria und bestand aus den Worten χαῖρε, κεχαριτωμένη, ὁ κύριος μετὰ σοῦ (V. 28) – der Gruß zeichnete sich damit durch ausgesprochene Kürze aus. So hat die Leserschaft der Erzählung keinen Anlass zu der Annahme, der ἀσπασμός Marias an Elisabet könnte länger gewesen sein (ähnlich auch M. COLERIDGE, Birth, 80). 201 Zu κύριος als Gottesbezeichnung in Lk 1–2 vgl. auch H. ZIMMERMANN, Evangelium, 269– 270. 202 So auch R.E. BROWN, Birth, 333. Vgl. hierzu auch W. WIEFEL, Evangelium, 55. 203 So auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 100. 204 Ähnlich auch J.A. FITZMYER, Gospel, 202–203; J. KREMER, Lukasevangelium, 30. 205 Vgl. hierzu auch R. KAMPLING, Gepriesen, 172–173. Zur Verwendung von κύριος als profan-herrschaftliche Prädikation einerseits und als Stellvertreter des Gottesnamens andererseits vgl. W. FOERSTER/G. QUELL, κύριος, 1045–1080. Vgl. hierzu auch F. HAHN, Hoheitstitel, 70–71. Vgl. außerdem J. FITZMYER, Gospel, 200–201; DERS., Hintergrund, 269–271. Allerdings geht Fitzmyer davon aus, dass das Wort κύριος ursprünglich nicht als Stellvertreter des Gottesnamens gedient hat; erst später unter christlichem Einfluss sei κύριος anstelle von יהוהin der Übersetzung der hebräischen Schriften benutzt worden (280–281). Dies scheint mir wenig plausibel. Für den argumentativen Zusammenhang der vorliegenden Studie reicht aber auch die Erkenntnis aus, dass zur Entstehungszeit des Lukasevangeliums das griechische κύριος als Übersetzung von יהוהdienen konnte. Und dieser Sachverhalt geht aus den im Lukasevangelium anzutreffenden Zitaten wie z.B. Lk 1,68a // 1Kön 1,48; Ψ 40,14; 105,48 und Lk 4,8 // Dtn 6,13 deutlich hervor. Vgl. zu dieser Frage auch H. CONZELMANN, Mitte, 164–165. Conzelmann beobachtet den göttlichen Status Jesu für den weiteren Verlauf des Lukasevangeliums und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Verbindung zwischen Gott und Jesus im Lukasevangelium sich besonders in der beiden gemeinsamen Bezeichnung als κύριος ausdrückt.
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Nun lässt Elisabet ihre Besucherin Maria wissen, weshalb sie sie als μήτηρ κυρίου ansprechen konnte: Die Bewegungen des Kindes in ihrem Bauch dienen ihr als Beleg dafür, dass Maria die Mutter eines Herrn ist; der mit ἰδού γὰρ eingeleitete Satz will als Begründung des Voranstehenden verstanden werden (V. 45). Und sogar noch weiteres erstaunliches Wissen um die Begegnung Marias mit Gabriel lässt Elisabet nun erkennen: Sie weiß erstens, dass der Herr206 Maria etwas gesagt hat (λελαλημένοις αὐτῇ παρὰ κυρίου); sie weiß zweitens, dass Maria dem Gesagten immerhin genug Glauben geschenkt hat (πιστεύσασα), um sich auf den Weg zu Elisabet zu begeben; sie weiß drittens, dass das Vertrauen Marias von Gott her gute Folgen nach sich ziehen wird (μακαρία); dass nämlich viertens das Angekündigte vollendet werden wird (ἔσται τελείωσις). Die Worte Elisabets umfassen damit Bestätigung und Ankündigung zugleich; auf der Ebene der Erzählung richten sie sich an Maria, aber im Hinblick auf die Rezeption der Leserschaft, schneiden sie genau den Themenkreis an, der diese gerade am stärksten beschäftigt: κατὰ τί γνώσομαι τοῦτο; (Lk 1,18). Die Erlebnisse Marias bei Elisabet und die Worte Elisabets fungieren einerseits als Beweis für die Macht Gottes; sie sollen zu der Schlussfolgerung führen, dass Gott, wenn er Elisabet diese Erkenntnisse vermitteln kann, auch in der Lage ist, die Ankündigung Gabriels an Maria Wirklichkeit werden zu lassen: οὐκ ἀδυνατήσει παρὰ τοῦ θεοῦ πᾶν ῥῆμα (Lk 1,37). Andererseits bekräftigen sie mit der Behauptung, alles Weitere werde sich ebenfalls erfüllen, jedoch auch die Ankündigung Gabriels. Die Interdependenz zwischen Bestätigung und Ankündigung kommt hier explizit zur Sprache; beide Teile der Dynamik verbinden sich in der Rede Elisabets aufs Engste und verstärken gemeinsam die Erwartungshaltung der Leserschaft. Diese steht den gegebenen Ankündigungen dabei allerdings nicht neutral und teilnahmslos gegenüber, sondern der Text lädt sie dazu ein, an der emotionellen Haltung der beiden auftretenden Frauen zu partizipieren. Gemeinsam mit ihnen haben die Leserinnen und Leser der Erzählung bereits mehrfach Belege für die Vertrauenswürdigkeit der Ankündigungen erhalten. Die gespannte Erwartung der Lesenden umgreift nicht unbedingt auch Skepsis. Die bisherigen Geschehnisse der Erzählung verstärken das Zutrauen der handelnden Figuren in die Verheißungen und auf diese Weise auch das Zutrauen der Rezipientinnen und Rezipienten, welche sich außerhalb der erzählten Welt befinden. Maria – und mit ihr die Leserschaft – empfängt bei Elisabet also noch mehr Bestätigung als der Engel ihr versprochen hat: Nicht nur die Schwangerschaft Elisabets sondern auch das springende Ungeborene und schließ206 Unzweifelhaft bezeichnet das griechische κύριος an dieser Stelle wieder Gott. Die Verwendung in diesem Sinne häuft weiteres Gewicht auf, das ein Verständnis der μήτηρ κυρίου in Vers 44 als „Mutter Gottes“ immer plausibler werden lässt.
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lich die geisterfüllten Worte Elisabets dienen ihr als Zeichen für die Vertrauenswürdigkeit des Engels Gabriel als Gottesboten.207 Aus diesem Grunde stimmt Maria208 nun ein Gotteslob an und beginnt in Versen zu reden (V. 46–55): Zunächst verbinden sich in den Worten Marias solche Aussagen, die Gott allgemein in gängigen Formeln loben (V. 46b–47.49b–50), mit solchen, in denen Maria Gott aufgrund ihrer gegenwärtigen speziellen Situation preist (48–49a). Die Lobesformeln in den rahmenden Stücken Lk 1,46b– 47.49b–50 übernimmt die Figur Maria dabei aus bekannten Stellen der Septuaginta: Lk 1,46b–47 stammt aus Hab 3,18, und in V. 49b–50 fügen sich zwei Zitate aus Ψ 110,9 und Ψ 102,17 zusammen. Diese Formeln preisen Gottes rettendes Handeln (V. 47), seinen heiligen Namen (V. 49b) und sein Erbarmen über die ihn Fürchtenden (V. 50). Dazwischen dankt Maria Gott konkret ὅτι ἐπέβλεψεν ἐπὶ τὴν ταπείνωσιν τῆς δούλης αὐτοῦ (V. 48a). Die Parallelität zu Vers 48b zeigt an, dass Maria mit der ταπείνωσις der δούλη ihre eigene ehemalige und von Gott jetzt veränderte Situation meint. Gott als der Mächtige hat ihr Großes getan (V. 49a). Doch woran denkt die Maria der Erzählung, wenn sie von den μεγάλα spricht? Im Kontext der bisherigen Erzählung bieten sich zwei Möglichkeiten an: Entweder Maria bezieht sich hier auf die ihr von Gott zuteil gewordene Bestätigung und benutzt deshalb den Aorist ἐποίησεν – oder ihr Vertrauen gegenüber der Verheißung geht inzwischen infolge der Bestätigung sogar so weit, dass sie auch die noch ausstehenden Ereignisse bereits als gegebene Tatsachen behandelt und all dies als Gottes schon begonnenes Werk versteht, so dass sie zu der Form ἐποίησεν greift. In beiden Fällen gibt die Bestätigung, die sie durch die Begegnung mit Elisabet erhalten hat, ihr den Anlass für das Lob Gottes. Den Faden aus V. 49a nimmt das Gotteslob dann mit V. 51a wieder auf, denn in beiden Sequenzen geht es um das mächtige Handeln Gottes. Doch während V. 49a konkret die Erlebnisse Marias im Blick hat, formuliert V. 51a in allgemeingültiger Weise. Es vollzieht sich hier damit ein Schluss vom Konkreten auf das Allgemeine. Die Worte ἐποίησεν κράτος ἐν βραχίονι αὐτοῦ (V. 51a) dienen dabei als vorangestellte These oder als Motto; die folgenden Sätze erläutern dies präziser: Zunächst zerstreut der mächtige Arm Gottes die Hochmütigen (V. 51b).209 Als zweites wirft er Mächtige vom Thron herab, und auch die umgekehrte Bewegung findet statt, indem Gott Niedrige erhöht (V. 52). Als drittes schließlich erhalten 207
Ähnlich auch H. KLEIN, Lukasevangelium, 111–112. Zu der textkritisch schlechter bezeugten Variante, welche das nun folgende Gotteslob der Elisabet in den Mund legt vgl. A. V. HARNACK, Magnificat, 63–64; dagegen z.B. W. GRUNDMANN, Geschichte, 386. 209 Vgl. hierzu P.L. SCHOONHEIM, Boden, 245. 208
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die Armen von Gott gute Gaben, während die Reichen leer ausgehen (V. 53). Der Einsatz von Gottes Macht führt hier dazu, dass die herkömmlichen Werte und Zustände auf den Kopf gestellt werden.210 Niedrige nehmen die Stelle der Mächtigen ein, Arme die der Reichen, und umgekehrt. Als exemplarische Niedrige, der solches soeben widerfahren ist, versteht sich die Gott preisende Maria: Sie spricht zuerst von ihrer eigenen ταπείνωσις (V. 48), in der Gott sie nicht alleine gelassen hat, um anschließend allgemein zu formulieren, Gott erhöhe die ταπεινοί (V. 52). Doch darüber hinaus spricht Maria in ihrem Gotteslob auch von einer anders herum verlaufenden Dynamik: Gott erniedrige die Mächtigen (V. 52a) und mache die Reichen arm (V. 53b). Für ein solches Geschehen findet sich in der bisherigen Erzählung kein Exempel. Gottes Wirken verkehrt nach der Darstellung in Marias Lobpreis vollständig die konventionellen Maßstäbe von Macht und Niedrigkeit sowie von Armut und Reichtum. Die Worte Marias tragen damit einen prinzipiell politischen Charakter.211 Diesen rücken die folgenden Sätze in den Kontext des Bundesschlusses Gottes mit dem Volk Israel (V. 54). Sowohl in der erzählten Zeit als auch in der Zeit, zu der das Lukasevangelium entsteht, leiden die Juden unter politischer Unterdrückung. In diese Situation hinein bekennt die Maria der Erzählung ihr Vertrauen darauf, dass Gott an seinem Volk und an seinem Bund festhält. Das Wort διαθήκη fällt an dieser Stelle zwar nicht explizit; doch ruft die Wendung τῷ Ἀβραὰμ καὶ τῷ σπέρματι αὐτοῦ εἰς τὸν αἰῶνα (V. 55b) deutlich den Kontext der Abrahamsverheißung aus der Septuaginta wach. Die Signalworte μιμνῄσκομαι, Ἀβραάμ, σπέρμα und αἰών kommen auch in Ex 32,13 vor; dieser Vers bildet deutlich die motivische Vorlage für das in Lk 1,54–55 Formulierte. Auch die beiden anderen Stammväter Israels, Isaak und Jakob, finden dort Erwähnung; alle drei Stammväter werden als Knechte – οἰκέται – bezeichnet, so wie auch Lk 1,54 das Volk Israel als Knecht Gottes – παῖς – beschreibt. Doch spricht Ex 32,13 deutlicher als Lk 1,54–55 aus, worin Gottes Gedenken an sein Volk besteht: nämlich in der Verwirklichung der Verheißungen Gottes an die Stammväter; Gott möge Israel zu einem großen Volk machen und ihm ein eigenes Land zum Besitz geben: πολυπληθυνῶ τὸ σπέρμα ὑμῶν ὡσεὶ τὰ ἄστρα τοῦ οὐρανοῦ τῷ πλήθει, καὶ πᾶσαν τὴν γῆν ταύτην, ἣν εἶπας δοῦναι τῷ σπέρματι αὐτῶν, καὶ 210
So auch G. ERDMANN, Vorgeschichten, 37; W. GRUNDMANN, Evangelium, 65; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 76; W. WIEFEL, Evangelium, 59. Zur Umkehrung der geltenden Vorstellungen vgl. auch S.C. FARRIS, Hymns, 121; R. KAMPLING, Gepriesen, 170; K.H. RENGSTORF, Evangelium, 31. Vgl. hierzu außerdem F. BOVON, Evangelium, 90; U. BUSSE, Evangelium, 170. Anders J. ERNST, Evangelium, 87. 211 So auch R.A. HORSLEY, Liberation, 110–111; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 76; W. WIEFEL, Evangelium, 59. Vgl. zum politischen Charakter von Marias Gotteslob auch P. WINTER, Magnificat, 342 mit seiner These vom sog. Magnifikat als einem makkabäischen Kriegslied.
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καθέξουσιν αὐτὴν εἰς τὸν αἰῶνα (Ex 32,13).212 Der idealen und daher kundigen Leserschaft des Lukasevangeliums ist die Väter-Tradition der Septuaginta selbstverständlich bekannt.213 Daher interpretiert sie auch den Schluss von Marias Gotteslob entsprechend: Maria spricht von dem Niedrigen; ein solcher Niedriger ist gegenwärtig das Volk Israel, doch Gott wird ihn erhöhen, indem er ihm wieder zu politischer Autonomie und Größe verhilft. Durch die gesamte Rede Marias hindurch stellt Gott selbst das aktive Subjekt allen Handelns dar.214 Von dieser Perspektive her lassen sich nun aber auch rückblickend die Verse 52 und 53 verstehen. Wenn sie die politische Hoffnung auf die Befreiung Israels als die Konkretion zum Vorhergehenden ansehen, dann werden die Lesenden sich unter den Mächtigen, welche vom Thron gestürzt werden (V. 52), die gegenwärtige römische Herrschaft vorstellen. Anders herum füllt das Volk Israel dann die Armen, welche von Gott Gutes empfangen (V. 53), inhaltlich aus. Marias Gotteslob wird damit in den Augen der idealen Rezipientinnen und Rezipienten mit ihrer kulturellen Enzyklopädie des ersten Jahrhunderts zur massiven politischen Ansage. Seine klimaktische Struktur nimmt ihren Ausgang bei der aktuellen Erfahrung der Figur Maria in der Erzählung und endet bei der konkreten Aussage, Gott stelle die politische Autonomie seines erwählten Volkes wieder her. Diese Aussagen ergehen grammatisch im Tempus der Vergangenheit; aoristische Formulierungen begegnen im Gotteslob Marias in hoher Konzentration: ἐποίησεν, διεσκόπισεν (V. 51), καθεῖλεν, ὕψωσεν (V. 52), ἐνέπλησεν, ἐξαπέσετειλεν (V. 53), ἀντελάβετο (V. 54). Und doch ist das dort Ausgesagte faktisch noch gar nicht eingetreten. Zur kulturellen Enzyklopädie der idealen Leserschaft zählt allerdings die Kenntnis der Septuaginta; und auch dort gibt es – vor allem in den prophetischen Schriften – 212 Derselben Hoffnung verleiht auch 2Chr 20,7 Ausdruck, wo sich der Rückbezug auf die Verheißung Gottes an Abraham mit der Forderung des Volkes verbindet, Gott möge ihm nun auch das verheißene Land zum Besitz geben. 2Chr 20,7 LXX beinhaltet dabei ebenfalls die Signalworte Ἀβραάμ, σπέρμα und αἰών. 213 In Lk 1,54a klingt zusätzlich auch Jes 42,1 LXX an: Ιακωβ ὁ παῖς μου, ἀντιλήμψομαι αὐτοῦ· Ισραηλ ὁ ἐκλεκτός μου, προσεδέξατο αὐτὸν ἡ ψυχή μου. Auch hier drückt sich in Aufnahme einer biblischen Wendung also das Vertrauen darauf aus, Gott werde sich zu seinem Volk halten und es stärken. 214 Zuvor hat Gabriel der Maria die Geburt eines idealen Herrschers angekündigt (1,32–33). Es liegt darum nahe, dass die Leserinnen und Leser der lukanischen Erzählung sich die in Marias Gotteslob angesprochene politische Befreiung als durch den von Gott eingesetzten idealen Herrscher realisiert vorstellen. Sie lesen Marias Gotteslob im Lichte der vorausgegangenen Ankündigung. Die Untersuchungsergebnisse von U. Mittmann-Richert weisen in eine ähnliche Richtung. Aufgrund intertextueller Zusammenhänge mögen die Lesenden das Gotteslob Marias mit der Beschreibung vom Amtsantritt eines königlichen Gesalbten assoziieren, denn im Kontext der im lukanischen Text anklingenden Septuaginta-Stellen finden sich vielfach Erwähnungen des χριστὸς κυρίου (U. MITTMANN-RICHERT, Magnifikat, 21).
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Stellen, die sich auf zukünftige Ereignisse beziehen und dennoch im vergangenheitlichen Tempus des Aorist formuliert sind (vgl. z.B. Jes 5,13; Ψ 30,6).215 Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die Formulierungen in Marias Gotteslob als auf die Zukunft hin ausgerichtete verstehen.216 Das Darstellungsmittel des Vergangenheits-Tempus drückt dabei die Gewissheit der Sprecherin im Hinblick auf das Eintreffen des Beschriebenen aus und verleiht den Aussagen in ihrer Wirkung auf die Lesenden so erheblichen Nachdruck.217 Nachdem die Szene der Begegnung zwischen Elisabet und Maria dazu gedient hat, die bislang in der Erzählung aufgeworfenen Erwartungen zu bestätigen, schürt das Lob Gottes nun wieder neue Hoffnungen in der Leserschaft. Die vielfältigen deutlichen Zitate aus der Septuaginta verhelfen dem Gesagten dabei zu zusätzlichem Gewicht und zu zusätzlicher Autorität. Die Spannung steigt.218 Im Anschluss an ihre versförmige Rede bleibt Maria für drei Monate bei Elisabet, um sich dann wieder auf den Weg zurück nach Hause zu begeben (V. 56). 2.2.5 Die Geburt des Johannes (1,57–80) Die nächste Szene spielt am selben Ort, doch die Personenkonstellation ändert sich: Maria ist in ihre Heimat zurückgekehrt (V. 56); neben Elisabet (V. 57) betreten nun auch der Säugling Johannes (V. 57), Nachbarn und Freunde (V. 58) sowie Zacharias (V. 59) den Schauplatz vor dem inneren Auge der Lesenden. 215
Die Beispiele entnehme ich E. JENNI, Lehrbuch, 265. Vgl. auch dort die knappe Skizze des sog. perfectum propheticum. Vgl. hierzu insbes. auch H. GUNKEL, Lieder, 54–55 mit den dort aufgeführten Beispielen. Davon, dass es sich bei den im Gotteslob Marias benutzten Aoristen um das „prophetische Perfekt“ handelt, geht auch R. LAURENTIN, Struktur, 50, Anm. 1 aus; vgl. hierzu auch K.H. RENGSTORF, Evangelium, 31. Rengstorf spricht wie Gunkel von „vollendete[r] Zukunft“. Vgl. hierzu außerdem H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 75. Anders akzentuieren S.C. FARRIS, Hymns, 115–116; H. KLEIN, Lukasevangelium, 114. 216 Anders TH. ZAHN, Evangelium, 106. 217 Vgl. hierzu insbes. auch U. MITTMANN-RICHERT, Magnifikat, 207. 218 In vielen Punkten ähneln die Aussagen des Gotteslobs im Munde der Maria denen aus dem Gotteslob der Hannah in 1Sam 2. Der allusions-kompetenten Leserschaft des Lukasevangeliums bleibt dies nicht verborgen. Auch in 1Sam 2 geht es um die Umkehrung konventioneller Wertmaßstäbe durch das Eingreifen Gottes: Starke und Schwache, Satte und Hungrige, Kinderreiche und Unfruchtbare; Lebendige und Tote, Reiche und Arme, Hohe und Niedrige müssen dort durch Gottes Kraft die Rollen tauschen (1Sam 2,4–8). Die erneute Anspielung auf die Erzählung von der Geburt Samuels (1Sam 1–2) etabliert diese als eine hintergründig mitschwingende Folie zur Erzählung in Lk 1. Für solche Leserinnen und Leser, denen die Septuaginta eine Autorität ist, gewinnt auf diese Weise auch die Erzählung in Lk 1 ein höheres Maß an Gewicht (vgl. hierzu auch H.J. HOLTZMANN, Synoptiker, 34; K.H. RENGSTORF, Evangelium, 30).
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Mit der Geburt des υἱός (V. 57) geht wieder eine Ankündigung Gabriels in Erfüllung, denn dass Elisabet einen Sohn gebären werde, hatte dieser in Lk 1,13 vorausgesagt.219 Die Worte ἐγέννησεν υἱόν (V. 57) klingen dabei wie ein Echo auf das vorausgehende γεννήσει υἱόν (V. 13). Außerdem hatte Gabriel geweissagt, die Geburt des Johannes werde vielen Menschen Freude verursachen (V. 14: πολλοὶ ἐπὶ τῇ γενέσει αὐτοῦ χαρήσονται), und genau dies geschieht nun auch tatsächlich: Nachbarn und Freunde kommen zu Elisabet, als sie von der Geburt ihres Sohnes hören, um sich mit ihr zu freuen (V. 58: συνέχαιρον αὐτῇ).220 Besser noch als alle auf der Ebene der Erzählung beteiligten Figuren können die Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums es mitverfolgen, wie die Ankündigungen Gabriels sich Punkt 219
Vgl. hierzu auch M. COLERIDGE, Birth, 100; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 81. So auch J. ERNST, Evangelium, 91; H. KLEIN, Lukasevangelium, 116–117. Nicht nur die Geburt als solche sondern auch die Reaktion der Mitmenschen ist damit für die Erzählung von Interesse, und zwar nicht allein in der Geburts-Szene sondern auch bereits in der Ankündigung (vgl. hierzu auch die Überlegungen von M. COLERIDGE, Birth, 103). Außerdem betrachtet die Erzählung die Geburt des Sohnes als die Konkretion des ἔλεος Gottes (Lk 1,58). Über dieses Stichwort verbindet sich die Szene von der Geburt des Kindes Johannes mit dem vorausgegangenen Gotteslob der Maria, denn auch dort ist vom ἔλεος Gottes die Rede gewesen (1,50.54). Interessanterweise finden sich viele der 28 Belege für ἔλεος, welche das Neue Testament aufweist, in Lk 1–2. Die betreffenden Stellen lauten: Mt 9,13; 12,7; 23,23; Lk 1,50.54.58.72.78; 10,37; Röm 9,23; 11,31; 12,8; 15,9; Gal 6,16; Eph 2,4; 1Tim 1,2; 2Tim 1,2.16.18; Tit 3,5; Hebr 4,16; Jak 2,13[2x]; 3,17; 1Petr 1,3; 2Joh 1,3; Jud 2.21. 220
a(x) N h(x) [in ‰]
Mt 3 18346 0,16
Lk 1,1–2,40 5 1839 2,72
Lk 6 19482 0,31
Röm 4 7111 0,56
2Tim 3 1238 2,42
Jak 3 1742 1,72
NT ges. 28 138020 0,20
ἔλεος im Neuen Testament 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 Mt
Lk 1,1– 2,40
Lk
Röm
2Tim
Jak
NT ges.
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für Punkt bewahrheiten. Mit jedem Element, das in Erfüllung geht, gewinnt Gabriel als Person und seine Voraussage in ihrer Gesamtheit etwas mehr an Glaubwürdigkeit. Dabei steht die Verwirklichung eines wesentlichen Teiles aus der Ankündigung des Engels an Zacharias ja noch aus, nämlich die der Rolle, welche Johannes einst spielen werde (vgl. Lk 1,15–17). Das Kind erhält am achten Tag vorschriftsmäßig seine Beschneidung; die Freunde der Familie wollen dem Säugling bei dieser Gelegenheit nach seinem Vater den Namen Zacharias geben (V. 59). Doch hier schreitet Elisabet ein, denn sie weiß offensichtlich davon, dass Gabriel Zacharias angewiesen hat,221 den verheißenen Sohn Johannes zu nennen (V. 60; vgl. V. 13).222 Es entwickelt sich ein etwas hektisch und daher komisch wirkender Konflikt: Die Freunde können nicht verstehen, weshalb Elisabet auf diesem Namen für das Kind beharrt (V. 61); so befragen sie per Zeichensprache den Vater Zacharias als die entscheidende Instanz nach seiner Meinung (V. 62).223 Dieser äußert sich schriftlich in Übereinstimmung mit dem Votum seiner Frau: Ἰωάννης ἐστὶν ὄνομα αὐτοῦ (V. 63). Mehr noch als auf die Leserschaft, die die Hintergründe dieser Entscheidung kennt, wirkt all dies auf die in der Erzählung auftretenden Freunde verwunderlich (V. 63: ἐθαύμασαν) – so wie sich bereits das Volk in der Szene von der Ankündigung der Geburt des Johannes gewundert hat, als Zacharias sich so lange im Heiligtum aufhielt (Lk 1,21). Mit dem Gebrauch der Vokabel θαυμάζω tritt so wieder explizit ein Motiv auf den Plan, das schon die gesamte bisherige Erzählung durchzieht: das Motiv des Staunens oder der verwunderten Reaktionen auf außergewöhnliche Ereignisse, welche auf dem Einbrechen der himmlischen Welt in die irdische Welt hinein beruhen. Beide Elternteile haben sich in der Namensgebung ihres Sohnes als gehorsam erwiesen (V. 60.63). Zacharias erhält nun seine Fähigkeit zu sprechen zurück, und das erste, was über seine Lippen kommt, ist ein Lob Gottes (V. 64).224 Interessanterweise hatte Gabriel ihm jedoch angekündigt, er werde erst dann wieder reden können, sobald seine Vorhersage eingetroffen sei: ἔσῃ σιωπῶν καὶ μὴ δυνάμενος λαλῆσαι ἄχρι ἧς ἡμέρας γένηται ταῦτα (V. 20). Die wiedergewonnene Sprachfähigkeit des Zacharias ruft der Leserschaft der Erzählung die Ankündigung des Engels ins Gedächtnis. Wollen sie ihm keinen Wortbruch unterstellen, so müssen die Lesenden das 221
Dies erwähnt die Erzählung zwar nicht explizit, doch können die Lesenden die dadurch entstehende Leerstelle leicht in der oben beschriebenen Weise ausfüllen. 222 Vgl. hierzu auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 117. 223 Von seiner Stummheit schließen die Anwesenden scheinbar darauf, Zacharias könne auch nichts hören (vgl. hierzu auch H. KLEIN, Lukasevangelium, 117; Klein erblickt hier freilich einen Widerspruch zu der vorhergehenden Aussage, der Priester sei lediglich stumm). 224 So auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 117; J. KREMER, Lukasevangelium, 33. Vgl. hierzu auch J. ERNST, Evangelium, 92; A. PLUMMER, Gospel, 37.
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ταῦτα Gabriels in Lk 1,20 allein auf die Geburt des Johannes beziehen. Die ursprüngliche Ankündigung umfasste jedoch noch mehr, nämlich Voraussagen über die Rolle des Sohnes.225 Was wird aus diesem Kind nun also werden? müssen die Lesenden sich aus diesem Grunde fragen. Auf der Ebene der erzählten Welt zieht die Nachricht von der Geburt des Johannes weite Kreise (V. 65), und die Menschen, die davon hören, stellen dieselbe Frage, die auch die Leserschaft des Evangeliums bewegt: τί ἄρα τὸ παιδίον τοῦτο ἔσται; (V.66).226 Die Antwort auf diese Frage folgt auf dem Fuße.227 Zacharias äußert sich im zweiten Teil (V. 76–79) seines versförmigen Gotteslobs (Lk 1,68–79)228 ausführlich zur Aufgabe, welche Johannes ausfüllen wird. Den Ermöglichungsgrund seiner Worte bildet dabei einmal mehr der Heilige Geist (V. 67), der zuvor bereits die Weissagung Elisabets über das angekündigte Kind Marias hervorgebracht hat (vgl. V. 41). Als logisches Subjekt der passivischen Formulierung ἐπλήσθη πνεύματος ἁγίου (V. 67) können die Lesenden gedanklich nur Gott selbst ergänzen: Dieser ist es, der den Priester durch die Gabe des πνεῦμα ἅγιον dazu befähigt, das Folgende auszusprechen:229 Doch bevor das Gotteslob des Zacharias sich mit der zukünftigen Rolle des Johannes beschäftigt, widmet sein erster Teil (V. 68–75) sich einem anderen Thema: der Befreiung Israels von den Feinden durch die Macht Gottes. So wie das Lob Gottes im Munde des Zacharias beginnen oder enden auch viele Gott lobende Passagen der Septuaginta mit der Wendung εὐλογητὸς κύριος ὁ θεὸς τοῦ Ἰσραήλ (Lk 1,68a; vgl. etwa 1Kön 1,4; Ψ 40,14; 105,48). Der Anfang der Rede des Zacharias verleiht dem Folgenden auf diese Weise in den Ohren der Leserinnen und Leser einen biblischen Klang. Zum Grund für seinen Lobpreis äußert Zacharias sich anschließend: Gott hat seinem Volk Erlösung gebracht (V. 68b). Bezeichnenderweise hat der Priester Gott bereits im ersten Halbvers als ὁ θεὸς τοῦ Ἰσραήλ und nicht etwa als ὁ θεός μου angesprochen. Das Individuum Zacharias verschwindet hier hinter dem Volk Israel als ganzem; Auslöser für das Gotteslob ist nicht 225 So wirbt die Erzählung um das Vertrauen der Leserschaft: Mit der Erfüllung der Sohnesverheißung sollen die Leserinnen und Leser der lukanischen Erzählung auch den Aussagen über die künftige Rolle des Sohnes Glauben schenken. 226 Mit der Bemerkung καὶ γὰρ χεὶρ κυρίου ἦν μετ’ αὐτου (V. 66) gibt die Erzählung zwar eine Begründung für die fragende Haltung der Menschen an: Johannes zeichnet sich durch eine besondere Beziehung zu Gott aus. Doch bleiben die fragenden Leserinnen und Leser hier im Ungewissen, worin diese besondere Gottesbeziehung des Kindes sich denn konkret äußert. 227 So auch J. GNILKA, Hymnus, 219; S.C. FARRIS, Hymns, 134. 228 Zur Versform dieses Abschnitts vgl. auch K. LÖNING, Geschichtswerk, 105. 229 Das Darstellungsmittel des Verweises auf das πνεῦμα ἅγιον weckt die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser (vgl. J.B. GREEN, Gospel, 115).
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das persönliche Ergehen einer Einzelperson sondern Gottes Handeln an seinem gesamten Volk. Dies bestätigt der zweite Halbvers, welcher den λαὸs αὐτοῦ (V. 68b) als das Objekt des Gotteshandelns benennt. Gott schenkt seinem Volk λύτρωσις (V. 68b) und σωτηρία (V. 69a). Während das Wort λύτρωσις die Befreiung aus Gefangenschaft beschreibt,230 bezeichnet σωτηρία die Rettung aus einer Notsituation oder häufig konkret die Hilfe im Kampf.231 Diese Äußerungen muss die ideale Leserschaft des Lukasevangeliums erneut vor der Folie ihrer eigenen Zeitgeschichte interpretieren, welche von der Oberherrschaft der Römer über das Volk Israel gekennzeichnet ist. In den Gedanken der Lesenden spielt sich, wenn sie die Worte des Zacharias lesen, ein Szenario ab, in dem Gottes Eingreifen sein Volk aus der Unterdrückung durch das Imperium Romanum erlöst, indem Gott dem Volk Israel militärisch zur Hilfe kommt.232 Die allusionskompetenten Adressatinnen und Adressaten der Erzählung können die Wendung κέρας σωτηρίας dabei aus 2Sam 22,3 oder Ψ 17,3 kennen.233 In beiden Zusammenhängen lobt ein Mensch seinen Gott, indem er ihn metaphorisch mit Instrumenten militärischen Schutzes identifiziert. So verstärkt die intertextuelle Referenz die militärisch-politischen Assoziationen der Leserschaft.234 Der folgende Halbvers bringt nun den Namen König Davids ins Spiel (V. 69b), mit dem sich in der biblischen Tradition der Gedanke von politischer Autonomie und der immensen Ausdehnung des Großreichs Israel verbindet. Die Rettung für das Volk durch den οἶκος Δαυίδ lässt an die Verheißung ewigen Königtums an die Nachkommenschaft Davids aus 2Sam 7 denken. Dieser biblische Abschnitt besitzt im ersten Jahrhundert n.Chr. in den Kreisen eine besondere Aktualität, die konkret einen königlichen Gesalbten erwarten und ihre Hoffnung neben 2Sam 7 auch in anderen Stellen der Heiligen Schriften begründet finden.235 Mit dem Hinweis auf die Propheten, die solches vorausgesagt haben (V. 70), bestätigt das Gotteslob des Zacharias den Lesenden nun, dass die vorausgehenden Aussagen vor dem Hintergrund der Gesalbtenerwartung verstanden werden wollen.236 230
So auch F. BÜCHSEL, λύω, 353. So auch W. FOERSTER, σῷζω, 967.989. 232 Vgl. hierzu auch F. BÜCHSEL, λύω, 353. 233 Vgl. hierzu auch J.A. FITZMYER, Gospel, 383. 234 R.E. BROWN, Birth, 371 assoziiert zu dem Stichwort κέρας einen königlichen Gesalbten, der sich im Kampf als siegreich erweist. Vgl. hierzu auch M. COLERIDGE, Birth, 120; TH. ZAHN, Evangelium, 115–116; ähnlich auch J. ERNST, Evangelium, 95. 235 S.o. Punkt 2.1.1. 236 Auch das Vorkommen des Stichworts κέρας (V. 69a) mag die Assoziation zur Gesalbtenerwartung in der Leserschaft bestärken, denn ein Horn diente im alten Israel bisweilen bei der Königssalbung als ein Gefäß zur Aufbewahrung des Salböls (1Sam 16,3; 1Kön 1,39; vgl. F. HESSE, χρίω, 488). 231
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Diesen Kontext können die Motive aus dem Gotteslob des Zacharias in den Leserinnen und Lesern des Lukasevangeliums auch leicht wachrufen, da ihnen der Themenkreis der Erwartung eines königlichen Gesalbten während ihrer bisherigen Lektüre bereits einmal massiv begegnet ist: nämlich in der Ankündigung der Geburt Jesu (Lk 1,32–33). Das ἐν in Vers 69b verstehen die idealen Adressatinnen und Adressaten der Erzählung daher wahrscheinlich lokal und denken beim κέρας σωτηρίας ... ἐν οἴκῳ Δαυίδ (V. 69) an den verheißenen Sohn Marias. Mit der Aufnahme des Gesalbten-Motivs lenkt das Gotteslob des Zacharias so die Aufmerksamkeit der Lesenden weg von dem Säugling Johannes und hin zu dem noch ungeborenen Jesus. Vers 71 nennt die Befreiung von den Feinden noch einmal beim Namen; unter den Feinden können die idealen Leserinnen und Leser der Erzählung, die im ersten Jahrhundert n.Chr. spielt und auch im selben Jahrhundert von ihnen gelesen wird, nur die Römer verstehen. Die starke Ähnlichkeit zu Ψ 105,10 verleiht den Worten von Vers 71 dabei einen biblischen Klang. Zum zweiten Mal, seit Zacharias Gott zu preisen begonnen hat, fällt hier das Stichwort σωτηρία (V. 71a; vgl. V. 69a). Dadurch präzisiert die Aussage von Vers 71 die vorher allgemein gehaltene Aufgabe des erwarteten Gesalbten: Seine primäre Tätigkeit soll darin bestehen, das Gottesvolk Israel aus den Händen seiner Feinde und Hasser zu befreien.237 Ein anderer Horizont bildet die Grundlange für den Inhalt der folgenden Verse 72–73a: die Thematik der Verheißungen Gottes an die Stammväter Israels. Da auch diese der Leserschaft in der laufenden Erzählung schon einmal begegnet ist (Lk 1,54–55), können entsprechende Assoziationen leicht wieder in ihr hervorgerufen werden: Wie schon V. 54–55 benutzt auch V. 72–73a die Signalworte ἔλεος,238 μιμνῄσκομαι und Ἀβραάμ. Hinzu kommen in Lk 1,72–73a die Begriffe πατέρες, διαθήκη, ὅρκος und ὄμνυμι, die keinen Zweifel an der Tatsache mehr lassen, dass es hier um die Verheißungen und die Bundesschlüsse Gottes mit Israels Stammvätern geht. Inhaltlich nehmen unter diesen in der biblischen Tradition die beiden Verheißungen den vordersten Stellenwert ein, welche besagen, Israel – bzw. die Nachkommenschaft Abrahams – werde erstens ein großes Volk werden und zweitens ein eigenes Land erhalten, um es zu bewohnen (vgl. z.B. Gen 15). Beide verbinden sich eng mit dem Namen Abrahams, den V. 73a ausdrücklich erwähnt.239 Unter Berufung auf diese Tradition schneidet 237 Zum politischen Charakter dieser Aussagen vgl. auch S.C. FARRIS, Hymns, 136; R.A. HORSLEY, Liberation, 115–117. 238 Die Vokabel ἔλεος ist außerdem in der Szene von der Geburt des Johannes vorgekommen (Lk 1,58). Auf diese Weise verankert das Motiv von Gottes Erbarmen, welches in der Benutzung von ἔλεος zum Ausdruck kommt, Zacharias’ Gotteslob im bisherigen Kontext sowohl mit der Geburts-Szene als auch mit dem Gotteslob der Maria (vgl. hierzu auch oben Anm. 220). 239 Zur διαθήκη vgl. auch G. QUELL/J. BEHM, διαθήκη, 117.135.
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das Gotteslob des Zacharias erneut und diesmal in anderen Termini das im ersten Jahrhundert n.Chr. brisante Thema der politischen Autonomie Israels an. In den Worten der biblischen Verheißungen sagt Zacharias der Leserschaft des Lukasevangeliums die Befreiung von der römischen Oberherrschaft zu.240 Das Thema der Errettung von den Feinden begegnet in V. 74a noch einmal ausdrücklich. Dabei leitet die Partizipialkonstruktion ἐκ χειρὸς ἐχθρῶν ῥυσθέντας eine Passage ein, die begründet, welchem Zweck diese Befreiung eigentlich dient: Die Rettung Israels vor seinen Feinden ermöglicht dem Volk erst den angemessenen Gottesdienst (V. 74b–75). Frömmigkeit und Gerechtigkeit – ὁσιότης und δικαιοσύνη (V. 75a) – bilden für diesen die Grundlage.241 Insgesamt steht das Thema der Befreiung Israels damit im Zentrum des ersten Teils von Zacharias’ Gotteslob. Die Verse des Priesters verkünden die Befreiung jedoch nicht als eine zukünftige, sondern sie konstatieren sie im Tempus der Vergangenheit,242 so wie dies auch bereits im Gotteslob der Maria geschehen ist.243 Der Priester Zacharias betont seine Zuversicht auf solches Heil damit nachdrücklich, und lädt die Leserinnen und Leser dadurch ein, seiner Sichtweise zu folgen. Immer wieder beinhalten die Verse 68–75 auch Vokabeln, die zum Wortfeld der jüdischen Gesalbtenerwartung gehören: Ἰσραήλ (V. 68a), λαός (V. 68b), Δαυιδ (V. 69b), ἐχθρός V. 71a.74a) und διαθήκη (V. 72b). Auch die Verwendung von δικαιοσύνη in Lk 1,75a mögen die idealen Lesenden, deren Aufmerksamkeit das Voranstehende bereits in entsprechender Weise gelenkt hat, vor dem Hintergrund der Gesalbtenerwartung verstehen. So geben die Worte des Zacharias in ihren Augen nicht nur der politischen Hoffnung auf Befreiung von den Römern Ausdruck, sondern sie verknüpfen diese auch mit der Erwartung
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Ähnlich auch J.B. GREEN, Gospel, 114. Ganz ähnlich auch S.C. FARRIS, Hymns, 138; H. KLEIN, Lukasevangelium, 124; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 88; W. WIEFEL, Evangelium, 64–65. Vgl. hierzu auch J. ERNST, Evangelium, 96. 242 Vgl. zu diesem Gedanken im weiteren Verlauf der Schrift auch H. CONZELMANN, Lukasanalyse, 61. 243 Die aoristischen Aussagen lassen sich wieder als sog. perfectum propheticum erklären (vgl. insbes. H. GUNKEL, Lieder, 54–55; vgl. hierzu auch J. ERNST, Evangelium, 93; B.C. FREIN, Narrative Predictions, 24; M. LAMBERTZ, Sprachliches, 82; R. LAURENTIN, Struktur, 50, Anm. 1; K.H. RENGSTORF, Evangelium, 34). Der prophetische Charakter des Gotteslobs Zacharias’ deutet sich ja bereits in den Worten an, mit welchen die Erzählung die direkte Rede des Priesters einleitet: καὶ ἐπροφήτευσεν λέγων (V. 67; so auch J. ERNST, Evangelium, 95; W. GRUNDMANN, Evangelium, 71; W. WIEFEL, Evangelium, 64; vgl. zur prophetischen Funktion des Heiligen Geistes an dieser Stelle auch H. KLEIN, Lukasevangelium, 123; W. RADL, Evangelium, 93; W.B. TATUM, Zeit, 323). 241
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einer idealen und von Gott gesandten Königsfigur. Deren Aufgabe besteht darin, die Rettung vor den Feinden herbeizuführen.244 Nun wendet der Priester sich im zweiten Teil seiner Rede dem neugeborenen Kind Johannes zu und spricht es direkt an: καὶ σὺ δέ, παιδίον (V. 76a). Und wiederum rufen die folgenden seiner Worte in den Lesenden vor ihrer kulturellen Enzyklopädie des ersten Jahrhunderts Assoziationen zu einem Kontext wach, von dem bereits zuvor in der Erzählung die Rede gewesen ist. Es handelt sich um die aus Mal 3 stammende Vorstellung von der Wiederkehr Elias als Vorläufer Gottes und seines Gerichts. Den ersten Hinweis in diese Richtung gibt die Aussage, das Kind werde προφήτης ὑψίστου genannt werden (V. 76a).245 Deutlich erkennbar wird die Parallele dann aber durch das Folgende: Johannes werde vor dem Herrn hergehen, ihm die Wege vorzubereiten. Denn die Ansage προπορεύσῃ γὰρ ἐνώπιον κυρίου ἑτοιμάσαι ὁδοὺς αὐτοῦ (Lk 1,76b) trifft nach Mal 3,1 genau auf Elia zu, wo Gott spricht: ἐγὼ ἐξαποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου, καὶ ἐπιβλέψεται ὁδὸν πρὸ προσώπου μου.246 So wie die Anspielung auf Mal 3 im Gotteslob des Zacharias es tut, hat auch schon der Engel Gabriel in seiner Ankündigung der Geburt des Johannes diesen mit Elia identifiziert (Lk 1,17).247 Indem der Priester Zacharias auf der Ebene der Erzählung diesen Gedanken aufnimmt, verleiht er der bereits im Raum stehenden Ankündigung Nachdruck und verstärkt auf diese Weise die Erwartungshaltung der Rezipientinnen und Rezipienten. Welche Tätigkeit das Wirken als Prophet und Wegbereiter des Herrn insbesondere umfasst, beschreiben die Verse 77–79. Johannes werde dem Volk Gottes die Rettung bekannt machen, sagt Zacharias: τοῦ δοῦναι γνῶσιν σωτηρίας τῷ λαῷ αὐτοῦ (V. 77a). Die vorausgehenden Aussagen im 244 Zum politischen Klang der Worte im Gotteslob des Zacharias vgl. auch J.A. FITZMYER, Gospel, 386; W. WIEFEL, Evangelium, 64. J.M. FORD, Zealotism, 283 erkennt in der Aussage von Zacharias’ Gotteslob deswegen gar zelotische Gedanken. Diese Annahme legt sich aus der Perspektive der idealen Lesenden m.E. jedoch nicht unmittelbar nahe. Für ein stichhaltiges Urteil in dieser Frage bedürfte es einer Untersuchung darüber, inwieweit die Bewegung der Zeloten in der kulturellen Enzyklopädie der idealen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums eine Rolle spielt. 245 Der Charakterisierung des Johannes als προφήτης ὑψίστου (V. 76) geht die Ankündigung Jesu als υἱὸς ὑψίστου (V. 32) voraus (vgl. F. BOVON, Evangelium, 107–108; vgl. hierzu auch U. MITTMANN-RICHERT, Magnifikat, 41). Hier zeigt sich einmal mehr die klare Zuordnung der beiden lukanischen Figuren (vgl. auch Anm. 248). 246 So auch D. JONES, Background, 35; vgl. hierzu auch PH. VIELHAUER, Benedictus, 36. Darum halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass die idealen Lesenden das Wort κύριος an dieser Stelle auf Gott beziehen und nicht (wie S.C. FARRIS, Hymns, 139; J.A. FITZMYER, Gospel, 385; W. RADL, Evangelium, 96; M. RESE, Motive, 181 vorschlagen) auf Jesus. 247 Vgl. hierzu auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 125; B.C. FREIN, Narrative Predictions, 23; K. LÖNING, Geschichtswerk, 106–107; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 90. Vgl. ferner TH. ZAHN, Evangelium, 119.
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Gotteslob des Priesters haben die Bedeutung der Vokabel σωτηρία hinreichend festgelegt, so dass die Lesenden sich unter ihr an dieser Stelle nichts anderes vorstellen können als die Befreiung aus politischer Unterdrückung (vgl. V. 69a.71a).248 Doch wie verhält sich nun zu all dem der nächste Halbvers? Dieser lautet: ἐν ἀφέσει ἁμαρτιῶν αὐτῶν. Von Sünde ist in der gesamten bisherigen Erzählung nirgends die Rede gewesen; überhaupt kommt der Wortstamm ἁμαρτ- nur ein einziges Mal in der lukanischen Kindheitserzählung vor, nämlich an dieser Stelle, in Lk 1,77. Für die Leserinnen und Leser bewegt sich damit ein völlig neuer Gedanke in ihr Blickfeld hinein. Sie haben mehrere Möglichkeiten, den neuen Gedanken zu den bereits präsenten in Beziehung zu setzen: Die Wendung ἐν ἀφέσει ἁμαρτιῶν αὐτῶν (V. 77b) kann sich sinnvoll nur auf die σωτηρία (V. 77a) beziehen, und zwar entweder epexegetisch oder aber instrumental. Im ersten Fall bestünde die σωτηρία ganz und gar in der ἄφεσις ἁμαρτιῶν; beides wäre identisch.249 Dies würde aus der Sicht der Adressatinnen und Adressaten, die die Aussagen in den Kontext des bisher Gelesenen einbetten, jedoch den vorausgehenden Aussagen über die σωτηρία als einer politischen widersprechen. Daher liegt es für sie nahe, die ἄφεσις ἁμαρτιῶν als das ermöglichende Instrument zu interpretieren, das die σωτηρία überhaupt erst herbeiführen kann.250 Angesichts der zahlreichen Erzählungen in der biblischen Tradition, 248 Und diese geschieht ja mittels der Regierung eines idealen Königs, welchen die Lesenden mit der noch ungeborenen Jesus-Figur der lukanischen Erzählung verbinden. Zwischen den Figuren Johannes und Jesus besteht damit – obgleich die Erzählung in den Ankündigungs- und Geburtsszenen zahlreiche Parallelen aufweist – das Verhältnis einer Unter- und Überordnung. Der lukanische Jesus steht im Zentrum des Spannungsbogens; er weckt das wesentliche Interesse der Lesenden. Der lukanische Johannes wiederum ist dieser Dynamik unterstützend zugeordnet (vgl. dazu auch M. DIBELIUS, Jungfrauensohn, 2; J.B. GREEN, Gospel, 84; K.H. RENGSTORF, Evangelium, 17; PH.L. SHULER, Character, 178–179; W. WIEFEL, Evangelium, 44; vgl. ferner R.E. BROWN, Benedictus, 56; J. ERNST, Evangelium, 68; PH. VIELHAUER, Benedictus, 45; W. GRUNDMANN, Evangelium, 46 betont die Komplementarität im Verhältnis beider Figuren). 249 So M. COLERIDGE, Birth, 121; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 91; PH. VIELHAUER, Benedictus, 37; TH. ZAHN, Evangelium, 117. 250 Vgl. hierzu auch die Überlegungen zu Lk 1,68 bei A. PLUMMER, Gospel, 40. Freilich finden sich andernorts im Neuen Testament auch Zeugnisse einer Sichtweise, welche die Sündenvergebung als einen zentralen Aspekt des Heils betrachtet (vgl. etwa Röm 4,7–8). Doch obwohl dieses Motiv bei Paulus mehrfach auftaucht, liegt bei ihm eine Identifikation von Sündenvergebung und Heil m.E. nicht vor. Die exegetische Forschung muss sich davor hüten, die paulinischen Texte von Luther her zu lesen, um die neutestamentlichen Texte angemessen verstehen zu können (vgl. J.D.G. DUNN, Paulus-Perspektive, 34–35; vgl. des Weiteren auch M. WOLTER, Perspektive, 2), denn die Aussagen Martin Luthers identifizieren Heil und Sündenvergebung m.E. sehr wohl. Für die Wirkung von Lk 1,77 auf die zeitgenössische Leserschaft bedeutet dies: Eventuell mögen manche historischen Lesenden, denen die Paulusbriefe geläufig sind, bei der ἄφεσις ἁμαρτιῶν an eine inhaltliche Konkretion der σωτηρία denken. Für die idealen Lesenden gilt dies allerdings nicht, da die laufende Erzählung den Begriff der σωτηρία bereits klar als einen politischen etabliert hat. Außerdem findet sich der Ausdruck ἄφεσις ἁμαρτιῶν bei Paulus nirgends. Vielmehr handelt es sich bei ihm um einen Lieblingsausdruck der lukanischen Schriften, der außer im Lukasevange-
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lium und in der Apostelgeschichte nur bei Markus und Matthäus je einmal vorkommt. Dies mag das folgende Diagramm verdeutlichen. Der Ausdruck ἄφεσις ἁμαρτιῶν steht im Neuen Testament an den Stellen Mk 1,4; Mt 26,28; Lk 1,77; 3,3; 24,47; Apg 5,31; 10,41; 13,38; 26,18. Die Angaben 3 im Diagramm nennen die relativen Häufigkeiten in der Einheit h(x)*10 , d.h. in ‰. Als Berechnungsgrundlage der relativen Häufigkeiten dienen dabei die Textumfänge: NMk = 11304; NMt = 18346; NLk = 19482; NApg = 18450.
ἄφεσις ἁμαρτιῶν im Neuen Testament absolut: a(x) Mk
Apg
Mt
Lk
relativ: h(x) [in ‰] 0,25 0,20 0,15 0,10 0,05 0,00 Mk
Mt
Lk
Apg
Aus den genannten Gründen halte ich es für wahrscheinlich, dass die Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums im ersten Jahrhundert n.Chr. die Wendung ἄφεσις ἁμαρτιῶν instrumentell als
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welche die Sündhaftigkeit des Gottesvolkes oder den Ungehorsam seiner Anführer als Ursache politischer Unterdrückung und militärischer Unterlegenheit zeichnen (z.B. Ri 10,6–16251), kommt einem in dieser Weise konstruierten Zusammenhang zwischen ἁμαρτία und σωτηρία aus der Perspektive der Leserschaft ein hohes Maß an Plausibilität zu. Während jedoch viele der biblischen Texte davon erzählen, wie das Volk Israel eine militärisch-politische Strafe für seinen sündhaften Wandel erdulden muss, beschreibt das Lob Gottes im Munde des Zacharias die umgekehrte Dynamik: Hier geht es um Sündenvergebung und politische Befreiung. Dass diese Bewegung vom Schlechten zum Guten nur durch das Erbarmen Gottes geschehen kann, sagt der folgende Halbvers aus und benutzt dazu die Worte διὰ σπλάγχνα ἐλέους θεοῦ ἡμῶν (V. 78a). Das erbarmende und Befreiung bringende Handeln Gottes besteht gemäß der Rede des Zacharias nun auch darin, dass Gott über seinem Volk ein Gestirn aufgehen lässt (V. 78b–79a). Zacharias beendet sein Gotteslob in einer stark bildhaften Redeweise, die an Wendungen aus den Psalmen erinnert. So nimmt V. 79a beinahe wörtlich Ψ 106,10 auf, wo es heißt: καθημένους ἐν σκότει καὶ σκιᾷ θανάτου. Denen, die in Finsternis und Schatten des Todes sind, soll das von Gott kommende Gestirn leuchten (V. 79a: ἐπιφᾶναι). Ob nun aber die Rede von der ἀνατολὴ ἐξ ὕψους unpersönlich als Gottes gnädiges Tun oder als das Auftreten und Wirken einer bestimmten Person verstanden werden will, lässt sich aus der Sicht der idealen Adressatinnen und Adressaten kaum entscheiden. Eventuell mögen sie den Themenkreis der hellenistischen Herrscherverehrung assoziieren, da sich auch dort die Herrscher bisweilen mit Gestirnen vergleichen.252 Das Verbum ἐπιφαίνω mag außerdem an den Beinamen ἐπιφανής der ptolemäischen Könige erinnern, so dass es Leserinnen und Leser geben kann, welche bei der ἀνατολὴ ἐξ ὕψους an eine königliche Figur denken, die als von Gott
Ermöglichung der σωτηρία deuten. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Neue Testament an zwei Stellen auch den Ausdruck ἄφεσις τῶν ἁμαρτιῶν kennt, nämlich Apg 2,38 und Kol 1,14. Diese beiden Stellen sind in der obigen Berechnung unberücksichtigt geblieben. 251 Besonders deutlich kommt die Interdependenz zwischen ἁμαρτία und σωτηρία in Ri 10,6– 16 zum Ausdruck; denn dort begegnen die entsprechenden Verba ἁμαρτάνω und σῷζω mehrfach im Zusammenspiel. Vgl. hierzu aber auch Num 14,41–45; Ri 3,7–11; 2Kön 17,1–23; 2Chr 21,11– 20; 28,1–6; 33,9–13; Jer 5,1–19; Ez 21,13–22; Hos 7,12–16; Am 3,1–11. In vielen dieser Erzählungen tritt ein Prophet auf, der dem Volk oder dem König die negativen politisch-militärischen Folgen ankündigt, welche die Abwendung von Gott nach sich zieht. 252 Vgl. zum Bild des Sterns im Gedankenkreis der Herrscherverehrung E. STAUFFER, Reichsmetaphysik, 37; A. WLOSOK, Einführung, 22; P. ZANKER, Augustus, 43–44. Vgl. auch M. CLAUSS, Kaiser, 125.265; G. ERDMANN, Vorgeschichten, 101; H.-J. KLAUCK, Umwelt, 48; S.R.F. PRICE, Gods, 92; E. STAUFFER, Christus, 166. Dagegen deuten R.E. BROWN, Birth, 374; W. ECKEY, Lukasevangelium, 128; H.J. HOLTZMANN, Synoptiker, 36–37 das hier in Zacharias’ Gotteslob angesprochene Licht auf die Figur eines Gesalbten.
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beauftragte dem Volk die Befreiung von den Feinden bringt.253 Als eine solche Figur hat der Engel Gabriel der Jungfrau Maria ja ihren Sohn Jesus angekündigt (Lk 1,32–33). Zu einer derartigen Einordnung der Aussage von Lk 1,78b–79a zwingt der Wortlaut allerdings nicht. Klar bleibt jedoch, dass der Priester hier aus dem Blickwinkel der Lesenden die politische Befreiung des Gottesvolkes thematisiert. Das Ziel dieser Befreiung benennt der letzte Halbvers in Zacharias’ Gotteslob, ebenfalls in bildhafter Sprache: Es geht letztenendes um den Frieden, zu welchem Gott seinem Volk verhelfen will (V. 79b: εἰρήνη).254 Insgesamt bekräftigt der durch den Heiligen Geist redende Zacharias in seinem Gotteslob damit nicht nur die vorausgehenden und die Erwartung der Leserschaft leitenden Ansagen der politischen Befreiung Israels (Lk 1,32–33.51–55)255 sondern auch die Ankündigung Gabriels zur Rolle des Johannes (Lk 1,15–17). All dies ist bisher nicht eingetreten; doch indem der Priester unter dem Einfluss des πνεῦμα ἅγιον den Ankündigungen Nachdruck verleiht, bietet er der Leserschaft an, ihm zuzustimmen und fest auf das baldige Eintreten dieser Ereignisse zu vertrauen. Der stark an die Sprache der Septuaginta erinnernde Klang seiner Worte verleiht diesen dabei zusätzliches Gewicht. Die Adressatinnen und Adressaten können so einerseits zuversichtlich und andererseits auch nach wie vor gespannt ihre Lektüre fortsetzen. Am Ende der Szene fasst im Anschluss an das Lob Gottes ein Satz das gedeihende Aufwachsen des jungen Johannes zusammen. Mit der Wendung τὸ δὲ παιδίον ηὔξανεν καὶ ἐκραταιοῦτο πνεύματι erinnert dieser entfernt an die Worte, mit denen Ri 13,24–25 das Aufwachsen Simsons und 1Sam 2,26 das Aufwachsen Samuels beschreiben.256 In Lk 1,15 hat Gabriels Ankündigung den Johannes als einen Nasiräer bereits in die Nähe zu Simson und Samuel gerückt. Johannes tritt nun aber seinen Dienst, welchen der Engel Gabriel und sein Vater der Leserschaft beschrieben haben, noch nicht an; 253 Im vorliegenden Kontext ist hier m.E. deutlich diejenige Auslegung die plausibelste, welche die ἀνατολή als einen Aufstieg bzw. Aufgang eines Sternes versteht (so auch J. GNILKA, Hymnus, 230). Exegeten, die stark von der hebräischen Bibel her argumentieren, stellen sich hinter der ἀνατολή hingegen bisweilen die griechische Übersetzung des hebräischen Wortes צמחvor und fühlen sich dadurch an das Wortfeld der Gesalbtenerwartung erinnert (z.B. S.C. FARRIS, Hymns, 140–141; A. JACOBY, ἀνατολή, 213; D. JONES, Background, 39; vgl. hierzu auch P. WINTER, Notes, 159). 254 Die offenkundige konkret-politische Dimension der Aussagen im Munde des Zacharias stellt auch TH. KAUT, Befreier, 239–240 fest. Er schlussfolgert allerdings, dass Lk 1,68.71–75 aus zelotischen Kreisen des Jahres 66 n.Chr. stammt (245–246) und sich auf ein konkretes Ereignis zurückbezieht (225). 255 Zu diesem Aspekt im Gotteslob des Zacharias vgl. auch J.B. GREEN, Gospel, 114; H.L. MACNEILL, Sitz, 129. Vgl. in diesem Zusammenhang auch P. WINTER, Magnificat, 342: Winter betrachtet das Gotteslob des Zacharias als ein makkabäisches Kriegslied. 256 Die Nähe zu 1Sam 2 benennt auch H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 94.
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sondern er hält sich in der Wüste auf (V. 80). Die christliche Tradition identifiziert Johannes ja bereits im Markusevangelium (Mk 1,3 // Mt 3,3 // Lk 3,4) mit dem βοῶν ἐν τῇ ἐρήμῳ aus dem Jesajabuch (Jes 40,3);257 Leserinnen und Leser, die mit dieser Tradition vertraut sind, können daher die Aussage aus Lk 1,80 als Bestätigung des Jesaja-Wortes und damit als Beleg für die Bedeutung des Johannes empfinden.258 2.2.6 Die Geburt Jesu (2,1–7) Das Signalwort ἐγένετο leitet sodann eine neue Szene ein.259 Mit Angaben zu der Volkszählung, die auf die Anweisung des Kaisers Augustus hin geschieht (Lk 2,1), und zu der Amtszeit des Kyrenios als Statthalter in Syrien (V. 2)260 verankert die Erzählung die nun folgenden Geschehnisse in der Weltgeschichte.261 Es entsteht damit ein zeitlicher Neuansatz; die Zeitangaben stellen keine Relation zum Vorausgehenden her. Als Personen treten Josef (V. 4), Maria (V. 5) und deren neugeborener Sohn (V. 7) auf. Die Szene beginnt in Nazareth und erzählt dann die Reise Josefs und Marias nach Bethlehem (V. 4). Der Befehl des Kaisers, alle Menschen seines Reiches in Listen zu erfassen (V. 1), steckt die Rahmenbedingungen für die Ereignisse ab, welche die Erzählung nun thematisiert. Dabei beinhaltet der Satz ἐξῆλθεν δόγμα παρὰ Καίσαρος Αὐγούστου ἀπογράφεσθαι πᾶσαν τὴν οἰκουμένην gleich mehrere Vokabeln aus dem Themenkreis der hellenistischen Herrscherverehrung. Allen voran setzt das Stichwort καῖσαρ, welches auch zu dem entsprechenden Wortfeld gehört, ein deutliches Signal. Zusätzlich propagiert der Beiname αὐγοῦστος als die lateinische Vorlage des griechischen Begriffs σεβαστός262 den Kaiser als eine Person, der göttliche Verehrung zukommt.263 Mit dem Ausdruck πᾶσαν τὴν οἰκουμένην umschreibt die Erzäh257
Vgl. G. KITTEL, ἔρημος, 656–657. Der ἔρημος ist außerdem ein Ort, an dem Johannes seiner Bestimmung als Nasiräer (vgl. V. 15) entsprechend enthaltsam leben kann, an dem er sich gleichzeitig aber auch in besonderer Nähe zu Gott befindet (zur Wüste als Ort der Gottesnähe vgl. G. KITTEL, ἔρημος, 655). 259 Zur Funktion von ἐγένετο an dieser Stelle vgl. auch W. SCHMITHALS, Weihnachtsgeschichte, 284. 260 Zur Chronologie der lukanischen Erzählung vgl. K. HAACKER, Quirinius, 40–42. 261 So auch M. DIBELIUS, Jungfrauensohn, 56. 262 So auch J.A. FITZMYER, Gospel, 399; K. MATTHIAE/E. SCHÖNERT-GEIß, Münzen, 41; R.L.B. MORRIS, ΑΥΓΟΥΣΤΟΣ, 142. 263 Vgl. hierzu auch W. GRUNDMANN, Geschichte, 388; O. IMMISCH, Herrscherkult, 129; E. STAUFFER, Christus, 94. Solchen Leserinnen und Lesern, die kein Latein verstehen, bleibt dieser Sinn des Wortes αὐγοῦστος mutmaßlich verborgen. Die Erzählung kennt die Praxis, dass der Kaiser als Gott verehrt wird, will ihm diese Ehre jedoch nicht zuerkennen und benutzt daher die lateinische Bezeichnung, welche ihre griechisch sprechenden idealen Leserinnen und Leser wahr258
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lung den uneingeschränkten Herrschaftsbereich des Kaisers; auch dieser ausgedehnte Herrschaftsbereich ist ein zentrales Motiv im Gedankenkreis der Herrscherverehrung. Der Kaiser macht hier von seinem Anspruch Gebrauch, in der gesamten Welt das Sagen zu haben, indem er eine Volkszählung anordnet.264 Auch die Septuaginta kennt eine Erzählung, in der ein Herrscher seine Untertanen zählt (2Sam 24 // 1Chr 21). Dort lässt König David sein Volk zählen und entfacht dadurch den Zorn Gottes. Die Unternehmung zieht schweres Unheil nach sich: Tausende von Menschen sterben durch das Schwert des von Gott gesandten Engels. Wenn nun in Lk 2,1 auch der Kaiser sich anschickt, eine Volkszählung zu veranlassen, dann besitzt dieses Unterfangen für das Gefühl solcher Rezipientinnen und Rezipienten, die die Septuaginta kennen – und zu diesen zählen die idealen Lesenden des Lukasevangeliums –, den Charakter einer gegen Gott gerichteten Opposition.265 Offenkundig müssen alle Menschen dem Befehl des Kaisers Folge leisten und sich in ihre Herkunftsorte begeben, um dort in den Listen erfasst zu werden (V. 3). Daher begibt auch Josef sich zusammen mit seiner schwangeren Frau Maria auf den Weg von Nazareth zu seinem Geburtsort (V. 4– scheinlich als einen Eigennamen verstehen, ohne dabei an eine von der Erzählung gutgeheißene Verehrung des Kaisers zu denken (vgl. hierzu auch L. LEGRAND, Christmas Story, 295; R.L.B. MORRIS, ΑΥΓΟΥΣΤΟΣ, 143–144). 264 Vgl. hierzu auch J.B. GREEN, Gospel, 121; J. THORLEY, Nativity Census, 82. Die Zählung dient vermutlich dem Zweck, gute bürokratische Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Besteuerung der Untertanen zu erleichtern (vgl. z.B. R.E. BROWN, Birth, 394; A. PLUMMER, Gospel, 47; E. STAUFFER, Christus, 111; vgl. hierzu ferner TH. ZAHN, Evangelium, 130; anders erklärt T.P. WISEMAN, Decree, 480 die erwähnte ἀπογραφή). Sofern dies zutrifft, versinnbildlicht die Zählung die politische Untergebenheit der Gezählten (vgl. zur Steuerpolitik des römischen Reiches E. STAUFFER, Christus, 124; vgl. hierzu außerdem W. ECKEY, Lukasevangelium, 134; H. KLEIN, Lukasevangelium, 131; R. PESCH, Weihnachtsevangelium, 109). 265 So auch R.A. HORSLEY, Liberation, 38; L. LEGRAND, Christmas Story, 292; R. PESCH, Weihnachtsevangelium, 109–110. Vgl. hierzu auch L. LEGRAND, Caesar Augustus, 405. Während Lk 2,1 das Verbum ἀπογράφω verwendet, benutzt 2Sam 24,1 // 1Chr 21,1 das Verbum αριθμέω. Die widergöttliche Konnotation solchen Tuns bleibt im Empfinden der Leserschaft m.E. aber dennoch erhalten. Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 416. Für die idealen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums ist es daher umstritten, inwiefern steuerliche Abgaben an das Imperium Romanum bzw. an den Kaiser für einen Gott und seine Gebote ernst nehmenden Menschen überhaupt erlaubt sein können. Religiöse und politische Gründe gehen hier unlösbar Hand in Hand miteinander und begründen den Zweifel. Eine im weiteren Verlauf des Lukasevangeliums folgende Episode benennt das Problem explizit, als nämlich der lukanische Jesus mit der Frage konfrontiert wird, ob es erlaubt sei, dem Kaiser Abgaben zu bezahlen (Lk 20,22), und eine zweiteilige Antwort gibt: ἀπόδοτε τἀ Καίσαρος Καίσαρι καὶ τὰ τοῦ θεοῦ τῷ θεῷ (20,25). Die Autoritätsansprüche Gottes und des Kaisers konkurrieren gemäß der Ansicht der so Fragenden offenbar miteinander. Und die Anklage, welche die Gegner vor Pilatus schließlich gegen Jesus erheben, beinhaltet die Behauptung Jesus habe in seiner Lehre verboten, dem Kaiser Steuern zu zahlen (23,2). Vgl. hierzu auch R.A. HORSLEY, Liberation, 34–35.
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5). Erst diese Angaben ermöglichen es der Leserschaft, die neue Szene mit dem Vorangehenden in Verbindung zu bringen. Die Angaben in Lk 2,4 decken sich in vielen Punkten mit der Situationsbeschreibung in Lk 1,26– 27: Beide Stellen nennen den Ort Nazareth in Galiläa und eine dort wohnende Frau namens Maria; diese ist verlobt mit einem Mann, der Josef heißt und zu der Nachkommenschaft Davids gehört. Die Verwendung der Stichworte Ἰωσήφ, Γαλιλαία, Ναζαρέθ, Δαυίδ, Μαριάμ und ἐμνηστευμένη verknüpft die Szene Lk 2,1–7 auf diese Weise eng mit der Szene, in welcher Gabriel der Maria die Geburt Jesu angekündigt hat (Lk 1,26–38). Die Lesenden sollen sich an Gabriels Ankündigung erinnern. In ihr hatte die Gesalbtenerwartung mit der Vorstellung vom ewigen Bestand der Königsherrschaft eines Davididen die Folie für die Voraussage der Geburt von Marias Sohn abgegeben. Nun erwähnt die Erzählung den Namen David erneut mehrfach (Lk 2,4) und gibt damit den Erwartungen der Lesenden Vorschub, bei Marias Sohn könnte es sich um den erwarteten Gesalbten handeln. Nicht nur erinnert Lk 2,4 die Leserschaft an die davidische Abstammung Josefs, sondern die Szene schildert auch die Reise Josefs und Marias nach Bethlehem als der πόλις Δαυίδ.266 Eine der Verheißungen Gabriels an Maria geht aus der Perspektive der Lesenden mit der nächsten Aussage in Erfüllung, denn der Engel hatte Maria gesagt: ἰδοὺ συλλήμψῃ ἐν γαστρί (Lk 1,31), und nun erfahren die Lesenden über Maria: οὔσῃ ἐγκύῳ (Lk 2,5). Doch es geschieht noch mehr: Das Stichwort ἐγένετο sorgt für eine kurze Zäsur, so dass die Erzählung dann mit gebührendem Gewicht schildern kann, wie Maria ihren ersten Sohn gebiert (V. 6–7).267 Das Vertrauen der Leserschaft in die Ankündigungen Gabriels wächst dadurch noch weiter: Nicht nur die Ansage von Zacharias’ Unfähigkeit zu sprechen sondern auch die Sohnesverheißungen an Elisabet und Maria haben sich erfüllt. Zwar stehen die Erfüllungen dessen, was der Engel über die Rollen Johannes’ und Jesu gesagt hat, noch aus – doch mehr denn je ist die Leserschaft nun bereit, auch dem zu vertrauen,
266 Die Aussage καὶ σύ, Βηθλεεμ οἶκος τοῦ Εφραθα, ὀλιγοστὸς εἶ τοῦ εἶναι ἐν χιλιάσιν Ιουδα· ἐκ σοῦ μοι ἐξελεύσεται τοῦ εἶναι εἰς ἄρχοντα ἐν τῷ Ισραηλ, καὶ αἱ ἔξοδοι αὐτοῦ ἀπ’ ἀρχῆς ἐξ ἡμερῶν αἰῶνος (Mi 5,1) wird in manchen Kreisen als Voraussage über den erwarteten Gesalbten verstanden. Sie mag der zeitgenössischen Leserschaft als Verstehenshintergrund dienen, so dass das Darstellungsmittel der Anspielung ihre Erwartungshaltung weiter beschleunigt (vgl. hierzu auch J.D.M. DERRETT, Manger, 88; J. ERNST, Evangelium, 100; J.B. GREEN, Gospel, 127; F. HESSE, χρίω, 498–499; H. KLEIN, Lukasevangelium, 134; vgl. hierzu außerdem H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 98; H. USENER, Geburt, 13). Zu Bethlehem als Davidsstadt vgl. außerdem J.A. FITZMYER, Gospel, 406. 267 Zur besonderen Bedeutung des Erstgeborenen vgl. J. ERNST, Evangelium, 105; W. RADL, Evangelium, 112.
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was bislang nicht sichtbar eingetreten ist, da sie eins ums andere Mal mitverfolgen konnte, wie die Voraussagen Gabriels Wahrheit werden.268 Allerdings muss die Erwartung der Lesenden sogleich einen kleinen Dämpfer hinnehmen: ἀνέκλινεν αὐτὸν ἐν φάτνῃ (V. 7). Was hat denn ein königliches Neugeborenes in einer Futterkrippe zu suchen?269 Nach all den Hoffnungen, die die Ankündigungen politischer Befreiung und der Ankunft eines idealen Königs geschürt haben, muss diese Beschreibung auf die Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums enttäuschend wirken.270 Die Aussagen, die Gabriel über die Rolle Jesu getroffen hat, lassen weiterhin auf ihre Erfüllung warten. Neben dem Paar Maria und Josef treten in dieser Szene zwei Figuren auf, welche in einem gewissen Kontrast zueinander stehen: Auf der einen Seite ist dort der Kaiser, welcher über die οἰκουμένη herrscht und als αὐγοῦστος göttliche Verehrung verlangt, wobei er aber eine Volkszählung anordnet und auf diese Weise etwas tut, was aus dem Blickwinkel jüdischer Rezipientinnen und Rezipienten den Beigeschmack widergöttlicher Opposition besitzt. Und auf der anderen Seite ist der Säugling, den die Erzählung als idealen Nachfahren König Davids und als von Gott beauftragten Gesalbten darstellt, der jedoch bislang noch in einer Futterkrippe liegen muss. Der kaiserliche Befehl, die Untertanen in Listen zu erfassen, schafft die Rahmenbedingungen, die überhaupt erst dazu führen, dass Jesus in der πόλις Δαυίδ Bethlehem geboren werden kann.271 Unwissentlich trägt so der Kaiser dazu bei, dass das Verheißene eintritt. 268
Ähnlich auch B.C. FREIN, Narrative Predictions, 25–26. Die Wendung οὐκ ἦν αὐτοῖς τόπος ἐν τῷ καταλύματι verstehe ich so, dass Josef und Maria in einem gewöhnlichen Wohnhaus – κατάλυμα – untergekommen sind (vgl. F. BOVON, Evangelium, 122; M. DIBELIUS, Jungfrauensohn, 58; A.J. KERR, Room, 16; L. LEGRAND, Christmas Story, 308; W. SCHMITHALS, Weihnachtsgeschichte, 283; dagegen deuten W. ECKEY, Lukasevangelium, 138; J. JEREMIAS, ποιμήν, 490; J.L. OTTEY, Stable, 72; A. SCHLATTER, Evangelium, 186; L.P. TRUDINGER, Room, 173 das erwähnte κατάλυμα als eine Herberge), in welchem Menschen und Tiere miteinander in demselben großen Raum leben. In Ermangelung eines angemesseneren Platzes – οὐκ ἦν αὐτοῖς τόπος – legt Maria ihr Neugeborenes in den Futtertrog. Es besteht m.E. daher kein Grund zu der Annahme, das Erzählte trüge sich in einem Stall zu (so z.B. J.L. OTTEY, Stable, 73; W. RADL, Evangelium, 112; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 106; L.P. TRUDINGER, Room, 173; TH. ZAHN, Evangelium, 138; dagegen H. KLEIN, Lukasevangelium, 135). A. VÖGTLE, Offene Fragen, 56 enthält sich in diesem Punkt eines Urteils, da er richtig beobachtet, dass die Erzählung selbst keine eindeutige Definition des κατάλυμα vornimmt. 270 Vgl. hierzu auch K. LÖNING, Geschichtswerk, 114. Vgl. außerdem L. LEGRAND, Christmas Story, 309; 317; A. SCHLATTER, Evangelium, 186 sowie H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 105 und insbes. 106–107. 271 Vgl. W. ECKEY, Lukasevangelium, 135–136; J.B. GREEN, Gospel, 122–123.127; R.A. HORSLEY, Liberation, 25; H.-J. KLAUCK, Umwelt, 17; L. LEGRAND, Caesar Augustus, 413; vgl. ferner M. COLERIDGE, Birth, 132; W. WIEFEL, Evangelium, 70. Vgl. zu diesem Gegenüber zwischen Jesus und dem Kaiser insbes. auch W. SCHMITHALS, Weihnachtsgeschichte, 290. Auch M. KARRER (Jesus, 174) stellt für diese Stelle eine implizite Konkurrenz zwischen dem Kaiser und 269
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2.2.7 Die Verkündigung an die Hirten und deren Reaktion (2,8–21) Mit Vers 8 setzt sich das Geschehen an einem anderen Schauplatz, jedoch nicht weit entfernt, fort. Die Aufmerksamkeit der Erzählung schwenkt zu den Hirten, die sich nicht wie Maria und Josef mit dem Kind in einem Raum befinden sondern unter freiem Himmel weilen (V. 8). Diesen begegnet ein Engel (V. 9). Sprachlich entfaltet die Erzählung hier ein biblisches Flair, das mit der zweifachen Verwendung der sog. figura etymologica272 – φυλάσσοντες φυλακάς (V. 8) sowie ἐφοβήθησαν φόβον (V. 9) – stark an die dem Hebräischen ähnelnde Syntax der Septuaginta erinnert.273 Den Hirten, die ihrer gewöhnlichen Arbeit nachgehen, indem sie nachts bei der Herde Wache halten (V. 8), begegnet nun unvermittelt ein ἄγγελος κυρίου (V. 9). Auch den Engel, welcher am Beginn der Erzählung dem Zacharias erschienen war, hatten die Leserinnen und Leser anfangs ohne die Verwendung eines bestimmten Artikels als einen Engel des Herrn (Lk 1,11) kennengelernt, bevor der Engel sich selbst als Gabriel vorgestellt hat (Lk 1,19). Mit der Engelserscheinung vor den Hirten durchkreuzt die Erzählung zum dritten Mal die Trennung zwischen himmlischer und irdischer Welt.274 Zuvor hat Gabriel bereits zu Zacharias und zu Maria Kontakt aufgenommen. Obwohl die Szene Lk 2,8–20 den Namen des Engels nicht nennt, liegt es aus der Sicht der Lesenden nahe, auch den Engel, welcher den Hirten begegnet, mit Gabriel zu identifizieren, da sie diesen durch ihre bisherige Lektüre schon kennen und ihm vertrauen, weil einige seiner Ankündigungen sich bewahrheitet haben. Lichtglanz – δόξα (Lk 2,9) – des Herrn umscheint die Hirten; wie schon Zacharias (Lk 1,12), fürchten sie sich angesichts der Begegnung mit dem der Jesus-Figur der lukanischen Erzählung fest. Er bezieht in seine Erwägungen das Moment der Volkszählung nicht mit ein sondern argumentiert hier lediglich von dem benutzten Vokabular her. Vgl. zur Frage nach dem kritischen Unterton gegenüber dem Kaiser auch F. BOVON, Evangelium, 117–118; DERS., Geburt, 169; R.E. BROWN, Birth, 415.667; R. DILLMANN, Kindheitsgeschichte, 85–86; W. GRUNDMANN, Evangelium, 79; DERS., Geschichte, 388; R.A. HORSLEY, Liberation, 24.33; J. KREMER, Lukasevangelium, 37; L. LEGRAND, Caesar Augustus, 410; DERS., Christmas Story, 291–292; K. LÖNING, Geschichtswerk, 113; R. PESCH, Weihnachtsevangelium, 114–115; W. RADL, Evangelium, 110; DERS., Ursprung, 194; C.K. ROWE, Luke-Acts, 284–285. Vgl. hierzu ferner J.A. FITZMYER, Gospel, 394; A. SCHLATTER, Evangelium, 184–185; G. SCHNEIDER, Evangelium, 66. 272 So auch H. ZIMMERMANN, Evangelium, 260. Zimmermann beobachtet, dass die figura etymologica sowohl im Lukasevangelium als auch in der Apostelgeschichte vergleichsweise häufig auftritt. 273 Z.B. begegnet die Wendung φοβέω φόβον auch Ψ 52,6 und 1Makk 10,8. Zum biblischen Klang der Sprache im Lukasevangelium und ihrer Funktion vgl. E. LOHSE, Lukas, 82. Zu meiner Skepsis im Hinblick auf die Verwendung von Fachtermini aus der griechisch-römischen Rhetorik zur Bezeichnung von Phänomenen in der hebräischen Sprache s.o. Punkt 1.1.3.2. In Ermangelung eines alternativen Begriffs spreche ich hier dennoch von einer figura ethymologica. 274 Vgl. hierzu auch W.C. V. UNNIK, Bedeutung, 87; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 110.
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Engel (Lk 2,9).275 Daher beginnt dieser seine Rede mit der beruhigenden Aufforderung μὴ φοβεῖσθε (V. 10), so wie auch Zacharias (Lk 1,13) und Maria (Lk 1,30) vom Engel zuerst die Worte μὴ φοβοῦ gehört haben. Das Gegenteil sei angebracht, so der Engel: Nicht einen φόβος μέγας (Lk 2,9) sondern eine χαρὰ μεγάλη (V. 10) wolle er in den Hirten bewirken.276 Dabei zeigt bereits die Verwendung des Verbums εὐαγγελίζομαι an, dass es eine gute Botschaft ist, die der Engel den Hirten ausrichten möchte.277 Und nicht nur die Hirten sondern das gesamte Volk – ἔσται παντὶ τῷ λαῷ – soll von dem profitieren, was der Engel auszurichten hat. Mit dem Wort ὅτι leitet der Engel dann die Aussage ein, welche die Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums infolge der vielversprechenden Einleitung (V. 10) schon gespannt erwarten. Inhaltlich präzisiert der Engel seine Botschaft folgendermaßen: ἐτέχθη ὑμῖν σήμερον σωτὴρ ὅς ἐστιν Χριστὸς κύριος ἐν πόλει Δαυίδ (V. 11). Die Wendung ἐτέχθη ὑμῖν σήμερον lässt den Lesenden, die dem Verlauf der Erzählung folgen, keine andere Wahl als an den soeben geborenen und in der Krippe liegenden Sohn Marias zu denken. Und genau diesem neugeborenen Kind misst der Engel nun gleich mehrere Ehrenamen zu: Der Engel verkündigt den neugeborenen Jesus als Retter, Gesalbten und Herrn – σωτὴρ ὅς ἐστιν Χριστὸς κύριος.278 In den Versen 10–11 finden die Leserinnen und Leser der Erzählung erneut in massiver Konzentration das Vokabular aus den Gedankenkreisen der jüdischen Gesalbtenerwartung und der hellenistischen Herrscherverehrung vor.279 In die Richtung der jüdischen Erwartung eines königlichen 275
Zur Selbstverständlichkeit ihrer Reaktion vgl. auch J. ERNST, Evangelium, 108. Vgl. J.B. GREEN, Gospel, 133; W. GRUNDMANN, Geschichte, 391; H. KLEIN, Lukasevangelium, 136; W. RADL, Evangelium, 114; E. SCHWEIZER, Evangelium, 33. Es liegt hier also eine ähnliche Dynamik vor wie in Lk 1,12–14, wo der Engel den furchterfüllten Zacharias aufruft, sich nicht zu fürchten (Lk 1,13) und ihm stattdessen Freude – χαρά – voraussagt (Lk 1,14). 277 J.P. DICKSON, Gospel, 220 stellt in diesem Zusammenhang die Beobachtung an, dass der Wortstamm εὐαγγελ- sich in den synoptischen Evangelien mit der Botschaft vom χριστός verbindet. Zu εὐαγγελίζομαι als charakteristisch lukanischer Vokabel vgl. außerdem H. ZIMMERMANN, Evangelium, 254. 278 Diese Aufzählung folgt der textkritisch am besten bezeugten Lesart Χριστὸς κύριος. Auch wenn der Gedankenkreis der jüdischen Gesalbtenerwartung die Wendung Χριστὸς κυρίου kennt (s.o. Punkt 2.1.1, siehe dort aber auch die Anm. 19), reicht diese Einsicht m.E. nicht aus, um in Lk 1,11 eine Konjektur zu Χριστὸς κυρίου vorzunehmen. Die Übersetzung der bestbezeugten Textgestalt muss entsprechend lauten: „Geboren [ist] euch heute ein Retter, der ein Gesalbter ist, ein Herr, in der Stadt Davids“ (vgl. hierzu auch J.A. FITZMYER, Gospel, 409; H.H. OLIVER, Birth Stories, 223). P. WINTER, Miszellen, 75 nimmt an, die hebräische Wendung משיח יהוהhabe als Vorlage für den Ausdruck in Lk 2,11 Pate gestanden und sei dann als Verbindung zweier Nominative ins Griechische übersetzt worden. 279 Für die Verbindung zur Gesalbtenerwartung vgl. auch R.E. BROWN, Birth, 402–403; R. EULENSTEIN, Menschen, 98; R.A. HORSLEY, Liberation, 25; C. WESTERMANN, Elemente, 320. Für die Verbindung zur Herrscherverehrung vgl. J.B. GREEN, Gospel, 134; W. WIEFEL, Evangelium, 72; vgl. hierzu auch H. KLEIN, Lukasevangelium, 136–137. Gegen die Verbindung der Aussage 276
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Gesalbten zeigen deutlich die Stichworte χριστός280 und Δαυίδ, die beide zum betreffenden Wortfeld gehören. Andererseits zählt die Vokabel σωτήρ als eine der meistgebrauchten zum Wortfeld der hellenistischen Herrscherverehrung.281 Auch das Wort χαρά kommt mitunter in den Quellen zur hellenistischen Herrscherverehrung vor, wo es die positiven Folgen der Regierung durch den amtierenden Herrscher für das Volk beschreibt. Möglicherweise lässt die Verwendung von εὐαγγελίζομαι die Leserschaft der Erzählung ebenso den Themenkreis der Herrscherverehrung assoziieren.282 Eine gewisse Ambivalenz hinsichtlich ihrer Zuordnung zu den beiden Themenkreisen besitzen das Stichwort κύριος sowie die Wendung παντὶ τῷ λαῷ. Denn das Stichwort κύριος können jüdisch geprägte Lesende als ein göttliches Prädikat interpretieren, da ja beispielsweise die Septuaginta den hebräischen Gottesnamen durch κύριος ersetzt,283 während im Bereich des Hellenismus das Wort κύριος als Anrede
zum Herrscherkult spricht sich – allerdings von der Autorenintention aus denkend – G. ERDMANN, Vorgeschichten, 17 aus. 280 Zum Gebrauch von χριστός im Lukasevangelium vgl. auch J.A. FITZMYER, Gospel, 197– 199. 281 Das sieht in diesem Zusammenhang auch R. PESCH, Weihnachtsevangelium, 106. Dagegen erklärt H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 111 den Gebrauch von σωτήρ an dieser Stelle aus hebräischen Wurzeln. 282 So auch F. BOVON, Evangelium, 125; K. LÖNING, Geschichtswerk, 115; W. SCHMITHALS, Weihnachtsgeschichte, 289. Beispielsweise verwendet die bekannte Kalenderinschrift von Priene das Substantiv εὐαγγέλιον in diesem Kontext (OGIS 2, Nr. 458, Z. 41), so dass möglicherweise auch das zugehörige Verb εὐαγγελίζομαι entsprechende Assoziationen in der Leserschaft wachrufen mag. Zum Vorkommen von εὐαγγελίζομαι und εὐαγγέλιον im Kontext der hellenistischen Herrscherverehrung vgl. G. FRIEDRICH, εὐγγελίζομαι, 708–709.721–722; vgl. hierzu auch F. BOVON, Geburt, 169; A. DEISSMANN, Licht, 313–314; J.P. DICKSON, Gospel, 214–215; R. EULENSTEIN, Menschen, 97–98; H.-J. KLAUCK, Umwelt, 73; L. LEGRAND, Caesar Augustus, 412– 413; A.D. NOCK, Christianity, 80; E. NORDEN, Geburt, 157; E. SCHWEIZER, Evangelium, 39; E. STAUFFER, Reichsmetaphysik, 30; F. TAEGER, Charisma 1, 262 sowie Charisma 2, 193–194. Es darf hier allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass erstens auch die Septuaginta das Verb εὐαγγελίζομαι gebraucht, um den Akt der Verkündigung von Gottes guten Taten zu beschreiben (vgl. G. FRIEDRICH, εὐαγγελίζομαι, 710), und dass zweitens sowohl in der Septuaginta als auch im profanen Griechisch ein neutraler Gebrauch von εὐαγγελίζομαι existiert (vgl. G. FRIEDRICH, εὐαγγελίζομαι, 708), so dass das Verbum sich nicht auf einen einzigen Kontext festlegen lässt, den Leserinnen und Leser bei seinem Klang zwingend assoziieren müssen (so geht z.B. E. LOHSE, Lukas, 75, Anm. 35 davon aus, dass das Lukasevangelium das Verbum εὐαγγελίζομαι durchweg neutral verwendet). 283 Vgl. W. FOERSTER/G. QUELL, κύριος, 1056.1081; vgl. hierzu auch K.A. KUHN, Point, 48. Die Verwendung von κύριος als einer auf Jesus angewandten göttlichen Prädikation begegnet im Neuen Testament vielfach (etwa Phil 2,11; vgl. W. FOERSTER, κύριος, 1094). In der lukanischen Kindheitserzählung kommt die Vokabel κύριος erstaunliche 27x vor (Lk 1,6.9.11.15.16.17.25.28. 32.38.43.45.47.58.66.68.76; 2,9[2x].11.15.22.23[2x].24.26.39). Die relative Häufigkeit für x = κύριος liegt damit weit über dem Durchschnittswert des gesamten Neuen Testaments, was die folgende Statistik zu zeigen vermag:
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für den Herrscher dienen kann.284 Ebenso wird die Wendung παντὶ τῷ λαῷ jüdische Lesende an das Volk Israel denken lassen, welchem der erwartete Gesalbte die Befreiung bringen soll, während hellenistisch denkende Menschen hier den uneingeschränkten Einflussbereich des Herrschers beschrieben finden, den die Quellen zur Herrscherverehrung oft mit ganz ähnlichen Ausdrücken charakterisieren. Es hängt mithin einmal mehr von dem geistesgeschichtlichen Hintergrund ab, den die Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums mitbringen, auf welche Weise sie die Rede des Engels an die Hirten verstehen. Sowohl die jüdische Gesalbtenerwartung als auch die hellenistische Herrscherverehrung klingen hier so stark an, dass die Aussage sich vor beiden Hintergründen plausibel erklären lässt.
a(x) N h(x) [in ‰]
Paulus 188 24093 7,80
Mk 18 11304 1,59
Mt 80 18346 4,36
Lk 1,1–2,40 27 1839 14,68
Lk & Apg 211 37932 5,56
Joh 52 15635 3,33
NT ges. 719 138020 5,21
κύριος im Neuen Testament 16 14 12 10 8 6 4 2 0 Paulus
Mk
Mt
Lk 1,1– 2,40
Lk & Apg
Joh
NT ges.
Die außerordentliche Dichte von Vorkommen der Vokabel κύριος in Lk 1,1–2,40 macht es den Leserinnen und Lesern der Erzählung schwer, den einmal etablierten Gebrauch der Vokabel auszublenden, wenn diese ihnen bei ihrer Lektüre das nächste Mal begegnet. Das heißt: Weil die Kindheitserzählung des Lukasevangeliums die Bezeichnung κύριος bis zur Stelle Lk 2,11 bereits häufig eindeutig im Hinblick auf Gott benutzt hat, versteht die ideale Leserschaft auch das κύριος in Lk 2,11 als göttliche Prädikation. Nur solche Leserinnen und Leser, die sehr stark von der hellenistischen Herrscherverehrung her denken, interpretieren die Stelle im entsprechend anderen Sinne. In der bisherigen Erzählung Lk 1,1–2,10 bezieht sich die Bezeichnung κύριος an den folgenden Stellen deutlich auf Gott: 1,6.9.11.15.16.17.25.28.32.38.45.47.58.66.68.76; 2,9[2x]. D.h: die einzige Ausnahme ist Lk 1,43, wo das κύριος in Elisabets Munde auch bereits den dort noch ungeborenen Jesus bezeichnet – allerdings im Sinne einer göttlichen Prädikation. 284 Vgl. W. FOERSTER, κύριος, 1053–1054; R. PESCH, Weihnachtsevangelium, 106.
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Hellenistische Juden, denen beide Kontexte geläufig sind, empfinden die Worte des Engels vielleicht sogar als eine absichtliche Mischung, als eine Identifikation beider Gedankenkreise. In beiden Fällen jedoch, sowohl aus der Perspektive der Gesalbtenerwartung wie auch aus der Perspektive der Herrscherverehrung, schürt die Ansage des Engels massive politische Hoffnungen. Denn was Juden sich vom königlichen Gesalbten versprechen, das erhoffen Griechen sich vom idealen Herrscher: Politische Befreiung durch die Ausübung militärischer Macht285 zum Wohle des Volkes. Der Engel wendet also Prädikate auf den gerade geborenen Sohn Marias an, die sich sowohl vor einer jüdischen als auch vor einer hellenistischen geistesgeschichtlichen Enzyklopädie nur als königliche Prädikate verstehen lassen.286 Aber gleichzeitig wissen die Leserinnen und Leser der Erzählung, dass das gemeinte Kind in einer Futterkrippe liegt (2,7), deren Ambiente wenig königlich wirken muss.287 Der Kontrast mag einen komischen Effekt auf die Lesenden erzielen. Trotz dieses spannungsvollen Nebeneinanders konnten die Rezipientinnen und Rezipienten der Erzählung sich an die Engelserscheinungen mit dem politischen Ton ihrer Ankündigungen und die durch ihn hervorgerufenen Hoffnungen bereits gewöhnen, denn solches ist ihnen nun bereits mehrfach begegnet. Auf der Ebene der erzählten Welt allerdings sehen die Hirten sich soeben zum ersten Mal mit einer Engelserscheinung und mit der politischen Ankündigung im Munde des Engels konfrontiert. Selbstverständlich fällt es ihnen schwer, ihren Augen und Ohren zu trauen. Doch sie müssen anders als Zacharias gar nicht erst nachhaken und fragen τί γνώσομαι τοῦτο; (Lk 1,18). Der Engel beantwortet die Frage, die unausgesprochen im Raum steht, von selbst, indem er auch den Hirten ein Zeichen gibt.288 Wie schon Zacharias (Lk 1,20) und Maria (Lk 1,36) erhalten auch die Hirten einen Beleg dafür, dass das vom Engel Angekündigte der Wahrheit entspricht. Während Gabriel dem Zacharias und der Maria gegenüber die Beschreibung des Zeichens jeweils mit den Worten καὶ ἰδού begonnen hat, begegnet in Lukas 2,12 zum ersten Mal in der laufenden Erzählung das Stichwort σημεῖον. Das bestätigende Zeichen für die Hirten soll darin bestehen, dass sie ein in Windeln gewickeltes und in einer Krip285
Vgl. zu dem militärischen Motiv in der Hirten-Szene auch J.M. FORD, Zealotism, 289. Zur Verbindung von Vorstellungen in dieser Aussage vgl. auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 144–145; vgl. hierzu außerdem W. RADL, Evangelium, 115–116. Vgl. zu den auf die lukanische Jesus-Figur angewandten königlichen Prädikaten auch M. WOLTER, Hirten, 516–517. 287 Vgl. zu diesem Kontrast auch F. BOVON, Evangelium, 126–127; J. ERNST, Evangelium, 109; J.B. GREEN, Gospel, 135; R.E. BROWN, Birth, 676; R. EULENSTEIN, Menschen, 98; K. LÖNING, Geschichtswerk, 114; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 112. Vgl. hierzu außerdem F. BOVON, Geburt, 169; W. ECKEY, Lukasevangelium, 145–146; J.A. FITZMYER, Gospel, 395; R.A. HORSLEY, Liberation, 102. 288 Vgl. hierzu auch C. WESTERMANN, Elemente, 321. 286
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pe liegendes Neugeborenes vorfinden werden (V. 12). Aufgrund des Vorausgehenden können die Hirten diesen βρέφος nur mit dem vom Engel erwähnten σωτήρ und χριστός in Verbindung bringen, der folglich in der πόλις Δαυίδ zu finden sein muss.289 Doch noch bevor die Hirten Reaktionsmöglichkeiten in Erwägung ziehen können – ἐξαίφνης (V. 13) – taucht bei dem Engel das πλῆθος στρατιᾶς οὐρανίου auf, um für Gott ein Loblied anzustimmen. Zu der Verwendung des Ausdrucks στρατιά in Verbindung mit dem Adjektiv οὐράνιον findet sich zwar in der gesamten Septuaginta keine Parallele; jedoch begegnet dort mehrfach die Wendung στρατιὰ τοῦ οὐρανοῦ. Diese bezeichnet in der Regel metaphorisch die Menge der Sterne, die Gott erschaffen hat (Hos 13,4); einige Erzählungen handeln dann aber davon, dass die Menschen das Heer der Sterne personifizieren, um es anstelle ihres Schöpfers anzubeten (Jer 7,18; 8,2; 19,13; Zef 1,5; 2Chr 33,3.5),290 obwohl doch Gott als der Schöpfer die Verehrung verdient, welche ihm sogar das Himmelsheer zollt (2Esr 19,6). Stärker noch als die bisher genannten Stellen personifiziert 1Kön 22,19 die στρατιὰ τοῦ οὐρανοῦ: dort berichtet der Prophet Micha ben Jimla von seiner Vision, in der er Gott selbst auf einem Thron sitzen und das Heer des Himmels rechts und links neben dem Thron stehen sah. Hier verliert sich die Konnotation der στρατιὰ τοῦ οὐρανοῦ mit den Sternen; die Worte des Propheten lassen eher an himmlische Gestalten, also an Engelwesen denken. So erzählt ja auch die Vision Jesajas davon, wie der Prophet Gott auf seinem Thron sitzen sieht; der Thron ist von Seraphen umgeben, die Gott loben (Jes 6,1– 4), was ja nach 2Esr 19,6 auch die Aufgabe der als Sternenheer verstandenen στρατιὰ τοῦ οὐρανοῦ ist. Sowohl die Vision Michas (1Kön 22) als auch die Vision Jesajas (Jes 6) scheinen die Propheten in die himmlische Welt Gottes hinein zu versetzen. Da die ideale Leserschaft des Lukasevangeliums sich in der Septuaginta auskennt, dienen ihr die Visionen Michas und Jesajas als Interpretationshintergrund dessen, was ihr nun in 289 Die Leserschaft des Lukasevangeliums im ersten Jahrhundert n.Chr. mag die Rede von einem Retter und Gesalbten, der in einer Krippe liegt, eventuell als Paradoxie empfinden (vgl. hierzu auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 153; J.A. FITZMYER, Gospel, 410; G. SCHNEIDER, Evangelium, 65; vgl. hierzu ferner E. SCHWEIZER, Evangelium, 35; W. WIEFEL, Evangelium, 73). Alle Ankündigungen über den Sohn Marias im Verlauf der bisherigen Erzählung verkündigen diesen als eine königliche Figur. Zu einer solchen passt der Gedanke von der Krippe, die dem Kind anstelle eines Bettes als Schlafplatz dient, nur schwerlich. Kurz zuvor war ja noch vom Erlass des Kaisers die Rede. In diesem Gegenüber zwischen dem an die οἰκουμένη gerichteten δόγμα des Καῖσαρ Αὐγοῦστος (Lk 2,1) einerseits und der παντὶ τῷ λαῷ bestimmten χαρᾶ über die Geburt des χριστός und κύριος (Lk 2,10–11) andererseits sieht W. SCHMITHALS, Weihnachtsgeschichte, 286–287 den zentralen Kontrast der Szene. Ähnlich urteilen auch J.A. FITZMYER, Gospel, 397; W. GRUNDMANN, Geschichte, 392; L. LEGRAND, Caesar Augustus, 410; vgl. hierzu auch K.H. RENGSTORF, Evangelium, 41. Anders A. STIMPFLE, Hirten, 38. 290 So auch W. RADL, Ursprung, 182–183; vgl. hierzu auch DERS., Evangelium, 117.
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Lk 2,13–14 begegnet: Das Gott lobende πλῆθος στρατιᾶς οὐρανίου lässt die Lesenden an eine Menge von Gott lobenden Engeln denken.291 Mit den Hirten zusammen finden sich die Rezipientinnen und Rezipienten der Erzählung dadurch jedoch in die himmlische Welt hinein versetzt, denn diese ist der Ort, an den die στρατιὰ τοῦ οὐρανοῦ nach 1Kön 22 gehört. Schon dreimal ist im Verlauf der Erzählung Lk 1–2 die Schranke zwischen himmlischer und irdischer Welt durchbrochen worden, indem ein Engel als Bote Gottes vor Zacharias (Lk 1,11–20), Maria (Lk 1,26–38) und den Hirten (Lk 2,9–13) erschienen ist. Der Treffpunkt, an dem die beiden Sphären sich begegneten, lag dabei allerdings jeweils im Bereich der irdischen Welt. Jetzt jedoch verschwimmt die Grenze regelrecht. Zwar lokalisiert Lk 2,13 die himmlischen Heere bei dem Engel – σὺν τῷ ἀγγέλῳ. Aber dadurch dass hier nun das Himmelsheer auftritt und Gott lobt, was der biblischen Tradition nach im Himmel geschieht,292 vermischen sich einen Moment lang die für gewöhnlich verschiedenen Sphären.293 Das Gotteslob des πλῆθος στρατιᾶς οὐρανίου ist nach den Regeln hebräischer Versdichtung gestaltet:294 δόξα ἐν ὑψίστοις θεῷ καὶ ἐπὶ γῆς εἰρήνη ἐν ἀνθρώποις εὐδοκίας (V. 14).295 291
Vgl. hierzu auch R.E. BROWN, Birth, 425–426; C. WESTERMANN, Elemente, 323–324. Dennoch halte ich die Vorstellung von einer Menge lobsingender Sterne nicht für gänzlich unplausibel. Auch in 1Kön 22,19 ist es – gerade unter Berücksichtigung von 2Esr 19,6 – m.E. möglich, die στρατιὰ τοῦ οὐρανοῦ als eine Menge von Sternen zu verstehen. 292 C. WESTERMANN, Elemente, 323–324 rückt die bei Lukas beschriebene Szene mit den singenden himmlischen Heerscharen in die Nähe der Vision Jesajas, in welcher der Prophet vor Gottes Thron steht, während die den Thron umgebenden Seraphim singen: ἅγιος ἅγιος ἅγιος κύριος σαβαωθ, πλήρης πᾶσα ἡ γῆ τῆς δόξης αὐτοῦ (Jes 6,3). Vgl. zur Ähnlichkeit zwischen dem Gotteslob der Seraphim in Jes 6 und dem Gotteslob der Himmelsheere in Lk 2 auch D. FLUSSER, Sanctus, 151–152. 293 Ganz ähnlich auch F. BOVON, Evangelium, 127; W. ECKEY, Lukasevangelium, 146. Anders akzentuiert E. SCHWEIZER, Evangelium, 34. 294 S.o. Punkt 1.2.1. 295 Eine textkritische Diskussion durchzieht die Forschung zu dieser Stelle (vgl. J. WOBBE, Gloria, 119). Denn neben der besser bezeugten Lesart des Genitivs εὐδοκίας sprechen einige Textzeugen auch für den Nominativ εὐδοκία (vgl. J. WOBBE, Gloria, 121). Die zweite, weniger gut bezeugte Lesart erhält in manchen Studien den Vorzug, da sie einen schlüssigeren Sinn zu ergeben scheint, weil sich literarische Parallelen zu dem Ausdruck ἄνθρωποι εὐδοκίας gar nicht oder nur selten finden (vgl. dazu R.E. BROWN, Birth, 405; C.-H. HUNZINGER, Licht, 88; DERS., Beleg, 130; E. VOGT, Peace, 114 nennen hebräische Parallelen aus den Qumranschriften). Ich entscheide hier zugunsten der lectio difficilior für den Genitiv (vgl. J. WOBBE, Gloria, 123; vgl. hierzu auch P.-R. BERGER, Lk 2,14, 144; J. JEREMIAS, ἄνθρωποι εὐδοκίας, 14; anders D. FLUSSER, Sanctus, 129; R.S. KILPATRICK, Syntax, 475). Es ergibt sich damit ein zweigliedriger Parallelismus, während eine Entscheidung zugunsten des Nominativs eine dreigliedrige Einteilung gefordert hätte. Im Rahmen dieser Diskussion nimmt G. SCHWARZ, ἄνθρωποι, 137 gar an, das Element εὐδοκίας sei
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Der Vers wirkt wie ein Chorschluss oder wie eine Antwort auf das zuvor vom Engel Verkündete: Angesichts der politischen Befreiung, die in den Augen der Lesenden nach den Worten des Engels bevorsteht, loben die himmlischen Heere zunächst einmal Gott mit den Worten δόξα ἐν ὑψίστοις θεῷ. Einmal mehr betont die Erzählung auf diese Weise, dass Gott es ist, der all das Gute bewirkt, das den Menschen hier zuteil wird.296 Die politische Hoffnung auf einen idealen Herrscher basiert auf der Hoffnung auf Gott. Der zweite Halbvers bündelt den positiven Effekt, den das Gotteshandeln für die Menschen nach sich zieht: ἐπὶ γῆς εἰρήνη ἐν ἀνθρώποις εὐδοκίας. Schon am Ende von Zacharias’ Gotteslob war das Stichwort εἰρήνη aufgetaucht (Lk 1,79). Hier wie dort bringt es das Ziel der politischen Befreiung, die Gott wirkt, auf den Punkt.297 Aus dem Gegenüber zwischen den Hirten auf der einen und dem himmlischen Heer auf der anderen Seite ergibt sich ein interessanter Kontrast. Stellt die Erscheinung eines einzelnen Engels vor einfachen Menschen auf dem Hintergrund der hebräischen Bibel noch nichts völlig Außergewöhnliches dar, so bleiben Begegnungen mit dem Himmelsheer doch auch schon in der hebräischen biblischen Tradition selten genug. Mit einer solchen Begegnung sehen sich nun aber unvermittelt die der Leserschaft zuvor völlig unbekannten Hirten aus der Bethlehemer Gegend298 konfrontiert.299 Der Unterschied zwischen himmlischer und irdischer Welt könnte größer kaum sein. Die Erzählung bemüht sich durch die Verwendung des Wortes πλῆθος, die Größe des Himmelsheeres zu demonstrieren. Ihm gegenüber stehen namenlose Hirten als Vertreter des Irdischen, Angehörige des einfa-
in Lk 2,14 sekundär; ursprünglich habe der Vers gelautet: δόξα θεῷ ἐν ὑψίστοις καὶ εἰρήνη ἀνθρωποις ἐπὶ γῆς. 296 Als Objekt der εὐδοκία Gottes kann die ideale Leserschaft hier leicht sich selbst verstehen. Zum Verständnis der εὐδοκία in Lk 2,14 vgl. auch R. EULENSTEIN, Menschen, 103; J. WOBBE, Gloria, 148. 297 Zu den politischen Implikationen der Aussage der Himmelsheere vgl. auch W. RADL, Ursprung, 179; J. WOBBE, Gloria, 240–241. M. DIBELIUS, Jungfrauensohn, 63 sieht in den Worten eine „messianische Akklamation“. 298 Aufgrund von sprachlichen Untersuchungen der Verwendung von διέρχομαι ἕως in den lukanischen Schriften kommt CH. BURCHARD, Fußnoten, 145–146 zu der Ansicht, die genannten Hirten hätten auf ihrem Weg zur Krippe einen vergleichsweise weiten Weg zurückgelegt. M.E. reichen die insgesamt zwei weiteren lukanischen Belegstellen jedoch nicht aus, um in dieser Frage ein eindeutiges Urteil zu fällen, zumal διέρχομαι sich im Neuen Testament durchaus auch auf eine Reise über kürzere Distanz beziehen kann, was freilich auch Burchard nicht verborgen bleibt (ebd. 145). 299 Das Auftreten von Hirten an dieser Stelle der lukanischen Erzählung hat viele Wissenschaftler dazu herausgefordert, Theorien über die hiesige symbolische Funktion der Hirten aufzustellen (vgl. A. STIMPFLE, Hirten, 30–31). R.E. BROWN, Birth, 421 nimmt einen Midrasch zu Gen 35,19 und Mi 5,1 an (zur Midrasch-artigen Aufnahme von Mi 5,1 in Lk 2 vgl. auch J.D.M. DERRETT, Light, 85–86).
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chen Volkes, der unteren sozialen Schicht.300 Gerade sie dürfen nun die Aufhebung der Grenze zwischen Himmel und Erde miterleben. Die Differenz301 erzielt eine komische Wirkung auf Rezipientinnen und Rezipienten.302 Es folgt eine deutliche Zäsur innerhalb der Szene. Nicht nur die Verwendung des Schlüsselworts ἐγένετο (V. 15) zeigt dies an, sondern auch der Ortswechsel und der mit ihm verbundene Wechsel der Personenkonstellation. Die Hirten beschließen, nach Bethlehem zu laufen, um dem σημεῖον auf den Grund zu gehen (V. 15); dort treffen sie auf Maria, Josef und den Säugling (V. 16). Mit Vers 15 lichten sich einige der Unklarheiten, die Vers 13 mit sich gebracht hatte. Die Engel verlassen die Hirten gen Himmel – ἀπῆλθον ἀπ' αὐτῶν εἰς τὸν οὐρανὸν οἱ ἄγγελοι. Mit dem Plural οἱ ἄγγελοι definiert diese Aussage nachträglich, dass die Erzählung mit der Formulierung πλῆθος στρατιᾶς οὐρανίου tatsächlich eine Menge von Engelswesen beschreiben wollte. Und indem diese die Hirten εἰς τὸν οὐρανόν verlassen, spielt die Szene hier nun wieder ganz und gar auf irdischem Terrain; die nebelhafte Verschmelzung zwischen Himmel und Erde bestand nur für einen Augenblick.303
300 Zum sozialen Status der Hirten vgl. H.-G. GRADL, Arm und Reich, 12. Vgl. hierzu auch J.R. DONAHUE, Decades, 133; J. ERNST, Evangelium, 107; J.B. GREEN, Gospel, 121.130–131; W. GRUNDMANN, Geschichte, 391; H.J. HOLTZMANN, Synoptiker, 43; R.A. HORSLEY, Liberation, 103–104; E. KRAFFT, Vorgeschichten, 221; K. LÖNING, Geschichtswerk, 114–115; R.E. BROWN, Birth, 673; anders W. SCHMITHALS, Weihnachtsgeschichte, 285. Weder die lukanische Erzählung selbst noch andere zeitgenössische Quellen legen es jedoch nahe, die Hirten hier als eine Gruppe von kriminellen, verachteten und besonders vertrauens-unwürdigen Personen zu betrachten (so auch R.A. HORSLEY, Liberation, 102–103; W. SCHMITHALS, Weihnachtsgeschichte, 285; anders R. EULENSTEIN, Menschen, 97; W. GRUNDMANN, Evangelium, 81; K.H. RENGSTORF, Evangelium, 4–5). Eine ausgesprochen positive Bewertung des Hirtenstandes findet sich bei J.D.M. DERRETT, Manger, 89; W. SCHMITHALS, Weihnachtsgeschichte, 285. 301 Zu dem Kontrast zwischen Hirten und Himmelsheeren vgl. auch W. SCHMITHALS, Weihnachtsgeschichte, 281–282; vgl. dazu außerdem W. ECKEY, Lukasevangelium, 142. 302 Zwar lässt sich das Erscheinen von Hirten an dieser Stelle der Erzählung möglicherweise dadurch erklären, dass gerade ein Davidide geboren wurde und die Hirten in Verbindung zur Davids-Tradition stehen, da David selbst Hirte war, bevor er zum König aufstieg (eine solche Ansicht vertreten R. DILLMANN, Kindheitsgeschichte, 86; J.A. FITZMYER, Gospel, 395; R. PESCH, Weihnachtsevangelium, 113; G. SCHNEIDER, Evangelium, 65; ähnlich auch E. NESTLE, Hirten, 258; dagegen R.A. HORSLEY, Liberation, 102). Auch lässt sich eventuell das Auftreten von Hirten als ein mehrfach bezeugtes Motiv in hellenistisch-römischen Erzählungen von der Geburt bedeutender Männer plausibel machen (vgl. F. BOVON, Evangelium, 123; M. WOLTER, Hirten, 512.516). Manche Exegeten nehmen auch an, es handle sich bei den hier auftretenden Hirten schlicht um die Personen, die zu dem Stall gehören, in welchem Maria gerade ihren Sohn geboren hat (so z.B. M. DIBELIUS, Jungfrauensohn, 59.65; J. JEREMIAS, ποιμήν, 490). So oder so bleibt dabei aber der beschriebene Kontrast bestehen. 303 Zur Nachträglichkeit dieser Erkenntnis vgl. auch F. BOVON, Evangelium, 130.
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Wieder unter sich beratschlagen die Hirten darüber, was nun zu tun sei. Das ῥῆμα τοῦτο, das sie sehen wollen, bezieht sich auf das σημεῖον zurück, von welchem der Engel zu ihnen gesprochen hat. Die Bestätigung kommt nicht von selbst zu den Hirten, sondern wie bereits Maria (Lk 1,39) müssen sie sich in Bewegung setzen, um sich von dem zu überzeugen, was der Engel gesagt hat (Lk 2,15). Hier liegt also eine sehr ähnliche Dynamik vor wie in der Szene von der Begegnung zwischen Maria und dem Engel und der dort stattfindenden Bestätigung des Angekündigten: Zunächst heißt es in der Erzählung beinahe wörtlich übereinstimmend ἀπῆλθεν ἀπ' αὐτῆς ὁ ἄγγελος (Lk 1,38) bzw. ἀπῆλθον ἀπ' αὐτῶν ... οἱ ἄγγελοι (Lk 2,15), und umgehend machen Maria (Lk 1,39) bzw. die Hirten (Lk 2,15) sich auf den Weg, um zu sehen, ob das stimmt, was der Engel behauptet hat. In beiden Fällen setzt die unmittelbare Aktion der Angesprochenen ein gewisses Maß an Vertrauen auf die Worte des Engels bereits voraus.304 Und in beiden Fällen wird dieses Vertrauen belohnt. Die Leserschaft ist den Hirten an diesem Punkt einen Schritt voraus, denn sie weiß schon, dass tatsächlich ein Säugling in der Krippe liegt (Lk 2,7). Doch auf der Ebene der Erzählung können jetzt auch die Hirten sich von dieser Tatsache überzeugen:305 Sie finden bei Maria und Josef das Kind in der Krippe vor (V. 16). Offenkundig bereitet ihnen das Auffinden des Säuglings in der Krippe trotz der vagen Ortsangabe in der Rede des Engels (V. 11) keine Mühe. Die in den Versen 15 und 16 vorkommenden Verbformen veranschaulichen deutlich den Prozess, der die Hirten von der erhofften zu der tatsächlich stattfindenden Bestätigung führt: Auf den konjunktivischen Vorsatz διέλθωμεν ... καὶ ἴδωμεν (V. 15) respondieren die Indikative ἦλθαν ... καὶ ἀνεῦραν (V. 16). Einmal mehr ist eine Ankündigung des Engels also in Erfüllung gegangen: So wie angekündigt, finden die Hirten den Säugling in der Krippe vor. Weiterhin unerfüllt bleiben jedoch die Aussagen des Engels über die Rolle des Kindes, das einst politische Bedeutsamkeit erlangen werde. Aber die Hirten sind offenkundig geneigt, diese noch ausstehende Ansage zusammen mit dem überprüften σημεῖον als Tatsache, als Wahrheit zu akzeptieren. Sie schlussfolgern a
304 Auch M. COLERIDGE, Birth, 146 sieht die Ähnlichkeit im Handlungsverlauf beider Szenen. Allerdings akzentuiert er m.E. zu stark den Glauben sowohl Marias als auch der Hirten. Die idealen Lesenden verlangt es nach Bestätigung, denn die erstaunlichsten unter den ergangenen Ankündigungen sind noch nicht in Erfüllung gegangen, nämlich insbes. die Worte über die künftige Rolle des lukanischen Jesus. In dieser erwartenden Haltung lesen die Rezipientinnen und Rezipienten nun die Erzählung vom Aufbruch der Hirten, die sie vor dem Hintergrund ihres eigenen Wunsches naheliegend als eine Aktivität verstehen, welche dem Zweck dient, sich von dem σημεῖον mit eigenen Augen zu überzeugen. 305 Vgl. hierzu auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 153.
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minore ad maius. Ihr Vertrauen lädt die Leserinnen und Leser dazu ein, sich innerlich entsprechend zu verhalten. Aufgrund ihres Vertrauens in die Aussage des Engels über die Rolle des Kindes geben die Hirten dieses ρῆμα nun unter Menschen bekannt (V. 17).306 Die Hörenden reagieren darauf staunend – ἐθαύμασαν (V. 18). Dies macht es wahrscheinlich, dass die Erzählung das ρῆμα (V. 17) nicht einfach nur mit dem σημεῖον (V. 12) und dessen Bestätigung (V. 16) identifiziert wissen möchte, als lautete die Botschaft der Hirten an ihre Mitmenschen schlicht: „Wir haben ein Kind in der Krippe vorgefunden, so wie es uns der Engel angekündigt hatte.“ Nein, sondern die Hörenden geraten gerade darum in Verwunderung, weil die Hirten die Nachricht von dem Neugeborenen in der Krippe genau wie der Engel (V. 10–12) mit Aussagen über die zukünftige Rolle dieses Kindes verbinden.307 Die Mutter des Kindes, Maria, nimmt dem allen gegenüber eine eher nachdenkliche und introvertierte Haltung ein, indem sie die Ereignisse – τὰ ῥήματα – in ihrem Herzen aufbewahrt (V. 19).308 Die Hirten auf der anderen Seite verkörpern eine extrovertierte und ausgelassene Reaktionsweise: sie loben Gott. Mit der rhetorischen Figur des sog. Hendiadioyn – δοξάζοντες καὶ αἰνοῦντες τὸν θεόν (V. 20)309 – verstärkt die Erzählung die Intensität der 306
Sie werden dadurch nun ihrerseits zu Boten der zuvor empfangenen Nachricht (vgl. H. KLEIN, Lukasevangelium, 140). 307 Ähnlich auch M. COLERIDGE, Birth, 148. Vgl. hierzu außerdem K.A. KUHN, Beginning, 247; Kuhn stellt eine Verbindung zwischen der hier beschriebenen Tätigkeit der Hirten und der Funktion der in Lk 1,1–4 erwähnten αὐτόπται her. Vgl. in diesem Zusammenhang ferner J.B. GREEN, Gospel, 138. Außerdem hat die Erzählung das Stichwort θαυμάζω nun bereits mehrfach verwendet. In den beiden vorausgehenden Fällen Lk 1,21 und Lk 1,63 besteht die Tätigkeit des Sich-Wunderns eher in einem Nicht-Verstehen eines Ereignisses, dessen Kontext die SichWundernden nicht einsehen können, und nicht so sehr in einer Ungläubigkeit angesichts der Größe des vorausgegangenen Ereignisses. Im Gefolge dieser Aussagen lässt sich auch Lk 2,18 alternativ so interpretieren, als rührte die Verwunderung der Hörenden daraus, dass diese die Aussage der Hirten kontextuell gar nicht nachvollziehen können (ähnlich auch J.B. GREEN, Gospel, 138; anders H. KLEIN, Lukasevangelium, 140). W. Schmithals weist auf die Textpragmatik der Szene hin. Mit der Wendung καθὼς ἐλαλήθη πρὸς αὐτούς (Lk 2,20), die die Szene beschließt, ruft die Erzählung ihren Leserinnen und Lesern die Botschaft der Hirten, welche diese von dem Engel empfangen haben, erneut ins Gedächtnis. Die Lesenden werden dadurch selbst zu Angesprochenen (vgl. W. SCHMITHALS, Weihnachtsgeschichte, 297). 308 Wenn W.C. V. UNNIK (Bedeutung, 90–91) mit seinen philologischen Erwägungen zu dem Gebrauch der Vokabel συμβάλλω Recht hat und diese hier ein richtig verstehendes Überlegen bezeichnet, dann steht die Figur der Maria an dieser Stelle in einem Kontrastverhältnis zu der sich wundernden Menge, die das von den Hirten Ausgesagte gerade nicht zutreffend einordnen kann. In dieser Weise unterbreitet die Erzählung ihrer idealen Leserschaft ein erneutes IdentifikationsAngebot, indem sie ihnen die wünschenswerte Reaktion auf die vorausgehende Verkündigung demonstriert. 309 Wie zuvor die Engel loben nun die Hirten Gott (vgl. E. SCHWEIZER, Aufbau, 18). Die Verwendung des Verbums δοξάζω (V. 20) stellt dabei eine lexikalische Rückverbindung zu den Engelsworten her, in deren Kontext zweimal das Nomen δόξα vorgekommen ist (VV. 9.14).
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Handlung auf Seiten der Hirten und damit den Eindruck der Ausgelassenheit, den diese erwecken. Hier zeigt es sich erneut: Die Figuren auf der Ebene der Erzählung nehmen keine Trennung zwischen dem vom Engel gegebenen σημεῖον und den Aussagen über die Rolle des Jesuskindes vor. Im selben Moment, in dem das Zeichen sich als wahrheitsgemäß erweist, können sie auch das noch Ausstehende als Wahrheit annehmen. Sowohl die in sich gekehrte Maria als auch die ausgelassenen Hirten reagieren auf diesen Sachverhalt. Einmal mehr ist es dabei Gott selbst, der den Lobpreis empfängt (wie z.B. schon Lk 1,46–47.68; 2,14). In Gott – und nicht etwa in dem Säugling, der in der Krippe liegt – erblicken die Hirten den Urheber aller Errettung, die sie sich von den zukünftigen Taten Jesu erwarten. Im Anschluss an die Hirten rückt die Erzählung das Neugeborene in den Mittelpunkt des Geschehens. Vers 21 bildet gegenüber dem Vorausgehenden und gegenüber dem Folgenden eine kleine selbstständige Einheit: Acht Tage nach der Geburt wird Jesus vorschriftsmäßig beschnitten und empfängt bei diesem Anlass – wie zuvor bereits der Säugling Johannes (Lk 1,59–60) – seinen Namen (Lk 2,21). Diese Geste führt den Lesenden nicht nur vor Augen, dass die Eltern sich an die Gebote des Gottesvolks halten, welche ihren Ursprung im Bundesschluss Gottes mit Abraham nehmen (Gen 17,9–14; vgl. auch Lev 12,3).310 Vielmehr spiegelt sich in der Namensgebung auch der elterliche Gehorsam und das Vertrauen gegenüber der Anweisung des Engels, das Kind Jesus zu nennen (Lk 1,31).311 Auf diese Weise geht erneut ein weiterer Bestandteil aus den Ankündigungen, die Gabriel Maria gegenüber geäußert hat, in Erfüllung. Mehr und mehr können die Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums feststellen, dass die Ankündigungen eintreffen. Mehr und mehr kann diese Feststellung ihr Vertrauen darauf stärken, dass auch die noch unerfüllten Ankündigungen sich tatsächlich verwirklichen werden. 2.2.8 Die Ereignisse im Jerusalemer Tempel (2,22–40) Die Wendung ὅτε ἐπλήσθησαν αἱ ἡμέραι (Lk 2,22) schafft sodann einen zeitlichen Neueinsatz. Eine neue Szene beginnt; sie spielt an einem anderen Ort, nämlich in Jerusalem (V. 22). Wie es die mosaischen Gesetze fordern, will die junge Familie dort ein Opfer darbringen – δοῦναι θυσίαν (V. 24). Folglich bildet der Tempel den Schauplatz für die Szene, auch wenn dieser erst im Vers 27 explizit genannt wird. Auch die handelnden Personen stellt die Erzählung ihrer Leserschaft zunächst nicht namentlich vor. Die Rezi310 311
So auch J. JERVELL, Beschneidung, 73.75–76. So auch M. COLERIDGE, Birth, 154.
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pientinnen und Rezipienten müssen sich erst einmal mit dem Hinweis begnügen, dass es sich um den καθαρισμός αὐτῶν handelt, aufgrund dessen hier Menschen nach Jerusalem reisen. Das Pronomen αὐτῶν zeigt an, dass mehrere Menschen an der Reise beteiligt sind. Das Stichwort καθαρισμός weist dabei auf die im Gesetz festgelegten Reinheitsvorschriften hin. Solche Leserinnen und Leser, die die jüdische Tradition kennen, denken hier bereits an das Schriftwort, das eine junge Mutter während einer bestimmten Zeitspanne nach der Geburt für unrein erklärt (Lev 12).312 Doch die Erzählung benennt nun eine andere Schriftstelle aus dem Gesetz, die besagt ὅτι πᾶν ἄρσεν διανοῖγον μήτραν ἅγιον τῷ κυρίῳ κληθήσεται (V. 23). Als Begründung für den besonderen Status aller erstgeborenen Tiere und Menschen argumentiert die Schriftstelle Ex 13,1–16, welche in Lk 2,23 zitiert wird, mit der Flucht des Volkes Israel aus Ägypten. Dort hat der Tod aller Erstgeborenen durch Gottes Macht als ausschlaggebender Impuls Israel den Exodus ermöglicht. Aus diesem Grund erhebt Gott nun auch einen besonderen Anspruch auf alle Erstgeburten in Israel: Erstgeborene Tiere sollen geopfert, erstgeborene Menschen durch ein ersatzweises Opfer ausgelöst werden. So erklärt sich für die Leserschaft der Gebrauch von αὐτῶν in Vers 22: Es geht hier also nicht nur um das Opfer zur Bestätigung der Reinigung der jungen Mutter Maria sondern auch um das Ersatzopfer zur Auslösung ihres erstgeborenen Sohnes.313 Doch auch den ersten dieser beiden Punkte macht die Erzählung nun deutlich zum Thema, indem sie die Vorschrift zum Opfer zweier Tauben zitiert (V. 24). Diese findet sich in der Septuaginta zwar verschiedentlich als Beschreibung des Sünd- (Lev 5,7) oder Reinigungsopfers. Doch da es sich in der Erzählung Lukas 1–2 nach all dem, was die Leserschaft weiß, nicht um die Reinigung eines ehemals Aussätzigen (Lev 14,22), eines Mannes nach vorübergegangenem Ausfluss (Lev 15,14.29) oder um die Reinigung eines Nasiräers nach erfülltem Gelübde (Num 6,10) handeln kann, kommt als Referenz nur die Vorgabe aus Lev 12 in Betracht: Diese Stelle erklärt eine Mutter für sieben Tage nach der Geburt eines Sohnes oder für zwei Wochen nach der Geburt einer Tochter für unrein. Anschließend soll sie als Bestätigung ihrer Reinigung ein Opfer darbringen. Lk 2,24 will also als Zitat aus Lev 12,8 verstanden werden, wo es heißt: δύο τρυγόνας ἢ δύο 312
Anders M. MIYOSHI, Darstellung, 101. Miyoshi stellt sich als kultischen Hintergrund der Szene die Reinigung eines Nasiräers vor (dagegen H. KLEIN, Lukasevangelium, 144). Im vorliegenden Kontext ist m.E. jedoch die oben vertretene Sichtweise die plausiblere. 313 So auch TH. ZAHN, Evangelium, 149–150; vgl. hierzu auch J. KREMER, Lukasevangelium, 39–40; P. POKORNÝ, Theologie, 52–53; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 122. Aufgrund der empfundenen Spannung zwischen den beiden Motiven von Reinigung der Mutter einerseits und Auslösung der Erstgeburt andererseits behilft M. RESE, Motive, S.142 sich mit einer kompositionsgeschichtlichen Hypothese.
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νεοσσοὺς περιστερῶν. Nur diese Stelle kann aus der Perspektive der Leserschaft im ersten Jahrhundert n.Chr. als plausibler Hintergrund für die Szene im Jerusalemer Tempel (Lk 2,22–40) dienen. Interessanterweise kennzeichnet die Referenz auf Lev 12,8 die Eltern Jesu erneut als arme Leute,314 nachdem Maria sich ja bereits in ihrem Gotteslob mit den ταπεινοί (Lk 1,48.52–53) identifiziert hat. Denn das Opfer zweier Tauben sieht Lev 12,8 nur als Ausnahme vor. Normalerweise soll ein Lamm geopfert werden; nur solche Menschen, die sich dieses Opfer nicht leisten können, dürfen stattdessen zu zwei Tauben greifen. Nachdem nun die Bezugnahmen auf das Gesetz den Rahmen für den Besuch Marias und Jesu – mutmaßlich in Begleitung Josefs – in Jerusalem abgesteckt haben, beginnt nach einer Zäsur die eigentliche Handlung der Szene: Eine noch unbekannte Figur betritt die Bühne vor dem inneren Auge der Leserschaft. Die Adressatinnen und Adressaten lernen diese als einen frommen Mann namens Simeon kennen (V. 25). Ähnlich wie Zacharias und Elisabet (Lk 1,6) es erhalten, erhält auch Simeon hier das Prädikat δίκαιος. Außerdem taucht im Zusammenhang mit Simeon das Motiv des Heiligen Geistes ein weiteres Mal auf: sogar sehr nachhaltig, da der Text gleich dreimal hintereinander vom πνεῦμα ἅγιον (Lk 2,25.26) oder einfach vom πνεῦμα (V. 27) als von einem Moment spricht, welches das Leben Simeons entscheidend bestimmt. Die Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums wissen nun bereits, dass sie von einer Figur, in welcher der Heilige Geist wirksam ist, bedeutsame Äußerungen erwarten dürfen. Denn auch schon Elisabet (Lk 1,41–45) und Zacharias (Lk 1,67–79) haben unter dem Einfluss des πνεῦμα ἅγιον Erstaunliches über die künftige Rettung Israels ausgesprochen.315 Simeon nun hat vom Heiligen Geist erfahren, er werde den χριστός, also den erwarteten Gesalbten zu Gesicht bekommen, noch bevor er den Tod zu Gesicht bekommen werde (Lk 2,26). Wenn die Erzählung der Leserschaft sofort im Anschluss an diese Aussage mitteilt, durch den Geist – ἐν τῷ πνεύματι (V. 27) – habe sich Simeon nun in den Tempel begeben, muss diese nun eine kausale Verbindung zwischen dem Ersten und dem Zweiten herstellen: Wenn der Geist Simeon angekündigt hat, er werde den Gesalbten sehen, und wenn derselbe Geist Simeon in den Tempel führt, so liegt es aus dem Blickwinkel der Lesenden nahe, beides final miteinander zu verknüpfen und folglich zu interpretieren: Der Geist führt Simeon in den Tem314
So auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 158; W. GRUNDMANN, Geschichte, 395; W. WIEFEL, Evangelium, 79. 315 In seiner Untersuchung über den Heiligen Geist in Lukasevangelium und Apostelgeschichte beobachtet auch H. v. Baer die Rolle, welche der Heilige Geist in den lukanischen Schriften im Hinblick auf die Verkündigung des von Gott her Gewirkten spielt (H. V. BAER, Geist, 3). Vgl. zur Rolle des Heiligen Geistes auch U. LUCK, Kerygma, 104–105; W.B. TATUM, Zeit, 319–320.
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pel, damit er den Gesalbten dort treffen kann. Dass diese Unternehmung eine große Aussicht auf Erfolg besitzt, wissen die Lesenden ebenso bereits. Denn ihrer Kenntnis nach befindet sich Jesus im Tempel, wo seine Eltern die vorgeschriebenen Opfer darbringen; und diesen Säugling Jesus haben verschiedene Figuren auf der Ebene der Erzählung schon als χριστός propagiert – am deutlichsten der Engel in Lk 2,11. Das Zusammenspiel dieser Beobachtungen erhärtet das Vertrauen der Leserschaft zu solchen Aussagen, die ein menschlicher Mund durch das Wirken des Heiligen Geistes ausspricht. Im Lichte der Tatsache, dass der Heilige Geist in Lk 2,27 den Simeon offenbar zu Recht in den Tempel führt, um ihm dort den χριστός zu zeigen, erhalten auch die vom Heiligen Geist veranlassten Reden der Elisabet (Lk 1,41–45) und des Zacharias (Lk 1,67–79) retrospektiv ein Plus an Gewicht. Und so, wie die Leserinnen und Leser es erwarten, geschieht es in der Erzählung nun auch: Als die Eltern, die erst hier in der laufenden Szene genannt werden, mit ihrem kürzlich geborenen Sohn in den Tempel eintreten, erblickt Simeon sie (Lk 2,27); er nimmt das Kind in die Arme und beginnt Gott zu loben (V. 28). Denn offenkundig ist er davon überzeugt, in dem Säugling wirklich dem χριστός zu begegnen, wie der Heilige Geist es ihm angekündigt hat. Wieder einmal entfaltet sich hier damit das Wechselspiel zwischen Ankündigung (V. 26) und Bestätigung (V. 27–28), ohne dass dabei letztlich geklärt wäre, ob es sich bei dem Kind, das Simeon im Arm hält, tatsächlich um den χριστός handelt. Die Figur Simeon auf der Ebene der Erzählung vertraut darauf, dass der Heilige Geist, wenn er ihn schon zielsicher im Tempel mit dem Kind zusammenführen kann, auch im Hinblick auf die zukünftige Rolle dieses Kindes die Wahrheit angekündigt haben wird. Das Vertrauen, welches Simeon innerhalb der Erzählung dem Heiligen Geist entgegenbringt, lädt die Lesenden dazu ein, nicht nur der Ankündigung des Heiligen Geistes zu glauben, die das Kind Marias und Josefs als den Gesalbten deklariert, sondern auch den bereits zurückliegenden durch den Heiligen Geist gewirkten Aussagen zu vertrauen (Lk 1,41– 45.67–79). Simeons versförmiges Lob richtet sich an die Adresse Gottes (V. 28), wie es auch schon in den Worten Marias (Lk 1,46–47), Zacharias’ (Lk 1,68) und der Engel (Lk 2,14) der Fall gewesen ist. Sie alle erblicken in Gott selbst den Urheber all der zukünftigen Wohltaten, von denen sie reden. Die Kombination aus Geste und Worten Simeons bekräftigt den Lesenden noch einmal ihre Vermutung, dass Simeon das Kind wirklich als den erwarteten Gesalbten betrachtet: εἶδον οἱ οφθαλμοί μου τὸ σωτήριόν σου (V. 30). Auf dem Hintergrund der Gesalbtenerwartung des Judentums verstanden bewegen die Aussagen, welche Simeon über das Kind trifft, sich ganz im Rahmen dessen, was man sich von einem solchen idealen König erwartet: Frie-
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den (V. 29: εἰρήνη)316 und Errettung (V. 30: σωτήριον) zum Wohle des gesamten Volkes Israel (V. 32: εἰς ... δόξαν λαοῦ σου Ἰσραήλ). Diese Gaben Gottes wirken sich allerdings auch auf alle anderen Völker positiv aus (V. 31–32a: ὃ ἡτοίμασας κατὰ πρόσωπον πάντων τῶν λαῶν, φῶς εἰς ἀποκάλυψιν ἐθνῶν).317 Doch nicht nur vor dem jüdischen Hintergrund sondern auch vor dem Hintergrund der hellenistischen Herrscherverehrung können die Leserinnen und Leser des ersten Jahrhunderts die Worte Simeons plausibel deuten. Frieden (V. 29) zugunsten aller Völker (V. 31) erhofft man sich auch dort von dem idealen und verehrungswürdigen Herrscher. Auch die Bezeichnung des Jesuskindes als einer Person, die das Heil herbeiführt, als σωτήριον (V. 30), können die Lesenden leicht mit dem Ehrennamen σωτήρ in Verbindung bringen, den die römischen Kaiser führen. Je nach ihrer Prägung und nach den verschiedenen durch die bisherige Erzählung geweckten Erwartungen interpretieren die zeitgenössischen Rezipientinnen und Rezipienten des Lukasevangeliums nun also auch die Rede Simeons. Für die einen weist diese Rede auf den königlichen Gesalbten hin, für die anderen auf den idealen hellenistischen Herrscher. Sowohl für stärker jüdisch geprägte sowie auch für stärker hellenistisch geprägte Lesende bestätigt das Wahrgenommene so jedoch die bereits vorhandenen Erwartungen politischer Befreiung, die sich für sie mit der Figur des Säuglings Jesus verbinden. Mit den Worten κατὰ τὸ ῥῆμά σου (V. 29) spricht Simeon aus, dass er in seiner Begegnung mit dem Säugling Gottes Wort als erfüllt betrachtet, und 316 Vers 29 lautet: νῦν ἀπολύεις τὸν δοῦλόν σου, δέσποτα, κατὰ τὸ ῥῆμά σου ἐν εἰρήνῃ. Diese Aussage lässt sich einerseits so deuten, dass Simeon nun, nachdem er in dem Kind den χριστός erblickt hat, zufrieden (ἐν εἰρήνῃ) sterben (ἀπολύεις) zu können meint, weil sich die Ankündigung des Heiligen Geistes (V. 26) in seinen Augen erfüllt hat (diese verbreitete Deutung vertreten beispielsweise K. BERGER, Canticum, 30; F. BOVON, Evangelium, 143; W. ECKEY, Lukasevangelium, 163; S.C. FARRIS, Hymns, 146). Andererseits hat aber die bisherige Erzählung aus der Sicht der Lesenden wiederholt von politischer Befreiung gehandelt und die Verwendung der Vokabel εἰρήνη (vgl. 1,79; 2,14) in genau diesem Zusammenhang etabliert. Das Auftauchen des Verbums ἀπολύω lässt sich diesem Sachverhalt zuordnen, so dass sich eine plausible Interpretation ergeben kann, nach der Simeon sich darüber freut, sein weiteres Leben durch Gottes Handeln im χριστός erlöst (ἀπολύεις) unter den Rahmenbedingungen politischen Friedens (ἐν εἰρήνῃ) verbringen zu können. Dies gilt umso mehr, zumal die Erzählung über den Hinweis in Vers 26 hinaus nirgends explizit erwähnt, dass Simeon bereits besonders betagt sei (so auch TH. ZAHN, Evangelium, 153). 317 Vgl. hierzu auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 164–165. G.D. KILPATRICK, ΛΑΟΙ, 127 deutet die erwähnten λαοί wegen des lukanischen Gebrauchs der Vokabel als die Stämme des Volkes Israel. M.E. kann sich λαοί in Lk 2,31 wegen der Verbindung zu den ἔθνη aber auch auf die nicht-jüdischen Völker beziehen (so auch W. RADL, Evangelium, 129; S.C. FARRIS, Hymns, 148 schlägt vor, in den λαοί Israel und die Fremdvölker gemeinsam zu sehen); im Zusammenhang mit der Gesalbtenerwartung bezeichnen ja auch die Psalmen Salomons die fremden Völker als λαοί (PsSal 17,29.30; vgl. Punkt 2.1.1). Der Sinn der Gesamtaussage bleibt so oder so bestehen: Sowohl für Israel als auch für die Völker wirkt sich die von Simeon beschriebene Erlösung positiv aus.
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identifiziert dabei die Äußerung des Heiligen Geistes (V. 26) mit dem Wort Gottes. Einerseits stärkt diese Äußerung unter Verwendung des ῥῆμαMotivs (vgl. u.a. 1,37.38; 2,15.17.19) auf Seiten der Lesenden die Erwartung, dass Gottes Ankündigungen auch wirklich eintreffen. Andererseits wirft sie auch neues Licht auf die in der bisherigen Erzählung vom Heiligen Geist gewirkten Reden (Lk 1,41–45.67–79), indem diese per Analogieschluss nun auch das Attribut „Gotteswort“ erhalten können. Und auch im Anschluss an Simeons Rede sorgt wieder einmal die von Gott her kommende und den Menschen eröffnete Ankündigung auf der Ebene der Erzählung für Verwunderung; und wieder einmal benutzt die Erzählung das Verb θαυμάζω, um dies auszudrücken: Die Eltern wundern sich über das, was Simeon über das Kind gesagt hat (V. 33).318 Gleich darauf hebt Simeon aber erneut an zu sprechen, wobei er sich an die Eltern319 und insbesondere an Maria wendet (V. 34).320 Er beginnt mit den Worten ἰδοὺ οὗτος, die sich auf das Kind zu beziehen scheinen, welches Simeon wohl noch immer im Arm hält. Auch zuvor hat Simeon sich über den Säugling Jesus geäußert, so dass die unmittelbare Fortsetzung seiner Rede aus der Sicht der Leserschaft, welcher der Text eine erläuternde Geste Simeons nicht mitteilt, denselben betreffen muss. Ἰδοὺ οὗτος κεῖται εἰς πτῶσιν καὶ ἀνάστασιν πολλῶν ἐν τῷ Ἰσραὴλ (V. 34b). Simeon spricht grammatisch deutlich von zukünftigen Ereignissen. Viele werden fallen, viele werden aufstehen. Es geht hier nicht lediglich darum, dass sich an der Person Jesu künftig die Geister scheiden werden, sondern die durch das Gotteslob Marias in ihrer Wahrnehmung bereits gelenkten Lesenden nehmen in dieser Aussage erneut die Umkehrung geltender Verhältnisse wahr. Wer fallen kann, muss folglich bislang stehen; wer aufstehen kann, muss folglich bislang am Boden liegen – Stehende und Liegende tauschen die Rollen,321 so wie Maria dies bereits über Mächtige und Niedrige, über Reiche und Arme, über Satte und Hungrige ausgesagt hat (Lk 1,52–54).322 In dem Kind Jesus erblickt Simeon den Auslöser für diesen Prozess. Somit bekräftigt er einerseits das, was Maria in ihrem Gotteslob ausgesprochen hat; andererseits muss seine Aussage jedoch – wie so viele von 318
Vgl. hierzu auch M. COLERIDGE, Birth, 171. Das αὐτούς (V. 34) kann sich grammatisch am besten auf die Wendung ὁ πατὴρ αὐτοῦ καὶ ἡ μήτηρ (V. 33) zurückbeziehen. Eventuell werden die Lesenden das Kind Jesus aber logisch ergänzen und es gedanklich unter das von Simeon Gesprochene einbeziehen. 320 Auffälligerweise umschreibt das Verb εὐλογέω (V. 34) den Vorgang der nun folgenden Rede Simeons, obwohl diese inhaltlich weder einen segnenden noch einen lobpreisenden Charakter trägt. 321 Aus den beschriebenen Überlegungen heraus teile ich nicht die Auffassung E. Schweizers, es ginge hier darum, dass Menschen zuerst fallen, um anschließend durch das Wirken Jesu wieder aufstehen zu können (vgl. E. SCHWEIZER, Aufbau, 23). 322 Die Ähnlichkeit zur Aussage Marias beobachtet auch A. SCHLATTER, Evangelium, 195. 319
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Gott herrührende Aussagen in Lk 1–2 – sowohl den Figuren auf der Ebene der Erzählung als auch den Leserinnen und Lesern des Lukasevangeliums unglaublich vorkommen. Die unglaubliche Ankündigung verlangt wieder einmal nach Bestätigung. Und prompt erhält die unausgesprochene Frage κατὰ τί γνώσομαι τοῦτο; (Lk 1,18) eine Antwort, in welcher der Sprecher Simeon das Stichwort σημεῖον (vgl. Lk 2,12) aufgreift: καὶ εἰς σημεῖον ἀντιλεγόμενον (V. 34c). Er bezeichnet Jesus als ein „Zeichen, dem widersprochen wird“, denn die Aussage von Vers 34c bezieht sich im Parallelismus klar auf das οὗτος κεῖται (V. 34b) zurück. Die Rede vom Zeichen bedarf einer inhaltlichen Konkretion; ohne Inhalt kann das Zeichen nicht als Zeichen fungieren. Dies gilt umso mehr, da auch alle im bisherigen Verlauf der Erzählung erwähnten Zeichen der Nachprüfbarkeit des zuvor Ausgesagten dienten. Und als nähere inhaltliche Bestimmung des von Simeon angesprochenen Zeichens kommt im Zusammenhang der lukanischen Erzählung nur eines in Frage: Das Partizip ἀντιλεγόμενον umschreibt den Inhalt des σημεῖον; die Bestätigung soll im Widerspruch gegen die Person Jesu bestehen. Mit diesem Gedanken konstruiert die Figur Simeon eine buchstäbliche self-fulfilling prophecy, denn es bleiben den Hörenden genau zwei Möglichkeiten der Reaktion, die allerdings beide die vorausgehenden Aussagen Simeons als wahr erweisen: Entweder schenkt man den Worten, die Jesus als den χριστός proklamieren und die Umkehrung der Verhältnisse ankündigen von vornherein Vertrauen – dann sind sie per se wahr. Oder aber man misstraut ihnen, zweifelt sie an und äußert Widerspruch, wozu die Worte ja geradezu herausfordern323 – dann erfüllt sich Simeons Ankündigung vom σημεῖον ἀντιλεγόμενον, welche in der Logik seiner Rede wiederum die Wahrheit der gesamten Aussagen Simeons beweisen soll. Tertium non datur. Eine dritte Möglichkeit gibt es innerhalb des Gedankengangs, der Simeons Ankündigung vom σημεῖον ἀντιλεγόμενον ernst nimmt, nicht. Die Wendung vom σημεῖον ἀντιλεγόμενον eröffnet nun aber auch einen ganz neuen Horizont im Vorausblick auf die noch kommende Erzählung vom Wirken Jesu. Zum ersten Mal räumt die Erzählung nun explizit ein, dass es gegenüber der Rolle Jesu nicht nur Zweifel sondern auch handfesten Widerspruch geben kann und wird. Die Leserinnen und Leser betreten mit ihrer Lektüre des Lukasevangeliums kein völliges Neuland. Die idealen Lesenden spricht das Proömium als solche an, die bereits unterwiesen worden sind (Lk 1,4: κατηχήθης). Und zu den primären Inhalten christlicher Unterweisung im ersten Jahrhundert zählt zweifellos die Aussage vom 323 Simeons Rede reizt zum Widerspruch gegen die Rede als Ganze, d.h. auch gegen die Aussagen über die Rolle Jesu, und definiert diesen Widerspruch als Beleg für die Wahrheit ebendieser Rede. Zur so gearteten Funktionsweise von self-fulfilling prophecies – die ohne das Kalkül von Urheberin bzw. Urheber zustande kommen – vgl. R.K. MERTON, Self-fulfilling prophecy, 477. Vgl. dazu v.a. auch P. WATZLAWICK, Prophezeiungen, insbes. 92.
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Kreuzestod Jesu (vgl. etwa 1Kor 2,2). Die Rede Simeons spannt damit einen Bogen in Richtung des Endes des Lukasevangeliums.324 Sie kann dabei auch bei den Lesenden mit einem Wissen um das Ende Jesu am Kreuz rechnen. Das, was gemeinhin als Grund zum Zweifel an der Rolle Jesu als χριστός und Befreier gewertet wird (vgl. z.B. Lk 24,19–21),325 macht die Ankündigung Simeons sich nun zu Nutze, indem sie gerade den Widerspruch gegenüber Jesus als einen Beweis seiner Würde des Gesalbten behauptet. Sie stellt damit ein mächtiges Paradoxon auf, welches in den Augen der idealen Adressatinnen und Adressaten vor der Folie ihrer kulturellen Enzyklopädie komisch wirken mag. Indem sie dies tut, nimmt die Erzählung die Umkehrung der Werte, die Verkehrung der Rollen, von der Maria (Lk 1,52–54) und Simeon (Lk 2,34b) sprachen, bereits praktisch vor. Nachdem sich Simeon noch einmal direkt an Maria gewandt hat (V. 35a),326 unterstreicht er mit den Worten ὅπως ἂν ἀποκαλυφθῶσιν ἐκ πολλῶν καρδιῶν διαλογισμοί (V. 35b) die Notwendigkeit, in der Frage nach der Rolle Jesu eine Position zu beziehen. Anschließend betritt mit der Prophetin Hanna (V. 36) eine neue Figur die Szene. In ihrer Vorstellung weist die Erzählung ausführlich darauf hin, dass es sich bei Hanna um eine besonders fromme und alte Frau handelt. Viele Jahrzehnte schon dauert ihre Witwenschaft an (V. 36–37a),327 und seither hat sie all ihre Zeit darauf verwandt, Gott zu dienen: ἣ οὐκ ἀφίστατο τοῦ ἱεροῦ νηστείαις καὶ δεήσεσιν λατρεύουσα νύκτα καὶ ἡμέραν (V. 37b). Den Worten aus ihrem Munde kommt daher besonderes Gewicht zu, wenn sie jetzt Gott zu loben beginnt, nachdem sie die Situation zwischen Simeon, Maria, Josef und dem Kind Jesus wahrgenommen hat (V. 38). Auch für Hanna ist es selbstverständlich, dass alles Lob Gott selbst zukommt. Die 324
Ähnlich auch J.A. FITZMYER, Gospel, 422. Zu der Spannung, die sich daraus ergibt, dass derselbe Jesus als Gottessohn, Davidssohn und Christos proklamiert wird und doch unleugbar am Kreuz gestorben ist, vgl. auch K. BERGER, Messiastraditionen, 25; DERS., Problem, insbes. 3.15. Berger erkennt auch den beschriebenen Widerspruch, füllt die Gottessohnschaft und Messianität Jesu – v.a. vom Markusevangelium her denkend – jedoch anders, nämlich als von σοφία und σημεῖα bestimmt (Problem, 9; ähnlich auch Messiastraditionen, 3.34). Allerdings erkennt Berger selbst, dass die Aussage Lk 1,32–33 sich nicht mit seinem Verständnis der Messianität Jesu vereinbaren lässt, denn dort begegnet eine zweifellos stark politische Charakterisierung des Gottessohns (Messiastraditionen, 38). Zur beschriebenen Spannung vgl. des Weiteren auch H. FRANKEMÖLLE, Messiaserwartung, 106. 326 Die Verwendung des femininen Pronomens αὐτῆς (Lk 2,35) erlaubt keinen Zweifel: Die Erzählung will hier tatsächlich Maria (vgl. V. 34) angesprochen wissen. Weshalb nun aber die Figur Simeon von einem Schwert spricht, das durch Marias Seele hindurch gehen werde, lässt sich m.E. jedoch weder unter Zuhilfenahme des Kontexts von Lk 1,1–2,40 noch im Vorausblick auf den Rest des Lukasevangeliums erklären. 327 J.K. Elliott erblickt in der Zahlenangabe von 84 Jahren das Produkt aus den beiden Symbolzahlen 7 und 12; darin sieht er eine Verbindung zur Judith-Figur der Septuaginta (J.K. ELLIOTT, Anna’s Age, 100); ähnlich auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 168; J.B. GREEN, Gospel, 151. 325
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Rolle Jesu steht zwar im Mittelpunkt der Rede Simeons, die Hanna mitangehört hat, doch die Ehre für das Gute, das Israel durch die Person Jesu empfängt, gebührt Gott – darin ist Hanna sich mit den anderen in der Erzählung auftretenden Sprechern einig (vgl. etwa Lk 1,46–47.68; 2,13–14.28). Hanna verbreitet sodann das, wofür sie Gott gelobt hat, unter den weiteren Anwesenden; ihre Hörerschaft besteht dabei in den προσδεχομένοις λύτρωσιν Ἰερουσαλήμ (V. 38b). Weil Lk 1,68 die Vokabel λύτρωσις im Sinne von politischer Befreiung gebraucht hat, assoziiert die Leserschaft der Erzählung diese auch hier in Lk 2,28; aus der Perspektive der idealen Lesenden wendet sich Hanna also an diejenigen, die sich nach der Befreiung Jerusalems von der politischen Fremdherrschaft sehnen, und schlägt damit einen Bogen zu den Äußerungen Simeons, der ja in Jesus den Gesalbten und damit einen politischen Befreier erblickt hat (vgl. V. 26.29–30).328 Jerusalem steht dabei pars pro toto des gesamten Territoriums Israels: Sie ist sowohl die kultische Hauptstadt des jüdischen Volkes als auch zur Zeit der Entstehung des Lukasevangeliums die Hauptstadt der römischen Provinz Judäa. Die Eltern verfahren vorschriftsgemäß und erledigen in Jerusalem alles, was das biblische Gesetz von ihnen fordert, um anschließend wieder zurück in ihre Heimat, nach Nazareth zu reisen (V. 39). Die Szene schließt mit einer summarischen Notiz über das gedeihliche Aufwachsen ihres Kindes (V. 40). Wie schon die Notiz über das Heranwachsen Johannes’ (Lk 1,80) ähnelt auch sie den Notizen Ri 13,24–25 und 1Sam 2,26, die von Simson bzw. Samuel sprechen.329 Durch die Anspielung untermauert der Wortlaut in der Leserschaft den Eindruck, es handle sich bei Jesus um eine bedeutsame Person.
2.3 Fazit: Ankündigungen und Erfüllungen In den Augen der idealen Leserschaft des Lukasevangeliums ergibt sich damit nach der Lektüre von Lk 1,1–2,40 das folgende Bild: Für ihr Empfinden zeichnet sich die Erzählung in erster Linie durch das muntere Wechsel-
328 So fungiert ihr gesamtes Auftreten im Rahmen der Erzählung als eine Bestätigung des zuvor von Simeon Ausgesprochenen (vgl. G. SCHNEIDER, Evangelium, 73; vgl. hierzu auch J. ERNST, Evangelium, 120). Zum komplementären Verhältnis der Figuren Simeon und Hanna vgl. auch M. COLERIDGE, Birth, 180–181. 329 Vgl. hierzu auch F. BOVON, Evangelium, 150; W. ECKEY, Lukasevangelium, 169; J. ERNST, Evangelium, 121; J.B. GREEN, Gospel, 154; W. RADL, Evangelium, 133; H. SCHÜRMANN, Lukasevangelium, 132.
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spiel zwischen Ankündigungen und Erfüllungen bzw. Bestätigungen aus.330 In rascher Folge wechseln Ankündigung und Bestätigung einander im Spannungsbogen der Erzählung ab; sie greifen ineinander, rekurrieren aufeinander und entwickeln so eine Gesamtdynamik, die die einzelnen Szenen der Erzählung eng miteinander verknüpft. Fazit: Ankündigungen und Erfüllungen Eine tabellarische Aufstellung kann illustrieren, wo dies in Lk 1,1–2,40 insbesondere geschieht und wie die Zusammenhänge verlaufen:
330 Eine ähnliche Feststellung trifft auch L. LEGRAND, Visitation, 137.144. Seiner Ansicht nach entfaltet sich eine wiederkehrende Dynamik von Offenbarung, Bekenntnis und freudigem Gotteslob (ähnlich auch J.B. GREEN, Gospel, 106; vgl. hierzu außerdem M. COLERIDGE, Birth, 224). Vgl. hierzu auch S.C. FARRIS, Hymns, 152–154 sowie die Aufstellung bei W. KIRCHSCHLÄGER, Beobachtungen, 245. Die hohe Konzentration der Ankündigungen wird illustriert von R. Laurentins Beobachtung der Häufung von futurischen Formulierungen in Lk 1–2 (vgl. R. LAURENTIN, Struktur, 50).
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Ankündigungen
Erfüllungen und Bestätigungen
Die Ankündigung Gabriels an Zacharias a. die Ankündigung eines Sohnes (1,13) b. Die Rolle des Johannes (1,14 –17) c. Bestätigung: Stummheit des Zacharias (1,20)
Die Stummheit des Zacharias (1,22) Die Schwangerschaft Elisabets (1,24)
Die Ankündigung Gabriels an Maria a. Die Ankündigung eines Sohnes (1,31) b. Die Rolle Jesu (1,32–33) c. Bestätigung: Elisabets Schwangerschaft (1,36)
Die Begegnung zwischen Maria und Elisabet
Das Kind hüpft im Bauch Elisabets (1,41)
Elisabet: Die Rolle Jesu (1,42 –43) Maria: Die Umkehrung der Werte (1,51 –53) Die Geburt des Johannes (1,57) Das Ende der Stummheit des Zacharias (1,64)
Das Gotteslob des Zacharias a. die Ankündigung politischer Befreiung (1,68 –75) b. die Rolle des Johannes (1,76 –79) Die Geburt Jesu: Windeln und Krippe (2,7)
Die Ankündigung des Engels an die Hirten a. die Rolle Jesu (2,10–11) b. Bestätigung: Das Kind in der Krippe (2,12) Die Hirten finden das Kind in Bethlehem (2,16)
Im Tempel: Simeon Heiliger Geist: Simeon wird den Χριστός sehen (2,26)
Simeon sieht das Kind Jesus (2,27 –28)
Die Ankündigung Simeons an die Eltern Jesu a. Die Rolle Jesu (2,29–32) b. Umkehrung der Werte (2,34b) c. Bestätigung: σημεῖον ἀντιλεγόμενον (2,34c)
Verknüpfung in die weitere Erzählung hinein
Der Text erzählt verschiedene Arten von Ankündigungen: Sowohl Zacharias (1,13) als auch Maria (1,31) kündigt er einen Sohn an. Er gibt den Figuren in der Erzählung unterschiedliche Zeichen der Bestätigung – dem Zacharias seine Stummheit (1,20), der Maria die Schwangerschaft Elisabets (1,36–37) und den Hirten das Kind in der Krippe (2,12). Die Erzählung thematisiert in der Form der Ankündigung aber auch die künftige Rolle des Johannes, der in der Tradition Elias stehend als Wegbereiter Gottes fungieren soll (1,14–17.76–79).
Fazit: Ankündigungen und Erfüllungen
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Vor allem jedoch äußert die Erzählung sich ankündigend zur Rolle Jesu, die dieser in der Zukunft spielen werde. Aussagen zu diesem Thema finden sich im Munde Gabriels (1,32–33), Elisabets (1,42–43), des Engels, der den Hirten erscheint (2,10–11),331 und im Munde Simeons (2,29–32). In ihren Worten finden die idealen Lesenden deutliche Anklänge an die jüdische Erwartung eines königlichen Gesalbten332 bzw. an die hellenistische Verehrung des Herrschers. Dabei lassen die genannten Abschnitte sich aus der Rezipientinnen- und Rezipienten-Perspektive nicht einseitig auf einen dieser beiden Themenkreise festlegen, da diese einander ähneln. Die individuelle Prägung der Lesenden entscheidet somit über ihre Interpretation der Ankündigungen. Während eine in erster Linie jüdisch geprägte Wahrnehmung in den Reden Gabriels, Elisabets, des Engels und Simeons die Ankündigung eines königlichen Gesalbten vernimmt, interpretiert eine in erster Linie hellenistisch geprägte Wahrnehmung diese als die Ansage eines idealen und verehrungswürdigen Herrschers. Eventuell erkennen die Lesenden, denen sowohl die Tradition der Septuaginta als auch eine gute hellenistische Bildung als Referenzrahmen ihrer Rezeption von Lukas 1,1– 2,40 dient, in der Erzählung aber auch die absichtliche Vermischung beider Gedankenkreise. Der lukanische Text lenkt die Erwartungen sowohl von Juden als auch von Griechen auf dieselbe Figur, namentlich auf Jesus. Wie auch immer sie akzentuieren – alle Lesenden nehmen hier gleichermaßen die angekündigte politische Befreiung wahr,333 welche der königliche Gesalbte bzw. der ideale Herrscher seinem Volk und der gesamten Welt bringen werde. Nicht nur in den Äußerungen über die künftige Rolle Jesu sondern auch darüber hinaus finden sich in der Erzählung Ankündigungen politischer Befreiung (v.a. Lk 1,68–75). Die Lesenden können diese in ein bereits vorhandenes Raster einordnen, das die bisherige Lektüre der Erzählung in ihrer Vorstellung konstruiert hat, und sie von den Taten des jüdischen Gesalbten bzw. des hellenistischen Herrschers erwarten, den die Erzählung ihnen in der Figur Jesus präsentiert. Die Kunde über die zentrale Rolle der Jesusfigur wird den Lesenden dabei von der himmlischen Welt her zuteil. Nicht rein irdisch legitimierte sondern von Gott her beauftragte und so autorisierte Personen treten in der Erzählung auf, um den auf der Ebene der Erzählung Hörenden wie auch den außerhalb der Erzählung stehenden Leserinnen und Lesern die zukünftigen 331
Der Wortlaut der Erzählung lässt die Frage offen, ob es sich bei diesem Engel auch um Gabriel handelt. Möglicherweise füllen die Lesenden diese Leerstelle auf der Basis des bisher Gelesenen aus, indem sie den bei den Hirten auftretenden ἄγγελος κυρίου mit Gabriel identifizieren. 332 Vgl. hierzu auch C.S. MANN, Historicity, 56. 333 Vgl. hierzu auch L. LEGRAND, Angel, 16.
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Ereignisse anzukündigen. Inhaltlich kreisen diese Ankündigungen vor allem um die Rolle Jesu. Einerseits kann ein ἄγγελος als ein Gottesbote sie verkündigen (1,13–17.30–33; 2,10–12), oder die Ankündigungen ergehen aus dem Munde eines Menschen, der sie durch das πνεῦμα ἅγιον von Gott empfangen hat (1,41–45.67–79; 2,25.29–35). Die Erzählung identifiziert dabei eine durch das πνεῦμα ἅγιον vermittelte Erkenntnis mit dem Wort Gottes (vgl. Lk 2,26.29). In beiden Fällen – im Auftreten eines Engels sowie in der durch das πνεῦμα ἅγιον gewirkten Rede – durchbricht die Erzählung die Grenze zwischen den beiden für gewöhnlich getrennten Sphären Himmel und Erde. Gott ist in den Ankündigungen daher ganz und gar das Subjekt aller Ereignisse: Erstens autorisiert er in der beschriebenen Weise alle ergehenden Ankündigungen; und zweitens proklamieren ihn die Ankündigungen durchweg selbst als den Urheber all dessen, was noch geschehen werde. Sowohl unter den in der Erzählung auftretenden Figuren als auch in den Leserinnen und Lesern des Lukasevangeliums wecken die konzentrierten Ankündigungen gespannte Erwartungen. Die ankündigenden Personen sprechen schier Unglaubliches aus, wenn sie von politischer Befreiung und hereinbrechendem Frieden reden. Auf der Ebene der Erzählung reagieren die Hörenden daher häufig mit Verwunderung. Nicht durch Zufall gebraucht der Text Lk 1,1–2,40 überdurchschnittlich häufig die Vokabel θαυμάζω (1,21.63; 2,18.33). Die Rückfrage, die die Figur Zacharias gegenüber dem Engel Gabriel äußert, bringt das ungläubige Staunen auf den Punkt, welches durch den gesamten Textabschnitt hindurch präsent ist und auch die Haltung der Lesenden widerspiegelt: κατὰ τί γνώσομαι τοῦτο; (1,18). Die ausgesprochenen wie auch die unausgesprochenen Bedenken nimmt die Erzählung auf, indem sie auf die unglaublichen Ankündigungen hin bestätigende Zeichen gibt: Dem Zacharias soll seine Stummheit (1,20), der Maria soll die Schwangerschaft Elisabets (1,36) und den Hirten soll das Kind in der Krippe (2,12) als Beleg für die Vertrauenswürdigkeit der Ankündigungen gereichen. Teile der Ankündigungen – nämlich die eines Sohnes an Zacharias (1,13) und an Maria (1,31) – gehen schon innerhalb des Abschnitts Lukas 1,1– 2,40 in Erfüllung (1,57; 2,7). Ebenso verhält es sich mit den vom Engel gegebenen Zeichen: Die Stummheit des Zacharias tritt wahrhaftig ein (1,22); Maria kann sich von Elisabets Schwangerschaft mit eigenen Augen überzeugen (1,41); und die Hirten finden das Jesuskind tatsächlich in der Krippe vor (2,16), so wie der Engel es angekündigt hat. Den Figuren der Erzählung gegenüber legitimieren diese Bestätigungen die gesamte Ankündigung des Engels. Sie schlussfolgern a minore ad maius, dass der Engel, wenn das bestätigende Zeichen offenkundig eingetreten ist, insgesamt die
Fazit: Ankündigungen und Erfüllungen
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Wahrheit gesprochen haben muss. Die Ankündigungen stehen oder fallen für sie als Ganze; eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Teilen bzw. Aspekten der Ankündigungen geschieht nicht.334 Daher reagieren sowohl Zacharias (1,67–68) als auch Maria (1,46–47) und die Hirten (2,20) Gott lobend, nachdem sie die Bestätigung empfangen haben. Dabei lässt Marias Gotteslob genau so wie das des Zacharias erkennen, dass die beiden Figuren sich eben nicht nur auf das überprüfte Zeichen beziehen sondern Gott auch für das loben, was der Engel zur Rolle des jeweiligen Sohnes angekündigt hat, als wäre dies alles bereits geschehen: Maria spricht von der Umkehrung der Werte, von einem Machtwechsel, der die Geringen erhöht und die Mächtigen erniedrigt (1,51–53) sowie von der Erhöhung des Volkes Israel (1,54–55); und Zacharias redet in der konstativen Form des Vergangenheits-Tempus von der politischen Befreiung seines Volkes (1,68–75) und in futurischer Form von der Rolle des Johannes (1,76–79). Eine ähnliche Dynamik liegt den Worten Simeons zugrunde, der angesichts des Säuglings Jesus seinen Gott für die noch ausstehende politische Befreiung preisen kann (2,28–32). Faktisch besteht damit noch immer ein Überhang auf Seiten der Ankündigungen.335 Alle Aussagen über die Rolle Jesu als der eines Befreiers gehen – politisch verstanden – weder innerhalb von Lk 1,1–2,40 noch im weiteren Verlauf des Lukasevangeliums in Erfüllung. Aber dessen ungeachtet proklamieren die in der Erzählung auftretenden Figuren diese wieder und wieder als Tatsachen.336 Alle Reaktionen der Figuren sind in die Form des Gotteslobs gekleidet, so dass auch hier, auf Seiten der Erfüllungen ganz und gar Gott das Subjekt der Ereignisse bleibt, von welchem alle Wohltaten ausgehen, und welcher letztlich die Befreiung seines Volkes bewirkt.337 334
Alle Ankündigungen sind so aufgebaut, dass sie mit dem bestätigenden Zeichen enden (1,20.36–37; 2,12). Dieses soll die Wahrheit der vorausgehenden Aussage zur Rolle Jesu (1,32– 33; 2,10–11) bzw. Johannes’ (1,14–17) belegen. Die Begegnungen zwischen Gabriel und Zacharias sowie zwischen Gabriel und Maria beginnen zusätzlich jeweils mit der Ankündigung des Sohnes, so dass sich in ihnen ein Aufbau ergibt, welcher die Aussage über die Rolle des jeweiligen Sohnes zwischen zwei innerhalb der Erzählung überprüfbaren Ankündigungen einklammert: Die Aussage über die Bedeutung des Sohnes (1,14–17.32–33) steht zwischen der Ankündigung der Geburt (1,13.31) und dem bestätigenden Zeichen (1,20.36–37). Strukturell erhöht die Erzählung auf diese Weise die Plausibilität, die die Hörenden dazu einlädt, auch die in der Mitte der Klammer stehende Ankündigung als wahr zu betrachten. 335 In der obigen Darstellung kennzeichnet ein gestrichelter Rahmen diese Teile der Ankündigungen, die keine Erfüllung im weiteren Verlauf der Erzählung Lk 1,1–2,40 finden. 336 Aber dadurch, dass die unerfüllt bleibenden Ankündigungen sich in der Erzählung stets mit solchen verbinden, deren Erfüllung innerhalb der Erzählung Lk 1,1–2,40 geschieht, lädt der Text die ideale Leserschaft dazu ein, auch denjenigen Ankündigungen Vertrauen zu schenken, deren Erfüllung noch auf sich warten lässt (ganz ähnlich auch B.C. FREIN, Narrative Predictions, 26.34 und mit ihr S. V.D. EYNDE, Children, 478.482). 337 Zur zentralen Stellung Gottes in der Erzählung vgl. auch R. KAMPLING, Gepriesen, 168– 169.
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Von der Warte der idealen Leserinnen und Leser der Erzählung aus betrachtet, muss dieser Prozess hochgradig paradox erscheinen.338 Denn sie wissen nur zu genau, dass eine politische Befreiung, herbeigeführt von der historischen Person Jesus, nicht eingetreten ist. Stattdessen haben sie als in den Grundgedanken des christlichen Glaubens Unterwiesene (1,4) über Jesus vor allem dies gelernt, dass er gekreuzigt worden ist339 und damit die Strafe eines politischen Aufrührers erleiden musste. Und mehr noch als das: nicht eine λύτρωσις Ἰερουσαλήμ (2,38) ist geschehen, sondern die römischen Besatzer haben im Jahre 70 n.Chr. den jüdischen Aufstand blutig niedergeschlagen und den Tempel in Jerusalem zerstört.340 Mit der Autonomie des Volkes Israel ist es seither schlechter bestellt denn je. In diese Situation hinein erzählt das Lukasevangelium von den Ereignissen, die sich um die Geburt Jesu herum zugetragen haben und erhält dabei in geradezu dreister Weise die Ankündigungen aufrecht, nach welchen Jesus als der χριστός das Volk befreien werde. Das Gegenteil dessen, was Gabriel, Elisabet, Maria, Zacharias, der Engel bei den Hirten und Simeon ankündigen, ist geschehen. Eine solche kommunikative Situation muss die Lesenden zu Zweifel und Widerspruch reizen.341 In diese fragende Situation der Leserinnen und Leser hinein spricht der Simeon der Erzählung nun auch noch von Jesus selbst als einem σημεῖον 338 Die Paradoxie nimmt auch H. ZIMMERMANN, Evangelium, 249 wahr. Seine Lösung der Spannung besteht darin, die Ankündigungen der Befreiung und Regierung durch einen idealen Herrscher mit antisemitischem Unterton als unlukanisch zu definieren. Von dieser These möchte ich mich distanzieren. Die Herausforderung, der ich mich stellen will, besteht darin, die Wahrnehmung der idealen Lesenden nachzuzeichnen, da diese sich auch mit der endgültigen Gestalt des Textes und seiner paradox erscheinenden Aussage konfrontiert sehen (zu diesem Anliegen vgl. auch U. BUSSE, Evangelium, 162). 339 Im Hinblick auf die angesichts seiner Niedrigkeit paradox erscheinenden herrschaftlichen Prädikate, welche die Erzählung auf ihre Jesus-Figur anwendet, zieht auch R. PESCH, Weihnachtsevangelium, 112 eine Verbindungslinie zur Kreuzigung Jesu. Freilich verbindet sich in der frühchristlichen Unterweisung die Rede von der Kreuzigung Jesu mit der Perspektive seiner Auferweckung bzw. Auferstehung. 340 Vgl. hierzu L. LEGRAND, Caesar Augustus, 408. Vgl. zur Datierung des Lukasevangeliums H. CONZELMANN, Ort, 237; W. ECKEY, Lukasevangelium, 50–51; W. GRUNDMANN, Evangelium, 39; K.H. RENGSTORF, Evangelium, 12; G. SCHNEIDER, Evangelium, 34; E. SCHWEIZER, Evangelium, 4. 341 Auf der Ebene der Erzählung finden die Hirten das Kind in der Krippe vor (2,16) und stehen damit vor einer ähnlichen Herausforderung wie die Lesenden, die sich außerhalb der erzählten Welt befinden: Darin dass die Eltern eine Futterkrippe als Schlafplatz für ihr Kind benutzen müssen, spiegeln sich die einfachen Verhältnisse, in denen sie leben (so auch W. SCHMITHALS, Weihnachtsgeschichte, 293). Die vorausgehende Erzählung hat Jesus dem gegenüber als eine herrschaftliche Figur angekündigt. Es entsteht eine Spannung durch die gegensätzlichen Beobachtungen der offenbaren Einfachheit des familiären Hintergrundes Jesu und der herrschaftlichen Rolle, welche die Ankündigungen demselben Jesus zumessen. Doch gerade diese vorgefundene Situation sind die Hirten vom Engel aufgerufen als Beleg für die hoheitliche Würde des Jesuskindes zu werten.
Fazit: Ankündigungen und Erfüllungen
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ἀντιλεγόμενον und treibt damit die Paradoxie auf die Spitze: Genauso wie Gabriel (1,36–37) und der Engel (2,12) gibt auch er im Anschluss an seine Ankündigung über die zukünftige Rolle Jesu den Hörenden ein bestätigendes Zeichen (2,34). Das Faktum, dass Jesus Widerspruch erfährt, sollen die Lesenden als einen Beleg für seine Würde als königlicher Gesalbter bzw. verehrungswürdiger Herrscher werten. Auf diese Weise erfüllt Simeons Prophezeiung vom σημεῖον ἀντιλεγόμενον sich automatisch selbst. Widerspruch dient ihr als Beweis für ihre Richtigkeit. Entweder glaubt die Leserschaft ihr von vornherein, oder sie widerspricht ihr und ist dann aber gerade deshalb verpflichtet, ihr zu glauben. Die Kompromisslosigkeit dieser Paradoxie mag auf die Leserschaft des Lukasevangeliums im ersten Jahrhundert n.Chr. eine komische Wirkung ausüben. Gleichzeitig schlägt die Ankündigung des σημεῖον ἀντιλεγόμενον dabei aber auch einen Bogen in den weiteren Verlauf der Erzählung hinein, denn dieser zeichnet die Figur Jesus, die von Lk 2,41 ab als selbstständig handelnde auftritt, als die eines Menschen, der immer aufs Neue sowohl Zu- als auch Widerspruch erfährt. Diese Dynamik des Widerspruchs gegen Jesus wird ihren Höhepunkt in der Kreuzigung Jesu finden (Lk 23).342 Indem Simeons Rede vom σημεῖον ἀντιλεγόμενον die Leserinnen und Leser dazu aufruft, den Widerspruch, der gegen die Person Jesu erhoben wird, als einen Beweis seiner rechtmäßigen herrschaftlichen Würde anzusehen, verkehrt sie elementare gesellschaftliche Vorstellungen in ihr Gegenteil: Der gemessen an dem Faktum der Kreuzigung machtlose Jesus soll nach Simeons Worten als der auf dem Thron sitzende Herrscher gelten. Eine Umkehrung der Werte hat bereits Maria in ihrem Gotteslob allgemein ausgesprochen, das durch die aoristische Formulierung Gottes Wirken nachdrücklich konstatiert (1,51–53); dasselbe Thema schneidet auch Simeon an (2,34), kurz bevor er auf das σημεῖον ἀντιλεγόμενον zu sprechen kommt. Die erklärte Zielsetzung der Erzählung besteht darin, das Vertrauen der Leserschaft auf die ἀσφάλεια der christlichen λόγοι zu stärken (1,4). Zu diesem Zweck macht sie den Lesenden zahlreiche IdentifikationsAngebote. Einerseits verkündet sie Jesus als den χριστός und σωτήρ (2,11). Andererseits nimmt sie aber auch die Zweifel der Leserschaft an der Ver342
In der Emmaus-Szene verbindet der lukanische Jesus selbst die Gesalbtenvorstellung mit dem Gedanken von dessen Leiden, indem er rhetorisch fragt: οὐχὶ ταῦτα ἔδει παθεῖν τὸν χριστὸν καὶ εἰσελθεῖν εἰς τὴν δόξαν αὐτοῦ; (Lk 24,26). Als Beleg hierfür verweist er auf die heiligen Schriften (Lk 24,25.27). Vgl. hierzu W. GRUNDMANN, χρίω, 526. Freilich behält die Kreuzigung nicht das letzte Wort: Am Ende des Weges Jesu stehen im Lukasevangelium und der Apostelgeschichte seine Auferstehung und Himmelfahrt (Lk 24; Apg 1). D.h. hier liegt die Klimax des Handlungsverlaufs, während der Widerspruch gegen die lukanische Jesusfigur ihren Höhepunkt in der Kreuzigungsszene findet.
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Der Spannungsbogen in Lukas 1,1–2,40
trauenswürdigkeit solcher Verkündigung auf, indem sie fortwährend darum bemüht ist, Evidenz für die Plausibilität ihrer Verkündigung zu liefern: Die Erzählung verwendet einen an die Septuaginta erinnernden Sprachstil (z.B. 2,8–9), benutzt motivische Anspielungen auf Abschnitte aus der Septuaginta oder bietet wörtliche intertextuelle Referenzen. Die allusions-kompetente Leserschaft des Lukasevangeliums wird dadurch eingeladen, der Erzählung zu vertrauen, so wie sie bereits der Septuaginta Vertrauen schenkt. Alle Ankündigungen in Lk 1,1–2,40 sind explizit von Gott her legitimiert, da sie entweder im Munde eines ἄγγελος begegnen oder durch das πνεῦμα ἅγιον verursacht sind. Und schließlich spricht Simeons Rede vom σημεῖον ἀντιλεγόμενον direkt in die fragende Situation der Leserschaft hinein und möchte dieser dadurch anbieten, einen völligen Perspektivwechsel zu vollziehen. Die Niedrigkeit Jesu soll fortan als Beleg seiner herrschaftlichen Würde gelten. Darin, dass Jesus Widerspruch erfährt, erblickt Simeon einen Beweis für die Rechtmäßigkeit der Verkündigung, die Jesus als χριστός und σωτήρ darstellt. Textpragmatisch bekleidet das erzählte Wechselspiel zwischen Ankündigung und Bestätigung den Lesenden gegenüber schlussendlich die Funktion der Vergewisserung; es will wie angekündigt (1,4) zur ἀσφάλεια führen und appelliert343 an die Lesenden, den Bestätigungen zu folgen und sich damit vergewissern zu lassen.
343 Den Transfer, der die Ankündigungen insbes. zur herrschaftlichen Rolle Jesu von den in der Erzählung beschriebenen Zeichen bestätigt sein lässt, müssen die Lesenden selbst leisten. Der Text nimmt die an die Lesenden gerichtete Bestätigung im Einzelnen nicht explizit vor. Die so entstehenden Leerstellen nötigen die Lesenden zur Mitwirkung an der Sinnkonstruktion des Textes (vgl. hierzu W. ISER, Appellstruktur, 235.248–249; außerdem DERS., Akt, 175; vgl. auch H. UTZSCHNEIDER/S. ARK NITSCHE, Arbeitsbuch, 178; zur appellativen Wirkung sprachlicher Äußerungen vgl. außerdem H.-G. GRADL, Arm und Reich, 161).
Kapitel 3: Die menippeische Literatur und Lukas 1,1–2,40
Die Analyse im ersten Kapitel dieser Untersuchung hat das Ergebnis erbracht, dass der Text Lukas 1,1–2,40 sich in der Perspektive seiner idealen Leserschaft mit ihrer antiken kulturellen Enzyklopädie durch einen stetigen Wechsel zwischen versförmigen und prosaischen Partien auszeichnet. In der Bibel finden sich wohl bisweilen versförmige Abschnitte, die in einen erzählenden, prosaischen Kontext eingebettet sind – jedoch kennt die Bibel keinen anderen Textabschnitt, in welchem sich Vers und Prosa derartig schnell abwechseln, wie dies in Lukas 1,1–2,40 der Fall ist. Unter diesem Gesichtspunkt steht die Erzählung Lukas 1,1–2,40 vor dem Hintergrund der gesamten Bibel ganz und gar analogielos da.1 Allerdings – kennt die hellenistische Literatur eine Gattung von Schriften, deren wichtigstes formales Charakteristikum in dem Wechselspiel zwischen Versform und Prosaform besteht (vgl. Luc., Bis Acc. 33). Es handelt sich hierbei um die sog. „menippeische Satire“.2 Diese hat ihren Namen deshalb erhalten, weil der kynische Philosoph Menippos von Gadara, der im 3. Jahrhundert v.Chr. in Syrien gelebt hat, als ihr Urheber gilt. Nun lässt aber auch das Lukasevangelium an vielen Stellen deutliche hellenistische Einflüsse erkennen. An erster Stelle will hier das lukanische 1
Freilich existieren solche Passagen in der hebräischen Bibel, in welchen ein versförmiger Abschnitt innerhalb eines prosaischen Zusammenhangs auftritt (vgl. hierzu auch N. LOHFINK, Psalmen, 111). Solche Wechsel zwischen Prosa und Vers hat die Exegese bislang jedoch in der Regel als redaktionsgeschichtlich begründet und damit als sekundär erklärt (vgl. z.B. S. WEITZMAN, Orientalization, 240–241). Von der Warte späterer Rezipientinnen und Rezipienten aus betrachtet ändert dies jedoch nichts an dem Befund: dass hier nämlich Vers und Prosa einander abwechseln (die Parallele zwischen dem Vers-Prosa-Wechsel im Lukasevangelium und demjenigen, der mancherorts in der hebräischen Bibel begegnet, sieht auch W. ECKEY, Lukasevangelium, 67). In einem solch hochfrequenten Maße, wie es in Lk 1–2 der Fall ist, bietet jedoch kein Abschnitt der hebräischen Bibel ein Hin und Her zwischen versförmigen und prosaischen Stücken. 2 Zum dort gebrauchten Wechsel zwischen Vers und Prosa vgl. M. BAUMBACH, Menippos, 1244; A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 38. Vgl. hierzu auch J. ADAMIETZ, Apocolocyntosis, 378; D.R. DUDLEY, History, 74; N. FRYE, Analyse, 310; R. HELM, Meippos, 893; U. KNOCHE, Satire, 38; B.P. MCCARTHY, Lucian, 24.27. Die sog. „menippeische Satire“ hat in der bisherigen neutestamentlichen Forschung – so weit ich sehe – bislang einmal Erwähnung gefunden, nämlich in M.E. Vines’ Studie zur Frage nach der Gattung des Markusevangeliums. Vines zieht einen menippeischen Hintergrund der markinischen Schrift kurz in Erwägung und stellt auch einige gemeinsame Züge fest, um eine direkte Abhängigkeit dann aber auszuschließen (M.E. VINES, Problem, 140–141).
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Die menippeische Literatur und Lukas 1,1–2,40
Proömium als Beleg genannt sein, da es die Konventionen antiker hellenistisch-römischer Schriftstellerei aufnimmt und unter diesem Blickwinkel stark das Interesse der exegetischen Forschung geweckt hat.3 Doch auch andere Passagen des Lukasevangeliums weisen hellenistische Besonderheiten auf.4 Das Lukasevangelium wendet sich in dieser Weise also an eine hellenistisch gebildete ideale Leserschaft. Aus diesem Grund rechtfertigt der formale Befund einer Mischung von Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40 den Vergleich mit den erhaltenen Schriften aus dem hellenistischen Bereich der sog. „menippeischen Satire“. Die wesentlichen inhaltlichen Aspekte der lukanischen Erzählung hat das voranstehende Kapitel 2 dieser Untersuchung bereits thematisiert. Daher soll es im Folgenden zunächst um zentrale inhaltliche Motive der antiken menippeischen Literatur gehen, um anschließend festzustellen, inwieweit sich von hier aus hilfreiche Einsichten in die Rezeption von Lukas 1,1–2,40 im ersten Jahrhundert n.Chr. ergeben.
3
S.o. Punkt 2.2.1. Die Schrift als ganze folgt bestimmten Regeln antiker Rhetorik (vgl. M. DIEFENBACH, Komposition, 186). Die Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel (Lk 2,40–52) trägt die Züge einer „Jugendepisode“ in der biografischen Literatur der hellenistischen Antike (N. KRÜCKEMEIER, Der zwölfjährige Jesus, pass.). Auch die Angabe des Alters Jesu in Lk 3,23 bildet eine Parallele zur Darstellungsweise hellenistischer Biografien (vgl. CH.G. MÜLLER, Ungefähr 30, 501). Der Umgang mit den Schriften der Septuaginta im Lukasevangelium lässt Merkmale antiker hellenistischer Schriftauslegung erkennen (N. NEUMANN, Wenn Lukas liest, 172). Das in Lk 14 erzählte Gastmahl stellt sich als kritische Antwort auf ein hellenistisch-römisches Symposion dar (W. BRAUN, Feasting, 143–144; vgl. hierzu auch R. GARRISON, Context, 44–45). Der Einzug Jesu in Jerusalem gleicht bei Lukas mehr als in den anderen synoptischen Evangelien dem Adventus eines Kaisers (J. V. CRAMON/P.-G. KLUMBIES/N. NEUMANN, Lukas, 43). Die Sterbeszene Jesu (Lk 23,44–49) enthält deutliche Parallelen zum antiken hellenistischen Schauspiel (P.-G. KLUMBIES, Das Sterben Jesu als Schauspiel, pass; vgl. hierzu auch die Ausführungen zu den Sterbeworten des lukanischen Jesus bei R. GARRISON, Context, 54–56; zu hellenistischen Elementen in der lukanischen Passions-Erzählung vgl. ferner J.S. KLOPPENBORG, Exitus, pass.). Und die Himmelfahrt Jesu im Lukasevangelium lässt sich mit hellenistischen Erzählungen von der Apotheose bedeutender Männer vergleichen (P.-G. KLUMBIES, Rivalisierende Rationalitäten, 331–332; DERS., Himmelfahrt, pass.). Zur gesamten Thematik vgl. auch J. V. CRAMON/P.-G. KLUMBIES/N. NEUMANN, Lukas, pass.; D. DORMEYER, Apotheose, pass. und H.E. FABER V.D. MEULEN, Hintergrund, pass. Ein Seitenblick auf verschiedene Szenen der Apostelgeschichte (zur Zusammengehörigkeit zwischen Lukasevangelium und Apostelgeschichte vgl. z.B. J.B. GREEN, Gospel, 7–10; J. SCHRÖTER, Lukas, 246) bestätigt den Eindruck, dass die lukanischen Schriften deutlich unter dem Einfluss der antiken hellenistischen Kultur stehen (vgl. etwa L. ALEXANDER, Journeyings, insbes. 38–39; J.A. HARRILL, Function, insbes. 151; D.R. MACDONALD, Shipwrecks, insbes. 88 sowie die Arbeiten von E. Plümacher, insbes. E. PLÜMACHER, Lukas, 137). Vgl. hierzu außerdem A. DENAUX, Theme, 278–279; J.A. FITZMYER, Gospel, 35.58.107; J. SCHRÖTER, Lukas, 261–262; PH.L. SHULER, Character, 173; DERS., Luke, 96. 4
Die menippeische Literatur
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3.1 Die menippeische Literatur Für den römischen Schriftsteller Marcus Terentius Varro ist die Bezeichnung „menippeische Satire“ im 1. Jahrhundert v.Chr. bereits ein stehender Begriff; Varro verfasst 150 Bücher, die er unter die Überschrift satyrae menippeae stellt.5 Er verwendet diese Überschrift dabei also als Bezeichnung, die seine Schriften zutreffend charakterisiert. Indem er die Überschrift satyra menippea benutzt, führt Varro seine Satiren auf Menippos von Gadara zurück; als Namensgeber der Gattung gilt dieser bei Varro als Schöpfer jener Art von Literatur (vgl. Gell. 2,18,7). Menippos wiederum ist in der Antike jedoch als Vertreter der kynischen Philosophie bekannt.6 So erwähnen Diogenes Laertios und Athenaios zu Beginn des 3. Jahrhunderts n.Chr. beispielsweise mehrfach den κυνικὸς Μένιππος (Athen. 1,32e; 14,629e–f.664e; Diog. L. 6,99–101).7 Auf dem Weg zum Verständnis der sog. menippeischen Satire ist es daher nötig, zunächst den Kynismus angemessen zu verstehen. Denn dieser stellt mit dem philosophischen Hintergrund gewissermaßen den Nährboden bereit, aus welchem die literarische Frucht der menippeischen Texte erwachsen kann.8 Die menippeische Literatur 3.1.1 Der Hintergrund: Die kynische Philosophie Im 3. Jahrhundert n.Chr. verfasst Diogenes Laertios ein zehn Bücher umfassendes Werk mit dem Titel βίοι φιλοσόφων, in dem er das Leben und Denken bedeutender Vertreter der bekannten philosophischen Richtungen vorstellt, unter ihnen auch die Kyniker. Was Diogenes über diese Menschen9 erzählt, trägt weithin zwar einen anekdotenhaften Charakter,10 ver-
5 Zu der Frage, ob es sich hier um eine bloße Überschrift oder gar eine Gattungsbezeichnung handelt, vgl. auch E.P. KORKOWSKI, Menippus, 6; J.C. RELIHAN, Satire, 12 sowie DERS., Origin, 228. Während Korkowski die „satyrae menippeae“ bei Varro als Gattungsangabe auffasst, wobei er allerdings den Gattungsbegriff differenziert gebraucht (vgl. ebd., 86), spricht sich Relihan gegen dieses Verständnis aus. 6 Vgl. M. BAUMBACH, Menippos, 1243; R. HELM, Menippos, 888; A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 26. Vgl. hierzu auch U. KNOCHE, Satire, 37. 7 So auch E.P. KORKOWSKI, Menippus, 36. Dagegen vermutet J.C. RELIHAN, Satire, 43, Menippos sei seiner Art nach gar kein Kyniker gewesen; er führt dabei interessanterweise Diogenes Laertios als Gewährsmann an. Gegen Relihans Annahme spricht m.E. allein schon die Einsicht, dass Diogenes Laertios den Menippos in den auf Diogenes von Sinope und Antisthenes von Athen zurückgehenden Stammbaum einzeichnet. 8 So auch H.K. RIIKONEN, Satire, 9. Vgl. hierzu ferner M.E. VINES, Problem, 119. 9 Bemerkenswerterweise befindet sich unter ihnen auch eine Frau, nämlich Hipparchia (Diog. L. 6,96–98).
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Die menippeische Literatur und Lukas 1,1–2,40
mittelt aber dennoch ein gutes und detailreiches Bild davon, wie diese Philosophien und ihre Vertreter in der Antike wahrgenommen werden. Im sechsten Buch seines Werkes widmet Diogenes sich den Kynikern; deren Bezeichnung als ȜȤȟțȜȡտ (z.B. Diog. L. 6,103) ist ihm selbstverständlich. Vor allem dieser Text (Diog. L. 6) soll Folgenden als Orientierung für die Darstellung der Eckdaten kynischen Denkens und Lebens dienen;11 Diogenes Laertios zufolge stellt sich die kynische Philosophie folgendermaßen dar: Diogenes stellt den Athener Antisthenes, der in der zweiten Hälfte des fünften und in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts v.Chr. gelebt hat, als Begründer der kynischen Philosophie vor (Diog. L. 6,19). Antisthenes ist ein Schüler des berühmten Sokrates (6,2). Einen noch bedeutenderen und exemplarischen Vertreter des Kynismus sieht Diogenes Laertios jedoch in Diogenes von Sinope, der während des vierten Jahrhunderts v.Chr. ebenfalls in Athen wirkt. Die Beschreibung des Antisthenes-Schülers Diogenes von Sinope nimmt im Werk Diogenes Laertios’, wo er von den ȜȤȟțȜȡտ handelt, den größten Raum ein (6,20–81).12 Verschiedene Herleitungen versuchen die Betitelung der Philosophie von Antisthenes und Diogenes als „kynische“ zu erklären: Eine Variante besagt, Antisthenes habe in einem Athener Gymnasium gelehrt, welches Kynosarges heißt, und von diesem habe die Richtung ihren Namen erhalten (6,13). Einen deutlich breiteren Raum nimmt in der Darstellung bei Diogenes Laertios jedoch diejenige Erklärung ein, die die ȜȤȟțȜȡտ mit dem Ȝփȧȟ, also mit dem Hund und seinen Eigenschaften in Verbindung bringt. So bezeichnet Antisthenes sich selbst als einen einfach lebenden Hund (6,13). Auch Diogenes von Sinope legt in verschiedenen Anekdoten ein Verhalten an den Tag, welches seine Mitmenschen dazu reizt, ihn als einen Hund zu bezeichnen. So schert Diogenes sich während der Befriedigung seiner Bedürfnisse nicht darum, an welchem Ort er sich gerade befindet (6,22). Insbesondere isst er auf dem Marktplatz, was seine Zeitgenossen als ungehörig empfinden (6,22). ǽԼօȚıț İպ ʍչȟijį ʍȡțıהȟ Ԛȟ ij ȞջIJ, Ȝįվ ijո ǼսȞșijȢȡȣ Ȝįվ ijո ԘĴȢȡİտijșȣ (6,69), d.h. sowohl seine Nahrungsaufnahme als auch sexuelle 10 Dabei handelt es sich um einen typischen Zug der kynischen Tradition (vgl. etwa M. BILLERBECK, Greek Cynism, 147). 11 Zu Datierung, Titel und Charakter des Werkes von Diogenes Laertios vgl. D.T. RUNIA, Diogenes Laertios, 601–602. Neben der Darstellung des Diogenes Laertios werde ich auch Texte anderer kynischer Denker aus dem 1. und 2. Jh. n.Chr. heranziehen, nämlich Epiktets (etwa 50– 125) Abhandlung „Über den Kynismus“, die auf den Kyniker Diogenes von Sinope eigegenden Reden des Dio Chrysostomos (etwa 40–nach 112) und diejenigen Kynikerbriefe, die Krates und Diogenes zugeschrieben werden (zwischen dem 1. Jh. v.Chr. und dem 2. Jh. n.Chr.). Zur Datierung dieser Texte vgl. B. INWOOD, Epiktetos, 1123; M. WEISSENBERGER, Dion, 621; A.J. MALHERBE, Cynic Epistles, 10.14–15. 12 Zu den Begründern der kynischen Richtung vgl. auch M. BILLERBECK, Greek Cynism, 150.
Die menippeische Literatur
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Handlungen vollzieht Diogenes inmitten anderer Menschen.13 Daher habe auch ein marmorner Hund auf seinem Grab gesessen (6,78). Wo andere Menschen ihn als einen κύων bezeichnen, empfindet Diogenes dies als passend und macht sich den Namen deswegen zu eigen (6,40.55.61; vgl. auch Diogenes, Ep. 2; 7,1; 44; Krates, Ep. 16). Und wo seine Umwelt ihn gar wie einen Hund behandelt, spielt Diogenes das Spiel mit, indem er sich auch wie ein Hund benimmt (6,46). Auf diese Weise kann Diogenes das Prädikat des „Hundes“ schließlich auch stolz als Selbstbezeichnung im Munde führen (6,45.60; Diogenes, Ep. 7,1; vgl. auch Dio Chrys., Or. 8,17).14 Das höchste Gut stellt den kynischen Philosophen die Tugend, ἀρετή dar (6,11). Nichts außer ihr ist dem Kyniker für ein gutes Leben vonnöten. Die kynischen Philosophen streben danach, die Tugend auf dem Wege der Lebenspraxis, der Ethik zu erreichen ohne sich von diesem Ziel durch langwierige theoretische und als spekulativ empfundene Erörterungen abbringen zu lassen.15 Die Kyniker behalten die Praxis als wichtigsten Aspekt des Lebens im Auge (6,103; Diogenes, Ep. 21; 25; Krates, Ep. 3); während die Philosophen anderer Richtungen ihrer Meinung nach die Theorie zulasten der Praxis zu sehr ins Zentrum ihrer Bemühungen rücken. Im Kynismus erblicken dessen Anhänger daher den kurzen – von unnötigem theoretischen Ballast freien – Weg zur Tugend (6,104; Diogenes, Ep. 38,1–2). Ein der Tugend gemäßes Leben zeichnet sich bei den Kynikern vor allem durch äußerste Einfachheit aus. Sie trachten danach, sich von den eigenen Begierden zu befreien (6,3); dies erreichen sie mittels des möglichst anspruchslosen Lebensstils der αὐτάρκεια (6,11: αὐτάρκης; Diogenes, Ep. 37,3–4; Krates, Ep. 10,3), der durch die Askese geprägt ist (6,23).16 Ein Philosoph bedarf in ihren Augen keiner Besitztümer (6,88; Diogenes, Ep. 26; vgl. auch Epict., Diss. 3,22,45–49); im Gegenteil: Reichtum kann sich sogar schädlich für den reichen Menschen auswirken (6,95), da er diesen vom bedürfnislosen tugendhaften Leben abhält.17 Aus diesem Grund zieht Diogenes von Sinope das arme einem reichen Leben vor (6,57).18 Sowieso 13
Vgl. hierzu auch R. HELM, Kynismus, 11. Vgl. hierzu ferner E. ZELLER, Philosophie 2/1,
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Zur Bezeichnung der Kyniker vgl. auch D.R. DUDLEY, History, 5.29; P.RH. EDDY, Jesus, 450–451; M.-O. GOULET-CAZÉ, Kynismus, 969–970; R. HELM, Kynismus, 3; E. SCHWARZ, Diogenes, 15. 15 Vgl. R. HELM, Kynismus, 7. Vgl. hierzu auch M. BILLERBECK, Greek Cynism, 148; E. ZELLER, Philosophie 2/1, 288. 16 Vgl. D.R. DUDLEY, History, 10. Zur kynischen αὐτάρκεια vgl. M. BILLERBECK, Greek Cynism, 151; vgl. hierzu auch P.RH. EDDY, Jesus, 452; E. ZELLER, Philosophie 2/1, 316. 17 Vgl. hierzu auch D.R. DUDLEY, History, 8. 18 Verschiedene Anekdoten illustrieren diese Haltung der Kyniker: Über Krates erzählt Diogenes Laertios, er habe, als er sich der kynischen Lebensweise zuwandte, seinen gesamten Besitz
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Die menippeische Literatur und Lukas 1,1–2,40
ist aller irdischer Reichtum angesichts des Todes wertlos; kein Mensch kann seinen Besitz über die Grenze des Todes hinweg mit sich nehmen (6,53).19 Zur Tugend gelangt derjenige, der sich an die je wechselnden Umstände der äußeren Gegebenheiten anpassen kann (6,22). Daher ernähren die kynischen Philosophen sich sehr einfach;20 sie trinken lediglich Wasser (6,31.90.104). Ebenso bescheiden beschreibt Diogenes Laertios die Kleidung der Kyniker, welche nicht einmal Schuhe tragen (6,31). Diogenes von Sinope sei zur Abhärtung gar barfuß im Schnee herumgelaufen (6,34). Zur Ausrüstung des kynischen Philosophen zählen Mantel, Stab und Ranzen (6,13.21–23; Diogenes, Ep. 30,3; Krates, Ep. 33; Eipct., Diss. 3,22,10).21 Gemäß einer Anekdote hat Diogenes selbst seinen Becher fortgeworfen, nachdem er ein Kind dabei beobachtet hatte, wie es aus seiner Hand trank (6,37). Mehrfach heißt es, Diogenes habe sich seinen Lebensunterhalt dadurch verdient, dass er seine Mitmenschen um Almosen bat (z.B. 6,49). Diese Grundüberzeugung, dass die ἀρετή sich einzig durch ein bescheidenes und asketisches Leben erreichen lässt, führt die Kyniker dazu, einige geltende gesellschaftliche Wertvorstellungen in ihr Gegenteil zu verkehren. Der Kynismus verachtet Wohlstand, Ehre und noble Geburt (6,104) und behauptet, dass diese Faktoren in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Tugend eines Menschen stehen: Je reicher oder angesehener eine Person ist, umso schlechter ist es mit ihrer ἀρετή bestellt und umgekehrt. Insofern stellt ihnen ihr auf Armut basierendes Lebensideal tatsächlich einen kurzen Weg zur Tugend dar:22 Für ein tugendhaftes Leben muss der Philosoph sich in erster Linie einmal seines Besitzes entledigen – und das lässt sich schnell realisieren. Verschiedene anekdotische Aussprüche spiegeln die Umkehrung der Werte wider,23 welche das kynische Denken aufgrund der beschriebenen Annahme vollzieht: Als Antisthenes erfährt, viele würden gut über ihn reden, entgegnet er fragend: „Wieso, was habe ich verkauft und den Erlös verschenkt. Eine Variante dieser Erzählung meint, Krates habe sein Geld ins Meer geworfen (6,87). Und als Krates von der Philosophin Hipparchia einen Heiratsantrag erhielt, so die Anekdote, zog er sich nackend vor dieser aus, um zu verkünden: „Dies ist dein Bräutigam mit dem, was er besitzt“ (6,96); wirtschaftliche Überlegungen konnten ihn der Frau also nicht zu einem attraktiven Ehepartner machen. 19 Vgl. hierzu auch D.R. DUDLEY, History, 72. 20 Anekdoten besagen, Diogenes habe sogar einmal rohes Fleisch verzehrt, es jedoch nicht verdauen können (6,34). Andernorts heißt es, er sei daran gestorben, dass er einen rohen Tintenfisch zu sich genommen hat (6,76). 21 Vgl. hierzu auch P.RH. EDDY, Jesus, 452; M.-O. GOULET-CAZÉ, Kynismus, 974; R. HELM, Kynismus, 4; E.P. KORKOWSKI, Menippus, 43; E. SCHWARZ, Diogenes, 7. 22 Vgl. hierzu auch M.-O. GOULET-CAZÉ, Kynismus, 974. 23 Ich halte es jedoch für unangemessen, in diesem Zusammenhang negativ wertend von einer „Verfälschung“ von Werten zu sprechen (so M.-O. GOULET-CAZÉ, Kynismus, 975) und wähle daher den neutralen Begriff der „Umkehrung“.
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denn Schlechtes getan?“ (6,8) und zum Thema Reichtum ruft er seinem Hörer zu: „Mögen die Söhne deines Feindes im Luxus leben!“ (6,8). Und Diogenes von Sinope hält die teuersten Dinge für wertlos und die, die wenig Geld kosten, für die wertvollsten (6,35).24 Ihre Adressatinnen und Adressaten finden die kynischen Lehrer mit diesen Überzeugungen unter den Angehörigen aller sozialen Schichten; doch besonders auf die ärmere Bevölkerungsgruppe entfalten ihre Ansichten eine attraktive Wirkung. Konsequenterweise nutzen die Kyniker öffentliche Plätze, um ihre Sichtweisen den Menschen kundzutun, so dass alle gleichermaßen einen Zugang zu ihren Lehren erhalten. Der Stil der Diatribe25 dient ihnen als geeignetes Vehikel: Die einfach gegliederte, bildhafte und häufig witzreiche Rede lädt die Zeitgenossen zum Zuhören ein.26 Dabei transportieren die spaßhaften Aussagen jedoch stets eine durchaus ernste Wahrheit. Ernst (σπουδή) und Spaß (γελοῖον) verbinden sich in den Reden der Kyniker zur Figur des sog. σπουδογέλοιον.27 Die bei Diogenes Laertios erzählten Anekdoten vermitteln ein lebhaftes Bild von der kynischen Predigt, die ihre Ansichten nach dem Ideal der παρρησία (6,69; vgl. auch Dio Chrys., Or. 6,57; 9,7) rundheraus ausspricht.28 Aufgrund ihrer so gearteten Anziehungskraft entwickelt sich die kynische Lebensweise in der Antike zu einer verbreiteten Philosophie.29 Alles in allem handelt es sich beim Kynismus damit aber weniger um eine theoretische Philosophie denn um einen praktischen Lebensstil.30 Die Konzentration liegt deutlich auf Seiten der Ethik (6,103).
24 Und zu einem jungen Mann, der sich in dem Trinkspiel Kottabos übt, spricht er: „Je besser du spielst, umso schlechter bist du dran“ (6,46). 25 Vgl. hierzu M.-O. GOULET-CAZÉ, Kynismus, 976. Goulet-Cazé erblickt in den Kynikern die Schöpfer der Diatribe. Ebenso A.D. NOCK, Christianity, 124. Vgl. hierzu auch D.R. DUDLEY, History, 111; A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 10. 26 Vgl. hierzu auch R. HELM, Kynismus, 19–21; E.P. KORKOWSKI, Menippus, 37–38. 27 Vgl. hierzu auch F.J. BENDA, Tradition, 41–42; D.R. DUDLEY, History, 41.95; M.-O. GOULET-CAZÉ, Kynismus, 976; A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 5. 28 Zur παρρησία der Kyniker als einer Haltung, die sich nicht nur im Reden sondern besonders auch im Handeln dieser Menschen widerspiegelt vgl. L.E. VAAGE, Dogs, insbes. 26.30. Vgl. hierzu auch M. BILLERBECK, Greek Cynism, 155; D.R. DUDLEY, History, 120; R. HELM, Kynismus, 13. 29 So auch M.-O. GOULET-CAZÉ, Kynismus, 972; E.P. KORKOWSKI, Menippus, 38–39. Diese Tatsache hat ihr in der Literatur der Moderne bisweilen die Bezeichnung als „Popularphilosophie“ beschert (z.B. bei A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 3–5; entsprechend auch D.R. DUDLEY, History, 118). Die Ausbreitung des Kynismus gründet in der Tatsache, dass seine Vertreter von einem starken Drang zur Weitergabe ihrer Ansichten angetrieben sind (vgl. A.D. NOCK, Christianity, 58). 30 So auch G.F. DOWNING, Cynics and Christians, 585. Vgl. hierzu auch E.P. KORKOWSKI, Menippus, 41–42; E. SCHWARZ, Diogenes, 18.
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3.1.2 Die relevanten Werke menippeischen Stils Schon bei Varro und Lukian gilt der Kyniker Menippos von Gadara, der in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v.Chr. lebte, als der Urvater des menippeischen Stils in der Literatur.31 Von seinen Werken ist jedoch abgesehen von wenigen kleinen Fragmenten kein einziges erhalten geblieben.32 Diogenes Laertios listet am Ende seiner Darstellung des Menippos immerhin einige Titel auf, unter denen sich die Erzählung einer Reise in die Totenwelt sowie gegen die Philosophen gerichtete Schriften befinden (Diog. L. 6,101).33 Andere antike Autoren porträtieren Menippos als einen albernen (Diog. L. 6,99) und spottenden Menschen (MAnt 6,47), der unter der lustigen Oberfläche seiner Äußerungen einen ernsten Inhalt vermittelt: Strabo nennt ihn daher den σπουδογέλοιος (Strabo 16,2,29).34 Auf diese Beschreibung passt auch die Aussage Lukians, der Menippos als einen κύων, als einen Hund bezeichnet, der gleichzeitig lacht und zubeißt (Luc., Bis Acc. 33).35 In engem Zusammenhang mit der Beschreibung Menippos’ thematisiert Lukian auch die Mischung von Vers und Prosa (Bis Acc. 33); dennoch lässt sich aus dieser Stelle nicht eindeutig ableiten, dass sich bereits in den Schriften des Menippos versförmige und prosaische Stücke abgewechselt haben.36 Deutlicher belegt ist dies für die im 1. Jahrhundert v.Chr. entstandenen Satiren Varros, da der Römer Quintilian im 1. Jahrhundert n.Chr. die Mischung von Vers und Prosa als ihr Charakteristikum nennt (Quint., Inst. Orat. 10,1,95).37 Varro selbst benutzt für seine Schriften den Begriff „menippeische Satiren“,38 diese sollen 150 Bücher umfasst haben. Auch der im 2. Jahrhundert n.Chr. schreibende Römer Aulus Gellius weiß um die me-
31 Vgl. hierzu auch A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 63–64. E.P. KORKOWSKI, Menippus, 33–34 legt Wert darauf, festzustellen, dass auch Menippus literarische Vorbilder rezipiert. Auch ich halte dies für selbstverständlich (vgl. dazu meine Überlegungen zur Genese literarischer Äußerungen: N. KRÜCKEMEIER, Der zwölfjährige Jesus, 313–316). 32 Vgl. hierzu auch M. BAUMBACH, Menippos, 1243; J.S. WILLIAMS, Definition, 8. Vgl. ferner J.C. RELIHAN, Menippus, 270–271; A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 11–12. 33 Vgl. hierzu auch J.C. RELIHAN, Satire, 39–40. 34 So auch E.P. KORKOWSKI, Menippus, 35. 35 Vgl. hierzu auch E.P. KORKOWSKI, Menippus, 45. 36 Vgl. hierzu auch J.C. RELIHAN, Satire, 40–41, der bemerkt, dass die äußere Form der Werke des Menippos bei anderen antiken Autoren nicht explizit erörtert wird. 37 Vgl. hierzu auch S. BRAUND, Prosimetrum, 441 und E.P. KORKOWSKI, Menippus, 22. 38 J.C. RELIHAN, Satire, 12 will den Terminus bei Varro allerdings nicht als einen Gattungsbegriff verstanden wissen, führt für das Postulat jedoch keine Gründe an. Zu meiner generellen Skepsis einem engen Gattungsverständnis gegenüber vgl. N. KRÜCKEMEIER, Der zwölfjährige Jesus, 313–316. Ähnlich differenziert äußern sich in dieser Frage F.J. BENDA, Tradition, 119; H.K. RIIKONEN, Satire, 51.
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nippeische Herkunft des Stils, den Varro verwendet (Gell. 2,18,7). Doch auch Varros Werke sind nur in einzelnen Fragmenten überliefert.39 Der im 2. Jahrhundert n.Chr. schreibende Syrer Lukian stellt sich selbst als einen Verbündeten des Menippos dar (Luc., Pisc. 26);40 das in seinen Schriften anzutreffende Wechselspiel zwischen versförmigen und prosaischen Teilen scheint der Selbstauskunft nach auf Menippos zurückzugehen (Bis Acc. 33). Menippos selbst tritt in Lukians Werken bisweilen als Figur auf:41 Im Icaromenippus und der Necyomantia spielt er die Hauptrolle, in den Dialogi Mortuorum begegnet er häufig, einmal erscheint er in den Fugitivi neben anderen Kynikern als ein besonderer Freund der Philosophia (Fug. 11). Und Lukians Necyomantia lehnt sich offenbar an die bei Diogenes Laertios erwähnte Necyia des Menippos an.42 Die Schriften Lukians eignen sich wegen ihrer offenkundigen Rückbezüge auf das Werk des Menippos für eine Untersuchung der Charakteristika des menippeischen Stils.43 Die folgenden vier Kriterien erlauben es, unter den Werken Lukians diejenigen auszuwählen, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit die bei Menippos vorgefundene Form und ihre Inhalte aufnehmen: Erstens spricht die bereits beschriebene Mischung von Vers und Prosa als wichtigstes formales Merkmal des menippeischen Stils für das Vorhandensein eines Stückes, welches die menippeische Tradition aufgreift.44 Zweitens ist dies auch dort der Fall, wo Menippos auftritt, da die auftretenden Philosophen bei Lukian das erleben, was sie gelehrt haben.45 Drittens gehört die Reise in die Toten39 Die Fragmente lassen allerdings erkennen, dass Varro sich in diesen Texten für die Tugend und gegen das Laster ausspricht und damit also auf die Besserung der Lesenden abzielt (vgl. H.D. WEINBROT, Menippean Satire, 38). 40 Hinter der in Luc. Pisc. auftretenden Figur des Parresiades verbirgt sich Lukian selbst; die intertextuelle Referenz auf das Stück Vitarum Auctio macht dies deutlich. 41 So auch E.P. KORKOWSKI, Menippus, 93; J.C. RELIHAN, Menippus, 277; DERS., Satire, 116– 117. 42 So geht J.C. RELIHAN, Satire, 41–42 davon aus, dass die Necyia des Menippos von allen Werken des Kynikers den stärksten Einfluss auf andere Autoren der Antike entfaltet hat. 43 So auch R. HELM, Kynismus, 17; A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 28–29; F. TAEGER, Charisma 1, 414; differenziert urteilt J.C. RELIHAN, Menippus, 276. Dagegen fällt O. HENSE, Lucian, 185 in dieser Frage ein weitgehend negatives Urteil; Hense hält lediglich die Analyse derjenigen Schriften Lukians unter dieser Zielsetzung für aussichtsreich, in welchen Menippos selbst die Hauptrolle bekleidet (ebd., 186). Vgl. zu dieser Frage auch die Erwägungen von B.P. MCCARTHY, Lucian, 10. Zu Lukians philosophischer Einordnung: Auch wenn Lukian selbst nicht gänzlich zu den Kynikern gezählt werden kann (so auch A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 24), und auch wenn er einzelne Vertreter des Kynismus deswegen attackiert, weil sie Verrat an den kynischen Idealen üben, lässt sich seine Affinität zum Kynismus vielerorts in seinen Werken deutlich spüren (vgl. H.-G. NESSELRATH, Lukian, 147–149). Der folgende Durchgang durch seine menippeischen Schriften wird dies erweisen. 44 Dieses Kriterium wendet auch A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 51 in seiner Untersuchung der menippeischen Literatur an. 45 So erlebt der Pythagoras in Lukians Gallus entsprechend seiner Lehre eine Reinkarnation (Gall. 3–4); der Naturphilosoph Empedokles betrachtet die Welt im Icaromenippus von oben aus
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welt zweifellos zu den von Menippos benutzten Motiven, so dass auch bei Lukian dort menippeischer Stil vorliegen dürfte, wo Figuren in den Hades hinabfahren. Und viertens zählt die Kritik an Reichen und Mächtigen zu den Grundzügen kynischer Philosophie, die daher auch in den Werken des Menippos eine Rolle gespielt haben wird. Für die Kritik an den anerkannten Philosophien seiner Zeit als Charakteristikum der Schriften Menippos’ sprechen zudem die bei Diogenes Laertios erwähnten Titel. Aus diesen Gründen kann auch dort mit einer Aufnahme der menippeischen Tradition in den Werken Lukians gerechnet werden, wo Kritik an Reichen, Mächtigen und Philosophen erscheint.46 Drei dieser Kriterien treffen auch auf das Stück Apocolocyntosis zu, welches der Römer Seneca in der Mitte des ersten Jahrhunderts n.Chr. in lateinischer Sprache verfasst hat. Auch dort mischen sich versförmige und prosaische Abschnitte; auch dort geschieht eine Reise in das Totenreich; auch dort äußert sich deutliche Kritik an einem Mächtigen. Es ergibt sich somit anhand der genannten Kriterien die folgende Liste von zwölf Stücken, die im Anschluss nun der Analyse von Eigenarten der menippeischen Literatur zugrunde liegen sollen:47 ▫ Lukian: Cataplus [Κατάπλους ἢ Τύραννος] ▫ Lukian: Iuppiter Tragoedus [Ζεὺς τραγῳδός] ▫ Lukian: Gallus [Ὄνειρος ἢ Ἀλεκτρυών] ▫ Lukian: Icaromenippus [Ἰκαρομένιππος ἢ Ὑπερνέφελος] ▫ Lukian: Timon [Τίμων ἢ Μισάνθρωπος] ▫ Lukian: Contemplantes [Χάρων ἢ Ἐπισκοποῦντες] (Icar. 13); und die personifizierte Akademia hält in dialektischer Manier zwei Reden im Bis Accusatus (Bis Acc. 15). Daher liegt die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch Menippos dort, wo er bei Lukian auftritt, so wie die genannten Vertreter der Philosophie das erleben darf, was er in seinen Lehren bzw. Werken vertreten hat (vgl. zu den in den menippeischen Werken auftretenden Figuren als Repräsentanten ihrer Lehren auch H.K. RIIKONEN, Satire, 33). 46 Je deutlicher ein Stück Lukians die vier Kriterien erfüllt, umso wahrscheinlicher steht es in der von Menippos begründeten Tradition. Indem ich anhand der genannten Kriterien Schriften Lukians auswähle, um auf deren Basis detaillierter besondere Merkmale der menippeischen Form herauszuarbeiten, vermeide ich also einen Zirkelschluss, da sich die Kriterien selbst eben nicht aus hypothetischen inhaltlichen Eigenarten speisen sondern auf den Bemerkungen gründen, welche verschiedene antike Quellen über das literarische Schaffen Menippos’ überliefern. Einen solchen Zirkelschluss, wie ich ihn hier zu vermeiden trachte, sehe ich beispielsweise bei J.C. Relihan gegeben, da dieser seiner Untersuchung eine Definition der „menippeischen Satire“ voranstellt, um auf dieser Basis dann die einzelnen konkreten Vertreter zu besprechen (vgl. J.C. RELIHAN, Satire, insbes. 12–36). 47 Eine ganz ähnliche Auswahl von Stücken Lukians trifft auch R. HELM (Lucian, pass.), um auf sie seine Studie zu Lukian und Menippos zu gründen. Alle Stücke tragen im Original griechische Titel. Ich nenne hier zuerst die lateinischen Namen der Werke und zitiere diese auch nach ihren lateinischen Bezeichnungen, um der in der philologischen Forschung gängigen Verfahrensweise zu folgen.
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▫ Lukian: Piscator [Ἀναβιοῦντες ἢ Ἁλιεύς] ▫ Lukian: Bis Accusatus [Δὶς κατηγορούμενος] ▫ Lukian: Necyomantia [Μένιππος ἢ Νεκυομαντεία] ▫ Lukian: Fugitivi [Δραπέται] ▫ Lukian: Dialogi Mortuorum [Nεκρικοὶ διὰλογοι] ▫ Seneca: Apocolocyntosis [Ἀποκολοκύντωσις] Dabei soll die Analyse den nachstehenden Fragestellungen und Blickwinkeln ein besonderes Gewicht einräumen:48 Erstens: Wie verläuft der Spannungsbogen des Textes, und welche charakteristischen Motive menippeischer Literatur lassen sich erkennen? Zweitens: Welche Darstellungsmittel kommen zur Anwendung? Und drittens – unter textpragmatischer Perspektive – auf welche Weise spricht der Text die idealen Lesenden an? Zur Beantwortung dieser Fragen stellt die Methode des New Literary Criticism erneut hilfreiche Werkzeuge zur Verfügung.49 Die unter „erstens“ genannte Erhebung charakteristischer Elemente einer literarischen Gattung entspricht dabei aber auch einem Grundzug der klassischen exegetischen Methode der Formgeschichte.50 3.1.2.1 Lukian: Cataplus Lukians Werk κατάπλους spielt in der Totenwelt, im ᾅδης. An seiner Grenze warten Charon, der Lenker des Bootes, welches die Toten über den Fluss Lethe hinweg in die Totenwelt transportiert,51 und die den Lebensfaden jedes Menschen spinnende Schicksalsgöttin Klotho52 auf den Götterboten Hermes53. Dieser soll neue Tote hinab bringen, verspätet sich dieses Mal jedoch (Cat. 1–2). Als Hermes dann endlich eintrifft, bemerkt Klotho schon von ferne zwei besondere Figuren unter denen, die sich in seinem Gefolge befinden: einen Gefesselten und einen Lachenden mit Ranzen und Stock, in welchem die Leserschaft aufgrund dieser Ausrüstung (vgl. Diog. L. 6,13.21–23) unschwer einen kynischen Philosophen erkennen kann. Es stellt sich heraus, dass Hermes den Gefesselten verfolgen musste, weil er Reißaus nehmen wollte, um noch länger am leben zu bleiben; daher rührt 48 Das Ziel dieser Untersuchung besteht darin, einen Vergleich zwischen der menippeischen Literatur und dem Text Lk 1–2 zu ermöglichen. Deswegen orientiert sich die der Analyse der menippeischen Schriften zugrunde liegende Fragestellung an der Perspektive, die auch schon die Betrachtung von Lk 1,1–2,40 in Kapitel 2 der vorliegenden Studie geleitet hat. 49 S.o. die Einleitung und Punkt 2.2. 50 Vgl. hierzu auch K. HAACKER, Leistung, 56–57; K. KOCH, Formgeschichte, 4. 51 Vgl. auch P. DRÄGER, Charon, 1107. 52 Vgl. A. HENRICHS, Moira, 341–342. 53 Vgl. zu Hermes G. BAUDY, Hermes, 426.430.
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die Verspätung (Cat. 3). Der Tote mit dem Stock hat Hermes glücklicherweise geholfen, den Ausreißer einzufangen, so dass Hermes ihn fesseln konnte (Cat. 4). Nun führt Hermes die verschiedenen Toten geordnet nach Todesursachen auf Charons Kahn (Cat. 5–6). Schließlich kommt der Philosoph Kyniskos an die Reihe, der ja mit Hermes zusammen den Ausreißer gejagt hat. Sein Name Kyniskos stellt ihn der Leserschaft als einen exemplarischen Vertreter der kynischen Philosophie vor. Diesen Eindruck verstärkt die Beobachtung, dass der Hinweis auf die Todesursache den Kyniskos mit Diogenes von Sinope, dem Paradebeispiel eines kynischen Philosophen, identifiziert. Denn als den Grund für den Tod des Kynikers nennt Hermes den Verzehr eines rohen Tintenfischs, wie eine kursierende Anekdote dies auch von Diogenes erzählt (Diog. L. 6,76).54 Beim Besteigen des Bootes erkundigt Kyniskos sich nun bei der Schicksalsgöttin, weshalb er denn so lange leben durfte, obwohl er darauf gar nicht besonders versessen gewesen sei. Ihre Antwort lautet: Um die Sünden der Menschen zu beobachten und die Sünder dann schließlich zu verklagen (Cat. 7).55 Nachdem Kyniskos an Bord gegangen ist, soll auch der Gefesselte den Kahn besteigen. Die Erzählung stellt diesen der Leserschaft als den Tyrannen Megapenthes vor – μεγα-πένθες heißt „große Klage“. Dieser macht seinem Namen alle Ehre, indem er sogleich eine große Klage anhebt: Lautstark trauert er um sein Haus und sein Geld, welches der Tod ihm zu entreißen droht. Klotho eröffnet ihm, das Geld werde an seinen Feind fallen, worüber Megapenthes sich umso mehr entsetzt. Er hatte sich doch selbst alles mühevoll durch Machtmissbrauch und Mord angeeignet (Cat. 8). Daher versucht der Tyrann die Klotho zu bestechen, indem er ihr Geld, Wein (Cat. 9) und sogar seine Frau als Pfand anbietet (Cat. 10), wenn er nur noch eine Weile weiterleben dürfe. Als auch dies ihm nichts hilft, will Megapenthes wenigstens erfahren, wie das Leben in seinem irdischen Umfeld weitergeht und muss zur Kenntnis nehmen, dass sein Sklave, welcher bereits seit längerer Zeit ein Verhältnis zu dieser unterhielt, seine Frau erhält. Und der neue Tyrann macht Megapenthes’ Tochter zu einer seiner Konkubinen. Als Megapenthes nachfragt, ob seine Freunde denn angesichts solcher Untaten nicht einschritten, antwortet Klotho ihm, er habe doch nur gekaufte Freunde gehabt, die nur Freunde seiner Macht und nicht Freunde seiner Person waren (Cat. 11). Der Tyrann wundert sich, die Freunde hätten doch stets auf sein Wohl mit ihm angeprostet, doch die Schicksalsgöttin entgegnet trocken: Der letzte Becher sei dafür verantwortlich, dass Megapenthes nun in die Totenwelt hinabfährt. So muss der Tyrann schmerzlich 54 55
Vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 70. Zu dieser auch andernorts erwähnten Aufgabe des Kynikers vgl. R. HELM, Lucian, 90–91.
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feststellen, wie sehr irdische Macht und irdische Reichtümer sich angesichts des Todes als vergänglich erweisen. Alles vermeintliche Sein entpuppt sich von seiner neuen Perspektive aus als purer Schein. Dies illustriert eine weitere Erinnerung des Tyrannen: Nach seinem Tod muss dieser mit ansehen, wie sein Leichnam von seinem Diener und seiner Mätresse misshandelt und verspottet wird; und als andere den Raum betreten, geben die beiden vor, sie weinten über den just Verstorbenen (Cat. 12). Als alles Reden nichts hilft, um Megapenthes zum Einsteigen zu bewegen, darf schließlich Kyniskos den Tyrannen mit seinem Stock auf das Boot prügeln. Megapenthes wird dort, um erneuten Fluchtversuchen vorzubeugen, an den Mast gefesselt (Cat. 13). Jetzt tritt der arme Schuster Mikyllos auf.56 Klotho fragt ihn, warum er sich denn nicht über die entstandene Verzögerung freue, und der Schuster erklärt es ihr: Es bestehe seiner Meinung nach ein himmelweiter Unterschied zwischen Reichen und Armen. Denn der Reiche muss alles beweinen, was er durch den Tod verliert; diese Dinge fesseln ihn regelrecht an das Leben. Ein solcher Mensch ist ein Narr, ein μάταιος. Aber der Arme, der nichts hat, lässt sein Leben mit allen Unannehmlichkeiten gerne hinter sich. „Wir Armen lachen, während die Reichen schreien und weinen“ – ἡμεῖς μὲν οἱ πένητες γελῶμεν, ἀνιῶνται δὲ καὶ οἰμώζουσιν οἱ πλούσιοι (Cat. 14–15). Klotho will dies noch genauer wissen und erkundigt sich: Worüber lachst du speziell? Darauf Mikyllos: Über den Tyrannen, den ich im Leben immer für eine gute Person gehalten habe, der sich nun aber angesichts des Todes als eine lächerliche Figur entpuppt. Mehr aber noch lache er über sich selbst wegen dieses Irrtums. Und schließlich auch über die anderen Reichen, deren Reichtümer vom Tode so drastisch relativiert werden (Cat. 16–17). Als nun Mikyllos das Boot zu betreten versucht, weist Charon ihn mit dem Argument zurück, alle Plätze seien bereits besetzt, und beginnt damit, vom Ufer abzulegen. Daraufhin entscheidet der Schuster sich, in die Lethe zu springen und zu schwimmen (Cat. 18). Um dies zu verhindern, nehmen Charon und Klotho ihn nun doch im Boot mit. Man weist dem Schuster einen Sitzplatz auf den Schultern des Tyrannen Megapenthes zu (Cat. 19). So vollzieht sich der Statustausch, von dem Mikyllos gesprochen hat – die vormals Armen lachen, während die vormals Reichen weinen –, hier auch auf einer ganz konkret körperlichen Ebene. Es beginnt die Fahrt. Kyniskos eröffnet Charon, dass er keinen Obolos besitzt, um die Überfahrt zu bezahlen. Es wird ihm daher gestattet, seine Schuldigkeit stattdessen durch Rudern und Singen abzuarbeiten (Cat. 19). 56
Zur Funktion des Schusters als Antitypos zum Reichen und Mächtigen in den Werken kynischer Philosophen vgl. R.F. HOCK, Simon the Shoemaker, 261.
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Die Klagen der Toten, die während der Fahrt den Verlust ihres irdischen Lebens beweinen, bindet der Kyniker in sein Lied ein. Während alle anderen Toten auf dem Boot bitterlich jammern, will Mikyllos sich an dem Klagegesang nicht beteiligen. Erst als Hermes ihn nachdrücklich dazu auffordert, ebenfalls eine Klage vorzutragen, spricht der Schuster die ironischen Worte: Oh ich Ärmster, nie wieder muss ich hungern und frieren! (Cat. 20). Im Hades angekommen stellt Mikyllos fest, wie dunkel es dort ist: Alle sehen gleich aus; keine üppige Kleidung, keine Schönheit unterscheidet die Menschen mehr voneinander (Cat. 22). Alle irdischen Statusunterschiede verschwimmen in den Lichtverhältnissen der Unterwelt bis zur Unkenntlichkeit. Reiche und Arme, Hohe und Niedrige besitzen im Tode den gleichen Rang. Die Gerichtsverhandlung beginnt.57 Der Totenrichter Rhadamanthys sitzt zu Gericht,58 nachdem seine Gehilfin, die Rachegöttin Tisiphone59 die Toten in Empfang genommen hat. Kyniskos möchte unbedingt als erster an die Reihe kommen, um anschließend seine Anklagen gegen den Tyrannen vorbringen zu können (Cat. 23). Er nimmt hier also die Aufgabe wahr, welche Klotho für ihn bestimmt hat: die Sünden der Menschen zu observieren und zur Anklage zu bringen (Cat. 7). Wie Kyniskos es vorgeschlagen hat, so passiert es auch: Zuerst nimmt Rhadamanthys sich seines Falles an. Kein Kläger hat etwas gegen den Philosophen vorzubringen. Um dem Richter ein zweifelsfreies Urteil zu ermöglichen, muss Kyniskos sich entblößen, denn ein jeder Mensch trägt nach dem Tode die στίγματα seiner im Leben begangenen Missetaten auf dem Rücken, bei welchen es sich eigentlich um unsichtbare Zeichen der Seele, στίγματα ἐπὶ τῆς ψυχῆς, handelt. Rhadamanthys kann keine στίγματα an Kyniskos entdecken, nur einige verblasste Spuren von Zeichen, die einmal στίγματα gewesen sind. Diese erklärt der Philosoph folgendermaßen: Lange Zeit sei er ein schlechter Mensch gewesen, doch als er begonnen hat, als Kyniker Philosophie zu treiben, seien dadurch nach und nach die Narben von seiner Seele gewaschen worden. Folglich fällt der Richter das Urteil, welches dem Kyniskos erlaubt, sich auf die Insel der Seligen zu begeben (Cat. 24). Gleich darauf darf Mikyllos sich dem Kyniker anschließen, da er auch frei von στίγματα ist (Cat. 25).
57 Auf dem Weg dorthin laufen die beiden zentralen Identifikationsfiguren Kyniskos und Mikyllos Hand in Hand und signalisieren den Lesenden so auch ihre Zusammengehörigkeit im Hinblick auf die Lebenshaltung, welche sie vertreten (vgl. R. HELM, Lucian, 64). Diese Zweiheit der Figuren als eine „überflüssige Dublette“ abzuqualifizieren (so R. HELM, Lucian, 65) verstellt m.E. den Blick dafür, das Miteinander der beiden angemessen zu würdigen. 58 Vgl. K. SCHLAPBACH, Rhadamanthys, 943–944. 59 Vgl. zu Tisiphone K. WALDNER, Teisiphone, 84.
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Nun folgt Kyniskos’ Anklage gegen Megapenthes: Unter dem Hinweis auf die zahlreichen στίγματα, die der Tyrann trägt, stellt der Philosoph vor allem den Hochmut in den Mittelpunkt seiner anklagenden Ausführungen gegen Megapenthes (Cat. 26). Geldgier, Mord und Unzucht kennzeichneten dessen Lebensführung. Auch sein Bett und seine Lampe sagen gegen den Tyrannen aus, weil sie viele seiner Vergehen mit angesehen haben (Cat. 27). Zum Schluss muss Megapenthes seinen purpurnen Umhang ablegen, so dass seine στίγματα zum Vorschein kommen. Darin vollzieht sich noch einmal deutlich die Dynamik des Statuswechsels: Seiner kostbaren Kleider entledigt, kann der Tyrann den Schein nicht mehr aufrecht erhalten, als sei er ein guter und achtenswerter Mensch; durch den Tod tritt sein wahres Sein ans Licht, indem die στίγματα seine mangelnde Tugendhaftigkeit offenkundig abbilden. Kyniskos schlägt sodann eine Strafe vor, die Rhadamanthys auch über Megapenthes verhängt: Dieser darf als einziger nicht aus der Lethe trinken, deren Wasser den Toten ermöglicht, ihr Erdenleben zu vergessen, und muss sich so immer an seine irdische Existenz erinnern und seinen Fall betrauern (Cat. 28). Im Hinblick auf die Rezeption durch die antike hellenistische Leserschaft lässt sich unter dem Strich das Folgende festhalten: Das Werk bietet den Leserinnen und Lesern einen literarischen Blick hinter die Kulissen des Todes an. Durch diese Einnahme einer neuen Perspektive sollen die Lesenden ihre eigene irdische Existenz in neuem Lichte betrachten; es relativieren sich die geltenden Maßstäbe von Macht und Reichtum. Angesichts des Todes wird die Hinfälligkeit dieser Werte offenbar. 3.1.2.2 Lukian: Iuppiter Tragoedus Im Himmel herrscht Aufruhr. Zeus60 diagnostiziert, dass es schlecht um die Götter steht (Iupp. Trag. 3), denn kürzlich hat er ein auf der Erde stattfindendes Streitgespräch zwischen den Philosophen Timokles und Damis mitangehört: Während der Epikuräer Damis die Götter für nicht existent ansieht, behauptet der Stoiker Timokles deren Existenz. Die Fortsetzung dieses Disputs steht für die nahe Zukunft an, und Zeus befürchtet, aus einem rhetorischen Sieg des Damis könnten den Göttern erhebliche Nachteile erwachsen. Er setzt seine Hoffnung auf einen Erfolg des Timokles (Iupp. Trag. 4), und beruft eine Götterversammlung ein. Die Aufgabe des Boten, der allen Göttern Bescheid gibt, übernimmt Hermes; er muss sich von Zeus allerdings über die angemessene Form eines solchen κήρυγμα belehren
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Dieser gilt in der antiken griechischen Tradition als der oberste Gott und vertritt wie kein anderer Gott Herrschaft und Allmacht (vgl. A. HENRICHS, Zeus, 782).
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lassen und soll sich dabei gemäß der Weisung des Zeus an Homers Versdichtung orientieren (Iupp. Trag. 5–6). Als die Götter zu der Zusammenkunft eintreffen, ordnet Zeus an, ihnen je nach ihrer Beschaffenheit bessere oder schlechtere Sitzplätze im Konzil anzuweisen und misst seine Artgenossinnen und –Genossen dabei nach ganz menschlichen, irdischen Maßstäben. Gold muss seiner Meinung nach in jedem Falle den Vorzug vor allen anderen Materialien bekommen (Iupp. Trag. 7). Hermes bringt diese Haltung auf den Punkt, indem er erkennt: πλουτίνδην κελεύεις. Zeus legt mehr Wert auf Reichtum denn auf die tatsächliche Leistung eines Gottes (Iupp. Trag. 7–8). Dabei nimmt er die Götter offenkundig in erster Linie als menschengemachte Götterstatuen wahr, um ihren materiellen Wert bestimmen zu können. Indem Zeus gerade diesem Blickwinkel den Vorzug einräumt, der das Handeln der Götter gar nicht wahrnimmt und sie lediglich als von Menschen angefertigte Statuen behandelt, begegnet den Leserinnen und Lesern des Stücks hier Götterkritik im Munde eines Gottes.61 Der Gott selbst ist es, der den Stand der Götter durch seine Äußerung in Frage stellt. Infolge von Zeus’ Anordnung entsteht ein Streit unter den eintreffenden Göttern. Poseidon (Iupp. Trag. 9), Aphrodite (Iupp. Trag. 10) und der Koloss von Rhodos (Iupp. Trag. 11) verlangen bessere Plätze, bis es Zeus, dem Vorsitzenden der Versammlung, schließlich bewusst wird, dass sein Prinzip sich nicht durchführen lässt, und er den Göttern die freie Wahl ihrer Sitzplätze erlaubt (Iupp. Trag. 12). Nachdem Hermes endlich die Aufmerksamkeit der anwesenden Götter auf Zeus gelenkt hat (Iupp. Trag. 13), benutzt dieser die Worte Homers (Hom., Il. 8,5), um eine angemessene Begrüßung zu sprechen, da er angesichts der aufregenden Situation keine eigenen Worte finden kann (Iupp. Trag. 14). Anschließend schildert Zeus den anderen die missliche Lage: Seiner Ansicht nach nehmen die Menschen die Götter nicht mehr in angemessenem Maße wahr und ernst. Er beklagt die abnehmende Bereitschaft der Menschen, den Göttern zu opfern (Iupp. Trag. 15) und informiert die Versammlung dann über die Diskussion zwischen den Philosophen Damis und Timokles; ein erster Schlagabtausch hat bereits stattgefunden und soll am kommenden Tag seine Fortsetzung finden. Im bisherigen Disput freilich habe Damis, der die Existenz der Götter bestreitet, die Gunst der Zuhörenden deutlich für sich gewinnen können (Iupp. Trag. 16–17). Der Kern des Problems stellt sich für Zeus nun folgendermaßen dar: ἡ πᾶσα μὲν ἡμῖν τιμὴ καὶ δόξα καὶ πρόσοδος οἱ ἄνθρωποί εἰσιν. Der Wert der Götter konstituiert sich seiner Meinung nach vollkommen aus dem Maße der Verehrung, welche die Menschen ihnen entgegenbringen. In der anstehenden Fortset61
Vgl. hierzu auch F.J. BENDA, Tradition, 98.
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zung der philosophischen Diskussion auf der Erde haben die Götter folglich viel zu verlieren. Aus eigenem Vermögen wird Timokles dabei den rhetorischen Sieg wohl nicht davontragen können (Iupp. Trag. 18). Nun meldet sich die personifizierte Kritik in der Figur des Momos zu Wort;62 dieser geht hart mit den Göttern ins Gericht und zeigt sich durchaus verständnisvoll gegenüber solchen Menschen, die an der Existenz der Götter zweifeln. Momos führt mehrere Argumente für seine Sichtweise an: Zuerst herrsche doch eine beträchtliche ταραχή, eine beträchtliche Unruhe im Leben der Menschen, die darin besteht, dass die Guten in Armut leben müssen, während die schlechten Menschen oft große Reichtümer genießen; um die beiden Gruppen zu beschreiben, gebraucht Momos die Adjektive χρηστός und μιαρός (Iupp. Trag. 19). Des Weiteren weist er auf die Sagen hin, die unter den Menschen kursieren, und in denen die Götter oft allzumenschliche Züge tragen, da sie sich verlieben, verwundet oder gefangen genommen werden können. Und endlich wirft der Kritiker den Göttern vor, dass diese sich auch ihrerseits herzlich wenig für die Belange der Menschen interessieren (Iupp. Trag. 20–21). Aus diesen Gründen hält Momos es für völlig gerechtfertigt, wenn die Menschen an der Existenz der Götter zweifeln, sie belächeln und die Opferhandlungen einstellen (Iupp. Trag. 22). Nachdem dieser seine Rede beendet hat, geht Zeus hart über die Argumente des Momos hinweg, indem er die versammelten Götter dazu auffordert, nicht auf sie zu hören. Stattdessen ermuntert er die Anwesenden dazu, Vorschläge zu machen, wie im Hinblick auf die anstehende Diskussion auf Erden zu verfahren sei (Iupp. Trag. 23). Als erster bringt sich Poseidon mit einer Idee in die Debatte ein: Man könne doch ein Exempel statuieren, und den Zweifler Damis mittels eines vom Himmel geschleuderten Blitzes oder auf ähnliche Weise schlicht aus dem Weg räumen (Iupp. Trag. 24).63 Zeus muss daraufhin ein Ohnmachtsbekenntnis ablegen und Poseidon darüber belehren, dass solcherlei Eingreifen in irdische Dinge doch gar nicht in der Macht der Götter liege sondern einzig durch das Schicksal bestimmt werde (Iupp. Trag. 25). Wieder geschieht hier damit Götterkritik im Munde des obersten Gottes.64 Als nächster will Apollon das Wort ergreifen, um der Versammlung einen Vorschlag zu unterbreiten; obwohl er jung ist, erhält er dazu die Erlaubnis (Iupp. Trag. 26). Apollon beklagt, dass die rhetorischen Fähigkeiten
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Zu Momos vgl. CH. WALDE, Momos, 351; zu seiner kritischen Haltung vgl. auch R. HELM, Lucian, 148. 63 Dieser Vorschlag entspricht seinem Temperament, da Poseidon in den legendarischen Erzählungen oft mit der Gewaltanwendung in Beziehung steht, insbesondere als ein das Erdbeben bewirkender Gott (vgl. J.N. BREMMER, Poseidon, 202.204). 64 So auch R. HELM, Lucian, 142.
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des Timokles leider zu wünschen übrig lassen (Iupp. Trag. 27), woraufhin ihn Momos sogleich dafür kritisiert, dass auch Apollon sich in den Orakelsprüchen, in welchen er sich den Menschen gegenüber äußert, alles andere als klar ausdrückt (Iupp. Trag. 28).65 Nun empfiehlt Apollon den Versammelten, dem Timokles einen ihn unterstützenden Redner, einen συνήγορος an die Seite zu stellen (Iupp. Trag. 29). Angestachelt von der Kritik des Momos gibt Apollon dann eine Kostprobe seiner Orakelsprüche, die sich auf den Ausgang der Diskussion zwischen Damis und Timokles beziehen soll (Iupp. Trag. 30–31). Es stellt sich jedoch nur heraus, dass Apollon selbst keineswegs dazu in der Lage ist, sich klar und deutlich zu äußern, wodurch der Gott selbst seiner eigenen Beurteilung der rhetorischen Fähigkeiten des Timokles die Autorität entzieht und den soeben eingebrachten Vorschlag disqualifiziert. Momos reagiert darauf mit ironischen und beißend spöttischen Bemerkungen (Iupp. Trag. 31). Der Gott Herakles66 bringt nun eine dritte Idee zu einer Maßnahme ein, welche freilich dem Vorschlag Poseidons stark ähnelt: Herakles will das Stadttor, in welchem sich Damis und Timokles zur Diskussion treffen, zum Einsturz bringen, damit es den Damis zerschmettert und dieser seine Hörerinnen und Hörer nicht mehr zum Zweifel an den Göttern verleiten kann.67 Wie bereits zuvor müssen die Götter daraufhin der Tatsache ins Auge sehen, dass sie zu solchen Eingriffen in die irdische Welt nicht in der Lage sind, da diese Dinge einzig vom Schicksal bestimmt werden. Nicht einmal die Diebe, die die Tempel bestehlen und die Götterstatuen zerstören, können die Götter von ihrem Tun abhalten oder sie bestrafen (Iupp. Trag. 32). Die Götter selbst müssen so ihr Unvermögen eingestehen und bestätigen damit genau das, was der irdische Gegner an ihnen kritisiert. Doch nun erfahren die Götter, dass auf Erden der Disput weitergeht (Iupp. Trag. 33). Zeus lässt die Himmelspforten öffnen, und die Götter beobachten von oben, was passiert (Iupp. Trag. 34). Anfangs gehen die irdischen Kontrahenten etwas rüpelhaft miteinander um, und Zeus freut sich, dass Timokles dabei noch lauter herumschreit als Damis, und wertet dies als ein Zeichen von Qualität (Iupp. Trag. 35). Auf diese Weise verwechselt der oberste Gott die Äußerlichkeiten der Rede mit deren inneren Gehalt und urteilt damit auf eine Weise, die die kynischen Philosophen an den Menschen oftmals kritisieren: als eine Sichtweise, die der äußeren
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Zur Jugendlichkeit Apollons und zu seinen Orakeln vgl. F. GRAF, Apollon, 863.865. Zur Bedeutung des Herakles für die Kyniker vgl. E. ZELLER, Philosophie 2/1, 307. 67 Die Anwendung von Gewalt gegen bedrohliche Untiere und gefährliche Menschen tritt als ein Charakteristikum häufig in den um Herakles herum erzählten Sagen der Antike auf (vgl. F. GRAF, Herakles, 389). 66
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Erscheinung den Vorzug vor inneren Werten gibt68 und infolge dessen zu in kynischen Augen verkehrten Werturteilen gelangt. Bald erreicht die Diskussion zwischen den beiden Philosophen jedoch eine sachlichere Dimension: Damis bestreitet das Eingreifen der Götter in die Abläufe irdischer Geschehnisse und fragt sich rhetorisch, weshalb die Götter noch nicht eingegriffen und ihn zum Schweigen gebracht hätten, wenn dies doch in ihrer Macht liegt (Iupp. Trag. 36). Er amüsiert sich über die burlesken Episoden, welche die Götter in den Erzählungen Homers erleben (Iupp. Trag. 39–40) und weist seinen Kontrahenten darauf hin, dass unter den Völkern der Erde ganz unterschiedliche Vorstellungen über die Götter herrschen, was Damis als Verwirrung deutet, welche für ihn der Existenz von Göttern widerspricht (Iupp. Trag. 42). Er spricht den Orakeln aufgrund ihrer Undeutlichkeit die Glaubwürdigkeit ab (Iupp. Trag. 43) und lässt sich auch von Timokles’ Vergleich des Menschenlebens mit einer Schiffsreise nicht überzeugen, als werde der Lebensweg von einem umsichtigen Kapitän gelenkt (Iupp. Trag. 46–49). Im Gegenteil: Damis macht sich das von Timokles eingebrachte Bild sogar für die eigenen rhetorischen Zwecke zu Nutze: Wenn es wirklich einen Kapitän gäbe, so argumentiert er, würde dieser sicher die Guten, die χρηστοί von den Bösen, den φαῦλοι unter den Reisenden zu unterscheiden wissen und sie entsprechend behandeln. So etwas passiert nach der Ansicht Damis’ in der irdischen Welt jedoch allzu selten (Iupp. Trag. 49). Auch hier kommt damit wieder ein klassischer Topos kynischen Denkens zur Sprache. Die Götter bekommen es angesichts dieser rhetorischen Überlegenheit Damis’ mit der Angst zu tun. Zeus erkennt, wie sehr Timokles rednerisch in die Enge getrieben wird (Iupp. Trag. 41). Der Kritiker Momos unterstützt dabei fortwährend die Ansichten des Götterkritikers auf der Erde (z.B. Iupp. Trag. 44), bis Zeus schließlich ganz blass wird und vor Furcht zu zittern beginnt (Iupp. Trag. 45). Timokles hat den Argumenten des Damis nicht viel entgegenzusetzen. Am Ende unternimmt er einen letzten Versuch, Damis zu überzeugen, indem er einen Syllogismus anwendet und die Existenz der Götter durch die Existenz von Altären zu beweisen sucht.69 Nachdem Damis darüber herzlich gelacht hat, beendet er die Diskussion und geht fort (Iupp. Trag. 51). Der Leserschaft ist klar, dass Damis die Diskussion wegen der Niveaulosigkeit des Arguments Timokles’ als beendet ansieht. Dieser jedoch wertet den Fortgang seines Gegners auf der Ebene der erzählten Welt als Zeichen der
68 So hat Zeus zuvor ja auch bereits den Wert der Götter nach der Beschaffenheit irdischer Götterstatuen bemessen wollen (Iupp. Trag. 7–8). 69 Vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 136.
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Unterlegenheit des Damis und läuft diesem hinterher, indem er Beschimpfungen ausruft. Die Götter indessen atmen auf (Iupp. Trag. 52–53). Das Werk verschafft insgesamt seinen Leserinnen und Lesern eine neue Wahrnehmung der Götterwelt, indem es ihnen Einblicke in einen ansonsten verborgenen Bereich erlaubt. Durch diese Perspektive relativieren sich die traditionellen Bilder, die im Denken der Menschen über die Götter vorherrschen. Der als Repräsentant der Allmacht geltende Gott Zeus selbst überzeugt die Lesenden mit seinen Äußerungen und Taten von der eigenen Ohnmacht.70 3.1.2.3 Lukian: Gallus Derselbe arme Schuster Mikyllos, der auch in Lukians Cataplus vorkommt, tritt in dem Stück Gallus als eine der beiden Hauptfiguren auf.71 Den Platz der zweiten Hauptfigur nimmt der Hahn des Schusters ein: Eines Morgens wird Mikyllos durch den Hahnenschrei aus seinem Traum herausgerissen, woraufhin er dem Hahn ärgerliche Vorwürfe macht. Der Schuster hatte sich gefreut, für einen Moment träumend seiner Armut entronnen zu sein, und sieht sich nun, vom Hahn geweckt, wieder mit seiner herkömmlichen Existenz konfrontiert. So droht er dem Tier Schläge an. Der Hahn jedoch antwortet, er habe seinem Herrn lediglich einen Gefallen erweisen wollen, indem er ihn vor falschen Illusionen bewahrte (Gall. 1). Zwischen dem verwunderten Mikyllos und dem sprechenden Hahn entspinnt sich nun ein Dialog über die Vorzüge und Nachteile des Reichtums (Gall. 2). Der Hahn gibt sich dem Schuster als Reinkarnation des Philosophen Pythagoras zu erkennen (Gall. 3–4). Als Mikyllos den Namen Pythagoras hört, assoziiert er mit diesem sogleich die von ihm erlassene Lehre, die den Genuss von Fleisch und Bohnen verbietet, sowie die Tatsache, dass Pythagoras sich selbst für eine Reinkarnation des Euphorbos hielt, welcher in Homers Ilias im Kampf um Troja als Held in Erscheinung tritt (Hom., Il. 16,806–815; 17,9–60).72 Der Hahn bestätigt, genau dieser stehe vor ihm, und Mikyllos schmunzelt darüber, es mit einem ἀλεκτρυὼν φιλόσοφος, mit einem Philosophenhahn zu tun zu haben. Sogleich stellt der Schuster seinen Hahn nun aber auch zur Rede, weshalb er denn die Bohnen so bereitwillig angenommen habe, welche Mikyllos ihm am Vortag als Futter vorgeworfen hat, wo dies doch der Ethik des Pythagoras widerspricht (Gall. 4). Und der
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Vgl. hierzu auch F.J. BENDA, Tradition, 94. Hinweise auf seinen Beruf des Schusters finden sich hier in Gall. 22 und 26. 72 Zu Pythagoras und seinen Speisevorschriften sowie zu seinen Ansichten über die Seelenwanderung vgl. CH. RIEDWEG, Pythagoras, 650–651. Zu Euphorbos vgl. CH. AUFFARTH, Euphorbos, 265. 71
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Hahn erwidert, was er dem Menschen nicht erlaube, sei für ihn als einen Vogel deshalb nicht auch verboten (Gall. 5). Mikyllos kommt nun wieder auf seinen Traum vom Reichtum zu sprechen (Gall. 7), und um dem Hahn den Hintergrund zu verdeutlichen, welcher zu diesem Traum geführt hat, erzählt er dem Tier von seinen Erlebnissen des Vortages (Gall. 8–9): Zum ersten Mal in seinem Leben hat Mikyllos die Gelegenheit erhalten, bei einem reichen Mann zum Gastmahl zu gehen. Der reiche Eukrates hat anlässlich des Geburtstags seiner Tochter ein Mahl veranstaltet, und weil einer der vorgesehenen Gäste aus Krankheitsgründen voraussichtlich dem Mahl fernbleiben würde, hat Eukrates den Schuster gebeten, anstelle dieses Mannes am Mahl teilzunehmen (Gall. 9). Nachdem Mikyllos sich gewaschen und gut gekleidet hatte, musste er allerdings beim Hause des Eukrates feststellen, dass der vermeintlich verhinderte Philosoph Thesmopolis sich trotz seiner Krankheit von einigen Trägern auf deren Schultern zum Mahl bringen ließ (Gall. 10). Aber dennoch hat der Gastgeber Mikyllos gebeten zu bleiben, und dieser musste sich daraufhin mit der Situation arrangieren, neben Thesmopolis zu sitzen, denn der Philosoph hat den Schuster mit seinem Gerede über die Tugend geplagt und ihm so den Genuss des Mahles verdorben (Gall. 11). Jetzt kann Mikyllos zu seiner Schilderung des Traumes zurückkehren: In diesem hat sich der Schuster nach dem Tod des Eukrates zu dessen Erben eingesetzt gesehen und ist auf diese Weise in den Genuss großen Reichtums gelangt (Gall. 12). Der Hahn äußert sich daraufhin skeptisch im Hinblick auf die positive Bewertung, die der Reichtum in der Rede des Mikyllos erfährt. Der Schuster fängt deshalb an, die Vorteile aufzuzählen, die der Reichtum in seinen Augen besitzt: Das Gold verleiht dem Besitzenden Achtung und Ehre. Wer reich ist, wird von den Menschen auch als gut, weise und stark angesehen (Gall. 13). Als Beispiel für diesen Vorgang führt der Schuster seinen Nachbarn Simon an, der kürzlich zu unerwartetem Reichtum gelangt ist und nun bei jedermann in gutem Ansehen steht. Doch wie sich herausstellt, handelt es sich bei Simon keineswegs um eine tugendhafte Persönlichkeit: der Hahn hat ihn dabei beobachtet, wie er Mikyllos bestohlen hat. Außerdem blickt Simon nun verächtlich auf den armen Schuster Mikyllos herab und behandelt diesen beim Grüßen auf der Straße auf überhebliche Weise (Gall. 14). Der Hahn versichert seinem Herrn erneut – als einer, der in seinen zurückliegenden Leben sowohl Armut als auch Reichtum erlebt hat –, dass Reichtum und Tugend in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zueinander stehen. Niemand, so der Hahn, führe ein froheres Leben als Mikyllos (Gall. 15). Der Vogel beginnt nun, um seine These zu belegen, dem Schuster aus seinen bisherigen Leben zu erzählen. Auf Mikyllos’ Rückfrage hin, ob er selbst, Mikyllos, denn auch schon einmal ein Leben in einer an-
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deren Kreatur geführt habe, entgegnet der Hahn, Mikyllos sei eine nach Gold suchende indische Ameise gewesen (Gall. 16).73 Nachdem der Hahn die umfassenden philosophischen Erkenntnisse erwähnt hat, welche er in seinen bisherigen Existenzen angesammelt hat (Gall. 17), fragt Mikyllos ihn nach dem Verbot des Fleisch- und Bohnengenusses, das er in der Person des Philosophen Pythagoras erlassen hat, und das Tier gesteht, dass diese Lehre nur dem Zweck diente, durch ihre Außergewöhnlichkeit Aufsehen zu erregen (Gall. 18). Auch das Leben einer Frau habe er schon einmal geführt, sagt der Hahn, nämlich in der bekannten Kurtisane Aspasia aus Milet (Gall. 19),74 und anschließend sei er der kynische Philosoph Krates von Theben geworden (Gall. 20).75 In der Summe habe er für den vom Reichtum träumenden Schuster nur ein Lächeln übrig, beteuert der Hahn. Denn so wie er selbst als Vogel in niedrigem Ansehen steht und doch reich an Erfahrung ist, dürfe man auch im Hinblick auf Armut und Reichtum Schein und Sein nicht miteinander verwechseln (Gall. 20). Der Hahn spricht damit eine grundlegende kynische Überzeugung aus. Auf die Aufforderung des Mikyllos hin bündelt das Tier nun seine Argumente für die Vorzüge der Armut:76 In Kriegszeiten müsse der Arme sich im Unterschied zu den Reichen nicht um seinen Besitz sorgen (Gall. 21), während er in Zeiten des Friedens als stimmberechtigtes Mitglied der Demokratie sogar über die Reichen mitbestimmen könne (Gall. 22). Die einfache Ernährung halte seinen Körper widerstandsfähig, so dass der arme Mikyllos sich auch einer besseren Gesundheit erfreue als die Reichen (Gall. 23). Der Schuster bittet den Hahn nun, vom Leben als König zu berichten. Obwohl er nach außen hin sehr glücklich schien, sei er in dieser Zeit besonders traurig gewesen, beteuert der Vogel. Er vergleicht das Leben des Königs mit der Existenz eines hölzernen Koloss’: Diese Statue wirke durch ihre Größe zwar bewundernswert, doch in ihrem Innern wohnen Ratten (Gall. 24). So brächten die Sorgen den Herrscher um seinen Schlaf; sogar seinen Freunden gegenüber müsse er misstrauisch sein (Gall. 25). Mikyllos beginnt nun, den Argumenten des Vogels zuzustimmen (Gall. 26), welcher 73 Die Rede von goldsuchenden Ameisen entspricht einer in der griechischen Antike präsenten Vorstellung. So beschreibt Herodot (Hdt. 3,102) indische Ameisen, die größer als Füchse sind und beim Erbauen ihrer Behausungen goldhaltigen Sand nach draußen werfen. Indem er den sich Reichtum wünschenden Schuster gerade mit einem solchen Tier in Verbindung bringt, erzielt Lukian einen komischen Effekt. 74 Vgl. zu ihr H. STEGMANN, Aspasia, 104. 75 Vgl. zu Krates M.-O. GOULET-CAZÉ, Krates, 811. Offenbar spiegelt sich in den Ansichten, welche der Hahn als Tier vertritt, noch vieles von dem wider, was aus seinem zurückliegenden Leben des kynischen Philosophen stammt. 76 Zu diesem Lob des einfachen Lebens und seinem kynischen Hintergrund vgl. auch R. HELM, Lucian, 330.
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allem Bisherigen noch die Krone aufsetzt, indem er behauptet, das zufriedenste Leben führten die Tiere (Gall. 27). Da Mikyllos aber noch immer nicht restlos überzeugt ist, nimmt der Hahn ihn auf eine Reise durch die Häuser verschiedener reicher Männer mit. Durch eine vom Gott Hermes mit besonderen Kräften versehene Schwanzfeder kann der Hahn sich unbemerkten Zutritt zu fremden Häusern verschaffen (Gall. 28). Der Schuster und sein Tier besuchen den neureichen Nachbarn Simon (Gall. 29), einen Mann namens Gnipho, welcher Geld verleiht (Gall. 30–31) sowie schließlich den wohlhabenden Eukrates (Gall. 32). Während Simon und Gnipho aus Sorge um ihr Eigentum nicht schlafen können, herrscht im Haus des Eukrates die Unzucht. Jetzt kann auch der Schuster überzeugt ausrufen, dass er sich nach einem solchen Leben keineswegs sehnt. Unter der neuen Perspektive wünscht er den Reichtum lieber seinen Feinden an den Hals (Gall. 30).77 Eher wolle er verhungern als mit den Reichen zu tauschen (Gall. 33).78 Aus Sicht der Lesenden stellt das Stück mit der Figur des Schusters Mikyllos ein Identifikations-Angebot bereit. Der beschriebene Gedankengang des Schusters lädt sie dazu ein, denselben Sinneswandel mitzuvollziehen. 3.1.2.4 Lukian: Icaromenippus Der Icaromenippus stellt seiner Form nach, so wie auch die anderen menippeischen Schriften Lukians, einen Dialog dar: Menippos unterhält sich mit seinem Freund und berichtet diesem von seinen Erlebnissen des vergangenen Tages. Dabei kommt dem Freund allerdings eine stark untergeordnete Rolle zu, die nur dem Zweck dient, dem Menippos ein rhetorisches Gegenüber zur Seite zu stellen, um seiner Rede einen lebhafteren Charakter zu verleihen. Der Freund hat deutlich weniger Redeanteil, und sein funktionaler Status kommt allein schon darin zum Ausdruck, dass er keinen Namen trägt sondern als ἑταῖρος (Icar. 1) angesprochen wird. Diesem Freund nun erzählt Menippos über die Reise, von welcher er just zurückgekehrt ist, von einer Reise zu den Sternen (Icar. 1). Der Freund hält dies zunächst für einen Traum, aber Menippos versichert ihm, es sei tatsächlich so geschehen, und er sei dem obersten Gott Zeus leibhaftig begegnet. So springt er gedanklich in der Zeit zurück zum Beginn seines Abenteuers: Um zum Himmel zu fliegen, verschafft er sich nach dem Vorbild des Daidalos Flügel (Icar. 2). Da er den Fehler seines Vorbildes jedoch
77 Eine ganz ähnliche Aussage findet sich bei Diogenes Laertios (Diog. L. 6,8) im Munde des Antisthenes. 78 Zur Textpragmatik dieser Aussagen vgl. R. HELM, Lucian, 322.
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nicht wiederholen will,79 müssen Menippos’ Flügel ohne Wachs auskommen. So nimmt Menippos einen Adler und einen Geier und schneidet diesen jeweils einen Flügel ab, um sie sich anzueignen (Icar. 3). Nun begründet Menippos dem Freund gegenüber zunächst einmal, weshalb er überhaupt auf den Gedanken gekommen ist, zum Himmel fliegen zu wollen: Er hat sich nämlich in starkem Maße mit den Lehren der Philosophen auseinandergesetzt, diese jedoch – je länger je mehr – als nicht zufrieden stellend und sogar als lächerlich empfunden, weil die unterschiedlichen Philosophen einander stets widersprechen.80 Dabei äußert der Suchende aber nicht nur sachliche sondern auch satirische Philosophen-Kritik, indem er die Qualität der Philosophen in Ermangelung sachlicher Kriterien nach der Ausdrucksstärke ihres mürrischen Gesichts und der Länge ihres Barts beurteilt (Icar. 5). Die sachliche Kritik führt er jedoch weiter aus: In den Augen des Menippos sind die Philosophen nämlich auch nicht klüger als die anderen Menschen. Im Gegenteil: Sie denken zwar über die Entfernung zwischen den Himmelskörpern nach, können in Wirklichkeit aber nicht einmal die Entfernung zwischen Athen und der etwa 50 km westlich gelegenen Küstenstadt Megara ermessen (Icar. 6). Ihren hoch philosophischen Gedanken korrespondiert nach der Darstellung des Kritikers also eine Inkompetenz im Hinblick auf die viel elementareren Fragen des täglichen Lebens. Und doch beharren die Philosophen engstirnig auf ihren Ansichten, obwohl doch jeder von ihnen eine andere Meinung über die Beschaffenheit des Universums vertritt (Icar. 7–8). Genauso wenig herrscht unter ihnen Einigkeit darüber, wie man sich die Götter vorzustellen habe (Icar. 9). Um sich Klarheit zu verschaffen, beschließt Menippos aufgrund all dessen nun also, zum Himmel zu fliegen, und benutzt dazu den rechten Flügel des Adlers und den linken des Geiers (Icar. 10). Nach einiger Übung gelingt es ihm auch, abzuheben. Seinen ersten Stopp legt er auf dem Mond ein und betrachtet von oben herab die Erde (Icar. 11). Durch die veränderte Perspektive bemerkt Menippos, wie klein die Erde eigentlich ist (Icar. 12), aber die Einzelheiten des menschlichen Lebens kann er zunächst nicht erkennen. Doch glücklicherweise begegnet er dann dem Naturphilosophen Empedokles,81 welcher sich durch die Wucht eines Vulkans zum Mond hat herauf-
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Daidalos konstruiert gemäß der Legende für sich selbst und seinen Sohn Ikaros – welcher dem Lukian neben Menippos für die Namensgebung des Stückes Pate steht – Flügel, die von Wachs zusammengehalten werden. Doch Ikaros nähert sich damit der Sonne zu sehr, so dass das Wachs schmilzt. Er stürzt vom Himmel herab ins Meer und ertrinkt (Ovid, Metam. 8,183–235). Vgl. F. GRAF, Ikaros, 929. Vgl. hierzu auch E. KEARNS, Daidalos, 273. 80 Vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 87–88. 81 Zu Empedokles vgl. J. BOLLACK, Empedokles, 1011–1012 sowie E. WELLMANN, Empedokles, 2508–2511.
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katapultieren lassen (Icar. 13).82 Dieser erklärt ihm nun den Zusammenhang zwischen dem rechten Flügel und dem rechten Auge: dem Adlerflügel entspricht das Adlerauge. Indem er sein rechtes Auge benutzt, kann Menippos so scharf sehen wie der Adler, dessen Flügel er trägt (Icar. 14). Empedokles löst sich in Rauch auf,83 und Menippos kann infolge des Ratschlags nun einen genaueren Blick auf die Erde werfen. Er entdeckt zunächst das verwerfliche Tun der Könige, welche Morde begehen und Unzucht treiben. Gewaltanwendung aus Gier bestimmt ihr Handeln (Icar. 15). Aber nicht nur die βασιλεῖς sondern auch die anderen Menschen benehmen sich in den Augen des Menippos unvernünftig, da auch sie ihr Leben in erster Linie von der Sucht nach Geld und persönlichem Vorteil bestimmen lassen (Icar. 16). Vom Mond aus gesehen stellt das irdische Treiben ein fürchterliches Wirrwarr dar (Icar. 17). Insbesondere über die Landbesitzer und die Reichen macht Menippos sich lustig, weil seine Perspektive ihm offenbart, wie klein die Besitztümer der Menschen eigentlich sind (Icar. 18); das Miteinander der Irdischen gleicht in seinen Augen einem Ameisenhaufen (Icar. 19).84 Bevor Menippos weiterreist, gibt ihm noch der Mond eine Beschwerde an den obersten Gott mit auf den Weg: Zeus möge doch bitte zur Kenntnis nehmen, wie sehr die Philosophen den Mond mit ihren Spekulationen über die Beschaffenheit der Himmelskörper beleidigen (Icar. 20).85 Der in den nächtlichen Stunden aufmerksam die Erde beobachtende Mond weiß genau, welchen untugendhaften Tätigkeiten die Philosophen des Nachts nachgehen, wenn sie stehlen oder die Ehe brechen. Mit der Darstellung seiner Beobachtung will der Mond den Philosophen offenbar die Kompetenz in der Beurteilung der Himmelskörper absprechen. Er habe sogar schon mit dem Gedanken gespielt, fortzulaufen, um dem Geschwätz der Philosophen zu entkommen (Icar. 21). Nach einem mehrtägigen Flug kommt Menippos nun im Himmel an und findet die Götter in großer Besorgnis über das Auftauchen eines Menschen 82 Eine der Legenden, die sich in antiker Zeit über den Tod des Empedokles im Umlauf befinden, besagt, der Philosoph habe sich in den Krater des Ätna gestürzt (Diog. L. 8,69; vgl. E. WELLMANN, Empedokles, 2507; vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 89). 83 Hinter diesem erzählerischen Detail verbirgt sich möglicherweise eine Anspielung auf die Todesart des Empedokles (s.o. Anm. 82). 84 Wie schon Kyniskos in der Cataplus beobachtet der kynische Philosoph hier also das Treiben der Menschen (vgl. R. HELM, Lucian, 91). 85 Indem der Mond sich über solche Philosophen beschwert, welche behaupten, er habe sein Licht lediglich von der Sonne erhalten, wendet er sich gegen eine Meinung, die beispielsweise der soeben von der Mondoberfläche verschwundene Empedokles vertreten hat (zur Naturphilosophie des Empedokles vgl. E. WELLMANN, Empedokles, 2510). Die Reise zum Mond bietet diesem also die Gelegenheit, sich mit eigenen Augen über die φύσις des Mondes ins Bild zu setzen, über die er sich zuvor nur spekulativ äußern konnte.
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im Himmel vor (Icar. 22). Er stellt sich ihnen vor, legt sein Anliegen dar, sich Klarheit über die widersprüchlichen Philosophien zu verschaffen, und richtet dem Zeus auch die Beschwerde aus, welche ihm der Mond aufgetragen hat. Daraufhin lädt der oberste Gott ihn ein, für einen Tag im Himmel zu verweilen, und anschließend sucht Zeus sich einen geeigneten Platz, um für eine Weile den Gebeten der Menschen zu lauschen (Icar. 23). Es entwickelt sich ein Gespräch zwischen Menippos und dem Gott: Zeus fragt den Besucher, was denn die Menschen von ihm hielten, und dieser antwortet ihm, alle hätten selbstverständlich nur die allergrößte Hochachtung für den König der Götter übrig – βασιλέα σε πάντων εἶναι θεῶν. Zeus jedoch nimmt dies als Ironie wahr; ihm ist sehr wohl bewusst, dass sein Ansehen unter den Menschen sich verschlechtert hat, da er nicht mehr so viele Opfer erhält wie einstmals (Icar. 24).86 Der Gott kritisiert sich selbst. Er durchschaut zwar die missliche Lage, weiß sich selbst jedoch nicht zu helfen. Nun wendet Zeus sich den Gebeten der Menschen zu, und Menippos wird Ohrenzeuge dieses Vorgangs. Die meisten der eingehenden Gebete haben höchst egoistische Bitten zum Inhalt; vielfach wollen Menschen sich auf Kosten anderer bereichern. In anderen Fällen tragen Menschen Bitten vor, welche sich nicht miteinander vereinbaren lassen. Zeus gerät durch solche Gebete dann in einen Zwiespalt, wenn auch noch beide Beter ihm gleichgroße Opfergaben für die Erfüllung ihrer Wünsche anbieten (Icar. 25). Diese Beobachtung Menippos’ impliziert die Bestechlichkeit des Gottes und rückt diesen dadurch in ein schlechtes Licht; Zeus urteilt auch nicht nach besseren ethischen Maßstäben als die Menschen, deren Gebete er vernimmt. Menippos darf zum Abendessen bleiben (Icar. 27), und am nächsten Tag ruft Zeus die Götter zu einer Versammlung zusammen. Thema der Diskussion sollen die Philosophen sein, an welchen es nach seiner Sicht einiges zu beanstanden gibt: Sie führen kluge Reden und widmen sich dem Thema der Tugend, der ἀρετή, obwohl sie in Wirklichkeit ganz untugendhaft handeln. So verbergen sie sich gleichsam unter einer Maske (Icar. 29). Dennoch blicken sie hochmütig auf die anderen Menschen herab und lehren zudem auch noch irrige Ansichten über die Götter. In der Öffentlichkeit äußern sie sich verächtlich im Hinblick auf Reichtum und Genuss, doch wenn sie sich dann unbeobachtet wähnen, treiben sie es selbst am schlimmsten, indem sie hemmungslos ihren Begierden nachgehen (Icar. 30). Die Philosophen folgen ihren eigenen Lehren nicht. Zudem bewerten die Zuhörer diese Lehren nicht nach inneren sondern nach äußeren Kriterien: Nicht aufgrund des Inhalts sondern aufgrund der oftmals derben Rhetorik erfahren die Philoso-
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Vgl. hierzu auch die zentrale Besorgnis des Zeus in Luc., Iupp. Trag.
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phen Zuspruch oder Ablehnung. Wer am lautesten schreit, wird für den Klügsten gehalten. All diesen seinen Beobachtungen begegnet Zeus nun mit der Frage nach dem Nutzen der Philosophie. Was eine Lehre an Gutem zum Leben, πρὸς τὸν βίον, beiträgt, gilt ihm als das entscheidende Merkmal, an welchem sich ihr Wert ablesen lässt (Icar. 31). Schließlich nennt der oberste Gott noch die Epikuräer beim Namen und schilt diese dafür, dass sie das Eingreifen der Götter in irdische Angelegenheiten nicht nur leugnen sondern darüber hinaus auch noch der Ansicht sind, die Götter interessierten sich nicht einmal für das Leben auf der Erde (Icar. 32). Das Votum, mit welchem die Götterversammlung auf den Befund reagiert, ist eindeutig: Die Philosophen sollen vernichtet werden. Das Urteil setzt Zeus jedoch bis zum Ende der ἱερομηνία aus, bis zum Ende des Monats, in welchem die Olympischen Spiele in Verbindung mit besonderen Opferhandlungen stattfinden (Icar. 33). Menippos hat damit sein eingangs gesetztes Ziel erreicht und ist zu einer – sogar himmlisch legitimierten – Einschätzung der Philosophen gelangt. Schließlich wird der irdische Besucher in Begleitung von Hermes auf die Erde zurück geschickt.87 Damit beendet Menippos die Erzählung seiner Erlebnisse. Von seinem Freund verabschiedet er sich mit der Erklärung, er wolle nun den Philosophen die gute Nachricht des himmlischen Urteils bekannt machen. Dabei benutzt er die Vokabel εὐαγγελίζω (Icar. 34). Die bevorstehende Vernichtung der Philosophen stellt in seinen Augen also eine freudige Kunde dar. 3.1.2.5 Lukian: Timon Im Mittelpunkt von Lukians Timon steht eine Person, die den zeitgenössischen Leserinnen und Lesern als Inbegriff der Menschenfeindlichkeit bekannt ist: Timon.88 Das Stück fängt mit einem Gebet an, das die Titelfigur an den Gott Zeus richtet. Allerdings geht Timon dabei reichlich respektlos mit dem obersten der Götter um: Als Anrede an Zeus benutzt der Beter verschiedene Ehrennamen, fügt dann jedoch hinzu, dass es die verrückten Dichter sind, welche solcherlei Bezeichnungen zu verwenden pflegen, während er selbst, Timon, die Macht des Gottes in Zweifel zieht (Timon 1). Denn Zeus scheint weder die Meineidigen noch die ungerecht Handelnden zu sehen; Timon hält ihn daher für kurzsichtig (Timon 2), obwohl der Gott ja in früheren Tagen – damit bezieht sich der Betende wohl auf die mythi87 Zu der Aufgabe des Hermes, die Menschen abwärts durch die Sphären zu begleiten, vgl. auch Luc., Cat. 1–2. 88 Vgl. D. ROHMANN, Timon, 591.
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schen Erzählungen, die vor allem Homer überliefert – aktiver in das Geschehen auf der Erde eingegriffen hat (Timon 3). Nun muss Zeus die Konsequenzen seines Leichtsinns, seiner ῥαθυμία, tragen: die Menschen ehren ihn nicht mehr mit Opfern, und Tempelräuber haben sein Heiligtum bestohlen. Sogar die Zeus-Statue auf dem Olymp ist der Willkür von Randalierern ausgeliefert. Dieser Befund steht nach der Ansicht Timons in krassem Gegensatz zu den Ehrenbezeichnungen des Gottes und den Taten, welche in den Mythen über ihn erzählt werden (Timon 4). Nachdem er diese prinzipiellen Feststellungen getroffen hat, kommt der Betende auf seine eigene konkrete Notlage zu sprechen; diese erscheint im Zusammenhang mit dem Vorausgehenden als Konkretion und beispielhafter Fall der teilnahmslosen Haltung des Zeus. Timon ist nämlich einstmals reich, πλούσιος, gewesen und nun arm, πένης, geworden, weil er seinen Reichtum mit seinen Mitmenschen geteilt hat. Doch obwohl er sich dadurch als Wohltäter erwiesen hat, und die Nutznießer seiner Wohltaten selbst zu reichen Leuten geworden sind, behandeln ihn diese nun herablassend, da Timon jetzt zu den Armen zählt. Nicht nur von den Menschen sondern insbesondere von Zeus fühlt Timon sich im Stich gelassen (Timon 5). Er verdient sich ein wenig Geld als Lohnarbeiter, der sich mit der Hacke auf einem Ackerfeld müht, und betrachtet dies als philosophierende Tätigkeit. Gleichzeitig ruft er Zeus um Gerechtigkeit an (Timon 6). Im Himmel hört der oberste Gott die Worte, und stellt zunächst fest, dass es sich bei einem so unverschämt über die Götter Sprechenden sicherlich um einen φιλόσοφος handeln müsse. Sein Sohn Hermes stellt ihm daraufhin den Beter als Timon von Kollytos vor. Auf Zeus’ Nachfrage hin, weshalb dieser Mensch als einstmals Reicher denn nun seinen Tagesunterhalt mit Lohnarbeit verdienen müsse (Timon 7), klärt Hermes ihn auf, indem er Timons φιλανθρωπία als den Grund dafür angibt, dass dieser seinen gesamten Besitz verschenkt hat, und nun jedoch sogar von denen, die von der φιλανθρωπία profitieren konnten, gemieden wird (Timon 8). Zeus hat dies bislang nicht mitbekommen, weil er stets auf die vielen Verbrecher unter den Menschen Acht geben musste, die seine gesamte Aufmerksamkeit beansprucht haben. Und schlimmer noch als das: Die philosophischen Reden der Menschen über die Tugend, ἀρετή, und dergleichen verursachen in seinen Ohren einen solchen Lärm, dass Zeus die Gebete schon nichteinmal mehr akkustisch verstehen kann (Timon 9). So kritisiert der oberste Gott zwar einerseits die Menschen mit ihrem verbrecherischen Handeln und ihren lauten jedoch nutzlosen philosophischen Debatten, doch andererseits spricht er auch sich selbst das Urteil, indem er aufdeckt, wie wenig er den Gang der Dinge zu ordnen in der Lage ist.
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Allerdings beschließt er nun, da er von der Situation des Timon erfahren hat, diesem zu helfen und dazu Ploutos, den personifizierten Reichtum,89 zu dem klagenden Menschen zu schicken. Die Bestrafung derjenigen, welche Timon verächtlich behandeln, obgleich sie seine Großzügigkeit erfahren haben, muss Zeus indes auf später verschieben, weil er seinen Donnerkeil derzeit nicht einsetzen kann, seit er ihn auf einen Philosophen geschleudert und diesen jedoch verfehlt hat, so dass das Gerät zerbrach (Timon 10). Hermes lobt in ironischem Tonfall den Weg, der Timon mit seinem Anliegen zum Erfolg geführt hat: Es komme nur darauf an, sich auch ja laut und penetrant zu geben – dann erhöre Zeus das Gebet (Timon 11). Implizit kritisiert er damit die Haltung, die eine Ansicht nicht nach ihrem Inhalt sondern nach der Form ihres Vortrags beurteilt, und die sich in seinen Augen im Verhalten seines Vaters Zeus widerspiegelt. Ploutos protestiert nun aber bei Zeus gegen den soeben erhaltenen Auftrag: Er will nicht noch einmal zu Timon zurückkehren, weil dieser ihn zuletzt so schlecht behandelt und ihn einfach verschwendet hat (Timon 11– 12). Aus diesem Impuls heraus ergibt sich zwischen Zeus und Ploutos ein Gespräch über das Wesen des Reichtums. Der oberste der Götter stellt zunächst fest, dass Ploutos sich weder den Geiz noch die Verschwendung als eine angemessene Haltung eines reichen Menschen wünscht (Timon 13– 14). Sein Gegenüber bestätigt dies, indem er das Verhältnis des Reichen zum Reichtum mit der Liebe vergleicht. Die junge Frau möchte von ihrem Mann auch weder eingeschlossen noch mit anderen Männern geteilt werden (Timon 15–17). Endlich kann Zeus den Ploutos doch dazu bewegen, zu Timon zu gehen. Er schickt ihn zusammen mit Hermes auf die Reise – nicht ohne seinem Sohn noch aufzutragen, bei der Gelegenheit die Zyklopen vom Ätna für die Reparatur des Donnerkeils zu gewinnen (Timon 19). Das Gespräch über das Wesen des Reichtums setzt sich unterwegs zwischen Hermes und Ploutos fort. Hermes stellt fest, dass Ploutos hinkt. Dass Ploutos blind ist, wusste er wohl, doch darüber, dass er auch noch lahm ist, wundert Hermes sich. Ploutos entgegnet, letzteres sei nur dann der Fall, wenn er auf Geheiß des Zeus zu einem Menschen hin gehen müsse, während ihm das Weggehen dann sehr viel leichter falle (Timon 20). Dennoch gibt es Menschen, die zu unerwartetem Reichtum gelangen (Timon 21). Diese ändern daraufhin mitunter sogar ihren Namen (Timon 22) und zeigen sich plötzlich von einer ganz anderen Seite: Sie stoßen Beleidigungen gegen ehrbare Männer aus, prügeln ihre ehemaligen Mitsklaven und lassen sich mit Huren ein (Timon 23). Untugend und Reichtum gehen nach dieser Schilderung Ploutos’ Hand in Hand miteinander. Hermes fragt den Blinden nun, wie er denn den Weg zu dem Menschen finden könne, zu welchem er 89
Zu Ploutos vgl. L. KÄPPEL, Ploutos, 1179.
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von Zeus gesandt werde, und Ploutos gesteht, dass er einfach darauflos laufe, bis er an einen x-Beliebigen gerate (Timon 24). – Der Unterschied zwischen Armen und Reichen ist folglich dem Zufall anheim gestellt. Einen blinden Reichtum, der sich ganz unkoordiniert auf die Erde herab begibt, kann sich niemand verdienen. Nur wenn es darum geht, eine Person wieder zu verlassen, so erzählt Ploutos, dann könne er plötzlich scharf sehen und so dem Menschen behände entkommen (Timon 25). Hermes wundert sich nun darüber, weshalb ein Mensch den Ploutos überhaupt lieben könne, da dieser doch mit seinen blinden Augen und seinen hinkenden Beinen keineswegs attraktiv wirkt (Timon 26). Doch Ploutos klärt ihn auf, dass der Grund hierfür in ἄγνοια und ἀπάτη, in Unwissenheit und Betrug, liegt. Denn Ploutos tritt den Menschen gegenüber immer mit einer Maske auf, so dass die Betroffenen sein wahres Aussehen nicht erkennen können. Wenn sie es könnten – das weiß auch Ploutos selbst – würden die Menschen sich sicher nicht in ihn verlieben (Timon 27). Doch um die reich Gewordenen steht es sogar noch schlimmer, denn Ploutos kommt nicht alleine, sondern er bringt eine ganze Reihe von Untugenden mit zu den Menschen, deren Aufzählung sich wie ein sog. neutestamentlicher „Lasterkatalog“ liest (vgl. z.B. Röm 1,29–31; 2Kor 12,20; Gal 5,19–21; 2Tim 3,2–5): ὁ τῦφος καὶ ἡ ἄνοια καὶ ἡ μεγαλαυχία καὶ μαλακία καὶ ὕβρις καὶ ἀπάτη καὶ ἀλλ' ἄττα μυρία (Timon 28). Die schlechten Eigenschaften treten im Timon als anthropomorphe Mächte auf, die mit dem Reichtum zusammen durch die Haustür zum Menschen eingehen.90 Viel schwerer als den Ploutos könne man die Penia, die personifizierte Armut wieder loswerden,91 stellt Hermes fest (Timon 29). Und als sie endlich bei Timon ankommen, der sich seiner Arbeit mit der Hacke widmet, treffen sie ihn tatsächlich auch in Begleitung ebendieser Penia an. Bei ihnen befinden sich eine Reihe von Eigenschaften, die miteinander einen sog. „Tugendkatalog“ bilden (vgl. im NT etwa Gal 5,22–23): ὁ πόνος ἐκεῖνος, ἡ καρτερία τε καὶ ἡ σοφία καὶ ἡ ἀνδρεία. Wie zuvor die Untugenden, tragen auch die Tugenden anthropomorphe Züge. Als er sie alle erblickt, ruft Ploutos aus, gegen eine solche Armee könne er nichts ausrichten (Timon 31). Penia aber erkennt, was hier geschehen soll, und jammert, dies könne doch nicht Zeus’ Ernst sein, da sie gerade erst einen tugendhaften Menschen aus Timon gemacht habe. Dabei unterstreicht sie ein weiteres Mal den Zusammenhang zwischen πενία und ἀρετή. Doch Hermes bestätigt ihr, dass es sich um den unumstößlichen Willen des obersten Gottes handle (Timon 32). Darum verlässt Penia empört die Szene und nimmt die anderen 90 Daher betrachtet auch F.J. BENDA, Tradition, 43 den Reichtum in Lukians Timon als die Ursache allen Übels. 91 Zu Penia vgl. S. EIBEN, Penia, 520.
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Tugenden mit sich (Timon 33). Wie Penia protestiert auch Timon zunächst dagegen, als Hermes und Ploutos sich ihm nähern wollen: Er droht ihnen damit, sie mit Steinen zu bewerfen. Zum ersten Mal seit seinem Gebet (Timon 1–6) tritt Timon wieder in den Dialog ein und zeigt sich dabei noch feindlicher als zuvor. Er bekräftigt seine Haltung nicht nur mit Taten sondern äußert sie auch explizit: er hasse sowohl Menschen als auch Götter. πάντας γὰρ ἅμα καὶ ἀνθρώπους καὶ θεοὺς μισῶ (Timon 34). Insbesondere mit Ploutos möchte Timon nichts zu schaffen haben. Dies begründet er mit einem zweifachen Gedankengang, dessen beide Aspekte sich zueinander wie die beiden Seiten derselben Medaille verhalten: Zum ersten habe Ploutos ihm zuvor bereits sehr geschadet, da er falsche Freunde angelockt hat, die Timon nun verachten. Und zum zweiten habe Timon von Penia viel Gutes erfahren, da er durch sie gelernt habe, wo die wahren Reichtümer liegen, die kein anderer Mensch ihm wegnehmen kann (Timon 36–37). Deutlich spielt der Redende damit auf die Tugenden an, und er nimmt eine Umwertung herkömmlicher Vorstellungen vor, indem er den Reichtum schlicht umdefiniert. Nicht materieller Besitz sondern das von der Tugend bestimmte Leben soll ihm nunmehr als Reichtum gelten.92 Ploutos bemüht sich, Timon zu versöhnen (Timon 38), worauf dieser noch einmal die Armut preist, die ihm ein so frohes Leben beschert habe (Timon 39), um sich anschließend in sein von Zeus gefügtes Schicksal zu ergeben (Timon 40). Schon bald nachdem er sich seines plötzlichen Reichtums gewahr geworden ist (Timon 41), stellt sich bei Timon ein krasser Sinneswandel ein: Er beschließt, seine Mitmenschen zu verachten, nur sich selbst φίλος zu sein, alle anderen als ἐχθροί zu behandeln und seinen Reichtum mit niemandem zu teilen (Timon 42–43). So legt er sich selbst den Beinamen Μισάνθρωπος zu und bestimmt ein rüpelhaftes und zornerfülltes Auftreten zu seiner von nun an charakteristischen Eigenschaft (Timon 44). Auf diese Weise erhalten die Lesenden, welchen Timon als beispielhafter Misanthrop aus Erzählungen bekannt ist, eine Herleitung, die ihnen kundtut, wie Timon zu dem geworden ist, als den sie ihn kennen. Sofort können die neuen Charakterzüge Timons sich bewähren, denn es kommen Menschen herbei, die von seinem Reichtum erfahren haben und von ihm profitieren wollen (Timon 45). Doch allen Bittstellern ergeht es schlecht, wie sehr sie sich auch bemühen mögen, dem Reichen Honig um den Bart zu schmieren. Sie heißen Gnathonides (Timon 46), Philiades (Timon 47–48), Demeas (Timon 49–55) und Thrasykles (Timon 56–57). Sie alle ernten anstelle von Geld jedoch lediglich Schläge; der Misanthrop 92
Vgl. hierzu auch D. Laert. 6,72: Diogenes von Sinope verleiht seiner Ansicht Ausdruck, dass alle Dinge den σοφοί gehören.
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Timon attackiert sie mit seiner Hacke. Dieser Attacke geht in den beiden letzten Fällen aber ein etwas längeres Gespräch voraus: Der Rhetor Demeas versucht, den reichen Timon durch seine Wortgewandtheit für sich zu gewinnen, indem er ihm eröffnet, er wolle ein Ehrendekret für Timon veranlassen. Er trägt den Wortlaut vor und preist sein Gegenüber für allerlei Taten, welche dieser gar nicht vollbracht hat. Auf die Unwahrhaftigkeit seiner Worte angesprochen entgegnet der Rhetor, zunächst sei nur das Dekret von Interesse; Timon könne die beschriebenen Leistungen dann ja immer noch erbringen (Timon 50). Unbeeindruckt von solchen Reden bezichtigt Timon den Demeas offen der Lüge; insbesondere seine Gewohnheit, des morgens die ἀρετή in Reden zu preisen und des abends dann gänzlich untugendhaft zu leben, kritisiert Timon. Die Worte und die Realität dürfen seiner Ansicht nach nicht auseinander klaffen (Timon 54). Der Schmerz, den der auf diese Weise diskreditierte Demeas an den Hieben Timons erleidet (Timon 53), erfreut endlich auch die Lesenden, da ihnen die Falschheit des Rhetors deutlich vor Augen steht. Ähnliches muss der Philosoph Thrasykles erdulden: Dieser gibt gar vor, er sei gekommen, um Timon vor dem Übel, das der Reichtum mit sich bringt, zu schützen. Er rate ihm daher, seinen Reichtum zu verschenken oder fortzuwerfen,93 wobei Thrasykles jedoch klar zu erkennen gibt, dass es ihm in Wirklichkeit nur darum geht, sich selbst zu bereichern (Timon 56). Auch in diesem Zusammenhang entlarvt Timon den Widerspruch zwischen den Worten und der wahren Haltung des Philosophen und traktiert diesen daher mit seiner Hacke (Timon 57). Hinter den Auseinandersetzungen mit Demeas und Thrasykles verbirgt sich damit eine generelle Kritik an Rhetorik und Philosophie. Diejenige Haltung, bei der die Worte nicht mit dem tatsächlichen Wandel eines Menschen übereinstimmen, wird scharf kritisiert; der Rhetor und der Philosoph beziehen als exemplarische Vertreter einer solchen Einstellung Prügel. 3.1.2.6 Lukian: Contemplantes Im Mittelpunkt der Contemplantes steht der Fährmann Charon, der bereits in Lukians Cataplus aufgetreten ist, und dessen Zuständigkeit normalerweise darin besteht, die Verstorbenen nach ihrem Tod auf seinem Kahn über den Fluss Lethe in das Totenreich zu transportieren. Hier allerdings begibt Charon sich nach oben in die irdische Welt, wo er dem Hermes begegnet, welcher sich offenbar wieder einmal im Auftrag 93 Der auf den eigenen Gewinn bedachte Ratschlag kleidet sich dabei also in ein kynisches Gewand, denn auch von Kynikern wird erzählt, sie hätten ihren gesamten Reichtum fortgeworfen, um sich der Philosophie widmen zu können (vgl. etwa Diog. L. 6,87).
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Zeus’ auf der Erde bewegt. Der Dialog setzt in dem Moment ein, in welchem Hermes und Charon einander erblicken. Nach dem Grund seines Besuchs im Bereich des Irdischen befragt, erklärt Charon dem fragenden Hermes, er wolle gerne wissen, was das Leben der Menschen ausmacht. Insbesondere interessiert es ihn, weshalb die Verstorbenen alle jammern und weinen, wenn sie ihr irdisches Leben hinter sich lassen müssen und in das Totenreich gebracht werden. Charon bittet daher Hermes, ihm die Erde zu zeigen (Cont. 1). Es gelingt ihm, Hermes zu überreden, und dieser überlegt, wie er dem Besucher in möglichst kurzer Zeit einige exemplarische Züge des Menschseins vor Augen führen kann. Da Charon als Angehöriger der Totenwelt den Himmel der Götter nicht betreten darf, hält Hermes nach einem hohen Berg Ausschau. Von einem erhöhten Punkt aus will er dem Charon einen Überblick vermitteln (Cont. 2). Hermes hat die Idee, so wie die Söhne der Iphimedeia es in Homers Odyssee planen (Hom., Od. 11,305–317), einige Berge übereinander zu stapeln, um dadurch einen besonders guten Ausblick zu erlangen (Cont. 3). Dies gelingt den beiden auch problemlos, indem sie die betreffenden Homer-Verse gleichsam als Zaubersprüche rezitieren (Cont. 4–5).94 Den Berg Parnassos setzen sie zu oberst, da er zwei Gipfel hat, auf denen nun Hermes und Charon Platz nehmen können (Cont. 5). Aus der Vogelperspektive erscheinen die Menschen dem Charon winzig klein. Er fragt Hermes, was denn dies für Schlupfwinkel seien, in denen die Menschen sich aufhalten, und er erhält die Antwort, es handle sich hier um die Städte. Die veränderte Perspektive relativiert damit die herkömmlichen Vorstellungen über Größe. Unterschwellig schwingt dabei eine Kritik mit, die das menschliche Denken über materielle Quantität und die daraus abgeleiteten Bedeutungen und Hierarchien in seine Schranken weist.95 Charon beklagt sich nun jedoch darüber, dass er nichts im Detail erkennen kann, obwohl ihn doch gerade sein Interesse an den Feinheiten des menschlichen Lebens zu seinem Besuch auf der Erde bewogen hat. Er illustriert seinen Wunsch, indem er von einem Menschenschicksal erzählt, von dem er jüngst erfahren hat: Ein Mann erhielt eine Einladung zum Abendessen, sagte zu und verstarb jedoch, bevor er die Einladung wahrnehmen konnte. Es bringt Charon zum Lachen, dass der Tod die Zukunftspläne des Menschen ad absurdum führt (Cont. 6).96 94
Vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 172. Eine entsprechende Dynamik spielt sich auch im Icaromenippus ab, wo der Mensch Menippos vom Mond aus auf die Erde herab blickt, um festzustellen, wie gering die Menschen ihm aus der neuen Perspektive erscheinen (Icar. 12). 96 Dieses Motiv wird im weiteren Verlauf des Stückes noch häufiger begegnen. Die Parallele zu der Erzählung vom reichen Kornbauern im Lukasevangelium (Lk 12,13–21) ist m.E. offen95
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Erneut verwendet Hermes einen Homervers als Zauberspruch, durch welchen Charon sodann deutlicher sieht und das Treiben auf der Erde im Einzelnen beobachten kann (Cont. 7). Zuerst fällt Charons Blick auf den Athleten Milon von Kroton, der so stark ist, dass er einmal einen Stier hochgehoben und durch das Stadion getragen hat. Die Stärke des Menschen beurteilt Charon von seiner Warte der Totenwelt aus, welche ihm die menschliche Kraft als vergänglich offenbar werden lässt (Cont. 8). Wiederum relativiert er damit die auf Erden geltenden Maßstäbe. Dann sieht der Vertreter des Totenreichs die beiden Könige Kyros und Kroisos, von denen die Götter ebenso gut wie die Leserinnen und Leser des Stücks wissen, dass ihnen noch eine militärische Auseinandersetzung bevorsteht.97 Charons Interesse richtet sich zunächst jedoch auf Kroisos, welcher sich gerade in einem Gespräch mit dem Dichter Solon von Athen befindet (Cont. 9).98 Kroisos möchte von Solon wissen, wer seiner Einschätzung zufolge der glücklichste Mensch auf Erden sei. Entgegen der Erwartung des Fragenden antwortet der Poet allerdings, indem er Männer aufzählt, welche ihr Leben für andere hingegeben haben. Kroisos dagegen wollte doch seinen eigenen Namen hören und hakt daher explizit nach, wie es denn nach Solons Ansicht mit ihm, dem König, stünde. Solon wiederum enthält sich einer ausdrücklichen Antwort und entgegnet dem Herrscher, dies ließe sich erst im Angesicht des Todes entscheiden (Cont. 10). Der Fährmann Charon stimmt ihm von seinem Berggipfel aus zu. Anschließend beobachtet er, wie Kroisos einige Männer entsendet, die dem Gott Apollon im Namen des Königs ein Opfer darbringen sollen, wovon dieser sich ein günstiges Orakel erwartet.99 Charon erkennt unter den Opfergaben ein gelbrotes Metall und erfährt von Hermes, dass es sich hierbei um Gold handelt. sichtlich: Auch dort schmiedet ein Reicher Pläne für seine Zukunft, doch der unvorhergesehene Tod macht ihm einen Strich durch seine Rechnung. Sowohl bei Lukian als auch bei Lukas wohnt der Erzählung ein an die Lesenden gerichteter Appell-Charakter inne, der davor warnt, die irdischen Angelegenheiten und insbesondere irdischen Reichtum überzubewerten. 97 Als antike Quelle vgl. Hdt. 1,77–94. Vgl. J. WIESEHÖFER, Kyros, 1014–1015 sowie P. HÖGEMANN/CH. SCHMIDT, Kroisos, 859. 98 Dieses Gespräch in den Contemplantes folgt einer Erzählung bei Herodot (Hdt. 1,30–33; vgl. P. HÖGEMANN/CH. SCHMIDT, Kroisos, 859). Die von Solon vertretenen Ansichten nehmen dabei Motive auf, welche seiner Denkweise entsprechen, wie sie etwa in jenen Fragmenten zum Ausdruck kommt, in welchen sich Solon gegen die menschliche Gier nach Reichtum wendet und dieser das Streben nach der ἀρετή als den besseren Lebensinhalt gegenüberstellt (vgl. M. MEIER/E. BOWIE, Solon, 708). Die griechischen Texte finden sich beispielsweise in der Solon-Ausgabe von E.Preime; von besonderem Interesse sind hier die Fragmente D24–D1 und D14. Die genannte Edition bietet die Quellen m.E. in brauchbarer Form, obwohl der Herausgeber in seinem Vorwort deutlich den antiken Autoren Solon als Gewährsmann für sein nationalsozialistisches Gedankengut missbraucht. 99 Zur Gewohnheit des Kroisos, vor einem Feldzug ein Orakel zu befragen vgl. als antike Quelle z.B. Hdt. 1,47–48. Vgl. P. HÖGEMANN/CH. SCHMIDT, Kroisos, 858.
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Allerdings kann Charon nicht einsehen, welche Vorzüge diese von den Menschen viel geliebte Substanz haben soll. Hermes antwortet ihm unter Hinweis auf die vielen Kriege und Intrigen, welche das Streben nach Gold unter den Menschen verursacht und benutzt dies als ein empirisches Argument für den subjektiven Wert, den dieses Metall für die Menschheit offenkundig besitzt. Gleichzeitig spricht er damit aber auch genau die Kehrseite des Reichtums an, den Lukians Dialoge so häufig der Kritik unterwerfen: dass nämlich Reichtum und menschliche Unmoral in unlösbarer Verbindung miteinander stehen. Daraufhin spricht Charon von der sich im Streben nach Reichtum äußernden Dummheit, der ἀβελτηρία der Menschen und spitzt damit das zu, was sein Gesprächspartner zuvor beschrieben hat (Cont. 11). In dem Gespräch, das parallel zwischen Kroisos und dem Poeten weitergeht, vertritt Solon eine Position, die der Ansicht der beiden Zuschauer ähnelt. Solon schmunzelt über den Versuch des Königs, den Apollon mit dem Opfer von Gold zu beeinflussen, und er behauptet, Eisen sei das bessere Metall, da es – zum Schwert geschmiedet – dazu dienen kann, ein Menschenleben zu retten (Cont. 12).100 Der Fokus des Dialogs wechselt wieder zu Hermes und Charon. Hermes hat von der Schicksalsgöttin Klotho erfahren, wie die Leben der Könige Kroisos und Kyros ihr Ende nehmen werden: Während Kroisos von Kyros gefangen genommen wird,101 wird letzterer von einer Frau im Kampf erschlagen.102 Auf Seiten Charons erregen solche Blicke in die Zukunft nur Gelächter (Cont. 13). Auch über das bevorstehende Schicksal des Tyrannen Polykrates von Samos weiß Hermes Schreckliches zu erzählen: der Tyrann werde nämlich gepfählt werden.103 Und wieder ergießt Charon sich in Gelächter, da er die Ansicht vertritt, man solle den Menschen ihre Begrenztheit ruhig einmal in solch drastischer Weise vor Augen führen (Cont. 14). Er vergleicht die Menschen mit Insekten, von denen ein jedes seinen Stachel dazu einsetzt, die anderen zu bekämpfen. Um die Menschen herum schwirren nun aber auch eine Reihe von Gestalten, welche – obwohl von den Menschen unentdeckt – dem Charon nicht verborgen bleiben. Hermes erläutert ihm, hier handle es sich um die verschiedenen Emotionen, die das menschliche Leben leiten. So kommen die beiden auf die Macht des Schicksals zu sprechen, welches vor allem darüber entscheidet, wann und auf welche Weise ein Mensch sterben wird. Auch zum irdischen Phänomen des sozialen Auf- und Abstiegs äußert sich Hermes: Er beobachtet, dass ein tiefer Fall des Menschen großen Krach erzeugt, während ein Absturz aus 100 Zum kynischen Denken, welches dem Nutzen den Vorzug vor materiellem Wert einräumt, vgl. auch R. HELM, Lucian, 169. 101 Vgl. Hdt. 1,86. Vgl. hierzu auch P. HÖGEMANN/CH. SCHMIDT, Kroisos, 859. 102 Vgl. hierzu P. HÖGEMANN, Tomyris, 673. 103 Vgl. hierzu auch J. COBET, Polykrates, 70.
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geringer Höhe oft sogar von den engsten Nachbarn unbemerkt bleibt (Cont. 16). Die beiden Beobachter des Treibens auf der Erde sind sich darin einig, dass die Menschen aufgrund ihres Strebens einen äußerst lächerlichen Eindruck auf sie ausüben, und dies gilt ihnen zuvorderst angesichts der Tatsache, dass ein jeder Mensch eines Tages dem Tod ausgeliefert ist. Denn in der menschlichen Natur scheint der Irrtum fest verwurzelt zu sein, der Besitz gehöre dem Besitzenden für immer. Nach der Meinung des Hermes würde es das Leben eines Menschen bedeutend verbessern und auch das Sterben erleichtern, wenn dieser seinen Irrtum erkennen würde. Er illustriert seine Ansicht mit Beispielen.104 Charon stellt fest, dass die Könige, die βασιλεῖς, die unter den Menschen als die glücklichsten gelten, unter dieser vom Tode her denkenden Perspektive in Wirklichkeit unter den schlimmsten Sorgen leiden müssen (Cont. 18). Er vergleicht das Menschenleben mit einer Luftblase im Wasser, die schon bald zerplatzen muss (Cont. 19) und möchte die Erden-Bewohner über die Fragilität ihrer Existenz aufklären (Cont. 20), aber Hermes hält ihn davon ab: Es handle sich ohnehin um ein nutzloses Unterfangen, weil die Ohren der Menschen von ἄγνοια und ἀπάτη verschlossen seien. Wie schon im Timon (Timon 27) konstituiert die Zweiheit von Unwissenheit und Betrug die Fessel, welche die Menschen davon abhält, ihrem dummen Treiben den Rücken zu kehren. Einige wenige allerdings, so räumt Hermes ein, lassen sich nicht von ἄγνοια und ἀπάτη den Sinn trüben. Ihre Haltung wertet der Gott ausgesprochen positiv; diese Menschen halten sich fern vom Tun der anderen und lachen darüber (Cont. 21). Zuletzt betrachtet Charon noch die Gräber der Menschen, um bei diesem Anblick festzustellen, dass die reichen Grabbeigaben doch nichts daran ändern können, dass der Tod alle menschlichen Statusunterschiede eliminiert (Cont. 22). Nichts bleibt bestehen; sogar die einst von Homer gepriesenen Städte müssen vergehen (Cont. 23), und die Territorialkämpfe machen für das Empfinden der beiden Beobachter keinen Sinn. Ὢ τῆς ἀνοίας, „welch Unsinn!“ ruft Charon aus. Hermes und Charon beschließen, die Berge, die ihnen als Sitzgelegenheit gedient haben, wieder an ihren Platz zurück zu stellen, um ihrer Wege zu gehen. Was er aus seinem Besuch auf der Erde gelernt hat, fasst Charon in einem Fazit zusammen, mit welchem das Stück endet: Wie dumm doch das Tun der Menschen ist, die ihrem täglichen Streben nach Besitz und Anse-
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So erzählt er von dem Mann, der ein Haus bauen will und sterben muss, kurz bevor er es fertig stellen kann, und von einem weiteren, der sich über die Geburt seines Sohnes freut, obwohl dieser schon bald sterben wird. Wieder gleicht das Erzählte dem lukanischen Gleichnis vom reichen Kornbauern (Lk 12,13–21).
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hen nachgehen, ohne dabei jemals einen Gedanken an Charon, ohne einen Gedanken an den Tod zu verschwenden (Cont. 24). Damit enthalten die Contemplantes unter der Perspektive der Leserinnen- und Leserlenkung einen letzten deutlichen Aufruf zur Relativierung herkömmlicher Wertvorstellungen. Dieses Motiv hat sich durch das gesamte Stück hindurchgezogen und vielfach einen offenkundig appellativen Charakter angenommen. Die Lesenden sollen sich der vom Tode gesetzten Begrenztheit menschlichen Daseins gewahr werden und infolge dessen den Reichtum verachten anstatt ihn zu begehren105 – was dem kynischen Ideal entspricht. 3.1.2.7 Lukian: Piscator Mit dem Dialog Piscator unternimmt Lukian einen deutlichen Rückbezug auf sein Stück Vitarum Auctio, welches selbst keinen Beitrag zur Untersuchung von Charakteristika des menippeischen Stils leisten kann.106 Viele Züge des Hintergrundes, auf dem der Piscator basiert, erschließen sich den Lesenden auch dann, wenn sie die Vitarum Auctio nicht kennen. Dennoch finden sich intertextuelle Referenzen vor allem am Anfang des Piscator – aber auch durch das gesamte Stück hindurch – in solcher Dichte und mit solcher Selbstverständlichkeit, dass das Urteil gerechtfertigt ist: der Posttext selbst setzt bei seinen idealen Lesenden die Kenntnis des Prätextes voraus.107 Daher soll die Handlung dieses Prätextes, der Vitarum Auctio, zunächst knapp umrissen werden: Dort ruft Zeus zum Verkauf von Modellen philosophischer Lebensführung auf, und Hermes fungiert in Ausführung seines vom obersten Gott erhaltenen Auftrags als der Vermittler, der die entsprechenden Haltungen den interessierten Käufern anbietet. Wie auf einem Sklavenmarkt müssen die einzelnen philosophischen Lebenshaltungen vortreten, damit sie von den Interessenten begutachtet und befragt werden können. Die einzelnen Modelle der Lebensführung stellen sich dabei allerdings in der Person des Begründers der jeweiligen philosophischen Richtung den Käufern vor. In den Gesprächen wird aber hinreichend deutlich, dass die Käufer sich mit dem Kauf dazu verpflichten, mit ihrem Denken und Handeln den Lehren der erworbenen Philosophie zu folgen – so dass auf diesem Markt also tatsächlich die Lebensstile und nicht die Personen der philosophischen Lehrer zum Verkauf stehen.108 So rücken nacheinander 105
Vgl. hierzu auch F.J. BENDA, Tradition, 85. Denn es erfüllt die vier oben unter 3.1.2 genannten Kriterien nicht. 107 Zu den Beziehungen zwischen Lukians Stücken vgl. auch R. HELM, Lucian, 294. 108 Auch der griechische Titel βιῶν πρᾶσις unterstreicht diesen Sachverhalt. 106
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Pythagoras, Diogenes, Aristippos, Demokritos, Herakleitos, Sokrates, Chrysippos, Aristoteles und Pyrron in den Fokus des Geschehens. Dem gesamten Prozedere haftet dabei aufgrund seines abstrusen Charakters der Geschmack des Komischen an; und mehrfach geben Hermes und die Käufer ihre ironischen Kommentare zu den verschiedenen Philosophien ab. Auch der je unterschiedliche Kaufpreis transportiert eine unterschwellige Bewertung der einzelnen philosophischen Lebenshaltungen. So wechselt Diogenes für zwei Obolen den Besitzer (Vit. Auct. 11), während Sokrates seinem Käufer sogar zwei Talente wert ist (Vit. Auct. 18), und für den Aristippos will überhaupt niemand etwas bezahlen (Vit. Auct. 12). Trotz des omnipräsenten bissigen Untertones stellt das Stück aber in den verschiedenen Szenen wichtige Grundpfeiler der Philosophien durchaus zutreffend dar. Dennoch ärgern die philosophischen Väter sich auf der Ebene der im Piscator erzählten Welt sehr über die Vitarum Auctio. Und an diesem Punkt beginnt der Piscator: Der Ärger von Platon, Chrysippos, Diogenes, Epikouros, Aristippos, Aristoteles, Empedokles und all den anderen nimmt solche Ausmaße an, dass sie aus dem Totenreich in die irdische Welt heraufsteigen,109 um den Urheber des unliebsamen Dialogs zu bestrafen. Sie finden ihn und beginnen sofort damit, schreckliche Strafen für den Schriftsteller zu ersinnen (Pisc. 1–2).110 Dieser tritt ihnen unter dem symbolischen Namen Parresiades gegenüber, als ein exemplarischer Vertreter der παρρησία, der von den Kynikern hoch geschätzten Redefreiheit also (Pisc. 3). Parresiades fordert die zornigen Philosophen dazu auf, ihm vor der Bestrafung doch zumindest die Gründe für ihr Vorgehen zu nennen, woraufhin Platon das Wort ergreift: Der Beschuldigte habe in seinen Dialogen schweres Unrecht gegen die Philosophen begangen; er habe sie beleidigt, indem er sie literarisch zum Verkauf feilgeboten hat (Pisc. 4). Dem widerspricht Parresiades jedoch: Er habe die Philosophen nicht beleidigen sondern ihre Lehren verteidigen wollen (Pisc. 5). Außerdem halte er selbst die Lehren der Männer, die ihm gegenüberstehen in Ehren (Pisc. 6). Platon ereifert sich darüber, dass der Beschuldigte seine Waffen zwar von den philosophischen Lehrern bezogen, sie aber dann gegen diese gewandt habe (Pisc. 7), woraufhin Parresiades seiner Verwunderung darüber Ausdruck verleiht, dass ein Affekt, die ὀργή solche Männer wie Platon überhaupt beeinflussen kann.111 109
Dies ergibt sich aus der verwunderten Frage der Philosophia in Pisc. 14. Empedokles schlägt vor, den zu Bestrafenden in einen Krater zu werfen. Unter diesem Vorschlag verbirgt sich eine Anspielung auf eine Legende, welche besagt, der Philosoph Empedokles habe sich selbst in den Krater eines Vulkans hinein gestürzt (Diog. L. 8,69). Dieses Motiv begegnet bereits in Lukians Icaromenippus (Icar. 13). 111 Da ein solcher Affekt doch gegen das von vielen antiken Philosophen vertretene Ideal der ἀπαθεία verstößt. 110
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Parresiades verlangt eine ordentliche Gerichtsverhandlung und blickt dieser furchtlos entgegen (Pisc. 8). Er fordert die Philosophia in Person als Richterin; den anwesenden Philosophen erlaubt er, gleichzeitig die Anklage und die Rechtsprechung zu vertreten. Vor einer solchen Konstellation habe er keine Angst (Pisc. 9). Der Beschuldigte zeigt sich hier also gewiss, dass seine Unschuld leicht bewiesen werden kann. Man einigt sich auf dieses Vorgehen und begibt sich sodann auf die Suche nach der Philosophia (Pisc. 10). Parresiades fragt die Philosophen, wo die Philosophia denn anzutreffen sei; er habe sie schon oft gesucht, sie jedoch noch nie persönlich vorgefunden. Immer sei er lediglich an bärtige Männer geraten, welche vorgaben, direkt von der Philosophia herzukommen (Pisc. 11–12). Auf diese Weise versetzt der Angeklagte den Philosophen seiner Zeit einen Seitenhieb, da er behauptet, diesen sei es nicht gelungen, ihm – dem aufrichtig Suchenden – den Weg zur Philosophia selbst zu weisen. Als Parresiades und die Philosophen die Philosophia antreffen, bringt Platon ihr gegenüber seine Klage vor (Pisc. 14), und die Philosophia äußert schon zu diesem frühen Zeitpunkt den Verdacht, der Beschuldigte könnte sich vielleicht gar nicht gegen die Philosophie selbst sondern nur gegen jene gewandt haben, welche ihren Namen missbrauchen (Pisc. 15). Philosophia ordnet an, die Gerichtsverhandlung auf der Akropolis im Pronaon des Heiligtums der Athena Polias112 abzuhalten. Bevor diese beginnen kann, bittet sie noch einige Personen zur Unterstützung zu dem Prozess. Unter ihnen spielt die Aletheia, die personifizierte Wahrheit im Folgenden die wichtigste Rolle (Pisc. 16). Die Aletheia spricht sich sofort, noch bevor die Verhandlung angefangen hat, zugunsten von Parresiades aus; sie weiß offenbar, dass er unschuldig ist (Pisc. 17), doch Platon hegt den Verdacht, Parresiades könne sie negativ beeinflussen. Glücklicherweise befindet sich unter den Anwesenden auch die Dikaiosyne, so dass kein Unrecht geschehen kann (Pisc. 18). Zum Beginn des Prozesses muss der Angeklagte seinen Namen nennen und stellt sich vor als Παρρησιάδης Ἀληθίωνος τοῦ Ἐλεγχικλέους. Sogar sein Stammbaum weist ihn damit als einen Menschen aus, der mit der Wahrheit und der Rechtsprechung im Bunde steht. Indem er Syrien als sein Herkunftsland angibt (Pisc. 19), weist Parresiades auf den hinter seinem symbolischen Namen stehenden Schriftsteller Lukian hin. Er führt unter anderen die Berufsbezeichnungen μισοψευδής und φιλαλήθης (Pisc. 20), sieht seine wichtigste Aufgabe also im Kampf gegen die Lüge und für die Wahrheit. Zunächst soll die Anklage ihr Plädoyer halten, anschließend wird Parresiades die Gelegenheit bekommen, sich zu verteidigen – so verfügt es die 112
Die genaue Ortsangabe geht aus Pisc. 21 hervor.
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Philosophia (Pisc. 22). Für die Philosophen will der Kyniker Diogenes das Wort ergreifen, da er sich am meisten geschmäht fühlt, weil er in der Vitarum Auctio für nur zwei Obolen verkauft wurde. Platon schärft ihm ein, in der Rede lediglich solche Punkte anzusprechen, in denen die Philosophen übereinstimmen; die widersprüchlichen Aspekte ihrer Ansichten solle er nur nicht erwähnen (Pisc. 23). Eine Wasseruhr sorgt dafür, dass beide Konfliktparteien die gleiche Redezeit erhalten (Pisc. 24). So beginnt Diogenes damit, die Anklagepunkte vorzutragen: Er spreche im Namen aller anwesenden Philosophen, und der Angeklagte habe mittels seiner mächtigen rhetorischen Fähigkeiten schwere Beleidigungen gegen die Kläger ausgestoßen, die Öffentlichkeit dazu gebracht, die Philosophen auszulachen und damit – und mit diesen Worten wendet er sich an die Vorsitzende des Prozesses – letztlich der Philosophie selbst Schaden zugefügt (Pisc. 25). Parresiades habe sich selbst unter dem Namen der Philosophie versteckt, indem er die literarische Gattung des Dialogs gegen sie gewandt hat, und den Philosophen Menippos zu seinem Verbündeten erklärt. So enthalte Menippos sich auch als einziger unter den Philosophen der Beschuldigungen gegen Parresiades (Pisc. 26). Schließlich seien die erschienenen philosophischen Lehrer erzürnt darüber, dass der Beschuldigte sie in seinem Werk als Sklaven präsentiert hat (Pisc. 27). Parresiades verteidigt sich. Er wolle klarstellen, auf wen seine Kritik, auf die die Anklage Bezug genommen hat, in Wirklichkeit gemünzt ist (Pisc. 29). Zunächst verleiht er noch einmal seiner Hochachtung vor der Philosophie selbst Ausdruck (Pisc. 30), um dann zu versichern, er habe von denjenigen seiner Zeitgenossen gesprochen, welche die Philosophie in ihr Gegenteil verkehren, indem sie zwar für sich in Anspruch nehmen, Philosophie zu betreiben, obgleich ihre Lebensführung eine andere Sprache spricht (Pisc. 31). Daran empört ihn besonders, dass diese scheinbaren Philosophen die Philosophie selbst in Misskredit bringen, da das einfache Volk, wenn es solches beobachtet, seine Achtung vor der Philosophie verliert (Pisc. 32). Der Angeklagte unterscheidet explizit zwischen Philosophie und Philosophen (Pisc. 33). Als Exempel erwähnt er die Haltung im Hinblick auf den Reichtum: Zwar verachten die Philosophen diesen in ihren Lehren, und doch lassen sie sich für ihre Lehrtätigkeit reichlich bezahlen und nehmen an Symposia teil (Pisc. 34). Parresiades beklagt die Diskrepanz zwischen Schein und Sein in ihrem Leben; insbesondere in ihrem Verhalten dem Geld gegenüber werfen die falschen Philosophen alle ihre eigenen Mahnungen zur Tugend über Bord (Pisc. 35). Sie lassen sich darum mit dressierten Affen vergleichen, weil auch diese ihre Manieren schnell wieder vergessen, wenn ein Zuschauer Nüsse in ihre Mitte wirft (Pisc. 36). Zuletzt gelobt Parresiades, diesen Menschen gegenüber werde er seine Kritik niemals einstellen und ruft sodann die
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philosophischen Väter, die ihn beschuldigen, zur Stellungnahme auf (Pisc. 37). Von der Philosophia um ihre Meinung gebeten, versichert die Aletheia, die Darstellung des Parresiades sei in allen Punkten zutreffend. Platon und Diogenes ändern alsbald ihre Einstellung dem Beschuldigten gegenüber und betrachten ihn nunmehr als ihren Freund, als φίλος (Pisc. 38). Die Anklage wird damit aufgehoben, und die Philosophia erlaubt dem Parresiades, sich nun offiziell als einen der ihren zu betrachten. Nun aber ergreift die personifizierte Tugend, die Arete, das Wort: Sie fordert die Bestrafung derjenigen, die die Philosophie durch ihren unwürdigen Lebenswandel in Verruf bringen (Pisc. 39). Der personifizierte Syllogismus schlägt vor, die Philosophen sollten zu diesem Zweck auf die Akropolis kommen. Allerdings hört fast niemand auf seine Rede (Pisc. 40). Daher ergreift Parresiades das Wort und ruft laut, all jene, die sich für Philosophen halten, sollten sich umgehend auf der Akropolis einfinden, weil dort Geschenke an sie verteilt würden. Er verspricht einem jeglichen den Geldbetrag von zwei Minen (Pisc. 41). Und sofort strömen sie herbei (Pisc. 42), wobei die Anhänger der verschiedenen philosophischen Richtungen sogleich auch noch in einen Streit darüber geraten, wer die angekündigten Geschenke als erstes erhalten solle (Pisc. 43). So beweisen es die selbsterklärten Philosophen durch ihr flegelhaftes, von der Gier gesteuertes Betragen auf der Ebene der Erzählung den versammelten Figuren gegenüber, wie sehr die von Parresiades geäußerte Kritik den wirklichen Verhältnissen entspricht. Ebenso können sich die Leserinnen und Leser des Stücks von der Berechtigung der Philosophen-Kritik überzeugen, indem sie gewissermaßen zu Zeugen dessen werden, was sich in dem Geschehen innerhalb der Erzählung abspielt. Im Piscator bleiben allerdings auch die Anhänger der kynischen Philosophie von der Schelte nicht verschont. Genauso wie bei den Vertretern der anderen Richtungen klaffen auch bei ihnen Schein und Sein auseinander. Die Philosophia selbst kündigt ihnen ihre Bestrafung an, doch alle zusammengekommenen Philosophen ergreifen daraufhin die Flucht (Pisc. 44). In dem Ranzen, den ein davonlaufender Kyniker verloren hat, findet man nicht etwa ein Buch sondern Gold sowie Salböl, ein Rasiermesser und einen Spiegel (Pisc. 45). Hinter seinem kynischen Äußeren ist der Besitzer also wohlhabend und eitel – und übt so Verrat an den kynischen Idealen, welche er augenscheinlich vertritt.113 Die Aletheia und die Philosophia übertragen nun dem Parresiades die Ausführung des Urteils: Wenn er einen würdigen Philosophen findet, soll er ihn mit einem Ölzweig krönen. Wenn er aber auf einen der falschen Philo113
Vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 302–303.
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sophen stößt, soll er ihm den Bart abschneiden und ihm ein Brandmal auf die Stirn drücken, welches das Bild eines Fuchses und eines Affen trägt (Pisc. 46) und so die Verschlagenheit114 und das Maskenspiel115 dieses Menschen symbolisiert. Um die geflüchteten Philosophen wieder einzufangen, wird Parresiades zum Fischer. Er borgt sich von der zuständigen Priesterin des Athena-Heiligtums eine von den Fischern aus Piraios als Weihegabe dargebrachte Angelrute mit der dazugehörigen Schnur und dem Haken, sowie einige Feigen und etwas Gold (Pisc. 47). Als er die Angel mit diesem Köder versieht und über den Abhang der Akropolis hinaus auswirft, fängt er als erstes nicht etwa einen Fisch sondern einen Hund, einen κύων ein, d.h. einen Vertreter der kynischen Philosophie. Diogenes, als Vater aller Kyniker versichert, mit diesem Burschen habe er nicht das Geringste zu schaffen. Allerdings erhält der frisch Gefangene nicht seine Strafe, sondern weil er nichts wert ist – Tags zuvor hatte Parresiades seinen Preis ja noch auf zwei Obolen beziffert – wirft der Angler ihn wieder den Abhang hinunter, so wie man einen wertlosen Fisch von der Angel nimmt und ihn ins Wasser zurück wirft (Pisc. 48). Ein ähnliches Geschick widerfährt einem Anhänger Platons (Pisc. 49) und einem Anhänger des Aristoteles (Pisc. 50). Einige Stoiker zanken um den Köder, doch als Parresiades einen von ihnen heraufzieht, distanziert Chrysippos sich von ihm: mit diesem Menschen wolle er nichts zu tun haben. Auch ihn wirft der Fischer Parresiades anschließend wieder zurück (Pisc. 51). Endlich verfügt die Philosophia, es könne auf diese Weise nicht weitergehen. Sie entsendet Parresiades unter die Philosophen, sie zu krönen oder zu brandmarken. Das Stück schließt mit Parresiades’ Feststellung, er werde wohl nur wenige Ölzweige, dafür aber viele Brandeisen benötigen (Pisc. 52). 3.1.2.8 Lukian: Bis Accusatus Wieder einmal beklagt sich Zeus über seinen anstrengenden Stand als oberster der Götter. Bei diesem Motiv nimmt ja bereits der Iuppiter Tragoedus seinen Ausgang, und mit ihm beginnt auch der Bis Accusatus. Zeus kritisiert die Philosophen, welche behaupten, die εὐδαιμονία existiere nur unter den Göttern, denn seine eigene Wahrnehmung widerspricht dieser Ansicht. So muss Apollon sich sehr mühen, um den Menschen ihr ständiges 114
Zu den Eigenschaften, welche dem Fuchs, dem ἀλώπηξ, in der hellenistischen Antike sprichwörtlich beigemessen werden, vgl. CH. HÜNEMÖRDER, Fuchs, 687. 115 In Pisc. 36 gebraucht Parresiades selbst das Bild des dressierten Affen, des πίθηκος, um den äußeren Schein vom tatsächlichen Sein eines Menschen zu unterscheiden. Daneben gilt der Affe in der antiken hellenistischen Literatur aber auch als Sinnbild des Hässlichen (vgl. CH. HÜNEMÖRDER, Affe, 212).
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Begehren nach Orakelsprüchen zu erfüllen. Und wie er investieren auch andere Götter viel Energie aufgrund ihrer φιλανθρωπία auf die Regelung der irdischen Angelegenheiten (Bis Acc. 1). Am meisten macht dies seiner Darstellung zufolge dem Zeus selbst zu schaffen, denn er muss als ὁ πάντων βασιλεύς alle Aktivitäten der Götter überwachen, so dass er schon kaum mehr dazu kommt sich seinen ureigensten Aufgaben zu widmen, nämlich der Steuerung von Regen, Hagel, Wind und Gewitter. Er fühlt sich gedrängt, zur selben Zeit ganz verschiedenen Belangen seine Aufmerksamkeit zu widmen. Implizit schwingt in dieser Klage das Eingeständnis mit, dass ihm dies aber nicht möglich ist. Und darüber hinaus sieht Zeus sich nun auch noch der Kritik der Menschen ausgesetzt. Die Epikuräer bestreiten beispielsweise, dass die Götter in die Geschehnisse auf der Erde eingreifen. Daher fürchtet der König der Götter, die kultische Verehrung der Götter unter den Menschen könnte aufhören (Bis Acc. 2).116 Wer behauptet, unter den Göttern herrsche εὐδαιμονία, verkennt daher die Tatsache, dass sie keine freie Zeit finden, um die Freuden der Ambrosia zu genießen. Aus Zeitmangel hat Zeus auch einige juristische Klagen der Irdischen bislang unbeantwortet gelassen (Bis Acc. 3). Doch nun beschließt er mit Hermes zusammen, eine Gerichtsverhandlung auf Erden abzuhalten, damit die irdischen Angelegenheiten wieder in Ordnung kommen. Zeus sendet zu diesem Zweck seine beiden Kinder Hermes und Dike auf die Erde hinab (Bis Acc. 4–5), wobei Hermes den Menschen gegenüber als Vermittler fungiert und Dike die strafende Rechtsprechung repräsentiert.117 Zeus erklärt der Dike zuvor noch, wie sehr sich die Zahl der Philosophen seit ihrem letzten Besuch auf der Erde erhöht hat: es wimmle förmlich von bärtigen Männern in Philosophenmänteln, die von der ἀρετή sprechen (Bis Acc. 6). Dike äußert sich allerdings kritisch gegenüber den Philosophen, da diese zumeist vorgeben, mit ihr im Bunde zu stehen, sich tatsächlich jedoch weigern, ihr die Tür zu öffnen, da sie in Wirklichkeit eine enge Freundschaft mit der ἀδικία pflegen (Bis Acc. 7). Das Reden der Philosophen über die ἀρετή und ihre tatsächliche Liebe zur ἀδικία widersprechen einander; ihr wirkliches Sein passt nicht zum äußerlichen Schein. Die Rechtsprechung selbst übt hier damit pauschale Philosophen-Kritik. Hermes und Dike steigen zur Erde hinab, und unterwegs befragt die Schwester ihren Bruder nach dem Wesen der Philosophen. Dieser antwortet ihr differenziert: unter ihnen gebe es einige Tunichtgute, aber auch einige Vertreter, die halbweise und halbtöricht sind – ἡμισόφοι bzw. ἡμιφαύλοι. Seiner bildhaften Redeweise zufolge sind diese Menschen mehr oder weni116 So beklagt es der oberste Gott ja auch – wie bereits gezeigt – im Iuppiter Tragoedus und im Icaromenippus (s.o.). 117 Vgl. hierzu auch F. GRAF, Dike, 571.
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ger mit der Farbe der σοφία durchtränkt (Bis Acc. 8). Völlig weise Philosophen erwähnt Hermes allerdings nicht und impliziert daher, dass es solche nicht gibt. Er beschreibt sie damit alle als an ihrem eigenen Anspruch gemessen defizitär. Auf der Erde angekommen will Hermes die Mitwirkenden für die bevorstehenden Prozesse zusammenrufen. Dike wartet währenddessen auf ihn und begegnet dabei dem Gott Pan, der schon seit längerer Zeit auf der Erde weilt (Bis Acc. 9).118 Dieser beklagt sich – ähnlich wie zuvor Zeus – über die mangelnde Aufmerksamkeit, welche die Menschen ihm entgegenbringen (Bis Acc. 10). Dann beginnt Dike auch mit ihm ein Gespräch über die ἀρετή und die Philosophen. Pan muss sich zunächst vergewissern, von wem Dike spricht, und hakt nach, indem er als die eindrücklichsten Merkmale der Menschen, die ihm vor Augen stehen, deren Bärte und ihr unablässiges Reden nennt. Anschließend gibt er seinem Befremden darüber Ausdruck, dass diese Leute ihm unverständliche Ausdrücke verwenden, regelmäßig in Streit miteinander geraten, und dabei den Lautesten als den Besten betrachten (Bis Acc. 11). Mit dieser Stellungnahme äußert Pan wie zuvor bereits Dike und Hermes ebenfalls deutliche Kritik an den irdischen Philosophen. Es klingen dabei Motive an, die auch – wie bereits gezeigt – in anderen Dialogen Lukians thematisiert werden: Das Unverständnis Pans gegenüber den philosophischen Debatten impliziert deren Weltfremdheit und Nutzlosigkeit; seine Beobachtungen über die Streitereien zwischen den einzelnen Vertretern impliziert den zweifelhaften weil nicht konsensfähigen Charakter ihrer Theorien; und schließlich verwechseln die Philosophen in Pans Augen auch noch die Lautstärke der Beschimpfungen mit argumentativer Überzeugungskraft. Gerade will Pan sich auch noch zum nächtlichen Treiben der Philosophen äußern, als er von Dike unterbrochen wird. Hermes beginnt nämlich seinen Aufruf zu den Gerichtsverhandlungen. Pan ergreift daraufhin die Flucht, weil ihm solcherlei Streitigkeiten, mit denen er sich unter den Menschen beständig konfrontiert sieht, den Nerv rauben (Bis Acc. 12). Hermes und Dike nehmen Bezug auf die bereits vorliegenden Klagen der Irdischen und setzen für jeden Prozess eine Anzahl von Schöffen ein (Bis Acc. 13–14). Dann beginnen die Verhandlungen. Zuerst klagt die personifizierte Völlerei, die μέθῃ, gegen die philosophische Akademeia. Weil jedoch die Völlerei vor Trunkenheit kaum stehen kann, übernimmt die Akademeia die Plädoyers sowohl der Anklage als auch der Verteidigung (Bis Acc. 15), was ihr ja aufgrund ihrer Fähigkeiten in platonischer Dialektik nicht schwer
118
Zur Präsenz Pans in der irdischen Welt vgl. J. HOLZHAUSEN, Pan, 222.
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fällt:119 Der Hauptvorwurf der Völlerei lautet, die Akademeia habe ihr ihren Anhänger Polemon abtrünnig gemacht; dieser trinke daher nun nur noch Wasser und sehe aus diesem Grund schon ganz kränklich aus (Bis Acc. 16).120 Die Akademeia verteidigt sich, indem sie darstellt, wie Polemon aus freien Stücken zu ihr gekommen ist und sich ihren Lehren über die Tugend und das Maßhalten angeschlossen hat, weil er diese für wertvoller erachtete als das, was die Völlerei ihm bieten konnte. Außerdem diene der Wandel vom schwelgerischen zum maßvollen Wesen nicht nur Polemon selbst, sondern als ein maßvoll Lebender diene Polemon nun auch dem gesamten Volk der Griechen (Bis Acc. 17). Im Prozess siegt daraufhin die Akademeia; sie erhält alle außer einer der Stimmen von den Schöffen (Bis Acc. 18). In der nächsten Verhandlung klagt die Stoa gegen die Lust, die ἡδονή (Bis Acc. 19): Die Lust habe ihr ihren Anhänger Dionysios weggenommen (Bis Acc. 20).121 Als Verteidiger der Lust tritt nun Epikouros selbst auf und zeichnet die Lage des Dionysios unter dem Einfluss der Stoa als eine notvolle. Daher habe dieser bei der Lust Zuflucht gesucht und gefunden (Bis Acc. 21). Zwar will die Stoa den Epikouros noch eingehender befragen, doch nach wenigen Fragen unterbindet Hermes dies, indem er darauf hinweist, die Schöffen könnten solch hochtrabende philosophische Diskussionen nicht verstehen. Die Lust gewinnt den Prozess daraufhin einstimmig (Bis Acc. 22). Es fällt auf, dass in beiden Prozessen zwei philosophische Einstellungen miteinander um die Zugehörigkeit eines Einzelnen streiten. Und in beiden Fällen gewinnt diejenige Seite, welcher der betreffende sich zugewandt hat, was – wie beide Verteidigungsreden betonen – freiwillig geschehen ist. Den Lesenden sprechen die unter der Autorität der Dike verhängten Entscheidungen damit das Recht zu philosophischer Selbstbestimmtheit und den Mut zu, Meinungen zu hinterfragen, um sich gegebenenfalls umzuorientieren. Einige weitere ähnlich geartete Fälle werden vertagt (Bis Acc. 23), und der Prozess, welcher in der Klage der Sparsamkeit gegen den Kyniker Diogenes entscheiden soll, muss ausfallen, da Diogenes es vorzieht, die Angelegenheit durch eine Prügelei zu regeln (Bis Acc. 24). So bleiben zwei Anklagen übrig, die sich beide gegen dieselbe Person richten: Sowohl die 119
Zur Forderung Platons, ein Philosoph müsse in der dialektischen Unterredung beide Seiten – sowohl die Fragende als auch die Antwortende – gleichermaßen gut vertreten können, vgl. K.-H. HÜLSER, Dialektik, 513. 120 Die von der Liebe zur Völlerei bestimmte Lebensführung des Polemon vor seiner Hinwendung zur Akademie beschreibt Diog. L. 4,16 (vgl. hierzu auch K.-H. STANZEL, Polemon, 6). 121 Es handelt sich um Dionysios von Herakleia, der aufgrund seines Wechsels von der Stoa hin zur ἡδονή in der Antike auch den Beinamen „der Abtrünnige“ trägt (vgl. B. INWOOD, Dionysios, 630).
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Rhetorik als auch der Dialogos verklagen einen gewissen anonym auftretenden Syrer (Bis Acc. 25). Zunächst trägt die Rhetorik ihr Anliegen vor und tut dies in deutlich rhetorisch geprägter Redeweise (Bis Acc. 26): Der Syrer habe die Ausbildung bei ihr genossen und sie hernach sogar geheiratet (Bis Acc. 27), doch dann sei er ihr untreu geworden und habe sich dem Dialog als der Ausdrucksform der Philosophie zugewandt, welchem er inzwischen allerdings auch wiederum die Treue gebrochen habe (Bis Acc. 28). Daran könne man erkennen, welch ein undankbarer Mensch dieser Syrer ist. Wenn er den Dialog der Rhetorik vorziehe, so könne er ja auch seine Verteidigung in dieser Form vortragen. Doch diesem Vorschlag gibt Hermes nicht nach, sondern er erlaubt dem Syrer sich in seinem Plädoyer der herkömmlichen Redeweise zu bedienen (Bis Acc. 29). Der Syrer bestätigt die Schilderung der Rhetorik und drückt ihr gegenüber sogar seinen Dank aus (Bis Acc. 30). Jedoch habe auch sie ihm gegenüber Ehebruch begangen und sich mit allerlei dubiosen Gestalten eingelassen. Dies habe er nicht ertragen können, und deswegen sei er zum Dialog gegangen (Bis Acc. 31). Das Gericht erklärt nach dieser Verteidigungsrede den Syrer zum Sieger; er erhält alle außer einer Stimme (Bis Acc. 32). Nun kommt der Dialogos an die Reihe. Er berichtet von der Würde, welche er einstmals besessen hat, da er sich mit hochphilosophischen Themen befassen konnte. Doch der Syrer habe ihn zu einer gemeinen Ausdrucksweise degradiert, indem er komische Elemente in ihn einfließen ließ. Auch mit Satire und Kynismus habe der Syrer den Dialog in Verbindung gebracht und zu allem Überfluss auch noch Menippos, den κύων angeschleppt. Der Dialogos fühlt sich schwer misshandelt: Er sei nun auch aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt, wie ein Zentaur, weder prosaisch noch versförmig – οὔτε πεξός εἰμι οὔτε ἐπὶ τῶν μέτρων βέβηκα (Bis Acc. 33). Die Verteidigung des Syrers leugnet die geschilderten Tatsachen nicht. Jedoch behauptet der Angeklagte, all sein Tun habe dem Dialogos zu seinem eigenen Besten gedient. Zuvor sei dieser ein lebloses Skelett gewesen, das sich lediglich mit trockenen philosophischen Fragestellungen beschäftigen durfte und so keineswegs attraktiv auf die Öffentlichkeit wirken konnte. Der Syrer hingegen habe dem Dialogos die Komödie nahegebracht und ihm damit großen Zuspruch des Publikums verschafft (Bis Acc. 34). Daraufhin wird der Syrer einstimmig freigesprochen, und Hermes wünscht ihm alles Gute (Bis Acc. 35). Wie in den beiden vorherigen Verhandlungen entscheidet das Gericht auch hier wieder, dass ein Mensch das Recht haben soll, sich aufgrund der eigenständigen Entscheidung von einer denkerischen Richtung umzuorientieren, um sich einem anderen Denkansatz zuzuwenden. Den Adressatinnen und Adressaten spricht das Stück damit den Mut zu, denkerische Gewohnheiten zu hinterfragen und sie gegebenenfalls zu ändern.
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Wer den Bis Accusatus allerdings im Kontext der Werke Lukians liest, entdeckt auch die hinter dem Stück stehende apologetische Tendenz. Die Beschreibung des Syrers und die ihm vorgeworfenen Vergehen treffen deutlich auf Lukian und seine Schriftstellerei zu.122 Der Angeklagte legt seine Motive dar und spricht sich gewissermaßen selbst von der himmlischen Ebene her die Legitimation für sein Tun zu. 3.1.2.9 Lukian: Necyomantia Wie auch der Icaromenippus bildet die Necyomantia ein Gespräch zwischen Menippos und einem Freund ab, welcher hier jedoch nicht als ἑταῖρος angesprochen sondern als φίλος bezeichnet wird. Die Dynamik des Erzählten spielt sich erneut hauptsächlich in den Redebeiträgen des Menippos ab, dem der Freund gelegentlich Rückfragen stellt. Das Stück beginnt in dem Moment, als Menippos und der Freund einander begegnen. Der Freund verwundert sich über den seltsamen Aufzug Menippos’ und möchte erfahren, wie es dazu kommt, dass dieser ihm mit Filzhut, Leier und Löwenfell gegenübertritt. Menippos antwortet ihm in Versen, er sei gerade eben aus dem ᾅδης zurückgekehrt, und auf die Bitte des Freundes hin, doch endlich mit der iambischen Redeweise aufzuhören, entschuldigt er sich mit dem Hinweis darauf, dass er eben erst noch mit Euripides und Homer zusammen gewesen sei und daher die Verse ganz von selbst in seinen Mund gelangten (Nec. 1). Nachdem Menippos vom Freund erfahren hat, dass die Menschen auf Erden noch immer ihren diebischen, eidbrecherischen und geizigen Taten nachgehen, erwähnt er einen in der Totenwelt verhängten Beschluss. Bevor er dem Freund davon erzählt, entscheidet sich Menippos, dem Freund die gesamte Geschichte von Anfang an darzulegen; damit beginnt er, indem er diesem zunächst die Gründe für seine Reise in die Unterwelt erklärt (Nec. 2). Die Schilderung des Menippos unternimmt einen gedanklichen Sprung zurück zum Ausgangspunkt seiner Reise; sie verläuft folgendermaßen: Menippos liest Homer und Hesiod, welche vom untugendhaften Verhalten der Götter erzählen (Nec. 3); und er beobachtet die Philosophen, unter welchen in seinen Augen die Unwissenheit die größten Ausmaße annimmt, da sie alle unterschiedlichste Meinungen vertreten (Nec. 4) und ihre von der Geldgier getriebenen Verhaltensweisen ihren Lehren widersprechen (Nec. 5).123 Aus Unzufriedenheit über diese Widersprüche wendet er sich in Baby122
Vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 275. Die Gründe, die Menippos für seine Reise in die jenseitige Welt nennt, decken sich also mit den Gründen, die er im Icaromenippus für seinen Flug zum Himmel anführt. Als motivierendes Moment für den Seitenwechsel hin ins Jenseits dient hier wie dort eine scharfe Kritik an den 123
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lon an einen Magos mit dem Namen Mithrobarzanes, von dem er sich Hilfe auf seiner Suche nach Orientierung in den widersprüchlichen Lehren erhofft (Nec. 6).124 Dieser murmelt darum einen Zauberspruch (Nec. 7)125 und kleidet Menippos in das Kostüm ein, welches er bei seiner nachmaligen Begegnung mit dem Freund noch immer trägt, um ihm als einem Lebenden so den Eintritt in die Unterwelt zu ermöglichen. Die Verkleidung soll den Wächter am Eingang zur Unterwelt glauben machen, bei Menippos handle es sich um einen Bewohner des Totenreichs (Nec. 8).126 Zusammen begeben sich Menippos und Mithrobarzanes dann auf den Weg zum Hades (Nec. 9) und gelangen zu Charons Kahn.127 Obwohl sich die jüngst Verstorbenen dort schon drängen, nimmt der Fährmann den Verkleideten mit auf die andere Seite, da er ihn für Herakles hält (Nec. 10). So gelangt Menippos an den Gerichtshof des Richters Minos128, wo ihm viele Tote begegnen, die in ihrem irdischen Leben reich an Besitz oder politischem Einfluss gewesen sind und nun auf ihren Prozess warten. Wenn einer von ihnen an die Reihe kommt, sagt sein eigener Schatten als Zeuge vor dem Richter aus, da der Schatten alle Taten des Menschen aus nächster Nähe miterlebt hat (Nec. 11). Minos geht allen ihren Taten sorgfältig nach und verdammt anschließend einen jeden der Genannten an den Ort der Ruchlosen, den τῶν ἀσεβῶν χῶρος, damit sie dort gemäß ihren Taten bestraft werden. Die härtesten Strafen treffen diejenigen, die wegen ihres Reichtums und ihrer Macht erwartet hatten, man würde vor ihnen die Proskynese praktizieren. Nach der Meinung des Menippos haben solche Menschen vergessen, dass sie sterblich sind. Darum freut er sich über ihre Verurteilung und macht sich einen Spaß daraus, den nun nackend ohne Macht und Reichtum Dastehenden vor Augen zu halten, welchen Status sie gerade eben in ihrem irdischen Leben noch besessen haben (Nec. 12). Dann führt seine Reise den Menippos an den Ort der Bestrafung, wo die Toten über dem Feuer gebraten, auf Foltergeräte gebunden oder von Ungeverschiedenen philosophischen Lehren, die nach der Meinung der Figur Menippos die letztlich entscheidenden Fragen menschlichen Lebens nicht zu klären vermögen. 124 Menippos möchte den verstorbenen Seher Teiresias im Hades nach dem Sinn des Lebens befragen (Nec. 7). 125 Vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 22–26. 126 Denn die Verkleidung beinhaltet Elemente aus den Kostümen, welche Herakles, Odysseus und Orpheus trugen. Alle drei sind bereits vor Menippos in die Totenwelt hinabgestiegen (Nec. 8; vgl. zu dem an die Kleidung von Herakles, Odysseus und Orpheus erinnernden Aufzug auch R. HELM, Lucian, 18.21–22). 127 Zum Fährmann Charon, der die frisch Verstorbenen auf seinem Kahn über die Lethe in das Totenreich hinüber fährt, vgl. auch Luc., Cat. 1–2 (s.o. Punkt 3.1.2.1). 128 Minos fungiert in der antiken griechischen Mythologie als Richter und gilt als Bruder des Rhadamanthys, welcher in Luc., Cat. 23 (s.o. Punkt 3.1.2.1) das Amt des Totenrichters bekleidet (vgl. J. STENGER, Minos, 234).
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heuern129 gequält werden. Unter den Leidenden finden sich nebeneinander βασιλεῖς und δοῦλοι, πένητες und πλούσιοι; sie alle werden bestraft, und sie alle bereuen ihre Verfehlungen. Die Armen unter ihnen jedoch erhalten weniger harte Strafen und dürfen zwischendurch Ruhepausen einlegen (Nec. 14). Der Weg des Besuchers in der Totenwelt geht jetzt dorthin, wo die anderen Toten weilen. Menippos stellt fest, dass all ihre irdische Schönheit dahin ist; als Skelette sehen sie alle gleich aus; nichts an ihnen weist mehr darauf hin, welchen Status sie in ihrem irdischen Leben eingenommen haben mögen (Nec. 15). So zieht er angesichts seiner Beobachtungen in der Unterwelt das Fazit: Den Status, den ein Mensch in seinem Erdenleben einnimmt, gibt und nimmt ihm die τύχη, das Schicksal. Sie inszeniert ein Theaterstück, indem sie an die Menschen Masken austeilt. Mitunter lässt sie die Menschen die Kostüme bereits während des Stückes tauschen, wie zum Beispiel im Falle des Kroisos, der vom König zum Diener degradiert wurde.130 Spätestens jedoch am Ende des Spiels müssen alle ihre Verkleidungen ablegen und stehen ohne Ausnahme als Arme und Niedrige da (Nec. 16). Der Freund, dem Menippos seine Geschichte erzählt, hakt nach: Wie steht es denn um diejenigen, die sich auf der Erde Denkmäler errichten lassen? Und Menippos berichtet ihm lachend, wie die irdischen Könige sich jenseits der Todes-Schwelle plötzlich im Stande von Bettlern wiederfinden (Nec. 17). Die σοφοί hingegen setzen ihr irdisches Treiben fort: Menippos erwähnt Sokrates, der auch in der Totenwelt allen Fragen stellt,131 und Diogenes den Kyniker, der sich sehr wohl fühlt und den Klagenden unter den Toten ihren vormaligen Reichtum unter die Nase reibt (Nec. 18). Am Ende seiner Ausführungen kommt Menippos auf den Punkt zurück, mit dem er seine Geschichte begonnen hat: auf das Edikt gegen die Reichen. Er erzählt von einer Bürgerversammlung in der Unterwelt (Nec. 19), in welcher der Beschluss ergeht, die Reichen sollten besonders hart bestraft werden, weil sie für die meisten der auf der Erde begangenen Vergehen verantwortlich sind. Daher sollen ihre σώματα nach dem Tod wie gewöhnlich bestraft werden; ihre ψυχαί hingegen sollen auf die Erde zurückkehren und in den Eseln wohnen, die den Armen ihre Lasten tragen (Nec. 20). Die Reichen erhalten damit also eine Spiegelstrafe: sie müssen sich für die Armen plagen, welche sie zuvor für sich arbeiten ließen. 129 Genannt werden Kerberos und Chimaira (zu ihnen vgl. CH. WALDE, Kerberos, 439–440; F. GRAF, Chimaira, 1123). 130 Zum Schicksal des Kroisos vgl. auch Luc., Cont. 13. 131 Auf Sokrates führt sich die sog. „Hebammenkunst“, die Maieutik zurück, die davon ausgeht, dass in jedem Menschen das philosophische Wissen bereits angelegt ist, nach welchem er sucht. Man müsse dieses Wissen lediglich zutage fördern, indem man diesem Menschen die richtigen Fragen stellt (vgl. K. DÖRING, Maieutik, 712).
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So referiert Menippos seinem Freund schließlich noch die Worte des Sehers Teiresias,132 mit dem er in der Unterwelt gesprochen hat: Das beste Leben führen die einfachen Leute; sie leben weise, wenn sie sich nicht an philosophischen Spekulationen beteiligen und sich stattdessen ganz darauf konzentrieren, das beste aus der Situation zu machen, in welcher sie gerade stehen (Nec. 21). So erhält Menippos eine explizite Antwort auf die seine Reise motivierende Ausgangsfrage. Nach dem Besuch bei Teiresias133 zeigt Mithrobarzanes dem Menippos den Rückweg zur irdischen Welt (Nec. 22). Da die Szene bei Teiresias am Ende des Stückes steht, entfaltet dieses – unter dem Gesichtspunkt der Textpragmatik – eine stark appellative Wirkung auf die Leserinnen und Leser:134 Angesichts des Todes stellen Reichtum, Macht und philosophische Debatten keine erstrebenswerten Ziele mehr dar. Die Lesenden werden zu einem einfachen Lebensstil aufgerufen. 3.1.2.10 Lukian: Fugitivi Im Himmel führen Zeus und Apollon eine Unterredung über den Sinn oder Unsinn dessen, dass zwei ihnen bekannte Männer auf der Erde sich selbst ins Feuer gestürzt haben.135 Zu einer abschließenden Beurteilung dieses Phänomens gelangen die beiden Götter nicht; Zeus merkt lediglich an, dass der Brandgeruch ihn stört, und Apollon wertet den Sprung des Empedokles in den Krater des Ätna als einen Fall von μελαγχολία (Fug. 1–2). Dabei gilt doch Empedokles’ Sprung in den Krater zur Entstehungszeit der Fugitivi als die Ermöglichung seiner Apotheose,136 und genauso verbinden Zeitgenossen nach der Sichtweise von Lukians Stück De Peregrini Morte mit der Selbstverbrennung des Peregrinos die Vorstellung von seiner Vergottung.137 132
Zu Teiresias vgl. TH. HEINZE, Teiresias, 82. R. HELM, Lucian, 20–21.37 nimmt den Besuch bei Teiresias als das eigentliche Ziel des Menippos bei seiner Reise in die Totenwelt wahr und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass beide Männer Landsleute sind. 134 Vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 35–36. Helm erblickt in dem Erlass gegen die Reichen das eigentlich Spannung stiftende Moment des Handlungsverlaufs. 135 Apollon erwähnt einen Mann, der sich während der olympischen Spiele selbst verbrannt hat und bezieht sich dabei auf Peregrinos, von welchem Lukian andernorts ausführlicher handelt (vgl. Luc., Pergr. Mort.). Vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 307. 136 Nach der Schilderung bei Diogenes Laertios dient die Erzählung vom Sturz des Empedokles manchen seiner Mitmenschen als Beleg dafür, ὅτι γεγόνοι θεός (Diog. L. 8,69). 137 Lukian beschreibt, dass Peregrinos für seine Selbstverbrennung gezielt ein möglichst großes Aufsehen gesucht und daher den Ort und die Zeit der olympischen Spiele gewählt hat (Luc., Pergr. Mort. 1); denn sein primäres Verlangen habe der δόξα gegolten (Pergr. Mort. 42). Offensichtlich kursieren aber bereits zur Zeit der Abfassung von Lukians De Peregrini Morte Legenden darüber, bei der Selbstverbrennung des Peregrinos sei ein Geier aus dem Feuer aufgestiegen und zum Himmel hinaufgeflogen, was Zeitgenossen wohl als Zeichen der Apotheose gewertet haben (vgl. zum Himmelsflug des Verbrannten auch E. BICKERMANN, Kaiserapotheose, 9; A.D. NOCK, Einrichtung, 386). Der Erzähler versucht nun, diese Ansicht zu zerschlagen, indem er behauptet, er 133
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Indem die beiden wahren Götter Zeus und Apollon nun aber lediglich den Gestank der Ereignisse thematisieren und menschliche Melancholie als ihren Hintergrund annehmen, schließen sie mit großer Selbstverständlichkeit alle menschlichen Versuche zur Erlangung eines göttlichen Status aus. Sie können ihr Gespräch jedoch nicht fortsetzen, weil sie von einer herbeieilenden weiblichen Gestalt unterbrochen werden. Es handelt sich um die Philosophia; sie weint. Nach dem Grund befragt, weshalb sie aus der irdischen Welt heraufgekommen sei und sich in einer solch traurigen emotionalen Verfassung befinde, antwortet sie, die Mehrzahl der Menschen stehe ihr zwar unwissend aber mit Hochachtung gegenüber. Allerdings begehen gerade diejenigen, welche sich für ihre engsten Freunde ausgeben, schweres Unrecht an ihr (Fug. 3). Sie holt aus, um dies zu erläutern: Dazu teilt sie die Menschheit in drei Gruppen ein, unter denen es zwischen der breiten Masse und den wahren Philosophen einen Mittelbereich gibt. Gerade diese mittlere Gruppe betreffen die Klagen der Philosophia, denn ihre Vertreter geben zwar vor, Angehörige der Philosophia zu sein, verneinen diese Haltung aber mit ihrem Lebensstil.138 Vor den Misshandlungen, welche diese Menschen ihr angetan haben, hat die Philosophia Reißaus genommen (Fug. 4). Dabei hatte Zeus sie einstmals doch eigens auf die Erde gesandt, um dem schlimmen Treiben der Menschen ein Ende zu bereiten (Fug. 5). Angehörige der verschiedensten Völker haben die Philosophia damals würdig aufgenommen (Fug. 6–8); auch unter den Griechen konnte sie zunächst – zumindest teilweise – Gutes bewirken (Fug. 11). Doch dann versuchten immer mehr Männer, durch die scheinbare Hinwendung zur Philosophie in den Augen ihrer Mitmenschen Ansehen zu gewinnen (Fug. 12), obwohl sie doch tatsächlich nichts als Dummheit vorweisen können, so dass sie damit nur ein Maskenspiel treiben – wie ein Esel, der sich mit einem Löwenfell kostümiert (Fug. 13). Sie rüsten sich mit Mantel, Stab und Ranzen aus,139 und haben es einzig auf das Geld ihrer Mitmenschen abgesehen (Fug. 14). Die Philosophia schilt so insbesondere die Anhänger der kynischen Richtung, die die Ansätze ihrer Urheber verraten haben und das dort angelegte Gute nicht konsequent leben (Fug. 16). Die kynische Philosophie als solche erhält damit also ein ausgesprochen positives Zeugnis; nicht so jedoch die Anhänger dieser Lehre. Trotz ihres scheinbar philosophischen Auftretens in der Öffentlichkeit (Fug. 18) leben die Vertreter der selbst habe diesen Zug ersonnen und als falsche Information für dumme Menschen mutwillig in die Welt gesetzt (Pergr. Mort. 39–40). 138 Die Kritik gleicht damit derjenigen, die auch dem Stück Piscator (s.o. Punkt 3.2.1.7) zugrunde liegt. 139 Hierbei handelt es sich um die besonderen Kennzeichen der Kyniker, die ihrer Lehre zufolge das Streben nach Reichtum für das schlimmste Übel erachten; der Reichtum steht der Tugend nach kynischer Ansicht doch gerade im Wege (s.o. Punkt 3.1.1).
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Mittelgruppe zwischen der Masse und den wahren Philosophen ein ausschweifendes Leben, das sich durch Maßlosigkeit und Lüge auszeichnet, weil es ganz im Dienst der ἡδονή steht. Nichts sonst auf der Welt ist so verschieden wie die Worte dieser Menschen von ihren Taten, so klagt die Philosophia (Fug. 19). Sie streben ein Leben im Reichtum an und üben damit Verrat nicht nur an den Urhebern ihrer philosophischen Richtungen (Fug. 20) sondern auch an der Philosophia selbst, der sie mit purer Verachtung begegnen (Fug. 21). Zeus beschließt aufgrund dieser Anschuldigungen die sofortige Bestrafung der Übeltäter. Auf den Ratschlag Apollons hin sendet er zu diesem Zweck Hermes, und mit ihm zusammen Herakles und die Philosophia selbst auf die Erde hinab (Fug. 22–23). Die Philosophia gibt die Richtung an, indem sie darauf hinweist, man könne die zu Bestrafenden sicher leicht dort finden, wo es viel Gold gibt (Fug. 24). Auf der Erde angekommen, will Hermes nach den Gesuchten rufen und fragt daher die Philosophia nach deren Namen; diese schlägt ihm einige treffende Namen vor, welche alle den Wortstamm κτη- beinhalten (Fug. 26), worin sich andeutet, dass diese Menschen sich in erster Linie an ihrem Streben nach Besitztümern (κτήματα) identifizieren lassen. Doch noch bevor Hermes die Namen ausrufen kann, begegnet den Göttern eine kleine Gruppe von Menschen, die einigen entflohenen Sklaven auf den Fersen sind – unter ihnen ein Ehemann, dessen Frau sich mit ebendiesen Sklaven eingelassen hat (Fug. 27). Nach einem kurzen Gespräch stellen sie fest, dass die von den Göttern gesuchten heuchlerischen Philosophen identisch mit den von der Menschengruppe gesuchten entlaufenen Sklaven sind (Fug. 28). Plötzlich tritt Orpheus in der Szene auf; er kann den Suchenden den Weg weisen und führt sie zu einem Haus (Fug. 29).140 Dort treffen sie tatsächlich die Sklaven zusammen mit der Frau an. Im folgenden Dialog spricht die Frau ausschließlich in Homer-Versen (Fug. 30). Ein mit Gold gefüllter Geldbeutel, den einer der Sklaven in seinem Ranzen aufhebt, offenbart die Gier dieser Männer, die sich für kynische Philosophen ausgegeben haben (Fug. 31–32). Endlich spricht Hermes sein Urteil über die Entlaufenen: Die Frau muss zu ihrem Ehemann zurückkehren; und die Sklaven sollen eine Tracht Prügel erhalten, um anschließend wieder ihren Herren zu dienen, indem sie dreckige Kleider waschen und flicken. Ihr Anführer allerdings erhält eine schwerere Strafe: Man soll ihm seine Haare ausreißen; er soll geteert werden und anschließend mit gefesselten Füßen 140 In Aufnahme der Legende von Orpheus und Euridike erhält Orpheus in den literarischen Werken der Antike bisweilen die Rolle dessen, der die Toten ins Leben zurück führt (vgl. DNPGRUPPE KIEL, Orpheus, 55). Möglicherweise nimmt die vorliegende Szene der Fugitivi dieses Motiv auf und lässt Orpheus als diejenige Figur wirken, welche die verlorenen Menschen in ihr ehemaliges soziales Umfeld zurückbringt.
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nackend im Schnee stehen, so dass er gezwungen ist, seine Verkleidung auf schmerzhafte Weise beizubehalten.141 Zuvor aber soll er sein Löwenfell ablegen, auf dass man ihn auch trotz der die Verkleidung fixierenden Strafe als den Esel erkenne, der er in Wirklichkeit ist (Fug. 33; vgl. Fug. 13).142 Das Stück geht damit sehr hart mit den zeitgenössischen Vertretern der verschiedenen philosophischen Gruppen und insbesondere mit den Kynikern ins Gericht. Die Philosophia wirft ihnen allen Heuchelei und Gier vor. Bei aller Kritik an den heuchlerischen Philosophen ihrer Gegenwart nimmt sie die philosophischen Lehren als solche und deren Begründer jedoch ausdrücklich in Schutz. Insbesondere der Kynismus (Fug. 11.16) erhält ein explizites Lob aus dem Munde der personifizierten Philosophie. 3.1.2.11 Lukian: Dialogi Mortuorum Die Totengespräche, Lukians Dialogi Mortuorum, bestehen aus einer Zusammenstellung von Szenen, welche untereinander nur eine lose Verbindung besitzen. Sie spielen allesamt in der Totenwelt, wo einzelne ihrer Bewohner kurze Unterredungen führen. Ein sich durch alle diese Szenen hindurchziehendes Thema besteht dabei aber im Übergang von der irdischen zur unterirdischen Welt durch den Tod eines Menschen, der oftmals einige Überraschungen für die gerade Verstorbenen mit sich bringt.143 In der ersten Szene trägt der kynische Philosoph Diogenes von Sinope dem unsterblichen Polydeukes, einem Sohn des Zeus,144 auf, er möge bei seiner bevorstehenden Rückkehr in die irdische Welt einigen Personen etwas bestellen: Dem Kyniker Menippos von Gadara soll Polydeukes sagen, sobald er auf der Erde in ausreichendem Maße über die Dinge gelacht 141 Mit der verhängten Strafe zwingt Hermes den Heuchler dazu, sein Maskenspiel unter Schmerzen weiterzuspielen: Die ausgerissenen Haare erneuern den für den Kyniker typischen kurzen Haarschnitt (vgl. Diog. L. 6,31; dagegen sieht R. HELM, Lucian, S.316 geschorene Haare als untypisch für kynische Philosophen an; in antiken bildlichen Darstellungen tragen die Kyniker tatsächlich oft lange und ungepflegte Haare), den der Beschuldigte ja bereits als Bestandteil seiner Verkleidung getragen hat (Fug. 27). Außerdem wird er geteert, was sein ungepflegtes Äußeres überbietend fixiert. Und schließlich nimmt der zuletzt genannte Teil der Strafe, die den Sklaven dazu bestimmt, nackend im Schnee zu stehen, die Tradition auf, nach der der exemplarische Vertreter der kynischen Philosophie, Diogenes von Sinope, bisweilen mit nackten Füßen durch den Schnee gegangen ist, um so seine Absage an die ἡδονή eindrücklich zu praktizieren (vgl. Diog. L. 6,34). Der falsche Kyniker muss nun also als Strafe das erleiden, was ein wirklicher Kyniker freiwillig tut. 142 Hermes nimmt hier die vorherige Formulierung der Philosophia auf, welche den falschen Philosophen mit einem in ein Löwenfell gekleideten Esel verglichen hat (Fug. 13). 143 Ich schließe mich in der folgenden Darstellung der Reihenfolge der Szenen an, die A.M. HARMON/K. KILBURN/M.D. MACLEOD ihrer Lukian-Ausgabe zugrunde legen. Von diesen Szenen wähle ich diejenigen aus, die ich für die Bedeutsamsten halte. 144 Zu Polydeukes und seiner Unsterblichkeit vgl. T. SCHEER, Dioskuroi, 673.
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habe, solle er in die Totenwelt hinabkommen, denn dort ließe es sich noch besser lachen (D. Mort. 329). Wo auf Erden noch einige Unsicherheit herrscht, bringt die Perspektive des Todes Sicherheit: Reiche, Satrapen und Tyrannen werden zu Niedrigen und Unbedeutenden: ὁρᾷς τοὺς πλουσίους καὶ σατράπας καὶ τυράννους οὕτω ταπεινοὺς καὶ ἀσήμους (D. Mort. 330). Den Philosophen soll Polydeukes ausrichten, sie mögen ihr unverständliches und spekulatives Reden einstellen (D. Mort. 332); und den Reichen, der Tod werde ihnen unverhofft ihr Hab und Gut entreißen (D. Mort. 333). Den Schönen und Starken soll er sagen, ihre Schönheit und Stärke habe im Tode keinen Bestand (D. Mort. 333–334); und den Armen, sie könnten sich mit der Aussicht auf die Gleichheit aller im Totenreich über ihre momentane, jedoch vergehende, Armut hinwegtrösten (D. Mort. 334).145 Die zweite Szene erzählt die Ankunft des Menippos im Totenreich. Menippos weigert sich, dem Fährmann Charon den ihm zustehenden Obolos für die Überfahrt zu entrichten, weil er schlichtweg kein Geld besitzt, so dass er dem Fährmann lediglich Schläge mit seinem Stab anbieten kann (D. Mort. 423–424). Auf der sich anschließenden Fahrt mit dem Kahn singt Menippos und macht sich über die jammernden Mitreisenden lustig (D. Mort. 425). Einige Tote beschweren sich in der nächsten Szene bei Plouton über den κύων Menippos, weil dieser den ehemals Wohlhabenden ihr einstiges Leben ins Gedächtnis ruft und daraufhin auch noch ihr Gejammer um die verlorenen Vorzüge des irdischen Lebens durch sein fröhliches Singen stört (D. Mort. 336). Anschließend erzählt die vierte Szene ein Gespräch unter Hunden. Der κύων Menippos unterhält sich mit dem Hund Kerberos, der am Eingang der Totenwelt Wache hält. Menippos möchte wissen, wie Sokrates sich benommen hat, als er in das Totenreich eintreten musste (D. Mort. 420). Kerberos antwortet, von ferne sei Sokrates mutig gewesen; doch als er dann tatsächlich in die Unterwelt hineingehen musste, habe er geschrieen und geweint. Denn – so Kerberos – nicht im Reden eines Menschen zeigt sich dessen Haltung, sondern diese muss sich in der konkreten Situation bewähren (D. Mort. 421). Allein Menippos selbst und Diogenes von Sinope seien würdig, nämlich lachend, eingetreten (D. Mort. 422). In der fünften Szene spricht Menippos den Hermes auf die Schönheit der Menschen an. Denn die irdische Schönheit weicht seiner Beobachtung nach im Tode der Gleichheit aller, die nur noch aus Knochen und Schädel beste145
R. Helm erkennt in dieser Botschaft ein „Evangelium“ an die Armen (R. HELM, Lucian, 212). Unter dieser Perspektive ergibt sich eine interessante Parallele zu der Antrittsrede Jesu im Lukasevangelium, wo der lukanische Jesus in der Synagoge zu Nazareth aus dem Jesajabuch liest: πνεῦμα κυρίου ἐπ' ἐμὲ οὗ εἵνεκεν ἔχρισέν με εὐαγγελίσασθαι πτωχοῖς (Lk 4,18).
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hen (D. Mort. 408). Hermes bestätigt ihn: Die Menschen wissen im irdischen Leben nicht um die Vergänglichkeit dessen, wonach sie streben (D. Mort. 409). Danach bittet Menippos den Richter Aiakos146 um eine Besichtigungstour im Totenreich. Aiakos möge ihm die verstorbenen berühmten Männer zeigen (D. Mort. 413). Es bietet sich ihm das folgende Bild: Die Helden des Kampfes um Troja und die Könige Kyros und Kroisos bestehen nur noch aus zerbrechlichen Knochen (D. Mort. 413–414). Der Philosoph Pythagoras kann angesichts des Todes seine Speisevorschriften nicht aufrechterhalten (D. Mort. 415),147 und Empedokles sieht ganz verbrannt aus; sein Sprung in den Krater des Ätna hat ihn mitnichten unsterblich gemacht (D. Mort. 416– 417). Der Tod hat ihm damit gerade nicht in seinem eigensinnigen Streben nach einer Apotheose unterstützt sondern das genaue Gegenteil bewirkt, da er Empedokles zu einem Skelett unter vielen gemacht hat – allerdings zu einem besonders hässlichen. Sokrates muss sich auch im Tode sein Nichtwissen eingestehen, auf das er freilich bereits zu seinen Lebzeiten hingewiesen hat – worin ihn seine Schüler jedoch nicht ausreichend ernst genommen haben (D. Mort. 418–419).148 Menippos verabschiedet sich und gesellt sich am Ende der Szene zu Kroisos und Sardanapallos149, da ihn deren Gejammer erfreut (D. Mort. 420).150 Ein Dialog zwischen dem Kentaur Cheiron und Menippos findet in der achten Szene statt; sein Inhalt dreht sich um Leben und Tod. Obwohl er ein Gott war, hatte Cheiron ja sterben wollen (D. Mort. 434).151 Er begründet dies mit der Monotonie des irdischen Lebens. Die Vorzüge des Todes sieht er in der Gleichheit aller und in der Abwesenheit von Hunger und Durst (D. Mort. 435–436). Nun kann aber, so Menippos, auch dies wieder in die Monotonie führen, aus der es für Cheiron jetzt keinen Ausweg mehr gibt. Daher formuliert Menippos den allgemeinen Ratschlag, man müsse sich mit der Situation zufrieden geben, in der man steht, und dürfe nichts als unerträglich ansehen (D. Mort. 436). Bei seiner Begegnung mit dem Seher Teiresias befragt Menippos diesen danach, ob das Leben als Frau oder als Mann das angenehmere sei. Teiresias behauptet ja, beide Formen der Existenz selbst durchlebt zu haben (D. 146
Zu Aiakos vgl. J. TOEPFFER, Aiakos, 926. Zum Verbot des Bohnenverzehrs bei Pythagoras siehe auch Luc., Gall. 4. 148 Die Aussage des Sokrates „ich weiß, dass ich nichts weiß“ haben bereits in der Antike viele als eine ironische interpretiert (vgl. K. DÖRING, Sokrates, 680). 149 Es handelt sich bei ihm um einen sagenhaften assyrischen Herrscher (vgl. J. RENGER, Sardanapal, 54). 150 Die siebte Szene beschreibt ein Gespräch zwischen Menippos und Tantalos (D. Mort. 406– 408). 151 Zum göttlichen Status des Cheiron und zu den Umständen seines Todes vgl. J. ESCHER, Chiron, 2303.2305. 147
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Mort. 445).152 In seiner Antwort verstrickt er sich jedoch in Widersprüche, so dass Menippos ihn, mit allen anderen Sehern zusammen, schließlich als einen Lügner einstuft (D. Mort. 447).153 In der kurzen zehnten Szene begegnet Menippos den Sehern Amphilochos und Trophonios, die von manchen Menschen für Götter gehalten werden.154 Jene, die solches glauben, bezeichnet Menippos jedoch als töricht (D. Mort. 338). Er selbst hingegen kann sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass Amphilochos und Trophonios durch und durch tot sind (D. Mort. 340). Der Blickwinkel wechselt, und in der folgenden Szene unterreden sich Diogenes von Sinope und Herakles. Der einstige Mensch Herakles, der den Tod überlistet zu haben vorgibt, indem nur sein Geist in die Totenwelt hinabgefahren sei, während er selbst nun als Gott im Himmel lebe,155 muss sich die kritischen Nachfragen des Kynikers gefallen lassen (D. Mort. 402). Die Fadenscheinigkeit der von Herakles vertretenen Argumentation kommt dadurch ans Licht (D. Mort. 405). Wie schon in der vorausgegangenen Szene steht damit die angebliche Apotheose eines Menschen im Mittelpunkt der Kritik. Dies ist auch im zwölften Dialog der Fall. Philipp II. von Makedonien und sein Sohn Alexander der Große sprechen über die vermeintliche Apotheose Alexanders. Alexander gibt zu, das Orakel über seine göttliche Abstammung nur aus eigennützigen politischen Gründen aufgegriffen zu haben, wohl wissend, dass er in Wahrheit völlig Mensch war (D. Mort. 395).156 Philipp sieht die vorgegebene Göttlichkeit Alexanders angesichts seiner im Kampf erlittenen Wunden und seines dann doch eingetretenen Todes als peinliche Behauptung an, deren Unglaubwürdigkeit die Augenzeugen von Alexanders Tod amüsiert haben dürfte (D. Mort. 397–398). Schließlich fordert Philipp seinen Sohn auf, den Stolz doch endlich abzulegen und seinen Tod zu akzeptieren (D. Mort. 398). In der folgenden Szene geht es um die gleiche Frage; hier stellt sich Alexander offen den Fragen des Kynikers Diogenes. Auch ihm gegenüber gesteht er seine völlige Menschlichkeit ein (D. Mort. 390). Und Diogenes stellt die eigennützige Motivation Alexanders heraus, die dazu geführt hat, 152 Zu der Legende, Teiresias habe das Empfinden beider Geschlechter erlebt, vgl. TH. HEINZE, Teiresias, 82. 153 Teiresias bekleidet damit in den Schriften Lukians eine durchaus ambivalente Rolle: Während er in der Necyomantia (Nec. 21) die zentrale Wahrheit ausspricht, ein einfaches Leben sei das erstrebenswerte, fungiert er in den Dialogi Mortuorum als exemplarischer Scharlatan. 154 Zu ihnen vgl. T. SCHEER, Amphilochos, 614 und L. KÄPPEL, Trophonios, 875. 155 Zur Apotheose des Herakles vgl. F. GRAF, Herakles, 390. 156 Zur politisch-stabilisierenden Funktion der Herrscherverehrung vgl. auch S.R.F. PRICE, Rituals, 247–248.
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dass dieser sich als Gott verehren lässt (D. Mort. 391); der Kyniker kritisiert Alexander, weil er sich auch im Tod noch nicht recht von diesem überheblichen Anspruch verabschieden kann (D. Mort. 392).157 Danach wendet sich das Thema stärker dem Reichtum und den nach ihm strebenden Menschen zu. In der 15. Szene sprechen Plouton und Hermes über den alten und reichen Mann Eukrates von Sikyon,158 um welchen sich eine Gruppe von Menschen schart, die sich sein Erbe erschleichen wollen, indem sie des Eukrates’ Freundschaft zu gewinnen suchen, während sie hinter dessen Rücken seinen Tod herbeiwünschen (D. Mort. 344–345). Hermes beschließt daraufhin, dem Eukrates ein langes Leben zu gewähren und die falschen Freunde einen nach dem anderen in die Totenwelt hinabzuholen (D. Mort. 346). Das kynische Motiv der Sinnlosigkeit des Strebens nach Reichtum angesichts des unverhofft eintretenden Todes tritt hier einmal mehr zutage. So verhält es sich auch in der folgenden Szene. Terpsion beschwert sich darüber, dass er früher gestorben sei als der reiche Toukritos, von welchem er sich doch ein reichliches Erbe erhofft habe (D. Mort. 347). Die Ursache seines Todes sieht Terpsion in der ständigen Sorge um sein Geld, die ihn auch des nachts nicht schlafen ließ (D. Mort. 354). Nach den Umständen seines Todes befragt erzählt Kallidemides dem Zenophantos in Szene 17, wie er aus Gier nach dem Erbe eines Reichen einen Giftanschlag auf diesen unternahm. Dieser Anschlag schlug jedoch fehl, und Kallidemides trank selbst aus dem Becher mit dem für den Reichen bestimmten Gift (D. Mort. 355–357). Den Niederträchtigen trifft auf diese Weise eine spiegelhafte Strafe. Kallidemides vermutet, der Effekt des misslungenen Anschlags dürfte das intendierte Opfer erheitert haben (D. Mort. 357). Ähnlich schlecht ergeht es dem Knemonos, der dem Damippos in der 18. Szene berichtet, dass er den betagten und reichen Hermolaos öffentlich zu seinem Erben eingesetzt habe, in der Hoffnung, der kinderlose Hermolaos würde seinerseits auch ihn zu seinem Erben bestimmen und schon in Kürze versterben (D. Mort. 358). Gegen seine Erwartung kam Knemonos jedoch schon bald darauf bei einem Unfall ums Leben, so dass Hermolaos sein Vermögen erbte (D. Mort. 359). Das Thema des missglückten Erbschleichertums setzt sich auch in dem folgenden Dialog fort. Dieser Dialog beleuchtet allerdings die Kehrseite des bisher Thematisierten, denn hier kommt ein Reicher zu Wort, der sich zu Lebzeiten mit allerlei Aufmerksamkeiten von verschiedenen Schmeichlern konfrontiert sah. Dieser Polystratos erzählt seinem Gesprächspartner Simy157 158
Die 14. Szene bildet ein Gespräch zwischen Hermes und Charon ab (D. Mort. 341–343). Er tritt auch in Lukians Gallus auf (Luc., Gall. 9; vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 203).
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los, dass er die Aufmerksamkeiten durchaus genoss, die Schmeichler auch in dem Glauben ließ, sie könnten ihn beerben. Tatsächlich hinterließ er ihnen allen aber in seinem Testament nur schriftliche Beschimpfungen, während er seinen Reichtum einem hübschen Knaben vermachte (D. Mort. 361–362).159 In der 20. Szene bringt Hermes einige Tote zu Charon, welcher die Verstorbenen über die Lethe fahren soll. Sie müssen dazu ihre mitgebrachte Habe ablegen, da der Kahn sonst zu sinken droht (D. Mort. 363–364). Ohne zu protestieren wirft Menippos Ranzen und Stab in das Wasser. Der schöne Jüngling Charmoleos muss seine Schönheit abgeben (D. Mort. 365), der Tyrann Lampichos seinen Reichtum und seine Grausamkeit (D. Mort. 366), der Athlet Damasias seine Muskeln und Siegeskränze (D. Mort. 366–367), der Herrscher Kraton seinen Reichtum und seine Ehre, ein siegreicher Krieger den Ehrenpreis seiner Stadt (D. Mort. 367), ein Philosoph seine Eitelkeit, seine unnützen Lehren und schließlich auch seinen Bart, der ja seinen Stand als Philosoph signalisiert. Diesen darf Menippos ihm mit einer Axt entfernen (D. Mort. 368–371). Daraufhin protestiert der Philosoph und will auch den Menippos seiner Freimütigkeit und seines Gelächters entkleidet sehen. Doch Hermes erlaubt dem Kyniker, diese Attribute zu behalten, da sie leicht sind (D. Mort. 373). Ein Rhetoriker dagegen muss seinen Wortreichtum abgeben (D. Mort. 373–374). Menippos erfreut sich an der Klage der Menschen, die ihr irdisches Leben nicht verlassen wollen (D. Mort. 374); nur er selbst tritt mit leichtem Herzen in die Totenwelt ein (D. Mort. 375). Die nächsten Szenen stellen Gespräche dar, die einige Kyniker in der Totenwelt untereinander führen: Krates von Theben und Diogenes von Sinope sprechen über die beiden Reichen, die sich gegenseitig zu Erben ernannten, von diesem Abkommen allerdings nicht profitieren konnten, weil beide am gleichen Tag starben (D. Mort. 377–378). Die Kyniker sind dagegen der Ansicht, dass sie an ihre Schüler je wahre Reichtümer vererben konnten, die in σοφία, αὐτάρκεια, ἀλήθεια, παρρησία und ἐλευθερία bestehen. Hier nehmen die sprechenden Figuren eine explizite Neudefinition des Begriffs πλοῦτος vor (D. Mort. 378–379). Danach beobachten Diogenes, Krates und Antisthenes die neu in der Totenwelt Ankommenden, die Hermes zu ihnen bringt (D. Mort. 437). Die Reichen und Mächtigen unter ihnen klagen und weinen, woran die Kyniker sich erfreuen (D. Mort. 441–443). Einen ankommenden Bettler setzt Dio159 R. HELM, Lucian, 204 geht davon aus, dass sich in den Szenen zum Thema der Erbschleicherei keine kynischen Gedanken widerspiegeln. Das sehe ich anders: Denn die Kritik am Reichtum gehört als wichtiger Bestandteil in das Zentrum kynischen Denkens hinein. Wie schon in den Contemplantes erweist sich hier in den Dialogi Mortuorum das Streben nach Reichtum angesichts des plötzlich über einen Menschen kommenden Todesschicksals als nutzloses Unterfangen.
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genes erst davon in Kenntnis, dass der Tod für ihn keinen Schrecken bedeuten muss (D. Mort. 444).160 Anschließend kommt der Räuber Sostratos auf die Macht des Schicksals zu sprechen und versucht mit dem Hinweis auf sie der Verantwortung für die eigenen im Leben begangenen Missetaten zu entgehen. So kann er sich in der 24. Szene tatsächlich mit der Unausweichlichkeit des von Klotho gefügten Schicksals verteidigen und der vom Richter Minos verhängten Strafe entkommen (D. Mort. 451–454).161 Seinem Freund Antilochos gegenüber äußert sich Achilleus, der Held von Troja, dann zum Wert des Ruhmes im Angesicht des Todes.162 Aus der Perspektive der Totenwelt verliert irdische Ehre ihre Bedeutung, weil die Toten alle den gleichen Status besitzen (D. Mort. 400). Allen Menschen steht das Todesschicksal bevor, doch den auf Erden Ruhmreichen macht die Erinnerung an das irdische Leben es schwer, den Tod anzunehmen (D. Mort. 401).163 Der 29. Dialog beinhaltet ein Gespräch zwischen dem Kyniker Diogenes und dem König Mausolos. Durch den Tod vollzieht sich ein Statuswechsel zwischen ihnen. Während Mausolos im Leben reich und mächtig war, so dass er sich ein beeindruckendes Grabmal errichten lassen konnte,164 und Diogenes als armer Philosoph lebte, gibt es im Tod keinerlei Reichtümer mehr; hier unterscheiden sich die Männer darin, dass Mausolos seinem vergangenen Reichtum nachtrauert, während Diogenes deswegen über ihn lachen kann (D. Mort. 430–431). Menippos soll in der letzten Szene in einem Schönheitswettbewerb zwischen Nireus und Thersites entscheiden. Während Nireus auf Erden für seine Schönheit165 und Thersites für seine Hässlichkeit bekannt war (Hom., Il. 2,217–219),166 kann Menippos im Tode keinerlei Unterschied mehr zwischen ihnen feststellen (D. Mort. 432–433).167
160
450).
Die folgende Szene erzählt ein Gespräch zwischen Aias und Agamemnon (D. Mort. 448–
161 In der 25. Szene urteilt Minos über die Hierarchie zwischen den Feldherren Alexander, Hannibal und Scipio (D. Mort. 380–389). 162 Die Freundschaft zwischen Achilleus und Antilochos erwähnt Homer (Il. 23,555–556). Zu den beiden Figuren vgl. D. SIGEL, Achilleus, 76 und F. GRAF, Antilochos, 758. 163 Wie schon die 24. so behandelt auch die 27. Szene die Fügung des Schicksals. Sie beschreibt den Dialog zwischen Protesilaos und seinem Richter Aiakos (D. Mort. 410–411). In der 28. Szene unterhalten sich Protesilaos, Plouton und Persephone (D. Mort. 426–429). 164 Zu Mausolos und seinem Grabmal vgl. P. HÖGEMANN, Maussolos, 1064. 165 Zu Nireus und seiner Schönheit vgl. P. DRÄGER, Nireus, 960. 166 Zu Thersites und seiner Hässlichkeit vgl. R. NÜNLIST, Thersites, 433. 167 Vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 53–54.
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3.1.2.12 Seneca: Apocolocyntosis Senecas lateinisches Werk mit dem griechischen Titel Ἀποκολοκύντωσις168 bedient sich nicht wie Lukians Stücke der Form des Dialogs, sondern es folgt einer narrativen Struktur, in der eine einzige erzählende Stimme – die sich zu Beginn des Texts durch die Benennung eines Gewährsmanns in unmittelbare Relation zu der erzählten Welt setzt (Apoc. 1,2) – die Begebenheiten darstellt, welche sich beim und nach dem Tode des Kaisers Claudius zugetragen haben. Die Apocolocyntosis beginnt mit einem Proömium, welches die Konventionen der Historiographie persifliert.169 Das erzählende Ich spricht in der ersten Person und erwähnt seine rein historische Absicht, die darum bemüht ist, die auftretenden Figuren weder in besonders gutem noch in besonders schlechtem Licht erscheinen zu lassen (Apoc. 1,1); es weist auf seine Treue zu den Tatsachen hin (Apoc. 1,1.3) und nennt als seinen Zeugen den Curator der Via Appia (Apoc. 1,2–3). Gleichzeitig lassen die Worte des Proömiums aber auch deutlich erkennen, dass die erzählende Stimme es mit den eigenen Prinzipien nicht ernst nimmt,170 denn sie kommt der Pflicht nur widerwillig nach, die besagt, ein Historiker müsse die Verlässlichkeit seiner Darstellung durch die Angabe eines Augenzeugen sichern (Apoc. 1,2),171 und erwähnt zudem auch noch die Unglaubwürdigkeit des Gewährsmannes (Apoc. 1,3).172 168
Hierbei handelt es sich um eine Wortkreation, die sich aus den beiden Substantiven ἀποθέωσις und κολοκύντη zusammensetzt: Zwar reist der gerade verstorbene Kaiser in Senecas Werk in den Himmel zu den Göttern und möchte dort ebenfalls zum Gott ernannt werden. Doch sein Vorhaben scheitert kläglich, da Claudius sich in all dem lediglich als ein Dummkopf herausstellt, so dass die Götter ihn in den Hades hinab schicken. Zu einer Vergöttlichung, einer ἀποθέωσις kommt es also nicht, sondern der Kaiser wird deutlich als ein Hohlschädel erkannt, der wie ein Kürbis, wie eine κολοκύντη nichts im Kopf hat. Dies dokumentieren die Götter in ihrer Versammlung mit einem einhelligen Beschluss. Anstatt zu einer ἀποθέωσις des Claudius kommt es damit also zu seiner per göttlicher Autorität legitimierten ἀποκολοκύντωσις (vgl. zu dieser Frage auch F.J. BENDA, Tradition, 121–122; H. EISENBERGER, Bedeutung, 270; vorsichtiger J. ADAMIETZ, Apocolocyntosis, 363). J.C. Relihan hingegen erblickt den symbolischen Wert des Kürbisses nicht in der Dummheit sondern in der Inhaltslosigkeit und beschreibt die Apocolocyntosis als eine Erzählung, in welcher der ehemalige Kaiser zu einem Nichts gemacht wird (J.C. RELIHAN, Satire, 88). 169 So auch U. KNOCHE, Satire, 66; J.C. RELIHAN, Satire, 78. 170 Vgl. hierzu auch J. ADAMIETZ, Apocolocyntosis, 368; F.J. BENDA, Tradition, 137–138; B. PABST, Prosimetrum, 49. 171 Mit der Frage quis umquam ab historico iuratores exegit? (1,2) versetzt er auch noch den Historikern einen Seitenhieb. Das erzählende Ich verwundert sich darüber, dass man vom Historiker einen Zeugen erwarte und sagt damit unterschwellig aus, dass dies eben nicht der gängigen Praxis entspricht. Auf diese Weise diskreditiert die Erzählung die zeitgenössischen Geschichtsschreiber. 172 J.C. RELIHAN, Satire, 24, geht davon aus, dass die menippeischen Schriften durchweg mit dem Motiv eines nicht vertrauenswürdigen Erzählers spielen. Dies trifft jedoch m.E. insbesondere für die menippeischen Werke Lukians nicht zu.
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Sodann fängt die eigentliche Handlung an. Sie nimmt ihren Ausgang beim Tod des Kaisers Claudius. Eine genaue Zeit könne es nicht angeben, sagt das erzählende Ich, schließlich herrsche sogar unter Philosophen mehr Einigkeit als unter Uhren (Apoc. 2,2). Mit dieser Aussage kritisiert die Erzählung unterschwellig neben den Uhren aber auch die Philosophen ihrer Zeit, denn die überbietende Formulierung kann nur dann rhetorisch ihren Zweck erfüllen, wenn sie impliziert, dass unter diesen tatsächlich auch nur sehr selten ein Konsens existiert. Claudius’ Tod steht bereits fest, da die Schicksalsgöttin Klotho die Länge seines Lebensfadens festgesetzt hat (Apoc. 3). Auf ihre Entscheidung hin stimmt Apollon eine freudige versförmige Rede an, welche zunächst den vom Schicksal beschlossenen Tod des Kaisers thematisiert, um anschließend den Nachfolger im Kaiseramt – Nero – zu begrüßen. Das Lob für Nero trägt dabei allerdings den Charakter einer Ankündigung, denn auf der Ebene der erzählten Zeit liegt zwar Claudius bereits im Sterben, verschieden ist er jedoch noch nicht. Trotzdem spricht Apollon im Hinblick auf Nero von dem glücklichen Zeitalter, welches bevorsteht. Er vergleicht den Amtsantritt Neros mit dem Aufgang eines Gestirns und spricht von dessen strahlendem Glanz (Apoc. 4,1). Nun erst stirbt Claudius, wobei es scheint, als habe seine Seele den Körper nicht durch Mund oder Nase sondern durch den After verlassen (Apoc. 4,2–3).173 Der gestorbene Kaiser begibt sich über die Via Appia auf den Weg zum Himmel. Dort angekommen erhält Herakles174 von Zeus175 den Auftrag, sich mit dem Ankömmling auseinanderzusetzen, um zu erforschen, was er wolle (Apoc. 5,2–3). Claudius erweckt dabei jedoch nicht den Eindruck eines der Apotheose würdigen Kandidaten, sondern er tritt in Herakles’ Augen eher nach der Art eines Untieres auf, da er sich unbeholfen bewegt und undeutlich spricht (Apoc. 5,3). Der verstorbene Kaiser versucht dennoch, Herakles für sein Anliegen zu gewinnen und mit ihm zusammen in der Versammlung der Götter vorzusprechen (Apoc. 7,4). Unter den Göttern trägt Herakles dann tatsächlich den Antrag auf die Vergottung des Claudius vor. Dies lässt sich aus dem Kontext erschließen, kann dem überlieferten Text aber nicht direkt entnommen werden, da in allen erhaltenen Handschriften zwischen Apoc. 7,5 und 8,1 ein Stück
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So auch J.C. RELIHAN, Satire, 81. Der Text nennt ihn Herkules. Ich vereinheitliche die Nomenklatur, um anschließend einen besseren Vergleich zu den Schriften Lukians ziehen zu können. 175 Zeus tritt in der lateinischen Schrift natürlich unter seinem römischen Namen Iuppiter auf. Ich wähle hier jedoch den griechischen Namen, um in der Untersuchung der menippeischen Schriften eine einheitliche Sicht auf Lukians Werke einerseits und auf Senecas Werk andererseits zu gewährleisten. 174
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fehlt.176 Der ausgefallene Text erzählt, wie Claudius und Herakles vor die Götterversammlung treten. Herakles ergreift im Auftrag des verstorbenen Kaisers das Wort und formuliert dessen Anliegen. Als der Text mit Apoc. 8,1 wieder einsetzt, richtet gerade einer aus dem Kreis der Götter seine Antwort an Herakles. Der sprechende Gott übt Kritik an Claudius aufgrund von dessen willkürlicher Handhabung der Kapitaljustiz (Apoc. 8,2). Außerdem habe Claudius doch schon einen Tempel in Britannien, wo man ihn anbetet. Und mit griechischen Worten fügt der redende Gott hinzu: μωροῦ εὐιλάτου τυχεῖν – eines Narren Gnade zu erlangen (Apoc. 8,3). Damit legt er seine Einschätzung sowohl der Person des Kaisers als auch von dessen Verehrung deutlich dar: Als ein Dummkopf hat Claudius seiner Meinung nach keine göttlichen Ehren verdient. Claudius muss den Versammlungssaal verlassen, damit die Götter weiter über seinen Fall beraten können (Apoc. 9,1). Ianus177 trägt seine Sichtweise der Dinge vor, indem er seine Befürchtung kundtut, der Status eines Gottes könnte zur Schleuderware verkommen. Deswegen beantragt er, ab sofort solle kein Mensch mehr in den Stand eines Gottes erhoben werden, und diejenigen Menschen, die gegen diesen Beschluss verstoßen, indem sie sich dennoch göttlichen Ruhm anmaßen, sollten hart bestraft werden (Apoc. 9,3). Zugunsten des Claudius ergreift danach ein gewisser Diespiter178 das Wort, wobei die Erzählung sein Auftreten als das eines korrupten Kerls beschreibt (Apoc. 9,4). Diespiter erachtet den Kaiser durchaus göttlicher Ehren für würdig, weil erstens seine Weisheit die aller Sterblichen übersteige und er zweitens mit Romulus zusammen heiße Rüben verschlingen könne (Apoc. 9,5).179 Allerdings erscheint der Fürsprecher des Kaisers wie auch seine Argumentation als derartig dubios, dass die vorgetragene Ansicht – obwohl äußerlich als Fürsprache gekennzeichnet – faktisch eher als ein Argument gegen die Apotheose des Claudius fungiert. Danach möchte der Divus Augustus vor der Götterversammlung sprechen. Er tritt dabei demütig auf, verleiht aber seiner Empörung über Claudius’ Antrag einen deutlichen Ausdruck. Dazu weist er zunächst auf die 176 Die plausibelsten Hypothesen (vgl. z.B. J. ADAMIETZ, Apocolocyntosis, 373) nehmen an, dass bereits zu einer sehr frühen Phase des Überlieferungsprozesses eine oder maximal zwei Seiten des Manuskripts verlorengegangen sind, und alle heute existierenden Handschriften auf die Version zurückgehen, welche die Lücke zwischen 7,5 und 8,1 beinhaltet. 177 Als Gott des Durch- oder Übergangs (vgl. F. GRAF, Ianus, 858–860) äußert Ianus sich als erster zu der Frage, wohin der Übergang durch den Tod hindurch den Claudius führen solle. 178 Über seine Identität gehen die Ansichten in der Forschung auseinander (vgl. etwa G. WISSOWA, Diespiter, 479 sowie A.A. LUND, Apocolocyntosis, 98). 179 Diespiters Vorschlag setzt die verbreitete Ansicht voraus, dass Romulus auch im Himmel noch einen seiner bäuerlichen Herkunft entsprechenden Lebensstil pflegt (vgl. A.A. LUND, Apocolocyntosis, 100).
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guten politischen Taten hin, welche er selbst zur Zeit seines Erdenlebens gewirkt hat, als er nämlich Frieden geschaffen und seine Macht zum Wohle der Bevölkerung eingesetzt hat (Apoc. 10,2). Zu diesem guten Beispiel des zu Recht in den Gottesstand Erhobenen (Apoc. 10,1)180 steht das Lebenswerk des Kaisers Claudius in scharfem Kontrast:181 Dieser hat sich nämlich leicht getan, Menschen erschlagen zu lassen, ohne ihnen zuvor ein ordentliches Gerichtsverfahren zuteil werden zu lassen (Apoc. 10,3–4). Schließlich kritisiert Augustus noch das lächerliche Äußere des Claudius und fragt spöttisch, wer diesen Gott wohl verehren werde (Apoc. 11,3). Wie der Gott, der zuerst gesprochen hat (Apoc. 9,3), sieht auch Augustus die Würde der Götter in Gefahr, wenn sie einen solchen Menschen in ihren Kreis aufnähmen (Apoc. 11,4).182 Deswegen stellt er den Antrag, man solle dem Claudius eine Frist von 30 Tagen gewähren, innerhalb welcher er den Himmel zu verlassen hat (Apoc. 11,5). Dieser Antrag findet die uneingeschränkte Zustimmung der anderen Götter, und sofort ergreift Hermes183 den Claudius, um ihn in die Totenwelt hinab zu bringen (Apoc. 11,6). Unterwegs passieren die beiden allerdings die Erde, wo gerade die Begräbnisfeierlichkeiten zu Ehren des verstorbenen Kaisers stattfinden. Der Ausgestaltung dieser Feier können die anwesenden Menschen ansehen, wie viel Geld sie gekostet haben muss, so dass sie zu dem Schluss gelangen, hier werde offenbar ein Gott beerdigt (Apoc. 12,1). Auf die Leserinnen und Leser des Stücks wirkt diese Bemerkung jedoch ausgesprochen komisch. Denn während auf der Ebene der Erzählung die Menschen an der kostspieligen Begräbnisfeier die göttliche Würde des zu Grabe Getragenen meinen ablesen zu können, wissen die Lesenden, dass ebendieser Verstorbene seinen Antrag auf Apotheose bereits vergeblich gestellt hat und sich inzwischen auf dem Weg in das Totenreich befindet. Zusätzliche Kritik an Claudius übt die Erzählung, indem sie die Bewohner Roms angesichts des Begräbnisses als fröhlich und befreit beschreibt (Apoc. 12,2), da der Tod des Kaisers diese Stimmung offenbar hervorgerufen hat, was wiederum bedeutet, dass das römische Volk zu Lebzeiten des Claudius unter Traurigkeit und Unfreiheit leiden musste. Dennoch ertönt ein Trauergesang, welcher den Verstorbenen zu loben vorgibt, wobei er in Wirklichkeit Dinge anspricht, die dem ehemaligen Kaiser zur Schande gereichen. So preisen die Verse die Schnelligkeit, mit welcher Claudius in Gerichtsverfahren seine 180 Die politische Leistung des Herrschers als Grund für die Apotheose nennen auch M. CLAUSS, Kaiser, 108; A. WLOSOK, Einführung, 18. 181 So auch F.J. BENDA, Tradition, 158. 182 So auch H.D. WEINBROT, Menippean Satire, 48. 183 Wie schon Zeus bzw. Iuppiter trägt auch Hermes in Senecas Stück seinen lateinischen Namen Mercurius (12,1) bzw. Cyllenius (11,6). Ich greife hier zum griechischen Namen, um die Parallele zu den Stücken Lukians zu betonen.
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Urteile treffen konnte und begründen diese Geschwindigkeit mit der Tatsache, dass Claudius als Richter es nicht für nötig befunden hat, die Opponenten mit ihren Sichtweisen anzuhören (Apoc. 12,3). Das vermeintliche Lob spricht tatsächlich gegen Claudius.184 Dieser jedoch erfreut sich an dem Gesang, dessen kritischen Unterton er nicht entdeckt – womit er den Lesenden gegenüber seine Dummheit und Unwürdigkeit dokumentiert. Nun ergreift ihn sein Begleiter jedoch erneut (Apoc. 13,1) und bringt ihn endgültig in die Totenwelt hinab, wo sich die Ankunft des Claudius rasch herumspricht, so dass ihm viele Bewohner der Unterwelt entgegeneilen. Der verstorbene Kaiser verwundert sich darüber, dass er unter den Herbeieilenden viele Freunde erblickt. Aber einer von diesen entgegnet ihm, dies sei kaum verwunderlich, denn Claudius selbst als omnium amicorum interfector, als Mörder aller Freunde habe diese doch in das Totenreich hinabgeschickt (Apoc. 13,6). Dabei erzielt der Kontrast zwischen der Sichtweise des Claudius und der seiner vermeintlichen Freunde erneut eine komische Wirkung auf die Leserschaft. Es schließt sich eine Gerichtsverhandlung an, bei der der Unterweltsrichter Aiakos185 über die Bestrafung des Claudius entscheidet. Unzählige Morde werden dem Angeklagten zur Last gelegt (Apoc. 14,1). Und im Vorgehen des Richters trifft den Claudius nun spiegelbildlich das, was er selbst zuvor all den anderen angetan hat (vgl. Apoc. 10,4; 12,3).186 – Aiakos spricht das Urteil über ihn, ohne ihn zuvor anzuhören (Apoc. 14,2): Claudius muss mit einem bodenlosen Würfelbecher würfeln; seine beiden Würfel rollen ihm dabei ständig hinfort.187 Nachdem nochmals eine versförmige Textpassage das vergebliche Würfelspiel des Verurteilten beschrieben hat (Apoc. 15,1), endet die Apocolocyntosis unvermittelt: Gaius Caesar tritt auf, erhält den Claudius als Sklaven zugesprochen und schenkt ihn einem seiner Freigelassenen. So endet der ehemalige Kaiser als Sklave eines frei184 Ein entsprechendes rhetorisches Schema hat gerade schon der Verteidigungsrede des Diespiter zugrunde gelegen. Einleitend kennzeichnet die Erzählung beide Textpassagen als Stellungnahmen zugunsten des Kaisers; inhaltlich herrscht dann jedoch ein ironischer Ton, der nachteilige Informationen über den Kaiser lediglich in das Gewand des Lobes einkleidet. Ein komischer Effekt wird dadurch erzielt. 185 Der lateinische Text liest Aeacus. Wie bei den anderen Götternamen wähle ich die griechische Form mit dem Anliegen einer besseren Vergleichbarkeit zu Lukians Schriften. Zu Aiakos’ Richterfunktion vgl. J. TOEPFFER, Aiakos, 926. Der Legende nach handelt es sich bei ihm um einen Bruder von Rhadamanthys und Minos (vgl. J. TOEPFFER, Aiakos, 923), welche in den untersuchten Werken Lukians als Richter in der Unterwelt fungieren (Luc., Cat. 23; Nec. 11). 186 Dass es sich bei der Bestrafung des Claudius hier um eine Spiegelstrafe handelt, beobachtet auch H.D. WEINBROT, Menippean Satire, 48. 187 Damit ähnelt die Strafe, die Claudius empfängt, denjenigen, die Tantalos und Sisyphos erleiden (Hom., Od. 11,582–600): Tantalos und Sisyphos müssen sich beide mit einer Tätigkeit beschäftigen, bei der sie sich vergeblich abmühen und niemals zum Ziel gelangen können (so auch J.C. RELIHAN, Satire, 86).
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gelassenen Sklaven im Totenreich und muss dort als Helfer bei gerichtlichen Untersuchungen fungieren. Nachdem Claudius einstmals, als er selbst noch den Posten des Richters einnahm, auf solche Untersuchungen verzichtet hat, muss er genau dies nun ohne Unterlass nachholen (Apoc. 15,2).188 Das Stück führt seiner Leserschaft damit an der Person des Kaisers den unendlichen Unterschied zwischen Schein und Sein plastisch vor Augen:189 Ein Mann tritt mit dem Anspruch auf, Gott werden zu wollen. Dabei stellt sich aber die Wahrheit heraus, welche diesem Anspruch gänzlich entgegensteht: Der ehemalige Kaiser entpuppt sich als dummer Kürbiskopf190 und ungerechter Richter und endet darum auf der untersten Stufe der Hierarchie in der Totenwelt, wo er die gerichtlichen Untersuchungen vornehmen muss, welche er zu Lebzeiten versäumt hat. 3.1.3 Charakteristika der menippeischen Literatur In der Analyse der menippeischen Schriften Lukians und Senecas sind einige beständig wiederkehrende Eigenheiten hervorgetreten, die daher mit gutem Grund als Eigenheiten der menippeischen Literatur als solcher gelten können.191 Diese betreffen erstens äußerlich die Form bzw. den Stil, zweitens den Inhalt und drittens die Textpragmatik der sog. „menippeischen Satire“. 3.1.3.1 Die äußere Form Im Hinblick auf die äußere Form der untersuchten Schriften lässt sich zunächst der bereits allgemein angesprochene Wechsel zwischen Versform und Prosaform präziser beschreiben: Mit einer Ausnahme192 weisen alle der untersuchten Schriften zumindest stellenweise Einschübe von versförmiger Textstruktur auf. Oftmals handelt es sich dabei um kurze Einsprengsel, die 188
Vgl. hierzu auch J.S. WILLIAMS, Definition, 25. Wie F.J. BENDA, Tradition, 124 zu Recht betont, lässt sich hier die allgemeine sachliche Kritik an der Vorstellung der Kaiserapotheose nicht von der persönlichen gegen Claudius gerichteten Polemik trennen. 190 Dagegen erblickt J.C. Relihan die Hauptaussage der Apocolocyntosis in einem anderen Aspekt der Erzählung. Seiner Ansicht nach macht das Werk sich noch mehr als über den ehemaligen Kaiser über die Bewohner der himmlischen Welt lustig, welche sich mit diesem Kaiser abgeben (J.C. RELIHAN, Satire, 77). 191 Zum gesamten Gliederungspunkt 3.1.3 vgl. auch den Vorschlag von F.J. BENDA, Tradition, 81–84 und 242, Anm. 47. 192 Es handelt sich hierbei um Lukians Cataplus, die jedoch wegen ihres Grundmotivs der Reise in das Totenreich auch eindeutig zu den menippeischen Schriften gezählt werden muss. Eine erhebliche Bandbreite im Ausmaß der Verwendung von Versen in den menippeischen Schriften stellt auch F.J. BENDA (Tradition, 2) fest. 189
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einen oder zwei Verse eines bekannten literarischen Werkes entweder wörtlich zitieren,193 wobei mitunter eine minimale Änderung des Wortlauts dazu dient, das Zitat seinem neuen Kontext anzupassen,194 oder aber einen Vers aus einem bekannten Werk deutlich anklingen lassen.195 Vermutlich nehmen auch diejenigen kurzen versförmigen Stücke, die in Lukians Schriften begegnen, sich aber nicht eindeutig als Zitat eines bereits bestehenden literarischen Werkes erweisen lassen, vorhandene literarische Tradition auf, indem sie entweder exakt zitieren oder auf eine literarische Vorlage anspielen.196 193 Die Stellenangaben entnehme ich zu großen Teilen der Lukian-Ausgabe von A.M. HARMON/K. KILBURN/M.D. MACLEOD sowie der Apocolocyntosis-Ausgabe von A.A. LUND; daneben habe ich weitere vorgefundene Verse mit Hilfe des Thesaurus Linguae Graecae auch elektronisch auf ihre Herkunft hin befragt. Für jeden der im Folgenden aufgeführten Fälle habe ich durch den Vergleich mit der jeweiligen Vorlage überprüft, auf welche Weise hier eine intertextuelle Referenz geschieht. Folgende Zitate aus der antiken Literatur finden sich in den menippeischen Schriften: Hom., Od. 1,45 [= Hom., Il. 8,31]; Eur., Herc. Fur. 538 (Luc., Iupp. Trag. 1); Hom., Il. 8,5 (Luc., Iupp. Trag. 14); Hom., Il. 7,99 (Luc., Iupp. Trag. 19); Hom., Il. 20,72 (Luc., Iupp. Trag. 40); Hom., Il. 15,137 (Luc., Iupp. Trag. 44); Hom., Il. 8,24 (Luc., Iupp. Trag. 45); Pind., Olymp. 1,1–2 (Luc., Gall. 7); Hom., Il. 10,4 (Luc., Gall. 25); ein Teil von Hom., Od. 9,302 (Luc., Icar. 10); Hom., Od. 16,187 (Luc., Icar. 13); Hom., Il. 1,222 (Luc., Icar. 19); Hom., Od. 10,98 (Luc., Icar. 22); Hom., Od. 1,170 (Luc., Icar. 23); Hom., Il. 16,250 (Luc., Icar. 25); Hom., Il. 2,1 (Luc., Icar. 28); Hom., Il. 1,528 (Luc., Icar. 33); Hom., Il. 15,202 (Luc., Timon 35); je zur Hälfte Hom., Od. 11,315–316 (Luc., Cont. 4); Hom., Il. 5,127 (Luc., Cont. 7); Hom., Il. 22,262; Eur., Or. 413; Ba. 386–388 (Luc., Pisc. 3); Hom., Il. 3,57 (Luc., Pisc. 5); Eur., Phoen. 1764–1766 [= Or. 1691–1693 = Iph. Taur. 1497–1499] (Luc., Pisc. 39); Hom., Il. 2,468 (Luc., Pisc. 42); Eur., Phoen. 360 (Luc., Bis Acc. 21); Eur., Herc. Fur. 523–524; Hec. 1–2; Hom., Od. 11,164–165 (Luc., Nec. 1); Hom., Od. 11,5 (Luc., Nec. 9); Hom., Il. 20,61 (Luc., Nec. 10); Hom., Il. 9,312 (Luc., Fug. 30); Hom., Od. 11,603 (Luc., D. Mort. 402); Hom., Il. 3,157 (Luc., D. Mort. 409); Hom., Il. 2,673 (Luc., D. Mort 432); Hom., Od. 1,170; 9,39.40 (Sen., Apoc. 5,4); Hom., Il. 1,591 (Sen., Apoc. 11,1). 194 Hom., Il. 8,7 (Luc., Iupp. Trag. 6); Hom., Il. 2,202 (Luc., Icar. 30); Hom., Il. 5,127–128 (Luc., Cont. 7); Hom., Il. 3,354 (Luc., Fug. 30). 195 Hom., Il 1,193; 3,363; 3,35; Eur., Or. 1–3 (Luc., Iupp. Trag. 1); Eur., Phoen. 117 (Luc., Iupp. Trag. 3); Hom., Il. 7,195 (Luc., Iupp. Trag. 34); Hom., Il. 10,3 (Luc., Gall. 25); Hom., Il. 2,1–2 (Luc., Icar. 28); Hom., Il. 3,226–227 (Luc., Cont. 8); Hom., Il. 3,226 (Luc., Cont. 9); Hom., Il. 4,512; Hom., Il. 2,363; 6,112 (Luc., Pisc. 1); Hom., Il. 10,447–448 (Luc., Pisc. 3); Hom., Il. 18,507–508 (Luc., Pisc. 41); Hom., Il. 9,569 (Luc., Nec. 9); Hom., Od. 11,539 (Luc., Nec. 21); Hom., Il. 9,312–313; 6,181–182 (Luc., Fug. 30). Zu den verschiedenen Arten des Umgangs mit intertextuellen Bezügen in den menippeischen Schriften vgl. auch A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 38–40. 196 Ich nenne die einzelnen Verse in Luc., Iupp. Trag. 32; 38; 41; 53; Gall. 14; Icar. 24; Timon 41; Pisc. 3; 25; Nec. 1; 9; Sen., Apoc. 4,2. Insbesondere gilt das oben Bemerkte für diejenigen Verse, die A. Nauck in seiner Edition von Euripides-Fragmenten als von Euripides stammende Verse einstuft. Mit hoher Wahrscheinlichkeit übernimmt Lukian von Euripides gemäß der von Nauck angeführten Evidenz drei Verse in Iupp. Trag. 41 (Eur., Fr. Nauck 935), einen Vers in Gall. 14 (Eur., Fr. Nauck 326, Z.1), denselben Vers in Timon 41 (ebd.) und einen Vers in Nec. 1 (Eur., Fr. Nauck 138). Darüber hinaus entstammt auch der einzelne griechische Vers in Senecas Apocolocyntosis 4,2 einem Werk des Euripides (Eur., Fr. Nauck 452, Z.4). Schwächere Evidenz für die Herkunft aus dem Opus des Euripides liefert Nauck für einen Vers aus Lukians Iupp. Trag. 41 (Eur., Fr. Nauck 483), zwei Verse aus Pisc. 3 (Eur., Fr. Nauck 931–932) sowie einen Vers aus Nec. 1 (Eur., Fr. Nauck 930).
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Während manche dieser Referenzen auf klassische Werke der antiken Zeit explizit als Zitate eingeleitet werden (z.B. viele Zitate in Luc., Iupp. Trag.), geschieht dies in den meisten Fällen nicht (z.B. die Zitate in Luc., Icar.). Neben diesen sehr kurzen versförmigen Partien existieren aber sowohl bei Lukian als auch bei Seneca längere Abschnitte in Versform. In Senecas Schrift begegnen sie zahlreich (Apoc. 2,1.4; 4,1; 7,2; 12,3; 15,1), in Lukians Werken seltener (Iupp. Trag. 1; 6; 31; Cont. 22; Pisc. 3; Fug 30).197 Und während Seneca seine längeren versförmigen Teile selbstständig bildet,198 tut Lukian dies ascheinend nur in wenigen Fällen (Iupp. Trag. 6; 31).199 Stattdessen bedient er sich auch hier literarischer Vorlagen, die zu seiner Zeit bereits eine weite Verbreitung gefunden haben, und benutzt Zitate aus ihnen patchwork-artig, um sie unter Einbeziehung eigener Ideen und Formulierungen zu neuen versförmigen Stücken zu verbinden.200 Diese sog. „Cento-Technik“201 Lukians lässt sich anhand der folgenden Beispiele illustrieren: Im Iuppiter Tragoedus findet sich der folgende versförmige Abschnitt, welcher aus fünf Versen besteht: ȟįվ ʍչijıȢ ԭȞջijıȢı, ȁȢȡȟտİș, ՝ʍįijı ȜȢıțցȟijȧȟ, ȗȡȤȟȡףȞįտ IJı Țıո ȗȝįȤȜʍțȣ, ijȢțijȡȗջȟıțį, ԚȠįփİį, Ȟռ ȜıףȚı ȟց, Ձȟį ıՀİȡȞıȟ İș, ijտȣ Ȟ׆ijțȣ İչȜȟıț IJı Ȝįijո ĴȢջȟį Ȝįվ Ȝįijո ȚȤȞցȟ, Ԯ ijտ ȖįȢւ IJijıȟչȥıțȣ ծȥȢցȣ ijջ IJı ıՃȝı ʍįȢıțչȣ; (Luc., Iupp. Trag. 1). Hier nimmt der erste Vers beinahe wörtlich die von Homer stammende Wendung ծ ʍչijıȢ ԭȞջijıȢı, ȁȢȡȟտİș, ՝ʍįijı ȜȢıțցȟijȧȟ (Hom., Od. 1,45 = Il. 8,31) auf; lediglich statt Homers Anrede ծ hat Lukian im Iuppiter Tragoedus das Wort ȟįտ. Im darauf folgenden Vers klingt möglicherweise mit den beiden ersten Worten ȗȡȤȟȡףȞįտ IJı der Beginn von Hom., Od. 6,149 an; der Rest der Zeile aus Lukians Werk findet sich aber nirgends in der erhaltenen antiken Literatur; falls es sich also um ein Zitat handeln sollte, stammte dies aus einer verloren gegangenen Vorlage. Wahrscheinlicher jedoch handelt es sich um eine Wendung, die nicht auf ein literarisches Vorbild zurückgreift. Der dritte Vers Lukians entstammt wiederum beinahe vollständig einem verbreiteten Werk, nämlich Homers Ilias, wo es heißt ԚȠįփİį, Ȟռ ȜıףȚı ȟց, Ձȟį ıՀİȡȞıȟ ԔȞĴȧ (Hom., Il. 1,363); nur 197
Vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 136. Vgl. F.J. BENDA, Tradition, 149; U. KNOCHE, Satire, 65. 199 A. Scherbantin geht sogar davon aus, dass Lukians Verse sämtlich aus literarischen Vorlagen entnommen sind (A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 48). 200 Vgl. auch F.J. BENDA, Tradition, 92, der dies für Lukians Contemplantes feststellt. 201 Zu dieser auf das bunte Narrenkostüm anspielenden Bezeichnung vgl. auch R. HELM, Menippos, 892. 198
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das letzte Wort lautet im Iuppiter Tragoedus anders. Die beiden letzten der genannten Verse in Lukians Werk nehmen nun aber nur jeweils zur Hälfte einen von Homer geformten Ausdruck auf: Ȝįijո ĴȢջȟį Ȝįվ Ȝįijո ȚȤȞցȟ (Hom., Il. 1,193) und ծȥȢցȣ ijջ Ȟțȟ ıՃȝı ʍįȢıțչȣ (Hom., Il. 3,35); der jeweilige Versanfang greift auf keine literarische Vorlage zurück. Eine sehr ähnliche Struktur liegt in dem ebenfalls fünf Verse umfassenden Abschnitt aus Lukians Contemplantes vor: ȜչijȚįȟ’ ՍȞȣ Ց ij’ ԔijȤȞȖȡȣ ԐȟռȢ Ցȣ ij’ Ԥȝȝįȥı ijփȞȖȡȤ, Ԛȟ İպ Լ ׇijțȞ ׇՊȢȡȣ ȜȢıտȧȟ ij’ ԘȗįȞջȞȟȧȟǝ ĭıȢIJտijׄ İ’ ՂIJȡȣ ĭıijțİȡȣ ʍįהȣ ԬȩȜցȞȡțȡ ʍչȟijıȣ İ’ ıԼIJվȟ ՍȞȣ ȟıȜփȧȟ ԐȞıȟșȟո ȜչȢșȟį, ȗȤȞȟȡտ ijı ȠșȢȡտ ijı Ȝįij’ ԐIJĴȡİıȝրȟ ȝıțȞȟį (Luc., Cont. 22). Der erste Vers nimmt Homers Wendung ȜչijȚįȟ’ ՍȞȣ Ց ij’ ԐıȢȗրȣ ԐȟռȢ Ց ijı ʍȡȝȝո ԚȡȢȗօȣ (Hom., Il. 9,320) auf, trennt sich dabei zwar in mehreren Punkten von Homers Wortlaut, doch dies geschieht auf eine Weise, die solche Lesende, welche die homerische Vorlage kennen, die intertextuelle Referenz bei Lukian deutlich wahrnehmen lässt. So erhält der Vers in seinem neuen Kontext durch die vorgenommenen Änderungen eine neue inhaltliche Ausrichtung; er will gleichzeitig aber auch als Anspielung auf ein bekanntes literarisches Werk erkennbar bleiben. Ähnliches passiert im nächsten Vers: Lukians Text nimmt ein Vorbild von Homer auf und richtet dieses neu aus, indem er andere Objekte einsetzt. Aus Homers Ԛȟ İպ Լ ׇijțȞ ׆ԬȞպȟ ȜįȜրȣ Ԭİպ Ȝįվ ԚIJȚȝցȣ (Hom., Il. 9,319) wird in den Contemplantes Ԛȟ İպ Լ ׇijțȞ ׇՊȢȡȣ ȜȢıտȧȟ ij’ ԘȗįȞջȞȟȧȟ. Während Homers Ilias den Mut der betreffenden Menschen thematisiert, geht es bei Lukian um deren Macht und Reichtum. Die Änderung dient somit dem Zweck, einen aus der Literatur bekannten Ausdruck für das Anliegen des Dialogs Lukians fruchtbar zu machen, denn das Gegenüber zwischen Armen und Geringen auf der einen und Mächtigen und Reichen auf der anderen Seite stellt ja das Thema dar, welches Lukians menippeische Werke wie ein roter Faden durchzieht. Auch die drei folgenden Verse nehmen je eine Vorlage aus Homers Werken auf, verändern diese allerdings erneut in einer Weise, die die Anspielung erkennbar lässt. Jeweils das Versende stammt von Homer; es handelt sich um die Wendungen ĭıijțİȡȣ ʍįהȣ ԬȩȜցȞȡțȡ (Hom., Il. 4,512 = 16,860), ȟıȜփȧȟ ԐȞıȟșȟո ȜչȢșȟį (Hom., Od. 10,521) und Ȝįij’ ԐIJĴȡİıȝրȟ ȝıțȞȟį (Hom., Od. 11,539.573).202 202
Vgl. zu der in Luc., Cont. 22 beobachteten Praxis des Umgangs mit Zitaten auch D. BARTOĖKOVÁ, Prosimetrum, 73; A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 40. Die beschriebene literarische Technik lässt sich auch in noch weiteren versförmigen Passagen von Lukians Werken beobachten: So enthält der versförmige Teil in Luc., Iupp. Trag. 33 Anspielungen auf Eur., Or.
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Die versförmigen Passagen in Lukians menippeischen Stücken spielen also in der beschriebenen Weise mit Homer-Zitaten, bisweilen auch mit Zitaten von Euripides.203 Vielfach bleiben diese Zitate deutlich als Zitate zu erkennen, indem sie ganze Verse oder Wendungen aus einem verbreiteten literarischen Werk übernehmen. Abänderungen ermöglichen es, dass die übernommenen Textteile sich in ihren neuen literarischen Kontext einfügen. Dabei ändert sich – je nach dem Grad der Veränderung – in gewissem Maße die inhaltliche Aussage der aufgenommenen Sequenz gegenüber dem Prätext. In ihrer neuen Gestalt unterstützt die Formulierung nun stärker die Botschaft des Werkes, welches ihren neuen Kontext bildet, d.h. des Posttexts. Explizite Widersprüche gegen die ursprüngliche Aussage des Prätextes finden sich dabei jedoch nicht; die untersuchten Zitate wollen in ihrem neuen Kontext nicht etwa gegen die Aussage des Prätexts polemisieren.204 Es fällt dabei auf, dass die Zitate und Anspielungen in Lukians menippeischen Schriften sich mit nur einer einzigen Ausnahme205 durchgängig auf Homer und Euripides beziehen, auf solche literarischen Vorgänger also, welchen zur Zeit der Entstehung von Lukians Werken ein besonders hoher Bekanntheitsgrad eignet.206 Offenkundig wollen diese Verse als Zitate und Anspielungen erkannt werden; sie ziehen die Aufmerksamkeit der Rezipientinnen und Rezipienten auf sich207 und weisen darin einen Zug auf, welcher als charakteristischer Zug der Kommunikation von Inhalten kynischer Philosophie gelten kann, nämlich als Zug der Diatribe, welche sich darum bemüht, ihre Adressatinnen und Adressaten gleichermaßen zu unterhalten wie auch zu belehren. Schließlich will an dieser Stelle noch die Frage bedacht sein, ob die menippeische Literatur sich ursprünglich wie bei Lukian in die Form des Dia866 und 871; hinzu kommen mutmaßlich weitere aus verloren gegangenen Werken des Euripides. Zwei aufeinander folgende Verse in Luc., Pisc. 3 lehnen sich sehr eng an Hom., Il. 6,46.48 an. Und ein vier Verse umgreifender versförmiger Teil in Luc., Fug. 30 setzt sich gar fast ausschließlich aus wörtlichen Homer-Zitaten zusammen, nämlich aus Hom., Il. 1,225; 2,202.246.214. 203 So auch D. BARTOĖKOVÁ, Prosimetrum, 72. 204 Während ich mich hier auf die Werke Lukians beziehe, beobachtet B. Pabst das Gegenteil in seiner Untersuchung der Verwendung von Zitaten und Anspielungen in Senecas Apocolocyntosis. Allerdings sieht Pabst selbst auch, dass sich dies in den Fragmenten von Varros menippeischen Satiren nicht feststellen lässt (B. PABST, Prosimetrum, 53). Von einer Parodie auf bekannte Zitate lässt sich m.E. hingegen auch bei Lukian sprechen (vgl. hierzu auch D. BARTOĖKOVÁ, Prosimetrum, 73–74; B.P. MCCARTHY, Lucian, 24), denn indem seine Texte literarische Vorbilder aufnehmen und inhaltlich ändern, lösen sie bei ihrer Leserschaft einen komischen Effekt aus, welcher sich aus der Mischung von Wiedererkennung und Befremden speist (vgl. hierzu auch R. HELM, Lucian, 343). Die Parodie bedeutet jedoch keine inhaltliche Antithese zum Prätext. 205 Pind., Olymp. 1,1–2 (Luc., Gall. 7). 206 Vgl. hierzu auch F.J. BENDA, Tradition, 62. Zur Bekanntheit Homers vgl. J. LATACZ, Homeros, 686 und zur Bekanntheit des Euripides vgl. B. ZIMMERMANN, Euripides, 286. 207 So auch R. HELM, Lucian, 343.
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logs oder wie bei Seneca in die Form der Erzählung in der dritten Person gekleidet hat. Welche von beiden Varianten kann als die typische gelten? Eine Antwort hierauf führt der bei Lukian auftretende Dialogos selbst im Munde. Er beschwert sich im Bis Accusatus darüber, dass Lukian ihn mit menippeischen Elementen in Berührung gebracht habe, welche nach der Darstellung des Dialogos gar nicht zu seinen Eigenarten gehören (Luc., Bis Acc. 33). Diese Aussage legt die Vermutung nahe, dass die menippeische Literatur ursprünglich und typischerweise als Narration in der dritten Person auftrat und erst Lukian sie mit dem Dialog verbindet.208 3.1.3.2 Auftretende Figuren Im Anschluss an diese die äußere Form betreffenden Beobachtungen lassen sich nun auch einige wiederkehrende inhaltliche Motive der menippeischen Schriften beschreiben. Zunächst im Hinblick auf die auftretenden Figuren:209 Diese können – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in wesentliche Gruppen eingeteilt werden.210 Es treten zumeist solche Figuren auf, die der idealen gebildeten Leserschaft bereits aus der Literatur bekannt sind.211 Zu ihnen zählen sowohl Angehörige der irdischen Welt als auch Angehörige der Götterwelt und der Unterwelt:212 Unter den Vertretern der irdischen Welt finden sich einzelne Herrscher, wie die Könige Kyros und Kroisos (Luc., Cont. 9; D. Mort. 414), Philipp (Luc., D. Mort. 395) und Alexander 208 Dafür spricht auch die Beobachtung, dass es sich in den beiden Dialogen Lukians, in welchen Menippos selbst als Hauptfigur auftritt (Luc., Icar.; Nec.), weitestgehend um erzählende Texte handelt, deren Erzähler als einer von zwei Dialogpartnern nur selten durch seinen Freund unterbrochen wird. Das dialogische Gegenüber der Figur Menippos bekleidet in den genannten Stücken die Rolle eines Statisten, welchem für die erzählte Handlung keinerlei Bedeutung zukommt. Es scheint, als liege hier ein weitestgehend von einem gleichbleibenden Standpunkt aus erzähltes Werk vor, dem die Figur des Freundes nur aus Gründen der Einheitlichkeit zu den anderen menippeischen Schriften Lukians hinzugefügt wird. Vom ursprünglich nicht-dialogischen, narrativen Charakter der menippeischen Literatur geht auch F.J. BENDA, Tradition, 34 aus. Zu Lukian als dem Urheber des menippeischen Dialogs vgl. auch B.P. MCCARTHY, Lucian, 9; J.S. WILLIAMS, Definition, 44. Wenn ich seine Formulierung recht verstehe, deutet dagegen R. HELM (Menippos, 891) die Aussage Lukians im Bis Accusatus so, als habe sich bereits Menippos selbst der Form des Dialogs bedient. – Wenn dies stimmte, müsste sich der Dialogos in Lukians Bis Accusatus m.E. jedoch nicht über Lukian sondern über Menippos beschweren, was er aber nicht tut. 209 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die bei U. KNOCHE, Satire, 43 beschriebene Besetzung der menippeischen Schriften Varros. 210 Die Einteilung ist dabei selbstredend eine künstlich an die Texte herangetragene. Doch sie gibt dennoch Aufschluss über die typische Figuren-Konstellation der menippeischen Schriften. 211 Der vorausgehende Gliederungspunkt hat bereits gezeigt, dass die kulturelle Enzyklopädie der idealen Leserschaft die Kenntnis bekannter literarischer Werke der hellenistischen Antike umfasst. 212 Zu den in Lukians menippeischen Schriften auftretenden Figuren äußert sich auch F.J. BENDA, Tradition, 38.
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(Luc., D. Mort. 380; 390; 395), Mausolos (Luc., D. Mort. 429), Sardanapallos (Luc., D. Mort. 420) und der Kaiser Claudius (Sen., Apoc. 11); zahlreicher sind aber bekannte Philosophen vertreten, wie Pythagoras (Luc., Gall. 3–4; D. Mort. 415), Solon von Athen (Luc., Cont. 9), Menippos von Gadara (Luc., Icar. 1; Nec. 1; D. Mort. 338; 365; 406; u.ö.), Empedokles (Luc., Icar. 13; D. Mort. 416), Diogenes von Sinope (Luc., D. Mort. 329; 377; 390; 402; 429), Krates von Theben (Luc., D. Mort. 377; 437), Antisthenes (Luc., D. Mort. 437) und Sokrates (Luc., D. Mort. 418–419); in Lukians Piscator tauchen gar die berühmtesten Philosophen alle zusammen auf: Platon, Chrysippos, Diogenes, Epikouros, Aristippos, Aristoteles und Empedokles (Luc., Pisc. 1–2). Vereinzelt finden sich andere bekannte Persönlichkeiten wie die Seher Teiresias (Luc., Nec. 21; D. Mort. 445), Amphilochos und Trophonios (Luc., D. Mort. 338), der Athlet Milon von Kroton (Luc., Cont. 8) oder einige Kämpfer aus der Ilias: Achilleus und Antilochos (Luc., D. Mort. 400) sowie Nireus und Thersites (Luc., D. Mort. 432). Schließlich begegnen auch Figuren, die die Lesenden bereits aus mythischen Erzählungen kennen, wie Orpheus (Luc., Fug. 29) und Cheiron (Luc., D. Mort. 434).213 Neben diesen bekannten Angehörigen der irdischen Welt kommen in den untersuchten menippeischen Werken auch sehr häufig Angehörige der Götterwelt bzw. der Totenwelt vor. Unter ihnen spielt der Bote Hermes die wichtigste Rolle, der als Vertreter der himmlischen Welt in Kontakt mit den Menschen tritt und sie bisweilen auf ihrem Weg in das Totenreich hinab begleitet.214 In acht der zwölf besprochenen menippeischen Schriften erfüllt er in dieser Weise seinen vom obersten Gott Zeus empfangenen Auftrag (Luc., Cat. 3; Iupp. Trag. 5–6; Timon 8; Cont. 1; Bis Acc. 4–5; Fug. 22–23; D. Mort. 341; 344; 364; 408; Sen., Apoc. 11). Neben ihm zählen die verschiedensten anderen Vertreterinnen und Vertreter des klassischen griechischen bzw. römischen Pantheons zu den bisweilen vorkommenden Figuren. Gemessen an der Zahl der Stücke, in welchen er vorkommt, steht Zeus (Luc., Iupp. Trag. 3; Icar. 23; Timon 8; Bis Acc. 1; Fug. 1; Sen., Apoc. 5) nach Hermes an zweiter Stelle. Es folgen Klotho (Luc., Cat. 1–2; Cont. 13; Sen., Apoc. 3), Apollon (Luc., Iupp. Trag. 26; Fug. 1; Sen., Apoc. 4), Herakles (Luc., Iupp. Trag. 32; D. Mort. 402; Sen., Apoc. 5), Poseidon (Luc., 213
Letzterer lässt sich nicht eindeutig der irdischen Welt zurechnen; Lukians Erzählung weiß davon, dass Cheiron einstmals einen göttlichen Rang besaß (D. Mort. 434). In den Bereich zwischen göttlicher und irdischer Welt gehört außerdem der in den Dialogi Mortuorum kurz auftretende unsterbliche Sohn des Zeus, Polydeukes (D. Mort. 329). 214 In Lukians Necyomantia übernimmt der Seher Mithrobarzanes die Aufgabe, einen Menschen in das Totenreich zu geleiten (Luc., Nec. 7); und im Gallus nimmt der Hahn als ein mit der jenseitigen Welt Vertrauter die Kommunikation mit einem irdischen Menschen auf (Luc., Gall. 1). Zur Rolle des Hermes in den menippeischen Texten vgl. auch R. HELM, Lucian, 109.
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Iupp. Trag. 9), Aphrodite (Luc., Iupp. Trag. 10), Pan (Luc., Bis Acc. 9), Momos (Luc., Iupp. Trag. 19), Dike (Luc., Bis Acc. 4–5), Plouton (Luc., D. Mort. 336; 344; 347), Ianus (Sen., Apoc. 9), Diespiter (Sen., Apoc. 9) und der Divus Augustus (Sen., Apoc. 10). Außerdem treten Angehörige der Totenwelt in den menippeischen Schriften auf. Unter ihnen befinden sich der Fährmann Charon (Luc., Cat. 1–2; Cont. 1; Nec. 10; D. Mort. 341; 363; 423), der Hund Kerberos (Luc., D. Mort. 420) sowie mehrere Figuren, welche im Totenreich als Richter fungieren: Rhadamanthys (Luc., Cat. 23), Minos (Luc., Nec. 11; D. Mort. 380; 450) und Aiakos (Luc., D. Mort. 410; 412; Sen., Apoc. 14).215 Als gleichsam himmlische Wesen treten außerdem auch personifizierte Tugenden oder Untugenden auf den Plan.216 So begegnen in den menippeischen Stücken etwa Ploutos (Luc., Timon 10), Penia (Luc., Timon 31), Philosophia (Luc., Pisc. 14; Fug. 3), Aletheia (Luc., Pisc. 16), Dikaiosyne (Luc., Pisc. 17) und Arete (Luc., Pisc. 39). Doch nicht nur diese Figuren, welche den idealen Leserinnen und Lesern der Schriften Lukians und Senecas aus der Literatur ihrer Zeit bereits vertraut sind, spielen eine Rolle in den Werken der menippeischen Tradition, sondern es kommen auch unbekannte oder fiktive Figuren vor. Diese allerdings füllen in den meisten Fällen eine exemplarische Funktion aus.217 Sie sind nicht als individuelle Personen von Interesse, sondern sie verkörpern eine bestimmte Eigenschaft. Vielfach kommt dies bereits in den Namen zum Ausdruck, welche diese Figuren tragen: Da gibt es etwa den Schuster Mikyllos (Luc., Cat. 14–15; Gall. 1),218 der Armut und Rechtschaffenheit repräsentiert; daneben den Reichen Eukrates (Luc., Gall. 9; D. Mort. 344), den geschwätzigen und genusssüchtigen Philosophen Thesmopolis (Luc., Gall. 10), die unglücklichen Neureichen Simon (Luc., Gall. 29) und Gnipho (Luc., Gall. 30–31),219 die Schmarotzer Gnathonides,220 Philiades, Demeas und Thrasykles (Luc., Timon 46–57) sowie Zenophantos, Kallidemides (Luc., D. Mort. 355), Knemonos und Damnippos (Luc., D. Mort. 358), den 215 Die untersuchten menippeischen Schriften schildern Gerichtsszenen, die sich nicht nur im Totenreich sondern auch in der irdischen Welt zutragen können. Wo ein Prozess auf Erden stattfindet, nehmen Dike (Luc., Bis Acc. 4–5) oder die Philosophia (Luc., Pisc. 9) die Rolle der Richterin ein. 216 So auch R. HELM, Lucian, 344. 217 D.h. bei ihnen handelt es sich um flat characters (vgl. zu diesem Terminus U. EISEN, Markusevangelium, 148). Zu dieser Funktion der in den menippeischen Schriften auftretenden Figuren vgl. auch R. HELM, Lucian, 342–343. Den typischen Charakter mancher Figuren beobachtet für Lukians Contemplantes auch F.J. BENDA, Tradition, 88.90. Vgl. hierzu ferner N. FRYE, Analyse, 310. 218 Zur typischen Funktion dieser Figur in kynischen Texten vgl. R.F. HOCK, Simon the Shoemaker, 268–271. 219 Vgl. zu Gnipho auch R. HELM, Lucian, 333. 220 Zu Gnathonides und seiner Rolle in der antiken Kommödie vgl. R. HELM, Lucian, 311.
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Herrscher Kraton (Luc., D. Mort. 367), den Räuber Sostratos (Luc., D. Mort. 450), den im Tode fröhlichen Philosophen Kyniskos (Luc., Cat. 7), den im Tode unglücklichen Tyrannen Megapenthes (Luc., Cat. 8), den freimütigen Schriftsteller Parresiades (Luc., Pisc. 3), die personifizierten philosophischen Schulen Akademia (Luc., Bis Acc. 15) und Stoa (Luc., Bis Acc. 19); außerdem einen Syrer (Luc., Bis Acc. 25) und einen Freund (Luc., Icar. 1; Nec. 1). 3.1.3.3 Das erzählte Geschehen In einem Blickwinkel, der das erzählte Geschehen beleuchtet, lassen sich wesentliche wiederkehrende Elemente beobachten. Ihre Gesamtheit ergibt – mit den Mitteln von Formgeschichte und New Literary Criticism ausgedrückt – einen idealen Plot bzw. idealen Handlungsverlauf oder Spannungsbogen der menippeischen Gattung. Zu diesem idealen Spannungsbogen gehören folgende Stationen: Erstens: Es vollzieht sich eine Durchbrechung der Grenze zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt.221 Dies kann entweder durch eine Reise zwischen Himmel und Erde oder aber durch eine Reise zwischen Erde und Totenreich geschehen.222 Eine immer gleiche Reise-Richtung existiert nicht; für alle möglichen Fälle lassen sich Belege anführen. So findet sich eine Reise von der himmlischen zur irdischen Welt in Lukians Iuppiter Tragoedus, wo die Götter ihre Abgeschiedenheit im Himmel verlassen, um einer philosophischen Debatte auf Erden zu folgen. Deutlicher trägt die im Timon beschriebene Erzählung den Charakter einer Reise; dort besuchen Hermes und Ploutos als Vertreter der Götterwelt den Menschen Timon auf der Erde (Luc., Timon 31). Im Bis Accusatus steigen Hermes und Dike auf die Erde herab (Luc., Bis Acc. 8–9). Ebenso reist Hermes in den Fugitivi zur Erde, diesmal in Begleitung der Philosophia (Luc., Fug. 22–23). Und in Senecas Apocolocyntosis muss der abgewiesene Claudius den Himmel wieder verlassen (Sen., Apoc. 11–12). Eine Reise von der irdischen Welt hinauf zum Himmel geschieht bei Lukian im Icaromenippus, wo der Mensch Menippos sich Flügel konstruiert und zu den Göttern herauf fliegt (Luc., Icar. 22–34). Das Stück Fugitivi erzählt, wie die Philosophia von ihrem Dienst auf der Erde in den Himmel 221 U. KNOCHE (Satire, 65) trifft für die römischen Vertreter der menippeischen Tradition eine ganz ähnliche Beobachtung unter dem Stichwort „Szenerie“. Vgl. hierzu auch M.E. VINES, Problem, 113–114. 222 Das beobachtet auch F.J. BENDA, Tradition, 131–133. Zum Reise-Motiv in den menippeischen Schriften Lukians vgl. auch J.S. WILLIAMS, Definition, 32. Zur abwärts verlaufenden Dynamik vgl. auch A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 134. Zum dreistöckigen Aufbau des Weltbildes in der menippeischen Literatur vgl. auch H.K. RIIKONEN, Satire, 24.
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eilt, um sich bei Zeus über die heuchlerischen Philosophen zu beschweren (Luc., Fug. 3). Und der Kaiser Claudius steigt nach seinem Tod in Senecas Apocolocyntosis zu den Göttern empor (Sen., Apoc. 5). Reisen von der irdischen Welt hinunter in die Totenwelt kommen ebenfalls mehrfach vor: In der Cataplus bringt Hermes einige Tote in die Unterwelt hinab (Luc., Cat. 3–4), und in Lukians Necyomantia reist der Mensch Menippos in den Hades (Luc., Nec. 7–10); Lukians Dialogi Mortuorum erzählen ebenfalls seine Ankunft im Totenreich (Luc., D. Mort. 423–424). Auch Claudius in der Apocolocyntosis muss schließlich die Erde verlassen und in die Totenwelt ziehen. Wie den Toten in Lukians Cataplus dient auch ihm hier Hermes als Begleiter (Sen., Apoc. 13). Schließlich reisen mitunter auch Angehörige der Totenwelt in die irdische Welt empor: In den Contemplantes besucht der Unterwelts-Fährmann Charon die Erde, und im Piscator kehren die bekannten Begründer der philosophischen Schulen von Empörung getrieben aus dem Totenreich in die irdische Welt zurück (Luc., Pisc. 1–2). Der erste der Dialogi Mortuorum bereitet die Rückkehr des Polydeukes vom Totenreich auf die Erde vor (Luc., D. Mort. 329–335). Einen Sonderfall bildet der Hahn in Lukians Gallus, denn auch er fungiert hier – als die Reinkarnation mehrerer bekannter und unbekannter Personen der Vergangenheit – als ein Vertreter des Totenreichs. Zweitens: Infolge der Durchbrechung der Grenze zwischen Diesseits und Jenseits erscheinen hergebrachte Wertmaßstäbe in einem neuen Licht; es kommt zu einer Relativierung und häufig sogar Umkehrung bestehender Vorstellungen.223 Insbesondere die folgenden Verhältnisse werden – gemessen an den herkömmlichen Werten – auf den Kopf gestellt: Gott vs. Mensch. Mehrfach treten die Götter nicht als die mächtigen Gestalten auf, als welche sie gemeinhin gelten, und besonders Zeus als ihr ȖįIJțȝıփȣ (vgl. Luc., Bis Acc. 2) wird kritisiert. So erscheinen die Götter im Iuppiter Tragoedus weitgehend als ohnmächtig (Luc., Iupp. Trag. 25.32);224 sie beziehen ihren Status von der Anerkennung durch die Menschen her 223 Das vermeintliche Sein entpuppt sich als Schein (vgl. auch R. HELM, Lucian, 342; J.S. WILLIAMS, Definition, 10). Die Kritik an bestehenden Wertvorstellungen in den menippeischen Texten sieht auch F.J. BENDA, Tradition, 3–4.32. Zum Prozess der Umkehrung der Werte vgl. dort insbes. 38.68 sowie H.K. RIIKONEN, Satire, 26. Primär polemisieren die menippeischen Texte gegen bestimmte Haltungen und nicht so sehr gegen konkrete Personen (vgl. N. FRYE, Analyse, 310). Auf Seiten der äußeren Form der Werke entspricht der beschriebenen Dynamik der Durchbrechung der Grenze zwischen Diesseits und Jenseits, welche den irdischen Figuren den Kontrast zwischen Schein und Sein vor Augen führt, der Wechsel zwischen Prosa und Vers (vgl. J.F. BENDA, Tradition, 230; vgl. hierzu auch J.S. WILLIAMS, Definition, 22; J. ZIOLKOWSKI, Prosimetrum, 49) – allerdings ohne dass dabei eine bestimmte Zuordnung der Form von Vers und Prosa zu den Sphären des Diesseits und Jenseits bestünde. 224 Vgl. hierzu auch F.J. BENDA, Tradition, 37–38.
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(Iupp. Trag. 18). Eine ähnliche Situation liegt im Bis Accusatus des Lukian vor (Luc., Bis Acc. 1–2). Auch im Icaromenippus weiß Zeus darum, dass er in seinem Ansehen bei den Menschen gesunken ist (Luc., Icar. 24), und seine Urteile fällt er nach eigensinnigen Gesichtspunkten, so dass er als eine wenig tugendhafte Figur erscheint (Icar. 25). Im Timon gar begegnet den Lesenden ein verwirrter Zeus, der sich selbst seiner Autorität beraubt, da er aufgrund seines kaputten Donnerkeils die Menschen nicht strafen kann (Luc., Timon 9–10). Wo diese Motive begegnen, üben die menippeischen Schriften Götterkritik.225 Das traditionelle Machtverhältnis, in welchem die Götter den Menschen zweifellos übergeordnet sind, gerät ins Wanken. Vereinzelt sind es hier gerade die Menschen, die den Göttern ihre Macht erst verleihen, indem sie sie anerkennen. Reich und Mächtig vs. Arm und Gering. Ebenfalls verkehren die menippeischen Texte die etablierte Hierarchie zwischen Reichen und Mächtigen auf der einen und Armen und Geringen auf der anderen Seite in ihr Gegenteil. Den Maßstab, anhand dessen dieser Vorgang sich vollzieht, besteht in der Tugend.226 Die in den menippeischen Werken auftretenden Reichen zeichnen sich in starkem Maße durch einen eigensinnigen und verwerflichen Lebensstil aus, während die Armen ein der Tugend gemäßes Leben führen. Durch die Überquerung der Grenze zwischen Diesseits und Jenseits geschieht häufig ein deutlicher Statuswechsel zwischen Mächtigen und Geringen:227 So darf in Lukians Cataplus der arme Schuster auf den Schultern des mächtigen Tyrannen sitzen (Luc., Cat. 19); der Tyrann muss vor dem Gericht in der Unterwelt seinen purpurnen Mantel ablegen, so dass die Spuren seiner Missetaten zu Tage treten (Cat. 28). Im Iuppiter Tragoedus kritisiert der Philosoph die bestehende Situation, in welcher es den bösen Menschen gut geht, während die guten Armut leiden (Luc., Iupp. Trag. 49). Nach der Ansicht des Hahns im Gallus jedoch besitzen die Armen gegenüber den Reichen den entscheidenden Vorteil, dass sie sich nicht beständig um ihre Besitztümer sorgen müssen (Luc., Gall. 21–22.29–31); außerdem leben die Reichen wenig tugendhaft (Gall. 14). Der arme Schuster Mikyllos ruft daher, als er all dies erkennt, von tiefer Überzeugung geleitet aus: „Meinen Feinden wünsche ich Reichtum!“ (Gall. 30). Im Icaromenippus sieht Menippos vom Mond aus deutlich das schlechte Tun der Könige
225 Oder textpragmatisch ausgedrückt: Kritik an einer solchen menschlichen Haltung, die den Göttern mit allzu hoher Ehrfurcht begegnet. 226 Zur Bedeutung dieses Zugs in Varros Menippeischen Satiren vgl. auch H.D. WEINBROT, Menippean Satire, 38. 227 Insbesondere der Tod hebt den vermeintlichen irdischen Statusunterschied zwischen Armen und Reichen auf (vgl. auch J.S. WILLIAMS, Definition, 33–34). Vgl. hierzu auch B.P. MCCARTHY, Lucian, 37–39.
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(Luc., Icar. 15–16).228 Lukians Timon dagegen setzt ausdrücklich den Reichtum mit der Untugend und die Armut mit der Tugend gleich; die personifizierten Tugenden und Untugenden sind bei dem Reichen bzw. beim Armen zwar unsichtbar aber dennoch körperlich gegenwärtig (Luc., Timon 28–31); Timon definiert dabei den Reichtum neu: dieser besteht für ihn in den Tugenden, welche er aufgrund seiner Armut erlangt (Timon 36– 37). Auch die Betrachtungen der Contemplantes decken die Verderbtheit der Reichen (Luc., Cont. 11.15) und die Sorgen der Könige auf (Cont. 18). Vom Tod her betrachtet offenbart sich hier die Vorläufigkeit allen irdischen Reichtums.229 Lukians Stück Piscator kritisiert ebenfalls den Reichtum, welcher der Tugend zuwider läuft (Luc., Pisc. 35). Die Necyomantia beschreibt die Reise in die Totenwelt hinab, wo ein expliziter Statuswechsel zwischen ehemals Armen und ehemals Reichen geschieht (Luc., Nec. 14); im Tod sind alle gleich arm (Nec. 15). Immer wieder tritt dieses Motiv auch in den Dialogi Mortuorum hervor: Im Tode besitzen die vormals Reichen und Mächtigen keinen materiellen Vorzug mehr vor den ehemals Armen (Luc., D. Mort. 330; 413); im Gegenteil: Sie müssen sich schon im irdischen Leben ständig um ihren Besitz sorgen (D. Mort. 354), obwohl er doch so vergänglich ist (D. Mort. 333). Häufig schmieden Menschen Pläne, um auf unredlichem Wege an Besitztümer zu gelangen, und der Tod bereitet ihren Planungen dann ein jähes Ende (D. Mort. 344–346; 355–357; 358– 359; 377–378). Am Eingang zur Unterwelt müssen sie allen Besitz hinter sich lassen (D. Mort. 366–367), so dass ihnen im Hades nur noch bleibt, ihrem vergangenen Reichtum nachzutrauern (D. Mort. 420; 431; 441). Insofern sind in der Unterwelt die zuvor Armen sogar glücklicher. Sie können über die Klagen der vormals Reichen lachen (Luc., D. Mort. 335; 336; 420; 431; 441; 443). Die beiden kynischen Philosophen Diogenes und Krates nehmen darum eine explizite Umdefinition des Begriffs ʍȝȡףijȡȣ vor: Reichtum besteht für sie nicht länger in materiellen Gütern sondern in unvergänglichen Werten wie IJȡĴտį, ԐȝսȚıțį und ʍįȢȢșIJտį (D. Mort. 378– 379). Senecas Apocolocyntosis führt den Statustausch zwischen Reich bzw. Mächtig und Arm bzw. Gering an einem konkreten Fall vor, nämlich an der Person des Claudius, der aus dem Himmel vertrieben wird, weil er in seinem irdischen Leben vielfach Verbrechen gewirkt hat (Sen., Apoc. 10,3–4), und schließlich im Totenreich als Sklave dienen muss (Apoc. 15,2). Der Statuswechsel nimmt hier damit konkret eine radikale Ausformung an. Insgesamt äußern die menippeischen Schriften also, indem sie den untugendhaften Lebensstil der Wohlhabenden darstellen, eine fortgesetzte Kritik
228 229
Allerdings lebt hier das einfache Volk auch nicht tugendhafter. Vgl. hierzu auch F.J. BENDA, Tradition, 4.
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an den Reichen und Mächtigen, die sich als Herrscherkritik häufig explizit gegen die irdischen Könige richtet. Einen Sonderfall, der sich in der Schnittmenge zwischen den beschriebenen Bereichen der Götterkritik einerseits und der Herrscherkritik andererseits ansiedeln lässt, stellt die Kritik an der Apotheose dar.230 An einigen Stellen beschäftigen sich die menippeischen Stücke mit der Frage, ob es angemessen ist, einen Menschen – oder insbesondere einen menschlichen Herrscher – in den göttlichen Status zu erheben: Diese Ausprägung der Kritik begegnet in Lukians Fugitivi (Luc., Fug. 1–2)231 und mehrfach in den Dialogi Mortuorum, die die Absurdität des Gedankens betonen, ein Mensch könnte göttliche Ehren verdienen. Wo Menschen solche Verehrung fordern, treiben sie lediglich eitle und eigennützige Gründe dazu an (Luc., D. Mort. 338–339232; 390–391; 395–398; 402; 416–417). Breiteren Raum noch nimmt diese Kritik in Senecas Stück Apocolocyntosis ein, wo der bei der Leserschaft als Divus angesehene Claudius von den Göttern als unwürdig abgewiesen wird und daher in die Totenwelt hinabsteigen muss (Sen., Apoc. 11,5–6), weil die göttliche Würde nach der Meinung der tatsächlichen Götter nicht zur Schleuderware verkommen darf, indem man sie einem Menschen verleiht, der sie – wie seine Lebensführung beweist – gar nicht verdient hat (Apoc. 9,3; 11,4). Weise vs. Töricht. Wie die Götter und die Reichen, so unterwirft die menippeische Literatur auch die Philosophen ihrer Zeit der Kritik.233 So leidet in dem Werk Gallus bei Lukian der Schuster Mikyllos unter den wortreichen und in seinen Ohren sinnlosen Ausführungen des Philosophen Thesmopolis (Luc., Gall. 11). Der Ikaromenippus kritisiert die Diskussionen der Philosophen als vage Spekulation (Luc., Icar. 6.29), die keinen Nutzen bringt (Icar. 31). Außerdem halten sich die Philosophen selbst nicht an ihre eigenen Lehren von der Tugend, da sie ein untugendhaftes Leben führen (Icar. 21.29.30); und zu allem Überfluss widersprechen sie einander auch noch beständig, worin sich zeigt, dass die meisten von ihnen sich offensichtlich im Unrecht befinden müssen (Icar. 5.8.23). Die beiden letzten der drei im Icaromenippus vorgetragenen Kritikpunkte finden sich an weiteren Stellen der untersuchten menippeischen Schriften: Auch der Timon pran230
Auch F. TAEGER (Charisma 1, 393) merkt an, dass die kynischen Philosophen den Herrscherkult mit deutlichen Worten kritisieren, und nennt in diesem Zusammenhang Menippos von Gadara als herausgehobenen Vertreter der Kaiserkults-Kritik (ebd., 414–415). 231 Vgl. hierzu auch das Motiv der Kritik an den unwürdigen Göttern, das sich durch das gesamte Stück Deorum Concilium bei Lukian hindurchzieht. 232 Der genannte Abschnitt kritisiert – wie es in den Dialogi Mortuorum mehrfach passiert (z.B. auch D. Mort. 447) – die Annahme, Menschen könnten als Propheten der himmlischen Welt sprechen. Hier wendet sich Lukians Dialog insbesondere gegen den göttlichen Status, welchen das Volk einzelnen Personen wegen ihres Auftretens als Propheten zumisst. 233 So auch F.J. BENDA, Tradition, 37.40; E.P. KORKOWSKI, Menippus, 60.85.
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gert diejenigen Rhetoren und Philosophen an, deren Wandel nicht mit ihrem Reden übereinstimmt (Luc., Timon 49–57). Gleiches geschieht im Bis Accusatus (Luc., Bis Acc. 7.8.11), in der Necyomantia (Luc., Nec. 5) und den Fugitivi (Luc., Fug. 3–21). Auch die Widersprüchlichkeit zwischen den verschiedenen philosophischen Lehren ist häufiger Thema der Kritik (Luc., Nec. 4; Sen., Apoc. 2,2). Und schließlich beanstanden die untersuchten Schriften den Umstand, dass die Philosophen bisweilen die Lautstärke ihrer Rede mit inhaltlicher Qualität zu verwechseln scheinen (Luc., Iupp. Trag. 35; Bis Acc. 11). Schließlich müssen die Philosophen ihr sinnleeres Geschwätz bei der Überfahrt in den Hades abgeben (Luc., D. Mort. 369–370). Auch hier geschieht ein expliziter Statuswechsel: Der Kyniker Menippos darf dem törichten Philosophen bei dessen Ankunft im Totenreich mit einer Axt den Bart abschneiden (Luc., D. Mort. 371). Bei alledem handelt es sich weniger um pauschale Philosophie-Kritik als vielmehr um PhilosophenKritik: Während die Philosophie als solche – und insbesondere die kynische – nach der Darstellung der menippeischen Texte durchaus ihr Recht besitzt, müssen die Philosophen als Vertreter der Philosophie sich harte Kritik gefallen lassen. Besonders deutlich passiert dies in Lukians Piscator, der ausdrücklich im Namen der personifizierten Philosophia mit den Philosophen ins Gericht geht. Wie im Falle der Herrscherkritik bildet den Maßstab der Kritik auch hier die Tugend. Die menippeischen Texte konstatieren, dass der Lebensstil der kritisierten Philosophen ihr nicht genügt. Schön und Stark vs. Hässlich und Schwach. Wie den Reichen mit ihrem Reichtum, den Mächtigen mit ihrer Macht und den Philosophen mit ihrer philosophischen Rede, so ergeht es in der Totenwelt bisweilen auch den Schönen mit ihrer Schönheit (Luc., Cat. 22; D. Mort. 333–334; 365; 408; 432–433) und den Starken mit ihrer Stärke (Luc., Cont. 8; D. Mort. 333– 334; 366–367; 400). Solche Dinge haben keinen Bestand. Kein Mensch kann sich im Tode mehr dessen rühmen. Im Vordergrund der Erzählung steht in den untersuchten menippeischen Werken damit die Kritik an Göttern, Reichen und vermeintlich Weisen, mitunter auch an Schönen und Starken.234 Sie nimmt oft beißende Ausformungen an. Aber mitunter blitzt neben dieser Kritik auch das positive Pendant auf: Das Lob des würdigen Herrschers oder des wahrhaft gut Lebenden.235 So lobt der Hahn in Lukians Gallus den armen Schuster Mikyllos mit der Aussage, es gebe keinen froheren Menschen als ihn (Luc., Gall. 15). Auch die Hauptfigur im Timon preist als jemand, der sowohl Armut als auch Reichtum kennengelernt hat, das arme Leben als das glücklichste
234 235
So auch F.J. BENDA, Tradition, 74. Vgl. hierzu auch E.P. KORKOWSKI, Menippus, 103.
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(Luc., Timon 39).236 Lukians Charon spricht denjenigen ein Lob aus, die den Reichtum aufgrund seiner Vergänglichkeit verachten (Luc., Cont. 21), so wie in der Necyomantia der Seher Teiresias das einfache Leben preist (Luc., Nec. 21) und Diogenes von Sinope von der Totenwelt her den Armen auf Erden Mut zuspricht, da ihre Situation sich im Tod relativieren wird (Luc., D. Mort. 334). Auch im Hinblick auf die Philosophie erhalten mitunter diejenigen Figuren Zuspruch, die den kritisierten heuchlerischen Philosophen als positives Gegenbeispiel gegenüberstehen: Der Gott Hermes wünscht dem soeben freigesprochenen Syrer im Anschluss an den Gerichtsprozess im Bis Accusatus alles Gute (Luc., Bis Acc. 35), und trotz ihrer Klage über all die ruchlosen Kyniker ihrer Zeit lobt die Philosophia in den Fugitivi ausdrücklich die kynische Lehre als solche sowie deren Begründer (Luc., Fug. 11.16); entsprechend können die Kyniker Diogenes und Krates in den Dialogi Mortuorum den Reichtum neu definieren: dieser besteht für sie nunmehr in Weisheit, Wahrheit, Freimut und Freiheit (Luc., D. Mort. 378–379). Menippos kann seine Freimütigkeit und Fröhlichkeit in das Totenreich mit sich nehmen (D. Mort. 373), während Reichtum, Macht, philosophische Spekulation und Schönheit sowie Stärke dort keinen Bestand haben. In Senecas Apocolocyntosis schließlich begegnet als positive Gegenfolie zum abgewiesenen Claudius der Kaiser Nero als ein gerechter und Frieden schaffender Herrscher. Er erhält ein ausführliches Lob in Versform (Sen., Apoc. 4,1). Es fällt dabei auf, dass in den meisten der beschriebenen Fälle Vertreter der jenseitigen Welt als Vertreter der rechten Sichtweise das Lob des wahrhaft gut Lebenden vortragen. Drittens: Alle beschriebenen Perspektivwechsel, die den Statuswechsel von Gott und Mensch, von Reich und Arm sowie von Weise und Töricht beinhalten, tragen dennoch einen zunächst thetischen Charakter. Darum verlangen sie nach Bestätigung. Und diese wird ihnen in den menippeischen Texten auch häufig zuteil, indem eine von der jenseitigen Welt ausgehende Aktion das zuvor Behauptete autoritativ fixiert: Nachdem sich die bestehenden Vorstellungen und Verhältnisse auf die beschriebene Weise als offenkundig unangemessen herausgestellt haben, wird die Herstellung angemessener Verhältnisse durch die Initiative der Angehörigen der jenseitigen Welt vollzogen oder zumindest angekündigt. Dies geschieht häufig in Form eines Gerichtsbeschlusses. Hermes fängt in Lukians Cataplus den vor dem Tod flüchtenden Tyrannen wieder ein (Luc., Cat. 3–4); der Fährmann weist dem Schuster Mikyllos auf der Überfahrt den Sitzplatz auf den Schultern des Tyrannen an (Cat. 19), und der Richter Rhadamanthys belohnt sowohl den Kyniker als auch den Schuster, während er den Tyrannen bestraft (Cat. 236
Bei der Bevorzugung des einfachen Lebens handelt es sich ja um ein kynisches Ideal (vgl. F.J. BENDA, Tradition, 41).
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23–28). Im Icaromenippus beschließen die Götter die Vernichtung der Philosophen (Luc., Icar. 33), und im Piscator lautet das Urteil, welches Aletheia und Philosophia über die Philosophen fällen, dass die würdigen mit einem Ölzweig gekrönt und die unwürdigen Philosophen gebrandmarkt werden sollen (Luc., Pisc. 46). Dieses Urteil gelangt anschließend auch in ersten Ansätzen zur Ausführung, da der mit der Vollstreckung beauftragte Parresiades sich am Ende des Stücks auf den Weg zu den Verurteilten begibt, um mit der Bestrafung der Philosophen zu beginnen (Pisc. 52). Eine ausdrückliche Schilderung erfährt diese Bestrafung freilich nicht mehr. Gleich mehrere Gerichtsurteile ergehen im Bis Accusatus. Sie sprechen jeweils denjenigen Menschen Recht zu, welche ihren denkerischen Standpunkt wechseln (Luc., Bis Acc. insbes. 35). In der Necyomantia ergeht ein Erlass in der Unterwelt, die Reichen aus der irdischen Welt hart zu bestrafen (Luc., Nec. 20), und in den Fugitivi verhängt Hermes ein Urteil über die heuchlerischen Philosophen (Luc., Fug. 33). Die Apocolocyntosis des Seneca erzählt einen Beschluss des göttlichen Senats, den Claudius aus dem Himmel auszuweisen (Sen., Apoc. 11,5–6).237 Anschließend verurteilt das Gericht im Totenreich den ehemaligen Kaiser (Apoc. 14,4), so dass er letztlich als Sklave dienen muss (Apoc. 15,2). Viertens: Die beteiligten Figuren, die die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits überqueren, übernehmen die neue Perspektive.238 Dieses Geschehen folgt auf die drei vorausgehenden motivischen Bausteine und kann in unterschiedlichen Gestalten begegnen: Während in der Cataplus der Philosoph Kyniskos die Erkenntnis vom Unwert des irdischen Reichtums bereits in das Totenreich mitbringt, vollzieht sie der arme Schuster Mikyllos dort explizit (Luc., Cat. 14–17). In Lukians Iuppiter Tragoedus sind es dagegen die Götter, die eine Grenze überschreiten und zu einer neuen Einsicht gelangen, indem sie ihre Lage aus dem irdischen Blickwinkel betrachten. Sie geraten dabei in starke Abhängigkeit von der irdischen Seite, da sie ihren Wert von den Opfern her beziehen, welche ihnen die Menschen darbringen (Luc., Iupp. Trag. 18). Im Gallus übernimmt der Schuster Mikyllos am Ende die Sichtweise des Hahns: Obwohl er sich anfangs noch wünscht, zu Reichtum zu gelangen, will er dies am Schluss des Stückes auf keinen Fall mehr (Luc., Gall. 33). Der zum Himmel aufgestiegene Menippos kann von seiner dortigen Warte aus im Icaromenippus das Tun der Menschen neu beurteilen und insbesondere den Unnutzen der Philosophie erkennen (Luc., Icar. 15–21). Auf der Ebene der Erzählung gelangen in Lukians Timon wieder die Götter zu neuen Erkenntnissen, da sie den Zusammenhang zwi237 Auf das wiederkehrende Motiv der Ratsversammlung in den menippeischen Schriften Senecas, Julians und Lukians weist auch H.D. WEINBROT, Menippean Satire, 46–47 hin. 238 Vgl. hierzu auch M.E. VINES, Problem, 112.
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schen irdischem Reichtum und der Untugend beobachten können (Luc., Timon 11–29), und in den Contemplantes sieht der Fährmann Charon als Angehöriger der Unterwelt das irdische Treiben mit neuen Augen (Luc., Cont. 24). Parresiades steht im Piscator als Irdischer zwischen Himmlischen und Unterirdischen. Seine Position erfährt von der himmlischen Seite her Bestätigung und vermag daraufhin auch die Vertreter der Totenwelt zu überzeugen: Die gegen Parresiades klagenden Philosophen gelangen zur Einsicht in die Rechtmäßigkeit seines Standpunktes (Luc., Pisc. 38). Infolge eines ganz ähnlichen Geschehens müssen am Ende des Bis Accusatus die Kläger ebenfalls verstummen, die den Syrer zuvor vor Gericht gebracht haben (Luc., Bis Acc. 35). Die Necyomantia erzählt, wie Menippos in das Totenreich reist und die dortigen Zustände wahrnimmt, so dass er dann Philosophie, Macht und Reichtum neu bewerten kann (Luc., Nec. 16). In den Fugitivi spielt sich der Prozess der Einsicht wieder auf Seiten der Götter ab: Hermes begleitet die Philosophia in die irdische Welt hinein und erlebt dort die Ruchlosigkeit irdischer Philosophen (Luc., Fug. 31–32). In Senecas Apocolocyntosis entpuppt sich Claudius sowohl im Himmel als auch in der Unterwelt als der Verbrecher, der er in Wahrheit ist. Die Figur, die dies hautnah erfahren muss, ist der Kaiser Claudius selbst (Sen., Apoc. 10,3–4 und v.a 15,1–2). Das Motiv des Nachvollzugs der jenseitig vermittelten neuen Sicht findet sich damit in allen untersuchten Schriften. Im Zentrum des Gedankengangs befinden sich dabei die Verhältnisse in der irdischen Welt: Die vom Jenseits her gewonnene neue Perspektive verhilft zu einer angemessenen Wahrnehmung des irdischen Diesseits. Fünftens: In einzelnen Fällen erzählen die menippeischen Schriften abschließend, wie diese beschlossene und von Einzelnen bereits übernommene Umkehrung der Verhältnisse Kreise zieht: Menschen geben die neue Sichtweise weiter, nachdem sie sie sich angeeignet haben. Die ursprünglich angesprochenen Figuren werden dabei selbst zu Boten der Nachricht. Besonders deutlich passiert dies in den beiden Stücken Lukians, in welchen Menippos die Hauptrolle spielt: Am Ende des Icaromenippus begibt Menippos sich auf den Weg, um den Philosophen ihre Vernichtung anzukündigen. Da es sich hierbei in seinen Augen um ein sehr begrüßenswertes Geschehen handelt, ist er der Ansicht, eine frohe Botschaft auszurichten; daher verwendet er das Verbum ıįȗȗıȝտȘȧ (Luc., Icar. 34). Und in der Necyomantia berichtet Menippos seinem Freund von dem Urteil gegen die Reichen, welches die Unterwelt beschlossen hat (Luc., Nec. insbes. 1–2). 3.1.3.4 Leserlenkung Unter der Perspektive der Textpragmatik fallen besonders zwei wiederkehrende Eigenarten der menippeischen Texte auf: Zuerst die fortgesetzte
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Verwendung des sog. Spoudogeloion; und dann die deutliche Appellfunktion, welche die Texte auf ihre Leserinnen und Leser ausüben wollen, und welche der Vergewisserung bedarf: Vielfach verbinden sich Ernst und Spaß in den untersuchten menippeischen Schriften zu einer Einheit. Ernsthafte Inhalte begegnen im scherzhaften Gewand.239 Die komische Wirkung auf die Lesenden kommt dadurch zustande, dass etwas völlig Unerwartetes an exponierter Stelle geschieht und das Erzählte sich völlig konträr zu den gewohnten Mustern verhält, innerhalb welcher die Leserschaft für gewöhnlich denkt – wenn etwa in Lukians Cataplus sich vom Tod her die irdischen vermeintlichen Freunde des Tyrannen als falsche Freunde entpuppen (Luc., Cat. 11–12), wenn der Schuster bei der Überfahrt über den Lethe-Strom auf den Schultern des Tyrannen sitzen darf (Cat. 19), oder wenn das Bett und die Lampe vor Gericht auftreten, um die Missetaten ihres Besitzers zu bezeugen (Cat. 27). Der Iuppiter Tragoedus führt die Götter als Figuren vor, welche durch ihr eigenes Handeln und Denken ihre Autorität den Menschen gegenüber verspielen, da sie Urteile nach Äußerlichkeiten fällen, indem sie einen Gott anhand des materiellen Wertes seiner Statuen beurteilen (Luc., Iupp. Trag. 7) oder einen Philosophen nach der Lautstärke seiner Rede (Iupp. Trag. 35). Außerdem veranstalten die Götter einen Tumult im Himmel (Iupp. Trag. 13), und Apollon gibt einen Orakelspruch völlig unklaren Inhalts von sich, welchen Zeus klar zu verstehen vorgibt (Iupp. Trag. 31); schließlich entpuppen sie sich als ohnmächtig im Umgang mit dem Treiben der Menschen (Iupp. Trag. 25.32). Ähnlich findet sich auch im Bis Accusatus (Luc., Bis Acc. 1–2) und in Lukians Timon ein vergleichsweise ohnmächtiger Zeus vor (Luc., Timon 9–19), und am Ende des zuletzt genannten Stückes erhalten der Rhetor und die Philosophen eine Tracht Prügel von der Hauptfigur, welche durch ihren Reichtum zum Misanthropen geworden ist (Timon 49–57). Der Fährmann Charon bricht in den Contemplantes mehrfach in herzliches Gelächter aus. Damit reagiert Charon auf seine Beobachtung des Strebens nach Reichtum vieler Menschen, von welchen er nur zu gut weiß, dass der Tod ihnen alles wieder nehmen wird und dies auch durchaus plötzlich eintreten kann. Mit ihrer Belustigung über den nahenden Tod, welche auf Lesende im 21. Jahrhundert makaber wirken mag, will die Figur Charon die idealen Leserinnen und Leser der Antike offenbar zum Einstimmen in das Lachen einladen. Der Gott Pan hört dem Gerede der Philosophen im Bis Accusatus mit völliger Verständnislosigkeit zu; wegen der Nutzlosigkeit ihrer Debatten wertet er die Reden der Philosophen als Geschwätz ab (Luc., Bis Acc. 11). Und das Stück Fugitivi erzählt, wie die heuchlerischen Philosophen von den Menschen Gaben verlangen und 239
Zur Ernsthaftigkeit, die bei aller Komik hinter den erzählten Inhalten steht, vgl. auch R. HELM, Lucian, 345. Im Hinblick auf die Schriften Varros vgl. außerdem U. KNOCHE, Satire, 37.
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sie dann auch tatsächlich erhalten. Entweder bewegt ihre Hochachtung vor den Bittenden die Menschen dazu, ihnen etwas zu geben – oder aber die Furcht vor ihren Schimpftiraden, welche diejenigen erwarten, die der Bitte nicht nachkommen sollten (Luc., Fug. 14). In einer Szene der Dialogi Mortuorum fällt ein Erbschleicher seinem eigenen Giftanschlag zum Opfer (Luc., D. Mort. 356–357). Und als der bekanntermaßen Schöne Nireus und der bekanntermaßen Hässliche Thersites den Menippos im Totenreich um die Entscheidung in ihrem Schönheitswettbewerb bitten, kann der Gefragte sie zunächst gar nicht auseinanderhalten, weil der Tod Schönheit und Hässlichkeit zunichte gemacht hat (Luc., D. Mort. 432–433). In Senecas Apocolocyntosis wird Claudius zum Zeugen seiner eigenen Beerdigung. Angesichts des Prunks, mit welchem die Feier vonstatten geht, meint Claudius, hier werde wohl ein Gott zu Grabe getragen (Sen., Apoc. 12,1). Und gleichzeitig wissen die Lesenden, dass es sich ganz anders verhält, da sie gerade mitverfolgt haben, wie die Götter den Antrag des Claudius auf Apotheose abgelehnt haben, so dass dieser sich nun auf dem Weg in die Totenwelt hinab befindet. Alle genannten Beispiele aus den menippeischen Texten wollen in ihrer zugespitzten Form zwar ein Lächeln bei den Rezipientinnen und Rezipienten bewirken. Gleichzeitig äußern sie sich aber zu den elementaren Fragen, welche die menippeischen Schriften bewegen: nämlich zur Verhältnisbestimmung zwischen Göttern und Menschen, zwischen Mächtigen und Armen, zwischen vermeintlichen Weisen und vermeintlichen Toren. Sie stellen die Frage danach, welche Wertvorstellungen ein menschliches Leben im Kern leiten sollten und sich auch über die Grenze des Todes hinaus als tragfähig erweisen können – und gerade in diesem Punkt benutzen sie den Humor als Vehikel.240 Indem sie so verfahren, laden die menippeischen Werke ihre Adressatinnen und Adressaten nach der Art der kynischen Diatribe zum Zuhören ein.241 Die Form des Witzes lässt aufhorchen, weckt Interesse, und steht so im Dienst der Kommunikation von zentralen und durchaus ernsten Inhalten.242 Zusätzlich eignet der menippeischen Literatur im Hinblick auf ihre Leserschaft ein durchgängig appellativer Unterton. Alle untersuchten Stücke wollen ihre Leserinnen und Leser zum Umdenken auffordern und sie zu einer neuen Lebenshaltung bewegen.243 Als mögliche Identifikationsfigu240
Sie bedienen sich also des sog. IJʍȡȤİȡȗջȝȡțȡȟ (so auch R. HELM, Kynismus, 17). So auch R. HELM, Lucian, 342. 242 Vgl. hierzu auch F.J. BENDA, Tradition, 83–84. Vgl. außerdem M.E. VINES, Problem, 109– 110. Eine Funktion der Verwendung von Zitaten aus allseits bekannten Texten, welche in den untersuchten menippeischen Beispielen häufig vorkommen, besteht ebenfalls darin, die Aufmerksamkeit der Adressatinnen und Adressaten zu binden. 243 So im Hinblick auf die menippeischen Schriften Lukians auch H.D. WEINBROT, Menippean Satire, 84. 241
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ren kommen für die Lesenden solche Charaktere in Frage, die der irdischen Welt angehören. Die meisten von diesen auftretenden irdischen Figuren spielen dabei jedoch die Rolle von Negativbeispielen, die der Leserschaft demonstrieren, wie gelingendes Leben eben nicht aussieht. Dies gilt beispielsweise für den Tyrannen Megapenthes (Luc., Cat.), die Reichen Simon, Gnipho und Eukrates (Luc., Gall.), den reichen Timon (Luc., Timon), die Könige Kyros und Kroisos (Luc., Cont.), die heuchlerischen Philosophen (Luc., Pisc.; Fug.) verschiedene Erbschleicher (Luc., D. Mort.) sowie den Kaiser Claudius (Sen., Apoc.). Dieser Mehrzahl stehen einige wenige solcher Figuren gegenüber, die die Lebensführung desjenigen verkörpern, der die von der menippeischen Literatur bevorzugte Einstellung vertritt, nach welcher irdischer Reichtum und philosophische Spekulation wertlos sind, während ein wahrhaft glückliches Leben sich durch Einfachheit auszeichnet. Solche positiven Identifikationsmöglichkeiten bieten die Figuren Kyniskos (Luc., Cat.), Mikyllos (Luc., Cat.; Gall.), Menippos (Luc., Icar.; Nec.; D. Mort.), der arme Timon (Luc., Timon) und Parresiades (Luc., Pisc.) bzw. der Syrer (Luc., Bis Acc.) den Lesenden an. Die Kunde von der Umkehrung der Verhältnisse, die die Leserschaft zum Umdenken animieren will, trägt in den menippeischen Texten allerdings notwendigerweise einen thetischen Charakter. Sie begegnet der Wahrnehmung der Leserinnen und Leser – wie alle schriftlichen Aussagen – zunächst im Modus der Behauptung, wenngleich die behaupteten Zustände auf der Ebene der Erzählung bisweilen auch konkret vollzogen werden, wie zum Beispiel der Statuswechsel zwischen dem ehemals armen Schuster und dem ehemals reichen Tyrannen in der Cataplus (Luc., Cat. 19). Aufgrund des thesenhaften Wesens ihrer Inhalte rufen die menippeischen Schriften in ihren Rezipientinnen und Rezipienten den Wunsch nach Bestätigung wach. Und diesem kommen die untersuchten Texte dann auch vielfach nach, indem sie den Lesenden einerseits exemplarisch umdenkende Figuren als Identifikations-Angebote vor Augen führen, und indem sie andererseits ihre Thesen, wiederum auf der Ebene der Erzählung, von einer gegenüber der irdischen Welt letztgültigen und damit autoritativen Instanz her legitimieren: Die jenseitige Welt ist es ja, von welcher her die Angehörigen der irdischen Welt die Umkehrung der Wertvorstellungen nachvollziehen können. Oftmals kleiden die Erzählungen die einzelnen Fälle von Statuswechseln wie gezeigt in die Form eines Gerichtsurteils oder Senatsbeschlusses ein und erhöhen deren Nachdruck damit zusätzlich. Dadurch dass die menippeischen Schriften die Bedürfnisse der Lesenden in der beschriebenen Weise berücksichtigen, laden sie ihre Adressatinnen und Adressaten zur innerlichen Partizipation am erzählten Geschehen ein, um ihnen damit die Identifikation mit den Inhalten des Diskurses über die Leitkriterien
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gelingenden menschlichen Lebens zu erleichtern und sie zu deren Anwendung auf ihr eigenes Leben außerhalb der erzählten Welt zu bewegen. 3.1.3.5 Bündelung: Eigenarten der menippeischen Texte I. Äußere Form Ɣ Mischung von Passagen in Vers- und Prosa-Form Ɣ Viele Zitate klassischer Autoren in den versförmigen Abschnitten und Gestaltung längerer versförmiger Abschnitte nach der CentoTechnik II. Besetzung Ɣ bekannte Figuren Ɠ Angehörige der himmlischen Welt, insbesondere der Bote Hermes Ɠ Angehörige der irdischen Welt, insbesondere a. Herrscher b. Philosophen Ɣ unbekannte Figuren, welchen oft ein exemplarischer Charakter eignet III. Das erzählte Geschehen 1. Die Überquerung der Grenze zwischen Diesseits und Jenseits 2. Perspektivwechsel: Umkehrung herkömmlicher Wertvorstellungen a. Götter und Menschen (Götterkritik) b. Reiche und Arme (Herrscherkritik) Sonderfall zwischen a. und b.: Kritik an der Apotheose c. Weise und Toren (Philosophenkritik) Die positive Kehrseite der Kritik: Das Lob des würdigen Herrschers bzw. des wahrhaft gut Lebenden 3. Die Bestätigung der neuen Perspektive von der jenseitigen Welt her, oftmals per Gerichtsurteil 4. Die Übernahme der neuen Perspektive seitens der beteiligten Figuren 5. Die Weitergabe der Kunde in der erzählten Welt
IV. Leserlenkung Ɣ Spoudogeloion: Die Vermittlung ernsthafter Inhalte im scherzhaften Gewand Ɣ Die Appellfunktion des Erzählten: Der Aufruf an die Lesenden zum Umdenken
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Ɣ
Vergewisserung Ɠ durch exemplarisch umdenkende und entsprechend handelnde Figuren innerhalb der erzählten Welt Ɠ durch die Legitimation des neuen Denkens von der jenseitigen Welt her
3.2 Lukas 1,1–2,40 und die menippeische Literatur Die Analyse der äußeren Form des Abschnitts Lk 1,1–2,40 im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit hat ergeben, dass sich dort prosaische und versförmige Teile in hoher Frequenz abwechseln. Dieselbe äußerliche Eigenart gilt in der hellenistischen Antike aber auch als Charakteristikum der sog. „menippeischen Satire“. Aus diesem Grund hat der bisherige Verlauf des dritten Kapitels dieser Studie dem Zweck gedient, formelle, inhaltliche und textpragmatische Eigenarten der menippeischen Literatur anhand der erhaltenen Werke herauszuarbeiten. Als nächstes muss sich nun der Fokus der Untersuchung zurück auf den Text aus den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums richten. Es soll sich dabei zeigen, inwieweit die charakteristischen Eigenheiten der menippeischen Literatur auch am Beginn des Lukasevangeliums anzutreffen sind. Der Vergleich wird Aufschluss darüber geben, ob ein menippeischer Hintergrund sich – aus der Perspektive der idealen Leserinnen und Leser innerhalb des Referenzrahmens ihrer kulturellen Enzyklopädie – als hilfreich für die Interpretation von Lk 1,1–2,40 erweist.
3.2.1 Die äußere Form Die menippeische Literatur begegnet ursprünglich in erzählerischer Form. Wie Senecas Apocolocyntosis so beginnt auch das Lukasevangelium mit einem Vorwort nach der Art hellenistischer literarischer Werke. Anschließend fahren beide Stücke mit einer Erzählung in der dritten Person fort. Es wechseln sich dabei versförmige und prosaische Passagen ab. Im Vergleich zwischen den untersuchten menippeischen Schriften und den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums zeigt sich allerdings, dass sich in Lukas 1–2 relativ umfangreiche versförmige Abschnitte finden. In den menippeischen Texten Lukians und Senecas begegnen diese nicht ganz so häufig.244 In der Länge der versförmigen Abschnitte ähnelt das Lukas244
Unter Berücksichtigung des weiteren Verlaufs des Lukasevangeliums relativiert sich diese Feststellung, denn in Lk 3–24 begegnen versförmige Passagen nur noch selten (s.u. Punkt 4.2.3).
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evangelium wiederum der Apocolocyntosis Senecas. Hinsichtlich der literarischen Beschaffenheit der versförmigen Teile allerdings liegt eine erstaunliche Ähnlichkeit zwischen Lukians menippeischen Schriften und dem Anfang des Lukasevangeliums vor. Denn hier wie dort setzen sich die Verse patchworkartig aus Zitaten und Anspielungen zusammen; es handelt sich folglich um Centonen.245 Senecas längere versförmige Passagen hingegen kommen ohne wörtliche intertextuelle Referenzen aus. Dass die lukanischen Verse vielfach Zitate und Anspielungen beinhalten hat sich ja bereits in der Beobachtung intertextueller Referenzen bei der Unterscheidung zwischen Vers und Prosa im ersten Kapitel dieser Arbeit gezeigt. Das beste Beispiel für die Cento-Technik im Lukasevangelium gibt nun das Gotteslob der Maria (Lk 1,46b–55) ab: ȃıȗįȝփȟıț ԭ ȦȤȥս ȞȡȤ ijրȟ ȜփȢțȡȟ, Ȝįվ ԬȗįȝȝտįIJıȟ ijր ʍȟıףȞչ ȞȡȤ Ԛʍվ ij Țı ij IJȧij׆Ȣտ ȞȡȤ, Ցijț ԚʍջȖȝıȦıȟ Ԛʍվ ijռȟ ijįʍıտȟȧIJțȟ ij׆ȣ İȡփȝșȣ įijȡף. Լİȡւ ȗոȢ Ԑʍր ijȡ ףȟףȟ ȞįȜįȢțȡףIJտȟ Ȟı ʍֻIJįț įԽ ȗıȟıįտ, Ցijț ԚʍȡտșIJջȟ Ȟȡț Ȟıȗչȝį Ս İȤȟįijցȣ. Ȝįվ ԕȗțȡȟ ijր ՐȟȡȞį įijȡף, Lukas 1,1–2,40 und die menippeische Literatur Ȝįվ ijր Ԥȝıȡȣ įijȡ ףıԼȣ ȗıȟıոȣ Ȝįվ ȗıȟıոȣ ijȡהȣ ĴȡȖȡȤȞջȟȡțȣ įijցȟ. ԦʍȡտșIJıȟ ȜȢչijȡȣ Ԛȟ ȖȢįȥտȡȟț įijȡף, İțıIJȜցȢʍțIJıȟ ՙʍıȢșĴչȟȡȤȣ İțįȟȡտֹ ȜįȢİտįȣ įijȟǝ ȜįȚıהȝıȟ İȤȟչIJijįȣ Ԑʍր ȚȢցȟȧȟ Ȝįվ ՝ȦȧIJıȟ ijįʍıțȟȡփȣ, ʍıțȟȟijįȣ ԚȟջʍȝșIJıȟ ԐȗįȚȟ Ȝįվ ʍȝȡȤijȡףȟijįȣ ԚȠįʍջIJijıțȝıȟ Ȝıȟȡփȣ. ԐȟijıȝչȖıijȡ ՄIJȢįռȝ ʍįțİրȣ įijȡף, ȞȟșIJȚ׆ȟįț ԚȝջȡȤȣ, ȜįȚքȣ ԚȝչȝșIJıȟ ʍȢրȣ ijȡւȣ ʍįijջȢįȣ ԭȞȟ, ij ԘȖȢįոȞ Ȝįվ ij IJʍջȢȞįijț įijȡ ףıԼȣ ijրȟ įԼȟį. Der erste, zwei Halbverse umfassende Vers des Gotteslobs der Maria (Lk 1,46b–47) setzt sich zusammen aus der ersten Vershälfte von ȍ 34,9 und der zweiten von Hab 3,18. Beide Halbverse der lukanischen Formulierung nehmen kleine Änderungen gegenüber ihrer jeweiligen Vorlage vor. Die 245 Vgl. hierzu insbes. D. SCHINKEL, Magnifikat, 279. Das Stichwort Cento im Hinblick auf die versförmigen Passagen in Lk 1,1–2,40 fällt auch bei R.E. BROWN, Benedictus, 51; DERS., Birth, 348; M. COLERIDGE, Birth, 118; J.A. FITZMYER, Gospel, 312.352.376–377; F. Ó FEARGHAIL, Imitation, 68–69; M. LAMBERTZ, Sprachliches, 82; P. WINTER, Magnificat, 333. Eine ähnliche Beobachtung im Hinblick auf die Beschaffenheit der versförmigen Abschnitte bei Lukas machen auch M. COLERIDGE, Birth, 94; S. V.D. EYNDE, Children, 471; S.C. FARRIS, Hymns, 146; M.D. GOULDER/M.L. SANDERSON, Genesis, 22; J.B. GREEN, Gospel, 101; A. V. HARNACK, Magnificat, 70; H.J. HOLTZMANN, Synoptiker, 35; D. JONES, Background, 43; H. KLEIN, Lukasevangelium, 108; N. LOHFINK, Psalmen, 117; M. MEISER, Das Alte Testament, 181; PH.L. SHULER, Luke, 90.
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beiden zitierten Verse lauten im Prätext ursprünglich ԭ İպ ȦȤȥս ȞȡȤ ԐȗįȝȝțչIJıijįț Ԛʍվ ij ȜȤȢտ, / ijıȢĴȚսIJıijįț Ԛʍվ ij IJȧijșȢտ įijȡ( ףȍ 34,9) und Ԛȗք İպ Ԛȟ ij ȜȤȢտ ԐȗįȝȝțչIJȡȞįț, / ȥįȢսIJȡȞįț Ԛʍվ ij Țı ij IJȧij׆Ȣտ ȞȡȤ (Hab 3,18). Das Verb Ԑȗįȝȝțչȧ, welches sowohl in ȍ 34,9 als auch in Hab 3,18 in der ersten Vershälfte steht, rückt in der lukanischen Fassung in die zweite Vershälfte. Dennoch bleibt die Referenz deutlich erkennbar. Der nächste Halbvers von Marias Gotteslob liefert dann mit der Wendung Ցijț ԚʍջȖȝıȦıȟ Ԛʍվ ijռȟ ijįʍıտȟȧIJțȟ ij׆ȣ İȡփȝșȣ įijȡ( ףLk 1,48a) die Motivation der sprechenden Figur für ihre lobpreisenden Worte. Hier handelt es sich um eine beinahe wörtliche Anspielung auf den Halbvers ԚʍțȖȝջȦׄȣ Ԛʍվ ijռȟ ijįʍıտȟȧIJțȟ ij׆ȣ İȡփȝșȣ IJȡȤ (1Sam 1,11), mit dem Samuels Mutter Hanna ihren Gott für die Verheißung eines Sohnes lobt. Doch während Hanna in der Septuaginta Gott in der zweiten Person direkt anspricht, redet Maria im Lukasevangelium in der dritten Person preisend über Gott. Darum erfährt die zitierte Formulierung im Posttext die notwendige grammatische Angleichung. Die beiden folgenden Halbverse (Lk 1,48b–49a) weisen wohl Anklänge an Formulierungen der Septuaginta auf; keine von diesen besitzt jedoch solche Deutlichkeit, dass die idealen Leserinnen und Leser der lukanischen Schrift hier zwingend die betreffende Vorlage assoziieren müssten. Anders verhält es sich mit der Aussage Ȝįվ ԕȗțȡȟ ijր ՐȟȡȞį įijȡ( ףLk 1,49b), denn diese zitiert unter Auslassung der Worte Ȝįվ ĴȡȖıȢցȟ einen Halbvers aus ȍ 110,9, welcher lautet ԕȗțȡȟ Ȝįվ ĴȡȖıȢրȟ ijր ՐȟȡȞį įijȡף. Mit den Versteilen Lk 1,50–51 schließen sich nun wieder Worte an, für die sich keine zwingenden Anspielungen auf Stellen der Septuaginta nachweisen lassen. Danach jedoch klingen in dem Vers ȜįȚıהȝıȟ İȤȟչIJijįȣ Ԑʍր ȚȢցȟȧȟ / Ȝįվ ՝ȦȧIJıȟ ijįʍıțȟȡփȣ (Lk 1,52) deutlich die erste Vershälfte von Sir 10,14 und die zweite von Ez 21,31 an. Es erfolgt kein wörtliches Zitat. Anstelle der „Herrschenden“ aus Sir 10,14 – ȚȢցȟȡȤȣ ԐȢȥցȟijȧȟ ȜįȚıהȝıȟ Ս ȜփȢțȡȣ – hat die lukanische Variante „Mächtige“; und die konkrete, in der zweiten Person bekannte Formulierung Ȝįվ ijր ijįʍıțȟրȟ ՝ȦȧIJįȣ aus Ez 21,31 weicht einer allgemeineren, in der dritten Person gesprochenen. Anschließend zitiert der Halbvers Lk 1,53a eine Wendung aus ȍ 106,9, wobei der stark hebräisch klingende Ausdruck ȦȤȥռȟ ʍıțȟIJįȟ durch das schlichte ʍıțȟȟijįȣ ersetzt wird. Im Anschluss daran begegnen in Marias Gotteslob wieder drei Halbverse (Lk 1,53b–55a), die zwar Ähnlichkeiten mit Wendungen aus der Septuaginta aufweisen; diese Ähnlichkeiten reichen jedoch nicht weit genug, um die Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums die entsprechenden lukanischen Formulierungen zwingend als Zitate oder Anspielungen wahrnehmen zu lassen. Umso klarer nimmt dann hingegen wieder der letzte Halbvers, Lk 1,55b, eine aus der Septuaginta stammende Vorlage auf, nämlich 2Sam 22,51: ij ǼįȤțİ Ȝįվ ij IJʍջȢȞįijț įijȡ ףԥȧȣ įԼȟȡȣ.
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Hier tauscht die Fassung des Lukasevangeliums zunächst den Namen aus; da zuvor von den Vätern Israels die Rede gewesen ist (Lk 1,55a), rückt Abraham an diejenige Stelle, wo der Prätext von David spricht. Und die stark an der hebräischen Formulierung ʳʤʛʳʦʭʮ orientierte Übersetzung ԥȧȣ įԼȟȡȣ wird in der lukanischen Version zu der eleganteren griechischen Wendung ıԼȣ ijրȟ įԼȟį. Nicht nur in Marias Gotteslob sondern auch in anderen versförmigen Partien von Lukas 1–2 liegt mit dem Rückgriff auf literarische Vorlagen eine centonenhafte Gestaltung vor. Am Anfang der Sohnesverheißung an Zacharias heißt es: ȃռ ĴȡȖȡף, ǾįȥįȢտį, / İțցijț ıԼIJșȜȡփIJȚș ԭ İջșIJտȣ IJȡȤ, / Ȝįվ ԭ ȗȤȟս IJȡȤ ԦȝțIJչȖıij ȗıȟȟսIJıț ȤԽցȟ IJȡț / Ȝįվ ȜįȝջIJıțȣ ijր ՐȟȡȞį įijȡ ףՄȧįȟȟșȟ (Lk 1,13). Hier scheinen sich zwei Zitate zu verbinden, nämlich Dan 10,12 und Gen 17,19, wo es heißt: ȃռ ĴȡȖȡף, Ǽįȟțșȝ, [...] ıԼIJșȜȡփIJȚș ijր ׆עȞչ IJȡȤ (Dan 10,12) und Լİȡւ ȉįȢȢį ԭ ȗȤȟս IJȡȤ ijջȠıijįț IJȡț ȤԽցȟ, / Ȝįվ ȜįȝջIJıțȣ ijր ՐȟȡȞį įijȡ ףՄIJįįȜ (Gen 17,19). Auch am Ende des genannten Abschnitts klingt eine Stelle aus der Septuaginta an; wenn Gabriel im Lukasevangelium sagt ԚʍțIJijȢջȦįț ȜįȢİտįȣ ʍįijջȢȧȟ Ԛʍվ ijջȜȟį (Lk 1,17), so spiegelt sich darin die Wendung aus Sir 48,10 sehr deutlich wider: ԚʍțIJijȢջȦįț ȜįȢİտįȟ ʍįijȢրȣ ʍȢրȣ ȤԽցȟ. In der Ankündigung der Geburt Jesu lautet die Formel, die der Engel gebraucht, um der Maria einen Sohn zu verheißen, gegenüber dem Wortlaut von Lk 1,13 und Gen 17,19 etwas anders: Ȝįվ Լİȡւ IJȤȝȝսȞȦׄ Ԛȟ ȗįIJijȢվ Ȝįվ ijջȠׄ ȤԽրȟ / Ȝįվ ȜįȝջIJıțȣ ijր ՐȟȡȞį įijȡ ףՄșIJȡףȟ (Lk 1,31). Damit ähnelt sie stärker der Ankündigung aus Jes 7,14, welche lautet: Լİȡւ ԭ ʍįȢȚջȟȡȣ Ԛȟ ȗįIJijȢվ ԥȠıț Ȝįվ ijջȠıijįț ȤԽցȟ / Ȝįվ ȜįȝջIJıțȣ ijր ՐȟȡȞį įijȡ ףԦȞȞįȟȡȤșȝ. Auch in Gabriels Antwort, die auf die Nachfrage der Maria folgt, wie solches denn geschehen könne, liegt eine Anspielung auf eine Septuaginta-Stelle aus der Abrahams-Erzählung der Genesis vor. Bei Lukas sagt der Engel Ցijț ȡȜ ԐİȤȟįijսIJıț ʍįȢո ijȡ ףȚıȡ ףʍֻȟ ׆עȞį (Lk 1,37), während der Herr dem Abraham die Frage stellt: ȃռ ԐİȤȟįijı הʍįȢո ij Țı׆ע Ȟį; (Gen 18,14). Die lukanische Form nimmt hier also eine grammatische Änderung vor, indem sie die aufgenommene Wendung zu einem Aussagesatz umformt. Das Zitat passt sich so in seinen neuen Kontext ein.
Besonders viele intertextuelle Rückgriffe auf Formulierungen, die aus der Septuaginta stammen, kommen im Gotteslob des Zacharias vor. Der einleitende Vers ıȝȡȗșijրȣ ȜփȢțȡȣ Ս Țıրȣ ijȡ ףՄIJȢįսȝ / Ցijț ԚʍıIJȜջȦįijȡ Ȝįվ ԚʍȡտșIJıȟ ȝփijȢȧIJțȟ ij ȝį įijȡ( ף1,68) setzt sich zusammen aus dem Zitat ıȝȡȗșijրȣ ȜփȢțȡȣ Ս Țıրȣ ՄIJȢįսȝ (ȍ 40,14; 105,48) und der Anspielung auf den Halbvers ȝփijȢȧIJțȟ ԐʍջIJijıțȝıȟ ij ȝį įijȡ( ףȍ 110,9). Danach erscheint die Aussage IJȧijșȢտįȟ ԚȠ ԚȥȚȢȟ ԭȞȟ / Ȝįվ ԚȜ ȥıțȢրȣ ʍչȟijȧȟ ijȟ ȞțIJȡփȟijȧȟ ԭȞֻȣ (1,71) wie eine rearrangierte Form von ȍ 105,10, welcher lautet: Ȝįվ ԤIJȧIJıȟ įijȡւȣ ԚȜ ȥıțȢրȣ ȞțIJȡփȟijȧȟ / Ȝįվ ԚȝȤijȢօIJįijȡ įijȡւȣ ԚȜ ȥıțȢրȣ ԚȥȚȢȡף. In dem bald darauf folgenden Satz Ȝįվ ȞȟșIJȚ׆ȟįț İțįȚսȜșȣ ԑȗտįȣ įijȡ( ף1,72) klingen an zuerst die Wendung Ȝįվ ԚȞȟսIJȚș ij׆ȣ İțįȚսȜșȣ įijȡ( ףȍ 105,45), die aus demselben Psalm stammt, der in Lk 1,71 gerade schon zitiert worden ist, und dann aber auch die Formulierung Ȝįվ ԚȞȟսIJȚș Ս Țıրȣ ij׆ȣ İțįȚսȜșȣ įijȡ ף/ ij׆ȣ ʍȢրȣ ԘȖȢįįȞ Ȝįվ ՄIJįįȜ Ȝįվ ՄįȜȧȖ (Ex 2,24), wo die Väter genannt werden, um die es auch in Lk 1,72–73 geht. Später spielt der Ausdruck ʍȢȡʍȡȢıփIJׄ ȗոȢ Ԛȟօʍțȡȟ ȜȤȢտȡȤ ԛijȡțȞչIJįț Սİȡւȣ įijȡ( ף1,76) im Munde
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des Zacharias auf einen Vers aus Jes 40,3 an. Dieser lautet: ԛijȡțȞչIJįijı ijռȟ Սİրȟ ȜȤȢտȡȤ (Jes 40,3); bei der Rezeption dieser Vorlage in Lk 1 handelt es sich also nicht um ein Zitat sondern um einen Anklang.246 Und schließlich besteht eine große Ähnlichkeit zwischen dem lukanischen ԚʍțĴֻȟįț ijȡהȣ Ԛȟ IJȜցijıț Ȝįվ IJȜțּ ȚįȟչijȡȤ ȜįȚșȞջȟȡțȣ (1,79) und der aus den Psalmen der Septuaginta stammenden Wendung ȜįȚșȞջȟȡȤȣ Ԛȟ IJȜցijıț Ȝįվ IJȜțּ ȚįȟչijȡȤ (ȍ 106,10). Hier liegt damit einmal mehr eine klare Aufnahme der literarischen Vorlage vor. Hierin gleichen die versförmigen Abschnitte in den ersten beiden Kapiteln des Lukasevangeliums also denjenigen in den menippeischen Texten des Lukian. Dabei fällt des Weiteren die Tatsache auf, dass sowohl die Centonen Lukians als auch die Centonen des Lukasevangeliums sich aus solchen Zitaten speisen, die von den Adressatinnen und Adressaten dieser Centonen leicht als solche identifiziert werden können, da die aufgenommenen Texte im Leserkreis Lukians bzw. des Lukasevangeliums eine weite Verbreitung besitzen. Lukians Centonen nehmen Verse von den bekanntesten Schriftstellern der antiken griechischen Welt auf, nämlich von Homer und Euripides, während das Lukasevangelium in seinen Centonen Verse aus der Septuaginta rezipiert, und zwar insbesondere aus den Psalmen, aus der Genesis und teilweise auch aus den prophetischen Schriften. Hier handelt es sich um die der idealen Leserschaft des Lukasevangeliums geläufigsten Septuaginta-Abschnitte.247 Obwohl damit das Lukasevangelium auf der einen und die menipppeischen Schriften auf der anderen Seite unterschiedliche Quellen rezipieren, gleichen sie sich doch darin, dass die rezipierten Quellen bei der jeweiligen Leserschaft einen sehr hohen Bekanntheitsgrad besitzen. Indem die lukanische Erzählung in ihren versförmigen Teilen vielfach solche literarischen Vorlagen anklingen lässt, die ihre Leserinnen und Leser mit hoher Wahrscheinlichkeit als Zitate und Anspielungen erkennen können, weckt sie deren Aufmerksamkeit und erhöht dadurch den eigenen Unterhaltungswert.
246
Zu der Differenzierung s.o. Punkt 1.2.3, Anm. 98. Diesen Sachverhalt illustrieren die Diagramme unter Punkt 1.1.2 dieser Arbeit, welche die Bedeutung insbes. des Pentateuchs, des Jesajabuchs und der Psalmen für die ideale Leserschaft des Lukasevangeliums belegen. 247
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3.2.2 Die auftretenden Figuren Unter den Figuren, die in der Erzählung Lk 1,1–2,40 eine Rolle spielen, kennen die idealen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums insbesondere zwei bereits aus der Überlieferung: den Engel Gabriel und Jesus. Als Angehöriger der himmlischen Welt tritt Gabriel nämlich auch im Danielbuch auf. Er hat dort die Aufgabe, dem Seher Daniel gegenüberzutreten, um ihm das rechte Verständnis der von Gott kommenden Botschaft zu erschließen. Dies geschieht im Danielbuch zunächst innerhalb einer Vision (Dan 8,15–26) und anschließend außerhalb einer solchen, während Daniel zu Gott betet (Dan 9,20–27). Ganz ähnliche Aufgaben nimmt Gabriel in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums wahr: Er kündigt dem Zacharias die Geburt eines Sohnes an, äußert sich über die künftige Funktion des verheißenen Nachkommen und bestätigt seine Worte mittels des Zeichens der Stummheit, welche Zacharias erfährt (Lk 1,5–25). Bei seiner Begegnung mit Maria sagt Gabriel auch ihr die Geburt eines Sohnes voraus, charakterisiert die Rolle des Kindes in der Zukunft und verleiht seiner Ankündigung durch den Hinweis auf die Schwangerschaft Elisabets ein Mehr an Glaubwürdigkeit (Lk 1,26–38). Darüber hinaus können die Lesenden auch den ἄγγελος κυρίου, der in Lk 2,9 den Hirten begegnet, mit Gabriel identifizieren, welchen ihnen die Erzählung zuvor ebenfalls als Engel des Herrn vorgestellt hat (Lk 1,11). Die Hirten weist der Engel als ein mit göttlicher Autorität Redender auf die soeben geschehene Geburt des σωτήρ hin. Während das in der Krippe liegende Neugeborene offenkundig der unteren sozialen Schicht angehört (Lk 2,7), wendet Gabriel sowohl vor (Lk 1,31–33) als auch nach seiner Geburt (2,10–11) königliche Attribute auf ebendieses Kind an. Damit erfüllt der Engel Gabriel am Anfang des Lukasevangeliums dieselbe Funktion wie der Gott Hermes in den menippeischen Texten: Erstens ist auch Hermes in den Schriften Lukians und Senecas dafür zuständig, den von göttlicher Seite initiierten Kontakt zwischen himmlischer Welt und den Angehörigen der irdischen Welt herzustellen. Zweitens dient der Inhalt seines Redens der Proklamation neuer Verhältnisse, die sich an neuen Wertmaßstäben orientieren, wenn er etwa den Gerichtsprozess zur Entscheidung in philosophischen Fragen einberuft (Luc., Bis Acc.) oder die heuchlerischen Philosophen bestraft (Luc., Fug.). So wie die ideale Leserschaft Lukians ganz selbstverständlich aus der Tradition weiß, mit wem sie es zu tun hat, wo Hermes auftritt, so kennt die ideale Leserschaft des Lukasevangeliums auch den Gabriel bereits aus der Überlieferung, d.h. aus dem Danielbuch. Denn durch zahlreiche intertextuelle Referenzen zeigt der Text Lk 1,1–2,40 deutlich an, dass er seine idealen Leserinnen und Leser in der Tradition der Septuaginta verwurzelt weiß. Und zu dieser zählt das Danielbuch, wie das Zitat aus Dan 10,12 in Lk 1,13 beweist.
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Und auch die Figur Jesus ist den Adressatinnen und Adressaten des Lukasevangeliums bereits bekannt. Das Proömium Lk 1,1–4 spricht den idealen Lesenden als einen κατηχήθης an, als einen mit dem Bekenntnis der christlichen Glaubensrichtung vertrauten Menschen also. Wenn die beispielsweise in den Paulusbriefen zitierten Bekenntnisformeln von Jesus als dem von Gott Auferweckten bzw. Auferstandenen sprechen (vgl. etwa Röm 10,9; 1Kor 15,3–5), so zeigt sich darin, dass schon seit den frühesten Anfängen der christlichen Gemeinschaft ihren Anhängerinnen und Anhängern sowohl der Name Jesu als auch das Bekenntnis von dessen Auferweckung durch Gott selbstverständlich geläufig ist. Darüber hinaus verrät das Lukasevangelium durch seine Verwendung von Markusevangelium auf der einen und der Spruchquelle Q auf der anderen Seite, dass es auch eine Erzählung über das Leben Jesu und eine Sammlung seiner Aussprüche kennt. Das Vorwort erwähnt, wie „viele es unternommen haben, einen Bericht zusammenzustellen“ (Lk 1,1) und weist damit auch den Lesenden gegenüber darauf hin, dass es von der allgemeinen Bekanntheit der ihm vorliegenden Überlieferung über Jesus ausgeht. Die idealen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums im ersten Jahrhundert kennen Jesus also als eine literarische Figur. Und zwar als einen Angehörigen der irdischen Welt. Zwar gebraucht die Erzählung den Titel υἱὸς θεοῦ und bezieht ihn auf Jesus (vgl. Lk 1,35) – aber solche Bezeichnungen führen auch die Könige Israels (vgl. 2Sam 7,14) und die römischen Kaiser (s.o. Punkt 2.1.2), ohne damit zwingend selbst einen göttlichen Status oder gar göttliche Verehrung zu beanspruchen. Deutlich aber proklamieren die auf ihn angewandten Attribute den gerade geborenen Jesus als eine königliche Figur und einen politischen Befreier (Lk 1,31–33; 2,10–11.30). Im weiteren Verlauf der Erzählung trägt die Figur Jesus darüber hinaus aber auch Züge eines Philosophen. Deutlich wird dies insbesondere in der Erzählung um das Gleichnis vom barmherzigen Samariter herum, wo Jesus seinen schriftgelehrten Gesprächspartner nach der Weise sokratischer Maieutik durch fortgesetztes Fragen zur Erkenntnis des rechten Tuns geleitet (Lk 10,25–37).248 Mehrfach präsentiert das Lukasevangelium seinen Jesus als einen Weisen (vgl. insbes. Lk 2,40.52; aber auch Lk 21,15).249 Der Charakter Jesu im Lukasevangelium lässt sich daher nicht einseitig festlegen. Es fällt jedoch auf, dass die Erzählung ihn teils als eine königliche, teils als eine philosophische Figur beschreibt.250 Auch in den untersuchten menippeischen Texten handelt es sich 248 249
pass.
Vgl. P.-G. KLUMBIES, Himmelfahrt, 152; DERS., Das inszenierte Sterben Jesu, 296. Vgl. hierzu auch meinen Aufsatz zu Lk 2,40–52: N. KRÜCKEMEIER, Der zwölfjährige Jesus,
250 Dies gilt nicht nur für den hier untersuchten Textabschnitt Lk 1,1–2,40, sondern auch im weiteren Verlauf des Lukasevangeliums wird die Jesusfigur teils als König und teils als Philosoph dargestellt. In einer Studie zur Thematik von Armut und Reichtum im Lukasevangelium, die sich
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bei den auftretenden Figuren, welche der irdischen Welt angehören, zumeist um Herrscher (vgl. etwa Luc., Cont.; Sen., Apoc.) oder Philosophen (vgl. etwa Luc., Pisc.). Unter den weiteren in Lk 1,1–2,40 auftretenden Figuren kennen die idealen Lesenden wahrscheinlich die Maria (vgl. z.B. Mk 6,3) und den Johannes (vgl. z.B. Mk 1,4) namentlich, aber Zacharias, Elisabet, Simeon und Hanna treten im gesamten Neuen Testament nur Lk 1–2 auf. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie den Leserinnen und Lesern des Lukasevangeliums bei ihrer ersten Lektüre der Schrift zum ersten Mal begegnen. Die vier zuletzt Genannten tragen durchaus exemplarische Züge: Alle werden von der Erzählung als ausgesprochen fromm beschrieben (Lk 1,6; 2,25.36–37). Zacharias und Elisabet repräsentieren diejenigen, die sich trotz ihrer Schande (1,25) treu zu Gott halten. Dem gegenüber stehen Simeon und Hanna stellvertretend für solche Menschen, die die von Gott her stammenden neuen Werturteile übernehmen. Sie sprechen infolge der Begegnung mit dem Säugling Jesus von der Rettung (2,30) bzw. Erlösung (2,38), die dem Volk Gottes nun zuteil werden, und die auf der vorausgegangenen Umkehrung der Werte basieren, die sich auf die Figur Jesus bezieht. Interessanterweise begegnen mit Zacharias und Elisabet auf der einen und mit Simeon und Hanna auf der anderen Seite je eine Frau und ein Mann gemeinsam, die eine bestimmte innere Haltung exemplarisch verkörpern. Sie bieten den Lesenden – Frauen wie Männern – positive Identifikationsmöglichkeiten. Ebenso verhält es sich mit denjenigen Figuren in den menippeischen Texten, die der irdischen Welt angehören und nicht bereits aus der Literatur bekannt sind: Auch sie verkörpern eine bestimmte innere Haltung, fungieren exemplarisch und laden die Leserinnen und Leser ein, sich entweder positiv mit ihnen zu identifizieren oder aber sie als Negativ-Beispiele und Anti-Identifikationsmöglichkeiten wahrzunehmen.251 zur Zeit in Vorbereitung befindet, werde ich auf die Rolle Jesu ausführlich eingehen. Schon hier sei aber bemerkt, dass die Eigenschaften des Königs und des Philosophen nach antikem Empfinden keinen Gegensatz bilden sondern zusammengehören: Der ideale König erweist sich nach der Darstellung von Dio Chrysostomos gerade durch seine philosophischen Qualitäten als für die Herrschaft geeignet (Dio Chrys., Or. 4; insbes. 4,24.70). 251 In der Untersuchung der menippeischen Texte hat sich herausgestellt, dass die dort auftretenden Figuren bisweilen Symbolnamen tragen, da sie nicht so sehr als Individuen von Interesse sind sondern vielmehr eine bestimmte menschliche Haltung oder Eigenschaft anthropomorph repräsentieren. Dies ist etwa bei den Figuren der Philosophen Kyniskos (Luc., Cat.) und Parresiades (Luc., Pisc.) der Fall. Nun kommt es ja auch in den Erzählungen der hebräischen Bibel ausgesprochen häufig vor, dass die dort auftretenden Figuren Namen von symbolischer Bedeutung tragen – besonders deutlich etwa in den Büchern Jesaja und Hosea, wo die Propheten ihren Kindern Namen wie „( שאר ישובein Rest, der umkehrt“: Jes 3), „( מהר שלל חש בזRaubebald Eilebeute“: Jes 8), „( יזרעאלJesreel“: Hos 1), „( לא רחמהkein Erbarmen“: Hos 1) und „( לא עמיnicht mein Volk“: Hos 1) geben. So verwundert es nicht, wenn auch in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums solche Figuren auftreten, deren Namen im Hebräischen eine Aussage beinhalten. Vor allem
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3.2.3 Das erzählte Geschehen Nicht nur in der Mischung aus versförmigen und prosaischen Abschnitten mit der Gestaltung der versförmigen Partien nach der Cento-Technik und in der Besetzung der in der Erzählung auftretenden Figuren sondern auch im Handlungsverlauf und der in ihm verhandelten diskursiven Thematik lassen sich Gemeinsamkeiten zwischen den menippeischen Schriften und den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums feststellen. Die folgende Beschreibung dieser Gemeinsamkeiten orientiert sich an der obenstehenden Liste inhaltlicher Eigenarten der menippeischen Texte. Es fällt auf, dass sowohl die Apocolocyntosis Senecas als auch das Lukasevangelium mit einem Proömium nach Art der hellenistischen Schriftstellerei beginnen. In den menippeischen Schriften Lukians findet sich dieses Element hingegen nicht. Dennoch lohnt sich ein kurzer Vergleich von Sen., Apoc. 1 mit Lk 1, um Gemeinsamkeiten wie Unterschiede festzustellen: In beiden Texten wendet sich eine Erzählerstimme in der ersten Person an ihre Leserschaft. Beide garantieren die Verlässlichkeit (Apoc. 1,1: haec ita vera; Lk 1,4: ἀσφάλεια) ihrer Erzählungen, indem sie ihre geordnete Vorgehensweise bekunden (Apoc. 1,3: certa clara affero; Lk 1,3: παρηκολουθηκότι die Figuren Zacharias, Elisabet, Simeon und Hanna lassen sich mit denjenigen Figuren vergleichen, die in den untersuchten menippeischen Schriften auftreten und dort menschliche Haltungen bzw. Eigenschaften verkörpern. Zu Zacharias: זכריהbedeutet „der Herr gedenkt“ (vgl. M. NOTH, Personennamen, 186–187) – und tatsächlich vergisst der Herr den kinderlosen alten Priester Zacharias in Lukas 1 nicht sondern schenkt ihm einen Nachkommen (vgl. insbes. Lk 1,13). Zu Elisabet: Die Septuaginta kennt den Namen Ελισαβεθ – hier mit θ anstelle des lukanischen τ – als Umschrift des hebräischen Namens ( אלישבעEx 6,23). In diesem Zusammenhang bezeichnet שבע die „Fülle“ (vgl. M. NOTH, Personennamen, 146–147; zu den Namen Zacharias und Elisabet vgl. außerdem H. KLEIN, Lukasevangelium, 86; E. SCHWEIZER, Evangelium, 13), die insbesondere darin bestehen kann, dass Gott einem Menschen einen Nachkommen schenkt. Diese Verwendung von שבעkommt deutlich in dem Frauennamen ( בת שבעz.B. 2Sam 11–12) zur Geltung (vgl. M. NOTH, Personennamen, 147, Anm. 2). So lässt sich auch der Name der Elisabet im Lukasevangelium als die Aussage „Mein Gott [ist] Fülle“ verstehen, was sich im Verlauf der Erzählung darin bewahrheitet, dass Gott der schon betagten Elisabet einen Sohn schenkt (vgl. insbes. Lk 1,25; zur repräsentativen Funktion der Figuren Zacharias und Elisabet in Lk 1 vgl. auch K. LÖNING, Geschichtswerk, 68–69. Löning sieht das Paar als ideale Stellvertreter des Gottesvolkes an). Zu Simeon: Sein Name beinhaltet die hebräische Wurzel ;שמעso interpretiert ja auch schon die Erzählung der Genesis den Namen שמעוןals die im Glauben getroffene Aussage, Gott habe ein Gebet erhört (Gen 29,33; vgl. hierzu auch M. NOTH, Personennamen, 185). Im Lukasevangelium erwartet der Mann Simeon, er werde vor seinem Tod noch den χριστός sehen (Lk 2,26). Dieser an Gott gerichtete Wunsch erfüllt sich (2,29–30); die Leserinnen und Leser der Erzählung mögen sich vorstellen, dass der Wunsch des frommen Simeon, dem χριστός zu begegnen, auch Gegenstand seines Gebets gewesen ist. In diesem Sinne trifft das, was sein Name aussagt, שמעון: „[Gott] erhört“, wirklich ein. Zuletzt zu Hanna: חנהlässt sich wiedergeben mit „[Gott] hat sich erbarmt“ (vgl. M. NOTH, Personennamen, 187). Allerdings tritt die Figur Hanna in der lukanischen Erzählung zu wenig profiliert hervor (Lk 2,37–38), als dass sich der Name in Bezug zu dem von ihr Erzählten setzen ließe. Sofern nun die Leserschaft des Lukasevangeliums sich der Bedeutungen gewahr wird, welche den Namen der auftretenden Figuren von ihrem hebräischen Ursprung her innewohnen – was ich für durchaus denkbar aber nicht für zwingend halte – können sie in den symbolischen Namen der lukanischen Erzählung eine weitere Parallele zur menippeischen Literatur erblicken.
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ἄνωθεν πᾶσιν ἀκριßῶς καθεξῆς σοι γράψαι) und Augenzeugen als Gewährsleute anführen (Apoc. 1,2: Appiae viae curator; Lk 1,2: οἱ ἀπ’ ἀρχῆς αὐτόπται καὶ ὑπερέται γενόμενοι τοῦ λόγου). Die Erzählerstimme der Apocolocyntosis versichert darüber hinaus ihre Unbefangenheit; weder Kränkung noch Dank sei ihr Anliegen (Apoc. 1,1: nihil nec offensae nec gratiae dabitur). Doch bereits hier im Proömium scheint in der Schrift Senecas die Ironie durch, welche hinter den Worten steht. Denn neben den genannten Aussagen stehen auch solche, die die Ernsthaftigkeit, mit welcher die angekündigte Verfahrensweise verfolgt wird, äußerst zweifelhaft erscheinen lassen – wenn die Erzählerstimme gegenüber etwaigen Nachfragen flapsig angibt, sie werde eben entsprechend der kynischen παρρησία antworten, was ihr gerade in den Mund kommt (Apoc. 1,2), um anschließend auch noch ihren eigenen Augenzeugen zu diskreditieren: dieser habe nämlich auch zuvor schon Zeugenaussagen von dubioser Qualität von sich gegeben (Apoc. 1,3). Im Lukasevangelium hingegen liegt ein solcher ironischer Unterton nicht vor. Anders als in Senecas Text will sein Proömium tatsächlich das Vertrauen der impliziten Leserschaft gewinnen. Der Zweck der Schrift als Ganzer besteht darin, ἵνα ἐπιγνῷς περὶ ὧν κατηχήθης λόγων τὴν ἀσφάλειαν (Lk 1,4).
Erstens: Wie in den menippeischen Schriften findet auch in Lk 1,1–2,40 des Öfteren eine Überquerung der Grenze zwischen Diesseits und Jenseits statt. Es handelt sich in den betreffenden Szenen aus Lukas 1–2 jeweils um die Durchbrechung der Trennung zwischen himmlischer und irdischer Welt. Dies ist dreimal der Fall; jeweils begegnen sich Angehörige beider Welten auf dem Terrain der Erde.252 Zuerst erscheint der Engel Gabriel als Bote aus der himmlischen Welt dem Zacharias, wo er dem alten und kinderlosen Paar die Geburt eines Sohnes ankündigt (Lk 1,13) und diesen Nachkommen in Anlehnung an die Elia-Tradition aus Mal 3 und Sir 48 als Wegbereiter des Herrn beschreibt (1,17). Danach erscheint derselbe Engel der Maria. Auch ihr kündigt er die Geburt eines Sohnes an, und auch über dessen künftige Rolle äußert er sich: Der Nachkomme werde auf dem Thron Davids sitzen und ein Königreich führen, welches ewigen Bestand hat (1,32–33). Als drittes vollzieht sich eine Begegnung zwischen dem Engel des Herrn und einigen Hirten. Den Engel können die Leserinnen und Leser leicht mit dem zuvor aufgetretenen Gabriel identifizieren, da die Erzählung ihnen auch diesen zunächst als ἄγγελος κυρίου vorgestellt hatte (1,11; vgl. 2,9). Die Botschaft des Engels an die Hirten beinhaltet die Ansage politischer Befreiung durch den neugeborenen σωτήρ und χριστός (2,10–11). Dabei misst der Engel dem gerade geborenen Kind solche Prädikate zu, die sich sowohl vor jüdischem als auch vor hellenistischem geistesgeschichtlichen Hintergrund nur als königliche Prädikate interpretieren lassen. Im Anschluss an seine Botschaft treten sogar die himmlischen Heere auf, und für einen Moment verschwimmt dadurch die Grenze zwischen Himmel und Erde, da das Himmelsheer in der Tradition der hebräischen Bibel seinen Platz vor Gottes Thron hat. 252 Zum Auftreten eines Engels in Lk 1–2 vgl. auch B.J. KOET, Divine Communication, 750. Zur Funktion von Engeln im Lukasevangelium insgesamt vgl. darüber hinaus J.B. GREEN, Theology, 40.
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Daneben begegnet am Anfang des Lukasevangeliums häufig auch das Motiv des Heiligen Geistes.253 Und dieser fungiert – wie der Engel Gabriel bzw. Engel des Herrn – ebenfalls als ein Medium, durch welches irdische Menschen Einsichten erlangen und aussprechen können, die aus der himmlischen Welt herrühren.254 Besonders deutlich kommt dies in der Beschreibung Simeons zum Ausdruck, von dem es heißt, dass er vor seinem Tode noch den Christos sehen werde: ἦν αὐτῷ κεχρηματισμένον ὑπὸ τοῦ πνεύματος τοῦ ἁγίου (Lk 2,26).255 Wie ein Besitztum, ein χρῆμα gelangt die Erkenntnis mittels des Heiligen Geistes zum erkennenden Menschen; daher benutzt die Erzählung das Verbum χρηματίζω, um diesen Vorgang zu umschreiben.256 Nun gibt es in Lk 1,1–2,40 eine Reihe von erzählten menschlichen Äußerungen, deren Inhalt die Erzählung dem Wirken des Heiligen Geistes zuschreibt. So kann Elisabet, als die beiden Frauen sich begegnen, die Maria als μήτηρ τοῦ κυρίου (Lk 1,43) begrüßen, weil der Heilige Geist sie zuvor erfüllt hat (1,41). Der dem noch ungeborenen Kind zugemessene κύριος-Titel definiert dabei den Status Jesu von der himmlischen Welt her. Auch Zacharias’ Gotteslob gründet später darin, dass der Heilige Geist den Lobenden erfüllt. Wie zuvor im Falle Elisabets (1,41) beschreibt auch hier die Wendung ἐπλήσθη πνεύματος ἁγίου (1,67) diesen Sachverhalt. Zacharias spricht zunächst von Gottes mächtigem Handeln an seinem Volk, welches darin besteht, dass Gott einen König aus der Nachkommenschaft Davids aufrichten wird, um dem Volk politische Befreiung zu erwirken und ihm auf diese Weise zu ermöglichen, Gott angemessen zu dienen (1,68–73). Danach äußert Zacharias sich über die zukünftige Aufgabe des Kindes Johannes, die darin liegt, als ein Prophet zu wirken und dem Volk die politisch definierte σωτηρία (1,71) als eine σωτηρία ... ἐν ἀφέσει ἁμαρτιῶν (1,77), d.h. als eine durch die Sündenvergebung ermöglichte politische Befreiung kundzutun. Eine dritte Szene, in welcher menschliches Reden klar durch das Wirken des Heiligen Geistes motiviert erscheint, liegt beim Auftreten des Mannes Simeon vor. Die Erzählung streicht es gleich mehrfach explizit heraus, dass der Heilige Geist in Simeon wirksam ist (2,25.26.27). Daher erscheint auch seine Rede, die Gott lobt und den Säugling Jesus als σωτήριον proklamiert (2,30), als vom Heiligen Geist hervor253 Auch J.B. GREEN, Theology, 40–42 nennt hintereinander das Auftreten von Engeln und das Wirken des Heiligen Geistes als Ausgestaltungen der Begegnung zwischen Himmel und Erde im Lukasevangelium. 254 S.o. insbes. Punkt 2.2.2, Anm. 160. Vgl. hierzu auch J.A. FITZMYER, Role, 181. 255 An dieser Stelle identifiziert die lukanische Erzählung die durch den Heiligen Geist ergehende Ankündigung an Simeon mit dem Wort Gottes (Lk 2,26.29; vgl. hierzu auch oben Punkt 2.2.8). 256 Die Verwendung von χρηματίζω zur Bezeichnung des Empfangens einer Offenbarung ist daher im Griechischen durchaus gängig (vgl. B. REICKE, χρῆμα, 470).
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gerufen. Außerdem hatte der Engel Gabriel der Maria angekündigt, der Heilige Geist werde auf sie kommen (1,35). Daher können die idealen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums möglicherweise auch Marias Gotteslob auf die Aktivität des Heiligen Geistes zurückführen.257 Dort geht es um den Statuswechsel zwischen Mächtigen und Geringen, zwischen Reichen und Armen (1,52–53), den Gottes Eingreifen herbeiführt. Zweitens: Für diejenigen irdischen Figuren, die sich durch das Auftreten Gabriels oder das Wirken des Heiligen Geistes mit der himmlischen Welt konfrontiert sehen, ergeben sich neue Einsichten, welche den für gewöhnlich geltenden Normen entgegenstehen: Nicht nur erhält ein betagtes Ehepaar von Gabriel die Nachricht über die bevorstehende Geburt eines Sohnes (Lk 1,13–17), sondern auch die geltenden Vorstellungen von Macht und Herrschaft werden in ihr Gegenteil gewendet. So spricht Maria in ihrem Gotteslob explizit und allgemeingültig vom Handeln Gottes, welcher Herrschende vom Thron stößt und stattdessen Niedrige erhöht und gleichzeitig Arme sättigt und stattdessen Reiche hungern lässt (Lk 1,52–53).258 Vor allem aber wendet die Erzählung in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums fortwährend königliche Attribute auf das ungeborene bzw. neugeborene Kind Jesus an, welches dann allerdings in ein der sozialen Unterschicht zugehöriges Umfeld hineingeboren wird und nach seiner Geburt in einer Futterkrippe liegen muss, die seinen niedrigen sozialen Status illustriert (Lk 2,7).259 Gerade dieses Kind nennt der Engel Gabriel den Sohn des Höchsten, der auf dem Thron Davids eine ewige Königsherrschaft über das Volk Israel ausüben wird (Lk 1,32–33). Unter dem Einfluss des Heiligen Geistes bezeichnet Elisabet das noch ungeborene Kind als κύριος (1,43), und Zacharias redet – sich auf die von Gabriel im Hinblick auf die Person Jesu eingeführte Davids-Terminologie (1,69) beziehend – von politischer Befreiung für sein Volk (1,71.74): σωτηρίαν ἐξ ἐχθρῶν ἡμῶν καὶ ἐκ χειρὸς πάντων τῶν μισούντων ἡμᾶς (V. 71). So proklamiert auch der ἄγγελος κυρίου den Hirten gegenüber den gerade geborenen Jesus als in der Tradition Davids stehenden σωτήρ und χριστός (2,11), wie auch Simeon schließlich das Kind als σωτήριον ansieht, dessen Existenz Auswirkungen für Israel und alle anderen Völker haben wird (2,30–32). Sowohl die Terminologie der jüdischen Gesalbtenerwartung als auch diejenige der hellenistischen Herrscherverehrung klingen in all diesen Aussagen deutlich und für kundige Ohren unüberhörbar an. Und solches geschieht in einem Text, der nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 entsteht und sich an Lesende 257
Anders M. COLERIDGE, Birth, 87. Die Ähnlichkeit dieser Aussage zu den Ansichten kynischer Philosophen erkennt auch R.A. HORSLEY, Liberation, 114. 259 Das eigentümliche Gegenüber zwischen den hoheitlichen auf Jesus angewandten Attributen und seinem niedrigen sozialen Status beobachtet auch R. LAURENTIN, Struktur, 121. 258
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wendet, welche eine Unterweisung in den grundlegenden Aussagen der christlichen Lehre empfangen haben (Lk 1,4) und daher genau wissen, dass dieser Jesus als ein politischer Aufständischer gekreuzigt worden ist (vgl. etwa 1Kor 2,2; Mk 15). Auf dieser Folie müssen die in Lukas 1–2 auf Jesus angewandten Proklamationen eine paradoxe Wirkung erzielen. Die Befreiung wirkende Herrschaft, von welcher hier die Rede ist, lässt sich schlechterdings nicht als eine herkömmliche politische Herrschaft verstehen, und doch deutet die Erzählung nirgends an, dass sie im Hinblick auf die Herrschaft Jesu eine Relativierung ihrer Proklamationen vornehmen wolle. Niedrigkeit und Herrschaft begegnen in derselben Person, nämlich im Jesus der lukanischen Erzählung. In leisen Untertönen wohnt dieser Anwendung herrschaftlicher Attribute auf den lukanischen Jesus auch eine Kritik an den herkömmlichen Herrschenden inne: Denn diesen bleiben dieselben Attribute vorenthalten. So nennt die Erzählung einmal zwar den Καῖσαρ (Lk 2,1), um die erzählte Handlung zeitlich in der Geschichte zu verankern, gibt dem Kaiser dabei jedoch den lateinischen Beinamen Αὐγοῦστος anstelle des zu erwartenden griechischen Ausdrucks Σεβαστός. Während das Wort Σεβαστός in der Wahrnehmung griechisch sprechender Leserinnen und Leser noch die Assoziation von dessen Grundbedeutung als „anbetungswürdig“ auslösen kann, werden dieselben Leserinnen und Leser das lateinische „Augustus“ stärker als einen Eigennamen empfinden. Die lukanische Erzählung will den Kaiser also gerade nicht als einen anbetungswürdigen Menschen präsentieren. Stattdessen tritt dieser nur mit einer Aktion in Erscheinung, indem er nämlich eine Volkszählung anordnet. Für Menschen, die mit der Septuaginta vertraut sind, kann das Motiv einer von herrschaftlicher Seite angeordneten Volkszählung aber die Assoziation von Davids Volkszählung verursachen, welche wiederum sich gegen den Willen Gottes gewandt hatte (vgl. 2Sam 24 // 1Chr 21). In der entsprechenden Wahrnehmung kommt der römische Kaiser hier damit als eine Person in den Blick, die keine Verehrung empfangen soll sondern dem Willen Gottes entgegengesetzt handelt. Die Darstellung des Kaisers in der lukanischen Erzählung erscheint unter diesem Blickwinkel durchaus kritisch. Sie stellt die Gegenfolie bereit, vor der die auf Jesus bezogenen königlichen Attribute umso klarer hervortreten. Bisweilen bieten die menippeischen Schriften, während die kritische Aussageabsicht überwiegt, auch ein positiv ausgeformtes Lob des wahrhaft gut Lebenden oder eines würdigen Herrschers. Dies ist insbesondere in der versförmigen Partie Sen., Apoc. 4,1 der Fall, wo der Gott Apollon den Amtsantritt des Claudius-Nachfolgers Nero als ein Ereignis beschreibt, welches sich gut auf die gesamte Menschheit auswirkt. Dieser Abschnitt steht inhaltlich in großer Nähe zu denjenigen Aussagen, die die versförmigen Abschnitte von Lk 1–2 im Hinblick auf Jesus treffen: Das mit der Amtsübernahme des Nero beginnende glückliche Zeitalter zeichnet sich gemäß der Rede Apollons dadurch aus, dass Nero das Schweigen des Rechts zerschlägt (legumque silentia rumpet) und damit also den Schwachen und Müden (lassis) zu ihrem Recht verhilft. Ausführlich vergleicht die
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Figur Apollon den Beginn der Regierungszeit Neros mit dem Aufgang eines Gestirns, welches die Dunkelheit zunichte macht. Ganz Ähnliches sagt die Erzählung zu Beginn des Lukasevangeliums auch über ihren Jesus und das mit ihm zu den Menschen kommende Heil aus. Auch hier geht es um den Antritt einer Königsherrschaft, denn Gott selbst ist im Begriff, Jesus auf den Thron zu setzen (Lk 1,32).260 Jesus wird als σωτήρ proklamiert, und sein Amtsantritt gibt aller Welt Anlass zur Freude (2,10–11). Inhaltlich umfasst die von Gott auf diese Weise gewirkte σωτηρία (1,77) vor allem politische Befreiung des Gottesvolks (1,71), durch welche das Volk aber auch Gerechtigkeit empfängt (1,75). So kann die Metapher des Sternenaufgangs diesen Amtsantritt beschreiben (1,78), durch den die in der Dunkelheit Sitzenden umstrahlt werden (1,79). Motivisch stehen sich der auf Nero ausgerichtete Lobgesang Apollons in Senecas Apocolocyntosis und die sich auf Jesus beziehenden versförmigen Textabschnitte in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums damit an den folgenden Punkten nahe: ▫ Es geschieht ein Ausblick auf den baldigen Amtsantritt eines neuen Herrschers; ▫ dieser stellt ein freudiges Ereignis dar; ▫ das Ereignis gleicht dem Aufgang eines Gestirns. ▫ Dieses vertreibt die Dunkelheit, ▫ und schwache Menschen empfangen Gerechtigkeit.
Drittens: Nachdem nun die Grenze zwischen Himmel und Erde von der himmlischen Welt her durchbrochen worden ist und die von der himmlischen Welt ausgehenden Anstöße neues Licht auf herkömmliche in Geltung stehende irdische Wertmaßstäbe geworfen haben, bedürfen diese für irdische Verhältnisse unglaublichen Aussagen der Bestätigung. Das Geflecht von Ankündigungen und Bestätigung zieht sich durch den gesamten untersuchten lukanischen Textabschnitt hindurch; dies hat die Analyse im vorangehenden Kapitel bereits gezeigt: Die Unfähigkeit des Zacharias zu sprechen dient als Garantie für die Zuverlässigkeit dessen, was der Engel gesagt hat (Lk 1,20). Die Schwangerschaft Elisabets fungiert als Zeichen für die Glaubwürdigkeit dessen, was Gabriel ihr angekündigt hat (1,36), und das Kind in der Krippe soll den Hirten bestätigen, dass es sich bei diesem Kind tatsächlich um einen Herrscher und Befreier handelt (2,12). Wirkt allein letzteres schon paradox auf die Leserschaft, so treiben die Worte des Simeon diese Paradoxie noch auf die Spitze: In dem sich an der Person Jesu festmachenden Widerspruch vieler Zeitgenossen sollen die Rezipientinnen und Rezipienten gerade eine Bestätigung für dessen königliche Würde erblicken. Jesus selbst ist das σημεῖον ἀντιλεγόμενον (2,34). Auch diese letzte und pointierte Behauptung begegnet, weil der Heilige Geist sie hervorruft (2,25.27), als eine von der himmlischen Welt her legitimierte.261 260
Zur Bedeutung des Sterns als Symbol in der Herrscherverehrung vgl. auch E. STAUFFER, Reichsmetaphysik, 37; A. WLOSOK, Einführung, 22; P. ZANKER, Augustus, 43–44. Vgl. auch M. CLAUSS, Kaiser, 57.125.265; G. ERDMANN, Vorgeschichten, 101; H.-J. KLAUCK, Umwelt, 48; S.R.F. PRICE, Gods, 92; E. STAUFFER, Christus, 166. 261 Ähnlich wie in den menippeischen Texten kommt es also auch in der Erzählung Lk 1–2 zu einer Umwertung herkömmlicher Vorstellungen von Herrschaft und Niedrigkeit, indem Maria dies allgemeingültig ausspricht, indem der in Niedrigkeit geborene Jesus königliche Prädikate erhält, und indem für jüdisch vorgebildete Wahrnehmung eine dezente Kritik am römischen Kaiser
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Viertens und fünftens: Einige Figuren auf der Ebene der erzählten Welt lassen sich dann auch tatsächlich von der neuen Sicht der Dinge überzeugen: Die anfänglichen Zweifel des Zacharias (1,18) weichen, nachdem er das vom Engel angesprochene Zeichen erfahren hat, der Gewissheit (1,67– 79). So verläuft auch die Dynamik der Erzählung im Hinblick auf die Figur der Maria: Aus Zweifel (1,34) wird Gewissheit (1,46–55).262 Insbesondere jedoch die Hirten schenken dem, was sie vom Engel gehört haben, Vertrauen, so dass sie sich auf den Weg machen, um sich mit eigenen Augen vom Kind in der Krippe zu überzeugen (2,15). Und auch dabei bleiben sie noch nicht stehen, sondern das Gehörte und Gesehene wirkt sich auf eine Weise in ihrem Handeln aus, die Kreise zieht: Die Hirten geben das vernommene ῥῆμα weiter, woraufhin die Hörenden in Verwunderung geraten. 3.2.4 Leserlenkung Stellenweise lädt die lukanische Erzählung ihre Leserinnen und Leser zum Schmunzeln ein: wo etwa der stumme Zacharias bei der anwesenden Menge Verwunderung auslöst, nachdem er als Priester ein Opfer dargebracht und dem ihm dabei erscheinenden Engel Gabriel Widerworte gegeben hat. Gerade diese unangenehme Situation der Stummheit gegenüber dem Volk soll ihm dabei auch noch als Zeichen für die Vertrauenswürdigkeit des Angekündigten gereichen (1,19–22). Stärker noch als die beschriebene Szene übt die Erzählung von der Begegnung zwischen den Hirten und den himmlischen Heeren eine komische Wirkung aus. Denn hier passiert etwas gänzlich Unübliches und daher Unerwartetes: Die Erzählung erwähnt keinerlei Vorzüge, welche die Hirten besitzen; ihre bloße Anwesenheit ἐν τῇ χώρᾳ τῇ αὐτῇ (2,8) scheint den Grund dafür abzugeben, dass die himmligeschieht. All diese Aussagen empfangen eine von der himmlischen Welt ausgehende Bestätigung. Anders als in den menippeischen Schriften erhält diese Umwertung bestehender Werte allerdings keine Bestätigung durch ein von der himmlischen Welt ausgehendes Gerichtsurteil. Zwar klingt auch in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums das göttliche Gericht an – wo nämlich das Kind Johannes unter Aufnahme von Mal 3 als eine in der Tradition Elias stehende Figur geschildert wird (Lk 1,15–17.76–79), welche nach der Darstellung des Maleachi-Buches ja das Gericht Gottes vorbereitet. Jedoch handelt es sich hier um ein anklingendes eschatologisches, d.h. noch ausstehendes Gericht. Es legitimiert nirgends im Laufe der Erzählung die ungewöhnlichen Aussagen über die Königsherrschaft Jesu. Darüber hinaus fällt auf, dass die Vokabeln κρίνω, κρίσις oder κριτής nirgends in Lk 1–2 begegnen, worin sich ebenfalls zeigt, dass Aussagen über ein Gerichtsurteil hier zumindest keine zentrale Stellung einnehmen. 262 Auch die Aussage der Elisabet, die Maria als die μήτηρ τοῦ κυρίου μου (1,43) in Empfang nimmt, lässt sich als eine zwar vom Heiligen Geist vermittelte (1,41) aber dennoch selbstständig bekannte Einsicht in die von der himmlischen Welt eröffnete Wirklichkeit verstehen. Genauso verhält es sich mit den Worten Simeons, welcher an Gott die Worte richtet: „Meine Augen haben dein Heil gesehen“ (2,30).
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schen Heere den Kontakt zu ihnen herstellen. Es ergibt sich ein merkwürdiges Gegenüber: Während die Begegnung mit dem himmlischen Heer in der Tradition der hebräischen Bibel lediglich ganz besonderen prophetischen Figuren vorbehalten bleibt, umstrahlt hier unvermittelt die δόξα κυρίου (2,9) eine Gruppe von einfachen Menschen, die der sozialen Unterschicht angehören. Der Kontrast provoziert eine belustigte Reaktion seitens der Lesenden. Gleichzeitig spricht jedoch die an die Hirten gerichtete Botschaft eine durchaus ernste Wahrheit aus, die im Zentrum dessen steht, was die lukanische Erzählung vermitteln will: Dass nämlich mit der Geburt Jesu eine königliche Figur in der Nachfolge Davids, ein χριστός und ein σωτήρ auftritt (2,11). Und diese Wahrheit richtet sich genau an jene Hirten, welche in der Szene ein wenig fehlplatziert wirken. Nach den Worten des Engels an die Hirten geschieht das mit Jesu Geburt beginnende Heil „für euch“ – ὑμῖν (2,11). Der Engel ruft sodann die Hirten dazu auf, sich mit eigenen Augen von der Geburt Jesu zu überzeugen. Dabei soll ihnen die Futterkrippe, in der das neugeborene Kind liegt, und die für sich genommen ja eher ein Zeichen für den niedrigen sozialen Status Jesu und seiner Eltern darstellt, gerade als Beleg für die herrschaftliche Würde und die Retterfunktion ebendieses Neugeborenen dienen (2,12). Und tatsächlich ziehen die Hirten los; sie beeilen sich sogar, und finden alles so vor, wie der Engel es ihnen beschrieben hat. So empfangen sie eine von der himmlischen Welt her stammende Bestätigung für die Wahrheit der vernommenen Botschaft des Engels (2,16).263 Mit dem auf der Ebene der erzählten Welt gegebenen Ineinander von Appellen und himmlischen Bestätigungen ruft die Erzählung auch ihre Leserinnen und Leser zur Partizipation auf. Auch die Lesenden sollen ja die hier dargestellten Wahrheiten, die das Proömium als Lehre charakterisiert, übernehmen (1,4). In diesem Sinne dienen der Leserschaft neben Elisabet, Maria, Zacharias und Simeon vor allem die Hirten als Identifikationsfiguren. Die Hirten vernehmen die Botschaft, überzeugen sich von deren Zuverlässigkeit, indem sie dem Zeichen nachgehen, und übernehmen daraufhin tatsächlich das vom Engel Verkündigte als gültige Wahrheit. In ihrem konkreten Handeln 263
Ähnliche Dynamiken finden sich auch an weiteren Stellen der Erzählung in Lukas 1–2: Menschen werden durch einen von der himmlischen Welt ausgehenden Impuls zum Umdenken aufgerufen, empfangen Bestätigung und leisten dem Appell Folge. Dies spielt sich bei Zacharias so ab, der zunächst zweifelt (1,18), einen Beleg in seinem Verstummen erhält (1,20.22) und schließlich gehorcht und seinem Sohn den von Gabriel genannten Namen gibt (1,13.63), woraufhin er mit dem Ende seiner Stummheit eine erneute Bestätigung bekommt und Gott zu loben beginnt (1,64). Ähnliches passiert mit Maria: Sie zweifelt anfänglich (1,34), zieht jedoch los, um sich von dem Zeichen zu überzeugen, das der Engel ihr mit Elisabets Schwangerschaft gegeben hat (1,36.39–45), so dass sie infolge der empfangenen Bestätigung schließlich Gott preist (1,46– 47).
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kommt dies zum Ausdruck, denn nach ihrem Besuch bei dem Kind in der Krippe und seinen Eltern kehren sie nicht etwa zurück auf das Feld, von wo sie kommen, sondern sie geben die Botschaft weiter. Inhaltlich sprechen sie περὶ τοῦ ῥήματος τοῦ λαληθέντος αὐτοῖς περὶ τοῦ παιδίου τούτου (2,17). Diese Aussage kann sich nur auf das vom Engel Ausgesagte zurückbeziehen. Außer ihm hat niemand zu den Hirten über dieses Kind gesprochen. Was die Hirten nun an ihre Mitmenschen weitergeben, deckt sich im Inhalt also mit der Aussage Lk 2,10–11: εὐαγγελίζομαι ὑμῖν χαρὰν μεγάλην ἥτις ἔσται παντὶ τῷ λαῷ, ὅτι ἐτέχθη ὑμῖν σήμερον σωτὴρ ὅς ἐστιν Χριστὸς κύριος ἐν πόλει Δαυίδ. Einerseits können sich die idealen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums so ihrer bereits vorhandenen Glaubensüberzeugung (1,4) vergewissern, da die Erzählung ihnen exemplarische Figuren zur Seite stellt, die sie von der erzählten Welt aus sozial unterstützen. Andererseits wohnt diesem Vorgang aber auch ein appellativer Unterton inne, denn die Identifikationsfiguren, welche die Erzählung den Lesenden vorgibt, werden von der himmlischen Welt her zum Umdenken aufgefordert und gehorchen dieser Aufforderung. Dadurch dass die Leserinnen und Leser innerlich an dem beschriebenen Prozess teilnehmen, hören also auch sie die Aufforderung als eine an sie selbst gerichtete. Die fortwährend auf der Ebene der Erzählung gewährte Bestätigung will ihnen helfen, dem Appell zu folgen; so schlägt die Erzählung eine Brücke in die außerhalb ihrer selbst liegende Welt der Lesenden hinein. 3.2.5 Unterschiede Neben den beschriebenen Gemeinsamkeiten zwischen der menippeischen Literatur und der Erzählung in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums wollen auch die Unterschiede zwischen den genannten Texten Beachtung finden: So fällt zuerst auf, dass das Lukasevangelium weitaus weniger als die menippeischen Schriften mit dem Mittel des Scherzes arbeitet. Zwar finden sich auch hier wie beschrieben bisweilen komisch wirkende Szenen, jedoch liegt deren Häufigkeit deutlich unter derjenigen, mit der komische Aussagen in den untersuchten Texten Lukians und Senecas auftauchen. Außerdem verwendet das Lukasevangelium in den Kapiteln 1 und 2 nirgends satirische Darstellungen. Zwar wirft die Darstellung ein negatives Licht auf den römischen Kaiser (Lk 2,1), von beißendem Spott264 264 Zum spottenden Wesen der menippeischen Texte äußert sich auch E.P. KORKOWSKI, Menippus, 8. Bemerkenswerterweise beobachtet F.J. BENDA, Tradition, 19 die weitgehende Abwesenheit von Spott auch für die menippeischen Satiren Varros (vgl. dazu auch U. KNOCHE, Satire,
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findet sich dabei allerdings – anders als bei Lukian und Seneca – keine Spur. So kommt es, dass die lukanische Erzählung, verglichen mit den menippeischen Werken, deutlich weniger Negativ-Folie265 bietet, von welcher sich die positiven Aussagen abheben. Nicht die Kritik an falschen Vorstellungen und Lebensentwürfen steht im Lukasevangelium im Vordergrund sondern die explizite Proklamation der als wahr und gut empfundenen Sichtweise. Diese hingegen stellt in den untersuchten menippeischen Texten eher eine Randerscheinung dar. Die menippeischen Schriften vermitteln ihre Wahrheit subtiler; sie ergibt sich vielfach implizit aus dem Gegenteil der explizit kritisierten Haltung. Darüber hinaus liegt der Schauplatz der lukanischen Erzählung beinahe durchweg in der irdischen Welt. Lediglich dort, wo die Hirten den himmlischen Heeren begegnen, scheint die Grenze zwischen Himmel und Erde für einen Moment aufzuweichen. Die besprochenen menippeischen Texte dagegen nehmen häufiger einen Schauplatzwechsel vor. Im Himmel, auf der Erde und in der Totenwelt spielende Szenen wechseln einander ab. Allerdings existieren auch menippeische Werke, wie zum Beispiel Lukians Gallus, die wie die Erzählung des Lukasevangeliums ganz im irdischen Bereich bleiben.266 Schließlich spielt die Erzählung des Lukasevangeliums stark mit solchen Motiven, die aus der Tradition der hebräischen Bibel stammen: Der jüdische Tempel gibt den Handlungsort für mehrere Szenen ab; Johannes wird als Nachfolger Elias dargestellt und Jesus als Nachfolger Davids; der aus dem Danielbuch bekannte Engel Gabriel wirkt in der Erzählung mit; und die Zitate und Anspielungen in den versförmigen Partien des Textes nehmen den Wortlaut der Septuaginta auf. Solches ist in den menippeischen Schriften Lukians und Senecas nicht der Fall. Auch sie nehmen zwar verbreitete Traditionen auf; die hier aufgenommenen Traditionen stammen jedoch aus dem Bereich der klassischen griechischen Literatur. Figuren aus 37; A. SCHERBANTIN, Satura Menippea, 80). Hier besteht also wiederum eine Ähnlichkeit zwischen dem Beginn des Lukasevangeliums und einem Vertreter der menippeischen Tradition. Vgl. zum möglicherweise gegenüber Lukian dezenteren Charakter der Schriften des Menippos auch R. HELM, Menippos, 890. Nach der Ansicht von I. Bruns und H.-G. Nesselrath ist der Spott gegen die Philosophen auch bei Lukian vergleichsweise milde ausgeprägt (I. BRUNS, Satiren, 87; H.-G. NESSELRATH, Lukian, 141). Aus der Einsicht heraus, dass möglicherweise das Element des Spotts gar nicht allen antiken und in der menippeischen Tradition stehenden Texten innewohnt, habe ich in dieser Studie die Bezeichnung „menippeische Satire“ so weit wie möglich vermieden und stattdessen von „menippeischer Literatur“ gesprochen. Denn auf ein ohne Spott arbeitendes literarisches Werk passt die Charakterisierung als „Satire“ nicht (vgl. N. FRYE, Nature, 76). 265 So auch E.P. KORKOWSKI, Menippus, 11 zum negativen Charakter der sog. „menippeischen Satire“. 266 Auch die Dialogi Mortuorum und die Cataplus bleiben ganz in derselben Sphäre, indem sie ausschließlich in der Totenwelt spielen.
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Die menippeische Literatur und Lukas 1,1–2,40
der griechischen Götterwelt und der Mythologie treten auf; die Zitate und Anspielungen in den versförmigen Abschnitten haben ihre Vorlage in den Werken Homers und Euripides’.
3.3 Fazit: Die lukanische Erzählung vor menippeischem Hintergrund Die zuletzt erwähnten Verschiedenheiten zwischen den untersuchten menippeischen Schriften und der Erzählung am Anfang des Lukasevangeliums schmälern jedoch nicht die weitgehenden gemeinsamen Züge: Hier wie dort wechseln Passagen in Versform und Passagen in Prosaform einander ab, wobei die versförmigen Abschnitte sich bisweilen aus Zitaten bekannter literarischer Werke zusammensetzen.267 Hier wie dort treten aus der literarischen Tradition bekannte Figuren auf; unter ihnen nimmt ein himmlischer Bote einen hervorgehobenen Platz ein, der in Kontakt zu den Menschen der irdischen Welt tritt. Hier wie dort eröffnet sich irdischen Menschen durch die Begegnung mit der jenseitigen Welt ein neuer Blickwinkel auf hergebrachte Normen und Werte. Geltende Vorstellungen über die Bedeutung und das Wesen von Reichtum oder Herrschaft werden hinterfragt. Durch mehrfache von der jenseitigen Welt ausgehende Bestätigung können so auch irdische Figuren die neue Sichtweise annehmen, um sie in Einzelfällen auch an ihre Mitmenschen weiterzugeben. Hier wie dort wenden sich die Erzählungen appellierend und vergewissernd an ihre Leserschaft. Sie rufen ihre Leserinnen und Leser zum Umdenken und neu Handeln auf, und trachten ihnen dieses zu erleichtern, indem sie sie von der erzählten jenseitigen Welt her darin bestätigen. Die ideale Leserschaft des Lukasevangeliums zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie sich sowohl in der Tradition der hebräischen Bibel auskennt und gleichzeitig auch hellenistische Bildung besitzt. Ohne diese beiden Voraussetzungen blieben viele Passagen der Erzählung ihnen unverständlich; in der kulturellen Enzyklopädie der idealen lukanischen Leserschaft begegnen sich jüdische und hellenistische Momente. Solche Lesenden nun, deren hellenistische Bildung so weit reicht, dass sie menippeische Schriften und ihre Eigenarten kennen – was angesichts der weiten Verbrei-
267 Interessanterweise stellen einige Forscher fest, dass der Status, den die Werke Homers in der antiken hellenistischen Kultur besitzen, durchaus mit dem Status der hebräischen Bibel bzw. der Septuaginta im frühen Christentum vergleichbar ist (so H. CHADWICK, Allegorese, 2; H. DÖRRIE, Methodik, 122; J. LEIPOLDT/S. MORENZ, Heilige Schriften, 130; J.F. PROCOPÉ, Greek Philosophy, 462; vgl. hierzu auch G.J.M. BARTELINK, Homer, 118).
Fazit: Die lukanische Erzählung vor menippeischem Hintergrund
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tung kynischer Philosophie in der antiken Welt268 nicht unwahrscheinlich ist – werden auch den lukanischen Text, den sie vorne zu lesen beginnen, unter den entsprechenden Voraussetzungen wahrnehmen. Die deutlichen Gemeinsamkeiten, die Lukas 1,1–2,40 mit den menippeischen Texten verbinden, motivieren die Lesenden dazu, den lukanischen Text von der menippeischen Tradition her zu interpretieren. Vor diesem Hintergrund können sie die Erzählung des Lukasevangeliums als eine Adaption der menippeischen Tradition auf die Verhältnisse des hellenistischen Judentums bzw. Judenchristentums verstehen,269 denn wie gezeigt verbinden sich hier der hellenistische und der hebräische Horizont miteinander: Anstelle von Homerversen zitieren die versförmigen Abschnitte bei Lukas Psalmenverse, und anstelle des Götterboten Hermes tritt der ἄγγελος Gabriel auf. Besonders bedeutsam wird diese Art der Interpretation für die auf den Jesus der lukanischen Erzählung ausgerichteten herrschaftlichen Attributionen und die mit ihnen zusammenhängenden Aussagen über Befreiung, die schließlich in dem von der Figur Simeon formulierten Paradoxon münden: Den sich an der Person Jesu entzündenden Widerspruch sollen die Figuren der Erzählung und mit ihnen die idealen Lesenden als einen Beleg für die herrschaftliche und befreiende Stellung Jesu werten.270 Gestaltet sich diese Aussage zunächst als eine höchst spannungsreiche, so relativiert sich diese Spannung, sobald Rezipientinnen und Rezipienten den Text von der menippeischen Perspektive her lesen. Denn dann können sie die auf Jesus bezogenen Aussagen als eine Umdefinition bestehender Vorstellungen von Königtum und Errettung verstehen und müssen folglich auch die vielfach thematisierte Befreiung des Volkes nicht länger als eine primär politische wahrnehmen. Der Jesus der lukanischen Erzählung fungiert für sie als der 268
Zur gesellschaftlichen Präsenz der kynischen Philosophie im ersten Jahrhundert n.Chr., zur Entstehungszeit des Lukasevangeliums also, vgl. M.-O. GOULET-CAZÉ, Kynismus, 972. Vgl. hierzu auch W. BRAUN, Feasting, 32, Anm. 33. Scheinbar hat die Verbreitung des Kynismus eine wellenartige Bewegung beschrieben: Während diese philosophische Richtung im dritten Jh. v.Chr. auf einem Höhepunkt angelangt war, verlor sie im 2. und 1. Jh. an Bedeutung, bis sie schließlich im 1. Jh. n.Chr. wieder an Bekanntheit und Beliebtheit zunimmt (vgl. D.R. DUDLEY, History, 117; vgl. hierzu auch E. ZELLER, Philosophie 3/1, 792). Die Schriften des Neuen Testaments entstehen damit also in einem geistesgeschichtlichen Kontext, der auf eine jahrhundertelange kynische Tradition zurückblicken kann, wobei die kynischen Lehren und ihre Vertreter gerade wiederentdeckt werden. (Eine Debatte um den Einfluss kynischer Ideen im Neuen Testament trägt sich derzeit auch in der historischen Jesusforschung zu. Positiv im Hinblick auf die Präsenz kynischer Philosophie im östlichen Mittelmeerraum des frühen 1. Jahrhunderts äußert sich P.RH. EDDY, Jesus, 451, obgleich auch er den historischen Jesus nicht als einen Kyniker verstanden wissen will. Dagegen noch skeptischer J.S. KLOPPENBORG, Dog, 98). 269 Mehrfach betont auch F.J. Benda in seiner Arbeit über die menippeische Tradition den Sachverhalt, dass die antiken Autoren, welche diese Tradition rezipieren, sie auch auf ihre jeweiligen Zwecke anpassen (insbes. F.J. BENDA, Tradition, 81.136.231). 270 Eine entsprechende Beobachtung zum paradoxen Charakter der Herrlichkeit Jesu macht auch H. CONZELMANN, Mitte, 183 im Bezug auf den weiteren Verlauf des Lukasevangeliums.
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Die menippeische Literatur und Lukas 1,1–2,40
wahre Herrscher und Befreier, dessen Königswürde darin besteht, dass er sich gerade nicht den bestehenden Hierarchien physischer Macht und materiellen Reichtums anschließt und sich nicht von diesen korrumpieren lässt.271 Stattdessen tritt Jesus im Lukasevangelium als ein Weiser auf (2,40), und genau diese seine Ausrichtung am Unvergänglichen, an der σοφία konstituiert seine Stellung als wahrhaft würdiger Herrscher. Befreiung geschieht unter diesen Vorzeichen dort, wo Menschen diese veränderte Perspektive übernehmen und nach der σοφία trachten, während sie politische Macht und materiellen Reichtum geringschätzen. Ähnlich füllen ja auch die kynischen Philosophen Diogenes von Sinope und Krates von Theben in Lukians Dialogi Mortuorum den Begriff des Reichtums für sich inhaltlich neu, indem sie ihn dort ansiedeln, wo ein menschliches Leben sich an der σοφία orientiert. Reichtum steht dieser Ausrichtung des Lebens nach menippeischer Ansicht ja nur im Wege. Eine analoge Dynamik vollzieht sich am Anfang des Lukasevangeliums, sofern man diesen mit einer menippeischen Brille wahrnimmt: Jesus erscheint als wahrer Herrscher und σωτήρ, der in einen niedrigen sozialen Status hinein geboren wird.272 Seine Armut begünstigt aber seine an der Weisheit ausgerichtete Lebensführung, und diese wiederum macht ihn zum wahren Befreier. Fazit: Die lukanische Erzählung vor menippeischem Hintergrund
271
In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass auch Epiktet den von Einfachheit geprägten Lebensstil des Kynikers als die τοῦ Κυνικοῦ βασιλεία (Epict., Diss. 3,22,79) bezeichnet. Eine ganz ähnliche Schlussfolgerung zieht I. BRUNS (Satiren, 179) im Hinblick auf die Bewertung der Philosophie in den menippeischen Texten Lukians: „Nur der verdient den Namen eines Philosophen, der sich von ihr freimacht und sie muthig für Schwindel erklärt.“ Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Überlegungen von G.Theißen zur „Werterevolution“ in der frühen JesusTradition (G. THEISSEN, Jesusbewegung, 346.351). 272 Vgl. zu diesem neuen und alternativen Verständnis, welches die lukanische Erzählung in ihren Adressatinnen und Adressaten zu wecken versucht, auch die Überlegungen von W. SCHMITHALS, Weihnachtsgeschichte, 292–293.
Kapitel 4: Fazit und Ausblick
Die Analyse des Textabschnitts Lk 1,1–2,40 in den drei vorangehenden Kapiteln dieser Untersuchung hat ein klares Ergebnis erzielt. Neben diesem Ergebnis gibt sie der neutestamentlichen Forschung allerdings auch Fragen für die zukünftige Weiterarbeit auf. Daher muss an dieser Stelle am Ende der Studie nicht allein ein Fazit gezogen sondern auch ein Ausblick formuliert werden:
4.1 Fazit: Ergebnisse der Studie Orientiert an der Einteilung der vorliegenden Arbeit in drei wesentliche Kapitel lässt sich auch ihr Ertrag anhand von drei Punkten beschreiben. Erstens: Die Tatsache, dass sich im Neuen Testament neben den überwiegenden prosaischen auch eine Reihe von versförmigen Abschnitten finden, erfreut sich einer unumstrittenen Anerkennung. Jedoch besteht bislang ein weitgehender Klärungsbedarf in der Frage, auf welche Weise denn Vers und Prosa voneinander zu unterscheiden seien. Das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit hat deswegen (a) eine Reihe von Kriterien entwickelt, mit deren Hilfe sich die genannte Unterscheidung nachvollziehbar und zuverlässig durchführen lässt. Insbesondere hat dieses Kapitel sich ausführlich der Beschreibung des hebräischen poetischen Parallelismus’ nach seiner Erscheinungsform in der Septuaginta gewidmet und festgestellt, dass dieser Parallelismus als alleiniges Kriterium nicht ausreicht, um Vers und Prosa in neutestamentlichen Texten voneinander zu trennen. Unter den weiteren ihm zur Seite gestellten Kriterien nimmt das Kriterium des charakteristischen Vokabulars eine wichtige Stellung ein: Es ist im ersten Kapitel eine Liste von Vokabeln erarbeitet worden, welche als charakteristisch für den Sprachgebrauch der Psalmen in der Septuaginta gelten können, und die deswegen – wo sie im Neuen Testament in hoher Konzentration begegnen – einem Textabschnitt eine den Psalmen entsprechende Wirkung auf die Lesenden verleihen. Darüber hinaus hat das erste Kapitel (b) die zuvor erarbeiteten Kriterien für die Unterscheidung zwischen Vers und Prosa in Lk 1,1–2,40 eingesetzt, um so festzustellen, dass die versförmigen Passagen
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Fazit und Ausblick
in diesem Textabschnitt sich nicht allein auf die traditionell als Lobgesänge betrachteten Stücke des sog. „Magnificat“, des sog. „Benedictus“, des sog. „Gloria“ und des sog. „Nunc Dimittis“ beschränken. Vielmehr findet sich in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums ein rascher Wechsel zwischen versförmigen und prosaischen Elementen. Zweitens: Während bislang in der neutestamentlichen Forschung noch deutlich diejenigen Ansätze vorherrschen, welche den Text des Lukasevangeliums diachron unter literarkritischem, formgeschichtlichem oder redaktionskritischem Blickwinkel interpretieren, legt diese Arbeit nun einen Entwurf vor, der eine synchrone Herangehensweise praktiziert. Die Interpretation widmet sich dem Lukas-Text in seiner Endgestalt; sie untersucht den Verlauf der erzählten Handlung unter besonderer Berücksichtigung der intendierten Wirkung des Textes auf seine ideale Leserschaft mit der ihr zugehörigen kulturellen Enzyklopädie.1 Auf diese Weise konnte die Analyse des Spannungsbogens im zweiten Kapitel dieser Arbeit vielfältige Beziehungen zwischen den einzelnen Szenen des untersuchten Textabschnitts Lk 1,1–2,40 herausarbeiten; diese Beziehungen bestehen insbesondere in einem dichten Geflecht von Ankündigungen und Bestätigung. Das Wechselspiel zwischen Ankündigung und Bestätigung vollzieht sich einerseits auf der Ebene der erzählten Welt; gleichzeitig trachtet der Text jedoch auch danach, über sich selbst hinauszureichen, indem er in der idealen Leserschaft Erwartungen erweckt und Bestätigung zu stiften sucht, welche auf dem Hintergrund dessen, dass es sich bei den idealen Lesenden um in der christlichen Lehre bereits unterwiesene (Lk 1,4) handelt, als Vergewisserung fungiert. Die Dynamik um Ankündigungen und Bestätigung erreicht ihren Höhepunkt im Text dort, wo die Figur Simeon den Säugling Jesus als Retter und Befreier proklamiert und neben den auf der Ebene der Erzählung umstehenden Figuren auch die Lesenden dazu aufruft, den sich an Person und Auftreten Jesu entfachenden Widerspruch als Bestätigung für den Status Jesu als Retter und Befreier zu werten. Fazit: Ergebnisse der Studie Drittens: Die Beobachtung des Wechselspiels zwischen Vers und Prosa im Stil der beiden ersten Kapitel des Lukasevangeliums hat den Blickwinkel der vorliegenden Arbeit sodann in die Richtung des hellenistischen literarischen Genres der sog. „menippeischen Satire“2 gelenkt. Um einen
1 Dieser textpragmatische und konsequent an der Wahrnehmung der Lesenden orientierte Schwerpunkt ist es, welcher das Kapitel 2 der vorliegenden Studie m.E. in erster Linie von der Untersuchung von M. Coleridge unterscheidet (M. COLERIDGE, Birth, pass.). Darüber hinaus bezieht Coleridge keine hellenistischen Hintergründe in seine Erwägungen ein und beginnt seine Arbeit bezeichnenderweise auch nicht mit Lk 1,1 sondern erst mit 1,5. 2 Allerdings hat sich dabei die Frage gestellt, inwiefern die Bezeichnung „Satire“ in diesem Zusammenhang als passend gelten kann; denn viele in der menippeischen Tradition stehende
Fazit: Ergebnisse der Studie
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Vergleich der erhaltenen menippeischen Schriften und dem biblischen Abschnitt Lk 1,1–2,40 zu ermöglichen, bedurfte es zunächst (a) einer Erhebung charakteristischer Züge der menippeischen Literatur aus der hellenistischen Antike. Auch in diesem Punkt liegen mit dieser Arbeit nun neue Forschungsergebnisse vor: Zunächst ist anhand von an unabhängigen antiken Quellen entwickelten Kriterien diskutiert worden, welche antiken Werke überhaupt zu den menippeischen gezählt werden können. Anschließend sind genau diese Werke untersucht und präziser als in der bisherigen philologischen Forschung die formalen und vor allem die inhaltlichen Charakteristika der menippeischen Schriften beschrieben worden. Auf dieser Grundlage konnte dann (b) ein Vergleich zwischen den menippeischen Texten und dem lukanischen Text stattfinden, der eine weitreichende Ähnlichkeit attestiert. Dies wiederum führt nun dazu, dass ideale Lesende des Lukasevangeliums – zu deren geistigem Hintergrund Elemente sowohl jüdischer als auch hellenistischer Bildung zählen – den lukanischen Text mit einer entsprechenden menippeischen Sichtweise wahrnehmen. Und darin liegt nun das wesentliche Fazit der vorliegenden Untersuchung: Der Text des Evangelienabschnitts Lk 1,1–2,40 lädt die idealen Lesenden dazu ein, ihn von einer durch die menippeische Literatur bestimmten Warte her zu interpretieren. Eine solche Interpretation lässt sich vor der Folie des hellenistischen Judentums bzw. Judenchristentums im ersten Jahrhundert n.Chr. durchaus plausibel durchführen;3 der lukanische Text stellt sich ihnen als Adaption der menippeischen Tradition auf judenchristliche Erzählinhalte dar. Infolge der so gewonnenen Perspektive erscheint das Nebeneinander von auf Jesus angewandten königlichen Attributionen und der offenkundigen Niedrigkeit seines sozialen Status von seiner Geburt bis hin zu seinem Tod nicht länger als bloßes Paradoxon. Vielmehr begegnet in der so gesehenen Jesusfigur des Lukasevangeliums der am kynischen Ideal gemessen wahre Herrscher, dessen Stand sich gerade durch die Freiheit von materiellem Reichtum bewahrheitet. Der Herrschafts-Begriff erhält eine neue Füllung. Der würdige Herrscher zeichnet sich durch den Besitz der σοφία aus. In diesem Sinne kann sich für die Wahrnehmung der idealen Leserschaft auch die widersinnig erscheinende Aussage der Figur Simeon schlüssig in das Gesamtbild der von der Lektüre ausgelösten Wirkungen einfügen: dass viele der Würde Jesu widersprechen, beweist eben dieselbe. Denn der herrschaftliche Status Jesu besteht für die idealen Lesenden des LukasevangeliWerke benutzen einen satirischen Ton nur in begrenztem Maße. Ich habe darum lieber von „menippeischer Literatur“ gesprochen (s.o. Kap. 3, Anm. 264). 3 Davon, dass sich viele neutestamentliche Aussagen vor der Folie kynischen Denkens plausibel verstehen lassen – und dass viele dieser Aussagen wirkungsgeschichtlich auch so interpretiert worden sind – geht auch F.G. DOWNING (Cynics and Early Christianity, pass.) aus. Vgl. auch DERS., Cynics and Christians, 590.
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Fazit und Ausblick
ums gerade in der Abwesenheit von materieller Macht und materiellem Reichtum; die Weisheit macht den wahren König und Befreier aus. Indem er in Weisheit wirkt, realisiert dieser lukanische Jesus Befreiung für seine Anhängerinnen und Anhänger.
4.2 Ausblick Neben dem genannten Fazit liefert das bislang Erörterte auch Anregungen für andere Teilbereiche der neutestamentlichen Wissenschaft und insbesondere für das Verständnis des Lukasevangeliums. Der nun folgende Ausblick beschränkt sich auf drei wesentliche Punkte: Ausblick 4.2.1 Die Formgeschichte Die exegetische Methode der Formgeschichte hat der deutschsprachigen neutestamentlichen Exegese während des 20. Jahrhunderts immense Fortschritte beschert. Dabei geht sie davon aus, dass der Kenntnis der Gattung bzw. der literarischen Form eines Textes eine elementare Wichtigkeit für die Interpretation desselben zukommt.4 Daher bemüht die formgeschichtliche Herangehensweise sich darum, die ideale Gestalt jeder im Neuen Testament vorhandenen Gattung durch den Vergleich aller Textabschnitte zu rekonstruieren, welche der betreffenden Gattung angehören. So kann die Formgeschichte in den neutestamentlichen Evangelien beispielsweise zwischen Wundererzählungen, Gleichnissen und Streitgesprächen unterscheiden, innerhalb der Gattungen womöglich auch noch ausdifferenzieren, und zu jeder Gattung jene Elemente benennen, die typischerweise den Charakter der jeweiligen Gattung ausmachen.5 Daraufhin ermöglicht es ihr der rückwirkende Vergleich zwischen der idealen Form und der speziellen Ausgestaltung im konkreten biblischen Abschnitt, Rückschlüsse auf die Gestalt dieser Szene im Stadium ihrer mündlichen Tradition zu ziehen. Das heißt: Der formgeschichtlichen Herangehensweise an den Bibeltext ist daran gelegen, Erkenntnisse über den Traditionsprozess der Elemente neutestamentlicher Überlieferung zu gewinnen. Die einzelnen mündlich tradierten Szenen des Überlieferungs-Gutes nennt sie daher „Perikopen“. Mit der Frage nach dem „Sitz im Leben“ will sie darüber hinaus Informationen über die jeweilige Träger-Gemeinde und ihre Situation sammeln, in der eine
4 5
Vgl. z.B. F. OVERBECK, Anfänge, 19. Vgl. hierzu auch die kritischen Erwägungen von W. SCHMITHALS, Kritik, 155.
Ausblick
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spezielle Perikope mündlich weitergegeben worden ist. Auf diese Weise dringt sie zum Kerygma der frühen christlichen Gemeinden vor. Dem Ansatz nach hat die vorliegende Studie also elementare methodische Prinzipien aus der Formgeschichte übernommen: Nämlich den Zugang zum biblischen Text über dessen literarische Form. Dies hat im ersten Kapitel dieser Arbeit mit der Unterscheidung zwischen Vers und Prosa in Lukas 1–2 begonnen, um sich im dritten Kapitel dann im Vergleich zwischen Lukas 1,1–2,40 und den menippeischen Schriften der hellenistischen Antike fortzusetzen. Wie in der Formgeschichte ging es auch hier darum, via Textvergleich charakteristische Elemente der menippeischen Literatur zu identifizieren, um die literarische Eigenart des lukanischen Abschnitts vor diesem Hintergrund besser einordnen zu können.6 Dabei hat es sich gezeigt, dass für eine sowohl jüdisch als auch hellenistisch gebildete ideale Leserschaft der Beginn des Lukasevangeliums vor der menippeischen Folie plausibel interpretieren lässt – ja, dass sogar der Text seine ideale Leserschaft geradezu dazu einlädt, ihn in dieser Weise wahrzunehmen. Dazu ist es nicht nötig, den Text des Lukasevangeliums als einen menippeischen Text zu klassifizieren;7 die weitreichenden beobachteten Gemeinsamkeiten zwischen den untersuchten menippeischen Texten und dem Anfang des Lukasevangeliums reichen von der Warte der idealen Lesenden her betrachtet aus, um den biblischen Text entsprechend zu interpretieren. Im Lukasevangelium begegnet eine Adaption der menippeischen Tradition auf einen geistesgeschichtlichen Kontext, der auch in der Septuaginta und im Judenchristentum wurzelt. Die Beachtung von zentralen literarischen Gemeinsamkeiten der genannten Texte verbindet aus den genannten Gründen den Ansatz dieser Untersuchung mit der formgeschichtlichen Exegese. Neben diesem gemeinsamen Ansatzpunkt besteht jedoch auch eine wesentliche Differenz: Das zweite Kapitel dieser Arbeit hat ja dem Ziel gedient, den lukanischen Textabschnitt Lukas 1,1–2,40 als eine literarische Einheit wahrzunehmen und synchron den Spannungsbogen mit seinen Szenen-übergreifenden Verbindungslinien 6 Allerdings – anders als in der Formgeschichte – nicht unter der Prämisse, am Beginn des Überlieferungs-Prozesses stünde eine reine und daher ideale Form, die im Laufe der Tradition gleichsam „verunreinigt“ wird (vgl. zur Skepsis in diesem Punkt auch K. HAACKER, Leistung, 64– 69). Als „ideale“ Form verstehe ich vielmehr eine historisch nicht existente Größe, nämlich die Summe der charakteristischen Merkmale einer literarischen Gattung, wohl wissend, dass die einzelne konkrete Ausgestaltung dieser Gattung niemals einen reinen oder idealen Charakter annimmt. 7 Zu meiner Skepsis gegenüber der gattungsmäßigen Fixierung von Texten siehe auch N. KRÜCKEMEIER, Der zwölfjährige Jesus, 314–315, wo ich darauf hingewiesen habe, dass gerade die Mischung aus für die Rezipientinnen und Rezipienten Bekanntem und Neuem zu den notwendigen Eigenschaften eines gelingenden kommunikativen Aktes, und insbes. der Wirkung eines Evangelien-Textes gehört.
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Fazit und Ausblick
zu beschreiben.8 Gerade diese Vorannahme, die die einzelnen Szenen – bzw. formgeschichtlich gesprochen: Perikopen – des biblischen Abschnitts nicht aus dem im Lukasevangelium vorliegenden Zusammenhang löst, hat die Einsicht überhaupt erst ermöglicht, dass sich zahlreiche Ähnlichkeiten zur menippeischen Literatur beobachten lassen. Die formgeschichtliche Prämisse, dass die einzelnen neutestamentlichen Perikopen auf das mündliche Stadium hin zu befragen seien und dazu von dem jeweiligen neutestamentlichen Kontext getrennt werden müssten,9 hätte das beschriebene Ergebnis dieser Arbeit eher verhindert als begünstigt.10 Stattdessen hat im zweiten Kapitel dieser Studie der Ansatz des New Literary Criticism Beachtung gefunden, welchem es wichtig ist, den Bibeltext seiner im Kanon vorliegenden Erscheinungsform nach zu analysieren. Erst das Miteinander der vom New Literary Criticism stammenden Forderung zur Würdigung des Textganzen auf der einen, und der formgeschichtlichen Frage nach charakteristischen Elementen einer literarischen Gattung auf der anderen Seite hat die wichtigste Erkenntnis der vorliegenden Studie ermöglicht: Die ideale Leserschaft des Lukasevangeliums mit ihrer antiken kulturellen Enzyklopädie ordnet den lukanischen Text vor dem menippeischen Hintergrund ein und kann ihn in dieser Sichtweise auch plausibel verstehen – nämlich als einen Text, der anhand der literarischen Figur des lukanischen Jesus bestehende Wertvorstellungen über Armut und Reichtum, über Niedrigkeit und Herrschaft hinterfragt und sogar umkehrt. 4.2.2 Der Text und seine Leserschaft Indem er gewissen literarischen Gepflogenheiten folgt, und indem er gewisse gedankliche Zusammenhänge als bekannt voraussetzt, gibt der Textabschnitt Lukas 1,1–2,40 eine Reihe von Hinweisen auf die kulturelle Enzy8 Diese Vorgehensweise unterscheidet die vorliegende Untersuchung nicht nur von der exegetischen Methode der Formgeschichte sondern auch von der Literarkritik. 9 Vgl. insbes. P.-G. KLUMBIES, Mythos, 10–12; G. STANTON, Form Criticism, 14. Vgl. hierzu auch K. KOCH, Formgeschichte, 98. Zur Kritik an dieser Verfahrensweise vgl. W. SCHMITHALS, Kritik, 156. Beispiele für eine Verfahrensweise, die die einzelnen Abschnitte aus form- oder literarkritischen Erwägungen auseinanderdividiert, finden sich z.B. bei F. BOVON, Geburt, 162; G. SCHNEIDER, Evangelium, 76. Dabei treibt aus dem literarkritischen Nährboden ein bunter Strauß von Hypothesen um mögliche im Lukasevangelium zusammengekommene Quellen hervor (vgl. beispielsweise A.S. GEYSER, Youth, 74). 10 Bemerkenswerterweise stellt auch W. BRAUN, Feasting, 132–133 in seiner Untersuchung hellenistischer Gedanken in Lk 14 fest, dass die beschriebene formgeschichtliche Prämisse sich gegebenenfalls als hinderlich erweisen kann. Indem er mehrere aufeinanderfolgende Textabschnitte des Lukasevangeliums, welche die Formgeschichte gewöhnlich voneinander separiert, als zusammenhängende Einheit untersucht, kann Braun das hellenistische Gepräge der Szene umso deutlicher herausarbeiten.
Ausblick
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klopädie seiner idealen Leserschaft. Die vom Werk intendierten Adressatinnen und Adressaten mit ihrem besonderen geistesgeschichtlichen Hintergrund lassen sich daher am Ende der vorliegenden Studie vergleichsweise präzise charakterisieren. Es handelt sich bei ihnen um Menschen, die mit der Tradition der hebräischen Bibel bzw. deren griechischer Übersetzung in der Septuaginta vertraut sind; die beiden ersten Kapitel des Lukasevangeliums trauen ihnen einen hohen Grad von Allusions-Kompetenz zu, indem sie fortwährend Anspielungen auf die entsprechenden aus der hebräischen Tradition stammenden Texte verwenden: So begegnet in dem Engel Gabriel eine Figur, welche die Leserschaft bereits aus dem Buch des Propheten Daniel kennt. Die auf die Figur Jesus der Erzählung abzielenden königlichen Prädikationen, welche Jesus als den χριστός darstellen, nehmen teilweise Vorstellungen auf, die auf den Traditionen der Psalmen und der biblischen Propheten gründen, und sich in ähnlicher Form während des ersten Jahrhunderts n.Chr. beispielsweise auch unter den Mitgliedern der QumranGemeinschaft antreffen lassen. Die versförmigen Teile des untersuchten lukanischen Textabschnitts bedienen sich des Parallelismus als der hebräischen Form der Versdichtung; außerdem weisen sie vielerlei Zitate aus der Septuaginta auf. Darüber hinaus benötigen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums gewisse Kenntnisse über jüdische Riten und den Tempelkult des frühen ersten Jahrhunderts. Auf der anderen Seite aber besitzen diese idealen Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums auch hellenistische Bildung: Gleich zu Beginn des Textes begegnet ihnen ein Proömium, welches sich am Stil der Proömien orientiert, mit welchen griechische und römische Schriftsteller der Antike ihre Werke eröffnen. Weitere Belege für hellenistische Einflüsse im Lukasevangelium finden sich im weiteren Verlauf der Schrift.11 Ihre hellenistischen Denkvoraussetzungen ermöglichen es den Lesenden sodann auch, die beiden ersten Kapitel des Lukasevangeliums vor dem Hintergrund der menippeischen Literatur wahrzunehmen und entsprechend zu interpretieren. Damit weist der Text des Lukasevangeliums sowohl jüdische als auch hellenistische Eigenarten auf; er benutzt beide gedanklichen Welten als Referenzrahmen.12 Um die lukanische Schrift adäquat zu verstehen, müssen ideale Lesende daher beide Aspekte in ihrer kulturellen Enzyklopädie vereinigen; sie müssen sich sowohl in der jüdischen wie auch in der hellenistischen Welt auskennen.13 Dass ja beide geis11
S.o. Kap. 3, Anm. 4. So auch PH.L. SHULER, Character, 188; DERS., Luke, 96. Vgl. hierzu auch F. BOVON, Evangelium, 22. 13 So auch F. Ó FEARGHAIL, Imitation, 73; J.B. GREEN, Theology, 16–17. Es nimmt auch CH. BÖTTRICH (Geburtsgeschichte, 230) eine entsprechende geistesgeschichtliche Verbindung für eine Geburtserzählung im slavischen Henochbuch an. Hier handelt es sich also nicht um einen Gegensatz. Die Beheimatung bestimmter Menschengruppen der Antike sowohl im Judentum als auch im 12
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Fazit und Ausblick
tesgeschichtlichen Folien nicht in sich ausschließender Opposition zueinander stehen, beweisen weitere antike Quellen, in welchen sich ebenfalls jüdische und hellenistische Denkvoraussetzungen verbinden. Solches geschieht etwa in den Schriften des Juden Philo von Alexandrien, bei Flavius Josephus oder in den Briefen des Paulus.14 Schließlich spricht das Proömium des Lukasevangeliums seine Leserschaft auch als „in der Lehre unterwiesene“ an (Lk 1,4) und setzt bei den Lesenden damit also ein christliches Glaubensbekenntnis voraus. Bei den idealen Leserinnen und Lesern der lukanischen Schrift handelt es sich folglich um hellenistisch gebildete Judenchristinnen und –christen. Ebendiesen Leserinnen und Lesern unterbreitet die Erzählung fortgesetzt Identifikationsangebote; sie lädt die Lesenden zur Partizipation an den sich in der erzählten Welt abspielenden Dynamiken ein. Die Untersuchung des Spannungsbogens der lukanischen Erzählung hat ergeben, dass insbesondere ein Prozess motivisch wieder und wieder auftaucht, nämlich das Ineinander von Ankündigungen und Bestätigung: Zuvorderst befassen sich die vielfältigen Ankündigungen in der Erzählung mit der künftigen Rolle Jesu; deutlich äußern sich Gabriel (Lk 1,31–33), Elisabet (1,42–43), der Engel bei den Hirten (2,10–11) und Simeon (2,29–32) in dieser Richtung. Darüber hinaus stehen auch die Aussagen im Gotteslob der Maria (1,46–55) und des Zacharias (1,68–79) im Zusammenhang mit den sich an die Figur Jesus knüpfenden Erwartungen. Alle genannten Ankündigungen verbindet ein gemeinsamer Tenor: sie stellen den noch ungeborenen bzw. den gerade erst geborenen Jesus als eine königliche und Befreiung wirkende Person dar. Teilweise geschieht dies in der Terminologie der jüdischen Gesalbtenerwartung, teilweise in der Terminologie der hellenistischen Herrscherverehrung. Dadurch weckt die Erzählung Lukas 1,1–2,40 hohe Erwartungen, einerseits bei den Figuren auf der Ebene der Erzählung, andererseits aber auch bei den Lesenden, welche an der Sichtweise dieser Figuren partizipieren können, indem sie deren Verwunderung über die Ankündigungen und auch deren daraus folgende Erwartungen teilen. Durchgehend folgt auf die ergangene Ankündigung in der erzählten Welt aber auch Bestätigung: Zacharias verstummt (1,22), Maria trifft die schwangere Elisabet (1,40–41), die Hirten Hellenismus ist sehr wohl denkbar. Leider behandelt die neutestamentliche Forschung, insbes. die Evangelien-Forschung, die beiden genannten Geisteswelten allzu oft wie Öl und Wasser – als sei eine Vermischung oder Vereinigung unmöglich. Ein gutes Beispiel für diese unzutreffende apriorische Annahme findet sich beispielsweise überall dort, wo Forschende einen harten Bruch zwischen Lk 1,4 (Hellenismus) und 1,5 (Judentum) diagnostizieren (z.B. R. LAURENTIN, Struktur, 11; A. PLUMMER, Gospel, 7; E. SCHWEIZER, Evangelium, 7.11; P. WINTER, Observations, 112; ähnlich auch P. WINTER, Problem, 258). Auch E. NORDEN (Geburt, 82) kann sich hellenistische Elemente in den Erzählungen der Geburt Jesu im Neuen Testament nicht vorstellen. 14 Vgl. zu den hellenistischen Einflüssen bei Paulus etwa den Galater-Kommentar von H.D. BETZ (Galaterbrief, insbes. 59.69–70). Vgl. zu diesem Punkt auch A.D. NOCK, Christianity, 125.
Ausblick
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finden das Kind in der Krippe (2,16), die Kinder Johannes und Jesus werden tatsächlich geboren (1,57; 2,7) und erhalten die für sie vorbestimmten Namen (1,60.63; 2,21). In allen diesen Szenen erfüllen sich Teilaspekte der ergangenen Ankündigungen, nicht jedoch die Aussagen über die künftige königliche Rolle Jesu. So ruft die Erzählung ihre Leserinnen und Leser – denn vor allem diese sehen sich fortwährend der Dynamik aus Ankündigungen und Bestätigung ausgesetzt15 – zum Vertrauen in die ergangenen Ankündigungen in ihrer Gesamtheit auf, indem sie an Teilaspekten deren Vertrauenswürdigkeit demonstriert, ohne dabei letztlich jedoch Bestätigung für die Richtigkeit der der Jesusfigur zugemessenen herrschaftlichen Prädikationen bieten zu können. Die Erzählung empfiehlt wieder und wieder die Folgerung a minore ad maius. Dieser Prozess erreicht in dem Textabschnitt Lukas 1,1–2,40 mit der paradoxen Äußerung Simeons seinen Höhepunkt. Die Rede vom σημεῖον ἀντιλεγόμενον (2,34), das Bestätigung gerade im Widerspruch propagiert, knüpft einerseits an das Wissen an, welches die Leserinnen und Leser bereits vor ihrer Lektüre besaßen (1,4), lenkt ihre Aufmerksamkeit gleichzeitig aber auch auf den weiteren Verlauf der lukanischen Erzählung, denn hier wird sich der angesprochene Widerspruch manifestieren. Von der kynischen Philosophie und der aus ihr hervorgegangenen menippeischen Literatur her betrachtet ebnet die Äußerung der Figur Simeon den Weg zu einer Neudefinition von Königsherrschaft und Befreiung als Umwertung der bestehenden Vorstellungen, so dass solche Lesende, welche diesem interpretativen Weg folgen, nun tatsächlich Bestätigung für den anders verstandenen herrschaftlichen Status Jesu finden können. Solche Bestätigung findet sich sowohl in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums in der Darstellung des niedrigen sozialen Status’ Jesu und seiner Eltern als auch im weiteren Verlauf der Schrift in dem vielfältigen Widerspruch, welchen der lukanische Jesus erfährt. Kurz gesagt: Die Erzählung ist auf eine konkrete Leserschaft ausgerichtet, welche sich sowohl in der jüdischen Tradition als auch in der hellenistischen Literatur auskennt. Dieser Leserschaft bietet die Erzählung Identifikationsmöglichkeiten; sie möchte die Lesenden durch das erzählte Ineinander von Ankündigungen und Bestätigung dazu einladen, den Aussagen über den königlichen Status Jesu Vertrauen zu schenken. Der Prozess der Rezeption findet sein Ziel in der Partizipation der Lesenden.
15
Dem gegenüber erleben die Figuren der erzählten Welt diese Dynamik je nur vereinzelt.
318
Fazit und Ausblick
4.2.3 Das Verhältnis von Lukas 1,1–2,40 zum Fortgang der Schrift Die Untersuchung des lukanischen Textes in dieser Arbeit hat einem vergleichsweise kurzen Abschnitt des Lukasevangeliums gegolten. Freilich: mit dem Beginn der Schrift einem entscheidenden Abschnitt, innerhalb dessen die Weichen für die Interpretation auch des weiteren Verlaufs des Textes durch die Leserschaft gestellt werden, da die idealen Lesenden ihre Lektüre am Anfang der Schrift beginnen. Die wichtigste These der voranstehenden Überlegungen besagt, dass die aus der hellenistischen Philosophie stammende menippeische Literatur als ein Hintergrund in Frage kommt, vor dem sich die Erzählung Lukas 1,1– 2,40 plausibel wahrnehmen lässt, und noch mehr: dass der Text seine ideale Leserschaft geradezu dazu auffordert, ihn auf diese Weise wahrzunehmen! Das Scharnier, welches den Vergleich zwischen den menippeischen Schriften auf der einen und dem lukanischen Text auf der anderen Seite ausschlaggebend motiviert hat, liegt in der Mischung zwischen versförmigen und prosaischen Passagen, die hier wie dort anzutreffen ist. Wegen der Auffälligkeit dieses Merkmals gibt die so geartete Beschaffenheit des Lukas-Textes nicht nur der exegetischen Forschung sondern auch der idealen Leserschaft einen entscheidenden Hinweis, der sie dazu bewegt, den lukanischen Text von der menippeischen Warte her zu rezipieren. Nun fällt es allerdings auf, dass die für den menippeischen Stil charakteristische Mischung aus Vers und Prosa sich zwar in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums vielerorts feststellen lässt, während aber nach dem Parallelismus gebildete Verse im weiteren Verlauf der Schrift nur noch ausgesprochen selten vorkommen (vgl. etwa 7,32). Längere versförmige Abschnitte fehlen in Lukas 2,41–24,53 ganz.16 Allerdings legt ja – wie bereits gesagt – gerade der Anfang eines Textes das Fundament für die Wahrnehmung seines Fortgangs seitens der Lesenden. Indem gerade die beiden ersten Kapitel des Lukasevangeliums einen 16 Dies mag seinen Grund darin haben, dass die Erzählung – gemäß der 2-Quellen-Theorie – sich von Kapitel 3 an vergleichsweise stärker an literarischen Vorlagen orientiert als die vorausgehenden Kapitel 1–2. Aus der Sicht der Lesenden gewinnt diese Überlegung freilich erst dann Bedeutung, sofern sie darum wissen, dass die lukanische Erzählung sich hier an eine oder mehrere literarische Vorgaben hält. Da das Proömium des Lukasevangeliums bei den Lesenden mit dem Wissen darum rechnet, dass schon andere es unternommen haben, einen Bericht über den gleichen Gegenstand zusammenzustellen (Lk 1,1), ist es durchaus vorstellbar, dass die idealen Leserinnen und Leser die Bezogenheit der lukanischen Erzählung auf das Markusevangelium erkennen (zur 2Quellen-Theorie und ihrer Entstehung vgl. W. KAHL, Ende, 3–4.7–8. Kahl geht freilich davon aus, dass das Lukasevangelium sich nicht nur auf das Markusevangelium sondern ebenfalls direkt literarisch auf das Matthäusevangelium bezieht, mit dem letzteren jedoch in der redaktionellen Verarbeitung freier verfährt: vgl. ebd., 35. Auch auf der Basis einer derartigen These ist es also denkbar, dass die Ursache dafür, dass die Verwendung von Versform mit Lk 2 beinahe abbricht, in der Quellen-Benutzung der lukanischen Schrift liegt).
Ausblick
319
Wechsel zwischen prosaischen und versförmigen Passagen aufweisen und die Leserschaft so auf die menippeische Fährte setzen, leiten sie die Lesenden dazu an, auch das Folgende unter der kynisch-philosophischen Perspektive zu interpretieren. Und dies führt tatsächlich zu plausiblen Einsichten, auch wenn sich von der Stelle Lukas 2,41 an im Lukasevangelium kaum mehr Versform vorfindet.17 Es ist der neutestamentlichen Forschung schon seit längerer Zeit bekannt, dass die Parteinahme für die Armen und Geringen gegen die Reichen und Mächtigen ein sich durchziehendes zentrales Motiv der lukanischen Erzählung bildet.18 Vor allem in diesem Punkt steht die Erzählung des Lukasevangeliums der kynischen Philosophie mit der menippeischen Literatur nahe, die ja ebenfalls eine Umkehrung der bestehenden Wertvorstellungen zwischen Arm und Reich bzw. zwischen Gering und Mächtig vornimmt.19 Wenngleich in der erzählten Zeit auf Lukas 2,40 eine Zäsur folgt und sich im Stil das Hin und Her zwischen Vers und Prosa nicht fortsetzt, besteht also eine thematische Kontinuität im Lukasevangelium, die den untersuchten Abschnitt 1,1–2,40 mit dem Folgenden zusammenhält.20 Auf der Ebene der in der Erzählung verhandelten thematischen 17 Nebenbei bemerkt: Auch unter den untersuchten menippeischen Schriften der hellenistischen Antike finden sich solche, die nur sehr unregelmäßig versförmige Passagen innerhalb des sonst größtenteils prosaischen Textes aufweisen (vgl. etwa Luc., Iupp. Trag., wo zu Beginn längere versförmige Sequenzen begegnen, während der weitere Verlauf der Schrift eine rein prosaische Struktur aufweist). 18 Die Forschungsgeschichte referiert in knapper Form beispielsweise H.-G. GRADL, Arm und Reich, 11–14. Vgl. hierzu auch J.R. DONAHUE, Decades, pass. G. GUTTENBERGER ORTWEIN (Status, 205–206) erblickt in der bei Lukas erzählten Zuwendung Jesu zu den Geringen eine Umkehr bestehender Wertvorstellungen – eine Dynamik also, die sich auch in kynischen Schriften vollzieht. 19 Zu diesem Sachverhalt werde ich mich in der näheren Zukunft noch ausführlicher äußern: Besonders die folgenden lukanischen Abschnitte enthalten deutliche Parallelen zur kynischen Philosophie und insbes. zur menippeischen Literatur: Jesu Predigt in Nazareth (Lk 4,14–20); Seligpreisungen und Weherufe (Lk 6,20–26); die Ausrüstung der Jünger Jesu (Lk 9,1–6); das Gleichnis vom reichen ἄφρων (Lk 12,13–21); über den Hausverwalter des Reichen (Lk 16,1–13); der arme Lazarus und der reiche Mann (Lk 16,19–31); der reiche ἄρχων (Lk 18,18–30). Zur Bedeutung der Thematik von Armut und Reichtum in der kynischen Philosophie vgl. auch W. BRAUN, Feasting, 58. 20 Unter anderen forschungsgeschichtlichen Vorzeichen arbeitet auch P.S. Minear eine Reihe von Elementen heraus, welche die beiden ersten Kapitel des Lukasevangeliums mit dem weiteren Verlauf der Schrift verbinden (vgl. P.S. MINEAR, Funktion, 207–215). Unter rezeptionsorientierter Perspektive unterstreichen die von Minear angeführten Argumente den Sachverhalt, dass die idealen Lesenden des Lukasevangeliums das Werk plausibel interpretieren können ohne einen Bruch zwischen den beiden Anfangskapiteln und dem Folgenden zu empfinden. Zu den verbindenden Elementen zwischen Lk 1–2 und Lk 3–24 vgl. auch U. BUSSE, Evangelium, 172; H.H. OLIVER, Birth Stories, 226; PH.L. SHULER, Character, 188; DERS., Luke, 96–97; W.B. TATUM, Zeit, 318–319; H. ZIMMERMANN, Evangelium, 263. Vgl. in diesem Zusammenhang auch F. GRYGLEWICZ, Herkunft, 269: Gryglewicz entdeckt einen das Vokabular betreffenden Zusammenhang zwischen dem Gotteslob der Maria und des Zacharias (Lk 1) auf der einen und einer Rede des Petrus in der Apostelgeschichte (Apg 3) auf der anderen Seite. Vgl. ferner auch N.
320
Fazit und Ausblick
Auseinandersetzungen finden sich sowohl vor als auch nach Lukas 2,40 Kernthemen kynischen Denkens.21 Der lukanische Jesus kann seine kynisch verstandene σοφία im erzählten Umgang mit der Thematik von Armut und Reichtum unter Beweis stellen. Die einmal aufgenommene menippeische Spur lässt sich von den Lesenden damit auch weiterhin durch das Lukasevangelium hindurch verfolgen.22
TURNER, Relation, 101.104. Vgl. hierzu außerdem die Theorie von J.B. TYSON, Birth Narratives, 116: Tyson denkt sich die Entstehung des Lukasevangeliums als einen mehrstufigen Prozess; die Erzählung der Geburten von Johannes und Jesus fungiert dabei als das Bindeglied zwischen Proömium und einem ursprünglich selbstständigen Hauptteil des Evangeliums, welcher mit Lk 3 beginnt. 21 Bisweilen habe ich in den Anmerkungen des dritten Kapitels dieser Studie darauf hingewiesen, wo in der menippeischen Literatur auftauchende erzählerische Dynamiken Ähnlichkeiten zu Textabschnitten aus dem Lukasevangelium aufweisen (s.o. die Anm. 96 und. Anm. 104 in Kap. 3). 22 Vgl. insbes. R.F. HOCK, Lazarus, 462–463: Hock zieht die menippeischen Texte Lukians zur Erklärung des Gleichnisses von Lazarus und dem reichen Mann (Lk 16,19–31) heran (vgl. hierzu auch R. BAUCKHAM, Rich Man, 234–235). Interessanterweise stellt außerdem M.E. Vines in seiner Untersuchung zur Gattung des Markusevangeliums eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen den Motiven der menippeischen Texte und dem Stoff des Markusevangeliums fest (M.E. VINES, Problem, 131–140). Zwar lehnt Vines eine direkte Abhängigkeit des Markusevangeliums von der menippeischen Tradition ab, für den Zusammenhang der vorliegenden Arbeit deuten seine Beobachtungen allerdings in eine andere Richtung. Denn das Lukasevangelium greift in weiten Teilen auf den Stoff des Markusevangeliums zurück. Wo also das Lukasevangelium solchen Markusstoff aufnimmt, für den Vines menippeisch anmutende Motive diagnostiziert, lädt das Lukasevangelium seine Leserinnen und Leser ein, der bereits aufgenommenen menippeischen Spur weiterhin zu folgen. Für die Gastmahl-Szene in Lk 14 stellt darüber hinaus W. BRAUN (Feasting, z.B. 33–34) eine Parallele zum kynischen Denken fest.
Anhang I: Charakteristisches Vokabular der versförmigen Schriften in der Septuaginta
Das charakteristische Vokabular der Psalmen in der Septuaginta setzt sich aus allen Vokabeln zusammen, die der Bedingung a Ps ( x) t 5
hS ( x ) d 0,5 hPs ( x)
entsprechen. Die folgende Liste umfasst 366 Einträge: Nr. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.
x Ԛȗօ IJփ Țıցȣ Ցijț įԼօȟ ȦȤȥս ȜįȢİտį Ԥȝıȡȣ ԚȥȚȢցȣ İțȜįțȡIJփȟș ԐȟȡȞտį ȡȢįȟցȣ ȗțȟօIJȜȧ ijջȝȡȣ ıȝȡȗջȧ İțչȦįȝȞį ԚȝʍտȘȧ ȦįȝȞցȣ ԚȠȡȞȡȝȡȗջȧ IJȘȧ ԐȞįȢijȧȝցȣ թIJıտ ijտȚșȞț
ich du Gott dass Ewigkeit Seele Herz Erbarmen verfeindet Gerechtigkeit Gesetzlosigkeit Himmel erkennen Ende loben hoffen Psalm bekennen retten sündig wie setzen
hPs(x) [in ‰] 49,11 37,81 13,21 12,36 5,75 4,26 3,92 3,55 2,97 2,35 2,29 2,26 2,26 2,17 2,12 2,09 2,09 2,06 2,03 2,00 1,97 1,92 1,92
hPs(x) hS(x) 3,74 2,42 2,13 2,09 9,34 3,74 3,76 12,53 5,90 6,92 9,89 2,42 2,07 18,14 2,84 336,85 33,69 142,39 22,34 4,18 35,38 8,59 2,21
322 Nr. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63.
Anhang I
x IJijցȞį ĴȤȝչIJIJȧ įԼȟջȧ ĴȡȖջȧ ԐȝսȚıțį ȗıȟıչ ՙʍջȢ Ԑȗįȝȝțչȧ ıĴȢįտȟȧ ՙȦցȧ İցȠį İȡףȝȡȣ İտȜįțȡȣ Ԑȗįʍչȧ ıԼIJįȜȡփȧ ȜįȜցȣ IJȧijսȢțȡȟ Ȧչȝȝȧ Ԛȟijȡȝս ՌȢȗս İıȠțցȣ ȜȢչȘȧ ȜȢտȞį ȞțIJջȧ ȉțօȟ Ցȝȡȣ ȗȝIJIJį IJȧijșȢտį ijįʍıțȟցȧ ȚȝտȖȧ ijįȢչIJIJȧ ȚȝהȦțȣ ʍȡփȣ IJįȝıփȧ ʍijȧȥցȣ İțȜįտȧȞį ȜȢտȟȧ ʍջȟșȣ ԚʍțȝįȟȚչȟȧ ȞįȢijփȢțȡȟ
Mund bewachen loben fürchten Wahrheit Geschlecht über jubeln erfreuen erhöhen Glanz Knecht gerecht lieben hören schlecht Rettung lobsingen Gebot Zorn rechts rufen Urteil hassen Zion ganz Zunge Rettung erniedrigen bedrängen verwirren Bedrängnis Fuß erschüttern arm Rechtssatzung unterscheiden arm vergessen Zeugnis
hPs(x) [in ‰] 1,89 1,86 1,74 1,72 1,69 1,69 1,66 1,63 1,63 1,60 1,60 1,54 1,52 1,46 1,46 1,46 1,32 1,29 1,26 1,26 1,20 1,17 1,17 1,14 1,12 1,12 1,06 1,06 1,06 1,03 1,00 1,00 1,00 0,97 0,97 0,97 0,97 0,94 0,94 0,94
hPs(x) hS(x) 3,56 2,85 15,64 2,72 9,39 6,19 3,04 46,42 6,26 6,41 2,85 2,17 5,03 4,39 4,39 2,22 5,44 62,29 3,96 3,58 3,80 10,71 4,08 6,67 4,28 2,81 9,15 5,45 4,70 6,83 8,50 5,98 2,51 20,46 13,45 4,85 2,96 21,75 8,96 2,09
Charakteristisches Vokabular der versförmigen Schriften in der LXX
Nr. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100. 101. 102. 103.
x įՀȟıIJțȣ ԚȜȘșijջȧ ԚȜȝıտʍȧ ȖȡșȚցȣ ԚȜȜȢչȘȧ Ԛȝıջȧ ԚʍțȜįȝջȧ ȝȤijȢցȧ ʍȢȡIJıȤȥս ȥıהȝȡȣ ԐİțȜտį ȝցȗțȡȟ Սİșȗջȧ İջșIJțȣ ՑIJțȡȣ ȞįȜչȢțȡȣ ՝ȦțIJijȡȣ IJȜսȟȧȞį IJȤȟտșȞț Șȧս ȜȝșȢȡȟȡȞտį ıȚփȣ ʍȢȡIJջȥȧ İțİչIJȜȧ ԚʍįȜȡփȧ ԚȢȗչȘȡȞįț ʍȝșȚփȟȧ ԐȝȝșȝȡȤțչ ʍįȗտȣ ʍցijı ȜįijįțIJȥփȟȧ ıȚսȣ ԚȗȜįijįȝıտʍȧ ȜįijįIJȜșȟցȧ Ȝȝտȟȧ ȖȡșȚջȧ ȜȢփʍijȧ ԛijȡțȞչȘȧ İțșȗջȡȞįț ՙʍȡȞջȟȧ
Lob suchen erlöschen hilfreich herausrufen sich erbarmen anrufen loskaufen Gebet Lippe Unrecht Spruch leiten Bitte fromm selig höchster Zelt verstehen Leben Erbteil sofort achten auf lehren erhören wirken vermehren Falle wann? schänden rechtschaffen verlassen wohnen neigen helfen verbergen bereiten erzählen bleiben
hPs(x) [in ‰] 0,92 0,92 0,92 0,89 0,86 0,86 0,86 0,83 0,80 0,80 0,80 0,77 0,77 0,77 0,74 0,72 0,72 0,72 0,72 0,72 0,72 0,69 0,69 0,66 0,66 0,66 0,63 0,60 0,60 0,60 0,60 0,60 0,60 0,57 0,57 0,57 0,57 0,57 0,54 0,54
323 hPs(x) hS(x) 14,77 5,09 3,54 13,00 27,69 4,72 3,03 5,65 7,05 6,15 2,58 53,40 33,98 10,10 35,99 17,30 9,11 7,36 5,58 2,84 2,26 7,73 5,63 6,92 4,82 4,48 2,24 145,35 16,15 8,81 6,46 5,93 2,15 8,39 7,69 3,79 2,77 2,37 7,74 7,51
324 Nr. 104. 105. 106. 107. 108. 109. 110. 111. 112. 113. 114. 115. 116. 117. 118. 119. 120. 121. 122. 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 137. 138. 139. 140. 141. 142. 143.
Anhang I
x ԐIJıȖսȣ ԔİțȜȡȣ ȜįijįİțօȜȧ ĴցȖȡȣ ȡ՞ȣ ȡԼȜջȧ ȜȢįijįțցȧ Ԛȝʍտȣ ԚȜȜȝտȟȧ Ĵȣ ȚȢցȟȡȣ ԐȗįȝȝտįIJțȣ ՙʍıȢįIJʍțIJijսȣ Ȟıȝıijչȧ ԚȠȡȤİıȟցȧ İȤȟįIJijıտį įԼIJȥփȟȧ ȖȡսȚıțį Ȟıȗįȝփȟȧ ԐȟijįʍȡİտİȧȞț ȜįȜցȧ ԐȟijțȝսȞʍijȧȢ ԐʍȧȚջȧ ԚʍțȖȝջʍȧ ՌIJijջȡȟ ȖȡȤȝս ȥȢșIJijցijșȣ ԐȟįȖįȚȞցȣ ijȢտȖȡȣ ԚȠıȗıտȢȧ IJȜցijȡȣ ȟıĴջȝș Ȟįijįțցijșȣ ȜįijįĴȤȗս ȥȢșIJijցȣ ıİȡȜջȧ ԚʍįտȢȧ ԔȢį ʍջijȢį ȜջȢįȣ
gottlos ungerecht verfolgen Furcht Ohr wohnen stärken Hoffnung abweichen Licht Thron Jubel Beschützer sinnen auf verachten Macht sich schämen Hilfe groß machen erstatten Schlechtes tun Beschützer zurückstoßen hinblicken Knochen Rat Güte Stufe Pfad aufwecken Finsternis Wolke Eitelkeit Zufluchtsort tüchtig Wohlgefallen haben emporheben (Folgerungspartikel) Fels Horn
hPs(x) [in ‰] 0,54 0,54 0,54 0,54 0,54 0,54 0,51 0,51 0,51 0,51 0,51 0,49 0,49 0,49 0,49 0,49 0,49 0,49 0,49 0,49 0,49 0,46 0,46 0,46 0,46 0,46 0,43 0,43 0,43 0,43 0,43 0,43 0,40 0,40 0,40 0,40 0,40 0,40 0,40 0,40
hPs(x) hS(x) 4,96 4,61 4,11 2,83 2,71 2,19 5,93 5,66 2,65 2,54 2,21 117,67 117,67 33,62 11,21 8,11 6,92 6,54 5,01 4,71 2,56 110,75 5,99 3,12 2,84 2,21 69,22 17,30 7,69 3,78 3,71 2,12 -24,23 12,11 6,06 3,88 3,03 2,77 2,58
Charakteristisches Vokabular der versförmigen Schriften in der LXX
Nr. 144. 145. 146. 147. 148. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 155. 156. 157. 158. 159. 160. 161. 162. 163. 164. 165. 166. 167. 168. 169. 170. 171. 172. 173. 174. 175. 176. 177. 178. 179. 180. 181. 182. 183.
x ȞįȜȢփȟȧ Ԛʍįțȟջȧ ԥȟıȜį ՝Ȟȟȡȣ ԔȖȤIJIJȡȣ ʍȡȟșȢıփȡȞįț ĴȡȖıȢցȣ ijįʍıտȟȧIJțȣ ԐȟijțȝįȞȖչȟȧ ȜįijıȤȚփȟȧ ՌȢȗտȘȧ ijցȠȡȟ ȜįȢʍցȣ ʍȝșȢցȧ Ȗջȝȡȣ ȚջȝșȞį Րȟıțİȡȣ ʍįȢįʍțȜȢįտȟȧ ՌȟıțİտȘȧ ȗȟȧȢտȘȧ ԘIJįĴ ʍįțİıփȧ ԔȞȧȞȡȣ Ȟսʍȡijı ԥȟıȜıȟ İցȝțȡȣ ʍȢȡĴȚչȟȧ ȜțȚչȢį ՙʍıȢսĴįȟȡȣ ȡԼȜijțȢȞցȣ ȥցȢijȡȣ ȚıȞıȝțցȧ ȁցȢı ԚʍțȚȤȞտį ԐIJȚıȟջȧ ԐİțȜջȧ Țջȝȧ ʍցȟȡȣ Ȝįȝփʍijȧ ʍijջȢȤȠ
fern sein loben wegen Lobgesang Abgrund böse sein fürchterlich Erniedrigung sich kümmern lenken zürnen Bogen Frucht füllen Pfeil Wille Schande ergrimmen beschimpfen bekanntmachen Asaf unterrichten untadelig dass nicht wegen heimtückisch zuvorkommen Laute hochmütig Mitleid Gras gründen Kora Begierde schwach sein Unrecht tun wollen Arbeit verhüllen Flügel
hPs(x) [in ‰] 0,37 0,37 0,37 0,37 0,37 0,37 0,37 0,37 0,37 0,37 0,37 0,37 0,37 0,37 0,34 0,34 0,34 0,34 0,34 0,34 0,34 0,34 0,34 0,34 0,34 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31
325 hPs(x) hS(x) 25,71 18,00 13,84 12,85 12,00 9,47 9,47 6,67 6,00 5,81 3,40 3,40 2,50 2,28 8,74 7,22 6,15 5,93 5,36 5,19 4,61 3,96 2,60 2,52 2,05 50,76 21,75 15,23 10,15 8,01 5,64 5,44 4,91 4,76 3,38 3,24 2,93 2,67 2,63 2,58
326 Nr. 184. 185. 186. 187. 188. 189. 190. 191. 192. 193. 194. 195. 196. 197. 198. 199. 200. 201. 202. 203. 204. 205. 206. 207. 208. 209. 210. 211. 212. 213. 214. 215. 216. 217. 218. 219. 220. 221. 222. 223.
Anhang I
x İțչȖșȞį Ȟıȝջijș ȜįijįȢijտȘȧ ȦįȝijսȢțȡȟ ȡԼȜijտȢȞȧȟ Ȝįijįțȗտȣ Ȝցʍȡȣ IJȜțչ ԚĴȡȢչȧ ʍȝչIJIJȧ ʍȡțȞįտȟȧ ʍȤȢցȧ İțįIJȜȡȢʍտȘȧ ʍȝȡףijȡȣ ijțȞս ՌȟıțİțIJȞցȣ Ȟչijįțȡȣ ȝչȢȤȗȠ Ȟıȗįȝȡʍջʍıțį ԐİȡȝıIJȥջȧ ȥȡȢijչȘȧ ԚȠȡȤİջȟȧIJțȣ IJȤȟıijտȘȧ ԚȠȡȞȡȝցȗșIJțȣ ԚȠıȢıȤȟչȧ ՙʍȡijչIJIJȧ ՍȞȡțցȧ Ȝȡȝȝչȧ IJȧijսȢ ĴȧijտȘȧ İțįʍȡȢıփȡȞįț ՙʍıȢșĴįȟտį ȟıցijșȣ İțȜįțցȧ ȗįIJijսȢ ԐȚȡȣ ijįʍıțȟցȣ ԚʍțijսİıȤȞį ȜȢįijįțցȣ ԥijȡțȞȡȣ
Schritt Nachdenken instandsetzen Saiteninstrument mitleidig Windstoß Mühsal Schatten achten auf formen hüten brennen zerstreuen Wohlstand Wert Schmähung nichtig Kehle Majestät nachsinnen sättigen Verachtung verständig machen Lobpreis nachforschen unterwerfen gleichmachen zusammenfügen Retter leuchten hindurchgehen Hochmut Jugend gerecht machen Bauch unschuldig niedrig Einrichtung mächtig bereit
hPs(x) [in ‰] 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26
hPs(x) hS(x) 138,43 138,43 19,78 19,78 12,58 11,54 9,89 6,92 4,77 4,47 4,07 3,96 3,74 3,55 2,88 2,83 2,47 --124,59 124,59 41,53 31,15 13,84 11,33 7,33 6,92 6,56 6,23 5,66 4,45 4,15 3,89 3,78 3,28 3,04 2,97 2,77 2,71 2,44
Charakteristisches Vokabular der versförmigen Schriften in der LXX
Nr. 224. 225. 226. 227. 228. 229. 230. 231. 232. 233. 234. 235. 236. 237. 238. 239. 240. 241. 242. 243. 244. 245. 246. 247. 248. 249. 250. 251. 252. 253. 254. 255. 256. 257. 258. 259. 260. 261. 262. 263.
x ıȝȡȗտį ԐȜįȜտį ԚȠįȗȗջȝȝȧ ԐȟijįȟįțȢջȧ ıİȡȜտį İțįȞջȟȧ ı՞ȗı įʍցȜȢȤĴȡȣ ԔĴȢȧȟ IJȤȟijįȢչIJIJȧ ԐȝįȝչȘȧ ԔȟȤİȢȡȣ IJijıȟįȗȞցȣ Ȟչijșȟ İȡȜțȞչȘȧ Ȝįijįȟȡջȧ İչȜȢȤ, İչȜȢȤȡȟ IJıȝսȟș ԚȜȜįտȧ ʍıȢțջȥȧ ijսȜȧ İցȝȡȣ ԚȟijȢջʍȧ ȖİıȝփIJIJȧ ȡȢĴįȟցȣ ȚıȧȢջȧ ԑȗտįIJȞį IJցȣ İțįĴȚıտȢȧ ʍįȢȡțȜջȧ İȢȤȞցȣ ԚʍıȝʍտȘȧ ʍıİչȧ ԚʍįȟțIJijչȟȧ ԚʍțʍȡȚջȧ İțįȝȡȗտȘȡȞįț İțįȝȡȗțIJȞցȣ ȟȡȞȡȚıijջȧ ʍȢįנȣ ȜįijįȜȤȢțıփȧ
Segen Arglosigkeit weithinaus verkünden zur Strafe wegnehmen guter Wille bleiben bravo! verborgen töricht bedrängen klagen dürr Seufzer vergeblich prüfen bemerken Träne Mond entfachen umgeben schmelzen Betrug beschämen verabscheuen verwaist betrachten Heiligtum dein zerstören als Fremder bewohnen Wald hoffen binden aufstehen verlangen erwägen Gedanke als Gesetzgeber fungieren sanftmütig überwältigen
hPs(x) [in ‰] 0,26 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20
327 hPs(x) hS(x) 2,15 --110,75 110,75 36,92 27,69 22,15 22,15 22,15 11,07 8,52 8,52 7,91 6,92 6,92 6,15 5,03 4,82 4,82 4,10 3,96 3,57 3,46 3,46 3,16 2,52 2,41 2,26 2,17 2,05 96,90 96,90 32,30 32,30 24,23 24,23 24,23 16,15 12,11
328 Nr. 264. 265. 266. 267. 268. 269. 270. 271. 272. 273. 274. 275. 276. 277. 278. 279. 280. 281. 282. 283. 284. 285. 286. 287. 288. 289. 290. 291. 292. 293. 294. 295. 296. 297. 298. 299. 300. 301. 302. 303.
Anhang I
x Ԛȟijıտȟȧ IJȜչȟİįȝȡȟ ijȢȡĴս ȞչIJijțȠ ՙʍȟցȧ Ԑȝȝȡțցȧ ijįȝįțʍȡȢտį ԐȟչȗȜș Ԛȝջȗȥȧ Ȝįijįʍտȟȧ IJȜջʍș ȟսʍțȡȣ ԑȢʍչȘȧ ʍıȢțȘօȟȟȤȞț IJȜıʍչȘȧ Ռİփȟș ԔȟıȞȡȣ ʍįȢȡȠփȟȧ ԤȠȡİȡȣ ȜijտȘȧ ȠșȢįտȟȧ Ԛȗȗփȣ ԚʍțĴįտȟȧ ԼչȡȞįț ʍțIJijıփȧ ȜջİȢȡȣ ԚȟijȢȡʍս IJijșȝȡȗȢįĴտį ȚįȤȞįIJijցȧ ԐȟijտȝșȞȦțȣ ԐȟijįʍցİȡIJțȣ ȗıտijȧȟ ԐȢȥįהȡȣ Ԑȟijțȝȡȗտį ʍįȢįIJțȧʍչȧ ԚʍțȝսȚȧ ԚȝıսȞȧȟ ʍȝįijփȟȧ ՙʍȡȝįȞȖչȟȧ ԚʍįȟտIJijșȞț
spannen Anstoß Nahrung Geißel schlafen ändern Mühsal Zwang darlegen verschlucken Schutz unmündig rauben umgürten bedecken Schmerz Wind reizen Auszug gründen austrocknen nahe zeigen wiederherstellen vertrauen Zeder Beschämung Inschrift (auf einer Säule) wunderbar bewirken Hilfe Vergeltung Nachbar ursprünglich Widerspruch verschweigen vergessen lassen barmherzig erweitern aufnehmen aufstellen
hPs(x) [in ‰] 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17
hPs(x) hS(x) 8,81 8,81 7,45 6,46 5,70 4,85 4,61 4,40 4,40 4,40 4,21 4,04 3,88 3,34 3,23 3,03 2,77 2,77 2,69 2,69 2,31 2,25 2,25 2,11 2,06 2,02 --20,76 11,87 10,38 10,38 7,55 6,92 6,92 5,93 5,54 5,54 5,54 5,19
Charakteristisches Vokabular der versförmigen Schriften in der LXX
Nr. 304. 305. 306. 307. 308. 309. 310. 311. 312. 313. 314. 315. 316. 317. 318. 319. 320. 321. 322. 323. 324. 325. 326. 327. 328. 329. 330. 331. 332. 333. 334. 335. 336. 337. 338. 339. 340. 341. 342. 343.
x İȧȢıչ ʍıțȢչȧ, ʍıțȢչȘȧ ԚȠįȝıտĴȧ ʍıțȟչȧ ʍȡȟșȢտį ijջȢįȣ ȜȢչijȡȣ ʍțIJijցȣ IJijȢջĴȧ ĴȤijıփȧ Ԛʍțʍտʍijȧ ȟijȡȣ ȜįijȡțȜտȘȧ ԐȜȡȟչȧ ĴȧijțIJȞցȣ ԚȟİțįȖչȝȝȧ Սʍցijı թȢįțցijșȣ ԚȞʍսȗȟȤȞț ʍijȧȥıտį IJijȢȡȤȚտȡȟ IJȤȟȚȝչȧ ԐȝįȝįȗȞցȣ ʍįȢįȟȡȞջȧ ԚȜİțօȜȧ ʍįȢȡțȜտį ʍȝսȢȧȞį IJțȗչȧ İıIJʍցȘȧ ԚʍțȥįտȢȧ ȜףȞį ԐIJijȢįʍս Բȥȡȣ İțįȞıȢտȘȧ ԚȜȚȝտȖȧ ՙʍցIJijįIJțȣ ʍįȝįțցȧ ȜįȤȥչȡȞįț ȞıijįIJijȢջĴȧ IJijıȢıցȧ
Geschenk versuchen abwischen hungern Schlechtigkeit Götterzeichen Stärke vertrauenswürdig hinwenden anpflanzen fallen auf Rücken wohnen schärfen Leuchten widersetzen da Schönheit hineinstoßen Armut Sperling zerdrücken Kriegsgeschrei das Gesetz übertreten verfolgen Fremde Füllung schweigen gebieten sich freuen Woge Blitz Klang zerteilen wegdrängen Zustand alt machen prahlen umwandeln befestigen
hPs(x) [in ‰] 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14
329 hPs(x) hS(x) 4,37 2,97 2,68 2,68 2,60 2,44 2,37 2,37 2,37 2,37 2,24 2,13 2,08 --69,22 34,61 34,61 23,07 23,07 23,07 23,07 17,30 17,30 11,54 11,54 11,54 8,65 7,69 6,29 6,29 5,77 5,77 5,32 5,32 5,32 4,61 4,07 4,07 4,07
330
Anhang I
Nr. 344. 345. 346. 347. 348. 349. 350. 351. 352. 353. 354. 355. 356. 357. 358.
x İȢչȜȧȟ IJijıȢջȧȞį ԚȢȤȚȢցȣ ȟıĴȢցȣ ՐȢȚȢȡȣ İտȜș Ȝցȝʍȡȣ ʍȡijսȢțȡȟ ʍįțİıտį ȖȢIJțȣ ȥչȝįȘį ȗȟIJțȣ ȜįijįȖչȝȝȧ Ȝփȧȟ ԐʍȡȢȢտʍijȧ
Drache Firmament rot Niere Morgendämmerung Strafe Wölbung Becher Zurechtweisung Nahrung Hagel Erkenntnis herunterwerfen Hund hinabstürzen
hPs(x) [in ‰] 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14
hPs(x) hS(x) 3,46 3,46 3,15 3,15 3,01 2,88 2,88 2,88 2,77 2,56 2,56 2,47 2,47 2,47 2,04
Wie für die Psalmen, so lässt sich auch für die Gesamtheit der versförmigen Schriften in der Septuaginta eine Liste mit charakteristischem Vokabular erstellen. Als charakteristische Vokabel des Text-Korpus Vers sollen im Folgenden solche Vokabeln gelten, die erstens mindestens zwölfmal dort vorkommen,1 und deren relative Häufigkeit zweitens die relative Häufigkeit derselben Vokabel in den nicht-versförmigen Schriften S um mindestens den Faktor 2 übersteigt. Mathematisch ausgedrückt lauten diese Bedingungen wie folgt: aVers ( x) t 12
hS ( x ) d 0,5 hVers ( x)
Gegenüber der Liste mit charakteristischem Vokabular der Psalmen besteht der Vorteil dieser Liste darin, dass sie das Vokabular der versförmigen Schriften in der Septuaginta in ihrer gesamten Breite abdeckt. Allerdings behandelt sie diese alle als gleichrangig. Daraus entsteht nun auch ein Nachteil für die an dieser Liste orientierte Analyse neutestamentlicher Texte. Denn im Neuen Testament entfalten die Psalmen einen deutlich größeren Einfluss als beispielsweise die Klagelieder, das Buch Sirach oder Hiob.2 Aus neutestamentlicher Sicht besitzen also nicht alle versförmigen Texte der Septuaginta dieselbe Bedeutsamkeit.
1 2
Zur willkürlich gezogenen Grenze bei 12 vgl. auch Punkt 1.1.2, Anm. 46. S.o. Punkt 1.1.2.
Charakteristisches Vokabular der versförmigen Schriften in der LXX
331
Dennoch kann sich auch diese Liste als nützlich für die Unterscheidung zwischen Vers und Prosa in den Texten des Neuen Testaments erweisen, indem sie einige Rückschlüsse auf den charakteristisch versförmigen Wortschatz und Stil erlaubt: Nr. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35.
x Ԛȗօ İջ Ȟս ȗչȢ ԔȟȚȢȧʍȡȣ ȜįȢİտį ȦȤȥս įԼօȟ ԐȗįȚցȣ İտȜįțȡȣ Սİցȣ ȜįȜցȣ ȗțȗȟօIJȜȧ ՌĴȚįȝȞցȣ IJijցȞį Ԥȝıȡȣ ԤȢȗȡȟ ԐIJıȖսȣ IJȡĴտį ԚȥȚȢցȣ Ձȟį İțȜįțȡIJփȟș İցȠį Șȧս ԑȞįȢijȧȝցȣ ՙʍջȢ ȜįțȢցȣ խIJʍıȢ ĴȤȝչIJIJȧ Ԑȗįʍչȧ ԔĴȢȧȟ ՙʍց ĴȡȖջȧ IJȡĴցȣ ՌȢȗս
ich aber nicht nämlich Mensch Herz Seele Ewigkeit gut gerecht Weg schlecht erkennen Auge Mund Erbarmen Werk gottlos Weisheit verfeindet damit Gerechtigkeit Glanz Leben sündig über Zeitpunkt so wie bewachen lieben töricht unter fürchten weise Zorn
hVers(x) [in ‰] 28,93 16,23 9,95 6,49 4,12 4,05 3,96 3,16 2,98 2,81 2,60 2,31 2,24 2,00 1,97 1,93 1,93 1,90 1,90 1,84 1,81 1,67 1,58 1,56 1,52 1,52 1,49 1,42 1,39 1,31 1,30 1,28 1,28 1,25 1,23
hVers(x) hS(x) 2,20 2,49 2,32 3,64 2,09 3,88 3,47 5,14 4,44 9,31 2,15 3,52 2,05 2,23 3,71 6,82 2,47 17,35 16,13 3,65 2,11 4,92 2,81 6,17 27,17 2,78 2,60 5,75 2,14 3,95 126,20 2,26 2,04 9,78 3,51
332 Nr. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75.
Anhang I
x ıĴȢįտȟȧ Țչȟįijȡȣ IJȘȧ ԐȟȡȞտį ȥıהȝȡȣ ȜȢտȞį ʍȟıףȞį ȗȝIJIJį ĴցȖȡȣ ȞțIJջȧ ԐʍցȝȝȤȞț ȜȢտȟȧ ȡՂİį IJցȣ ȞțȞȟׅIJȜȡȞįț ijջȝȡȣ עփȡȞįț Ĵտȝȡȣ Șșijջȧ ԔİțȜȡȣ ԐȝսȚıțį įԼȟջȧ ȦįȝȞցȣ ʍijȧȥցȣ ʍįțİıտį ԚȠȡȞȡȝȡȗջȧ ȗıȟıչ İȡȜջȧ ԚȝʍտȘȧ ijįʍıțȟցȧ ʍȡփȣ ՝ȦțIJijȡȣ ՙȦցȧ Աȝțȡȣ İțչȦįȝȞį ȜįȜցȧ ȜȢփʍijȧ Ԛȟijȡȝս ıԼIJįȜȡփȧ IJփȟıIJțȣ
erfreuen Tod retten Gesetzlosigkeit Lippe Urteil Geist Zunge Furcht hassen zerstören unterscheiden wissen dein sich erinnern Ende retten befreundet suchen ungerecht Wahrheit loben Psalm arm Zurechtweisung bekennen Geschlecht meinen hoffen erniedrigen Fuß höchster erhöhen Sonne Schlechtes tun verbergen Gebot hören Urteilsvermögen
hVers(x) [in ‰] 1,17 1,17 1,12 1,09 1,08 1,08 1,06 1,05 1,03 1,02 1,02 1,01 1,00 0,99 0,99 0,96 0,96 0,95 0,95 0,93 0,90 0,89 0,86 0,86 0,85 0,85 0,85 0,85 0,84 0,84 0,84 0,83 0,82 0,78 0,76 0,76 0,76 0,76 0,76 0,75
hVers(x) hS(x) 4,50 2,44 2,34 4,72 8,31 3,77 2,19 9,08 5,36 5,95 2,04 3,08 2,93 10,42 3,03 8,01 5,11 5,28 2,22 7,89 5,00 7,97 59,39 11,88 16,43 9,34 3,11 2,26 13,53 3,72 2,10 10,55 3,27 3,11 122,28 3,99 3,67 2,38 2,28 8,04
Charakteristisches Vokabular der versförmigen Schriften in der LXX
Nr. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100. 101. 102. 103. 104. 105. 106. 107. 108. 109. 110. 111. 112. 113. 114. 115.
x ȗջ թIJıտ IJչȢȠ Ԛȝʍտȣ IJȤȟտșȞț ȥչȢțȣ ȖȡȤȝս ՑIJțȡȣ Ĵȣ Ԛȝıջȧ ԐİțȜտį ʍȢȡIJջȥȧ ȀȧȖ Ԑȗįȝȝțչȧ ԚȜȝıտʍȧ ʍȝȡףijȡȣ ȚȝտȖȧ IJȧijսȢțȡȟ ȉțօȟ Ԛȝջȗȥȧ IJȜցijȡȣ ʍȝșȚփȟȧ Ռȝտȗȡȣ ȡİıտȣ ԚʍțȜįȝջȧ ʍջȟșȣ İțİչIJȜȧ IJȧijșȢտį ԚȞցȣ ȡ՞ȣ ıĴȢȡIJփȟș Ȟįijįțցijșȣ ԚʍțȝįȟȚչȟȧ ijįȢչIJIJȧ Ȟșİջ ԐȝȝցijȢȡțȣ IJįȝıփȧ ȜȢչȘȧ ȜįȢʍցȣ ȚȝהȦțȣ
jedenfalls wie Fleisch Hoffnung verstehen Gnade Rat fromm Licht sich erbarmen Unrecht achten auf Hiob jubeln erlöschen Wohlstand bedrängen Rettung Zion darlegen Finsternis vermehren klein keiner anrufen arm lehren Rettung mein Ohr Freude Eitelkeit vergessen verwirren und nicht fremd erschüttern rufen Frucht Bedrängnis
hVers(x) [in ‰] 0,75 0,73 0,73 0,71 0,71 0,70 0,70 0,68 0,68 0,65 0,64 0,63 0,62 0,62 0,61 0,60 0,60 0,60 0,60 0,59 0,59 0,59 0,58 0,58 0,58 0,57 0,57 0,57 0,56 0,56 0,56 0,55 0,55 0,55 0,54 0,54 0,53 0,53 0,53 0,53
333 hVers(x) hS(x) 4,11 3,26 2,59 7,78 5,52 3,67 3,38 32,77 3,34 3,56 2,05 5,14 149,19 17,55 2,35 7,40 3,95 2,47 2,29 12,90 5,07 2,09 3,53 2,30 2,04 13,04 5,95 2,91 5,38 2,77 2,34 -5,18 4,63 3,24 2,42 11,06 4,80 3,53 3,14
334 Nr. 116. 117. 118. 119. 120. 121. 122. 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 137. 138. 139. 140. 141. 142. 143. 144. 145. 146. 147. 148. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 155.
Anhang I
x ԚȜȜȝտȟȧ ԛijȡțȞչȘȧ İȡȠչȘȧ ʍįȢչȟȡȞȡȣ İțȜįțցȧ ʍįțİıփȧ ȡԼȜջȧ ȞįȜչȢțȡȣ ԚȢȗչȘȡȞįț Ȧչȝȝȧ Ȗտȡȣ Ԑʍօȝıțį ȗȟIJțȣ ՙʍȡȞջȟȧ ʍȝįȟչȧ ՌIJijջȡȟ ԤIJȥįijȡȣ ʍįȗտȣ ԚȜȘșijջȧ ԚȜȥջȧ ՙʍչȢȥȧ ԚȞʍտȞʍȝșȞț ȜijտȘȧ Ȟսʍȡijı ʍȣ Ԥȝıȗȥȡȣ ȚįȤȞչIJțȡȣ ԚʍțȚȤȞտį İջșIJțȣ ʍȢȡIJıȤȥս ijȢտȖȡȣ ȚįȤȞչȘȧ ՑȞȡțȡȣ ȝȤijȢցȧ ȝȡȗտȘȡȞįț įՀȟıIJțȣ ȖȡșȚցȣ ʍտȞʍȝșȞț İțȜįտȧȞį įԼIJȥփȟȧ
ausweichen bereiten erheben gesetzlos gerecht machen unterrichten wohnen selig wirken lobsingen Leben Zerstörung Erkenntnis bleiben verführen Knochen letzter Falle suchen gießen dasein füllen erschaffen dass nicht wie? Gewissheit wunderbar Begierde Bitte Gebet Pfad sich wundern gleich wie loskaufen berechnen Lob hilfreich füllen Rechtssatzung sich schämen
hVers(x) [in ‰] 0,53 0,53 0,52 0,51 0,51 0,51 0,51 0,50 0,50 0,49 0,49 0,49 0,47 0,47 0,47 0,47 0,46 0,45 0,45 0,45 0,45 0,44 0,43 0,43 0,43 0,42 0,42 0,42 0,42 0,42 0,41 0,41 0,41 0,41 0,41 0,40 0,40 0,40 0,40 0,38
hVers(x) hS(x) 2,71 2,17 3,08 11,12 7,41 5,82 2,04 11,98 3,38 23,48 4,70 3,50 8,21 6,57 2,99 2,95 2,32 12,23 2,53 2,32 2,27 2,50 5,84 3,19 2,12 25,68 13,70 6,42 5,55 3,74 7,43 3,40 3,18 2,82 2,67 6,52 5,93 2,61 2,02 5,47
Charakteristisches Vokabular der versförmigen Schriften in der LXX
Nr. 156. 157. 158. 159. 160. 161. 162. 163. 164. 165. 166. 167. 168. 169. 170. 171. 172. 173. 174. 175. 176. 177. 178. 179. 180. 181. 182. 183. 184. 185. 186. 187. 188. 189. 190. 191. 192. 193. 194. 195.
x ʍցȟȡȣ ԚʍջȢȥȡȞįț ʍȝȡփIJțȡȣ ԚʍțIJijսȞș ıȚփȣ ıȝȡȗտį ĴıտİȡȞįț İջȥȡȞįț ԚʍįȜȡփȧ İȤȟչIJijșȣ ՙʍȡȝįȞȖչȟȧ ԐʍȧȚջȧ ȖȡșȚջȧ ԐİıȝĴțİցȣ ȞįȢijȤȢտį Ռİփȟș ʍțIJijցȣ ʍțIJijıփȧ ԔȢį ԚʍțȖȝջʍȧ ȜįijıȤȚփȟȧ Ȝıȟցȣ ԔȟȡȞȡȣ Սİșȗջȧ ĴȢցȟșIJțȣ ȟıցijșȣ ʍցijı Հİțȡȣ ȦıȤİսȣ IJȜțչ ԐijțȞտį ȖȡսȚıțį Ȟıȗįȝփȟȧ ԐȟijįʍȡİտİȧȞț ȟıȜȢցȣ Ȝȡțȝտį ԔȖȤIJIJȡȣ ʍȡȟșȢտį ȜįijįIJȜșȟցȧ ԐȟչʍįȤIJțȣ
Arbeit ankommen reich Wissen sofort Segen verschonen empfangen erhören Mächtiger aufnehmen zurückstoßen helfen Geliebter Zeugnis Schmerz vertrauenswürdig vertrauen (Folgerungspartikel) hinblicken lenken leer schlecht leiten Einsicht Jugend wann? eigener falsch Schatten Schande Hilfe groß machen erstatten tot Bauch Abgrund Schlechtigkeit wohnen Ruhepause
hVers(x) [in ‰] 0,38 0,38 0,37 0,37 0,37 0,37 0,37 0,37 0,37 0,36 0,35 0,35 0,35 0,34 0,34 0,34 0,34 0,34 0,34 0,34 0,33 0,33 0,33 0,32 0,32 0,32 0,32 0,32 0,32 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31 0,31 0,30 0,30 0,30 0,30
335 hVers(x) hS(x) 3,26 2,66 10,65 6,03 4,21 3,12 3,12 3,07 2,74 5,18 11,41 4,63 2,35 -7,92 5,20 4,75 3,54 2,60 2,34 5,21 3,84 2,34 14,23 6,02 4,89 4,74 3,33 2,57 7,58 6,59 4,21 3,23 3,03 3,03 2,23 9,78 4,59 4,45 4,19
336 Nr. 196. 197. 198. 199. 200. 201. 202. 203. 204. 205. 206. 207. 208. 209. 210. 211. 212. 213. 214. 215. 216. 217. 218. 219. 220. 221. 222. 223. 224. 225. 226. 227. 228. 229. 230. 231. 232. 233. 234. 235.
Anhang I
x ԤȠȡİȡȣ IJȜսȟȧȞį IJȤȟıijցȣ İțșȗջȡȞįț ԔȟıȞȡȣ ijįʍıțȟցȣ ȞįȜȢչȟ ԚʍįտȢȧ Ȟջȟȧ ijįȥփȣ ʍջijȢį ԐĴȢȡIJփȟș ȝցȗțȡȟ ȞȧȢցȣ ՙʍıȢսĴįȟȡȣ ȗįIJijսȢ ȜįijįțIJȥփȟȧ ȞȟșȞցIJȤȟȡȟ Țջȝȧ Ȝįȝփʍijȧ ʍșȗս Ԑȗչʍș ȞցȥȚȡȣ ԚȜȜįտȧ ՙʍıȢșĴįȟտį Ȝȝտȟȧ ȜցIJȞȡȣ ȟջĴȡȣ ıİȡȜտį Ȟıȝıijչȧ ȥȢıտį İցȝȡȣ Ȝչȝȝȡȣ ȜįijįȢչȡȞįț ijțȞս Ԑȟįʍįփȧ ՙıijցȣ İցȝțȡȣ ĴȢցȟțȞȡȣ ԚȝıșȞȡIJփȟș
Auszug Zelt verständig erzählen Wind niedrig fern emporheben bleiben schnell Fels Torheit Spruch töricht hochmütig Bauch schänden Erinnerung wollen verhüllen Quelle Liebe Mühsal entfachen Hochmut neigen Welt Wolke guter Wille sinnen auf Bedarf Betrug Schönheit verfluchen Wert ausruhen lassen Regen heimtückisch weise Mitleid
hVers(x) [in ‰] 0,30 0,30 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,29 0,28 0,28 0,28 0,28 0,28 0,28 0,28 0,28 0,28 0,28 0,27 0,27 0,27 0,27 0,27 0,27 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,26 0,25 0,25 0,25
hVers(x) hS(x) 4,08 3,12 5,91 4,17 4,05 3,38 3,22 2,84 2,68 2,29 2,03 19,57 19,57 19,57 9,13 3,60 3,04 2,98 2,63 2,36 2,08 22,01 9,43 5,74 4,40 3,67 3,22 -127,17 18,17 4,89 4,54 3,44 2,65 2,65 2,31 2,31 40,76 8,15 4,08
Charakteristisches Vokabular der versförmigen Schriften in der LXX
Nr. 236. 237. 238. 239. 240. 241. 242. 243. 244. 245. 246. 247. 248. 249. 250. 251. 252. 253. 254. 255. 256. 257. 258. 259. 260. 261. 262. 263. 264. 265. 266. 267. 268. 269. 270. 271. 272. 273. 274. 275.
x ԚȠıȗıտȢȧ ijȡțȡףijȡȣ ԐȟȤȦցȧ ȥȢșIJijցȣ ԚȠȡȤİıȟցȧ ȝփʍș ʍȢչIJIJȧ Րȟıțİȡȣ ijįʍıտȟȧIJțȣ İȤȟįIJijıտį ՌȟıțİտȘȧ עտȘį ȜȢչijȡȣ IJijջĴįȟȡȣ ԚʍțȚȤȞջȧ ՌȟıțİțIJȞցȣ įՀIJȚșIJțȣ ʍȡտșȞį ȟսʍțȡȣ ԚʍțIJȜȡʍս ԚȞʍտʍijȧ ԐȟijțȝįȞȖչȟȧ ıİȡȜջȧ ՙįȜȡփȧ ՝ʍȟȡȣ ȜȢįijįțցȣ ijցȠȡȟ ȥȢșIJijցijșȣ ijșȢջȧ ȞչIJijțȠ ՍȞȡțցȧ Ȗջȝȡȣ ԔȠțȡȣ ʍıțȢչȧ, ʍıțȢչȘȧ ʍտIJijțȣ ՝ȖȢțȣ ȜȢįijįțցȧ ȜȢțijսȣ ԐȝȝșȝȡȤțչ ԐʍցȜȢȤĴȡȣ
aufwecken so erhöhen tüchtig verachten Sorge tun Schande Erniedrigung Macht beschimpfen Wurzel Stärke Krone begehren Schmähung Wahrnehmung Tat unmündig Heimsuchung hineinfallen sich kümmern Wohlgefallen haben gehorchen Schlaf mächtig Bogen Güte bewachen Geißel gleichmachen Pfeil würdig versuchen Treue Stolz stärken Richter verborgen
hVers(x) [in ‰] 0,25 0,25 0,24 0,24 0,24 0,24 0,24 0,24 0,24 0,24 0,24 0,24 0,24 0,24 0,24 0,24 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,23 0,22 0,22 0,22 0,22 0,22 0,22 0,22 0,22 0,22 0,22 0,22 0,21 0,21
337 hVers(x) hS(x) 2,22 2,22 23,48 7,34 5,59 5,59 4,52 4,35 4,35 4,05 3,79 3,67 3,35 3,35 2,40 2,40 28,13 22,50 4,69 4,50 4,02 3,75 3,52 3,21 3,21 2,45 2,12 35,87 7,69 7,17 5,98 5,66 4,30 3,71 2,99 2,69 2,56 2,11 51,36 20,54
338 Nr. 276. 277. 278. 279. 280. 281. 282. 283. 284. 285. 286. 287. 288. 289. 290. 291. 292. 293. 294. 295. 296. 297. 298. 299. 300. 301. 302. 303. 304. 305. 306. 307. 308. 309. 310. 311. 312. 313. 314. 315.
Anhang I
x Ȝցʍȡȣ İȡȜțȞչȘȧ ԔȟıȤ ʍȝչIJIJȧ ԐIJȚıȟջȧ ԐİțȜջȧ ԚȗıտȢȧ ıȚփijșȣ Ȟչȥș ՌȢȚցȣ ȚջȝșȞį ijսȜȧ ijțȞչȧ ȖİıȝփIJIJȧ ȡԼȜջijșȣ ՌȢĴįȟցȣ IJijșȢտȘȧ ʍȡțȞįտȟȧ IJȤȟįȟijչȧ ԑȗտįIJȞį ԚʍտIJijįȞįț ʍįȟȡףȢȗȡȣ İցIJțȣ Ԑİփȟįijȡȣ ȞįȜȢփȟȧ İțչȖȡȝȡȣ Ԛʍįțȟջȧ ȟȡջȧ ȞįIJijցȣ ՙʍȟցȧ Șȡȟ ijտȞțȡȣ ԐȟչȗȜș ȥȢ׆Ȟį Ȝȡʍțչȧ İțįȟȡջȡȞįț ȖįȢփȣ ԐȗįȝȝտįIJțȣ ՙʍıȢįIJʍțIJijսȣ ՀįIJțȣ
Mühsal prüfen ohne formen schwach sein Unrecht tun aufrichten Rechtschaffenheit Kampf aufrecht Wille schmelzen ehren verabscheuen Diener verwaist unterstützen hüten treffen Heiligtum können weise Gabe kraftlos fern sein Feind loben verstehen Brust schlafen Lebewesen edel Zwang Gut müde sein beabsichtigen schwer Jubel Beschützer Heilung
hVers(x) [in ‰] 0,21 0,21 0,21 0,21 0,21 0,21 0,21 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,20 0,19 0,19 0,19 0,19 0,19 0,19 0,19 0,19 0,19 0,19 0,19 0,19 0,19 0,19 0,19 0,19 0,18 0,18 0,18
hVers(x) hS(x) 7,34 6,42 4,47 3,31 2,28 2,19 2,19 32,61 8,15 4,45 4,25 3,62 3,49 3,06 3,06 3,06 2,96 2,88 2,57 2,22 2,17 -30,98 13,28 13,28 11,62 9,29 7,15 5,81 5,47 5,16 4,43 4,22 4,22 3,00 2,58 2,16 44,02 44,02 8,80
Charakteristisches Vokabular der versförmigen Schriften in der LXX
Nr. 316. 317. 318. 319. 320. 321. 322. 323. 324. 325. 326. 327. 328. 329. 330. 331. 332. 333. 334. 335. 336. 337. 338. 339. 340. 341. 342. 343. 344. 345. 346. 347. 348. 349. 350. 351. 352. 353. 354. 355.
x IJȡĴտȘȧ ʍıȢțʍįijջȧ ՍȞȡȚȤȞįİցȟ թȢįהȡȣ ĴȡȖıȢցȣ Ԑȝȝȡțցȧ ĴȧijտȘȧ IJȜջʍș Ș׆ȝȡȣ IJȖջȟȟȤȞț ȜįijįȖչȝȝȧ ʍȢȡIJİջȥȡȞįț ՀIJȡȣ ʍıțȟչȧ ĴȝցȠ ȚıȧȢջȧ ʍչȢıțȞț ȖȢȡijցȣ ȝչȢȤȗȠ ԐȟijțȝսȞʍijȧȢ ԐʍȡȖįտȟȧ İțįȞջȟȧ Ԛȟİıսȣ ԚȠȡȞȡȝցȗșIJțȣ ȞįȜįȢտȘȧ ԚȟıİȢıփȧ Ȝįijįțȗտȣ ijȢȡĴս ԐȟİȢıהȡȣ ՝Ȟȟȡȣ ıIJıȖսȣ ȜįȤȥչȡȞįț IJijıȢıցȧ Ȝȡȝȝչȧ Ȝįijįʍտȟȧ Ȝցȝʍȡȣ ȥցȢijȡȣ Ԑʍջȥȧ ȚıȞıȝțցȧ ʍįȢįȖȡȝս
weise machen wandeln einhellig schön fürchterlich ändern leuchten Schutz Eifer auslöschen herunterwerfen empfangen gleich hungern Flamme betrachten dabei sein Sterblicher Kehle Beschützer vergehen bleiben bedürftig Lobpreis selig preisen einen Hinterhalt legen Windstoß Nahrung männlich Lobgesang fromm prahlen befestigen zusammenfügen verschlucken Wölbung Gras fern sein gründen Sprichwort
hVers(x) [in ‰] 0,18 0,18 0,18 0,18 0,18 0,18 0,18 0,18 0,18 0,18 0,18 0,18 0,18 0,18 0,18 0,18 0,18 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17
339 hVers(x) hS(x) 7,34 5,50 4,89 4,89 4,63 4,40 4,00 3,83 3,26 3,26 3,14 2,93 2,84 2,84 2,67 2,52 2,10 --41,58 27,72 27,72 11,88 9,24 9,24 7,56 6,93 6,40 5,94 5,94 4,89 4,89 4,89 4,38 3,78 3,46 3,08 2,97 2,97 2,97
340 Nr. 356. 357. 358. 359. 360. 361. 362. 363. 364. 365. 366. 367. 368. 369. 370. 371. 372. 373. 374. 375. 376. 377. 378. 379. 380. 381. 382. 383. 384. 385. 386. 387. 388. 389. 390. 391. 392. 393. 394. 395.
Anhang I
x ԚȠįȝıտĴȧ ȗȟȧȢտȘȧ ȞįȟȚչȟȧ ȞչȢijȤȣ ԔȜįȜȡȣ İțչȖșȞį ʍijȧȥıտį ȝįȝțչ ȜįijįĴȤȗս ԚʍțȝսȚȧ ԚȝıսȞȧȟ ʍșȝցȣ ԐijțȞչȘȧ İțįIJijȢջĴȧ İȢչȜȧȟ Ĵțȝտį IJıȝսȟș ijįȞțıהȡȟ IJȜıʍչȘȧ ʍȤȢցȧ ȥȡףȣ İıIJʍցijșȣ ȚıȞջȝțȡȣ ՌȜȟșȢցȣ ԐʍįտİıȤijȡȣ ȞȟսȞș İțįȝȡȗțIJȞցȣ Ȝįijįȗıȝչȧ עսȗȟȤȞț ԐȢȥįהȡȣ ԐȟįȖįȚȞցȣ ԥȟıȜį IJȤȟijșȢջȧ ʍȡȟșȢıփȡȞįț IJȧijսȢ ԔIJijȢȡȟ ԭIJȤȥչȘȧ ԚĴȡȢչȧ ԐȝșȚțȟցȣ IJijȢջĴȧ
abwischen bekanntmachen lernen Zeuge arglos Schritt Armut Gespräch Zufluchtsort vergessen lassen barmherzig Erde beschämen verleiten Drache Freundschaft Mond Speicher bedecken brennen Staub Gebieter Fundament faul töricht Erinnerung Gedanke auslachen zerreißen ursprünglich Stufe wegen bewahren böse sein Retter Stern still bleiben achten auf zuverlässig hinwenden
hVers(x) [in ‰] 0,17 0,17 0,17 0,17 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,16 0,15 0,15 0,15 0,15 0,15 0,15 0,15 0,15 0,15 0,15 0,15 0,15 0,15 0,15 0,15 0,15 0,15
hVers(x) hS(x) 2,68 2,60 2,25 2,03 78,26 78,26 26,09 13,04 9,78 5,59 5,22 5,22 4,60 4,12 3,91 3,91 3,56 3,56 2,61 2,24 2,17 2,06 2,06 -36,69 36,69 18,34 10,48 8,15 6,67 6,11 5,64 4,08 3,86 3,67 3,49 2,72 2,53 2,45 2,10
Charakteristisches Vokabular der versförmigen Schriften in der LXX
Nr. 396. 397. 398. 399. 400. 401. 402. 403. 404. 405. 406. 407. 408. 409. 410. 411. 412. 413. 414. 415. 416. 417. 418. 419. 420. 421. 422. 423. 424. 425. 426. 427. 428. 429. 430. 431. 432. 433. 434. 435.
x ԐȜįȜտį Ȟıȝջijș ȞȡȥȚջȧ ԔȞıȞʍijȡȣ ՙIJijıȢջȧ İıțȟցȣ ȚșȢıփȧ ՐȝȝȤȞț ȜțȚչȢį ȜףȞį ijıȝıȤijս ʍțȜȢտį ʍįȝįțցȧ İչȜȢȤ Հȥȟȡȣ İȧȢıչ İıȜijցȣ Ԛʍջȥȧ ıȝįȖջȡȞįț İțȦչȧ ȞıȗțIJijչȟ ԚȟijȢջʍȧ ԚȢȗįIJտį İıIJȞցȣ ʍıȟտį ʍįȢȡțȜտį Ԥȟİıțį ȞįȜȢցȚȤȞȡȣ ʍȢȡĴȚչȟȧ ȦįȝijսȢțȡȟ ʍijȞį IJijıȟįȗȞցȣ ԚʍįȟտIJijșȞț ȡԼȜijțȢȞցȣ ʍսȗȟȤȞț IJțȧʍչȧ ʍijIJțȣ İտȜș ȜįijįIJijȢջĴȧ ՙʍıȢȡȢչȧ
Arglosigkeit Nachdenken sich anstrengen untadelig zu spät kommen schrecklich nachjagen zerstören Laute Woge Lebensende Bitterkeit alt machen Träne Spur Geschenk angenehm festhalten fürchten dürsten Vornehmer beschämen Arbeit Fessel Armut Fremde Mangel langmütig zuvorkommen Saiteninstrument Leichnam Seufzer aufstellen Mitleid errichten schweigen Sturz Strafe umwerfen nicht beachten
hVers(x) [in ‰] 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,14 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13
341 hVers(x) hS(x) -68,48 34,24 22,83 13,70 11,41 8,56 7,61 6,85 6,23 5,71 4,89 4,57 3,80 3,80 3,60 3,42 2,85 2,85 2,63 2,45 2,21 2,21 2,08 -10,60 9,08 9,08 9,08 9,08 7,07 4,89 3,97 3,35 3,18 2,89 2,76 2,65 2,36 2,05
342
Anhang I
Nr. 436. 437. 438. 439. 440. 441. 442. 443. 444. 445. 446. 447. 448. 449. 450. 451. 452. 453. 454. 455. 456. 457. 458. 459. 460.
x ԚȠįȗȗջȝȝȧ ʍıȢțIJIJıտį ʍցijıȢȡȟ ... ... ȗȝȤȜįտȟȧ İտįțijį ȟȡȤȚıijջȧ ȥȡȢijչȘȧ ԚȜİțșȗջȡȞįț ȗջȝȧȣ ijțijȢօIJȜȧ ԐIJȚıȟսȣ ȜȡȝչȘȧ ԚȞʍțIJijıփȧ ԚʍțȥįտȢȧ ȡԼȜijտȢȞȧȟ ʍȟȡս ȖįȚփȣ ȜįփȥșȞį ȥțօȟ IJĴȢįȗտȣ Ȝįijįȟȡջȧ IJȤȟijȢțȖս Ȝ׆ʍȡȣ ԑȢʍչȘȧ ȥչȝįȠį
weithinaus verkünden Vorteil ob ... oder ... versüßen Lebensstil warnen sättigen erzählen Gelächter verwunden schwach bestrafen vertrauen sich freuen mitleidig Wind tief Stolz Schnee Siegel bemerken Aufreibung Garten rauben Hagel
hVers(x) [in ‰] 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12
hVers(x) hS(x) ---58,70 58,70 58,70 58,70 29,35 7,34 7,34 5,87 5,87 5,34 5,34 5,34 5,34 4,89 4,89 4,89 4,19 3,67 3,09 2,45 2,35 2,17
Im Vergleich dieser Liste mit dem charakteristischen Vokabular der Psalmen3 fällt auf, dass eine große Schnittmenge besteht. 256 Vokabeln tauchen in beiden Listen auf. Das bedeutet: 69,95% des charakteristischen Vokabulars der Psalmen gehören auch zum charakteristischen Vokabular der versförmigen Schriften Vers; und 55,65% des charakteristischen Vokabulars von Vers sind auch im charakteristischen Vokabular der Ps enthalten.
3
S.o. Vgl. hierzu auch Punkt 1.1.2.
Anhang II: Der Wechsel zwischen Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
1,1a
ԦʍıțİսʍıȢ ʍȡȝȝȡվ ԚʍıȥıտȢșIJįȟ ԐȟįijչȠįIJȚįț İțսȗșIJțȟ b ʍıȢվ ijȟ ʍıʍȝșȢȡĴȡȢșȞջȟȧȟ Ԛȟ ԭȞהȟ ʍȢįȗȞչijȧȟ, 2a ȜįȚքȣ ʍįȢջİȡIJįȟ ԭȞהȟ ȡԽ Ԑʍ’ ԐȢȥ׆ȣ įijցʍijįț b Ȝįվ ՙʍșȢջijįț ȗıȟցȞıȟȡț ijȡ ףȝȡȗȡף, 3a ԤİȡȠı ȜԐȞȡվ ʍįȢșȜȡȝȡȤȚșȜցijț ԔȟȧȚıȟ ʍֻIJțȟ ԐȜȢțȖȣ b ȜįȚıȠ׆ȣ IJȡț ȗȢչȦįț, ȜȢչijțIJijı ĭıցĴțȝı, 4 Ձȟį Ԛʍțȗȟȣ ʍıȢվ կȟ ȜįijșȥսȚșȣ ȝցȗȧȟ ijռȟ ԐIJĴչȝıțįȟ. 5a
Ԧȗջȟıijȡ Ԛȟ ijįהȣ ԭȞջȢįțȣ ԵȢİȡȤ ȖįIJțȝջȧȣ ij׆ȣ ՄȡȤİįտįȣ b ԽıȢıփȣ ijțȣ ՌȟցȞįijț ǾįȥįȢտįȣ ԚȠ ԚĴșȞıȢտįȣ ԘȖțչ, c Ȝįվ ȗȤȟռ įij ԚȜ ijȟ ȚȤȗįijջȢȧȟ ԘįȢքȟ Ȝįվ ijր ՐȟȡȞį įij׆ȣ ԦȝțIJչȖıij. 6a ԲIJįȟ İպ İտȜįțȡț ԐȞĴցijıȢȡț Ԛȟįȟijտȡȟ ijȡ ףȚıȡף, b ʍȡȢıȤցȞıȟȡț Ԛȟ ʍչIJįțȣ ijįהȣ Ԛȟijȡȝįהȣ Ȝįվ İțȜįțօȞįIJțȟ ijȡ ףȜȤȢտȡȤ ԔȞıȞʍijȡț. 7a Ȝįվ ȡȜ Բȟ įijȡהȣ ijջȜȟȡȟ, ȜįȚցijț Բȟ ԭ ԦȝțIJչȖıij IJijıהȢį, b Ȝįվ ԐȞĴցijıȢȡț ʍȢȡȖıȖșȜցijıȣ Ԛȟ ijįהȣ ԭȞջȢįțȣ įijȟ ԲIJįȟ. 8a Ԧȗջȟıijȡ İպ Ԛȟ ij ԽıȢįijıփıțȟ įijրȟ b Ԛȟ ij ׇijչȠıț ij׆ȣ ԚĴșȞıȢտįȣ įijȡ ףԤȟįȟijț ijȡ ףȚıȡף, 9a Ȝįijո ijր ԤȚȡȣ ij׆ȣ ԽıȢįijıտįȣ Ԥȝįȥı b ijȡ ףȚȤȞțֻIJįț ıԼIJıȝȚքȟ ıԼȣ ijրȟ ȟįրȟ ijȡ ףȜȤȢտȡȤ, 10a Ȝįվ ʍֻȟ ijր ʍȝ׆Țȡȣ Բȟ ijȡ ףȝįȡ ףʍȢȡIJıȤȥցȞıȟȡȟ ԤȠȧ b ij ׇխȢֹ ijȡ ףȚȤȞțչȞįijȡȣ. 11a լĴȚș İպ įij Ԕȗȗıȝȡȣ ȜȤȢտȡȤ b ԛIJijքȣ ԚȜ İıȠțȟ ijȡ ףȚȤIJțįIJijșȢտȡȤ ijȡ ףȚȤȞțչȞįijȡȣ. 12a Ȝįվ ԚijįȢչȥȚș ǾįȥįȢտįȣ Լİքȟ b Ȝįվ ĴցȖȡȣ ԚʍջʍıIJıȟ Ԛʍ’ įijցȟ. 13a ıՂʍıȟ İպ ʍȢրȣ įijրȟ Ս Ԕȗȗıȝȡȣǝ b
Ȟռ ĴȡȖȡף, ǾįȥįȢտį, İțցijț ıԼIJșȜȡփIJȚș ԭ İջșIJտȣ IJȡȤ, Ȝįվ ԭ ȗȤȟս IJȡȤ ԦȝțIJչȖıij ȗıȟȟսIJıț ȤԽցȟ IJȡț d Ȝįվ ȜįȝջIJıțȣ ijր ՐȟȡȞį įijȡ ףՄȧչȟȟșȟ. 14a Ȝįվ ԤIJijįț ȥįȢչ IJȡț Ȝįվ ԐȗįȝȝտįIJțȣ b Ȝįվ ʍȡȝȝȡվ Ԛʍվ ij ׇȗıȟջIJıț įijȡ ףȥįȢսIJȡȟijįț. 15a ԤIJijįț ȗոȢ Ȟջȗįȣ Ԛȟօʍțȡȟ ijȡ ףȜȤȢտȡȤ, b Ȝįվ ȡՂȟȡȟ Ȝįվ IJտȜıȢį ȡ Ȟռ ʍտׄ, c Ȝįվ ʍȟıփȞįijȡȣ ԑȗտȡȤ ʍȝșIJȚսIJıijįț Ԥijț ԚȜ Ȝȡțȝտįȣ ȞșijȢրȣ įijȡף, 16 Ȝįվ ʍȡȝȝȡւȣ ijȟ ȤԽȟ ՄIJȢįռȝ ԚʍțIJijȢջȦıț Ԛʍվ ȜփȢțȡȟ ijրȟ Țıրȟ įijȟ. 17a Ȝįվ įijրȣ ʍȢȡıȝıփIJıijįț Ԛȟօʍțȡȟ įijȡ ףԚȟ ʍȟıփȞįijț Ȝįվ İȤȟչȞıț ԴȝտȡȤ, b ԚʍțIJijȢջȦįț ȜįȢİտįȣ ʍįijջȢȧȟ Ԛʍվ ijջȜȟį c Ȝįվ ԐʍıțȚıהȣ Ԛȟ ĴȢȡȟսIJıț İțȜįտȧȟ, d ԛijȡțȞչIJįț ȜȤȢտ ȝįրȟ ȜįijıIJȜıȤįIJȞջȟȡȟ. c
344
Anhang II
18a
Ȝįվ ıՂʍıȟ ǾįȥįȢտįȣ ʍȢրȣ ijրȟ Ԕȗȗıȝȡȟǝ b Ȝįijո ijտ ȗȟօIJȡȞįț ijȡףijȡ; c Ԛȗք ȗչȢ ıԼȞț ʍȢıIJȖփijșȣ d Ȝįվ ԭ ȗȤȟս ȞȡȤ ʍȢȡȖıȖșȜȤהį Ԛȟ ijįהȣ ԭȞջȢįțȣ įij׆ȣ. 19a Ȝįվ ԐʍȡȜȢțȚıվȣ Ս Ԕȗȗıȝȡȣ ıՂʍıȟ įijǝ b Ԛȗօ ıԼȞț ĬįȖȢțռȝ Ս ʍįȢıIJijșȜքȣ Ԛȟօʍțȡȟ ijȡ ףȚıȡ ףc Ȝįվ ԐʍıIJijչȝșȟ ȝįȝ׆IJįț ʍȢրȣ IJպ Ȝįվ ıįȗȗıȝտIJįIJȚįտ IJȡț ijįףijįǝ 20a Ȝįվ Լİȡւ ԤIJׄ IJțȧʍȟ b Ȝįվ Ȟռ İȤȟչȞıȟȡȣ ȝįȝ׆IJįț ԔȥȢț Բȣ ԭȞջȢįȣ ȗջȟșijįț ijįףijį, c ԐȟȚ’ կȟ ȡȜ ԚʍտIJijıȤIJįȣ ijȡהȣ ȝցȗȡțȣ ȞȡȤ, d ȡՁijțȟıȣ ʍȝșȢȧȚսIJȡȟijįț ıԼȣ ijրȟ ȜįțȢրȟ įijȟ. 21a ȁįվ Բȟ Ս ȝįրȣ ʍȢȡIJİȡȜȟ ijրȟ ǾįȥįȢտįȟ b Ȝįվ ԚȚįփȞįȘȡȟ Ԛȟ ij ȥȢȡȟտȘıțȟ Ԛȟ ij ȟį įijցȟ. 22a ԚȠıȝȚքȟ İպ ȡȜ Ԛİփȟįijȡ ȝįȝ׆IJįț įijȡהȣ, b Ȝįվ ԚʍջȗȟȧIJįȟ Ցijț ՌʍijįIJտįȟ ԛօȢįȜıȟ Ԛȟ ij ȟįǝ c Ȝįվ įijրȣ Բȟ İțįȟıփȧȟ įijȡהȣ Ȝįվ İțջȞıȟıȟ ȜȧĴցȣ. 23a Ȝįվ Ԛȗջȟıijȡ թȣ ԚʍȝսIJȚșIJįȟ įԽ ԭȞջȢįț ij׆ȣ ȝıțijȡȤȢȗտįȣ įijȡף, b Ԑʍ׆ȝȚıȟ ıԼȣ ijրȟ ȡՂȜȡȟ įijȡף. 24a ȃıijո İպ ijįփijįȣ ijոȣ ԭȞջȢįȣ IJȤȟջȝįȖıȟ ԦȝțIJչȖıij ԭ ȗȤȟռ įijȡ ףb Ȝįվ ʍıȢțջȜȢȤȖıȟ ԛįȤijռȟ Ȟ׆ȟįȣ ʍջȟijı ȝջȗȡȤIJį 25a Ցijț ȡ՝ijȧȣ Ȟȡț ʍıʍȡտșȜıȟ ȜփȢțȡȣ b Ԛȟ ԭȞջȢįțȣ įՃȣ Ԛʍıהİıȟ ԐĴıȝıהȟ Րȟıțİցȣ ȞȡȤ Ԛȟ ԐȟȚȢօʍȡțȣ. 26a
Ԧȟ İպ ij Ȟșȟվ ij ԥȜij ԐʍıIJijչȝș Ս Ԕȗȗıȝȡȣ ĬįȖȢțռȝ Ԑʍր ijȡ ףȚıȡ ףb ıԼȣ ʍցȝțȟ ij׆ȣ Ĭįȝțȝįտįȣ ֝ ՐȟȡȞį ȄįȘįȢպȚ 27a ʍȢրȣ ʍįȢȚջȟȡȟ ԚȞȟșIJijıȤȞջȟșȟ ԐȟİȢվ ֭ ՐȟȡȞį ՄȧIJռĴ ԚȠ ȡՀȜȡȤ ǼįȤվİ b Ȝįվ ijր ՐȟȡȞį ij׆ȣ ʍįȢȚջȟȡȤ ȃįȢțչȞ. 28a Ȝįվ ıԼIJıȝȚքȟ ʍȢրȣ įijռȟ ıՂʍıȟǝ b ȥįהȢı, ȜıȥįȢțijȧȞջȟș, Ս ȜփȢțȡȣ Ȟıijո IJȡף. 29a ԭ İպ Ԛʍվ ij ȝցȗ İțıijįȢչȥȚș b Ȝįվ İțıȝȡȗտȘıijȡ ʍȡijįʍրȣ ıՀș Ս ԐIJʍįIJȞրȣ ȡ՟ijȡȣ. 30a Ȝįվ ıՂʍıȟ Ս Ԕȗȗıȝȡȣ įijׇǝ b
Ȟռ ĴȡȖȡף, ȃįȢțչȞ, ı՟Ȣıȣ ȗոȢ ȥչȢțȟ ʍįȢո ij Țı. Ȝįվ Լİȡւ IJȤȝȝսȞȦׄ Ԛȟ ȗįIJijȢվ b Ȝįվ ijջȠׄ ȤԽրȟ c Ȝįվ ȜįȝջIJıțȣ ijր ՐȟȡȞį įijȡ ףՄșIJȡףȟ. 32a ȡ՟ijȡȣ ԤIJijįț Ȟջȗįȣ b Ȝįվ ȤԽրȣ ՙȦտIJijȡȤ ȜȝșȚսIJıijįț c Ȝįվ İօIJıț įij ȜփȢțȡȣ Ս Țıրȣ ijրȟ ȚȢցȟȡȟ ǼįȤվİ ijȡ ףʍįijȢրȣ įijȡף, 33a Ȝįվ ȖįIJțȝıփIJıț Ԛʍվ ijրȟ ȡՂȜȡȟ ՄįȜքȖ ıԼȣ ijȡւȣ įԼȟįȣ b Ȝįվ ij׆ȣ ȖįIJțȝıտįȣ įijȡ ףȡȜ ԤIJijįț ijջȝȡȣ. 31a
34a
ıՂʍıȟ İպ ȃįȢțչȞ ʍȢրȣ ijրȟ Ԕȗȗıȝȡȟǝ b ʍȣ ԤIJijįț ijȡףijȡ, Ԛʍıվ ԔȟİȢį ȡ ȗțȟօIJȜȧ; 35a Ȝįվ ԐʍȡȜȢțȚıվȣ Ս Ԕȗȗıȝȡȣ ıՂʍıȟ įijׇǝ b c
ʍȟıףȞį ԕȗțȡȟ ԚʍıȝıփIJıijįț Ԛʍվ IJı Ȝįվ İփȟįȞțȣ ՙȦտIJijȡȤ ԚʍțIJȜțչIJıț IJȡțǝ
d
İțր Ȝįվ ijր ȗıȟȟօȞıȟȡȟ ԕȗțȡȟ ȜȝșȚսIJıijįț ȤԽրȣ Țıȡף. 36a Ȝįվ Լİȡւ ԦȝțIJչȖıij ԭ IJȤȗȗıȟտȣ IJȡȤ b Ȝįվ įijռ IJȤȟıտȝșĴıȟ ȤԽրȟ Ԛȟ ȗսȢıț įij׆ȣ c Ȝįվ ȡ՟ijȡȣ Ȟռȟ ԥȜijȡȣ ԚIJijվȟ įij ׇij ׇȜįȝȡȤȞջȟׄ IJijıտȢֹǝ 37 Ցijț ȡȜ ԐİȤȟįijսIJıț ʍįȢո ijȡ ףȚıȡ ףʍֻȟ ׆עȞį. 38a ıՂʍıȟ İպ ȃįȢțչȞǝ b Լİȡւ ԭ İȡփȝș ȜȤȢտȡȤǝ ȗջȟȡțijց Ȟȡț Ȝįijո ijր ׆עȞչ IJȡȤ. c Ȝįվ Ԑʍ׆ȝȚıȟ Ԑʍ’ įij׆ȣ Ս Ԕȗȗıȝȡȣ. 39a
ԘȟįIJijֻIJį İպ ȃįȢțոȞ Ԛȟ ijįהȣ ԭȞջȢįțȣ ijįփijįțȣ b ԚʍȡȢıփȚș ıԼȣ ijռȟ ՌȢıțȟռȟ Ȟıijո IJʍȡȤİ׆ȣ ıԼȣ ʍցȝțȟ Մȡփİį, 40a Ȝįվ ıԼIJ׆ȝȚıȟ ıԼȣ ijրȟ ȡՂȜȡȟ ǾįȥįȢտȡȤ b Ȝįվ ԬIJʍչIJįijȡ ijռȟ
Der Wechsel zwischen Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
345
ԦȝțIJչȖıij. 41a Ȝįվ Ԛȗջȟıijȡ թȣ ȜȡȤIJıȟ ijրȟ ԐIJʍįIJȞրȟ ij׆ȣ ȃįȢտįȣ b ԭ ԦȝțIJչȖıij, ԚIJȜտȢijșIJıȟ ijր ȖȢջĴȡȣ Ԛȟ ij ׇȜȡțȝտֹ įij׆ȣ, c Ȝįվ ԚʍȝսIJȚș ʍȟıփȞįijȡȣ ԑȗտȡȤ ԭ ԦȝțIJչȖıij, 42a Ȝįվ ԐȟıĴօȟșIJıȟ ȜȢįȤȗ ׇȞıȗչȝׄ Ȝįվ ıՂʍıȟǝ b c
ıȝȡȗșȞջȟș IJւ Ԛȟ ȗȤȟįțȠվȟ Ȝįվ ıȝȡȗșȞջȟȡȣ Ս ȜįȢʍրȣ ij׆ȣ Ȝȡțȝտįȣ IJȡȤ.
43
Ȝįվ ʍցȚıȟ Ȟȡț ijȡףijȡ Ձȟį ԤȝȚׄ ԭ ȞսijıȢ ijȡ ףȜȤȢտȡȤ ȞȡȤ ʍȢրȣ ԚȞջ; 44a Լİȡւ ȗոȢ թȣ Ԛȗջȟıijȡ ԭ Ĵȧȟռ ijȡ ףԐIJʍįIJȞȡ ףIJȡȤ ıԼȣ ijո ծijչ ȞȡȤ, b ԚIJȜտȢijșIJıȟ Ԛȟ ԐȗȗįȝțչIJıț ijր ȖȢջĴȡȣ Ԛȟ ij ׇȜȡțȝտֹ ȞȡȤ. 45 Ȝįվ ȞįȜįȢտį ԭ ʍțIJijıփIJįIJį Ցijț ԤIJijįț ijıȝıտȧIJțȣ ijȡהȣ ȝıȝįȝșȞջȟȡțȣ įij ׇʍįȢո ȜȤȢտȡȤ. 46a ȁįվ ıՂʍıȟ ȃįȢțչȞǝ b
ȃıȗįȝփȟıț ԭ ȦȤȥս ȞȡȤ ijրȟ ȜփȢțȡȟ, Ȝįվ ԬȗįȝȝտįIJıȟ ijր ʍȟıףȞչ ȞȡȤ Ԛʍվ ij Țı ij IJȧij׆Ȣտ ȞȡȤ, 48a Ցijț ԚʍջȖȝıȦıȟ Ԛʍվ ijռȟ ijįʍıտȟȧIJțȟ ij׆ȣ İȡփȝșȣ įijȡף. b Լİȡւ ȗոȢ Ԑʍր ijȡ ףȟףȟ ȞįȜįȢțȡףIJտȟ Ȟı ʍֻIJįț įԽ ȗıȟıįտ, 49a Ցijț ԚʍȡտșIJջȟ Ȟȡț Ȟıȗչȝį Ս İȤȟįijցȣ. b Ȝįվ ԕȗțȡȟ ijր ՐȟȡȞį įijȡף, 50 Ȝįվ ijր Ԥȝıȡȣ įijȡ ףıԼȣ ȗıȟıոȣ Ȝįվ ȗıȟıոȣ ijȡהȣ ĴȡȖȡȤȞջȟȡțȣ įijցȟ. 51a ԦʍȡտșIJıȟ ȜȢչijȡȣ Ԛȟ ȖȢįȥտȡȟț įijȡף, b İțıIJȜցȢʍțIJıȟ ՙʍıȢșĴչȟȡȤȣ İțįȟȡտֹ ȜįȢİտįȣ įijȟǝ 52a ȜįȚıהȝıȟ İȤȟչIJijįȣ Ԑʍր ȚȢցȟȧȟ b Ȝįվ ՝ȦȧIJıȟ ijįʍıțȟȡփȣ, 53a ʍıțȟȟijįȣ ԚȟջʍȝșIJıȟ ԐȗįȚȟ b Ȝįվ ʍȝȡȤijȡףȟijįȣ ԚȠįʍջIJijıțȝıȟ Ȝıȟȡփȣ. 54 ԐȟijıȝչȖıijȡ ՄIJȢįռȝ ʍįțİրȣ įijȡף, ȞȟșIJȚ׆ȟįț ԚȝջȡȤȣ, 55a ȜįȚքȣ ԚȝչȝșIJıȟ ʍȢրȣ ijȡւȣ ʍįijջȢįȣ ԭȞȟ, b ij ԘȖȢįոȞ Ȝįվ ij IJʍջȢȞįijț įijȡ ףıԼȣ ijրȟ įԼȟį. 47
56a
ԪȞıțȟıȟ İպ ȃįȢțոȞ IJւȟ įij ׇթȣ Ȟ׆ȟįȣ ijȢıהȣ, įij׆ȣ. 57
b
Ȝįվ ՙʍջIJijȢıȦıȟ ıԼȣ ijրȟ ȡՂȜȡȟ
Ȋ ׇİպ ԦȝțIJչȖıij ԚʍȝսIJȚș Ս ȥȢցȟȡȣ ijȡ ףijıȜıהȟ įijռȟ Ȝįվ ԚȗջȟȟșIJıȟ ȤԽցȟ. 58a Ȝįվ ȜȡȤIJįȟ ȡԽ ʍıȢտȡțȜȡț Ȝįվ ȡԽ IJȤȗȗıȟıהȣ įij׆ȣ b Ցijț ԚȞıȗչȝȤȟıȟ ȜփȢțȡȣ ijր Ԥȝıȡȣ įijȡף Ȟıij’ įij׆ȣ c Ȝįվ IJȤȟջȥįțȢȡȟ įijׇ. 59a ȁįվ Ԛȗջȟıijȡ Ԛȟ ij ׇԭȞջȢֹ Ռȗİցׄ ԲȝȚȡȟ ʍıȢıțijıȞıהȟ ijր ʍįțİտȡȟ b Ȝįվ ԚȜչȝȡȤȟ įijր Ԛʍվ ij ՌȟցȞįijț ijȡ ףʍįijȢրȣ įijȡ ףǾįȥįȢտįȟ. 60a Ȝįվ ԐʍȡȜȢțȚıהIJį ԭ ȞսijıȢ įijȡ ףıՂʍıȟǝ b ȡȥտ, Ԑȝȝո ȜȝșȚսIJıijįț Մȧչȟȟșȣ. 61a Ȝįվ ıՂʍįȟ ʍȢրȣ įijռȟ b Ցijț ȡİıտȣ ԚIJijțȟ ԚȜ ij׆ȣ IJȤȗȗıȟıտįȣ IJȡȤ Ցȣ Ȝįȝıהijįț ij ՌȟցȞįijț ijȡփij. 62 ԚȟջȟıȤȡȟ İպ ij ʍįijȢվ įijȡ ףijր ijտ Ԕȟ Țջȝȡț ȜįȝıהIJȚįț įijց. 63a Ȝįվ įԼijսIJįȣ ʍțȟįȜտİțȡȟ ԤȗȢįȦıȟ ȝջȗȧȟǝ b Մȧչȟȟșȣ ԚIJijվȟ ՐȟȡȞį įijȡף. c Ȝįվ ԚȚįփȞįIJįȟ ʍչȟijıȣ. 64a ԐȟıȥȚș İպ ijր IJijցȞį įijȡ ףʍįȢįȥȢ׆Ȟį Ȝįվ ԭ ȗȝIJIJį įijȡף, b Ȝįվ Ԛȝչȝıț ıȝȡȗȟ ijրȟ Țıցȟ. 65a ȁįվ Ԛȗջȟıijȡ Ԛʍվ ʍչȟijįȣ ĴցȖȡȣ ijȡւȣ ʍıȢțȡțȜȡףȟijįȣ įijȡփȣ, b Ȝįվ Ԛȟ Ցȝׄ ij ׇՌȢıțȟׇ ij׆ȣ ՄȡȤİįտįȣ İțıȝįȝıהijȡ ʍչȟijį ijո עսȞįijį ijįףijį, 66a Ȝįվ ԤȚıȟijȡ ʍչȟijıȣ ȡԽ ԐȜȡփIJįȟijıȣ Ԛȟ ij ׇȜįȢİտֹ įijȟ ȝջȗȡȟijıȣǝ b ijտ ԔȢį ijր ʍįțİտȡȟ ijȡףijȡ ԤIJijįț; c Ȝįվ ȗոȢ ȥıվȢ ȜȤȢտȡȤ
346
Anhang II
Բȟ Ȟıij’ įijȡף. 67a ȁįվ ǾįȥįȢտįȣ Ս ʍįijռȢ įijȡ ףԚʍȝսIJȚș ʍȟıփȞįijȡȣ ԑȗտȡȤ ԚʍȢȡĴսijıȤIJıȟ ȝջȗȧȟǝ
b
Ȝįվ
68a
ǽȝȡȗșijրȣ ȜփȢțȡȣ Ս Țıրȣ ijȡ ףՄIJȢįսȝ, Ցijț ԚʍıIJȜջȦįijȡ Ȝįվ ԚʍȡտșIJıȟ ȝփijȢȧIJțȟ ij ȝį įijȡף, 69a Ȝįվ ȗıțȢıȟ ȜջȢįȣ IJȧijșȢտįȣ ԭȞהȟ b Ԛȟ ȡՀȜ ǼįȤվİ ʍįțİրȣ įijȡף, 70 ȜįȚքȣ ԚȝչȝșIJıȟ İțո IJijցȞįijȡȣ ijȟ ԑȗտȧȟ Ԑʍ’ įԼȟȡȣ ʍȢȡĴșijȟ įijȡף, 71a IJȧijșȢտįȟ ԚȠ ԚȥȚȢȟ ԭȞȟ b Ȝįվ ԚȜ ȥıțȢրȣ ʍչȟijȧȟ ijȟ ȞțIJȡփȟijȧȟ ԭȞֻȣ, 72a ʍȡț׆IJįț Ԥȝıȡȣ Ȟıijո ijȟ ʍįijջȢȧȟ ԭȞȟ b Ȝįվ ȞȟșIJȚ׆ȟįț İțįȚսȜșȣ ԑȗտįȣ įijȡף, 73a ՑȢȜȡȟ Տȟ լȞȡIJıȟ ʍȢրȣ ԘȖȢįոȞ ijրȟ ʍįijջȢį ԭȞȟ, b ijȡ ףİȡףȟįț ԭȞהȟ 74a ԐĴցȖȧȣ ԚȜ ȥıțȢրȣ ԚȥȚȢȟ עȤIJȚջȟijįȣ b ȝįijȢıփıțȟ įij 75a Ԛȟ ՍIJțցijșijț Ȝįվ İțȜįțȡIJփȟׄ b Ԛȟօʍțȡȟ įijȡ ףʍչIJįțȣ ԭȞջȢįțȣ ԭȞȟ. 76a ȁįվ IJւ İջ, ʍįțİտȡȟ, ʍȢȡĴսijșȣ ՙȦտIJijȡȤ ȜȝșȚսIJׄǝ b ʍȢȡʍȡȢıփIJׄ ȗոȢ Ԛȟօʍțȡȟ ȜȤȢտȡȤ ԛijȡțȞչIJįț Սİȡւȣ įijȡף, 77a ijȡ ףİȡףȟįț ȗȟIJțȟ IJȧijșȢտįȣ ij ȝį įijȡף b Ԛȟ ԐĴջIJıț ԑȞįȢijțȟ įijȟ, 78a İțո IJʍȝչȗȥȟį ԚȝջȡȤȣ Țıȡ ףԭȞȟ, b Ԛȟ ȡՃȣ ԚʍțIJȜջȦıijįț ԭȞֻȣ Ԑȟįijȡȝռ ԚȠ ՝ȦȡȤȣ, 79a ԚʍțĴֻȟįț ijȡהȣ Ԛȟ IJȜցijıț Ȝįվ IJȜțּ ȚįȟչijȡȤ ȜįȚșȞջȟȡțȣ, b ijȡ ףȜįijıȤȚףȟįț ijȡւȣ ʍցİįȣ ԭȞȟ ıԼȣ Սİրȟ ıԼȢսȟșȣ. b
80a
Ȋր İպ ʍįțİտȡȟ ș՜Ƞįȟıȟ Ȝįվ ԚȜȢįijįțȡףijȡ ʍȟıփȞįijț, ԭȞջȢįȣ ԐȟįİıտȠıȧȣ įijȡ ףʍȢրȣ ijրȟ ՄIJȢįսȝ.
b
Ȝįվ Բȟ Ԛȟ ijįהȣ ԚȢսȞȡțȣ ԥȧȣ
2,1a
Ԧȗջȟıijȡ İպ Ԛȟ ijįהȣ ԭȞջȢįțȣ ԚȜıտȟįțȣ b ԚȠ׆ȝȚıȟ İցȗȞį ʍįȢո ȁįտIJįȢȡȣ ǺȗȡփIJijȡȤ ԐʍȡȗȢչĴıIJȚįț ʍֻIJįȟ ijռȟ ȡԼȜȡȤȞջȟșȟ. 2 į՝ijș ԐʍȡȗȢįĴռ ʍȢօijș Ԛȗջȟıijȡ ԭȗıȞȡȟıփȡȟijȡȣ ij׆ȣ ȉȤȢտįȣ ȁȤȢșȟտȡȤ. 3 Ȝįվ ԚʍȡȢıփȡȟijȡ ʍչȟijıȣ ԐʍȡȗȢչĴıIJȚįț, ԥȜįIJijȡȣ ıԼȣ ijռȟ ԛįȤijȡ ףʍցȝțȟ. 4a ԘȟջȖș İպ Ȝįվ ՄȧIJռĴ Ԑʍր ijռȣ Ĭįȝțȝįտįȣ ԚȜ ʍցȝıȧȣ ȄįȘįȢպȚ b ıԼȣ ijռȟ ՄȡȤİįտįȟ ıԼȣ ʍցȝțȟ ǼįȤվİ Աijțȣ Ȝįȝıהijįț ǻșȚȝջıȞ, c İțո ijր ıՂȟįț įijրȟ ԚȠ ȡՀȜȡȤ Ȝįվ ʍįijȢțֻȣ ǼįȤտİ, 5 ԐʍȡȗȢչȦįIJȚįț IJւȟ ȃįȢțոȞ ij ׇԚȞȟșIJijıȤȞջȟׄ įij, ȡ՜IJׄ ԚȗȜփ. 6 Ԧȗջȟıijȡ İպ Ԛȟ ij ıՂȟįț įijȡւȣ ԚȜı הԚʍȝսIJȚșIJįȟ įԽ ԭȞջȢįț ijȡף ijıȜıהȟ įijսȟ, 7a Ȝįվ ԤijıȜıȟ ijրȟ ȤԽրȟ įij׆ȣ ijրȟ ʍȢȧijցijȡȜȡȟ, Ȝįվ ԚIJʍįȢȗչȟȧIJıȟ įijրȟ b Ȝįվ ԚȟջȜȝțȟıȟ įijրȟ Ԛȟ Ĵչijȟׄ, İțցijț ȡȜ Բȟ įijȡהȣ ijցʍȡȣ Ԛȟ ij ȜįijįȝփȞįijț. 8a
ȁįվ ʍȡțȞջȟıȣ ԲIJįȟ Ԛȟ ij ׇȥօȢֹ ij ׇįij ׇԐȗȢįȤȝȡףȟijıȣ b Ȝįվ ĴȤȝչIJIJȡȟijıȣ ĴȤȝįȜոȣ ij׆ȣ ȟȤȜijրȣ Ԛʍվ ijռȟ ʍȡտȞȟșȟ įijȟ. 9a Ȝįվ Ԕȗȗıȝȡȣ ȜȤȢտȡȤ ԚʍջIJijș įijȡהȣ b Ȝįվ İցȠį ȜȤȢտȡȤ ʍıȢțջȝįȞȦıȟ įijȡփȣ, c Ȝįվ ԚĴȡȖսȚșIJįȟ ĴցȖȡȟ Ȟջȗįȟ. 10a Ȝįվ ıՂʍıȟ įijȡהȣ Ս Ԕȗȗıȝȡȣǝ b Ȟռ ĴȡȖıהIJȚı, Լİȡւ ȗոȢ ıįȗȗıȝտȘȡȞįț ՙȞהȟ ȥįȢոȟ Ȟıȗչȝșȟ c Աijțȣ ԤIJijįț ʍįȟijվ ij ȝį, 11a Ցijț ԚijջȥȚș ՙȞהȟ IJսȞıȢȡȟ IJȧijռȢ b Ցȣ ԚIJijțȟ ȥȢțIJijրȣ ȜփȢțȡȣ Ԛȟ ʍցȝıț
Der Wechsel zwischen Vers und Prosa in Lukas 1,1–2,40
347
ǼįȤտİ. 12a Ȝįվ ijȡףijȡ ՙȞהȟ ijր IJșȞıהȡȟ, b ıՙȢսIJıijı ȖȢջĴȡȣ ԚIJʍįȢȗįȟȧȞջȟȡȟ Ȝįվ ȜıտȞıȟȡȟ Ԛȟ Ĵչijȟׄ. 13 Ȝįվ ԚȠįտĴȟșȣ Ԛȗջȟıijȡ IJւȟ ij Ԑȗȗջȝ ʍȝ׆Țȡȣ IJijȢįijțֻȣ ȡȢįȟտȡȤ įԼȟȡփȟijȧȟ ijրȟ Țıրȟ Ȝįվ ȝıȗցȟijȧȟǝ 14a b
İցȠį Ԛȟ ՙȦտIJijȡțȣ Țı Ȝįվ Ԛʍվ ȗ׆ȣ ıԼȢսȟș Ԛȟ ԐȟȚȢօʍȡțȣ ıİȡȜտįȣ.
15a
ȁįվ Ԛȗջȟıijȡ թȣ Ԑʍ׆ȝȚȡȟ Ԑʍ’ įijȟ ıԼȣ ijրȟ ȡȢįȟրȟ ȡԽ Ԕȗȗıȝȡț, b ȡԽ ʍȡțȞջȟıȣ ԚȝչȝȡȤȟ ʍȢրȣ ԐȝȝսȝȡȤȣǝ c İțջȝȚȧȞıȟ İռ ԥȧȣ ǻșȚȝջıȞ d Ȝįվ ՀİȧȞıȟ ijր ׆עȞį ijȡףijȡ ijր ȗıȗȡȟրȣ Ց Ս ȜփȢțȡȣ ԚȗȟօȢțIJıȟ ԭȞהȟ. 16a Ȝįվ ԲȝȚįȟ IJʍıփIJįȟijıȣ Ȝįվ ԐȟıףȢįȟ ijսȟ ijı ȃįȢțոȞ Ȝįվ ijրȟ ՄȧIJռĴ b Ȝįվ ijր ȖȢջĴȡȣ ȜıտȞıȟȡȟ Ԛȟ ij ׇĴչijȟׄǝ 17 Լİցȟijıȣ İպ ԚȗȟօȢțIJįȟ ʍıȢվ ijȡע ףսȞįijȡȣ ijȡ ףȝįȝșȚջȟijȡȣ įijȡהȣ ʍıȢվ ijȡ ףʍįțİտȡȤ ijȡփijȡȤ. 18 Ȝįվ ʍչȟijıȣ ȡԽ ԐȜȡփIJįȟijıȣ ԚȚįփȞįIJįȟ ʍıȢվ ijȟ ȝįȝșȚջȟijȧȟ ՙʍր ijȟ ʍȡțȞջȟȧȟ ʍȢրȣ įijȡփȣ. 19 ԭ İպ ȃįȢțոȞ ʍȑȟijį IJȤȟıijȓȢıț ijո עȓȞįijį ijįףijį IJȤȞȖȑȝȝȡȤIJį Ԛȟ ijׇ ȜįȢİȔֹ įij׆ȣ. 20a Ȝįվ ՙʍȒIJijȢıȦįȟ ȡԽ ʍȡțȞȒȟıȣ İȡȠȑȘȡȟijıȣ b Ȝįվ įԼȟȡףȟijıȣ ijրȟ Țıրȟ Ԛʍվ ʍֻIJțȟ ȡՃȣ ȜȡȤIJįȟ Ȝįվ ıՂİȡȟ ȜįȚքȣ ԚȝįȝȓȚș ʍȢրȣ įijȡȫȣ. 21a
ȁįվ Ցijı ԚʍȝսIJȚșIJįȟ ԭȞջȢįț ՌȜijք ijȡ ףʍıȢțijıȞıהȟ įijրȟ b Ȝįվ ԚȜȝսȚș ijր ՐȟȡȞį įijȡ ףՄșIJȡףȣ, c ijր ȜȝșȚպȟ ՙʍր ijȡ ףԐȗȗջȝȡȤ ʍȢր ijȡ ףIJȤȝȝșȞĴȚ׆ȟįț įijրȟ Ԛȟ ij ׇȜȡțȝտֹ. 22a ȁįվ Ցijı ԚʍȝսIJȚșIJįȟ įԽ ԭȞջȢįț ijȡ ףȜįȚįȢțIJȞȡ ףįijȟ Ȝįijո ijրȟ ȟցȞȡȟ ȃȧȩIJջȧȣ, b Ԑȟսȗįȗȡȟ įijրȟ ıԼȣ ՅıȢȡIJցȝȤȞį ʍįȢįIJij׆IJįț ij ȜȤȢտ, 23a ȜįȚքȣ ȗջȗȢįʍijįț Ԛȟ ȟցȞ ȜȤȢտȡȤ b Ցijț ʍֻȟ ԔȢIJıȟ İțįȟȡהȗȡȟ ȞսijȢįȟ ԕȗțȡȟ ij ȜȤȢտ ȜȝșȚսIJıijįț, 24a Ȝįվ ijȡף İȡףȟįț ȚȤIJտįȟ Ȝįijո ijր ıԼȢșȞջȟȡȟ Ԛȟ ij ȟցȞ ȜȤȢտȡȤ, b Șıףȗȡȣ ijȢȤȗցȟȧȟ Ԯ İփȡ ȟȡIJIJȡւȣ ʍıȢțIJijıȢȟ. 25a ȁįվ Լİȡւ ԔȟȚȢȧʍȡȣ Բȟ Ԛȟ ՄıȢȡȤIJįȝռȞ ֭ ՐȟȡȞį ȉȤȞıքȟ b Ȝįվ Ս ԔȟȚȢȧʍȡȣ ȡ՟ijȡȣ İտȜįțȡȣ Ȝįվ ıȝįȖռȣ c ʍȢȡIJİıȥցȞıȟȡȣ ʍįȢչȜȝșIJțȟ ijȡ ףՄIJȢįսȝ, d Ȝįվ ʍȟıףȞį Բȟ ԕȗțȡȟ Ԛʍ’ įijրȟǝ 26a Ȝįվ Բȟ įij ȜıȥȢșȞįijțIJȞջȟȡȟ ՙʍր ijȡ ףʍȟıփȞįijȡȣ ijȡף ԑȗտȡȤ b Ȟռ Լİıהȟ Țչȟįijȡȟ ʍȢվȟ Ԯ Ԓȟ Հİׄ ijրȟ ȥȢțIJijրȟ ȜȤȢտȡȤ. 27a Ȝįվ ԲȝȚıȟ Ԛȟ ij ʍȟıփȞįijț ıԼȣ ijր ԽıȢցȟǝ b Ȝįվ Ԛȟ ij ıԼIJįȗįȗıהȟ ijȡւȣ ȗȡȟıהȣ ijր ʍįțİտȡȟ ՄșIJȡףȟ c ijȡ ףʍȡț׆IJįț įijȡւȣ Ȝįijո ijր ıԼȚțIJȞջȟȡȟ ijȡ ףȟցȞȡȤ ʍıȢվ įijȡ ף28a Ȝįվ įijրȣ ԚİջȠįijȡ įijր ıԼȣ ijոȣ ԐȗȜչȝįȣ b Ȝįվ ıȝցȗșIJıȟ ijրȟ Țıրȟ Ȝįվ ıՂʍıȟ 29
ȟףȟ Ԑʍȡȝփıțȣ ijրȟ İȡףȝցȟ IJȡȤ, İջIJʍȡijį, Ȝįijո ijր ׆עȞչ IJȡȤ Ԛȟ ıԼȢսȟׄǝ Ցijț ıՂİȡȟ ȡԽ ՌĴȚįȝȞȡտ ȞȡȤ ijր IJȧijսȢțցȟ IJȡȤ, 31 Տ ԭijȡտȞįIJįȣ Ȝįijո ʍȢցIJȧʍȡȟ ʍչȟijȧȟ ijȟ ȝįȟ, 32a Ĵȣ ıԼȣ ԐʍȡȜչȝȤȦțȟ ԚȚȟȟ b Ȝįվ İցȠįȟ ȝįȡ ףIJȡȤ ՄIJȢįսȝ. 30
33 34a
Ȝįվ Բȟ Ս ʍįijռȢ įijȡ ףȜįվ ԭ ȞսijșȢ ȚįȤȞչȘȡȟijıȣ Ԛʍվ ijȡהȣ ȝįȝȡȤȞջȟȡțȣ ʍıȢվ įijȡף. Ȝįվ ıȝցȗșIJıȟ įijȡւȣ ȉȤȞıքȟ Ȝįվ ıՂʍıȟ ʍȢրȣ ȃįȢțոȞ ijռȟ ȞșijջȢį įijȡףǝ b
Լİȡւ ȡ՟ijȡȣ Ȝıהijįț ıԼȣ ʍijIJțȟ Ȝįվ ԐȟչIJijįIJțȟ ʍȡȝȝȟ Ԛȟ ij ՄIJȢįռȝ Ȝįվ ıԼȣ IJșȞıהȡȟ ԐȟijțȝıȗցȞıȟȡȟ 35a – Ȝįվ IJȡ ףİպ įij׆ȣ ijռȟ ȦȤȥռȟ İțıȝıփIJıijįț עȡȞĴįտį – b Ցʍȧȣ Ԓȟ ԐʍȡȜįȝȤĴȚIJțȟ ԚȜ ʍȡȝȝȟ ȜįȢİțȟ İțįȝȡȗțIJȞȡտ. c
348
Anhang II
36a
ȁįվ Բȟ ԟȟȟį ʍȢȡĴ׆ijțȣ, ȚȤȗչijșȢ ĮįȟȡȤսȝ, ԚȜ ĴȤȝ׆ȣ ԘIJսȢǝ b į՝ijș ʍȢȡȖıȖșȜȤהį Ԛȟ ԭȞջȢįțȣ ʍȡȝȝįהȣ, ȘսIJįIJį Ȟıijո ԐȟİȢրȣ Ԥijș ԑʍijո Ԑʍր ij׆ȣ ʍįȢȚıȟտįȣ įij׆ȣ 37a Ȝįվ įijռ ȥսȢį ԥȧȣ Ԛijȟ ՌȗİȡսȜȡȟijį ijıIJIJչȢȧȟ, b ԯ ȡȜ ԐĴտIJijįijȡ ijȡ ףԽıȢȡ ףȟșIJijıտįțȣ Ȝįվ İıսIJıIJțȟ ȝįijȢıփȡȤIJį ȟփȜijį Ȝįվ ԭȞջȢįȟ. 38a Ȝįվ įij ׇij ׇխȢֹ ԚʍțIJijֻIJį ԐȟȚȧȞȡȝȡȗıהijȡ ij Țı b Ȝįվ Ԛȝչȝıț ʍıȢվ įijȡ ףʍֻIJțȟ ijȡהȣ ʍȢȡIJİıȥȡȞջȟȡțȣ ȝփijȢȧIJțȟ ՄıȢȡȤIJįȝսȞ. 39a ȁįվ թȣ ԚijջȝıIJįȟ ʍչȟijį ijո Ȝįijո ijրȟ ȟցȞȡȟ ȜȤȢտȡȤ, b ԚʍջIJijȢıȦįȟ ıԼȣ ijռȟ Ĭįȝțȝįտįȟ ıԼȣ ʍցȝțȟ ԛįȤijȟ ȄįȘįȢջȚ. 40a Ȋր İպ ʍįțİտȡȟ ș՜Ƞįȟıȟ b Ȝįվ ԚȜȢįijįțȡףijȡ ʍȝșȢȡփȞıȟȡȟ IJȡĴտֹ, c Ȝįվ ȥչȢțȣ Țıȡ ףԲȟ Ԛʍ’ įijց.
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In den Werken von E. Stauffer spiegelt sich m.E. mancherorts eine antisemitische Haltung des Verfassers (vgl. insbes. Christus und die Caesaren, 210–223). Diese Haltung lehne ich dezidiert ab. Dennoch will ich aber auch nicht verschweigen, dass ich von Stauffers Kenntnissen über die Geschichte und Gedankenwelt des Imperium Romanum manches gelernt habe.
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Stellenregister
Altes Testament und Septuaginta Gen
Lev
4,1.17.25 150 11,30 136 13,8.9 39 A. 35 15 164 15,1 137 16,7 137 16,11 87 17,5 67 17,9–14 186 17,15 67 17,17 39 A. 35 17,19 86, 138, 291 18,14 88, 151, 291 19,1 137 20,5 39 A. 35 21,1 39 A. 35 21,17 137 22,11 137 22,12.17 39 A. 35 25,21 136 28,12 137 29,31 136 29,32–35 67 29,33 296 A. 251 30 67 31,11 137 32,2 137 32,29 67, 149 35,10 67 38,3–4 67 46,3 137
5,7 187 12,8 187 12,3 186 12,8 187–188 14,22 187 15,14.29 187 20,20–21 135 A. 141 26,5 133 A. 126 26,17 75
Ex 2,24 292 6,23 296 A. 251 13,1–16 187 15 40 32,13 157–158
Num 6,3 139, 140 10,34 75 14,41–45 169 A. 251
Dtn 1,21 137 3,2 137 6,13 154 A. 205 12,10 133 A. 126 20,3 137 28,3–6 88–89 30,7 75 32,41 75 33,11 75
Ri 3,7–11 169 A. 251 5 40 10,6–16 169 13 139 13,2.3 136 13,4 64 A. 74, 139 13,5 64 A. 74 13,7 139 13,6 137 13,24–25 170, 194
364
Stellenregister
1Sam 1–2 139 1 63 1,6 136 1,11 64 A. 74, 90, 140, 290 1,20 67, 148 2,4–8 159 A. 218 2,5 LXX 29 2,26 170, 194 4,19 LXX 66 16,3 163 A. 236 16,7 LXX 79 A. 90 25,32 93 A. 113
2Sam 7 117, 117 A. 15, 126–127, 149 A. 183, 163 7,14 118, 294 11–12 296 A. 251 12,24 67, 148 22 40 22,3 163 22,7 25 22,14 77 22,18.41 75 22,44 36 22,51 78 A. 87, 92–93, 291 24 172, 300
1Kön 1,4 162 1,39 163 A. 236 1,48 93, 154 A. 205 8,15 93 A. 113 12,19–20 75 22,19 180, 181 A. 291
2Kön 17,1–23 169 A. 251 17,21 75 19,16 32
1Chr 16,10 23 16,36 93 A. 113 21 172, 300 29,18 74
2Chr 2,11 93 A. 113
6,4 93 A. 113 6,40 32 7,15 32 10,19 75 20,17 158 A. 212 21,11–20 169 A. 251 28,1–6 169 A. 251 33,3.5 180 33,9–13 169 A. 251
Esr 8,79 LXX 75
Neh 9,5 23 A.25 19,6 180, 181 A. 291
Est 4,17l 73
Tob 4,12
74
1Makk 10,8
175 A. 273
Ps 1,1 47 A. 49 2,2 117 A. 17 4,4 25 6,5 LXX 26 7,15 LXX 66 9,19 LXX 69 10,12 25 12,4.5 30 13,3 LXX 31 13,7 LXX 74 14,6 25 16,6 LXX 33 17,3 LXX 163 17,6 25, 26 17,7.22 LXX 70 17,14 LXX 77 17,18.20.41 LXX 75 17,51 LXX 78 A. 87, 92 18,7 25 18,42 LXX 25 19,6 LXX 70 20,7 LXX 138 20,8 LXX 77
Altes Testament und Septuaginta 20,9 LXX 75 21,9 LXX 26 23,5 LXX 70 25,20 36 27,7 25, 26 29,9 LXX 70 30,6 LXX 159 33,18 LXX 26 34 15–62 34,1 22 A. 23 34,2 22–23, 54, 55 34,3 23, 56 34,4 24, 56 34,5 24, 26, 33, 35, 38, 57 34,6 25, 37, 38, 56, 59 34,7 25–26, 33, 35, 38, 57 34,8 26–27, 38 34,9 27, 38 34,9 LXX 89, 290 34,10 28, 56 34,11 28–29, 37 34,12 29, 38 34,13 30, 38, 54 34,14 30, 56 34,15 31, 52 34,16 32, 38, 54, 56 34,17 32, 38, 52, 54, 56, 59 34,18 32–33, 35, 38, 57 34,19 34, 54, 56 34,20 34–35, 38, 54, 57 34,21 35–36, 37, 38, 52, 56 34,22 36, 37, 38, 54 34,23 36–37, 38, 56 34,27 LXX 70 35,11 LXX 78 A. 87 37,20 LXX 75 37,22 LXX 70 39,17 LXX 70 40,14 LXX 93, 154 A. 205, 162, 291 46,6 LXX 70 48,10 LXX 69 51,12.19 34 52,4 LXX 31 52,6 LXX 175 A. 273 53,6 LXX 70 54,13 LXX 75 54,17 LXX 33, 70 55,11 LXX 70 55,17 LXX 26 57,7 LXX 70 58,3 LXX 26 59,7 LXX 24 63,12 23
64,11 23 66,8 23 A. 25 67,2 LXX 75 67,20.33 LXX 70 68,5 LXX 75 68,15 LXX 26 69,5 LXX 70 70,15 LXX 78 A. 87 71,18 LXX 93 A. 113 76,2 LXX 70 77,5 LXX 73 77,7 LXX 34 80,8 LXX 24 82,3 LXX 75 82,19 LXX 77 84,11 LXX 78 A. 87 85,7 LXX 26, 33 88 LXX 67 88,15 LXX 78 A. 87 88,24 LXX 75 88,29 LXX 76 91,2 LXX 77 92,12 32 93,7.22 LXX 70 94,1 LXX 70 94,9 32 96,2.8 24 97,10 36 99,6 24 100,4 23 A.25 102,1 25 102,9 LXX 69 102,17 LXX 91, 156 103,33 LXX 70 105,1 24 105,3 23 105,10 LXX 94, 292 105,45 LXX 94–95, 291 105,48 LXX 93, 154 A. 205, 162, 291 106,5 23 106,9 LXX 92, 290 106,10 LXX 96, 169, 292 109,17 30 110,9 LXX 90, 93–94, 156, 290, 291 112,9 LXX 136 A. 142 114,5 LXX 70 118,145 LXX 26 119,1 LXX 26, 33 125,2 LXX 138 129,7 LXX 78 A. 87 133,1 LXX 70 134,2 LXX 70 135,26 LXX 70
365
366
Stellenregister
136 54 138,21 LXX 75 140,4 30 143,1 26 143,3 34 145,2.10 LXX 70 145,21 23 A.25 146,7 LXX 70 147,1 LXX 70
Od 2,41 75 4,16 26 11,11 79 A. 90 12,1 74
Spr 2,5 70 5,19 22 6,11 31 11,27 31 12,19 30 13,21 31 14,22 31 15,15 31 16,20 27 A. 27 17,4 30 17,20 31 17,22 34 19,21 27 21,2 27
Koh 6,10
67 A.76
Hld 4,11
30
Hiob 1,22 6,23 12,10 20,3 27,4 29,11 33,33 34,14 42,4
70 26 70 26 30 32 29 34 29
Weish 5,15 77 6,3 77 9,13 70 15,11 70 16,14 70
Sir 9,9 70 10,14 91, 290 11,25 31 12,8.9 31 16,5 32 17,13 32 38,4 27 39,5 77 39,27 31 48,10 65, 77, 86–87, 142–143, 291 51,1 70
PsSal 15,2 79 A. 90 17 117 A. 15 17,4 118 A.27.29.37, 119 A. 51, 120 A. 59 17,6 118 A. 32 17,7 118 A. 37 17,21 118 A. 22.27.35 17,22 119 A. 45 17,23 119 A. 43.44 17,26 119 A. 43.48.53 17,29 119 A. 43.44.48.53, 120 A. 55, 190 A. 317 17,30 119 A. 53, 120 A. 55, 190 A. 317 17,32 118 A. 27, 119 A. 43 17,34 120 A. 55 17,36 119 A. 45 17,37 119 A. 41.45 17,38 119 A. 45 17,42 118 A. 27, 119 A. 51 17,43 119 A. 48.53 18,5 117 A. 18 18,7–9 117 A. 16 18,7 119 A. 40.43.44.45.46 18,8 117 A. 19, 119 A. 43.46 18,9 119 A. 46
Jes 1,10 70 2,2.3 70 3 295 A. 251 3,17 70
Altes Testament und Septuaginta 5,13 159 5,16 70 6,1–4 180 6,3 181 A. 292 6,5 137 7,14 87 A. 102, 291 8 296 A. 251 8,15 133 A. 126 11,1–9 117 11,1–5 119 11,3 32 11,12 80 17,10 70 22,17 27 A. 27 30,27 30 32,3 32 33,15 LXX 32 33,19 30 35,2 70 35,5 32 37,17 32 38,7 70 40,3 70, 95, 171, 292 40,5 70 42,1 158 A. 213 42,6 96 43,8 32 43,11 LXX 75 45,8 78 A. 87 45,25 70 46,13 78 A. 87 49,4 70 54,10 76 55,6 26 55,12 138 59,1 26 59,3 30 60,19 70 61,6 70 61,10 89 A. 105 62,3 70 63,7 78 A. 87 63,16 73 65,12.24 26 66,4 26 66,9 136 A. 142 66,10 138
Jer 2,11 80 5,1–19 169 A. 251 5,21 LXX 32
7,13 26 7,18 180 7,27 26 8,2 180 11,5 95 15,16 138 16,9 138 19,13 180 32,17 88 A. 103 33,5 75 35,17 26 38,7 74 42,15 75 51,4 75
Bar 2,20.24 75 2,34 74 5,4 79
Klgl 3,17
31
Ez 12,2 32 21,13–22 169 A. 251 21,31 91–92, 290
Dan 3,35 73 4,19 75 8–9 144 8,15–26 293 8,17 137 9,6.10 75 9,20–27 293 10,11 137 10,12 291, 293
Hos 1 295 A. 251 1,3–4.8–9 67 1,6 67 A. 75 7,12–16 169 A. 251 8,8 80 9,10 73 13,4 180
Am 3,1–11 169 A. 251
367
368
Stellenregister
Jon
Hab
2 40 2,3 26 4,6 138
1,2 26 3,18 70, 89, 156, 290
Zef
Mi 5,1 6,2 6,6 7,7 7,20
173 A. 266 74 70 70 74
1,5 180 3,2 70
Mal 3 166, 302 A. 261 3,22–23 65, 77 3,23 87, 142–143
Neues Testament Mt 1,18 140 A. 160 1,20 140 A. 160, 147 A. 177 1,24 147 A. 177 2,13 147 A. 177 2,19 147 A. 177 3,3 171 3,11 140 A. 160 4,4 152 A. 195 4,6 147 A. 177 4,11 147 A. 177 8,10 145 A. 172 8,27 145 A. 172 9,13 160 A. 220 9,33 145 A. 172 11,10 147 A. 177 12,7 160 A. 220 12,32 140 A. 160 12,36 152 A. 195 13,39 147 A. 177 13,41 147 A. 177 13,39 147 A. 177 15,31 145 A. 172 16,27 147 A. 177 18,10 147 A. 177 18,16 152 A. 195 21,20 145 A. 172 21,42 145 A. 172 22,22 145 A. 172 22,30 147 A. 177 23,23 160 A. 220 24,31 147 A. 177 24,36 147 A. 177
25,31 25,41 26,28 26,53 26,75 27,14 28,2 28,5 28,12
147 A. 177 147 A. 177 168 A. 250 147 A. 177 152 A. 195 145 A. 172, 152 A. 195 147 A. 177 147 A. 177 140 A. 160
Mk 1,2 147 A. 177 1,3 171 1,4 168 A. 250, 295 1,8 140 A. 160 1,13 147 A. 177 3,29 140 A. 160 5,20 145 A. 172 6,3 295 6,6 145 A. 172 8,38 147 A. 177 9,32 152 A. 195 12,11 145 A. 172 12,25 147 A. 177 12,36 140 A. 160 13,11 140 A. 160 13,27 147 A. 177 13,32 147 A. 177 14,72 152 A. 195 15 300 15,5 145 A. 172 15,44 145 A. 172
Neues Testament
Lk 1,1–4 130–134, 143 A. 168, 294 1,1 100, 131, 294, 318 A. 16 1,2–3 134 1,2 131, 297 1,3–4 98 1,3 131, 296 1,4 100, 133, 134, 192, 200, 201–202, 296, 300, 303, 304, 310, 316, 317 1,5–25 135–146, 293 1,5 135 1,6 135, 154, 177 A. 283, 188, 295 1,7 135, 136 1,8 136 1,9 136, 154, 177 A. 283 1,11–20 181 1,11 136, 147 A. 177, 154, 175, 177 A. 283, 293, 297 1,12–14 176 A. 276 1,12 84, 104, 175 1,13–17 104–105, 198, 299 1,13–14 98, 160 1,13 63–64, 67, 84, 86, 100, 137, 147 A. 177, 151 A. 190, 176, 196, 198, 199 A. 334, 291, 293, 296 A. 251, 297, 303 A. 263 1,14–17 196, 199 A. 334 1,14 64, 84, 138 1,15–17 161, 170, 302 A. 261 1,15 64 A. 74, 100, 139, 140 A. 160, 154, 177 A. 283 1,16–17 64–65 1,16 154, 177 A. 283 1,17 86–87, 99, 142, 154, 166, 177 A. 283, 291, 297 1,18 65–66, 98, 100, 105–106, 143, 147 A. 177, 155, 179, 192, 198, 302, 303 A. 263 1,19–22 302 1,19–20 98 1,19 144, 147 A. 177 1,20 100, 144, 161–162, 179, 196, 198, 199 A. 334, 301, 303 A. 263 1,21 144, 145 A. 172, 161, 185 A. 307, 198 1,22 100, 145, 198, 303 A. 263, 316 1,23 146 1,24 146 1,25 84, 98, 100, 106, 146, 154, 177 A. 283, 295, 296 A. 251 1,26–38 146–152, 173, 181, 293 1,26 146, 147 A. 177 1,27 146, 154 1,28–29 154 A. 200
369
1,28 98, 154, 177 A. 283 1,30–33 106, 198 1,30–31 98 1,30 100, 147 A. 177, 148, 176 1,31–33 293, 294, 316 1,31 66–67, 87–88, 148, 173, 186, 196, 198, 199 A. 334, 291 1,32–33 68–69, 148–150, 158 A. 214, 164, 170, 193 A. 325, 197, 199 A. 334, 297, 299 1,32 67–68, 154, 177 A. 283, 301 1,34 98, 101, 147 A. 177, 302, 303 A. 263 1,35–36 98 1,35 69, 84, 101, 106, 140 A. 140, 147 A. 177, 151, 294, 299 1,36–37 196, 199 A. 334, 201 1,36 151, 179, 198, 301, 303 A. 263 1,37 88, 101, 151, 152 A. 195, 155, 191, 291 1,38 84, 98, 107, 147 A. 177, 152, 152 A. 195, 154, 177 A. 283, 184, 191 1,39–56 153–159 1,39–45 303 A. 263 1,39 153, 184 1,40–41 316 1,40 153 1,41–45 188–189, 191, 198 1,41 140 A. 160, 153, 162, 198, 298, 302 A. 262 1,42–43 197, 316 1,42–45 98 1,42 69–70, 84, 88–89, 107, 153 1,43 101, 154, 177 A. 283, 298, 299, 302 A. 262 1,44 101 1,45 101, 155, 177 A. 283 1,46–55 1, 107–108, 156–158, 289, 302, 316 1,46–47 70, 89, 98, 99, 186, 189, 194, 199, 290, 303 A. 263 1,46 84 1,47 84, 156, 177 A. 283 1,48–49 98, 290 1,48 84, 90, 101, 188, 290 1,49–50 71 1,49 84, 90, 99, 101, 156, 290 1,50–51 290 1,50 84, 91, 156, 160 A. 220 1,51–55 170 1,51–53 199, 201 1,51 71–72, 84, 99, 156 1,52–54 191, 193 1,52–53 72–73, 188, 299
370
Stellenregister
1,52 84, 91–92, 156–157, 158, 290 1,53–55 290 1,53 84, 92, 103–104 A. 125, 157–158, 290 1,54–55 73–74, 157, 164, 199 1,54 84, 158, 158 A. 213, 160 A. 220 1,55 92–93, 291 1,56 159 1,57–80 159–171 1,57 160, 198, 317 1,58 84, 101, 108, 160, 160 A. 220, 177 A. 283 1,59–60 186 1,59 161 1,60 161, 317 1,61 98, 145 A. 172 1,62 161 1,63 161, 185 A. 307, 198, 303 A. 263, 317 1,64 84, 108, 161, 303 A. 263 1,65 152 A. 195, 162 1,66 99, 101, 162, 177 A. 283 1,67–79 188–189, 191, 198, 302 1,67–68 199 1,67 140 A. 160, 162, 298 1,68–79 1, 108–109, 162, 316 1,68–75 162, 197, 199 1,68–73 298 1,68–70 74–75 1,68 78, 84, 93–94, 101, 154 A. 205, 162, 165, 177 A. 283, 186, 189, 194, 291 1,69 78, 84, 98, 163–164, 299 1,70 99, 164 1,71–76 99 1,71 75, 78, 84, 94, 99, 164, 291, 298, 299, 301 1,72–73 75–76, 164, 292 1,72 78, 94–95, 160 A. 220, 291 1,73–75 76–77 1,73 78, 95 1,74 99, 165, 299 1,75 78, 165, 301 1,76–79 162, 196, 199, 302 A. 261 1,76 77, 95, 101, 166, 177 A. 283, 292 1,77 167, 168 A. 250, 298, 301 1,77–79 166 1,78–79 169–170 1,78 84, 160 A. 220, 301 1,79 78–79, 84, 96, 99, 100, 182, 190 A. 316, 292, 301 1,80 100, 171, 194 2,1–7 1, 171–174 2,1 171–172, 300, 304
2,3 172 2,4 101, 173 2,5 173 2,6–7 173 2,7 101, 174, 179, 198, 293, 299, 317 2,8–21 175–186 2,8–9 202 2,8 175, 302 2,9–13 181 2,9 84, 109, 147 A. 177, 175, 177 A. 283, 185 A. 309, 293, 297, 303 2,10–12 99, 198 2,10–11 197, 199 A. 334, 293, 294, 297, 301, 304, 316 2,10 101, 147 A. 177, 176 2,11 84, 101, 110, 176, 177 A. 283, 189, 201, 299, 303 2,12 179–180, 192, 196, 198, 199 A. 334, 201, 301, 303 2,13–14 194 2,13 147 A. 177, 180–181 2,14 1, 79, 84, 110, 185 A. 309, 186, 189, 190 A. 316 2,15 99, 147 A. 177, 152 A. 195, 177 A. 283, 183–184, 191, 302 2,16 183–185, 198, 200 A. 341, 303, 317 2,17 152 A. 195, 185, 191, 304 2,18 145 A. 172, 185, 185 A. 307, 198 2,19 100, 152 A. 195, 185, 191 2,20 185, 185 A. 309, 199 2,21 147 A. 177, 186, 317 2,22–40 186–194 2,22 177 A. 283, 186 2,23 177 A. 283, 187 2,24 177 A. 283, 186–187 2,25 140 A. 160, 188, 198, 295, 298, 301 2,26 140 A. 160, 177 A. 283, 188–191, 190 A. 316, 194, 198, 296 A. 251, 298, 298 A. 255 2,27–28 189 2,27 188–189, 298, 301 2,28–32 199 2,28 84, 110, 189, 194 2,19–35 198 2,29–32 1, 99, 110, 197, 316 2,29–30 194, 296 A. 251 2,29 152 A. 195, 190, 190 A. 316, 198, 298 A. 255 2,30–32 299 2,30 84, 100, 101, 189–190, 294, 295, 298, 302 A. 262 2,31–32 190 2,31 190, 190 A. 317
Neues Testament 2,32 79–80, 84, 96 2,33 145 A. 172, 191, 191 A. 319, 198 2,34–35 111 2,34 80, 191–193, 191 A. 320, 201, 301, 317 2,35 99, 100, 101, 193 2,36–37 295 2,36 193 2,37–38 296 A. 251 2,37 193 2,38 193–194, 200, 295 2,39 177 A. 283, 194 2,40–52 204 A. 4 2,40 84, 111, 194, 294, 308, 319, 320 2,41 201, 319 2,50 152 A. 195 2,51 152 A. 195 2,52 294 3,2 152 A. 195 3,3 168 A. 250 3,4 171 3,16 140 A. 160 3,22 140 A. 160 3,23 204 A. 4 4,1 140 A. 160 4,8 154 A. 205 4,10 147 A. 177 4,14–20 319 A. 19 4,18 256 A. 145 4,22 145 A. 172 5,5 152 A. 195 6,20–26 319 A. 19 7,1 152 A. 195 7,9 145 A. 172 7,24 147 A. 177 7,27 147 A. 177 7,32 318 8,25 145 A. 172 9,1–6 319 A. 19 9,26 147 A. 177 9,43 145 A. 172 9,45 152 A. 195 9,52 147 A. 177 10,21 140 A. 160 10,25–37 294 10,37 160 A. 220 11,13 140 A. 160 11,14 145 A. 172 11,38 145 A. 172 12,8 147 A. 177 12,9 147 A. 177 12,10 140 A. 160 12,12 140 A. 160
371
12,13–21 235–236 A. 96, 238 A. 104, 319 A. 19 14 204 A. 4 15,10 147 A. 177 16,1–13 319 A. 19 16,19–31 319 A. 19, 320 A. 22 16,22 147 A. 177 18,18–30 319 A. 19 18,34 152 A. 195 20,22 172 A. 265 20,25 172 A. 265 20,26 145 A. 172, 152 A. 195 21,15 294 22,43 147 A. 177 22,61 152 A. 195 23 201 23,2 172 A. 265 23,44–49 204 A. 4 24,8 152 A. 195 24,11 152 A. 195 24,12 145 A. 172 24,13–35 143–144 A. 168 24,19–21 193 24,23 147 A. 177 24,25.27 201 A. 342 24,26 201 A. 342 24,31 132 A. 125 24,41 145 A. 172 24,47 168 A. 250
Joh 1,33 141 A. 160 1,51 147 A. 177 3,7 145 A. 172 3,34 152 A. 195 4,27 145 A. 172 5,20 145 A. 172 5,28 145 A. 172 5,47 152 A. 195 6,63 152 A. 195 6,68 152 A. 195 7,15 145 A. 172 7,21 145 A. 172 8,20 152 A. 195 8,47 152 A. 195 9,30 145 A. 172 10,21 152 A. 195 12,29 147 A. 177 12,47 152 A. 195 12,48 152 A. 195 14,10 152 A. 195 14,26 141 A. 160
372 15,7 17,8 20,12 20,22
Stellenregister 152 A. 195 152 A. 195 147 A. 177 141 A. 160
Apg 1 201 A. 342 1,2 141 A. 160 1,5 141 A. 160 1,8 141 A. 160 1,16 141 A. 160 2,4 141 A. 160 2,7 145 A. 172 2,14 152 A. 195 2,33 141 A. 160 2,38 141 A. 160 3,12 145 A. 172 4,8 141 A. 160 4,13 145 A. 172 4,25 141 A. 160 4,31 141 A. 160 5,3 141 A. 160 5,19 147 A. 177 5,20 152 A. 195 5,23 133 A. 126 5,31 168 A. 250 5,32 141 A. 160, 152 A. 195 6,5 141 A. 160 6,11 152 A. 195 6,13 152 A. 195 6,15 147 A. 177 7,30 147 A. 177 7,31 145 A. 172 7,35 147 A. 177 7,38 147 A. 177 7,51 141 A. 160 7,53 147 A. 177 7,55 141 A. 160 8,15 141 A. 160 8,17 141 A. 160 8,19 141 A. 160 8,26 147 A. 177 9,17 141 A. 160 9,31 141 A. 160 10,3 147 A. 177 10,7 147 A. 177 10,22 147 A. 177, 152 A. 195 10,37 152 A. 195 10,38 141 A. 160 10,41 168 A. 250 10,44 141 A. 160, 152 A. 195 10,45 141 A. 160
10,47 11,13 11,14 11,15 11,16 11,24 12,7 12,8 12,9 12,10 12,11 12,15 12,23 13,2 13,4 13,9 13,38 13,41 13,42 13,52 15,8 15,28 16,6 16,38 19,2 20,23 20,28 21,11 21,21 23,8 23,9 26,18 26,25 27,23 28,25
141 A. 160 147 A. 177 152 A. 195 141 A. 160 141 A. 160, 152 A. 195 141 A. 160 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 141 A. 160 141 A. 160 141 A. 160 168 A. 250 145 A. 172 152 A. 195 141 A. 160 141 A. 160 141 A. 160 141 A. 160 152 A. 195 141 A. 160 141 A. 160 141 A. 160 141 A. 160 131 A. 117 147 A. 177 147 A. 177 168 A. 250 152 A. 195 147 A. 177 141 A. 160, 152 A. 195
Röm 1,29–32 232 5,5 141 A. 160 8,28 147 A. 177 9,1 141 A. 160 9,23 160 A. 220 10,9 294 11,31 160 A. 220 12,8 160 A. 220 14,17 141 A. 160 15,9 160 A. 220 15,13 141 A. 160 15,16 141 A. 160
1Kor 2,2 193, 300
373
Neues Testament 4,9 147 A. 177 6,3 147 A. 177 6,19 141 A. 160 10,8 152 A. 195 10,17 152 A. 195 10,18 152 A. 195 11,10 147 A. 177 12,3 141 A. 160 13,1 147 A. 177 15,3–5 294
2Thess 1,7 147 A. 177 1,10 145 A. 172
1Tim 1,2 160 A. 220 3,16 147 A. 177 5,21 147 A. 177
2Tim 2Kor 6,6 141 A. 160 11,14 147 A. 177 12,4 152 A. 195 12,7 147 A. 177 12,20 232 13,1 152 A. 195 13,13 141 A. 160
Gal 1,6 145 A. 172 1,8 147 A. 177 3,19 147 A. 177 4,14 147 A. 177 5,19–21 232 5,22–23 232 6,6 131 A. 117 6,16 160 A. 220
Eph 1,13 141 A. 160 2,4 160 A. 220 4,30 141 A. 160 5,26 152 A. 195 6,17 152 A. 195
Phil 2,11
177 A.283
Kol 2,2 132 2,18 147 A. 177
1Thess 1,5 1,6 4,8 5,3
141 A. 160 141 A. 160 141 A. 160 133 A. 126
1,2 160 A. 220 1,14 141 A. 160 1,16 160 A. 220 1,18 160 A. 220 3,2–5 232
Tit 3,5 141 A. 160
1Petr 1,3 160 A. 220 1,12 141 A. 160, 147 A. 177 1,25 152 A. 195 3,5 160 A. 220 3,22 147 A. 177
2Petr 1,21 141 A. 160 2,4 147 A. 177 2,9 145 A. 172 2,11 147 A. 177 3,2 152 A. 195
1Joh 3,13
145 A. 172
2Joh 1,3 160 A. 220
Hebr 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,13 2,2 2,4 2,5
152 A. 195 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 141 A. 160 147 A. 177
374
Stellenregister
2,7 147 A. 177 2,9 147 A. 177 2,16 147 A. 177 3,7 141 A. 160 4,16 160 A. 220 6,4 141 A. 160 6,5 152 A. 195 9,8 141 A. 160 10,15 141 A. 160 11,3 152 A. 195 11,11 136 A. 142 12,19 152 A. 195 12,22 147 A. 177 13,2 147 A. 177
Jak 2,13 2,25 3,17
160 A. 220 147 A. 177 160 A. 220
Jud 2 6 16 17 20 21
160 A. 220 147 A. 177 145 A. 172 152 A. 195 141 A. 160 160 A. 220
Offb 1,1 1,16 1,20 2,1 2,8 2,12 2,18 3,1 3,5 3,7 3,14 5,2 5,11 7,1 7,2 7,11 8,2 8,3 8,4
147 A. 177 145 A. 172 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177 147 A. 177
8,5 147 A. 177 8,6 147 A. 177 8,8 147 A. 177 8,10 147 A. 177 8,12 147 A. 177 8,13 147 A. 177 9,1 147 A. 177 9,11 147 A. 177 9,13 147 A. 177 9,14 147 A. 177 9,15 147 A. 177 10,1 147 A. 177 10,5 147 A. 177 10,8 147 A. 177 10,9 147 A. 177 10,10 147 A. 177 10,15 147 A. 177 12,7 147 A. 177 12,9 147 A. 177 13,3 145 A. 172 14,6 147 A. 177 14,8 147 A. 177 14,9 147 A. 177 14,10 147 A. 177 14,15 147 A. 177 14,17 147 A. 177 14,18 147 A. 177 14,19 147 A. 177 15,1 145 A. 172, 147 A. 177 15,3 145 A. 172 15,6 147 A. 177 15,7 147 A. 177 15,8 147 A. 177 16,1 147 A. 177 16,5 147 A. 177 17,1 147 A. 177 17,6 145 A. 172 17,7 145 A. 172, 147 A. 177 17,8 145 A. 172 18,1 147 A. 177 18,21 147 A. 177 19,17 147 A. 177 20,1 147 A. 177 21,9 147 A. 177 21,12 147 A. 177 21,17 147 A. 177 22,6 147 A. 177 22,8 147 A. 177 22,16 147 A. 177
Qumran
375
Qumran 4Q161 117 A. 12 4Q161, Frag. 8–10 177 A. 16, 118 A. 28.30, 119 A. 39.47.52, 120 A. 54.56 4Q174 117 A. 12 4Q174, Col. 1 117 A. 15.17, 118 A. 21.24. 26.28.30.33.34.36, 119 A. 50.52, 120 A. 54.56
4Q243 182 A. 182 4Q252 117 A. 12 4Q252, Col. 5 117 A. 17, 118 A. 23.26.31. 32.36, 119 A. 42.52, 120 A. 57.60 4Q521, Frag. 2.2+4 117 A. 12.17, 118 A. 26.30, 120 A. 57.58
Jüdisch-hellenistische Schriften Spec. Leg. 1,64 133 A. 125
Philo von Alexandrien Det. Pot. Ins. 36.37.42 133 A. 126 Leg. All. 3,48 133 A. 125 Mut. Nom. 111 133 A. 126 Omn. Prob. Lib. 74 133 A. 125 Rer. Div. Her. 125 133 A. 126 Som. 1,231 133 A. 125
Josephus Bell. 3,399–408 127–128 A. 106 Bell. 5,2 127–128 A. 106 Bell. 6,310–315 127–128 A. 106 Bell. 7,71 127–128 A. 106
Griechisch-römische Literatur Athen. 1,32e 205 14,629e–f 205 664e 205
Dio Chrys. Or. 4,24 Or. 4,70 Or. 6,57 Or. 8,17 Or. 9,7
295 A. 250 295 A. 250 209 207 209
Diog. L. 4,16 247 A. 120 6 206 6,2 206 6,3 207 6,8 209, 225 A. 77 6,11 207
6,13 206, 208, 213 6,19 206 6,20–81 206 6,21–23 208, 213 6,22 206, 208 6,23 207 6,31 208, 255 A. 141 6,34 208, 208 A. 20, 255 A. 141 6,35 209 6,37 208 6,40 207 6,45 207 6,46 207, 209 A. 24 6,49 208 6,53 208 6,55 207 6,57 207 6,60 207 6,61 207 6,69–98 205 A. 9 6,69 206, 209 6,72 233 A. 92
376
Stellenregister
6,76 208 A. 20, 214 6,78 207 6,87 207–208 A. 18, 234 A. 93 6,88 207 6,90 208 6,95 207 6,96 208 A. 18 6,99–101 205 6,99 210 6,101 210 6,103 206, 207, 209 6,104 207, 208 8,69 227 A. 82, 240 A. 110, 252 A. 136
Epict. Diss. 3,22,10 208 Diss. 3,22,45–49 207 Diss. 3,22,79 308
Eur. Ba. 386–388 268 A. 193 Fr. Nauck 138 268 A. 196 Fr. Nauck 326 268 A. 196 Fr. Nauck 452 268 A. 196 Fr. Nauck 483 268 A. 196 Fr. Nauck 930 268 A. 196 Fr. Nauck 931–932 268 A. 196 Herc. Fur. 523–524 268 A. 193 Herc. Fur. 538 268 A. 193 Iph. Taur. 1497–1499 268 A. 193 Or. 1–3 268 A. 195 Or. 413 268 A. 193 Or. 866 271 A. 202 Or. 871 271 A. 202 Or. 1691–1693 268 A. 193 Phoen. 117 268 A. 195 Phoen. 360 268 A. 193 Phoen. 1764–1766 268 A. 193
Gell. 2,18,7 205, 211
Hdt. 1,30–33 236 A. 98 1,86 237 A.101 3,102 224 A. 73
Hom. Il. 1,193 268 A. 195, 270 Il. 1,222 268 A. 193
Il. 1,225 271 A. 202 Il. 1,363 270 Il. 1,528 268 A. 193 Il. 1,591 268 A. 193 Il. 2,1–2 268 A. 195 Il. 2,1 268 A. 193 Il. 2,202 268 A. 194, 271 A. 202 Il. 2,214 271 A. 202 Il. 2,217–219 261 Il. 2,246 271 A. 202 Il. 2,363 268 A. 195 Il. 2,468 268 A. 193 Il. 2,673 268 A. 193 Il. 3,35 268 A. 195, 270 Il. 3,57 268 A. 193 Il. 3, 157 268 A. 193 Il. 3,226–227 268 A. 195 Il. 3,226 268 A. 195 Il. 3,354 268 A. 194 Il. 3,363 268 A. 195 Il. 4,512 268 A. 195, 270 Il. 5,127–128 268 A. 194 Il. 5,127 268 A. 193 Il. 6,46.48 271 A. 202 Il. 6,112 268 A. 195 Il. 6,181–182 268 A. 195 Il. 7,99 268 A. 193 Il. 7,195 268 A. 195 Il. 8,5 218, 268 A. 193 Il. 8,7 268 A. 194 Il. 8,24 268 A. 193 Il. 8,31 268 A. 193, 269 Il. 9,312–313 268 A. 195 Il. 9,312 268 A. 193 Il. 9,319 270 Il. 9,320 270 Il. 9,569 268 A. 195 Il. 10,3 268 A. 195 Il. 10,4 268 A. 193 Il. 10,447–448 268 A. 195 Il. 15,137 268 A. 193 Il. 15,202 268 A. 193 Il. 16,250 268 A. 193 Il. 16,806–815 222 Il. 16,860 270 Il. 17,9–60 222 Il. 18,507–508 268 A. 195 Il. 20,61 268 A. 193 Il. 20,72 268 A. 193 Il. 22,262 268 A. 193 Il. 23,555–556 261 A. 162 Od. 1,45 268 A. 193, 269 Od. 1,170 268 A. 193
Griechisch-römische Literatur Od. 6,149 269 Od. 9,39.40 268 A. 193 Od. 9,302 268 A. 193 Od. 10,98 268 A. 193 Od. 10,521 271 Od. 11,5 268 A. 193 Od. 11,164–165 268 A. 193 Od. 11,305–317 235 Od. 11,315–316 268 A. 193 Od. 11,539 268 A. 195, 271 Od. 11,569 268 A. 195 Od. 11,573 271 Od. 11,582–600 266 A. 187 Od. 11,603 268 A. 193 Od. 16,187 268 A. 193
Kynikerbriefe Diogenes, Ep. 2 207 Diogenes, Ep. 7,1 207 Diogenes, Ep. 21 207 Diogenes, Ep. 25 207 Diogenes, Ep. 26 207 Diogenes, Ep. 30,3 208 Diogenes, Ep. 37,3–4 207 Diogenes, Ep. 38,1–2 207 Diogenes, Ep. 44 207 Krates, Ep. 3 207 Krates, Ep. 10,3 207 Krates, Ep. 16 207 Krates, Ep. 33 208
Luc. Bis Acc. 244–249, 286, 293 Bis Acc. 1–2 277, 284 Bis Acc. 1 245, 274 Bis Acc. 2 245, 277 Bis Acc. 3 245 Bis Acc. 4–5 245, 273, 274, 274 A. 215 Bis Acc. 6 245 Bis Acc. 7 245, 280 Bis Acc. 8–9 275 Bis Acc. 8 246, 280 Bis Acc. 9 246, 274 Bis Acc. 10 246 Bis Acc. 11 246, 280, 285 Bis Acc. 12 246 Bis Acc. 13–14 246 Bis Acc. 15 211–212 A. 45, 246, 275 Bis Acc. 16 247 Bis Acc. 17 247 Bis Acc. 18 247 Bis Acc. 19 247, 275
377
Bis Acc. 20 247 Bis Acc. 21 247, 268 A. 193 Bis Acc. 22 247 Bis Acc. 23 247 Bis Acc. 24 247 Bis Acc. 25 248, 275 Bis Acc. 26 248 Bis Acc. 27 248 Bis Acc. 28 248 Bis Acc. 29 248 Bis Acc. 30 248 Bis Acc. 31 248 Bis Acc. 32 248 Bis Acc. 33 203, 210, 211, 248, 272 Bis Acc. 34 248 Bis Acc. 35 248, 281, 282, 283 Cat. 213–217, 267 A. 192, 286, 295 A. 251, 305 A. 266 Cat. 1–2 213, 229 A. 87, 250 A. 127, 274 Cat. 3–4 276, 281 Cat. 3 214, 273 Cat. 4 214 Cat. 5–6 214 Cat. 7 214, 216, 275 Cat. 8 214, 275 Cat. 9 214 Cat. 10 214 Cat. 11–12 284 Cat. 11 214 Cat. 12 215 Cat. 13 215 Cat. 14–17 282 Cat. 14–15 215, 274 Cat. 16–17 215 Cat. 18 215 Cat. 19 215, 277, 282, 284, 286 Cat. 20 216 Cat. 22 216, 280 Cat. 23–28 282 Cat. 23 216, 250 A. 128, 266 A. 185, 274 Cat. 24 216 Cat. 25 216 Cat. 26 217 Cat. 27 217, 284 Cat. 28 217, 277 Cont. 234–239, 286, 295 Cont. 1 235, 273, 274 Cont. 2 235 Cont. 4–5 235 Cont. 4 235, 268 A. 193 Cont. 6 235 Cont. 7 236, 268 A. 193.194 Cont. 8 236, 268 A. 195, 273, 280
378 Cont. 9 236, 268 A. 195, 273 Cont. 10 236 Cont. 11 237, 278 Cont. 12 237 Cont. 13 237, 251 A. 130, 274 Cont. 14 237 Cont. 15 278 Cont. 16 238 Cont. 18 238, 278 Cont. 19 238 Cont. 21 238, 281 Cont. 22 238, 269, 270, 271 A. 202 Cont. 23 238 Cont. 24 239, 283 D. Mort. 255–261, 286, 305 A. 266 D. Mort. 329–335 276 D. Mort. 329 256, 273, 273 A. 213 D. Mort. 330 256, 278 D. Mort. 332 256 D. Mort. 333–334 280 D. Mort. 333 256, 278 D. Mort. 334 256, 281 D. Mort. 335 278 D. Mort. 336 256, 274, 278 D. Mort. 338–339 279 D. Mort. 338 258, 273 D. Mort. 340 258 D. Mort. 341–343 259 A. 157 D. Mort. 341 273, 274 D. Mort. 344–346 278 D. Mort. 344–345 259 D. Mort. 344 273, 274 D. Mort. 346 259 D. Mort. 347 259, 274 D. Mort. 354 259, 278 D. Mort. 355–357 259, 278 D. Mort. 355 275 D. Mort. 356–357 285 D. Mort. 358–359 278 D. Mort. 358 259, 275 D. Mort. 359 259 D. Mort. 361–362 260 D. Mort. 363–364 260 D. Mort. 363 274 D. Mort. 364 273 D. Mort. 365 260, 273, 280 D. Mort. 366–367 260, 278, 280 D. Mort. 367 275 D. Mort. 368–371 260 D. Mort. 369–370 280 D. Mort. 371 280 D. Mort. 373–374 260 D. Mort. 373 281
Stellenregister D. Mort. 375 260 D. Mort. 377–378 260, 278 D. Mort. 377 273 D. Mort. 378–379 260, 278, 281 D. Mort. 380–389 261 A. 161 D. Mort. 380 273, 274 D. Mort. 390–391 279 D. Mort. 390 258, 273 D. Mort. 391 259 D. Mort. 392 259 D. Mort. 395–398 279 D. Mort. 395 258, 273 D. Mort. 397–398 258 D. Mort. 400 261, 273, 280 D. Mort. 401 261 D. Mort. 402 258, 268 A. 193, 273, 274, 279 D. Mort. 405 258 D. Mort. 406–408 257 A. 150 D. Mort. 406 273 D. Mort. 408 257, 273, 280 D. Mort. 409 257, 268 A. 193 D. Mort. 410–411 261 A. 163 D. Mort. 410 274 D. Mort. 412 274 D. Mort. 413 257, 278 D. Mort. 414 257, 273 D. Mort. 415 257, 273 D. Mort. 416–417 257, 279 D. Mort. 416 273 D. Mort. 418–419 257, 273 D. Mort. 420 256, 257, 273, 274, 278 D. Mort. 421 256 D. Mort. 422 256 D. Mort. 423–424 256, 276 D. Mort. 423 274 D. Mort. 425 256 D. Mort. 426–429 261 A. 163 D. Mort. 429 273 D. Mort. 430–431 261 D. Mort. 431 278 D. Mort. 432–433 261, 280, 285 D. Mort. 432 268 A. 193, 273 D. Mort. 434 257, 273, 273 A. 213 D. Mort. 435–436 257 D. Mort. 437 260, 273 D. Mort. 441–443 260 D. Mort. 441 278 D. Mort. 443 278 D. Mort. 444 261 D. Mort. 445 257–258, 273 D. Mort. 447 258, 279 A. 232 D. Mort. 448–450 261 A. 160
Griechisch-römische Literatur D. Mort. 450 274, 275 D. Mort. 451–454 261 Fug. 252–255, 286, 293 Fug. 1–2 252, 279 Fug. 1 274 Fug. 3–21 280 Fug. 3 253, 274, 276 Fug. 4 253 Fug. 5 253 Fug. 6–8 253 Fug. 11 211, 253, 255, 281 Fug. 12 253 Fug. 13 253, 255, 255 A. 142 Fug. 14 253, 285 Fug. 16 253, 255, 281 Fug. 18 253 Fug. 19 254 Fug. 20 254 Fug. 21 254 Fug. 22–23 254, 273, 275 Fug. 24 254 Fug. 26 254 Fug. 27 254, 255 A. 141 Fug. 28 254 Fug. 29 254, 273 Fug. 30 254, 268 A. 193.194.195, 269, 271 A. 202 Fug. 31–32 254, 283 Fug. 33 255, 282 Gall. 217–225, 286 Gall. 1 222, 273 A. 214, 274 Gall. 2 222 Gall. 3–4 211–212 A. 45, 222, 273 Gall. 4 222 Gall. 5 223 Gall. 7 223, 268 A. 193, 271 A. 205 Gall. 8–9 223 Gall. 9 259 A. 158, 274 Gall. 10 223, 274–275 Gall. 11 223, 279 Gall. 12 223 Gall. 13 223 Gall. 14 223, 268 A. 196, 278 Gall. 15 223, 281 Gall. 16 224 Gall. 17 224 Gall. 18 224 Gall. 19 224 Gall. 20 224 Gall. 21–22 278 Gall. 21 224 Gall. 22 222 A. 71, 224 Gall. 23 224
379
Gall. 24 224 Gall. 25 224, 268 A. 193.195 Gall. 26 222 A. 71, 224 Gall. 27 225 Gall. 28 225 Gall. 29–31 278 Gall. 29 225, 275 Gall. 30–31 225, 275 Gall. 30 278 Gall. 32 225 Gall. 33 225, 282 Hist. Conscr. 9 133 A. 128 Hist. Conscr. 32 133 A. 128 Icar. 225–229, 245 A. 116, 272 A. 208, 286 Icar. 1 225, 273, 275 Icar. 2 225 Icar. 3 226 Icar. 5 226, 280 Icar. 6 226, 279 Icar. 7–8 226 Icar. 8 280 Icar. 9 226 Icar. 10 226, 268 A. 193 Icar. 11 226 Icar. 12 226, 235 A. 95 Icar. 13 211–212 A. 45, 227, 240 A. 110, 268 A. 193, 273 Icar. 14 227 Icar. 15–21 283 Icar. 15–16 278 Icar. 15 227 Icar. 16 227 Icar. 17 227 Icar. 18 227 Icar. 19 227, 268 A. 193 Icar. 20 227 Icar. 21 227 Icar. 22–34 276 Icar. 22 228 Icar. 23 228, 274, 280 Icar. 24 228, 268 A. 196, 277 Icar. 25 228, 277 Icar. 27 228 Icar. 28 268 A. 193.195 Icar. 29 228, 279 Icar. 30 228, 268 A. 194 Icar. 31 229, 279 Icar. 32 229 Icar. 33 229, 268 A. 193, 282 Icar. 34 229, 283 Iupp. Trag. 217–222, 228 A. 86, 245 A. 116, 319 A. 17
380
Stellenregister
Iupp. Trag. 1 268 A. 193.195, 269 Iupp. Trag. 3 217, 268 A. 195, 274 Iupp. Trag. 4 217 Iupp. Trag. 5–6 218, 273 Iupp. Trag. 6 268 A. 194, 269 Iupp. Trag. 7–8 218, 221 A. 68 Iupp. Trag. 7 284 Iupp. Trag. 9 218, 274 Iupp. Trag. 10 218, 274 Iupp. Trag. 11 218 Iupp. Trag. 12 218 Iupp. Trag. 13 218, 284 Iupp. Trag. 14 218, 268 A. 193 Iupp. Trag. 15 218 Iupp. Trag. 16–17 218 Iupp. Trag. 18 219, 277, 282 Iupp. Trag. 19 219, 268 A. 193, 274 Iupp. Trag. 20–21 219 Iupp. Trag. 22 219 Iupp. Trag. 23 219 Iupp. Trag. 24 219 Iupp. Trag. 25 219, 277, 284 Iupp. Trag. 26 219, 274 Iupp. Trag. 27 220 Iupp. Trag. 28 220 Iupp. Trag. 29 220 Iupp. Trag. 30–31 220 Iupp. Trag. 31 269, 284 Iupp. Trag. 32 220, 268 A. 196, 274, 277, 284 Iupp. Trag. 33 220, 271 A. 202 Iupp. Trag. 34 220, 268 A. 195 Iupp. Trag. 35 220, 280, 284 Iupp. Trag. 36 221 Iupp. Trag. 38 268 A. 196 Iupp. Trag. 39–40 221 Iupp. Trag. 40 268 A. 193 Iupp. Trag. 41 221, 268 A. 196 Iupp. Trag. 42 221 Iupp. Trag. 43 221 Iupp. Trag. 44 221, 268 A. 193 Iupp. Trag. 45 221, 268 A. 193 Iupp. Trag. 46–49 221 Iupp. Trag. 49 277 Iupp. Trag. 51 221 Iupp. Trag. 52–53 222 Iupp. Trag. 53 268 A. 196 Nec. 249–252, 272 A. 208, 286 Nec. 1–2 283 Nec. 1 249, 268 A. 193, 273, 275 Nec. 2 249 Nec. 3 249 Nec. 4 249, 280
Nec. 5 249, 280 Nec. 6 250 Nec. 7–10 276 Nec. 7 250, 250 A. 124, 273 A. 214 Nec. 8 250, 250 A. 126 Nec. 9 250, 268 A. 193.195 Nec. 10 250, 268 A. 193, 274 Nec. 11 250, 266 A. 185, 274 Nec. 12 250 Nec. 14 251, 278 Nec. 15 251, 278 Nec. 16 251, 283 Nec. 17 251 Nec. 18 251 Nec. 19 251 Nec. 20 251, 282 Nec. 21 252, 258 A. 153, 268 A. 195, 273, 281 Nec. 22 252 Pergr. Mort. 252 A. 135 Pergr. Mort. 1 252 A. 137 Pergr. Mort 39–40 253 A. 137 Pergr. Mort. 42 252 A. 137 Pisc. 239–244, 253 A. 138, 286, 295, 295 A. 251 Pisc. 1–2 240, 273, 276 Pisc. 1 268 A. 195 Pisc. 3 240, 268 A. 193.195.196, 269, 271 A. 202, 275 Pisc. 4 240 Pisc. 5 240, 268 A. 193 Pisc. 6 240 Pisc. 7 240 Pisc. 8 241 Pisc. 9 241, 274 A. 215 Pisc. 10 241 Pisc. 11–12 241 Pisc. 14 240 A. 109, 241, 274 Pisc. 15 241 Pisc. 16 241, 274 Pisc. 17 241, 274 Pisc. 18 241 Pisc. 19 241 Pisc. 20 241 Pisc. 21 241 A.112 Pisc. 22 242 Pisc. 23 242 Pisc. 24 242 Pisc. 25 242, 268 A. 196 Pisc. 26 211, 242 Pisc. 27 242 Pisc. 29 242 Pisc. 30 242
Griechisch-römische Literatur Pisc. 31 242 Pisc. 32 242 Pisc. 33 242 Pisc. 34 242 Pisc. 35 242, 278 Pisc. 36 244 A. 115 Pisc. 37 243 Pisc. 38 243, 283 Pisc. 39 243, 268 A. 193, 274 Pisc. 40 243 Pisc. 41 243, 268 A. 195 Pisc. 42 243, 268 A. 193 Pisc. 43 243 Pisc. 44 243 Pisc. 45 243 Pisc. 46 244, 282 Pisc. 47 244 Pisc. 48 244 Pisc. 49 244 Pisc. 50 244 Pisc. 51 244 Pisc. 52 244, 282 Timon 229–234, 286 Timon 1–6 233 Timon 1 229 Timon 2 229 Timon 3 230 Timon 4 230 Timon 5 230 Timon 6 230 Timon 7 230 Timon 8 230, 273, 274 Timon 9–19 284 Timon 9–10 277 Timon 9 230 Timon 10 231, 274 Timon 11–29 283 Timon 11–12 231 Timon 13–14 231 Timon 15–17 231 Timon 19 231 Timon 20 231 Timon 21 231 Timon 22 231 Timon 23 231 Timon 24 232 Timon 25 232 Timon 26 232 Timon 27 232, 238 Timon 28–31 278 Timon 28 232 Timon 29 232 Timon 31 232, 274, 275
Timon 32 232 Timon 33 233 Timon 34 233 Timon 35 268 A. 193 Timon 36–37 233, 278 Timon 38 233 Timon 39 233, 281 Timon 40 233 Timon 41 233, 268 A. 196 Timon 42–43 233 Timon 44 233 Timon 45 233 Timon 46–57 275 Timon 46 233 Timon 47–48 233 Timon 49–57 280, 284 Timon 49–55 233 Timon 50 234 Timon 53 234 Timon 54 234 Timon 56–57 233 Timon 56 234 Timon 57 234 Vit. Auct. 11 240 Vit. Auct. 12 240 Vit. Auct. 18 240
MAnt. 6,47
210
Ovid Metam. 8,183–235 226 A. 79
Pind. Olymp. 1,1–2 268 A. 193, 271 A. 205
Quint. Inst. Orat. 10,1,95 210
Sen. Apoc. 262–267, 286, 295 Apoc. 1 297 Apoc. 1,1 262, 296 Apoc. 1,2 262, 262 A. 171, 296 Apoc. 1,3 262, 297 Apoc. 2,1 269, 285 Apoc. 2,2 263, 280 Apoc. 2,4 269 Apoc. 3 263, 274 Apoc. 4 274
381
382
Stellenregister Apoc. 11,4 265, 279 Apoc. 11,5–6 279, 282 Apoc. 11,5 265 Apoc. 11,6 265, 265 A. 183 Apoc. 12,1 265, 265 A. 183 Apoc. 12,2 265 Apoc. 12,3 266, 269 Apoc. 13 276 Apoc. 13,1 266 Apoc. 13,6 266 Apoc. 14 274 Apoc. 14,1 266 Apoc. 14,2 266 Apoc. 14,4 282 Apoc. 15,1–2 283 Apoc. 15,1 266, 269 Apoc. 15,2 267, 279, 282
Apoc. 4,1 263, 269, 281, 300 Apoc. 4,2–3 263 Apoc. 4,2 268 A. 196 Apoc. 5 274, 276 Apoc. 5,2–3 263 Apoc. 5,4 268 A. 193 Apoc. 7,2 269 Apoc. 7,4 263 Apoc. 7,5 263, 264 A. 176 Apoc. 8,1 264, 264 A. 176 Apoc. 8,2 264 Apoc. 8,3 264 Apoc. 9 274 Apoc. 9,1 264 Apoc. 9,3 264, 265, 279 Apoc. 9,4 264 Apoc. 9,5 264 Apoc. 10 274 Apoc. 10,1 265 Apoc. 10,2 265 Apoc. 10,3–4 265, 278, 283 Apoc. 10,4 266 Apoc. 11–12 276 Apoc. 11 273 Apoc. 11,1 268 A. 193 Apoc. 11,3 265
Solon Frag. D24–D1.D14
236 A. 98
Strabo 16,2,29 210
Münzen und Inschriften BMC Arab Philadelphia 4 122 A. 68, 124 A. 82
BMC Gala Ancyra 1 122 A. 68, 124 A. 82, 125 A. 89 Ancyra 2 122 A. 68, 124 A. 82, 125 A. 89 Ancyra 3 122 A. 68, 124 A. 82.84 Ancyra 4 122 A. 68, 124 A. 82.84 Antiochia 132 122 A. 68, 124 A. 84 Antiochia 137 122 A. 68, 124 A. 84 Antiochia 144 122 A. 68, 124 A. 84 Antiochia 146 122 A. 68, 124 A. 84 Antiochia 147–149 122 A. 68, 124 A. 84 Antiochia 150–153 122 A. 68, 124 A. 84 Antiochia 161–162 124 A. 84 Antiochia 163–165 122 A. 68, 124 A. 83.84 Antiochia 189–193 122 A. 68, 124 A. 84 Antiochia 195–200 122 A. 68, 124 A. 84
Antiochus IV Epiphanes 6 122 A. 67, 123 A. 75 Antiochus IV Epiphanes 11–13 122 A. 67, 123 A. 72.75 Caesarea 11–12 122 A. 68, 124 A. 84 Caesarea 11 125 A. 89 Caesarea 12 125 A. 89 Caesarea 16 122 A. 68, 124 A. 82.84 Caesarea 17 122 A. 68, 124 A. 82.84 Caesarea 19 122 A. 68, 124 A. 82.84, 125 A. 89 Caesarea 20 122 A. 68, 124 A. 82.84 Caesarea 21–22 122 A. 68, 124 A. 82.84 Caesarea 23 122 A. 68, 124 A. 82.84 Caesarea 27 122 A. 68, 124 A. 82.84 Caesarea 28–33 122 A. 68, 124 A. 82.83.84 Caesarea 35–36 124 A. 82.84 Caesarea 37–38 124 A. 82.83.84 Caesarea 39 124 A. 82.84 Caesarea 41 124 A. 82.84 Caesarea 42–43 124 A. 83.84
Münzen und Inschriften
383
Ascalon 84 124 A. 84 Ascalon 88–95 124 A. 84 Ascalon 104–116 124 A. 84 Ascalon 117–118 124 A. 84 Ascalon 119–135 124 A. 84 Caesarea 5–11 122 A. 68, 124 A. 84 Neapolis 1–2 122 A. 68, 124 A. 84 Neapolis 4–5 122 A. 68, 124 A. 82.84 Nysa-Scythopolis 4 122 A. 68, 124 A. 84
4,26 122 A. 68, 123 A. 80, 124 A. 83.84, 125 A. 92.93.94.96.97.99 5,17 122 A. 68, 124 A. 82.84.88 12,252 123 A. 80, 124 A. 82.88 12,259B 124 A. 82.83.84 12,260 122 A. 68, 124 A. 82.83.84 12,260A 122 A. 68, 124 A. 82.83.84 21,13 122 A. 68, 123 A. 80 22/1,1007 122 A. 68, 124 A. 82.84 24/1,618 125 A. 89 28/2,602 123 A. 77.78, 125 A. 89.95 34,31 122 A. 68, 124 A. 82.84.88 34,32 122 A. 68, 123 A. 78, 124 A. 82.84.88 34,34 122 A. 68, 124 A. 83, 125 A. 100 36/1,35 122 A. 68, 123 A. 80, 124 A. 82.84.86.88 36/1,37 122 A. 68, 124 A. 82.83.84 36/1,39 123 A. 80, 124 A. 82.83.84 36/1,40 124 A. 88 38,206 122 A. 68, 123 A. 77.78, 124 A. 82.83.84, 125 A. 96 38,256 123 A. 77.78, 125 A. 96 38,512 122 A. 68, 124 A. 82.83.84 38,607 123 A. 77.78, 124 A. 82.84, 125 A. 96 41,42 122 A. 68, 123 A. 77.80, 124 A. 82.84.88 43,31 122 A. 68, 124 A. 84 48,15 122 A. 68, 124 A. 82.84 49,9 122 A. 68, 125 A. 89 49,15 122 A. 68, 124 A. 82.84.88 53,13 123 A. 68.80, 124 A. 82.84.88 54,25 123 A. 68, 124 A. 82.83.84 54,31 123 A. 68, 124 A. 83.84 54,33 123 A. 68, 124 A. 84 54,56 123 A. 68.77.80, 124 A. 82.84.86, 125 A. 94 56,20 124 A. 83.84.88 56,21 123 A. 68.80,1 24 A. 82.83.84.88 59,149 123 A. 68, 124 A. 82.84 59,150 123 A. 68, 124 A. 82.84.88 59,153 123 A. 68, 124 A. 82.84, 125 A. 89 60/1,3 123 A. 68, 124 A. 84
BMC Phoe
OGIS
Caesarea 42 124 A. 82 Caesarea 43 124 A. 82 Caesarea 44 124 A. 82.84 Laodicea ad Mare 30 122 A. 68, 124 A. 84 Laodicea ad Mare 31 122 A. 68, 123 A. 80.84 Laodicea ad Mare 33 122 A. 68, 124 A. 84 Laodicea ad Mare 34–36 122 A. 68, 124 A. 83.84 Laodicea ad Mare 38 124 A. 84 Laodicea ad Mare 39 122 A. 68, 124 A. 84 Pessinus 3 122 A. 68, 124 A. 84 Seleucia Pieria 32 122 A. 68, 124 A. 84 Seleucia Pieria 33–34 122 A. 68, 124 A. 84 Tavium 6 122 A. 68, 124 A. 82.84 Tavium 7 122 A. 68, 124 A. 82.84
BMC Lyca Augusta 4 122 A. 68, 124 A. 84, 125 A. 89 Icomium 2–3 122 A. 68, 124 A. 84 Olba 7–11 122 A. 68, 124 A. 84 Olba 12–17 122 A. 68, 124 A. 84
BMC Lyci Balbura 8 124 A. 84 Bubon 2 124 A. 84 Lycia 5 122 A. 68, 124 A. 84 Lycia 6 122 A. 68, 124 A. 82.83.84 Lycia 8 122 A. 68, 124 A. 82.84
BMC Pale
Aradus 367 122 A. 68, 124 A. 84 Byblus 19 122 A. 68, 124 A. 84
IK 1,131 122 A. 68, 124 A. 84.87 4,13 122 A. 68, 125 A. 89
2,458 177 A. 282
ȈȕȠȡȦȞȠȢ 388–407 123 A. 69 430 123 A. 69 433 123 A. 69
384 436 123 A. 69 607 123 A. 69 650–679 123 A. 69 681–684 123 A. 69 686–695 123 A. 69 697–698 123 A. 69 700 123 A. 69 701–704 123 A. 69 722–746 123 A. 69 748–749 123 A. 69 751–753 123 A. 69 755–756 123 A. 69 757 123 A. 69 765–778 123 A. 69 780–784 123 A. 69 786–787 123 A. 69 795–817 123 A. 69 821–822 123 A. 69 824–833 123 A. 69 848–853 123 A. 69 897–898 123 A. 69 901–904 123 A. 69 930 123 A. 69 1001 123 A. 69 1013–1017 123 A. 69
Stellenregister 1019–1023 123 A. 69 1025–1027 123 A. 69 1029 123 A. 69 1031 123 A. 69 1033 123 A. 69 1035–1038 123 A. 69 1039 123 A. 69 1040–1044 123 A. 69 1045 123 A. 69 1089–1112 123 A. 69 1121 123 A. 69 1180 123 A. 69 1205 123 A. 69 1207–1208 123 A. 69 1249 123 A. 72 1250 123 A. 69 1415–1419 122 A. 67, 123 A. 72.74 1415 123 A. 81 1486 123 A. 74.81 1640–1648 123 A. 70 1651–1656 123 A. 70 1717 122 A. 67, 123 A. 69 1718–1719 122 A. 67, 123 A. 74 1720 122 A. 67, 123 A. 74 1722 122 A. 67