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German Pages 246 Year 2016
Veronika Selbach, Klaus Zehner (Hg.) London – Geographien einer Global City
Sozial- und Kulturgeographie
Band 4
Veronika Selbach, Klaus Zehner (Hg.)
London – Geographien einer Global City
Wir danken dem Vorstand des Geographischen Instituts der Universität zu Köln, der einer Finanzierung des vorliegenden Bandes zugestimmt und dessen Entstehung ermöglicht hat.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Klaus Zehner, 2014; Blick von der Tower Bridge auf die City of London Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2920-0 PDF-ISBN 978-3-8394-2920-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Vorwort und Danksagung
In Zeiten von Social Media und einem sich exponentiell ausbreitenden Angebot an digitalen Medien ein Buch in klassischer Printform zu konzipieren, ist per se ein gewagtes Unterfangen. Von vielen Kolleginnen und Kollegen hört man, Studierende würden ganz generell keine Bücher mehr lesen, was jedoch übertrieben ist und der Wirklichkeit nur zum Teil gerecht wird. Wahr ist aber, dass das Buch aufgrund seiner langen Produktionszeit dem Medium Internet an Aktualität hoffnungslos unterlegen ist. Wir, die Herausgeber des vorliegenden Bandes, haben uns dennoch für die Veröffentlichung eines klassischen Buches entschieden, weil es uns in erster Linie nicht um die Bereitstellung von Informationen ging. Vielmehr war das Ziel, ausgewählte Entwicklungen, Strukturen und Prozesse, die uns in und an London aufgefallen waren, durch namhafte Expertinnen und Experten interpretieren und bewerten zu lassen. Aus Informationen sollte also Wissen werden. Und hierin liegt die Stärke eines Buches, dessen Autorinnen und Autoren Zeit und Muße hatten, in Ruhe nachzudenken und ihre Gedanken zu Papier (oder in den Computer) zu bringen. Wir glauben somit, dass das Buch für eine solche Herausforderung immer noch das am besten geeignete Medium ist. Warum London, wo es doch bereits meterweise geographische und nicht geographische Literatur zu dieser faszinierenden Stadt gibt? Die Global-CityThematik spielt in der modernen Geographie-Ausbildung an vielen Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen heute eine zentrale Rolle. Global Cities sind Brennpunkte der Globalisierung, die zumindest in den Ländern des Globalen Nordens gleich zweifach, nämlich in Form von Deindustrialisierung und einer mit zeitlichem Versatz folgenden Tertiärisierung ihre Spuren hinterlassen hat. London liefert hierfür eine geradezu mustergültige Blaupause. Und im Gegensatz zu vielen anderen Global Cities höchster Rangstufe befindet sich London geographisch gewissermaßen „vor der Haustüre“. Die Möglichkeit sich die in den Beiträgen des vorliegenden Readers thematisierten Strukturen und Prozesse
mit vergleichbar geringem Aufwand einmal aus der Nähe ansehen zu können, ist ausgezeichnet. Zudem haben wir versucht, neben Geographinnen und Geographen auch Vertreter benachbarter Fachwissenschaften, insbesondere aus Städtebau und Architektur, zu Wort kommen zu lassen. Herausgekommen ist ein Band, in dem zwölf Expertinnen und Experten relevante Stadtentwicklungsprozesse aus unterschiedlichen Perspektiven unter die Lupe genommen und aufgearbeitet haben. Mit Valerie Viehoff haben wir zudem eine in England arbeitende Kollegin für die Mitarbeit gewinnen können. Allen Autorinnen und Autoren sei an dieser Stelle ein ganz herzlicher Dank ausgesprochen. Sie haben sich ausnahmslos ohne Zögern bereit erklärt an diesem Band mitzuwirken und haben erfreulicherweise unsere zeitlichen und formalen Vorgaben ernst genommen und umgesetzt. Ein großer Dank gebührt auch Frau Ulrike Schwedler, Kartographin am Geographischen Institut der Universität zu Köln, die einige Karten der Kölner „Fraktion“ ins Reine gezeichnet hat. Danken möchten wir des Weiteren den uns namentlich nicht in allen Fällen bekannten Kartographinnen und Karthographen an anderen Instituten, die unseren Autoren zugearbeitet haben. Einen ganz besonderen Dank möchten wir Frau Karoline Schmied aussprechen, die mit großer Akribie die Texte gelesen und mit Beharrlichkeit auf inhaltliche und formale Unstimmigkeiten aufmerksam gemacht hat. Bedanken möchten wir uns auch beim Vorstand des Geographischen Instituts der Universität zu Köln, der einer Finanzierung des vorliegenden Bandes zugestimmt hat (ohne diese Unterstützung wäre der Reader nicht entstanden) sowie dem transcript Verlag, der von Beginn an Interesse an unserem Vorhaben gezeigt hat und uns in allen Phasen der Produktion tatkräftig unterstützt hat. Köln, im September 2015 Veronika Selbach und Klaus Zehner
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WestHammerminster smith 11 and Kensington and Fulham Chelsea
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Tower City of 10 Hamlets London 4 1 West2 7 minster 8 3 6 9 5 Lambeth Southwark
‚ 1 St. Paul s Cathedral
6 Tate Modern
2 Tower
7 Millenium Bridge
3 Tower Bridge 30 St Mary Axe 4 (The Gherkin) 5 Shard
8 Südufer
11 Houses of Parliament 12 Olympic Park 13 Royal Docks
9 County Hall
14 Isle of Dogs
10 Liverpool Street
15 Canary Wharf
16 Roehampton Inner London (nach ONS) Quelle: ONS Entwurf: K. Zehner Kartographie: Ulrike Schwedler
Inhalt
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Einleitung: Londons Weg in die Postmoderne – Prozesse, Strukturen und Auswirkungen Veronika Selbach und Klaus Zehner
11
Vom Metropolitan Board of Works zur Greater London Authority – Stadtpolitik und Stadtplanung in London im Wandel Gerald Wood
17
Londons Regenerierungspraxis – Queen of Botox? Felicitas Hillmann
41
Von den East India Docks zum super port „London Gateway“ – die Zukunft der Vergangenheit Dirk Schubert
61
Canary Wharf und die Isle of Dogs – von der Hafenbrache zum internationalen Finanzplatz Klaus Zehner
83
Rising High – die Entwicklung des Hochhausbaus unter dem Einfluss von Internationalisierung, Stadtplanung und gesellschaftlichem Diskurs Marina Rico und Klaus Zehner
101
Städtebauliche Großprojekte und ihre Bedeutung für die Stadtentwicklung Cordelia Polinna
119
Die Olympischen Sommerspiele 2012 – Festivalisierung und Stadtentwicklung im Londoner Osten Boris Braun und Holger Kretschmer
135
„The Regeneration Games“? Das Erbe der Spiele: East London post-2012. Das Beispiel Stratford Valerie Viehoff
153
10. Gentrification und gentrifizierte Stadträume in London Jan Glatter
185
11. Wohnen in London – vom Investorenstädtebau zum öffentlichen Wohnungsbau und zurück Maren Harnack
201
12. London – multikulturelle Metropole Veronika Selbach
217
Autorenverzeichnis
243
„Für mich ist London die interessanteste, die schönste und die wundervollste Stadt der Welt, zart und zierlich in ihrer beiläufigen und unübersehbar mannigfaltigen Kleinheit und überwältigend in ihrer trächtigen Gesamtheit…“ (H.G. WELLS, The New Machiavelli 1911 zit. nach DAVID PIPER, London 1966, S. 27).
1. Einleitung: Londons Weg in die Postmoderne – Prozesse, Strukturen und Auswirkungen V ERONIKA S ELBACH und K LAUS Z EHNER , Köln
London zählt heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, gemeinsam mit New York und Tokio, unbestritten zu den Global Cities der höchsten Hierarchiestufe. Für diese Städte, zu denen in einem weiteren Sinne auch Paris, Hongkong und Singapur gerechnet werden können, hat sich in der geographischen Stadtforschung die Bezeichnung „Alpha Global Cities“ etabliert. Gemessen an ihrer Leistungsfähigkeit als Banken- und Finanzmetropole nimmt London unter den Alpha Global Cities in einigen Rankings sogar den Spitzenplatz vor New York ein. Allerdings würde eine Reduzierung Londons auf ökonomische Funktionen der wahren Bedeutung und dem Wesen der britischen Hauptstadt kaum annähernd gerecht werden. In einem weit über seine wirtschaftlichen Funktionen hinausreichenden Sinne ist London eine ausgesprochen facettenreiche Metropole. Neben Paris ist die britische Hauptstadt das führende europäische Kunst- und Kulturzentrum sowie ein Standort hochkarätiger Forschungsund Bildungseinrichtungen, die den „Nährboden“ für die verschiedensten kreativen Milieus bilden. Das Attribut „Weltstadt“ konnte London jedoch bereits vor mehr als einem Jahrhundert für sich beanspruchen. Als Wells in seinem 1911 erschienenen Werk
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„The New Machiavelli“ London als interessanteste, schönste und wundervollste Stadt der Welt pries, war die britische Hauptstadt der politische und wirtschaftliche Dreh- und Angelpunkt der Welt, gewissermaßen das Epizentrum des British Empire, das Großbritannien seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert sukzessive geschaffen hatte. In den folgenden fünfzig Jahren begann der Glanz Londons jedoch nach und nach zu verblassen. Dies war erstens den beiden Weltkriegen geschuldet, deren Auswirkungen London direkt und indirekt hart trafen. Insbesondere die Bombenangriffe während des Zweiten Weltkriegs (The Blitz) hatten erhebliche Zerstörungen der industriell geprägten Innenstadtviertel und der Docklands zur Folge gehabt. Zweitens wirkte sich der in der Zwischenkriegszeit einsetzende Zusammenbruch des British Empire und damit einhergehend der Verlust politischer Größe einerseits und wichtiger Beschaffungs- und Absatzmärkte andererseits negativ auf die britische Wirtschaft und somit auch auf die Bedeutung Londons aus. In den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die abwärts gerichtete Spirale der Stadtentwicklung Londons noch einmal kurzfristig unterbrochen, da in der Nachkriegszeit die Nachfrage nach Konsumgütern sprunghaft angestiegen und London ein bedeutender Produktionsstandort war. Die Euphorie und die Aufbruchsstimmung nach dem Krieg sowie die Notwendigkeit, die entstandenen Kriegsschäden zu beseitigen, führten jedenfalls zu einer kräftigen Belebung der Wirtschaft. Zu diesem Zeitpunkt war London noch, gemessen an der Zahl der Betriebe und Beschäftigten, die mit Abstand bedeutendste Industriestadt Großbritanniens sowie ein internationaler Handelsknotenpunkt mit einem der größten Häfen der Welt. Zu Beginn der 1960er Jahre machten sich jedoch die ersten Anzeichen eines tief greifenden Deindustrialisierungsprozesses bemerkbar. Zwischen 1961 und 1981 gingen die meisten industriellen Arbeitsplätze verloren. In dieser Zeitspanne schrumpfte die Zahl der Industriebeschäftigten von 1,45 Mio. auf 681 Tsd. Heute bietet die Industrie nur noch 113 Tsd. Arbeitsplätze. Ursachen des Rückgangs industrieller Arbeitsplätze waren technische Innovationen und Rationalisierungsprozesse in der Produktion sowie der Abbau von Zollbarrieren, was Betriebsschließungen oder Verlagerungen von Produktionsstandorten in Schwellenländer zur Folge hatte. Von der Deindustrialisierung wurde vor allem der Osten der Stadt getroffen, wo sich regelrechte Schneisen von Industrie- und Verkehrsbrachen herausbildeten. Die ökonomische Globalisierung traf also London zunächst, indem sie zu einem massiven Rückgang von Industriebetrieben und industriellen Arbeitsplätzen, vor allem in den Konsumgüterindustrien, führte.
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Allerdings konnte London während der letzten 30 Jahre aus der wirtschaftlichen Globalisierung auch Nutzen ziehen und letztlich zu alter Größe zurückfinden. Seit Mitte der 1980er Jahre entwickelte sich die Stadt zum global bedeutendsten Standort der Finanz- und Versicherungswirtschaft. Von deren Ausbau profitierten wiederum zahlreiche Cluster hochspezialisierter unternehmensbezogener Dienstleister. Zu ihnen zählen Juristen, Unternehmensberater, Werbe- und Marketingfachleute, Wirtschaftsprüfer, Buchhalter und Computerspezialisten. In diesen Branchen sind in den letzten drei Jahrzehnten viele zehntausende neue Arbeitsplätze entstanden. Dennoch war der Aufstieg Londons zur global bedeutendsten Finanzmetropole nur zu einem Teil das Ergebnis ökonomischer Logiken. Entscheidenden Anteil an der „Produktion“ der Global City London hatten auch politische Akteure. Hervorzuheben ist zum einen Margret Thatcher, britische Premierministerin von 1979 bis 1990. Sie stellte in den 1980er Jahren mit zivilgesellschaftlich höchst umstrittenen wie auch unkonventionellen Maßnahmen die Weichen für einen signifikanten Umbau der Wirtschaftsstruktur Londons. Ein entscheidender Schritt zur Umsetzung ihrer Ziele stellte die Auflösung der Londoner Stadtverwaltung, des Greater London Council (GLC), im Jahre 1986 dar. Sie bedeutete, dass Thatcher ihre ehrgeizigen Ziele unbeeinflusst von potentiell kontroversen Entscheidungen kommunaler Institutionen auf der lokalen Ebene umsetzen konnte. Erst im Jahr 2000 erhielt die Stadt mit der Greater London Authority (GLA) eine neue Regierung, mit einem direkt gewählten Bürgermeister an der Spitze. Einen wesentlichen Anteil an der jüngeren Stadtentwicklung hatten seither auch die bisher beiden Bürgermeister Londons: Ken Livingstone und Boris Johnson. Ken Livingstone, der von 1981 bis 1986 bereits Vorsitzender des GLC gewesen war, übte das Amt des Mayor of London von 2000 bis 2008 aus. Bereits zu Beginn seiner Amtszeit setzte er sich vehement für den Bau hoher Bürohäuser in und am Rande der Londoner City ein. Ihre Verwirklichung spielte für Livingstone eine zentrale Rolle in der aktuellen Stadtentwicklungsstrategie (London Plan), die bis heute u.a. darauf abzielt, Londons führende Position in der globalen Städtehierarchie abzusichern. Des Weiteren ist es nicht zuletzt seinem Einsatz zu verdanken, dass London den Zuschlag für die XXX. Olympischen Sommerspiele der Neuzeit und die XIV. Paralympics im Jahr 2012 erhielt. Livingstones Konzept, den Großteil der Sportstätten nach dem Prinzip der legacy im ökonomisch und sozial benachteiligten Osten der Stadt, auf Industriebrachflächen im Lower Lea Valley, zu errichten und dadurch einen Aufwertungsprozess in den benachbarten Stadtteilen zu initiieren, überzeugte.
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Sein Nachfolger Boris Johnson hat dagegen die Themen Verkehr und Wohnungsbau in den Fokus genommen. In seine Amtszeit fiel der Umbau Londons zu einer fahrradfreundlichen Metropole. Zugleich entwickelte er (allerdings nicht unumstrittene) Konzepte zur Linderung des Wohnraummangels. Wie dringlich diese Aufgabe war und ist, belegt die Bevölkerungsstatistik. In den letzten drei Jahrzehnten wuchs die Einwohnerzahl Londons um im Durchschnitt 60.000 neue Bewohner pro Jahr. Neben dem natürlichen Bevölkerungswachstum ist dieser Anstieg v.a. auf den Zuzug internationaler Migranten zurückzuführen. Kamen diese in der Vergangenheit im Wesentlichen aus den Ländern des New Commonwealth of Nations (v.a. aus der Karibik, Pakistan, Indien und Bangladesch), stammen viele z.T. auch nur temporär in der Stadt lebende Immigranten in jüngster Zeit aus Osteuropa, da ihnen der Arbeitsmarkt seit 2004 nach dem Beitritt zur EU und der Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit offen steht. Keine andere Metropole Europas ist heute so multikulturell geprägt wie Großbritanniens Hauptstadt.
Z U AUSWAHL UND I NHALT
DER
B EITRÄGE
Vor den Hintergründen dieser spannenden Veränderungen Londons ist die Auswahl der Themen des vorliegenden Readers getroffen worden. Obwohl mit Sicherheit noch weitere sinnvolle Schwerpunkte hätten festgelegt werden können, ist dennoch mit der Auswahl der hier publizierten Beiträge ein Fundament geschaffen worden, mit dem ein Grundverständnis des Umbaus Londons von einer Industrie- und traditionellen Weltstadt zu einer Alpha Global City erworben werden kann. Die Bedeutung der Stadtpolitik für diesen Wandel arbeitet Gerald Wood heraus. Er zeichnet das Werden der Londoner Stadtplanung von der Gründung des Metropolitan Board of Works in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die gegenwärtige Ära der Greater London Authority nach. Dabei geht er sowohl auf den Wandel der Ziele von Stadtentwicklungspolitik als auch auf die sich verändernde Rolle der jeweils zuständigen Behörden ein und betrachtet die entsprechenden politischen und zivilgesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Der Londoner Hafen steht im Mittelpunkt der Beiträge von Dirk Schubert und Klaus Zehner. Dirk Schubert zeichnet vor allem die Historie des einst weltgrößten Hafens ab dem Jahre 1800 nach, als die ersten Schleusendocks östlich der City entstanden. Thematisiert werden auch die Schließung des Hafens zwischen 1967 und 1981 sowie der jüngst vollendete Bau eines hochmodernen
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Containerhafens in der Themsemündung, der mit Geldern eines privaten Investors aus dem arabischen Raum verwirklicht wurde. Im Mittelpunkt des Beitrags von Klaus Zehner steht dagegen die prominenteste Nachfolgenutzung auf dem ehemaligen Hafengelände, das Finanzzentrum Canary Wharf. Dargestellt wird, wie unter wirtschaftsfreundlichen, neoliberalen Rahmenbedingungen in wenigen Jahren die außer Betrieb genommenen Schuppen und Lagerhallen der West India Docks zunächst größtenteils niedergelegt wurden und auf ihrem einstigen Areal ein postmodernes Bankenviertel mit spektakulären Hochhäusern entstand. Trotz aller Kritik an der (von manchen Beobachtern als undemokratisch gewerteten) Form der Revitalisierung und an den städtebaulichen Ergebnissen, bleibt doch festzuhalten, dass Canary Wharf maßgeblich dazu beigetragen hat, den Rang Londons als führendes internationales Finanzzentrum zu festigen. Denn eine Folge des Entstehens von Canary Wharf war auch, dass innerhalb Londons ein neuer Konkurrenzstandort für die City of London entstand. Das Ringen um renommierte Eigentümer und Mieter zwang letztlich die City of London Corporation ihre starre Haltung zu Fragen des modernen Städtebaus aufzugeben und den Weg zu öffnen für den Bau einer neuen Generation von Superhochhäusern und einzigartigen Signaturgebäuden, wie Fosters „The Gherkin“ oder Renzo Pianos „Shard of Glass“. Marina Rico und Klaus Zehner zeigen auf, unter welchen politisch-planerischen, zivilgesellschaftlichen und ökonomischen Konflikten und Debatten Londons neue Bürohochhäuser entstehen konnten und welche Bedeutung sie für das Stadtbild der Themsemetropole haben. Ganz generell ist die Stadtentwicklung Londons in jüngerer Zeit maßgeblich durch städtebauliche Großprojekte geprägt worden. Dies zeigt Cordelia Polinna mit ihrem Artikel auf, der aus architektonischer und städtebaulicher Perspektive die Relevanz bedeutender Flaggschiffprojekte beleuchtet. Zu ihnen zählen insbesondere die Umgestaltung des Südufers der Themse und das Megaverkehrsprojekt Crossrail. Crossrail bezeichnet eine vermutlich 2018 in Betrieb gehende Schnellbahn, die London von Westen nach Osten quert und zu erheblichen städtebaulichen und sozioökonomischen Veränderungen in der Metropolitanregion London führen wird. Einen wesentlichen Impuls haben insbesondere die Olympischen Spiele im Jahre 2012 dem Londoner Osten beschert. Die Wahl Londons zur Olympiastadt zwang die an der Ausrichtung beteiligten Akteure aus Sport, Planung, Politik und Wirtschaft ihre Kräfte zu bündeln und ihr Handeln abzustimmen. Boris Braun und Holger Kretschmer erläutern detailgenau die hinter den Olympischen Spielen stehenden Organisationsstrukturen und verdeutlichen, zu welchen räum-
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lichen Ergebnissen die Transformation der einstigen Industriebrache des Lower Lea Valley in den Olympic Park geführt hat. Der innerhalb weniger Jahrzehnte vollzogene Umbau Londons von einem politischen Machzentrum mit einem stark entwickelten industriellen Sektor zu einer Alpha Global City hat zu spürbaren Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt geführt, die ihrerseits den Wohnungsmarkt stark beeinflusst haben. Diese Veränderungen von sozialen und sozialräumlichen Strukturen stehen im Mittelpunkt von drei Beiträgen. Zunächst geht Valerie Viehoff auf die Veränderungen ein, die durch den Bau des Olympic Parks in den angrenzenden Wohnvierteln ausgelöst wurden. Im Mittelpunkt der Ausführungen von Jan Glatter steht das Thema Gentrification, während Maren Harnack den sozialen Wohnungsbau in London porträtiert. Das Thema Bevölkerung steht auch im Mittelpunkt zweier weiterer Beiträge. Felicitas Hillmann thematisiert die vielfältigen Beziehungen zwischen Mobilität, Migration und Regeneration, während Veronika Selbach die Einwanderung und ethnischen Bevölkerungsstrukturen Londons aufarbeitet. Wir hoffen, mit der vorgestellten thematischen Auswahl ein interessantes Spektrum unterschiedlicher Perspektiven auf die jüngere Entwicklung Londons gelegt zu haben und wünschen Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, nun viel Spaß bei der Lektüre. Veronika Selbach und Klaus Zehner, Herausgeber
„For a couple of hundred years, London was – in some respects still is – the worldʼs most pivotal city. Yet it remained conspicuously and embarrassingly backward when it came to managing its domestic affairs“ (PIMLOT 2002: V).
2. Vom Metropolitan Board of Works zur Greater London Authority – Stadtpolitik und Stadtplanung in London im Wandel G ERALD W OOD , Münster
London stellt in vielfacher Hinsicht einen Sonderfall der Stadtentwicklung im Vereinigten Königreich dar. London ist nicht nur die Hauptstadt des Landes und das ehemalige Zentrum des seit dem späten 16. Jh. wachsenden Empire, sondern zugleich ein Ort einer beispiellosen Veränderungsdynamik, welche die Zivilgesellschaft, das politische Establishment und dessen Institutionen immer wieder vor große Herausforderungen gestellt hat. Bereits um die Mitte des 18. Jh. lag die Bevölkerungszahl bei 750.000 Einwohnern und betrug damit etwa ein Zehntel der Gesamtbevölkerung des Vereinigten Königreichs.1 Um 1815 war London mit über eine Million Einwohnern zur größten Stadt der Welt herangewachsen. Mitte des 19. Jh. hatte sich diese Zahl bereits verdoppelt, und zu Beginn des 20. Jh. lag die Bevölkerungszahl bei 4,7 Millionen. In diesem Zeitraum, auf dem Höhepunkt seiner kolonialen Macht, verfügte das Vereinigte Königreich über eine der komplexesten Kolonialverwaltungen, und die City of London avancierte in dieser Zeit zum führenden internationalen Finanzzentrum. Im Gegensatz hierzu muteten Verwaltung und Planung 1
Diese Zahlen beziehen sich auf Inner London, das im folgenden Text näher bestimmt wird (online abrufbar unter: http://www.oldbaileyonline.org/static/Population-history-oflondon.jsp, http://homepage.ntlworld.com/hitch/gendocs/pop.html vom 10.08.2015).
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dieses globalen Knotens ausgesprochen antiquiert an, wie Pimlott und Rao (2002: V) hervorheben: „Until the setting up of the Metropolitan Board of Works in 1855 and the London County Council (LCC) in 1889, it was almost as if its leading citizens had failed to notice that the Middle Ages were over – and that its real boundaries had left the limits of the square-mile City far behind.“
Das Problem, das hier angesprochen ist, bezieht sich auf den Umstand, dass es seit dem Jahr 886 zwar eine Verwaltung für die City of London, dem eng begrenzten historischen und wirtschaftlichen Zentrum der Stadt (Square Mile) gab, jenseits dieser eng umrissenen historischen Stadt jedoch praktisch überhaupt keine Form einer (übergreifenden) lokalen Administration für das sich rapide ausbreitende Stadtgebiet existierte (Hewitt 2011: 552). Dieser Sachverhalt verlieh London unter den britischen Großstädten des 19. Jh. eine Sonderrolle, denn dort waren bereits erhebliche Anpassungen der Kommunalverwaltungen an die durch das generelle Bevölkerungswachstum und den tiefgreifenden Industrialisierungsprozess ausgelösten Veränderungen erfolgt. Wichtige Gesetze, wie der Municipal Corporations Act von 1835 oder aber der Public Health Act von 1848, mit denen nicht nur erhebliche Veränderungen in der Rechtsstellung der Kommunen einhergingen, sondern auch wichtige infrastrukturelle Maßnahmen zur Behebung der teils gravierenden gesundheitlichen Missstände in den Städten in Angriff genommen wurden, gingen vollständig an London vorbei. Hinzu kam ein komplexes Gefüge von Regelungen und Institutionen zur Steuerung der Entwicklung der City of London selbst und des sich ausweitenden Stadtgebietes jenseits der historischen Stadt. In eher zurückhaltenden Einschätzungen wird davon ausgegangen, dass es im Gebiet der Gesamtstadt etwa 300 verschiedene Einrichtungen bzw. Körperschaften gab, die in irgendeiner Weise administrative Funktionen erfüllten (vgl. Hewitt 2011: 553). Angesichts der Aufgaben- und Problemstellungen, die die zunehmend größer und komplexer werdende Stadt insgesamt betrafen, war dies eine wenig befriedigende Situation. Die Veränderungen der Steuerungsformen zur Durchführung kommunaler Aufgaben sowie der kommunalen planungspolitischen Kompetenzen, die daraufhin ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. in Bezug auf London vollzogen wurden, sollen im Folgenden anhand der wichtigsten und tiefgreifendsten Reformen näher vorgestellt und diskutiert werden. Dabei werden die Überlegungen von folgenden übergeordneten Fragen geleitet: Was wurde zu unterschiedlichen Zeiten als angemessene Steuerungsform zur Erledigung kommunaler Aufgaben und zur Planung der städtischen Entwicklung
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betrachtet? Welche räumliche Bezugsbasis wird hierfür (als zweckmäßigste) propagiert? Und schließlich: Von welchen Interessen werden die unterschiedlichen vorgebrachten Positionen geleitet? Das Beispiel London zeigt, wie unterschiedlich die Antworten auf diese Fragen zu unterschiedlichen Zeiten ausgefallen sind und wie abhängig die gefundenen Arrangements insbesondere von den politischen Positionierungen der maßgeblichen Akteure des Zentralstaates gewesen sind. Diese Abhängigkeit von den Entscheidungen des Zentralstaates lässt sich – bei aller Unterschiedlichkeit der konkreten Ausgestaltung kommunalpolitischer Kompetenzen – als rahmensetzende Konstante werten. Angesichts der Besonderheiten des politischen und des Rechtssystems des Vereinigten Königreichs können Kommunen nur innerhalb der vom Parlament gewährten Rechte agieren, die zudem jederzeit modifiziert bzw. zurückgenommen werden können. Diese bis heute bestehende Machtasymmetrie hat sich ganz besonders auch auf die Formen der kommunalen Steuerungs- und Planungskompetenzen Londons niedergeschlagen. Stadtpolitik und Stadtplanung und ihre jeweilige zeitspezifische konkrete Ausgestaltung werden jedoch nicht nur von politischem Kalkül und funktionalen Überlegungen bestimmt, sondern ganz maßgeblich auch davon, inwieweit sie in der „Stadtgesellschaft“ verankert sind bzw. ob die jeweiligen Arrangements überhaupt mit den gesellschaftlichen Realitäten korrespondieren. So argumentieren beispielsweise Pimlott und Rao (2002: 1), dass die Community Londons aufgrund des dynamischen städtischen Wachstums im 19. und 20. Jh. über weite Strecken eine „flüchtige Erscheinung“ gewesen sei, was sich insbesondere am Wachstum des suburbanen Rings jenseits bestehender administrativer Grenzen des London County Council (LCC) und an dem hieraus resultierenden fehlenden Rückhalt des LCC bei den Bewohnern von Suburbia aufzeigen ließe. Diese Überlegungen verdeutlichen, dass ein vertieftes Verständnis der „Erfolgsfaktoren“ von Stadtpolitik und -planung erst dann möglich ist, wenn auch der Rückhalt und die Akzeptanz der jeweiligen Arrangements innerhalb der Zivilgesellschaft berücksichtigt werden.
L ONDON IM 19. J AHRHUNDERT UND ERSTE GRUNDLEGENDE R EFORMEN DER S TADTPOLITIK Bis weit in das 19. Jh. hinein bestanden die kommunalen Selbstverwaltungsstrukturen im Gebiet der Stadt London zum einen aus der Corporation der City of London (heute: City of London Corporation) und zum anderen aus sogenannten Vestries oder Liberties, kleinräumigen lokalen Selbstverwaltungen, deren
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räumlicher Zuschnitt sich an bestehenden Pfarrbezirksgrenzen orientierte. Obschon die Vestries die Träger der lokalen Selbstverwaltung außerhalb der City waren, besaßen sie jedoch keine gesetzlichen Befugnisse, mit denen sie ihre Aufgaben wirksam durchsetzen konnten (Jeffries 2006: 273). Dennoch erwiesen sich sowohl administrative Strukturen als auch Aufgabenzuschnitt in eher ländlichen Pfarrbezirken als durchaus wirkungsvoll. Dies änderte sich jedoch ab dem 18. Jh. aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums und der einsetzenden Industrialisierung. Auch das bestehende System zur Regulierung der Abwässer, das Heinrich VIII in seinem Bill of Sewers im Jahre 1581 etabliert hatte, stellte sich wegen seiner zersplitterten administrativen und territorialen Strukturen innerhalb des sich ausweitenden Stadtgebiets als immer weniger tragfähig heraus (Jeffries 2006: 273). Weil aber die stadthygienischen Problemlagen, die hieraus resultierten, so tiefgreifend und aufgrund von wiederkehrenden Choleraepidemien für weite Teile der Bevölkerung so prekär waren, konzentrierten sich die politischen Reformen der kommunalen Aufgaben ab der Mitte des 19. Jh. zunächst auf die Beseitigung der bestehenden hygienischen Missstände. Metropolitan Board of Works (MBW) Ein wesentlicher erster Schritt hierzu war die Verabschiedung des Metropolitan Sewers Act im Jahre 1848. Die ab 1832 wiederholt ausbrechenden Choleraepidemien mit zahlreichen Toten hatten zu einer verschärften Wahrnehmung der unbefriedigenden Situation im Umgang mit städtischen Abwässern geführt und den Weg für Reformen bereitet. Mit dem Gesetz wurde eine neue Körperschaft etabliert, die Metropolitan Commission of Sewers, deren wesentliche Aufgabe darin bestand, die Umsetzung der vom Parlament verabschiedeten Maßnahmen zur Hygienepolitik sicherzustellen. Wie sich herausstellte, konnte die Commission den an sie gestellten Erwartungen nicht gerecht werden. Außerdem führten die mangelhafte finanzielle Ausstattung, Streitigkeiten innerhalb der Commission sowie die als wenig koordiniert kritisierte Arbeit zur Ablösung der Commission durch das neu eingerichtete Metropolitan Board of Works (MBW) im Jahre 1855 (Jeffries 2006: 240). Das Metropolitan Board of Works bestand aus 45 Mitgliedern, die nicht direkt gewählt, sondern von den Vestries (als maßgebliche kommunale Körperschaften) delegiert wurden. Die Hauptaufgabe des MBW bestand in der Lösung der drängenden Hygieneprobleme, die sich im Wesentlichen daraus ergaben, dass der größte Anteil des Londoner Abwassers ungeklärt direkt in die Themse eingeleitet wurde. Insofern gehörte der Bau eines leistungsfähigen Abwassernet-
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zes zu den wichtigsten Aufgaben des MBW.2 Das Aufgabenspektrum umfasste zudem die Slumsanierung, die Anlage neuer Durchgangsstraßen, die Restauration bestehender sowie den Bau neuer Themsebrücken, die Verwaltung der Metropolitan Fire Brigade und die Übernahme bzw. Pflege zahlreicher Parks in der Stadt. Die besondere Bedeutung des Metropolitan Board of Works liegt neben seiner herausragenden Leistung zur Verbesserung der Infrastruktur der Stadt (Owen 1982) darin, die erste Einrichtung gewesen zu sein, „die längerfristig und mit stadtteilübergreifenden Kompetenzen ausgestattet arbeiten und planen konnte“ (Harnack 2012: 6). Im Vorfeld der Einrichtung des Metropolitan Board of Works rangen unterschiedliche politische Kräfte um eine adäquate Weiterentwicklung der Kommunalverwaltungen. Auf der einen Seite standen „radikale“ Reformer, die sich für London-weite Regelungen aussprachen und denen die Einrichtung des MBW nicht weit genug ging, auf der anderen Seite die größeren und reicheren Vestries, die, angeregt durch das Beispiel der großen Provinzstädte des Landes, versuchten, selbst einen unabhängigen City-Status zu erlangen (Pimlott/Rao 2002: 23). Mit der Verabschiedung des Metropolitan Management Act des Jahres 1855 entschied sich die Zentralregierung, nicht zuletzt unter dem Druck der hygienischen Verhältnisse, für eine Zwischenlösung: London sollte eine Einrichtung bekommen, die mit Kompetenzen zur Lösung überlokaler Probleme ausgestattet war, gleichzeitig sollten die Vestries in ihren bestehenden Rechten nicht beschnitten werden. Das erste zweigliedrige metropolitane Verwaltungssystem der Welt war also mit einem schweren „Geburtsfehler“ zur Welt gekommen. Zwar trugen die politisch Verantwortlichen mit der Schaffung des MBW dem Umstand Rechnung, dass wesentliche Teile kommunaler Daseinsvorsorge nur noch als gesamtstädtische Aufgabe realisiert werden konnten, mit der Zementierung einer aus der Sicht von Davis (1988: 50) überholten parochialen lokalpolitischen Verwaltungsebene wurden jedoch zahlreiche Probleme geschaffen, die mit dafür verantwortlich waren, dass das MBW letztlich scheiterte und durch den Local Government Act des Jahres 1888 wieder aufgelöst wurde. Das größte Problem bestand nach Harnack (2012: 6) darin, dass das MBW gegenüber den Vestries/Boroughs keine Planungshoheit besaß und sich im Zweifelsfall gegenüber deren Partikularinteressen nicht durchsetzen konnte. Trotz aller Kritik, die sich nicht zuletzt an der umgangssprachlichen Verballhornung des Board of Works als Board of Words sowie Board of Perks (Vergünstigun2
Die Lösung des Problems bestand jedoch nicht darin, die Abwässer zu sammeln, zu klären und dann in die Themse einzuleiten, sondern lediglich darin, die gesammelten Abwässer so weit themseabwärts einzuleiten, dass sie bei Flut nicht wieder in die Stadt zurückgespült werden konnten.
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gen) zeigt, steht für Owen (1982) fest, dass London durch die Tätigkeit des MBW ein deutlich besserer Ort zum Leben geworden war, wenngleich andere Beobachter die politischen Arrangements, die durch den Metropolitan Management Act 1855 geschaffen worden waren, für wenig adäquat hielten, die bestehenden Probleme der Stadt in den Griff zu bekommen (Davis 1988). London County Council (LCC) Der Local Government Act des Jahres 1888 führte nicht nur zur Auflösung des MBW, sondern auch zur Schaffung des County of London und zur Einrichtung des London County Council (LCC), der Verwaltungseinheit des County of London. Das bereits mit der Schaffung des MBW etablierte zweigliedrige metropolitane Verwaltungssystem wurde, unter Beibehaltung der bestehenden Arrangements auf der unteren Ebene, fortgeführt. Erst im Jahre 1900, auf der Basis des London Government Act des Jahres 1899, wurde auch diese Ebene reformiert, indem 28 sogenannte Metropolitan Boroughs eingerichtet wurden, zum Teil durch Zusammenlegung bestehender Verwaltungseinheiten. In das Gebiet des County of London, das weitestgehend deckungsgleich mit dem heutigen Inner London ist (Abb. 1: helle Flächen, inklusive der Central Activities Zone, jedoch ohne Newham), war auch die City of London eingeschlossen. Beide bildeten jedoch eigenständige „zeremonielle“ Grafschaften (Robson 1939: 80-92) und die Aufgaben, die der LCC für den Gesamtraum wahrnahm, waren im Falle der City of London auf wenige Funktionen begrenzt.3 Der LCC war die erste demokratisch legitimierte Verwaltungseinheit für die Gesamtstadt, deren Vertreter in direkter Wahl durch die Londoner Bevölkerung gewählt wurden. Zunächst übernahm er die Aufgaben des MBW, und im Laufe seiner 76-jährigen Geschichte kamen weitere Funktionen hinzu, darunter Bildung, Stadtplanung, sozialer Wohnungsbau und ÖPNV (Abb. 2: County Hall).
3
Hierzu gehörten: das Abwassersystem, der Unterhalt und Ausbau von Straßen, die Feuerwehr und der Hochwasserschutz.
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Abb. 1: Strategische Stadtentwicklungsgebiete des London Plan 2015: Inner London, Outer London und Central Activities Zone
Quelle: Mayor of London 2015: 61
Der Entschluss zur Einrichtung des LCC war einem politischen Kompromiss geschuldet, da die Konservative Partei, die einer gesamtstädtischen Administration prinzipiell ablehnend gegenüber stand, aufgrund des Wahlergebnisses von 1886 gezwungen war, eine Koalition mit den Liberal Unionists einzugehen und dem Wunsch des Koalitionspartners nach einer direkt gewählten Verwaltung für die Gesamtstadt zu entsprechen (Pimlott/Rao 2002: 23). Nach Davis (1988: 115) war die Schaffung des LCC ein sichtbarer Ausdruck dafür, dass die Reformdebatte parteipolitische Ausmaße angenommen hatte. Ein wesentlicher Grund, warum sich die Liberalen für einen direkt gewählten Stadtrat für die Gesamtstadt stark machten, lag an der aus ihrer Sicht mangelnden politischen Legitimität des MBW. Ihre Pläne zur Schaffung eines gewählten Stadtparlaments in den Grenzen des MBW ließen sich jedoch erst im Rahmen der Koalitionsregierung mit den Konservativen im Jahr Jahres 1886 realisieren.
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Abb. 2: County Hall (eröffnet 1922, Fertigstellung 1933), ehemaliger Sitz des LCC und des GLC, links daneben das „London Eye“, eines der größten Riesenräder Europas (Eröffnung: März 2000)
Quelle: Aufnahme G. Wood im Jahr 2004
Die Vertreter der Konservativen Partei galten als Verfechter des „Lokalen“.4 Von daher mutet es ironisch an, dass unter ihrer (maßgeblichen) Beteiligung eine übergeordnete Verwaltungsebene für London geschaffen wurde, die aufgrund ihrer zugewiesenen Machtfülle die bestehenden Lokalverwaltungen komplett überschattete (Pimlott/Rao 2002: 23f). Die Progressives, die auf nationaler Ebene mit der Liberal Party verbunden waren, gewannen die ersten sechs Kommunalwahlen in Folge. Sie waren die erste Partei, die versuchte, eine „London-Identität“ zu kreieren, indem die Gemeinsamkeit der Interessenlagen aller Londoner hervorgehoben wurde (community of interest) (Pimlott/Rao 2002: 25). Die Labour Party, die nach 27-jähriger Dominanz des LCC durch die Konservative Partei im Jahr 1934 an die Macht kam (und diese auch bis zur Auflösung des LCC im Jahr 1965 nie wieder abgab), unternahm ähnliche Versuche, eine gesamtstädtische Identität zu stiften. Das grundlegende Problem solcher Versuche einer rhetorischen Homogenisierung zunehmend komplexer werdender Interessenlagen liegt darin begründet, dass sie durch die gesellschaftlichen und sozialräumlichen Entwicklungen ad 4
Gemeint ist hier die überkommene kleinräumige kommunale Ebene (Vestries, Boroughs u.Ä.).
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absurdum geführt wurden, und zwar nicht nur aufgrund der immer deutlicher zutage tretenden Unterschiede in den Problemlagen und Interessen zwischen innerem Kern der Stadt (County of London) und dem äußeren Ring, sondern insbesondere auch aufgrund der bestehenden gesellschaftlichen Komplexität innerhalb des inneren Kerns von London selbst.5 Der Grund dafür, dass solche Argumentationsmuster dennoch eine große Popularität besitzen, liegt vor allen Dingen darin begründet, dass sie sich im Wahlkampf und in Reformdiskursen gut instrumentalisieren lassen.
D IE H ERAUSFORDERUNGEN DER S TADTENTWICKLUNG IM 20. J AHRHUNDERT UND IHRE F OLGEN FÜR S TADTPOLITIK UND S TADTPLANUNG Schon bei der Schaffung des LCC im Jahre 1889 wurde das neu gefundene administrative Arrangement für die Gesamtstadt durch das scheinbar grenzenlose Wachstum Londons infrage gestellt (Pimlott/ Rao 2002: 27). So zeigt die Volkszählung aus dem Jahr 1891, wie stark das Bevölkerungswachstum jenseits des LCC bereits vorangeschritten war. Während im Bereich des LCC 4,4 Million Menschen lebten, betrug die Einwohnerzahl im äußeren Gürtel bereits 1,1 Millionen. Zwar wuchs auch die Bevölkerungszahl im Bereich des LCC in den nächsten Jahrzehnten weiter an, doch ab den 1930er Jahren fiel sie kontinuierlich, bis sie im Jahr 1951 nur noch knapp 3,7 Million Einwohner betrug. Zeitgleich wuchs die Bevölkerung in den umliegenden suburbanen Gebieten sehr dynamisch weiter. Im Jahr 1951 lag die Bevölkerungszahl mit annähernd 4,5 Millionen Einwohnern deutlich über der Zahl im inneren Stadtgebiet.6 Dieses starke Wachstum im Außenbereich der Stadt, verbunden mit den durch das Bevölkerungswachstum und die Industrialisierung hervorgerufenen und durch die Kriegsschäden in den 1940er Jahren intensivierten Problemlagen im Inneren der Stadt schufen, ähnlich wie bereits die Hygieneprobleme im 18. Jahrhundert, einen enormen politischen Handlungsdruck. Der LCC beauftragte daher den Planungswissenschaftler Patrick Abercrombie im Jahr 1941 mit dem Entwurf eines Entwicklungsplans für den Großraum London, der die vielfältigen
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So argumentierte beispielsweise der Spectator im Jahr 1849: London „has ceased to be a unity. … It is more of a constellation or cluster of cities“ (zitiert in: Young/ Garside 1982: 20).
6
Online abrufbar unter: http://www.oldbaileyonline.org/static/Population-history-oflondon.jsp, http://homepage.ntlworld.com/hitch/gendocs/pop.html vom 10.08.2015.
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Probleme der Großstadtregion analysieren und Lösungsoptionen aufzeigen sollte. Der von Abercrombie im Jahr 1944 vorgelegte Greater London Plan war in mehrfacher Hinsicht wegweisend: Zum einen umfasste der Planungsraum ein Gebiet, das weit über die bestehenden administrativen Grenzen hinausreichte, zum anderen wurde die weitere Dezentralisierung der Bevölkerung aus der Kernstadt heraus propagiert, die jedoch in die etwa 50 Kilometern außerhalb der Großstadtregion liegenden ländlichen Bereiche hinein erfolgen sollte, vorzugsweise in acht neu zu gründende (Entlastungs-)Städte. Eine Umsetzung dieses Regionalplans erfolgte jedoch nur in Teilen, da insbesondere für die ambitionierten Infrastrukturprojekte (Autobahnbau) in der unmittelbaren Nachkriegszeit das Geld fehlte. Dennoch war der Plan von Abercrombie erfolgreich. Zum einen verdeutlichte er die Notwendigkeit, die Stadtentwicklung Londons in einem größeren räumlichen Kontext zu sehen. So bildete er bis in die 1960er Jahre hinein das Grundkonzept der Regionalplanung in Südost-England (Heineberg 1997: 288). Zum anderen löste er eine Aufbruchsstimmung innerhalb der Bevölkerung nach den gerade für London traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs aus. Unangetastet von diesen Überlegungen blieben jedoch die Strukturen und Zuständigkeiten der bestehenden Gebietskörperschaften, inklusive des LCC. Der politische Reformwille war sehr begrenzt, wie Pimlott und Rao (2002: 27) hervorheben, weil vor allen Dingen der Druck aus den suburbanen Gebieten gegen eine Eingemeindung in ein vorgeschlagenes „Groß-London“ so vehement war und weil zudem die Labour Party als dominierende politische Partei des LCC kein Interesse an einem Einschluss von Suburbia hatte, das in weiten Teilen Konservativ wählte. Eine unmittelbare Folge hieraus war der Umstand, dass die Koordinierung und Aufsicht über die strategische Planung für die erweiterte Londoner Region (im Sinne Abercrombies) nun über lange Zeit in den Händen der Zentralregierung lag. Die Einrichtung des Greater London Council (GLC) 1965 … Aus dieser Situation resultierte erneuter politischer Handlungsdruck, denn weder die Akteure des LCC noch die für die Regionalplanung zuständigen Ministerialbeamten waren von der Kompetenzverteilung besonders angetan. Vor diesem Hintergrund entschloss sich die konservative Regierung im Jahr 1957, die Verwaltungsstrukturen im Großraum London durch eine Royal Commission unter Sir Edward Herbert unter die Lupe nehmen zu lassen. Im Bericht der Kommission (Royal Commission on Local Government in Greater London 1957-60) aus dem Jahre 1960 wurden weitreichende Veränderungen vorgeschlagen, darunter
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insbesondere die Ausweitung des Stadtgebietes auf Greater London (siehe Abb. 1: gesamtes abgebildetes Stadtgebiet), das nicht nur das Gebiet des LCC (einschließlich der City of London) umschließen sollte, sondern darüber hinaus auch die ehemalige Grafschaft Middlesex sowie Teile der Grafschaften Essex, Hertfordshire, Kent und Surrey. Ferner sah der Vorschlag die Einrichtung einer übergeordneten Stadtverwaltung (Regional Council) für Greater London und die Übertragung „strategischer“ Aufgaben auf diese Verwaltungsebene (darunter Stadt- und Verkehrsplanung, Bildung sowie Feuerwehr und Rettungsdienste) vor. Parallel hierzu sollten 52 Greater London Boroughs aus der Zusammenlegung der bisherigen Stadtbezirke geschaffen werden (Hebbert 2008: 29). Als Richtgröße für diese Boroughs wurden Einwohnerzahlen zwischen 100.00 und 200.000 Personen angegeben. In dem 1963 verabschiedeten London Government Act wurde ein Großteil dieser Anregungen aufgenommen, darunter die zweistufige Verwaltungsgliederung (hier bildete die City of London wieder einen Sonderfall, da sie eigenständig blieb) sowie die Aufteilung der Planungsaufgaben auf die beiden Verwaltungsebenen. Abweichend vom Vorschlag der Herbert Commission wurden auf der unteren Verwaltungsebene 32 London Boroughs eingerichtet, zwölf im Bereich von Inner London und zwanzig in Outer London. Mit Blick auf die Funktionszuweisungen kam es zu einer vielfach kritisierten unklaren Aufgabensplittung, so zum Beispiel im Bereich der Bildung, der Verkehrsplanung, beim Straßenbau sowie beim Wohnungsbau: „The London Government Actʼs arrangements were a recipe for conflict. … The Act in effect created two housing authorities in every London borough – the borough councils and the GLC“ (White 2008: 34).
Wirksam wurde der London Government Act des Jahres 1963 zum 1. April 1965, mit dem nicht nur das bis heute bestehende Greater London erschaffen wurde, sondern auch der im Jahr 1986 wieder aufgelöste Greater London Council (GLC). Als eine der wichtigsten Aufgaben des GLC sah das Gesetz die Weiterführung der Raumordnungsaufgaben des LCC vor, insbesondere die Erstellung eines Raumordnungsplans (Greater London Development Plan – GLDP), in dem verbindliche Vorgaben für die weitere Stadtentwicklung in einer Vielzahl von wichtigen Themenfeldern getroffen werden sollten (basierend auf den im Town and Country Planning Act des Jahres 1947 festgelegten Regelungen zur Raumordnung). Die Erstellung eines gesamtstädtischen Raumordnungsplans war bereits von der Herbert Commission vorgeschlagen worden. Die London Bo-
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roughs waren ihrerseits dazu verpflichtet, für ihre Stadtteile so genannte local development plans zu erstellen, die widerspruchsfrei zum London Development Plan sein mussten (Moore 1974: 60). Die durch den London Government Act von 1963 erfolgte Machtaufteilung zwischen den beiden Verwaltungsebenen und die daraus resultierenden zum Teil diffusen Kompetenzzuweisungen waren eine Quelle ständiger Probleme, nicht nur zwischen den London Boroughs und dem GLC, sondern auch entlang parteipolitischer Linien. In zum Teil hitzigen Debatten wurde über die richtige Entwicklungsstrategie für die Gesamtstadt versus Boroughs gestritten, sodass der GLDP erst nach siebenjähriger Vorbereitungszeit durch die Zentralregierung angenommen wurde. Ähnlich wie schon beim LCC, versuchte die erste Labour Administration des GLC des Jahres 1965, London als „Eine Stadt“ bei der Bevölkerung zu popularisieren. Aber auch hier gab es erhebliche Widerstände bei vielen Londonern, deren Loyalitäten eindeutig dem eigenen Stadtteil galten. Außerdem widersetzten sich die London Boroughs einer Vereinnahmung und einer Intervention in die Belange der Boroughs durch den GLC vehement – gerade so wie sich schon zuvor die Metropolitan Borough Councils erfolgreich gegen die Vereinnahmungstendenzen des LCC durchgesetzt hatten. Am Beispiel des Wohnungsbaus trat der Konflikt zwischen GLC und London Boroughs besonders deutlich zum Vorschein. Kompetenzgerangel und parteipolitische Querelen hatten dazu geführt, dass eines der wichtigsten Aufgabengebiete der Londoner Kommunalverwaltungen ständig in den Schlagzeilen war und die Sinnhaftigkeit des GLC insgesamt infrage gestellt wurde. … und seine Abschaffung 1986 Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass erste Überlegungen zur Abschaffung des GLC lange vor der tatsächlichen Auflösung im Jahre 1986 angestellt wurden, und zwar bereits in den 1970er Jahren. In einer der damals kursierenden Überlegungen der Konservativen Partei in London wurde der Vorschlag unterbreitet, einen Staatsminister für London zu ernennen, den GLC zu ersetzen und die kommunale Selbstverwaltung auf die London Boroughs zu begrenzen (White 2008: 36). Im Rahmen der 1977 stattfindenden GLC-Wahlen errang die jenseits der etablierten politischen Parteien angesiedelte Bewegung Abolish the GLC Campaign immerhin 31 der 92 Mandate, dennoch wurde in einem nach der Wahl durch die Konservativen in Auftrag gegebenen Gutachten festgestellt, dass der GLC weiterhin nötig sei. Außerdem unterstrich der Verfasser des Gutachtens, Sir Frank Marshall, die Notwendigkeit, die Kompetenzen zwischen GLC und London Boroughs neu zu regeln und auf eine solidere Grundlage zu stellen sowie die strategische Rolle des GLC deutlich zu stärken. Allerdings fand dieser
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Vorschlag kein Gehör, da im Rahmen der Parlamentswahl des Jahres 1979 eine Regierung an die Macht kam, die in den folgenden Jahren die Rechte der Kommunen immer mehr einschränkte – insbesondere auch die des GLC – und schließlich den GLC komplett abschaffte. Bevor sich die Regierung unter Margaret Thatcher in ihrer zweiten Legislaturperiode jedoch an dieses Projekt machte, war es dem GLC unter dem ab 1981 regierenden Ken Livingstone von der Labour Party gelungen, die Popularität des GLC deutlich zu erhöhen, trotz aller innerstädtischen und auch parteiinternen Kontroversen, die er auslöste. Das lag nicht nur an den politischen Maßnahmen des GLC (darunter insbesondere die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs), sondern im Wesentlichen auch an der charismatischen Figur Ken Livingstones, unter dem die allgemeine Sichtbarkeit des GLC sowie auch dessen Akzeptanz in der Londoner Bevölkerung erheblich zugenommen hatten. Insofern war die Überraschung groß, als die Regierung in ihrem Wahlkampfmanifest des Jahres 1983 die Abschaffung des GLC (sowie der ähnlich strukturierten Metropolitan Counties in sechs weiteren großstädtischen Verdichtungsräumen Englands) verkündete, unter anderem auch unter den Londoner Parteifreunden der Premierministerin. Die Abschaffung des GLC wurde als eine Maßnahme zur Steigerung der Kosteneffizienz der öffentlichen Hände und zur Modernisierung der Städte deklariert bzw. rationalisiert (Department of the Environment 1983). Kritiker werfen der Regierung jedoch vor, mit der Abschaffung des GLC eine höchst irrationale Entscheidung getroffen zu haben: „Thatcherʼs Cabinetʼs refusal to bend to cost-benefit analysis on GLC abolition, and its willingness to send ministers out to defend the indefensible were fascinating folly“ (OʼLeary 1987: 214).
Die Entscheidung, den GLC (und die sechs Metropolitan Counties) aufzulösen, entsprang dem Wunsch der Regierungschefin, den gegen sie opponierenden Vertretern der Lokalpolitik in London und anderen Großstädten die Machtbasis zu entziehen. Führende Konservative Politiker, unter ihnen das Kabinettsmitglied Michael Heseltine, empfanden das Vorhaben als kontraproduktiv und gaben nur widerwillig ihre Zustimmung (OʼLeary 1987: 212). Nach Ansicht von Pimlott und Rao (2002: 43) wurde der GLC ein „Opfer des Systems“: anders als in anderen westlichen Demokratien verfügt der Premierminister bzw. die Premierministerin des Vereinigten Königreichs über eine nahezu uneingeschränkte konstitutionelle Machtfülle, während die Kommunen nicht zuletzt aufgrund einer fehlenden schriftlichen Verfassung keine fixierten Rechte besitzen, auf die sich im Zweifelsfall berufen könnten. Von daher war die
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Abschaffung des Greater London Council, die notwendige Entschlossenheit der Regierungschefin und die nötige Mehrheit im Parlament vorausgesetzt, eine Entwicklung, die die Vertreter der Lokalpolitik unmöglich hätten aufhalten konnten. Welche Macht der Zentralstaat gegenüber den Kommunen besitzt, zeigte sich im Falle Londons insbesondere auch durch zahlreiche stadtpolitische und stadtplanerische Eingriffe des Zentralstaates in der Regierungszeit von Margaret Thatcher. Eines der herausragenden Beispiele in diesem Zusammenhang ist die London Docklands Development Corporation (LDDC), die im Jahr 1981 in den Stadtbezirken Newham, Tower Hamlets und Southwark eingerichtet und im Jahre 1998 abgewickelt worden ist. Im Bereich der LDDC wurde das lokale Planungsrecht außer Kraft gesetzt und stattdessen die Development Corporation mit der Planungshoheit betraut. Dies führte zu erheblichen lokalpolitischen Protesten, die jedoch keinerlei Einfluss auf den von der Regierung eingeschlagenen Gang zur Erneuerung zentraler Stadtgebiete hatte. Mit Blick auf den GLC mutet es fast tragisch an, dass eine für GesamtLondon zuständige Verwaltungsebene genau in dem Moment abgeschafft wurde, in dem sie den Zenit ihrer Popularität erreicht hatte (White 2008: 41) und sich einer Zustimmung durch die Bevölkerung erfreute, die zuvor keiner anderen London-weiten Kommunalverwaltung zuteil geworden war. Der Greater London Council – Fazit Im Vergleich zu seinem Vorgänger, dem LCC, war der GLC mit weitaus weniger Gestaltungsmacht ausgestattet (Harnack 2012: 7), sodass er sich vom Anfang an in einer schwierigen Situation befand. Die London Boroughs verfügten über weitgehende Rechte, waren zudem finanziell gut ausgestattet und entwickelten innerhalb weniger Jahre nach Schaffung des GLC genügend Durchsetzungsfähigkeit und taktisches Geschick, um in für sie wichtigen Fragen gegenüber dem GLC die Oberhand zu behalten (Pimlott/Rao 2002: 43). Demgegenüber war der GLC nicht in der Lage, eine seinem gesetzlichen Auftrag gemäße Form von „strategischer“ Stadtentwicklungspolitik zu entwickeln, da Kommunalwahlen wiederholt politische Richtungswechsel zur Folge hatten und zudem der Zentralstaat in wichtigen Fragen häufig intervenierte: „There had been such wild swings in political control and policy direction. Policy had been blocked from above by government and below by the boroughs“ (White 2008: 36).
Nach der Auflösung des GLC verlor die Stadt ihre übergeordnete Planungsinstanz. Die Aufgabenbereiche des GLC wurden auf die London Boroughs (darunter der soziale Wohnungsbau), auf gemeinsame Gremien oder aber den Zent-
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ralstaat übertragen. Trotz pessimistischer Vorhersagen kam es nicht zu einem Zusammenbruch städtischer Dienstleistungen. Mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt, die Verkehrsplanung und die politische Legitimität entstand jedoch ein Vakuum (Gordon/Travers 2010: 51). „Interessanterweise war es die Business Community, angeführt von der Corporation of London, die aus ökonomischen Gründen auf das Planungsvakuum aufmerksam machte und die Befürchtung weckte, London würde seine Wettbewerbsfähigkeit einbüßen, wenn nicht wieder stärker planerisch eingegriffen würde“ (Polinna 2012: 91).
Back to the future? – Die Greater London Authority (GLA) Bei den Unterhauswahlen im Jahr 1997 kündigte sich – nach 18 Jahren Konservativer Herrschaft – mit dem erdrutschartigen Sieg der Labour Party unter Tony Blair eine politische Trendwende im Vereinigten Königreich an, darunter auch für die Stadtpolitik und die Stadtplanung in London. Auf der Grundlage des Versprechens der Labour Party, Politik transparenter, berechenbarer und dezentraler zu gestalten, wurden die Formen der politischen Steuerung für die Hauptstadt tiefgreifend umgestaltet: „These procedural and policy priorities heralded a major change to the governance of London and the approach to strategic planning“ (Thornley 2003: 49).
Die wichtigste Veränderung der Governance-Strukturen war die Schaffung der Greater London Authority (GLA), einer Verwaltungsbehörde, die aus dem Amt eines direkt gewählten Regierenden Bürgermeisters sowie einer 25-köpfigen nach Verhältniswahlrecht gewählten Delegiertenversammlung (Assembly) besteht (Abb. 3). Es gehörte zum politischen Stil der Blair-Administration, zentrale politische Innovationen per Referendum zur Wahl zu stellen. In dem am 7. Mai 1998 abgehaltenen Referendum zur Einrichtung der GLA befürworteten 72% der zur Wahl erschienenen wahlberechtigten Londoner (bei einer allerdings sehr niedrigen Wahlbeteiligung von 34,1%) die Pläne. Der daraufhin im Jahr 1999 verabschiedete Greater London Authority Act bildete die Grundlage zur Schaffung eines für das Vereinigte Königreich komplett neuen lokalen Politikmodells. Trotz der Reformfreude der neuen Regierung war Tony Blair jedoch ebenso wenig wie seine Konservativen Amtsvorgänger daran interessiert, eine mächtige und für die Zentralregierung potentiell lästige Kommunalverwaltung zu kreieren (Gordon/Travers 2010: 52). Insofern verfügt die GLA über wenig politische Macht und unmittelbare Eingriffsmöglichkeiten, sondern vielmehr über „strategische“ Funktionen. Der Bürgermeister soll als Vermittler und Moderator über-
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zeugend tätig sein, um die von der GLA aufgestellten strategischen Pläne den betroffenen Interessengruppen (darunter auch den Vertretern der Regierung) näher zu bringen und mit ihnen abzustimmen, und zwar in den Bereichen Wirtschaftsförderung, Verkehr, Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst sowie ÖPNV (s. z.B.: Mayor of London 2010). Abb. 3: City Hall, Sitz der GLA (Architekt Norman Foster, Fertigstellung Juli 2002), links im Bild die Tower Bridge
Quelle: Aufnahme G. Wood im Jahr 2006
Während im Amt des Regierenden Bürgermeisters der Großteil der exekutiven Gewalt ruht, besteht die Aufgabe der Assembly darin, die Tätigkeit des Bürgermeisters zu überwachen und insbesondere das vom Bürgermeister erstellte jährliche Budget zu billigen und gegebenenfalls zu modifizieren. Durch den Greater London Authority Act nahezu unverändert blieben die Aufgaben und die Gestaltungsmöglichkeiten der London Boroughs und der City of London (die auch bei dieser Reorganisation der Governance-Strukturen Londons unangetastet blieb). Die Bedeutung der London Boroughs gegenüber der neuen gesamtstädtischen Politikebene ist nicht zuletzt daran erkennbar, dass ihr Budget doppelt so groß ist wie das der GLA (Gordon/Travers 2010: 51). Aufgrund der strategischen Bedeutung des Amtes des Regierenden Bürgermeisters bleibt dieser weitgehend unberührt von den Anforderungen, die aus
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dem unmittelbaren kommunalpolitischen Alltagsgeschäft resultieren. Auf der anderen Seite schafft die bestehende Arbeitsteilung zwischen den beiden kommunalpolitischen Ebenen eine potentielle Spannung zwischen den „Visionen“ eines ambitionierten Bürgermeisters und den politischen Interessen der Boroughs, so dass die Umsetzung seiner Pläne eine mehr oder weniger große Herausforderung für den Bürgermeister darstellt. Das Machtverhältnis zwischen GLA (insbesondere dem Bürgermeister) und den Boroughs wurde im Jahr 2007 durch eine Ausweitung der Kompetenzen der GLA in Teilen neu definiert. So wurden dem Bürgermeister im Bereich des (sozialen) Wohnungsbaus weitreichende Eingriffsmöglichkeiten in die Planungskompetenzen der London Boroughs eingeräumt. Ferner umfassten die erweiterten Kompetenzen u.a. auch die Kontrolle über größere Stadtentwicklungsprojekte (Travers 2008: 62). Einer der wichtigsten strategischen Pläne im Aufgabenbereich des Bürgermeisters ist der London Plan, ein Programm für die Gesamtstadt, das für die Raumplanung der London Boroughs übergeordnete und bindende Wirkung besitzt. Allerdings verfügt die GLA nicht über die Kontrolle über die finanziellen Ressourcen zur Umsetzung der im Plan aufgestellten Entwicklungsziele (Gordon/Travers 2010: 51), so dass eine wesentliche Funktion des London Plan darin besteht, die Unterstützung durch die maßgeblichen Vertreter des Zentralstaates sicherzustellen. Die Erstellung des ersten London Plans lag in den Händen von Ken Livingstone, der zunächst als unabhängiger Kandidat, dann als Vertreter der Labour Party von 2000-2008 das Amt des Bürgermeisters innehatte. Der Akzent, den Livingstone im London Plan setzte, war angesichts seiner Vergangenheit als ehemaliger Vorsitzender des GLC überraschend, da die Stärkung der Rolle Londons als führende Global City als übergeordnetes Ziel herausgestellt wurde.7 Wie Polinna (2012: 91) betont, wurde nicht zuletzt hierdurch das bereits in der Ära der Konservativen verfolgte Wachstumsparadigma der Stadt weiter gestärkt. Ein wesentliches Element des Wachstumsparadigmas besteht in der herausgehobenen Bedeutung, die Großprojekten für die Stadtentwicklung beigemessen wird. Hierzu zählen die in den letzten Jahren errichteten Hochhäuser im zentralen Bereich der Stadt genauso wie die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2012 und der damit verbundene Ausbau des Verkehrsknotenpunktes Stratford am östlichen Rand von Inner London sowie auch die Aufwertung des Südufers der Themse durch zum Teil spektakuläre Kulturprojekte (z.B. durch die Einrichtung der Tate Gallery of Modern Art in der umgebauten Bankside Power Station gegenüber der St Paulʼs Cathedral). Hierbei handelt es sich um 7
In seiner Amtszeit als Vorsitzender des GLC votierte der GLC explizit gegen die Verfolgung einer Global City Strategie (Greater London Council 1985).
34 | G ERALD W OOD „Projekte, die nach dieser Wachstumslogik einen zentralen Beitrag dazu liefern sollen, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zu steigern und eine prosperierende Ökonomie zu sichern“ (Polinna 2012: 91f).
Im Jahr 2008 wurde der Konservative Boris Johnson durch maßgebliche Stimmanteile aus den äußeren Stadtbezirken in das Amt des Regierenden Bürgermeisters von London gewählt. In der Überarbeitung des London Plans verabschiedete sich Johnson von dem „unausweichlichen Wachstum“, das zur zentralen Argumentationslinie von Ken Livingstone gehört hatte. Stattdessen wurde der Schwerpunkt auf die Themen Lebensqualität, place-making und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der äußeren Stadtbezirke gelegt (Mayor of London 2015). Verbunden wurde dies mit dem Versprechen, den äußeren Stadtbezirken mehr Mitsprache einzuräumen und den Druck auf ihre Wohnungsmärkte zu vermindern (Gordon/Travers 2010: 52). Nach Meinung von Travers signalisierte die neue Führungsriege einen Machtwechsel von der GLA zu den Boroughs, während die doppelte Amtszeit von Ken Livingstone von Versuchen geprägt war, die Macht zu zentralisieren (Travers 2008: 69). Die Greater London Authority – ein Resümee Die Wiedereinrichtung einer für die Gesamtstadt zuständigen Verwaltungsbehörde war Paradoxon und Déjà-vu zugleich. Mit Blick auf die Schaffung der GLA lag die Paradoxie, wie Polinna (2012: 91) hervorhebt, darin, dass die „planungsfeindliche Politik der Regierung Thatcher ein Zurück zur Planung, einen Bedeutungszuwachs von städtebaulicher Gestaltung und eine Neuausrichtung staatlicher Eingriffsmöglichkeiten nach sich zog.“
Trotz des für das Vereinigte Königreich neuen lokalen Politikmodells ähnelte die GLA in mehrfacher Hinsicht den vorangegangenen gesamtstädtischen Governance-Regelungen, insbesondere denen des GLC. So lässt sich mit Blick auf die Kompetenzen der GLA, sowohl gegenüber den Boroughs als auch gegenüber dem Zentralstaat, kein durchgreifender Wandel feststellen. Zwar wurden die Kompetenzen der GLA im Jahr 2007 durch Parlamentsbeschluss in Teilen ausgeweitet, doch hat dies nicht zu einer grundsätzlichen Neubestimmung des Verhältnisses zwischen den Boroughs und der GLA geführt. Diese Kompetenzausweitung und die in der Zwischenzeit erfolgten politischen Reformen unter der Liberal-Konservativen Regierung des Premierministers David Cameron durch den Localism Act des Jahres 2011 machen zudem einmal mehr deutlich, wie abhängig die Governance-Strukturen auf der lokalen Ebene von übergeordneten
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Parlamentsentscheidungen nach wie vor sind. Im Falle Londons kommt hinzu, dass die Rolle der Stadt als Hauptstadt des Landes dazu führt, dass ihre ausgesprochen hohe symbolische Bedeutung eine distanzierte Haltung der Zentralregierung (unabhängig von deren parteipolitischen Linie) gegenüber den Strukturen und Entscheidungen der lokalen Politik nicht erwarten lässt (Gordon 2004). Es lassen sich aber auch positive Einschätzungen des neuen Politikmodells für London ausmachen. So kommt Travers (2008: 70) zu dem Schluss, dass die ersten acht Jahre der GLA in jeder Hinsicht ein Erfolg gewesen seien. Nicht nur habe London eine übergeordnete Verwaltungsebene zurückgewonnen, sondern auch ein hohes Maß an bürgerschaftlichem Selbstbewusstsein. Darüber hinaus gebe es deutlich mehr politische Legitimität und Transparenz in den Bereichen Verkehr, Planung und öffentliche Sicherheit (Polizei). Und dem ersten Inhaber des Bürgermeisteramtes, Ken Livingstone, wird zudem eine wirksame Lokalpolitik bescheinigt.
S CHLUSSBETRACHTUNG Ken Livingstone hat aber nicht nur eine effektive Lokalpolitik betrieben und unter anderem dazu beigetragen, die Gestaltungsmöglichkeiten der GLA auszuweiten, sondern es ist ihm auch gelungen, die Sichtbarkeit und Popularität der GLA zu vergrößern. Hierfür war ganz maßgeblich die One London-Medienkampagne verantwortlich, die die GLA unter Ken Livingstone im Jahr 2006 initiierte. Diese Kampagne zielte darauf ab, nach den Selbstmord-Bombenattentaten auf mehrere U-Bahnen und einen Bus am 7. Juli 2005, bei denen 56 Menschen starben, die Einheit der Londoner in ihrer multikulturellen Diversität hervorzuheben (Abb. 4).8 Angesichts der Erfahrungen, die Ken Livingstone bei der Auflösung des GLC machen musste, stellt sich jedoch die Frage, ob eine hohe Popularität und ein großer Rückhalt in der Bevölkerung Garantien für den weiteren Bestand gesamtstädtischer Governance-Arrangements sein können. Vor dem Hintergrund der zentralstaatlichen Machtfülle und des Opportunitätsdenkens der politischen Akteure in Whitehall scheint der Bestand der GLA viel stärker davon
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Ein Jahr nach dem Start der One London-Kampagne hatten monatlich über 9000 Menschen auf die von der GLA geschaltete Homepage zugegriffen. Außerdem waren über 487.000 One London-Merchandising-Artikel verkauft worden (Greater London Authority, online abrufbar unter: https://www.london.gov.uk/media/mayor-press-releases/2006/ 08/we-are-londoners-we-are-one-campaign-launched vom 21.08.2006).
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abhängig zu sein, ob ein politischer Wechsel an der Spitze der Stadt prinzipiell möglich ist. Wie Travers (2008: 69) ausführt: „The fact that Labour and the Conservatives have now won the Mayor of London crown is probably important in the longer term. … The capital remains a key political battleground for all the parties. If only one party had won the mayoralty, or had permanently dominated the Assembly, there would have been a risk that the other would have lost interest. As it is, winning the four-yearly London mayoral contest will be one of the biggest prizes in British politics.“
Die große Bedeutung der übergeordneten, zentralstaatlichen Politik für die Zukunftsfähigkeit lokaler Governance-Strukturen, die sich hierin ausdrückt, ist eine rahmensetzende Konstante, die die Entwicklung der lokalpolitischen Steuerungsund Planungsformen im Vereinigten Königreich über Jahrhunderte geprägt hat. Dieser Gedanke zieht sich als ein roter Faden durch die Debatte der GovernanceStrukturen Londons in diesem Kapitel. Abb. 4: City Hall, Plakat im Eingangsbereich nach den Bombenanschlägen 2005
Quelle: Aufnahme G. Wood im Jahr 2006
Ein weiterer roter Faden der Diskussion bezieht sich auf die Angemessenheit der räumlichen Grenzen, innerhalb derer gesamtstädtische Kommunalverwaltungen tätig werden. Die Ausführungen zum LCC haben gezeigt, dass dessen Funk-
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tionsfähigkeit bereits bei seiner Einrichtung im Jahr 1889 durch das dynamische Wachstum jenseits seiner Grenzen (Inner London) infrage gestellt war. Die Ausweitung des Stadtgebietes auf Greater London und die Schaffung des GLC auf dieser räumlichen Grundlage im Jahre 1965 haben dazu beigetragen, die Planungs- und Verwaltungsstrukturen stärker an die funktionsräumlichen Dynamiken Londons anzupassen. Doch auch diese Reform hinkte den tatsächlichen Entwicklungen insofern hinterher, als sich die funktionalen Bezüge Londons zu diesem Zeitpunkt bereits jenseits des in den 1930er Jahren geschaffenen Grüngürtels9 ausgeweitet hatten (Thornley 2003: 55). Zwar hat es in der Vergangenheit Versuche zu einer koordinierten Regionalplanung gegeben, die diesem Umstand Rechnung tragen sollten, doch diese Einrichtungen sind spätestens durch den Localism Act des Jahres 2011 verschwunden und durch kleinräumige Strukturen ersetzt worden. Diese Entwicklung hat die bereits zuvor bestehenden Fragmentierungstendenzen der Regionalplanung erheblich verschärft: „There is no planning framework for the London metropolitan region as a whole, and the pre-existing Inter Regional Planning forum has lapsed“ (Bowie 2014: 7).
Gordon und Travers (2010: 53) heben hervor, dass eine koordinierte Regionalplanung für die Funktionalregion London dringend geboten sei, damit die bestehenden Verflechtungsbeziehungen innerhalb des Großraumes weiterhin funktionsfähig bleiben. Allerdings betonen die beiden Autoren auch, dass eine nochmalige Vergrößerung von Greater London keine praktikable Lösung bestehender Probleme sei, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil solche Pläne weder von der betroffenen Bevölkerung noch von der Zentralregierung gutgeheißen werden dürften. Sie schlagen stattdessen einen multidimensionalen Ansatz zur Lösung der Probleme vor: „Reshaping of incentives, encouragement of ad hoc sectoral and sub-regional collaborations, restoration of a shared technical and analytic infrastructure, and routine activities to promote understanding of regional interdependences, and national government leadership at the Greater South East scale“ (Gordon/Travers 2010: 53).
In ähnlicher Weise argumentiert die OECD (2014: 160), wenn sie die Bedeutung von stadt-regionaler Kooperation hervorhebt. Gleichzeitig wird aber auf die 9
Der Londoner Green Belt ist ein über 500.000 Hektar großes Schutzgebiet, das im Jahr 1938 auf Parlamentsbeschluss eingerichtet wurde (Heineberg 1997: 61f). Es umgibt Greater London kreisförmig und schließt auch Teile von Outer London ein (Abb. 1).
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Notwendigkeit zentralstaatlicher Intervention hingewiesen, um die vielfältigen Hindernisse, die einer solchen Kooperation entgegenstehen, zu überwinden. Ob angesichts des gegenwärtigen politischen Klimas ein solches Eingreifen des Staates wahrscheinlich ist, lässt sich nicht eindeutig erkennen. Die lokalpolitische Agenda der Regierung, wie sie beispielsweise im Localism Act des Jahres 2011 niedergelegt wurde, deutet einen sehr weit gefassten und wenig verbindlichen Rahmen für staatlich unterstützte interkommunale Kooperation an: „In many cases there are very strong reasons for neighbouring local authorities, or groups of authorities, to work together on planning issues in the interests of all their local residents. This might include working together on environmental issues (like flooding), public transport networks (such as trams), or major new retail parks. In the past, regional strategies formed an unaccountable bureaucratic layer on top of local government. Instead, the Government thinks that local authorities and other public bodies should work together on planning issues in ways that reflect genuine shared interests and opportunities to make common cause. The duty requires local authorities and other public bodies to work together on planning issues“ (Department for Communities and Local Government 2011: 11f).
Ob und in welchem Rahmen sich eine solche Kooperation zwischen London und den umgebenden Gebietskörperschaften ergibt, ist derzeit offen. Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen zeigt sich, dass die von den Vertretern unterschiedlicher Gebietskörperschaften verfolgten Agenden zu latenten bzw. offenen Spannungen führten. Das war in der Vergangenheit gerade im Verhältnis von gesamtstädtischer Ebene und Borough Councils evident. Derzeit gehen die Einschätzungen der GLA und der sie umgebenden Grafschaften mit Blick auf die demographischen Entwicklungen und den damit verbundenen Konsequenzen für den Wohnungsbau erheblich auseinander (Bowie 2014: 17). An diesem Beispiel zeigt sich erstens, wie unbefriedigend gegenwärtige Formen der Kooperation in der Londoner Funktionalregion gestaltet sind, und zweitens, dass die Vorgaben des Localism Act 2011 und anderer gesetzlicher Grundlagen offenkundig nicht ausreichen, um ein für die Funktionalregion zeitgemäßes Governance-Arrangement zu finden.
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„Dann ist da noch das, was Peter Rees, der 29 Jahre einer der Hauptplaner des City-of-London Verbands war, als „Tresorfächer im Himmel“ bezeichnet – Wohntürme, deren hauptsächlicher Zweck es nicht ist, Zuhause oder Gemeinschaften zu schaffen, sondern die einfach nur Investitionseinheiten sind. […] Ergebnis ist, dass die nachgiebigen Orte, in der Sprache des Marktes, „kannibalisiert“ werden. Was verloren geht, ist das weiche, aber essentielle Gewebe, das eine Stadt erst lebenswert macht“ (MOORE 2015: 5f).
3. Londons Regenerierungspraxis – Queen of Botox? F ELICITAS H ILLMANN , Berlin
Wie keine andere Stadt in Europa steht London Modell für die extremen Auswirkungen einer städtischen Transformation, die sich seit den 1990er Jahren in den meisten Städten Westeuropas in unterschiedlichem Maße abspielen. Hier erprobten öffentliche und private Träger in Reaktion auf diese Transformation eine Vielzahl von Maßnahmen zur Revitalisierung und Regenerierung der Stadtlandschaft. Diese Regenerierungsmaßnahmen gehen in der Praxis mittlerweile mit deutlichen negativen Auswirkungen auf Lebendigkeit und Vielfalt der Stadt einher. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die erfolgten Regenerierungspolitiken und skizziert insbesondere solche Regenerationsmaßnahmen, die in Zusammenhang mit einer Aufwertung öffentlicher Räume in problembehafteten, häufig multikulturell geprägten Stadtteilen stehen. Es zeigt sich, dass diese Maßnahmen auch eine lähmende Wirkung entfalten können.
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Unter „städtischer Transformation“ wird in der Stadtforschungsliteratur ein heterogener Prozess gefasst. Er beschreibt ein munteres Nebeneinander eines auf verschiedenen Handlungsebenen verankerten Prozesses parallel verlaufender Inklusion, Exklusion und Fragmentierungen. Wie ein Sommerhut mit breiter Krempe bietet er einem flirrenden Schwarm versprengter Aktionen, gegenläufiger Prozesse und tiefer Widersprüchlichkeiten Platz. Genauso verhält es sich mit dem schillernden Begriff der Regeneration, der im angelsächsischen Kontext viel stärker als in Deutschland gebräuchlich ist. Auch hier fehlt eine einheitliche Definition, und ganz unterschiedliche Kategorien von Maßnahmen, Instrumenten und Vorgängen zur Stadtentwicklung werden damit assoziiert. Dieser Beitrag wirft einen genaueren Blick auf die verschiedenen Dimensionen dieses Begriffes und zeigt, wie diese direkt an die verschiedenen Facetten städtischer Transformation gebunden sind. Der erste Abschnitt führt in den Zusammenhang von städtischer Transformation und Regenerierungspolitiken ein, der zweite Abschnitt skizziert die unterschiedlichen Planungsphasen der Regenerierungspolitiken in London, Abschnitt drei konzentriert sich auf verschiedene Achsen der Aufwertungspolitiken und wendet sich dann exemplarisch der Bedeutung von Museen und Bibliotheken sowie Märkten als jüngsten Ansatzpunkten für Regenerierungspolitiken in multikulturell geprägten Stadtteilen zu. Das Fazit führt die Ausführungen zusammen und illustriert, wie die verschiedenen Regenerierungsansätze immer wieder auch lähmende Momente für die Stadtentwicklung mit sich brachten. Was lässt sich am Beispiel von London generalisierend über die Regenerierung von Städten lernen? In den aktuellen Publikationen fehlt in der Regel eine kritische und wirklich konkrete Einschätzung der jüngsten Entwicklungen, daher finden sich in diesem Beitrag Auszüge aus einem Interview mit Dr. Michael Edwards, Bartlett School of Planning, London, einem ausgewiesenen Planungstheoretiker Londons.1
S TÄDTISCHE T RANSFORMATION UND R EGENERIERUNG – DER K ONTEXT Die großen Schübe städtischer Transformation sind eng mit den Perioden sozioökonomischer Umwälzungen verquickt. Wie von Polanyi (1944) für die „große Transformation“ beschrieben, dem Übergang von der Agrar- in die Industriege-
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Mein besonderer Dank geht an Michael Edwards, Bartlett School of Planning, UCL London, der diesen Beitrag durch seinen großen Erfahrungsschatz und wertvolle Hinweise bereichert hat. Das Interview mit ihm fand am 20. Juli 2015 in London statt.
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sellschaft, kommt es mit der beschleunigten Globalisierung seit Mitte der 1980er Jahre wieder zu grundsätzlichen, weltweiten Veränderungen. Diese neuen wirtschaftlichen und politischen Konstellationen ziehen wieder eine Reorganisation der Großstädte nach sich. An vier grundlegenden Entwicklungsachsen kann diese Transformation damals wie heute festgemacht werden. Erstens an der stattfindenden Neujustierung von Zentren und Peripherien, d.h. an der regionalen Neuausrichtung der Gesellschaft auf sich konstituierende Zentren hin, in denen Macht, Einfluss und Entscheidungen in geballter Form auftreten. Sassen (1991) prägte hierfür den Begriff der Global Cities, Mumford (1963) sprach von den Weltstädten, die sich nach der Industrialisierung entfalteten. Zweitens erfolgt mit der Reorganisation ein Umbau der Infrastruktur in den Städten, ein Wandel der baulichen Struktur innerhalb der Stadt und in seiner Verbindung zur restlichen Welt. Dies bringt, drittens, eine Veränderung der Mobilitätsmuster mit sich. Viertens wandeln sich die Rhythmen in der Lebensweise der Menschen, die Alltagspraxen müssen neu angepasst und auf eine post-industrielle Gesellschaft ausgerichtet werden. Dies alles zieht Innovationen in der sozialen und kulturellen Ausgestaltung des Zusammenlebens nach sich – und erzwingt einen Kreativitätsschub, der sich in den Städten der Zentren und der Peripherien gleichermaßen abspielt. Ähnlich wie zu Zeiten der Industrialisierung richtet sich die städtische Transformation mit der Globalisierung also entlang einer materiell-infrastrukturellen Achse aus, wird von einem Umbau des sozioökonomischen Gefüges begleitet und geht mit einer runderneuerten symbolisch-kulturellen Repräsentation einher. Städtische Regenerierungspolitiken setzen bei allen drei „Entwicklungsachsen“ an. Wie keine andere Stadt in Europa präsentiert sich London als das Beispiel für städtische Transformation, das bereits die ganze Vielfalt von Regenerierungsmaßnahmen erlebt hat – sie greifen vielerorts ineinander. Allan Cochrane (2007) bezeichnet die flirrende Gestalt der verschiedenen Regenerierungsbemühungen als „institutionelle Assemblage“, als governance, welche die 32 Stadtbezirke (+ die City of London) in London in loser Weise miteinander verbindet. Bei einer solchen Betrachtung drängt sich der Eindruck auf, dass durch die Regenerierungsstrategien wiederholt partielle Aufwertungen der Stadtlandschaft durch Verschönerung erzielt wurden. Kritische Stimmen, die seit kurzem immer lauter werden, kommen inzwischen jedoch zu dem Schluss, dass sich die Stadt durch ihre jahrelange investoren-getriebene Regenerierungspolitik mittlerweile selbst im Weg steht. Denn die Mittelklassen können sich London nicht mehr leisten, nur eine globalisierte, extrem einkommensstarke Gruppe an Menschen kann die Mieten und Lebenshaltungskosten überhaupt noch bezahlen. Tausende sind gezwungen wegen unbezahlbarer Mieten auf andere Orte wie etwa Manchester,
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Bradford, Hastings, Prembrokeshire, Dover und Plymouth auszuweichen (Moore 2015). Regenerierungspolitiken entpuppten sich in vielen Fällen als notdürftig getarnte Abrisspolitiken. Allein in Heygate in Southwark, Süd-London, wurden 1194 Sozialwohnungen zugunsten von 2500 neuen Wohneinheiten abgerissen, von denen schließlich noch 79 als Sozialwohnungen zur Verfügung stehen werden, 200 Einheiten werden mit gedrosselten Preisen am Markt erhältlich sein. Ähnliche Prozesse bahnen sich in Aylesbury Estate in Southwark an. Woodberry Down, ein Sozialwohnungskomplex im Nordosten Londons, ist ein weiteres Beispiel, wobei hier relativ langsam und schonend vorgegangen wird und die Bewohner nicht vollständig umgesiedelt werden. Was sich in den letzten zehn Jahren als Zuspitzung des Wohnungsmarktes abgezeichnet hat, ist nur ein Teil der Entwicklung. Es sind nicht nur die Wohnungen, die nicht mehr verfügbar sind. Die alten Pubs verschwinden, die kleinen Supermärkte können sich nicht mehr halten und werden durch Delis ersetzt – der Internethandel macht den kleinen Laden um die Ecke zunehmend überflüssig. Es ist abzusehen, dass demnächst auch die letzten Orte, an denen noch produziert wird, den Investoren weichen müssen: „Natürlich gibt es die Wohnungskrise […] doch es gibt auch eine Krise der Orte der Arbeit. Sie betrifft die hochprofessionellen Künstler und die Kreativwirtschaft, die Selbständigen und die Einzelhändler, die die Zukunft der Arbeitswelt sind“ (Moore 2015: 9, Übersetzung: F. Hillmann).
Gleich einer Botox-Injektion wirken die Regenerationsmaßnahmen der letzten zehn Jahre zwar verschönernd, lähmen dabei jedoch die tiefer liegenden Schichten, das urban fabric, das historisch gewachsene Beziehungsgewebe zwischen den Einwohnern, aus dem eine lebendige Stadt eben auch besteht. Die Stadt „frisst sich selbst auf“ – so bringt es Moore bildhaft auf den Punkt.
S TÄDTISCHE T RANSFORMATION UND R EGENERIERUNGSPOLITIKEN Im London Plan von 2011 nimmt der englischsprachige Begriff der regeneration, d.h. der Regenerierung, breiten Raum ein. Der strategische Hauptstadtplan, vom direkt gewählten Bürgermeister selbst verfasst und von der Greater London Assembly abgesegnet, benutzt den Begriff ständig, definiert ihn aber nicht explizit. Dort heißt es:
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„Durch das Londonʼs Great Outdoors Programm, den Outer London Fund, Mayorʼs Regeneration Fund, und den High Street Fund besteht nun ein stark ortsgebundener Ansatz zur Regenerierung Londons. Wir konzentrieren uns nicht nur auf eine kleine Zahl von langfristigen Transformationen, sondern wir werfen unser Netz sehr viel weiter aus, damit wir solche Gebiete einschließen können, die ein Wachstumspotential besitzen und Unterstützung brauchen, um das zum Laufen zu kriegen. Das ist eine große Anstrengung, wir strecken uns nach über 160 Orten aus und die Liste wird länger“ (Greater London Authority, online abrufbar unter: https://www.london.gov.uk/priorities/regeneration/vision-andstrateg vom 19.6.2015, Übersetzung F. Hillmann).
Konkret sollen insbesondere bauliche Maßnahmen ergriffen werden, die dazu dienen können, Investoren anzuziehen. Der Ausbau der highstreets, der Hauptstraßen bzw. lokalen Einkaufsmeilen, ist Teil des Regenerierungsprogrammes. Starkes Augenmerk liegt auch auf dem öffentlichen Raum, wo ein ansprechendes Design regenerierend auf die erwünschten Nutzergruppen wirken soll. In diesen Plänen schwingt vor allem – so Edwards – eine Menge Rhetorik mit und wenig Aktion vor Ort. Gerade der Ausbau der highstreets ist ein schwieriges Thema, weil der Rückgang des Einzelhandels durch das Internetgeschäft bedrohlich für die lokale Stadtentwicklung ist. Im Übrigen sind es Gebiete mit starkem Verkehrsaufkommen, was jegliche Planung erschwert. Der Plan identifiziert interessanterweise nun genau solche Gebiete als regeneration areas, die auch den stärksten sozioökonomischen Entwicklungsbedarf haben. Zur Identifikation dieser Gebiete wird seit vielen Jahren der UK-Index zur Multiple Deprivation zugrunde gelegt. Dieser Datensatz gibt kleinräumlich Auskunft über die Einkommen, Beschäftigung, Gesundheit, Behinderung, Erziehung und Bildung, Wohnen und andere soziale Dienstleistungen in einem bestimmten Gebiet. Im Hauptstadtplan wird davon ausgegangen, dass die Eröffnung von Geschäften und eigentumsorientierte Entwicklungsstrategien am Wohnungsmarkt trickle-down-Effekte für den gesamten Stadtteil mit sich bringen – man folgt damit einer altbekannten modernisierungstheoretisch verankerten Entwicklungsstrategie. In der Praxis brachten diese neoliberal inspirierten Strategien schon in den Nullerjahren einen Zuwachs an Ungleichheit, führten eher zu Demolierung als zur Erneuerung von Stadtteilen, entfremdeten die Einwohnergruppen voneinander (Walther 2009: 126f). Zum lokalen Verständnis der heutigen Regenerierungspolitiken muss man noch weiter in die Stadtgeschichte Londons zurückblicken. Es gibt nämlich einige überraschende Übereinstimmungen bei den Gebieten, die heute als Regeneration Areas betitelt werden und den Gebieten, die seinerzeit schon im County of London Plan von 1943 als opportunity areas auftauchten – man könnte hier
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von räumlichen Kontinuitäten sprechen. Der oben genannte Plan war vom London County Council (LCC) herausgegeben und von John Forshaw und Patrick Abercrombie verfasst worden. In den 1920er, 1930er und 1940er Jahren gehörte der Kampf gegen den Schmutz ganz oben auf die Tagesordnung der Stadtentwicklung, es ging darum, urban decline zu bekämpfen. Der zuvor bereits angestoßene Dezentralisierungsprozess, der die Bevölkerung der inneren Londoner Stadtbezirke umverteilte, wurde durch den Zweiten Weltkrieg und die danach im Mittelpunkt stehenden Wieder- und Aufbaumaßnahmen verstärkt. Zu dieser Zeit dominierte der Abriss innerstädtischer Altbauquartiere (slum clearance) und der Neubau von Sozialwohnungen am Stadtrand (New Towns) sowie die Anlage von greenbelts die Planungs- und Bauaktivitäten. In den suburbs bauten private Entwicklungsgesellschaften neue Siedlungen auf (Green 1999: 24f, Hall 1998). Den städtischen Problemen sollte durch bauliche Maßnahmen begegnet werden (Schmidt 2014: 28). In den 1940er Jahren erfolgte schließlich der Ausbau des Wohlfahrtsstaates. Nun entzog die Zentralregierung den Behörden vor Ort teilweise die Zuständigkeiten für Sozialhilfe, Wasser- und Energieversorgung sowie das Gesundheitswesen. In der Stadtplanung wurden beinahe alle Kompetenzen an die höhere Verwaltungsebene der Counties übergeben (Schmidt 2014: 29). Bereits in den 1940er Jahren war „Regenerierung“ zu einer Metapher für städtischen Wandel geworden. Wie bei Jane Jacobs folgten die Planer der Vorstellung, dass sich funktionsfähige Städte von alleine regenerierten. Ende der 1940er Jahre dann lenkten die Fotografien von Bert Hardy die öffentliche Aufmerksamkeit auf die sozial unterprivilegierten Schichten im Stadtviertel Elephant and Castle. Die sozialkritische Fotografie wandte sich dem von Armut geprägten Alltagsleben zu und legitimierte in Folge – nolens volens –planerische Eingriffe. Der nächste strategische Plan erschien erst 1972, als das LCC 1963 vom Greater London Council (GLC) abgelöst wurde. In diese Zeit fallen die ersten Ansätze einer partizipativen Quartiersentwicklung (Schmidt 2014: 27). Das GLC wurde 1986 aufgegeben. Bis zum Jahre 2000 folgten 14 Jahre ohne strategische Governance (Campkin 2013: 5). Seit den 1970er Jahren machten sich dann die Folgen der Strukturkrise bemerkbar, besonders hart traf es Industriestädte wie Manchester, Liverpool, Newcastle und Glasgow. Arbeitslosigkeit und der Verfall der Innenstädte führten zur Abwanderung der einkommensstärkeren Schichten aus den Innenstädten in den suburbanen Raum – so auch in London. In die verlassenen Innenstädte zogen Migranten aus den Commonwealth-Ländern. Stadtteile, die besonders stark von diesem Niedergang betroffen waren, konnten seit 1968 Mittel aus dem Urban Programme für Revitalisierungsmaßnahmen erhalten, Community Development Programmes (CDPs) förderten zivil-
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gesellschaftliche Partizipation und richteten sich auf partizipativ ausgerichtete Stadtpolitik. An die Stelle einer Gießkannenpolitik traten zunehmend sozialräumlich verankerte Fördermaßnahmen wie beispielsweise die Housing Action Areas oder General Improvement Areas (Zehner 1999: 53). In sogenannten Inner-City Partnerships führte die damalige Labour-Regierung eine stärkere Kopplung von einerseits sozioökonomischen und baulichen Maßnahmen ein und strebte andererseits eine stärkere Einbeziehung des privaten Sektors an. Mitte der 1980er Jahre hatte die Thatcher-Regierung die Finanzmärkte dereguliert und die Privatisierung der staatlichen Dienstleistungen durchgesetzt. Es war der Beginn einer Periode neoliberal ausgerichteter Stadtpolitik, die in unterschiedlicher Ausprägung bis heute andauert. Für den Zuschnitt der aus den USA nun importierten Regenerierungspolitiken bedeutete dies eine stärkere Wettbewerbsorientierung und eine Rücknahme von Umverteilungspolitiken vor Ort. Stadtpolitisch wurde dieser Kurs durch drei Weichenstellungen befeuert: erstens durch den Bedeutungsverlust des sozialen Wohnungsbaus und den de facto Verkauf von kommunalen Wohnungsbauten an private Investoren, zweitens durch den verstärkten Einsatz von Immobilienprojekten als wichtigsten Ansatzpunkt für Wirtschaftsförderung und -entwicklung (sogenanntes property-led development) und drittens der Zuordnung von kommunalen Planungskompetenzen an zentralstaatlich kontrollierte, halböffentliche Agenturen, den sogenannten Urban Development Cooperations (Schmidt 2014: 32). Aufgabe dieser elf neu geschaffenen Steuerungseinheiten, den sogenannten Quangos (d.h. quasi Nichtregierungsorganisationen (NGOs)) war es, neue und attraktive, d.h. regenerierte Gebiete zu entwickeln. Die verfolgten Regenerierungsansätze gerieten nun jedoch unter globalen Wettbewerbsdruck, jeder Ort brauchte ein individuelles Profil und musste vor allem Gründe dafür liefern, warum man in ihn investieren und re-investieren sollte (Brindley 2010: 374). Unter John Major (Conservatives) wurden diese Maßnahmen dann ein Stück weit zurückgenommen, da eine stärker ressort- und sektorenübergreifende Koordination favorisiert wurde. Die Quangos blieben. 2001 folgt die National Strategy for Neighborhood Renewal (NSNR), die eine Verbesserung des Lebensstandards und die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Quartieren erreichen sollte (Schmidt 2014: 53f). Sozialräumlich verankerte Förderkulissen (Area-Based Policies) erhielten erstmals Single Regeneration Budgets; Neighborhood Renewal Funds wurden in das Mehrebenen-Governance-System der NSNR integriert. 2006 gründete sich die interministerielle Social Exclusion Unit. Die beobachtbare stärkere sozialräumliche Polarisierung der Städte in Arm und Reich, ein neues Drinnen und Draußen, kulminierte in Stadtentwicklungspolitiken, die Angebote an bestimmte Problemgruppen machte: an schwangere Teen-
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ager, an Kleinkriminelle und Obdachlose. Nun rückte die sozialräumliche Polarisierung ins Zentrum der Regenerierungspolitiken. Von starken lokalen Gemeinschaften, Quartieren, versprach man sich nun eine Stärkung des Stadtteils an sich. Folglich richtete sich die Politik auf die stärkere Partizipation und die Aktivierung von Selbsthilfepotentialen. New Labour (1997-2010) führte dies als integrierte Stadtteilpolitik ein. Einen Makel hatten diese im Feld der urban governance verorteten Regenerierungspolitiken: Sie grenzten tendenziell die Stadtbewohner mit wenigen Ressourcen aus, denn jegliche Partizipation setzt voraus, dass auch entsprechende zeitliche und finanzielle Kapazitäten zur Partizipation vorhanden sind (Schmidt 2014: 121). Seit der Finanzkrise 2008 und dem Ende der New Labour Regierung, einer Zeitspanne, in der urban renaissance ein allgemeines Politikziel war, standen die Regenerierungspolitiken daher auf dem Prüfstand. Jetzt fasste man eine ganze Reihe von Prozessen, darunter die Gentrifizierung und die Immobilienentwicklung unter diesem Label zusammen. Gerade die Communities, die eigentlich profitieren sollten, profitierten eben nicht, sondern unterlagen einer noch stärkeren gesellschaftlichen Spaltung. Im Folgenden wird – der in der Einleitung vorgegebenen inhaltlichen Struktur folgend – eine Zusammenschau der verschiedenen Entwicklungsachsen gegeben. In den letzten zehn Jahren haben die Regenerierungspolitiken insgesamt eine deutliche Verengung in ihrer inhaltlichen Ausrichtung erfahren. Edwards fasst diese Verschiebung so zusammen: „In den vergangenen zehn Jahren haben wir eine stete Verschiebung des Charakters der Regenerierungspolitiken gesehen. In den späten 1990er Jahren bezog sich der Begriff der Regenerierung hauptsächlich darauf, Projekte für arme Menschen und ärmere Nachbarschaften zu entwerfen, Programme, die den armen Nachbarschaften helfen würden, die die öffentlichen Räume verbessern und die Arbeitslosigkeit bekämpfen würden. Die Politiken waren auch darauf abgestellt, auf Bedarfe zu reagieren. Es floss viel staatliches Geld in die Regenerierungsmaßnahmen, und zwar lokale und nationale Ressourcen. Es gab zwar Diskussionen darüber, ob das getan werden sollte oder nicht, doch es wurde gemacht, es wurde Geld in den öffentlichen Sektor gesteckt. Das ging so bis Anfang des neuen Jahrhunderts. In den letzten zehn bis zwölf Jahren dominierten dann die Immoblienmärkte immer stärker. Seit 2010, unter Cameron, ist es nun sogar so, dass die öffentlichen Gelder für Sozialwohnungsprogramme zurückgefahren wurden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist Regenerierung zum Inbegriff des Immobilienmanagements geworden und von den Interessen dieser Lobby bestimmt“ (Übersetzung F. Hillmann).
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Große Regenerierungsprojekte mit Schwerpunkt auf der baulichen Struktur Wie in der Industrialisierung richten sich die großen Projekte der Regenerierung mit der Globalisierung seit den 1990er Jahren auf den Ausbau von Infrastruktur und auf die Ausfüllung von Brachflächen, wie sie von der De-industrialisierung zurückblieben (= brownfields). Die Regenerierung dieser Brachflächen geschieht durchgehend in der Logik von Top-Down-Verfahren und hat das übergeordnete (Neben-)Ziel einer nachhaltigen Einbindung der Städte in beschleunigte internationale und globale Kreisläufe von Kapital, Waren und der Mobilität von Personen. Die Projekte sind auf große staatliche oder private Investitionen angewiesen. In der Industrialisierung folgten der Mechanisierung und dem Abbau des Handwerks neue Techniken der Ballung, die Stadtanlage weitete sich unterirdisch aus, die Vorstadt wurde zur Nachbarschaft, es entstanden Siedlungsanlagen entlang der Eisenbahn. Städteübergreifend ist der durchgeführte Umbau der Mobilitätsstruktur als ein Versuch der städtischen Akteure zu werten, sich aktiv in den Prozess der Neuausrichtung von Zentren und Peripherien einzuklinken und hieraus Wettbewerbsvorteile für die städtische Entwicklung Londons zu ziehen. Londons Stadtpolitik schielte daher auf den Ausbau des internationalen Verkehrsnetzes. Heute ist London ein globaler Hub mit sechs internationalen Flughäfen, Knotenpunkt eines (weiterhin) zentralistisch ausgebauten Eisenbahnnetzes, wichtiger Bezugspunkt des 1968 mit der Containerisierung nach Tilbury vorgelagerten Hafens. Innerstädtisch wurden die London Docklands als Teil des urban renewal ausgebaut. Heute sind sie eines der wichtigsten Stadtentwicklungsprojekte überhaupt und eines der eindrucksvollsten Beispiele dafür, wie sich ein Wandel der gebauten Stadtstruktur vollzieht und die Globalisierung in die physische Struktur der Stadt eingeschrieben ist (Brownill 1993, Edwards 1992). Planung und Ausbau der Docklands erfolgten maßgeblich als privatwirtschaftlich, wenig koordiniertes Stadtentwicklungsprojekt und gelten als Paradebeispiel für die in den 1980er und 1990er Jahren zunehmend privatwirtschaftlich organisierten Regenerierungspolitiken. Canary Wharf war das erste vollprivatisierte Gebiet in Großbritannien und diente als Blaupause für viele folgende Projekte. Höhepunkt der strategischen Stadtentwicklung seit der Jahrtausendwende war die Olympiagebundene Stadtentwicklung 2012. Angelagert an dieses Megaprojekt der Festivalisierung war in einer nächsten Stufe die Errichtung des Thameslinkʼs, einer unterirdischen Zugverbindung, die 50 km lang südlich zur Verbindung mit dem Hochgeschwindigkeitsnetz des Kanaltunnels verlaufen sollte. Es handelte sich um die aufgefrischte Version eines schon in den 1980er Jahren angeschobenen Megaprojektes (Hall 2014: 451). Um das Olympiagebiet selbst herum wurden
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neue Stadtteile angelegt, beispielsweise Westfield Stratford City. Der stadtplanerische Ansatz der soft legacy sah vor, dass im Osten Londons ein neues Zentrum entstehen sollte, das langfristig eine veränderte Stadtentwicklung einleiten würde. Soft Legacy – das bezog sich auf die Nachhaltigkeit der Planung, die bis ins 21. Jahrhundert hineinreichen sollte. Die ehemaligen Industriegebiete im Lower Lea Valley, geprägt von einer unzureichenden Verkehrsanbindung und durch seine Lage isoliert von den umliegenden Stadtteilen, sollten Ausgangspunkt eines neu anzulegenden Parks werden, der positiv auf die Bevölkerungszusammensetzung im Quartier einwirken sollte. Die von einem privaten Investor errichteten 6000 Wohnungen des olympischen Dorfes waren bereits 2011 verkauft und wurden für die Zeit der Spiele an die Stadt vermietet. Die Errichtung dieses neuen Eigentums wurde privaten Eigentümergesellschaften übertragen, die auf Profit ausgerichtet waren. Aufgrund der Finanzkrise und der Unfähigkeit der privaten Entwicklungsgesellschaften an Kredite zu kommen, sprang die Regierung ein und rettete das Vorhaben mit 5,7 Milliarden Pfund – nur zwei Prozent kamen schließlich vom Privatsektor. Gleichzeitig wurde dort das größte Shopping Center Londons gebaut, ein neues Sicherheitskonzept implementiert. Laut Anna Minton, Professorin für Stadtplanung, ist die Olympia-Planung und Durchführung die Geschichte einer kleinen Gruppe von Playern, die sich alle seit langem kennen und die insgesamt intransparent verlaufen ist. Entstanden ist ein in Teilen privates Gelände – die versprochenen Sozialwohnungen sind aufgrund eines fehlenden Planungsbewusstseins mit einem Schwerpunkt auf öffentlichem Interesse dann doch nicht gebaut worden (Minton 2012). Es ist fraglich, inwieweit diese Projektzuschnitte mit verglasten Fassaden, Abzäunungen, separierten privaten Arealen und Megamalls tatsächlich zu einer Regenerierung geführt haben, wahrscheinlicher ist, dass sie die Angst der Stadtbewohner untereinander eher befördert haben und Vertrauen unterminiert haben. Die Privatisierung von öffentlichen Räumen erfährt in der postindustriellen Stadt eine Normalisierung – und Olympia schien der Gipfelpunkt dieser von vielen als neoliberal bezeichneten Politik in London zu sein. Als neoliberal wird diese Politik nicht nur deshalb bezeichnet, weil sie sich unter den Bedingungen eines weitgehend deregulierten Planungskorsetts vollzieht, sondern weil sie beiläufig eine Entdemokratisierung des öf-fentlichen Raumes mit sich gebracht hat. Die beobachtbare Privatisierung der Straßen ist neu, und sie hat direkt mit der veränderten Mentalität, die die Stadt als Produkt, nicht als Gebrauchsgegenstand, für die Stadtbewohner ansieht, zu tun (Minton 2012).
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Regenierungsprojekte in den Stadtteilen mit gemischter Bevölkerungsstruktur Im Gegensatz zu den stärker Eigentümer-gesteuerten Regenerierungsansätzen (auch property-led genannt) der 1980er und 1990er Jahre, setzte die New Labour Regierung stärker auf sozial inklusive Ansätze. Verfolgt wurden Public-Private Partnerships, bei denen die Betonung auf der baulichen Struktur und Infrastruktur von vernachlässigten Gebieten lag. Im Mittelpunkt dieser Politiken stand das Bestreben, die ökonomische Entwicklung zu befördern. Am Beispiel des Londoner Stadtteils Barnsbury im Norden Londons illustriert Bernt (2015) wie Gentrifizierungsprozesse in London abliefen. Barnsbury kann hier als Paradebeispiel dienen, denn es ist schon seit Jahren von Gentrifizierungsprozessen betroffen. Bernt unterscheidet drei Phasen der Aufwertung: zunächst wandelt sich das Viertel – ganz typisch – in den 1970er Jahren von einem von Arbeitern und Migranten bewohnten Gebiet mit günstigem Mietwohnungsbestand zu einem von der Mittelschicht bewohnten Stadtteil. Zu dieser Zeit war es für die Vermieter finanziell günstiger, ihre Wohnungen zu verkaufen, als diese weiterhin zu vermieten. Es folgte daher eine Umwandlung in Eigentumswohnungen, was wiederum eine Veränderung in der Bewohnerstruktur mit sich brachte. In einem nächsten Schritt, Anfang der 1980er Jahre, so berichtet Bernt (2015), wurde das von der konservativen Regierung propagierte Right to Buy weiter gestärkt. Jetzt besaßen auch die Bewohner kommunaler Wohnungsbestände ein Vorkaufsrecht für die von ihnen bewohnten Apartments und machten davon massenhaft Gebrauch (vgl. Abb. 1). Durch den anschließenden Weiterverkauf an private Anbieter wurde der kommunale Wohnungsbestand weitgehend privatisiert und an die besser verdienenden Schichten „weitergereicht“. Dies heizte die sozialräumliche Polarisierung zusätzlich an, denn diejenigen, die eigentlich dort hätten wohnen bleiben können, zogen in günstigere Stadtgebiete weiter. Es handelte sich hier noch um eine Phase der Stadtentwicklung, in der hauptsächlich nationales Kapital in die Umwandlung der Stadtstruktur floss. Inzwischen ist eine dritte Phase der Gentrifizierung erreicht, in der überwiegend globales Kapital in den Wohneigentumsbestand Londons (60 % aller Investitionen) fließt und die Wohnungen als Vermögensanlage betrachtet werden. Häufig sind die Wohnungen nicht einmal aktiv bewohnt, sie dienen in erster Linie dem Statusgewinn der europäischen, amerikanischen oder asiatischen Investoren oder eben der Renditengewinnung. Ein Arbeitnehmer mit einem Durchschnittseinkommen kann sich den Kauf einer Wohnung in London längst nicht mehr leisten. Mittlerweile ist das Preisniveau sogar so stark angestiegen, dass sich selbst Vielverdiener einen Kauf nicht mehr erlauben können. Britische Autoren sprachen schon vor einer Dekade der „Supergentrification“ (Butler/Lees 2006) und
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meinten damit, dass sich die bis dahin bekannte Gentrifizierung weiter hochschraubte. Zurückzuführen ist dies auf eine vermieterfreundliche Politik bei steigenden Renditeerwartungen durch den Verkauf von Wohnungen, die der Spekulation Tür und Tor öffnet. Abb. 1: Privatisierter ehemaliger Sozialwohnungsbestand in Wapping
Quelle: Aufnahme K. Zehner im März 2011
Edwards unterstreicht, dass es weitere Gründe gibt, die die Spekulation anheizen, unter anderem die Begrenzung durch einen Grüngürtel um die Stadt herum: „Es gibt einfach das Grundmuster, dass es in London einen starken Bevölkerungszuwachs gibt, dass die Wohnungsbestände aber relativ stabil sind, ausländische Investoren fragen Wohnungen nach. Die Stadt wird von einem Grüngürtel umgeben, innerhalb dessen sich alles abspielt. Daher gibt es einen astronomischen Anstieg der Immobilienpreise. […] Jetzt, wo auch die Wohnungsbaugesellschaften das Vorkaufsrecht für ihre Mieter erhalten, wird der bisherige Druck noch größer. Die Regierung steht unter Druck, die Sozialwohnungsgebiete abzureißen und auf den Gebieten neue Wohneinheiten zu errichten“ (Übersetzung F. Hillmann).
Der größte Teil der Innenstadt Londons ist mittlerweile gentrifiziert und der Sozialwohnungsbestand und seine Bewohner sind die letzte Bastion in diesem Prozess. Genau diese schon deprivierte Bevölkerung wird durch die von der Regierung betriebenen Mixed-Communities-Politiken aus der Innenstadt Lon-
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dons verdrängt. Die Politik der mixed community, die eine sozial gemischte Bevölkerungsstruktur suggeriert, orchestriert heute rhetorisch die Aktivitäten der privaten Entwicklungsgesellschaften (Lees 2014: 151). Viele der nun zur Disposition stehenden Gebiete mit einem hohen Bestand an sozialem Wohnungsbau waren diejenigen Gebiete, in die in den 1990er Jahren umfangreiche Investitionen zur Regenerierung geflossen waren. Heute wohnt dort eine tatsächlich gemischte Bewohnerschaft, die sich in vielen Fällen auch aktiv gegen die Abrisspläne zur Wehr setzt. Die Bürgerinitiative Save Cressingham Gardens ist ein solcher Fall. Bei dem betroffenen Viertel handelt es sich um ein Gebiet, das über relativ flache Bauten verfügt, das an einen Park grenzt und das von ganz unterschiedlichen sozialen Gruppen bewohnt wird. Unter diesen Bewohnern sind viele Anwälte und campaigner, die ihren Stadtteil gegen die Übergriffe der Immobilienwirtschaft vertreten. Auf der Website der Bürgerinitiative findet sich unter dem Stichwort: Regeneration Games die folgende Zusammenfassung: Der Gemeinderat von Lambeth plante den gesamten Komplex mit 306 Wohneinheiten abzureißen und durch 464 neue Wohneinheiten zu ersetzen, von denen 175 an besser verdienende Vermieter gehen sollten und nur noch zehn Prozent der Wohnungen als vom Gemeinderat vermietete Wohnungen, d.h. Sozialwohnungen, geführt werden sollten. Nach einer längeren Phase des Austausches seit dem Jahr 2012, folgte eine Phase, in der der Stadtteil als kriminell und antisozial dargestellt wurde und in der die Kriterien, die der Regenerierung zu Grunde liegen sollten, verhandelt wurden. Zu diesen Kriterien gehörten – neben der unterstellten hohen Kriminalität – auch die noch vorhandenen Planungsspielräume und gemäßigte Preise. Im Visier der Abrisspolitiken sind besonders solche Gebiete, die noch einen niedrigen Bewohnerdichte-Index aufweisen (gemäß der Nachhaltigkeitskriterien der GLA liegt der empfohlene Index zwischen 250-400 Personen pro Hektar, in Cressingham Gardens liegt er bei 258 Personen pro Hektar). Die Bürgerinitiative antwortete mit harten Kalkulationen auf die investorengesteuerte Politik des Gemeinderats: Die jetzigen Bewohner könnten selbst besser für die Aufwertungsarbeiten aufkommen, die Kosten eines Abrisses wären viel zu hoch und würden von den nachkommenden Generationen zu tragen sein (Save Cressingham Gardens, online abrufbar unter: https://savecressingham.wordpress.com/2015/04/02/ the-regeneration-game vom 20.07.2015). Der verschärfte Wettbewerb um Wohnraum führt inzwischen zu einer Radikalisierung der Auseinandersetzungen. Immobilienwirtschaft und radikale Gruppen wie etwa das Radical Housing Network stehen sich gegenüber, vor Ort wehrt sich eine aktive, gebildete Bürgerschaft und die Politik vermittelt nur gelegentlich, die Planungsbehörden reagieren kaum. Diese Orientierung der Stadtpolitik an der globalen ökonomischen Agenda brachte Konflikte hinsichtlich der sozialen Reproduktion der Stadt mit sich. Eine
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Zunahme an Armut und Ausgrenzung bedeutete für viele Stadtbewohner einen verringerten Zugang zu bezahlbarem Wohnraum, zog Fragen der Nachhaltigkeit und der Versorgung mit öffentlichen Gütern nach sich (Imrie/Lees/Raco 2009). Edwards bezeichnet die heutige Entwicklung im Vergleich zu den 1990er Jahren als extrem. Die damalige Immunisierung der Stadtteile gegen die Aufwertungsspirale der Immobilien, die in der Gentrification gipfelte, ist aufgehoben – so schildert es Edwards: „Wenn man von heute aus auf die damaligen Regenerierungspolitiken zurückschaut, dann war das wunderbar. Die Leute bekamen wirklich gute Wohnungen, sie konnten großen Einfluss auf das Design nehmen, zahlten ein bisschen mehr, aber nicht viel, und hatten schöne öffentliche Plätze. Das passiert so aber nicht mehr. Die Leute waren damals noch nicht so unter Druck wie heute. Man konnte herrliche Sachen machen, Bäume pflanzen, die Gegend verschönern, Museen hinstellen. Die Leute blieben dort, weil sie ja in ihren Sozialwohnungen waren, das hielt die Bewohnerschaft stabil. Die Immunisierung ist weg, weil die Rahmenbedingungen andere sind, weil der Markt regiert“ (Übersetzung F. Hillmann).
Neue Aushandlungslinien der Regenerierung – Making the City Die Regenerierungspläne Londons legten besonderen Wert auf die Ausgestaltung öffentlicher Plätze wie Bibliotheken und Märkte es sind. Noch in den 1980ern standen kreative Umgebungen, etwa Galerien und Kunstmuseum im Fokus der culture-led regeneration, in den 1990ern waren es vermehrt die öffentlichen Bibliotheken, die als Katalysatoren für städtische Entwicklung angesehen wurden. „Urbanität“ lässt sich nicht messen und ist doch Kernstück der Regenerierungspolitiken der letzten Jahre. Was in den 1990er Jahren begann war eine Regenerierungspolitik, die sich vor allem auf ikonographische Stadtlandschaften richtete und an Meilensteinen orientierte sowie place-making und neue Vorstellungen von Urbanität anregte. Und die so auch die Gemeinschaft stärken sollen. Die Vermehrung an Aktionsplänen und Aktivitäten fiel zusammen mit einer Diskussion über eine urban renaissance. Liberale Schlüsselfiguren dieser Debatte, beispielsweise der Architekt und Vorsitzende der Urban Task Force, Sir Richard Rogers, wiesen immer wieder auf die wichtige Rolle von qualitativ hochwertiger Architektur hin. Design, so Rogers, ist „die Grundlage für öffentlichen Austausch und soziale Integration, die Gespür für die Bedeutung des Ortes liefern und den Stolz der Bürger befördern“ (Dines 2006: 5). An diesem Zitat zeigt sich die enge Verbindung von baulicher Struktur und erhofften Effekten auf das städtische Zusammenleben.
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Die Regenerierung von Städten ist daher auf das Engste mit deren sozioökonomischer Struktur verbunden, der turn to community vollzieht sich erst nach der baulichen Umwandlung. Hier setzt schließlich das remaking von Städten ein, der aktive Prozess der Umgestaltung von Stadtteilen und die Einbeziehung von Images und Repräsentationen in die Regenerierung. Gegenerzählungen, die den Stadtzerfall konterkarieren und stereotype Repräsentationen ablösen, gehören genauso dazu wie kulturell verstärkende, kreative Aktionen im Stadtraum (Campkin 2012). Man kann sagen, dass es sich hier um eine neue Aushandlungslinie der Regenerierungspolitiken handelte, weil es hier zu einer direkten Verknüpfung von baulicher Struktur und bis dahin öffentlich genutztem Raum kam. Anders als beispielsweise bei den insgesamt neu errichteten Docklands, wo der Aufbau eines Museums Teil des Regenerierungskonzeptes war, erfolgt in diesem Fall die Nutzung bereits bestehender öffentlicher Infrastruktur – man könnte sagen bottom up. Immer wieder waren es multikulturell geprägte Stadtteile, an die sich die Fördermittel richteten und deren Stadtbewohner von der Aufwertung profitieren sollten. Die Errichtung der Camberwell Library and Plaza, die im Sommer 2015 eröffnet wird, ist eines der aktuellen Beispiele für diese neue Strategie. Auch Peckham kann als gutes Beispiel für diesen Trend der Regenerierungspolitiken gelten, die sich dem öffentlichen Raum zuwenden. Peckham ist eine multikulturelle Gegend, in der die Hälfte der Bevölkerung afrikanisch-karibischer Abstammung ist. Die EU investierte intensiv in diesen sozial und ökonomisch schwachen Stadtteil – etwa durch die Beteiligung an der Peckham Library und dem Media Center. Als die Bibliothek im Jahre 2000 öffnete, galt ihre spielerische Fassadengestaltung als Anspielung auf die Einheit von Spielen und Lernen und als vielleicht wichtigster Beitrag zum branding eines bis dahin als heruntergekommen geltenden Stadtteils. Die Bücherei wurde zu einem kulturellen Anker in der Stadtlandschaft stilisiert, als place-maker eingesetzt. Durch ihre Anwesenheit erhofften sich die Planer eine Steigerung der lokalen Identität und der Kohäsion, den sozialen und ökonomischen Schwierigkeiten entgegen zu treten und lokale Innovationen, Kreativität und Kooperation anzukurbeln, so wie dies zuvor bereits bei den Idea Stores in Tower Hamlets erprobt worden war und wo zusätzlich eine Reihe von Weiterbildungsangeboten installiert wurden (SkotHansen/Rasmussen/Joachimson 2012: 13f). Mit den herkömmlichen Bibliotheken, die über Bücherregale und Lesesäle verfügen, haben diese ikonographischen Gebäude nur wenig gemein. Vielmehr richten sie sich an die multimedial aufgewachsene junge Bevölkerung und bedienen mit ihrem Design den Geschmack einer aufstrebenden Mittelklasse. Man erfährt aus der aktuellen Litera-
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tur kaum etwas über die tatsächlichen Auswirkungen dieser Aufwertung von Bibliotheken im öffentlichen Raum. Seit ungefähr Mitte der Nullerjahre rückten die öffentlichen Märkte, seien es Wochenmärkte oder kleinere Einzelhandelszentren, in Großbritannien verstärkt ins Zentrum von Regenerierungspolitiken. Der Markt – traditionell ein Ort, an dem die untere Mittelklasse einkaufte – wird aufgewertet und „modernisiert“, abgestimmt auf die Konsumbedürfnisse von Touristen und einkommensstarken Kauflustigen und maßgeschneidert für die Rezeptideen einer Mittelklasse (Gonzales/Waley 2012: 7ff). Der Straßenmarkt ist, wie die Diversität eines Stadtteils, ein besonderer Ort, ein besonders urbaner und authentischer Ort (Hiebert/ Rath/Vertovec 2014: 14). Wie in anderen Städten des globalen Nordens, beispielsweise in Amsterdam, werden die Märkte in den innerstädtischen Lagen zum Gegenstand von Regenerierungspolitiken. Nachdem jahrelang die großen Einkaufszentren auf der grünen Wiese ausgebaut wurden, eröffnet die Umgestaltung der traditionellen Märkte eine neue Etappe auf der Suche nach neuen Chancen zur Regenerierung der Stadtteile. Eine Studie zu der Ausgestaltung der Märkte in den 33 Stadtbezirken von London brachte zutage, dass die meisten eine aktive Planungseinheit für ihre Märkte besaßen, doch die wenigsten über eine stadtbezirksübergreifende „Marktstrategie“ verfügten – meist wurde eine Mischung aus Kontrollpolitiken und positiver Anerkennung angewendet, d.h. unterstützende Politiken. 32 der 33 Stadtbezirke unterstützten die Märkte durch praktische Hilfestellungen wie etwa Hilfen für Start-ups, bevorzugte Parkmöglichkeiten, Ausschilderung, einen zentralen Kontaktpunkt, Inspektionen und Gesundheits- und Umweltüberwachung des Marktes und der Umgebung. In den Behörden und in der Öffentlichkeit überwiegt ein Bild der Märkte, das diese als abgewertete Orte ansieht. Obwohl einige regenerierte Stadtteilmärkte als besonders erfolgreich angesehen werden, haftet den Stadtteilmärkten weiterhin ein Image als Verlustorte, als bauliche, ökonomische und soziale Randzonen und als marginale Räume an (Aiesha 2011: 120ff). Die Märkte sind in den meisten Fällen Kontaktzonen für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen, die eine starke Toleranz an den Tag legen müssen (Watson 2009). Am Beispiel von Queens Market im Borough Newham zeigen Dines und Cattel (2006) wie die Händler auf den Märkten nach und nach als unzeitgemäß angesehen wurden und wie diese Plätze an sich in den Medien und in der Lokalpolitik zu „dreckigen und unsicheren Plätzen mit Prostitution und Kleinkriminalität“ stilisiert wurden. Der seit über 100 Jahren bestehende überdachte Markt in Newham, gleich neben der U-Bahn-Station Upton Park gelegen, befindet sich in einem Stadtteil mit mehrheitlich nicht-weißer Bevölkerung. Es handelte sich um
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einen Stadtteil mit billigen Mieten, hier kamen schon immer Migranten an und wanderten weiter; der Markt zählte zu den multikulturellsten Orten in der Stadt. 2004 plante die Stadtverwaltung einen Relaunch mit neuen Geschäften, wohl inspiriert von der Entscheidung für London als dem Austragungsort der Olympischen Spiele 2012 (Dines 2009: 257f). Plötzlich wurde die verarmte Gegend als kosmopolitischer Stadtteil interessant und relevant für Regenerierungspolitiken. 2005 wurden verschiedene Pläne zur Regenerierung des Marktes (und damit des Stadtteils) von Projektentwicklern und der Stadtverwaltung vorgestellt – unter anderem der, den Markt um einen neuen Supermarkt herum umzubauen (Dines 2009: 267). Die einheimische Bevölkerung wehrte sich gegen die Pläne der „Säuberung“ und fürchtete einen zusätzlichen Gentrifizierungsschub (Gonzales/ Waley 2012: 5ff). Die Pläne, den Markt neu zu errichten, standen bereits; der Investor, St Mowden Properties, stand bereit. Eine Bürgervereinigung namens Friends of Queens Market sammelte 12.000 Unterschriften und erreichte 2007 schließlich, dass der Markt für die „normalen“ Nutzer bestehen blieb (Friends of Queen Market, online abrufbar unter: http://www.friendsofqueensmarket.org.uk/ 2001.html vom 10.08.2015). Die Stadtregierung musste (vorerst) Abstand von den geplanten Regenerierungspolitiken nehmen. Die gemischten Stadtteile sind diejenigen, die heute im Fokus der Privatisierungsbestrebungen stehen. Sie fungierten vielerorts als „Nebelkerze“ für die eigentlichen Ziele der übergeordneten ökonomischen und eigentümergesteuerten Regenerierungsagenda (Minton 2014: 31).
F AZIT Die in diesem Beitrag zusammengetragene Tour de Raison quer durch die Regenerierungspolitiken Londons präsentiert ein eher düsteres Bild, dass weniger an ein flirrendes Nebeneinander von Maßnahmen und Instrumenten erinnert, sondern vielmehr eine relativ verengte Auslegung von städtischer Regenerierung im Zuge städtischer Transformation nahelegt. Erstens scheinen sich die Regenerierungspolitiken der 1990er Jahre, die auf mixed communities, d.h. auf die Erhaltung des Sozialwohnungsbaus in vielen Stadtteilen setzten, so auszuwirken, dass genau diese Stadtteile heute begehrte Ziele der Immobilienspekulation geworden sind. Denn dort lassen sich innerhalb des Stadtgebietes noch Flächen zum Abriss finden, nämlich die ehemaligen Sozialwohnungseinheiten, und dort kann Platz für neue Wohneinheiten geschaffen werden. London ist eine wachsende Stadt, die Priorität der Politik liegt in der Schaffung von Wohnraum für die wachsende Bevölkerung. Eine Verdichtung von Wohnraum ist die Folge – wobei vor allem
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die ökonomisch Schwächeren mit immer weniger Platz zurechtkommen müssen. Durch die in die Stadt einfließenden globalen Investitionen entstehen Stadtgebiete, in denen Einheimische sich keine Wohnung mehr leisten können. Zweitens beschleunigten große städtebauliche Ereignisse wie Olympia den bereits angelegten Trend einer Privatisierung öffentlicher Räume und stellten die in den Nullerjahren begonnenen Regenerierungspolitiken kaum in Frage, eine stärkere Privatisierung von öffentlichem Raum war die Folge. In diesem Beitrag wurde, drittens, auch deutlich, dass sich die Situation nicht nur am Wohnungsmarkt zugespitzt hat, sondern dass auch das produzierende Gewerbe kaum noch Flächen zur Produktion findet. Viertens, und dies ist vielleicht die bedenklichste Entwicklung, verengten sich die Aushandlungslinien der Regenerierungspolitiken und verlaufen zunehmend konflikthaft. Es scheint so zu sein, dass dort, wo die gemischten Wohnviertel über eine Bewohnerschaft verfügen, die in der Lage ist, sich um die eigenen Belange zu kümmern, die Chance besteht, dem Druck des geplanten Abrisses entgegen zu treten und Teilerfolge zu erzielen. Dort, wo die Bewohnerschaft sich eine solche Aushandlung nicht leisten kann, kommt es relativ rasch zu einem Abriss und Neubau von Wohneinheiten, die dann jedoch einer neuen Bewohnerschaft bereitgestellt werden. Die eingangs vorgestellte städtische Transformation vollzieht sich in London vermittelt über die in der Stadt angewandten Regenerierungspolitiken. Regeneriererungspolitiken, welche zwar verschönernde, aber lähmende Eigenschaft einer Botoxinjektion haben, finden sich vor allem da, wo bereits eine Schwächung der städtischen Sozialstruktur vorlag. Dort ist damit zu rechnen, dass es zu einem völligen Erlahmen des öffentlichen Lebens kommt.
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4. Von den East India Docks zum super port „London Gateway“ – die Zukunft der Vergangenheit D IRK S CHUBERT , Hamburg
Die radikale Transformation der Hafengebiete in London seit den 1980er Jahren bildet in zeitlicher Abfolge wechselnde lokale und nationale politische Regierungen und Verwaltungen sowie damit verknüpfte Planungsphilosophien ab. Dem Niedergang des Hafens und dem Ausbau moderner Hafenbereiche an der Themsemündung folgte der schrittweise Umbau der vormaligen Hafenbereiche, innenstadtnah beginnend und folgend periphere Areale einbeziehend. Nach ersten Experimenten wurde zeitlich befristet eine Entwicklungsgesellschaft eingerichtet, die den Umbau nach marktwirtschaftlichen Prinzipien vorantrieb. Später wurde das Areal für die Vorhaben der Ausrichtung der Olympischen Spiele 2012 größer gefasst und dann in eine regionale Perspektive – Thames Gateway, die den Mündungsbereich der Themse einschließt, erweitert. Hier entstand, ca. 40 Kilometer vom Zentrum entfernt, ein von ausländischen Investoren betriebener neuer Tiefwasserhafen. Gegen 1800 wurden in London irreversible Entscheidungen für die Entwicklung des Hafens getroffen, die 150 Jahre später den Niedergang befördern sollten. Die Themse hatte seit der Gründung Londons die Geographie der Stadtentwicklung und
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des Hafens diktiert. Stromabwärts der London Bridge entwickelte sich die Keimzelle des Hafens, der Pool of London. Nach 1800 entstanden künstlich angelegte Hafenbecken mit Speichergebäuden, hier Docks genannt, bei denen die Schiffe jeweils Schleusen passieren mussten. Damit war es möglich den starken Tidenhub von fast sechs Metern auszugleichen und zugleich durch Mauern wertvolle Waren vor Diebstählen zu sichern. Entsprechend dem Stand der Hafenbautechnologie und der Schiffsgrößen entstanden zunächst kleinere Docks, direkt an die City of London angrenzend, später wurden größere Dockkomplexe immer weiter flussabwärts gebaut (Bird 1957: 73). Die privaten Dockgruppen hatten eigene Dockverwaltungen, die Bau, Finanzierung, Betrieb und Zollabfertigung organisierten. Abb. 1: Royal Docks, Themse und Hafenbetrieb um 1950
Quelle: Bentley 1997
So entstand ab 1800 flussabwärts der Tower Bridge der größte Hafenkomplex der Welt (Entmayr 1977), das East End, ein Mikrokosmos, ein Gemisch aus Güterumschlag, Seehafenindustrien, Werften, Kneipen und Wohnungen der Hafenarbeiter, der Docker. Für die Planung und die Organisation des Betriebs der Docks war 1909 die Port of London Authority (PLA) als ein Sondervermögen mit weitgehenden Vollmachten eingerichtet worden. 1964 wurde mit 63 Millionen Tonnen der höchste Güterumschlag im Londoner Hafen verzeichnet, 500 Schiffe liefen damals wöchentlich London an, ein Fünftel des britischen Güterumschlags wurde hier abgewickelt. 20 Jahre später sollte es so gut wie keinen Güterumschlag mehr im Hafen von London geben.
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E AST I NDIA DOCKS ZUM S UPER P ORT | 63
Die PLA hatte schon seit den 1920er Jahren den an der Einmündung der Themse in den Ärmelkanal gelegenen Hafen Tilbury ausgebaut. Mit den Einnahmen aus Tilbury konnten später die defizitären Docks in London refinanziert werden (Hebbert 1998: 186). Ein nationaler Streik der Dockarbeiter legte 1970 für drei Wochen alle britischen Häfen lahm. 1981 wurden schließlich mit den Royals die letzten Docks in London geschlossen. 1972 versuchten fünf Hafenarbeiter Containerlastwagen zu blockieren um gegen die Containerrevolution und den massiven Abbau von Arbeitsplätzen zu demonstrieren. Sie wurden daraufhin ins Gefängnis Pentonville eingeliefert und ein Streik von 170.000 Dockern war die Folge. Aber die „Pentonville Five“ konnten das Rad der Geschichte nicht aufhalten. Die PLA versuchte den Ausbau von modernen Terminals in Tilbury weiter voranzutreiben, um damit die Arbeitsverträge mit Londoner Hafenarbeitern auszuhebeln. Abb. 2: Eröffnung und Schließung der Londoner Docks
Quelle: Zehner 2010
Niedergang des Hafens und Pläne der Re-Industrialisierung Die Raumanforderungen des zunehmend containerisierten Güterumschlags seit den 1970er Jahren waren in Londoner Dockhäfen mit den schmalen, veralteten Schleusen und den Fingerpiers nicht realisierbar. Das Verwaltungsgebäude der PLA am Tower Hill wurde veräußert und der Verkauf der ältesten, der City nächstgelegenen Docks, wie des St. Katherines Docks folgte. Ein Hotel, das World-Trade-Center (International House), eine Marina und Eigentumswohnungen, nur einen Steinwurf von der City of London entfernt, entstanden, die Hafenbecken wurden zu einem privaten Yachthafen umgewandelt und Museumsschiffe und Kopien von historischen Pubs erhöhten die Attraktivität für Touristen.
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Der Verkauf der ehemaligen Hafenareale durch die PLA erschien eine lukrative Perspektive: Aus den Docks wurden die Docklands. Im Greater London Development Plan (GLDP), der 1969 vorgelegt und 1976 beschlossen wurde, war die Verfüllung der nicht mehr betriebenen Docks vorgesehen. Optimistisch war damals noch von zukunftsfähigen Hafennutzungen ausgegangen worden. Die Schließung der innenstadtnahen Hafenanlagen zog den Konkurs dockabhängiger Industrien, z.B. Werften, Reparaturbetriebe, Schiffsausrüster etc. nach sich. Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und mangelnde Sozialeinrichtungen prägten folgend weite Teile des ehemaligen Hafengebietes. Der Niedergang des Hafens weitete sich rasch auf die benachbarten Stadtteile aus. Das East End, der Hinterhof Londons, bot keine Perspektive mehr. Die besonderen Sozialbeziehungen, Netzwerke und Subkulturen der Hafenarbeiter im East End sollten umgehend der Vergangenheit angehören. Noch 1980 hatten 40 Prozent der Bevölkerung der Isle of Dogs immer hier in Hafennähe gelebt (Foster 1992: 180). Die „Insulaner“ bildeten eine Gemeinschaft, ein „Dorf in der Stadt“, wo jeder jeden kannte. Von 1975 bis 1982 wurde die Anzahl der Arbeitsplätze von 8.000 auf 600 reduziert (Foster 1999: 41). Die „Insulaner“, einst Teil der boomenden Weltökonomie, eng mit dem Aufstieg des Hafens verbunden, fühlten sich isoliert, vergessen und verlassen sowie einer ungewissen Zukunft ausgesetzt. Da das Hafengebiet an die prosperierende City of London angrenzt, waren die Widersprüche zwischen Armut und Reichtum besonders auffällig. Vor dem Hintergrund der Strukturprobleme im East End war 1976 der London Docklands Strategic Plan (LDSP) ausgearbeitet worden. Der Plan reagierte auf die Defizite in den Docklands und sah vor allem sozialen Wohnungsbau und Flächen für zukunftsfähiges Gewerbe vor. „To use the opportunity provided by large areas of Londonʼs dockland becoming available for development to redress the housing, social, environmental, employment/economic and communication deficiencies of the docklands area and the parent boroughs and thereby to provide the freedom for similar improvements throughout East and Inner London“ (zit. nach Coupland 1992: 153).
Aber der Plan blieb eine Vision und wurde nicht implementiert. Die PLA als größter Landbesitzer – mit großen Liquiditätsproblemen – veräußerte Flächen nur nach dem Höchstgebotsverfahren. Grunderwerb für sozialen Wohnungsbau war dabei in zentraler Lage unrealistisch und die zögerliche Politik von Labour erschwerte die Umstrukturierung und Erneuerung. Die Re-Industrialisierungsstrategie scheiterte vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Strukturwandels
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und konnte kaum Firmen zu Investitionen im vormaligen Hafenbereich bewegen. Deregulierung und neoliberale Wende in der Planungspolitik Zwei Jahre später wandelten sich mit dem Wahlsieg der Konservativen auf nationaler Ebene 1979 die Perspektiven. Für Margaret Thatcher und Vordenker Michael Heseltine sollten die Docklands zum Schlüsselexperiment der freien Marktwirtschaft werden, zum Juwel in der Krone. Die Londoner Docklands und dort vor allem die Isle of Dogs sollten zum Flaggschiff der neoliberalen Wende und deregulierter, marktorientierter Konzepte werden. Dem Wahlsieg der Konservativen folgte umgehend eine Deregulierungs-, Liberalisierungs- und Privatisierungspolitik von Märkten und Infrastrukturen. Dieser Paradigmenwechsel brach mit dem Nachkriegskonsensus, der Planung als Gesellschaftsreform verstand. Die Konservativen begriffen Globalisierung als Chance, London mittels des Docklands-Projektes mit einem Schlag ins 21. Jahrhundert zu versetzen und das Areal zum Laboratorium deregulierter, neo-liberaler Stadtentwicklung zu machen. Mit der Abschaffung des Greater London Council (GLC) im März 1986 – ermöglicht durch das Local Government Act 1985 – wurde von den Konservativen die für Gesamt-London zuständige Verwaltungs- und Planungsinstitution beseitigt. Eine strategische Gesamtplanung für London gab es damit nicht mehr, die lokale Bevölkerung und die gewählten Körperschaften waren marginalisiert und in diesem Vakuum konnten Bauvorhaben in Docklands ohne umständliche und zeitaufwendige Prüfungen der planerischen Ausweisungen rasch realisiert werden (Wehling 1994). Die Verlagerung von Sozialausgaben auf die Bezirke (boroughs) beförderte die Ausdifferenzierung in arme und reiche Bezirke. Für Bezirke mit großen Strukturproblemen, hoher Arbeitslosigkeit und überdurchschnittlichen Anteilen einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen ergab sich, wie im ehemaligen Hafengebiet, ein unumkehrbarer, kumulativer Kreislauf von Desinvestition, Verslumung, steigenden Sozialausgaben und immer geringeren Ressourcen. Die Konservativen begriffen die Umstrukturierung der Docklands als nationale Aufgabe, die auf lokaler Ebene nicht möglich sei. Die Planungshoheit für die Docklands wurde vom GLC und von den Bezirken (Tower Hamlets, Lewisham, Greenwich, Newham und Southwark) mittels des Local Government and Land Planning Act auf die London Docklands Development Corporation (LDDC) übertragen, während andere Ressorts wie Bildung, Gesundheit und Wohnungswesen bei den Bezirken verblieben. Über 240 ha Land wurden von den Bezirken und dem GLC auf die LDDC übertragen, die durch Enteignung
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den Grundbesitz bis 1994 auf weitere 800 ha ausweiten konnte und damit über ca. ein Fünftel des Bodens in den Docklands verfügte. Die Möglichkeiten, das große, zentral gelegene Areal, vor dem Hintergrund des damals steigenden Büroflächenbedarfs und Londons Position als Finanzzentrum mittels eines Megaprojekts auszubauen, spielten nun die dominierende Rolle. „Quicker by Quango“ – Die Startphase der Transformation Die angeblich ineffektive bürokratische GLC- und Bezirksverwaltung – „all run by communists“ (Brownhill/OʼHara 2015: 539) – sollte bei der Transformation der Docklands umgangen werden. Bei Quangos (Quasi autonomous nongovernmental organizations) wurden die Mitglieder direkt ernannt und nicht gewählt, die Mittelzuweisung erfolgte über Sonderbudgets und die Institutionen entzogen sich damit öffentlicher Kontrolle. Die 1981 eingerichtete LDDC sollte eine moderne, unbürokratische, schlanke, effiziente Organisation sein, die flexibel auf die Bedürfnisse der Investoren reagieren konnte. Hinter der Deregulierungsrethorik waren Entscheidungsprozesse in der LDDC für die Öffentlichkeit nicht transparent und Haushalts- und Beschlussprotokolle blieben geheim. Die Bezirke waren an vielen Entscheidungen nicht beteiligt. Die LDDC sollte mittels strategischer Flexibilität vor allem als Katalysator wirken, um Investoren anzuziehen. Schon die Gründung der LDDC war politisch sehr umstritten. Die Docklands umfassen – nach der später vorgenommenen Gebietsabgrenzung mit der Zuständigkeit der LDDC – insgesamt ein Gebiet von 22 Quadratkilometern und ca. 88 Kilometer Uferzonen. „The area had fewer attractions than a Siberian salt-mine – and the sight of a private investor was as rare as a unicorn“, so beschrieb Reg Ward, der Vorstand der LDDC die Ausgangssituation (zit. nach Bentley 1997: 219).
Ökonomischer Hebel für den Aufschwung in den Docklands sollte die Bereitstellung von Mitteln über die LDDC sein, die mit einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik (supply side politic) privates Kapital anziehen sollte (pumppriming). Über einen „Filtereffekt“ (ähnlich der Filtering-Theorie im Wohnungssektor) sollten diese quasi öffentlichen Investitionen dann weitere private Investoren anziehen und mittelbar auch der lokalen Bevölkerung zugutekommen. Der Vorsitzende der LDDC erklärte: „It depends on how you see planning. Conventional planning approaches which aim to control the market place, tend to become negative and inhabit various forms of development. We will be opportunity led so that the market place has the opportunity of influenc-
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ing how and where a development takes place and what form it takes“ (zit. nach Zehner 1999: 196).
Abb. 3: Areal mit Zuständigkeitsbereich der LDDC (um 1990)
Quelle: LDDC 1991
Die Investitionsmöglichkeiten für privates Kapital wurden zusätzlich durch die Einrichtung einer Enterprise Zone (EZ) nach dem Modell Hong Kongs in den Docklands 1982 weiter verbessert (Anderson 1990: 468). Ca. 194 ha der Isle of Dogs – ein Areal etwa in der Mitte der Docklands – wurden als Sonderwirtschaftszone ausgewiesen. Damit werden 100-prozentige Steuerbefreiungen für Baukosten möglich, eine zehnjährige Befreiung von lokalen Steuern und vereinfachte, schnellere Genehmigungsverfahren. Diese Kombination von Entwicklungsträger LDDC und Gebietssonderstatus EZ sollte eine schnelle, unbürokratische Entwicklung in den Docklands generieren. Die Abschaffung des GLC ging zeitgleich einher mit einer wichtigen finanzpolitischen Maßnahme der konservativen Regierung, nämlich dem Big Bang 1986, mit dem die bis dato streng reglementierten Zugangs- und Handelsbedingungen an der Londoner Börse mit einem Schlag aufgehoben wurden. Die Funktion Londons als Finanzmetropole Europas sollte damit ausgebaut und London als Global City gestärkt werden. London sollte eine der drei dominierenden Weltstädte neben New York und Tokio werden und die führende Metropole in der europäischen Zeitzone (Sassen 1994). Mit dem Big Bang wurde der Büroflächenbedarf angeheizt, die Preise für Büroflächen sprangen in die Höhe. Die City
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of London, die Square Mile, mit einem besonderen Status gegenüber den anderen Bezirken, war als traditioneller Standort der Banken bis Mitte der 1980er Jahre äußerst zurückhaltend bei der Ausweisung neuer Büroflächen gewesen, um die Preise hoch zu halten. Nun musste die City nachziehen und es entwickelte sich eine fatale Rivalität der Büroflächenausweisung zwischen der alten City und den neuen Standorten in den Docklands. Neben den ca. 14 Millionen Quadratmetern Bürofläche, die es in London bereits gab, kamen Anfang der 1990er Jahre fast auf einen Schlag zwei Millionen Quadratmeter Büroraum in den Docklands hinzu. Der Zeitpunkt der Fertigstellung hätte nicht ungünstiger liegen können. Ende der 1980er Jahre setzte in der britischen Wirtschaft eine Rezession ein. Die Immobilienpreise fielen und es kam zu zunehmenden Leerständen von Bürogebäuden auch in der City. Der Raumbedarf für neue Büroflächen für Finanz- und Serviceeinrichtungen, der Mitte der 1980er Jahre mit dem Big Bang forciert wurde, war abgeflaut, die Leerstandsraten lagen in London über 20 Prozent in der City bei 15 Prozent in den Docklands teilweise bei über 60 Prozent. Die Preise für Büroflächen sanken in der City um über ein Drittel. Zudem gelang es kaum Firmenzentralen mit den front-offices zum Auszug aus der City und zum Umzug in die Docklands zu bewegen, häufig wurden nur Nebentätigkeiten (back-office-Funktionen) verlagert. Seit Mitte der 1980er Jahre war es durch neue Technologien möglich geworden die front- und back-offices räumlich zu trennen. Nur noch für die front-offices waren die teuren zentralen Standorte erforderlich, während die back-office-Bereiche auch an die Peripherie mit billigeren Mieten verlagert werden konnten. Die Investoren wurden zum Opfer einer Überproduktionskrise, die sie selbst befördert hatten. Vielfach handelt es sich nicht – wie von der LDDC betont – um „neue“ Arbeitsplätze sondern um betriebsinterne Verlagerungen um in den Genuss der Vorteile der EZ zu kommen. Als die Computersatztechniken die alten Druckertechniken obsolet gemacht hatten, verlagerten die großen Zeitungen (Guardian, Daily Mail, etc.) ihre Produktionsstätten von der City in die Docklands und hebelten damit gleichzeitig die Gewerkschaften aus. Zwischen 1981 und 1992 gingen ca. 11.000 Arbeitsplätze in den Docklands verloren und von den in diesem Zeitraum 20.000 neu geschaffenen Arbeitsplätzen konnten nur 5.000 von der lokalen Bevölkerung besetzt werden, da andere Qualifikationen gefragt waren. Viele Betriebe hätten sich ohnehin aus betriebsinternen Gründen nach neuen Standorten umgesehen, die Steuerbefreiungen der EZ bewirken daher eher Mitnehmereffekte als eine gezielte Struktur- und Regionalpolitik.
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Angestrebt war, dass pro einem Pfund öffentlicher Investitionen fünf Pfund privater Investitionen zurückfließen sollten. Von der LDDC wurden Zahlen angegeben, die einem Multiplikatoreffekt von ca. 1:10 entsprächen und damit bei weitem die geplante Relation übertreffen würden. Diese Angaben sind allerdings nicht detailliert und überprüfbar. Das intendierte Verhältnis von 1:5 öffentlicher gegenüber privater Investitionen bezieht zudem nicht die Erstellung von Infrastrukturmaßnahmen ein, die öffentlich finanziert wurden. So wurde der Bau der Docklands Light Railway (DLR) und die Verlängerung der U-Bahn (Jubilee Line) weitgehend aus Steuergeldern finanziert. Neben dem Argument der Entstehung neuer Arbeitsplätze sollten von der LDDC auch neue Wohnungen geschaffen werden. Betrug der Anteil des kommunalen Wohnungsbaus in den Docklands 1981 noch über 80 Prozent, so lag der Anteil der Eigentumswohnungen damals unter 10 Prozent. 1991 lag der Anteil des kommunalen Wohnungsbaus bei nur noch 25 Prozent, während der Eigentumssektor bereits über 50 Prozent ausmachte (Smith 1989). Von über 12.000 neuen Wohnungen waren 85 Prozent Eigentumsmaßnahmen. Dabei stiegen die Preise für Eigentumswohnungen allein zwischen 1984 und 1988 um durchschnittlich 200 Prozent. Das Angebot ging damit vollständig an der überkommenen lokalen Nachfrage vorbei und beförderte den sozialen Strukturwandel. Die DLR, auch Mickey Mouse Railway genannt, hatte zunächst keine direkte Anbindung an die City und erhebliche Betriebsprobleme. Die 12,5 Kilometer lange 1987 eröffnete Linie kostete 77 Millionen Pfund und sollte vor allem die „psychologische“ Nähe zur City demonstrieren. Die Trassenführung verläuft mitten durch die Enterprise Zone – die Anbindung der Wohngebiete war dagegen unzureichend – und es liegt auf der Hand, dass damit Investitionen induziert werden sollten (Brownill 1993: 134). Die neue Straßenanbindung der Docklands erfolgte über die A 13, eine stark überbelastete Straße. Bis zur Fertigstellung des Limehouse Link waren Staus an der Tagesordnung. Für den Bau des Limehouse Link mussten 450 Wohnungen abgerissen werden und in den vormals ansässigen Betrieben gingen 270 Arbeitsplätze verloren. Mit der Verlängerung der LDR bis zur Station Bank wurde die Anbindung zur City verbessert und später die Linie weiter bis Lewisham und Woolwich Arsenal ausgebaut. Auch die Jubilee Line ist inzwischen bis Stratford, dem Zentrum der Olympischen Spiele 2012, weiter geführt worden und verbessert die Einbindung des East Ends in das ÖPNV System. In der ersten Phase zwischen 1981 und 1985 ging es um den Landerwerb, den Bau der LDR, die Etablierung der Enterprise Zone und den Eigentumswohnungsbau. Die Verfügbarkeit über den Boden war dabei eine wichtige Voraussetzung für zeitnahe Umsetzung. Allerdings hatten die Docklands noch ein
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Imageproblem (Colenutt 1994). Die Gebiete östlich der Tower Bridge galten als schmutzige Arbeiter- und Hafengegend und No-go-Area mit schlechten Verkehrsanbindungen. Durch eine aggressive Werbekampagne und neue Namensgebungen für alte Einrichtungen suchte man das Image aufzuwerten. Why move to the middle of nowhere when you can move to the middle of London hieß es in der Werbung Anfang der 1980er Jahre, später wurde der Slogan Looks like Venice. Feels like New York geboren. Die intendierte Renaissance des East Ends wurde mit kuriosen Werbekampagnen untermauert. So wurde ausgeführt, dass es im Osten Londons mehr 18 Loch-Golf-Plätze geben würde als im Westen Londons. Canary Wharf – Die Boomphase Die zweite Phase von 1985 bis1992 beinhaltete einen Maßstabssprung hin zu den Megaprojekten und beginnender Kritik an der zunächst unzureichenden Infrastruktur und Verkehrsanbindung. Der Canary Wharf Tower stellte – im wahrsten Sinne des Wortes – alle bis dahin realisierten Projekte in den Docklands in den Schatten. Ca. 1 Million Quadratmeter Büroflächen, das größte Bürobauvorhaben in Europa, zwei Hotels, Restaurants, Dienstleistungsbetriebe und 8.000 Parkplätze entstanden im Zentrum der Enterprise Zone. Manhattan-onThames, Wall Street on Water, eine Water City for the 21st Century sollte entstehen und die soziale und physische Transformation der Docklands vorantreiben (Turkie 1992). Der größte private Investor in den Docklands war zunächst Olympia & York (O & Y), ein kanadisches Unternehmen, das die Gebrüder Reichmann kontrollieren (Foster 1993). O & Y profilierten sich zu Planungsbeginn als Retter der Stadt, die sich ein hochriskantes Projekt aufladen würden, dass andere nicht anrühren würden. 1987 wurde der Vertrag zwischen der LDDC und O & Y unterzeichnet und Margaret Thatcher und Paul Reichmann schlugen symbolisch gemeinsam den ersten Pfahl in die Erde. Canary Wharf, so Paul Reichmann, sollte ein Symbol des ökonomischen Wiederaufstiegs werden. Die Architektur der Gebäudekomplexe um Canary Wharf hatten sich an einer Architektursprache des 19. Jahrhunderts zu orientieren (Edwards 1992). Paul Reichmann erklärte 1990: „That means post 1992 London will have a centre capable of meeting the challenges of its position as the financial hub of Europe; a centre where space is not at a premium and rents are lower. It means that Londoners, and commuters will have somewhere where it is a pleasure, not a chore, both to work- and to get to work“ (Reichmann 1990).
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Abb. 4: Symbolik: Das historische Eingangstor zu den 1802 eröffneten West India Docks umgeben von modernen Bürokomplexen
Quelle: Aufnahme D. Schubert
An den Docklands und an Canary Wharf lässt sich die Ambivalenz deregulierter Stadtentwicklungspolitik deutlich machen. O & Y sollten von den Baukosten der U-Bahnlinie ca. ein Drittel der Kosten übernehmen. Die Insolvenz von O & Y im April 1992 schlug dann aber wie eine Bombe auf dem internationalen Immobiliensektor ein und stellte das ganze Projekt in Frage (Hallsworth 1993: 65). O & Y machte täglich Verluste von 38 Millionen Pfund mit Canary Wharf und die Verluste hatten sich auf 625 Millionen Pfund aufaddiert (Brownill 1993: 184).
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Obwohl den Mietern in Canary Wharf zunächst Mietfreiheit garantiert wurde und bestehende Mietverhältnisse von O & Y übernommen wurden, waren kaum Mieter zu finden (Schubert 1999). Die Bekanntgabe der Zahlungsunfähigkeit von O & Y dürfte nicht ganz zufällig zwei Wochen nach den Wahlen in Großbritannien erfolgt sein. Die britische Regierung leistete prompt die nächste Hilfe und mietete Büroflächen in Canary Wharf an, obwohl ihr anderenorts deutlich günstigere Mietobjekte angeboten wurden. Das Projekt wurde dann von einem Bankenkonsortium, das an der Finanzierung beteiligt war, zwangsverwaltet. Umgehend kauften dann 1995 O & Y mittels der International Property Corporation Ltd. und Unterstützung von saudischen Geldgebern das Vorhaben durch Umschuldung zu einem erheblich günstigeren Preis zurück. 1992 war Cesar Pellisʼs Obelisk in Canary Wharf fertig gestellt, nur die Mieter fehlten noch. Abb. 5: Canary Wharf, umgeben von anderen Bürokomplexen
Quelle: Aufnahme D. Schubert
Der „Master-Plan“ war vom größten Investor (O & Y) unter Hinzuziehung externer Berater und unter Ausschluss der lokalen Verwaltungsebene aufgestellt
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worden (Hebbert 1992: 120). Schon 1981 hatte der damalige LDDC-Chef Nigel Broackes formuliert: „I do not intend that we should have a rigid plan to which developers must confirm“ (zit. nach Coupland 1992: 153).
Ein Kritiker merkte zur Planung von Canary Wharf an: „Needed less planning scrutiny than a change of use from a newsagentʼs to a fish and chip shop on the Commercial Road“ (zit. nach Bentley 1997: 82).
Mit dem Desaster von Canary Wharf und dem Konkurs von O & Y endete 1992 die dritte Phase des Umbaus der Docklands. Das Flaggschiff war gestrandet, neue Wege mussten beschritten werden (Priebs 1990: 29). O & Y pays the price of Thatcherism hieß es in der Presse und Cesar Pellisʼs Hochhaus wurde als Margaret Thatcher Memorial Tower bezeichnet; später entstand der Begriff 3-D Thatcherism (Brownill/OʼHara 1990). Paul Reichmann wurde in der Presse zitiert, Canary Wharf was too good for the British (Brownill 1993). Die LDDC sprach von Problemen des Erfolgs, suchte nun stärker die lokale Bevölkerung einzubeziehen und Absprachen mit den Bezirken zu treffen. Vom Ausschluss zur Kooperation: Fragmentierung und Polarisierung im East End Die physische Regeneration sollte seit Beginn der 1990er Jahre – so zumindest verbal betont – durch eine soziale Regeneration ergänzt werden. Die Developer sicherten vielfach den Bezirken vertraglich Arbeitsplätze und neue, preiswerte Wohnungen für die lokale Bevölkerung zu. Planning Gains wurden ausgehandelt. Anfang der 1990er Jahre begann die Ausstiegsphase der LDDC. Die Bezirke übernahmen wieder mehr Aufgaben und wurden zu ernstzunehmenden Partnern. Die Wohnungs- und Büroflächenmärkte erholten sich langsam. Die UDCs waren von vornherein als zeitlich befristete Institutionen eingerichtet worden. 1998 endete die Tätigkeit der LDDC. Vor der Auflösung waren von der LDDC noch etliche Baugenehmigungen erteilt worden. Die LDDC hatte zuletzt eine negative Presse und parlamentarische Anfragen hatten die Defizite der Arbeit offenkundig werden lassen. Die Planungsbefugnisse wurden nach Auflösung der LDDC an die Bezirke zurück übertragen.
74 | D IRK S CHUBERT „Now it is time to take regeneration back to social issues, and to see that democratic bodies carry on the long development of what the LDDC started“ (zit. nach Bentley, 1997: 204).
Auch die von den Konservativen unter John Major 1990 eingeleitete Politikwende, zielte nun auf Partnerschaften zwischen Investoren, Geschäftsleuten und der lokalen Bevölkerung ab. Das Konzept der Deregulierung hatte in der Folge eine rasante Entwicklung in den Docklands ausgelöst (Home 1990). In einem Jahrzehnt hatten sich Teile der Docklands total verändert. Teilweise sind bizarre und absurde städtebauliche Kontraste – Ergebnis fehlender städtebaulicher Rahmenplanung – entstanden. Michael Heseltine, einer der Vordenker der englischen Konservativen formulierte anlässlich des 10-jährigen Bestehens der LDDC 1991 noch euphorisch: „The legacy of the LDDC will be new buildings, new infrastructures, new skills and new hope. They have killed the myths that East London has no future“ (LDDC 1991: 40).
Für die „alten“ Bewohner der Docklands entpuppte sich der Traum einer besseren Zukunft jedoch zunächst als Alptraum. Die Vorzüge der Lage am Wasser, die „Waterfront“ und das „Hafenambiente“ wurden in die Marketingstrategie integriert. So entstand ein fragmentiertes Patchwork von Einzelbauten und Nutzungen ohne kohärenten Zusammenhang. Unterschiedliche Lebensstile, die Widersprüchlichkeit und das direkte Nebeneinander von privatem Reichtum und öffentlicher Armut, von Gated Communities und smarten Yuppies neben Armutsvierteln, Wohnungsleerstand im oberen Marktsegment und Obdachlosigkeit für untere Bevölkerungsschichten waren neue Erscheinungen sozialer Ungleichheit, die sich in den Docklands stadträumlich manifestierten. Die punktuelle Aufwertung war zum Motor für eine polarisierende Entwicklung geworden und hatte die Unterschiede zwischen aufgewerteten Arealen und dem „Rest“ verstärkt. Zu den alten waren neue soziale Ungleichheiten in den Docklands hinzugekommen. Die Globalisierungsgewinner und -verlierer sitzen nicht mehr an einem Tisch, die Gewinner brauchen die Verlierer nicht mehr. Die Bezirke, die lokale Ebene war dagegen in zunehmendem Maße als „Sozialstaat in Reserve“ gefordert. Die vielschichtigen Folgen des Megaprojektes sind janusköpfig und noch nicht abschließend einzuschätzen. Im stadtregionalen Kontext ist mit der Entwicklung von Canary Wharf eine neue Zentrenbildung erfolgt und ein zweites Finanzzentrum mit hochwertigen Büroflächen entstanden, das den Entwicklungsdruck auf das West End und die City mildert. Der Stadtumbau auf die grobe
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Art hat Bits and Pieces entstehen lassen. Im letzten Jahrzehnt ist mittels (hochpreisigem) Wohnungsneubau, Kultur- und Tourismuseinrichtungen eine nutzungsgemischte Struktur entstanden und die Aufgeregtheit um das Megaprojekt ist der Normalität eines modernen Bürozentrums mit korrespondierender Infrastruktur gewichen. So verbleibt das Bürohochhauscluster um Canary Wharf als architektonische Einfallslosigkeit und zugleich als bauliche Manifestation der Wirtschaftsethik des Thatcherismus, als Wildwuchs und Stadtplanung durch Zufall. Abb. 6: Canary Wharf und Wohnbebauung an der Themse, die City of London „The Shard“ und „Gherkin“ im Hintergrund, links im Vordergrund der Millenium Dome
Quelle: Aufnahme D. Schubert
Aus einer Langfristperspektive kann argumentiert werden, dass in London damit die Probleme des engen räumlichen Beieinanders von Stadt und Hafen (Lärm, Geruch, Verkehr) radikal und final gelöst wurden. Stadt und Hafen wurden räumlich und funktional entkoppelt, das vormalige Hafengebiet wurde über drei Jahrzehnte hinweg transformiert und schrittweise aufgewertet. Der für die vormaligen Betriebe und Arbeiter schmerzhafte Restrukturierungsprozess fokussierte – in dieser Hinsicht erfolgreich – auf die Strategie des Ausbaus von London als globalem Finanzzentrum.
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Die Wiederentdeckung der Themse Inzwischen ist die Aufmerksamkeit von der Isle of Dogs auf die Greenwich Waterfront, den Millenium Dome, das Lea River Valley (mit neuen Einkaufszentren und Nachnutzungen der Olympischen Spiele 2012) und auf das Thames Gateway Projekt (vorher East Thames Gateway) verlagert worden. Bei der Lagegunst der Greenwich Peninsula südlich der Themse bot sich das Areal für eine Umnutzung der brach gefallenen Gewerbeareale dort an. Schon Anfang der 1990er Jahre war mit der Entscheidung für die Lage des Millenium Domes und der Trassenführung der Jubilee Line Extension (JLE) das Potential des Gebietes erkannt worden. Auf dem aufgelassenen Gelände des einst größten Gaswerks Europas in Greenwich entstand der Millenium Dome, mit dem London und Großbritannien das neue Jahrtausend einläuteten. Die Lage des Vorhabens hat ökonomische und symbolische Bedeutung und die Event-Architektur sollte den Beginn eines neuen Zeitalters markieren. Der 1999 festgestellte Peninsula Development Master-Plan sah eine nachhaltige Mischnutzung mit Wohnen, Freizeiteinrichtungen, Einkaufsmöglichkeiten, Hotels und einen Uferweg entlang der Themse vor. Die weiter östlich, stadtauswärts nördlich der Themse gelegenen Royal Docks bildeten die nächste Herausforderung. Das Gebiet umfasst 172 Hektar, davon 72 Hektar Wasserflächen. Hier wurde schon unter der Ägide der LDDC der (umstrittene) City Airport eingerichtet, später folgten der Campus der University of East London und das London Regatta Zentrum. Mit ExCEl wurde schließlich das größte Messegelände mit entsprechenden Mantelnutzungen errichtet. Nach 1998 war der GLC in neuem Gewand als Greater London Authority (GLA) eingerichtet worden und nach dem Wahlsieg von New Labour dominierten andere Akteure die Stadtentwicklung. Das Leitbild der Urban Renaissance, der Innenentwicklung und Nachverdichtung, wurde mit dem London Plan und Beratung durch Richard Rogers zum Leitbild (Polinna 2009). Das Jahrzehnte vorherrschende Paradigma der Dichtereduzierung wurde damit ins Gegenteil einer kompakten, nachhaltigen Stadt umgekehrt. Die Überwindung der bisherigen Balkanisierung von Zuständigkeiten und Planungskompetenzen konnte nur ein erster Schritt zur Einlösung der lange entbehrten, neuen strategischen Planung durch den GLA sein. Die Machtbalancen nach „oben“ (Central Government) und „unten“ (Boroughs) wurden neu austariert. Von Richmond bis zum technischen Wunderwerk des Themsesperrwerkes bei Woolwich Reach sind inzwischen viele neue Vorhaben an der Themse entstanden. Auf der Themse haben die Frachtschiffe und Leichter Restaurantschiffen und Ausflugsbooten Platz gemacht. Das nicht zugängliche Ufer ist durch Promenaden in Teilen neu
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gestaltet worden. Zudem wirkten die Baumaßnahmen der Olympischen Spiele um Stratford im Bereich des Lea Valley als Motor des Stadtumbaus in Richtung Osten und Themsemündung. Die Themse wurde als Rückgrat der Stadt- und Regionalentwicklung neu entdeckt. Eine Urban Strategy for London Riverside und folgend ein Blue Ribbon Network gingen vom Fluss als zentraler Bezugsachse der räumlichen Entwicklung aus. Abb. 7: Umgenutzte Speicher zu Wohnungen und neue Wohnkomplexe an der Themse
Quelle: Aufnahme D. Schubert
Wachsende Bewohner- und Haushaltszahlen im „Powerhouse“ London befeuern weiter die Nachfrage nach (affordable) Wohnraum. Der Wohnungsbauboom wird vor allem durch reiche Russen, Chinesen, Investoren aus den Golfstaaten und neuerdings durch wohlhabende Griechen befeuert, die allerdings weniger Interesse an Selbstnutzung und Vermietbarkeit als an „sicherer“ Geldanlage haben. (East) Thames Gateway Der Entwicklungsraum Thames Gateway beinhaltet einen Maßstabssprung zur regionalen Planung des Mündungsbereichs der Themse und schließt viele Gemeinden und Stakeholder ein. Ca. 1,5 Millionen Menschen und ca. 500.000 Arbeitsplätze sind hier angesiedelt. Das Areal dient als Flächenreserve für den
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Wohnungsbau der boomenden Metropole London und des ambitionierten Ziels der Nachhaltigkeit, nämlich 60 Prozent der Flächen durch Konversion (brownfields) zu generieren (Keith 2009). Politiker überbieten sich seit der Jahrtausendwende mit Zahlen und Profilierungsversuchen in Sachen Nachhaltigkeit. Nach dem Stadtplanungsminister John Prescott unter Tony Blair wurde es Prescottgrad genannt und später als Cockney Siberia abgestempelt. Nun soll gar eine neue Gartenstadt mit 15.000 Wohneinheiten – die erste nach Welwyn Garden City vor 100 Jahren – mit Schnellbahnanschluss nach London bei Ebbsfleet entstehen. Diese Karikatur der Gartenstadtidee war schon unter Michael Heseltine 1996 erörtert worden, um den Geisterbahnhof der HS1-Linie (Channel Tunnel Rail Link) und die Umgebung zu beleben. Da die Pendeldistanzen weiter zugenommen haben, erscheinen große, periphere Wohnungsbauvorhaben nicht unrealistisch. Abb. 8: Thames Gateway – Entwicklungsbereiche
Quelle: http://www.hitc.org.uk/faithinthegateway/thames-gateway-localpartnerships.html
Die Pläne für einen weiteren Flughafen für den Großraum London, Thames Estuary Airport, scheinen dagegen zurückgestellt. Der Hafen besteht dagegen heute aus über 70 Terminals und Hafenanlagen entlang der Themse in privater Hand, bei denen etwa 30.000 Mitarbeiter beschäftigt sind. Die PLA hat ihre Tätigkeit als Hafenbetreiber aufgegeben und ist nur noch für den Schifffahrtsverkehr auf der Themse zuständig. Die Themse wird zum Transport von Gütern zwischen diesen Terminals genutzt. 2013 wurde der neue von Dubai Ports World (DP World) betriebene Tiefwasserhafen Thames Gateway in Betrieb genommen. Es sieht im Endausbau sechs Liegeplätze und eine Umschlagskapa-
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zität von 3,5 Millionen TEU (Standardcontainer) vor und bis 400 m lange Containerschiffe bis 18.000 TEU können hier abgefertigt werden. Ein 300 ha großer Logistik- und Geschäftspark schließt sich an und 36.000 Arbeitsplätze werden erhofft. Die Abnahme der Bedeutung der flussaufwärts gelegenen Hafenanlagen illustriert den globalen Trend der räumlichen Entkopplung von Stadt und Hafen. Im Port of London (der geographisch längst außerhalb Londons liegt) – 1960 noch der größte Hafen der Welt – werden heute nur noch ca. 10 Prozent des britischen Seehandels abgewickelt. Suboptimale Terminaleinrichtungen, unkoordinierte, betrieblich begründete Einzelentscheidungen und suboptimale Governancestrukturen haben die skizzierten Entwicklungen befördert. Damit sind diverse Städte, Counties und Hafenanlagen einbezogen. Im Bereich von London bis zur 70 Kilometer entfernten Themsemündung sind prioritäre Entwicklungsgebiete (growth areas und zones of change) festgelegt und kooperative Planungsverfahren zwischen den Akteuren verabredet worden. Öffentliche Institutionen auf nationaler und lokaler Ebene, Private Public Partnerships, Quangos, der private Sektor, diverse Entwicklungspartnerschaften sind involviert, und sogar die lange Zeit diskreditierten UDCs erleben eine Renaissance.
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„Wenn wir den Innenstädten tatsächlich helfen wollen, wie auch den Städten insgesamt, müssen wir vielleicht höchst unorthodoxe Methoden anwenden. […] Das letzte mögliche Mittel möchte ich als die Freihafen-Lösung bezeichnen. […] Kleine ausgewählte Bereiche der Innenstädte würden einfach für jede Art von Initiativen geöffnet, mit minimalen Kontrollen. Mit anderen Worten, wir würden die Situation Hongkongs in den 1950er und 1960er Jahren in den Zentren von Liverpool oder Glasgow neu erschaffen“ (HALL 1977: 3, Übersetzung K. Zehner).
5. Canary Wharf und die Isle of Dogs – von der Hafenbrache zum internationalen Finanzplatz K LAUS Z EHNER , Köln
Im Hinblick auf seine funktionale Struktur war London bereits im Mittelalter eine besondere Stadt, denn im Gegensatz zu der Mehrzahl anderer bedeutender Städte besaß London zwei Stadtkerne, die ganz unterschiedliche Funktionen ausübten. Die historische Mitte, die City of London, bildete das wirtschaftliche Zentrum der Stadt, während sich zwei Kilometer themseaufwärts die City of Westminster als politischer Nukleus etabliert hatte. Diese bipolare Struktur existierte bis in die zweite Hälfte der 1980er Jahre, als mit Canary Wharf Londons drittes Zentrum entstand. Diese neue „Mitte“ liegt im Norden der sog. Isle of Dogs, im Gebiet der ehemaligen West India Docks. Heute, knapp drei Jahrzehnte nach Baubeginn, ist das Bauprojekt nahezu vervollständigt. Nur zwei größere Bauvorhaben im Westen und Osten des Standortes und die neue Crossrail-UBahnhaltestelle befinden sich noch im Bau. Es ist davon auszugehen, dass 2018 mit Inbetriebnahme der Crossrail-Strecke der Standort Canary Wharf vollständig entwickelt sein wird.
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Aus architektonischer Perspektive ist Canary Wharf als ein Cluster von knapp 30, überwiegend unspektakulären Bürohochhäusern anzusprechen, deren Gestalt und Fassadengliederung stark an US-amerikanische Vorbilder angelehnt sind. Dies ist nicht verwunderlich, da Canary Wharf von einem nordamerikanischen Architektenbüro (Skidmore, Owings und Merril) entworfen wurde und vorwiegend nordamerikanische Eigentümer, zum großen Teil Investmentbanken, besaß. Im Volksmund machten daher auch schon bald Spitznamen wie Manhattan-on-Thames und Wallstreet-on-the Water die Runde. Nach der City ist Canary Wharf der zweitwichtigste Finanzplatz innerhalb Londons. Hier residieren vor allem global operierende Investmentbanken, wie Goldman Sachs, Merryl Lynch, Citygroup, Bank of America und HSBC. Somit entfällt der größte Teil der hier vorhandenen ca. 90.000 Arbeitsplätze auf den Bereich der Finanzdienstleistungen. In geringerem Umfang ist auch die Versicherungswirtschaft vertreten. Allerdings wurden in Canary Wharf auch zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen, welche die wirtschaftlichen Kernsektoren in unterschiedlicher Weise unterstützen. Hierzu zählen u.a. Einzelhandel, Gastronomie, Reinigungs- und Sicherheitskräfte. Canary Wharf war und ist das Flaggschiff einer umfassenderen Umgestaltung des einstigen Londoner Hafens, der aufgrund von technischen Veränderungen in Frachtschifffahrt und Logistik zwischen 1967 und 1981 sukzessive geschlossen worden war. Obwohl spätestens zu Beginn der 1970er Jahre zu erkennen gewesen war, dass das maritime und industrielle Milieu der Docklands keine Zukunft mehr haben würde und Mut zu einem drastischen Nutzungswandel gefragt sein würde, fiel das ehemalige Hafengebiet für etwa ein Jahrzehnt in einen Zustand der „Schockstarre“. Politisches Gerangel zwischen Regierung und Greater London Council (GLC) um die Planungshoheit und eine am Ende ihres Lebenszyklus angekommene Planungskultur des public-investment planning (Brindley et al 1996: 9), die ohne Berücksichtigung finanzieller, wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen starre Strukturpläne favorisierte, bedingten, dass, von wenigen Einzelvorhaben abgesehen, private Investments ausblieben und der noch Mitte der 1960er Jahre pulsierende Hafen während der 1970er Jahre allmählich zu einer unwirtlichen Hafenbrache verkam. Erst die Ablösung des fordistischen Planungsregimes, das ganz auf die Wirkung von Reindustrialisierungskonzepten und sozialem Wohnungsbau gesetzt hatte, durch ein marktorientiertes Planungsverständnis schuf die Voraussetzungen für signifikante Veränderungen in den Docklands. Die ehemalige Premierministerin Margret Thatcher (1979-1990) vertrat die Auffassung, dass London nur dann wieder eine führende Rolle in der Weltwirtschaft würde einnehmen können, wenn für wesentliche Leitbranchen der gehobenen Dienstleistungsöko-
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nomie innerhalb der Stadt ein attraktives Milieu geschaffen werden könne. Die Docklands, und insbesondere die Isle of Dogs, schienen hierfür besonders geeignet zu sein. Denn hier würden, so sah es ihr Plan jedenfalls vor, keine städtebaulichen Regulierungen die dringend benötigte städtebauliche Entwicklung lähmen. Letzteres geschah nämlich in der City, wo viele historische Gebäude unter Denkmalschutz standen und Bauhöhenbeschränkungen außerhalb der Conservation Areas die Errichtung höherer Bürogebäude blockierten. In den Docklands hingegen würden – so die Vision Thatchers – global agierende Investoren und die von ihnen beauftragten Architekten ihre Vorstellungen von modernen Bürogebäuden, im Hinblick auf Größe, Architektur und Gebäudetechnik, uneingeschränkt verwirklichen können. Eine entscheidende Voraussetzung hierfür war, dass potentiellen Investoren entsprechende Angebote schnell und rechtlich abgesichert unterbreitet werden konnten. Denn in der ersten Hälfte der 1980er Jahre konkurrierten mehrere europäische Metropolen, neben London waren dies Paris, Frankfurt, Zürich und Madrid, um die Führungsrolle des Bankensektors in Europa. Margret Thatcher wollte, dass London aus diesem Wettbewerb als Sieger hervorgehen würde. Daher erließ ihre Regierung innerhalb nur eines Jahres Gesetze, die es ihr ermöglichten, ihre ehrgeizigen Ziele im Hinblick auf Londons zukünftige Rolle in der Weltwirtschaft zu verwirklichen. Hierzu zählte die Ausweisung der Isle of Dogs als Sonderwirtschaftszone (Enterprise Zone) und die Etablierung einer der Regierung direkt unterstellten städtischen Entwicklungsgesellschaft (Urban Development Corporation (UDC)), die dort nationale bzw. gesamtstädtische Interessen gegen lokale Widerstände durchzusetzen imstande war. Obwohl die politische Legitimation zu diesem Ansatz von vielen Beobachtern kritisch gesehen und sogar in Frage gestellt wurde, ist aus heutiger Sicht festzustellen, dass die übergeordneten Ziele Thatchers vordergründig erreicht wurden. London ist heute eben wegen seiner herausragenden Bedeutung für den Bankensektor eine der bedeutendsten Alpha Global Cities und hat sich gegen seine Konkurrenten in Europa klar durchsetzen können. Allerdings hatte dieser Erfolg seinen Preis. Erstens hat die soziale Polarisierung und sozialräumliche Fragmentierung der Stadt seither signifikant zugenommen. Gesellschaftliche Spannungen, die sich zum Beispiel im Sommer 2011 in öffentlichen Unruhen entluden, sind zweifellos als Folge der Zunahme sozialer Disparitäten zu deuten. Zweitens müssen mit öffentlichen Geldern erhebliche Investitionen in die Verbesserung bzw. den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur getätigt werden, damit London den Erfordernissen, die mit seinem Ausbau verbunden sind, umfänglich entsprechen kann. Das 18 Mrd. € teure Projekt Crossrail ist das wohl prominenteste Beispiel hierfür. Drittens hat die wirtschaftliche
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Vormachtstellung Londons innerhalb Großbritanniens deutlich zugenommen. Trotz aller politischen Bestrebungen, im Rahmen der sog. devolution politische Macht an die Regionen abzugeben, ist die Abhängigkeit der übrigen Landesteile von London gewachsen. Wie riskant diese Abhängigkeit ist, hat die Wirtschaftsund Finanzkrise der Jahre 2008 bis 2010 gezeigt. Dennoch haben britische Regierungen die wirtschaftliche Stärkung Londons stets als Schlüssel für eine positive makroökonomische Gesamtentwicklung des Landes gesehen. Und in den 1980er Jahren wurde dieser Schlüssel im Umbau des Londoner Hafens gesehen, dessen brachgefallene Areale unter einem als vom Markt vorgegebenen Planungsansatz neue Funktionen wahrnehmen sollten. Im Rahmen dieses Beitrages geht es erstens darum, am Beispiel von Canary Wharf und der Isle of Dogs die Effekte der über den Gesamtzeitraum variierenden Planungsansätze nachzuzeichnen und sie kritisch zu evaluieren. Demzufolge ist die Aufarbeitung zeitlich geordnet und berücksichtigt vier aufeinanderfolgende Entwicklungsphasen. Für jede Phase wird dargestellt, welche Akteure in die jeweiligen Planungsprozesse involviert waren, welche Ziele sie verfolgt haben und welche Instrumente sie nutzen konnten. Zweitens soll aufgezeigt werden, zu welchen städtebaulichen Ergebnissen das Handeln der Akteure geführt hat. Und schließlich sollen drittens die Auswirkungen der Entstehung von Canary Wharf einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Betrachtet wird der Zeitraum zwischen 1971 und der Gegenwart. Das Startjahr 1971 wurde gewählt, weil damals die ersten Pläne zu möglichen Nachfolgenutzungen in den Docklands entstanden.
P HASE 1: E RSTE K ONZEPTE (1971-1981)
ZU
N ACHFOLGENUTZUNGEN
Obwohl sich bereits während der zweiten Hälfte der 1960er Jahre abzeichnete, dass der Güterumschlag in den Londoner Häfen stark rückläufig war und zumindest die kleineren Docks wohl würden schließen müssen, wurden erst 1971, vier Jahre nach Aufgabe der East India Docks, die ersten offiziellen Schritte zu einer umfänglichen Umnutzung der Docklands eingeleitet. Aus heutiger Sicht scheint es so, als ob die politisch Verantwortlichen Probleme und Chancen, die sich aus der Hafenschließung ergeben würden, erst allmählich verinnerlicht hätten. Der erste politische Akteur, der formelle Schritte zu einem Nutzungswandel der Docklands einleitete, war Peter Walker, Staatssekretär in der damals konservativen Regierung von Edward Heath (1970-1974). Walker beauftragte eine private Entwicklungsgesellschaft, das London Docklands Study Team, Vorschläge zu
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alternativen Nutzungen für die sukzessiv stillgelegten Hafenareale auszuarbeiten. Das London Docklands Study Team war mit Vertretern einer privaten Projektentwicklungsgesellschaft (Travers Morgan) besetzt. Diese wurde von einem Architekturbüro (Robert Matthew Johnson-Marshall and Partners) beraten und unterstützt (Carmona 2009: 90). Travers Morgan legte der Regierung ein Gutachten vor, in dem 18 ganz unterschiedliche Nutzungskonzepte unterbreitet wurden. Die skurrilste Variante sah die Anlage eines Safari Parks auf der Isle of Dogs vor (Travers Morgan 1973). Favorisiert wurde schließlich eine Option mit dem Titel City New Town. Sie sah den Bau einer Neuen Stadt mit ca. 60.000 Büroarbeitsplätzen vor. Es ist aus heutiger Sicht bemerkenswert, dass zwei Jahrzehnte später dieser Plan in seinen Grundzügen tatsächlich umgesetzt wurde (Zehner 2010: 101). Zunächst jedoch erwies er sich politisch und zivilgesellschaftlich als nicht durchsetzbar. Dies ist auf den ersten Blick erstaunlich, weil zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung im GLC noch eine konservative Mehrheit existierte, und somit von städtischer Seite keine Widerstände gegen die Regierungspläne zu erwarten gewesen wären. Allerdings regte sich schon bald nach Bekanntwerden des Plans Widerstand: Bürgerinitiativen, die zum Sprachrohr der lokalen Bevölkerung wurden, begannen sich zu formieren. Die Bewohner der Docklands-Bezirke waren nämlich aufgrund der Ausrichtung auf nationale und privatwirtschaftliche Interessen mit den Zielen des Plans unzufrieden, da sie ihre Bedürfnisse komplett außer Acht gelassen sahen. Die damalige Regierung unter Edward Heath brachte nicht das Durchsetzungsvermögen auf, ihre Vorstellungen zur Regeneration der Docklands gegen die lokale Bevölkerung zu behaupten und kapitulierte schnell. Als schließlich die Kommunalwahlen in London 1973 aus Sicht der Konservativen verloren gingen und die Labour-Party an die Macht kam, rückte die Umsetzung der Pläne, die das London Docklands Study Team erarbeitet hatte, in noch weitere Ferne (Ledgerwood 1985: 6). Das Docklands Joint Committee Nach dem Wahlsieg von 1973 wurde die Zuständigkeit für die Revitalisierung der Docklands auf die lokale Ebene zurückverlagert. Die rechtliche Grundlage hierfür lieferte eine Novelle des Local Government Act von 1972. Die Aufgabe, die stillgelegten Hafenareale neuen Nutzungen zuzuführen, wurde nun einer neu gegründeten Körperschaft, dem Docklands Joint Committee (DJC), übertragen. Dieses Gremium setzte sich u.a. aus jeweils acht Vertretern des GLC und der fünf beteiligten Stadtbezirke Tower Hamlets, Newham, Southwark, Lewisham und Greenwich zusammen. Hinzu kamen Repräsentanten lokaler Bürgervereinigungen, wie dem Docklands Forum und der Docklands Joint Action Group.
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Nach dreijähriger Bearbeitungszeit legte das DJC 1976 schließlich einen Rahmenplan, den London Docklands Strategic Plan (LDSP), vor, der Nutzungsvorschläge für die gesamten Docklands beinhaltete. Der LDSP war ein reiner Strukturplan, der keine konkreten Projekte bzw. privaten Investments berücksichtigte, sondern sich auf die Ausweisung von funktionalen Nutzungszonen und öffentlichen Infrastruktureinrichtungen beschränkte. Kernelemente des Plans waren spezielle Zonen, in denen neue Industriebetriebe errichtet werden und neue housing estates des sozialen Wohnungsbaus entstehen sollten. Beide Ziele wurden nur in verschwindend geringem Maße erreicht. Die Ansiedlung neuer Industriebetriebe erwies sich angesichts der massiven Deindustrialisierung, die London insgesamt in den 1970er Jahren den Verlust von ca. 420.000 Industriearbeitsplätzen bescherte (Hamnett 2003: 31, Prothero 2007: 10), als ein aussichtsloses Unterfangen. Zudem fehlten dem GLC für Projekte des sozialen Wohnungsbaus schlicht die Mittel. Abb. 1: Millwall Inner Dock (rechts) um das südliche West India Dock kurz nach der Schließung um 1980
Quelle: https://islandhistory.wordpress.com/tag/millwall-docks/
Aus heutiger Sicht bleiben somit zwei Erkenntnisse festzuhalten: Das DJC blieb ein „zahnloser Tiger“, dem Macht und Durchsetzungsvermögen fehlten, so dass die Wirkung seines Strukturplans in der Praxis ausblieb. Als Folge veränderte sich das Bild der Docklands kaum. Charakteristische Bilder, die Ende der 1970er
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Jahre die Docklands prägten, waren Hafenbecken ohne Schiffe, die von leerstehenden, verrottenden Lagerhäusern flankiert wurden. Zwischen den einzelnen Dockgruppen befanden sich die Wohngebiete der Hafenarbeiter, die zunehmend ihre Arbeitsplätze verloren. Dieses betrübliche Bild eines unwirtlicher werdenden Hafengebietes blieb mehr oder weniger bis 1979 erhalten.
P HASE 2: P ARADIGMENWECHSEL (1981-1982)
DER
P LANUNGSKULTUR
Bereits kurze Zeit nach der Regierungsübernahme im Mai 1979 brachte die Thatcher-Administration einen Gesetzesentwurf (Local Government Land and Planning Act) ein, der die Designation von UDCs vorsah. Diese Körperschaften waren der Regierung unterstellt und wurden von ihr kontrolliert. Sie waren organisatorisch und rechtlich dem Beispiel der New Town Development Corporations nachempfunden worden, die in den 1950er und 1960er Jahren im Auftrag britischer Regierungen erfolgreich den Aufbau von New Towns in Großbritannien gestaltet hatten. Die aus Sicht der Regierung bestechende Idee, mittels UDCs unter Ausschaltung kommunaler und regionaler Körperschaften, Regierungsziele direkt auf kommunaler Ebene umsetzen zu können, griff die neue konservative Regierung also wieder auf und wandte sie nun auf im Niedergang begriffene Inner-City-Gebiete an. Die für die Regeneration der Docklands eingesetzte Urban Development Corporation bekam den Namen London Docklands Development Corporation, kurz LDDC. Sie nahm ihre Arbeit offiziell im Juli 1981 auf. Bereits zuvor waren einige wesentliche strategische Ziele formuliert worden. Dazu zählte die Art und Weise des Planungsansatzes, der ein an den Marktentwicklungen orientiertes Handeln vorsah. Ferner sollten die Hafenbecken überwiegend erhalten bleiben. Hinter dieser Vorgabe stand die Einschätzung, dass offene Wasserflächen maßgeblich zur Attraktivität der geplanten neuen Dienstleistungsstandorte beitragen würden. Des Weiteren nahm die LDDC vom Versuch Abstand, Industrie anzusiedeln. Vielmehr sollten die Docklands, und insbesondere ihr geographisches Zentrum, die Isle of Dogs, von einem „Hinterhof“ Londons in einen attraktiven, modernen Bürostandort entwickelt werden, der Unternehmen der gehobenen Dienstleistungsökonomie anziehen würde (Hollamby 1990). Durch die Priorisierung des privat finanzierten Wohnungsbaus sollten zugleich Wohnangebote für die hier zukünftig Beschäftigten und sehr gut Verdienenden geschaffen werden. Mit anderen Worten: Ansatz und Ziele der LDDC waren nahezu vollständig konträr zu denen des Docklands Joint Committee.
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Tab. 1: Standortfaktoren der Enterprise Zone (EZ) Maßnahme Befreiung von der Landerschließungssteuer
Nutzer Grundstückseigentümer
Befreiung von Gewerbesteuern Abschreibungserleichterungen
Unternehmen in der EZ Investoren
Befreiung von Berufsbildungsabgaben Befreiung von der statistischen Informationspflicht
Unternehmen in der EZ Unternehmen in der EZ
Zollerleichterungen Befreiung von „Industrial Development Certificates“
Unternehmen in der EZ Unternehmen in der EZ
Planungsvereinfachungen Schnellere Bearbeitung von Bauanträgen
Architekten/Investoren Investoren
Quelle: Zehner 1999: 74
Allerdings wurden sie trotz heftiger Widerstände seitens des GLC, der Stadtbezirke (im Falle der Isle of Dogs war das Tower Hamlets) und zivilgesellschaftlicher, nicht parlamentarischer Gruppen umgesetzt. Dies geschah zunächst durch die Implementierung wirtschaftlicher und städtebaulicher Pullfaktoren. Wirtschaftlich wurde die Attraktivität der Isle of Dogs durch die Ausweisung einer Sonderwirtschaftszone, einer sog. Enterprise Zone, die im April 1982 Rechtskraft erhielt, erhöht. Zu ihren Standortvorteilen zählten für Investoren attraktive Abschreibungsmöglichkeiten, während Unternehmen, die in die Enterprise Zone zogen, für die Dauer der Laufzeit (maximal zehn Jahre) von den kommunalen Gewerbesteuern befreit wurden (Tab. 1). Städtebaulich wurden einige als wesentlich erachtete Rahmenbedingungen verwirklicht. Die LDDC hatte im Rahmen einer Vorstudie etliche High-TechParks in suburbanen und ländlichen Gebieten im Hinblick auf ihre Gestaltung und Straßenmöblierung untersucht. In der Folge wurden Hafenbecken gereinigt und ungenutzte Gebäude, die nicht unter Denkmalschutz standen, abgerissen. Um die Docks wurden beleuchtete Wege mit Sitzgelegenheiten angelegt und die Erschließungsstraßen wurden mit roten Ziegelsteinen aufgepflastert (Carmona 2009: 98). Wenig Beachtung maß die LDDC jedoch dem städtebaulichen Ergebnis bei, das aufgrund des Laissez faires der Planung nahezu von Beginn an Anlass zu heftiger Kritik gegeben hatte. Diese Kritik war nicht unberechtigt, denn die Entwicklung folgte keinem festen Plan, was dem private management planning geschuldet war (Brindley et al 1996: 9). Vielmehr entstand ein mehr oder weniger zusammenhangloses Gefüge von Einzelprojekten unterschiedlicher Struktur und verschiedenen Ausmaßes (OC/Tiesdell 1991: 316). Darunter waren kleine
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Gewerbehöfe (workshops) und Büroparks. Wegen der unterschiedlichen Formen, Farben und Baumaterialien entwickelte sich die Enterprise Zone zu einem architektonischen Experimentierfeld, für das sich schon bald der Begriff „Architektonischer Zoo“ zu etablieren begann. Trotz aller Kritik konnte die LDDC sechs Jahre nach Aufnahme ihrer Arbeit auf erhebliche Erfolge verweisen. 400 Unternehmen waren mittlerweile in die Enterprise Zone gezogen und mit der Docklands Light Railway (DLR) war ein neues öffentliches Verkehrsmittel in Betrieb genommen worden, das die Isle of Dogs mit der City verband, obgleich Anbindung, Taktung und Zugkapazitäten noch nicht optimal waren und in den kommenden Jahren mehrfach verbessert wurden.
P HASE 3: M ICHAEL VON C LEMM , WEITERE AKTEURE UND DIE E NTSTEHUNG VON C ANARY W HARF (1983-1991) Bis 1985 reagierten Unternehmen auf das neue Standortportfolio in der Enterprise Zone allerdings noch zurückhaltend. Der wesentlichste Grund hierfür war, dass die Revitalisierung der Docklands bis in die frühen 1980er Jahre eine Geschichte der Misserfolge und der gescheiterten Planungsansätze gewesen war. Das Vertrauen von Wirtschaft und Bevölkerung in den Standort „Docklands“ hatte in dieser Phase massiv gelitten, so dass trotz der fiskalischen Erleichterungen zunächst nur wenige Firmen den Mut fassten, in die Sonderwirtschaftszone auf der Isle of Dogs zu ziehen. Die meisten Betriebe, die sich zu diesem Schritt entschlossen, waren kleine Handwerks- und Gewerbebetriebe. Es ist ein interessantes und, trotz der von vielen Disziplinen und Autoren aufgearbeiteten jüngeren Geschichte der Docklands, nur selten erwähntes Detail, dass der Anstoß für eine völlig andere Art und Dimension der Nachfolgenutzung für die Docks von einer einzigen Person ausgelöst wurde. Diese Person war Michael von Clemm. Er war sowohl der Vorsitzende von Credit Suisse First Boston, einer amerikanischen Investmentbank, als auch Direktor der Restaurantkette Roux Brothers. Für sie suchte er eine Halle, wo Lebensmittel und andere Utensilien zusammengestellt und für die Auslieferung an Restaurants (und Kaufhäuser) zusammengestellt werden könnten. Von Clemm hatte erfahren, dass auf der Isle of Dogs leerstehende Lagerhäuser angemietet werden konnten, die möglicherweise für diesen Zweck infrage kämen. Nach einer Besichtigung des Standorts allerdings kam von Clemm eine ganz andere Idee, nämlich hierhin, auf die Isle of Dogs, die backoffices seiner Bank auszulagern. Denn hier würden die
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Büromieten deutlich niedriger sein als in der City und aufgrund der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien würde eine derartige innerbetriebliche räumliche Trennung zum ersten Mal in der Geschichte des Bankenwesens möglich sein. Von Clemm trug seine Idee zunächst einem Berater von Ware Travelstead, einer US-amerikanischen Projekt-Entwicklungsgesellschaft vor. Deren Vorsitzender griff den Gedanken nicht nur auf, sondern entwickelte ihn weiter, in dem er die Isle of Dogs auch als Standort für front-offices großer Banken in Betracht zog. Wenige Monate später, im Sommer 1985, hatte von Clemm als Vertreter von Credit Suisse First Boston, mit der First Boston Real Estate und Morgan Stanley ein Konsortium gebildet, das gemeinsam mit Ware Travelstead Pläne für ein derartiges Projekt erarbeitet. Die Pläne sahen vor, dass auf einer Fläche von ca. 28 ha Bürohochhäuser mit Flächen von insgesamt ca. 770 Tausend Quadratmeter entstehen sollten. Ware Travelstead hatte jedoch noch nie zuvor ein Vorhaben dieser Größenordnung verwirklicht. Aufgrund zunehmender Bedenken, ein solches Projekt umsetzen zu können, verkaufte die Firma im Juli 1987 ihre Option an Olympia & York, ein kanadisches Immobilienunternehmen, das von Paul Reichmann, einem Investor jüdischer Abstammung, geleitet wurde. Abb. 2: Erinnerungstafel für Michael von Clemm vor Canary Wharf
Quelle: Wikimedia Commons
Zwischenzeitlich, im Oktober 1986, hatte der sog. Big Bang, die Umstellung der Börse auf elektronischen Wertpapierhandel und die Öffnung des Bankenplatzes London für internationale Finanzdienstleister, eine immense Nachfrage nach hochwertigen Büroflächen ausgelöst. Der Druck auf den Büro-Immobilienmarkt
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war deutlich gestiegen. Zudem waren viele Manager mit den Gebäuden, in denen ihre Firmen untergebracht waren, unzufrieden (Roberts/Kynaston 2001: 40). Beide Voraussetzungen ermutigten Paul Reichmann Canary Wharf zu bauen. Im Mai 1988 wurden die ersten Baumaßnahmen durchgeführt. Während der ersten Bauphase wurden neun Gebäude mit einer Bürofläche von insgesamt ca. 400 Tausend Quadratmeter errichtet. Aus der eher sterilen Sacharchitektur ragte im wahrsten Sinne des Wortes One Canada Square, ein 240 m hoher Büroturm, heraus. Er war von Cesar Pelli, einem der international renommiertesten Architekten der damaligen Zeit, entworfen worden. Aufgrund seines obeliskartigen Dachaufsatzes wurde One Canada Square innerhalb kurzer Zeit zu einem neuen Wahrzeichen Londons. Das Hochhaus wurde 1991, nur drei Jahre nach Aufnahme der Bauarbeiten, fertig gestellt. Obwohl sofort einige renommierte Unternehmen, unter ihnen Credit Suisse First Boston, Morgan Stanley, State Street Bank, Hanover Trust, Texaco und Ogilvy & Mather, ein führendes Unternehmen aus der Werbebranche, dort einzogen, waren 1992 nur etwa 55 Prozent der Büroflächen vermietet. Die wirtschaftliche Rezession der frühen 1990er Jahre hatte die Nachfrage nach Büroflächen inzwischen deutlich sinken lassen. Da Canary Wharf auf einer spekulativen Basis finanziert worden war und wegen der geringen Auslastung Kredite nicht mehr bedient werden konnten, war Olympia & York 1992 gezwungen in Konkurs zu gehen. Canary Wharf fiel daraufhin in die Hände von elf Banken. An der Spitze des neuen Eigentümerkonsortiums stand Sir Peter Levene, der zuvor eine leitende Position im Verteidigungsministerium bekleidet hatte. Levene schaffte es, neue attraktive und zahlungskräftige Mieter zu finden, darunter die Redaktionen der beiden großen Londoner Zeitungshäuser Mirror und Independent, und sie zu einem Umzug in One Canada Square zu bewegen. Als größter Coup erwies sich allerdings die Ansiedlung von Barclays Bank, die ihren Firmenhauptsitz aus der City nach Canary Wharf verlagerte. Dadurch verbesserten sich das Image und die wirtschaftliche Lage von Canary Wharf entscheidend, so dass 1995 ihr Wert wieder auf 800 Millionen Pfund gestiegen war. Zu diesem Preis wurde das Objekt schließlich an ein Konsortium verkauft, in dem Investoren aus Saudi-Arabien und den USA vertreten waren. Vorsitzender des Konsortiums war Paul Reichmann, der dadurch wieder die Kontrolle über Canary Wharf zurückgewann. Für die weitere Entwicklung war entscheidend, dass die Einbindung des Standortes in die Londoner Verkehrsnetze verbessert wurde.
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D IE JÜNGERE E NTWICKLUNG VON C ANARY W HARF (1991-2015) Seit den späten 1990er Jahren hat Canary Wharf erheblich an Bedeutung zugenommen. Hierfür sind drei Faktoren entscheidend gewesen: Erstens ist die An- und Einbindung in das Londoner Verkehrsnetz erheblich verbessert worden. Von allen Maßnahmen war wohl die Erweiterung der Jubilee Line am wichtigsten. Die Linie, die Westminster mit Canary Wharf und Stratford verbindet, wurde im November 1999 in Betrieb genommen. Erst mit der Inbetriebnahme dieser U-Bahnverbindung war eine akzeptable Erreichbarkeit des Standortes Canary Wharf zu Stoßzeiten für die mehreren zehntausend Arbeitnehmer gewährleistet (Abb. 3). Zwischen 1995 und 2000 stieg die Zahl der Arbeitsplätze in der Wharf von 7.500 auf 42.000 an. Die zweitwichtigste Maßnahme hatte in der Ertüchtigung der DLR bestanden. Die 1987 in Betrieb genommene Stadtbahn war 1991 westwärts bis zur Station Bank verlängert worden, so dass nun City und Canary Wharf direkt mit der DLR verbunden waren. Um Kapazitätsengpässen zu begegnen, wurden zudem die Haltestellen erweitert, so dass nun längere Zugeinheiten eingesetzt werden konnten. Des Weiteren wurde die Taktfrequenz der Züge erhöht (Abb. 4). Abb. 3: Eingang zur U-Bahnhaltestelle „Canary Wharf“ der Jubilee Line
Quelle: Wikimedia Commons
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Zudem war inzwischen Canary Wharf durch den Limehouse Link, einen Straßentunnel, auch gut in das innerstädtische Straßennetz Londons integriert worden. Last but not least war mittlerweile auch die Themse als Verkehrsader wiederentdeckt worden. 1999 nahmen die Thames Clippers, leistungsstarke, schnelle und komfortable Flusskatamarane, ihren Dienst auf und schufen zusätzliche Verbindungen zwischen dem zentralen Stadtgebiet und Canary Wharf. Abb. 4: DLR-Station „Canary Wharf“
Quelle: Wikimedia Commons
Zweitens war das Vertrauen in den Standort Canary Wharf Ende der 1990er Jahre so gewachsen, dass weitere Großprojekte auf deren Areal vorangetrieben wurden. 1997 begannen die Arbeiten an zwei weiteren Wolkenkratzern, die Cesar Pelliʼs Hochhaus, welches mehr als ein Jahrzehnt als die alleinige Landmarke in den Docklands fungiert hatte, nun flankierten. Eines der beiden Hochhäuser wurde ebenfalls von Pelli entworfen (25 Canada Square, Citygroup). Ein weiteres Finanzunternehmen, HSBC, errichtete den zweiten neuen Büroturm (8 Canada Square), der von Norman Foster entworfen wurde. Beide Gebäude wurden 2002 fertiggestellt. Neben diesen beiden Wolkenkratzern entstanden bis 2003 neun weitere Bürotürme, wodurch die gesamte kommerziell nutzbare Geschäftsfläche auf knapp 1,3 Millionen Quadratmeter zunahm. Drittens war Canary Wharf mittlerweile auch als touristische Destinaton und als Einkaufsstandort weiter entwickelt worden. Eine erste Mall im Untergeschoss von One Canada Square war im Jahr 2000 fertiggestellt und 2003 nochmals erweitert worden, so dass nun über 200 Geschäfte hier existieren.
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Gut 25 Jahre nach Beginn der ersten Baumaßnahmen steht Canary Wharf kurz vor seiner Vollendung. Bemerkenswerterweise steht bei den neuesten Projekten die Wohnfunktion im Vordergrund. Im Westen der Wharf entsteht u.a. der Newfoundland Tower mit 566 Wohnungen. Seine Fertigstellung ist für das Jahr 2018 geplant, dem Jahr, in dem auch Crossrail in Betrieb gehen soll. Im Osten des Finanzdistrikts, der sog. Wood Wharf, sind inzwischen die Arbeiten an ebenfalls neuen Wohngebäuden aufgenommen worden. Sie sollen 3.300 Haushalte beheimaten. Landmarke in diesem neuen Quartier wird ein über 200 Meter hohes Gebäude von zylindrischer Form werden. Daneben werden zahlreiche Stadthäuser entstehen, die für verschiedene soziale Gruppen vorgesehen sind. Auch dieses Bauvorhaben soll 2018 abgeschlossen werden. Abb. 5: Das Gastronomieangebot in Canary Warf hat die Attraktivität des Standortes signifikant erhöht.
Quelle: Aufnahme K. Zehner im Jahr 2007
Diese Konzeption steht im Einklang mit den Forderungen des London Plan der Greater London Authority (GLA), deren strategische Planung seit 2004 räumliche Entwicklungsschwerpunkte in London definiert. Canary Wharf ist in diesem Plan als eine von 28 opportunity areas ausgewiesen, auf die sich städtebauliche Investments konzentrieren sollen. Der London Plan ersetzt den marktorientierten Planungsansatz der LDDC, die 1998 abgewickelt wurde.
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Abb. 6: Die drei Landmarken von Canary Wharf
Quelle: Aufnahme K. Zehner im August 2011
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B EWERTUNG Eine Evaluierung der städtebaulichen Entwicklungen in und um die Canary Wharf ist ein schwieriges Unterfangen, da zunächst der Gegenstand der Bewertung sauber definiert werden muss. Vorausgesetzt werden soll an dieser Stelle, dass der Weg Londons zu einem Finanzplatz von weltweiter Bedeutung zu Recht verfolgt wurde und Reindustrialisierungskonzepte wirtschaftlich nicht zukunftsfähig und somit falsch gewesen wären. Kritisieren könnte man die Form der governance. Zweifellos ist der Weg unter Ausschaltung der kommunalen Ebene Vorstellungen der Regierung auf die Stadtbezirksebene zu projizieren diskutierbar und kann als undemokratisch abgelehnt werden. Folgt man dieser Argumentationslinie, so ist jedoch zu bedenken, dass die demokratisch legitimierte Kommunalpolitik mehr als ein Jahrzehnt Gelegenheit hatte, ihre Vorstellungen zur Entwicklung des ehemaligen Hafens umzusetzen. Sie ist an dieser Aufgabe letztlich gescheitert. Insofern war sicherlich der von der Thatcher-Administration eingeschlagene Weg eine nicht unberechtigte Option. Das Ergebnis zeigt, dass das Ziel, Canary Wharf zu Londons zweitwichtigstem Finanzplatz zu machen, erreicht wurde. Zu konstatieren ist, dass nicht nur die maroden Hafenareale verschwunden und durch neue Nutzungen und Gebäude ersetzt wurden, sondern Canary Wharf auch Effekte für andere Stadträume hatte. So hat das städtebauliche Laissez Faire in der Enterprise Zone auch die City of London Corporation dazu gebracht, ihre restriktive Haltung gegenüber städtebaulichen Innovationen aufzugeben und Hochhausbau in der City zuzulassen. Ferner hat der Bau von Canary Wharf auch städtebauliche Impulse in angrenzenden Stadträumen ausgelöst. Besonders gut wird dieses im Millenium Quarter, einem Viertel, das südlich an die Wharf grenzt, sichtbar. Dort sind die in der Frühphase der Enterprise Zone entstandenen kleinteiligen Gewerbehöfe und workshops mittlerweile durch renditeträchtigere Luxuswohnhochhäuser ersetzt worden. Kritisch ist sicherlich die städtebauliche und soziale Spaltung zu sehen, die durch den Bau von Canary Wharf induziert worden ist. Gleichwohl ist zu bedenken, dass ohne die LDDC und die Ausweisung einer Enterprise Zone globale Investments ausgeblieben und somit der Finanzstandort London signifikant geschwächt worden wäre. Angesichts der globalen Bedeutung der Finanzwirtschaft und der nationalen Bedeutung Londons für die britische Volkswirtschaft wäre eine solche Entwicklung fatal gewesen.
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Q UELLENVERZEICHNIS Brindley, Tim/Rydin, Yvonne/Stoker, Gerry (1996): Remaking Planning. The Politics of urban Change, London/New York: Routledge. Carmona, Matthew (2009): The Isle of Dogs: Four Development Waves, five Planning Models, thirty-five Years, and a Renaissance … of Sorts, in: Progress in Planning 71, S. 87-151. Hamnett, Chris (2003): Unequal City. London in the global Arena, London/New York: Routledge. Ledgerwood, Grant (1985): Urban Innovation, Aldershot: Gower. Oc, Taner/Tiesdell, Steven (1991): The London Docklands Development Corporation (LDDC), 1981-1991. A Perspective on the Management of urban Regeneration, in: Town Planning Review 62 (3), S. 311-330. Prothero, Richard (2007): An Analysis by Londonʼs Employment by Sector (GLA Economics: Working Paper 24), London: Greater London Authority (GLA). Roberts, Richard/Kynaston, David (2001): City State. How the Markets came to rule our World, London: Profile. Travers Morgan (1973): Docklands. Redevelopment Proposals for East London, London: Greater London Council (GLC). Zehner, Klaus (2010): Vom maroden Hafen zur glitzernden Nebencity: Die London Docklands – eine Bilanz nach drei Jahrzehnten Strukturwandel, in: Zehner, Klaus/Wood, Gerald (Hg.): Großbritannien. Geographien eines europäischen Nachbarn, Heidelberg: Spektrum, S. 99-109. Zehner, Klaus (1999): „Enterprise Zones“ in Großbritannien. Eine geographische Untersuchung zu Raumstruktur und Raumwirksamkeit eines innovativen Instruments der Wirtschaftsförderungs- und Stadtentwicklungspolitik in der Thatcher-Ära, Stuttgart: Steiner.
„Canary Wharf war der neue Mittelpunkt der Isle of Dogs. Der neue Londoner Osten. Das Herzstück der Docklands … Man hatte nur vergessen, tatsächlich ein neues Herz einzupflanzen. Wenn man ganz genau hinsah, war Canary Wharf tot“ (BECK, ZOË (2013): Brixton Hill, München: Heyne, S. 17f).
6. Rising High – die Entwicklung des Hochhausbaus unter dem Einfluss von Internationalisierung, Stadtplanung und gesellschaftlichem Diskurs M ARINA R ICO und K LAUS Z EHNER , Köln
Aus städtebaulicher Sicht nahm London unter den Weltstädten bis in die frühen 1980er Jahre eine bemerkenswerte Sonderstellung ein. Denn noch vor vierzig Jahren vermittelte ein Blick von der Waterloo Bridge auf die gegenüberliegende City dem Betrachter den Eindruck von einer im Grunde flachen Stadt, deren Häusermeer nur vereinzelt von höheren Gebäuden überragt wurde. Im Gegensatz zu anderen Metropolen, etwa New York oder Tokio, fehlte London eine markante Skyline. Der einzige Blickfang im Stadtpanorama war die 112 Meter hohe Kuppel der St. Pauls-Kathedrale. Sie alleine bestimmte bis zum Beginn der 1970er Jahre die Skyline der City (vgl. Abb. 1). Erst in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre entstand mit dem NatWest-Tower1, etwa einen Kilometer östlich von St. Pauls im Bankenviertel der City gelegen, eine zweite Landmarke in der City. 1
Der NatWest-Tower wurde zwischen 1971 und 1980 gebaut. Die unverhältnismäßig lange Bauzeit war das Ergebnis zahlreicher Baustopps, die aufgrund mehrerer Klagen gegen den Bau des Wolkenkratzers notwendig geworden waren.
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Abb. 1: Blick von der Waterloo Bridge auf die City im Jahre 1957
Quelle: Flierl 2000: 122
Abb. 2: Blick von der Waterloo Bridge auf die City im Jahre 1987 (der NatWest-Tower ist das höchste Gebäude in der Mitte der rechten Bildhälfte)
Quelle: Flierl 2000: 122
Aufgrund seines schlanken Gebäudekörpers störte der NatWest-Tower, damals Hauptverwaltungssitz der britischen National Westminster Bank, jedoch die Sichtbeziehungen zur St. Pauls-Kathedrale kaum. Vielmehr existierte nach seiner Vollendung eine neue Landmarke, die das Bankenviertel der City und somit das wirtschaftliche Herz Londons weithin sichtbar markierte (vgl. Abb. 2). Mittlerweile hat sich das Panorama der City dramatisch verändert. Von einer einzigen Landmarke kann längst nicht mehr die Rede sein. Heute, im Jahre 2015, fällt der Blick des Betrachters, der vom südlichen Themseufer auf Höhe der Cityhall nach Norden schaut, auf einen städtebaulich völlig veränderten Stadtraum, der von einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Hochhäuser dominiert wird. Der NatWest-Tower, der heute unter dem Namen Tower 42 firmiert, wird mitt-
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lerweile von deutlich höheren Wolkenkratzern in seiner direkten Nachbarschaft überragt (auf Abb. 3 sieht man den NatWest-Tower links und leicht verdeckt vom aktuell höchsten Gebäude in der City, dem Leadenhall Building in der Bildmitte). Der Tower, ein historisches Wahrzeichen Londons von internationaler Bedeutung, wirkt im Vordergrund der Hochhauskulisse (auf Abb. 3 rechts unten im Anschnitt zu sehen) dagegen fast wie eine Miniatur. Abb. 3: Blick auf die City vom südlichen Themseufer
Quelle: Aufnahme K. Zehner im Juli 2014
Der vorliegende Beitrag analysiert den Hochhausbau in London aus den Perspektiven von Stadtgeographie und Stadtplanung. Zunächst wird seine historische Entwicklung in der Zwischenkriegszeit aufgearbeitet. Dabei wird gezeigt, dass schon in den 1930er Jahren in London vereinzelt höhere Häuser errichtet wurden. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen allerdings die Veränderungen in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten. Während dieses Zeitraums hat sowohl die Zahl als auch die Höhe der Wolkenkratzer deutlich zugenommen. Zudem hat sich auch ihr Verbreitungsmuster entscheidend verändert. Waren bis in die 1980er Jahre Hochhäuser Solitäre, so sind seither überwiegend Hochhauscluster entstanden. Dargelegt wird, dass für diese Veränderungen der Aufstieg Londons zur Global City, der in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre einsetzte, maßgebend war. Vor allem von Unternehmen des FIRE-Sektors2 wurden zunehmend Büro-
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Die Bezeichnung FIRE steht für Finance, Insurance und Real Estate, also für Finanzdienstleister, Versicherungen und Immobilienunternehmen.
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flächen in neuen, qualitativ hochwertigen und attraktiven Hochhäusern nachgefragt. Allerdings wurde den wirtschaftlichen Interessen nicht in allen Fällen nachgegeben. So wurden u.a. Tabuzonen für hohe Häuser festgelegt. Zudem wurde auch über die außerhalb der Tabuzonen gelegenen Standorte zum Teil kontrovers diskutiert. Die Argumente von Befürwortern und Gegnern der baulichen Höhenentwicklung Londons werden im mittleren Teil dieses Beitrags dargelegt. Schließlich hat der Bau hoher Häuser auch eine breite gesellschaftliche Diskussion ausgelöst, die zum Teil sehr emotional aufgeladen war und ist. Auf die wesentlichen Aspekte dieser Debatte wird abschließend eingegangen.
D IE
HISTORISCHE E NTWICKLUNG DES H OCHHAUSBAUS IN L ONDON Der Hochhausbau in London hat in der Zwischenkriegszeit seinen Anfang genommen. Sein Beginn fällt also in eine Zeit, als in den nordamerikanischen Metropolen Hochhäuser schon viele Jahrzehnte das Stadtbild prägten. Im Gegensatz zu anderen Metropolen, etwa New York oder Chicago, setzte in London aber kein Hochhausbau-Boom ein. Vielmehr entstanden nur ganz vereinzelt höhere Gebäude. Dies lag in erster Linie an den Bau- und Höhenrestriktionen, die noch aus der Zeit unmittelbar nach dem Großen Feuer im Jahre 1666 stammten. Während dieses verheerenden Stadtbrandes waren ca. 80 % der Häuser Opfer der Flammen geworden. Da sie aus Holz und Fachwerk errichtet worden waren, hatten sie den Flammen nichts entgegenzusetzen gehabt. Um eine ähnliche Katastrophe künftig auszuschließen, wurde 1667 ein entsprechendes Baugesetz verabschiedet. Der London Building Act schrieb fest, dass aus feuerschutzrechtlichen Gründen die neuen Häuser aus Stein gebaut werden mussten und maximal vier Stockwerke hoch sein durften. Dieses Gesetz wurde 1930 novelliert. Fortan waren Gebäude bis zu einer Höhe von 30 Metern (100 Fuß) erlaubt. Dennoch blieb London, wie bereits erwähnt, im Wesentlichen eine „flache“ Stadt. Allerdings räumte die Gesetzesnovelle auch ein, dass in Ausnahmefällen Gebäude über 30 Meter Höhe zulässig waren. Dazu bedurfte es jedoch einer gesonderten Zustimmung der obersten Stadtverwaltung, des London County Council (Flierl 2000: 125). Die prominenteste Ausnahme bildete das 44 Meter hohe Faraday Building, das 1933 errichtet wurde. Bauherr und Eigentümer war die Britische Post und somit ein halbstaatliches Unternehmen. Schon während des Baus entstand allerdings Unmut, da das Gebäude, das in unmittelbarer Nähe zur St. Pauls-Kathe-
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drale steht, den Blick von Süden auf die Kuppel des Gotteshauses beeinträchtigte. Der damalige Baumeister der Kathedrale, Sir W. Godfrey Allen, veranlasste daraufhin eine Vermessung der Sichtachsen, die aus der näheren Umgebung zur Kathedrale wiesen. Auf der Grundlage der Vermessungsresultate setzte Allen maximale Bauhöhen für in der Nähe geplante neue Gebäude fest. Durch diese Maßnahme sollte der Blick auf die Kuppel von wichtigen Orten im Nahbereich der Kathedrale, etwa den Themsebrücken, erhalten bleiben. Diese strategischen Sichtbeziehungen (strategic views) zwischen wichtigen öffentlichen Räumen und der Kathedrale wurden 1937 endgültig unter Schutz gestellt und als St. Paulʼs Heights bezeichnet (Flierl 2000: 125). Obwohl die strategic views erst 1989 im City of London Plan formal Rechtskraft erhielten, galten sie bis dato als eine Art gentlemenʼs agreement. Die damals definierten Sichtkorridore sind bis heute im Wesentlichen erhalten geblieben und zum Teil in aktuelleren Planwerken aufgegangen (Zehner 2012: 296ff). Westminster In der frühen Nachkriegszeit war ein wesentliches Ziel der Stadtplanung Londons die Bewahrung des historischen Erbes der Stadt. Dieses Ziel versuchte die für die bauliche Entwicklung der City verantwortliche City of London Corporation durch die Festlegung niedriger Geschossflächenzahlen zu erreichen. Dadurch konnte der Bau höherer Häuser in der City zunächst verhindert werden. Nach einer grundsätzlichen Aufhebung der Bauhöhenbegrenzung im Jahre 1954 durften außerhalb der City in geeigneten Lagen höhere Häuser gebaut werden. Davon profitierte vor allem Westminster, wo in der zweiten Hälfte der 1950er und in den 1960er Jahren einige Hochhäuser entstanden. Sie lagen jedoch isoliert und weit verstreut (pepperpotted). Bauherren waren u.a. internationale Unternehmen, deren Unternehmenssitz repräsentativ sein sollte. Shell zum Beispiel entschied sich für einen Standort zwischen Waterloo-Bahnhof und County Hall, mit unverbaubarem Blick auf die Themse, um dort u.a. das Shell Centre (1955 genehmigt, 107 m) zu errichten. Die amerikanische Hotelkette Hilton wählte 1957 ein Grundstück am östlichen Rande des Hyde Park als Standort für ihre Londoner Dependance (101 m). Das berühmteste Hochhaus in der westlichen Stadt war zweifellos Centre Point (121 m). Das schlanke, elegante Gebäude hob sich wohltuend von den qualitativ minderwertigeren Hochhäusern der frühen Nachkriegszeit ab. Weniger förderlich für seinen Ruf war jedoch die Tatsache, dass sein Besitzer aus steuerlichen Gründen das Gebäude 15 Jahre leer stehen ließ (Wright 2006: 72). Es gab aber auch öffentliche Körperschaften, die Hochhäuser bevorzugten. Ein Beispiel für ein solches Gebäude ist der Millbank Tower (1957 genehmigt,
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118 m), in dem zeitweise die Vereinten Nationen, die Labour Party und die Konservativen Büros angemietet hatten. Der Millbank Tower befindet sich südlich der Houses of Parliament. City Die Entwicklung der City und ihrer angrenzenden Gebiete verlief dagegen verhaltener. Die größte Entwicklungsdynamik verzeichnete bemerkenswerterweise ein Gebiet, das sich unmittelbar nördlich an die City anschloss. Hier lag ein ca. 26 Hektar bedeckendes Areal, das nach Bombenangriffen während des Zweiten Weltkrieges zu Bauerwartungsland geworden war. Auf diesem Grund entstand der heutige Barbican Estate, ein im Stile des Brutalismus errichtetes Wohn- und Kulturzentrum. Zu seinem Baubeginn 1963 war es Europas größtes Wiederaufbauprojekt. Zum Wahrzeichen des Barbican Estate wurden seine drei schlanken 42 bzw. 43-stöckigen Türme, die nach ihrer Fertigstellung Anfang der 1980er Jahre die höchsten Wohnhochhäuser Europas waren (Kenyon 2011: 113). In weiten Teilen der City blieb die Entwicklungsdynamik dagegen gering. Dies war in erster Linie dem Stadtentwicklungsplan des London County Council (LCC) aus dem Jahre 1951 geschuldet, der für das Citygebiet Geschossflächenzahlen zwischen 2:1 und 5,5:1 vorsah. Mit diesem Instrument sollte der Baukörper vergleichsweise niedrig gehalten werden. Diese Regulierung betraf vor allem das Bankenviertel. Höhere Häuser sollten nur an wenigen, als geeignet erachteten Standorten, erlaubt werden (Zehner 2012: 297). Für die Festlegung solcher Standorte legte das LCC zunächst harte Kriterien an. So durften Sichtbeziehungen nicht beeinträchtigt werden, die Größe der zu bebauenden Fläche musste der Geschossfläche angepasst sein, andere Gebäude durften nicht überschattet werden und der lokale Charakter der Umgebung musste beachtet werden. 1957 wurden diese Kriterien jedoch von der Zentralregierung zum Teil aufgehoben, da sie unerwünschte negative Auswirkungen auf nationale, politische und ökonomische Ziele befürchtete (Catchpole 2004). Die Folge war, dass in der City nun einige höhere Bürohäuser errichtet wurden. Beispiele sind der Britannic Tower (127 m), der Commercial Union Tower (118 m) und Drapers Garden (99 m). In den siebziger Jahren geriet der Hochhausbau allerdings wieder ins Stocken, als Denkmalschutzzonen, sog. Conservation Areas, ausgewiesen wurden. Denn in den Conservation Areas wurden keine baulichen Veränderungen zugelassen (City of London 1994: 5). Canary Wharf Mit dem Aufstieg Londons zur Global City begann sich das Verteilungsmuster von Hochhäusern zu verändern. In immer stärkerem Maße kam es ab den späten
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1980er Jahren zur Herausbildung von Hochhausclustern. Die beiden wichtigsten sind der Eastern Cluster im Bankenviertel der City und Canary Wharf in den Docklands. Canary Wharf liegt auf der Isle of Dogs, dem ehemaligen Herzstück des Londoner Hafens, der sog. Docklands. Dieser aus ca. 30 Bürohochhäusern bestehende Komplex entstand seit den späten 1980er Jahren in mehreren Bauabschnitten. Canary Wharf ist eine von amerikanischen Architekten für globale Unternehmen der Finanzwirtschaft, insbesondere für Investment-Banken, entworfene Bürostadt. Aufgrund der starken nordamerikanischen Einflüsse auf die Architektur dieser Bürostadt wurde Canary Wharf von zeitgenössischen Kritikern auch gelegentlich als Manhattan-on-Thames bzw. Wall Street on the Water bezeichnet. Dort stand in attraktiver Lage am Wasser und in geringer Entfernung von der City genügend Fläche zur Verfügung, um die Nachfrage nach modernem und attraktivem Büroraum befriedigen zu können. Da London zu dieser Zeit keine eigene Stadtverwaltung besaß, konnte die damalige Premierministerin Thatcher ohne größere kommunale Widerstände eine von ihr kontrollierte Entwicklungsgesellschaft, die London Docklands Development Corporation (LDDC), einsetzen und mit der städtebaulichen Transformation der Isle of Dogs betrauen. Dies geschah 1981. Um die Isle of Dogs möglichst schnell und effizient in einen modernen Dienstleistungsstandort umzuwandeln, wies die ThatcherRegierung dort 1982 eine Sonderwirtschaftszone (Enterprise Zone) aus. Beide Maßnahmen, die Designation der LDDC und die Enterprise Zone, zeigten Wirkung, so dass bereits 1987 der Bau von Canary Wharf begann. Trotz mehrerer Krisen und Besitzerwechsel konnte sich Canary Wharf als zweites Finanzzentrum innerhalb Londons fest etablieren. Rivalität zwischen City und Canary Wharf Gegenüber der City verfügte Canary Wharf über einen hinreichend großen Bestand an modernen Gebäuden, die den organisatorischen und technischen Ansprüchen von Unternehmen aus dem FIRE-Sektor entsprachen. Die City hingegen hatte den besseren Ruf, der sich auf ihre lange Tradition als renommierter Finanzstandort stützte. Zwischen beiden Standorten entwickelte sich seit den 1990er Jahren eine zunehmende Konkurrenz um Investoren und Nutzer aus der gehobenen Dienstleistungsökonomie. Um konkurrenzfähig zu bleiben, wurden in der City zunehmend Planungsvorschriften gelockert und Bürohochhäuser genehmigt. Eine Signalwirkung ging von Norman Fosters berühmtem Hochhaus The Gherkin aus (Abb. 4, Abb. 5a).
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Abb. 4: Fosters Bürogebäude The Gherkin im Bankenviertel
Quelle: Aufnahme K. Zehner im Juli 2012
Das außergewöhnliche Gebäude, für das in kürzester Zeit zahlreiche Spitznamen geboren wurden, zeigte Hochhausgegnern, Politikern, Planern und der Öffentlichkeit, dass hohe Häuser durchaus attraktiv sein können, ja sogar zum Rebranding einer Stadt beitragen können. Ebenfalls trugen das bereits angesprochene Leadenhall Building (Cheesegrater), 20 Fenchurch Street (Walkie Talkie) und der auf der Südseite der Themse gelegene Shard dazu bei, das Gesicht Londons nachhaltig und vermutlich irreversibel zu verändern. Obwohl zwischen beiden Standorten, City und Canary Wharf, eine stadtinterne Rivalität um Investoren und Nutzer entflammte, wurde der Finanzplatz London jedoch insgesamt durch Canary Wharf gestärkt (Abb. 5b).
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Abb. 5a: Standorte von Hochhäusern im zentralen Stadtgebiet von London
Quelle: Eigene Recherchen M. Rico
B EFÜRWORTER UND G EGNER
DES
H OCHHAUSBAUS
In der Debatte um den Bau neuer Hochhäuser lassen sich stets vier Interessensgruppen identifizieren. Für den Hochhausbau sprechen sich in der Regel Unternehmen des FIRE-Sektors, Investoren und Architekten aus, während historische Vereine und engagierte Einzelpersonen zumeist Bedenken gegenüber hohen Gebäuden äußern. Von den Unternehmen des FIRE-Sektors wird der Bau hoher Häuser verständlicherweise begrüßt. Aus ihren Kreisen werden in der Regel stets drei Argumente genannt. Erstens ermöglichen Hochhäuser ganze Unternehmen in einem Gebäude unterzubringen. So wurde etwa von London First, einer der führenden Non-Profit-Stadtentwicklungsgesellschaften, festgestellt:
110 | M ARINA RICO, KLAUS Z EHNER „The recent rapid growth caused by globalisation, merger and acquisition and shifts in the market place has had a marked effect on demand. In particular, there is a trend towards consolidation of financial and business services and professional firms in order to create big enough units to compete internationally. As a result there is a demand for large buildings to enable staff in a number of locations to be brought together“ (House of Commons 2002: 22).
Abb. 5b: Standorte von Hochhäusern in den Docklands
Quelle: Eigene Recherchen M. Rico
Zweitens können in Hochhäusern, die zumeist neueren Datums sind, qualitativ hochwertige Büroflächen bereitgestellt werden. Sie sind infrastrukturell bestens ausgestattet und lassen sich im Hinblick auf Größe und Zuschnitt in vielen Fällen den Bedürfnissen der Nutzer anpassen. Drittens geht es für die Unternehmen des FIRE-Sektors nicht alleine darum, geeignete Büroräume anzumieten. Vielmehr sollen sich diese in einzigartigen Gebäuden befinden. Solche Häuser, die es weltweit nur ein einziges Mal gibt,
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werden als „Signaturgebäude“ bezeichnet. Sie sind extrem wichtig für das Image eines Unternehmens, insbesondere dann, wenn sie von einem der weltweit führenden Architekten errichtet wurden und daher Alleinstellungsmerkmale besitzen. Die Bedeutung dieses Aspektes ist nicht zu unterschätzen. So betonte ein Vertreter von Richard Ellis, dem weltweit größten Dienstleistungsunternehmen aus dem gewerblichen Immobiliensektor, anlässlich einer öffentlichen Anhörung zu den Plänen für neue Wolkenkratzer: „For some occupiers the image and prestige of their office address serve an important business purpose, alongside, for example, their spending on advertising, PR and marketing“ (House of Commons 2002: 22).
Aus Sicht der Investoren stellen Hochhäuser lohnende Renditeobjekte dar. In London sind vor allem Geldgeber aus dem arabischen Raum und aus China aktiv. Von besonderer Bedeutung ist die Quatar Investment Authority, ein verlängerter Arm der Regierung von Quatar. Sie verbirgt sich hinter der Firmenbezeichnung London Bridge Quarter Ltd. Diese Firma hat gemeinsam mit der britischen Sellar Property Group das neue Büroviertel London Bridge, das sich an den gleichnamigen Kopfbahnhof anschließt, finanziert und entwickelt. Das prominenteste Gebäude des London Bridge Quarter ist der 2012 fertiggestellte Shard, der zugleich das höchste Gebäude in London darstellt. Eine dritte Akteursgruppe bilden die an Konstruktion und Bau der Häuser beteiligten Unternehmen. An ihrer Spitze steht die kleine Gruppe der weltweit renommiertesten Architekten. Sie werden aufgrund ihrer Ausnahmestellung auch gelegentlich (mit einem Augenzwinkern) als Starchitects bezeichnet. Nur Architekten aus diesem erlesenen Kreis werden beauftragt, wenn es darum geht, Häuser von besonderer Gestalt und Qualität zu entwerfen. Zu ihnen gehören u.a. Renzo Piano, Sir Norman Foster, Rafael Viñoly und Richard Rogers. Sie sind freilich an solchen Aufträgen interessiert, weil sie neben den ökonomischen Effekten auch für ihren Ruf von großer Bedeutung sind. In zweiter Reihe sind die sog. Developer zu nennen. Dabei handelt es sich in der Regel um global operierende Projektentwickler, die ebenfalls in o.g. Weise von derartigen Aufträgen profitieren. Diesen Akteursgruppen gegenüber stehen die Gegner des Hochhausbaus. Zu den Verfechtern einer strikten Regulierung des Hochhausbaus zählen sowohl engagierte Einzelpersonen als auch formelle und informelle Gruppierungen, Vereine und Verbände. Für sie stellt die Bewahrung des historischen Erbes ein hohes Gut dar und soll daher als Leitziel der Stadtentwicklungsplanung oberste Priorität besitzen.
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Ein solcher Einzelkämpfer war etwa der bereits erwähnte Kathedralbaumeister Allen gewesen, auf dessen Engagement und Pionierarbeit die heutigen Sichtfeldanalysen zurückgeführt werden können. Eine zweite Person, die eine bewahrende und konservativ ausgerichtete Stadtentwicklungspolitik favorisiert, ist Prinz Charles. Er äußert sich gegenüber Hochhäusern stets kritisch. Selbst das 2004 fertiggestellte City-Hochhaus The Gherkin, das großen Anklang in der Öffentlichkeit gefunden hatte, soll der Prince of Wales als „Eiterbeule“ bezeichnet haben (Handelsblatt 2014). Zur Gruppe der Kritiker zählen auch Kulturinstitutionen wie English Heritage (EH). EH ist eine öffentliche Körperschaft und operiert als verlängerter Arm des Department for Culture, Media and Sports. Eine zweite Quango3, die stets eine ablehnende Haltung gegenüber höheren Häusern eingenommen hat, ist die Commission for Architecture and the Built Environment (CABE). Schließlich gibt es auch kleinere Gruppen, die durchaus effektive Lobbyarbeit gegen den Hochhausbau betreiben. Die prominenteste unter ihnen dürfte Historic Royal Palaces (HRP) sein. HRP ist eine Quango, die sich insbesondere für den Schutz des Towers einsetzt. Die im benachbarten Bankenviertel entstandenen Wolkenkratzer bewertet HRP als visuelle Bedrohung des Towers und opponiert daher vehement gegen den Bau weiterer Hochhäuser.
R EGULIERUNGSINSTRUMENTE Die o.g. Gruppen bzw. Personen können allerdings nur indirekt auf den Bau höherer Häuser Einfluss nehmen. Anders verhält es sich mit politischen Gremien, die Bauanträge unmittelbar ablehnen bzw. genehmigen können. Generell sind für den Hochhausbau in England die kommunalen Gebietskörperschaften zuständig. Sie werden allgemein als Local Authorities bezeichnet. Ihnen entsprechen in London die Boroughs bzw. die City, die einen besonderen Rechtsstatus genießt. Die Verwaltungen der Boroughs müssen größere Bauvorhaben mit der Stadtverwaltung Londons, der Greater London Authority (GLA), abstimmen. Als „größer“ wird ein Gebäude u.a. dann aufgefasst, wenn seine Bauhöhe die 30 Meter-Marke überschreitet. Diese Auflage wird auch der City of London Corporation gemacht, die ansonsten weitgehend autark agieren kann. Konkret bedeutet diese Verpflichtung, dass der Bürgermeister (aktuell Boris Johnson) erheblich auf die Gestalt der Stadt Einfluss nehmen kann. Allerdings
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Quango steht für Quasi-Autonomous Non-Governmental Organisation. Gemeint sind damit Nicht-Regierungsorganisationen, die sich für öffentliche Belange einsetzen.
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ist auch er nicht völlig frei in seinen Entscheidungen, sondern an Regeln und Pläne gebunden. Pläne Die Mehrzahl der Entscheidungen für oder gegen den Bau höherer Häuser wird auf der Grundlage eines entsprechenden Regelwerkes, des London View Management Framework (LVMF), getroffen. Dieses wurde 2007 erstmalig von der GLA verabschiedet und 2010 sowie 2012 geringfügig verändert. Das LVMF stellt ein neues Konzept zur Bauhöhenregulierung dar. Es löste ein älteres Konzept aus dem Jahre 1991 ab. In diesem älteren Planwerk waren lediglich zehn Sichtbeziehungen definiert worden. Im LVMF wurden 27 Sichtachsen unter Schutz gestellt. Die entsprechenden Korridore wurden als Protected Vistas bezeichnet (vgl. Abb. 6). Abb. 6: Protected Vistas in der City of London
Quelle: City of London Corporation 2014
Die zahlenmäßige Erweiterung der Sichtfelder ging jedoch mit einer deutlichen Verengung der einzelnen Korridore einher, so dass insbesondere in der City eine größere Zahl von Standorten für den Bau von Hochhäusern frei wurde. In dieser Deregulierung spiegelt sich die positive Grundhaltung wider, die der damalige Londoner Bürgermeister Ken Livingstone den hohen Häusern entgegenbrachte.
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Er hielt sie für eine notwendige Innovation, um den World City-Status Londons zu sichern. In den Jahren 2010 und 2012 erfolgte eine nochmalige Korrektur der Sichtachsen, die gegenüber dem Entwurf von 2007 wieder etwas verbreitert wurden. Diese erneute Verschärfung der Regulierung des Hochhausbaus kann als Zugeständnis der GLA gegenüber den Kritikern hoher Häuser interpretiert werden. Denn der Bau des Shard hatte im Jahre 2010 gerade begonnen und die Begeisterung für Hochhäuser, die nach der Fertigstellung von Fosters Gherkin im Jahre 2004 eingesetzt hatte, war mittlerweile abgeklungen. Der Bau des Shard wurde vor allem deshalb kritisch gesehen, weil er von den nördlichen Anhöhen Londons eine – wie viele Gegner des Wolkenkratzers betonten – eine unerwünschte Hintergrundkulisse für die St. Pauls-Kathedrale bildete. Ein weiterer Plan, der den Bau höherer Häuser außerhalb der Sichtkorridore regelt, ist der London Plan. Er ermächtigt den Bürgermeister in die Planungshoheit der Bezirke einzugreifen. So kann er an ihm geeignet erscheinenden Standorten hohe Häuser genehmigen, im Notfall auch gegen den Willen der Bezirksverwaltungen. Dabei kann er sich auf im London Plan verankerte Grundsätze (hier: Policy 7.7) berufen. Diese sind jedoch allgemeiner Natur und können in unterschiedlicher Weise ausgelegt werden. Das letzte Wort jedoch hat der Bürgermeister. Generell werden aktuell Hochhauscluster gegenüber einzelnen hohen Häusern bevorzugt.
G ESELLSCHAFTLICHE D EBATTEN UM DIE H OCHHAUSPOLITIK Die Hochhauspolitik entwickelte sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten zu einem der wichtigsten, zugleich am kontroversesten diskutierten Themen in London. Im Fokus der Debatte stand dabei zum einen die Frage, welche Auswirkungen die neuen Wolkenkratzer auf das Stadtbild haben würden. Zum anderen entspann sich eine öffentliche Diskussion um die Qualität der geplanten Häuser. Denn große Teile der Bevölkerung befürchteten, dass die neuen Hochhäuser eine ähnlich schlechte bauliche Qualität wie ihre Vorgänger aus der frühen Nachkriegszeit haben würden. Dieses Argument verlor jedoch zunehmend an Gewicht, als klar wurde, dass für die Planung der neuen Hochhäuser die weltweit besten und renommiertesten Architekten wie Renzo Piano, Richard Rogers und Norman Foster verantwortlich sein würden. Ein weiterer Punkt, an dem sich die Kritik entzündete, war die Tatsache, dass die GLA im Jahre 2007 zugunsten potentieller Bauherren die Sichtbeziehungen zur St. Pauls-Kathedrale geändert hatte. Offiziell hieß es, Ken Livingstone habe
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die Verengung der viewing corridors veranlasst, um einer „Über“-Reglementierung entgegenzuwirken (Mayor of London 2001: 4). Es ist jedoch klar, dass diese Entscheidung in erster Linie eine ausgesprochen wirtschaftsfreundliche Maßnahme war. Eine bedeutende Rolle in der Debatte um Londons neue Hochhäuser kam der Presse zu. Überwiegend wurden die geplanten Wolkenkratzer in den Londoner Zeitungen verunglimpft. Die tendenziell negative Grundhaltung der Londoner Presse spiegelte sich in den zahlreichen, meist weniger ernstgemeinten Spitznamen für die geplanten Wolkenkratzer wider. Dabei blieb offen, ob die Pressestimmen der allgemeinen Meinung der Bevölkerung entsprachen, oder ob die Londoner Presselandschaft selbst zu einem Meinungsmacher in der Debatte um höhere Häuser wurde.
F AZIT
UND
AUSBLICK
Die Entwicklung des Hochhausbaus spiegelt auf eindrucksvolle Weise die unterschiedlichen Rollen, die London im zurückliegenden Jahrhundert wirtschaftlich und politisch in der Welt eingenommen hat, wider. Bis in die frühe Nachkriegszeit, als die Themsemetropole noch Hauptstadt des British Empire war, waren Hochhäuser nur für wenige Unternehmen aus Repräsentationsgründen wichtig. Ansonsten herrschte eine eher konservative Einstellung gegenüber dem Bau höherer Häuser vor. Vielmehr stand die Bewahrung des historischen Erbes, das sich auch im Gebäudebestand der Hauptstadt spiegelte, im Vordergrund. Spätestens während der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, als London zu einer der führenden Global Cities aufstieg, änderten sich auch die Rahmenbedingungen für den Hochhausbau. Nun wurden aus den Reihen des FIRE-Sektors zunehmend Forderungen nach Büroflächen in qualitativ hochwertigen und repräsentativen Hochhäusern laut. Die verantwortlichen politischen Gremien standen zunehmend vor der Herausforderung, zwischen ökonomischen Notwendigkeiten einerseits und der Bewahrung des historischen Erbes andererseits, die mit einem Erhalt des traditionellen Stadtbildes einherging, abzuwägen und Kompromisse einzugehen. Generell wird der Hochhausbau in London künftig stark an Bedeutung zunehmen. Zurzeit sind 236 neue Hochhäuser im Bau bzw. in der Planungs- und Genehmigungsphase. Die Mehrzahl von ihnen sind Wohnhochhäuser. Wenn sie in einigen Jahren fertiggestellt sein werden, wird sich das Stadtpanorama Londons endgültig und nachhaltig verändert haben. Ob dies letztlich zum Vorteil der Stadt ist, wird sicher unterschiedlich bewertet werden und bleibt abzuwarten.
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„You have got to look at London as the motor of the economy and make sure it fires on all cylinders“ (JOHNSON 2014).
7. Städtebauliche Großprojekte und ihre Bedeutung für die Stadtentwicklung C ORDELIA P OLINNA , Berlin
London kann seit Beginn der 1990er Jahre auf eine rasante Transformation in der Stadtentwicklung zurückblicken, die maßgeblich durch Großprojekte vorangetrieben wurde. Tate Modern, die Olympischen Spiele, zuletzt Planungen für eine „Garten-Brücke“ über die Themse oder für den Boris Island genannten Flughafen auf einer künstlichen Insel in der Themsemündung sind als städtebauliche Großprojekte zu bezeichnen und lassen sich in die von Huning und Peters (2003) definierten vier Typen von Großprojekten bzw. mögliche Mischformen einordnen: • •
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•
Großveranstaltungen wie Olympische Spiele; Flagship Image Projekte, die „als Alleinstellungsmerkmale den Bekanntheitsgrad der Stadt/der Region erhöhen oder eine bestimmtes Image für eine Stadt“ (Hunning/Peters 2003: 6) schaffen sollen; Urban-Renaissance-Projekte, die durch Konversion von Brachen, zumeist obsolete Industrie- und Verkehrsflächen, zur Attraktivität urbanen Lebens beitragen sollen sowie Infrastruktur-Großprojekte, die primär die infrastrukturelle Anbindung und somit die harten Standortfaktoren der Stadt verbessern, aber auch für eine Modernisierung stehen, technische Leistungsfähigkeit symbolisieren sollen und die zudem neue Lagen für weitere Stadtentwicklungsprojekte erschließen (Hunning/Peters 2003: 6-7).
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Großprojekte lassen sich in London kaum über Quadratmeter oder Baukosten definieren. Sie sind jedoch dadurch gekennzeichnet, dass sie in der Stadt umfangreiche Veränderungsprozesse in den vergangenen beiden Jahrzehnten ausgelöst haben oder sie – bei Realisierung – auslösen würden sowie Image und Identität der Stadt beeinflussen. Über Großprojekte wird in unterschiedlicher Ausprägung das Ziel verfolgt, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes und die Attraktivität für internationale Firmen, Touristen und hochqualifizierte und hochmobile Arbeitskräfte zu steigern und das ökonomische Prosperieren der britischen Hauptstadt zu sichern. Sie führen oft zu heftigen Debatten um Budgets, Notwendigkeit aber auch architektonische und städtebauliche Gestaltung, die nicht nur in der Politik, Verwaltung und Fachöffentlichkeit geführt werden, sondern auch in der Presse. So finden sie auch Eingang in Berichte, die letztendlich eine Relevanz für den Tourismus entfalten. Ein Blick auf die neuere Städtebaugeschichte Londons verdeutlicht eindrucksvoll, warum sich gerade London zu einem besonderen Experimentierfeld für Stadtentwicklung durch Großprojekte entwickelt hat. Der Umgang mit Großprojekten lässt sich hier in mehrere Phasen gliedern, die komplementär zu den ökonomischen, politischen und kulturellen Entwicklungen der jeweiligen Epoche verlaufen. Besonders eindrucksvoll lassen sich „Quantensprünge“ bei Größe, Anspruch und sich um die Projekte rankenden „Mythen“ anhand von Großprojekten der Verkehrsinfrastruktur nachvollziehen, die seit den frühen 1990er Jahren eine zentrale Rolle spielen, um Londons Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Weil damals der öffentliche Nahverkehr in so schlechtem Zustand war, dass Angestellte regelmäßig überhaupt nicht, verspätet oder extrem gestresst zur Arbeit erschienen, wurde deutlich, dass hier eine zentrale Stellschraube für das „Funktionieren“ der Metropolregion lag. Seitdem spielen Infrastruktur-Großprojekte eine zentrale Rolle in der stadtentwicklungspolitischen Debatte Londons, ja sogar der ganzen Insel – damit der mit Großprojekten einhergehenden Konzentration von finanziellen Ressourcen immer auch Fragen der Verteilung von Mitteln auf die unterschiedlichen Regionen Englands tangiert werden.
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Unter der konservativen Premierministerin Margaret Thatcher galt Planung als verzichtbar. Die Kräfte des Marktes sollten sich auch im Städtebau möglichst frei entfalten können, weswegen die Stadtregierung Greater London Council 1986 abgeschafft und die planerischen Spielräume der 32
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Bezirke1 durch die Reduzierung von Personal- und Finanzressourcen auf ein Minimum zurückgefahren wurden. Großprojekte galten in dieser Phase als probates Mittel, um Stadtumbau betreiben zu können, ohne große Pläne aufstellen zu müssen. Der Konkurs des derart geplanten Büroquartiers Canary Wharf in den Docklands (vgl. Abb. 1) zu Beginn der 1990er Jahre, der auch auf nicht ausreichende Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr zurückgeführt wurde, zeigte sehr schnell die Grenzen dieses Ansatzes auf (vgl. Polinna 2005, Carmona 2010). Abb. 1: Büroquartier Canary Wharf in den Docklands
Quelle: Aufnahme C. Polinna im Jahr 2005
Mit nur minimaler Planung und Steuerung durch die öffentliche Hand rutschte die britische Hauptstadt Ende der 1980er Jahre in eine Krise, die sich durch Ausschreitungen in Brixton und Broadwater Farm, durch ein Feuer im U-Bahnhof Kingʼs Cross, das den desolaten Zustand des öffentlichen Nahverkehrs offenbarte, oder auch durch explodierende Immobilienpreise für Wohnungen und Büros manifestierte (Thornley 1992). Zivilgesellschaftliche Akteure und Sozialverbände, aber auch Architekten wie Richard Rogers wiesen darauf hin, dass eine ungesteuerte Entwicklung der Stadt problematische Auswirkungen für ihre Bewohner haben würde (Rogers/Fisher 1992). Mit großer Vehemenz machte zudem die business community aus ökonomischen Gründen auf das Planungs1
Die City of London war aufgrund ihres administrativen Sonderstatus von der Auflösung nicht betroffen.
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vakuum aufmerksam. Sie befürchtete, London würde seine Wettbewerbsfähigkeit einbüßen, wenn nicht wieder stärker planerisch eingegriffen würde. Um gegen die von vielen Akteuren diagnostizierte „Krise Londons“ anzugehen, wurde unter dem konservativen Premierminister John Major (1990-97) und seinem Umweltminister John Gummer in der ersten Hälfte der 1990er Jahre die Stadtentwicklung durch Großprojekte als Strategie eingesetzt, um planerische Impulse zu setzen, aber dennoch das unter Thatcher ausgerufene Dogma „keine Planung“ aufrechterhalten zu können. Die vielfältigen, mit öffentlichen Geldern finanzierten städtebaulichen Initiativen und Leuchtturmprojekte, die von Gummer initiiert wurden, darunter die Millenniumsprojekte (vgl. Abb. 2), derfußgängerfreundliche Umbau des Trafalgar Square und die Verlängerung der U-Bahnlinie Jubilee Line, folgten keinem Stadtentwicklungskonzept oder Masterplan, sondern waren vielmehr der Versuch, die ganz offensichtlichen Probleme mit öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen anzugehen. Abb. 2: Tate Modern und Millennium Bridge: zentrale Projekte zur Attraktivitätssteigerung des ehemals industriell geprägten Südufers der Themse
Quelle: Aufnahme C. Polinna im Jahr 2005
Trotzdem waren sie strategisch platziert und sollten steuernd wirken – räumlich, ökonomisch und gesellschaftlich.
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Zunächst ging es darum sicherzustellen, dass London in der internationalen Städtekonkurrenz um internationale Unternehmen, zahlungskräftige Bewohner und Touristen angesichts aufstrebender Konkurrenten wie Berlin oder Barcelona nicht ins Hintertreffen geraten würde. Kulturelle Leuchtturmprojekte wie die Tate Modern sollten der an Bedeutung gewinnenden Kreativwirtschaft Schub verleihen, den wirtschaftlichen Strukturwandel beschleunigen und das etwas verstaubte Image der britischen Hauptstadt korrigieren. Diese Vorgehensweise lässt sich als ein erstes, vorsichtiges „Zurück zur Planung“ deuten, denn zumindest wurden wieder öffentliche Gelder in Stadtentwicklungsprojekte investiert. Da die von John Gummer initiierten Projekte jedoch eine lange Vorlaufzeit hatten, entfalteten sie ihre Wirkung erst Jahre später – in den ersten Jahren von Tony Blairs New Labour. Jubilee Line Extension Von besonderer Bedeutung für die Belebung des Standortes London, sowohl für Touristen wie auch für Unternehmen, war das erste große Verkehrsprojekt nach der Ära Thatcher – die Verlängerung der U-Bahnlinie Jubilee Line. Sie bildete sowohl das Rückgrat für die Neudefinition des Südufers der Themse – eines sehr zentral gelegenen Gebietes, das nach der Verlagerung der Hafen- und Industrienutzung räumlich und mental vom Rest der Stadt isoliert war – wie auch für die Erschließung großer Bereiche der Londoner Docklands bis hinein nach Stratford. Neue Wohn- und Bürostandorte wurden durch die 1999 eröffnete 16 Kilometer lange Strecke zugänglich gemacht, etwa im Umfeld der Stationen London Bridge, Canary Wharf, Greenwich Peninsula (Standort des Millennium Dome) und Stratford. Der Glanz der von renommierten Architekten wie Michael Hopkins and Parners (Westminster), Foster and Partners (Canary Wharf, vgl. Abb. 3) und Alsop & Störmer (Canada Water) entworfenen Stationen, Übersichtlichkeit und Tageslicht sollten damals den maroden Zustand des U-Bahnnetzes überdecken und dem skandalgebeutelten System ein neues Image verschaffen (Royal Academy of Arts 2001). Die Verlängerung der Jubilee Line war schnell aus dem Londoner Verkehrsnetz nicht mehr wegzudenken. Viele Stationen entwickelten sich zum Katalysator umfangreicher Bauprojekte in der Umgebung, wie das Bürogebäude Palestra an der Station Southwark (vgl. Abb. 4), zahllose Wohnungsbauprojekte im Umfeld der Station Bermondsey oder mehrere Bürotürme und Einkaufszentren in Canary Wharf. Im Bereich des Südufers der Themse wurde die Neudefinition des Gebietes zusätzlich durch die parallel realisierten Millenniums-Projekte sowie durch umfangreiche Umgestaltungen öffentlicher Räume forciert (Polinna 2009: 185 ff). In eine komplexere planerische Strategie eingebunden war dieses Verkehrsprojekt jedoch nicht.
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Abb. 3: Die Station Canary Wharf von Foster and Partners
Quelle: Aufnahme C. Polinna im Jahr 2003
Abb. 4: Neue Bürogebäude im Umfeld der Station Southwark
Quelle: Aufnahme C. Polinna im Jahr 2013
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Nach einem erdrutschartigen Wahlsieg konnten Tony Blair und New Labour 1997 die neue Regierung bilden. Angesichts der Krise Londons wurde Städtebau zu einem wichtigen Politikfeld, mit der urban renaissance ließ die Regierung durch das Expertengremium Urban Task Force Strategien gegen Stadtflucht und Suburbanisierung entwickeln (Urban Task Force 1999). Eindrucksvoll untermalt wurden diese Bemühungen durch eine tatsächlich zu beobachtende Renaissance der Innenstädte, denn zeitgleich wurden die spektakulären kulturellen Leuchtturmprojekte eröffnet, die durch den von der konservativen Regierung initiierten Millenium Fund gefördert worden waren. Die Projekte standen auch dafür, dass die Regierung Blair fest an soziale und ökonomische Integration durch Sickereffekte (trickling down) glaubte, durch die der Wohlstand irgendwann auch den unteren Schichten zugutekommen würde – ein Ansatz, der in den Wirtschaftswissenschaften sehr umstritten ist. Die Bündelung der knappen Mittel der öffentlichen Hand erlaubte eine hohe Dichte von Leuchtturmprojekten an einigen wenigen Orten, die dafür prädestiniert schienen, Struktur und Image der Gesamtstadt und vor allem den Wirtschaftsstandort zu stärken. Diese Prioritätensetzung verdeutlicht ein aus sozialer Sicht nicht unproblematisches Dogma bei der Vergabe von Fördermitteln, durch das potentielle Gewinner noch weiter begünstigt, Verlierer noch weiter benachteiligt werden. London erhielt mit der Greater London Authority (GLA) im Jahr 2000 einen Bürgermeister sowie eine Stadtregierung und -verwaltung und konnte wieder auf gesamtstädtischer Ebene planen, durch öffentliche Förderprogramme – wenn auch in geringem Umfang – Prioritäten setzen und mit stadteigenen Liegenschaften über die London Development Agency strategische Entwicklungen anstoßen. Auch wenn zumindest zu Beginn dieser neuen Epoche noch viel über Stärkung der Regionen gesprochen wurde und darüber, wie man eine weitere Zentralisierung von Macht und ökonomischer Potenz im Ballungsraum London mindern könnte, wurden durch die tatsächliche Entwicklung schnell Fakten geschaffen. Mit dem Bedeutungsgewinn des FIRE-Sektors kristallisierte sich mehr und mehr heraus, dass London das wirtschaftliche powerhouse ganz Großbritanniens ist, da insbesondere die Finanzzentren City of London und Canary Wharf einen erheblichen Teil der britischen Steuereinnahmen generieren (Corporation of London 2003). Kaum verwunderlich war also, dass auch unter Bürgermeister Ken Livingstone eine auf Wachstum ausgerichtete Stadtentwicklungspolitik – in Bezug auf die Bevölkerung, aber auch die ökonomische Leistungsfähigkeit der Stadt – forciert wurde, die in öffentlichen Verlautbarungen wie dem vorläufigen London Plan als alternativlos dargestellt wurde (Mayor of London 2002: 4).
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Der London Plan: zentrales Instrument zur Steuerung von Großprojekten Im Jahr 2004 wurde erstmals wieder ein räumlicher Entwicklungsplan für die gesamte Metropole verabschiedet. Als herausragendes Ziel wurde definiert, den world city-Status Londons auszubauen. Grundlage der Planungen war das enorme Wachstum der Stadt – bis 2016 wurde eine Zunahme um 700.000 Einwohner und um 640.000 Arbeitsplätze auf 8,1 Millionen Einwohner prognostiziert (Mayor of London 2004: 24ff). Grundgedanke des Planes war, dass London wachsen soll, aber ohne den Grüngürtel und Grünflächen zu bebauen und ohne sich weiter ins Umland auszudehnen. Die vom Bürgermeister für die Absorption des Wachstums gewählte Programmatik der kompakten Stadt rückt zwei Handlungsfelder in den Vordergrund der planerischen Anstrengungen: die Nachverdichtung, vor allem im Stadtzentrum auch über Hochhäuser, und die Konversion von brownfield sites vorrangig im Umfeld von Knotenpunkten des Nahverkehrs (vgl. Abb. 5). Es wurden somit zwei Handlungsfelder definiert, die geradezu eine Blaupause für den in den folgenden Jahren verfolgten Stadtumbau durch Großprojekte lieferten. Ein Großteil der im London Plan verabschiedeten Strategien war darauf ausgerichtet, einen stabilen, flexiblen und wettbewerbsfähigen Standort für Dienstleister aus dem Finanz- und Beratungssektor sowie für Firmen der Kreativ- und Medienbranche zu schaffen. Die Bedürfnisse großer Konzerne und international umworbener Arbeitskräfte sollten befriedigt werden, etwa in Hinblick auf moderne und repräsentative Büroräume, optimale Verkehrsanbindung, günstige Bedingungen für Zulieferer und attraktiven Wohnraum. Eine mächtige Interessenkoalition aus Politik, Wirtschaftsverbänden, Unternehmen etc. machte deutlich, dass es notwendig sei, schnell Flächen für Büro- und Wohnungsbauprojekte auszuweisen. Besonders für die Nachverdichtung geeignete Gebiete wurden im London Plan als Wachstumszonen (opportunity areas) mit Zielwerten für den Bau von Wohnungen und Arbeitsstätten definiert. Gesteuert wird die Entwicklung dieser Gebiete durch Rahmenpläne, sogenannte opportunity area frameworks. Die Wachstumslogik des Plans trug dazu bei, dass städtebauliche Großprojekte immer weniger Gegenwind ausgesetzt waren. Protesten gegen Hochhäuser im Umfeld von Welterbestätten oder gegen die mit Großprojekten assoziierte Aufwertung und Verdrängung wurde durch das Argument, sie seien schließlich im Sinne des nationalen ökonomischen Interesses, schnell der Boden entzogen. Potenziert wurde die auf Wachstum ausgerichtete Stadtentwicklungsstrategie dadurch, dass London 2005 den Zuschlag erhielt, die Olympischen Sommerspiele im Jahr 2012 auszurichten. Mit dieser Entscheidung wurde nicht nur der Bau
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des Olympischen Parks im Lower Lea Valley als gigantisches Großprojekt angestoßen, sondern auch umfangreichen Projekten zur Aufwertung der angrenzenden Olympic Boroughs der Weg geebnet (Stadtbauwelt 2012). Abb. 5: Hochhäuser und Nachverdichtung im Umfeld der Liverpool Street Station
Quelle: Aufnahme C. Polinna im Jahr 2012
Congestion Charge und London Overground Die Integration von Verkehrsprojekten in übergeordnete Strategien und Planwerke nahm ab 2000 unter Ken Livingstone deutlich zu. Inspiriert von Richard Rogers Vision einer kompakten, fußgängerfreundlichen Stadt mit einem dichten und effektiven öffentlichen Nahverkehr entwickelte die GLA ein umfangreiches Maßnahmenpakt, dass London zur „fußgängerfreundlichsten Stadt der Welt“ machen sollte (Mayor of London/Transport for London 2004: 5). Die Staugebühr congestion charge, die fußgängerfreundliche Umgestaltung öffentlicher Räume, ein neues, effizienteres Bezahlsystem für den Verkehrsverbund Transport for London, neue Busse sowie der Ausbaus des schienengebundenen Verkehrsnetzes waren die facettenreichen Bausteine dieser sehr ehrgeizigen Strategie. Das hochgesteckte Ziel konnte sicher nicht eingelöst werden, aber dennoch sind die Veränderungen vor allem in der Aufenthaltsqualität der öffentlichen Räume deutlich zu spüren (Polinna 2009: 113ff).
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Abb. 6: London Overground
Quelle: Aufnahme C. Polinna im Jahr 2009
Als zweites Standbein der Nachverdichtungsstrategie galt es, die Flächen mit Entwicklungspotenzial für Wohnungsbau oder Büroprojekte besser an den öffentlichen Nahverkehr anzubinden und bestehende Netze und Trassen zu erweitern, wenn hier Defizite diagnostiziert wurden, was vor allem im Stadterweiterungsgebiet Thames Gateway im Osten der Stadt der Fall war. So wurde die Docklands Light Railway in ihrer Kapazität erweitert und das Netz deutlich bis auch in bisher kaum mit dem Nahverkehr erreichbare Gebiete wie den Royal Docks ausgedehnt. 2007 wurde das Netz der S-Bahn-artigen London Overground vom privaten Betreiber Silverlink übernommen und in den Verbund von Transport for London eingegliedert sowie um wichtige Abschnitte am nördlichen Rand der Innenstadt erweitert (vgl. Abb. 6). Die Stadtteile Shoreditch, Hoxton und Dalston, den aufgrund ihrer Nähe zur Londoner City und des Vorhandenseins zahlreicher Brachflächen ein großes Entwicklungspotenzial attestiert wird, sind nun deutlich besser angebunden. Crossrail Einen weiteren Maßstabssprung markierte der Beginn der Planungen für die Expressregionalbahn Crossrail im Jahr 2001. Die neue Bahnlinie, die die Stadt ab 2018 in West-Ost Richtung durchqueren wird, soll den Einzugsbereich der
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Metropole deutlich erweitern und 1,5 Millionen Menschen zusätzlich das Zentrum der Stadt in einer Fahrzeit von 60 Minuten erreichen lassen. Ohne Umstieg werden Heathrow Airport, das West End, die City of London und Canary Wharf miteinander verbunden sein – was das Netz deutlich effektiver gestalten wird. Zwischen Paddington und bis vor Stratford verläuft die Linie in einem 42 km langen Tunnel, der unter der Stadt in „Schlüsselloch-Methode“ errichtet wird. Um das Vorhaben zu realisieren, haben die stadteigene Verkehrsgesellschaft Transport for London und das Verkehrsministerium eine gemeinsame Projektgesellschaft gebildet. Die Baukosten in Höhe von ca. 20 Milliarden Euro wurden durch einen Kredit der Europäischen Investitionsbank vorfinanziert und sollen unter anderem über eine Sondersteuer für die City of London – die neben Canary Wharf und dem Londoner Flughafen Heathrow als Hauptprofiteur gilt – refinanziert werden. Crossrail gilt als Quantensprung im Nahverkehr: Züge, die mehr als 200 Meter lang sind, jeweils 1.500 Passagiere befördern und die während der rush hour alle 2½ Minuten fahren sollen, sind ein Novum im britischen Verkehrssystem. Um solche Menschenmassen gerade in den Stationen im Zentrum beim Ein-, Aus- und Umsteigen zu bewältigen, müssen nicht nur die Bahnhöfe selbst, sondern auch die umliegenden Quartiere hinsichtlich der heute schon beengten Gehsteige, dem knappen Raum für Fahrräder und natürlich auch für Notfallsituationen adaptiert werden. Schnell wird deutlich, dass Crossrail also nicht nur ein Großprojekt der Verkehrsinfrastruktur ist, sondern eine ganze Kette von größeren und kleinen Projekten auslöst (Future of London 2014). Bereits mit dem Baubeginn von Crossrail wurden deshalb für einige Stationen städtebauliche Strategien erarbeitet, welche die Transformationsprozesse steuern und die Bahnhöfe gut in ihre Umgebung einbetten sollen, insbesondere hinsichtlich der Mikro-Erschließung für Fußgänger und der Gestaltung öffentlicher Räume. Besonders umfangreiche Veränderungen werden für das Umfeld der Station Whitechapel am östlichen Rand der City erwartet – ein Gebiet, dessen Name seit Jahrzehnten damit verknüpft ist, dass die billigste Straße in der Londoner Version des Spiels Monopoly diesen Namen trägt (vgl. Abb. 7). Whitechapel hat sich schon im vergangenen Jahrzehnt stark verändert – vom durch bangladeschische Einwanderer geprägten ehemaligen Arbeiterquartier hin zum Szenequartier in der Nähe des „hippen“ Hoxton. Crossrail bereitet nun den Boden für die weitere Expansion der City of London – ein Prozess, der von der Regierung des Bezirkes Tower Hamlets mit großem Engagement vorangetrieben wird. Im Jahr 2013 wurde ein Masterplan verabschiedet, der die vielfältigen Maßnahmen im Umfeld der Station steuert – von der Errichtung eines ganz neuen Stadtquartiers als overstation development über der Station selbst bis hin zur Modernisierung des Royal London Hospital, der Umgestaltung der stark befahrenen Whitechapel
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High Street bis hin zu neuen Durchwegungen und Plätzen für Fußgänger. Der Plan weist Flächen für 3.500 neue Wohneinheiten, 5.000 neue Arbeitsplätze, sieben Plätze, ein Bürgerzentrum und Rathaus sowie Flächen für Gastronomie, Kinos, Veranstaltungsräume, etc. aus (London Borough of Tower Hamlets 2013). Werden die Pläne umgesetzt, wird sich der bislang von kleinteiligen baulichen Strukturen und migrantischen Gewerbetreibenden geprägte Charakter des Gebietes deutlich wandeln. Der in vielen anderen Teilen Londons schon geläufige, von Großinvestoren geprägte städtebauliche Charakter mit corporate public spaces, Franchise-Restaurants und „gestylten“ Einzelhandelskonzepten wird dann auch im East End Einzug halten. Abb. 7: Whitechapel vor Crossrail
Quelle: Aufnahme C. Polinna im Jahr 2011
Auch in der äußeren Stadt sind schon jetzt Veränderungen durch Crossrail zu beobachten. Im Umfeld der Stationen steigen bereits die Immobilienpreise und Kritiker warnen, dass auch Crossrail nicht dazu beitragen wird, den so dringend benötigten Arbeitskräften mit mittleren und geringem Einkommen (Verkäufer, Krankenschwestern, Polizisten, Lehrer etc.) eine Perspektive für preisgünstigen Wohnraum in akzeptabler Entfernung vom Arbeitsplatz zu ermöglichen. Zum einen können auch sie die im Umfeld der Stationen rasant steigenden Immobilienpreise nicht bezahlen, zum anderen werden wohl auch die Preise für die
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Crossrail-Fahrkarten selbst so hoch angesetzt, dass für viele Menschen die Fahrt mit der neuen Regionalbahn unerschwinglich sein wird (Guardian 2014a). Großprojekte größer als ein Plan Unter der seit 2010 amtierenden konservativ-liberaldemokratischen Koalitionsregierung von David Cameron wurde in der Städtebaupolitik erneut radikal umgesteuert: Als Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise und die daraufhin in Großbritannien beschlossenen heftigen Sparmaßnahmen für öffentliche Haushalte gewann das wirtschaftliche Wachstum erneut an Bedeutung – die Förderung von growth wurde zum unantastbaren Dogma (Die Zeit: 2012). Öffentliche Fördermittel werden seitdem vorrangig für städtebauliche Projekte ausgeschüttet, wenn sie Arbeitsplätze schaffen oder die Wettbewerbsfähigkeit steigern. Die Handlungs- und Steuerungsfähigkeit der öffentlichen Hand oder staatlicher Institutionen wurde erneut zurückgefahren, was sich etwa in der Abwicklung der erst 1998 gegründeten regionalen Entwicklungsagenturen niederschlug, die u.a. dafür zuständig waren, die Kommunen beim Stadtumbau und dem ökonomischen Strukturwandel zu unterstützen. Auch wenn die Stimmung auf dem Immobiliensektor kurz durch die Finanzund Wirtschaftskrise getrübt wurde, herrschte hier angesichts der Olympischen Spiele schnell business as usual. Londons Boom scheint seitdem unaufhaltsam und die der staunenden Öffentlichkeit präsentierten Bauprojekte kennen kaum noch gedankliche Grenzen. Ein neuer Flughafen auf einer künstlichen Insel in der Themsemündung, ein gigantischer neuer Containerhafen, aufgeständert über Straßen und Bahntrassen verlaufenden Fahrradschnellwege – plötzlich scheint alles möglich – ob sinnvoll, ist jedoch eine andere Frage. Geradezu schockiert zeigte sich die Londoner (Fach-)Öffentlichkeit im Frühjahr 2014, als in der Ausstellung London Grows up! 236 Planungen für Hochhäuser über 20 Geschosse – vielfach Bürohochhäuser sowie Wohntürme mit Luxuswohnungen – zusammengestellt wurden, die damals in Planung oder in Bau waren, ohne dass eine planende Instanz eine koordinierende Rolle übernommen hatte. Befürchtungen, dass sich London zu einem Dubai-on-Thames entwickeln würde, wurden laut, ebenso wie Rufe nach einer stärker steuernden Hand (Evening Standard 2014). Angesichts all dieser schillernden Projekte ist zu befürchten, dass die Stadt sich immer stärker wegbewegt vom Leitbild der europäischen Stadt, und Fragen der Nachhaltigkeit und der sozialen Verträglichkeit nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Dass diese Entwicklung sich auch in den nächste Jahren fortsetzen wird, ist anzunehmen: Demoskopen gehen aktuell von 8,5 Millionen Einwohnern (2015) und von einem Wachstum um 80.000 neue Einwohner pro Jahr aus.
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Im aktuellen London Plan wird die magische Zahl von 10 Millionen Einwohnern proklamiert, die London im Jahr 2030 überschreiten soll (Mayor of London 2015: 24ff). Diese Ankündigung wird genutzt, um in der Bautätigkeit noch einmal die Schlagzahl zu erhöhen und zu fordern, mehr Wohnungen zu bauen und mehr Büroflächen zu realisieren. Weitere Großprojekte der Verkehrsinfrastruktur sind in Planung und sollen mittelfristig sicherstellen, dass die wachsende Metropole nicht durch Überfüllung blockiert wird. Bereits heute macht sich in der Kalkulation der Kapazitäten des öffentlichen Nahverkehrs bemerkbar, dass sich durch die Aufwertung ehemaliger Arbeiterquartiere wie Southwark, Hackney oder Tower Hamlets und der daraus resultierenden Verdrängung von Menschen mit geringem Einkommen in die äußere Stadt der Ansturm auf den öffentlichen Nahverkehr gesteigert hat. Immer mehr Personen müssen kostengünstig und schnell zu ihren Arbeitsplätzen in der Innenstadt gebracht werden. Eine gigantische Aufgabe, welche die Stadt in den nächsten Jahrzehnten bewältigen muss, ist die Erneuerung der bestehenden Verkehrsinfrastrukturen – vor allem der über 100 Jahre alten U-Bahn, die in der Vergangenheit oft nur die absolut nötigsten Sanierungen erfahren hat. In den nächsten Jahren stehen deshalb grundlegende Veränderungen einiger Stationen auf dem Plan, wodurch die Leistungsfähigkeit des Systems gesteigert werden soll. So wird die Bahn- und Busstation Victoria am westlichen Zentrumsrand – die im vergangenen Jahrzehnt bereits für 700 Millionen Pfund auf den neuesten Stand gebracht wurde – erneut re-organisiert, was in höherer Sicherheit und Übersichtlichkeit sowie in kürzeren Wegen für die Passagiere resultieren soll (Guardian 2014b). Auch der Neubau weiterer Linien wird als unausweichlich dargestellt, weswegen bereits heute die Pläne für eine neue Nord-Süd-Expressregionalbahn konkretisiert werden, die frühestens ab 2030 in Betrieb gehen soll: Crossrail 2 soll in 36 km langen Tunneln 45.000 Passagiere pro Stunde transportieren. Damit würde sich der Einzugsbereich der Metropole erweitern, Bauflächen für 200.000 Haushalte ließen sich erschließen. Die Linie soll von Nordosten kommend über Tottenham Hale, Hackney, Euston/St. Pancras, Victoria, Kingʼs Road/Chelsea und Wimbledon im Südwesten verlaufen – innerhalb dieser Zone in einem Tunnel, darüber hinaus als oberirdische Bahn. Erneut wird hier damit argumentiert, dass die Linie die Überfüllung vorhandener Pendlerlinien mindern und die Vororte besser an das Zentrum anbinden soll (Guardian 2014c). Kaum vorstellbar ist jedoch, wie die jetzt schon stark belasteten Knotenpunkte mit dieser Linie – etwa Euston oder Victoria – mit dem zusätzlichen Passagieren zurechtkommen sollen.
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GEHT ES WEITER ?
Dass die Möglichkeiten der Realisierung von Verkehrsgroßprojekten in einer europäischen Stadt mit historischer, unter UNESCO-Schutz stehender Bausubstanz, mit einer ausgeprägten Kultur der Bürgerbeteiligung und mit einem komplexen Umwelt- und Naturschutzregelwerk durchaus begrenzt sind, zeigt das im Jahr 2014 gescheiterte Megaprojekt eines neuen Flughafens auf einer künstlich angelegten bzw. vergrößerten Themseinsel. Umwelt- und Naturschutzfragen spielten bei der Ablehnung eine Rolle, aber auch die Frage, ob es überhaupt möglich sein würde, das Flughafensystem Londons mit seinem aktuellen Zentrum in Heathrow im Westen der Stadt in den Osten der Region zu verlagern. Die Betrachtung dieser Großprojekte lässt zunehmend die Frage aufkommen, ob eine weitere Expansion der britischen Hauptstadt überhaupt noch denkbar und realistisch ist. In den nächsten Jahren muss die Frage diskutiert werden, wie die historisch gewachsene Millionenmetropole mit ihren jahrhundertealten Infrastrukturen, mit denkmalgeschützten Stadtquartieren und Sichtachsen auf Welterbestätten, mit einem Grüngürtel, der wichtige ökologische Ausgleichsfunktionen übernimmt, weiter wachsen soll. Begründet wird die Umsetzung der oft umstrittenen Großprojekte damit, dass London das ökonomische powerhouse des Landes ist und hier erwirtschaftete Steuereinnahmen dem ganzen Land zugutekommen. Doch angesichts der kurz vor dem Kollaps stehenden Metropole ist zu hinterfragen, ob es weiterhin gerecht und sinnvoll ist, alle Kräfte in London zu bündeln oder ob nicht weitere Anläufe unternommen werden sollten, eine Dezentralisierung der wirtschaftlichen Kräfte in England zu forcieren. Im aktuellen politischen Klima bringen Debatten über Dezentralisierung oder gar Resilienz und Nachhaltigkeit keine Mehrheiten. Ob ein „Höher, Schneller, Weiter“ auch in Zukunft die richtige Strategie ist, muss angesichts sich verschärfender Lebensverhältnisse für die vielen Millionen Londoner „Normalverdiener“ hinterfragt werden.
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„Letʼs make sure the Olympicsʼ legacy lifts East London from being one of the poorest parts of the country to one that shares fully in the capitalʼs growth and prosperity“ (CAMERON 2010).
8. Die Olympischen Sommerspiele 2012 – Festivalisierung und Stadtentwicklung im Londoner Osten H OLGER K RETSCHMER und B ORIS B RAUN , Köln
Die Olympischen Sommerspiele in London 2012 gelten in sportlicher Hinsicht als großer Erfolg. Gleichzeitig waren sie aber auch der Startpunkt für eine umfassende Revitalisierungsmaßnahme, die den traditionell benachteiligten Londoner Osten städtebaulich, wirtschaftlich und sozial an die anderen Teile der Stadt anbinden sollte. Mit der Entscheidung den Olympiapark, das Herzstück der Olympischen Sommerspiele, im Lower Lea Valley auf einer weitgehend brachliegenden Industriefläche anzusiedeln, verband sich die Hoffnung auf einen tiefgreifenden und dauerhaften Strukturwandel auf dem Gelände selbst und in den benachbarten Stadtteilen. Die olympischen Boroughs (Stadtbezirke) Newham, Hackney, Tower Hamlets und Waltham Forest – im Umfeld des Olympiaparks gelegen – und Greenwich am Südufer der Themse wiesen und weisen messbare soziale und infrastrukturelle Benachteiligungen gegenüber anderen Teilen des Großraums London auf. So sind Durchschnittseinkommen, Bildungsniveau und Lebenserwartung geringer als in anderen Teilen der Stadt, die Zahl der Sozialhilfebezieher und die Arbeitslosenquote dagegen deutlich höher (vgl. Braun/Viehoff 2012: 5f). Das Konzept der Spiele von London stellte bereits in den Bewerbungsdokumenten die nach-olympische Nutzung in den Mittelpunkt. So sollte beispielsweise das Olympiastadion mit seinen während der Spiele rund 80.000 Sitzplätzen anschließend deutlich zurückgebaut werden (u.a. wird hier ab 2016 der Fußball-
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verein West Ham United seine Heimspiele austragen). Andere Sportanlagen (z. B. das Aquatic Centre) und der Park selbst sollten der Öffentlichkeit voll zugänglich gemacht werden. Um den teuren Neubau von später möglichweise nicht mehr ausreichend genutzten Sportstätten zu vermeiden, fanden zahlreiche Wettbewerbe in bereits bestehenden Arenen außerhalb des zentralen Olympiageländes statt – beispielsweise in den ExCeL-Messehallen, im Wembley Stadion oder im während der Spiele zur North Greenwich Arena umbenannten O2, dem früheren Millenium Dome (vgl. Abb. 1). Abb. 1: Olympische Sportstätten in London
Quelle: Eigene Zeichnung, verändert nach ONS, LOCOG
Die Organisatoren der Olympischen und Paralympischen Spiele verbanden ihr Konzept von Anfang an mit dem Begriff der Legacy, der seit 2003 fester Bestandteil der Olympischen Charta ist und mit dem das Internationale Olympische Komitee (IOK bzw. IOC) vor allem auf Kritik an „Gigantismus“ und an den hohen Kosten der Olympischen Spiele für die Ausrichterstädte reagierte. Legacy lässt sich ins Deutsche am ehesten mit „Vermächtnis“ oder „Erbe“ übersetzen und fasst alle längerfristig wirksamen positiven Effekte der Olympischen Spiele zusammen (vgl. IOC 2003: 12). Im Kern versprachen die Londoner Organisatoren, dass die Ausrichtung der Spiele eine dauerhafte sportliche, soziale und ökonomische Legacy hinterlassen würde (Comité de candidature Londres 2012
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2004: 1). Neben diesem allgemeinen Versprechen wurden für die Bewerbung auch erste Eckpunkte des Legacy-Konzeptes formuliert, die im Laufe der Vorbereitungen konkretisiert und weiter ausdifferenziert wurden. Hierbei kam der städtebaulichen Entwicklung und Aufwertung des benachteiligten Londoner Ostens stets eine herausragende Bedeutung zu. Durch die Betonung des dauerhaften Nutzens der Olympischen Spiele wurde das Legacy-Konzept zu einem Markenzeichen der Londoner Spiele. So ist der Begriff der Legacy heute untrennbar mit den Olympischen Spielen in London verbunden. Um die erfolgreiche Umsetzung des Legacy-Versprechens zu garantieren, wurden verschiedene neue Planungs- und Verwaltungsstrukturen geschaffen. Zentrale Organisation war hierbei die Olympic Park Legacy Company (OPLC), die später in die London Legacy Development Corporation (LLDC) umgewandelt wurde. Diese hat die Aufgabe, das Gebiet im und um den Olympiapark zu entwickeln und den Nutzen der Ausrichtung der Olympischen Spiele zu maximieren. Von der erfolgreichen Bewerbung im Jahr 2005 bis heute hat es allerdings immer wieder konzeptionelle und organisatorische Anpassungen gegeben, mit der die langfristigen Entwicklungsziele umgesetzt werden sollten.
L EGACY G AMES –
DAS
K ONZEPT
VON
L ONDON 2012
Durch die Anerkennung der Olympischen Charta im Rahmen des Bewerbungsprozesses verpflichtete sich London von Anfang an, positive Effekte im Umfeld der Spiele zu generieren. Allerdings lässt die unscharfe Definition des Begriffs Legacy durch das IOC breite Interpretationsspielräume. Preuß (2007: 211) beschreibt Legacy sehr umfassend als geplante und ungeplante, positive und negative sowie materielle und immaterielle Strukturen, die für oder durch eine Sportveranstaltung entstanden sind und länger bestehen als die Veranstaltung selbst. Kritisch weist Cashman (2003: 33) darauf hin, dass die unscharfe Definition sowie die einseitige Betonung des Positiven den Begriff Legacy zu einem beliebigen, trügerischen, problematischen, wenn nicht sogar gefährlichen Wort macht, das leicht für alles Mögliche instrumentalisiert werden kann. Die Organisatoren der Londoner Spiele haben die definitorische Beliebigkeit des IOC aktiv in ihrem Sinne ausgestaltet und zur zentralen Botschaft der Spiele gemacht. Von der Bewerbung, über die Planung bis zur Nachnutzung stand und steht das langfristige Erbe der Spiele im Fokus der Außendarstellung. Schon das Bewerbungsdokument nannte folgende konkrete Ziele, die durch die Ausrichtung der Spiele erreicht werden sollten:
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die Begeisterungsfähigkeit Londons für Sport aufgreifen, eine dauerhafte Veränderung im britischen Sport bewirken, die Gemeinden Ostlondons und ihre Umwelt revitalisieren.
Neben den sportpolitischen Zielen wurde von Beginn an die städtebauliche und ökonomische Entwicklung des Londoner Ostens konsequent verfolgt. Gleichzeitig sollten die Spiele aber nicht nur einen lokalen Nutzen haben, sondern ihre Wirkung auch auf nationaler Ebene entfalten. Dies ist nicht erstaunlich, da die Bewerbung gemeinsam von der Greater London Authority (GLA), der British Olympic Association (BOA) und der nationalen Regierung (UK National Government) eingereicht, unterstützt und finanziert wurde. Das Bewerbungsdokument kann deshalb auch als ein Kompromiss aus lokalen und nationalen Interessen verstanden werden. Die umfassende Berücksichtigung von lokalen und nationalen Interessen zeigt sich auch bei der weiteren Ausgestaltung der Legacy-Ziele. Nach der erfolgreichen Bewerbung im Jahre 2005 wurden die Ziele Anfang 2007 zunächst in einem Bericht des nationalen Ministeriums für Kultur, Medien und Sport weiter konkretisiert (vgl. DCMS 2008: 4). Während hierbei der Fokus – abgesehen von der Revitalisierung Ostlondons – noch auf der landesweiten Wirkung der Spiele lag, formulierte Ken Livingstone, der damalige Bürgermeister Londons, Anfang 2008 fünf präzisierte Ziele, die ihre Wirkung direkt in London entfalten sollten. Die sog. fünf key legacy commitments wurden auch von seinem Nachfolger Boris Johnson, der das Bürgermeisteramt im Mai 2008 übernahm, weitgehend unverändert fortgeführt. Sie betrafen (GLA 2008: 3): • • • • •
die Transformation des Herzens von Ostlondon, die Schaffung von neuen Breitensportangeboten, die Generierung positiver Effekte durch neue Jobs, wirtschaftliche Aktivitäten und ehrenamtliches Engagement, die Ausrichtung nachhaltiger Spiele und die Entwicklung nachhaltiger Gemeinden, die Außendarstellung Londons als kulturell vielfältige, kreative und weltoffene Stadt.
Auf der nationalen Ebene kam es im Jahre 2010 als Ergebnis der Ablösung der Labour-Regierung unter Gordon Brown durch die Koalition von Konservativen und Liberaldemokraten mit David Cameron an der Spitze zu einer Anpassung der Zielsetzung. Insbesondere wurden dabei die Erwartungen an die positiven Wirkungen der Spiele seitens der nationalen Regierung reduziert. Besonders
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deutlich wird dies am Beispiel der Revitalisierung Ostlondons, welche jetzt nur noch indirekt durch die Entwicklung des Olympic Park erfolgen sollte. Damit wurde der politische Fokus weniger auf die benachbarten Stadtteile als vielmehr auf den Park selbst gelegt. Trotz dieser Einschränkung blieb die Entwicklung des Londoner Ostens aber weiterhin ein Kernziel des Konzeptes.
S TADTENTWICKLUNG IM K ONTEXT O LYMPISCHER S PIELE Mit der Hoffnung auf einen nachhaltigen Mehrwert durch die Ausrichtung der Olympischen Spiele steht London nicht allein. Fast alle ehemaligen Olympiastädte der letzten Jahrzehnte verbanden mit der Ausrichtung der Spiele die Hoffnung auf einen durch das Sportereignis induzierten Entwicklungsschub. Die hauptsächliche Triebfeder für fast alle entsprechenden politischen und planerischen Maßnahmen war und ist die mit dem Zuschlag für die Spiele verbundene Deadline der Eröffnungsfeier, die ein Scheitern bei der Planung und Umsetzung im Grunde undenkbar macht. Der unverrückbare Termin mobilisiert personelle und finanzielle Ressourcen, die im „Normalbetrieb“ der städtischen Planung nicht aktivierbar sind. Dies schafft neue Arbeitsstrukturen und Netzwerke, die quer zu bestehenden Planungsabläufen liegen und damit nahezu alle Arbeitsprozesse signifikant beschleunigen. Gleichzeitig wird der erhebliche Einsatz von Personal und Kapital sowie die Schaffung demokratisch nicht vollständig legitimierter Planungsorganisationen aber auch immer wieder heftig kritisiert (vgl. hierzu z. B. Häußermann/Siebel 1993). So ist es wenig verwunderlich, dass die Organisatoren neben den kurzfristigen vor allem die langfristigen positiven Effekte hervorheben, um den hohen Kosten der Veranstaltung einen mess- und greifbaren Gegenwert gegenüberzustellen. Entsprechend lassen sich die Themen Stadterneuerung und/oder Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur in den Konzepten aller Gastgeberstädte Olympischer Spiele der vergangenen 20 Jahre finden (vgl. IOC 2013). Die damit verbundenen baulichen Veränderungen sorgen für einen weithin sichtbaren Wandel und für einen scheinbar greifbaren Mehrwert. Angetrieben von positiven Beispielen eines olympiainduzierten Strukturwandels, allen voran von Barcelona ab 1992 (vgl. Marshall 2004), sollen die Spiele jedoch nicht nur für eine visuelle und technische Aufwertung sorgen, sondern auch einen grundlegenden sozio-ökonomischen Erneuerungsprozess mit gesamtstädtischer Wirkung initiieren. Hierzu ist jedoch eine langfristige Entwicklungsstrategie notwendig, welche die Nachnutzung der geschaffenen Einrichtungen in den gesamtstädtischen Kontext einbindet.
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S ICHERUNG
VON
L EGACY
IN
L ONDON
Um die Entfaltung von positiven Effekten der Olympischen Spiele in London sicherzustellen, wurde bereits drei Jahre vor dem Sportereignis die OPLC gegründet. Paritätische Träger dieser Gesellschaft waren der Mayor of London und das UK National Government (GLA 2010: 15). Aufgabe der OPLC war es, die Nachnutzung des Parks konzeptionell vorzubereiten sowie die LegacyBestrebungen verschiedener Interessengruppen zusammenzuführen und eine langfristige Entwicklungsperspektive zu formulieren. Darüber hinaus sollte die OPLC die nach-olympische Nutzung des Parks koordinieren. Neben dem London Organising Committee of the Olympic and Paralympic Games (LOCOG) und der Olympic Delivery Authority (ODA) war die OPLC eine von drei zentralen Organisationen zur Ausrichtung der Olympischen Spiele, auch wenn Sie organisatorisch der ODA untergeordnet war und durch sie finanziert wurde. Während das privatrechtliche LOCOG die Ausrichtung der sportlichen Wettkämpfe verantwortete und die ODA, eine öffentlich-rechtliche Organisation des Ministeriums für Kultur, Medien und Sport, für die Umsetzung aller baulichen und technischen Anlagen zuständig war, bildete die OPLC die zentrale Anlaufstelle für alle Aspekte der Nachnutzung und damit auch für die längerfristige Entwicklung des Londoner Ostens. Trotz dieser scheinbar klaren Aufgabenteilung war zum Zeitpunkt der Einrichtung der OPLC jedoch bereits eine Vielzahl anderer Organisationen an der Umsetzung der Legacy-Ziele beteiligt, was in der Praxis zur Überschneidung von Kompetenzen und einer unübersichtlichen Gemengelage von Interessen führte. Neben der OPLC, der ODA und der LOGOC waren 2010 die Host Boroughs (Five Borough Partnership Board), das UK Department for Communities and Local Government (Olympic Park Regeneration Steering Group), die Lea Valley Regional Park Authority (LVRPA), die London Development Agency (LDA) sowie die London Thames Gateway Development Corporation (LTGDC) mit der Entwicklung des Olympic Park befasst (vgl. Viehoff/Kretschmer 2014: 21f). Die Einbindung dieser zahlreichen Partner war nicht zuletzt auch aufgrund der unterschiedlichen Eigentumsverhältnisse innerhalb des Olympic Parks notwendig. Neben den bereits genannten Organisationen, die alle unterschiedlich große Grundstücke am Olympic Park hielten, wurden zudem die London and Continental Railways (LCR), der ShoppingCentre-Betreiber Westfield sowie die British Waterways (BWB) in die Planungen einbezogen (House of Commons 2010). Diese Vielzahl der beteiligten staatlichen, halbstaatlichen und privaten Organisationen (vgl. Tab. 1) zeigt, dass die OPLC ihre langfristigen Aufgaben nur mit
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Tab. 1: Organisationen (Auswahl) und ihr Bezug zur Legacy des Olympic Park Organisation Olympic Delivery Authority (ODA)
Aufgaben Gründung: 2009 Träger: Mayor of London & UK National Government Rechtsform: Behörde Aufgaben: Bau des Olympic Park, Transformation des Parks, Transformation des Olympic Village Status: 2014 aufgelöst Gründung: 2009 Olympic Park Legacy Company Träger: Mayor of London & UK National Government (OPLC) Rechtsform: öffentliche Not-for-Profit-Gesellschaft Aufgaben: Planung, Entwicklung, Management und Betrieb des Olympic Park Status: 2012 aufgelöst Gründung: 2012 London Legacy Träger: Mayor of London Development Rechtsform: Mayoral Development Corporation Corporation (LLDC) Aufgaben: Planung, Entwicklung, Management und Betrieb des Olympic Park Status: in Betrieb Gründung: 1967 Lea Valley ReTräger: UK National Government gional Park Authority (LVRPA) Rechtsform: Behörde Aufgaben: besitzt und betreibt den Lea Valley Regional Park sowie drei olympische Sportstätten Status: in Betrieb London and Con- Gründung: 1994 tinental Railways Träger: UK National Government Rechtsform: Company (LCR) Aufgaben: besitzt Teile des Olympic Park Status: in Betrieb Gründung: 2004 London Thames Träger: UK National Government Gateway Development Corpora- Rechtsform: Körperschaft des öffentlichen Rechts Aufgaben: Wiederherstellung und Entwicklung des Lotion (LTGDC) wer Lea Valley (ohne Olympic Park) und der London Riverside Status: 2013 aufgelöst Sie planen und überwachen die Entwicklungen in ihrem Host Boroughs Zuständigkeitsbereich und sind oder waren im Olympic (Greenwich, Park Legacy Company Board, dem Development CorpoHackney, Newham, Tower Ham- ration Board und der Lea Valley Regional Park Authority vertreten. Darüber hinaus haben Sie sich zum Strategic lets, Waltham Regeneration Framework zusammengeschlossen und Forest) bilden das Five Borough Partnership Board.
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einer starken planungsrechtlichen Grundlage erfüllen konnte. Diese wurde allerdings erst 2011 durch die nationale Regierung mit dem sog. Localism Act geschaffen. Dieses Gesetz zielt auf eine Dezentralisierung administrativer Aufgaben und überträgt den Gemeinden eine Vielzahl von Handlungs- und Entscheidungskompetenzen im Bereich der Stadt- und Regionalentwicklung. Zudem berücksichtigt es die Sonderstellung Londons, hebt Teile der Regelungen der GLA aus dem Jahre 1999 auf und weist dieser weitreichende Kompetenzen im Bereich Wohnungsbau und Stadterneuerung zu (UK Parliament 2011: 195ff). Für die Entwicklung Ostlondons und des Olympic Park ergaben sich aus dem Localism Act zwei wesentliche Veränderungen. Zum einen wurde die LDA in die GLA Land and Property (GLAP) überführt. Mit dieser Überführung wurden zahlreiche öffentliche Grundstücke aus anderen Trägerschaften in der GLAP, und damit in einer Organisation, zusammengefasst. Darüber hinaus autorisiert der Localism Act den Mayor of London zur Gründung sog. Mayoral Development Corporations, die Entwicklungsprojekte von herausragender Bedeutung umsetzen sollen. Im Zuge dieser planungsrechtlichen Änderung wurde im April 2012 auch die OPLC in die LLDC umgewandelt. Mit ihrer Gründung übernahm die LLDC nicht nur das Management des Olympiaparks und den Betrieb der olympische Sportstätten, sondern sie wurde auch Eigentümerin des gesamten Olympiageländes, das unmittelbar nach den Spielen 2012 in Queen Elizabeth Olympic Park umbenannt wurde. Seit Oktober 2012 übernimmt die LLDC darüber hinaus die städtebauliche Planung für den Park selbst sowie für Teile der angrenzenden Nachbarschaften Hackney Wick, Fish Island, Bromely-by-Bow, Sugar House Lane Carpenters und Stratford City (vgl. Abb. 2). Der gesamte Planbereich umfasst eine Fläche von 480 Hektar, davon ca. 100 Hektar (noch) unbebaute Grundstücke. Der Queen Elizabeth Olympic Park selbst hat eine Fläche von 226 Hektar. Er ist damit größer als der Hyde Park oder die Kensington Gardens; allerdings umfasst er nicht nur Grünflächen, sondern auch viele bebaute Flächen. Die Umwandlung der OPLC in die LLDC war also weit mehr als nur eine reine Umbenennung. Vielmehr zog sich die nationale Regierung im Zuge des Localism Acts formal aus der Entwicklung des Londoner Ostens zurück. Wurden die OPLC noch paritätisch vom Mayor of London und dem National Government getragen, untersteht die LLDC allein dem Bürgermeister. Damit wurde die Rolle der Stadt erheblich gestärkt. Im London Plan, dem strategischen Planungsdokument für die Entwicklung der Stadt von 2011, wird die Revitalisierung des Londoner Ostens in Verbindung mit der Legacy der Olympischen Spiele als „Londonʼs single most important regeneration project for the next 25 years“ bezeichnet (Mayor of London 2011: 43).
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Z UKÜNFTIGE E NTWICKLUNG DURCH DIE LLDC Für die zukünftige Entwicklung des Londoner Ostens durch die LLDC sind zwei Planungsdokumente von entscheidender Bedeutung. Zum einen das Legacy Communities Scheme (LCS), welches grundsätzliche Vorgaben für die Landnutzung macht. Ähnlich dem deutschem Bebauungsplan regelt es zum einen die Nutzungsstruktur des Entwicklungsgebietes, zum anderen legt es maximale Geschossflächen für die beabsichtigten Nutzungen fest. Aus Tabelle 2 wird ersichtlich, dass der Wohnfunktion der mit Abstand größte Flächenanteil zugeteilt wird. Tab. 2: Geplante Flächennutzung des Entwicklungsbereichs im und um den Olympic Park (maximale Geschossfläche in m2) Wohnen
641.817
Einzelhandel
56.187
Büroflächen
46.139
Hotels, Gastronomie
14.500
Freizeitnutzungen Gemeinschaftseinrichtungen Maximale Gesamtgeschossfläche
3.606 31.451 793.700
Quelle: ODA 2012
Im Zuge der Entwicklung des Londoner Ostens definiert das LCS gleichzeitig den räumlichen Wirkungsbereich der LLDC, die sog. Legacy Corporation Area. Das LCS stellt damit den vorläufigen Endpunkt von vier Phasen der Planung zur Transformation des Londoner Ostens dar. Nach den Phasen Games Preparation, Staging the Games und Post Games Transformation Development regelt die Phase des Legacy Communities Scheme die endgültige und rechtssichere Nachnutzung der Fläche. Das LCS ist seit September 2012 rechtskräftig. Zusätzlich zum Legacy Communities Scheme ist jede Planungsbehörde, also auch die LLDC, verpflichtet, einen sog. Local Plan zu erstellen, der eine Zukunftsvision für das Planungsgebiet darstellen und grundlegende Entwicklungsstrategien benennen soll. Der Local Plan für die Legacy Corporation Area sieht für die weitere Entwicklung die drei – sich in Teilen überschneidenden – Arbeitsbereiche Park, Place und People vor. Park steht dabei für die postolympische Nutzung der Sportanlagen und den Aufbau von lokalen Erholungsangeboten durch ein umfangreiches Sport-, Kultur- und Festivalprogramm. Place
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beschreibt das Ziel, Investitionen in das Londoner East End zu holen, ein neues Zentrum für die Kreativwirtschaft zu etablieren und Ostlondon zu einem attraktiven Ort des Lebens und Arbeitens für alteingesessene und neue Bewohner zu machen. Der Arbeitsbereich People soll schließlich der lokalen Bevölkerung Zugang zu Bildung und Arbeitsplätzen ermöglichen, die Boroughs miteinander verbinden und die soziale Kluft zwischen Ostlondon und dem Rest der Stadt überwinden (vgl. LLDC 2014a: 13). Das Planungsgebiet der LLDC soll damit langfristig zu einem sozial durchmischten, ökonomisch leistungsstarken und ökologisch wertvollen Teil Londons werden, dessen Entwicklung auch auf die benachbarten Bereiche ausstrahlt. Der Local Plan gibt hierfür einen Entwicklungshorizont von 20 Jahren (2011 bis 2031) vor. Aufgrund der Größe des Planungsgebietes und der langfristigen Perspektive des Entwicklungsplans ist die tatsächliche Entwicklung allerdings von vielen Faktoren abhängig, die durch die LLDC kaum beeinflusst werden können. Innerhalb des Dreiklangs von Park, Place, People ist der Gestaltungsspielraum der LLDC im Bereich Park vermutlich noch am größten, da Betrieb und Vermarktung der Sportstätten sowie die Organisation von Massenveranstaltungen von der LLDC selbst durchgeführt werden. Im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung (Place) ist die LLDC in erheblichem Maße auf das anhaltende Interesse von privaten Investoren und die Zusammenarbeit mit privaten Projektentwicklern angewiesen. Am schwierigsten dürfte sich die Umsetzung der sozialen Komponente (People) gestalten. Es ist fraglich, ob die Fokussierung auf die Bereiche Bildung und Arbeitsbeschaffung für eine Reduzierung der sozialen Ungleichheit ausreicht, da hier nicht nur teure Maßnahmen zum Ausgleich sozialer Ungleichheit ergriffen werden müssen, sondern auch eine langfristige Integrationsstrategie notwendig ist. In der rund 18 Monate dauernden Phase des Post Games Transformation Development wurden vor allem die temporären Anlagen abgebaut (z. B. HockeyArena, Basketball-Arena), die verbleibenden Sportstätten umgebaut (z. B. Velodrom, Veranstaltungshalle Copper Box Arena) und verkleinert (z. B. Olympiastadion, Aquatics Centre), die Grünflächen gestaltet und der Park in weiten Teilen der Öffentlichkeit frei zugänglich gemacht. Der zukünftige Fokus liegt vor allem auf der wirtschaftlichen Entwicklung des Parks und auf dem Wohnungsbau in seinem unmittelbaren Umfeld. Das Athletendorf, das während der Spiele 17.500 Sportlern, Trainern und Funktionären Unterkunft bot, soll in das sog. East Village E20 mit insgesamt 2.818 Wohneinheiten, bei denen es sich überwiegend um Mietobjekte handelt, umgewandelt werden. Daneben sollen fünf weitere neue Nachbarschaften entstehen. Sie sollen mit einem zeitlichen Versatz gebaut werden und befinden sich derzeit in unterschiedlichen Planungs-
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stadien. Die erste Nachbarschaft, Chobham Manor, entsteht im nördlichen Anschluss zum East Village und wird zum Zeitpunkt der Fertigstellung 828 Wohneinheiten umfassen. 75 % der Wohnungen und Stadthäuser sollen speziell an den Bedürfnissen von Familien ausgerichtet sein, ein Drittel der Einheiten soll als Sozialwohnungen entstehen. Die Nachbarschaften East Wick und Sweetwater werden bis 2023 durch ein Konsortium aus den Unternehmen Balfour Beatty Construction und Places for People gebaut. In East Wick, am westlichen Rand der zentralen Grünfläche des Areals, sollen 870 Wohneinheiten, mit einer Mischung aus geförderten Einfamilienhäusern und privatfinanzierten Mietobjekten entstehen. In Sweetwater sind 650 Einheiten geplant, die entweder einen privaten Garten besitzen oder direkten Zugang zu öffentlichem Grün haben sollen. Beide Nachbarschaften sollen ein Bindeglied zwischen den bereits bestehenden und als conservation areas festgeschriebenen Bereichen von Hackney Wick und Fish Island sein. Für die beiden verbleibenden Nachbarschaften Marshgate Wharf und Pudding Mills bestehen bislang nur rudimentäre Planungen und das grobe Ziel, ihre Entwicklung bis 2031 abgeschlossen zu haben. Neben der reinen Wohnfunktion sind in allen Nachbarschaften auch Versorgungseinrichtungen, Schulen und Kindergärten sowie andere öffentliche Einrichtungen vorgesehen. Ein Schwerpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung entsteht mit der Bezeichnung International Quarter rund um das Westfield Shopping Centre, einem bereits im September 2011 eröffneten, gigantischen Einkaufszentrum in Stratford mit rund 175.000 m² Einzelhandelsfläche. Das International Quarter wird rund 34.000 m² Bürofläche umfassen, Raum für Einzelhandel und Gastronomie bieten sowie mehrere Hotels und Wohnkomplexe beherbergen. Darüber hinaus wird der Bereich um das ehemalige Pressezentrum im Nordwesten des Olympic Park ebenfalls als Büro- und Einzelhandelsstandort mit Anschluss an Hackney Wick vermarktet. Für eine umfassende Beurteilung des Erfolges der aktuellen Planungen ist es vor dem Hintergrund der 20-jährigen Entwicklungsperspektive noch zu früh. Es wird abzuwarten sein, wie sich die gesetzten Ziele in der Praxis realisieren lassen. Für die Umsetzung hat die LLDC einen 10-Jahresplan entwickelt, der etwa alle drei Jahre evaluiert werden soll. Ein letztes Update erfolgte 2014. Zusätzlich veröffentlicht die LLDC alle drei Monate einen Tätigkeitsbericht, der über die aktuellen Entwicklungen informieren soll.
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Abb. 2: Sportstätten im Olympic Park
Quelle: Eigener Entwurf
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D IE O LYMPISCHEN S PIELE 2012 – F ESTIVALISIERUNG 2.0? Kurz vor den Olympischen Spielen bejubelte der damalige IOC-Präsident Jacques Rogge das Konzept von London als Blaupause für zukünftigen Olympische und Paralympische Spiele. Selbstverständlich konnte er damals noch nichts über die tatsächliche Umsetzung der Pläne wissen. Auch wenn Jacques Rogge dabei nicht hinreichend berücksichtigte, dass es bereits zuvor funktionierende Konzepte einer sinnvollen Nachnutzung der Olympischen Sportstätten gab, z. B. schon in München 1972 (vgl. Viehoff/Kretschmer 2014), lag er mit seinem Diktum dennoch nicht ganz falsch. Nur wenige Veranstalter haben ein so umfassendes Konzept für die Zeit nach den Spielen vorgelegt, wie die Londoner. Dabei spiegelt das Konzept eine konsequent projektorientierte Stadtplanung wider, die Häußermann und Siebel bereits 1993 kritisch als Festivalisierung beschrieben haben. Den Kern ihrer Festivalisierungsthese bildet die Beobachtung, dass heutige Stadtplanung zunehmend projektorientiert vorgeht und dabei die bestehende Linienplanung und deren klassische Organisationsformen umgeht. Dadurch sollen insbesondere Planungsblockaden überwunden und alle Prozesse beschleunigt werden. Den Grund für diese Entwicklung sahen Häußermann und Siebel in immer komplexer werdenden Planungsstrukturen, die unter „Normalbedingungen“ durch eine Vielzahl von einschränkenden Vorgaben und der Beteiligungen vieler unterschiedlicher Interessensgruppen gekennzeichnet sind. Hierdurch werden die Prozesse und Abläufe innerhalb der Verwaltung langsam und vermitteln zunehmend den Eindruck der Handlungsunfähigkeit. Einen Gegenentwurf zu diesen starren Richtlinien, Behördenstrukturen und Beteiligungsverfahren identifizierten sie in einer projektorientierten Planung, die sich eigene, lösungsorientierte Strukturen schafft, quer zu den bestehenden Ämtern und Behörden arbeitet und damit rasche Veränderungen bewirken kann. Damit wird vor allem die Tendenz hin zu einer (neo-)liberalen bzw. marktwirtschaftlich ausgerichteten Stadtentwicklung gestärkt. Die enge Verknüpfung von öffentlicher Hand und privater Wirtschaft, die heute für die Realisierung von Großprojekten unabdingbar erscheint, wird bei den Londoner Spielen besonders deutlich. Gleichzeitig zeigen sich jedoch auch die Probleme, die mit dieser engen „Partnerschaft“ einhergehen. Während die ODA als Organisation des öffentlichen Rechts mit der Realisierung der Olympischen und Paralympischen Spiele beauftragt war, engagierte sie bereits 2006, also nur ein Jahr nach ihrer Gründung, ein Konsortium aus drei multinationalen Consultingunternehmen, die CLM Ltd., mit eben dieser Umsetzung. Mit dieser Auftragsvergabe zog sich die ODA aus der aktiven Umsetzung auf die Ebene der
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Rahmenplanung zurück, während das operative Geschäft von CLM durchgeführt wurde. Raco (2013) beschreibt diesen Schritt als staatlich geführte Privatisierung öffentlicher Aufgaben und kritisiert, dass durch die Übertragung zentraler Aufgaben an den Privatsektor ein Großteil des Einflusses der öffentlichen Hand auf die Umsetzung des Projektes verloren geht. Dabei beschränkt sich der Kontrollverlust nicht nur auf die eigentliche Projektsteuerung, sondern auch auf die Überwachung der Kapitalströme innerhalb des Projektes. Raco zeigt auf, dass die öffentliche Hand letztlich nur noch den rechtlichen Rahmen für die Umsetzung der Londoner Spiele vorgegeben hat und die praktische Umsetzung nur in sehr geringem Maße beeinflussen konnte. Besonders deutlich wurde dies bei der Beauftragung von Baufirmen, die ihre Verträge alle mit CLM schlossen. Insgesamt hat CLM im Rahmen der Spiele rund 43.000 Einzelverträge mit Subunternehmern ausgehandelt (ebd.: 188). Das Konzept der Kompetenzübertragung auf private Firmen setzt sich bei der Transformation und Entwicklung des Olympiaparks nach den Spielen fort. Die LLDC hat mit dem Legacy Communities Scheme und dem Local Plan die rechtliche Basis für die Entwicklung des Parks geschaffen und wacht nun über die Einhaltung der Regularien durch private Investoren. Diese konsequente Übertragung sensibler, komplexer und ehemals hoheitlicher Aufgaben an die Privatwirtschaft erlaubt es, mit Blick auf London von einer Festivalisierung 2.0 zu sprechen.
D AS H ERZ O STLONDONS 2031 Die Weichen für eine positive Transformation des Londoner Ostens scheinen gestellt. Die planerischen und institutionellen Rahmenbedingungen wurden formuliert und erste nacholympische Projekte befinden sich in der Realisierung. Aber ob die ambitionierte Vision 2031 tatsächlich umgesetzt werden kann, hängt nicht zuletzt von einer Reihe von externen Faktoren ab, die von der LLDC nur bedingt beeinflusst werden können. So können viele Projekte nur durch die Unterstützung externer Partner und privater Investoren realisiert werden. Trotz der berechtigten Kritik an der Partnerschaft von öffentlicher Hand und privatem Sektor, existiert mit der LLDC aber eine rechtlich starke Organisation, welche die zukünftige Koordination der einzelnen Projekte übernehmen kann. Zudem hat die LLDC die Kompetenzen, die Planungen an sich ändernde Rahmenbedingungen anzupassen und damit den Entwicklungsprozess immer wieder neu zu justieren. Dabei ist die Umsetzung der sozialen Aspekte des Legacy-Konzeptes die wohl schwierigste Aufgabe. Der Erfolg der geplanten sozialen Durchmischung sowie die versprochene, aber noch wenig konkret erkennbare Anbindung
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des Geländes an die benachbarten Stadtteile kann erst auf lange Sicht bewertet werden. Kritische Stimmen haben in diesem Zusammenhang auf die Gefahr hingewiesen, dass es im näheren Umfeld des Parks zu Gentrification und in der Folge zu einer Verdrängung der bisherigen Bewohnerschaft kommen kann (vgl. z. B. Buttler/Hamnett/Ramsden 2013: 573). Das generelle Potenzial für solche Prozesse ist zweifellos gegeben. Aktuelle Untersuchungen von Zehner und Selbach (2014) zeigen jedoch, dass Immobilienmakler zwar mit der neu gewonnenen Attraktivität des Gebietes und seiner guten Infrastruktur werben, bislang aber noch keine umfassende Gentrifizierung der umliegenden Stadtquartiere stattgefunden hat, die über das Ausmaß in anderen Teilen der Stadt hinausgeht. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich dies in Zukunft ändern könnte. Problematisch ist dabei vor allem, dass die LLDC nur zeitlich befristet agiert. Zwar ist noch kein Zeitpunkt für die Auflösung der Gesellschaft fixiert, die LLDC selbst gibt jedoch an, dass sie voraussichtlich mit dem Auslaufen des 10-JahresPlans ihre Aufgaben an andere Organisationen übergeben wird (LLDC 2014b: 22). Käme es tatsächlich hierzu, wäre das Planungsgebiet noch stärker den Kräften des sehr dynamischen Londoner Immobilienmarktes überlassen. Die Vision eines sozial durchmischten Londoner Ostens wäre dann nur noch schwer zuhalten.
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„The making of Londonʼs socio-cultural and political geographies has always been related closely to interventions in, and actions upon, its physical spaces“ (IMRIE/LEES/RACO 2009: 5).
9. „The Regeneration Games“? Das Erbe der Spiele: East London post-2012. Das Beispiel Stratford V ALERIE V IEHOFF , Bonn und Sheffield
Die Olympischen und Paralympischen Sommerspiele 2012 in London sind längst zum Vorbild dafür geworden, wie Städte versuchen, die Ausrichtung von Mega-Events erfolgreich zur Erreichung langfristiger Entwicklungsziele einzusetzen. Das zentrale Versprechen der Londoner Legacy Games war deshalb nicht nur sportlicher Natur, sondern richtete sich auch auf das erhoffte Stadterneuerungspotential für Stratford und den gesamten Londoner Osten. Bereits in den Bewerbungsunterlagen Londons (London Bid Book 2004: 15) bezog sich eines der vier Versprechen, mit denen London sich um die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2012 bewarb, explizit auf die regenerative Kraft der Investitionen für den Osten Londons im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen: „Priorities and potential: (1) Putting the needs of athletes first; (2) Harnessing Londonʼs passion for sport; (3) Creating a legacy to transform sport in the UK; (4) Regenerating east London communities and their environment“ (London Bid Book 2004: 15).
Die Legacy-Versprechen Londons bezüglich der langfristigen positiven Einflüsse des Mega-Events Olympische Spiele auf die Stadtentwicklung waren zwar beeindruckend und sind seither von einigen schon zu einem neuen Modell zur Olympiaausrichtung erhoben worden (Raco 2013), erfunden hat die Gruppe um
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Sebastian Coe jedoch die Idee der durch Olympia initiierten, bzw. katalysierten Stadt(teil)-Erneuerung keineswegs. München 1972, Barcelona 1992 und auch Sydney 2000 nutzten die Spiele bereits gezielt zur Aufwertung eines sozioökonomisch benachteiligten, durch Deindustrialisierung negativ betroffenen oder aus anderen historischen oder geographischen Gründen vernachlässigten Stadtteils im jeweiligen Großraum der Olympischen Spiele (Cashman 2003, 2005, Chalkley/Essex 1999, Toohey 2008, 2012). Das berühmteste Beispiel ist und bleibt Barcelona, das zu einem Vorbild und Ursprungsmuster für die erfolgreiche Stadterneuerung durch Mega-Events geworden ist (Abad 1996, Brunet 2009, Nello 1997), wenn auch nicht ohne Kritik (z.B. Blanco 2009, Garcia-Ramon/Albet 2000). Ausdrückliches und erklärtes Ziel der Londoner Olympiaausrichtung war es, ebenso erfolgreiche Regeneration Games zu liefern wie vordem Barcelona (Solman 2012, Ormsby 2008). Während es unwahrscheinlich ist, dass London die eher „weichen“ sportpolitischen und (volks-)gesundheitlichen Legacy-Ziele – wie beispielsweise einen Anstieg der regelmäβigen sportlichen Betätigung der Londoner Bevölkerung – jemals erreichen wird, so steht es mit den „harten“ Zielen im Bereich der urban regeneration besser: die Chancen sind gegenwärtig gut, dass London 2012 in Zukunft Aufnahme in die Hall of Fame der erfolgreichen Regeneration Games finden wird. Im Folgenden beleuchten wir zunächst den Begriff (Urban) Regeneration, zeichnen dann kurz die Geschichte der verschiedenen vorolympischen Regenerationsprojekte und stadtpolitischen Initiativen nach, die in Stratford seit den 1980iger Jahren stattgefunden haben, und stellen dann einige der post-2012 Entwicklungen in Stratford vor. Besonderes Augenmerk wird dabei auf den neu geschaffenen Queen Elizabeth Olympic Park gerichtet. Die abschließende Diskussion geht der Frage nach, inwieweit und in welcher Form die Olympischen Spiele London 2012 in Stratford zu einer nachhaltigen urban regeneration beigetragen haben.
U RBAN R EGENERATION Regeneration ist zwar ein häufig verwendeter Begriff in der britischen Stadtplanungsliteratur und -politik, was jedoch nicht bedeutet, dass er klar definiert ist. Etymologisch geht der Begriff auf das lateinische Verb regenerare (wieder erzeugen/schaffen) zurück. Im heutigen Sprachgebrauch oszilliert die Interpretation und Anwendung zwischen (quasi)religiösen Konnotationen einer spirituellen Wiedergeburt und einem medizinischen Verständnis von Erholung oder
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Wiedererstarkung eines Organismus. In Bezug auf Stadtplanung entwickelte sich der Begriff regeneration vor allem im Kontext eines Diskurses, der die Städte in einem sozio-biologischen Determinismus mit lebenden Organismen gleichsetzt, die sich selbst regenerieren können. Wie bei anderen Organismen auch ist jedoch zur erfolgreichen Regeneration meist Hilfe von außen notwendig: in diesem Fall stadtplanerische Unterstützung, sollten die Selbstheilungskräfte einmal versagen. Über Sinn und Zweck, Art und Umfang solcher „Wiederbelebungsmaßnahmen“ bestanden und bestehen jedoch unterschiedliche Ansichten. Basierend auf einem solchen biologistischen Verständnis von Regeneration oder (Selbst-) Erneuerung schrieben John Forshaw und Patrick Abercrombie beispielsweise im für den London County Council (LCC) produzierten County of London Plan (1943), dass die Londoner Southbank sich im Vergleich zu nördlich der Themse gelegenen Stadteilen „nur außergewöhnlich langsam selbst regeneriere“ und daher nun eine großflächige und „drastische Rekonstruktion“ notwendig sei (Forshaw/Abercrombie 1943: 135). Janet Jacobs, die sich in den 1950er und 1960er Jahren in New York als Aktivistin gegen genau solche Großbaumaßnahmen engagierte, beruft sich in ihrer Kritik allerdings gleichfalls auf eine soziobiologische Stadtmetapher: „lively, diverse, intense cities contain the seeds of their own regeneration, with energy enough to carry over for problems and needs outside themselves“ (Jacobs 1961: 448). Eines der deutschen Standardwerke der Stadtplanungslehre verwendet eine ähnlich naturalisierende Begrifflichkeit: „D.h. also, dass auch der Stadtverfall, gleichgültig ob als normaler Alterungsprozess oder künstlich entstanden, ein wesentlicher Auslöser von Planungserfordernissen ist, weil ab einer bestimmten Schwelle eine Regeneration und Revitalisierung aus eigenen Kräften nicht mehr möglich ist“ (Müller-Ibold 1996: 117, Kursivierung V. Viehoff).
Müller-Ibold kommt dann zu dem Schluss, dass eine Heranführung der heruntergekommenen Stadtteile an das Gesamtniveau einer Stadt angesichts beschränkter finanzieller Ressourcen eine schrittweise Regeneration erfordere, so dass solche Stadtteile dann „mit anderen wieder in der Standortgunst zumindest spezifischer Bevölkerungsgruppen konkurrieren und sich damit selbst wieder regenerieren können“ (Müller-Ibold 1997: 226). Kritische Stadtforscher lehnen eine solche sozio-biologische Metaphorisierung der Stadtentwicklung und -planung jedoch verständlicher Weise ab. Sie stellen darüber hinaus grundsätzlich in Frage, dass urbane Regenerationsprojekte jemals wirklich den erhofften Effekt einer Verbesserung der Wohnzustände, des Stadtraums und der Lebensqualität – auch und gerade für die ärmeren Bewohner der betroffenen Gebiete – erzielen können. Und sie weisen statt auf „natürliche“
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Entwicklungen auf strukturelle, wirtschaftliche und politische Faktoren und den Einfluss unterschiedlicher Akteure hin: „The city does not actually heal or regenerate itself, it relies on the active agents (people, policy-makers) within that organisation to provoke change“ (Littlefield 2012: 9).
Manche bezeichnen Regeneration daher auch als slippery word (Edwards 2011: 56) oder sie mokieren sich über den impliziten Auferstehungs-Mythos des Begriffs, der es dann sogar erlaube, z.B. Canary Wharf wie Phönix aus der Asche aufsteigen zu sehen, mit den Wolkenkratzern des internationalen Großkapitals über den ehemaligen Docklands und der industriellen Vergangenheit Großbritanniens schwebend (Minton 2012: 4). Robert Furbey weist daraufhin, dass der „religiösen“ wie auch der „organisch-biologischen“ Metaphorik eine gewisse systematische Blindheit inhärent sei, einerseits gegenüber den „Ausgeschlossenen“, andererseits gegenüber jenen, die aktiv ausschließen. „Two particular, and historically familiar, limitations are suggested here. […] First, we consider the frequent silence in regeneration discourse regarding ‘the excluders’, then its partial muzzling of ‘the excluded’“ (Furbey 1999: 434-435).
(Urban) Regeneration sollte also nicht als „neutral“ oder als Patentrezept gesehen werden, sondern als ein normatives Konzept der Stadtpolitik, das sich unter bestimmten historischen Konditionen entwickelt hat und sich der sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und strukturellen städtebaulichen Verbesserung einer Stadt oder eines Stadtgebietes verschreibt (Imrie et al 2009: 4). Das Urban Regeneration Konzept in Großbritannien Aufgrund der konstitutionellen Unterschiede schlagen sich in Großbritannien Regierungswechsel oft deutlich schneller und dramatischer in Kurswechseln auf der regionalen und kommunalen Planungsebene nieder, als dies in Deutschland der Fall ist, woraus ein „more fluid and rapidly changing institutional setting for the delivery of regeneration policy“ resultiert (Couch et al 2011: 19). So hat zwar der 1947, also in der als postwar consensus bezeichneten Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, verabschiedete Town and Country Planning Act (TCPA) trotz einiger Modifizierungen heute noch Gültigkeit (Zehner/Wood 2010, insbesondere Kapitel 7), aber nur, weil er zwar unter einer Labour-Regierung, aber mit überparteilichem Einvernehmen und im Glauben an den Keynesianischen Wohlfahrtsstaat weitgreifende staatliche Interventionen in raumwirksame gesell-
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schaftliche und wirtschaftliche Prozesse implementierte. Andere Planungs- und Verwaltungsinstitutionen auf der kommunalen oder regionalen Ebene wurden aber in den Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bei fast jedem Regierungswechsel sporadisch neu eingerichtet, gestärkt, geschwächt oder ganz abgeschafft. Entsprechend der politischen Ideologie der beiden großen Parteien schwankten städtische und/oder regionale Planungsstrategien immer wieder zwischen zwei Polen. Einmal dominierte ein Labour-Fokus auf sozialer Gerechtigkeit und einer Verbesserung der Lebensbedingungen der sozial Schwächeren, kombiniert mit dem (teilweise) subsidiären Abtreten von Verantwortung an lokale oder regionale Regierungsebenen (z.B. die unter Tony Blairʼs New Labour-Regierung, 1997-2010, forcierte devolution mit weitreichenden Zugeständnissen an Wales, Schottland und Nord-Irland). Ein anderes Mal gab der ToryGlaube an die Macht des Marktes den Weg vor, verbunden mit einem Rückzug des Staates auf seine sogenannten Kernfunktionen (Stinshoff 2010) bei gleichzeitiger Machtkonzentration auf den Zentralstaat (z.B. Thatchers Abschaffung des Greater London Council unter dem ihr nicht genehmen „roten“ Londoner Bürgermeister Ken Livingstone 1986 (Polinna 2012)). Die Verantwortung für urbane Regeneration und die Prinzipen, nach denen diese durchgeführt werden sollte, haben sich daher in Großbritannien im Laufe der Jahrzehnte immer wieder geändert. Als Beginn der urbane Regenerationsprogramme im engeren Sinne kann das White Paper Policy for the Inner Cities (Department of the Environment, 1977) gelten. Seitdem ist urbane Regeneration eine Strategie, die sich explizit auf innerstädtische Probleme konzentriert, diese aber nicht mehr nur mit lokalisierten Sanierungsmaßnahmen (z.B. slum clearance) angeht, sondern ganzheitlich und langfristig lösen will. Auf diesem White Paper aufbauend, wurde 1978 der Inner Urban Areas Act verabschiedet, der den Gemeinden die notwendigen politischen und finanziellen Mittel zur Implementierung des neuen urbanen Regenerationsansatzes an die Hand gab (Couch et al 2011: 3). Urban Regeneration in London: Großprojekte Die Geographien Londons sind von jeher als Ergebnis von, Auslöser für und im Zusammenspiel mit politischen und planerischen Handlungen und Idealen entstanden, die den physischen Raum und die Gestalt Londons verändert haben (Imrie et al 2009). Im 19. Jahrhundert reichten die Eingriffe beispielsweise von der eher beiläufigen Verdrängung von zehntausenden von Einwohnern im Zuge des Baus des Eisenbahnnetzes über gezielte Eingriffe zur Verbesserung der Lebensbedingungen, z.B. durch den Bau von neuen Eisenbahn-Vororten und gezielten slum clearing-Aktionen, bis zur Errichtung von Prestigebauten (nach
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der Great Exhibition von 1851) wie dem Natural History Museum und dem Victoria & Albert Museum in South Kensington. Da die Pläne wesentliche Unterstützung durch Prinz Albert (Ehemann der Königin Victoria) erhalten hatten, erhielt das Museumsviertel den Spitznamen „Albertopolis“. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war auch in London zunächst von einer Phase des Wiederaufbaus geprägt. So wurden beispielsweise die durch deutsche Bombenangriffe schwer zerstörten Stadtteile Poplar in Ostlondon und Elephant & Castle in Südlondon nach dem neuen Town and Country Planning Act (1947) zu designierten post-war reconstruction zones erklärt und den modernistischen Idealen der Zeit entsprechend unter anderem mit Großwohnsiedlungen bebaut (Campkin 2013), die dem Gedanken der funktionalen Trennung von Arbeits- und Lebensraum verpflichtet waren. Die im 21. Jahrhundert in London zu beobachtenden umfassenden Infrastrukturmaßnahmen und urbane Regenerationsprojekte – von Crossrail über King’s Cross bis zu den Royal Docks und dem Olympiapark in Stratford – stehen stadtgeschichtlich in einer langen Tradition der Stadtverbesserung auch, und insbesondere, mit dem Ziel die Global City London weiterhin konkurrenzfähig zu halten im weltweiten Wettbewerb um ausländische Investoren:1 „The ambitions are part of a broader socio-political process in London that places urban regeneration at the fulcrum of the capital’s economic competitiveness. Like cities elsewhere, regeneration is being ‚put to work‘ by politicians as part of a strategy to remove obstacles to economic growth and to create the social and physical infrastructure required to compete for inward investment“ (Imrie et al 2009: 5).
S TADTPLANUNG
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Seit der institutionellen Einsetzung der ersten London-weiten Verwaltung, dem London County Council (LCC, 1889-1966), vor über 125 Jahren ist der Osten Londons Zielscheibe einer langen Reihe stadtplanerischer Interventionen gewesen. Auf dem berühmten Stadtplan der Armutsverteilung von Charles Booth (Map Descriptive of London Poverty 1888-1889) war bereits deutlich eine WestOst-Verteilung erkennbar: im Westen residierten die Besser-Betuchten, während Ostlondon durch die Farben der Armut gekennzeichnet war:
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Siehe Poynter (2015) für eine ausführliche Diskussion zum Thema Foreign Direct Investment (FDI) im Zusammenhang mit Olympia London 2012.
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„The East End is mapped in the colours of the honest working classes, crossed by ribbons of shopkeeper red, and interspersed with patches of black – alleys, courts and street networks damned under the name of ‚rookeries‘, with the meanest of them sketching an arc at the eastern edge of the city, from Shoreditch to Whitechapel“ (Mann 2008: 32).
Wirtschaftlich war der Osten Londons, bzw. waren die Vororte Londons im Osten2 von Industrie und Hafengewerbe geprägt. Seit Mitte der 1960er begann der „Niedergang“ des East End als Folge einer Reihe von ökonomischen Faktoren, wobei die allgemeine Deindustrialisierung in Großbritannien und der Umstieg auf Containerschiffe im Warenhandel und Hafengeschäft als die auschlaggebendsten angesehen werden. Die Geschichte des wirtschaftlichen Niedergangs der Docklands, ihr Wandel von einem wichtigen Cluster aus Handel und Industrie (De Miranda 2012, Marriott 2008) zu einer deindustrialisierten Hafenbrache und schließlich zu einem Hochhaus-Bankenzentrum ist bekannt.3 Einige der in diesem urbanen Regenerationsprozess involvierten Institutionen, d.h. die governance, sollen im Folgenden gleichwohl kurz dargestellt werden, da ihre Rolle als essentiell, wenn auch nicht unumstritten, anzusehen ist. Urban Development Corporations Erfunden wurden die Urban Development Corporations (UDC) von Lord Michael Heseltine, damaliger Secretary of State for the Environment in der konservativen Regierung unter Margret Thatcher. Legalisiert wurden sie durch den Local Government, Planning and Land Act 1980: „For the purposes of regenerating an urban development area, the Secretary of State shall by order made by statutory instrument establish a corporation (an urban development corporation) for the area“ (Local Government, Planning and Land Act 1980, S. 90).
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Sowohl die Armutskarten von Booth als auch die Zuständigkeit des LCC umfassten nur, was heute als Inner London bezeichnet wird, und erstreckten sich im Osten bis zum Fluss Lea. Erst mit der Schaffung des Greater London Council (GLC, 19661986) wurde “Outer London” inkorporiert, was einer Erweiterung der Stadtfläche von knapp über 300km² auf 1.572 km2 entsprach und mit einer Umstrukturierung und Erweiterung von 28 metropolitan boroughs auf 32 London Boroughs (plus the City of London) verbunden war.
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Zur Geschichte der LLDC siehe beispielsweise: Sorensen 2015, online abrufbar unter http://www.lddc-history.org.uk; zur Geschichte der Docklands siehe u.a.: Cohen/ Rustin 2008, Davidson/Lees 2005, Schubert 2002, Zehner 2008, Zehner/Wood 2010.
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1981 wurde in der Folge dieser Entscheidungen, zuständig für eine Fläche von 21,46 km², die sich über Teile der London Boroughs Southwark, Greenwich, Lewisham, Tower Hamlet und Newham erstreckte, die London Docklands Development Corporation (LDDC) kreiert. Simona Florio und Michael Edwards (2001) haben im Detail nachgezeichnet, wie sich die Haltung der Local Authority (Kommunalregierung) in Newham im Laufe der Zeit gewandelt hat von einem zunächst offenen Konfrontationskurs gegen die LDDC zu einem relativen Kooperationskurs in den 1990ern. Der direkte oder latente Widerstand des von der Labour Party regierten Stadtteils Newham gegen die von höchster Regierungsebene (Conservative Party) in den 1980er Jahren eingesetzte LDDC wird verständlich, wenn man in Betracht zieht, was das erklärte politische Ziel dieser Maßnahme war. Wie der LDDC-Initiator Lord Michael Heseltine nämlich ohne Zögern zugab, war es ausdrückliches Ziel, den Einfluss der demokratisch gewählten, von der Thatcher-Regierung jedoch als „socialist local authorities in east London“ angesehenen (Gardiner 2003: 3) Kommunalregierungen in Ost-London zu beschneiden oder deren Kompetenzen komplett zu umgehen (Poynter 2009). Die physische und ökonomische Verwandlung der ehemaligen Docks war beeindruckend (Zehner 2008), blieb jedoch erstens fast ausschließlich auf die der LDDC unterstehenden Flächen beschränkt und warf zweitens grundsätzliche Fragen der lokalen demokratischen Legitimation auf (Florio/Brownill 2000). City Challenge Programme Das 1991 initiierte City Challenge Programme sollte diesem demokratischen Defizit begegnen und den Local Boroughs wieder mehr Verantwortung zuwachsen lassen. Statt des top down-Ansatzes der LDDC sollten die Stadtverwaltungen sich in einem bottom up-Prozess auf Fördergelder bewerben können. Obwohl es sich nur um relativ geringe Summen handelte (insgesamt 37 Millionen GBP über fünf Jahre), wird das Programm oft als wichtiger Schritt in der Planungsgeschichte angesehen, da es nicht nur den demokratisch gewählten Stadtverwaltungen wieder mehr Einfluss zugestand, sondern außerdem zwei Neuerungen einführte: Erstens wurden die Gelder nicht nach Bedürftigkeit zugewiesen, sondern danach, wie überzeugend ein Antrag in einem konkurrierenden Bewerbungsverfahren die jeweiligen urbanen Regenerationpläne darstellte und begründete. Und zweitens wurde durch dieses kompetitive Verfahren ein Kooperationsdruck erzeugt, der zu neuen three-waypartnerships zwischen der öffentlichen Hand, Privatinvestoren und dem Dritten Sektor (NGOs u.ä.) führte.
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Newham war zwar in der ersten Runde nicht erfolgreich, hatte jedoch durch die Gründung des Stratford Development Partnerships die Grundlage für eine engere Zusammenarbeit mit Investoren gelegt und gewann im zweiten Anlauf 1993 einen City Challenge Grant mit einem Antrag, der vor allem durch seine Hebelwirkungsmechanismen (leverage) zur Mobilisierung privater Investoren überzeugte. In einer Zeit, als Investitionen in öffentliche Gebäude und Infrastrukturen (z.B. Krankenhäuser, Schulen und die neue Eurotunnel-Verbindung) fast nur noch in der Form von Private Finance Initiatives (PFI) stattfanden, wurde Newham bald zu einem Experten in diesem „Spiel“ (Florio/Edwards 2001). Durch die kreative Kombination von öffentlichen Geldern, z.B. EU Fördergeldern, City Challenges Fund (CC) und später dem Single Regeneration Budget (SRB), und den Interessen des Privatsektors erzielte Newham eine relativ erfolgreiche Regeneration, bzw. Imageaufwertung des Stadtzentrums in Stratford. Damit hatte sich Newham zum richtigen Zeitpunkt in eine aussichtsreiche Position für zukünftige urbane Regenerationsprojekte und als potentieller Austragungsort für die Olympischen Spiele manövriert. Neben der Tatsache, dass Stratford bereits ein interessanter Verkehrsknotenpunkt war, trug die Imageverbesserung des Stadtteils wesentlich dazu bei, dass er einen der begehrten Haltepunkte am Channel Tunnel Rail Link (CTRL) erhielt (Florio/Edwards 2001).4 London Thames Gateway Development Corporation (LTGDC) Parallel zu diesen lokalisierten Stadterneuerungsinitiativen entstand in den 1990er Jahren ein ambitionierter neuer überregionaler Plan: The Thames Gateway Plan for Sustainable Communities, auf dessen Grundlage 2004 die London Thames Gateway Development Corporation (LTGDC) gegründet wurde. Wegen der neuen Umstände (Regierungswechsel von Labour zu einer Koalitionsregierung aus Liberal-Demokraten und Konservativen im Mai 2010 und Ausrichtung der Olympischen Spiele im Sommer 2012) wurde die LTGDC im Jahr 2012 wieder aufgelöst und ihre Aufgaben und ihr Vermögen bzw. ihr Landbesitz zum Teil an die neue London Legacy Development Corporation (LLDC), zum Teil auch an die Greater London Authority (GLA) und zum Teil an die entsprechenden London Boroughs übergeben (Cohen/Rustin 2008).
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Allerdings halten dort auch im Jahr 2015 nur HS1 Züge auf der Linie St. Pancras – Ashford, nicht jedoch Eurostars (Eurostar, online abrufbar unter: http://www.eurostar. com/uk-en/travel-information/at-our-stations/stratford-international).
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London Legacy Development Corporation (LLDC) Als dritte mit der Regeneration des Londoner Ostens beauftragte Development Corporation wurde 2012 die LLDC geschaffen, die damit, also vor dem Beginn der Spiele, die bereits 2009 formierte Olympic Park Legacy Company ablöste. Ähnlich strukturiert wie die vorherigen Development Corporations hat auch die nicht demokratisch legitimierte LLDC für das ihr zugeschriebene Areal die Planungshoheit von den Local Boroughs übernommen. Allerdings ist die LLDC, die auf den Prinzipien des seit 2011 geltenden Localism Act5 beruht, dem Londoner Bürgermeister zugeordnet und nicht der Zentralregierung. Der seit 2008 regierende konservative Bürgermeister Boris Johnson hatte im September 2012 die Rolle des Vorsitzenden der LLDC übernommen, trat diese Position jedoch vor den Parlamentswahlen im Mai 2015 an seinen Legacy-Berater Neale Coleman ab, da er sich neben seiner Rolle als Londoner Bürgermeister auch noch als Abgeordneter ins Britische Unterhaus wählen ließ. Zusätzlich zu diesen direkt mit urbaner Regeneration betrauten Organisationen spielen noch zahlreiche weitere Institutionen in der Entwicklung des East Ends und insbesondere des neuen Olympiaparkgebietes eine Rolle, z.B. die Lee Valley Regional Park Authority (LVRPA), Westfield, London & Continental Railways, Olympic Delivery Agency (ODA), etc. (Braun/Viehoff 2012, Viehoff/ Kretschmer 2014). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Ost-London im Laufe der letzten hundert Jahre bereits Ziel zahlreicher Initiativen, Pläne und Projekte zur Regeneration gewesen ist. Und dennoch: Ost-London weist weiterhin, auch in den Zensusergebnissen von 2011, eine große Anzahl von LSOAs6 auf, die zu den am stärksten benachteiligten zehn Prozent nach dem Multiple Deprivation Index zählen (GLA 2011, DCLG 2011). Und man muss darüber hinaus sehen, dass viele Projekte bereits angelegt oder eingeleitet waren, die das Potential hatten, die urbane Regeneration des East Ends voranzutreiben, bevor das IOC 2005 entschied, die Austragung der Spiele 2012 an London zu vergeben (Davis/ Thornley 2010).
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Der Localism Act ist ein 2011 von der Koalitionsregierung eingeführtes Gesetz, das Planungsprozesse vereinfachen und den Bürgern direktere Einflussmöglichkeiten bieten soll (UK Government 2011, DCLG 2011 und für Kritik: Pipe 2013, Holman/ Rydin 2013, Hoolachan 2015, uvm.)
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Lower Super Output Areas, kleinste statistische Einheit des Zensus, entspricht ca. 1500 Personen pro Einheit.
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D IE L EGACY /R EGENERATION P LÄNE Mit den Worten des damaligen Oberbürgermeisters von London, Ken Livingstone, sollten die Spiele erstens Londonern mehr Möglichkeiten eröffnen, sich sportlich zu betätigen, zweitens sicherstellen, dass Londoner von neu entstehenden Arbeitsplätzen, Geschäftschancen und ehrenamtlichen Tätigkeiten profitieren, drittens das Herz Ostlondons transformieren, viertens zur Ausrichtung nachhaltiger Olympischer Spiele führen und zur Entwicklung von sustainable communities beitragen sowie fünftens als Paradebeispiel dafür dienen, London als eine bunt gemischte, kreative und gastfreundliche Stadt zu zeigen (GLA 2009: 7). Die von 2010 bis 2015 regierende Koalitionsregierung aus Konservativen und Liberal-Demokraten hing der Ideologie einer big society an, d.h. einer Gesellschaft, die nicht durch wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen, sondern durch ehrenamtliches Engagement und wohltätige private Initiativen ihren Zusammenhalt erfährt. Entsprechend formulierte sie die Versprechen dann, angepasst an diese politischen Kernziele, wie folgt um: „[to ensure] that the Olympic Park can be developed after the Games as one of the principal drivers of regeneration in East London“ (DCMS 2010: 1).
Auch hier kommt also urbane Regeneration wieder eine zentrale Rolle zu, ohne dass jedoch klar definiert wäre, für wen oder durch welche Mechanismen oder wie man das Ergebnis schließlich würde messen können.
S TRATFORD : S TAND DER D INGE
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J AHR 2015
Drei Jahre nachdem in London die Olympischen und Paralympischen Sommerspiele ausgerichtet worden sind, ist es zwar noch zu früh, um eine Legacy-Bilanz zu ziehen, es lässt sich jedoch definitiv feststellen, dass sich „viel getan hat“ im Osten. Mit David Littlefield könnte man sagen, dass dort viel (Re)Generation stattfindet, d.h. sowohl Versuche, Bestehendes wiederzubeleben als auch gleichzeitig Neues zu schaffen (Littlefield 2012). Im Folgenden wollen wir uns kurz zwei Beispielen zuwenden, dem International Quarter (TIQ) South and North und dem Queen Elizabeth Olympic Park, der sich ebenfalls in einen Nord- und einen Südteil untergliedert. Diese beiden Beispiele können nur kurze Einblicke geben; sie stellen einzelne Splitter eines riesigen städtischen Mosaiks dar, das weiterhin in Bewegung und Entwicklung ist.
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Der ehemalige Olympiapark, wie ihn die Besucher im Sommer 2012 erlebten, existierte nur für wenige Wochen. Nach dem Ende der Paralympischen Sommerspiele im September 2012 begannen alsbald die Um- und Rückbauarbeiten. Bereits im Juli 2013 wurde der Nordpark wieder für die Öffentlichkeit geöffnet, nachdem dort die von vorneherein als temporäre Sportstätten geplanten Basketballhalle und Riverbank Arena (Hockey) abgebaut und eine der neuen Attraktionen des Parks, der Tumbling Bay Kinderspielplatz und ein Café, fertig gestellt waren. Insgesamt werden im Areal des ehemaligen Olympiaparks neben dem bereits für die Spiele als Athletendorf gebauten und danach in East Village umbenannten Wohnquartier im Nord-Osten des Parks fünf weitere Wohn- und Wohnmischgebiete (Chobham Manor, East Wick, Sweetwater, Marshgate Wharf und Pudding Mill) entstehen. Die ersten Häuser in Chobham Manor sind bereits, wie der Presse zu entnehmen war, verkauft und sollen im Laufe des Jahres 2015 bezugsfertig sein. Die meisten bisher fertiggestellten Bauvorhaben in Stratford befinden sich jedoch nicht im Olympiapark, sondern entweder am Rand, z.B. an der Stratford High Street, oder auf dem zentralen Bereich um das Westfield Shopping Centre. Räumlich ist dieses Areal eingebettet in den Olympiapark und planungstechnisch steht es unter der Hoheit der LLDC, es befindet sich jedoch im Besitz der Stratford City Business District Limited, eines Joint Ventures zwischen der australischen Baufirma Lend Lease und London & Continental Railways (LCR). Hier sollen in den kommenden Jahren zwei Geschäftsviertel mit Wohnanteil entstehen: The International Quarter South und The International Quarter North. Beispiel 1: The International Quarter Lange bevor London den Zuschlag für Olympia 2012 bekam, waren in Stratford bereits wichtige Entscheidungen gefallen und Projekte eingeleitet worden, die später auch die räumliche Anordnung des Olympiaparks beeinflussen sollten. 1996 erhielt ein für diesen Zweck eigens gegründetes Konsortium mit dem Namen London & Continental Railways (LCT) den Auftrag für den Bau des Eurotunnelanschlusses auf britischer Seite. Teil des Geschäfts war, dass LCT auch Land rund um die an der Strecke liegenden Bahnhöfe St. Pancras, Stratford und Ebbsfleet erhielt (Davis/Thornley 2010), für das zukünftige Wertsteigerungen zu erwarten waren, da parallel zur Eurostarlinie auch die Schnellstrecke Highspeed 1 (HS1) von London nach Ashford gebaut wurde. Geplant sind auf dem ca. 9 ha großen Areal ca. 370 000 m² Büroflächen, 330 neue Wohneinheiten, 4800 m² Gewerbefläche für Restaurants und Einzelhandel, 25 000 m² Hotelflächen sowie ein Kindergarten und Grünflächen.
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Auf dem Südteil des International Quarter wird in der ersten Phase (S7 und S8) ein Doppelhochhaus namens Glasshouse Gardens gebaut, das ab 2016/2017 bezugsfertig sein soll, in der zweiten Phase (S5 und S6) sind zwei Bürohochhäuser geplant. Transport for London und die Financial Conduct Authority (zusammen 65 000 Mitarbeiter) haben sich bereits dort eingebucht. Insgesamt sollen dort über 15.000 neue Jobs im Dienstleistungsbereich entstehen. Glasshouse Gardens Die im Jahr 2007 verabschiedete Side Wide Housing Strategy (SWHS) schrieb für das gesamte Areal noch folgende Proportionen vor: Die Gesamtzahl von 334 Wohneinheiten sollte sich aus 200 Market units, 40 Intermediate units und 94 Social Rent units zusammensetzen. In dem am 22. Oktober 2013 eingereichten Spezifizierungsantrag für den Bau des Doppelhochhauses Glasshouse Gardens waren die subventionierten Wohneinheiten auf 20 reduziert und die Sozialwohnungen komplett gestrichen. Explizit wird im neuen Antrag darauf hingewiesen, dass dieses Vorhaben jetzt keine Sozialwohnungen mehr enthalten wird. Im Sommer 2014 kamen die Immobilien als Eigentumswohnungen dann auf den Markt, für Preise zwischen 450.000 GBP und 775.000 GBP. Laut Barclays Mortgage Calculator (Hypothekenrechner) könnte man im Mai 2015 mit einem Jahresgehalt von ca. 32 000 GBP (entspricht dem Gehalt einer Krankenschwester) maximal eine Hypothek über 140.000 GBP erhalten und so bei einer Mindestanzahlung von 60.000 GBP eine Immobilie im Wert von 200.000 GBP erstehen. Auch wenn es unmöglich ist, die genaue Zusammensetzung der Käufer dieser Eigentumswohnungen herauszufinden, so lässt sich dennoch an Hand dieser Beispielkalkulation erkennen, dass es sich hier um eine Form der sozialen Selektion und „neugebauten Segregation“ handelt. Beispiel 2: Queen Elizabeth Olympic Park Schon in den Plänen der LLDC für das Legacy Communities Scheme (LCS) war die geplante post-olympische Nachverdichtung festgeschrieben und daher eine deutliche Reduzierung des Parks im eigentlich ‚grünen‘ Sinne bereits absehbar. MacRurys und Poynters Befürchtung, dass der Olympiapark „zersplittere“ und, dem Ziel der Gewinnmaximierung durch Bodenwertsteigerungen unterworfen, zu einer „series of splintered fragments – premium assets disconnected from the public spaces of city and community within the urban realm“ (MacRury/Poynter 2010: 202)
verkommen würde, hat sich also in gewisser Weise bewahrheitet. Ob der Park, bzw. die verbleibenden Parkbereiche, statt zu einer Stätte der Erinnerung oder zu
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einem Ort, an dem sich ein Olympia-Erbe entwickeln könnte, schon zu einem non-place geworden ist/sind (MacRury/Poynter 2010: 202), lässt sich momentan noch nicht entscheiden. Abb. 1: The International Quarter nach Vollendung der Nachverdichtung, Blick von Norden
Quelle: Land Lease, online abrufbar unter: http://ghgstratford.com/
Besucherkommentare7 reichen von negativen Eindrücken wie „das ist kein Park, sondern ein paar Sportstätten mit Grün drumherum“, „alles Abzocke“ oder „wo ist der Park? Nur Fusswege breit wie Autobahnen“ bis zu enthusiastischem Lob „bester Park in London und sogar so nah am Westfield Shopping Centre, dass man auf dem Heimweg noch bei KFC vorbeigehen kann“ und Hinweisen, dass der Park regelmäßig genutzt wird „wir wohnen in der Nähe und gehen oft in den Park. Die breiten Wege sind super zum Radfahren für Kinder“. Der Journalist und Architekturkritiker des Jahres 2014, Rowan Moore, lobte zwar den „noblen und gelasseneren“ Nordpark mit seinen offenen Grünflächen (Abb. 2), konnte dem Südpark (Abb. 3a, 3b, 4a und 4b) aber wenig abgewinnen: „In the Queen Elizabeth Park we get a Disneyfield version. There is a frenzy of wacky light fittings, of playground installations, of seats, tree species, sculptural lumps of granite, kiosks, railings and coloured surfaces. […] the visual equivalent of several mobile ringtones going off at once“ (Moore, 2014). 7
Zum Beispiel auf der Internetplattform Tripadvisor, online abrufbar unter: www. tripadvisor.co.uk
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Empirische Untersuchungen zum Queen Elizabeth Olympic Park und seinen Nutzungen und Nutzern gibt es bisher jedoch nur vereinzelt. Abb. 2: Queen Elizabeth Olympic Park 2015: Landschaft im Nordpark
Quelle: Aufnahme V. Viehoff
Abb. 3a und 3b: Queen Elizabeth Olympic Park 2015: Flaniermeile im Südpark
Quelle: Aufnahme V. Viehoff
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Hegemonie durch Landschaftsarchitektur? Die Landschaftsarchitektin Bridget Snaith ist eine der wenigen, die sich bisher empirisch mit dem Thema auseinandergesetzt haben. An Hand von Besucherbeobachtungen und -zählungen, Fokusgruppengesprächen, Fragebögen und Experteninterviews kommt sie zu dem Schluss, dass der Park – und zwar insbesondere der als Ebenbild einer „natürlichen Landschaft“ entworfene Nordpark – signifikant weniger von nicht-weißen Minderheiten8 frequentiert wird als dies statistisch der Fall sein sollte, wenn man die Zensusdaten des Einzugsgebietes als Grundlage nimmt. Sie zeigt auf, wie bestimmte, durch Sozialisation erlernte und damit als Klassen-/Bildungssignifikatoren zu verstehende Präferenzen (im Sinne von Bourdieus cultural capital, Bourdieu 1999) der an der Planung beteiligten Akteure, die in der Mehrheit weiß, britisch und männlich sind und einen Hochschulabschluss haben, das Design und die Landschaftsgestaltung des Parks beeinflusst haben. Diese von den Planern offenbar als „universell“ verstandenen LandschaftsWerte decken sich jedoch nicht unbedingt mit den Vorstellungen der intendierten Nutzer bezüglich des Ideals eines „schönen Parks“, seiner Gestaltung und seines Gebrauchs. So ließ Snaith Probanden beispielsweise aus einer Reihe von Fotos unterschiedlicher Parks jeweils den Park aussuchen, den sie am liebsten besuchen würden, unter der Annahme, dass alle gezeigten Parks in zehn Minuten zu Fuß erreichbar wären. Dabei zeigten sich deutliche „Geschmacksunterschiede“ zwischen den ethnischen Gruppen, insbesondere in Bezug auf Parklandschaften, die „natürlich“ und „(ver)wild(ert)“ erscheinen, wenig formalisierte Gestaltungselemente (z.B. Zäune, Springbrunnen) aufweisen und eher an ein „pittoreskes Landschaftsgemälde“ erinnern, wie Richmond Park und der Nordteil des neuen Queen Elizabeth Olympic Parks. Ein Bild von Richmond Park wurde vor allem von britisch-weißen Befragten bevorzugt, war jedoch eines der unbeliebtesten Bilder unter den BME-Befragten: „Richmond Park was the most popular selection for university attendees/graduates claiming white British ethnicity, and second most popular selection for all white British respondents. It was among the least popular images selected by almost all other groups, and particularly among Bangladeshis. The likelihood that this association would not be found in the wider population is less than 1 in a million“ (Snaith 2015: 215).
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In Großbritannien werden die nicht-weißen Minderheiten oft als “Black and Minority Ethnic” Groups (BME) oder “Black, Asian and Minority Ethnic” Groups (BAME) zusammengefasst.
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Abb. 4a und 4b: Queen Elizabeth Olympic Park 2015: Wasserspiele und Kinderspielplätze im Südpark
Quelle: Aufnahme V. Viehoff
Auch in anderen Bereichen unterschieden sich die Auffassungen darüber, was ein „guter“ Park sei. Unterschiedliche Meinungen gab es in Bezug auf den „Zweck“ von Parks. Während viele einen Parkbesuch als erholsam und „an der frischen Luft und im Grünen Sein“ als revitalisierend empfanden, galt diese
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Einschätzung nicht allgemein; und auch den visuellen Genuss des „Landschaft Betrachtens“ mochten nicht alle Befragten teilen. Gemeinsamkeiten über alle Nutzergruppen hinweg gab es jedoch bei einigen Punkten. So spielte die gefühlte Sicherheit sowohl für erwachsene Parkbesucher selbst als auch für die Sicherheit von Kindern eine wichtige Rolle, was sich zum Beispiel in dem Wunsch nach Ordnung und Parkwächtern, umzäunten und gut einsehbaren Kinderspielplätzen und dem Verbot von freilaufenden Hunden ausdrückte. Snaith argumentiert hier mit Bezug auf Doreen Masseys Konzept des relationalen Raums, dass öffentliche Räume wie Parks nicht neutral sind, sondern durch soziale Interaktionen geformt werden und daher auch permanent Machtkämpfe über die Deutungshoheit ausgefochten werden. „‘Public’ space unregulated leaves a heterogeneous urban population to work out for itself who really is going to have the right to be there. All spaces are socially regulated in some way […] ‘Open Space’ in that particular sense is a dubious concept“ (Massey 2005: 152).
Die Meinungen der befragten Ost-Londoner Parknutzer standen in vielen Bereichen in klarem Gegensatz zu den von Snaith als unter führenden Landschaftsarchitekten und Park-Designern allgemein akzeptierten rules of the game und (momentan) als best practice anerkannten Prinzipen: „[…] the most valorised landscape spaces,
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are extensive, expansive, with picturesque views and not too much other ‘stuff’ in them,
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are neither over wrought nor ostentatious, tasteless qualities associated with foreign and undemocratic societies,
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create a ‘simple’ unified setting, and use subtle, unobtrusive materials […], emulate / focus on visual aspects of romanticised nature, and are managed to an ecological or naturalistic aesthetic,
• •
demonstrate technical / scientific prowess, do not require much public funding for the long term“ (Snaith 2015: 222).
Der Nordpark, der diesen professionellen Idealen sehr nahe kommt, wurde entsprechend in den Medien hoch gelobt; der eher als Festival Meile angelegte Südpark entspricht den stilistischen Normen der avancierten Landschaftsarchitektur weniger und wurde entsprechend harsch kritisiert (Moore 2014), und zwar obwohl er bei Snaiths Besucherzählungen deutlich beliebter war und auch von einem höheren Anteil von BME Besuchern frequentiert wurde – nach dem In-
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klusivitätskriterium also eigentlich als erfolgreicher einzustufen ist. Sowohl in seiner Planung und Gestaltung als auch in der Bewertung durch die Medien lässt sich also ablesen, wie durch hegemoniale Praktiken (z.B. Expertendiskurse, Abwertung/Lob in den Medien, Verbot nicht erwünschter Praktiken) ein nobles Parkdesign (künstlich) geschaffener „Naturlandschaften“ kreiert, reproduziert und durchgesetzt wird, das gleichwohl an den Bedürfnissen seiner eigentlichen städtischen Primärnutzer vorbeigeht. Dies mag erklären, warum empirische Forschungsergebnisse wie u.a. die hier vorgestellten von Snaith (Snaith 2015, CABE Space 2010, Payne et al 2002, Hitchmough/Dunnett 2008), die aufzeigen, dass Menschen öffentliche Räume und insbesondere Parks sehr unterschiedlich wahrnehmen und erfahren und dass ethnische Minderheiten andere Erwartungen an einen Park haben als die dominante Kultur, sich nicht in der gegenwärtigen Planung von Parks und Grünanlagen niederschlagen. Insbesondere nicht in der Planung für den prestigeträchtigen und im Rahmen der Olympischen Spiele als Aushängeschild britischer Gartenkunst und Landschaftsarchitektur verstandenen Queen Elizabeth Olympic Park. Ein indirekter Ausschluss – wenn auch nicht intendiert, so doch billigend in Kauf genommen – bestimmter Bevölkerungsgruppen von (öffentlichen) Parks und Grünanlagen durch raumrelevante Diskurse und Praktiken wirft nicht nur Fragen der sozialen Gerechtigkeit in Bezug auf die demokratische Nutzung des öffentlichen Raums auf, sondern könnte auch fatale volksgesundheitliche Folgen haben: „The implications for social justice are not minor. With health and mortality linked to having access to parks and green spaces, this could clearly be a matter of significant consequence […] in the increasingly multicultural context of our cities, cultural consciousness in production of urban park space really matters. If access to green space can have the profound impacts on urban lives that have been claimed, it could even be a matter of life and death“ (Snaith 2015: 237).
Wertsteigerung durch Grünanlagen Neben dem oben diskutierten „symbolischen Kapital“ spielt auch „wirtschaftliches Kapital“ in Bezug auf das Verständnis und die ‚regenerative‘-Bewertung des Queen Elizabeth Olympic Park eine zentrale Rolle. Denn obwohl der neue Queen Elizabeth Olympic Park stets als sichtbare Legacy der Spiele angepriesen wird, ist er in der Praxis erstaunlich schlecht erreichbar, da Bahngleise, Autobahnen und Kanäle schwierig zu überwindende Grenzen bilden, durch die der Park von den umgebenden Stadtteilen abgeschnitten ist. Außerdem sind die Zugangswege, z.B. von den umliegenden Wohngebieten oder von den Bahnhö-
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fen Stratford und Hackney Wick, auf Grund der zentralen Lage der Parks (Nordpark und Südpark) innerhalb des ehemaligen Olympischen Gesamtareals relativ lang. Der Hauptzugangsweg zum Nordpark führt von Stratford kommend zudem mitten durch das Westfield Shopping Centre. Innerhalb einer auf Wachstum und Bodenpreissteigerung fixierten urbanen Regenerationslogik macht es wirtschaftlich Sinn, Grünflächen in zentraler Lage so anzulegen, dass hierdurch eine maximale Anzahl von Grundstücken in den Genuss kommt, entweder einen direkten „Blick ins Grüne“ zu gewähren oder zumindest nominell mit der Nähe eines Parks werben zu können. Nach Cromptons proximity principle macht eine solche Raumanordnung ökonomisch Sinn, angesichts des Wertsteigerungspotentials, das ein Park für umliegende Grundstücke erzielen kann und das eben mit zunehmender Entfernung von begehrten Grünanlagen abnimmt (Crompton 2007). Im Fall von London wurde beispielsweise schon vor gut zehn Jahren berechnet, dass jeder Hektar Parkland die Grundstückspreise im Umkreis von 1km um 0,08% erhöht und dass Hauspreise um 1,9% bis 2,9% höher waren, wenn sich ein Regionalpark oder ein anderer größerer Park in max. 600m Entfernung befand (GLA Economics 2003). Auf dieser Strategie der Raum-Aufwertung beruhte bereits der erste geplante öffentliche Park in Großbritannien, Birkenhead Park in der Nähe von Liverpool, der 1847 eröffnet und durch den Verkauf von angrenzenden Baugrundstücken (teil)finanziert wurde. Immobilienpreisspekulation spielte eine zentrale Rolle in der Schaffung von New Yorks Central Park (Crompton 2007, Gandy 2003) und gilt auch in Großbritannien weiterhin als vorbildliche urbane Regenerationsstrategie (CABE 2005, CSD 2011, Heritage Lottery Fund 2014). Auch die LLDC ist zur Rückzahlung der staatlichen Olympiazuschüsse darauf angewiesen, ihre Einnahmen durch den Verkauf, bzw. die langfristige Verpachtung von regeneriertem Land innerhalb des olympischen Areals an Bau- und Immobilienfirmen zu maximieren. Dies ist umso dringlicher angesichts der derzeitigen (2015), auf totalen Sparkurs ausgerichteten Regierungspolitik, die eine Kürzung der Local Authority Budgets mit tiefen Einschnitten im Bereich der staatlichen Sozialleistungen kombiniert. Allerdings ist bisher nicht klar, wer langfristig für die Pflege und den Unterhalt neuer Parkanlagen zuständig sein wird, denn die LLDC soll laut Bürgermeister Johnson nicht länger als zehn Jahre existieren (House of Lords 2013). Die London Boroughs, auf deren Land der Park liegt, sehen sich nicht in der Lage, diese Kosten langfristig zu übernehmen. Die Zentralregierung verpflichtete sich zwar in ihrem National Infrastructure Plan 2013, die Olympic Legacy weiter zu unterstützen (HM Treasury 2013). Ohne Angaben zu Zeitplan oder Budget bleibt dies aber ein leeres Versprechen.
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Abb. 5: Karte des Queen Elizabeth Olympic Parks in der nach- Olympischen Nutzung (2015)
Quelle: LLDC
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Die Stadt Milton Keynes, die in den 1960ern als New Town mit sehr vielen Grünanlagen auf dem Reißbrett entworfen worden war, sah sich damals ebenfalls mit der Frage konfrontiert, wie sich die Instandhaltungskosten für solch ausgedehnte Grünflächen langfristig sichern lassen könnten. Als die mit der Schaffung von Milton Keynes beauftragte Milton Keynes Development Corporation – ein Vorläufer der späteren (Urban) Development Corporations wie die LDDC für Canary Wharf und die LLDC für das Olympiagelände – schließlich ihren Auftrag erledigt hatte und Anfang der 1990er Jahre aufgelöst wurde, dachten sich die Stadtplaner auch eine Lösung zur langfristigen Finanzierung der bedeutenden Parks und Grünflächen der Stadt aus. Sie schufen den Milton Keynes Park Trust, der seither die städtischen Parks und Grünanlagen ohne städtische Zuschüsse verwaltet und pflegt. Das wird ermöglicht durch die Einnahmen des Parks Trusts aus einer Reihe von kommerziell genutzten Grundstücken (z.B. Shopping Centre), die dem Parks Trust als Teil des Startkapitals übertragen worden waren. Der Parks Trust ist so in der Lage, von etwaigen Bodenwertsteigerungen zu profitieren und diese in seine gemeinnützige Arbeit zu reinvestieren. Gewinne aus durch attraktive Parks und Grünflächen induzierte Aufwertungsprozesse werden so nicht (nur) von privaten Investoren abgeschöpft, sondern generieren auch Gewinne für den Parks Trust, der diese dann erneut in seine gemeinnützige Arbeit reinvestieren kann. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Bewertung der Legacy des Queen Elizabeth Olympic Parks schwierig ist, da dieser sich erst am Anfang einer bis 2030 reichenden Umbauphase befindet. Außerdem hängt das Ergebnis jeder Evaluation davon ab, welche Bewertungskriterien angelegt werden. So ist es beispielsweise höchst wahrscheinlich, dass die massive Landschaftsumgestaltung, inklusive der Sanierung der Wasserläufe, der Dekontaminierung verseuchten Erdreiches, der Schaffung neuer Brücken usw. zu einer Aufwertung des Lower Lea Valley geführt haben, die sich auch in steigenden Bodenpreisen niederschlägt. Da diese Wertsteigerung als eine wichtige Einnahmequelle zur Rückzahlung der staatlichen Fördergelder einkalkuliert war, kann man sie, beispielsweise aus Sicht der LLDC, als Erfolg einstufen. Aus der Sicht eines Niedrigverdiener-Haushalts, der durch steigende Mieten und Hauspreise einer (gezielt eingeleiteten und intendierten) Gentrifizierung und einer Verdrängung an den äußersten Rand Londons ausgesetzt ist, muss das Urteil anders ausfallen.
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Diskussion London 2012 – „Regeneration Games“? Die stadtplanerische Strategie, durch Olympische Spiele oder andere Megaevents die urbane Regeneration einer Stadt oder eines Stadtteils einzuleiten, zu beschleunigen oder zu komplettieren, wurde zwar nicht von den Ausrichtern der Olympische Spiele 2012 in London erfunden, doch diese haben die Strategie durch das Prinzip einer durch Bodenpreissteigerung finanzierten Stadterneuerung weiter perfektioniert. Wie gezeigt wurde, ergeben sich aus diesem Prozess der urbanen Regeneration mit Hilfe eines Mega-Events mindestens zwei Probleme: (a) Konflikte über die Nutzung neu geschaffener öffentlicher Räume, bzw. Place making und (b) die Gefahr der Verdrängung von sozial schwächeren Einwohnern als Ergebnis von (state-led) gentrification. Laut MacRury und Poynter (2010) müssen die Olympischen Spiele, wenn sie denn, wie in London propagiert, als Katalysator für urbane Regeneration und good city building wirken sollen, zwei unterschiedliche Modi (bzw. Diskurse) sozialer und ökonomischer Beziehungen einbeziehen: Einerseits den commoditymode, der sich in erster Linie für den Warencharakter interessiert und sich beispielsweise in den dominierenden Legacy-Evaluierungen als ausschließlich ökonomisches Kriterium (cost benefit analysis) niederschlägt, und andererseits einen auf sozio-kulturelle Beziehungen und Wechselseitigkeit aufbauenden giftmode (Gabe oder Geschenk). Es ist ja gerade dieser Diskurs, der Olympia – trotz aller Kritik – immer wieder eine besondere Aura verleiht und auch zu den positiven Assoziationsfeldern des Begriffs Legacy (Nachlass oder Erbe) beiträgt (Mac Rury/Poynter 2010: 190). Gerade dieser soziopolitische Diskurs läuft jedoch Gefahr, im Lamentieren über die Kosten unterzugehen. „Utilitarianism provides necessary but not sufficient criteria for evaluating legacy, just as the usefulness of the gift does not fulfil or exhaust its function. The closing off of a utility from its communities might ensure use – but if the privatization of the gift means that accessibility is a matter for only a few who can afford premium prices – the utility will mask significant exclusion“ (MacRury/Poynter 2010: 190).
Neben dem von MacRury und Poynter (2010) befürchteten splintering urbanism (Graham/Marvin 2001) droht auch die Gefahr einer vom Staat induzierten Gentrifizierung und damit einhergehenden sozialen Verdrängung (Davidson/Lees 2005). Die Kombination aus steigenden Mieten und überhöhten Hauspreisen macht es z.B. für key workers wie Lehrer oder Krankenschwestern unmöglich, sich hier eine eigene Immobilie oder Wohnung zu leisten.
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Die hegemoniale Dominanz einer weißen, akademischen, männlichen, „britischen“ sozio-kulturellen Gruppe bei der Nutzung öffentlichen Raumes, bzw. in den sogenannten place-making-Prozessen schließt zumindest tendenziell andere Nutzer aus, wie das Beispiel des Queen Elizabeth Olympic Parks exemplarisch gezeigt hat. Es findet eine systematische Verdrängung nach ökonomischer Logik statt, aber auch eine, die durch unterschiedlich privilegierten Zugriff auf soziales oder kulturelles Kapital Gestaltungsmacht hat. Wenn also öffentliche Räume, wie z.B. der Queen Elizabeth Olympic Park, nach den Präferenzen der dominierenden Schicht mit dem größeren kulturelle Kapital geformt werden und dadurch implizit andere alternative Nutzungen und Nutzer ausgeschlossen werden, wirft dies – nicht nur in London – ernste Fragen nach sozialer Gerechtigkeit im städtischen Raum auf. Beträchtliche staatliche Zuschüsse und Investitionen in den Osten Londons – entweder für die Olympischen Spiele oder im Zusammenhang mit anderen urbanen Regenerationsstrategien – wurden mit dem Hinweis gerechtfertigt, dass aus einer Aufwertung des East Ends sich die Lebensumstände und -verhältnisse der sozial schwächeren Ostlondoner Bevölkerung an den Rest der Stadt angleichen würden (Poynter 2016). Drei Jahre nach den Spielen legen Beobachtungen zur Wohnraumversorgung (z.B. Bernstock 2014) oder zur Nutzung des öffentlichen Raums (Snaith 2015) jedoch die Vermutung nahe, dass viele Bewohner des East Ends nicht von der Aufwertung des Londoner Ostens profitieren (können), weil ihnen die finanziellen Ressourcen fehlen, die notwendig wären, um von einer Bodenpreissteigerung zu profitieren, aber auch das soziale Kapital, um beispielsweise regulatorischen Einfluss auf die Gestaltung der öffentlichen Grünflächen zu nehmen. Es sprechen also viele Gründe dafür, Prozesse der urbanen Regeneration in London kritisch zu betrachten. Es gilt immer wieder zu hinterfragen, wer wirklich profitiert – cui bono. Soll urbane Regeneration nicht nur zu einem Euphemismus für Verdrängung, bzw. zu einem Vehikel für state-led oder new-built gentrification werden (London Tenants Federation et al 2014, Lees 2014, Davidson/Lees 2005), dann ist es notwendig, nach alternativen Modellen und Verfahrensweisen zu suchen, die es der öffentlichen Hand ermöglichen, von einer regenerationinduzierten Aufwertung von Raum, Land und Immobilien in stärkerem Maße zu profitieren, als dies momentan der Fall ist. Allein der Community Infrastructure Levy (CIL) und die Council Tax-Einnahmen reichen dafür jedenfalls nicht aus. Ein nachhaltiges und faires Modell der Wertsteigerungsabschöpfung (value capture) nach dem Modell des Milton Keynes Parks Trust könnte sich aus den Community Land Trusts (CLT) oder Park-Stiftungen ergeben, die an Bodenwertsteigerungen teilhaben und Gewinne daraus dann wieder sozial investieren könnten
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– also eine Art virtuous circle. Die Pläne der LLDC für den auf dem olympischen Areal neu entstehenden Stadtteil mit fünf neuen Wohnvierteln, einhielten unter anderem das Versprechen, die durch die Olympischen Spiele beschleunigte urbane Regeneration auch zu nutzen, um alternativen und – theoretisch bis in alle Ewigkeit – nachhaltigen Wohnformen wie Community Land Trusts eine Chance zu geben. Im April 2014 entschied die LLDC jedoch keine CLTs im ersten neuen Wohnviertel Chobham Manor einzurichten, dies aber eventuell und basierend auf den Erfahrungen des ersten in Ostlondon realisierten CLT, dem East London Community Land Trust in Mile End, in zukünftigen Planungsverhandlungen für die neuen Wohnviertel Eastwick und Sweetwater zu berücksichtigen.
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10. Gentrification und gentrifizierte Stadträume in London J AN G LATTER , Dresden
Die sozialräumlichen Strukturen Inner Londons waren seit dem 19. Jh. von deutlichen Gegensätzen zwischen dem reichen West End und dem armen, proletarischen East End geprägt. Mit der in den 1920er Jahren einsetzenden Suburbanisierung und dem Wegzug der Mittelschicht hatten sich diese Gegensätze nochmals verschärft. Mitte der 1950er Jahre setzte jedoch eine Gegenbewegung ein. Mittelschichthaushalte entdeckten die Qualitäten innerstädtischer Wohnlagen und initiierten die Aufwertung verslumter Quartiere. Für diesen in der Stadtentwicklung neuartigen Aufwertungsprozess erfand die britische Stadtforscherin Ruth Glass den Neologismus Gentrification. In einer Studie aus dem Jahr 1964 beschreibt Glass den Prozess wie folgt: „Nach und nach ist in viele der Arbeiterquartiere Londons die untere bis obere Mittelklasse eingedrungen. Schäbige, einfache Hinterhäuser und Cottages – zwei Räume oben und zwei unten – sind nach Ablauf der Mietverträge übernommen und in elegante, teure Wohnungen umgewandelt worden. Große Häuser im viktorianischen Stil, heruntergewirtschaftet in früheren Zeiten und als Lagerhäuser oder in anderer Form genutzt, wurden wieder aufgewertet. […] Sobald dieser Prozess der ‚Gentrification‘ einmal in einem Gebiet begonnen hat, setzt er sich rasch fort bis alle oder die meisten der ansässigen Arbeiterklasse-
186 | J AN GLATTER Bewohner verdrängt sind und sich der gesamte soziale Charakter des Viertels gewandelt hat“ (Glass 1964: 18, Übersetzung J. Glatter).
Mit Gentrification bezeichnet Glass demnach den Zuzug von Mittelklassehaushalten in ehemalige Arbeiterquartiere, in deren Verlauf die verfallene Bausubstanz modernisiert und die bisherige Bewohnerschaft der Arbeiterklasse verdrängt wird. Der Begriff Gentrification ist eine Wortschöpfung, mit der sie auf den gentry Bezug nimmt, einer im England des 19. Jh. populären Bezeichnung für den niederen Landadel, der sich am Lebensstil der englischen upperclass orientierte und deren Leben in repräsentativen Landsitzen nachahmte. Diese historische Bezeichnung übertrug Glass mit leichter Ironie auf die seit den 1950er Jahren in London beobachtbaren Mittelklassehaushalte, die bewusst einen städtischen Lebensstil wählten und dafür in Quartiere mit historischer Bausubstanz zogen, um diese in ihren repräsentativen Formen wiederherzustellen. Die ersten Aufwertungen hatte Glass Ende der 1950er Jahre in Islington, Chelsea und North Kensington beobachtet. Doch wie das Eingangszitat zeigt, antizipierte sie mit großer Weitsicht, dass sich der Prozess räumlich weiter ausbreiten wird und eines Tages auch das East End davon betroffen sein könnte. Tatsächlich haben Prozesse der Gentrification in den letzten fünfzig Jahren zu einer völlig neuen Sozialgeographie Londons geführt. Das anfangs sehr kleinräumige, experimentelle Phänomen wurde zu einem expansiven Prozess, der bis in die Gegenwart anhält und auch städtische Teilräume erreicht, für die lange Zeit kein Aufwertungspotenzial gesehen wurde. Die mehr als sechzigjährige Geschichte der Gentrification in London wurde in zahlreichen Publikationen wissenschaftlich aufbereitet und dokumentiert (siehe vor allem Glass 1964, Hamnett/Williams 1980, Moran 2007, Lees et al 2007). An dieser Stelle wird die Gentrification in ihrer zeitlichen Entwicklung und räumlichen Ausbreitung beschrieben. Dabei wird auch auf die Merkmale und Folgen der Gentrification sowie die sich ausdifferenzierenden Spielarten eingegangen. Die Erzählung über die Ausbreitung der Gentrification wird anhand von vier „Wellen der Gentrification“ beschrieben (vgl. Hamnett 2003, Butler/Lees 2006, Moran 2007). Diese „Wellen“ entstehen, da längere Phasen des Immobilienbooms durch kürzere Konjunktureinbrüche – ausgelöst durch Wirtschafts- oder Immobilienmarktkrisen – unterbrochen werden.
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Die erste Welle der Gentrification begann in London in den 1950er Jahren. Junge Mittelklasse-Haushalte konnten sich aufgrund der steigenden Preise die Immobilien in den etablierten Mittelschichtquartieren wie Kensington, Belgravia oder Chelsea nicht leisten (Moran 2007: 101). Sie waren aber auch nicht bereit, an den Stadtrand zu ziehen, da sie den urbanen Lebensstil bevorzugten und als Berufstägige den Aufwand des Pendelns meiden wollten. Aus diesem Grund entschlossen sich die jungen Haushaltsgründer eine Immobilie in den preiswerteren Lagen der angrenzenden, aber verslumten Arbeiterquartiere zu erwerben und zu modernisieren. Die Verslumung der Quartiere war die Folge einer Entwicklung, die vor allem mit der verstärkten Suburbanisierung seit den 1920er Jahren eingesetzt hatte. Viele Mittelschichthaushalte verließen die innenstadtnahen Quartiere, so dass in der Folge untere soziale Schichten nachzogen. Die einst von einer Mittelschichtfamilie bewohnten Häuser wurden in mehrere kleine Wohnungen unterteilt, was zu einer sehr hohen Verdichtung führte. Sanitärausstattung und Haustechnik verblieben zumeist auf dem Stand der Entstehungszeit der Gebäude. Viele Eigentümer reduzierten zudem die Instandhaltungen, was den Verfall beschleunigte. Befördert wurde der Niedergang der Mittelschichtgebiete durch die Visionen der Londoner Stadtplanung nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Greater London Plan von 1944 und der New Town Development Act von 1952 sahen einen Ausbau des suburbanen Umlandes und der Vorstädte vor (Lees et al 2007: 10f). Die innenstadtnahen Altbauquartiere sollten mittelfristig im Zuge von Flächensanierungen durch moderne Quartiere des sozialen Wohnungsbaus ersetzt werden. Diese Planungen veranlassten viele Eigentümer auf Investitionen in den Bestand zu verzichten, was den Verfall und die weitere Abwanderung der Mittelschicht zusätzlich beförderte. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es dann aber nicht mehr die Arbeiter, die nachzogen, sondern zumeist Migranten aus der Karibik und Afrika. Zurück blieben verslumte down at heel areas, in die aufgrund der erwarteten slum clearance kaum noch investiert wurde. Dass unter diesen Bedingungen Mittelschichthaushalte begannen, in die verslumten Quartiere zu ziehen, war eine absolute Novität. Es waren ungeplante Experimente, die auf dem kollektiven Verhalten der Immobiliennachfrager beruhten. Die zuziehenden Mittelschichthaushalte waren Pioniere und Gentrifier zugleich. Eigentlich werden Pioniere und Gentrifier als zwei unterschiedliche Akteure der Gentrification unterschieden. In den Idealmodellen ziehen die Pioniere als erste in ein Gebiet und initiieren eine bauliche, infrastrukturelle und symbolische Aufwertung. Die Gentrifier folgen erst später, wenn bereits ein Aufwertungstrend erkennbar ist und sind dann aufgrund der höheren Einkommen die Träger der sozioöko-
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nomischen Aufwertung. In den ersten Londoner Gentrificationquartieren agierten jedoch „Pionier-Gentrifier“ die eine bauliche, soziale, infrastrukturelle und symbolische Aufwertung bewirkten. Moran (2007: 111) spricht daher von einer pioneering class of gentrifiers bzw. einer pioneer-led gentrification. Viele der „Pionier-Gentrifier“ waren links gerichtete, liberale Intellektuelle, die auch aufgrund einer persönlichen Affinität zum proletarischen Leben in die Arbeiterquartiere zogen (Moran 2007: 102). Sie selbst zählten aber zur Mittelschicht und arbeiteten zumeist in bildungsorientierten und kreativen Berufen – u.a. als Architekten, Universitätsdozenten, Lehrer, Journalisten, Künstler, Sozialarbeiter, Polizisten und Mediziner (Lees et al 2007: 13). Die ersten Gentrificationquartiere lagen in Canonbury und Barnsbury (beide im Borough Islington) sowie in Chelsea. Von dort aus breitete sich das Phänomen ab den 1960er Jahren nach Camden, Kentish Town und Primrose Hill im Norden Londons sowie nach Notting Hill im Nordwesten aus (Hamnett 2003: 161). In den 1970er Jahren erreichte die Aufwertung von Chelsea ausstrahlend Teile von Battersea und Fulham (Moran 2007: 112). Diese späten Aufwertungsgebiete mit zumeist ästhetisch sehr hochwertiger Bausubstanz blieben jedoch auf inselhafte Nachbarschaften begrenzt und lagen häufig in unmittelbarer Nachbarschaft zu Unterschichtquartieren. Die Aufwertungsgebiete waren zumeist ästhetisch attraktive, historische Gebäudeensembles der georgianischen oder viktorianischen Epoche (vgl. Abb. 1). Abb. 1: Gentrifizierte Gebäude in Barnsbury
Quelle: Aufnahme J. Glatter im Jahr 2011
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Im Zuge der Sanierungen wurde versucht, das originale Erscheinungsbild wieder herzustellen: farbig gestrichene Holztüren, Messingbeschläge und Türklopfer, historische Hausbeleuchtung und emaillierte Hausnummern. Innen wurden die Wohnungen bevorzugt weiß gestrichen, der Holzdielenboden abgeschliffen und eine offene Küche eingerichtet (Moran 2007: 108). Da im Zuge der Renovierungen häufig die Zwischenwände herausgerissen wurden, so dass man im Erdgeschoss von der Straßenfront bis in den Hinterhof durchsehen konnte, nannte man die Gentrifier auch knockers-through – die sog. Durchbrecher (Moran 2007: 103). Zum neuen Wohn- und Lebensstil zählte nicht nur die Vorliebe für das Wohnen in innenstadtnah gelegenen Quartieren, sondern auch besondere Ausprägungen des Einrichtungsstils, Vorlieben für Speisen und Getränke sowie Formen der Unterhaltung (Moran 2007: 101). Die Aufwertungen führten mit ihrem Trend zu neuen Einrichtungsstilen auch zu einem Aufleben der Antikläden und Craft Shops, die sich bevorzugt in den Aufwertungsquartieren ansiedelten (Moran 2007: 108). Damit lassen sich bereits für die erste Welle der Gentrification Formen der commercial gentrification, das heißt die Aufwertung konsumtiver Gewerbestrukturen nachweisen. Zwei besondere Cluster entstanden mit der Popkultur der Swinging Sixties in der Carnaby Street in Soho und der Kings Road in Chelsea. Hier reihten sich Szenebars, Clubs und trendige Bekleidungsläden aneinander und bildeten eine Shopping Parade der Hippiebewegung. Seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wurden die Aufwertungen auch durch öffentliche Interventionen befördert. Die politisch und gesellschaftlich gut vernetzten Gentrifier gründeten in vielen Quartieren lokale Vereine, die sich gegen Flächensanierungen aussprachen und für den Erhalt der historischen Bauensembles einsetzten (u.a. die 1964 entstandene Barnsbury Association) (Moran 2007: 104). Mit dem 1967 verabschiedeten Civic Amenities Act wurde es schließlich möglich, Straßenzüge als Sanierungsgebiete (conservation areas) auszuweisen und Fördergelder für den Erhalt bzw. die Wiederherstellung des historischen Erscheinungsbildes zu erhalten (Moran 2007: 105). Der Housing Act von 1969 bot zudem den Kommunalverwaltungen (local authorities) die Möglichkeit, die erhaltende Modernisierung von Wohnbauten mit finanziellen Zuschüssen zu fördern (Lees et al 2007: 16). Mitte der 1960er Jahre hatten immer mehr Immobilienagenturen den neuen Wohntrend erkannt und stiegen in den Markt ein. Die Immobilienagenturen folgten der ökonomischen Logik des value gap – der Ertragslücke zwischen den Einnahmen durch Vermietung und dem Verkauf als Eigentumswohnung. In potenziellen Aufwertungslagen wurden gezielt Wohnhäuser aufgekauft und die Mieter mit teilweise rücksichtslosen Methoden verdrängt, um die leeren Wohn-
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häuser an die Interessenten der neuen Mittelklasse zu verkaufen (Moran 2007: 113). Eine wichtige Rahmenbedingung dafür war mit dem 1957 verabschiedeten Housing Act geschaffen worden. Mit dessen Einführung waren die Mietobergrenzen aufgehoben worden, so dass die Eigentümer die Mieten ohne Regulierung erhöhen konnten. Unter anderem wurde es so möglich, die Mieten in Wohnquartieren mit sehr armer Bevölkerung in kurzer Zeit anzuheben, um die Rendite zu erhöhen oder die Mieter aus ihren Wohnungen zu vertreiben und somit im Fall eines Weiterverkaufs der Immobilie höhere Preise zu erzielen (Butler/Lees 2006: 473). Aus Barnsbury sind Beispiele bekannt, bei denen Entwicklungsgesellschaften (developer) vermietete Bestände zu einem Hauspreis von 2.000 Pfund aufgekauft und nach Entmietung zu Preisen von 10.000 bis 12.000 Pfund veräußerten (Lees et al 2007: 14). Zu Protesten gegen die Gentrification kam es in der ersten Welle kaum. Der Wegzug von Bewohnern mit geringerem Einkommen aus den verslumten Gebieten wurde vielmehr als ein sozialer Fortschritt gesehen, da mit dem gleichzeitig in großem Umfang erfolgenden sozialen Wohnungsbau moderne und bessere Wohnbedingungen geschaffen wurden. Mit der Ölkrise kam es auch auf dem Londoner Immobilienmarkt zu einer Rezession: die Hauspreise sanken und die Expansion der Gentrification kam für einige Jahre zum Erliegen. Dort, wo nach spekulativen Aufkäufen und Entmietungen kein zügiger Weiterverkauf gelungen war, entstanden verlassene Straßenzüge.
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Ende der 1970er Jahre stieg die Nachfrage nach innenstadtnahem Wohnen wieder allmählich an und damit auch das Niveau der Hauspreise. Da das Angebot an attraktiven Immobilien in den bisherigen Aufwertungsquartieren schnell erschöpft war, mussten potentielle Gentrifier neue Gebiete erschließen. So breitete sich die Gentrification in den 1980er Jahren weiter aus. Von Islington aus kam es zu Überschwappeffekten nach De Beauvoir Town (Hackney) und Stoke Newington sowie nach Clerkenwell. Selbst im East End kam es in ästhetisch sehr attraktiven Beständen zu Aufwertungen, wie beispielsweise in der Fournier Street in Spitalfield, wo die georgianischen Wohnhäuser der im 17. Jh. aus Frankreich zugewanderten Hugenotten von Pionier-Gentrifiern entdeckt wurden (vgl. Abb. 2). Noch weiter östlich erreichte die Gentrification sogar das Umfeld des Victoria Parks. Auch im Süden Londons breitete sich die Gentrification weiter aus und erreichte Teile von Wandsworth im Osten (u.a. Beetween the Commons) über Lambeth und Southwark
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bis Brixton (u.a. Herne Hill, Tulse Hill) und Lewisham (u.a. Telegraph Hill). Eine Expansion zeigte die Gentrification auch im Nordwesten, in dem weitere Straßenzüge von Notting Hill aufgewertet wurden. Abb. 2: Gentrifizierte Gebäudezeile der Fournier Street in Spitalfield
Quelle: Aufnahme J. Glatter im Jahr 2011
Die zweite Welle der Gentrification war davon geprägt, dass immer mehr Immobilien- und Bauunternehmer die profitablen Möglichkeiten des Verwertungsmodells der Gentrification erkannten und damit die sogenannte developer-led gentrification an Bedeutung gewann. Attraktive historische Häuserzeilen wurden jetzt nicht nur auf- und verkauft, sondern im Auftrag der Immobilienunternehmen auch modernisiert. Mit dieser Entwicklung ging eine Erweiterung der Nachfragergruppe der Gentrifier einher. Zu ihnen zählten jetzt auch Berufstätige aus dem höheren Management, die sich den Erwerb der bereits sanierten Häuser leisten konnten. Dennoch gab es auch in dieser Zeit viele junge Haushalte, die als Pioniere neue Aufwertungsgebiete erschlossen. Mit der zweiten Welle der Gentrification wurden Lofts als neuer Wohnstil entdeckt. Lofts sind Wohnungen in ehemaligen Produktions- und Lagerräumen, die sich durch eine offene Raumstruktur auszeichnen und bei deren Umbau viele Gestaltungselemente der gewerblichen Vornutzung erhalten werden – u.a. Gitterfenster, Lastenaufzüge und konstruktive Träger. So entsteht der für die Gentrification typische Mix aus historischen Relikten und modernen Ausstattungen bei großzügigen Raumzuschnitten. Als Wegbereiter für diese Entwicklung gelten die
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an der Themse und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Tower gelegenen Waterfront-Revitalisierungen der St. Katharineʼs Docks und Butlers Wharf (vgl. Abb. 3). Weitere größere Areale mit Umbauten zu Lofts finden sich in den 1980er Jahren in Clerkenwell (Hamnett/Whitelegg 2007). Die zweite Welle der Gentrification führte auch zu einer Verlagerung der mit der Gentrification in Zusammenhang stehenden szeneorientierten Konsumräume. Die in den 1960er und 1970er Jahren in Chelsea boomende Hippie- und PunkKultur verlagerte sich Anfang der 1980er Jahre in die Portobello Road in Notting Hill und nach Camden Lock, wo sie imageprägend wurden und die lokalen Aufwertungsprozesse vorantrieben. Die zweite Welle der Gentrification endete mit dem Börsencrash von 1987, in dessen Folge es bis 1992 zu einem Rückgang der Hauspreise und einem Nachlassen des Gentrifizierungsdrucks kam.
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Etwa fünf bis sechs Jahre nach dem Börsencrash von 1987 hatte sich der Immobilienmarkt in London wieder erholt und die Hauspreise begannen erneut zu steigen. Dieser Aufschwung wird vor allem mit der sich beschleunigenden Globalisierung, der Finanzialisierung und der Marktöffnung nach der politischen Wende in Osteuropa erklärt. London profitierte vor allem von der Ansiedlung global agierender Firmen des Finanzsektors und weiterer darauf orientierter Branchen. Damit stieg auch die Zahl der in diesen Wirtschaftszweigen Beschäftigten, die als gutbezahlte Angestellte zu den typischen Nachfragern der Gentrification zählen. Die bisherigen Gentrificationquartiere erfuhren einen erneuten Nachfrageschub, was zu einem deutlichen Anstieg der Immobilienpreise führte. In den frühen 1990er Jahren erwarben Käufer ihre Eigentumsimmobilien für durchschnittlich 98.300 Pfund und bis Ende der 1990er Jahre stiegen die Immobilienpreise in Greater London auf einen Durchschnittspreis von 193.000 Pfund (Hamnett 2003: 151). Aufgrund der steigenden Nachfrage nach innenstadtnahem Wohnen kam es auch in der dritten Welle zu einer weiteren räumlichen Ausbreitung der Gentrification, die vor allem an den in der zweiten Welle sich ausbildenden Vorposten ansetzte. So wurden im Osten Londons weite Teile von Stoke Newington, Hackney, Hoxton/Shoreditch und dem East End von Aufwertungen erfasst. Im Süden breitete sich die Gentrification weiter in Wandsworth, Southwark und Brixton aus. Die umfassenden Aufwertungsprozesse der Londoner Docklands ließen
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zudem entlang der östlichen Themse eine Aufwertungszone entstehen, die von der Tower Bridge bis zu den Royal Docks reichte. In Barnsbury, einem Aufwertungsquartier der ersten Generation, stieg die Nachfrage so stark, dass die früheren Gentrifier aufgrund der Wertsteigerungen ihre Häuser verkauften und das Quartier verließen. Die Immobilienpreise stiegen schnell an und lagen Mitte der 1990er Jahre bei ca. 700.000 Pfund pro Haus (Butler/Robson 2001). Die neuen Eigentümer konnten die Summen relativ problemlos zahlen oder benötigten höchstens einen kurzfristigen Kredit. Dieser nochmalige Aufwertungsprozess wird aufgrund der überproportionalen Steigerung der Immobilienpreise und der mit dem Eigentümerwechsel verbundenen nochmaligen baulichen Aufwertung als Super-Gentrification bezeichnet (Butler/Lees 2006). Erklärt wird diese Entwicklung vor allem mit der sich ausweitenden Funktion der Stadt London als Global City. Ein Großteil der zuziehenden SuperGentrifier sind Investmentbanker und Anwälte, typische Oxbridge-Absolventen mit elitärem Netzwerk und einem Jahreseinkommen von über 150.000 Pfund, die einen exklusiven Lebensstil pflegen. Zwei Drittel der Einwohner von Barnsbury werden zur global vernetzten Elite der Finanz- und Kulturwelt gezählt (Butler/Lees 2006: 475). Die Super-Gentrifier folgen einem strengen Arbeitsethos mit langen und flexiblen Arbeitszeiten. Dies ist auch einer der Gründe für den Zuzug nach Barnsbury, das sehr nah an der City of London liegt. Die Bindung der Super-Gentrifier an das Quartier ist deutlich geringer, was sich u.a. darin zeigt, dass die eigenen Kinder nicht auf eine der öffentlichen Schulen, sondern auf private Schulen geschickt werden. Ähnliche Entwicklungen wie in Barnsbury sind auch in Chelsea mit seinem sehr hohen Anteil amerikanischer Bewohner und in Battersea, einem vor allem bei Angestellten internationaler Banken beliebten Wohnort, beobachtbar. Die exklusiven Aufwertungen strahlten auch auf die Gewerbestruktur in den Quartieren aus, die gleichfalls exklusiver wurden, was sich am Beispiel der Upper Street in Barnsbury und der Northcote Road in Battersea beobachten ließ. Mit den Revitalisierungen der Docklands ist auch ein seit den 1990er Jahren enorm an Bedeutung gewinnendes Phänomen verbunden – die New Build Gentrification (Davidson/Lees 2005). Damit werden Projekte beschrieben, bei denen auf ehemaligen Gewerbe- und Brachflächen neue Wohnquartiere für die Mittelschicht errichtet werden. Typische Bauformen der New Build Gentrification sind große Apartmentanlagen (condominiums) und mehretagige Reihenhäuser (townhouses). Aufgrund des hohen finanziellen Aufwands dieser Projekte werden diese von Investoren entwickelt (developer-led gentrification, s.o.). Beispiele der New Build Gentrification finden sich für die dritte Welle vor allem entlang der mit der DocklandRevitalisierung entwickelten Themse-Waterfront (vgl. Abb. 3). Dabei liegen die sehr
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hochpreisigen Neubauprojekte zumeist unmittelbar am Themseufer und werden mit einem hochwertigen Wohnumfeld ausgestattet (u.a. Parks und Marinas). Abb. 3: Lofts und New Build Gentrification an der Themsewaterfront südöstlich der Tower Bridge
Quelle: Aufnahme J. Glatter im Jahr 2011
In Studien über die Bewohnerstrukturen der Neubauappartements zeigte sich, dass die New Build-Gentrifier nur sehr geringes Interesse an einem lokalen Gemeinschafts- und Nachbarschaftsleben haben. Sie sind vielmehr stark in berufliche Ansprüche eingebunden und vor allem an Wohnkomfort, Sicherheit und Werterhalt der Immobilie interessiert (Butler/Robson 2001). Die Phänomene der Super-Gentrification und der New Build Gentrification zeigen, dass sich die Erscheinungsformen der Gentrification immer weiter ausdifferenziert haben. Eine weitere Spielart der Gentrification sind Verbindungen mit einer Touristifizierung der Quartiere. Eine auf konsumorientierten Tourismus ausgerichtete Aufwertung lässt sich beispielsweise seit den 1980er Jahren für den Stadtteil Covent Garden beobachten. Vor allem aber für das nördlich des Hyde Parkʼs gelegene Bayswater ist spätestens seit den 1990er Jahren eine Expansion an Hotels und Hostels sowie touristisch orientierter Gastronomie in historischen Wohnbauten beobachtbar. In Notting Hill wurde die touristische Aufmerksamkeit durch den gleichnamigen Kinofilm aus dem Jahr 1999 gefördert. Deutlich werden die Folgen der Touristifizierung vor allem entlang der Portobello Road: viele traditionelle, lokale Läden mussten schließen und wurden durch Bistros, Restaurants und Cafés ersetzt. Zu den neuen Geschäften zählen zunehmend Filialen global agierender Player der Gastrobranche. Ein weiterer neuer Trend der dritten Welle der Gentrification sind Aufwertungen ehemaliger Sozialwohnungsbestände (council estates). Der Prozess wird euphemistisch als Regeneration bezeichnet und politisch mit der Herstellung einer „gesunden“ sozialen Mischung zur Stabilisierung der Quartiere begründet (mixed communities) (Bridge et al 2012). Die Regeneration kann als umfassende
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Modernisierung bei Erhalt der Gebäude oder als Flächensanierung erfolgen. Dabei werden ganze Quartiere oder Teilareale der council estates von der Kommune an private Investoren oder housing associations verkauft (Watt 2009). Letztere sind private Immobilienunternehmen, die zwar weiterhin die umfassenden Mietrechte in den Sozialbauten gewährleisten müssen, als privatwirtschaftliche Unternehmen aber stärker gewinnorientiert agieren und daher im Rahmen von Modernisierungen häufig einen Teil der Sozialwohnungen privatisieren bzw. verkaufen. Folgen der Regeneration sind fast immer umfassende Verdrängungen der bisherigen Bewohner, die in preiswertere Lagen am Stadtrand ausweichen müssen. Beispielprojekte sind das Keeling House in Bethnal Green, der Aragon Tower in Deptford, der zu den Z-Apartments umgebaut wurde, die Aylesbury Estates in Southwark und die Heygate Estates in Brixton (Harnack 2012). Mit der 2007 einsetzenden Finanz- und Wirtschaftskrise geraten viele Hypothekennehmer in Zahlungsschwierigkeiten. Im Jahr 2009 kommt es daher in London zu einem deutlichen Anstieg der Zwangsversteigerungen und einem Rückgang der Hauspreise. In der Folge erfährt die Gentrification in London eine kurze Atempause.
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Die Wirtschafts- und Finanzkrise hatte nur zu einem sehr kurzfristigen Rückgang der Immobilienpreise in London geführt, so dass die Hauspreise bereits 2010 wieder stiegen. Die Folge waren und sind erneute Aufwertungsschübe in Quartieren, die bereits eine Gentrification erfahren haben sowie ein weiteres räumlichen Vordringen der Fronten und Vorposten der Gentrification. Folgende Entwicklungen sind dabei besonders auffällig. Da London als sicherer Hafen für Vermögen aus krisenanfälligen Regionen gilt, kommt es auf dem Londoner Immobilienmarkt zu einer wachsenden internationalen Nachfrage nach Immobilien im Hochpreissegment mit Hauspreisen im Millionenbereich. Dieser Immobilienboom konzentriert sich vor allem auf die traditionellen Oberschichtquartiere – unter anderem Mayfair, Kensington und Belgravia. Vom Boom erfasst werden aber auch Gentrificationquartiere, so dass es jetzt beispielsweise auch in Teilen von Notting Hill zum Phänomen der Super-Gentrification kommt. In London steigt aber auch die Nachfrage nach Wohneigentum in preiswerteren Segmenten. Die Gründe dafür liegen in der hohen Attraktivität Londons als Lebens- und Arbeitsort für junge Auszubildende und Berufseinsteiger. Sie sind zumeist auf den Kauf von Immobilien im Preissegment ab 250.000 Pfund angewiesen. Diese Preise sind allerdings nur noch an den Fronten der Gentrification
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oder in weiter vorgelagerten Gebieten realisierbar. Die jungen Nachfrager gehen daher in Quartiere, deren Aufstieg noch unsicher ist bzw. gerade beginnt, wobei sie auch bestehende Beeinträchtigungen im Wohnumfeld in Kauf nehmen. Sie investieren jedoch mit der Erwartung einer Steigerung der Wohnumfeldqualität und Immobilienwerte, so dass die Immobilie nach einiger Zeit mit deutlicher Wertsteigung verkauft werden könnte und damit das Kapital für den Erwerb einer Wohnung mit höherer Wohn- und Wohnumfeldqualität möglich wird. Auf diese Weise wollen die jungen Nachfrager vom Immobilienboom profitieren und zugleich auf der Immobilienleiter aufsteigen. Der Immobilienerwerb wird dabei durch politische Rahmensetzungen gefördert. Mit der Initiative help to buy werden beispielsweise Erleichterungen für den Erhalt von Hypotheken geboten. Zudem soll mithilfe einer staatlichen Niedrigzinspolitik die Neuaufnahme von Krediten und das Ablösen von Hypotheken erleichtert werden. Der Osten Londons hat vor allem infolge der Olympischen Spiele von 2012 umfangreiche Aufwertungsimpulse erfahren. Mit dem globalen Sportevent war das politische Ziel verbunden, neue Entwicklungspotenziale für den „unterentwickelten“ Osten Londons zu erschließen. So wurden im Rahmen der Olympiavorbereitungen umfassende Infrastrukturmaßnahmen umgesetzt, zu denen vor allem neue Schnellbahnstrecken und Knotenpunkte zählten. Darüber hinaus wurden öffentliche Räume neu gestaltet und der Neubau von bezahlbaren Wohnungen gefördert. Diese öffentlichen Interventionen haben wesentlich die Ausbreitung der Gentrification im Osten Londons befördert. Von Whitechapel im Süden über Bethnal Green bis nach Clapton im Norden rückte die Aufwertung immer weiter nach Osten vor (vgl. Abb. 4). Abb. 4: Gentrification in der Cheshire Street in Bethnal Green
Quelle: Aufnahme J. Glatter im Jahr 2011
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Ansatzpunkte boten häufig die neuen Knotenpunkte des öffentlichen Nahverkehrs, in deren Umfeld moderne Wohnbauten errichtet wurden. Weitere Impulse gingen von mehreren Hot Spots der Kreativen aus, die seit den 1990er Jahren im Osten Londons entstanden waren – unter anderem in Dalston, London Fields und Hackney Wick. Typische Anzeiger dafür sind Künstlerateliers, eine ausgeprägte Musikclubszene und alternative Vintagemärkte. Die vor allem östlich der City of London an der Waterfront entstandenen Projekte der New Build Gentrification erfahren eine Verdichtung und rücken immer weiter nach Osten in Richtung Greenwich und darüber hinaus vor. In jüngerer Zeit entstehen aber auch flussaufwärts moderne Uferbebauungen in Fulham und Battersea. Beispielprojekte in Fulham sind die Umgestaltung des Imperial Wharf Gaswerkes und die Fulham Riverside am Hurlingham Park. Am gegenüberliegenden Themseufer werden in Vauxhall die Albion Riverside – zwischen Albert Bridge und Battersea Bridge – umgestaltet und in Battersea die ehemalige Power Station zu einer modernen Apartmentanlage umgebaut. In Nine Elms entsteht östlich des Battery Parks im Zuge des Neubaus der amerikanischen Botschaft ein völlig neues Stadtquartier. Von weiterhin großer Bedeutung ist die Regeneration der council estates, für die sich zahlreiche Beispiele finden – unter anderem der Earls Court und die Gibbs Green Estates in Fulham sowie die Clays Lane Housing Estates in Newham und die Carpenters Estates in Stratford (Watt 2013). Die Projekte der Regeneration und die Privatisierungen öffentlicher Wohnungsbestände haben bei gleichzeitig nur sehr geringen Neubauzahlen im Sozialwohnungsbestand zu einer deutlichen Reduzierung des Bestandes an bezahlbaren Mietwohnungen geführt. Die Folgen für sozial bedürftige Mieter sind teilweise dramatisch, da gleichzeitig mit dem ab 2013 geltenden Welfare Act mehrere soziale Unterstützungen reduziert wurden. Wer darauf angewiesen ist, sich auf dem privaten Mietwohnungsmarkt zu versorgen, muss sehr hohe Mietpreise bei geringem Mieterschutz in Kauf nehmen. Die Kündigungsfrist beträgt häufig nicht mehr als sechs Monate. Aus diesem Grund wächst in London ein Schattenmarkt mit privaten Untervermietungen ohne gesetzliche Absicherung.
Z USAMMENFASSUNG Die Geschichte der Gentrification in London zeigt, dass die Stadtregion seit Mitte des 20. Jh. eine umfassende Transformation ihrer Sozialgeographie erfahren hat. War London in der Nachkriegszeit vor allem im Osten und Süden von Unterschicht- und Arbeiterquartieren mit Mietwohnungsbestand und Abwertungsten-
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denzen geprägt, sind heute weite Teile Inner Londons von Aufwertungsprozessen erfasst. Diese sozialräumliche Transformation wurde wesentlich durch den Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und der Etablierung Londons als Global City beeinflusst. Die Tertiärisierung sowie der enorme Ausbau der Finanzbranche, aber auch der Kultur-, Kreativ- und Medienwirtschaft, haben eine neue urbane Mittelschicht entstehen lassen. Diese fragt vor allem privates Wohneigentum in innenstadtnahen Wohnlagen nach, was zu umfassenden Austausch- und Verdrängungsprozessen geführt hat. In historischer Perspektive hat sich diese Entwicklung seit den 1950er Jahren in vier großen von Hauspreisbooms geprägten „Wellen der Gentrification“ vollzogen (vgl. Abb. 5). In der ersten Welle der Gentrification wurden von den traditionell bestehenden Mittel- und Oberschichtgebieten des West Ends ausgehend die im Norden liegenden Quartiere Islington, Camden, Kentish Town, Primrose Hill und Notting Hill, im Süden Chelsea sowie Vorposten in Fulham und Battersea aufgewertet. Die erste Welle der Gentrification dauerte bis in die Mitte der 1970er Jahre an, als es aufgrund der Öl- und Wirtschaftskrise zu einem kurzfristigen Rückgang der Immobilienpreise kam. Bereits Ende der 1970er Jahre folgte die zweite Welle der Gentrification. Der Prozess breitete sich von den bisherigen Gentrificationquartieren ausgehend weiter aus und erreichte inselhaft Teilräume in Hackney, dem East End sowie in Southwark und Brixton. Ende der 1980er Jahre kam es ausgelöst durch den Börsencrash zu einer Rezession und die Aufwertungsprozesse kamen weitgehend zum Erliegen. Ab Mitte der 1990er Jahre begann die dritte Welle, in denen sich die Gentrification räumlich weiter ausbreitete – insbesondere nach Norden (Kentish Town), Osten (Hackney, Hoxton/Shoreditch) und im Süden (Dulwich). Umfassende Aufwertungen erfolgten in dieser Phase auch im Rahmen der Dockland-Revitalisierungen entlang der Themse. Eine neue Erscheinungsform sind in dieser Phase die Projekte der Regeneration von Council Estates. Die Wirtschaftsund Finanzkrise 2008 führte erneut zu einem kurzfristigen Innehalten der Immobilienpreisentwicklung. Die aktuelle Entwicklung der vierten Welle führt erneut zu einer räumlichen Ausbreitung, wobei im Osten Londons wesentliche Impulse von den Olympischen Spielen ausgingen. Im Verlauf der vier Wellen hat sich die Gentrification über weite Teile Inner Londons ausgebreitet und zu einer Auflösung der großräumigen sozialräumlichen Gegensätze geführt. In einigen Gebieten führt das Vordringen der Mittelschichtquartiere bei gleichzeitiger Residualisierung preiswerter und sozialer Wohnungsbestände zu einem sehr kleinräumigen, unmittelbaren Nebeneinander von Wohngebieten mit sehr unterschiedlichem sozialem Status. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Portland Road in Notting Hill mit einem extremen sozialen Gefälle von den Luxusimmobilien im Süden zu den Council Estates im Norden.
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Abb. 5: Expansionsphasen der Gentrification in London
Quelle: Eigener Entwurf J. Glatter/L. Lees
Ungeachtet zahlreicher Proteste und lokaler Initiativen gegen Gentrification gibt es in London kaum politische Strategien und Interventionen, um die Aufwertungen zu verhindern oder zumindest deren Folgen moderater zu gestalten. Unter den gegebenen gesellschaftlichen, politischen und immobilienwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist daher auch für die nächsten Jahre mit einer fortschreitenden räumlichen Ausbreitung der Gentrification zu rechnen.
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„Architecture is not something just to keep the rain out“ (CROSBY/FACETTI/TURNBULL/WRIGHT 1956).
11. Wohnen in London – vom Investorenstädtebau zum öffentlichen Wohnungsbau und zurück M AREN H ARNACK , Frankfurt
Der Wohnungsbau in London ist schon seit dem 17. Jahrhundert von kommerziellen Projektentwicklern bestimmt, die ganze Quartiere bauten und die Häuser auf dem freien Markt verkauften.1 Die großen, einheitlich gestalteten Quartiere wie Bloomsbury, Belgravia oder South Kensington, die heute das Bild von London prägen, sind auf diese Weise entstanden. Diese Tradition des kommerziellen Städtebaus hat tiefe Spuren im Wohnungsbaugeschehen hinterlassen und ist heute noch spürbar. Während allerdings früher das langfristige Interesse der Grundeigentümer (freeholder) zu akzeptablen städtebaulichen Lösungen führte und auch die konstruktive Qualität der Häuser sicherstellte, wird heute für den kurzfristig optimierten Verkaufserlös geplant und gebaut. Eine dem Gemeinwohl verpflichtete Stadtplanung, die einen verbindlichen rechtlichen Rahmen schafft, in dem Einzeleigentümer ihre Parzelle baulich nutzen dürfen, ist in London bis heute kaum anzutreffen, und es ist fast unmöglich, individuelle Rechte dem Interesse des Allgemeinwohls unterzuordnen. Mit dem vehementen Stadtwachstum, das mit der Industrialisierung einherging, wurden übergreifende Organisationsstrukturen aber unumgänglich. Der Bau einer Kanalisation und die Royal Commission of Sewers, die diesen organisierte, markierten den Anfang einer gesamtstädtischen Verwaltung, die nach und 1
Eine gute Übersicht zur Stadtentwicklung und zum Wohnungsbau bieten: Steen Eiler Rasmussen: London. The Unique City, sowie John Summerson: Georgian London.
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nach immer weitere Aufgaben übernahm, zunächst als Metropolitan Board of Works und ab 1889 als London County Council (LCC), welches die erste demokratisch legitimierte Planungs- und Verwaltungsinstanz für ganz London war und ab 1890 auch den sozialen Wohnungsbau verantwortete. Schon vor dieser Zeit gab es Wohnungsbau für Arme, der von Stiftungen wie dem Peabody Trust betrieben wurde. Hier galten für die Bewohner oft strenge Vorschriften, die eine moralisch einwandfreie Lebensweise sicherstellen sollten, aber häufig mit den Notwendigkeiten des Broterwerbs kollidierten, etwa weil es Sperrstunden gab. Zudem waren diese Stiftungen nicht in der Lage, die schiere Menge von armen Menschen zu behausen, die in Londons Slums lebten oder leben mussten. Die Anfänge des öffentlichen Wohnungsbaus So wurde mit dem Housing of the Working Classes Act 1885 den Kommunen die Möglichkeit gegeben, selbst als Anbieter von Wohnraum aufzutreten, um die Wohnungsnot zu lindern. In London waren dies sowohl die einzelnen Bezirke (Boroughs) als auch die übergeordnete Instanz, das LCC. Die ersten öffentlichen Wohnungsbauten verließen das Modell der Reihenhaussiedlung und kombinierten relativ dichten Geschosswohnungsbau mit einem Mindestmaß an hygienischen Standards. Der Boundary Estate, Londons erster sozialer Wohnungsbau, entstand 1900 in Shoreditch auf dem Gebiet eines notorischen Slums. Hier gab es jeweils ein WC auf halber Treppe, das sich zwei Wohnungen teilten. Zwischen den Gebäuden befand sich eine Grünfläche, die den Bewohnern zur Verfügung stand. Im Fall des etwas später entstandenen Millbank Estate in Pimlico war die Grünfläche auch für das Quartier jenseits des Estate zugänglich und erhöhte so den Lebensstandard auch außerhalb des Estates. Mit dem Addison Act von 1919 wurde die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus neu strukturiert und basiert seither im Wesentlichen auf Zuwendungen und Krediten der Nationalregierung. Seit 1939 werden sämtliche Ausgaben und Einnahmen aus dem sozialen Wohnungsbau in sogenannten Housing Revenue Accounts zusammengefasst, die jedes Jahr ausgeglichen werden müssen. Dies kann durch staatliche Subventionen geschehen oder durch Transfers aus den allgemeinen Steuereinnahmen. Durch Eingriffe in die Verwaltung und Finanzierung der Housing Revenue Accounts kann die Nationalregierung den sozialen Wohnungsbau auf vielfältige Weise beeinflussen, ohne direkt eingreifen zu müssen. Die nationalstaatliche Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus ist vor allem deswegen von besonderer Bedeutung, weil die öffentlichen Ausgaben in Großbritannien nach Regeln berechnet werden, die nicht zwischen Ausgaben und Investitionen unterscheiden, eine Anomalie, die in Überblickswerken zur
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britischen Wohnungspolitik immer wieder als ein Problem bei der Wohnraumversorgung beschrieben wird. Diese Unausgewogenheit schränkt den Handlungsspielraum der Kommunen stark ein und macht es ihnen so gut wie unmöglich, Kredite aufzunehmen.2 Wiederaufbau: die Blütezeit des sozialen Wohnungsbaus Durch die Flächenbombardierung der Deutschen während des Zweiten Weltkriegs war in London ein erheblicher Teil des Wohnungsbestandes zerstört worden und die schon vor dem Krieg angespannte Lage hatte sich deutlich zugespitzt. Im Wiederaufbau ging es daher zunächst darum, auf den durch Bombenschäden entstandenen Brachflächen möglichst schnell neuen Wohnraum zu schaffen. Abb. 1: Die Alton Estates, Roehampton (LCC Architekturabteilung)
Quelle: M. Harnack
Grundlage für den Wiederaufbau war der Abercrombie Plan von 1944, der stark von den Ideen der Gartenstadtbewegung geprägt war. Er sah vor, um London herum den noch heute bestehenden Grüngürtel von Bebauung freizuhalten und
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Eine detaillierte Beschreibung dieses zunächst unverständlichen Phänomens liefern Paul Balchin und Maureen Rhoden: Housing Policy. An Introduction, S. 170.
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legte für das gesamte Stadtgebiet eine Bevölkerungsdichte zwischen 70 und 200 Einwohnern pro acre fest (etwa 175 bis 500 Einwohner pro Hektar). Darüber hinaus wurden sogenannte New Towns geplant, die die Bevölkerung aufnehmen sollten, die bei der angestrebten moderaten Dichte in der Kernstadt keinen Platz mehr finden würde. Die Bedingungen waren ideal, um ambitionierte, moderne Architekturprojekte zu verwirklichen: Das LCC plante, finanzierte und realisierte den Wohnungsbau. Gleichzeitig war es die übergeordnete Planungsbehörde, die, von der Politik unterstützt, zügig und passgenau das nötige Baurecht schuf sowie benötigte Grundstücke enteignen konnte. Die Architekturabteilung des LCC entwickelte sich zu dieser Zeit zu einer der herausragenden Adressen für Wohnungsbau (aber auch für Schulbau) in Europa und zog junge, ambitionierte Architekten an. Ihre Projekte galten international als vorbildlich; sie wurden umfassend veröffentlicht und intensiv rezipiert. Als übergeordnete Planungsbehörde musste das LCC auch die von den Boroughs selbständig geplanten Projekte genehmigen und konnte so sicherstellen, dass sie den eigenen Vorgaben entsprachen. Dazu gehörten neben der moderaten Dichte eine hohe gestalterische Qualität und die städtebauliche Einbindung in einen größeren Kontext. Die Boroughs wiederum konnten ihren Wohnungsbau selbst planen oder externe Architekten beauftragen, was auch in vielen Fällen geschah. Viele der heute berühmten, denkmalgeschützten sozialen Wohnungsbauten sind in dieser Konstellation entstanden, beispielsweise Alexandra Road (Neave Brown), Trellick Tower (Ernö Goldfinger), das Brunswick Centre (Patrick Hodgkinson), Lillington Gardens (Darbourne & Darke) oder Keeling House (Denys Lasdun). Trotz dieser Beispiele hervorragender Architektur kam es zu Spannungen zwischen den Boroughs und dem LCC. Die Verantwortlichen auf lokaler Ebene waren an hohen Fertigstellungszahlen interessiert, um die akute Wohnungsnot ihrer Bürger zu lindern. Das LCC setzte demgegenüber auf die langfristige Tragfähigkeit der Projekte und hochwertige Gestaltung, die aber in der Planung und Umsetzung mehr Zeit brauchte – und auch mehr Geld kostete. Mit dem Grüngürtel wurde außerdem die Expansion der Stadt begrenzt, und nachdem die Kriegsbrachen bebaut waren, wurde Bauland zu einer knappen Ressource. Als Mitte der 1950er Jahre die flächenhafte Slumsanierung wieder aufgenommen wurde, gelang es kaum, alle Bewohner wieder an ihrem alten Standort unterzubringen. Ab 1956 wurden zusätzliche Subventionen für Hochhäuser eingeführt,3 um die Dichte in städtebaulich verträglicher Weise zu erhöhen und auf kleiner Fläche
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Die Subventionen begannen mit dem 1956 Housing Subsidies Act, zitiert nach Forrest/Murie 1991: 26.
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möglichst viele Ausweichwohnungen für die Betroffenen der Slumsanierung zu schaffen. Abb. 2: Trellick Tower in North Kensington (Ernö Goldfinger)
Quelle: Aufnahme M. Harnack
Dass ein Teil der Bewohner dennoch in die weiter entfernt errichteten New Towns umziehen musste, war sowohl von der Nationalregierung als auch vom LCC gewollt. In den New Towns baute das LCC auch außerhalb Londons Wohnungen, die den gleichen hohen Standards genügen mussten wie die Projekte in London. Sowohl bei den Bewohnern, die in ihrer angestammten Umgebung bleiben wollten, als auch bei den Boroughs, die am Erhalt ihrer Steuereinnahmen interessiert waren, war diese Strategie trotz der attraktiven Wohnungen äußerst unbeliebt, und im Streit um höhere Dichten bei Neubauprojekten im Stadtgebiet konnte keine Einigkeit erreicht werden.
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Vom LCC zum GLC Aus der Sicht der Nationalregierung verfehlte das LCC die Ziele der Wohnungspolitik. Durch die flächenhafte Slumsanierung wurden zwar die Wohnverhältnisse derjenigen verbessert, die eine neue Wohnung beziehen konnten, doch weil dies weniger Menschen waren, als vorher in den betreffenden Quartieren gewohnt hatten, wurden die Wartelisten für eine neue Wohnung mit fortschreitendem Sanierungserfolg eher länger als kürzer.4 Versuche, die Wohnraumproduktion durch industrialisiertes Bauen effizienter zu gestalten, kollidierten mit dem Anspruch des LCC, Projekte ortsspezifisch und in moderater Dichte zu planen. Diese Konstellation trug möglicherweise dazu bei, dass 1963 beschlossen wurde, das LCC grundsätzlich neu zu strukturieren, auch wenn es sicher nicht der einzige Grund dafür war. Das Gebiet des LCC wurde mit großen Teilen der bis dahin selbstständigen Umlandgemeinden zum Greater London Council (GLC) verschmolzen. Im Zuge der Reform wurden etliche Boroughs zusammengelegt oder neu zugeschnitten und mit allen Kompetenzen selbständiger Kommunen ausgestattet. Das GLC verlor hingegen im Vergleich zum LCC Kompetenzen. Im Wohnungsbau hatten die Boroughs ihre Planungen vom LCC genehmigen lassen müssen, nun hatten sie Planungshoheit und das GLC musste seine eigenen Planungen mit den betroffenen Boroughs abstimmen. Die knappen Baugrundstücke nutzen die Boroughs nun häufig selbst, und das GLC musste mit ihnen kooperieren, um weiterhin Wohnungen bauen zu können (Glendinning/Muthesius 1993: 274). Die Boroughs bauten so ihren Anteil am öffentlichen Wohnungsbau deutlich aus und hatten einen großen Anteil daran, dass die Fertigstellungszahlen ab 1965 anstiegen. Durch die neue Kompetenzverteilung nach der Verwaltungsreform waren die Boroughs nicht mehr an die Vorstellung von guter Planung und angemessener Dichte gebunden, die das LCC vertreten hatte. Die gewonnene Freiheit nutzen sie allerdings unterschiedlich: manche verfolgten die Strategie des LCC weiter und beauftragten ihre eigenen oder externe Architekten damit, individuelle Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen. Andere konnten nun endlich die hohen Fertigstellungszahlen erreichen, die das LCC nie geliefert hatte, und setzten dabei auf industrialisierte Systembauweisen. Um dies wirtschaftlich tun zu können, wurden immer größere Bestände am Stück abgebrochen und die Flächen 4
Im gesamten Londoner Stadtgebiet waren 1961 noch immer mehr als zehn Prozent aller bewohnbaren Räume mit mehr als 1,5 Personen belegt, in manchen Quartieren aber auch über 30 Prozent. Dazu kam die mangelhafte Ausstattung der Wohnungen, denen häufig innenliegende WCs, Bäder oder fließend Warmwasser fehlten. Office for National Statistics. Census 1961, auf Anfrage; Report of the Committee on Housing in Greater London (108): 121-123.
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mit hoher Geschwindigkeit neu bebaut. Bei der Ausführung kam es unter dem hohen Zeit- und Kostendruck häufig zu Fehlern, die mitunter gravierende Folgen hatten, wie etwa das Ronan Point Disaster, bei dem ein Hochhaus teilweise einstürzte und fünf Menschen zu Tode kamen. Gerade die Estates dieses zweiten Typs wurden und werden heftig kritisiert, weil Gestaltung und räumliche Qualität zu wünschen übrig lassen. Abb. 3: Der Aylesbury Estate in Southwark
Quelle: Aufnahme M. Harnack
Dennoch war auch eine Wohnung in einem dieser Estates für die allermeisten Bewohner ein enormer Fortschritt und brachte ihnen einen bis dahin fast unvorstellbaren Gewinn an Komfort und Lebensqualität. Der Rückzug des Staates: Margaret Thatcher Sowohl der Wohnungsbau des GLC als auch der der Boroughs war weiterhin von der Finanzierung durch den Nationalstaat abhängig. Nach der Regierungsübernahme durch die Konservativen im Jahr 1979 unter Margaret Thatcher wurden dem öffentlichen Wohnungsbau sehr schnell und überdurchschnittlich stark Mittel entzogen. Anstatt günstige Wohnungen zu fördern, bekamen Mieter jetzt ein individuelles Wohngeld, das housing benefit, mit dem sie auch von privaten Vermietern oder gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften Wohnraum mieten konnten. Aus der Sicht der Nationalregierung hatte dies den Vor-
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teil, dass die öffentliche Hand als Anbieter von Wohnraum nicht mehr unbedingt nötig war, um die ärmeren Teile der Bevölkerung zu versorgen. Bereits bei der Gründung des GLC wurde die Möglichkeit vorgesehen, die Wohnungen des GLC an diejenigen Boroughs zu übertragen, auf deren Gebiet sie sich befinden.5 Die Thatcher Regierung trieb diesen Transfer nun voran, gegen den erklärten Willen des GLC und auch gegen den Willen einiger Boroughs, die fürchteten, mit der Übernahme der GLC-Gebäude für so viele Reparaturen aufkommen zu müssen, dass diese den Wert der Gebäude übersteigen könnten. Es wurde vereinbart, dass das GLC die Gebäude im Anschluss an die Übergabe nach einem verbindlichen Plan sanieren würde, was in der Folge zu erheblichen Problemen für die Bewohner der betroffenen Liegenschaften führte. Die neuen Eigentümer fühlten sich nicht für den Unterhalt und die Pflege der Gebäude zuständig, und das GLC hatte kein besonderes Interesse daran, in nunmehr fremdes Eigentum zu investieren. Mit dem Local Government Act von 1985 wurden diese Vereinbarungen zuungunsten der Boroughs außer Kraft gesetzt, die nun für alle anstehenden Reparaturen allein zuständig waren, aber nicht über die erforderlichen Mittel verfügten, um diese durchzuführen.6 1986 wurde das GLC dann ganz aufgelöst, so dass es keine demokratisch verfasste gesamtstädtische Planungsebene mehr gab. Stattdessen wurden einige der Aufgaben auf nationalstaatlicher Ebene übernommen, was die Kontrolle über die Entwicklung Londons noch stärker aus der Hand seiner Bürger nahm. Weiter geschwächt wurde der öffentliche Wohnungsbau durch das Right to Buy, das den Mietern von öffentlich geförderten Wohnungen das Recht gab, ihre Wohnung mit erheblichen Rabatten zu kaufen. Die Mittel, die den Boroughs durch das Right to Buy zuflossen, konnten allerdings nur zu einem geringen Teil in den Wohnungsbestand re-investiert werden. Der weitaus größte Teil blieb über Jahre eingefroren und trug so dazu bei, das Defizit der öffentlichen Hand buchhalterisch zu reduzieren (Forrest/Murie 1991: 86ff). Leidtragende waren die Bewohner der öffentlichen Wohnungsbauten, die unter dem schlechten Unterhaltungszustand der Häuser litten, ob sie nun Mieter waren oder Eigentümer. Die Wohnungspolitik der Thatcher-Regierung ging jedoch weit über den Rückzug aus der Finanzierung des Wohnungsbaus hinaus und nahm weitreichenden Einfluss auf die Versorgung mit gefördertem Wohnungsbau. Mit dem Housing Act von 1989 verloren die Boroughs beispielsweise die Möglichkeit, 5
1985 London Government Act, Section 23(3)
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1985 Local Government Act, Section 89, siehe hierzu auch den Redebeitrag von John Frazer im House of Commons, Debatte über die Housing Transfer Orders am 28.3.1985, online abrufbar unter http://hansard.millbanksystems.com/commons/1985/mar/28/glchousing-transfer-orders-and#S6CV0076P0_19850328_HOC_461 vom 15.2.2015.
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ihre Housing Revenue Accounts mit allgemeinen Steuermitteln zu füllen und so geförderten Wohnungsbau zu finanzieren, ohne auf nationale Mittel zurückzugreifen.7 Der vormals von nationalstaatlicher Seite ausgezahlte housing benefit wurde ab 1989 mit den ebenfalls staatlicherseits errechneten Überschüssen aus den Housing Revenue Accounts verrechnet. Da die Nationalregierung im Allgemeinen von höheren Mieteinnahmen ausging, als die Boroughs tatsächlich erzielten, stiegen die Sozialmieten steil an, weil nur so die Housing Revenue Accounts ausgeglichen werden konnten. Gleichzeitig fehlte den Boroughs das Geld, um den Wohnungsbestand zu pflegen, so dass die verbleibenden Sozialmieter weder von den höheren Mieten noch von den Privatisierungen profitierten. Insgesamt führte die Politik der Konservativen unter Margaret Thatcher dazu, dass die Nachfrage nach gefördertem Wohnraum stieg, während das Angebot schrumpfte. Dass die Regierung für sich in Anspruch nehmen konnte, die Kosten für den öffentlich geförderten Wohnungsbau gesenkt zu haben, war nur möglich, weil die Kosten in andere Haushalte verschoben wurden (Forrest/Murie 1991: 88, 91, Mullins/Murie 2006: 92f). Die von der konservativen Thatcher-Regierung ausgegebene Parole, dass man weniger Staat brauche, verdeckt bis heute die Tatsache, dass die lokale Autonomie in dieser Zeit erheblich ausgehöhlt wurde. Die aus der Thatcher-Ära stammende Marginalisierung des öffentlichen Wohnungsbaus hat sich bis heute erhalten. Die Erwartung, dass der private Sektor die Lücke füllen würde, die durch die fast vollständige Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus entstanden ist, hat sich nicht erfüllt. Insgesamt sind die Fertigstellungszahlen sogar gesunken. Für den privaten Sektor hat dies den Vorteil, dass die wenigen Wohnungen, die fertiggestellt werden, sich umso teurer verkaufen lassen. Während nach dem Zweiten Weltkrieg speziell der Londoner Wohnungsbau international Vorbildcharakter hatte, hat sich seit der Ära Thatcher die Haltung durchgesetzt, dass nur die wirklich dringendsten Fälle mit geförderten Wohnungen versorgt werden sollten, deren Qualität man keine besondere Bedeutung zumaß. Als Folge dieser Privatisierungspolitik, die bei den attraktiveren Wohnungen in guter Lage erfolgreicher war als in anderen Fällen, liegen geförderte Wohnungen heute häufig in schon lange vernachlässigten, stigmatisierten Estates. Hier sind die Bewohner dann nicht nur von dem schlechten baulichen Umfeld betroffen, sondern auch von Konflikten, die sich beim konzentrierten Zusammenleben von Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen und mit unterschiedlichen sozialen Problemen nicht vermeiden lassen. 7
1989 Local Government and Housing Act, Chapter 42, Section 79
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Abb. 4: Fertigstellungszahlen nach Sektoren
Quelle: M. Harnack, nach CABE
Enttäuschte Hoffnungen: Tony Blair Der Wechsel zur Labour-Regierung unter Tony Blair im Jahr 1997 weckte zunächst die Erwartung, dass die Rolle des öffentlichen Wohnungsbaus wieder gestärkt würde. Hierzu trug besonders bei, dass Blair seine erste große, öffentliche Rede auf dem Aylesbury Estate hielt, einem stark von Armut und Benachteiligung betroffenen Quartier in London. In seiner Rede sprach Blair davon, dass gerade Bevölkerungsgruppen wie die Bewohner des Aylesbury Estates nicht länger von der Regierung vergessen werden würden (Blair 1997). Und in der Tat hat das neu aufgelegte Programm New Deal for Communities in den folgenden Jahren erreicht, dass sich die Kriminalitätsstatistik dort ebenso rasant verbesserte wie das Bildungsniveau und die Gesundheitsvorsorge. Der New Deal for Communities verfolgte einen integrierten Ansatz und billigte den Bewohnern relativ umfangreiche Autonomie und Mitbestimmungsrechte zu.8 Baulich allerdings verbesserte sich wenig. Zunächst war geplant, den Estate an eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft zu übertragen und den Bestand nach und nach durch Neubauten zu ersetzen. In diesem Stock Transfer genannten Prozess übergeben die Boroughs den Wohnungsbestand und die neuen Eigentümer verpflichten sich im Gegenzug vertraglich, diesen zu sanieren oder neu zu errichten und eine bestimmte Zahl subventionierter Wohnungen anzubieten. Meistens wird dabei ein Teil des Bestandes privatisiert, um die geförderten Wohnungen zu finanzieren. Im Gegensatz zu den Boroughs können gemeinnüt8
Zum New Deal for Communities siehe http://collections.europarchive.org/tna/ 20090106142604; http:/www.neighbourhood.gov.uk/page.asp?id=617. Weitere Dokumente zum Programm werden hier archiviert: http://collections.europarchive.org/ tna/20090106142604; http:/www.neighbourhood.gov.uk/page.asp?id=623 vom 12.2.2015.
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zige Wohnungsbaugesellschaften ihre Immobilienbestände beleihen und Programme zur Co-Finanzierung der Homes and Communities Agency in Anspruch nehmen. Die Bewohner des Aylesbury Estate lehnten den Stock Transfer jedoch ab, weil sie Verschlechterungen ihrer Wohnsituation befürchteten und der Sanierung des Bestandes gegenüber dem Abriss den Vorzug gaben. Damit war der Zugang zu Fördermitteln für die Sanierung unmöglich. Diese Situation ist beispielhaft für viele der Estates, die sich zu dieser Zeit noch im öffentlichen Eigentum befanden und macht deutlich, dass die Labour-Regierung kein Interesse daran hatte, den öffentlichen Wohnungsbau nennenswert zu stärken. Die Homes and Communities Agency war zwar für die Förderung von günstigem Wohnungsbau zuständig, machte aber keinen Unterschied zwischen kommunalen und gemeinnützigen Anbietern. Wegen der schon erwähnten fiskalischen Besonderheit, die es den Boroughs kaum erlaubt, Kredite aufzunehmen, hatten diese faktisch keine Möglichkeit, die Fördermittel der Wohnungsbauprogramme abzurufen, die immer nur Co-Finanzierungen boten. Aus unterschiedlichen Gründen wurde dennoch gegen den Willen der Bewohner der Abriss und Neubau des Aylesbury Estate durch verschiedene gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften beschlossen. Hier zeigt sich plastisch, wie wenig Bedeutung der demokratischen Abstimmung der Bewohner beigemessen wurde und wie sehr die Vorgaben der Nationalregierung den Bewegungsspielraum der Boroughs einschränkten. Ein Einzelfall war dies nicht, wie die abschließende Evaluation des Programms zeigte: Die Bewohner in Gebieten des New Deal for Communities fühlten sich trotz vieler Mitbestimmungselemente den Verwaltungen gegenüber genauso ohnmächtig wie die in Vergleichsgebieten, die nicht am Programm teilnahmen (Centre for Regional Economic and Social Research 2010: 12). Letztendlich drängte die Wohnungspolitik unter Tony Blair die öffentliche Hand als Anbieter von Wohnraum weiter zurück und setzte darauf, die Mittel für den geförderten Wohnungsbau aus dessen Beständen zu generieren – mit der Folge eines weiter schrumpfenden Angebots bezahlbarer und qualitativ akzeptabler Wohnungen. Auf der gesamtstädtischen Ebene schuf die Labour Regierung die Greater London Authority (GLA) und stattete sie mit Kompetenzen für die übergeordnete Stadtentwicklung aus. Die GLA erarbeitete einen neuen London Plan und nutzte ihren geringen Gestaltungsspielraum auch, um günstigen Wohnraum zu schaffen. Der London Plan sah vor, dass jedes Jahr 30.000 neue Wohnungen gebaut werden sollten, die Hälfte davon als kostengünstiger Wohnungsbau. Hierzu wurden auch im Besitz der GLA befindliche Grundstücke überplant und an private Investoren veräußert, da aus den bereits diskutierten Gründen weder die Boroughs noch die GLA selbst bauen konnten. Auch wenn die Quote von 50
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Prozent nicht ganz erfüllt wurde, ist so auch in guten Lagen günstiger Wohnraum entstanden. Die Kritik an dieser Strategie bezieht sich vor allem auf die Entstehung sogenannter poor doors, die separaten und nicht so aufwendig gestalteten Eingänge für den geförderten Wohnungsbau, die von vielen als stigmatisierend empfunden werden (Osborne 2014). Doch auch hier sind es zumindest zum Teil Vorgaben der Nationalregierung, die einer stärkeren Durchmischung von Bewohnergruppen entgegenstehen: es darf keine Quersubventionen geben, was sich nur dann zweifelsfrei vermeiden lässt, wenn frei finanzierte und geförderte Wohnungen konsequent getrennt sind. Der freie Wohnungsmarkt blieb trotz des forcierten Neubaus von Wohnungen angespannt. Anders als im öffentlichen Wohnungsbau der 1960er und 1970er Jahre blieben die Dichten in den neuen Entwicklungsgebieten entweder niedrig oder die Qualität der Wohnungen ließ zu wünschen übrig. Hier zeigte sich, dass der vorbildliche Wohnungsbau aus der Zeit des LCC den freien Markt wenig beeinflusst hat. Die insgesamt geringe Regulierungsdichte, die zum Beispiel keine Flächenstandards für bestimmte Nutzungen kennt, führt in einem Marktumfeld, das von extremer Knappheit geprägt ist, zu Wohnungen mit schlecht nutzbaren Grundrissen und geringer konstruktiver Qualität, die trotz aller Mängel zu Höchstpreisen verkauft werden. Um diesem Problem zu begegnen, wurde von der Labour Regierung die Commission for Architecture and the Built Environment (CABE) gegründet. Im Wohnungsbau war CABE an dem Programm Building for Life beteiligt, das gemeinsam mit der Wohnungsbau-Industrie und Berufsorganisationen die Qualität im kommerziellen Wohnungsbau anheben sollte.9 Building for Life war ein Zertifizierungssystem, das den kommerziellen Wohnungsbaufirmen Anreize bot, beispielsweise auf die städtebauliche Qualität, die Qualität der gemeinschaftlich genutzten Flächen oder auf die Grundrissqualität zu achten. Trotz dieser Anstrengungen sind viele der prämierten Projekte bei weitem nicht so gut, wie es auf dem europäischen Festland üblich ist. Auch hier wurde also die neoliberale Laissez-faire Politik weitergeführt und den kommerziellen Projektentwicklern weitgehend freie Hand gelassen.
9
Siehe hierzu http://webarchive.nationalarchives.gov.uk/20110118095356/http:/www. cabe.org.uk/building-for-life vom 12.2.2015.
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The Big Society: David Cameron Der erneute Wechsel zu einer konservativ geführten Regierung unter David Cameron in Jahr 2010 wird für die Bewohner von öffentlichen und anderen geförderten Wohnungen weitere unangenehme Folgen haben. Unter dem Titel Localism Act wurde 2011 ein Gesetz verabschiedet, das die kommunale Selbstverwaltung stärken und neue Gestaltungsspielräume eröffnen soll. Allerdings sieht der Localism Act auch viele Möglichkeiten nationalstaatlicher Einflussnahme vor und überträgt der Nationalregierung sogar eine Vielzahl neuer Kompetenzen.10 Im Bereich der Wohnungsversorgung beispielsweise muss auf kommunaler Ebene ein Allocation Scheme ausgearbeitet werden, das festlegt, nach welchen Kriterien und für wie lange Sozialwohnungen vergeben werden.11 Hier können von der Nationalregierung Gruppen benannt werden, die vom sozialen Wohnungsbau ausgeschlossen sind.12 Neu ist auch, dass die Mietdauer einer Sozialwohnung auf die Zeit der Bedürftigkeit beschränkt werden kann, während solche Wohnungen bisher unbefristet vermietet wurden.13 Dies war ein wesentlicher Unterschied zum freien Wohnungsmarkt, wo Wohnungen fast ausschließlich auf kurze Zeitspannen befristet vermietet werden. Auch dies hat das Wohnen zur Miete in London unattraktiv gemacht und dazu beigetragen, dass die Eigentumsquote rasch gestiegen ist (Balchin/Rhoden 1989: 4). Dieses vermeintliche Detail könnte zu einer weiteren Verschlechterung der Sozialstruktur in den verbleibenden geförderten Wohnungsbauten führen, weil sich hier noch mehr als bisher diejenigen konzentrieren würden, die mehrfach benachteiligt sind. Zudem ist es kontraproduktiv, wenn gerade diejenigen gezwungen sind weiterzuziehen, deren Situation sich stabilisiert hat und die daher den Anspruch auf eine Sozialwohnung verloren haben. Nicht zuletzt ist die langfristige Mietsicherheit für viele Bewohner ein Anreiz, sich für ihren Estate zu engagieren und ihre Wohnung pfleglich zu behandeln (Department for Communities and Local Government 2011). Gleichzeitig dürfen die Sozialmieten nach einem Erlass des Department for Communities and Local Government auf bis zu 80 Prozent der Marktmiete steigen, ein Vielfaches der bisherigen Sozialmieten.14 Abgeschafft wurden außer10 Siehe hierzu den Redebeitrag von Helen Jones (Labour) in der Parlamentsdebatte am 07.11.2011, online abrufbar unter: http://www.publications.parliament.uk/pa/cm201011/ cmhans rd/cm 111107/debtext/111107-0002.htm vom 12.2.2015. 11 2011 Localism Act, Part 7, Chapter 1, Section 147 12 Ebd. Section 146 13 Ebd. Section 154 14 Online abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/policies/improving-the-rentedhousing-sector--2 vom 12.2.2015.
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dem die nationalstaatlichen Zuschüsse für den öffentlichen Wohnungsbau, die Housing Revenue Account Subsidy, so dass die kommunalen Träger Unterhalt und Neubau jetzt ausschließlich aus Privatisierungserlösen und Mieteinnahmen der bereits vorhandenen Wohnungen bezahlen müssen. Die Rede ist von Self Financing Housing Revenue Accounts.15 Dies dürfte angesichts der neuen Mietobergrenzen leichter fallen als bisher, wenn auch auf Kosten der Sozialmieter selbst. Anders als bei den Reformen in den 1980er Jahren werden die höheren Mieten jetzt nicht mehr automatisch durch housing benefits aufgefangen, da eine von der Haushaltsgröße abhängige absolute Gesamtobergrenze für Transferleistungen eingeführt wurde, die es für viele Leistungsempfänger schlicht unmöglich machen wird, weiterhin in teuren Städten wie London zu leben. In ähnlicher Weise greift der Localism Act auch in andere Bereiche der kommunalen Planung und Selbstverwaltung ein. Im Hinblick auf den geförderten Wohnungsbau ist die wesentliche Veränderung aber, dass er nun endgültig nicht mehr als eine Aufgabe verstanden wird, die von der Gesellschaft übernommen wird, sondern als ein Sektor, der sich selbst finanzieren soll, obwohl ihm durch das Right to Buy bereits über Jahrzehnte massiv Kapital entzogen wurde. Alle Möglichkeiten, Geldquellen jenseits von Mieteinnahmen oder Verkaufserlösen zu erschließen, werden dabei von der Nationalregierung konsequent unterbunden. Den sozialen Wohnungsbau ausschließlich von seiner qua Definition benachteiligten Kundschaft finanzieren zu lassen, führt nicht nur den Begriff selbst ad absurdum, sondern macht nach mehr als einhundert Jahren das Ende dieses einstmals wichtigen sozialpolitischen Instruments absehbar.
Q UELLENVERZEICHNIS Balchin, Paul/Rhoden, Maureen (2002): Housing Policy. An Introduction, London/ New York: Routledge. Beech, Nick/Thomas, Amy (2012): Besitz und Besessenheit, in: Arch+ 209, S. 52-59. Blair, Tony (1997): The Will to win. Ansprache auf dem Aylesbury Estate, 2, Juni 1997, online abrufbar unter: www.accessmylibrary.com/article-1G11989 7784/welfare-reform-giving-people.html vom 22.11. 2012.
15 Online abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/policies/improving-the-rentedhousing-sector--2/supporting-pages/housing-revenue-account-reform-selffinancing vom 12.2.2015.
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Centre for Regional Economic and Social Research, Sheffield Hallam University (Hg.) (2010): Making deprived Areas better Places to live: Evidence from the New Deal for Communities Programme. The New Deal for Communities National Evaluation: Final Report – Volume 3, London: Her Majesty’s Stationery Office (HMSO). Crosby, William/Turnbull, Germano/Facetti, Edward/Wright, Edward (Hg.) (1956): This is Tomorrow – Exhibition Catalogue, London: Whitechapel Gallery, S. 3. Department for Communities and Local Government (Hg.) (2011): Local Decisions: Next Steps towards a fairer Future for social Housing. Summary of Responses to Consultation, London: Her Majesty’s Stationery Office (HMSO). Dunleavy, Patrick (1981): The Politics of Mass Housing in Britain 1945-1975, Oxford: Clarendon. Forrest, Ray/Murie, Alan (1991): Selling the Welfare State: The Privatisation of Public Housing, London: Routledge. Glendinning, Miles/Muthesius, Stefan (1993): Tower Block, New Haven/London: Yale University. Harnack, Maren (2012): Rückkehr der Wohnmaschinen. Sozialer Wohnungsbau und Gentrification, London/Bielefeld: transcript. Harnack, Maren (2013): Vom Wohnen für alle zur Notlösung für Arme: Kommunaler Wohnungsbau in London nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte 1/2013, S. 60-72. Ministry of Housing and Local Government (Hg.) (1965): Report of the Committee on Housing in Greater London, London: Her Majestyʼs Stationery Office (HMSO). Mullins, David/Murie, Alan (2006): Housing Policy in the UK, Basingstoke/ New York: Palgrave Macmillan. Office for National Statistics (Hg.) (1961): Report of the Committee on Housing in Greater London (108), London: Her Majestyʼs Stationery Office (HMSO). Osborne, Hilary (2014): Poor Doors. The Segregation of Londonʼs inner-city Flat Dwellers, in: The Guardian, 25.06.2014, online abrufbar unter: http:// www.theguardian.com/society/2014/jul/25/poor-doors-segregation-londonflats vom 12.2.2015. Rasmussen, Steen E. (1934): London, the unique City, Harmondsworth: Penguin. Summerson, John (1991(1962)): Georgian London, London: Pimlico. The Stationery Office (1974): Housing Act, online abrufbar unter: www.legislation. gov.uk/ukpga/1974/44/pdfs/ukpga_19740044_en.pdf vom 6.4.2015.
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The last twenty years of the 20th century saw postwar immi-
“
grant communities become an established part of the social and cultural landscape of the capital. London’s cosmopolitanism was also expanded by the arrival of new migrant groups, ranging from refugees and asylum seekers to European professionals seeking the jobs and freedoms that London offered. London became a true world city, where everyone had the experience of living, shopping or working with someone from a different ethnic background“ (ROSS/CLARK 2011: 320).
12. London – multikulturelle Metropole V ERONIKA S ELBACH , Köln
London zählt zu Beginn des 21. Jahrhunderts weltweit zu den Städten mit der höchsten ethnischen Vielfalt. Diese Heterogenität verdankt die Stadt ihrer großen Anziehungskraft für Migranten. Jahrhundertelang war London der herausragende politische, kulturelle und wirtschaftliche Standort Englands, Großbritanniens und natürlich des britischen Empires. Ausmaß und Dimension internationaler Arbeitsmigration wurden und werden dabei maßgeblich von drei Faktoren beeinflusst und gesteuert: • • •
durch die Wirtschaft über das Angebot von Arbeitsplätzen bzw. die Nachfrage nach und das Werben um Arbeitskräfte(n); durch den Staat über eine restriktive oder offene Einwanderungs- und Arbeitsmarktpolitik und durch die Migranten selber, die mittels ihrer individuellen, persönlichen Entscheidung zur Wanderung und der Entfaltung ihrer Lebenswelten am Zielort das Stadtbild prägen.
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In London lässt sich das Zusammenspiel dieser drei Faktoren von den Zeiten der Hanse im Mittelalter bis zur aktuellen Etablierung als Alpha Global City im Zuge der Globalisierung gut beobachten. Ebenfalls von stadtprägender Bedeutung waren v.a. aus historischer Perspektive die politisch-religiös bedingten Zuzüge verfolgter Minderheiten, wie z.B. die der Hugenotten und die der Juden. Durch die große Vielzahl der Herkunftsländer, die insbesondere in den letzten 15 Jahren noch einmal zugenommen hat, entwickelte sich London zu einer Stadt, deren Struktur Johnston, Poulsen und Forrest (vgl. 2015) mit einer diversity within diversity treffend beschreiben. In diesem Zusammenhang wird einerseits auch immer wieder die Frage nach einer (nicht nur) räumlichen Segregation der Migranten diskutiert (vgl. u.a. Finney/Simpson 2009, Phillips 2006, Stillwell 2011). Andererseits nutzt die Stadt diese Diversität seit den 1980er Jahren aktiv zu Vermarktungszwecken. Chinatown in Soho oder Banglatown auf der und um die Brick Lane in Whitechapel und Spitalfields sind hierfür die beiden bekanntesten Beispiele. Der Heterogenität in London nachzuspüren, sich ergebende räumliche Strukturen abzubilden und die Bedeutung der internationalen Migranten für das Wachstum und das Funktionieren der Megastadt herauszustellen, soll Ziel dieses Beitrags sein.
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ALS E INWANDERUNGSSTADT – EIN KURZER HISTORISCHER Ü BERBLICK VOM M ITTELALTER BIS ZUM 19. J AHRHUNDERT Bereits im Hochmittelalter war London durch ein für die damalige Zeit hohes Maß an Internationalisierung und Multikulturalität geprägt. Insbesondere in der Blütezeit der Hanse ließen sich Kaufleute aus Kontinentaleuropa in der bedeutenden Handelsstadt nieder. So lebten beispielsweise Kölner und Lübecker Händler unter dem Schutz der Krone1 im sogenannten Steelyard in der Thames Street. Auch französische, italienische und flämische Migranten fanden als resident aliens in der City of London eine neue Heimat. Für das 15. Jahrhundert ist belegt, dass sich niederländische Einwanderer in Southwark u.a. als Bierbrauer einen Namen machten (Ross/Clark 2011: 76f).
1
So gewährte Heinrich II. 1157 Kölner Kaufleuten Schutzrechte (Ritter 2003: 40) und Edward II. bestätigte den deutschen Kaufleuten 1317 deren Privilegien in London (Jansen 2003: 62).
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Neben den Kaufleuten und Händlern erhielten auch politisch und religiös verfolgte Minderheiten von der Krone und später der Regierung Schutz und das Recht sich in London niederzulassen. Die bedeutendsten Gruppen, die auch ökonomischen Einfluss nahmen2, waren die Hugenotten, die im 17. Jahrhundert aus Frankreich fliehen mussten und Juden aus Osteuropa, die im 18. und erneut im ausgehenden 19. Jahrhundert ihre Heimat verließen, in der sie zunehmend Repressalien und Pogromen ausgesetzt waren. Von 1700 bis 1800 wuchs die jüdische Gemeinde Londons daher von 1.000 auf 15.000-20.000 (Ross/Clark 2011: 134) und zwischen 1880 und 1914 um weitere 120.000-150.000 Mitglieder an (Dwyer 2010: 161, Ross/Clark 2011: 223). Beide Religionsgruppen ließen sich zunächst östlich der City of London nieder und waren bald groß genug, um beispielsweise ihre eigenen Schulen und Krankenstationen zu unterhalten (Ross/ Clark 2011: 135): die Hugenotten lebten in Spitalfields, die Juden in Aldgate. Mit wachsender Zahl dehnte sich deren Gemeinde jedoch in das rasch wachsende East End3 nach Whitechapel, Mile End und Mile End New Town im heutigen Tower Hamlets aus. Im Lauf der Zeit entwickelte sich Soho für beide Gruppen zum „Brückenkopf“ in die City und ins West End. Als Hauptstadt des prosperierenden British Empire und aufgrund der Industrialisierung Großbritanniens wurde London im 18. und 19. Jahrhundert zu einer der bedeutendsten Hafen-, Handels- und Industriestädte der Welt: mit der Verlagerung des Hafens und der sukzessiven Öffnung und Erweiterung der Docks in den späteren Docklands zwischen Tower Bridge und der Isle of Dogs von 1763 bis 18284 sowie der Ansiedlung von Industriebetrieben z.B. im Lower Lea Valley stieg auch die Nachfrage nach Arbeitskräften in London stark an. Somit wurde die Stadt ab 1700 auch zum Magneten für Migranten aus ganz Europa, insbesondere aus dem von Hungersnöten und einer verarmten Landbevölkerung getroffenen Irland5, und – dies jedoch nicht immer freiwillig – aus den Kolonien und 2
Hugenotten und Juden waren vor allem in der Textilmanufaktur und nachfolgend in der Textilindustrie aktiv.
3
Die östlich gelegenen Quartiere der City und das sich nach Osten anschließende und rasch wachsende East End besaß für viele Immigranten zwei wesentliche Vorteile: zum einen boten die nahegelegenen Häfen und Industriebetriebe Arbeitsplätze, zum anderen waren die Unterkünfte im Vergleich zum West End sehr viel günstiger.
4
Die Royal Docks sowie das Millwall- und das South West India Dock folgten erst im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.
5
Missernten und Bodenreformen hatten v.a. im 19. Jahrhundert zur Landlosigkeit vieler irischer Bauern und Landarbeiter geführt und zwangen diese als Folge der great famine zur Auswanderung (Dwyer 2010: 161), nicht nur nach England sondern v.a. auch nach Nordamerika.
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Dominions. So lebten bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert 5.000-10.000 Blacks und Asians in der Metropole (Ross/Clark 2011: 134). Für die Londoner waren die Zugezogenen, die meist in ärmlichen Verhältnissen lebten, jedoch gesellschaftliche Außenseiter. Das spiegelt sich auch in der peripheren Lage ihrer Gemeinden wieder: so ließen sich beispielsweise die Iren zunächst vornehmlich in St. Giles und Holborn westlich der City, im östlich gelegenen Whitechapel sowie südlich der Themse in St. Olave (Southwark) nieder. Von den Quartieren der Londoner weitgehend getrennt lebend, sahen sich die Zugezogenen vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert wiederholt deren Anfeindungen und z.T. tätlichen Angriffen ausgesetzt, so z.B. während der Peasantsʼ Revolt 1381, den Gordon Riots 1780 oder durch die British Brothers League, die sich 1901 als antisemitische Gruppe gründete (Ross/Clark 2011: 135, 222f). Öffentlicher Druck und politische Unruhen sorgten dann auch dafür, dass die Regierung 1905 das erste Gesetz zur Begrenzung der Zuwanderung, den sog. Aliens Act, verabschiedete (Dwyer 2010:161).
P OST W AR M IGRATION Nach den v.a. ökonomisch aber auch politisch-religiös bedingten Einwanderungswellen im 18./19. Jahrhundert erfolgte die nächste bedeutende Zuwanderung, die in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit den eigentlichen Beginn der Internationalisierung markierte (Dwyer 2010: 160), in die britische Hauptstadt in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem II. Weltkrieg, wiederum ausgelöst durch die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften, diesmal während des wirtschaftlichen Aufschwungs in der Nachkriegszeit. Anders als z.B. in Deutschland, wo die Arbeitskräfte vorwiegend aus Südeuropa, Jugoslawien und der Türkei angeworben wurden, richtete sich das Augenmerk der britischen Wirtschaft kolonialgeschichtlich bedingt auf die Staaten des New Commonwealth und hier vor allem auf Migranten aus der Karibik (u.a. Jamaika und Barbados6), Indien und Pakistan. Auch für die Iren stellte London weiterhin einen wichtigen Arbeitsmarkt
6
Als Anfangspunkt der Nachkriegszuwanderung wird oft die Ankunft der Empire Windrush im Jahr 1948 genannt, auf der damals 417 Jamaikaner nach Großbritannien kamen (Dwyer 2010: 160). Zwischen 1950 und 1961 wanderten im weiteren Verlauf ca. 100.000 Männer und Frauen aus der Karibik in die britische Hauptstadt ein (Ross/ Clark 2011: 286). Während die Männer überwiegend Arbeit im Baugewerbe und Transportwesen fanden, arbeiteten die Frauen vor allem in Pflegeberufen.
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dar. Anfang der 1970er Jahre, als sich Londons erste große Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit mit ersten Hafenschließungen und der einsetzenden Deindustrialisierung bereits abzeichnete, kamen verstärkt Migranten aus Ostpakistan/Bangladesch (z.T. als Kriegsflüchtlinge des Ostindienkriegs 1971) hinzu. Nach Vertovec (2007: 1027) waren es v.a. die Kariber und die Südasiaten, die mit ihren Traditionen und der Etablierung ihrer Lebenswelten die Multikulturalität Londons begründet und bis heute nachhaltig geprägt haben, andere Einwanderergruppen spielten hierbei zunächst keine Rolle. Erleichtert bzw. ermöglicht wurde die Einwanderung in dieser Zeit mit der Verabschiedung des British Nationality Act 1948: die britische Regierung hatte erkannt, dass der Arbeitskräftemangel im Land den wirtschaftlichen Aufschwung gefährdete. Die Lücke auf dem Arbeitsmarkt sollte (und konnte) nur durch die so ermöglichte Zuwanderung geschlossen werden. Die Situation änderte sich jedoch grundlegend mit Beginn der Deindustrialisierung und der Schließung der Häfen, durch die zwischen 1961 und 1981 750.000 Arbeitsplätze im sekundären Sektor in London verloren gingen (Hamnett 2003: 31). So kam es bereits in den 1960er Jahren zu einer stufenweisen Einschränkung der Zuwanderungsmöglichkeiten, die 1971 in die Verabschiedung des Immigration Act mündete. Durch ihn wurde die Zuwanderung aus den Commonwealth Staaten nach Großbritannien gestoppt; davon ausgenommen waren jedoch Familienzusammenführungen (Vertovec 2007: 1027). Neben der gesunkenen Nachfrage nach Arbeitskräften reagierte die Politik auch auf zunehmende Debatten um die Beziehungen zwischen den ethnischen Gruppen untereinander sowie um deren Integration in die britische Gesellschaft (Dwyer 2010: 161). So schockten die Notting Hill Riots im August 1958 die Nation, als weiße Rassisten drei Tage „came as far away as [from] White City, Tottenham and Acton to ‘hunt niggersʼ and terrorize the Caribbean residents with petrol bombs and knives“ (Ross/Clark 2011: 287).
Die Ausschreitungen lösten die Diskussionen um rassistische Vorurteile, Gemeinschaftssinn und die Dimension bzw. das Ausmaß der Commonwealth Immigration (mit) aus (Ross/Clark 2011: 287).7
7
Auseinandersetzungen hat es auch in den nachfolgenden Jahrzehnten immer wieder gegeben. Die jüngsten ereigneten sich im August 2011, ausgelöst durch den Tod Mark Duggans, der von einem Polizisten der Metropolitan Police erschossen wurde. Ausgehend vom Stadtteil Tottenham kam es daraufhin nach zunächst friedlichen Protesten in mehreren Bezirken (u.a. Camden, Enfield, Waltham Forest, Hackney, Croydon und
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AKTUELLE M IGRATIONSPROZESSE Seit den 2000er Jahren lassen sich im Wesentlichen drei Migrationsströme unterscheiden: zum einen kommt es aufgrund der gestiegenen Nachfrage wieder zu einer verstärkten Zuwanderung sowohl von hoch- als auch gering qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland, zum anderen verzeichnen die Statistiken einen deutlichen Zuwachs an Migranten die politisches Asyl beantragen und es steigt die Zahl der illegal Eingereisten, da die Ablehnungsquoten bei Asylsuchenden hoch sind, diese aber dennoch Wege finden, um nach Großbritannien und in die britische Hauptstadt zu kommen. Der Zuwachs an Asylsuchenden lässt sich einerseits durch die weiterhin sehr restriktive Einwanderungspolitik, die eine legale Zuwanderung ohne Arbeitsvisum mehr oder weniger unterbindet, erklären8 und andererseits auf eine wachsende Zahl von Konflikten und (Bürger-)Kriegen weltweit zurückführen; wie beispielsweise die Balkankriege in den 1990er Jahren oder die aktuell von Terror bedrohten und zerfallen(d)en Staaten Irak, Afghanistan, Syrien, Somalia und Südsudan, um nur einige zu nennen. So stieg die Zahl der Asylsuchenden von 28.000 im Jahr 1993 auf 80.000 im Jahr 2000 und erreichte mit 103.100 im Jahr 2002 einen vorläufigen Höhepunkt (Dwyer 2010: 162, Vertovec 2007: 1037). Im selben Jahr verschärfte die Regierung als Reaktion auf die wachsenden politischen Flüchtlingszahlen sowie die Zunahme der illegalen Einwanderungen mit dem Nationality, Asylum & Immigration Act ihre Asylpolitik (May/Wills/Datta/ Evans/Herbert/McIlwaine 2007: 156, Manley/Johnston 2014: 156, Dwyer 2010: 162). Danach sanken die Zahlen wieder und laut UNHCR (2014: 9) stellten 2014 lediglich 31.300 Flüchtlinge einen Asylantrag im Vereinigten Königreich. Die Asylanträge werden mit 55-80%9 in der Mehrzahl zwar abgelehnt und die Asylanten abgeschoben; dies hat jedoch zu der erwähnten Zunahme der illegal ins Land kommenden Migranten geführt (Dwyer 2010: 162, vgl. Flynn 2005, May/ Wills/Datta/Evans/Herbert/McIlwaine 2007: 156, Vertovec 2007: 1028, 1037).10
Lewisham) zu den schwersten gesellschaftlichen Unruhen seit 25 Jahren mit Ausschreitungen, Brandanschlägen und Plünderungen. 8
Alleine zwischen 1993 und 2005 wurden die Einwanderungsgesetze sechs Mal novelliert (Vertovec 2007: 1028).
9
Laut Dwyer werden nur 20% (2010: 162) und laut Vertovec 28% (2007: 1037) der Anträge bewilligt. Chang (2015, o.A.) beziffert die Bewilligungsquote für 2014 jedoch mit 45%.
10 Im Sommer 2015 erreichte die Debatte um Asylsuchende und illegale Migranten einen neuen Höhepunkt, als laut Betreibergesellschaft binnen einer Nacht über tau-
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Die größte Bedeutung in Bezug auf die gestiegenen Zuwandererzahlen kommt jedoch der Arbeitskräftemigration zu. Aufgrund der gestiegenen Nachfrage ist es in der jüngsten Vergangenheit wieder zu einer verstärkten Zuwanderung sowohl von hoch- als auch gering qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland gekommen. Diese resultiert aus der Entwicklung zur und Etablierung als Alpha Global City, die sich auf die neoliberale Wirtschaftspolitik der konservativen Regierung unter Margaret Thatcher zurückführen lassen. Während dabei auf der einen Seite hochqualifizierte Fachkräfte im sogenannten FIRE-Sektor und den ihm nahestehenden hochspezialisierten unternehmensbezogenen Dienstleistungen (Rechtsberatung, Marketing, IT-Entwicklung und Beratung etc.) gesucht wurden und werden, wuchs und wächst auf der anderen Seite die Nachfrage nach unqualifizierten Arbeitskräften im Baugewerbe, im Bereich einfacher Dienstleistungen, im Gastgewerbe – z.B. nach Bauarbeitern, Reinigungskräften, Hausangestellten, Verkäufern, Portiers, Sicherheitskräften, Rezeptionisten, etc. – sowie in der Nahrungsmittelindustrie. Auch im Gesundheitssektor und Transportwesen, in denen bereits nach dem II. Weltkrieg viele Migranten eingestellt wurden (s.o.), traten in den 1990er Jahren erneut Engpässe auf (Batnizky/McDowell 2012: 2005). So kam es auf dem Arbeitsmarkt Ende des letzten Jahrhunderts zu einem Arbeitskräftemangel, der – nicht zuletzt auf Druck und Betreiben der Wirtschaft – dazu führte, dass die Regierung ihre Einwanderungspolitik in Bezug auf die Einreise von Arbeitskräften neu ausrichtete (Flynn 2005: 469). Die LabourRegierung unter Tony Blair öffnete 2002 mit dem White Paper: Secure Borders, Safe Haven den Arbeitsmarkt für Ausländer nach dem Prinzip der managed migration. Hochqualifizierte Arbeitskräfte erhielten nach dem Gesetz die gleichen Rechte (z.B. in Bezug auf Sozialleistungen) wie Briten und ein Aufenthaltsrecht auf Lebenszeit (right to settle); demgegenüber durften sich gering qualifizierte Arbeitskräfte nur befristet in Großbritannien aufhalten und konnten ferner keine Ansprüche auf Sozialleistungen stellen (May/Wills/Datta/Evans/ Herbert/McIlwaine 2007: 157, Manley/Johnston 2014: 157). Einen zentralen Einschnitt in Bezug auf den Zugang zum Arbeitsmarkt stellten die EU-Osterweiterungen 2004 und 2007 dar. Mit der in Großbritannien damit unmittelbar einhergehenden Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für send Flüchtlinge versuchten über den Eurotunnel von Calais aus illegal nach Großbritannien einzureisen und in wenigen Wochen neun Menschen bei dem Versuch auf einen der Züge zu gelangen ihr Leben verloren. Politik und Medien sprachen von einer Flüchtlingskrise, der Sprecher der Betreibergesellschaft, Jacques Gounon, wurde mit dem Begriff „Invasion“ zitiert. Die britische Regierung erwog sogar die Schließung des Tunnels (Munzinger 2015: 6).
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die neuen Mitgliedsländer, wenn auch zunächst mit Einschränkungen, öffnete sich der Arbeitsmarkt für Arbeitskräfte aus den EU 8 und EU 2 Staaten.11 Infolge dieser Änderungen stieg die Zahl der erteilten Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitnehmer von 30.000 Mitte der 1990er Jahre auf über 200.000 im Jahr 2004 und hat in den Folgejahren, insbesondere durch die unerwartet hohe Zuwanderung aus den osteuropäischen EU-Ländern, noch einmal deutlich zugenommen (Flynn 2005: 477, May/Wills/Datta/Evans/Herbert/McIlwaine 2007: 157, Manley/Johnston 2014: 157). Durch die geänderten Einwanderungsgesetze v.a. für die EU 8 und EU 2 Staaten hat sich die Bevölkerungsstruktur der Migranten in London somit grundlegend geändert. Stellten 2004 die Inder, gefolgt von den Bangladeschern, den Iren, Jamaikanern und Kenianern die fünf größten Gruppen der foreign-born population, nahmen 2013 die Polen den zweiten Platz nach den Indern ein (ONS 2015, s.u.). Den Immigranten aus den Commonwealth-Staaten ist somit in den letzten 10 Jahren vor allem mit den Einwanderern aus Osteuropa eine Konkurrenz nicht nur um die größten Zuwanderungszahlen sondern auch um die Arbeitsplätze und hier v.a. im Niedriglohnsektor erwachsen. So schreiben May/ Wills/Datta/Evans/Herbert/McIlwaine (2007: 159f, 163), dass sich v.a. die Einwanderer aus den 1950er und 1960er Jahren und ihre Nachkommen, in ihrer Existenz bedroht sähen und am meisten unter den neuen Rahmenbedingungen litten, da durch die große Anzahl der „Neuankömmlinge“ nicht nur die Arbeitsplätze knapp würden sondern auch das Lohnniveau gedrückt werde (2007: 163).12 In dem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob es in London in der jüngsten Vergangenheit Anzeichen für eine Polarisierung des Arbeitsmarktes gibt, wie sie Saskia Sassen für New York beschrieben hat (vgl. Sassen 2001). 11 EU 8 (2004): Polen, Tschechien, Slowakei, Litauen, Estland, Lettland, Slowenien, Ungarn; EU 2 (2007): Rumänien, Bulgarien; im Gegensatz zu Arbeitnehmern aus den EU 8 Staaten galt für Bulgaren und Rumänen jedoch nicht die unmittelbare Arbeitnehmerfreizügigkeit. Vielmehr gab es zunächst ein branchenspezifisches Kontingent an befristeten Arbeitsplätzen, wie z.B. 3.500 pro Jahr in der Nahrungsmittelindustrie. Mit dem Wegfall der Einreiserestriktionen für Bulgaren und Rumänen zum 1.1.2014 hat deren Zuwanderung jedoch exponentiell zugenommen und sich im Lauf des Jahres auf 46.000 Immigranten fast verdoppelt (ONS 2015). 12 Vertovec (2007: 1045) weist in dem Zusammenhang auf drei neue Formen rassistischer Vorurteile hin, die zu Konflikten führen könnten: a) von Briten gegenüber den neuen, schnell wachsenden Migrantengruppen aus Osteuropa, b) von bereits langjährig in London ansässigen Migrantengruppen gegenüber den neuen und c) seitens der neuen Migrantengruppen gegenüber anderen ethnischen Minderheiten in der Stadt.
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Polarisierung des Arbeitsmarktes? Ob es im Zuge der Globalisierungsprozesse und der damit einhergehenden jüngsten Migrationswelle auf dem Arbeitsmarkt zu einer Polarisierung (vgl. May/Wills/Datta/Evans/Herbert/McIlwaine 2007, Manley/Johnston 2014) oder einer Professionalisierung kommt (vgl. Hamnett 1994, 1996, 2003, 2015), wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Vor allem jüngere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass nicht nur die Anzahl der Arbeitsplätze in den beiden höchsten Einkommens-Dezilen in den letzten 30 Jahren überproportional angestiegen ist, sondern auch im niedrigsten Einkommens-Dezil ein kleiner aber signifikanter Zuwachs zu verzeichnen ist und es v.a. die Migranten dieser letzten Einwanderungswelle sind13, die diese Arbeitsplätze einnehmen (May/Wills/Datta/Evans/ Herbert/McIlwaine 2007: 152). Dennoch ist die Arbeit im Niedriglohnsektor für die Arbeitsmigranten lukrativ, da sie im Vergleich immer noch mehr verdienen als in ihren Heimatländern und mit den erzielten Einkommen und ggfs. Ersparnissen nach einer gewissen Zeit in die Heimat zurückkehren (Parutis 2011: 49f).14 Im Zuge dessen sind auch höher qualifizierte Arbeitnehmer dazu bereit, eine einfache Arbeit im Niedriglohnsektor anzunehmen (Parutis 2011: 41ff).15 Insgesamt betrug der Anteil der Nichtbriten in den elementary jobs Mitte der 2000er Jahre bereits 46%, im Gastgewerbe sogar über 60%, so dass man hier von ethnic economies sprechen kann (Batnizky/McDowell 2009: 2005ff; May/ Wills/Datta/Evans/Herbert/McIlwaine 2007: 155, 159). Es sind daher nicht nur die hochqualifizierten sondern auch die einfachen Arbeitskräfte, die mit ihrer Tätigkeit im Niedriglohnsektor wesentlich dazu beitragen, dass der Wirtschaftsmotor Londons (weiter) läuft (May/Wills/Datta/Evans/Herbert/McIlwaine 2007: 162). Allerdings sind die Arbeitsplätze nicht nur schlecht bezahlt, sondern in der Regel auch zeitlich befristet; die Arbeitsbedingungen sind hart (keine bzw. wenige Urlaubstage; lange Arbeitszeiten, etc.) und ohne Sicherheiten (McDowell/ Batnitzky/Dyer 2009; May/Wills/Datta/Evans/Herbert/McIlwaine 2007: 162).16 13 Dabei handelt es sich freilich nicht ausschließlich um Osteuropäer, stark vertreten im Niedriglohnsektor sind auch Migranten aus Südamerika (Ecuador, Kolumbien) und Südostasien (Philippinen) sowie dem sub-saharischen Afrika (Ghana, Nigeria) (May/ Wills/Datta/Evans/Herbert/McIlwaine 2007: 155, 158). 14 Parutis (vgl. 2014) bezeichnet diese Migranten als middling transnationals; Rutten/ Verstappen (vgl. 2014) schreiben von middling migration. 15 May/Wills/Datta/Evans/Herbert/McIlwaine bezeichnen dies als de-skilling (2007: 159). 16 May/Wills/Datta/Evans/Herbert/McIlwaine zitieren diesbezüglich Flynn (2007: 162), der in dem Zusammenhang von einer new reserve army of labour spricht.
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Im Gegensatz zu der ersten Einwanderungswelle nach dem II. Weltkrieg weist die aktuelle Arbeitskräftemigration demnach zwei zentrale Unterschiede auf: zum einen haben viele Zuziehende anders als früher keine Anknüpfungspunkte zur Geschichte Großbritanniens, da sie nicht mehr überwiegend aus den Commonwealth Staaten stammen, und zum anderen treffen sie auf einen Arbeitsmarkt, in dem befristete und schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse (z.B. als Servicekraft in der Gastronomie während der Sommermonate) dominieren (Trevena/McGhee/Heath 2013: 682 und 684, Parutis 2011: 49f, May/Wills/Datta/ Evans/Herbert/McIlwaine 2007: 159). So planen insbesondere die Migranten aus Osteuropa zunächst keinen dauerhaften Wohnortswechsel, sondern bleiben nur für eine bestimmte Zeit (wenige Monate bis Jahre) in der Stadt, um dann in ihre Heimat zurückzukehren und ggfs. erneut nach London einzureisen. Dies scheint insbesondere für Arbeitskräfte, die ohne Familie über eine Arbeitsvermittlung und nicht über soziale Netzwerke nach London kommen, zu gelten (Trevena/ McGhee/Heath 2013: 682 und 684, Parutis 2011: 49f).
D IVERSITY
WITHIN
D IVERSITY
Seit den ersten Einwanderungswellen hat die Heterogenität der Migranten, die nach London kommen, stetig zugenommen und in den vergangenen zehn Jahren ihre größte Vielfalt entwickelt. Dies gilt sowohl in Bezug auf ihre Herkunft (Ende 2013 lebten laut ONS Menschen aus 135 Nationen in der Stadt, 2004 waren es 107) als auch hinsichtlich der sich daraus ergebenden Sprachen- und Religionsvielfalt, der Diversität in Bezug auf kulturelle Werte und Praktiken sowie regionale und lokale Identitäten. Auch die Motive, Formen und Wege der Einwanderung sind heute durch die geltenden Gesetze vielfältiger und reichen von legalen bis illegalen sowie temporären bis dauerhaften Aufenthalten, von Arbeits- und Bildungsmigration bis zu Familienzusammenführungen, hoch- wie niedrigqualifizierten Arbeitskräften, sicheren wie prekären Arbeitsverhältnissen, etc.. Vertovec (vgl. 2007) hat diese Vielfalt in dem Begriff super-diversity zusammengefasst. Im Stadtbild lässt sich diese Diversität auf vielerlei Ebenen nachvollziehen; qualitativ über die Lebenswelten der Migranten in ihrer neuen dauerhaften oder temporären Heimat sowie quantitativ über Anzahl und Anteil der Migranten in den administrativen Raumeinheiten (boroughs, wards, lower super output areas). Im Folgenden soll daher ein Blick auf die räumliche Verteilung der Migranten und die sich daraus ergebenden Strukturen sowie deren Entwicklung in der
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ersten Dekade nach der EU-Osterweiterung geworfen werden, die – wie gezeigt – die Zuwanderung stark beeinflusst hat. Obwohl die Zahl der UK-born Londoner17 im betrachteten Zeitraum von 2004-2013 um rund 151.000 auf 5,337 Mio. Einwohner gestiegen ist, ist ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung Greater Londons von knapp 70% auf 64% gesunken (siehe Abb. 1 a und b), da die Zahl der foreign-born Londoner in dieser Dekade im Vergleich überproportional um mehr als 800 Tsd. auf rund 3,011 Mio. angewachsen ist.18 Abb. 1 a und b: Bevölkerungsstruktur von Greater London 2004 (a) und 2013 (b) (nach country of birth)19 2004 (7366 Tsd.)
2013 (8348 Tsd.)
2180 Tsd.
3011 Tsd.
5186 Tsd.
UK-born
5337 Tsd.
foreign-born
Quelle: eigener Entwurf nach ONS 2015 17 UK-born ist nicht synonym mit der ebenfalls oft zur Analyse verwendeten ethnischen Differenzierung in White British zu verstehen! So fallen z.B. Nachkommen von Zuwanderern, die nicht White British sind aber im Vereinigten Königreich (UK) geboren wurden, auch in diese Kategorie. 18 Für die betrachtete Dekade, die leicht versetzt zum Zensus liegt, veröffentlichte das ONS im Juli 2015 die hier verwendeten Daten, beruhend auf dem Annual Population Survey, der mit den Zensuszahlen von 2001 bzw. 2011 abgeglichen wurde (ONS 2015). 19 Die Kategorie country of birth wurde gewählt, um die Zuwanderung möglichst präzise abbilden zu können, auch wenn Nationalität und c.o.b. nicht in allen Fällen identisch sind; in den Datensätzen zur Nationalität werden jedoch eingebürgerte Immigranten nicht mehr als solche erfasst. So lebten beispielsweise 2013 nach c.o.b. 134.000 Pakistaner in London, nach Nationalität jedoch nur 55.000, da 79.000 die britische Staatsbürgerschaft angenommen hatten.
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Nach den Indern20, die nach wie vor die größte Immigrantengruppe bilden, nehmen 2013 jedoch, wie bereits erwähnt, die Polen den zweiten Rang ein und auch die Rumänen sind als neue bedeutende Zuwanderergruppe auf Platz elf stark vertreten (siehe Tab. 1) – ein eindrückliches Zeichen der veränderten Einreisemodalitäten. Tab. 1: Die 15 bedeutendsten Herkunftsländer der foreign-born population 2004 und 2013 (Angaben in Tausend) 2004
2013
Indien
191
Indien
279
Bangladesch
129
Polen
143
Irland
124
Pakistan
135
Jamaika
75
Bangladesch
133
Kenia
73
Irland
111
Nigeria
68
Nigeria
97
Ghana
56
Sri Lanka
86
Südafrika
56
Jamaika
79
Pakistan
56
Kenia
77
Sri Lanka
50
Rumänien
74
Australien
49
Frankreich
71
Somalia
49
Italien
68
Polen
47
USA
67
Zypern (EU)
46
Ghana
65
Deutschland
46
Somalia
62
Quelle: ONS (2015)
Die Bevölkerungsstruktur hat sich jedoch nicht nur auf gesamtstädtischer Ebene verändert, sondern auch in den einzelnen boroughs, in denen sich die gestiegene Heterogenität jedoch unterschiedlich ausprägt. Zunächst lässt sich festhalten, dass im beobachteten Zeitraum alle Bezirke mit Ausnahme von Kensington & Chelsea an Bevölkerung gewonnen haben, wobei Newham mit einem Bevölke-
20 Genau genommen müsste es aufgrund der verwendeten Daten (s.o.) ‚den in Indien Geborenen‘ heißen. Aufgrund eines besseren Leseflusses soll jedoch vereinfacht die Nationalität genannt werden, obwohl es sich nicht zwangsläufig um – in dem Fall – Inder handeln muss. In den allermeisten Fällen wird dies jedoch so sein.
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rungszuwachs von 61.000 den größten absoluten Zugewinn verzeichnet. In 25 Bezirken sowie in der City of London geht dieses Wachstum zu mehr als 50% auf die foreign-born population zurück (Abb. 2). Abb. 2: Anteil der foreign-born population an der Bevölkerungsentwicklung in den boroughs und deren absolute Zuwächse 2004-2013 (nach country of birth)
Quelle: eigener Entwurf
In Barking & Dagenham, Bexley, Brent, Croydon, Ealing, Hammersmith & Fulham, Harrow, Hounslow, Merton, Sutton und Waltham Forest, wo die UKborn population z.T. im fünfstelligen Bereich schrumpft, ist das Wachstum sogar ausschließlich auf die Immigranten zurückzuführen (Abb. 2). Lediglich in Barnet, Hackney, Haringey, Islington, Lambeth, Richmond, Tower Hamlets und Wandsworth geht das Wachstum im Wesentlichen (> 50%) auf die UK-born
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population zurück. Doch nur in Haringey und Wandsworth (der einzige Bezirk, in dem der Saldo der foreign-born negativ ist) ist dieses groß genug, um auch zu einem anteilmäßigen Wachstum an der Bevölkerung zu führen (Abb. 3). Abb. 3: Anteil und Entwicklung der UK-born population in den boroughs (nach country of birth)
Quelle: eigener Entwurf
In den anderen Bezirken reichen die absoluten Zuwächse, so es zu diesen gekommen ist, dagegen aufgrund der im Vergleich stärker wachsenden foreignborn population nicht aus, um einen z.T. deutlichen anteilmäßigen Rückgang an der Bevölkerung zu verhindern. Dieser fällt mit über 15% in Barking & Dagenham, Ealing, Harrow und Hounslow am höchsten aus und ist auch in Brent, Croydon, Greenwich, Kensington & Chelsea, Newham, Redbridge und Waltham Forest mit 10%-14% noch vergleichsweise hoch (Abb. 3).
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Infolge dieser Entwicklungen ergibt sich für 2013 folgendes Bild (Abb. 3): in Brent, wo sich schon in den 1950er Jahren aufgrund der damals dort ansässigen Industrie (Park Royal) verstärkt Immigranten niedergelassen haben, leben heute mehrheitlich außerhalb des United Kingdom geborene Londoner, ebenso im mondänen und vom internationalen Jet Set gentrifizierten Kensington & Chelsea. In den klassischen Einwanderungsbezirken des East Ends, Hackney und Tower Hamlets sowie in Lambeth ist der Anteil der UK-born population aufgrund der z.T. großen Bevölkerungsgewinne, die überwiegend mit Zuzügen aus den anderen Landesteilen (Stillwell 2010: 1448) zu erklären sind, nur leicht rückläufig und liegt somit weiterhin bei über 50%. Auch die weiteren Bezirke Inner Londons – mit Ausnahme von Hammersmith & Fulham, Kensington & Chelsea sowie Newham – sind bevorzugte Wohnstandorte für die nach London ziehende in England, Schottland, Wales und Nordirland geborene Bevölkerung, so dass sich ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung hier insgesamt nur gering verändert und auf dem jeweiligen Niveau von 2004 gehalten hat. In Newham dominieren hingegen die Immigranten die Bevölkerungsentwicklung, so dass der Anteil der UK-born population hier 2013 nur noch bei 51% lag. Newham gilt aufgrund der großen Heterogenität der dort lebenden Bevölkerung (Abb 4.) auch als besonders prädestiniertes Beispiel für die Superdiversität in der Hauptstadt (Vertovec 2007: 1033). Abb. 4: Newham (Bevölkerungsverteilung nach country of birth, 2013)
Quelle: ONS (2015)
In Ealing, Harrow, Hounslow, Redbridge und Waltham Forest ist der Rückgang der im UK geborenen Bevölkerung von 10% und mehr (von über 75% (2004) auf unter 66% (2013)), mit dem Wachstum der foreign-born population (Abb. 3) einerseits sowie den eigenen hohen Bevölkerungsverlusten (Redbridge ausge-
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nommen) andererseits zu erklären. Diese sind hier in erster Linie auf Abwanderungen ins Umland zurückzuführen (Stillwell 2010: 1448f, 1453). Diese Prozesse haben auch in Barking & Dagenham sowie Croydon dazu geführt, dass der Anteil der UK-born hier ebenfalls gegenüber 2004 auf unter 75%, in Merton auf unter 66% und in Sutton auf unter 85% gefallen ist. In der Literatur wird dies zunehmend als white flight bezeichnet21: wo durch verstärkten Zuzug von Immigranten der Anteil der einheimischen Bevölkerung sinkt, kommt es zu einem verstärkten Fortzug selbiger, auch über die Stadtgrenze hinaus, vornehmlich in Zielgebiete, in denen sie dominiert und sich dort auch zunehmend konzentriert (Johnston/Poulsen/Forrest 2015: 40, Stillwell 2010: 1449, 1452). Stillwell betont jedoch, dass es sich hierbei nicht nur um ein Phänomen der jüngsten Vergangenheit handelt, sondern vielmehr „that both suburbanisation and exodus of White migrants from London have been features of Great Britains’s internal migration system for several decades and these patterns [have] been widely reported in the migration literature“ (Stillwell 2010: 1454).
Am ehesten weisen die im äußersten Osten gelegenen Bezirke Bexley, Bromely und Havering, mit einen Anteil der UK-born population von über 85%, noch den Charakter der ehemaligen white suburbs Outer Londons auf (Abb. 3). Londons Bezirke werden also „bunter“; wobei dieser Prozess begleitet wird von einer relativen und in mehr als der Hälfte der Bezirke auch absoluten Abnahme der UK-born population in Outer London sowie einer relativen Abnahme und absoluten Zunahme in 12 von 14 Bezirken Inner Londons. In Bezug auf die Heterogenität der Bevölkerung ergibt sich auf Bezirksebene dabei folgendes Muster. Zwar verteilen sich die Immigranten unterschiedlich über das Stadtgebiet, dies führt jedoch nicht zu einer überproportionalen Konzentration einzelner Nationen in den jeweiligen Bezirken.22 Selbst in Tower Hamlets, wo der Anteil der Einwanderer aus Bangladesch aufgrund der Zuwanderungsgeschichte traditionell überproportional hoch war und 2004 noch bei 53% (bezogen auf die foreign-born population) lag, ist dieser 2013 auf 43% 21 Auch wenn UK-born und White British nicht synonym zu verstehen sind, kann an dieser Stelle davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Fortziehenden mehrheitlich um diese handelt. Der Begriff white flight stammt ursprünglich aus den USA, wo er im Zusammenhang mit den Suburbanisierungswellen der Whites geprägt wurde. 22 Auch auf kleinräumigerer Betrachtungsebene, z.B. der der lower super output areas, kommt es nur in 1% der Fälle zu Konzentrationen, in denen „Non-White ethnic groups form 70% or more of the total, and one of those groups is at least twice as large as the others“ (Johnston/Poulsen/Forest 2015: 42).
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gesunken, obwohl nach wie vor jeder dritte in Bangladesch geborene Londoner in diesem Bezirk lebt (ONS 2015). Fasst man die Nationalitäten jedoch in den vom ONS definierten Bevölkerungsgruppen23 zusammen, dann lassen sich innerhalb dieser Gruppen Tendenzen in Bezug auf deren bevorzugte Wohnstandorte innerhalb Greater Londons erkennen, wie exemplarisch für die Südasiaten, Afrikaner (südlich der Sahara) und Europäer aus den EU 15 sowie EU 8+2 Staaten dargestellt (Abb. 5). Richmond upon Thames und die Bezirke Inner Londons sind mit Ausnahme von Southwark, Lewisham und Tower Hamlets zu 25% und mehr von Einwanderern aus den Mitgliedsstaaten der EU 15 geprägt, der Anteil liegt jedoch immer unter 50%. Auch ist innerhalb dieser Gruppe keine Nation überproportional in den Bezirken vertreten. Southwark weist – als traditionelles Einwanderungsziel für Migranten aus dem sub-saharischen Afrika – mit über einem Drittel einen entsprechend hohen Anteil dieser Gruppe auf. In Tower Hamlets prägen, wie oben beschrieben, die Bangladescher v.a. die Stadtteile rund um die Brick Lane: Bethnal Green, Whitechapel und Spitalfields. Migranten aus Südasien sind mit mindestens 25% v.a. in den Bezirken im östlichen und westlichen Outer London sowie in Tower Hamlets, Newham und in Croydon stärker vertreten. Von allen Gruppen weisen sie die höchsten Konzentrationen von z.T. 50% und mehr auf und leben, wie andere, kleinräumigere Studien auf Ebene der lower super output areas bestätigen, am stärksten von anderen Gruppen getrennt (Johnston/Poulsen/Forrest 2015: 46f, 49f). Dies gilt insbesondere für die Bangladescher, die zu über 50% in Tower Hamlets (34%) und Newham (24%) leben. Die Inder sind aufgrund ihrer Einwanderungsgeschichte am stärksten in Brent sowie in Ealing, Hillingdon und Hounslow vertreten, wo ihr Anteil v.a. durch Zu- und Umzüge seit 2004 deutlich gewachsen ist. Aber auch im früher kaum südasiatisch geprägten Havering wuchs die indische Bevölkerung in den vergangenen zehn Jahren nach ONS um 80% auf 5.000 an. In diesem noch stark britisch geprägten Bezirk stellen die Inder mit den Osteuropäern (Litauer, Rumänen, Bulgaren) quasi die Speerspitze einer auch hier beginnenden Internationalisierung dar.
23 Das ONS hat diese in der New Country of Birth Group Definition neu zusammengestellt (ONS 2015).
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Abb. 5: Die prozentuale Verteilung von Südasiaten, Afrikanern und Europäern (EU15, EU 8+2) bezogen auf die foreign-born population 2013 (nach country of birth)
Quelle: eigener Entwurf
Auffällig ist, dass insbesondere in den von den Südasiaten geprägten Bezirken Ealing, Hounslow, Harrow und Waltham Forest, wo z.B. die Pakistaner stark vertreten sind und gegenüber 2004 deutliche Zuwächse verzeichnen, die UKborn population schrumpft (s.o.). Diesen Umstand beobachten auch Johnston/Poulsen/Forrest in ihrer Studie (2015: 50f) und argumentieren, dass dieser Trend – so er sich fortsetzen und zur Ausbildung von größeren ethnischen Enklaven in der Stadt führen sollte – im negativsten Fall zur Ausbildung von Parallelgesellschaften führen könnte (2015: 51). Diese Diskussion hat in der jüngsten Vergangenheit (auch vor dem Hintergrund einer Radikalisierung von v.a. mus-
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limischen Jugendlichen und deren Beteiligung an terroristischen Akten im Nahen Osten) in der Öffentlichkeit große Beachtung erfahren, kann an dieser Stelle jedoch nicht vertieft werden; hier sei auf weitere Arbeiten u.a. von Phillips (vgl. 2006) verwiesen. Londoner, die im sub-saharischen Afrika geboren sind, weisen im Vergleich weniger starke Konzentrationen auf. Dies deckt sich mit Ergebnissen von Stillwell (2010: 1450f), der in seiner Untersuchung auf ward-Ebene nachgewiesen hat, dass v.a. Afrikaner (und Briten afrikanischer Herkunft) bevorzugt in Gebiete ziehen, in denen sie nicht dominieren, sondern dort vielmehr bisher unterrepräsentiert sind. Abschließend sei an dieser Stelle noch auf die Immigranten aus den EU 8 und EU 2 Staaten eingegangen, da diese die höchsten Zuwachsraten in der betrachteten Dekade aufweisen, was sich auf den oben erläuterten erleichterten Zugang zum britischen Arbeitsmarkt zurückführen lässt. In den white suburbs Havering und Bexley sind sie zusammen mit den Südasiaten (Indern) bzw. Afrikanern gleichermaßen mit über 25% vertreten (Abb. 4). Gerade in Bexley mag dies dazu beitragen, dass es auch hier – trotz der nach wie vor großen Dominanz der UK-born population (Abb. 3) – in Ansätzen zum beschriebenen Prozess der white flight kommt. Des Weiteren fällt auf, dass EU 8+2 Migranten seltener in die vergleichsweise teuren Bezirke Inner Londons sondern vorzugsweise nach Outer London zuziehen (Abb. 6). Das Wohnungsangebot ist hier im Vergleich zu Greater London noch deutlich günstiger24 und da die Migranten aus Osteuropa mehrheitlich nicht im FIRE-Sektor sondern in einfachen Dienstleistungsberufen, im Gast- und Baugewerbe (s.o.) sowie in handwerklichen Berufen tätig sind, werden sie sich die – noch immer hohen – Mieten hier eher leisten können als in den gentrifizierten Stadtgebieten. Wie die Südasiaten verteilen sich die Osteuropäer im Stadtgebiet recht unterschiedlich: während sich die Polen beispielsweise relativ gleichmäßig in den Bezirken verteilen, konzentrieren sich z.B. die Litauer – mit jeweils 20% in Barking & Dagenham und Newham sowie 11% in Hounslow und Waltham Forest – in vergleichsweise wenigen Bezirken (16).
24 Die Immobilienpreise liegen i.d.R. unterhalb des Londoner Durchschnitts (Land Registry Open Data 2015).
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Abb. 6: Die prozentuale Verteilung der Immigranten aus den EU8 und EU2 Staaten bezogen auf die foreign-born population 2013 (nach country of birth)
Quelle: eigener Entwurf
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Heterogenität der Bevölkerung in Bezug auf ihre Herkunft in den Londoner boroughs insgesamt groß ist. Diese Diversität zeigt sich auch bei der Betrachtung kleinerer Raumeinheiten, wie beispielsweise in den Studien von Johnston/Poulsen/Forrest (vgl. 2015) oder Stillwell (vgl. 2011). Sie lässt sich mit Kaufmann (2013) und Portes (2013) wie folgt zusammenfassen: White areas have become more mixed; areas where Non-White groups are concentrated
“
have become more Non-White. The proportion of the White population within the outer London areas […] declined substantially“ (Kaufmann 2013, zitiert in Johnston/Poulsen/ Forrest (2015: 46)). „Most non-whites live in fairly diverse areas; it is whites who don’t“ (Portes 2013: o.A.).
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Diese Vielfalt drückt sich jedoch nicht nur wie eingangs des Kapitels bereits beschrieben über die Herkunft der Migranten aus. Die Vielfalt der Lebenswelten und -weisen der Migranten lässt sich – wie vielfach in der Literatur beschrieben (vgl. hierzu stellvertretend Dwyer 2010: 163f) – in den Straßen und Vierteln über die Eröffnung von Arbeitsvermittlungsagenturen, Buchhandlungen, Friseurläden, Reisebüros, Restaurants, Supermärkten, etc. ebenso erfassen wie über den Bau von Moscheen und Tempeln. Auch jährlich stattfindende Events, die sich teilweise zum Publikumsmagnet und zur touristischen Attraktion entwickelt haben wie der seit 1959 jährlich stattfindende, mehrtägige und mittlerweile ein Millionenpublikum anziehende Notting Hill Carnival, bereichern das Stadtbild und tragen zum kosmopolitanen Flair der Metropole bei. Inwieweit diese Lebenswelten und -weisen zu einer „Bejahung von Multikulturalität“ (Dwyer 2010: 164) beitragen oder doch eher zu einer Stigmatisierung und Festschreibung „des Anderen“ führen, bleibt umstritten. Johnston/Poulsen/ Forrest (2015: 51) vertreten beispielsweise die Meinung, dass Normen und Werte im Sinn einer „good segregation“ bei gleichzeitiger ökonomischer und politischer Integration beibehalten werden können (und sollten). Demgegenüber führe durch Ausgrenzung entstehende „bad segregation“ jedoch zu interkulturellen Feindschaften bzw. Anfeindungen, die ihrerseits Ungleichheiten steigerten und einen Teufelskreis aus Isolation und Abwertung entstehen ließen.
F AZIT Londons Aufstieg zur Alpha Global City hat nicht nur den ökonomischen Niedergang der britischen Hauptstadt gestoppt, sondern auch dazu geführt, dass die Zahl der Immigranten in den letzten Jahrzehnten nicht nur insgesamt gestiegen ist, sondern auch deren Heterogenität deutlich zugenommen hat, so dass man heute zurecht von einer super diversity in der Metropole sprechen kann, die diese prägt und auszeichnet. Diese Diversität drückt sich neben der Herkunft der Migranten in vielen weiteren Facetten aus, u.a. hinsichtlich ihres ökonomischen Status, „vom Topmanager bis zur Reinigungskraft“. Es hat sich gezeigt, dass insbesondere die einfachen Dienstleistungen zunehmend von Immigranten ausgeübt werden, die in jüngster Zeit nach London zugewandert sind (u.a. aus Osteuropa). In oft unsicheren Arbeitsverhältnissen beschäftigt und gering entlohnt, halten sie die Stadt jedoch genauso am Laufen wie die Rechtsanwälte, Banker und Immobilienmakler des FIRE-Sektors. Ob dies in Zukunft zu einer deutlicheren Polarisierung auf dem Arbeitsmarkt führt, die bisher erst in Ansätzen erkennbar ist, bleibt abzuwarten. Gleichzeitig verbirgt sich hier ein gewisses Kon-
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fliktpotenzial mit den Einwanderern aus der Nachkriegszeit bzw. deren Nachkommen, da diese mit „den Neuen“ um die Arbeitsplätze konkurrieren. Räumlich zeigt sich die Diversität in der zunehmenden Heterogenität in den Londoner boroughs, die insbesondere in einigen Bezirken Outer Londons jedoch von einem z.T. deutlichen Rückgang der britischen Bevölkerung begleitet wird. Darüber hinaus haben die Migranten das Londoner Stadtbild mit ihren Lebenswelten und -weisen verändert und so wesentlich zum neuen Selbstverständnis der Metropole beigetragen, das sich mit dem Motto zusammenfassen lässt, welches mittlerweile für viele Kampagnen in London wie auch bei den Olympischen Spielen 2012 Pate stand: „The World in One City“.
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Autorenverzeichnis
Braun, Boris ist Professor am Geographischen Institut der Universität zu Köln. Seine Interessen in Forschung und Lehre gelten der Wirtschaftsgeographie und der Stadtforschung; die räumlichen Schwerpunkte seiner Forschungen liegen auf Westeuropa, Südasien und Australien. (Kontakt: [email protected]) Glatter, Jan ist promovierter Geograph und hat an den Universitäten Dresden, Bonn und Köln gelehrt. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Themenfelder Gentrification und Wohnungsmarktentwicklung. Seit Oktober 2015 ist er im Stadtplanungsamt Dresden tätig. (Kontakt: [email protected]) Harnack, Maren ist Professorin für Städtebau an der Frankfurt University of Applied Sciences, wo sie sowohl städtebauliches Entwerfen als auch Theorie der Stadtplanung unterrichtet. Sie forscht über den Siedlungs- und Städtebau der Moderne in Westeuropa. (Kontakt: [email protected]) Hillmann, Felicitas ist Professorin für das Fachgebiet „Städtische Transformation im internationalen Kontext“ an der TU Berlin am Institut für Stadt- und Regionalplanung und zugleich Leiterin der Abteilung „Regenerierung von Städten“ am IRS (Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung) in Erkner. Ihr Forschungsinteresse liegt insbesondere auf Fragen von Stadtentwicklung und Migration. (Kontakt: [email protected]) Kretschmer, Holger ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Geographischen Institut der Universität zu Köln. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in den Bereichen Stadtplanung, Stadtentwicklung sowie Olympic Studies. (Kontakt: [email protected])
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Polinna, Cordelia war von 2011 bis 2013 Gastprofessorin für Planungs- und Architektursoziologie an der TU Berlin. 2008 hat sie das Büro „Polinna Hauck Landscape + Urbanism“ und 2009 die Initiative „Think Berl!n“ mitgegründet. (Kontakt: [email protected]) Rico, Marina ist Diplom-Geographin und arbeitet hauptberuflich im Amt für Umwelt-und Verbraucherschutz der Stadt Köln. Ihr persönliches Interesse gilt der Stadtgeographie Londons. Zurzeit promoviert sie über die architektonische und städtebauliche Entwicklung der Hauptstadt Großbritanniens. (Kontakt: [email protected]) Schubert, Dirk lehrt Wohnen und Stadtteilentwicklung an der HafenCity Universität in Hamburg. Arbeitsschwerpunkte sind vorwiegend (vergleichende) Stadtplanungsgeschichte und Transformationsprozesse in Seehafenstädten. (Kontakt: [email protected]) Selbach, Veronika arbeitet als Akademische Rätin am Geographischen Institut an der Universität zu Köln. Interessensschwerpunkte liegen auf dem Gebiet der Stadtgeographie, der Geographischen Entwicklungsforschung und regional in Großbritannien und Indien. (Kontakt: [email protected]) Viehoff, Valerie ist Research Fellow am Geographischen Institut der Universität Bonn und Visiting Researcher an der University of Sheffield. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Stadtforschung mit besonderem Fokus auf Social and Environmental Justice. (Kontakt: [email protected]) Wood, Gerald ist Professor für Stadt- und Regionalforschung im Institut für Geographie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Die Beschäftigung mit Fragen der Raumentwicklung und raumbezogenen Planung auf den britischen Inseln bildet seit langem einen der Schwerpunkte seiner Forschungen und Veröffentlichungen. (Kontakt: [email protected]) Zehner, Klaus ist apl. Professor am Geographischen Institut der Universität zu Köln. Sein Interesse in Forschung und Lehre gilt überwiegend der geographischen Stadtforschung; der räumliche Schwerpunkt seiner Forschungen liegt seit vielen Jahren auf London. (Kontakt: [email protected])
Sozial- und Kulturgeographie Georg Glasze, Annika Mattissek (Hg.) Handbuch Diskurs und Raum Theorien und Methoden für die Humangeographie sowie die sozial- und kulturwissenschaftliche Raumforschung Juni 2016, ca. 400 Seiten, kart., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3218-7
Nicolai Scherle Kulturelle Geographien der Vielfalt Von der Macht der Differenzen zu einer Logik der Diversität Mai 2016, ca. 290 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3146-3
Sonja Ganseforth Besetzungen – Japanische Entwicklungsräume in Palästina April 2016, ca. 300 Seiten, kart., ca. 49,99 €, ISBN 978-3-8376-3140-1
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Sozial- und Kulturgeographie Raphael Schwegmann Nacht-Orte Eine kulturelle Geographie der Ökonomie Januar 2016, 180 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3256-9
Antje Schlottmann, Judith Miggelbrink (Hg.) Visuelle Geographien Zur Produktion, Aneignung und Vermittlung von RaumBildern Oktober 2015, 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2720-6
Katharina Winter Ansichtssache Stadtnatur Zwischennutzungen und Naturverständnisse Januar 2015, 262 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3004-6
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de