188 101 100MB
German Pages 304 [305] Year 2015
Ulrike Gerhard Global City Washington, D.C.
Ulrike Gerhard, Privatdozentin für Geographie, forscht und lehrt an der
Universität Würzburg. Ihre Schwerpunkte sind geographische Stadtforschung in den USA, Kanada und Deutschland.
ULRIKE GERHARD
Global City Washington, D.C. Eine politische Stadtgeographie
[transcript]
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:j jdnb.ddb.de abrufbar.
© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Ulrike Gerhard, 2007 Lektorat und Satz: Ulrike Gerhard Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-497-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:jj www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt Kapitell Einleitung
15
Kapitell Global City und Zivilgesellschaft in der geographischen Forschung Der Wandel stadtgeographischer Perspektiven Die Stadt als organische Einheit Metropolen in der Krise Die Wiederentdeckung des Urbanen Die "Saga" von der Global City
21 22 23 24 26 28
Entwicklungsstadien in der Global City-Forschung Ein Anfang, der keiner war: Die World City-Hypothese von Friedmann Von der Weltstadt zur Global City Sozialräumliche Aspekte von Global Cities Das Global City-Netzwerk "Cities offthe Map?" Kritik an der Global City-Forschung Sonstige Weltstadtkonzepte Zivilgesellschaftliche Akteure in der globalen Gesellschaft Verschiedene Akteursebenen der globalen Gesellschaft Das Konzept der Zivilgesellschaft NGOs als institutioneller Kern der Zivilgesellschaft Einordnung der NGOs in die soziale Bewegungsforschung NGOs zwischen zivilgesellschaftlichem Anspruch und staatlicher Politik Vemetzung der globalen Zivilgesellschaft
31 31 33 36 39 42 46 48 48 54 60 64 67 71
Kapitel3 Zusammenführung der Konzepte: Global Cities als Mikrostandorte der globalen Zivilgesellschaft Global Cities im "Raum der Ströme" Bürgerstatus und Citizenship als Kernelemente der Stadt Politische Bestimmungsfaktoren der Global City Politische Akteure im Netzwerk globaler Städte Washington im Fokus der erweiterten Weltstadtforschung
77 78 82 89 95 99
Kapitel4 Der Aufstieg von Washington, D.C., zur Global City Die Wachstumsregion Washington, D.C. Washington in der Hierarchie der Weltstädte Wirtschaft und Beschäftigung Bevölkerung und Immigration
111 113 113 118 126
Die Schattenseiten der Globalisierung Ungleiche Bevölkerungsentwicklung Ethnische Disparitäten Sozio-ökonomische Polarisierung Soziale Segregation aufNachbarschaftsebene
133 134 136 140 144
Exkurse in die neue urbane Landschaft von Washington, D.C. Edgeless City - Suburbanisierung in Loudoun County New Urbanism- Neotraditionelles Wohnen in King Farm Gentrification- Aufstieg des Stadtteils Adams-Morgan Waterfront Revitalisation- Vergessener Süden am Anacostia
152 153 160 171 177
KapitelS Globaler politischer Aktivismus im lokalen Kontext Washington, D.C. Symbol - Der politische Sektor der Stadt Allgemeine Entwicklung des politischen Sektors Akteursebenen der internationalen Politikgesellschaft Struktur der befragten politischen Organisationen
189 190 190 193 198
Cluster - "Institutionelles Dickicht" politischer Akteure Räumliche Ausprägung der internationalen Politikgesellschaft Bedeutung des Standorts Alltag und Arbeitsabläufe im politischen Sektor Im Dickicht der Sponsoren
202 203 209 216 226
Knoten- Washington im Netzwerk transnationaler politischer Akteure Regionale Arbeitsschwerpunkte und globale Reichweite Politische Netzwerke vs. Global City-Netzwerk Washington auf der Karte weltweiter NGO-Netzwerke
229 229 234 237
Milieu - Die Mitarbeiter im Non-Profit-Sektor Herkunft und Struktur der Mitarbeiter Beruflicher Werdegang Zwischen privatem Einzelengagement und Professionalisierung - Das Beispiel Ukimwi Orphans und Fund for Peace
240 241 244
Die Präsentation der Washingtoner NGOs im Internet
255
Kapitel6 Transnationale Zivilgesellschaft und Weltstadtfunktionen Globalisierung und Zivilgesellschaft Global Cities und transnationale Zivilgesellschaft Washington, Global Cities und transnationale Zivilgesellschaft Schlussbemerkung
265 266 268 272 277
Literaturverzeichnis
281
249
Abbildungen Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18:
Verschiedene Umschreibungen für Global Cities Die sieben Weltstadthypothesen von Friedmann Neue Funktionsweisen von Global Cities nach Sassen Klassifikation von Global Cities nach Maßstab der GaWC-Gruppe "Cities offthe map?" Städte mit Ansätzen zur Weltstadtbildung Merkmale einer globalen Zivilgesellschaft nach Keane Bedeutungs- und Begriffsvielfalt der NGOs Räumliche und kognitive Logik von Global Cities Weltstädte klassifiziert anhand dreierwesentlicher Funktionen nach K.nox Theoretische Einordnung der Untersuchung Forschungsdesign: Ablauf der empirischen Untersuchung in Washington, D.C. Administrative Gliederung des Großraums Washington mit Bundesstaaten, Landkreisen und kreisfreien Städten Die zehn Postleitzahlenbezirke mit den meisten Einwanderemzwischen 1990 und 1998 in Washington Übersichtskarte von Washington, D.C., mit innerem Vorortring Bevölkerungswachstum und -dichte in den Landkreisen im Großraum Washington, D.C. Ethnische Bevölkerungszusammensetzung im Großraum Washington, D.C., nach Landkreisen Regionale Unterschiede des Durchschnittseinkommens und der Armutsrate im Großraum Washington, D.C. Übersicht der Neighbourhood Clusters in D.C. und der dazugehörigen Nachbarschaften
30 33 34 41 44 60 61 81 89 101 104 115 131 134 135 138 141 145
Abb. 19: Bevölkerungsentwicklung in D.C. auf Nachbarschaftsebene Abb. 20: Durchschnittliches Familieneinkommen in D.C. auf Nachbarschaftsebene Abb. 21: Anteile von College-Abgängern an der Bevölkerung über 25 Jahre in D.C. aufNachbarschaftsebene Abb. 22: Ausgewählte Stadtviertel in D.C. Abb. 23: Übersichtskarte Loudoun County Abb. 24: Karte von Loudoun County in einer Anzeige von Ryan Hornes Abb. 25: Karte von King Farm mit Flächennutzung Abb. 26: Haustyp in King Farm Abb. 27: Übersichtskarte des Stadtteils Adams-Morgan in D.C. Abb. 28: Ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung in D.C. aufNachbarschaftsebene Abb. 29: Themenfelder der befragten Organisationen Abb. 30: Eröffnungszeitraum der NGOs in Washington Abb. 31: Struktur der befragten Institutionen nach Mitarbeiterzahl Abb. 32: Jahresbudget der befragten Institutionen Abb. 33: Räumliche Verteilung und Konzentration politischer Akteure im Großraum Washington nach Landkreisen Abb. 34: Standorte politischer Akteure im nordwestlichen Innenstadthereich von Washington, D.C. Abb. 35: Umzugsverhalten ausgewählter politischer Organisationen im Stadtzentrum von Washington, D.C. Abb. 36: Bedeutung des Standorts nach Einschätzung der befragten Organisationen anhand verschiedener Kriterien Abb. 37: Karte der Beziehungen zwischen verschiedenen politischen Organisationen in Washington, D.C. Abb. 38: Regionale Schwerpunkte der befragten Organisationen in Washington Abb. 39: Weltweite Standorte von 46 politischen Organisationen in Washington Abb. 40: Bedeutsame Städte außerhalb der USA als Standorte politischer Akteure nach Einschätzung der 109 befragten Organisationen Abb. 41: Gewichtete NGO-Netzwerk-Konnektivität nach Taylor Abb. 42: Herkunftsländer der Mitarbeiter von den befragten Organisationen Abb. 43: Wohnorte der Mitarbeiter im Großraum Washington Abb. 44: Alleinstellungsmerkmale und Handlungsstrategien der NGOs im institutionellen Dickicht Washingtons
146 147 148 150 155 159 164 165 173 179 199 200 201 202 204 205 208 210 225 230 232
233 237 242 243 273
Tabellen Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5: Tab. 6: Tab. 7:
Tab. 8: Tab. 9:
Tab. 10:
Tab. 11: Tab. 12: Tab. 13: Tab. 14:
Entwicklung einer prototypischen US-Stadt nach Soja Begriffliche und inhaltliche Abgrenzung von NGOs nach Heins Typologie transnationaler zivilgesellschaftlicher Akteure Urbane Restrukturierungsprozesse in Tokio im Vergleich zu Washington Die 25 fuhrenden Städte nach NGO-Konnektivität Die schriftliche Befragung in WashingtonAkteursebenen und Rücklaufquoten Textgeographische Methode zur Analyse von Stadttexturen nach den Kriterien der Textualität von de Beaugrande/Dressler Entwicklung der Beschäftigten nach Sektoren in der PMSA Washington und den USA im Vergleich Verteilung der Beschäftigten nach Sektoren in den Großräumen Washington und New York im April2004 im Vergleich zum Vorjahresmonat Apri12003 Entwicklung der Beschäftigtenzahlen zwischen 1999 und 2001 nach Berufskategorien in der PMSA Washington und den USA Bevölkerung und Bevölkerungswachstum der zehn größten Metropolen der USA Die zehn wichtigsten Metropolen der USA als Zielgebiete für legale Einwanderung im Jahr 2001 Ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung in Washington, D.C., im Jahr 2000 Anteil der im Ausland geborenen Bevölkerung in den 25 größten Metropolitanregionen der USA (2000)
25 62 66 93 97 106
108 119
120
122 126 127 128 129
Tab. 15: Ausgewählte Merkmale zur sozio-demographischen Struktur im Großraum Washington, D.C. Tab. 16: Ausgewählte Straßennamen in King Farm mit Naturbezug Tab. 17: Die Kriterien der Textualität nach de Beaugrandel Dressler angewendet auf Naturelemente in der Stadttextur King Farms Tab. 18: Übersicht der politischen Akteure in Washington, D.C. Tab. 19: Politische Akteure im Bereich "Internationale Entwicklung" in Washington, D.C. Tab. 20: Erfasstes Themenspektrum international tätiger politischer Organisationen Tab. 21: Übersicht der Zahl an Mitarbeitern nach Organisationsformen Tab. 22: Vergleich der Rankings von Städten nach NGONetzwerk-Konnektivität (Taylor) und bei der Befragung in Washington Tab. 23: Art und Zielsetzung der Präsentationen von Washingtoner NGOs im Internet Tab. 24: Ableitung von Handlungsstrategien der politischen Akteure im lokalen Kontext Washingtons
143 163
167 190 195 196 200
239 258 274
Vorwort
Auf dem spannenden Weg in und um Washington haben mich viele Menschen begleitet, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Mein erster Dank geht an Frau Prof. Dr. Barbara Hahn, Geographisches Institut der Universität Würzburg. Sie hat mich durch ihren klugen Sachverstand stets motiviert. Auch allen anderen Kollegen des Geographischen Instituts Würzburg, insbesondere Herrn Prof. Dr. Löffler und Herrn Prof. Dr. Rauh, bin ich zu Dank für ihre kontinuierliche Unterstützung verpflichtet. In der Anfangsphase meiner Forschungsarbeiten war Herr Prof. Dr. Dietrich Soyez, Geographisches Institut der Universität zu Köln, ein wichtiger Ansprechpartner, der mir die Brisanz politischer Akteure schmackhaft gemacht hat. Für intensiven wissenschaftlichen Austausch waren meine beiden ehemaligen Kollegen Dr. Eberhard Rothfuss, Universität Passau, und Dr. Steffen Niemann, Universität Frankfurt, unersetzlich. Das gleiche gilt für meinen Kollegen und Freund Prof. Dr. lngo Wamke, Germanistische Sprachwissenschaft, Universität Kassel, mit dem ich stets die gemeinsame Faszination an der Stadtentwicklung Nordamerikas auch über Disziplingrenzen hinweg teilen konnte. Meine drei studentischen Hilfskräfte Ulrike Wällisch, Elke Offenwauger und Ulrike Müller haben mir durch ihre Neugierde, ihre kritischen Nachfragen und ihren Fleiß ebenfalls größte Hilfestellung geleistet. Während der längeren Aufenthalte in Washington, D.C., war ich besonders auf Hilfe und Unterstützung angewiesen, die ich dort reichlich erfahren habe. Neben den verschiedensten Interviewpartnem, die mir ihre Arbeitszeit für Interviews und Leitfadengespräche zur Verfügung gestellt haben, möchte ich Herrn Prof. Dr. Christof Mauch, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Washington, für die freundliche Bereitstellung von Büroraum, Infrastruktur und Ansprechpartnem danken. 13
Prof. Dr. Jeffrey Henig, Center for Washington Area Studies der George Washington University, hat mir aufgrundseiner vielf 0
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GLOBALER POLITISCHER AKTIVISMUS IM LOKALEN KONTEXT
Wie stark das hohe Mietniveau in Washington das Standortverhalten beeinflusst, ist bereits bei der Darstellung des Booms von Washington angeklungen. Es besitzt für die politischen Institutionen eine große Bedeutung, da laut Umfrage mehr als die Hälfte der Befragten über $5.000 monatlich für ihre Büroräume zahlt. Lediglich 5 % der Organisationen haben eine Mietbelastung von weniger als $1.000. Dabei variiert die Größe der Büros erheblich, sie liegt zwischen 70m2 und 21.000 m2 . Klammert man den obersten Wert aus, der einen Ausreißer darstellt, ergibt sich eine maximale Größe von 6.000 m2, der Mittelwert liegt bei 720 m2 • Allerdings haben fast ein Drittel der befragten Organisationen weniger als 200 m2 zur Verfügung. Bei vielen Organisationen sind die Räumlichkeiten somit äußerst knapp, allerdings lässt gerade in diesem Stadtteil die angespannte Mietsituation nur wenig Spielraum zu. Viele kleinere Organisationen können sich daher die begehrte Lage im Zentrum des politischen Geschehens kaum leisten und müssen in weiter östlich oder nördlich gelegene Gebiete ziehen. Hier ist der Publikumsverkehr deutlich niedriger, teilweise handelt es sich um ruhige, mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schlecht erreichbare Wohngebiete, in denen die Organisationen einzelne Räume zum Beispiel in Kirchengemeinden anmieten. Trotz der hohen Mieten - die letztendlich durch die extreme Ausbreitung des politischen Sektors in diesem Viertel und die damit einhergehende Gentrifizierung nicht nur der angrenzenden Wohnviertel mit bedingt wurden - sind die Organisationen nahezu durchweg zufrieden mit ihrem Bürostandort 92 % aller Befragten bekundeten dies; als Gründe wurden immer wieder die zentrale Lage, die Nähe zu anderen politischen Organisationen, die gute Erreichbarkeit mit der U-Bahn und die Attraktivität der Nachbarschaft genannt. 8 % sprachen von aktuellen Umzugsplänen, ursächlich wurden meist die zu beengten Büroverhältnisse, aber nicht eine generelle Unzufriedenheit mit dem Standort genannt.
Bedeutung des Standorts Wie bedeutsam der Standort bzw. die Nähe zu den anderen politischen Organisationen ist, belegen die konkreten Antworten im Fragebogen. Grundsätzlich wird der Stadt Washington im globalen Ranking der Städte eine bedeutsame Stellung zugewiesen, fast alle Befragten bestätigten dies. 96% aller Befragten messen der Anwesenheit in Washington verglichen mit der in anderen Städten eine große bzw. sehr große Bedeutung bei (vgl. Abb. 36).
209
GLOBAL CITY WASHINGTON D.C.
Abbildung 36: Bedeutung des Standorts nach Einschätzung der befragten Organisationen anhand verschiedener Kriterien Anwesenheit in Washington"'
Gründe für Bedeutung des Standorts*
Sehr wichtig
Wichtig
8 Nähe zu NGOs
Nähe zu Kongress u. Weißem Haus
Nicht so wichtig
Unwichtig
4%~ Nähe zu Nähe zu Think Tanks öffentlichen Debatten
Nähe zu IGOs
Attraktivfür Mitarbeiter
Stiftungen
Botschaften
BB EJ Regelmäßige Treffen (mlnd. 1mai/Woche) mit... •
NGOs
Regierung
Think Tanks
IGOs
127%1
B
Gegenstand der Austausch Informationen Ansichten Treffen** von Meinungen sammeln präsentieren
Spenden einwerben
137%1
137%1
124%1
B
12%0
Protestaktionen
EJ EJ
• Prozentwerte geben die Zustimmung der Befragten anteilig aller befragten Institutionen an (n = 109), Mehrfachantworten teilweise möglich, ""in Prozent der Antworten
2%~ Quelle: Eigene Erhebungen
Als wichtigster Grund hierfür gilt die Nähe zu anderen NGOs, die von 69 % der Befragten genannt wird. Die Nähe zur Regierung rangiert als zweithäufigster Grund, warum Washington als Standort von Bedeutung ist: 62 % aller Befragten geben den Kongress oder das Weiße Haus als Bezugspunkt an, dicht gefolgt von den Think Tanks mit 59 %. Für knapp die Hälfte aller Organisationen zählt zudem die Nähe zur öffentlichen Debatte als wichtiger Grund, aber nur noch 30 % der Organisationen geben an, die Nähe zu den Internationalen Institutionen sei für sie bedeutsam (vgl. Abb. 36). Schließlich zählt die Attraktivität der Stadt Washington für 22% der Befragten als wichtiges Kriterium. Die Bedeutung der Nähe zu anderen Organisationen, insbesondere anderen NGOs wird durch die Häufigkeit regelmäßiger Treffen illustriert. So werden NGOs am häufigsten von den Befragten aufgesucht (29 % gaben Treffen von mehrmals pro Woche an, 18 % noch mindestens einmal pro Woche), gefolgt von den US-Regierungsbehörden (19% mehrmals pro Woche, 18 % einmal pro Woche). An dritter Stelle rangieren Treffen mit Think Tanks (insgesamt ein Viertel aller Befragten suchen diese mindestens einmal pro Woche auf), erst an vierter und fünfter Stelle folgen Internationale Institutionen und Stiftungen, die nur noch von jeweils 17 % mindestens einmal pro Woche aufgesucht werden. Auch die ausländischen Botschaften werden nur noch selten aufgesucht. Insofern ist der enge, alltägliche Kontakt zwischen den NGOs von entscheidender Be-
210
GLOBALER POLITISCHER AKTIVISMUS IM LOKALEN KONTEXT
deutung, der das Netzwerk im "institutionellen Dickicht" Washingtons charakterisiert. Der zentrale Standort der großen Finanzinstitutionen, insbesondere von IWF und Weltbank an der 19. Straße/Ecke H Street hat dagegen vor allem mit der Nähe zu den Regierungsbüros sowie den ausländischen Botschaften zu tun. Als in den 1970er Jahren überlegt wurde, den Sitz stadtauswärts an den Dulles Corridor zu verlegen, der aufgrund der Nähe zum Flughafen eine gute Erreichbarkeit bietet, waren neben den Prestigegründen flir einen zentralen Standort genau dies die Argumente für die Beibehaltung der Lage. Auch die Attraktivität für die Mitarbeiter spielte hier eine Rolle, die zwar zum großen Teil im nordwestlichen Umland von D.C. leben, aber das urbane Umfeld im Stadtzentrum schätzen. Dies klang in den Gesprächen mit verschiedenen Mitarbeitern immer wieder an. Gegenstand der regelmäßigen Treffen ist vor allem der Austausch von Ansichten und Meinungen (37 % aller Antworten), gefolgt vom Sammeln von Informationen (24 %). Die Darstellung des Standpunkts der jeweiligen Organisationen sowie das Einwerben von Spendenmitteln sind ebenfalls Gründe flirTreffen mit anderen politischen Akteuren, allerdings werden sie nur noch halb so oft genannt. Die Teilnahme bzw. das Engagement in Protestaktionen werden lediglich noch in 2 % der Antworten als ein Ziel der Treffen hervorgehoben. Gerade dieser letzte Aspekt, das geringe Engagement in Protestaktionen, steht im deutlichen Gegensatz zur allgemeinen Darstellung und Wahrnehmung der Zivilgesellschaft in der Öffentlichkeit. Wie bei der Einordnung der NGOs in die soziale Bewegungsforschung hergeleitet wurde, beruht die allgemeine Aufmerksamkeit und somit auch der Bedeutungszuwachs der (globalen) Zivilgesellschaft nicht zuletzt auf dem weltumspannenden Protest der so genannten Globalisierungsgegner, die mit Gegenkongressen auf Tagungen der großen Wirtschaftsmächte, mit Demonstrationen und spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam gemacht haben bzw. dadurch erst in der Presse diskutiert wurden. Betrachtet man jedoch die tägliche Arbeit der politischen Akteure, in denen solche Kongresse und Aktionen vorbereitet werden, spielen diese öffentlichkeitswirksamen Aktionen nur eine unbedeutende Rolle. Vielmehr sind die inhaltlichen und konzeptionellen Arbeiten wichtig, die diese Aktionen langfristig vorbereiten und meinungsbildend sind. Die Bedeutung der NGOs zur Entwicklung von Handlungsstrategien, die in den politischen Entscheidungsfindungsprozessen aufgehen, wird dadurch unterstrichen. Betrachtet man die Antworten über die Gründe flirTreffen von anderen Gruppierungen nach den einzelnen Organisationsformen, zeigt sich, dass der Stellenwert und Inhalt der Gründe oft variiert. Nehmen bei Treffen mit anderen NGOs der Austausch von Ansichten sowie die In-
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GLOBAL CITY WASHINGTON D .C .
formationsgenerierung eine wichtige Bedeutung ein, sind es bei den Kontakten mit Stiftungen vor allem das Einwerben von Fördermitteln. Regierungsbehörden werden dagegen ebenfalls zum Austausch von Meinungen aufgesucht, die Präsentation der eigenen Ansichten rangiert jedoch an zweiter Stelle. Die meisten dieser Treffen finden im eigenen Büro oder im Büro des Partners statt, zum Teil aber auch auf öffentlichen Veranstaltungen. Mittags- oder Kaffeepausen spielen nur eine geringe Rolle, gesellschaftliche Feierlichkeiten nach Dienstschluss oder die eigene Nachbarschaft werden kaum noch genannt, obwohl diese das informelle Netzwerk der Akteure, das politische Milieu, das in Washington aufgrund der hohen Dichte von politisch Aktiven existiert, prägen. Wie bedeutsam der Standort Washington den Mitarbeitern der politischen Organisationen erscheint, wurde in den Gesprächen und Interviews mit verschiedenen Akteuren deutlich. Zwar betonen die meisten ihre Unabhängigkeit von einzelnen Sponsoren, insbesondere von der Regierung, dennoch heben sie hervor, wie wichtig es sei, vor Ort zu sein, um im direkten Kontakt stehen zu können. Dies schlägt sich in einer sprachlichen Wendung nieder, indem Förder- oder Projektanträge "die Straße runter getragen werden", wie das folgende Zitat ausdrückt: "We're pretty independent in our programs but it helps to be here. For one thing in direct funding you have to submit proposals. Weil, we walk them down the street. Someone from Chicago would have to do it two days earlier [ ... ]." (DW4) Dabei erscheint es wichtig, nicht erst anreisen zu müssen, sondern spontan und kurzfristig die jeweiligen Ansprechpartner aufsuchen und dabei flexibel auf Terminverschiebungen reagieren zu können. Ob sich dies konkret in höheren Erfolgsraten für Projektanträge niederschlägt, kann kaum berechnet oder nachgewiesen werden. Dennoch vermittelt es den jeweiligen Personen das Gefühl, am richtigen Ort zu sein, um am politischen Geschehen teilhaben und dies konkret in der politischen Arbeit umsetzen zu können. Dafür spielt die Wahrnehmung, vor Ort, am Standort der Entscheidungsträger zu sein, eine große Rolle. Trotz Telefon, Internet und globaler Vernetzung wird dem konkreten Raum eine große Bedeutung zugemessen, mit der man sich gegenüber anderen Orten profilieren kann. So fühlt man sich im "Herzen der ausländischen Gemeinschaft", man ist der "Knotenpunkt" internationaler Beziehungen: "Well, Washington is really the heaJt of the foreign policy community. [... ] And we're just as the hub, really. This is where the resources are. [... ] Think-
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GLOBALER POLITISCHER AKTIVISMUS IM LOKALEN KONTEXT
tanks, foundations, Congress ... this is where all of it is. Close to the action." (PBl)
Diese räumliche Präsenz im internationalen Politikgeschehen, in der Nähe der Denkfabriken, der Stiftungen und der Bundesregiemng, stets im Zentrum der politischen Handlungen und Ereignisse, bestärkt das Gefühl, Informationen schnell und authentisch mitzubekommen, ohne erst auf die Berichterstattung in den öffentlichen Medien oder über politische Partner angewiesen zu sein. Man ist an der "zentralen Achse, entlang der die Regierungsbeamten kommen" (Zitat aus einem Fragebogen, eigene Übersetzung). Auf der anderen Seite wird sogar behauptet, dass dies teilweise die Entfernung zur UN in New York ausgleiche, zu der man immer noch nahe genug sei, um Einfluss auf die Regierungen nehmen zu können. Im Büro, auf der Straße, beim Treffen von Kollegen werden Informationen ausgetauscht, die sich erst im Washingtoner Dickicht ausbreiten, bevor sie über die Stadtgrenze heraus als Wissen weitergetragen werden. "Good advices in (the) neighbourhood' werden als Begiündungskriterium für den Standort genannt (Zitat aus einem Fragebogen). Dieser räumliche Standortvorteil äußert sich auch in mündlichen Kommentaren wie dem folgenden: "[ ... ] the advantage is we're here in Washington and we know everything that's going on when it's going on." (JKS) Somit wird dem persönlichen Informationsaustausch trotz Internet und Medien ein hoher Stellenwert eingeräumt. Das Wissen wird erst in Washington generiert und ausgetauscht, bevor es Anderen, "Außenstehenden" zu Ohren kommt. Damit geht eine erhebliche Macht über Informationsflüsse einher, die Castells (1996, 2001) als "Macht der Ströme" bezeichnet, die hier entsteht und empfunden wird und die gesellschaftliche Morphologie von Washington charakterisiert. Das Gefühl, vor Ort zu sein, verdeutlicht ein gewisses Überlegenheitsgeflihl, eine räumliche Arroganz, dass andere, die weiter weg sind, mehr oder weniger "hinter dem Mond" leben. Das folgende Zitat gibt diese Überlegenheit sehr bildlich wieder: "[ ... ] whereas ifyou're in Chicago or somewhere (you hear) on the news what happened to cows or pigs, J don't know. Whereas our local news is what's happening on the Hill." (DW6) Hier wird eine drastische Verzerrung der Maßstabsebenen deutlich: Die lokalen Neuigkeiten, die in der Washington Post abgedmckt werden, 213
GLOBAL CITY WASHINGTON D.C.
beinhalten das, was am Capitol Hili, also dem Sitz des US Kongress' und des Senats passiert. Nationale Entscheidungen werden somit lokal. Da die nationalen Entscheidungen zudem häufig die globale Politik beeinflussen oder mit berücksichtigen, spielt sich das Globale im lokalen Kontext Washingtons ab. Washington wird zum Mikrostandort der W eltpolitik, in der die transnationalen politischen Organisationen wesentliche Akteure sind. Eine solche Wahrnehmung verzerrt auch die Skalen, mit denen Global Cities sonst gemessen werden. Chicago, in allgemeinen Rankings meist weit vor Washington als bedeutender Standort genannt, erscheint hier in den Augen eines politischen Akteurs als Dorf, in dem sich die lokalen Neuigkeiten lediglich um Kühe und Schweine drehen würden. Wenn dieses Zitat auch besonders harsch ist, spiegelt es eindrucksvoll das persönliche Empfinden der Akteure wider, die von Heins (2002b) sehr treffend zugleich als "Weltenbürger und Lokalpatrioten" bezeichnet werden. In der öffentlichen Wahrnehmung meist als "Heilsarmee" glorifiziert, handelt es sich im Einzelnen um eine Vielzahl von Akteuren, die ihr persönliches Umfeld zur Bühne der Weltpolitik machen und sich dafür lokal engagieren. Es gibt keine gesellschaftliche Legitimation, keine Wahlen, die die NGOs beauftragen, sich für einen bestimmten Zweck einzusetzen, sondern lediglich der persönliche Drang und die Überzeugung, sich politisch zu engagieren. Dabei werden sowohl sehr persönliche, aber nicht zuletzt auch beschränkte Sichtweisen in die politischen Aktivitäten mit einbezogen. Das gemeinsame Gefühl der verschiedenen Akteure, am Ort des Geschehens zu sein, in dem sich die politischen Diskussionen ausbreiten und entwickeln können, spielt als Standortfaktor folglich eine entscheidende Rolle. Erst in einem solchen Nährboden können politische Ideen konkretisiert und formuliert werden. Hier finden sie ein Echo und genügend Zuhörer, die an anderen Standorten möglicherweise nicht zu finden wären. Der Standort an sich und die Bedeutung Washingtons wird dadurch immer stärker. Die Globalisierung hat demnach zwar die Schnelligkeit und Reichweite politischer Akteure, die Themen und die öffentliche Diskussion entscheidend verändert, aber nicht zu einer Enträumlichung politischer Diskussion geftihrt (Soyez 2001). Die transnationalen Netzwerke sind genauso lokal verankert wie sie weltweit vernetzt sind (Soyez 2000). Regelmäßige Treffen der Mitarbeiter politischer Institutionen, die nahezu unüberschaubare Zahl politischer Veranstaltungen und der tägliche Austausch mit anderen Institutionen stehen im Zentrum der politischen Aktivitäten, die sich im politischen "Innovationsmilieu" (Castells) Washingtons ausbreiten. Die Funktion Washingtons geht demnach über die rein symbolische Bedeutung als politischer Hauptstadt weit hinaus. Wa-
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GLOBALER POLITISCHER AKTIVISMUS IM LOKALEN KONTEXT
shington ist ein Cluster politischer Aktivitäten, in dem sich die Netzwerkaktivitäten des in Kapitel 2 vorgestellten transnational advocacy network, das zum augenscheinlichen Boom der globalen Zivilgesellschaft beigetragen hat, ausbilden können. Dieses enge, umspannende Netzwerk wurde als wesentliches Merkmal der globalen Zivilgesellschaft im Unterschied zu den sozialen Bewegungen der 1970er Jahre herausgestellt ( vgl. Kap. 2). Ein solches Netzwerk kann jedoch nicht ohne eine konkrete Manifestation im Raum existieren. Obwohl Castells, wie in der theoretischen Konzeption der Untersuchung dargestellt, von einen "Raum der Ströme" spricht, findet dieser auf drei materiellen Ebenen seine direkte Umsetzung: Neben den elektronischen Verbindungen im Intemet funktionieren spezifische Orte als Knoten bzw. Zentrum, gleichzeitig entsteht eine räumliche Organisation der herrschenden Führungseliten (Castells 2001: 467ff.). Genau diese beiden letzten Punkte finden in Washington ihren räumlichen Niederschlag. Ohne einen solchen städtischen Kontext, der den Arbeitsalltag der politischen Organisationen bildet, gäbe es diese Ströme nicht. Es ist also ein politisches, kreatives Milieu notwendig, solche Ströme in Gang zu setzen und sie am Leben zu halten. Die hohe Dichte verschiedener politischer Gruppierungen, das Aufeinandertreffen von "Fremden" in der "Diversifizierungsmaschine" Stadt wirkt wie ein Motor, der die politischen Aktivitäten in Gang hält. Dies kann auf unterschiedlichste Art und Weise geschehen. Zum einen sind es regelmäßige Treffen wie Vortragsreihen, Diskussionsforen oder Breakfast Series, die von einzelnen Personen initiiert werden und dann zu stadtbekannten, etablierten Gesprächsrunden flir bestimmte Themenaspekte werden, zum anderen sind es spontane Treffen und Aktionen, die an jeder Ecke des politischen Sektors räumlich wie auch ideell entstehen können. Dass hierfür Washington wiederum einen optimalen Nährboden bietet, zeigt das folgende Zitat eines politischen Akteurs sehr trefflich: "That's what nice about the cityisthat we have outreach in most cases within walking distance." (PB2)
Gerade flir kleinere Organisationen, die teilweise nur aus einem fest angestellten Mitarbeiter bestehen und wenig finanzielle Mittel besitzen, ist die Nähe zu anderen Gruppierungen wichtig, um sich über Kontakte, Geldquellen und aktuelle Entwicklungen zu informieren. Eine solche Situation spiegelt das nächste Zitat wider: "Of course, Washington is the hub. [... ] There are many organisations here in Washington. Many meetings are here. So the UN embassies, Tansanian em-
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GLOBAL CITY WASHINGTON D.C.
bassy... I go there, Ugandan embassy I go there.... That is very important." (JRl)
Wie wichtig die persönlichen Kontakte für die politischen Aktivitäten sind, verdeutlichen die Zahlen aus dem Fragebogen. Mehr als zwei Dtittel der Befragten geben an, Face-to-Face-Kontakte als "sehr wichtig" einzuschätzen, weitere 19 % bezeichnen sie als "wichtig" . Zwar stellen E-Mail und das Telefon die häufigsten Kommunikationsmittel dar, persönliche Treffen rangieren aber dicht gefolgt an dritter Stelle. Dagegen werden Briefe, die per snail mall verschickt werden, kaum noch als wichtiges Kommunikationsmittel erwähnt. Wichtiger sind somit die konkreten persönlichen Kontakte vor Ort, die den Alltag der politischen Akteure in Washington prägen. Sie laufen allerdings sehr vielfältig in Form von runden Tischen, gemeinsamen Mittagessen oder morgendlichen Vortragsreihen ab.
Alltag und Arbeitsabläufe im politischen Sektor Bei der Beobachtung der politischen Szene in Washington wird die Vielfalt der Veranstaltungen und Aktionsformen deutlich, die hier nicht allumfassend wiedergegeben werden kann. Vielmehr sollen Ausschnitte aus dem Arbeitsalltag verschiedener Mitarbeiter von NGOs die Bandbreite der Arbeitsabläufe und Alltagsszenen andeuten und einen Eindruck des politischen Lebens in der Stadt vermitteln. Die folgende Beschreibung zweier Tage, geschildert von der Vorsitzenden einer größeren NGO in Washington, gibt diesen Arbeitsalltag sehr authentisch wieder: "Weil, we're in the middle of our budget process so I had a Iot ofmeetings on budget but like today 1 had an intetview in the morning with a prospective candidate for a position we have here and I had planning meetings for the budget and a Iot of E-Mail correspondence I had to get back and so forth. On Tuesday we held the meeting in advisory committee, a committee meeting for one of our programs which was all moming and I went to that. And then I was supposed to attend a meeting on Nigeria, another area that I specialise in 'cos I lived in Nigeria for nearly seven years. But 1 couldn't go to that. 1 had to come back and do the budget and then I had a cocktail party last night for people who had attended that Nigeria conference with xxx and myself. And then today 1 started the day with a meeting with our auditors and then 1 had a council on foreign relations meeting which was on terrorism and then we had a meeting with our finance committee and now I'm interviewing with you." (PB3)
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In diesen elf Zeilen kommt allein das Wort "meeting" insgesamt achtmal vor, dreimal findet ein Treffen im "committee" statt. "Interviews" werden zweimal gegeben, zudem gibt es eine Konferenz und eine Cocktailparty. Andere Interviewpartner beschreiben einen ähnlichen Arbeitsalltag. Politische Arbeit bedeutet demnach, Geschäftspartner treffen, Gespräche fUhren, Komitees leiten, Inforn1ationen austauschen und in Diskussionen zu überzeugen. Dies schließt häufig die Veranstaltung von Vorträgen und Gesprächsrunden ein, denn nur so kann politische Überzeugungsarbeit geleistet werden. Allerdings sind die ganz alltäglichen Gespräche auf dem Weg ins Büro, beim gemeinsamen Mittagessen oder in den Pausen genauso wichtig, um Meinungen auszutauschen und entsprechende Informationen zusammenzustellen. Dies zeigt der Ausschnitt aus dem folgenden Gespräch: "And we do that. We sit araund the table and tallc about current events, what was in the newspaper, either having to do with Latin America or just what was in the newspaper. 1 mean, oftentimes we'll talk about things that don't have to do with LA. One of the things we do first thing in the moming is we read and clip five newspapers for everybody here. When the interns are here they do it but in between intern times the administrative staff does it so you've read at least one newspaper from cover to cover and you've read all the LA stuff but you've read everything eise too so frequently people get tagether at lunch and talk about, 1 mean, recently the big thing is we're all talking about 1raq and are we going to war and all that sort of thing. But we all sit araund and tallc about that." (JK7) Selbst wenn die Gespräche nicht immer um das spezielle Thema der Organisation kreisen, sind sie doch Teil der politischen Meinungsbildung und Informationsverbreitung, um mitreden zu können und von den anderen Ebenen der Politik ernst genommen zu werden. Dies wurde in den Interviews immer wieder hervorgehoben. Diskussionen werden nun ermöglicht, die vorher nicht stattgefunden haben, weil es kein entsprechendes Forum dafür gab bzw. die jeweiligen Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Politik unter sich waren und Entscheidungen unter Ausschluss anderer Beteiligter fällen konnten. Mit der zunehmenden Öffentlichkeit, mit weltweiten Protesten und Widerständen nicht zuletzt im Zuge der Globalisierung war diese Politik nicht mehr möglich. Verschiedene Personengruppen aber auch Einzelkämpfer taten sich zusammen und entwickelten ein Expertenwissen, das durch den öffentlichen Diskurs vermehrt gebildet wurde. Insofern ist die Bedeutung der Stadt als difference machine nach Isin (2002: 283) ganz konkret erkennbar: Weil US-Regierung, nationale Regierungsvertreter, politische Parteien, Unternehmer und andere Parteien vor Ort sind, können diese unter-
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schiedlichen Meinungen erst aufeinander treffen und gebildet werden. Dabei werden Ideen produziert, was eine Gesprächspartnerin zutreffend als Ideen-Schmiede charakterisiert hat. "We're the idea industry and we are trying to get and actually implement these ideas [... ] - and that's what distinguishes us again from just the traditional think tankthat often in Washington aim their messages at the US govemment. We aim at the US govemment and all govemments and other elites. We deal with journalists, we deal with other NGO activists. They're elites nonetheless butthat they're not confinedjust to govemment and certainly not confinedjust to Arizona." (PB5) Die politischen Akteure betreiben somit auch ein Agenda-Setting, da sie Themen auf die Tagesordnung bringen, die sonst möglicherweise nicht weiter beachtet würden. Obwohl sie also außerhalb der Regierungsebene arbeiten und nicht im Senat sitzen, üben sie Macht aus und schaffen damit Bedeutungen. Es wird Wissen produziert, indem Ideen ausgetauscht werden. Die Stadt Washington bildet die institutionalisierte Plattform, in der die von Delanty (2000) diskutierten kognitiven und diskursiven Prozesse zusammenlaufen. Dadurch treffen Wissen und Demokratie aufeinander und bilden die Grundlage politischer Entscheidungen. Dabei spielen die unterschiedlichen kulturellen Reproduktionen eine entscheidende Rolle, da die Stadt verschiedene diskursive Räume bietet, in der sich bestimmte Zirkel und Kreise treffen können. Es entsteht eine "Pluralität von Räumen" (ebd.: 87), die von den diversen politischen Akteuren gebildet wird. Ein konkretes Ergebnis solcher Arbeit, über das von einer Interviewpartnerin berichtet wurde, ist die erstrittene Bereitschaft einer großen Ölgesellschaft, sich einer internen Prüfung zu unterziehen, bei der die soziale Verantwortlichkeit des Unternehmens im Hinblick auf die Einhaltung von Menschenrechten kontrolliert wird. Dies wird nun auch in den Jahresberichten e1wähnt. Bislang hatte die Gesellschaft ethische Grundsätze nur hinsichtlich Umweltschutz, Gesundheit und Arbeitssicherheit veröffentlicht, der Schritt zu den Mindeststandards bei Menschemechten wurde jedoch durch einen mehljährigen Dialog verschiedener Vertreter unter der Leitung der NGO erreicht. "So it gets, it moves them slowly, but it moves them. And we also succeeded in getting a major human rights organisation. They came to the round table to discuss a policy change they were considering intemally. And it was the first time they ever discussed an intemal policy change outside the organisation." (PB9)
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Allerdings ist der Einfluss, der auf die politischen Entscheidungsträger genommen wird, meist sehr langfristig und somit nicht immer genau ablesbar oder nachweisbar. Viele NGOs arbeiten jahrelang im Hintergrund, ohne mit konkreten Ergebnissen aufwarten zu können. Dennoch ist der Erfolg da bzw. die Arbeit lohnt sich, da kontinuierlich an einer Meinungsbildung, an gerechteren Arbeits- und Lebensverhältnissen oder anderen politischen Fronten gearbeitet wird. "Same of the influence of a group like ours I think is more unseen than seen and it's more about changing how people think about an idea or how they understand a concept." (A Tl) Welche Art von Aktivitäten betrieben wird, hängt mit der Größe der jeweiligen Organisation zusammen. Insbesondere kleinere Gruppen arbeiten sehr themenzentriert in kleinen Diskussionsforen, während andere sich breit oder in Form größerer Seminare oder Veranstaltungen engagieren. Dies illustriert das folgende Zitat. "We're not big enough to hold those kinds of seminars that Cato Institute does or the xx. But I try to participate in those and add our voice to that discussion. We do try to maintain a fairly active speaking program. I'm giving a speech tomorrow and next month and we try to make sure that our members have opportunities to go and speak to different audiences." (AT2) Inwieweit einzelne Personen respektable Treffen organisieren können, die sich anschließend als bekannter Treffpunkt in der politischen Landschaft Washingtons etablieren und einen kontinuierlichen Kreis von Akteuren zusammenbringen, zeigt das Beispiel einer Breakfast Series zu Südafrika, die acht Jahre lang aufinitiative einer Organisatorin regelmäßig in Washington abgehalten wurde. Die Entstehungsgeschichte, die von der Initiatorin geschildert wird, zeigt, wie sehr solche Runden auf persönliches und spontanes Engagement zurückgehen, die dann auf ein breites Echo unter Experten und Fachleuten treffen. "[ ... ] I couldn't raise funds for it. But then people heard I was interested in it and one or two called me and said, could you organise a meeting 'cos so-andso is coming to town. So I did it and I decided to reach out and so USIS - that infom1ation service - and other Organisations that I knew were active in South Africa. I just said, when you know that someone's coming Iet me know and 1 will put on a breakfast Weil, it ended up over the eight years providing a platform for every single shade of opinion, every interest in South Africa from the far right to the far left. Black, white, collared, Indian, I also had US policy makers so it was where people met for the debate on South Africa." (PB7)
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Die Breakfast Series fand zwei- bis dreimal im Monat statt und wurde zu einer festen Institution für Südafrika-Experten in Washington. Sie begann jeweils mit einem Frühstück um 8 Uhr, bei dem Donuts, Muffins, Kaffee und Saft gereicht wurden, währenddessen die Interessenten sich einfinden und erste Informationen auf informelle A1i und Weise austauschen konnten. Um 8.30 Uhr begann die offizielle Eröffnung durch die Organisatorin, die den jeweiligen Gastredner vorstellte. Dieser hatte 20 bis 25 Minuten Zeit für einen kurzen Vortrag, anschließend folgte ein offenes Forum mit Fragen und Antworten aus dem Publikum. Die Sitzung endete immer so, dass die Teilnehmer wieder gegen zehn Uhr in ihren Büros sein und dem üblichen Tagesgeschehen beiwohnen konnten. "[ ... ] And people came and it became known as the place to leam about South Africa and what T did is it started as T seeking funds to bring people here because T knew South Africa quite weil and T thought at the time there were voices in South Africa that were not being heard in this country to irrform the debate [... ]. " (PB6) Etwas aufwändiger nehmen sich Treffen anderer politischer Zirkel aus. Die zum Teil sehr finanzstarken politischen Stiftungen veranstalten Podiumsdiskussionen mit bekannten Rednern und anschließendem Mittagessen im renommierten Mayjlower Hotel oder im ehrwürdigen Gebäude des Cosmos Club, die nur für geladene oder sehr zahlungskräftige Gäste zugänglich sind. Bei vielen Treffen jedoch, sei es im Mayjlower Hotel oder im Seminarraum der Johns Hopkins Universität, spielen Kaffee und Kuchen oder andere kleine Erfrischungen eine nicht unbedeutende Rolle, das Publikum aufzulockern und nicht zuletzt auch anzulocken. Trotz der sehr unterschiedlichen Zirkel und Räumlichkeiten berühren sich die Themenstellungen und Aktivitäten der verschiedenen Institutionen häufig. So gehört für die großen Finanzinstitutionen wie die Weltbank oder den Wähmngsfond der Kontakt zu den NGOs inzwischen zum politischen Alltagsgeschäft bzw. zum guten Ton. Sie haben im Laufe der Jahrzehnte einen Wandel im Auftreten gegenüber den NGOs sowie in der Kooperation mit der Zivilgesellschaft durchgemacht. Auf Projektebene arbeitet die Weltbank bereits seit den l970er Jahren mit den technischen oder operativen NGOs zusammen (vgl. www. worldbank.org, 18.1.2002). Seit den heftigen Auseinandersetzungen in den l980er Jahren zwischen Nichtregiemngsorganisationen und Weltbank insbesondere im Zuge des umstrittenen Staudammprojekts in Indien am Narmada-Fluss, die damit endeten, dass sich die Weltbank aus dem Vorhaben zurückzog und somit den weit verzweigten Protestkampagnen von Umweltverbänden, unabhängigen Experten und aufgerüttel-
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ten US-Kongressabgeordneten Recht gab, 4 ist man in der Weltbank sensibler im Umgang mit den Anliegen der Betroffenen und deren Vertretern in den politischen NGOs (advocacy NGO). In Folge dieses so genannten "Narn1ada-Effekts" (Heins 2002b: 111) sind die sozialen und umweltpolitischen Ansp1üche der Weltbank an ihre eigene Operationsweise höher geworden und NGOs können stärkeren Einfluss auf Entscheidungsprozesse nehmen, indem sie bereits frühzeitig über Projekte informiert und um ihre Stellungnahmen gebeten werden. Die Anliegen von den Vertretern der Zivilgesellschaft werden ernster genommen und NGOs in den gesamten Projektablauf einbezogen. Heute sind in rund einem Drittel der Weltbankprojekte NGOs direkt involviert (Wahl 2001: 125f.). Zudem gibt es das Bank Information Center, eine sogenannte Watchdog-NGO, die Monitaring der Weltbank betreibt und Informationen über diese und deren Beschlüsse, die sie zum Teil direkt von Mitarbeitern der Weltbank erhält, einem weltweiten Publikum zugänglich macht. Gleichzeitig ist die Weltbank zu einer "Wissensbank" (Heins 2002b: 112) geworden, die Weltentwicklungsberichte und umfassende Datenbanken zu den Ländern der Welt heraus gibt, die zum großen Teil auch im Internet abrufbar sind. Dabei bemüht sie sich um die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen, was sich zum Beispiel auch in einer umfassenden Hornepage mit der Rubrik NGO and Civil Society äußert, unter der Informationen, elektronische Konferenzen und zahlreiches weiteres Material speziell flir die Arbeit der NGOs angeboten wird (vgl. http://wbln0018.worldbank.org/essdlessd.nsf/NGOs/ home). Dennoch reißt die Kritik an den großen Finanzinstitutionen nicht ab. Dies findet zum Beispiel Ausdruck in einer Kampagne der NGO 50 Years is Enough, die zum 50-jährigen Jubiläum der Weltbank 1995 in Madrid gegründet wurde und grundlegende Reformen der Finanzinstitutionen fordert. Die Kampagne hat sich insofern institutionalisiert, als dass daraus eine insbesondere im Internet operierende NGO geworden ist, die weltweite Proteste an der Weltbank bündelt und Informationen zu dieser Organisation sowie dem Internationalen Währungsfond verbreitet. Ähnlich verfahrt der IWF, der lange Zeit lediglich als Hüter fester Wechselkurse fungierte und nun mit Hilfe von Strukturanpassungsmaßnahmen schwache Staaten auf dem Weg in die kapitalistische Marktwirtschaft unterstützt. Er galt als Zentralbank der Zentralbanken, dessen 4 Das Herzstück des Staudamm-Projektsam Narmada-Fiuss, der Sardar-Sarvorar-Staudamm, sowie mehrere andere wurden aber dennoch, auch nach Rückzug der Weltbank, weitergebaut und teilweise fertiggestellt, weil die indische Regierung auf die Gelder "freiwillig" verzichtete und mit anderen Kapitalmitteln operierte (vgl. Dittrich 2004).
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Arbeit streng vertraulich gehandhabt wurde und nur wenig an die Öffentlichkeit drang. Auch hier haben kritische Stimmen und weltweite Proteste in den 1980er Jahren dazu geführt, dass sich der IWF der Öffentlichkeit langsam geöffnet und NGOs in seine Entscheidungsprozesse eingebunden hat. Die Einrichtung des Department ofExternat Relations, also einer Abteilung ftir Außenbeziehungen mit eigener PR-Abteilung, und die Eröffnung eines Besucherzentrums 1986 sind wichtige Schritte in diese Richtung, die die ehemalige "Wehrburg" im Herzen Washingtans ftir die öffentliche Diskussion geöffnet hat. Damit ist quasi ein neuer diskursiver Raum in der Stadt entstanden. Laut Aussagen von Mitarbeitern agiert der IWF heute sogar offener als die Weltbank. Sämtliche Dokumente und Beschlüsse des IWF werden im Internet veröffentlicht, außer ein betroffenes Land erhebt dagegen Einspruch. Zudem gibt es ein Independent Evaluation Office (IEO) des IWF, das die Transparenz und Lernfähigkeit der Organisation erhöhen und seine Politik der Öffentlichkeit nahe bringen soll. Hierzu werden umfangreiche Materialien auf der Hornepage zusammengestellt ( vgl. Seiten des IEO auf der Webseite des IWF, http://www.imf.org/external/np/ieo!index.htm, letzter Zugriff 2.3. 2007). Es besteht somit ein enger Dialog mit den NGOs auf verschiedensten Feldern und Formen (Presseveranstaltungen, Seminare, Internet). Vieles läuft dabei auch informell über persönliche Kontakte und Briefe ab, die an einzelne NGOs geschrieben und von diesen an andere Akteure weitergeleitet werden. Dieser Kontakt wird besonders öffentlichkeitswirksam bei den Jahrestreffen der Weltbankgruppe, in Zuge dessen weit reichende PR-Kampagnen durchgefiihrt, Diskussionsforen abgehalten und Vertreter verschiedenster zi viigesellschaftlicher Gruppen angehört werden. Diese finden in der gesamten Nachbarschaft der beiden Häuser statt und machen aus dem ohnehin bewegten politischen Viertel ein Zentrum der Diskussion und öffentlichen Meinungsbildung. Allerdings wenden kritische Stimmen ein, dass der Einfluss der NGOs auf internationale Entscheidungsprozesse nach wie vor gering sei und die NGOs wohl zu den "am meisten überschätzten Akteuren der neunziger Jahre" gehören. Die vielfältigen Aktionen und Anhörungen vermitteln zwar in der Öffentlichkeit das Bild einer starken, einflussreichen Zivilgesellschaft, letztendlich sind aber die Positionen der Bewegungen relativ uneinheitlich und die Legitimationsfrage zu uneindeutig, um sie wirklich durchzuführen. Vielmehr diene der Austausch mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren lediglich als Legitimationsgrundlage für die Durchsetzung von Entscheidungen der Regierungen bzw. der internationalen Finanzinstitutionen, die unter dem Deckmantel der Zivilgesellschaft nun ihre Berechtigung fänden. NGOs werden damit eher
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zum Handlanger des Staates oder gar zu "Hofnarren der Weltgesellschaft" (Schäfer 1998, S. l 04 zitiert in Frantz 2002) als zu eigenständigen, politischen Akteuren (vgl. Frantz 2002, Heins 2002b, Hirsch, 2001, Wahl2001). Letztendlich ist an beiden Positionen etwas Wahres dran. Dass die Politik der großen Regierungsorganisationen sich unter dem Druck der Zivilgesellschaft zumindest teilweise geändert hat, ist wohl unstrittig, obwohl damit nur kleine Schritte gegangen wurden und nach wie vor viel ohne die Anhörung der Betroffenen stattfindet. Dennoch ist die öffentliche Diskussion, die in Washington stattfindet, ein eminenter Bestandteil, ohne die eine öffentliche Auseinandersetzung unter Umständen überhaupt nicht stattfinden würde. Interessanterweise spielen medienträchtige Protestaktionen während der Frühjahrs- oder Herbsttreffen von Weltbank und IWF oder gar während der G8-Treffen von Seattle oder Genua, die wesentlich zur Kenntnisnahme von NGOs und Globalisierungskritikem beigetragen haben, bei den befragten Organisationen in Washington nur eine geringe Rolle. Nur 11 % gaben an, dass Treffen mit anderen Organisationen dazu dienen würden, sich an Protestaktionen zu beteiligen. Einige grenzten sich sogar explizit davon ab, wie in dem folgenden Zitat deutlich wird: "Our model is cooperation. You can either cooperate on this issue or you can get confrontational. P1enty of organisations out there are confrontational. We say we offer a safe p1ace to come tagether to see if there's cooperation and if so what's the nature of it and then the ideas go forwardoutside of it." (PB4) Eine wichtige Leitlinie des Diskurses ist somit Kooperation, auf die viele Organisationen setzen, um Gesprächspartner an einen runden Tisch zu bringen, die sonst nicht miteinander kommunizieren würden. Es besteht der Anspruch, ein Diskussionsforum zu bieten, in dem verschiedene Vertreter von Regierungen, Unternehmen und Vertreter der Zivilgesellschaft zusammenkommen. Dabei seien gerade die kleinen, alltäglichen Schritte wichtig, um auf die Regierungen bei ihrer Entscheidungstindung Einfluss zu nehmen. "[ ... ] our main goal here is to try and influence US foreign policy as far as Latin America. We do that by gathering tagether other groups that are working on Latin America and trying to put out position papers and things like that. WOLA (Washington Office on Latin America) itself is very heavily involved in doing research and publishing papers and books and reports and things like that. We also meet with members ofCongress and talk to them directly and try and get them to sponsor bills that would change policy in the way that we would like." (JKl)
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Wie beharrlich die Organisationen dabei vorgehen müssen, um letztendlich Einfluss auf Politiker ausüben zu können, wird ebenfalls deutlich: "We tallc to Congress, we send position papers, wesend position papers to the Department of State as weil, to the executive branch of the govemment. For example, one of the big issues we work on is Cuba, trying to get the embargo lifted because we don't think that is necessarily the best thing. And we have tried very many ways to get into Congress and go through Congress to get them to change their minds and recently we discovered that what is working is we speak with senators from farm states out in the Midwest, Nebraska, Iowa, where they depend on farming for their economy and they wanna trade with Cuba and Cuba wants to trade with us [...]." (JK2)
Das komplexe Bild politischer Zirkel wird deutlich, wenn man eine Karte der Beziehungen zwischen den verschiedenen Organisationen zeichnet (s. Abb. 37). Grundlage dafür bilden die Antworten im Fragebogen, bei denen in einer offenen Frage nach den für ihre Arbeit ftinf wichtigsten politischen Organisationen in Washington gefragt wurde. Insgesamt ergab sich eine Vielfalt von rund 180 Organisationen, die von 67 Befragten genannt wurden. Interessant sind vor allem die Überschneidungen, bei denen manche Organisationen mehrfach Erwähnung fanden. In der Gruppe der NGOs sticht Interaction hervor, die insgesamt achtmal genannt wurde. Diese Dachorganisation von NGOs stellt nicht nur weltweit einen wichtigen Knoten im Netzwerk der NGOs dar, sondem auch im konkreten Cluster Washington, D.C. Weitere, mehrmals erwähnte Organisationen sind die weltweit bekannten Vereinigungen Sierra Club und WWF, aber auch weniger bekannte Organisationen wie Common Cause, Public Citizen oder Peace Action, die jeweils zweimal genannt wurden. Eine wichtige Gruppe als Ansprechpartner der politischen Organisation sind - wie an anderer Stelle schon deutlich geworden ist - die Regierungsvertreter. Allen voran liegt USAID, das allein für 13 Befragte zu den fünf wichtigsten Kontaktgruppen in Washington zählt. Hier spielt natürlich die Bedeutung als zahlungskräftiger Förderer eine Rolle, insofem kann genauso von einer Art Abhängigkeit gesprochen werden, bei der die Treffen eher den Charakter von Bittstellergängen denn wirklichem Austausch von Wissen und Informationen besitzen. Dennoch spielt die räumliche Nähe zu diesem Sponsor eine wichtige Rolle in der Arbeit der Organisationen. An zweiter Stelle folgt das Außenministerium (US State Department) mit sieben Nennungen, außerdem sind ausländische Botschaften (siebenmal) und US-Kongressabgeordnete (als Sammelbezeichnung sechsmal) hervorzuheben. Das oben beschriebene
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Interesse am Austausch mit Regierungseinrichtungen wird hiermit noch einmal konkret belegt. IGOs und Think Tanks sind ebenfalls in das Netzwerk eingebunden. Zu nennen sind hier die Weltbank, die allein achtmal als Kontaktpartner erwähnt wurde, sowie die Inter-American Development Bank (drei Nennungen) und der Währungsfond (zwei Nennungen). Bei den Stiftungen treten das bereits vorgestellt Brookings Institution und die Carnegie Endowment hervor, die Heritage Foundation, das Cato Institute und die Points of Light Foundation werden ebenfalls jeweils zweimal genannt. Weiterhin Erwähnung fanden einige deutsche Stiftungen wie die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Konrad-AdenauerStiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung und die Banns-Seidel-Stiftung. Somit ergibt sich ein sehr buntes und vielschichtiges Bild von Beziehungsgeflechten, die über verschiedene Gruppierungen hinweg in Washington bestehen. Sie stellen den spezifischen Netzwerkcharakter im Cluster Washington dar. Abbildung 37: Karte der Beziehungen zwischen verschiedenen politischen Organisationen in Washington, D. C.
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Im Dickicht der Sponsoren Für die Art und Intensität der Kontakte zwischen verschiedenen Organisationen ist nicht zuletzt der Stellenwert bestimmter Einrichtungen als Geldgeber oder Sponsor für NGOs von Bedeutung. Dies ist bei der Diskussion der Netzwerkströme und den Zielen von Treffen bereits angeklungen. Einzelne Antworten in der Befragung geben Hinweise darauf, wie es sich mit dieser "Abhängigkeit" verhält, die viele Analysten der NGO-Forschung häufig recht allgemein konstatieren (z.B. Heins 2002b: 76f.). Die generell wichtigsten Geldgeber der befragten Organisationen sind die Stiftungen, die im Durchschnitt ein Drittel des Gesamtbudgets der Organisationen stellen. Allein die Ford Foundation wurde als wichtigster einzelner Spender von insgesamt sechs Organisationen genannt. Zweitwichtigste Quelle sind private Spenden (ein Viertel aller Einnahmen) und erst an dritter Stelle rangieren Beiträge der öffentlichen Hand (viermal wurde explizit USAID als wichtigster, einzelner Geldgeber genannt). Intemationale Organisationen bestreiten im Mittel aller Organisationen nur noch 6,5 % der Einnahmen. Insofern besteht zwar grundsätzlich eine Abhängigkeit von den Geldgebern, dies können jedoch sehr verschiedene Institutionen sein. Auf die Frage, welches der wichtigste einzelne Förderer der Organisation ist, wurden insgesamt 17 verschiedene Stiftungen genannt. Diese bilden ein buntes Heer an politischen Einstellungen und Förderkonzepten, so dass je nachdem, wo der Projektantrag eingereicht wird, ein anderer Schwerpunkt bzw. eine andere Zielrichtung des Projekts verfolgt werden kann. Stiftungen und Think Tanks stehen häufig den politischen Parteien nahe oder stehen für bestimmte Moral- und Wertvorstellungen, denen sie sich verschrieben haben. Dies drückt sich in einer recht kritischen Beschreibung von Stiftungen durch einen NGO-Mitarbeiter aus, der auch die Wahrnehmung der einzelnen Organisationen in der Öffentlichkeit in verschiedenen regionalen Kontexten aufs Kom nimmt: "[ ... ] the whole reason there are think tanks is so that the parties can get independent research on something and make it Iook like it's an organisation that doesn't carry their way [... ].In fact ifyou've lived in Washington and you see something put out by the Heritage Foundation you know it's gonna be some horrible right-wing kind of rhetoric. Tf you live in Kansas you see, oh, the Heritage Foundation, that sounds nice, and so I should just read this and believe it [... ]." (DW9)
Projektanträge werden in der Regel von den Mitarbeitern oder Vorsitzenden der NGOs geschrieben, teilweise auch von externen, freischaf-
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fenden Mitarbeitern, die das Projekt in voller Breite erläutern und sich um Fördermittel bewerben. Dabei wird sicherlich das Förderinteresse der anvisierten Stiftung berücksichtigt, aber keine grundlegende Bindung an deren Überzeugung vorausgesetzt. Zudem ziehen sich die Antragsphasen bei größeren Projekten teilweise über mehrere Jahre hin, bis eine Förderung bewilligt wird, so dass verschiedene Meinungen und Expertenwissen in die Durchführungskonzeption einfließen. Dennoch sind die Aussichten auf Fördermittel von den großen Institutionen, insbesondere USAID, nicht für alle Organisationen gleich. Kleinere NGOs beklagen, dass sie häufig keinen Zugang zu ausreichenden Projektgeldern haben, da die großen Stiftungen oder Regierungsorganisationen umfangreiche Projektanträge anfordern, die von kleineren Organisationen nicht bewerkstelligt werden können. Ein Mitarbeiter beschreibt dies folgendermaßen: "USA1D is going to give you money if you have money. To write a proposal for USAlD - you're kidding me. 1 cannot write a proposal. [... ] To write a proposal I need staff, I need a Iot of money. [... ] USATD will teil you, you cannot write a proposal. [... ] No, 1 cannot. Because the bigger foundations, they have pre-selected, they want those organisations which they fund. 1n order to penetrate to be considered as a candidate for a proposal I don 't know what tothink [... ]. 1 am telling you, fundraising is hell." (JR2) Nicht von der Hand zu weisen ist die Attraktivität bestimmter Themen, die populären Moden gleich, in der Öffentlichkeit bevorzugt behandelt und demnach als förderungswürdig eingestuft werden. Dies kam in den Interviews mit Vertretern verschiedener NGOs zur Sprache. So haben es kleine, weniger bekannte Organisationen, die sich zum Beispiel für Waisenkinder von AIDS-Opfern in Dörfern Afrikas engagieren, zurzeit deutlich schwerer als diejenigen, die sich um Konfliktmanagement im Nahen Osten bemühen und dafür bekannte Fürsprecher wie ehemalige Botschafter oder andere repräsentative Sprecher haben. Auch hat das Interesse an bestimmten Regionen einen sehr wechselhaften Charakter. So hat sich das Augenmerk (und somit unweigerlich die entsprechenden Fördermittel), das jahrelang um Lateinamerika kreiste, von dort nach Südost-Asien verlagert, wohin nun zunehmend die öffentliche Aufmerksamkeit gelenkt wird. Bedeutsam ist schließlich die Beobachtung, dass die großen nationalen Stiftungen deutlich stärker in New York vertreten sind als in Washington. So stellen sie zwar die wichtigsten Geldgeber der befragten Organisationen dar, die sehr großen Einrichtungen sind jedoch nicht vor Ort. Dies geht einher mit den Antworten, dass Stiftungen im Vergleich
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zu den anderen Organisationen nur relativ selten in Washington aufgesucht werden, wenn auch der Grund solcher Treffen meist die Einwerbung von Fördermitteln ist. Offensichtlich handelt es sich dabei jedoch nicht um die ganz bedeutenden Stiftungen (z.B. Rockefeiler Foundation), bei denen angefragt wird, sondern eher um die lokal ansässigen. Ein Interviewzitat belegt dies sehr deutlich: "Big money foundations are in New York. So the organisations that have the majority oftheir funding from foundations are in New York because they have the same kind of relationship with the foundations like we have with USAlD." (DW3)
Hier widersprechen sich Interview- und Fragebogenergebnisse zwar in gewisser Hinsicht, dass eigentlich das Geld der Stiftungen einen größeren Anteil am Jahresbudget ausmacht, allerdings müssen solche Angaben mit Sorgfalt interpretiert werden. Zum einen handelt es sich bei Finanzmitteln um ein sensibles Thema, über das nicht immer vollständig berichtet wird, zum Teil schwanken auch die Anteile über die Jahre, je nachdem welche Projektanträge bewilligt werden. Grundsätzlich kann jedoch beobachtet werden, dass viel Zeit und Engagement in die immer erneute Sicherung der finanziellen Basis investiert wird (16% aller Treffen mit politischen Organisationen dienen dem Ziel der Mitteleinwerbung) und dass gerade bei den Organisationen in Washington öffentliche Gelder neben privaten oder Stiftungsmitteln eine wichtige Rolle spielen. Auch dafür ist das institutionelle Dickicht Washingtons unersetzlich, um rechtzeitig über bestehende Finanzquellen informiert zu werden, die relevanten Leute auf den entsprechenden Veranstaltungen zu treffen und dann weitere Netzwerke zu spinnen. Dies ist immer wieder bei den Gesprächen mit NGO-Vertretern heraus zu hören. Eine unmittelbare Ausprägung finden die verfügbaren Finanzmittel dann in den Gehältern der Mitarbeiter. Gerade bei den großen, professionalisierten NGOs zählen die Verhandlungen um die Bezahlung zum Geschäft. Die Annahme, dass es sich bei Non-Profit-Unternehmen also nur um ideelle Werte und gar nicht um Geld drehen würde, ist folglich falsch. Hier wird sowohl in Bezug auf die Gehaltsauszahlungen der Mitarbeiter wie auch bei Budgetverteilungen mit harter Konkurrenz verhandelt, die vergleichbar mit profitorientierten Unternehmen ist. Gerade das macht die Bedeutung Washingtons als politisches Cluster aus: eine hohe Dichte an Experten und Organisationen, die zwar zum großen Teil miteinander kooperieren, aber auch einen fruchtbaren Nährboden an Konkurrenz bilden, der - ähnlich wie im Profit-Sektor- das "Geschäft" belebt und zur Ausbildung politischer Aktivitäten beiträgt.
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Knoten- Washington im Netzwerk transnationaler politischer Akteure Verlässt man die lokale Washingtoner Ebene und fragt nach den weltweiten Verbindungen zu anderen politischen Akteuren bzw. deren zentralen Standorten, ergibt sich ebenfalls ein interessantes Bild. Zum einen kommen hier die regionalen Ungleichgewichte, wie sie schon bei der Weltstadtforschung beobachtet wurden, zum Ausdruck, zum anderen zeigen sich neue Standorte der Weltpolitik, die Ähnlichkeiten aber auch deutliche Unterschiede zu den Hierarchien der Global City-Forscher aufzeigen und somit eine neue Verteilung bedeutsamer Städte nach NGO-Verbindungen zur Diskussion stellen. Hier beweist sich nun die Funktion Washingtons als ein Knoten im Netzwerk politischer Ströme. Im Sinne von Castells "Raum der Ströme" und Camagnis kognitiver und räumlicher Logik von Städten bildet die Global City eine lokale Ausbildung globaler Netzwerkströme, die hier näher beleuchtet werden.
Regionale Arbeitsschwerpunkte und globale Reichweite Als wichtigste Regionen, in denen von Washington aus operiert wird, treten nach Angaben der befragten Organisationen Asien (insbesondere Südostasien) und Afrika hervor. Auf sie entfällt fast die Hälfte aller Nennungen (vgl. Abb. 38). An dritter Stelle folgt Nordamerika, das mit 18% vor Lateinamerika (15 %) rangiert. Damit findet ein für die Entwicklungszusammenarbeit traditionell sehr präsenter Raum hier nicht mehr so viel Aufmerksamkeit, wie er in der Öffentlichkeit jahrelang erhalten hat. Dies wurde zwar von einigen Interviewpartnern auch bestätigt, allerdings handelt es sich um eine Momentaufnahme von Organisationen in Washington, die nicht unbedingt für die allgemeine Situation gelten muss. Einige befragte Institutionen (7 %) gaben "weltweit" oder "Entwicklungsländer" allgemein an und dokumentierten damit keine räumliche Spezifizierung, sondern einen sehr weit gestreuten Aktionsraum. Offensichtlich ist, dass es sich bei den in Washington im Rahmen der Untersuchung angeschriebenen Organisationen ausschließlich um sogenannte nördliche NGOs handelt, die also von einem Industrieland aus organisiert und gesteuert werden und von hier in die betroffenen Länder hinein reichen. Sie unterscheiden sich insofern von den südlichen NGOs, dass sie dem sogenannten Washington Consensus verpflichtet sind, der westliche Werte und eine wirtschaftliche Entwicklung mit Freihandel, Privatisierung und Deregulierung verfolgt (vgl. Mayer 2003: 115). Dabei verfügen sie in den jeweiligen Ländern über keine
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gewachsenen Strukturen und räumliche Verankerung, sondern sind auf Kontaktpartner in Form von örtlichen NGOs angewiesen, mit denen zum Teil nur vorübergehende Kooperationen bestehen. Sie besitzen zudem eine meist sehr viel stärker professionalisierte Struktur mit bezahlten Mitarbeitern, die - im Gegenteil zu den meist auch als Graswurzelbewegungen bezeichneten lockeren Zusammenschlüssen politischer Akteure in den Entwicklungsländern - sehr viel stärker institutionalisiert sind. Die Entscheidungsprozesse werden somit meist fernab von den Betroffenen gefällt. Abbildung 38: Regionale Schwerpunkte der befragten Organisationen in Washington
Nordamerika
weltweit 7%
Afrika 24%
Australien 1%
Lateinamerika 15%
25% Quelle: Eigene Erhebungen (n = 60, Mehrfachantworten)
Die starke Verankerung vieler NGOs in der nördlichen Hemisphäre und der Machtvorsprung dieser gegenüber ihren Partnern in den Entwicklungsländern selbst wird an vielen Stellen der Bewegungsforschung immer wieder kritisch gegen NGO-Tätigkeiten der reichen Industrieländer eingewandt (vgl. Kap. 2). Die Kritik betrifft eine Vielzahl von Aspekten, von denen das fehlende Verständnis für andere Kulturen, die fehlende Legitimität der Aktivitäten, die Abhängigkeit der jeweiligen Empfänger von den Geldgebern und die Machtverhältnisse zwischen Nord und Süd nur einige der Argumente sind, die hier von Bedeutung sind (vgl. z.B. Brand 2000, Brand 2003 , Roth 2001). Eine wichtige Ursache für das quantitative Übergewicht nördlicher NGOs liegt in dem Mangel an gesellschaftlicher Modernisierung und Demokratie in den betroffenen Ländern, die eine Grundvoraussetzung für das Entstehen zivilgesellschaftlicher Organisationen sind. Daher sind NGOs gerade auch in
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den Ländern der Dritten Welt ein sehr junges Phänomen, deren Ursprünge häufig nicht weiter als in die späten 1980er Jahre zurückreichen (Heins 2002b: 152). Erst durch das Ende des Kalten Krieges sowie die politische und wirtschaftliche Öffnung vieler Länder kam es dort zu einer G1ündungswelle von NGOs. Die Globalisierung kann demnach als eine Voraussetzung für das Entstehen von NGOs verstanden werden, während sie gleichzeitig eine Ursache ftir viele Probleme und Benachteiligung und damit Zielscheibe der Kritik geworden ist. Diese sehr vielschichtige Problematik, die letztlich sogar die Legitimation westlicher NGOs und ihren weltweiten Aktionsradius in Frage stellt, kann hier nur angeschnitten werden, da das Augenmerk auf den Funktionsweisen der politischen Akteure vor Ort im politischen Raum Washingtons liegt. Von den befragten Organisationen haben 87% ihren Hauptsitz in Washington, die anderen verteilen sich auf weitere Städte in den USA oder Europa, lediglich zwei Büros liegen außerhalb der nördlichen Hemisphäre in Südafrika sowie in Kolumbien. Dagegen verteilen sich weitere Bürostandorte der ansässigen Organisationen weit verstreut über den gesamten Globus. Insgesamt betreiben die 109 befragten Gruppen neben ihrem Standort in Washington weltweit 1.629 Büros. Rund die Hälfte der Organisationen besitzt keinen weiteren Standort und zählt laut der engen Definition der UIA nicht zu genuin internationalen Organisationen. Zieht man weiterhin den Extremfall Rotes K reuz mit allein 1.007 weiteren weltweiten Büros ab, bleiben 48 Organisationen übrig, die insgesamt 622 Niederlassungen betreiben. Ihre durchschnittliche Zahl an Büros liegt nunmehr bei 13. Differenziert man nach den unterschiedlichen Organisationsformen, so zeigt sich, dass knapp die Hälfte der NGOs keine weiteren Büros betreiben, aber immerhin 25 % zwischen ein und sechs Niederlassungen zählen. 9 % der NGOs betreiben zwischen fünf und 21 und immerhin noch 10 % haben mehr als 20 Büros weltweit. IGOs, Thinks Tanks und Stiftungen haben zwar ebenfalls eine große Zahl an Einrichtungen ohne weitere Niederlassungen, allerdings ist der Anteil mit einer größeren Zahl von Niederlassungen höher. Sie betreiben im Mittel 27 Standorte gegenüber 10,6 bei den NGOs (berücksichtigt wurden nur Organisationen mit weiteren Standorten). Trägt man allein die Standorte von Organisationen, die nicht mehr als 15 Büros besitzen, auf einer Karte ein, wird zwar die weltweite Streuung, aber auch die Konzentration auf bestimmte Regionen, allen voran USA, Europa und Südostasien deutlich (s. Abb. 39). In Lateinamerika, Afrika und auch Südostasien tritt die Ausrichtung auf Hauptstädte hervor, die hier nahezu ausschließlich als Sitz weiterer NGO-Standorte fungieren. Insofern zeigt sich eine globale Reichweite, die jedoch nicht gleichmä-
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GLOBAL CITY WASHINGTON D.C.
ßig verteilt ist, sondern eine räumliche Ungleichverteilung hin zu bestimmten Regionen bzw. zu deren Hauptstädten aufweist. Abbildung 39: Weltweite Standorte von 46 politischen Organisationen in Washington *
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Quelle: Eigene Erhebungen Entwurt: U. Gerhard; Kartographie: W. Weber, 2004
* Berücksichtigt sind Organisationen mit maximal 15 weiteren Standorten
Bedeutsam flir die räumliche Ausbreitung der Netzwerke politischer Akteure sind zudem die Angaben zu den fünf wichtigsten Städten außerhalb der USA, in denen regelmäßige Kontaktpartner der befragten Organisationen sitzen. Das Bild ist hier weniger dispers als bei den Büroniederlassungen, dafür treten einzelne Städte und Regionen als herausragende Lokalisierungspunkte politischer Akteure klar hervor ( vgl. Abb. 40). Hierzu zählt insbesondere Mitteleuropa, das die größte Konzentration an bedeutsamen Städten aufweist. Dies entspricht den oben angedeuteten Konstellationen zwischen nördlichen und südlichen NGOs, die zum einen vor allem ihresgleichen suchen, zum anderen aber auch die Demokratieverhältnisse in den jeweiligen Ländern widerspiegeln. Weitere Regionen sind Südostasien, aber auch Ostafrika, in dem eine gewisse Häufung zu beobachten ist. Südamerika dagegen erscheint vollkommen unterrepräsentiert, da nur zwei Städte, Lima und Brasilia, als bedeutsame Städte für NGO-Kontakte genannt werden. Dies entspricht ebenfalls dem oben angedeuteten Bedeutungsrückgang dieser
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Region in der augenblicklichen weltpolitischen Debatte, erscheint in diesem Falle jedoch stark überbetont. Abbildung 40: Bedeutsame Städte außerhalb der USA als Standorte politischer Akteure nach Einschätzung der 109 befragten Organisationen
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