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German Pages [233] Year 2018
Martina Roesner
Logik des Ursprungs
Vernunft und Offenbarung bei Meister Eckhart VERLAG KARL ALBER
https://doi.org/10.5771/9783495813577
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B
Martina Roesner Logik des Ursprungs
VERLAG KARL ALBER
A
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Martina Roesner
Logik des Ursprungs Vernunft und Offenbarung bei Meister Eckhart
Verlag Karl Alber Freiburg / München
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Martina Roesner The Logic of Origin Reason and Revelation in Meister Eckhart’s Work The relationship between philosophy and biblical, revealed theology is one of the most tension-filled fundamental issues of Occidental intellectual history. This book examines the historical background of this problem in ancient, patristic, and scholastic thought before analysing the innovative solution that Meister Eckhart develops in his Opus tripartitum. His architectonics of human reason is distinct in that it circumvents the supposed rifts between philosophy and theology, but also between theoretical science and religious life-practice, by attributing all forms of knowledge of self, the world, and God to the pure ego as their common original principle.
The Author: PD Dr. lic. phil. habil. Martina Roesner M. A. studied philosophy in Rome, Paris, Tübingen, and Salzburg and Catholic Theology in Vienna. The focus of her research is on the area of phenomenology, medieval and contemporary philosophy, philosophical anthropology, and philosophy of religion. Currently she is employed by the CatholicTheological Faculty of Vienna University working on a research project on Meister Eckhart’s Latin Bible commentaries funded by the Austrian Science Fund (FWF).
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Martina Roesner Logik des Ursprungs Vernunft und Offenbarung bei Meister Eckhart Das Verhältnis von Philosophie und biblischer Offenbarungstheologie gehört zu den spannungsreichsten Grundfragen der abendländischen Geistesgeschichte. Das vorliegende Buch beleuchtet zunächst die historischen Hintergründe dieser Problematik im antiken, patristischen und scholastischen Denken und analysiert anschließend den originellen Lösungsansatz, den Meister Eckhart in seinem Opus tripartitum entwirft. Seine Architektonik der menschlichen Vernunft zeichnet sich dadurch aus, dass sie die vermeintlichen Gräben zwischen Philosophie und Theologie, aber auch zwischen theoretischer Wissenschaft und religiöser Lebenspraxis unterläuft und alle Formen der Selbst-, Welt- und Gotteserkenntnis auf das reine Ich als ihr gemeinsames Urprinzip zurückführt. Die Autorin: PD Dr. lic. phil. habil. Martina Roesner M.A. studierte Philosophie in Rom, Paris, Tübingen und Salzburg sowie Katholische Theologie in Wien. Der Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeit liegt auf dem Gebiet der Phänomenologie, der Mittelalterlichen und Neuzeitlichen Philosophie, der Philosophischen Anthropologie und der Religionsphilosophie. Derzeit ist sie mit einem vom Austrian Science Fund (FWF) geförderten Forschungsprojekt zu Meister Eckharts lateinischen Bibelkommentaren an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien angestellt.
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Diese Publikation entstand mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF) unter den Projektnummern M1472-G15 und P27499G15, der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und der Erzdiözese Wien.
Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2017 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Umschlagmotiv: Sophie Taeuber-Arp, Equilibre – Gleichgewicht, 1931 Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN (Buch) 978-3-495-48939-0 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-81357-7
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
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Einleitung: Die Frage der inneren Einheit von Meister Eckharts Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. 1.
2.
Die historischen Voraussetzungen von Meister Eckharts wissenschaftstheoretischem Entwurf . . . . . . . . . . . Der Ursprung der Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie im antiken und patristischen Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Stellung der Philosophie zwischen Weisheit (sapientia) und Wissenschaft (scientia) in der antiken Wissenschaftstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die patristische Verhältnisbestimmung zwischen der sapientia christiana und den »profanen« Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Das boethianische Modell der drei theoretischen Wissenschaften als Versuch der Synthese von christlicher Offenbarungstheologie und philosophischer Theologik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der wissenschaftstheoretische Neuansatz im 13. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Das Problem der Theologie als Wissenschaft (scientia) im Gefolge der Aristoteles-Rezeption . . . 2.2 Der Lösungsansatz Thomas von Aquins . . . . . . 2.3 Das Problem des radikalen Aristotelismus, die Kritik Bonaventuras und die Verurteilung von 1277 . . . . 2.4 Die transzendentalphilosophische Umdeutung der Metaphysik bei Duns Scotus . . . . . . . . . . . .
27
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40
50 53 54 57 61 68
7 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Inhaltsverzeichnis
II. 1. 2.
3.
Die systematischen Grundkoordinaten von Meister Eckharts philosophisch-theologischem Denkansatz . . Meister Eckharts Stellung in seiner Zeit . . . . . . . Zwei Grundformen transkategorialer Bestimmungen 2.1 Die antiken und mittelalterlichen Ursprünge der Transzendentalienlehre . . . . . . . . . . . . . 2.2 Kategorienlehre, Intellekttheorie und Theologie bei Dietrich von Freiberg . . . . . . . . . . . . Eckharts Synthese der beiden Sphären des Transkategorialen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
73 73 78
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78
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. . 104
III. Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik . . . . . . . . 1. Die formalen und inhaltlichen Grundzüge von Eckharts philosophisch-theologischem Gesamtentwurf . . . . . . 1.1 Die Struktur des Opus tripartitum in seiner vorliegenden Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Univozität des Intellekts als Grundprinzip von Eckharts Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Eckharts intellekttheoretischer Offenbarungsbegriff . 2. Eckharts spekulative Neubegründung der wissenschaftlichen Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die besondere Struktur von Eckharts Transzendentalienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 ›Ego sum qui sum‹ : Die Selbsterkenntnis des göttlichen Intellekts als oberstes Prinzip aller Evidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Transzendentalien als spiegelsymmetrisches Gegenmodell zur aristotelischen Logik . . . . . . . 2.4 Intellekterkenntnis als Rückgang in den ungeschaffenen Grund . . . . . . . . . . . . . . . 3. Philosophie als existenzielle Grundhaltung . . . . . . . 3.1 Meister Eckharts existenzielle Umwertung des Verhältnisses zwischen dem »Weisen« (sapiens) und dem »Philosophen« (philosophus) . . . . . . . . . 3.2 Die »Liebe zur reinen Form« als Grundprinzip aller menschlichen Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . .
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113 114 114 119 125 132 132
140 152 156 161
162 166
Inhaltsverzeichnis
4.
Die Funktion der unterschiedlichen Wissenschaftsmodelle in Eckharts Gesamtentwurf . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Das boethianische Modell der theoretischen Wissenschaften als Stufen der Abstraktion . . . . . . . . . 4.2 Die Unterteilung der Wissensbereiche in divina, naturalia und moralia . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die argumentationstheoretische Unterscheidung der aristotelischen Physik und Metaphysik als methodisches Grundprinzip von Eckharts Schriftauslegung 4.4 Die »Gegenstandslosigkeit« der menschlichen Gottesbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schlussbetrachtung
172 175 180
186 195
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
205
Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
223
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Vorwort
Seit einigen Jahren ist die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Vernunft verstärkt in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Der Anstoß zu einer erneuten Beschäftigung mit diesem Thema war dabei zunächst eher praktischer, politisch-gesellschaftlicher Natur, doch hat die Auseinandersetzung mit dieser Problematik schon bald eine Wendung genommen, die über tagespolitische Belange hinaus ins Grundsätzliche zielt. So geht es längst nicht mehr nur um die pragmatische Erwägung, in welchem Maße die weitgehend säkularisierten Gesellschaften der westlichen Hemisphäre den öffentlichen Ausdruck religiöser Überzeugungen und religiöser Praxis zulassen können, ohne die grundsätzliche weltanschauliche Neutralität des Staates in Frage zu stellen. Vielmehr haben die Debatten um die Rolle von Religion in der Gesellschaft dazu beigetragen, das Selbstverständnis des europäischen Denkens in Frage zu stellen und es zu einer Reflexion über bestimmte Leitbegriffe der eigenen Identität zu nötigen. Eine den öffentlichen Diskurs häufig prägende Vorannahme besteht darin, den für die europäische Kultur prägenden Vernunftbegriff in einen prinzipiellen Gegensatz zum religiösen Bewusstsein zu bringen, so als sei letzteres immer und ausnahmslos Synonym gefühlsbestimmter Irrationalität. Dabei wird zumeist ausgeklammert, dass eine solche Dichotomie in dieser Schärfe gar nicht durchzuhalten ist, weil sowohl die Vorstellung einer vollkommen säkularen, areligiösen Vernunft als auch die Emotionalisierung und Irrationalisierung von Religion Phänomene relativ neuen Datums sind, die sich innerhalb der biblisch-christlich geprägten Kultursphäre Europas erst mit Beginn der Neuzeit herausgebildet haben. Ein Blick in frühere Epochen der europäischen Geistesgeschichte beweist jedoch, dass sich das Verhältnis von philosophischem Vernunftdenken und Offenbarungsglauben in Wirklichkeit sehr viel komplexer gestaltet und dass die gegenwärtigen Diskussionen erheblich an Niveau gewinnen 11 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Vorwort
könnten, wenn sie sich mit der historischen Entwicklung dieser Problematik vertraut machen würden. Entgegen allen Klischees ist wohl keine geschichtliche Epoche der Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Vernunft mit einem so differenzierten und hochreflektierten Problembewusstsein nachgegangen wie das oft als »finster« bezeichnete Mittelalter, und unter allen scholastischen Denkern dieser Zeit hat wohl niemand die Ansprüche der Vernunft gegenüber der biblischen Schriftoffenbarung in kompromissloserer Weise zur Geltung gebracht als derjenige, der zugleich auch als der größte Mystiker des Mittelalters gilt, nämlich Meister Eckhart. Allein dieser Umstand sollte dazu anregen, gewisse Vorurteile hinsichtlich des Christentums und der christlichen Theologie kritisch auf den Prüfstand zu stellen und dem europäischen Vernunftbegriff seine geschichtliche Tiefenschärfe zurückzugeben. Ein solches Unternehmen entspringt keineswegs einer bloß historischen Liebhaberei, sondern vielmehr der Einsicht, dass die Vernunft als solche, die ja davon lebt, Dinge aus ihren Gründen und Ursachen heraus zu verstehen, ihre Erkenntnisansprüche nur dann aufrechterhalten kann, wenn sie in der Lage ist, auch die Gründe und Ursachen ihrer eigenen geschichtlichen Entwicklung nachzuvollziehen und von ihnen Rechenschaft abzulegen. Auch und gerade in seinen Universalitätsansprüchen ist das europäische Vernunftideal ein historisch gewordenes, und die Vorstellung, die moderne Rationalitätsauffassung sei durch »die Aufklärung« unvermittelt vom Himmel gefallen, ist Ausdruck einer Selbstentfremdung des Vernunftdenkens, das seinen Ursprung in abstrakt-numinose Pseudosubjekte auslagert, anstatt ihn innerhalb der eigenen Bewusstseinsgeschichte zu suchen. In dem Maße, wie sich diese Geschichte seit der Antike in der unablässigen Auseinandersetzung zwischen griechischer Philosophie und biblischem Offenbarungsglauben entfaltet hat, kann eine sich ihrer selbst bewusste und ihre eigenen Ansprüche kritisch ausweisende Rationalität gar nicht anders, als auch im Hier und Jetzt des Denkens die theologiegeschichtlich motivierten Durchbruchspunkte ihres überindividuellen Geltungsanspruches mitzudenken. Ein solcher Durchbruchspunkt in der Geschichte des europäischen Vernunftgedankens, der das Faktum der Religion nicht einfach als gegeben hinnimmt, sondern selbst die Ansprüche religiöser Offenbarung noch am Maßstab des philosophischen Logos misst, soll im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen.
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Vorwort
Das vorliegende Buch ist im Rahmen von zwei Forschungsprojekten entstanden, die vom Austrian Science Fund (FWF) unter den Projektnummern M1472-G15 und P27499-G15 gefördert wurden. Mein besonderer Dank gilt der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien sowie der Erzdiözese Wien, die sich mit namhaften Zuschüssen an der Deckung der Druckkosten beteiligt haben. Wien, den 24. März 2017
Martina Roesner
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Einleitung Die Frage der inneren Einheit von Meister Eckharts Denken
Es gibt wohl kaum einen mittelalterlichen Autor, der eine stärkere Faszination ausgeübt und zugleich eine größere Zahl von unterschiedlichen, ja widersprüchlichen Deutungen erfahren hat als Meister Eckhart. Dies gilt schon mit Blick auf seine deutschen Predigten und Traktate, die in den Jahrhunderten nach Eckharts Tod eine breitgefächerte Wirkungsgeschichte erfahren haben, die von der praktisch gelebten mystischen Innerlichkeit über die geistliche wie weltliche Dichtung und Literatur bis hin zur philosophischen Spekulation reicht. Je nach Blickwinkel erscheint Eckhart als nüchterner Lehrer einer christlichen Spiritualität, die ganz auf die Angleichung des Menschen an das ewige Wort Gottes ausgerichtet ist, 1 als genialer Sprachschöpfer, der die Grenzen der herkömmlichen Gottesrede durch kühne Vergleichsbilder und paradoxe Formulierungen aufsprengt und die deutsche Sprache damit erstmals zu einer originären Ausdrucksform philosophisch-theologischer Gedanken erhebt, 2 oder In der für ihn charakteristischen Weise übernimmt Tauler zwar das eckhartsche Grundmotiv der Gottesgeburt in der Seele, entkleidet es aber ausdrücklich aller philosophisch-spekulativen Ansprüche. Eckharts Begrifflichkeit bleibt dadurch, äußerlich besehen, weitgehend erhalten, verliert aber ihre intellektmetaphysische Dimension und behält nurmehr eine praktisch-moralische Bedeutung (vgl. Johannes Tauler, Pr. 15, in: Die Predigten Taulers [hg. von F. Vetter], Berlin, Weidmannsche Buchhandlung, 1910, 69. 71; ders., Pr. 16, in: Die Predigten Taulers, 74 f.). Letztlich wird Eckharts Verständnis der »Armut im Geiste« dadurch genau in ihr Gegenteil verkehrt; steht sie bei Tauler doch nicht länger für die Selbsterkenntnis des Intellekts als ungeschaffener, eigenschaftsloser und insofern »armer« Geistsubstanz, sondern vielmehr für die Absage an alle philosophisch-theologischen Erkenntnisansprüche, die sich mit diesem sehr weitgehenden Intellektverständnis verbinden. 2 Eckharts Vorliebe für pointierte und nicht selten paradox anmutende Formulierungen, die vor allem in seinen deutschen Predigten zum Ausdruck kommt, wird von Angelus Silesius aufgegriffen und in dichterischer Versform unter Verwendung eckhartscher Grundgedanken (»ohne Warum«, »Abgrund«, »Nichts«, »Gelassenheit« usw.) weiterentwickelt (vgl. Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann I.108, I.111, I.289, I.293, II.43, II.92, II.208, V.334, V.339, Stuttgart, Reclam, 1984, 43. 69. 1
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Einleitung
als spekulativer Denker, der die dialektische Wechselbeziehung von Endlichem und Unendlichem erstmals von der Ebene des mystischen Erlebens auf die des vernünftigen Selbstbewusstseins transponiert. 3 Auch wenn diese Deutungen zumeist von den spezifischen Interessen der jeweiligen Rezipienten beeinflusst sind und somit dazu tendieren, einen bestimmten Aspekt von Eckharts Denken auf Kosten der anderen überzubetonen, so kann man doch in fast allen Fällen sagen, dass sie etwas Richtiges gesehen haben. Die eigentlich entscheidende Frage, ob, und wenn ja, wie diese unterschiedlichen Gesichtspunkte zusammenhängen, wurde jedoch lange Zeit übergangen; und zwar nicht nur, weil bis ins 20. Jahrhundert hinein keine verlässliche Textedition von Eckharts deutschen Werken vorlag, sondern auch und vor allem deswegen, weil viele Interpreten weniger an einer wissenschaftlich objektiven Erforschung Eckharts interessiert waren als vielmehr an einer unmittelbaren und möglichst unkomplizierten »Verwertung« seines Denkens zu eigenen Zwecken. 4 Geben schon Eckharts deutsche Werke Anlass zu derart vielen divergierenden Rezeptionsformen und Deutungsansätzen, so hat sich diese Problematik seit der im späten 19. Jahrhundert einsetzenden Wiederentdeckung und kritischen Edition seiner lateinischen Werke noch einmal zusätzlich verschärft. Damit wurden schlagartig all jene Interpretationen hinfällig, die Eckharts mystische Schriften als polemischen Gegenentwurf zur scholastischen Theologie und Philosophie seiner Zeit verstanden hatten und aus seiner ausgesprochen innovativen Verwendung des Mittelhochdeutschen eine Abkehr von der damals herrschenden lateinischen Wissenschaftssprache ableiten zu können glaubten. 5 Die Wiederentdeckung des lateinischen Eckhart hat somit wesentlich dazu beigetragen, den tendenziösen, ideologisch 78. 85. 102. 236). Aber auch in der neueren deutschsprachigen Literatur wirken einzelne Gedankenmotive eckhartscher Provenienz nach, z. B. in Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften. 3 Obwohl Hegel nur eine äußerst rudimentäre, indirekt vermittelte Kenntnis von Meister Eckharts philosophisch-theologischem Ansatz besitzt, sieht er in ihm doch einen Vorläufer in Bezug auf die spekulative Überwindung des starren Gegensatzes zwischen Gott und Welt. Vgl. dazu G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, in: Ders., Werke (in 20 Bd., hg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel), Bd. 16, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1986, 209. 4 Vgl. dazu insgesamt I. Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes, Leiden, Brill, 1967. 5 Vgl. J. Bach, Meister Eckhart, der Vater der deutschen Speculation. Als Beitrag zu einer Geschichte der deutschen Theologie und Philosophie der mittleren Zeit, Wien,
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Einleitung
motivierten Vereinnahmungen seiner deutschen Schriften den Boden zu entziehen und die Auseinandersetzung mit seinem Denken auf ein neues wissenschaftliches Niveau zu heben. Allerdings gestaltet sich die Verhältnisbestimmung zwischen dem lateinischen und dem deutschen Schriftwerk schwieriger, als man dies auf den ersten Blick annehmen könnte. Zum einen übt Eckhart in gut dominikanischer Tradition eine intensive Predigt- und Seelsorgetätigkeit innerhalb wie außerhalb seines Ordens aus; 6 zum anderen beweisen seine lateinischen Schriften eindeutig, dass er das für die Dominikaner verpflichtende philosophisch-theologische Studium durchaus nicht nur zum Zweck einer qualifizierten Pastoral betreibt, sondern darüber hinaus einen systematischen Gesamtentwurf vorzulegen beabsichtigt, der an Originalität und spekulativem Niveau seinesgleichen sucht. 7 Dabei stehen Eckharts lateinische Schriften aber auch nicht einfach unverbunden neben seinen deutschen Predigten und Traktaten, sondern entwickeln auf einer höchst anspruchsvollen Reflexionsebene zentrale Grundeinsichten und Leitmotive, die – wenngleich mit anderen inhaltlichen Akzentuierungen und unter Verwendung eines überaus kreativen, stärker rhetorisch orientierten Vokabulars – auch für seine deutschen Werke bestimmend sind. 8 Man hat es also weder mit einer strikten Trennung zwischen Eckharts wissenschaftlichem Werk und seinem Predigtwerk noch mit einer bloßen Übersetzung desselben Inhalts vom Lateinischen ins Deutsche zu tun, sondern mit einer Transformationsleistung, die bei grundsätzlicher Wahrung der inhaltlichen Kontinuität die für die lateinischen Werke maßgeblichen Braumüller, 1864, IV–VIII; H. Martensen, Meister Eckart. Eine theologische Studie, Hamburg, Friedrich Perthes, 1842, 7. 6 Vgl. K. Ruh, Meister Eckhart: Theologe – Prediger – Mystiker, München, C. H. Beck, 1985, vor allem 136–167. 7 Joseph Koch tendiert dazu, den Endzweck von Eckharts wissenschaftlicher Tätigkeit allein in der Predigt zu sehen. Es ist sicher richtig, dass man seine lateinischen Werke nicht von den deutschen Predigten abkoppeln kann, doch erscheint die Deutung Kochs allzu reduktionistisch, wenn man bedenkt, wie intensiv sich Eckhart sowohl in seinen lateinischen Schriftkommentaren als auch in seinen deutschen Predigten mit der griechisch-römischen sowie der jüdisch-arabischen Philosophie auseinandersetzt, was unter rein pastoralen Gesichtspunkten gar nicht nötig wäre (vgl. J. Koch, »Sinn und Struktur der Schriftauslegungen«, in: U. Nix / R. Öchslin [Hgg.], Meister Eckhart der Prediger, Freiburg / Basel / Wien, Herder, 1960, 73–103, hier 82 f. 100–103). 8 Vgl. F. Löser, »Lateinische Bibel und volkssprachliche Predigt. Meister Eckhart als Übersetzer von Bibelstellen«, in: R. Plate (Hg.), Metamorphosen der Bibel, Bern / Wien, P. Lang, 2004, 209–228.
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Einleitung
Gedankenmotive mit Hilfe der spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten der deutschen Sprache weiterentwickelt und über sich hinaustreibt. 9 Die Frage nach der inneren Einheit von Eckharts Denkansatz erschöpft sich jedoch nicht schon in einer von außen vorgenommenen Klärung der genauen Beziehung zwischen seinen lateinischen und seinen deutschen Schriften insgesamt; vielmehr wirft sein lateinisches Gesamtwerk bereits in sich diese Frage in viel grundsätzlicherer Weise auf. Wie die meisten Scholastiker seiner Zeit bedient sich Eckhart für die wissenschaftliche Darlegung seiner Gedanken unterschiedlicher literarischer Gattungen, 10 doch fällt auf, dass er die zu seiner Zeit weitverbreitete Form der Summa meidet und auch keine fortlaufenden Kommentare zu den Schriften des Aristoteles oder anderen einflussreichen philosophischen Werken wie dem Liber de causis verfasst. Das bedeutet jedoch mitnichten, dass Eckhart kein systematisches Gesamtkonzept besessen hätte und an der aristotelischen bzw. neuplatonischen Philosophie nicht interessiert gewesen wäre. Wenn er hinsichtlich der Darlegungsform einen anderen Weg einEin charakteristisches Beispiel dafür ist der Begriff der »Gottesgeburt in der Seele«, der letztlich auf Eckharts Intellekttheorie beruht, die er in seinen lateinischen Werken entfaltet. Demnach gewinnt das Denken (intellectus / intelligere) seine Inhalte nicht primär durch passive Rezeption äußerer Sinneseindrücke, sondern durch aktive Erzeugung (conceptio) seiner Begriffe (conceptus), die somit als »Sprösslinge des Geistes« (proles mentis) angesehen werden können. Insofern auch das göttliche Verbum in derselben Weise aus dem Vater hervorgeht wie die einzelnen conceptus oder verba aus dem Intellekt des Menschen, kann Eckhart die Geburt des ewigen Wortes in der Vernunftseele des Menschen nach ein und demselben Schema deuten. Von der Sache her ist das, was Eckhart mit der »Gottesgeburt in der Seele« meint, in den lateinischen Werken also sehr wohl angelegt, doch kommt der entsprechende Ausdruck »conceptio (bzw. generatio) Dei in anima« darin nicht in vergleichbar prägnanter und gehäufter Weise vor wie das deutsche Äquivalent in seinen mittelhochdeutschen Predigten. 10 Prominente Gegenbeispiele dazu sind etwa Dietrich von Freiberg, der fast ausschließlich systematische Traktate zu eng umgrenzten Fragestellungen schreibt, aber keine Summen, keine Kommentare zur Bibel bzw. zu den Schriften des Aristoteles und so gut wie keine Quästionen verfasst, oder auch sein Zeitgenosse Boethius von Dacien, der ausschließlich an der Artistenfakultät gelehrt und aus diesem Grunde ebenfalls nur systematische Abhandlungen hinterlassen hat (vgl. H. Roos, »Der Unterschied zwischen Metaphysik und Einzelwissenschaft nach Boethius von Dazien«, in: P. Wilpert [Hg.], Universalismus und Partikularismus im Mittelalter [Miscellanea Mediaevalia 5], Berlin, De Gruyter, 1968, 105–120, hier 108). In der Scholastik des 13. und 14. Jahrhunderts ist dieser Fall jedoch eher die Ausnahme als die Regel. Vgl. dazu L. Sturlese, Dokumente und Forschungen zu Leben und Werk Dietrichs von Freiberg, Hamburg, Meiner, 1984, 55 f. sowie K. Flasch, Dietrich von Freiberg, Frankfurt a. M., Klostermann, 2007, 31–39. 9
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Einleitung
schlägt als seine Zeitgenossen, so deshalb, weil er sich aus inhaltlichsystematischen Gründen mit einem bloßen Nebeneinander verschiedener literarischer Gattungen nicht zufriedengeben kann, sondern über ihr spezifisches Potential ausdrücklich reflektieren und die faktisch bestehende Vielfalt wissenschaftlicher Ausdrucksformen auf ihren apriorischen Möglichkeitsgrund hin untersuchen will. Eckharts geplanter philosophisch-theologischer Gesamtentwurf, das Opus tripartitum, hätte aus drei unterschiedlichen Gattungsformen der wissenschaftlichen Literatur bestehen sollen, nämlich aus einem theorematisch-deduktiv verfahrenden »Thesenwerk« (Opus propositionum), einem im Stil der scholastischen Quästionen gehaltenen »Werk der Probleme« (Opus quaestionum) sowie einem »Werk der Auslegungen« (Opus expositionum), das eine Interpretation ausgewählter Passagen der Hl. Schrift hätte enthalten sollen. 11 Bedeutsam ist nun nicht so sehr der Umstand, dass Eckhart diese verschiedenen Formen der Darlegung wählt, sondern vielmehr, dass er sie ausdrücklich in einer inneren, dynamischen Einheit konzipiert, die es ihm ermöglicht, bei der Behandlung einer jeden philosophischtheologischen Fragestellung in horizontaler Richtung von der apriorisch-deduktiv verfahrenden Form der thetischen Darlegung über die begrifflich-argumentative Erörterung bis hin zur Schriftexegese fortzuschreiten. 12 Dieser Entwurf ist deswegen so revolutionär und einzigartig, 13 weil er bereits in seiner Form eine implizite Antwort auf ein Problem enthält, das sich zu Eckharts Zeit in besonders eindringlicher Weise stellt, nämlich die Frage nach der Pluralität der wissenschaftlichen Disziplinen und ihrem architektonischen Verhältnis zueinander. Die Tragweite dieser Problematik ist nur vor dem Hintergrund der im 13. und 14. Jahrhundert geführten Auseinandersetzung um das Verhältnis von Theologie und Philosophie angemessen zu verstehen, und doch handelt es sich dabei um weit mehr als um eine bloß akademische Debatte. Letztlich liegt dieser zunächst inneruniversitär geführten Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen die Frage nach den spezifischen Bedingungen, der
Vgl. Meister Eckhart, Prol. gen. Op. tripart. nn. 3–6, LW I, 149,3–151,12. Vgl. Meister Eckhart, Prol. gen. Op. tripart. n. 11, LW I, 156,4–10. 13 Vgl. J. A. Aertsen, »Der ›Systematiker‹ Eckhart«, in: A. Speer / L. Wegener (Hgg.), Meister Eckhart in Erfurt (Miscellanea Mediaevalia 32), Berlin / New York, De Gruyter, 2005, 189–230, hier 192. 195. 11 12
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Einleitung
Reichweite und den Grenzen der menschlichen Erkenntnis als solcher zugrunde, deren Beantwortung wesentlich von bestimmten Prämissen aus dem Bereich der philosophischen bzw. theologischen Anthropologie abhängt und auf diese zurückwirkt. Die Frage nach der inneren Einheit von Eckharts Denkansatz weist damit über sich hinaus auf die Frage nach der architektonischen Gesamtstruktur und dem problematischen Einheitsgrund der wissenschaftlichen Erkenntnis als solcher sowie ihrer Bedeutung für die teleologische Vollendung der menschlichen Existenz. Aufgrund seiner Studienzeit und zweimaligen späteren Lehrtätigkeit an der Pariser Universität ist Meister Eckhart mit den damaligen Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Theologie und Philosophie eingehend vertraut und weiß um die Brisanz der Fragestellung, die in der 1277 erfolgten Verurteilung des radikalen Aristotelismus ihren sichtbaren Ausdruck findet. 14 Die Art und Weise, in der Eckhart diese Problematik angeht, hebt sich jedoch in mehrfacher Hinsicht von den entsprechenden Ansätzen seiner Zeitgenossen ab. Dabei treten drei Aspekte besonders deutlich hervor: Erstens geht es Eckhart nicht darum, die einzelnen Wissenschaften durch eine definitorische Bestimmung ihrer jeweiligen Gegenstandsbereiche, Methoden und Kompetenzen voneinander abzugrenzen, sondern er verfolgt vielmehr das Anliegen, sie auf dynamische Weise zueinander in Beziehung zu setzen und aufeinander hin transparent zu machen. Zweitens berücksichtigt Eckhart bei seinem Vorhaben nicht nur die zu seiner Zeit vorherrschenden Modelle einer aristotelisch geprägten Wissenschaftsarchitektonik, sondern rekurriert in einer diachronen Perspektive auf eine Mehrzahl älterer und neuerer Einteilungsschemata der verschiedenen Wissenschaften, ohne sich auf nur ein Modell festzulegen oder die verschiedenen Ansätze gegeneinander auszuspielen. Und drittens beschränkt sich Eckhart nicht darauf, die Problematik des Verhältnisses von apriorisch-begrifflich verfahrender und aposteriorisch-positiv fundierter Wissenschaft in expliziter Weise zu erörtern, sondern entwirft sein lateinisches Gesamtwerk, das Opus tripartitum, dergestalt, dass bereits seine Form eine implizite
Vgl. K. Flasch, Meister Eckhart: Die Geburt der ›Deutschen Mystik‹ aus dem Geist der arabischen Philosophie, München, C. H. Beck, 2006, 30–45; É.-H. Wéber, »Continuités et ruptures de l’enseignement de Maître Eckhart avec les recherches et discussions dans l’Université de Paris«, in: K. Flasch (Hg.), Von Meister Dietrich zu Meister Eckhart, Hamburg, Meiner, 1984, 163–176.
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Einleitung
Antwort auf diese Frage darstellt. Das bedeutet, dass man bei der Suche nach Eckharts wissenschaftstheoretischen Grundaussagen immer zwei Ebenen berücksichtigen muss, nämlich die der ausdrücklichen thematischen Erörterung und die des indirekten Zum-Ausdruck-Bringens durch die Form der Darlegung. Aufgrund dieser formalen wie inhaltlichen Vielschichtigkeit und Mehrdimensionalität ist Eckharts Ansatz überaus schwer zu fassen und auf einen Nenner zu bringen. Eckhart nimmt die zeitgenössischen Fragestellungen sehr wohl wahr und geht auf sie ein, aber in der für ihn charakteristischen Weise enthält seine Antwort stets einen signifikanten Bedeutungsüberschuss gegenüber der Frage, durch die sie angeregt wurde. Mit seinem philosophisch-theologischen Gesamtentwurf antwortet Eckhart auf sehr viel mehr als auf die wissenschaftstheoretischen Probleme seiner Zeit; er zielt mit allem, was er sagt und schreibt, immer auf das Ganze, und zwar aus einer Perspektive heraus, die sowohl mit Blick auf die wissenschaftliche Erkenntnis als auch mit Blick auf die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit die Tiefendimension innerzeitlicher Entwicklungsprozesse auf die Ebene eines überzeitlichen intellektuellen Verstehens projiziert. Diese ideale »Gleichzeitigkeit« erlaubt es Eckhart, die unterschiedlichen wissenschaftsarchitektonischen Modelle in einer nicht exklusiven, sondern inklusiven Weise heranzuziehen und sie der zu behandelnden Fragestellung und der für ihre Beantwortung gewählten Perspektive flexibel anzupassen. Eckhart erweist sich demnach als ein »Systematiker« par excellence, 15 aber nicht in dem Sinne, dass er eine nach allen Richtungen vollständig durchgeführte, lückenlos geschlossene Deutung der gesamten Wirklichkeit entwickelt oder auch nur angestrebt hätte. Systematisch ist sein Ansatz vielmehr insofern, als darin der erste Ursprung der Wirklichkeit und das erste Prinzip der Erkenntnis der Wirklichkeit ein und dasselbe sind, so dass der innere Zusammenhang der Erkenntnisse in den einzelnen Wissenschaftsformen derselben Grundstruktur folgen muss wie der Hervorgang der Wirklichkeit aus ihrem obersten Einheitsgrund. Es geht Eckhart also weniger um ein voll ausgeführtes philosophisches System im modernen (d. h. idealistischen oder neukantianischen) Sinne des Wortes als vielmehr um eine systematisch verankerte Form der Heuristik, die vor der Folie eines obersten Grundprinzips in alle Richtungen fortzuschreiten 15
Vgl. J. A. Aertsen, »Der ›Systematiker‹ Eckhart«, 190.
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Einleitung
vermag, ohne je in der Vielheit einzelner Einsichten und Erkenntnisse die Verbindung zum Einen zu verlieren. 16 Das oberste Prinzip steht damit nicht nur am Anfang einer linear fortschreitenden Kette weiterer Erkenntnisse und Schlussfolgerungen, sondern ist in jeder Aussage gleichermaßen präsent als der produktive Ursprung aller Erkenntnis. 17 Die Frage, ob, und wenn ja, in welchem Maße Eckharts Denkansatz als systematisch und wesentlich philosophisch geprägt bezeichnet werden kann, ist in der modernen Eckhart-Forschung höchst umstritten, wobei die Auseinandersetzung nicht selten demselben Muster zu folgen scheint wie die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Theologie und Philosophie im 13. und 14. Jahrhundert. Die dabei aufgeworfenen Fragen werden zumeist in Form eines »Entweder-oder« gestellt, so als könne Eckhart sich gar nicht als systematischer Philosoph verstanden haben, weil er als Dominikaner und magister sacrae scripturae die Wahrheit des geoffenbarten Schrifttextes als unbezweifelbare Grundlage all seiner wissenschaftlichen wie seelsorglichen Tätigkeit verstanden habe, 18 oder umgekehrt: als könne er die Carl F. Kellys These, dass es bei Eckhart kein System oder keine Theorie im eigentlichen Sinne, sondern immer nur gewisse argumentative »Sprungbretter« zum Ursprung aller Intelligibilität gebe, ist zwar insofern richtig, als sie den dynamischen, performativen Charakter von Eckharts Ansatz betont, doch setzt sie den Grad an innerer Kohärenz, die sein Denken besitzt, insgesamt zu niedrig an (vgl. C. F. Kelly, Meister Eckhart on Divine Knowledge, New Haven / London, Yale University Press, 1977, 187). 17 Auch wenn der Titel des vorliegenden Buches (»Logik des Ursprungs«) in bewusster Anlehnung an Hermann Cohens philosophischen Ansatz gewählt ist, unterscheidet sein neukantianischer Systementwurf sich doch von Meister Eckharts besonders gearteter Systematik in einem wesentlichen Punkt: Während bei Cohen das Denken seine Gegenstände in einem infinitesimalen Prozess der kategorialen Rekonstruktion produziert und dadurch die Heterogenität des anschaulich Gegebenen letztlich eliminiert, beschränkt sich das Vernunftvermögen bei Meister Eckhart darauf, die transzendentalen sowie die begrifflich-kategorialen Strukturen der Erkenntnis hervorzubringen, ohne die Positivität des Gegebenen – im konkreten Fall den Text der Hl. Schrift – zu absorbieren und damit überflüssig zu machen. Gemeinsam ist beiden Denkern jedoch die Deutung der Vernunft als eines produktiven, erzeugenden Ursprungs, der aufgrund seines dynamischen Durchbruchscharakters leichter mit dem Phänomen der historischen Offenbarungsreligion in Verbindung gebracht werden kann als ein rein struktureller Vernunftbegriff (vgl. dazu H. Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, [Berlin, B. Cassirer, 21914] Nachdruck: Hildesheim / Zürich / New York, Olms, 2005, 31–38; ders., Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, Darmstadt, Joseph Melzer Verlag, [1918] 31995, 1–40. 68–98). 18 Vgl. D. Mieth, Meister Eckhart, München, C. H. Beck, 2014, 119–121; M. Enders, 16
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Einleitung
genuin theologische Grunddimension der Hl. Schrift gar nicht wirklich in seinen Denkansatz integriert haben, weil er die Bibel ausschließlich mit philosophischen Vernunftgründen habe auslegen wollen und zu diesem Zweck von einer Theorie des intellektuellen Ich ausgegangen sei, das ein autonomes, unhintergehbares Apriori gegenüber dem positiven Datum der historisch-faktischen Schriftoffenbarung darstelle. 19 In beiden Fällen wird die Debatte so geführt, als schließe der eine dieser Aspekte den jeweils anderen aus und als habe auch Eckhart die Bezeichnungen »Philosophie / Philosoph« und »Theologie / Theologe« in einem ebenso klar definierten, deutlich voneinander abgegrenzten und exklusiven Sinne verstanden wie seine modernen Ausleger. Beides trifft jedoch nicht wirklich den Kern der Sache, da es Eckhart prinzipiell nicht um persönliche wissenschaftliche Eitelkeit und inneruniversitäres Kompetenzgerangel geht, sondern immer nur um die eine Wahrheit, ganz gleich, zu welcher Zeit und in welcher Form sie sich auch aussprechen mag. Das bedeutet nicht, dass in seinem denkerischen Entwurf der Unterschied zwischen Offenbarungstheologie, Metaphysik, Naturphilosophie, Ethik und den anderen Wissenschafts- und Erkenntnisformen schlechthin verschwände, 20 sondern
»Die Heilige Schrift – das Wort der Wahrheit. Meister Eckharts Verständnis der Bibel als eines bildhaften Ausdrucks des göttlichen Wissens«, Meister-Eckhart-Jahrbuch 5 (2012), 55–97. 19 Vgl. K. Flasch, Meister Eckhart – Philosoph des Christentums, München, C. H. Beck, 2010, 62–64. 203–210. 272–275; B. Mojsisch, Meister Eckhart: Analogie – Univozität – Einheit, Hamburg, Meiner, 1983, 17; ders., »Der Grund der Seele. Das Ich als Ursache seiner selbst und Gottes in der Philosophie Meister Eckharts«, in: G. Binder / B. Effe / R. F. Glei (Hgg.), Gottmenschen. Konzepte existenzieller Grenzüberschreitung im Altertum, Trier, Wissenschaftlicher Verlag, 2003, 181–203; ders., »›Dieses Ich‹. Meister Eckharts Ich-Konzeption. Ein Beitrag zur ›Aufklärung‹ im Mittelalter«, in: Sein – Reflexion – Freiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes, Amsterdam, Grüner, 1997, 239–252. 20 Andreas Speer kommt zu der Einschätzung, dass Eckhart mit seinem philosophisch-theologischen Grundansatz die Unterscheidung zwischen philosophischer Theologik und christlicher Offenbarungstheologie einfach ignoriert habe, so als hätte die Verurteilung von 1277 nie stattgefunden (vgl. A. Speer, »Zum Verhältnis von philosophischer und theologischer Weisheit in den Pariser Debatten am Ende des 13. Jahrhunderts«, in: J. A. Aertsen / K. Emery / A. Speer [Hgg.], Nach der Verurteilung von 1277 [Miscellanea Mediaevalia 28], Berlin / New York, De Gruyter, 248– 275, hier 266–270). Es ist sicher richtig, dass Eckhart nicht an einer Abgrenzung und wechselseitigen Kompetenzbeschränkung, sondern vielmehr an einer Integration von aristotelischer Philosophie und christlicher Theologie interessiert ist; das bedeutet
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Einleitung
nur, dass er seinen substantiellen Charakter und seine Verankerung in einem definitorisch abgrenzbaren, statisch bestehenden Gegenstandsbereich verliert und stattdessen zu einem Unterschied in der Blickrichtung und der methodischen Vorgehensweise hinsichtlich des Selben wird. Dieser charakteristische Grundzug von Eckharts Wissenschaftstheorie entspricht genau der Ausrichtung seines metaphysischen Denkansatzes als solchen, der nicht von einem dinglich verstandenen Substanzbegriff ausgeht, sondern vielmehr vom Begriff der Hervorbringung, der Relation und des dynamischen Übergangs geprägt ist. Die Verhältnisbestimmung von Theologie, Philosophie und den anderen Formen des erkennenden Zugangs zur Wirklichkeit liegt bei Eckhart daher nie als abgeschlossenes Ergebnis vor, sondern ist ein beständiges Geschehen, das einen wesentlich inchoativen und performativen Charakter besitzt. 21 Dabei werden die methodischen Grundsätze oft erst im Fortgang der Argumentation explizit formuliert und auch danach noch weiterentwickelt, so dass man Eckharts Gesamtwerk durchlaufen muss, um die ihm zugrunde liegenden Prinzipien ausfindig zu machen und in ihrem systematischen Zusammenhang zu erkennen. Das vorliegende Buch ist in drei Hauptkapitel gegliedert, von denen das erste zunächst die historischen Ursprünge des problematischen Verhältnisses zwischen Philosophie und Offenbarungstheologie nachzeichnen will, die zu den spezifischen Konflikten und Aporien im scholastischen Denken des 13. Jahrhunderts geführt haben. Das Selbstverständnis der antiken, griechisch-römischen Philosophie ist dabei ebenso von Bedeutung wie das patristische Konzept der sapientia christiana und die besondere philosophisch-theologische Synthese des Boethius. Mit Blick auf das 13. Jahrhundert werden zunächst die grundlegenden Umbrüche beleuchtet, die sich aufgrund der Rezeption der gesamten aristotelischen Philosophie und Wissenschaftstheorie für die christliche Theologie ergeben, bevor auf die aber nicht, dass er hinsichtlich der verschiedenen Erkenntnis- und Wissenschaftsformen keine Differenzierungen mehr vornähme. 21 Burkhard Mojsisch spricht im Zusammenhang mit Meister Eckharts Entwurf von einer »Identität« zwischen Philosophie und Theologie bzw. Metaphysik und Evangelium (vgl. B. Mojsisch, Meister Eckhart: Analogie – Univozität – Einheit, 15). Dies ist zwar in einem gewissen Sinne zutreffend, doch suggeriert dieser Begriff ein statisches Zusammenfallen der beiden Disziplinen hinsichtlich ihres Gegenstandes, während es sich bei Eckhart um eine stets neu zu erzeugende Einheit im Vollzug des Denkens handelt.
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Einleitung
1277 erfolgte Verurteilung des radikalen Aristotelismus sowie die daraus resultierenden Folgen für das Verhältnis von Philosophie und Theologie eingegangen wird. Nach diesen historischen Vorbetrachtungen geht das zweite Kapitel unter einem stärker systematischen Blickwinkel auf diejenigen grundlegenden Themen und Fragestellungen des scholastischen Denkens ein, die für Meister Eckharts Ansatz von zentraler Bedeutung sind. Dazu zählt zum einen die Transzendentalienlehre in ihren verschiedenen logischen, theologischen und metaphysischen Ausprägungsformen und zum anderen die von Dietrich von Freiberg entwickelte Intellekttheorie, die die Sphäre des Transkategorialen um den Bereich des ens conceptionale erweitert. Das dritte Kapitel ist schließlich der Darstellung von Meister Eckharts eigenem wissenschaftstheoretischen Ansatz gewidmet, der sich maßgeblich auf die Lehre von den Transzendentalien sowie die Intellekttheorie Dietrichs von Freiberg stützt, beide Schemata jedoch nochmals übersteigt, um sie in seiner Theorie der Selbsterkenntnis des reinen, göttlichen Ich zusammenzuführen. Vor diesem Hintergrund wird die besondere Struktur von Eckharts großem philosophischtheologischen Gesamtentwurf, dem Opus tripartitum, analysiert und auf die ihr zugrunde liegenden spekulativen Voraussetzungen untersucht. Im Mittelpunkt stehen dabei Eckharts spezifisches Intellektverständnis, das keine grundlegende Dualität von natürlichen und übernatürlichen Erkenntnisquellen mehr kennt, seine protologischtheologische Deutung des Prinzipbegriffs sowie seine Neuinterpretation der Transzendentalienlehre, die ein überkontingentes und überkategoriales Verständnis von Individualität ermöglicht. Intellektuelle Erkenntnis hat bei Eckhart grundsätzlich den Charakter eines »Erkennens in Gott«, das mit der Seinsweise des Erkennenden in engster Verbindung steht. Dies ist der Grund dafür, dass Eckhart die einzelnen Wissenschaften primär als unterschiedliche Vollzüge der erkennenden Subjektivität und ihres existenziellen Selbstverhältnisses begreift und erst in zweiter Linie als theoretische und praktische Disziplinen. Aus diesem Grund wird zuerst Eckharts existenzielle Neudefinition des Philosophiebegriffs analysiert, bevor abschließend auf seine Verwendung und Umdeutung traditioneller wissenschaftstheoretischer Einteilungsschemata in seinen Bibelkommentaren eingegangen wird. Da Eckhart seinen systematischen Ansatz vornehmlich in seinen lateinischen Werken entwickelt, soll dieses Textkorpus im Mittel25 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Einleitung
punkt der folgenden Ausführungen stehen. Das schließt allerdings nicht aus, dass an den passenden Stellen auch auf seine deutschen Predigten und Traktate verwiesen wird, die ganz auf seinem philosophisch-theologischen Gesamtkonzept aufbauen und dessen Grundgedanken ausbuchstabieren. Letztlich soll es darum gehen, Eckharts spezifisches denkerisches Anliegen vor dem Hintergrund der scholastischen Philosophie und Theologie seiner Zeit begreiflich werden zu lassen, zugleich aber auch aufzuzeigen, inwiefern er zu Recht den Anspruch erheben konnte, in seinen Werken auf radikale Weise »Neues und Ungewohntes« (nova et rara) zu bieten.
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I. Die historischen Voraussetzungen von Meister Eckharts wissenschaftstheoretischem Entwurf
Das scholastische Denken des 13. Jahrhunderts zeichnet sich dadurch aus, dass in ihm die verschiedenen Ansätze einer wissenschaftstheoretischen Selbstdefinition und Selbstreflexion, die sich im Laufe der abendländischen Philosophie- und Theologiegeschichte herausgebildet haben, wie unter einem Brennglas gebündelt erscheinen und die problemgeschichtlichen Entwicklungen, die zum spannungsreichen Verhältnis der beiden Disziplinen geführt haben, noch einmal in aller Deutlichkeit hervortreten lassen. Wie auch immer die Stellungnahmen der einzelnen scholastischen Theologen und Philosophen dabei ausfallen – stets beziehen sie sich dabei in zustimmender oder ablehnender Weise auf bestimmte wissenschaftstheoretische Grundpositionen und Schemata, die im antiken und patristischen Denken bereits angelegt sind. Die Frage nach dem Selbstverständnis der christlichen Theologie im 13. Jahrhundert kann somit gar nicht hinreichend beleuchtet werden, ohne zunächst auf die verschiedenen früheren Modelle einer methodischen Selbstdefinition, Selbstabgrenzung und wechselseitigen Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie einzugehen, die sich seit der griechischen Antike herausgebildet haben.
1.
Der Ursprung der Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie im antiken und patristischen Denken
1.1 Die Stellung der Philosophie zwischen Weisheit (sapientia) und Wissenschaft (scientia) in der antiken Wissenschaftstheorie Wie kaum eine andere Erkenntnisform ist die Philosophie seit ihren Anfängen mit der Frage ihrer eigenen Definition und ihrer Stellung im Gesamtzusammenhang des menschlichen Weltverhaltens be27 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Die historischen Voraussetzungen
schäftigt. Je nachdem, ob der primäre Akzent der philosophierenden Tätigkeit auf der Subjekt- oder der Objektseite gesetzt wird, erscheint Philosophie dabei primär als ein existenziell relevantes Orientierungswissen oder als eine an theoretischen Zusammenhängen und universalen Prinzipien interessierte Wissenschaft. Im einen wie im anderen Falle ist jedoch das Bestreben erkennbar, das Philosophieren wesentlich als ein Suchen, Fragen und Unterwegssein zu verstehen, nicht aber als vollendeten Besitz der Fülle der Erkenntnis. 1.1.1 Platon Die Unterscheidung zwischen dem vollkommenen »Weisen« (σοφός [sophos]) und dem »die Weisheit Liebenden« (φιλό-σοφος [philo-sophos]) wird bereits bei Platon deutlich ausgesprochen. 1 Dabei erscheint die σοφία (sophia) als eine Form der Erkenntnis, die von der Sache her zwar das Vollkommenere wäre, dem Menschen in dieser Vollkommenheit aber nicht unmittelbar zu Gebote steht. Die Philosophie hat damit notwendigerweise immer den Charakter des »Noch-nicht«, des Ausstandes und des sehnsuchtsvollen Strebens nach einem nie ganz einzuholenden, weil letztlich göttlichen Ziel. 2 Dabei geht der platonische Ansatz grundsätzlich von einer unmittelbaren Wechselwirkung zwischen der erkannten Wahrheit und der konkreten Lebensgestaltung des Menschen aus, was auch den scheinbar abstrakt-theoretischen metaphysischen Fragestellungen, die im Rahmen der Platonischen Dialoge erörtert werden, letztlich eine zutiefst ethisch-existenzielle Stoßrichtung verleiht. 3 Auch wenn sich die einzelnen Menschen aufgrund ihrer persönlichen Veranlagung in ihrer faktischen Erkenntnis der Wahrheit voneinander unterscheiden, bleibt Philosophie als »Liebe zur Weisheit« doch etwas, was kein wissenschaftliches Spezialistentum begründet, sondern den Menschen als solchen angeht. Dieser Eindruck wird noch durch die von Platon verwendete literarische Form des Dialogs verstärkt; lässt diese doch unmittelbar erkennbar werden, dass sich das philosophische Denken nicht als ferVgl. Platon, Symposion 203 C–204 B. Vgl. Platon, Phaidros 278 D. 3 Vgl. Platon, Politeia V–VI, 473 B–511 E; vgl. dazu insgesamt P. Hadot, Exercices spirituels et philosophie antique, Paris, Institut d’Études Augustiniennes, 1981, 41– 70 sowie M. Schwartz, Der philosophische bios bei Platon: Zur Einheit von philosophischem und gutem Leben, Freiburg / München, Alber, 2013. 1 2
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Der Ursprung der Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie
tig konstituierte Wissenschaft in einem abgegrenzten Sonderbereich des menschlichen Weltverhaltens abspielt, sondern sich in jedem beliebigen Moment des alltäglichen Lebens ereignen kann. Wenngleich die einzelnen Dialoge auch tendenziell gewisse Themenschwerpunkte besitzen (Kosmologie, Tugendlehre, Logik und Sprachphilosophie usw.), so nimmt Platon doch keine starre Einteilung der Philosophie in Disziplinen vor. Im Mitvollzug dieser sich dialogisch entfaltenden Reflexion wird der Leser zu der grundlegenden Einsicht geführt, dass das philosophische Denken als solches beständig in Bewegung ist und sich nie auf ein für allemal festzuhaltenden Ergebnissen zur Ruhe setzen kann. Dieses Verständnis von Philosophie als Streben nach einem nie ganz zu erreichenden Erkenntnisideal scheint auf den ersten Blick den spezifischen Begrenzungen der menschlichen Erkenntnis Rechnung zu tragen. Allerdings liegt gerade in der theoretisch-praktischen Doppelnatur der platonischen φιλοσοφία (philosophia) der Keim zu einem Einheitsdenken, das die Gesamtheit der menschlichen Wirklichkeitsbezüge und Verhaltensweisen der Deutungshoheit der Philosophie unterwirft. Diese beansprucht für sich das Recht, aufgrund ihrer Kenntnis der obersten Prinzipien und insbesondere aufgrund ihres Wissens um das Wesen der Tugend und die Idee des Guten schlechthin alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens zu regeln und somit nicht nur innerhalb des philosophischen Denkens selbst, sondern auch in allen anderen Wirklichkeitsbereichen unmittelbar gesetzgeberisch zu wirken. 4 Diesem Ansatz liegt die Überzeugung zugrunde, dass Gesetze (νόμοι [nomoi]) als solche Ausdruck der Vernunft (νοῦς [noûs]) sind, so dass derjenige, der im Vernunftgebrauch am besten geübt ist, zugleich auch die besten politischen Gesetze für das Gemeinwesen zu erlassen vermag. Der Gesetzesbegriff wird damit in einem univoken Sinne verstanden, der die Sphäre des praktischen, politischen Handelns in eine direkte Abhängigkeit von der Sphäre der theoretischen, philosophischen Vernunft bringt. 5 Dieser Ansatz ist nicht unproblematisch, und zwar nicht nur Vgl. Platon, Politeia VII, 519 B–521 B. Zu dieser nicht unproblematischen Engführung von philosophischer Prinzipienlehre und politischer Gesetzgebung vgl. K. Gaiser, Platons ungeschriebene Lehre. Studien zur systematischen und geschichtlichen Begründung der Wissenschaften in der Platonischen Schule, Stuttgart, Klett Verlag, 1962, 218–223 sowie H. Krämer, Gesammelte Aufsätze zu Platon, Berlin / Boston, De Gruyter, 2014, 393–397. 5 Vgl. Platon, Nomoi X, 890 D–891 A; vgl. dazu F. L. Lisi, Einheit und Vielheit des 4
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Die historischen Voraussetzungen
deswegen, weil eine solche holistische Sicht der menschlichen Lebensvollzüge innerhalb des Gemeinwesens es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich macht, vom philosophischen Standpunkt aus die faktisch bestehende, politisch-soziale Wirklichkeit einer grundlegenden Kritik zu unterziehen. Problematisch ist darüber hinaus auch der Umstand, dass die als Ideen gefassten Prinzipien aufgrund der von Platon postulierten Kluft zwischen der intelligiblen und der sinnlichen Sphäre keiner diskursiven Erörterung im Medium der Sprache mehr zugänglich sind. Die in den Platonischen Dialogen zum Tragen kommende Dialektik hat als solche natürlich einen diskursiven Charakter, doch zielt sie letztlich darauf ab, die Gesprächsteilnehmer zur Schau der Wahrheit in ihrer transzendenten, übersprachlichen Einfachheit zu führen. In dem Maße, wie die sinnlich wahrnehmbaren, sprachlichen Äußerungen grundsätzlich nie als der eigentliche Ort der Wahrheit angesehen werden können, entfällt auch das Interesse an einer vertieften philosophischen Analyse ihrer logisch-semantischen Prädikationsstrukturen. 6 Der platonischen Sprachauffassung haftet etwas ausgesprochen Atomistisches an, da sie konkrete sprachliche Ausdrücke als Komplexe von elementaren Einheiten (στοιχεῖα [stoicheia], d. h. zuerst die einzelnen Buchstaben, dann die daraus gebildeten Silben, Wörter usw.) versteht, 7 deren kumulative bzw. additive Zusammenfügung keine qualitativ irreduzible semantische Relation (Subjekt-Prädikat), sondern letztlich wieder eine mit sich selbst restlos identische Bedeutungseinheit hervorbringt. Dass die Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks mehr sein könnte als die Summe der Bedeutungen seiner Teile, ist in diesem Schema nicht vorgesehen. Unter diesem Gesichtspunkt stellt die im Sophist unternommene Analyse der fünf »obersten Gattungen« (μέγιστα γένη [megista genê]) zunächst einen Fortschritt gegenüber Platons früherer Auffassung dar, der zufolge die Ideen (εἴδη [eidê]) als unverbundene Pluralität einfacher Entitäten das höchste Niveau der philosophischen Betrachtung darstellen. Die im Sophist entworfenen fünf Kategorien
platonischen Nomosbegriffes. Eine Untersuchung zur Beziehung von Philosophie und Politik bei Platon, Königstein/Ts., Hain, 1985, 81–93. 6 Vgl. M. Arnold, Von der göttlichen Logik zur menschlichen Politik. Zum Verhältnis von Philosophie und Gesellschaft bei Platon und Aristoteles, Frankfurt a. M., P. Lang, 1999, 29–32. 7 Vgl. Platon, Theaitetos 202 D–206 B.
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Der Ursprung der Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie
(Sein, Ruhe, Bewegung, Selbigkeit, Andersheit) haben zunächst den Zweck, das eleatische Paradox hinsichtlich der Realität des Nichtseins aufzulösen und dadurch dem Zwang einer kontraintuitiven Interpretation der von Bewegung und Veränderung gekennzeichneten Sphäre der sinnlichen Erscheinungswelt vorzubeugen. 8 Die spezifische Verbindung und wechselseitige Hinordnung dieser fünf obersten Begriffe dient dazu, die Möglichkeit gültiger Wirklichkeitserkenntnis zu begründen. »Ruhe« und »Bewegung« sind auf das Sein als ihr ontologisches Substrat bezogen, so dass »Sein« (εἶναι [einai]) nun nicht mehr schlechthin gleichbedeutend mit dem absolut differenzlosen »Einen« (ἕν [hen]) ist. 9 Gleichwohl soll auch diese von einem relativen Nichtsein durchzogene Wirklichkeit des Seins nicht nur existieren, sondern auch Gegenstand gültiger Erkenntnis sein können. Dies macht wiederum das andere Begriffspaar, nämlich »Selbigkeit« und »Andersheit« erforderlich, das die strukturelle Grundvoraussetzung der Ideensphäre ausdrücklich reflektiert: Gültige Erkenntnis ist nur insofern möglich, als jede Idee (im Sinne eines bestimmten intelligiblen Inhalts) mit sich selbst identisch und zugleich von allen anderen verschieden ist. Der Vorteil dieser Konzeption ist, dass sie wahre Erkenntnis nicht mehr primär als schauendes Erfassen einfacher Ideengehalte definiert, sondern die Wahrheit nunmehr ausdrücklich am Verknüpfungscharakter (συμπλοκή [symplokê]) des Logos festmacht. Problematisch bleibt die Lehre von den »fünf obersten Gattungen« jedoch insofern, als diese gerade nicht auf das höchste Niveau der Wirklichkeit bezogen sind, sondern mit den Begriffen der »Ruhe« und »Bewegung« die Möglichkeit einer Erkenntnis der empirischen Wirklichkeit unter spezifisch menschlichen Bedingungen sicherstellen wollen. Wie sich diese fünf dialektischen Oberbegriffe zum Göttlichen bzw. der »überseienden« Idee des Guten verhalten, wird hingegen nicht ausdrücklich geklärt. Somit bleibt die Frage offen, ob sich in Platons Ansatz der Primat der schlechthin ersten Grundprinzipien nach ihrem Grad an logischer Allgemeinheit oder ihrem Grad an ontologischer Dignität bemisst, mit anderen Worten: ob sie primär den Charakter einer transzendental-reflexiven Selbstvergewisserung des Vgl. Platon, Sophistes 254 B–262 D. Vgl. dazu W. Beierwaltes, »›Nicht-Sein ist‹. Identität und Differenz als Elemente platonischer Dialektik«, in: Ders., Identität und Differenz, Frankfurt a. M., Klostermann, 1980, 9–23, hier 18–20.
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Die historischen Voraussetzungen
Denkens hinsichtlich seiner eigenen Möglichkeit haben oder auf den ersten bzw. letzten Grund der Wirklichkeit als solcher bezogen sind. 1.1.2 Aristoteles Aristoteles konzipiert seinen wissenschaftstheoretischen Ansatz in bewusster kritischer Abgrenzung zu dem Hegemonialanspruch, den das metaphysische Denken bei Platon anzumelden geneigt ist. Zwar geht auch der Stagirit vom Begriff der »Philosophie« als einer sukzessiven Annäherung an die wahre Erkenntnis aus, bestimmt diese im Gegensatz zu Platon aber wesentlich stärker als Wissenschaft (ἐπιστήμη [epistêmê]) in einem starken, methodologisch reflektierten Sinne. 10 Die solcherart definierte Philosophie fügt sich in eine systematische Grundsatzbetrachtung über die verschiedenen Erkenntnis- und Wissensformen des Menschen ein, die von einer irreduziblen Pluralität gekennzeichnet sind und sich nicht auf ein gemeinsames Grundprinzip oder einen einzigen inhaltlichen Nenner bringen lassen. Aus diesem Grunde wird bei Aristoteles die wissenschaftliche Erkenntnis wesentlich von ihrem je eigenen Gegenstandsgebiet und der daraus resultierenden Methodologie her bestimmt, steht aber mit der existenziellen Vervollkommnung des Menschen im ethisch-moralischen oder gar religiösen Sinne in keinem inneren Zusammenhang mehr. 11 Die aristotelische Philosophie differenziert klar zwischen den verschiedenen Formen der Erkenntnis, je nachdem, ob es dabei um die Verfertigung von äußeren Gegenständen (poietische Kunstfertigkeit), um das reflexiv auf das Subjekt zurückwirkende Handeln (ethisch-praktisches Wissen) oder um die zweckfreie Erkenntnis von universalen Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten (theoretische Wissenschaft) geht. 12 Die letztgenannte Form der Erkenntnis wird wiederum in drei verschiedene Disziplinen – Physik, Mathematik und Metaphysik – unterteilt, die Aristoteles in seiner Metaphysik teils anhand ihrer unterschiedlichen Gegenstandsgebiete, teils aber auch anhand verschiedener Grade der Abstraktion voneinander unterscheidet. »Abstraktion« besagt dabei stets einen Grad der TrenVgl. Aristoteles, Metaphysik II 1, 993 b 19–20; ebd. IV 1, 1003 a 21–32; ebd. XI 3, 1060 b 31–36. 11 Vgl. Aristoteles, Analytica posteriora I 1–4, 71 a 1–74 a 3. 12 Vgl. Aristoteles, Metaphysik VI 1, 1025 b 25–26. 10
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Der Ursprung der Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie
nung von der Materie bzw. von bestimmten Aspekten des materiell bestimmten Seins; unklar ist jedoch, ob das von der jeweiligen Wissenschaft zu betrachtende Gegenstandsgebiet bereits in sich »getrennt« existiert oder ob die »Trennung« durch die Abstraktionsleistung des Erkenntnisvermögens überhaupt erst zustande kommt. In besonderer Weise stellt sich diese Frage hinsichtlich der Metaphysik als der dritten und höchsten Stufe der theoretischen Wissenschaften, da Aristoteles selbst sie auf mehrere unterschiedliche Weisen definiert, die für die beiden möglichen Bedeutungen von »Trennung« Raum lassen. Im Falle der »ontologischen« Bestimmung der Metaphysik als »Wissenschaft vom Seienden als solchem« bezieht sich der Begriff der Trennung auf das Abstrahieren von allen determinierenden, einschränkenden Aspekten hinsichtlich ihres Formalobjekts. Weder ist das Seiende, wie im Falle der Physik, beweglich und veränderlich noch, wie im Falle der Mathematik, durch Quantität gekennzeichnet, sondern wird als solches, d. h. noch vor allen Unterscheidungen in Materielles und Immaterielles bzw. Einheit und Vielheit betrachtet. 13 An anderer Stelle scheint Aristoteles mit der für die Metaphysik charakteristischen »Trennung« aber etwas anderes im Sinn zu haben, nämlich die besonders ausgezeichnete Wirklichkeitssphäre des Göttlichen bzw. der reinen Intelligenzen, die im Sinne einer realen ontologisch-kosmologischen Trennung in der supralunaren Sphäre des unveränderlichen, rein formhaften Seins angesiedelt sind. In diesem Falle ist die »Trennung« also nicht das Resultat einer denkerischen Abstraktionsleistung, sondern zeichnet die betreffenden Entitäten als solche aus, die somit nicht mehr mit dem »Seienden als solchem« identisch sind, sondern einen eminenten Spezialfall dessen darstellen, was als »Seiendes« bezeichnet werden kann. 14 Gerade dieses Oszillieren zwischen verschiedenen Definitionen und methodischen Ansätzen verleiht der aristotelischen Metaphysik eine wesentliche Unabgeschlossenheit, die ihrer Selbstverabsolutierung im Sinne eines universalen Herrschaftswissens entgegensteht. Nicht umsonst beVgl. Aristoteles, Metaphysik IV 1, 1003 a 21–32. Vgl. Aristoteles, Metaphysik VI 1, 1026 a 6–32. Diese beiden möglichen Bedeutungen des Meta-physischen durchziehen die weitere Rezeptionsgeschichte der aristotelischen Philosophie zwischen der Spätantike und dem Mittelalter, wobei teils die realontologische, teils die epistemologische Bedeutung des »Getrenntseins« im Vordergrund steht. Vgl. dazu J.-F. Courtine, Suárez et le système de la métaphysique, Paris, Presses Universitaires de France, 1990, 9–57.
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Die historischen Voraussetzungen
zeichnet Aristoteles selbst sie als die »gesuchte Wissenschaft« (ἐπιστήμη ζητουμένη [epistêmê zêtoumenê]) oder auch als »eine gewisse Wissenschaft« (ἐπιστήμη τις [epistêmê tis]), 15 was deutlich macht, dass der Metaphysiker selbst der von ihm gesuchten und angestrebten Erkenntnis nie völlig mächtig ist, sondern sich ihr auf verschiedenen Wegen annähern muss. In Übereinstimmung mit der methodischen Pluralisierung und Differenzierung des menschlichen Wissens erfährt der Begriff der σοφία (sophia) bzw. des σοφός (sophos) bei Aristoteles eine Bedeutungsverschiebung gegenüber seiner Verwendung im Rahmen der platonischen Philosophie: Während dort die σοφία (sophia) im Sinne des vollendeten Besitzes aller nur denkbaren Erkenntnis als eine göttliche und keine menschliche Eigenschaft mehr galt, kehrt Aristoteles zu der weiter gefassten Bedeutung dieses Begriffs zurück, die ursprünglich nicht mehr besagt als ein durch gründliches Lernen bzw. konstante Übung erworbenes »Sich-Auskennen« in einem bestimmten Wissens- oder Tätigkeitsbereich. 16 Was den solcherart verstandenen σοφός (sophos) vom lediglich empirisch Erfahrenen auszeichnet, ist das Wissen um die Gründe und Ursprünge (d. h. nicht nur das ὅτι [hoti], sondern auch das διότι [dioti]) der von ihm erfassten Kenntnisse, so dass das so verstandene »Weise-Sein« kein absolutes Ideal vollkommener Erkenntnis bezeichnet, sondern einer graduellen Abstufung und Steigerung fähig ist. In diesem Sinne ist der Philosoph zwar der relativ »Weiseste«, insofern er über ein architektonisches Überblickswissen hinsichtlich der systematischen Ordnung aller anderen Erkenntnis- und Tätigkeitsformen des Menschen verfügt. Diese in formaler Hinsicht unüberbietbare Universalität seines Wissens ist allerdings damit erkauft, dass er gerade nicht mehr in materialer Hinsicht über alle darunter subsumierbaren, konkreten Einzelkenntnisse und fachlichen Kompetenzen verfügt, sondern lediglich ihren systematischen Strukturzusammenhang durchschaut. 17 Das im engeren, existenziellen Sinne weisheitliche Moment der Philosophie kommt bei Aristoteles lediglich als Grenzfall vor, nämlich auf der Ebene der als theoretische Wissenschaft im höchsten Sinne definierten Metaphysik, die er nicht nur als »Erste Philosophie« und
15 16 17
Vgl. Aristoteles, Metaphysik III 1, 995 a 24; ebd. IV 1, 1003 a 21. Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik VI 7, 1141 a 1–1141 b 22. Vgl. Aristoteles, Metaphysik I 1, 981 a 24–981 b 13.
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Der Ursprung der Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie
»Wissenschaft vom Seienden als solchem«, sondern gelegentlich auch als »göttliche Wissenschaft« (θεολογική ἐπιστήμη [theologikê epistêmê]) bzw. als »Weisheit« (σοφία [sophia]) bezeichnet. 18 Sie zeichnet sich gegenüber den anderen Erkenntnisformen dadurch aus, dass sie in einer Nachahmung jener vernunftimmanenten Selbsterkenntnis besteht, in deren Vollzug das Göttliche beständig lebt. Insofern der Mensch aus praktischen Gründen diese theoretische Erkenntnis in ihrer höchsten Form auch im günstigsten Falle immer nur zeitweise betreiben kann, 19 verbleibt diese Annäherung an die göttliche Seinsweise jedoch immer im Bereich des Vorläufigen, Temporären, ohne den Metaphysiker dauerhaft zu überformen und ihm in existenzieller Fülle dauerhaft zu eigen zu werden. Aus diesem Grunde spricht Aristoteles auch nur von der σοφία (sophia) als höchster Form der Erkenntnis hinsichtlich der erkannten Inhalte, betont zugleich aber auch, dass der σοφός (sophos) als der vollendete Besitzer der dianoetischen Tugenden nicht unbedingt auch in ethischer Hinsicht das Ideal der Vollkommenheit verkörpern muss. 20 Dieser Ansatz gewährleistet einerseits die Autonomie der Sphäre des praktischen, politischen bzw. gesellschaftlichen Handelns gegenüber dem Bereich der theoretischen Wissenschaften und beugt dadurch einer illegitimen Vermischung von Philosophie und Politik vor. Andererseits erscheint dadurch aber die als Höchstform theoretischer Erkenntnis verstandene Metaphysik als ein für die Verwirklichung des Menschseins als solchen nicht absolut notwendiger und somit entbehrlicher Luxus, der allenfalls für einige privilegierte Spezialisten von Interesse ist, aber nicht mehr alle Menschen gleichermaßen angeht. 1.1.3 Hellenistische Philosophenschulen In den verschiedenen philosophischen Strömungen der Spätantike, vor allem im Stoizismus und Neuplatonismus, wird diese systematisch bedingte Trennung zwischen theoretisch-wissenschaftlicher Erkenntnis und praktischer Lebensorientierung revidiert zugunsten einer Philosophiekonzeption, die sich immer weniger am Ideal zweckfreier Erkenntnis als solcher orientiert und dafür in immer höherem Vgl. Aristoteles, Metaphysik I 2, 982 a 4–22; ebd. XI 1, 1059 a 18–1059 b 34. Vgl. Aristoteles, Metaphysik XII 7, 1072 b 15–30. 20 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik I 13, 1103 a 5–10; ebd. X 7, 1077 a 11–1178 a 8; ebd. X 9, 1179 a 10–32. 18 19
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Maße eine ethische, ja zuweilen sogar mystisch-religiöse Prägung annimmt. In der stoischen Philosophie hat der Begriff der »Weisheit« (σοφία [sophia]) nicht mehr die Bedeutung einer vollendet adäquaten, kontingenzüberhobenen Erkenntnis theoretischer Zusammenhänge, sondern steht für die Fähigkeit des Philosophen, sich inmitten der vernunftgemäß gestalteten Weltordnung seiner eigenen Vernunftnatur entsprechend zu verhalten, so dass die Unwägbarkeiten des Lebens ihn nicht mehr wirklich treffen und aus der Bahn werfen können. Diese existenzielle Verinnerlichung des philosophischen Denkens hat zur Folge, dass sich der Stoizismus weniger auf die Weisheit (σοφία [sophia] / sapientia) im wissenschaftlichen Sinne als vielmehr auf die Person des Weisen (σοφός [sophos] / sapiens) konzentriert. Die Einsicht in das Wirken des göttlichen Logos, der nach Auffassung der Stoiker die Wirklichkeit durchherrscht, ist daher keine zweckfreie, theoretisch-metaphysische Erkenntnis im eigentlichen Sinne, sondern hat eine eminent ethische Grundbedeutung; geht es doch darum, aus der Erkenntnis der Vernunftstruktur der Welt universalgültige Normen für das menschliche Handeln abzuleiten. 21 Diese starke Betonung der praktischen Philosophie schlägt sich auch in der stoischen Wissenschaftsarchitektonik nieder. Zwar wird die Gesamtheit der menschlichen Erkenntnisformen in drei Disziplinen unterteilt, nämlich Logik, Physik und Ethik, 22 doch ist, anders als bei Aristoteles, die Physik als theoretische Naturerkenntnis nicht länger der Ethik über-, sondern untergeordnet. 23 Der entscheidende Punkt dabei ist, dass die sachliche Ordnung der einzelnen Wissensformen nicht mehr mit der didaktisch empfehlenswertesten Reihenfolge ihrer Aneignung zusammenfällt. Wohl soll der Lernende im Anschluss an die Logik zunächst die Ethik studieren und dann im Rahmen der Physik an die Erkenntnis des Göttlichen und seiner Präsenz in der Welt herangeführt werden. 24 Allerdings soll er anschließend nicht einfach in der theoretischen Betrachtung des Göttlichen verharren, sondern vor diesem Hintergrund wiederum ein vertieftes Verständnis der Ethik gewinnen, auf die es letztlich allein anVgl. Chrysippos, frgm. 4, in: Stoicorum veterum fragmenta (in 4 Bd., ed. J. von Arnim; abgekürzt mit SVF), Stuttgart, Teubner, 1979, Bd. III, 3 f. 22 Vgl. Xenokrates, frgm. 1, in: R. Heinze, Xenokrates. Darstellung der Lehre und Sammlung der Fragmente, Leipzig, Teubner, 1892, 159. 23 Vgl. Chrysippos, frgm. 43, in: SVF II, 17. 24 Vgl. Chrysippos, frgm. 42, in: SVF II, 16 f. 21
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kommt. 25 Logik und Physik sind im Stoizismus somit keineswegs nutzlos, doch haben sie nur insofern eine philosophische Bedeutung, als sie zur Einsicht in die göttliche Ordnung der Wirklichkeit sowie in die Vernunftnatur des Menschen führen und dadurch dessen moralisches Verhalten fördern. Das stoische Philosophiemodell gipfelt folglich nicht in einer bestimmten wissenschaftlichen Disziplin, sondern in der Person des Weisen, der die wahre Erkenntnis nicht nur in theoretischer Form »besitzt«, sondern sie durch seinen tugendhaften Lebenswandel unmittelbar verkörpert. Auch der von Plotin begründete Neuplatonismus stellt in gewisser Weise eine Kritik am aristotelischen Philosophiemodell dar, doch schlägt die Zusammenführung von theoretischer Erkenntnis und praktischer Lebensführung dabei einen Weg ein, der sich nicht auf das ethische Verhalten im Hier und Jetzt beschränkt, sondern die Form einer philosophischen Mystik annimmt, die sowohl die theoretische als auch die praktische Philosophie hinter sich lässt zugunsten einer jenseits allen Denkens angesiedelten Einswerdung mit dem Einen. Diese Einswerdung kann folglich nicht mehr innerhalb des philosophischen Diskurses erreicht werden, sondern vollzieht sich jenseits aller Sprache im momentanen, ekstatischen Ausbruch aus dem innerweltlichen Erfahrungsbewusstsein. 26 Aus diesem Grund liegt der von Plotin gelehrte, philosophische Aufstieg zur ἕνωσις (henôsis) auch noch jenseits der aristotelischen Metaphysik als höchster Wissenschaft vom Göttlichen. So wenig das göttliche Eine bei Plotin sich selbst erkennt, so wenig kann der Mensch sich ihm durch eine intentionale, vergegenständlichende Erkenntnis annähern. Der Aufstieg geschieht nur auf indirektem Wege, indem der Philosophierende mittels des begrifflichen Denkens den logischen Raum in seiner Gesamtheit ausschreitet und dabei seiner Grenzen innewird. Der Übergang von der denkerischen Einsicht in die Undenkbarkeit des Einen hin zur direkten, vollzugshaften Einheitserfahrung ist bei Plotin jedoch nicht mehr das Ergebnis eines vom Menschen aktiv zu vollziehenden Schrittes, sondern ein unverDiese für den Stoizismus typische Betonung der Ethik gegenüber der Naturphilosophie und anderen theoretischen Disziplinen wird in der weiteren Entwicklung der spätantiken Philosophie durch das stark erkenntniskritische Moment des Skeptizismus noch verstärkt. Vgl. dazu P. Steinmetz, »Die Krise der Philosophie in der Zeit des Hochhellenismus«, Antike und Abendland 15 (1969), 122–134, hier 126–129. 26 Vgl. Plotin, Enneade V 4, 1.2; V 6, 1–6; vgl. dazu auch T. Kobusch, »Epoptie – Metaphysik des inneren Menschen«, Quaestio 5 (2005), 23–36, hier 23–28. 25
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fügbares Ereignis, das nur vorbereitet und erhofft, aber nicht mehr direkt herbeigeführt werden kann. 27 Angesichts dieses mit philosophischen Mitteln nicht zu überwindenden Hiatus zwischen dem Philosophierenden und dem zu erreichenden Einen beschreiten gewisse neuplatonische Denker wie Iamblichos den Weg der Theurgie. Dabei soll die Vereinigung mit dem Göttlichen durch magisch-religiöse Praktiken herbeigeführt werden, die keinen begrifflich vermittelbaren, philosophischen Charakter mehr besitzen, sondern den Adepten auf dem Wege der Einweihung in gewisse Mysterien bleibend verändern. 28 Damit kommt der Philosophie letztlich der Rang einer denkerischen Propädeutik zu, die den Menschen in geistig anspruchsvoller Weise auf seine radikale existenzielle Umformung vorbereitet, ohne diese jedoch selbst bewirken zu können. Dadurch verstärkt sich die bei Plotin bereits angedeutete Selbstrelativierung des philosophischen Denkens als Denken, die eine in sich geschlossene begriffliche Weltdeutung unmöglich macht und die Philosophie auf die religiöse Praxis als das notwendige Andere ihrer selbst verweist. Das philosophische Werk des Proklos stellt einen ähnlichen, wenn auch anders akzentuierten Versuch dar, neuplatonische Henologie und traditionelle antike Religion in Einklang zu bringen. 29 Wie Iamblichos vertritt auch Proklos die Auffassung, dass das philosophische Denken allein nicht ausreicht, um die Vernunftseele des Menschen aus den Verstrickungen in die Körperwelt zu befreien, sondern dass dies nur über gewisse theurgische Praktiken erfolgen kann. Dabei begnügt er sich jedoch keineswegs mit einem bloßen Nebeneinander von Philosophie und Religion, sondern entwirft mit seiner Henadenlehre ein metaphysisches Wirklichkeitsmodell, das es ihm erlaubt, die traditionellen olympischen Gottheiten einer philosophischen Umdeutung zu unterziehen und sie als hierarchisch gestufte »Prinzipien« (ἀρχαί [archai] bzw. αἰτίαι [aitiai]) in seinen Gesamtentwurf einzubauen. Die Gestalten der homerischen Götterwelt werden somit zu abgeschwächten Nachahmungen des göttlichen Einen, indem sie in eingeschränkter Weise an dessen geistiger Selbstbezüglichkeit teilVgl. Plotin, Enneade IV 8, 1. Vgl. Iamblichos, De mysteriis IV.1–X.8, in: Jamblique, Réponse à Porphyre (De mysteriis) (gr./frz.; hg. und übers. von H. D. Saffrey und A. P. Segonds), Paris, Les Belles Lettres, 2013, 135–217. 29 Vgl. C. Steel, »Theology as First Philosophy. The Neoplatonic Concept of Metaphysics«, Quaestio 5 (2005), 3–21, hier 10–20. 27 28
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haben und als Prinzipien der Vorsehung einem je eigenen Bereich der Wirklichkeit vorstehen. 30 Das Göttliche, das bei Plotin als schlechthin transzendent gegenüber der übrigen Wirklichkeit angesehen wird, erfährt bei Proklos somit eine Integration in ein metaphysisches Gesamtmodell, in dem es in relationaler Weise funktionalisiert wird. Das göttliche Eine als oberstes Prinzip teilt sich nicht mit und steht zu nichts anderem in einer inneren Beziehung; die ihm untergeordneten göttlichen Henaden hingegen treten überhaupt nur in Verbindung mit den Wirklichkeitssphären auf, deren Ordnungs- und Leitungsprinzipien sie bilden, und können deshalb nicht als wirklich transzendent angesehen werden. Durch ihre Einbindung in ein philosophisches Gesamtsystem erhalten die Gottheiten eine epistemologische und real-ontologische Funktion zugewiesen, die die ursprünglichen Götternamen zu bloßen Chiffren für universale Seins- und Erkenntnisprinzipien verblassen lässt. 31 Umgekehrt führt diese Synthese von neuplatonischer Philosophie und traditioneller griechischen Religion jedoch auch zu einer Theologisierung des Prinzipbegriffs, mit der Konsequenz, dass die neuplatonisch geprägte Metaphysik gar keine Ontologie betreiben kann, ohne die betrachtete Wirklichkeit an das sie durchherrschende Göttliche zurückzubinden. Proklos’ Ansatz ist für das mittelalterliche Denken deshalb so bedeutsam, weil das Gedankensystem seiner Elementatio theologica, vermittelt durch eine bearbeitete Kurzfassung in arabischer Sprache, unter dem Titel Liber de causis in das lateinische Denken Eingang gefunden hat. 32 Sowohl die axiomatisch-deduktive Form seiner Darlegungen als auch der Gedanke einer als Prinzipienlehre entworfenen philosophischen Theologie dienen zwischen dem Ende der Spätantike und dem 12. Jahrhundert als Vorbild für die theologische Traktatlite-
Vgl. dazu Proklos, Theologia Platonica I 3.5, in: Proclus, La théologie platonicienne (in 6 Bd., gr./frz.; hg. und übers. von H. D. Saffrey und L. G. Westerink), Bd. I, Paris, Les Belles Lettres, 1968, 12 f.; ders., Elementatio theologica, prop. 113–165, in: Proclus, The Elements of Theology (gr./engl.; hg. und übers. von E. R. Dodds), Oxford, Clarendon Press, 1963, 101–145. 31 Vgl. W. Beierwaltes, Proklos. Grundzüge seiner Metaphysik, Frankfurt a. M., Klostermann, 21979, 290 f. 32 Vgl. A. Fidora / A. Niederberger (Hgg.), Von Bagdad nach Toledo: das ›Buch der Ursachen‹ und seine Rezeption im Mittelalter. Lateinisch-deutscher Text, Kommentar und Wirkungsgeschichte des ›Liber de causis‹, Mainz, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, 2001. 30
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ratur zahlreicher christlicher Denker. 33 Daneben erscheint Proklos’ Versuch einer begrifflichen Vermittlung von philosophischer Vernunft und traditioneller Religion aber auch als paganes Äquivalent zu einer Problematik, mit der sich das neuentstehende Christentum von seinen Anfängen her ebenfalls konfrontiert sieht. Beide Aspekte – die Möglichkeit einer theorematisch-deduktiv verfahrenden Metaphysik und die Synthese von praktizierter Religion und philosophischer Theologie – bilden auch Leitmotive für Meister Eckharts Denken und werden von ihm in einer originellen, gleichermaßen neuplatonisch wie aristotelisch geprägten Synthese aufgegriffen und fortgeführt.
1.2 Die patristische Verhältnisbestimmung zwischen der sapientia christiana und den »profanen« Wissenschaften In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten erfährt die ambivalente, zwischen existenziell relevanter Weisheit und objektiver Wissenschaft oszillierende Stellung des philosophischen Denkens vor dem Hintergrund des biblischen Offenbarungsglaubens eine neue Deutung. Die pagane Philosophie gilt nun auch in ihrer höchsten und vollkommensten Ausprägung als defiziente Form der Erkenntnis, die den Hiatus zwischen theoretischer Einsicht und praktischer Lebensform nur unzureichend überbrückt habe. 34 Demgegenüber erscheint die christliche Lehre als »wahre Philosophie« (vera philosophia), die aufgrund der ihr eigentümlichen Verbindung von theoretischer Wahrheitserkenntnis und ethisch-moralischer Lebenspraxis Anspruch auf den Titel der »Weisheit« (sapientia) im höchsten Sinne erheben kann. 35 Der Vorwurf einer mangelnden Kohärenz zwischen theoretischer Erkenntnis und praktischem Verhalten ist angesichts des zuVgl. M. Dreyer, More mathematicorum. Rezeption und Transformation der antiken Gestalten wissenschaftlichen Wissens im 12. Jahrhundert, Münster, Aschendorff, 1996, 82–106. 34 Vgl. Clemens Alexandrinus, Stromata VI V, 39.1–40.2; VI XV, 123.1–3; VI XVII, 149.1–4; VI XVIII, 165.2–167.5, in: Clément d’Alexandrie, Les Stromates (gr./frz.; hg., übers. und mit einer Einl. versehen von P. Descourtieux), Paris, Les Éditions du Cerf, 1999, 140–143. 304–307. 358–361. 392–397. 35 Vgl. Justinus Martyr, Dialogus cum Tryphone VIII 1, in: Justin Martyr, Dialogue avec Tryphon (gr./frz.; hg., übers. und eingel. von P. Bobichon), Fribourg, Academic Press, 2003, 204 f. 33
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tiefst ethisch-existenziellen bzw. religiösen Charakters der stoischen und neuplatonischen Philosophie in dieser pauschalen Form sicher nicht gerechtfertigt. 36 Zutreffend ist allerdings, dass nicht wenige Vertreter eines begrifflich geklärten und ethisch hochstehenden philosophischen Monotheismus nach wie vor an den Opferkulten der polytheistischen, griechisch-römischen Volksreligion teilgenommen haben, ohne diese Praxis als widersprüchlich zu empfinden. 37 Betrachtet man dieses Festhalten an gewissen Residuen des heidnischen Götterkults als Ausschlusskriterium für die Erreichung der wahren Weisheit, ist der Vorwurf der christlichen Apologeten natürlich nachvollziehbar. Allerdings gehen sie noch einen Schritt weiter, insofern die von ihnen verkündete Weisheit in ihren Augen kein von der Philosophie zwar anvisiertes, aber nicht vollkommen erreichtes Ziel des Erkenntnisstrebens darstellt, sondern grundsätzlich außerhalb dessen liegt, was die Philosophie von ihrem Standpunkt aus überhaupt anvisieren und anstreben kann. Aus diesem Grunde wird die griechischrömische Philosophie von den Kirchenvätern zwar nicht verworfen, aber doch als unselbständiges Moment einer Aufstiegsbewegung verstanden, die das Niveau der wissenschaftlichen, gegenstandsbezogenen Erkenntnis hinter sich lässt zugunsten einer einfach zu erschauenden, den Erkennenden existenziell überformenden Wahrheit. 1.2.1 Augustinus Augustinus nimmt während der einzelnen Phasen seiner Denkentwicklung durchaus unterschiedliche Positionen hinsichtlich der möglichen Bedeutung von Philosophie und Wissenschaft für die christliche Theologie ein. In seinen Frühdialogen, die noch stark vom neuplatonischen Gedankengut geprägt sind, erkennt er der Philosophie das Verdienst zu, den Menschen vom Sinnlichen zum ÜbersinnVgl. dazu R. Feldmeier, »›Göttliche Philosophie‹. Die Interaktion von Weisheit und Religion in der späteren Antike«, in: Ders., Der Höchste. Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Gottesglauben, Tübingen, Mohr Siebeck, 2014, 31–48. 37 Vgl. Augustinus, De vera religione I 1 (lat./dt.; hg. von J. Lössl), Paderborn, Schöningh, 2007, 76–78. Prominente Gegenbeispiele dazu sind Heraklit (vgl. frgm. DK 22 B 5) und Plotin (vgl. Porphyrios, Vita Plotini X 60, in: Plotins Schriften [übers. von R. Harder], Bd. Vc [Anhang]: Porphyrios, Über Plotins Leben und über die Ordnung seiner Schriften, Hamburg, Meiner, 1958, 26–29), die nicht von einer Komplementarität, sondern vielmehr von einer Inkompatibilität zwischen philosophischer Gotteserkenntnis und traditioneller religiöser Kultpraxis ausgehen. 36
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lichen zu führen und ihn so für die Erkenntnis des Göttlichen zu sensibilisieren. Christentum und Neuplatonismus erscheinen hier also nicht als Konkurrenten, sondern vielmehr als Bundesgenossen, die mit unterschiedlichen Mitteln dasselbe Ziel verfolgen, das darin besteht, den Menschen zur Erkenntnis seines wahren Selbst und damit zur Glückseligkeit zu führen. 38 Die Begriffe »Wissenschaft« (scientia) und »Weisheit« (sapientia) werden von Augustinus zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend synonym verwendet, da er davon überzeugt ist, dass es sich von der Sache her um dieselbe, eine Wahrheit handelt, die den Menschen als solchen in grundlegender Weise angeht. 39 Dieses Harmonisierungsmodell von christlichem Glauben und antiker Philosophie ist Ausdruck einer grundsätzlich optimistischen Sicht der menschlichen Vernunft und der menschlichen Natur insgesamt. Augustinus gesteht der heidnischen Philosophie sehr wohl die Möglichkeit zu, die Wahrheit als solche zu erkennen, die für den Menschen nicht nur von intellektuellem Interesse, sondern auch und vor allem von lebenspraktischer Relevanz ist. 40 Im Vergleich zur biblischen Offenbarung hat die Philosophie jedoch den Nachteil, dass sie sich an eine vergleichsweise kleine Elite von Gebildeten richtet, die Zeit und Muße haben, sich der Suche nach der Wahrheit mit den Mitteln philosophischer Begrifflichkeit zu widmen. Da sich jedoch bei weitem nicht jeder Mensch den Luxus einer ganz der Erkenntnis gewidmeten Lebensweise leisten kann, ist die Offenbarung erforderlich, um auch den weniger gebildeten und privilegierten Menschen den Zugang zur Wahrheitserkenntnis in einer für sie fasslichen Form zu eröffnen. Das einzige Manko der Philosophie liegt hier also nicht in der natürlichen Vernunfterkenntnis als solcher und ihren möglichen Erkenntnisinhalten begründet, sondern in ihrer fehlenden »Massentauglichkeit« hinsichtlich der Form der Darlegung. 41 Allerdings bleibt Augustinus in den darauffolgenden Jahren nicht bei dieser harmonisierenden Sicht des Verhältnisses zwischen philosophischer Erkenntnis und Offenbarungswahrheit, sondern zieht zwischen ihnen eine deutliche Trennungslinie, die letztlich AusVgl. Augustinus, De beata vita, cap. 10–12, in: Œuvres de Saint Augustin, vol. 4/1 (lat./frz.; hg. von R. Jolivet), Paris, Institut d’Études Augustiniennes, 1948, 238–245. 39 Vgl. Augustinus, De ordine II 12.35–17.46, in: Œuvres de Saint Augustin, vol. 4/2 (lat./frz.; hg. von J. Doignon), Paris, Institut d’Études Augustiniennes, 1997, 271–303. 40 Vgl. Augustinus, De vera religione I 7; ed. Lössl, 96–99. 41 Vgl. Augustinus, De ordine IX 26, in: Œuvres de Saint Augustin, vol. 4/2, 408– 411. 38
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druck einer theologischen Grundoption ist. Er geht nunmehr davon aus, dass allein Gott um seiner selbst willen angestrebt und genossen (frui) werden darf, während die Geschöpfe nur insofern wertgeschätzt und benützt (uti) werden dürfen, als sie zur Erreichung dieses Zieles dienlich sind. In wissenschaftstheoretischer Hinsicht schlägt sich diese Zweiteilung in der grundlegenden Unterscheidung zwischen scientia und sapientia nieder, wobei letztere der spezifisch christlichen Weisheit vorbehalten bleibt, die allein über die Fülle der Erkenntnis hinsichtlich des Wesens Gottes und des Endziels der menschlichen Existenz verfügt. 42 Im Gegenzug erklärt Augustinus die »profanen« philosophischen und wissenschaftlichen Disziplinen zwar nicht für irrelevant, ordnet sie aber als unselbständige Hilfswissenschaften den Belangen und Interessen der Bibelexegese unter. 43 Darin liegt eine deutliche Abkehr vom aristotelischen Ideal der θεωρία (theôria) als einer universalen, allein um ihrer selbst willen gesuchten Erkenntnis; ist doch die Erforschung des Geschaffenen ohne dessen ausdrückliche Rückbindung an den Schöpfer für Augustinus nun nichts als eitle Neugierde (vana curiositas), die den Menschen nicht nur nicht weiterbringt, sondern ihn an der Erreichung seines eigentlichen, übernatürlichen Lebenszieles hemmt, indem sie ihn dazu verleitet, sich in intellektuellem Selbstgenuss abzukapseln. 44 Die von Augustinus praktizierte teleologische Unterordnung der »profanen« Wissenschaften unter die Interessen und Belange der Schriftauslegung führt dazu, dass sich der Schwerpunkt fast ausschließlich auf die »Sieben freien Künste« (septem artes liberales) verlagert, die es weniger mit der Realphilosophie als vielmehr mit den formalen Grundstrukturen des Denkens und der Wirklichkeit zu tun haben. 45 Während das Trivium mit Grammatik, Rhetorik und Dialektik die grundlegenden Fertigkeiten für eine sprachliche DurchVgl. Augustinus, De Trinitate XII, 14.21–15.25; ebd. XIV, 1.1–3, in: Œuvres de Saint Augustin, vol. 16 (hg. von P. Agaësse), Paris, Institut d’Études Augustiniennes, 1997, 250–261. 344–351. 43 Vgl. Augustinus, De vera religione II 2; ed. Lössl, 78–83; ders., De doctrina christiana II XXVII, 41.104–XLII, 63.152; CSEL 80 (ed. G. M. Green), 63–78. 44 »Hinc ad perscrutanda naturae, quae praeter nos est, opera proceditur, quae scire nihil prodest et nihil aliud quam scire homines cupiunt« (Augustinus, Confessiones X 35, 55 [ed. M. Skutella], Stuttgart, Teubner, 1996, 251,13–16). Vgl. dazu H. Blumenberg, »Augustins Anteil an der Geschichte des Begriffs der theoretischen Neugierde«, Revue d’Études augustiniennes et patristiques 7 (1961), 35–70, hier 36–44. 45 Vgl. Augustinus, De doctrina christiana II XL, 60.144–145; CSEL 80, 75 f. 42
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dringung des biblischen Textes an die Hand gibt, dienen die Disziplinen des Quadriviums (Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) dazu, ein vertieftes Verständnis der harmonischen, göttlichen Ordnung zu fördern, von der in der Hl. Schrift die Rede ist. Eine unabhängige philosophische Erforschung der belebten und unbelebten Natur, aber auch eine eingehende Betrachtung der menschlichen Wirklichkeit in Form einer eigenständigen philosophischen Ethik und Politik fallen damit fast völlig aus. Das legitime Erkenntnisstreben der scientia richtet sich bei Augustinus nun nicht mehr gleichermaßen auf alle nur denkbaren Bereiche der Wirklichkeit, sondern ist in spezieller Weise auf das hermeneutische Verständnis des Schrifttextes eingeschränkt. 46 Die augustinische Wissenschaftsarchitektonik verfolgt somit das harmonisierende Modell einer weisheitlich orientierten Einheitswissenschaft, jedoch um den Preis, dass wichtige Bereiche der antiken Philosophie und der anderen Disziplinen gar nicht oder nur marginal berücksichtigt werden und ihre methodische Autonomie verlieren. 47 Unter theologischen Gesichtspunkten ist die von Augustinus vorgenommene Herabstufung des Erkenntnispotentials der philosophischen Vernunft hinsichtlich der göttlichen Wirklichkeit einer stärkeren Betonung der erbsündlichen Schwächung der menschlichen Natur geschuldet. Wohl kann die Philosophie, insbesondere in ihrer platonisch-neuplatonischen Ausprägung, grundsätzlich zu der Erkenntnis gelangen, dass der göttliche Logos der Ursprung der gesamten Wirklichkeit ist, doch liegt die zentrale christliche Glaubenswahrheit, nämlich die innerweltliche Inkarnation ebendieses Logos, außerhalb dessen, was selbst die Platoniker begreifen können. Überdies ist aufgrund der menschlichen Unvollkommenheit, die zu Stolz, Hochmut und ungeordneten Begierden führt, keineswegs garantiert, dass die philosophische Vernunft ihr volles Potential auch tatsächlich ausschöpft; vielmehr läuft auch sie Gefahr, sich in Irrtümer zu verstricken und in die Irre zu gehen. 48 Insofern ist es nur konsequent, »Restant ea quae non ad corporis sensus, sed ad rationem animi pertinent, ubi disciplina regnat disputationis et numeri. Sed disputationis disciplina ad omnia genera quaestionum quae in litteris sanctis sunt, penetranda et dissolvenda plurimum valet« (Augustinus, De doctrina christiana II XXXI, 48.117; CSEL 80, 67). 47 Vgl. dazu M. Svensson, Theorie und Praxis bei Augustinus, Freiburg / München, Alber, 2009, 82–120. 48 Vgl. Augustinus, Confessiones IX 10, 13–15; ed. Skutella, 137,7–140,16; ders., De Civitate Dei X 26–28, CCSL 47 (ed. B. Dombart / A. Kalb), Turnhout, Brepols, 1955, 46
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dass die philosophischen Disziplinen nun generell nicht mehr um ihrer selbst willen betrieben werden, sondern als Hilfswissenschaften der Schrifthermeneutik fungieren. Damit wird der Vorstellung einer möglichen »Selbstvervollkommnung« oder gar »Selbsterlösung« des Menschen mit rein philosophisch-metaphysischen Mitteln radikal der Boden entzogen. Ein solches Vorhaben wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt, und zwar nicht deswegen, weil es dem Menschen de facto nicht gelingt, das selbstgesteckte Ziel aus eigener Kraft zu erreichen, sondern weil allein die Vorstellung, das Endziel der menschlichen Existenz mit rein natürlichen Mitteln definieren und erreichen zu wollen, schon Ausdruck sündhafter Hybris wäre. Allerdings hat die augustinische Konzeption einer einheitswissenschaftlichen sapientia christiana umgekehrt auch zur Folge, dass die trinitarischen Bezüge, vor allem das Verhältnis zwischen Gott Vater und Gott Sohn, in einer erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Terminologie gefasst werden. In De Trinitate bezeichnet Augustinus den göttlichen Logos nicht nur als Gottes »Weisheit« (sapientia), sondern mit Blick auf seine zentrale Rolle bei der Schöpfung sogar als ars, d. h. als praktische Kunst oder Technik. 49 Diese wechselseitige Osmose zwischen trinitätstheologischer und epistemologischer Begrifflichkeit wird sich auch Meister Eckhart fast tausend Jahre später zu eigen machen; jedoch in einem Schema, das die »profanen« Wissenschaftsdisziplinen, vor allem die aristotelische Naturphilosophie und Metaphysik, wieder aufwertet und ihnen ihre wissenschaftliche Eigenständigkeit zurückgibt. 1.2.2 Origenes Bei aller Hochschätzung, die Augustinus dem platonisch-neuplatonischen Denken insgesamt entgegenbringt, ist bei ihm doch deutlich das Bestreben erkennbar, diejenigen wissenschaftlichen Disziplinen, die es nicht mit der intelligiblen, sondern mit der empirisch wahr300–304; vgl. dazu auch F.-P. Hager, »Zur Bedeutung der griechischen Philosophie für die christliche Wahrheit und Bildung bei Tertullian und bei Augustin«, Antike und Abendland 24 (1978), 76–84. 49 »[P]rimus ac summus intellectus, cui non est aliud vivere et aliud intelligere, sed id quod est intelligere, hoc vivere, hoc esse est, unum omnia: tanquam Verbum perfectum, cui non desit aliquid, et ars quaedam omnipotentis atque sapientis Dei, plena omnium rationum viventium incommutabilium« (Augustinus, De Trinitate VI, 10.11, in: Œuvres de Saint Augustin, vol. 15, 496–498).
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Die historischen Voraussetzungen
nehmbaren Wirklichkeit zu tun haben (Physik, Biologie, Astronomie, Geographie usw.), für theologisch unergiebig, wenn nicht sogar für irrelevant zu erklären. Eine andere, deutlich positivere Deutung der antiken Philosophie findet sich dagegen bei Origenes, der auf das stoische Einteilungsschema der Wissenschaften zurückgreift, es aber in entscheidender Weise verändert. Im Prolog zu seinem Hoheliedkommentar stellt der berühmte Alexandriner eine inhaltliche Äquivalenz zwischen den einzelnen Disziplinen der antiken Philosophie und gewissen Büchern der Hl. Schrift her und beruft sich dabei auf die Unterteilung der Wissenschaften in Logik, Physik und Ethik. Allerdings versteht Origenes die »Logik« dabei nicht im üblichen Sinne als Wissenschaft von den reinen Formen des Denkens und der Sprache, sondern setzt sie mit einer philosophischen »Theologik« gleich. 50 Unter dem Gesichtspunkt, dass sich in der stoischen Philosophie der Logos nicht nur auf die menschliche Rede und ihre logischen Grundstrukturen bezieht, sondern als universales Prinzip göttlicher Vernunft und göttlicher Vorsehung auch der Wirklichkeit selbst innewohnt, ist diese theologische Umprägung des Logikbegriffs durchaus nachvollziehbar. Allerdings ist bei Origenes der Terminus »Theologik« nicht einfach mit einer rein begrifflich-theoretisch verfahrenden philosophischen Gotteslehre identisch, sondern hat den Charakter eines mystischen Aufstiegs, bei dem der Erkennende zur »Schau« (Epoptie) des Göttlichen geführt wird und dadurch eine bleibende Verwandlung erfährt. 51 Diese Deutung erlaubt es Origenes, die drei Disziplinen der stoischen Philosophie zu drei Büchern der alttestamentlichen Weisheitsliteratur parallel zu setzen, wobei er dem Buch Kohelet die Physik, dem Buch der Sprichwörter die Ethik und dem Hohelied die Theologik an die Seite stellt. 52 Die letztgenannte Disziplin gilt ihm dabei als die höchste und vollkommenste, da sie zur direkten Schau des Göttlichen führt. Dadurch verändert Origenes das stoische Einteilungsschema jedoch in entscheidender Weise. Das teleologische »Generales disciplinae, quibus ad rerum scientiam pervenitur, tres sunt, quas Graeci ethicam, physicam, epopticen appellarunt; has nos dicere possumus moralem, naturalem, inspectivam. Nonnulli sane apud Graecos etiam logicen, quam nos rationalem possumus dicere, quarto in numero posuere« (Origenes, Der Kommentar zum Hohelied 3.1 [lat./dt., Übers. und Einl. von A. Fürst und H. Strutwolf], Berlin / Boston, De Gruyter – Freiburg / Basel / Wien, Herder, 2016, 90 f. 51 Vgl. T. Kobusch, »Epoptie – Metaphysik des inneren Menschen«, 28–30. 52 Vgl. Origenes, Der Kommentar zum Hohelied 3.5–3.7; ed. Fürst / Strutwolf, 92 f. 50
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Der Ursprung der Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie
Endziel aller Philosophie ist für ihn nicht mehr nur das sittlich gute Handeln des Menschen, das in der Ethik gelehrt wird, sondern die existenzielle Überformung des Erkennenden durch das schauende Einswerden mit der göttlichen Wahrheit. Dies scheint zunächst den Eindruck nahezulegen, als komme dem philosophischen Denken letztlich wieder nur eine vorläufige Bedeutung zu. Allerdings ist in der von Origenes vorgenommenen Parallelisierung zwischen den Haupttraktaten der antiken Philosophie und gewissen biblischen Büchern der Gedanke einer grundsätzlichen Konvertibilität von natürlicher Vernunfterkenntnis und übernatürlicher Offenbarungswahrheit angelegt, der das von Augustinus entworfene, asymmetrische Herrschafts- und Unterordnungsverhältnis zwischen biblisch begründeter Theologie und »heidnischer« Philosophie und Wissenschaft in entscheidender Weise korrigiert. Das philosophische Denken ist mit Blick auf die Exegese nicht ein bloß formales Handwerkszeug, sondern dient auch in inhaltlicher Hinsicht dazu, legitime Deutungen des biblischen Textes von illegitimen zu unterscheiden. Origenes geht davon aus, dass in der Hl. Schrift nichts enthalten sein kann, was der philosophischen Vernunft in grundlegender Weise widerspricht. 53 Die von ihm postulierte inhaltliche Äquivalenz zwischen dem Buch Kohelet und der antiken Physik ist ein deutlicher Beweis dafür, dass die Philosophie nicht nur als formale Propädeutik dient, sondern auch in ihren realphilosophischen Traktaten für die Schriftauslegung von Bedeutung ist. Umgekehrt folgt daraus aber auch, dass die Hl. Schrift – anders als nach augustinischem Verständnis – den Menschen nicht nur in ethisch-moralischer Hinsicht mit Blick auf sein ewiges Seelenheil belehrt, sondern ihm auch Kenntnisse über die Natur der Dinge und die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit vermittelt. Während Augustinus die pagane Philosophie stärker unter dem Gesichtspunkt ihrer Defizienz gegenüber der christlichen Offenbarung betrachtet, steht für Origenes die positiv zu nutzende Strukturanalogie zwischen den beiden Erkenntnisformen im Mittelpunkt. Vgl. Origenes, De principiis / Vier Bücher von den Prinzipien IV 1, 1 (lat./dt., hg. und übers. von H. Görgemanns und H. Karpp), Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1976, 668–671; vgl. dazu auch L. Schwienhorst-Schönberger, »Schrifthermeneutik und Rationalität des christlichen Glaubens bei Origenes – mit einem Ausblick auf Kant«, in: N. Fischer / J. Sirovátka (Hgg.), Vernunftreligion und Offenbarungsglaube. Zur Erörterung einer seit Kant verschärften Problematik, Freiburg / Basel / Wien, Herder, 2015, 103–116.
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Die historischen Voraussetzungen
Die Hl. Schrift lehrt in seinen Augen nicht etwas wesenhaft anderes als die Philosophie, sondern vielmehr dieselbe Wahrheit auf andere Weise. 54 Daraus erklärt sich die Vielfalt von literarischen Gattungen und Stilformen innerhalb der Bibel, die sich in philosophischen Werken so nicht finden lässt. Doch wird mittels einer geeigneten Auslegungsmethode erkennbar, dass sich auch hinter der metaphorischen und teilweise anthropomorphen Sprache der Hl. Schrift philosophisch nachvollziehbare Vernunftwahrheiten verbergen. 55 Origenes’ starke Affinität zur antiken Philosophie zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sein Hauptwerk den Titel Peri archôn [De principiis] trägt. Im Begriff der ἀρχή (archê) liegt eine bewusste Anknüpfung an die erstmals bei den Vorsokratikern in systematischer Weise gestellte Frage nach dem ersten Ursprung und Prinzip bzw. den ersten Ursprüngen und Prinzipien der Wirklichkeit als solcher. 56 Dem Begriff der ἀρχή (archê) eignet also zunächst eine stark physisch-naturphilosophische Komponente, zumal etliche vorsokratische Philosophen wie etwa Thales, Heraklit und Anaximenes eines der materiellen Elemente (Wasser, Feuer oder Luft) als Urprinzip der gesamten Wirklichkeit ansehen. 57 Auch in Origenes’ Peri archôn spielen kosmologisch-naturphilosophische Betrachtungen eine zentrale Rolle, doch ist die physische Wirklichkeit diesmal nicht auf eine materielle oder im weiteren Sinne innerweltliche ἀρχή (archê) bezogen, sondern auf ihren göttlichen Ursprung. Es geht Origenes also nicht darum, neben die antike Physik und Metaphysik noch die biblische Offenbarung zu stellen, sondern vielmehr darum, den Zusammenhang zwischen dem biblischen Schöpfergott und der von ihm geschaffenen Wirklichkeit so zu interpretieren, dass die dabei zum Tragen kommenden Begriffe und Strukturen auch den Erfordernissen einer metaphysischen Prinzipienlehre Genüge tun. 58 Der dreifaltige Gott ist somit nicht das schlechthin Andere zum philosophischen Prinzipbegriff, sondern die theologische Konkretion derselben ἀρχαί (archai), die in der paganen Philosophie Vgl. etwa die Ausführungen zum philosophischen Begriff ἀσώματος (asômatos, d. h. »körperlos«) und seinen möglichen biblischen Äquivalenten in Origenes, De principiis I Praef. 8–10; ed. Görgemanns / Karpp, 94–99. 55 Vgl. Origenes, De principiis IV 2, 1–5; ed. Görgemanns / Karpp, 694–715. 56 Vgl. dazu L. Lies, Origenes’ ›Peri archôn‹. Eine undogmatische Dogmatik, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992, 8–14. 57 Vgl. frgm. DK 11 B 3; DK 22 B 30; DK 13 B 2. 58 Vgl. Origenes, De principiis I 1, 1–9; ed. Görgemanns / Karpp, 98–123. 54
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Der Ursprung der Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie
auf eine anonyme, rein strukturell-funktionale Weise erörtert werden. 59 Eine solche Parallelisierung von theologischen und philosophischen Grundbegriffen und Prinzipien setzt voraus, dass die menschliche Vernunft trotz der Erbsünde die kognitive Dimension ihrer Gottebenbildlichkeit nicht gänzlich eingebüßt hat, sondern in ihrem theoretischen Erkenntnisstreben grundsätzlich auf dieselbe Wahrheit abzielt, die auch in der biblischen Offenbarung ausgesprochen wird. 60 Origenes kann diese Möglichkeit insofern bejahen, als bei ihm die ursprüngliche Verwandtschaft zwischen der göttlichen und der menschlichen Vernunft nie aufgehoben, sondern allenfalls verdunkelt werden kann. Diese Verdunkelung bringt er aber nicht mit der Erbsünde als solcher in Verbindung, sondern deutet sie als Konsequenz einer zu starken Verbindung des Geistes mit der Materialität und Körperlichkeit während der irdischen Existenz des Menschen. 61 Die daraus resultierende »Verschattung« des νοῦς (noûs) kann jedoch zum großen Teil durch eine entsprechende Lebensweise korrigiert werden, die den menschlichen Geist von seiner Verfallenheit an die materielle Wirklichkeit reinigt und seine wahre Gottebenbildlichkeit wieder freilegt. 62 Das aber bedeutet wiederum, dass der Mensch grundsätzlich auch schon in diesem Leben mittels seines entsprechend disponierten νοῦς (noûs) zu einer Erkenntnis des göttlichen Wesens fähig ist, sofern er nur die in seiner Vernunft immer schon verwirklichte Gottebenbildlichkeit nicht behindert, sondern sie gemäß ihrer ursprünglichen Natur wirksam werden lässt. Das von Origenes entworfene Modell einer strukturellen wie inhaltlichen Entsprechung zwischen philosophischer Vernunfterkenntnis und biblischer Offenbarung ist ein Grundgedanke, der für Meister Eckharts Konzeption des Verhältnisses von Philosophie und Offenbarungstheologie von zentraler Bedeutung ist und in seiVgl. die ausdrückliche Bezeichnung der Trinität als ἀρχικήν (archikên; d. h. »ursprunghaft«) in Origenes, De principiis I 4, 3; ed. Görgemanns / Karpp, 188. 60 Dies zeigt sich beispielsweise mit Blick auf den Begriff des Logos, dem auch von gewissen nichtchristlichen Philosophen (Platoniker, Stoiker) eine göttliche Natur zugebilligt wird (vgl. Origenes, De principiis I 3, 1; ed. Görgemanns / Karpp, 158). 61 »[H]i, qui in corpore sunt, per naturam materiae corporalis mentis acumen videntur obtundi« (Origenes, De principiis II 3, 3; ed. Görgemanns / Karpp, 306). 62 »[E]t nolunt hoc intelligi, quod propinquitas quaedam sit menti ad deum, cuius ipsa mens intellectualis imago sit, et per hoc possit aliquid de deitatis sentire natura, maxime si expurgatior ac segregatior sit a materia corporali« (Origenes, De principiis I 1, 7; ed. Görgemanns / Karpp, 116). 59
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Die historischen Voraussetzungen
nen Bibelkommentaren ausführlich durchbuchstabiert wird. Zugleich folgt Eckhart Origenes aber auch darin, dass bei ihm der dreifaltige Gott nicht nur in realer Hinsicht als Schöpfer der Welt angesehen wird, sondern auch in wissenschaftstheoretischer Hinsicht als »oberstes Prinzip« fungiert. Die Trinitätstheologie ist somit auch bei Eckhart kein dogmatisches Spezialthema, sondern erweist sich im Kern zugleich immer auch als metaphysische Prinzipienlehre, die nicht nur die theologische Vernunft, sondern die menschliche Vernunft als solche angeht und Teil ihrer erkenntnistheoretischen Selbstverständigung ist.
1.3 Das boethianische Modell der drei theoretischen Wissenschaften als Versuch der Synthese von christlicher Offenbarungstheologie und philosophischer Theologik Am Ende der Spätantike steht mit Boethius ein lateinischer Autor, der das problematische Verhältnis von antiker Philosophie und christlichem Offenbarungsglauben vom Boden der Philosophie aus zu lösen versucht. Dabei stützt sich Boethius maßgeblich auf die Werke Platons und Aristoteles’, um aus ihnen eine philosophische Synthese zu erarbeiten, die nicht nur mit dem christlichen Glauben in Einklang stehen, sondern eine rein rationale Begründung der dogmatischen Grundaussagen der christlichen Theologie ermöglichen soll. Insofern ist es nur folgerichtig, dass sich Boethius für seine Beweisführung nicht auf die Hl. Schrift stützt, sondern allein mit den Mitteln der philosophischen Begrifflichkeit arbeitet. Dabei rekurriert er insbesondere auf das aristotelische Kategoriensystem, dessen präzise Terminologie (Substanz, Relation usw.) sich besonders gut für eine philosophische Analyse trinitätstheologischer und christologischer Grundfragen eignet. Der von Boethius erhobene Anspruch, christliche Theologie in rein begrifflich-apriorischer Weise betreiben zu können, ohne auf den Text der Bibel oder andere historische Glaubenszeugnisse zurückzugreifen, ist in dieser radikalen Form innerhalb der christlichen Theologie zweifellos ein Novum. 63 Dieser Ansatz ist nur unter der Andreas Speer schreibt mit Blick auf die boethianische Theologiekonzeption: »Clearly, for Boethius there is no place for another theology based on biblical exegesis that is separate from a theology that follows the methodological path of Aristotelian
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Der Ursprung der Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie
Bedingung praktikabel, dass der Mensch tatsächlich über ein Erkenntnisvermögen verfügt, das es ihm erlaubt, die göttliche Wirklichkeit direkt zu erkennen, ohne sich auf aposteriorische, empirische Daten stützen zu müssen. In diesem Zusammenhang greift Boethius auf die von Aristoteles entworfene Dreiteilung der theoretischen Wissenschaften zurück, interpretiert die Metaphysik jedoch in einer Weise, die seinem ambitionierten Projekt einer rein philosophisch verfahrenden Theologie entgegenkommt. Die bei Aristoteles noch deutlich sichtbare Ambivalenz der Metaphysik als Wissenschaft vom Seienden als solchem bzw. als philosophische Theologik wird von Boethius eindeutig zugunsten des letztgenannten Aspekts entschieden. In seinem Traktat De Trinitate unterscheidet er die drei theoretischen Wissenschaften nach ihren jeweiligen Gegenstandsgebieten und deren spezifischen Abstraktionsgraden, wobei er jedoch das aristotelische Schema leicht verändert. Die Physik betrachtet nach Boethius die Formen der veränderlichen Dinge, die immer nur in Verbindung mit der Materie vorkommen können, in ihrem Verbundensein mit der Materie; die Mathematik betrachtet die Formen der Dinge getrennt von der Materie, obwohl sie nur innerhalb der Materie existieren können, und die Theologie betrachtet Gott als reine Form, die grundsätzlich nicht in Verbindung mit Materie oder Bewegung vorkommen kann, sondern in sich unbeweglich und unveränderlich ist. 64 Bei Aristoteles werden die materiellen, von Bewegung gekennzeichneten Gegenstände der Physik insofern als »getrennt« (χωριστά [chôrista]) bezeichnet, als sie im Gegensatz zu den idealen, mathematischen Entitäten selbständig, d. h. unabhängig vom Denken, existieren können. 65 Dennoch gilt die Physik insofern als abstraktiv verfahrende Wissenschaft, als sie von der raumzeitlichen Individualität der von ihr untersuchten Phänomene absieht und sie in ihrer begrifflich fassbaren Allgemeinheit betrachtet. Interessanterweise übernimmt Boethius diese Definition jedoch nicht, sondern spricht der Physik epistemology as it is established in Metaphysics A and E« (A. Speer, »The Division of Metaphysical Discourses: Boethius, Thomas Aquinas and Meister Eckhart«, in: K. Emery [Hg.], Philosophy and Theology in the Long Middle Ages [Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 105], Leiden [u. a.], Brill, 2011, 91–116, hier 96). Vgl. auch G. d’Onofrio, »Quando la metafisica non c’era. Vera philosophia nell’Occidente latino ›pre-aristotelico‹«, Quaestio 5 (2005), 103–144, hier 106. 64 Vgl. A. M. S. Boethius, De Trinitate, cap. 2, in: Ders., Die Theologischen Traktate (lat./dt.; hg. von M. Elsässer), Hamburg, Meiner, 1988, 7–9. 65 Vgl. Aristoteles, Metaphysik VI 1, 1026 a 13–14.
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Die historischen Voraussetzungen
die Fähigkeit zur Abstraktion gänzlich ab, da sie die Formen immer nur in ihrer Verbindung mit der Materie betrachten könne. Das bedeutet, dass für Boethius der begriffliche Universalitätsgrad der Betrachtung als solcher noch nicht ausreichend ist, um eine abstraktive Erkenntnis zu begründen, sondern darüber hinaus die (im Denken vollzogene bzw. real existierende) Trennung der betrachteten Formen von der Materie erforderlich macht. Darüber hinaus gibt es noch einen zweiten Unterschied gegenüber dem aristotelischen Einteilungsschema: Bei Aristoteles werden alle drei theoretischen Wissenschaft mittels desselben vernünftigen Erkenntnisvermögens (νοῦς [noûs]) betrieben, das in der Physik und Mathematik notwendigerweise mit bestimmten niedrigeren Seelenkräften – der sinnlichen Wahrnehmung bzw. der Imagination – zusammenwirken muss. 66 Boethius hingegen weist jedem der drei Gegenstandsbereiche theoretischer Erkenntnis auch ein eigenes Erkenntnisvermögen zu, nämlich der Physik die ratio, der Mathematik die disciplina und der Theologie den intellectus. Dabei macht er unmissverständlich klar, dass die Theologie in keiner Weise Gott aus der Erfahrung der empirischen Wirklichkeit und den daran hängenden bildlichen Vorstellungen (imaginationes) erschließen darf, sondern ihn unmittelbar als reine Form (forma) erfassen muss. 67 Insofern die Form im Modus der Nichttrennung (Physik), der abstraktiv vollzogenen Trennung (Mathematik) oder der prinzipiellen ontologischen Trennung (Theologie) von der Materie existieren kann, ist sie demnach bei Boethius nicht nur der ontologische Grund aller Wirklichkeit, sondern zugleich auch die systematische Klammer, die alle theoretischen Wissenschaften zusammenhält. Boethius’ Konzeption der Metaphysik als philosophischer Theologie bleibt bis ins 12. Jahrhundert für das abendländische Denken bestimmend. 68 Dies hat seinen Grund darin, dass der Originaltext Vgl. Aristoteles, Metaphysik XI 3–4, 1061 a 28–1061 b 30. »In naturalibus igitur rationalibiliter, in mathematicis disciplinabiliter, in divinis intellectualiter versari oportebit neque deduci ad imaginationes, sed potius ipsam inspicere formam quae vere forma est neque imago est et quae esse ipsum est et ex qua esse est« (Boethius, De Trinitate, cap. 2; ed. Elsässer, 8). 68 Vgl. A. Speer, »The Hidden Heritage: Boethian Metaphysics and Its Medieval Tradition«, Quaestio 5 (2005), 163–181 sowie A. Fidora, »Die Rezeption der boethianischen Wissenschaftseinteilung bei Dominicus Gundissalinus«, in: R. Berndt et al. (Hgg.), »Scientia« und »Disciplina«. Wissenstheorie und Wissenschaftspraxis im 12. Jahrhundert, Berlin, Akademie Verlag, 2002, 209–222. 66 67
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Der wissenschaftstheoretische Neuansatz im 13. Jahrhundert
von Aristoteles’ Metaphysik wie auch der größte Teil seiner übrigen Schriften den lateinischen Autoren vom Ende der Spätantike bis zum Ende des 12. Jahrhunderts nicht direkt zugänglich sind. Boethius’ Traktat De Trinitate stellt somit eine wichtige Quelle für die Kenntnis der aristotelischen Wissenschaftskonzeption dar, ohne dass sich die Rezipienten dabei der Umdeutungen und abweichenden Akzentsetzungen bewusst gewesen wären, die Boethius’ Version der Dreiteilung der theoretischen Wissenschaften vom aristotelischen Original unterscheiden. Auch der Umstand, dass Boethius’ Lehre von der direkten Erkennbarkeit der reinen Formen mittels eines gesonderten Seelenvermögens mit der aristotelischen Psychologie und Erkenntnistheorie nicht wirklich in Einklang zu bringen ist, fällt erst in dem Moment auf, wo der Text des De anima in lateinischer Übersetzung erstmals wieder zugänglich ist. Damit geht ein Umbruch in der gesamten Wissenschaftsarchitektonik einher, der auch einen Neuentwurf der christlichen Theologie erforderlich macht. Umso auffallender ist es, dass Meister Eckhart im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert bewusst an Boethius’ wissenschaftstheoretischen Entwurf anknüpft, der zu dieser Zeit eigentlich schon als überholt gilt. Dabei kehrt Eckhart aber nicht einfach zu Boethius’ Konzeption einer rein begrifflich-axiomatisch verfahrenden Metaphysik zurück, sondern wandelt seinen Ansatz dergestalt ab, dass er sich auch im Rahmen der Schriftauslegung anwenden lässt.
2.
Der wissenschaftstheoretische Neuansatz im 13. Jahrhundert
Das 13. Jahrhundert ist eine Zeit, in der das Selbstverständnis der christlichen Theologie auf eine bis dahin noch nie dagewesene Weise in Frage gestellt wird und sich gegenüber den Ansprüchen des philosophischen Denkens neu positionieren und behaupten muss. Dieser wissenschaftstheoretische Paradigmenwechsel ist der im späten 12. Jahrhundert einsetzenden Wiederentdeckung und Rezeption des gesamten aristotelischen Textkorpus geschuldet, von dem bis dahin nur Teile des Organon in lateinischer Sprache zugänglich waren. Damit wird das in der Patristik und im Frühmittelalter vorherrschende, weisheitliche Erkenntnisideal im 13. Jahrhundert durch die Wiederaneignung der aristotelischen Philosophie mitsamt ihrem Modell der wissenschaftlich definierten ἐπιστήμη (epistêmê) weitgehend ver53 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Die historischen Voraussetzungen
drängt. 69 Bedingt durch diese Entwicklung, ist auch die christliche Theologie genötigt, ihr eigenes Selbstverständnis in grundlegender Weise zu überdenken und ihre Stellung gegenüber den »profanen« Wissenschaften in neuer Weise zu bestimmen.
2.1 Das Problem der Theologie als Wissenschaft (scientia) im Gefolge der Aristoteles-Rezeption Das Novum der aristotelischen Philosophie gegenüber den älteren antiken Denkmodellen liegt darin, dass sie sich nicht nur selbst als wissenschaftliche Erkenntnis (ἐπιστήμη [epistêmê]) par excellence versteht, sondern darüber hinaus eine ausgearbeitete Wissenschaftstheorie enthält, die strenge Kriterien dafür definiert, unter welchen Bedingungen eine Erkenntnisform als Wissenschaft im vollen Sinne des Wortes gelten darf. Im Idealfall stehen die einzelnen inhaltlichen Aussagen einer Wissenschaft in einem deduktiven Ableitungszusammenhang, der in obersten, selbstevidenten Prinzipien wurzelt. 70 Das Kriterium der unmittelbaren Evidenz ist natürlich nicht bei jeder Wissenschaft in gleich hohem Maße verwirklicht, da es zwischen einzelnen Disziplinen, wie etwa der Geometrie und der Optik, bestimmte Abhängigkeitsverhältnisse geben kann, die dazu führen, dass sich eine Wissenschaft ihre Prinzipien von einer anderen, übergeordneten vorgeben lassen muss. 71 Ebenso sind die Prinzipien der Physik und anderer empirischer Wissenschaften nicht in gleicher Weise unmittelbar einsichtig wie die obersten Grundsätze rein formaler Disziplinen (Logik, Mathematik usw.), sondern können nur induktiv, d. h. ausgehend von der Erfahrung, in einem sukzessiven Prozess der Abstraktion und Verallgemeinerung gewonnen werden. 72 Im Falle der Metaphysik, die Aristoteles nicht nur als »Erste Philosophie« (πρώτη φιλοσοφία [prôtê philosophia]) und »Wissenschaft vom Seienden als solchem« (ἐπιστήμη τις ἢ θεωρεῖ τὸ ὂν ᾗ ὄν [epistêmê tis hê theôrei to on hê on]), sondern auch als »theologische Vgl. A. Ghisalberti, »Gli inizi dell’aristotelismo latino e l’avvio della filosofia scolastica«, in: J. A. Aertsen / A. Speer (Hgg.), Was ist Philosophie im Mittelalter? (Miscellanea Mediaevalia 26), Berlin / New York, De Gruyter, 1998, 281–292. 70 Vgl. Aristoteles, Analytica posteriora I 2, 71 b 20–34; I 10, 76 a 32–77 a 4; II 19, 100 b 5–17. 71 Vgl. Aristoteles, Analytica posteriora I 9, 76 a 23–25; I 13, 78 b 36–79 a 2. 72 Vgl. Aristoteles, Analytica posteriora II 19, 100 a 4–100 b 6. 69
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Der wissenschaftstheoretische Neuansatz im 13. Jahrhundert
Wissenschaft« (θεολογική ἐπιστήμη [theologikê epistêmê]) definiert, ist das Ideal der Evidenz der Prinzipien jedoch in vollem Umfang anwendbar. 73 Das bedeutet nicht, dass zur Freilegung und expliziten Formulierung dieser obersten Prinzipien keine denkerische Anstrengung mehr nötig wäre, im Gegenteil: Gerade weil sie in sich das ontologisch Erste und im höchsten Maße Erkennbare sind, werden sie gemäß der aristotelischen Erkenntnistheorie von uns Menschen zuletzt erkannt. 74 Dennoch besitzen sie insofern den Charakter der Evidenz, als die denkende Vernunft bei diesem Prozess lediglich der Prinzipien innewird, die sie immer schon in sich trägt und implizit anwendet. Die Einsicht in die metaphysischen Prinzipien ist demnach zwar vermittelt, was ihre bewusste, thematische Erkenntnis durch den Menschen angeht, zugleich aber auch selbstevident, insofern die denkende Vernunft die gewonnenen Erkenntnisse allein aus sich selbst schöpft und sie sich von keiner äußeren Instanz vorgeben lassen muss. Die vom Menschen betriebene »Wissenschaft vom Göttlichen« (im Sinne des genitivus obiectivus) unterscheidet sich von jener Erkenntnis, die das als reine, intellektuelle Selbsttransparenz verstandene Göttliche von sich selber hat, somit nicht in Bezug auf den Erkenntnisgegenstand, sondern nur in Bezug auf die im Prozess des expliziten Bewusstwerdens erforderliche diskursive Vermittlung, die der spekulativen Denktätigkeit des Menschen mit Blick auf ihre konkrete Ausübung zeitliche Grenzen setzt. 75 Angesichts der aristotelischen Metaphysikkonzeption stellt sich die Frage nach dem epistemologischen Status der christlichen Offenbarungstheologie und ihrem Verhältnis zur Philosophie in grundlegend neuer Weise. Will die christliche Theologie den Anspruch erheben, nicht nur ein weisheitliches, auf die praktische Lebensführung bezogenes Orientierungswissen (im Sinne der patristischen sapientia christiana) zu bieten, sondern den von Aristoteles formulierten Ansprüchen streng wissenschaftlicher Erkenntnis zu genügen, gerät sie Vgl. Aristoteles, Analytica posteriora I 9, 76 a 16–22; ders., Metaphysik I 2, 982 b 28–983 a 11; IV 1, 1003 a 21–32; VI 1, 1026 a 13–32; XI 7, 1064 a 28–1064 b 14; XII 1, 1069 a 18–20. 74 Vgl. Aristoteles, Analytica posteriora I 2, 71 b 35–72 a 6; ders., Metaphysik I 2, 982 a 23–25. 75 Vgl. Aristoteles, Metaphysik XII 7, 1072 b 24–26 sowie dazu S. Herzberg, Göttliche und menschliche Kontemplation. Eine Untersuchung zum bios theoretikos bei Aristoteles, Heidelberg, Winter, 2013, 146. 150. 73
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Die historischen Voraussetzungen
hinsichtlich der Herkunft der für sie geltenden Prinzipien in Schwierigkeiten. Insofern für die christliche Theologie alle wissenschaftliche Reflexion vom heilsgeschichtlichen Datum der göttlichen Offenbarung auszugehen hat, ist das Ideal der vernunftimmanent zu gewinnenden Evidenz ihrer Prinzipien im eigentlichen Sinne nicht mehr realisierbar. Damit aber stellt sich die Frage, ob die Offenbarungstheologie oder die als Metaphysik verstandene Philosophie als höchste und vollkommenste Wissenschaft angesehen werden muss. 76 Legt man das aristotelische Kriterium zugrunde, das in der theoretischen, um ihrer selbst willen betriebenen Erkenntnis die höchstmögliche Verwirklichung menschlicher Existenz sieht, ist die im Rahmen der Metaphysik betriebene philosophische Theologik höher anzusiedeln als die Offenbarungstheologie, da letztere nicht wirklich autark ist, sondern auf eine äußere, kontingente Erkenntnisquelle – die heilsgeschichtliche Selbstmitteilung Gottes – rekurrieren muss. Argumentiert man jedoch vom christlichen Standpunkt aus dahingehend, dass die menschliche Existenz nicht nur auf dieses irdische Leben beschränkt ist, sondern über den Tod hinaus fortdauert, steht die Offenbarungstheologie höher, gerade weil sie keine rein theoretische Erkenntnisform darstellt, sondern den Menschen dazu anleiten will, aus dem Glauben heraus sein irdisches Leben zu gestalten und dadurch das ewige Heil zu erlangen. Insofern das im Jenseits verwirklichte, ewige Leben dem Menschen wiederum durch die visio beatifica eine höhere, vollkommenere und unmittelbarere Erkenntnis Gottes vermittelt, als er auf Erden je haben könnte, wird der epistemologische Rückstand, den die unter irdischen Bedingungen betriebene Theologie gegenüber der Metaphysik hat, unter eschatologischen Gesichtspunkten letztlich kompensiert. Doch auch unter dieser Voraussetzung kann man das Verhältnis zwischen der aristotelischen Philosophie und der christlichen Offenbarungstheologie unterschiedlich fassen, je nachdem, ob letztere in Anlehnung an das aristotelische Modell der theoretischen Wissenschaften vornehmlich als scientia speculativa verstanden wird oder primär als existenziell relevantes,
Vgl. H. Anzulewicz, »Zwischen Faszination und Ablehnung. Theologie und Philosophie im 13. Jahrhundert«, in: M. Olszewski (Hg.), What is ›Theology‹ in the Middle Ages? Religious Cultures of Europe (11th-15th Century) as Reflected in Their Self-Understanding, Münster, Aschendorff, 2007, 129–165.
76
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Der wissenschaftstheoretische Neuansatz im 13. Jahrhundert
auf praktische Umsetzung zielendes Heilswissen, also als scientia practica, gilt.
2.2 Der Lösungsansatz Thomas von Aquins Thomas von Aquin beschreitet den Weg einer positiven Aneignung des aristotelischen Wissenschaftsbegriffs und seiner Anwendung auf die christliche Theologie. Dabei ist er keineswegs blind für die problematischen Aspekte, die das aristotelische Denkmodell hinsichtlich gewisser Themen (Ewigkeit der Welt, Sterblichkeit der menschlichen Individualseele usw.) aufwirft. Dennoch versucht er, darauf von Fall zu Fall einzugehen, ohne die Philosophie des Stagiriten in ihrer Gesamtheit zu verwerfen. Hinsichtlich des aristotelischen Wissenschaftsbegriffs gibt Thomas zu, dass die obersten Prinzipien der als scientia speculativa verstandenen Theologie dem Menschen unter irdischen Bedingungen nicht unmittelbar aus sich selbst heraus bekannt sind, sondern ihm nur als articula fidei vorliegen. 77 Allerdings können sie indirekt, nämlich unter Verweis auf die Selbsterkenntnis Gottes, als evident gelten. Entscheidend für den Wissenschaftscharakter der Theologie ist somit nicht, dass ihre Prinzipien allen potentiell theologietreibenden Erkenntnissubjekten unmittelbar bekannt sind, sondern nur, dass sie von mindestens einem Erkenntnissubjekt – nämlich Gott – im Modus unmittelbarer Evidenz erkannt werden müssen. Dank der an den Menschen ergangenen heilsgeschichtlichen Offenbarung partizipiert die unter irdischen Bedingungen betriebene Theologie an dieser göttlichen Selbsterkenntnis, allerdings nur in einer abgeleiteten, nicht aus sich selbst heraus zu begründenden Form. 78 Die Übernahme des aristotelischen Paradigmas führt allerdings zu einer Veränderung der systematischen Bedeutung, die der Hl. Schrift für die als Wissenschaft zu konzipierende Theologie zukommt. Die in der Bibel geschilderten Personen und Ereignisse der Heilsgeschichte sind wesentlich individueller und somit kontingenter Natur. Da Individualität im Rahmen der aristotelischen Philosophie wiederum nur durch akzidentelle, dem Wesensbegriff einer Sache Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 1, a. 8 c. Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 1, a. 2 c; vgl. dazu M.-D. Chenu, La théologie comme science au XIIIe siècle, Paris, Vrin, 31957, 67–85.
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Die historischen Voraussetzungen
äußerliche Eigenschaften zustande kommt, kann es vom Individuellen als solchem prinzipiell keine Wissenschaft geben. 79 Thomas löst dieses Dilemma dahingehend, dass er die einzelnen in der Bibel vorkommenden Personen und Ereignisse von vornherein nicht als den eigentlichen und primären Gegenstand der als Wissenschaft betriebenen Theologie betrachtet. Sie haben in ihrer Individualität lediglich die Funktion, als moralische Vorbilder zu dienen bzw. die Glaubwürdigkeit der Erstadressaten der göttlichen Offenbarung zu bekräftigen, doch zielt die Theologie nicht auf das Einzelne als solches, sondern auf die allgemeinen Prinzipien, die sich aus der biblischen Offenbarung gewinnen lassen. 80 Das bedeutet nicht, dass die Schriftauslegung im Rahmen der scholastischen Theologie keine Bedeutung mehr hätte, doch kommt es zu einer klaren Differenzierung der literarischen Genera. Thomas’ exegetische Werke sind zweifellos sehr viel mehr als nur ein Appendix zu seinem gesamten Opus, 81 doch stehen sie neben seinen systematischen theologischen Abhandlungen, seinen Quästionen, seinen Traktaten und seinen Kommentaren zu den Schriften des Aristoteles und anderer Philosophen. Dabei kommen Thomas’ philosophisch-theologische Grundpositionen zweifellos auch in seinen Bibelkommentaren deutlich zum Ausdruck, doch sind diese nicht mehr der primäre Ort der erstmaligen Erörterung philosophisch-theologischer Grundfragen, sondern eher ein Ort der Anwendung bestimmter denkerischer Optionen, deren grundsätzliche Plausibilität an anderer Stelle zur Diskussion gestellt und nachgewiesen wird. 82 Das im Gesamtwerk des Aquinaten sichtbare Nebeneinander Vgl. Aristoteles, Analytica posteriora I 30, 87 b 19–27; ders., Metaphysik VI 2, 1026 a 33–1026 b 27. 80 »Ad secundum dicendum quod singularia traduntur in sacra doctrina, non quia de eis principaliter tractetur, sed introducuntur tum in exemplum vitae, sicut in scientiis moralibus; tum etiam ad declarandam auctoritatem virorum per quos ad nos revelatio divina processit, super quam fundatur sacra Scriptura seu doctrina« (Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 1, a. 2 ad 2). 81 Vgl. dazu insgesamt M. Arias Reyero, Thomas von Aquin als Exeget. Die Prinzipien seiner Schriftdeutung und seine Lehre von den Schriftsinnen, Einsiedeln, Johannes Verlag, 1971; T. Prügl, »Thomas von Aquin, Summa theologiae I, 1, 9–10«, in: O. Wischmeyer (Hg.), Handbuch der Bibelhermeneutiken. Von Origenes bis zur Gegenwart, Berlin / Boston, De Gruyter, 2016, 191–206, vor allem 192–194, sowie ders., »Bibelkommentare«, in: V. Leppin (Hg.), Thomas-Handbuch, Tübingen, Mohr Siebeck, 2016, 199–211. 82 Vgl. T. Prügl, »Thomas von Aquin, Summa theologiae I, 1, 9–10«, 194 f. 79
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von systematisch-theologischen bzw. exegetischen Schriften einerseits und umfangreichen Aristoteles-Kommentaren andererseits bedeutet allerdings nicht, dass in seinem Ansatz Theologie und Philosophie vollkommen gleichberechtigt nebeneinander stünden. So gilt die Offenbarungstheologie zwar als scientia subalterna hinsichtlich ihrer Abhängigkeit von der göttlichen Selbsterkenntnis sowie der darauf bezogenen theologia beatorum, doch kann sie aufgrund des übernatürlichen Ursprungs ihrer Prinzipien die Ergebnisse der mit den Mitteln der natürlichen Vernunft verfahrenden und insofern methodisch zunächst autonomen Metaphysik bewerten und gegebenenfalls korrigieren. 83 Diese Verhältnisbestimmung zwischen den beiden Disziplinen setzt voraus, dass die für die Metaphysik charakteristische Form von »Weisheit« (sapientia) tatsächlich nur im Sinne eines allgemeinen, architektonischen Überblickswissens verstanden wird, das sowohl hinsichtlich seiner inhaltlichen Fülle als auch hinsichtlich seiner existenziellen Relevanz grundsätzlich hinter der vom christlichen Glauben vermittelten sapientia divina zurückbleibt. 84 Die Philosophie als höchster Ausdruck des natürlichen Vernunftvermögens des Menschen genießt damit zwar eine relative methodische Autonomie, aber keine Autarkie hinsichtlich des übernatürlichen Endziels menschlicher Existenz. Diese Auffassung stützt sich auf Thomas’ Konzeption der Metaphysik, die – anders als bei Boethius – nicht mehr in erster Linie als philosophische Theologie im Sinne der aristotelischen θεολογική ἐπιστήμη (theologikê epistêmê) verstanden wird, sondern nur noch »das Seiende als solches« (ens inquantum ens) zu ihrem eigentlichen Gegenstand (subiectum) hat. 85 Insofern sich das Seiende in seiner Gesamtheit vor dem HinterVgl. Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 1, a. 1 c; a. 8 c, ad 2. »Ad tertium dicendum quod duplex est felicitas hominis. Una imperfecta quae est in via, de qua loquitur Philosophus, et haec consistit in contemplatione substantiarum separatarum per habitum sapientiae, imperfecta tamen et tali, qualis in via est possibilis, non ut sciatur ipsarum quiditas. Alia est perfecta in patria, in qua ipse Deus per essentiam videbitur et aliae substantiae separatae. Sed haec felicitas non erit per aliquam scientiam speculativam, sed per lumen gloriae« (Thomas von Aquin, In Boethii De Trinitate, q. 6, a. 4 ad 3). Vgl. auch ders., Summa theologica I, q. 1, a. 1 c; a. 5 c; ders., Summa contra Gentiles I, cap. 2, n. 1; cap. 6, n. 2; ebd. III, cap. 41–48. Vgl. dazu auch J.-L. Solère, »La philosophie des théologiens«, in: J.-L. Solère / Z. Kaluza (Hgg.), La servante et la consolatrice. La philosophie dans ses rapports avec la théologie au Moyen Âge, Paris, Vrin, 2002, 1–44, hier 21–26. 85 »Ex quo apparet, quod quamvis ista scientia [i. e. metaphysica, d. Verf.] praedicta tria consideret, non tamen considerat quodlibet eorum ut subiectum, sed ipsum solum 83 84
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Die historischen Voraussetzungen
grund des biblischen Schöpfungsglaubens nicht aus sich selbst heraus erklärt, sondern auf Gott als seinen transzendenten Ursprung verweist, kann die »ontologisch« definierte Metaphysik gar nicht den Anspruch erheben, die erste und höchste Wissenschaft zu sein. In Thomas’ Entwurf behandelt die Metaphysik als höchste Form der natürlichen, theoretischen Erkenntnis Gott nicht als ihr primäres und eigentliches subiectum, sondern lediglich als principium subiecti. Sie betrachtet somit Gott grundsätzlich nicht unmittelbar, wie er in sich selbst ist, sondern nur indirekt und unter funktionalen Gesichtspunkten, nämlich als schöpferischen Ursprung des Seienden als solchen, das den eigentlichen Gegenstand der Metaphysik bildet. Demgegenüber ist es der Offenbarungstheologie vorbehalten, Gott sub ratione Dei zu thematisieren, d. h. so, wie er sich selbst ist, ohne ihn auf seine kausale Funktion als Schöpfer der Welt zu reduzieren. 86 Die Metaphysik wird also nicht ausschließlich auf ihre ontologische Bedeutungsdimension beschränkt, sondern kann innerhalb eines speziell umgrenzten thematischen Rahmens durchaus auch den Charakter einer philosophischen Theologik annehmen. Unter den Voraussetzungen von Thomas’ Erkenntnistheorie kann sie dies allerdings immer nur im Ausgang von der empirischen Wirklichkeit tun, so dass alle philosophische Gotteserkenntnis lediglich den Charakter eines kausalen Rückschlusses auf Gott als das erste Prinzip und letzte Endziel der Wirklichkeit hat, ohne eine direkte intellektuelle Erkenntnis des Wesens Gottes zu begründen. 87 Damit fällt der im realen Sinne »göttliche« Aspekt, den die Metaphysik bei Aristoteles selbst und vor allem in dessen Rezeption durch Boethius hatte, ersatzlos dahin. Thomas billigt der menschlichen Vernunft grundsätzlich nicht mehr die Möglichkeit zu, mit natürlichen Mitteln eine »getrennte«, d. h. nichtmaterielle, überempirische Wirklichkeit unmittelbar erkennen zu können. 88 Damit ens commune« (Thomas von Aquin, In XII libros metaphysicorum Aristotelis expositio, Prooemium [ed. M.-R. Cathala / R. M. Spiazzi], Romae / Taurini, Marietti, 1950, 2). 86 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 1, a. 7 c; ders., In Boethii De Trinitate III, q. 2, a. 2 c; ebd., q. 5, a. 4 c. Vgl. dazu auch J.-F. Courtine, Suárez et le système de la métaphysique, 61–83. 87 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 2, a. 3 c. 88 »Unde per intellectum connaturale est nobis cognoscere naturas, quae quidem non habent esse nisi in materia individuali; non tamen secundum quod sunt in materia individuali, sed secundum quod abstrahuntur ab ea per considerationem intellectus. Unde secundum intellectum possumus cognoscere huiusmodi res in universali, quod
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ist dem Menschen die Möglichkeit eines metaphysischen Aufstiegsweges zu Gott wie auch dessen unmittelbare intellektuelle Anschauung als reine Form mit den Mitteln der natürlichen Vernunft von vornherein verwehrt. Durch diese Begrenzung des Zuständigkeitsbereichs der Metaphysik gelingt es Thomas zwar, den Konflikt zwischen Philosophie und Theologie zu entschärfen, doch steht und fällt sein Ansatz damit, dass man sich seine minimalistische, ganz auf die empirische Erfahrung zugeschnittene Deutung der Möglichkeiten menschlicher Intellekterkenntnis zu eigen macht. Wie der weitere Verlauf der Aristotelesrezeption im 13. Jahrhundert jedoch beweist, wird diese Prämisse durchaus nicht von allen scholastischen Denkern geteilt. Dies hat zur Folge, dass Theologie und Philosophie mehr und mehr in ein direktes Konkurrenzverhältnis zueinander treten, das sich einer harmonisierenden Synthese widersetzt und den epistemologischen Status dieser beiden Wissenschaften erneut problematisch erscheinen lässt.
2.3 Das Problem des radikalen Aristotelismus, die Kritik Bonaventuras und die Verurteilung von 1277 Der im 13. Jahrhundert aufbrechende Konflikt zwischen Offenbarungstheologie und aristotelischer Philosophie resultiert nicht nur und nicht einmal primär aus der Tatsache, dass sich die beiden Wisest supra facultatem sensus. Intellectui autem angelico connaturale est cognoscere naturas non in materia existentes. Quod est supra naturalem facultatem intellectus animae humanae, secundum statum praesentis vitae, quo corpori unitur. Relinquitur ergo quod cognoscere ipsum esse subsistens, sit connaturale soli intellectui divino, et quod sit supra facultatem naturalem cuiuslibet intellectus creati, quia nulla creatura est suum esse, sed habet esse participatum. Non igitur potest intellectus creatus Deum per essentiam videre, nisi inquantum Deus per suam gratiam se intellectui creato coniungit, ut intelligibile ab ipso« (Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 12, a. 4 c). – »Animae igitur secundum illum modum essendi quo corpori est unita, competit modus intelligendi per conversionem ad phantasmata corporum, quae in corporeis organis sunt, cum autem fuerit a corpore separata, competit ei modus intelligendi per conversionem ad ea quae sunt intelligibilia simpliciter, sicut et aliis substantiis separatis. Unde modus intelligendi per conversionem ad phantasmata est animae naturalis, sicut et corpori uniri, sed esse separatum a corpore est praeter rationem suae naturae, et similiter intelligere sine conversione ad phantasmata est ei praeter naturam« (Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 89, a. 1 c). Vgl. dazu A. Speer, »The Division of Metaphysical Discourses: Boethius, Thomas Aquinas and Meister Eckhart«, 96–104.
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Die historischen Voraussetzungen
senschaften auf zwei qualitativ verschiedene Erkenntnisquellen berufen. Problematisch ist vielmehr der Umstand, dass sie beide, wenngleich auf unterschiedliche Weise, den Anspruch erheben, auf Fragen zu antworten, die sich auf die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit und deren letzten bzw. ersten Grund, die Stellung des Menschen innerhalb der Welt sowie den Endzweck der menschlichen Existenz beziehen. 89 Die Spannungen zwischen Theologie und Philosophie sind somit dem Umstand geschuldet, dass sie, ausgehend von unterschiedlichen Prinzipien und mit unterschiedlichen methodischen Mitteln, dieselben auf Allheit und Ganzheit abzielenden Fragestellungen bearbeiten und dabei zu durchaus unterschiedlichen und nicht selten sogar widersprüchlichen Ergebnissen gelangen. Die Spannungen zwischen Philosophie und Theologie sind zunächst einmal Ausdruck des neugewonnenen Selbstbewusstseins, das die Vertreter der Artistenfakultät innerhalb der im 13. Jahrhundert entstehenden Universität gegenüber ihren Kollegen aus der Theologischen Fakultät an den Tag legen. Sie wollen sich nicht länger darauf beschränken, der Theologie lediglich in propädeutischer Weise zuzuarbeiten, sondern erheben den Anspruch, in eigenständiger Weise Wissenschaft zu betreiben, ohne den Sinn ihres Tuns an der theologischen »Verwertbarkeit« ihrer Ergebnisse zu bemessen. Dieser mittelalterliche »Streit der Fakultäten« verfolgt also zunächst einmal das Anliegen, der Philosophie ihre wissenschaftliche Eigenständigkeit zurückzugeben und sie durch die Anerkennung der Zweckfreiheit ihres Tuns gegenüber der Theologie aufzuwerten. Doch letztlich geht es dabei um weit mehr als nur um inneruniversitäre Machtspiele; beanspruchen die Vertreter der Artistenfakultät doch neben ihrer akademischen Funktion auch eine eigene intellektuelle Identität, die in dem Anspruch gipfelt, die höchstmögliche dem Menschen erreichbare Lebensform zu verkörpern. 90 Alain de Libera bemerkt dazu: »Insistons: pour qu’il y ait rencontre et confrontation, il faut qu’il y ait une véritable alternative, non pas une représentation ou un concept mort de la philosophie opposé à une pratique vivante de la théologie ou de la foi théologale, mais bien deux pratiques, deux idéaux de vie constitués et recteurs« (A. de Libera, »Averroïsme éthique et philosophie mystique. De la félicité intellectuelle à la vie bienheureuse«, in: L. Bianchi [Hg.], Filosofia e teologia nel trecento. Studi in ricordi di Eugenio Randi, Louvain, Institut d’Études Médiévales, 1994, 33– 56, hier 37; Hervorhebungen im Original). 90 Vgl. A. de Libera, Raison et foi. Archéologie d’une crise d’Albert le Grand à Jean Paul II, Paris, Les Éditions du Seuil, 2003, 174–220. 89
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Der wissenschaftstheoretische Neuansatz im 13. Jahrhundert
Am deutlichsten kommt dieses Selbstverständnis bei den Vertretern des radikalen Aristotelismus zum Ausdruck, die unter Berufung auf Averroes’ Deutung der aristotelischen Intellekttheorie einen rein metaphysischen Aufstiegsweg zum Göttlichen postulieren 91 und die von Aristoteles selbst getroffene Unterscheidung zwischen ethischen und dianoetischen Tugenden zugunsten einer Ethisierung der intellektuellen Erkenntnis als solcher aufheben. Die Vertreter dieser philosophischen Richtung, allen voran Siger von Brabant und Boethius von Dacien, betrachten die vom Ideal zweckfreier, rein theoretischmetaphysischer Erkenntnis geprägte Existenzweise des Philosophen als die höchstmögliche Verwirklichung menschlicher Glückseligkeit, so dass die offenbarungstheologische Vorstellung eines ewigen Lebens im Jenseits letztlich entbehrlich erscheint und allenfalls als volkstümliche, der Auffassungsgabe der einfachen Leute angepasste Vorstellung zugelassen wird. Daher wird die Notwendigkeit einer Offenbarungstheologie von den radikalen Aristotelikern zwar nicht direkt geleugnet, doch deutet gerade ihr Verzicht auf eine ausdrückliche Verhältnisbestimmung von philosophisch-metaphysischer Theologik und schriftbasierter Offenbarungstheologie darauf hin, dass die Metaphysik als solche in ihren Augen bereits die einzig notwendige scientia divina darstellt, die allen anderen Wissenschaften ihren letzten Zwecksinn, nämlich die Erreichung der menschlichen Glückseligkeit, vorgibt. 92
Vgl. dazu Averroes, Großer Kommentar zum De anima 36.6, in: Averroes, Über den Intellekt (arab./lat./dt.; hg., übers., mit Einl. und Anm. versehen von D. Wirmer), Freiburg / Basel / Wien, Herder, 269–285. 92 »Haec scientia […] regit et ordinat alias quia in hac cognoscitur finis ultimus omnis speculationis, qui est Deus« (Siger von Brabant, Quaestiones in metaphysicam, q. 4, in: Ders., Questions sur la métaphysique [lat./frz.; ed. C. A. Graiff], Louvain, Éditions de l’Institut Supérieur de Philosophie, 1948, 7). Die prinzipielle Überlegenheit der Lebensweise des Philosophen gegenüber allen anderen Existenzformen wird bei Boethius von Dacien unumwunden ausgesprochen: »[H]omo in statu philosophi regitur ratione, et iste status similis est statui divino, quia vivere divinum est vivere secundum rationem et intellectum. […] Item, iste status est maxime honorabilis in quo homo vivit in illo statu in quo pervenit ad ultimam felicitatem; sed hoc est in statu philosophi quia ibi pervenitur ad felicitatem ultimam quae est optima speculatio respectu optimi obiecti« (Boethius von Dacien, Quaestiones metaphysicae, q. 1, a. 9 c, in: Boethii Daci Quaestiones super librum De anima I–II / Anonymi Boethio Daco usi Quaestiones metaphysicae [Corpus philosophorum Danicorum medii aevi, vol. XIV; ed. R. Wielockx / G. Fioravanti], Hauniae, Apud Typothetas speciales Vibergensis, 2009, 206). 91
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Die historischen Voraussetzungen
Dieser hohe Anspruch des radikalen Aristotelismus stützt sich auf die These, dass der Metaphysiker im Laufe seines habituellen Wissenserwerbs nicht nur Erkenntnisse über das Göttliche gewinnt, sondern am Ende seines intellektuellen Aufstiegsweges vom göttlichen Intellekt in bleibender Weise überformt wird. Die Reichweite der menschlichen Vernunfterkenntnis stellt somit keine feststehende Größe dar, sondern ist durchaus einer Steigerung fähig, je nachdem, in wie intensiver Weise sich der Mensch den theoretischen Wissenschaften und insbesondere der Metaphysik widmen kann. 93 Insofern der Begriff der Gnade bzw. der Offenbarung bei diesem Prozess keine wie immer geartete Rolle mehr spielt, erscheint die Schlussfolgerung unausweichlich, dass die averroistisch geprägte Metaphysikkonzeption letztlich auf eine philosophische Selbsterlösungslehre in Form einer methodisch-wissenschaftlich verfahrenden Intellektmystik hinausläuft. 94 Genau an diesem elitär wirkenden intellektuellen Anspruch entzündet sich die Kritik, die Bonaventura gegen die Averroisten, darüber hinaus aber auch gegen jede Form einer sich autonom setzenden Philosophie vorbringt. 95 Er ist einer der wenigen scholastischen Autoren des 13. Jahrhunderts, die auch angesichts des neuen aristotelischen Paradigmas an der augustinischen Hierarchisierung von scientia und sapientia festhalten und der Philosophie lediglich die Funktion einer Durchgangsstufe auf dem Weg zur christlichen Weisheit zubilligen. 96 Der Grund dafür liegt darin, dass sich Bonaventura mit der für die aristotelische Wissenschaftstheorie grundlegenden Rückführung auf die »ersten Gründe« im epistemologischen Sinne nicht zufriedengibt. In dem Maße, wie das Erste schlechthin – nämlich Gott – nicht in die Sphäre natürlicher, theoretischer Erkenntnis fällt, sondern ein Ziel darstellt, dem man sich nur mittels eines von der Liebe getragenen Willensaktes nähern kann, besteht die sapientia Vgl. C. Steel, Der Adler und die Nachteule. Thomas und Albert über die Möglichkeit der Metaphysik (Lectio Albertina 4), Münster, Aschendorff, 2001, 10–26. 94 Vgl. L. Sturlese, Vernunft und Glück. Die Lehre vom ›intellectus adeptus‹ und die mentale Glückseligkeit bei Albert dem Großen (Lectio Albertina 7), Münster, Aschendorff, 2005. 95 Vgl. Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron, cap. IV, n. 1, in: Opera Omnia V (ed. Quaracchi), Ex Typographia Collegii S. Bonaventurae, 1891, 349a. 96 Vgl. Bonaventura, In III Sent., dist. 35, qq. 1–2, in: Opera Omnia III (ed. Quaracchi), 772–777; ders., Collationes in Hexaëmeron, cap. III, n. 27; cap. VII, nn. 9–15; cap. XIX, n. 7, in: Opera Omnia V (ed. Quaracchi), 347b. 367a-b. 420a–421b. 93
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Der wissenschaftstheoretische Neuansatz im 13. Jahrhundert
in einer Aufstiegsbewegung, die eine übernatürliche conformatio des Erkennenden durch den Glauben und die Gnade voraussetzt und damit die »nur« kognitive Erkenntnis der philosophischen scientia grundsätzlich übersteigt. 97 Das so verstandene affektive Moment der Erkenntnis geht in grundsätzlicher Weise über den Aspekt der φιλο-σοφία (philo-sophia) als »Liebe zur Weisheit« im klassischen Sinne hinaus. Das aristotelische Verständnis von Weisheit als eines auf letzte bzw. erste Gründe gehenden, architektonischen Überblicks- und Ordnungswissens erscheint in Bonaventuras Augen nun prinzipiell unzureichend, da es bei dieser Art von Wissen ausdrücklich um das Universale und nicht um das Einzelne geht und überdies nur die wenigsten Menschen in der Lage sind, diesen intellektuell sehr anspruchsvollen Erkenntnisweg zu beschreiten. 98 Insofern aber gerade die individuelle Wirklichkeit des Menschen im Mittelpunkt der christlichen Erlösungslehre steht, weist auch die vollkommenste Verwirklichung des antiken Metaphysikideals über sich hinaus auf eine Form der Erkenntnis, die in erster Linie einen ethisch-lebenspraktischen Charakter hat und erst in zweiter Linie eine wissenschaftlich konzipierte Theologie begründet. Die Diskursivität des Erkenntnisprozesses hat damit bei Bonaventura einen Sinn, der über das bloß kognitiv-argumentative Fortschreiten der aristotelischen Logik und Erkenntnistheorie hinausgeht. Vielmehr handelt es sich um einen individuell zu beschreitenden Weg, der eine innere Reinigung des Erkennenden voraussetzt und ihn durch einen spirituellen Entwicklungs- und Vervollkommnungsprozess zu immer größerer Erleuchtung und schließlich zur transformativen Einheit mit Gott führt. 99 Die dabei erkannte Wahrheit kann daher nicht einfach auf geltungslogischem Wege durch den Verweis auf übergeordnete, begrifflich fassbare Prinzipien abgeleitet werden, »Notitia igitur transiens in affectum est sapientia, quae est ›cognitio causarum altissimarum et per causas altissimas‹« (Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron, cap. V, n. 13, in: Opera Omnia V [ed. Quaracchi], 356a). Vgl. dazu L. Sileo, »Il concetto di sapientia et la Filosofia prima. Le ragioni del dibattito e l’opzione di Bonaventura«, Quaestio 5 (2005), 429–476, hier 442–468. 98 Vgl. Aristoteles, Metaphysik I 2, 992 a 8–19. 99 »Nam per senas alas illas recte intelligi possunt sex illuminationum suspensiones, quibus anima quasi quibusdam gradibus vel itineribus disponitur, ut transeat ad pacem per ecstaticos excessus sapientiae christianae« (Bonaventura, Itinerarium mentis in Deum, Prologus, n. 3, in: Opera Omnia V [ed. Quaracchi], 295b). 97
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Die historischen Voraussetzungen
sondern hat eine wesentlich psychologisch-genetische Dimension, die dem Begriff der Weisheit einen unveräußerlich persönlichen Charakter verleiht. Die aristotelische Philosophie, die grundsätzlich auf die Erkenntnis des Universalen ausgeht und die dianoetischen Tugenden von den ethischen abkoppelt, stellt daher für Bonaventura eine prinzipiell unvollkommene Form der Erkenntnis dar, die allenfalls im Bereich der Logik, Naturphilosophie und anderer verwandter Disziplinen ihre Berechtigung hat, aber keinen direkten, positiven Beitrag für die christliche Theologie und die wahre Selbsterkenntnis des Menschen zu leisten vermag. 100 So unterschiedlich die wissenschaftstheoretischen Positionen der radikalen Aristoteliker einerseits und Bonaventuras andererseits auch ausfallen mögen, so wird an ihnen doch ein Grundproblem sichtbar, das für die Zuspitzung der Situation in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wesentlich verantwortlich ist: Beiden Ansätzen ist gemeinsam, dass sie das Verhältnis zwischen Theologie und Philosophie entweder im Sinne einer wechselseitigen Über- bzw. Unterordnung oder gar einer hierarchisch-vertikalen »Aufhebung« der einen Wissenschaft in die andere verstehen. Ganz gleich, ob die leitende Rolle dabei der Theologie oder der Philosophie zugedacht wird – stets handelt es sich dabei um ein Herrschaftsverhältnis, das entweder für die natürliche Intellekterkenntnis oder für das übernatürliche Offenbarungswissen einen wissenschaftstheoretischen Hegemonialanspruch anmeldet. Letztlich gibt es nur zwei verschiedene Möglichkeiten, diesem Konflikt zu begegnen: Entweder man gesteht zu, dass Philosophie und Theologie es mit derselben Wirklichkeit und denselben grundlegenden Fragen zu tun haben, dann bedeutet dies, dass ihr mögliches Konkurrenz- und Verdrängungsverhältnis nur durch eine Begrenzung ihrer jeweiligen Kompetenzen entschärft werden kann. Oder aber man versteht sie als prinzipiell unterschiedliche, gänzlich autonome Formen der Wirklichkeitsdeutung, deren begriffliche Referenzsysteme keine Überschneidungen mehr zulassen, dann hat man zwar mögliche Konflikte und Kompetenzstreitigkeiten von vornherein vermieden, muss dafür aber in Kauf nehmen, dass die beiden »Ideo, quantumcumque sit illuminatus quis lumine naturae et scientiae acquisitae, non potest intrare in se, ut in se ipso delectetur in Domino, nisi mediante Christo« (Bonaventura, Itinerarium mentis in Deum, cap. IV, n. 2, in: Opera Omnia V [ed. Quaracchi], 306a).
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Der wissenschaftstheoretische Neuansatz im 13. Jahrhundert
Wissenschaften im Sinne einer »doppelten Wahrheit« nebeneinander herlaufen und nicht mehr von einem übergeordneten Standpunkt aus zueinander in Beziehung gesetzt werden können. 101 Die Tendenz zu einer strikten Trennung der jeweiligen Kompetenzbereiche verfestigt sich mehr und mehr im Gefolge der Verurteilung von 1277, die einem Autonomieanspruch der Philosophie unter aristotelischen Vorzeichen eine klare Absage erteilt. 102 Die Abgrenzung der Theologie von der Philosophie betrifft dabei nicht nur die Provenienz ihrer Prinzipien, ihre jeweilige Methodik und ihren spezifischen Blickwinkel, sondern auch die möglichen Inhalte wissenschaftlicher Erörterung. So ist es der Philosophie im universitären Rahmen nunmehr ausdrücklich verboten, Themen zu behandeln, die es mit den Kerngehalten des christlichen Glaubens zu tun haben, wie etwa Trinität, Inkarnation oder Sakramentenlehre. 103 Die Entwicklung geht somit in Richtung einer zunehmenden Spezialisierung der beiden Wissenschaften, die letztlich zum Abbrechen eines echten interdisziplinären Dialogs zwischen Offenbarungstheologie und natürZum Problem der doppelten Wahrheit vgl. insbesondere Boethius von Dacien, De aeternitate mundi 826–848, in: Boethii Daci Opera: Topica – Opuscula (Corpus philosophorum Danicorum medii aevi, vol. VI/2; ed. N. G. Green-Pedersen), Hauniae, Typis Fr. Bagge, 1976, 365 f.; vgl. dazu H. Wels, »Zu einer Theorie der doppelten Wahrheit in dem Traktat ›De aeternitate mundi‹ des Boethius von Dacien«, in: F. Niewöhner / L. Sturlese (Hgg.), Averroismus im Mittelalter und in der Renaissance, Zürich, Spur Verlag, 1994, 85–100. Die Frage, ob Boethius von Dacien in der Tat die Möglichkeit einer doppelten Wahrheit behauptet hat oder lediglich die grundlegenden Unterschiede zwischen Offenbarungstheologie und philosophischer Theologik hinsichtlich ihrer jeweiligen Methodik und Zielsetzung betonen wollte, ist allerdings umstritten. Vgl. dazu A. Speer, »Doppelte Wahrheit? Zum epistemischen Status theologischer Argumente«, in: G. Mensching (Hg.), De usu rationis. Vernunft und Offenbarung im Mittelalter, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2007, 73–90; L. Bianchi, »Felicità terrena e beatitudine ultraterrena. Boezio di Dacia e l’articolo 157 censurato da Tempier«, in: P. J. J. M. Bakker (Hg.), Chemins de la pensée médiévale. Études offertes à Zénon Kaluza, Turnhout, Brepols, 2002, 193–214. 102 Vgl. dazu P. Wilpert, »Boethius von Dacien – die Autonomie des Philosophen«, in: Ders. (Hg.), Beiträge zum Berufsbewußtsein des mittelalterlichen Menschen (Miscellanea Mediaevalia 3), Berlin, De Gruyter, 1964, 135–152. 103 Vgl. H. Denifle / E. Chatelain (Hgg.), Chartularium Universitatis Parisiensis, vol. I, Paris, Delalain, 1889, 499, n. 441; C. Lafleur, »Le statut de la philosophie dans le décret parisien de 1277 selon un commentateur anonyme du XVe siècle: étude historico-doctrinale, édition sélective et synopsis générale des sources du commentaire ›Quod Deus‹«, in: J. A. Aertsen / K. Emery / A. Speer (Hgg.), Nach der Verurteilung von 1277 (Miscellanea Mediaevalia 28), Berlin / New York, De Gruyter, 2001, 931– 1003, hier 935–937. 101
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Die historischen Voraussetzungen
licher, philosophischer Vernunfterkenntnis führt. Ebenso wird der Philosophie aber auch seitens der Theologen das Recht bestritten, die Existenzform des professionellen Philosophen als einen eigenständigen, vollgültigen Lebensentwurf darzustellen, der schon auf Erden zur Glückseligkeit führt. 104 Letztlich läuft diese Entwicklung darauf hinaus, die Philosophie existenziell zu neutralisieren und sie zu einem bloßen Denkinstrument zu erklären, das innerhalb eines gewissen thematischen Rahmens zwar nützlich und vielleicht sogar notwendig ist, hinsichtlich seiner teleologischen Funktion im Gesamtzusammenhang des menschlichen Lebens aber unselbständig bleibt. 105
2.4 Die transzendentalphilosophische Umdeutung der Metaphysik bei Duns Scotus Duns Scotus’ philosophisch-theologischer Entwurf stellt die wohl konsequenteste Antwort auf das in der Averroismuskrise des 13. Jahrhunderts aufgeworfene Problem des Verhältnisses von aristotelischer Philosophie und Offenbarungstheologie dar. Dazu mag nicht zuletzt der Umstand beigetragen haben, dass er im Jahr 1302 – also zur gleichen Zeit wie Meister Eckhart – an der Pariser Universität lehrt, wo die Folgen der Verurteilung von 1277 besonders deutlich spürbar sind. 106 Scotus folgt der damals vorherrschenden Tendenz, die beiden Disziplinen zu entflechten und eine Vermischung ihrer jeweiligen Zuständigkeitsbereiche zu verhindern. Dabei geht er insofern deutlich weiter als Thomas von Aquin, als er die Theologie nun grundsätzlich nicht mehr nach dem Muster einer scientia speculativa im aristotelischen Sinne konzipiert, sondern sie als scientia practica begreift, die in erster Linie auf die Erlösung des Menschen, die Erlangung der Glückseligkeit und die damit zusammenhängenden Fragen
Vgl. die Artikel 144, 157 und 176 des Verurteilungsdekrets von 1277, in: K. Flasch, Aufklärung im Mittelalter? Das Dokument des Bischofs von Paris, Mainz, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, 1989, 212. 221. 230. 105 Vgl. A. de Libera, Penser au Moyen Âge, Paris, Éditions du Seuil, 1991, 143–180. 106 Vgl. dazu S. P. Marrone, »Scotus at Paris on the Criteria for Scientific Knowledge«, in: S. F. Brown / T. Dewender / T. Kobusch (Hgg.), Philosophical Debates at Paris in the Early Fourteenth Century, Leiden / Boston, Brill, 2009, 383–400. 104
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Der wissenschaftstheoretische Neuansatz im 13. Jahrhundert
der ethisch-moralischen Lebensgestaltung ausgerichtet ist. 107 Diese heilsökonomische Akzentuierung der Theologie bedeutet, dass es in ihr letztlich nicht um universale Prinzipien, sondern um den konkreten Menschen in seiner individuellen Einzigartigkeit geht. In dem Maße, wie die Theologie nicht mehr als spekulative Wissenschaft, sondern als praktisches Heilswissen gilt, rückt die Hl. Schrift als Zeugnis einer wesentlich geschichtlichen Offenbarung wieder verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses. 108 Im Gegenzug bestimmt Duns Scotus die Metaphysik dahingehend neu, dass sie prinzipiell nicht mehr zu einer eigenen Lebensform oder gar einer philosophischen Mystik aufgesteigert werden kann. Der entscheidende Schritt liegt dabei in der Umdeutung des ihr eigenen Gegenstandsbereichs, des »Seienden als solchen« (ens inquantum ens), zu einem bloß formalen Begriff, der in sich auf keine konkrete Wirklichkeit mehr verweist, sondern lediglich den allgemeinsten Rahmen bildet, innerhalb dessen etwas überhaupt gedacht werden kann. Insofern der so verstandene Seinsbegriff (conceptus formalis entis) noch vor der Unterscheidung in konkrete Seinsmodi (materiell / immateriell, endlich / unendlich usw.) liegt, kann er auf Gott und die Geschöpfe gleichermaßen angewendet werden, ohne dass damit der Anspruch verbunden wäre, mittels einer philosophischen Theologik spekulative Erkenntnisse über Gottes Wesen gewinnen zu können. 109 Dieser rein formale Begriff ist als Grundbedingung aller weiteren Wesensdefinitionen und Bestimmungen inhaltslos und steht für nichts anderes als die Möglichkeit, durch die Hinzufügung von konkreten Modi und Eigenschaften spezifiziert und weiterbestimmt zu werden. So gesehen, ist er der einfachste distinkt zu erkennende Begriff, der in nichts Elementareres mehr aufgelöst und auf kein noch ursprünglicheres Prinzip zurückgeführt werden kann. 110 Das bedeutet, dass die Philosophie mit Blick auf Gott zwar den Begriff des ens infinitum bilden kann, doch ist die Unterscheidung in Vgl. Johannes Duns Scotus, Ordinatio, Prol. pars 5, qq. 1–2, in: Opera Omnia I (ed. Vaticana), 151–237. 108 Vgl. Johannes Duns Scotus, Ordinatio, Prol. pars 2, q. un., in: Opera Omnia I (ed. Vaticana), 59–87. 109 Vgl. Johannes Duns Scotus, Quaest. in Met. IV, q. 1, in: Opera philosophica I (ed. G. Lauriola), 125–135. 110 Vgl. L. Honnefelder, Ens inquantum ens. Der Begriff des Seienden als solchen als Gegenstand der Metaphysik nach der Lehre des Johannes Duns Scotus, Münster, Aschendorff, 1979, 151–160. 107
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Die historischen Voraussetzungen
ens infinitum und ens finitum noch oberhalb der Unterteilung des Seienden in die zehn aristotelischen Kategorien angesiedelt. Diese finden nur auf das endliche, geschöpfliche Seiende Anwendung, können aber nicht zur weiteren Bestimmung des göttlichen Wesens herangezogen werden. 111 Außer der Eigenschaft der Unendlichkeit lässt sich lediglich der Begriff der Notwendigkeit apriorisch von Gott aussagen, da die Kontingenz des geschaffenen Seienden die Annahme einer überkontingenten Ursache zwingend erforderlich macht. 112 Darüber hinaus ist aber keine inhaltliche Weiterbestimmung des philosophischen Gottesbegriffs möglich, da dieser dem Mensch unter irdischen Bedingungen nur in abstrakter Form zugänglich ist und keine direkte, intuitive Erkenntnis des göttlichen Wesens ermöglicht. Die »Metaphysik in sich« (metaphysica in se), die zugleich mit einem bestimmten abstrakten Begriff auch dessen konkreten Begriffsinhalt intuitiv erfassen würde, ist dem göttlichen Intellekt vorbehalten, kann aber nicht als Vorbild für die »Metaphysik in uns« (metaphysica in nobis) unter den Bedingungen endlicher, menschlicher Erkenntnis im Diesseits fungieren. 113 Die konkrete Ausgestaltung dessen, was die Philosophie mit dem Begriff des ens infinitum et necessarium meint, bleibt daher der Theologie vorbehalten, die nicht begrifflich-apriorisch verfährt, sondern auf die heilsgeschichtlich vermittelte Offenbarung aufbaut. 114 Die Metaphysik als solche hat es daher nicht mehr mit einer Betrachtung des Seienden in seiner Gesamtheit zu tun, sondern wird zu einer Analyse der allgemeinsten und formalsten Begriffe, mittels derer wir Seiendes erkennen können. Die unüberbietbare Universalität und Univozität des Seinsbegriffs ist somit durch seine völlige Inhaltsleere erkauft, die nicht mehr auf die Wirklichkeit als solche verweist, sondern nur noch für die Möglichkeit steht, jede beliebige Form von Wirklichkeit – auch die faktisch nicht existierende – zum Gegenstand des Denkens zu machen. Was an Duns Scotus’ Ansatz auffällt, ist die Tatsache, dass er nicht etwa die Metaphysik generell zu einer rein menschlichen ErVgl. Johannes Duns Scotus, Ordinatio I, dist. 8, pars 1, q. 3, n. 113, in: Opera Omnia IV (ed. Vaticana), 205 f. 112 Vgl. Johannes Duns Scotus, Lectura I, dist. 39, n. 41, in: Opera Omnia XVII (ed. Vaticana), 492. 113 Vgl. dazu L. Honnefelder, Ens inquantum ens, 125–132. 114 Vgl. Johannes Duns Scotus, Ordinatio, Prol. pars 1, q. un., in: Opera Omnia I (ed. Vaticana), 1–58. 111
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Der wissenschaftstheoretische Neuansatz im 13. Jahrhundert
kenntnisform deklariert, um sie von der übernatürlichen Erkenntnis abzugrenzen, die Gott von sich selbst hat und in Form historischer Offenbarung den Menschen mitteilt. Die Verdoppelung des Metaphysikbegriffs in eine metaphysica in se und eine metaphysica in nobis deutet darauf hin, dass sich die metaphysische Erkenntnis als solche zumindest im grundsätzlichen Sinne sehr wohl auch auf dem Niveau einer unmittelbaren intellektuellen Anschauung des Göttlichen bewegen könnte, nur dass für uns Menschen unter irdischen Bedingungen eine solche intuitive Erkenntnis nicht erreichbar ist. Grundsätzlich ist aber eine solche »überirdische Metaphysik« zumindest als Konstruktion denkbar, so dass Metaphysik und Theologie sich nicht in einem Verhältnis der Über- und Unterordnung befinden, sondern in ihren zwei unterschiedlichen Ausprägungsformen parallel nebeneinander zu stehen kommen 115: Der theologia in se, also der Selbsterkenntnis, die Gott von sich selbst hat, entspricht die metaphysica in se, die mit einem formalen Begriff zugleich auch schon dessen konkreten Inhalt intuitiv erfasst. Umgekehrt entspricht der metaphysica in nobis, die zu keiner intuitiven, sondern nur zu einer begrifflich-abstraktiven Erkenntnis des Absoluten fähig ist, auch eine den menschlichen Möglichkeiten angepasste theologia in nobis, die sich nicht direkt aus Gottes Selbsterkenntnis speist, sondern unmittelbar vom positiven Datum der Offenbarung in seiner faktischen Historizität und Kontingenz auszugehen hat. 116
»Ad aliam etiam quaestionem quae quaeritur an theologia subalternatur alicui alteri, dicendum quod non, quia principia huius non accipiuntur ab alia scientia, sed immediate ab essentia divina, quae ut ›haec‹ est primum subiectum in ea. Nec etiam subalternat sibi aliam, quia est omnis scientia, quae non includit imperfectionem, ut dictum est, et nihil subalternatur sibi ipsi. Similiter nulla scientia subalternatur theologiae beatorum, quia nulla scientia alteri subalternatur quae habet principia immediata quae non resolvuntur in priora in illo genere […]. Unde licet principia harum scientiarum sint imperfecta respectu principiorum theologiae beatorum, tamen sunt immediata in suo genere et in suo ordine« (Johannes Duns Scotus, Lectura I, Prol. pars 3, q. 2, in: Opera Omnia XVI [ed. Vaticana], 43). 116 »Aliter igitur est de scientia nostra et scientia divina. Nam necessitas quae requiritur ad scientiam nostram est necessitas obiecti et non habitus […]. Sed necessitas scientiae divinae est necessitas habitus et non obiecti. […] Et ideo proprie theologia in se est vera scientia, licet sit de contingentibus; quod non contigit de alia scientia naturaliter acquisita. Et ideo proprie theologia dicitur sapientia et non scientia, quia est evidens notitia, non mendicata per discursum nec per causam, sed ex evidentia extremorum« (Johannes Duns Scotus, Lectura in I Sent., Prol. pars 3, q. 1 c, in: Opera Omnia XVI [ed. Vaticana], 41). 115
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Die historischen Voraussetzungen
Auch wenn Duns Scotus durch seine Betonung des überkategorialen Charakters des ens infinitum dem vorzubeugen sucht, entsteht dennoch der Eindruck, dass Gott damit zu einem »Gegenstand« des Denkens wird wie alle anderen auch. Scotus’ Versuch, im Rahmen seiner Theologie die Freiheit und Souveränität Gottes zu wahren, 117 wird somit durch die Tatsache konterkariert, dass in seinem transzendentalphilosophischen Entwurf Gott unmittelbar und zur Gänze in den Gegenstandsbereich der Metaphysik fällt und unter den übergeordneten, formalen Begriff des ens univocum subsumiert wird. Insofern dieses nicht schon auf reale Gegenstände, sondern lediglich auf die apriorische Form möglicher Gegenständlichkeit überhaupt verweist, 118 handelt es sich beim Gottesbegriff der scotischen Metaphysik tatsächlich nur um einen »gedachten Gott«, den sich das Denken in objektivierender Distanz gegenüberstellt, ohne zu ihm in eine wirkliche Beziehung treten zu können. Dieser Schritt hat für die weitere Entwicklung der Philosophie und Theologie weitreichende Folgen; kann nunmehr doch aus der Perspektive der Metaphysik erstmals der Eindruck entstehen, Gott sei ein bloßer Gegenstand des Denkens, dessen man sich in rein begrifflicher Weise bemächtigen könne. Die Jahrhunderte später von Heidegger formulierte Frage »Wie kommt der Gott in die Philosophie?«, die in kritischer Weise den onto-theologischen Doppelcharakter der Metaphysik und deren begriffliche Vergegenständlichung des Göttlichen in den Blick nimmt, 119 bezieht sich somit nicht auf die ganze Geschichte des abendländischen Denkens, sondern genaugenommen auf eine Entwicklung, die in dieser Form erst mit Duns Scotus ihren Anfang genommen hat. Umgekehrt kann dieser auf einen abstrakten Begriff reduzierte »Gott der Philosophen« zum »lebendigen Gott« des Glaubens nicht mehr adäquat in Beziehung gesetzt werden, was dazu führt, dass philosophisches Bewusstsein und mystisch-religiöses Bewusstsein von nun an getrennte Wege gehen.
Vgl. Johannes Duns Scotus, Ordinatio I, dist. 44, q. un., n. 3, in: Opera Omnia VI (ed. Vaticana), 363. 118 Vgl. dazu L. Honnefelder, Ens inquantum ens, 157 sowie J.-F. Courtine, Suárez et le problème de la métaphysique, 157 f. 119 Vgl. M. Heidegger, »Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik«, in: Ders., Identität und Differenz, Neske, Pfullingen, 101996, 47. 117
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II. Die systematischen Grundkoordinaten von Meister Eckharts philosophischtheologischem Denkansatz
1.
Meister Eckharts Stellung in seiner Zeit
Als Zeitgenosse und Kollege des Duns Scotus an der Pariser Universität in den Jahren 1302/03 1 ist Meister Eckhart mit derselben wissenschaftstheoretischen Problematik konfrontiert wie der doctor subtilis, beschreitet hinsichtlich der Lösung aber ganz eigene, neue Wege. Trotz der Aporien und Dichotomien, die sich im späten 13. Jahrhundert hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Philosophie, Theologie und Glaubenspraxis herausgebildet haben, akzeptiert Eckhart nicht einfach resigniert den status quo, sondern hat den Ehrgeiz, eine grundlegend neue Antwort zu finden, die diese Schwierigkeiten nicht so sehr löst als vielmehr die ihnen zugrunde liegenden Annahmen in radikaler Weise unterläuft und damit außer Kraft setzt. Bei genauerem Hinsehen lässt sich erkennen, dass Eckhart in seinen lateinischen und deutschen Werken sehr wohl in impliziter und bisweilen auch expliziter Form auf die Universitätsdebatten der damaligen Zeit Bezug nimmt. Dabei spart er durchaus nicht an Humor und Ironie, wenn es darum geht, die in seinen Augen völlig inadäquaten Positionen gewisser Kollegen aus der Theologenzunft aufzuspießen und in ihrer Haltlosigkeit erkennbar werden zu lassen. 2 In vielen Fällen bleiben die Verweise auf das intellektuelle Umfeld seiner »To begin, we have Meister Eckhart coming to Paris in 1302. In the same year, we also find Duns Scotus there, who was probably present at Meister Eckhart’s famous dispute with the Franciscan Gonsalvus of Spain on the relationship between intellect and will« (S. F. Brown / T. Dewender / T. Kobusch [Hgg.], Philosophical Debates at Paris in the Early Fourteenth Century, X [Einleitung von S. F. Brown und T. Kobusch]). 2 »Die besten meister sprechent, daz der kerne der sælicheit lige an bekantnisse. Ein grôzer pfaffe kam niuwelîche ze Parîs, der was dâ wider und ruofte und donte gar sêre« (»Die besten Meister sagen, der Kern der Seligkeit liege im Erkennen. Ein großer Pfaffe kam neulich nach Paris, der war dagegen und schrie und tat gar aufgeregt« [Meister Eckhart, Pr. 70, DW III, 188,1–3; nhd. Übers. nach EW II, 57,13–15]). 1
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Die systematischen Grundkoordinaten von Meister Eckharts Denkansatz
Zeit jedoch implizit und müssen gleichsam als Negativabdruck aus Eckharts eigenen Positionen erschlossen werden. Eckhart verweist zwar hie und da auf Thesen seiner Zeitgenossen, wenn es ihm nützlich erscheint, doch lässt er sich die Logik seines eigenen Ansatzes nicht einfach von der Summe der bis dahin akkumulierten Fragestellungen und Probleme vorgeben. Entgegen dem damals vorherrschenden Verständnis von geistiger Arbeit als einer demütigen Einreihung in eine seit langem bestehende Tradition nimmt Eckhart für sich in Anspruch, abseits der ausgetretenen Pfade zu gehen, um nova et rara zu bieten. 3 Auf den ersten Blick wirkt Eckharts philosophisch-theologischer Grundentwurf wie ein Anachronismus im Gesamthorizont der Scholastik des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts, und doch handelt es sich nicht einfach um eine Rückkehr zu älteren, bei seinen Zeitgenossen bereits überwundenen Modellen der Erkenntnistheorie und Wissenschaftsarchitektonik, 4 sondern um einen Ansatz, der in seiner Zeit und zugleich doch quer zur Zeit steht. Eckhart weigert sich, die Gräben zu akzeptieren, die sich im Gefolge der Verurteilung von 1277 zwischen Theologie und Philosophie aufgetan haben, und entwickelt stattdessen ein alternatives Wissenschaftsmodell, das zeigt, wie man biblisch fundierte Theologie und platonisch-aristotelische Philoso»Auctoris intentio in hoc opere tripartito est satisfacere pro posse studiosorum fratrum quorundam desideriis, qui iam dudum precibus importunis ipsum impellunt crebro et compellunt, ut ea quae ab ipso audire consueverunt […] scripto commendet […] in his potissime, quae se legisse alias non recolunt vel audisse, praesertim quia dulcius irritant animum nova et rara quam usitata, quamvis meliora fuerint et maiora« (Meister Eckhart, Prol. gen. in Op. tripart. n. 2, LW I, 148,5–149,2; Hervorhebungen d. Verf.). 4 Theo Kobusch weist zu Recht auf die bedeutsamen Gemeinsamkeiten hin, die sich zwischen Eckharts Projekt einer philosophischen Schriftauslegung und dem patristischen Konzept einer philosophischen Durchdringung zentraler Glaubensinhalte wie Trinität und Inkarnation ausmachen lassen (vgl. T. Kobusch, »Lesemeistermetaphysik – Lebemeistermetaphysik. Zur Einheit der Philosophie Meister Eckharts«, in: J. A. Aertsen / L. Wegener [Hgg.], Meister Eckhart in Erfurt, 239–258, hier 241–247). Gleichwohl klammert Eckhart die mit der aristotelischen Philosophie neu hinzugekommenen Ansprüche eines philosophisch-wissenschaftlichen Denkens nicht einfach aus, sondern integriert sie gemeinsam mit den patristischen Grundmotiven in seinen eigenen Ansatz. Daher stellt auch Eberhard Winklers Behauptung, dass Eckharts besonders geartete Form der Schriftauslegung einen »Rückschritt« in die zu seiner Zeit bereits überwundene Form der Kirchenväterexegese darstelle, eine unzulässige Verkürzung dar (vgl. E. Winkler, Exegetische Methoden bei Meister Eckhart, Tübingen, Mohr Siebeck, 1965, 18. 116). 3
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Meister Eckharts Stellung in seiner Zeit
phie zueinander in Beziehung setzen und in einen Gesamtentwurf integrieren kann, ohne ihre jeweilige Eigenständigkeit zu gefährden. Dieses Vorhaben stößt jedoch zunächst einmal auf zwei systematisch begründete Schwierigkeiten: Zum einen spricht die Schriftoffenbarung stets von individuellen, konkreten Personen und Ereignissen, während sich das philosophische Denken im Medium begrifflicher Allgemeinheit bewegt. Die Frage ist also, wie man heilsgeschichtliche Individualität und begriffliche Universalität vermitteln kann, ohne erstere zum Verschwinden zu bringen oder in ihrer Bedeutung auszuhöhlen. Zum anderen wirft das im Prolog zum Opus tripartitum geschilderte Vorhaben, auch die grundlegendsten theologischen Fragestellungen zunächst in Form apriorischer Thesen (propositiones) abzuhandeln, die Frage auf, wie man über das schlechthin Eine und Erste – nämlich Gott – in einer der Sache angemessenen Begrifflichkeit reden kann, ohne in diese apriorische Erörterung doch wieder aposteriorische Elemente aus dem Bereich der empirischen, geschöpflichen Wirklichkeit einzuschleppen. Beide Schwierigkeiten ergeben sich letztlich aus der Grundstruktur des aristotelischen Kategoriensystems, das trotz seiner großen erkenntnistheoretischen Leistungsfähigkeit hinsichtlich bestimmter Wirklichkeitsbereiche an seine Grenzen stößt. Zum einen vermag die kategoriale Sprache Individualität lediglich negativ zu definieren, nämlich als den numerischen Unterschied zwischen Einzelwesen bzw. »ersten Substanzen«, die derselben Art angehören und sich durch das nicht mehr begrifflich fassbare, sondern durch völlige Bestimmungslosigkeit charakterisierte Prinzip der Materie voneinander abheben. 5 Daher kann nach Aristoteles Individualität als solche, d. h. in ihrer historisch-kontingenten Einzigartigkeit, nie Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis sein. 6 Zum anderen ist das aristoteVgl. Aristoteles, Kategorien V, 2 b 29–3 a 15; Metaphysik XII 5, 1071 a 21–29. Vgl. Aristoteles, Analytica posteriora I 30, 87 b 19–27; Metaphysik VI 2, 1026 a 33– 1026 b 27. Thomas von Aquin, der in dieser Hinsicht ganz Aristoteles folgt, reduziert folgerichtig die individuellen Personen und Ereignisse, von denen die Hl. Schrift berichtet, auf bloße Beispiele, die vornehmlich dazu dienen, Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien zu illustrieren, die als solche universalen Charakter besitzen: »Ad secundum dicendum quod singularia traduntur in sacra doctrina, non quia de eis principaliter tractetur, sed introducuntur tum in exemplum vitae, sicut in scientiis moralibus; tum etiam ad declarandum auctoritatem virorum per quos ad nos revelatio divina processit, super quam fundatur sacra Scriptura seu doctrina« (Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 1, a. 2 ad 2; Hervorhebung d. Verf.). Auf diese Weise ist es zwar einfacher, Theologie als Wissenschaft zu etablieren, doch um den Preis, dass der
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Die systematischen Grundkoordinaten von Meister Eckharts Denkansatz
lische Kategoriensystem mit seiner irreduziblen Pluralität horizontal nebeneinanderstehender Oberbegriffe aber auch prinzipiell ungeeignet, vor dem Hintergrund einer schöpfungstheologischen bzw. emanativen Wirklichkeitsdeutung über das schlechthin Erste und Einfache zu reden, das der Ursprung der Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit ist, aufgrund seines Ursprungscharakters aber gerade von der aus ihm hervorgehenden Wirklichkeit qualitativ unterschieden bleibt. Die Möglichkeit eines apriorischen Diskurses über den Ursprung hängt wesentlich davon ab, wie man die Reichweite des menschlichen Intellekts konzipiert. Soll er das ungeschaffene, erste Prinzip der Wirklichkeit nicht nur indirekt aus der Sphäre des geschaffenen Seins erschließen, sondern es direkt erkennen, ist dies nur unter der Voraussetzung möglich, dass zwischen dem Intellekt und dem Ursprung eine ontologische Wesensverwandtschaft besteht. Ist diese aber gegeben, bedeutet dies, dass die Grenzen des herkömmlichen kategorialen Sprechens nicht nur Gott als den Ursprung des geschaffenen Seins betreffen, sondern ebenso auch den Intellekt als solchen, der den Unterschied zwischen Gott und den Geschöpfen nur unter der Bedingung apriorisch zu artikulieren vermag, dass er sich selbst als qualitativ verschieden von allem Geschaffenen begreift. Weder das absolut Eine als metaphysischer Ursprung der dinglichen Wirklichkeit noch der Intellekt, der den Hervorgang der Wirklichkeit aus dem Einen in seinen Möglichkeitsgründen erkennen soll, können demnach mit den Kategorien der bestehenden Dingwelt beschrieben werden. Aus dieser gemeinsamen negativen Bestimmung des göttlichen Ersten und des Intellekts als nichtkategorialer Formen von Wirklichkeit ist jedoch noch nicht unmittelbar ersichtlich, ob die ihnen angemessenen Begriffssysteme schlechthin identisch sind oder ob die Differenz zum Kategorialen sich selbst noch einmal different darstellt, je nachdem, ob sie den Ursprung der Wirklichkeit oder die denkerische Erkenntnis dieses Ursprungs betrifft. Die Ausarbeitung einer dem Göttlichen angemessenen Terminologie verlangt somit notwendigerweise immer auch eine Selbstbesinnung des Intellekts Bibeltext selbst nicht mehr im Mittelpunkt der theologisch-wissenschaftlichen Argumentation steht, sondern zunehmend auf seine praktisch-erbauliche Funktion reduziert wird. Eckhart versucht genau dieses Dilemma zu lösen, indem er der in den Schrifttexten zum Tragen kommenden Individualität einen anderen ontologischen Status zuspricht, dem nicht ein Mindestmaß, sondern ein Höchstmaß von Intelligibilität zukommt.
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Meister Eckharts Stellung in seiner Zeit
auf seine eigene Funktionsweise und die Erzeugung der für ihre Beschreibung erforderlichen Begrifflichkeit. Eckharts Ansatz will die aristotelische Logik und Wissenschaftstheorie, die den philosophisch-theologischen Ansätzen seiner Zeitgenossen in positiver wie negativer Weise zugrunde liegt, nicht einfach für überwunden und obsolet erklären. Wohl aber geht es ihm darum, ihren legitimen Geltungsbereich einzuschränken und sie auf ihre stillschweigenden, auch von Aristoteles nicht wirklich reflektierten Voraussetzungen zu befragen. Vor allem gilt dies für die Übertragung des Begriffs des »Zugrundeliegenden« (ὑποκείμενον [hypokeimenon] / subiectum) aus dem Bereich der Substanzmetaphysik in den der Wissenschaftstheorie. Das aristotelische Substanzmodell hat in Eckharts Augen lediglich mit Blick auf die dingliche Wirklichkeit seine Berechtigung, kann aber nicht einfach auf die Sphäre des Denkens und der methodisch-wissenschaftlichen Erkenntnis der Wirklichkeit ausgedehnt werden. Diese hat vielmehr einen wesentlich vollzugshaften Charakter und kann daher gar nicht losgelöst von der Seinsart und dem Selbstverständnis des Erkennenden betrachtet werden. Insofern nähert sich Eckhart in gewisser Weise wieder dem platonischen Verständnis von Philosophie als einem ganzheitlichen Lebensvollzug an, ohne deswegen jedoch den aristotelischen Ansatz zu verwerfen. Vielmehr geht es ihm darum, die wissenschaftlich-diskursive Erkenntnis der Wirklichkeit, die existenziell-reflexive Selbsterkenntnis des Menschen und die schauende Einswerdung mit dem Göttlichen als unterschiedliche Momente desselben absoluten Lebenszusammenhangs zu erweisen, der in intensiver Selbstdurchdringung an jedem beliebigen Punkt der Wirklichkeit prinziphafter Ursprung und Entsprungenes zugleich ist. Noch wichtiger ist allerdings der Umstand, dass Eckhart – im Gegensatz zu Platon – den grammatikalischen Tiefenstrukturen der konkreten Sprache eine philosophisch-metaphysische Bedeutung zumisst. Die Wahrheit wird also nicht in Form einer einfachen Intuition oberhalb aller sprachlichen Artikulation erfasst, sondern erschließt sich bereits in der Sprache, deren Sinnpotential weniger in den einzelnen, »seienden« Wortund Satzbestandteilen liegt als vielmehr in jenem spezifischen Nichtsein, das ihr wechselseitiges Auseinandertreten und dadurch ihre grammatikalische Verknüpfung überhaupt erst möglich macht.
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Die systematischen Grundkoordinaten von Meister Eckharts Denkansatz
2.
Zwei Grundformen transkategorialer Bestimmungen
In Meister Eckharts Denken kommen zwei verschiedene Begriffssysteme zum Tragen, die beide, wenngleich auf unterschiedliche Weise, die Grenzen der aristotelischen Kategorienlehre sprengen. Zum einen handelt es sich um die sogenannten Transzendentalien, die in ihrer klassischen Form (ens, unum, verum, bonum) seit dem 13. Jahrhundert Gemeingut des scholastischen Denkens sind, 7 von Eckhart jedoch in charakteristischer Weise ausgebaut und umgedeutet werden. Zum anderen ist Eckhart von der Intellektlehre seines etwas älteren Ordensbruders Dietrich von Freiberg (ca. 1240/45–1310) beeinflusst, der die Anwendung des aristotelischen Kategorienschemas auf den erkennenden Intellekt ausdrücklich ablehnt, da dieser in seiner Eigenschaft als reine, spontane Aktivität und Produktivität eine grundlegend andere Form von Wirklichkeit darstellt als die kategorial klassifizierbaren Natursubstanzen. In Eckharts Ansatz gehen diese beiden Formen des transkategorialen Denkens und Sprechens eine originelle Verbindung miteinander ein, die seinem Begriffssystem seine charakteristische Dynamik verleiht. Begriffe sind damit bei Eckhart nie bloße Ordnungsschemata, sondern Teil eines lebendigen Erzeugungszusammenhangs, in dem das Universale nicht nur vom Einzelnen ausgesagt wird, sondern es direkt hervorbringt und in einer bleibenden Beziehung zu ihm steht.
2.1 Die antiken und mittelalterlichen Ursprünge der Transzendentalienlehre Schon Aristoteles ist sich der Tatsache bewusst, dass gewisse Grundbegriffe das von ihm entworfene Kategoriensystem übersteigen, da sie von jeder der zehn obersten Gattungen, von allen darunter subsumierbaren Arten sowie von ihren jeweiligen Unterschieden gleichermaßen ausgesagt werden können. Diese Begriffe sind »seiend« (ὄν [on]) und »eines« (ἕν [hen]), die nach Aristoteles’ Ansicht dem Wesensbegriff (εἶδος [eidos]) einer Sache nichts hinzufügen. Die Ausdrücke »ein Mensch« und »seiender Mensch« sind gegenüber dem einfachen Ausdruck »Mensch« in realer Hinsicht absolut inVgl. J. A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought: From Philip the Chancellor to Francisco Suárez, Leiden, Brill, 2012, 109–133.
7
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Zwei Grundformen transkategorialer Bestimmungen
haltsgleich und stellen keine Erweiterung unserer Erkenntnis dar. 8 Die epistemologische Valenz dieser Begriffe ist bei Aristoteles somit rein negativ bestimmt und wird aus diesem Grunde von ihm auch nicht zu einer systematischen Theorie transkategorialer Bestimmungen ausgebaut. 9 Überdies bestreitet Aristoteles ausdrücklich, dass das Seiende selbst als »wahr« bezeichnet werden könne. Wahrheit und Irrtum sind für ihn lediglich Eigenschaften, die der Erkenntnis von den Dingen innerhalb des menschlichen Geistes zukommen, nicht aber den Dingen selbst. 10 Die aristotelische Philosophie enthält demnach allenfalls den Keim zu einer Transzendentalienlehre, und dies auch nur mit Blick auf zwei der später so bezeichneten transgenerischen Allgemeinbegriffe. 11 Dass die Transzendentalien im Laufe des Mittelalters eine derart große systematische Bedeutung erlangt haben, ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass ihr überkategorialer Charakter, der bei Aristoteles lediglich negativ definiert wird, im Zusammenhang der scholastischen Philosophie eine positive Valenz annimmt, und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen sind die transkategorialen Bestimmungen mit Blick auf die christliche Gottesrede von InteVgl. Aristoteles, Metaphysik IV 2, 1003 b 26–31; XI 3, 1061 a 15–18. Zwar analysiert Aristoteles in seiner Metaphysik sowohl die analoge Bedeutung des Begriffs »Sein / seiend« als auch die mehrfache Bedeutung von »Eins / eines«, aber an unterschiedlichen Stellen des Werkes und ohne diese Analysen zu einer zusammenhängenden Transzendentalienlehre auszugestalten (vgl. Aristoteles, Metaphysik IV 2, 1003 a 33–1003 b 24; V 6, 1015 b 16–1017 a 6; V 7, 1017 a 7–1017 b 9; X 1–3, 1052 a 15–1055 a 2). 10 Vgl. Aristoteles, Metaphysik VI 4, 1027 b 25–27. 11 Emil Lask vertritt die Auffassung, dass Aristoteles’ Lehre vom transkategorialen Charakter des Seins und des Einen sehr wohl als theologisch konnotiertes Residuum der platonischen Zweiweltenmetaphysik angesehen werden könne (vgl. E. Lask, Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre. Eine Studie über den Herrschaftsbereich der logischen Form, Tübingen, Mohr Siebeck, 31993, 232). Eine solche Deutung erscheint jedoch zum mindesten zweifelhaft. Wenngleich es sicher zutrifft, dass die aristotelische Theorie der rein geistigen »unbewegten Beweger« eine Reminiszenz an die vom Sinnlichen getrennte Ideenwelt Platons darstellt, so bieten die Ausführungen zum »Sein« und zum »Einen« in Aristoteles’ Metaphysik doch nicht genügend Anhalt, um parallel dazu als Entwurf eines ausdrücklich theologisch konzipierten Begriffssystems gelten zu können. »Sein« und »Eines« sind bei ihm nicht jenseits der obersten Gattungen angesiedelt, sondern durchziehen das Kategoriensystem, insofern sie von jeder Gattung, jeder Art und jeder spezifischen Differenz gleichermaßen ausgesagt werden können. Sie verweisen somit auf keine überweltlich-metaphysische »Transzendenz«, sondern übersteigen das aristotelische Kategorienschema lediglich in logischer Hinsicht. 8 9
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Die systematischen Grundkoordinaten von Meister Eckharts Denkansatz
resse, da sie sich in besonderer Weise dazu eignen, die analoge Beziehung zwischen Gott als dem Schöpfer der Welt und der von ihm hervorgebrachten Wirklichkeit begrifflich zu artikulieren, ohne dabei den qualitativen Unterschied zwischen der göttlichen und der kreatürlichen Seinsweise einzuebnen. Zum anderen bieten sich die Transzendentalien aber auch dazu an, in einem rein philosophischen Rahmen das aristotelische Projekt der Metaphysik als einer »Wissenschaft vom Seienden als solchem und den ihm als solchem zukommenden Eigenschaften« 12 in systematischer Weise zu entfalten und die dabei zum Tragen kommende logisch-überkategoriale Transzendenz der allgemeinsten Bestimmungen des Seienden von der ontologisch-metaphysischen Transzendenz Gottes zu unterscheiden. Die Frage der transkategorialen Bestimmungen kann daher in ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden, die von der apophatischen Theologie über die logisch-semantische Begriffsanalyse bis hin zur gnoseologisch-metaphysischen Transzendentalphilosophie reichen. 2.1.1 Das pseudo-dionysische Modell der Transzendentalien als Gottesnamen Unter allen Strömungen des antiken Denkens zeichnet sich die aristotelische Philosophie dadurch aus, dass sie die ausführlichste und systematischste Darstellung aller nur denkbaren begriffslogischen und prädikationstheoretischen Grundfragen bietet, die für die Philosophie und die übrigen Wissenschaften relevant sind. Problematisch wird die aristotelische Logik allerdings in dem Moment, wo es darum geht, vor dem Hintergrund der christlichen Theologie Aussagen über eine Form von transzendenter Wirklichkeit zu machen, deren Seinsmodus anders aufgefasst wird als die empirisch erfahrbare Naturwirklichkeit, aber auch anders als das von Aristoteles in vollkommener Autarkie und in sich verschlossener Selbstbezüglichkeit gedachte Göttliche. Da das aristotelische Kategorienschema wesentlich die ontologische Struktur individueller Natursubstanzen und ihrer Eigenschaften widerspiegelt, 13 kann der biblisch-christliche Gott nicht einfach unter eine der Gattungen subsumiert werden, auch nicht unter die Gattung 12 13
Aristoteles, Metaphysik IV 1, 1003 a 21–22 (Hervorhebungen d. Verf.). Vgl. Aristoteles, Kategorien III, 1 b 10–15.
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Zwei Grundformen transkategorialer Bestimmungen
»Substanz« – jedenfalls, wenn man darunter den ontologischen Identitätskern verschiedener akzidenteller Bestimmungen versteht. 14 Der größte Wirklichkeitsgehalt kommt nach Aristoteles den individuell erfahrbaren »ersten Substanzen« (dieser bestimmte Mensch, dieses bestimmte Pferd usw.) zu, während die jeweils übergeordneten Artbegriffe lediglich »zweite Substanzen«, d. h. Substanzen im abgeschwächten, uneigentlichen Sinne des Wortes sind. 15 Je weiter man sich bei Aristoteles vom konkreten, empirischen »Dies-da« (τόδε τι [tode ti]) entfernt, desto inhaltleerer und wirklichkeitsferner werden die Begriffe, so dass sie nur unter der Bedingung sinnvoll verwendet werden können, dass sich ihr semantischer Gehalt nicht verselbständigt, sondern stets in prädikativer Weise an die empirische Einzelwirklichkeit zurückgebunden bleibt. 16 Insofern können die von Aristoteles als transgenerisch bezeichneten Begriffe des Seins und des Einen grundsätzlich nicht hypostasiert und losgelöst von der konkreten Welt der Einzelsubstanzen betrachtet werden. Das bedeutet, dass sich weder das aristotelische Kategoriensystem noch die von Aristoteles genannten transkategorialen Bestimmungen dazu eignen, im Rahmen der christlichen Theologie einfach unverändert übernommen zu werden. Der Grund dafür liegt darin, dass der Name »Gott« nach christlichem Verständnis nicht auf einen über alle Kategoriengrenzen hinweg prädizierbaren Universalbegriff verweist, sondern auf eine in ihrer unendlichen Intensität absolut singuläre Wirklichkeitsfülle, die gleichwohl nicht einfach mit jener Art von Individualität zusammenfällt, die sich aus der numerischen Vereinzelung von Angehörigen derselben species ergibt. Angesichts dieser doppelten Schwierigkeit geht Pseudo-Dionysius Areopagita das Problem einer adäquaten christlichen Gottesrede auf eine Weise an, die der von Aristoteles behaupteten transgeneriDie von Johannes Damascenus stammende Bestimmung Gottes als quoddam pelagus substantiae infinitum et indeterminatum (»ein unendliches, unbegrenztes Meer der Substanz«) stellt keine quantitative Steigerung, sondern vielmehr die Aufhebung des aristotelischen Substanzbegriffs dar, da sie den für die aristotelische οὐσία (ousia) so zentralen Aspekt des bestimmten, ontologisch wie begrifflich-definitorisch abgrenzbaren »Dies-da« (τόδε τι [tode ti]) ersatzlos eliminiert (vgl. Aristoteles, Metaphysik V 8, 1017 b 23–26 sowie Johannes Damascenus, De fide orthodoxa I 9 [ed. É. M. Buytaert], Louvain / Paderborn, Nauwelaerts, 1955, 49). 15 Vgl. Aristoteles, Kategorien V, 2 a 11–2 b 28; Metaphysik VII 1, 1028 a 13–31. 16 Vgl. Aristoteles, Kategorien V, 2 b 29–3 a 6. 14
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schen Universalität der allgemeinsten Bestimmungen genau zuwiderläuft. In Anlehnung an Platon bestimmt Pseudo-Dionysius die Begriffe »Gut«, »Eines«, »Seiend« und »Wahr« als Gottesnamen im strengen Sinne, die gerade nicht jedem Seienden als solchem zukommen, sondern im eigentlichen Sinne ausschließlich Gott vorbehalten bleiben. Erst in einem zweiten Schritt ist es aufgrund des Teilhabegedankens möglich, den Bereich des nichtgöttlichen Seienden in gewisser Weise als »gut«, »seiend«, »eines« und »wahr« anzusprechen. 17 Die pseudo-dionysische Perspektive auf diese besonders gearteten transkategorialen Bezeichnungen ist dabei aber weder metaphysischer noch logisch-erkenntnistheoretischer, sondern in erster Linie schöpfungstheologischer Natur. Daraus erklärt sich auch der Umstand, dass nicht das Sein, sondern das Gute bei ihm als der fundamentalste aller transkategorialen Begriffe fungiert. Da im Rahmen der platonisch-neuplatonischen Philosophie das Gute »jenseits des Seins« (ἐπέκεινα τῆς οὐσίας [epekeina tês ousias]) angesiedelt ist und das Sein wiederum die erste Wirkung des Einen als des Ursprungs der Wirklichkeit darstellt, erscheint der Begriff »Sein« abgeleitet und sekundär gegenüber den Bestimmungen des Einen und Guten. 18 Diese Hierarchisierung der transzendentalen Bestimmungen hat bei Pseudo-Dionysius jedoch keine eigenständige philosophische Bedeutung, sondern stellt vielmehr eine theologisch motivierte Reaktion auf die philosophische Theologie des Proklos dar. Im proklischen System haben die aus dem obersten Prinzip hervorgehenden Henaden eine eigenständige göttliche Natur, was letztlich zu einem philosophischen Polytheismus führt. Im Gegensatz dazu will PseudoDionysius die verschiedenen emanativen Hervorgänge als hierarchisch gestufte, doch grundsätzlich unselbständig bleibende Manifestationen des obersten, göttlichen Einen erweisen. 19 Ihn interessiert daher weder der systematische Zusammenhang der transkategorialen Vgl. Pseudo-Dionysius Areopagita, De divinis nominibus I 1; IV 1 (ed. Migne), PG 3, 588, 23 B; 693, 5 B sowie J. A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought, 101–107. 18 Vgl. Pseudo-Dionysius Areopagita, De divinis nominibus V 1 (ed. Migne), PG 3, 816, 3 B. 19 Vgl. dazu V. Němec, »Übernahme und Umdeutung der neuplatonischen Metaphysik der ›gestuften Transzendenz‹ bei Dionysios«, in: L. Karfíková / M. Havrda (Hgg.), Nomina divina. Colloquium Dionysiacum Pragense (30.–31. Oktober 2009), Fribourg, Academic Press, 2009, 28–41, hier 33–35. 17
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Zwei Grundformen transkategorialer Bestimmungen
Begriffe untereinander noch ihre Beziehung zur Struktur der menschlichen Erkenntnis als solcher, sondern allein ihre Eignung für einen der Einzigkeit und Transzendenz Gottes angemessenen theologischen Diskurs. Insofern Pseudo-Dionysius nicht aus der aristotelischen, sondern aus der platonisch-neuplatonischen Tradition schöpft, erachtet er es auch nicht für nötig, das Verhältnis der als Gottesnamen verstandenen transzendentalen Begriffe zum aristotelischen Kategoriensystem ausdrücklich zu reflektieren. Da in seinen Augen die von ihm genannten überkategorialen Begriffe ohnehin nicht im eigentlichen Sinne Gottes Wesen, sondern lediglich seine Wirkungen und Manifestationen nach außen hin bezeichnen, 20 fehlt seinem Ansatz die grundlegende Voraussetzung für eine präzise, logisch-semantische Analyse der Transzendentalien, nämlich der direkte prädikative Bezug eines ausgesagten Begriffs auf ein eindeutig zu bezeichnendes Subjekt. So gesehen, sind die Begriffe des Guten, Einen, Seienden und Wahren für Pseudo-Dionysius nur in negativer Hinsicht von Interesse, nämlich insofern sie nichtkategorialer Natur sind. Dennoch sind sie auch dann, wenn man sie als Gottesnamen verwendet, nicht wirkliche Seins-, sondern allenfalls Handlungsprädikate, die im Rahmen der negativen Theologie Gott noch einmal abgesprochen und überstiegen werden müssen. Wie der Titel der pseudo-dionysischen Schrift schon andeutet, geht es bei diesen Bezeichnungen um Namen Gottes, also um gewisse Eigenschaften, unter denen er sich manifestiert und unter denen man ihn anrufen kann, aber nicht um neutrale Begriffe, die man in sich zum Gegenstand einer logischen Analyse machen könnte. Dementsprechend schränkt der Pseudo-Areopagit die von ihm genannten »göttlichen Namen« auch nicht auf die vier transzendentalen Bestimmungen »Gutheit«, »Einheit«, »Sein« und »Wahrheit« ein, sondern führt weitere Eigenschaften wie »Weisheit«, »Kraft«, »Gerechtigkeit«, »Allmacht« und »Heiligkeit« an, 21 die ganz offensichtlich nicht mit den transgenerischen Eigenschaften im klassischen Sinne konvertibel sind, sondern in spezifischer Weise nur Gott zukommen.
Vgl. V. Němec, »Übernahme und Umdeutung der neuplatonischen Metaphysik der ›gestuften Transzendenz‹ bei Dionysios«, 38–41. 21 Vgl. Pseudo-Dionysius Areopagita, De divinis nominibus VIII 1 (ed. Migne), PG 3, 889, 17 B-C; ebd. X 1 (ed. Migne), PG 3, 936, 37 D–937, 1 A. 20
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2.1.2 Das boethianisch-frühscholastische Modell der Transzendentalien als logischer Bestimmungen Fast zur gleichen Zeit wie Pseudo-Dionysius befasst sich auch Boethius mit dem Problem der transkategorialen Bestimmungen, allerdings in einer primär logisch-semantischen Perspektive und unter ausdrücklichem Rückgriff auf die aristotelische Logik. Im Rahmen seines Kommentars zur Isagoge des Porphyrios setzt sich Boethius mit dessen These auseinander, dass der Begriff »Sein« aufgrund seines transgenerischen Charakters nur in äquivoker Weise von den unterschiedlichen Dingen ausgesagt werden könne. Boethius macht sich dabei zwar die These des nichtkategorialen Charakters der Bezeichnung »Sein« zu eigen, erweitert die Betrachtung aber zugleich um den Aspekt des »Einen«, das als mit dem Sein konvertibel gedacht wird. Die Argumentation verläuft dabei wiederum in streng logischer Weise: Weder der Begriff »Sein« noch der Begriff »Eines« sind kategorial, da sie unter keine der obersten Gattungen fallen. Um voneinander real unterschieden zu sein, müssten sie selbst aber entweder wiederum zwei unterschiedliche, überkategoriale Gattungen bilden oder sich zueinander wie Gattung und Art verhalten. Beides wäre in sich widersprüchlich, da die Projektion des kategorialen Gattung-ArtSchemas auf den Bereich des Überkategorialen den transgenerischen Charakter des »Seins« und des »Einen« wieder aufheben würde. Also bleibt nur die Schlussfolgerung, dass diese beiden Begriffe miteinander konvertibel sein müssen, ohne einen realen, ontologischen Unterschied zu begründen. 22 Diese Argumentationsweise hat bei Boethius letztlich eine theologische, genauer gesagt: christologische Motivation; geht es ihm doch darum, Christus trotz seiner zwei Naturen als ein Seiendes zu erweisen, das als Substrat logisch gültiger theologischer Aussagen fungieren kann. 23 Die bei Porphyrios noch rein negativ ausfallende »At si duo sint sibimet ita aequalia, ut numquam alterum alteri supponatur, haec utraque eiusdem speciei genera esse non possunt. Ens igitur atque unum neutrum neutri supponitur; neque enim unius dicere possumus genus ens nec eius quod dicimus ens, unum. Nam quod dicimus ens, unum est et quod unum dicitur, ens est; genus autem et species minime convertuntur« (A. M. S. Boethius, In Isagogen Porphyrii commenta III 7 [ed. G. Schepss / S. Brandt], Wien, Tempsky / Leipzig, Freytag, 1906, 224). 23 »Nihil igitur unum secundum Nestorium Christus est ac per hoc omnino nihil. Quod enim non est unum, nec esse omnino potest; esse enim atque unum convertitur et quodcumque unum est ens« (A. M. S. Boethius, Contra Eutychen et Nestorium, in: 22
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Zwei Grundformen transkategorialer Bestimmungen
Deutung der Transkategorialität des Begriffs »Sein« erhält damit eine positive Valenz, die Ausdruck des Bemühens ist, die von der christlichen Theologie verwendete Sprache unter logischen Gesichtspunkten auf einen festen Boden zu stellen. Die Einheit der zwei Naturen in Christus ist für Boethius somit nicht nur eine Sache des Glaubens, sondern kann darüber hinaus als eine denkerische Notwendigkeit erwiesen werden, insofern selbst Christus in seiner konkreten Personalität kein Seiendes sein könnte, ohne zugleich ein Seiendes zu sein. Boethius’ Ansatz ist insofern innovativ, als er neben der bei Aristoteles angedeuteten Konvertibilität der Begriffe »Sein« und »Eines« auch die Konvertibilität des Seins mit dem Guten postuliert. 24 Diese Auffassung ist Ausdruck seines neuplatonisch beeinflussten Schöpfungsverständnisses, das die gesamte Wirklichkeit als Ergebnis des überfließenden Sich-Mitteilens Gottes als des reinen Guten versteht. Eigenartigerweise arbeitet Boethius diese Einsicht in die Konvertibilität von ens und bonum aber nicht zu einer systematischen Lehre aller transgenerischen Bestimmungen aus. Dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass er zwischen einer prädikationstheoretischen und einer ontologisch-metaphysischen Perspektive schwankt und diese Aspekte nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen vermag. Beide Dimensionen der boethianischen Lehre von den überkategorialen Bestimmungen werden in der Folgezeit vom scholastischen Denken aufgegriffen, wobei der Akzent teils auf der sprachlogischen, teils auf der real-ontologischen Betrachtungsweise liegt. Die Frühscholastik des 12. Jahrhunderts ist in besonderer Weise durch die logisch-semantische Dimension von Boethius’ Ansatz beeinflusst. Interessanterweise tauchen dabei neben den Begriffen »Sein« (ens) und »Eines« (unum) auch die noch formaleren Begriffe »Sache« (res) und »Etwas« (aliquid) auf, die keinen Verweis auf eine wie immer geartete, konkrete Wirklichkeit enthalten, sondern inhaltlich schlechthin unbestimmt sind. Der in logischer Hinsicht indefinite Charakter dieser Bezeichnungen wirft die Frage auf, ob sie sich womöglich dazu eignen, von Gott und den Geschöpfen in univoker Weise ausgesagt zu werden. 25 Die Univozität besagt in diesem Falle nicht,
Ders., Die Theologischen Traktate; ed. Elsässer, 82). Vgl. dazu J. A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought, 37–40. 24 Vgl. A. M. S. Boethius, De Hebdomadibus, l. 56–127, in: Ders., Die Theologischen Traktate; ed. Elsässer, 36–40. 25 Vgl. L. Valente, »›Illa quae transcendunt generalissima‹ : elementi per una storia
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dass die jeweiligen Satzsubjekte der auf Gott bzw. auf die Geschöpfe bezogenen Aussagen realiter in einem gemeinsamen Seinsmodus übereinkommen, sondern nur, dass sie von der prädizierenden Instanz, d. h. dem menschlichen Geist, gleichermaßen als »Gegenstände der Erkenntnis« im weitesten Sinn angesprochen und benannt werden können. Die überkategorialen Bestimmungen fungieren somit nicht als sachhaltige Prädikate Gottes bzw. des Seienden als solchen, sondern bringen die allgemeinsten Benennungen (appellationes) zum Ausdruck, mit denen die menschliche Erkenntnis einen vom Erkenntnisakt selbst unterschiedenen Gegenstand überhaupt bezeichnen kann (nominis impositio). Dabei sind diese allgemeinsten, überkategorialen Ausdrücke ausschließlich das Resultat einer synthetischen Leistung des Erkenntnisvermögens selbst, ohne auf bestimmte Eigenschaften dessen, was jeweils erkannt wird, Bezug zu nehmen. 26 Die univoke Prädizierbarkeit dieser Termini ist somit rein negativer Natur, d. h. sie resultiert aus ihrem gemeinsamen nichtkategorialen Charakter, ohne dass damit eine ontologische Aussage über die damit bezeichneten Subjekte gemacht würde. Aus diesem Grunde beschränkt sich die von Boethius beeinflusste Lehre von den transkategorialen Begriffen bei den Vertretern der Frühscholastik auf die rein formalen Bestimmungen ens, unum, res und aliquid, ohne die inhaltlich konkretisierten Begriffe des verum und bonum einzuschließen. 27 Hinsichtlich der Anwendbarkeit der überkategorialen Bestimmungen ens, unum, res und aliquid im theologischen Diskurs gibt es jedoch wiederum zwei grundverschiedene Auffassungen: Abälard geht von einer radikal univoken Prädizierbarkeit dieser Begriffe aus, so dass sie in genau derselben Weise auf Gott wie auf die Geschöpfe angewendet werden können, ohne im theologischen Kontext eine analoge Bedeutungsveränderung zu erfahren. Thierry von Chartres, Gilbert von Poitiers und Alanus ab Insulis hingegen betonen, dass auch auf dem Niveau der transkategorialen Bestimmungen noch das Grundprinzip der negativen Theologie gilt, das eine einfache Übertragung von Begriffen aus dem Bereich des inner-
latina dei termini trascendentali (XII secolo)«, Quaestio 5 (2005), 217–239, hier 228– 231. 26 Vgl. Petrus Abaelardus, Dialectica V 1 (ed. L. M. de Rijk), Assen, van Gorkum, 1970, 565. 27 Vgl. L. Valente, »›Illa quae transcendunt generalissima‹«, 220–224.
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weltlichen Seins auf Gott nicht gestattet. Daher sind ens, unum, res und aliquid in ihren Augen keine eigenständigen Begriffsinhalte, sondern müssen entweder in partizipativer oder negativer Weise zu Gott als dem absoluten Ursprung in Beziehung gesetzt werden. Gott fällt somit nicht unter den Oberbegriff ens, sondern muss als entitas begriffen werden, an dessen reiner Form (forma essendi) jedes ens partizipieren muss, um existieren zu können. 28 Umgekehrt können die Begriffe res und aliquid von Gott nur in negativer Weise ausgesagt werden, indem man zu der Einsicht kommt, dass »kein Ding Gott ist« (nulla res est Deus). 29 Die Frage der theologischen Verwendbarkeit der transkategorialen Bestimmungen schwankt zu diesem Zeitpunkt also zwischen den beiden extremen Formen absoluter Univozität einerseits und absoluter Äquivozität andererseits. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die boethianisch-frühscholastische Tradition das Problem der transgenerischen Bestimmungen aus überlieferungsgeschichtlichen Gründen nur im Rahmen der aristotelischen Logik und ihrer spätantiken Kommentatoren erörtert, ohne auf die aristotelische Metaphysik und den in ihr entwickelten Gedanken der Seinsanalogie zurückgreifen zu können. Dieser Schritt erfolgt erst in der Scholastik des 13. Jahrhunderts, die erstmals Zugang zum vollständigen Corpus Aristotelicum erhält. Damit verschiebt sich der Akzent der Transzendentalienlehre von der prädikationstheoretisch-semantischen Problematik hin zu einer genuin ontologischen Perspektive, die aufs engste mit der Definition der Metaphysik als Wissenschaft zusammenhängt. In dem Maße, wie man die Metaphysik primär als »Wissenschaft vom Seienden als solchem« bestimmt, erscheint der transkategoriale Charakter des Begriffs »Sein« als etwas, das nicht nur der Intention des erkennenden Geistes entspringt – sonst hätte man es nur mit dem »Seienden als vom Menschen prädizierend benanntem« zu tun –, sondern etwas mit der Struktur der Wirklichkeit selbst zu tun hat. »Quia autem deus non sit ens aperte ostendit Dyonisius in Ierarchia dicens: potius accedit deus ad nichil quam ad aliquid i. e. ad nullum ens accedit quia non est ens sed est entitas vel entia [sic! recte: essentia] omnium rerum a quo entia fluunt et habent esse. Et ex hoc manifestum est quod nulla predicatio nullaque subiectio est divine essentie« (Theodoricus Carnotensis, Abbreviatio Monacensis De trinitate IV 28, in: Commentaries on Boethius by Thierry of Chartres and His School [lat./engl.; ed. N. M. Haering], Toronto, Pontifical Institute of Mediaeval Studies, 1971, 372). 29 Vgl. L. Valente, »›Illa quae transcendunt generalissima‹«, 224–227. 28
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2.1.3 Das ontologisch-metaphysische Transzendentalienmodell des 13. Jahrhunderts a. Avicenna Wie die Rezeption der aristotelischen Philosophie insgesamt, so ist auch die Entwicklung der scholastischen Transzendentalienlehre im 13. Jahrhundert wesentlich durch die Interpretationen der arabischen Aristoteleskommentatoren vermittelt. Bei Avicenna findet sich erstmals eine positiv formulierte Theorie transkategorialer Bestimmungen, die den aristotelischen Ansatz aufgreift und weiterentwickelt. 30 Dieser neue Entwurf ergibt sich aus Avicennas Bestimmung der Metaphysik als einer Wissenschaft, die es nicht primär mit dem Göttlichen als einer besonders ausgezeichneten Wirklichkeitssphäre, sondern mit dem »Seienden als solchem« und den ihm als solchem zukommenden Eigenschaften zu tun hat. Insofern grenzt sich Avicenna von der theologisierenden Metaphysikdefinition des Averroes ab und weist der Frage nach Gott lediglich den Charakter einer speziellen Thematik innerhalb einer als Universalwissenschaft schlechthin gefassten Metaphysik zu. Avicennas Vorgehensweise ist von der Absicht getragen, die aristotelische »Erste Philosophie« in völliger Autonomie zu konzipieren, so dass sie von keiner anderen Wissenschaft und keinen kontingenten, äußeren Bedingungen mehr abhängig ist. Begreift man die Metaphysik als »transphysische« Wissenschaft von den getrennten, unbewegten Bewegern, die im supralunaren Bereich der Himmelssphären angesiedelt sind, wird die Metaphysik letztlich von der Physik bzw. von der Existenz eines materiellen, bewegten Kosmos abhängig und kann somit nicht mehr als völlig autonom gelten. Dagegen impliziert der Begriff des »Seienden als solchen« keine derartigen Vorannahmen und Voraussetzungen, sondern gilt in apriorischer Weise für jede nur denkbare Form von Wirklichkeit. 31 Entscheidend dabei ist, dass das »Seiende als solches« nicht im extensionalen Sinne Gerade mit Blick auf die Transzendentalienlehre ist die Vermittlungsgeschichte zwischen dem arabischen Aristotelismus und der lateinischen Scholastik äußerst komplex. So weist Alain de Libera darauf hin, dass die scholastischen Denker des 13. Jahrhunderts die avicennische Lehre von den transzendentalen Bestimmungen nicht unmittelbar, sondern wiederum nur vermittelt durch Averroes’ Kritik an Avicennas Konzeption kennengelernt haben. Vgl. dazu A. de Libera, »D’Avicenne à Averroès et retour. Sur les sources arabes de la théorie scolastique de l’un transcendental«, Arabic Sciences and Philosophy 4 (1994), 141–179. 31 Vgl. T. Koutzarova, Das Transzendentale bei Ibn Sīnā. Zur Metaphysik als Wis30
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als die additive Gesamtheit all dessen, was ist, verstanden wird, da dies wieder ein Element von Faktizität und Kontingenz einschleppen würde. Vielmehr stellt dieser Ausdruck im transzendentalphilosophischen Sinne die allgemeinste Perspektive dar, unter der die Metaphysik all das, was ist, betrachtet. In seinem Metaphysikentwurf ist Avicenna bestrebt, die bei Aristoteles nur angedeutete Lehre von den überkategorialen Bestimmungen weiter zu entfalten. Angesichts seines transzendentalphilosophischen Verständnisses dessen, was das »Seiende als solches« bedeutet, ist es daher nur folgerichtig, dass er die jenseits der obersten Gattungsbegriffe liegenden Bestimmungen als das »Ersterkannte«, d. h. als die grundlegenden gnoseologischen Inhalte jedes Erkenntnisaktes als solchen definiert und nicht als Eigenschaften, die den erkannten Dingen als solchen zukommen. 32 In seiner Metaphysik legt Avicenna dar, dass die Begriffe »Sache« (res), »Seiendes« (ens), »Eines« (unum) und »Etwas« (aliquid) notwendigerweise die ersten, unhintergehbaren Erkenntnisinhalte darstellen, ganz gleich, wie der erkannte Gegenstand im einzelnen auch beschaffen sein mag. 33 Insofern sind diese Begriffe schlechthin apriorisch, universal und allumfassend, doch spielt sich ihre Erörterung bei Avicenna ausschließlich im Bereich der gegenüber realer Existenz oder Nichtexistenz indifferenten Möglichkeitsstrukturen des Denkens ab. Dadurch erhält seine ganze Metaphysik eine transzendentalphilosophische Ausrichtung, die jedoch erforderlich ist, um die unüberbietbare Universalität der Ersten Philosophie zu gewährleisten. Dieser besondere Ansatz ist letztlich in Avicennas schöpfungstheologisch motivierter These begründet, dass bei allen endlichen, bedingten Seienden – mit anderen Worten: bei allem, was nicht Gott ist – das Sein lediglich in akzidenteller Weise zum Sachgehalt der res hinzutritt, aber keine eigenständige, in sich ruhende Wirklichkeit begründet. 34 Mit Blick auf Gott hingegen ist das wirkliche Sein nie »nur senschaft erster Begriffs- und Urteilsprinzipien, Leiden / Boston, Brill, 2009, 174– 186. 32 Vgl. J. A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought, 75–100. 33 Vgl. Avicenna, Metaphysik, tr. I, cap. 5, in: Avicenna Latinus, Liber de philosophia prima sive scientia divina (3 Bd., ed. S. van Riet), Louvain, Peeters / Leiden, Brill, 1977, Bd. I, 31–42. Vgl. dazu T. Koutzarova, Das Transzendentale bei Ibn Sīnā, 259– 305. 34 Vgl. Avicenna, Metaphysik, tr. I, cap. 6, in: Avicenna Latinus, Liber de philosophia prima (ed. van Riet), Bd. I, 43 f. sowie dazu A. Quero-Sánchez, Über das Dasein.
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Die systematischen Grundkoordinaten von Meister Eckharts Denkansatz
wirklich«, sondern impliziert den Begriff der Notwendigkeit. Würde im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Metaphysik das »Seiende« im Sinne realer Existenz verstanden, wäre es folglich nicht »seiend schlechthin«, sondern würde automatisch in die einander ausschließenden Modi des notwendigen »In-sich-selber-Seins« (Gott) bzw. des kontingenten »Von-anderem-her-Seins« (die geschaffene, endliche Wirklichkeit) zerfallen. Da keiner dieser beiden Modi auf alles Seiende als solches, sondern nur jeweils auf einen Bereich der Wirklichkeit anwendbar ist, muss der Gegenstand der Metaphysik noch vor dieser ersten, grundliegenden Unterteilung angesiedelt und somit gegenüber der realen Existenz der unter ihm subsumierten Dinge indifferent sein. 35 Daraus erklärt sich auch der Umstand, dass es bei Avicenna keine durchgängige Konvertibilität der verschiedenen transkategorialen Begriffe gibt: Die von ihm genannten ersten Erkenntnisinhalte res, ens und aliquid stehen unverbunden nebeneinander, ohne dass es eine feste, systematisch begründete Hierarchie zwischen ihnen gäbe. Darüber hinaus rechnet Avicenna aber auch noch die disjunktiven Modi des Seienden (Einheit-Vielheit, Akt-Potenz, NotwendigkeitMöglichkeit-Unmöglichkeit) zu den transkategorialen Bestimmungen, obwohl sie sich auf einander ausschließende Seinsbereiche beziehen und somit mit den genannten notiones primae nicht konvertibel sind. 36 Letztlich resultiert diese Heterogenität im Bereich der transkategorialen Begriffe aus der Tatsache, dass Avicenna das »Seiende« im Sinne des wirklich Existierenden nicht einmal im relativen Sinne als ein In-sich-Seiendes betrachtet, sondern seine Existenz als eine akzidentelle Hinzufügung versteht, die mit dem Sachgehalt (res) des betreffenden Dinges keine substantielle Einheit, sondern lediglich eine Relation zweier unselbständiger Termini bildet, die von einer dritten, äußeren Ursache (nämlich Gott) abhängig bleiben. 37 Versteht Albertus Magnus und die Metaphysik des Idealismus (Meister-Eckhart-Jahrbuch, Beihefte 3), Stuttgart, Kohlhammer, 2013, 197–199. 35 Vgl. T. Koutzarova, Das Transzendentale bei Ibn Sīnā, 270–275. 36 Vgl. T. Koutzarova, Das Transzendentale bei Ibn Sīnā, 415–418. 37 »Relativorum autem non est necesse unum esse ex altero, sed cum altero. Quod autem facit illa duo esse necessario est causa quae coniungit illa, vel etiam duae materiae, vel duo subiecta de quibus illa praedicantur. […] Igitur prima causa habitudinis erit res extrinseca, faciens esse duas essentias eorum, sicut scisti, et habitudo erit accidentalis; unde non erit ibi comitantia nisi per accidens separabile vel inseparabile. Sed hoc est aliud ab eo in quo sumus; habitudo autem quae est per accidens erit causa sine dubio; unde secundum comitantiam erunt utraque causata, et ita nullum eorum
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Zwei Grundformen transkategorialer Bestimmungen
man das »Seiende als solches« im Sinne des wirklich Existierenden, so tritt bei allem, was nicht Gott selbst ist, der Aspekt des »Auf-anderesBezogenseins« bzw. des »Verursachtseins« somit nicht erst nachträglich hinzu, sondern ist notwendigerweise immer schon in ihm angelegt. Man könnte also gar nicht davon abstrahieren, um das real-ontologisch verstandene »Seiende als solches« zum eigenständigen Gegenstand (subiectum) einer universalwissenschaftlichen Metaphysik zu machen, da alles von Gott unterschiedene, wirklich existierende Seiende grundsätzlich über kein »In-sich-Sein« verfügt. In spiegelsymmetrischer Entsprechung dazu bildet auch der menschliche Geist die Begriffsinhalte des »Ersterkannten« nicht aus sich selbst heraus, sondern bekommt sie als »Eindrücke« von außen eingeprägt, aber nicht von den Dingen selbst, sondern vom getrennt existierenden intellectus agens. 38 Sowohl die reale Existenz der Dinge als auch die grundlegendsten intelligiblen Inhalte, mittels derer sie erkannt werden, sind also nichts, was dem Seienden bzw. der es erkennenden menschlichen Vernunft selbst innewohnt, sondern etwas, das beide aufgrund ihrer konstitutiven Endlichkeit passiv von außen empfangen. b. Thomas von Aquin Avicennas Bestimmung der Ersten Philosophie als Wissenschaft vom »Seienden als solchem« (ens inquantum ens) hat in der lateinischen Scholastik des 13. Jahrhunderts eine breite Rezeption erfahren. Der Grund dafür liegt hauptsächlich darin, dass sie – im Gegensatz zum averroistischen Ansatz – die Metaphysik nicht primär als philosophische Theologik, sondern als »Ontologie« definiert und somit nicht Gefahr läuft, zur Offenbarungstheologie in Konkurrenz zu treten. Dennoch wird der Begriff des ens inquantum ens bei den verschiedeest necessarium esse per se« (Avicenna, Metaphysik, tr. 1, cap. 6, in: Avicenna Latinus, Liber de philosophia prima [ed. van Riet], Bd. I, 48). 38 »Sowohl die wahrnehmbaren, in der Materie bestehenden Formen wie die intelligibelen Formen, die sich im Geiste befinden, kommen aus dieser höheren Intelligenz, der zehnten und letzten in der Reihe der transzendenten Intelligenzen. Die Korrespondenz zwischen Denken und Sein ist also gesichert, weil aus demselben Prinzip die substantiellen Formen in den Dingen und die Gegenstände im Geiste herkommen. Die Rolle des denkenden Geistes besteht also nicht darin, die intelligibelen Gegenstände aus der Erfahrung hervorzurufen: sie ist darauf beschränkt, sich bereit zu machen, um diese intelligibelen Formen aus dem aktiven Intellekt zu empfangen« (G. Verbeke, Avicenna: Grundleger einen neuen Metaphysik, Opladen, Westdeutscher Verlag, 1983, 15).
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Die systematischen Grundkoordinaten von Meister Eckharts Denkansatz
nen Autoren unterschiedlich definiert, je nachdem, ob das ens lediglich als Synonym für das formale, transzendentalphilosophische »Gedachtsein« steht oder sich auch auf die real existierende, extramentale Wirklichkeit bezieht. Die real-ontologische Umakzentuierung der Metaphysik und der mit ihr zusammenhängenden Transzendentalienlehre wird im 13. Jahrhundert insbesondere von Thomas von Aquin in systematischer Weise entfaltet. Sein Entwurf zeichnet sich dadurch aus, dass er die Hauptaspekte der früheren Transzendentalienmodelle (aristotelisch, pseudo-dionysisch, boethianisch, avicennisch) in einem systematischen Grundentwurf zu vereinen sucht. Die entscheidende Modifikation, die Thomas gegenüber dem avicennischen Metaphysikmodell vornimmt, besteht darin, dass er das als Gegenstand der Ersten Philosophie verstandene ens nicht in seiner modalen Indifferenz gegenüber realem Sein oder Nichtsein, sondern in seiner metaphysischen Indifferenz gegenüber der wesenhaften Materialität oder Immaterialität der unter ihm begriffenen Seienden betrachtet. Das ens commune umfasst daher bei Thomas sowohl den im strengen Sinne immateriellen, transphysischen Bereich, der Gott und die reinen Intelligenzen umfasst, als auch das Seiende als solches, das ohne Materie sein kann, aber nicht muss. 39 Das ens commune verweist, anders als das real existierende Seiende bei Avicenna, auf keine akzidentelle Zusammensetzung von Wesen und Existenz, sondern ist als solches schlechthin einfach und allen weiteren begrifflichen wie real-ontologischen Unterscheidungen vorgelagert. Diese Konzeption wurzelt in einer grundlegend anderen Metaphysik der individuellen Existenz. Das wirklich existierende Seiende unterscheidet sich von seiner bloß gedachten, intelligiblen Wesensstruktur (res) nicht durch die äußerliche Hinzufügung eines davon getrennt bestehenden Seinsprinzips, sondern ist nicht anderes als die akthafte, unteilbare Verwirklichung der res als solcher. 40 Aus die»Quamvis autem subiectum huius scientiae sit ens commune, dicitur tamen tota de his quae sunt separata a materia secundum esse et rationem. Quia secundum esse et rationem separari dicuntur, non solum illa quae nunquam in materia esse possunt, sicut Deus et intellectuales substantias, sed etiam illa quae possunt sine materia esse, sicut ens commune« (Thomas von Aquin, In XII libros metaphysicorum Aristotelis expositio, Prooemium [ed. Marietti], 2a-b). 40 »Ad tertium dicendum, quod esse non dicitur accidens quod sit in genere accidentis, si loquamur de esse substantiae (est enim actus essentiae), sed per quamdam similitudinem: quia non est pars essentiae, sicut nec accidens. Si tamen esset in genere accidentis, nihil prohiberet quin in infinitum duraret: per se enim accidentia ex necessitate suis substantiis insunt; unde et nihil prohibet ea in perpetuum inesse. Sed accidentia 39
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sem Grund kann nach Thomas’ Auffassung der Begriff ens von der menschlichen Erkenntnis auch in Form einer inneren, einfachen conceptio erkannt werden, ohne dass dies die Intervention einer äußeren Instanz – wie etwa eines auf die menschliche Vernunft direkt einwirkenden, getrennten Intellekts – voraussetzen würde. 41 Insofern ist es nur folgerichtig, dass Thomas die im avicennischen Schema unverbunden nebeneinanderstehenden notiones communae hierarchisiert und den Begriff »seiend« (ens) dabei aufgrund seiner Einfachheit als den absolut ersten und grundlegendsten ansetzt. 42 Die anderen transkategorialen Bestimmungen (res, unum, aliquid, verum, bonum) treten hinzu als Modi, die das Seiende in konkreter Weise weiterbestimmen, doch ist ihr semantischer Gehalt in asymmetrischer Weise vom Begriff des ens abhängig. Dabei stellen diese Bestimmungen keine nur akzidentellen Eigenschaften des als Substanz gedachten Seienden dar, sondern bringen dessen verschiedene Weisen des Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens bzw. des Sich-zu-anderem-Verhaltens zum Ausdruck: Auf der Ebene des immanenten Selbstverhältnisses kann ein Ding entweder in seinem konkret bestimmten So-Sein – also als res – oder aber in seiner Ungeteiltheit und Identität mit sich selbst – also als unum – betrachtet werden. Auch sein Verhältnis zu anderem (ad alterum) stellt sich nicht einfach dar, sondern ist wiederum in einen positiven und einen negativen Modus unterteilt: Insofern ein jedes Ding es selbst und nichts anderes ist, erweist es sich in Bezug auf alle anderen Dinge als ein aliquid, d. h. ein »Etwas« oder wörtlich: als ein »anderes Was« (aliud quid). Fasst man den Bezug ad alterum dagegen positiv, rückt der mögliche Bezug des Seienden zur Seele des Menschen in den Mittelpunkt, und zwar in den zwei unterschiedlichen Modi des Erkennens quae per accidens insunt subiectis, nullo modo in perpetuum durant secundum naturam. Huiusmodi autem esse non potest ipsum esse rei substantiale, cum sit essentiae actus« (Thomas von Aquin, De potentia, q. 5, a. 4 ad 3 [ed. Marietti], 139a). Vgl. dazu auch J. A. Aertsen, »Die Transzendentalienlehre bei Thomas von Aquin«, in: A. Zimmermann (Hg.), Thomas von Aquin. Werk und Wirkungen im Licht neuerer Forschungen (Miscellanea Mediaevalia 19), Berlin / New York, De Gruyter, 1988, 82– 102, hier 88 f. 41 Zur Unterscheidung zwischen Avicennas Verständnis des »Ersterkannten« als impressio und Thomas’ Deutung der transkategorialen Erkenntnisinhalte als conceptio vgl. J. A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought, 214. 42 Vgl. Thomas von Aquin, De veritate, q. 1, a. 1 c; Summa theologica I, q. 5, a. 2 c; ebd. I–II, q. 94, a. 2 c sowie J. A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought, 214–217.
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bzw. des Anstrebens, denen die letzten zwei Transzendentalien, das verum und das bonum, zugeordnet sind. 43 Auf diese Weise kann Thomas die Transzendentalienlehre als integralen Bestandteil einer primär »ontologisch« definierten Metaphysik abhandeln, ohne den transkategorialen Charakter dieser Begriffe mit der im positiven Sinne immateriellen, überweltlichen Transzendenz Gottes in eine direkte Verbindung zu bringen. Die von der Metaphysik praktizierte Überstiegsbewegung ist lediglich begrifflicher Natur, insofern sie von den kategorialen Prädikaten der Wirklichkeit zu den transkategorialen Bestimmungen des ens inquantum ens und den übrigen damit konvertiblen Eigenschaften fortschreitet. 44 Von dieser obersten begrifflichen Ebene der Transzendentalien aus ist aber kein kontinuierlicher, weiterer Aufstieg zu einer Erkenntnis der transphysischen, göttlichen Wirklichkeit mehr möglich. Zwar räumt Thomas ein, dass man die Transzendentalien grundsätzlich auch auf die trinitarischen Strukturen anwenden könne, in»Substantia enim non addit super ens aliquam differentiam, quae designet aliquam naturam superadditam enti, sed nomine substantiae exprimitur specialis quidam modus essendi, scilicet per se ens; et ita est in aliis generibus. Alio modo ita quod modus expressus sit modus generalis consequens omne ens; et hic modus dupliciter accipi potest: uno modo secundum quod consequitur unumquodque ens in se; alio modo secundum quod consequitur unum ens in ordine ad aliud. Si primo modo, hoc est dupliciter quia vel exprimitur in ente aliquid affirmative vel negative. Non autem invenitur aliquid affirmative dictum absolute quod possit accipi in omni ente, nisi essentia eius, secundum quam esse dicitur; et sic imponitur hoc nomen res, quod in hoc differt ab ente, secundum Avicennam in principio Metaphys., quod ens sumitur ab actu essendi, sed nomen rei exprimit quiditatem vel essentiam entis. Negatio autem consequens omne ens absolute, est indivisio; et hanc exprimit hoc nomen unum: nihil aliud enim est unum quam ens indivisum. Si autem modus entis accipiatur secundo modo, scilicet secundum ordinem unius ad alterum, hoc potest esse dupliciter. Uno modo secundum divisionem unius ab altero; et hoc exprimit hoc nomen aliquid: dicitur enim aliquid quasi aliud quid; unde sicut ens dicitur unum, in quantum est indivisum in se, ita dicitur aliquid, in quantum est ab aliis divisum. Alio modo secundum convenientiam unius entis ad aliud; et hoc quidem non potest esse nisi accipiatur aliquid quod natum sit convenire cum omni ente: hoc autem est anima, quae quodam modo est omnia, ut dicitur in III de anima. In anima autem est vis cognitiva et appetitiva. Convenientiam ergo entis ad appetitum exprimit hoc nomen bonum, unde in principio Ethicorum dicitur quod bonum est quod omnia appetunt. Convenientiam vero entis ad intellectum exprimit hoc nomen verum« (Thomas von Aquin, De veritate, q. 1, a. 1 c). 44 »Dicitur enim […] Metaphysica, in quantum considerat ens et ea quae consequuntur ipsum. Haec enim transphysica inveniuntur in via resolutionis, sicut magis communia post minus communia« (Thomas von Aquin, In XII libros metaphysicorum Aristotelis expositio, Prooemium [ed. Marietti], 2b). 43
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sofern das ens in gewisser Weise dem göttlichen Wesen, das unum dem Vater, das verum dem Sohn und das bonum dem Heiligen Geist entspricht. 45 Allerdings betont Thomas auch, dass es sich hierbei um eine uneigentliche, abgeleitete Verwendung der transkategorialen Bestimmungen handelt; begründen sie doch in Gott keinerlei Unterschiedenheit, während sie mit Blick auf die Geschöpfe durchaus unterschiedliche Modi und Aspekte des Seienden zum Ausdruck bringen. Die Transzendentalien sind somit bei Thomas – anders als bei Pseudo-Dionysius – in erster Linie Bestimmungen des Seienden als solchen und nur in einem abgeleiteten, sekundären Sinne auch auf Gott anwendbar. 46 Aus diesem Grund nimmt der Begriff des »Guten« (bonum) in seiner systematischen Transzendentalienlehre den letzten Platz ein, obwohl er unter schöpfungstheologischen Gesichtspunkten an erster Stelle stehen müsste. Doch Thomas geht es an dieser Stelle primär um die Erkenntnisordnung und nicht um die Seinsordnung, und unter erkenntnistheoretischen Aspekten ist das ens und nicht das bonum das Ersterkannte. Im Rahmen einer primär philosophisch verstandenen Transzendentalienmetaphysik bezeichnet das »Gute« die innere Vollkommenheit jedes Seienden, die ausgehend von ihm selbst erkannt werden kann, ohne einen ausdrücklichen, kausalen Rückverweis auf die göttliche Gutheit zu enthalten. 47 Innerhalb von Thomas’ Transzendentalienmodell kommt Gott lediglich indirekt ins Spiel, nämlich im Zusammenhang mit der Bestimmung des verum. Um plausibel machen zu können, dass nicht nur unsere Erkenntnisse von den Dingen, sondern auch die Dinge selbst als »wahr« bezeichnet werden können, verweist der Aquinate auf die Schöpfertätigkeit Gottes, der alle Dinge in Übereinstimmung mit einer Idee in seinem Geist (secundum adaequationem ad intellectum divinum) hervorbringt. Die intelligiblen Strukturen der Dinge und Sachverhalte, die ihrerseits als extramentales Wahrheitskriterium für die Erkenntnis des menschlichen Intellekts fungieren, erklären sich also nicht aus sich selbst heraus, sondern sind das ErgebVgl. Thomas von Aquin, De veritate, q. 1, a. 1 ad s. c. 5. Thomas kommentiert zwar die pseudo-dionysische Schrift De divinis nominibus, jedoch nicht ohne die dort beschriebenen, transkategorialen Gottesnamen teilweise umzudeuten (vgl. dazu J. A. Aertsen, Medieval Philosophy and the Transcendentals. The Case of Thomas Aquinas, Leiden, Brill, 1996, 339–344). Als direktes Vorbild seiner eigenen Transzendentalienmetaphysik dient der neuplatonische Ansatz des Pseudo-Dionysius eindeutig nicht. 47 Vgl. J. A. Aertsen, »Die Transzendentalienlehre bei Thomas von Aquin«, 98–100. 45 46
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nis einer wirkursächlichen Beziehung zum göttlichen Intellekt, der den Ursprung aller Wahrheit im eminenten Sinne darstellt. 48 Dennoch kann der Mensch über den transzendentalen Begriff des verum zu keiner direkten Erkenntnis Gottes gelangen, da seine Vernunft die Wahrheit nicht aus sich selbst heraus, sondern immer nur in vermittelter Form, nämlich durch die Anmessung an äußere, empirische Sachverhalte, zu erkennen vermag. Der Bereich der intellektuellen Erkenntnis, die dem Begriff des verum zuzurechnen ist, stellt mithin keine eigenständige ontologische Sphäre dar, sondern ist lediglich die sekundäre, relationale Weiterbestimmung eines Seinsbegriffs, der als solcher alle Bereiche der kreatürlichen Wirklichkeit gleichermaßen umfasst. Die Transzendentalienlehre erscheint bei Thomas somit als Teil eines wissenschaftlichen Gesamtentwurfs, der die Möglichkeit einer mit den Mitteln der natürlichen Vernunft betriebenen Metaphysik unter den Bedingungen irdisch-diesseitiger Erkenntnis sicherstellen will, ohne dass die transgenerische Überstiegsbewegung der begrifflichen resolutio als Anweisung auf einen spekulativen Überstieg in den Bereich einer theologisch-überweltlich verstandenen Transzendenz missverstanden werden könnte. 49 Die transzendentalen Bestimmungen sind nicht selbst die obersten metaphysischen Prinzipien, sondern stellen lediglich Ausfaltungen eines allumfassenden Seinsbegriffs dar, der seinerseits in kausaler Weise als principiatum von der transphysischen Sphäre Gottes und der getrennten Intelligenzen »Ex quo patet quod res naturales, a quibus intellectus noster scientiam accipit, mensurant intellectum nostrum, ut dicitur in X Metaph.: sed sunt mensuratae ab intellectu divino, in quo sunt omnia sicut omnia artificiata in intellectu artificis. Sic ergo intellectus divinus est mensurans non mensuratus; res autem naturalis, mensurans et mensurata; sed intellectus noster mensuratus et non mensurans res quidem naturales, sed artificiales tantum. Res ergo naturalis inter duos intellectus constituta, secundum adaequationem ad utrumque vera dicitur; secundum enim adaequationem ad intellectum divinum dicitur vera, in quantum implet hoc ad quod est ordinata per intellectum divinum, ut patet per Anselmum in Lib. de Verit. et per Augustinum in Lib. de vera religione, et per Avicennam in diffinitione inducta, scilicet: veritas cuiusque rei est proprietas sui esse quod stabilitum est ei; secundum autem adaequationem ad intellectum dicitur res vera, in quantum est nata de se facere veram aestimationem; sicut e contrario falsa dicuntur quae sunt nata videri quae non sunt, aut qualia non sunt, ut dicitur in V Metaphysic. Prima autem ratio veritatis per prius inest rei quam secunda, quia prius est eius comparatio ad intellectum divinum quam humanum; unde, etiam si intellectus humanus non esset, adhuc res verae dicerentur in ordine ad intellectum divinum« (Thomas von Aquin, De veritate, q. 1, a. 2 c). 49 Vgl. J. A. Aertsen, Medieval Philosophy and the Transcendentals, 71–158. 48
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abhängt. Da deren Wesen jedoch vom Menschen unter irdischen Bedingungen nicht unmittelbar erkannt werden kann, bleibt die menschliche Vernunft auf die offenbarungstheologisch vermittelte Erkenntnis angewiesen, deren oberstes Prinzip nicht mehr in Form transgenerischer Allgemeinbegriffe zu fassen ist, sondern letztlich mit der dem Menschen unzugänglichen göttlichen Selbsterkenntnis zusammenfällt.
2.2 Kategorienlehre, Intellekttheorie und Theologie bei Dietrich von Freiberg Dietrich von Freiberg nimmt innerhalb des mittelalterlichen Denkens insofern eine besondere Stellung ein, als bei ihm die bis dahin geltende Gleichsetzung des Bereichs des Nichtkategorialen mit den als communissima verstandenen Transzendentalien aufgebrochen wird. Diese allgemeinsten, gattungsübergreifenden Bestimmungen gelten bei ihm zwar nach wie vor für alles Seiende, insofern es seiend ist, doch fällt die leitende Bedeutung von »Sein«, anders als bei Aristoteles, nicht mehr mit der Seinsweise der empirischen Natursubstanzen zusammen. 50 Vielmehr wird der Bereich des ens unterteilt, je nachdem, ob dieses sich auf das Erkennende oder das Erkannte, d. h. die Sphäre des Intellekts (ens conceptionale) oder die Sphäre der extramentalen Wirklichkeit (ens naturae) bezieht. Dietrich lehnt es mit aller Entschiedenheit ab, die Sphäre der intellektuellen Erkenntnis gemäß den Kategorien der aristotelischen Dingontologie zu deuten, 51 und zwar aus dem Grund, dass der Intellekt selbst als produktiver Ursprung der meisten der zehn aristotelischen Kategorien angesehen werden muss. Lediglich Substanz, Quantität und Qualität haben ein ontologisches Fundament in den außerhalb des erkennenden Intellekts existierenden Dingen und können somit als Teil des ens naturae angesehen werden. 52 Für die anderen kategorialen Bestimmungen (Zeit, Ort, Relation usw.) gilt dies jedoch nicht, da sie ihren ontologi-
Vgl. J. A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought, 325. Vgl. B. Mojsisch, Die Theorie des Intellekts bei Dietrich von Freiberg, Hamburg, Meiner, 1977, 54–71. 52 Vgl. Dietrich von Freiberg, De origine rerum praedicamentalium 2.(18), 2.(34), 5. (2), 5.(21), 5.(25), in: Opera Omnia III (ed. L. Sturlese), Hamburg, Meiner, 1983, 148. 152. 181. 185–187. 50 51
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schen Ursprung im Intellekt selbst haben, der seinerseits kein Naturding, sondern rein geistiger Akt ist. 53 Demnach ist der Intellekt nicht nur in der Lage, die bereits in den Naturdingen liegenden, intelligiblen Strukturen zu abstrahieren und in sich aufzunehmen, sondern er vermag auch in aktiver Weise geistige Wirklichkeit zu erschaffen. Anders als die metalinguistischen und metalogischen Ausdrücke, die zur nachträglichen Analyse des Erkenntnisprozesses und seiner sprachlichen Artikulation dienen und insofern lediglich als res secundae intentionis gelten können, sind die vom Intellekt konstituierten Kategorien res primae intentionis, d. h. primäre Formen von Wirklichkeit, die keine bloßen »Gedankendinge« (entia rationis), sondern unmittelbare Gegenstände des Erkenntnisprozesses sind. 54 Allerdings ist die solcherart konstituierte, intelligible Wirklichkeit kein extramentales »Ding« wie die Natursubstanzen, die auch unabhängig von ihrem Erkanntsein existieren können, sondern erhält ihr Sein ausschließlich von der produktiven Tätigkeit des Intellekts. 55 Der Intellekt des Menschen verhält sich gegenüber dem Erkannten demnach nicht primär passiv-rezeptiv, sondern ist selbst schöpferischer Ursprung der von ihm erkannten Wirklichkeit als erkannter. Diese Auffassung ist im Kontext des scholastischen Denkens zweifellos ungewöhnlich, da sich darin die als typisch neuzeitlich-kantianisch geltende »kopernikanische Wende« der Erkenntnistheorie anzubahnen scheint. 56 Doch ein Blick auf Dietrichs übrige Schriften macht deutlich, dass seine überaus originelle Intellekttheorie eigenartigerweise keine grundlegend andere Konzeption der Metaphysik »Quod ita late fit, ut etiam ea, quae non sunt entia et nihil secundum esse naturae, fiant entia opere rationis et sint res primae intentionis ordinabiles in aliquo genere praedicamentali, ut patet de tempore et aliis quam pluribus rebus« (Dietrich von Freiberg, De intellectu et intelligibili 2.[3], in: Opera Omnia I [ed. B. Mojsisch], Hamburg, Meiner, 1977, 137). 54 Vgl. dazu T. Kobusch, »Die Modi des Seienden nach Dietrich von Freiberg«, in: K. Flasch (Hg.), Von Meister Dietrich zu Meister Eckhart, 46–67, hier 47–49 sowie A. de Libera, »›Intentiones primae et secundae‹ chez Dietrich de Freiberg«, in: K. Flasch (Hg.), Von Meister Dietrich zu Meister Eckhart, 68–94, hier 81–85. 55 Vgl. Dietrich von Freiberg, De origine rerum praedicamentalium 5.(1)–(3), 5.(50)– (52), in: Opera Omnia III, 181 f. 195 f.; ders., De visione beatifica 3.2.9.6.–3.2.9.8, in: Opera Omnia I, 96–100. 56 Vgl. K. Flasch, »Kennt die mittelalterliche Philosophie die konstitutive Funktion des menschlichen Denkens? Eine Untersuchung zu Dietrich von Freiberg«, Kant-Studien 63 (1971), 182–206. 53
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als solcher und ihres Verhältnisses gegenüber der Offenbarungstheologie zur Folge hat. 57 Die Analyse der Transzendentalien, die Dietrich in De origine rerum praedicamentalium sowie in De quiditatibus entium vornimmt, bewegt sich in durchaus traditionellen Bahnen, ohne die Brücke zu seiner Lehre vom Intellekt als dem produktiven Ursprung der Begriffe zu schlagen. 58 Seine transzendentalphilosophisch anmutenden Überlegungen zum Seinsmodus des ens conceptionale und der sich daraus ergebenden, neuen Kategorienlehre stehen weitgehend unverbunden neben seinen übrigen Ausführungen, ohne eine radikal neue Wissenschaftsarchitektonik zu begründen. Besonders deutlich wird dies erkennbar, wenn man Dietrichs Traktat De visione beatifica mit seinem nur fragmentarisch überlieferten Text De subiecto theologiae vergleicht. In De visione beatifica entwickelt Dietrich seine besonders geartete Intellekttheorie, die besagt, dass der intellectus agens in den einzelnen Menschen zwar sehr wohl individuiert, von seiner Wesensstruktur her aber semper in actu ist, indem er seinem Ursprung, dem göttlichen Intellekt, beständig erkennend zugewandt ist. 59 Dieser Ansatz ist insofern ungewöhnlich, als er dem intellectus agens mit der »beständigen Aktualität« eine Eigenschaft zuschreibt, die traditionellerweise Gott allein vorbehalten ist. Der Hervorgang des menschlichen Intellekts aus seinem göttlichen Ursprung geschieht denn auch gemäß einer besonderen Form der Ursächlichkeit, der sogenannten causa essentialis, die rein geistigen Charakters und ganz von der wechselseitigen Relationalität und Immanenz zwischen dem Hervorbringenden und dem Hervorgebrachten bestimmt ist. 60 Daraus ergibt sich die provokante Schlussfolgerung, dass der Hervorgang aus Gott im Modus des Erkennens, der den intellectus agens auszeichnet, auf eine irdische Antizipation Vgl. J. A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought, 319–323. Vgl. Dietrich von Freiberg, De quiditatibus entium 7.(3)–(5), in: Opera Omnia III, 109 f.; De origine rerum praedicamentalium, Prooemium (1), 5.(60)–(67), in: Opera Omnia III, 137 f. 199–201. 59 »Secundum hoc igitur substantia, quae est intellectus per essentiam semper in actu, qualis est intellectus, de quo agitur, quia per essentiam intellectualiter procedit a Deo, etiam sua intellectuali operatione, quae est essentia eius, semper convertitur in Deum ita, ut eius emanatio, qua intellectualiter emanat per essentiam a suo principio, sit ipsius in ipsum principium intellectualis conversio« (Dietrich von Freiberg, De visione beatifica 1.5.[6], in: Opera Omnia I, 62 f.). 60 Vgl. Dietrich von Freiberg, De visione beatifica 1.1.2.1.(4), in: Opera Omnia I, 23; vgl. auch B. Mojsisch, »›Causa essentialis‹ bei Dietrich und Eckhart«, in: K. Flasch (Hg.), Von Meister Dietrich zu Meister Eckhart, 106–114, hier 107–110. 57 58
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der visio beatifica hinausläuft. Mit anderen Worten: Alle Menschen, insofern sie Vernunftwesen sind, befinden sich auf der Ebene ihres tätigen Intellekts immer schon auf konstitutive Weise in der Anschauung Gottes, auch wenn sie sich dessen nicht notwendigerweise ausdrücklich bewusst sind. 61 Der einzige Unterschied zwischen der diesseitigen und der jenseitigen Gotteserkenntnis besteht darin, dass der intellectus possibilis während des irdischen Lebens seiner eigenen Vernunftnatur nur vermittels einer Vielzahl von unterschiedlichen Gedankeninhalten (rationes) innewird. Im Jenseits hingegen ist der intellectus possibilis nicht mehr auf einzelne intelligible Inhalte beschränkt, sondern erkennt seine Vollzugseinheit mit dem göttlichen Ursprung vermittels der reinen, einfachen Form des intellectus agens. Letztlich handelt es sich aber auch dabei nicht um einen grundsätzlichen ontologischen Bruch zwischen der irdischen und der jenseitigen Erkenntnisweise, 62 sondern lediglich darum, dass der Mensch in der visio beatifica mit absoluter Deutlichkeit und Klarheit dieselbe produktive Wesenseinheit zwischen seinem Intellekt und dem Intellekt Gottes erkennt, die ihm auch während seines irdischen Lebens immer schon zu eigen war. Angesichts dieser außergewöhnlichen intellekttheoretischen Deutung der visio beatifica wäre der Schluss naheliegend, dass Dietrich der christlichen Offenbarungstheologie keine eigenständige Funktion mehr zubilligt, sondern sie allenfalls als pädagogische Einkleidung derselben Erkenntnisinhalte versteht, die innerhalb der Metaphysik in rein begrifflicher Form vermittelt werden. Überraschenderweise postuliert Dietrich jedoch keine solche Inhaltsgleichheit, sondern unterscheidet Metaphysik und christliche Theologie sehr wohl nach ihrem subiectum. Dies ist umso erstaunlicher, als er, wie vor ihm schon Averroes, in diesem Zusammenhang nicht das Seiende als solches (ens inquantum ens), sondern das göttliche Seiende (ens divinum) als den eigentlichen Hauptgegenstand der Metaphysik ansieht. 63 Diese Bestimmung der Metaphysik ist vom christlichen Vgl. B. Mojsisch, Die Theorie des Intellekts bei Dietrich von Freiberg, 83–92. Vgl. Dietrich von Freiberg, De visione beatifica 2.2.(1)–(2), in: Opera Omnia I, 64 f. 63 »Scientia divina sive theologia quam dicatur metaphysica – considerat enim primo et principaliter de ente divino, quod est divinum per essentiam […], nihilominus tamen nostra scientia, quam vere et simpliciter theologiam dicimus, distinguitur a scientia divina philosophorum« (Dietrich von Freiberg, De subiecto theologiae 3.[8], in: Opera Omnia III, 281). Véronique Decaix weist darauf hin, dass es bei Dietrich neben dieser an Averroes orientierten Bestimmung der Metaphysik als philosophi61 62
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Standpunkt aus in zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen postuliert sie die direkte Erkennbarkeit des göttlichen Wesens mit den Mitteln der natürlichen Vernunft, was eine davon unterschiedene, historische Offenbarung überflüssig zu machen scheint; zum anderen betrachtet sie – ebenfalls mit natürlichen Erkenntnismitteln – sowohl den Hervorgang der Naturwirklichkeit aus Gott als auch ihre Rückkehr zu Gott als ihrem metaphysischen Endziel. Nun entsprechen diese beiden Grundbewegungen genau dem, was in der christlichen Theologie als Schöpfungs- und Erlösungslehre bezeichnet wird. Damit könnte der Eindruck entstehen, dass die Offenbarungstheologie gegenüber der Metaphysik überhaupt kein inhaltliches Proprium mehr besitzt. Überraschenderweise zieht Dietrich jedoch nicht diese Schlussfolgerung, sondern unterscheidet die beiden Theologien gemäß der in ihnen jeweils zum Tragen kommenden Form der Finalität. Die Metaphysik betrachtet demnach nicht einfach nur das Seiende als solches, sondern sieht es bereits durchherrscht von der teleologischen Ordnung der providentia naturalis. Diese Deutung hat den Vorzug, die Naturordnung nicht einfach als eine blinde, anonyme Struktur darzustellen, sondern ihr bereits den Charakter einer vernunftgemäßen Vorsehung zuzusprechen. Dabei geht es jedoch lediglich um die Erreichung der Ziele, die sich aus den natürlichen Eigenschaften der Dinge ergeben. 64 Das Proprium der christlichen Offenbarungstheologie besteht demgegenüber darin, dieselbe Relation zwischen dem ens divinum und der von ihm abhängenden Wirklichkeit unter dem scher Theologik auch noch eine andere Definition gibt, die das ens in eo quod ens in sich selbst, d. h. ohne Verweis auf seine göttliche Erstursache, zum Gegenstand des metaphysischen Denkens macht (vgl. Dietrich von Freiberg, De origine rerum praedicamentalium 5.[38], in: Opera Omnia III, 192). Dietrichs Ansatz ist demnach insofern originell, als sich bei ihm die Metaphysik als solche in zwei voneinander unabhängige Disziplinen aufspaltet. Hingegen bleibt er insofern konventionell, als er, ähnlich wie sein Mitbruder Thomas von Aquin, die in der Metaphysik enthaltene philosophische Theologik eindeutig von der Offenbarungstheologie unterscheidet, indem er ihr ein eigenes subiectum zuweist (vgl. V. Decaix, »Théologie rationnelle ou métaphysique? Les deux sens de la métaphysique chez Dietrich de Freiberg«, Quaestio 13 [2013], 303–321, hier 307–311). 64 »Scientia enim divina philosophorum considerat universitatem entium secundum ordinem providentiae naturalis, quo videlicet res stant in sui natura et secundum suos modos et proprietates naturales gubernantur per principem universitatis, nec ultra hunc naturae ordinem aliquem ulteriorem finem attendit« (Dietrich von Freiberg, De subiecto theologiae 3.[9], in: Opera Omnia III, 281 f.).
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Gesichtspunkt der willentlichen Vorsehung (providentia voluntaria) zu betrachten, die sich auf die moralische Qualität des menschlichen Handelns und die sich daraus ergebenden Verdienste für das ewige Leben bezieht. 65 Auch wenn Dietrich auf der Ebene der spekulativen Vernunft unter intellekttheoretischen Vorzeichen keine grundsätzliche Zäsur zwischen Diesseits und Jenseits gelten lassen will, führt er sie auf der Ebene der praktischen Vernunft letztlich doch wieder ein, um dem Menschen nicht nur ein natürliches, sondern auch ein übernatürliches Endziel zuschreiben zu können. Insofern die eigentliche Vollendung des Menschen an eine gute, heiligmäßige Lebensführung (bonam et sanctam vitam) geknüpft und in das Jenseits verlagert wird, kann Dietrich die christliche Offenbarungstheologie letztlich doch als notwendig und unentbehrlich erweisen. Dies wird auch daraus ersichtlich, dass Gott im Rahmen der metaphysischen scientia divina lediglich als Wirk- und Zielursache (tamquam efficiens / tamquam finis) betrachtet wird, während in der christlichen Theologie noch ein dritter, vermittelnder Aspekt hinzutritt, nämlich das Heilshandeln Jesu Christi und die dadurch gewirkte Erlösung. 66 Anders als der Hervorgang aus bzw. die Rückkehr zum ens divinum findet die historische Person Jesu mitsamt ihrer soteriologischen Bedeutung keine formale Entsprechung in der intellekttheoretischen Vollzugseinheit des Menschen mit seinem göttlichen Ursprung. Trotz seines überaus innovativen Ansatzes im Bereich der Intellekt- und Erkenntnistheorie belässt Dietrich es daher bei einem Nebeneinander von Metaphysik und christlicher Theologie – einem Nebeneinander, das dem außerbegrifflichen, geschichtlich-positiven Charakter der in Christus geschehenen Offenbarung geschuldet ist. 67 Auch die Selbst»Nostra autem divina sanctorum scientia attenditur in entibus, secundum quod stant et disponuntur sub ordine voluntariae providentiae, in quo attenditur ratio meriti et praemii et ea, quae attenduntur circa bonam et sanctam vitam et adeptionem aeternae beatitudinis et perventionem ad finem ulteriorem sive in bono sive in malo etiam post terminum huius mundi, quando scientia divina sapientium huius mundi destruetur« (Dietrich von Freiberg, De subiecto theologiae 3.[9], in: Opera Omnia III, 282). 66 »Tertius modus invenitur in proposito quantum ad ea, quae gessit et quae facta sunt in persona Christi quantum ad opus redemptionis et salvationis« (Dietrich von Freiberg, De subiecto theologiae 3.[7], in: Opera Omnia III, 281). 67 Véronique Decaix kommt treffenderweise zu dem Schluss: »L’architecture des savoirs se fonde chez Dietrich de Freiberg sur des régimes de causalité: la création, l’émanation, la génération, et le pouvoir constitutif de l’intellect, distingue les domai65
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Zwei Grundformen transkategorialer Bestimmungen
erkenntnis des Menschen, der sich auf intellektueller Ebene richtigerweise nicht als Teil des ens naturae, sondern als Moment des göttlichen Erkenntnisprozesses begreift, stellt somit nicht schon die höchstmögliche Vollendung menschlicher Existenz dar, sondern weist über sich hinaus auf einen außerintellektuellen, am Begriff des Guten festgemachten Endzweck. Dietrichs wissenschaftlicher Entwurf zeichnet sich somit durch eine gewisse Ambivalenz aus: Einerseits steht sein Ansatz der aristotelisch-averroistischen Denkrichtung nahe, was den besonderen ontologischen Status des Intellekts gegenüber der Sphäre der Naturdinge anbelangt. Auch das beständige erkennende Zugewandtsein des Intellekts zu seinem Ursprung und die zentrale Rolle des intellectus agens in der visio beatifica spricht zunächst dafür, dass Dietrich zu jenen Verfechtern einer felicité intellectuelle 68 zählt, die das Glück des Menschen als – wenngleich anspruchsvolle und elitäre – Verwirklichung eines bereits wesenhaft in ihm liegenden Potentials betrachten. Gleichzeitig wirkt sein Verständnis der christlichen Offenbarungstheologie jedoch eher traditionell, da er sie durch den Begriff der providentia voluntaria definiert, der nahelegt, dass es dabei um ein kontingentes, von der Vernunft nicht wirklich einholbares Geschehen geht. Indem Dietrich die Wurzel der Freiheit und die sich daraus ergebende Fähigkeit zum guten bzw. bösen Handeln in den Willen hineinverlegt, macht er die für den aristotelisch-averroistischen Denkansatz charakteristische Ethisierung der Intellekttätigkeit letztlich doch wieder rückgängig. Dadurch gelingt es ihm zwar, eine intellekttheoretische Konkurrenz zur Offenbarungstheologie oder gar deren philosophische »Aufhebung« zu verhindern, allerdings um den Preis, dass damit letztlich auch keine systematische Vermittlung zwischen Philosophie und Schriftoffenbarung mehr möglich ist.
nes de la théologie révélée, de la théologie rationnelle, de la physique et de la métaphysique. […] Parce qu’elle est la science de l’étant dans ses principes formels, et non science de Dieu, ni de l’étant dans sa procession de Dieu, la métaphysique de Dietrich de Freiberg témoigne in fine d’une plus grande proximité avec Thomas d’Aquin qu’avec Maître Eckhart« (V. Decaix, »Théologie rationnelle ou métaphysique?«, 319–321). 68 Zu diesem Konzept einer ganz vom Ideal philosophischer Erkenntnis beherrschten Lebensform vgl. A. de Libera, Raison et foi, 299–351.
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Die systematischen Grundkoordinaten von Meister Eckharts Denkansatz
3.
Eckharts Synthese der beiden Sphären des Transkategorialen
Die scholastische Transzendentalienlehre stellt insofern einen systematischen Fortschritt gegenüber der antiken Philosophie dar, als sie das aristotelische Modell der Substanzmetaphysik, die »Sein« im höchsten Sinne als ruhendes In-sich-Sein versteht, um die aus der platonischen Philosophie stammende Problematik des Verhältnisses von Selbigkeit und Andersheit ergänzt. Die »Wissenschaft vom Seienden als solchem« erhält damit zumindest teilweise einen dialektisch-relationalen Aspekt, wenn auch nur mit Blick auf das Seiende in seiner objektivierten Form. Diese Dialektik von Selbigkeit und Andersheit rückt nun bei Meister Eckhart in den Mittelpunkt und führt zu einem gänzlich neuen, dynamischen Verständnis von Metaphysik, wobei er jedoch das Verhältnis von Selbigkeit und Andersheit nicht nur auf das Seiende als solches anwendet, sondern in erster Linie auf die erkennende Subjektivität selbst. Zugleich lebt in Eckharts Denken eine Einsicht der frühscholastischen Transzendentalienlehre weiter, die zwischen dem ens und seiner reinen forma essendi unterscheidet. Eckhart wird sich diese Doppelung der Transzendentalien in ihrer konkret-partizipialen und ihrer abstrakt-universalen Form zu eigen machen und sie in systematischer Weise seiner eigenen Lehre von den transgenerischen Bestimmungen zugrunde legen. In Eckharts Denken fließen die unterschiedlichen theologischen, logisch-semantischen und metaphysischen Transzendentalienmodelle zusammen, die sich im Laufe der Theologie- und Philosophiegeschichte herausgebildet haben. Doch lässt er diese transgenerischen Begriffe nicht einfach neben der Sphäre des ens conceptionale stehen, dessen überkategorialen Charakter Dietrich von Freiberg erstmals in dieser Deutlichkeit herausgearbeitet hat. Vielmehr ist Eckhart bestrebt, diese beiden Dimensionen, die das aristotelische System der »obersten Gattungen« auf je eigene Weise sprengen, zueinander in Beziehung zu setzen und auf ihr gemeinsames Prinzip zurückzuführen. Entscheidend dabei ist, dass er die Transzendentalien im Sinne der transkategorialen Allgemeinbegriffe nicht in gnoseologischer Hinsicht als die »ersten Eindrücke« deutet, die das menschliche Erkenntnisvermögen von den erkannten Gegenständen in passiver Weise empfängt und mittels eines abstraktiven Prozesses in begrifflicher Form erfasst. Eckharts ganze Transzendentalienlehre ist nicht vom Gedanken der Rezeptivität, sondern vom Gedanken der Produk104 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Eckharts Synthese der beiden Sphären des Transkategorialen
tivität beherrscht, die in der sich auszeugenden Spontaneität des Intellekts ihr strukturelles Vorbild findet. Die Transzendentalien bilden auf diese Weise nicht mehr das oberste Niveau der natürlichen Vernunfterkenntnis, hinter das man nicht zurückgehen kann, 69 sondern lediglich eine Durchgangsstufe auf einem Weg, der das Denken über jeden konkreten Begriffsinhalt hinausführt in seinen vorbegrifflichen Grund. Das Postulat der aristotelischen Wissenschaftstheorie, dem zufolge das Zurückgehen auf letzte bzw. erste Gründe notwendigerweise irgendwo stehenbleiben muss, 70 wird damit prinzipiell durchbrochen, da das Erste bei Eckhart kein statisches, begrifflich fassbares Prinzip mehr ist. Vielmehr existiert es überhaupt nur als beständiges, prozessuales Selbstverhältnis, das den Erkennenden dazu nötigt, sein eigenes Selbstverständnis und Selbstverhältnis zu überdenken und es der Seinsweise des von ihm erkannten Ersten anzugleichen. Eckhart beschreitet damit den Weg eines neuartigen Philosophie- und Theologieverständnisses, das den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess nicht mehr primär von seinen Gegenständen her begreift, sondern ihn in erster Linie als eine Erfahrung des Denkens mit sich selbst versteht. Ungewöhnlich ist diese Konzeption insofern, als der Begriff der Erfahrung sich hier weder auf Gegenstände der äußeren Wahrnehmung bezieht noch einfach mit der cognitio Dei experimentalis zusammenfällt, die für die innere Erfahrung einer unmittelbaren, mystischen Gotteserkenntnis steht. 71 Vielmehr geht es Eckhart darum, ausgehend von einem intellekttheoretisch geprägten Gottesverständnis die vermeintliche Kluft zwischen einer »nur« wissenschaftlichen Erkenntnis einerseits und einer existenziell relevanten Selbst- und Gotteserkenntnis andererseits zu überwinden. In dem Maße, wie die Spontaneität des Denkens nicht als Teil der innerweltlichen Wirklichkeit, sondern als implizite Selbstbekundung des Absoluten verstanden wird, ist jeder vom Menschen vollzogene Erkenntnisakt, auch wenn sich dieser auf einzelne, äußere Gegenstände richtet, im Kern immer schon zugleich eine transzendentale Selbsterfahrung des Denkenden, auch wenn ihm dies zumeist verborgen So die Deutung bei T. Kobusch, »Transzendenz und Transzendentalien«, MeisterEckhart-Jahrbuch 5 (2011), 41–54, hier 50 f. 70 Vgl. Aristoteles, Metaphysik II 2, 994 a 1–19. 71 Vgl. Bonaventura, In III Sent., dist. 35, q. 1, a. un., in: Opera Omnia III (ed. Quaracchi), 774a-b; Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 43, a. 5 ad 2; ebd. II–II, q. 97, a. 2 ad 2. 69
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Die systematischen Grundkoordinaten von Meister Eckharts Denkansatz
bleibt. Eckharts Ansatz zielt darauf ab, diese implizite Selbsterfahrung als Erfahrung des Absoluten im Denken des Menschen zu erweisen und der philosophisch-wissenschaftlichen Erkenntnis damit den Charakter einer – wenngleich zumeist unthematisch bleibenden – Einheitserfahrung mit dem Göttlichen zuzuerkennen. Dadurch fällt die Unterscheidung zwischen spekulativer und erfahrungsmäßiger Gotteserkenntnis dahin, die letztlich die Grundvoraussetzung für das vermeintliche Konkurrenzverhältnis zwischen Philosophie und Theologie und damit auch für die folgenschwere Verurteilung von 1277 gewesen war. Die Originalität von Eckharts Ansatz zeigt sich darin, dass er im Gegensatz zu seinen Vorgängern und Zeitgenossen die intellekttheoretische Betrachtung nicht primär an dem Begriffspaar intellectus agens – intellectus possibilis (bzw. intellectus passivus) festmacht, das immer noch den Eindruck erweckt, dass man das wahre Wesen des Intellekts bestimmen könnte, indem man über ihn spricht wie über einen Gegenstand höherer Ordnung. Diese Vorgehensweise ist insofern problematisch, als sie suggeriert, dass der Intellekt letztlich doch wieder, wenngleich in subtilerer Form, nach dem Muster des aristotelischen Substanzbegriffs gedeutet werden kann. »Aktivität« und »Passivität« sind ja Teil des von Aristoteles entworfenen Kategorienschemas und stellen komplementäre Begriffe dar, die in einem entgegengesetzt proportionalen Verhältnis zueinander stehen: Je höher der Grad an ontologischer Aktualität und Wirkmacht eines Seienden ist, desto geringer ist sein Grad an Potentialität bzw. Passivität und umgekehrt. Auf den Intellekt angewendet, heißt dies, dass es in ihm ein aktives Prinzip (den intellectus agens) gibt, das die intelligiblen Erkenntnisinhalte von den Sinneseindrücken abstrahiert, und ein quasi-materiales Element (den intellectus possibilis), das sich durch reine Potentialität und Aufnahmefähigkeit auszeichnet und die abstrahierten Erkenntnisinhalte passiv »eingeprägt« bekommt wie eine Wachstafel einen Siegelabdruck. Diese Konzeption des Intellekts mag mit Blick auf die Analyse empirisch gewonnener Erkenntnisse über die materielle Wirklichkeit anwendbar sein, doch läuft sie Gefahr, den Intellekt als ein aus zwei Komponenten zusammengesetztes »Denkding« misszuverstehen, dem in akzidenteller Weise Aktivität und Passivität zukommen. 72 Zum Problem einer Anwendung der kategorialen Bestimmungen von Aktivität und Passivität in Bezug auf Eckharts Intellektverständnis vgl. den Aufsatz d. Verf.,
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Eckharts Synthese der beiden Sphären des Transkategorialen
Die Frage ist jedoch, wie der Mensch unter diesen Bedingungen dahin gelangen kann, das Denken als solches zum Gegenstand des Denkens zu machen, da man in diesem Falle von keiner äußeren, empirischen Erfahrung ausgehen und davon abstrahieren kann. Ganz gleich, wie man die innere Struktur des Intellekts auch deutet – ob als Träger angeborener Ideen im platonischen Sinne oder als tabula rasa im aristotelischen Sinne –, stets handelt es sich dabei um das Denken in seiner bereits objektivierten Form und gerade nicht um den Denkakt in der unteilbaren Einheit seines tatsächlichen, subjektiven Vollzugs. Die Frage, welchen ontologischen Status jener Denkvorgang besitzt, der den intellektuellen Erkenntnisprozess als Zusammenspiel einer aktiven und einer passiven Komponente definiert, ist alles andere als trivial. Gerade insofern der Intellekt, um alles erkennen zu können, was ist, nichts von dem sein darf, was er erkennt, kann er sein eigenes Fungieren nicht in derselben Begrifflichkeit thematisieren, in der er seine Erkenntnis der von ihm unterschiedenen Gegenstände analysiert. Die reflexive Bewusstwerdung und philosophierende Betrachtung der eigenen Tätigkeit ist dem Denken nur deswegen möglich, weil es auch im Bezogensein auf die von ihm erkannten Objekte zugleich doch immer auch in ursprünglicher Weise bei sich selbst ist. Diese ursprüngliche, bei sich seiende Vertrautheit des Denkens mit sich selbst und seinem eigenen Fungieren ist aber prinzipiell nie aus der Außenperspektive, sondern stets nur in der Erste-Person-Perspektive zugänglich. Dies ist der Grund dafür, dass Meister Eckhart als wohl erster Denker der europäischen Philosophiegeschichte in derart betonter Weise nicht vom Intellekt, sondern vom »Ich« in seinem unveräußerlichen Vollzugscharakter ausgeht, um dessen besondere sprachliche wie metaphysische Funktionsweise zu analysieren. Man muss diese Vorgehensweise noch nicht einmal als »idealistisch« im engeren Sinne bezeichnen, um ihren radikal innovativen Charakter anzuerkennen. Eher könnte man Eckharts Ansatz als »phänomenologisch« bezeichnen, insofern er vom faktischen Erlebnis des Ich-Sagens und dem damit in Beziehung stehenden Ichbewusstsein ausgeht und es auf seine transzendentalen Strukturen hin durchsichtig zu machen versucht. Ein gutes Beispiel für diese »phänomenologische« Vorgehensweise Eckharts findet sich in Predigt 28: »Producing Life. Meister Eckhart, Postmodern Spirituality, and the ›Poverty of Thought‹«, Studies in Spirituality 26 (2016), 197–215.
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Die systematischen Grundkoordinaten von Meister Eckharts Denkansatz
Ich gedâhte einest – des enist niht lanc –: daz ich ein mensche bin, daz ist ouch einem andern menschen gemeine mit mir; daz ich gesihe und hœre und izze und trinke, daz tuot ouch ein ander vihe; aber daz ích bin, daz enist keines menschen mê dan mîn aleine, weder menschen noch engels noch gotes, dan als verre als ich ein mit im bin; ez ist ein lûterkeit und ein einicheit. (Mir kam einmal der Gedanke – es ist noch nicht lange her –: Dass ich ein Mensch bin, das hat auch ein anderer Mensch mit mir gemein; dass ich sehe und höre und esse und trinke, das tut auch das Vieh; aber was ich bin, das gehört keinem anderen Menschen sonst zu als mir allein; keinem Menschen noch Engel noch Gott, außer, soweit ich eins mit ihm bin; es ist eine Lauterkeit und eine Einheit). 73
Eckhart unterscheidet hier also deutlich zwischen der menschlichen Natur (humanitas), die als allgemeiner Begriff alle Menschen gleichermaßen umfasst, und dem »Ich«, dem ein eigentümlich dialektischer Charakter eignet: Einerseits kommt in der deiktisch-okkasionalen Art seiner Verwendung die absolute, begrifflich nicht einholbare Vereinzelung des Sprechers zum Ausdruck; andererseits ist diese Fähigkeit zum Ich-Sagen jedem Vernunftwesen – also nicht nur allen Menschen, sondern auch den Engeln und zuvörderst Gott selbst – eigen, so dass sie alle in diesem Vermögen des absolut vereinzelnden Ich-Sagens übereinkommen. Die daraus resultierende Einheit ist somit nicht, wie im Falle des Menschseins, gattungshaft-begrifflicher Natur, sondern wurzelt in der unteilbaren Einfachheit des Ich in seinem wesenhaften Aktcharakter. Damit stellt Eckhart die Frage der Einheit aller wissenschaftlichen Erkenntnis insofern auf einen neuen Grund, als er sie nicht unter spezifisch menschlichen Gesichtspunkten, sondern aus der Perspektive der Absolutheit, nämlich der absolut unhintergehbaren Selbstgegebenheit des Ichbewusstseins als solchen, betrachtet. Letztlich wurzelt diese untrennbare Einheit von wissenschaftlicher Wirklichkeitserkenntnis und existenzieller Selbsterkenntnis in Eckharts besonders gearteter Trinitätstheologie, die gegenüber der Dreiheit der Personen stets die absolute Einheit des göttlichen Wesens betont. Dieser Ansatz ist durch die stark henologisch geprägte, negative Theologie des Pseudo-Dionysius beeinflusst, 74 der alle AtMeister Eckhart, Pr. 28, DW II, 63,3–7; nhd. Übers. nach EW I, 321,14–20 (Hervorhebungen im Original). 74 Vgl. dazu A. de Libera, »L’Un ou la Trinité? Sur un aspect trop connu de la théologie eckhartienne«, Revue des Sciences Religieuses 70 (1996), 31–47, hier 35–37. 73
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Eckharts Synthese der beiden Sphären des Transkategorialen
tribute und Prädikate Gottes, selbst die höchsten und vornehmsten, noch der Sphäre der »Theophanien« zurechnet, die vom Wesen Gottes, wie er in sich selbst ist, unterschieden werden muss. Eckhart übernimmt diese auf absolute Einheit ausgehende Dynamik des Denkens, begnügt sich jedoch nicht damit, den negierenden Überstieg aller Unterschiede und Bestimmungen lediglich innerhalb der Theologie auf die Erkenntnis des absolut einen, göttlichen Wesens und die mystische Einswerdung des Menschen (ἕνωσις [henôsis]) mit dem göttlichen Einen anzuwenden. Vielmehr ist seine besonders geartete Henologie dazu angetan, auch auf Seiten des Menschen zu einer neuen Deutung des Verhältnisses seiner Seelenvermögen und der sich daraus ergebenden architektonischen Ordnung der Erkenntnisformen zu führen. Der zentrale Text für Eckharts theo-psychologische Henologie ist die deutsche Predigt 2, die sogenannte »Bürgleinpredigt«. Auf den ersten Blick geht es Eckhart darin lediglich um den Prozess der Einswerdung des Menschen mit Gott, doch bestimmt er dieses Geschehen nicht in der traditionellen Terminologie der »Einwohnung« des Heiligen Geistes bzw. der Dreifaltigkeit als ganzer in der Seele des Menschen. Diese letztgenannte Konzeption setzt die augustinische Vorstellung einer Strukturanalogie zwischen den Personen der Trinität (Vater – Sohn – Heiliger Geist) und den verschiedenen Vermögen der menschlichen Seele (memoria – intelligentia – voluntas) voraus, 75 wobei die Möglichkeit einer inneren Erfahrung Gottes gerade nicht an der absoluten Einheit als solcher, sondern an der relationalen Verschiedenheit der trinitarischen Personen bzw. der Seelenvermögen hängt. Doch diese innere Erfahrung Gottes in der Analogie von Strukturen, die als solche eine relative Verschiedenheit beinhalten, genügt Eckhart nicht. Eine wirkliche, absolute Einheit setzt ein radikales Abstreifen aller Verschiedenheit voraus, auch und gerade auf Seiten Gottes. Eckhart schreibt: Sehet, nû merket! Alsô ein und einvaltic ist diz bürgelîn boben alle wîse, dâ von ich iu sage und daz ich meine, in der sêle, daz disiu edele kraft, von der ich gesprochen hân, niht des wirdic ist, daz si iemer ze einem einigen mâle einen ougenblik geluoge in diz bürgelîn und ouch diu ander kraft, dâ ich von sprach, dâ got ist inne glimmende und brinnende mit aller sîner rîcheit und mit aller sîner wunne, diu engetar ouch niemer mê dar în geluogen: sô rehte Vgl. Augustinus, De Trinitate XIV, 8.11, in: Œuvres de Saint Augustin, vol. 16, 372–379.
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Die systematischen Grundkoordinaten von Meister Eckharts Denkansatz
ein und einvaltic ist diz bürgelîn, und sô enboben alle wîse und alle krefte ist diz einic ein, daz im niemer kraft noch wîse zuo geluogen mac noch got selber. Mit guoter wârheit und alsô wærlîche, als daz got lebet! Got selber luoget dâ niemer în ein ougenblik und geluogete noch nie dar în, als verre als er sich habende ist nâch wîse und ûf eigenschaft sîner persônen. Diz ist guot ze merkenne, wan diz einic ein ist sunder wîse und sunder eigenschaft. Und dar umbe: sol got iemer dar în geluogen, es muoz in kosten alle sîne götlîche namen und sîne persônlîche eigenschaft; daz muoz er alzemâle hie vor lâzen, sol er iemer mê dar în geluogen. Sunder als er ist einvaltic ein, âne alle wîse und eigenschaft: dâ enist er vater noch sun noch heiliger geist in disem sinne und ist doch ein waz, das enist noch diz noch daz. Sehet, alsus als er ein ist und einvaltic, alsô kumet er in daz ein, daz ich dâ heize ein bürgelîn in der sêle; und anders kumet er enkeine wîse dar în; sunder alsô kumet er dar în und ist dâ inne. Mit dem teile ist diu sêle gote glîch und anders niht. (Seht, nun merkt auf! So eins und einfaltig ist dies ›Bürglein‹ in der Seele, von dem ich spreche und das ich im Sinn habe, über alle Weise erhaben, dass jene edle Kraft, von der ich gesprochen habe, nicht würdig ist, dass sie je ein einziges Mal (nur) einen Augenblick in dies Bürglein hineinluge, und auch die andere Kraft, von der ich sprach, darin Gott glimmt und brennt mit all seinem Reichtum und mit all seiner Wonne, die wagt auch nimmermehr da hineinzulugen; so ganz eins und einfaltig ist dies Bürglein und so erhaben über alle Weise und alle Kräfte ist dies einige Eine, dass niemals eine Kraft oder eine Weise hineinzulugen vermag noch Gott selbst. In voller Wahrheit und so wahr Gott lebt: Gott selbst wird niemals nur einen Augenblick da hineinlugen und hat noch nie hineingelugt, soweit er in der Weise und ›Eigenschaft‹ seiner Personen existiert. Dies ist leicht einzusehen, denn dieses einige Eine ist ohne Weise und ohne Eigenheit. Und drum: Soll Gott je darein lugen, so muss es ihn alle seine göttlichen Namen kosten und seine personhafte Eigenheit; das muss er allzumal draußen lassen, soll er je darein lugen. Vielmehr, so wie er ein einfaltiges Eins ist, ohne alle Weise und Eigenheit, so ist er weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist in diesem Sinne und ist doch ein Etwas, das weder dies noch das ist. Seht, so wie er eins und einfaltig ist, so kommt er in dieses Eine, das ich da heiße ein Bürglein in der Seele, und anders kommt er auf keine Weise da hinein; sondern nur so kommt er da hinein und ist darin. Mit dem Teile ist die Seele Gott gleich und sonst nicht). 76
In diesem überaus kühnen und von Eckharts Zeitgenossen nicht ohne Grund als anstößig empfundenen Text 77 geht es zunächst um eine 76 77
Meister Eckhart, Pr. 2, DW I, 42,1–44,6; nhd. Übers. nach EW I, 35,16–37,5. Vgl. den Artikel 24 aus der Zusammenstellung der von der päpstlichen Theologen-
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Eckharts Synthese der beiden Sphären des Transkategorialen
indirekte Bestimmung des göttlichen Wesens durch eine Negation der göttlichen Personen, sofern ihre wechselseitigen Bezüge noch Verschiedenheit implizieren. Bis zu diesem Punkt könnte man Eckharts Ausführungen noch als Ausdruck des Bestrebens deuten, im Rahmen der traditionellen Trinitätstheologie die absolute Einheit des göttlichen Wesens (essentia) gegenüber den Hervorgängen der Personen zu betonen. Das allein hätte noch nichts Anstößiges, doch in einem zweiten Schritt geht Eckhart so weit, dieses absolut »einige Eine« mit dem »Bürglein in der Seele«, also dem namenlosen Einheitsgrund aller Seelenvermögen des Menschen, zu identifizieren. 78 Unter logischen Gesichtspunkten ist dies vollkommen schlüssig, da es nur ein absolut Eines geben kann, das somit nicht das Ergebnis eines Vereinigungsprozesses zweier zunächst voneinander unterschiedener Größen – Gott und die Seele – darstellt, sondern vielmehr jener absolute Indifferenzpunkt ist, aus dem sowohl der dreifaltige Gott als auch die verschiedenen Seelenvermögen des Menschen entspringen und ihren Anfang nehmen. Dieses »einige Eine« ist somit nicht nur das absolute, oberste Prinzip all dessen, was ist – den dreifaltigen Gott inbegriffen –, sondern auch das absolute, oberste Prinzip aller nur möglichen Erkenntnis, insofern diese die Verschiedenheit der Seelenvermögen und ihrer jeweiligen Gegenstände voraussetzt. In dem Maße, wie eine analoge Entsprechung zwischen den trinitarischen Personen und den Transzendentalien besteht, hat der von Eckhart geforderte Überstieg der Dreifaltigkeit somit auch den Überstieg der transzendentalen Allgemeinbegriffe auf ihr letztes Prinzip, den absoluten Einheitsgrund, zur Folge. In einer Passage seines Johanneskommentars schreibt Eckhart daher mit Blick auf das ad extra gerichtete, schöpferische Wirken der Dreifaltigkeit: Septimo, quod indivisa sunt opera horum trium in creaturis, quarum sunt unum principium. Propter quod in creaturis ens respondens patri, verum respondens filio, bonum respondens appropriate spiritui sancto convertuntur et unum sunt, distincta sola ratione, sicut pater et filius et spiritus sanctus sunt unum, distincta sola relatione. Et hoc fortassis est (ratio) quod li unum, quod similiter cum ente, vero et bono convertitur, non sic personam aliquam appropriate respicit, sed continet unitatem […]. Aut propter hoc li kommission in Avignon inkriminierten Lehren Eckharts, in: Processus contra mag. Echardum n. 57, LW V, 559,63–69. 78 Vgl. A. de Libera, »L’Un ou la Trinité?«, 38–41. 45 f.
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Die systematischen Grundkoordinaten von Meister Eckharts Denkansatz
unum personam dicitur non respicere, quia nullam rationem positive addit super ens, quomodo verum et bonum addunt super ens rationes positivas. (Siebtens: Ungeteilt sind die Werke dieser drei in den Geschöpfen, deren einer Ursprung sie sind. Deshalb sind das Seiende, das dem Vater entspricht, das Wahre, das dem Sohn entspricht, und das Gute, das dem Heiligen Geist entsprechend zugeeignet wird, in den Geschöpfen miteinander vertauschbar und sind eins, nur dem Begriff nach unterschieden, wie Vater und Sohn und Heiliger Geist eins sind, nur der Beziehung nach unterschieden. Und das ist vielleicht der Grund dafür, dass der Ausdruck ›eins‹, der in gleicher Weise mit ›seiendes‹, ›wahres‹ und ›gutes‹ vertauschbar ist, in dieser Weise der Zueignung sich nicht auf eine einzelne Person bezieht, sondern die Einheit wahrt […]. Oder auch deshalb bezieht sich der Ausdruck ›eins‹ nicht auf eine Person, weil es zum Seienden nichts Positives hinzufügt, wie dies das Wahre und das Gute tun). 79
Auch wenn die drei trinitarischen Personen mit Blick auf die Geschöpfe als unum principium fungieren, kommt die transzendentale Einheit des unum – anders als bei Thomas von Aquin – nicht etwa dem Vater als dem Ursprung der innertrinitarischen Hervorgänge zu, sondern dem einen göttlichen Wesen. Diese Einheit ist somit das »Prinzip der Prinzipien«, und zwar nicht nur mit Blick auf die sich selbst erkennende Dreifaltigkeit als das oberste Prinzip der vom Menschen betriebenen Theologie, sondern auch mit Blick auf die Transzendentalien als die obersten Prinzipien der als Wissenschaft vom Seienden als solchem definierten Metaphysik. Der von Eckhart in Predigt 2 beschriebene, absolute Einheitsgrund der Dreifaltigkeit und der menschlichen Seelenvermögen muss folglich auch als der architektonische Einheitsgrund aller vom Menschen betriebenen Wissenschaften fungieren und ausdrücklich als solcher erwiesen werden.
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Meister Eckhart, In Ioh. n. 360, LW III, 304,14–305,1–5.7–9; nhd. Übers. ebd.
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III. Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
Meister Eckharts philosophisch-theologischer Ansatz lässt sich grundsätzlich nicht auf einen einzigen Nenner verrechnen, sondern ist von vielen unterschiedlichen, ja bisweilen sogar gegensätzlich anmutenden Denkrichtungen und Strömungen beeinflusst. Die scharfe, auf eindeutige Abgrenzung zu Thomas von Aquin abzielende Polemik eines Dietrich von Freiberg 1 ist ihm zwar fremd, doch begnügt er sich ebenso wenig damit, die Positionen des Aquinaten einfach zu übernehmen. Sein Verhältnis zu Avicenna und Averroes ist gleichfalls nicht in die Form eines einfachen »Entweder-oder« zu bringen, und ebenso wenig lässt sich sein philosophischer Grundansatz in ausschließlicher Weise der aristotelischen oder der platonisch-neuplatonischen Richtung zuschlagen. 2 Eckhart schöpft aus so gut wie allen Traditionen und Schulrichtungen, doch ist die Art und Weise der Bezugnahme auf andere Autoren keineswegs beliebig-eklektisch, sondern stets von der im Hintergrund stehenden Logik seines eigenen Gesamtentwurfs bestimmt. Dabei greift er sowohl auf bestimmte intellektmetaphysische Grundmodelle als auch auf die zu seiner Zeit bereits voll entfaltete Transzendentalienlehre zurück, wandelt aber beide in charakteristischer Weise dergestalt um, dass sie zum Ausgangspunkt einer neuartigen Wissenschaftstheorie werden.
Vgl. K. Flasch, Dietrich von Freiberg, München, C. H. Beck, 2007, 209–276. Alain de Libera bemerkt zu dieser Schwierigkeit, Eckhart einer bereits bestehenden Schulrichtung der Theologie und Philosophie zuzuordnen: »La vision moderne de la pensée du Moyen Âge tardif est entièrement dépendante de la controverse qui a simultanément opposé les tenants de la théologie ›faible‹ aux partisans de la philosophie et à ceux de la théologie scientifique. L’embarras du lecteur d’aujourd’hui devant l’œuvre d’Eckhart tient d’abord à cela. Ce qui déconcerte et inquiète c’est que le Thuringien n’occupe, précisément, aucune place dans ce dispositif historique et historiographique. […] Ce qui trouble le lecteur d’Eckhart c’est donc qu’il n’appartient à aucun des deux blocs qui s’affrontent au XIVe siècle et qu’il est condamné pour cela« (A. de Libera, »L’Un ou la Trinité?«, 33 f.; Hervorhebungen im Original).
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Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
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Die formalen und inhaltlichen Grundzüge von Eckharts philosophisch-theologischem Gesamtentwurf
1.1 Die Struktur des Opus tripartitum in seiner vorliegenden Gestalt Die Schwierigkeit, Eckharts wissenschaftliches Gesamtkonzept zu deuten, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass zwischen seinem ursprünglichen Plan, den er in den Prologen zu seinem Opus tripartitum darlegt, und der tatsächlichen Ausführung erhebliche Diskrepanzen bestehen. Die drei literarischen Gattungen, die in diesem Werk hätten zur Anwendung kommen sollen, haben nämlich ganz offensichtlich nicht dasselbe Gewicht; kündigt Eckhart selbst doch an, dass das »Werk der Probleme« (Opus quaestionum) und das »Werk der Auslegungen« (Opus expositionum) bewusst nicht durchgängig konzipiert sind, sondern nur in punktueller Form einige besonders wichtige Themen behandeln sollen. 3 Dagegen weist er dem »Thesenwerk« (Opus propositionum) die Aufgabe zu, eine ebenso stringente wie vollständige Darlegung aller großen philosophischtheologischen Grundthemen zu liefern, die für sein eigenes Denken von Bedeutung sind. Die lückenlose Verkettung der einzelnen Thesen im ersten Teil des Opus tripartitum hätte also die Funktion gehabt, einen systematischen gedanklichen Rahmen zu bilden und dadurch die beiden anderen Hauptteile des Werkes vor unnötigen inhaltlichen Wiederholungen ebenso zu bewahren wie vor einem Auseinanderfallen in rhapsodische Einzeluntersuchungen. Nicht zuletzt aus diesem Grund betont Eckhart, dass die Quästionen und die Auslegungen ohne das Thesenwerk »von nur geringem Nutzen« (parvae utilitatis) seien, weil sie die darin erörterten transzendentalen Strukturprinzipien in der einen oder anderen Form voraussetzen und anwenden, aber nicht mehr explizit als solche begründen. 4 Die Betonung der Wichtigkeit des Opus propositionum ist von »Et quamvis haec omnia pelagus quoddam scripturae videantur requirere, duo tamen sunt quae brevitati, quantum licuit, deserviunt et opus succingunt. Primo, quia vix aliqua et rarissime alias habita ponuntur. Secundo, quia tam in opere quaestionum quam in opere expositionum intercise et de paucissimis respective hic tractatur« (Meister Eckhart, Prol. gen. in Op. tripart. n. 7, LW I, 151,13–17). 4 »Tertio et ultimum est praenotandum quod opus secundum, similiter et tertium sic dependent a primo opere, scilicet propositionum, quod sine ipso sunt parvae utilitatis, eo quod quaestionum declarationes et auctoritatum expositiones plerumque fundan3
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Die formalen und inhaltlichen Grundzüge
etlichen Eckhart-Forschern als Hinweis darauf verstanden worden, dass Eckhart bewusst an die ältere Tradition der axiomatisch-deduktiv verfahrenen Theologie anzuknüpfen gedenkt, die auf die theologischen Traktate des Boethius zurückgeht und ihre Blütezeit im 12. Jahrhundert erlebt hat. 5 Dafür spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass Eckhart auch sonst häufig Boethius zitiert und sich dessen spezifisches Metaphysik- und Theologieverständnis zu eigen macht. 6 In der uns vorliegenden Form des Opus tripartitum ist aber gerade das Thesenwerk derjenige Teil, von dem am wenigsten überliefert ist, während wir derzeit immerhin über neun Quästionen bzw. Quästionenfragmente aus Eckharts Feder verfügen und seine Schriftkommentare einen noch größeren Teil des auf uns gekommenen Gesamtwerks ausmachen. Dieser Umstand hat andere Forscher zu der These veranlasst, dass Eckhart im Verlauf der Ausarbeitung von seinem ursprünglichen Plan einer strengen, theorematisch-deduktiven Form der Darlegung abgerückt sei und stattdessen den hermeneutischen Zugang des Schriftkommentars in den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Bemühungen gestellt habe. 7 Diese Deutung ist jedoch aus zweierlei Gründen anfechtbar. tur super aliquam propositionem« (Meister Eckhart, Prol. gen. in Op. tripart. n. 11, LW I, 156,4–10). 5 Vgl. J. A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought, 41; W. Goris, Einheit als Prinzip und Ziel. Versuch zur Einheitsmetaphysik des Opus tripartitum, Leiden / New York / Köln, Brill, 1997, 22–25; A. Speer, »The Hidden Heritage: Boethian Metaphysics and Its Medieval Tradition«, 178–181; K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein. Untersuchungen zur Metaphysik des ›Opus tripartitum‹, Kastellaun, A. Henn Verlag, 1976, 24–29; vgl. dazu insgesamt M. Dreyer, »Die literarische Gattung der Theoremata als Residuum einer Wissenschaft more geometrico«, in: M. J. F. M. Hoenen (Hg.), Philosophy and Learning. Universities in the Middle Ages, Leiden / New York / Köln, Brill, 1995, 123–135 sowie M. Meliadò, »Axiomatic Wisdom: Boethius’ De hebdomadibus and the Liber de causis in Late-Medieval Albertism«, Bulletin de philosophie médiévale 55 (2013), 71–131. 6 Diese Fragestellung wird in Abschnitt III.4.1 ausführlicher behandelt. 7 Vgl. Y. Schwartz, »Zwischen Einheitsmetaphysik und Einheitshermeneutik. Eckharts Maimonides-Lektüre und das Datierungsproblem des Opus tripartitum«, in: J. A. Aertsen / L. Wegener (Hgg.), Meister Eckhart in Erfurt, 259–279, hier 262–264. Schwartz’ These stützt sich auf die Tatsache, dass Eckhart das Buch Genesis nicht nur einmal, sondern gleich zweimal ausgelegt hat – was im ursprünglichen Entwurf höchstwahrscheinlich nicht vorgesehen war –, und deutet den hermeneutischen, stark von Maimonides beeinflussten Ansatz des zweiten Genesiskommentars als Abkehr vom ursprünglichen Entwurf des Opus tripartitum. In ähnlicher Weise vertritt Dietmar Mieth die These, dass Eckharts Denken grundsätzlich keinen philosophisch-deduktiven Charakter besitze, sondern vielmehr vom konkret gegebenen Bibeltext aus-
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Zum einen haben neuere Forschungsergebnisse hinsichtlich der Datierung der einzelnen Werke die grundlegende Unterscheidung zwischen einem »frühen« und einem »späten« Eckhart hinfällig werden lassen, so dass man nunmehr nicht von einer grundlegenden Wende, sondern von einer entwicklungsgeschichtlichen Kontinuität in seinem Denken ausgehen muss. 8 Zum anderen ist es keineswegs so, dass wir lediglich über die erste theorematische Aussage esse est deus verfügen, die von Eckhart im Prolog konkret genannt und in systematischer Weise entfaltet wird, denn seine Schriftkommentare enthalten 22 explizite Verweise auf andere Teile des Opus expositionum, die uns zwar nicht überliefert sind, aber allem Anschein nach von Eckhart zumindest in skizzenhafter Form ausgearbeitet wurden. 9 Darüber hinaus betont Eckhart selbst ausdrücklich, dass strenggenommen auch schon die erste These allein genügen würde, um alle oder fast alle Fragestellungen in Bezug auf Gott zu beantworten und auf dieser Grundlage die Hl. Schrift auszulegen. Dazu müsse man lediglich die virtuell in diesem Satz enthaltenen Schlussfolgerungen ausdrücklich ableiten (deducere) und sie in entsprechender Weise auf die systematischen bzw. exegetischen Grundprobleme der Theologie anwenden. 10 Fungiert der Satz esse est deus also letztlich doch als das erste Prinzip einer rein apriorisch-deduktiv verfahrenden, metaphysischen Axiomatik, die im Grunde schon in sich ein geschlossenes Ganzes darstellt und allenfalls nachträglich in akzidenteller Weise auf konkrete theologische und exegetische Probleme angewandt werden kann? Auch wenn eine solche Folgerung auf den ersten Blick naheliegend erscheinen könnte, ist sie doch unzutreffend, und zwar deshalb, weil die Frage nach dem schlechthin Ersten bei Eckhart keineswegs so einfach zu beantworten ist, wie der für das Opus expositionum gehe und in abduktiver Weise dessen rationale Voraussetzungen zu erschließen suche (vgl. D. Mieth, Meister Eckhart, München, C. H. Beck, 2014, 26–34). 8 Auch wenn Eckhart ursprünglich wohl nicht vorhatte, gleich zwei Kommentare zum Buch Genesis zu verfassen, kann man daraus noch nicht schließen, er habe seinen anfänglichen Plan deswegen völlig aufgegeben. Vgl. dazu J. A. Aertsen, »Der ›Systematiker‹ Eckhart«, 202 f. 9 Eine vollständige Liste aller Querverweise auf eventuell verschollene Traktate des Opus propositionum findet sich bei J. A. Aertsen, »Der ›Systematiker‹ Eckhart«, 203– 207. 10 »Postremo notandum quod ex praemissa prima propositione, si bene deducantur, omnia aut fere omnia, quae de deo quaeruntur, facile solvuntur, et quae de ipso scribuntur – plerumque etiam obscura et difficilia – naturali ratione clare exponuntur« (Meister Eckhart, Prol. gen. in Op. tripart. n. 22, LW I, 165,9–12).
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grundlegende Gedanke einer deduktiv-linearen Ordnung theorematischer Sätze dies zu suggerieren scheint. 11 Letztlich ist Eckharts Wissenschaftstheorie natürlich in Gott als dem absolut ersten Ursprung allen Seins und aller Erkenntnis verankert, 12 doch eigenartigerweise stellt die Struktur seiner Darlegungen im Opus tripartitum nicht einfach das vollkommen adäquate Spiegelbild dieser Einheit von Seinsund Erkenntnisordnung dar, wie dies in der neuplatonischen Traktatliteratur der Fall ist. 13 Die Unmöglichkeit, in seinen Schriften mit dem anzufangen, was in sich der absolut erste Anfang ist, wird daraus ersichtlich, dass Eckhart sein Opus tripartitum nicht unvermittelt mit der ersten These des Opus propositionum beginnt, sondern zwei Prologe vorschaltet, die als Einführung in das Gesamtwerk (Prologus generalis in Opus tripartitum) bzw. als Einführung in das Thesenwerk (Prologus in Opus propositionum) dienen sollen. Diese dem neuplatonischen Grundansatz fremde Methode 14 lässt bereits erkennbar werden, dass sich in Eckharts Augen das schlechthin Erste gar nicht restlos in Form eines theorematischen Satzes ausdrücken lässt, ganz gleich, wie elementar, universalgültig und evident dieser auch sein mag. Diese Spannung zwischen der objektivierenden, satzhaften Formulierung des als evident wahr erkannten Erkenntnisinhalts und der vorsprachlichen Selbstevidenz, die der Erkenntnisakt für den Erkennenden hat, kann prinzipiell nicht aufgehoben werden und ist in ihrer Unauflöslichkeit konstitutiv für Eckharts gesamtes Denken. Damit relativiert sich zugleich aber auch die Frage, ob, und wenn ja, in welchem Maße Eckhart von seinem ursprünglichen Plan einer »Gemäß Eckhart ist es notwendig, esse est deus zu denken. Andernfalls geraten, wie die Beweise zeigen wollen, die beiden Begriffe esse und deus jeweils mit sich selbst in Widerspruch. […] Wenn esse est deus den Anfang des Denkens macht, müssen die Voraussetzungen zum Verständnis dieser These ›vor dem Anfang‹ liegen. Damit wäre der Anfang nicht der wahrhafte Anfang. […] Eckhart sagt ja nirgendwo, dass sein Anfang ein absoluter Anfang sei« (R. Manstetten, ›Esse est Deus‹. Meister Eckharts christologische Versöhnung von Philosophie und Religion und ihre Ursprünge in der Tradition des Abendlandes, Freiburg / München, Alber, 1993, 57). 12 »Secundo notandum quod sicut omne ens formale extra in rebus est ab ipso dei esse, ›per ipsum et in ipso‹, sic omnis veritas sive scientia in hominibus est ab ipso deo ut veritas et sapientia« (Meister Eckhart, In Sap. n. 242, LW II, 576,1–3). 13 Vgl. J.-L. Solère, »L’ordre axiomatique comme modèle d’écriture philosophique dans l’Antiquité et au Moyen Âge«, Revue d’histoire des sciences 56 (2003), 323–345, hier 334–336. 14 Vgl. J.-L. Solère, »Maître Eckhart, Proclus et Boèce: du statut des prologues dans l’axiomatique néoplatonicienne«, in: J. Hamesse (Hg.), Les Prologues médiévaux, Turnhout, Brepols, 2000, 535–571, hier 536. 11
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vollständigen Ausarbeitung des ersten Teils des Opus tripartitum abgerückt ist, denn selbst wenn er tatsächlich die tausend und mehr Thesen des Opus propositionum in der beabsichtigten Reihenfolge ausformuliert hätte, wären sie nicht das schlechthin Erste des Erkennens selbst, sondern nur das Erste im Bereich des objektiv Erkannten gewesen. Daraus folgt, dass selbst dieser zur Gänze theorematisch geplante Teil von Eckharts Gesamtwerk nicht nur de facto unvollständig geblieben ist, sondern notwendigerweise und unter allen Umständen hätte unvollständig bleiben müssen. Dieses »metaphysische Unvollständigkeitstheorem« 15 verbürgt aber gerade die Kohärenz von Eckharts Gesamtentwurf, insofern das absolut erste Prinzip bei ihm eben nicht satzhaft-propositionaler, sondern akthafter Natur ist. Keine der wissenschaftlichen Textgattungen als solche – nicht der theorematisch-deduktive Traktat, nicht die diskursiv erörternde Quästio, nicht der Bibelkommentar und auch nicht ihre bloße Gesamtsumme – kann also in sich den systematischen Zusammenhang der menschlichen Erkenntnis erschöpfend darstellen. Dazu bedarf es vielmehr der transzendentallogischen Reflexion über das Zusammenspiel zwischen diesen objektiv ausformulierbaren Formen wahrer Erkenntnis und der intellektuellen Selbstbesinnung des erkennenden Ich in seinem wesenhaften Vollzugscharakter. Daraus erklärt sich auch der in formaler Hinsicht ungewöhnliche Umstand, dass Eckhart die von seinen Zeitgenossen ausführlich behandelte Frage nach dem je eigenen subiectum von Offenbarungstheologie und Metaphysik scheinbar gar nicht stellt. 16 Jedenfalls enthalten die Prologe und Proömien seiner lateinischen Werke keine diesbezüglichen Ausführungen, die mit dem vergleichbar wären, Die Anspielung auf das von Kurt Gödel formulierte Theorem der notwendigen Unvollständigkeit widerspruchsfreier formaler Systeme ist an dieser Stelle bewusst gewählt. Wohl besteht ein Unterschied zwischen den beiden Entwürfen, insofern Eckharts Opus propositionum nie nur formallogischer Natur ist, sondern von vornherein einen reallogischen Anspruch verfolgt. Dennoch liegt auch Eckharts Ansatz die Einsicht zugrunde, dass das, was die Kohärenz der theorematisch-deduktiv miteinander verknüpften Aussagen ermöglicht – nämlich die Wirklichkeit des ungeschaffenen Ich als des ersten Ursprungs aller wahren Erkenntnis –, nicht sich selbst zum Gegenstand einer deduktiv beweisbaren Aussage innerhalb desselben Systems machen kann, ohne in einen performativen Widerspruch zu verfallen. 16 So die Einschätzung von Albert Zimmermann, der Eckhart aus diesem Grund einen absoluten Sonderstatus im scholastischen Denken seiner Zeit zubilligt (vgl. A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert, Leuven, Peeters, 21998, 1). 15
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was wir aus den Anfangskapiteln der Summen und Metaphysikkommentare anderer Scholastiker kennen. Nun verweist das subiectum im Rahmen der unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Entwürfe auf das, was einer Disziplin jeweils implizit zugrunde liegt und sinnvollerweise nicht mehr als solches auf seine Existenz hin befragt werden kann. Die Tatsache, dass Eckhart diese Fragestellung nicht in der üblichen Form abhandelt, ist ein Hinweis darauf, dass das implizit Zugrundeliegende und Präexistierende einer jeden Wissenschaft keinen substrathaften Charakter im weitesten Sinne mehr hat, den man begrifflich definieren könnte, sondern im Vollzug des Denkens selbst gesucht werden muss und somit nur auf dem Wege einer transzendentalen Selbstreflexion freigelegt werden kann.
1.2 Die Univozität des Intellekts als Grundprinzip von Eckharts Denken Wie die Forschung der letzten Jahrzehnte gezeigt hat, ist Meister Eckharts Ansatz in mehreren zentralen Punkten von der Intellekttheorie Dietrichs von Freiberg beeinflusst. 17 Dies wird insbesondere an Eckharts Vernunftbegriff erkennbar, der im Rahmen seiner Seelenlehre eine grundlegend andere und weit bedeutsamere Rolle spielt, als dies in der philosophischen Anthropologie Thomas von Aquins der Fall ist. Ebenso wie Dietrich ist auch Eckhart der Überzeugung, dass der Intellekt kein Naturding unter anderen ist, sondern eine gänzlich andersartige Form von Wirklichkeit darstellt, deren Hervorgang ins Sein nicht gemäß dem aristotelischen Modell der Wirkursächlichkeit erfolgt, sondern nach dem Schema der Wesensursächlichkeit (causa essentialis) gedeutet werden muss. 18 Im Gegensatz zu allen anderen Geschöpfen wird die Vernunftseele des Menschen nicht als bloßes Abbild einer begrenzten Idee in Gottes Geist geschaffen, sondern erhält ihr Sein dadurch, dass sie als Bild des göttlichen Geistes als eines ganzen aus ihrem Ursprung hervorgeht und den Ort darstellt, in dem Gott beständig sich selbst erkennt. 19 Dieses Eingebundensein in den Vgl. K. Flasch, Meister Eckhart. Die Geburt der ›Deutschen Mystik‹ aus dem Geist der arabischen Philosophie, 112–121 sowie J. Halfwassen, »Gibt es eine Philosophie der Subjektivität im Mittelalter? Zur Theorie des Intellekts bei Meister Eckhart und Dietrich von Freiberg«, Theologie und Philosophie 72 (1997), 337–359. 18 Vgl. Meister Eckhart, In Gen. II n. 47, LW I, 515,5–8. 19 »Got hât alliu dinc gemeinlîche gemachet nach dem bilde, daz er aller dinge in im 17
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Prozess der innergöttlichen Selbsterkenntnis begründet einen nicht nur quantitativen, sondern qualitativen Unterschied zwischen der Vernunftseele des Menschen und der ganzen übrigen Wirklichkeit. Die von Eckhart vorgenommene Zweiteilung der Sphäre des ens in das ens reale extra animam und das ens in anima bzw. ens cognitivum entspricht genau Dietrichs fundamentaler Unterscheidung zwischen dem ens naturae und dem ens conceptionale. So vertritt auch Eckhart die Auffassung, dass bestimmte aristotelische Kategorien, wie etwa Zeit und Zahl, nicht nur ihren Ursprung in der Seele haben, sondern überhaupt nur in der Seele existieren und somit vom naturhaften Seienden prinzipiell verschieden sind. 20 Folgerichtig stimmt er mit Dietrich auch darin überein, dass die zehn aristotelischen Katego-
hât, und niht nâch im. Etlich hât er sunderlîche gemachet nâch etwaz, daz sich ûz im haltende ist, als güete, wîsheit und daz man von gote saget. Aber die sêle hât er niht aleine gemachet nâch dem bilde, daz in im ist, noch nâch dem, daz sich ûz im heltet, als man von im saget; mêr: er hât sie gemachet nâch im selber, jâ, nâch allem dem, daz er ist, nâch natûre, nâch wesene und nâch sînem ûzvliezenden inneblîbenden werke und nâch dem grunde, dâ er in im selber blîbende ist, dâ er gebernde ist sînen eingebornen sun, dâ von der heilige geist ûzblüejende ist: nâch disem ûzvliezenden inneblîbenden werke sô hât got die sêle geschaffen« (»Gott hat alle Dinge gemeinhin nach dem Bilde, das er von allen Dingen in sich hat, geschaffen, nicht aber nach sich hselbsti. Etliche hat er im besonderen geschaffen nach etwas, das aus ihm ausfließt, wie Gutheit, Weisheit und was man hsonsti von Gott aussagt. Die Seele aber hat er nicht allein geschaffen nach dem Bilde, das in ihm ist, noch hauchi nach dem, was aus ihm ausfließt hundi was man über ihn aussagt; er hat sie vielmehr nach sich selbst geschaffen, ja, nach allem dem, was er ist, nach seiner Natur, nach seinem Sein und nach seinem ausfließenden innebleibenden Werke und nach dem Grunde, in dem er in sich selbst bleibt, wo er seinen eingeborenen Sohn gebiert, aus dem der Heilige Geist ausblüht: nach diesem ausfließenden innebleibenden Werk hat Gott die Seele geschaffen« [Meister Eckhart, Pr. 24, DW I, 415,8–17; nhd. Übers. nach EW I, 277,23–36]). 20 »Et ibi invenies de natura temporis et numeri: primo quare nullo modo sunt entia extra animam; secundum quomodo sunt ab anima et in anima; tertio habes rationem praemissorum; quarto habes quod anima, utpote particeps divinae naturae, producit ens ex non ente« (Meister Eckhart, Tabula auct. Lib. Sap., LW II, 318,13–17 [Hervorhebungen d. Verf.]; vgl. auch ders., In Sap. nn. 296–297, LW II, 631,1–632,6). Die am Ende des Satzes stehende Formulierung (»quod anima, utpote particeps divinae naturae, producit ens ex non ente«) macht deutlich, dass Eckhart die Kategorie der Zeit nicht bloß aus einem Zusammenwirken der zu messenden Naturvorgänge und der messenden Seele hervorgehen lässt, wie dies Aristoteles tut, sondern sie als das Ergebnis einer von der Seele in Analogie zu Gottes Schöpferkraft vollbrachten creatio ex nihilo versteht. Die Nähe zu Dietrichs Konzeption der konstitutiven Mächtigkeit des menschlichen Intellekts ist damit offenkundig.
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rien lediglich auf das ens reale extra animam anwendbar sind, nicht aber auf das ens cognitivum. 21 Dennoch gibt sich Eckhart – anders als Dietrich – nicht mit einem Nebeneinander von intellekttheoretisch fundierter Metaphysik einerseits und Offenbarungstheologie andererseits zufrieden, sondern will sie auf ihren gemeinsamen Ursprung zurückführen. Dies tut er in beispielhafter Weise in seiner ersten Pariser Quästio, die den Titel trägt: Utrum in deo sit idem esse et intelligere (»Ob in Gott Sein und Erkennen dasselbe ist«). Auf den ersten Blick handelt es sich dabei um die klassische scholastische Grundeinsicht, dass es in Gott – anders als beim Menschen und allen anderen endlichen Wesen – keinen realen Unterschied zwischen seinem Sein und seinen Handlungen geben kann, sondern dass alle Prädikate und Eigenschaften, die wir aus menschlicher Perspektive Gott in begrifflicher Unterschiedenheit (sub rationibus diversis) zuschreiben, auf ontologischer Ebene mit seinem Sein schlechthin konvertibel sein müssen. 22 Allerdings beschränkt sich Eckhart nicht darauf, in seiner Quästio einfach die Position Thomas von Aquins zu wiederholen, zumal dieser den Begriff des Seins (esse) letztlich als die fundamentalste Bestimmung von Gottes Wesen ansieht, auf die alle anderen Wesensund Handlungsprädikate Gottes – und somit auch das Erkennen – zurückgeführt werden müssen. 23 Der Grund dafür liegt darin, dass Eckhart den ursprünglichsten und adäquatesten Gottesnamen generell nicht mehr mit dem Begriff des esse identifiziert, sondern ihn auf etwas noch Ursprünglicheres zurückführen will. Dafür beruft sich Eckhart auf die vierte propositio des Liber de causis, wo das Sein als das erste aller geschaffenen Dinge bezeichnet wird (prima rerum creatarum est esse). 24 Mit anderen Worten: Sein ist ein geschöpfliches Prädikat 25 und kann daher Gott als dem Ursprung alles Ge»Sciendum ergo quod ens secundum totum sui ambitum prima sui divisione divitur in ens reale extra animam, divisum in decem praedicamenta, et in ens in anima sive in ens cognitivum« (Meister Eckhart, In Ioh. n. 514, LW III, 445,4–6). 22 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 3, a. 7 c; a. 8 c; q. 13, a. 4 c; vgl. auch R. Imbach, ›Deus est intelligere‹. Das Verhältnis von Sein und Denken in seiner Bedeutung für das Gottesverständnis bei Thomas von Aquin und in den Pariser Quaestionen Meister Eckharts, Fribourg, Universitätsverlag, 1976, 8–143. 23 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 14, a. 4; vgl. dazu R. Imbach, ›Deus est intelligere‹, 119. 24 Meister Eckhart, Quaest. Par. I n. 4, LW V, 41,6. 25 »Unde statim cum venimus ad esse, venimus ad creaturam« (Meister Eckhart, Quaest. Par. I n. 4, LW V, 41,7). 21
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schaffenen nicht in eigentlicher Weise zukommen. Daher konzipiert Eckhart das Verhältnis von Sein und Erkennen in Gott neu, und zwar im Sinne eines metaphysischen Fundierungszusammenhangs, der vom intelligere zum esse führt. Eckhart schreibt: Tertio ostendo quod non ita videtur mihi modo, ut quia sit, ideo intelligat, sed quia intelligit, ideo est, ita quod deus est intellectus et intelligere et est ipsum intelligere fundamentum ipsius esse. Quia dicitur Ioh. 1: ›in principio erat verbum, et verbum erat apud deum, et deus erat verbum‹. Non autem dixit evangelista: ›in principio erat ens et deus erat ens‹. Verbum autem se toto est ad intellectum et est ibi dicens vel dictum et non esse vel ens commixtum. (Drittens zeige ich, dass ich nicht mehr der Meinung bin, dass Gott erkennt, weil er ist; sondern, weil er erkennt, deshalb ist er, in der Weise, dass Gott Intellekt und Erkennen ist, und das Erkennen selbst die Grundlage seines Seins ist. Denn Joh. 1,1 heißt es: ›im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort‹. Nicht aber hat der Evangelist gesagt: ›im Anfang war das Sein, und Gott war das Sein‹. Das Wort aber ist seinem ganzen Wesen nach auf den Intellekt bezogen, und es ist dort als sprechendes oder als gesprochenes [Wort] und nicht als ein [aus Sein und Intellekt] gemischtes Sein oder Seiendes). 26
Dieser Passus ist von zentraler Bedeutung, insofern er in nuce die Grundprinzipien von Eckharts ganzer Theologie und Philosophie enthält: In Gott sind intelligere und esse nicht mehr einfach miteinander identisch und lediglich aus menschlicher Perspektive (quoad nos) begrifflich unterschieden, sondern das Erkennen ist auch im real-ontologischen Sinne ursprünglicher als das Sein. Mit anderen Worten: Man kann Gott nur insofern als »Sein« bezeichnen, als er der Ursprung des Seins der Geschöpfe ist, doch in sich ist er nicht Sein, sondern Erkennen. Bemerkenswert dabei ist, dass Eckhart den philosophisch konnotierten Begriff des intelligere mit dem Begriff des verbum aus dem Johannesevangelium in Verbindung bringt und sich auf Joh 1,1 (In principio erat Verbum, et Verbum erat apud Deum, et Deus erat Verbum) beruft, um all jene metaphysischen Ansätze zu kritisieren, die Gott als esse oder ens bezeichnen. Eckhart mag hier an Thomas von Aquin, noch mehr aber an Duns Scotus gedacht haben, der Gott unter den univoken, formalen Begriff des ens subsumiert. 27 26 27
Meister Eckhart, Quaest. Par. I n. 4, LW V, 40,5–11; nhd. Übers. ebd. In den deutschen Predigten findet man des Öfteren ein Echo dieser Polemik Eck-
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Eckhart lehnt eine solche ontifizierende Deutung, die zu einem »nur gedachten Gott« 28 führt, strikt ab und beschreitet dafür einen anderen Weg, der die Möglichkeit einer philosophischen Gottesrede weder auf eine Analogie des Seins zwischen Gott und Geschöpfen noch auf die Vorstellung eines univoken, formalen Seinsbegriffs, sondern auf die These der Univozität des Intellekts gründet. So ist zwar das esse der geschaffenen Dinge ein Resultat der göttlichen Schöpferkraft, nicht aber die Wesenheiten (essentiae), die jedem Ding sein bestimmtes Sosein verleihen. Diese intelligiblen Gehalte sind nicht das Ergebnis eines göttlichen Willensaktes, sondern stellen Invarianzstrukturen dar, die in univoker Weise für den Intellekt Gottes wie auch den Intellekt des Menschen absolute Gültigkeit besitzen und der Schöpfungstätigkeit Gottes in inhaltlicher Hinsicht apriorische Regeln vorgeben. Eckhart bemerkt dazu: Esse ergo habet primam rationem creabilis, et ideo dicunt aliqui quod in creatura esse solum respicit deum sub ratione causae efficientis, essentia autem respicit ipsum sub ratione causae exemplaris. Sapientia autem, quae pertinet ad intellectum, non habet rationem creabilis. (Das Sein hat daher an erster Stelle die Wesensbestimmtheit des Erschaffbaren, und deswegen sagen einige, dass im Geschöpfe das Sein Gott nur als Wirkursache ansieht, die Wesenheit ihn dagegen als Exemplarursache anharts gegen die ontologisierenden Deutungen Gottes, die von etlichen seiner Zeitgenossen vorgebracht werden: »Grobe meister sprechent, got sî ein lûter wesen; er ist als hôch über wesene, als der oberste engel ist über einer mücken. Ich spræche als unrehte, als ich got hieze ein wesen, als ob ich die sunnen hieze bleich oder swarz« (»Grobsinnige Meister sagen, Gott sei ein lauteres Sein; er ist so hoch über dem Sein, wie es der oberste Engel über einer Mücke ist. Ich würde etwas ebenso Unrichtiges sagen, wenn ich Gott ein Sein nennte, wie wenn ich die Sonne bleich oder schwarz nennen wollte« [Meister Eckhart, Pr. 9, DW I, 145,7–146,2; nhd. Übers. nach EW I, 107,23– 27]). Zur antiscotistischen Stoßrichtung von Eckharts erster Pariser Quästio vgl. É-H. Wéber, »Les discussions à Paris sur l’être et le connaître intellectif«, in: É. Zum Brunn et al. (Hgg.), Maître Eckhart à Paris. Une critique médiévale de l’ontothéologie, Paris, Presses Universitaires de France, 1984, 21–54, hier 40–54. 28 »Der mensche ensol niht haben noch im lâzen genüegen mit einem gedâhten gote, wan, swenne der gedank vergât, sô vergâht ouch der got. Mêr: man sol haben einen gewesenden got […]. Der got alsô in wesenne hât, der nimet got götlîchen, und dem liuhtet er in allen dingen« (»Der Mensch soll sich nicht genügen lassen an einem gedachten Gott; denn wenn der Gedanke vergeht, so vergeht auch der Gott. Man soll vielmehr einen wesenhaften Gott haben […]. Wer Gott so, hd. h.i im Sein, hat, der nimmt Gott göttlich, und dem leuchtet er in allen Dingen« [Meister Eckhart, Reden der Unterweisung, Kap. 6, DW V, 205,5–8.10–11; nhd. Übers. nach EW II, 349,21– 23.27–28]).
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sieht. Die Weisheit aber, die zum Intellekt gehört, hat nicht die Wesensbestimmtheit des Erschaffbaren). 29 Quae ergo ad intellectum pertinent, in quantum huiusmodi, sunt non-entia. Intelligimus enim, quod deus non posset facere, ut intelligens ignem non intelligendo eius calorem; deus enim non posset facere quod esset ignis et quod non calefaceret. (Was also zum Intellekt gehört, ist als solches ein Nichtseiendes. Wir erkennen nämlich etwas, was Gott nicht machen könnte, wie z. B. jemand das Feuer denkt, ohne seine Wärme mitzudenken. Gott aber könnte nicht machen, dass ein Feuer existierte und dass es nicht wärmte). 30
Die Ungeschaffenheit der Sphäre des intelligere gilt somit auch für den Intellekt des Menschen, da dieser sich – ebenso wie die göttliche Erkenntnis selbst – oberhalb des Seins in der Sphäre reiner Denkbarkeit bewegt. Während Gott mit seiner Schöpfungstätigkeit an die Vorgaben der reinen Wesensstrukturen gebunden ist, kann sich der Mensch kraft seines Intellekts Dinge ausdenken, die prinzipiell nicht existieren können. Damit ist die grundlegende Freiheit des Intellekts gegenüber dem geschaffenen Sein erwiesen. Als konkrete, individuelle Person ist der Mensch somit Teil des geschöpflichen esse und insofern dem göttlichen intelligere als seinem Ursprung untergeordnet. Insofern er jedoch mit Intellekt begabt ist, ragt er aus dem Zusammenhang der Schöpfung heraus und hat an der univoken Sphäre des intellectus inquantum intellectus teil, der mit Gottes Wesen identisch ist. Gott und Mensch fallen somit nicht, wie bei Duns Scotus, unter einen univoken, abstrakten und rein formalen Begriff, sondern kommen in der Univozität des intelligere als eines wesenhaft überseienden und ungeschaffenen Aktes miteinander überein. Die Sphäre des Intelligiblen ist jedoch nicht in einem rein negativen Sinne ein »Nichtseiendes«, so als genüge es, ihr lediglich alle Eigenschaften des geschöpflichen Seins abzusprechen. Vielmehr kann man die selbstreflexive Dynamik des intelligere als die reinste und höchste Form von Sein (puritas essendi) bezeichnen, insofern sie Ursprung der geschaffenen, dinglichen Wirklichkeit ist. 31 Eckharts nihiMeister Eckhart, Quaest. Par. I n. 4, LW V, 41,7–11; nhd. Übers. ebd. Meister Eckhart, Quaest. Par. I n. 7, LW V, 44,6–9; nhd. Übers. ebd. (Hervorhebungen d. Verf.). 31 »Ex his ostendo quod in deo non est ens nec esse, quia nihil est formaliter in causa et causato, si causa sit vera causa. Deus autem est causa omnis esse. Ergo esse formaliter non est in deo. Et si tu intelligere velis vocare esse, placet mihi. Dico nihilominus 29 30
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Die formalen und inhaltlichen Grundzüge
lisme intellectuel 32 läuft letztlich auf eine Neubestimmung dessen hinaus, was »Sein« im eigentlichsten Sinne bedeutet. Man kann nicht die Sphäre des Intelligiblen und der Erkenntnis vom Seinsmodus der Dinge her verstehen, sondern muss umgekehrt die Welt der Gegenstände und Natursubstanzen als sekundäres Resultat jener »Reinheit des Seins« begreifen, die sich in der spontanen Selbstproduktion des intelligere ereignet. Bemerkenswert ist, dass Eckhart seine These vom Primat des Erkennens gegenüber dem Sein in Gott nicht als spekulatives Novum darstellt, sondern es als die logische Konsequenz dessen interpretiert, was im biblischen Text selbst schon ausgesprochen ist. Die Aussage von Joh 1,1 (In principio erat verbum) beweist in Eckharts Augen, dass Gott im ursprünglichsten Sinne nicht vom Begriff des Seins oder Seienden her zu denken ist, sondern vom Begriff des Erkennens her verstanden werden muss, das sich selbst erkennt und dabei in lebendiger Selbstauszeugung das verbum hervorbringt. Damit ist klar, dass es gar keine wirkliche Dualität von Philosophie und biblischer Offenbarung geben kann, sondern dass beide, wenngleich auf je andere Art, es mit derselben ungeschaffenen und unerschaffbaren Wahrheit zu tun haben, die der Wesensstruktur des Intellekts Gottes und der Menschen entspricht. Vor diesem Hintergrund wird Eckharts Vorhaben verständlich, seine Metaphysik direkt mit seiner Exegese zu verknüpfen und auf diese Weise dem Eindruck einer wissenschaftstheoretischen Heterogenität von philosophischer Vernunft und Schriftoffenbarung vorzubeugen. 33
1.3 Eckharts intellekttheoretischer Offenbarungsbegriff Angesichts von Eckharts radikaler Univozitätsthese hinsichtlich der Natur des Intellekts ist es nur folgerichtig, dass bei ihm zwei zentrale epistemologische Unterscheidungen wegfallen bzw. erheblich depotenziert werden, die bei seinen scholastischen Zeitgenossen für die quod, si in deo est aliquid, quod velis vocare esse, sibi competit per intelligere. […] Et ideo in deo non est esse, sed puritas essendi« (Meister Eckhart, Quaest. Par. I nn. 8–9, LW V, 44,1–5.10–11). 32 Vgl. V. Lossky, Théologie négative et connaissance de Dieu chez Maître Eckhart, Paris, Vrin, 1960, 242–249. 33 Vgl. A. Speer, »The Division of Metaphysical Discourses: Boethius, Thomas Aquinas and Meister Eckhart«, 107–114.
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Bestimmung der Theologie als Wissenschaft grundlegend sind, nämlich zum einen die Unterscheidung zwischen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit vor und nach dem Sündenfall (ante lapsum / post lapsum) und zum anderen die Unterscheidung zwischen der möglichen Reichweite der menschlichen Erkenntnis unter den Bedingungen des irdischen Lebens (in via / pro statu isto) und der Erkenntnis, die den Seligen im Jenseits (in patria) zugänglich ist. 34 Diese Differenzierungen fallen bei den einzelnen Autoren durchaus unterschiedlich aus, je nachdem, wie groß bzw. gering sie die Reichweite der menschlichen Vernunfterkenntnis als solcher ansetzen. 35 Alle kommen jedoch darin überein, dass das in der menschlichen Natur ursprünglich angelegte Vermögen zur Gotteserkenntnis nicht identisch ist mit dem, das dem Menschen unter den gegenwärtigen Bedingungen eigen ist. Dementsprechend ist auch die als Wissenschaft zu konzipierende Theologie stets durch eine gewisse Unvollkommenheit und Vorläufigkeit gekennzeichnet, die durch keinen wissenschaftlichen Fortschritt beseitigt werden kann, sondern der unter menschlichen Bedingungen betriebenen Theologie als solcher inhärent ist. Im Unterschied dazu kennt Eckhart keinen solchen epistemologischen Bruch, was die Fähigkeit des Menschen zur intellektuellen Gotteserkenntnis anbelangt. Wohl ist der Mensch auf sinnliche Erfahrung angewiesen, wenn es darum geht, die materielle Naturwirklichkeit zu erkennen, da es sich hierbei um einzelne Dinge handelt, deren spezifisch begrenzte intelligible Formen dem menschlichen Geist nicht schon angeboren sind, sondern erst durch Abstraktion von den Sinneseindrücken gewonnen werden müssen. 36 Insofern teilt Eckhart also mit Thomas von Aquin die aristotelische Auffassung, dass das Vernunftvermögen des Menschen zunächst eine tabula rasa ist und nur über einen empirisch verankerten Erfahrungsprozess zu einer Erkenntnis der naturhaften Wirklichkeit gelangen kann. 37 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 1, a. 2 c; q. 2, a. 1 c; q. 12, a. 2 c; q. 12, a. 3 c; Bonaventura, In II Sent., d. 23, a. 2, q. 3, in: Opera Omnia II (ed. Quaracchi), 543a–547b; ders., In Hexaëmeron, cap. IV, n. 1, in: Opera Omnia V (ed. Quaracchi), 306a; Johannes Duns Scotus, Ordinatio I, dist. 3, pars 1, q. 3, nn. 185–187, in: Opera Omnia III (ed. Vaticana), 112–114. 35 Vgl. J. A. Aertsen, »Vernunftkritik und Offenbarung. Duns Scotus’ Kritik an Thomas von Aquin«, in: G. Mensching (Hg.), De usu rationis. Vernunft und Offenbarung im Mittelalter, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2007, 91–101. 36 Vgl. Meister Eckhart, In Ioh. n. 20, LW III, 17,8–9; ebd. n. 29, LW III, 22,13–23,2. 37 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 79, a. 2 c; Meister Eckhart, In Gen. I n. 229, LW I, 374,9–10. 34
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Während Thomas daraus jedoch folgert, dass der menschliche Intellekt in diesem Leben grundsätzlich nicht in der Lage ist, Gott in seinem Wesen zu erkennen, zieht Eckhart genau die umgekehrte Schlussfolgerung: Gerade weil Gott nicht Teil des geschaffenen, sinnlich erfahrbaren Seienden ist, von dem unser Erkenntnisvermögen nur abstraktive und somit aposteriorische Erkenntnisse gewinnen kann, muss der Mensch noch über eine andere Form der intellektuellen Erkenntnis verfügen, die nicht mehr durch eine begrenzte species intelligibilis vermittelt wird, sondern in der Struktur des Intellekts als solchen angelegt ist und durch eine transzendental-reflexive Selbstbesinnung in apriorischer Weise gewonnen werden kann. In seinem Johanneskommentar schreibt Eckhart: Scientia enim dei et divinorum cognitio non est ab extra a rebus accepta, sed secundum revelationem (»Denn das Wissen von Gott und die Erkenntnis des Göttlichen empfängt man nicht von außen, von den Dingen, sondern auf dem Wege der Offenbarung«). 38 Daraus könnte man auf den ersten Blick die Folgerung ziehen, dass er die Möglichkeit einer natürlichen Gotteserkenntnis ausgehend von der geschaffenen Wirklichkeit (ex operibus) leugnet und den erkennenden Zugang zu Gott auf eine strikt übernatürlich verstandene Offenbarung eingrenzen will. Das genaue Gegenteil ist jedoch der Fall, da Eckhart den Offenbarungsbegriff auf eine grundlegend andere Weise bestimmt als Thomas, nämlich nicht in einem historisch-kontingenten, sondern in einem strukturell-wesenhaften Sinn. 39 In Sermo XI,1 bemerkt Eckhart in Bezug auf den Begriff der revelatio: Revelatio proprie est apud intellectum vel potius in essentia animae quae proprie esse respicit. Esse autem deus esse nudum sine velamine est. Vel dic
Meister Eckhart, In Ioh. n. 347, LW III, 295,5–6; nhd. Übers. ebd. Vgl. auch ebd. n. 20, LW III, 17,8–10. 39 Wouter Goris deutet die zitierte Passage in dem Sinn, dass Eckhart damit eine »scharfe Unterscheidung zwischen der ratio naturalis und der Gnade oder Offenbarung« getroffen habe (vgl. W. Goris, Einheit als Prinzip und Ziel, 273). Dabei übersieht er jedoch, dass für Eckhart die Intellekterkenntnis des Menschen nie »nur natürlich« ist, wenn man unter »Natur« die dingliche, geschaffene Wirklichkeit versteht. Für Eckhart ist der intellectus ut sic, und damit auch der dem Menschen eigene Intellekt, prinzipiell ungeschaffen und insofern immer schon »über-natürlich«, ohne dass dabei die Gnade im Sinne einer akzidentellen Vervollkommnung ins Spiel käme. Da der Intellekt grundsätzlich keine res naturae darstellt, ist er von Eckharts Aussage über die Unmöglichkeit einer Erkenntnis Gottes ab extra a rebus somit gar nicht betroffen. 38
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utrumque: in essentia, ut intellectiva, sic copulatur sui supremo deo, secundum Rabbi Moysen, sic est ›genus dei‹. (Enthüllung vollzieht sich eigentlich im Intellekt oder vielmehr im Wesen der Seele, das eigentlich auf das Sein zielt. Gott-Sein aber ist nacktes Sein ohne Hülle. Oder verbinde beides: in dem Wesen [der Seele], insofern es geistig ist, ist sie – nach Maimonides – in ihrem obersten Teil mit Gott verbunden, und so ist sie ›von Gottes Geschlecht‹). 40
Die solcherart als »Enthüllung« (re-velatio) verstandene Offenbarung stellt demnach kein historisches Ereignis dar, sondern ist dem Wesen des Intellekts als solchen bereits inhärent, insofern dieser im eigentlichen Sinne das Sein erkennt, das in seiner unverhüllten Reinheit (sine velamine) mit Gott identisch ist. Die Offenbarung im ursprünglichsten Sinne ist demnach keine Mitteilung von konkreten Inhalten, sondern vielmehr die unmittelbare Zugänglichkeit des Seins als solchen in seiner radikalen Eigenschaftslosigkeit für den Intellekt des Menschen. Diese Fähigkeit zur Erkenntnis des reinen Seins Gottes ist jedoch nicht das Resultat einer besonderen Gnadengabe, sondern stellt den eigentlichen Gegenstandsbereich des Intellekts als solchen dar. In seinem Johanneskommentar erläutert Eckhart: Obiectum autem intellectus proprie est ens nudum simpliciter et absolute. […] Patet ergo quod nudam dei substantiam, plenitudinem esse, quae est nostra beatitudo, deus scilicet, consistit, invenitur, accipitur, attingitur et hauritur per intellectum. (Das Objekt des Verstandes im eigentlichen Sinne ist aber das bloße Seiende, schlechthin und ohne Einschränkung […]. Es erhellt also, dass die bloße Substanz Gottes, die Fülle des Seins, die unsere Seligkeit, nämlich Gott ist, im Verstand besteht, gefunden, empfangen, durch ihn erreicht und geschöpft wird). 41
Dieser Ansatz erinnert zunächst an die Intellekttheorie Dietrichs von Freiberg, in der die Erkenntnis des göttlichen Ursprungs gleichfalls in der Struktur des menschlichen intellectus agens schon wesenhaft angelegt ist und keiner Vermittlung durch begrenzte, aus dem Bereich der sinnlichen Erfahrung stammende Erkenntnisbilder (species) bedarf. Im Unterschied zu Dietrich trifft Eckhart jedoch keine grundsätzliche Unterscheidung zwischen der philosophischen Theologie und der Offenbarungstheologie hinsichtlich ihres je eigenen sub40 41
Meister Eckhart, Sermo XI,1 n. 115, LW IV, 108,11–109,2; nhd. Übers. ebd. Meister Eckhart, In Ioh. n. 677, LW III, 591,6–11; nhd. Übers. ebd.
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iectum bzw. hinsichtlich der Art der Vorsehung, die bei ihrer Betrachtung der Wirklichkeit jeweils zum Tragen kommt. Dies hat seinen Grund darin, dass Dietrichs Unterscheidung zwischen der providentia naturalis und der providentia voluntaria auf der Vorstellung einer Zielursächlichkeit beruht, die auf zwei mögliche Formen der Vollendung des Menschen – die natürliche und die übernatürliche – hindeutet. Eckhart hingegen kennt keine Dualität hinsichtlich der verschiedenen Arten von Vorsehung bzw. von menschlicher Vollendung, weil er die Beziehung zwischen Gott und Mensch von vornherein nicht am Begriff der Finalität und des Willens festmacht, sondern an dem der Form (forma), die als solche nicht das äußere Ergebnis einer Entwicklung darstellt, sondern einer jeden Sache als immanentes Prinzip innewohnt. 42 Der Formbegriff hat den Vorzug, dass er sowohl auf das Ungeschaffene (Gott bzw. die Sphäre des Intellekts als solchen) als auch auf das Geschaffene (die Sphäre der formgeprägten Naturdinge) anwendbar ist, so dass Schöpfung und Offenbarung gar nicht erst in verschiedene Bereiche auseinanderfallen können, sondern durch die forma als grundlegendes Prinzip der Intelligibilität wie durch eine Klammer zusammengehalten werden. 43 Die Herabstufung der Wirkund Zielursächlichkeit zugunsten der Formursächlichkeit ist dabei nicht nur Ausdruck einer bestimmten philosophischen Grundoption, sondern hat tiefgreifende Konsequenzen für Eckharts Theologieverständnis. Die Funktion Gottes als erste Wirkursache und letzte Zielursache dient im scholastischen Denken als philosophisches Äquivalent für die theologischen Begriffe der Schöpfung und Erlösung in ihrer wesentlich heilsgeschichtlichen Erstrecktheit: So, wie im Anfang alles aus Gott als dem ersten Ursprung ausgegangen ist, so soll alles wieder zu ihm als dem letzten Ziel der gesamten Wirklichkeit zurückkehren. 44 Indem Eckhart die Wirk- und Zielursächlichkeit ganz dem Bereich der Naturwirklichkeit und der sie erforschenden Vgl. Meister Eckhart, In Gen. II n. 121, LW I, 586,6–587,5. Vgl. Meister Eckhart, Sermo die b. August. n. 2, LW V, 90,1–10. 44 »Respondeo dicendum quod bonum esse praecipue Deo convenit. Bonum enim aliquid est, secundum quod est appetibile. Unumquodque autem appetit suam perfectionem. Perfectio autem et forma effectus est quaedam similitudo agentis, cum omne agens agat sibi simile. Unde ipsum agens est appetibile, et habet rationem boni, hoc enim est quod de ipso appetitur, ut eius similitudo participetur. Cum ergo Deus sit prima causa effectiva omnium, manifestum est quod sibi competit ratio boni et appetibilis« (Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 6, a. 1 c). 42 43
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Physik zuweist, 45 gibt er zu verstehen, dass es ihm sowohl in der Metaphysik als auch in der Theologie um eine Betonung des Überzeitlichen bzw. Allzeitlichen geht, das zwar durchaus innerhalb von geschichtlichen Entwicklungprozessen zum Tragen kommen und sich manifestieren kann, aber durch diese Prozesse nicht in wesentlicher Weise konstituiert wird. 46 Damit leugnet Eckhart keineswegs die zentralen Ereignisse und Gestalten der Heilsgeschichte, doch sind diese gerade nicht als innergeschichtliche von Interesse, sondern lediglich insofern, als sie in exemplarischer Weise universale Wahrheiten zum Ausdruck bringen bzw. verkörpern, die alle Menschen zu allen Zeiten gleichermaßen angehen. Eine »Geschichtstheologie« im eigentlichen Sinne des Wortes wäre für Eckhart daher weder möglich noch wünschenswert, weil sie die Erfüllung dessen, was das Wesen des Menschen ausmacht, in entfremdender Weise auf eine ihm äußerliche, geschichtliche Zukunft projizieren würde. Eckhart geht es vielmehr um den Nachweis, dass sich die »Fülle der Zeit« im Sinne der absoluten Einheit mit Gott in jedem Augenblick der menschlichen Existenz und der menschlichen Geschichte ereignet und als solche wirksam werden kann, so dass der Mensch eine innere Freiheit gegenüber den äußeren Zeitumständen erlangt. Mit dieser Depotenzierung des Begriffs der »Heilsgeschichte« wird jene Unterscheidung zwischen der als philosophische Theologik verstandenen Metaphysik einerseits und der christlicher Offenbarungstheologie andererseits hinfällig, die bei Thomas von Aquin zu der Unterscheidung zwischen dem »Gott der Philosophen« und dem »Gott der Theologen« geführt hatte. Bei Eckhart ist die Erkenntnis Gottes, insofern er Gott ist (deus ut deus), kein ausschließliches Privileg der auf der Schriftoffenbarung beruhenden Theologie, sondern wird bereits auf der Ebene des Intellekts verwirklicht, insofern dieser das vollkommene Bild Gottes ist, das Gott in seinem Wesen zu fassen vermag. 47 Dabei führt diese Einsicht aber nicht etwa dazu, dass der Text der Hl. Schrift als überflüssig verworfen wird; vielmehr ist Vgl. Meister Eckhart, In Ioh. n. 443, LW III, 380,9–11. »In spiritualibus autem et divinis […] omnis actus primo facit distare a contrario et amaro. Nihil enim ibi prius aut posterius, et propter hoc omnis et quilibet est primus. Processu ergo non recedit a primo, sed accedit ad primum, et sic novissimus est primus […] finis autem in divinis est ipsum principium« (Meister Eckhart, Super Eccl. n. 56, LW II, 285,3–8). 47 »Deus enim ut deus non est nec sapit nec invenitur nisi in intellectuali natura, ubi 45 46
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Eckhart davon überzeugt, dass sich dieselbe intellektuelle Erkenntnis Gottes, insofern er Gott ist, sowohl anhand des Bibeltextes als auch anhand metaphysisch-naturphilosophischer Reflexion gewinnen lässt. Um zu dieser Einsicht in die inhaltliche Äquipollenz von Schriftoffenbarung und natürlicher Vernunfterkenntnis zu gelangen, müssen die beiden Erkenntnisformen jedoch als solche bestehen bleiben und dürfen gerade nicht ineinander »aufgehoben« oder einfach miteinander identifiziert werden. 48 Zugleich sorgt Eckharts besonders gearteter, auf der Enthülltheit des reinen Seins für den Intellekt basierender Offenbarungsbegriff jedoch dafür, dass sich die verschiedenen wissenschaftlichen Formen wahrer Erkenntnis gar nicht reinlich voneinander trennen lassen, sondern sich gleichsam in einer epistemologischen Osmose gegenseitig durchdringen. Jede Fragestellung kann also grundsätzlich in jedem beliebigen Kontext abgehandelt werden, was dazu führt, dass Eckhart zentrale wissenschaftstheoretische Aussagen in seinen Bibelkommentaren, ja sogar in seinen Predigten entfaltet, während er umgekehrt im Zusammenhang mit seiner metaphysischen Transzendentalienlehre auf die Hl. Schrift verweist. 49 Dies ist jedoch nur unter der Bedingung möglich, dass nicht nur die Beziehung zwischen der heilsgeschichtlich bedeutsamen Dimension historisch-kontingenter Individualität und der philosophisch-wissenschaftlichen Dimension begrifflicher Universalität anders konzipiert wird als in der aristotelischen Logik, sondern dass auch das Verhältnis zwischen der kategorialen Allgemeinheit der obersten Gattungsbegriffe und der überkategorialen, schlechthin allumfassenden Universalität der transgenerischen Bestimmungen bei Eckhart anders gefasst wird als in der klassischen scholastischen Transzendentalienlehre. imago dei capax dei, cuius totum est esse ad aliud« (Meister Eckhart, Sermo XIV,2 n. 152, LW IV, 144,6–7). 48 Insofern geht die Deutung von Pierre Gire zu weit, der bei Eckhart eine Unterordnung der Exegese unter die Metaphysik ausmachen zu können glaubt und seinen Ansatz letztlich als eine Auflösung des Theologischen im Ontologischen interpretiert (vgl. P. Gire, Maître Eckhart et la métaphysique de l’Exode, Paris, Les Éditions du Cerf, 2006, 35. 110). Zwar geht es bei Eckhart in der Tat um eine Dynamisierung und Verflüssigung der Grenzen zwischen den einzelnen Disziplinen, nicht aber um ihre völlige Verschmelzung oder hierarchische Über- und Unterordnung, sondern um ein herrschaftsfreies Nebeneinander, das gleichwohl von einer wechselseitigen epistemologischen Durchdringung gekennzeichnet ist. 49 Vgl. Meister Eckhart, Prol. in Op. expos. n. 5, LW I, 168,6–7.12; ebd. n. 6, LW I, 169,3–4; ebd. n. 7, LW I, 169,9; ebd. n. 8, LW I, 170,4–5.
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2.
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2.1 Die besondere Struktur von Eckharts Transzendentalienlehre In der Forschung wird mit Recht immer wieder auf die zentrale Bedeutung von Eckharts besonders gearteter Transzendentalienmetaphysik für sein gesamtes Denken verwiesen. 50 Dies wird schon daraus ersichtlich, dass Eckhart im Prolog zum Opus tripartitum die ersten vier der insgesamt vierzehn Traktate, in die das Opus propositionum hätte unterteilt werden sollen, unter das Thema der vier klassischen Transzendentalien ens, unum, verum und bonum stellt. Eckhart schreibt: Primus tractatus agit de esse et ente et eius opposito quod est nihil. Secundus de unitate et uno et eius opposito quod est multum. Tertius de veritate et vero et eius opposito quod est falsum. Quartus de bonitate et bono et malo eius opposito. Quintus de amore et caritate et peccato, eius opposito. Sextus de honesto, virtute et recto et eius oppositis, puta turpi, vitio, obliquo. Septimus de toto et parte, eius opposito. Octavus de communi et indistincto et horum oppositis, proprio et distincto. Nonus de natura superioris et inferioris eius oppositi. Decimus de primo et novissimo. Undecimus de idea et ratione et horum oppositis, puta de informi et privatione. Duodecimus vero de quo est et quod est ei condiviso. Decimus tertius agit de ipso deo summo esse, quod ›contrarium non habet nisi non esse‹, ut ait Augustinus De immortalitate animae et De moribus Manichaeorum. Decimus quartus de substantia et accidente. (Die erste Abhandlung handelt vom Sein und vom Seienden und seinem Gegensatz, dem Nichts. Die zweite von der Einheit und dem Einen und seinem Gegensatz, dem Vielen. Die dritte von der Wahrheit und dem Wahren und seinem Gegensatz, dem Falschen. Vgl. J. Koch, »Sinn und Struktur der Schriftauslegungen«, 87; J. A. Aertsen, »Meister Eckhart – eine außerordentliche Metaphysik«, Recherches de Théologie et Philosophie médiévales 66 (1999), 1–20; W. Goris, Einheit als Prinzip und Ziel, 88–96; K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein, 110 f.
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Die vierte von der Güte und dem Guten und dem Schlechten, seinem Gegensatz. Die fünfte von der Minne und der Liebe und der Sünde, ihrem Gegensatz. Die sechste vom sittlich Guten, von der Tugend und vom Geraden und deren Gegensatz, nämlich dem sittlich Schlechten, dem Laster und dem Ungeraden. Die siebente vom Ganzen und vom Teile, seinem Gegensatz. Die achte vom Gemeinsamen und Ununterschiedenen und seinem Gegensatz, dem Eigentümlichen und Unterschiedenen. Die neunte von der Natur des Oberen und des Niederen, seines Gegensatzes. Die zehnte vom Ersten und vom Letzten. Die elfte vom Urbild und von der Idee und ihrem Gegensatz, nämlich dem Ungeformten und der Beraubung. Die zwölfte von dem, wodurch etwas ist, und dem, was etwas ist, seinem Gegenstück. Die dreizehnte handelt von Gott selbst, dem höchsten Sein, ›das keinen Gegensatz außer dem Nichtsein hat‹, wie Augustin in den Schriften Von der Unsterblichkeit der Seele und Von der Religion der Manichäer sagt. Die vierzehnte von der Substanz und dem Akzidenz). 51
Die von Eckhart skizzierten Hauptthemen der vierzehn geplanten Traktate des Opus propositionum sowie ihre besondere Anordnung haben in der Eckhart-Forschung immer wieder zu unterschiedlichen Systematisierungsversuchen Anlass gegeben. 52 Es ist offenkundig, dass die ersten vier Traktate den Transzendentalien im klassischen Sinne gewidmet sind. Traktat V und VI scheinen es auf den ersten Blick mit der praktischen Theologie bzw. der Ethik zu tun zu haben, während die Traktate VII–XII allgemeine metaphysische Strukturprinzipien behandeln. Erst in Traktat XIII (De deo) ist ausdrücklich von Gott als dem höchsten Sein (summum esse) die Rede, und Traktat XIV behandelt abschließend den Bereich des aus Substanz und Akzidens zusammengesetzten – d. h. des geschöpflichen – Seins. Diese Anordnung der verschiedenen Traktate mutet auf den ersten Blick seltsam an. Während Thomas von Aquin seine Summa theologica mit dem Themenkomplex De Deo und der damit zusam-
Meister Eckhart, Prol. gen. in Op. tripart. n. 4, LW I, 150,1–151,1; nhd. Übers. ebd. Vgl. dazu J. Koch, »Sinn und Struktur der Schriftauslegungen«, 88–91; K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein, 26–29; J. A. Aertsen, »Der ›Systematiker‹ Eckhart«, 224–230 sowie W. Goris, Einheit als Prinzip und Ziel, 69 f.
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Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
menhängenden Schöpfungslehre beginnt, 53 stehen diese beiden theologischen Traktate bei Eckhart ganz am Ende seines geplanten Gesamtwerks. Stattdessen dominieren transzendentalienmetaphysischphilosophische Fragestellungen, die es weder mit Gott noch mit den Geschöpfen, sondern mit den allgemeinen Strukturprinzipien allen Seins und aller Erkenntnis zu tun haben. Diese ungewöhnliche Reihenfolge ist mit Sicherheit kein Zufall, sondern gibt einen Hinweis auf den Grundansatz, der für Eckharts Wissenschaftstheorie entscheidend ist: Die Theologie, verstanden als Wissenschaft von Gott als dem Schöpfer und seinem Verhältnis zur Schöpfung, kann nicht am Anfang eines systematischen Gesamtwerks stehen, sondern setzt eine Analyse derjenigen transzendentalen Prinzipien und Begriffe voraus, die nicht nur für den Bereich der Geschaffenheit, sondern auch für den der Ungeschaffenheit Geltung haben. Die Traktate I– XII handeln somit von den Strukturen, Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten, die auch dann wahr wären etsi creatio non daretur. Sie enthalten gleichsam eine »Theologie vor aller Zeit«, die der Theologie der faktisch geschehenen Schöpfung und heilsgeschichtlichen Offenbarung im engeren Sinne noch vorausgeht und deren Möglichkeitsgrund bildet. Dies gilt auch für die Traktate V und VI, die es auf den ersten Blick mit praktisch-ethischen Fragestellungen zu tun haben. Die Liebe (caritas / amor), das sittlich Gute (honestum) und die Tugend (virtus) sind für Eckhart jedoch keine Spezialthemen, die auf die kontingente Wirklichkeit der menschlichen Existenz und des menschlichen Handelns bezogen sind, sondern besitzen dieselbe überkategoriale, existenzunabhängige Geltung wie die anderen vier Transzendentalien auch. Letztlich beziehen sie sich auf das, was Eckhart an anderer Stelle mit der »Gerechtigkeit« bezeichnet, 54 nämlich das absichtsfreie, allein an den Prinzipien der ungeschaffenen Vernunft orientierte Wirken Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologica I, qq. 2–99. Aus einem Passus in Eckharts Buch der göttlichen Tröstung geht klar hervor, dass für ihn auch die Gerechtigkeit und die Weisheit zu den Transzendentalien zählen: »Allez, daz ich nû hân gesprochen von dem guoten und von der güete, daz ist ouch glîche wâr von dem wâren und der wârheit, von dem gerehten und der gerehticheit, von dem wîsen und der wîsheit, von gotes sune und von gote dem vater« (»Alles, was ich nun von dem Guten und von der Gutheit gesagt habe, das ist gleich wahr auch für den Wahren und die Wahrheit, für den Gerechten und die Gerechtigkeit, für den Weisen und die Weisheit, für Gottes Sohn und Gott den Vater« [Meister Eckhart, Buch der göttlichen Tröstung, DW V, 10,11–14; nhd. Übers. nach EW II, 237,1–5]).
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Eckharts spekulative Neubegründung der wissenschaftlichen Systematik
»ohne Warum«. In seinen Kommentaren zum Buch Jesus Sirach sowie zum Buch der Weisheit bemerkt Eckhart dazu: Primo igitur modo sapientia dei notat sui puritatem dicens ego. Li ego enim meram et puram substantiam significat, et hoc est primum quod in amato quaeritur. […] Amor ergo et voluntas ipsum amatum in se ipso et per se ipsum solum et purum sine omni alio respiciunt, quin immo omne alienum, omne aliud despiciunt. Iustus enim per essentiam, in quantum huiusmodi, amat solam iustitiam et odit omne non iustum. (Nach der ersten Weise [der Auslegung] also tut die Weisheit Gottes ihre Reinheit mit dem Wort ich kund. Denn ich bezeichnet die bloße und reine Substanz, und das ist das Erste, was [die Liebe] im Geliebten sucht. […] Liebe und Willen zielen also auf das geliebte Objekt als solches, wie es in sich und durch sich selbst allein und rein, ungetrübt durch etwas anderes besteht, ja sie verachten sogar alles Fremde, alles davon Verschiedene. Denn der Gerechte liebt seinem Wesen nach als Gerechter allein die Gerechtigkeit und hasst alles, was nicht gerecht ist). 55 Iustus ergo, qui deum non timet, sed amat, qui bonum operatur, non timore cuiuscumque, sed amore boni, non iam huius boni aut illius, sed boni, quia bonum in seipso. (Gerecht ist also, wer Gott nicht fürchtet, sondern liebt, wer Gutes tut, nicht aus Furcht vor irgend etwas, sondern aus Liebe zum Guten, und zwar nicht zu diesem oder jenem Guten, sondern aus Liebe zum Guten [schlechthin], weil es in sich selbst gut ist). 56
Die Liebe und die Gerechtigkeit beziehen sich also gerade nicht auf den Nächsten bzw. auf Gott, insofern man sie unter dem Gesichtspunkt gewisser Eigenschaften betrachtet, sondern auf die reine, akzidenslose Substanz ihres ego. Das bedeutet, dass nach Eckhart der gerechte Mensch in derselben Haltung intelligibler Immanenz und Interesselosigkeit wirkt, die auch im Bereich der theoretischen Erkenntnis zum Tragen kommt. In Predigt 27 findet sich ein Echo dieser Deutung der Liebe als einer transzendentalen, kontingenzfreien Vollkommenheit: Der einen guoten menschen vrâgete: ›war umbe minnest dû güete?‹ – ›umbe güete‹ ; ›war umbe minnest dû got?‹ – ›umbe got‹. Und ist, daz dîn minne alsô lûter, alsô abegescheiden, alsô blôz ist in ir selber, daz dû niht anders enminnest dan güete und got, sô ist daz ein sicher wârheit, daz alle 55 56
Meister Eckhart, Super Eccl. n. 8, LW II, 235,14–236,1.4–7; nhd. Übers. ebd. Meister Eckhart, In Sap. n. 60, LW II, 388,10–12; nhd. Übers. ebd.
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Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
die tugende, die alle menschen ie geworhten, die sint dîn alsô volkomenlîche, als ob dû sie selber geworht hætest. (Fragte man einen guten Menschen: ›Warum liebst du die Gutheit?‹ – ›Um der Gutheit willen‹ ; ›Warum liebst du Gott?‹ – ›Um Gottes willen‹. Und ist es so, dass deine Liebe so lauter, so losgelöst, so in sich selbst rein ist, dass du nichts anderes liebst als die Gutheit und Gott, so ist es eine sichere Wahrheit, dass alle Tugenden, die alle Menschen je wirkten, so vollkommen dir zugehören, als wenn du sie selbst gewirkt hättest). 57
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die in den Traktaten V und VI erwähnten ethisch-praktischen Grundthemen der Philosophie und Theologie von Eckhart nicht einer nachgeordneten »Zweiten Philosophie« zugewiesen werden, sondern ebenso wie die klassischen Transzendentalien unabdingbarer Bestandteil einer als »Erste Philosophie« verstandenen Metaphysik sind. 58 Doch auch wenn man die Erweiterung der klassischen Transzendentalien um die Begriffe amor / caritas, honestum und virtus ausklammert und sich nur auf die Themen der ersten vier Traktate konzentriert, wird ein bedeutsamer Unterschied zwischen Eckharts Transzendentalienmetaphysik und der Thomas von Aquins erkennbar. Wohl lässt der Primat der transcendentia in Eckharts Gesamtentwurf den Schluss zu, dass auch er die Metaphysik primär als Wissenschaft vom »Seienden als solchem« und den ihm als solchem zukommenden Eigenschaften versteht. Doch während Thomas seine Lehre von den Transzendentalien im Hinblick auf das ens commune entwickelt, das mit dem göttlichen Sein gerade nicht identisch ist, 59 entwirft Eckhart seine Lehre der termini generales unmittelbar als eine Form der philosophischen Theologie, die jedoch gerade kein kausales, sondern ein strukturell-transzendentales Gepräge hat. Im Prolog zum Opus proMeister Eckhart, Pr. 27, DW II, 45,9–46,2; nhd. Übers. nach EW I, 307,26–33. Vgl. dazu J. A. Aertsen, »Der ›Systematiker‹ Eckhart«, 225 f. Wie man sieht, erfolgt die Erhebung der Ethik in den Rang der »Ersten Philosophie« also nicht erst bei Levinas, sondern ist bei Eckhart bereits grundgelegt. Allerdings verzichtet Eckhart darauf, die Ethik gegen die Ontologie auszuspielen, und integriert stattdessen den theoretischen und den praktischen Aspekt seiner Metaphysik in das umfassende Schema des erkennenden, liebenden und zugleich respektvoll-seinlassenden Bezuges »ohne Warum«. 59 »Ad sextum dicendum, quod ens commune est cui non fit additio, de cuius tamen ratione non est ut ei additio fieri non possit; sed esse divinum est esse cui non fit additio, et de eius ratione est ut ei additio fieri non possit; unde divinum esse non est esse commune« (Thomas von Aquin, De potentia, q. 7, a. 2 ad 6). 57 58
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positionum erläutert Eckhart: Notandum ergo prooemialiter primo quod solus deus proprie est ens, unum, verum et bonum (»Einleitend ist also zu bemerken: erstens, dass Gott allein im eigentlichen Sinne Seiendes, Eines, Wahres und Gutes ist«). 60 Das bedeutet, dass es bei Eckhart in diesem Sinne kein von Gott unterschiedenes ens commune gibt, sondern dass jede Aussage über die allgemeinsten, transkategorialen Bestimmungen in sich schon eine Aussage über Gott selbst ist. Vor dem Hintergrund der ersten Pariser Quästio erscheint es auf den ersten Blick eigenartig, wenn nicht sogar widersprüchlich, dass Eckhart Gott an dieser Stelle als ens bezeichnet. Der vermeintliche Widerspruch löst sich allerdings auf, wenn man dies als eine Aussage über Gott als den eigentlichen und primären Ursprung des Seins der Geschöpfe versteht. So gesehen, könnte man genauso gut auch sagen, dass allein Gott im eigentlichen Sinne »ist«, sofern man unter »Sein« nur die puritas essendi des reinen intelligere versteht, und dass die Geschöpfe in diesem Sinne »nicht sind«, wenn »Sein« in diesem Zusammenhang ein eigenständiges ontologisches Subsistieren bezeichnen soll. In jedem Falle verweisen die transzendentalen Bestimmungen also auf die Wirklichkeitsfülle Gottes, der in sich nicht »Sein«, sondern reines Erkennen ist. Daher können bei Eckhart auch die Transzendentalien nicht einfach als das letzte und höchste Niveau seiner wissenschaftstheoretischen Betrachtung angesehen werden, da auch sie immer noch einen objektivierbaren Gegenstand der Erörterung bilden, über den man redet, aber noch nicht die Subjektseite des Erkenntnisaktes als solchen betreffen. 61 Daraus erklärt sich die Tatsache, dass der transkategoriale Überstieg bei Eckhart nicht mehr nur eine rein begriffliche resolutio darstellt, die irgendwann bei den transgenerischen Bezeichnungen ens, unum, verum und bonum endet und dort stehenbleibt, sondern die Form einer intellektuellen Aufstiegsbewegung annimmt, die auch noch über das esse hinausdrängt zu dessen göttlichem Ursprung. In Sermo XXIV,2 schreibt Eckhart: Igitur intellectus hdeumi in se non attingit, nisi ascendat. Ascensus autem ad superius est. Transcendere igitur oportet non solum imaginabilia, sed Meister Eckhart, Prol. in Op. prop. n. 4, LW I, 167,9–10; nhd. Übers. ebd.; vgl. auch Tab. auct. in Op. tripart. n. 4, LW I, 132,4–6. 61 »Secundum est quod aliter loquendum est de ente, aliter de ente hoc aut hoc, et sic de aliis, puta uno et vero et bono« (Meister Eckhart, Prol. in Op. expos. n. 25, LW I, 181,6–9; vgl. auch ebd. n. 3, LW I, 166,12–167,8). 60
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etiam intelligibilia. Item cum intellectus resolvat ad esse, oportet et hoc transire. Esse namque non est causa esse, sicut nec ignis est causa ignis, sed aliquid longe altius, in quod oportet ascendere. […] Item tertio: cum intellectus iuxta nomen suum intra procedat et ab extra, e converso voluntati, et secundum naturam suam subtrahat ab omni foras addito, eius ascensus est introitus in primam radicem puritatis omnium, quae est in verbo. (Daher berührt der Intellekt in sich nicht Gott, außer er steige auf. Aufstieg besagt aber ›über sich hinaus‹. Der Intellekt muss also nicht nur das der Einbildung Zugängliche, sondern auch das ihm selbst Zugängliche übersteigen. Ferner: da der Intellekt [alles] auf das Sein zurückführt, muss er auch über das Sein hinausschreiten. Denn das Sein ist nicht die Ursache des Seins, wie auch das Feuer nicht die Ursache des Feuers ist, sondern etwas weit Höheres, zu dem er aufsteigen muss. […] Ferner drittens: da der Intellekt seinem Namen nach von außen nach innen fortschreitet, im Gegensatz zu dem Willen, und seiner Natur nach von allem von außen her Herangebrachten abzieht, so ist sein Aufstieg der Eintritt in die erste Wurzel der Reinheit aller [Wesen], nämlich das Wort). 62
Eckharts Verwendung des Verbs resolvere ist hier von entscheidender Bedeutung, da dies genau derselbe Ausdruck ist, den auch Thomas von Aquin im Zusammenhang mit seiner Transzendentalienlehre verwendet. 63 Allerdings ist es dem Intellekt des Menschen bei Thomas verwehrt, von der resolutio, die ihn auf die Ebene der transzendentalen Begriffsbestimmungen führt, bruchlos zu einer direkten intellektuellen Erkenntnis des göttlichen Wesens fortzuschreiten. 64 Bei Eckhart ist jedoch genau dieser Selbstüberstieg des Intellekts nicht nur möglich, sondern sogar notwendig, da sich auch die als Gottesprädikate im engeren Sinne verstandenen Transzendentalien noch auf Gott als esse, d. h. in seiner Funktion als erster Ursprung der Geschöpfe beziehen, aber nicht auf Gott, wie er in sich selbst ist, nämlich Meister Eckhart, Sermo XXIV,2 nn. 247–248, LW IV, 226,1–5. 227,1–4; nhd. Übers. ebd. (Hervorhebung d. Verf.). 63 »Dicendum, quod sicut in demonstrabilibus oportet fieri reductionem in aliqua principia per se intellectui nota, ita investigando quid est unumquodque; alias utrobique in infinitum iretur, et sic periret omnino scientia et cognitio rerum. Illud autem quod primo intellectus concipit quasi notissimum, et in quod conceptiones omnes resolvit, est ens, ut Avicenna dicit in principio suae metaphysicae« (Thomas von Aquin, De veritate, q. 1, a. 1 c; Hervorhebung d. Verf.). 64 »Cognitio Dei quae ex mente humana accipi potest, non excedit illud genus cognitionis quod ex sensibilibus sumitur. […] Unde nec per hanc viam cognosci Deus altiori modo potest quam sicut causa cognoscitur per effectum« (Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles III, cap. 47). 62
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als Erkennen, das sich in dem von ihm hervorgebrachten verbum vollkommen erkennt. Diese Konzeption des intellektuellen Überstiegs vom Sein zu seinem intelligiblen Grund führt dazu, dass der Begriff des Prinzips, der im Rahmen der aristotelischen Wissenschaftstheorie eine klar definierte Bedeutung hat, bei Eckhart noch eine zweite, protologischtheologische Dimension annimmt. Bei Aristoteles gibt es eine Pluralität von Prinzipien (ἀρχαί [archai]), die je nach Wissenschaft verschieden sind und als nicht weiter ableitbare epistemologische Ausgangspunkte für die Erforschung des jeweiligen Gegenstandsgebiets dienen. Im Falle der Mathematik sind dies die geometrischen Axiome sowie grundlegende abstraktiv-ideale Entitäten wie Punkt und Linie; im Falle der Physik sind dies Bewegung, Werden und Vergehen, Ort, Geschwindigkeit, Materie und Form, Potentialität und Aktualität usw. 65 Diese Bedeutung der ἀρχαί (archai) bzw. principia als pluraler Prinzipien des Seins bzw. des Erkennens übernimmt auch Meister Eckhart. 66 Darüber hinaus will er aber auch diese auf einem wissenschaftstheoretischen Niveau zum Tragen kommende Vielfalt struktureller Grundbegriffe nochmals auf das singuläre principium schlechthin, nämlich Gott, übersteigen. Damit werden die beiden scheinbar so unterschiedlichen Dimensionen der aristotelischen Metaphysik, nämlich die Wissenschaft vom Seienden als solchem in seiner größtmöglichen Allgemeinheit und die Wissenschaft vom Göttlichen als dem ersten Prinzip und dem im höchsten Maße Seienden, miteinander verschmolzen. Als einzig wahrer Träger der transzendentalen Bestimmungen ist Gott zum einen das allem Seienden innewohnende communissimum (»Allgemeinste«), 67 in seiner Eigenschaft als intellektueller Ursprung (verbum) zugleich aber auch das primum principium 68 aller Dinge. Das bedeutet, dass eine wissenschaftstheoretische Begründung bei Eckhart sich nie in Form eines aposteriorischen »Redens über …« vollziehen kann, sondern aus der Perspektive göttlicher Selbsterkenntnis in ihrer Möglichkeit aufgewiesen werden muss. Vgl. Aristoteles, Analytica posteriora I 2, 72 a 6–8; ders., Metaphysik V 1, 1012 b 35–1013 a 23. 66 Vgl. Meister Eckhart, In Gen. II n. 3, LW I, 453,9–10. 67 »Deus est esse ipsum, utpote potissimum et communissimum et simplicissimum« (Meister Eckhart, In Exod. n. 102, LW II, 104,2–3). Vgl. auch ders., In Ioh. n. 528, LW III, 459,12–460,1. 68 Vgl. Meister Eckhart, In Gen. II n. 3, LW I, 453,8. 65
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2.2 ›Ego sum qui sum‹ : Die Selbsterkenntnis des göttlichen Intellekts als oberstes Prinzip aller Evidenz Ganz gleich, auf welchen Wirklichkeitsbereich eine Wissenschaft bezogen ist und welche Methoden sie zu seiner Erforschung anwendet – stets handelt es sich dabei um eine diskursive Form der Erkenntnis, die Schritt für Schritt vorgeht und die einzelnen gewonnenen Erkenntnisse miteinander zu einem kohärenten Ganzen verknüpft. Aus diesem Grunde sind sowohl der habituelle Erwerb der im Laufe der Geschichte bereits gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse als auch ihre Weiterführung durch neue Forschung und begriffliche Reflexion wesentlich zeitlicher Natur. Kein Wissenschaftler kann die Gesamtheit seines Forschungsgebietes in einem einzigen Augenblick zur Gänze intellektuell durchdringen und alle darauf bezogenen Einsichten zur gleichen Zeit in voller Klarheit intuitiv überblicken. Daher ist Wissenschaft unter menschlichen Bedingungen prinzipiell immer nur in unvollkommener Form möglich, nämlich als ein methodisch geregeltes Immer-weiter-Fortschreiten, das idealerweise die Menge an wahren Einsichten immer weiter vergrößert, sie jedoch nie ausschöpfen kann. So unabänderlich dieser Umstand unter wissenschaftstheoretischen Gesichtspunkten auch sein mag, so wenig kann sich Meister Eckhart damit einfach zufriedengeben, wenn es darum geht, die Möglichkeit von Wissenschaft überhaupt auf ihren transzendentalen Grund zurückzuführen. Auch wenn die faktisch bestehende Wirklichkeit notwendigerweise von Potentialität, Zeitlichkeit und Entwicklung gekennzeichnet ist, lässt Eckhart diese Wesenseigenschaften nicht einfach als ein unhintergehbares Letztes stehen, sondern ist bestrebt, all diese Ausprägungsformen von Vielheit, Veränderlichkeit und Unvollkommenheit auf ihren Ursprung im Einen, Unveränderlichen und Vollkommenen hin zu untersuchen. Letztlich verlangt eine Wissenschaftstheorie, die die architektonische Einheit aller diskursiven Erkenntnisformen befriedigend erklären soll, somit nach einer ausdrücklichen Reflexion über die Bedingung der Möglichkeit aller zeitlichen Diskursivität, mit anderen Worten: nach einer Theorie der Schöpfung, die den Hervorgang des Vielen aus dem Einen und zugleich die Möglichkeit intellektueller Erkenntnis als solcher zum Thema hat. Aus diesem Grund kann das erste Theorem aus Eckharts Opus propositionum, der Satz esse est deus, nicht das oberste Prinzip seiner 140 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
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Wissenschaftstheorie darstellen, da die darin ausgesprochene Identität des Seins mit Gott lediglich in der Dritte-Person-Perspektive ausgesprochen wird und nicht derart unmittelbar evident ist, dass eine Leugnung logisch ausgeschlossen wäre. Wer genau verstanden und nachvollzogen hat, was Eckhart jeweils mit esse und mit deus meint, wird diesen Satz zwar als wahr und sogar evident anerkennen müssen, 69 doch ist diese Evidenz lediglich vermittelt und nicht derart beschaffen, dass sich das Denken bei ihrer Verneinung in einen performativen Widerspruch verstricken würde. Obwohl die explizite Aussageabsicht des Satzes auf die vollkommene Identität des Seins mit Gott abzielt, spiegelt sich in der Struktur der Aussage bereits jene relative Nichtidentität des Seins mit Gott wider, die es möglich macht, das geschöpfliche »Dies und das« irrtümlicherweise als in sich eigenständig anzusehen und es nicht mehr auf seinen göttlichen Ursprung hin durchsichtig zu machen. Was an den geschaffenen Dingen Sein ist, ist von der Sache her natürlich nichts anderes als Gott selbst, aber der Umstand, dass der Intellekt dieses Sein innerhalb der empirischen Wirklichkeit immer nur in Form eines beschränkten ens hoc et hoc vorfindet, verhindert eine Erkenntnis dieser Tatsache im Modus unmittelbarer Evidenz. 70 Der Satz esse est deus ist somit nur das relativ erste Prinzip, nämlich mit Blick auf die Faktizität der bereits vollzogenen Schöpfung. Daher ist er nicht restlos aus sich selbst heraus evident, sondern hängt von einem anderen Satz ab, der nicht nur schlechthin evident und unbezweifelbar ist, sondern auch keinen unmittelbaren Verweis auf eine geschaffene Wirklichkeit mehr enthält. Dieser absolut erste Satz ist die Aussage ego sum qui sum, die Eckhart bereits in seiner ersten Pariser Quästio einmal zitiert hatte, 71 aber erst in seinem Kommentar zum Buch Exodus ausführlich erörtert. Dabei geht es um die innergöttliche Selbsterkenntnis, die einerseits noch kein konkretes, geschaffenes »Dies und das« impliziert, andererseits aber die Einfach-
»Nulla propositio est verior illa in qua idem de se ipso praedicatur, puta quod homo est homo. Sed esse est deus. Igitur verum est deum esse« (Meister Eckhart, Prol. gen. in Op. tripart. n. 13, LW I, 158,11–13). 70 Die Tatsache, dass Eckhart nicht, wie Thomas von Aquin, deus est esse, sondern esse est deus schreibt, weist bereits auf den spekulativen Charakter hin, den dieses Theorem bei ihm besitzt. Vgl. dazu K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein, 36– 49. 71 Vgl. Meister Eckhart, Quaest. Par. I n. 9, LW V, 43,11–15. 69
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heit des göttlichen Seins im Modus des reflexiven Selbstbezuges ausspricht und damit die radikale Ununterschiedenheit des absolut Ersten zugleich als Quelle möglicher Differenz erweist. Mit seiner minutiösen Analyse des ego sum qui sum verfolgt Eckhart zum einen das Ziel, diesen Satz als Manifestation der trinitarischen Wesensstruktur Gottes zu erweisen; zum anderen legt er damit zugleich aber auch die Basis für eine Neudefinition des Substanzbegriffs, die über das aristotelische Substanz-Akzidens-Schema und die dazugehörige Kategorienlehre hinausgeht. Im Prolog zum Opus propositionum hatte Eckhart dargelegt, dass die Transzendentalien ens, unum, verum und bonum im eigentlichen Sinne (proprie) nur Gott zukommen. 72 In diesem Schema fehlen die aus der avicennischen Metaphysiktradition stammenden Begriffe res und aliquid, die sich auf das rein formale, intelligible Bestimmtsein der Wesenheit eines jeden Dinges im Unterschied zu den Wesenheiten aller anderen Dinge beziehen. Doch Eckhart ergänzt die vier genannten Transzendentalien noch um andere Bestimmungen, die das Verhältnis von Selbigkeit und Andersheit auf einer nicht dinglichen, sondern subjekthaften Ebene zum Ausdruck bringen. 73 In seinem Kommentar zu Ex 3,14 ergänzt Eckhart seine These des göttlichen Charakters der Eigenschaften ens, unum, verum und bonum noch um die Aussage, dass die drei Worte ego, sum und qui im primären und eigentlichsten Sinne (propriissime) nur Gott zu eigen sind, 74 auch wenn sie im alltäglichen Sprachgebrauch von menschlichen Personen ebenfalls verwendet werden. Das bedeutet, dass diese drei Worte in einem noch adäquateren, ursprünglicheren Sinne Gottes Wesen ausdrücken als die genannten vier Transzendentalien und somit deren Vorbedingung bilden. So gesehen, gibt es bei Eckhart also sehr wohl eine Lehre von den
»Notandum ergo prooemialiter primo quod solus deus proprie est ens, unum, verum et bonum« (Meister Eckhart, Prol. in Op. prop. n. 4, LW I, 167,9–10). 73 Bei Eckhart verschiebt sich mit Blick auf die reine Intellektnatur Gottes die Bedeutung des lateinischen Wortes subiectum, das ursprünglich als zugrundeliegendes ontologisches Substrat akzidenteller Bestimmungen bzw. als grammatikalisches Satzsubjekt verstanden wird, zur modernen Bedeutung von »Subjekt« im Sinne des vernünftigen Selbstbewusstseins. Vgl. dazu M. Mauriège, »In welchem Sinne ist Gott Subjekt bei Meister Eckhart?«, in: H. Schwaetzer / M.-A. Vannier (Hgg.), Zum Subjektbegriff bei Meister Eckhart und Nikolaus von Kues, Münster, Aschendorff, 2011, 49–66, hier 62–64. 74 »Haec tria, ego, sum, qui, propriissime deo conveniunt« (Meister Eckhart, In Exod. n. 14, LW II, 20,2–3). 72
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»Supertranszendentalien«, 75 nur dass diese nicht in noch formaleren Begriffen wie res und aliquid bestehen, die auf eine »Gegenständlichkeit überhaupt« verweisen, sondern in den Pronomina ego und qui, die das gegenständlich verstandene ens bzw. esse zum selbstreflexiven sum umwandeln. Obwohl Eckhart die Funktion der drei Wörter ego, sum und qui auf den ersten Blick lediglich einer grammatikalischen Analyse unterzieht, haben seine Ausführungen doch kaum zu überschätzende prädikationstheoretische und metaphysische Konsequenzen, die sich auch auf seine wissenschaftstheoretische Systematik auswirken. Hinsichtlich des Wortes ego erklärt Eckhart unter Verweis auf die Grammatik des Priscianus, dass Personalpronomina die betreffenden Personen lediglich unter dem Gesichtspunkt ihrer Substanzialität bezeichnen, ohne damit schon eine Aussage über ihre konkreten Eigenschaften zu machen. Doch während bei Priscianus die Verwendung der Personalpronomina lediglich ein faktisches Absehen von den sehr wohl vorhandenen akzidentellen Eigenschaften menschlicher Individuen darstellt, 76 geht Eckhart noch einen Schritt weiter: Er interpretiert das Wort ego als die eigentliche Bezeichnung Gottes als reiner Substanz, die nicht nur de facto unter Nichtberücksichtigung ihrer konkreten Eigenschaften mit dem Personalpronomen bezeichnet wird, sondern de iure von ihrem Wesen her gar keine Eigenschaften haben kann. 77 Das bedeutet, dass Eckhart das ego nicht schon als Manifestation von Gott Vater oder sonst einer der trinitarischen Personen interpretiert, sondern es auf der Ebene des einen, göttlichen Wesens ansiedelt, das als radikales Ursprungsprinzip den trinitarischen Hervorgängen noch vorausliegt. 78 Damit verändert sich die Bedeutung des Begriffes »Substanz« in grundlegender Weise, da diese nun nicht mehr, wie noch bei Aristoteles, als substrathafter Träger akzidenteller Bestimmungen fungiert, sondern ihren Selbstand überhaupt nur in der radikalen Einfachheit Die gegenteilige These findet sich bei T. Kobusch, »Transzendenz und Transzendentalien«, Meister-Eckhart-Jahrbuch 5 (2011), 53. 76 »[C]um ignoratur propria eius qualitas, quaeritur nomen. Solam enim substantiam, non etiam qualitatem significant pronomina« (Priscianus, Institutiones grammaticae XII 15 [2 Bd., ed. M. Hertz], Leipzig, Teubner, 1855, Bd. I, 585,32–586,2). 77 Vgl. Meister Eckhart, In Exod. n. 14, LW II, 20,3–5. 78 Vgl. A. de Libera, »L’être et le bien: Exode 3,14 dans la théologie rhénane«, in: A. de Libera / É. Zum Brunn (Hgg.), Celui qui est. Interprétations juives et chrétiennes d’Exode 3,14, Paris, Les Éditions du Cerf, 1986, 127–162, hier 155. 75
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des »Ich«-Sagens als eines intellektuellen Aktes manifestieren kann. Vollkommene Substanzialität in Eckharts Sinne ist somit nicht dinglicher, sondern geistig-vollzugshafter Natur. Das bedeutet, dass der Begriff »Substanz« in diesem Zusammenhang nicht mehr mit dem gleichnamigen aristotelischen Gattungsbegriff gleichgesetzt werden darf. Als schlechthin einfacher, unteilbarer Akt intellektueller Selbstmanifestation ist die mit dem Wort ego bezeichnete, reine Substanz oberhalb jeder Art- und Gattungsbezeichnung angesiedelt. 79 Allerdings bedeutet das nicht, dass sich diese Form radikaler, metaphysischer Einfachheit monolithisch in sich selbst verschlösse. Die Spontaneität der intellektuellen Erkenntnis, die sich im ego manifestiert, ist auf der Ebene des göttlichen Intellekts zugleich immer auch schon lebendige Produktivität, die im Prozess der vollendet adäquaten Selbsterkenntnis ein immanentes Anderes hervorbringt, ohne dadurch schon unmittelbar die Vielheit des geschöpflichen »Dies und das« zu erzeugen. Eckhart deduziert dies aus der Struktur des Satzes sum qui sum, der sowohl eine Wiederholung des Wortes sum als auch das Reflexivpronomen qui enthält. Letzteres fungiert wie eine Spiegelebene, an der der Strahl der intellektuellen Erkenntnis reflektiert und auf seinen Ursprung zurückgeworfen wird. Durch diesen Reflexionsprozess entsteht eine zweite Instanz, die von sich in der Erste-Person-Perspektive ebenfalls sum sagen kann und dadurch die Ursprunghaftigkeit des ersten sum manifestiert. Anders als bei dem nicht unmittelbar evidenten Satz esse est deus handelt es sich bei dem Satz sum qui sum nicht um eine theorematische Aussage über eine spekulativ zu begreifende Identität zweier Termini, sondern um die unmittelbare Selbstaussage des reinen Vernunftbewusstseins, das seine Identität nur in der Nichtidentität der Reflexion und seine Einheit nur im Auseinandertreten des zweifach ausgesprochenen sum begreifen kann. 80 Damit wird die Subjekt-Prädikat-Struktur, die der aristotelischen Vgl. Meister Eckhart, In Exod. n. 14, LW II, 20,6. »[D]er underscheit kumet von der einicheit, der underscheit in der drîvalticheit. Diu einicheit ist der underscheit, und der underscheit ist diu einicheit. Ie der underscheit mêr ist, ie diu einicheit mêr ist, wan daz ist underscheit âne underscheit« (»Die Unterschiedenheit kommt aus der Einheit, hich meinei die Unterschiedenheit in der Dreifaltigkeit. Die Einheit ist die Unterschiedenheit, und die Unterschiedenheit ist die Einheit. Je größer die Unterschiedenheit ist, um so größer ist die Einheit, denn das hebeni ist die Unterschiedenheit ohne Unterschied« [Meister Eckhart, Pr. 10, DW I, 173,3–5; nhd. Übers. nach EW I, 131,10–15]).
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Logik und Metaphysik zugrunde liegt, letztlich aufgehoben: Das qui sum ist keine zusätzliche, akzidentelle Bestimmung, die vom ego sum ausgesagt würde, sondern bringt nicht anderes zum Ausdruck als die sich ihrer selbst bewusste Identität der im sum enthaltenen Wirklichkeitsfülle. 81 Die im sum qui sum ausgesprochene Selbstevidenz des göttlichen Intellekts ist bei Eckhart daher kein leeres, formales Prinzip vom Typus »A = A«, sondern ein lebendiger, produktiver Ursprung, der seine Selbstheit überhaupt nur in der gleichursprünglichen Erzeugung einer anderen Selbstheit zu verwirklichen vermag. Eckhart deutet dies als klaren Hinweis auf das innertrinitarische Leben, das lediglich von einer Differenz der Personen, aber noch nicht von einer geschöpflichen Vielheit gekennzeichnet ist: Tertio notandum quod repetitio, quod bis ait: sum qui sum, puritatem affirmationis excluso omni negativo ab ipso deo indicat; rursus ipsius esse quandam in se ipsum et super se ipsum reflexivam conversionem et in se ipso mansionem sive fixionem; adhuc autem quandam bullitionem sive parturitionem sui […] secundum illud sapientis: ›monas monadem gignit – vel genuit – et in se ipsum reflexit amorem – sive ardorem‹. (Drittens ist zu bemerken: die Wiederholung: ich bin, der ich bin zeigt die Lauterkeit der Bejahung unter Ausschluss jeder Verneinung von Gott an. Wiederum auch eine Art Rückwendung des Seins zu sich und auf sich selbst und ein Verharren oder Feststehen in sich, ferner aber gleichsam ein Aufwallen oder Sichselbstgebären […] nach dem Wort des Weisen: ›die Einheit zeugt – oder zeugte – die Einheit und auf sich selbst strahlte sie ihre Liebe – oder ihre Glut – zurück‹). 82
Gerade diese für die innertrinitarischen Bezüge erforderliche »Abständigkeit« zwischen dem ersten und dem zweiten sum eröffnet aber auch die Möglichkeit, außer der Substanz noch eine zweite der aristotelischen Kategorien umzudeuten, nämlich die Relation. Sie ist dasjenige Prinzip, das es der göttlichen Intellektsubstanz ermöglicht, nicht nur in sich zu verharren, sondern sowohl in Form der drei innertrinitarischen Personen als auch in Form der Schöpfung auszuströmen. In seinem Kommentar zum Buch Jesus Sirach führt Eckhart den Hauptgedanken seine Analysen von Ex 3,14 fort und bemerkt diesbezüglich:
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Vgl. A. de Libera, »L’être et le bien: Exode 3,14 dans la théologie rhénane«, 152 f. Meister Eckhart, In Exod. n. 16, LW II, 21,7–11. 22,1–3; nhd. Übers. ebd.
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Ubi notandum quod, cum in deo, ut iam supra dictum est, sint tantum duo praedicamenta, substantia et relatio, substantia in ratione substantiae non est sui diffusiva, tum quia ad intra respicit, ad se ipsam est, non ad aliud, tum quia secundum se et per se esse respicit, quod est unum semper in divinis. […] Oportet igitur necessario quod relatio sit, ratione cuius est fecunditas et diffusio in divinis. […] Unde solet exponi: ›in principio‹, id est in patre, ›erat verbum‹. Principium autem, sicut et li primum, relationem importat ordinis et originis. (Hier ist zu bemerken: wie schon oben gesagt, sind auf Gott nur zwei Kategorien, Substanz und Beziehung, anwendbar. Nun hat die Substanz als Substanz nicht die Eigenschaft, sich auszuströmen. Denn sie ist nicht auf anderes, sondern nach innen, auf sich selbst bezogen. Sodann gehört sie ihrer ganzen Natur nach zum Sein, und das ist in Gott immer eines. […] Die Beziehung also muss es sein, auf Grund deren es in Gott Fruchtbarkeit und Ausströmen gibt. […] Daher die übliche Auslegung: ›im Anfang‹, das heißt im Vater, ›war das Wort‹. Anfang aber, wie auch Erstes, besagt, dass [anderes] ihm zugeordnet ist und von ihm seinen Ursprung nimmt). 83
Im Gegensatz zum aristotelischen Modell ist die Relation somit nicht die ontologisch schwächste und unwesentlichste der Kategorien, sondern das grundlegende Prinzip allen Selbstbewusstseins, aller Lebendigkeit und aller Produktivität und Fruchtbarkeit im Bereich des Seins wie der Erkenntnis. Diese Umdeutung ist deshalb möglich, weil auf der Ebene des Göttlichen die metaphysisch begründeten Hierarchien und Abstufungen, die im Bereich der empirischen Wirklichkeit Geltung haben, außer Kraft gesetzt werden. Das heißt nicht, dass alle konzeptuellen Unterschiede als solche verschwänden, wohl aber, dass sie keine unterschiedliche Gewichtung hinsichtlich der ontologischen Dignität mehr begründen. Dies gilt zum einen für die Wesenheiten der Dinge, die in Gott »gleich« (d. h. gleichwertig) sind, ohne deswegen aufzuhören, Wesenheiten ungleicher Dinge zu sein. Das bedeutet, dass es für Eckhart keine absolute Hierarchie der Formen gibt, sondern dass diese nur im Hinblick auf ihre unterschiedlichen Funktionen innerhalb des geschaffenen Seins qualitativ differenziert werden können, nicht aber hinsichtlich ihrer Präexistenz in Gottes Geist. 84 Zum anderen kommt der Begriff der »Gleichheit« aber auch Meister Eckhart, Super Eccl. n. 11, LW II, 240,10–241,1; ebd. n. 12, LW II, 214,5– 6.10–242,1; nhd. Übers. ebd. 84 »In gote sint aller dinge bilde glîch; aber sie sint unglîcher dinge bilde. Der hœhste engel und diu sêle und diu mücke hânt ein glîch bilde in got« (»In Gott sind aller Dinge Urbilder gleich; aber sie sind ungleicher Dinge Urbilder. Der höchste Engel 83
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in Bezug auf die unterschiedlichen kategorialen Bestimmungen zum Tragen, die bei Aristoteles von einer eindeutigen Asymmetrie zugunsten der Substanz und zuungunsten der Relation gekennzeichnet sind. 85 Eckhart begründet diese Gleichwertigkeit von Substanz und Relation mit der Univozität des Gattungsbegriffs als solchen: Wäre die Relation nur im analogen Sinne eine Gattung, gehörte sie nicht zu den zehn obersten Gattungen, sondern wäre der Substanz untergeordnet. Zählt man sie jedoch zu den decem prima genera, kommt sie unter dem Aspekt des primum mit der Substanz in univokem Sinne überein und ist ihr insofern gleichwertig: Non autem sunt genera analogice, sed sunt genera univoce, alias non essent decem prima genera. Primum enim ut sic non pendet ab alio nec dependet nec analogatur ad aliud. Dico ergo quod relatio, quamvis dicatur minime ens, tamen aeque primum genus praedicamenti sicut ipsa substantia. Hoc enim nomen primi indicat. (Gattungen aber sind die Kategorien nicht in analogem, sondern im gleichen [univoken] Sinn; sonst wären sie nicht die obersten zehn Gattungen. Das Oberste hängt nämlich als solches nicht an einem andern noch hängt es davon ab noch wird es zu einem andern in Analogie gesetzt. Dementsprechend sage ich, dass die Beziehung trotz des geringen Seinsgehalts, den man ihr zuschreibt, ebenso eine oberste kategoriale Gattung ist wie die Substanz. Das besagt ja die Bezeichnung ›oberste‹). 86
Eckhart argumentiert hier also nicht auf der ontischen Ebene des unselbständigen In-Seins der Akzidenzien gegenüber der Substanz, die ihren substrathaften Träger ausmacht. Vielmehr argumentiert er auf der Ebene der kategorialen Erfassung der Substanz in ihrer ontologischen Struktur, und auf dieser ontologischen Ebene ist jedes der Akzidenzien, auch und gerade die Relation, in demselben univoken Sinne ein primum wie die Substanz. Doch gibt sich Eckhart nicht mit dieser transzendentallogischen Begründung der Gleichheit von Substanz und Relation zufrieden, sondern verankert sie letztlich in Gott als dem letzten Einheitsgrund aller Verschiedenheit. Eckhart schreibt dazu in seiner deutschen Predigt 9: Kleine meister lesent in der schuole, daz alliu wesen sîn geteilet in zehen wîse, und die selben sprechent sie gote zemâle abe. Dirre wîsen enberüeret und die Seele und die Mücke haben ein gleiches Urbild in Gott« [Meister Eckhart, Pr. 9, DW I, 148,1–3; nhd. Übers. nach EW I, 109,8–10; Hervorhebungen im Original]). 85 Vgl. Aristoteles, Metaphysik XIV 1, 1088 a 29–1088 b 2. 86 Meister Eckhart, In Exod. n. 54, LW II, 59,10–15; nhd. Übers. ebd.
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got keiniu, und er enbirt ir ouch keiner. Diu êrste, diu des wesens allermeist hât, dâ alliu dinc wesen inne nement, daz ist substancie, und daz leste, daz des wesens aller minnest treit, daz heizet relatio, daz ist glîch in gote dem aller grœsten, daz des wesens allermeist hât: sie hânt ein glîch bilde in gote. (Kleine Meister lehren in der Schule, alle Wesen seien geteilt in zehn Seinsweisen, und diese sprechen sie sämtlich Gott ab. Keine dieser Seinsweisen berührt, Gott, aber er ermangelt auch keiner von ihnen. Die erste [Seinsweise], die am meisten Sein besitzt, in der alle Dinge ihr Sein empfangen, das ist die Substanz; und die letzte, die am allerwenigsten Sein enthält, die heißt Relation, und die ist in Gott dem Allergrößten, das am meisten Sein besitzt, gleich: sie haben ein gleiches Urbild in Gott). 87
Dieser Gedanke ist insofern ungewöhnlich, als er die Urbild-AbbildBeziehung nicht nur auf die Ebene der primären, auf reale Dinge bezogenen Universalbegriffe anwendet, sondern auch auf die metasprachliche Ebene der Reflexion über das Kategoriensystem als solches. Dabei ist gerade die Gleichheit – d. h. die gleichursprüngliche, nichthierarchisierte Präsenz – von Substanz und Relation in Gott der erste Ursprung und Möglichkeitsgrund von Verschiedenheit, insofern innerhalb des einen göttlichen Wesens die reine, sich als »Ich« manifestierende Intellektsubstanz gar nicht bestehen kann, ohne durch die Relation immer schon auf ein wesensgleiches Anderes ihrer selbst bezogen zu sein. Insofern kann man sagen, dass das göttliche Wesen (essentia) in seiner absoluten Einheit zugleich auch schon Prinzip von Andersheit ist, allerdings einer Andersheit, die in univoker Weise an der erzeugenden Produktivität des Ursprungs teilhat und ihm insofern vollkommen gleicht. 88 Die so beschaffene Gleichheit von In-sich-selbst-Sein (Substanz) und Auf-anderes-bezogen-Sein (Relation) erweist sich auch als der Ursprung des Kategoriensystems. In dem Maße, wie Gott nicht als statische, abstrakte Einheit, sondern als Prozess intellektueller Selbsterkenntnis und Selbsterzeugung (generatio) verstanden wird, ist er Meister Eckhart, Pr. 9, DW I, 147,3–148,1; nhd. Übers. nach EW I, 107,37–109,8. »Potentia generandi in divinis in recto et principalius convenit essentiae quam relationi, quae est paternitas« (Meister Eckhart, In Ioh. n. 43, LW III, 36,4–5). Eine noch eindeutigere Formulierung findet sich in einer der kürzlich neuentdeckten Pariser Quästionen Eckharts: »Alii dicunt quod potentia generandi formaliter et intrinsece est essentia, quod teneo« (Meister Eckhart, Quaest. Par. VII n. 12, LW I/2, 464,18– 19). Vgl. dazu auch M. Vinzent, »Questions on the Attributes (of God). Four Rediscovered Parisian Questions of Meister Eckhart«, The Journal of Theological Studies [New Series] 63 (2012), 156–186, hier 172–174.
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zwar oberhalb der Gattungen (genera) im aristotelischen Sinne angesiedelt, doch nicht im Sinne einer bloßen Negation aller Gattungshaftigkeit. Vielmehr besitzt er als absoluter Ursprung die Vollkommenheiten aller Gattungen in eminenter Weise in sich, 89 ohne dass diese bereits in das kategoriale Nebeneinander des esse naturae auseinandergetreten wären. Dies geschieht erst in dem Moment, wo seine Selbsterkenntnis sich veräußerlicht und zugleich mit dem kreatürlichen »Dies und das« auch die Möglichkeit der Subsumption unter »diese und jene Gattung« eröffnet. 90 Die Selbsterzeugung und Selbstdifferenzierung des göttlichen Intellekts ist somit der Ursprung aller logisch-begrifflichen Differenzierungen im Bereich der auf das Geschaffene bezogenen Erkenntnis, ohne ihrerseits unter die von ihr erzeugten Kategorien subsumiert werden zu können. Eckhart ist mitnichten der einzige Scholastiker, der den berühmten Satz aus Ex 3,14 als paradigmatische Selbstmanifestion des göttlichen Wesens deutet, im Gegenteil: Die Aussage ego sum qui sum ist gerade aufgrund ihrer besonderen, auf Wirklichkeitsfülle und souveräne Selbsthabe verweisenden Struktur zum Dreh- und Angelpunkt der von Étienne Gilson als métaphysique de l’Exode (»Exodusmetaphysik«) 91 bezeichneten Richtung des scholastischen Denkens geworden, die Gott vornehmlich vom Begriff des Seins her denkt. Allerdings gibt es in zwei wichtigen Punkten bedeutsame Divergenzen zwischen den verschiedenen scholastischen Interpretationen von Ex 3,14. Zum einen steht keineswegs von vornherein fest, ob der Akzent dabei eher auf dem sum bzw. dem esse oder auf dem ego liegt, mit anderen Worten: ob man Gott primär als Sein bzw. Substanz oder als Bewusstsein bzw. Subjekt versteht. Nicht zufällig verwendet etwa Thomas von Aquin mit Blick auf Gott vornehmlich den Ausdruck qui est (»der, der ist«), der im zweiten Teil des Verses von Ex 3,14 erwähnt wird: sic dices filiis Israel qui est misit me ad vos (»So sollst du zu den Israeliten sagen: der, der ist, hat mich zu euch gesandt«). »Item tertio quod est causa extra genus et super omne genus et per consequens ›omnium generum perfectiones praehabens‹, ut etiam commentator dicit« (Meister Eckhart, In Gen. II n. 43, LW I, 509,11–510,2). 90 Pierre Gire bemerkt dazu: »La conception de l’être comme genre demeure totalement absurde. Mais en identifiant l’Absolu à l’être, Maître Eckhart fait de Dieu le genre des genres, autrement dit le genre générateur, celui à partir duquel l’univers procède. […] Dieu est comme un genre générateur de ses propres espèces« (P. Gire, Maître Eckhart et la métaphysique de l’Exode, 54. 70). 91 Vgl. É. Gilson, L’esprit de la philosophie médiévale, Paris, Vrin, 21948, 50 Anm. 1. 89
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Der in der Vulgata an dieser Stelle verwendete Ausdruck qui est entspricht eher der stark ontologisch geprägten Formulierung ὁ ὤν (ho ôn, d. h. »der Seiende« bzw. »der, der ist«), die im Septuaginta-Text von Ex 3,14 verwendet wird und sich eher dazu eignet, die These von Gott als dem ipsum esse bzw. dem »Sein schlechthin« zu untermauern. 92 Dagegen betont Meister Eckharts Analyse des ego sum qui sum vor allem das ego und die lebendige, reflexive Struktur des sum qui sum, die beide nicht so sehr auf Sein als vielmehr auf Selbstbewusstsein und somit auf den Primat des intelligere gegenüber dem esse in Gott verweisen. Zum anderen – und das ist ein Punkt, der für Eckharts Wissenschaftstheorie entscheidend ist – stellt sich die Frage, ob die im Satz ego sum qui sum ausgesprochene Selbstevidenz des göttlichen Geistes auch als Ausgangspunkt einer evidenten Gotteserkenntnis auf Seiten des Menschen dienen kann. Interessanterweise steht Bonaventura in diesem Punkt Eckhart näher als Thomas von Aquin; betont der doctor seraphicus doch in seiner Interpretation von Ex 3,14, dass aufgrund der Identität Gottes mit dem reinen Sein jeder menschliche Erkenntnisakt, der sich notwendigerweise im Horizont des Seins bewege und das Sein als erstes erkenne, in sich gleichsam immer schon ein unmittelbarer, impliziter Akt der Gotteserkenntnis sei. 93 Eine solche Identifikation des Seins als des Ersterkannten im transzendentalen Sinne mit Gottes reinem Sein im metaphysisch-transzendenten Sinne lehnt Thomas von Aquin strikt ab, da eine solche Gleichsetzung den spezifischen Begrenzungen widerspräche, denen das menschliche Erkenntnisvermögen unter den Bedingungen seiner irVgl. Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 13, a. 11 c. »Primum speculabile est, Deum esse. Primum nomen Dei est esse, quod est manifestissimum et perfectissimum, ideo primum; unde nihil manifestius, quia quidquid de Deo dicitur reducitur ad esse; hoc est proprie proprium nomen Dei. Deus non dixisset Moysi sive latori Legis: Ego sum qui sum, nisi esset primus« (Bonaventura, In Hexaëmeron, cap. X, n. 10, in: Opera Omnia V [ed. Quaracchi], 378b). – »Volens igitur contemplari Dei invisibilia quoad essentiae unitatem, primo deligat aspectum in ipsum esse et videat, ipsum esse adeo in se certissimum, quod non potest cogitari non esse, quia ipsum esse purissimum non occurrit nisi in plena fuga non-esse, sicut et nihil in plena fuga esse. […] et esse nominat ipsum purum actum entis: esse igitur est quod primum cadit in intellectu, et illud esse est quod est purus actus« (Bonaventura, Itinerarium mentis in Deum, cap. V, n. 3, in: Opera Omnia V [ed. Quaracchi], 308b). Vgl. dazu insgesamt É.-H. Wéber, »L’herméneutique christologique d’Exode 3,14 chez quelques maîtres parisiens du XIIIe siècle«, in: A. de Libera / É. Zum Brunn (Hgg.), Celui qui est, 47–101, hier 88 f.
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dischen Existenz unterliegt. Um mit unmittelbarer Evidenz erkennen zu können, dass Gottes Wesen mit seinem Sein identisch ist und er daher grundsätzlich nicht als nichtseiend gedacht werden kann, müsste man zuallererst Gottes Wesen restlos überblicken können, was dem Menschen prinzipiell nicht möglich ist. 94 Aus diesem Grunde kann die menschliche Vernunft nur aus der Schöpfung indirekt und aposteriorisch erschließen, dass Gott existiert, ohne jedoch den notwendigen Zusammenhang zwischen Gottes Wesen und Gottes Sein in apriorisch-evidenter Weise durchschauen zu können. Auf der Grundlage von Thomas’ Prämisse erscheint diese Argumentation zunächst einmal schlüssig, doch hängt sie ganz davon ab, wie man die essentia Gottes definiert. Bestimmt man sie als Gesamtheit aller einzelnen Wesenseigenschaften, die Gott überhaupt nur zukommen können, ist sie für den Menschen natürlich nicht erschöpfend erkennbar. Demgegenüber bestimmt Eckhart das Wesen Gottes im ursprünglichsten Sinne jedoch nicht als Inbegriff all seiner Eigenschaften, sondern im Gegenteil als die reine, eigenschaftslose Substanz des ego, das sich nicht nur in Gott ausspricht und manifestiert, sondern als dessen univokes Abbild im Intellekt des Menschen mit derselben ursprunghaften Spontaneität aufbricht. In seinem ersten Genesiskommentar schreibt Eckhart: Quantum ad nunc autem sciendum quod creatura rationalis sive intellectualis in hoc differt ab omni creatura quae citra est, quod ea quae citra sunt producta sunt ad similitudinem eius quod in deo est et habent ideas sibi proprias in deo, ad quas facta dicuntur, sed rationes determinatas ad species distinctas ab invicem in natura, natura vero intellectualis ut sic potius habet ipsum deum similitudinem quam aliquid quod in deo sit ideale […]. Hinc est quod homo procedit a deo ›in similitudinem‹ divinae ›substantiae‹, propter quod capax est sola intellectualis natura perfectionum substantialium divinae essentiae, puta scientiae, sapientiae […]. Et hoc est quod hic dicitur: faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram, non alicuius nostri. (Für jetzt muss man aber wissen, worin die vernünftigen oder geistigen Geschöpfe sich von allen unter ihnen stehenden unterscheiden. Letztere sind nach dem Gleichnis von etwas, was in Gott ist, hervorgebracht worden »Dico ergo quod haec propositio, Deus est, quantum in se est, per se nota est, quia praedicatum est idem cum subiecto; Deus enim est suum esse, ut infra patebit. Sed quia nos non scimus de Deo quid est, non est nobis per se nota, sed indiget demonstrari per ea quae sunt magis nota quoad nos, et minus nota quoad naturam, scilicet per effectus« (Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. 2, a. 1 c).
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und haben ihre eigenen Ideen in Gott, nach denen sie, wie man sagt, geschaffen sind, aber Ideen, die auf die in der Natur voneinander unterschiedenen Arten eingeschränkt sind. Der Vorzug der geistigen Natur besteht darin, dass sie Gott selbst zum Gleichnis hat, nicht etwas, was in ihm in der Art einer Idee ist. […] Der Mensch geht also so von Gott aus, dass er ›zum Abbild des göttlichen Wesens‹ wird. Aus diesem Grund ist nur die geistige Natur aufnahmefähig für die Vollkommenheiten, die zum Wesen Gottes gehören, nämlich Wissen und Weisheit […]. Das ist der Sinn des Satzes: lasst uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis, nicht [nach dem Gleichnis] von etwas in uns). 95
Die Gottebenbildlichkeit des Menschen stützt sich also nicht auf seine Übereinstimmung mit einer begrenzten Idee oder Vorstellung, die Gott von ihm hat, sondern ist darin begründet, dass er im univoken Sinne ein Abbild des eigenschaftslosen, unteilbaren göttlichen Wesens ist, das in ursprünglichster Form als »Ich« durchbricht und sich manifestiert. Nur aufgrund dieser univoken, gleichursprünglich korrelationalen Teilhabe am eigenschaftslosen Ich Gottes kann der Mensch anschließend auch Wissenschaft (scientia) und Weisheit (sapientia) besitzen, die zu Gottes grundlegendsten Eigenschaften zählen. Daraus lässt sich schließen, dass bei Eckhart die im Satz ego sum qui sum ausgesprochene Evidenz auch für den Intellekt des Menschen mit restloser Evidenz erkennbar ist und damit zum Prinzip einer Wissenschaftstheorie unter menschlichen Bedingungen werden kann.
2.3 Die Transzendentalien als spiegelsymmetrisches Gegenmodell zur aristotelischen Logik Vor dem Hintergrund seiner radikalisierenden Neuinterpretation der Begriffe »Substanz« und »Relation« kann Eckhart seine Transzendentalienlehre so entwerfen, dass die betreffenden termini generales nicht einfach ein statisches System überkategorialer Begriffe bilden, sondern nach demselben Muster sich auszeugender Produktivität gedeutet werden wie die innertrinitarischen Bezüge von Gott Vater und Gott Sohn. Schon der Umstand, dass Eckhart die Transzendentalien nicht als conceptiones intellectus bzw. als modi entis, sondern als termini bezeichnet, deutet darauf hin, dass sie in seinem Ansatz eine andere Funktion besitzen als in den metaphysischen Entwürfen sei95
Meister Eckhart, In Gen. I n. 115, LW I, 270,5–10. 271,1–7; nhd. Übers. ebd.
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ner Zeitgenossen. 96 Dafür spricht auch der Umstand, dass Eckhart im Prolog zum Opus tripartitum in einer für die Scholastik nicht üblichen Weise zwischen dem ens, unum, verum und bonum in seiner partizipialen bzw. adjektivischen Form und den jeweiligen Abstrakta (esse, unitas, veritas, bonitas) systematisch differenziert. 97 Die Unterscheidung zwischen den beiden Wortklassen ist dabei mitnichten nur grammatikalischer Natur, sondern steht für ein eminent metaphysisches Geschehen, bei dem das Hervorbringende und das Hervorgebrachte eines Wesens sind, wie dies auch auf die innertrinitarischen Bezüge zutrifft, das Hervorgebrachte als buchstäblicher »Terminus« (d. h. Endpunkt) der Erzeugungsbewegung aber zugleich dem Bereich des Dies-und-das-Seins (ens hoc et hoc) angehört, wie dies bei der Beziehung zwischen Gott und dem Geschaffenen der Fall ist. Somit besteht zwischen dem Sein und dem Seienden, der Einheit und dem Einen, der Wahrheit und dem Wahren, der Gutheit und dem Guten einerseits eine univoke Beziehung, was die spezifischen Bestimmungen des Seiend-Seins, Eins-Seins, Wahr-Seins und GutSeins als solche angeht. Andererseits verweist die partizipiale bzw. adjektivische Einschränkung auf dieses Seiende, dieses Eine, dieses Wahre und dieses Gute aber auf den Bereich des kreatürlichen »Dies und das«, das sich als solches, d. h. als kreatürlich beschränktes, nicht mehr in einer univoken, sondern in einer analogen Beziehung zu Vgl. L. Valente, »›Illa quae transcendunt generalissima‹«, 239 sowie M. P. Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung. Das strukturontologische Schema der Termini generales im Opus Tripartitum Meister Eckharts, Münster, Aschendorff, 2004, 17 f. 22–25. 61. 97 Thomas von Aquin vertritt zwar die Auffassung, dass die Transzendentalien in Gott in höherem Maße eins und miteinander konvertibel sind als bei den geschaffenen Dingen, doch macht er diesen Unterschied nicht auf der sprachlichen Ebene am Unterschied zwischen den adjektivischen Form der Transzendentalien und ihren jeweiligen Abstrakta fest, sondern verwendet auch mit Blick auf Gott stets die adjektivische Form: »[Q]uia, etsi ens, unum, verum et bonum magis uniantur in Deo quam in rebus creatis, non tamen oportet, quod ex quo distinguuntur in Deo, quod in rebus creatis etiam distinguantur realiter. Hoc enim contingit de illis quae non habent ex ratione sua quod sint unum secundum rem, sicut sapientia et potentia, quae, cum in Deo sint unum secundum rem, in creaturis realiter distinguuntur: sed ens, unum, verum et bonum secundum rationem suam habent quod sint unum secundum rem; unde ubicumque inveniantur, realiter unum sunt, quamvis sit perfectior unitas illius rei secundum quam uniuntur in Deo, quam illius rei secundum quam uniuntur in creaturis« (Thomas von Aquin, De veritate, q. 1, a. 1 ad s. c. 5). Vgl. dazu auch J. A. Aertsen, »Die Bedeutung der Transzendentalbegriffe für das Denken Meister Eckharts«, Meister-Eckhart-Jahrbuch 5 (2011), 27–39, hier 32 f. 96
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Gott befindet, der allein im eigentlichen Sinne als Sein, Einheit, Wahrheit und Gutheit bezeichnet werden kann. 98 Dennoch wendet Eckhart auch auf der Ebene der auf das »Dies und das« eingeschränkten Transzendentalien nicht das gängige aristotelische Prädikationsschema an, nach dem diese Bestimmungen als quasi-akzidentelle Eigenschaften von den als logisch-ontologisches Substrat fungierenden Dingen ausgesagt würden. Vielmehr dreht er die Richtung der Prädikation in spiegelverkehrter Richtung um, und zwar dahingehend, dass das einzelne Seiende, Eine, Wahre und Gute ein Akzidens der entsprechenden termini generales darstellt und überhaupt nur in diesen existieren kann. Secundo est praenotandum quod universaliter priora et superiora nihil prorsus accipiunt a posteribus, sed nec ab aliquo afficiuntur quod sit in illis; sed e converso priora et superiora afficiunt inferiora et posteriora et in ipsa descendunt cum suis proprietatibus et ipsa sibi assimilant, utpote causa causatum et agens passum. (Zweitens ist zu bemerken, dass ganz allgemein das Frühere und Obere durchaus nichts von dem Späteren empfängt, ja sogar von nichts in ihm berührt wird. Sondern das Frühere und Obere berührt vielmehr das Niedere und Spätere und steigt mit seinen Eigentümlichkeiten in es herab und gleicht sich – nämlich als Ursache und Tätiges – jenes als das Verursachte und Leidende an). 99
Das Allgemeinste hat damit nicht, wie in der aristotelischen Logik, die geringste, sondern die größte Wirklichkeitsfülle; ist es doch das, was nicht von einem anderen ausgesagt wird, sondern selbst im ontologischen wie im logisch-prädikativen Sinne als das Zugrundeliegende fungiert, von dem alles andere abhängt und ausgesagt wird. 100 Damit ist es dem einzelnen, kreatürlichen ens hoc verwehrt, ganz in seinen innerweltlichen Bezügen aufzugehen. Als ens hoc, also beispielsweise als »dieser konkrete (seiende, eine, wahre, gute) Baum«, ist es eine Natursubstanz, die als Träger bestimmter akzidenteller Eigenschaften fungiert. Als ens hoc hingegen, d. h. als »dieser konkrete seiende (eine, wahre, gute) Baum«, ruht es dagegen gerade nicht in sich, sondern verweist über sich selbst hinaus auf die entsprechenVgl. Meister Eckhart, Super Eccl. n. 53, LW II, 282,1–5. Meister Eckhart, Prol. gen. in Op. tripart. n. 10, LW I, 154,13–155,1; nhd. Übers. ebd. 100 Vgl. Meister Eckhart, Tab. prol. in Op. tripart. n. 1, LW I, 129,9–10; ebd. n. 4, LW I, 132,8–11; Prol. gen. in Op. tripart. n. 10, LW I, 154,13–155,5. 98 99
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den transzendentalen Termini als universale Abstrakta und somit auf Gott als seinen eigentlichen metaphysischen Ursprung. Damit werden die Transzendentalien im ursprünglichsten Sinne nicht mehr in irgendeiner Weise Gott wie Prädikate zugesprochen, sondern werden umgekehrt von ihm unmittelbar ausgesprochen und können nur aufgrund dieser Tatsache auch den geschaffenen Dingen beigelegt werden. Diese besonders geartete Interpretation der Transzendentalien erlaubt es Eckhart, das einzelne Ding als »Wort« (verbum), d. h. als sinnlich erfahrbare Manifestationsform dieser übersinnlichen wie überkategorialen »geistigen Vollkommenheiten« (perfectiones spirituales) zu deuten, die letztlich in Gott als dem absoluten Ursprung wurzeln. 101 Das bedeutet, dass Eckhart es nicht nötig hat, auf das äußerlich-transitive Modell der Wirkursächlichkeit zu rekurrieren, um von der geschaffenen Wirklichkeit auf einen transzendenten, außerhalb der Welt befindlichen Schöpfer zu schließen. Vielmehr kann Gott ausgehend von jedem einzelnen Ding erkannt werden, insofern dieses – als seiendes, eines, wahres und gutes – immer schon in Gott als dem Sein, der Einheit, der Wahrheit und Gutheit schlechthin inhäriert und durch die univoke Wesensgleichheit der Form von ihm kündet. Eckharts Transzendentalienlehre erfüllt damit die Funktion, ein besonders geartetes Schema der Individuation zu begründen, in dem das einzelne Ding nicht durch das Zusammenwirken seiner universalen Wesensnatur und eines wie immer gearteten Individuationsprinzips ins Dasein tritt (dies beträfe nur die Ebene seines innerweltlichen »Dies und das«), sondern sein So-Sein unmittelbar durch das Sich-Auszeugen und Aussprechen der Transzendentalien als produktiver Manifestationen des göttlichen Wesens selbst empfängt. 102 Jedes Ding – nicht insofern es ein wirkursächlich hervorgebrachtes ens naturae ist, sondern insofern es als hoc ens, unum, verum und bonum in wesensursächlicher Form aus dem esse, der unitas, der veritas und »Rursus tertio: iustus verbum est iustitiae, quo iustitia se ipsam dicit et manifestat« (Meister Eckhart, In Ioh. n. 15, LW III, 13,8–9). Auch wenn Eckhart dieses Schema des erzeugenden Sichaussprechens mit Vorliebe am Beispiel der Gerechtigkeit erläutert, gilt es doch in gleicher Weise auch für die Weisheit sowie die übrigen transzendentalen Bestimmungen. 102 »Tertium est quod ab ipso deo immediate omnia et singula sunt, unum sunt, vera sunt et bona sunt« (Meister Eckhart, Tab. prol. in Op. tripart. n. 4, LW I, 132,6–7); vgl. auch ders., Prol. gen. in Op. tripart. n. 17, LW I, 160,13–161,3. 101
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der bonitas Gottes hervorgeht –, ist somit schon in sich ein »Wort« Gottes und eine univoke Manifestation seiner geistigen Vollkommenheit. Das bedeutet, dass es bei Eckhart gar keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Schöpfung und Schriftoffenbarung geben kann, da jedes Ding als solches in sich schon eine Form der worthaften Verkündigung ist. 103 Die vermeintlich begrifflich nicht einholbaren, kontingent-individuellen Ereignisse und Personen, von denen die Bibel berichtet, sind unter dem Gesichtspunkt ihrer transzendentalen Eigenschaften immer schon überkontingent und überindividuell, insofern sie in univoker Weise auf Gott als die Einheit, das Sein, die Wahrheit und die Gutheit schlechthin verweisen und als seine unmittelbaren Auszeugungen verstanden werden müssen. Diese grundsätzliche Durchlässigkeit zwischen der Sphäre des Geschaffenen und seinem göttlichen Ursprung kommt bei Eckhart aber nicht nur auf der Ebene der Transzendentalienmetaphysik zum Tragen, sondern eröffnet darüber hinaus auch die Möglichkeit, die intellektuelle Wesenserkenntnis der geschaffenen Dinge und die sich daraus ergebenden Wissenschaften auf neue Weise zu interpretieren.
2.4 Intellekterkenntnis als Rückgang in den ungeschaffenen Grund In seiner Deutung von Ex 3,14 versteht Eckhart die Schöpfung nicht als transitive Setzung einer von Gott wesentlich verschiedenen Wirklichkeit, sondern als direktes Überquellen (ebullitio) der innertrinitarischen Lebensdynamik. 104 Das bedeutet, dass die innerweltliche Vereinzelung (das hoc et hoc) der geschaffenen Dinge sowie die darauf bezogene wissenschaftliche Erkenntnis einer Neuinterpretation beVgl. Meister Eckhart, In Ioh. n. 30, LW III, 23,5–24,7. »Tertio notandum quod repetitio, quod bis ait: sum qui sum, puritatem affirmationis excluso omni negativo ab ipso deo indicat; rursus ipsius esse quandam in se ipsum et super se ipsum reflexivam conversionem et in se ipso mansionem sive fixionem; adhuc autem quandam bullitionem sive parturitionem sui – in se fervens et in se ipso et in se ipsum liquescens et bulliens, lux in luce et in lucem se toto se totum penetrans, et se toto super se totum conversum et reflexum undique […]. Propter hoc in Ioh. 1 dicitur: ›in ipso vita erat‹. Vita enim quandam dicit exseritionem, qua res in se ipsa intumescens se profundit primo in se toto, quodlibet sui in quodlibet sui, antequam effundat et ebulliat extra. Hinc est quod emanatio personarum in divinis ratio est praevia creationis. Sic enim Ioh. 1: ›in principio erat verbum‹ ; et post demum: ›omnia per ipsum facta sunt‹« (Meister Eckhart, In Exod. n. 16, LW II, 21,7–22,9).
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dürfen, die vom Evidenzprinzip des ego sum qui sum und der daran hängenden, überkategorialen Neubestimmung der Begriffe »Substanz« und »Relation« geprägt ist. Beide Aspekte – Eckharts besonderes Schöpfungsverständnis sowie seine sich daraus ergebende Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie – sind die direkte Konsequenz seiner These von der Ungeschaffenheit der Wesenheiten (essentiae) bzw. Ideen (rationes) der Dinge sowie der Sphäre des Intelligiblen insgesamt. 105 Die Bestimmung des Intelligiblen als eines wesenhaft »NichtSeienden« verbürgt die Kontinuität zwischen der apriorischen, vor aller Schöpfung liegenden Intellekterkenntnis Gottes und der aposteriorischen, von der faktischen Wirklichkeit ausgehenden Intellekterkenntnis des Menschen. Letztere muss zwar hinsichtlich der Erkenntnis der empirischen Wirklichkeit von den Sinneserfahrungen ausgehen, doch ist ihre Funktion nicht darauf beschränkt, die Wesensstrukturen der Dinge zu abstrahieren und daraus Universalbegriffe zu bilden. Insofern auch der Intellekt des Menschen bei Eckhart nichts Geschaffenes ist, sondern – ebenso wie der göttliche Intellekt – allem geschaffenen esse vorausgeht, 106 nimmt die Erkenntnis, die er von den geschaffenen Dingen erwirbt, die Form eines Aufstiegs an, bei dem die abstraktiv gewonnenen Wesenheiten der Dinge letztlich nicht als von den Sinneseindrücke abstrahierte erkannt werden, sondern so, wie sie sich vor ihrem geschöpflichen Hervorgang aus Gott darstellen. Der geistige Erkenntnisprozess besteht somit darin, die Ungeschaffenheit des Intelligiblen, die zunächst nur auf der Seite des erkennenden Intellekts in unvermischter Form vorliegt, auch auf der Seite des erkannten Objekts aus dem latenten Zustand in volle Aktualität zu überführen und mit ihrem metaphysischen Ur-
»Esse ergo habet primo rationem creabilis, et ideo dicunt aliqui quod in creatura esse solum respicit deum sub ratione causae efficientis, essentia autem respicit ipsum sub ratione causae exemplaris. Sapientia autem, quae pertinet ad intellectum, non habet rationem creabilis« (Meister Eckhart, Quaest. Par. I n. 4, LW V, 41,7–11). – »Avicenna enim ponit quod quid est sive quidditatem, quae et ratio est, non esse ab alio. Haec enim ›Homo est animal‹ vera est quocumque alio circumscripto« (Meister Eckhart, In Gen. II n. 68, LW I, 534,4–6). 106 »Lumen quidem sapientiae, sub ratione sapientiae, non recipitur in corporibus, sed nec in anima rationali, ut natura sive ens est in natura, sed in ipso solo hintellectui, in quantum intellectus est, superius ›aliquid‹ est et ›divinius‹, secundum quod ›genus dei‹ sumus, Act. 17, secundum quod ad imaginem sumus increati dei« (Meister Eckhart, In Sap. n. 94, LW II, 428,4–7). 105
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sprung wieder zu vereinen. In seinem Kommentar zum Buch Jesus Sirach schreibt Eckhart: Intellectus enim est in figura ›aquila‹ illa ›grandis‹, Ez. 17, ›longo membrorum ductu‹, quae ›venit ad Libanum et tulit medullam cedri‹, id est principia rei, et ›summitatem frondium eius avulsit‹, rationes rerum scilicet in summitate causarum originalium sive primordialium, priusquam in res ipsas prodeant, ›in solis puris nudis intellectibus‹ latentes, apprehendit. Sub hac autem puritate substantiae significat li ego, et hoc est primum quod in amato requiritur, scilicet puritas sine omni permixtione, quae proprie sapientiae divinae congruit. (Denn der Verstand ist, bildlich gesprochen, jener ›mächtige Adler mit langgestreckten Gliedern, der zum Libanon kam und das Mark der Zeder‹, das heißt die Ursprünge der Dinge, ›davontrug und den Wipfel ihres Laubes abriss‹ [Ezech. 17,3 f.]; das heißt, er erfasst die Gründe der Dinge im Wipfel ihrer ursprünglichen und uranfänglichen Ursachen, wo sie vor ihrem Ausgang in die Dinge ›noch in ihrem reinen und bloßen geistigen Sein‹ verborgen sind. In diesen Bereich der Reinheit der Substanz gehört nun der Sinngehalt des Fürwortes ich, und das ist das Erste, was im Geliebten gesucht wird, nämlich Reinheit ohne jede Beimischung, und diese kommt der göttlichen Weisheit im eigentlichen Sinne zu). 107
Die Intellekterkenntnis des Menschen besteht somit nicht darin, die geschaffenen Dinge lediglich in ihrer begrifflichen Allgemeinheit zu erkennen, sondern die ihnen eigenen intelligiblen Strukturen in ihren letzten bzw. ersten Grund, die innergöttliche Selbsterkenntnis, zurückzutragen. 108 Die geschaffene Wirklichkeit als solche stellt die raumzeitliche Ausfaltung der intelligiblen Strukturen dar, die innerhalb des göttlichen Intellekts alle gleichermaßen präsent sind und intuitiv erkannt werden, ohne ein diskursives Nacheinander zu begründen. Die menschliche Erkenntnis wiederum durchläuft diesen Prozess in der umgekehrten Richtung, insofern sie zwar von der in die Vereinzelung des »Dies und das« auseinandergetretenen Wirklichkeit ausgeht, aber nicht in die gleiche Richtung fortschreitet wie diese, sondern die Schöpfungsbewegung vielmehr umkehrt und die diskursive Vielheit der intelligiblen Inhalte wieder auf ihren prädiskursiven Ursprung hin transparent macht. Meister Eckhart, Super Eccl. n. 9, LW II, 238,2–9; nhd. Übers. ebd. Vgl. W. Goris, »The Unpleasantness with the Agent Intellect in Meister Eckhart«, in: S. F. Brown / T. Dewender / T. Kobusch (Hgg.), Philosophical Debates at Paris in the Early Fourteenth Century, 151–159, hier 153–156.
107 108
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Eckharts spekulative Neubegründung der wissenschaftlichen Systematik
Sie ist dazu in der Lage, weil sie gleichermaßen über die Fähigkeit zum »Ich«-Sagen verfügt, die als solche in den Bereich der reinen Substanz des göttlichen Intellekts und der ihm eigenen Weisheit gehört. In Eckharts Ansatz ist die Reichweite der menschlichen Erkenntnis also nicht von einem Bruch zwischen diesseitiger (in via) und jenseitiger (in patria) Erkenntnis durchzogen; vielmehr ist es dem Intellekt des Menschen grundsätzlich, also auch schon in diesem Leben, eigentümlich, die Dinge in ihren Ursprüngen, d. h. in Gott, zu erkennen. Das obiectum proprium des Intellekts ist daher kein begrenzter, feststehender Gegenstandsbereich mehr, sondern vielmehr die Ursprungsbeziehung, die zwischen den begrenzten, intelligiblen Strukturen der Dinge und dem übergegenständlichen, unumschränkten Grund aller Intelligibilität besteht. Eckhart bemerkt dazu: proprium intellectus est obiectum suum, intelligibile scilicet, accipere non in se […], sed accipere in suis principiis (»Es ist dem Verstand eigen, seinen Gegenstand, das geistig Erfassbare, nicht in seinem An-Sich zu nehmen […], sondern ihn in seinen Ursprüngen zu nehmen«). 109 Die aristotelische Definition der Wissenschaft als »Erkenntnis der Dinge aus ihren Ursachen« 110 im epistemologisch-ontologischen Sinne wird somit um eine metaphysisch-theologische »Erkenntnis der Dinge in ihren ersten Ursachen« ergänzt, die Ursprung und Entsprungenes nicht durch eine diachrone Kausalkette vermittelt sieht, sondern sie in ihrer idealen Gleichzeitigkeit und unmittelbaren wechselseitigen Durchdringung betrachtet. Die menschliche Wissenschaft besitzt damit zwar nicht die Form einer in allen Erkenntnisbereichen deduktiv verfahrenden scientia propter quid – die dem Menschen ursprünglich eigene Fähigkeit dazu ist in der Tat mit dem Sündenfall verlorengegangen 111 –, doch ist sie auch nicht dazu verdammt, im Hinblick auf die Erkenntnis der geschaffenen Wirklichkeit stets nur im Modus einer aposteriorisch-induktiven scientia quia zu verharren. Insofern das Wesen des dem Menschen eigenen Intellekts auch nach dem Sündenfall eine strukturelle Univozität mit dem Intellekt Gottes aufweist, kann er – zwar nicht am Anfang, aber doch am Ende seiner wissenschaftlichen Tätigkeit – dahin gelangen, dass er die Dinge in Gott erkennt, d. h. so, wie
109 110 111
Meister Eckhart, In Ioh. n. 9, LW III, 10,1–3; nhd. Übers. ebd. Vgl. Aristoteles, Metaphysik I 1, 981 a 24–30. Vgl. Meister Eckhart, In Exod. n. 280, LW II, 224,10–16.
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Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
sie von Gott selbst erkannt werden. 112 Diskursiv ist die vom Menschen betriebene Wissenschaft also lediglich vorübergehend, aber sobald sie die Gründe und Wesenheiten der Dinge in ihrem Ursprung erkennt, befindet sie sich im gleichen Modus intellektueller Anschauung wie der göttliche Intellekt selbst. Eckharts kühne These, dass der Intellekt des Menschen eben nicht nur menschlicher Intellekt, sondern »von Gottes Geschlecht« (genus dei) und damit Gott wesensgleich ist, 113 hat bedeutsame Konsequenzen für sein Wissenschaftsverständnis. In dem Maße, wie der Intellekt des Menschen in struktureller Hinsicht univok zum göttlichen Intellekt ist, der ganz in seiner immanenten Selbsterkenntnis aufgeht, kann auch er seine konzeptualisierte wissenschaftliche Erkenntnis nicht einfach in einer restlos objektivierten Äußerlichkeit stehenlassen, sondern muss sie an seine eigene Selbsterkenntnis zurückbinden. Jede Wissenschaft, auch und gerade die vermeintlich »profanen« Disziplinen, hat damit für Eckhart eine eminent existenzielle Dimension, insofern die dem menschlichen Intellekt eigene Fähigkeit zur Erzeugung von universalen Begriffen und Prinzipien in sich schon von seiner Verwandtschaft mit dem Göttlichen Zeugnis ablegt. 114 Damit ist auch im Bereich der menschlichen Erkenntnis zwischen Wissenschaft als subjektivem Vollzug und den einzelnen Wissenschaften als Durchdringung definitorisch abgegrenzter Gegenstandsgebiete zu unterscheiden, auch wenn die beiden Aspekte nie völlig losgelöst voneinander zu betrachten sind, sondern sich gegen»Intellectus vero non sistit in re ipsa in se ipsa, sed iuxta nomen intellectus intrat ad ipsa rei principia et ibi rem accipit in principiis suis in radice et origine« (Meister Eckhart, In Exod. n. 265, LW II, 213,12–14). 113 Vgl. Meister Eckhart, In Sap. n. 94, LW II, 428,7. 114 Nach Eckharts Deutung ist jeder intellektuelle Begriffsgehalt (conceptus) nicht nur im metaphorischen Sinne ein »Kind des Geistes« (proles mentis), sondern in ganz realem Sinne die Frucht eines intellektuellen Erzeugungsprozesses, der aufgrund der Wesensgleichheit und wechselseitigen Immanenz zwischen Hervorbringendem und Hervorgebrachtem die innertrinitarischen Bezüge zwischen Gott Vater und Gott Sohn widerspiegelt (vgl. Meister Eckhart, In Sap. n. 24, LW II, 252,2–6). Obwohl die Terminologie und das Deutungsmodell eindeutig augustinischer Provenienz sind (vgl. Augustinus, De Trinitate IX, 11.16–12.18, in: Œuvres de Saint Augustin, vol. 16, 104–113), unterscheidet sich Eckhart von Augustinus doch insofern, als er die im Intellekt des Menschen stattfindende »Zeugung des Wortes« nicht als einen endlichen, kreatürlichen Prozess deutet, sondern in univokem Sinne als Teil der ungeschaffenen, innertrinitarischen Dynamik begreift. 112
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Philosophie als existenzielle Grundhaltung
seitig bedingen. Die auf bestimmte Wirklichkeitsbereiche bezogenen Wissenschaften (im Plural) können auf unterschiedliche Weise schematisiert und systematisiert werden; die Wissenschaft (im Singular) als existenzieller Vollzug hingegen betrifft nicht primär das Was, sondern das Wie der Erkenntnis, d. h. die innere Grundhaltung, die ihrerseits mit dem Selbstverständnis des Erkennenden untrennbar verbunden ist.
3.
Philosophie als existenzielle Grundhaltung
In seinen lateinischen Werken bedient sich Meister Eckhart zwar in aller Regel der üblichen scholastischen Terminologie, doch kommt es nicht selten vor, dass er überkommenen philosophischen und theologischen Begriffen eine teilweise veränderte oder sogar gänzlich neue Bedeutung zuweist. Dies gilt vor allem für seinen Begriff der Philosophie bzw. des Philosophen, dessen Stellung gegenüber den anderen Wissensformen in einem entscheidenden Punkt anders definiert wird, als es bei den Vertretern der griechischen Philosophie, aber auch bei den christlichen Autoren der Patristik und des Mittelalters der Fall ist. Einmal mehr wird daraus ersichtlich, dass Eckhart sich nicht einfach einer bestehenden philosophischen bzw. theologischen Schulrichtung zurechnen lässt, sondern im Rahmen einer traditionell wirkenden Begrifflichkeit in inhaltlicher Hinsicht ganz neue Wege beschreitet, die dazu angetan sind, scheinbar unüberwindlich wirkende Bruchlinien und Aporien im Verhältnis zwischen Philosophie und Offenbarungstheologie zu unterlaufen. Insbesondere gelingt es Eckhart, die Dichotomie zwischen Intellekt und Willen zu überwinden, die für die unterschiedlichen Definitionen der Theologie als einer scientia speculativa bzw. scientia practica sowie für die Bestimmung der visio beatifica als eines Aktes der Erkenntnis bzw. der Liebe grundlegend ist. Der angebliche Hiatus zwischen begrifflich-theoretischer Erkenntnis und affektiv motivierter, existenzieller Überformung des Menschen beruht letztlich auf der Voraussetzung, dass die Beziehung zu Gott als ein teleologisches Streben nach einem außerhalb des Menschen liegenden Ziel verstanden wird. In dem Moment, wo dieses Schema bei Eckhart jedoch durch die Vorstellung der radikalen Immanenz Gottes als des communissimum innerhalb der geschaffenen Wirklichkeit abgelöst wird, liegt es auf der Hand, dass die richtig verstandene Form theoretischer 161 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
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Erkenntnis gar nicht zum affektiven Streben in Gegensatz treten kann, sondern in sich bereits die Höchstform der Liebe darstellt.
3.1 Meister Eckharts existenzielle Umwertung des Verhältnisses zwischen dem »Weisen« (sapiens) und dem »Philosophen« (philosophus) Wie die Analysen des ersten Kapitels dieses Buches gezeigt haben, fällt sowohl in der klassischen griechischen Philosophie als auch im patristischen und scholastischen Denken die Stellung der Philosophie im Verhältnis zur wissenschaftlich-objektiven scientia einerseits und zur existenziell-transformativen sapientia andererseits durchaus unterschiedlich aus. Auch die Frage, ob das Ideal der sapientia für den Menschen überhaupt erreichbar ist oder strenggenommen eine nur dem Göttlichen vorbehaltene Erkenntnisform darstellt, wird von den einzelnen Autoren nicht einheitlich beantwortet. Allen Modellen ist jedoch gemeinsam, dass sie die σοφία (sophia) bzw. sapientia als das höhere Ideal gegenüber der φιλοσοφία (philosophia) bzw. ἐπιστήμη (epistêmê / scientia) ansehen, auch wenn ihr konkreter Gehalt und der Weg zu ihrer Erreichung durchaus unterschiedlich bestimmt werden. Umso erstaunlicher ist es daher, dass Meister Eckhart dieses Schema einer grundlegenden Umwertung unterzieht, die – entgegen aller Tradition – dem »Weisen« (sapiens) eine unvollkommene, dem »Philosophen« (philosophus) dagegen eine vollkommene Grundhaltung zuerkennt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine bloße Umkehrung der ursprünglichen Verhältnisbestimmung zwischen diesen beiden Wissensformen; vielmehr geht es Eckhart um ein grundlegend neues Modell der Erkenntnis, in dem die Trennung zwischen den dianoetischen und den ethischen Tugenden bzw. den theoretischen und den praktischen Wissenschaften in eine universale Theorie des logosbestimmten Wirkens hinein aufgehoben wird. Gleichzeitig damit fällt auch der Unterschied zwischen dem von der Metaphysik betriebenen epistemologischen Rückgang auf erste Prinzipien und der mystischen Aufstiegsbewegung zum Göttlichen dahin; ist Gott bei Eckhart doch weder ein intentionaler Gegenstand der natürlichen Erkenntnis noch der teleologische Zielpunkt eines übernatürlichen Strebens, sondern manifestiert sich vielmehr in der lebendigen Dynamik des Bewusstseins selbst, das sich in all seinen 162 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
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theoretischen, praktischen und produktiven Tätigkeiten als spontaner, nicht weiter ableitbarer Ursprung (principium sine principio) all seiner Akte erfährt. 115 In Eckharts Schriften finden sich zahlreiche Stellen, an denen er auf die klassischen antiken und mittelalterlichen Begriffsbestimmungen und Unterteilungen der verschiedenen philosophischen Disziplinen sowie der anderen Wissenschaften Bezug nimmt. 116 Daneben gibt es bei ihm aber noch eine andere Bestimmung der Philosophie, die nicht primär an deren Gegenstandsgebiet, sondern an der Grundhaltung des Erkennenden festgemacht wird. Dabei kommt in besonderer Weise der Begriff der Form (forma) zum Tragen, die als eine der beiden immanenten Ursachen jedes Dinges fungiert und zugleich auch das leitende Prinzip jeder Erkenntnis darstellt. Die »Form« ist dabei der intelligible Gehalt einer jeden Sache, der keiner Entwicklung unterliegt und keine Wirk- und Zielursächlichkeit begründet, sondern unveränderlich in sich ruht. Diese Betrachtungsweise gilt für Eckhart als die eigentlich metaphysische, da der Metaphysiker – im Gegensatz zum Physiker – nicht die äußeren Prinzipien der Bewegung, d. h. die Wirk- und Zielursache, untersucht, sondern nur die inneren Prinzipien einer jeden Sache, nämlich Form und Materie, betrachtet. 117 Diese Beschränkung der für die Metaphysik relevanten Kausalitätsformen auf die Form- und Materialursache ist eindeutig nicht aristotelischer Provenienz, sondern stellt ein Spezifikum von Eckharts Ansatz dar. 118 Letztlich geht es ihm darum, die Metaphysik als eine Betrachtung der intelligiblen Strukturen in ihrer Überzeitlichkeit »Et hoc est quod dicitur: quod factum est sive productum quocumque modo productionis in ipso vita erat, id est ›principium sine principio‹. Hoc enim proprie vivit quod est sine principio« (Meister Eckhart, In Ioh. n. 19, LW III, 16,11–13). 116 Vgl. dazu weiter unten Abschnitt III.4. 117 »Forma enim et materia causae sunt rei intrinsecae, agens vero et finis […] causae sunt extrinsecae rerum. Propter quod primus philosophus, ipsum quod est, ut est ens, considerans, nec efficiens nec finem considerat, utpote extra ens et id quod est« (Meister Eckhart, In Gen. II n. 121, LW I, 586,7–11). 118 Um den vernunftgemäßen Charakter einer Handlung zu begründen, ist ein konkreter Endzweck in Aristoteles’ Augen ebenso notwendig wie die Annahme einer ersten Ursache: »Und doch würde niemand etwas zu tun unternehmen, wenn er nicht zu einem Ende zu kommen gedächte, und wer so handelte, der besäße keine Vernunft; denn der Vernünftige handelt immer nach einem Weswegen; dies ist die Grenze; denn der Zweck ist die Grenze« (Aristoteles, Metaphysik II 2, 994 b 13–17). Die Wirk- und Zielursächlichkeit sind für Aristoteles demnach unabdingbar, um von einem metaphysischen Standpunkt aus die theoretische und praktische Intelligibilität der Wirklichkeit zu begründen. 115
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Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
und Sinnimmanenz zu konzipieren, ohne dass dabei in irgendeiner Weise ein Zweckgedanke ins Spiel käme. Vor diesem Hintergrund interpretiert Eckhart nun die Unterteilung der einzelnen Wissenschaften dahingehend neu, dass es nicht primär auf ihre jeweiligen Gegenstandsbereiche ankommt, sondern darauf, ob der Mensch die darin enthaltenen formae um ihrer selbst willen erkennt oder nicht. Verfolgt der Wissenschaftler mit seiner intellektuellen Tätigkeit etwas anderes als die Erkenntnis selbst, nämlich einen der intelligiblen Form äußerlichen Zweckgedanken, liebt er die Erkenntnis nicht um ihrer selbst willen, sondern gleichsam auf ehebrecherische Weise. Dieser »geistige Ehebruch« fällt bei Eckhart jedoch nicht einfach mit jenen auf äußere, praktische Wirkungen bedachten Wissensformen wie den mechanischen Künsten zusammen, die dem traditionellen Wissenschaftsideal zufolge in der Hierarchie der einzelnen Disziplinen weit unten stehen. 119 Vielmehr kann auch der Philosoph, der, äußerlich betrachtet, die universale Vernunfterkenntnis um ihrer selbst willen sucht, mit dieser Betrachtung der reinen, intelligiblen Formen auf der persönlichen Ebene doch wieder äußere Ziele verfolgen (z. B. Berühmtheit, Ansehen, Reichtum usw.) und somit den Namen eines »Liebhabers der Weisheit« (philosophus) wieder verlieren. In seinem Kommentar zum Buch Jesus Sirach schreibt Eckhart: Hinc est quarto decimo quod omnis scientia, non sistens nec quiescens nec fructum habens aut quaerens et inveniens in ipso scire, non est liberalis nec sui gratia, sed est mechanica sive adultera, quaerens fructum extra et praeter scire. Talis non habet scientiam et sapientiam sponsam, sed concubinam, non liberam, sed ancillam. Non est amator formae ipsius quae est scire et sapere, sed est adulter sapientiae, amator formae illius, quod per ipsam sapientiam quaerit extra et praeter ipsam et extra sapere. Propter quod talis, etsi possit dici sapiens, non tamen potest nec meretur dici philosophus, id est amator sapientiae, sed potius amator divitiarum, honorum, commoditatum aut huiusmodi, propter quae sapientiam quaerit. (Daher kommt es vierzehntens, dass jede Wissenschaft, die nicht im Wissen selbst haltmacht und ruht, die darin keine Frucht bringt oder sucht und findet, unfrei und nicht um ihrer selbst willen, sondern handwerksmäßig oder buhlerisch ist, da sie außer und neben dem Wissen ihre Frucht sucht.
Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik I 1, 1094 a 1–18; ebd. I 5, 1097 a 15–1097 b 6; Hugo von Sankt Viktor, Didascalicon I 9 (lat./dt.; hg. und übers. von T. Offergeld), Freiburg / Basel / Wien, Herder, 1997, 138–143.
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Wer die Wissenschaft und Weisheit so behandelt, sieht sie nicht als seine Braut an, sondern als seine Buhle, nicht als Freie, sondern als Magd. Er hat nicht ihre Wesensform lieb, welche Wissen und Weisesein ist, sondern buhlt mit der Weisheit: lieb hat er die Wesensform dessen, was er mittels der Weisheit außer und neben ihr und außer dem Weisesein sucht. Mag daher ein solcher Mensch auch weise genannt werden, so kann er doch nicht Philosoph, nämlich Liebhaber der Weisheit heißen; er verdient diesen Namen nicht, sondern vielmehr den eines Liebhabers von Reichtum, Ehren, Annehmlichkeiten oder dergleichen, derentwegen er die Weisheit sucht). 120
Der Unterschied zwischen der »wahren Philosophie« und den »ehebrecherischen« Formen von Wissenschaft und Weisheit ist somit weder in ihrem Materialobjekt noch in ihrem Formalobjekt begründet, sondern in der Grundhaltung dessen, der sie betreibt: Genügt er sich ganz bei der Erkenntnis der intelligiblen Inhalte um ihrer selbst willen, ist er im allgemeinen, grundlegenden Sinne ein Philosoph, auch wenn sein Wissensgebiet sich nicht auf die Sphäre der philosophischen Disziplinen im engeren Sinne beschränkt, sondern in den Bereich der Naturwissenschaft, der handwerklichen Verfertigung usw. hineinreicht. Umgekehrt könnte nach Eckharts Definition jemand zwar im äußerlichen Sinne ein Philosoph sein, indem er sich beispielsweise ausschließlich der Metaphysik zuwendet, und dennoch aufgrund seiner innerlichen Grundhaltung hinter diesem Ideal zurückbleiben, sofern er die wissenschaftliche Erkenntnis der von allen Nützlichkeitsgedanken freien, intelligiblen Formen auf der persönlichen Ebene doch wieder mit bestimmten Zweckabsichten verbindet, die der Sache selbst äußerlich sind. In diesem Falle wäre er ein bloßer sapiens, der zwar über die entsprechenden Kenntnisse im Bereich der Ersten Philosophie verfügt, sie aber nicht um ihrer selbst willen liebt. Ein wahrer philosophus ist demnach nur derjenige, bei dem die zweckfreie Sinnimmanenz der Form nicht nur auf der Gegenstandsseite des Erkenntnisprozesses zum Tragen kommt, sondern zugleich auch den Zusammenhang zwischen seiner wissenschaftlichen Erkenntnismotivation als solcher und seiner persönlichen Existenz prägt. Umgekehrt folgt daraus aber auch, dass jemand, der, äußerlich betrachtet, einer handwerklichen Tätigkeit nachgeht, in Eckharts Sinne ein echter Metaphysiker sein kann, sofern er bei seiner nach außen wirkenden Tätigkeit nicht deren äußere Wirkungen als solche und Meister Eckhart, Super Eccl. n. 28, LW II, 255,7–256,5; nhd. Übers. ebd. (Hervorhebungen d. Verf.).
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den ihm daraus eventuell erwachsenden Nutzen im Blick hat, sondern den gesamten Verfertigungsprozess unter dem Gesichtspunkt der Auszeugung einer intelligiblen Form in die Materie betrachtet.
3.2 Die »Liebe zur reinen Form« als Grundprinzip aller menschlichen Tätigkeiten Die Relativierung des Unterschiedes zwischen den theoretischen, praktischen und poietischen Wissensformen ist in der besonders gearteten Theorie der »Wesensursächlichkeit« (causa essentialis) grundgelegt, die Eckhart in ausführlicher Form am Anfang seines Kommentars zum Johannesevangelium entwickelt. Im Mittelpunkt seiner Auslegung steht dabei das Verhältnis zwischen principium und verbum, das sich im Zusammenhang von Joh 1,1–5 auf die gleichursprüngliche Beziehung zwischen Gott Vater als dem absoluten Ursprung und Gott Sohn als dem ewigen Logos bezieht. In Eckharts Interpretation haben diese Verse jedoch keine exklusiv innertrinitarische Bedeutung, sondern erscheinen als universale Gesetzmäßigkeiten, die das Verhältnis zwischen Hervorbringendem und Hervorgebrachtem in jedem nur möglichen Wirklichkeitsbereich bestimmen, d. h. im Bereich der geistigen Erkenntnis ebenso wie im Bereich der Natur oder der Kunst. In seinem Kommentar zum Johannesevangelium führt Eckhart aus: Tertio notandum quod productum ab aliquo universaliter est verbum illius, dicens, nuntians et enuntians illud a quo procedit. […] Ubi notandum quod in analogicis semper productum est inferius, minus, imperfectius et inaequale producenti; in univocis autem semper est aequale, eandem naturam non participans, sed totam simpliciter, integraliter et ex aequo a suo principio accipiens. […] Procedens est filius producentis. Filius est enim qui fit alius in persona, non aliud in natura. […] Ubi tamen et hoc notandum quod, licet in analogicis productum sit descendens a producente, est tamen sub principio, non apud ipsum. Item fit aliud in natura, et sic non ipsum principium. Nihilominus tamen, ut est in illo, non est aliud in natura, sed nec aliud in supposito. Arca enim in mente artificis non est arca, sed est vita et intelligere artificis, ipsius conceptio actualis. Quod pro tanto dixerim, ut verba hic scripta de divinarum personarum processione doceant hoc ipsum esse et inveniri in processione et productione omnis entis naturae et artis. (Drittens ist zu bemerken: ganz allgemein ist das von einem Hervorgebrachte dessen Wort. Es nennt, meldet und verkündet jenes, aus dem es
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hervorgeht. […] Hierbei ist zu bemerken, dass da, wo eine analoge Beziehung vorliegt, das Hervorgebrachte immer niedriger, geringer, unvollkommener als das Hervorbringende und ihm ungleich ist; bei gleichartigen Dingen ist es ihm aber immer gleich: es nimmt nicht etwa nur an derselben Natur teil, sondern empfängt sie von seinem Ursprung schlechthin ganz, ohne Abzug und in derselben Vollkommenheit. […] Das Hervorgehende ist der Sohn des Hervorbringenden. Denn Sohn ist, wer ein anderer der Person nach, nicht ein anderes der Natur nach wird. […] Hier ist aber auch dies zu bemerken: wo eine analoge Beziehung vorliegt, stammt das Hervorgebrachte zwar vom Hervorbringenden ab, ist aber unter seinem Ursprung, nicht bei ihm. Ferner wird es ein anderes der Natur nach, und so ist es nicht der Ursprung selbst. Nichtsdestoweniger aber ist es, insofern es in ihm ist, dasselbe der Natur wie dem Selbstand nach. Denn die Truhe im Geist des Künstlers ist keine Truhe, sondern Leben und Denken des Künstlers, sein lebendiger Entwurf. Das möchte ich deshalb gesagt haben, damit die hier vom Ausgang der göttlichen Personen geschriebenen Worte darüber belehren, dass im Ausgang und in der Hervorbringung alles Seins in Natur und Kunst dasselbe ist und gefunden wird). 121
Zunächst differenziert Eckhart also durchaus zwischen univoken und analogen Formen der Hervorbringung: Im erstgenannten Fall sind das Hervorbringende und das Hervorgebrachte eines Wesens und stehen in ontologischer Hinsicht auf der gleichen Stufe, wie dies beispielsweise bei der Entzündung eines Feuers durch bereits vorhandenes Feuer, bei der Zeugung von Lebewesen durch andere Lebewesen derselben Art oder bei der Hervorbringung eines geistigen Begriffsinhaltes (verbum) durch den Intellekt der Fall ist. Im zweitgenannten Fall sind Ursache und Wirkung nicht eines Wesens, sondern das Hervorgebrachte bleibt in ontologischer Hinsicht hinter seiner Ursache zurück, wie dies bei allen Formen der handwerklich-technischen Hervorbringung zu beobachten ist: Wenn der Tischler beispielsweise eine Truhe oder einen Schrank verfertigt, gehört das Produkt seiner Tätigkeit nicht, wie er selbst, der Gattung »vernunftbegabtes Lebewesen«, sondern der Gattung »hölzerndes Artefakt« bzw. »Möbelstück« an. Doch anders, als man vermuten könnte, wertet Eckhart diese Weise der analogen Hervorbringung nicht ab, sondern betont denjenigen Aspekt des Prozesses, der nach wie vor univok ist, nämlich das Verhältnis der geistigen Ursache zu der im Hervorgebrachten verwirk-
Meister Eckhart, In Ioh. n. 4, LW III, 6,5–6; ebd. n. 5, LW III, 7,4–9; ebd. n. 6, LW III, 7,11–8,5; nhd. Übers. ebd. (Hervorhebungen d. Verf.).
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lichten intelligiblen Form als intelligibler. Obwohl sich der herzustellende Gegenstand – in Eckharts Beispiel die Truhe (arca) – nach seiner Fertigstellung außerhalb des hervorbringenden Künstlers befindet und im Gegensatz zu ihm kein menschliches Lebewesen, sondern »nur« ein materieller Gebrauchsgegenstand ist, geht er nicht ganz in diesem asymmetrischen, analogen Kausalitätsverhältnis auf, sondern befindet sich, was seine intelligible Form anbetrifft, nach wie vor in einem immanenten, univoken Korrelationsverhältnis zum Intellekt des Künstlers. Aus diesem Grunde kann Eckhart jede Weise der Hervorbringung nach denselben Strukturprinzipien deuten wie die Zeugung von Gott Sohn durch Gott Vater, die als Urbild jedes rein intelligiblen Erkenntnisprozesses fungiert. Die einzige Bedingung dafür ist, dass man den Prozess unter einem gewissen Gesichtspunkt betrachtet, nämlich in Bezug auf die univoke Kontinuität zwischen der intelligiblen Form innerhalb ihrer geistigen Ursache und der intelligiblen Form nach ihrer Versenkung in die materielle Wirklichkeit außerhalb ihrer geistigen Ursache. Ist diese Bedingung erfüllt, steht die handwerkliche Verfertigung auf genau derselben Ebene wie die reine θεωρία (theôria) im aristotelischen Sinne, die in der Erkenntnis der geistigen Formen um ihrer selbst willen besteht. In dem Maße, wie der Handwerker oder Künstler seine Werke nicht primär unter dem Gesichtspunkt ihrer Zweckdienlichkeit und seines daraus erwachsenden, potentiellen Gewinns betrachtet, sondern sie in erster Linie als univoke Fortzeugung und Auszeugung eines intelligiblen verbum begreift, das seinem Geist zugleich innebleibt, ist seine Tätigkeit in genau demselben Maße als »Philosophie« zu bezeichnen wie die theoretische Betrachtung des Metaphysikers. Diese »Demokratisierung« der verschiedenen Formen der Erkenntnis und des Weltverhaltens ist letztlich das epistemologische Pendant zu der von Eckhart postulierten metaphysischen »Gleichheit« der Urbilder aller Dinge in Gott: So, wie die intelligiblen Strukturen aller Einzeldinge in Gott selbst keinen ontologischen Qualitätsunterschied begründen, sondern gleiche Würde und gleichen Wert besitzen, so sind auch die Menschen – ungeachtet ihrer unterschiedlichen Begabungen, Fähigkeiten und Berufsformen – einander »gleich«, sofern sie nur in zweckfreier Weise die reine Form dessen lieben, was ihre jeweilige Tätigkeit ausmacht. Unter diesem Gesichtspunkt stehen der Metaphysiker, der Naturwissenschaftler, der Künstler und der Handwerker auf einer Stufe und können trotz ihrer 168 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
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äußerlich ungleichen Berufsbilder in gleich hohem Maße als philosophi in dem von Eckhart definierten Sinne gelten. Für die Unterteilung der verschiedenen Wissenschafts- und Erkenntnisformen ist folglich nicht das entscheidend, was man tut, sondern das Wie, d. h. die innere Grundhaltung, die sowohl im Falle der theoretischen Wissenschaften als auch im Falle der praktischen Künste und handwerklichen Fertigkeiten entweder von einer zweckfreien Liebe zur reinen Form geprägt und somit philosophischer Natur sein kann oder aber von einer utilitaristischen Absicht durchzogen und somit »ehebrecherischer«, entfremdender Natur sein kann. Dieser Ansatz ist insofern bemerkenswert, als Eckhart damit im Bereich der Erkenntnis bzw. der dianoetischen Tugenden dasselbe Prinzip anwendet, das auch im Bereich der ethischen Tugenden, vor allem der Gerechtigkeit, zum Tragen kommt. Hinsichtlich der sittlichen Qualität der Handlungen notiert Eckhart: Non enim sufficit facere iusta, nisi fiant iuste. Non enim merentur nomina, sed adverbia. Unde philosophus ait: non qui facit grammaticalia, grammaticus est, sed qui grammatice. Neque qui iusta facit, iustus est, sed qui iuste. (Es genügt ja nicht, Gerechtes zu tun, es muss auch in gerechter Weise geschehen. Denn das [sittliche] Verdienst hängt nicht an dem [was das] Nomen, sondern [was das] Adverb [besagt]. Darum sagt der Philosoph: nicht wer grammatisch Richtiges vorbringt, ist ein Grammatiker, sondern wer es auf Grund seiner grammatischen Kenntnis tut). 122
Die sittliche Güte einer Handlung hängt also nicht primär an ihrem Materialobjekt und auch nicht an den äußeren Umständen, sondern an der inneren, gerechten Haltung des Handelnden, die seine Taten in der einen oder anderen Weise qualifiziert. Dementsprechend bestimmt Eckhart auch die verschiedenen theoretischen wie poietischen Arten des Wissens und der Erkenntnis nicht in erster Linie in nominaler Hinsicht, also in Bezug auf das, was nach außen hin ihren Gegenstand ausmacht, sondern in adverbialer Hinsicht, d. h. hinsichtlich ihres Wie. Es geht um die Frage, ob der Erkennende mit seinem Wissen, seinen Kenntnissen und seinen Kompetenzen primär ein äußeres Ziel verfolgt oder vielmehr das eigene Tun unter dem Gesichtspunkt der formgeprägten Immanenz und Zweckfreiheit betrachtet. Ist letzteres der Fall, wird der Philosoph, Wissenschaftler, Künstler oder Handwerker mit dem, was er tut, eins und betreibt 122
Meister Eckhart, In Sap. n. 237, LW II, 570,4–7; nhd. Übers. ebd.
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Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
seine Tätigkeit als eine Form der universalen Inkarnation des Logos in allen Dingen. 123 Durch diese innere Ausrichtung wird er in univokem Sinne ein Bild der göttlichen Weisheit, die gleichfalls in der Auszeugung und Betrachtung der reinen Form aufgeht, ohne damit etwas zu bezwecken. 124 Diese Grundhaltung ist für Eckhart aber nicht nur ein Charakteristikum der theoretischen Erkenntnis, sondern hat zugleich auch eine zutiefst ethische Dimension. Seine Definition der Gerechtigkeit liegt nämlich auf genau derselben Ebene des von allen äußerlichen Zweckgedanken gereinigten Wirkens, nur dass es dabei nicht um die auszeugende Weitergabe einer beliebigen Form, sondern konkret um die Form der iustitia geht. Der Gerechte in Eckharts Sinne handelt gerecht um der Gerechtigkeit willen, ohne damit irgendeine Nebenabsicht zu verfolgen, auch nicht die eigene irdische oder jenseitige Glückseligkeit. 125 In dem Maße, wie ihm dies gelingt, wird er selbst ein »Wort der Gerechtigkeit«, das seine Wirklichkeit daraus empfängt, dass es ganz in der ungeschaffenen Gerechtigkeit inhäriert. 126 In dem Maße, wie ein Mensch in diesem existenziellen Sinne gänzlich in der Sinnimmanenz seines Wirkens aufgeht, entspricht sein Lebensvollzug als solcher dem eines »Liebhabers der Weisheit« (philosophus), unabhängig davon, welcher Wissenschaft oder sonstigen Tätigkeit er sich im einzelnen zuwenden mag. Zugleich ist die »Liebe zur reinen Form« auch diejenige Grundeinstellung, die im Bereich der wahren Gotteserkenntnis zum Tragen kommt. Der wahrhaft »vergöttlichte Mensch« (homo divinus), der Gott nicht um des eigenen Nutzens willen – und das heißt auch: nicht um des eigenen Seelenheils willen –, sondern um seiner selbst willen liebt, ist ein wahrer »Liebhaber der göttlichen Form« (amator formae divinae), der in der reinen Betrachtung des göttlichen Wesens auf-
»Sexto ait: pater in me manens facit opera, quia, ut supra ostensum est, omne opus tam naturae quam artis universaliter fit in filio et sine filio nihil fit« (Meister Eckhart, In Ioh. n. 580, LW III, 508,9–10). 124 Vgl. Meister Eckhart, Super Eccl. n. 9, LW II, 238,8–9. 125 Vgl. Meister Eckhart, Pr. 6, DW I, 103,1–104,2 / EW I, 79,28–81,3. 126 »Quod si id ipsum unum in natura: pater et filius, iustitia et iustus, septimo sequitur quod iustus sit aequalis, non minor quam iustitia, nec filius quam pater« (Meister Eckhart, In Ioh. n. 17, LW III, 15,1–3). – »Rursus tertio: iustus verbum est iustitiae, quo iustitia se ipsam dicit et manifestat« (Meister Eckhart, In Ioh. n. 15, LW III, 13,8– 9). – »Moraliter notandum quod opus virtutis semper est et fit in virtute. Nemo enim extra iustitiam iuste operatur« (Meister Eckhart, In Ioh. n. 68, LW III, 56,7–8). 123
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Philosophie als existenzielle Grundhaltung
geht, ohne sich davon irgend etwas zu versprechen. 127 In seinem Johanneskommentar formuliert Eckhart mit kaum zu überbietender Deutlichkeit: Unde homo divinus, amator formae divinae, nescit nec amat ipsum deum, ut efficiens sive creator, nec ut finem, nisi in quantum efficiens et finis sunt in ipso deo ipsa forma et esse dei et unum cum illo. (Daher kennt und liebt der göttliche Mensch, der Liebhaber der göttlichen Form, Gott als Wirkursache oder Schöpfer und als Ziel nur, insofern Wirkursache und Ziel in Gott selbst mit seiner Form und seinem Sein zusammenfallen und mit ihm eins sind). 128
Der Gegensatz zur Konzeption Dietrichs von Freiberg ist kaum zu übersehen; hatte dieser doch sowohl im Rahmen seiner Metaphysik als auch im Rahmen seiner Theologie die Bedeutung Gottes als Wirkund Zielursache (tamquam efficiens / tamquam finis) herausgestellt. 129 Eckhart schlägt hingegen einen ganz anderen Weg ein: Die Theologie als Höchstform der intellektuellen Erkenntnis ist nie rein theoretischer Natur, verfolgt aber auch kein praktisches, äußeres Ziel, sondern setzt als Betrachtung der »reinen Form« die existenzielle Trans-formation des Erkennenden, nämlich die Reinigung von allen eigensüchtigen Interessen, voraus. Insofern sind bei Eckhart das theoretische und das affektive Moment der Erkenntnis gar nicht voneinander zu trennen, denn auch die ganz auf die immanente Formursache gehende, metaphysische Erkenntnis ist bereits Ausdruck jener lebendigen, zweckfreien Liebe zu Gott, die kein andere Triebfeder kennt als die Erkenntnis des göttlichen Wesens um seiner selbst willen. Bei Eckhart wurzelt die Freiheit nicht im Willen, sondern im Intellekt, 130 da dieser im Gegensatz zu allen übrigen Seelenvermögen durch keinen bestimmten Gegenstand (obiectum) begrenzt und gebunden ist. Aufgrund seiner radikalen Spontaneität und Selbstbewegtheit ist der Intellekt außerdem mit dem Begriff des »Lebens« Zu dieser Konzeption des »vergöttlichten Menschen« vgl. insgesamt L. Sturlese, Homo divinus. Philosophische Projekte in Deutschland zwischen Meister Eckhart und Heinrich Seuse, Stuttgart, Kohlhammer, 2007. 128 Meister Eckhart, In Ioh. n. 338, LW III, 287,3–8; nhd. Übers. ebd.; vgl. auch ders., In Exod. n. 273, LW II, 219,12–220,1. 129 Vgl. oben Abschnitt II.2.2. 130 »Omnes potentiae animae quodammodo limitatae et quasi captae sunt obiectis suis. Intellectus autem, in quo veritas est, liber est« (Meister Eckhart, Sermo XVII,2 n. 168, LW IV, 160,10–11). 127
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Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
identisch, das gleichfalls auf nichts anderes mehr zurückzuführen ist, sondern aus seinem eigenen Grund quillt. 131 Als nicht weiter zu begründender Ursprung aller Erkenntnis- und Handlungsakte ist das »Leben« bei Eckhart folglich der transzendentale Einheitsgrund aller formgeprägten Prozesse, die erst nachträglich in unterschiedliche Künste, handwerkliche Fertigkeiten sowie theoretische und praktische Disziplinen differenziert werden. Aus diesem Grunde gibt es bei Eckhart eine Vielzahl unterschiedlicher Einteilungsschemata der einzelnen Wissenschaften im Sinne der objektivierten und systematisierten Erkenntnis. Gerade weil »die« Wissenschaft im ursprünglichsten Sinne in einer existenziellen Grundhaltung besteht, stehen die verschiedenen Entwürfe einer wissenschaftlichen Architektonik, auf die Eckhart rekurriert, keineswegs in Widerspruch zueinander, sondern sind lediglich verschiedene Weisen, den Bezug des erkennenden Ich auf seinen göttlichen Ursprung sowie auf die aus diesem Ursprung hervorgehende Welt zu artikulieren. Die Wissenschaften als solche sind bei Eckhart somit keine statischen Gebilde, die sich jeweils auf einen feststehenden ontologischen Bereich beziehen, sondern bezeichnen unterschiedliche Perspektiven, den Hervorgang der Wirklichkeit aus dem ununterschiedenen Einen zu betrachten und begrifflich zu artikulieren. Dementsprechend kann auch das wechselseitige Verhältnis der verschiedenen Disziplinen grundsätzlich nicht in die Form eines feststehenden, geschlossenen Schemas gebracht werden, sondern muss stets die bleibende Differenz zwischen den objektivierten Formen intelligibler Erkenntnis und ihrem subjekthaften Ursprung miteinbeziehen.
4.
Die Funktion der unterschiedlichen Wissenschaftsmodelle in Eckharts Gesamtentwurf
Meister Eckhart beschreitet den zweifellos ungewöhnlichen Weg, die unterschiedlichen wissenschaftsarchitektonischen Modelle, die sich im Laufe der Philosophie- und Theologiegeschichte herausgebildet haben, gleichermaßen in seinen Ansatz zu integrieren und sie vor dem Hintergrund seiner Intellekttheorie neu zu deuten. Die Voraussetzung dafür ist, dass Eckhart das Motiv der »Gleichheit in Gott«, Vgl. Meister Eckhart, In Ioh. n. 6, LW III, 8,1–2; ebd. n. 19, LW III, 16,11–15; ebd. n. 68, LW III, 57,1–14.
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Die Funktion der unterschiedlichen Wissenschaftsmodelle
das er schon auf die unterschiedlichen Wesenheiten der Dinge sowie auf den kategorialen Unterschied von Substanz und Relation angewendet hatte, auch auf das Verhältnis der einzelnen Wissenschaften ausdehnt. Unter menschlichen Gesichtspunkten bilden sich zwischen Theologie, Philosophie, Naturwissenschaft, Ethik und den anderen Disziplinen bestimmte Hierarchien und Einteilungsschemata aus, die zumeist von den Interessen des je eigenen Faches bestimmt sind und daher gewisse Einseitigkeiten aufweisen. Unter dem Gesichtspunkt ihres Hervorgangs aus Gott als dem ersten Ursprung aller Wahrheitserkenntnis stehen jedoch alle Wissenschaften – einschließlich der Theologie – auf derselben Stufe. In seinem Johanneskommentar schreibt Eckhart dazu: Patet ergo, sicut frequenter in nostris expositionibus dicitur, quod ex eadem vena descendit veritas et doctrina theologiae, philosophiae naturalis, moralis, artis factibilium et speculabilium et etiam iuris positivi. (Es erhellt also, wie häufig in unseren Auslegungen gesagt wird, dass aus derselben Ader die Wahrheit und die Lehre der Theologie, die der Naturund Moralphilosophie, die der praktischen und theoretischen Kunst und auch die des positiven Rechts herkommt). 132
Eckhart verzichtet darauf, die genannten Disziplinen in irgendeiner Weise zu hierarchisieren oder in teleologischer Weise aufeinander hinzuordnen. Die von ihm gewählte Formulierung bringt auf der Ebene der Wissenschaften dieselbe Gleichwertigkeit der Erkenntnisgegenstände zum Ausdruck, die er bereits aus der existenziellen Grundhaltung des philosophus als amator formarum in allen seinen unterschiedlichen Erkenntnis- und Handlungsvollzügen abgeleitet hatte. Allerdings beruht die gleiche Würde aller wissenschaftlichen Disziplinen diesmal nicht auf der Grundhaltung dessen, der sie betreibt, sondern ist die Konsequenz ihres gemeinsamen Hervorgangs aus ihrem göttlichen Ursprung. Der Begriff der »Ader« (vena) hat bei Eckhart eine präzise Bedeutung; verweist er doch auf die überfließende Lebensdynamik der Trinität, die in Gott Vater ihren Ursprung findet. 133 So, wie alle einzelnen Dinge hinsichtlich ihrer Urbilder in Gott Meister Eckhart, In Ioh. n. 444, LW III, 381,4–7; nhd. Übers. ebd. »Si will in, als er ein mark ist, von dem urspringet güete; si will in, als er ein kerne ist, von dem ûzvliuzet güete, si will in, als er ein wurzel ist, ein âder, in der urspringet güete, und dâ ist er aleine vater« (»Sie [= die Vernunft] will ihn [= Gott], wie er ein Mark ist, aus dem die Gutheit entspringt; sie will ihn, wie er ein Kern ist, aus dem die Gutheit ausfließt; sie will ihn, wie er eine Wurzel ist, eine Ader, in der die Gutheit
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Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
gleich sind, so präexistieren auch die Wahrheiten und Lehren aller Einzelwissenschaften in Gott und fließen aus ihm in derselben Weise hervor wie die geschaffenen Dinge. Das bedeutet, dass die Theologie gegenüber den anderen Wissenschaften keinen Sonderstatus beanspruchen kann, da alle einzelnen Disziplinen nur unterschiedliche »Ausflüsse« und Ausfaltungen derselben göttlichen Wahrheit sind. Auf den ersten Blick erklärt dies zwar, wieso alle Wissenschaften mit Blick auf ihren absoluten göttlichen Ursprung letztlich gleichwertig sind, doch ist daraus noch nicht unmittelbar ersichtlich, wieso dem Menschen all diese Wissensformen gleichermaßen zugänglich sein sollen. Hier kommt nun wieder Eckharts Grundthese der absoluten Identität des göttlichen Einheitsgrundes mit dem »Etwas« bzw. dem »Einen« in der Seele zum Tragen. In seinem zweiten Genesiskommentar schreibt er dazu: Sicut qualitates primae non educunt formam substantialem virtute propria sed in virtute agentis superoris, sic labor et studium non inducunt scientias et virtutes nisi in virtute superioris. […] In virtute enim primorum principiorum naturaliter animae impressorum a deo est virtualiter et radicaliter omnis scientia secundum omne sui. (Wie die ersten Qualitäten nicht aus eigener Kraft, sondern in Kraft eines höheren Wirkenden die Substanzialformen [aus der Materie] hervorziehen, so führen Mühe und Studium nur in Kraft eines Höheren zu Wissen und Tugenden […]. Denn in der Kraft der ersten Prinzipien, die der Natur der Seele von Gott eingeprägt sind, liegt alles Wissen seinem ganzen Umfang nach ursprung- und wurzelhaft beschlossen). 134
Das bedeutet, dass in derselben Weise, wie die Wissenschaften in Gott als ihrem obersten Ursprung beschlossen sind, die ersten Prinzipien all dieser Wissenschaften in der Seele des Menschen immer schon angelegt sind, und zwar in dem Maße, wie Gott und Seele denselben wurzelhaften Indifferenzpunkt der absoluten Einheit miteinander teilen. Das bedeutet natürlich nicht, dass der Mensch alle aus den ersten Prinzipien ableitbaren Kenntnisse auch schon in expliziter Form besäße, doch verbürgt die Präsenz der ersten Prinzipien in der Seele die Gültigkeit der Erkenntnisse, die in den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen auf diskursive Weise gewonnen werden können. Als »Sitz der Prinzipien« steht die erkennende Seele den einzelentspringt, und dort nur ist er Vater« [Meister Eckhart, Pr. 26, DW II, 32,1–3; nhd. Übers. nach EW I, 299,37–301,2; Hervorhebung im Original]). 134 Meister Eckhart, In Gen. II. n. 217, LW I, 694,4–9; nhd. Übers. ebd.
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Die Funktion der unterschiedlichen Wissenschaftsmodelle
nen Disziplinen somit äquidistant gegenüber und kann sie zueinander in Beziehung setzen. Durch diese Deutung gewinnt der vollzugshafte Charakter des wissenschaftlichen Tuns die Oberhand gegenüber den statisch wirkenden Einteilungsschemata, die die verschiedenen Einzelwissenschaften als feste, voneinander klar abzugrenzende Größen verstehen. Diese performative Verflüssigung des Wissenschaftsbegriffs erlaubt es Eckhart, seine philosophische Grundkonzeption bruchlos auf seine Schriftauslegung anzuwenden, ohne dass der biblische Text dadurch verfremdet oder in den Begriff hinein »aufgehoben« würde. Die Hl. Schrift ist bei Eckhart kein geschlossenes Textkorpus, das getrennt neben den übrigen Wissenschaften sowie der natürlichen und menschlichen Wirklichkeit insgesamt bestünde, sondern ist Teil desselben universalen Sinngeflechts der Wirklichkeit, in dem die einzelnen Signifikanten nie eine ein für allemal feststehende Bedeutung haben, sondern immer wieder aufs neue miteinander verknüpft werden müssen und dabei eine potentiell unendliche Fülle möglicher Bedeutungen freisetzen.
4.1 Das boethianische Modell der theoretischen Wissenschaften als Stufen der Abstraktion In seiner wohl im Jahre 1302/03 gehaltenen Pariser Universitätspredigt zum Fest des Hl. Augustinus entwirft Eckhart ein Ordnungsschema der Wissenschaften, das sich auf Boethius’ Interpretation der aristotelischen Dreiteilung der theoretischen Disziplinen in Physik, Mathematik und Metaphysik stützt. Auf den ersten Blick könnte man daraus folgern, dass Eckhart sich damit in die Tradition der boethianisch geprägten Theologie des 12. Jahrhunderts einreiht, zumal er an einer Stelle Clarembald von Arras, einen Schüler des Thierry von Chartres, zitiert. 135 Die Art und Weise, in der Eckhart dieses Schema modifiziert, lässt jedoch erkennbar werden, dass er das boethianische Verständnis von »theoretischer Wissenschaft« nicht einfach übernimmt, sondern es auf eine Weise abwandelt, die für sein ganzes weiteres Denken bestimmend wird. Eckhart beginnt seine Predigt mit einem Lob des Hl. Augustinus, der in vollkommener Weise alle Zweige der Wissenschaften, nämlich 135
Vgl. Meister Eckhart, Sermo die beat. Aug. n. 2, LW V, 89,11–90,1.
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Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
die theoretische Philosophie, die Logik sowie die praktische Philosophie oder Ethik, in seiner Person vereinigt habe. 136 Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen konzentriert sich Eckhart jedoch auf den Bereich der theoretischen Wissenschaften und bemerkt dazu: Theoricam sive speculativam ulterius partiuntur in mathematicam, physicam et ethicam sive theologiam. ›In naturalibus autem rationabiliter, in mathematica disciplinabiliter, et in divinis intellectuabiliter [sic! recte: intellectualiter] versari oportebit neque deduci ad imagines, sed potius respicere formam, quae vere forma est nec imago est et quae esse est et ex qua esse est‹, quia secundum Boethium libro De Trinitate ›omne esse ex forma est‹. Mathematicus autem formas et figuras materiae inhaerentes disciplinabili consideratione sequestrat. Physicus, id est naturalis, causas qualitatum, motuum et quantitatum inquirit. Ethicus sive theologus ideas rerum, quae in mente divina, antequam prodirent in corpora, ab aeterno quo modo ibi intelligibiliter exstiterunt, subtilius intuetur et de divinis aliquando ratiocinatur auctoritatibus maiorum, aliquando exemplis extra quaesitis, aliquando vero ipsam divinam usiam sine subiecta materia contemplatur. (Die theoretische Philosophie teilen sie dann weiter ein in Mathematik, Physik und Ethik oder Theologie. ›In der Naturphilosophie muss man sich aber‹, wie Boethius in seinem Buch Von der Dreifaltigkeit ausführt, ›in logischer Schlussfolgerung, in der Mathematik nach methodischer Gesetzmäßigkeit und in der Theologie spekulativ bewegen, und man darf sich [in dieser Wissenschaft] nicht zu [bloß] bildlicher Auffassung verleiten lassen, sondern muss vielmehr die Form betrachten, die im wahren Sinne Form ist und nicht nur Abbild [jene Form], die das Sein ist und aus der das Sein ist; denn alles Sein stammt aus der Form‹. Der Mathematiker aber scheidet in methodischer Betrachtung die Formen und Figuren, die der Materie tatsächlich anhaften, ab. Der Physiker, das heißt der Naturphilosoph, untersucht die Ursachen der Qualitäten, der Bewegungen und der Quantitäten. Der Ethiker oder Theologe betrachtet tiefer schauend die Ideen der Dinge, die im göttlichen Geist, bevor sie in die Körperwelt hinausgingen, von Ewigkeit her in intelligibler Form bestanden. Und über das Göttliche macht er seine Schlussfolgerungen teils mit den Aussprüchen der Vorfahren, teils mit von außen hergenommenen Beispielen, teils aber betrachtet er das göttliche Sein ohne zugrunde liegende Materie). 137
»Ille enim erat bonus theoricus, egregius logicus et excellentissimus ethicus. Sicut enim dividunt nobis magistri scientiam philosophiae, scilicet in theoricam, logicam et ethicam sive practicam« (Meister Eckhart, Sermo die beat. Aug. n. 2, LW V, 89,7–11). 137 Meister Eckhart, Sermo die beat. Aug. nn. 2–3, LW V, 89,13–90,12; nhd. Übers. ebd. 136
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Die Funktion der unterschiedlichen Wissenschaftsmodelle
Besonders auffallend ist, dass Eckhart die Ethik zunächst in der ersten, stoisch inspirierten Unterteilung der Wissenschaften (theorica – logica – ethica) erwähnt, sie aber dann in der näheren Erörterung der drei theoretischen Disziplinen ein zweites Mal anführt, und zwar diesmal als Synonym der Theologie, die sowohl bei Aristoteles als auch bei Boethius gerade als die höchste und abstrakteste aller Wissenschaften gilt und insofern von der praktischen Philosophie deutlich unterschieden wird. Dies deutet darauf hin, dass Eckhart hier weder den Begriff der Theologie noch den der Ethik in dem Sinne verwendet, wie er im 13. Jahrhundert allgemein verstanden wird; beginnt sich doch gerade zu dieser Zeit die Ethik als autonome philosophische Disziplin von der Theologie zu emanzipieren, 138 die ihrerseits vor dem Hintergrund der aristotelischen Wissenschaftstheorie ihre Identität als scientia speculativa bzw. scientia practica neu bestimmen muss. Aus dem Zusammenhang des Zitats wird deutlich, dass Eckhart mit dem Begriff ethica ganz offensichtlich nicht eine konkrete Handlungsethik im Blick hat, sondern eine »Metaphysik des moralischen Seins«. 139 Es geht ihm um eine Art der betrachtenden Erkenntnis (contemplatio), die den Erkennenden dergestalt umformt und verändert, dass er gar nicht anders kann, als die Gerechtigkeit zu wirken und somit in ethischer Weise Frucht zu bringen. Allerdings ist dieser metaphysisch-moralische Prozess im schauenden Einswerden mit der reinen göttlichen Form begründet und nicht, wie dies in der aristotelischen Ethik gelehrt wird, in der graduellen Habitualisierung des gerechten Handelns durch einzelne gerechte Akte. Eckhart führt dazu aus: Et haec cognitio operatur ad tria: primo ad occulta vel futura pronuntiandum, secundo ad meritorie operandum, tertio ad divinam dulcedinem praegustandum. Primus modus est prophetalis; secundus in habitibus gratuitis usque ad fructus; tertius in exstasi mentis, et haec in fructibus. Secundus et Vgl. A. Speer, »Ethica sive theologia. Wissenschaftseinteilung und Philosophieverständnis bei Meister Eckhart«, in: J. A. Aertsen / A. Speer (Hgg.), Was ist Philosophie im Mittelalter?, 683–693, hier 690; vgl. insgesamt dazu G. Wieland, Ethica – scientia practica. Die Anfänge der philosophischen Ethik im 13. Jahrhundert, Münster, Aschendorff, 1981. 139 Vgl. dazu T. Kobusch, »Mystik als Metaphysik des moralischen Seins. Bemerkungen zur spekulativen Ethik Meister Eckharts«, in: K. Ruh (Hg.), Abendländische Mystik im Mittelalter [Symposion Kloster Engelberg 1984], Stuttgart, Metzler Verlag, 1986, 49–63. 94–115. 138
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tertius perfecte erant in eo, quia de tertio dicitur secundum quod est in intellectu practico. Haec cognitio scientia vel sapientia, quasi sapida scientia, quae aliquando intromittit hominem in affectum multum. (Diese Erkenntnis wirkt zu dreierlei: erstlich zum Aussprechen des Geheimen und Zukünftigen, zweitens zum verdienstlichen Handeln, drittens zum Vorgenuss der göttlichen Süßigkeit. Die erste Weise ist die prophetische; die zweite die in den aus Gnade verliehenen Habitus bis zu den Früchten hin; die dritte in der Ekstase des Geistes, und diese in den Früchten. Die zweite und dritte Weise waren in vollkommener Form in ihm: denn von der dritten wird gesprochen, insofern sie im praktischen Intellekt ist. Diese Erkenntnis ist Wissen oder Weisheit, gleichsam ›schmeckendes Wissen‹, und diese bringt den Menschen zuweilen in einen heftigen Affekt). 140
Die intellektuelle Betrachtung Gottes als der reinen, über jede Materialität erhabenen Form ist für Eckhart somit nie eine »nur theoretische« Angelegenheit, sondern hat durch das existenzielle, überformende Moment immer schon einen praktischen, affektiven Charakter. Allerdings wird durch dieses sapientiale Moment die Theologie im Sinne einer diskursiven Wissenschaft nicht überflüssig. Nicht umsonst betont Eckhart, dass der Ethiker oder Theologe sich nicht nur in der Betrachtung der reinen göttlichen Form ergeht, sondern sich bei seinen theologischen Erörterungen auch auf die Autoritäten der Tradition bzw. auf Beispiele aus der Außenwelt stützen muss: Ethicus sive theologus ideas rerum, quae in mente divina, antequam prodirent in corpora, ab aeterno quo modo ibi intelligibiliter exstiterunt, subtilius intuetur. Et de divinis aliquando ratiocinatur auctoritatibus maiorum, aliquando exemplis extra quaesitis, aliquando vero ipsam divinam usiam sine subiecta materia contemplatur. Der Ethiker oder Theologe betrachtet tiefer schauend die Ideen der Dinge, die im göttlichen Geist, bevor sie in die Körperwelt hinausgingen, von Ewigkeit her in intelligibler Form bestanden. Und über das Göttliche macht er seine Schlussfolgerungen teils mit den Aussprüchen der Vorfahren, teils mit von außen hergenommenen Beispielen, teils aber betrachtet er das göttliche Sein ohne zugrunde liegende Materie 141.
Die beiden erstgenannten Aspekte, auctoritas und exempla extra quaesita, verweisen bereits in programmatischer Weise auf den An-
140 141
Meister Eckhart, Sermo die beat. Aug. n. 6, LW V, 94,11–95,2; nhd. Übers. ebd. Meister Eckhart, Sermo die beat. Aug. n. 3, LW V, 90,8–12; nhd. Übers. ebd.
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satz, den Eckhart seinen Bibelkommentaren zugrunde legt und der darin besteht, die Autorität der Hl. Schrift »mit den natürlichen Vernunftgründen der Philosophen auszulegen« (exponere per rationales naturales philosophorum). 142 Die historische Positivität des Bibeltextes und die äußeren Beispiele aus dem Bereich der Natur sind somit gleichberechtigte Formen des theologischen Diskurses, die durch die dritte Form – die unmittelbare Schau des göttlichen Wesens (usia) ergänzt werden. Während Eckhart in seiner Augustinus-Predigt diese drei Formen der Ethik bzw. Theologie noch in additiver Weise nebeneinanderstellt (aliquando … aliquando … aliquando), geht er in den Bibelkommentaren des Opus expositionum allerdings noch einen Schritt weiter und führt eine Hierarchisierung zwischen diesen drei methodischen Ansätzen ein: Die existenzielle Überformung des Erkennenden durch die von ihm unmittelbar erkannte, göttliche Form befähigt ihn, die Autorität der Hl. Schrift und die aus der Außenwelt stammenden Erkenntnisse über die Natur zueinander in Beziehung zu setzen und jede der beiden Wissensformen unter Zuhilfenahme der jeweils anderen zu erhellen. Eckhart verdeutlich dies auf beispielhafte Weise in seinem Sapientiakommentar in seiner Auslegung von Weish 9,16, wo es heißt: Difficile aestimamus quae in terra sunt, et quae in prospectu sunt, invenimus cum labore. Quae in caelis sunt autem quis investigabit? (»Nur mit Mühe mutmaßen wir, was auf Erden ist, und was vor unseren Augen liegt, finden wir nur mit Anstrengung. Aber wer will erforschen, was im Himmel ist?«). Eckhart interpretiert die drei Bereiche in terra – in prospectu – in caelis (»auf Erden – vor unseren Augen – im Himmel«) jedoch nicht in einem spezifisch biblischen Sinne, sondern erklärt: Possunt etiam ista tria respondere tribus partibus essentialibus philosophiae, naturali, mathematicae et divinae (»Man kann diese drei auch mit den drei wesentlichen Teilen der Philosophie in Beziehung setzen: mit der Naturphilosophie, der Mathematik und der Theologie«). 143 Auch wenn Eckhart hier die boethianische Dreiteilung der theoretischen Wissenschaften wiederaufgreift, ist die Stoßrichtung doch eine andere als in seiner Predigt zum Fest des Hl. Augustinus. Hatten dort die drei Weisen der theologischen Argumentation (Schriftautorität bzw. Tradition, Beispiele aus der Meister Eckhart, In Ioh. n. 2, LW III, 4,6; nhd. Übers. ebd.; vgl. dazu A. Speer, »Ethica sive theologia«, 692 f. 143 Meister Eckhart, In Sap. n. 207, LW II, 541,8–9; nhd. Übers. ebd. 142
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Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
Außenwelt, unmittelbare Betrachtung der göttlichen Form) noch auf der Ebene der ethica sive theologia als höchster theoretischer Disziplin nebeneinandergestanden, setzt Eckhart nun die drei theoretischen Wissenschaften insgesamt zu den drei Wirklichkeitsbereichen terra – prospectus – caelum parallel, die in der Hl. Schrift erwähnt werden. An dieser Vorgehensweise wird bereits eine charakteristische Verschiebung in Eckharts Wissenschaftsverständnis ablesbar, das sich immer weniger auf der Ebene der »Wissenschaften an sich« in abstrakter Form und immer mehr auf der Ebene konkreter Erkenntnisse und einzelner Aussagen entfaltet, die vom erkennenden und Wissenschaft treibenden Subjekt zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen.
4.2 Die Unterteilung der Wissensbereiche in divina, naturalia und moralia In seinen Bibelkommentaren bezieht sich Eckhart gelegentlich auf die aus der stoischen Philosophie stammende Unterteilung der Wissenschaften in Logik, Physik und Ethik. Allerdings stellt der von Eckhart verwendete Begriffsternar divina – naturalia – moralia insofern keine exakte Entsprechung zum stoischen Schema dar, als Eckhart den Begriff der Logik durch den theologisch konnotierten Begriff der divina ersetzt. Dieses Vorgehen erinnert an die Unterteilung der Philosophie in ethica, physica und epoptica bzw. in philosophia moralis, naturalis und inspectiva, die Origenes im Proömium zu seinem Hoheliedkommentar entworfen hatte. 144 Meister Eckhart übernimmt grundsätzlich diese Dreiteilung, gibt ihr aber gegenüber ihrer Verwendung bei Origenes noch eine andere Wendung: Während dieser die einzelnen philosophischen Disziplinen zu ganzen Büchern der Bibel (Sprichwörter, Kohelet, Hohelied) in Beziehung gesetzt hatte, sind für Eckhart die divina, naturalia und moralia verschiedene Grundformen von Erkenntnis, die sich grundsätzlich in jedem Buch des Alten und Neuen Testaments finden lassen, wenn auch mit unterschiedlichen Akzentuierungen. So ist etwa ersichtlich, dass sich im Buch Genesis im Durchschnitt deutlich mehr grundlegende Erkenntnisse aus dem Bereich der Naturphilosophie finden als in anderen Teilen der Hl. Schrift, 144
Vgl. dazu oben Abschnitt I.1.2.2.
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während im Hohelied sowie im Johannesevangelium tendenziell das metaphysisch-mystische Motiv des Einsseins mit Gott im Mittelpunkt steht. Diese thematischen Akzentuierungen haben jedoch keinen Ausschließlichkeitscharakter; vielmehr kann in fast allen Fällen ein und derselbe Vers aus jedem Buch der Hl. Schrift sowohl in naturphilosophischer als auch in moralischer oder metaphysischer Weise ausgelegt werden. Eckhart bemerkt dazu im Prolog zu seinem zweiten Genesiskommentar: Expeditis in prima editione quae dicenda videbantur quantum ad sensum apertiorem libri Genesis intentio nostra est in hac editione parabolarum transcurrendo aliqua loca tam huius libri quam aliorum sacri canonis elicere quaedam ›sub cortice litterae‹ parabolice contenta quantum ad sensum latentiorem, ut peritiores provocentur, ut tam in his, quae pauca tango et breviter, quam in aliis pluribus, quae pertranseo, meliora et uberius inquirant quantum ad divina, naturalia et moralia, latentia sub figura et superficie sensus litteralis. Nam, sicut dicit Rabbi Moyses, tota scriptura veteris testamenti vel est ›scientia naturalis‹ vel ›sapientia spiritualis‹. (Nachdem wir in der ersten Genesisauslegung dargetan haben, was im Blick auf den offener zu Tage liegenden Sinn dieses Buches zu sagen [wichtig] schien, ist es unsere Absicht, in diesem Werk der Bildreden einige Stellen in diesem und in anderen Büchern der Heiligen Schrift durchzugehen und im Blick auf den mehr verborgenen Sinn manches, was ›unter der Schale des Wortlautes‹ bildhaft enthalten ist, hervorzulocken. Dadurch sollen die mehr mit der Sache Vertrauten dazu angeregt werden, sowohl an den wenigen Stellen, die ich kurz berühre, als auch an den vielen anderen, die ich übergehe, mit mehr Erfolg nach einem besseren Verständnis der unter den Bildern und der Oberfläche des Wortsinnes verborgenen Wahrheiten über Gott, die Naturordnung und das sittliche Handeln zu suchen. Denn die ganze Schrift des Alten Testamentes ist, wie Maimonides sagt, ›Naturwissenschaft‹ oder ›geistliche Weisheit‹). 145
Während bei Origenes die drei philosophischen Disziplinen der Stoiker parallel neben den Büchern der Hl. Schrift stehen und zu ihnen analog in Beziehung gesetzt werden, werden bei Eckhart philosophische Erkenntnis und biblischer Text buchstäblich ineinandergeschoben. Die Bücher der Hl. Schrift stellen bei ihm nicht nur eine äußere Entsprechung zu den einzelnen philosophischen Traktaten dar, sondern sind selbst von Anfang bis Ende nichts anderes als Naturphilosophie, Ethik und philosophische Theologik, wenn auch auf andere 145
Meister Eckhart, In Gen. II n. 1, LW I, 454,2–455,1; nhd. Übers. ebd.
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Weise und in anderer Form, als dies in den Schriften der antiken Philosophen der Fall ist. Während die entsprechenden philosophischen Werke ihre Themen eindeutig benennen und in begrifflicher Weise erörtern, besitzt jeder Vers der Hl. Schrift all diese thematischen Dimensionen zugleich in sich, jedoch in verhüllter, parabolischer Form, so dass die naturphilosophischen, ethischen und metaphysischen Dimensionen des Textes erst durch eine geeignete Hermeneutik freigelegt werden müssen. Dies gelingt jedoch nur in dem Maße, wie die wissenschaftlichen und philosophischen Disziplinen gerade nicht den Belangen der Schrifthermeneutik untergeordnet werden, wie dies bei Augustinus geschieht, sondern in methodischer wie inhaltlicher Hinsicht ihre Eigenständigkeit behalten. Im weiteren Verlauf des Prologs zu seinem zweiten Genesiskommentar bemerkt Eckhart dazu: Latent etiam sub parabolis, de quibus nobis sermo est, proprietates quam plurimae ipsius dei, primi principii, quae ipsi soli conveniunt et eius naturam indicant. Iterum etiam ibidem clausae inveniuntur virtutes et principia scientiarum, metaphysicae, naturalis et moralis claves et regulae generales […]. Sunt autem in hoc opere parabolarum tria praenotanda. Primum est, quod non est putandum, quasi per talia parabolica intendamus probare divina, naturalia et moralia ex parabolis; sed potius hoc ostendere intendimus, quod his, quae probamus et dicimus de divinis, moralibus et naturalibus, consonant ea quae veritas sacrae scripturae parabolice innuit quasi latenter. (Verborgen ist unter den Bildreden, von denen wir handeln, auch sehr vieles, was Gott, dem ersten Ursprung, eigentümlich ist, was ihm allein zukommt und auf sein Wesen hinweist. Ferner wird man darin auch eingeschlossen finden die Tugenden und die Prinzipien der Wissenschaften, die Schlüssel zur Metaphysik, Naturwissenschaft und Ethik und ihre allgemeinen Regeln […]. Zu diesem Werk der Bildreden sind drei Bemerkungen zu machen. Erstens: man darf nicht meinen, wir wollten, wenn wir solche Bildreden behandeln, aus ihnen Beweise für [die auf] Gott, die Natur und das sittliche Handeln [bezüglichen Wahrheiten] führen. Vielmehr wollen wir zeigen, dass das, was die Wahrheit der Heiligen Schrift in Bildreden gleichsam verborgen andeutet, mit dem, was wir über Gott, das sittliche Handeln und die Natur beweisen und ausführen, übereinstimmt). 146
Dieser Passus ist deswegen besonders interessant, weil Eckhart darin einerseits die Autonomie der rein begrifflich-argumentativ verfahrenden Philosophie stärkt, andererseits aber auch den bildlich-para146
Meister Eckhart, In Gen. II nn. 3–4, LW I, 453,7–10. 454,6–10; nhd. Übers. ebd.
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bolischen Darlegungsstil der Bibel aufwertet. Was die Philosophie über Gott, die Natur und das sittliche Handeln zu sagen hat, kann in stringenter Weise bewiesen (probare) werden, ohne dabei auf die Hl. Schrift zurückgreifen zu müssen. Andererseits ist der biblische Text keine Ansammlung erbaulicher Geschichten, die man allenfalls im fiktiven Modus des »Als-ob« rezipieren dürfte, sondern enthält in verborgener Weise die Prinzipien derselben philosophischen Disziplinen (Metaphysik, Natur- und Moralphilosophie), die außerhalb des biblischen Kontextes mittels rein begrifflicher Beweisführung wahre Erkenntnisse über Gott, die Natur und das sittliche Handeln gewinnen. Die Wahrheit der Wissenschaften hängt also nicht unmittelbar an der Bibel, sondern kann aus sich selbst heraus erwiesen werden. Umgekehrt können jedoch auch die philosophischen Disziplinen nicht gegen das, was die Bibel lehrt, ausgespielt werden, da in der Hl.Schrift dieselben Vernunftprinzipien angelegt sind, die auch den »profanen« Wissenschaften zugrunde liegen. Gemäß Eckharts Verständnis von Offenbarung als »Enthüllung« (re-velatio) geht es also darum, diese fundamentale Übereinstimmung zwischen Bibel und philosophischer Erkenntnis aufzuzeigen, indem dieselben Vernunftwahrheiten, die in der Hl. Schrift verhüllt und nicht unmittelbar erkennbar ausgesprochen werden, auf dem Wege einer philosophischen Hermeneutik freigelegt und dadurch in voller Evidenz sichtbar werden. Die hermeneutische Anstrengung des Auslegers ist somit Teil des so verstandenen Offenbarungs- und Freilegungsprozesses und hat das Ziel, nicht nur den Text als Text auszulegen, sondern die fundamentale strukturelle und sachliche Übereinstimmung zwischen der Tiefenstruktur der Hl. Schrift und der Tiefenstruktur der Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit aufzuzeigen. In der Praxis kann diese »Konsonanz« bzw. »Konkordanz« von natürlicher Vernunfterkenntnis und Schriftoffenbarung nie in allgemeiner, abstrakter Form, sondern immer nur in der konkreten Arbeit am Text aufgewiesen werden. Das bedeutet, dass Eckhart die unterschiedlichen Wissenschaften im Rahmen seiner Bibelkommentare nicht als makroskopische Satzsysteme betrachtet, die jeweils eigenen Prinzipien unterstehen und ihre einzelnen Erkenntnisse in einen kohärenten, linearen Herleitungs- und Begründungszusammenhang bringen. Seine Perspektive ist vielmehr mikroskopischer Natur, insofern er die inhaltlichen Entsprechungen zwischen philosophisch-wissenschaftlicher Wahrheit und biblischer Offenbarungswahrheit in transversaler Richtung anhand einzelner Sätze durchexerziert. 183 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
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Ein besonders gutes Beispiel dafür ist Eckharts Auslegung des Verses aus Joh 8,17, der lautet: Duorum hominum testimonium verum est (»Das Zeugnis zweier Menschen ist wahr«). Eckhart berührt nur kurz den historischen Schriftsinn, der sich auf die entsprechende juristische Norm aus Dt 17,6 bezieht, die besagt, dass ein Anklagter nur auf das direkte Zeugnis zweier Menschen hin zum Tode verurteilt werden darf. Die für Eckhart eigentlich relevanten Bedeutungen dieses Verses liegen jedoch auf einer ganz anderen Ebene, wie die weiteren Ausführungen zeigen: Et hoc est quod hic dicitur: duorum hominum testimonium verum est, quasi diceret non solum in divinis, sed et in hominibus esse verum testimonium duorum, scilicet patris et filii. […] Propter quod et unum dicunt et idem testantur. […] Adhuc autem notandum in naturalibus quod in omni natura testimonium veritatis rerum naturalium stat ›in ore duorum vel trium‹, quae sunt forma, materia et privatio, quae sunt principia totius naturae, ut patet I Physicorum. […] Praemissis alludit quod sensus, specialiter duo disciplinales, bipartiti sunt, scilicet oculi duo et aures duae, concordes tamen in uno puncto sive radice iudiciali; unum enim, non duo simul iudicant: duo oculi id quod vident, et duae aures id quod audiunt […]. Posset etiam dici quod duo homines sunt rationabile per essentiam et rationabile per participationem […], opus virtuosum foris consonum virtuti intra […]. Et hoc quidem quantum ad naturalia et moralia, quibus per omnia concordat et evidentiam praestat quod in arte syllogistica veritas omnis conclusionis duos habet testes, terminos scilicet duos et propositiones duas, quarum in prima quidem figura, quae proprie et principaliter facit scire, minor subicitur maiori quemadmodum iustus iustitiae, filius patri. Et haec est concordia testium. (Und das ist der Sinn dieses Wortes: zweier Menschen Zeugnis ist wahr, wie wenn er sagen wollte: nicht allein im Göttlichen, sondern auch bei den Menschen ist das Zeugnis zweier wahr, nämlich das des Vaters und des Sohnes […]. Deshalb sagen und bezeugen sie auch ein und dasselbe. […] Außerdem ist aber für den Bereich der Natur zu bemerken: in der gesamten Natur hat das Zeugnis der Wahrheit der naturhaften Dinge Bestand ›im Mund zweier oder dreier‹, das sind Form, Materie und Beraubung, welche die Prinzipien der gesamten Natur sind, wie aus dem ersten Buch der Physik erhellt. […] Auf das Vorhergehende spielt an, dass die Sinne, besonders die beiden, die dem Lernen dienen, zweigeteilt sind, nämlich zwei Augen und zwei Ohren, und doch in einem Punkt, oder in der Grundlage des Urteilens übereinstimmen; sie urteilen nämlich zugleich als eins, nicht als zwei: die zwei Augen über das, was sie sehen, und die zwei Ohren über das, was sie hören. […] Man könnte auch sagen, dass diese zwei Menschen das wesenhaft Vernünftige und das durch Teilhabe Vernünftige sind […], das
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tugendhafte äußere Werk, das im Einklang steht mit der innerlichen Tugend. […]. Und das betrifft nun den Bereich der Natur und des sittlichen Lebens; damit stimmt völlig überein und wird einsichtig, dass in der Kunst des Schlussfolgerns die Wahrheit jedes Schlusssatzes zwei Zeugen hat, nämlich zwei Begriffe und zwei Sätze. In deren erster Figur, die eigentlich und hauptsächlich Wissen erzeugt, ist der Untersatz dem Obersatz untergeordnet, wie der Gerechte der Gerechtigkeit und der Sohn dem Vater. Und das ist die Überstimmung der Zeugen). 147
Eckhart geht also nur vom biblischen Begriff der »zwei oder drei Zeugen« aus und findet dazu strukturelle Entsprechungen im Bereich der Trinitätstheologie (Vater und Sohn bezeugen die Gottheit des Sohnes), der aristotelischen Naturphilosophie (Form, Materie und Beraubung bezeugen das Wesen einer Sache), der Seelenlehre (die zwei Augen und zwei Ohren eines Menschen erzeugen jeweils nur eine Sinneswahrnehmung und bezeugen das sich darauf beziehende Urteil), der Ethik (die Übereinstimmung zwischen dem äußeren Werk und der inneren Tugend bezeugt die moralische Qualität einer Handlung) und der formalen Logik und Argumentationstheorie (je zwei Termini bilden einen Satz, und der Vorder- und Hintersatz eines Syllogismus bezeugen die Wahrheit der Konklusion). Die Erkenntnisse aus dem Bereich der divina, naturalia, moralia und syllogistica, die Eckhart im biblischen Text angelegt findet, beziehen sich folglich nicht auf konkrete Inhalte, sondern ausschließlich auf strukturelle Entsprechungen. Die einzelnen Wissenschaften erscheinen somit hinsichtlich ihrer jeweiligen Materie voneinander unterschieden, erweisen sich mit Blick auf die in ihnen zum Tragen kommenden, formalen Zusammenhänge jedoch als miteinander konvertibel. Gerade aufgrund ihres strukturellen Charakters ist diese Konvertibilität der divina, naturalia und moralia etwas, was nicht schon in evidenter Form vorliegt, sondern immer wieder aufs neue anhand einzelner Sätze und Verse aus den einzelnen Wissenschaften bzw. der Hl. Schrift gesucht und entdeckt werden muss.
Meister Eckhart, In Ioh. n. 436, LW III, 374,5–9; ebd. n. 439, LW III, 376,10–12; ebd. n. 440, LW III, 377,7–9; ebd. n. 441, LW III, 379,1–3; ebd. n. 442, LW III, 379,5– 9; nhd. Übers. ebd.
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4.3 Die argumentationstheoretische Unterscheidung der aristotelischen Physik und Metaphysik als methodisches Grundprinzip von Eckharts Schriftauslegung Bis hierher hatte es so ausgesehen, als dominierten in Eckharts Ansatz die älteren wissenschaftsarchitektonischen Modelle aus der Zeit der Patristik (Origenes, Boethius) sowie der boethianisch beeinflussten Frühscholastik, die der Metaphysik bzw. der theoretischen Philosophie eine eindeutig theologisch-epoptische Ausrichtung verleihen. Insofern kann in der Tat der Eindruck entstehen, als pflege Eckhart einen wissenschaftstheoretischen Anachronismus und verweigere sich den neuen Erkenntnissen und Ansätzen, die mit der Rezeption des Aristotelismus in das scholastische Denken des 13. Jahrhunderts Einzug gehalten haben. Dieser Eindruck trügt jedoch, da Eckhart in seinem Johanneskommentar sehr wohl auch auf das spezifisch aristotelische Paradigma der Wissenschaft im Allgemeinen und der Metaphysik im Besonderen eingeht. Eckharts Auseinandersetzung mit dem aristotelischen Wissenschaftsparadigma konzentriert sich vor allem auf zwei Passagen im Johanneskommentar, von denen die erste noch Teil seiner Auslegung von Joh 1,17 ist. Der betreffende Vers lautet: Lex per Moysen data est, gratia et veritas per Iesum Christum facta est (»Das Gesetz wurde durch Moses gegeben, die Gnade und Wahrheit durch Jesus Christus«). Anders, als man vielleicht erwarten könnte, beschreitet Eckharts Interpretation gerade nicht den Weg einer prinzipiellen Gegenüberstellung und Abgrenzung von Gesetz und Evangelium, die letztlich auf das Schema von »Verheißung« (Altes Testament) und »Erfüllung« (Neues Testament) hinausliefe. Vielmehr will Eckhart die beiden Formen der Offenbarungswahrheit in einen lebendigen Zusammenhang bringen und auf ihre gemeinsame Wurzel zurückführen. Dies geschieht jedoch nicht in direkter Weise, sondern durch die Vermittlung des Begriffs der Philosophie, für die in paradigmatischer Weise der Name Aristoteles steht. Eckhart schreibt: Secundum hoc ergo convenienter valde scriptura sacra sic exponitur, ut in ipsa sint consona, quae philosophi de rerum naturis et ipsarum proprietatibus scripserunt, praesertim cum ex uno fonte et una radice procedat veritatis omne quod verum est, sive essendo sive cognoscendo, in scriptura et in natura. […] Idem ergo est quod docet Moyses, Christus et philosophus, solum quantum ad modum differens, scilicet ut credibile, probabile sive verisimile et veritas. Ex his patet quod etiam in natura omnia, quae imper-
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fectionis sunt, fieri puta, alterari, mutari, tempus, corporale, divisio, corruptio, numerus, multum sive multitudo et huiusmodi, ad Moysen pertinent et ad vetus testamentum –›tempus enim vetus facit‹, ut ait philosophus – nondum ad Christum, ad filium, ad veritatem pertinent, sed horum opposita, puta esse, generatio, immutabilitas, aeternitas, spiritus, simplicitas, incorruptio, infinitas, unum sive unitas. (Demgemäß wird also die Hl. Schrift sehr angemessen so erklärt, dass mit ihr übereinstimmt, was die Philosophen über die Natur der Dinge und ihre Eigenschaften geschrieben haben, zumal aus einer Quelle und einer Wurzel der Wahrheit alles hervorgeht, was wahr ist, sei es im Sein, sei es im Erkennen, in der Schrift und in der Natur. […] Es ist also dasselbe, was Moses, Christus und der Philosoph lehren; es unterscheidet sich nur in der Art und Weise, nämlich wie das Glaubbare, das Annehmbare oder Wahrscheinliche und die Wahrheit. Daraus erhellt, dass auch in der Natur alles, was der Unvollkommenheit unterliegt, nämlich Werden, Geändertwerden, Verwandeltwerden, Zeit, Körperliches, Teilung, Zerstörung, Zahl, Vieles oder Vielheit und dergleichen, zu Moses und dem Alten Bund gehört – ›denn die Zeit macht alt‹, wie der Philosoph sagt – aber noch nicht zu Christus, zum Sohn, zur Wahrheit. [Zu ihm gehört] das Entgegengesetzte, nämlich Sein, Entstehen, Unwandelbarkeit, Ewigkeit, Geist, Einfachheit, Unversehrtheit, Unendlichkeit, Eins oder Einheit). 148
Die Aussage, Moses, Christus und Aristoteles hätten »dasselbe« (idem) gelehrt, erweckt den Eindruck, als hätte man es mit einer direkten inhaltlichen Koinzidenz von Altem Testament, Neuem Testament und aristotelischer Philosophie zu tun. Die Bezüge sind aber insofern komplexer, als Eckhart diese drei Erkenntnisquellen nicht als drei Textblöcke betrachtet, sondern sie in methodologisch-performativer Weise neu definiert. »Moses« bzw. das vetus testamentum sind nicht einfach mit dem Textkorpus des Alten Testaments identisch, sondern stehen für eine gewisse Art und Weise, die Dinge zu betrachten, nämlich unter dem Gesichtspunkt ihrer Zeitlichkeit, Materialität, Teilbarkeit, Vielheit und Vergänglichkeit. Zu »Christus« als der Wahrheit schlechthin gehört hingegen alles, was von Unveränderlichkeit, Ewigkeit, Entstehung, Unteilbarkeit, Unendlichkeit und Einheit gekennzeichnet ist. Aber auch dies fällt nicht einfach mit der Gesamtheit aller Bücher des Neuen Testaments zusammen, sondern vielmehr enthalten beide Testamente Aussagen aus den bei-
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Meister Eckhart, In Ioh. nn. 185–186, LW III, 154,14–155,13; nhd. Übers. ebd.
187 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
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den Bereichen, für die jeweils die Namen »Moses« bzw. »Christus« stehen. Diese wechselseitige Durchdringung der Perspektiven in den zwei Hauptteilen der Hl. Schrift wird ergänzt durch ein Ineinandergreifen der biblischen und der philosophischen Betrachtungsweise, denn auch in den Werken des Aristoteles finden sich sowohl Aussagen, die es mit der Zeitlichkeit, Materialität, Teilbarkeit und Vergänglichkeit zu tun haben (vor allem in seinen naturphilosophischen Schriften), als auch Aussagen, in denen es um Ewiges, Immaterielles, Unteilbares und Unvergängliches geht (vor allem in seiner Metaphysik). So gesehen, finden sich »Altes Testament« und »Neues Testament« auch in den Schriften des Stagiriten wieder, so dass man philosophische Wahrheit und Offenbarungswahrheit gar nicht mehr voneinander trennen kann. Allerdings unterscheiden sich Moses, Aristoteles und Christus sehr wohl hinsichtlich der Art und Weise, in der sie die jeweiligen Erkenntnisse darlegen. Bei Moses werden die Einsichten im Modus der Glaubwürdigkeit (credibilitas) dargeboten, bei Aristoteles im Modus der Wahrscheinlichkeit (verisimilitas) und bei Christus in dem der Wahrheit (veritas). Die thematische Zuweisung der beiden Bereiche des Vergänglichen und des Unvergänglichen an das »Alte Testament« und das »Neue Testament« wird somit nochmals durchkreuzt durch eine dreifach gestufte Darlegungs- und Begründungsform. »Moses« steht dabei für die Vermittlung der Erkenntnis durch die autoritative Verkündigung aus dem Mund einer glaubwürdigen Person, »Aristoteles« für die von der materiellen Wirklichkeit ausgehende, empirische Erkenntnis, die aufgrund von Beobachtung und Induktion zu einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit gelangen kann, und »Christus« für die Wahrheit, die in rein begrifflich-deduktiver Form vorgeht und auf diese Weise zu absoluter Gewissheit gelangt. »Moses«, »Aristoteles« und »Christus« stehen somit nicht jeweils für einen präzise bestimmbaren Wissenschaftsbereich, sondern vielmehr für bestimmte Modi der wissenschaftlichen Erkenntnis, ganz gleich, ob man dabei das Textkorpus des Alten oder Neuen Testaments oder die verschiedenen Weisen einer philosophisch-wissenschaftlichen Wirklichkeitsdeutung in den Blick nimmt. Diese Interpretation wird von Eckhart an einer späteren Stelle seines Johanneskommentars noch einmal aufgegriffen und vertieft. Dabei kommt er ausnahmsweise auch auf die Problematik des für die Metaphysik als Wissenschaft konstitutiven subiectum zu spre188 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
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chen und definiert dies in scheinbar konventioneller Weise, doch nur, um diese Definition sogleich wieder zu durchbrechen. Der fragliche Passus findet sich im Rahmen der bereits zitierten Auslegung des Verses aus Joh 8,17 (»Das Zeugnis zweier Menschen ist wahr«), in der Eckhart auf die Strukturanalogien zwischen dieser biblischen Aussage und den epistemologischen Beweiskriterien der anderen Wissenschaften hinweist. Mit Blick auf die Metaphysik führt Eckhart weiter aus: Intellectus etiam iuxta nomen suum obiectum suum accipit et cognoscit in suis principiis substantialibus, quae tantum sunt duo: genus et differentia. In figura huius misit dominus binos discipulos ›ante faciem suam in omnem civitatem et locum, quo erat ipse venturus‹. Lucae 10. Facies domini veritatis notitia est. Hinc est quod metaphysica, cuius subiectum est ens inquantum ens, duas tantum causas intrinsecas considerat; physica autem, cuius subiectum est ens mobile in quantum mobile, non duas tantum intrinsecas, sed etiam extrinsecas causas speculatur. Testes autem uniuscuiusque rei proprie sunt causae ipsius. De praemissis patet quod evangelium et lex vetus se habent ad invicem sicut demonstrator et topicus, sicut metaphysicus et physicus: evangelium contemplatur ens inquantum ens. Esse autem dicimus illa quae ipsa quidem natura incorporea sunt et immutabilis substantiae ratione vigentia, ut ait Boethius I Arithmeticae et II Musicae. Cor. 4: ›nobis non contemplantibus ea quae videntur, sed ea quae non videntur. Quae enim videntur, temporalia sunt; quae autem non videntur, aeterna sunt‹. Promittit evangelium aeterna, lex vetus temporalia. (Auch erfasst der Verstand, wie sein Name besagt, seinen Gegenstand und erkennt ihn in dessen Wesensprinzipien, deren es nur zwei gibt: Gattung und Artunterschied. Bildlich entspricht dem, dass der Herr je zwei Jünger ›vor seinem Angesicht in alle Städte und Ortschaften sandte, wohin er selbst kommen wollte‹. Das Angesicht des Herrn aber ist die Kenntnis der Wahrheit. Daher betrachtet die Metaphysik, deren Gegenstand das Seiende als Seiendes ist, nur die zwei inneren Ursachen. Die Physik aber, deren Gegenstand das bewegliche Seiende als bewegliches ist, betrachtet nicht nur die zwei inneren, sondern auch die äußeren Ursachen. Die Zeugen eines jeden Dinges sind aber dessen eigentliche Ursachen. Aus dem Gesagten erhellt, dass das Evangelium und das Alte Gesetz sich zueinander verhalten wie der, der einen strengen Beweis führt, und der Topiker, wie der Metaphysiker und der Physiker: das Evangelium betrachtet das Seiende, insofern es Seiendes ist. Sein aber heißen wir das, was seiner Natur selbst nach unkörperlich, von unveränderlicher Substanz ist und seine Kraft in der Vernunft hat, wie Boethius im ersten Buch der Arithmetik und im zweiten Buch der Musik sagt. ›Wir schauen nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare; denn das Sichtbare ist zeitlich, das
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Unsichtbare aber ist ewig‹. Das Evangelium verspricht Ewiges, das Gesetz Zeitliches). 149
Auf den ersten Blick reiht sich Eckhart mit seiner Definition des ens inquantum ens als subiectum der Metaphysik in die avicennisch-thomasische Tradition der Ersten Philosophie ein. Ungewöhnlich ist allerdings, dass er auch dem Evangelium denselben Gegenstand der Betrachtung zuweist, dabei jedoch das im Zusammenhang mit wissenschaftstheoretischen Fragestellungen sonst übliche Verb considerare 150 durch contemplari ersetzt. Den Schlüssel zum Verständnis bietet der darauffolgende Satz, der die Bedeutung dessen, was mit dem ens inquantum ens in formaler Hinsicht gemeint ist, in inhaltlicher Hinsicht ausbuchstabiert: Esse autem dicimus illa quae ipsa quidem natura incorporea sunt et immutabilis substantiae ratione vigentia (»Sein aber heißen wir das, was seiner Natur selbst nach unkörperlich, von unveränderlicher Substanz ist und seine Kraft in der Vernunft hat«). Wie der Verweis auf Boethius belegt, hat Eckhart sich nicht einfach die »ontologische« Bedeutung der Metaphysik zu eigen gemacht, so als sei diese von der »theologischen« Dimension real verschieden. Vielmehr versteht Eckhart die eigentliche Bedeutung des esse von der im starken Sinne definierten Immaterialität und »Getrenntheit« her, die nach Aristoteles und Boethius die rein geistigen Formen des Göttlichen bzw. der reinen Intelligenzen auszeichnen. Sowohl die Metaphysik als auch das Evangelium betrachten somit nicht einen allgemeinen, formalen Seinsbegriff oder die Gesamtheit des Seienden als solchen, sondern in spezieller Weise die übersinnliche Wirklichkeit. Gleichwohl handelt es sich nicht einfach um eine Rückkehr zum boethianischen Paradigma, da Eckhart das subiectum der Metaphysik ansonsten auch einfach mit den divina oder substantiae separatae hätte gleichsetzen können. Dass er dennoch auf der aristotelischen Formel ens inquantum ens beharrt, zeigt deutlich, dass ihm die reflexive Struktur dieses Ausdrucks offenbar wichtig ist. Wenn nun das esse in der Tat für die unkörperliche, rein geistige immutabilis subMeister Eckhart, In Ioh. nn. 443–444, LW III, 380,4–381,4; nhd. Übers. ebd. (Hervorhebungen d. Verf.). 150 »Sciendum siquidem est quod quaecumque scientia considerat aliquod genus subiectum, oportet quod consideret principia illius generis, cum scientia non perficiatur nisi per cognitionem principiorum« (Thomas von Aquin, In Boethii De Trinitate, q. 5, a. 4 c). 149
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stantia steht, dann ist das ens inquantum ens letztlich nur die objektivierende Projektion derselben Struktur, deren ursprünglicher, subjekthaft-reflexiver Ausdruck das (ego) sum qui sum der göttlichen Selbsterkenntnis ist. Die Reduplikation des sum ist ja nicht einfach eine tautologische Verdoppelung, sondern bringt die »Reinheit des Seins«, d. h. die reflexive Einheit des göttlichen Intellekts mit sich selbst zum Ausdruck, 151 die zugleich Ursprung des geschaffenen Seienden ist, das die Metaphysik unter dem Gesichtspunkt seines Seins betrachtet. Daraus erklärt sich auch Eckharts These, dass es der Metaphysik nur um die immanenten Ursachen des Seienden, also Form und Materie, geht: Insofern die eigentliche Wirklichkeit des esse nur in seinem geistigen Ursprung, der göttlichen Selbsterkenntnis, besteht, kann auch die Metaphysik das ens inquantum ens nur unter dem Gesichtspunkt betrachten, der für die Selbigkeit jedes Dinges verantwortlich ist, nämlich seine intelligible Form. Wirk- und Zielursache sind hingegen dafür verantwortlich, dass sich die Dinge in akzidenteller Hinsicht bewegen und verändern. Da dieser Aspekt aber nicht die intelligible Form als solche betrifft, bleiben sie außerhalb des Bereichs der Metaphysik, so wie Eckhart sie versteht. Trotz der scheinbaren Inhaltsgleichheit von Metaphysik und Evangelium fällt doch ein Unterschied auf, der die Art ihres Bezuges zum ens inquantum ens betrifft. Mit Blick auf die Metaphysik spricht Eckhart diesbezüglich von ihrem subiectum, mit Blick auf das Evangelium wird das ens inquantum ens dagegen als Gegenstand einer betrachtenden Schau (contemplari) aufgefasst. Auch wenn Eckhart diesen Unterschied nicht explizit erläutert, geben seine Ausführungen doch einen Hinweis darauf, wie das Verhältnis von Metaphysik und Evangelium zu bestimmen ist. Der Umstand, dass Form und Materie als die beiden für die Metaphysik bedeutsamen Gründe bezeichnet werden, erlaubt den Schluss, dass der Metaphysiker es nicht nur mit den grundsätzlich materiefreien Formen der getrennten Substanzen zu tun hat, sondern alles, was ist, also auch das physische, materielle Seiende, unter dem Gesichtspunkt seiner zwei immanenten Ursachen untersuchen muss. 152 Des weiteren bedeutet der Begriff des »Tertio notandum quod repetitio, quod bis ait: sum qui sum, puritatem affirmationis excluso omni negativo ab ipso deo indicat« (Meister Eckhart, In Exod. n. 16, LW II, 21,7–8). 152 »Hinc est quod omnis res quamvis mobilis et transmutabilis de consideratione est 151
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subiectum, dass die Metaphysik vom ens inquantum ens ausgehen muss, ohne dessen Vorgegebenheit nochmals als solche zu befragen. 153 Doch gibt es sehr wohl die Möglichkeit, hinter das ens inquantum ens zurückzugehen, indem man es nämlich in seinem Hervorgang aus der reinen Intellekttätigkeit Gottes betrachtet. Ein anderer Passus aus Eckharts Johanneskommentar liefert dazu den entscheidenden Hinweis. In seiner Auslegung von Joh 1,14 schreibt Eckhart: Filius utique creatoris, in quantum creator, est creatura, in quantum creatura, et ens, in quantum ens, filius est ipsius esse sic proprie, ut creator, inquantum creator, filium non habet nisi creaturam, in quantum creatura est, et ipsa econtra ut creatura patrem non habet nec recognoscit nisi creatorem. (Sohn des Schöpfers, insofern er Schöpfer ist, ist das Geschöpf, insofern es Geschöpf ist, und das Seiende, insofern es seiend ist, ist der Sohn des Seins selbst, und zwar in einem so eigentlichen Sinne, dass der Schöpfer als Schöpfer nur das Geschöpf als Geschöpf zum Sohn hat; und das Geschöpf hinwiederum hat und anerkennt als solches nur den Schöpfer als Vater). 154
Das ens inquantum ens, das der Metaphysiker einfach voraussetzen muss, kann aus einer anderen Perspektive – der des Evangeliums – auch noch in seinem Hervorgang aus Gott betrachtet werden. Ungewöhnlich ist jedoch, dass Eckhart hier nicht einfach wie Thomas von Aquin im klassischen Sinne schöpfungstheologisch argumentiert und Gott in einem wirkursächlichen Sinne als principium oder causa essendi bezeichnet. Vielmehr besteht zwischen dem ens inquantum ens und Gott als dem reinen esse eine Beziehung der Filiation, die letztlich trinitarischer Natur ist: So, wie der Vater in sich den Sohn zeugt, so ist hinsichtlich des äußerlichen Überquellens dieser innertrinitarimetaphysici, inquantum ens; etiam ipsa materia, radix rerum corruptibilium« (Meister Eckhart, Prol. gen. in Op. tripart. n. 9, LW I, 154,1–2). 153 »Primus philosophus ipsum quod est, ut est ens, considerans, nec efficiens nec finem considerat, utpote ens et id quod est« (Meister Eckhart, In Gen. II n. 131, LW I, 586,9–11). – »Adhuc autem ›primum, quod cadit in intellectu‹, secundum Avicennam, et universaliter in apprehensione, ›est ens‹. Propter quod etiam primus philosophus tractans de primis entibus et primis rerum principiis praesupponit ens. Et ipsum ob hoc est et dicitur eius subiectum, eo quod subicitur et praesupponitur omni, etiam primae cognitioni et apprehensioni« (Meister Eckhart, In Exod. n. 169, LW II, 147,10–14). 154 Meister Eckhart, In Ioh. n. 153, LW III, 126,16–127,2; nhd. Übers. ebd. (Hervorhebungen d. Verf.).
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schen Lebensdynamik Gottes reines esse der Vater, der das ens inquantum ens als seinen Sohn aus sich entlässt. Insofern liegt es nahe, mit Blick auf die bereits weiter oben zitierte Textpassage aus Eckharts Johanneskommentar (nn. 443–444) zu folgern, dass das Evangelium – im Gegensatz zur Metaphysik – das ens inquantum ens nicht nur in sich betrachtet, sondern es als filius ipsius esse in seinem Hervorgang aus Gott als der reinen, immateriellen Form schlechthin begreift. Aber Eckhart begnügt sich nicht damit, nur diese beiden Formen reiner, überzeitlicher Intellekterkenntnis in Beziehung zueinander zu setzen, sondern erwähnt außerdem noch die aristotelische Physik, die für ihn der lex vetus entspricht. Verglichen mit der weiter oben zitierten Passage des Johanneskommentars (nn. 185–186), in der Eckhart Moses, Aristoteles und Christus zueinander in Beziehung setzt, stellt die nun vollzogene Gleichsetzung von aristotelischer Physik und lex vetus eine Aufwertung der letzteren dar. Die entscheidende Aussage hierbei lautet: De praemissis patet quod evangelium et lex vetus se habent ad invicem sicut demonstrator et topicus, sicut metaphysicus et physicus (»Aus dem Gesagten erhellt, dass das Evangelium und das Alte Gesetz sich zueinander verhalten wie der, der einen strengen Beweis führt, und der Topiker, wie der Metaphysiker und der Physiker«). 155 Aus dieser dreifachen Verhältnisanalogie evangelium : lex vetus = demonstrator : topicus = metaphysicus : physicus ergibt sich, dass es nicht mehr drei, sondern strenggenommen nur zwei verschiedene Darlegungsformen, die beweisende und die topische, gibt, der sowohl die beiden Teile der Hl. Schrift als auch die beiden Haupttraktate der aristotelischen Philosophie zuzuordnen sind. Während im früher zitierten Textabschnitt Moses bzw. der lex vetus nur eine Erkenntnisvermittlung im Modus der »Glaubwürdigkeit« (credibilitas) zukam, die von der »Wahrscheinlichkeit« (verisimilitas) und der »Wahrheit« (veritas) unterschieden wurde, steht die lex vetus nunmehr auf derselben Stufe wie die aristotelische Physik, die im Ausgang von der empirischen Erfahrung topisch argumentiert und dadurch zu einer zwar nicht vollkommen gewissen, aber doch sehr wahrscheinlichen Erkenntnis gelangt. Wohl ist die vollkommene Gewissheit zwar nach wie vor der Metaphysik bzw. dem Evangelium vorbehalten, da diese beiden Wissensformen das, was ist, unter dem Gesichtspunkt seiner Unveränderlichkeit und seiner intelligiblen Form betrachten. Dennoch erscheint die lex vetus nun nicht mehr 155
Meister Eckhart, In Ioh. n. 444, LW III, 380,12–13; nhd. Übers. ebd.
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Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
als etwas, das einfach autoritativ als zu Glaubendes und Glaubwürdiges (credibile) verkündet wird, sondern erhält eine wissenschaftstheoretische Dignität zugesprochen, die sich mit der Argumentationskraft der aristotelischen Naturphilosophie vergleichen kann. So, wie die Verlässlichkeit der empirisch-topischen Erkenntnisse der Physik implizit durch bestimmte Prinzipien verbürgt ist, die von der Metaphysik im Modus absoluter, unbezweifelbarer Evidenz und Gewissheit erkannt werden, so können auch die in der Hl. Schrift enthaltenen Aussagen über die veränderliche, vergängliche und zeitliche Wirklichkeit individueller Personen und Ereignisse im Licht der universalen, absolut gewissen Prinzipien gedeutet werden, die sich aus den vom Evangelium gelehrten trinitarischen Strukturen des göttlichen Wesens ergeben. In dem Maße, wie das geschaffene ens inquantum ens als »Sohn« des göttlichen esse erscheint, ist auch die scheinbare Kontingenz der individuellen menschlichen Wirklichkeit, von der die Bibel berichtet, immer schon auf ihren überindividuellen Grund hin überschritten und kann folglich im Lichte universaler Vernunftprinzipien gedeutet werden. Das bedeutet, dass »Metaphysik« und »Evangelium« in dem erwähnten Passus aus Eckharts Johanneskommentar (nn. 443–444) weder einfach miteinander identisch sind, wie dies gelegentlich behauptet wird, 156 noch voneinander getrennt werden können, um eine metaphysikfreie, rein hermeneutisch verfahrende Exegese oder eine rein begrifflich verfahrende, vom biblischen Gedankengut unberührte Philosophie zu begründen. So wenig man Gott Vater und Gott Sohn voneinander trennen kann, so wenig kann man die metaphysische Betrachtung des ens inquantum ens von der im Evangelium betriebenen Betrachtung der filiatio zwischen dem reinen, göttlichen esse und dem ens inquantum ens trennen. Das bedeutet, dass beide Wissensformen – Metaphysik und Evangelium – aufeinander angewiesen sind, ohne dabei eine Hierarchie oder ein wechselseitiges Konkurrenzverhältnis zu begründen. Vielmehr stehen sie auf derselben Ebene und sind ebenso »eines Wesens« wie die beiden göttlichen Personen, deren Abbild sie darstellen. Letztlich sind also die innertrinitarischen Bezüge von Vater und Sohn der letzte Grund von Eckharts Wissenschaftsarchitektonik und zugleich das maßgebliche Vorbild
Vgl. die bereits erwähnte These von B. Mojsisch, Meister Eckhart: Analogie – Univozität – Einheit, 15.
156
194 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Die Funktion der unterschiedlichen Wissenschaftsmodelle
für ein herrschaftsfreies Verhältnis von Offenbarungstheologie und Philosophie.
4.4 Die »Gegenstandslosigkeit« der menschlichen Gottesbeziehung Auch wenn es auf den ersten Blick nicht unmittelbar erkennbar ist, haben Eckharts subtile wissenschaftstheoretische Überlegungen zum Verhältnis von »Ich«, subiectum und principium doch eine unmittelbare Entsprechung in seiner Frömmigkeitskonzeption. So, wie die Theologie, die Philosophie und die anderen Disziplinen letztlich nicht von ihren jeweiligen »Gegenständen« (subiecta) her begriffen werden können, sondern auf die sich auszeugende Dynamik des Ich als reiner, intelligibler Ursprunghaftigkeit zurückgeführt werden müssen, so verlangt Eckhart auch im Bereich des geistlichen Lebens, dass der Mensch sich von allen Vergegenständlichungen Gottes und seiner selbst lösen soll, um sich als reines Ich zu begreifen, das von nichts Äußerem mehr abhängig ist. Insofern das subiectum der Wissenschaften sich jeweils auf das bezieht, was in jeder Disziplin stillschweigend vorausgesetzt, aber nicht mehr eigens bewiesen wird, läuft Eckharts Wissenschaftstheorie letztlich darauf hinaus, alle vermeintlich selbstverständlichen Voraussetzungen radikal in Frage zu stellen. Auf die Spiritualität angewendet, bedeutet dies, dass alle im Bereich der christlichen Frömmigkeit stillschweigend bestehenden Grundannahmen und Selbstverständlichkeiten auf radikale Weise in Frage gestellt und in das Ich als die prozessuale Einheit von Selbstbewusstsein und Gottesbewusstsein zurückgenommen werden müssen. Zu den wohl wichtigsten Grundzügen der christlichen Spiritualität zählt die Vorstellung eines »persönlichen Gottes«, zu dem der Mensch durch das Gebet in Beziehung tritt. Die implizite Voraussetzung dabei ist, dass der Mensch aufgrund seiner Kreatürlichkeit ohne Gott nichts zu tun vermag und vollkommen von der göttlichen Gnade abhängig ist. Als logische Schlussfolgerung ergibt sich daraus, dass dem Bittgebet eine besondere Bedeutung für das geistliche Leben des Christen zugemessen wird; kommt in ihm doch die Bedürftigkeit des Menschen und seine Angewiesenheit auf Gottes ungeschuldete Gnade besonders deutlich zum Ausdruck. Gerade diese Vorstellung einer auf die »Bedürftigkeit« des Menschen gegründeten Gottesbeziehung 195 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
ist es aber, die Meister Eckhart mit aller Schärfe kritisiert. Dabei leugnet er keineswegs, dass der Mensch unter dem Gesichtspunkt seiner Kreatürlichkeit bestimmte Bedürfnisse hat, sondern bestreitet lediglich, dass diese Dimension der Kreatürlichkeit der bestimmende Faktor in der Beziehung zwischen Gott und Mensch sein soll. An dieser Stelle kommt wieder Eckharts Lehre vom »Ich« als ungeschaffener, reiner Substanz zum Tragen, die nicht Teil der innerweltlichen Wirklichkeit ist, sondern von ihrem ganzen Wesen her einen »über-natürlichen« Charakter besitzt. In seinen deutschen Werken bezeichnet er diese radikale ontologische Unterschiedenheit des Ich bzw. des Intellekts gegenüber der geschaffenen Wirklichkeit als »Abgeschiedenheit«. Dieser Begriff hat bei Eckhart nicht eine primär asketisch-lebenspraktische Bedeutung (etwa im Sinne eines eremitischen Lebens fern aller menschlichen Gesellschaft), sondern besitzt eine eminent metaphysische Dimension. Eckhart versteht darunter zunächst einmal jene Form der »Trennung«, die bei Aristoteles zwischen Gott bzw. den reinen Intelligenzen einerseits und der irdischen, durch Werden und Vergehen gekennzeichneten Wirklichkeit andererseits besteht. In Predigt 15 schreibt Eckhart: Nun merket mit flisse, das Aristotiles sprich von den abgeschaidnen gaisten o e in dem buch, das da haisset methaphisica. Der hohst vnder den maistern, der von natúrlichen kúnsten ie gesprach, der nemmet dis abgeschaiden gaist vnd sprichet, das si enkainer ding form sien, vnd si nemend ir wesen sunder mittel von got usfliessend; vnd also fliessend si och wider in vnd enpfahend den usfluss von got sunder mittel obwendig den engeln, vnd schowent das bloss wesen gottes sunder vnderschaid. Dis luter bloss wesen nemmet Arise totiles ain ›was‹. Das ist das hochst, das Aristotiles von natúrlichen kúnsten e ie gesprach […]. Nun sprich ich, das disem edlen mentschen genuget nit an dem wesen, das die engel begriffent vnformlichen vnd dar an hangent sune der mittel; im begnuget nit hdani an dem ainigen ain. (Nun beachtet aufmerksam, was Aristoteles von den reinen Geistern spricht in dem Buch, das da Metaphysica heißt. Der höchste unter den Meistern, der je über die natürlichen Wissenschaften gesprochen hat, spricht von diesen reinen Geistern und sagt, dass sie keiner Dinge Form seien, und sie empfangen ihr Sein unmittelbar aus Gott ausfließend; und so fließen sie auch wieder ein und empfangen den Ausfluss aus Gott unmittelbar, oberhalb der Engel und schauen das reine Sein Gottes ohne Unterschiedenheit. Dieses lautere, reine Sein nennet Aristoteles ein ›Was‹. Das ist das Höchste, was Aristoteles je über die natürlichen Wissenschaften gesprochen hat […]. Nun sage ich, dass es diesem ›edlen Menschen‹ nicht genügt am Sein, das
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Die Funktion der unterschiedlichen Wissenschaftsmodelle
die Engel formlos erfassen und an dem sie unmittelbar hängen; ihm genügt’s einzig am einigen Einen). 157
Besonders interessant ist der Umstand, dass Eckhart im mittelhochdeutschen Originaltext nicht wörtlich von den »reinen Geistern«, sondern von den abgeschaidnen gaisten spricht. Die »Abgeschiedenheit« ist also eine metaphysische Grundeigenschaft, die mit der »Trennung« (separatio) von aller empirisch-materiellen Wirklichkeit gleichbedeutend ist. Doch aus dem angeführten Text geht auch hervor, dass diese »Abgeschiedenheit« nicht nur den getrennten Substanzen der aristotelischen Metaphysik und Kosmologie vorbehalten ist, sondern auch einen Hinweis auf die dem »edlen Menschen« eigentlich angemessene Existenzweise gibt. Mit anderen Worten: Der »edle Mensch« ist derjenige, der über diese rein geistige, aber noch durch eine Pluralität von Substanzen gekennzeichnete Wirklichkeitssphäre hinausstrebt und sich mit nicht weniger zufriedengibt als mit dem absolut Einen. In seinem Traktat Von Abgeschiedenheit entwickelt Eckhart diesen Gedanken in ausführlicher Form, um die geistlich-religiösen Konsequenzen eines solchen menschlichen Selbstverständnisses genauer zu beleuchten. Auf den ersten Blick könnte man die »Abgeschiedenheit« in dem Sinne verstehen, dass der Mensch von allem lassen soll, was nicht Gott ist, und seien es die Engel oder sonstige reine Geistwesen. Eine solche Konzeption des »abgeschiedenen Menschen« würde sich durchaus noch im Rahmen der klassischen christlichen Spiritualität bewegen. Doch Eckhart geht in der für ihn charakteristischen Weise noch einen entscheidenden Schritt weiter, indem er die »Befreiung von aller Anhaftung« auch noch auf die menschliche Gottesbeziehung als solche anwendet. Verstünde man die Abgeschiedenheit als ein Mittel, um damit etwas Bestimmtes zu erreichen – und wäre es Gott selbst –, hätte man sie schon falsch verstanden und wäre in die kreatürliche Denkweise zurückgefallen. Eckhart schreibt: Nû vrâge ich hie, waz der lûtern abegescheidenheit gegenwurf sî? Dar zuo antwürte ich alsô und spriche, daz weder diz noch daz ist der lûtern abegescheidenheit gegenwurf. Si stât ûf einem blôzen nihte, und sage dir, war umbe daz ist: diu lûteriu abegescheidenheit stât uf dem hœhsten. Nû stât der ûf dem hœhsten, in dem got nâch allem sînem willen gewürken mac. 157
Meister Eckhart, Pr. 15, DW I, 251,4–15; nhd. Übers. nach EW I, 178,18–29.31–
33.
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Meister Eckharts Wissenschaftsarchitektonik
[…] In welhem herzen ist nû diz oder daz, in dem ›diz oder daz‹ mac etwaz sîn, daz got ûf daz hœhste niht gewürken enmac. Dâ von, sol daz herze bereitschaft haben ûf daz aller hœhste, sô muoz ez stân ûf einem blôzen nihte, und dar inne ist ouch diu grœste mügelicheit, diu gesîn mac. […] Nû vrâge ich aber: Waz ist des abegescheidenen herzen gebet? Des antwürte ich alsô und spriche, daz abegescheideniu lûterkeit enkan niht beten, wan swer betet, der begert etwaz von gote, daz im werde, oder begert aber, daz im got etwaz abeneme. Nû enbegert daz abegescheiden herze nihtes niht, ez enhât ouch nihtes niht, des ez gerne ledic wære. Dar umbe sô stât ez ledic alles gebetes und enist sîn gebet niht anders dan einförmic sîn mit gote. Dar ûf stât allez sîn gebet. (Hier frage ich nun, was der lauteren Abgeschiedenheit Gegenstand sei. Darauf antworte ich wie folgt, dass weder dies noch das der lauteren Abgeschiedenheit Gegenstand ist. Sie steht auf einem reinen Nichts, und ich sage dir, warum das so ist: Die lautere Abgeschiedenheit steht auf dem Höchsten. Nun aber steht der auf dem Höchsten, in dem Gott nach seinem ganzen Willen wirken kann. […] In welchem Herzen nun dies oder das ist, da kann in dem ›dies oder das‹ etwas sein, wodurch Gott nicht auf das höchste zu wirken vermag. Soll daher das Herz Bereitschaft haben zum Allerhöchsten, so muss es auf einem reinen Nichts stehen, und darin liegt auch die größte Möglichkeit, die sein kann. […] Nun frage ich wiederum: Was ist des abgeschiedenen Herzens Gebet? Darauf antworte ich wie folgt und sage: Abgeschiedene Lauterkeit kann nicht beten, denn wer betet, der begehrt etwas von Gott, das ihm zuteil werden solle, oder aber begehrt, dass ihm Gott etwas abnehme. Nun begehrt das abgeschiedene Herz gar nichts, es hat auch gar nichts, dessen es gerne ledig wäre. Deshalb steht es ledig allen Gebets, und sein Gebet ist nichts anderes, als einförmig zu sein mit Gott. Das macht sein ganzes Gebet aus). 158
Das abgeschiedene Herz, so wie Eckhart es versteht, hat buchstäblich »sein’ Sach’ auf Nichts gestellt«, da es nicht mehr auf »dies oder das« abzielt – nicht einmal auf etwas, das man von Gott erhoffen oder erbitten könnte. Aus diesem Grund zieht Eckhart die radikale Schlussfolgerung, dass der abgeschiedene Mensch gar nicht mehr beten könne, wenn man darunter eine von seinem schieren Einssein mit Gott unterschiedene Tätigkeit versteht. Abgeschiedenheit ist somit eine schlechthin nichtintentionale Grundhaltung, die in diesem Sinne keinen »Gegenstand« (gegenwurf im mhd. Original; = lat. obiectum) mehr hat und nichts mehr voraussetzt außer dem Nichts, auf dem sie Meister Eckhart, Von Abgeschiedenheit, DW V, 423,1–5. 424,11–425,4. 426,6– 427,3; nhd. Übers. nach EW II, 451,13–19. 451,36–453,4. 453,21–29 (Hervorhebung im Original).
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Die Funktion der unterschiedlichen Wissenschaftsmodelle
steht und von dem sie selbst durch Gott gar nicht befreit werden will. Es geht Eckhart also nicht darum, das radikale Nichts, das der abgeschiedene Mensch erfährt, durch Gottes Fülle kompensieren zu lassen, sondern vielmehr darum, das Nichts als Nichts, also gleichsam das nihil inquantum nihil, als Abwesenheit aller gegenständlichen Fixierbarkeit – auch und vor allem Gottes – anzunehmen. Strenggenommen gibt es unter dieser Voraussetzung keine Gottesbeziehung mehr, wenn man unter »Beziehung« eine Relation zwischen zwei voneinander unterschiedenen und einander gegenüberstehenden Größen versteht. In dem Maße, wie die lautere Abgeschiedenheit keinen »Gegenstand« mehr hat, hat sie auch keinen als Gegenüber verstandenen Gott mehr, sondern verwirklicht die absolute Einheit mit Gott gerade in der Unmöglichkeit, mittels eines intentionalen Bewusstseinsaktes von dieser Einheit zu wissen. Auch das Gebet wird in diesem Sinne buchstäblich gegenstandslos, da es kein Gegenüber mehr hat, an das es sich richten könnte. Das geistliche Leben des abgeschiedenen Menschen ist somit nichts anderes als die von sich selbst wegschauende Ursprungsdynamik des schlechthin Einen, das ebensosehr Alles wie Nichts, dabei aber gerade nichts Bestimmtes mehr ist. Damit unterläuft Eckhart auch noch einmal die sonst unbefragte »Voraussetzung« – gleichsam das traditionelle subiectum – sowie den »angemessenen Gegenstand« – das traditionelle obiectum – des geistlichen Lebens: Es geht nicht mehr um Gott und das, was er zu geben vermag, sondern um nichts anderes als das Nichts, das der abgeschiedene Mensch annimmt und in sich »sein lässt«, ohne nach einer wie immer gearteten Erfüllung zu verlangen.
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Schlussbetrachtung
Am Ende unserer Ausführungen bleibt noch ein kurzes Resümee zu ziehen, um die wichtigsten Resultate der vorangehenden Analysen festzuhalten. Vor dem Hintergrund der geistesgeschichtlichen Entwicklungen, die das Verhältnis von Philosophie und Theologie von der Antike bis zur Scholastik des 13. Jahrhunderts prägen, muss man zu dem Schluss gelangen, dass Meister Eckharts Ansatz in der Tat von singulärer Natur ist. Weder übernimmt er einfach eine der zu seiner Zeit bereits existierenden wissenschaftstheoretischen Positionen, noch kehrt er zu den älteren Modellen einer Einheitswissenschaft nach augustinischem Muster zurück, sondern er integriert das aristotelische Modell in seinen eigenen Ansatz, ohne deswegen die methodische Trennung zwischen Philosophie und christlicher Offenbarungstheologie zu übernehmen, die sich im Gefolge der Verurteilung von 1277 im Pariser Universitätsmilieu herausgebildet hat. Eckharts Ansatz unterläuft alle Dichotomien und Dualismen, und zwar sowohl mit Blick auf das Verhältnis von Philosophie und Theologie als auch hinsichtlich des Verhältnisses zwischen theoretisch-wissenschaftlicher Erkenntnis und existenziell relevanter, weisheitlicher Lebensgestaltung. Das Prinzip der zweckfreien »Liebe zur reinen Form« bildet den gemeinsamen Nenner, der seinem Verständnis von theoretischer Erkenntnis, praktischem Handeln und mystischer Gottesbeziehung zugrunde liegt und all diese Weisen des menschlichen Tuns miteinander verbindet. Letztlich ist die ursprünglichste Form der Philosophie für Eckhart damit nicht eine bereits konstituierte Wissenschaft, sondern eine Grundhaltung des Erkennenden, die sich in sekundärer Weise in einzelnen Wissenschaften und sonstigen Tätigkeiten ausprägen kann, aber aus diesen nicht abzuleiten ist. Der wohl bemerkenswerteste Grundzug der eckhartschen Wissenschaftsarchitektonik liegt darin, dass er in seinem Opus tripartitum sowohl auf die älteren Formen einer axiomatisch verfahrenden 200 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Schlussbetrachtung
Theologie als auch auf die zu seiner Zeit bereits voll entwickelte Transzendentalienmetaphysik zurückgreift, dabei jedoch beide Modelle in Richtung auf die Selbstevidenz des göttlichen ego sum qui sum als des obersten Prinzips allen Seins und aller Erkenntnis überschreitet. Dessen immanente Selbsterkenntnis ist zwar durch die Prinzipien der Selbigkeit (reine Substanz des ego sum), Andersheit (gleichursprünglich ausgezeugtes, zweites sum) und Gleichheit (das qui als Ausdruck der zwischen den beiden bestehenden Relation) bestimmt, doch sind dies Termini, die nicht in der Dritte-Person-Perspektive objektiviert werden können, sondern allein im subjektiven Nachvollzug des Aktes der Selbstreflexion erfahrbar werden. Dadurch beugt Eckhart der Gefahr einer begrifflichen bzw. propositionalen Verfestigung seines philosophisch-theologischen Diskurses vor und verwehrt es sowohl der Theologie als auch der Metaphysik, sich jemals auf obersten Prinzipien oder Begriffen zur Ruhe zu setzen. Ein wichtiges Ergebnis ist dabei, dass die Worte ego, sum und qui für Eckhart in noch eigentlicherem Sinne als die traditionellen Transzendentalien ens, unum, verum und bonum als göttliche Eigenschaften gelten können. Somit gibt es bei Eckhart – anders, als gelegentlich behauptet wird – sehr wohl eine Form von »Supertranszendentalien«, die allerdings keinen formal-gegenständlichen Charakter haben (res, aliquid), sondern wesentlich subjekthafter Natur sind. Letztlich bricht sich damit die ausgesprochen neuzeitlich anmutende Einsicht Bahn, dass das letzte Prinzip der Wissenschaften nicht ein objektivierbares Etwas ist, sondern das denkende Ich, das die Wirklichkeit in dem Maße zu erkennen vermag, wie es die dafür nötigen begrifflichen Strukturen aus sich selbst heraus erzeugt. Anders als die neuzeitliche Philosophie begreift Eckhart diese epistemologische Produktivität des Menschen jedoch nicht als ein beliebiges »Machen«, sondern als Nachvollzug der göttlichen Selbstauszeugung im Logos. Dadurch beugt er einer utilitaristischen Engführung von Wissenschaft und Erkenntnis ebenso vor wie der Auffassung, man könne die theoretische Erkenntnis von der ethischen Praxis abkoppeln. Jede Art von wissenschaftlicher Erkenntnis oder technisch-handwerklicher Produktivität ist in sich immer schon ein Selbstvollzug des Menschen und muss daher in Übereinstimmung mit seiner ungeschaffenen Vernunftnatur stehen, die Teil der innergöttlichen Selbsterkenntnis ist und ihn in univokem Sinne zum »Sohn Gottes« macht. Geradezu einzigartig ist die Art und Weise, in der Eckhart in 201 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Schlussbetrachtung
seinen Bibelkommentaren gleichsam en passant grundlegende wissenschaftstheoretische Überlegungen zum Wesen der Theologie, Metaphysik, Naturphilosophie und Ethik einflicht, die bei anderen scholastischen Autoren normalerweise in den Prologen ihrer Werke zu finden sind. Diese Tatsache ist jedoch nicht zufällig, sondern hat eine systematische Bedeutung, insofern für Eckhart die Prinzipien nicht in zeitlicher oder deduktiver Weise am Anfang einer Kausalkette oder eines Ableitungszusammenhangs stehen, sondern in jedem Punkt der Wirklichkeit sowie der wissenschaftlichen Erkenntnis der Wirklichkeit ganz präsent sind und überall aufgefunden werden können, wenn man nur bereit ist, das jeweils Vorliegende auf seine konstitutiven Tiefenstrukturen hin zu untersuchen. Diese Einsicht hat eine eminent emanzipatorische Bedeutung hinsichtlich der Herrschaftsansprüche, die seitens der Wissenschaft bzw. einzelner Wissenschaftler im Namen ihres »Wissens um die ersten Prinzipien« immer wieder erhoben werden. In Eckharts Modell ist das absolut erste Prinzip aller Wissenschaft, nämlich der göttliche Intellekt, der sich im reinen »Ich« ausspricht, nicht Teil der binnenwissenschaftlichen Begründungszusammenhänge, sondern kann von jedem Menschen, insofern er ein Vernunftwesen ist, unmittelbar von jedem Punkt der Wirklichkeit aus erkannt werden. Die professionellen Wissenschaftler verfügen damit zwar über detaillierte Spezialkenntnisse hinsichtlich ihres je eigenen Forschungsgebietes, aber über keinen grundsätzlichen Wissensvorsprung mit Blick auf das absolut erste Prinzip der gesamten Wirklichkeit. Eckharts Wissenschaftsarchitektonik verwirft somit nicht die bestehenden Ordnungsschemata der einzelnen Disziplinen, durchbricht aber ihre damit verbundenen Hegemonialansprüche zugunsten einer an-archischen – oder besser: pan-archischen – Zugänglichkeit des ersten Prinzips an jedem beliebigen Punkt der Wirklichkeit und für jeden Menschen gleichermaßen. Damit wird einem theologisch-religiösen Exklusivismus hinsichtlich der Wahrheitserkenntnis ebenso der Boden entzogen wie den illegitimen geistigen Hegemonialansprüchen einer sich ideologisch missverstehenden Philosophie oder – mit Blick auf die heutige Situation – den geheimen Machtträumen einer sich zum gesellschaftlichen Herrschaftswissen aufschwingenden, medizinischbiologischen Lebenswissenschaft. Zugleich stellt Eckharts Ansatz auch eine Absage an jene verengte und vereinseitigte Rationalitätsauffassung dar, die glaubt, eine reinliche Trennungslinie zwischen »profanen« Wissenschaften 202 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Schlussbetrachtung
bzw. Philosophie einerseits und der Auseinandersetzung mit der Hl. Schrift bzw. der Theologie andererseits ziehen zu können. Eckharts Ansatz beruht auf der Grundüberzeugung, dass der biblische Text nicht einfach eine Sammlung von Glaubensartikeln oder religiös-moralischen Erbauungsgeschichten darstellt, sondern nichts anderes enthält als reine Vernunftwahrheiten, die lediglich in verhüllter, weniger offensichtlicher Form dargelegt werden als in den Schriften der Philosophen. Das bedeutet, dass jeder Mensch, insofern er Vernunft besitzt, aufgefordert ist, sich mit dem Text der Bibel auseinanderzusetzen, ganz gleich, wie es um seine Glaubensüberzeugungen auch bestellt sein mag. Gerade weil es bei Eckhart nicht darum geht, an »etwas« zu glauben, sondern das, wovon die Bibel berichtet, als Ausdruck universaler Grundwahrheiten über den Selbstvollzug der eigenen Existenz und des eigenen Weltverhältnisses zu erfahren, ist die Auseinandersetzung mit dem Text der Hl. Schrift immer vernunftrelevant, ganz unabhängig von der persönlichen Religiosität oder Areligiosität des Lesers. Insofern wirkt Eckharts Ansatz sehr modern; nimmt er mit seinem Projekt einer philosophischen Schriftauslegung doch genau jenes von Jürgen Habermas formulierte Desiderat vorweg, die Kirche bzw. die Gläubigen möchten religiöse Aussagen in ein allgemein nachvollziehbares, philosophisches Begriffsregister übersetzen, um ihr semantisches Potential auch nichtgläubigen Menschen zugänglich zu machen. 1 Auffallend ist des Weiteren, dass Eckhart nicht mehr von »der« Theologie, »der« Metaphysik, »der« Naturphilosophie und »der« Ethik im abstrakten Sinne spricht, sondern die inneren, strukturellen Zusammenhänge der einzelnen Disziplinen anhand einer minutiösen Analyse einzelner Sätze aus der Hl. Schrift und den Schriften der großen Philosophen herausarbeitet. Ein einzelner Satz, ja ein einzelnes Wort kann damit zur Erkenntnis der einen und unteilbaren Wahrheit führen, die für Eckhart strenggenommen weder göttlicher noch menschlicher Natur im akzidentellen Sinne ist, sondern in ihrer ungeschaffenen Absolutheit die Sphäre Gottes und der Schöpfung gleichermaßen umfasst und übersteigt. Wissenschaft und Wissenschaftsarchitektonik ist somit etwas, was nicht einfach »besteht«, sondern in der konkreten Auseinandersetzung mit dem biblischen Vgl. J. Habermas, »Vorpolitische Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates?«, in: J. Habermas / J. Ratzinger, Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion, Freiburg / Basel / Wien, Herder, 2005, 15–37, hier 32–36.
1
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Schlussbetrachtung
Text und den großen Werken der Philosophen immer wieder neu erzeugt werden muss. Gerade diese performative Beweglichkeit und Vielgestaltigkeit von Eckharts philosophisch-theologischem Ansatz macht es besonders schwer, die seinem Denken zugrunde liegende Logik klar zu erkennen. Zwar kann man die kurzen, in seinen Bibelkommentaren beiläufig eingestreuten Bemerkungen zu diesem Thema zusammentragen und ihren systematischen Zusammenhang rekonstruieren, doch um den Preis, dass Eckharts immer nur im Durchgang existierende, »präsentische« Wissenschaftstheorie in einer Weise begrifflich zu gerinnen droht, die seinem eigenen Denken nicht wirklich gerecht wird. So, wie Eckhart selbst alle zu seiner Zeit bekannten Modelle einer wissenschaftlichen Architektonik sowie alle kategorialen und transkategorialen Begriffssysteme verwendet, um sie letztlich zu übersteigen, so muss auch der Versuch einer Rekonstruktion seiner eigenen Wissenschaftstheorie letztlich wieder überstiegen und zurückgelassen werden zugunsten einer erneuten Auseinandersetzung mit der irreduziblen Vielgestaltigkeit seines Werkes.
204 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Literaturverzeichnis
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Quellentexte und Werkausgaben
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Werke Meister Eckharts
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Namensregister
Aertsen, J. A. 19, 21, 78, 82, 85, 89, 93, 95–97, 99, 115–116, 126, 132– 133, 136, 153 Alanus ab Insulis 86 Albert, K. 115, 132–133, 141 Albertus Magnus 62, 64, 90, 115 Anaximenes 48 Angelus Silesius 15 Anselm von Canterbury 96 Anzulewicz, H. 56 Arias Reyero, M. 58 Aristoteles 18, 20, 23, 24, 30, 32–35, 36–37, 50–61, 63–68, 74–81, 83– 85, 87–89, 92, 97, 103–107, 113, 119, 120, 131, 139, 142–147, 154, 159, 163, 164, 168, 175, 177, 185– 188, 190, 193–194, 196–197, 200 Arnold, M. 30 Augustinus 41–45, 47, 64, 96, 109, 160, 175, 179, 182 Averroes 63–64, 88, 91, 100, 103, 113 Avicenna 88–90, 91–93, 94, 113, 142, 190 Bach, J. 16 Beierwaltes, W. 31, 39 Bianchi, L. 67 Blumenberg, H. 43 Boethius von Dacien 18, 63, 67 Boethius, Anicius Manlius Severinus 24, 50–53, 59–60, 61, 84–85, 86–87, 92, 115, 117, 125, 175–177, 179, 186, 189–190 Bonaventura 64–66, 105, 126, 150 Brown, S. F. 73
Chatelain, E. 67 Chenu, M.-D. 57 Christus 84–85, 102, 186–188, 193 Chrysippos 36 Clarembald von Arras 175 Clemens Alexandrinus 40 Cohen, H. 22 Courtine, J.-F. 33, 60, 72 Decaix, V. 100–103 Degenhardt, I. 16 Denifle, H. 67 Dietrich von Freiberg 18, 20, 25, 78, 97–103, 104, 113, 119–121, 128– 129, 171 Dionysius (Pseudo-)Areopagita 81– 83, 84, 87, 92, 95, 108 Dreyer, M. 40, 115 Enders, M. 22 Étienne Tempier 67 Feldmeier, R. 41 Fidora, A. 39, 52 Flasch, K. 18, 20, 23, 68, 98, 113, 119 Gaiser, K. 29 Ghisalberti, A. 54 Gilbert von Poitiers 86 Gilson, É. 149 Gire, P. 131, 149 Gödel, K. 118 Gonsalvus von Spanien 73 Goris, W. 115, 127, 132–133, 158
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Namensregister Habermas, J. 203 Hadot, P. 28 Hager, F.-P. 45 Halfwassen, J. 119 Hegel, G. W. F. 16 Heidegger, M. 72 Heinrich Seuse 171 Heinze, R. 36 Heraklit 41, 48 Herzberg, S. 55 Hoenen, M. J. F. M. 115 Honnefelder, L. 69–70, 72 Hugo von Sankt Viktor 164 Iamblichos 38 Imbach, R. 121 Johannes Damascenus 81 Johannes Duns Scotus 68–72, 73, 122, 124, 126 Johannes Tauler 15 Justinus Martyr 40
Mieth, D. 22, 115–116 Mojsisch, B. 23–24, 97, 100, 194 Moses 186–188, 193 Musil, R. 16 Němec, V. 82–83 Nestorius 84 Niederberger, A. 39 d’Onofrio, G. 51 Origenes 45–50, 58, 180–181, 186 Petrus Abaelardus 86 Philippus Cancellarius 78 Platon 28–31, 32, 34, 50, 74, 77, 79, 82, 104, 107, 113 Plotin 37–39, 41 Porphyrios 41, 84 Priscianus 143 Proklos 38–40, 82, 117 Prügl, T. 58 Quero-Sánchez, A. 89
Kant, I. 47 Kelly, C. F. 22 Kobusch, T. 37, 46, 73–74, 98, 105, 143, 177 Koch, J. 17, 132–133 Koutzarova, T. 88–90 Krämer, H. 29 Lafleur, C. 67 Lask, E. 79 Levinas, É. 136 Libera, A. de 62, 68, 88, 98, 103, 108, 111, 113, 143, 145 Lies, L. 48 Lisi, F. L. 29 Löser, F. 17 Lossky, V. 125 Maimonides 115, 128, 181 Manstetten, R. 117 Marrone, S. F. 68 Martensen, H. 17 Mauriège, M. 142 Meliadò, M. 115
Roesner, M. 106 Roos, H. 18 Ruh, K. 17 Schirpenbach, M. P. 153 Schwartz, M. 28 Schwartz, Y. 115 Schwienhorst-Schönberger, L. 47 Siger von Brabant 63 Sileo, L. 65 Solère, J.-L. 59, 117 Speer, A. 23, 50–52, 61, 67, 115, 125, 177, 179 Steel, C. 38, 64 Steinmetz, P. 37 Sturlese, L. 18, 64, 171 Suárez, F. 78 Svensson, M. 44 Thales von Milet 48 Thierry von Chartres 86, 87, 175 Thomas von Aquin 51, 57–61, 64, 68, 75, 91–96, 101, 103, 105, 113, 119,
220 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Namensregister 121–122, 125, 126–127, 129, 130, 133, 134, 136, 138, 141, 149–151, 153, 190, 192 Valente, L. 85–87, 153 Verbeke, G. 91 Vinzent, M. 148
Wels, H. 67 Wieland, G. 177 Wilpert, P. 67 Winkler, E. 74 Wirmer, D. 63 Xenokrates 36
Wéber, É.-H. 20, 123, 150
Zimmermann, A. 118
221 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
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Sachregister
Abduktion, abduktiv 116 Abgeschiedenheit, abgeschieden 196– 199 Abstraktion, abstrakt 28, 32–33, 51– 52, 54, 70–72, 104, 124, 126–127, 139, 148, 153, 155, 157, 177, 180, 183, 203 Akzidens, akzidentell 57, 81, 89–90, 92–93, 106, 116, 133, 135, 142–143, 145, 147, 154, 191, 203 Altes Testament (Siehe auch Bibel, Hl. Schrift) 180–181, 187–189, 193 Analogie, analog 47, 79, 80, 86–87, 109, 111, 123, 147, 153, 166–168, 181, 189, 193 aposteriorisch 20, 51, 75, 127, 139, 151, 157, 159 Apriori, apriorisch 19–20, 23, 50, 70, 72, 75–76, 88–89, 116, 123, 127, 151, 157 Äquivozität, äquivok 84, 87 Aristotelismus 20, 25, 61, 63–64, 66, 88, 186 Arithmetik 44 Armut im Geiste 15 Astronomie 44–46 Averroismus 62, 64, 68 Axiom, axiomatisch 39, 53, 115–116, 139, 200 Bibel, biblisch (Siehe auch Hl. Schrift) 11–12, 18, 23, 25, 42–44, 47–50, 57–58, 60, 74, 76, 80, 115, 118, 125, 131, 156, 175, 179–181, 183, 185, 188–189, 194, 202–203 Biologie, biologisch 46, 202
Christologie, christologisch 50 Deduktion, deduktiv 19, 39–40, 54, 115–118, 159, 188, 202 Diskurs, diskursiv 11, 30, 37, 55, 65, 76–77, 83, 86, 118, 140, 158, 160, 174, 178–179, 201 Dreifaltigkeit, dreifaltig 45, 48, 49, 50, 67, 74, 94, 108–109, 111–112, 142–143, 145, 152–153, 156, 160, 166, 173, 176, 185, 192–194 ego Siehe Ich Einheit, Eines 24, 79, 81–85, 90, 106– 109, 111–112, 117, 130, 132, 137, 140, 144–145, 147–148, 153–156, 172, 174, 187, 191, 195, 199, 200 Ekstase, ekstatisch 37, 178 Emanation, emanativ 76, 82, 99, 156 Epoptie, epoptisch 37, 46, 180, 186 Erkenntnis, Erkennen 12, 15, 20–25, 27–29, 31–37, 39–44, 46–47, 49, 51–57, 60, 62–66, 69–71, 73, 75–77, 79, 83, 86, 89–90, 93–101, 103–109, 111, 117–118, 121–122, 124–128, 130–131, 134–135, 137–141, 144, 146, 149–150, 156–166, 168–174, 177–181, 183, 185–188, 193–194, 200–203 Erkenntnistheorie, erkenntnistheoretisch 53, 55, 60, 65, 74–75, 82, 95, 98, 102 Erleben, Erlebnis 16, 107 Erste Philosophie (Siehe auch Metaphysik, Ontologie) 34, 54, 88–89, 91–92, 136, 165, 190
223 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Sachregister Ethik, ethisch 23, 28, 32, 35–37, 40– 41, 44, 46–47, 63, 65–66, 69, 94, 103, 133, 136, 162, 169–170, 173, 176–182, 185, 201–203 Evangelium 24, 122, 166, 181, 186, 189–194 Evidenz, evident 54–57, 71, 117, 141, 144–145, 150–152, 157, 183–185, 194, 201 Ewigkeit, ewig 15, 18, 47, 56–57, 63, 102, 166, 176, 178, 187–188, 190 Exegese, exegetisch (Siehe auch Schriftauslegung) 19, 47, 58–59, 74, 116, 125, 131, 194 Exemplarursache, causa exemplaris 123 Exodusmetaphysik 149 Form, intelligible 52–53, 61, 91, 100, 126, 163–165, 168, 176–180, 190– 191, 193, 196, 200 Form, forma 33, 51–52, 87, 91, 104, 129, 139, 146, 155, 163–166, 168– 174, 176, 184–185, 191 formal 46–47, 54, 69–72, 85–86, 92, 102, 118, 122–124, 142–143, 145, 185, 190, 201 Formursache, causa formalis 129, 163, 171 Gattung –, literarische 18–19, 48, 58, 114, 118 –, logische 30–31, 78, 80, 84, 89, 104, 108, 131, 144, 147, 149, 167, 189 Geist, geistig 15, 18, 38, 49, 74, 79, 86–87, 91, 95, 98–99, 119, 126, 128, 144, 146, 150–152, 155–159, 160, 164, 166–168, 176, 178, 187, 190– 191, 196–197, 202 Geist, geistlich 181, 195, 197, 199 Geographie 46 Geometrie 44, 54 Gerechtigkeit, Gerechter 83, 134– 135, 155, 169–170, 177, 185 Geschöpf, geschaffen 43, 48, 69–70, 75–76, 85–86, 90, 95, 112, 119, 120, 121–124, 127, 129, 133–134, 137–
138, 141, 144–146, 149, 151–153, 155–159, 161, 174, 191–192, 194, 196 Glückseligkeit, beatitudo 42, 63, 68, 73, 102, 128, 170 Gott, göttlich 15, 16, 25, 35–36, 42– 43, 45, 47–52, 56–57, 60–61, 64–65, 69, 70–72, 75–76, 80–83, 85–92, 94–96, 99–103, 108–112, 116–119, 120, 121–131, 133–139, 141–143, 145–157, 159–162, 166, 168, 170– 174, 176, 178, 181–183, 191–199, 201, 203 Gottesgeburt 15, 18 Gottheit –, Christi 185 –, heidnische 38–39 Grammatik, grammatikalisch 43, 77, 143, 153, 169 Gutheit, Gutes 46, 82–83, 85, 95, 103, 112, 120, 134, 135–137, 153–156, 173 Heiliger Geist 95, 109–110, 112, 120 Heilsgeschichte, heilsgeschichtlich 56–57, 70, 75, 129–131, 134 Henologie, henologisch 38, 108–109 Hermeneutik, hermeneutisch 43–45, 115, 182–183, 194 Hl. Schrift (Siehe auch Altes Testament, Bibel, Evangelium) 19, 22, 23, 44, 46–48, 50, 57, 69, 75, 116, 130–131, 175, 179–183, 185, 187– 188, 193–194, 203 Ich 23, 25, 107–108, 118, 135, 141– 145, 148–150, 152, 157–159, 172, 195–196, 201–202 Idee 29–31, 79, 95, 107, 119, 133, 152, 157, 176, 178 Identität, identisch 24, 30– 31, 33, 46, 62, 76, 81, 93, 122, 124, 126, 128, 136, 141, 144–145, 150–151, 172, 174, 177, 194 Individualität, Individuum 25, 51, 57–58, 60, 65, 69, 75, 76, 80–81, 92, 99, 124, 131, 143, 155–156, 194
224 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Sachregister Induktion, induktiv 54, 159, 188 Inkarnation 67, 74 Intellekt, intellektuell 15, 18, 21, 23, 25, 42–43, 55, 60–66, 70–71, 73, 76, 78, 91, 93, 95–100, 103, 105–107, 118–119, 120, 122–131, 137–141, 144–145, 148–149, 151–152, 156– 161, 164, 167–168, 171, 178, 191– 193, 196, 202 Intellekttheorie, intellekttheoretisch 15, 18, 25, 63, 78, 98–100, 102–103, 105–106, 113, 119, 121, 128, 172 intelligibel 30–31, 45, 61, 91–92, 95, 98, 100, 106, 123–124, 126–127, 135, 138–139, 142, 158–159, 163– 166, 168, 172, 176, 193, 195 Intuition, intuitiv 31, 70–71, 77, 140, 158 Kategorien, kategorial 22, 30, 50, 70, 75–76, 78, 80–81, 83–84, 94, 97–99, 106, 120–121, 131, 142, 145–149, 173, 204 Kausalität, kausal 60, 95–96, 136, 159, 163, 168, 202 Kontingenz, kontingent 25, 36, 56– 57, 70–71, 75, 88–90, 103, 127, 131, 134–135, 156, 194 Korrelation, korrelational 152, 168 Kosmologie, kosmologisch 29, 33, 48, 197 Kult, kultisch 41 Leben –, ewiges 56, 63, 102 –, geistliches 195, 199 –, göttliches 72, 77, 145, 173, 193 –, irdisches 49, 56, 100, 126–127, 159 Leben, lebendig 78, 125, 144–146, 150, 156, 162, 167, 171–172, 186 Leben, Lebensform 28–30, 35–37, 40, 42–43, 49, 55, 62, 63, 65, 68–69, 77, 102, 103, 170, 185, 196, 200 Lebenswissenschaft 202 Logik, logisch 22, 25, 29–31, 36–37, 46, 54, 65–66, 74, 77, 79, 80, 82–85, 87, 104, 111, 113, 118, 125, 131,
141, 145, 149, 152, 154, 176, 180, 185, 195, 204 Logos –, christlicher 45, 166, 170, 201 –, philosophischer 12, 31, 36, 46, 49 Magie, magisch 38 Materialursache, causa materialis 163 Materie, materiell 33, 48–49, 51–52, 69, 75, 88, 91, 92, 106, 126, 139, 163, 166, 168, 174, 176, 178, 184– 185, 188, 191, 197 Mathematik, mathematisch 32–33, 51–52, 54, 139, 175–176, 179 Metaphysik, metaphysisch (Siehe auch Erste Philosophie, Ontologie) 15, 18, 23–25, 28, 32–40, 45, 48, 50–56, 59–61, 63–65, 70–72, 76–77, 79, 80, 82, 85, 87–92, 94–96, 98, 100–102, 104, 107, 112–113, 115–116, 118–119, 121–122, 125, 130–134, 136, 138, 139, 142–146, 150, 152–153, 155–157, 159, 162– 163, 165, 168, 171, 175, 177, 181– 183, 186, 188–194, 196–197, 201– 203 Monotheismus, monotheistisch 41 Moral, moralisch 15, 32, 37, 40, 46, 47, 58, 69, 102, 170, 177, 181, 185, 203 Moralphilosophie, moralphilosophisch 58, 75, 173, 180, 183 Mystik, mystisch 12, 15–16, 36–37, 46, 62, 64, 69, 72, 105, 109, 162, 177, 181, 200 Naturphilosophie, naturphilosophisch 37, 45, 46, 48, 66, 131, 173, 176, 179–183, 185, 188, 194, 202– 203 Naturwissenschaft, naturwissenschaftlich 165, 168, 173, 181–182 Negativität, negativ 75–77, 79, 83– 84, 86–87, 93, 94, 108, 124, 145, 156, 191 Neues Testament 180, 187–188
225 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Sachregister Neuplatonismus 35–42, 45, 82–83, 85, 95, 113, 117 Nichtsein, Nichts 31, 77, 92, 124, 132–133, 197–199 Offenbarung, geoffenbart 11–12, 22– 23, 40, 42, 47–50, 56–58, 64, 66, 69–71, 75, 101–103, 125, 127–131, 134, 156, 183, 186, 188 Offenbarungstheologie 23–24, 49– 50, 55–56, 59–61, 63, 67–68, 91, 99–103, 118, 121, 128, 130, 161, 195, 200 Ontologie, ontologisch (Siehe auch Erste Philosophie, Metaphysik) 31, 33, 39, 52, 55, 60, 76, 80–81, 84–88, 91–92, 94, 96–98, 100, 103, 106– 107, 121–122, 123, 131, 136, 137, 142, 146–147, 150, 154, 159, 167– 168, 172, 190, 196 Patristik, patristisch 24, 27, 40, 53, 55, 74, 161–162, 186 Philosophie, philosophisch passim Physik, physisch (Siehe auch Naturphilosophie, Naturwissenschaft) 32–33, 36–37, 46–48, 51–52, 54, 88, 103, 130, 139, 163, 175–176, 180, 184, 186, 189, 191, 193–194 Platonismus 45, 49, 79, 82–83 Polytheismus, polytheistisch 41, 82 Praxis, praktisch 11, 15, 25, 29, 32, 35–38, 40–42, 45, 55, 57, 65, 69, 73, 76, 102, 133–134, 136, 162–164, 166, 169, 171–173, 176–178, 183, 196, 200–201 Prinzip, principium 21–22, 24–25, 28–32, 38–39, 46, 48–50, 54–60, 62, 65, 67, 69, 75–77, 82, 86, 91–92, 96–97, 99, 104–106, 111–112, 114, 116, 118, 122, 129, 130, 133–134, 139–141, 143, 145–146, 148, 152, 155, 157, 160, 162–163, 166, 168– 169, 174, 182–184, 189, 192, 194– 195, 200–202 Privation 132, 184 Prophetie, prophetisch 177–178
Psychologie, psychologisch 53, 66, 109 Raum, Räumlichkeit 37, 51, 158 Reflexion, reflexiv 17, 27, 29, 31–32, 56, 77, 107, 118–119, 124, 127, 131, 140, 142–145, 148, 150, 156, 191, 201 Relation, relational 24, 30, 39, 50, 90, 96–97, 99, 101, 104, 109, 111, 145– 148, 152, 157, 173, 199, 201 Religion, religiös 11–12, 22, 32, 36, 38–41, 72, 133, 197, 202–203 Rhetorik, rhetorisch 17, 43 Scholastik, scholastisch 12, 16, 18–19, 24–27, 58, 61, 64, 74, 78–79, 85–88, 91, 98, 104, 118, 119, 121, 125, 129, 131, 149, 153, 161–162, 186, 200, 202 Schöpfung 45, 60, 76, 82, 85, 89, 95, 101, 123–124, 129, 134, 140–141, 145, 151, 156–158, 192, 203 Schriftauslegung (Siehe auch Exegese) 47, 53, 58, 74, 175, 186 Seele, Seelenheil 47, 170 Seele, Seelenvermögen 15, 18, 52–53, 93, 109–112, 119–120, 128, 133, 147, 171, 174, 185 Sein, Seiendes 25, 31, 33, 35, 39, 69– 70, 76–77, 79, 80–87, 89–93, 95–99, 104–105, 112, 117, 119, 120, 121– 125, 128, 131–134, 136–139, 141– 142, 145–151, 153–156, 158, 167, 171, 176–178, 187, 189–192, 196, 201 Selbstbewusstsein 16, 142, 146, 150, 195 Selbsterkenntnis 15, 25, 35, 57, 59, 66, 71, 77, 97, 103, 108, 120, 139– 141, 144, 148–149, 158, 160, 191, 201 Semantik, semantisch 30, 80–81, 83– 85, 87, 93, 104, 203 Spekulation, spekulativ 15–17, 25, 55, 69, 96, 102, 106, 125, 132, 141, 144, 176, 177
226 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Sachregister Spiritualität 15, 195, 197 Stoizismus 35–37, 41, 46, 49, 177, 180–181 subiectum –, als Substrat 77, 93, 142, 176, 178 –, einer Wissenschaft 59–60, 71, 91, 92, 100, 101, 118–119, 129, 188– 192, 195, 199 Subjekt, grammatikalisches 30, 83, 86, 90, 142, 144, 151 Subjekt, Subjektivität 25, 28, 32, 57, 104, 107, 137, 142, 149, 160, 172, 180, 191, 201 Substanz, substantiell 24, 50, 75, 77– 78, 80–81, 90, 91–92, 93, 97–98, 104, 106, 125, 128, 132–133, 135, 142–149, 151–152, 154, 157–159, 173–174, 189–191, 196–197, 201 Supertranszendentalien 143, 201 System, systematisch 17–19, 21–22, 24–25, 32, 34–35, 39, 48, 50, 52, 57–59, 66, 75–76, 78–83, 85, 90, 92, 95, 103–104, 114, 116, 118, 132– 134, 143, 148, 152–153, 161, 172, 183, 202, 204 Teleologie, teleologisch 20, 43, 46, 68, 101, 161–162, 173 Theologie –, christliche 12, 16, 19–20, 22–27, 41, 43, 47, 50, 53–59, 61–62, 65–74, 75, 80–81, 85, 97, 100–102, 104, 106, 109, 112, 113, 115–116, 122, 126, 130, 134, 136, 161, 171, 173– 175, 177–179, 195, 200–203 –, negative 83, 86, 108 –, philosophische 39–40, 46, 51–52, 82, 128, 136, 176–177, 179 –, praktische 133 Theologik (Siehe auch Theologie, philosophische) 23, 46, 50–51, 56, 60, 63, 67, 69, 91, 101, 130, 181, 202 Theorem, theorematisch 19, 40, 115– 118, 140, 141, 144 Theorie, theoretisch 22, 23, 25, 28– 29, 32–37, 40, 46, 49, 51–53, 56, 60, 63–64, 79, 88, 135, 136, 140, 161–
163, 166, 168–173, 175–180, 186, 200–201 Theurgie, theurgisch 38 transkategorial, transgenerisch 25, 72, 78–90, 93–97, 104, 131, 134, 137, 152, 155, 157, 204 Transzendentalien, transzendental 22, 25, 79, 83, 88, 93, 95–97, 99, 104–105, 111–114, 131–139, 142, 150, 152, 153, 154–156, 201 Transzendentalphilosophie, transzendentalphilosophisch 31, 80, 89, 92, 99, 105, 107, 118–119, 127, 140, 147, 172 Transzendenz, transzendent 30, 39, 60, 80, 82, 83, 91, 94, 96, 105, 143, 150, 155 Trinität Siehe Dreifaltigkeit Tugend, tugendhaft 29, 37, 133–134, 136, 174, 182, 185 Tugenden –, dianoetische 35, 63, 66, 162, 169 –, ethische 66, 162, 169 Überzeitlichkeit, überzeitlich 21, 130, 163, 193 Ungeschaffenheit, ungeschaffen 15, 76, 118, 124–125, 127, 129, 134, 156–157, 160, 170, 196, 201, 203 Universalität, universal 12, 28, 32– 34, 36, 39, 43, 46, 52, 60, 65–66, 69– 70, 75, 78, 82, 88–89, 91, 104, 117, 130–131, 148, 154–155, 157, 160, 162, 164, 166, 170, 175, 192, 194, 203 Univozität, univok 29, 70, 72, 85–87, 119, 122–125, 147–148, 151–153, 155–156, 159–160, 166–168, 170, 201 Ursprung 21–22, 34, 48, 49, 59–60, 69, 76–77, 82, 87, 96–100, 102–103, 107, 112, 117, 118, 119–122, 124, 128–129, 137–141, 143–146, 148– 149, 151–152, 155–156, 158–160, 163, 166–167, 172–174, 182, 191, 195, 199, 201
227 https://doi.org/10.5771/9783495813577 .
Sachregister Vernunft, vernünftig 11–12, 16, 18, 22, 23, 29, 35–38, 40, 42, 44, 46–50, 52, 55–56, 59–61, 64, 68, 91, 93, 96–97, 100–103, 105, 108, 119–120, 125–126, 131, 134, 144, 151, 163, 164, 167, 173, 179, 183–184, 189– 190, 194, 201–203 Vorsehung, providentia 39, 46, 101– 103, 129 Wahrheit, Wahres 22–23, 28, 30–31, 40–42, 47–49, 65, 67, 77, 79, 82–83, 95–96, 110, 112, 125, 130, 132, 134, 136–137, 153–156, 173–174, 181– 189, 202–203 Weisheit, Weiser 23, 28, 34, 36–37, 40–41, 43–44, 46, 53, 55, 59, 64–66, 120, 124, 134, 135, 145, 152, 155, 158–159, 164–165, 170, 178, 181, 200 Wesen, essentia 29, 43, 49, 57, 60, 69–70, 76, 78, 83, 92, 95, 97, 99– 101, 106, 108–109, 111–112, 121– 125, 127–128, 130, 135, 138, 140, 142–143, 146, 148–149, 151–153,
155–157, 159–160, 165, 167, 170– 171, 173, 179, 182, 185, 189, 194, 196, 202 Wesensursache, causa essentialis 99, 119, 155, 166 Wirkursache, causa efficiens 96, 102, 119, 123, 129, 155, 163, 171, 191, 192 Wissenschaftsarchitektonik 19–21, 34, 36, 44, 53, 59, 65, 74, 99, 109, 112–113, 140, 172, 186, 194, 200, 202–204 Wissenschaftstheorie, wissenschaftstheoretisch 21, 24–25, 27, 32, 43, 45, 50, 53–54, 64, 66, 73, 77, 105, 113, 117, 119, 125, 131, 134, 137, 139–141, 143, 150, 152, 157, 177, 186, 194–195, 200, 202, 204 Zeit, Zeitlichkeit 21, 23, 35, 42, 51, 55, 74, 97, 120, 130, 134, 140, 158– 159, 187–190, 194, 202 Zielursache, causa finalis 102, 129, 163, 171, 191
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