Literaturwissenschaftliches Jahrbuch: 5. Band (1964) [1 ed.] 9783428423514, 9783428023516

Das Literaturwissenschaftliche Jahrbuch wurde 1926 von Günther Müller gegründet. Beabsichtigt war, in dieser Publikation

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Literaturwissenschaftliches Jahrbuch: 5. Band (1964) [1 ed.]
 9783428423514, 9783428023516

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LITERATÜRWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH IM AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN V O N PROF. DR. H E R M A N N K U N I S C H

NEUE FOLGE / FÜNFTER BAND

1964

Das ,Literaturwissensdiaftliche Jahrbuch' wird im Auftrage der Görresgesellschaft herausgegeben von Professor Dr. Hermann Kunisch, 8 München 19, NürnbergerStraße 63. Schriftleitung: Dr. Schwalbenstr. 4a.

Wolf gang Frühwald,

8901 Stadtbergen

über Augsburg,

Das »Literaturwissenschaftliche Jahrbuch' erscheint als Jahresband jeweils im Umfang von etwa 20 Bogen. Manuskripte sind an den Herausgeber zu senden. Unverlangt eingesandte Beiträge können nur zurückgesandt werden, wenn Rückporto beigelegt ist. Es wird dringend gebeten, die Manuskripte druckfertig, einseitig in Maschinenschrift einzureichen. Den Verfassern wird ein Merkblatt für die typographische Gestaltung übermittelt. Die Einhaltung der Vorschriften ist notwendig, damit eine einheitliche Ausstattung des ganzen Bandes gewährleistet ist. Besprechungsexemplare von Neuerscheinungen aus dem gesamten Gebiet der europäischen Literaturwissenschaft, einschließlich Werkausgaben, werden an die Adresse der Sdiriftleitung erbeten. Eine Gewähr für die Besprechung kann nidit übernommen werden. Verlag: Duncker & Humblot, 1 Berlin 41 (Steglitz), Dietrich-Sdiäfer-Weg 9.

LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH F Ü N F T E R BAND

Ernst Barlach: Theodor Däubler

LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH I M AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON HERMANN

NEUE FOLGE/FÜNFTER

KÜNISCH

BAND

1964

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1965 Duncker & Humblot, Berlin Gedruckt 1965 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany

INHALT AUFSÄTZE Rudolf Schützeichel (Bonn), Justitiam vendere

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M. Daniele Dörflinger OSF (Dillingen/Donau), Das barocke Roratespiel. Ein Beitrag zur Geschichte liturgischer Spiele 13 Felix Karlinger (München), Das sardische geistliche Spiel vom Ende des 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts 61 Eudo C. Mason (Edinburgh), »Wir sehen uns wieder!« Zu einem Leitmotiv des 79 Dichtens und Denkens im 18. Jahrhundert Eugeniusz Klin (Breslau), August Ferdinand Bernhardis Kritik der zeitgenössischen Literatur 111 Winfried Weier (Würzburg), Entwicklungsphasen des Todesproblems in der deutschen Tragödie zwischen Idealismus und Realismus 143 Franz Niedermayer (München), Unamuno und Deutschland. Zum 100. Geburtstag Miguel de Unamunos am 29. September 1964 177 Alessandro Pellegrini

(Mailand), Schillers Werk im Urteil von Benedetto Croce 201

Eckart Peterich (München), Theodor Däubler. Erinnerung und Betrachtung . . 215 Margarete Kupper (Würzburg), Wiederentdeckte Texte Else Lasker-Schülers .. 229 Rudolf Eppelsheimer Moderne

(München), Oskar Loerke. Zum Realitätsproblem der 265

Wilhelm Ho ff mann (Köln), Der Briefwechsel zwischen Elisabeth Langgässer und Hermann Broch 297 KLEINE BEITRÄGE Josef Szöverffy (New Häven, Conn.), Der ,Ackermann aus Böhmen* und die Hymnentradition. Eine bisher unbeachtete Quelle für die Aufzählung der Artes in Kapitel X X V I 327 Ferdinand Bergenthal (Burghausen/Salzach), »Das Wort ist ein Fächer!« Über Goethes Sprachauffassung im ,West-östlichen Divan' 335 Marianne Thalmann (München), Der Manierismus in Ludwig Tiecks Literaturkomödien 345 BUCHBERICHTE U N D -BESPRECHUNGEN Jacob Steiner (Münster i. W.), Zur Literaturkritik Wolfgang

Frühwald

(Bochum), Zu neueren Brentanoausgaben

353 361

Bruno Hillebrand (München), Gottfried Benn im Spiegel der Literatur. Kri381 tische Durchsicht des Schrifttums seit 1949

VI Kurt Reichenberger Bosco

Inhalt (Kassel), Stil und Lebensgefühl Petrarcas bei Umberto 427

Kurt Reichenberger (Kassel), Historische Wandlungen des Renaissancebegriffs seit Burckhardt. Ergebnisse und Deutungen des Symposions der MedievalRenaissance-Guild 433 Dieter Holz (Berlin), Analogie und Metapher. Zu Gottlieb Söhngens neuscholastischer Sprachlehre 445

Helmut Gipper, Bausteine zur Sprachinhaltsforschung. Neuere Sprachbetrachtung im Austausch mit Geistes- und Naturwissenschaft. (Sprache und Gemeinschaft. Im Auftrag eines Arbeitskreises für deutsche Sprache hrsg. von Leo Weisgerber, Studien/Band I). (Von Siegbert Latzel) 456 Torquato Tasso t La Gerusalemme Liberata. A cura di Giovanni Getto. (Von Kurt Reichenberger) 461 Torquato Tasso, Gerusalemme Liberata. Kurt Reichenberger)

A cura di Lanfranco Caretti. (Von 461

R. Scrivanoy Ii manierismo nella letteratura tura). (Von Kurt Reichenberger)

del Cinquecento. (Biblioteca di Cul463

E. DecahorSy Histoire de la littérature française. Tome II: Le XVI e siècle. (Cours de littérature française, sous la direction de E. Decahors et A. Ferran). (Von Kurt Reichenberger) 466 Ottilie von Goethe. Tagebücher und Briefe von und an Ottilie von Goethe. Hrsg. und eingeh von Heinz Bluhm. 2 Bände. (Von Bernhard Gajek) 467 August von Goethe und Ottilie von Pogwisch. Briefe aus der Verlobungszeit. Erstausgabe. Hrsg. von Heinz Bluhm. Mit einem Kommentar von Dorothea Lohmeyer-Hölscher. (Von Bernhard Gajek) 472 Georg LukacSy Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik. (Von Eugen Thurnher) 475 Michael Landmann, Die absolute Dichtung. Essais zur philosophischen Poetik. (Von Johannes Kleinstück) 479 Zu den Abbildungen

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Namen- und Sachregister

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JUSTITIAM VENDERE Von Rudolf Schützeichel Karl Langosch, dem diese Zeilen zum 60. Geburtstag gewidmet sind, hat in seinem wissenschaftlichen Werk neben der lateinischen auch die deutsche Literatur des Mittelalters in verschiedener Weise gefördert. Die Verbindungen zwischen den beiden Literaturen sind vielfältiger Art. Sie sind aber vielleicht da am eindrucksvollsten, wo aus der Kenntnis mittellateinischer Literatur und mittellateinischen Sprachgebrauchs das Verständnis volkssprachiger Texte überhaupt erst ermöglicht wird, was hier an einem Beispiel gezeigt werden soll.

I Das alemannische Memento mori vom Ausgang des 11. Jahrhunderts nimmt in der literaturgeschichtlichen Betrachtung eine eigentümliche Schlüsselstellung ein; und nicht zuletzt mit seiner Hilfe hat man eine umfassende Beurteilung der deutschen Literatur der Salierzeit versucht. Nun ist es seit langem zweifelhaft geworden, ob es tatsächlich möglich ist, sozusagen mit dem Titel eines einzigen Dichtwerkes Geist und Gehalt eines ganzen literarischen Abschnittes zu begreifen oder zutreffend zu charakterisieren. Vor allem aber brachte die aus diesem oder jenem Grunde immer wieder unternommene Beschäftigung mit dem Denkmal selbst allmählich deutlicher die Schwierigkeiten zum Vorschein, die der Text an einigen Stellen birgt, deren Behebung aber die unerläßliche Voraussetzung für eine wirklich befriedigende Einschätzung und Einordnung des Gedichtes sein dürfte 1 . Gleichwohl konnte der Sinngehalt des relativ spät entdeckten Gedichtes — aufs Ganze gesehen — alsbald erschlossen werden. Und der Entdecker K. A. Barack traf zum mindesten etwas Richtiges, wenn_.er die Dichtung 1

Vgl. zum Folgenden die ausführliche Untersuchung des Gedichtes, die auch die älteren Auffassungen zu den Textstellen und zu den auftretenden Fragen berücksichtigt und die durch Register zusätzlich erschlossen ist: R. Schützeichely Das alemannische Memento mori. Das Gedicht und der geistig-historische Hintergrund, 1962 (mit 1 Faksimile). Für alle Einzelnachweise sei auf diese Studien verwiesen, so daß der Anmerkungsapparat des vorliegenden Aufsatzes weitgehend entlastet werden kann. Diesem Aufsatz mag insbesondere die Aufgabe zufallen, das Hauptproblem des Denkmals und seine Lösung schärfer herauszuarbeiten und zu einigen neueren Äußerungen über das Gedicht Stellung zu nehmen. 1 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 5. Bd.

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Rudolf Schützeiel

Memento mori nannte, ein Titel, der sich freilich in der Handschrift selbst nicht findet, wie es für diese frühe Zeit auch nicht anders zu erwarten ist 2 . Dem Inhalt nach handelt es sich jedenfalls um eine aufrüttelnde Mahnung: nu denchenty wib unde man, war ir sulint werdan = wohin ihr gelangen sollt, — ir minnont tisa brodemi — ihr liebt diese Gebrechlichkeit, diese vergängliche Welt also, unde wanint iemer hie sin = und glaubt, immer hier zu bleiben, — doch: ir sulent all ersterben und müßt dann reda ergeben = Rechenschaft ablegen; niemand ist ausgenommen: nccheiman ist so here , und kein Reichtum dieser Welt nützt ihm etwas; der Tod ist ein ebenare: ein Gleichmacher; er kommt wie ein Dieb: ter tot ter bezeichint ten tieb ; ihr aber gleicht dem Wanderer, der unter einem Baume eingeschlafen ist, der vergessen hat, wohin er sollte: Ir bezeichint allo den man — ter boum bezechint tisa werlt. Glücklich aber, wer bereit ist, wenn der Bote kommt, wer durch ein entsprechendes Verhalten in dieser Welt — so got selbo gebot — sich auf die weite Reise vorbereitet hat: ter da gedenchet an die langun vart . Einfache Gedanken also, die den Menschen in statu viatoris zeigen sollen. Dabei werden die beiden umstrittenen Schlußstrophen vielleicht unberücksichtigt bleiben müssen, da sich die Zweifel an ihrer Echtheit nicht leichthin beiseiteschieben lassen3. Im übrigen beherrscht das ernste Memento mori die ersten sechs Strophen völlig, tritt auch von der zwölften Strophe an — mit der Erwähnung des boten gotes — wieder stärker hervor, während das Mittelstück — ganz allgemein gesagt — von dem rechten 2

Vgl. noch E. Schröder , Aus den Anfängen des deutschen Buchtitels, 1937. Das gelingt auch W. Schröder nicht (ADA 74, 1963, S. 75). Seine Ausführungen zeigen nur noch einmal, daß die Schlußstrophen wie die überschüssigen Verse der 17. Strophe aus dem Material oder doch aus dem Verständnis des vorangegangenen Gedichtes gewonnen sind (R. Schützeichel , a.a.O. S. 75). »Die stilistische Eigenständigkeit der Schlußstrophen ist jedenfalls unverkennbar« (ebd., S. 92). »Die Strophen mögen unter Umständen sogar von dem Dichter selbst herrühren, der seinem Gedicht einen abschließenden Nachtrag mit einem Schlußgebet geben wollte« (ebd., S. 93, 97). Kein Geringerer als G. Ehrismann (Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, I I , 1, Neudruck 1954, S. 186) hatte schon bemerkt, daß »Sprache und Gedanken am Schluß eine fühlbare Steigerung erfahren«. Das braucht noch nicht zu einer Annahme zu verleiten, wie sie W. Krogmann (VL V, 1955, Sp. 678 ff.) vertreten hat, nämlich »daß das Memento mori mit einem nur bruchstückhaften Gedicht verbunden worden wäre, dem der Schreiber dann noch die beiden Schlußverse hinzugefügt hätte« (R. Schützeichel , a.a.O. S. 92 f.). Immerhin hat auch H . Rupp (Deutsche religiöse Dichtungen des 11. und 12. Jahrhunderts, 1958, S. 4) »die beiden letzten Strophen, die das Gedicht auch gedanklich gültig abrunden« — wie er sich ausdrückt — zusammengefaßt, wenn er sich auch über den genauen Sinn der Schlußverse dort keine Rechenschaft gibt, noch weniger über den genauen Sinn des übrigen Gedichtes in seinen Einzelheiten. Gleichwohl meint er neuerdings, die unverkennbare stilistische Eigenständigkeit der Schlußstrophen als »zuviel behauptet« einfachhin abtun zu können (AStNSp 200, Jg. 115, 1963, S. 293). 3

Justitiam vndere

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Leben in der menschlichen Gemeinschaft spricht 4, das allein ze der ewigun mendin, der ewigen Freude, führt 5 . II Dieses Mittelstück nun enthält einen Passus, der sich einem genaueren Verständnis leicht entzieht, so einfach er auf den ersten Blick auch anmuten mag. I n der zehnten Strophe heißt es: wanda er daz reht verchoufta so vert er in die hella; da muoz er iemer inne wesen: got selben hat er hin gegeben: Denn er verkaufte daz reht: Deswegen fährt er in die Hölle. Darin muß er für immer bleiben: Gott selbst hat er hingegeben6. 4 Ein solcher »Dreischritt« des Inhaltlichen sollte nicht als eine zu scharfe Zergliederung und Zerteilung des Dichtwerkes mißverstanden werden; vgl. R. Schützeichel, a.a.O. S. 97 f. 5 Die Aufforderung an den Menschen, sin selbes böte zu sein, bahnt schon \n der vierten Strophe die Möglichkeit an, anschließend den richtigen Weg aufzuzeigen, der zu der ewigen Freude führt (R. Schützeichel, a.a.O. S. 43 ff.). Es ist an dieser Stelle nämlich durchaus mehr gesagt, »als daß es kein zuverlässiges Wissen vom Leben im Paradies gebe und jeder sein eigener Bote dahin sein müsse«, wie W. Schröder (ADA 74, 1963, S. 73) meint. Dabei übergeht er die Zeile sulnd ir iemer da genesen, die den Zusammenhang überhaupt erst herstellt, auf den es dem Dichter ankommt: Wer das Heil erlangen will, muß sich selbst Bote sein, was doch nichts anderes bedeutet, als daß er sich selbst sozusagen vorauseilen muß. Wie das aber etwa geschehen kann, wird aus den a.a.O. herangezogenen Parallelstellen deutlich, die also sehr wohl einiges zum Verständnis des Textes eintragen und die insgesamt zeigen, daß es sich um eine weiter verbreitete sprichwörtliche Redensart gehandelt hat, die in ihrer Bedeutung den Menschen der Zeit ohne weiteres einleuchtete und die so spätere Ausführungen des Gedichtes, in denen es ja auch immer wieder um das gute Werk für andere geht, vorbereiten konnte. Hier sei lediglich noch einmal auf eine a.a.O. schon genannte Stelle im Renner des Hugo von Trimberg hingewiesen, die der vierten Strophe des Memento mori auffallend ähnliche Gedanken in etwas anderer Weise umschreibt: Sin riche ist uns immer unbekannt / Und habe wir vor dar niht gesant / Daz wir bi sinen genaden vinden / So scheidet er uns von sinen kinden. Vor senden ist im Memento mori durch sin selbes böte sin umschrieben. Der böte aber paßt im übrigen gut zu dem Leitmotiv der vart, das das ganze Gedicht durchzieht. 6 Mit dem drucktechnisch einfacheren und raumsparenden Nebeneinandersetzen der Kurzverse im Anhang des Buches (R. Schützeichel, a.a.O. S. 126 ff.) ist noch nicht ohne weiteres der Ansicht das Wort geredet, daß die Langzeilenstrophe in der fraglichen Zeit überhaupt eine dichterisch/metrische Realität besessen habe; vgl. F. Maurer, z. B. in: Beiträge zur Sprachwissenschaft und Volkskunde, Festschrift f. E. Ochs, 1951, S. 31 ff. In dem Buch, das im ganzen sehr knapp gehalten werden mußte, konnte dazu keine ausführlichere Stellungnahme erfolgen. Vgl. zur Kritik der fraglichen Theorie jetzt W. Schröder, Festschrift J. Quint, 1964, S. 194 ff.

1*

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Es bleibt zunächst dunkel, welches Recht hier gemeint sein könnte. Von diesem Recht wird aber gesagt, daß derjenige, der es verkauft, in die Hölle fährt und daß er dort ewige Strafe erdulden muß, weil er Gott hingegeben hat. Es scheint, als sollten hier Gott und Recht gewissermaßen in eins gesetzt werden: Der Verkauf erbringt die ewige Verdammnis. Ähnliches wird auch in der vorhergehenden neunten Strophe gesagt: tes rehten bedarf ter armo man: tes mag er leidor niewit han, er ne chouf iz also tiuro: tes varn se all ze hello: Des rehten bedarf der Arme. Davon kann er leider nichts erlangen, er kaufe es denn sehr teuer: Deswegen müssen sie alle zur Hölle fahren.

Aber auch an dieser Stelle ist die genauere Bedeutung des (hier schwach flektierten) Wortes Recht nicht ohne weiteres erkennbar, wiewohl es sich zweifellos um ein den Armen Zukommendes handelt, das ihnen vorenthalten wird und von dem sie nur durch den Kauf etwas erlangen können. Wer aber sie alle sind, die wegen dieses Handels mit dem Rechten der Verdammnis anheimfallen, bleibt zunächst ebenfalls dunkel. Der Angelpunkt der Überlegungen, die zu einem genaueren Verständnis der betreffenden Stellen führen sollen, wird natürlich bei dem Wort Recht selbst gesucht werden müssen. Dazu ist aber ebenso selbstverständliche wie unerläßliche Voraussetzung, daß man sich — hier wie bei anderen Übersetzungsproblemen auch — zunächst einmal die ganze Bedeutungsbreite zu vergegenwärtigen sucht, die das Wort im Mittelalter gehabt hat und die sich nicht mit einzelnen allgemein gehaltenen oder zuweilen auch schillernden Wortbedeutungen allein wirklich erfassen läßt. Das lehrt schon ein Blick in die einschlägigen Wörterbücher, wie hier in aller Kürze noch einmal dargelegt werden soll. So bezeichnet daz reht zunächst alles, was recht und geziemend ist, dann aber auch die Gesamtheit der rechtlichen Verhältnisse, also Recht und Pflicht, Anspruch, Schuld, im einzelnen auch die Sakramente (kristenlichez reht, gotes reht), die Investitur (geistlichez reht), den Tod (menschlichez reht hegen = sterben), weiterhin: gesetzliche Bestimmungen, Rechtsbuch, Gericht, Gerichtsverfahren, Urteil, Schiedsspruch, Hinrichtung usw. Ebenso kann die schwach flektierte Variante des Wortes, also daz rehte, mancherlei Bedeutungen haben, das Rechte, Gericht, Rechtsspruch usw. I n den Texten erscheint das Wort Recht oft in einer ganz speziellen Bedeutung. Und es braucht keineswegs mit anderen Bedeutungen des Wor-

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tes an anderer Stelle und in anderem Zusammenhang identisch zu sein. Das gilt bekanntlich auch für viele andere Wörter und ist bei ernsthaftem Übersetzen aus dem Mittelhochdeutschen eine geradezu alltägliche Erfahrung. Selbst im gleichen Text kann das Wort in den verschiedensten Bedeutungen auftreten, was sich insbesondere an dem Gedicht Vom Rechte 1 in eindrucksvoller Weise demonstrieren läßt. Schon C. Kraus 8 hat darauf hingewiesen, daß das Wort reht hier die verschiedensten Bedeutungen hat, z.B. Recht, Pflicht, Gerechtigkeit, rechtlicher Anspruch, und daß bei dem Wort selbst keine Unterschiede gemacht werden: Die Gleichheit der äußeren Form genügt zur äußerlichen Koordinierung und Aufzählung. So müssen aber auch sonst in jedem Einzelfalle zusätzliche Anhaltspunkte gefunden werden, die eine genauere Fixierung der Bedeutung ermöglichen. I m Mittellateimschen zeigt sich für das Wort ius eine dem deutschen Wort reht entsprechende Vielfalt der Bedeutungen, so daß sich — bei dem inneren Zusammenhang der Bereiche — die am Mittelhochdeutschen aufgezeigte Lage hier zusätzlich bestätigt. Neben dem Wort ius aber war im Mittellateinischen ein anderes Wort fast ebenso gebräuchlich, nämlich iustitia, ein Wort, das in vielen Fällen nicht Gerechtigkeit, als vielmehr Recht, Rechtsprechung oder dergleichen meint, beispielsweise auch geistliches, göttliches Recht. Justitia kann also auch für sacramentum stehen, das — wie gesagt — im Mittelhochdeutschen mit dem Wort reht bezeichnet werden konnte. Sacramentum, ius, iustitia und reht sind demnach Vokabeln, die — im entsprechenden Zusammenhang — austauschbar waren und in gleicher Weise die Sakramente (im weitesten Sinne) bezeichneten. Die Sakramente (im weitesten Sinne) aber waren i n dem Zeitalter, in dem das alemannische Gedicht entstanden ist, Gegenstand heftiger Diskussion, insofern nämlich, als Verka/uf und Kauf der Sakramente, also der Handel mit diesem reht, zum zentralen Streitpunkt religiös-theologischer und politisch-kirchenpolitischer Auseinandersetzungen geworden waren. Herkömmlicherweise spricht man hierbei von Simonie, einer Bezeichnung, die sich bekanntlich von der Gestalt des Simon Magus herleitet, der den Aposteln die Wunderkraft abkaufen wollte. So verstand man als Simonie den Verkauf oder Kauf kirchlicher Ämter, Würden, Weihen, der Sakramente im engeren Sinne usw. Man bezeichnete schließlich alles als Simonie, bei dem im geistlichen Bereich der Einfluß weltlicher Gewalten mit im Spiele war. Und man mußte sich bei alledem mit der für das religiöse Leben — gerade auch der Laien — eminent wichtigen Frage auseinander7 Hg. v. A. Waag, Kleinere Deutsche Gedichte des X I . und X I I . Jahrhunderts, AT 10, 2. A. 1916, Nr. V I I I , S. 70 ff. 8 'Vom Rechte' und 'die Hochzeit', SB. Wien, phil.-hist. Cl. 123, Jg. 1890, H. 4, 1891, S. 8 f.

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setzen, ob die Sakramente simanistischer Priester, d. h. solcher Priester, die ihre Weihen oder ihr Amt durch Geld erkauft hatten, gültig seien oder ob sie nicht vielmehr auch den Empfänger der Sakramente mât in das ewige Verderben rissen, ob sie nicht deswegen alle zur Hölle fahren müßten. Die Simonie wird in der kirchlichen Literatur natürlich früh behandelt. Besonders auffällig ist aber eine Stelle in einer Predigt Gregors des Großen über die Austreibung der Händler aus dem Tempel. Hier spricht der für das Mittelalter weithin maßgebende Prediger von der Simonie als dem iustitiam vendere, was im Mittelhochdeutschen reht choufen, bzw. ver choufen heißen würde. Die betreffende Stelle lautet: Vendentes quippe in templo sunt..., qui hoc quibusdam iure competit ad praemium largiuntur. Justitiam enim vendere est hanc pro praemii acceptione servare. Ententes vero in templo sunt qui dum hoc persolvere proximo quod iustum est nolunty dumque rem iure debitam contemnunty dato patronis praemio emunt peccatum. Es werden in dieser Predigt also diejenigen als biblische Händler im Tempel bezeichnet, die das, was den Gläubigen von Rechts wegen zusteht, diesen gegen Entgelt verkaufen. Justitiam enim vendere est hanc pro praemii acceptione servare. Diesem iustitiam vendere entspricht das Bild columbas vendere, Tauben verkaufen, das dem gleichen biblischen Zusammenhang der Austreibung der Händler aus dem Tempel Gottes entstammt, aber a-uch die andere Wendung Deum vendere, die auf den Verrat des Herrn durch Judas anspielt. Deum vendere, iustitiam vendere, columbas vendere und andere Formulierungen, die hier nicht erörtert zu werden brauchen, meinen also die Simonie, die mit härtesten Strafen bedroht wird: Die Simonisten werden Judas verglichen oder den Händlern, die aus dem Tempel Gottes getrieben werden. Und im 11. Jahrhundert droht der Kardinal Humbert von Silva Candida in seinen Libri très adversus Simoniacos im Zusammenhang von Deum vendere und iustitiam vendere denen, die verkaufen, wie denen, die kaufen, die ewige Verdammnis an, während er de propriis et impropriis dictionibus et vanitate symoniacorum handelt: Hoc quoque modo locutionis pene quotidie dicitur quis vendere Deum, cum iustitiam vendit , cum constet neutrum posse vendi, sed utrumque pretio offendi; neque enim venditor aliud concedit nisi falsitatem, nec emtor aliud accipit nisi eandem; pro qua parem utrique incurrunt damnationem. Die — sozusagen wörtliche — Übereinstimmung mit den fraglichen Stellen des alemannischen Gedichtes ist unverkennbar, und sie dürfte jedem deutlich werden, der bereit ist, sich i n die vorgeführten Textstellen und die damit aufgezeigten Zusammenhänge wirklich zu vertiefen und der für das Gedicht um ein wörtliches Verständnis seiner Zeilen und Strophen ernsthaft bemüht ist. Die Zeilen der neunten Strophe:

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tes rehten bedarf der arrno man: tes mag er leidor niewit han, er ne chouf is also tiuro

sind eine Klage über die Benachteiligung des Armen, des wirtschaftlich Schwachen, dem bei simonistischer Praxis das ihm Zukommende, daz rehte, dem überhaupt das Heil nicht oder nur schwer zugänglich wäre. Dabei ist zu beachten, daß ihm auch der Kauf nichts nützen könnte. Die Stelle spiegelt nämlich offenbar auch die radikale und extreme Anschauung Humberts, nämlich daß sie alle, Verkäufer wie Käufer, also alle Beteiligten, in die Hölle fahren werden: tes varn se all ze hello — pro qua parem utrique incurrunt damnationem. Noch deutlicher ist die angegebene Stelle der zehnten Strophe: wanda er daz reht verchoufta so vert er in die hella; da muoz er iemer inne wesen: got selben hat er hin gegeben

Der wörtliche Anklang an das besprochene iustitiam vendere (wanda er daz reht verchoufta) und das Deum vendere (got selben hat er hingegeben) ist kaum zu überhören. I n der Strophe werden reht verchoufen (= iustitiam vendere) und Got hin geben (= Deum vendere) ganz deutlich parallel und in eins gesetzt. Insbesondere sollte gesehen werden, daß die letzte Zaile, got selben hat er hingegeben, erst von daher Sinn und Gewicht bekommt. Handel mit geistlich-kirchlichen Dingen, insbesondere mit den Sakramenten, ist Handel mit dem Herrn, wie ihn Judas getrieben hatte, ist in diesem Sinne Hingabe Gottes, die die Höllenstrafe als ewige Trennung von Gott impliziert. Es dürfte mithin nicht fehlgegangen sein, wenn man annimmt, daß der Handel mit dem Recht im alemannischen Memento mori die Simonie meint 9 und nicht lediglich eine mehr oder weniger unverbindliche Brandmarkung des Unrechts oder der Käuflichkeit im allgemeinen. Der Kampf gegen Unrecht und Käuflichkeit zieht sich sozusagen durch die ganze mittelalterliche Literatur und ist auch früher oder später anzutreffen. Und wenigstens in einigen Fällen ist auch ein enger Bezug auf die aktuellen Anliegen des Tages oder der Zeit erkennbar, wie er im Falle der fraglichen Strophen des alemannischen Gedichtes offensichtlich vorliegt, wobei wohl anzunehmen ist, daß ein solcher Bezug den jeweiligen Zeitgenossen in 9 Ausdrücklich zustimmend W. Schröder, ADA 74 (1963), S. 74. Unverständlich bleibt, warum eine in entscheidenden Punkten ausdrücklich zustimmende Rezension mit einem Beiwerk zum mindesten unnötiger Formulierungen versehen wurde.

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manchen Fällen deutlicher sein mußte, als er uns Heutigen — ohne eindringliche Vertiefung in Texte und Zeitumstände — noch sein könnte. Hier sei an bekannte Stellen des Muspilli erinnert, bei denen wörtliche Übereinstimmung mit einem Capitulare aus dem Jahre 802 aufgezeigt worden ist 1 0 . Indessen lassen sich die beiden Denkmäler, Muspilli und Memento mori, streng genommen natürlich nicht vergleichen, und das eine steht auch nicht in der Tradition des anderen. Bei der Beurteilung der betreffenden Stellen des Memento mori wird man sich besonders vergegenwärtigen müssen, welche Bedeutung die Simonie in der Entstehungszeit des Gedichtes, im sogenannten Investiturstreit und dem sittlichen Ringen des Zeitalters tatsächlich erlangt hatte. Die Literatur der Zeit ist voll von diesem Gegenstand, vor allem die Streitschriften, von denen nicht weniger als rund einhundertfünfzig von etwa achtzig verschiedenen Verfassern in der Monumenta-Ausgabe der Libelli de Lite zugänglich gemacht sind. Daß diese Schriften in lateinischer Sprache abgefaßt worden sind, besagt aber keineswegs, daß mit dem Problembereich der Simonie »vor allem die litterati angesprochen« worden seien11, weil nur diese Latein konnten. Das hieße die Zeitsituation ebenso verkennen wie die Tiefe und Schwere der Problematik, die für jeden einzelnen Menschen, ob Priester oder Laien, mit den Reformbestrebungen in Sachen Simonie gegeben war. Es war eine Frage von — im religiösen Sinne — existentieller Bedeutung, ob der Handel mit Ämtern, Würden, Weihen, Sakramenten diie Ausübenden und Betroffenen ins ewige Verderben reißen würde oder nicht. Und es war dies auch keine am Rande liegende Frage, die nur die Theoretiker und nur die litt er ati beschäftigt hätte. Wir haben vielmehr allen Grund zu der Annahme, daß die Probleme in Predigten und auch sonst vorgetragen und diskutiert wurden. Die überkommenen Streitschriften in ihrer erstaunlich großen Zahl und in der Schärfe der Formulierungen, die sie vielfach zeigen, sind nur der literarische Niederschlag eines aufwühlenden Kampfes, der das ganze Volk betraf. Die Berichte der Chroniken und Annalen geben Zeugnis davon. Alles in allem kann wohl kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß das Thema die Menschen der damaligen Zeit — und auch die breiteren Schichten des Volkes — in ganz besonderem Maße bewegt und ergriffen hat, so daß die vorgetragene Interpretation der Textstellen um so mehr an Wahrscheinlichkeit gewinnen mag. Gegen diese Interpretation sollte auch nicht ins Feld geführt werden — wie es allen Ernstes geschehen ist 1 2 — daß »über die Simonie in der deut10 R. van Delden , PBB 65 (1942), S. 303 ff. — Zur Beurteilung des ganzen Gedichtes vgl. jetzt H. Kolb y ZDPh 83 (1964), S. 2 ff. 11 H. Rupp, AStNSpr 200, Jg. 115 (1963), S. 292. 12 H. Rupp, AStNSpr 200, Jg. 115 (1963), S.292.

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sehen Dichtung des 11. und 12. Jahrhunderts kaum gesprochen« werde. Heinrich von Melk — von noch Späteren einmal ganz zu schweigen — spricht bekanntlich durchaus von ihr 1 3 . Außerhalb von Bußpredigt, Sitten13 Noch einmal sei auf bekannte Stellen bei Heinrich von Melk hingewiesen (hg. v. R. Heinzel, 1867), z. B. Erinnerung an den Tod, V. 66 ff.:

Pharre, probstei unt abtei, Wihe, zehende, phrunde, Die si nicht vereboufen bestundet Daz gebent si ander niemen, Wan der ez mit schätze mac verdienen. Ir junger habent auch wol erchant Wie in ir mäister hant Vor getragen daz bilde: Bichte unt bivilde, Misse unt salmen Daz bringent si allenthalben Ze etlichem choufe. Ez si der chresem oder diu toufe Od ander swaz si sulen began, Daz lant sie niemen vergeben stan, Wan als diu miete erwerben mac. V. 86 ff.: Swer gäistliche gäbe verchoufet Wie möchte des missetat Immer mere werden rat!

hat,

Priesterleben, V. 346 ff.: We im, dem er itwizzet 'Sin hant diu mit mir izzet Diu ist diu mich vereboufen wil*. Der rede dunket siu nicht ce vil t Diu hiut chouffent unt verchouffent Unt durch miete touffent Unt den schätz nement von der erde, Daz des toten bivilde werde Des vlizchlicher begangen. Diese und andere Verse des viel späteren Heinrich von Melk führen breit und anschaulich aus, was ein Jahrhundert vorher im Memento mori — dem Stil und der Anlage des Gedichtes entsprechend — nur knapp angedeutet wird. — Hingewiesen sei auch auf eine Stelle in des armen Hartmanns Rede vom Glouven (hg. v. F. von der Leyen, 1897), V. 2980 ff., die im Hinblick auf den vorbildlichen Lebenswandel früherer Priester ausdrücklich betont: daz ne täten si durh neheinen rüm noh durh werblichen richtum weder durh silber noh durh golt. — Ähnliches steht aber auch schon in Willirams Paraphrase des Hohen Liedes (hg. v. J. Seemüller, 1878), S. 46, 103,^ V. 18 ff., de concubinis: uudnte sie älliu iro uuerch tüont durh uuerltlichen rüom unte durh irdisk gefüore. Das alles steht im Zusammenhang des Kampfes gegen die Einwirkungen weltlicher Dinge im religiösen Bereich, wie er das Zeitalter besonders auszeichnet, ohne daß dies in jedem Einzelfalle etwas mit Simonie im engeren (und heute klar abgegrenzten)

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k r i t i k , Sprudidichtung und dergleichen war indessen kein Platz für die Anprangerung simoniiscischer Mißstände, weswegen sie i n weiten Teilen der Dichtung v o n vornherein nicht erwartet werden darf. I m Memento mori aber haben diese Dinge ihren Platz und stehen i m entsprechenden Z u sammenhang, wie sich im folgenden noch deutlicher zeigen w i r d . III Denn die Bindung an bestimmte Zeitströmungen scheint dann i n der elften Strophe noch klarer hervorzutreten. H i e r erscheint das mittelhochdeutsche W o r t reht — aber i n einer ganz anderen Bedeutung — erneut: Übe ir alle einis rehtin lebitint, so wurdint ir alle geladet in ze der ewigun mendin, da ir iemer soltint sin. Lebtet ihr alle einis rehtin, so würdet ihr alle zu der ewigen Freude eingeladen, wo ihr immer sein würdet. H i e r ist reht offenbar i m Sinne v o n ordo gemeint u n d scheint V o r stellungen v o n einer ganz speziellen Lebensordnung 1 4 zu umfassen, wie Sinne zu tun hat. Der Zusammenhang läßt sich für die damalige Zeit jedoch nicht zerschneiden. Vgl. auch die allgemeineren Formulierungen im Tnugdalus (hg. v. K. A. Hahn, Gedichte des X I I und X I I I Jahrhunderts, 1840) über die geistlichen Personen in der Hölle, S. 53, V. 30 ff. Der Kampf gegen die Simonie im weitesten Sinne deutet sich also in der deutschen Literatur des 11./12. Jhs. gelegentlich durchaus an und im Grunde genommen häufiger, als eigentlich erwartet werden darf; denn auch der sog. Investiturstreit findet in der zeitgenössischen deutschen Literatur kaum einen Niederschlag; vgl. die bekannten Stellen im Merigarto (W. Braune-E. A. Ebbinghaus, Althochdeutsches Lesebuch, 14. A. 1962, S. 140 ff.) I V. 52: . . . uuant uuir zuene piscoffe hetan...; in der Wiener Genesis (Die altdeutsche Genesis, hg. v. V. Dollmayr, AT. 31, 1932) V 287 ff., über die Investitur mit dem Ring (vgl. Genesis und Exodus nach der Milstätter Handschrift, hg. v. J. Diemer, I, 1862, V. 37 und Einleitung S. V I I f.; H . Hof {mann, Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache und Litteratur, I I , 1837, S. 9); im Annolied (hg. v. M. Opitz, dipl. Abdruck v. M. Bulst, 1946) S. 44, V. 3 f.: Dü demi Vierden Heinriche Vorworrin wart diz riche... 14 H . Rupp, AStNSpr 200, Jg. 115 (1963), S. 292 f., sieht in der hier anzutreffenden Bedeutung des Wortes ein »entscheidendes Argument« gegen die vorgetragene Interpretation der neunten und zehnten Strophe, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß das Wort nach dem in dem Buch und weiter oben erneut Ausgeführten und nach aller Erfahrung an mhd. Texten in verschiedenen Strophen durchaus verschiedene Bedeutung haben kann, und weiterhin ohne der Tatsache Rechnung zu tragen, daß das Wort hier — auch abgesehen von der vorgetragenen Interpretation — verschiedene Bedeutung haben muß, da die Zeilen sonst erst recht nicht verständlich würden, und daß diese verschiedenen Strophen — was nur natürlich ist — Verschiedenes aussagen wollen: Dabei aber wird der innere Zusammenhang, in dem diese verschiedenen Strophen stehen, überhaupt erst sichtbar.

Justitiam vcndere

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sie im Idealbild der Urkirche erschienen. Nach der Apostelgeschichte war die Menge der Gläubigen ein Herz und eine Seele. Nicht einer nannte etwas von seinem Besitztum sein eigen, sondern sie hatten alles gemeinsam ... wer unter ihnen Ländereien und Häuser besaß, verkaufte sie und brachte den Erlös des Verkauften und legte ihn zu Füßen der Apostel. Das ist sozusagen das Kennzeichen und die Grundlage der urkirchlichen Lebensordming, urkirchlichen Rechts. Und ein Bild aus der Urkirche scheint auch im zweiten Teil dieser elften Strophe sichtbar zu werden: taz eina hant ir in selben: von diu so ne mugen ir gen drin; daz ander gebent ir dien armen: ir muozint iemer dervor sten.

Nach einer Umstellung des so offensichtlich gestörten Textes 15 wird der Sinnzusammenhang deutlicher: taz eina hant ir iu selben, daz ander gebent ir dien armen: von diu so ne mugen ir drin gen, ir muozint iemer dervor sten. Das eine habt ihr für Euch selbst, das andere gebt ihr den Armen: Deswegen könnt ihr nicht hineingehen (in die ewige Freude), ihr müßt für immer davor stehn.

Diese Stelle erinnert ganz deutlich an Ananias und Saphira aus der Apostelgeschichte, die zwar Besitz verkauften, den Erlös auch zu einem Teil zu Füßen der Apostel legten, den anderen Teil aber zurückbehielten und von Gott auf das Härteste — nämlich mit dem Tode — bestraft wurden. Die Handlungsweise des Ananias und der Saphira steht nahe bei der Simonie, wie man sie auffaßte, nämlich als eine zu starke Einwirkung irdisch-materiellen Denkens in die kirchlich-religiöse Sphäre. Damit wird aber auch diese — sonst nicht recht verständliche — Stelle durchsichtig. Und sie gibt etwas von dem Hintergrund zu erkennen, vor dem das Denkmal gesehen werden muß. Gerade die urkirchlichen Bilder verraten am ehesten die geistig-religiösen Kräfte, die das Gedicht tragen und erfüllen. Angesichts der Überlieferungslage des Denkmals und seiner Sprache muß an die im süddeutschen Raum wirksamen Reformen gedacht werden, insbesondere an die Hirsauer und St. Blasianer, ohne daß das Gedicht nun ohne weiteres mit einem Etikett wie »hirsauisch« versehen 15 Vgl. zu dieser Stelle auch L. L. Hammerich, Humaniora. Essays in Literature, Folklore, Bibliography Honoring Archer Taylor, 1960, S. 19 Anm. 2. Darauf macht mich Herr Kollege G. Jungbluth/Kopenhagen freundlichst aufmerksam.

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werden könnte. Die religiöse Kraft dieser Bewegungen, ihre starke Laienwirksamkeit und das rasch aufblühende Institut der Konversen bilden am ehesten den Hintergrund, vor dem eine solche Dichtung, ihr Geist und ihre Abfassung in deutscher Sprache verständlich werden. Hier mochte die schonungslose Erinnerung an den Tod, im Hinblick auf den — wenn auch hier nicht so genannten — zweiten Tod, die Mahnung zur Nächstenliebe im Sinne einer >urkirchlichen< Gemeinschaft und die Forderung zur Aufgabe des Besitzes, wie sie das Gedicht erhebt, tatsächlich auch Widerhall gefunden und von einer allgemeineren religiösen Ergriffenheit getragen gewesen sein. Die Quellen berichten von einem erstaunlich starken Zustrom von Männern und Frauen in die Klöster, den diese kaum zu fassen vermochten. In Schwaben begannen ganze Dörfer ein sittenstrenges geistliches Gemeinschaftsleben zu führen. Bernold von St. Blasien berichtet, daß Grafen und Markgrafen in Hirsau ihre Waffen abgelegt haben, um den Mönchen die Schweine zu hüten und in der Backstube das Feuer zu schüren, alles im Hinblick auf die biblische Verheißung: Wer euch einen Trunk Wasser reicht, wird ewigen Lohn dafür gewinnen. Die Chronisten und Annalisten werden nicht müde, das immer wieder zu betonen. Das aber sind konkret aufweisbare historische Zusammenhänge, in die das Gedicht sich zwanglos einfügen läßt.

DAS BAROCKE

RORATESPIEL

E i n Beitrag zur Geschichte liturgischer Spiele 1 V o n M . Daniele Dörflinger OSF

1. G e s c h i c h t l i c h e r A b r i ß der liturgischen Verkündigungsspiele Die mittelalterliche Kirche bediente sich zur Verkündigung des Glaubens neben der Predigt, dem Erbauungsbuch und dem B i l d auch spielerischer Mittel. Sie wollte »den Glaubensschatz i m Spiegel des Bildes oder Spieles« 2 verdeutlichen. A m 25. März, dem Fest der Verkündigung Mariens, wurde so mancherorts der Gruß des Engels i n einem Spiel dargestellt. Die ältesten Zeugnisse dafür stammen aus Italien: aus Trevigi (1261) 3 und aus Venedig (1267) 4 ; 1 Mit diesem Aufsatz wird versucht, die Stiftung der Rorateämter in Dillingen 1614 in die Tradition der Verkündigungsspiele einzuordnen. Das Hauptmaterial dafür stand mir im Klosterarchiv der Franziskanerinnen in Dillingen zur Verfügung; die wichtigsten Urkunden allerdings nur in Photokopien. Die Originalurkunden, die sich seit der Säkularisation im Hauptstaatsarchiv München befanden, sind — nach freundlicher Mitteilung von Herrn Archivrat Dr. Hoffmann — durch Auslagerung während des letzten Krieges verloren gegangen. Auch sämtliche Archivalien der Franziskanerinnen im Ordinariatsarchiv Augsburg verbrannten 1944. Glücklicherweise hatte M. Pia Koch OSF noch vorher Abschriften von den Originalakten hergestellt. Für die Geschichte der Rorateämter verdanke ich diesen Notizen wichtige Hinweise. Herrn Professor Friedrich Zoepfl, Dillingen, der mir das Wissen um die Rorateämter in Mindelheim vermittelte, der diese Arbeit großzügig gefördert hat und auch die Druckerlaubnis für den Text des Rorateoratoriums gab, sei herzlich gedankt. Dank schulde ich auch Herrn Dr. Hans Moser, München, Landesstelle für Bayerische Volkskunde, für die Abschrift der Stiftungsurkunde aus Eggenfelden, ebenso Herrn Professor Dr. L. Schmidt, Wien, für briefliche Auskünfte, sowie allen, die mir freundlicherweise entgegen kamen an den Archiven in München, Augsburg, Neuburg/Donau, Dillingen/Donau, Mindelheim, Weißenhorn, Salzburg, und nicht zuletzt Dr. W. Frühwald, München, für freundliche Hinweise. 2 Ludwig Veit-Lenhart, Kirche und Volksfrömmigkeit im Zeitalter des Barock, S. 77. 3 Wilhelm Creizenacb, Geschichte des neueren Dramas, Bd. I, S. 76 — Karl Youngy The Drama of the Medieval Church, Bd. I I , S. 484. 4 Alexandro D'Ancona, Origini del Teatro italiano, I, S. 114 f. — Young, a.a.O. S. 484.

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i m 14. Jhdt. sind solche Spiele bekannt aus Cividale 5 , Civitâ-Vecchia (ca. 1304) 6 , Padua 7 ; i m 15. Jhdt. aus Parma 8 und Florenz 9 . I m französischen Sprachgebiet findet sich der Text einer Verkündigungsszene erstmals i m 15. Jahrhundert i n einem »Graduale« von le M a n s 1 0 ; i n S a i n t - L ô 1 1 , B a y e u x 1 2 u n d Besançon 13 sind weitere Szenen belegt; m i t einer Eggenfeldener Urkunde aus dem 15. Jahrhundert ist das Liturgische Verkündigungsspiel am 25. März auch i n Deutschland nachzuweisen 14 . Glanzvoll entfaltete es sich i m 16. Jahrhundert, i m heute belgischen und niederländischen Raum bei der Feier der sogenannten Missa aurea 1 5 am Quatembermittwoch i m Advent. 5 Edmond de Coussemaker, Drames liturquiques du Moyen Âge, S. 280—284. — Young, a.a.O. S. 484. 6 Coussemaker, a.a.O. S. 344 ff. — Young, a.a.O. S. 484. 7 Young, a.a.O. S. 248 ff., erstmals veröffentlicht. 8 Dersebd., S. 247, 248 ff. — Creizenach, a.a.O. S. 303. 9 Creizenach, a.a.O. S. 301 — D'Ancona., a.a.O. S. 246 ff. Der Höhepunkt der Szene ist erreicht, wenn Gabriel mittels einer kunstvollen Vorrichtung durch die Luft zu Maria schwebt (Stephan Beissel, Die Verehrung unserer lieben Frau während des Mittelalters, S. 109, Anm. 5). Andernorts verwendete man dazu nur einen Strick, z.B. in Parma (vgl. Young, S. 479 f.): » . . . per funes Angelum transmittendo usque per directum pulpiti super quo evangelium cantatur.« Vgl. auch Georg Rietschel, Weihnachten in Kirche, Kunst und Volksleben, S. 75. 10 Young, a.a.O. S. 484. 11 Ders., a.a.O. S. 484. 12 Ders., a.a.O. S. 245. 13 E. de Marlene, De antiquis Ecclesiae ritibus, Bd. I I I , § 30. 14 Die Pergamenturkunde mit Siegel vom Montag vor dem St. Katharinentag 1472 befindet sich im Stadtarchiv Eggenfelden. Hans Eysenreich stiftet an dem »hochzeitlichen tag vnser lieben fraven Verkündigung« Gottesdienste in der St. Nikolauskirche zum Seelenheil seiner Eltern und Angehörigen. Während der Messe ziehen die Sänger in Prozession in die Kirche ein und gruppieren sich um den Altar. Neben den cantores wirken mit: der »vater in der trinket«, Gabriel, Maria, »lauttenslaher mit dem saitenspil«, drei Schüler, die die Antiphonen und »die reym singent« und acht Schüler, die »vnser fraven und den engel tragent«. Während des Spiels stehen auf der Empore des Chorraumes Gott Vater und die Engel. Eine Taube wird auf Maria herabgesandt, eine zweite, lebendige fliegt aus dem Schoß der Jungfrau auf, während die Antiphon »Pater misit filium« gesungen wird. Die Szene wird abgeschlossen mit der Antiphon »Missus est Angelus Gabriel«. » . . . Und so nun das spil ganz vollbracht ist, allsdan vollendt man das ambt und die Non«. In der Urkunde ist von einem Register die Rede, in dem Gesänge, Antiphonen und Reime verzeichnet seien. Die Bemerkung: » . . . die acht merern schüler . . . tragent Mariam vnd den engel auf den achseln in der Hoch...«, scheint in etwa eine Parallele zu sein zur Spielanweisung des von Young besprochenen Paduatextes, welche lautet: »puer preparatus in modum Gabrielis, super cathedram; et de babtisterio eleuetur et feratur in ecclesiam...« (Young, S. 248). Young hielt diese Bemerkung für unklar und meinte: »Although the language of the ordo is not entirely clear, I infer that Gabriel makes a separate entrance« (Anm. 2, S. 250). Durch die Urkunde aus Eggenfelden ist aber bestätigt, daß solches Hereintragen der Personen durchaus üblich war. 16 Die Missa aurea ist ursprünglich eine Votivnotmesse zu Ehren der Muttergottes und nicht an die Adventszeit gebunden. In Hildesheim etwa feierte man

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Das Verkündigungsspiel erwuchs aus der schon i m Bibeltext in Dialogform angelegten Perikope »Missus est Angelus« (Lukas I , 26—38), die am 25. März, am Quatembermittwoch im A d v e n t und i n der Votivmesse Mariens ebenfalls i m A d v e n t verkündet wtird 1 6 . Der D i a k o n singt dabei die erzählenden Worte des Evangelisten, während zwei als Engel und Maria bezeichnete Sänger den D i a l o g wechselweise übernehmen. I n C i v i dale spielte sich eine solche Verkündigungsszene während einer Prozession auf dem M a r k t p l a t z ab, worauf die Kleriker, das Te Deum singend, i n die Kirche zurückzogen und den Gottesdienst begannen 17 . I n Padua w i r d die Szene des Englischen Grußes ähnlich innerhalb des Festoffiziums gestaltet, doch w i r k t sie hier durch Regieanweisungen für die Darstellung Mariens und Gabriels lebendiger: Gabriel beugt die Knie, deutet auf Maria, Maria versteckt die herabschwebende Taube unter ihrem K l e i d und singt m i t ausgebreiteten Armen: Ecce ancilla. Innerhalb der Messe, zur Verdeutlichung des Tagesevangeliums, ist das Verkündigungsspiel erst i n zwei Texten der Missa aurea aus Tournai und St. Omer bezeugt 1 8 . sie im 13. Jahrhundert anfangs Oktober. Goldene Messe heißt sie nicht wegen der Prachtentfaltung des Gottesdienstes, sondern wegen ihres wirksamen Segens, den sich das Volk erhoffte. In Amsterdam heißt sie auch »Schiffermesse«; denn die Seeleute glaubten, durch den Besuch der Messe gegen Gefahr und Unheil gefeit zu sein. Das Meßformular schließt sich eng dem Wortlaut des Offiziums und der Messe von Maria Verkündigung, des Mittwochs der Quatemberfasten im Advent und der Votivmesse unserer lieben Frau im Advent an. Es beginnt mit Rorate coeli, hat die Lesung aus Is. V I I und als Evangelium »Missus est Angelus«, Lukas I, 26—38. (Uber die Goldenen Messen schreibt ausführlich B. Kruitwagen, in: De Katholiek C X X X 1906, S. 438 ff., C X X X 1907, S. 188 ff., 394 ff.) Vgl. Adolf Franz, Die Messe im Mittelalter, S. 324. 16 Die spanische Kirche z. B. feierte das Fest der Verkündigung nach dem Beschluß der Synode von Toledo (656) am 18. Dezember. Sie hielt damit am altchristlichen Brauch fest, in der Fastenzeit keine Heiligen zu feiern. Lange Zeit bestehen beide Festdaten nebeneinander. Der Mailändische Ritus verlegte das Fest der Verkündigung auf den 4. Adventsonntag. In anderen Kirchen feierte man es auch am Quatembermittwoch des Advents. So konnte sich die Szene der Verkündigung sowohl am 25. März wie auch im Advent innerhalb der Meßfeier entfalten. Vgl. Karl Kellner, Heortologie, S. 146 ff. — Fredericus G. Holweck, Fasti Mariani, S. 300; Young, a.a.O. S. 245; Analecta Bollandiana X X V I I (1908), S. 90 ff. 17 Coussemaker, a.a.O. S. 280—284, mit Noten. Diese rein liturgische Verkündigungsszene findet sich auch im Benediktbeurer Weihnachtsspiel des 14. Jahrhunderts, (vgl. R. Froning ) Drama des Mittelalters, DNL, Bd. 14, S. 877—896; Young, a.a.O. S. 180, 248). 18 In Tournai (Doornik) hat im 16. Jahrh. Peter Cotrel die Stiftung errichtet, in St. Omer Robert Fabri, ca. 1535. Weitere Goldene Messen sind belegt für Delft 1444; Amsterdam und Löwen 1477, Tholen 1489, Alkmaar 1536, Leiden 1538, Rijnsburg, Roermond 1603; vgl. St. Beissel, Die Geschichte der Verehrung Mariens in Deutschland während des Mittelalters, S. 324.

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Eine erhaltene, sehr ausführliche Beschreibung dieser Spiele gibt uns ein klares Bild vom Ablauf der Quatembermittwochsmesse im Advent. Vor dem Fest richtet der Kirchenschreiner der Collegiatskirche in Tournai zwei Bühnen (stallagia) her, die mit Vorhängen zu verschließen sind; ein »Bühnenhäuschen« auf der Evangelienseite (latere episcopi), um Maria aufnehmen und verbergen zu können; ein anderes, diesem gerade gegenüber auf der Epistelseite (latere decani) für Gabriel 19 . Am Tag der Aufführung schreiten die für die Szene ausgewählten Chorknaben während der siebten Matutinlesung zu ihren erhöhten Bühnenplätzen; bis zum Beginn der Messe bleiben sie dann unsichtbar in ihren Bühnenhäuschen. Nach dem Gonfiteor wird das Oratorium der Jungfrau geöffnet und beim Gloria der Vorhang vor der Bühne des Engels zurückgezogen. Bis zum Evangelium verändern beide Darsteller ihre Positionen nicht. Bei der Verkündigung des Tagesevangeliums übernehmen sie, wie in den Beispielen aus Cividale und Padua, die ihnen zukommenden Verse 20 und verdeutlichen sie durch entsprechende Gesten: Gabriel verbeugt sich dreimal; bei den Versen: »der Heilige Geist wird über dich kommen«, schwebt eine in Licht getauchte Taube vom Gewölbe herab 21 , die bis nach dem Agnus Dei verbleibt und dann wieder zurückgezogen wird. Nach Beendigung der Messe steigen Maria und der Engel aus ihrem Häuschen heraus und kehren mit den Chorsängern und Klerikern in Prozession in die Kleiderkammer zurück 22 . Ähnlich verläuft die Goldene Messe in St. Omer. Der Text ist zum ersten Mal nicht mehr in der Sprache der Liturgie, sondern in der Volkssprache abgefaßt. Neben der Beschreibung des Meß Verlaufes erfahren wir Einzelheiten über Ausgaben, die durch die Feier entstehen23. Bemerkenswert ist dieses Beispiel auch deshalb, weil eine Liste vorhanden ist, die Kleider 19 Young , S. 480: » . . . disponentur per carpentatorum ecclesie in sacrario chori dicte ecclesie Tornacensis, . . . duo stallagia . . . quorum alterum, videlicet, quod erit de latere episcopi, serviet ad recipiendam Beatam Virginem Mariam, et alterum stallagium ab illo oratorio oppositum, quod erit de latere decani, serviet ad recipiendum et recludendum Angelum.« 20 Young , a.a.O. S. 481: » . . . cantabit evangelium Missus est Gabriel et etiam cantabunt partes suas Maria et Angelus, prout ordinatum et notatum est in libro ad hoc ordinato.« 21 Ebd., S. 481: » . . . ita quod precise ad illud verbum Spiritus Sanctus descendat ad Virginem columbam ornatam candelis accensis et remaneat ubi descenderit, usque ad ultimum Agnus Dei decantatum.« 22 Ebd., S. 482: » . . . Item Missa finita, post Ite Missa est, Maria et Angelus descendent de suis stallagiis et revertentur cum reliquiis et revestitis usque ad revestiarium predictum eorum, flambellis precedentibus.« 23 Ebd., S. 482: »Organist I I s , sein Assistent 12en selben zu erfüllen, War allzeit dein Verlangen Du wirst ein Sohn empfangen, Sein Nahm wird JESUS seyn, Gib nur den Willen d'rein. Maria.

Recitat. O Engel! sag mir aber an, wie dieses doch geschehen kann, da ich erkenne keinen Mann, zu dem ist ja mein Willen schon eingeschraenket, da ich mein Jungfrauschaft, hab meinem Gott geschenket? (Aria)

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A r ia Nicht kann mich mehr ergoetzen, Als eine Jungfrau seyn, Dies soll man mehrer schaetzen, als alle Edelg'stein; Drum macht es mir Beschwerden, Daß ich solt Mutter werden, Wann ich nicht ohne Mann, Und Jungfrau bleiben kann. Engel Gabriel. Recitat. O Jungfrau! foerchte dir doch nicht. GOtt hat die Sach schon so gericht, daß du solst seinen Sohn gebaehren, und doch die Jungfrauschaft im g'ringsten nicht versehren, der heilig Geist wird kommen ueber dich, die Kraft des Allerhoechsten wird dich ueberschatten, dann du bist allezeit, und bleibest voll der Gnaden. D ue 11 o Maria Gabriel O GOtt ich bin vill zu gering, Bey Gott seynd moeglich alle Wie soll dan dis geschehen mir? Ding Soll ich mich Mutter schreiben? Der Herr ist allezeit mit dir. warlich ein grose u. herrliche gnad. Wirst doch ein Jungfrau bleiben Ich bin allzeit des Herren Magd Welche der Himel bestellet dir hat. O GOtt so schicke deinen Geist, GOtt hat sein Gnad dir zugesagt Ich warte mit Verlangen, Und JESus der ein Heiland heißt Komme nur ewiger göttlicher Du wirst ihn gleich empfangen, Sohn. Freu dich O Jungfrau, er kommet ; ja schon. Maria. Recitat. Wohlan so sey es denn, wann ich ein Jungfrau bleiben kann, und doch zugleich ein Mutter seyn, so gieb ich gleich den Willen d'rein, ich bin ein Dienstmagd des H E R R N sowohl hier, als dort, es geschehe mir nach deinem Wort. Fiat! Chor Maria.

Mein Seel macht groß den HErm, Der mir so große Ding gethan, Den will ich allzeit ehren, Genug ich nicht danken kann, Weil heillig ist seyn Namen, Und alles Volk sag Amen.

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Chor Laßt uns dem HErrn danken, Sein macht hat keine Schranken, Er hat uns heut begluecket, Uns seinen Sohn geschicket, Sein göttliche Barmherzigkeit, Gepriesen sey in Ewigkeit, Laßt uns Gott benedeyen, Und alles Volk soll schreyen: Fiat! Fiat! Mindelheim, gedruckt bey Johann Peter Steiner, Anno 1 7 7 0 Kleine kantatenhafte Bibeldialoge sind im Barock recht beliebt. In die Gruppe solcher gottesdienstlicher Dialoge läßt sich das Mindelheimer Rorateoratorium einreihen. Aufbau und Inhalt des Oratoriums halten sich an das Grundschema der Verkündigungsszene, wie sie seit dem Mittelalter und der Renaissance vor allem im deutschen Volksschauspiel auftritt 9 8 : Monolog Gott Vaters, Plan, die Menschheit zu erlösen — Auftrag an Gabriel — Verkündigung an Maria — Fiat der Jungfrau. Der früheste Beleg für ein Weihnachtsspiel in der Form eines barocken Oratoriums ist das Werk des J. Klajus 1650; von Harsdörffer angeregt, versuchte er, die Oratorienform für Deutschland fruchtbar zu machen". Dasselbe Grundschema zeigt sich auch im Weihnachtsspiel aus Vordernberg (1740), nur werden hier dem Dialog Lieder zwischengeschaltet100. Der Roratetext aus Mindelheim läßt sich somit in einen literarischen Zusammehang einordnen und ist noch näherer Betrachtung wert. Im Vergleich mit dem Dillinger Roratespiel ergeben sich in Mindelheim grundlegende Unterschiede: In Dillingen beruhte das Roratespiel auf den unerweiterten Sätzen des Evangelientextes, die Szene stand in engem Kontakt mit den Meßzeremonien; in Mindelheim ist der Text erheblich erweitert, besonders durch die Vorgeschichte im Himmel, außerdem in volkstümlicher Sprache ausgestaltet. Die Szene der Verkündigung hat sich aus dem engen Kontakt mit der Meßliturgie des Tages gelöst und könnte, selbständig geworden, auch außerhalb des Gottesdienstes als ein in sich geschlossenes Oratorium aufgeführt werden. — 08 Schmitt , Formprobleme, S. 45—47, vgl. St. Gallener Kindheit Jesu, F. J. Mone, Schauspiele des Mittelalters, Bd. I, S. 145 ff.; Hessisches Weihnachtsspiel, R. Froning, Drama des Mittelalters, DNL, Bd. X I V , 3, S. 903 ff. 99 Willi Flemming, in: DLE, Bd. V I , S. 10. 100 Karl Weinhold , Weihnaditsspiele und Lieder aus Süddeutschland, S. 134 ff.

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Von der Darstellung der Verkündigung im Rorateamt in Salzburg berichtet eine Notiz aus dem Tagebuch F. Heinrich Pichlers aus dem Stift Kremsmünster. Der angehende Benediktiner war von 1745—1748 auf der Universität in Salzburg und zeichnete mit Eifer in seinem Tagebuch das Leben und Treiben der Stadt, insbesondere ihr kirchliches Leben auf 1 0 1 . So beschreibt er auch die »Vorgänge« beim Rorateamt 1748 in der Kirche der Augustiner: »Dises [das Rorate] ist alle Tage und mit 3 Geistlichen. Gleich bey dises gehen die Sterne und der Mon recht schön in denen Wolken auf. Vor dem Evangelio zertheilet sich eine Wolken, durch welche sich ein Engel hervorschwinget bis ad coram Epistolae in der Höh, ad coram evangelii aber kniet unser liebe Frau auf einem Bettschamel. Sobald das Evangelium anfanget, stehet sie auf und da der Diaconus singet: Ave gratia plena, so siehet man diese drei Word neben des Engel seyn Maull illuminierter und wan er singet: Spiritus S. superveniet in te, fliecht ein Tauben ad Mariam zu dem Gesicht und sie bekommt gleich einen Schein. Da es aber heißt: Ecce ancilla Domini, so seyn eben bey dem Maull Mariae diese Worte zu lesen. Dise Fuguren thauren das ganze Rorate, der Monschein aber verlihret sich sambt denen Sternen, als wan es natürlich wäre 102 .« Hier handelt es sich offensichtlich nicht um ein Spiel mit sprechenden Personen, Gabriel ist stumme Figur, die kennzeichnenden Worte erscheinen in Leuchtziffern, während der Diakon singt; die Antwort Mariens wird ebenfalls in Leuchtbuchstaben neben ihrem Munde sichtbar, die Szene ist erstarrt zu einem Figurenspiel 103 . Bei der Feier dieses Rorateamtes befinden wir uns zugleich in einem mechanischen Theater mit effektvoller Illumination; Liturgie und theatralische Mechanik werden fast unerträglich vermischt. Das Salzburger Roratespiel ist gattungsmäßig einzureihen in die Gruppe der Krippentheater oder der Puppenspiele (z. B. St. Pöltener Krippentheater) 104 , die nach der Mitte des 18. Jahrhunderts emporgewachsen sind und »eine letzte Blüte der Gesamtspielentwicklung«105 volkstümlicher Prägung darstellen. Damit finden wir die barocke Szene der Verkündigung innerhalb der Rorateämter in dreifacher Weise verwirklicht: 1. als liturgisches Spiel, der Tradition verpflichtet und daher in engem Kontakt mit den Meßzeremonien (Dillingen), 101 Leopold Schmidt, Das deutsche Volksschauspiel in zeitgenössischen Zeugnissen vom Humanismus bis zur Gegenwart, S. 43. 102 Schmidty Das deutsche Volksschauspiel in zeitgenössischen Zeugnissen vom Humanismus bis zur Gegenwart, S. 45. 1 0 3

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Ders.y ebd., S. 45.

Ders.y Die Weihnachtsspiele Niederösterreichs, S. 303. Ders.y S. 300.

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2. in der barocken Neuform des Oratoriums, als selbständig gestaltetes Werk (Mindelheim), 3. als mechanisches Figurenspiel, gestaltet mit barocker Theaterfreude (Salzburg). Es bleibt die Frage nach dem »literarischen Vorbild« der Dillinger Meßbzw. Spielordnung. Hier eröffnen sich zwei Deutungsmöglichkeiten. 1. Dillingen richtet sich nach der Fuggerschen Stiftung in Mindelheim, 2. Anstoß und Übermittlung kommen von Meisterin Anna Steffasin. Die Fuggerstiftung begann 1607. Zwischen den Städten Mindelheim und Dillingen, die beide zur Diözese Augsburg gehören, bestanden im 17. Jahrhundert enge Beziehungen. Die Schüler von Mindelheim siedelten meist an das Gymnasium nach Dillingen über 106 . Für die Stiftung aber ist diese Tatsache nicht sehr ergiebig. Von einer Verbindung zwischen Maria von Westerstetten und der Familie von Fugger wissen wir nichts 107 . Auch ist es fraglich, ob in der Frühzeit der Stiftung in Mindelheim eine gespielte Szene während des Rorateamtes überhaupt bestand und als Vorbild dienen konnte. Mindelheim scheidet damit als Vorbild für Dillingen aus. Die Vermutung, daß Anna Steffasin den Anstoß zur Darstellung der Verkündigung im Gottesdienst gab, stützt sich auf folgende Tatsachen: Anna Steffasin ist Niederländerin 108 . Die letzten Belege gespielter Rorateämter, iie sog. Goldenen Messen, kommen aus ihrer Heimat. Könnte nicht sie das Wissen um diese liturgischen Spiele aus ihrer Heimat mit nach Deutschland gebracht haben? 1564 geboren, steht sie in unmittelbarer Nähe zu den Aufführungen in Tournai und St. Omer. Als Meisterin der Franziskanerinnen in Dillingen, als gebildete Frau, hatte sie die Möglichkeit diese im Gespräch mit Heinrich und Maria zu erwähnen und anzuregen. Der kulturelle Einfluß der Niederlande auf Deutschland im 16./17. Jahrhundert ist bekannt. Er zeigt sich unter anderem in der Entwicklung des Jesuitenspieles in Deutschland. Die frühesten der in Deutschland aufgeführten Stücke stammen aus Flandern; Ignatius von Loyola weilte selbst in Löwen und nahm den Betrieb des dortigen christianisierten Humanismus zum Vorbild seines Schulwesens109, Petrus Canisius stammt aus Nimwegen und hielt sich geraume Zeit in Dillingen auf, um die Übergabe der Universität 106

Zoepfl, Geschichte der Stadt Mindelheim, S. 244. 1609 trafen in Mindelheim Heinrich v. Knöringen, Jakob von Konstanz, ein Bruder des Christoph von Fugger, und der Ellwanger Probst, Johann Christoph von Westerstetten zusammen wegen einer Besprechung, die den Beitritt zum Bund oberdeutscher katholischer Stände klären sollte. (Vgl. Zoepfl, a.a.O. S. 61.) 108 Kl.A. D. Urbarium, S. 2, siehe oben S. 23 f. l o a DLE, Reihe Barock, Barockdrama, Bd. I I , S. 23. 107

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an die Jesuiten 1563 110 in die Wege zu leiten. So ist es nicht abwegig, den Einfluß flandrischer Kultur auch bei den liturgischen Spielen zu vermuten. 5. D i e E n t w i c k l u n g d e r R o r a t e s t i f t u n g bis z u r S ä k u l a r i s a t i o n Die Stiftung der Maria von Westerstetten nimmt in der wechselvollen Zeit- und Klostei^geschichte einen interessanten Verlauf. Die Ämter wurden ohne Unterbrechung von 1614—1632 gefeiert. M i t Recht dürfen wir annehmen, daß Maria von Westerstetten vom nahegelegenen Schloß Altenberg aus die Ämter selbst gern besuchte. Der Dreißigjährige Krieg änderte diese glückliche Situation. Die Schweden, der »Nordtisch Veindt«, wie die Chronistin schreibt, bedrohte auch Dillingen. Nach der Schlacht bei Rain am Lech kamen die Schweden 1632 das Donautal heraufgezogen und gelangten unter ihrem Anführer Tubadel nach Dillingen 1 1 1 . Die Franziskanerinnen waren auf Wunsch des Bischofs am 7. April geflüchtet 112, und über Füssen bis nach Silz in Tirol und weiter nach Österreich gelangt. I n Dillingen wurde die Schule St. Peter und die Universität wegen der Schwedeneinfälle geschlossen113, erst 1642 kehrten die Schwestern in ihren Konvent zurück, im gleichen Jahr begann auch der Unterricht an der Schule St. Peter wieder. I n diesen 10 Jahren fanden keine feierlichen Ämter statt, in den folgenden Jahren, die Not und Leid über die Stadt und die Schwestern brachten, konnte an die prunkvollen Rorateämter nicht gedacht werden. Die durch Krieg und Plünderungen verarmten Schwestern können nicht einmal die althergebrachten Jahrtage und Stiftsmessen zelebrieren lassen. Bischof Heinrich von Knöringen bewilligt deshalb in einem Reduktionsschreiben 114 1646, daß einzelne Messen ausfallen dürfen oder zusammengelegt werden sollen. 110

LThuK, Bd. I I . — James Brodrick, Petrus Canisius, Bd. I I , S. 218—222. Weiß, S. 30 f. 1631 im November waren bereits einmal 16 Schwestern geflohen und bei Verwandten und Bekannten in Mindelheim untergekommen, nach 7 Wochen jedoch wieder zurückgekehrt. (Vgl. Lioba Schreyer, Zur Geschichte der Franziskanerinnen in Dillingen, S. 25 f. — Pia Koch, S. 307 f. 113 Weiß, S. 392 (Anm.). — Thalhof er, S. 69 ff. 114 O.A. A., verbrannt, nur in Abschrift erhalten. Der lateinische Text lautete: »Confirmatio Reductionis Anniversariorum maioris Congregationis Monialium ord. S. Francisci Dillingae. Dedato 22. Januarij 1646. >Anniversarij suprascripti e facultate Concilij Tridentini concessa eo quod reditus ad eos fundati per hanc temporum iniuriam amissi fuerint, vel non sufficiant vel alias ignorentur, ad normam in margine annotatam cum haec tarnen expreßa conditione reducti et coniuncti fuerunt, ut si uel omnium, uel aliquorum sie reduetorum reditus iterum comparentur, anniversarij quorum reditus iterum reperti sunt pro reditum qualitate restituantur. Acta sunt naec in officio, Vicariatus Caspar Zeiller, vic. grlis, Loco ad nomine R m i et I l l m i Principis ac Domini Domini Henrice, Epi AugustaniNunc dimittis servos tuos, Domine.. .< (Dann stimmen die heiligen Väter den Gesang an . . . ) Delogu Ibba überlebte den Druck seines Werkes nur um zwei Jahre, 1738 starb der 1664 in Ittiri bei Sassari geborene Dichter. Bereits SiottoPintor 16 , dann Martini 1 7 und auch Tola 1 8 haben im Werk Delogus die persönliche Meisterschaft und die sprachliche Originalität erkannt: » . . . l'esattezza del Delogu, che ove a certe rególe ridurre si volesse la lingua logudorese, che é la vera lingua nazionale della Sardegna, non sapremmo indicare fonti migliori 19 .« Ohne sichere Datierung bleibt das nächste Spiel 'S'historia de Juseppe Hebreu', von dem wir auch den Autor nicht kennen. Spano hat das Werk mit dem Untertitel »dramma sardu bogadu dae s'antigu testamentu« abgedruckt 20 . Auch späteren Nachforschungen ist es nicht gelungen, den Ver16 17

Siotto Pinter , s. Anm. 9.

P. Martini , Biografía Sarda, Cagliari 1838, Bd. I I , S. 25. 18 Pasquale Tola, Dizionario degli uomini illustri di Sardegna, Torino 1837/ 1838, Bd. I I , S. 23. 19

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Tola, s. o.

S'historia de Juseppe Hebreu, dramma särdu bogadu dae s'antigu Testamentu, a cura di G. Spano, Cagliari 11857, Londra 21863, Cagliari 31872. Als vermutlicher Autor galt wohl zu Unrecht der Karmeliter Alberto Mauria Solinas, von 1803 bis zu seinem Tode 1817 Bischof von Nuoro, siehe Alziator, Storia della letteratura di Sardegna, S. 414—418. Alziator urteilt über die historia etwas zu kritisch: »Ii dramma non presenta particolare valore letterario.*

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fasset zu identifizieren, doch teilt Alziator meines Ermessens zu Recht das Drama dem 18. Jahrhundert zu 2 1 . Das Spiel ist ein Musterbeispiel für die zwischen Literatur und Volksliteratur stehende Gattung des sardischen geistlichen Dramas. Heinrich von Maltzan erlebte in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts selbst, wie dieses Stück, dessen Spielpraxis noch in vollem Umfang lebendig war, durch den Pfarrer Salvator Cossu aus Ploaghe (südöstlich von Sassari) unmittelbar aus dem Munde der Spieler, die alle nur ihren eigenen Part kannten, zunächst als Fragment aufgezeichnet und dann nach und nach ergänzt wurde 22 . Das Manuskript von Cossu diente dann auch Spano zur Unterlage für den Druck. Man möchte also das Drama prima vista als ein Volksschauspiel ansprechen. Diesen Irrtum gibt man sogleich auf, wenn man den Text näher untersucht. Bereits der äußere Aufbau des Dramas in zwei Akte zu je zwölf Szenen verrät eine planende Hand. Noch stärker offenbart das vom Dichter gewählte Versmaß die Distanz zur Volksdichtung; es handelt sich nämlich um einen vierfüßigen Trochaeus in Strophen von je drei Zeilen mit einer vierten Zeile als Halbzeile zum Abschluß. Dabei reimt sich diese Kurzzeile jeweils mit der Anfangszeile der folgenden Strophe. Wir erkennen an dieser komplizierten Bauform, daß eine Einzelpersönlichkeit hinter dem Werk steht, und daß nicht die schlichten Spieler selbst das Spiel geformt haben können. Aus der Wahl des Versmaßes und dessen Beherrschung, sowie aus der gesamten Behandlung des Stoffes können wir auf den Bildungsgrad des unbekannten Verfassers schließen. Er muß sowohl die spanischen Barockdramen, insbesondere die autos Calderons und Lopes gekannt haben, wie ihm auch sicher die Behandlung der Josephslegende aus italienischen Bearbeitungen vertraut gewesen sein müssen. Wir denken an die biblischen Opern, an die Oratorien, von denen jenes von Francesco Buti (1604— 1682) 23 besonders berühmt gewesen war. Der Einteilung in zwei Akte, wie sie Buti praktizierte, folgte der anonyme sardische Dichter im Gegensatz zu den dreiaktigen Opern. In der Tat ist auch dieser Stoff mehr episch als dramatisch, und die Bearbeitung verstärkt die epischen Züge, ohne die sich anbietenden dramatischen Elemente zu forcieren. Leider wurde weder von Spano noch von Alziator versucht, die Quellen zur 'Historia de Juseppe* näher zu bestimmen. Alziator begnügt sich mit der Feststellung »unico esempio di vicenda di argomento biblico nel 21 22

Alziator, s. Anm. 5.

Heinrich von Maltzan, Reise auf der Insel Sardinien, Leipzig 1869, S. 396 bis 403. 23 Franccsco Buti, Giuseppe, figlio di Giacobbe, Oratorio in due parti (con musica di Luigi Rossi) ca. 1642.

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teatro isolano« 24 . Maltzan hat sich auf eine Inhaltsangabe beschränkt, auf die wir verzichten können, da uns der Stoff aus der Genesis vertraut ist, und sich der unbekannte Autor ziemlich eng an die biblische Erzählung gehalten hat. Interessanter ist dagegen Maltzans Versuch, Kostproben aus dem Drama in einer deutschen Übersetzung zu geben, welche sich an Versmaß und Reim hält. Ein kleiner Ausschnitt daraus veranschaulicht uns Form und Stil des Dramas. Zunächst aus der Klage Jakobs: Non b'bat consola pro me, Pustis qui, fizu istimadu, Tue mortu ses istadu, Nocte et die Is to suspirende a tie, Adverto qui quantu et quantu, Su suspirareti tantu, Bellu fiore!

Keinen Trost für mich mehr gibt es, Seitdem du, geliebter Sohn, Durch den Tod mir bist entflohn; Tag und Nacht Hab ich seufzend zugebracht, Ein Gedank* nur füllet mich, Wie ich mehr beseufze dich, Schöne Blume!

usw.

Wie streng dieses Maß durchgeführt ist, zeigt die so ganz andere Szene, in der die Gattin Potiphars Josef verführen will: J use p pe bellu, non fuas Mirami unu pagu in cara; Et dae me, Juseppe, impara Ad m*istimare. Pro te mi querzo olvidare S'isfera, et s'istadu meu Non fuas no, o bellu Ebreu, Dae quie t'amat. Is tuda custa fiama Qui giuto in pectus accesal Non t'accendet sa belessaf Juseppe, mira,

Fliehe nicht, o schöner Joseph! In's Gesicht nur blicke mir Und von mir erlerne hier, Mich zu lieben! Sieh, die Lieb' hat mich getrieben, Zu vergessen das Gewicht Meines Rang's, o fliehe nicht Vor der Liebe! Lösche diese Feuertriebe, Die das Herz verbrennen mir! Ist denn Schönheit wertlos dir? Sieh mich an!

Ganz und gar unvolkstümlich sind die langen Monologe, die als seelische Stimmungsberichte zwar den einzelnen Figuren mehr Tiefe geben und sie weniger flächenhaft zeichnen, aber sichtlich unter dem Einfluß spanischer Dramen komponiert sind. Typisch auch, daß nicht in der Schwarz-WeißZeichnung beharrt wird, sondern daß Ansatzpunkte zu eigenwilliger Charakterisierung auftreten. So hat der Dichter, so sehr er sich sonst an die Vorlage der Genesis gehalten hat, die Gestalt der Frau Potiphars umgestaltet; in einer großen Szene bekennt sie sich gegenüber ihrer Dienerin schuldig und bereut ihre Tat: 24

Alziator, s. Anm. 5.

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Non poto istare piüs muda; Ad lu narrer so forzada , Qua safiamma inserrada Hat piüs forza. Ite m'bat successu corza! Ite incauta qu'istei, Quando ad Juseppe mirei Su Ebreu! Restesit su coro meu, Accesu de amore vivu; Quand' expecto cumpassivu, Qu'ipse siat,

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Nicht mehr länger kann; ich schweigen; Bin zum Reden fest entschlossen, Denn die Flamme, die verschlossen, Brennt mit Macht. Welch' ein Los hat zugedacht Mir das Schicksal! Wahnbestricket Hab ich Joseph angeblicket, Den Hebräer! Wie mein Herze schlug ihm näher, Ward's entflammt vom Feuertriebe, Hoffend, daß voll Gegenliebe Seines schlage,

usw.

Man darf wie bei allen andern geistlichen Spielen — eine Ausnahme bildet nur Maurizio Carrus, der sich selbst einen artesanu (Handwerker) nennt — auch hier annehmen, daß der Autor geistlichen Standes war. Überraschend ist aber vor allem, daß dieses sprachlich nicht gerade eingängige Libretto sich ohne schriftliche Aufzeichnung nur im Volksmund über ein Jahrhundert halten konnte. Diese erstaunliche Tatsache bildet eine Parallele zu der Beobachtung, daß sich in Sardinien einige drei- und vierstimmige Messen ohne Notierung über Jahrhunderte halten konnten, wenn sie auch, jetzt sehr selten geworden sind. Diese meist dreistimmigen Männerchöre im Stil des frühen 15. Jahrhunderts wurden von Sänger zu Sänger überliefert 25 . Wie in diesen Messen, so wurde auch beim obigen Drama die Neigung der Sarden zu einem freien Extemporieren um des gemeinsamen Zusammenwirkens willen unterdrückt. Im Gegensatz zur Variationsfreude des einzelnen Sängers, tritt im Zusammenspiel ein besonderes Moment der Beharrung zu Tage. Die 'Historia de Juseppe* ist in logudoresischem Dialekt verfaßt, eine sprachliche Untersuchung könnte zeigen, daß die dabei verwendete spezielle Mundart archaischer ist als jene von Delogu. Ein Urteil über das literarische Niveau wird dagegen zugunsten Delogus ausfallen, dessen Werk einheitlicher und geschlossener ist. Die 'Historia* dagegen strotzt von Widersprüchen und Unlogik sowohl der Handlung als der Zeichnung der einzelnen Personen, und auch in der Sprache bleibt allzu viel Schablone, neben schönen Versen stehen triviale, anmutigen Bildern treten steifformelhafte Wendungen an die Seite. Nicht genau datierbar — Alziator schreibt ».alla fine del secolo« — ist auch ein Werk, dessen Autor umstritten ist, und das den Titel führt: 'Passione et Morte de nostru Sennori Gesu Cristo\ Pietro Meloni Satta 25

Karlinger, Volkstümliches in der Kirchenmusik Sardiniens, in: musica sacra, 1956, S. 203—208; siehe auch Karlinger, La musica popolare sarda, in: Eco del Regionale, 1958, Nr. 5/6, S. 5—7.

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hat dieses Drama in gedruckter Fassung vorgelegt 26 . Die Spieltradition der Orte Olzai, Gavoi und Mamoiada, alles Orte aus der Barbagia, dem Inselzentrum, beanspruchte die Autorschaft für einen gewissen Raimondo Contu aius Oliena, der 1813 gestorben ist. Die Spieltradition von Fonni, am Fuße des Gennargentu (ebenfalls Barbagia), behauptete, daß der Dichter aus Fonni stamme und Assenzu mit Namen kurz nach 1800 gestorben sei 27 . Um die Verwirrung noch zu erhö/hen, schreibt Sterzi: »la Rappresentazione del Congiu« 28 . Die Frage nach dem Dichter darf aber als unerheblich gelten. Viel wichtiger ist die Tatsache, daß dieses Stück das ganze 19. Jahrhundert hindurch gespielt wurde. Der Herausgeber Meloni Satta berichtet, daß er selbst in seiner Jugend einen der Engel dieses Spieles bei den Aufführungen in seinem Geburtsort Olzai gespielt habe. Salvator Meie schreibt sogar: »Qua ad Olzai la vidi rappresentare una volta sendo giovinetto (nel 1869). . . . Venne rappresentato anche quest' anno [seil. 1883!], e mi dicono, bene29.« Man kann daraus ersehen, daß sich die im Barock wurzelnde Spielpraxis weit über diesen Zeitraum hinaus erhalten hat, und daß diese Autos zu einem Zeitpunkt noch lebendig waren, als auf dem italienischen Festland die Erinnerung an die Sacre rappresentazioni längst verblichen war, wenn man von Prozessionen und Dramenfragmenten absieht. Meloni Satta beschreibt, wie außerordentlich lebhaft -der Drang zur Mitwirkung an dem genannten Passionsspiel war: »Era un vero fanatismo, che rasentava il delirio. Tutti facevano a gara per esser compresi fra gli attori delle annuali rappresentazioni, e tutti studiavano con sommo impegno la parte, che dovevano rappresentare; e rappresentavano, investendosi quanto meglio potevano del carattere del personaggio scelto30.« Dieser Bericht zeigt uns deutlich, daß im Gegensatz zur 'Historia de Juseppe' beim Passionsspiel in Olzai (und ähnlich vermutlich auch in Gavoi, Mamoiada und Fonni) Rollenbücher vorhanden gewesen sein müssen und die einzelnen Rollen nicht innerhalb der Familie vererbt wurden. Bei der Traditionstreue der Sarden dürfen wir zugleich auf die allgemeine Spielpraxis gegen Ende des 18. Jahrhunderts, das heißt in der von uns eigentlich behandelten Epoche, schließen. Interessant ist dabei, daß die Tassione' nicht an einem Abend gespielt, sondern auf zwei Tage verteilt wurde: die ersten beiden Akte — Leiden und Tod Christi — wurden am Abend des Gründonnerstages 26 La passione et morte de nostru Sennori Gesu Cristu, a cura del prof. Pietro Melonie Satta , Cagliari 1896.

27 28

Alziator, s. Anm. 5. Sterzi, s. Anm. 15.

29 Poesie popolari sarde con prefazione del dott. Salvatore Meie , Cagliari 1883, S . X X I I .

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Meloni Satta y s. Anm. 26, S. VI.

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in einer Kirche aufgeführt. Der dritte Akt — die Kreuzabnahme — wurde auf den Abend des Karfreitags verlegt. Der Andrang des Publikums zu diesem Spiel war stürmisch. Meloni Satta schreibt: »In quelle sere tutte le case rimanevano totalmente deserte.« Ja viele Zuschauer eilten schon am Morgen in die Kirche, um sich einen guten Platz für die Aufführung am Abend zu sichern. Wir übergehen den weiteren Bericht über die aufführungspraktische Seite dieser Passion und nennen das letzte geistliche Drama, das wir für das 18. Jahrhundert nachweisen können: 'Comedia sacra a sa resurezione de Jesu Christi in sesta lyra sarda' des Benefiziaten Giovanni Battista Madeddu 31 . Dieser Dichter hat sich auch als volkstümlicher Lyriker einen Namen gemacht. Seine Hymnen sind zwar zum größten Teil vergessen, aber von seinen geistlichen Volksliedern, etwa der Bitte um Regen, ist heute noch manches bei den Volkssängern lebendig, wenn auch der Name des Autors Madeddu nicht mehr geläufig ist 3 2 . Das Spiel wurde vermutlich nie vom Volk, sondern nur von Seminaristen gespielt, wie es aus dem Manuskript hervorgeht 33 . Gegenüber der Lyrik Madeddus fällt sein Drama stark ab. Auch für große Aufführungen dieses Auferstehungsspiels mögen die Aussichten nicht sehr gut gewesen sein, da man sich in der Regel mit den Prozessionen des Ostermorgens begnügte. Das kurze Spiel dürfte mehr für einen kleinen, internen Kreis bestimmt gewesen sein. Madeddu starb 1809, sein Spiel ist bis heute das letzte ins 18. Jahrhundert datierbare geistliche Drama. Von weiteren Spielen existieren nur knappe Hinweise, aber keinerlei präzise Quellen. Mit dem 18. Jahrhundert ging die Blütezeit des sardischen auto zu Ende, das folgende Jahrhundert kannte wohl eine Reihe sehr beachtlicher Lyriker, gegen das Ende zu auch Autoren von Schauspielen in sardischem Idiom, aber das geistliche Drama lebte nur mehr aus der Substanz der Vergangenheit. Man darf resümierend sagen, daß die sardischen geistlichen Spiele der von uns durchlaufenen Epoche nicht nur im Zusammenhang mit dem europäischen religiösen Drama des Barock von Interesse sind, sondern daß sie auch einen nicht unwesentlichen Teil der sardischen Literatur überhaupt ausmachen, die im Bereich des Religiösen stärker als im profanen Raum ihren eigentlichen und charakteristischen Ausdruck gefunden hat. Diese Spiele geben zugleich einen Eindruck davon, welche Art von Literatur den Weg zum Volkstümlichen finden konnte, ohne die Wesensart der Volksliteratur in absolutem Maße anzunehmen. Eine Welt dichte31 Enthalten in Codex S. P. 6/2.9. der Universitätsbibliothek Cagliari, der verschiedene sardische Gedichte und Hymnen von Madeddu enthält.

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S. Cambosu, Anm. 10, S. 244. Alziator, s. Anm. 5, S. 156.

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raschen Erlebens von individuellem Ausdruck, aber zugleich Summe des volkstümlichen Geschmacks offenbart sich in diesen Spielen, und sie tritt klarer und unmittelbarer zu Tage als in den anderen literarischen Gattungen der Insel. Und schließlich zeigen diese Spiele, wie erheblich Funktion und Eigenart der Literatur eines Kleinsprachraumes von der großer sprachlicher Einheiten abweichen. Die rauhe Sprache Sardiniens findet in den geistlichen Spielen ihre Blüte, und kaum sonst finden wir eine solche Fülle zarter Empfindungen und eine solch tiefe Wehmut über die Vergänglichkeit dieser Welt wie in dieser religiösen Dramatik.

»WIR SEHEN UNS WIEDER!« Zu einem Leitmotiv des Dichtens und Denkens im 18. Jahrhundert"* Von Eudo C. Mason Es ist ein gar zu herziges Ding um die Hoffnung, wiederzusehen (Goethe, 15. Oktober 1770, Briefentwurf an Friederike Brion)

Die Vorstellung einer irgendwie gearteten Fortsetzung engerer menschlicher Beziehungen über den Tod hinaus liegt so sehr nahe, daß sie von jeher im religiösen Denken und Wähnen fast aller Völker über das künftige Schicksal der Seele und über ein etwaiges Jenseits eine wesentliche Rolle gespielt hat. Hierher gehören so verschiedene Erscheinungen wie die noch immer nicht ganz ausgerottete altindische Witwenverbrennung, die Goethe so großartig in seinem Der Gott und die Bajadere (behandelt, und die Elysischen Felder und Seligen Inseln der alten Hellenen. Goethe verstößt nicht wesentlich gegen den Geist der Antike, wenn er in seiner Iphigenie die Wiedervereinigung der Tantaliden in der Unterwelt heraufbeschwört. Dem gleichzeitigen Sterben legt man eine besondere seelische Bedeutung bei, wie es denn in Davids Klagelied heißt: »Saul und Jonathan, holdselig und liebreich in ihrem Leben, sind auch im Tode nicht geschieden.« Neben der edlen Freundschaft und der Waffenbrüderschaft sind es vor allem die engsten Familienbande, wie etwa zwischen Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern und zwischen langverbundenen Ehegatten, die für würdig gehalten werden, den Tod zu überdauern oder wenigstens bis in die Todes* Die vorliegende Arbeit beruht nur auf Zufallsfunden, nicht auf systematischer Forschung. Unter den verschiedenen Freunden, die midi auf weitere Belege zur behandelten Frage aufmerksam gemacht haben, sei hier Herr Adolf Seebaß besonders hervorgehoben, dem ich zehn einschlägige Zitate aus dem evangelischen Kirchenlied vom ausgehenden 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert verdanke. Christoph Knoll, Jeremias Nicolai, Johann Heermann, Paul Gerhardt, Joachim Pauli und Johannes Mentzer haben alle mit großer Innigkeit das Motiv der jenseitigen Wiedervereinigung, zumal von Blutsverwandten, in ihre schlichten Verse aufgenommen. Brockes* Schwarten-Gesang (1747) wäre hier auch zu erwähnen. Bei einer ausführlicheren Darstellung des Gegenstands wären u. a. Jean Paul und seine schwärmerische Verehrerin Maria Lux zu berücksichtigen, ferner auch Stifters Briefe an Heckenast vom 12. Juni 1856 und an Anton Stifter vom 24. Juni 1866.

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stunde hinein unzertrennlich zu bestehen. Uns interessiert aber besonders der problematischere Fall jüngerer, unverheirateter oder gar ehebrecherischer Liebender, deren rein privater Bund durch den Tod, sei es des einen oder beider, vorzeitig zerstört wird. Die Wiedervereinigung im Tode oder über den Tod hinaus kann hier nur auf Verjenseitigung des Sinnlichen, also auf eine Erotisierung des Todes hinauslaufen. Manchem älteren Kult sind solche Vorstellungen keineswegs fremd, wie denn auch das mohammedanische Paradies seine Huris kennt, an denen Goethe im West-Östlichen Divan seine ironische Freude hat. Innerhalb dieses allgemeinen Zusammenhangs nimmt nun das Christentum eine Sonderstellung ein. Einerseits erscheinen in ihm das künftige Leben und die jenseitige Welt als selbständige, fast handgreifliche, gebieterische Wirklichkeiten, wie in kaum einer .anderen religiösen Überlieferung; anderseits gewährt dieses künftige Leben, diese jenseitige Welt des Christentums nur den schmälsten, peripherischen Raum für die Fortsetzung oder Erneuerung diesseitiger menschlicher Bindungen. Das Entscheidende ist die visio beatifica, bei der es auf Gericht, Läuterung und die Gefahren eines ewigen Verderbens ankommt und der alles andere streng untergeordnet bleiben muß. Auch die innigste persönliche Neigung zu einem anderen Einzelmenschen als solchem kann diesem göttlichen Anspruch gegenüber keine absolute, ewige oder heilige Gültigkeit behaupten, zählt vielmehr strenggenommen zu den Vorläufigkeiten und Eitelkeiten dieser Welt, in welche die Seele sich nicht zu sehr verstricken lassen darf, oder wäre, wenn sie zu vorherrschend und heftig wird, geradezu als sündhaft zu betrachten. Nichts anderes besagt das erschreckende, freilich nicht buchstäblich zu verstehende Wort: »So jemand zu mir kommt, und hasset nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein.« Die Liebe zum einzelnen Mitmenschen wird eben leicht zur gefährlichsten Nebenbuhlerin der Liebe zu Gott, ist es auch schon bei demjenigen geworden, der auf einer Wiedervereinigung im Jenseits als auf seinem unbedingten Recht besteht, anstatt sich nach dem Gebot zu richten, »Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen«, und es dabei dem unerforschlichen Ratschluß Gottes anheimzustellen, ob seine Seele dieser Wiedervereinigung tatsächlich bedarf oder nicht. Derjenige, der sich des Jairus, der Witwe zu Nain und der Maria und Martha in ihrer Trauer erbarmte, sprach auch das Wort: »Folge du mir, und laß die Toten ihre Toten begraben.« Das sind Dinge, die in den »christlichen Jahrhunderten« jeder, vom Gescheitesten bis zum Einfältigsten, ohne weiteres begriff und mit denen sich auch fast jeder, wenngleich manchmal schweren Herzens, im wesentlichen abfand. In allem, was uns aus jenen Jahrhunderten über die

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Gemeinschaft der Heiligen und über die »gesellschaftlichen Freuden des Himmels« überliefert worden ist -und was noch immer in diesen Fragen gilt, ist kaum ein Wort von einer Fortsetzung oder Erneuerung irdischkreatürlicher Bindungen und Zuneigungen zu finden. Etwa um 1140 schreibt Bernhard von Cluny in seinem De contemptu mundi von den Freuden des Himmels: Nescioy

nescioy quae jubilatio, lux tibi qualis,

Quam socialia gaudia, gloria quam specialis. Die von Angelus Silesius 1675 veröffentlichte Sinnliche Beschreibung der ewigen Freuden der Seligen sieht keine anderen socialia gaudia als die frommen Beziehungen der Heiligen und Märtyrer aller Zeiten und Länder zueinander vor, ohne die geringste Berücksichtigung rein menschlich-irdischer Bindungen. In einem Gedicht der Heiligen Seelenlust ( I I I ) über »die Herrlichkeit .der himmlischen Wohnungen und des ewigen Lebens«, das, wie die Sinnliche Beschreibung, auf Bernhard von Cluny zurückgehen dürfte, hatte Scheffler allerdings achtzehn Jahre früher tröstlicher geschrieben: Ach Gott, was muß Wenn man bei dir In Fürsten Zier

die Freude

sein . . .

Die lieben Freunde wiederfindet, Die hier der Tod vonsammen bindet. Wird dem Christen eine gewisse Zurückhaltung und abwartende Ergebenheit hinsichtlich der etwaigen jenseitigen Wiedervereinigung im Falle nächster Familienbindungen und edler Freundschaften auferlegt, so versteift sich seine Haltung notgedrungen der spezifisch erotischen Liebe als Leidenschaft oder »Verliebtheit« gegenüber, die, indem sie ihren Gegenstand »anbetet« oder »vergöttert«, diese Worte weniger bildlich anwendet, als sie vielleicht glaubt. Darauf dürfte es abgesehen sein, wenn im Kolosserbrief ( I I I 5) neben »Hurerei, Unreinigkeit, böser Lust und Geiz (welcher ist Abgötterei)« auch das jtaftog angeführt wird, welches die Vulgata mit »libido«, Luther mit »schändliche Brunst«, die englische Authorized Version (1609) vielleicht noch zutreffender mit »inordinate affection« (übermäßige Zuneigung) übersetzt. Nur als unzulängliches Sinnbild für das Verhältnis zwischen dem himmlischen »Bräutigam« und seiner Braut, der Kirche, kann diese irdisch-sinnliche Liebe im christlichen Himmel gelten, an dem sie sonst keinen Anteil hat. »In der Auferstehung werden sie weder freien noch sich freien lassen, sondern sie sind gleich wie die Engel Gottes im Himmel«, heißt es im Evangelium. Uns interessiert vor allem der Versuch des 18. Jahrhunderts, sich gerade über diese Schranke hinwegzusetzen und — ohne gänzliche Preisgabe der christlichen Uberlieferung — für das 6 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 5. Bd.

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Erotische, als den »heiligsten von unsern Trieben« (Goethe) einen Platz im Himmel zu beanspruchen. Es fragt sich aber, welche Ansätze es in früheren Jahrhunderten zu dieser an sich durchaus begreiflichen und natürlichen Entwicklung gegeben haben mag. Es dürfte jedenfalls klar sein, daß es sich bei der Begegnung zwischen Dante und Beatrice in der Divina Commedia um etwas völlig anderes als die Fortsetzung, Erneuerung oder auch Verklärung einer irdischen Liebe handelt. Was an spezifisch Erotischem in dieser Beziehung je vorhanden gewesen war, ist hier restlos aufgehoben und der visio beatifica untergeordnet. Und doch findet sich gerade bei Dante eine der gewaltigsten Darstellungen im Jenseits vereinigter Liebender, die es in der ganzen Weltliteratur gibt: bei ihm fliegen sich Paolo und Franoesca in die Arme, nicht im Himmel aber, sondern in der Hölle. Genau wie das Mittelalter sich das eigentlich Erotische vorzüglich unter der Form des großen tragischen Ehebruchs vorstellte, wie etwa bei Tristan und Isolde oder bei Lancelot und Guinevere, so konnte es sich keine jenseitige Wiedervereinigung solcher Liebenden denken, es sei denn in der Hölle. In diesem Sinn erklärt Aucassin aufbegehrend in der spätmittelalterlichen Dichtung Aucassin et Nicolette: Was habe ich im Paradies zu schaffen? Es verlangt mich nicht, dorthin zu kommen, sondern nur meine süßeste Freundin Nicolette zu besitzen, die ich so sehr liebe. . . . Ich will in die Hölle gehen, denn dorthin gehen die feinen Gelehrten und Ritter . . . und dorthin gehen die schönen, holdseligen Damen, die zwei oder drei Liebhaber haben außer dem Ehegatten . . . mit denen will ich zusammengehen, wenn ich bloß Nicolette, meine süßeste Freundin bei mir behalten darf.

Diese Vorstellung von der jenseitigen Liebesbegegnung und von der Sehnsucht nach solcher Begegnung als etwas unter Umständen Anrüchigem und Verbotenem ist übrigens keineswegs bloß mittelalterlich. Sie findet sich noch 1959 bei T. S. Eliot in seinem Schauspiel The Eider Statesman, wo Lord Ciavertons ehemalige Mätresse, die liederliche Mrs. Carghill, zu ihm sagt: But you touched my soul — Pawed it, perhaps, and the touch still lingers, And Tve touched yours. It's frightening to think that we're still together And more frightening to think that we may always be together. There's a phrase I seem to remember reading somewhere:

Wbere their fires are not quenched. Ciaverton selber wird von der gleichen unheimlichen Ahnung heimgesucht:

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In fact we were wholly unsuited to each other, Yet she had a peculiar physical attraction Which no other woman has had. And she knows it. And she knows that the ghost of the man I was Still clings to the ghost of the woman who was Maisie.

Dies berührt sich mit dem uralten Volksglauben, daß man den Toten nicht übermäßig nachtrauern darf, weil sie sonst als Gespenster, oder gar als Vampire oder als »lebende Leichname«, zurückkehren könnten — eine Art dämonisch-grauenvolle Wiederbegegnung der Liebenden über den Tod hinaus, die, weit und breit in Volksliedern und Balladen dargestellt, 1773 mit Bürgers Lenore in die neuere Dichtung eingeführt und dann immer wieder abgewandelt wurde, iam imposantesten von Goethe in seiner Braut von Corinth , am grellsten vom jungen Heine allenthalben im Buch der Lieder. Eins der schönsten Gedichte dieser Art ist das von Cecil Sharp aufgezeichnete englische Volkslied »Cold blows the wind to-night , true love ...« In der englischen Literatur des Zeitraums zwischen Mittelalter und Aufklärung findet sich mancher aufschlußreiche Beleg zu unserem Thema. Merkwürdig ist es, daß Robert Burton 1621 in seinem riesigen weltanschaulichen Sammelsurium, The Anatomy of Melancholy , nach seiner polyhistorischeklektischen Art eine Unmenge teils christlicher, teils stoischer oder sonst antiker Tröstungen »Against sorrow for the death of friends« zusammenträgt, bei aller Ausführlichkeit jedoch die Möglichkeit einer Wiederbegegnung im Jenseits überhaupt nicht streift. Ebenfalls merkwürdig ist es, daß Bunyan trotz seines starken puritanischen Familiengefühls im 2. Teil des Pilgrim's Progress Christiana bei ihrem Tod von einer Schar der Seligen in den Himmel mit »ceremonies of joy« einführen läßt, ohne mit einem Wort darauf einzugehen, wie wir es heutzutage so sehr erwarten würden, ob ihr früher verstorbener Gatte Christian sich unter dieser Schar befindet. Die alte eheliche Bindung hat offensichtlich nichts mehr zu sagen. Ergiebiger für unsere Zwecke ist das elisabethanische Drama. Marston läßt Beatrice in der Dutch Courtesan (1605) die gleiche Frage stellen, die 170 Jahre später auch Goethes Lotte stellen sollte: »Shall we know one another in the other world?« Sie stellt diese Frage (die unbeantwortet bleibt), weil sie die (allerdings falsche) Nachricht soeben erhalten hat, daß ihr Verlobter, Freville, im Zweikampf ums Leben gekommen ist: »I would fain see him again.« Ähnlich sagt Constance zum Kardinal Pandulph in Shakespeares King John: And, father Cardinal, I have heard you say That we shall see and know our friends in heaven. I f that be true, I shall see my boy again. 6*

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Es geht hier damals, wie eigentlich audi jetzt, nicht um eine festgelegte kirchliche Lehre, sondern um eine »fromme Meinung«. Paul Stapfer schreibt 1882 in seinem Shakespeare et les Tragiques Grecs: »Comment se fait-il que, dans les transports de leur amour, Roméo et Juliette n'échangent jamais ni la certitude ni l'espoir d'une éternelle union au séjour die la félicité infinie? Ils étaient, je le comprends, trop ivres de bonheur terrestre pour y songer: voilà pourquoi j'aurais voulu les voir mourir ensemble et entendre leur suprême adieu. Chose étrange! pendant que les époux chrétiens descendent au tombeau sans la perspective d'un prochain revoir, des païens, des volupteux, tin Antoine, une Cléopatra nourrissent cette douce espérance.« Es wirkt in der Tat zunächst befremdend und rätselhaft, daß gerade beim holdseligsten, berühmtesten aller Liebespaare, Romeo und Julia, die Vorstellung einer Wiedervereinigung nach dem Tode so gänzlich fehlt — denn Romeos verzweifeltes Wort, als er das Gift erwirbt, »Well, Juliet, I will lie with thee to-night«, läßt sich unmöglich im geforderten Sinn auslegen. Dem abzuhelfen, hat Garrick 1754 bei seiner Umarbeitung dieser Tragödie die beiden zusammen sterben lassen und Julia zusätzlich die Worte in den Mund gelegt: Fate marries us in death, And we are one — no power shall part us.

I n Shakespeares eigenem unverfälschtem Text bleibt es aber beim trostlosen Abschiedswort des dritten Akts: »O thinkst thou we shall ever meet again?« I n Antony and Cleopatra sieht es freilich ganz anders aus. But I will be A bridegroom in my death, and run into it As to a lover's bed,

ruft Antonius, indem er sich in das Schwert stürzt, und dann wiederum im Augenblick des Hinscheidens: I am dying, Egypt, dying; only I here importune death awhile, until Of many thousand kisses the poor last I lay upon thy lips.

Und noch eindeutiger Cleopatra: I am again for Cydnus To meet Mark Antony . . . Husband I come . . . The stroke of death is as a lover's pinch, Which hurts, and is desir'd.

Das aber, was einen modernen Geist befremden kann, war durchaus begreiflich und natürlich für die Elisabethaner, die in einer Erotisierung des

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Todes und des Jenseits, wie sie in Antony and Cleopatra erscheint, etwas entschieden Heidnisch-Dämonisches erblicken mußten. Sie wußten ihr zwar einen starken ästhetischen Reiz abzugewinnen, vermochten sie jedoch nicht prinzipiell zu billigen, geschweige denn in einer christlichen Umwelt, wie es die Romeos und Julias nun doch einmal ist, gutzuheißen. Andere Elisabethaner zeigen sich allerdings mitunter weniger zurückhaltend in dieser Hinsicht als Shakespeare. Der zerfahrene, schon 1592 gestorbene Greene läßt zum Beispiel Margaret in seinem Friar Bacon and Friar Bungay /dem eifersüchtigen Prinzen Edward, der durch Tötung ihres Liebhabers Earl Lacy der Liebe zwischen den beiden ein Ende zu bereiten droht, marlowisierend Trotz bieten: Why, thinks King Henry's son that Margaret's love Hangs in th' uncertain balance of proud time? That death shall make a discord of our thoughts? No, stab the Earl, and 'fore the morning sun Shall vaunt him thrice over the lofty east, Margaret will meet her Lacy in the heavens.

Ähnliches begegnet ganz gelegentlich, wenn auch in weniger ausgeprägter Form, bei anderen, späteren Elisabethanern, etwa in Beaumont und Fletchers Maid's Tragedy und in Fords Love's Sacrifice . Sehr subtil wird die Problematik der posthumen Wiederbegegnung von Liebenden in einem der merkwürdigen Gedichte John Donnes aus der Zeit vor seiner religiösen Bekehrung behandelt. Mit leicht blasphemischer Bezugnahme auf die Auferstehung des Fleisches beim Jüngsten Gericht malt sich Donne das Kopfzerbrechen desjenigen aus, der vielleicht in ferner Zukunft sein Gerippe ausgraben und am Handgelenk ein Armband von (blondem Frauenhaar entdecken wird: Will he not let us alone, And think that there a loving couple Who thought that this device might To make their souls, at the last busy Meet at this grave, and make a little

lies, be some way day, stay?

(The Relique)

Wo es kein carpe diem mehr geben kann, erkühnt sich Donne hier, Dies irae, dies illa selbst zu einer flüchtigen, allerletzten Erneuerung seiner einzigartigen, hochgestimmten, irdisch-persönlichen Liebesbeziehung zu erhaschen. Die ganze Pointe dieses großartigen Gedichts besteht darin, daß es um etwas geht, was sich eigentlich nicht gehört. Besonders aufschlußreich für uns ist Massingers Trauerspiel, The Duke of Milan (1623), das Vorbild von Hebbels Herodes und Mariamne. Sforza, der in den Krieg ziehen muß, stellt seine angebetete Gattin Marcelia unter

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das Schwert und beruft sich dabei auf die indische Witwenverbrennung. Er faßt es als sein unbedingtes Recht auf: »I ask but justice of h e r . . . « Ihm ist nichts an dem Himmel, alles an der, wie er gut weiß, nur in der Hölle zu erreichenden Wiedervereinigung mit Marcelia gelegen: There is no heaven without her; nor a hell Where she resides.

Die Frevelhaftigkeit seiner Haltung begründet den tragischen Ausgang. Es empört Marcelia, daß er »die sinnliche Hoffnung in sich hegt, sie im Tode als Weib zu erkennen«. Es wird sich aber zeigen, daß eben diese Art Hoffnung im späteren 18. Jahrhundert himmelfähig gemacht werden sollte. 1703 in der Fair Penitent jenes sehr späten Nachzüglers der Elisabethaner, Nicholas Rowe, erscheint unser Motiv wieder, allerdings verquickt mit dem Geist einer neuen, konzilianteren Zeit. Altamont malt seiner reuigen ehebrecherischen Gattin Calista die jenseitige Fortsetzung ihrer gegenseitigen Liebe nach dem doppelten Selbstmord aus, wobei der alte, schroffe Gegensatz zwischen Himmel und Hölle sich merklich verflüchtigt hat: Then thou art fix'd to die? — But be it so; We'll go together; my advent'rous love Shall follow thee to those uncertain beings. Whether our lifeless shades are doom'd to wander In gloomy groves, with discontented ghosts; Or whether thro' the upper air we fleet, And tread the fields of light; still I'll pursue thee, Till fate ordains that we shall part no more.

I n keine vergangene geistesgeschichtliche Stufe kann sich der heutige Mensch schwerer zurückversetzen als in die der früheren noch naiv optimistischen Aufklärung. Das Vorhandensein einer allgütigen Vorsehung oder »Vorsicht« und die Unsterblichkeit der Seele schienen unabhängig von aller Offenbarung und allem »bloßen« Glauben unwiderleglich als reine »Vernunftwahrheiten« ein für allemal gesichert zu sein. Es hat freilich kein ganzes Jahrhundert gedauert, bis diese frohe Zuversicht schwer erschüttert wurde, am radikalsten durch Kants Kritik der reinen Vernunft (1781). Wir erblicken im Deismus zu ausschließlich eine eisige rationalistische Kälte, die es gewiß mitunter auch gab, wie denn sonst allerhand positivistische und materialistische Ideen damals schon im Umlauf waren. I n weiten maßgebenden gebildeten Kreisen aber, zumal in Deutschland, herrschte die feste Oberzeugung, das jenseitige Leben sei eine geradezu wissenschaftlich beweisbare Tatsache, die nur von geistig sehr Beschränkten oder sehr Böswilligen angezweifelt werden könnte. Entscheidend für die Vorstellung, die man sich nunmehr von »jenem Leben« und »jener Welt« machte, war dann

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aber immer weniger die kirchliche Lehre und Überlieferung, immer mehr die »Vernunft« als solche, unter der man nicht am wenigsten die innere Beschaffenheit, die inneren Bedürfnisse der menschlichen Natur verstand. »Nicht umsonst hat uns die Vorsehung ein Verlangen nach ewiger Glückseligkeit eingegeben: es kann und wird befriedigt werden,« argumentiert Moses Mendelsohn 1767 im Phädon. An Hand solcher zuverlässigeren, durch die Vernunft selber gewährleisteten apriorischen Leitideen glaubte man sich unbesorgt über jedes unbequeme Wort, über alles rätselhafte Schweigen der Offenbarung hinwegsetzen zu dürfen. Die Vorstellung der Hölle und der ewigen Strafen rückte immer mehr in den Hintergrund, um manchmal ganz zu verschwinden, ebenfalls die der Heiligkeit Gottes, der Nichtigkeit alles Kreatürlichen, der Sündhaftigkeit des Menschen, der schlechthinnigen Andersgeartetheit des jenseitigen Daseins, ziumal seiner »gesellschaftlichen Freuden«. »Jene Welt« wurde immer mehr zu einer verklärten und erhöhten Ergänzung dieser Welt, die ewige Glückseligkeit zu einer gereinigten, veredelten Erneuerung des irdischen Glücks, bei der es nicht mehr auf die kontemplative visio beatifica, sondern auf »unaufhörliche Tätigkeit« ankommt. Insbesondere stellte man sich die jenseitige Welt immer mehr als das »Land des Wiedersehens« vor, zunächst des Wiedersehens tugendhafter Freunde, Ehegatten, Geschwister, Eltern und Kinder. Es fehlte aber nur noch ein Schritt, bis es auch zum Land des ewigen Schäferstündchens erklärt wurde, und dieser Schritt sollte mit der Zeit auch vollzogen werden. Das Jenseits vermenschlichte, humanisierte sich, blieb aber dabei, ob man sich dessen bewußt war oder nicht, ein freilich fast bis zur Unkenntlichkeit säkularisierter, pelagianisierter christlicher Himmel. Denn ohne die vielen vorangegangenen Jahrhunderte christlicher Gläubigkeit hätte es nie zu dieser angeblich so rein philosophischen Entwicklung kommen können, wie ja auch manche sonst entschieden kirchenfeindliche Deisten sich gerade in diesem Zusammenhang gern auf die christliche Tradition beriefen. Eine Darstellung dieser Erscheinung vom rein philosophisdi-deistischen Gesichtspunkt aus, wie sie hier der Einfachheit halber umrißweise versucht wird, verfälscht den wirklichen Tatbestand, der äußerst kompliziert, ja verworren und widersprüchlich ist. Es konnte nicht ausbleiben, daß eine gewisse Rückwirkung der neuen aufklärerisch optimistischen Jenseitsauffassung auf das Christentum selber stattfand, zunächst in pietistischen Kreisen und unter liberalistischen Theologen, denen eine restlose Versöhnung zwischen Religion und Philosophie, zwischen Glauben und Vernunft vorschwebte. Zunächst hieß es dabei, wohlbemerkt, keineswegs Verrat an der kirchlichen Überlieferung begehen oder etwas überhaupt noch nicht Dagewesenes einführen, sondern bloß eine schon lange geduldete »fromme Mei-

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nung« mehr in dien Vordergrund rücken und gleichsam zu einer mehr oder weniger offiziellen Lehre erheben. Bis Ende des 18. Jahrhunderts aber war für viele die Wiedervereinigung im Jenseits zum Mittelpunkt, zur Hauptsache oder gar zum einzigen wirklich Anziehenden und Wertvollen am Christentum geworden, wie sie es anscheinend 1882 noch für Paul Stapf er war und auch heute für manchen ist. Zwischen den noch wesentlich christlich orthodoxen und den eindeutig philosophisch-deistischen Vertretern der neuen Richtung gab es die verschiedensten und verzwicktesten Zwitterbildungen, Zwischenstufen und Wechselwirkungen, auf die wir hier nicht eingehen können. Beide Seiten waren aber — allerdings letzten Endes vergeblich — bemüht, gewisse Grenzen abzustecken, über die man bei der Verdiesseitigung des Jenseits nicht hinausgehen dürfe. Die »christlich Meinenden« wollten ein Mindestmaß spezifisch christlicher Mysterien unangetastet wissen, während die deistischen Humanisten auf Tugend, Würdigkeit, Selbstvervollkommnung, Tätigkeit und Menschenwürde überhaupt als unerläßlichen Vorbedingungen und Zielen der jenseitigen Glückseligkeit bestanden. Daß der zwischen Aufklärung und Sturm und Drang vermittelnde Empfindsamkeitskult diesen Entwicklungen großen Vorschub leistete, versteht sich von selbst. Eine sehr abwandlungsfähige Art didaktischspekulativer literarischer Komposition wurde beliebt, die in gebundener oder ungebundener Rede, sei es in der Form des Lehrgedichts, der Elegie, des philosophischen Gesprächs oder fingierter Briefe, den Tod und das künftige Leben zum Gegenstand hatte und bei der die gleiche Grundsituation sich regelmäßig wiederholte: ein Mann trauert um eine vorzeitig dahingeraffte edle Freundin, Gattin, Schwester oder Geliebte, die bald mehr als »schöne Seele«, bald mehr als eine Fromme im herkömmlichen Sinne dargestellt wird und der er in »jenem Leben« wieder zu begegnen hofft. Bei Young (1742) heißt die derart Betrauerte Narcissa, zu der eine seltener erwähnte aber noch wichtigere Lucia hinzukommt; bei Karl Christian Engel (1780) sind es Karoline, die verstorbene Braut Moritzens, und Henriette, die verstorbene Schwester Wilhelms; bei Tiedge (1801) ist es Hehra, die »in der zarten Frühlingabliüt' entschlief«. Auf diese Weise werden in das, was sonst bloß eine formlose Kette von abstrakten Meditationen geblieben wäre, wenigstens Ansätze zu einer formstiftenden konkreten menschlichen Begebenheit hineingetragen. Aber auch in einigen der berühmtesten Dichtungen des späteren 18. Jahrhunderts, etwa in Rousseaus Nouvelle Heloise, in Hölderlins Hyperion, in Novalis' Hymnen an die Nacht und Heinrich von Ofterdingen sind deutliche Spuren des gleichen Grundmusters zu erkennen. 1717 veröffentlichte Pope seine Elegie Eloisa und Abelard. Seine Vorlage, der berühmte Briefwechsel, ist als frühes und gewaltiges Zeugnis

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für das Aufeinanderprallen der irdisch-privaten Liebe und der christlichen Jenseitigkeit von besonderem Interesse für uns. Die historische Eloisa erblickt im Tode, .aber erst im Tode, die endgültige Aufhebung ihrer leidenschaftlichen Liebe zu Abelard und kann sich nicht so lebhaft für das Jenseits interessieren, wie sie es als Nonne und »Braut Christi« eigentlich tun müßte: »Welchen Winkel seines Himmels Gott mir anweisen will — ich werde zufrieden sein.« Abelard dagegen deutet in seinem für ihren Gebrauch aufgesetzten Gebet die Möglichkeit einer Wiedervereinigung an, aber in der einzigen mit dem strengen christlichen Glauben verträglichen Form, nämlich »in Gott«: »Die du in der Welt für kurze Zeit auseinander gerissen, vereinige sie mit dir im Himmel für alle Ewigkeit.« (Et quos a se semel divisisti in mundo, perenniter tibi conjugas in coelo.) Bei seiner verschnörkelten Sentimentalisierung des Stoffs kommt Pope dem Geist der eigenen Zeit entgegen, indem er seine Eloisa vom Himmel sagen läßt: Thither, where sinners may have rest, I go,

Whereflames refin'd

in breasts seraphic glow.

Sie betet dann für Abelard, wenn die Zeit zum Sterben auch für ihn kommen soll: From op'ning skies may Streaming glories shine

And saints embrace thee with a love like

mine.

Bei aller Behutsamkeit hat also der nominelle Katholik Pope die irdische Erotik, wenn auch nur als »geläuterte Flamme«, doch in den christlichen Himmel eingeführt. 1736 entstand Hallers Trauerode, beim Absterben seiner geliebten Mariane, das früheste mir bekannte ganz eindeutige Beispiel für die uns beschäftigende Erscheinung, mit den Versen: Auch in des Himmels tiefer Ferne Will ich im Dunkeln nach Dir sehn Und forschen weiter als die Sterne, Die unter Deinen Füßen drehn . . . O! halt die Arme für mich offen! Ich eile, ewig dein zu sein.

I n Youngs Night Thoughts (1742), die nicht nur in England, sondern auch in Deutschiland auf dem Gebiet der Todes- und Jenseitsdichtung stark nachwirkten, wird das Thema der Wiedervereinigung mit einer auffallenden Zurückhaltung behandelt. Wiederholt scheint Young bei seinen häufigen Beschreibungen der Freuden, auch der gesellschaftlichen Freuden des Himmels im Begriff zu sein, die Wiedervereinigung mit anzuführen, ohne es doch zu tun. Der orthodoxe Geist ist noch stark in ihm, er nimmt die

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Sünde nicht leicht und scheint oft dazu zu neigten, alle irdischen Bindungen als solche, auch die edelsten, ziu den Eitelkeiten dieser Welt zu zählen, deren die gottergebene Seele sich doch nach Möglichkeit entwöhnen müßte. Es bleibt aber nicht bei dieser Strenge. I n der 5. Nacht ist von Lysander und Aspasia die Rede, die beide am gleichen Tag unmittelbar vor der geplanten Hochzeit hingeschieden sind: These died together; Happy in ruin! undivorc'd by death! Or ne'er to meet, or ne'er to part, is peace!

In der 7. Nacht wird die Frage gestellt: Why cordial

friendship

riveted so deep,

As hearts to pierce at first, at parting, rend, If friend, and friendship, vanish in an hour?

Lorenzo wird gemahnt, im Tode selbst Trost für den Verlust seiner Clarissa zu finden: Eternity's vast ocean lies before thee; There: there, Lorenzo! thy Clarissa sails.

Am merkwürdigsten ist aber das Wort in der 8. Nacht, wo der Dichter sich auf die Wiedervereinigung im Himmel mit seiner »Lucia« (d. h. mit seiner Frau, deren Tod der Hauptanlaß der ganzen Dichtung war) freut, jedoch gleich hinzufügt, seine jenseitige Seligkeit wäre auch ohne diese Wiedervereinigung vollkommen: There , O my Lucia! may I meet thee there, Where not thy presence can improve my bliss.

Robert Blair, in seinem wohl zum Teil durch die Night Thoughts angeregten Gedicht The Grave vom Jahre 1743, kennt Yo-ungs Bedenken nicht. Eine der beliebtesten Stellen, zu der Blake 1808 eine schöne Zeichnung liefern sollte, lautet: Nor shall the conscious soul Mistake its partner: but amidst the crowd, Singling its other half, into its arms Shall rush, with all th'impatience of a man That's new come home, who having long been absent, With haste runs over ev'ry different room, In pain to see the whole. Thrice happy meeting! Nor time, nor death, shall ever part them more.

I n den meisten der zahlreichen Abschiedsbriefe Clarissa Harlowes in Richardsons großartigem empfindsamem Roman dieses Namens (1748) kommen Wendungen vor wie:

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and may we, through the divine goodness to us both, meet in that blessed eternity, into which, as I humbly trust, I shall have entered when you read this.

Sogar in dem vorletzten, doppeldeutigen Brief, mit dem sie ihren ruchlosen Verderber Lovelace von ihrem Sterbebett fernhält, heißt es: You may possibly in time see me at my father's; at least if it be not your own fault.

Der noch entschieden rechtgläubige Richardson verliert jedoch dabei die strengen Forderungen der christlichen Lehre nicht aus den Augen: die Vereinigung mit den geliebten Menschen könne nur auf dem Wege über die alles Irdische vorderhand ziunichtemachende Vereinigung mit Gott erfolgen. Denn, wie Clarissa selber schreibt: God will have no rivals

in the hearts he sanctifies.

By various methods he

deadens all other sensations, or rather absorbs them all in the love of Him.

Richardsons Auffassung findet ihren vollkommensten Ausdruck in den Worten, die Clarissa im Geist an ihre abwesende teuerste Freundin richtet: O my dear Anna Howe! How uninterruptedly sweet and noble has been our friendship! — But we shall one day meet (and this hope must comfort us both) never to part again. Then, divested of the shades of body, shall we be all light and all mind! — Then how unalloyed, how perfect, will be our friendship! Our love then will have one and the same adorable object, and we shall enjoy it and each other to all eternity.

Es ist bemerkenswert, daß in Lessings Miss Sara Sampson (1755), die im Grunde nichts als eine vergröberte Dramatisierung von Richardsons Clarissa darstellt, die Heldin beim Sterben kein Wort von einer Wiedervereinigung im Jenseits spricht. Lessing hat sich zwar, besonders in seiner Erziehung des Menschengeschlechts und in Nathan der Weise, der deistischen Annahmen über die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele bedient, um die orthodoxen Christen in Verlegenheit zu bringen. Er war jedoch dem Geist des Deismus wohl nicht recht zugetan und ist mit der Zeit auf seine Weise, ganz unabhängig von Kant, über ihn hinaus zu einem heimlichen Spinozismus gelangt und zu so etwas wie einem Glauben an die Seelenwanderung, bei der eine Wiedervereinigung nach dem Tode ausgeschlossen wäre, es sei denn in der uneigentlichen, von Goethe in den Versen an Frau von Stein heraufbeschworenen Form: Ach du warst in abgelebten Zeiten Meine Schwester oder meine Frau.

In das gleiche Jahr wie Richardsons Clarissa, 1748, fällt Klopstocks Ode An Fanny, die zunächst fast wie eine Versetzung von Hallers Trauerode

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beim Absterben seiner geliebten Mariane in antikes Vermaß wirkt, aber mit dem weiteren bedeutenden Unterschied, daß es hier nicht um eine hingeschiedene Gattin, sondern um eine Geliebte geht, von welcher der Dichter nicht durch den Tod getrennt ist, sondern durch ihre mangelnde Bereitwilligkeit, seine Neigung zu erwidern. Es wird ohne viel Federlesens vorausgesetzt, daß »Fanny« sich im Himmel eines Besseren besinnen wird, womit wir um einen Schritt weiter an Werthers Jenseitsauffassung herangerückt sind: Dann will ich tränenvoll, Voll froher Tränen jenes Lebens Neben dir stehn, dich mit Namen nennen Und dich umarmen! Dann, o Unsterblichkeit, Gehörst du ganz uns!

Es ließen sich gewiß viele weitere Belege für unser Motiv sowohl in der deutschen wie auch in der englischen empfindsamen Dichtung des mittleren und späteren 18. Jahrhunderts auftreiben. Der hochstaplerische Geistliche Dodd z. B., dessen Beauties of Shakespeare für den jungen Goethe wichtig waren, schreibt 1776—1777, kurz vor seiner Hinrichtung, in den Prison Thoughts : Then too, oh joy! amidst this blaze of good, This consummation rich of highest bliss, Then shall we meet — meet never more to part, Dear, dear departed friends! and then enjoy Eternal amity. My parents then, My youth's companions! — From my moisten'd cheeks Dry the unworthy tear! Where art thou, Death?

Inzwischen war es .aber 1760 mit der Veröffentlichung von Rousseaus Nouvelle Héloise zu einer entscheidenden neuen Wendung gekommen. Die Dichter, die wir bisher betrachtet haben, ließen alle, wenn auch in verschiedenen Abstufungen, die christliche Überlieferung noch gelten. Rousseau legte zwar großen Wert darauf, seine überempfindsam-deistische Geisteshaltung noch immer christlich zu nennen, das war sie aber höchstens in einem ihm ganz eigenen, eigenmächtigen, entschieden traditionsfeindlichen Sinn. Davon ist freilich nichts zu erkennen, wenn er seine Julie auf dem Sterbebett zu ihrer Familie sagen läßt: »Et puis nous nous rejoindrons, j'en suis sûre.« Es sieht aber etwas anders aus, wenn sie, die mit einem anderen verheiratet und glücklich verheiratet ist, in ihrem Abschiedsbrief an Saint-Preux schreibt: Je ne te quitte pas, je vais t'attendre. La vertu qui nous sépara sur la terre nous unira dans le séjour éternel.

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Wir rücken immer -näher an Weither heran. Es kommt hinzu, daß SaintPreux selber auf eine geheimnisvoll-dämonische Weise an dem Unfall schuld ist, der Julie das Leben kostet: hat er doch in einem Augenblick der Verzweiflung und Verbitterung ihren Tod gewollt und dadurch heraufbeschworen: Que n'est-elle pas morte! osai-je m'ecrier dans un transport de rage; oui, je serais moins malheureux; j'oserais me livrer & mes douleurs; j'embrasserais sans remords sa froide tombe; mes regrets seraient dignes d'elle... J'aurais au moins l'espoir de la rejoindre... Mais eile vit, eile est heureuse... Elle vit, et sa vie est ma mort.

Es besteht eine unterirdische Beziehung zwischen dieser seelischen Verfassung und derjenigen, in der Werther durch Herbeirufung des Todes die Frau eines anderen für das jenseitige Dasein in die eigenen Arme zu reißen trachtet. Innerlich und dem Willen nach begeht Saint-Preux hier eine ähnliche Tat, wie sie Massingers Herzog Sforza vorhatte, und aus den gleichen Beweggründen. Das Jahr 1772 darf gewissermaßen als ein Krisenjahr für die hier dargelegte Entwicklung bezeichnet werden. Am 27. März dieses Jahres sagte jener trotz gelegentlicher aufklärerischer und empfindsamer Anwandlungen streitbare Verteidiger der christlichen Dogmen, Samuel Johnson, im Gespräch: After death we shall see everyone in a true light. Then, sir, they talk of our meeting our relations; but then all relationship is dissolved; and we shall have no regard for one person more than another, but for their real value. However, we shall either have the satisfaction of meeting our friends, or be satisfied without meeting them.

Der 17. Brief von Lavaters Aussichten in die Ewigkeit, der Die gesellschaftlichen Freuden des Himmels behandelt, trägt das Datum vom 17. Mai 1772. Das bemerkenswerte an diesem Brief ist nun, daß Lavater hier, im Sinne der Überlieferung, ausschließlich von den neuen Freundschaftsbünden spricht, die wir im Himmel schließen werden, ohne mit einem Wort die Möglichkeit einer Erneuerung alter, irdischer Bekanntschaften zu berühren: Viele Tausend auserwählter Seelen kennen wir nicht, von Millionen Engeln nicht Einen. — Und jede dieser auserwählten Seelen und jeder Engel vereinigt in sich mehr Freuden und Beseligungen für andere Seligen, als die ausgesuchteste Gesellschaft, als alle die weisesten und rechtschaffensten Menschen und Freunde der Erde immer für uns im Vorrat haben mögen... Welche Heere von Freuden, welche unabsehlidie Reihen von Vorteilen für uns und die Vervollkommnung unserer Natur erwarten uns dann in der Zukunft, wo uns Millionen neue Bekanntschaften mit den reinsten, voll-

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Eudo C. Mason kommensten, liebenswürdigsten Wesen erwarten; mit Wesen, an denen wir uns niemals betrügen können, die nebst vielen guten keine schlimme Seite haben... Welch eine Familie! . . . Welch eine Seligkeit, wenn mein Herz, meine Fähigkeit zu lieben, zugleich sich mit jedem Augenblicke dergestalt erweitert, daß ich immer mehrere Gottes-Freunde umfassen, genießen und beseligen kann!*a

Alle irdischen Bindungen sind hier für Lavater bloße Vorläufigkeiten, wertvoll höchstens als Vorbereitungen und Vorübungen für die allein wahrhaft gültigen Bindungen des Himmels. Man begreift gut, warum Goethe in seiner im November des gleichen Jahres erschienenen Rezension der Aussichten schrieb: In dem 17. Brief von den gesellschaftlichen Freuden des Himmels ist viel Wärme auch Güte des Herzens, doch zu wenig, um unsere Seele mit Himmel zu füllen.

Am 10. September 1772, d.h. am Vorabend von Goethes jäher Flucht aus Wetzlar fing Lotte Buff ein »merkwürdiges Gespräch« mit ihm und Kestner an, »von dem Zustande nach diesem Leben, vom Weggehen und Wiederkommen usw.«, wobei sie auch, das darf wohl mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden, die Worte fallen ließ: »Sollen wir uns wiederfinden? wiedererkennen?« Am 30. Oktober 1772 erschoß sich in Wetzlar der ganz und gar deistisch gesinnte Legationssekretär und Lessing-Anhänger Karl Wilhelm Jerusalem, dessen »liebste Lektüre« Moses Mendelsohns Phädon war, und hinterließ dabei einen dreiblätterlangen Brief, der nach Kestners Bericht mit den Worten geschlossen haben soll: »In jenem Leben sehen wir uns wieder.« Am 10. April 1773, eine Woche nach der Verehelichung Lotte Buffs und Kestners, spielte Goethe mit Galgenhumor in einem Brief an letzteren auf das »merkwürdige Gespräch« des vorangegangenen Septembers folgendermaßen an: Wir redeten, wie es drüben aussäh über den Wolken, das weiß ich zwar nicht, das weiß ich aber, daß unser Herr Gott ein sehr kaltblütiger Mann sein muß, der Euch die Lotte läßt. Wenn ich sterbe und habe droben was zu sagen, ich hol* sie Euch wahrlich. Drum betet fein für mein Leben und Gesundheit, Waden und Bauch pp. und sterb ich, so versöhnt meine Seele mit Tränen, Opfer und dergleichen, sonst, Kästner, siehts schief aus. Unter den »Heiligen Hausgenossen Gottes«, auf deren Gesellschaft er sich im Himmel freut, führt Lavater allerdings neben Adam, Noah, Abraham, Petrus, Paulus, Maria und Maria Magdalena auch »meine eigenen Freunde und Freundinnen«, die Hessens, Zimmermann, Pfenninger usw. und »meine liebenswürdigste Gattin und meine Kinder« an. Dies bleibt aber für seine Gesamtdarstellung der gesellschaftlichen Freuden des Himmels ohne Belang.

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Ein Jahr später kamen alle diese Dinge, verwandelt, erhöht und mit bewunderungswürdigster Kunst organisch aufeinander bezogen in den Leiden des jungen Werthers zusammen. Was bei Goethe selber noch verhältnismäßig leichtfertiger Galgenhumor war, ist bei Werther zum tiefsten tragischen Pathos und Ernst geworden: Und was ist das, daß Albert dein Mann ist? Mann! Das wäre denn für diese Welt — und für diese Welt Sünde, daß ich dich liebe, daß ich dich aus seinen Armen in die meinigen reißen möchte? Sünde? Gut, und ich strafe midi dafür; ich hab' sie in ihrer ganzen Himmelswonne geschmeckt, diese Sünde, habe Lebensbalsam und Kraft in mein Herz gesaugt. Du bist von diesem Augenblick mein! mein, o Lotte! Ich gehe voran! geh* zu meinem Vater, zu deinem Vater. Dem will ich's klagen, und er wird mich trösten, bis du kommst, und ich fliege dir entgegen und fasse dich und bleibe bei dir vor dem Angesichte des Unendlichen in ewigen Umarmungen.

In einem Himmel, der noch immer irgendwie der christliche Himmel sein soll, wird von einem Gottvater, der durch Anwendung feierlichster Worte aus dem Johannesevangelium mit dem Gottvater des Christentums ineins gesetzt erscheint, der Ehebruch protegiert, ja heiliggesprochen. Die Erotisierung des christlichen Himmels ist endlich vollzogen. Ob man darin die inspirierte Vision eines Erleuchteten oder die frevelhafte Halluzination eines Unzurechnungsfähigen erblicken soll, ist freilich nicht zu entscheiden; von dieser unentwirrbaren Doppeldeutigkeit lebt der Werther geradezu als Kunstwerk. Fünfunddreißig Jahre später aber kam der alternde Goethe mit unendlicher Subtilität und Behutsamkeit auf das gleiche Thema in zurück, wo Eduard und Ottilie durch irdisches den Wahlverwandschaften Entbehren und durch den freiwilligen büßenden Opfertod sich gewissermaßen ein Recht auf die entschädigende, verklärte jenseitige Erfüllung ihrer unerlaubten Liebe erwerben. Da heißt es vom noch überlebenden Eduard: »Sein ernstheiterer Blick dabei scheint anzudeuten, daß er auch jetzt noch auf eine Vereinigung hoffe.« Und wiederum am Schluß: So ruhen die Liebenden nebeneinander. Friede schwebt über ihrer Stätte, heitere Engelsbilder schauen vom Gewölbe auf sie herab, und welch ein freundlicher Augenblick wird es sein, wenn sie dereinst wieder zusammen erwachen!

Daß die Wahlverwandtschaften eines der wunderbarsten, ergreifendsten Werke der Weltdichtung sind, liegt nicht am wenigsten daran, daß es in ihnen tatsächlich, wie Jacobi es formulierte, um eine »Himmelfahrt der bösen Lust« geht. Große Dichtung wird viel weniger aus dem gemacht, was sein sollte, als aus dem, was nun einmal ist. Auf Lottes Frage, »aber Werther, sollen wir uns wieder finden? wieder erkennen? was ahnen Sie? was sagen Sie?« antwortet dieser, »die Augen

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voll Tränen«: »Wir werden uns wieder sehen! hier und dort wieder sehen!« Leitmotivartig taucht diese Wendung mit schwerstem Nachdruck in Werthers Abschiedsbrief wieder auf: »Nah am Grabe ward mir's heller. Wir werden sein! wir werden uns wieder sehen!« Gerade dieses Wort muß einen gewaltigen Eindruck auf die zeitgenössischen Leser gemacht haben. Das bezeugt unter anderm Klingers Sturm und Drang (1776), in welchem der am Vorabend der Schlacht an Karolines Fenster überraschte Wild in die leidenschaftliche Tirade ausbricht: Laß sie kommen! ich seh* dich wieder. Morgen! ja morgen! und was denn nun, wenn ich ausgestreckt liege... Ich seh' dich wieder! und dein Bild, das bei mir bleibt, das mich hinüberführt — ich seh* dich wieder! (Starr zum Himmel) Ich seh* dich wieder! seh* dich wieder wie jetzt! So fest wie das Band, womit du umwunden bist! ich seh* sie wieder.

Auch im folgenden Akt wird dieses Wort nochmals — also zum siebten Mal — aufgenommen, als Karoline bei dem Streit zwischen ihrem Bruder und Wild in Ohnmacht fällt: »Gute Nacht, Miss! Wir sehn uns wieder!« Auf Werther dürfte ebenfalls der Titel von Karl Christian Engels absonderlicher Schrift Wir werden uns wieder sehen (1780) zurückgehen, die allerdings sonst recht wenig vom Geist des Sturm und Drang aufweist, vielmehr den Phädon Mendelsohns (»unseres Moses«) ergänzend weiterführt, indem sie mit ähnlichen ontologischen und teleologischen Beweisführungen, wie sie dieser angewendet hatte, um die Unsterblichkeit der Seele darzutun, die jenseitige Wiedervereinigung darzutun unternimmt. Es wird von vornherein eingeräumt, daß die »Offenbarung uns . . . so ganz ausdrücklich wohl eben... darüber keine Verheißung« gegeben habe. Die reine Vernunft erweise sich hier dienlicher: Warum sollte die Vernunft dies Labsal für die schmachtende Liebe, die Hoffnung des Wiedersehens, nicht aus eben der Quelle schöpfen, aus welcher sie den Trost der Unsterblichkeit schöpft — der Güte Gottes? Es hat damit die gleiche Bewandtnis... In unserer Natur kann aber kein Trieb vorhanden sein, für den die Vorsehung überall keine Befriedigung gewollt hätte.

Da Gott »jede sittliche Vollkommenheit an uns hochschätzt« und die »Verdienste der Liebe einer Vergeltung wert sind«, darf man billig fragen: Soll es denn nicht wirklich ein Zweck der höchsten Weisheit und Güte sein, die schönen Seelenbündnisse wiederherzustellen? Haben sie nicht eine natürliche Bestimmung für die Ewigkeit?

Daß »unsere möglichste Glückseligkeit unleugbar der letzte Endzweck unsers Daseins« sei, »fließt unmittelbar aus dem Begriff der höchsten Güte«. Maßgebend ist das, was »der Vorsehung mehr zur Ehre gereicht« und »zur besten Welt gehört«. Es kommt zu einer Auseinandersetzung mit

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Lavaters Aussichten in die Ewigkeit, allerdings ohne daß Lavater mit Namen genannt wird. Nach Moritzens Meinung »möchte es eben kein sonderliches Glück für uns sein, wenn wir künftig mit lauter Engeln umgehen sollten«. Es wäre unendlich . . . schade um jene zärtlichen Verbindungen, die eines edlen Ursprungs und einer ewigen Fortdauer beides so fähig und so wert sind, wenn sie gleichwohl für immer sollten aufgehoben werden... Unser ganzes äußerliches Geschick hätte weiter durchaus nichts mit unseren ehemaligen Verhältnissen zu schaffen.

Engel bleibt sich jedoch bei alledem noch immer der Notwendigkeit gewisser Grenzen bewußt, wie sie Werther nicht anerkennt: »Nur nicht, daß ich über die Liebe zur Kreatur ihren Schöpfer vergäße!« Lediglich »echte Freundschaften, solche nämlich, die sich auf Tugend gründen, sind ihrer Natur nach einer ewigen Fortdauer nicht nur fähig, sondern auch sehr würdig«. Eine jenseitige Erneuerung der geschlechtlichen Liebe darf zwar angenommen werden, denn: »Ist nicht gewissermaßen den Seelen selbst ein Geschlechts-Charakter eigen?« (94) Sie muß aber ganz und gar vergeistigt werden, was dann Werthers »ewige Umarmungen vor dem Angesichte des Unendlichen« doch ausschließen würde. Sie muß in »die reine Freundschaft« verwandelt werden, die nach Aufhebung aller irdischen Verhältnisse bestehen kann . . . In jenem Leben aber können mehrere an dem zärtlichen Bunde teilnehmen. / Vielmehr wird sich die himmlische Freundschaft zu der reinsten irdischen Liebe verhalten, wie ein geistreicher, erquickender Wein zu dem gärenden Most, aus welchem er, mit Absonderung aller unedlen Bestandteile, erzeugt worden.

Ein ähnlicher verspäteter Trieb des sentimentalisierten Deismus wie Engels Wir werden uns wiedersehen ist Tiedges Urania (1801), über die Goethe sich geärgert hat. Gleich am Anfang dieses übermäßig langen Lehrgedichts wird vom Sterben »Hehras« berichtet: Einer heiligen Entzückung gleich, Rief sie aus: »Zum Wiedersehn dort oben Sei gegrüßt, du stilles Geisterreich!«

Erst ganz am Schluß wird das hier angeschlagene Thema wieder aufgenommen. Der Dichter weist auf den Abendstern mit den Worten: Vor ihm, vor diesem ernsten Zeugen Befrage dich: Was willst du wiedersehn? Die Schatten ihrer Seelengüte? Den Blick, voll Huld und Licht? das Morgenrot, das zart Aus einem innern Lenz herüberblühte, Aus dem Gefühl, das von der Ahnung glühte, Vor welcher sich der Geist der Zukunft offenbart? — 7 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 5. Bd.

98

Eudo C. Mason O, alles dies sind Erdengaben! Ein feiner, innrer Sinn, der hier begraben In tiefer Hülle lag, wird glorreich auferstehn, Wird jede Geistesblüt' entschleiern, Und wird das große Wiedersehn Der Tugend und der Liebe feiern. Die Wolken, welche hier noch zwischen Seelen stehn, Die schattenden Gestalten, werden schwinden. Ein leichter Hauch verhüllt dann nur den Strahlenkern; Anleuchten wird der Stern den Stern; Die Tugend wird die Tugend wieder finden Wie ein weicher Flötenlaut Wird sich eine Tat dir nennen, Welche Lieb* und Stille schufen: »Das ist Hehra!« wirst du rufen; O! dann wirst du sie erkennen An dem Himmel, den sie baut.

Es ist anzunehmen, daß Tiedge, der den 'Werther' gewiß gut kannte, die dort heraufbeschworene Vorstellung von den gesellschaftlichen Freuden des Himmels durchaus nicht billigte, bei denen es keineswegs die Tugend ist, welche die Tugend wiederfindet. Der junge Goethe bringt die Wendung »Wir werden uns wieder sehen« nicht allein im Werther und auch dort nicht zum ersten Mal. Schon im Urgötz vom Spätherbst 1771 läßt er den Helden unmittelbar vor der Belagerung seiner Burg sich von Sickingen und Maria mit den im endgültigen Text unabgeänderten Worten verabschieden: »Ich seh* euch wieder. Tröstet euch. Wir sehn uns wieder.« Zieht man die große Gefahr, in welcher der geächtete Götz jetzt steht, mit in Betracht, so muß man schließen, daß mit diesem Wort nicht allein das irdische, sondern auch das jenseitige Wiedersehen gemeint sei. Er will die weinende Schwester mit dem Gedanken trösten, daß sie sich, wie es auch kommen mag, gewiß wiedersehen werden, wenn nicht auf Erden, dann im Jenseits. Auch in Stella (1775) kommt die Wendung vor, wenn Cäzilie zu Ferdinand sagt: »Ich werde dich wiedersehen, aber nicht auf dieser Erde.« Der sterbende Clavigo (1774) redet den Geist Maries (»Geist meiner Geliebten«) an: »Ich komme! ich komme!« und verscheidet mit einem »Bräutigamskuß« auf ihre kalten Lippen. Viel wichtiger und problematischer ist aber das von Gretchen in der Urfaustfassung der Kerkerszene mitten unter anderen abgerissenen, zusammenhanglosen Sätzen an Faust gerichtete Wort: »Wir sehn uns wieder.« In der erst im Mai 1798 hergestellten endgültigen versifizierten Fassung der Kerkerszene hat Goethe, um den Reim herauszubekommen, nicht sonderlich glücklich aus der ursprünglichen Prosa »Mein Kränzgen! — Wir sehn uns wieder —« den Vierzeiler gemacht:

Wir sehen uns wieder!

99

Weh meinem Kranze! Es ist eben geschehn! Wir werden uns wiedersehn;

Aber nicht beim Tanze.

Dies ist wieder ein Beispiel für etwas, was Carl Enders in seiner Schrift Die Katastrophe in Goethes Faust (Dortmund 1905) beim Vergleichen der beiden Fassungen der Kerkerszene beobachtet hat: »Manchmal fühlt man deutlich, daß der Reim daziu gewirkt hat, z. B. >de-uten< nur wegen >Leutenc.« Jedenfalls trägt das neuhinzugefügte »Aber nicht beim Tanze« nichts zur Erhellung des Sinns bei, den es vielmehr nur noch weiter verschleiert. Zunächst ist natürlich zu fragen, ob sich Gretchens Ausruf »Wir sehn uns wieder« nicht zwanglos in einem rein wörtlich-realistischen, nicht hintergründigen Sinn begreifen ließe, wie etwa die Worte, mit denen sich Mephisto gegen Ende der Helenatragödie von Faust verabschiedet: »Wir sehn uns wieder, weit, gar weit von hier.« Die einzig mögliche, auch vielfach vertretene wörtlich-realistische Auslegung wäre dann, Gretchen meine, sie und Faust werden sich bei ihrer Hinrichtung wiedersehen. Dagegen wendet Beutler 1940 in dem langen, Wir sehn uns wieder überschriebenen Faust ein: »Faust ist zudem Abschnitt seines Aufsatzes Der Frankfurter mit Blutbann beladen; er darf keinesfalls wagen, sich unter die Zuschauer zu mischen. Gretchen ist sich dessen wohl bewußt; auch ist ein bedeutungsvoller Hinweis auf seine Teilnahme an der Exekution in ihrem Munde unwahrscheinlich.. - 1 «. Es wiegt noch schwerer, daß das Wort »Wir sehn uns wieder« nicht bloß ein äußerliches Sehen mit den physischen Augen bezeichnet, wie es bei der Hinrichtung — und auch dann, wenigstens von seiten Gretchens, nur mit der größten rein praktischen Schwierigkeit — allein möglich wäre, sondern vor allem eine unter solchen Umständen völlig undenkbare seelisch-persönliche Begegnung. Eine zugleich so makabre und so banale Geschmacklosigkeit wie die Vorstellung eines »Wiedersehens« der Liebenden bei der Hinrichtung hätte auch der Stürmer und Dränger Goethe sich schwerlich je zuschulden kommen lassen. Was hier vor allem zu berücksichtigen wäre, ist, daß es tatsächlich zu einer diesem »Wir sehn uns wieder« entsprechenden Begegnung zwischen Gretchen und Faust kommt, nicht aber bei der Hinrichtung, der Faust schwerlich überhaupt beiwohnen dürfte, sondern im Himmel, und z w i r in der Schlußszene des Zweiten Teils, Bergschluchten. Die betreffende Stelle ist vielleicht schon im Zeitraum 1797—1801, vielleicht erst zwischen 1825 und 1831 entstanden, jedenfalls sehr viel später als die ursprüngliche Kerkerszene, die gewiß vor November 1775 geschrieben worden sein muß 1

T

In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1936—1940, S. 627.

100

Eudo C. Mason

und die von den meisten neueren Faust-Interpreten schon im Frühjahr 1772 datiert wird. Die naheliegende Vermutung, die Wiedervereinigung Fausts und Gretchens im Himmel gehöre, wenn nicht zu Goethes frühestem, so doch wenigstens zu einem sehr frühen, vor-Weimarischen Faustplan und daß Gretchens Wort »Wir sehn uns wieder« sich eben darauf beziehe, ist 1920 von Roethe, 1940 von Beutler, 1942 von H . O. Burger und 1949 von H . Schneider erörtert worden. Beutler als einziger hält diese Vermutung für begründet und auch er meint, die Worte »Wir sehn uns wieder« seien »zunächst nicht viel mehr als eine verlorene Andeutung . . . Und mehr konnte Goethe ja gotes allerhubeschestes werke gebietet und erklärt, daß sie alle gegen den Tod unwirksam seien... Das Kapitel ist ein stilistisches Prunkstück, bringt aber kein neues Moment mehr 4.« Diese Meinung teilt auch Bäuml 5 . Seit Burdach und Hübner 6 gilt der Hintergrund des Kapitels als mehr oder weniger geklärt, obwohl noch (wie aus Bäumls folgender Bemerkung erhellt) manche ungelösten Fragen blieben: »The catalogue of the Septem artes and several magical >sciences< which forms the body of this chapter cannot reliably identified with any specific model that Tepl may have had before him . . . although it is possible that . . . Tepl is here indebted to the traditional medieval type as reflected in Meistergesang, particularly perhaps Heinrich von Mügeln7.« Ein außerhalb der Meistersinger-Tradition stehender wesentlicher Beitrag zum Inhalt von Kapitel X X V I ist jedoch bisher unbeachtet geblieben. Ehe wir uns näher mit diesem Zug befassen, empfiehlt es sich, die in unserem Zusammenhang aufschlußreichste Stelle des X X V I . Kapitels zu zitieren. Der Tod mahnt den Ackermann: »Grammatica, grünt feste aller guten rede, hilf et da nicht mit iren scharpfen vnd wol gegerbten Worten; Rhetorica, bluender grünt der liebkosung, hilf et da nicht mit iren bluenden vnd reine geferbten reden; Loica, der war hei t vnd vnwarheit vursichtige entscheiderin, hilf et da nicht mit irem verdachten versiahen, mit der warheit Verleitung vnd krummerei; Geometria, der erden pruferin, schetzerin vnd messerin, hilfet da nicht mit irer vnfelender masse, mit iren rechten abgewichten; Arismetrica, der zale behende ausrichterin, hilfet da nicht mir ihrer rechnung, mit irer reitung, mit ihren behenden Ziffern; Astronomia, des gestirnes meisterin, hilfet da nicht mit irem sterngewalte, mt einflusse der planeten; Musica, des gesanges vnd der stimme geordnete hantreicherin, hilfet da nicht mit irem süssen gedone, mit iren feinen stimmen. Philosophia, acker der Weisheit, in gotlicher vnd in naturlicher erkanntnuß vnd in guter siten wurkung geackert vnd geseet vnd volkumenlich gewachsen; Physica mit iren mancherlei steurenden trenken.. .8« 4 Renée Brand-Sommerfeld, Basel 1943, S. 46.

5 6

7 8

Zur Interpretation des 'Ackermann aus Böhmen',

Bäuml, a.a.O. S. 92.

Siehe oben, Anm. 2, bes. S. 365 ff.

Bäuml, S. 90.

Text nach: Der Ackermann aus Böhmen, Textausgabe von Arthur Hühner, Leipzig 19542, S. 32 f.

DerAckermann aus Böhmen* und die Hymnentradition

329

I n ähnlichem Ton fährt der Text dann fort. So werden u. a. noch Geomancia, Pyromancia, Ydromancia, Astrologia, Chiromancia, Nigromancia, Alchimia usw., auch Jus erwähnt. Dazu bemerkt Burdach: »Der Verfasser des 'Ackermann' knüpft hier an eine mit antiken Elementen durchsetzte Tradition der Scholastik an, die, vorbereitet schon in der karolingischen Zeit, noch in der Gedankenwelt der Frührenaissance eine Rolle spielte und damals die Kunst befruchtete. Der Inhalt des vorliegenden Kapitels steht in der Tat Thomasins von Bernt zitierter Darstellung nahe... Die Übersicht, die der Tod über die menschlichen Wissenschaften gibt, deckt sich mit dem herkömmlichen enzyklopädischen System. Den Unterbau bilden (26,6—19) die sieben artes liberales... Das sind die vorbereitenden Fächer menschlichen Wissens. Darüber erheben sich die drei selbständigen Wissenschaften: die Philosophia, . . . die Physica, . . . die Jurisprudenz 9.« Dabei fällt nun auf, daß Theologie nicht erwähnt wird; im übrigen aber ist Burdachs Erörterung zu allgemein und dient kaum zur Lösung der Frage nach den Quellen. A. Hübner hat sich mit Erfolg bemüht, Beispiele und Parallelen, vor allem aus dem Kreise des Meistersanges zur Erhellung des Hintergrundes dieser Stellen zu sammeln10, auch Willy Krogmann führt manches hier Interessierende (besonders nach Hübner, Burdach usw.) an 1 1 . Wir zitieren aus der Fülle der Belege nur eine Stelle aus der Dichtung Heinrichs von Mügeln, der zeitlich und geographisch dem AckermannDichter nahe steht und der (nach Hübner) auf ihn wirkte 1 2 . In seinem Gedicht 'Von allen frien künsten' lesen wir: 1. Grammatica die lert buchstaben, silben und wert, das icht das latin ste versert von sprüchen y die nicht regeln ban. 2. Uns sagen meister gra, ab war ab falsch die rede sta: das lert erkennen Loica und wie das red usz rede gat. 3. Rethorica die ferbt der Sprüche blumen unde gerbt, das mark sie usz der rede kerbt und strichet gar das grobe dan.. .1S 9

Alois Berndt und Konrad Burdach, Der Ackermann aus Böhmen, Einleitung,

Kritischer Text, usw. Berlin 1917, S. 334 ff. 10

Hübner, Das Deutsche, a.a.O. S. 365 ff. Vgl. Strauch, Der Marner, Straß-

burg 1876, S. 183. 11 12

Krogmann (1954), S. 204 ff. Hübner, Das Deutsche, a.a.O. S. 372.

330

Josef S z v r f f y

Diese und auch noch weitere, von Hübner, Krogmann u. a. angeführten Parallelen zeigen eine auffallende Gemeinsamkeit: sie bewerten insgesamt die Rolle der sieben freien Künste positiv, sie beschreiben ihre Aufgaben und preisen ihre Fähigkeiten, ihre Leistungen usw. So stehen sie eigentlich im Gegensatz zum Inhalt des Kapitels X X V I und sind keineswegs echte Parallelen dazu, da im 'Ackermann' eben die Unzulänglichkeit der menschlichen Wissenschaften (Artes usw.) behandelt wird. Hübner zitiert aber auch ein elsässisches Meisterlied aus der Kolmarer Liederhandschrift, das auffallende Ähnlichkeiten (freilich auch Abweichungen davon) mit der Ackermann-Stelle aufweist: ein »Meister« liegt im Grabe und der Dichter meditiert darüber, daß dem Verstorbenen kein Wissen, keine Wissenschaft nun hilft 1 4 . Krogmann lehnt Hübners Annahme einer Abhängigkeit des besprochenen Ackermann-Kapitels von dem elsässischen Meisterlied ab: »Hübner vermutet, daß dieser Meistergesang vom 'Ackermann' abhängig sei, doch läßt sich dies nicht erhärten. Trotz der durch das gemeinsame Thema gegebenen Übereinstimmungen ist die selbständige Durchführung . . . nicht zu verkennen. Daß der Preis der sieben freien Künste ein von den Meistersängern immer wieder behandeltes Thema war, hat Hübner durch viele Belege nachgewiesen. Die negative Wendung haben der Dichter des Meisterliedes und Johannes Tepl unabhängig durchgeführt 15.« Wir schließen uns trotz dieser Einwände Hübners Meinung an, doch hat dies keinen wesentlichen Einfluß auf unsere weiteren Ausführungen. Bäuml unterstreicht, daß mittellateinisdhe Vorbilder und rhetorische Traditionen nicht wenig zur Bildung des Ackermann-Dichters beigetragen haben 16 , in diese Richtung weist auch unser Beitrag; ein neuer Fund, der durch Karel Doskocil und Willy Krogmann zugänglich gemacht wurde, führt hier weiter, doch kann auch er nur als partielle Lösung gelten. Wie bekannt, befand sich der Sammelband O. L X X der Prager Metropolitankapitel-Bibliothek zeitweilig im Besitze des Ackermann-Dichters 17. Unter den in diesem Manuskript befindlichen Texten steht ein 'Tractatus de crudelitate mortis' (26 siebenzeilige Strophen), den Krogmann in seinem neuesten Beitrag (S. 255—258) veröffentlicht hat. Nach Doskocil berührt sich dieser 'Traktat' vielfach mit dem deutschen Text des 'Acker13

Ulrich Kube, Vier Meistergesänge von Heinrich von Mügeln, Marburg 1932, S. 92 ff. Zu Heinrich von Mügeln: Die kleineren Dichtungen H/s v. M. I. Abt. (Bde. 1—3) hrsg. v. K. Stackmann, Berlin 1959 und Johannes Kibelka, der wäre meister, Berlin 1963. 14 Hübner, Das Deutsche, a.a.O. S. 374 f. und Krogmann (1954), S. 205 (Konrad Härder zugeschrieben). 15 16

Krogmann (1954), S. 205. Bäuml, S. 117.

17 Willv Krogmann, Neue Funde der Ackermannforschung, Deutsche Vierteljahrsschrift 37 (1963), S. 254—265, mit Hinweis auf die Arbeit von Karel

Doskocil und Anton Blasdhka (vgl. S. 254 f.).

Der »Ackermann aus Böhmen* und die Hymnentradition

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mann'; mit gewissen Vorbehalten stimmt Willy Krogmann hier zu (daselbst S. 260). Die achte Strophe dieses Traktats, die unten folgt, wird dabei mit unserem Kapitel in Verbindung gebracht: Ars non salvat medicorum, Nec zophisma loycorum, Dum invadit mortis hora, Tabet visus, pallent ora, Cuncta membra simul iacent Et a suis actis tacent, Fit sepulcri mencio. (Krogmann, S. 256)

Diese Stelle enthält zwar den Kerngedanken des in Frage stehenden Kapitels ( X X V I ) des 'Ackermann', aber keineswegs dessen vollständige Ausführung. Die Strophe vertritt jenen »Ideentypus«, von dem Hübner in Zusammenhang mit Kapitel X X V I spricht: »Dieser Typus ist eine Klage über die irdische Vergänglichkeit, die auf die Form gebracht ist: keine Weisheit, keine Kraft, keinerlei menschliches Vermögen hat vor dem Tode Bestand18.« Zusammenfassend halten wir fest: Im Hintergrund von Kapitel X X V I steht eine ältere Meistersingertradition (Aufzählung der freien Künste in positiver Bewertung), eine allgemein formulierte Idee (Ideentypus) über die Allmacht des Todes (Hübner) und mindestens ein konkretes Beispiel für die Verwendung dieser Idee, das dem Ackermann-Dichter zugänglich war (der obige »Traktate). Dazu kommt nun eine neue Beobachtung aus dem Kreise der zeitgenössischen mittellateinischen Hymnendichtung Böhmens, die es zu beachten gilt. Man wird hier in erster Linie an ein Weihnachtslied des Prager Erzbischofs, Johannes von Jenstein (oder von Jetzenstein, gestorben 1400 19 ) erinnern. Sein Weihnachtslied geht auf eine alte Formel zurück, die Alain von Lille schon im zwölften Jahrhundert verwertet hat und deren Bruchstücke (wie wir noch sehen werden) auch in böhmisch-lateinischen Dichtungen im 14./15. Jahrhundert auftauchen 20: 18

Hübner, Das Deutsche, a.a.O. S. 377. G. M. Dreves, Die Hymnen Johanns von Jenstein, Prag 1886; vgl. auch Konrad Burdach, Der Dichter des Ackermann aus Böhmen und seine Zeit, Berlin 1926—1932, bes. S.47ff. 20 Belege: J. Szôvêrffy , Alain de Lille et la tradition tchèque, Études d'histoire littéraire et doctrinale, Montréal-Paris 1962, S. 239—258; über Alain von Lille: Raynaud de Lage, Alain de Lille, Montréal-Paris 1951 und Dictionnaire de biogr. française, I (1933), Sp. 1084—1085 (Art. 'Alain de Lille', von M. M. 19

Davy).

Josef Szvérffy

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1. Die, quaenam doctrina De natione mira Probat, rabbi, ineipe, Haec alta divina?

2. Quod artes liberales, Septem et plurales, Ut probent virginem Hie sunt inaequales.

par ere,

3. Grammatica infantum Dat alimenta tantum; Quid haec prosunt parvula Ad partus documentum?

6. Música ignotum Nam tibi exstat totum, In harmonia iubiles: Est verbum caro factum.

4. Rhetorica decore In remisto sermone Non partum hunc sublimem Tali probat lepore.

7. Geometria mensuris His prae vanis curis Immensum quid metiris In lineis obscuris?

5. Logica in sermone, Sermocinatione, Nil fari ineffabilem Vult garrulatione.

8. Astronomía motus Poli non capit, totus Nam virginis alvulus Hunc suscipit devotus.

9. Arithmetica pari Quid certas vel impari? Qui ab aeterno natus est, Non potest numerari.

10. Sola theologia Demonstrat haec vera Cuius fidem simpliciter, Non vi sua, veraciter Mente crede sincera.21

Dieser Hymnus entstammt den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts, also der Zeit vor der Entstehung des 'Ackermann'. Hier finden wir eine ähnlich negative Beurteilung der Fähigkeit der sieben freien Künste. Einzig und allein die Theologie ist positiv beurteilt: denn nur sie (als Vertreterin des Glaubens) hat auch Positives über die Menschwerdung auszusagen. I n diesem Hymnus wird ausdrücklich formuliert, daß die freien Künste (als Vertreterinnen des menschlichen Wissens) unfähig sind, das Mysterium der Menschwerdung zu begreifen. Eine ähnliche Unfähigkeit zeigen sie im 'Ackermann* ( Bd. I Gedichte und Erzählungen, Kleine Schriften, Frankfurt am Main 1923) und übernimmt nur im 'Wiegenlied eines jammernden Herzen. Januar 1817' (S. 56 f., GS I I , S. 197 f., Amelung/Vietor S. 176 ff.) die von Enzensberger (Diss. Anm. 14) als Konjektur Hoho ff s (eher Druckfehler!) angesprochene Lesart »Gram« statt »Grau'n« (Strophe 4, Zeile 3). Der S. 58 aus Amelung/Vietor übernommene Druckfehler (Strophe 4, Zeile 1 ist zwischen Zeile 5 und 6 zu stellen) ist zu bessern. 32 Nämlich außer bei Requadt und Hartlaub auch in: Clemens Brentano, Gedichte. Ausgewählt von Werner Vordtriede. Im Inselverlag 1963 (InselBücherei Nr. 117). Vordtriede, der auch sonst sehr stark von Enzensberger beeinflußt ist, druckt jedoch nicht die von Enzensberger gewählte Berliner Fassung, sondern die ebenfalls von Guignard erstmals mitgeteilte Fassung aus dem Brentanoschen Familienarchiv. Sein Text (S. 25 f.) ist hier einwandfrei. 33 Clemens Brentano. Ausgewählte Werke. Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Curt Hohoff, München o. J. (1948). Hohoff wird zwar in der Bibliographie von Enzensbergers Auswahlband nicht erwähnt, doch werden seine Texte in Enzensbergers Dissertation zur Textherstellung verwendet. 34 Hohoff S. 625. Eine Brentanoausgabe von Wilhelm Kreiten S. J. ist mir nicht bekannt. Ob Hohoff die zweibändige Auswahl von Diel meint, der mit Kreiten zusammen auch die erste Brentanobiographie schrieb?

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Die wenigen Verse 'Als ich in tiefen Leiden!' sind in den GS (II, 263) exakt nach der Handschrift gedruckt 35 . Es handelt sich um einen jener Entwürfe, deren fertige Zeilen Brentanos erste Herausgeber als selbständige Gedichte in ihre Sammlung aufgenommen haben: GS I I , S. 263

Hohoff

S. 93 3 6

Als ich in tiefen Leiden!

Als ich in tiefen Leiden

Als ich in tiefen Leiden Verzweifelnd wollt ermatten, Da sah ich deinen Schatten Hin über meine Diele gleiten, Da wüßt ich, was ich liebte, Und was so schrecklich mich betrübte. O Wunder aller Zierde, Du feine ernste Myrthe, O, Muthwill ausgesprochen,

Als ich in tiefen Leiden Verzweifelnd wollt ermatten, Da sah ich deinen Schatten Hin über meine Diele gleiten; Da wüßt ich, was ich liebte, Und was so schrecklich midi betrübte. O Wunder aller Zierde, Du feine ernste Myrte, O Mutwill ausgesprochen, O Scherz von wenig Wochen, Indes das Herz gebrochen, O Lächeln einer Wunde, O Dolch im blutenden Munde!

In Thränen ausgebrochen,

O Scherz, von wenig Wochen, Indeß das Herz gebrochen, O, Lächeln einer Wunde, O, Dolch in blutendem Munde!

Weil es sich also um einen Entwurf handelt, gehört Zeile 10 der Fassung GS trotz Reimgleichheit mit Zeile 12 zum Gedicht hinzu und auch die letzte Zeile ist in den GS richtig wiedergegeben. Hohoffs Text, mit ihm die Texte Enzensbergers und Hartlaubs sind demnach zu verbessern. Brentanos 'Frühes Liedchen' ist in mehreren Fassungen überliefert. Guignard vergleicht (S. 33 f.) die Fassung im 'Frühlingskranz* (Oehlke S. 222) mit der in den GS (II, 403), Schröder korrigiert (S. 20 f.) nach der Handschrift die Fassung der GS, und die erste Strophe des Liedes ist in einem Brief Arnims an Brentano enthalten (Steig I, 41). In allen für die Textkritik relevanten Fassungen hat das »Liedchen« fünf Strophen, deren erste beginnt »Lieb' und Leid im leichten Leben«. Curt Hohoff entnimmt der Fassung im 'Frühlingskranz', die auch Amelung/Vietor (I, 51) drucken, die Strophen drei und vier und gibt sie unter der Uberschrift 'Frühling* (25) als eigenes Gedicht wieder. Darin folgt ihm Enzensberger (20), dessen Uberschrift aber wenigstens auf die Herkunft der beiden Strophen weist, und ebenso Vordtriede, in dessen Auswahl die beiden Strophen als »Lückenbüßer« fungieren 37. 35

Die Interpunktion ist hier jeweils ausgenommen. Mit dem Text Hohoff S. 93 stimmt genau überein Enzensberger S. 51; Hartlaub hat den Text offensichtlich nochmals überprüft und (S. 40) nur die Druckfehler aus der letzten Zeile übernommen. 37 Uberschrift bei Enzensberger: [Frühes Liedchen]. Die eckigen Klammern weisen daraufhin, daß die Uberschrift nicht von Brentano selbst stammt. Bei Vordtriede sind die beiden Strophen auf S. 10 unten im Anschluß an die 7. Strophe des Gedichtes 'Der Schiffer im Kahne*, das erst auf S. 11 oben mit den Strophen 8—11 fortgesetzt wird, gedruckt. 36

2

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Brentanos 'Kantate auf den T o d Ihrer Königlichen Majestät, Louise von Preußen' ist uns i n zwei handschriftlichen Fassungen überliefert 3 8 . Die Zeilen 9 0 — 1 0 3 3 9 der Kantate sind außerdem unter dem T i t e l 'Der Feind* mehrfach vertont w o r d e n 4 0 . Dieser T i t e l ergibt sich offensichtlich aus dem 5. A k t des Dramas 'Aloys u n d Imelde', w o eine abweichende Fassung der betreffenden Verse gedruckt ist: »Miraman: Herr, der Feind! der Feind! Einen kenne ich, Wir lieben ihn nicht, Einen nenne ich, Der die Schwerdter zerbricht! Weh! sein Haupt steht in der Mitternacht, Sein Fuß in der [Erde] Staub, Vor ihm wehet das Laub Zur dunklen Erde hernieder: Ohn Erbarmen In den Armen Trägt er die kindische, Taumelnde Welt! Tod — so heißt er! Und die Geister Beben vor ihm, dem schrecklichen Held! Weh — weh — ach, da kommt mein Engel! — aber schwarz, ganz schwarz — « 4 1 Hohoff druckt (68) diese Fassung unter der Überschrift 'Der Feind', wieder in einer eigenen, glättenden Bearbeitung: Einen kenn ich, Wir lieben ihn nicht; Einen nenn ich, Der die Schwerter zerbricht. Weh! sein Haupt steht in der Mitternacht, Sein Fuß in dem Staub; Vor ihm weht das Laub Zur dunkeln Erde hernieder. Ohne Erbarmen In den Armen Trägt er die kindisch taumelnde Welt; Tod, so heißt er, Und die Geister Beben vor ihm, dem schrecklichen Held. 38 Die erste bekanntgewordene Fassung, komponiert von Reichardt ist gedruckt in: Clemens Brentano. Ein Lebensbild von Johannes Baptista Diel. Ergänzt und herausgegeben von Wilhelm Kreiten, Bd. I, Freiburg i. Br. 1877, S. 427 ff. Die zweite Fassung, wurde von Preitz aus dem Berliner BeethovenNachlaß mitgeteilt, in: Brentanos Werke. Hrsg. von Max Preitz. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe, Bd. I, Leipzig und Wien o. J. (1914), S. 182 ff. 39 Zählung nach Preitz. 40 Vgl. Malion Nr. 266 C. 41 SW I X , 2, 268.

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Von Hohoff übernimmt den Text Enzensberger (28 f.) mit nur einer »Lesart« 42, überschreibt aber das nach der Fassung in 'Aloys und Imeide5 bearbeitete Gedicht: '[Aus der] Kantate auf den Tod Ihrer Königlichen Majestät, Louise von Preußen' und reicht es so weiter an Vordtriede (11 f.) und Hartlaub (85). Die Verse 'Ich weiß wohl, was dich bannt in mir' druckt Enzensberger mit der Interpunktion von Amelung/Vietor und liest in Zeile 7: Ruft doch mein Herz durch Mark und Bein: (Enzensberger 50, Vordtriede 48),

statt: Ruft doch dein Herz durch Mark und Bein: (GS I I , 238; Amelung/Vietor I, 176, Preitz I, 25).

Vermutlich handelt es sich hier um eine Konjektur im Anschluß an die von Schröder (205) gedruckte abweichende Fassung: Schließ mich in einen Felsenstein, So ruf ich dich durch Mark und Bein: Komm, lebe, liebe, stirb bei mir, Du mußt, Du mußt!

Guignaird aber, dem das Manuskript vorgelegen hat, verzeichnet hier (S. 109) keine Lesart, wohl aber eine Lesart zu Zeile 9, welche die Glättung Christian Brentanos korrigiert: Leg dir diesen Fels auf deine Brust (Guignard 109), Leg diesen Fels dir auf die Brust (in allen Ausgaben).

Das Gedicht steht in den GS unter den Liedern an Emilie Linder, die Handschrift ist von Brentano selbst datiert auf »14. Juli 1834« 43 , trotzdem setzen Enzensberger und Vordtriede den Text in das Jahr 1817. In anderen Fällen wieder halten sich die Herausgeber sklavisch an die Fassung der GS, obwohl bessere und sicher von der Hand des Dichters stammende Fassungen vorhanden sind. Das in den GS unter der Überschrift 'Zorn und Liebe' erscheinende Gedicht drucken Hohoff (109) und Enzensberger (34) — von der Interpunktion wieder abgesehen — genau nach dieser Vorlage. Die altertümliche Form der ersten Zeile wird dabei mit Rücksicht auf den Reim übernommen: O Zorn! du Abgrund des Verderben, Du unbarmherziger Tyran, Du frißt und tödtest ohne Sterben Und brennest stets von Neuem an; Wer da geräth in deine Haft Gewinnt der Hölle Eigenschaft. (GS I I , 179). 42

43

Zeile 11 nach Enzensberger: »Trägt er die kindisch taumelnde Welt:«

Vgl. Guignard S. 109, Enzensberger

S. 206, Vordtriede

S. 66.

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Das Gedicht zitiert Brentano in 'Aloys und Imelde* insgesamt neunmal; achtmal lautet hier die erste Zeile der ersten Strophe O Zorn, du Abgrund des Verderbens,

einmal nur erscheint die Fassung: O Zorn, du Abgrund voll Verderben, 44.

Guiignard (58) kennt keine Handschrift und auch in den GS stehen die Verse unter den Gedichten aus dem Drama. Vermutlich also ist die in den GS gedruckte Fassung eine am 'Wunderhorn' orientierte Bearbeitung des Gedichtes, das im Original lautet: Wunderhorn

S.767f.

(1. und letzte Strophe des Liedes)

Aloys und Imelde, S W I X , 2, 335

Erziehung durch Leidenschaft O Zorn, du Abgrund des Verderbens, Du unbarmherziger Tyrann, Du frissest, tötest sonder Sterben Und brennest stets von neuen an. Wer da gerät in deine Haft, Bekommt der Hölle Eigenschaft.

O Zorn, du Abgrund voll Verderben, Du unbarmherziger Tyrann, Du frißt und tödtest ohne Sterben Und brennest stets von neuem an, Wer da geräth in deine Haft Gewinnt der Hölle Eigenschaft!

Wo ist, o Liebe, deine Tiefe, Der Urgrund deiner Wunderkraft? Seel', komm, ein einzig Tröpflein prüfe Von dieser Wirkungseigenschaft. O wer in diesem tiefen Meer Gleich einem Tröpflein sich verlor!

Wo ist, o Liebe, deine Tiefe, Der Urgrund deiner Wunderkraft? O wer in deinem Quell entschliefe. Der hätte Gottes Eigenschaft! O wer, o Lieb, in deinem Meer Gleich einem Tropfen sich verlor!

Wir brechen die Beispielreihe hier ab, sie wäre beliebig zu verlängern. Aus der vorgeführten Bearbeitungsmethode neuerer Auswahlausgaben45, zieht allein Werner Vordtriede eine klare Konsequenz. Während nämlich Hcxhoff und Enzensberger noch immer die Fiktion einer philologischen Arbeitsweise aufrechterhalten, bekennt sich Vordtriede zu seinem Prinzip. »Allerdings«, schreibt er, »bieten [die] späten Gedichte mehr noch als die früheren ein philologisches Problem. Brentano hat sie selbst nicht veröffentlicht, ließ sich ungehemmt gehen und unterwarf sie keiner Kontrolle. Wenn schon die früheren Gedichte mit ihren vielen Fassungen jeden Herausgeber zwingen, sich eigentlich seine eigenen Versionen erst zu schaffen, so ist das in diesen späteren erst recht der Fall. Wucherstrophen, 44

SW I X , 2, 335. Alle sonstigen Stellenangaben bei Guignard S. 58. Wir leugnen nicht, daß manche der von neueren Herausgebern überarbeiteten Texte künstlerisch besser geworden sind, doch meinen wir, daß auch ein so gebesserter Text verfälscht wird. Als Mindestforderung aber wäre zu stellen, daß im Anhang genau Rechenschaft über die jeweilige Druckvorlage und die eventuellen Änderungen gegeben wird. 45

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die wie im Fieber sich selber weiterdichten, ließen überlange und undichte Gebilde entstehen, die er selber, hätte er sie je veröffentlicht, wohl gestrafft hätte. Diese Kürzungen muß nun eben der Herausgeber, wenn er nicht historisch-wissenschaftlich arbeitet, vornehmen« (64). Im extremen Fall wird dann die Überschrift gleich mitgekürzt: »Frühmorgenlied vom Kirschblüthenstrauß, schweren Stein und des lieben Herzens Güte und Segen« hat Brentano selbst ein Gedicht an Luise Hensel überschrieben und es auf den 22. Mai 1817 datiert 46 . Von den insgesamt 41 Strophen dieses Gedichtes (GS I, 484) druckt Vordtriede die ersten vier unter der Überschrift: 'Frühmorgenlied vom Kirschblütenstrauß' (47). Das Gedicht 'Eine feine reine Myrte' (GS I I , 216 ff.) besteht in den GS aus 24, in der von Guignard (106 ff.) hergestellten Originalfassung aus 35 Strophen; davon druckt Vordtriede eine Auswahl von 10 Strophen; das bei Schröder (183 ff.) erstmals erschienene Gedicht an Emilie Focke (»Nicht Muse hat dies Lied befohlen«) besteht aus 32 Strophen, Vordtriede druckt eine Auswahl von acht; etc. 47 . Nicht aus religiösen Skrupeln etwa hat Brentano einen Druck seiner wuchernden Spätgedichte verhindert, sondern aus einem genau und taktvoll reagierenden, künstlerischen Gewissen. Diese Spätgedichte sind nicht Kunstwerke im herkömmlichen Sinne, sondern poetische Lebenszeugnisse, in die private Details in einem Ausmaß eingegangen sind, daß eine Veröffentlichung neben dem künstlerischen auch ein moralisches Problem stellt 48 . Häufig genug ist die religiöse Erpressung in solchen Liedern nur oberflächlich verhüllt 49 . Sicher, Brentano hätte — ein Irrealis! — diese Gedichte vor einer — nie geplanten — Veröffentlichung überarbeitet, die privaten Spuren verwischt, daß die »literarischen Nachtzettulisten und Seelenverkäufer« 50 sie nicht mehr gefunden hätten, gestrafft aber hätte er sie nicht, denn die »wuchernde Arbeits- und Dichtungs weise« ist ein Merkmal seines Altersstils. Vordtriede selbst hat dies am Beispiel des Gedichtes 'Der Jäger an den Hirten' gezeigt 51 und die Spätfassungen der Märchen sind dafür ein weiterer Beweis. Vielleicht kann man von dem Herausgeber eines Auswahlbandes keine »historisch-wissenschaftliche« Arbeitsweise verlangen, wohl aber haben seine Leser das Recht auf den Originaltext des edierten Autors, sie werden die »sich selbst vergessende.. Sorgfalt« des Herausgebers erwarten und 46 47

Guignard S. 82.

Vordtriede gibt im Inhalt zwar an, welche Gedichte gekürzt sind, die Zahl der gestrichenen Strophen, die z. B. Schröder verzeichnet, erscheint hier nicht. 48 Das moralische Problem besteht nicht in der Mißachtung irgendwelcher Tabus, sondern allein darin, daß mit der Veröffentlichung gegen den ausdrücklichen Willen des Dichters verstoßen wird. 49 Vgl. etwa die Gedichte 'Alhambra' GS I, 366 ff.; 'Bescherung der Armen an die Wohlthäterin', GS I, 516 ff. 50 Brentano, Warnung vor literarischer Klätscherei unter uns, 1807, Kemp I I , S. 1028. 51 Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1962, S.427.

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können nicht voraussetzen, daß sich der Editor mit »eigenen Versionen« vor die Gestalt des Dichters stellt. Da Enzensberger und Vordtriede einem breiten Publikum erstmals wieder das Spätwerk Brentanos (ab 1816/17) erschließen, ersteht hier im Arrangement der Texte und den auf Wirkung bedachten Nachworten ein Bild des späten Brentano, welches das genaue Gegenstück zu dem katholischen Zerrbild des 19. Jahrhunderts darstellt. So wird abseits der Wissenschaft, die längst den Grundstein zu einer ganzheitlichen Betrachtung des Dichters gelegt hat, eine moderne Brentanolegende geboren. Der Akzent, der im 19. Jahrhundert einseitig auf dem Christentum und der religiösen Dichtung Brentanos lag, wird nun ebenso einseitig auf den Künstler, auf die »poetische Existenz« gesetzt und der Christ Brentano in das Schema vom »starren, frommen Eiferer« und der »öden religiösen Zweckdichtung« gepreßt 52 . Ein nicht wissensdiaftlich interessierter Leser hatte bisher wenig Möglichkeiten, die »Versionen« der Herausgeber durch Vergleich mit einer zuverlässigen Ausgabe zu korrigieren. Dies scheint sich nun grundlegend zu ändern. Die von Friedhelm Kemp im Hanser-Verlag, München, herausgegebene und auf vier Dünndruckbände berechnete Ausgabe übertrifft schon an Umfang alle bisherigen Sammelausgaben einschließlich der GS und wird — soweit es sich bis jetzt beurteilen läßt — auch die in der Brentanoforschung fast ausschließlich zitierten Ausgaben von Amelung/ Vietor und Preitz ersetzen können. Band I I der Ausgabe ist soeben erschienen, Band I I I (Märchen) wird Anfang 1965 erscheinen, Band I V (Dramen) vermutlich noch im Laufe des Jahres 1965, während für den schwierigsten Band (Band I Gedichte. Romanzen vom Rosenkranz) als Erscheinungstermin wohl frühestens der Anfang des Jahres 1967 zu nennen ist. Nicht aufgenommen wurden in diese Ausgaben Brentanos religiöse Schriften, die in den SW kritisch ediert und auch in ungekürzten Fassungen zu kaufen sind, sowie die umfangreicheren Bearbeitungen (Spanische Novellen, Wickram, Spee etc.) und das 'Wunderhorn', das ebenfalls in zuverlässigen Ausgaben im Handel ist. Bedauerlich ist, daß nicht der Werkausgabe auch eine größere Auswahl aus den Briefen angeschlossen wurde; denn seitdem die zweibändige Auswahl von Friedrich Seebaß vergriffen ist, repräsentieren die jüngst entdeckten Briefe an Sauerländer alleine Brentanos reiches Briefwerk auf dem Buchmarkt. Die Bände der Ausgabe Kemps gliedern sich jeweils in einen Text- und einen Anmerkungsteil, die zum Verständnis der Texte notwendigen Abbildungen sind beigebunden. Der hier zu besprechende zweite Band 5 3 »bietet zum erstenmal sämtliche wichtigen erzählenden und kritischen Arbeiten Clemens Brentanos aus den Jahren 1798 bis 1818, mit Ausnahme der Märchen... Nicht aufgenommen 52

Enzensberger S. 195, Vordtriede S. 64. Beide Herausgeber scheinen die Arbeiten Walther Rehms und seiner Schule (Migge, Adam, Maas) nicht zu kennen. Vgl. dazu Verf. Das verlorene Paradies, S. 156, Anm. 157. 63 Clemens Brentano. Werke. Hrsg. von Friedhelm Kemp. Band I I , München 1963. Verlag Carl Hanser. 1240 S.

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wurden einige kleinere Anzeigen, allzu zweifelhafte Stücke, sowie einiges Nacherzählte und Bearbeitete. In allen Fällen jedoch, wo es sich um gemeinschaftliche Unternehmungen, namentlich mit Arnim und Görres, handelte, wurde auch der Anteil des Freundes unverkürzt geboten. I n jeder der vier Unterabteilungen, die aiuf den 'Godwi' folgen: Erzählungen, Nacherzähltes, Scherzhafte Abhandlungen, Aus Zeitungen und Zeitschriften, sind die Texte chronologisch angeordnet, nach den Daten des Erstdrucks oder der mutmaßlichen Entstehung« (1175). 'Godwi* erscheint hier erstmals seit 1923 wieder in einer Sammelausgabe, erstmals seit 1914 Brentanos frühes Märchenfragment 'Die Rose' 54 und erstmals seit dem Erstdruck (1801) das für Brentanos Frühstil und sein Verhältnis zur Frühromantik kennzeichnende Fragment 'Der Sänger'. Von der 'Chronika' werden erstmals Ur- und Spätfassung zusammen, ungekürzt gedruckt, ebenfalls erstmals in einer Brentanoausgabe erscheinen die Theaterkritiken des Dichters 55 und aus der Handschrift werden die bisher nur unvollständig bekannten Schinkelnotizen ediert. Schon diese wenigen Beispiele zeigen den Fortschritt der Ausgabe über vergleichbare ältere Editionen hinaus. Das Stichjahr 1818, mit dem der Band abbricht, ist zwar mit Bedacht gewählt, da — mit Ausnahme der Märchen — von nun an keine eigentlich poetische (oder auch kritische) Prosa mehr entsteht, doch hätte Brentanos (vergebliche) Abwendung von der heimlich gehegten Poesie und seine Hinwendung zur Schriftstellerei im Dienste der Erweckungsbewegung und der kirchlichen Sozialfürsorge 56 durch einige wenige Texte belegt werden sollen 57 . Wir denken hier an das schon 1817 erschienene Vorwort zur Ausgabe der 'Trutznachtigall', an das Vorwort zu Melchior Diepenbrocks Übersetzung von 'Fenelon's Leben' (1826), an die »Einleitung zur Übersetzung der Parables du père Bona venture Giraudeau« (1830), an den von Mörike so geschätzten 'Lebensumriß' Anna Katharina Emmerichs (1833), an die 'Bilder und Gespräche aus Piaris' (18 3 8) 5 8 u.a.m. Solche, teute fast 'unbekannten Stücke bilden das Pendant zu dem in Kemps zweitem Band gebotenen Bild des Dichters und Kritikers 59 . 54 Hier unter den 'Erzählungen* etwas deplaciert. Es gehört nach seiner Gattung trotz einer andersartigen Stilhaltung in Band I I I . 55 Die Diskussion über die Echtheit der abgedruckten, bzw. nicht mit abgedruckten Rezensionen kann hier nicht fortgeführt werden. Hier läge Stoff für wenigstens eine Dissertation, da die Verfasserschaft Brentanos nur im Zusammenhang einer Arbeit über Carl Bernards Wiener 'Dramaturgischen Beobachter' entschieden werden könnte. 56 Clemens Brentano hat auf sozialem Gebiet vor seiner Schwester Bettina und mit größerer Ausdauer als sie gewirkt. 57 Der Titel der Ausgabe lautet ja: C. B., Werke, nicht: Poetische Werke. 58 Zwar anonym erschienen (vgl. Malion Nr. 117 f.), aber sicher von der Hand Brentanos, da Guignard eine Handschrift des in Malion 117 enthaltenen Gedichtes »Ich nahm das Kreuz« nachweist (Guignard S. 100). 59 Dankbar wären wir auch gewesen, hätte uns Kemp die nicht aufgenommenen, sicher von Brentano stammenden Titel in einer Kurzbibliographie vorgeführt.

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Alle Texte des Bandes sind kritisch durchgesehen, gedruckt wird nach der jeweils besten Vorlage. Wie Stichproben zeigen, geht es nicht ohne Druckfehler ab 60 , offensichtliche Druckfehler der Vorlagen wurden dafür gebessert. Bei moderner Orthographie hat Kemp lautliche und grammatikalische Eigenheiten der Sprache Brentanos gewahrt und selbst dort, wo etwa die kritische Novalis-Ausgabe und auch Amelung/Vietor unbedenklich normalisieren, Rücksicht auf den Sprechrhythmus genommen 61 ; altertümliche und mundartliche Wortformen bleiben auch dann erhalten, wenn schon die GS modernisieren 62. Schwierig ist die Frage der aus dem Erstdruck des 'Godwi' in die SW übernommenen und von Kemp nun gebesserten Druckfehler zu beurteilen, da Amelung den textkritischen Bericht zu seiner Edition schuldig geblieben ist. Kemp hat seine Konjekturen aber in jedem einzelnen, nicht eindeutigen Fall im Kommentar verzeichnet und damit seiner Sorgfaltspflicht genügt03. Die Interpunktion, die dem »heutigen Gebrauch angepaßt« ist, aber dort unverändert blieb, »wo sie als Gliederung des Sprechrhythmus gelten durfte« (1176), unterscheidet sich im Text des 'Godwi' z.B. stark von der Satzvorlage, steht aber näher zum Original als die Zeichensetzung im Godwi-Druck bei A m e l u n g / V i e t o r . Audi hier können wir so lange keine klaren Entscheidungen treffen, als eine an den Handschriften und den Erstdrucken orientierte Untersuchung — dringende Vorarbeit einer kritischen Ausgabe! — fehlt. Leider ließ sich Kemp die Gelegenheit entgehen, etwa bei den 'Schinkel-Notizen' oder beim Text des 'Galeerensklaven', bei Texten also, die er nach handschriftlichen Vorlagen druckte, Beispiele originalgetreuer Interpunktion zu geben. Wir hätten damit einen Vergleichsmaßstab zur Beurteilung der Zeichensetzung in den Erstdrucken und den GS gewonnen. Meist hat Kemp — auch das ist ein Vorzug seiner Ausgabe — die Satzvorlage mit weiteren Drucken verglichen. Da sich seine Ergebnisse aber nicht in einem kurzen textkritischen Resümee niedergeschlagen haben, sind diese nur-bibliographischen Angaben für den Benutzer totes Material 64 . Warum etwa hat Kemp seine Satz vorläge für den 'Godwi' ( = SW V) nicht allein mit dem Erstdruck, sondern auch mit der Separatausgabe von 1906 verglichen? Bietet dieser Druck irgendwelche textkritischen Entscheidungen, die uns berechtigen, von einer »zweiten Ausgabe« zu sprechen (1177)? Zu welchen Ergebnissen kommt der Herausgeber bei seinen Vergleichen von Preitz mit den Erstausgaben? Ist Preitz durchaus zuverlässig? Warum druckt Kemp den 'Galeerensklaven' nach dem Manuskript und 60 Vgl. etwa S. 55,37—56,3: Kursivdruck fehlt; S. 120,17 »liebstes Lieb« statt »Liebstes Lieb« etc. 61 Amelung/Vietor I I , 152, 10 Bergeshöh, 153, 8 Liebesschoß; Kemp 122, 2 Berges Höh, 122, 26 Liebes-Schoß etc. 62 Vgl. etwa »Adie« (statt »Adieu«), was Preitz (II, 501) mehrfach für Brentano belegen kann. 63 Vgl. etwa Kommentar zu 298, 2; 435, 25; 445, 20; 1084, 9 etc. 64 Einzelne Hinweise, wie z. B. zu 435, 25 genügen hier nicht.

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nicht nach Rehms Erstdruck? Wo weichen Manuskript und Kemp vom Erstdruck ab? Warum wurde der Erstdruck der 'Mehreren Wehmüller' nur mit der zweiten Auflage von 1843 und nicht auch, wie etwa bei Preitz, mit der ersten Buchausgabe von 1833 verglichen, obwohl die letztere Ausgabe noch zu Brentanos Lebzeiten erschien, ein Einfluß des Dichters auf die Textgestalt also viel wahrscheinlicher ist als 1843? Warum hat Kemp den Erstdruck der 'Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl' nicht -mit dem Preitz noch unbekannten Neudruck von 1835 verglichen, um einen neuen Fortschritt über Preitz hinaus zu erzielen? 65 Ein solches Fragiengeflecht, das auf weitere Texte des Bandes auszudehnen wäre, mindert zwar nicht Kemps Verdienst um eine zuverlässige Textgestalt, doch entsteht der Eindruck, daß der Herausgeber nicht ausdauernd genug nach schwer erreichbaren Drucken gesucht hat und damit die hier mangelnde Systematik auch die deutschen BibliotheksVerhältnisse widerspiegelt. Das Freie Deutsche Hodistift hat sich offensichtlich entschlossen, Kemps Ausgabe durch bisher unveröffentlichtes, handschriftliches Material zu unterstützen; wenn diese großzügige Hilfe vor dem Gedichtband nicht haltmacht, so könnte die Brentanoforschung mit Kemps Texten endlich jenen sicheren Grund bekommen, auf den sie seit Jahrzehnten wartet und der es ermöglicht, die Spanne bis zum Erscheinen der historisch-kritischen Ausgabe zu überbrücken. Daß Kemps Ausgabe jeder Unterstützung wert ist, sei mit Nachdruck vermerkt. Im Kommentar, dessen Benutzung durch eine Zeilenzählung im Text noch wesentlich erleichtert würde, sind die bisherigen Forschungsergebnisse, hin und wieder durch eigene Funde bereichert, klug und zutreffend konzentriert. Ob der Zeilenkommentar nicht weitgehend von der Übersetzung der Fremdworte und kürzerer fremdsprachlicher Zitate entlastet werden könnte, ist eine Streitfrage 66, dankbar wäre der Leser jedenfalls, würden ihm die in den Einleitungen zum Zeilenkommentar zitierten Briefe, Tagebuchnotizen etc. bibliographisch nachgewiesen67. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, daß der Herausgeber in diesen Einleitungen längere Passagen etwa aus Fuchs (1196) und Preitz (1205 f.) zitiert und gelegentlich Formulierungen aus der Sekundärliteratur wörtlich übernimmt, wenn er aber in der Einleitung zum Godwi-Kommentar (1177) schreibt, er gebe im folgenden die für das Verständnis der Anspielungen wissenswerten Einzelheiten nach Kerr und Amelung wieder und dann wörtlich, ohne Anfüh65 Preitz vergleicht (II, 497 f.) den Erstdruck mit den Drucken von 1838 und 1851, sowie mit dem Druck in den GS. Den Druck Malion Nr. 104 kennt Preitz nicht. 66 Vgl. etwa: 201, 38 parvenü: emporgekommen; 230, 3 Comptoir: Kontor; 261, 2 Kontraktionen: Zusammenziehungen; 645, 33 point d'honneur: Ehrenstandpunkt; 646, 2 Pro patria: Fürs Vaterland; 671, 8 Kreisphysikus: Kreisarzt; 728, 29 bonne Marguerite: gute Margarethe; 966, 16 a priori: zuvörderst, im vorhinein; 966, 20 definitiven: endgültigen; 988, 28: ad libitum: nach freiem Ermessen; 1112, 12 ad libitum: nach Belieben, nach Gutdünken, usw. 67 Vgl. etwa S. 1177, 1189, 1191, 1205, 1209, 1221 u. ö.

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mngszeichen, mit nur geringen Ergänzungen und Raffungen zwei Seiten aus Amelungs Godwi-Einleitung (SWV, V I I — I X ) zitiert, so ist das ein unnötiger (und künftig leicht zu vermeidender) Schönheitsfehler. Trotz manchen Schwächen der Ausgabe also, trotz manchem unerfülltem Wunsch: Kemp hat sich schon in diesem Band als ein wahrer Freund des Dichters erwiesen, der dem Wort des Künstlers, nicht der Selbstdarstellung und der Sensation dient.

GOTTFRIED B E N N I M SPIEGEL DER LITERATUR Kritische Durchsicht des Schrifttums seit 1949 Von Bruno Hillebrand Als Gottfried Benn 1948 mit dem schmalen Band 'Statische Gedichte' wieder an die Öffentlichkeit trat, war sein Name nahezu unbekannt. Von den Älteren war er vergessen oder verdrängt, und die Jungen hatten ihn noch nie gehört. Elf Jahre hatte Benn, abgesehen von einem Privatdruck, nichts mehr veröffentlicht. Zuerst hatte ihn die >Reichsschrifttumskammer< verboten und später die Militärregierung. Der Dichter Benn war aus dem literarischen Leben fast ganz verschwunden, aus den Feuilletons der Tages- und Wochenzeitungen sowohl wie aus den Fachzeitschriften. Enzyklopädisch führte man ihn bestenfalls noch als Figur des Expressionismus, was vor 1945 natürlich unter negativen Vorzeichen zu geschehen hatte. Nun erschien also nach mehr als elfjährigem Schweigen, in einer Zeit materieller Not, aber vergleichsweise großer geistiger Bereitschaft, in einem Schweizer Verlag (Benn galt in Deutschland immer noch als >unerwünscht0 Mensch Lyrikc macht das deutlich. Benns Gedichte » . . . sind in der Hölle entstanden und sie besingen diese...« (786), man könnte erläuternd sagen, in der Hölle des Bewußtseins und der ärztlichen Praxis von Anatomie und >Krebsbarackec; die bedingungslose Realistik der Szenerie und die Härte der Sprache garantieren die Unwiderlegbarkeit und Gültigkeit dieser Poesie. Rychner deutet diesen Sachverhalt mit einem vielsagenden Vergleich an: »In T. S. Eliots . . . The Waste Land — irren noch heimatlose Seelen herum, aufgestört von lichtlosem Erlösungsdrang: es könnte anders sein! Bei Benn: so ist es, kein Ausweg!« (787) Und doch gab es für den Dichter Zustände der Erlösung in dieser Zeit der existentiellen Not und geistigen Ausweglosigkeit. Benn deutet das in seiner autobiographischen Rückschau an. Es waren die Wochen in Brüssel (»... ich lebte am Rande, wo das Dasein fällt und das Ich beginnt.« I V , 8), etwas Unbeschreibliches muß damals in Benn vorgegangen sein, vielleicht die Erkenntnis vom Selbstwert des schöpferischen Rausches, wir wissen es nicht. Benn selbst sagt dazu, daß diese Wochen das Leben waren für ihn, » . . . alles andere war Bruch« (ib.). Rychner ist, soweit ich das übersehe, bisher der einzige, der diesem Kairos in Benns Leben die entsprechende außerordentliche Bedeutung zumißt. Auch er kann nicht sagen, um was es sich eigentlich handelt, er spricht nur andeutungsweise die eben genannte Vermutung aus, er sagt aber, daß es ein Erlebnis gewesen sein muß, » . . . von dem frühere Mystiker mit dem Annäherungswert ihrer Formeln laut und den Rest ihrer Tage geredet hätten« (787). Benn sei damals die »Werte-Hierarchie seines Daseins« aufgegangen. »Dasein obersten Wertes heißt «ihm Daseinsgründung durch geistige Akte. Er erfährt in der Hellsicht schöpferischer Benommenheit: sein Ich als schöpferischen Prozeß . . .« (788). Rychner hat mit diesem Hinweis ohne Frage den archimedischen Punkt des Dichters und seines Werkes namhaft gemacht. Von dieser Stelle her muß Benn verstanden werden; nur vom Prinzip des Schaffens her (im meta-

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physischen Sinne Nietzsches) eröffnet sich der Zugang zum Sinn des Werkes und damit zur personalen Existenz des Autors. Im weiteren Verlauf des Essays geht der Verfasser zu den Themenkreiisen über, die sich im Umkreis der dualistischen Situation von schöpferischem Ich und sinnlosem Weltgeschehen ergeben. Da ist zunächst das Thema Geschichte, zu dessen Erläuterung Rychner das Gedicht 'Orphische Zellen' anführt (»Es schlummern orphische Zellen / In Hirnen des Okzident«). In kurzen Zügen folgt die Begründung von Benns Geschiditsverneiinung. Werden, Entwicklung, Geschehen ist nicht das Wesentliche. Aus den >orphischen Zellenc entsteigt die wahre Wirklichkeit. Die mystische Kommunikation mit dem Urgrund der Dinge gewährt »ein volleres Sein« (791) als der rationalisierte abendländische Geschichtsverlauf. Der Dichter schafft noch einmal Zugang zum Geheimnischarakter der Welt, er ist der Myste, (im späteren Sinne Benns der Artist) der die Jahrtausende durcheilt, um ihre Zeichen in der Sprache zu bannen. Mit einer Interpretation des Gedichtes 'Curettage' gelingt es dem Verfasser einfühlsam und überzeugend, diese Zusammenhänge vom dichterischen Wort her zu deuten. Man spürt, daß Rychner mit der geistigen Problematik Benns aufs engste vertraut ist, man sieht aber auch, daß für eine derartige Einsicht exakte und hingebende Vorarbeit nötig ist. Der Verfasser scheut sich nicht, synonyme Wortreihen aufzustellen, um seine Untersuchungen zu fundamentieren. (Man muß bedenken, daß auch dies Pionierarbeit war. Erst 1953 erschien die Dissertation von Astrid Clues — 'Der lyrische Sprachstil Gottfried Benns' — wo solche Dinge systematisch dargelegt wurden.) Auch das Vertrautsein mit den gehaltlichen Bezügen läßt ersehen, welch unmittelbaren Zugang Rychner zum Werke Benns hat. Nur die Interpretationen Lohners zeigen den gleichen sicheren Griff nach der innersten Struktur dieser im höchsten Maße verdichteten Sprache. Rychner weiß um die Dimensionen des Bennschen Denkens, er weiß, daß die Kantschen Kategonen Raum, Zeit und Kausalität dem Dichter im Wege stehen bei seiner immer drängenderen Suche nach dem Sein. »Die Zeit erschließt sich Benn als Trauer; die Vergänglichkeit... als urpoetisches Material« (875). Der Vergänglichkeit alles Irdischen und dem Verströmen alles Geschehens in das Nichts setzt Benn seinen Willen zur Dauer entgegen, er ringt lange um diese Frage, bis sich dann gegen Ende der zwanziger Jahre mehr und mehr die Kunst als das einzig Dauernde herausstellt. Seit jener Zeit verkündet Benn dann jene Apotheose der Kunst, wie sie seit Nietzsche nicht mehr gehört wurde. Rychner greift bei der Deutung dieser Zusammenhänge bis zum Ttolemäer' vor (der damals gerade erschienen wiar). Für Benns Antihistorismus, seine Lebensfeindlichkeit, die Abneigung (gegen jede Art von Handeln und auf der Gegenseite für das Bekenntnis zu einer sowohl artistischen als auch anthropologischen Transzendenz, für diese hintergründigen Wesenszüge des Bennschen Werkes sind auch heute noch die treffenden Ausführungen Rychners von höchstem Aufschluß.

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Der Interpret sieht deutlich das Kernproblem, um das es Benn letztlich immer geht. Die doppelte Frage nach der Kunst und dem künstlerischen Ich weiß Rychner in die bedeutungsreiche Formulierung zu kleiden: »Mittels des Wortes Zeiten um sich versammeln und außerhalb zu bleiben, gehört zu der großen Kunst Benns, den Blick gerichtet auf den unvergangenen Rest des Vergänglichen und auf den geheimnisvollen Rest in sich, der in nichts ganz aufgeht« (879). Rychner sieht, daß es bei aller hochgradigen Intellektualität des Dichters, bei seiner naturwissenschaftlichen Schulung wie der enormen geisteswissenschaftlichen Bildung letztlich dieser geheimnisvolle Rest ist, der die dichterischen Gebilde mit jenem Zauber erfüllt, der mehr ist als nur formal-ästhetische Vollkommenheit. Hier kommt etwas zur Sprache, das inmitten der heutigen banalen Säkularisation noch einmal den unendlichen Horizont des Menschseins aufreißt, und zwar mit dem Atem und den Mitteln der Zeit, mit ihren eigensten Metaphern und Begriffen. Worum es dem Metaphysiker Benn in seinem Schaffen letztlich geht, faßt Rychner in Worte, die allen Verleumdungen Benns mutig entgegenstehen und die heute noch so gültig sind wie vor fünfzehn Jahren. Benn, so sagt Rychner, ging es » . . . um Hingabe und Erfüllung jenes Wesens in uns, das den Menschen auf Erden von Grund auf heimatlos macht. Er spricht vom >Gefühl der fremden Herkunft, das unser eigentliches Wesen istFür etwas, das Jenseits deiner liegt, bist du erschaffen.c Wer weiß heute derlei noch, es sei denn der gläubige Christ, dieser aber aus anderen Gründen und auf andere Weise als Benn?« (887).

Fritz Martini, Gottfried Benn. Der Ptolemäer, in: Das Wagnis der Sprache. Interpretationen deutscher Prosa von Nietzsche bis Benn. Stuttgart 21956, Ernst Klett Verlag. S. 465—517. Martini legt in seinen Interpretationen von Nietzsche bis Benn entschiedenen Nachdruck auf die Einsicht, » . . . daß die Dichtung in allen ihren Darbietungsformen zuerst ein Ereignis der Sprache ist« (2). Seit der Romantik ist dieses Problem akut, die Konvention der erzählerischen Formen und Sprachordnungen zerfällt, und seit Nietzsche wird dann die Sprache selbst zum dringlichsten Anliegen des Dichters. Nun » . . . ist jeder Autor, dem es um die Wahrheit in der Existenz aussage geht, gezwungen, seine eigene Sprache als den Ausdruck seines persönlichen Welterlebens, seiner individuellen Optik zu schaffen« (ib.). Im Zeitalter des Nihilismus, wo die Tradition der Werte fehlt, gründet die Wahrheit des Dichters nur noch in der Sprache selbst. Dieser Ansatzpunkt gilt für keinen der hier besprochenen Autoren (Hauptmann, Holz, Rilke, Th. Mann, Hotmannsthal, Heym, Kafka, Döblin, Carossa, Broch) so ausschließlich wie für die beiden Exponenten dieser Untersuchung, Nietzsche und Benn. Martini sieht 25 L i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e s Jahrbuch, 5. B d .

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mit Recht in Benn den unbedingten Nachfolger Nietzsches, der das >Wagnis der Sprache< zu einer bisher ungekannten Exklusivität vorantreibt. Der Verfasser geht von einem Prosastück Benns aus, betont aber, daß die eigentliche künstlerische Leistung Benns im Gedicht liegt. An die analysierten fünf Textseiten der 'Berliner Novelle, 1947* (aus 'Der Ptolemäer) knüpft Martini mit brillanter Schärfe eine unerschöpfliche, manchmal geradezu verwirrende Fülle von Einsichten über Wort, Syntax, Rhythmus, Spannung und deren ausdrucksmäßigen Gehalt. Die analytischen Perspektiven umfassen das Gesamtwerk Benns und ziehen mit großer Meisterschaft ein Fazit der denkerischen Grundlagen desselben unter steter Berücksichtigung ihrer Allgemeingültigkeit. Der Verfasser unterscheidet zwei Haupttendenzen der Bennschen Prosa, » . . . klarste Erkenntnis zu schaffen und zugleich ins Irrationale zu entrücken. Sie will eine Sprache des angespannten intellektuellen Bewußtseins und der magischen Verzauberung sein« (472). Was das bedeutet, wird an Hand des Textes überzeugend demonstriert. Mit immer neuen Formulierungen wird die Korrelation von dichterischer Expression und moderner Geistessituation zum Ausdruck gebracht. Im Vordergrund steht dabei immer der Hinweis auf die existentielle Lage des Dichters: »Ihm bleibt nichts als die Einsamkeit des existentiellen Ich, das sich selbst zum Gegenstand und zum Partner, zum einzigen Medium des Erlebens und Erkennens wird« (474). Als Folge des extremen Solipsismus ergibt sich eine ganz neue Form des Erzählens, » . . . die Sprache gibt ihre klassische Funktion auf, die im Mitteilen, Verdeudichen liegt. Sie entfremdet sich in das Esoterische und Hieroglyphische« (473). Personaler Solipsismus und Entfremdung der Sprache sind wiederum die zwangsläufige Folge der Umweltsituation, des Verlustes einer empirisch-gegenständlichen Wirklichkeit, des Zerfalls von Glauben und Moral, der Relativierung der historischen Kausalität, des Schwunds einer objektiven Welt überhaupt zugunsten der allgemeinen Absurdität. Die gegenwärtige Lage ist eine absolute Endzeitsituation, »das Quartär ging hintenüber«, sagt Benn an der betreffenden Tcxtstelle; die >hominine Mutationc, deren hervorstechendste Merkmale der Geist und die Götter waren, ist passé, » . . . die Zukunftslosigkeit eines ganzen Schöpfungswurfes trat in das allgemeine Gefühl...« (Benn) Diese mitderweile vielbesprochene und oft kritisierte Finalsituation Benns ist wohl zum erstenmal in der vorliegenden Interpretation gründlich und sachgerecht analysiert worden. Es zeichnet die Untersuchung Martinis aus, daß sie vorbehaltlos dem Text und seiner immanenten Wahrheit verpflichtet ist. Gerade dieses diffizile Thema hat immer wieder eine subjektive Stellungnahme hervorgerufen, ohne daß die Urteilenden sich klar darüber waren, daß sie mit dem Inhalt gleichzeitig auch die Form verneinten. Denn kaum jemals, so geht aus den Darlegungen Martinis hervor, gab es eine derart stringente Adäquation des Gehaldichen und Formalen wie in dieser Prosa Benns. (Max Bense hat das gleiche für die frühe Prosa Benns

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aufgezeigt. Vgl. Einleitung zu Benns 'Frühe Prosa und Reden', Wiesbaden 1950). Eine » . . . Prosa außerhalb von Raum und Zeit, ins Imaginäre gebaut, ins Momentane, Flächige gelegt, ihr Gegenspiel ist Psychologie und Evolution« (IV, 132), wie Benn selbst in 'Doppelleben' verdeutlicht. Martini geht dieser Prosa bis in die feinsten Struktureinheiten nach. Er stellt fest, daß für ihren inneren Aufbau als Ganzheit die gleichen Gesetze gelten, die sich grammatikalisch in den einzelnen Sätzen |iachweisen lassen: Verzicht auf logische Verknüpfung, auf Zuordnungen, Unterordnungen und Ableitungen, die einzelnen Worte werden bis zur Zertrü|imerung des Subjekt-Prädikatverhältnisses oder der Subjekt-Objektbezienung rein assoziativ nebeneinandergesetzt. An Stelle einer übergreifenden Ordnung tritt eine scheinbare Willkür und statt eines tragenden Atems begegnet man einer geradezu explosiven Aggressivität. »Diese Sprache will letzte, bis zu explosiven Kurzschlüssen atemlos gedrängte Resultate — sie hält sich nicht mit den Entwicklungsstufen eines Gedankens auf, sondern springt mit intensiver Spannung je auf das letzte Ergebnis, die kühnste Pointe zu. Darin liegt ihre Aggressivität, die weder überreden noch überzeugen, sondern je auf dem kürzesten und direkten Wege zwingen w i l l . . . « (483). Martini sagt wohl zu Recht, daß diese esoterische Sprache nur für »Eingeweihte« ist, »...denen nicht nur alle hier verschwiegenen und übersprungenen Voraussetzungen geläufig sind, sondern die zugleich so sehr in Denken und Sprachgebrauch des Autors eingedrungen sind, daß Stichworte genügen können« (483). Niemand aber, so könnte man erweiternd sagen, wird derartig eingeweiht sein, daß er nicht aus dem analytisch gehobenen Schatz Martinis das eine oder andere noch für sich bergen könnte. Diese Untersuchung ist eine bis heute unübertroffene Interpretation eines Bennschen Prosatextes, und sie steht auch hinsichtlich ihres geistigen Zugriffs in der ersten Reihe der Benn-I>eutung. Allerdings setzt die forcierte Abstraktion, die oft Undefiniert übernommene Begrifflichkeit Benns und die äußerst komprimierte Art der Darstellung eine gewisse Übersicht über die behandelte Problematik voraus. Dies gilt sowohl für die allgemeine Einführung als auch für die engere Interpretation, die an die Grundfesten von Benns Denken reicht. Es gibt der vorliegenden Untersuchung ein besonderes Gewicht, daß der Verfasser die Dimensionen des Sprachlichen wie des Geistig-Existentiellen gleichermaßen beherrscht. Er ist mit beiden Bereichen derart vertraut, daß ihre Verflechtung vielfach nicht mehr die oft wünschenswerte klare Trennung erfährt. Bei aller Kompliziertheit geht aber doch nie die Übersicht über das verloren, worum es in der Dichtung Benns letztlich immer geht; noch abschließend betont der Verfasser: »Dieser Absolutismus der Form reicht weit über ein Denken in nur ästhetischen Kategorien hinaus, denn die Kunst ist die einzig verbliebene Möglichkeit zur Ahnung des Transzendenten, die einzige metaphysische Tätigkeit, die Benn anzuerkennen vermag« (517). 25*

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Walter Jens, Sektion und Vogelflug. Gottfried Benn, in: Statt einer Literaturgeschichte. Pfullingen 1957, Verlag Günther Neske. S. 135—157. In gedrängter Form gibt der Essay von Jens eine literarhistorische Einordnung und einen werkanalytischen Abriß der Dichtung Benns. Der geistesgeschichtlidie Standort des Dichters wird stichwortartig mit den bekanntesten Namen der Jahrhundertwende und der beiden folgenden Jahrzehnte markiert. Die Zugehörigkeit Benns zur letzten großen literarischen Epoche wird hierdurch deutlich, mehr aber noch — und das ist wichtiger — seine Affinität zu jenem saismographisch registrierenden Bewußtsein der Wenigen, das unbeirrt von dem optimistischen Pathos des wilhelminischen Lebensgiefühls, die kommenden Katastrophen psychisch und intellektuell schon durch,litt. So skizziert Jens die Lage um 1912 — es ist das Jahr von HeymsTod, Trakl bereitet die Ausgabe seiner Gedichte vor, Stadlers Hauptwerk steht vor dem Abschluß, Kafka schreibt in einer Nacht 'Das Urteil* nieder, die Großstadt ist zu jenem Moloch geworden, der die Geister zugleich entsetzt und fasziniert, die Naturwissenschaft beherrscht uneingeschränkt das Lebensgefühl, » . . . die medizinische Nomenklatur, von Heym noch zögernd verwandt, wartete darauf, im poetischen Bild zu Chiffre und Symbol der Zeit zu werden. In diesem Augenblick, unter solchen Aspekten: genau zur richtigen Stunde, erschien die erste Arbeit Gottfried Benns — die Gedichtsammlung 'Morgue', das Manifest eines Mannes, der die Brücken zur Vergangenheit wie kein anderer vor ihm abgebrochen hatte und als erster die Sprache seines Jahrhunderts schrieb« (140). Jens versteht es, mit wenigen Worten die dichterische Bedeutung der frühen Prosa zu umreißen: »Nicht Formel, Begriff und These, sondern Traum und Rausch, Hingabe und Meditation bringen Rönne Erlösung und Glück.. .« (143). Damit ist der Hauptwesenszug der Bennschen Dichtung bis Mitte der 30er Jahre angedeutet, die Überwindung des isolierenden, tyrannischen, spätkulturellen Bewußtseins und der Drang zur Partizipation am Dasein, an den Dingen und der Welt. Die halluzinativ angestrebte Kommunikation von Ich und Welt ist das mannigfach variierte Thema dieser Jahre. Benn ist aber nicht nur Träumen hingegeben, er ist gleichzeitig, wie Jens treffend feststellt, »Analytiker und Vivisekteur«, er sucht wie der Mathematiker Musil und der Jurist Kafka nach einer »Synthese von Traum und Kalkül, Rausch und Abstraktion« (148). Jens sieht in der 'Akademie-Rede' von 1932 den Scheitelpunkt von Benns Werk. Das Zurückliegende wird in verbindlicher Weise (nicht zu einem »verbindlichen System«!) testamentarisch zusammengefaßt. Was danach folgt, ist im Gegensatz zum früheren Kommunikationsdrang ein strenger Dualismus von Ich und Welt ('Doppelleben'), die »Versöhnung innerhalb des Ästhetischen«, wie Jens sagt (156). Für den politischen Irrtum zur Zeit der Wende findet der Verfasser chevalereske Worte, die der Sachlage gerecht

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werden, wie überhaupt der besprochene Essay bei aller Kürze eine informative und abgerundete Würdigung Benns darstellt.

Thilo Koch, Gottfried Benn. München 1957, Langen-Müller Verlag. 76 S. Walter Lennig, Gottfried Benn. Hamburg 1962, Rowohlt Verlag. 179 S. Neben dem schönen und liebevoll geschriebenen Buch von Nele P. Soerensen über ihren Vater gibt es an biographischen Schriften über Benn noch den >Essay< von Thilo Koch und den Dokumentationsband ('In Selbstzeugnissen und Bilddokumenten') von Walter Lennig. I n beiden Fällen haben die Verfasser Benn persönlich gekannt. Das gibt ihren Worten ein Flair des Vertrautseins nicht nur mit der Gestalt des Dichters, sondern auch mit dem spezifischen Berliner Milieu, das ihn prägte und ohne dessen Kenntnis vieles an Benns Werk unverständlich bleibt. Sowohl Koch als auch Lennig wohnten in Berlin, letzterer sogar in derselben Straße wie Benn. Beide trafen den Dichter verschiedentlich in den Jahren nach 1950. Kochs »biographischer Essay« war ursprünglich auf eine umfassende Darstellung von Benns Leben angelegt. Der Dichter hatte ihm — »so halb und halb, wie es seine Art war« — zugestimmt, den äußeren Verlauf zu erzählen. Der Tod Benns kam dazwischen. Das nun vorliegende Heftchen hat seit dem Zeitpunkt seines Erscheinens viel an Aktualität verloren. Wir verfügen heute über belangvollere Informationen. Koch hat es vor allem unterlassen, den Bereich des Lebens von dem des Geistes und der >Ausdruckswelt< scharf zu trennen. Er vermischt Anekdoten mit essentiellen Formulierungen (etwa: »Oft legte er sich während der Arbeit kurze Zeit hin, lief auf und ab, rauchte, wenn er nachdachte. Für ihn gilt unbedingt: >Der Trieb nach Definition (ist) qualvoller als der Hunger und erschütternder als die Liebec.« (66), oder er zieht aus dem Werk selbst biographische Schlüsse (etwa: Rönne = Benn). Der eigentlichen Bedeutung Benns kann der flotte Ton des Verfassers nicht gerecht werden (»Vielmehr gesteht er seine innere Ambivalenz mit fast lustvollem Exhibitionismus und manchmal sehr naiv ein. Es ist leicht, ihn mit seiner eigenen Munition zu erledigen.« 70), auch ist die Unverhaltenheit des Urteils nicht geeignet, einen Dichter vom Range Benns zu charakterisieren (»peinliche Anfälligkeit für süßen Kitsch«, 66; »Zu Rönne-Benns Minderwertigkeitskomplex im Kasino zu Brüssel, zu den Ressentiments aus der Frankfurter Pennälerzeit kommt nun der Minderwertigkeitskomplex der Berliner >Saisonasoziale< Verhalten Benns. Es ist die Haltung und Zurückhaltung des Introvertierten in der schöpferischen Einsamkeit. Daß solche Isolation aber ganz andere Begegnungsebenen eröffnet als die der Sozietas, daß sie eine zeitlose Gemeinschaft stiftet, sagt Benn selbst: »Drücke dein Ich aus, dann gibst du dein Leben weiter an das Du, dann gibst du deine Einsamkeit weiter an die Gemeinschaft und die Ferne.« Auch zur heiklen Frage des Nihilismus weiß Blöcker Kluges zu sagen. Gerade diejenigen, die selbst zu schwach waren, der Situation ins Auge zu schauen, hätten es Benn verübelt, » . . . daß er aussprach, was jedermann sah und fühlte, was aber keiner wahrhaben wollte, nämlich: daß es unwirtlich geworden ist in der Welt, daß die alten Haltepunkte keine rechte Bindekraft mehr haben, daß der Mensch sich auf sidi selbst zurückgeworfen sieht...« (162). Diese Wahrheit auszusprechen, ist aber nicht Nihilismus, schließt Blöcker ab, sondern der Aufbruch zu neuen Horizonten des Denkens und damit zu neuen Möglichkeiten des Existierens.

Heinz Risse, Paul Cézanne und Gottfried Benn. München 1957. LangenMüller Verlag. 61 S. Wie es einleitend bei Risse heißt, verlegt sich seine »Studie« aufs Spekulieren, was ohne Frage eine zu noble Charakterisierung der Art ist, mit welcher der Verfasser den beiden großen Männern der modernen Kunst entgegentritt. Der Ton, der hier angeschlagen wird, ist der des Pamphlets, er zielt auf die Person, nicht auf die Sache. So entzündet sich das Urteil hauptsächlich an einer scheinbaren Diskrepanz von Privatleben und künstlerischer Radikalität der beiden Geister. Das Fazit lautet: »Benn und Cézanne waren Spießer...« (53). Was gegen Benn je an persönlichen Einwänden vorgebracht wurde, findet hier seine Verabsolutierung. Dem Dichter wird menschliche Integrität abgesprochen, ihm wird »Konformismus« vorgeworfen: »Das ist es, was der rücksichtslosen Selbstsicherheit jenen Zug von Unehrlichkeit verleiht...« (16). Dem Verfasser ist es offensichtlich nicht möglich, äußere Verhaltensformen und geistige Haltung zu trennen, biographische und werkimmanente Schichten werden bedenkenlos vermischt: » >Gott ist ein schlechtes Stilprinzip< (Benn) hat man einmal geschrieben, aber das war nicht so ganz ernsthaft gemeint, später läßt man sich doch kirchlich trauen...« (55). Oder, was soll man dazu sagen, wenn Benns >artistische Morale kommentiert wird: »Moral mit Ausnahmegenehmigung sozusagen, jo-ho-ho, und 'n Buddel voll R u m . . ( 4 3 ) ?

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Angesichts solcher Aussagen läge es nahe, die betreffenden sechzig Seiten überhaupt zu ignorieren, wenn sie nicht schon, gänzlich unkritisiert, in die Benn-Literatur eingedrungen wären. (Vgl. Klemm, S. 103 f.: »Heinz Risse, der sich auf feine und verstehende Weise mit diesem Phänomen bei Benn und Cézanne auseinandersetzt... Doch bei allem Verständnis weiß Risse um das Problematische solcher Haltung.« Vgl. Loose, S. 158: »Risse bezeichnet sehr richtig ...«)

Ernst Nef, Das Werk Gottfried Benns. Zürich 1958, Verlag der Arche. 148 S. Um ein redliches Verständnis Benns bemüht sich die Arbeit von E. Nei. Der Verfasser ist ganz offensichdich bestrebt, der fremden und schwierigen Materie gegenüber Objektivität walten zu lassen. Dabei gerät aber die Naivität des Urteils in ein seltsames Verhältnis zu der äußerst differenzierten Geisteswelt des Dichters. Verblüffende Formulierungen treten dabei zutage. Auf die frühe Lyrik bezieht sich etwa folgender Satz: »Wer über den Dreck, über das rein Physische hinaus will, wer vom Leben mehr verlangt als das Butterbrot, der begibt sich der dem Leben und dem Menschen gemäßen Sphäre...« (22). Der Ttolemäer* und der 'Glasbläser* »stehen in einer schiefen Situation«, der Verfasser stellt fest, » . . . daß sich bei ihnen auch im allerbesten Fall die Welt nie zu einem trauten Heim des Menschen rundet« (80). Oder: »Der 'Ptolemäer' ist weder Opt'mist noch Pessimist. Er denkt gar nie daran, wie es herauskommen wird. Er ist reiner Spieler: der wäre ein schlechter Spieler, der nur mit Absicht auf Gewinn spielt oder nicht frohen Muts verlieren kann. Er stöhnt nicht: >Was ich liebe, das tue ich nichtc, denn er liebt nichts; er hat keine Absicht, er hat keine Prinzipien, so ist ihm alles, was eintrifft, recht; er darf jedes Fleisch essen« (88). Oder: »Das Doppelleben ist gleichsam ein Kniff, dem Leiden auszuweichen...« (98). Oder: »Mit der Entdeckung letzter Wahrheiten hat er [Benn] so wenig zu tun wie der Schreinergeselle, welcher Nägel in die Bretter treibt« (109). Die eigentliche Problematik im Werke Benns wird in dieser Arbeit nur gestreift, obgleich der Verfasser zweifellos das Ganze im Blick haben möchte. Das liegt nicht so sehr an der Kürze der Darstellung als vielmehr an der etwas wunderlichen Sicht, die an einen Menschen erinnert, der den Krieg schildern möchte, ohne ihn je erlebt zu haben. Überzeugender an dieser Arbeit sind die literarischen Analysen, die offenkundig den Untersuchungen E. Staigers verpflichtet sind. Erinnerung, Musikalität, Innerlichkeit oder auch Stimmung werden aber vom Verfasser als literarische Kategorien zu schematisch gehandhabt. Der eigentlich lyrische Ton Benns wird dabei nicht entdeckt. Das liegt nur zum Teil am Interpreten selbst, ganz allgemein machen sich hier auch die Grenzen der Staigerschen Methode geltend, die das Existentiell-Expressive der modernen Lyrik nicht berück-

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sichtigt. Auch die Zeit als Bedingung der »erinnerten Innerlichkeit« (103) wird aus .ihrem Schema nicht befreit. Den zentralen Komplex der >Spätzeit< im Werke Benns etwa als »Situation des geistig reichen Erben« (»willkommener Gewinn« 143) zu deuten, ist verfehlt. Auf Hofmannsthal mag das bestenfalls zutreffen, obwohl auch da die euphemistische Apposition »willkommene ihr Fragwürdiges hat; für Benn gibt es kein positives Erbe, sondern nur die Last der Geschichte. Eine gewisse Unklarheit zeigt sich vor allem bei der durchlaufenden Erörterung der metaphysischen Problematik im Werke Benns. Die Arbeit beginnt mit einem grundlegenden Fehlurteil: »Für Benn ist alles Metaphysische bloßer Schall und Rauch« (20). Der Verfasser beachtet nicht, daß Benn dem traditionell metaphysischen Denken die neue Metaphysik des künstlerischen Erlebens entgegensetzt. Das ist auch im Frühwerk schon der Fall, wenn es dort auch theoretisch noch nicht expliziert ist. Insofern ist das Urteil Nefs: »Eine Erlösung zum Physischen findet statt« (21), ganz unzutreffend. Der Verfasser, der in der frühen Lyrik vorwiegend »Abscheulichkeiten« und »Kot der Gasse« entdeckt (52), weiß den Satz Benns, »Ich wollte immer auffliegen wie ein Vogel aus der Schlucht« ('Gehirne') nicht anders zu deuten als: »Einem Vogel, der auffliegt aus der Schlucht, gleicht zum Beispiel der Idealist« (32). »Gleich einem Vogel aus der Schlucht erhebt sich auch der positivistische Naturwissenschafter [ ! ] aus dem Dunkel des Nichtwissens...« (ib.). Derartige Folgerungen lassen sich nur aus der Tatsache erklären, daß der Verfasser mit jeder Art von metaphysischem Denken schlecht vertraut ist. Für ihn ist » . . . das Sein die Tatsache, daß etwas ist schlechthin... denn das Sein kennt weder Vergehen noch Werden, etwas ist ja immer« (75 f.). Eine Folgeerscheinung dieser simplifizierten Ontologie sind dann gänzlich unverständliche Gedankengänge, etwa daß » . . . die Welt trotz der metaphysischen Leere vor dem Nichts sicher ist« (76). Der Verfasser nimmt den schwierigen Stoff zu leicht. Trivial wirkt dann auch die Gegenüberstellung Benn Eliot. Nachdem sich dem Verfasser Benns Doppelleben als »Kniff« entlarvt hat, heißt es: »T. S. Eliot ist gläubiger Christ. Der Mensch in seiner Welt hat jederzeit von Stunde zu Stunde an der Gnade und Liebe Gottes, des Vaters alles dessen, was ist, teil... Benn kennt keine solche erlösende, absolute Macht« (100). Der Verfasser sieht nicht, daß hier die gleiche metaphysische Kraft am Werke ist, die auch in f/üheren Zeiten religiöse oder denkerische Transzendenz erschloß. Was sich gewandelt hat, sind nur die Vorzeichen und Inhalte, heute ist es eine >leere Transzendenz< (vgl. H . Friedrich, Strukturen der modernen Lyrik, Himburg 1956, S. 46). Wenn es vom Ttolemäer' heißt: »Er ist Scharlatan aus Prinzip« (88), oder allgemein: ».. . nichts Seherisches, nichts von einem vates ist dem Dichter mehr eigen...« (109), so wird deutlich, daß der Verfasser kein Auge hat für die dichterische Gestalt Gottfried Benns, ebensowenig wie Müschg, von dem diese Einstellung ganz offensichtlich herrührt. Vieles an dieser Arbeit muß man als Unkenntnis der Sache nehmen, will man es

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nicht als subjektiven Affront deuten. Etwa, wenn es heißt, Benn habe Liebe und Treue einem menschlichen Du gegenüber nicht gekannt (112 f.), oder wenn die Schrift ausklingt mit den seltsamsten Spekulationen über die »Kleingläubigkeit« Benns.

Dieter Wellershoff, Gottfried Benn. Phänotyp dieser Stunde. Eine Studie über den Problemgehalt seines Werkes. Köln-Berlin 1958, Verlag Kiepenheuer & Witsch. 253 S. Wellershoffs Buch — mit dem sprachlich etwas unglücklichen Titel — baut auf der sechs Jahre früher erschienenen Dissertation, der ersten deutschen Benn-Dissertation, auf: 'Untersuchungen über Weltanschauung und Sprachstil Gottfried Benns', Bonn 1952; es ist aber eine völlige Umarbeitung derselben, wobei vor allem der philologische Ballast über Bord gegangen ist. Die sprachstilistischen Untersuchungen sind ganz fortgefallen, und das Gewicht wurde auf die >Weltanschauung< und ihren Bezug zur Zeitsituation verlagert. Hauptanliegen des Buches ist der »Problemgehalt« des Bennschen Werkes, wie der Untertitel sagt. Die Problematik der Essays und Prosaschriften wird vom Verfasser systematisch auf ihre zeitgebundene Schichtung hin untersucht. Auf psychologischer, soziologischer, philosophischer, kunsthistorischer, weniger auf literaturwissenschaftlicher Ebene wird das Denken Benns anvisiert und mit den jeweiligen Parallelerscheinungen zusammengesehen. Eine Menge wissenschaftlicher Fakten ist so in interessanter Weise um die verschiedenen Gedanken Benns gruppiert. Das gibt manchen Aufschluß hinsichtlich der Verflechtung Benns in die geistigen Strömungen seiner Zeit. Benn hat sich in der außerordentlich komplizierten Struktur der geistigen Situation ausgekannt, das wird hier deutlich, seine existentiellen Auseinandersetzungen geschehen ausschließlich unter dem Druck der aktuellen Lage. Diese geistige Frontstellung ist es hauptsächlich, was Wellershoff an Benn interessiert. Indem der Verfasser nun die allgemeine Situation mit Hilfe wissenschaftlicher Daten umreißt, gelingt es ihm, informative Einblicke in die komplizierte Schichtung von Benns Denken zu eröffnen. Was bei Benn oft nur ein Wort ist oder ein leicht hingeworfenes Aperçu, das erweist sich bei genauerem Hinsehen als die Verdichtung einer geistesgeschichtlichen Problemlage von hohem Rang. Das macht es begreiflicherweise schwer, gerade die nicht lyrischen Texte Benns zu lesen. Die assoziative Gewalt dieser Sprache hat ihre eigenen Gesetze, und es braucht Zeit, diese zu entziffern. Insofern ist Wellershoffs Methode eine gute Einführung in die Thematik, nicht aber in die eigentliche Problematik der Prosadichtung und Essayistik Benns. Umfassende Zitate tragen zum Verständnis der Darlegungen bei. Mit der grundlegenden Erfahrung der frühen Schriften Benns, dem Problem der Wirklichkeit, nimmt Wellershoff gleich zu Anfang einen

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Hauptaspekt von Benns gesamten Denken in Angriff. Unter dem Stichwort »Wirklichkeitsverlust« wird hier jenes krisenhafte Erleben der Umwelt, die »Entfremdung« von Ich und Welt und die Verdichtung dieses Erlebens in der Rönne-Gestalt diskutiert. Dabei stellt der Verfasser deutlich heraus, daß hier nicht einfach Gedanken vertreten werden, sondern daß aus persönlichstem Engagement die vernichtende Kritik einer Zeit erwächst, die an der Übermacht ihrer Tatsächlichkeiten sowohl wie an ihrer positivistischen Borniertheit zu ersticken droht. »Benn dachte unter Verhaltenszwang, existierend, beteiligt, als einer, dem es in seinem Denken um sein eigenes Sein-Können geht« (14). Aus diesem innersten Betroffensein erwächst dann erst, was Wellershoff »Benns Kulturkritik« nennt, » . . . sein Protest gegen die Profanierung der Welt durch den Aufklärungsprozeß . . . « , die Verdrängung der Transzendenz durch den Rationalismus und Materialismus der modernen »TatsachenWirklichkeit« (28). Das ist eine treffende Auskunft über die zentrale Problematik im Frühwerk Benns. Erstaunlich ist nun, wie der Verfasser die gleiche Situation im Spätwerk verkennt. Er kann hier in der gleicheil Frage nur noch bequeme Indifferenz bei Benn konstatieren. Das äußert sich vor allem in einer später erschienenen Untersuchung, von der noch die Rede sein wird. Schon im ersten Kapitel des vorliegenden Buches deutet sich aber diese Fehleinschätzung an. »Der Wirklichkaitsverlust«, heißt es da, der » . . . in der Rönne-Phase schockhaft ins Bewußtsein dringt, wird in der Phase des Ptolomäers akzeptiert und in den Komfort der Indifferenz umgemünzt« (32). Es scheint, als habe Wellershoff sich durch die zunehmende Distanz im Sprechen Benns über die eigentlichen Beweggründe hinwegtäuschen lassen. Die Interpretation des Ttolemäers' von F. Martini hätte ihn hier warnen sollen. Nur ein Satz daraus: » . . . es ist ein Denken aus Leidenschaft, aus dem Schmerz der Erkenntnis, aus einer Erschütterung am Rande des Nichts, die sich oft gewaltsam im Nüchtern-Sachlichen und Ironischen neutralisiert...« (484). Der 'Ptolemäer* sagt selbst, was unter der Oberfläche seines scheinbaren Unbeteiligtseins als nie ruhender Beweggrund wirksam ist: »Ein Drang nach Vollkommenheit, der zu Leiden führt« (II, 224). Das Mißverständnis Wellershoffs wird sich aber auch daher erklären lassen, daß der Verfasser bei seinen Urteilen über Benn vorwiegend von der denkerischen Problematik der Prosaschriften ausgeht und nicht von den primären Ausdruckswerten der Lyrik. Diese lassen aber erst das Werk Gottfried Benns in seiner ganzen Tragweite verstehen, die Interpretationen Edgar Lohners zeigen das. Im übrigen hat Benn bis zum Schluß die unüberbrückbare Kluft zwischen seiner dichterischen Existenz und der Umwelt als ein unheilbares Leiden erfahren. Wellershoff diskutiert weiter über die folgenden Seiten hin die Gründe, die Benns Aversion gegen jede Form von Fledonismus, Utilitarismus, materialistischem Optimismus, ganz allgemein seinen »Haß gegen die Zivilisation« (64) bedingen. Das ist vor allem deshalb aufschlußreich, weil Wellershoff seine Erläuterungen mit viel Detailmaterial unterbaut. Bliebe

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es bei diesen objektiven Ausführungen, so wäre das ohne Zweifel ein Gewinn für die vorliegende Studie. Die objektiv interpretierenden Passagen sind aber nun über das ganze Buch hin mit der persönlichen Stellungnahme des Autors durchsetzt. Auch an der besprochenen Stelle folgt die Kritik sogleich, sie wirft Benn »eigensinniges Beharren« (70) in einem metaphysisch begründeten Pessimismus vor. »Es ist bestürzend zu beobachten«, schreibt Wellershott, »wie Benn das Recht seiner Polemik mit Vehemenz in ein Unrecht verwandelt, wie er aus Absdieu vor platter Vernünftigkeit in einen abenteuerlichen Obskurantismus gerät und aus Empörung über den Hedonismus der Materialisten in eine geradezu tollwütige, summarische Verdammung der Zivilisation...« (73). Wellershoff geht hier zu einer grundsätzlichen Kritik an Benn über, bei der er seine Meinung zum Ausgangspunkt nimmt. Es ist dies ein vernunftbestimmter, auf Balance bedachter Standpunkt, ein soziologischer Appell zum Ausgleich, eine deutliche Abneigung gegen das Außergewöhnliche. Einem schöpferischen Phänomen wie Benn läßt sich aber so nicht begegnen. Zur gerechten Beurteilung eines Dichters gehört doch wohl immer das Zugeständnis des Außerordentlichen. Daß es im Falle Benns einer solchen Kategorie bedarf, zeigt, um es noch einmal zu sagen, in einem ganz besonderen Maße sein lyrisches Schaffen. Ein solches Zugeständnis fehlt aber von vornherein der kritischen Haltung des hier besprochenen Buches. Sein Verfasser übersieht dann auch die wichtige Tatsache, daß die Aussagen Benns in keiner Weise Anspruch auf rational-logische Auswertung legen, daß sie vielmehr als Provokation einer Ausdrucksrichtung geschaffen sind. Man kann diese Aussagen nicht wörtlich nehmen im psychologischen oder soziologischen Sinne, sondern muß ihnen ihr künstlerisches Recht auf Stilisierung lassen. Hier spricht kein Wissenschaftler und auch kein Essayist sondern, wie sich immer mehr herausstellt, ein Dichter von europäischem und epochalem Rang. Wellershoff übersieht im allgemeinen den tödlichen Ernst und die Schwerkraft der zutiefst getroffenen Existenz als Anlaß des dichterischen Schaffens bei Benn. Dieser Ernst steht auch noch hinter Formulierungen, die sich geradezu überstürzen in ironisch brillierender Provokation. Aufschlußreich sind Wellershoffs Nachforschungen über die Literatur, die Benn hauptsächlich in den zwanziger Jahren zur Bestätigung seines Denkens, aber auch zur bildhaften Erweiterung desselben, gelesen hat. Es spielen dabei Namen eine Rolle, wie Eugen Georgs 'Verschollene Kulturen* (74), Semi Meyers 'Probleme der Entwicklung des Geistes* (80) (beide Bücher als Affront gegen Lamarck, Darwin und Spencer für Benn interessant), weiter die Theorie der progressiven Cerebration, aufgestellt von dem Wiener Hirnforscher von Economo (93), L&vy-Bruhls >participation mystiiquec (101), mit Abstand gesehen, Spengler und Klages, dann Edgar Dacquis Urwelttheorien (121), Erich Ungers 'Wirklichkeit, Mythos, Erkenntnis' (138), C. G. Jung, u.a.m. Bei den genannten Büchern und Autoren handelt es sich bezeichnenderweise nicht immer um wissenschaftlich exakte

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Forschung. Benn wollte hier nur Anregung erhalten, wollte Bildmaterial sammeln, Vorstellungserweiterung treiben, nicht mehr. Es ist darum nidit einzusehen, warum Wellershoff gegen manche dieser Werke polemisierend zu Felde zieht und vielen umfangreiche Besprechungen widmet. Manchmal ist von Benn dann nur noch am Rande die Rede. Der entscheidendste Geist, der Benn beeinflußt hat, Nietzsche, wird dagegen kaum gestreift. Im Gegensatz hierzu ist etwa von Erich Unger seitenlang die Rede, wobei die Bemerkungen über Nietzsche praktisch nur Einschiebsel in diesen Exkurs sind. Dem Bekenntnis Benns zum Nationalsozialismus widmet Wellershoff gegen Ende seines Buches ein umfangreiches Kapitel. Es soll hier nicht ausführlich behandelt werden, da sich diese Frage zum gegenwärtigen Zeitpunkt vielleicht kaum sachlich diskutieren läßt, ganz einfach, weil sie eine Sache der inneren Einstellung zu Benn ist. Trotz mancher Rechtfertigung wirft Wellershoff Benn in diesem Kapitel »moralisches Versagen« (156) vor, und er steht mit dieser Ansicht ja nicht allein da, ob die Stimmen nun Muschg, Mendelssohn oder Kesten heißen. Die Fakten sprechen für und gegen Benn, einerseits hat er sich öffentlich zum Nationalsozialismus bekannt, andererseits ist ihm sein Irrtum aber auch nach kurzer Zeit schon klar geworden. Die negativen Stimmen sagen Opportunismus, aber wer Benn kennt, weiß, daß er in dem Glauben gehandelt hat, hier würde ein Ordnungsprinzip transzendenter Art entstehen, eine Heilsmacht in gewissem Sinne, so seltsam das klingen mag. Ein Satz aus jener Zeit ma& das veranschaulichen: »Der totale Staat selbst ist ja ein Abglanz jener Welttotalität, jener substantiellen Einheit aller Erscheinungen und Formen, jener transzendenten Geschlossenheit eines in sich ruhenden Seins, jenes Logos, jener religiösen Ordnung, zu der die Kunst aus sich heraus mit ihren konstruktiven Mitteln, also aus ihrem eigenen aufbauenden, hinreißenden und reinigenden Prinzip unaufhörlich strebt, die sie verwirklicht, die sie überhaupt der Menschheit erst in Erscheinung brachte« (Januar 1934. I, 260). Ohne Zweifel bleibt dieses Bekenntnis Benns bis zu einem gewissen Grade unverständlich. Aber gehören derartige Unverständlichkeiten nicht zum Wesen jeder Person? Benn hat sich nachweislich zu den Gewalttaten des Regimes nicht bekannt, sofern diese überhaupt in den ersten Monaten schon publik waren. Abschließend ließe sich noch sagen, daß die >Richter< Benns eine Tatsache ganz entschieden verkennen. Man kann nicht das Ja Benns zum status nascendi mit der Hypothek der später folgenden, grauenhaften Auswirkungen belasten. Hätte sich das Hitler-Regime gleichzeitig mit der Abkehr Benns von ihm aufgelöst (also schon 1934) — wer spräche dann heute noch von ihm und dem Irrtum Benns. Die Studie von Wellershoff ist mit den bisher vermerkten Punkten im wesentlichen charakterisiert. Der Autor versucht an Hand wissenschaftlicher Parallelen bestimmte Stationen von Benns Haltung, genauer gesagt, seines Verhaltens zur Umwelt, zu erhellen. »Wirklichkeitsverlust«, »Forciertes

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Chaos«, »Untergangsbewußtsein«, »Provoziertes Leben«, »Kunst und Macht« und »Statische Existenz« nennt der Verfasser die einzelnen Stationen. Dabei folgt er jeweils einem gewissen Schema im Wechsel von genauer Information (Aufzeigen der Parallelerscheinungen in anderen Disziplinen) und persönlicher Stellungnahme. Als Zusammenfassung dieses persönlichen Urteils kann man einen Satz ansehen, der etwa in der Mitte des Buches zu finden ist: »Benn zieht nicht aus wissenschaftlichen Fakten einen weltanschaulichen Schluß, sondern er staffiert seine weltanschaulichen Vorurteile, hier seinen Kulturpessimismus, mit wissenschaftlichen Fakten und Formeln aus« (92). Dieser Satz ist wiederum die persönliche Quintessenz einer längeren, aufschlußreichen und sachlich geführten Darlegung. Im Grunde widerlegt dieser Satz aber die Absicht des gesamten Buches. Denn hauptsächlich ist darin ja von Benns »Kulturpessimismus« die Rede. Wenn letzterer aber ein weltanschauliches Vorurteil ist, warum bemüht sich der Autor dann noch um seine Klärung? Und was bedeutet, so gesehen, die Bemerkung im Vorwort? »Die Auseinandersetzung mit dem Werk Benns wurde für mich zu einer Erkundung der Lage« (12). Es fällt dem Leser nicht leicht, angesichts solcher Widersprüche für das Positive dieses Buches noch empfänglich zu sein. Die Studie von Wellershoff bemüht sich zweifellos in ihren Hauptzügen um Objektivität, sie diskutiert aus diesem Grunde auf breiter wissenschaftlicher Grundlage, sie bringt eine Vielzahl an Stimmen aus den verschiedensten Geistesdisziplinen zu Wort, und sie fußt nicht zuletzt auf einer sehr genauen Kenntnis der Werke Benns. Und doch, bei aller Detailkenntnis, man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Untersuchung nicht ganz an Benn herankommt. Es liegt hier zwar ein phänomenaler Querschnitt durch die psychologische, soziologische, anthropologische oder auch artistische Thematik von Benns Werk vor, und doch entläßt einen dieses Buch mit dem Bewußtsein, Gottfried Benn ist mehr gewesen als nur der geistige Phänotyp seiner Zeit. Wo steht hier etwas von dem Dichter, dessen Sprache an die Grundfesten der Existenz reicht, wo etwas von der Magie seiner Worte, die das Geheimnis und die Not und auch das seltene Glückserleben menschlichen Seins zu beschwören vermag? Wo steht, daß dieser Mann nicht der Aktualität seiner Problematik wegen Dichter ist, sondern kraft einer unergründlichen Substanz und deren schöpferischer Umformung ins Wort? Warum aber gerade diese existentielle Trächtigkeit des dichterischen Phänomens Benn nicht zur Sprache kommt, warum man also beim Lesen dieses Buches durchgehend eine Leerstelle empfindet, das gibt Wellershoff unmißverständlich in zwei später folgenden Publikationen zu verstehen.

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Dieter Wellershoff, Fieberkurve des deutschen Geistes, in: Die Kunst im Schatten des Gottes. Für und Wider Gottfried Benn. Hrsg. von Reinhold Grimm und Wolf-Dieter Marsch, Göttingen 1962, Sachse und Pohl Verlag. S. 11—39. In seinem Vortrag vor der Evangelischen Akademie in Berlin scheint Wellershoff zunächst selbst die Einsicht zu haben, daß man die Bedeutung Benns nicht am Radius seiner Aktualität abmessen kann. »Es scheint fast kleinlich«, heißt es dort, »Gottfried Benn, den Schöpfer inspirierter Gedichte und eines neuen, in Deutschland beispiellosen Prosastils, auf sein Verhältnis zur Zeitgeschichte zu durchsuchen« (11). Die Gedichte und Prosatexte enthielten »ein Plus gegenüber der jeweiligen Aktualität meint Wellershoff weiter, und er zitiert daraufhin ein Gedicht Benns als » . . . Beispiel . . . für dieses Plus, das sich nicht auf geschichtliche Aktualität verrechnen läßt« (11). Es folgt aber nun leider keine Interpretation des betreffenden Gedichtes, sondern eine nur theoretische Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein Gedicht auch ohne Bezug zur Zeitsituation, also nur für sich stehen könne. »Soll man es deshalb kritisieren, das Plus als Minus deuten und sagen, es verleugne die Situation?« (13). Eine seltsame Frage, es scheint, als ob Wellershoff hier mit sich selbst ins Gericht ginge; aber dem ist nicht so. Sehr bald nämlich kommt er wieder auf sein Thema zu sprechen, der Untertitel sagt es schon ('Über Gottfried Benns Verhältnis zur Zeitgeschichte'). Wellershoff sieht es auch hier als seine Aufgabe an, die »bedenklichen Fehlorientierungen« (17) Benns unter die Lupe zu nehmen. (Als Ausgleich hierzu ist der Hinweis auf das »Plus« gedacht.) Die Kritik stützt sich auf dieselben Fakten, die schon dem Buch zugrunde liegen. Auch hier geht es um die Verhaltensweise Benns zur Zeitsituation, also >EntfremdungKulturpessimismus< etc. Interessant ist nun, daß Wellershoff hier auf die mutmaßlichen Beweggründe dieses Verhaltens genauer zu sprechen kommt. Was er früher als »weltanschauliche Vorurteile« bezeichnet hatte, nennt er jetzt exakter »metaphysische Bedürfnisse« (26). (An späterer Stelle spricht er von »metaphysischer Voreingenommenheit«. Vgl. 'Der Gleichgültige'.) Worin Wellershoff das weltanschauliche Dilemma Benns sieht, erläutert er im Hinblick auf seine eigene Ansicht von den letzten Dingen. »Daß man lebt, weil man lebt, und keine weitere Begründung dazu braucht, keinen übergreifenden Sinn, keine Transzendenz, sondern nur die elementare Gewißheit, daß das Leben — so zerbrechlich, ziellos, zufällig, folgenlos es ist und obwohl es endlich ist — doch der realste Wert ist, diese Umwandlung der nihilistischen Erfahrung in eine selbstverständliche Bewußtseinstatsache hat er nie vollziehen können« (26). Wellershoff versucht nun, die Gründe zu erforschen, die Benns Vorurteil bedingen; er tut dies mit der hingeworfenen Frage: »Ein irreales Außerhalb? Ein Jenseits? Benn ist mit der nihilistischen Erfahrung nicht fertig geworden« (27). Die Argumente, die liinter diesem Urteil stehen, sind, mit einem Wort gesagt, positivistischer Art. Seit Comte versteht man darunter jenes Den-

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ken, das die Welt von den tatsächlichen Gegebenheiten, vom Sicheren, Erforschbaren her unter Ausschluß jeder metaphysischen Sicht erklären will. In diesem Sinne fragt Wellershoff (gegen Benn), ob nicht genug »Unaufgearbaitetes«, »Undurchschautes«, »Unbeherrschtes« in der Welt sei, als daß man zu einer Metaphysik Zuflucht nehmen müsse. Er fragt rhetorisch, wieso denn die »metaphysische Hypostasierung« des bisher noch nicht Begriffenen (metaphysisch gesprochen, der Geheimnischarakter der Dinge und der Welt) menschlich bedeutender und tiefer sein soll » . . . als der ungeheure, zähe und intelligente Arbeitsprozeß der Menschheitsgeschichte« (28). Das ist Aufklärung in reinster Form, und daß der Verfasser sie vertritt, ist seine Sache. Aber daß er auf Grund dieser Einstellung Benn verurteilt, dagegen soll hier Einspruch erhoben werden.

Dieter Wellershoff, Der Gleichgültige. Versuche über Hemingway, Camus, Benn und Beckett, Köln-Berlin 1963, Verlag Kiepenheuer & Witsch. 127 S. Auch in seiner letzten Veröffentlichung geht Wellershoff von diesem Fehlurteil nicht ab. Die unter dem genannten Titel erschienenen Vorlesungen hat er im Auftrag der Bayerischen Akademie der Schönen Künste an der Münchener Universität gehalten. Die Parallele zwischen den vier Literaten — der Obertitel soll es schon ausdrücken — ist das Zerfallensein von Ich und Welt, der Rückzug des Individuums in die Isolation, ist Kapitulation vor der »superstrukturierten« Wirklichkeit, ist schließlich Resignation, weil sich der archimedische Punkt des Denkens nicht finden läßt. Soweit der allgemeine Ansatzpunkt, der recht vielversprechend ist. Der Irrtum im Falle Benns beginnt aber doch schon beim Titel 'Der Gleichgültige'. Man halte zum Vergleich den Buchtitel Edgar Lohners daneben, 'Passion und Intellekt'! Benn also soll der »schizoiden Katastrophe« — wie er selbst einmal die Konsequenz des abendländischen Denkens, die Subjekt-Objekt-Spaltung genannt hat (I, 337) — Benn soll dieser existentiell so ausweglosen Situation gleichgültig gegenüber gestanden haben? So meint Wellershoff, aber die Gedichte Benns sagen das Gagenteil. Wellershoff geht von der Alternative Benns aus, die Handeln und Denken als die kontradiktorischen Daseinsprinzipien hinstellt. Es ist die etwas provozierte Unterteilung der Menschheit in »Verbrecher und Mönche« (II, 223), ein Thema, das die Werke Benns von früh auf bestimmt. Die Alternative selbst wird nun von Wellershoff genügend scharf umrissen, was dagegen nacht gesehen wird, ist das geistige Antriebsmoment, das überhaupt erst zu solchem Denken führt. Wenn Benn sich anlagegemäß nur im Bereich des reflektiven Geistes aufzuhalten vermag und auch hier den letzten Rückzugsposten bezogen hat, dann deutet Wellershoff das als einen klugen Entscheidungsakt, als »Gewinn« (76), später heißt es, »in

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einen Gewinn ummünzen« (84), so als ob hier Kalkulation zugrunde läge. »Benn richtet sich auf diese Weise im Entfremdungserlebnis ein« (84), heißt es. Er habe sich so den » . . . Anspruch auf Privatheit gesichert... Auf diese Weise hat Benn das Relativitätsproblem für sich ausgewert e t . . . « (76 f.). Hier wird eine psychologische Rechnung angestellt, die das personale Sein des Dichters verfügbar und der Kritik zugänglich machen soll. Daß diese Kritik nur mit positivistischen Kriterien arbeitet, liegt auch hier wieder offen zutage. Die Relativierung der Werte ist ein Ereignis, das die größten Geister seit Nietzsche als eine sowohl abendländische wie auch persönliche Erschütterung ohnegleichen erfahren haben. Bei Nietzsche selbst fragt es sich, ob nicht gerade hierher sein Untergang rührt. Geschichtliche Katastrophen und geistige Zusammenbrüche waren die Folge der Relativierung, Auflösung und Vernichtung des platonischchristlichen Wertfundus, der über zweitausend Jahre der Menschheit eine Ordnung gab. Und dieses Ereignis soll gerade Benn für sich »ausgewertet« haben! Man lese seine Lyrik, und es wird klar (ausgezeichnete Interpretationen haben zudem den Erweis erbracht), daß Benn die » . . . Relativierumg . . . der europäischen Gedankenwelt [den] Verlust des Bestimmten und Absoluten... « (Benn, IV, 158) zutiefst durchlitten und nicht »ausgewertet« hat. Wellershoff übersieht auch an dieser Stelle, daß hinter der perspektivischen Methode von Benns Denken letztlich die geistige Not des Verlassenseins, eine geradezu kosmische Einsamkeit steht, daß die Relativität der Werte und Dinge, der Ideen und der Wahrheit ja nicht einfach ein Denkergebnis ist, sondern das erschütternde Erlebnis eines Geistes, der aus der Leere der Zeit zu einem absoluten Halt drängt. Aus Benn spricht noch einmal der alte europäische Geist, der sein Heil nur in der Wahrheit finden kann, gleichgültig, wie diese Wahrheit beschaffen ist. Daß solches Denken anlagebedingt ist und schicksalhaft gegeben, sagt Benn in 'Weinhaus Wolf. Dem »Keim, der Schöpfung, der unsäglichen Feme« entsteigen, wie es dort heißt, zwei gänzlich unterschiedene Typen Mensch, angefüllt mit » . . . unvorstellbar fremdem, nie vermischbaren feindlichen Blut . . . einmal der Geschichtliche und einmal der Zentrale, einmal der Handelnde und einmal der Tiefe, einmal das Leben und einmal der Geist« (II, 139). Das Urteil Wellershoffs legt die Vermutung nahe, als habe er das Unüberbrückbare der Kluft nicht gesehen, die Benn hier auftut. Der Verfasser vertritt im weiteren Verlauf seiner Darlegungen die Meinung, daß gerade die schrankenlose Relativierung des abendländischen Wertsystems einen Fortschritt darstelle (» . . . eine fortschreitende Erweiterung des Bewußtseins, das die Menschheit von sich selbst und der Wirklichkeit hat.« 79), die alten dogmatischen Verhärtungen des Geistes würden so aufgelöst » . . . in einer Gesamterfahrung, die sich fortwährend bereichert . . . « (79). Daß vor solchem Optimismus die Resignation Benns nicht bestehen kann, steht außer Frage. Dagegen ist der Standpunkt, von dem aus hier geurteilt wird, durchaus fragwürdig. Das Urteil lautet: wenn 2

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Benn den »Verlust des Bestimmten und Absoluten« (Benn) beklagt, dann ist das eine » . . . voreingenommene Deutung des Sachverhaltes (Relativismus), in der sich der alte metaphysische Anspruch geltend macht, die Welt müsse als . . . Sinnzusammenhang von einem absoluten Punkt aus verständlich sein« (77). Richtig an diesem Urteil ist, daß Benns Standort als ein metaphysischer erkannt wird. Fragwürdig dagegen ist die Art, wie hier auf rationaler Ebene über das fundamentale Sein eines Dichters verhandelt wird, dessen Werk in seinen Grundzügen von jenem metaphysischen Suchen geprägt ist, das zu allen Zeiten das Zeichen wahrhaft profunden Geistes war. »Wer wollte bestreiten«, sagt Oscar Söhnten am Grabe Benns, »daß hier eine zutiefst prophetische Sendung am Werke w a r . . . « Wenn D. Wellershoff Benn eine Voreingenommenheit zur Last legt, die aus dem »alten metaphysischen Anspruch« der Sinnsuche und der Sinngebung resultiert, dann will er ihn am Angelpunkt seines Denkens angreifen und zu Fall bringen. Wie sich gezeigt hat, sind es induktiv ermittelte Gründe, die hier angeführt werden, soziologische, psychologische oder ähnliche Befunde, an denen Benn gemessen wird. »Entfremdung«, »Wirklichkeitsverlust« oder »Kulturpessimismus« (wie immer man es nennen mag) werden unter diesem Vorzeichen als berechenbare Größe begutachtet. Nun ist aber der Verlust des kontinuierlichen Wirklichkeitsbewußtseins ein ontologisches Problem, d. h. dem Dichter geht es letztlich um das Sein selbst, seine »Entfremdung« ist die Folge der Entfernung des Seins aus der Welt und nicht seine eigene, konstitutionell bedingte Abweichung von der Norm durchschnittlichen Erlebens. Das aber behauptet Wellershoff (zu Anfang seines Buches, Phänotyp 62), psychologisch argumentierend, in Benn sei eine umfassende »menschliche Apathie und Verstörtheit« latent angelegt gewesen. Das ist bezeichnend für die gesamte Blickrichtung dieser Kritik, die programmatisch jede metaphysische Perspektive verwirft. Die Grenzen des Verstehens sind so von vornherein gegeben. Nun erklärt sich auch ganz folgerichtig ein Urteil, das den Leser am Anfang des Buches (Phänotyp) noch überraschen kann: »Der Wirklichkeitsverlust, die Entfremdung von Ich und Welt, die in der Rönne-Phase schockhaft ins Bewußtsein dringt, wird in der Phase des Ptolemäers akzeptiert und in den Komfort der Indifferenz umgemünzt« (32). Wie unhaltbar diese Folgerung ist, d. h. wie wenig sich eine metaphysische Erfahrung abendländischer Provenienz in bequemes Arrangieren »ummünzen« läßt, das sagt der Ptolemäer selbst: »Eine starke panische Gewalt war in mir tätig, die unmittelbare Vereinigung mit der Dingwelt zu vollziehen, die Stigmata der Jahrhunderte versinken zu lassen, die verschüttete kindsmörderisch ertränkte Einheit des Seins zum Aufbruch zu erwecken und die abendländischen Phantome von Raum und Zeit in die Vergessenheit zu rücken« (II, 240). Dieser Satz deutet an, welcher Art das Problem ist, das die existentielle Lage des Dichters kennzeichnet. Es ist der unablässige Versuch, der abendländischen Seinsverlassenheit (im Sinne Heideggers) zu entrinnen, der ständige Versuch, die Trennung von Ich und

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Welt zu überwinden im schöpferischen Akt. Das ist die eigentliche metaphysische Tätigkeit des Künstlers, wie Nietzsche es formuliert hat. Er nannte es sein »Glaubensbekenntnis«, und Benn hat sich diesem Bekenntnis immer erneut angeschlossen. Hier erst eröffnet sich die eigentliche Metaphysik Benns, nicht dort, wo Wellershoff sie ansetzt als ein dogmatisches und antiquiertes Festhalten an weltanschaulichen Vorurteilen. Mit der Argumentation von Wellershoff ließe sich im übrigen jeder Dichtung aus der jeweils modernen, historisch 'fortgeschrittenen* Sicht Befangenheit vorwerfen. Ein derartiges Urteil verkennt aber ganz entschieden das Wesen von Dichtung überhaupt. Es übersieht jenen inkommensurablen Grund, der dem -dichterischen Wort erst seine unendliche Dimension gibt. Dagegen wird ausschließlich der Bezug zur Zeit, eine gewisse zeitverhaftete Problematik von Wellershoff beachtet. Das aber ist eine Voraussetzung, ohne die schließlich jedes menschliche Sprechen im Leeren steht, ohne die also auch der Dichter nicht auskommt. Wellershoff sieht nicht, daß solche aktuelle Thematik immer nur die Oberfläche einer Dichtung ausmacht. Dabei hat gerade Benn, wie kaum ein anderer Dichter seiner Zeit, auf diese Tatsache immer erneut hingewiesen. »Die jenseitigen Dinge sind einem viel näher als die nahen... «, sagt er im 'Ptolemäer'. Rychner, der im Gegensatz zu Wellershoff die Dichtung Benns vom Kern her deutet, verweist ausdrücklich auf diesen Satz. Für Rychner liegt das Wesen dieser Dichtung » . . . außerhalb der Zeit, entfernt vom bewegten Nahen«. In seinem Vortrag an der Marburger Universität ('Probleme der Lyrik') charakterisiert Benn den Künstler in folgender Weise: »Er folgt einer inneren Stimme, die niemand hört. Er weiß nicht, woher diese Stimme kommt, nicht, was sie schließlich sagen will« (I, 517). An Wellershoff selbst schreibt er 1950 in einem Brief das mahnende Wort: » — in der Tiefe ist ruhelos das Andere, das uns machte, das wir aber nicht sehn« (204). Benn schreibt dies als Erwiderung auf die ihm zugeschickte Dissertation, und er schließt seinen langen Brief mit der Wendung: »Aber ich wäre glücklich, wenn ich Ihnen gegenwärtig gemacht hätte, daß es sich nicht um Stil und Sprache allein handelt, sondern um substantielle Fragen« (204 f.). Gerade für solche Fragen hat aber Wellershoff auch später kein Auge gehabt. Er hat die sprachliche Problematik wie die weitläufige intellektuelle Thematik Benns gekannt und aufschlußreich analysiert, aber zum eigentlichen Grund seiner Dichtung blieb ihm der Zugang verschlossen.

Günther Klemm, Gottfried Benn. Wuppertal-Barmen 1958, Emil Müller Verlag. 114 S. Um eine gerechte Deutung der Person und des Werkes ist G. Klemm bemüht. Seine Untersuchung zeichnet sich durch sympathische Zurückhaltung aus. Der Verfasser läßt an entscheidender Stelle immer den Didi26*

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ter selbst zu Wort kommen, er lenkt aber dennoch mit kurzen Hinweisen, Auslegungen, kritischen Randbemerkungen den Gang der Darstellung. Dadurch entsteht aufs Ganze gesehen ein brauchbarer Aufriß des Werkes und eine schöne Würdigung des Dichters selbst. Die Studie beginnt mit einer aufgeschlossenen und informativen biographischen Einführung und konzentriert sich dann in zwei Themenkreisen auf das »Weltbild« und das »Kunstwerk« Benns. Dessen »Ringen um das Weltbild« teilt der Verfasser übersichtlich in drei Punkte. Erstens das Leben als umfassendes Phänomen, überwältigend und im Letzten ohne Sinn; zweitens der Versuch, denkend eine Ordnung zu errichten und das ohnmächtige Scheitern; drittens die Unfähigkeit zu religiösem Glauben. Aus diesem weltanschaulichen Resümee resultiert dann die Folgerung »Rettung durch die Kunst« (35 ff.). Diese Sicht ist ohne Zweifel stark vereinfacht, aber sie hat das Anschauliche und vor allem die sachliche Richtigkeit auf ihrer Seite. Der Verfasser versteht Benn als dialektische Natur, er sieht das Werk unter dem Zeichen der Gegensätzlichkeit aus Rausch und Form, Traum und Bewußtsein usw. Das ist kein schlechter Ansatzpunkt, um die ambivalenten Züge im Dichten und Denken Benns einheitlich zu begreifen. Bemerkenswert ist das Verhalten des Verfassers in Punkt drei. Vom Standort christlich-religiöser Gewißheit aus beurteilt er treffend die Haltung Benns. Er sieht die totale Einsamkeit des Geistes, dessen Schaffen ein unentwegtes Fragen ist, und dem doch keine letzte Antwort zuteil wird. Auch ein so gewagtes Stück wie 'Die Stimme hinter dem Vorhang', sieht der Verfasser noch als folgerichtigen Ausdruck der Existenzlage Benns. » . . . es entstand aus Leiden, nicht aus Zynismus. In ihm spricht die Sehnsucht nach Wahrheit, nach der endgültigen Beantwortung der Sinnfrage« (34). Diesen Wesenszug hält der Verfasser, wie er am Schluß der Studie betont, entscheidend für das gesamte Werk Benns. Es ist » . . . die metaphysische Sehnsucht des Dichters nach letzter Sinngebung und Vollendung des menschlichen Lebens . . . « (96). Daß Klemm mit dem Urteil seiner christlichen Überzeugung verschiedendich etwas weit geht (etwa S. 101 oben) sei hier nur am Rande vermerkt. Mit der geschilderten Umgrenzung der geistigen Lage hat der Autor einen guten Ausgangspunkt geschaffen für das Verständnis dessen, was Kunst bei Benn bedeutet. »In unserem Zeitalter des Wertzerfalls . . . ereignet sich das Großartige, daß ein Künstler, Gottfried Benn, trotz strenger Bindung an das Diesseits in unbeirrbarer Konsequenz das Ziel verfolgt, eine neue, ihn verpflichtende Wahrheit zu finden« (44). Klemm betont auch, » . . . daß nichts unsinniger ist als der so oft gegen Benn erhobene Vorwurf des Nihilismus« (45). Die Erläuterungen zu Prosa und Lyrik Benns, die einen guten Teil des Büchleins ausmachen, sind eine recht brauchbare Einführung in Benns dichterisches Werk. Man bedauert es nur, daß der Verfasser seine aufgeschlossene Darstellung nicht auf dem Wege analytischer Untersuchung erhärtet hat.

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Reinhold Grimm, Gottfried Benn. Die farbliche Chiffre in der Dichtung. Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft. Nürnberg 1958 (21962), Verlag Hans Carl. 86 S. Diese Studie untersucht ein ebenso spezielles wie zentrales Problem der Dichtung Benns. Ihr Verfasser sagt mit Recht, es sei ein » . . . scharf belichteter Ausschnitt, der indes bis in den Kern von Benns Wesen und Werk reicht« (88). Die vorliegende Untersuchung ist Teil einer umfassenden Arbeit, die sich mit der poetischen Funktion der Farbe beschäftigt. In Anlehnung an Pongs unterscheidet Grimm konstruktive und figurative Verwendung von Farben, das bedeutet einmal Farbe als selbständiges Bauelement und zum anderen Farbe als metaphorische Verknüpfung in der Dichtung. Im Falle Benns trifft beides nicht gesondert zu, sondern es zeigt sich eine » . . . komplexe Großform der dichterischen Farbverwendung, die sich aus dem Zusammenwirken konstruktiver und figurativer Elemente ergibt« (7). Diese Elemente wiederum verschmelzen » . . . mit zentralen Bereichen der dichterischen Weltanschauung zu unauflöslicher Einheit... « (9). Dies ist für Grimm die »farbliche Chiffre«. Es gelingt dem Verfasser in überzeugender Weise, vom Einzelphänomen her das Wesen der Bennschen Dichtung zu dechiffrieren. Die Studie geht aus von der Rönne-Novelle 'Die Reise' und untersucht zunächst interpretativ deren geistige Hintergründe. Im Moment der 'Verwandlung' (rauschhafte Wirklichkeitsüberwindung und formale Konstituierung des Traumreichs) sieht der Verfasser mit Recht das Hauptmotiv der frühen Prosa Benns, und gerade dieses Motiv kündet sich vielfach mit dem Wort »Blau« an. Die farbliche Chiffre markiert deutlich die Grenze zwischen Ratio und Halluzination, sie bedeutet » . . . Aufhebung des Bewußtseins und Verschmelzung mit dem Sein« (31). An Hand von Gedicht-Interpretationen wird im weiteren Verlauf der Darstellung die Analogie zwischen Traum und farblicher Chiffre herausgearbeitet. »Als mehrfache primäre Setzung, d. h. konstruktiv als Intensivierung durch Tönung, bedeutet sie den Traum schlechthin« (71). Traum aber bedeutet bei Benn die Gegenwirklichkeit, das endogene Erleben oder, wie Grimm sehr schön an einer Textstelle nachweist, ein Tasten » . . . nach den letzten Hintergründen des Seins« (55). Dadurch tritt klar die zentrale Bedeutung der farblichen Chiffre in der Dichtung Benns hervor. Der Verfasser hat zu Recht den Terminus Chiffre gewählt, da es sich hier um mehr handelt, als um Metapher und Symbol. Ein ganzer Komplex der Bennschen Erlebniswelt öffnet sich mit der Nennung des trächtigen Wortes »Blau«. In 'Probleme der Lyrik' sagt Benn: »Es ist das Südwort schlechthin, der Exponent des >ligurischen Komplexesc, von enormem >Wallungswertc, das Hauptmittel zur >Zusammenhangsdurdistoßungerfundenec Figur (Rönne) hindurch geradezu penetrant fühlbar« (11), wird von der Autorin nicht näher erklärt. Gewiß hat Benn in den späteren Stücken über ganz andere Stilmittel verfügt, um sich Distanz zu verschaffen, aber wesentlicher in diesem Zusammenhang ist doch die Tatsache, daß es sich hier um lyrische Prosa handelt, wie Bense sagt, geschaffen mit der Technik des Konfiniums zwischen Prosa und Poesie. Wäre E. Buddeberg in ihrer Untersuchung zunächst von der sprachlichen Struktur ausgegangen, vom freien Bau der Sätze, von der spezifischen (>expressionistisdienästethischen Sphärec ist aber deshalb nicht bedeutungslos. Kein anderer Schriftsteller seiner Zeit war wie Benn am Phänomen der Form interessiert. Aber er sah das »formale Prinzip«, wie es in der 'Akademie-Rede' heißt, immer » . . . eingebettet in das Ursprünglichste der anthropologischen Substanz«. Nur von dieser Ganzheit her eröffnet sich das Werk des Dichters. Benn hat einmal gesagt, daß » . . . Dichten nichts weiter heißt, als sich eine Methode zu schaffen, um die Erfahrungen des tiefen Menschen zur Sprache zu bringen... « (I, 325). Vom rezeptiven Standort her gesehen, könnte man sagen, Interpretieren heißt, diese Methode analysieren, um zu den genannten Erfahrungen vorzudringen. Else Buddeberg widmet der Prosa Benns, vor allem der späten (Kapitel 'Absolute Prosa — Das Ziel') sehr aufschlußreiche Untersuchungen, warum aber findet sie nicht auf ihre umfassende Frage: »Was hat Benn aus seinem Nihilismus gemacht?«, die schlichte und naheliegende Antwort, daß er Gedichte daraus gemacht hat. In der Tat ist Benn wesentlich nur als Lyriker zu verstehen, viele seiner Gedichte sind von zeitloser Gültigkeit, und das nicht allein wegen ihrer formalen Perfektion, vielmehr kommt entscheidend hinzu, daß hier im Brennpunkt menschlichen Daseins die Welt gedeutet wird. Wie immer diese Deutung ausfallen mag, so ist sie doch als solche schon Wertung und steht somit jenseits des Nihilismus. Obwohl die alten Wertsysteme zerfallen und neue Horizonte noch nicht in Sicht sind, gibt es für Benn die heute gültige, unbeugsame Haltung: »dennoch die Schwerter halten / vor die Stunde der Welt.« Daß die Verfasserin mit einem der schönsten Benn-Gedichte ihr Buch abschließt ('Ebereschen'), und daß sie -mit feinem Gespür die letzte Frage Benns damit verknüpft, die tragische Sinnfrage des Künstlers, » — ist Ausdruck Schuld?«, das legt die Vermutung nahe, daß E. Buddeberg sich in dieser Studie selbst durch eine forcierte Rationalität den Zugang zu Benn versperrt hat.

Helmut Uhlig, Gottfried Benn. Berlin 1961, Colloquium Verlag. 92 S. In programmatischer Würdigung wird Gottfried Benn hier in die Verlagsraihe 'Köpfe des X X . Jahrhunderts' eingereiht. Uhlig geht betont von der Absicht aus, den Dichter Benn zu erfassen, im Gegensatz zu Wellershoff, der in ihm vorwiegend den geistigen Repräsentanten der Zeit sieht (6). Leider ist der Verfasser dann im Laufe der Darstellung diesem Vorsatz zu äußerlich nachgekommen. Seine Methode ist eine Mischung aus Biographie und Deskription der Werk->InhalteArtistenevangelium< (Nietzsches eigenes Wort) ist eben Kunst als metaphysische Tätigkeit.« Es ist erstaunlich, daß sich für dieses außerordentlich wesentliche Tätigsein des Künstlers im ganzen Buch keine nähere Erklärung findet. Nur der Terminus selbst wird verschiedentlich wiederholt. Allerdings knüpft der Verfasser auf der folgenden Seite an die »metaphysische Tätigkeit «eine merkwürdige Reflektion über Bedeutung und Sinn dieses Wortes. Es heißt da u.a.: »Der vollendete Vers . . . die edle Vase... — sie lassen uns >Immortalität< spüren, denn sie sind deren >ReflexeArtistenevangelium< in der Sicht Benns zu verstehen, ist höchst zweifelhaft. Zudem ist die Voraussetzung des Verfassers nicht richtig, Benn habe die »Besitznahme der Ideen« Nietzsches »auf kritisch-konstruktive Weise« (1) vollzogen. Das ist erwiesenermaßen nicht der Fall. Benn hat die philosophische Struktur von Nietzsches Denken völlig außer Acht gelassen, er ist also keineswegs kritisch an Nietzsche herangegangen. Es handelt sich hier vielmehr -um ein kongeniales Begreifen ganz vom Geist der Sprache her. Benn hat dabei das überaus komplizierte Gefüge von Nietzsches Denken, zum Beispiel das Verhältnis von Biologismus und Kunst einfach übersprungen. Er hat auf unkritische und (das Wort sei nicht gescheut) intuitive Weise das Zentrum von Nietzsches Kunstdenken begriffen. Diese Zusammenhänge und noch manches andere müssen beachtet werden, will man den erstaunlich sicheren Blick Benns für die Wesenszüge von Nietzsches Kunstmetaphysik erfassen. Auch im weiteren Verlauf der Untersuchung wird der Horizont des rein ästhetischen Urteilens nicht überwunden. Auch dann nicht, wenn der Verfasser Religion, Mythos und Anthropologie mobilisiert. Was hier als >Ausdruckswelt< herausgearbeitet wird, bleibt eindimensional. Es geht bei Benn ganz wesentlich um die Herleitung der >Ausdruckswelt< aus einer inneren Notwendigkeit, und nicht um die äußere Anreicherung mit einer entsprechenden Thematik. »Benn ist bewegt und tief befriedigt d a v o n . . . eine Bestätigung der Ausdruckswelt gefunden zu haben«, sagt dagegen Loose, oder: »In dem Bemühen, das Wesen der Ausdrucks weit zu bestimmen, dringt Benn mit seinen Spekulationen bis an äußerste Grenzen vor« (46). Der Verfasser übersieht, daß Benn an keiner Stelle seines Werkes je spekuliert hat. Auch das sogenannte theoretische Werk beruht auf rein dichterisch-assoziativen Ausdrucksmitteln. Die scheinbar nur ästhetische Theorie Benns verbirgt die eigentliche Aussage meist hinter proteischen

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Verschleierungen. Diese Aussage aber ist unverborgen nur in der Dichtung selbst zugegen. Benn war zuallererst Dichter und auch die essayistischen Schriften sind noch Zeugnis seines dichterischen Ausdruckwillens. Das aber läßt die vorliegende Studie außer Acht.

Edgar Lohner, Passion und Intellekt. Die Lyrik Gottfried Benns. Neuwied-Berlin 1961, Luchterhand-Verlag. 297 S. Diese Studie ist der Kunst des Interpretierens aufs strengste verpflichtet. Biographische, soziologische und psychologische Kategorien sind »nahezu ausgeschlossen«, wie es im Vorwort heißt. Gedeutet wird hier aus einer profunden Kenntnis der modernen Lyrik, genauer gesagt, aus der Kenntnis jener unausweichlichen Lage des Geistes, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Dichter zum Schaffen bewegte. Von der aristotelischen Poetik über Horaz und die Renaissance bis zur »klassizistischen« Periode des 18. Jahrhunderts galt Dichten als ein Geschäft, das mit Kunstfertigkeit, Verstand und Mimesis zu meistern war. Der Dichter hatte eine Funktion innerhalb des gesicherten Weltbildes, das ihn trug. Das ganzheitliche Welterleben, die Ordnung der Dinge und die Geborgenheit des Menschen in dieser Ordnung ging aber mit der Wende zum 19. Jahrhundert endgültig verloren. Dies ist der Punkt, wo sich die Dichter aufmachen, das Absolute in der Sprache selbst zu suchen. Diese wird zu einem metaphysischen Medium, das nicht mehr zur empirischen Wirklichkeit, sondern zu einem esoterischen Traumreich vermittelt. Mit diesem geistesgeschichtlichen Aufriß weist der Verfasser e:nleitend den »Weg zur Moderne« von Goethe bis Benn. Daß Goethe als die Achse der geistigen Wende hier besondere Beachtung findet, ist gerade als Einführung in das Werk Gottfried Benns von großem Wert, da dieser das Phänomen Goethe als den letzten Beweis eines heilen und ungebrochenen Welterlebens ständig vor Augen hatte. In seinem berühmten GoetheAufsatz sagt Benn: »Es ist die Antike, die primäre, noch einmal vor der relativierten, der raumneurotisch entarteten Ratio in dieser Kombination von Kausalität und Mythe, die die größte Erkenntnis, die vom Wesen und Kern der Dinge, als für den Menschen erreichbar und erreicht betrachtet... Noch einmal die ungetrennte Existenz, der anschauende Glaube, die Identität von Unendlichkeit und Erde, noch einmal das antike >Glück am Seine... « (I, 196 f.). Als Leitwort über dem hier besprochenen Einführungskapitel steht der pointierte Ausspruch Benns: »Von Homer bis Goethe ist eine Stunde, von Goethe bis heute vierundzwanzig Stunden . . . « Dieses Wort trifft im Rahmen der allgemeinen Situation gerade auch auf die Entwicklung der Poetik zu, die mit Schiller und der Romantik einen gänzlich neuen Weg einschlägt.

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Lahner deutet diese Zusammenhänge unter gesamteuropäischen (und amerikanischen) Gesichtspunkten. Er schlägt den Bogen von Schiller über die Brüder Schlegel, Schelling, Novalis bis zum eigentlichen Beginn der >ModermeFormalismus< Benns auf sich hat. Dos Schema vom ästhetizistisch überbauten Nihilismus ist damit seiner Argumente enthoben. Der Verfasser stellt deutlich heraus, daß sich im Schaffensvorgang unter der »schöpferischen Gesetzlichkeit des Geistes« (58) die »Entscheidung zu einer neuen Form 'des Seins« vollzieht (59). Durch das mit innerem Material angereicherte Wort und auf Grund eines innergeistigen Formprinzips schafft der Dichter eine neue Ordnung und »den Entwurf einer eigenen Welt« (59). Daß dieser dichterischen Welt, im Hölderlinschen Sinne, Allgemeinverbindlichkeit und Dauer zukommt, deutet der Verfasser mit dem Satz an: »In ihr erfüllt sich der bleibende und verbindliche Sinn das Daseins« (59). Nur der Dichter vermag heute noch diesen Sinn zu >stiftenspäten Menschenc (unter diesem Titel Erstveröffentlichung 1922) von der sprachlichen Substanz des Gedichtes her zu entfalten. Es zeigt sich hier, wie schon in früheren Interpretationen des Verfassers, die große Vertrautheit mit den Gedanken und Strukturelementen des Bennschen Gedichtes. Hier wird die Dichtung bis zum Kern hin eröffnet, syntaktische Fügungen finden dabei die gleiche Beachtung wie etwa ein Zitat Pascals, das Benn in sein Gedicht eingebaut hat. Die vorliegende Interpretationsmethode zeigt sich, fern von jeder

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mechanischen Handhabe, vom Geist des Gedichtes selbst inspiriert und vorangetragen. Es ist die werkimmanente Methode, von der Leo Spitzer einmal sagte, daß sie auf Lesen, Lesen, und nochmaligem Lesen beruhe. Struktur, Motive und Thematik werden auf diesem Wege von einer ganzheitlichen Sicht her erschlossen. Was der Interpret dabei besonders im Auge hat, sind die spezifischen Charakteristika der modernen Lyrik: »Evokation, Anspielung und Suggestion...« (107). Das Freischwebende und Mehrdeutige moderner Lyrik wird dabei voll respektiert; betont hält sich die Interpretation von jeder Dogmatik fem. »Dies sind Möglichkeiten der Deutung, die andere Deutungen nicht ausschließen«, sagt Lohner. »Ob sie jeweils genau zutreffen, ist unwichtig. Wichtig ist, daß der Leser aus der Intensität des Ausdrucks die Atmosphäre verspürt, die der Dichter durch die Bilder beschwören will« (109). Es ist das erste Mal in der Benn-Literatur, daß mit einer derart gründlichen und einfühlsamen Methode das innerste Sein des Dichters erschlossen wird. So vorsichtig Lohner auch auf die esoterische Mitte dieser Dichtung hindeutet, er läßt doch immer wieder durchblicken, welch großes und tragisches Ringen des Geistes letztlich hinter jedem Wort spürbar isr. Lange vor Camus, so sagt Lohner, ist im Werke Benns schon der Existenzialismus des Absurden manifestiert, die Einsicht nämlich, » . . . daß die Sinn- und Hoffnungslosigkeit des Daseins nicht verstanden, sondern nur hingenommen werden könne« (123). Lohner verweist an dieser Stelle auf den »erschütternden Satz« Benns: »Das Leben war ein tödliches Gesetz und ein unbekanntes; der Mann, heute wie einst, vermochte nicht mehr, als das Seine ohne Tränen hinzunehmen« ('Urgesicht'). Bei der folgenden Interpretation des vielstrophigen Gedichtes 'Spät* kommt dann zur Sprache, welchen eigentlichen Grund das Leiden des Dichters hat. Es ist das metaphysische Ungenügen schlechthin, das Verlangen nach letzter Gewißheit und zugleich das Wissen von der Unmöglichkeit der Erfüllung. Hier zeigt sich die eigentliche Tragik, die Benn stellvertretend für seine Zeit zum Ausdruck gebracht hat: der unausweichliche Zwang zu transzendieren einerseits, andererseits aber die absolute Infragestellung des Ziels. » . . . hinüberlangen in jenes andere — in was?« lautet der Ausdruck dieser Antinomie im Gedicht. Dem Interpreten gelingt es, die Dimension dieser tragischen Sicht namhaft zu machen. Es gelingt ihm das äußerst schwierige Unterfangen, auch den poetischen Schwingungen noch begriffliche Kontur zu verleihen. Die Stimme des Dichters, so schreibt Lohner, die sich erinnernd selbst befragt, » . . . rührt an das Wesen der Dinge, an das Hintergründige, Dunkle, Unfassliche des Geschehens... Visionär-traumhaft wird hier das Sein selber beschworen« (134). Aber am Ende ist doch alles vergebens. »Nirgendwo ist Erfüllung. Am Ende bleiben nur Fragen« (135). Wie diese tragische Situation eine Folge des europäischen Nihilismus (im Sinne Nietzsches) ist, wird in dem Kapitel >Das Nichtsc unter historischen IT

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Gesichtspunkten klar herausgearbeitet. Vom Denken der deutschen Romantik ausgehend wird der Nihilismus als der allgemeine Ausdruck des progressiven Zeitgeistes verstanden. Der Verfasser distanziert sich dabei unmißverständlich von einer moralischen Deutung des Phänomens. Er verweist auf das Wort Hugo Friedrichs (über das Nichts bei Mallarmé): »Es ist ein ontologischer Begriff durchaus idealistischen Ursprungs.« Damit ist der richtige Ansatzpunkt zu jener Frage gegeben, die im Zusammenhang mit Benn so oft mißdeutet worden ist. Benns Nihilismus ist nicht mutwillige Instruktion von Werten, er ist — nicht anders als es im 19. Jahrhundert schon festgestellt wurde — ein objektives Konstatieren der fehlenden metaphysischen Wertordnung. Dieser Agnostizismus leugnet weder Gott noch die Wahrheit, noch irgendein Absolutes, sondern die verbindliche Erkenntnismöglichkeit eines derartigen Seins. Im Hinblick auf Nietzsche zitiert Lohner die Darlegungen Heideggers, daß dieser Nihilismus nicht eine Sache persönlicher Überzeugung ist, sondern die unausweichliche Feststellung einer Tatsache ('Holzwege'). Leider fehlt gerade an dieser Stelle eine eingehende Textinterpretation. Der Hinweis auf die Grundgedanken des Oratoriums ('Das Unaufhörliche') erhebt offensichtlich nicht den Anspruch, dieses schwerwiegende Problem von der Wurzel her zu fassen. Man wäre dem Verfasser um so dankbarer gewesen, als gerade diesen Punkt die diffamierende Kritik an Benn immer wieder aufgegriffen hat. Nidits aber könnte diese unbegründete Polemik besser entkräften als eine Entfaltung des wahren Sachverhaltes vom Text her. Im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts steht wiederum die Analyse eines Gedichtes. Hier wie im letzten Kapitel geht es um das zentrale Thema der Kunst bei Benn. Der ausgewählte Text ('Gedichte') ist in besonderer Weise geeignet, den metaphysischen Hintergrund der Bennschen Kunstsicht zu veranschaulichen. Benn bringt hier unmißverständlich zum Ausdruck, daß heute die Kunst an die Stelle des Religiösen getreten ist, und daß ihr damit, wie Lohner sagt, » . . . eine Art religiöser Charakter zukommt« (189). Benn selbst nennt das neue Formgefühl in der 'Rede auf Stefan George' einen »höchsten Glauben«. In einem Nachlaßstück gibt Benn der Überzeugung Ausdruck, » . . . daß selbst diese qualerfüllteste aller denkbaren Welten nicht eine Sekunde stehen und bestehen könnte ohne eine Ordnung, eine zeit- und raumlose Planung, eine überirdische Existenz« ( I I , 282). Lohner läßt seine gewichtige Interpretation in der Feststellung gipfeln: »Auf diese Existenz verweist die Kunst, das Gedicht« (195). Auf den deus absconditus ist das künstlerische Schaffen letztlich bezogen. »Im Namen dessen, der die Stunden spendet« (1. Zeile) geschieht » . . . im Gedichte / das Selbstgespräch des Leides und der Nacht« (letzte Zeile). Damit ist der Wesensgrund von Benns Dichten und Denken genannt. Es ist gut, daß der Verfasser dabei jeden chronologischen Aspekt außer Acht läßt. Dieser Wesensgrund ist seit der frühen Lyrik da, wo ihn Ernst Stadler schon konstatiert hat. Nur so läßt sich Benn verstehen. Nicht aber, indem man seine ausschließliche Hinwendung zur Kunst als ent-

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täuschte Abkehr von der politischen Machtsphäre oder etwa als formalistisch überbauten Nihilismus deutet. Das Biuch von Lohner ist ein überzeugender Beweis dafür, daß ein Dichter am reinsten aus seiner Dichtung zu verstehen ist und nicht aus biographischen Anhaltspunkten oder psychologischen und soziologischen Erwägungen. Dies wird besonders im letzten Kapitel noch einmal deutlich, wo es um das Verständnis des »absoluten Gedichtesc geht. Einmal geht es hier praktisch um die Entschlüsselung des äußerst dunklen Gedichtes 'Welle der Nacht', dann aber auch theoretisch um das Verständnis dessen, was Benn mit dem Begriff der absoluten Kunst gemeint hat. Wie in keiner anderen Interpretation dieses Buches wird hier bestätigt, daß nur durch »die Deutung der Worte und ihrer Beziehungen zueinander« (249) das moderne Gedicht und damit die Intention des Dichters zu entziffern ist. Zur Verdeutlichung dieser Tatsache zitiert der Verfasser Werner Haftmann: »Es geht hier, wie in der abstrakten Malerei, darum, nicht mehr >die Gegenstände wiederzugeben, sondern das Bild selbst zum Gegenstand zu machenc« (253). Nicht auf den gegenständlichen Sinngehalt zielt das moderne »absolute Gedicht< ab, sondern primär auf rhythmische Bewegung und klanglichen Wohllaut, um das Unsagbare z.u evozieren. Vor dieser letzten Grenze aber macht auch die Kunst des Interpretierens halt. Sprachstrukturelle Elemente, werkimmanente Zusammenhänge und weltliterarische Bezüge sind in der vorliegenden Studie die Grundlagen einer eindrucksvollen Deutung, bei aller Perfektion werden aber die Möglichkeiten der analytischen Methode an keiner Stelle überschätzt. Die letzte und schwierigste Interpretation endet bezeichnenderweise mit Fragen und der ehrfurchtsvollen Respektierung des Geheimnisvollen, das alle Dichtung letztlich umgibt. »Vielleicht sind Fragen nicht die schlechteste Art, die Besprechung eines Gedichts, besonders die eines absoluten Gedichts, zum Abschluß zu bringen; sie werden dem Geheimnisvollen, das auch nach diesem Deutungsversuch weiterwirkt, wohl eher gerecht« (259). Mit einer Würdigung der dichterischen Größe Gottfried Benns schließt das Buch. Zusammenfassend wird noch einmal gesagt, wie diese Dichtung im Zeitalter des Nihilismus an »die andere, die unsichtbare Welt« rührt (262). Inmitten der allgemeinen Wertverwahrlosung fühlt sich der Dichter den »höchsten Sphären« (Benn) verpflichtet, er glaubt, wie Lohner sagt, an ein unbedingtes Gesetz des Geistes und » . . . an ein Unzerstörbares im Menschen... Diese konstitutionell-existentielle Gegebenheit ist die Grundvoraussetzung für Benns Schaffen. Als Grundlage aller Erfahrung und jedes Gedankens, als innere Nötigung ist sie ebenso gerechtfertigt wie die Hölderlins oder Kleists, Mallarm£s oder Nietzsches... « (263).

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Friedrich Wilhelm Wodtke, Gottfried Benn. Stuttgart 1962, J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung. 130 S. Die Monographie von Wodtke ist ein handliches und sehr brauchbares Kompendium der bisher vorliegenden Forschungsergebnisse. In chronologischer Zusammenstellung findet man hier Biographie, Werkbeschreibung und Bibliographie übersichtlich geordnet. Der biographische Abriß steht dabei im Vordergrund und bringt manches interessante Detail, das man bei Thilo Koch, Nele P. Soerensen und Walter Lennig nicht findet. Das wird vor allem auf die Informationen zurückzuführen sein, die Frau Dr. Ilse Benn dem Verfasser vermittelt hat. Aufschlußreich ist weiter die eingehende Berücksichtigung der literarischen Kontakte Benns. Die Werkbeschreibung will nicht mehr sein als eine Propädeutik, sie ist eine Kurzfassung der bisherigen Analysen, eben ein >Realienbuch für Germanistenc, wie es die Absicht der Metzlerschen Reihe ist. Als Einführung in eine studienmäßige Auseinandersetzung mit Gottfried Benn und seinem Werk steht dieser Schrift nichts Gleichwertiges zur Seite. Sie ist sowohl übersichtlich als auch zuverlässig, und hinzu kommt noch als erwähnenswertes Verdienst des Verfassers die Objektivität der Sicht. Wie sich bisher gezeigt hat, darf man letzteres angesichts der polyphonen Benn-Kritik nicht ohne weiteres voraussetzen. Nur ein kleiner Hinweis scheint an dieser Stelle angebracht: man sollte im Falle des 'Oratoriums* nicht von einem »geschichtsphilosophischen Text« (34) oder »geschichtsphilosophischer Gedankenführung« (40) sprechen. Auch das Wort »Ideenlyrik« (41) läßt sich auf Benn kaum anwenden. In seiner Lyrik sind gewiß philosophische Aspekte integriert, aber Benn ist beim Schaffen nie von einer vorgegebenen Idee ausgegangen. Aus den bisherigen Darlegungen mag hervorgegangen sein, wie wenig fruchtbar es ist, Benn unter philosophischen, gar noch unter geschichtsphilosophischen Aspekten festzulegen. Zu erwähnen sind noch die bibliographischen Angaben der vorliegenden Schrift — sie sind nach verschiedenen Gesichtspunkten geordnet (mit genauer Seitenangabe) den jeweiligen Kapiteln beigefügt. Auch das macht die Ausgabe gerade für Studienzwecke besonders geeignet. Als Abschluß finden sich interessante Anregungen für weitere »Aufgaben und Probleme der Benn-Forschung«.

Friedrich Wilhelm Wodtke, Die Antike im Werk Gottfried Benns. Limes Verlag, Wiesbaden 1963. 165 S. Die außerordentliche Bedeutung Griechenlands für die Dichtung Benns war immer eine unbestrittene Tatsache. Keine Untersuchung ist bisher um die Beachtung dieser Frage herumgekommen. In allen Erscheinungsphasen, angefangen von der minoisch-mykenischen Zeit bis hin zum Hellenismus, von der Mythologie über die Kunst bis zur Philosophie kennzeichnet die

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griechische Kultur das gesamte Werk Benns. Daß die Behandlung dieser Thematik aber bis vor kurzer Zeit nur bedingt möglich war, haben die eingehenden Forschungen von Friedrich Wilhelm Wodtke deutlich gemacht. (Zuerst erschienen in: Orbis litterarum, Revue internationale d'études litéraires, Tome X V I , Fase. 3—4, Kopenhagen 1961.) Hier findet man zum erstenmal eine chronologisch exakte Abgrenzung des Themas Antike bei Benn. Da ist zunächst die dionysische Auffassung im Frühwerk, der rauschhafte, ästhetische wie metaphysische Irrationalismus der Rönne-Jahre, dann die orphische Schau der mittleren Zeit, die Beschwörung des Nachtund Todesmotivs der Antike und, seit den dreißiger Jahren etwa, die apollinische Sicht, die Verherrlichung des statischen Seins der Kunst, der Sieg des luziden Formspiels über die allgemeine Vergänglichkeit. Darüber hinaus findet man in dieser Studie in langer Beweiskette die quellenmäßige Herkunft der Bennschen Südthematik angegeben. Es ist der eindrucksvolle Nachweis, daß Benn gerade in diesem Punkte sehr viel zitiert, ja, daß er oft umfangreiche Passagen aus seinen Quellen wörtlich übernimmt. Nicht zuletzt findet man in dieser Schrift als wertvollen Beitrag zur BennDeutung die überzeugende Darlegung, daß die Antike im Werk Benns keine historisierende Reminiszenz, auch nicht Bildungsgut oder ähnliches ist, sondern daß hier, wie bei Nietzsche, ein tiefgehendes, existentielles Verhältnis zum Süden und zum Griechentum vorliegt. Der Verfasser geht von der Tatsache aus, daß Benn hinsichtlich des Südthemas ganz unter dem Einfluß Nietzsches steht, wobei die Polarität des Dionysischen und Apollinischen, wie Nietzsche sie in der 'Geburt der Tragödie' konzipierte, von besonderer Bedeutung ist. Dieses polare Spannungsfeld ist nicht nur bedeutsam für die Chronologie des Bennschen Werkes, es erklärt darüber hinaus das Wesen des Dichters als Ganzes. Man betrachte nur die mannigfachen Äußerungen Benns über das lyrische Ich, immer ist es die Kombination aus rauschhaftem inneren Erleben und geistiger Formstrenge, was er zur Kennzeichnung des Schöpferischen anführt. Die Namen Dionysos und Apollon sind in diesem Zusammenhang Ausdruck einer neuen mythischen Sinngebung des Daseins. Im Zeichen des Dionysos geschah einerseits der Aufstand des 'Expressionisten' Benn gegen die verhärtete Front der Umwelt, gegen den zeitbeherrschenden Positivismus und Rationalismus. Apollon dagegen wurde später zum Symbol der personal und künstlerisch gefestigten Haltung, als die Zeit selbst aus den Fugen geraten war, und die Verfestigung sich verkehrt hatte in irrationalen Wahnsinn. Immer aber ist für Benn das Südmotiv, wie Wodtke klar herausstellt, das entscheidende Normativum im Wert-Vakuum der götterlosen Zeit. Die Gegenwart faßt Benn im Sinne Hölderlins als Nachtzeit auf, nur die Beschwörung des mediterranen Seins (als Götterwelt, mythische Landschaft und gesdiichdiche Vergangenheit) kann noch als Wert dem allgemeinen Nihilismus bildhaft entgegengehalten werden. Im Hintergrund dieser Südthematik steht, wie der Verfasser überzeugend aufweist, deutlich das Ver-

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langen -des Geistes nach einer letzten mystischen Einigung mit dem Seinsgrund der Welt. Benn spricht selbst wiederholt, in Anlehnung an Piaton von Anamnesis. Wiedererinnerung und Beschwörung sind die letzte Form der Begegnung mit dem göttlichen Grund allen Geschehens, um den die Griechen noch als Ganzheit wußten. »Was Benn also fordert,« sagt Wodtke an einer Stelle zusammenfassend, »ist Erneuerung der Antike und des antiken Geistes aus der Innerlichkeit des modernen Menschen, der sich seiner archaischen Ursprünge bewußt werden muß. Existentielle Echtheit besitzt nur, wer in das Mysterium des antiken Lebens, in die Geheimnisse antiker Mythen zutiefst eingeweiht ist« (76). Man darf mit Recht in der vorliegenden Deutung der griechischen Götter (Dionysos, Orpheus, Apollon oder an seiner Stelle, Pallas Athene) als mythische Existenzsymbole einen wesentlichen Beitrag zur Erhellung der immer noch sehr verschlüsselten Dichtung Benns sehen. Daneben kommt aber als gleichbedeutende Leistung der schon erwähnte Quellennachweis für die künftige Benn-Forschung in Betracht. Diese Nachweise sind für die Interpretation der betreffenden Prosastücke und Gedichte von größtem Wert. Man wird von jetzt ab, je nach Text, an neuzeitlichen Autoren neben Nietzsche vor allem Taine, Burckhardt, Rohde und Bachofen, an alten Quellen Piaton, Ovid, Plutarch und Apuleius zum rechten Verständnis hinzuziehen müssen. Was man vorher als freie Assoziation ansehen mußte, stellt sich durch die vorliegende Untersuchung als erstaunlich ausgedehnte, wörtliche Übernahme von Informationsmaterial heraus. Am verblüffendsten ist dabei wohl die enge Anlehnung an Erwin Rohdes 'Psyche' (vgl. Wodtke, S. 40 f.; od. 92 f.) und Jacob Burckhardts 'Griechischer Kulturgeschichte, (vgl. Wodtke, S. 111 ff.). Es hat sich bisher vielfach herausgestellt, daß man bei Benn mit derartigen Vorlagen zu rechnen hat. Wenn das aber in solchem Ausmaße der Fall ist, wie sich hier zeigt, und wenn sich beispielsweise ein so wichtiger Essay wie 'Dorische Welt* »in fast allen Details und Einzelzügen« als »eine oft wörtlich zitierende >Montage< « (112) erweist, so ist das zweifellos eine Entdeckung von weittragender Bedeutung. Abschließend sei bemerkt, daß sich neben der Objektivität und Gründlichkeit dieser hervorragenden Studie auch die Haltung des Verfassers zur letztgenannten Frage in Zukunft als vorbildlich auswirken möge, daß man Benn nämlich das Zitieren und Montieren als dichterisches Recht zugesteht, und daß es in keiner Weise auf die heutige Bedeutung, Gültigkeit oder Ungültigkeit der Vorlage ankommt, sondern nur darauf, was Benn daraus gemacht hat.

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Beda Allemann, Gottfried Benn. Das Problem der Geschichte. Pfullingen 1963. Verlag G. Neske. 59 S. Diese Studie ist eine Erweiterung des 1956 zum 70. Geburtstag von Benn im 'Merkur' erschienenen Aufsatzes von B. Allemann. Die damals durchgeführte Untersuchung eines statischen Gedichtes und die daraus resultierende Spezifizierung der Begriffe Terspektivismus' und 'Entwicklungsfremdheit' wird nun fortgeführt mit der Frage nach der »antihistorischen Tendenz« bei Benn. Im ersten Teil schon zeigt sich auf gedrängtem Raum die profunde Sachkenntnis des Verfassers. An Hand der genannten Begriffe wird kurz und einsichtig das Verhältnis zu Nietzsche umrissen und gleichzeitig schon der Hauptaspekt dieser Schrift angedeutet, dis perspektivisch arbeitende Bewußtsein, das »einsam, aber tänzerisch« mit den universal-historischen Gegebenheiten »seine dichterischen Spiele treibt«; » . . . ein leichtfüßiges Gleiten auf allen Möglichkeiten des modernen Bewußtseins und damit eine neue künstlerische Freiheit« (8). Ausgezeichnet sind auch die methodologischen Betrachtungen des ersten Teils über die enge Verbundenheit von Essay und Dichtung und über die Notwendigkeit der Interpretation der scheinbar nur theoretischen Terminologie bei Benn. Der Verfasser demonstriert seine Auffassung dann am Geschichtsbegriff Benns, der » . . . nicht ohne weiteres mit der bei Benn vorkommenden Vokabel >Geschichte< « (18) übereinstimmt. Er versucht, dem Begriff »in den Rücken zu gelangen«, und man muß sagen, daß dieser Versuch, im Gegensatz zu anderen Darstellungen dieses Themas, hier in überzeugender Weise gelungen ist. Das mag wohl vorwiegend daran liegen, daß die konkreten Bezüge Benns zur Geschichte (und Politik) dem Verfasser nicht den Blick verstellen, daß dieser vielmehr ausschließlich die geistigen Züge von Benns Geschichtsdenken im Auge hat. Er weist auf die tiefe Skepsis hin, die Benn gegenüber den kategorialen Grundlagen von Geschichte und Geschichtswissenschaft, nämlich Raum, Zeit und Kausalität, hat. Aber auch diese Ablehnung der Geschichte ist nur ein »Vordergrundsaspekt«, sagt Allemann im Hinblick auf den eigentlichen Grund des Problems, der sich nur in der Lyrik Benns auffinden läßt. Damit schlägt der Verfasser den einzig legitimen Weg ein, der tatsächlich zu Benn hinführt. Die Methode Lohners findet hier ihre Bestätigung. Was Allemann auf Seite 24 sagt, ist eine deutliche Absage an alle Versuche, Benn unter logisch-deduktiven Gesichtspunkten begreifen zu wollen. Es ist »methodisch falsch«, heißt es dort, die Prosa Benns » .. . unter nicht-poetologischen, zum Beispiel philosophischen, wissen schafts theoretischen oder einzelwissenschaftlichen Gesichtspunkten zu >beurteilenKriegsgesdiichte< und Kausalgenetik mit jener inneren Geschichtlichkeit des Wortes verbinden, die das Wesen der Bennschen Dichtung ausmacht? Es ist ein großes Verdienst der vorliegenden Studie, mit dieser Korrelation die sogenannte Geschichtsfeindlichkeit Benns legitimiert zu haben. Damit kommt ein neuer Aspekt in die Benn-Deutung, der manches bisher Gesagte einer Revision überantwortet.

STIL U N D LEBENSGEFÜHL PETRARCAS BEI UMBERTO BOSCO Von Kurt Reidienberger Durch die Dichtungen seines 'Canzoniere', die er selbst in affektierter Bescheidenheit als »nugellae« oder »ineptiae« zu bezeichnen liebte1, hat Petrarca eine Breiten- und Tiefenwirkung erreicht wie kein anderer Dichter vor oder nach ihm. In der zweiten Hälfte des Quattrocento und zu Beginn des Cinquecento vollzieht sich der von ihm selbst inaugurierte Übergang vom umanesimo latino zum umanesimo volgare, d. h. zum Dichten und Schriftstellern in der Volkssprache. Im Zusammenhang damit erfolgt eine Intensivierung der biographischen Studien um den echten Petrarca; er wird zum Symbol eines verfeinerten, von einer wachen Intelligenz geleiteten Lebens, wobei der Kreis um Bembo eine entscheidende Rolle spielt. Die Fülle der entstehenden Liebestraktate und cum grano salis auch Castigliones 'Cortigiano' wie Deila Casas 'Galateo' stehen ebenso unter seinem Einfluß wie die Lyrik des Seicento und Settecento. Und nicht nur die Dichtung Italiens trug Jahrhunderte hindurch ein petrakistisches Siegel, dank Bembos Bemühungen ergoß sich sein Einfluß wie ein breiter Strom in die europäischen Literaturen von Portugal bis nach England und Ungarn, und auch seine gelehrte Vorliebe für die antiken Autoren, die der italienische Renaissancehumanismus begeistert aufgegriffen hatte, führte einen entscheidenden Wandel im Bild der abendländischen Kultur herauf. Bei uns Heutigen überwiegt das Interesse an Petrarcas lyrischer, speziell volkssprachlicher Dichtung; für die Bestimmung seines geistigen Standorts hingegen sind die lateinischen Prosaschriften fast noch wichtiger. Es ist daher von besonderer Bedeutung, wenn Umberto Bosco in seiner Petrarca-Monographie 2 gerade die Wechselbeziehung zwischen stilistischen Ausdrucksformen und menschlichem Hintergrund zum Gegenstand einer großangelegten Werkanalyse macht. Ohne eine Beschränkung auf die Darstellung seines Humanismus oder die Problematik seiner literarischen Geschmacksbildung wird hier der Versuch unternommen, die zentrale Seinsgrundlage aufzudecken, aus der Denken und poetische Wirksamkeit des großen Toskaners resultieren. Abweichend von der Auffas1 Petrarca veröffentlichte sie nach 1366 unter dem ebenfalls anspruchslosen Titel 'Rerum vulgarium fragmenta', der allerdings in den modernen Editionen meist durch 'Rime' ersetzt wird. 2 Francesco Petrarca (Biblioteca di cultura moderna) Bari: Edizione Laterza 1961; das Buch ist überarbeitete und erweiterte Fassung der 1946 erschienenen Erstauflage.

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sung eines Leopardi, De Sanctis, Carducci, die glaubten, aus den Themen des 'Canzoniere' eine Geschichte der seelischen Entwicklung Petrarcas erschließen zu können, hebt Bosco den statischen Charakter der 'Rime' wie auch der meisten seiner philosophischen Prosaschriften hervor. Alles was wir von Petrarca besitzen, gehört stilgeschichtlich in seine zweite Lebenshälfte; die wenigen Stücke, die zeitlich über das Jahr 1338 hinausgehen, sind später in einer so grundlegenden Weise umgearbeitet worden, daß ihr Stil sich in nichts von dem seiner reifen Jahre unterscheidet. Petrarcas Werk bildet einen Block: der wenige Jahre vor seinem Tode geschriebene 'Trionfo delPEternita' könnte gleichzeitig mit dem dreißig Jahre früher verfaßten 'Secretum' entstanden sein. Doppelte, in einzelnen Fällen sogar dreifache Fassungen bestimmter Prosaschriften enthüllen so gut wie nichts von der inneren Biographie des Dichters, da sie ausnahmslos der späteren Schaffensperiode angehören. Die Varianten selbst stehen in enger Beziehung zum Kontext; durchgängige Änderungstendenzen sind nicht ersichtlich. Diese für die Petrarcaforschung grundlegende Erkenntnis bestimmt auch den Gang der boscoschen Untersuchungen. Die Tendenz einer allegorischen Interpretation des 'Canzoniere', die durch eigene Bemerkungen hervorgerufen schon bei Bocaaccio und Giacomo Colonna anzutreffen ist, hat gelegentlichen gegenteiligen Aussagen des Dichters zum Trotz besonders im Seicento und Settecento gewaltig um sich gegriffen. Obwohl mit der Romantik eine Wende eintritt, sind es dann andere Aspekte bei Petrarca, die in den Vordergrund treten, wobei Laura bis zu Benedetto Croce als bedeutendes kritisches Problem bestehen bleibt. Ausgehend von den Opera latina, in denen sie zwar nicht gänzlich unerwähnt bleibt, aber doch aufs Ganze gesehen eine mehr als nebengeordnete Rolle spielt, erweist sich die Liebe zu ihr als Episode, die der lyrische Dichter Petrarca freilich als zentrales Erlebnis hinzustellen bemüht ist. Wenn damit allegorische Interpretationen sich ausschließen, so geht es doch anderseits darum, den Gehalt an Hoffnung und Verzweiflung näher zu bestimmen, den Petrarca im Bild der Liebeshoffnung und -Verzweiflung besang. Überaus charakteristisch für die Art des 'Canzoniere' ist das fast völlige Fehlen realistischer Beschreibung. Die Gestalt Lauras bleibt im Ungewissen, wenn auch hier und da einzelne Züge wie das mit dem Schleier verborgene Auge oder die feine weiße Hand betont werden. Die Situationen, in denen sie hochmütig oder huldvoll lächelnd, sanft oder verzweifelnd erscheint, sind zufällige Begegnung, Abreise, Ausweichen oder versuchte Flucht, Krankheit, Erscheinungen und Visionen. Die Unmöglichkeit, seine Liebe zu verbergen, eine zu kühne Sprache oder ähnliche Nichtigkeiten sind imstande, ihm die Verachtung seiner Dame zuzuziehen, und es resultieren Erbleichen, Weinen, Klagen und Bitten, das Verlangen, sie zu sehen und ungezählte Sorgen und Ängste. Nach ihrem Tode lebt sie in seiner Erinnerung, die noch einmal nacherlebend alle Stationen der Vergangenheit evoziert. Die realistischen Züge betreffen den Dichter selbst: wie Meilensteine sind die Jahrestage der ersten Begegnung über den 'Canzo-

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niere* verstreut. In kreatürlicher Manier bemerkt er an sich selbst die Zeichen des Alterns: »in fin ch' i' mi dissosso, e snervo e spolpo« heißt es nicht ohne selbstquälerische Präzisierung 3. Doch abgesehen von Spezialfällen dieser Art, die erst im Zeitalter des literarischen Manierismus ihre beängstigende Wirksamkeit entfalten, bleibt der 'Canzoniere' typisierte Erzählung ohne realistische Vertiefung: eine beispiellose Liebe zur Herrin, idealisiert, aber dennoch menschlich, mit dem Lobpreis von Schönheit und Tugend, der Darstellung von Liebe und schmerzlichem Verzicht. Die allgemeine Auffassung, daß Petrarca in den 'Rime' aus den ätherischen Höhenregionen des provenzalisch-stilnovistischen Frauenkults hinabsteige auf die Erde, ist in den Grundzügen zutreffend. Er sucht in seiner Dichtung eine Atmosphäre gelebter Wahrheit zu erzeugen, die allerdings weit entfernt ist von der Treue des Chronisten. Erstaunlich bleibt, daß die Geliebte, obwohl doch im einzelnen nicht beschrieben, zum Mittelpunkt des Bildes wird, auf den alles übrige sich bezieht: das Gras und die Blumen sehnen sich danach, von ihrem Fuß berührt zu werden, und der Himmel strahlt, wenn er von dem Lidit ihrer Augen erhellt wird. Bosco sieht in Petrarca einen Verliebten, dessen Freuide in der Kontemplation sich erfüllt. Indem er die Gestalt Lauras zum Idol erhebt, vollendet der Tod diese Entwicklung. Unverwechselbar im Ton ist die elegische Gestimmtheit, welche den eigenen Schmerz verzärtelt: der Dichter bedauert sich selbst und sein Schicksal. Im Kern seiner Dichtung steht eben dieser Wechsel von kontemplativer Freude und frustriertem Schmerz, eine Mischung von expansiver Bewegung und einem mimosenhaften Zurückziehen auf sich selbst, die in der Hingabe an die Traumwelt und die ständige Wiederaufnahme der elegischen Meditation ihre Höhepunkte findet. Als Mittel der Selbstvergessenheit enthält sie Erdadites, nicht Gegenwärtiges; daher auch jene äußerste Seltenheit realistischer Elemente und das fast völlige Fehlen des Sinnlichen, das von Bosco hier im Gegensatz zur communis opinio hervorgehoben wird. Wo Sinnlichkeit bei Petrarca vorhanden ist, verbindet sie sich aufs engste mit jener kontemplativen Abstraktionsfähigkeit, die für ihn charakteristisch ist. Die auf diese Weise empfundene Freude wird bei ihm zum lyrischen Thema kat' exochen, manchmal von einer Intensität, die in Qual und konvulsivische Selbstzerstörung übergeht. In der petrarchesken Lyrik dominiert, wie bereits von seinen ersten Lesern gefühlt und erkannt, von De Sanctis und der auf ihn folgenden Generation der Literaturkritik genauer umrissen wurde, ein Sinn für die Vergänglichkeit alles Lebenden. Vom Schlußvers des als Prooemium voraufgeschickten Sonetts strahlt es aus und erfüllt die 'Rime' bis zu den letzten Seiten. Jeden Augenblick fühlt der Dichter, wie das Leben in großen Sätzen davoneilt; nur die Trauer hat Bestand. Bis in die 'Familiäres* hinein ist dieser Gedanke zu verspüren, und es hat fast den Anschein, als könne der Dichter ihn nicht oft genug wiederholen. Seelische Verfassung und instinktive Intuition, nicht antiker Einfluß, treiben ihn, bei 3

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den Klassikern die seinem Gefühl korrespondierenden Stellen aufzusuchen und sich an ihnen zu erfreuen; zu sehen, daß das, was er in seinem Innern dunkel und ungeformt erahnte, bei ihnen in klarer Form ausgedrückt ist, und sich so eins zu fühlen mit den großen Autoren der Vergangenheit 4. Petrarca kennt und fürchtet die Unbeständigkeit nicht nur im Hinblick auf die äußeren Ereignisse, die vielbeschriebenen Wechselfälle der Fortuna. Auch das Innenleben, die Welt seiner Empfindungen, ist der Labilität unterworfen. Die Macht der Erinnerung erweist sich als Schicks aismacht. Die Stelle raus den 'Seniles' ( I I I 9): »In questo mondo noi odiamo sempre il presente, come odiammo il passato quando era presente, e odieremo il futuro quando verra. Solo il ricordo e Paspettativa son dolci: si che e facile comprendere quanto sia da valutare ciö che non piace se non h assente« entwickelt geradezu eine Psychologie der Veränderlichkeit. Das beängstigende Thema von der Flucht der Zeit (Canz. L V I 3: Ora, mentre ch'io parlo, il tempo fugge) konnte er bei Horaz in den 'Carmina' finden 5. Wie öfter bestätigt sich auch hier das oben angedeutete Selektionsprinzip, das ihn seiner seelischen Gestimmtheit analoge Elemente sich anverwandeln läßt. Das Zeitmotiv erscheint in Petrarcas Metaphorik im Bild der beiden Jagdhunde, des schwarzen und des weißen, die, als Symbol für Tag und Nacht, ihr Opfer hetzen, bis es zusammebricht. Der Dichter spürt sie auf den Fersen, und es vergeht auch nicht der kleinste Zeitraum, den er nicht mit Ängsten verrinnen fühlt: »La vita fugge e non s'arresta una ora« (Canz. C C X X I I 1). Am Ende steht unausweichlich der Tod; eine Umkehr ist nicht möglich. So wird das Getriehensein von der Zeit zur Obsession: »Sento i singoli giorni e ore e istanti spingermi verso la fine« (Fam. X X I V 1, 13). Tage und Stunden nehmen Gestalt an, um ihn in den Abgrund des Nichts hinabzustoßen, eine halluzinatorische Vision für die Flucht der Zeit, erlebt und erlitten mit jener gewaltsamen Dichte, welche die Freude der Kontemplation in drängende Angst und qualvolle Zuckungen verwandelt. Die Intensität dieser Gefühle könnte zum Wahnsinn führen oder zum unartikulierten Aufschrei als spasmodischer Poesie des Augenblicks. Bei Petrarca bekennt die Seele ihre Müdigkeit. Nicht ohne geheimen Kontrast zum Schmerz über die Rastlosigkeit des irdischen Streben s verlangt sie nach Ruhe, nach Frieden. Diese Müdigkeit löst sich lyrisch in Todesverlangen und Todesangst. Aber die Hoffnung auf den Tod, die er manchmal äußert, ist gleichwohl nicht ohne störenden Zweifel: es schreckt ihn der Augenblick des Übergangs, eine kreatürliche Angst vor den letzten Stunden hält ihn erfaßt. Der Tod stellt sich nicht dar als das ersehnte Ziel des Asketen, sondern als das fürchterliche Unvermeidliche, 4 Von der Kritik ist dies in der Bedeutung für das Ganze verschieden beurteilt worden, vgl. B. Croce, La poesia del Petrarca, in: Poesia popolare e poesia d'arte, Bari 1933, p. 71; A. Momigliano, Storia della letteratura italiana, Messina-Milano 31938, p. 63 ff., und C. Calcaterra, Nella selva del Petrarca, Bologna 1942 passim. 5 Carm. I 11, 6—8; vgl. auch Ovid, Am. I 11, 15 und Seneca, Ad Lucil. L V I I I 22.

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dessen Schatten seit eh und je sein Leben verdunkelt. Der Tod ist nicht Anfang, sondern Ende, ein fürchterliches Ende; das Todesverlangen nichts anderes, als der Wunsch schnell zum Ende zu kommen, das sich doch nicht vermeiden läßt, eine andere Form also der Angst vor dem Tode. Die einzige Hoffnung, die ihn aufzurichten vermag, ist die auf Gott als Prinzip der Beständigkeit. Der Gedanke an ihn allein ist Ruhe: Se per un viaggiatore e cosi dolce una zolla d'erba e una piccola fönte all'ombra d'un albero, che cosa sarä mai l'aver trovato fra le mortali molestie della vita una fönte d'acqua zampillante verso la vita eterna, e un ombra che ci protegga non per lo spazio d'una breve ora, nh soltanto dal calore del sole, ma in eterno, e da ogni avversitä e paura? 6« Aufschluß über eine andere Seite Petrarcas gibt die berühmte Seite des 'Secretum', wo von der »accedia« des Dichters die Rede ist. Die Unsicherheit des angestrebten Ziels, verbunden mit einer inneren Unzufriedenheit sind Korrelativ der Unausgeglichenheit seines frühreifen Individualismus. Ihren äquaten Ausdruck findet diese Geisteshaltung einmal in Gestalt der Elegie, wie sie von den antiken Vorbildern vorgebildet war, zum anderen in einer fast romantisch zu nennenden Form der Selbstbemitleidung, von welcher der 'Canzoniere' erfüllt ist. Dichtung als lyrische Meditation über die Enttäuschungen der Liebe wechselt hinüber zu ausgekosteter Wollust des Weinens. Der Dichter genießt das bittere Vergnügen, sich immer aufs neue in seiner Hoffnung getäuscht zu sehen, und verhätschelt in seiner Phantasie einen unablässig sich erneuernden Schmerz. Literatur und Leben sind eine enge Verbindung eingegangen; auch im gelebten Leben will sich Petrarca von der verachteten Primitivität des »volgo« unterscheiden. Dieses Lebensideal erreicht er, ebenso wie in seiner Kunst, nicht in der Anlehnung an die Erfahrung des Alltags, sondern er gewinnt es aus dem Studium seiner Bücher. In den Schriften der Alten, die den Mythos vom einsamen Leben verherrlichen, findet Petrarca Direktive und nachträgliche Bestätigung seines Lebensgefühls. Handbuch und Mustersammlung für diese antike Kanonisierung des Lebens ist sein 'De remediis utriusque fortunae', das für jede Situation des Lebens einen klassischen Präzedenzfall bereitstellt und so zu einem Vademecum der Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts wird 7 . Zu den philologischen Aspekten seines Humanismus gehört, daß selbst die religiösen Wahrheiten von der Bestätigung durch die Antike nicht ausgeschlossen sind; wie Augustin jubelt Petrarca, so oft er die Übereinstimmung eines christlichen Gedankens mit der griechisch-römischen Philosophie feststellen kann. Sein Platonismus ist im Grunde eine Rückkehr zur Antike. Die Abneigung gegen Aristoteles wird mitbestimmt durch die antikem Denken fremde Art zu argumentieren, wie sie dem scholastischen Studienbetrieb entsprach. Die Bevorzugung Piatons verborgenerer und aristrokatischer Doktrin ist so einerseits eine Frage der Exklusivität, erklärt sich aber zumal aus der 6 7

De otio, ed. G. Rotondi, I I p. 90.

Hierzu K. Heitmann, La genesi del 'De remediis utriusque fortunae', in: Convivium 1 (1957), pp. 9—30.

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Wertschätzung durch Cicero und dem Anteil, den er der Phantasie, dem Traumhaften, dem Gefühl im Gegensatz zu dem mehr wissenschaftlich exakt orientierten Aristotelismus einzuräumen gewillt ist. Bis zu einem gewissen Grade literarisch bestimmt erscheint auch seine politisch-patriotische Einstellung, mit dem Wunschtraum eines ohne Krieg geeinten Italien, eines neuen römischen Imperiums und einer neuen »pax romana«. Schwärmerische Rückblicke dieser Art — Cola di Rienzo erscheint ihm, wenigstens zeitweise, als »Brutus redivivus« — implizieren freilich kein echtes Bewußtsein politischer Freiheit, bestimmen aber doch die Eloquenz und die elegische Gestimmtheit der großen Kanzonen. In mehr als einer Hinsicht tendiert Petrarca zur Konstruktion. Die literarische Natur seiner Inspiration findet in den 'Trionfi' ihren Höhepunkt. Ebenso wie die in seinem Epos 'Africa' dargestellte Episode Wahrheit und Poesie verkörpert, stellen auch die 'Trionfi 1 als programmatische Überwindung der persönlichen Dichtung eine aus der antiken Literatur gewonnene Idealwelt dar. Schon von daher zeigt sich, daß es ein Irrtum wäre anzunehmen, das »volgare« sei für Petrarca eine Sprache intimer Bekenntnisse; tritt er doch durch die 'Trionfi' in bewußten Wettstreit mit den provenz alischen Lyrikern, dem 'Roman de la Rose' und Dantes 'Commedia*. Es geht ihm darum, nachzuweisen, daß hohe Poesie auch in der Volkssprache möglich ist. Mit einer nodi unausgebildeten Sprache will er Gedichte machen, die des Lateinischen würdig sind. Die geringe Abhebung der Verse und Reime, die prägnante Kürze, mit der er eine Beobachtung festhält oder einen Gedanken entwickelt, alles weist in die Richtung seines Bemühens um äußerste Sprachbeherrschung. Dabei verwendet Petrarca konzeptistische Gedankenfiguren neben den einfacheren Mitteln der Worthäufung und Wortwiederholung wie Anapher, Parallelismus und versefüllendem Asyndeton. Seine seelische Zerrissenheit äußert sich in einem alle Bereiche des Metaphorischen miteinbeziehenden Antithesenstil, der sich oft bis zum Oxymoron zuspitzt. Gewaltsamkeiten und sprachliche Härten bilden indessen die Ausnahme: das größte Raffinement seines Stils beruht auf seiner scheinbaren Einfachheit, die freilich auf einer erhöhten Stilebene zu suchen ist. Im Streben nach unkomplizierter Syntax, einem formelhaft reduzierten Wortschatz und suggestiv einfachen Bildern gelingt es Petrarca, den leidenschaftlichen Themen seiner Dichtung ihre Virulenz zu nehmen ud ihr zugleich den lautlichen Wohlklang und jene Musikalität zu verleihen, die ihn zum bewunderten Vorbild der europäischen Sonettdichtung machten. Indem es Bosco erreicht hat, die seelischen Motive seiner Dichtkunst freizulegen, entsteht gleichsam die innere Biographie Petrarcas, und damit die Möglichkeit, seine wechselnden Einflüsse auf die Literatur des Quattro- und Cinquecento aus dem proteisch schillernden Wesenskern seiner Lyrik zu begreifen.

HISTORISCHE W A N D L U N G E N DES RENAISSANCEBEGRIFFS SEIT B U R C K H A R D T Ergebnisse und Deutungen des Symposiums der Medieval-Renaissance Guild Von Kurt Reichenberger Angesichts des Umfangs, den die Literatur zur Renaissanceforschung in den letzten Jahrzehnten angenommen hat, wird es dem Außenstehenden immer schwerer, Einzelergebnisse in einem größeren Zusammenhang zu sehen und ihre Bedeutung für das Gesamtbild in ihrer vollen Tragweite zu erfassen. Um so lebhafter muß ein Unternehmen wie das der Medieval-Renaissance Guild begrüßt werden, in einem Symposium aus Anlaß des hundertsten Jahrestags von G. Voigts 'Wiederbelebung des classischen Alterthums' und J. Burckbardts 'Cultur der Renaissance in Italien' in einer Reihe von Einzel vorträgen die Entwicklungslinien sichtbar zu machen, die das Renaissancebild zur Zeit ihres Erscheinens mit dem unserer Tage verbindet, um durch Nachvollzug der sukzessiven Modifikationen, -denen es unterworfen war, den nuancenreich komplizierten Standpunkt zu erhellen, der sich aus hundertjähriger Forschungsarbeit ergibt, und zugleich Desiderata für weitere Arbeit aufzuzeigen 1. Indem der Gesamtkomplex in größere Teilgebiete aufgespalten und deren Behandlung namhaften Gelehrten übertragen wurde, die über den Gegenstand aus der Sicht ihres Fachgebiets berichten, resultiert zugleich eine kaleidoskopartige Brechung, in der sich die kulturgeschichtliche Gesamtschau Jacob Burckhardts im Lichte der wissenschaftlichen Einzeldisziplinen darstellt 2. Ein solches Vorhaben wird auf die Überprüfung der grundlegenden historischen Voraussetzungen besonderen Wert legen. In seinem Beitrag »Some revisions of the political history of the Renaissance«3 gibt daher Garrett Mattingly zunächst eine kurze Überschau der Archivbestände, die für die Erforschung des Renaissancezeitalters von Wichtigkeit sind, und den Stand der Veröffentlichung des in ihnen enthaltenen Quellenmaterials. Die stattlichen Editionsreihen in der A r t der 'Colección de Documentos Inéditos', der noch umfangreicheren 'Collection des documents inédits' und der 'Letters and Papers of Henry V I I I . ' , die im Zusammenhang mit den 1 Die Vorträge erschienen, herausgegeben von Tinsley Heiton , unter dem Titel: The Renaissance. A Reconsideration of the Theories and Interprétations of the Age, Madison: The University of Wisconsin Press 1961, Neudruck 1964. 2 Vgl. hierzu insbesondere die Beiträge von G. Mattingly , P. O. Kristeller , E. Rosenthal und B. Weinberg , a.a.O. pp. 12, 29/30, 55 und 107—111. 3 A.a.O. pp. 3—25.

28 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 5. Bd.

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gelehrten Arbeiten Rankes, Froudes, Motleys und des Abbé Mignet in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erschienen waren, sind wenige Jahre nach der Jahrhundertwende zum Erliegen gekommen, obgleich die Schätze der großen Staatsarchive nur zu einem Bruchteil — Mattingly schätzt die in der 'Colección de Documentos Inéditos' abgedruckten Urkunden aus der Kanzlei Ferdinands und Isabellas zum Pyrenäenfrieden auf nicht mehr als fünf Prozent dessen, was allein im Archiv von Simancas liegt — veröffentlicht sind. Was die zeitliche Abgrenzung des Renaissancezeitalters anbelangt, werden einige Versuche erörtert (Arnold Toynbee, Ernesto Sestan), den Beginn der Epoche in die Zeit des Aufstiegs der italienischen Kommunen im 11. Jahrhundert oder gar die Entstehungszeit der germanischen Nachfolgestaaten auf dem Boden des römischen Imperiums vom 6. bis 8. Jahrhundert zurückzuverlegen. Mögen auch manche der für die Renaissance kennzeichnenden Züge in ihren Ursprüngen weit zurückreichen, so erscheine doch bedenklich, allein darauf eine neue Periodisierung vorzunehmen. Wofern man den Renaissancebegriff nicht völlig seiner Konturen berauben wolle, sei er der Bezeichnung der kritischen Phase des Ubergangs von einer einheitlichen, hierarchisch geordneten, jenseitig orientierten lateinischen Christenheit zu einer heterogenen, weltlich orientierten Gesellschaft autonomer Staaten vorzubehalten, die das Gesicht des modernen Europa bestimmen. Für Italien beginne dieser Abschnitt nicht wesentlich vor 1400, im übrigen Europa etliche Jahrzehnte später. Als Kriterien werden die Ablösung feudaler und kommunaler Milizen durch Söldnertruppen, die beginnende Anwendung fortschrittlicher diplomatischer Techniken, einschließlich der Verwendung ständiger Gesandter, das Heranwachsen einer zivilen Verwaltung mit bürokratischen Methoden und fortgeführten Akten, sowie das Aufkommen des Bewußtseins einer moralischen Autonomie politischen Verhaltens genannt. Aus den Problemkreisen, welche die Geschichtswissenschaft seit Burckhardts 'Cultur der Renaissance in Italien' beschäftigen, greift Mattingly zwei Fragen von besonderem Gewicht heraus: Die nach dem Verhältnis der -politischen Struktur Nord- und Mittelitaliens zur kulturellen Blüte dieser Zeit und die nach den Gründen für den Zusammenbruch des italienischen Staatensystems unter dem Druck der Invasoren. Einen ursächlichen Zusammenhang sieht Hans Baron in dem entschlossenen Widerstand der Florentiner gegen die Machtgelüste des ehrgeizigen Giangaleazzo Visconti, der unverhofften Rettung der Stadt und der Ausbildung eines selbstbewußten, auf freiheitlichen Prinzipien begründeten Bürgerstolzes als der Grundlage für die Entwicklung einer blühenden Renaissancekultur4. Von methodologischem Interesse ist die Untersuchung der Gründe für den Zusammenbruch des italienischen Staatensystems zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Die institutionell und verfassungstheoretisch 4 Vgl. H . Baron, The Crisis of the Early Italian Renaissance, 2 vol., Princeton 1955 und id. y Humanistic and Political Literature in Florence and Venice at the Beginning of the Quattrocento, Cambridge, Mass. 1955.

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orientierte Kritik Machiavellis erscheint aufs Ganze gesehen ebenso unzureichend wie die mit Akzidentellem operierenden Erklärungsversuche Guicciardinis. Seine ständigen Klagen über die mangelnde Tüchtigkeit der Söldnertruppen beruhen offensichtlich mehr auf einer sorgsam gehegten Vorliebe für den Milizgedanken als greifbaren Tatsachen und werden als These durch seine eigenen Berichte sowie durch urkundliches Beweismaterial aufgehoben 5. Eine Lösung bringt die schon von Jacob Burckhardt angedeutete, prima vista so einfach erscheinende Feststellung, daß die italienischen Kleinstaaten, unabhängig von der Form ihrer Regierung, allein auf Grund ihrer inhärenten wirtschaftlichen und militärischen Schwäche gegen die neuerstandenen Nationalstaaten Europas und ihre überlegenen Machtmittel nicht aufzukommen vermochten. Dazu wird man auch wirtschaftsgeschichtliche Größen, wie die Absatzschwierigkeiten der florentinischen Tuchindustrie und den Niedergang des genuesischen und venezianischen Seehandels nicht völlig außer acht lassen können. Mattingly neigt zu einer Unterbewertung solcher Faktoren; das Beispiel, das er zur Bestätigung heranzieht, ist freilich besonders unglücklich gewählt: Gerade im Hinblick auf den ostindischen Gewürzhandel der Portugiesen und seine katastrophalen Folgen für die Seemächte Genua und Venedig fehlt es nicht an dokumentarischen Belegen6. Paul Oskar Kristeller hat seinen Beitrag zur Phi'losophiegeschichte des Renaissancezeitalters »Changing views of the intellectual history of the Renaissance« überschrieben 7. Mit der Feststellung, daß Burckhardts Buch auch heute noch die Diskussion um Wesen und Erscheinungsformen der Renaissance weitgehend bestimmt und trotz mancher Kritik i n seiner ganzen Breite bisher kaum ersetzt worden sei, verbindet er eine Aufzeigung ihrer Grenzen. Sie liegen in einer unzureichenden Berücksichtigung des Mittelalters und der übrigen europäischen Länder, einer Überbewertung des Renaissancepaganismus und -Optimismus, sowie der Originalität auf Kosten der allenthalben geübten Imitatio. Als bedenklichsten Mangel empfindet Kristeller das Fehlen einer adäquaten Erörterung der Renaissancephilosophie, wenngleich er einräumt, daß dem Humanismus und seinen Ausstrahlungen auf Historiographie, Literatur und allgemeine Bildung ein breiter Raum in Burckhardts Werk zugestanden ist. In ihrer Bedeutung für die Zeit nicht erfaßt seien der florentinische Piatonismus des Kreises um Marsilio Ficino und Pico della Mirandola, der Aristotelismus des 16. Jahrhunderts und die Naturphilosophie des ausgehenden Renaissancezeitalters. Dabei sei zuzugeben, daß bei Burckhardt das Schwergewicht der 5 Aus der neueren Literatur hierzu P. Pieri, La crisi militare italiana nel Rinascimento nelle sue relazioni con la crisi politica ed economica, Napoli 1934 und N. Valeri, L'Italia nell'età dei principati, Verona 1949. 6 Vgl. G. A. Rein, Voraussetzungen und Beginn der großen Entdeckungen, in: Historia Mundi V I I , pp. 9—38 und die dort aufgeführte Literatur. Auch hätte in dem vom Autor behandelten Zusammenhang das Buch von R. von Albertini, Das florentinische Staatsbewußtsein im Ubergang von der Republik zum Prinzipat (Bern 1955), zumindest erwähnt werden müssen. 7 A.a.O. pp. 27—52. *

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Darstellung auf dem 15. Jahrhundert lag, wesentliche Bewegungen der Renaissancephilosophie aber erst nach 1530 beginnen. Die auf Burckhardt folgende Forschung hat diese Lücke ausgefüllt, indem sie einerseits den Standort des philosophischen Denkens im Renaissancezeitalter bestimmte und zum anderen seine Bedeutung für die Entwicklung der modernen Philosophie zu umreißen versuchte. Texteditionen und Studien zu einzelnen Philosophen wie Fiorentinos Arbeiten zu Pomponazzi und Telesio, Mabilleaus Studie zu Cesare Cremonini und Gentiles Werk über Giordano Bruno 8 sind neben Untersuchungen zu zentralen Problemen der Renaissancephilosophie wie Wilhelm Diltheys 'Auffassung und Analyse des Menschen Am 15. und 16. Jahrhundert' 9, Ernst Cassirers 'Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance'10, Garins Arbeiten zum italienischen Humanismus 11 und Kristellers eigenen Publikationen 12 Marksteine auf diesem Weg. Auf Grund ihrer Arbeiten wird es möglich, die wichtigsten geistigen Strömungen wie Humanismus, florentinischen Platonismus, den vor nicht allzu langer Zeit noch unbekannten Aristotelismus der Epoche und ihre bedeutendsten Naturphilosophen im Verhältnis zueinander und zur abendländischen Tradition näher zu erfassen. Im Hinblick auf den Humanismus, der als universale Bewegung von Italien aus über ganz Europa sich verbreitete, betont Kristeller in Übereinstimmung mit Burckhardt und Vogt den literarischen und gelehrten Aspekt. Seine Leistung für die Entwicklung der Philosophie im Renaissancezeit alt er sieht er darin, daß er mit den Texten der antiken Philosophen eine reiche Anzahl philosophischer Positionen eröffnete und für die Zukunft fruchtbar machte. In der Betonung künstlerischer Form und der gleichzeitigen Ablehnung scholastischer Terminologie und Methode übt er zugleich einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die philosophische Literatur der nachfolgenden Jahrhunderte aus. Als bevorzugte Themen der humanistischen Traktate erscheinen Betrachtungen über die Menschenwürde, Glück und Unglück im Menschenleben, der Anteil von Occasio und Fortuna an der Gestaltung des menschlichen Schicksals, sowie die abwägende Gegenüberstellung von tätigem und kontemplativem Leben, republikanischer Verfassung oder monarchischer Herrschaft. Indem Kristeller den Humanismus als mitempfindende Anteilnahme an menschlichen Werten definiert, warnt er zugleich vor einer allzu weiten Auslegung, wie er sie in Garins — und teilweise auch Saittas — Einbeziehung von Piatonikern wie Ficino und Pico, oder gar der Ariatoteliker des Kreises um Pomponazzi und 8 G. Gentile, Giordano Bruno e il pensiero del Rinascimento, Firenze 1920, 2. Aufl., 1940 u. d. T. I i pensiero italiano del rinascimento. 9 In: Archiv für Geschichte der Philosophie 4 (1890/91), pp. 604—651; 5 (1891/92), pp. 337—400. 10 Berlin und Leipzig 1927. 11 Vgl. E. Gar in. Der italienische Humanismus, Bern 1947; id., L'educazione umanistica in Italia, Bari 1949 und L'educazione in Europa (1400—1600), Bari 1957. 12 P. O. Kristeller, The Classics and Renaissance Thought, Cambridge, Mass. 1955 und Studies in Renaissance Thought and Letters, Rome 1956.

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Naturphilosophen wie Bruno und Patrizzi erblickt. Zur Lösung des vielschichtigen Problems wird vorgeschlagen, die Selbstinterpretation der italienischen Humanisten heranzuziehen 13. In der seit Burckhardt häufig diskutierten Frage nach der Stellung des Humanismus zum Christentum distanziert sich Kristeller von der Vorstellung einer heidnischen Renaissance mit pronunziert atheistischen Tendenzen, hebt aber im Gegensatz zu Burdach und Toffanin ihre betont weltliche Profankultur hervor. Ebenso hat die geläufige Gegenüberstellung von modernem Piatonismus und mittelalterlichem Aristotelismus sich als bedenkliche Vereinfachung erwiesen: Einerseits konnte Klibansky zeigen, daß auch im Mittelalter stark platonische Strömungen fortleben, die mit dem Renaissancepiatonismus in enger Verbindung stehen14, zum anderen mißt die Forschung der letzten Jahrzehnte dem Einfluß der aristotelischen Tradition eine steigende Bedeutung zu 1 5 . Duhem, von dessen Studien noch an anderer Stelle zu sprechen sein wird, zieht die Verbindungslinie von den Pariser Aristotelikern des 14. Jahrhunderts zu den italienischen Aristotelikern des 15. bzw. 16. Jahrhunderts und weiter zu Leonardo und Galilei 16 . Neben der averroistischen Aristotelesinterpretation der Paduaner zieht sich, wie man jetzt weiß, der Aristotelismus als breiter Strom durch das 16. Jahrhundert, und er darf keineswegs so gedeutet werden, als ob es sich hier um scholastische Rückstände handelte, sondern ist in seiner vorwiegend naturwissenschaftlichen Fragestellung als besonders fortschrittlich anzusprechen17. Gerade diese neuesten Ergebnisse werden für den Literaturhistoriker unter dichtungstheoretischen Gesichtspunkten relevant: Insofern nämlich, als die wiederentdeckte aristotelische Poetik bei den Dichtungstheoretikern des 16. Jahrhunderts im Mittelpunkt der Diskussion steht, in der zweiten Jahrhunderthälfte stetig an Einfluß gewinnt und sicher in entscheidendem Maße an dem Stilwandel vom literarischen Manierismus zum Barock mitwirkt 1 8 . Der Fragestellung seines Buches entsprechend sieht Burckhardt den entscheidenden Schritt zur modernen Naturwissenschaft in der Hinwendung 13 Materialien bei E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 2. Aufl., Bern. 14 R. Klibansky, The Continuity of the Platonic Tradition during the Middle Ages, London 1939. 15 Aber auch die Zugeständnisse, die sich daraus herleiten, scheinen Kristeller noch nicht der Sachlage zu entsprechen: »Yet I think we have to admit that the Aristotelian tradition occupied in the Renaissance, and especially in Italy a much broader and more important position than the historians of humanism are willing to grant it« (a.a.O. p. 42). 16 P. Duhem, Études sur Léonard de Vinci, 3 vol., Paris 1906—1913, Neudruck 1955, I I I , pp. 582/83. Hierzu Anneliese Maier, Die Vorläufer Galileis im 14. Jahrhundert, Rom 1949; id., An der Grenze von Scholastik und Naturwissenschaft, 2. Aufl., Rom 1952, und M. Clagett, The Science of Mechanics in the Middle Ages, Madison 1959. 17 Aus der neueren Literatur vgl. B. Nardi, Saggi sull' Aristotelismo Padovano dal secolo X I V al X V I , Firenze 1958 und J. H . Randall, The School of Padua and the Emergence of Modern Science, Chicago 1962. 18 Vgl. die Beiträge in Rettorica e Barocco, Roma 1955, ferner G. Getto, La polemica dell Barocco. Letteratura e critica nel tempo, Milano 1954.

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der Renaissance zum Experiment. Wie in so manchen Wissenschaftsgebieten, die von Burckhardt unter der kulturgeschichtlichen Betrachtungsweise zusammengefaßt worden waren, war auch hier ein heftiger Widerspruch gegen seine Thesen zu verzeichnen. In seinem Beitrag »Renaissance Science as Seen by Burckhardt and his Successors«19 geht Edward Rosen von dem Zugeständnis aus, daß Burckhardts Einsichten in die geschichtliche Entwicklung der Naturwissenschaften, wenn 'auch durchaus auf der Höhe seiner Zeit, so doch weder besonders vollständig noch systematisch durchgebildet waren. Im Gegensatz zu ihm und der skizzenhaft angedeuteten Darstellung seiner Originalitätstheorie ist (in der Folgezeit von Pierre Duhem, dem hervorragenden Kenner der Geschichte der Naturwissenschaften, das Gewicht der mittelalterlichen Tradition in ihrer Bedeutung für die weitere Entwicklung nachdrücklich hervorgehoben worden. Indem er die Statik des Jordanus Nemorarius, Oresmes Ordinatensystem und Buridans Impetustheorie und ihre Anwendung auf die astronomischen Körper als Beweisgrund heranzieht, soll dokumentiert werden, daß sich die Erkenntnisse der Physik und Mechanik in langsamer, aber stetiger Evolution .aus mittelalterlichen Anfängen herleiten 20 . Dieser großangelegte Versuch, die Ablösung der aristotelischen Physik durch die moderne Naturwissenschaft bis ins 13. Jahrhundert zurückzuv erlegen, hat allerdings, wie Duhem selbst später erkannt hat, seine Schwierigkeiten einmal in dem niedrigen mathematischen Niveau und dem Fehlen von Meßinstrumenten, zum anderen in der im spätscholastischen System begründeten einseitigen Bevorzugung der dialektischen Methode und der damit verbundenen Vernachlässigung des Experiments. Eine Verifizierung der berechneten Ergebnisse an der Erfahrung erfolgt nicht; die Physik bleibt Kalkulation, bis im 16. Jahrhundert mit der Konfrontation von errechneten und gemessenen Werten eine revolutionierende Methode zur Anwendung kommt. Gewiß berufen sich Francesco Buonamici und der junge Galileo auf die Pariser Professoren des 15. Jahrhunderts. Rosen betont aber mit Recht, daß nicht die Gleichheit der Fragestellung, sondern die Verschiedenheit der Methodik das Entscheidende ist 21 . Und noch ein Weiteres spricht zugunsten von Burckhardts Originalitäts-These. Im Zusammenhang mit dem Auftauchen antiken Bildungsguts im Renaissancezeitalter waren — auf direktem Wege oder über den islamischen Umweg — griechische Theorien zum Vorschein gekommen, die einen außerordent101

A.a.O. pp. 77—103. Dargestellt in Les origines de la statique, 2 vol., Paris 1905—1906; Études sur Léonard de Vinci, 3 vol., Paris 1906—1913, Neudruck 1955; Sozein ta phainomena. Essai sur la notion de théorie physique de Platon à Galilée, Paris 1908, und sein großangelegtes Werk Le Système du monde, 10 vol., Paris 1913 bis 1959. 21 Aus der umfangreichen Literatur vgl. M. Clagett, Giovanni Marliani and Late Médiéval Physics, New York 1941; Anneliese Maier, Die Vorläufer Galileis im 14. Jahrhundert, Rom 1949; id., Die Anfänge des physikalischen Denkens im 14. Jahrhundert, in: Philosophia naturalis 1 (1950), pp. 7—35, und E. A. Mooay, Galileo and Avempace, in: Journal of the History of Ideas 12 (1951), pp. 163—193; 375—422. 20

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lieh hohen Stand mathematischer Kenntnisse repräsentieren und zusammen mit den neuen methodologischen Ansätzen eine Grundlage darstellen für die Weiterentwicklung der Naturwissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert. In der Kunstgeschichte fand Burckhardts These von der Originalität der Renaissance uneingeschränkten Widerhall. Earl Rosenthal zeigt in seinem Beitrag »Changing Interpretations in the History of Art« 2 2 , wie dies in engem Zusammenhang mit der bekannten Deutung Vasaris steht. Burckhardt, Symonds und Taine sehen die Kunst der Renaissance als vollsten Ausdruck eines zu neuem Leben erwachten Volkes an. Die von ihnen festgelegten Grenzen sind in der Folgezeit mehr als einmal in Frage gestellt, zugleich aber auch bestätigt worden: Niccola Pisano und Giotto künden zwar den Renaissancegeist an, bleiben aber doch eigentlich außerhalb. Den Auftakt der Renaissance bedeuten für sie die intensiven und zielstrebigen Naturstudien Brunelleschis, Donatellos und Masaccios, sowie ihre Neigung zum Realismus, der verstärkt durch antike Vorbilder, in der reifen Kunst Leonardos, Raffaels und Michelangelos, Giorgiones und Tizians einen Höhepunkt erreicht. Allein die Vollkommenheit und harmonische Ausgeglichenheit, die ihre Werke auszeichnet, erwies sich als von kurzer Dauer: Schon um 1530 ist es damit zu Ende, was dem Verlust der Freiheit, den Auswirkungen der spanischen Herrschaft und den Kräften der Gegenreformation zugeschrieben wird. Im ganzen gesehen wirkt die antike Kunst als Stimulans; nicht um bloße Imitatio geht es, als vielmehr um eine souveräne Verwendung bestimmter Züge, so im Quattrocento des Naturalismus und gewisser Techniken, die Bewegung evozieren, gegen Ende des Jahrhunderts die idealen und heroischen Formen. Als maßgebliche Wesenszüge der Renaissance, welche die italienischen Künstler des 15. Jahrhunderts von ihren Vorgängern, aber auch von ihren Zeitgenossen im Norden unterscheidet, erweisen sich Kenntnis der Perspektive und Anatomie des menschlichen Körpers, sowie das Studium der idealen Form und der mathematischen Proportionen in der Kunst der Antike. Max Dvordk und Walter Goetz erkannten, wie vom 12. Jahrhundert an ein steigendes Interesse an der realistischen Darstellung der Phänomene zu verzeichnen ist, und Giotto auf den Spuren eines spätantiken räumlichen Illusionismus die Einheit von Figur und Umgebung zu erreichen sucht23. Dvorak und Dagobert Frey hoben aber andererseits auch die Unterschiede hervor, welche die Kunst eines Brunelleschi, Masaccio und Donatello von der des voraufgehenden Jahrhunderts abheben. Indem sie die Prinzipien der Geistesgeschichte auf die kulturellen Erscheinungen des Renaissancezeitalters anwenden, um sie aus der sich wandelnden Struktur des menschlichen Bewußtseins zu verstehen, werden Optik, Geometrie, Kartographie und Astronomie der Zeit 22

A.a.O. pp. 53—75. Zu diesem Thema W. Goetz, Die Entwicklung des Wirklichkeitssinnes vom 12. zum 14. Jahrhundert, in: Archiv für Kulturgeschichte 27 (1937), pp. 3—73, und M. Dvorak, Idealismus und Naturalismus in der gotischen Skulptur und Malerei, in: Historische Zeitschrift 119 (1919), pp. 1—62; 185—246 und id., Geschichte der italienischen Kunst im Zeitalter der Renaissance, 2 Bde., München 1927/28. 23

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zu Ansatzpunkten, die visuelle Konzeption des Raumes und die hieraus resultierende Kunstauffassung zu erhellen 24. Die Perspektive als neue Grundlage für Einheit, Harmonie und eine Art formaler Stimmigkeit, die ein räumliches Kontinuum wesentlich verschieden von der doppelten Erfahrung der gotischen Malerei schafft, wird von Erwin Panofsky in ihrer Bedeutung erkannt, der zugleich feststellt, daß die Renaissancetheoretiker Alberti, Leonardo und später Dürer, die Proportionalität des menschlichen Körpers nach Polyklet oder Vitruv fassen. Ihr Interesse an der Natur, das sie mit ihren Vorgängern verbindet, ist fast das eines Naturwissenschaftlers, indem sie Gesetze zu entdecken suchen, die Mensch und Natur beherrschen 25. Ähnlich wie in der Philosophie und der politischen Geschichte wurde auch im Bereich der Kunstgeschichte das Fortleben mittelalterlicher, d. i. gotischer Stiltendenzen nachgewiesen, und die Renaissance umschrieben als eine Mischung von antiker Sensibilität und Idealität mit dem Realismus und Pathos des Mittelalters. Gegenüber der Feststellung Emile Males und G. G. Coultons, die heroische und heitere Schönheit der Renaissance schließe den Ausdruck christlichen Gefühls aus, haben freilich die Ikonographen der sogenannten Warburg-Schule — Aby Warburg, Fritz Saxl, Erwin Panofsky, Ernst Gombrich — in manchem Kunstwerk der Renaissance eine christliche Bedeutung aufgedeckt, das vorher als rein sinnlich oder pagan angesehen wurde. Indem sie den heidnischen Charakter der Epoche zugunsten betont diesseitiger und humanistischer Tendenzen ablehnen, kommen sie zu ähnlichen Ergebnissen, wie sie eben im Bereich der Philosophie aufgezeigt wurden 26 . Einen entscheidenden Impuls erhielt die kunsthistorische Renaissanceforschung durch die morphologische Betrachtungsweise Heinrich Wölfflins, der Früh- und Hochrenaissance, italienisches und nördliches Formgefühl, Renaissance- und Barockstil auf Grund ihrer Wesensmerkmale kontrastiert. Der Einfluß seiner Kategorien hat auch außerhalb der Kunstgeschichte starke, im einzelnen allerdings umstrittene, Wirkungen ausgelöst27. Die von ihm inaugurierte Idee von der zyklischen Abfolge der Stile erfuhr in den zwanziger Jahren ihre wesentlichste Veränderung in der Erkenntnis, daß 24 Vgl. D. Frey, Gotik und Renaissance als Grundlage der modernen Weltanschauung, Augsburg 1929, und J. Huizinga, Men and Ideas: Essays, New York 1959. 25 Zu nennen sind vor allem: Idea: ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie (Studien der Bibliothek Warburg 5), Leipzig und Berlin 1924; Die Perspektive als symbolische Form, in: Vorträge der Bibliothek Warburg 1924/25, pp. 258—330, und The Codex Huyghens and Leonardo da Vinci's Art Theory, London 1940. 26 Vgl. A. Warburg, Gesammelte Schriften, I. Leipzig, Berlin 1932; E. Panofsky und F. Saxl, Classical Mythology in Medieval Art, in: Metropolitan Museum Studies 4 (1932/33), pp. 228—280; E. Panofsky, Studies in Iconology: Humanistic Themes in the Art of the Renaissance, New York 1939, und E. H . Gombrich, Botticelli's Mythologies: A Study in the Neoplatonic Symbolism of this Circle, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 8 (1945), pp. 7—60. 27 Hierzu weiter unten, Anm. 33.

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die Kunst der Jahre nach 1520 bis zum Einsetzen des Barocks nicht einfach als Disintegrationserscheinung der Hochrenaissance, sondern als eigene Stilepoche mit besonderen Stilmerkmalen aufzufassen ist. Die Entdeckung des Manierismus, die sich an die Namen Kurt Heinrich Busse, Lili FrölichBum, Max Dvorak und Walter Friedländer knüpft, ist von der neueren Forschung (Henry Focillon, Hans Hoffmann, Wylie Sypher) mit Zustimmung aufgenommen worden 28 . Dem Wesen nach stellt der Manierismus sich als antiklassischer Stil dar, als Reaktion gegen die kanonischen Formen der Hochrenaissance, deren als objektiv konzipierten Maßstäben im manieristischen Kunstwerk eine neue Subjektivität entgegentritt. Dvorak beobachtete, daß diese Neigung zu subjektiver und phantastischer Darstellung ihre Kunst in die Nähe der Gotik brachte und so die Assimilierung mit den in den Grundzügen noch gotischen Formen des Nordens erleichterte. Die Konzeption eines ,Stilwandels in den Jahren nach 1520 bietet so eine neue Grundlage für das Verständnis der Renaissance in den Ländern nördlich der Alpen. Indem er nunmehr auf Renaissance und Manierismus zu beziehen ist, bekommt der Barock eine weit differenziertere Struktur: einmal als Glied eines zyklischen Ablaufs, wie ihn schon Wölfflin gesehen hatte, zum anderen in seinem Verhältnis zur unmittelbar voraufgehenden Epoche des Manierismus, von dem er sich in mehr als einer Hinsicht unterscheidet29. Es ist sicher, daß erst auf dieser Grundlage eine adäquate Deutung der Kunst des 16. Jahrhunderts möglich wird. Zugleich ist aber auch der Barockbegriff von einer hemmenden Vieldeutigkeit spürbar endastet. Die Unterscheidung von manieristischer und barocker Kunst hat seine Konturen verfestigt; im wesentlichen auf das 17. Jahrhundert beschränkt gewinnt er nicht unbeträchdich an begrifflicher Schärfe. Die Literatur im Renaissancezeitalter wird von Bernard Weinberg und Harry Levin behandelt, und zwar dergestalt, daß jener die Wandlungen des Renaissanceibegriffs in der Literatur Italiens und der europäischen Länder 30 , dieser die Sonderstellung des englischen Humanismus und die Literatur Englands im elisabethanisdien Zeitalter behandelt31 . Die Gegenüberstellung von klassizistischer Literaturkritik und der literarhistorischen Betrachtungsweise eines Victor Hugo, Sainte^Beuve, Taine, die Weinberg an den Anfang seiner Überlegungen stellt, lassen das Werk Jacob Burck28 Vgl. H. Focillon, La Vie des formes, Paris 1934; H . Hoffmann, Hochrenaissance, Manierismus, Frühbarock. Die italienische Kunst des 16. Jahrhunderts. Zürich und Leipzig 1938, W. Sypher, Four Stages of the Renaissance Style: Transformations in Art and Literature 1400—1700, Garden City, N . Y . 1955, W. Friedländer, Mannerism and Anti-Mannerism in Italien Painting, New York 1957, und F. Würtenberger, Der Manierismus, Wien 1962, J. Bousquet, Malerei des Manierismus. Die Kunst Europas von 1520 bis 1620, München 1964, A. Hauser, Der Manierismus. Die Krise der Renaissance und der Ursprung der modernen Kunst, München 1964. 29 Hierzu W. Friedländer, Der antimanieristische Stil um 1590 und sein Verhältnis zum Übersinnlichen, Vorträge der Bibliothek Warburg 1928/29, Leipzig 1930. 30 A.a.O. pp. 105—123. 31 A.a.O. pp. 127—151.

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hardts in einem größeren, sehr aufschlußreichen Zusammenhang erscheinen. Die Vorliebe der Romantiker für die Literatur des Mittelalters und der Renaissance als Ausdruck ihrer antiklassischen Haltung schafft zugleich die Voraussetzung für jene kontrastierende Vergleichung der beiden Epochen, die für seine Darstellungsweise charakteristisch ist. Zugleich erfolgt bei Burckhardt und Symonds der Übergang von der Literaturgeschichte zur Kulturgeschichte; mit der Einordnung in einen größeren Sachzusammenhang ist freilich verbunden, daß das literarische Kunstwerk auf die Rolle eines dokumentarischen Belegs herabgedrückt wird. Nachwirkungen dieses Prozesses machen sich noch lange bemerkbar, wenngleich in späteren Werken, unter denen Arthur Tilleys 'Literature of the French Renaissance', der Renaissanceband Raoul Morgays in Calvets Literaturgeschichte oder Toffanins 'Cinquecento* hervorzuheben sind, eine gegenläufige Entwicklungsrichtung vorherrscht. In der Taineschen Tradition wird das Kunstwerk als Ergebnis des Zusammentreffens bestimmter literarischer und außerliteraniscber Voraussetzungen wie Quellen und Traditionen, biographische Daten und Zeitströmungen gedeutet, die es formten. Dabei besteht die Tendenz, Beschreibung in Wertung umzuwandeln, die Beschreibungstermini verfestigen sich lobend oder tadelnd, und im Endergebnis resultieren Apologetiker der Renaissance mit einer Haltung, die bis zu einem gewissen Grade schon ibei Burckhardt selbst vorgebildet war. Die eigentlichen Fortschritte wurden bei der Lösung von Einzelproblemen erzielt: Weinberg nennt als beispielhaft Eugenio Garins 'Umanesimo italiano' oder Franco Simones 'Coscienza della rinascita negli umanisti francesi' 32. Stärke und bleibender Wert dieser Arbeiten beruhen darauf, daß sie nicht allgemeine Renaissancetheorien, sondern zuverlässige Einzelergebnisse bieten, die eine differenzierte Unterscheidung und gesicherte Deutung gewährleisten. In ihrer überragenden Bedeutung für die Erforschung der Literatur des 16. Jahrhunderts werden die großen kritischen Texteditionen, Laumoniers Ronsard, Chamards D u Beilay, Strowskis Montaigne und Lefrancs Rabelais hervorgehoben, in denen philologische Kommentierung in exemplarischer Form verwirklicht ist. Daneben steht die Menge von Einzeluntersuchungen zu Autoren und literarischen Gattungen oder einzelnen Werken, durch die unsere Kenntnis von der Zeitepoche vervollständigt wurde. In der Frage der Entdeckung weiterer abendländischer Renaissancen im Anschluß an die italienischen — unter ihnen die bedeutendste im Frankreich des 12. Jahrhunderts —, sieht Weinberg erste Anzeichen einer tiefgreifenden Veränderung des burckhardtschen Renaissancebegriffs, die in der Wiederentdeckung des Barock einen Höhepunkt erreicht und von der Kunstgeschichte ausgehend auch die Literaturwissenschaft nachhaltig beeinflußt hat. Weinberg und Levin äußern bei dieser Gelegenheit eine heftige Kritik an der unbedachten Übertragung der wölfflinschen Kategorien auf literarische Objekte 33 . Damit sind bereits Methodenfragen angesprochen, die aus der revolutionierenden Neu32 33

Bari 1952 und Roma 1949. A.a.O. pp. 112/113 und 134.

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Orientierung in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts resultieren. Im Anschluß an Benedetto Croces rein ästhetisch wertende literarische Kritik und in der Auseinandersetzung mit ihr war von dem Kreis um Karl Voßler, Helmut Hatzfeld und Leo Spitzer eine auf das Sprachkunstwerk als den eigentlichen Gegenstand der Literaturwissenschaft gerichtete Betrachtungsweise ins Leben gerufen worden 34 . Die von hier ausgehende Stilforschung mit ihren jüngsten Ausprägungen im New Criticism und Chicago Criticism, zu dessen profiliertesten Vertretern Bernard Weinberg und Harry Levin zählen 35 , entwickelte in der Folgezeit ein Organon eigener Kategorien und eine verfeinerte Analysentechnik, die in besonderem Maße auch der kritischen Durchdringung der Literatur des Renaissancezeitalters zugute gekommen sind.

34 Eine ausführliche Würdigung bei J. L. Varela. Vossler y la ciencia literaria, Madrid 1955; vgl. auch den 1951 veröffentlichten Briefwechsel Croce — Vossler (1899—1949). — Zu Spitzers Methode H . Hatzfelds Artikel in Hispanic Review 29 (1961), pp. 54—57. Vgl. ferner H . Hatzfeld, Mis aportaciones a la elucidación de la literatura barocca, in: Revista de la Universidad de Madrid 9 (1963), pp. 349—372, W. Pabst , Helmut Hatzfeld. Zur Bibliographie Helmut Hatzfelds, in: Romanistisches Jahrbuch 5 (1962), pp. 32—34, und U. T. Holmes, Helmut Anthony Hatzfeld, in: Yearbook of Comparative and General Literature 7 (1958). 35 Zu nennen in diesem Zusammenhang sind vor allem B. Weinberg, Critical Prefaces of the French Renaissance. Evanston 1950; H . Levin, The Overreacher: A Study of Christopher Marlowe. Cambridge: Mass, 1952 und id., The Question of Hamlet, New York 1959.

A N A L O G I E U N D METAPHER Zu Gottlieb Söhngens neuscholastischer Sprachlehre 1 Von Dieter Holz I Theologie und Phänomenologie bemühen sich mit unterschiedlichen Voraussetzungen, Analogie als eigenständiges Erkenntnisverfahren dem zeitgenössischen Denken zurückzugewinnen. Dabei differieren die Abgrenzungen gegen streng nationale Formen entsprechend den vielfältigen Formen von Analogie selber. Der Phänomenologie geht es vor allem um den Zusammenhang mit vorprädikativem Denken und präkognitivem Wissen; die theologische Problematik bestimmt sich aus der Tradition von analogia entis, fidei, proportionis und proportionalitatis. Kontroverstheologische Auseinandersetzungen der Gegenwart zeigen .außerdem, daß die katholische Neuscholastik im Unterschied zur dialektischen Theologie den Anteil beweisenden Denkens auch auf dem Gebiet der Analogie betont; (vgl. dazu Fs). In diesen Zusammenhang gehört der Begriff von Proportionsanalogie, den der Münchner Fundamentaltheologe Gottlieb Söhngen entwickelt hat. Er faßt Analogie nicht als «Vergleich zwischen Qualitäten«, sondern als »Relation, relationales Gefüge im gesteigerten Sinn einer Relation von Relationen« (GuE 101 f). Zur Darstellung solcher »Entsprechungen« eignet sich eher ein mathematisches Gleichungssystem (das S. auch mehrfach verwendet) als eine diffizile Unterscheidung von Analogiekern und Divergenzsphäre, wie Qualitätenanalogie sie verlangt. Die theologische Bedeutung dieses Verfahrens dürfte darin liegen, daß die Entsdiließbarkeit von Sein und Glauben durch Sprache aus dem Bereich material bestimmter Entsprechung in den einer formalen Korrelation überführt wird. Menschlicher und göttlicher »Logos« »durchgreifen und übergreifen« sich (Fs 266) und die Sphären einer Hierarchie von analogia nominum, entis et fidei »koexistieren« nicht nur, sondern »inexistieren« (AuM 103). So ergibt sich 1 Gottlieb Söhngen, Analogie und Metapher. Kleine Philosophie und Theologie der Sprache. Freiburg-München 1962, Verlag K. Alber. 137 S. (zitiert: AuM). Weitere Werke Söhngens und ihre Abkürzungen: ETh = Philosophische Einübung in die Theologie, 1955, Fs = Beitrag 'Analogia entis in analogia fidei', in: Festschrift für Karl Barth, 1956, GuE = Gesetz und Evangelium, ihre analoge Einheit, 1957, SuG = Sein und Gegenstand, 1930.

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für Söhngen eine Partizipationslehre, die .in Anlehnung -an Paulus (1 Kor 14) der Philosophie eine besondere Erkenntnisfunktion innerhalb der Theologie zugesteht. Denn, vom Wort Gottes »gerufen«, gilt Sein als rückbezüglich durchs Wort erschließbar (AuM 54, 102), wenn auch »angemessen in aller Unangemessenheit« (Fs 267). »Sesshaftigkeit des Wortes« gründet so in der »Worthaftigkeit des Seins« (AuM 58) und bildhafte Erkenntnis enthält immer ein »Erkenntnisbild« (ETh 9). Daraus ergibt sich unmittelbar die »Bedeutung von Analogie für das Problem der Sprache in der Theologie« (GuE 93) und damit der Ansatz für die vorliegende Studie. Schon deren Titel benennt bildhafte Erkenntnis in der Form der >Metapher< als ihren zweiten Grundbegriff und so hat eine Kritik der Ergebnisse zunächst auf diese beiden Bestimmungen abzustellen. II Da das Buch philosophisch-theologische Sprachlehre sein will, scheidet eine bloß linguistische Beurteilung aus. Zu fragen wäre nach der Leistung des Relationsprinzips innerhalb einer Untersuchung, die in der metaphorischen Funktion von Sprache »eine, wenn nicht die weltanschauungsbildende Kraft« sieht (AuM 87), und deren Terminologie u. a. Anregungen der aristotelischen Syllogismustheorie, der phänomenologischen Unterscheidung von Akt und Gegenstand, der Transzendentalphi'losophie und der Theologie Newmans mit Inhalten des katholischen Glaubens zu verbinden versucht. Deshalb war es nötig, den Söhngenschen Analogiebegriff vorweg zu behandeln, weil er in diesem Buch bis auf einen Hinweis (AuM 84) nicht erörtert wird, aber den Aufbau der Studie und — in der Weise der »Umkehrungsrelation« — die Abschnitte über tropische Aus drucksformen begründet. Analogie und Metapher sind demnach konstitutive Bestimmungen einer Theorie, die ihre Kapitel hierarchisch anordnet und nach Zahlenverhältnissen gliedert, nicht aber sind sie in allen Fällen Objekte der Untersuchung. Deren Einzelergebnisse müssen also gesondert auf ihre sprachphilosophische Relevanz befragt werden. Die Studie behandelt den Gesamtbereich von Sprache auf »innere Einheit der Entsprechung« sogenannter »Grundfunktionen« hin in vier Kapiteln, die 1. »Grundverhältnisse des Sprechens«, 2. die »logischen Funktionen der Sprache«, 3. die »ästhetischen«, und 4. die »energetisch-ethischen Funktionen« erörtern. Dabei dient das erste Kapitel vor allem dem Hinweis auf die »phänomenologische Unterscheidung von Akt und Gegenstand« — aufgefaßt als »sprachlogische Urdifferenz zwischen Gesprochenem und Besprochenem« (AuM 12) — und der Abgrenzung des »sprachfähigen Subjekts als causa efficiens« von der »Zielursache«, die als causa finalis den »Leitfaden« der folgenden Untersuchungen bildet (AuM 16). Die betonte Unterscheidung von A k t und Inhalt ist durchaus eine Erweiterung der Sprachtheorie (man vgl. Bühlers Dreieck); sie entspricht dem

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entwickelten Begriff von Analogie insoweit, als beide die relative qua relationale Erschließharkait des Seins voraussetzen (vgl. dazu die Kritik an Husserl in SuG 113). Nur von daher kann gegen zeitgenössisches Denken geltend gemacht werden, daß es ungenügend über scholastisches »Distinguieren« verfüge, und ist noch das von Solingen vertretene »architektonische« Denken (AuM 9) gegen Problemdenken auszuspielen (ETh V). Dieser gnoseologische Ansatz ermöglicht ihm auch, die drei Hauptkapitel über logische, ästhetische und energetischnethische Funktionen der Sprache als Hierarchie aufzufassen (AuM 23, 32), deren Bestimmungen nicht getrennt bestehen, sondern sich wechselseitig fundieren. Für die Dreiteilung selber führt er eine anthropologische Konzeption an, die menschliches Wesen noch in Denken, Anschauen und Tun aufteilt (AuM 45), und beruft sich außerdem auf Kant (AuM 92). Die sprach theoretische Relevanz der drei Funktionen als stufenförmig angeordneter »Gn/rcc/funktionen« läßt sich deshalb nur beurteilen, wenn man diese Verankerung in einem traditionellen Menschenbild bedenkt. Denn sie bildet die Grundlage für die Anwendung der Relationsanalogie auf die Gliederung der Untersuchung und damit, von Söhngen aus gesehen, für den Aufbau von Sprache selbst. Außer dem präludierenden ersten Kapitel haben alle übrigen je vier Abschnitte, deren Reihenfolge nicht vertauschbar ist. Ihre einzelnen Bestimmungen setzen einander in gleicher Weise voraus, wie die Kapitel selber. Innerhalb jeder »Grundfunktion« (log., ästhet., ethisch) herrscht demnach ein Verhältnis logischer Abhängigkeiten; zwischen sämtlichen Unterfunktionen dagegen »waltet innere Einheit der Entsprechung«, also Analogie. Diese doppelte Verklammerung berechtigt Söhngen, seine Studie »systematisch« oder ein »sinfonisches Gefüge« zu nennen (AuM 9), was nicht ausschließt, daß genauere Untersuchung sie stellenweise mit leichter Hand gefertigt findet; von Einwänden gegen den Grundriß ganz abgesehen. Denn nicht nur verselbständigen sich theologische Anliegen in seitenlangen Exkursen (AuM 18—22, 73 f) und wechseln Passagen von strenger Begrifflichkeit (15 f, 81—86, 111—113) mit Beiläufigem und puren Beispielhäufungen (13—15, 32—39) 64—71); sondern es stellen sich hier entschiedener die Fragen nach der Berechtigung, von »den« »GrunJfunktionen« zu sprechen; nach der Möglichkeit, sie durch eine beistimmte Form von Analogie geordnet zu sehen; und nach dem Sinn einer »theologischen Sprachlehre« (AuM 129), die nicht spezifische Sachverhalte aus dem linguistischen Bereich ausgliedert, sondern Sprache als ganze einer philosophisch-theologischen Begrifflichkeit unterwerfen möchte. Gegenüber dieser Problematik wollen alle Nachlässigkeiten als bloße Attitüden eines '(gelegentlich liebenswerten) Altersstils erscheinen, obgleich ein Versagen im Kant-Abschnitt 'Metapher philosophisch' (AuM 64—71) nur zu deutlich ist. Denn nicht um Belege zu Kants Formulierungskunst, sondern um den Anteil von Bildlichkeit auch am abstraktesten philosophischen Begriff wäre es gegangen. Etymologie hätte hier mehr getan als Zitatreihung.

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Die (zunächst) drei wesentlichen Einwände verlangen aber ein genaueres Eingehen auf Söhngens Argumentation. Sie wiederum läßt sich nicht diskutieren, ohne daß sein Anspruch, »scholastisches Denken für die Wissenschaft unserer Zeit zurückzugewinnen« (ETh IV) in Frage gestellt wird, der diese Studie in doppeltem Sinn begründet. III Die Beziehungen von Sprachfunktionen, die hier Relationsanalogie ermöglichen, setzen Parallelität in deren Abfolge voraus. Diese Entsprechung stellt sich für Söhngen in der vierfachen Unterteilung seiner Hauptkapitel dar. Die Vier als Mittel der Zahlenkomposition findet sich aber nicht nur in der Kapitelgliederung, sondern mehrfach auch im Kontext; wenn ich recht gezählt habe, insgesamt elf mal (AuM 11 — doppelt —, 23 f., 46, 57 ff., 81, 94, 97 ff., 101 ff., 118 ff. und die Vierzahl der Kapitel). — Nun sind Einteilungen nach dem Satz des Widerspruchs notwendig zweigliedrig, Trichotomie dagegen kann sich (Kant, KdU, Einl.) aus der Struktur der synthetischen Urteile a priori herleiten. Wie aber rechtfertigt sich die Viiergliedrigkeit bei Söhngen? Zuzugeben ist, daß in analogen Verhältnissen nicht die gleiche strukturelle Notwendigkeit herrschen kann wie in der »reinen Philosophie«. Aber bei Söhngen setzen die Relationen jeweils Einteilungen voraus, die auf Grund der anthropologischen Konzeption und wegen des stufenförmigen Aufbaus als sachgegeben gelten und von Analogie gleichsam zusätzlich beglaubigt werden. Gerade die Überschneidung des anthropologisch-logisdien mit dem relationalen läßt Analogie zumindest im Argumentationszusammenhang als bloß dekorativ erscheinen. Für Söhngen mag sie geheime Ordnung im »Wunder der Sprache« (AuM 35) beglaubigen, aber das macht sie nicht sprachwissenschaftlich relant, sondern bestätigt nur ein gnoseologisches Prinzip, das in andern Bereichen genauso gilt, hier also keine spezifische Funktion hat. Es sei denn, man unterstellte dem Verfasser, er habe die Unterfunktionen mittels der erwünschten Relationsanalogie so manipuliert, daß dadurch erst ihre Bestimmung und Abfolge sich ergab. Bevor aber die Kapitelgliederung daraufhin befragt wird, mögen sich die übrigen Vierergruppen ausweisen. Die Aufgliederung des Sprechvorgangs in: Sprechenden, Angesprochnen, Akt des Sprechens (viva vox) und besprochenen Sachverhalt (AuM 11) war schon erwähnt und anerkannt. Analog ist die Unterteilung der Metapher (AuM 81 f.) in notio, imago, tertium comparationis und translatio. Auch hier erhält die Translation ein Eigengewicht, das sich aus der phänomenologischen Blickrichtung rechtfertigt. — Dagegen können die »vier Arten der Übertragung« (AuM 57 ff.) nicht überzeugen; wobei man wohl berücksichtigen muß, daß Söhngen selbst sie nicht wie die Hauptgliederung numerisch, sondern literal aufreiht, was auch für die Fälle AuM 97 ff., 101 ff., 118 ff. gilt. Hier ließe sich ergänzen und umstellen, denn Zahl und Abfolge ergeben sich nicht aus der Konsequenz eines Erkenntnisprinzips, sondern sind pur additiv gewonnen. — Selbstverständlich können

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Einteilungen (der strengeren Provenienz) nicht damit abgetan werden, daß die gleichen Objekte sich einem anderen gnoseologischen Prinzip auch in andrer Ordnung darstellen. Sehr wohl aber ist zu fragen, ob nicht der gegenwärtige Stand von Philosophie einem auf »Distinguieren« gerichteten Denken das Zahlenprinzip verdächtig machen könnte. Vor allem da, wo Aufteilungen von unterschiedlicher Relevanz auf immer den gleichen Nenner gebracht werden; bis hinunter zu einer nicht einmal literal bestimmten Viererreihe wie auf Seite 66 oben, und vier Kapiteln von offensichtlicher Heterogenität ( I / I I , I I I , IV). Hier verfällt gerade eine an strenger gefügtem Denken orientierte Philosophie der Zahlenmystik, was auch die ehrwürdige Tradition dieses Verfahrens nicht entschuldigt, die in anderm Zusammenhang ihre Verdienste haben mag. IV Wie man am Inhaltsverzeichnis bequem überprüfen kann, besteht so das ganze Buch aus Tetratomien, mit drei Ausnahmen: Die Hauptkapitel folgen der erwähnten anthropologisch bestimmten Tnchotomie; das in die Analogien-Architektonik nicht einbezogne — weil auf Grundverhältnisse des Sprechens gerichtete — erste Kapitel hat fünf Abschnitte; und bei der Metapher als dritter von vier angegebenen Übertragungsarten gibt es eine sechsfache Untergliederung. Einerseits möchte man es begrüßen, daß hier nicht einem Zahlenzwang nachgegeben wird, andererseits hätte man gerade die grundlegenden Teile (Metapherndarstellung und Kapitelzahl) in sinnvoller Tetratomie erwartet, wenn schon die Vier eine Art prinoipium divisionis sein soll. Vor allem, weil das anthropologische Argument die Dreizahl der Grundfunktionen ungenügend stützt. Erstens hat gerade die Phänomenologie und Gestaltlehre zum Abbau traditioneller Menschenbilder geführt, zweitens reicht die Trias Logik — Ästhetik — Ethik für eine Ableitung von Spracbfunktionen nicht hin. Denn das von Söhngen betonte energetische Moment (»sprechend handeln wir auch«, »Sprache leistet werktätige Arbeit« — AuM 92 f.), das bei ihm im Rahmen einer »gemeinschaftsbildenden Kraft« bleibt (AuM 95), müßte vermittels des Begriffs »Vorstellung« (»Unser Sprechen ist Gestaltung und Verwirklichung unseres vorstellenden, denkenden, tätigen Menschenwesens«. — AuM 93) die Koppelung: »energetischethisch« sprengen. Damit ergäbe sich zumindest eine weitere »Grundfunktion« — sofern es unter diesen Umständen sinnvoll ist, Söhngens Terminologie beizubehalten. Sie wäre zwischen Sprache als >ent-sprechender< Benennung von Sachverhalten und der »bibeltheologisch« begründeten Rede von »überwesentlichen Aussagen in der Wesens- und Tätigkeitsordnung« (daß »Wort Gottes« und »Wort in Gott« keine Metaphern seien — AuM 104) zu denken. Sprachfunktionen wie die Erschließung abstrakter Sachverhalte, die nur über das geprägte Wort und die Erweiterung des Sprachschatzes möglich werden (analog der Zeichensprache in der Mathematik), Präzisierung einer sonst diffusen Einsicht und dgl. gehören hierher. L i t e r a t u r w i s s e n s a f t l i c h e s Jahrbuch, 5. Bd.

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Neben einer durchaus sinnvollen Betonung der energetischen Funktionen von Sprache hätte die Problematik von Konservierung und Tradierung zu stehen, also statische Qualitäten, die im ersten Kapitel immerhin angedeutet, aber nicht in Unterfunktionen aufgeteilt sind. Solche Einwände lassen das anthropologische Schema als unzureichend für die Gliederung von Sprache erscheinen und machen es zumindest fraglich, ob die zwischen den »Grundfunktionen« beachtete Relationsanalogie sich ebenso bei einer Erweiterung des untersuchten Materials ergäbe. Mag sich auch Söhngens Versuch aus der scholastischen Summen-Form herleiten, die im Vergleich mit System-Logik unabgeschlossener und offner ist: Kapitel-Hierarchie, Relationsanalogie und Zahlenspiel beschränken die konsequente Befragung der Phänomene. An ihnen ausgerichtete >Distinktion< aber systematisiert nicht über sie hinweg, sondern vermittels ihrer, auch auf die Gefahr, ohne »Architektonik« (AuM 9) auskommen zu müssen. Wie am Abschnitt 'Metapher und Analogie im Neuen Testament* deutlich wird (AuM 81—86), kann sich dabei sehr wohl die theologische mit der sprach-philosophisdien Fragestellung verbinden, wenn sich der linguistische Sachverhalt von dieser Seite her neu erschließt. Aber selbst, wo das Theologische nicht direkt in Erscheinung tritt, öffnet sich das »Wunder der Sprache« noch genug: Porzig brauchte keine Scholastik, um sein Buch nach ihm zu benennen. V Deshalb wäre zu bedenken, ob nicht die theologische Relevanz linguistischer Untersuchungen in dem gleichen Maß abnimmt, in dem das Linguistische selber eingeschränkt wird. Wenn Sprachwissenschaft ihre Autonomie beschnitten findet, indem ihr heterogene (z. B. anthropologische) Kategorien vorgegeben werden, kann letztlich keiner der beteiligten Disziplinen gedient sein. Damit wird nicht das Recht von Sprachphilosophie oder -theologie geleugnet, sondern nur das Methodenproblem wieder zur Diskussion gestellt, das zugleich das eines philosophischen Ansatzes sein muß. Ebensowenig wird damit von vornherein den Einteilungen Söhngens Logizität der Abfolge bestritten, wenn einmal das Prinzip der Gliederung anerkannt ist. Bei ihm folgen energetisch-ethische auf ästhetische und auf logische Grundfunktionen, wobei die Reihenfolge nicht umkehrbar oder veränderbar sei. I. Die logischen bestehen aus: 1. semantischen, 2. kataphatischen, 3. syllogistischen und 4. noetisdi-oidetischen Funktionen; I I . die ästhetischen aus: 1. phatisch-mimetisdien, 2. emphatischen,

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3. metaphorischen, 4. weltanschaulichen; I I I . und die energetisch-ethischen haben: 1. Werkfunktion, 2. Zeugnis- oder Bekenntnisfunktion, 3. die Funktion des Überzeugens und schließlich 4. die der Meinungsbildung durch die Kunst der Gesprächsführung 2. Das zwischen ihnen gedachte Stufungs- und Wechselverhältnis war schon dargestellt; Söhngen selbst erläutert es am Beginn jedes Kapitels. Danach herrscht hier neben der logischen Abfolge Relationsanalogie, die also — um es zu wiederholen — nicht Entsprechung von Qualitäten, sondern Verhältnisentsprechung ist. Es wäre analog die kataphatische Funktion oder »Aussage als Behauptung und als Verneinung« der emphatischen als ».Selbstausdruck der Person« und beide würden entsprechen der Zeugnisoder Bekenntnisfunktion. Das gleiche gälte für Syllogistik — Metaphorik — Überzeugung usw. Wenn es nun auf Seite 94 heißt, die vier energetischethischen Funktionen entsprächen »in etwa« den 2 X 4 übrigen, dann handelt es sich entweder um eine Tautologie, denn das Indefinite gehört per definitionem zum Analogen, oder es ist eine der vielen hypothetischen Formulierungen dieses Buches, denen wieder apodiktische entgegenstehen (»so schließt sich der Ring der Logik und Sprachlogik« — AuM 39). Selbst vorausgesetzt, die Reihenfolge der Unterfunktionen ließe sich halten, so gilt, was vorhin schon angedeutet war: ist sie logisch gegliedert, dann fehlt der Analogie jede selbständige Erkenntnisfunktion; oder die Abfolge ist auf Entsprechungen hin entwickelt, dann mangelt ihr Schlüssigkeit des Aufbaus. Soll aber analog der offenen Summen-Form auch die Gliederung der Grundfunktionen nicht deduktiv-systematisch sein, dann bleibt neben der Stufenfolge auch die Relationsgliederung im Vagen und der Zweck des Ganzen steht in Frage. Damit ist aber nur eine fundamentale Schwierigkeit scholastischen Denkens formuliert: das ungeklärte Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem oder die fehlende Vermitdung von Ganzem und Teil. Aber die Problematik dieser Einteilung setzt schon früher ein. Warum muß die zweite ästhetische Funktion der dritten ästhetischen vorhergehen: inwiefern setzt also »die metaphorische Funktion im Bild und Gleichnis« (AuM 46) »die emphatische Funktion im Selbstausdruck der Person« (a.a.O.) voraus? Eine Umkehrung scheint mir der angestrebten Stufenfolge viel gemäßer, zumal sich in der ersten (phatisch-mimetischen) Funktion dieser Gruppe »mehr ereignen« soll als in der analogen semantischen, weil »sich die Dinge selbst sprachlich zeigen«, und nicht bloß »ein Zeigen auf die Dinge« stattfinde. So wäre zu erwarten, daß der kataphasis als »Aussage« über die Dinge gleichsam deren Selbstaussage »im Bild und Gleich2

Sämtlich Begriffe Söhngens. *

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nis« entspräche. Nur fehlte dann wieder die Beziehung des Syllogistischen aufs Metaphorische. — Aber über solche Einteilungen zu streiten ist ein undankbares Geschäft. Weder handelt es sich um streng begriffliche Entwicklung, noch um bloße Aufzählung vorgegebner Fakten. »Überzeugung« ist hier nötiger als »Beweis« (vgl. AuM 111) und da stellt sich wohl nicht immer die rechte Überzeugung. ein. VI Damit sollen aber Söhngens Einzel - Abgrenzungen nicht übergangen werden. — Die ersten drei logischen Sprachfunktionen zeigen eine deutliche Parallelität mit Begriff — Urteil —• Schluß. Ihr Wert könnte in der abwandelnden Übertragung von Termini der Denklehre auf die Sprachlehre und in der Ergänzung durch das Noetisch-Eidetische als vierter Bestimmung liegen. »Begriffsbildung als Schöpfung von Begriffsgestalten« (AuM 24), »Urworte« (AuM 42), die einer spezifischen Welterfahrung entsprechen und einem bestimmten geschichtlichen Feld zugehören, werden hier der syllogistischen Funktion übergeordnet. Im Bewußtsein der durch Söhngens Methode bedingten Schwierigkeit, sich über den Gesichtspunkt von Abfolge und Stufenordnung zu verständigen, möchte man auf die Frage verzichten, ob nicht Schlußlehre die Sphäre der (mit den Kulturen sich wandelnden) »Urworte« übergreift. Für Söhngen jedenfalls verbürgt die Begriff sgestalt ein ¿/alogisches, das »in der christlichen Theologie . . . das Wort Gottes, das Gotteswort selbst« ist (AuM 40 f.), und daraus resultiert hier die Überordnung. — Der Akzent des Buches liegt, schon von Titel und Quantität her, auf der zweiten Grundfunktion (»ästhetisch«), dabei besonders auf den Abschnitten über »die metaphorische Funktion im Bild und Gleichnis«. Insofern mit Recht jeder Analogie ein metaphorisches Element zuerkannt wird, sind die beiden Grundbegriffe des Titels schon bei der Entsprechung von Rhythmus und Logos (AuM 35), Schrift und Rede (17 f), Dichtung und Musik (59) und bei Übersetzungen von einer Sprache in die andre (61) verbunden. So spricht denn Söhngen vom »Wunderreich der Analogie«, von »Zauber« und »Macht« (AuM 59). Diese Begriffe beherrschen auch das Kapitel über die energetisch-ethische Grundfunktion, neben der Betonung einer »Gegensatzeinheit von Beweis und Überzeugung« (AuM 115) und Ausführungen zum »dialogischen Charakter der Sprache« (AuM 118). Abgesehen von diesen Bestimmungen und der Einführung einiger Termini ist der kompilatorische Charakter unverkennbar und wohl auch gewollt, um in diesem Teil Material für »einige schlichte, aber fruchtbare Ansätze zu der erwünschten theologischen Sprachlehre« abzugeben (AuM 129). So bleibt eine Darstellung und Kritik des zweiten Hauptkapitels übrig. Beanstandet war schon die Abfolge der zweiten und dritten Funktion. Darüber hinaus wäre zu fragen, was denn im Zusammenhang dieser Grup-

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pierung den Abschnitt »emphatische Funktion im Selbstausdruck der Person« (AuM 54—57) rechtfertigt. Er dürfte ins dritte Kapitel gehören; und bezeichnenderweise sind dessen Ausführungen neben denen über Kants Sprache die schwächsten, weil am wenigsten ergiebigen, innerhalb der Gruppe. Dagegen entspricht die »weltanschauliche Funktion im sprachlichen Aufbau -des Welt- und Menschenbildes« der noetisdi-eidetischen, insofern hier den »Begniffsgestalten« (als vierter logischer Funktion) »gestalthafte Metaphern, gleichsam Bildgestalten« (AuM 88) analog gedacht werden. Da sie als ästhetische im Aufbau des Buches den logischen folgen, ihnen also übergeordnet sind, ihnen aber gleichwohl »zugrunde liegen« sollen (AuM 88), zeigt sich wieder das Problem der Stufung, auch wenn man die betonte wechselseitige Fundierung berücksichtigt. VII Ein Zitat aus dem Zusammenhang dieses Abschnitts kann den Obergang bilden zu dem wohl grundlegendsten Teil des Buches: der Behandlung von 'Metapher und Analogie im Neuen Testament*. Es enthält einen Gedanken, der viermal variiert wird (AuM 9, 47, 64, 87) und Söhngens Zentralproblem betrifft: das Verhältnis von Metaphorik und Metaphysik am Beispiel des Verhältnisses von Bild und Begriff. Hier ergibt sich eine wirkliche Synthese der vier Bestimmungen des Titels: Analogie — Metapher — Theologie — Philosophie, denn hier betrifft ein linguistischer Befund Grundfragen nicht nur der philosophischen und theologischen Terminologie, sondern des Ansatzes dieser Disziplinen selber. »Echte Metaphysik kommt von Metaphorik nicht los und darf auch davon nicht loskommen, wenn Metaphysik auch die Welt der Bilder und die Bilder der Welt, die Bilderwelten und die Weltbilder, mit unseren Begriffen und Gedanken zu verknüpfen und auszulegen sich bemüht. Mit Hegels Wort von der >Vermittlung< läßt sich sagen: Der Begriff bildet sich durch die Vermittlung der Metapher; und die Metapher vermittelt sich zu sich selbst durch den Begriff« (AuM 87 f.). Vorläufig soll weder die theologische Implikation dieser Stelle, noch ihr Synkretismus betrachtet werden, sondern die — auch stilistisch wirksame — Bedeutung der Relationsanalogie im Modus der »Umkehrungsrelation«. Eine andre Formulierung Söhngens vom Beginn des Buches macht sie vielleicht deutlicher: »Metaphorik, in Analogik gegründet, enthüllt ihre ontologische Tiefe in jener Metaphysik der Metapher, die das Metaphorische im Metaphysischen und das Metaphysische im Metaphorischen zusammenzuschauen vermag« (AuM 9). Damit ist (zunächst) nur den nicht wenigen Metaphernontologien eine weitere hinzugefügt. Deren Wert läge in der Abwandlung des Verhältnisses von Metaphysik und Metaphorik mit Hilfe der Umkehrungsrelattion. Im Unterschied zu den Analogien zwischen den Grundfunktionen, besteht dabei das zweite Glied der Proportionsgleichung nicht aus einem neuen Quotienten, sondern aus der Umkehrung des ersten. Auf diese Weise entstehen reziprok analoge

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Formeln wie »Wortbild« und Bildwort« (AuM 48), »Bildsache« und »Sachbild« (AuM 85), »Sesshaftigkeit des Wortes« und »Worthaftigkeit des Seins« (AuM 58), die den Denk- und Sprachstil Söhngens beherrschen. Die Leichtigkeit, mit der sich ähnliche Umkehrungen vollziehen ließen, erklärt sich aus einer Formalisierung der Analogie und aus der Überzeugung — die spezifisch theologische und spezifisch gnoseologische Elemente verbindet — daß in dem von Gott »geworteten Sein« (AuM 90) »der analogia nominum eine analogia entis zugrunde liegt« (AuM 76). Die Gefahr der Manier und damit der Unvetfhmdlichkeit — sofern ihr nachgegeben wird — ergäbe sich hier nicht bloß aus einer subjektiven Schwäche, sondern hätte in den benutzten Denkmitteln ihr objektives Korrelat. Womit sich das Problem einer scholastischen Methode nur in neuer Perspektive zeigt. Die theologische Bedeutung dieses Verfahrens verdeutlicht am besten ein Zitat, das am Beispiel der Kirche als Leib Christi die »Inexistenz« von Bild und Begriff, Metaphysischem .und Metaphorischem beschreibt: »Das Bild oder Bildwort (etwa: Leib) muß in seiner notionalen Funktion oder vielmehr Intention auf den Begriff (Kirche) gesehen werden, und der Begriff, das Begriffswort in seiner ästhetischen Intention auf das Bild (Kirche gleichwie Leib); beiderlei Intention, die notionale und die ästhetische, schließt sich zusammen zur realen oder vielmehr realisierenden Intention von Begriff und Bild auf die Sache selbst, auf die Bildsache und das Sachbild (Bildwirklichkeit der Kirche als Leib Chnisti)« (AuM 86). Dieser »Bildwirklichkeit« entspricht der »Bildbegriff« (AuM 86), und in der Entwicklung dieser Bestimmungen wäre das wichtigste Ergebnis des Buches zu sehen. Es geht über den linguistischen Sachverhalt insoweit hinaus, als es nicht nur an anschauliche Qualitäten erinnert, die jedem Begriff zugrunde liegen, sondern gerade auf ihnen eine Wirklichkeitsvorstellung aufbaut, die die Möglichkeiten des Begriffs selber übersteigt. Indem bildhafte und abstrakte Elemente funktionalisiert werden, so daß sie füreinander eintreten können, verliert sich mittels der Umkehrungsrelation deren Differenz so weit, daß von einer >in aller Unangemessenheit angemessenem Erkenntnis (Fs 266) der Glaubensinhalte geredet werden kann. Dem Nichttheologen möchte der Hinweis auf Genesis 1, 3, der bei diesem Zitat hinzugedacht werden muß (AuM 103), als bloße Begriffsmanipulation erscheinen — was Söhngen sehr wohl weiß (AuM 103 f.). Gerade hier zeigt sich, wie Glaubensüberzeugungen mit linguistischen Untersuchungen und philosophischen Beweisgängen verbunden werden. Indem Söhngen aber keinen Äquivokationen erliegt, sondern die Kluft zwischen den Argumentationsweisen erkennt und sie überbrücken, doch nicht verdecken will, können seine Ergebnisse auch dem Philosophen nützen. Die Gelegenheit, sie eigens für eine Theorie der philosophischen Begriffsbildung zu verwenden, hat er in dem Abschnitt über Kant (AuM 64—71) vorübergehen lassen, der bloß dessen gelegentlich bildhafte Sprache behandelt, aber nicht »Metapher philosophisch«.

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VIII So ist diese »Kleine Philosophie und Theologie der Sprache« mehr eine »theologische Sprachlehre« (AuM 129), die sich in ihrem Untertitel selbst bescheidet. Deutlach ist ihr die Freude des Theologen abzulesen, im »Wunder der Sprache« einige Kategorien seiner Lebensarbeit wiederzufinden. Gleichwohl stellt jede Publikation einen Leistunganspruch, der auch gemessen werden darf. Und gerade an einem nicht spezifisch theologischen Gegenstand läßt sich die Legitimität des Versuchs überprüfen, »scholastisches Denken für die Wissenschaft unserer Zeit zurückzugewinnen«. Die eingehende Behandlung auch im Detail hatte den doppelten Zweck, einzelne Ergebnisse Söhngens gegen den Grundriß des Ganzen zu retten und gerade an ihnen Schwächen der Konstruktion zu zeigen, die z. T. spezifische dieses Verfassers und z. T. solche scholastischer Denkmittel sind. Sie hier zu katalogisieren erscheint überflüssig. Einige Einwände stehen an den betreffenden Stellen; anderes bleibt nachzutragen oder zusammenzufassen. Alle Kompositionselemente des »sinfonischen Gefüges«, das nach Söhngen den Bau seiner Sprachuntersuchung ausmacht (AuM 9), sind fragwürdig geworden: Ableitung von drei Grundfunktionen aus einer Trichotomie des menschlichen Wesens, Stufung in deren Abfolge, Relationsanalogie zwischen den einzelnen Funktionen und schließlich das Zahlenprinzip der Tetratomien. Damit aber fallen zugleich alle Bestimmungen, die sich hier auf scholastisches Denken berufen könnten. Denn Einzelergebnisse wie die noetisch-eidetische Funktion der »Begriffsgestalten« oder wie die gestalthaften Metaphern, daneben die Funktionalisierung von Bild und Begriff, die Unterscheidung von Akt und Gegenstand bei den Grundverhältnissen des Sprechens und einige Ansätze zur energetischen Sprachbetrachtung verdanken sich Untersuchungsmethoden, die auch außerhalb neuscholastischer Argumentation zu gewinnen wären. Daß die Umkehrungsrelation auf Söhngens Abwandlung der alten Analogienproblematik zurückgeht und daß mit ihrer Hilfe auch eine neue These zum Verhältnis von Metaphorik und Metaphysik aufgestellt werden konnte, möchte nicht so sehr scholastisches, als gerade fundamentaltheologisches Ergebnis sein. Und jene hypothetischen Formulierungen, die zu der offneren Summen-Form hinzukommen, ergänzt durch Söhngens Geschicklichkeit, etwa die Ableitung der Grundfunktionen aus anthropologischen Kategorien nicht programmatisch an den Anfang zu stellen, sondern wie beiläufig einzuflechten, wirkt sich nicht als Mäßigung im Konstruieren aus, sondern als fehlendes Fundament der »Architektonik«, die nun auf Sand gebaut erscheint. Es ergibt sich so eine Diskrepanz zwischen bemühter Genauigkeit phänomenologischer Provenienz im Detail und Konstruktionen, die einem Schema ähnlicher sehen als bedachten Fügungen im Bau der Sprache. Dazu kommt die subjektive Schwäche, eine bewundernswerte Gelehrsamkeit in Synkretismus abgleiten zu lassen. Begriffe wie Weltanschauung, Vermitt-

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lung, Akt und Gegenstand, Überzeugung und Beweis mögen als Mittel der Umschreibung gelegentlich dienlich sein, wo sie gleichberechtigt nebeneinanderstehen, deuten sie auf ein zu geringes Bewußtsein von der Problematik philosophischer Ansätze. Betrachtet man Söhngens übrige Arbeiten, so versteht man nicht recht, wie es zu den Schwächen dieses Buches kommen konnte, über denen aber sein Gewinn nicht vergessen sein sollte.

Helmut Gipper, Bausteine zur Sprachinhaltsforschung. Neuere Sprachbetrachtung im Austausch mit Geistes- und Naturwissenschaft. (Sprache und Gemeinschaft. Im Auftrag eines Arbeitskreises für deutsche Sprache herausgegeben von Leo Weisgerber. Studien/Band I). Düsseldorf 1963, Pädagogischer Verlag Schwann. 544 S. Es spricht viel dafür, daß spätere Zeiten das 20. Jahrhundert als ein Jahrhundert der Sprachskepsis und der Sprachbeschäftigung bezeichnen werden. Wohl nie zuvor hat man in allen Wissenschaftszweigen ein solch großes Maß an Aufmerksamkeit der Sprache gewidmet, wie in unserer Zeit. Das hängt damit zusammen, daß wir in diesem Jahrhundert einen ungeheuren und im wahrsten Sinne des Wortes unheimlichen Wirklichkeitszuwachs zu bewältigen haben, dem sich unsere Sprache wie auch unser ganzes Menschsein nur noch zu einem Teil gewachsen zeigt. Diese Situation besteht etwa seit der Jahrhundertwende. Dichter, wie z. B. Hofmannsthal, entdeckten die plötzliche Welt-Beziehungslosigkeit der Sprache — (Hofmannsthal schrieb später: »Die Welt der Worte [ist] eine Scheinwelt, in sich geschlossen . . . «, 'Aus den Aufzeichnungen', Corona X, 4. S. 440); die Naturwissenschaft stellte fest, daß unsere dreidimensionale Bild- und Wortwelt dem Vorstoß in neue Bereiche nicht mehr folgen kann, die Grundlagenforschung forderte eine neue, von allen überkommenen Vorstellungsmechanismen freie, exakte Wissenschaftssprache. Aber hier zeigt sich das tiefere Problem: der Mensch kann nicht den gewachsenen Sprachen entrinnen, anders gewendet: er kann nicht ohne eine vorgegebene Sprache über die Sprache sprechen, er kann sich ohne Muttersprache keine neue Sprache bauen. Immer ist er in ihrer Welt befangen. Jeder Mensch hat mit dem Eintritt in die Sprachwelt die Freiheit des absoluten Neusetzens verloren. Die Sprache wird ihm Schicksal. Jede Wissenschaftsanalyse ist also in ihrer Tiefe an Sprachanalyse gebunden. Die Einsicht in diese Tatsache hat dazu geführt, daß sich in unserer Zeit Logiker, Mathematiker, Physiker, Philosophen und Soziologen tiefgehend mit der Sprache beschäftigt haben. Ihre z. T. sehr wesentlichen Sprachtheorien sind bisher in der Philologie, vor allem in der deutschen, fast völlig unbeachtet geblieben. Hier hatte zwar auch die oben dargelegte Problematik zu neuen Ansätzen der Sprachbetrachtung geführt, aber zu einer Aufnahme oder auch nur Diskussion

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der Ergebnisse außerphilologischer Sprachbemühungen kam es nicht, auch nicht bei Leo Weisgerber, bei dem man es am ehesten hätte erwarten können, da er auch das allgemeine Problem Sprache-Welterschließung (nach Gedanken, die sidi bei Herder und Humboldt finden), zu lösen versucht hat. Diese Situation hat sich durch eine Habilitationsschrift geändert, nämlich durch die Arbeit von Helmut Gipper, die nachfolgend besprochen wird. Der Verfasser hat sich drei Ziele gesetzt. Er will 1. »bisher zu wenig beachtete moderne Sprachauffassungen der neueren Philosophie, der Logik und Grundlagenforschung, der amerikanischen Bewegung der General Semantics sowie der Amerikanistik« mit den Thesen der inhaltbezogenen Sprachauffassunig vergleichen, »um ihre sprachtheoretische Grundlage zu sichern, festgestellte Unterschiede herauszuheben und mögliche Verbindungslinien aufzuzeigen« (S. 479); 2. will er die inhaltbezogene Sehweise an einigen, z. T. auch in der außerphilologischen Sprachbetrachtung diskutierten Einzelproblemen erproben; 3. sollen allgemeine Ergebnisse der Naturwissenschaft (hier der Biologie und Anthropologie) zur Stützung der eigenen Sprachauffassung herangezogen und ausgewertet werden. Besonders den ersten Teil möchte man jedem Germanisten zur Lektüre empfehlen, da hier die z. T. sehr wesentlichen Sprachauffassungen und Spracheinsichten der Logistik und Mathematik (neben anderen Theorien) besprochen werden. Der Verfasser setzt sich hier (z. T. auch im zweiten Abschnitt) mit den Thesen des »Wiener Kreises« (Schlick, Carnap, Reichenbach etc.) auseinander; ferner mit den Ansichten von Gottlob Frege (symbolische Logik), Wittgenstein (Philosophie, Logistik), Alexander Wittenberg (Mathematik), Bruno von Freytag-Löringhoff (aristotelische Logik), E. Straus (Medizin und Psychologie), Korzybski (General Semantics) und Benjamin Lee Whorf (Amerikanistik). Benjamin Lee Whorf ist es wohl auch, der in seiner Sprachauffassung Leo Weisgerber am nächsten steht. Unabhängig von Weisgerber und wahrscheinlich ,auch unabhängig von Humboldt ist er durch das Studium einzelner Indianersprachen (vor allem des Hopi) zu der Einsicht gelangt, daß das Weltbild jedes Menschen durch das in seiner Sprachgemeinschaft vorgegebene Sprachbild geprägt wird, daß also die Sprache nicht eine Welt abbildet, sondern eine Eigenwelt konstituiert; eine Behauptung, die Lee Whorf bekanntlich dadurch zu erhärten sucht, daß er einen Zusammenhang zwischen dem Fehlen eines üblichen Raum-Zeitdenkens bei den Hopi-Indianern auf die besondere Struktur ihrer Sprache zurückführt. (Der Gedanke erinnert stark an Nietzsches gelegentlich geäußerte These, daß der Gottesbegriff von einer bestimmten Sprachstruktur abhänge). Audi in der Methode B. Whorfs, z. B. im Verfahren bei der Wortstandsforschung, bestehen große Übereinstimmungen mit Weisgerber. Eine erstaunliche Annäherung an die Thesen der Sprachinhaltsforschung — die zu Anfang des Buches zusammengefaßt wiedergegeben werden — findet man auch in dem ganz eigenständigen Buche des Mathematikers

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Alexander Israel Wittenberg 'Vom Denken in Begriffen. Mathematik als Experiment des reinen Denkens* (Basel 1957). Wittenberg vertritt — unabhängig von Trier, wie der Ansatz zeigt — eine semantische »Feldtheorie« und kommt — was für die Sprachinhaltsforschung noch wesentlicher ist — durch eigene Überlegungen zu der Überzeugung, daß auch die Mathematik durch vorgegebene Sprachelemente determiniert wird. Einige Bausteine und Stützen zur Sprachinhaltsforschung liefert auch das Werk des Philosophen Ludwig Wittgenstein. Zwar enthält der 'Tractatus Logico-Philosophicus* außer der These, daß die Grenzen meiner Sprache auch die Grenzen meiner Welt bedeuten (5.6), nicht viel, was der inhaltbezogenen Betrachtungsweise nahesteht (vieles widerspricht ihr sogar), doch findet sich manches in den posthum herausgegebenen 'Philosophischen Untersuchungen*. Vor allem die Idee des Sprachspiels und der Gedanke, Sprache als Lebensform zu begreifen, haben manches mit inhaltbezogenen Anschauungen gemein; ajuch der Versuch, die Bedeutung eines Wortes aus seinem Gebrauch zu bestimmen, bedeutet eine Annäherung an die Inhaltsforschung. Der von Wittgenstein stark beeinflußte »Wiener Kreis« steht der inhaltbezogenen Sehweise ferner. Er hat zwar die Bedeutung der Sprache für die Wissenschaft in äußerster Schärfe erfaßt -und auch wesentliche Einsichten gewonnen (wie z. B. die Unterscheidung zwischen Objekt- und Metasprache, eine Unterscheidung, die noch von der Linguistik aufgearbeitet werden sollte), aber er ist doch durch seine sehr formale, »meaning«feindliche Sprachauffassung der Begründer des gerade nicht inhaltbezogenen Strukturalismus geworden. Gipper sieht die Quelle der »meaning«Feindlichkeit vor allem in der objektiven Psychologie J. P. Pavlovs. Als Kritiker gegen Pavlov führt er Erwin Straus an, einen Mediziner und Psychologen, der wiederum auf eigenen Wegen zu Auffassungen kommt, die der sprachinhaltbezogenen Betrachtungsweise entsprechen. Daß Rudolf Carnaps Versuch, eine Syntax ohne Semantik zu schreiben (siehe R. Carnap, 'Logische Syntax der Sprache', 1934), nach Carnaps eigener Meinung gescheitert ist, wertet Gipper als indirekte Bestätigung der inhaltbezogenen Sprachauffassung; (er verschweigt allerdings dabei, daß sich der Aussagenkalkül z. B. durchaus ohne Semantik 'aufbauen läßt). Gipper behauptet auch, daß selbst in einer reinen Symbolsprache, wie sie die Logistik anstrebt, schon immer eine bestimmte Welthaltung, bestimmte sprachliche »Vorgriffe« enthalten wären. — An Gottlob Freges Sprachauffassung, die ja wesentlich die des »Wiener Kreises« bestimmte, bemängelt Gipper vor allem die Ansicht, daß das Wort ein Zeichen für einen Gegenstand oder Begriff sei, eine Ansicht, die übrigens Gipper bei allen besprochenen Logikern, Philosophen und Mathematikern zu kritisieren hat. Etwas erstaunlich ist, daß der Verfasser relativ viel Raum dem Logiker Baron von Freytag-Löringhoff widmet. Es ist erstaunlich, da dieser Autor bei weitem nicht den Rang Freges, Wittgensteins oder Carnaps hat. — Freytag-Löringhoff ist im Unterschied zur Sprachinhaltsforschung von

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einem sprachfreien Denken überzeugt, zeigt aber, wie Gipper meint, durch seine ausführlichen Analysen der verschiedenen Begriffsarten und Begriffspyramiden gerade -das Gegenteil, nämlich die Sprachbedingtheit logischer Verfahrensweisefi. Daß die Logik, vor allem die aristotelische, von der Sprachstruktur abhängt, zeigt Gipper, indem er Bruno Snell umfangreich zitiert, der in seiner Schrift 'Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entdeckung des europäischen Denkens bei den Griechen' (1955) Wesentliches zu diesem Problem dargelegt hat. Die Gedankengänge des Grafen Alfred Habdank Korzybski (sie werden wie die Lee Whorfs im I I . Teil besprochen) ähneln in manchem denen des »Wiener Kreises« und stehen äußerlich gesehen auch in einigem der Auffassung Weisgerbers nahe. Korzybski, ein Mathematiker und Ingenieur, ist durch seine Werke 'General Semantics. Toward a new general system of eveluation and predictability in solving human problems' (1949) und 'Science and sanity. An introduction to Non-Aristotelian systems and General Semantics' (31950) der Begründer der Bewegung »General Semantics« geworden, die in Amerika großen Einfluß gewonnen hat. Er versteht Sprachkritik als eine Art universales Heilverfahren. Er sieht die meisten Probleme unserer Zeit in der noch »aristotelischen« Sprache verwurzelt und hält Abhilfe nur in der Weise für möglich, daß unsere Sprache in ihren immanenten Vorstellungsmechanismen radikal der neuen, nicht mehr »aristotelischen«, nicht mehr »euklidischen« Welt angeglichen wird. Er erfaßt also ganz ion Sinne Weisgerbers, wenn auch negativ, die »Eigenwelt« der Sprache, ihren weltsetzenden Charakter, und sieht in einer Lenkung dieser fundamentalen menschlichen Sphäre, die er für möglich hält, das einzige Heil. Gipper lehnt jedoch Korzybski in vielen Punkten ab (Beziehung Außenwelt-Sinnenwelt-Sprachwelt, Deutung des Wortes als Name, Logik als Tatsachenlogik etc.); auch kann er ihm nicht den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit ersparen. Bei der Erprobung der eigenen Methode an Problemen der mathematisch-logistischen Sprachtheorien beschäftigt sich Gipper ausführlich mit der Frage der sogenannten Vieldeutigkeit der Kopula »ist«. Er stützt sich dabei vor allem auf die Ausführungen des Logistikers Stegmüller, der in acht Beispielen fünf mögliche Deutungen von »ist« behauptet. Gipper übersetzt die acht Beispielsätze in 19 Sprachen und weist dann durch eine inhaltbezogene Analyse nach, daß die Kopula »ist« in den Beispielsätzen nur eine Funktion erfüllt. Hier zeigt sich, wie entscheidend bei derartigen Fragen die Sehweise sein kann. Während Stegmüller davon ausgeht, daß »ist« in den acht Beispielen von der allgemeinen Form »A ist B« logistisch gesehen durch die Zeichen ex, = , e, c, und » . . . i s t y« wiedergegeben werden kann, versucht Gipper zu zeigen, daß in der Normalsprache nicht das »ist« fünf verschiedene Funktionen erfüllt, sondern das »B«, da es für fünf verschiedene Begriffsklassen steht. Von fünf verschiedenen Bedeutungen des »ist« könnte man nur sprechen, wenn sich ein einziger (konkreter) Satz fünffach deuten ließe.

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Das zweite Problem, an dem Gipper die inhaltbezogene Methode erprobt, ist die Frage nach der Eignung einzelner Sprachen für das logische Denken. Hier untersucht er im besonderen das Chinesische, wobei er sich ausführlich mit den oft einander widersprechenden Thesen einzelner Forscher (Sinologen und europäischer und chinesischer Philosophen) auseinandersetzt. Er kommt zu dem Resultat, daß die chinesische Sprache wohl weniger als z.B. die deutsche zu explizitem logischem Denken geeignet ist, daß man sie aber deshalb nicht als unlogisch bezeichnen kann. Das dritte Problem, die Frage, ob die Hopi-Indianer wirklich keine mit unseren Verhältnissen vergleichbare Raum- und Zeitauffassung haben, wird von Gipper auf Grund einer inhaltbezogenen Analyse des vorhandenen Materials nicht in dem extremen Sinne Whorfs beantwortet. Gipper zeigt, »daß die Hopi-Indianer alle Raum- und Zeitbezüge in einer stark von unseren Gewohnheiten abweichenden Art gewortet haben«, daß aber auch Whorfs schockierendste Sätze (»the Hopi language contains no reference to >timeVie Anterieurec entdeckt. Es ist daher zu erwarten, daß eine Ausgabe wie die hier besprochene Tassos Werk dem modernen Leser nahebringen wird. Kurt Reichenberger,

Kassel

R. Scrivano, Ii manierismo nella letteratura del Cinquencento. (Biblioteca di Cultura). Padova 1959, Liviana Editrice. 135 S. Der Manierismus als jüngster der kunsthistorischen Stilbegriffe beginnt auch im Bereich der Literaturwissenschaft allmählich eine feste Stelle einzunehmen. Angesichts der immer weiter um sich greifenden Zerdehnung des Barockbegriffs, einer damit zwangsläufig verbundenen Verdünnung der Inhalte und der ohnehin problematisch gewordenen Umrisse der Renaissance kann die Integration der Literatur des 16. Jahrhunderts unter der neuen Einheit nur begrüßt werden; freilich gilt es, das grundsätzliche und berechtigte Mißtrauen, das sich jeder Entlehnung aus benachbarten Wissensbereichen entgegenzustellen pflegt, durch Anwendung strengster wissenschaftlicher Kriterien zu neutralisieren: nicht Übernahme fertiger Formeln oder fremder Kategorien kann hier ans Ziel führen, sondern allein ein von den Ergebnissen der Nachbardisziplin unabhängiges Zurückgehen auf die bildender Kunst und Literatur gemeinsame geistige Grundhaltung, die das Gesicht einer Epoche formend bestimmt. Was Italien anbelangt, stellen Scrivanos Forschungen auf diesem Gebiet einen verdienstvollen Anfang dar. Scrivano sieht den italienischen Manierismus als ein Kulminieren auf das überragende und weit ausstrahlende Werk Torquato Tassos hin 1 . Das Bild dieser Epoche, vielgestaltig und verwirrend, scheint Altes zu sammeln und neue Entwicklungen vorausahnend anzudeuten. Die Strömungen laufen durch das ganze Jahrhundert, manifestieren sich aber auch als kontra1 Vgl. auch seinen Artikel La posizione di V. Borghini nella critica cinquecentesca. In: La Rassegna della letteratura italiana (1958), 24—25.

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stierende Elemente in der Einzelpersönlichkeit. Schon bald einsetzende Deutungsversuche, welche die spätere Querelle des anciens et des modernes in ihren Grundzügen vorwegnehmen, leiten über zu den gelehrten Studien eines Crescimbeni oder Tiraboschi und dann zur Tassointerpretation bei Benedetto Croce, Spingarn, Toffanin und Trabalza. Freilich verstellt sich eine Deutung, die in Tasso vornehmlich ein Opfer der Gegenreformation sieht,, den Blick für größere Zusammenhänge. Ihnen nachzugehen und über eine Bestimmung der geistigen Grundlagen die Voraussetzung zu wesentlicher Deutung des tassoschen Werkes zu geben, ist des Verfassers letzte und zentrale Zielsetzung2. Das komplexe, gelegentlich bis zum Widersprüchlichen dissonantische Profil einer Zeit, deren substantielle Autonomie Scrivano nachdrücklich hervorhebt, wird am Werk einzelner Autoren sichtbar zu machen versucht. Vasari, in dessen Person schaffender Künstler, Kunstkritiker und Schriftsteller sich begegnen, verdeutlicht das Entstehen einer neuen Geistes- und Gefühlshaltung. In Anschluß an Nencione unterscheidet Scrivano in seinen Schriften eine technische, eine kultistische und eine der Herkunft nach volkstümliche Komponente. Die Gültigkeit seiner Kritik in der Geschichte der bildenden Künste ist dabei nicht einmal das Entscheidende, viel wichtiger erscheinen die Gestaltungskräfte, die seine »Vite« bewegen: Menschen und Dinge sind verwandelt von innerer Emotion. Eine phantastische Erfassung der Wirklichkeit tritt an die Stelle der bisher zentralen Imitatio. Was vordem in einer höheren Harmonie beschlossen war, bricht nun gewaltsam auseinander. Die individuelle Künstlerpersönlichkeit, wie sie Vasari in den Mittelpunkt rückt, entstammt nicht der Idealvorstellung einer einzigen Dimension, sondern ist geprägt von den wiederholten und in ihrem Wesen verschiedenartigen Kontakten mit der Realität, umfaßt Elend und Adel, heroische Willensanspannung und nach innen gekehrte Qual. Es entsteht mit ihnen ein neues Menschenbild auf der Ebene einer veränderlich morbiden, aber intensiv gefühlten Humanität, wie sie für die Gestalten Tassos kennzeichnend ist und auch auf spätere Generationen ihren Reiz nicht verfehlt 3 . Einen breiten Raum hat Scrivano der literarischen Kritik gewidmet, die sich um die Jahrhundertmitte zu konstituieren beginnt. Die präzeptistische Behandlung der Materie zur praktischen Lösung von Einzelproblemen, wie sie bis dahin üblich gewesen war und außerhalb Italiens auch später noch anzutreffen ist, wird abgelöst von einer auf das Grundsätzliche gerichteten Fragestellung. Bembo, der zunächst von der ersten Ebene ausgeht, gelangt über die historische Rechtfertigung seines Petrarkismus 2 Hierzu jedoch H . Hatzfeld, Cam5es manieristische und Tassos barocke Gestaltung des Nymphenmotivs (Lusiadas I X , 54—89, und Gerusalemme X V , 55 — X V I , 58). In: Portugiesische Forschungen 3 (1962/63), pp. 91—109. 3 Unverständlich in diesem Zusammenhang ist die ablehnende Stellungnahme Scrivanos gegenüber dem grundlegenden Werk von Ulrich Leo und die nur bedingt zustimmende Wertung der ausgezeichneten Untersuchungen Fredi Chiappelis zum epischen Stil der 'Gerusalemme', a.a.O. p. 126.

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zu Ergebnissen von kritischer Relevanz. Der florentinische Piatonismus des Kreises um Marsilio Ficino bestimmt richtunggebend die künstlerischen Impulse der ersten Jahrhunderthälfte; freilich nicht im Sinne renaissancehaften Harmoniestrebens, wie der Autor merkwürdigerweise anzunehmen geneigt ist 4 , sondern vielmehr als geistige Voraussetzung einer von den zwanziger Jahren an mit elementarer Gewalt um sich greifende Phantasia-Ä-sthetik, welche die Grundlage für den künstlerischen Schaffensprozeß im Bereich der Literatur wie der bildenden Künste bedeutet5. Von der Jahrhundertmitte an beginnt dann eine Wiederbelebung der aristotelischen Poetik sich anzubahnen, die mehr noch als für das literarische Bild der restlichen Jahrzehnte für den Übergang zum Ordodenken im barocken Strukturgefüge von ausschlaggebender Bedeutung ist. Die leidenschaftliche Diskussion dichtungstheoretischer Fragen — denn auch die platonische Inspirationstheorie hat in Männern wie Francesco Patrizi und Giordano Bruno noch eifrige Verfechter — bewirkt eine erste Blüte der literarischen Kritik. Die Komplexität der Positionen bei Scaliger, Giraldo Cintio, Castelvetro oder Minturno bestätigt eindrücklich das Erreichen einer wahrhaft kritischen Einstellung, die kontrastierende Elemente gegeneinander abzuwägen und in Einklang zu bringen versucht. Am Eindruckvollsten sind jedoch die Errungenschaften der neuen Richtung auf dem Gebiet der Poesie. In mehr als einer Hinsicht ist das 16. Jahrhundert eine Zeit der Krise. Die Welt formaler Vollkommenheit, wie sie dem Harmoniestreben einer Renaissancegesinnung entsprach, ist aus den Fugen geraten. Angstvolle Ungewißheit und quälende Zweifel sind die Regungen, die hinfort als bestimmende Komponente die Gefühlswelt der individualistisch sich abschließenden Künstlerpersönlichkeit formen. Dem Wesen der literarischen Gattungen entsprechend erweist sich die Lyrik am empfindlichsten für die Auswirkungen der neuen seelischen Haltung. Als augenfälliges Beispiel wird von Scrivano hierfür die Dichtung Deila Casas herangezogen. Sein Vers ist geformt durch die Erfahrung jener neuen Geistigkeit, welche die Modernität der lyrischen Dichtung in der manieristischen Zeitepoche ausmacht, die bei Tasso eine letzte Vollendung erfährt. Ein neues Bewußtsein menschlicher Bedingtheit, die hinter4 A.a.O. p. 26: »Neil' eti rinascimentale le idee si chiariscono e si determinano anche praticamente: il platonismo che dal maturo Umanesimo fiorentino si dilaga su tutti i campi aell' attivitä. spirituale des primo Cinquecento produce una fortissima urgenza di armonie, di orizzonti ben delineati, variamente chiaroscurati e colorati, ma non mai una mistica e magica percezione del mondo.« De facto bewirkt der Piatonismus in dichtungstheoretischer Hinsicht gerade das Gegenteil dessen, was ihm hier in Verkennung seiner philosophischen Grundvoraussetzungen zugeschrieben wird. 5 Diesen Problemen widmet besondere Aufmerksamkeit G. R. Hocke, Die Welt als Labyrinth. Manier und Manie in der europäischen Kunst. Beiträge zur Ikonographie und Formgeschichte der europäischen Kunst von 1520 bis 1650 und der Gegenwart, Hamburg: Rowohlt 1957. Vgl. hierzu K. Reicbenberzer, Der literarische Manierismus des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Tahrhunderts in Frankreich. Ein Forschungsbericht, in: Romanistisches Jahrbuch 13 (1962), pp.76—86. 3

L i t e r a t u r w i s s e n s a f t l i e s Jahrbuch, 5. Bd.

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gründige Dynamik seelischer Impulse und Emotionen, verbunden mit der expressiven Verdichtung seiner Aussage erzeugen zusammen mit eleganten Stilmitteln dichterischer Eloquenz jenes komplizierte Gewebe von höchstem Raffinement, in dem der italienische Manierismus des 16. Jahrhunderts kulminiert. Kurt Reichenberger, Kassel

E. Decahors, Histoire de la littérature française. Tome I I : Le X V I e siècle, (cours de littérature française, sous la direction de E. Decahors et A. Ferran). Paris 1962, Les Éditions de l'École. VI, 409 S. Das Buch von Decahors über die Literatur des 16. Jahrhunderts ist Teil einer größeren, auf drei Teile (Moyen Age, X V I e Siècle, X V I I e Siècle) berechneten Literaturgeschichte. Als Einführung gedacht, will sie den Anfänger mit den grundlegenden Zusammenhängen bekannt machen und ihm einen ersten Einblick in das literarische Erbe der Nation vermitteln. Wenn wir uns trotz dieser Einschränkungen kritisch mit ihr auseinandersetzen, so vor allem um uns darüber klar zu werden, in wie weit die Ergebnisse der neueren Forschung, die speziell auf dem Gebiet der Literatur des 16. Jahrhunderts im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion stehen, in Darstellungen umfassenderer Art eingegangen sind. Nach konzisen grundsätzlichen Erörterungen der politischen und sozialen Situation um die Wende zum 16. Jahrhundert werden im florentinischen Piatonismus um Marsilio Ficino und Pico della Mirandola, dem Averroismus der Schule von Padua und dem auf Epiktet und den Vitae parallelae des Plutarch basierenden Stoizismus die Strömungen einer geistigen Entwicklung aufgezeigt, die vom Italien der Renaissance auf Frankreich übergreifen. Indem der Verfasser im Hauptteil die Anordnung der Materie nach literarischen Gattungen vornimmt, gelingt es, vor allem innerhalb der Lyrik, die Entwicklungslinien sichtbar zu machen, die von den Grands Rhétoriqueurs zu Marot und den Marotiques, und über die Schule von Lyon zu der Plejadedichtung führen. Für die Zeit nach 1574, dem Regierungsantritt Heinrichs III., werden zwei nebeneinander herlaufende Richtungen angenommen, die als »Nonchalants« und »Baroques« bezeichnet werden. Bei den erstgenannten handelt es sich um die Hofpoeten des Kreises um Philippe Desportes: Vauquelin de la Fresnaye, Bertaut, Davy du Perron, deren elegante Modedichtung unter Heinrich I I I . den alternden Ronsard aus der königlichen Gunst verdrängte. Als »Baroques« werden die Dichter um Heinrich IV. bezeichnet, Guillaume Du Bartas, Agrippa d'Aubigné, und schließlich Jean de Sponde, Jean-Baptiste Chassignet und Jean de La Ceppède. Wer mit den Diskussionen um den Begriff des literarischen Barock vertraut ist, erkennt hier eine der In-

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terimslösungen des heftig umstrittenen Problems 1, die allerdings inzwischen überholt ist durch die von kunsthistorischer Seite praktizierte Einschaltung des Manierismus als Epochenstil zwischen Renaissance und Barock 2. Die scheinbar divergierenden Produkte der »Nonchalants« und »Baroques« dürften sich bei näherem Zusehen als Ergebnis desselben manieristischen Kunstwillens herausstellen, der auch in den bildenden Künsten neben den Werken der bella maniera phantastische Traumgebilde und erschreckende Bilder des Grauens und kreatürlicher Not hervorbringt 3 . Dieselbe Doppelentwicklung würden wir im übrigen bei einem Blick über Frankreichs Grenzen hinaus auch in dem benachbarten Spanien dieser Zeit antreffen 4. Freilich ist zuzugeben, daß im Gegensatz zum Manierismus in der bildenden Kunst die endgültige Beurteilung des literarischen Manierismus noch aussteht5. Immerhin wäre zu wünschen, daß in einem Buch wie dem hier rezensierten die Ergebnisse der neueren Forschung wenigstens andeutungsweise gebracht oder vermittels der hinter jedem Kapitel eingeschobenen Bibliographie auf sie verwiesen würde. Kurt Reichenberger,

Kassel

Ottilie von Goethe. Tagebücher und Briefe von und an Ottilie von Goethe. Herausgegeben und eingeleitet von Heinz Bluhm. I. Band: Ottilie von Goethe. Tagebücher 1839—1841, Weimar/Wien/Weimar. Wien 1962, Berglandverlag. L X X X I u. 432 S. II. Band: Henriette von Pogwisch. Briefe an Ottilie von Goethe 1842—1849. Wien 1963, Berglandverlag. X X X I I u. 253 S. Die Newberry-Library in Chicago, eine der bedeutendsten Bibliotheken der Vereinigten Staaten vor allem für englische und romanische Literatur, amerikanische Geschichte und für die Renaissance, hat vor einigen 1 Die wichtigsten Etappen auf diesem Wege bezeichnet H . Hatzfeld, Der gegenwärtige Stand der romanistischen Barockforschung. Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Jg. 1961, Heft 4, München 1961 und id., Mis aportaciones a la elucidación de la literatura barroca, Revista de la Universidad de Madrid 11 (1963), pp. 349—372. 2 Hierzu K. Reichenberger, Der literarische Manierismus des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts in Frankreich. Ein Forschungsbericht, Romanistisches Jahrbuch 13 (1962), pp. 76—86, und die dort verzeichnete Literatur. 3 Eingehend dargestellt bei F. Würtenberger, Der Manierismus. MünchenWien 1962. 4 Hierzu das jetzt in deutscher Sprache erschienene Werk von Dámoso Alonso, Spanische Dichtung. Versuch über Methoden und Grenzen der Stilistik. BernMünchen 1962. 5 Einen Überblick über den derzeitigen Stand der Forschung auf diesem Gebiet bringt M. Raymond unter dem Titel Le baroque littéraire français (État de la question), Studi Francesi 5 (1961), pp. 23—39.

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Jahren über einen' nordamerikaniischen Antiquar einen bedeutenden Teil des schriftlichen Nachlasses Ottilie von Goethes1 erworben — vermutlich aus Pogwisdi-Henckelsdiem Familienbesitz,' die Provenienz wird nicht angegeben. Die »Newberry-Ottiliana«, wie der Herausgeber Heini Bluhm sie nennt, füllen sechs große Schachteln und bestehen aus Briefen Ottiliens, Tagebüchern »mit Gedichten an ihren unsterblichen Geliebten Charles Sterling. Manuskripte, Ottilien zur Veröffentlichung in dem von Goethe selber gebilligten wunderlichen Journal 'Chaos* zugeschickt. Briefe August von Goethes. Briefe von Walther, Wolfgang und Alma von Goethe, von Henriette von Pogwisch an ihre Tochter Ottilie und an Adele Schopenhauer. Dokumente über Augusts Studium an der Universität Heidelberg. Eine englische Übersetzung eines nicht unbeträchtlichen Teils des ersten Faust«2. Die Newberry-Ottiliana umfassen die Zeit von 1815 bis 1885. Sie enthalten die bisher unbekannten frühen Briefe Augusts an Ottilie vom Januar bis Juni 18173, aber auch eine Reihe von Briefen aus den Jahren 1823 bis 1825.: Am wichtigsten dürften die 26 Tagebücher Ottiliens sein, die mit dem Jahre 1840 einsetzen und bis in die letzten Lebensjahre reichen. Von Johann Wolf gang von Goethes Hand fand sich nichts; dennoch bezieht sich vieles, noch jahrzehntelang nach dessen Tod, auf Goethe. Aufschlußre:ch dürfte Ottiliens »Gedanken-Saarg« sein, ein tagebuchartiges Notizheft; es enthält im Detail die Geschichte ihrer Begegnung mit Gustav Kühne und Einzelheiten ihrer Beziehungen zu Charles Sterling, Charles Des Voeüx und Cäptain Story. Der erste Band der . Veröffentlichung bringt vier Tagebücher. Sie reichen vom 26. Mai 1839 bis zum 30. Oktober 1841. Diese Periode war bei Houben 4 z. B. lediglich durch einen Brief Ottiliens an Sibylle MertensSchaaffhausen belegt. Das Manuskript der ersten, in Weimar begonnenen Aufzeichnungen, die Ottilie in den von Anna Jameson geschenkten englischen Kalender eintrug, gehört dem Düsseldorfer Goethemuseum. Es fügt sich unmittelbar vor das erste Newberry-Tagebuch an und umspannt die Zeit, da der Kanzler von Müller, Eckermann, Vogel, Genast, dazu Ottiliens Angehörige und Freunde, aber auch die Engländer und Amerikaner 1

An anderem Ort ('Scope and significance of the Newberry Goetheana', in: The German Quarterly, Vol. X X X V I I , 1964, S. 230—238) gibt Bluhm eine erneute Übersicht. Er nennt seinen Fund »a milestone in our knowledge of Goethe's family« (a.a.O. S. 238) und präzisiert die Angaben hinsichtlich August von Goethes: »The Newberry Library has about one half of all extant August von Goethe letters... In Chicago alone there are now as many letters as in the great European Goethe centers together« (a.a.O. S. 231). 2 Bluhm, a.a.O. Bd. I, S. X I . — Die hier und S. X X I I I erwähnte Übersetzung behandelte und fedierte Blühm schon früher. Vgl. Ein unbekanntes englisches Taust'-Übersetzungsfragment aus der Goethezeit, in: Weimarer Beiträge, Jg. V I (1961), Sondernummer S. 1226—1253. 3 Vgl. dieses Jährbuch S.472. * A Vgl. Ottilie von Goethe, Erlebnisse und Geständnisse 1832 bis 1857, hrsg. v. Hans Heinrich Houben, Leipzig 1923.

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im Haus am Frauenplan verkehrten. Auf der Reise nach Wien, während des Aufenthaltes in Prag, bricht dies erste Tagebuch ab. Das zweite Tagebuch (und erste der Newberry-Ottiliana) enthält die Einträge vom 31. Januar bis 31. Juli 1840 —, außer den ersten (Prager) sind sie in Wien geschrieben, das bis 1866 Ottiliens Wahlheimat wurde. Das dritte Tagebuch reicht vom 23. November 1840 bis zum 25. März 1841. Die ersten 55 Seiten des Originals sind unbeschrieben; offensichtlich hatte Ottilie gehofft, die Lücke einmal auszufüllen — an anderen Stellen (z.B. 1841, S. 2) spricht sie die Hoffnung, ihr Tagebuch rückwärts zu vervollständigen, förmlich aus. Im Manuskript des vierten sind die ersten 17 Seiten mit Lesenotizen Ottiliens ausgefüllt, die Bluhm als Anhang (1841, S. 77—98) wiedergibt, ohne sie nachzuweisen. Die Einträge beginnen — nachgetragen — mit dem 1. Mai in Wien und enden am 30. Oktober 1841 in Weimar, wohin Ottilie am 16. Juni 1841 von Wien aufgebrochen war. Eine Liste ihrer Lektüre im Juni und Juli 1841 schließt sich an. — Hervorgehoben sei der Eintrag vom 20. Oktober 1841: Der Kanzler von Müller, der den Ankauf von Goethes Nachlaß durch den Deutschen Bund betrieb, kam, um »meine Ansicht zu hören ehe er eine Conferenz berief um mit Wolf wegen der Sammlungen zu berathen. Gegen meine Söhne lass ich mich nicht gebrauchen«. Der Plan scheiterte bekanntlich am Widerstand Walthers und Wolfgangs. — Die Handschrift wird als Rohdruck wiedergegeben mit allen Verschreibungen, z.B. »unter Anden« für »unter Anderen« (1841, S. 36) oder »Herr (v Gross« für »Herr (v) Gross« (1840/41, S. 85) — eine unangebrachte Übertreibung philologischer Sorgfaltspflicht. Gestrichene Stellen sind in den Text übernommen worden, wenn der Satz sonst verstümmelt wäre; die Streichung wird in einer Fußnote vermerkt. Bluhm druckt die Einträge Ottiliens nicht fortlaufend ab, sondern läßt sie — ausgenommen beim Tagebuch von 1839 — auf je eigenen Seiten beginnen, auch wenn unter dem jeweiligen Datum nur eine Zeile Text steht, ja er läßt Seiten frei, wenn die Handschrift unbeschriebene Seiten und Blätter enthält. Offensichtlich soll dadurch der Zustand des Originals vorgeführt werden. Das ist in dieser Form nicht nötig. Vorsichtige Eingriffe hätten die Edition handlicher gemacht. So ist es höchst mühsam, die einzelnen Tagebücher auseinanderzuhalten, da, dem Original entsprechend, jedes Tagebuch neu paginiert wird. In den späteren Bänden sollte man durchlaufend paginieren und lebende Kolumnentitel einführen. In den Einleitungen gibt Bluhm einen knappen, aber vollständigen Oberblick über den Inhalt der Tagebücher und das Schicksal der Schreiberin 5. Er tut dies in flüssigem, aufgelockertem Stil. Mitunter persifliert er die Heldin, wenn er z.B. ihr bewegtes Liebesleben skizziert. Sollte man ihn deshalb tadeln? Auch Hans Wahl spricht einmal von Goethes »Marien5 Die Einleitungen lehnen sich an einen vorausgehenden Aufsatz Bluhms über das gleiche Material an. Vgl. The Newberry 'Goetheana': A preliminary report on the Chicago find, in: Publi.cations of the English Goethe Society, New Series, Vol. X X V I I I , Leeds 1959, S. 25—39.

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bader Sommer Ulrikisdien Angedenkens«6. Eine vielschichtige Figur wie Ottilie fordert zu gelegentlichem Spott heraus. Wie Bluhm sich in diese eingefühlt hat und sie dem Leser in allem nahebringen will, spürt man durch die Persiflage hindurch; die Schilderung ihrer großartigen und exemplarischen Züge klingt um so glaubhafter. Ottilie hatte zahllose Bekannte und lebte für die Gesellschaft. Daher enthalten die Tagebücher eine Fülle von Personennamen und Bezügen, die Bluhm in Fußnoten identifiziert und aufschlüsselt. Die Mühe, die hinter diesen Ermitdungen steckt, ist gar nicht zu überschätzen, und man muß Bluhm für die kenntnisreichen Erläuterungen bio- und bibliographischer, historischer und lokaler Art dankbar sein. Daß einiges nicht oder nicht völlig geklärt werden konnte, ist bei derartigen Texten unvermeidlich. Irrtümer in manchen Lebensdaten (z. B. Ulrike von Pogwisch und Eleonore Gräfin von Henckel) sind leicht zu berichtigen 7. Das Personen- und das Ortsregister scheinen sorgfältig gearbeitet; die Stichprobe zeigte, daß eine Erwähnung Bettina von Arnims (1840/41, S. 86) fehlt. Der Bildteil bringt 90 gut ausgewählte Porträts und Ansichten (hauptsächlich Wiens); ein Plan dieser Stadt von 1844 ist beigeheftet. Man fühlt auch hier, wie sehr Bluhm daran liegt, sein Material lebendig werden zu lassen. Das gelingt durchaus, und der Wert des Bandes erhöht sich dadurch bedeutend. Die Bildnachweise wünscht man sich manchmal ausführlicher. Als erste Abbildung bringt Bluhm das bekannte ovale Brustbild, das Ottilie en face als Mädchen zeigt. Bluhm setzt darunter: »Ottilie von Goethe >So war ich 1813< Lithographie« und weist es für das Bildarchiv der österreichischen Nationalbibliothek nach. Die Nachprüfung ergab, daß es sich um eine Lithographie nach der unsignierten und undatierten Kreidezeichnung Heinrich Müllers handelt, die das Weimarer Goethemuseum verwahrt 8 . Doch sei betont, daß viele Bilder, vor allem diejenigen, die Anna Poiwisch, Ottiliens und Charles Sterlings Tochter, betreffen, sorgfältig kommentiert sind. Erwähnt seien noch die Abbildungen von Ottiliens Tagebuch von 1839 und die beiden Faksimiles daraus. Der zweite Band setzt nicht die Tagebücher Ottiliens fort; für die Jahre 1841 bis 1851 fehlen diese in den Newberry-Ottiliana. Die Lücke wird behelfsmäßig durch die Briefe der Mutter Henriette von Pogwisch an Ottilie von 1842 bis 1849 geschlossen. Offensichtlich ist aber auch diese Korrespondenz nicht vollständig in die Newberry Library gekommen; für das 6 In: Goethe, Die wertvollsten Bildnisse, hrsg. v. Hans Wahl, München 1923, S. 10. 7 Vgl. den Stammbaum in: August von Goethe und Ottilie von Pogwisch, Briefe aus der Verlobungszeit, hrsg. von Heinz Bluhm, mit einem Kommentar von Dorothea Lohmeyer-Hölscher, Weimar 1962, S. 206 ff. 8 Zu der Datierung vgl. Ottiliens eigenhändige Bemerkung »Nach einem Portrait von Heinrich Müller, gezeichnet im Sommer 1813. Januar 1861« auf der Rückseite der heute im Düsseldorfer Goethemuseum befindlichen Sepiakopie. Vgl. den Katalog der Sammlung Kippenberg, Bd. 1, Leipzig 1928* Nr. 3478. Für die Mitteilung danke ich Herrn Professor Jericke, dem früheren Leiter des Weimarer Goethemuseums.

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Jahr 1844 fehlen die Briefe. Zu dieser Zeit war Ottilie in Wien, sie ließ sogar Alma aus Weimar dorthin kommen. An einem Anlaß, Briefe zu wechseln, hätte es also nicht gefehlt, zumal Alma im gleichen Jahr in Wien starb. Almas Tod wird in keinem Brief Henriettes erwähnt. Möglicherweise wurden die Briefe durch die Vorbesitzer ausgeschieden; bei der oft zurechtweisenden, immer kritischen Einstellung der Mutter zur Tochter könnten sie durchaus Vorwürfe gegen Ottilie enthalten haben, die Alma, ungeaditet der Typhus-Epidemie, nach Wien gerufen hatte. Übrigens war die Mutter mehrfach, z.B. im Sommer 1843 zu Almas Konfirmation, in Wien gewesen. — Trotz der Lücke ist der Quellenwert sehr hoch anzusetzen, weil die bisherigen Quellen diese für Ottilie so bedeutsame Lebenszeit nur spärlich belegten9. Bluhms Einleitung gibt einen knappen, aber farbigen Überblick über den Inhalt der Briefe und eine vorzügliche Charakteristik der Schreiberin. Seine Zusammenfassung sei angeführt: »Die Briefe wimmeln von Neuigkeiten über das Leben in Weimar. Die Weimarer Welt der vierziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts, weniger als zwei Jahrzehnte nach Goethes Tod, ersteht vor uns in all ihrer Mannigfaltigkeit. Henriette haßt, liebt und ist gleichgültig... Auch auf Ottiliens Leben fällt manches Licht. Ihre Wiener Verhältnisse werden des öfteren berührt, und ihr Wiener Freundesund Bekanntenkreis wird durchgesprochen... Und was verraten die Briefe von Henriette selber? Sie lebt eigentlich ohne alle Hoffnung dahin. Nüchtern und illusionslos verbringt sie ihre Tage. Sie spürt, wie ihre Kräfte abnehmen. Sie weiß, daß sie rapide altert und daß das Alter eine schwere Last i s t . . . Nirgendwo fließen ihr Quellen des Trostes... Sie hat kein Verhältnis zur Welt des Religiösen... Sie ist eine säkularisierte Frau, die die ganze Schwere areligiöser Existenz auf sich genommen hat und tapfer, wenn auch nicht ohne Klagen, dahinlebt. Vor ihr steht der unerbittliche Tod, dem ihr neigendes Leben zueilt« (S. X V f.). Persönlichkeit und Schicksal Henriettens dürfen symptomatisch genannt werden — einerseits hinsichtlich des verflachenden kulturellen Lebens in Weimar nach Goethes Tod, andererseits für den Verlust an menschlicher und künstlerischer Substanz, den Deutschland im 19. Jahrhundert erlitt. Henriette beobachtete sich und andere scharf. Ihre pointierten, oft sarkastischen Urteile sind nicht nur ergötzlich zu lesen — so, wenn sie Wolfgangs Dramenfigur Erlinde wünscht, diese »läge im Brautbett oder in den Fluthen« (S. X I I I ) —, was sie von ihren Enkeln und ihrer Tochter mitteilt, gehört zu den treffendsten Äußerungen über die letzten Träger des Namens Goethe. Bluhm faßt in einem sich an die Einleitung anschließenden Abschnitt »Ottilie von Goethe und ihre Kinder in den Jahren 1841 bis 1851« (S. X X I X ff.) den biographischen Ertrag zusammen. 9 Vgl. Hans Heinrich Houben, op. cit. — Letters of Anna Jameson to Ottilie von Goethe, ed. by G. H. Needler, New York-Toronto 1939. — Ottilie von Goethe, Briefe an eine italienische Freundin (d. i. Anna Gargallo), übertragen, eingeleitet und hrsg. v. Gabriele Freiin von König-Warthausen, Vorwort von

Egon Cäsar Conte Corti, Wien 1944.

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Die Originale sind meist datiert, die undatierten scheinen richtig eingeordnet. Vielen Briefen der Mutter fügte Ulrike, Ottiliens Schwester, eine Nachschrift hinzu. Hinsichtlich der Wiedergabe der Handschrift gilt, was für den l.Band bemerkt wurde. Die Kommentierung ist auch hier sorgfältig und kenntnisreich. Verdienstvoll ist der Wiederabdruck des ausführlichen Nachrufes auf Henriette von Pogwisch von 1852, dem man, wenn man die Schönfärberei des zeitgenössischen Autors abzieht, aufschlußreiche Beobachtungen über die Familie Pogwisch-Henckel von Donnersmarck entnehmen kann. An das Personen- und das Ortsregister schließt sich eine schöne Sammlung von 54 Porträts, Ansichten und historischen Szenen an. Aus der Darstellung einer Weimarer Hofgesellschaft von 1836 ließ Bluhm ein Detail vergrößern und kam so zu einem sprechenden Bild Henriettes. Belegen die Briefe der Mutter Ottiliens Leben bis in das Jahr 184?, so führt eine dritte Publikation aus den Newberry-Ottiliana zurück in die Zeit vor der Eheschließung:

August von Goethe und Ottilie von Pogwisch. Briefe aus der Verlobungszeit. Erstausgabe. Herausgegeben von Heinz Bluhm. Mit einem Kommentar von Dorothea Lohmeyer-Hölscher. Weimar 1962, Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger. 216 S. Vorwort und Einleitung schrieb Heinz Bluhm (in englischer Sprache). Er hebt die quellenmäßige Bedeutung der Briefe hervor; sie sind die frühesten bisher bekanntgewordenen Briefe Augusts an Ottilie 1 0 und setzen mit dem Zeitpunkt ein, an dem Ottilie entschlossen war, Augusts Frau zu werden. Bluhm zeichnet dann die Geschichte der Verlobung und der Verlobten nach. Der Einblick in deren Verhältnis berührt schmerzlich wegen des Übergewichts an Mißverständnissen, die sich häufig bis zum drohenden Zerwürfnis steigerten. Eine Reihe von Einzelheiten war bisher hauptsächlich aus Adele Schopenhauers Tagebuch11 bekannt. Dieses zieht Bluhm zur Ergänzung und zum Vergleich heran, wobei deutlich wird, welch gute Beobachterin Adele war. Der Verlobungsbriefwechsel macht nicht nur die allgemeine Atmosphäre der Weimarer Gesellschaft und des Hofes um 1816/17 und ihre Auswirkung auf zwei bestimmte Menschen deutlich. Er ist auch für die Kenntnis Goethes ergiebig: Mittelbar insofern, als man an scheinbaren Alltäglichkeiten belegt findet, wie einerseits Ottilie zunehmend sich dem Schwiegervater zuwandte; andererseits wird einsichtig, wie nachhaltig August an 10 Briefe des sieben- bis zehnjährigen August sind abgedruckt bei Wilhelm Bode, Goethes Sohn, Berlin 1918, S. 36^47, als Teilabdruck aus Hans Gerhard Graf, Goethes Briefwechsel mit seiner Frau, Bd. 1/2, Frankfurt a. M. 1916. 11 Adele Schopenhauer, Tagebücher, 2 Bde., hrsg. v. K. Wolf}, Leipzig 1909.

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den Vater gebunden war, wie unerbittlich er von diesem beansprucht wurde. Unmittelbar spürt man die Einwirkung Goethes beim Aushandeln des Ehevertrages zwischen August und Ottilie. Dieser — Ottiliens Ausfertigung — wird hier zum ersten Mal gedruckt, Augusts Exemplar liegt in Weimar. Bei der Frage der Witwenversorgung Ottiliens wandte Goethe eine ähnlich harte Verhandlungsweise an wie einige Jahre später bei der Honorarfestsetzung der Ausgabe letzter Hand. Der Textteil setzt sich zusammen aus vier Briefen Henriette von Pogwischs, der Mutter Ottiliens, an August, einem Brief Henriettes an den Rat Schumann, der wegen des Ehevertrages zwischen den beiden Parteien vermittelte, einem Brief Schumanns an August, einem Brief Wilhelm Henckels von Donnersmarck, des Bruders Henriettes, an August. Den Hauptteil stellen die 36 Billette und Briefe Augusts an Ottilie dar; von dieser finden sich nur zwei Briefe an August. Die Ottiiiana der NewberryLibrary sind durch zwei Briefe Augusts an Ottilie ergänzt, von denen der eine (Nr. 53) dem Goethe-Schiller-Archiv in Weimar, der andere (Nr. 54) dem Düsseldorfer Goethe-Museum gehört. Hinzu kommen die zweite, längere Fassung eines schon bei Oettingen (I, 189 ff.) 1 2 wiedergegebenen Traumes Ottiliens für August, dessen vier Briefe an Ottiliens Schwester Ulrike, ein Schreiben von Ottiliens Vater an diese und August — der erste bisher bekanntgewordene Brief des Majors von Pogwisch —, ein vermutlich von Adele Schopenhauer verfaßtes Gedicht an Goethe zur Hochzeit Augusts, der erwähnte Ehevertrag und Augusts Liste der Hochzeitsgäste. Drei — mangelhaft reproduzierte — Bilder, darunter das aufschlußreiche Portrait des Vaters Pogwisch, und zwei Faksimiles von Augusts Handschrift illustrieren das Ganze. Das Buch gibt verschiedentlich Zweitfassungen für Zeugnisse, die Oettingen schon gedruckt hatte, so für das Brief gedieht Ottiliens an August vom 13. Februar 1817 (hier Nr. 20, vigl. Oett. I, 297); die Newberry-Fassung ist die ältere, die Abweichungen von der Weimarer, von Oettingen veröffentlichten werden im Kommentar verzeichnet. Ähnlich verhält es sich mit dem als Nr. 52 abgedruckten Brief Ottiliens an August; es ist der Entwurf des bei Oettingen I, 189 ff. wiedergegebenen, unvollständig gebliebenen und möglicherweise nicht abgesandten Schreibens vom 10. Dezember 1815. Die Newberry-Fassung weicht im Text nur geringfügig ab, enthält jedoch den bedeutsamen Schluß. Alle Manuskripte sind als Rohdruck gegeben, einschließlich offenkundiger Schreibversehen (S. 47 »Hrzlichsten« statt »Herzlichsten«, S. 60 »Dumir« statt »Du mir«, S. 67 »möglich« statt »möglich«, S. 71 »dry« statt »drey«, S. 77 »sillen« statt »stillen«) und der Verschreibung von Eigennamen (S. 49 »Spiegl« statt »Spiegel«). Soll man solche Fehlleistungen hätscheln oder sie nicht doch im Text berichtigen und allenfalls im Apparat nachweisen? Fehlende Wörter werden dort ergänzt, Streichungen gelegentlich verzeichnet, wenn sie zur Erschließung des Tages, ja der Stunde, 12 Vgl. Aus Ottilie von Goethes Nachlaß, Briefe und Tagebücher von ihr und an sie, 1806 bis 1832, 2 Bde., hrsg. v. Wolfgang von Oettingen, Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. 27 und 28, Weimar 1912 und 1913.

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in der der Brief entstand, beitragen (S. 142). Man darf annehmen, daß der Text zuverlässig erstellt ist, jedenfalls sind die beigefügten Faksimiles richtig gelesen. Der Kommentar (S. 109—204) stammt von Dorothea Lohmeyer-Hölscher. I n der Einleitung hierzu (S. 109—116) umreißt sie zuverlässig die Situation der Forschung 13. Es folgen Erläuterungen zu jedem Brief, der jeweils archivalisch genau aufgenommen wird. Da die meisten Briefe nicht datiert sind, bestand eine hauptsächliche Aufgabe des Kommentars darin, eine Reihenfolge herzustellen. Dies wird überwiegend auf Grund inhaltlicher oder chronologischer, mitunter jedoch stilistischer (Brief Nr. 50) oder lokaler (Brief Nr. 41) Kriterien getan. Die gewonnene Datierung wird ausführlich begründet; die Begründung überzeugt und verrät eine vorzügliche Kenntnis der einschlägigen biographischen Quellen, der örtlichkeit Altweimars und der Realien der Zeit: Maße und Münzen werden erläutert, die Höhe der Witwenversorgung Ottiliens wird durch Vergleiche mit den zeitüblichen Witwenpensionen beleuchtet. Auch Semantisches (z. B. S. 194 f. bei der Bedeutungsbestimmung von »fromm« und »gottlos«) findet seinen Platz. Wiederholt greift Lohmeyer-Hölscher auf unveröffentlichte Personalia des Weimarer Archivs zurück, womit diese hinsichtlich der hier behandelten Personen längst nicht erschöpft sind. Der Kommentar weitet sich oft zu einer Interpretation der Briefe und holt gelegentlich, so bei dem des Vaters Pogwisch und den vier »Zettelgens« Augusts an seine Sdiwägerin Ulrike, zu knappen, wertvollen Biographien aus. Auch stellt Lohmeyer-Hölscher eine Reihe von Irrtümern richtig: Die von Oettiingen I I , 385 ausgesprochene Vermutung, Vater Pogwisch sei zur Hochzeit Ottiliens in Weimar gewesen, wird auf Grund der Hochzeitsliste Augusts abgewiesen. Die dort aufgeführten Personen werden ausführlich beschrieben. Die bisherige Zuschreibung des bei Oettingen I, 296 f. abgedruckten, wichtigen Briefes einer Gräfin Friederike Henckel an Ottilie vom 6. Januar 1817 wird (S. 126 ff.) berichtigt: die Schreiberin ist keine entfernte Verwandte, sondern die vertraute und einflußreiche Tante und Frau Wilhelm Henckels, der sich (vgl. Brief Nr. 34) nachhaltig in die Verlobungs- und Eheverhandlungen einschaltete. Richtiggestellt werden auch wichtige Daten, z. B. die Lebenszeit Ulrike von Pogwisdis, die in der Weimarer Ausgabe, bei Oettingen und in Zeitlers Goethehandbuch fälschlich mit 1804—1899 angegeben werden; sie lauten 1798—1875. Der Hinweis von S. 192, daß Ulrike von Pogwisch, obwohl lange in Goethes nächster Umgebung lebend, von der biographischen Forschung bisher kaum gewürdigt worden sei, sollte beachtet werden. — Insgesamt muß man dem 13 An der Einleitung bemängelt Helmut Praschek mit Recht, sie sei »offensichtlich nicht auf den letzten Stand der Publikation gebracht worden, da ein nicht in der Sammlung enthaltener Brief Ulrike von Pogwisdis angekündigt (S. 112), die Briefe des Vaters als 51 und 52 bezeichnet (51 a, b) und die letzten drei Briefe überhaupt nicht erwähnt werden.« Vgl. Deutsche Literaturzeitung, 85. Jg. (1964), Sp. 414—417, hier Anm. 3, Sp. 415. Prascheks Rezension läuft der Wolfgang Herwigs (in: Germanistik, 5. Jg., 1964, S. 106 f.) und der unsrigen weitgehend gleich.

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Kommentar hohes Lob zollen. Lohmeyer-Hölscher hat das Erfaßbare sorgfältig aufgespürt, verbunden und eingeordnet. Sie läßt den Leser an Hand dieses in Einzelstücken oft unergiebigen Briefwechsels die sich anbahnende Verbindung zwischen Ottilie von Pogwisch und August von Goethe miterleben. Damit bringt sie uns einen bedeutenden Abschnitt aus dem Leben zweier Menschen nahe, die nicht nur wegen der Beziehung zu Goethe, sondern auch um ihrer selbst willen Teilnahme verdienen. Aus den drei vorliegenden Bänden gewinnt man einen hinreichenden Eindruck davon, was man von der Publikation der übrigen NewberryOttiliana erwarten darf: eine Fülle biographischen Materials, mit dessen Hilfe die teils vergötterte, teils verurteilte Gestalt Ottiliens belegbar beurteilt werden kann; auch auf die Menschen um sie herum, vor allem die Mutter und die Kinder, wird Licht fallen 14 . An Hand dieser Editionen, des Weimarer Materials und der Nachlässe August von Goethes und seiner Söhne in der Universitätsbibliothek Jena wird man in absehbarer Zeit die erste zuverlässige Biographie Ottiliens schreiben können 15 . Bernhard Gajek, Frankfurt am Main

Georg Lukâcs, Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik. Neuwied-Berlin 21963, Hermann Luchterhand Verlag. 169 S. Es kann bei der Anzeige eines Werkes, dessen erstes Erscheinen fast fünfzig Jahre zurückliegt, nicht darum gehen, den Inhalt noch einmal wiederzugeben und die Bedeutung der vorgetragenen Thesen festzustellen. Was an ihm Bestand hatte, ist längst in Ästhetik und Poetik eingegangen, ja vielerorts bereits anonyme Wirkung geworden. Vor allem die Einsicht in die Naturformen der Kunst, die Lukâcs als der empirischen Welt immanente Erscheinungen »eines fertig daseienden Sinnes« (25) betrachtet, ist zum Ausgangspunkt einer ganzen Richtung der modernen Literaturwissenschaft geworden, welche die Gestalt der künstlerischen Erscheinung im Wandel der geschichtlichen Welt sichtbar machen möchte. 14 Vgl. den Sonderband der Reihe: Henriette von Pogwisch, Weimar im Jahr 1832, Briefe an Adele Schopenhauer, Wien 1964. 16 In einer Besprechung von Bluhms Editionen, Bd. I / I I , fragt Wolf gang Herwig (in: Germanistik, 4. Jg., 1963, S. 671 f.) nach dem Wert einer ungekürzten Wiedergabe der Tagebücher Ottiliens; er schlägt vor, sie lediglich in einer Biographie Ottiliens zu verarbeiten. Dann wären alle an Ottilie und Goethes Enkeln Interessierten, die das Material in Chicago nicht in ganzem Umfang benützen können, empfindlich benachteiligt. Man würde sich außerdem der Perspektive, unter der der etwaige Biograph eine so vielschichtige Gestalt wie Ottilie sähe, anschließen müssen und die Überprüfung wäre mühsam. Sind aber die Quellen ganz ediert, dann lassen sich mögliche Verzeichnungen sofort berichtigen.

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Lükics* 'Theorie des Romans* erschien zuerst 1916 in Max Dessoirs 'Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft', die erste Buchausgabe folgte 1920 im Verlag Paul Cassirer in Berlin. Das auslösende Moment aber für das Entstehen der Schrift war, nach des Verfassers eigenem Geständnis, der Kriegsausbruch 1914. Man könnte sich die Frage vorlegen, was ein so eindeutig politisches Ereignis mit der Darlegung so diffiziler ästhetischer Probleme für einen Zusammenhang habe. Im allgemeinen gar keinen, bei Georg Lukäcs jedoch einen sehr engen. Damit aber sind wir schon bei der besonderen Position des Verfassers angekommen, die wir etwas näher umreißen müssen. Lukäcs steht in der 'Theorie des Romans* ganz eindeutig in der Gefolgschaft Hegels. Er selbst bekennt, daß »ihr erster, allgemeiner Teil wesentlich von Hegel bestimmt« (10) ist. Ja, er sieht in seiner Schrift »das erste geisteswissenschaftliche Werk, in dem die Ergebnisse der Hegeischen Philosophie auf ästhetische Probleme konkret angewendet werden« (10). Worin zeigt sich diese Abhängigkeit von Hegel? Zunächst in der allgemeinen Auffassung des Geistes. Der Begriff >Geist< ist für Lukäcs im allgemeinen eine Metapher für das, was das Wesen alles Seienden und zugleich Grund und Ziel aller Entwicklung ist. Grund und Ziel deshalb, weil die ganze Entwicklung allein darauf angelegt ist, den Geist zur vollen Entfaltung zu bringen, ihn in konkreter Weise werden zu lassen, was er im Anfang nur als Möglichkeit ist. Er erscheint geschichtlich als die alles umfassende Einheit, die Einheit also auch des Gegensätzlichen, die Lukacs als »Totalitär bezeichnet. Dieser Prozeß der Selbstverwirklichung des Geistes, der dauernden Ineinsbildung des dialektisch Entfalteten, beginnt in Griechenland, wenn es auch noch nicht zu einer völligen Trennung von empirischem Leben und geistigem Wesen kommt. Denn Kennzeichen des Griechentums zur Zeit der Blüte ist die erste unmittelbare Totalität, in der alle Möglichkeiten des Geistes wohl gesetzt, aber noch nicht voll verwirklicht und damit auseinandergesetzt sind. Demgemäß entstehen hier schon die drei »großen, die zeitlös paradigmatischen Formen des Weltgestaltens« (28): Epos, Tragödie und Philosophie. Keine dieser Formen hat jedoch im Altertum ihre Möglichkeiten voll ausgeschöpft. Das liegt daran, daß diese Formen in ihrer konkreten Ausprägung, wenn auch durchaus nicht im gleichen Maße, vom jeweiligen Stand der Entwicklung des Geistes abhängig sind. Diese apriorischen Gestalten bezeichnen also nur die spezifische Differenz, durch die für uns die Arten der Dichtung faßbar werden. Alle Dichtung beruht demnach auf zwei Voraussetzungen: einerseits auf der »Gesinnung« des Dichters, andrerseits auch auf der Beziehung zu »dem prästabilierten, ewigen Ort der Form« (34). Die Verschränkungen zwischen Gesinnung und Form sind durch eine Alternative bestimmt: Entweder ist die Welt der Formen, des Wesenhaften, der empirischen Welt immanent, und also für den Menschen greifbar, wobei Formen finden

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soviel heißt wie sie éttthüllen; oder das Wesen und damit die Formen sind aus der Welt geschwunden, wobei die Dichtung vom Suchen nach der Totalität, vom Kampf zwischen dem Leben und dem für sich stehenden Wesen beherrscht wird. Epos und Tragödie verwirklichen die erste Möglichkeit. Die epische Gesinnung ist auf »extensive Totalität« (41) gerichtet, welche die Fülle des empirischen Lebens zu umgreifen strebt, die dramatische Gesinnung auf »intensive Totalität« (41), welche die Tiefe der an sich problematischen, jedoch durch die Form abgeschlossenen Welt sucht. Wo aber Leben und Form nicht mehr unmittelbar nebeneinander liegen, ja identisch sind, da können die ausgeprägten Gegensätze allenfalls durch Vermittlung zur Totalität gelangen. Das ist bei den jüngeren Formen der Fall. Die Vermittlung erfolgt da durch Negation, das heißt bestimmter: durch Reflexion, die im Roman als >Ironie< erscheint. Das hat mit der Frage des Wertes einer Dichtung nichts zu tun. Denn dort, wo die Welt völlig zerrissen ist, wird gerade jenes Werk der Aufgabe der Kunst am besten gerecht, das in der formalen Unzulänglichkeit am deutlichsten die Struktur der gegenwärtigen Welt, den Entwicklungsstand des Geistes offenbart. Nicht die Fähigkeit des Dichters, zu bilden und zu gestalten, sondern die Notwendigkeit, zu horchen, die Zeit zu erfassen, wird für Lukács zum entscheidenden Maßstab für die Qualität eines Werkes. Dadurch ist das Epos, das nach der Fülle des empirischen Lebens strebt, einem dauernden Wandel unterworfen. Die neuen Formen — etwa der Roman — haben ihren LTrsprung nicht im Gestaltungswillen des Dichters, sondern in den gesellschaftlichen Zuständen, da die Grundzüge des Gegenstandes, des empirischen Lebens, sich entscheidend verändern. Selbst dort, wo in der nachgriechischen Zeit noch Epen geschaffen werden, entstehen sie nicht mehr als zeitangemessene Form, sondern — wie alle anderen Formen auch — als »Zeichen des echten und des unechten Sudiens nach dem nicht mehr klar und eindeutig gegebenen Ziele« (35). In der nachgriechischen Welt finden sich stets alle Formen nebeneinander, wenn auch im Laufe der Zeit in verschiedener Ausprägung, während in Griechenland »jede Kunstart erst dann geboren ward, wenn auf der Sonnenuhr des Geistes abzulesen war, daß gerade ihre Stunde gekommen ist, und jede mußte verschwinden, wenn die Urbilder ihres Seins nicht mehr am Horizonte standen« (35). Wir sind an dem entscheidenden Punkt. Denn wenden wir diese Einsicht von der notwendigen Korrelation des geistigen Hervorbringens und des gesellschaftlichen Zustandes auf Lukács* Werk selbst an, so erschließt es sich ains als Produkt einer ganz bestimmten politischen Konstellation, die wir nicht außer acht lassen dürfen. Deshalb erscheint auch seine Entstehung aus der Antistimmung des Kriegsausbruchs von 1914 wichtig. Der Verfasser selbst hat im Vorwort zur zweiten Auflage, das eine umfassende Kritik des eigenen Werkes vom Standpunkt der marxistischen Literaturwissenschaft aus darstellt, die begrenzte Gültigkeit seiner Thesen aufgewiesen: »Wenn also heute jemand 'Die Theorie des Romans' liest, um die

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Vorgeschichte der Ideologien an den zwanziger und dreißiger Jahren intimer kennenzulernen, vermag er aus einer solchen kritischen Lektüre Nutzen zu ziehen. Nimmt er aber das Buch in die Hand, um sich zu orientieren, so kann es nur zu einer Steigerung seiner Desorientiertheit führen« (18). In diesem Satz spiegelt sich die ganze Wandlung, die Georg Lukacs mitgemacht hat. Das Korrelat Geist-Gesellschaft hat eine völlige Umkehrung des ursprünglichen Sinns zur Relation Gesellschaft-Geist erfahren. War für den jungen Forscher die Selbstentfaltung des Geistes Grund und Ziel der gesellschaftlichen Realität gewesen, so wird für den Marxisten Lukacs der jeweilige Zustand der Klassengesellschaft zur notwendigen Voraussetzung der geistigen Hervorbringung. Die Pole wurden einfach vertauscht. Deshalb die scharfe Absage an die geisteswissenschaftliche Methode, die er selbst mit solcher Meisterschaft geübt hat: »Es wurde Sitte, aus wenigen, zumeist bloß intuitiv erfaßten Zügen einer Richtung, einer Periode etc. synthetisch allgemeine Begriffe zu bilden, aus denen man dann deduktiv zu den Einzelerscheinungen herabstieg und so eine großzügige Zusammenfassimg zu erreichen meinte« (7). Der Verfasser selbst sieht sein Werk als typisches Erzeugnis dieser geisteswissenschaftlichen Methode, das Grenzen und Schranken deutlich machen kann. Ja, er weist ihm geradezu paradigmatisehe Bedeutung zu, wenn er den methodischen Ansatz an einigen Beispielen erläutert: »In der Typologie der Romanform spielt die gedankliche Alternative, ob die Seele der Hauptfigur im Verhältnis zur Wirklichkeit zu schmal oder zu breit sei, eine entscheidende Rolle. Diese höchst abstrakte Zweiteilung ist bestenfalls geeignet, einige Momente des als für den ersten Typus repräsentativ dargestellten 'Don Quijote' zu erhellen. Sie ist aber viel zu allgemein gehalten, um den ganzen historischen und ästhetischen Reichtum selbst dieses einen Romans gedanklich zu erfassen. Die anderen diesem Typus zugeordneten Schriftsteller, wie Balzac oder auch Pontoppidan, geraten aber dadurch in eine sie entstellende begriffliche Zwangsjacke. Ebenso ist es mit dem anderen Typus bestellt. Noch charakteristischer ist diese Wirkung der geisteswissenschaftlichen abstrakten Synthese bei Tolstoi Der Epilog von 'Krieg und Frieden* ist in Wirklichkeit ein ideeller Abschluß der Napoleonischen Kriegsperiode: er zeigt in der Entwicklung einiger Gestalten die Schatten, die der Dekabristenaufstand von 1825 vorauswarf. Der Verfasser der 'Theorie des Romans* hält aber so hartnäckig am Schema der >Education sentimentalec fest, daß er hier bloß eine »beruhigte Kinderstubenatmosphärec vorzufinden meint, eine »tiefere Trostlosigkeit als das Ende des problematischsten Desillusionsromansc. Solche Beispiele ließen sich beliebig häufen. Es genüge bloß darauf hinzuweisen, daß Romandichter wie Defoe, Fielding oder Stendhal keinen Platz in der Schematik dieses Aufbaus finden; daß der Verfasser der 'Theorie des Romans* die Bedeutung von Balzac und Flaubert, von Tolstoi und Dostojewski in »synthetischer Willkür auf den Kopf stellt« (7/8). Auf Grund dieser kritischen Selbstprüfung, die sehr viel Richtiges enthält, kommt Lukacs schließlich zu einer Verurteilung der gesamten geisteswissenschaftlichen Methode:

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»[Die] Methode bleibt jedoch vielfach, gerade in sehr wichtigen Zusammenhängen, äußerst abstrakt, losgerissen von den konkreten gesellschaftlich-geschichtlichen Wirklichkeiten. Sie führt deshalb, wie gezeigt wurde, nur allzuoft zu willkürlichen Konstruktionen« (11). Was Lukacs jedoch zur Abkehr veranlaßt, das ist nicht eigentlich der methodische Zweifel, sondern das Fehlen jeglicher »Vermittlungen von der subjektiven Stellungnahme zur objektiven Wirklichkeit« (6). Diese Möglichkeit lernt er erst durch die Literaturtheorie von Karl Marx kennen, die gerade diese Vermittlung zum Schlüssel der Bewertung jedes Kunstwerkes macht. An dieser Stelle aber müssen wir Lukacs gegen Lukacs in Schutz nehmen. Wenn er etwa der bürgerlichen Gesellschaft als der Schöpferin der geisteswissenschaftlichen Methode vorwirft, daß ihre Ablehnung des Krieges rein utopisch war, so müssen wir doch die Frage aufwerfen, ob denn die klassenlose Gesellschaft, auf die hin Lukacs jetzt die ganze Literatur interpretieren möchte, weniger utopisch ist. Wir glauben vielmehr, daß sowohl der eine wie der andere Standort zur Beurteilung der Kunst nicht ganz ausreicht. Da wie dort werden vorletzte Gegebenheiten zu letztgültigen Maßstäben erhoben. Nur dort, wo wir das Zeitliche mit dem Ewigen, die gesellschaftliche Ordnung mit dem zeitlosen Ordnungsbild des Volkes Gottes in den rechten Bezug setzen, können wir zu einer gültigen Ontologie der dichterischen Formen gelangen. Eugen Thurnher,

Innsbruck

Michael Landmann, Die absolute Dichtung. Essais zur philosophischen Poetik. Stuttgart 1963, Ernst Klett Verlag. 212 Seiten. Der Untertitel des Buches weist darauf hin, daß es sich nicht um ein systematisches Werk handelt; trotzdem haben die hier vereinigten Essays1, von denen einige schon früher publiziert worden sind, ein Thema gemeinsam, das in der Überschrift des zusammenfassenden Nachworts Dichtung ausdrücklich genannt wird. Es ist ein altes Thema, das und Wirklichkeit schon Piaton beschäftigte; Michael Landmann, der an der Freien Universität Berlin Philosophie lehrt, teilt jedoch die Vorbehalte Piatons und anderer Philosophen gegen die Dichtung nicht, vielmehr sieht er in ihr eine eigenständige, autonome Weise, Welt und Wirklichkeit zu erfahren. Die Dichtung hat ihre eigene Wahrheit, die von dem, was der Philosophie und der Wissenschaft als wahr gilt, weder abhängt noch sich ihm unterzuordnen hat. Das entspricht einer relativistischen Auffassung der Wirklichkeit. Es gibt, wie Landmann ausführt, »nach der Überzeugung der Neueren«, keine an 1 Landmann schreibt Essai; ich verwende trotzdem die im Deutschen geläufigere Form Essay.

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sich bestehende Wirklichkeit, »die wir bloß erkennend abzukonterfreien hätten oder die wir, wenn uns dies nicht gelingt, durch unsere schöpferischen Hinzufügungen verfälschen. Alle Wirklichkeit vielmehr ist von vornherein als solche eine von uns mitkonstituierte«. Jede Tätigkeit des menschlichen Geistes, auch die »Alltagspraxis«, hat die ihr eigentümliche Wirklichkeit, hat jeweils ihr Bild von der Wirklichkeit, aber die »Bilder des Seins (...) verweisen uns nicht auf es als das Eigentlichere, sondern sind selbst etwas Autonomes, das man nicht überschreiten, hinter das man nicht mehr zurückgehen kann« (S. 114/5). In unserer Zeit gilt für gewöhnlich die Wissenschaft, d. h. speziell die Naturwissenschaft, als diejenige Geistestätigkeit, die allein Wirklichkeit erfaßt. Die Wissenschaft oder, wie Landmann im Nachwort sagt, die Ratio, unterdrückt oder zerstört dreierlei: »1. die nichtrationalen Vermögen unserer eigenen Seele; 2. die vorrationale Auffassung der Dinge; 3. die aus solcher Auffassung entspringenden kulturellen Schöpfungen« (S. 190). Landmann meint nun, daß gerade dadurch »die Kunst ihren höchsten Auftrag erst zugespielt erhält (...)« (S. 189). In ihr bewahren sich die vorrationalen Denkweisen der Magie und des Mythos (wovon insbesondere der zweite Essay Tout finit par des chansons, teilweise auch der vierte Gnoseologische und ästhetische Valenz der Metapher handelt); wir glauben zwar nicht mehr an die Götter und an die allbelebte, von göttlichen oder dämonischen Kräften erfüllte Natur, aber ein solcher Glaube entspricht einem Bedürfnis der Seele, das die Dichtung befriedigt — und nicht nur durch den schönen Schein, «denn: »So recht die Wissenschaft damit hat, daß nicht Helios den Wagen der Sonne lenkt, so unrecht hat sie damit, daß ihr Licht nur Materie in Schwingungen sei (...)« (S. 55). Somit ist die Kunst im Zeitalter der Wissenschaft und der Rationalität der »Befreiungsausgleich der versklavten Seelenschichten« (S. 191). Landmann geht sogar noch weiter. Nicht nur erhalten Kunst und Dichtung (beide Wörter werden häufig synonym gebraucht) in der Gegenwart ihren höchsten Auftrag, es gibt auch jetzt, seit dem Beginn des Rationalismus, eine größere Dichtung als früher (vgl. z. B. S. 194) und sie erhält »eine Sinnkraft, wie sie sie bisher nie besaß, nicht besitzen konnte (...). Im Zeitalter des Nihilismus ist sie es, der die Weltherrschaft zufällt. Sie kann sie ausüben, weil «ihre Wahrheit anderer Natur ist als sonstige Wahrheit« (S. 198/9). An dieser Stelle wird vielleicht sogar ein Leser, der die referierten Gedanken willig mitvollzogen hat, stutzig, und zu Einwänden und Widersprüchen provoziert. Er mag zugeben, daß die Kunst heute eine wichtige Funktion hat, daß die Menschen nur zu ihrem Unheil auf sie verzichten oder verzichten würden — aber tatsächlich lebt heute ein großer Teil der modernen Zivilisation ohne Kunst und Dichtung, und deswegen kann man füglich bezweifeln, ob Kunst und Dichtung heute »die Weltherrschaft« ausüben. Bezweifeln kann man auch, ob es in der neueren Zeit — d. h. im

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19. und 20. Jahrhundert — größere Kunst und Dichtung gibt als früher. Nicht jeder wird Mallarmé und George über Homer und Shakespeare stellen. Endlich aber zeigt sich in den zitierten Sätzen, daß Landmann seine relativistische Auffassung der Wirklichkeit nicht konsequent durchhält. Vorausgesetzt, daß der Kunst tatsächlich die Weltherrschaft zufällt, dann ist ihre Wahrheit nicht nur anders, sondern auch »wahrer« als sonstige Wahrheit. Um zu erfahren, was eigentlich ist, müßten wir den Dichter befragen und könnten auf den Philosophen und Wissenschaftler verzichten. Aber selbst wer das akzeptiert, wird doch einwenden, daß es nicht einfach »den« Dichter gibt, sondern verschiedene Dichter, von denen der eine »wahrer« ist als der andere... Wenn Landmann zum Schluß seinen Relativismus zugunsten der Dichtung verläßt, so erweckt er an anderen Stellen des Buches den Eindruck, als gestehe er der Ratio und der Wissenschaft eine größere Macht über das Wirkliche zu als der Dichtung. Der dritte Essay trägt den Titel Dichterische Entwirklichung, ein Titel, der zur Meinung Anlaß gibt, der Dichter schaffe etwas, -das sich von der »objektiven Wirklichkeit« (S. 94) entfernt, und es findet sich in diesem Essay die lapidare Behauptung: »Unwirklich ist das Erdichtete. Unwirklich ist die Dichtung selbst. Und etwas Unwirkliches hat auch der Dichter« (S. 99). Das kann nur jemand schreiben, der davon überzeugt ist und voraussetzt, daß es eine objektive, an sich bestehende und der wissenschaftlichen Erkenntnis allein zugängliche Wirklichkeit gibt — was Landmann, wie wir sahen, fünfzehn Seiten später abstreitet. Ähnliche Verwirrungen entstehen in dem Essay über Magie und Mythos und in dem über die Metapher, wo es heißt: »Was einst (...) schlichte Erkenntnis war, das ist jetzt nur noch — Metapher.« Es ist Dichtung, und nicht Wahrheit, wenn wir beispielsweise davon reden, daß die Tanne »stolz emporragt«, daß »das Meer tobt«, daß die Sonne den Nebel »besiegt« (S. 122). Die Verwirrung resultiert nicht allein daraus, daß Landmann nicht konsequenter Relativist bleibt, sondern auch aus der schillernden Undeutlichkeit des Begriffes Wirklichkeit. Landmann gebraucht diesen Begriff einmal im Sinne dessen, was die Wissenschaft feststellt, manchmal im populär-gängigen Sinne der allen zugänglichen Außenwelt; und manchmal spricht er von einer »neuen Wirklichkeit«, zu welcher der Dichter durch »Entwirklichung« vordringt, (vgl. hierzu S. 66/7 u. ö.). Er ist sich dieses problematischen Wortgebrauchs bewußt, denn er fügt einen Exkurs über das Unsichtbare ein, der mit den Sätzen beginnt: »Wir haben im Bisherigen vom Wirklichen und vom Sichtbaren fast promiscué gesprochen. Mit Unrecht; denn vieles Wirkliche ist unsichtbar: etwa nur hörbar, oder überhaupt nicht sinnlich wahrnehmbar, wie das Seelische« (S. 85). Dem läßt sich jedoch hinzufügen, daß auch der Begriff des Sichtbaren problematisch ist, denn, wie William Blake in The Marriage o} Heaven and Hell treffend sagt, sieht der Tor nicht den gleichen Baum wie der Weise — und ein Weiser »sieht« sogar das Seelische. 3 1 L i t e r a t u r w i s s e n s d i a f t l i c h e s Jahrbuch, 5. Bd.

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Diese Unklarheiten und Widersprüche lösen sich auf, wenn man sie in den Zusammenhang des Ganzen stellt. Trotz einzelner Abweichungen bleibt Landmann seiner relativistischen Grundthese treu. Aus ihr erklärt es sich auch, daß er nicht von der Dichtung überhaupt, sondern von der absoluten Dichtung spricht. Was er darunter versteht, erläutert er im ersten Essay, der mit Zwischen Wissenschaft und Musik überschrieben ist. I n unserer Zeit — »die nicht erst heute begonnen hat« (S. 199) — haben sich die verschiedenen Tätigkeiten des menschlichen Geistes spezialisiert und beschränken sich auf die ihnen eigentümlichen Bereiche; sie haben sich voneinander gelöst und sind daher »absolut« oder auch »rein« geworden. Es gibt heute eine absolute oder reine Wissenschaft, Malerei, Religion, Wirtschaft usw. (S. 9/10). So gibt es auch heute eine absolute oder reine Dichtung. Um ihr Wesen zu bestimmen, geht Landmann von ihrem Material aus. Das Material der Dichtung ist die Sprache (so wie das Material des Malers die Farbe ist); die Bestandteile der Sprache, die Wörter, verbinden Klang und Sinn. Während nun der Wissenschaftler allein auf den Sinn, auf die verweisende Bedeutung, achtet und dem Klang gegenüber indifferent bleibt, erhält der Klang in der Dichtung einen eigenen Wert, und mit ihm auch das Bezogensein der Klänge aufeinander, d. h. die Fügung der Wörter (vgl. S. 30). Jedoch ist Didhten kein Musizieren mit sinnfreien Klängen; zwar ist die Dichtung von den Weltinterpretationen der Philosophie und Wissenschaft unabhängig (losgelöst), aber das »heißt nicht, daß sie auf Weltinterpretation überhaupt verzichten will« (S. 14). In der Dichtung kommt die Sprache mit der ihr inhärenten Bipolarität von Klang und Sinn zu sich selbst; Dichten ist eigentliches Sprechen, und der Dichter ist, wie es zum Schluß des Nachworts heißt, »der Priester der Sprache« (S. 199). Absolute Dichtung ist demzufolge nicht solche, die nur »singen« und nicht »sagen« will. Landmann verwirft die Gedichte von Nelly Sachs und von Saint John Perse als »beängstigend nichtssagend«, als »fast nur noch emotionierte Druckerschwärze« (S. 20), und er nennt die Ansicht von Mallarmé, daß die Materie der Dichtung gleichgültig sei, »im Tiefsten doch nicht wahr« (S. 23). Und wenn Valéry behauptet, »'La jeune Parque' sei für ihn eine rein formale Aufgabe gewesen« und »der 'Cimetière marin' sei aus einer ihn heimsuchenden leeren rhythmischen Form entstanden«, so bezeichnet das Landmann — wohl mit Recht, und vielleicht zu höflich — als eine »gewagte Selbststilisierung« (S. 14). Absolut ist, nach Landmann, vielmehr die Dichtung, die sich ihren Gegenstand und ihr Thema nicht von wo anders her borgt. Deswegen gilt ihm Stefan George als absoluter Dichter, obwohl er es, »entgegen seiner Deutung durch Klages, verwarf, daß Kunst bloß rhythmische Magie zu sein habe«; das war »kein Abfall zu einer gipsernen Weltanschauungsdichtung, sondern geschah ebenfalls noch im Dienst der Kunst und zu ihrer Erfüllung. Er griff damit nur auf die Hölderlinsche Möglichkeit zurück, der die wahre absolute Poesie schon

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entdeckt hatte; der französische Symbolismus ist eine mattere Zweitentdeckiung« (S. 23). Diese Auffassung von absoluter Dichtung provoziert zum Weiterdenken und, wie es in der Natur des Denkens liegt, zum Fragen und zum Widerspruch. Bewunderer von Nelly Sachs und Saint John Perse werden sich empören; andere werden vielleicht mit Mallarmé und Valéry behaupten, daß die Dichtung erst dann absolut sei, wenn sie sich ganz vom Inhaltlichen löse. Ich selbst meine, daß Landmann im Prinzip recht hat: Dichtung ist Klang und Sinn, und ihr Sinn existiert nicht ohne den Klang und die Wortfügung; freilich sehe ich nicht ein, warum die französischen Symbolisten — also wohl Baudelaire, Rimbaud, Mallarmé, Valéry — »matter« sein sollen als Hölderlin, und warum Hölderlin die ehrenvolle Rolle des Entdeckers der absoluten Dichtung erhält. Landmann äußert sich über diesen Punkt nicht ganz eindeutig. Im Nachwort leitet er die absolute Dichtung offensichtlich aus der Romantik (»im weitesten Sinne«) her, da mit ihr die von der Ratio »versklavten« Seelenschichten wieder auferstehen (S. 193). Heißt das, daß wir Hölderlin als einen, vielleicht als den wichtigsten, Romantiker zu verstehen haben? Andererseits sagt Landmann in seinem Schlußsatz, daß das, was in der absoluten Dichtung »isoliert und gesteigert hervortritt«, schon immer »ein Moment aller wahren Dichtung« gewesen sei (S. 199). Worin unterscheidet sich dann alle »wahre Dichtung« von der durch Hölderlin entdeckten »wahren absoluten Poesie«? Wenn wir mit Landmann das Kriterium für absolute Dichtung darin sehen, daß in ihr die Sprache rein zu sich selbst kommt, und daß die Dichtung sich nicht ihren Gegenstand von einem anderen Bereich des menschlichen Geistes vorschreiben läßt, sondern autonom ihre Erkenntnisse schafft, dann müssen wir zum Beispiel, wie ich glaube, Shakespeare wenigstens mit einigen seiner Dramen der »wahren absoluten Poesie« zurechnen. Zwar benützt Shakespeare vorgegebenes Material, aber er verwandelt es, er bringt nicht nur das unabhängig von ihm bestehende »Weltbild« seiner Zeit in dichterische Form. Und Ähnliches gilt wohl, wiederum zum Beispiel, für Sophokles, für Catull, für Donne und Goethe. Die wesentliche Erkenntnis von Landmanns Buch liegt, wie mir scheint, nicht darin, daß er die absolute Dichtung definiert, sondern im Auf weis, daß die Dichtung eine autonome Geistestätigkeit ist und daß sie ihre eigene Wahrheit hat, auf die wir nicht verzichten dürfen, wenn wir Menschen bleiben wollen. Ich habe darum diesen Aspekt besonders herausgearbeitet und andere (z. B. den Abschnitt über die Gattungen) beiseite gelassen. Wenn ich teilweise anderer Ansicht bin und gelegentlich Kritik geübt habe, so erklärt sich das, wie oben schon gesagt, aus der Natur des Denkens, das sich vom Satz zum Gegensatz bewegt. Daß aber Landmann zum Denken über das so eminent wichtige Thema der Dichtung Anlaß gibt, das ist, zusammen mit den Einsichten, die es vermittelt, ein großes Verdienst dieses Buches. Es ist, dies sei zum Schluß noch bemerkt, so gut 31*

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geschrieben, daß man daran zweifelt, ob, wie Landmann meint, für den Philosophen und Wissenschaftler allein der Sinn des Wortes von Bedeutung ist. Sagt nicht auch der Philosoph, und sagt nicht gerade Michael Landmann, etwas Sinnvolles und Erhellendes durch die Art, wie er es sagt? Um diese Frage zu beantworten, und auch nur, um über diese Frage zu reflektieren, müßte ich jedoch über den Rahmen dieser Besprechung hinausgehen. Johannes Kleinstück,

Lissabon

ZU DEN ABBILDUNGEN 1. Titelbild: Ernst Barlach: Theodor Däubler. Holzplastik. Material: Eiche. Höhe: 56 cm. Auf der Rückseite bezeichnet: E. Barlach 1929. Foto: Landesbildstelle Rheinland. Für freundliche Auskünfte haben wir zu danken den Direktionen des Kunstmuseums Düsseldorf und der Landesbildstelle Rheinland, Düsseldorf. Zu dem Bild vgl. den Beitrag S. 215 ff., bes. S. 221 Anm. 3. Schon 1920 schreibt Else Lasker-Schüler in 'Unser Spielgefährte Theodorio Däubler* (in: Gesichte. 2. Aufl. Berlin 1920; jetzt in: Else Lasker-Schüler, Prosa und Schauspiele, hrsg. von Friedhelm Kemp, München 1962, S. 209): »Wir wissen, wer zwischen uns ist, und lassen ihn nicht ungestraft auch nur mit Kieselsteinchen bewerfen, die er in seiner Arglosigkeit erst gewahrt, wenn sie ihm die Pore seines Herzens verstopfen. So traf ich gestern unseren treuen Freund, geschmäht vor der Menschheit, eine einsame Barlachfigur, ein drohender Holzmann aus Dickicht und schwerem Gewölk gebaut, dem ein Vorbeischlendernder in die Rinde ein Schmähwort einkratzte...« 2. Nach S. 14. Stiftungsurkunde des Hans Eisenreich (1472). Original im Stadtarchiv Eggenfelden. Pergament. Größe: 56 X 34 cm. Ein Siegel fehlt, das zweite, etwas beschädigt, anhängend. Signatur: U71. Für freundliche Auskünfte haben wir Herrn Stadtamtmann Bruckner, Eggenfelden zu danken. Die Urkunde ist der bisher früheste Beleg eines liturgischen Verkündigungsspieles in Deutschland. Vgl. dazu S. 14 Anm. 14 und S. 19 Anm. 27. 3. S. 230/231. Handschriftliche biographische Notizen Else Lasker-Schülers. Die Originale sind im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Staatsbibliothek Marburg (aus Beständen der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek). Die beiden Notizen, die einige Bedeutung dadurch haben, daß die Dichterin mit autobiographischen Mitteilungen sehr sparsam war, wurden vermutlich für das 'Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Bearbeitet von Franz Brümmer' geschrieben. Die Notiz auf S. 230 bezieht sich — nach der Werkangabe — auf eine Auflage um 1902, die Notiz auf S. 231 bezieht sich vermutlich auf die »6. völlig neu bearbeitete und stark vermehrte Auflage« dieses Nachschlagewerkes. In Band V I I (Leipzig. Reclam. 1913, S. 312) heißt es hier: »Waiden, Else, bekannt unter ihrem ersten Frauennamen Else Lasker-Sdiüler, wurde am 11. Februar 1876 in Elberfeld geboren, widmete sich seit ihrem 14. Jahre der Malerei und später auch der Dichtkunst. Sie lebt, seit 1908

Zu den Abbildungen

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mit dem Komponisten und Musikschriftsteller Herwarth Waiden verheiratet, in Halensee bei Berlin. Styx (Ge.), 1902. — Der siebente Tag (Ge.), 1905. — Das Peter-Hille-Buch, 1906. — Die Nächte Tino von Bagdads (Nn.), 1907. — Die Wupper (Schsp.), 1909. — Meine Wunder (Ge.), 1911.« Die Erlaubnis für Reproduktionen

erteilten:

Das Kunstmuseum Düsseldorf und die Landesbildstelle Rheinland; das Stadtarchiv Eggenfelden; die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Staatsbibliothek Marburg (aus Beständen der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek).

HINWEIS E d u a r d M ö r i k e , Werke und B r i e f e Das Schiller-Nationalmuseum in Marbach a. N. bereitet eine historisch-kritische Edition sämtlicher Werke und Briefe Eduard Mörikes vor. Die Ausgabe erscheint im Auftrage des Landes Baden-Württemberg. Sie möchte alle überlieferten Handschriften Mörikes berücksichtigen. Die Besitzer von Manuskripten, Briefen, Zeichnungen und sonstigen Autographen des Dichters wie auch von Briefen an ihn und zeitgenössischen Dokumenten, in denen er Erwähnung findet, werden gebeten, dem Schiller-Nationalmuseum davon Mitteilung zu machen.

N A M E N - U N D SACHREGISTER Von Wolfgang Frühwald (Die Zahlen bedeuten die Seiten, kursive Zahlen die Hauptstellen, A. = Anmerkung. Das Register wählt aus.) Abälard, Petrus 108 Abraham 72, 94 A. 1 a Adam 72, 94 A. 1 a Ästhetik, frühromantische 137 Ästhetik der deutschen Klassik 205 Alain de Lille 331 Alas, Leopold 187 Alberti, Leon Battista 440 Alexander Sigismund, Fürstbischof von Augsburg 49 Alfieri, Vittorio Graf 204, s. auch Schiller Altersstil 447, s. auch Brentano, Clemens Analogie 445-448, 450-455 Analogienproblematik 455 Ananias und Saphira 11 Andersen, Hans Christian 318 Angelus Silesius 81 Annolied, das 9 A. 13 Annunzio, Gabriele d' 215 Antihistorismus s. Benn Antithesenstil s. Petrarca Apollinaire, Guillaume 196 Apostelgeschichte, die 11 Apparatvisionen s. Tieck Apuleius, Lucius 424 Aristophanes 130, 347 Aristoteles 153 A. 21, 431 aristotelische Sprache 459

arma Christi

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Arnim, Achim von 368, 377 Arnim, Bettina von 366 A. 17, 371, 377 A. 56, 470 Arp, Hans 196 artes liberales s. 'Der Ackermann aus Böhmen*

Artistik 265, 269, 274 A. 29, 290, s. auch Benn; Brentano, Clemens; Loerke artistische Beweglichkeit 348 Atheismusstreit 131 'Athenäum', das 111—113 Aufklärung, frühe, naiv-optimistische 86 — und barocke Schaulust 49 Augustinus 181, 431

auto sacramental

62, 73, 76 f.

Azorin, Pseudonym für Marti nez Ruiz 192 Baader, Franz von 197 Bab, Julius 194 Bacca, Garcia 181 Bachmann, Ingeborg 290 Baggesen, Jens 133 Bahr, Hermann 194 Ball, Hugo 233, s. auch Unamuno Balzac, Honoré de 478 Barlach, Ernst 221, 484 Barockdramen, spanische . 73 Baroja y Nessi, Pio 192 Barrés, Maurice 188 Barth, Karl 188 Basedow, Johann Bernhard 359 Baudelaire, Charles 265, 282, 290, 483 Beaumont, Francis 85 Beaunoir, Alexandre Louis 137 Becher, Johannes R. 233 Beck, Heinrich — 'Chamäleon* 126 A. 47 - ' D i e Freunde* 134 Bécquer, Gustavo Adolfo 191 Beer-Hofmann, Richard 314

Namen- und Sachregister

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Beethoven, Ludwig van 372 A. 38 Benavente, Jacinto 192 Benn, Gottfried 265, 277, 281, 289 A. 86, 290, 381-426 — absolutes Gedicht 421 -Ästhetik 413 f.

— Antihistorismus

384

— Apotheose der Kunst 384

— Artist 384, 391, 409, 411, 414 — artistische Moral 391 — assoziative Gewalt der Sprache 394, 408 — Ausdruck und Schuld 412 — »blau« als Kernwort 405

— come back 381

— sein Denken 407—412 — Essay und Dichtung 425 — existentielle Lage 386, 402

— Finalsituation

386, 418

— Geschichtsbegriff 425 f. — Griechenland 422 f. — kalte Objektivität 383 — Lektüre der zwanziger Jahre 396 — literarische Kontakte 422 — Logik 410 — lyrischer Reifeprozeß 418 — lyrisches Erleben als Brücke zur Welt 390 -Metaphysik 393, 402-404, 406, 410, 413 f., 420

— und der Nationalsozialismus

397

— Nihilismus 391, 404, 406, 409-413, 417, 419-421 — und die Romantik 413 — Schaffensprozeß 416 f. — Spätwerk 395 — Spätzeit, Komplex der 393 — Südthematik 423 — Theoretiker und Dichter 390 — Tragik 419 — Verwandlung 405 -Weltbild 404 -Werke: Akademierede von 1932 409, 412 'Berliner Novelle* 386 'Der Geburtstag* 408 'Die Geburt der Tragödie' 423 'Der Ptolemäer* 384-386, 392, 395, 403 'Die Reise' 405

'Die Stimme hinter dem Vorhang' 404 'Doppelleben' 387 f., 411 frühe Lyrik 383 frühe Prosa 386-388, 407, 409 Gedichte und Gedichtzyklen: 'Curettage' 384 'Ebereschen' 412 'Das späte Ich' 418 'Das Unaufhörliche' 420, 422 'Gedichte' 420 'Morgue* 388 'Orphische Zellen* 384 'Spät* 419 'Statische Gedichte' 381 'Welle der Nacht' 421 «Wort' 417 'Gehirne' 393, 407 Goetheaufsatz 415 'Nach dem Nihilismus' 409 'Probleme der Lyrik' 265, 403, 405, 416 'Rede auf Stefan George' 420 'Roman des Phänotyp' 390 'Urgesicht' 408 'Weinhaus Wolf' 401 — Wesenszüge der Dichtung bis zu den dreißiger Jahren 388

- Wirklichkeit 406 - Wirklichkeitsverlust

395, 397, 402

- W i r k u n g 381 Berdjajew, Nikolai 195, s. auch Unamuno Berliner Romantik 111, s. auch Bernhardi, August Ferd. Berliner literarischer Salon 137 'Berlinische Dramaturgie', Zeitschrift 113 'Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmackes', Zeitschrift 111—119, 121-130, 133-136, 138 f. Berhard von Cluny 81 Bernhardi, August Ferdinand 111—142 s. auch Iffland, Kotzebue — Abtritt von der literarischen Bühne 113 -Begriffe: Individualität 118, 121, 123 f. Phrase 118 poetisch 118

Namen- und Sachregister Rhetorik 118 romantisch 116 f.

— Berliner

Romantik

111

— und Falk , Johann Daniel 129 f. — Grundzüge seiner Kritik 138—142 - u n d Iffland 113-115, 120-127 — und Jacobi , Friedrich Heinrich 132 f. — und Jenisch t Daniel 128 f. — und Kotzebue 114—120

— und Lessing 135 f.

— und Merkel , Garlieb 127—129 — Mitarbeit am 'Berlinischen Archiv' 111-113 — Mitarbeit an Schlegels 'Athenäum* 111 f.

— und Moliere

122

— und Nicolai , Friedrich 130—132

— und Schiller

133 f.

— Versmaß, seine Funktion 117 f.

— und Voltaire

135 f.

— und Voß, Johann Heinrich 133 -Werke: Athenäumsbesprechung 118 'Die Kunst Falkische Taschenbücher zu machen* 129 'Kynosarges*, Zeitschrift 111, 113, 119, 126, 130 f. ' Nicolai contra Fichte, eine Untersuchung* 130 f. Opern- und Musikkritiken 134 f. Schulprogramme 113 'Sechs Stunden aus Finks Leben* 130 Sprachlehre 118 'Über Ijflands mimische Darstellungen* 122 f. Bernhardi, Sophie 129 Bernold von St. Blasien 12 Bertaut, Jean 466

bestseller

304, 345

Bibeldialoge, kantatenhafte im Barock 44 Bibelsprache s. Loerke Blair, Robert 90 Blake, William 90, 481 Blei, Franz 233 Boccaccio, Giovanni 428 Bodmer, Martin 354 Böhme, Jacob 182 Börmeier, Hans 24

Börne, Ludwig 357 Boethius 334 Borges, Jorge Luis 188 Bossuet, Jaques Bénigne 185 Brahm, Otto 356 f. Braun, W., Schulmeister in Dillingen 25 Brentano, Christian 361 f., 368 Brentano, Clemens 361—380

— Altersstil

375

— Alterswerk 362 — Artist , radikaler 368 A. 27 — Bearbeitungen fremder Vorlagen 362 — erotisches Genie 369 — ganzheitliche Deutung 376 — 'Gesammelte Schriften*, ihre Bedeutung 361—367 — Handschriften, ihr Zustand 361 f. — katholisches Zerrbild 376 — künstlerisches Gewissen 375

— Lindenmystik

366

— moderne Legende 376 — Nachlaß, handschriftlicher 363 — »poetische Existenz« 376 — religiöse Erpressung 375 — Schriftstellerei 377 — Sozialfürsorge 377 — Spätfassungen der Märchen 375 — Spätgedichte 374 f. — Spätwerk 376 — Strophensymmetrie 364 — Verfahren der »Restaurationen und Ipsefacten« 368 — Volksliedmotiv der Linde 366 -Werke: 'Aloys und Imelde* 372-374 'Aus der Chronika eines fahrenden Schülers* 367 A. 20, 369, 377 'Bilder und Gespräche aus Paris* 377 Briefe 376 'Der arme Raimondin* 369 'Der Sänger* 369, 377 'Der schiffbrüchige Galeerensklave vom Toten Meer* 378 'Des Knaben Wunderhorn* 362, 365, 368, 374, 376 'Die drei Nüsse* 369 'Die mehreren Wehmüller und ungarischen Nationalgesichter* 370, 379

490

Namen- und Sachregister

'Die Rose' 377 Gedichte: 'Alhambra' 375 A. 49. 'Als ich in tiefen Leiden' 371 «An die Linde etc.' 366 A. 16 'Bescherung der Armen an die Wohltäterin' 375 A. 49 'DerJäger an den Hirten' 375 'Der Schiffer im Kahne' 371 A. 37 'Der Spinnerin Nachtlied' 367 'Die Abendwinde wehen' 363 bis 367 'Du' 362 'Frühes Liedchen' 371 'Frühmorgenlied vom Kirschblütenstrauß, schweren Stein etc.' 375 'Ich hört' ein Sichlein rauschen' 365-367 'Ich kann nicht anders singen' 367 'Ich weiß wohl, was dich bannt in mir' 373 'Kantate auf den Tod Ihrer Königlichen Majestät etc.' 372 f. 'O Zorn, du Abgrund voll Verderben' 373 'Verzweiflung an der Liebe in der Liebe' 369 f. 'Wie sich auch die Zeit will wenden' 366 f. 'Wiegenlied eines jammernden Herzen' 370 A. 31 'Geschichte und Ursprung des ersten Bärnhäuters' 369 'Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen AnnerP 379 Gockelmärchen, das große 369 'Godwi' 377-380 'Herzliche Zuneigung' 369 religiöse Schriften 376 'Romanzen vom Rosenkranz' 376 Schinkelnotizen 377 f. Theaterkritiken 377 Vorworte und Einleitungen 377 'Warnung vor literarischer Klätscherei unter uns' 375 A. 50 Brentano, Emilie 361 f. Broch, Hermann 297—326, 385

— Dichten über das Dichten hinaus 297 f., 310, 318, 320

— Dichterfürst

298, 313

— Dichtung und Existenz 298 — Dichtung und Rationalität 299 — Existenz, humane und dichterische 298 -mathematisch-rationale und dichterische Aussage 299 f. -Mystik 299,316 — neue Wertordnung 299 — rational und irrational 298 f. — Terminologie 302 — Theologie und Philosophie 300 — Weltbild der Neuzeit 297 -Werke: 'Der Tod des Vergil' 297, 304, 308-311, 315-317

Hofmannsthahusgzbe

317

Langgässerstudie 304—308, 316, 320 f., 324 — Wissenschaftsbegriff 298 f. Brockes, Barthold Hinrich 79 A. Brod, Max 194, 233 Brontes, Emily 108 Brooke, Rupert 109 Brugmayr, Johannes, Sigillifer des Bischofs von Augsburg 48 Brunelleschi, Filippo 439 Bruno, Giordano 437, 465 Buddha s. Unamuno Büchner, Georg 157—175

— Daseinsekel

174

— Erleben letzter Auswegslosigkeit 158 f., 161 — Erlebnis der Einsamkeit und Isoliertheit 157 — Gegensatz zur idealistischen Todes-

auffassung

170

— Ineinander von Tod und Leben 159, 163, 166, 174 — Intensivierung des Todesgedankens 163 f. — Ironie und Sarkasmus 165—169, 174 f.

- u n d Kleist 157, 161 — Lebens- und Daseinsekel 158 — Liebe und Tod 157 — mechanischer Tod 164

Namen- und Sachregister — Nihilismus und Idealismus, Grenzbereich 172 — Sein zum Nichts 162, 171, 174 -Todesgedanke 157-160, 163 167, 173 f. -Werke: 'Dantons Tod* 157-160, 162 f., 165-171, 175 Entzweiung von Ich und Realität 160 Sein und Nichts 160, 162

Todeserlebnis

157, 168

Tragik der Existenz 160 Wandlung der Todesvorstellung 158 Zustand des Erhabenen 171 'Lenz' 159 A. 30, 31; 160 A. 33, 161, 170 A. 45 'Leonce und Lena* 160 A. 32, 161 «Woyzeck' 157, 161 — Widersprüchlichkeit des Lebens zum Tode 163 — Zweck werte 167, 174 Bürger, Gottfried August 83, 359 Buff, Charlotte 94 Bunyan, John 83 Burgmüller, Herbert 304—306, 308 f., 312, 320-322 Buridan, Johannes 438 Burton, Robert 83 Bußpredigt im Mittelalter 9 Byron, George Lord 220 Calderon, Don Pedro C de la Barca 73 Calvin, Johann 185 Camoes, Luis de 195, 461 A. 1, 464 A. 2 Camus, Albert 419 Carducci, Giosue 199 A. 23 Carlyle, Thomas 199 A. 23 Carossa, Hans 188, 385 Caspar, Bischof zu Adramyten, Weihbischof von Augsburg 48 Castiglione, Baidassare 427 Cassou, Jean 189 Catull 483 Celan, Paul 290

Cervantes, Miguel de 197 Cézanne, Paul 294, 391 f. Chamisso, Adalbert von 113, s. auch Unamuno Chassignet, Jean Baptiste 466 Christus, sterbender und sterbender Schwan 70 Cicero 432 Claudel 192, s. auch Unamuno Clemens von Alexandrien 31 Clemens Wenzeslaus, Fürstbischof von Augsburg 51 Cocteau, Jean 192

Cold blows the wind to-night,

engl. Volkslied 83 Coleridge, Samuel Taylor 199 A. 23 Colonna, Giacomo 428 Contu, Raimondo 76 Cramer, Karl Friedrich 345 crausismo in Spanien 182 Croce, Benedetto 201-214, 443, 464 —'Poesia e non poesia* 201 f., 204 — Schiller auf satz 202—213 Ablehnung des reifen Werkes 205 Aufbau der 'Räuber' 203 Erschöpfung der dichterischen Kraft 209-211 Irrtum des Nachruhms 203 krampfhafter Realismus 204 Leugnung des Wertes der Lyrik 213 philosophisches Werk Schillers 206 f. Cumberland, Richard 137 Dadaismus 188 Däubler, Theodor 215-228, 484 — äußere Erscheinung 216, 221 -Ehrungen 219, 221 f. — und der Expressionismus 220 — hesperische und hellenische Motive 226 — Italien als Schicksalsland 215 — Metaphorik und Deskription 225 — Mythiker und Naturlyriker 227 f. — mythische Gestalt 222 f. — Prosa und Lyrik 227 — Reimkunst 224 f. — Roman als nachgeordnete Gattung der Dichtung 226 f.

492

Namen- und Sachregister

-Werke: 'Attische Sonette* 218, 226 'Can Grande della Scala* 227 'Das Nordlicht* 215-217, 219 f., 223 f., 226 Athener Ausgabe 219 Druck 216 Entstehung 215 f. Genfer Ausgabe 217,223 Hauptwerk 226 jugendliche Züge 224 poetische Autobiographie 223 'Das Sternenkind* 217, 226 'Delos* 218 'Der Florentiner' 224 'Der heilige Berg Athos' 218 Der neue Standpunkt' 217, 227 'Der sternhelle Weg' 217, 226 'Fischzug' 227 'Griechenland' 218 f. 'Hesperien' 217, 226 Hymne an Italien* 217, 226 'Lucidarium in arte musicae* 227 'Päan und Dithyrambus* 218, 226 'Sparta* 218 'Wir wollen nicht verweilen* 217 Dante, Alighieri 82, 220, 223 f., 341, 432, s. auch Unamuno, Sardisch Darío, Rubén 192 Daseinsekel s. Büchner David 72 Davids Klagelied 79 Defoe, Daniel 478 Deismus 86, 91, 102 Deisten, deistisch 87 f., 92, 94, 183 'Der Ackermann aus Böhmen* 327—334 — artes liberales 329—333 — Hymnentradition 331—333 — Ideentypus 331, 333 — Inhalt von Kapitel X X V I 328 — Meistersingem^ámon 328—330 — stilistisches Prunkstück 327 — und der 'Tractatus de crudelitate mortis* 330 f. Descartes, René 340 Dessoir, Max 476 Desportes, Philippe 466 Dichten über das Dichten hinaus s. Broch Dichterfürst s. Broch

Dichtung als autonome Geistestätigkeit 483 Dichtung und Rationalität s. Broch Diderot, Denis 122, 203 Diepenbrock, Melchior von 377

dies irae , dies illa 85

Dinggedicht 292 Diotima 103-105, 339 Dodd, William 92 Döblin, Alfred 233, 385 Donatello, eigentl. Donato di Niccolö di Betto Bardi 439 Donne, John 85, 483 Dostojewski, Fedor Michailowitsch 205, 478, s. auch Unamuno Drama, elisabethanisches 83 Du Bartas, Guillaume 466 Du Beilay, Joachim 442 Du Perron, Davy 466 Dürer, Albrecht 440 Edkermann, Johann Peter 468, s. auch Unamuno Ehrenburg, Ii ja 192 Ehrenstein, Albert 233 Eichendorff, Hermann von 368 Eichendorff, Joseph von 356 Eigenwelt 460 Eliot, Thomas Stearns 82 f., 284, 297, 383, 393 Elisabethaner, die 84—86 elysische Felder 79 Emanzipation 137 Emblem 291 Emmerich, Anna Katharina 377 Empfindsamkeitskult 88 Engel, Karl Christian 88, 96, 102, 104, 129 Engels, Friedrich 356 Enzensberger, Hans Magnus 199 A. 23, 368-371, 373 f., 376 Epiktet 466 episches Theater 349 Epos, sardisches, geistliches 61—78 — anonyme Spiele: 'Passione et Morte de nostru Sennori Gesü Cristo* 73—77 Autor 76 Erfolg 77 Rollenbücher 76

Namen- und Sachregister Spielabende 76 f. Spieltradition des Inselzentrums 76 —'S'historia de Juseppe Hebreu' 72-76 Aufzeichnung des Stückes 73 Bauform 73 Bildungsgrad des anonym. Verfassers 73 Charakterisierung der Personen 74 epische Züge 73 Monologe 74 Musterbeispiel für die Gattung des geistl. Spiels 73 Quellen 73 f. Uberlieferung 75 Verfasser 72 f., 75 Autoren: — Araolla, Girolamo 62 'Rimas spirituales' 62 A. 2 'Sa vida su martiriu et sa morte dessos gloriosos Mártires Gavinu, Brotho et Gianuari' 62 A. 4 — Buti, Francesco 73 'Giuseppe, figlio di Giacobbe. Oratorio in due parti' 73 A. 23 — Cano, Antonio 62 f. 'Sa vitta et sa morte te passione de santu Gavinu, Prothu e Januari' 62 A. 4, 63 A. 6 — Carmona, Francisco 63 f. 'Passion de Christo nuestro Señor' 63 — Carrus, Maurizio 69 'Passion et morte de Nostru Signor Jesu Christo' 69 A. 14 — Contini, Salvatore Vitale 'Urania Sulcitana de sa vida, martiriu e morte de su benaventuradu S. Antiogu' 62 A. 4 — Contu, Giovanni Maria 63 'Obra poética sermón y novenario con obras sagradas noticias y milagros del B. Salvator de Horta' 63 A. 7 — del Arca, Antiogo 63 f. 'El saco imaginado' 63 — Estercily, Antonio Maria de 64 bis 70

'Comedia del desenclavamento de la Cruz' 64 'Comedia de la Passion' 64—69 Anspracheform im Dialog 68 Form 68 Gestaltung der Engel 68 Gestaltung von Gut und Bös 68 — Hymnen 65 spanische Vorbilder 65 Sprache 65 'Concuepta del nacimiento' 64 Logu Ibba, Johannes de 69—72, 75 'Tragedia in su isclavamentu de su sacrosantu corpus de Nostru Sennore Iesu Christu' 69—72 Autor 69 f. episches Element 71 Hymnen 71 f. Metaphorik 70 Quellen 69 Sprache 70 Madeddu, Giovanni Battista 77 'Comedia sacra a sa resurezione de Jesu Christi in sesta lyra sarda' 77 geistl. Volkslieder 77 Hymnen 77 von Seminaristen gespielt 77 Quessa Capay, Pietro 63 f. 'Storia di San Luxorio' 63 Erhabene, das s. Büchner, Kleist, Schiller Erotisierung des Todes und des

Jenseits 84 f. Erweckungsbewegung 377 'Eunomia', Zeitschrift 113 Evokation s. Loerke Eysenreich, Hans 14 A. 14,484 Falk, Johannes Daniel 114, 128 f. Federici, Camillo 137 Fehling, Jürgen 346 Feldtheorie, semantische 458 Fichte, Johann Gottlieb 130-132, 145, 181, 359, s. auch Bernhardi, August Ferd. Ficino, Marsilio 435, 465 f. Fielding, Henry 478

494

Namen- und Sachregister

Figurenspiel, mechanisches im Barock 45 f. Finalsituation s. Benn Flaubert, Gustave 478 Fletcher, John 85 Ford, John 85 France, Anatole 319 Franziskus, hl. 20 f., 24, 50 Fronleichnamsprozession, barocke 37 f. Fronleichnamsspiel, barockes 37 f. Frühromantik 111 f., 138-140 Fugenstil s. Loerke Fugger, Christoph von 39 f., 46 Gabriel, Erzengel 14. A. 14, 15 f., 26 f., 30-32, 35 f., 38, 41-45 Galilei, Galileo 437 Garrick, David 84 Gegenstandssymbol im Barock 32 Geist der Zeit 108

General Semantics 457, 459

Generation, die, von 1898 177, 192 Genesis und Exodus nach der Milstätter Handschrift 9 A. 13 Genesis, Wiener 9 A. 13 George, Stefan 220 f., 481 f., s. auch Benn Gerhardt, Paul 79 A. Germanophilie in Spanien 179, 182 f. Gervinus, Georg Gottfried 356 Gide, André 194 Giorgione 439 Giotto di Bondone 439 Görres, Joseph von 356, 377 Goethe, Alma von 468, 471 Goethe, August von 468, 470 A. 7, 472-475 Goethe, Johann Wolfgang von 79 f., 82 f., 91-104, 107-109, 111, 114, 120, 127 f., 133, 135, 183 f., 203-214, 220, 223 f., 293, 296, 313, 335-347, 353, 358-360, 415 f., 468-474, 483, s. auch Schiller, Unamuno — 'Clavigo' 98, 102 — 'Der Gott und die Bajadere' 79 — 'Dichtung und Wahrheit' 183 — 'Die Braut von Corinth' 83 — 'Einfadie Nachahmung der Natur, Manier, Stil' 288

-'Faust' 98-102, 109, 183 f., 220, 223 f., 468 Fausts Rettung 101 f. Fausts Verdammung 101 Forschungskritik 100 Wiedervereinigung Fausts mit Gretchen 100—102 -'Iphigenie auf Tauris' 79, 128, 205 — Lavaterrezension 94 -'Stella' 98, 102 — Urgötz 98 — 'Torquato Tasso' 128 — 'Wahlverwandtschaften' 95, 102 -'Werther' 83, 93, 95-98, 102-104, 108, 183, 345 — 'West-östlicher Divan' 80, 335-344, 347 Buch Hafis 335 Feier des Eros 339 Gedanke der Konkretisierung 343 'Offenbar Geheimnis' 335 'Selige Sehnsucht' 339 'Wink' 335 - ' W i l h e l m Meister' 183 Goethe, Ottilie von 467—475 Goethe, Walther von 468 f. Goethe, Wolfgang von 468 f., 471 f. Goldoni, Carlo 137 Gott als Regisseur des Welttheaters im Barock 36 Gottsched, Johann Christoph 356 Goya y Lucientes 196, 310 Greene, Robert 85 Gregor der Große 6 Grétry, André Ernest Modeste 135 Grimm, Brüder 368, s. auch Unamuno Großstadtlyrik s. Loerke Grosz, George 220 Gruppe 47, die 354 Guerra, Junqueiro de 199 A. 23 Gütringen, Johannes, Pfarrer in Dillingen 24 A. 45 Guicciardini, Francesco 435 Gurian, Waldemar 304, 310, 325 Haller, Albrecht von 89, 91 f. Haringer, Jakob s. Unamuno Harmoniestreben der Renaissancegesinnung 465 Harnack, Adolf 187

Namen- und Sachregister Harsdorffer, Georg Philipp 44 Hartmann, der arme 9 A. 13 Hasenclever, Walter 233 Hauptmann, Gerhart 120, 194, 319, 385 Haupt- und Staatsaktion, die 208 Hebbel, Friedrich 85 Heckenast, Gustav 79 A. Heermann, Johann 79 A. Hegel, Georg Wilh. Friedrich 179, 188, 336-338, 340 f., 343, 453, 476, s. auch Unamuno Heidegger, Martin 195, 299, 337 A. 4, 402, 411, 420 Heine, Heinrich 83, 107 f., 179, 319 356, s. auch Unamuno Heinrich I I I . , König von Frankreich 466 Heinrich von Melk 9 Heinrich von Mügeln 328 f. Hei, Kaspar, Schulmeister in Dillingen 25 Hellenen-Nazarener-Formel 319 Hennecke, Hans 305 Hensel, Luise 362, 375 Heraklit 182 Herder, Johann Gottfried 141, 359, 457 Hesse, Hermann 196, 233 Hessen, Johannes 188 Heym, Georg 283, 385, 388 Hirsauer Reform 11 Hölderlin, Friedrich 88, 103, 109, 182, 206, 274 A. 29, 292 f., 295, 319, 362 f., 368, 416 f., 421, 423, 482 f., s. auch Unamuno -'Hyperion' 88, 103-105 —'Menons Klagen um Diotima' 105 — Stufen des Unsterblichkeitsglaubens 103 Höllerer, Walter 368 A. 27 Hoffmann, E. Th. A. 356 Hofmannsthal, Hugo von 196, 317, 354, 385, 393, 456, s. auch Broch Holberg, Ludwig 119, 129 Holz, Arno 385 Holzapfel, Rudolf Maria 188 Homer 221, 289 A. 86, 359, 415, 481 Horaz 415 Hülsenbeck, Richard 196 Hugo von Trimberg 3 A. 5 Hugo, Victor 220, 441

humanitas s. Schiller Humbertus de Silva Candida 6, siehe auch 'Memento mori' Humboldt, Wilhelm von 102, 143, 186, 210, 337, 356, 457 Husserl, Edmund 447 Ibsen, Henrik 319 Idealismus 102, 143, 157, 202, 205, 210, 220, s. auch Büchner, Schiller — in deutscher Dichtung 143, 157 — transzendentaler 102 Iffland, August Wilhelm 113-115, 118 f., 122-127, 134, 141, 345, 350, s. auch Bernhardi, August Ferd. — 'Albert von Thurneisen' 124 — 'Allzu scharf macht schartig' 116 — 'Das Vaterhaus' 124 f. - ' D e r Fremde' 123 f., 139 — 'Der Herbsttag' 126 — 'Der Magnetismus' 120 — 'Der Mann von Wort' 121 - ' D e r Veteran' 121, 141 - ' D i e Höhen' 113, 125 f. - ' D i e Jäger' 124 f. — 'Die Künstler' 127 — 'Frauenstand' 124 — 'Selbstbeherrschung' 122 — nationaler Charakter seines Werkes 122 Ignatius von Loyola 46 Illusionszerstörung s. Tieck Inspirationstheorie, platonische 465 Investitur 4 Investiturstreit 9 A. 13 Ironie 477, s. auch Büchner Isaak 72 Jacobi, Friedrich Heinrich 95, 114, 131—133, s. auch Bernhardi, August Ferd. Jakob 72 Jakob von Konstanz 46 A. 107 Jaspers, Karl 195, 197 Jean Paul 79 A., 116, 133, s. auch Unamuno 'Jenaer Allgemeine Literaturzeitung' 111, 113 Jenisch, Daniel 114, 128, s. auch Bernhardi, August Ferd.

496

Namen- und Sachregister

Jenseits, das 86—88 — als Land des Wiedersehens 87 — als Land des ewigen Schäferstündchens 87 — seine Verdiesseitigung 87 f. — als wissenschaftlich beweisbare Tatsache 86 — s. auch Erotisierung Jenseitsauffassung, aufklärerische, ihre Rückwirkung auf das Christentum 87 Jerusalem, Karl Wilhelm 94 Jesuitenspiel, deutsches 46 Joachim, hl. 72 Johannes von Jenstein 331, 333 Johannesevangelium, das in Goethes 'Werther' 95 Johnson, Samuel 93 Joseph von Ägypten 72, 74 Josephslegende, ihre italienische Bearbeitung 73 Joyce, James 310, 314 f. Judas 68 Jünger, Ernst 196 Jung, Edgar s. Unamuno Juvenal 129 Kabarett — Texte s. Lasker-Schüler Kafka, Franz 385, 388 Kaiphas 68 Kaiser, Georg s. Unamuno Kandinsky, Wassily 196 Kant, Immanuel 86, 91, 145, 146 A. 3, 182, 188, 205 f., 212, 338, 359, 384, 447 f., 453 f., s. auch Kleist, Unamuno Karl V., Kaiser 188, 191 Kassner, Rudolf 195 Keller, Gottfried 108, s. auch Unamuno Kerr, Alfred 187, 233, s. auch Lasker-Schüler Kestle, Johann, Mesner in Dillingen 50, 51 A.127 Keyserling, Hermann Graf 194, s. auch Unamuno Kierkegaard, Sören 179, 390, s. auch Unamuno Kindelwiegenszene 54 Kinostücke s. Lasker-Schüler Kirche als Theatersaal im Barock 37 Kitsch 345

Klages, Ludwig 482 Klajus, Johannes 44 Klassik, französische 208 Klassizismus, französischer 114, 136 Klee, Paul 295 f. Kleist, Heinrich von 143-148, 159, 161, 163 f., 172-175 , 348, 421, s. auch Büchner, Schiller, Unamuno — Begegnung mit Fichte 145 — Dialektik zwischen Leben und Tod 163 f., 174 — Grundproblem seines Denkens 146 — Idee des heiligen Kriegsgesetzes 150 — Italienreise 150

— KanterXtbms

145

— Tod, moralischer 150 f. Bejahung 150 und Liebe 155-157, 173 reinigende Kraft 152 — Todesfurcht 150 -Todesgedanke 146-149, 151, 153-155, 162 f., 172 f. gemeinsamer Bereich mit Schiller 151-154, 173 seine Sinngebung 154 Unterschiede zu Schiller 151, 155, 163 — Vorstellung des Erhabenen 152, 155 -Werke: 'Der Zweikampf' 149 A. 8 'Die Familie Schroffenstein' 146, 149, 156 'Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik' 152 A. 19 'Die Marquise von O.' 149 A. 8 'Michael Kohlhaas' 152 A. 19 'Penthesilea' 146 f., 149, 153, 156, 165 'Prinz Friedrich von Homburg' 147 f., 150-154, 156, 161 f., 165, 167, 169, 172, 174 'Über das Marionettentheater' 149 A. 6, 7, 8, 9; 154, 159 A. 29, 348 Kleist, Marie von 146 A. 3, 152, 155, 163 A. 38, 165 Klinger, Friedrich Maximilian von 96 Klopstock, Friedrich Gottlieb 91 f., 359 Knöringen, Heinrich V. von, Fürstbischof von Augsburg 17, 20, 22, 24, 30, 34, 46 A. 107, 47 f.

Namen- und Sachregister Knoll, Christoph 79 A. Konversion, romantische 360 Kopernikus s. Unamuno Kotzebue, August von 114—120, 122, 126-129 , 345, 350, s. auch Bernhardi, August Ferd. -'Bayard' 118 — 'Das neue Jahrhundert* 117 — 'Das Schreibpult oder die Gefahren der Jugend* 115 f. — 'Der Besuch oder die Sucht zu glänzen' 118 - ' D e r Lohn der Wahrheit' 116 — 'Der hyperboräische Esel' 118—120 — 'Die beiden Klingsberge' 116 — 'Die deutschen Kleinstädter' 119 - ' D i e Korsen' 115 — 'Graf Benjowsky auf Kamtschatka' 114 f. — 'Gustav Wasa' 117 — 'Johanna von Montfaucon* 116 f. -'Octavia' 117 Kraus, Karl 354 Krippentheater, das 45 Krolow, Karl 290, 368 A. 27 'Kronos', Zeitschrift 111, 113, 119 Kühn, Sophie von 105 Künstlerporträts s. Lasker-Schüler Kunst, die, im Zeitalter der Wissenschaft 480 Lafontaine, August Heinrich 134, 345 La Ceppéde, Jean de 466 La Fresnaye, Vauquelin de 466 Laien, die, ihr relig. Leben im Mittelalter 5 f. Lang, Balthasar, Organist in Dillingen 25 Langgässer, Elisabeth 297—326, s. auch Broch — Ablehnung des konventionellen christlichen Romans 302 — und Hermann Broch s. alle Stichworte zu Broch — Daseinsentwurf der Aufklärung 301 — Dialog zwischen Gott und Mensch 300 — Fabel des Romans 300 — Grundproblem des Ketzers 313 — psychologischer Roman 300 3 2 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 5. Bd.

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— Realisierung des Menschlichen im Gespräch 300 f. — religiöse Existenz als Wagnis 301 — Roman als Existenz 297 f., 312 — Terminologie 302 — Werke: 'Anastasiendorf' 318 f. 'Daphne an der Sonnenwende' 309, 318-320 'Das unauslöschliche Siegel' 304, 314, 320 f., 324 'Der Laubmann und die Rose' 320 'Der Schulausflug' 318 f. 'Märkische Argonautenfahrt' 311, 318, 325 'Metamorphosen' 320 'Tierkreisgedichte' 318, 320 Lasalle, Ferdinand 356 Lasker, Berthold 232 Lasker-Schüler, Else 220, 229-263 , 484 — Assoziationen 234 — Autobiographie 232 — Bibelmotive 235 f. — Bildkreise des Themas »Kunst« 235 — christliche Kunst 233 f. — Essays in Versen 232 — Filmtechnik 233 — Kabarett — Texte 233 — Kinostück 232 f. — Künstlerporträts 234, 236 — Lichtsymbolik etc. 234, 236 — Optimismus ihren Werken gegenüber 229 — Reimbindung 236 — Spätgedichte 235 f. — Sprachmosaik 235 — Stellung zum Christentum 233, 252-254 — Tonfall des träumerischen Sprechens 235 — Werke: Einzelgedichte: 'Alfred Kerr y 260 'Am fernen Abend' 235, 245 'Carl Schleich' 235, 239 'Charlotte Bara' 236, 246 'Die Schauspielerin' 238 'Die Tänzerin Wally' 236 'Du bist so weit von mir entfernt' 235 'Ernst Toller' 235, 243

498

Namen- und Sachregister

'Fred Hildenbrandt' 262 'Georg Koch' 235, 237 'Hans Jacob' 242 'Hedwig Wangel' 244 'Ich halte meine Augen halb geschlossen' 235 'Ich liege wo am Wegrand übermattet' 235 'Ich schlafe in der Nacht an fremden Wänden' 235 'Ich sitze so alleine in der Nacht' 235 'Jankel Adler' 235, 241 'Marianne von Wereffkin' 261 'Sigismund von Radecki' 240 — Werke: Lyrikzyklen, Sammelbände, Essays etc.: 'April' 234 'Daniel Jesus' 232, 249 'Das Hebräerland' 234 'Der Fakir' 233 'Der Galiläer' 233 'Der Prinz von Theben' 232 'Der tote Knabe' 232, 247 'Die Eberesche' 234 'Die Nächte der Tino von Bagdad' 232 'Etwas von mir' 232, 234, 257 'Gedichte, Essays und andere Geschichten' 232, 484 'Ich räume auf' 234 'Im Gartenhof' 234 'Konzert' 233 f. 'Mein blaues Klavier' 236 'Mein Junge' 234 'Mein Sohn' 234, 254 'November' 234, 258 'Plumm-Pascha' 232, 250 'Stanislaus Stückgold' 232, 255 'Styx' 232 Lavater, Johann Kaspar 93 f., 94 A. 1 a, 97 Leberecht Peter, Pseudon. für Ludwig Tieck 113 Lehmann, Wilhelm 287 A. 83, 290, 311 A. 7, 312 Leitideen, apriorische der Aufklärung 87 Lenau, Nikolaus s. Unamuno Léon, Luis de 196 Leonardo da Vinci 347, 437, 439 f.

Leopardi, Giacomo Graf 199 A. 23 Lessing, Gotthold Ephraim 91, 94, 101, 131, 132 A. 72, 135 f., 139, 141, 153 A. 21, 189, 203 f., 359, s. auch Bernhardi, August Ferd. - ' E m i l i a Galotti' 101, 135 — 'Erziehung des Menschengeschlechtes' 91 — 'Hamburgische Dramaturgie' 135, 153 A. 21 - ' M i ß Sara Sampson' 91, 101 — 'Nathan der Weise' 91 Libelli de Ute 8 Lilie, die als Metapher für den Geliebten 71 Liliencron s. Unamuno Lilienstengel, der, als Symbol 29 A. 58 Lindenmotiv s. Brentano, Clemens Lindenmystik s. Brentano, Clemens Linder, Emilie 366 f., 373 Literatur der Salierzeit, die deutsche 1 Literatur, die, ihr amerikanischer Begriff 355 Literaturbegriff, der, seine Neufassung 354 Literaturgeschichte als Kulturgeschichte 203 Literaturkritik 353—360 Literaturwissenschaft, marxistische 477 Liturgie als geistliches Schauspiel 38 Loerke, Oskar 220, 265-296 — »Andachten des Sehens und Hörens« 275, 294 — artistische Predigt 29 — Bibelsprache 283 — Dialog, kosmischer 286, 296 — Dichtungstheorie 265 — »Doppelbewußtsein der Nähe und Ferne« 285 f. — Evokation 277, 294 — Fugenstil 272, 277, 288, 291 -Großstadt 280, 282 f. — grüne Gott, der 287 — »Herz« als Kernwort 277 - K u n s t und Welt 268 — Luzifermythos 286 — Meditation, kosmische 268 — Mimesis 288 f., 296 — das Mythische bei Loerke 274 f. — Mythologumena 284

Namen- und Sachregister — Naturgedieht 267, 291 Lohbronner, Stadtpfarrer in Dillingen — Nominalkomposita 277 49 f. — Olymp des Schauens 277 Luther, Martin 81, 322, s. auch — >Pansmusik« 276 Unamuno Lux, Maria, Verehrerin Jean Pauls — Perspektive 285 f. 79 A. — Reimverständnis 273 f., 279, 291 — sakrale Sphäre 273 Luxemburg, Rosa s. Unamuno — Solidarität aller Wesen 276 -Spiegelmotiv 279 f., 286, 294 f. Machados, die 192 — Stadtleben 281 Madiiavelli, Niccolô 435 — Traumbewußtsein 280 f., 288 Märchenspiel s. Tieck — Urgestalten und Urgebärden der Maeztu 192, 197 Landschaft 270, 279 Magie 315, 480 f. -Urschauer, der 273, 276 f., 292 Mallarmé, Stéphane 265 f., 290, 411, — Verbalmetaphern als mythische 416, 420 f., 481-483 Methaphern 272, 277-279, 291 Maitzahn, Heinrich von 73 f. — Werke: Einzelgedichte: Man, Hendrik de s. Unamuno 'Das Auge des Todes* 277 Manierismus, der 345, 347—349, 351, 'Der Tanzbär* 287 429, 437, 441, 461, 463, 466 f. 'Der unsichtbare Wanderer* 271, Mann, die Brüder 194 273 Mann, Heinrich 233, s. auch Unamuno 'Die Laubwolke* 270 Mann, Thomas 202, 214, 233, 274 'Herbstsage* 275-277, 281, 283, A. 29, 313 f., 385, s. auch Unamuno 286—288, 292 Marc, Franz 276 'Schnellen* 269 f. Marcuse, Ludwig 198 'Sehnsüchtig* 280 Marés, Hans von 322 'Strom* 269 Maria, Mutter Gottes 13—23, 26—30, 'Überwältigung* 282 32-38, 41-45, 53, 65-68, 94 A. 1 a 'Vesuvischer Friede* 284 Maria und Martha 80 'Wanderschaft* 287 Maria Cleopha 70 f. 'Webstuhl* 267, 271, 275 Maria Magdalena 65, 94 A. 1 a, 235 'Wechselgang* 276, 288, 292 Marston, John 83 'Weichbild* 285 f. Marx, Karl 181, 356, 479 — Werke: Lyrikzyklen, Tagebücher Masaccio, eigentl. Tommaso Guidi 439 etc. Maskenspiel des Impressionismus 347 'Atem der Erde* 285 Massinger, Philipp 85, 93 Das Siebenbuch 267, 279, 285 Matthisson, Friedrich von 107 'Die heimliche Stadt* 283 Maurina, Zenta 196 'Pompeij* 284 Maurras, Charles 188 Reisetagebuch 271 Mehring, Franz 356 Äi/^eaufsatz 295 Meistersinger s. 'Der Ackermann aus 'Südliche Insel* 271 Böhmen* Tagebuch 273 — Wirklichkeit, transsubjektive 269 'Memento mori', das alemannische — Wirklichkeitsverhältnis seiner Lyrik 1 - 1 2 266, 286 — und die Apostelgeschichte 11 — Zeiterlebnis 284 — Dreischritt des Inhaltlichen 3 A. 4 — Zustrom der Dinge und Wesenheiten — Hintergrund 12 269, 295 — und Hirsauer und St. Blasianer Logistik, die 457 f. Reform 11 f.

500

Namen- und Sachregister

— und Humberts 'Libri tres adversus Simoniacos' 6 — iustitiam vendere 1, 6 f. — Kurzverse und Langzeilenstrophe 3 A.6 — Mittelstück 3 — daz reht 3—7, 10 f. — Schlußstrophen 2 — und die Simonie 5 f., 8 f., 11 -Titel 2 Mendelssohn, Moses 87, 94, 96, 132 Mentzer, Johannes 79 A. Mereau, Sophie 362 Merkel, Garlieb 114, 127-129, 141, s. auch Bernhardi, August Ferd. Messe im Barock 36 Metaphernontologie 453 Metaphorik und Metaphysik 453—455 Metaphysik s. Benn Methode, geisteswissenschaftliche 478 f. 'Merigarto' 9 A. 13 Michelangelo Buonarotti 439 Mimesis 415, s. auch Loerke Miranda, Ramón Ledesma 185 missa aurea 14—17, 31, 35 f., 46 Modigliani, Amedeo 196 Molière, eigentl. Jean Baptiste Pouqueline 122, 129, 137, 181, s. auch Bernhardi, August Ferd. Montaigne, Michel de 442 Morente, Garcia 197 Morris, Lewis 137 Moritz, Karl Philipp 123, 139 A. 96, 140 Moses 72 Motetten und Hymnen als Gradualgesänge 34 Mozart, Wolfgang Amadeus 350 f. Müller, Heinrich 470 Müller, Kanzler von ( = Friedrich von Müller) 468 f. Musil, Robert 388 'Muspilli*, das 7 f. Mystik, mystisch 183, 190, 335, s. auch Broch mystische Tradition Schwabens 212 Mythische, das 274 A. 29, s. auch Loerke Mythos 480 f., s. auch Däubler, Loerke

Nachexpressionismus 289 A. 87 Nadel, Arno 319 f. Nationalkonvent, der 164 Nationalsozialismus s. Benn Naturgedicht s. Loerke Naturlyrik s. Däubler Nemorarius, Jordanus 438 Nerval, Gérard de s. Unamuno Neuscholastik 445 Newman, John Henry 446 Nicolai, Friedrich, 114, 130, 131 A. 70, 141, 345, s. auch Bernhardi, August Ferd. Nicolai, Jeremias 79 A. Niederlande, ihr kultureller Einfluß auf Deutschland 46 f. Nietzsche, Friedrich 120, 179, 181 f., 186, 197, 265, 319, 384-386, 390, 397, 401, 403, 410 f., 413 f., 419 bis 421, 423—425, 457, s. auch Unamuno Nihilismus 480, s. auch Benn, Büchner Noe 72, 94 A. 1 a Novalis 88, 103, 105-108, 293, 378, 416, s. auch Unamuno — der »Entschluß« 105 — frühes Monodrama 105 — Sophie-Christus-Gleichung 106 — Yampyrtum 106 -Werke: Das Lied der Toten 106 f. 'Heinrich von Ofterdingen* 88, 105 f. 'Hyazinth und Rosenblütchen* 105 f. 'Hymnen an die Nacht* 88, 105 Oper 73 — biblische 73 — s. auch Schiller Oratorium, barockes 46 Orden des hl. Franziskus 19 f., 26 Ordodenken, das 465 Originalgenie, das 353 Ors, Eugenio d* 188, 197 Ortega y Gasset, José 182 f., 197 f. Ovid 424 'Pantheon* Zeitschrift 113 Pascal, Blaise 185, 190, 418

Namen- und Sachregister Pascoaes, Teixeira de 199 A. 23 Passionsspiel, sardisches 76 Patrizi, Francesco 465 Pauli, Joachim 79 A. Paulus, Apostel 94 A. 1 a, 185, 276, 446 Paz, Octavio, mexikanischer Lyriker s. Unamuno Pelayo, Menéndez 199 Perse, Saint John 482 f. Personalsatire, literarische 130 Perspektive s. Loerke, Renaissance Peterich, Paul, Bildhauer 216 Petrarca, Francesco 427—432 — allegorische Interpretation 428 — Antithesenstil 432 — lateinische Prosaschriften 427 — Literatur und Leben 431 - L y r i k 429 — Metaphorik 430, 432 — Piatonismus 431 — Poesie und Volkssprache 432 — politische Gedankenwelt 432 — Psychologie der Veränderlichkeit 430 — Sinnlichkeit und Abstraktionsfähigkeit 429 — Todesverlangen und Todesangst 430 f. -Werke: 'Canzoniere' 427-429, 431 'De remediis utriusque fortunae' 431 'Familiares' 429 'Secretum' 428, 431 'Seniles' 430 Trionfo dell'Eternitá 428, 432 — zentrale Seinsgrundlage 427 Petrarcismus 464 Petrus, Apostel 94 A. 1 a, 235 Petrus Canisius 46 Pfarrschule in Dillingen 24 Pfeffel, Gottlieb Konrad 134 Phänomenologie 445 Piautaz, Claudine 366 Picasso, Pablo 196, 297, 310 Pichler, F. Heinrich 45 Pico della Mirandola 435, 466 Pinthus, Kurt 233, 252, 290 Piontek, Heinz 290 Pisano, Niccola 439

PiusV., Papst 32 Plato 339, 341-343, 424, 479 Piatonismus —florentinischer 465 f., s. auch Petrarca, Renaissance Plutarch 204, 424, 466 Poe, Edgar Allan 108, 416 Poetik, aristotelische 465 Pogwisch, die Familie 468 Pogwisch, Henriette von 468, 470 f., 473 f. Polyklet 440 Pomponazzi 436 Pontoppidan 478 Pope, Alexander 88 f. Positivismus, atheistisch-materialistischer 102 Potiphar 74 Predigt im Mittelalter 6, 8 f. Proportionsanalogie 445 Przywara, Erich 198 Puppenspiel 45 Qualitätenanalogie 445 Rabelais, François 442 Racine, Jean Baptiste 137 Rad als Symbol 29, 31 f. Raffael, eigentl. Raffaelo Santi 439 Rambach, Friedrich Eberhard 112 f., 129 rappresentazioni sacre 62, 69, 71, 76 Raudive, Constantin s. Unamuno Realismus — in deutscher Dichtung 143, 160 A. 34 — nihilistischer 167 — s. auch Croce Realitätsproblem der deutschen Lyrik 290 f. Realitätsverhältnis des Dichters 266 Reesin, Helene 49 reht, daz 3—7, 10 f. Reichardt, Johann Friedrich 135, 372A. 38 Reinhardt, Max 236 Reinigung des Gottesdienstes 51 Relationsanalogie 450, 455 Remisow, Alexej 192 Renaissance 433—443

502

Namen- und Sachregister

— antike Kunst als Stimulans 439 — Aristotelismus 436 f. — Burckhardts Originalitätsthese 437_439 — und Christentum 440 — Entwicklung der Naturwissenschaft 438 f. — Hinwendung zum Experiment 437 f. — humanistische Traktate 436 — Periodisierung 434 — Perspektive und Anatomie des menschlichen Körpers 439 f. — Piatonismus 436 f. — Philosophie 435 f. — politische Struktur und kulturelle Blüte 434 — Zusammenbruch des italienischen Staatensystems 434 f. Rhode, Johann Gottlieb 113, 118,126 f. Richardson, Samuel 90 f. 107 Rilke, Rainer Maria 109, 189, 220 f., 292—295, 385, s. auch Loerke Rimbaud, Jean Nicolas Arthur 220, 265, 290, 483 Rivera, Primo de 196 Rodin, Auguste 294 Rolland, Romain 188, 194 Ronsard, Pierre de 442, 466, s. auch Unamuno Rorateämter, barocke in Mindelheim 39-41, 44, 46 — Kirchenrechnungen 39—41 — Vergleich mit den Dillinger Spielen 44 Rorateamt, Salzburger 45 Rorateamt und mechanisches Theater 45 Rorateoratorium, Mindelheimer 41—44 Roratespiel, das barocke 13—59 Roratespiel, Dillinger und das Barocktheater 35 f. Roratestiftung, Dillinger — Anweisungen zur Feier im »sonderbaren büechlein« 25—30 — Bestätigungsurkunde 17 f. — Entwicklung der Roratestiftung bis zur Säkularisation 47—53 Dreißigjähriger Krieg 47 Ende der feierlichen Ämter 48

Erlaß über die Abschaffung der dramat. Darstellung 51 Reste der feierlichen Ämter 51 f. — Feier der Ämter 25 — liturgisches Drama 38 — Schulmeister und Organisten 42 f. — das »sonderbare büechlein« 21, 34, 35 A. 72 — Stifterin s. Westerstetten, Maria von — Stiftungssumme 25 — Stiftungsurkunde 20—22 — Verkündigungszettel 19 f. — Verlauf der Ämter 30—38 bewegte Darstellung 36 f. Bühnenhäuschen 30 f. Dillinger Credotext 34 f. Dillinger Graduale 34 Dillinger Meßordnung 34 Einrichtung der Bühne 37 Kostümierung 37 f. Meßformular 32—36 Spiel 35 f. Vorhang 37 — Vorbild, literarisches 46 f. Rossetti, Dante Gabriele 108 Rossini, Gioachino Antonio 202 Rousseau, Jean Jacques 88, 92, 129, 190, 203 f. Rowe, Nicholas 86 Rubiner, Ludwig 233 Rüpelspiel s. Tieck Rychner, Max 354, 381-385, 403, 406 Sabbatini, Niccolo 350 Sachs, Hans 129 Sachs, Nelly 482 f. Sardische, das 61—75 — Bibelübertragungen 61 — Kunstlyrik 61, 70 — Literatur als Volksliteratur 61 — mündlich erzählte Volksliteratur 61 — Prosaliteratur 61 — spanischer Einfluß 63 — die Sprache Campidanese 61, 64 f. Gallurese 61 Logudorese 61, 63, 69, 75 Schriftsprache 61 — Tasso — und D*»ieübersetzungen 61

Namen- und Sachregister — Totenklage 71 — Verwaltungssprache des Mittelalters 62 — Volkslied 71 sardische Messen, ihre mündliche Uberlieferung 75 Sdieler, Max 194 Sdielling, Friedrich 182, 293, 295, 416 Schiller, Friedrich von 103, 106, 111, 114, 130, 133 f., 141, 144 f., 148, 150-153, 155 f., 159, 161, 163 f., 167-169, 172-175, 189, 201-214, 289 A. 86, 345, 359, 411, 415 f., siehe auch Bernhardi, August Ferd.; Croce; Kleist

— Werke: 'Das Ideal und das Leben* 151 A.15, 154 'Das Lied von der Glocke' 133 f. 'Demetrius'-Fragment 145, 209 'Die Braut von Messina' 144, 152 f., 164 f., 169, 209, 212 'Die Erwartung* 134 — — 'Die Jungfrau von Orleans' 144, 153, 164 f., 167, 169, 209 'Die Künstler' 213 'Die Räuber' 167, 203 f., 212 'Die Verschwörung des Fiesco zu Genua' 114, 167 'Don Carlos' 130, 144 f., 164 f., — und Alfieri 204 204, 212 — Ausgleich zwischen Zivilisation und 'Geschichte des Abfalls der NiederKultur 208 lande' 212 — Begriff der »humanitas« 206 'Geschichte des Dreißigjährigen — Bühnensprache 208 Kriegs' 212 — Einfluß der französischen Bühne 204 'Kabale und Liebe' 103, 144, 167, — Epigone des 'Sturm und Drang* 204 204, 211, 289 A. 86 - u n d Goethe 205 f., 212, 214 'Maria Stuart' 144, 152 f., 164 f., — Idealismus 210 169, 209, 212 — Idee der Reinheit 144, 153 Musenalmanach für das Jahr 1800 — Idee von der Unbedingtheit der 133 Liebe 144 'Über Anmut und Würde' - L y r i k 213 153 A. 22 — mechanistische Verkettung der 'Über das Erhabene' 152, 164 Ereignisse 210 'Über die ästhetische Erziehung des — naive und sentimentalisdie Dichtung Menschen' 206, 210 f. 206 f. 'Wallenstein' ( = auch 'Die Picco— und die Oper 208 lomini', 'Wallensteins Tod') 133, — Theatralik, übermäßige 210 144, 153, 167 f., 205, 208 f., 212 — Thema von der persönlichen Freiheit 'Wilhelm Teil' 145, 205, 212 f. 212 f. — Wirkung der Dramen 202 — Thema von Schuld, Sühne und — Zeit und Kunstwerk 210 Verantwortung 212 — Todesauffassung 144 f., 148, 151, 172Schillerbegeisterung 202 Schilling, Gustav 128 — das Tragische 209 Schlaf, Johannes 233 — Vater-Sohn-Konflikt 205 — Vermittlung zwischen ethischem und Schlegel, August Wilhelm 119,127-129, 133, 136, 141 f., 356 f. ästhetischem Problem 206 Schlegel, Brüder 111, 120, 127, 133,138, — Vollendung der Idee im Angesicht 207, 359, 416 des Todes 167 Schlegel, Elias 204 — Vorbild für das romantische Drama Schlegel, Friedrich 128 f., 132, 136 f., 208 — Vorstellung des Erhabenen 151 f., 164 140 f., 356 — Vorstellung von der »schönen Seele « Schlegel, Karoline 129 206 Schleiermacher, Friedrich 137

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Namen- und Sachregister

Schmidner, Michael, Sigillifer des Bischofs von Augsburg 18 Schneider, Reinhold s. Unamuno Schönwiese, Ernst 305 A. 5 scholastisches Denken 451 scholastische Methode 454 Schopenhauer, Adele 468, 472 f. Schopenhauer, Arthur s. Unamuno Schröder, Rudolf Alexander 361—364, 368 f. Schweitzer, Albert s. Unamuno Schwenk, Ch., Schulmeister in Dillingen 25 Schwenk, Fr., Schulmeister in Dillingen 25 Seele, die schöne 88, s. auch Schiller selige Inseln 79 Shakespeare 83-85, 101, 114, 117 f., 121-123, 136, 138, 202-204, 208, 346, 481, 483 Sharp, Cecil 83 Simon Magus 5 Simonie 5 f., 8 f., 11, s. auch 'Memento mori' Slowacki, Juliusz 114 Solinas, Alberto Mauria, Bischof von Nuoro 72 A. 20 Sophokles 483 Sozialisten, ihr Imperialismus 181 Spätzeit s. Benn Spaltung der Welt, platonische 279 Spee, Friedrich von 362, 377 Speidel, Ludwig 357 Spencer, Herbert s. Unamuno Spengler, Oswald s. Unamuno Spiegelmensch des Expressionismus 347 Spiegelmotiv s. Loerke, Tieck Spiegeltechnik s. Tieck Spiel im Spiel s. Tieck Spiel, liturgisches 13—59 Spielhagen, Friedrich s. Unamuno Spinozismus 91, 102 Spitzweg, Carl 353 Sponde, Jean de 466 Sprachanalyse und Wissenschaftsanalyse 456 Sprachinhaltsforschung 456—460 Sprachskepsis 456 Sprachtheorie 446 Stadler, Ernst 388, 420

Stapf er, Paul 88 Steffasin, Anna 20, 23 f., 24 A. 43, 30 A. 61, 46 Stein, Charlotte von 91 Steiner, Johann Peter, Drucker in Mindelheim 44 Stendhal, eigentl. Henri Beyle 478, s. auch Unamuno Sterling, Charles 468, 470 Stifter, Adalbert 79 A. Stifter, Anton 79 A. Stössinger, Felix 303, 318-320 Stoizismus 466 Stolberg, Friedrich Leopold Graf 108 Stolberg, Sophie Gräfin 108 Sudrez, Francisco 197 Sutor, Kaspar, Organist in Dillingen 25 Swift, Jonathan 129 Symbolismus — barocker 204 — französischer 266, 290 f., 483 Syllogismustheorie, aristotelische 446 Tantaliden, die 79 Tasso, Torquato 461—465, s. auch Goethe, Sardisch Taube, Otto von 198 Tepl, Johannes 330 Theater im Theater, als barockes Thema 36 Thomasin von Bernt 329 Tieck, Ludwig 111-113, 120, 128-130, 140 f., 211, 345-351 — Akrobatik der Spieler 350

— Apparatvisionen

350

— Bühnenbilder 346 — experimentelle Form 345 — Illusionszerstörung 349 — Kontraste des Bauskeletts seiner Werke 346 — Literaturkomödien 345, 351

— Märchenspiel 346, 348 — Rüpelspiel 346, 348 — Spiegelmotiv 346—348, 351 — Spiegeltechnik des Dialogs 349

— Spiel im Spiel 347 f.

-Werke: 'Der gestiefelte Kater' 345 f., 348, 351 'Die verkehrte Welt' 345, 348-351

Namen- und Sachregister 'William Loveir 346 'Zerbino* 347 Tiedge, Christoph August 88, 97 f., 102, 107 Tizian, eigentl. Tiziano Vecellio 439 'Tnugdalus' 9 A. 13 Todesgedanke — seine Aufgabe 145 — im Dienste der transszendenten Idee 148 — Mitleid und Sympathie zu erwecken 153 — nihilistischer 164, 170, 174 — und Wirklichkeit 145 — s. auch Büchner, Kleist, Schiller Todes- und Jenseitsdichtung 89 Todesverlangen s. Petrarca Toller, Ernst 233, 235, 243 f., s. auch Lasker-Schüler, Unamuno Tolstoj, Alexei Konstantinowitsch 190, 478 Tragödie, idealistische 155, 157, 159, 175 Trakl, Georg 220, 353, 388 Tumult, szenischer im Barock 37 Tzara, Tristan 196 Uebersetzungsliteratur 354 Uexküll, Jakob von 460 Uhland, Ludwig 365, s. auch Unamuno Umwelt 460 Unamuno, Miguel de 177—200 — und Paul Adler, sein erster Ubersetzer 193 — Anthropologie 181 -Briefe 177 — und Otto Buek, Übersetzer 193 A. 17 — deutsche Etymologie 178 — deutsche und englische Sprache 178 — deutsche Philologie 186 f. — Deutschlehrer 178 — Dramatik 177 — Einfluß auf: Bali, Hugo 196 Keyserling , Hermann Graf 195 f. Paz, Octavio 199 Raudive, Constantin 196 Schneider, Reinhold 194-196 — Lektüresystem: Ball 188

Berdjajew 190 Buddha 188 Chamisso 189 Claudel 190 Dante 184 Dostojewski 190 Eikermann 191 Goethe 182-184, 191 f. Grimm, Brüder 189 Haringer 189 Hegel 179-182, 184, 191 f. Heine 191 Hölderlin 189-191 Jean Paul 189, 191 Jung, Edgar 191 Kaiser, Georg 189 Kant 182, 184, 191 Keller , Gottfried 191 Kierkegaard 179-181, 190, 197 Kleist 189 Kopernikus 191 Krause, Karl Christian Friedrich 182 Lenau 189 Liliencron 189 Luther 182, 184 f., 191 Luxemburg, Rosa 191 Man, Hendrik de 190 Mann, Heinrich 189 Mann, Thomas 189 Michels 191 Nerval 192 Nietzsche 184-186 Novalis 189 Ranke 190 Ronsard 192 Schneider, Reinhold 190 Schopenhauer, Arthur 180—182, 186 f. Schweitzer, Albert 188 Spencer 180 Spengler 190 Spielhagen 190 Stendhal 192 Toller 189 Uhland 189 Wackenroder 189 Wassermann 190 Werfel 190 - L y r i k 177, 186

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Namen- und Sachregister

— und der modernistische Katholizismus 187 f. — politische Fehldeutung 193 — und die protestantische Theologie 187 f. — Romane 192 — Sozialist, religiöser 190 -Werke: 'Agonie du Christianisme' 189 'Cancionero' 179, 187, 189, 191 'En torno al casticismo' 179 'Kritische Untersuchung des Problems von Ursprung und Vorgeschichte der baskischen Rasse' Diss. 186 Übersetzungen aus dem Deutschen 186 'Vom tragischen LebensgefühP 183, 189, 193 A. 17, 195 'Yo acuso' 181 seine Wirkung in Deutschland 193 f. Universalpoesie, progressive 353 Unsterblichkeitsglaube 103 Valéry, Paul 192, 274, 482 f. Vamhagen, Karl August V. van Ense 113 Vasari, Giorgio 439, 464 Vater-Sohn-Konflikt s. Schiller Vega, Lope Felix de 73 Verdi, Giuseppe 202 Verkündigungsspiel, das 13—17, 37 — in Bayeux 14 — in Besançon 14 — in Cividale 14 — in Civitâ-Vecchia 14 — in Eggenfelden 14 — Entstehung 15 — in Florenz 14 — und Fronleichnamsspiel 37 — in le Mans 14 — in Padua 14 f. — in Parma 14 — in Saint Lô 14 — in Trevigi 13 — in Venedig 13 Visconti, Giangaleazzo 434 Vitruv 440

Voltaire, François Marie 129, 135 f., 185, 202, s. auch Bernhardi, August Ferd. Voluntarismus 181 'Vom rehte' 5 Voß, Johann Heinrich 114, 139, s. auch Bernhardi, August Ferd. Vulgata, die 81 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 346, s. auch Unamuno Wagner, Richard 179, 225 Wassermann, Jakob s. Unamuno Weihnachtsämter, Dillinger 18, 53 f. Weihnachtsdialogi, barocke, der Jesuiten 54 Weihnachtsspiel, Benediktbeurer 15 A. 17 — in Form des barocken Oratoriums 44 — aus Vordernberg 44 Werfel, Franz s. Unamuno Westerstetten, Berthold von 23 Westerstetten, Johann Christoph von 23, 46 A. 107 Westerstetten, Maria von 17 f., 20,22 f., 46-48, 52 Westerstetten, Wolf von 20, 22 f. Wiedersehen als Motiv 79—109 — Aufhebung der Schranke des Christentums 81 — im Christentum 80 — kirchliche Lehre und fromme Meinung 84 — Land des Wiedersehens 87 — im mohammedanischen Paradies 80 — posthume Wiederbegegnung der Liebenden 85 — visio beatifica 80, 82, 87 — Wiedersehen als etwas Verbotenes 82 — Wiedervereinigung in der Hölle 86 Wieland, Christoph Martin 129, 206 Willemer, Marianne von 339 Willirams Paraphrase des 'Hohen Liedes' 9 A. 13 Winkler, Gottlob Eugen 298 Winter, Ernst, Pseudonym f. Bernhardi, August Ferd. 113 Wirklichkeit - i h r Begriff 481 — der immanenten Welt 143

Namen- und Sachregister — der Liebe 147 - d e s Todes 148, 160 — des Traumes 148, 156 — ihre Unerreichbarkeit 146 — wahre Wirklichkeit 147 — s. auch Benn Wirklichkeitsferne 175 Wirklichkeitsgebundenheit 143 Wirklichkeitshorizont, seine Verengung 159 Wirklichkeitsnähe 143, 175 Wirklichkeitsverhältnis s. Loerke Wirklichkeitsverlust s. Benn Wittgenstein, Ludwig 457 f., 460 Witwenverbrennung, indische 86 Wolf, Friedrich August 359 WolfF, Kurt 304, 472 A. 11

Wort, das, als Bezeugung 338 Wort, das, als Organ der Offenbarung 337 f. Wort, das, in seiner Wahrheit 341 Young, Edward 88—90 Zahlenmystik 449 Zahlenprinzip, das 449 Zbinden 188 Zech, Paul 233 Zeiterlebnis s. Loerke 'Zeitung für die elegante Welt* 111, 113, 119, 128 Zenge, Wilhelmine von 146 A. 3, 149A. 11, 150A. 12