Literaturwissenschaftliches Jahrbuch: 34. Band (1993) [1 ed.] 9783428477197, 9783428077199

Das $aLiteraturwissenschaftliche Jahrbuch$z wurde 1926 von Günther Müller gegründet. Beabsichtigt war, in dieser Publika

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Literaturwissenschaftliches Jahrbuch: 34. Band (1993) [1 ed.]
 9783428477197, 9783428077199

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LITERATURWISSENSCHAFTLICHES J A H R B U C H Neue Folge, begründet von Hermann Kunisch IM AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN V O N PROF. DR. T H E O D O R BERCHEM, PROF. DR. E C K H A R D H E F T R I C H PROF. DR. V O L K E R KAPP, PROF. DR. FRANZ L I N K PROF. DR. KURT MÜLLER, PROF. DR. ALOIS W O L F

VIERUNDDREISSIGSTER B A N D

1993

Das Literaturwissenschaftliche

Jahrbuch w i r d im Auftrage der Görres-Gesellschaft heraus-

gegeben von Prof. Dr. Theodor Berchem, Institut für Romanische Philologie der Universität, A m Hubland, 97074 Würzburg, Prof. Dr. Eckhard Heftrich, Germanistisches Institut der Universität, Domplatz 20-22, 48143 Münster, Prof. Dr. Volker Kapp, Romanisches Seminar der Universität Kiel, Olshausenstraße 40, 24098 Kiel, Prof. Dr. Franz Link, Eichrodtstraße 1, 79117 Freiburg i. Br. (federführend), Prof. Dr. K u r t Müller, Institut für Anglistik/Amerikanistik, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Universitätshochhaus, 23. O G , 07740 Jena (Redaktion) und Prof. Dr. Alois Wolf, Deutsches Seminar der U n i versität, Werthmannplatz, 79085 Freiburg i. Br. Das Literaturwissenschaftliche

Jahrbuch erscheint als Jahresband jeweils im Umfang von

etwa 20 Bogen. Manuskripte sind nicht an die Herausgeber, sondern an die Redaktion zu senden. Unverlangt eingesandte Beiträge können nur zurückgesandt werden, wenn Rückporto beigelegt ist. Es w i r d dringend gebeten, die Manuskripte druckfertig einseitig in Maschinenschrift einzureichen. Ein Merkblatt für die typographische Gestaltung kann bei der Redaktion angefordert werden. Die Einhaltung der Vorschriften ist notwendig, damit eine einheitliche Ausführung des Bandes gewährleistet ist. Besprechungsexemplare von Neuerscheinungen aus dem gesamten Gebiet der Literaturwissenschaft, einschließlich Werkausgaben, werden an die Adresse der Redaktion erbeten. Eine Gewähr für die Rezension oder Rücksendung unverlangt eingesandter Besprechungsexemplare kann nicht übernommen werden. Verlag: Duncker & Humblot G m b H , Carl-Heinrich-Becker-Weg 9, 12165 Berlin.

LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH VIERUNDDREISSIGSTER BAND

LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH NEUE FOLGE, BEGRÜNDET V O N H E R M A N N KUNISCH

I M AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN V O N T H E O D O R B E R C H E M , E C K H A R D H E F T R I C H , V O L K E R KAPP FRANZ L I N K , KURT MÜLLER, ALOIS WOLF

VIERUNDDREISSIGSTER B A N D

1993

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Redaktion: K u r t Müller

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Hagedornsatz, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0075-997X ISBN 3-428-07719-9

INHALT

AUFSÄTZE Friedrich Ohly (Münster), Gebärden der Liebe zwischen Gott und Mensch im St. Trudperter Hohenlied

9

Tomas Tomasek (Münster), Verantwortlichkeit und Schuld des Gregorius: Ein motiv- und strukturorientierter Beitrag zur Klärung eines alten Forschungsproblems im Gregorius Hartmanns von Aue 33 Alois Wolf (Freiburg i. Br.), Die >Große Freudec Vergleichende Betrachtungen zur IItos-exsultatio in Minnekanzonen, im Erec und im Tristan 49 Thomas Stauder (Erlangen), Giovanfrancesco Negris Tasso-Travestie aus dem Jahre 1628: Ein bislang unbekannter Vorgänger der Eneide Travestita Lallis

81

Lothar Fiet% (Tübingen), Literature and War: A Chapter in the Decline of the Heroic Ideal in Eighteenth-Century England 101 Sabine Volk-Birke (Eckersdorf), »Nothing is simply one thing.«: Das Problem der Wahrnehmung in Virginia Woolfs Roman To the Lighthouse 115 Erkme Joseph (Marburg), Das Motiv »Hand« — ein Beispiel für Leitmotivtechnik im Zauberberg von Thomas Mann 131 Elmar Schenkel (Leipzig), Die Wiederentdeckung des Sakralen: Topographie und Spiritualität im Werk von Kathleen Raine 171 Frank Leinen (Alzey), Auf der Suche nach Mexikos kultureller und nationaler Identität: Der Beitrag des Ateneo de la Juventud

191

SYMPOSIUM Die Autobiographie im 20. Jahrhundert Günter Niggl (Eichstätt), Einleitung

215

Ralph-Rainer Wuthenow (Frankfurt/Main), Die Selbstdeutung Nietzsches Willi Er^gräber (Freiburg i.Br.), Der moderne autobiographische Roman in England und Irland: D. H. Lawrence und James Joyce 239

221

6

Inhalt

Alfred Hornung (Mainz), Autobiographie und literarische Anthropologie in den USA: Gertrude Stein und Maxine Hong Kingston 259 Fran% Link (Freiburg i. Br.), The Slave Narrative Novel

277

Bernhard Greiner (Tübingen), Akustische Maske und Geborgenheit in der Schrift: Die Sprach-Orientierung der Autobiographie bei Elias Canetti und Walter Benjamin 305 Elsbeth Wolffheim (Hamburg), Fragmentierung der Lebensgeschichte: Zu den autobiographischen Aufzeichnungen von Achmatova, Mandelstam, Cvetaeva, Sklovskij und Nabokov 327 Joseph Jurt (Freiburg i. Br.), Autobiographische Fiktion — Fiktionale Autobiographie (Céline, Nizan, Ernaux) 347 Hans Rudolf Picard (Konstanz), Anthropologische Funktionen der modernen Autobiographie in Frankreich: Leiris, Roy, Sartre, Sarraute 361

BUCHBESPRECHUNGEN Bernhard Dietrich Haage, Studien %ur Heilkunde Eschenbach (von Walter Blank)

im »Parrivai« Wolframs

Helmut Tervooren, Reinmar-Studien: Ein Kommentar Reinmar des Alten (von Martina Backes)

von 379

den »unechten» Liedern 383

Herbert Grabes, Das Englische Pamphlet I. Politische und religiöse Polemik am Beginn der Neuheit ( 1521 -1640) (von Uwe Baumann) 385 Shakespeares Sonette in der Übersetzung Dorothea Tiecks, kritisch Christa Jansohn (von Franz Link)

herausgegeben von 387

Ulrich Suerbaum, Das elisabethanische Zeitalter (von Uwe Baumann)

388

Jacques Amyot, »Projet d'éloquence royale«. Préface de Philippe-Joseph Sala^ar; Emanuele Tesauro, »L'idée de la parfaite devise«. Traduction de Florence Vuilleumier. Préface de Florence Vuilleumier et Pierre Laurens (von Volker Kapp) . . . 390 Gerald Stieg und Jean-Marie Valentin (Hg.), Johann Nestroy (1801 -1862). Vision du monde et écriture dramatique. Actes du colloque international organisé avec le concours de l'Institut Autrichien Paris 31 janvier -2 fevrier 1991 (von Wolfgang F. Bender) 391 Joseph Litvak, Caught in the Act: Theatricality Novel (von Paul Goetsch)

in the Nineteenth-Century

English 397

Literarische Tradition und nationale Identität. Literaturgeschichtsschreibung im italienischen Risorgimento, hg. Friedrich Wolfaettel und Peter Ihring (von Stefani Arnold) 400

Inhalt

Federico Garcia Lorca: Perfiles criticos, hg. Kurt Reichenberger und Alfredo Rodrigue £ Lope\- Vd%qe% (von Uta Feiten) 403 Peter Albert, Die Deutschen und der europäische Osten: »Vergangenheitsbewältigung» als Historismuskritik im Er^ählwerk Johannes Bobrowskis (von Maria Behre).. 406 Martin Brunkhorst, Gerd Rohmann, Konrad Schoell (Hg.), Klassiker-Renaissance: Modelle der Gegenwartsliteratur (von Thomas Kullmann) 411 Bernhard Fabian (Hg.), Die englische Literatur. Band 1: Epochen — Formen. Band 2: Autoren. Von Willi Er^gräber, Bernhard Fabian, Kurt Tetyeli von Rosador und Wolfgang Weiß; Hans Ulrich Seeber (Hg.), Englische Literaturgeschichte. Unter Mitarbeit von Stephan Kohl, Eberhard Kreutzer, Annegret Maack, Manfred Pfister, Johann N. Schmidt und Hubert Zapf (von Adolf Barth) 415 Wolfgang Clemen, Interpretationen %ur englischen Literatur, Wolfgang Weiß (von Willi Erzgräber) Historisches Wörterbuch Kapp)

hg. von Dieter Mehl und 421

der Rhetorik, hg. Gert Ueding, Band I, A- Bib (von Volker 424

Namen- und Werkregister (von Jutta Zimmermann)

429

Gebärden der L i e b e z w i s c h e n Gott u n d M e n s c h i m St. Trudperter Hohenlied Von Friedrich

Ohly

Einleitendes — Aus- und Anschauen — Sichzuneigen — Liebkosen und Umarmen — Küssen — Liebesgespräch — Gott als Mutter — Ziehen — Leiten — E i n u n g — Zusammenschau Die Mystik des St. Trudperter Hohenlieds 1 fand ihre sprachliche Gestalt als Liebesbegegnung von Gott und Seele, Bräutigam und Braut. Sie artikuliert sich in szenischen Gesprächen und Liebesgebärden, die von der ersten Annäherung bis zur Eins werdung sich steigern. Das i m folgenden zu den Liebesgebärden Vorgeführte ist einzig aus dem Text gewonnen, nicht in einen historisch vergleichenden Kontext gestellt, der, da Vergleichbares sich an anderem Ort in jener Zeit so ausgeprägt nicht findet, 2 in der Geschichte der Auslegung des Hohenlieds zu suchen wäre. 3 Es gibt keinen folgerechten, von dem ersten Ausschauen bis zur unio führenden Ablauf der Gebärden i m Hohenlied — mit dort dem Kuß i m ersten 1

Hermann Menhardt, Das St. Trudperter Hohe Lied. Kritische Ausgabe. Text, Wörterverzeichnis und Anmerkungen (Halle, 1934). 2 Zu Liebesgebärden im Artusroman Dietmar Peil, Die Gebärden bei Chrétien, Hartmann und Wolfram. Erec — Iwein — Parrivai, Medium Aevum 28 (München, 1975), S. 160-182, 323-327. 3 Als diese Seiten vor Längerem geschrieben wurden, waren sie als Bestandteil des Bands meiner Neuausgabe des St. Trudperter Hohenlieds im Deutschen Klassiker Verlag gedacht, die im Stellenkommentar darauf würde verweisen können. Zur Erleichterung seines Umfangs aus dem Band herausgelöst, können sie diese Funktion auch hier erfüllen, wie anderseits der Stellenkommentar zur hier außer Betracht gelassenen Tradition der Gebärden in den gebotenen Grenzen Punktuelles beizutragen vermag. Während der Drucklegung erschien das Buch von Hildegard Elisabeth Keller, Wort und Fleisch. Körperallegorien, mystische Spiritualität und Dichtung des St. Trudperter Hohelied Horizont der Inkarnation (Bern — Berlin — Frankfurt — New York — Paris — Wien, 1993). Stellen der näheren Berührung mit unserem Aufsatz seien hier nur aufreihend genannt, nicht noch zu jedem Fall erörtert. Zu bei mir nicht eigens behandelten Verben s. S. 134 {stecken), S. 141 {sich recken ), S. 146 {verdenen). Zum Ziehen und Leiten mit dem Auge S. 322 f. Zum Kuß S. 455-481; zum Zerschmelzen S. 372-394; zu Gott als Mutter S. 244-251.

10

Friedrich O h l y

Vers, der Trennung in dem letzten — , und so nicht im Gang auch dieses Werks. Die lockere Fügung von Szenen und Metaphern i m Gedichtzyklus des Hohenlieds bringt einen raschen Wechsel von Liebessituationen mit sich. Dem entspricht die lockere, unsystematische Streuung der szenisch gebundenen oder metaphorischen Liebesgebärden auch i m deutschen Werk, das sie im jeweiligen Kontext frei assoziierend noch angereichert und vermehrt hat, so daß sie einer Übersicht sich leicht entziehen. Die Gattung des von Vers zu Vers gehenden Kommentars, zumal eines so springenden Buchs der Bibel, findet kaum Handhaben zur Inszenierung übergreifender, dramatischer oder gedanklicher Zusammenhänge, wie sie Honorius Augustodunensis oder Wilhelm von St. Thierry i m 12. Jahrhundert gleichwohl ordnend diesem eindrucksvoll abzugewinnen vermochten. 4 Anders wieder und ohne Beispiel in der Geschichte der Hoheliedauslegung ist das Verfahren unseres Autors, Versgruppen des Hohenlieds mit anderen Versgruppen, etwa den Seligpreisungen der Bergpredigt, oder mit Begriffsgruppen, so der Siebenergruppe der Gaben des Heiligen Geistes, in der Auslegung derart zu verschränken, daß zu gedanklichen Einheiten gebundene, geschlossene Werkabschnitte sich ergeben, die hier freilich kleinräumig gebaut sind. Wer eine Lehre von der Liebe zwischen Gott und Mensch folgerecht abzuhandeln suchte, griff zur Gattung des Traktats, die gerade i m 12. Jahrhundert und zu diesem Thema aufblühte, von dem Frühwerk Wilhelms von St. Thierry »Über die Natur und Würde der Liebe« {De natura et dignitate amoris, nach 1120) bis hin etwa zu Richards von St. V i k t o r »Über die vier Stufen der Liebe« {De quatuor gradibus amoris, zwischen 1155 und 1165).5 Eine Zusammenschau der weit über das Werk verstreuten, für die Begegnung zwischen Gott und Mensch gebrauchten Gebärden ergibt einen anders schwerlich auszumachenden Duktus des wechselseitigen Sichgebens, in dem eine Eigenart des Autors, ein Spezifikum seiner weder zisterziensisch affektiven noch philosophierend spekulativen, nämlich in aus Liebe bewegter Hingabe die Begegnung mit Gott suchenden und erfahrenden Mystik wahrzunehmen ist. Die Vorführung der Gebärden in der dem chronologischem Ablauf einer üblichen Liebeserfahrung eigenen Folge v o m erwartungsvollen Ausschauen bis am Ende zu der Einung, wie sie das Hohelied mit seinem kaleidoskopischen Wechsel der Konstellationen unserer Wahrnehmung — darin liegt sein Reiz — entzieht, mag zu einer Einsicht in das folgerecht Einheitliche des Herangangs dieses Auslegers an seinen Gegenstand verhelfen. 4

Friedrich Ohly, Hohelied-Studien.

Grund^üge einer Geschichte der Hoheliedauslegung d

Abendlandes bis um 1200 (Wiesbaden, 1958), S. 158-170 (Wilhelm), S. 251 -262 (Honorius). 5

K u r t Ruh, »Geistliche Liebeslehre des 12. Jahrhunderts«, Beiträge %ur Geschichte der

deutschen Sprache und Literatur,

Bd. 111 (1989), S. 157-178.

Gebärden der Liebe zwischen G o t t und Mensch i m St. Trudperter Hohenlied

11

Aus- und Anschauen. Eine starke Intensität des erwartungsvollen Ausschauens oder der unmittelbaren Anschauung liegt i m Verbum warten >schauenerwarten< ist schwächer ausgeprägt. Der freien Ausblick gewährende, wohl turmartige Gebäudeteil ist diu warte (46,5). üfwarten ist das verlangende Hinaufschauen des Hungrigen nach den Früchten der Gottheit auf dem Baum der Trinität, 6 verwarten das vergeblich ausschauende Erwarten unserer Besserung durch Gott. 7 Gott verheißt das Unermüdliche, Unvergängliche, Ewige, unverwartliehe seiner Liebe, >die unsere Erwartung nicht enttäuscht^ 8 Gott schaut nach der Braut mit seinem inwarten durchs Fenster. 9 Sein Schauen (warten ) her zu uns ist seine Gnade. Sein Sichzuneigen zu uns verbindet er mit seinem Schauen, indem er staetecliche wartet. 10 Wie der Saphir sein schönes Licht dem heiteren Tag verdankt, so sollen die heiligen Jungfrauen mit allen Sinnen und aller Liebe hine %e deme ewigen liebte warten >um von dem Geschauten aufleuchten zu können^ 1 1 Das linke Auge schaut auf den Nächsten, das rechte in sich selbst; mit der höchsten Geistesgabe schaut das Haupt immerfort auf Gott: da% houbet sapientia wartet alle^ ane hin gote} 2 A u f die Seligpreisung der reinen 13 Herzen, die >Gott schauem werden, bezieht sich das vriliche warten nach gote am Ende der Zeiten, 1 4 denn das in der Welt um seine Reinheit kämpfende Herz ist noch vom ruoweclichen warten abgehalten. 15 I m wechselseitigen warten begegnen sich Gott und die Seele. Das Höchste liegt für sie i m deum videre, in seinem unmittelbaren Schauen. Für diese Schau von Angesicht zu Angesicht steht auch das sonst dank der Vielseitigkeit seiner Verwendung blassere sehen, wo es videmus I. Cor. 13,12 übersetzt: got, den sehen wir denne facie ad faciem. u3 Die größte Freude ist diu wunnecliehegesiht unserre ougen, die wir an ime haben (89,5). I m Spiegel der Seele sollst du den Friedenskönig und Bräutigam sehen}1 Zur Schau Gottes als einem zweifachen und doch einheitlichen gegenseitigen Sehen ins Angesicht, so daß mein eigenes Sehen als ein von Gott Gesehenwerden Gottes Sehen selbst ist (so

6 28,29. 7

68,25.

8 47,5. 9

respicere , prospicere Cant. 2,9; Variante: durch das Fenster luoget got %uo uns 32,5; 69,28.

w 31,32; 32,2.8. » 84,30. 12

3,4.

13

114,3.

14 114,21. 15

114,19; i m Kontext der gleichen Seligpreisung G o t t sehen, 118,14.

16

37,9; kurz vorher das Verlangen, Gott zu sehen mit den inneren ougen 37,1.

* 7 93,29.

12

Friedrich O h l y

sihetgot an dir, so gesihest ouch du ane gote 80,2) siehe meinen Kommentar zur Stelle. Wie bei anderen Gebärden steht an Stelle des Organs oder Glieds eine überpersönliche Potenz, hier für das Ansehen Gottes eine Seelenkraft: M i t dem Auge der vernunstlichen ratio können wir Gott in Freude und Liebe anesehen und ins Herz geleiten. 18 Die Blickgebärde steht am Anfang wie am Ende dieser Liebe, sie ereignet sich i m erwartungsvollen Ausschauen, vor jedem Berühren, wie in der Erfüllung des unmittelbaren Anschauens »von Angesicht zu Angesicht«, das auch eine Form der Einung ist. Als Begleitung verschiedener Phasen der Begegnung unterscheidet sie sich, ganz natürlich, von anderen, stärker situationsgebundenen Gebärden. Sichzuneigen. Eine verhaltene Form der Annäherung ist das Sichzuneigen von Gott und Seele ( sich lenen). Es geschieht bei unserem Gebet, in dem sichgot %uo %uns lainet (32,7). Es weckt seine Aufmerksamkeit, denn sein sich Hinneigen verbindet er mit andauerndem Ausschauen (staetecliche warten 32,8). Es kommt zu keinem Sichberühren. Gott neigt sich über die Lehne eines Erkerfensters (eben des Gebets) 1 9 in der Wand unserer Sünden und schaut auf uns mit dem Blick der Gnade. 20 Oder Gott neigt sich über die Lehne einer goldenen Ruhebank am Tisch. 2 1 Gottes Sichzuneigen über die Ruhebank geschieht auch ohne unmittelbare Berührung über die Vermittlung der zweithöchsten Gabe des Hl. Geistes (intellectus). Die goldene Bank ist diu heilige vernunst, da sich got übere gelainet hat %uo stnergernahelen (42,31). Hier antwortet Zuneigung der Zuneigung. Auch die Braut, die reine Seele, hat sich freigemacht und zugeneigt (gemuovgegot undegelainet 43,3). Es kommt zum Liebesgespräch der so sich Zugeneigten, dem stiegen mahelkosen von Geliebter und Geliebtem. 22 Ein Exkurs über das Wesen der dem wistuom nächststehenden vernunst (der Gabe intellectus), als des uneingeschränkt in Liebe Sichhinkehrens zu G o t t 2 3 führt zur Aussage über den Menschen: »Er hat sich zugeneigt an der Ruhebank der Vernunft.« Der Zuneigung Gottes über die Gabe des Heiligen Geistes vernunst (intellectus) scheint die Seele zu antworten mit der Zuneigung nach dem Vermögen ihrer Seelenkraft vernunst (ratio). Das entzieht die in Blick, Gespräch und Gebärde sich äußernde Zuneigung zwischen Gott und der Seele dem Einmaligen, gibt ihr den Rang einer i m Menschen allgemein angelegten und ihm zugedachten Berufung. Das meint auch die letzte Aussage 18 19

128,15; Gott mit den vorhtlichen ougen anesehen 96,22. nach Cant. 2,9 prospiciens per cancellos .

20 31,32-32,3. 21

Cant. 3,10 reclinatorium

aureum; für beide, die cancelli und das reclinatorium , steht das

gleiche mhd. Wort lineberge. 22

43,4; s.u. S. 18 zum Liebesgespräch.

23

43,6-13.

Gebärden der Liebe zwischen Gott und Mensch i m St. Trudperter Hohenlied

13

über die Zuneigung des Menschen bei Cant. 8,5 »Wer ist es, die da in Liebe erfreut herauffahrt durch die Wüste und sich über ihren Geliebten neigt?« (unde sich lainet über ir trüt 133,10) 24 : »Wer neigt sich über seinen Geliebten, es sei denn, er hätte alles, was er Gutes tut, von Gott?« 25 Liebkosen und Umarmen. 2 6 Das Hauptwort für die Liebkosung zwischen Gott und Seele ist der %art mit dem Verbum zar^ en inerten, geyerten). Als Zustand ar t art e der Freude entspricht es den deliciae des Hohenlieds, 27 als z g dem Paradies, 28 dem hortus deliciarum, Dem stark abgewerteten leiblich genießenden \art der Welt (fünf Belege) steht der z a r * als Zärtlichkeit und Liebkosung zwischen Gott und der Seele als Ersehntes gegenüber. Man hat ihn sich durchaus gebärdenhaft und auch auf Erden (wie später i m Himmel) erfahrbar vorzustellen. Sonst könnte v o m Liebkosen Gottes durch die Seele nicht gesprochen werden als dem von der Wärme des H l . Geistes bewegten %art y da du dinen gemahelen mitte trütest unde artwmne n umbevähest (118, 19). So i m Bezug noch auf die z der Braut, 2 9 wozu gefragt wird, ob die Liebkosung von Gott zur Seele oder von der Seele zu Gott gehe (weder der zar* gotes si hin %e der sele oder der sele hin %e gote 117,3). Die Liebkosung ist wechselseitig, i m Anteil nicht zu unterscheiden, sonst würde die Frage nicht bald (zum wunneclichen Z ar t) noch einmal variiert. 3 0 Die vollkommene Seele hat auf diese Liebkosung wie einen Anspruch (»wir wagen sie ihr nicht zu versagen« 117,5), wenn sie nur demütig ist, denn die Hoffartigen dürfen es nicht wagen, Gott zu »liebkosen (geyerten ) und zu lieben«. 31 Eine andere Bedingung für die Liebkosung durch Gott (wie solt du gotes brüt von ime gekartet werden? 117,33) ist der Seele helfende Hingabe an die Schwächeren i m Konvent. Den Weltlohn Suchenden entzieht Gott das beständige Liebkosen (sinen emi^igen zart 71,23). I n der Heilsgeschichte wurde die Furcht vor dem Vater durch die Liebkosung der ar t Mutter abgelöst, den muoterlichen z (14,8). Noch i m Himmel geht die Liebesgebärde nicht verloren, wenn Maria als Erwählte »in dem Schoß des ewigen partes« liegt. 3 2 Der lustvollen Liebkosung in einer sterblichen Liebe muß absagen,

24 2

135,5; Cant. 8,5 innixa super dilectum suum.

5 135,4.

26

Z u r Umarmung und dem K u ß Hans Rolf, Der Tod in mittelhochdeutschen

Untersuchungen zum >St. Trudperter

Dichtungen.

Hohenliedi und zu Gottfrieds von Straßburg >Tristan und

Medium Aevum 26 (München, 1974), S. 108 (mit Literatur). 27

Cant. 8,5; 133,30; 134,29; auch als zunne Cant. 7,6; 117,2; vgl. zärtliche zu Cant. 8,5; 133,30; 134,29; zu Zart deliciae Cant. 7,6; 117,3.5.29; 118,19; 119,8.9. 28

Cant. 4,13; 58,27.31; 59,12.17.

29

deliciae Cant. 7,6; 117,2.

30 117,19. 117,7. 32

32,26; der himelische zart 46,32.

Friedrich O h l y

14

wer zu deme oberösten %arte der ewigen Freude gelangen w i l l ; 3 3 die Absage an den fleischlichen z a r t vergilt Gott mit tausendfaltigem z a r t

seinem Reich. 34

Den Grad des Freudeanteils an der Liebkosung drückt die wunne stärker als der ihr nächststehende %art aus. Die v^artwunnen sind die deliciae von Cant. 7,6 (117,2), variiert i m wunneclichen %art der Liebkosung, wo gefragt wird, ob Gott herab zur Seele oder die Seele hinauf zu Gott komme. 3 5 Das Verb wunnesamen >liebkosen< gebraucht Christus für sein Wirken auf die inneren sinne der Braut; 3 6 das Herz der Gottesbräute istgewunnesamet vongotelichen dingen, 37 Neben der wunneclichengesiht der Augen steht diu wunne unserre ören 38 beim Hören der Stimme des Geliebten. wunneclich ist fünfmal auf Musik bezogen (clanc, musica, gradual, lobesanc, brütsanc), so daß auch beim wunneclichen lant des Jenseits 3 9 Musikalisches einschwingen mag. Denn von der wunne der Stimme des Geliebten kann nicht hier gesprochen werden, sondern nur im Gotteslob der Engel und der erwählten Menschen. 40 Wie Zart wird wunne ambivalent für weltliche (werltwunne u.ä. sechs Belege) und religiöse Freuden gebraucht. Beide sind verbunden in der wunne libes unde sele (142,6). I m Preis des Geliebten verkündet die Geliebte die minne unde die wunne mines trütes. 41 Hier auf Erden besteht unsere Wonne wie die jedes Liebenden darin, über den Geliebten zu lesen, zu hören und zu denken. 42 Die böheste wunne ist der Seele Heimsuchung durch Gott i m Schlaf, doch ist disiu wunne mere ein troum denne ein wärheit (30,25.28). A m jüngsten Tage haben die Seligen stete wunne unde wunderunge an Gott (90,4). I m verinnerlichten wunnesamen liegt weniger Gebärdenhaftes als i m z a r l ß n - Die Wonne ist weniger ein Vorgang als ein Folgezustand der Liebesbegegnung wie die geistliche Freude i m sich menden (der mandunge) und umgekehrt das »Sehnen, Klagen, Weinen und Seufzen« 43 der verlassenen Geliebten. Dem i m Hohenlied oft gebrauchten Wort für den Geliebten (dilectus) entspricht am häufigsten wine, seltener gemahele und trüt. Z u den beiden ersten wurden Verba für den liebevollen Umgang nicht gebildet. 44 N u r dem Wort trüt (min, unser

33 119,9. 34 142,31. 35 117,29; vgl. 117,3.

36 26,20. 37 56,14. 38 89,15-18. 39 96,25. 40 89,7-11. 90,16. 42

143,8. Zu wunne, mandunge, vröude, sm^e H. Rolf (wie Anm. 26), S. 111.

43 143,19f.

Gebärden der Liebe zwischen Gott und Mensch i m St. Trudperter Hohenlied

trütvrouwe

15

ist fester Begriff für Maria; gotes trütinne ist die Seele 89,32) ist das Verb

trüten verbunden. Gott schenkt als trüt der Seele minne unde wunne, 45 vergilt triuwe mit genäde 46, handelt trütliche

>liebe-, gnadenvoll< an der Seele, seiner Tochter,

Christi Schwester. 47 trüten variiert z a r t e n

un