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German Pages 191 [200] Year 1999
Deutsche Texte Herausgegeben von Gotthart Wunberg
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Literatur und Schizophrenie Theorie und Interpretation eines Grenzgebiets Eingeleitet und herausgegeben von WINFRIED KUDSZUS
Deutscher Taschenbu'ch Verlag Max Niemeyer Verlag Tübingen
MEINEN ELTERN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Literatur und Schizophrenie : Theorie u. Interpretation e. Grenzgebiets / eingel. u. hrsg. von Winfried Kudszus. - i.Aufl. - München : Deutscher Taschenbuch-Verlag; Tübingen : Niemeyer, 1977. (Deutsche Texte ; 45) ISBN 3-484-19044-2 (Niemeyer) ISBN 3-423-04294-x (dtv) NE: Kudszus, Winfried [Hrsg.]
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1977 Satz: Bücherdruck Wenzlaff, Kempten Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. ISBN Niemeyer 3-484-19044-2 ISBN dtv
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG : Literatur und Schizophrenie. Forschungsperspektiven
. . .
PETER GORSEN Literatur und Psychopathologie heute. Zur Genealogie der grenzüberschreitenden bürgerlichen Ästhetik Literaturverzeichnis
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GOTTHART WUNBERG Depersonalisation und Bewußtsein im Wien des frühen Hofmannsthal
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GERHARD IRLE Rausch und Wahnsinn bei Gottfried Benn und Georg Heym. Zum psychiatrischen Roman
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LEO NAVRATIL Psychopathologie und Sprache
113
WINFRIED KUDSZUS Literatur, Soziopathologie, Double-bind. Überlegungen zu einem Grenzgebiet
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WALTER VOGT Die Schizophrenie der Kunst. Eine Rede
164
Quellennachweise
176
Zu den Autoren
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Weiterführende Bibliographie
179
Gesamtregister
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Für wertvolle Anregungen und Einsichten möchte ich meinen freunden und Kollegen Sander Oilman (Ithaca, New York), Andrew Jaszi (Berkeley), Uwe H. Peters (Mainz) und Bernd Urban (Frankfurt a. M.) herzlich danken. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Aija Kanbergs (Berkeley), die mich mit Sachkunde bibliographisch unterstützt hat.
EINLEITUNG: WINFRIED KUDSZUS
Literatur und Schizophrenie. Forschungsperspektiven Die Problematik menschlicher Kommunikation bis hin zur Kommunikationsverweigerung und - im Krankheitsfall - zum Verlust der Kommunikationsfähigkeit beschäftigt in zunehmendem Maß zahlreiche Wissenschaftsbereiche.1 Zugleich gibt diese Problematik zu interdisziplinären Forschungen Anlaß, wie im Grenzgebiet von Literatur und Schizophrenie, wo sich detaillierte Einzelanalysen, aber auch weitreichende Grundsatzüberlegungen finden. Grenzgebiet im doppelten Sinn: es geht hier zum einen um Fragen menschlicher Kommunikation, wie sie sich verschärft an den Grenzen der Verständlichkeit sprachlicher Äußerungen und Strukturen einstellen. Der Leser schwieriger oder gar - zunächst jedenfalls undurchschaubarer Texte, etwa eines modernen Gedichts oder eines >schizophrenen< Sprachprodukts, sieht sich solchen Grenzen gegenüber; der wissenschaftliche Interpret sucht sie zu überwinden und beruft sich schließlich in der Regel auf Assimilationsschranken, die seiner Analyse ein scheinbar notwendiges Ende setzen.2 Damit ist zugleich auf den Bereich zwischen Literaturwissenschaft und Schizophrenieforschung hingewiesen, ein Grenzgebiet, dessen Daseinsberechtigung sich nicht, wie das in interdisziplinären Untersuchungen gelegentlich der Fall ist, in selbstgenügsamer Komparatistik erschöpft. Vielmehr macht die Ratlosigkeit der Literaturwissenschaft angesichts komplexer Sprachgebilde - sich auf Paradoxien und >Ge1
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Vgl. etwa Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson, Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. 4. Aufl. Bern 1969. So Hugo Friedrich, Die Struktur der modernen Lyrik. Von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Erweiterte Neuausgabe. Reinbek bei Hamburg 1967; zur psychiatrisdien Assimilationsgrenze siehe etwa die kritischen Überlegungen Michel Foucaults: Psychologie und Geisteskrankheit. Frankfurt a. M. 1968; Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Frankfurt a. M. 1969.
heimnisse des Sdiöpferischen< festzulegen, ist Mystifikation - einen Blick auf Wissenschaftsbereiche unumgänglich, die sich, wie die Schizophrenieforschung, ebenfalls komplizierten und zunächst unverständlichen Sprach- und Kommunikationsstrukturen gegenübersehen. Aus umgekehrter Perspektive gilt Ähnliches für die Psychopathologie, die den Sprachprodukten Schizophrener über einen gewissen Grad der Komplexität - oder auch Simplizität - hinaus keinen Sinn mehr abzugewinnen vermag: sie findet in der Literaturwissenschaft, besonders wo sich diese mit schwierigen modernen Sprachgebilden beschäftigt, verwandte Problemkonstellationen und Lösungsversuche. Eine wesentliche Aufgabe im Grenzgebiet von Schizophrenieforschung und Literaturwissenschaft besteht darin, Interpretationsinstrumentarien sowie methodologische Einsichten zu entwickeln, in denen sich die jeweiligen Erfahrungen im Umgang mit Sprachphänomenen, besonders auch mit Texten, derart miteinander verbinden, daß die gegenwärtig bestehenden Verständnisschranken weiter hinausgerückt werden. Es ist zu vermuten, daß der Kontakt zwischen zwei Gebieten, die im Spektrum der Wissenschaftstheorie und -praxis zwar deutlich voneinander getrennt, im Problembereich aber vielfach miteinander verbunden sind, dem Verständnis dunkler Sprachstrukturen zugute kommt. Darüber hinaus sind Einsichten zu erwarten, die nicht nur solche Sprachstrukturen selbst, sondern auch den soziokulturellen Kontext, dem sie zugehören, betreffen. So weist die kommunikationstheoretisch orientierte Schizophrenieforschung nachdrücklich auf die krankheitsfördernde Rolle der Familie hin und hebt das Double-bind hervor, die widersprüchlichen Signale, denen schon das Kind im Interaktionsgeflecht, das es an seine Eltern bindet, ausgeliefert ist.3 Sprache - und kommunikatives Verhalten überhaupt - wird bereits in dieser frühen Sozialisationsphase weitgehend undurchschaubar: 3
Auch zum Folgenden siehe z. B. Gregory Bateson, Don D. Jackson, Jay Haley, John H. Weakland, Auf dem Wege zu einer SchizophrenieTheorie. In: Schizophrenie und Familie. Beiträge zu einer neuen Theorie von Gregory Bateson, Don D. Jackson, Jay Haley, John H. Weakland, Lyman C.Wynne et al. Frankfurt a. M. 1969; Gregory Bateson, Double Bind, 1969. In: Bateson, Steps to an Ecology of Mind. New York 1972. S. 271-278. Siehe jetzt auch den umfassenden und weiterführenden Sammelband: Double Bind: The Foundation of the Communicational Approach to the Family. Hrsg. von Carlos E. Sluzki und Donald C. Ransom. New York/London/San Francisco 1976.
eine Situation, die der Entwicklung schizophrener Störungen Vorschub leisten, aber auch kreative Fähigkeiten fördern kann. Schizophrenie und künstlerische Kreativität sind hier über den gemeinsamen Nenner familiärer Sozialisation eng miteinander verbunden, ein Sachverhalt, der die Forschung zum Bereich Literatur und Schizophrenie, will sie nicht im Detail versanden, zumindest zur kritischen Auseinandersetzung anregen sollte. Die kommunikationswissenschaftliche Untersuchung von Familienstrukturen führt zudem auf noch weiterreichende Fragen, wie schon in den antipsychiatrischen Konsequenzen aus der Double-bind-Theorie deutlich wird. Ronald D.Laing etwa erkennt nicht zuletzt im Double-bind die Antinomien einer Gesellschaftsordnung, die das Individuum systematisch in Widersprüche verstrickt, um es dann leichter manipulieren zu können.4 Der Kranke erscheint dementsprechend als Opfer gesellschaftlicher Fehlentwicklungen, sein sogenannter Irrsinn entspringt einem pathogenen Sozialzusammenhang. Auch diese Überlegungen, die vor allem in England und den Vereinigten Staaten, aber auch in Frankreich große Bedeutung erlangt haben,5 kommen nicht nur einer - etwa gegenüber der Schulpsychiatrie - veränderten Einschätzung schizophrener Verhaltensweisen zugute; es ergeben sich hier wiederum neue Perspektiven zum Zusammenhang von Wahn und künstlerischer Kreativität. Die Antipsychiatrie hat mit ihrer Kritik normaler Verhaltensweisen auch den Blick für die produktive Abnormität einer Kunst und Literatur geschärft, die sich entschieden vom normalen Wirklichkeitsverständnis entfernt. Insofern beispielsweise moderne Literatur in ein Grenzgebiet führt, wo sich das gewohnte Bild der Wirklichkeit ins Abnorme verfremdet, sind ihr 4
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Ronald D. Laing, Phänomenologie der Erfahrung. Frankfurt a. M. 1969. S. lozff.; ähnlidi Laing, Mystifizierung, Konfusion und Konflikt. In: Schizophrenie und Familie. Beiträge zu einer neuen Theorie von Gregory Bateson et al. S. 274-304. Siehe auch David Cooper, Psychiatrie und Anti-Psychiatrie. Frankfurt a. M. 1971; Double Bind. Hrsg. von Sluzki und Ransom; hierin besonders die Beiträge von Alan W. Watts, A Fragment from >Psydiotherapy East and West< (1961), S. 167-169; Jules Henry, A Fragment from >Pathways to Madness< ( X 973)» S. 171-174; Anthony Wilden und Tim Wilson, The Double Bind: Logic, Magic, and Economics, S. 263-286. Siehe z. B. R. D. Laing and Anti-Psychiatry. Hrsg. von Robert Boyers und Robert Orrill. New York 1971; Gilles Deleuze und Guattari, Anti-ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I. Frankfurt a. M. 1974.
literaturwissenschaftliche Untersuchungen aus antipsychiatrischer Perspektive besonders angemessen.6 In solchen Untersuchungen wird der Problembereich >Literatur und Psychopathologie< nicht, wie das in der psychiatrischen Analyse von Kunstwerken oft der Fall ist, unkritisch verkürzt; die antipsychiatrisch orientierte Literaturinterpretation ermöglicht vielmehr verschärfte Einsichten in die kritische Funktion moderner Literatur und in den Widerstand, den sie - wie das unter soziologischem Vorzeichen Theodor W. Adorno dargestellt hat 7 - etablierten Wirklichkeitsstrukturen entgegensetzt. Dieser Ansatz bestätigt sich auch in den unabhängig von der Antipsychiatrie gewonnenen Erkenntnissen Leo Navratils, der die Grundzüge einer Literatur und Kunst herausarbeitet, die so abnorm und >schizophren< wie unentbehrlich ist: als Überwindung soziokultureller Normen und Vorurteile, wobei wahnhafte Hervorbringung und kreative Substanz miteinander konvergieren können.8 Von hier aus ergeben sich auch zahlreiche Verbindungen zum französischen Strukturalismus, etwa zu Michel Foucaults kulturkritischer Relativierung der Schizophrenie und der Geisteskrankheiten überhaupt.9 Zumal in der Schizophrenie gelangen Erfahrungen zum Durchbruch, die das gegebene Zivilisationsgefüge in Frage stellen und einen Bereich sichtbar oder zumindest spürbar werden lassen, der normalerweise unzugänglich, unaussprechbar, tabuiert bleibt. Foucault verweist in diesem Zusammenhang auf die oft sehr enge Verbindung von literarischer und schizophrener Rebellion gegen den allgemein anerkannten Diskurs. Hölderlin, Nerval, Nietzsche, Artaud — aus der jüngsten Vergangenheit wäre Paul Celan zu nennen - erscheinen auch aus strukturalistischer Sicht als krank und kreativ zugleich: Krankheit und Kreativität sind hier im produktiven Widerstand gegen die Welt der Normen und in den damit verbundenen Entfremdungsphänomenen untrennbar miteinander verknüpft. Womöglich noch radikaler systemkritisch erscheint der Zusammenhang von Literatur und Schizophrenie in der antiödipalen 6
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Z. B. Marion Vlastos, Doris Lessing and R. D. Laing: Psydiopolitics and Prophecy. In: PMLA. Bd. 91, 1976. S. 245-2j8. Siehe etwa Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie. Frankfurt a. M. 1970. Siehe besonders Leo Navratil, a+b leuchten im Klee. Psychopathologische Texte. München 1971. Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft.
Schizoanalyse von Gilles Deleuze und Felix Guattari. 10 Wiederum spielen dabei die soziokulturellen Implikationen der Double-bindTheorie und die umfassende Zivilisationskritik des Strukturalismus eine entscheidende Rolle. Doch geht die antiödipale Schizoanalyse insofern über Antipsychiatrie und Strukturalismus hinaus, als sie noch entschiedener auf der Bedeutung der Schizophrenie als Gegenkraft zur herrschenden Gesellschaftsordnung besteht. Der »Schizo«, wie ihn Deleuze und Guattari sehen, fällt der Schizophrenie nicht wie der klinisch Schizophrene zum Opfer; diese kann vielmehr zum Ausgangspunkt der kreativen Neugestaltung einer von Grund auf korrumpierten, hoffnungslos normalen Wirklichkeit werden. Besonders auch Literatur vermag schizoid-schizophrene Energien im Sinne dieses - bewußt auch als Entwurf und Konstruktion verstandenen »Schizo« zu aktivieren. So weisen Deleuze und Guattari in ihrer eingehenden Analyse der Werke Franz Kafkas nach, wie das Double-bind des Ödipus-Komplexes, die Verstrickung des Kindes in scheinbar absolut gültige Familienstrukturen ins Groteske verzerrt und zugleich als patriarchalischer Unterdrückungsmechanismus entlarvt wird.11 Im literarisch gestalteten Wahn des familiären und - eng damit verbunden - des gesellschaftlichen Normensystems kommt die Erkenntnis des »Schizo« zum Durchbruch, daß der Ödipus-Komplex Vorurteile verschleiert, die auf die systematische Destruktion des Subjekts zum Zweck seiner Manipulierbarkeit in einer patriarchalisch strukturierten Gesellschaftsordnung abzielen. Mit alledem ist das Problemfeld >Literatur und Schizophrenie* nur andeutungsweise und partiell zur Sprache gebracht. Doch sollte deutlich geworden sein, daß sich hier sowohl sehr weitreichende und zur Kontroverse anregende als auch spezifisch literarische und psychiatrische Überlegungen rinden. Beide Aspekte sind in den folgenden Arbeiten vertreten und oft eng miteinander verbunden. Darüber hinaus ist die bisherige Forschung dargestellt, etwa bei Peter Gorsen (>Literatur und Psychopathologie heutegesunden< Norm gegenüber ihr eigenes 12
Alexander Mette, Über Beziehungen zwisdien Spradieigentümlichkeiten Sdiizophrener und diditerisdier Produktion. Dessau 1918; Gotthart Wunberg, Der frühe Hofmannsthal. Schizophrenie als diduerisdie Struktur. Stuttgart 1965; von Leo Navratil z.B. Schizophrenie und Kunst. Ein Beitrag zur Psychologie des Gestaltens. München 1965; Schizophrenie und Sprache. Zur Psychologie der Dichtung. München 1966. 13 Navratil, Schizophrenie und Sprache. S. 161.
Gewicht und läßt sich einer traditionellen Ästhetik - speziell auch der bürgerlichen, wie bei Gorsen deutlich wird - nicht bruchlos eingliedern. Wie Gorsen hebt auch Kudszus (>Literatur, Soziopathologie, Double-bindWandlungen und Symbole der Libido< (1911/12) bis zu den kommunikationstheoretischen Untersuchungen der Palo-AIto-Gruppe und den gesellschafts- und kulturkritischen Arbeiten des Strukturalismus, der Antipsychiatrie und der antiödipalen Schizoanalyse.14 Im Zusammenhang mit diesen Arbeiten betont Kudszus die immer noch unterschätzte oder ignorierte Vertiefung der Schizophrenielehre durch Wilhelm Reich. >Die schizophrene Spaltung< (1948) nimmt zentrale Einsichten der jüngeren Schizophrenieforschung vorweg und wendet sich gegen das Vor- und Fehlurteil, demzufolge Schizophrenie nur negativ, als Zusammenbruch und Abgleiten ins Sinnlose zu verstehen ist. Schon für Reich ist der »homo normalis« 15 der eigentlich abnorme Fall, während der Schizophrene mit einer hochentwickelten Sensibilität, die ihn für die Widersprüche der >normalen< Welt empfänglich macht, begabt ist. Auch die Ansätze zur engen Verbindung von Schizophrenie und künstlerischer Kreativität finden sich schon bei Reich. Die kritische Aufarbeitung der Schizophrenieforschung und des Problembereichs >Literatur und Schizophrenie< dient im vorliegenden Band indes nur als Grundlage für gegenwärtige Fragestellungen. Diese sind bewußt bis in ihre vorgeschobenen und kontroversen Positionen hinein verfolgt: die Relevanz des Grenzgebiets von Lite14
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Eugen Bleuler, Dementia praecox oder Die Gruppe der Schizophrenien. In: Handbudi der Psychiatrie. Hrsg. von Gustav Aschaffenburg. Leipzig/Wien 1911; C. G. Jung, Wandlungen und Symbole der Libido. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Denkens (1911). In: Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen. Bd. III, 1911, S. 120-227 und IV, 1912, S. 162-464; letzte Fassung: Jung, Symbole der Wandlung. Analyse des Vorspiels zu einer Schizophrenie. Zürich 1952. Siehe auch Anmerkungen i-j und Anm. 10. Wilhelm Reich, Die schizophrene Spaltung. In: Reich, Charakteranalyse. Köln/Berlin 1970. 8.454 u.a. (Erstveröffentlichung in: Reich, Character-Analysis. 1949.)
raturwissenschaft und Schizophrenieforschung erweist sich nicht zuletzt an den Fragen und Diskussionen, die es hervorruft. Inwieweit die Psychiatrie im Hinblick auf Literatur zu neuen Fragen und Einsichten gelangen kann, untersucht Gerhard Irle (>Rausch und Wahnsinn bei Gottfried Benn und Georg HeymRönne-Geschichten< Krankheitssymptome wie Ichauflösung und katatone Verhaltensweisen finden, sind doch auch positive Züge zu entdecken, die über die Auffassung der Psychose als »Qual«, »Verzweiflung«, »vernichtendes Geschehen« hinausweisen. Irle stellt traditionelle »Lehrmeinungen« (107) in Frage, insofern sie übersehen, daß psychotische und speziell auch schizoid-schizophrene Zustände und Episoden »die Funktion einer Befreiung und Erlösung aus einer sonst ausweglosen Situation gewinnen« (112) können. Gewinnt Irle psychiatrische Einsichten aus der Analyse neuerer Literatur - wobei freilich auch neue literarische Aspekte sichtbar werden -, so erweist sich in Wunbergs >Depersonalisation und Bewußtsein im Wien des frühen Hofmannsthal< umgekehrt die psychiatrische Perspektive als literarisch - und geistesgeschichtlich fruchtbar. Vom Depersonalisationssyndrom, der Ichentfremdung her, die oft als Initialsymptom schizophrener Erkrankungen auftritt, ergibt sich ein Verständnis der literarischen und kulturellen Situation im Wien der Jahrhundertwende. Deutlich wird der Hintergrund der Chandoskrise und des Hofmannsthalschen Frühwerks, die Problematik der Ichspaltung, mit der sich die ganze Epoche auseinandersetzt. Das zeitgenössische Wiener Denken etwa Rudolf Kassners; Hermann Bahrs dualistische BegrirTlichkeit, in der seine Literaturund Kulturkritik immer wieder abläuft; Ernst Machs Philosophie vom »unrettbaren Ich« (86) und vom Verlust der Werte, die für die Jungen Wiener und ihre literarische Produktion entscheidende Bedeutung erlangte - all das verdichtet sich im Begriff der Depersonalisation. In dem Buch, das auf dieser grundlegenden Skizze des Zusammenhangs von Epoche und Depersonalisationssyndrom aufbaut,17 gelangt Wunberg ähnlich wie Irle zu einer relativ positiven Bewertung literarisch gestalteten Persönlichkeitszerfalls: im schizoidschizophrenen Zerfallsprozeß liegt die Chance einer Selbstfindung. Daß damit auch die Kritik an einer verdinglichten Kultur und Ge16 17
Gerhard Irle, Der psydiiatrisdie Roman. Stuttgart 1965. Wunberg, Der frühe Hofmannsthal. 8
Seilschaft und der Widerstand gegen sie impliziert ist, wurde schon im Hinblick auf Gorsens Forschungsanalyse hervorgehoben. In der psychobiologisch fundierten Darstellung Leo Navratils (>Psychopathologie und SpracheAndersseins< durch dessen Ästhetisierung vorstellen. Dabei geht es nicht um eine Erweiterung dessen, was wir als schön empfinden, sondern um die Erkenntnis, daß gewisse Äußerungsweisen, die wir bisher nur als Krankheitssymptome betrachtet haben, für unser Selbstverständnis in Literatur und Kunst wesentlich sind« (134). Für Walter Vogt (>Die Schizophrenie der KunstAndersseinsÄsthetik und Psychopathologie< hilflos und blind gegenüberstehen. Im Hinblick auf Sprachanarchisten seit dem Dadaismus und Lettrismus und auch auf den Chandosbrief stellt Gorsen fest: »Die krankhaft sich in Frage stellende Literatur, asoziale Sprachverweigerung, sprachlicher Hermetismus, Unverständlichkeit, Absurdität, Unsinn, Schreien können ein politischer - gleichwohl mit ästhetischen Mitteln ausgetragener - Kampf sein« (51). Und angesichts der Situation 10
von Kunst und Künstler heute rückt der Gedanke an eine grenzüberschreitende Betrachtungsweise vollends in den Vordergrund: »Im Unterschied zu allen früheren Ästhetisierungsversuchen des Unästhetischen (das ist des Pathologischen wie auch des Pornographischen und Obszönen) haben heute Sprach- und Bewußtseinskrise des Künstlers einen Grad der Selbstentfremdung erreicht, der die rettende Integration des beschädigten Lebens in den ästhetischen Kontext von Dichtung, Literatur und Kunst sehr fragwürdig erscheinen läßt« (j2). Indem Literatur und Kunst und die entsprechenden Wissenschaften ihre Grenzen erreichen und durchbrechen, kommen zugleich antipsychiatrische Tendenzen zum Tragen. Wie in der grenzüberschreitenden Ästhetik wird die Integration pathologischer Elemente in ein herkömmliches Kunstverständnis von der Antipsychiatrie abgelehnt, läge darin doch nicht »herrschaftsfreie Kommunikation mit den >Irrennormaler< Kommunikation neue unverfälschte Verständigungsmöglichkeiten zu erschließen suchen. Soll die Kritik und Negation traditioneller Kategoriensysteme neue Kommunikationsmöglichkeiten eröffnen, so erfordert das etwa im Bereich von Literatur und Schizophrenie eine enge Verbindung von Theorie und Interpretationspraxis. Der Unverbindlichkeit, die einer generell systemkritischen Reflexion leicht anhaftet, wäre eine Terminologie und eine Hermeneutik entgegenzusetzen, die sich an komplexen oder - zunächst - unverständlichen Texten bewährt. Freilich ist das eine ohne das andere nicht denkbar: erst eine Methodik und ein Begriffsinstrumentarium, die aus einem übergreifenden Theoriezusammenhang heraus systemkritische Intensität zu gewinnen vermögen, werden ihrerseits der Unverbindlichkeit, genauer hier: der bloßen Deskription pathologischer und literarischer Sprachstrukturen entgehen. Im Hinblick auf diesen doppelten - sowohl theoretischen wie auch interpretatorischen - Anspruch erweist sich die Double-bind-Theorie als besonders fruchtbar. Vor dem Hintergrund antipsychiatrischer Überlegungen und etwa auch der Psychopathologie der Kreativität erhellt diese Theorie zum Beispiel Kernbereiche moderner Literatur. Es ergibt sich hier - wie gegen Ende des vorliegenden Bandes ausgeführt wird (>Literatur, Soziopathologie, Double-bindAbnormität< liegt.18
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Siehe auch Winfried Kudszus, Reflections on the Double Bind of Literature and Psychopathology. In: Sub-Stance. A Review of Theory and Literary Criticism (im Druck). 2
PETER GORSEN
Literatur und Psydiopathologie heute. Zur Genealogie der grenzüberschreitenden bürgerlichen Ästhetik Vorbemerkung. Im folgenden wird eine Zusammenstellung von Theorien, Interpretationen und ästhetischen Fakten versudit, die das Verhältnis der bürgerlidien Ästhetik - hier vornehmlidi der Kunst- und Literaturästhetik - zu den »Kommunikationskrankheiten« wie zur Psydiopathologie der visuellen und sprachlidien Kommunikation markieren. In Absehung vorschneller Kritik am ohne Zweifel feststellbaren künstlerischen, literarischen und vor allem auch wissenschaftlichen Beutezug der bürgerlichen Intelligenz gegenüber dem von Psychiatrie und Psydiopathologie verwalteten »interessanten« Krankenmaterial wurde eine mehr lemmatische Darstellung in Kauf genommen und auch angestrebt, um die hierzu notwendige sadiorientierte wie ebenso politische Diskussion der Beteiligten für die fachlich Unvorbereiteten zu verbreitern, den Kreis der Diskutierenden und »Kenner« weiter zu öffnen, als er es gegenwärtig schon ist. Zumindest durch diese sicher auch noch lückenhafte Kompilation abgebaut werden kann der Schein, das zu verhandelnde Thema müsse an die fachliche Kompetenz der damit beruflich und empirisch Befaßten delegiert bleiben und sei deshalb ein Thema, das für die kulturpolitische Diskussion wenig ertragreich werden könne. Der Schwierigkeitsgrad der zu verhandelnden »Grenzproblematik« ist sicher nicht gering, und die Gefahr, einer Ideologisierung aufzusitzen, besteht nicht nur auf der Seite der Psychiatrie. Doch jene, die gern davor bange machen wollen - so viel kann von jeglicher »Antipsychiatrie« (Basaglia, Cooper, Laing, Mannoni) gelernt werden -, beziehen nicht selten ihre Gründe aus einem »höheren« politischen Funktionszusammenhang zwischen Wissenschaft und Gesellschaft im Kapitalismus heute. Es geht immer auch um die Herrschaft der »Gesunden« über die »Kranken« - selbst im Medium einer propathologischen bzw. pathophilen grenzüberschreitenden Ästhetik, wie sie das späte, primär ideologiekritische, auf sich selber reflektierende Bürgertum hervorgebracht hat. Michel Foucault hat in seinem umfassenden Werk >Histoire de la Folie< (1961) die wechselvolle Geschichte der menschlichen Erfah13
rung mit dem Wahnsinn bis zu jenem kritisdien Punkt in der Gegenwart verfolgt, wo die dialogische, teilnehmende Beziehung zu dieser Art von Krankheit sich in eine szientifische, subjektiv unbeteiligte veräußerlicht hat, der Dialog mit dem Wahnsinn für die Vernunft kein Risiko mehr besitzt und im psychiatrischen Positivismus des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts durch Erkenntnis im negativen dialogunfähigen, unsubjektiven Sinn ersetzt erscheint. »Die Erkenntnis des Wahnsinns setzt bei demjenigen, der sie besitzt, eine bestimmte Art voraus, sich vom Wahnsinn freizumachen, sich von vornherein von seinen Gefahren und von seinem Zauber zu lösen, worin eine bestimmte Art, nicht irre zu sein, zu sehen ist ... Ursprünglich liegt darin die Fixierung einer besonderen Art, nicht wahnsinnig zu sein: ein bestimmtes Bewußtsein des Nicht-Wahnsinns, das für den Gegenstand der Gelehrsamkeit zur konkreten Situation, zur soliden Basis wird, von der ausgehend es möglich ist, den Wahnsinn zu erkennen« (Foucault 1969, S. 480). Der Psychiater und Irrenarzt neuen positivistischen Stils wird als die irrtümliche Verkörperung eines »künftig souveränen Bewußtseins, nicht irre zu sein«, vorgestellt (5.481). Er ist vom archaischen Bewußtsein der eigenen Gefährdung, das den mittelalterlichen Dialog mit dem Wahnsinn beseelte, abgeschnitten. »Jene Möglichkeit, sich den Wahnsinn als bekannt und zugleich beherrscht in einem einzigen Bewußtseinsakt zu geben, liegt im Herzen der positivistischen Erfahrung mit der Geisteskrankheit« (S. 481). Foucault anerkennt diese Souveränität wissenschaftlicher Distanzierung als »das einzige und erste positive Phänomen im Entstehen des Positivismus* (S. 480), um aber kritisch hinzuzufügen, daß es dennoch nur ein Durchgangsstadium im Verhältnis der Vernunft (raison) zum Wahnsinn ^raison) signalisieren könne: eine letztlich - worauf die Psychoanalyse reflektierte - einseitige, dialogarme, patientbeherrschende Beziehung zur Krankheit durch den allein erkennenden und wissenden Arzt. In einer neuen Befreiung des Denkens aus seinem »positivistischen Alter« (8.481) wird das positiv errungene Selbstbewußtsein, nicht irre, nicht krank zu sein, sich kritisch in Frage stellen müssen und in einer bewußten Gebrochenheit des Selbst sich jener negativen Erfahrungen und Ansteckungsmöglichkeiten gegenüber dem Wahnsinn zu vergewissern haben, die der Positivismus in der Psychiatrie vom beobachtenden, analysierenden Erkenntnissubjekt abgetrennt und ganz in das beobachtete, analysierte Objekt der Erkenntnis verlagert hat. Der in die Subjektlosigkeit und Unmittelbarkeit der 14
»Sache selbst« eingefrorene Sachverhalt der Krankheit wäre auf die Sphäre seiner subjektiven Vermittlungen im Erleben rückzubeziehen - etwas, was schon im Mittelalter in der Begegnung zwischen Mensch und Wahnsinn dumpf gelebt wurde, jetzt aber in seiner komplizierten Subjekt-Objekt-Dialektik Gegenstand der wissenschaftlichen Erkenntnis werden könnte. Hemmo Müller-Suur faßt die nicht allein von Foucault, sondern seit den zwanziger Jahren schon von anderen erhobene Kritik am Sekuritäts- und Immunitätsdenken der positivistischen Psychiatrie in die Sätze zusammen: »Es ist nicht richtig,... nur den Kranken als zum Objekt reduziertes Subjekt anzusehen. Der Arzt ist das auch, wenn die Feststellung der Krankheit noch als zur Tatsache gehörig verstanden werden soll. Einen Unterschied von Arzt und Krankem im Sinne von Subjekt und Objekt kann es in der Welt der Tatsachen nicht geben, weil es in dieser Welt kein Subjekt gibt. Als Subjekt und Objekt können sich Arzt und Patient erst gegenübertreten, wenn sie nicht nur Entitäten in Sachverhalten der Tatsachenwelt sind, sondern auch noch Subjekte, die als solche (nicht tatsächlich) aufeinander wirken können, d.h. aber: die einander als Bewußtseinsindividuen verstehen und gegenseitig zu Objekten in der subjektiven Welt ihres Bewußtseins machen können, in der auch Erfahrungen möglich sind, die im Sinne des Tractatus logico-philosophicus nicht der Fall sein können (aber die als sogenannte mystische dort doch auch Erwähnung finden)« (MüllerSuur 1968, S. 139). Damit ist der gedankliche Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen die bürgerliche Kunst und Literatur eine ideologic- und wissenschaftskritische Funktion gegenüber dem - nicht nur ästhetisch - bestehenden Unterdrückungszusammenhang zwischen Herrschenden und Beherrschten ausüben. Dieser ist es, womit sich authentische Kunst und Literatur nicht abfinden wollen. Indem sie sich zum Anwalt der unterdrückten Subjektivität und jener Erfahrungen machen, die im Sinne des Positivismus und des technologischen Fortschrittes nicht der Fall sein können, gehören sie zu einer wie immer heute noch als möglich oder notwendig vorgestellten kritisdaen Anthropologie, die - wie Adorno, Sonnemann, Lepenies (1971) u. a. - die Geschichtlichkeit und Veränderbarkeit der menschlichen Natur reflektiert. [...]* Auslassung des Herausgebers. 15
Literatur i. Wie für die bildende Kunst so hat man in sehr viel bescheidenerem Umfang für die Literatur Strukturvergleiche mit psychopathologisch auffälligen Texten und Sprachformen durchgeführt. Bereits 1928 dachte Alexander Mette »über Beziehungen zwischen Spracheigentümlichkeiten Schizophrener und dichterischer Produktion« nach. Nachdem er einmal den Anstoß gegeben hatte, den »auffälligen Reichtum der Schizophrenensprache an ungewöhnlichen Bildungen« (Mette 1928, S. 9) als künstlerische oder kunstähnliche Leistung anstatt unter allein diagnostischem Aspekt zu sehen, wurden komparatistische Betrachtungen von Kunst und psychopathologischem Ausdruck allmählich auch auf literarischem Gebiet angestellt. Beschränkte sich Mette im wesentlichen noch auf einen Vergleich spezifischer Formcharaktere und Stileigentümlichkeiten schizophrener Gedichte mit expressionistischer Lyrik, wie der von August Stramm,1 Die folgende Passage ist entnommen aus A. Stramm: Die Menschheit, Berlin 1917 (>Der SturmDas große LalulaOtto Nebel spridit Otto Nebel: Zuginsfeld, In ZuginsfeldOtto Nebel spricht Otto Nebel: Unfeig, Eine Neun-Runenfuge zur Unzeit gegeigt i$iy. - Mono, 9,5 cm/sec, 34 min. 19
phrenic beim Rededrang um nichts als Befriedigung des Ausdrucksbedürfnisses handelt, sind die Gedichte Gestaltungen, die - ähnlich wie die absolute Malerei und die Musik - eine bestimmte Wirkung auf den Empfangenden ausüben sollen. Dieser (Unterschied) enthebt uns indessen nicht der Vermutung, daß das zugrundeliegende eigentümliche Verhältnis zum Wort in der verwandten Konstitution der beiden Exponenten wurzle. Wir werden sie - im Gegenteil - eingedenk der übrigen Vergleichsmomente einigermaßen ernst nehmen müssen« (S. ^of.). Letztlich interessiert Mette an der Parallelisierung von schizophrenen Sprachsymptomen und Dichtung dann doch mehr die Frage, inwieweit das jeweilige Formgebilde sich »präpsychotischer Konstitution« oder den »eigentümlichen Modifikationen durch die Krankheit« verdankt. Obwohl Symbolismus, Expressionismus, Lettrismus, absolute Dichtung zu solchen Fragestellungen, die politisch Denunziationen gleichkommen und unterm Hitlerfaschismus auch so praktiziert wurden, bewußt provoziert haben, mußten ihre Repräsentanten diagnostisch bestimmte Interpretationen gleichzeitig ablehnen. Die Provokation war zur Entlarvung der Pathologie der Provokateure, der gesellschaftlichen Entfremdung und ihrer »Normen« nicht der selbst verfaßten, scheinbar sinnentleerten Texte gedacht. Häufig wurde die Waffe der literarischen Kritik zum Stigma pathologischer Literaten vom System umfunktioniert. Nebel ist das beste Beispiel für einen Dichter, der mit einem derart ambivalenten Formprinzip arbeitet, daß er die Gefahr der schizophrenen Anmutung durch den naiven oder denunzierenden Leser geradezu auf sich zieht und dennoch von schizophrener Symptomatik mit Hilfe eben dieses autonomen, sich selbst gegebenen Formprinzips meilenweit entfernt ist. Hierauf bezieht sich Nebel in seiner Einleitung zu UNFEIG: »Besonders bemerkt und unterstrichen werden muß, daß bei der Planung des überwirklichen Gestaltenreigens der >Funfzig Irren unter neun Runeneine Fuge für neunzig Unirre< zu schaffen >in eigener Tinterei«* (UNFEIG). Die Rezeption der absoluten Dichtung und Malerei durch den Faschismus zeigte, welche Sprengkraft, welche Sinnpotenz die literarische Zungenrede und damit die kalkulierte Ähnlichkeit eines literarischen Gestaltungsprinzips mit dem hermetischen schizophrenen Sprachgestus besaß. Die literarische Glossolalie sieht Oscar Pfister (1920) wie den Expressionismus im besonderen in der psychologischen Nachbarschaft der religiösen Glossolalie und der automatischen Kryptolalie. Letztere gehört zur Gattung der Neophasien und meint »eine regelrechte, aber dem Bewußtsein unerklärliche Kunstsprache«, die nach ihrer Dechiffrierung sich als ein »sinnvolles System« herausstellt, das »der Sprache der Marsbewohner, die Flournoys berühmte lene Smith produzierte (in: Des Indes a la planete Mars, Paris 1901)« ähnlich ist und unter »rätselhaftem inneren Zwang« und »mit großer Schnelligkeit« stenographieartig vorgetragen wird (Pfister 1920, S. i46f.). »Der Expressionismus arbeitet zum guten Teil mit den automatischen oder gewollten Mitteln der Kryptographie. Man hat kein rechtes psychologisches und biologisches Verständnis für die ganze Kunstrichtung, wenn man diese Übereinstimmung nicht kennt« (S. 149). Dies ist nicht diskreditierend oder diagnostisch abschätzend gemeint: der krankhafte Ursprung einer Zungenrede besagt noch nichts, weder im negativen noch im positiven Sinne, über den ästhetischen, onomatopoetischen Wert ihrer Verlautbarungen. »Daß der Zungenredner wie der automatische einen guten Gegner treffen Regierungen nie unten reiten gierige Gunter Retter reifen in Feierfernen unten treten fünfzig Irre Irren entgegen. 22
Kryptograph und der Expressionist seine Gebilde, die in ihm so starkes Lustgefühl auslösen, für höhere Weisheit hält, ist wohl zu beachten. Damit ist aber nicht gesagt, daß alle auf gleicher geistiger Höhe stehen« (Pfister 1912). Die literarästhetische Höhe zu ermitteln fällt nicht in die Kompetenz der Psychopathologie, sondern in jene der Literaturwissenschaft. Diese wird allerdings nicht ausreichend über die kunstästhetische Qualität z. B. expressionistischer und dadaistischer Texte befinden können, wenn sie das psychopathologisdie Fachwissen über die Zungenrede ignoriert und sich damit Einblicke in die vieldimensionale anthropologische Motivationsstruktur der Kunstsprachen versperrt. Das psychopathologische Vergleichsmaterial so genau wie möglich zu kennen, ist zum ästhetisch wertenden Verständnis und zur literatursoziologischen Ermittlung des neoglossalen und glossolalischen Manierismus in der Gegenwartskunst notwendig, wie vergleichsweise für die Analyse vieler Bildwerke aus dem Surrealismus und der »phantastischen Figuration« die detaillierte Kenntnis der »Bildnerei der Geisteskranken« [Prinzhorn 1922] als erforderlich nachgewiesen wurde. Die literaturästhetische Grenzbetrachtung ist hier - außer an expressionistische Texte - verwiesen an die dadaistischen Lautgedichte, Onomatopoesien und Wortspasmen von Guillaume Apollinaire (>Calligrammes< 1914/18), Hans Arp (>Kaspar ist totDie Wolkenpumpe< 1917"), Johannes Bader, Hugo Ball (>WolkenKarawane< 1917e), die Sowjetrussen Aleksej Krucfenych (etwa 1910) 5
6
Aus H. Arp: Die Wolkenpumpe. In: Wortträume und schwarze Sterne, Auswahl aus den Gedichten der Jahre 1911-1952. Limes, Wiesbaden 1953 (S. i9f.): noch ist hier der minotauros koloss schoss der efi bilindi klirr kümmeltürkulum aber nimm die schildwachen aus und sage dragonat glisandra bum bum i bim bim dann zeigt er sein knochenbild im aquarin und an der steinschnur tropft der stern immenschwanz und der zerbrochene lauf arbeitet und kocht in saphiri so nun tu durch biss Wirkung und der kreatur ist saphiri aber wir wollen dergebild mutmassen aus gestern hörn pfrundenblei dass es bricht dass der grund oder profil sich erzeigt dann wird das arschleder des winzigen sich lüpfen und die orchestermänner auf den minareten die gewitter und turteltauben beeinflussen respektive anziehen. Vgl. R. Estivals: L'Avant-Garde Culturelle Parisienne depuis 1945. Paris 1962. Aus H. Ball: Karawane. In: Dada-Almanach, Im Auftrage des Zentralamtes der deutschen Dada-Bewegung, hrsg. von R. Huelsenbeck. Something Else Press, New York 1966 (S. 53):
und Velemir Chlebnikov (1972), Richard Huelsenbeck, Raoul Hausmann,7 Kurt Sdiwitters (>Anna BlumeDie Zwiebel·, Zahlengedichte, >Ursonate< 1925*), Wieland Herzfelde (>TrauerdiriflogDie Mystik, die Künstler und das Leben< erscheint, das Hofmannsthal »in einem Zug« gelesen hat,2* faßt schon der Titel die spezifischen Begriffe der Epoche zusammen.
Hermann Bahr Eine ähnliche dualistische Begrifflichkeit läßt sich auch für Hermann Bahr zeigen, nur muß man etwas weiter ausholen. Er hat sich mit jeder literarischen Strömung seiner Zeit identifiziert und sich in dem Augenblick, wo er ihr Programm als überholt ansah, konsequent von ihr distanziert. Bekannt, schließlich berühmt machten ihn vor allem seine Kritiken, in denen er erst für und dann gegen den Naturalismus Stellung nahm. Er brachte der Jung-Wiener Literatur zwischen 1890 und 1900 zugleich mit der Ablehnung des Naturalismus eine ganz spezifische, nämlich dialektische Denk- und Darstellungsweise mit; sie paßte so gut zum Geiste der Zeit, wie - je nach dem - die Befürwortung oder »Überwindung des Naturalismus«. Denn er hatte sie von den Berliner Naturalisten. Eine marxistische und damit auch hegelsche oder wenigstens pseudohegelsche Form der Argumentation lag ihm wegen seiner anfangs sozialistischen Anschauungen durchaus nahe. Allein die Tatsache, daß er als sozialistisch orientierter Student begann, schließlich aber von der Wiener Universität verwiesen wurde, weil er zu sehr pro reichsdeutsch und pro Bismarck war (dem er zum 70. Geburtstag die Glückwünsche der Wiener 81
Vgl. den Exkurs über Hermann Bahrs Verhältnis zu Hugo von Hofmannsthal, unten S. i2jff. [in: Gotthart Wunberg, >Der frühe Hofmannsthal. Schizophrenie als dichterische Struktur^ Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz, 1965 (im folgenden zitiert als: >Der frühe HofmannsthalDer proteische Dichter, Ein Leitmotiv in der Geschichte der Deutung und Wirkung Goethes dialektischen Schema Hegels aus der These des Idealismus und der Antithese des Naturalismus ihren Realismusbegriff entwickelten.26 Diese dialektisch gesehene Struktur des Naturalismus wird von der nächsten Generation übernommen. Unter anderem dürften das wesentlich Gerhart Hauptmann und Hermann Bahr vermittelt haben. So sehr sie sich unterscheiden: ihre Entwicklung läuft doch einigermaßen parallel. Die dichterischen Anfänge Hauptmanns im naturalistischen Stil, sein Weiterarbeiten mit, wenn man so will, neuromantischen Mitteln und schließlich sein teils realistischer, teils klassizistischer Stil: berücksichtigt man demgegenüber das spezifische Medium des Kritikers Bahr, dann haben sich Hermann Bahrs kritische Ansichten im Laufe von 15 Jahren genau parallel dazu verändert. Von den Studien >Zur Kritik der Moderne< (1890) zu der Sammlung >Die Überwindung des Naturalismus< (1891) ist es ein ähnlicher Schritt, wie von Hauptmanns > Webern« zu >Hanneles Himmelfahrt^ Gerade weil sie aus so verschiedenen Richtungen kamen, war ihre Wirkung so breit. Hermann Bahr verwendet dieselben hegelschen Kategorien wie Leo Berg und seine Freunde. 1890 24
25
Vgl. [Nagl-Zeidler-Castle, >Deutsdi-österreidiisdie Literaturgesdiidite«, Bd. 4 (1890-1918), Wien, o. J.], S. 16^7. Rupredit (vgl. Anm. 26), S. i43f.
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- in seinem Aufsatz über Henrik Ibsen - schreibt er: »Die Synthese von Naturalismus und Romantik ist die gegenwärtige Aufgabe der Litteratur«; die Literatur ihrerseits sei weiter nichts als eine »auf den Kopf gestellte Romantik«.26 Das hat er schon ein Jahr später nicht mehr gemeint. In demselben Aufsatz kennzeichnet er die Gestalt Ibsens durch den »Konflikt«, der in ihm zwischen Romantik und Moderne entstanden sei. Er spricht geradezu davon, daß das für Ibsen eine »Lebensfrage«27 gewesen sei, »was gleichzeitig das allgemeine Bedürfnis wurde«: der Ausgleich zwischen Romantik und Moderne. Das ist nicht nur bei Bahr so. Auch Gerhart Hauptmann scheint, jedenfalls um diese Zeit, in solchen Schemata zu denken. Er antwortet auf die Enquete von Curt Grottewitz über »die Zukunft der deutschen Literatur«, die 1891 gemacht und 1892 gedruckt worden ist,28 mit einem Schema, in dem er nebeneinander stellt: Himmel Ideal Metaphysik Abkehr Prophetie
Erde Leben Physik Einkehr Dichtung
zwei Lager; wird das eine fett, wird das andre mager.8'
Aus dieser Antwort mit dem angefügten Vers wird nicht nur das Desinteresse an so einer Umfrage (und wohl ebenfalls ihrer Problematik) deutlich, sondern auch die für Bahr gezeigte, ganz spezifische Denkstruktur. Auch hier ist die hegelsche Dialektik schematisch verwendet; interessant ist nur, daß These und Antithese jedoch nicht in einer Synthese aufgehoben werden; die Begriffe stehen sich unversöhnlich gegenüber. Sieht man sie genauer an, findet man die traditionellen Chiffren für Dualität. Himmel und Erde: die aus der christlichen Tradition gewonnene; Ideal und Leben: das ist die Schil28
Hermann Bahr, >Henrik Ibsens in: >Zur Kritik der Modernes Zürich, 1890, 8.69; jetzt auch in: >Literarische Manifeste des Naturalismus i88o-i892Die Zukunft der deutschen Litteratur im Urteil unserer Dichter und Denker. Eine EnqueteGrundpositionen: »Außenwelt und Innenwelt«, in: >Von Lessing bis Thomas Mann, Wandlungen der bürgerlichen Literatur in Deutschlands Pfullingen, 1959, S. 9-34. S1 Erich Ruprecht spricht in seiner vorzüglichen Einleitung (a.a.O., S. j) geradezu von einem »Naturalismus des Genies«, der schon 1882/84 von den Brüdern Hart »als äußerster Gegensatz zum >Formalismus< der zeitgenössischen Epigonenliteratur gedacht« gewesen sei. M Eigentlich nur von hier her läßt sich verstehen, daß Kritiker wie Max Nordau oder Samuel Lublinski, wo sie sich der zeitgenössischen Dichtung zuwandten, genau in die falsche Richtung dachten. Bei Nordau mögen die Dinge komplizierter liegen als bei Lublinski; aber immerhin: er wollte den Nietzscheanismus oder den Naturalismus in keiner Form akzeptieren, sondern forderte die Rückkehr zum alten realistischen Stil. Eindeutiger wird es bei Lublinski, der gegen die »Jungen Wiener« war, weil er nicht das fand, was er wollte, nämlich einen Neoklassizismus; wenn auch nicht die »Neue Klassik«, wie schon Otto Julius Bierbaum sie lakonisch mehr als notwendige Folge bezeichnet, denn als Novum prophezeit hatte (in derselben Enqu£te; Ruprecht, a.a.O., S. z6i{.). Das durchschnittliche Bewußtsein dieser Zeit, das man etwa bei Bier bäum > und Lublinski findet, dachte in den vulgär-hegelschen Kategorien der Dialektik. Dementsprechend hatte auf Idealismus und Naturalismus ein Realismus zu folgen; dementsprechend hatten Klassik und Romantik (hier als seltsame Einheit verstanden) nun, da ihre naturalistische Antithese in allen Tonarten durchgespielt war, durch eine Synthese (neue Klassik oder neue Romantik; - ganz gleich) abgelöst zu werden. Beide
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Bei Hermann Bahr verdichtet sich dieses Denken im Laufe der Jahre immer mehr zu einem Prinzip. In seiner Kritik des Schauspiels >Tabarin< (»Schauspiel in einem Act, frei nach Catulle Mendes von Theodor Herzl«),38 das am 2. Mai 1895 im Wiener Burgtheater aufgeführt wurde, beschreibt er weniger das Stück als die Person seines Autors, und mit ihm die Jünglinge seiner eigenen Generation. Es ist kaum ein Schritt von Catulle Mendes zu, etwa, Hugo von Hofmannsthal oder dessen Wiener Freunden. Was Bahr an ihm hervorhebt, ist die Dialektik zwischen Lebensform und Charakter, der eigentlichen Veranlagung und ihrer Verwirklichung, dem Innen und dem Außen. Was er schreibt, sind Paraphrasen zur Biographie von Loris, Andrian oder Schnitzler. Bahr gibt ausdrücklich eine Definition: man dürfe »freilich nicht an den Jüngling der Deutschen denken, der halb Held, halb Gymnasiast ist«,34 eher an Figuren aus Shakespeares Dramen: Mercutio, Antonio, Bassanio, sie seien »so wild als zierlich, mit dem Schwerte wie mit der Laute vertraut, brutal und elegant, Pulver im Blute, aber mit Wangen von Milch, Stieren gleich und doch wie Cherubine«.85 Er psychologisiert ein bißchen über pubertäre Aspekte daran und konstatiert schließlich: »Es ist ihr Wesen, Vehemenz und Grazie zu vereinen und, indem sie wie Wölfe sind, wie Rehe zu sein. ... so brutal als preciös, den leidenschaftlichen und blasierten Jünglingen der Renaissance gleich.«86 Diese sehr bildreiche Definition kristallisiert sich immer mehr zu einer pittoresken Wiedergabe antithetischer Symptome: »Man darf nicht vergessen, daß, wenn er der ewige Jüngling ist, er es in einer greisen Literatur ist, in einer Literatur, die zu lange gelebt und jede Kraft verloren hat. Das zwingt ihn, was er sein möchte, alles immer nur sollten, ausgehend von den in der Goethezeit errungenen Ergebnissen und dem antithetisdi erfahrenen naturalistischen Erbe, zu einer neuen Form der Literatur führen. Solche Forderungen, wie Lublinski sie stellte, sind nur denkbar auf dem Hintergrund eines solchen hegelschen Bewußtseins. Wenn er mit diesen Kategorien die zeitgenössische Literatur untersuchte, dann mußte er scheitern, weil er an Erscheinungen wie Bahr, Hofmannsthal (George bildet auch bei ihm die Ausnahme), Beer-Hofmann oder Schnitzler vorbeiredete. Das macht die Lektüre von Lublinski heute so kurios, daß die Voraussetzungen, von denen er ausging, mit den Voraussetzungen der Autoren, die er kritisierte, nichts zu tun hatten. 88 Hermann Bahr: >Wiener Theater iS^i-iS^Ss Berlin, 1899, S. 73-81. 8 M A.a.O., S. 7j. » Ebd. *· A.a.O., S. 76. 80
zu scheinen.«37 Bahr s Schlußfolgerungen, daß ein solcher decadent es liebe, »den Sinn der Dinge zu vereiteln und sie immer als das gerade zu zeigen, was sie nach ihrer Idee just am wenigsten sein können«,88 ist so platt wie moralisch; es läuft darauf hinaus, daß er diesen Jünglingen vorwirft, aus bloßem Eigensinn und »um jeden Preis«89 die Wirklichkeit umzudrehen. Er übersieht dabei, daß es sich in der Dichtung kaum um bloße Willkür handelt, und daß hier bereits Veränderungen im Gange sind (nicht bei Mend£s natürlich, sondern bei seinen bedeutenderen Kollegen), die noch heute nicht verarbeitet worden sind. Was trotz solcher Fehleinschätzungen interessant bleibt (er hat wahrlich manches gesehen und entdeckt, was dem als Gegengewicht dienen kann), ist die eben angedeutete antithetische Form seiner »Definition«. Das gibt nicht nur Aufschlüsse über Bahrs eigene Denkstrukturen, sondern auch über den Charakter seiner Objekte, Bahr beschreibt in dem jungen Franzosen Mendes tatsächlich den Jüngling seiner eigenen Wiener Umgebung. Die Sätze sind nach dem Prinzip von These und Antithese ohne Ausgleich konzipiert (von dem Bahr gesagt hatte, daß es die Gestalt Ibsens - des bewunderten Vorbildes der literarischen Jugend - am besten beschreibe):40 »Er (sc. Catulle Mendes) hat Leidenschaft, aber die Leidenschaft ist nur Spiel. Er hat Grazie, aber die Grazie ist nur Pose. Er hat Jugend, aber es ist nur die Geste der Jugend. Es drängt ihn, ein Jüngling der Renaissance zu sein, aber es gelingt ihm nur, wie ein Jüngling der Renaissance zu sein: denn diese letzten .Menschen später Kulturen werden aus sich nicht mehr, sondern leben nur den ändern nach, Schatten von Vergangenheiten.«41
Das ist der Jüngling des fin de siecle. Aber in dem hier gegebenen Bild des d cadent kommt etwas anderes zum Vorschein, was in den Literaturgeschichten unter diesem Begriff nicht zu finden ist: eine innere Ambivalenz; das Hin- und Hergerissensein zwischen Realität und Irrealität; Aktivität und Passivität, oder doch Quietismus, in den die Aktivität umzuschlagen droht. Dafür stehen alle >Helden< « A.a.O., S. 6 . « A.a.O., S. 79. M A.a.O., S. 76. « A.a.O. (vgl. Anm. 26), S. 70 (= Ruprecht, a.a.O., S. 23if.). « A.a.O., S. 40. 81
dieser Jahre: Claudio,42 Anatol,48 Erwin 44 oder Paul.45 Hier bei Hermann Bahr zeigt sich formal, was seitdem bei den Wiener Dichtern um die Jahrhundertwende wiederkehrt, auch bis in den Inhalt hinein. Karl Kraus' >Demolierte Literatur^6 ist im Grunde nichts anderes als ein einziger Angriff auf Bahr. Wenn (selbst der junge) Kraus es für nötig hielt, eine so ausgedehnte Attacke gegen ihn zu reiten, muß es wohl dringend gewesen sein; d. h. dann muß der Einfluß, den Bahr auf die jungen Wiener Literaten so monopolistisch ausübte, mehr als nur peripher gewesen sein. Dafür spricht auch der wiederholt nötiggewordene Nachdruck dieser Satire. Sie hat in den beiden Jahren zwischen 1897 und 1899 nicht weniger als fünf Auflagen erlebt.47 Dazu hatte Kraus schon vorher verschiedentlich Ähnliches publiziert.48 Daraus läßt sich - e contrario - indirekt auf Bahrs Bedeutung für die Jungen Wiener schließen. Hinzukommen als direkte Zeugnisse - was Hofmannsthal anlangt - die große Zahl der Briefe, die Loris an Bahr geschrieben hat. Ungeachtet der äußerst ambivalenten Haltung Hofmannsthals gegenüber Bahr4' ist die Begegnung mit dem »Herrn aus Linz«, wie Karl Kraus ihn bissig nennt, auch auf Hugo von Hofmannsthal nicht ohne Einfluß geblieben. Es ist deshalb leicht denkbar, daß Hofmannsthal gerade für diejenigen Gedankengänge Bahrs, die ihm selbst - wie seine Rezensionen über Bourget und Bahrs Drama >Die Mutten beweisen schon vor der persönlichen Begegnung mit ihm vertraut waren, besonders empfänglich war. Wenn Bahr, was wohl anzunehmen ist, 42
In Hofmannsthals >Der Tor und der Tod«. * In Arthur Sdinitzlers gleichnamigem Dramenzyklus. 44 In Leopold von Andrians >Der Garten der Erkenntnis*. 45 In Ridiard Beer-Hofmanns >Der Tod GeorgsDie demolirte LitteraturDer frühe Hofmannsthal·]. 4
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auch im alltäglichen Gespräch so antithetisch diskutiert hat, wie etwa in den Passagen der herangezogenen Aufsätze, dann hatte der um elf Jahre jüngere Hofmannsthal in ihm zugleich ein lebendiges Exempel dieser (wenn auch pseudo-)Dialektik. Es ist bekannt, daß für Sigmund Freud und seine Wiener Schule vor und nach der Jahrhundertwende gerade die hier vorgetragenen Gedanken vertraute Probleme darstellen. Auffallend ist dagegen, daß diese Problematik bis in die klassische Philologie und die Religionsgeschichte reicht. Das folgende kleine Detail gibt einen Eindruck davon, wie weit verbreitet diese Problematik war, und daß sich die hier vorgetragene Problematik keineswegs im luftleeren Raum bewegt. - Der Altphilologe Richard Reitzenstein hielt am ii. November 190960 einen berühmt gewordenen Vortrag über >Die Hellenistischen MysterienreligionenDas Schauerliche bei E. T. A. HoffmannDas Doppelempfinden in der RomantikPhysiologie de Pamour moderne«, fest, daß Nietzsche in der Luft liege [>Prosa IDie Bedeutung Nietzsches für die Situation der modernen Literatur^ DVjs., 27, 1953, S. 77101). Den Einfluß Nietzsches zu leugnen, wäre Unsinn. Darum geht es auch nicht: Vielmehr darum, die philosophischen Einflüsse nicht einseitig auf Nietzsche oder Schopenhauer zu beschränken. NietzscheLektüre oder -Kenntnis - und sei es über Dritte - stellen in dieser Zeit eine Selbstverständlichkeit dar. Nur unter diesem Aspekt sind die folgenden Ausführungen zu verstehen. Eine erste Modifizierung erhält die Ansicht, daß Nietzsche der große Protagonist des fin-de-siecle sei, aus der Feststellung, daß Schopenhauer, wenn auch zum großen Teil freilich durch Nietzsche vermittelt, selbst gelesen worden ist; zugleich geht der Weg auch über Richard Wagner. - Was Hofmannsthal anlangt: er hat Schopenhauer sicher selbst gelesen, denn er zitiert ihn (vgl. dazu unten Kapitel IV) [in: >Der frühe HofmannsthalTagebuchKritik der Gegenwart«, Augsburg, 1922, S. 124.) - Für die namentlich von Hermann Bahr so stark betonte Willensproblematik ist es außerordentlich aufschlußreich, daß Ernst Mach in der vierten Auflage seiner >Analyse der Empfindungen von 1903 ein eigenes Kapitel über den Willen eingefügt hat, das sich in der ersten Auflage von 1886 noch nicht findet. Mach apostrophiert auch in seinen >Antimetaphysischen Vorbemerkungen* (im selben Buch) neben Goethe und Johannes Müller Arthur Schopenhauer. Er bedauert, daß die jüngste Philosophie gerade die von diesen Männern »eingeschlagenen Bahnen allmählich« verlassen und »fast ausschließlich einen physikalischen Charakter angenommen« habe (>Analyse der Empfindungen«, 1886, S. i). Da Ernst Mach die Vernachlässigung Schopenhauers nicht nur bedauert, sondern ihn auch wiederholt zitiert, ist anzunehmen, daß er ihn genau gekannt hat, und ihn auch in seinen Vorlesungen den Studenten vermittelte. - Ähnliches gilt von Friedrich Jodl (vgl. unten S. 39). Jodl beschäftigt sich mit dem Willen nicht nur in einem umfangreichen Kapitel seines >Lehrbuch der Psychologie« (Stuttgart, 1896), unter der Überschrift »Die Willenserscheinungen der primären Stufe«, sondern er fügt in der zweiten Auflage (Stuttgart, 1908) ausdrücklich einen Abschnitt 17A über Schopenhauer ein. Hofmannsthal hat sowohl bei Mach als auch bei Jodl in Wien Vorlesungen gehört (vgl. unten S. 39). Jodl hielt im Wintersemester 1896/97 ein öffentliches (!) einstündiges Kolleg >Ober die Schopenhauersche Philosophie«. (Vorlesungsverzeichnis der Universität Wien, Wintersemester 1896/97, S. 45.) Es ist durchaus möglich, daß auch Hofmannsthal dieses Kolleg gehört hat. Denn, so geht aus den mir freundlicherweise vom Archiv des philosophischen Dekanats der Universität Wien zur Verfügung gestellten Unterlagen hervor, Jodls Vorlesung (mittwochs von 17-18 Uhr) fiel nicht mit einer anderen, von Hofmannsthal belegten zusammen. - Samuel Lublinski macht noch 1909 in seinem Buch »Der Ausgang der Moderne« Hofmannsthal indirekt den Vorwurf einer »völligen Ausschaltung des Willens« (a.a.O., S. 88f.), was auch ihn in diesen Zusammenhang einreiht; freilich nicht aus85
Daß besonders Ernst Madis Philosophie auf den Kreis der Jungen Wiener von starkem Einfluß gewesen ist, steht — wenngleich es bisher wenig oder gar nidit gesagt worden ist - außer Zweifel. Das wohl deutlichste Dokument dafür ist Hermann Bah r s Referat der Ich-Lehre Machs in seinem >Dialog vom Tragischem von i^o^.*1 Sicher beruht Machs äußere Wirkung zum großen Teil, wie Bahr richtig festgestellt hat,58 auch auf seiner klaren und eindringlichen Darlegung und der Präzision seiner Formulierungen. Aber das ist nicht der einzige Grund. Seine Gedanken fielen bei den sogenannten d cadents auch auf bereiteten Boden; einen, den er sich selbst nicht einmal gewünscht hatte. Das Diktum vom »unrettbaren Ich«, von Bahr so sehr unterstrichen, stammt von Mach selbst. Es begleitet seit 1886, als Mach es in einer Fußnote seiner >Antimetaphysischen Vorbemerkungen formulierte,89 die letzten eineinhalb Dezennien des Jahrhunderts, und findet sich noch bei Oskar Walzel im Jahre 1912." Allerdings erstaunt es, daß Bahr erst 1899/1900 auf Mach gestoßen sein soll,61 wenn man sich vergegenwärtigt, daß Hofmannsthal, wohl auch Andrian und Schnitzler, den Tatbestand schon zehn Jahre früher beschreiben, ohne das Schlagwort aber zu verwenden. Hermann Bahr berichtet in seinem >Dialog vom Tragischem unter der Überschrift >Das unrettbare Ich< von einem Erlebnis, das er als Kind hatte. Er habe seinen Vater gefragt: »Wo kommt die Sonne eigentlich hin, wenn sie untergeht? Wo ist sie denn in der Nacht?«, schließlich, denn es ist keineswegs auszumachen, ob diese Willenstradition nicht über Nietzsche geht. - Vgl. im übrigen die Darlegung der Willensproblematik bei Hofmannsthal in dem Kapitel über >Das Bergwerk zu FalunDialog vom Tragischem, Berlin, 1904; in dem Kapitel >Das unrettbare IchBeiträge zur Analyse der Empfindungen^ Jena, 1886, S. 18, Anm. 12. «o Vgl. Anm. 72. 61 Castle [a.a.O.], S. 1671, spricht, in Anlehnung an den Publikationstermin 1904 des »Dialog vom Tragischem, sogar von 1903. Wenn man mit Castle an dieser Jahreszahl festhält, dann ergibt sich allerdings aus einer Bemerkung Bahrs im Text, wie oben bemerkt, die Jahrhundertwende. Denn Bahr sagt: »Mir ist, als wäre ich die ganzen letzten drei Jahre her durch eine unbekannte Macht nur immer auf einen Gedanken gestimmt worden, dem ich nun also endlich wehrlos erliegen mußte.« (>Dialog vom TragischenLes maladies de l a per»hier werden Mensdien gezeigt, welche plötzlich ihr Ich verlieren und als neue Wesen eine andere Existenz beginnen, aus der sie manchmal, ebenso plötzlich und rätselhaft, wieder in die erste zurückgestoßen werden; ja es kommen solche vor, die ein dreifaches oder vierfaches Ich haben: Das Erste verschwindet, das Zweite sinkt ihm nach, ein Drittes, ein Viertes taucht auf, dann kehrt das Erste zurück und keines kann sich auf das andere besinnen, eines weiß vom anderen nichts, es scheinen eigentlich in der Tat drei oder vier Menschen zu sein, die sich nur des•2 >Dialog vom Tragischem, S. 97. M Theodule Ribot (1839-1916) hat das Verdienst, die psychologische Diskussion durch die Erforschung psydiopathologischer Verhaltensweisen entscheidend angeregt zu haben. Im Zusammenhang mit Hofmannsthal ist vor allem interessant, daß sich bei ihm Aufbau und Abbau des Gedächtnisses reziprok vollziehen. Was zuletzt ins Gedächtnis aufgenommen wird, wird zuerst fallengelassen. - Sein Buch >Les maladies de la personnalitl« erschien i88j. Ernst Mach äußert sich in der vierten Auflage seiner >Analyse der Empfindungen* von 1903 dazu: »Als ich diese Zeilen schrieb (1886), war mir Ribot's >Les maladies de la personnaliteAnalyse der Empfindungen^ 4i9O3, S. 3.) 87
selben Körpers bedienen, um an ihm der Reihe nach abwechselnd zu erscheinen, dann aber plötzlich wieder in leere Luft zu zerrinnen« .M
Schon bevor Hermann Bahr dieses Buch las, hatte er eine Gewißheit gewonnen, die er gleichwohl nicht formulieren konnte: daß es sich in aller Literatur immer wieder um das Ich handele. Er findet das sogar in der Phädra wieder, und er kommt schließlich zu der Überzeugung, es sei »der eigentliche Gedanke des Euripides, die Unsicherheit des Ich darzustellen«.65 Gerade so etwas zeigt deutlich die Präokkupierung durch eine Begrifflichkeit, die offensichtlich Allgemeingut der Zeit war. Daß Bahr von Ribots Buch zu Machs Philosophie kommt — und sei es nur deshalb, weil es sich ihm in der Erinnerung beim Schreiben so darstellt -, daß er die dort vorgefundene Spaltungsproblematik überhaupt mit Mach in Verbindung bringt, ist bereits symptomatisch." Mach selbst, wiederum, muß gerade diese Passage seiner w
. >Dialog vom Tragischen^ S. 93 f. >Dialog vom TragisdienThe Dissociation of a Personality^ gehört habe, und daß er es sich gleich kommen lassen wolle. ([>AufzeichnungenAndreas und die wunderbare FreundinUber Hugo von HofmannsthalLeben ein Traum< gekannt und benutzt« hat (also schon vor 1902; vgl. Herbert Steiner in [>Dramen IIIUrsprung und Krise von Hofmannsthals MystikPhysiologie de l'amour modernes 1891. Vgl. S. 24, Anm. $4. ·' >Dialog vom TragisdienBriefe 1873-1939«, ed. Ernst L. Freud, Frankfurt, 1960, S. 249^ 'i Ebd., S. 3 3 8ff. 72 Es handelt sich um die elfbändige Heine-Ausgabe, Leipzig, 191 iff.; vgl. dort Band i, 1911, S. XVI-XVII, wo es heißt: »Es ist, als wollte Heine die kommende Lehre des Positivismus vorwegnehmen und durch sein Leben und sein Denken beweisen, die Anschauung, die in das Schlagwort zusammengefaßt worden ist: >Das Ich ist unrettbarDer Garten der Erkenntnis« (1895) gehört mit Richard Beer-Hofmanns >Der Tod Georgs< (1900) und Hofmannsthals >Märchen der 672. NachtLeopold Andrian und die Blätter für die Kunst«, Hamburg, 1960. 74 Vgl. dazu Oskar Walzel: »Wachstum und Wandel«, Lebenserinnerungen von Oskar Walzel, aus dem Nachlaß herausgegeben von Carl Enders. Berlin, 1956; vor allem S. 4iff., wo Walzel unter der Überschrift >Im Hause Andrian (1888-1892)« über seine Zeit als Hofmeister bei Andrian berichtet; außerdem vgl. S. J7ff. unter der Überschrift >Hofbibliothekar und Privatdozent in Wien (1892-1897)«. 7 Vgl. [Helmut] Fiechtner, [>Hugo von Hofmannsthal. Der Dichter im Spiegel seiner Freunde«, Wien, 1949], S. 70. 76 Walzel lebte damals, als er den jungen Leopold Andrian zu erziehen hatte, in Wien bei seinen Eltern. Er hatte im Juli 1887 in Berlin promoviert und habilitierte sich 1894 an der Universität Wien. 77 Walzel hat damals als Privatdozent an der Wiener Universität folgende Vorlesungen und Übungen gehalten: Wintersemester 1894/9$: »Die deutschen episch-lyrischen Dichtungen seit 1750« (Vorlesungsverzeichnis der Universität Wien, Wintersemester 1894/95, S. 60); Sommersemester 189;: »Interpretation kritischer Schriften Lessings« und »Neuere deutsche Lyrik« (a.a.O., Sommer 1895, S. 60); - Wintersemester 1895196: »Deutsche Lyrik seit Novalis« und »Lessing als Dramaturg« (a.a.O., Winter 1895/96, S. 67); - Sommersemester 1896: »Ab91
dezenten Walzel werden diese Dinge also zur Sprache gekommen sein; denn es ist wahrscheinlich, daß Walzel, der im Wintersemester 1896/97 über das »Junge Deutschland« las, sich bereits damals in dem Sinne geäußert hat, wie er es später in seiner Einleitung zur Heine-Ausgabe schreibt. Mach und Hofmannsthal Für Hofmannsthal speziell läßt sich manche auffallende Parallele zu Mach zeigen. Mach war der Überzeugung, daß das Ich analog zum Körper78 lediglich eine »ideelle denkökonomische, keine reelle Einheit«79 darstelle. Mit anderen Worten: es ist praktischer, das Ich als Einheit anzunehmen, als es bleiben zu lassen; Realität kommt ihm deshalb aber noch nicht zu. Es setzt sich aus »Elementen«, wie er die Empfindungen nannte, zusammen; es handelt sich also nur um »vermeintliche Einheiten«, um »Notbehelfe«.80 Die Körper erzeugen nicht »Empfindungen, sondern Empfindungskomplexe (Elementarkomplexe) bilden die Körper«.81 Entscheidend ist für Mach allein die »Continuität«,82 die »langsame Änderung«84 des Ich; nur auf ihr beruht seine »scheinbare Beständigkeit«. Was er in diesem Zusammenhang ausführt, zeigt entschiedene Affinitäten zu dem, was Hofmannsthal in seinen Tagebüchern schreibt: »Die vielen Gedanken und Pläne von gestern, welche heute fortgesetzt werden, an welche die Umgebung im Wachen fortwährend erinnert (daher das Ich im Traume sehr versdiwommen, verdoppelt sein, oder riß der deutschen Literaturgeschichte im 16. Jahrhundert« (a.a.O., Sommer 1896, S. 60); - Wintersemester 1896!'97; »Das junge Deutschland, seine Vorläufer und seine Nachzügler« und »Übungen auf dem Gebiete der deutschen Romantik« (a.a.O., Winter 1896/97, 8.62); - Sommersemester /#97 hat Walzel nicht gelesen (a.a.O., Sommer 1897, S. 48); Wintersemester 1897/98: »Renaissance und Humanismus in der deutschen Literatur des XVI. Jahrhunderts« und »Lektüre und Interpretation lateinischer Dramen deutscher Dichter des XVI. Jahrhunderts« (a.a.O., Winter 1897/98, 5.48). In seinen Erinnerungen (a.a.O., vgl. Anm. 74) übergeht Walzel seine Privatdozentenzeit beinahe ganz. '8 »Das Ich ist so wenig absolut beständig als die Körper«, Analyse, S. 3, Anm. i. "Ebd., S. 18. eo Ebd., S. 9. « Ebd., S. 20. « Ebd., S. 18. w Ebd., S. 3.
ganz fehlen kann), die kleinen Gewohnheiten, die sich unbewußt und unwillkürlich längere Zeit erhalten, machen den Grundstock des Ich aus. Größere Verschiedenheiten im Ich verschiedener Menschen, als im Laufe der Jahre in einem Menschen eintreten, kann es kaum geben.«84
Auf solchem Hintergrunde nehmen sich Hofmannsthals Äußerungen zu diesen Problemen alles andere als mystisch aus: Wir haben kein Bewußtsein über den Augenblick hinaus, weil jede unserer Seelen nur einen Augenblick lebt. Das Gedächtnis gehört nur dem Körper: Er reproduziert scheinbar das Vergangene, d. h. er erzeugt ein ähnliches Neues in der Stimmung.**
Was Mach in seiner Anmerkung als Beispiel beibringt, dasselbe Erlebnis findet sich - nur mit anderen Worten - auch bei Hofmannsthal. Mach schreibt: »Wenn ich mich heute meiner frühen Jugend erinnere, so müßte ich den Knaben (einzelne wenige Punkte abgerechnet) für einen anderen halten, wenn nicht die Kette der Erinnerungen vorläge. Schon manche Schrift, die ich selbst vor 20 Jahren verfaßt, macht mir einen höchst fremden Eindruck.«8·
Dazu Hofmannsthal: Mein Ich von gestern geht mich so wenig an wie das Ich Napoleons oder Goethes.*"1
Oder: Wir sind mit unserem Ich von VOr-zehn-Jahren nicht näher, unmittelbarer eins als mit dem Leib unserer Mutter. Ewige physische Kontinuität.**
Ernst Machs Vorstellung, daß das menschliche Ich selbst eine Fiktion, und nichts anderes als das Zusammentreffen von Sinneseindrücken sei, läßt sich auch Hofmannsthals folgende Äußerung an die Seite stellen - es ist eine Tagebucheintragung vom j. Mai 1891 -: Wir erscheinen uns selbst als strahlenbrechende Prismen, den ändern als Sammellinsen (unser Selbst ist für uns Medium, durch welches wir die Farbe der Dinge zu erkennen glauben, für die anderen etwas Einför84
Ebd., S. 3, Anm. i. »A, S. 93M Mach, Analyse, S. 3, Anm. i. 87 A, S. 93; Hervorhebung von Hofmannsthal. 88 A, S. 107 (im Jahre 1894); Hervorhebungen von Hofmannsthal.
miges, Selbstfärbiges: Individualität; wir schließen aus dem Eindruck auf die Außenwelt, die ändern aus dem Eindruck, den wir empfangen, auf unsere aufnehmende Substanz)."
Noch sehr viel später, 1917, hat er in diesen oder ähnlichen Kategorien gedacht: Es gibt strenggenommen keinen Gegenstand des Nachdenkens, denn der Gegenstand wird von der inneren Verfassung jedes Mal neu statuiert und ist jedes Mal die ganze Welt.90
Auch das gibt, mit Hofmannsthals eigenen Worten, Machs Auffassung wieder, daß es keine objektive und bleibende äußere Wirklichkeit gibt, daß sie vielmehr sich nur in dem Augenblick scheinbar als objektiv konstituiert, da das Ich sie wahrnimmt. In denselben Zusammenhang gehört auch die Zufallsproblematik, die für Hofmannsthal zu Beginn der neunziger Jahre außerordentlich wichtig ist. Sie weist ihrerseits auf die unten zu besprechende Wertnivellierung, die im erkenntnispsychologischen Ansatz Machs mitgegeben ist. Am 31. Mai 1891 schreibt er in sein Tagebuch: Bei mir ist jetzt der herrschende Gedanke ( ) die Wirksamkeit des Zufalls, der Tyche (»Sünde des Lebens* Ghasele: »in der Ärmsten* und »Zufall ist, was* ...) Ich sehe aber von weitem schon den Ausweg aus dieser Epoche schimmern, das Jenseits, wo sich der Zufall als Notwendigkeit darstellt, die überindividuelle Darstellung.91
An anderer Stelle nennt Hofmannsthal den Zufall das zufällig zugefallene Menschenlos.9* Der ZufallsbegrifF gehört deshalb hierher, weil auch die Sinneseindrücke, auf die das Ich bei der Rezeption der Außenwelt angewiesen ist, den Charakter des Zufälligen haben, d. h. sich bald so, bald anders darstellen. Hierzu ist auch der berühmte Brief Hofmannsthals an George vom 10. Januar 1892 zu vergleichen:98 Ich glaube, daß ein Mensch dem anderen sehr viel sein kann: Leuchte, Schlüssel, Saat, Gift ... aber ich sehe keine Schuld und kein Verdienst und keinen Willen, der helfen kann, wo Tyche rätselhaft wirkt. Der Entwurf hat einen etwas anderen Wortlaut, was darauf hindeutet, daß es Hofmannsthal gerade bei der Formulierung des »Zufalls« darauf ankam, das » A, S. 92. « PI, S. 27. M
w A, S. 183.
»i A, S. 92.
[>Briefwedisel zwischen George und Hofmannsthal S. 14.
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Richtige zu treffen: ... Aber ich sehe keine Schuld und kein Verdienst, und was kann der Wille dort helfen, wo Tyche rätselhaft wirkt?** Daß sogar der andere sich dem Ich bald so, bald so darstellen kann, also auch das andere Ich dieser Relativität und Relativierung unterworfen ist, rückt auch die in diesem Brief an George geäußerten Gedankengänge in die Nähe der Machschen, der positivistischen und empirio-kritizistischen Philosophie. Auch der Gedanke der Wiedergeburt - und das soll das letzte Beispiel für diesen Aspekt sein - gehört in den Zusammenhang des Machschen Kontinuitätsbegriffes. Hofmannsthal schreibt 1915 in sein Tagebuch unter dem Hinweis (Für den Maltheser): Beständige Wiedergeburt aus sich selber, Bestand durch Verwandlung.96 Dieser so mißverständliche, und so häufig mißverstandene Begriff gewinnt auf dem Hintergrund dessen, was oben über Mach ausgeführt worden ist, eine sehr eindeutige Richtung. Richard Alewyn hat mit großem Recht auf das Buch von Morton Prince hingewiesen, das im Zusammenhang mit dem Andreasroman von besonderer Wichtigkeit ist. Dem ist nicht nur Hofmannsthals brieflich geäußerter Wunsch, Bahr möge ihm Ribots Buch >Les maladies de la personnalit£< schikken, an die Seite zu stellen, sondern auch die aus dem Zusammenhang mit Mach (und wohl auch Brentano und Jodl) gewonnene Einsicht, daß hier Verwandlung und Wiedergeburt (wenn nicht ausschließlich, so doch sehr wesentlich) aus einer Denkrichtung mitkonstituiert sind, die jede Wandlung als Zerfall und Neukonstituierung bestimmt.96 Aus der hier vorgetragenen Auffassung des Ich ergeben sich zwei bei Hofmannsthal und Ernst Mach gleichermaßen nachweisbare Konsequenzen: Wertverlust und Depersonalisation. Wertverlust Mit der oben dargelegten Nivellierung von Außen und Innen zu gleichwertigen Elementen (Sinnesempfindungen) hängt aufs engste diejenige des Wertbegriffes zusammen. Diese wertnivellierende Konsequenz ergibt sich deshalb, weil alles gleichberechtigt nebenA, S. 173. Vgl. Richard Alewyn, >Andreas und die >wunderbare Freundin«, in: >Ober Hugo von HofmannsthalErscheinung< verschiedenen, unerkennbaren) Dinges an sich«.08 Es gibt keine Gradunterschiede, nach denen sich die einzelnen Dinge voneinander oder gar von einem »Ding an sich« unterscheiden: »Das Ding, der Körper, die Materie ist nichts außer dem Complex der Erfahrung, Töne usw., außer den sogenannten Merkmalen.«*· Gerade die Unfähigkeit, sich festzulegen, ist aber entscheidend für Chandos. Zu sagen, Sheriff N. sei ein böser, Prediger T. ein guter Mensch usw., erfüllt Chandos mit einem unerklärlichen Zorn. Dies alles erscheint ihm so unbeweisbar, so lügenhaft, so löcherig wie nur möglich. Chandos enthält sich jeder Wertung. Er beobachtet die Vorgänge, denen er unterliegt, mit einer merkwürdigen Gelassenheit, oder, um ein Wort Hofmannsthals zu gebrauchen: mit Resignation. Es ist aber nicht nur Resignation. Philosophisch läßt sich das durchaus systematisch fassen. Ernst Mach schreibt z. B.: »Der Ausdruck >Sinnestäuschung< beweist, daß man sich noch nicht recht zum Bewußtsein gebracht oder wenigstens noch nicht nötig gefunden hat, dies Bewußtsein auch in der Terminologie zu bekunden, daß die Sinne weder falsch noch richtig zeigen. Das einzig Richtige, was man von den Sinnesorganen sagen kann, ist, daß sie unter verschiedenen Umständen verschiedene Empfindungen und Wahrnehmungen auslösen.«100 Der Verlust des Wertmaßstabes ist also nicht in erster Linie ein - wie sich das für Friedrich Jodl101 noch darstellt ethisches, sondern ein erkenntnispsychologisches Problem. Die erkenntnistheoretische Komponente des Chandos-Erlebnisses wird dadurch entscheidend hervorgehoben.102 Hier wäre also der Brochsche Begriff vom »Wert-Vakuum der deutschen Kunst«103 zu modifizieren: es handelt sich nicht so sehr um ein Vakuum, als vielmehr um nivellierte Werte. Das gilt um so mehr, als Broch in diesem Zusammenhang (im darauf folgenden Ka97
Mach, Analyse, S. 21, Anm. 14. •8 Ebd., S. 5. «» Ebd. 100 Ebd., S. 8, Anm. 2. 101 Friedrich Jodl, >Geschichte der Ethik in der neueren Philosophie^ Stuttgart, 1882-1889. 102 Vgl. unten S. io6ff. das Kapitel über den Chandosbrief [in: >Der frühe HofmannsthalDie fröhlidie Apokalypse Wiens um 188 HundHundProsa II«, hg. von Herbert Steiner, Frankfurt a. M., 1951 =] PII; S. 13.
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Die Verwendung von Begriffen ist also Gewohnheitssache. Dasselbe Problem stellt sich Chandos in seinem Brief an Bacon, wenn er die Klischees, die ihm so unbeweisbar, so lügenhaft, so löcherig wie nur möglichloe erscheinen, verabscheut und nicht mehr verwenden kann. Hierher gehört auch die Bemerkung Machs, die bei ihm gleich am Anfang seiner Untersuchung steht: »Was auf einmal vorgestellt wird, erhält eine Bezeichnung, einen Namen.«110 Wenn man diesen Satz bei den darauf folgenden Darlegungen Machs im Auge behält, ergibt sich schließlich die Konsequenz: Da nichts auf einmal vorgestellt werden kann, weil es sich aus soundso viel einzelnen Elementen zusammensetzt, gibt es auch keine Bezeichnungsmöglichkeiten. Die Dinge können nicht mehr benannt werden, weil sie sich nur vielfältig und unzusammenfaßbar darstellen. - Warum etwa Chandos nicht in der Lage ist, die Dinge eindeutig mit Namen zu nennen, ist auf diesem Hintergrunde ganz deutlich.
Depersonalisation Ernst Mach sagt: »Es gibt keine Kluft zwischen Psychischem und Physischem, kein Drinnen und Draußen, keine Empfindung, der ein äußeres von ihr verschiedenes Ding entspräche. Es gibt nur einerlei Elemente .. .«U1 Das heißt also, daß Psychisches und Physisches ununterscheidbar sind, daß sie aus demselben Stoff, d. h. in Machscher Terminologie, aus denselben »Elementen« bestehen. Der von der Forschung für Hofmannsthal immer wieder herangezogene Begriff der Mystik sollte gerade das Phänomen erklären, daß Außenwelt und Innenwelt, daß Mensch und Welt überhaupt, Mikrokosmos und Makrokosmos, dasselbe sind. Ein solcher Rückgang auf die Mystik ist jedoch nicht notwendig. Zieht man die zeitgenössische Philosophie heran, dann ergibt sich aus Hofmannsthals Werken zwar genau dieselbe Struktur; aber doch auf einem anderen Hintergrund. Anders ist es auch kaum zu erklären, daß für ihn die Ich-Spaltung, wie sich in den einzelnen Kapiteln dieser Arbeit zeigen wird, ein so dominantes Phänomen darstellt. Wenn die Elemente des Ich mit denen der Umwelt, der Außenwelt identisch sind, wenn beide aus den gleiPII, S. i3f. - vgl. audi unten das Kapitel über den Chandosbrief. Mach, Analyse, S. 3. Ebd., S. 141. 9»
dien Elementen bestehen, dann muß sich naturgemäß jede Betrachtung der Umwelt zugleich als eine Betrachtung des Ich herausstellen; denn das Ich sieht in der Außenwelt nichts anderes als die Elemente, aus denen es selbst auch besteht. Sie sind lediglich »je nach der temporären Betrachtung«, wie Mach sagt, »drinnen oder draußen«.112 Von hierher lassen sich etwa Gedichte Hofmannsthals wie >Erlebnis< oder >Leben, Traum und Tod< (und genauso die übrigen Arbeiten, in denen die Verdoppelung des Ich besonders hervorgehoben ist) einleuchtend interpretieren. Was das Ich (das lyrische Ich) dabei jeweils am Ufer sieht, ist deshalb sein eigenes Ich, weil ja auch am Ufer keine anderen »Elemente« (Mach) zu finden sind, als im Ich selbst. Wenn man dennoch in diesen Zusammenhängen auch von Mystik sprechen kann, so nur unter der einen Voraussetzung, daß hier ähnliche Begriffe verwendet werden. Das Bewußtsein, das sie hervorbringt, ist jedoch vollständig anders strukturiert. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß Mach einen Begriff der Depersonalisation nicht nur theoretisch ermöglicht. Er gibt in den Anmerkungen seiner >Analyse der Empfindungen konkrete Beispiele aus eigenen Erfahrungen: »Als junger Mensch erblickte idi einmal auf der Straße ein mir höchst unangenehmes widerwärtiges Gesidit im Profil. Ich erschrak nicht wenig, als ich erkannte, daß es mein eigenes sei, welches idi an einer Spiegelniederlage vorbeigehend durch zwei gegeneinander geneigte Spiegel wahrgenommen hatte.«118
Oder, an derselben Stelle: »Vor nicht langer Zeit stieg ich nach einer anstrengenden nächtlichen Eisenbahnfahrt sehr ermüdet in einen Omnibus, eben als von der anderen Seite auch ein Mann hereinkam. >Was steigt doch da für ein herabgekommener Schulmeister einVor Tag< ([»Gedichte und Lyrische Dramens hg. von Herbert Steiner, Frankfurt a. M., 1963 =] GLD; S. ^f.); aber auch A, S. 22/f. über den Terminus Spiegel im >Tor und TodFrau im Fensters und >Kaiser und die HexeReitergeschichte< erlebt.116 Man mag sich fragen, ob Begriffe wie »Ich«, »Seele«, »Bewußtsein«, »Geist«, »Empfindungen« in der vorliegenden Untersuchung nicht zu undifferenziert verwendet werden. Ein Blick auf die terminologische Tradition, in der Mach und seine Zeitgenossen, und also auch Hofmannsthal, stehen, belehrt einen aber interessanterweise dahingehend, daß diese ununterschiedliche Verwendung dort allgemein geübt wird. Mach schreibt im Vorwort zur ersten Auflage seiner >Analyse der Empfindungen^ daß er die stärksten Anregungen 25 Jahre zuvor, also um 1860, durch Fechners >Elemente der Psychophysik< (Leipzig, 1860) erhalten habe. Das ist nicht nur thematisch zu verstehen. Auch die Terminologie hat er weitgehend übernommen. Fechner selbst definiert seine Psychophysik als Wissenschaft »von den funktionalen oder Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Körper und Seele, allgemeiner zwischen körperlicher und geistiger, zwischen physischer und psychischer Welt«; und schon aus dieser Definition ist sofort deutlich, daß hier zwischen »seelisch« und »geistig« kein Unterschied gemacht wird. Diese Tatsache im Auge zu behalten, ist nicht nur zum Verständnis der Philosophie Ernst Machs von Wichtigkeit. Auch für die Generation der um 1875 Geborenen stellen Seele und Geist eine vertraute Analogie dar. (So ist es z. B. keineswegs ganz eindeutig, was eigentlich mit dem Wort »Seele« gemeint ist, wenn der Tod sich in Hofmannsthals Drama >Der Tor und der Tod< als großer Gott der Seele11 vorstellt.) Das hat Konsequenzen, die, wenn man sie richtig verfolgt, eindeutig aus der Mystik herausführen. Machs Begriff der »Empfindung« wird von ihm einerseits mit dem Psychischen identifiziert (er erweitert den Titel seines Buches in der 4. Auflage 1903 um den Zusatz »und das Verhältnis vom Physischen zum Psychischen«!), andererseits meint er, »der scheinbare Gegensatz der wirklichen und der empfundenen us Vgl. unten das Kapitel über die >ReitergesdiiditeAnalyse der Empfindungen< mit großem Nachdruck gerade auf Avenarius hingewiesen.124 Man wird annehmen können, daß er das auch in seinem Kolleg getan hat. Hofmannsthal belegte es im Sommersemester 1897.125 Avenarius wollte - was nach Ernst Mach »nur eine besondere Form der Elimination des Metaphysischen«12' darstellte, seiner eigenen Auffassung also sehr nahekommt - die fälschenden Introjektionen ausschalten. Dazu gehörte vor allem die, wie er meinte, höchst willkürliche Spaltung der Welt in Subjekt und Objekt. Nach Ernst Mach ist das Ich - wie wir sahen - nicht anders strukturiert als das »Nicht-Ich« (um den Fichteschen Terminus zu verwenden),127 121
Wie aus dem mir freundlicherweise vom Dekanat der Philosophischen Fakultät der Universität Wien angefertigten Auszug aus den Hofmannsthal-Nationalien hervorgeht. i« Ebd. 129 >Lehrbudi der Psychologie^ Stuttgart, 1896, Abschnitt 51, 8.493. 184 So z.B.: Analyse, 4i9O3, S. 22, 24, 38-46, 203, 277, 283. m Vgl. Anm. 117 und 119. 12 ' Analyse, 4i9O3, S. 22, Anm. i. 187 Ein Begriff, den Friedrich Jodl in seinem >Lehrbudi der Psychologie^ S. 544$. expressis verbis wieder aufnimmt. Das weist darauf hin, wie sehr selbst noch der Empirie-Kritizismus bis in die Nomenklatur hinein vom Idealismus herkommt.
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als die übrige Welt. Das hat, mit Richard Avenarius kombiniert, zur Folge, daß das Ich, bei der Aufhebung der Subjekt-ObjektSpaltung dieser Provenienz, seihst einer Spaltung unterliegt. Mach hatte August Weismanns128 biologische Forschungen herangezogen, um im Zusammenhang mit seiner Untersuchung des Ich auf die »Theilung des Individuums in zwei gleiche Hälften« verweisen zu können. Konnte in der Biologie unbedenklich von der Spaltung als einer Bedingung des Lebens gesprochen werden, dann war es analog dazu für die Philosophie - entsprechend den veränderten Voraussetzungen - geradezu ein Bedürfnis, den SpaltungsbegrifF zu übernehmen.129 Erst auf diesem Hintergrund läßt sich auch die Spaltungs- und Depersonalisationsproblematik bei Hofmannsthal genauer begreifen. Daß er so spontan auf die Erwähnung von Büchern wie Morton Princes >The Dissociation of a Personality^ Ribots >Les maladies de la personnalit£< und andere reagiert; daß ihn alle Jahre (auch nach dem Chandosbrief) das Problem der Spaltung nicht mehr losgelassen hat, sondern ihn bis zum >AndreasFrau ohne Schattens auch dem >Bourgeois gentilhomme< und bis zu seiner letzten Oper >Arabella< (bzw. >LucidorZur Frage der Unsterblichkeit der Einzelligen« (Biologisches Zentralblatt, 4. Band, Nr. 21, 22). 129 Bezeichnenderweise zieht Mach in diesem Zusammenhang auch Lichtenberg heran, der sagt: »das Ich anzunehmen, zu postulieren, ist praktisches Bedürfnis« (Analyse, 4i903, S. 23). Er hält ihn geradezu für einen von denen, die die Auffassung, das Ich »in eine vorübergehende Verbindung von Elementen aufzulösen ... vorbereitet« haben (ebd., S. 2781.). - Paul Requadt hat in seinem Lichtenberg-Buch bestimmte Denkstrukturen von Lichtenberg bis zu Nietzsche verfolgt. Dies kann als ein weiterer Aspekt gelten. Paul Requadt, >Lichtenberg< (= Sprache und Literatur, Band 13), Stuttgart, 21964.
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GERHARD IRLE
Rausch und Wahnsinn bei Gottfried Benn und Georg Heym. Zum psychiatrischen Roman Im Werk des Spezialarztes für Haut- und Geschlechtskrankheiten Gottfried Benn stellen die >Rönne-Geschichten< einen markanten Punkt dar. Sie sind in den Jahren von 1914 bis 1916 entstanden und wurden 1934 noch einmal von dem alternden Dichter im >Lebensweg eines Intellektualisten< aufgenommen und kommentiert. Ihr Thema: »Wie entsteht, was bedeutet eigentlich das Ich?« bleibt die Frage, um die Benn bis zu seinem Tod kreist. In den >Rönne-Geschichten< stößt dieses Ich vernehmlich an seine Grenzen. Ein Ausweg aus dem auferlegten und nicht zu bewältigenden Prozeß der Cerebration bietet sich an: Der Weg in den Wahnsinn. Rausch und Wahnsinn verheißen die Möglichkeit, sich dem zunehmenden Zwiespalt zwischen Ich und Natur zu entziehen, in eine mythische Existenz zu regredieren. Der Psychiater mag eigentlich überrascht sein, daß Benn nicht sein Fach schließlich auch in der Praxis vertrat. Es wäre interessant, der Frage nachzugehen, warum gerade Venerologie und Dermatologie der andere Pol des Doppellebens wurden, das Benn führte. Doch tut das hier nichts zur Sache. Es gilt vielmehr, zu untersuchen, ob in den Novellen um den jungen Arzt Rönne (Gehirne, Die Reise, Die Eroberung, Der Geburtstag, Die Insel und schließlich, von 1923 erst, Alexanderzüge mittels Wallungen) für die Psychiatrie Bemerkenswertes zu entdecken ist. Am stärksten wird das in >Gehirne< evident. Rönne, der zwei Jahre lang in einem pathologischen Institut angestellt gewesen war, dem etwa 2000 Leichen »ohne Besinnen« durch die Hände gegangen waren, fährt in ein Sanatorium, dessen Leiter er vertreten soll. Er fühlt sich »in einer merkwürdigen und ungeklärten Weise erschöpft«. Die toten aufgeschnittenen Körper hinter ihm und nun die lebenden Patienten mit ihrem Anspruch machen ihn hilflos. »Wo bin ich hingekommen? Wo bin ich? Ein kleines Flattern, ein Verwehen. Er sann nach, wann es begonnen hätte, aber er wußte es nicht mehr ... Es schwächt mich etwas von oben. Ich habe keinen Halt mehr hinter den Augen. Der Raum wogt so endlos; einst floß er doch auf eine Stelle. Zerfallen ist die Rinde, die mich trug.« Benn kommentiert in seiner Selbstdarstellung: »Die naive Vitalität, die auch den psy104
diischen Prozeß bis zu einer in unserem Jahrhundert ziemlich genau angebbaren Stunde und bis zu einem an Thematik ziemlich genau zu beschreibenden Umfang umschloß, trug, durchblutete, durchpulste, reicht für die weiteren Grade der psychischen Sublimierung in Europa nicht mehr aus. In Rönne hat die Auflösung der naturhaften Vitalität Formen angenommen, die nach Verfall aussehen.« Eine Schwester sieht zu, wie Rönne seine Hände hin- und herdreht, sie ansieht, sie beriecht. Er nimmt aus dem Schädel eines in der Anstalt geschlachteten Tieres das Gehirn, legt es in seine Hände und biegt beide Teile auseinander. Im Garten spürt er den Drang der Erde, aber »bis vor seine Sohlen, und das Schwellen der Gewalten: nicht mehr durch sein Blut«. Das Ich und die Welt kommen nicht mehr überein. »Um zwölf chemische Einheiten handele es sich«, sagt er, »die zusammengetreten wären nicht auf sein Geheiß, und die sich trennen würden, ohne ihn zu fragen. Wohin solle man sich dann sagen? Es wehe nur über sie hin. Er sei keinem Ding mehr gegenüber; er habe keine Macht mehr über den Raum, äußerte er einmal; lag fast ununterbrochen und rührte sich kaum.« Seine Vereinsamung, Vereinzelung ist das Ergebnis dieser Ohnmacht. »Er schloß sein Zimmer hinter sich ab, damit niemand auf ihn einstürmen könne; er wollte öffnen und gefaßt gegenüberstehen.« Das Tun wird unmöglich. Handeln muß das Personal. Einem Katatonen gleich liegt Rönne in einer Stellung »steif auf dem Rücken. Er lag auf dem Rücken, in einem langen Stuhl, der Stuhl stand in einem geraden Zimmer, das Zimmer stand im Haus und das Haus auf einem Hügel. Außer ein paar Vögeln war er das höchste Tier. So trug ihn die Erde leise durch den Äther und ohne Erschütterung an allen Sternen vorbei.« In >Gehirne< drängt die Unerträglichkeit des Zustandes der Isoliertheit nach dem Ausweg, in den Irrsinn. Rönne leidet an der Bewußtheit. In dieser Bewußtheit kann er sich weder in der Gemeinschaft der Menschen noch in der Natur bergen. Allenthalben sieht er nur noch Gehirne, und auch das eigene wird zum Gegenstand, zum Objekt: »Nun halte ich immer mein eigenes in meinen Händen und muß immer darnach forschen, was mit mir möglich sei.« So versucht er es dem zurückgerufenen Chefarzt zu sagen: »Sehen Sie, in diesen meinen Händen hielt ich sie, hundert oder auch tausend Stück; manche waren weich, manche waren hart, alle sehr zerfließlich; Männer, Weiber, mürbe und voll Blut.« Der Ausweg, den Rönne findet oder in den er getrieben wird, ist 105
Wahnsinn. Dieser Wahnsinn entfernt ihn nicht nur noch weiter aus der Gemeinschaft der anderen, er enthält eine Beseeligung, eine Lokkung zur endgültigen Ferne, zum Schweben, zum Fliegen. Der neue Zustand wird assoziativ mit dem Vogelflug verknüpft. »Außer ein paar Vögeln war er das höchste Tier.« Dem Chefarzt sagt Rönne zur Erklärung: »Ich wollte immer auffliegen wie ein Vogel aus der Schlucht; nun lebe ich außen im Kristall. Aber nun geben Sie mir bitte den Weg frei, ich schwinge wieder - ich war so müde - auf Flügeln geht dieser Gang - mit meinem blauen Anemonenschwert im Mittagssturz des Lichts - in Trümmern des Südens - in zerfallendem Gewölk - Zerstäubungen der Stirne - Entschweifungen der Schläfe.« Im Wahnsinn steckt Erlösung, verheißt Benn, in diesem leise Getragenwerden ohne Erschütterung an allen Sternen vorbei. Rönne hat von diesem Glück gekostet. Das Leben im Kristall, in der Erstarrung der Bewußtheit, die alte Existenz, die bei der Rückkehr des Chefarztes noch einmal aufsteht, muß hinten bleiben. »Ich wollte immer auffliegen ... nun geben Sie mir bitte den Weg frei, ich schwinge wieder -...« Benn steht nicht allein damit, den Wahnsinn im Bild eines Vogels zu beschreiben. Bei Georg Heym findet sich ein ähnliches Bild. In der Erzählung >Der Irre< wird ein Geisteskranker beschrieben, der, aus der Anstalt entlassen, unterwegs zwei Kinder umbringt und schließlich, in die Enge getrieben, in der Stadt auf die Plattform des Kirchturms klettert, um von dort aus wie ein Vogel dem quälenden Wirrwarr zu entkommen. Er ist ein »großer weißer Vogel über einem großen einsamen Meer, gewiegt von einer ewigen Helle hoch im Blauen. Sein Haupt stieß an die weißen Wolken, er war Nachbar der Sonne, die über seinem Haupt den Himmel füllte, eine große goldene Schale, die gewaltig zu dröhnen begann.« Audi der Heymsehe Irre sucht diesen Zustand, drängt auf ihn hin. Sein Amoklauf nach der Entlassung aus der Anstalt wirkt wie eine zielstrebige Bewegung hin auf das Aufschweben. Er gerät auf seiner mit Grausamkeiten angefüllten Flucht in ein Haus mit einem Aufzug, darin er »wie ein Vogel in die Höhe hinauf« schwebte. Oben auf der Galerie endlich, »krank von den Exaltationen des Tages«, beginnt dann der Flug in die ewige Ruhe, in den unendlichen Frieden. »Teufel, war es doch schön, ein Vogel zu sein. Warum war er nicht schon lange ein Vogel geworden?« Zum Schluß, von einer Kugel getroffen, »war es ihm, als sänke er nun in die Tiefe, immer tiefer, leise wie eine Flaumfeder«. 106
So klingt schließlich auch Georg Trakls Vers (>In den Nachmittag geflüstert< aus >Traum des Bösem): »Stirne Gottes Farben träumt, / Spürt des Wahnsinns sanfte Flügel. / Schatten drehen sich am Hügel / Von Verwesung schwarz umsäumt.« Der Wahnsinn als das erlösende befreiende Ziel. Leichtigkeit, Schweben, Schönheit und Frieden, alles zusammen im Bild des Vogelflugs, so stellt sich hier das dar, was nicht nur in der Psychiatrie, sondern gemeinhin für eine Qual, eine Verzweiflung, ein vernichtendes Geschehen gehalten wird. Es nimmt nicht wunder, daß der Psychiater sich zwar anrühren läßt von der lyrischen Kraft und Schönheit des Bildes, am Ende aber doch fragt, ob hier nicht der Irrsinn aus expressionistischer Sicht romantisierend verzeichnet wurde. Findet man in der Realität Entsprechendes? Sehen wir unter unseren Patienten solche, die auf ihre Krankheit zulaufen, wie man auf einen rettenden Ausgang hinläuft? Sehen wir solche, die im Zustand der akuten psychotischen Qual gern verharren möchten? Der häßliche widerliche Käfer, in den Gregor Samsa bei Kafka verwandelt wurde, will uns als ein zutreffenderes Bild des veränderten Status vorkommen, in den der Wahnsinn versetzt. Viel charakteristischer ist Lenzens ruheloses Rasen, wie es Büchner aufgezeichnet hat. Doch müssen wir bedenken, daß wir es uns vorgenommen haben, die Dichter zu befragen. Verschließen wir uns ihren Antworten, kann es uns leicht gehen, wie manchen unserer Vorgänger, wenn sie das, was ihnen aus der schönen Literatur entgegentrat, zu eilfertig wegschoben. Wenn wir uns bei unserem Fragen nicht aus dem Gehäuse unserer Lehrmeinung herauswagen, bleibt das Unternehmen fruchtlos, finden wir allenfalls Bestätigung für das, was wir schon wußten. Gibt es nicht doch das Phänomen, das uns bei einigen unserer Kranken überrascht: Sie beklagen sich bei uns, weil unter der Behandlung mit einem Psychopharmakon die beglückende Musik, die sie in ihren Halluzinationen hörten, erstarb, weil die Stimme eines Geliebten, die ihnen tröstliche Begleitung über den Tag brachte, verstummte? Gibt es nicht den Vorgang der Ichmythisierung, wie ihn Winkler beschrieben hat, und enthält er nicht das Moment eines dynamischen Strebens nach einem andersartigen, überhöhten Ich? Wenn auch solches Streben nicht im Bewußtsein sich ausdrückt, in der Psychose, im neuen Zustand, sind starke bewußtseinsnahe Kräfte deutlich, die danach tendieren, das Erreichte andauern zu lassen. Was ist das Gefühl erhabener Größe, Macht und Überlegenheit 107
anderes als ein Flug aus der Niederung quälender Konflikte? Es erweist sich, daß das Bild des Irrsinns als eines Auswegs, als einer Befreiung vom Verhaftetsein in einem unerträglichen Dasein, doch in Wirklichkeit zutreffen kann. Es gibt auch solche Psychosen, die in einen Zustand münden, der subjektiv eine Lösung bedeutet. Wenden wir uns noch einmal dem Modell der Psychose zu, das Heym aufgezeichnet hat, so ergibt sich das Phänomen einer stufenartigen Entwicklung. Der Irre bei Heym war beim Einsetzen der Erzählung längst über die Grenze hinweg. Er befand sich bereits im Zustand des Wahnsinns. Eine gewisse äußerliche Konsolidation hatte nur die Instanzen getäuscht, tatsächlich war nach den drei Jahren des Anstaltsaufenthaltes die Psychose unverändert mächtig. Auch aus einer Psychose heraus kann also die beschriebene Tendenz wachsen, in einen Zustand zu gelangen, der eine wirkliche Lösung, das Schweben, bedeutet. Die Erforschung psychodynamisdier Faktoren, die in der Psychose wirksam sind, kann von diesem Modell Heyms her neue Akzente gewinnen. Bei Benn, in den folgenden >Rönne-Novellenrauscht< es? »Wenn du zerbrochen bist.« Ohne ein Zerbrechen geht es offenbar nicht ab. Aber nicht überall ist damit Wahnsinn verbunden. »Manchmal die beiden Fluten schlagen hoch zu einem Traum.« Dieser von Benn oben etwas verändert zitierte Satz ist das Motiv von >Der Geburtstag< (1916). In diesem Stück wird die Zerstörung nicht mehr so vollständig. »Da trieb einer, glühend aus seinen Feldern, unter Krone und Gefieder, unabsehbar: er, Rönne.« So endet diese Geschichte, und es scheint eher, als ob Rönne dem Zwiespalt gewachsen gewesen sei, wenn er davongeht: »An der Tür nahm er den Blick noch einmal zurück an das Dunkel der Taverne, an die Tische und Stühle, an denen er so gelitten hatte und immer 108
wieder leiden würde.« In der Geschichte >Die Reises deren kennzeichnender Anfangssatz: »Rönne wollte nach Antwerpen fahren, aber wie ohne Zerrüttung?« recht bekannt wurde, ist ebenfalls die Grenze zum Wahn nicht mehr überschritten. Das Aufgehen im Rausch des Stromes einer Gemeinschaft, im trivialen Kinobesuch, mit dem beruhigenden Halbdunkel, im Angenommensein bei den Herren der Kasinorunde, löst die Gefahren einer Reise auf, die zunächst und an sich »Auflösung, Gefahr, Unglaube« bedeutet und »nur zur Bestätigung tiefster Zerrüttung« zu führen schien. Immerhin, die Qualen des isolierten Rönne, »der keine Wirklichkeit ertragen konnte, aber auch keine mehr erfassen, der nur das rhythmische SichöfTnen und Sichverschließen des Ichs und der Persönlichkeit kannte, das fortwährende Gebrochene des inneren Seins«, entsprechen einer extrem schizoiden Struktur, die psychiatrisch gesehen sicherlich als krankheitswertig eingestuft werden muß. »Erschlagen fühlte er sich, Schweißausbrüche . . . ein Wolkenbruch von Hemmungen und Schwäche brach auf ihn nieder.« Der Gedanke daran, daß er mit dieser Reise weit weg aus dem gewohnten Bereich für die Herren aus dem Kasino ein Gegenstand des Betrachtens wert sein würde und wie er diese Beachtung ertragen können werde, läßt den unsicheren Arzt verzweifeln. »Wer wäre er gewesen? Still nahm er Platz. Groß wuchteten die Herren.« Es bedarf einer erheblichen Kraftanstrengung, sich ins Kasinogespräch einzugliedern. »Jetzt oder nie, Aufstieg oder Vernichtung, fühlte Rönne, und >wirklich nie einen ernstlichen Schaden bemerkt ?< tastete er sich beherrschten Lautes in das Gewoge, Erstaunen malend und den Zweifel des Fachmannes: Vor dem Nichts stand er, ob Antwort käme?« -,.. »Dünn sah er durch die Lider, vom Fleisch auf, die Reihe entlang, langsam erglänzend. Hoffnung war es noch nicht, aber ein Wehen ohne Not.« Und als dann einige kauend nicken: »Jubel in ihm, Triumphgesänge. Nun hallte Antwort mit Aufrechterhaltung gegenüber Zweiflern, und das galt ihm. Einreihung geschah, Bewertung trat ein ... zu Ansammlungen trat er, unter ein Gewölbe von großem Glück; selbst Verabredung für den Nachmittag zuckte einen Augenblick lang ohne Erbeben durch sein Herz.« Aber auch mit diesem Angenommensein im Rücken ist nicht alles gelöst. Auf der Straße, später: »Aufzunehmen gilt es, rief er sich zu, einzuordnen oder prüfend zu übergehen. Aus dem Einstrom der Dinge, dem Rauschen der Klänge, dem Fluten des Lichts die stille Ebene herzustellen, die er bedeutete.« Ebenso unbehaust wie bei den Menschen findet er auch bei den Din109
gen keine Verbundenheit. »Wann würde er der erzene Mann, um den tags die Dinge brandeten und des Nachts der Schlaf, der gelassen vor einem Bahnhof stände, wieviel Erde es auch gäbe, der Verwurzelte, der Unerschütterliche?« Erst die Flucht in das Kino: »Einrauschte er in die Dämmerung eines Kinos, in das Unbewußte des Parterres ... Schulter neigte sich an Schulter, eine Hingebung; Geflüster, ein Zusammenschluß, Betastungen, das Glück ... Er war eingetreten in den Film, in die scheidende Geste, in die mythische Wucht«, erst das Eintauchen in diese Flut der Gemeinsamkeit des Geschehens gibt eine Erleichterung. Auch in den beiden noch nicht näher angeführten Stücken: >Die Eroberung< und >Die Insel< wird der Psychiater den Arzt Rönne nicht so sehr als psychotisch Erlebenden als vielmehr für einen an der Grenze stehenden Sonderling ansehen. Benn sagt selbst: »Wir erblicken also hier einen Mann, der eine kontinuierliche Psychologie nicht mehr in sich trägt ... er findet aus konstitutionellen Gründen nicht mehr zurück.« Nun wird man fragen, was eine kontinuierliche Psychologie sei, doch wird es deutlich, was Benn damit meint: in kontinuierlicher Psychologie lebt ein Gehirn, das im Einklang mit den Gegebenheiten bleibt, das sich selbst nicht zur Frage wird, dem die Tendenz, an die Grenze zu stoßen, fremd bleibt. Rönne stößt immer wieder an die Grenzen, aber nur in >Gehirne< überschreitet er sie. Auch in >Die Eroberung< und >Die Insel< rettet, wenngleich mit Vorbehalten und Resten von Verwundung (»Der Rest war, daß er sich genommen war, es rauschte, und er blutete« heißt es in >Die InselDie Eroberung< zeichnet sich für den aus dem Rausch aufgetauchten Rönne ein Stück Veränderung ab. »Am Abend, als ich ausging, schien ich mir noch des Schmerzes wert.« Nun jedoch folgt no
er dem Beispiel der Gärtner, wird tätig, gießt Wasser auf das Vertrocknende, ist imstande, mit den anderen zu leben. Nach unserer psychiatrischen Erfahrung hat der Rausch, zumindest, weil er nach neuem Rausch verlangt, eine zerstörende Wirkung. Uns ist der Aspekt fremd, Rauschhaftes könne sich heilsam auswirken. Wir sehen zu sehr die Intoxikation, die organische Schädigung und natürlich die Süchtigkeit. Bei Benn zeichnet sich stattdessen eine Möglichkeit ab, wie unerträgliche Spannung auf eine Weise abgebaut wird, aus der ein Lebenkönnen resultiert. Ich habe die 1923 folgenden >Alexanderzüge mittels Wallungen< ausgespart, in denen Rönne, wie er einige Jahre später lebte, geschildert wird. »In seiner Jugend hatte er wohl mancherlei Eindrücke aus sich gewonnen, auch verbunden mit Eröffnungsstimmungen, Aufschwüngen, Verflüchtigungen, jetzt stellte sich das seltener ein.« Dieses Müdewerden einer jugendlichen gärenden Seele ist ein so bekanntes Phänomen, daß niemand geneigt sein wird, von Defekt zu sprechen. Trotzdem erscheint ein Vergleich dieser späteren Entwicklungsstufe mit Anklängen an einen »energetischen Potentialverlust« gerechtfertigt, zumal in >Gehirne< die extreme Spannung Rönne bis in die Psychose geführt hatte. Aber hier ist kein psychotischer Defekt, daran ist kein Zweifel, wenn man die Haltung Rönnes in den >Alexanderzügen< ansieht. Es findet sich vielmehr die Haltung einer bitteren Resignation. »Alles hatte den Wurm im Bauch, war eine seiner Äußerungen; ... Früher hatte man auch wohl gelegentlich gewissermaßen gedacht, aber man stieß dabei immer so schnell auf ein gewisses Etwas.« Und »diese Penetranz zur Amalgamisierung, diese Tendenz zum Resultat, die so fatal einen Drang nach Sicherung bedeutete, die war es, die er nicht mehr teilen konnte.« Diese Resignation ist nicht komplett. Wallungen scheinen zwar nicht mehr da zu sein, doch sind sie in Wirklichkeit nur verdeckt. In der Schilderung Rönnes: »Linkes Augenlid hängt leicht herunter, meistens mißvergnügt ...« ist Benns eignes Porträt gezeichnet. Niemand wird jedoch sagen können, daß Benn in den zwanziger Jahren und später den Stachel des Ungenügens in der diskontinuierlichen Psychologie nicht mehr empfunden hätte. So hören wir auch Rönne: »... aber einmal muß es sich entscheiden, rief Rönne, umfassende Ideen, Perspektiven von Dimensionen treten mir nahe, auf, wir wollen die Welt erobern, Alexanderzüge mittels Wallungen ...« Die Resignation als Schonhaltung, die Bitterkeit als Abwehr gegen das immer weiter Anbrandende? Der Defekt nach der stürmischen Psychose III
ein mühsam gewahrter Balanceakt? Diese aktive Funktion eines Zustandes, der nach außen hin wie Ausgebranntsein und Ausgeleertsein, gar wie hirnorganisch begründete Erstarrung wirken will, soll hier noch einmal angerührt sein. Bei Kafkas in einen Käfer verwandelten Gregor Samsa tritt er deutlicher in Erscheinung. Ich habe Rönne, den Arzt, dem es an kontinuierlicher Psychologie fehlt, vorgestellt, als eine Persönlichkeitsstruktur, die unablässig in einem bestimmten Stadium der »Cerebration« sich darum bemüht, eine verlorene Übereinstimmung von Ich und Welt wieder herzustellen. Der Rausch, die sexuelle Ekstase, aber auch der Sprung in den Wahnsinn bieten sich ihm als Möglichkeiten des Auswegs an. Nicht nur die Tatsache, daß bei Benn ganz direkt psychopathologische Thematik abgehandelt wird, sondern vor allem die besondere sprachliche Form läßt die Erwartung zu, in Benns Werk Aufschlüsse über innerseelisches Geschehen zu erhalten. Seine Technik assoziativer Verknüpfungen läßt Strukturen des Bewußtseins aufleuchten, die anders nicht genannt und definiert werden können. Diese Feststellung trifft nicht nur das lyrische Werk, mit dem ich mich hier nicht befassen kann, sondern auch die frühen Prosastücke. In ihnen spiegelt sich, vom Psychiatrischen her gesehen, eine extrem schizoide Struktur, die in der Praxis bei Patienten krankheitswertig eingestuft werden müßte. Ich habe am Modell von >Gehirne< gezeigt, wie der Wahnsinn nicht nur als Qual, Verzweiflung und grausames Schicksal gekennzeichnet werden muß, sondern wie er durchaus die Funktion einer Befreiung und Erlösung aus einer sonst ausweglosen Situation gewinnen kann. Der Vorgang des Hinüberspringens in eine andere ersehnte Existenz wird bei Benn im Bild des Vogelflugs gezeigt. Parallelen dazu finden sich bei Georg Heym und bei Georg Trakl. Das Bild des Irren als eines großen weißen Vogels bei Heym bot Anlaß zu diskutieren, wie auch innerhalb einer Psychose graduelle Unterschiede einer Befreiung von einer unerträglichen Wirklichkeit vorhanden sein können. Heyms Irrer beginnt seinen Flug erst nach Jahren psychotischer Krankheit, die er in einer Anstalt verbrachte. Rönnes Weg in Rausch und Ekstase berührt einen anderen, seit jeher in nicht zu ertragender Lage benutzten Ausweg. Müdewerden und Abstumpfen des jugendlichen Ungestüms in den Jahren der Reife schließlich, wie sie sich in >Alexanderzüge mittels Wallungen< darstellen, machen Überlegungen zum psychotischen Defekt notwendig. 112
LEO NAVRATIL Psychopathologie und Sprache
Es ist bekannt, daß literarische Laien unter dem Einfluß einer Psychose nicht selten eine Sprache, die der Dichtung ähnlich ist, produzieren.1 Im folgenden sollen zunächst die Entstehungsbedingungen psychopathologischer und dichterischer Sprache und dann die Produkte verglichen werden. Manche Menschen sprechen in einer akuten Psychose mit einem besonderen Pathos, in einem getragenen Ton, mitunter rhythmisierend, sogar Reime können dabei auftreten. Der Kranke wählt die Schriftsprache und vermeidet sein umgangssprachliches Idiom. Auch der Inhalt der Rede wird ein besonderer, Zitate aus religiösen und literarischen Texten werden vorgebracht. Bestimmte Sätze und Redewendungen kehren immer wieder und werden besonders betont. Auch in Mimik und Gestik zeigt sich mitunter ein Pathos oder eine Manier. Diese Merkmale der Rede lassen auf einen außergewöhnlichen Bewußtseinszustand schließen, den der Kranke bei Befragung selber kennzeichnen kann. Er meint dann, daß über ihn etwas hereingebrochen sei, etwas Unfaßbares, eine fremde Macht, die ihn nun lenke und die ihn inspiriert habe, so daß er jetzt alles klar sehe, ganz anders als in seinem früheren Leben. Was er jetzt erkenne, sei von weitaus größerer Bedeutung für ihn und die ganze Welt als alles Vorhergegangene. Es sei möglich, daß er eine besondere Mission habe. Diese psychotischen Zustände haben folgende Merkmale: 1. Es überwiegt das Innenleben über das Handeln. Der Kranke ist nicht in der Lage, seine Wahrnehmungen zu verifizieren oder seine Pläne in die Tat umzusetzen, wenn er es auch zuweilen versucht. Die »Flut inneren Erlebens« nimmt zu, die Körpermotorik ist dagegen blockiert. Schließlich treten Halluzinationen auf. 2. Je stärker die innere Erregung ist, um so bedeutsamer erscheinen dem Kranken seine Bewußtseinsinhalte. 1
A. Mette, Über Beziehungen zwischen Spracheigentümlichkeiten Schizophrener und dichterischer Produktion. Dessau 1928. "3
3- In den Äußerungen des Kranken läßt sich eine zunehmende Stereotypie feststellen. 4. Der Kranke glaubt, durch äußere Kräfte beeinflußt zu werden. »Ich werde ferngelenkt«, sagte unser Patient Alexander. »Es wird bestimmt über mich«, sagte ein anderer schizophrener Kranker. 5. Die Freiheitsgrade des Denkens und Handelns nehmen ab. Je deutlicher diese Merkmale der Psychose hervortreten, einen um so mehr dichterischen Charakter nehmen die Sprachäußerungen der Patienten an. Oft ist es so, daß mit großem Pathos und in dichterischer Form große Banalitäten vorgetragen werden, manchmal finden sich darunter auch treffende, originelle Gedanken und sprachliche Formulierungen. Eine gewisse Dunkelheit und ein gewisser Tiefsinn - manchmal Scheintiefsinn - sind nicht selten. Jedenfalls wird der subjektive Bedeutungsgehalt des psychotischen Erlebens von der Umgebung des Betroffenen meist nicht geteilt. Man spricht deshalb von einem abnormen Bedeutungserleben. Fragen wir, durch welche Ursachen eine solche Veränderung des Bewußtseins hervorgerufen werden kann, dann müssen wir auf die völlige Unspezifität der Ursachen hinweisen. Die gleichen Erscheinungen können bei psychischen Störungen infolge von Infektionskrankheiten, akuten und chronischen Vergiftungen und anderen Hirnschädigungen wie bei den sogenannten endogenen Psychosen, besonders bei den Schizophrenien, auftreten. Der amerikanische Psychopharmakologe Roland Fischer hat auf Grund seiner Erfahrungen mit experimentellen Psychosen - die durch Meskalin, LSD oder Psilozybin ausgelöst werden - folgende Theorie aufgestellt.2 Normalität, Kreativität, Schizophrenie und religiöse Ekstase liegen auf einem Kontinuum zunehmender Erregung des zentralen vegetativen Nervensystems. Roland Fischer spricht auch von subkortikaler Erregung, im Hinblick auf die anatomische Einteilung des Gehirns in Hirnrinde (Cortex) und 2
R. Fisdier, A Cartography of the Ecstatic and Meditative States. The experimental and experiential features of a perception-hallucination continuum are considered. In: Science, Vol. 174, Nr. 4012, 897-904, 26. Nov. 1971. - Ders., Über das Rhythmisch-Ornamentale im Halluzinatorisch-Schöpferischen. In: Confinia psychiat. 13, 1-15 (1970). Ders. u. G. M. Landon, On the Arousal State-Dependent Recall of >Subconscious< Experience: Stateboundness. In: Brit. J. Psychiat. 120,
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Hirnstamm (Subcortex). Die genannten Mittel wirken auf den phylogenetisch älteren Hirnstamm beziehungsweise auf das zentrale vegetative Nervensystem, welches sich dort befindet. Zu der Erregung des Hirnstammes nimmt dann die Rinde in einer spezifischen Weise Stellung. Die Hirnrinde interpretiert sozusagen die subkortikale Erregung, macht sie uns bewußt. Durch die genannten Mittel können bei Gesunden kreative und psychotische Zustände - das sind spezifische Interpretationen höherer Erregungsstufen herbeigeführt werden. Fischer stellte fest, daß Drogen die Kreativität jener Künstler erhöhen können, deren Ubererregung relativ gering ist; daß sie andererseits die Disposition zu schöpferischer Tätigkeit bei jenen beeinträchtigen oder verhindern können, die sich schon von vorneherein auf einem hohen Erregungsniveau befinden. Die Frage einer Steigerung der Kreativität durch Drogen ist auch eine Frage der individuellen Dosierung. Darauf weist Arnulf Rainer auf Grund persönlicher Erfahrungen immer wieder hin. Es ist wohl auch selbstverständlich, daß durch eine Psychose niemand schöpferisch wird, der nicht noch andere Voraussetzungen dazu mitbringt. Schon Baudelaire hat erkannt, daß dem Menschen durch ein Rauschgift keine neuen Fähigkeiten verliehen werden; es kann nur machtvoller werden, was schon in ihm vorhanden ist. »Visionäre werden visionärer, Langweilige noch langweiliger«, sagt Fischer. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch folgendes sagen. Die experimentellen Psychosen sind akute Psychosen, die innerhalb kurzer Zeit wieder abklingen. Viele Künstler, die sich Versuchen mit Drogen unterzogen haben, haben bemerkt, daß ihre Phantasie dadurch wohl gesteigert wurde, daß sie aber nicht in der Lage waren, diese Innenerlebnisse mit ihren technischen Mitteln festzuhalten. Je akuter eine Psychose ist, um so mehr ist die Körpermotorik gestört oder sogar blockiert. Die Fähigkeit zur Ausführung geht - wie schon erwähnt - in der akuten Psychose (ähnlich wie im Traum) verloren. Audi die rationale Kontrolle schwindet. Diese Verhältnisse sind die gleichen bei akuten Psychosen, die infolge einer Krankheit auftreten; sie ändern sich aber wesentlich, wenn eine solche Psychose chronisch wird. Das Bewußtsein wird dann immer klarer, die rationale Kontrolle schärfer, die Fähigkeit zur Ausführung stellt sich — zumindest teilweise - wieder ein. Aus diesem Grund lassen sich auch keine allgemeingültigen Unterschiede in der Psychologie "5
des künstlerischen Schaffens von Gesunden und chronisch Schizophrenen angeben. So kann man zum Beispiel nicht sagen, daß der gesunde Schriftsteller bewußt und überlegt arbeitet, während beim Kranken alles unkontrolliert aus dem Unterbewußtsein hervorsprudelt; oder mehr wissenschaftlich ausgedrückt: daß es sich beim Kranken um eine unkontrollierte, beim Künstler und Schriftsteller dagegen um eine kontrollierte Regression handle.3 Hier treten zahlreiche Identitäten und Überschneidungen auf. Roland Fischer spricht von einem Wahrnehmungs-Halluzinations-Kontinuum, das bei »normalen« Wahrnehmungen beginnt und über kreative Inspirationen zu psychotischen Halluzinationen führt. Gleichzeitig geht das aristotelisch-logische Denken allmählich in ein symbolisch-logisches über und endet in einem abstrakt-geometrischrhythmisch-ornamentalem Erleben. Das sensorische Erleben und das Handeln auf den verschiedenen Stufen der Erregung werden von Fischer als die kortikale (also durch die Hirnrinde) vollzogene symbolische Interpretation der subkortikalen Erregung (also der Erregung des zentralen vegetativen Nervensystems) bezeichnet. Die Art dieser Interpretation ist nun für verschiedene Erregungsstufen charakteristisch, und zwar zunächst unabhängig von sozialen und kulturellen Faktoren. Das normale Erregungsniveau unseres vegetativen Nervensystems geht mit einer Bewußtseinslage einher, deren Ordnungsprinzip die aristotelische Logik ist. Es ist ein zweckmäßiges Denken, das unser Überleben in dieser Welt am besten sichert. Unsere Wahrnehmung ist dabei durch Gegenständlichkeit, Konstanz und Überprüfbarkeit gekennzeichnet. Diese Bewußtseinslage ist die Voraussetzung auch des sogenannten dialektischen Denkens. Der marxistische Philosoph und Psychiater Joseph Gabel nennt die Dialektik das Unterpfand aller Freiheit. Und tatsächlich ist - auch biologisch gesehen - auf einem normalen Niveau zentralnervöser Erregung die Freiheit der symbolischen Interpretation, also unseres sensomotorischen Erlebens und Verhaltens, am größten. Mit dem Ansteigen der Erregung verringern sich die Freiheitsgrade, es treten Halluzinationen und Stereotypien auf und das Gefühl, durch äußere Kräfte beeinflußt zu werden. Mit zunehmender Unfreiheit der symbolischen Interpretation steigert sich deren subjektive Bedeutung. 8
Diese Theorie wird von Ernst Kris und im Anschluß an ihn von anderen Psychoanalytikern vertreten. (E. Kris, Psychoanalytic Explorations in Art. London 1953.) 116
Wir müssen annehmen, daß das kreative Denken, wie das ideologisierende oder das mythisch-magische Denken auf einer Stufe höherer zentralnervöser Erregung als das affektfreie dialektische Denken erfolgt. Wir können also kreatives und dialektisches Denken nicht gleichsetzen - wie es heute vielfach geschieht. »Was für den einen ein Verlust an Freiheit ist«, sagt Fischer, »ist für den ändern ein Gewinn an Kreativität.« In den Bewußtseinszuständen auf höherem Erregungsniveau wendet sich das Individuum einer geistigen Dimension zu und kehrt sich von der äußeren Welt ab. Im schöpferischen Zustand steigen »Datengehalt« und »Datenverarbeitung« proportional an; dadurch werden neue Beziehungsetzungen und Sinngebungen möglich. In der akuten schizophrenen Psychose kann dagegen die »Datenverarbeitung« mit dem vermehrten »Datengehalt« - der »Flut inneren Erlebens« - nicht mehr Schritt halten. Fischer nennt die schizophrene Psychose einen »jammed-computer«-Zustand, der die symbolische Interpretation der zentralnervösen Erregung verhindert. Es ist meine psychiatrische Erfahrung, daß sich diese motorische Blockierung einerseits von selber lösen kann - bei subakuten und chronischen Psychosen; dann ist auch der psychotische Mensch zu einer kreativen Produktion fähig; und daß andererseits der sogenannte jammed-computer-Zustand des schizophrenen Kranken auch von außen her beeinflußt werden kann, indem man nämlich dem Patienten, der spontan nicht tätig ist, Aufträge erteilt. Der richtige Auftrag führt nicht selten dazu, daß auch stuporöse Kranke kreative Leistungen vollbringen. Vor etwa zehn Jahren habe ich zum erstenmal einem meiner Patienten die Aufgabe gestellt, ein Gedicht zu schreiben. Er saß vor mir, und ich gab ihm das Thema an, um die Ausführung noch stärker zu induzieren. Der durch eine solche Forderung überraschte Alexander schrieb: Der Morgen Im Herbst da reiht der Feenwind da sich im Schnee die Mähnen treffen. Amseln pfeifen hehr im Wind und fressen.
Später sind zahlreiche Gedichte und Prosatexte auf solche Weise entstanden, ja man kann sagen, ein literarisches Werk - das zum Teil bereits veröffentlicht ist.4 Hier zwei weitere Gedichte Alexanders. Die Liebe Es war ein lieber Antwortbrief da hieß es nur ein Anfang nit »die« Liebe - liebe ist es nidit. Da war der Anfang nidit darauf was fehlte im hder liebe Hauch. Wie immer war die liebe da. die Liebe, Wo audi st »ein leiser Haudi«. Alexander Alexander ist ein Prophet des Mittelalters, der es ermöglicht Gottes Vers zu ebnen. Landen in der See des Südens Italia
Alexander ist im Laufe der Zeit beim Schreiben geübter und selbständiger geworden, aber er schreibt auch heute nie spontan, immer nur auf Aufforderung. Trotzdem ist es deutlich, daß er auf diese Weise aus seiner tiefen Introversion ein wenig heraus und in unsere gemeinsame Welt viel weiter eingetreten ist, als es ohne das Schreiben möglich gewesen wäre. Ich glaube auch, daß sein Schreiben an eine ganz bestimmte Bewußtseinslage geknüpft ist, daß es die psychotische Erregung reduziert; insofern sind die lyrischen und literarischen Produkte Alexanders tatsächlich Fortifikationslinien5 seiner Persönlichkeit - wenngleich sie zu einer Heilung der Psychose nicht 4
L. Navratil, Sdiizophrenie und Spradie. Zur Psychologie der Dichtung. 2. Aufl. München 1968 (dtv Bd. 35 j). S. 88ff. - Ders., a+b leuchten im Klee. Psychopathologische Texte. München 1971 (Reihe Hanser, Bd. 68). S. njff. - Ders., Der Himmel ELLENO. Über psychopathologische Kunst. In: Protokolle '67. Wiener Jahresschrift für Literatur, bildende Kunst und Musik. S. i68fF. (1967). - Alexander Herbrich, Thesen und Tips. In: Protokolle '72/1. Wiener Halbjahresschrift für Literatur, bildende Kunst und Musik. S. 7f. (1972). 5 Schizophrenie und Spradie, a.a.O., S. i j6f. Der Wert dieser Fortifikationslinien wurde in Frage gestellt: U. Japp, Leo Navratil, ein Förderer psydiopathologischer Kunst. In: Ästhetik und Kommunikation. Beiträge zur politischen Erziehung. 3, J5ff. (1972). 118
geführt haben und Alexander - das hat aber mehr familiäre und soziale Gründe - immer nodi im Krankenhaus ist. Ein anderer Patient, der ebenfalls schizoprene O. T., der sich in einem gespannten katatonen Zustand befand und von sich aus völlig unproduktiv war, verfaßte zu dem Titel >Der Traum< den folgenden Text, den man als eine literarische »Collage« oder »Montage« bezeichnen kann: Der Traum Traumhaft ist alles Erleben. Der Traum ist ein Erlebnis. Träume sind Schäume. Träumen kann man nur beim Schlafen. Im wachen Zustand nie. Man wird geweckt und ist wach. Der Traum ist ein Nachleben. Sehr richtig. Steht in der Welt richtig. Bemühe dich zu schreiben. Sei gesund und rüstig und ehrlich. Du sollst nicht töten. Du sollst nicht Unkeuschheit treiben. Du sollst nicht stehlen. Werde ein anständiger Mensch. Träume richtig, sei ehrlich mit dir selbst. Gib Frieden. Friede ist ihr erst Geläute. Gib acht, daß du nur gute Träume hast, kein Kopfweh hast. Sei rein. Sei stets hilfsbereit, und es wird dir Wohlergehen auf Erden. Sei gesund. Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß du lange lebest und es dir wohlergehe auf Erden. Es ist ein Gott. In Gott sind 3 Personen. Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Gib acht, daß dir nichts passiert. Sei nicht ordinär. Habe die Gedanken beisammen.
Einen wichtigen Teil in Fischers Theorie bildet die Lehre von den sogenannten »Zustands-Grenzen« (»State-Boundaries«). Sie beruht zunächst auf der Erfahrung, daß für die Erlebnisse in einem bestimmten Bewußtseinszustand häufig Amnesie besteht, sobald man sich in einem anderen Bewußtseinszustand befindet. Bestimmte Erlebnisketten sind an bestimmte Erregungslagen des zentralen vegetativen Nervensystems gebunden. Ein bedeutungsvolles Erlebnis entsteht durch die Koppelung eines bestimmten Erregungsniveaus mit einer besonderen Interpretation. Die Erinnerung daran bedarf gerade dieses Erregungsniveaus. Man kann es zum Beispiel durch die Anwendung einer Droge wieder herbeiführen oder aber durch jene Symbole - Bilder, Melodien, Geschmackseindrücke, Gerüche - die die spezifische Interpretation repräsentieren und die dazugehörige nervöse Erregung auslösen. Auf diese Weise erklärt sich, wie irgendein Gegenstand, eine Situation Erinnerungen wachrufen kann, die mit dem Erlebnis tief empfundener Bedeutung einhergehen. Diese Erfahrungen, die sich besonders bei der Arbeit mit experimentellen Psychosen aufdrängten, führten Fischer zu der Anschauung, daß es nicht ein Unbewußtes gäbe, sondern daß jeder Mensdi 119
über soviele unbewußte Schichten verfüge, wie er bedeutungsvolle Erlebnisse auf verschiedenen Erregungsstufen des Zentralnervensystems hatte - wobei der Ausdruck »unbewußt« nur die Amnesie kennzeichnet, die diese Bewußtseinsschichten häufig voneinander trennt. Wir haben genausoviele verschiedene symbolische Interpretationen zentralnervöser Erregung bereit, wie wir verschiedene Erregungs- und Meditationszustände erlebt, erträumt, halluziniert haben. Was man gewöhnlich als Erinnerungsvermögen bezeichnet, ist zum Teil die Fähigkeit, Bewußtseinsinhalte (Interpretationen) und dazugehörige Erregungsphasen zu koordinieren. Auf der »Zustandsgebundenheit« (»state-boundness«) beruht es, daß wir im Wachzustand viele Träume nicht mehr rekonstruieren können. Fischer gibt verschiedene Beispiele für »Zustandsgebundenheit« der Erinnerung. Ich möchte weitere dazu beitragen; zunächst das Beispiel der obszönen Wörter. Der ungarische Psychoanalytiker Sandor Ferenczi6 hat beobachtet, daß den obszönen Wörtern eine »halluzinatorische« Kraft innewohnt. Diese in der Kindheit kennengelernten und später weitgehend tabuierten Bezeichnungen rufen beim Lesen, Hören oder gar Aussprechen Vorstellungen von irritierender Wirklichkeitsnähe in uns wach. Offenbar vermögen uns diese repräsentativen Symbole in besondere Erregung zu versetzen. Andererseits kann man beobachten, daß Patienten in schizophrenen Erregungszuständen obszöne Ausdrücke völlig ungehemmt gebrauchen.7 Auf der höheren Erregungsstufe bietet sich das obszöne Wort als die treffende (nur uns inadäquat erscheinende) Bezeichnung an. Wir sind also bisher zu folgenden Feststellungen gelangt: 1. In der Psychose nimmt die Sprache einen poetischen Charakter an. 2. Auch beim Gesunden erfolgt das dichterische Schaffen nicht in der normalen Bewußtseinslage des Alltags. 3. Kreativität und Psychose sind kortikale Interpretationen höherer Erregungsstufen des zentralen vegetativen Nervensystems, die sich überschneiden können. • S. Ferenczi, Über obszöne Worte. In: Bausteine zur Psychoanalyse, Bd. I. Bern 1964. 7 L. Navratil, Die sexuelle Thematik und deren »Bewältigung« in einer schizophrenen Psychose. In: Der befreite Eros. Hrsg. v. A. GrabnerHaider u. K. Lüthi. Mainz izo
Der Gesunde verwendet verschiedene Methoden, um sich in den Zustand der Kreativität zu versetzen. Mitunter sind es ganz spezielle Anregungen, die man benötigt. Häufig ist es aber nichts anderes als die besondere Tätigkeit selbst, etwa die schriftstellerische, deren Inangriffnahme uns in die dazu nötige Bewußtseinslage versetzt. Der Gesunde unterscheidet sich vom Psychotiker dadurch, daß er zwischen verschiedenen Bewußtseinsstufen leichter wechseln kann, er kann - wie man sagt - »pendeln«. Je höher die Erregungsstufen werden, um so schwieriger wird jedoch das Pendeln. Schließlich können die kortikalen Interpretationen hoher Erregungszustände mit den Interpretationen des Normalbewußtseins nicht mehr integriert werden: die Psychose tritt ein. Die Psychose unterscheidet sich einerseits durch die Höhe der Erregung von der psychischen Gesundheit, andererseits dadurch, daß es dem Psychotiker nicht mehr möglich ist, die neuen Bewußtseinsinhalte mit seinen früheren in Einklang zu bringen. Darauf beruht das Erlebnis einer Persönlichkeitsveränderung, einer Depersonalisation. Die Möglichkeit einer Rückkehr zum früheren Zustand ist jedoch immer vorhanden. Alfred Bader 8 hat die Bewußtseinslage des gesunden Durchschnittsmenschen als »normophren« bezeichnet, um den Gegensatz zum schöpferischen »Schizophrenen« damit auszudrücken. Da aber der Schizophrene und der Gesunde auf dem Niveau der Kreativität einander begegnen können, hat er für diesen gemeinsamen Bereich den Terminus »hyperphren« eingeführt. Jede echte künstlerische Leistung entspringe einem hyperphrenen Zustand, stamme sie von einem psychisch Kranken oder von einem Gesunden. Zur Veranschaulichung dieser Verhältnisse, die durch die Forschungsergebnisse Roland Fischers wissenschaftlich untermauert sind, gebraucht Bader die Metapher des »Zaubergartens«, der dem hyperphrenen Geisteszustand entspricht. Der schizophrene Kranke, meint er, habe den Vorteil, daß er sich dauernd in diesem Zaubergarten befinde, er könne aber nicht heraus; insofern sei er im Nachteil. Der gesunde Künstler wieder habe die Schwierigkeit, in den Zaubergarten hineinzugelangen, dafür brauche er dort immer nur vorübergehend zu sein. Ein weiteres Beispiel für die Zustandsgebundenheit des Schreibens ist folgendes. Ein Patient, der wegen psychotischer Schübe be8
A. Bader, Zugang zur Bildnerei der Schizophrenen vor und nach Prinzhorn. In: Confiniapsydiiat. 15, 101-115 (1972). 121
reits mehrmals in unserem Krankenhaus war, schreibt in seinen kranken Zeiten viele Briefe mit Gedichten und Prosatexten und nimmt diese Tätigkeit sehr wichtig. Einmal adressierte er einen Brief an die Geistlichen Schwestern unserer Kinderabteilung und bat um dessen Weiterleitung an die Mutter Gottes. Nach seiner völligen Genesung berichtete der Patient, daß sein Dichten ein Krankheitssymptom sei. Sobald er sich hinsetze, um zu schreiben, wisse seine Frau, daß eine neuerliche Krankheitsphase im Anzug sei, und bei ihm selbst stelle sich die dumpfe Ahnung ein, daß er nun bald wieder ins Krankenhaus müsse. Es existiere nichts von seiner schriftstellerischen Produktion, da er alles verbrenne, wenn er wieder gesund sei. Was er geschrieben habe, interessiere ihn dann nicht mehr. Von einem Paralytiker, der geistig stark abgebaut in die Anstalt kam und auf jede Frage nur mit »ja, ja« antwortete, wird berichtet, daß er eines Tages mit lauter Stimme und in überschwenglichem Ton Verse zu sprechen begann. Sein Gesichtsausdruck war dabei ganz verklärt. Es waren aber immer die gleichen Wendungen, die unzählige Male wiederkehrten. Er sprach etwa: O die Lieb' ist wundersdiön, Das ist eben recht, O mein lieber Herr so gut, das ist schön und gut. Freu' dich, das ist wunderschön, das ist schön und gut, und die Lieb' ist wunderschön, das ist schön und g u t . . .
Und so ging es weiter den ganzen Tag und noch einige nachfolgende Tage. Dann verlor sich allmählich diese Neigung, der Kranke redete nicht mehr und schien wieder völlig stumpf. Wenn man ihm aber Worte wie »wunderschön« oder »eine schöne Frau« zurief, dann glitt über sein Gesicht wieder der Ausdruck der früheren Glückseligkeit und seine Züge belebte ein verklärtes Lächeln. Offenbar vermochte die symbolische Interpretation - nämlich das spezielle Wort die dazugehörige innere Erregung, den Affekt, zumindest im Ansatz wieder auszulösen. Also ein weiteres Beispiel von »state-boundness«. Sinn und Bedeutung sind zunächst rein subjektive Erlebnisse und können sich mit jeder symbolischen Interpretation verbinden. Ist ein solcher Bezug einmal hergestellt, dann kann durch die spezifische Interpretation das Zentralnervensystem in die dazugehörige Er122
regung versetzt und das entsprechende Bedeutungserlebnis wieder ausgelöst werden. >Die vielen Ebenen unseres individuellen Bewußtseins erinnern an den Kapitän«, sagt Fischer,8 »der in vielen Häfen Freundinnen hat, deren keine von der Existenz der ändern weiß und deren jede nur von einem Besuch zum nächsten (d. h. von Zustand zu Zustand) existiert. Aus diesem Grunde können Menschen, deren Bewußtseinsinhalte an verschiedenste Erregungsphasen gebunden sind, mehrfach existieren: sie leben von einem Wachzustand zum anderen; von Traum zu Traum; von einer Narkoanalyse zur nächsten; von einem LSD-Erlebnis zum nächsten; von epileptischer Aura zu Aura; von einer kreativen, artistischen, religiösen oder psychotischen Inspiration oder Besessenheit zum nächsten kreativen, künstlerischen, religiösen oder psychotischen Erleben; von Trance zu Trance; und von Träumerei zu Träumerei.« Der höhere Erregungszustand, den die Dichtkunst erfordert, geht auch mit einem Verschwimmen der Ichgrenzen einher. Von einem englischen Dichter des 17. Jahrhunderts wird erzählt, daß er in vorgerücktem Alter häufig am Morgen nach dem Aufwachen Gedichte niedergeschrieben hat, die man ihm am Abend zuvor aus den Büchern anderer Schriftsteller vorgelesen hatte. Er ahnte nicht, daß die Dichtungen nicht von ihm selber stammten. Ähnliches wird von einer schizophrenen Patientin berichtet, die sich an ihre halluzinatorischen Erlebnisse lebhaft erinnert und sie in allen Einzelheiten zu schildern vermag, so als hätte sie alles wirklich erlebt. Gleichzeitig erklärt sie Gedichte, Novellen, Romane, die sie in Büchern findet, mit aller Bestimmtheit für ihre eigenen Werke. Sie erzählt ganz genau, warum sie diese Werke geschrieben hat, woran sie dabei gedacht hat, wie schwer es ihr gefallen sei, diesen oder jenen Vers zu finden und wie sie ursprünglich habe anders dichten wollen. Das alles erinnert mich an eine Bemerkung, die ich bei Novalis gelesen habe, daß nämlich der wahre Dichter eigene Gedanken wie fremde und fremde wie eigene Gedanken behandeln müsse - auch ein Hinweis auf die Lockerheit der Ichgrenzen in kreativen Zuständen. Die Konstanz des Ichs wird gestört, sobald man sich auf dem Wahrnehmungs-Halluzinations-Kontinuum vom »Ich« der äußeren Welt zum »Selbst« der geistigen Dimension hinbewegt. Beim Gesunden überwiegt ein Verhalten, das wir im Alltag ge• A Cartography of the Ecstatic and Meditative States, a.a.O., S. 903.
wohnlich als unser bewußtes, vernunftgeleitetes Leben ansprechen. Es sind jene psychischen Vorgänge, die unsere Existenz und namentlich auch unsere Gemeinschaft mit den Mitmenschen ermöglichen. Die Leitbilder und regulierenden Symbole jener auf Existenzsicherung gerichteten Lebensvorgänge sind vor allem auch jene der Umgangssprache. Hinter dieser empirisch-logischen Fassade trägt aber jeder Mensch noch eine andere Wirklichkeit in sich, eine bildhaft-traumhafte, mythische, in der die Paradoxien und Aporien bestehen bleiben, die Absurditäten, eine Welt eigenmächtiger Symbole, Konstruktionen, Deformationen, Phantasmen. Der Schizophrenieforscher Manfred Bleuler10 nennt diese Seite unseres Wesens »das Schizophrene im Gesunden«. Es sei in uns allen ebenso vorhanden, wie sich »Gesundes im schizophrenen Kranken« finde. Das poetische Denken - das sich auf einem höheren Erregungsniveau als das rationale Denken abspielt - ist ein symbolisches Denken in dem Sinn, daß das Erlebnis der Bedeutung intensiver als auf der Ebene des »normalen Bewußtseins« ist - der Bedeutungsgehalt jedoch gleichzeitig dunkler. Vieldeutigkeit, Ambiguität, Widersprüchlichkeit herrschen in diesem Bereich. »Symbole sind Mystifikationen«, sagt Novalis und meint damit jene ursprünglichen Symbole, die von der Aura des Rätselhaften und Geheimnisvollen umgeben sind. Wir haben die Ähnlichkeit zwischen dem Schriftsteller und dem Psychotiker von der Psychologie des Produzierens her beleuchtet. Eine Analogie besteht aber auch hinsichtlich des Produktes. Zur symbolischen Grundbedeutung der Dichtung gehört es, daß sie nicht für den Alltag, nicht »für den Konsum« geschaffen wird. Es soll ihr Dauer verliehen werden in der Schrift, in einem Buch, in einem Film. Dem Schriftsteller genügt es nicht zu leben, er will sich selbst auch noch dokumentieren, bestätigen, zusammenfassen, Dauer geben. »Nur dies Gedicht, das ich hier niederschreibe, o daß es ewig, ewig, ewig steh!«, heißt es in Klabunds Nachdichtung von Litaipe. Diese Symbolik des Ewigen, der Behaustheit des Menschen, geht mit einem viel intensiveren Bedeutungserleben einher als jede rationale Symbolik und weist so auf eine symbolische Interpretation eines höheren zentralnervösen Erregungszustandes hin. 10
M. Bleuler, Die schizophrenen Geistesstörungen im Lichte langjähriger Kranken- und Familiengeschichten. Stuttgart 1972. 124
Die dichterische Sprache ist nicht die gleiche wie die Umgangssprache. Wie die psychotische Produktion verliert auch die Dichtung oft ihren rationalen Sinn. »Vielleicht hält ein höheres Geschlecht von Geistern«, schreibt Lichtenberg, »unsere Dichter wie wir die Nachtigallen und Kanarienvögel; ihr Gesang gefällt ihnen ebendeswegen, weil sie keinen Sinn darin finden«. Je mehr der sogenannte »gesunde Menschenverstand« - die Semantik der Umgangssprache - in einer sprachlichen Äußerung oder in einem Text schwindet, um so mehr treten die »kreativen Grundfunktionen«11 hervor. Ich verstehe darunter: Physiognomisierung, Formalisierung und Symbolbildung. Das Physiognomische ist identisch mit dem Gefühlsausdruck, dem Expressiven. Die Fähigkeit, Gefühle auszudrücken, auf physiognomischem Weg sich mitzuteilen, ist der ursprünglichste schöpferische Akt. Im pathologischen Bereich tritt das Physiognomische der Sprache bei den sensorischen Aphasien besonders zutage. Bei diesen Menschen ist ein sogenanntes Sprachzentrum, das meist in der linken Großhirnhemisphäre lokalisiert ist, geschädigt. Die Wortbedeutungen und die formalen Strukturen der Sprache sind ihnen verlorengegangen. Dafür ist das rein Ausdruckhafte der Sprache, das durch Mimik und Gestik noch unterstrichen wird, gesteigert. Die Formalisierung - also jener Vorgang, den ich als die zweite kreative Grundfunktion bezeichne - ist bei den Schizophrenen auf sprachlichem Gebiet - wie auch in anderen Bereichen des Verhaltens und Gestaltens - besonders ausgeprägt. Die Formalisierung dient zunächst der Unterdrückung des Gefühlsmäßigen, der emotioneilen Stabilisierung, sie gibt einen inneren Halt; im weiteren Verlauf wird sie zum Träger von Bedeutung, dient also der Symbolbildung, wobei sie mit dem Physiognomischen wieder in Verbindung treten, verschiedene physiognomische Valenzen erhalten kann. Einer unserer schizophrenen Patienten hatte Verkehrsregeln auswendig gelernt, wie man sie bei der Fahrprüfung beherrschen muß. In bestimmten Augenblicken, wenn er allein auf der Straße ging oder bei einem Fenster stand und hinausblickte, sagte er diese Verkehrsregeln in sehr schnellem Tempo und monoton auf. Der rationale Sinn und Gefühlsmäßiges traten bei diesem Monolog zurück, formale Momente 11
L. Navratil, Über Schizophrenie und Die Federzeichnungen des Patienten O. T. München 1974 (dtv Bd. 4147).
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herrschten vor. Handelt es sich bei den Aphasikern um einen sprachlichen Ausdruck bei einem mehr oder weniger weitgehenden Verlust der Sprache, so konnte man das litaneiartige Sprechen unseres schizophrenen Patienten »Sprache ohne Ausdruck« nennen.12 Zu den häufigsten Formalismen gehört die Wiederholung. Es können Anlaute, Endsilben, Wörter, ganze Sätze wiederholt werden. Solche Formalismen sind für die dichterische Sprache in höherem Maß kennzeichnend als für die Umgangssprache. Auch die Sprachäußerungen in der Psychose zeigen diese Wiederholungstendenz in den verschiedensten Abwandlungen. Wir haben gehört, daß mit zunehmender subkortikaler Erregung zunehmende Stereotypie des Verhaltens und subjektiven Erlebens auftritt. Diese Stereotypie äußert sich in gleicher Weise in der Dichtkunst und in der psychotischen Sprache, und sie ist da und dort ein formalisierendes, poetisierendes, manieristisches Element. Von unserem Patienten Alexander stammen die folgenden Gedichte mit stark ausgeprägter Wiederholungstendenz.18 Die Wolken die wölken so groß und weit die wölken so groß und weit die wölken so groß und weit die am felsen wie aufgesprossen ein Vorhang wie der Osten so groß und der Widerhall im tal war gut und schön der partzifall wollte aufblicken auf und sah sah audi auf sie die da herniederprasseln wie schnee und eis die regentropfen Weiß weiß ist der Sdinee. Weiß ist das Eiweiß weiß ist der Tote nicht, weiß sind die Karpfen, weiß ist der Anzug, weiß sind die Blumen, weiß ist der Ton der Farbe. Weiß sind die Russen. 12 Beide Beispiele und auch noch Beispiele aus dem folgenden finden sich in dem Film Mitteilungen aus der Isolations 2. Teil: >Sprachäußerungen und Texte psychisch KrankerBananenrichtige Wandlungen und Symbole der Libido< das »Vorspiel zu einer Schizophrenie«, wobei sich im Zusammenhang mit einer vorwiegend mythologisch verstandenen »Entwicklungsgeschichte des Denkens« eine Vielfalt von Sinnbezügen ergibt, die das Verständnis schizophrener Erkrankungen weit über eine negative psychiatrische Prognostik hinausführt.3' Jung trennt sich nicht zuletzt mit dieser weit ausgreifenden Analyse von Freud, der wenig später freilich seinerseits wesentliche Überlegungen zu einer Revision des Schizophreniebegriffs formuliert, indem er die schizophrene Überbesetzung der Wortvorstellung als »den ersten der Herstellungs- o.der Heilungsversuche« begreift, »welche das klinische Bild der Schizophrenie so auffällig beherrschen«.40 Weitere Differenzierungen der Schizophrenielehre ergeben sich etwa bei H. S. Sullivan durch eine Betonung interpersoneller Gesichtspunkte.41 Die Gruppe der Schizophrenien lasse sich unter individualpsychiatrischen Aspekten nicht verstehen. Vielmehr verwiesen die jeweiligen Symptome auf Störungen im Zusammenleben der Menschen. Die Starre des Schizophrenen etwa erscheint als Störung im Vertrauen zu den Mitmenschen. Sullivan faßt solche Störungen recht allgemein als Zeichen einer Angst auf, die an Martin Heideggers Konzeptionen des Daseins als Sorge und des Seins als Sein zum Tode anklingt 42 und damit auch auf Ludwig Binswangers psychiatrische Ausformung der Existenzphilosophie vorausdeutet: Schizophrenie als Erlebnis der Ungeborgenheit, dem eine »Daseinsanalyse« im umfassenden mitmenschlichen Kontext angemessen sei.43 39
40
41
42 43
C. G. Jung, Wandlungen und Symbole der Libido. Beiträge zur Entwiddungsgeschidite des Denkens (1911). In: Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen. Bd. III, 1911, S. 120-227, und IV, 1912, S. 162-464. Letzte Fassung: Jung, Symbole der Wandlung. Analyse des Vorspiels zu einer Schizophrenie. Zürich 1952. Sigmund Freud, Das Unbewußte. In: Zeitschrift für Psychoanalyse. Bd. III, 1913. Später in: Freud, Gesammelte Werke. Bd. X. London 1946. S. 302. Siehe etwa H. S. Sullivan, Conceptions of Modern Psychiatry. Washington 1940. Martin Heidegger, Sein und Zeit. Halle 1927. Ludwig Binswanger, Drei Formen mißglückten Daseins. Verstiegenheit, Verschrobenheit, Manieriertheit. Tübingen 1956; Binswanger, Schizophrenie. Pfullingen 1957. 146
Eine allerdings auch heute noch kaum beachtete Vertiefung der Schizophrenielehre gelang Wilhelm Reich mit seiner Arbeit >Die schizophrene Spaltunggut angepaßte< homo normalis ist aus genau dem gleichen Typus von Erfahrungen zusammengesetzt wie der Schizophrene. Die Tiefenpsychologie läßt darüber keinen Zweifel.« Und: »Die schizoide Person durchschaut Heuchelei und verbirgt das nicht. Sie hat einen ausgezeichneten Blick für emotionale Realitäten, ganz im Gegensatz zum homo normalis. Ich betone diese schizophrenen Charakteristika deswegen so stark, um verständlich zu machen, warum der homo normalis den schizoiden Geist so sehr haßt. - Die objektive Gültigkeit dieser Überlegenheit des schizoiden Urteils manifestiert sich äußerst praktisch. Wünschen wir die Wahrheit über soziale Fakten zu erfahren, studieren wir Ibsen oder Nietzsche, die beide >verrückt< wurden, und nicht die Werke irgend eines gut angepaßten Diplomaten oder etwa die Resolutionen des Kongresses der Kommunistischen Partei.«45 Nachdrücklicher noch als etwa zur selben Zeit Georges Devereux in seiner ethnopsychiatrischen Theorie der Schizophrenie48 oder Jacques Lacan im frühstrukturalistischen >Propos sur la causalit£ psychique< betont Reich 44
Wilhelm Reidi, Die sdiizophrene Spaltung. In: Reich, Charakteranalyse. Köln/Berlin 1970. 5.453. (Erstveröffentlichung in: Reich, Character-Analysis. 1949.) 45 Ebd., S. 45448 Georges Devereux, Eine soziologische Theorie der Schizophrenie (ursprüngliche Version 1939). In: Devereux, Normal und anormal. Aufsätze zur allgemeinen Ethnopsychiatrie. Frankfurt a. M. 1974.
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die Abhängigkeit schizophrener Erkrankungen von einer Normalität, die sich vom Wahn durch die Fähigkeit zur Anpassung und Heuchelei unterscheidet. Auch spätere Ausprägungen der strukturalistischen Auffassung des Wahns bringt Reich schon in kritisch verschärfter Form. Versteht etwa Foucault die »Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft« 47 als Kehrseite und Funktion zivilisatorischer Strukturen, so diagnostiziert Reich konkreter eine »emotionelle Pest« des homo normalis, die den Schizoiden, der ihr zu widerstehen sucht, in die Psychose treibt: »Meine Arbeit ... ließ keinen Zweifel daran, daß die besten ... nicht wegen ihrer »Schlechtigkeit zugrunde gehen, sondern wegen des Infernos, das der homo normalis >Zivilisation< und >kulturelle Anpassung< nennt ... Der homo normalis ... haßt den schizoiden Charakter wegen seiner Nähe zu einem Bereich der Natur, welcher für ihn ewig verschlossen bleiben wird.« Reichs - bei aller biopsychiatrischen Bedingtheit seiner Überlegungen - Nähe zur neueren Kreativitätsforschung wird im weiteren, wie schon im Hinweis auf Ibsen und Nietzsche, in der engen Beziehung von schizophrenem Erleben in seiner Unangepaßtheit, künstlerischer Produktion und Kritik der Normalität deutlich. Den mit einer »großen Musik« verbundenen Schub einer schizophrenen Patientin setzt er - in freilich polemischer Verkürzung - dem kreativen Prozeß Beethovens gleich, »wenn er eine große Symphonie komponiert, die einem ausgesprochen unmusikalischen Geschäftsmann hohen Profit einbringt«. 48 Schizophrenielehre und Kreativitätsforschung treffen sich hier in der kritischen Konfrontation von Wahn und Normalität. Kunst und Schizophrenie sind eng miteinander verknüpft, beide finden sich im Gegensatz zur verschleierten Pathologie der Normalität. Eine weitere Vertiefung der soziopathologisch orientierten Schizophrenieauffassung wie ansatzweise auch der Kreativitätsforschung ergab sich aus der Untersuchung von pathologischen Kommunikationsmustern in der Familie als dem Ort primärer Sozialisation. In Anlehnung an Whiteheads und Russells Lehre von den logischen Typen entwickelten Gregory Bateson und seine Palo-AltoGruppe eine Theorie der Kommunikationsstörung, deren Kern, die Double-bind-Situation, die Entstehung schizophrener Erkrankun47
48
Foucault, Wahnsinn und Gesellsdiaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Reich, Die schizophrene Spaltung. S. 519.
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gen auf neue Weise verstehen ließ.49 Die Double-bind-Situation ist - in ihrer anfänglichen, auf persönliche Verhältnisse konzentrierten Fassung — dadurch gekennzeichnet, daß zwischen zwei oder mehreren Personen eine enge Beziehung besteht; daß diese Beziehung für eine der Personen, das »Opfer«, von Grund auf widersprüchlich ist; daß sich die Erfahrung dieser Widersprüchlichkeit wiederholt und so zu »einer habituellen Erwartung wird«. Die Double-bindSituation besteht - in schematisiert-vereinfachter Form - im einzelnen aus einem »primären negativen Gebot«, das zum Beispiel unter Androhung von - psychisch oft »verheerender« - Strafe aufrechterhalten wird; einem »sekundären Gebot, das mit dem ersten auf einer abstrakteren Ebene in Konflikt gerät und wie das erste durch Strafen oder Signale durchgesetzt wird, die das Leben bedrohen«; dazu tritt »ein tertiäres negatives Gebot, das dem Opfer untersagt, das Feld zu räumen« und so die metakommunikative Distanz zu gewinnen, aus der sich Scheinparadoxien vermeiden und bekämpfen ließen: » . . . das Individuum ist nicht in der Lage, sich mit den geäußerten Botschaften kritisch auseinanderzusetzen, um seine Entscheidung, auf welche Botschaft es reagieren soll, zu korrigieren, d. h. es kann keine metakommunikative Feststellung treffen.« - Die »komplette Serie von Einzelelementen« wird schließlich unnötig, »wenn das Opfer gelernt hat, sein Universum in der Schablone des Double-bind wahrzunehmen. Fast jedes Teil einer Double-bind-Sequenz kann dann ausreichen, um Panik oder Wut auszulösen. Die Struktur der widerstreitenden Gebote kann sogar von halluzinatorischen Stimmen übernommen werden.«50 Die Double-bind-Theorie ist mittlerweile über ihre Anwendung auf schizophrene Erkrankungen hinaus auch zur Beschreibung der Genese von Neurosen — Hysterie, Phobic, Zwangsneurose — benutzt worden.51 Zudem betont Bateson in >Double Bind, 196^ daß die49
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Zur Unterscheidung von Entstehung und Ursadie schizophrener Erkrankungen in der Double-bind-Theorie vgl. Watzlawick et al., Menschliche Kommunikation. S. 198. Bateson et al., Auf dem Wege zu einer Sdiizophrenie-Theorie. S. i6ff. Siehe Carlos E. Sluzki und Eliseo Veron, The Double Bind as a Universal Pathogenic Situation. In: Family Process. Bd. 10, 1971. S. 397-410 (jetzt auch in: Double Bind. Hrsg. von Sluzki und Ransom. S. 251-262); Sebastian Goeppert, Über Stellenwert und Aussagekraft der DoubleBind Hypothese in der Psychoanalyse. In: Linguistische Berichte. Bd. 33, 1974. S. 1-17; Goeppert/Goeppert, Redeverhalten und Neurose. S. 14-
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ses nicht auf Krankheitsersdieinungen zu beschränken, sondern grundsätzlich transkontextuell (»transcontextual«) sei: »Notably the theory does not distinguish between these subspecies. Within its terms there is nothing to determine whether a given individual shall become a clown, a poet, a schizophrenic, or some combination of these.«62 Das Double-bind kann schizophrene Verhaltensweisen wie auch literarische Kreativität fördern. Schon darin ist »die Schizophrenie der Kunst« - oder etwa auch die Verwandtschaft von schizophrener und kreativer Erregung - präzisiert. Weitere Einsichten ergeben sich im Hinblick auf moderne Literatur. Die Double-bindTheorie ermöglicht es, dem Dilemma der Literaturwissenschaft zur Moderne aus kritischer Distanz zu begegnen, zumal die Doublebind-Forschung längst nicht mehr auf die Interaktion von bestimmten Personen beschränkt ist. Die immer noch verbreitete Ansicht, es handle sich bei dieser Theorie um eine pragmatische Deskription persönlicher Interaktionsprobleme, trifft bestenfalls deren Anfangsstadium und vereinzelte Epigonalformen. Im übrigen betrifft die Double-bind-Theorie komplexe multipersonale Situationen bis hin zu kulturell und gesellschaftlich determinierten Zusammenhängen.68
62
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18. - Eine alleinige Gültigkeit der Double-bind-Theorie in der Schizophrenielehre und in anderen Bereichen der Psychopathologie ist dabei nicht vorausgesetzt. Vgl. aber z. B. Goeppert/Goeppert, Redeverhalten und Neurose, S. 17: ».. . so können wir zwar zum jetzigen Zeitpunkt aus dem Double-Bind-Ansatz nicht die Behauptung ableiten, daß pathologische Kommunikationsmuster in der Familie die Entstehung psychotischer bzw. neurotischer Krankheitsbilder allein bedingen, doch aber nachdrücklich darauf hinweisen, daß das Vorhandensein von pathologischen (bzw. nicht auflösbaren) Double-Bind-Beziehungen ein zur Erklärung ihrer Ätiologie notwendiges, wenn auch nicht hinreichendes Moment darstellt.« - Zur Bedeutung der Double-bind-Theorie vgl. jetzt auch Josef Rattner, Psychiatrie am Scheidewege. In: Rattner, Wirklichkeit und Wahn. Das Wesen der schizophrenen Reaktion. Frankfurt a. M. 1976. S. 2off. Bateson, Double Bind, 1969. S. 272. - Zur Beziehung von Kreativität und Double-bind siehe auch Lyman C. Wynne, On the Anguish, and Creative Passions, of Not Escaping Double Binds: A Reformulation. In: Double Bind. Hrsg. von Sluzki und Ransom. S. 243-250. Auch zum Folgenden vgl. Winfried Kudszus, Reflections on the Double Bind of Literature and Psychopathology. In: Sub-Stance. A Review of Theory and Literary Criticism (im Druck); siehe auch Anm. 76. 150
Moderne Literatur und Double-bind Schon indem moderne Literatur immer wieder den Eindruck der Ausweglosigkeit vermittelt, läßt sie, freilich erst generell, an das Double-bind denken. Das Bild, das Bateson, Jackson, Haley und Weakland von der im Double-bind gefangenen Person geben, kennzeichnet auch die Lage, in der sich etwa der Protagonist moderner Romane häufig findet: »Zunächst einmal wird er nicht mit normalen Menschen jene Signale teilen, die Botschaften zu begleiten pflegen, um anzuzeigen, was jemand meint. Sein System der Metakommunikation - Kommunikationen über die Kommunikation - ist zusammengebrochen, und er weiß nicht, um welche Art von Botschaft es sich bei einer Botschaft handelt ... Angesichts dieser Unfähigkeit, genau zu beurteilen, was ein anderer wirklich meint, und einer übertriebenen Besorgtheit um das, was tatsächlich gemeint ist, kann dieser Mensch sich schützen, indem er eine oder auch mehrere aus einer Reihe von Alternativen wählt. Er kann zum Beispiel annehmen, daß hinter jeder Äußerung eine Bedeutung verborgen ist, die ihm zum Schaden gereicht. Er wird dann ein übertriebenes Interesse an verborgenen Bedeutungen zeigen und entschlossen sein zu demonstrieren, daß man ihn nicht täuschen kann — so wie man ihn sein ganzes Leben getäuscht hat. Greift er zu dieser Alternative, so wird er ständig hinter dem, was die Leute sagen, und hinter zufälligen Vorkommnissen in seiner Umgebung nach Bedeutungen suchen und ausgesprochen mißtrauisch und trotzig sein.« Neben dieser paranoiden Alternative sind etwa auch hebephrene oder katatonische Verhaltensweisen denkbar, und »der springende Punkt« ist jeweils, »daß er nicht die eine Alternative wählen kann, die ihm dazu verhelfen würde, das, was die Leute meinen, zu entschlüsseln; ohne beträchtliche Hilfe kann er die Botschaften anderer nicht erwidern. Angesichts dieser Unfähigkeit verhält sich der Mensch wie jedes Selbstregelungssystem, das seinen Regler verloren hat; es dreht sich in endlosen, aber stets systemgebundenen Spiralen der Verzerrung.«54 Man denkt etwa an Kafkas Romane, die Unfähigkeit der K.s, das System, in dem sie gefangen sind, zu durchschauen, ihre endlosen Versuche, eine Welt zu verstehen, die so sinnlos wie übermächtig scheint. Kafkas >Prozeß< zum Beispiel weist - am überzeugendsten nach Paul Goodman M - Züge eines paranoiden Wahn64 55
Bateson et al., Auf dem Wege zu einer Sdiizophrenie-Theorie. S. 2iff. Paul Goodman, Kafka's Prayer. New York 1947. S. 141-182.
systems auf, das metakommunikativ zu überwinden wäre, dodi bleibt Josef K. der Gefangene einer kleinbürgerlich-kapitalistischen Immanenz, die dem Status quo der Arbeits- und Behördenwelt universale Bedeutung beimißt. Moderne Literatur führt immer wieder in die Labyrinthe und Spiralen der Systemimmanenz; in die Ausweglosigkeit von Situationen, deren Komplexität zu endlosen Vermutungen, doch nicht zu Einsichten führt, mit denen sich leben ließe; in eine Bedeutungsvielfalt, in der sich die Suche nach sinnvollen Zusammenhängen verwirrt. Immer wieder tritt auch das tertiäre Verbot in Kraft, am verderblichsten dann, wenn sich die Möglichkeit der Metakommunikation ergibt und zugleich wieder zerschlägt. Beispielhaft deutlich wird die Absurdität moderner Systemgebundenheit wiederum bei Kafka; es gibt »unendlich viel Hoffnung«, ist eine seiner Grundansichten, »nur nicht für uns«.68 Moderne Literatur steht nicht nur allgemein im Zeichen von Double-bind-Situationen; die negativen Kategorien ihrer Poetik, ihre bis zur Undurchschaubarkeit verwickelten Wort- und Bildfolgen vermitteln nicht nur generell den Eindruck unauflöslicher Antinomien. Diese Literatur ist bis ins einzelne von Widersprüchen und Signalen bestimmt, die miteinander in Konflikt geraten, vergleichbar dem verwirrenden Ineinander- und Gegeneinanderwirken primärer und sekundärer Gebote im Double-bind. Die Paradoxien der Moderne bezeichnen ein Knäuel von Spannungen, das zu entwirren ist, will man moderne Literatur nicht als grundsätzlich rätselhaft mißverstehen. Eine metakommunikativ distanzierte Analyse der Moderne wird etwa im Hinblick auf »das international mystifizierte >Phänomen< Kafka« 07 versuchen, dessen Paradoxien darzustellen, aber auch zu relativieren. Sich allein auf die Äußerung zu berufen: »Ich erzählte eine Geschichte. Das sind Bilder, nur Bilder«,88 greift zu kurz. Kafkas Bilder und Erzählstrukturen lassen Widersprüche erkennen, die nicht in bloße Bildhaftigkeit aufzuheben und zu verrätsein sind. Einer seiner schärfsten und tiefgreifendsten Widersprüche bestand im Aufbau seiner Existenz auf einem Schreiben, das er jedoch zugleich von Grund auf negierte. Kafkas Aufforderung an Max Brod, die meisten seiner Schriften zu verbren56 67 68
Max Brod, Franz Kafka. Eine Biographie. Frankfurt a. M. 1954. S. 95. Chris Bezzel, Kafka-Chronik. München/Wien 197$. S. i. Gustav Janoudi, Gespräche mit Kafka. Erinnerungen und Aufzeichnungen. Frankfurt a.M. 1951. S. 25.
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nen, ist so ernst zu nehmen wie die Anstrengung, mit der er diese Schriften verfaßte. »Schreiben als Form des Gebetes«59 steht Schreiben als Irrweg und sinnlose Verfehlung entgegen; Kafka über sich selbst: »... Du b i s t . . . eine Auswurfklasse des europäischen Berufsmenschen, Beamter, dabei übernervös, tief an alle Gefahren der Literatur verloren .. .«60 Oder: »Literatur, als Vorwurf ausgesprochen, ist eine so starke Sprachverkürzung, daß sie ... allmählich auch eine Denkverkürzung mit sich gebracht hat, welche die richtige Perspektive nimmt ... - Die Lärmtrompeten des Nichts.«61 Im März 1923 schließlich bezeichnet sich Kafka als »verzweifelte Ratte«, die »vergeblich« in die Literatur flieht: » . . . dieses Schreiben ist mir in einer für jeden Menschen um mich grausamsten ... Weise das Wichtigste auf Erden, wie etwa einem Irrsinnigen sein Wahn .. ,«62 Die Doublebind-Struktur des »Wahns« wird im »Schreiben« Kafkas unmittelbar beschworen: es ist »grausamst« und »das Wichtigste« zugleich, es zieht ihn an und stößt ihn ab, ist — etwa in seinen Konsequenzen für die Mitmenschen, die es doch erreichen soll, und damit auch für Kafka äußerst bedrohlich und doch lebensnotwendig wie der »Wahn«, in dem der »Irrsinnige«, dem die Fähigkeit zur Metakommunikation abgeht, gefangen ist. Die Auffassung des Schreibens als in sich widersprüchlich bestimmt weitgehend auch Kafkas Werke selbst; nicht nur deutlich sichtbar wie im Bereich der Handlungsführung, der Bildgehalte, der Charaktergestaltung, sondern etwa auch in der Öffnung und Unabgeschlossenheit der Erzählstrukturen.63 Gehen Kafkas Erzähler einerseits in die Protagonisten über und tragen sie andererseits immer wieder aus einer Distanz heraus zu deren Orientierungsverlust und Zerfall bei, so zeigt sich darin eine Tendenz zur Auflösung fester Anhaltspunkte, die Spannungen und Widersprüche 59
60
61 68 M
Franz Kafka, Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß. Frankfurt a. M. 1953- S. 348. Jürgen Born, Ludwig Dietz, Malcolm Pasley, Paul Raabe, Klaus Wagenbach, Kafka-Symposion. Berlin 1965. S. 50. Franz Kafka, Tagebücher 1910-1923. Frankfurt a.M. 1951. S. 523. Franz Kafka, Briefe 1902-1924. Frankfurt a.M. 1958. 8.431. Siehe etwa Winfried Kudszus, Erzählhaltung und Zeitverschiebung in Kafkas >Prozeß und >SchloßVor dem GesetzSchakale und Araber< und >Der ProzeßLes mots et lesjchoses.. .< gekennzeichnet und Fußnoten pro Texteinheit durchgezählt. Offensichtliche Druckfehler wurden beseitigt; Einfügungen des Herausgebers erscheinen in eckigen Klammern.
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Zu den Autoren GORSEN, Peter: geb. 1933 in Danzig; Studium der Philosophie, Psychologie, Literatur- und Kunstgeschichte und 1965 Promotion in Philosophie bei Theodor W.Adorno und Jürgen Habermas; im folgenden Kunstkritiker, Publizist und Mitherausgeber der Zeitschrift >Ästhetik und Kommunikation 3*-45, 47, 49-J6, 69-112, 135-141, 143-145, 150-167, 170-171, i73-!7$ Mon, F. 24, 31, 164 Phonetische Poesie (Hrsg.) 24 Morgenstern, C. 18, 31 Alle Galgenlieder 18 Das große Lalula 18 Morgenthaler, W. 34, 141-142 Ein Geisteskranker als Künstler 141-142
I8 7
Mosher, L. R. 145 Schizophrenia: Recent Trends 145 Mrozek, S. 166 Mukarovsk^, J. 137 Kapitel aus der Ästhetik 137 Müller, H. 70 Müller, J. 85 Müller-Suur, H. 15, 32, 49 Mundi, E. 30 Musdig, W. 30 Musil, R. 74 Mutismus 44-46, 52-53 Mystik ij, 15, 27, 30, 42-43, 76, 83, 89, 93,97-100» 131 Nagl et al. 77 Deutsch-österreichische Literaturgeschichte 77 Napoleon 93 Narzißmus 39 Naturalismus 33, 69, 76-80 Navratil, L. 4, 6, 9-10, 30, 31-34, 47, 113134, 142-143, 168-169, 176 a+b leuchten im Klee. Psychopathologische Texte 4, 118, 126, 131 Der Himmel ELLENO. über psychopathologische Kunst 118 Die sexuelle Thematik und deren 'Bewältigung' in einer schizophrenen Psychose 120 Psychopathologie und Sprache 9, 142 Sdjizophrenie und Kunst. Ein Beitrag zur Psychologie des Gestaltens 6, 132, 142 Schizophrenie und Sprache. Zur Psychologie der Dichtung 6, 118, 126, 142-143 Über Schizophrenie und Die Federzeichnungen des Patienten O. T. 12$, 142 Navratil, L. / Bader, A. Zwischen Wahn und Wirklichkeit. Kunst, Psychose, Kreativität 143 Navratil, L. / Radax, F. Mitteilungen aus der Isolation (Film) 126 Nebel, O. 18-20 Fünfzig Irre unter neun Runen 20 Neunrunenfuge 18-20, 22 Neoglossie 17, 29-30, ji Neologismus 29-31, jo, 127 Neophasie 17-25, 29, j i Neruda, P. 166 Nerval, G. de 4, 49, 16$ Nestroy, J. 73 Der Färber und sein Zwillingsbruder 73 Nietzsdie, F. 4, 49, 83-84, 86, 89, 103, 147-148, i6j Nominalismus 2;, 42-43 Nonsense , 31, ji, 127 Nordau, M. 79
Nouveau Realisme 26 Novak, H. 24 Novalis 91, 123-124, 131 Obszönität 11, 49, $2, 120 Ödipus-Komplex j, 136, 162 Orrill, R. (Mithrsg.) 3 R. D. Laing and Anti-Psychiatry Orton, J. 165 Orwell, G. 166 Osterreich, T. K. (Hrsg.) 41 O. T. 119 Der Traum 119
j
Panizza, O. 39 Paralyse 122 Paranoia 29, 39-40, 47-48, 151-152 Pasley, M. et al. i $3 Kafka-Symposion 153 Pater, W. H. 7 j Pathographie 34, 140 Patriarchat j Perl, W. H. 91 Leopold Andrian und die Blätter für die Kunst 91 Peters, U. H. 159 Wortfeld-Störung und Satzfeld-Störung. Interpretation eines schizophrenen Sprachphänomens mit strukturalistischen Mitteln 159 Petersen, J. 52 Pfeifer, R. A. 16, 34, 142 Der Geisteskranke und sein Werk 16, 142 Pfister, O. 22-23, 34> M 2 Der psychologische und biologische Untergrund des Expressionismus 142 Physiognomisierung 9, 12j, 127, 130, 143 Pidhette, H. 2 j Pinter, H. 166 Poe, E. A. 75 poesie sonore 15 Politzer, H. 154,157-158 Franz Kafka (Hrsg.) 157-158 Ponge, F. 166 Pop-art 168-169, '73 Pornographie u, 49, 52 Positivismus 6, 14-15, 46-50, 89-90, , 164 Pragmatismus 28, 150 Prang, H. 70 Der moderne Dichter und das arme Wort 70 Priessnitz, R. 53 Prince, M. 41, 88, 95, 103 The Dissociation of a Personality. A biographical study in abnormal ptychology 41, 88, 103
Prince, M. / Prince, W. F. 41 Die Spaltung der Persönlichkeit 41 Prinzhorn, H. ,23, 30, 34, 121, 141-142, 144 Bildnerei der Geisteskranken. Ein Beitrag zur Psychologie und Psychopathologie der Gestaltung 23, 141-141 Proust, M. 162 Psilozybin 114 Psychoanalyse 7, 37-38, 49, 146-148, 162, 168-170 Psychopharmaka 107, i n , 114-11$, 119, 123, 132, 166-167, 174
Romantik 38, 50-51, 72, 78-80, 83-84, 92, 107, 123-124,130-131 Rosenkranz, K. 52 Aesthetik des Häßlichen 52 Rotella 26 Roiwelsch 44 Rousseau, J.-J. 139 Rühm, G. 24-25 Ruprecht, E. (Hrsg.) 77-79 Literarische Manifeste des Naturalismus 1880-1891 77-79 Russell, B. 148
Raabe, P. et al. 153 Kafka-Symposion 153 Radax, F. / Navratil, L. 126 Mitteilungen aus der Isolation (Film) 126 Raimund, F. 73 Der Alpenkönig und der Menschenfeind
Sadock, B. J. (Mithrsg.) 145 Comprehensive Textbook of Piychiatry/ll
73
Der Verschwender 73 Rainer, . 115 Ransom, D. C. (Mithrsg.) 2-3, 136, 149150, 162 Double Bind: The Foundation of the Communicational Approach to the Family 2-3, 136, 149-150, 162 Rattner, J. 150 Wirklichkeit und Wahn. Dal Wesen der schizophrenen Reaktion i50 Rausch 104, 109-112, 115, 119, 123 Realismus 53-56, 77, 79 Redler 35 Regression 116, 130, 174 Reich, W. 7, 147-148 Charakteranalyse 7, 147-148 Reinhardt, M. 8; Reitzenstein, R. 83 Die Hellenistischen Mysterienreligionen «3 Re"ja, M. 141 L'art chez les fous 141 Renaissance 48, 80-81, 92 Requadc, P. 69-70, 103 Hugo von Hofmannsthal 70 Lichtenberg 103 Sprachverleugnung und Mantelsymbolik im Werke Hofmannsthals 69-70 Ribot, T. 41, 87-89, 95, 103 Les maladies de la personnalite 41, 8788, 95, 103 Richter, H. (Hrsg.) 24 Dadaprofile 24 Riha, K. 30-31 Rilke, R. M. 70 Ringier 166
'4 Satire 27, 31, 82 Scheerbart, P. 31 Schering, E. (Hrsg.) 40 A. Strindberg, Autobiographische Schriften 40 Schiller, F. 31, 78-79 Schizoanalyse 4-5, 7, 136, 162-163 Schizophrenieforschung 1—12, 32-40, 44-51, 71-72, 87-89, 113-117, 119-121, 124-126, 135-136, 139, 141-151, 159-160, 162-163, 166-169, 175 Schizophrenie und Ästhetik 6-7, 9-11, 13, 15-25, 29-30, 32-35, 37-46, 49. «- 6. 125-127, 130-134, 139-144, 152-154, 158163, 166-167, 170-171, 173-174 Schizophrenie und Familie 2-3, 5, 136, 148-150, 162, 172 Schizophrenie und Sprache 1-2, 6, 9-11, 16-30, 32-34, 37, 39-47, 49-J6, 72, 113136, 142-143, 146, 149-151, 159-160, 165167, 170-172 Schlaf, J. 77 Sdilenther, P. 85 Schmidt, A. 25, 28-29 Zettel's Traum 25 Sdinedel, A. 127 Bananen 127, 129-130 Charakter, I I . Teil 127-128 Das Sehen Dr. Waldheims im Armenhaus 128-129 Die Kirchenandacht 128 Schnitzler, A. 38, 70-71, 75, So, 82, 86, 89. 90-91. "J7 Schnitzler, O. 71-72 Der junge Hofmannsthal 72 Hofmannsthal und Arthur Schnitzler 71 Schopenhauer, A. 83-85 Schröder-Sonnenstern, F. 30, 134 Schwitters, K. 24, 31 Anna Blume 24
Die Zwiebel 24 Sneezing in German 14 Ursonate 14 Zahlengedichte 14 Science-fiction 22, 38 Sediehaye, M. 170 Seeba, H. C. (Mithrsg.) 154 Austritten, Festschrift für Heinz Politzer
Sullivan, H. S. 14« Conceptions of Modern Psychiatry 146 Surrealismus 17, 23-25, 30, 38, 44-45, 4748, 54, 138, 173 Swedenborg, E. 140 Swensen, C. 24 Symbolbildung 9, 32-33, 47-48, 116-117, 120, 122, 124-125, 127, 130
M4
Shakespeare, W. So, 139 Sigusdi, V. 56 Sinjawski, A, 165 Skeptizismus 42, 70, 73, 89 Sluzki, C. E. (Mithrsg.) 2-3, 136, 149-110, 161 Double Bind: The Foundation of the Communicationjl Approach to the Family 2-3, 136, 149-150, 162 Sluzki, C. E. / Veron, E. The Double Bind as a Universal Pathogenic Situation 149 Sokel, W. H. 153 Das Verhältnis von Erzählperspektive zu Erzählgeschehen und Sinngehalt in >Vor dem Gesetz', >Schakale und Araber· und 'Der Prozeß< 153 Solon 171 Somatismus 48, jo, 166, 168 Sonnemann, U. 15 Sozialistisches Patientenkollektiv 56 Spitteler, C. 172 Spoerri, Th. 17-18, 29, 143 Sprachphänomene und Psychose 143 Springer, A. 166 Steiner, H. (Hrsg.) 84, 88-89, 97, 99 Hofmannsthal, Aufzeichnungen 88 Hofmannsthal, Dramen HI 89 Hofmannsthal, Gedichte und Lyrische Dramen 99 Hofmannsthal, Prosa l 84 Hofmannsthal, Prosa II 97 Stereotypie 50, 114, 116, 126-127, M1· 159 Sterilität 41 Stevenson, R. L. 37 The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde 37 Stramm, A. 16 Die Menschheit 16 Strauß, F. J. 166 Strindberg, A. 30, 39-40, 50, 140, 142, 165 Autobiographische Schriften 40 Bid bok 40 Strukturalismus 4-7, , 13-1$, 3J, 46-50, 136, 144, 147-148, 161, 170 Stuchlik, J. 29 Subkultur 35, 44 I9O
Taube, O. 84 Taxis, M. v. 88 Textes bruts 41-46, fz-rf Tismar, J. 53 Trakl, G. 107, i i 2 In den Nachmittag geflüstert 107 Traum des Bösen 107 Trance 123 Tymms, R. 73 Doubles in Literary Psychology 73 Tynjanov, J. 133-134 Die literarischen Kunstmittel und die Evolution in der Literatur 133 Tzara, T. 24-25 Negerlieder 14 Urban, B. 135, 137 P sydtoarudy tische und psychopathologische Literaturinterpretation (Mithrsg.)
Veron, E. / Sluzki, C. E. 149 The Double Bind as a Universal Pathogenic Situation 149 Vexiermontage 29 Villegle, Jacq. de la 26 Vlastos, M. 4 Doris Lessing and R. D. Laing: Psychopolitics and Prophecy 4 Vogt, W. 9-io, 144, 164-176 Die Schizophrenie der Kunst 9 Vostell, W. 26 de Vree 24 Wagenbach, K. et al. 153 Kafka-Symposion 153 Wagner, R. 84 Wagner-Simon, T. 143 Wahrnehmungs-Halluzinations-Kontinuum 114-117, 123, 142-143 Waiser, R. 30, 39, 165 Walzel, O. 86, 90-92 Wachstum und Wandel 91 Warning, R. (Hrsg.) 138 Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis 138 Wassermann, J, 70
Watts, A. W. 3 A Fragment from »Psychotherapy East and West< 3 Watzlawick, P. et al. i, 136, 149 Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien i, 136, 149 Weakland, J. H. et al. i, 136, i j i Auf dem Wege zu einer SchizophrenieTheorie 2, 136 Schizophrenie und Familie. Beiträge zu einer neuen Theorie 2 Weichbrodt, R. 139 Der Dichter Lenz 139 Weismann, A. 103 Zur Frage der Unsterblichkeit der Einzelligen 103 Weiss, P. 38, j4 Weisse, A. 85 Wenger, V. et al. 145 Forschungen zur Schizophrenielehre $}6 bis 196} 14$ Weygandt, W. 139 Abnorme Charaktere in der dramatischen Literatur: Shakespeare, Goethe, Ibsen, Gerhart Hauptmann 139 Whitehead, A. N. 148 Wiener, O. i j Wiesmann, L. 143 Wilden, A. / Wilson, T. 3 The Double Bind: Logic, Magie, and Economics 3 Wille, B. 77 Willenberg, H. 137 Die Darstellung des Bewußtseins in der Literatur. Vergleichende Studien zu Philosophie, Psychologie und deutscher Literatur von Schnitzler bit Brach 137 Williams, T. 166
Williams, W. C. 166 Wilson, T. / Wilden, A. 3 The Double Bind: Logic, Magic, and Economics 3 Winkler, W. 47, 107 Wolff, R. 140 Psychoanatytische Literaturkritik (Hrsg.) 140 Versuch einer Systematik 140 Wölfli, A. i 4 I Wolfson, L. 5, 136 Le schizo et les langues $,136 Wunberg, G. 6, 8-9, 38, 41-41, 69-103, 140, 176 Depersonalisation und Bewußtsein im Wien des frühen Hofmannsthal 8 Der frühe Hofmannsthal. Schizophrenie als dichterische Struktur 6, 8, 76, 82, 84, 96, 102 Wunderlich, D. (Hrsg.) 159 Linguistische Pragmatik 159 Wynne, L. 2, ijo On the Anguish, and Creative Passions, of Not Escaping Double Binds: A Reformulation 150 Wynne, L. et al. Schizophrenie und Familie. Beiträge zu einer neuen Theorie i Zeidler et al. 77 Deutsch-österreichische Literaturgeschichte 77 Ziolkowski, Th. 70, 73 James Joyces Epiphanie und die Überwindung der empirischen Welt in der modernen deutschen Prosa 70 Zustandsgebundenheit 114,119-121
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Deutsche Texte Herausgegeben von GOTTHART WUNBERG 1 Der junge Herder. Hg. von W. Rasch (Niemeyer) 2 Gedichte des französischen Symbolismus in deutschen Übersetzungen. Hg. von W. Kayser (Niemeyer) 3 Martin Luther: Ausgewählte deutsche Schriften. Hg. von H. Volz (Niemeyer) 4 Deutsche Dramaturgie vom Barock bis zur Klassik. Hg. von B. v. Wiese (dtv/Niemeyer) 6 Hans Sachs: Fastnachtspiele. Hg. von Th. Schumacher (Niemeyer) 7 Dichtung des Rokoko. Hg. von A. Anger (Niemeyer) 8 Conrad Ferdinand Meyer: Gedichte. Wege ihrer Vollendung. Hg. von H. Henel (Niemeyer) 9 Kreuzzugsdichtung. Hg. von U. Müller (dtv/Niemeyer) 10 Deutsche Dramaturgie des 19. Jahrhunderts. Hg. von B. v. Wiese (dtv/Niemeyer) 11 Der galante Stil. 1680-1730. Hg. von C. Wiedemann (Niemeyer) 12 Dichter ober Dichter in mittelhochdeutscher Zeit Hg. von G. Schweikle (dtv/Niemeyer) 13 Theorie und Kritik der deutschen NoveUe von Wieland bis Musil. Hg. von K. K. Polheim (Niemeyer) 14 Dichterische Prosa um 1900. Hg. von W. Rasch (Niemeyer) 15 Deutsche Dramaturgie vom Naturalismus bis zur Gegenwart Hg. von B. v. Wiese (dtv/Niemeyer)
16 Theorie und Technik des Romans 17 im 17. und 18. Jahrhundert Bd. 1: Barock und Aufklärung; Bd. 2: Spätaufklärung, Klassik und Frühromantik. Hg. von C. Wiedemann (dtv/Niemeyer) 18 Theorie und Technik des Romans im 19. Jahrhundert. Hg. von H. Steinecke (dtv/Niemeyer) 19 Dichtungstheorien der Aufklärung. Hg von H. Boetius (Niemeyer) 20 Theorie und Technik des Romans im 20. Jahrhundert. Hg. von H. Steinecke (dtv/Niemeyer) 21 Materialien zur Ideologiegeschichte der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1: Von Scherer bis zum Ersten Weltkrieg. Texte zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik IV. Hg. von G. Reiß (dtv/Niemeyer) 22 Materialien zur Ideologiegeschichte der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 2: Vom Ersten Weltkrieg bis 1945. Texte zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik V. Hg. von G. Reiß (dtv/Niemeyer) 23 Carl Bleibtreu: Revolution der Literatur. Mit erläuternden Anmerkungen und einem Nachwort hg. von J. J. Braakenburg (Niemeyer) 24 Psychoanalyse und Literaturwissenschaft. Texte zur Geschichte ihrer Beziehungen. Hg. von B. Urban (Niemeyer) 25 Sprache, Dichtung, Musik. Texte zu ihrem gegenseitigen Verständnis. Hg. von J. Knaus (Niemeyer) 26 Lyrik der Gründerzeit Hg. von G. Mahal (dtv/Niemeyer) 27 Robert Prutz: Schriften zur Literatur und Politik. Hg. von B. Hüppauf (Niemeyer)
Deutsche Texte
37 Lyrik des Expressionismus. Hg.
Herausgegeben von GOTTHART WUNBERG
38 Ibsen auf der deutschen Bühne.
von S. Vietta (dtv/Niemeyer)
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28 Die Entwicklung des bürgerlichen Dramas im 18. Jahrhundert. Hg. von J. Mathes (Niemeyer) 29 Samuel Lublinski: Die Bilanz der Moderne. Mit einem Nachwort neu hg. von G. Wunberg (Niemeyer) 30 Vom Laienurteil zum Kunstgeffihl. Texte zur deutschen Geschmacksdebatte im 18. Jh. Hg. von A. v. Bormann (dtv/Niemeyer) 31 Deutsche Dramaturgie der Sechziger Jahre. Ausgewählte Texte unter Mitarbeit von P. Seibert hg. von H. Kreuzer (dtv/Niemeyer) 32 Russische Literatur in Deutschland. Texte zur Rezeption von den Achtziger Jahren bis zur Jahrhundertwende. Hg. von S. Hoefert (Niemeyer) 33 Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie. Texte und Bibliographie. Hg. von T. Kopfermann (dtv/Niemeyer) 34 Ludwig Tieck: Ausgewählte kritische Schriften. Hg. von E. Ribbat (Niemeyer) 35 Der Briefwechsel Arthur Schnltzler-Otto Brahm. Vollständige Ausgabe. Hg. von O. Seidlin (Niemeyer) 36 Heine in Deutschland. Dokumente seiner Rezeption 1833— 1956. Hg. von K. Th. Kleinknecht (dtv/Niemeyer)
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Texte zur Rezeption. Hg. von W. Friese (Niemeyer) Die lutherischen Pamphlete gegen Thomas Müntzer. Hg. von L. Fischer (dtv/Niemeyer) Wilhelm Bölsche: Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie. Hg. von J. J. Braakenburg (dtv/Niemeyer) Samuel Lublinski. Der Aasgang der Moderne. Hg. von G. Wunberg (Niemeyer) Karl August Varnhagen von Ense: Uteratarkritiken. Hg. von K. F. Gille (Niemeyer) Uterarische Wertung. Texte zur Entwicklung der Wertungsdiskussion in der Literaturwissenschaft. Hg. von N. Mecklenburg (dtv/Niemeyer) Wilhelm Scherer: Poetik. Hg. von G. Reiß (dtv/Niemeyer)
45 Literatur und Schizophrenie. Theorie und Literatur eines Grenzgebiets. Hg. von W. Kudszus (dtv/Niemeyer) 46 Heinrich Mann. Texte zu seiner Wirkungsgeschichte in Deutschland. Hg. von R. Werner (dtv/ Niemeyer) 47 Mittelalterrezeption. Texte zur Aufnahme altdeutscher Literatur in der Romantik. Hg. von G. Kozietek (Niemeyer)
Deutscher Taschenbuch Verlag und Max Niemeyer Verlag