Beschreibung und Wahrnehmung des Fremden in der rabbinischen Literatur: Eine Interpretation anhand der Traktate Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin 9783035100198

Oft entscheiden Äußerlichkeiten über unser Verhältnis zu Fremden. Zugleich erlaubt die sinnliche Wahrnehmung fremder Per

131 59 2MB

German Pages [434] Year 2010

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Inhalt
Einleitung 11
I. Theorie und Methode für „der, die, das Fremde" 17
1. Die Analyse der Fremdheit als wissenschaftliche Aufgabe 17
1.1 Ausgangspunkte der Forschung für eine Interpretationdes Fremden in der Antike 18
1.2 „Der, die, das Fremde“ als theoretischer Ansatz 24
2. Zum Forschungsstand in der rabbinischen Literatur 30
2.1 Ein Überblick über die Forschungsgeschichte 30
2.2 Inhaltliche und methodische Ausgangspunkte der Forschung 45
3. Der methodische Ansatz für „der, die, das Fremde 52
3.1 Die Auswahl geeigneter Quellen für die Untersuchung 52
3.2 Die Auswahl geeigneter Begriffe für die Untersuchung 56
3.3 „Der, die, das Fremde“ als Paradigma des Fremden 60
II. Beschreibung und Wahrnehmung des Fremden in der rabbinischen Literatur 65
1. Traktat Brachot 67
1.1 Ein Überblick über Mischna Brachot 68
1.2 Das Verzeichnis der Belegstellen und die Überlieferung des Traktats 71
1.2.1 Das Verzeichnis der Belegstellen 72
1.2.2 Zu Problemen der Überlieferung in yT und bT Brachot 74
1.3 Die Auswertung der Belegstellen in yT und bT Brachot 75
1.3.1 Israel im Kontrast zu den Fremden: von Mischna 1,1 bis 7,1 76
1.3.2 Der Segen über das Mahl mit Fremden: zu Mischna 7,1 92
1.3.3 Über die Nutznießung des fremden Lichts: zu Mischna 8,6 94
1.3.4 Der jüdische Gott und der fremde Dienst: zu Mischna 9,1 101
1.3.5 Fremde in der rabbinischen Exegese:von Mischna 9,1 bis 9,5 110
1.4 Der, die, das Fremde: Über die Interaktion mit Fremden 112
2. Traktat Schabbat 120
2.1 Ein Überblick über Mischna Schabbat 120
2.2 Das Verzeichnis der Belegstellen und die Überlieferung des Traktats 125
2.2.1 Das Verzeichnis der Belegstellen 125
2.2.2 Zu Problemen der Überlieferung in yT und bT Schabbat 128
2.3 Die Auswertung der Belegstellen in yT und bT Schabbat 129
2.3.1 Über fremde Speisen und Flüssigkeiten: von Mischna 1,1 bis 1,7 130
2.3.2 Die Arbeit von Fremden am Schabbat: zu Mischna 1,7, 1,8 und 1,9 136
2.3.3 Fremde und die Hierarchie Israels: zu Mischna 2,5 142
2.3.4 Über die Dimensionen der Differenz: von Mischna 2,5 bis 9,1 147
2.3.5 Die Verunreinigung durch fremde Idole und ihr Zubehör: zu Mischna 9,1 158
2.3.6 Über die soziale Differenz: von Mischna 9,1 bis 16,6 164
2.3.7 Die Hilfeleistung durch Fremde: zu Mischna 16,6 und 16,8 169
2.3.8 Über Proselyten und ihre Beschneidung:von Mischna 16,8 bis 23,4 172
2.3.9 Zur Arbeit am Schabbat: Einige Kommentare des Bavli 177
2.4 Der, die, das Fremde: Fremde an den Grenzen Israels 181
3. Traktat Jebamot 189
3.1 Ein Überblick über Mischna Jebamot 190
3.2 Das Verzeichnis der Belegstellen und die Überlieferung des Traktats 197
3.2.1 Das Verzeichnis der Belegstellen 197
3.2.2 Zu Problemen der Überlieferung in yT und bT Jebamot 200
3.3 Die Auswertung der Belegstellen in yT und bT Jebamot 202
3.3.1 Über die Terminologie in Jebamot: von Mischna 1,1 bis 1,7 203
3.3.2 Fremde und die Genealogie Israels: zu Mischna 2,5 211
3.3.3 Über die Mischehe mit Fremden: zu Mischna 2,8 215
3.3.4 Aspekte der sozialen Fremdheit: von Mischna 3,6 bis 3,9 218
3.3.5 Über die Konversion und den Status der Fremden: von Mischna 3,9 bis 6,5 221
3.3.6 Verschiedene Motive einer sozialen Hierarchie: von Mischna 6,5 bis 7,5 238
3.3.7 Über die Nachkommen der Fremden: zu Mischna 7,5 245
3.3.8 Die Beschneidung als Distinktionsmerkmal: von Mischna 7,5 bis 8,2 246
3.3.9 Über die soziale Differenz in yT und bT: zu Mischna 8,2 254
3.3.10 Die Rhetorik der Fremdbeschreibung: von Mischna 8,2 bis 11,2 258
3.3.11 Das soziale Umfeld der „Gerim“: zu Mischna 11,2 265
3.3.12 Zum Zeugnis von Proselyten: zu Mischna 11,2 bis 14,3 271
3.3.13 Zum Zeugnis von Fremden: zu Mischna 14,3-9, Mischna 16,5 und weiteren Belegstellen 277
3.4 Der, die, das Fremde: Facetten der sozialen Fremdheit 282
4. Traktat Sanhedrin 292
4.1 Ein Überblick über Mischna Sanhedrin 293
4.2 Das Verzeichnis der Belegstellen und die Überlieferung des Traktats 299
4.2.1 Das Verzeichnis der Belegstellen 299
4.2.2 Zu Problemen der Überlieferung in yT und bT Sanhedrin 302
4.3 Die Auswertung der Belegstellen in yT und bT Sanhedrin 303
4.3.1 Über das Verhältnis zu Fremden: von Mischna 1,1 bis 5,1 304
4.3.2 Über die Entwicklung einer Rhetorik: zu Mischna 5,1 und 6,4 314
4.3.3 Fremde und die rechtliche Ordnung Israels:von Mischna 6,4 bis 7,4 318
4.3.4 Die Bedeutung der Exegese für die Fremdbeschreibung:von Mischna 7,4 bis 7,6 323
4.3.5 Die Spezifizierung des fremden Diensts: zu Mischna 7,6 335
4.3.6 Der Molekh als fremder Dienst: von Mischna 7,6 bis 7,10 344
4.3.7 Über das Geld der Fremden: von Mischna 7,10 bis 8,7 350
4.3.8 Die Rettung vor dem fremden Dienst:zu Mischna 8,7 und 9,2 354
4.3.9 Über die Merkmale einer sozialen Hierarchie:zu Mischna 9,6 359
4.3.10 Fremde in der rabbinischen Exegese:von Mischna 9,6 bis 11,6 365
4.4 Der, die, das Fremde: Die Bedeutung der fremden Kulte 377
III. Vergleich der Traktate Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin 389
IV. Von der Beschreibung zur Wahrnehmung: Eine Zusammenfassung 405
V. Literaturverzeichnis, Quellen und Register 415
1. Quellen 415
2. Sekundärliteratur 417
2.1 Literatur zu „der, die, das Fremde 417
2.2 Sekundärliteratur zu den rabbinischen Quellen 418
3. Register 427
Recommend Papers

Beschreibung und Wahrnehmung des Fremden in der rabbinischen Literatur: Eine Interpretation anhand der Traktate Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin
 9783035100198

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

JUDAICA ET CHRISTIANA

Korbinian Spann

Beschreibung und Wahrnehmung des Fremden in der rabbinischen Literatur Eine Interpretation anhand der Traktate Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin

LANG

Oft entscheiden Äußerlichkeiten über unser Verhältnis zu Fremden. Zugleich erlaubt die sinnliche Wahrnehmung fremder Personen und Orte, Rückschlüsse auf die eigene Identität zu ziehen. Dies gilt auch für das Judentum und die jüdische Wahrnehmung. Während die Figur des Fremden im Alten Testament bereits einige Beachtung fand, wurde sie in der rabbinischen Literatur bisher kaum untersucht. Diese Studie analysiert und vergleicht die Wahrnehmung und Beschreibung des Fremden in der rabbinischen Literatur. Dabei konzentriert sie sich auf die Traktate Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin, um einen Einblick in die jeweilige Ordnung des Talmud zu geben. Grundlegende Fragen sind: In welchen Kontexten werden Fremdlinge thematisiert? Inwiefern gewährt deren Beschreibung einen Einblick in die Wahrnehmung der Autoren? Welche Selbstsicht der Autoren lässt sich der Auseinandersetzung mit dem Fremden entnehmen? Von besonderem Interesse ist, ob das Bild der Fremden im Talmud das Produkt der biblischen Exegese oder realistisch ist. Dafür werden bestimmte Bezeichnungen wie „Goy“, „Ger“ und Ä1RতUL³YHUJOLFKHQXQGGHUHQ'DUVWHOOXQJXQWHUVXFKW'LH%HVFKUHLEXQJ des Fremden gewährt aufschlussreiche Einblicke in die sozialen Veränderungen Israels in der rabbinischen Epoche.

KORBINIAN SPANN, geboren 1980, studierte an den Universitäten Augsburg und Freiburg Judaistik, Geschichte, Politikwissenschaften und Philosophie. Nach einem Forschungsaufenthalt in Harvard promovierte er 2008 an der Universität Freiburg. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die Geschichte Israels in der Antike und Moderne, jüdische Literatur und jüdische Philosophie.

www.peterlang.com

Beschreibung und Wahrnehmung des Fremden in der rabbinischen Literatur

Judaica et Christiana Herausgegeben von Simon Lauer und Stefan Schreiner

Band 25

PETER LANG Bern s Berlin s Bruxelles s Frankfurt am Main s New York s Oxford s Wien

Korbinian Spann

Beschreibung und Wahrnehmung des Fremden in der rabbinischen Literatur Eine Interpretation anhand der Traktate Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin

PETER LANG Bern s Berlin s Bruxelles s Frankfurt am Main s New York s Oxford s Wien

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar.

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2008 von der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg im Breisgau als Inaugural-Dissertation angenommen.

„Der Talmud gehört, eben durch seine Fremdartigkeit gegenüber dem heutigen Denken und Wissen, zu den Dingen, bei denen der Sprung vom Nichtkennen zur oberflächlichen Bekanntschaft größer und bei guter Leistung ausblicksreicher ist als der von dieser oberflächlichen Bekanntschaft zu gründlicher Vertrautheit.“ Franz Rosenzweig, Zeit ists, in: Zweistromland. Kleinere Schriften zu Glauben und Denken, 469.

Diese Arbeit wäre ohne die Unterstützung vieler Personen nicht möglich gewesen. Ich danke meinen Betreuern, Gabrielle Oberhänsli-Widmer und Hans-Helmuth Gander an der Albert-Ludwigs Universität Freiburg, für die Möglichkeit, aus einem Konzept ein Projekt zu formen, und die Unterstützung bei der Verwirklichung. Mein Dank gilt im Weiteren Shaye Cohen, der mir ermöglichte, die Arbeit am NELC der Universität Harvard zu diskutieren und zu Ende zu führen. Für ihre wegweisenden Ratschläge möchte ich außerdem Christine Hayes, Peter Schäfer, Stefan Schreiner, Günter Stemberger und Seth Schwartz danken. Der Studienstiftung des deutschen Volkes danke ich für die großzügige finanzielle und ideelle Förderung. Nicht zuletzt bin ich allen Freunden, Verwandten und Bekannten in Freiburg, München, Tübingen, Stuttgart, Köln und Boston für ihr Interesse, ihre wertvollen Anregungen und ihre Unterstützung dankbar verbunden. Meine besondere Anerkennung gilt ASM.

ISBN 978-3-0351-0019-8 ISSN 0171-676X

© Peter Lang AG, Internationaler Verlag der Wissenschaften, Bern 2010 Hochfeldstrasse 32, CH-3012 Bern [email protected], www.peterlang.com, www.peterlang.net

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschliesslich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ausserhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Switzerland

Inhalt

Einleitung.................................................................................................. 11 I. Theorie und Methode für „der, die, das Fremde“.................................. 17 1. Die Analyse der Fremdheit als wissenschaftliche Aufgabe.................. 17 1.1 Ausgangspunkte der Forschung für eine Interpretation des Fremden in der Antike............................................................. 18 1.2 „Der, die, das Fremde“ als theoretischer Ansatz............................ 24 2. Zum Forschungsstand in der rabbinischen Literatur............................ 30 2.1 Ein Überblick über die Forschungsgeschichte............................... 2.2 Inhaltliche und methodische Ausgangspunkte der Forschung....... 3. Der methodische Ansatz für „der, die, das Fremde“............................. 3.1 Die Auswahl geeigneter Quellen für die Untersuchung................. 3.2 Die Auswahl geeigneter Begriffe für die Untersuchung................ 3.3 „Der, die, das Fremde“ als Paradigma des Fremden......................

30 45 52 52 56 60

II. Beschreibung und Wahrnehmung des Fremden in der rabbinischen Literatur................................................................. 65 1. Traktat Brachot..................................................................................... 1.1 Ein Überblick über Mischna Brachot............................................. 1.2 Das Verzeichnis der Belegstellen und die Überlieferung des Traktats........................................................ 1.2.1 Das Verzeichnis der Belegstellen........................................... 1.2.2 Zu Problemen der Überlieferung in yT und bT Brachot........ 1.3 Die Auswertung der Belegstellen in yT und bT Brachot................ 1.3.1 Israel im Kontrast zu den Fremden: von Mischna 1,1 bis 7,1.......................................................... 1.3.2 Der Segen über das Mahl mit Fremden: zu Mischna 7,1....... 1.3.3 Über die Nutznießung des fremden Lichts: zu Mischna 8,6..

67 68 71 72 74 75 76 92 94

5

1.3.4 Der jüdische Gott und der fremde Dienst: zu Mischna 9,1.... 101 1.3.5 Fremde in der rabbinischen Exegese: von Mischna 9,1 bis 9,5.......................................................... 110 1.4 Der, die, das Fremde: Über die Interaktion mit Fremden............... 112 2. Traktat Schabbat................................................................................... 120 2.1 Ein Überblick über Mischna Schabbat........................................... 120 2.2 Das Verzeichnis der Belegstellen und die Überlieferung des Traktats....................................................... 125 2.2.1 Das Verzeichnis der Belegstellen........................................... 125 2.2.2 Zu Problemen der Überlieferung in yT und bT Schabbat...... 128 2.3 Die Auswertung der Belegstellen in yT und bT Schabbat.............. 129 2.3.1 Über fremde Speisen und Flüssigkeiten: von Mischna 1,1 bis 1,7.......................................................... 130 2.3.2 Die Arbeit von Fremden am Schabbat: zu Mischna 1,7, 1,8 und 1,9................................................... 136 2.3.3 Fremde und die Hierarchie Israels: zu Mischna 2,5............... 142 2.3.4 Über die Dimensionen der Differenz: von Mischna 2,5 bis 9,1.......................................................... 147 2.3.5 Die Verunreinigung durch fremde Idole und ihr Zubehör: zu Mischna 9,1....................................................................... 158 2.3.6 Über die soziale Differenz: von Mischna 9,1 bis 16,6........... 164 2.3.7 Die Hilfeleistung durch Fremde: zu Mischna 16,6 und 16,8. 168 2.3.8 Über Proselyten und ihre Beschneidung: von Mischna 16,8 bis 23,4...................................................... 172 2.3.9 Zur Arbeit am Schabbat: Einige Kommentare des Bavli....... 176 2.4 Der, die, das Fremde: Fremde an den Grenzen Israels.................... 180 3. Traktat Jebamot..................................................................................... 189 3.1 Ein Überblick über Mischna Jebamot............................................ 190 3.2 Das Verzeichnis der Belegstellen und die Überlieferung des Traktats....................................................... 197 3.2.1 Das Verzeichnis der Belegstellen........................................... 197 3.2.2 Zu Problemen der Überlieferung in yT und bT Jebamot....... 200 3.3 Die Auswertung der Belegstellen in yT und bT Jebamot............... 202 3.3.1 Über die Terminologie in Jebamot: von Mischna 1,1 bis 1,7 203

6

3.3.2 Fremde und die Genealogie Israels: zu Mischna 2,5............. 211 3.3.3 Über die Mischehe mit Fremden: zu Mischna 2,8................. 215 3.3.4 Aspekte der sozialen Fremdheit: von Mischna 3,6 bis 3,9..... 218 3.3.5 Über die Konversion und den Status der Fremden: von Mischna 3,9 bis 6,5.......................................................... 221 3.3.6 Verschiedene Motive einer sozialen Hierarchie: von Mischna 6,5 bis 7,5.......................................................... 238 3.3.7 Über die Nachkommen der Fremden: zu Mischna 7,5.......... 244 3.3.8 Die Beschneidung als Distinktionsmerkmal: von Mischna 7,5 bis 8,2.......................................................... 246 3.3.9 Über die soziale Differenz in yT und bT: zu Mischna 8,2..... 254 3.3.10 Die Rhetorik der Fremdbeschreibung: von Mischna 8,2 bis 11,2...................................................... 258 3.3.11 Das soziale Umfeld der „Gerim“: zu Mischna 11,2............. 265 3.3.12 Zum Zeugnis von Proselyten: zu Mischna 11,2 bis 14,3..... 271 3.3.13 Zum Zeugnis von Fremden: zu Mischna 14,3-9, Mischna 16,5 und weiteren Belegstellen.............................. 277 3.4 Der, die, das Fremde: Facetten der sozialen Fremdheit................. 282 4. Traktat Sanhedrin.................................................................................. 292 4.1 Ein Überblick über Mischna Sanhedrin......................................... 293 4.2 Das Verzeichnis der Belegstellen und die Überlieferung des Traktats....................................................... 299 4.2.1 Das Verzeichnis der Belegstellen........................................... 299 4.2.2 Zu Problemen der Überlieferung in yT und bT Sanhedrin.... 302 4.3 Die Auswertung der Belegstellen in yT und bT Sanhedrin............ 303 4.3.1 Über das Verhältnis zu Fremden: von Mischna 1,1 bis 5,1.... 304 4.3.2 Über die Entwicklung einer Rhetorik: zu Mischna 5,1 und 6,4.......................................................... 314 4.3.3 Fremde und die rechtliche Ordnung Israels: von Mischna 6,4 bis 7,4.......................................................... 318 4.3.4 Die Bedeutung der Exegese für die Fremdbeschreibung: von Mischna 7,4 bis 7,6.......................................................... 323 4.3.5 Die Spezifizierung des fremden Diensts: zu Mischna 7,6..... 335 4.3.6 Der Molekh als fremder Dienst: von Mischna 7,6 bis 7,10... 344 4.3.7 Über das Geld der Fremden: von Mischna 7,10 bis 8,7......... 350

7

4.3.8 Die Rettung vor dem fremden Dienst: zu Mischna 8,7 und 9,2.......................................................... 354 4.3.9 Über die Merkmale einer sozialen Hierarchie: zu Mischna 9,6....................................................................... 359 4.3.10 Fremde in der rabbinischen Exegese: von Mischna 9,6 bis 11,6...................................................... 365 4.4 Der, die, das Fremde: Die Bedeutung der fremden Kulte.............. 377 III. Vergleich der Traktate Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin... 389 IV. Von der Beschreibung zur Wahrnehmung: Eine Zusammenfassung.. 405 V. Literaturverzeichnis, Quellen und Register.......................................... 415 1. Quellen.................................................................................................. 415 2. Sekundärliteratur................................................................................... 417 2.1 Literatur zu „der, die, das Fremde“................................................ 417 2.2 Sekundärliteratur zu den rabbinischen Quellen.............................. 418 3. Register................................................................................................. 427

8

Transkription

Nicht transkribiert werden biblische und rabbinische Namen bis auf wenige Ausnahmen. Beispielsweise werden die Begriffe „Mischna“, „Schabbat“ und „Avoda Zara“ als Namen aufgefasst. unvokalisiert

vokalisiert



A





B

v,b



G

g



D

d



H

h



W

w



Z

z















Y

y, i,j



K

kh, k

L

l



M

m



N

n



S

s









P

f, p

9









Q

q



R

r



S

s



Sh

sh



T

t

Die Abkürzungen orientieren sich an Günter Stemberger, Einführung in Talmud und Midrasch, 356-357. Verwendet werden u.a. folgende Abkürzungen: bT - babylonischer Talmud; yT - palästinischer Talmud; M Mischna; Tos - Tosefta; Ber - Brachot; Schab - Schabbat; Jeb - Jebamot; San - Sanhedrin; A“Z -Avoda Zara.

10

Einleitung

.         

Ein Sprichwort: In der Heimat gilt mein Name, in der Fremde meine Kleidung. (bT Schab 145b)

Die Thematik der Fremdheit ist aktuell Gegenstand vielfältiger Forschungen in den Geisteswissenschaften.1 Dabei konzentrieren sich diese Arbeiten meist auf die theoretische Erforschung der Fremdheit oder auf ihre Konsequenzen, wie Asyl, Integration und Leitkultur. Diese Studien reflektieren unvermeidlich die Wahrnehmung und Erwartungen an Fremde. Doch nicht nur das Verhalten der Fremden sollte beachtet werden, sondern auch das Verhältnis zu Fremden. Dieses Verhältnis basiert auf der sinnlichen Wahrnehmung der Fremden. Wie das vorangestellte Zitat aus dem babylonischen Talmud zeigt, entscheiden oft Äußerlichkeiten über die Wahrnehmung. Diese Äußerlichkeiten sind für die Einschätzung der Fremden oft bedeutsamer als ihre Intentionen oder Handlungen. Auch zu Zeiten des babylonischen Talmud basiert die Beschreibung der Fremden offenbar auf der sinnlichen Wahrnehmung. Eine Untersuchung der Fremdheit muss deshalb die Wahrnehmung und Beschreibung des Fremden berücksichtigen. Diese Perspektiven können, passend zur Wahrnehmung und Beschreibung, „Fremderfahrung“ und „Fremdbeschreibung“ genannt 1

Einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung des Fremden liefert die Philosophie, bspw. die „Studien zur Phänomenologie des Fremden“ von B. Waldenfels. T. Sundermeier versammelt in „Den Fremden wahrnehmen: Bausteine für Xenologie“ einige theoretische und praktische Einblicke in die ethnologische Forschung zum Fremden. Die Arbeit von G. Saalman „Fremdes Verstehen. Das Problem des Fremdverstehens vom Standpunkt einer metadisziplinären Kulturanthropologie“ nähert sich dem Fremdverstehen aus der soziologischen Perspektive. Einen religionswissenschaftlichen Ansatz bietet A. Grünschloss in „Interreligiöse Fremdwahrnehmung als Thema von Religionswissenschaften und Theologie“ im zugehörigen Sammelband von A. Schultze. Der Sammelband von M. Schuster „Die Begegnung mit dem Fremden. Wertungen und Wirkungen in Hochkulturen vom Altertum bis zur Gegenwart“ gewährt einen umfassenden Überblick über Fremderfahrung in antiken und modernen Kulturen.

11

werden. Insofern ist der eigene Standpunkt für die Wahrnehmung des Fremden entscheidend. Der Verfasser dieser Studie wird nun als Fremder einen Blick durch den Zaun um die Tora wagen. Im Verlauf einer mehrjährigen Beschäftigung mit dem Thema der Fremdheit wurde deutlich, dass Kategorien notwendig sind, um das Phänomen zu gliedern und zu erforschen. Diese Kategorien, die sich auf die fremde Person, den Ort und die Religion konzentrieren, wurden in der Studie „Der, die, das Fremde: Juden und jüdische Religion als Paradigma einer Philosophie des Fremden“ vornehmlich für die jüdische Literatur und Philosophie entwickelt.2 In dieser Studie blieb ungeklärt, welche Ursprünge die Behandlung des Fremden im Judentum hat. Die Bedeutung des Fremden beruht nicht nur auf der Tora, sondern auch auf der zweiten antiken Quellensammlung, der rabbinischen Literatur. Während die Figur des Fremden im Alten Testament wissenschaftlich einige Beachtung gefunden hat,3 scheint eine umfassende Untersuchung für die rabbinische Literatur noch auszustehen.4 Als rabbinische Literatur werden die Texte von der Zerstörung des zweiten Tempels bis in die Zeit des frühen Mittelalters bezeichnet, die maßgeblich durch bestimmte jüdische Traditionsgelehrte, die Rabbinen, geprägt ist.5 Dieser heterogene Quellenbestand, der verschiedene literarische Gattungen wie die Exegese der Tora, die Auslegung religiöser Traditionsliteratur, Episoden, Gedichte und Geschichtsschreibung beinhaltet, erfordert eine gewisse Einschränkung. Eine vollständige Analyse der gesamten rabbinischen Literatur kann nicht das Ziel sein, da dies den Umfang der Studie sprengen würde. Nur ein Ausschnitt der rabbinischen Literatur soll mit einer Methode interpretiert werden, in der die Beschreibung des Fremden zur Geltung kommt. Durch dieses exemplarische 2 3

4

5

12

Vgl. K. Spann, Der, Die, Das Fremde. Juden und jüdische Religion als Paradigma einer Philosophie des Fremden, Berlin 2006. Vgl. M. Zehnder, Umgang mit Fremden in Israel und Assyrien, C. van Houten, The Alien in Israelite Law, Christoph Bultmann, Der Fremde im antiken Juda. In diesen neueren Arbeiten finden sich viele weitere Verweise auf Literatur zur Fremdbeschreibung im Alten Testament. H. Sivan verweist auf die eigenartige Terminologie des Talmuds für Fremde und Fremdes, H. Sivan, Rabbinics and Roman Law: Jewish-Gentile/Christian Marriage in Late Antiquity, in: Revue des Études Juives 156; P. Schäfer mahnt eine vollständige Untersuchung des Fremden in der rabbinischen Literatur an, P. Schäfer, Jews and Genitles in Yerushalmi Avodah Zarah, in: The Talmud Yerushalmi III, 336; ebenso wie S. J. D. Cohen, The Conversion of Antoninus, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture I, 158. G. Stemberger, Geschichte der jüdischen Literatur. Eine Einführung, 66-100.

Vorgehen nach bestimmten Kriterien können auch andere Teile der rabbinischen Literatur interpretiert werden. Deshalb werden nicht selektiv Belegstellen aus der rabbinischen Literatur herangezogen, sondern eine umfassende Auswertung ausgewählter Traktate angestrebt. Die Beschreibung des Fremden soll sowohl thematisch als auch quellenkritisch erforscht werden. Aus diesen Vorgaben lässt sich folgende Fragestellung für diese Studie ableiten: Welche Darstellung des Fremden liefert die rabbinische Literatur, und inwiefern entspricht diese Beschreibung der damaligen Wahrnehmung von Fremden? Ein Blick in die „Encyclopedia of Judaism“ zeigt, dass die Fremdbeschreibung in der rabbinischen Literatur umfangreich ist, aber zufolge dem Judaisten Gary Porton keinem historischen oder realistischen Bild des Fremden entspricht.6 Die dargestellten Begriffe für Fremde bildeten lediglich eine Kontrastfolie zur jüdischen Identität. Doch dieses Ergebnis unterschlägt nicht nur die vielfältigen Begriffe und Themen der Fremdbeschreibung, sondern auch ihren Zusammenhang mit der Fremderfahrung. Eine vergleichbare Untersuchung über die antiken griechischen Städte zeigt, dass vielmehr eine genaue Untersuchung der Begriffe in ihrem historischen Kontext die Voraussetzung für eine Bewertung der Fremderfahrung ist.7 Ein Blick in die Forschungsliteratur zeigt, dass eine umfassende Untersuchung der Fremdbeschreibung in der rabbinischen Literatur bisher noch nicht geleistet wurde, wenn auch verschiedene Studien zu diesem Thema vorliegen.8 Um die Frage nach der Fremdbeschreibung und Fremderfahrung zu beantworten, ist eine differenzierte Methode notwendig, die sich auf definierte Ausgangspunkte stützt. Deshalb muss mit der Evaluierung der betreffenden Begriffe in den Quellen begonnen werden. Die Vorarbeiten zu dieser Studie erfassen die Begriffe für Fremdheit in ausgewählten Traktaten des palästinischen Talmud, des babylonischen Talmud, der Tosefta und dem

6 7 8

G. Porton, „Judaic Doctrines of Other Religions“, in: J. Neusner, A. J. Avery Peck, W. Scott Green, The Encyclopedia of Judaism, Vol. II, 1008-1009. P. Gauthier, Symbola. Les étrangers et la justices dans les cités greques, 27-33. Vgl. G. Porton, Goiym; G. Porton, Stranger in your Gates, C. Hayes, Gentile Impurities and Jewish Identities, S. Stern, Jewish Identity in Early Rabbinic Writings, M. Goodman, Mission and Conversion. Über die Monographien hinaus sind etliche Artikel zum Thema publiziert worden, die jeweils zitiert werden.

13

Midrasch HaGadol.9 Das Ergebnis offenbart eine große Auswahl an Begriffen der Fremderfahrung und eine differenzierte Verwendung. Die vordringliche Aufgabe dieser Studie besteht darin, die Vielfalt der wesentlichen Begriffe festzuhalten und ihre Verwendung in der rabbinischen Literatur zu vergleichen. Dennoch sollten diese Grundbegriffe nicht nur für sich selbst sprechen, sondern auch im Kontext der übrigen Begrifflichkeit erforscht werden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Zusammenhang und der Verknüpfung der Begriffe in den verschiedenen Schichten der Quellen. Die Darstellung des Fremden verläuft offenbar nach einem Muster und prägt Motive, die benannt und verglichen werden können.10 Nicht nur eine Begriffsgeschichte, sondern auch die Bedeutungsgeschichte des Fremden ist das Ziel der Arbeit. Kein Thema lässt sich so leicht polemisch bewerten wie die Auseinandersetzung mit dem Fremden. Abgesehen von aller Polemik kann das wissenschaftliche Interesse aber die moralischen und ethischen Erwägungen der rabbinischen Literatur nicht unbeachtet lassen. Doch nicht die moralische Aufarbeitung des Fremden, sondern die Untersuchung ethischer und lebenspraktischer Motive der Fremdbeschreibung ist der Leitfaden der Untersuchung. Die Entwicklung, der das Judentum im Verlauf von der Zeit des zweiten Tempels bis zum frühen Mittelalter unterliegt, lässt sich auch anhand eines gewandelten Verständnisses für Fremde zeigen.11 Besonders die Spannungen zwischen einem religiösen Exklusivismus und einem ethischen Pluralismus sind zu beobachten. Die Interpretation der Quellen hängt von der Auswahl ab, die eben diese Entwicklung der Fremdbehandlung schlüssig darlegt. Eine reine Wiedergabe der Belegstellen scheint wegen der Fülle des Materials unbefriedigend. Dagegen scheint ein Vergleich der Belegstellen sehr wohl geeignet, diese Entwicklung nachzuvollziehen. Ein Ausgangspunkt für einen Quellenvergleich der

9

10

11

14

Die Traktate Brachot, Schabbat, Pessachim, Joma, Megilla, Chagiga, Jebamot, Gittin, Kiduschin, Bavot, Sanhedrin, Avoda Zara, Nidda wurden auf die Fremdbeschreibung untersucht. Weiterhin wurden Genesis Rabba, Levitikus Rabba, Ruth Rabba auf die Verwendung von Begriffen des Fremden analysiert. Diese These steht damit im Widerspruch zur Argumentation J. Neusner, der keine literarischen Muster der Fremdbeschreibung erkennen kann. Ders., Stable Symbols in a Shifting Society: The Delusion of the Monolithic Gentile in Documents of Late Fourth-Century Judaism, in: J. Neusner, „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 374. S. J. D. Cohen, The Beginnings of Judaism, 109-139.

rabbinischen Literatur bildet die Arbeit von Christine Hayes.12 Der von Hayes vorgenommene systematische Vergleich der Talmude anhand des Traktats Avoda Zara liefert für die Analyse der Fremdbeschreibung das Vorbild. Auf diese Weise lässt sich das Konzept der Fremdbeschreibung und eine mögliche Entwicklung herausarbeiten. Es ist in Anlehnung daran zu klären, inwieweit die beiden Gemarot in der Fremdbeschreibung übereinstimmen. Da die Übersetzungen der rabbinischen Literatur meist nicht ausreichend zwischen den unterschiedlichen Begriffen differenzieren, sollen eindeutigere Übertragungen für die Begriffe gefunden werden.13 Obwohl die Begriffe der Fremdbeschreibung in den Quellen abstrakt verstanden werden können, verweisen sie auf einen übergeordneten, aber häufig praktischen Sitz im Leben. Weder wird ausschließlich gesetzgebendes („halachisches“) noch erzählendes („haggadisches“) Material verwendet, sondern beides fließt gleichrangig in die Interpretation der Texte ein, um die Wahrnehmung des Fremden herauszuarbeiten. Primär geht es um das Verständnis für den Text, der so interpretiert werden soll, dass auch Historiker und Wissenschaftler verwandter Disziplinen folgen können. Aus diesem Grund fließen historisch-kritische Motive14 in die Untersuchung ein, so wie die historische Forschung und ihre Ergebnisse in die Interpretation einbezogen werden. Die Ergebnisse der quellenkritischen Untersuchung lassen sich mit diesen Erkenntnissen vergleichen. Die Anbindung der Fremdbeschreibung an die Wahrnehmung des Fremden gelingt nur über die Einbeziehung historischer Erkenntnisse aus dem Lebensumfeld. Der Kontext der Rabbinen liegt schließlich in einer griechisch-römischen Welt und damit in einem nichtjüdischen Umfeld.15 Das sozial-politische Spannungsverhältnis, in dem sich das Judentum nach der Zerstörung des Tempels befindet, ist für das Verständnis der rabbinischen Literatur grundlegend. Da eine Erforschung der Fremderfahrung auch das fremde Gegenüber erfassen sollte, könnte dieser Untersuchung eine gewisse Einseitigkeit vorgeworfen werden, da nur die jüdische Fremdbeschreibung ausgewertet wird, 12 13 14 15

C. Hayes, Between the Babylonian and Palestinian Talmuds, 3-30. Vgl. L. Goldschmidt, der in San 84b, 85a den Begriff „er“ (der Andere) mit „Fremder“ übersetzt. C. Hezser, Classical Rabbinic Literature, in: The Oxford Handbook of Jewish Studies, 128-132. Dieser Zusammenhang wird besonders in der dreibändigen Aufsatzsammlung von P. Schäfer (Hg), The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture, Tübingen 1998-2002, deutlich.

15

nicht aber römische oder griechische Dokumente. Mit dem Verweis auf bereits existierende Quellensammlungen zu diesem Thema wird eine einseitige Bewertung der Fremdwahrnehmung ausgeschlossen.16 Aus all diesen Überlegungen lässt sich eine Gliederung für diese Studie erstellen, die mit einer eingehenden Erläuterung der theoretischen Grundlagen beginnt. Es folgt die Auswertung des Forschungsstands in der rabbinischen Literatur. Ein Kapitel über die Methode wird die Interpretation der Quellen systematisch vorbereiten. Der Hauptteil wird in vier Kapiteln die Belegstellen zum Fremden in der rabbinischen Literatur vergleichen und auswerten. Dieser Vergleich der Belegstellen wird anhand der Mischna geordnet, so dass die Belegstellen der Gemarot direkt verglichen werden können. Die Ergebnisse des Vergleiches werden jeweils am Ende der vier Kapitel zusammengefasst. In einem abschließenden Teil wird ein Vergleich zwischen den Kapiteln angestrebt. Zuletzt werden nochmals die Thesen der Arbeit an den gewonnenen Ergebnissen überprüft, insbesondere, inwieweit sich Beschreibung und Wahrnehmung des Fremden ergänzen. Ob es ein zusammenhängendes und kongruentes Bild des Fremden in der rabbinischen Literatur gibt, das sich auf konkrete Erfahrungen zurückführen lässt, bleibt nachzuweisen. Weiter ist fraglich, inwiefern es verschiedene Facetten der Fremderfahrung gibt, die innerhalb von religiösen Gesetzen und Episoden auf die Fremdbeschreibung zurückwirken. Auch Kontinuität und Wandel der Fremdbeschreibung sollen dargelegt werden. Im Hinblick auf die Entwicklung der Fremdbeschreibung knüpft die Arbeit an die geleistete Forschung an, um beispielsweise die Praxis der Erleichterung religiöser Gesetze in Babylon zu überprüfen.17 Inwiefern das Judentum in Bezug auf Exklusivität und Pluralismus seine Identität konstruiert, steht ebenfalls im Zusammenhang mit der Wahrnehmung des Fremden. Die Beschreibung und Wahrnehmung des Fremden in der rabbinischen Literatur bilden die beiden Pole des Erkenntnisinteresses dieser Studie.

16

17

16

Vgl. E. Baltrusch, Die Juden und das römische Reich: Geschichte einer konfliktreichen Beziehung, 83-123. K. L. Noethlichs, Die Juden im christlichen Imperium Romanum (4.-6. Jahrhundert), 99-102. Vgl. z. B. C. Hayes, Between the Babylonian and Palestinian Talmuds, 180-181.

I. Theorie und Methode für „der, die, das Fremde“

In den folgenden drei Kapiteln werden die methodischen Grundlagen einer historisch-kritischen Arbeit über Fremderfahrung in der rabbinischen Literatur erarbeitet. Zum einen ist die Frage zu beantworten, wie Fremdheit zu untersuchen ist. Diese Aufarbeitung ist unverzichtbar, da sonst unklar bliebe, was Fremdsein bedeutet und wie dieses Phänomen zu untersuchen ist.1 Zum anderen werden Ausgangspunkte in der Forschungsliteratur vorgestellt. Zuletzt sind Fragen nach der Einschränkung der Quellen, der Auswahl der Begriffe und dem Vergleich der Belegstellen zu beantworten.

1. Die Analyse der Fremdheit als wissenschaftliche Aufgabe Es gibt verschiedene Möglichkeiten, über Fremdheit zu sprechen und zu berichten. Schon die sprachliche Vielfalt wie „die Fremdheit,“ „das Fremdsein“, „der Fremde,“ „die Fremde,“ „das Fremde,“ „sich entfremden“ oder „sich befremden“ veranschaulichen, dass es schwer fällt, dieses Phänomen sprachlich angemessen zu erfassen.2 Diese Vielfalt deutet auf ein vielschichtiges Phänomen hin, das nicht nur im Deutschen auf unterschiedliche Weise artikuliert wird.3 Um die Facetten der Fremdheit zu erfassen, müssen aus der Vielfalt Kriterien destilliert werden, die einzelnen Kategorien zugeordnet werden können. So soll das Phänomen der Fremdheit in diesem Kapitel als sprachlicher und historischer Untersuchungsgegenstand definiert werden. Der Fokus der Untersuchung liegt auf der Fremderfahrung in der 1

2 3

Mit der methodischen Aufarbeitung der Fremderfahrung befasst sich der Sammelband von W. Schmied-Kowarzik, Verstehen und Verständigung. EthnologieXenologie-Interkulturelle Philosophie, Würzburg 2000. B. Waldenfels, Vielstimmigkeit der Rede, 9-17. In den meisten Sprachen gibt es verschiedene Ausdrücke für Fremdes, wie z.B. im englischen: alien, strange, foreign, im franzöischen: étranger, inconnue, und im italienischen: forestiero, straniero, strano, alienarsi.

17

Antike. Über die Judaistik hinaus soll die Fremdheit und das Fremdsein eine Definition erhalten, die das Phänomen als wissenschaftliche Kategorie auszeichnet. Die Herausforderung besteht darin, Kategorien der Fremderfahrung festzulegen.

1.1 Ausgangspunkte der Forschung für eine Interpretation des Fremden in der Antike Fremdheit kann für Historiker zum Forschungsgegenstand werden, wie der Sammelband des Historikers Herfried Münkler beweist.4 Ob sich dieser Ansatz auch für die antike Geschichtsforschung eignet, bleibt in diesem Werk offen. Einzelne Beispiele erläutern im Folgenden das Vorgehen verschiedener Autoren zur Erforschung des Fremdseins in der Antike. Obwohl manche Untersuchungen die rabbinische Literatur nur am Rand betreffen, sind sie doch wesentlich für das Vorverständnis der Interpretation. Die Untersuchung des Theologen Christoph Bultmann über die Figur des Fremden im deuteronomistischen Gesetz analysiert den Begriff des „Ger“ [] mit historisch-kritischen Methoden, um seine Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung der israelitischen Gemeinschaft zu bestimmen.5 Bultmann beginnt mit einer Auswertung dieses Begriffs im Hebräischen sowie in benachbarten Sprachen und definiert ihn als „Fremden in einem lokalen Milieu“. Durch die Untersuchung der Quellen versucht Bultmann die soziale und ökonomische Stellung des Fremden in der israelitischen Gesellschaft zu klären. Dieser Fremde steht in Kontrast zu einem zweiten Begriff, dem „Nori“ [], der als Ausländer wirtschaftlich unabhängig und außerhalb der israelitischen Gesellschaft angesiedelt ist.6 Ein wichtiger Faktor ist die Integration des „Ger“ in die Gebote und das religiöse Leben, was für den „Nori“ nicht gilt. Im Vergleich mit der späten Deuteronomistik, die Bultmann im Anschluss untersucht, verlagert sich die Bedeutung des „Ger“ vom Fremden zum Proselyten, der nach bestimmten Regeln in die Gemeinschaft aufgenommen werden kann. Mit der Unter-

4 5 6

18

H. Münkler, B. Ladwig, Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit, Berlin 1997. C. Bultmann, Der Fremde im antiken Juda, 9-16. Ebend., 93-102.

scheidung von „Ger“ und „Nori“ wird laut Bultmann das Gleichgewicht zwischen Assimilation und Isolation gewahrt.7 Die Arbeit des Theologen Markus Zehnder konzentriert sich dagegen auf die soziale und politische Behandlung der fremden Person.8 Im Vergleich zwischen Assyrien und dem alttestamentlichen Israel wird das Bild der fremden Person in soziologischer und ethnologischer Perspektive untersucht. Die Selbstbezeichnung beruht auf der Frage, wer zur Gemeinschaft gehört und wer nicht.9 In den assyrischen Texten werden die Fremden meist als Feinde wahrgenommen. Die Welt ist zwischen Chaos und Kosmos aufgeteilt, und das Fremde entspricht dem Chaos. Geprägt ist diese Wahrnehmung von einem imperialen Streben, Fremde als Gefangene und Unterlegene zu verstehen. Daraus resultiert die untergeordnete rechtliche Stellung der Fremden und ihre soziale und religiöse Assimilation in Assyrien. Trotz dieser Religionspolitik gelingt es verschiedenen fremden Gruppen, ihre Identität in Assyrien zu bewahren.10 Im Fall Israels untersucht Zehnder vordringlich den Begriff „Ger“, den er wie Bultmann als „Beisasse“ versteht. Der Begriff „Nori“ entspricht dem Ausländer. Den Begriff „Zar“ [], der ebenfalls einen Fremden bezeichnet, interpretiert Zehnder als Synonym für politische oder religiöse Fremdheit.11 Die Untersuchung der Identität Israels steht bei Zehnder im Vordergrund, die von einer existentiellen Fremdheit in der Welt getragen ist.12 Die Aufteilung der Welt zwischen Israeliten und Fremden führt dennoch nicht zu einer grundsätzlich negativen Bewertung der Fremden in den israelitischen Gesetzen. Vielmehr ist die Abneigung gegenüber Fremden situativ bedingt. In der prophetischen Eschatologie werden die fremden Völker zwar in die Heilsvision der israelitischen Gemeinschaft einbezogen, allerdings der Herrschaft Israels untergeordnet. So besteht laut Zehnder im biblischen Israel ein differenziertes Bild des Fremden, das im Gegensatz zu Assyrien den Fremden einen besonderen religiösen und rechtlichen Status einräumt. Die Studie von Philippe Gauthier über die griechischen Städte in klassischer Zeit zeigt anhand von Vereinbarungen, den „Symbola“, die Bedeutung der rechtlichen Absicherung der Fremden. Von diesen Rechten hängt 7 8 9 10 11 12

Ebend., 212. M. Zehnder, Umgang mit Fremden in Israel und Assyrien, Stuttgart 2005, 9-16. Ebend., 58-60. Ebend., 234-256. Ebend., 279-284. Ebend., 302-304.

19

die Identität des Fremden und seine Integration in die zentralen Institutionen der Gesellschaft ab.13 Die aufgezählten Studien gewinnen ihre Ergebnisse durch den Fokus auf die soziale und politische Stellung der fremden Person und ihre rechtliche Integration in die Gesellschaft. So ist die Orientierung an Personen ein möglicher Ausgangspunkt für eine Untersuchung der Fremdbeschreibung. Im Gegensatz dazu wählt der Judaist Saul Olyan inhaltliche Kriterien, um die Figur des Fremden im Alten Testament zu interpretieren. Die Gegensätze von Rein und Unrein, Heiligem und Profanem führen zu einer Abgrenzung gegenüber Fremden. Über diese Gegensatzpaare ergibt sich in der israelitischen Gesellschaft eine Hierarchie, die vom reinen Priester zum unreinen „Ger“ verläuft.14 Im Hinblick auf die soziale und religiöse Ordnung sind diese Abstufungen unerlässlich, um Grenzverletzungen der „outsider“ gegenüber den Geboten der Reinheit zu bestimmen. Verunreinigen können Nahrung, Leichen, Ausflüsse, Krankheit, Tiere, aber auch fremde Idole. Sogar fremde Orte und Länder können verunreinigen, und nicht zuletzt verunreinigen laut dem Buch Esra die Fremden selbst.15 Durch Mischehen stören Fremde die Ordnung Israels, indem die Kinder aus diesen Verhältnissen keine eindeutige Abstammung haben. So wird deutlich, dass die Fremden in Bezug auf die Genealogie eine Herausforderung für die israelitische Gemeinschaft darstellen. Immerhin gibt es Möglichkeiten, die Fremden in den eigenen Kontext zu integrieren, beispielsweise als Sklaven oder als Kriegsgefangene. Der ortsansässige Fremde, der „Ger Toschav“ [

], kann in einem Patronatsverhältnis stehen. Olyan zieht das Fazit, dass sich im Verlauf der Geschichte Israels der Status des Fremden verändert. Eine differenziertere Fremdbeschreibung führt zu verschiedenen Abstufungen, wie beispielsweise der fremde Mann weniger leicht integrierbar ist als die fremde Frau.16 Neben der fremden Person belegt Olyan in dieser Untersuchung die Bedeutung der fremden Kultur und des fremden Raums.17 13

14 15 16 17

20

P. Gauthier, Symbola. Les étrangers et la justice, 77: „[...] tant que l’étranger est rechtlos, la question de son identité importe assez peu. Des qu’il s’agit pour lui de se faire reconnaître certains droits ou privilèges, elle devient essentielle.“ S. Olyan, Rites and Rank, Princeton 2000, 7. Ebend., 38-50. Ebend., 61-102. Hier ist besonders der Zusammenhang zwischen fremden Ländern und fremden Kulten zu beachten. Nach Olyan heißt das: „Foreign lands, the iconic representations of gods other than Yhwh (‚idols‘), and behaviors alleged to be characteristic of foreigners defile [...]“, Ebend., 48.

Offensichtlich kennt die Fremdbeschreibung des Alten Testaments weitere Kriterien für die Beschreibung des Fremden. Stefan Krauters vergleichende Studie über die Teilnahme an kultischen Handlungen in Israel, Griechenland und Rom verdeutlicht, dass die Teilnahme der Fremden an den zentralen Kulten ein Gradmesser der Toleranz ist. Krauter gelangt zu dem Schluss, dass die Teilnahme von Fremden an öffentlichen Opfern in der Antike eher die Regel als die Ausnahme darstellte. Die Teilnahme der Fremden in Israel war zwar zu jeder Zeit umstritten, aber offenbar nicht ausgeschlossen. Auch wenn die Reinheitsgebote für einen Ausschluss der Fremden sprechen, ist es laut Krauter Praxis, Fremde wie in Rom und Griechenland zu integrieren.18 Solange der Tempel das Zentrum ist, können die Fremden in die eigene Ordnung unter bestimmten Bedingungen integriert werden. Dieses Ergebnis steht jedoch in einem Spannungsverhältnis zu den Ergebnissen von Saul Olyan und zeigt, dass Beschreibung und Praxis nicht zwingend übereinstimmen müssen. Mit dem Begriff der Fremde ist unweigerlich der Begriff einer Ordnung verbunden. Fremde Sitten und Gebräuche werden erst vor dem Hintergrund einer eigenen Ordnung sichtbar, sowie Fremde meist diejenigen sind, die sich in eine Ordnung nicht einfügen können oder wollen.19 Das Spannungsverhältnis von Ordnung und Fremde verfolgt Ramsey McMullen in seiner Studie über die Feinde der römischen Ordnung. Spannungen entstehen im Inneren und an den Grenzen der römischen Machtordnung, die politisch, religiös oder sozial motivierte Gruppen herausfordert. Einschlägige Personenkreise sind nicht nur Kriminelle aller Art, sondern auch Oppositionelle wie Philosophen oder Magier, die gesetzlich verfolgt werden. In diese Kategorie fällt auch der Kampf Israels um die politische Selbstbehauptung. Die Steuerhoheit, die Zölle und der Einfluss der fremden römischen Kultur in Israel sind zugleich eine maßgebliche Störung der jüdischen Ordnung.20 Nach den verheerenden Niederlagen bleibt die Hoffnung, dass die römische Herrschaft nicht von Dauer sein kann. Über diese Wahrnehmung der fremden Herrschaft werden Rückschlüsse auf die jüdischen Ordnungsvorstellungen möglich. So werden durch den wechselseitigen Einfluss die römische und die jüdische Ordnung gestört, da diese in Konkurrenz zueinander treten. 18 19

20

S. Krauter, Bürgerrecht und Kultteilnahme, 228. Vgl. B. Waldenfels, Vielstimmigkeit der Rede, 188-192. Waldenfels thematisiert anhand verschiedenster Beispiele die Relevanz der Ordnung für die Abgrenzung der Identität. R. MacMullen, Enemies of the Roman Order, Cambridge 1966, 148-152.

21

Der gemeinsame Nenner der bisher aufgezählten Studien konzentriert sich auf die fremde Person. Alle Autoren wählen die Fremden in Israel, Assyrien, Griechenland und Rom als Ausgangspunkt für eine Untersuchung, um den rechtlichen und sozialen Regelungsbedarf zu analysieren. Saul Olyan thematisierte darüber hinaus fremde Kulte und Gebräuche, die Außenseiter leicht erkennbar machen. Ob und unter welchen Bedingungen Fremde in das Zentrum der religiösen Gemeinschaft aufgenommen werden können, hängt von Gesetzen ab. Die Ordnung, die ein bestimmtes Land und seine Bewohner auszeichnet, bleibt für Immigranten fremd und ungewohnt. All diese Motive ergeben Kriterien, um die Beschreibung des Fremden nach Kategorien zu ordnen und die Interaktion von fremden Kulturen und Personen wissenschaftlich zu erforschen. Die Studie MacMullens verweist auf die Spannungen, die Juden in der römischen Ordnung auslösten. Für den Zeitraum der rabbinischen Literatur, der in etwa vom 2. bis zum 8. Jahrhundert reicht, sind diese Spannungen durch militärische Konflikte bedingt. Die Zerstörung des Tempels in Jerusalem 70 n. Chr., der Bar-Kochba-Aufstand um 130 n. Chr. und die daraus resultierende Exilsituation bestimmen wesentlich die jüdische Fremdwahrnehmung. Die Wahrnehmung der Fremden in der militärischen und religiösen Konfrontation verschärft die Differenz und macht eine theologische Auseinandersetzung mit ihnen unvermeidlich. Die Arbeit des Historikers Seth Schwartz zeichnet die Linien der jüdischen Geschichte in dieser Zeit nach.21 Das Judentum, das sich um die Symbole Gott, Tempel und Tora als Gruppe formiert, stand seit Anbeginn mit fremden Mächten im Konflikt oder unter ihrer Herrschaft. Nach der Herrschaft der Hasmonäer mit relativer Unabhängigkeit gerät Israel in die Abhängigkeit des römischen Reichs. Als sich die Beziehungen zwischen der römischen Verwaltung und den Einwohnern Israels aus religiösen und politischen Gründen verschärfen, folgen Aufstände, die mit der Niederlage Israels enden. Insofern bewertet Schwartz die Kriege von 70 n. Chr. und 135 n. Chr. als völligen Bruch, nach denen sich das Judentum neu konstituieren muss.22 Über diese Periode berichtet die rabbinische Literatur, deren religiöse und soziale Normen laut Schwartz nicht unbedingt die historische Wirklichkeit abbilden, da diese Texte relativ wenig Einfluss auf die jüdische Gesellschaft in Palästina gehabt hätten. Die zeitgenössische Ikonographie

21 22

22

S. Schwartz, Imperialism and Jewish Society, 1-16. Ebend., 105-110.

belegt, dass beispielsweise die rabbinischen Vorstellungen über das Bilderverbot selten konkret umgesetzt wurden.23 Auch die Fremdbeschreibung ist nicht zwingend an der Wirklichkeit orientiert, wie das Verbot der fremden Kulte, der „Avoda Zara“, zeigt. Da das rabbinische Judentum nach der militärischen Niederlage in griechisch-römisch geprägten Städten mit Fremden zusammenlebte, folgt nach Schwartz auf jüdischer Seite eine Strategie der Verdrängung und Umdeutung.24 Auch die archäologischen Erkenntnisse belegen, dass die Assimilation der Juden an ihr nichtjüdisches Umfeld wahrscheinlich ist.25 Trotz dieser Thesen kann allerdings der rabbinischen Literatur nicht völlig die historische Wirklichkeit abgesprochen werden. Eher kann das Traktat Avoda Zara als Strategie gedeutet werden, im Alltag mit einer fremden Kultur und ihren Vertretern zurecht zu kommen.26 Für die Wahrnehmung und Beschreibung der Fremden in der rabbinischen Literatur ist weiterhin die Abspaltung der Christen vom Judentum zu bedenken. Seth Schwartz bezeichnet den Wendepunkt im Verhältnis zwischen Juden und Christen mit der Herrschaft des römischen Kaisers Justinian. Die Entwicklung und Definition der Häresie entspricht der Abgrenzung der jüdischen Identität. Dem Judaisten Daniel Boyarin zufolge entwickelt sich zur Zeit der rabbinischen Literatur die Vorstellung der Häresie in Christentum und Judentum, die allerdings erst im sechsten Jahrhundert abgeschlossen ist.27 Boyarin zufolge wandeln sich die Christen im jüdischen Blickwinkel von Häretikern [  ] zu Fremden, die eindeutig ausgeschlossen werden können. Die rabbinische Literatur bemüht sich um eine Definition der Häresie, bis das christliche römische Kaiserreich eine eindeutige Trennung forciert. Wie diese Ausführungen veranschaulichen, gibt es zwar unterschiedliche Perspektiven auf das Fremde, aber die Beschreibung stützt sich meist auf eine physische Erfahrung. Darüber hinaus gibt es Erfahrungen der 23

24 25 26

27

Die Römer kontrollieren offenbar über das Rechtswesen auch die religiösen Kulte. Die Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte revidieren das Bild der rein jüdisch geprägten Städte nach 135 n. Chr. Erst ab dem vierten Jahrhundert nimmt der Einfluss der Rabbinen langsam zu. Vgl. dazu Schwartz, Imperialism and Jewish Society, 257-259. Dafür werden fremde Idole als Dekoration umgedeutet; ebend., 169-174. Aus den archäologischen Funden lässt sich die räumliche Nähe zu Fremden ableiten, wie bspw. in Hamat-Gadar. Ebend., 174, 206. Vgl. dazu die Abhandlung von A. Schütz „Der Fremde. Ein sozialpsychologischer Versuch“, in: A. Brodersen, Alfred Schütz. Gesammelte Aufsätze II. Studien zur soziologischen Theorie, 53-69. D. Boyarin, Borderlines, 220-221.

23

Fremde, die nicht körperlich sind. Ein Beispiel dafür sind fremde Sprachen. Die antiken Quellen, die fremde Personen, fremde Orte und fremde Kulte behandeln, weisen die Erfahrung des Fremden zu dieser Zeit aus.28 Diese Erfahrungen stehen in Bezug zu einer Ordnung, die durch die Anwesenheit von Fremden in Gefahr ist.29 Diese Anwesenheit stört die Ordnung des rabbinischen Judentums, das sich gegen Angriffe von innen und außen schützen muss.

1.2 „Der, die, das Fremde“ als theoretischer Ansatz Nach diesen theoretischen Überlegungen soll die Wahrnehmung der Fremde und der Fremden in einen methodischen Ansatz überführt werden, um inhaltliche Ausgangspunkte für eine Untersuchung zu schaffen. Aus der Fülle des Materials werden Kriterien gesammelt, um Kategorien für eine Methode zu bestimmen. Die Indizien und Kriterien dazu ergeben sich aus den bereits erwähnten Studien. Als erstes Kriterium bietet sich die kulturelle Diversifikation an, die für die Fremderfahrung ursächlich ist. Dies wurde besonders in der Studie von Markus Zehnder deutlich, die Fremde in Assyrien und Israel vergleicht. Durch die bewusste Kennzeichnung von Fremden als „Gerim“ [ ] und „Goyim“ [ ] wird die Diversifikation vorangetrieben. Daraus folgt eine Ungleichbehandlung, für die die Speisegesetze ein Indiz sind.30 In Ramsey MacMullens Werk beruht die Diversifikation auf der Feindschaft gegenüber einer Ordnung, in die sich die Fremden nicht einfügen wollen. Diese Feinde stehen aber nicht außerhalb der Ordnung, sondern sorgen innerhalb der Gesellschaft für ein hohes Maß an Diversifikation. Für diese These ist das Wirken der Magier und Propheten ein gutes Beispiel.31 So führt die Anwesenheit des Fremden zu einer Auffächerung oder Diversifizierung der eigenen Lebenswelt. Doch die kulturelle Diversifikation alleine ist nicht hinreichend, alle Facetten der Fremdbeschreibung zu erklären. Deshalb wird als zweites Kriterium die Distanz hinzugezogen. Die Distanz ist in erster Linie als ein 28 29 30 31

24

Ebend., 65. Nicht nur D. Boyarin argumentiert, dass sich in der Auseinandersetzung mit fremden Gruppen die jüdische Identität ausbildet. Vgl. dazu das Kapitel „Innerhalb und außerhalb der Ordnung“ von B. Waldenfels, Vielstimmigkeit der Rede, 110-116. M. Zehnder, Umgang mit Fremden in Israel und Assyrien, 358-359. R. MacMullen, Enemies of the Roman Order, 128-135.

räumlicher Abstand zu verstehen, der sich zwischen fremden Ländern eröffnet und überbrückt werden muss. Doch die Distanz hat auch eine soziale Komponente, wie Bernhard Waldenfels zeigt: „Das sozial Fremde wird als Nichtzugehörigkeit bestimmt. Fremdheit bezeichnet in diesem Falle die Distanz zu einer sozialen Einheit oder einer Gruppe bzw. zu einem Angehörigen dieser Gruppe.“32 Diese Distanz drückt sich in der Trennung von Heiligem und Profanem aus. Die Studie von Saul Olyan belegt dies mit dem limitierten Zugang der Priester zum Tempel.33 Fremde sind die Nichtangehörigen, deren räumliche Distanz ihrer ethnischen Distanz entspricht. Der Ausschluss von einem Opfer gibt ein Beispiel, um die Distanzierung von Fremden zu veranschaulichen. Der Zugang zum Tempel ist nicht nur in Israel ausgewählten Personenkreisen vorbehalten, die damit ihre Macht und ihre Reinheit signalisieren. Jegliche Teilnahme Fremder an den Opfern im Tempel kann als Zeichen von Offenheit und Toleranz gedeutet werden.34 Die Distanz signalisiert die Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.35 Fremde sind durch ihre Nichtzugehörigkeit stigmatisiert und auf die Toleranz angewiesen. Ein drittes Kriterium der Fremderfahrung besteht in der Differenz zwischen Dingen oder Personen. Die Differenz zwischen dem, was „Eigen“ und was „Fremd“ ist, macht grundsätzliche Unterscheidungen der Zugehörigkeit möglich.36 Diese Differenz lässt sich anhand von Olyans Werk über die Hierarchie von Reinheitsgeboten gut verfolgen. Die Ausgrenzung von unreinen Mitgliedern unterstützt eine soziale Hierarchie, die sich an der Priesterkaste orientiert. Diese Differenzierung der Kasten beinhaltet auch den Status des Fremden, der wegen Unreinheit von Mischehen aus-

32 33 34

35

36

B. Waldenfels, Vielstimmigkeit der Rede, 90. S. Olyan, Rites and Rank, 35: „To be separated and brought near is to be privileged, to be elevated in rank [...].“ S. Krauter, Bürgerrecht und Kultteilnahme, S. 189-192. Weiter zu diesem Thema passt die Geschichte des Zutrittsverbots zum Jerusalemer Tempel, die S. Krauter minutiös ausbreitet. Er kommt zu dem Ergebnis, die Juden seien in Bezug auf ihren Kult relativ liberal gewesen und in diesem Sinn eine „normale“ antike Religion. H. Münkler und B. Ladwig unterscheiden weiter zwischen sozialer und kultureller Fremdheit, die sich aus der Distanz zu Fremden ergeben. Siehe Münkler, Ladwig, Dimensionen der Fremdheit, in: Münkler, Furcht und Faszination, 15-25. B. Waldenfels, Phänomenologie des Eigenen und des Fremden, in: B. Münkler, B. Ladwig, Furcht und Faszination, 65-83.

25

geschlossen wird.37 Die Differenz ist damit Mittel zum Zweck, ethnische, religiöse und soziale Unterschiede hervorzuheben. Auch die Arbeit von Daniel Boyarin belegt, dass die Häresie auf der Differenz beruht. Nach Boyarin ist „the production of the difference [...] intimately connected with and implicated in the invention of the notion of heresy during these centuries.“38 Die Häresie ist damit an die Differenz gekoppelt, die ein Kriterium der Fremderfahrung ist. Different ist, was von eigenen Gewohnheiten und Erwartungen abweicht, wie etwa eine fremde Sprache. Der Ausschluss von einer Gemeinschaft und die Nichtzugehörigkeit beginnen nicht selten mit dem Unverständnis. Auch das Erlernen einer fremden Sprache kann diese Differenz nicht überwinden.39 Der Unterschied zwischen rabbinischem und griechischem Denken besteht nicht zuletzt in einer unterschiedlichen Sprache für ethische Probleme.40 Die drei Kriterien der Diversifikation, der Distanz und der Differenz ergeben eine grundlegende Einteilung der Fremderfahrung. Für sich genommen wäre die Differenz eine problematische Kategorie, weil sie zu ungenau ist.41 Die Erfahrung des Fremden konstituiert sich in dieser Studie aus drei Komponenten. Darunter lassen sich Phänomene wie Häresie, Störung der Ordnung, fremde Sprachen und Gebräuche und jegliche soziale Formen der Fremdheit einordnen. In den Quellen überschneiden sich verständlicherweise Diversifikation, Distanz und Differenz. Für eine methodische Untersuchung sind diese Kriterien allerdings nur Ausgangspunkte, da sie für eine übergeordnete Gliederung zu speziell sind und in einem Quellenbestand kaum greifbare Ergebnisse brächten. Deshalb

37 38 39

40 41

26

S. Olyan, Rites and Rank, 54-61. D. Boyarin, Borderlines, 27-28. „Die Schwierigkeit der Spracherziehung und des Fremdsprachenunterrichts, [...] , besteht darin, dass man den Signifikanten nicht vom Signifikat trennen kann, und dass mit den Wörtern auch die Ideen ausgewechselt werden, so dass mit der Unterweisung in einer Sprache zugleich eine ganze nationale Kultur übertragen wird, die der Erzieher nicht unter seiner Kontrolle hat und die ihm Widerstand leistet wie das, was schon vor aller Gestaltung da ist, wie die Institution, die der Instruktion vorausgeht.“ J. Derrida, Grammatologie, 291. C. Hezser, Interfaces between Rabbinic Literature and Graeco-Roman Philosophy, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture II, 183-186. Da es grundsätzlich zwischen allen gegebenen Dingen Unterschiede gibt, wäre alles mit allem vergleichbar und auch alles von allem different. Deshalb kann die Erfahrung des Fremden nicht allein auf Differenz beruhen, da sie sonst völlig beliebig wäre.

werden diese Kriterien in allgemeine Kontexte der Fremderfahrung überführt, um aus ihnen Kategorien zu bilden. Die Diversifikation der Kulturen und Ethnien verweist in erster Linie auf die fremde Person. Die Untersuchungen von Christoph Bultmann und Markus Zehnder belegen, dass „der Fremde“ eine Kategorie für die Untersuchung der Fremderfahrung sein kann. Die Kategorie geht von der Anwesenheit der fremden Person aus, die in eine Ordnung eindringt und einen sozialen Regelungsbedarf auslöst. Die Folge ist die Interaktion mit einer fremden Gruppe.42 Das Verhältnis von Griechen, Römern und Juden spricht nach Stefan Krauter dafür, dass sich Fremdheit besonders in Relation zu einer anderen Gruppe offenbart. Mit dieser Kategorie kann die Vielfalt der Begriffe für Fremde gebündelt werden, da die konkreten Bezeichnungen für Fremde wie „Kuti“ [] (Samaritaner) oder „Min“ [  ] (Häretiker) für diese Untersuchung so wichtig sind wie die abstrakten Begriffe.43 Mit abstrakten Begriffen wie „Goy“ und „Ger“, die Fremde bezeichnen, wird in erster Linie auf die soziale Komponente der Fremderfahrung verwiesen. „Der Fremde“ gibt nicht zuletzt Aufschluss über die Identität und die Konstitution der Kultur.44 In diesem Verhältnis liegt immer auch eine Spur von Wunschvorstellung und Ideologie, da der Fremde eine Projektionsfläche eigener Wunschvorstellungen sein kann. In der Beschreibung von Fremden liegt somit eine Form der Selbstbeschreibung. Der Fremde hat nach Alois Hahn Anteil an einer „partizipativen Identität,“ die ihn für die Abgrenzung und Diversifikation der Gesellschaft unverzichtbar macht.45 Darum lässt sich für die kulturelle Diversifikation „der Fremde“ als Kategorie heranziehen. Das Kriterium der Distanz gegenüber Fremden verwies auf einen räumlichen Abstand, den Fremde in der Gesellschaft einnehmen. Auf diese Weise ist „die Fremde“ ein Ort, an dem man nicht heimisch und damit unvertraut ist. Die Diasporasituation, in der sich die Juden seit der Zerstörung des zweiten Tempels befinden, trägt zur Fremderfahrung im baby42 43

44

45

M. Zehnder, Umgang mit Fremden in Israel und Assyrien, 17-20. Eine Einführung zu dem Begriff gibt A. Lehnhardt, The Samaritans (Kutim) in the Talmud Yerushalmi - Constructs of „Rabbinic Mind“ oder Reflections of Social Reality?, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, 142-149. Den Begriff „  “ hält D. Boyarin für eine rabbinische Erfindung, Ders. Borderlines, 54-58. Aus diesen Gründen tendiert S. Stern dazu, die rabbinische Auffassung über Nichtjuden in der Tradition der Tora zu verorten. Vgl. S. Stern, Jewish Identity in Early Rabbinic Writings, 4-6. A. Hahn, „Partizipative“ Identitäten, in: Münkler, Furcht und Faszination, 117.

27

lonischen Talmud einiges bei. „Die Fremde“ als Ort der Nichtzugehörigkeit ist damit für das Verhältnis von Land und Bewohnern entscheidend. Welche Bedeutung Orte für die Identität haben, zeigt das Spannungsverhältnis von Heimat und Diaspora.46 Wie bereits anhand der Kultteilnahme deutlich wurde, hat „die Fremde“ auch eine soziale und religiöse Komponente. Aus dem Fremdsein in einer Stadt erwächst der Druck zur Assimilation und politischen Anpassung. Im speziellen Fall Israels und der Situation nach 135 n. Chr. wird diese Problematik evident, die sich aus der Auseinandersetzung mit fremden Einflüssen vor Ort und dem Ringen um die jüdische Tradition ergibt.47 Deshalb speist sich die Kategorie „die Fremde“ aus der räumlichen Distanz und erweitert sie um die soziale Problematik der Assimilation. Mit dem Kriterium der Differenz geht es um den Unterschied, der die Fremden als Fremde auszeichnet. Damit sind Sitten und Gebräuche angesprochen, die Ursache für die Diversifikation sind. Der Zusammenhang zwischen fremden Personen und fremden Objekten besteht auf diese Weise in der Untrennbarkeit der Person von ihren Sitten und Gebräuchen. Das Vorhandensein fremder Objekte schließt die Anwesenheit von Fremden ein und umgekehrt, wie der Soziologe Justin Stagl schreibt.48 Diese fremden Objekte können Idole und Bilder fremder Götter sein. In der israelitischen Gesellschaft, wie Saul Olyan zeigt, sind diese fremden Idole ein wesentliches Indiz der Differenz. Zwischen den eigenen und den fremden Bräuchen besteht eine Konkurrenz, die in Krisenzeiten verstärkt hervortritt. Schließlich befördern fremde Kulte eine Entfremdung von eigenen Traditionen und Bräuchen.49 Die Ablehnung der fremden Kulte im rabbinischen Judentum resultiert nicht zuletzt aus der Nähe fremder Kulturen.50 Die 46

47

48 49

50

28

Vgl. R. Feldmeier, Die Christen als Fremde. Die Metapher der Fremde in der antiken Welt, im Urchristentum und im 1. Petrusbrief, 63-69. R. Feldmeier zeigt die Fremderfahrung in der Diaspora beispielhaft am Werk Philos von Alexandria auf. Ein ganzer Abschnitt ist der Kategorie der Fremde im Frühjudentum gewidmet. In einem Artikel befasst sich S. Schwartz besonders mit der Bedeutung des Orts für die rabbinische Geschichtsschreibung; Ders. The Political Geography of Rabbinic Texts, in: C. E. Fonrobert, The Cambridge Companion to the Talmud and Rabbinic Literature, 75-93. J. Stagl, Grade der Fremdheit, in: H. Münkler, Furcht und Faszination, 101. Die Abgötterei oder der fremde Dienst bedingt eine Entfremdung, da das Idol „entfremdete Lebenskräfte“ darstellt; siehe E. Fromm, Entfremdung-Vom Alten Testament bis zur Gegenwart, in: H. H. Schrey, Entfremdung, 61. S. Stern, Jewish Identity, 188: „[...] that non-Jewish customs are not forbidden merely because they are non-Jewish [...], but rather because they are intrinsically connected to avodah zara.“

Kategorie „das Fremde“ nimmt so den Gedanken der Differenz in Bezug auf fremde Kulte und Bräuche in sich auf. Zusammenfassend ergeben sich aus den drei Kriterien die drei Kategorien „der, die, das Fremde“. Nach diesen Kategorien bestimmen die fremde Person, der fremde Ort und die fremden Kulte und Bräuche den Fokus der Untersuchung. Damit ist auf das Spannungsverhältnis verwiesen, das sich zwischen der Beschreibung des Fremden und der Erfahrung eröffnet. Die Beschreibung des Fremden orientiert sich zwar an der Erfahrung, impliziert aber nicht zwingend eine historische Realität. Mit diesen Kategorien kann die Erfahrung des Fremden lediglich rekonstruiert werden.51 Da aber keine Beschreibung ohne Reflexion und Wahrnehmung möglich ist, bleibt die Aufgabe, mittels der Kriterien und Kategorien dieses Verhältnis zu untersuchen.52 Die aufgezählten Motive ergänzen die historische Untersuchung des Sachverhalts. Die drei Dimensionen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern strukturieren die Suche nach Motiven der Fremdbeschreibung, indem sie ein inhaltliches Raster vorgeben. Die Interaktion mit Fremden auf der Ebene dieser Kategorien führt zu der Frage, welche Bedeutung „der, die, das Fremde“ in der rabbinischen Literatur hat. Weiter sind die religiöse und soziale Behandlung der Nichtjuden, die Behandlung ihrer Kulte, der Aufenthalt in ihren Städten und Ländern von Interesse. Auch die Konversion, das jüdische Leben in der Fremde und in Israel sind zu analysieren. Folglich ergeben sich aus diesen Kategorien Ausgangspunkte, mit denen die Quellen untersucht werden können. Der methodische Ansatz dieser Studie besteht darin, die drei Kategorien auf den Quellenbestand zu übertragen und die Ergebnisse daraufhin zu interpretieren. Der Export dieser Kategorien in die Welt der Antike beruht auf der Annahme, dass trotz des Wandels der Kulturen eine Kontinuität der Fremderfahrung existiert. Mit diesen Ausführungen sollte deutlich werden, dass sich vielleicht die Behandlung des Fremden

51

52

Damit wird mit philologischen Mitteln eine historische Rekonstruktion der Fremderfahrung versucht. Es wird vorausgesetzt, dass diese Rekonstruktion selbst nie vollständig sein kann, sondern das Ergebnis einer bestimmten Methode ist. Oskar Schatz argumentiert zugunsten eines starken Zusammenhangs zwischen der Entfremdung des Menschen in einem anthropologischen Blickwinkel und seiner Geschichtlichkeit. So veranschaulicht dieser Aufsatz den Zusammenhang von Erfahrung und „Entäußerung“, O. Schatz, Entfremdung als anthropologisches Problem, in: H. H. Schrey, Entfremdung, 175.

29

in der Geschichte gewandelt hat, nicht aber die soziale Relevanz des Fremden.53

2. Zum Forschungsstand in der rabbinischen Literatur Ein Überblick über die Forschung soll veranschaulichen, wie stark die Ergebnisse von der Zeit und dem Umfeld des Autors geprägt sind.54 Da die Studien über Fremde und ihre Wahrnehmung im Talmud ein komplexes und sensibles Thema sind, variieren die Ansätze und Ergebnisse. Um Ausgangspunkte für eine neue Studie zu definieren, werden ausgewählte Werke besprochen.

2.1 Ein Überblick über die Forschungsgeschichte In diesem Teil soll ein Überblick über die Forschungsgeschichte zum Fremden in der rabbinischen Literatur gegeben werden. Erheblich dafür ist die Frage, wie die Forscher die rabbinische Literatur definieren und mit welcher Perspektive — ob religiös, wissenschaftlich oder politisch — die Texte gelesen werden. Ob die Talmude als religiöse Überlieferung oder als historische Literatur des Judentums gelesen werden, führt zu verschiedenen Annahmen. So ist die Einstufung der Quellen kausal für ihre Aussage. Seit Ende des 19. Jahrhunderts besteht verstärkt das Interesse, die Fremdbeschreibung des antiken Judentums zu analysieren und zu interpretieren. Die Forschung wurde gleichermaßen von Juden wie Christen betrieben, da die jüdische Wahrnehmung des Fremden vom Vorwurf der Misanthropie belastet war. Besonders dem Talmud als jüdischem Gesetzbuch werden bis in diese Tage fremdenfeindliche Tendenzen unterstellt.55 53 54

55

30

Vgl. A. Hahn, „Partizipative“ Identitäten, in: Münkler, Ladwig, Furcht und Faszination, 115-117. Die meisten Arbeiten in diesem Feld verwenden einigen Raum auf eine methodische Eingrenzung, wie bspw. C. Hayes, Between the Babylonian and Palestinian Talmuds, 9-26; G. Porton, The Stranger Within your Gates, 1-16. Es hat einige Tradition, dem Talmud Fremdenfeindlichkeit zu unterstellen. Die

Demgegenüber gibt es verschiedene ernstzunehmende Versuche von nichtjüdischer Seite, der jüdischen Fremdbeschreibung gerecht zu werden. Alfred Bertholet, Professor für Kirchengeschichte, hat mit seinem Werk eine Grundlage für die weitere Erforschung des Fremden im antiken Judentum geschaffen.56 Dieses Werk befasst sich mit der sozialgeschichtlichen und religionsgeschichtlichen Erforschung des Fremden in den Büchern des Alten Testaments bis in das erste Jahrhundert. Bertholet hebt den Schutz der Fremden in der israelitischen Gesellschaft hervor. Besonders die Begriffe „Ger“ und „Goy“ dienen als Leitfaden seiner Untersuchung. Die Studie will eine Evolution des Begriffs „Ger“ belegen, der sich vom Fremden zum Konvertiten wandelt. Für den Wandel der Begriffe sind die äußeren Umstände verantwortlich, die Bertholet im Zusammenhang mit dem ausgeprägten Kontakt zu Fremden und ihrer Kultur erkennt. Der Wert dieser Arbeit liegt in der umfassenden historischen Interpretation der Fremdbeschreibung, weshalb die Forschung auch immer wieder auf diese Arbeit zurückgreift.57 Neben der Möglichkeit, die Kontinuität der Begriffe aufzuzeigen, ist der historische Vergleich der rabbinischen Literatur mit der römischen Geschichte eine Option für den Forscher. Hans Blaufuss vergleicht in einem Aufsatz die fremden Feiertage des Talmudtraktats „Avoda Zara“ mit den römischen Feiertagen. So lässt sich eine gewisse Assimilation der Juden an die römische Umwelt postulieren.58 Einen weiteren Versuch auf diesem Gebiet unternimmt der Judaist Michael Guttmann, die Fremdbeschreibung von der Tora bis zur rabbinischen Literatur mit historisch-kritischen Methoden zu analysieren.59 Guttmann untersucht wie Bertholet die sozialgeschichtliche und religions-

56 57 58

59

Werke des Orientalisten Johann Andreas Eisenmenger geben dafür ein Beispiel. Ein anderes Beispiel für eine antisemitische Bearbeitung des Talmud liefert der Theologe Gerhard Kittel, Die Behandlung des Nichtjuden im Talmud in: Archiv für Judenfragen 1943. Sacha Stern bezieht speziell zu dem Problem der antisemitischen Fremdwahrnehmung im Talmud Stellung und verhehlt nicht einige fremdenfeindlichen Tendenzen, S. Stern, Jewish Identity, 4-5. A. Bertholet, Die Stellung der Israeliten und der Juden zu den Fremden, Freiburg 1896. Siehe bspw. M. Guttmann, Das Judentum und seine Umwelt, 20-25, oder C. Bultmann, Der Fremde im antiken Juda, 9, 28. H. Blaufuss, Römische Feste und Feiertage nach den Traktaten über fremden Dienst in Mischna, Tosefta, Jerusalemer und babylonischer Talmud, in: Bayerische Schulprogramme, München 1909; siehe auch: S. Kaatz, Talmudisch-rabbinische Sätze über Rechtsbeziehungen zu Nichtjuden, Breslau 1924. M. Guttmann, Das Judentum und seine Umwelt, Berlin 1927.

31

geschichtliche Entwicklung des Judentums vor und nach der Zerstörung des zweiten Tempels. Die Analyse betrifft die Begriffe „Nori“ und „Ger“, die dort beide als Fremde gedeutet werden. Dabei wird die Verwendung der Begriffe von der Tora bis zum babylonischen Talmud untersucht. Bemerkenswert ist Guttmanns Unterscheidung des „Auslandsfremden“ „Nori“ und des „Inlandsfremden“ „Ger“, die formal kontinuierlich von der Tora bis zur rabbinischen Literatur verwendet werden. Dem „Nori“ entspricht der Ausländer, der sich nur kurze Zeit im Land aufhält und sich nicht in die religiöse Gemeinschaft einfügt. In der Strafgesetzgebung wird dem „Nori“ laut Guttmann die autonome Selbsthilfe zugebilligt, die sich bis in die rabbinische Literatur erhält. Der Fall der nicht vorsätzlichen Straftat, nach dem ein „Nori“ mit dem Tod bestraft wird, sei lediglich aus Gründen der Exegese berücksichtigt und kein anzuwendendes Gesetz gewesen. Somit stehen die rabbinische Rechtsauslegung und ihre Anlehnung an die Tora im Widerspruch zur historischen Wirklichkeit, da „der Fremde“ nur eine abstrakte Größe der Exegese sei.60 Demgegenüber versteht Guttmann den „Ger“ nicht als ethnisch Fremden, sondern als Ausländer und Immigranten. Dieser Fremde untersteht der gleichen Gerichtsbarkeit wie die Israeliten. Das biblische Asylrecht habe ähnlich wie die Todesstrafe im Fall der Tatabirrung in der rabbinischen Epoche keine praktische Bedeutung mehr. Die Bedeutung des „Ger“ als Proselyt sieht Guttmann nicht als Konzept der rabbinischen Literatur, sondern bereits in der Tora angelegt. Damit sei die jüdische Gemeinschaft jederzeit für Fremde offen gewesen.61 Mit dieser Gegenüberstellung von Tora und Talmud lassen sich die Bedeutungsnuancen der Begriffe gut nachvollziehen; allerdings vernachlässigt Guttmann die Entwicklung der Begriffe. Auch wenn Guttmann durchaus eine Entwicklung des „Ger“ vom Fremden, der im Land wohnt, zum reinen Proselyten beschreibt, bleibt die Differenzierung des Begriffs in den rabbinischen Quellen undeutlich. Die Entwicklung des Begriffs sieht Guttmann als Ergebnis einer weitreichenden Konversionsbewegung von Nichtjuden zum jüdischen Glauben. Die Ambivalenz des Talmud gegenüber Proselyten entstünde aus der Vorsicht gegenüber Konvertiten. Die rabbinische Literatur vertritt laut Guttmann den Proselyten gegenüber eine grundsätzlich positive

60 61

32

Ebend., 35-42. Ebend., 62-65.

Haltung.62 Das Prinzip im Umgang mit Nichtjuden sei eine ethische Gleichstellung mit den Juden. Das gelte nicht nur für die Proselyten, sondern auch für die „  “, die „Söhne Noahs“,63 und die so genannten Gottesfürchtigen. Das Verhältnis von Juden und Nichtjuden ist stets an ethische Grundregeln gebunden, die für Fremde aber erleichtert werden. Während der Inlandsfremde „Ger“ sich assimilieren soll, ist die Assimilation des Auslandsfremden „Nori“ nur erwünscht.64 Den konfessionellen Partikularismus wertet Guttmann als Grundlage eines universalen Moralsystems, das in einer umfassenden Ethik zum Ausdruck kommt. So wird der Nichtjude mehr als Mensch denn als Fremder bewertet.65 Zusammenfassend kann der Arbeit Guttmanns eine gewisse apologetische Note nicht abgesprochen werden. Dadurch kommen grundsätzliche Probleme der Interpretation zum Ausdruck, was zum einen das Verhältnis der Begriffe „Nori“ und „Ger“ betrifft und zum anderen die Bedeutung des Begriffs „Ger“ als Proselyt. Dagegen setzt die Untersuchung Bernard Bambergers für die Konversion in der Epoche des Talmud kritischere Akzente.66 Die Untersuchung beginnt mit der historisch-kritischen Auswertung halachischer Entscheidungen zu Proselyten und zur Konversion, um in einem zweiten Schritt die haggadischen Anmerkungen zur Konversion zu untersuchen. Ausgehend von Mischehen in der biblischen Zeit und dem Kontakt zu Fremden, verändert sich die Bedeutung des „Ger“ in der rabbinischen Literatur zu einem Fremden, der zum Judentum konvertiert. Weder hätten die Rabbinen sich geweigert, Proselyten aufzunehmen, noch aktiv um sie geworben. Niemand sei wegen fremder Herkunft von der Konversion abgehalten worden.67 Die Bedingungen für die Aufnahme, die Guttmann kaum thematisiert, umfassen Beschneidung, Untertauchen und Opfer als drei wesentliche Voraussetzungen. Dazu kommen die Prüfung der Motive des Konvertiten sowie 62

63 64 65 66

67

Ebend., 85-87. Vgl. S. B. Hoenig, Conversion during the Talmudic Period, in: D. M. Eichhorn, Conversion to Judaism. A History and Analysis, New York 1965, 33-66: Sidney B. Hoenig teilt die Einschätzung, dass die Rabbinen der Konversion grundsätzlich positiv gegenüber standen. Vgl. dazu M. Goodman, Mission and Conversion, 131. M. Guttmann, Das Judentum und seine Umwelt, 113. Ebend., 149. B. Bamberger, Proselytism in the Talmudic Period, New York 1939. Bamberger liefert einen genauen Überblick über die Literatur, die bis zu diesem Zeitpunkt zum Thema veröffentlicht wurde. Hier finden sich weitere Angaben zur Forschungsgeschichte, Ebend., 7-9. Vgl. B. Bamberger, Ebend., 36: „The dominant view is clearly that no one should be denied the right to convert because of his origin [...].“

33

weitere spezielle Regelungen beim Übertritt von Schwangeren und Minderjährigen. Die rabbinische Literatur böte eine Definition des Fremden aus Gründen der sozialen und politischen Vorsicht, dann das Ziel sei die Bewahrung der religiösen Gebote. Dass in der rabbinischen Literatur eine Vielfalt an Meinungen über die Konversion besteht, wertet Bamberger als Beleg für eine positive Einstellung gegenüber Proselyten. So lockern sich durch die Konversion die genealogischen Bande. Der Proselyt tritt wie ein Neugeborener in die jüdische Religion ein. Die rabbinische Literatur hätte die biblische Gesetzgebung überwunden, indem die Gebote, die den „Ger“ betreffen, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis erleichtert worden seien. Eine Folge sei die eingeschränkte Gewährung von Mischehen und die Relativierung der priesterlichen Kasten.68 Der Proselyt habe so nicht zwingend einen untergeordneten Status gegenüber den Israeliten. Allerdings entsprächen nicht alle Gesetze zwingend der historischen Realität, sondern vermittelten eine bestimmte Exegese der Tora, wie die verschiedenen Bezeichnungen des „Ger“ zeigen. Der „Ger Toschav“ sei der im Land wohnende Fremde, und der „Ger edeq“ ein echter Proselyt. Allerdings bleibt die genaue Bedeutung und Übersetzung dieser Begriffe bei Bamberger undeutlich.69 In etwa zur gleichen Zeit entstehen die Arbeiten von Saul Lieberman, die innerhalb der rabbinischen Literatur nach einem Zusammenhang mit der Sprache und Kultur der Griechen suchen.70 Lieberman erkennt und analysiert den Einfluss der fremden Kultur auf die rabbinischen Texte. Die Verwendung von griechischen Lehnwörtern beweist zumindest die Nähe der Kulturen. Grundsätzlich sei es auch Nichtjuden möglich, im jüdischen Sinne tugendhaft zu sein. Die verschiedenen Abstufungen von Proselyten belegen weiterhin die Toleranz der Rabbinen. Laut Lieberman hätten die Rabbinen größeren Respekt vor fremden Gläubigen als vor fremden Bräuchen.71 Dennoch bestünde die Leistung der Rabbinen in der Integration fremder Kulte und Bräuche. Nach Lieberman kämpfen die Rabbinen zwar gegen

68 69 70 71

34

Ebend., 80-86. Ebend., 133-135. S. Lieberman, Greek in Jewish Palestine, Philadelphia 1942. „The Roman Gentile, for instance, as a peaceful citizen is pictured in a rather pleasant light.“ Ebend., 84.

fremde Einflüsse, adaptieren aber auch einige Elemente.72 In den Untersuchungen Liebermans wird aber weniger der jüdische Einfluss auf Fremde als der fremde Einfluss auf die jüdische Tradition hervorgehoben. Durch die Untersuchung der fremden Einflüsse auf die rabbinische Literatur gelang es Lieberman, der Forschung neue Perspektiven zu eröffnen. Eine weitere Etappe markiert die Forschung von Ephraim Urbach.73 Urbach zeigt in den fünfziger Jahren, dass die Funde aus archäologischen Ausgrabungen weder zu einem Bilderverbot der rabbinischen Literatur noch zu einem Verbot der fremden Kulte (Avoda Zara) passen. Damit entspräche die rabbinische Fremdbeschreibung mit ihren Verboten nicht der historischen Praxis. Es gelingt Urbach, dem Talmud zwischen den Zeilen die Rezeption des fremden Umfelds zu entlocken. Zwar sei die Herstellung von Idolen verboten, aber es gebe Belege, die verdeutlichen, dass sie dennoch von Juden hergestellt und von Fremden gekauft wurden. Da der Talmud diesen Kultgegenständen keine göttliche Kraft zugesteht, sei die Fertigung zwar nicht grundsätzlich erlaubt, aber aus ökonomischen Gründen gerechtfertigt. Die Doppeldeutigkeit der rabbinischen Literatur unterstützt den Zwiespalt von jüdischen Geboten und fremden Bräuchen. So zeigen die archäologischen Funde im Zusammenhang mit den Quellen nach Urbach ein ambivalentes Verhältnis zu fremden Kulturen. Das Werk von Jacob Neusner stellt nicht nur für die Fremdbeschreibung eine Zensur dar.74 Neusners quellenkritische Arbeiten führten eine Wende in der Auswertung der rabbinischen Literatur herbei, die nicht mehr als historische Quelle, sondern als konstruierter Text betrachtet wurden. Ein Ergebnis Neusners ist, dass eine historische Wahrnehmung aus den Quellen nur ansatzweise rekonstruierbar ist. Dementsprechend sei die Fremd-

72

73 74

„The rabbis were compelled to tolerate the practice, but they succeeded in sending it with Jewish character. They had to adapt a Gentile custom adopted by the ignorant masses so as to suit Jewish requirements [...]“. Ebend., 92. E. Urbach, The Rabbinical Laws of Idolatry, in: Israel Exploration Journal 3,4 1959, 149-165; 229-245. S. Schwartz, The political geography of rabbinic texts, in: Fonrobert, E., The Cambridge Companion, 88. S. Schwartz gibt eine pointierte Übersicht über die Forschungsgeschichte der rabbinischen Literatur im 20. Jahrhundert, indem er die Vielfalt ordnet und den Forschern bestimmte Schulen zuordnet.

35

beschreibung abstrakt, gesichtslos und lediglich die Kontrastfolie der jüdischen Identität.75 Auch der Judaist Gary Porton glaubt nur an eine begrenzte Aussagekraft der rabbinischen Texte für die historische Fremderfahrung.76 Porton verfolgt die Bedeutung des „Ger“ in der Mischna, der Tosefta und den Gemarot und verweist auf die beträchtliche Differenz zwischen Israel und den Fremden. Die Konversion sei in den frühen Texten weder theoretisch noch praktisch geregelt und es bleibe ein großer Unterschied zwischen Konvertiten und gebürtigen Juden bestehen. Insofern sei eine Konversion eine Grenzüberschreitung in ethnischer und religiöser Hinsicht, in der sich ein Fremder dem Judentum annähere. Porton definiert das Judentum als ethnische Gruppe, das in den Nichtjuden eine Abgrenzungsfolie findet. Obwohl Juden und Nichtjuden in ständigem Kontakt stünden, hätten die Rabbinen keinerlei spezielle Kategorien der Fremdbeschreibung entworfen.77 Porton beschreibt den „Ger“ als marginale Person, der in die jüdische Gemeinschaft integriert werden muss. Die Problematik der Herkunft ist für die Definition des „Ger“ entscheidend, da der Konvertit aus einem nichtjüdischen Umfeld stammt und sich nicht auf eine jüdische Abstammung berufen kann. In der Mischna und den frühen Midraschim wird der „Ger“ einer Kaste [] zugeordnet, was die ambivalente Bedeutung des Proselyten in der rabbinischen Literatur zur Folge hat. Allerdings gebe es in diesem Stadium noch keine Zeremonie der Konversion. Bereits in den frühen Texten werde aber die Erbschaftsproblematik wie die Frage nach dem Status der Nachkommen thematisiert. Die „Gerim“ seien nach der Konversion in gewisser Hinsicht neue Menschen, aber eine Ehe mit ihnen sei deshalb nicht zwingend erlaubt. So bleiben die Proselyten dennoch in mancherlei Hinsicht Fremde, was nach

75

76 77

36

J. Neusner, Stable Symbols in a Shifting Society: The Delusion of the Monolithic Gentile in Documents of Late Fourth-Century Judaism, in: „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 374-375. G. Porton, The Stranger within your Gates. Converts and Conversion in Rabbinic Literature, Chicago 1994. „The sages did not create any distinct categories through which to analyze the gentiles, nor did they create any unique literary forms or modes of expression in which to cast their opinions concerning the non-Israelites.“ Ebend., 4. Darüber hinaus schreibt Porton in Fussnote 24, 222: „It is important to note that while the rabbis distinguished among several categories of Israelites, all non-Israelites were called goyim, no matter what their ethnic origins, [...]“.

Porton für eine ethnische Abgrenzung der „Gerim“ von den Israeliten spricht.78 Im palästinischen Talmud (yT) erweitert sich die Perspektive, indem mehr Material über Proselyten zur Verfügung steht und ein besonderes Augenmerk auf das Ritual der Konversion geworfen wird. Der „Ger“ erfährt eine Statusveränderung und wird nach der Konversion als ein neues Individuum und unabhängig von seinen Vorfahren betrachtet. Die Bedeutung der Tauglichkeit für mögliche Verbindungen mit Proselyten gewinnt in diesen Quellen an Bedeutung, da für eine Verbindung mit der Priesterkaste die nichtjüdischen Vorfahren ausschlaggebend sind. Ob die Debatte der Konversion auf historischen Fakten und Urteilen beruht oder völlig fiktiv ist, kann laut Porton nicht abschließend entschieden werden.79 Der babylonische Talmud (bT) stützt sich auf eine heterogene Überlieferung und eine breite Varianz der Halacha. Es wird diskutiert, inwiefern für das Ritual der Konversion Untertauchen und Beschneidung wesentliche Voraussetzung sind. Umstritten ist die Zuordnung der Proselyten zu einer Kaste. Proselyten haben beispielsweise eingeschränkte Rechte bezüglich einer Erbschaft. Weiter steht der jüdische Ethnos einer Integration der „Gerim“ im Weg. So bleiben die Proselyten auch in dieser Quelle Fremde, da es für sie keine vollkommene Integration gibt.80 Im Kontext der Konversion geht es vordringlich um die Eingliederung von Fremden in den eigenen religiösen Kontext. Dabei verhindert die ethnische Komponente, die Porton neben der religiösen Komponente erwähnt,81 die völlige Integration der Proselyten. Während die „Gerim“ religiös integriert werden können, ist eine völlige Integration in den Ethnos unmöglich, denn die Proselyten verlieren nie ganz ihre „Otherness“. Louis Feldman versucht einen umfassenden Überblick über die Beziehungen von Juden und Nichtjuden in der Antike zu geben.82 Dabei zieht Feldman nicht nur jüdische, sondern auch nichtjüdische Quellen heran und stützt sich weitgehend auf die historische Untersuchung. Kontakte zwischen Nichtjuden und Juden bestehen nicht nur in Israel, sondern auch in der 78 79 80 81

82

Ebend., 27-31. Ebend., 88-89. „They were hybrids, and this stands behind much of the complexity of the Talmuds discussions.“ Ebend., 131. Nicht alle Forscher räumen der ethnischen Komponente diese Bedeutung ein. Meist werden ethnische und religiöse Motive kombiniert; vgl. S. J. D. Cohen, The Beginnings of Jewishness, 341-349. L. Feldman, Jew and Gentile in the Ancient World, Princeton 1993.

37

Diaspora. Feldman konzentriert sich dabei besonders auf die nichtjüdische Fremdbeschreibung, die sowohl positive wie negative Urteile umfasst. Während sich die Vorurteile gegenüber Juden auf ihre religiöse Fremdheit und Gebote wie die Beschneidung berufen, bestehe die Attraktivität der Juden vor allem in ihrer langen Geschichte und ihrer Tugendhaftigkeit. Aus den positiven Gesichtspunkten rekonstruiert Feldman die Bedeutung der Proselyten. Nicht nur die „Gerim“, sondern auch die „  “, die Himmelsfürchtigen, seien aus ökonomischen und sozialen Gründen in das Judentum integriert worden.83 Mit dieser Theorie argumentiert Feldmann zugunsten der jüdischen Selbstbehauptung innerhalb fremder Kulturen. Die Nähe zur griechischen Kultur befördere eher die Differenz als Mischehen. Feldman diagnostiziert eine breite Konversionsbewegung Fremder zur jüdischen Gemeinschaft. Auch die Niederlagen von 70 n. Chr. und 135 n. Chr. hätten diese Konversionsbewegung nicht gestoppt, sondern noch verstärkt.84 Diese Missionsbewegung sei teilweise erfolgreich gewesen, was Feldman auch mit der rabbinischen Literatur beweisen möchte. Anhand der Begriffe „Yirey Shamaym“ und „Ger“ erklärt Feldman eine gewisse Offenheit der Rabbinen für Proselyten.85 In Kontrast zu dieser Studie, die der Konversion große Bedeutung zuschreibt, steht die Studie von Sacha Stern.86 Die geringe historische Evidenz, die Stern im Anschluss an Neusner der rabbinischen Literatur zugesteht, führt zu einer vorsichtigen Bewertung der Fremdbeschreibung. Stern verwendet ausschließlich literarische Quellen für seine Studie, da nur ein unbestimmter Zusammenhang der Archäologie mit der rabbinischen Literatur bestehe. So ist die Studie Sterns lediglich auf historisch-kritischer Textexegese fundiert. Im Gegensatz zu Feldman vertraut Stern weder auf die Rekonstruktion der Fremdwahrnehmung noch auf eine historische Kontextualisierung der rabbinischen Literatur.87 Nach Stern ist die jüdische Identität in den frühen rabbinischen Schriften an die Beschreibung des Fremden gekoppelt. Die Untersuchung der jüdischen Identität basiert so auf der Interpretation der Gegensätze zwischen Juden und Nichtjuden, die in 83

84 85 86 87

38

Vgl. Ebend., 335: „Soon enough, the Jews discovered that the best defense is a good offense. They realised that if they wished to avoid rapid assimilation and disappearance they had to clarify and then to explain and justify their ideas about religion to the Gentiles.“ Ebend., 335-341. Ebend., 353-356. S. Stern, Jewish Identity In Early Rabbinic Writings, Leiden 1994. Ebend., xxix-xxxix.

Geboten und Erzählungen vermittelt werden.88 Deshalb hebt die Untersuchung mit einer ausführlichen Beschreibung der Nomenklatur für Juden und Fremde an, wobei auffällig ist, dass es wesentlich weniger Begriffe für die Selbstbeschreibung gibt. Durch die polare Gegenüberstellung werden die Fremden laut Stern in einen Kontext der Rechtsverletzung gesetzt, während die Juden als tugendhaft dargestellt werden. Die jüdische Gemeinschaft ist durch ihre enge Beziehung zu Gott ausgezeichnet, die den Nichtjuden verwehrt bleibt. So bleibt die Konversion die einzige Möglichkeit für Fremde, ein gerechtes Leben zu führen.89 Die Anbetung fremder Kulte wird dementsprechend nur Nichtjuden zugeordnet, hätte aber für die Juden selbst die Faszination verloren und sei lediglich eine weitere Antithese zwischen Juden und Nichtjuden. Stern setzt diesen Vergleich auf der symbolischen Ebene fort, wo Tiere den Nichtjuden und Engel den Juden entsprechen. Israel ist den fremden Völkern in jeder Hinsicht überlegen. Darüber hinaus gibt es auch physische Gründe für diese Dialektik, die auf der Unreinheit, den Speisegesetzen und der Beschneidung beruhen. Juden sind zur Einhaltung der Gebote verpflichtet, die nicht nur das Speisegesetz und die Beschneidung, sondern auch das Torastudium und die Festtage einschließen. Im Unterschied zu Gary Porton definiert Stern die jüdische Identität ausschließlich über die religiöse Gemeinschaft und ihre Gebote.90 Allerdings gibt es in der jüdischen Identität ein Zentrum und eine Peripherie. In der Peripherie sind die Proselyten angesiedelt, die zu einem Mitglied der Gemeinschaft aufsteigen können. Indizien für eine breite Konversionsbewegung sieht Stern nicht gegeben. Immerhin bleibt der Proselyt aus Gründen der Genealogie in manchen Belangen, wie in Bezug auf die Ehe mit Priestern, den Israeliten unterlegen, was aber seine jüdische Identität nicht beeinflusst. Sklaven und Beisassen bleiben dagegen in der Peripherie. Stern folgert aus diesen Ausführungen, dass die jüdische Identität auf der Exklusion einer fremden Welt beruht. Damit ist auch die Fremdbeschreibung einer Innenperspektive geschuldet, die nicht vordringlich eine historische Realität, sondern eine Differenz beschreibt. Die

88

89 90

Vgl. S. Stern, Jewish Identity In Early Rabbinic Writings, 1: „Self implies other, ‚Jew‘ implies ‚non-Jew‘ the former is only meaningful if in contradiction with the latter.“ Ebend., 30. Ebend., 79-81.

39

jüdische Identität bestehe aus einem weltabgewandten Solipsismus, der das Verbergen der eigenen Sitten und Gebräuche zum Ziel habe.91 Mit dieser Studie ist die Forschungsgeschichte in der Gegenwart angekommen. Neben der Frage, in welchem Grad sich die rabbinische Literatur historisch auswerten lässt, divergiert die Forschung, inwieweit die Fremden in einer direkten Beziehung zu den Juden stehen.92 Dies lässt sich nur befriedigend über den historischen Kontext klären, wie es Mireille Hadas-Lebel mit ihrer Überblicksdarstellung über das Verhältnis der politischen Mächte Rom und Israel versucht.93 Dabei konzentriert sich HadasLebel auf die politischen Beziehungen der beiden Mächte von der Zeit der Makkabäer bis zur rabbinischen Literatur. Angesichts des Wandels, der vom Verbündeten bis zum Erzfeind reicht, schildert Hadas-Lebel die unterschiedlichen Mentalitäten nicht nur aus der Perspektive der rabbinischen Literatur, sondern auch aus dem Blickwinkel von Philo von Alexandria und Flavius Josephus. Der kulturelle Gegensatz zwischen Rom und Jerusalem beruht demnach sowohl auf religiösen Differenzen wie auf der Ausbeutung des Lands durch Steuern.94 Aufgrund der tiefen Mentalitätsunterschiede folgen die beiden Kriege und die Zerstörung des Tempels, die Hadas-Lebel hauptsächlich anhand der Werke von Flavius Josephus rekonstruiert. Weiterhin wird die rabbinische Literatur zur Zerstörung des Tempels befragt, die allerdings auf indirekter Überlieferung basiert. Einige Abweichungen im Detail zeigen den Übergang von der Geschichte zur Legende, weshalb eine genaue Rekonstruktion der Ereignisse schwierig scheint. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung, die durch die religiöse Unterdrückung und die politische, militärische und ökonomische Übermacht Roms bestimmt wird, gewinnt laut Hadas-Lebel die Resignation Israels die Oberhand.95 So ist die schleichende Unterordnung unter die Fremdherrschaft die Folge. 91

92

93 94 95

40

Die Abschottung ist nicht nur sozial, sondern auch in einem physischen Sinne gedacht: „Dissociation from the non-Jews is thus not only social, but also material and in a sense, embodied.“ Ebend., 155. Eine Antwort auf diese Frage setzt aber eine historische Einordnung der Rabbinen voraus; ob sie, Seth Schwartz zufolge, eher marginal eingestuft werden, oder eine historische agierende Gruppe sind, wie Martha Himmelfarb argumentiert; vgl. M. Himmelfarb, Talking their way into empire, in: C. Bakhos, Ancient Judaism in its Hellenistic Context, 174-175. M. Hadas-Lebel, Jérusalem contre Rome, Paris 1990. Ebend., 64-71. „Après l’échec de la seconde révolte, la volonté de vivre désormais en paix avec l’Empire s’exprime non seulement dans des déclarations explicites mais dans des mesures halakhiques concrètes.“, Ebend., 263.

Hadas-Lebel geht von einer zentralen Bedeutung der fremden Kulte aus, die aus der jüdischen Perspektive als unmoralisch empfunden werden.96 Aufschluss über diese Unvereinbarkeit gibt die Bewertung der römischen Gottheiten und Feste, die in der rabbinischen Literatur negativ konnotiert sind. Auch aus dem eschatologischen Blickwinkel besteht ein starker Gegensatz zwischen Israel und Rom. Martin Goodman nimmt in seiner Studie ebenfalls den Gegensatz zwischen Rom und Jerusalem als Ausgangspunkt, versucht aber auch die Gemeinsamkeiten der Kulturen hervorzuheben.97 Goodman verweist auf die Ursachen, wieso Römer und Juden sich so erbittert bekämpften und welche Unterschiede ausschlaggebend dafür gewesen sein könnten. Ausgehend vom Vergleich der beiden Städte werden die Leitlinien der Politik, Religion und Kultur analysiert und verglichen. Dabei ist bemerkenswert, dass es laut Goodman sowohl einige Übereinstimmungen, aber auch Unterschiede zwischen den beiden Kulturen gibt, die sich jeweils auf eine spezifische Herkunft berufen. Diese Herkunft basiert auf der Erinnerung an die Geschichte, mit der die Differenz gegenüber anderen Kulturen deutlich wird.98 Die Übereinstimmungen zwischen Römern und Juden basieren auf der Verwandtschaft der Völker im Mittelmeerraum, deren Alltagskultur von kulturellem Austausch geprägt ist. In Hinblick auf gesellschaftliche Konventionen und Hierarchien, soweit rekonstruierbar, seien sich Römer und Juden nicht unähnlich.99 Da die jüdische Selbstwahrnehmung auf der Überlieferung der Schriften aufbaut, die auch die moralischen und ethischen Werte determinieren, lassen sich in diesem Bereich die wesentlichen Unterschiede finden. Besonders im Bereich der Moralvorstellungen, die mit körperlichen Reinheitsgeboten zusammenhängen, bestünden große Gegensätze.100 Als Ursache für den militärischen Konflikt können laut Goodman weniger kulturelle Gründe gesucht werden, als das politische Versagen 96

„C’est sur le plan moral, forme tangible du religieux, que se manifeste avec le plus d’éclat l’incompatibilité essentielle entre judaïsme et paganisme qui est le fondement de l’antagonisme entre Israël et Rome.“ Ebend., 300. 97 M. Goodman, Rome and Jerusalem. The clash of ancient civilizations, London 2007. 98 Vgl. M. Goodman, Ebend., 191: „For Jews, as for Romans, these narratives of distant figures could be taken as lessons for present behaviour.“ 99 Vgl. M. Goodman, Ebend., 260: „Jews and Romans were thus not likely to disagree strongly in their understanding of what it is to be human, but their views were much more divergent when they assessed the place of man in the cosmos.“ 100 Goodman thematisiert hier u.a. den Gegensatz der Gebote über die Sexualität; Ebend., 278-317.

41

beider Parteien. So schließt Goodman, dass Israel nicht immer der Erzfeind Roms gewesen sei und kein kultureller Gegensatz existierte, der kausal für den Krieg von 70 n. Chr. war.101 Emmanuel Friedheims Studie betont dagegen den kulturellen Kontrast zwischen Juden und Fremden im Hinblick auf die fremden Kulte vom ersten bis zum vierten Jahrhundert.102 Inwieweit die rabbinische Literatur diese fremden Kulte differenziert wahrgenommen hat, möchte Friedheim anhand der schriftlichen Quellen wie der Mischna und den archäologischen Funden klären. Die halachische Literatur, die sich mit den fremden Kulten befasst, sei in Konsequenz einer historischen Realität verfasst worden. Fremderfahrung und Fremdbeschreibung entsprechen sich bei Friedheim auf diese Weise, da sowohl schriftliche als auch archäologische Quellen berücksichtigt werden.103 Doch die Studie differenziert nicht weiter zwischen den Fremden, die in der rabbinischen Literatur genannt werden, sondern fasst diese Fremden allgemein als Anhänger polytheistischer Kulte auf. Die Vitalität der paganen Kulte in Palestina bezieht sich häufig auf die „Avoda Zara,“ den fremden Dienst, und auf den „bösen Trieb“ [ ]. Die fremden Kulte hätten eine Faszination auf die jüdische Bevölkerung ausgeübt, die von den Rabbinen als Gefahr und Konkurrenz zum jüdischen Glauben eingestuft worden sei. Insofern hätte es ein starkes Interesse in der rabbinischen Literatur gegeben, sich von diesen Kulten abzugrenzen.104 Aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen hätten Juden sich an heidnischen Kulten beteiligt, was wiederum die Vitalität der Kulte belegt.

101 „I have tried to show that the Jewish world in which Jesus lived was under Roman rule but was not, an did not feel, oppressed by Rome.“ Ebend., 579. 102 E. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme en Palestine romaine. Etude historique des Realia talmudiques (Ier-IV-ème siècles), Leiden 2006. 103 Friedheim stützt sich besonders auf die Arbeiten von S. Lieberman und E. Urbach, Ebend., 6. Die Studie von N. Belayche, die sich mit dem gleichen Thema befasst, geht allerdings laut Friedheim nicht ausreichend auf die rabbinische Literatur ein. So bleibe die Verknüpfung von Fremdbeschreibung und Fremderfahrung auf einem oberflächlichen Niveau, was nicht zuletzt der fehlenden Aufarbeitung der hebräisch-aramäischen Texte geschuldet sei, N. Belayche, Judea-Palestina - The Pagan Cults in Roman Palestine (Second to Fourth Century), Tübingen 2001; siehe dazu auch E. Friedheim, Rabbinisme, 17-20. 104 E. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme, 52. Mit dieser These widerspricht Friedheim der Auffassung Sacha Sterns, der die fremden Kulte als fiktives Kontrapost der jüdischen Identität betrachtet, S. Stern, Jewish Identity, 156 (vgl. auch die Fußnote 151 ebend.).

42

Ein Beispiel für den rabbinischen Umgang mit der Existenz der Kulte ist die Erzählung über Rabban Gamliel im Bad der Aphrodite in Mischna Avoda Zara 3,4.105 Die Deutung der Statue als Dekoration passt in das Bild der regionalen Mysterienkulte und die archäologische Erkenntnis über Bäder und Thermen. Damit ist für Friedheim nicht der Verfall der heidnischen Kulte, sondern ihre Vitalität belegt. Den heidnischen Kult des „Sol invictus“ verknüpft Friedheim mit der gegenständlichen Kunst der antiken Synagogen. In manchen Fällen hätte sogar eine Art von Synchretismus zwischen dem monotheistischen Kult und dem Sonnenkult bestanden. Friedheim bemüht sich, die Kenntnis der Rabbinen über römische Gottheiten und Kulte in Israel zu rekonstruieren. In der rabbinischen Literatur bieten sich dafür vielfältige Ausgangspunkte.106 So verfolgt Friedheim die Hinweise auf fremde Gottheiten und fremde Kulte und vergleicht sie mit ihren griechischen und römischen Vorbildern. Es zeigt sich, dass die Rabbinen genaue Kenntnis von fremden Kulten hatten, wie nicht zuletzt die Darstellung der heidnischen Feste in der rabbinischen Literatur veranschaulicht. Die Nähe Israels zur fremden Umgebung lässt sich damit nicht nur aus den archäologischen Quellen herauslesen, sondern auch aus der rabbinischen Literatur.107 Zusammenfassend lässt dieser Überblick den Rückschluss zu, dass sich die Forschung innerhalb eines Jahrhunderts in zwei Parteien aufgeteilt hat, von der die eine von der historisch belegbaren Interaktion des Judentums mit Fremden ausgeht und die andere nur wenige bis keine Anhaltspunkte dafür erkennen kann. Während zu Beginn des Jahrhunderts die historischkritische Forschung die Aussagekraft der Quellen nicht in Frage stellte, wird in diesen Tagen der Zusammenhang von Beschreibung und Wahrnehmung nur noch fallspezifisch stattgegeben. Dabei sind die unterschiedlichen Interpretationen weniger von den Quellen abhängig, als ein Ergebnis der Me105 Zufolge Seth Schwartz deutet die rabbinische Wahrnehmung nicht nur in dieser Episode den fremden Kult zu einer harmlosen Dekoration um, damit Israel in der heidnischen Umgebung lebensfähig bleibt. Diese These kann mit der Studie Friedheims gut in Übereinstimmung gebracht werden; vgl. S. Schwartz, Imperialism and Jewish Society, 165-174. 106 Beispielsweise entspräche die Gottheit „Gad“ der heidnischen Glücksgottheit „Tyche“ E. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme, 174-192. 107 „À la lumière de cette réalité où des Juifs furent — à plusieurs niveaux — marqués par le paganisme ambiant, il est indubitable que les Rabbine devaient connaître sans réserve les cultes païens environnants, afin d’endiguer l’assimilation, voire l’acculturation, des Juifs à la population non-juive à la culture païenne.“ E. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme, 159.

43

thoden. Wer wie Hadas-Lebel oder Stern die jüdische Exklusivität gegenüber der römischen Umwelt betont, kommt zu anderen Schlüssen als Goodman oder Friedheim, was die Bedeutung der fremden Kulte betrifft.108 Außerdem steht die Frage im Raum, inwieweit sich die rabbinischen Quellen historisch deuten lassen. Dieser Bruch der Interpretation beginnt nicht erst mit den Arbeiten Jacob Neusners, sondern bereits mit den Arbeiten Saul Liebermans, der die archäologische Evidenz für die Fremdbeschreibung in der rabbinischen Literatur erkannte. So besteht nicht nur über die historische Evidenz Uneinigkeit, sondern auch inwieweit der Beschreibung die Fremderfahrung entspricht. Im Verlauf der Forschungsgeschichte verlagerte sich das Interesse von den Begriffen der Fremdbeschreibung auf die Analyse der jüdischen Kultur in ihrem historischen Kontext. Dabei ist der Vergleich der Kulturen und die Wirkung der Fremde auf die rabbinische Literatur eine aktuelle Perspektive, in der dem historischen Kontext große Bedeutung einräumt wird. Aus diesen Gründen wirkt das Bild des Fremden in diesem Kapitel sehr heterogen, da sich die Forschung meist nur auf Aspekte der Fremdbeschreibung konzentriert, wie die Interpretation des „Ger“ oder die fremden Kulte. Aus diesen Studien ergibt sich nur eine undeutliche Vorstellung über die Darstellung des Fremden in der rabbinischen Literatur, da die Uneinigkeit auch die Begriffe des Fremden betrifft. Die Arbeiten von Feldman und Porton über die Bedeutung des Proselyten veranschaulichen diese Uneinigkeit. So fehlt bisher eine grundlegende Auswertung der Belegstellen zum Fremden in der rabbinischen Literatur, in der die verschiedenen Aspekte der Fremderfahrung in ihrem Zusammenhang interpretiert werden. Der folgende Abschnitt wird sich bemühen, in der Vielfalt der Forschung verbindliche Ausgangspunkte für eine solche Studie zu bestimmen.109

108 Im Gegensatz zu E. Friedheim haben für S. Stern die fremden Kulte keine historische Bedeutung, weil sie lediglich innerhalb der rabbinischen Exegese angesiedelt bleiben. Dieser Unterschied basiert nicht aufgrund der Interpretation der Quellen, sondern auf verschiedenen Annahmen. Friedheim gesteht den rabbinischen Quellen eine historische Aussagekraft zu, die Stern ihnen aus Gründen seiner Einschätzung verweigert; vgl. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme, 4-12; Stern, Jewish Identity in Early Rabbinic Writings, xxxiii-xxxv. 109 Vgl. auch den pointierten Artikel von S. Schwartz über die Entwicklung der rabbinischen Geschichtsschreibung. Schwartz stellt v.a. wichtige Ansätze ausgewählter Wissenschaftler vor; Ders., Historiography on the Jews in the Talmudic Period (70-640 CE), in: The Oxford Handbook of Jewish Studies, 79-114.

44

2.2 Inhaltliche und methodische Ausgangspunkte der Forschung Da angesichts des Forschungsstands offen bleibt, wie viel historische Faktizität aus der rabbinischen Literatur gewonnen werden kann und in welchem Maße sie historische Bedeutung hat, sollen nun einige methodische und inhaltliche Ausgangspunkte festgelegt werden. Ein methodischer Ausgangspunkt liegt in der historisch-kritischen Betrachtung der rabbinischen Literatur. Gary Porton hat mit der Untersuchung der Begriffe der Fremdbeschreibung in Mischna und Tosefta eine wesentliche Grundlage für weitere Untersuchungen geschaffen.110 In dieser Studie bietet Porton einen Überblick über sämtliche Belegstellen, um eine vollständige und systematische Erörterung der Fremdbeschreibung zu liefern. Kriterien der Untersuchung sind die Begriffe für Fremde wie „Goy“ und „Nori“. Da laut Porton die Fremden nur als Negativfolie einer jüdischen Identität dienen, gibt es in Mischna und Tosefta kein besonderes literarisches Muster der Fremdbeschreibung. Wie bereits erwähnt, bestimmt eine ethno-religiöse Definition Israels die Forschung Portons.111 Als Gliederung der Untersuchung werden inhaltliche Kategorien gewählt, soweit sie die Quellen anbieten. Nach einer Auflistung der Belegstellen untersucht Porton den Bezug der Fremdbeschreibung zum Land Israel, zu den Festzeiten, den fremden Kulten und Reinheitsgeboten. Dabei wird die Form und der Inhalt der literarischen Beschreibung charakterisiert und interpretiert. Die Studie stützt sich auf eine thematische Gliederung und liefert vielfältige Belege für die Differenz und Distanz, die Juden gegenüber Fremden aufbauen. In dieser Gliederung werden indirekt die Kategorien der Fremdbeschreibung deutlich, die die Person, den Ort und den Kult bezeichnen. Da Porton am Diskurs über die Fremden und deren Wirkung auf die jüdische Identität interessiert ist, nimmt das Verhältnis von Beschreibung und Wahrnehmung eine zentrale Position ein.112 Dabei orientiert sich die Fremdbeschreibung zum einen an den Geboten der Tora, zum anderen an der Vorstellung der Rabbinen und nicht zuletzt an der nichtjüdischen Umwelt. Laut Porton sind die Fremden nur als Antithese, wörtlich als Nicht-Juden, von Bedeutung, um die Differenz 110 G. Porton, Goyim. Gentiles and Israelites in Mishnah-Tosefta, Atlanta 1988. 111 Vgl. hierzu auch G. Porton, Gentiles and Israelites in Mishnah-Tosefta: A Study in Ethnicity, in: S. F. Chyet, Bits of Honey, 93-111. 112 G. Porton, Goyim, 5.

45

Israels zu den Völkern anschaulich zu machen.113 Der Fremde kann mit Porton als „radikal Fremder“114 verstanden werden. Dabei sei die Form der Abgrenzung und Selbstkonstruktion keineswegs ungewöhnlich, sondern vergleichbar mit jeder anderen ethnischen Gemeinschaft.115 Ob sich die jüdische Identität allein über die Fremdbeschreibung rekonstruieren lässt und ob die rabbinische Fremdbeschreibung nicht eine eigene, unverwechselbare Note hat, sei dahingestellt. Allerdings entspräche die Fremdwahrnehmung in der rabbinischen Literatur nicht der historischen Wirklichkeit, wie die Motive und ihre Entwicklung in der Mischna und Tosefta zeigen. Diese Motive werden in den Gemarot des palästinischen und babylonischen Talmuds aufgegriffen und weiter diskutiert. Es lohnt nicht nur, diese Motive weiter zu verfolgen, sondern auch die Begriffe der Fremdbeschreibung genauer zu definieren und untersuchen. Grundlegend für einen methodischen Vergleich der rabbinischen Literatur ist die Studie von Christine Hayes, die anhand des Traktats Avoda Zara zu klären versucht, ob die Differenz in den Gemarot nur auf eine inhaltliche Entwicklung zurückgeht oder auch durch historische Wahrnehmung beeinflusst ist.116 Die Studie hebt mit einer Diskussion an, inwieweit sich Fremdbeschreibung und Fremderfahrung bedingen. Weder seien die rabbinischen Texte unabhängig von ihrer Umwelt entstanden, noch ließen sie sich direkt mit historischen Fakten verknüpfen. Vielmehr kann die historische Evidenz nur innerhalb des Texts durch den intratextuellen und kontextuellen Vergleich gewonnen werden, da eine Verifizierung über andere Quellen laut Hayes nur ungenügende Ergebnisse liefert.117 Deshalb versucht Hayes zwischen der textinternen Deutung und der historischen Analyse zu vermitteln, indem sie die diachrone Gestaltung der Texte hervorhebt. Diese Entwicklung geht laut Hayes auf die redaktionelle Gestaltung der Texte zurück. So beruht diese Studie auf der Annahme, dass die Texte auf einer historischen Entwicklung basieren.118 113 „Gentiles were of interest to the rabbis because they interacted with Israelites on a daily basis, and the sages treated them in such a way so as to make the distinctions between the Israelites and gentiles clear and definite.“ Ebend., 288. 114 B. Waldenfels greift in seiner Abhandlung auf den Begriff des „radikal Fremden“ zurück, der die „Außer-Ordentlichkeit“ des Fremden anzeigt; vgl. B. Waldenfels, Topographie des Fremden, 194-198. 115 G. Porton, Goyim, 298-299. 116 C. Hayes, Between the Babylonian and the Palestinian Talmud, New York 1997. 117 Ebend., 7-9. 118 „A tradition, narrative, or halakhic decision takes shape in response to scriptoral

46

Um die Frage nach einer formalen und historisch-diachronen Entwicklung der Halacha beantworten zu können, behandelt ein erster Teil textinterne und ein zweiter Teil entwicklungsgeschichtliche Fragen. Textinterne Fragen betreffen den Aufbau der Texte sowie rhetorische und dialektische Stilmittel. Dementsprechend werden im ersten Teil die verschiedenen Versionen der Mischna im palästinischen und babylonischen Talmud als Ursache für unterschiedliche Auslegungen der Halacha gewertet. Anhand von Textvergleichen lassen sich die Lücken in der Überlieferung der Mischna als Ursache der halachischen Differenz heranziehen. Weiter divergiert das Vorverständnis, mit dem die Mischna in den beiden Gemarot ausgelegt wird. Aus diesen Unterschieden, die sich auch aus rhetorischen Stilmitteln ergeben, kann die Entwicklung der Fremdbeschreibung erschlossen werden. Der zweite Teil konzentriert sich auf die historischen Einflüsse, die unterschiedliche Halachot bedingen. Ob und wann der Handel mit Fremden an ihren Feiertagen betrieben werden darf, ist eine Frage des sozialen Status, die im babylonischen Exil erleichternd entschieden wurde. Als Grund führt Hayes den wirtschaftlichen Druck an, der in der Diaspora größer gewesen sei. Ein zweites Motiv sei die Furcht vor Animositäten, die auf die Gesetzgebung eingewirkt hätte.119 Weiter werden die fremde Hebamme, das Gastmahl bei Nichtjuden und der Verkauf von Waffen an Fremde interpretiert. Während der Fall der Hilfeleistung durch eine fremde Hebamme in der Diaspora erleichternd entschieden wird, trifft für die Teilnahme an nichtjüdischen Festen das Gegenteil zu. So werden die Gebote im babylonischen Talmud verschärft. Es zeigt sich, dass für eine kultur-historische Einordnung der Texte die Berücksichtigung der Diasporasituation wesentlich ist.120 Ob der babylonische Talmud die Fremdbeschreibung im allgemeinen erleichternd beurteilt, bleibt weiter zu überprüfen. Eine weitere Kategorie für die Analyse der Fremdbeschreibung erkennt Christine Hayes in der Entwicklung der Reinheitsgebote von der Tora zur rabbinischen Literatur, die in „Gentile Impurities and Jewish Identities“

and traditional stimuli, and at the same time it is a function of a specific community [...]. Research into rabbinic literature must do justice to the diachronic and discursive complexity of this literature.“ C. Hayes, Between the Babylonian and the Palestinian Talmud, 24. 119 Ebend., 139-141. 120 „These sources illustrate not only the importance of time and place in the articulation and modification of halakhah, but also the possibility of cultural-historical analysis of halakhic developments.“ Ebend., 179.

47

behandelt werden.121 Dabei lässt sich die Entwicklung von der „moral impurity“ zu einer „genealogical impurity“ und einer „ritual impurity“ beobachten. Aus den Quellen der Tora, des zweiten Tempels und der rabbinischen Literatur ergibt sich eine graduelle Lockerung der moralischen und genealogischen Distanz zugunsten einer rituellen Differenz gegenüber Fremden. In der rabbinischen Literatur wird laut Hayes ein spezielles Konzept der rituellen Unreinheit entwickelt.122 Es gibt keine unmittelbare Unreinheit, die Fremde aus der jüdischen Gemeinschaft ausschließt. Allerdings verunreinigen die Fremden „like a zav“, wie durch körperliche Ausflüsse. Deshalb wird der sexuelle Kontakt zwischen Juden und Fremden verboten.123 Die verunreinigende Wirkung der fremden Kulte und Idole bezieht sich auf eine moralische Form der Unreinheit, die nicht gänzlich soziale Kontakte unterbindet, aber eine Verletzung der Halacha verhindern soll. Diese moralische Unreinheit betrifft auch die rabbinischen Vorbehalte gegenüber Mischehen, die über den Umweg der Konversion möglich werden. Die Konversion wirft die Frage nach dem Status der Kinder aus Mischehen auf. Laut Hayes ist die Entwicklung zu einer erleichternden Regelung eindeutig, da die Bedeutung der Genealogie zugunsten persönlicher Verdienste, wie dem Torastudium, zurückgedrängt wird.124 Mit dieser Studie steht die Bedeutung von Reinheit und Unreinheit für die Fremdbeschreibung außer Zweifel. So ist die Konversion eine Schnittstelle, an der die Interaktion mit Fremden einen Regelungsbedarf auslöst. Martin Goodman sucht das Ausmaß und die Auswirkungen einer möglichen Konversionsbewegung im rabbinischen Judentum im Vergleich mit den frühen Christen nachzuvollziehen.125 Durch die Konversion werden zwar die Grenzen einer Gemeinschaft deutlich, aber ihre exakte Definition bleibt schwierig, da nicht immer eindeutig ist, zu welcher Gemeinschaft sich ein Individuum zählt. Für die 121 C. Hayes, Gentile Impurities and Jewish Identities. Intermarriage and Conversion from the Bible to the Talmud, Oxford 2002, 7-12. 122 „[...] rabbinic expressions of the impurity of Gentiles, idols, and related phenomena are almost analogical [...].“ Ebend., 108; es gibt aber Einwände, ob sich die Kategorien der moralischen und rituellen Unreinheit eindeutig historisch-kritisch voneinander trennen lassen; vgl. V. Haarmann, Proselyten und Gerechte aus den Völkern. Zwei rabbinische Kategorien der Akzeptanz von Nichtisraeliten, 155-173. 123 C. Hayes, Gentile Impurities, 124-131. 124 „[...] Tora learning is supreme and enables one to overcome the disadvantages of foreign origin.“ C. Hayes, Gentile Impurities, 189. 125 M. Goodman, Misson and Conversion, 91-108.

48

Fremdbeschreibung ergibt sich damit ein Zusammenhang zwischen Identität und Fremdwahrnehmung.126 Die Identität der Gemeinschaft hängt von der sozialen Überzeugungskraft der Mitglieder ab. Allein über die soziale Bedeutung kann das Phänomen der Konversion aber nicht ausreichend erklärt werden.127 Hinweise für eine breite Konversionsbewegung im Judentum vor 100 n. Chr. lassen sich laut Goodman schwerlich finden. Für eine inhaltliche Abgrenzung gegenüber Fremden gibt erst die christliche Mission Anlass. Die frühere Toleranz gegenüber fremden Kulten schwindet im rabbinischen Judentum, und die theologische Differenz zu fremden Kulten verschärft sich. Eine Ursache für die rabbinischen Debatten über die Konversion sieht Goodman in der römischen Besteuerung, die von Juden eine genaue Definition der Zugehörigkeit verlangte. Der Zusammenhang von Erfahrung und Fremdbeschreibung lässt sich für die Konversion schwer nachweisen. Auch wenn es einige Konvertiten gab, ist dies kein Beleg für eine Konversionsbewegung.128 Offensichtlich akzeptierten die Rabbinen Konvertiten, aber es gebe keine aktive Werbung für Proselyten. Die Studien von Hayes und Goodman stimmen darin überein, dass die Problematik der Proselyten mit dem Selbstbild des rabbinischen Judentums zusammenhängt. Dieses Selbstbild stützt sich auf Differenz und Distanz, das Shaye J. D. Cohen näher beschreibt.129 Eine Definition der jüdischen Identität in der Antike ließe sich über ihre Grenzen abwägen. Weniger die eindeutige Definition der Grenzen sei entscheidend, als die Faktoren, die eine ethnische Gemeinschaft ausmachen, wie Sprache, Herkunft und Gebräuche. Damit ist die Fremdbeschreibung ein wesentliches Merkmal der Identität. Cohen sucht nach Kriterien, die antike Juden als Personengruppe erkennbar machen. Aussehen, Kleidung, Namen und Berufe sind dabei keine Kriterien. Die Beschneidung der Männer sei zwar ein Unterscheidungsmerkmal, aber kein sichtbares Kriterium. Dagegen seien Juden eher per Assoziation und sicher an ihren Gebräuchen zu erkennen gewesen. Die Untersuchung der Selbst126 „Even for a Jew who viewed all non-Jew as outsiders it was not always obvious who came into the latter category, since the definition of a Jew was as open to dispute in antiquity as it is now.“ Ebend., 13. 127 M. Goodman erwähnt das Konzept der „civic religions“, auf dem auch Stefan Krauters Arbeit beruht. Goodman, Ebend., 16. Stefan Krauter äußert Kritik an der mangelnden Integrationsfähigkeit dieses Konzepts, Ders., Bürgerrecht und Kultteilnahme, 18-28. 128 M. Goodman, Mission and Conversion, 132-133. 129 S. J. D. Cohen, The Beginnings of Jewishness. Boundaries, Varieties, Uncertainties, Berkely, 1999.

49

bezeichnungen ergibt, dass die jüdische Gemeinschaft sowohl eine ethnische Gruppe durch ihre Herkunft ist, als auch eine religiöse Gruppe, die sich durch gemeinsame Bräuche auszeichnet.130 In der Zeit des zweiten Tempels und bis in die rabbinische Epoche wandelt sich die israelitische Gesellschaft, die sich über den Wohnort und die Geburt auszeichnet, in eine Gemeinschaft, die sich über ihre Kultur und Bräuche identifiziert. Ausschlaggebend für diesen Wandel sind die Konversionen, die die Gemeinschaft und ihre Grenzen auf die Probe stellen.131 Die Konversion umfasst mehrere Stufen, die von der Anerkennung einzelner Tugenden bis zur völligen Konversion reicht. Durch diese Stufen ermöglicht die Gemeinschaft unterschiedliche Formen der Integration. Die rabbinische Konversionszeremonie unterwirft den Übertritt bestimmten Regeln, der bis in das zweite Jahrhundert ungeregelt gewesen war. Ebenso ist das Verbot der Mischehen ein Produkt rabbinischer Zeit. Diese rechtlichen Entwicklungen definieren die Grenzen der jüdischen Gemeinschaft. Gerade der Proselyt befindet sich an der Grenze, da er einerseits ein vollwertiger Israelit, aber andererseits ein ehemaliger Fremder ist. Diese Grenzgänger haben keine normale, eindeutige Identität, da sie sich an einer Grenze bewegen, die nicht immer klar definiert ist. In der rabbinischen Literatur bestimmen die Gebote die Grenzen einer ethnischen Gemeinschaft, die durch die religiöse Konversion für Fremde zugänglich wird.132 Die Aufgabe dieses Abschnitts war, methodische und inhaltliche Ausgangspunkte zu sammeln. In den Studien von Gary Porton, Christine Hayes, Martin Goodman und Shaye Cohen lassen sich trotz der disparaten Forschungslage einige gemeinsame Anhaltspunkte für eine Studie über die Fremdbeschreibung finden. In der vorliegenden Untersuchung wird der Talmud dementsprechend als historisch überliefertes Dokument betrachtet, das aus mehreren Textschichten besteht. Im Ganzen betrachtet ist der Talmud nicht nur eine Exegese der Tora und der Mischna, sondern bringt eigene Vorstellungen in den Text ein, die auf historischen Erfahrungen der sozialen Umwelt beruhen.133 So enthalten die Gemarot nicht nur sachliche Diskussionen über religiöse Gesetze, sondern auch philosophische Betrachtungen, theologische Abhandlungen und Erzählungen, die eine Rekonstruk130 Ebend., 104-106. 131 S. J. D. Cohen, Crossing the boundary and becoming a Jew; Ebend., 140-162. 132 S. J. D. Cohen, The Beginnings of Jewishness, 340: „[...] insofar as Judaism is a religion or way of life, the foreign born can indeed cross the boundary and become Jews. Religion overcame ethnicity.“ 133 G. Porton, Goyim, 285.

50

tion der Selbst- und Fremdwahrnehmung ermöglichen.134 Methodisch können diese Texte unter Voraussetzung ihrer diachronen Entstehung einer historisch-kritischen Interpretation unterzogen werden.135 Nach Christine Hayes lassen sich mit einem intratextuellen Vergleich historische Aussagen rekonstruieren. Dabei bietet sich die älteste Textschicht des Talmuds, die Mischna, als Basis des Vergleichs an. Neben der Halacha sind auch die haggadischen Erzählungen des Talmuds von Interesse, die Gary Porton für seine Untersuchung verwendet. Die Ausgangspunkte der Fremdbeschreibung sind jedoch die Begriffe der Fremdbeschreibung.136 Allerdings ist eine voreilige Zuweisung von legalen und religiösen Konzepten zu diesen Begriffen schon wegen der diskursiven Gestaltung der rabbinischen Literatur und den heterogenen Aussagen schwierig.137 Einen vollständigen Einblick in einen Sachverhalt wie die Fremderfahrung zu erhalten, ist offensichtlich nur über eine Studie möglich, in der widersprüchliche Aussagen miteinander verglichen werden.138 Wie die Studie von Martin Goodman zeigt, besteht die Aufgabe in der Rekonstruktion historischer Institutionen, wie beispielsweise der Konversion. Inhaltliche Ausgangspunkte bietet die Untersuchung literarischer Motive, die sich in der Studie von Gary Porton auf individuelle, räumliche und kultische Aspekte einschränken ließen.139 Welche Rolle diese Motive in den beiden Gemarot einnehmen und wie sie sich interpretieren lassen, ist zu klären. Weiterhin bietet sich die These von Christine Hayes als inhaltlicher Ausgangspunkt an, die in den meisten Fällen eine erleichternde Regelung im Hinblick auf die Fremdbeschreibung von der palästinischen zur babylonischen Gemara beobachtet. Ob die erleichternde Perspektive auch für andere Aspekte zutrifft, ist ungeklärt. Außerdem bleibt die allgemeine Bedeutung der Unreinheit für die Fremdbeschreibung zu überprüfen. 134 Vgl. die Studien von M. Goodman, Mission and Conversion, und Shaye J. D. Cohen, The Beginnings of Jewishness. 135 C. Hayes, Between the Babylonian and Palestinian Talmuds, 4-30. 136 Wie die Forschung zeigt, lässt sich die Fremdbeschreibung an Begriffen wie „Avoda Zara“ oder „Ger“ festmachen. Vgl. die Arbeiten von M. Guttmann, Judentum und Umwelt, B. Bamberger, Proselytism in the Talmudic Period. 137 S. Stern, Jewish Indentity in Early Rabbinic Writings, xxxvi. 138 C. Hezser, Classical Rabbinic Literature, in: The Oxford Handbook of Jewish Studies, 129. Diese Methode wird neben verschiedenen Ansätzen zur Interpretation der rabbinischen Literatur erwähnt. 139 Vgl. G. Porton, Goyim, 1-11. Auch das Inhaltsverzeichnis Portons gibt einen Überblick über eine mögliche thematische Aufarbeitung der Fremdbeschreibung.

51

Inwiefern die rabbinische Literatur eine ethnische und religiöse Gemeinschaft abbildet, hängt ebenfalls von der Fremdbeschreibung ab. Der Wandel von der Gesellschaft des zweiten Tempels zur dezentralen Gesellschaft der rabbinischen Epoche wirkt sich auf die Konversion aus und die Frage, welche Grenzen Israel schützen. Gerade im Hinblick auf die Konversion und die Proselyten besteht ein deutlicher Zusammenhang von Fremdbeschreibung und Fremderfahrung, der sich in der Gestaltung der Grenzen der Gemeinschaft manifestiert.140 Es ist das Ziel dieser Untersuchung, die Fremdbeschreibung im Wandel der jüdischen Gesellschaft zu einer ethno-religiösen Gemeinschaft zu untersuchen. Dabei steht nicht allein die jüdische Identität im Mittelpunkt, sondern die Rekonstruktion von Aspekten des jüdischen Menschenbildes in der Antike.

3. Der methodische Ansatz für „der, die, das Fremde“ Der Überblick über den Forschungsstand zum Fremden in der rabbinischen Literatur ergibt, dass das Verhältnis von Beschreibung und Fremderfahrung über einen Vergleich der Texte am besten ausgelotet werden kann. Dazu sollen Motive gesammelt werden, die sich in den Quellen verfolgen lassen und möglicherweise Rückschlüsse auf einen historischen Kontext zulassen. Nachdem bereits Kategorien für die Erforschung der Fremdbeschreibung festgelegt wurden, müssen die Kriterien für die Interpretation der Texte bestimmt werden. Die Interpretation der Texte basiert auf der Frage, welche Begriffe in den historischen Quellen untersucht werden sollen.

3.1 Die Auswahl geeigneter Quellen für die Untersuchung Die Bewertung der Fremdbeschreibung hängt in erster Linie von der Auswahl der Quellen ab. Die Möglichkeiten eines Vergleichs zeigt eine vorläufige Untersuchung der Mischna, der Tosefta, der palästinischen und babylonischen Gemara und einiger Midraschim. Dabei kommen nur Traktate in Betracht, die jeweils in beiden Gemarot kommentiert werden, um die 140 „Rabbinic law strengthened the boundary between Jews and gentiles, and defined the process of conversion [...].“ S. J. D. Cohen, The Beginnings of Jewishness, 343.

52

begriffliche Entwicklung zu verfolgen. Die Traktate Brachot, Schabbat, Pessachim, Joma, Hagiga, Megilla, Jebamot, Kettubot, Gittin, Kidduschin, Baba Kamma, Baba Mezia, Baba Batra, Sanhedrin, Avoda Zara und Nidda erfüllen diese Bedingung. Auch Genesis Rabba und Ruth Rabba lassen sich wegen der inhaltlichen Nähe zur Fremdbeschreibung in die Voruntersuchung einbeziehen.141 Die Auswertung dieses Materials ergibt, dass sich verschiedene Motive der Fremdbeschreibung von der Mischna zum babylonischen Talmud beobachten lassen. Die Vielfalt der Begriffe für Fremde und Fremdes macht eine Zuspitzung der Untersuchung auf die häufigsten Begriffe unumgänglich. Die Fremdbeschreibung wird in den Gemarot gelegentlich in neue Kontexte versetzt.142 Auffällig ist, dass besonders in der babylonischen Gemara etliche Belegstellen zusätzlich zur Mischna zu finden sind. Ohne die inhaltliche Gestaltung der Motive in Betracht zu ziehen, lässt sich die Bedeutung über die numerische Zunahme der Belegstellen erkennen. Der Midrasch kommt für einen Vergleich nicht in Frage, weil dort eine eigene Form der Exegese gepflegt wird, die sich in eine diachrone Untersuchung des Talmud schlecht einfügen lässt.143 Das umfangreiche Material der Voruntersuchung veranschaulicht, dass sich die erwähnten Aspekte auch an einer eingeschränkten Auswahl an Quellen zeigen lassen. Ausgehend von der Studie Gary Portons beschränkt sich die vorliegende Arbeit auf die Gemarot des palästinischen und des babylonischen Talmuds.144 Um den Untersuchungsgegenstand nicht zu überdehnen, ist aus den vier Ordnungen „Seraim“ (Samen), „Moed“ (Festzeiten), „Naschim“ (Frauen) und „Nesikin“ (Beschädigungen) jeweils ein Traktat gewählt worden, das den Charakter der ganzen Ordnung angemessen wiedergibt. Das Traktat „Brachot“ aus der 141 Ein Vergleich möglicher Begriffe der Fremdbeschreibung in den einschlägigen Konkordanzen zeigt, dass die Begriffe „Goy“, „Ger“, „Zar“, „Nori“ sowohl in yT wie in bT am häufigsten erwähnt werden. Vgl. M. Kossovski, Concordance to the Talmud Yerushalmi, „Goy“: Bd. 2, 647-656; „Ger“: 668-670; „Nori“: Bd. 5, 791-795; weiterhin; M. Jastrow, A Dictionary of the Targumim, the Talmud Babli and Yerushalmi, and the Midrashic Literature, 220; 263; 411; 912. 142 Ein Überblick über das Traktat Baba Kamma zeigt die Zunahme der Belegstellen: die Mischna erwähnt Fremde 7 Mal, die Tosefta 9 Mal, der yT weist 8 Belegstellen auf und in bT lassen sich 24 Belegstellen finden. 143 Ein Vergleich der Midraschim mit den Gemarot setzt eine Datierung der Texte und die Klärung ihrer Redaktion voraus, die den Rahmen dieser Untersuchung übersteigt. Hierzu lässt sich die Einschätzung Hans-Jürgen Beckers heranziehen; Ders., Die großen rabbinischen Sammelwerke Palästinas, 1-8. 144 Vgl. G. Porton, Goyim. Gentiles and Israelites in Mishna-Tosefta, Atlanta 1988.

53

Ordnung „Seraim“ ist nicht nur das einzige der Ordnung „Seraim“, das im babylonischen Talmud kommentiert wird, sondern es zeichnet sich auch durch die praktische Definition von Segenssprüchen und Gebeten aus. Im Traktat „Schabbat“ wird das Verhältnis von Fremden und Juden anhand des Arbeitsverbots an einem Feiertag thematisiert. Die Diskussion über das Eherecht steht in „Jebamot“ im Mittelpunkt. In diesem Umfeld lassen sich zahlreiche Debatten über Mischehen mit Fremden und Proselyten finden, und zudem wird die Frage der Nachkommen aus diesen Verbindungen behandelt. Im Traktat „Sanhedrin“ werden das jüdische Strafrecht und seine Auslegung erörtert. In diesem Zusammenhang ist die Beurteilung der „Avoda Zara“, des fremden Diensts, für die Fremdbeschreibung von Interesse. Das Traktat „Avoda Zara“ wird deshalb nicht einbezogen, weil es in „Between the Babylonian and Palestinian Talmuds“ von Christine Hayes bearbeitet wurde und in diesem Kontext bereits einige Aufmerksamkeit erhalten hat. In den Traktaten „Brachot“, „Schabbat“, „Jebamot“ und „Sanhedrin“ wird die Fremdbeschreibung mit den Gebeten Israels, den Feiertagen, dem Familien- und Eherecht und dem Strafrecht konfrontiert. Die Konfrontation des Fremden mit dem jüdischen Alltag in der Antike ist ein wesentliches Kriterium für die Auswahl. Darüber hinaus ist ein Vergleich zwischen den Traktaten möglich, in denen Fremde in verschiedenen Kontexten portraitiert werden und zwischen der Behandlung als Partner oder Feinde unterschieden wird. Um den Vergleich anhand der palästinischen und babylonischen Gemara durchzuführen, sind gemeinsame Anhaltspunkte in den Texten nötig. Diese Anhaltspunkte liefert die Mischna, da sie häufig das Thema vorgibt, das von den beiden Gemarot ausgelegt und diskutiert wird. Diese Anhaltspunkte sind jedoch nicht immer eindeutig, da in den Handschriften der palästinischen Gemara die Mischna erst nachträglich eingefügt wurde. Die Mischna des babylonischen Talmud erscheint zwar im Text, weicht aber gelegentlich von der überlieferten Version der Mischna ab.145 Diese Problematik muss im Vergleich berücksichtigt werden. Deshalb ist es unumgänglich, die Handschriften der Gemarot als Textgrundlage zu verwenden. Für den palästinischen Talmud liegt mit der Synopse von Peter Schäfer eine 145 Die Verwendung der Mischna in der Gemara wird bei E. S. Alexander behandelt, Transmitting Mishna. The Shaping Influence of Oral Tradition, Cambridge 2006. Diese Arbeit zeigt die Schwierigkeit, die Herkunft und die Gestaltung der Mischna schlüssig zu erklären.

54

zuverlässige Edition vor.146 Da für den babylonischen Talmud noch keine synoptische Ausgabe vorliegt, stützt sich diese Arbeit vorerst auf die gedruckten Ausgaben und die Onlineversion des babylonischen Talmud. Für eine kritische Ausgabe der Handschriften wird die virtuelle Konkordanz des Saul Lieberman Instituts verwendet.147 Weiter sind die Begriffe der Fremdbeschreibung genauer zu bestimmen, da sie das Rückgrat der Untersuchung bilden. Von besonderem Interesse sind die kontinuierliche Verwendung der Begriffe und ihre Explikation im argumentativen Verlauf. Die häufigsten Begriffe der Fremdbeschreibung sind entsprechend der Voruntersuchung „Ger“, „Nori“, „Goy“, „Zar“, „Avoda Zara, „Min“, „Kuti“, „ ved“, „Ben Noa“ und Umot ha lam“.148 Mit diesen Begriffen wird Fremdes bezeichnet, das von der fremden Person bis zum fremden Kult variiert. Obwohl die Bedeutung der Begriffe grundsätzlich stabil ist, kann sie je nach Kontext eine eigene Färbung erhalten.149 Es ist auffällig, dass bereits in der Mischna eine Vielfalt an Begriffen für Fremdes vorliegt. Die Ähnlichkeit der Begriffe zeigt sich anhand von Übersetzungen, die in den meisten Fällen nicht sonderlich differenzieren. Lazarus Goldschmidt übersetzt die hebräischen Begriffe „er“ und „Goy“ häufig mit „der Fremde“, obwohl diese Begriffe inhaltlich eher dem „Anderen“ und dem „Fremden“ entsprechen.150 Dieses Beispiel veranschaulicht die Inkonsistenz, mit der die Begriffe gedeutet werden. Auch andere Über146 P. Schäfer, Synopse zum Talmud Yerushalmi, 7 Bd., Tübingen 1991-2002. 147 Für die Textversion wurde die Ausgabe von A. Steinsalz, Talmud Bavli, Jerusalem 1968-1982 herangezogen. Die virtuelle Konkordanz und Textausgabe „The Sol and Evelyn Henkind Talmud Text Databank“ von 1994 hat den Vorteil auf dem neuesten Forschungsstand zu sein. Weitere Onlineversionen des Talmud werden von „Mechon Mamre“ zur Verfügung gestellt; vgl. http://www.mechon-mamre.org/b/l/ l0.htm. Alle unkritischen Textausgaben sind mit Vorsicht zu genießen, da sie häufig auf der zensierten Handschrift Wilna basieren. 148 „Goy“ und „Nori“ werden in der rabbinischen Literatur als „der Fremde“ übersetzt, „Ger“ ist der Proselyt, „Zar“ der Nichtpriester; „vodah Zarah bezeichnet wörtlich den fremden Dienst, „Min“ einen Häretiker, „Kuti“ den Samaritaner, „ ved“ einen Sklaven. „Ben Noa“ ist wie „ Umot ha lam“ ein Sammelbegriff für die nichtjüdischen Völker. Diese Übertragungen sind allerdings stark vom Kontext und der Interpretation abhängig. 149 Beispielsweise teilt sich der Begriff „Ger“ in der rabbinischen Literatur in „Ger Toschav“ und „Ger edeq“, was die Frage der Bedeutung aufwirft; vgl. S. McKnight, A Light Among Gentiles, 97-98. 150 Vgl. bspw. L. Goldschmidt, der in Sanh 84b „ er“ (der Andere) mit Fremder übersetzt; oder in Baba Kamma 14a ebenso „er“ mit Fremder deutet.

55

setzungen zeigen, dass die Vielfalt der Begriffe schwer wiederzugeben ist.151 So bietet sich die Erklärung an, dass die Vielfalt keiner weiteren Erklärung bedarf.152 Wenn diese Begriffe nur als Kontrast zur jüdischen Identität stehen, bleibt ungeklärt, weshalb diese Vielfalt an Begriffen in den Texten absichtlich gewählt wurde. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass es eine sinnvolle und vorsätzliche Verwendung der Begriffe gibt.153 Doch wie lassen sich diese Begriffe verstehen und einordnen, wenn sie nicht mit unseren Vorstellungen von Fremden übereinstimmen? Während des Vergleichs der Quellen werden die Begriffe nicht übersetzt. Bevor zuletzt die Übersetzung bestimmt werden kann, muss die Verwendung der Begriffe analysiert werden. Der Vergleich der Gemarot soll einen Überblick über die Motive der Fremdbeschreibung geben und ihre Verwendung klären. In welchen Kontexten die Fremdbeschreibung steht und wie sich die Motive verändern, bleibt darüber hinaus zu analysieren.

3.2 Die Auswahl geeigneter Begriffe für die Untersuchung Neben der Einschränkung der Quellen ist für den Vergleich eine Einschränkung der Begriffe notwendig. Aus dieser Vielfalt sollen nun weitere Kriterien für die Fremdbeschreibung erarbeitet werden. Dem Ergebnis der Voruntersuchung entsprechend, werden für die vorliegende Untersuchung die Begriffe „Goy“, „Nori“, „Ger“, und „Zar“ verwendet. Ein erstes Kriterium für diese Auswahl ist ihre zentrale Bedeutung in der biblischen Literatur, ob in gesetzlicher oder erzählender Perspektive.154 In der rab151 Vgl. bspw. die Übersetzung von H. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 233, der in Jeb 5,3/1 den Begriff „er“ mit „Outsider“ übersetzt. Zur Vielfalt der Begriffe siehe C. Hayes, The „Other“ in Rabbinic Literature, in: C. E. Fonrobert, The Cambridge Companion To The Talmud and Rabbinic Literature, 244-263. 152 G. Porton, Goyim. Gentiles and Israelites in Mishna-Tosefta, 70. 153 In der rabbinischen Literatur werden häufig Begriffe und zugehörige Konzepte aus der biblischen Literatur aufgegriffen, die aber dann in einen neuen Kontext gesetzt werden und eine eigene Bedeutung erhalten. Ein Beispiel dafür ist der „böse Trieb“; G. Oberhänsli-Widmer, Der böse Trieb, in: Judaica 3, 2007, 18-43. 154 M. Guttmann, Das Judentum und seine Umwelt, 20; C. Bultmann, Der Fremde im antiken Juda, 34-45. Auch in den Texten der Qumrangemeinde werden die Begriffe „Goy“, „Nori“ und „Zar“ für die Fremdbeschreibung gewählt, wie Roland Deines belegt; R. Deines, Die Abwehr der Fremden in den Texten aus Qumran. Zum Verständnis der Fremdenfeindlichkeit in der Qumran-gemeinde, in: R. Feldmeier, Die Heiden, Juden und Christen und das Problem des Fremden, 59-91.

56

binischen Literatur werden diese Begriffe zum einen als Zitate der biblischen Literatur angeführt und zum anderen als Begriffe für Fremde und Fremdes. Damit lassen sich die vier Begriffe auf der Ebene des Zitats und in eigenständiger Verwendung untersuchen und eine mögliche Entwicklung diagnostizieren. Die biblische Verwendung der Begriffe wird kurz umrissen, um ihren Ursprung zu klären.155 Der Begriff „Goy“ [] kann mit „Volk“ wiedergegeben werden und bezieht sich auf Rasse, Regierung und Territorium, was der modernen Definition von „Nation“ nahekommt. Für die ethnische Bedeutung spricht auch die fremde Sprache des „Goy“. Mit diesem Begriff werden in der biblischen Literatur nicht allein fremde Völker bezeichnet, sondern auch Israel selbst, was auf einen neutralen Sinngehalt verweist. Allerdings lässt sich in der prophetischen Literatur ein Bedeutungswandel zu feindlichen Völkern erkennen, wenn auch der Singular „Goy“, „der Fremde“, erst in der rabbinischen Literatur geprägt wird.156 Der Begriff „Nori“ [] speist sich aus älteren semitischen Sprachen und hat die Bedeutung „anders, fremd, feindlich sein“. Dieser Fremde bezeichnet einen Ausländer; eine Person, die nicht zur Familie und zum eigenen Rechtskreis gehört. Ein Variante ist der „Ben Neqar“, der die Untauglichkeit des Fremden für Mischehen und Opferdienste anzeigt. Vereinzelte Stellen in der biblischen Literatur beziehen sich auf die „ lohe Neqar“, die fremden Götter, und weiter wird in den Psalmen 137,4 das fremde Land, „damat Neqar“, genannt.157 Der Begriff „Ger“ [] geht auf verschiedene Wurzeln zurück, die zwischen dem Fremden und dem Eingeborenen schwanken. Der „Ger“ ist ein im Land wohnender Fremder, ein Asylant, der nicht zur Kultgemeinschaft gehört und rechtlichen Schutz genießt. Die hohe Frequenz dieses Worts in der Tora, mit der auch die Israeliten im ägyptischen Exil bezeichnet werden, kann durch die Nähe der Fremden zur jüdischen Gemeinschaft erklärt werden. In der biblischen Literatur wird der „Ger“ häufig als schutzbedürftig dargestellt. Die Ausdifferenzierung zum Proselyten in der rab155 Die Begriffe „Goy“ und „Nori“ gehen auf sumerische und akkadische Wurzeln zurück, die in einem Artikel von A. Zgoll untersucht werden. Dies., MenschenGötter-Konflikte. Systematische Überlegungen zur Feindschaft im antiken Mesopotamien, in: H. Felber, Feinde und Aufrührer, 283-286. 156 ThWAT, J. Botterweck, „Goy“, 966-973. 157 Ebend., H. Ringgren, B. Lang, „Nkr“, 454-464; W. Gesenius, Handwörterbuch über das Alte Testament, 459; vgl. M. Zehnders Analyse des Worts „“; Ders., Umgang mit Fremden in Israel und Assyrien, 67.

57

binischen Literatur bezieht ihren Gehalt auch aus diesen älteren Bedeutungen.158 Mit dem Begriff „Zar“ [] ist eine räumliche Distanz verbunden. Der „Zar“ ist der fremde Feind, ein Aggressor, mit dem in der biblischen Literatur die Assyrer und Babylonier bezeichnet werden. Eine weitere Komponente des Begriffs bezieht sich auf einen fremden Opferkult, der in Konkurrenz zu jüdischen Bräuchen steht. In Verbindung damit sind die „Zarim“ Fremde, die nicht zur Gruppe der Priester Israels gehören. Diese „Nichtpriester“ oder Laien bedrohen die Ausübung des heiligen Opfers durch ihre Inkompetenz. Eine weitere Bezeichnung ist die „Yshah Zara“, die fremde Frau, die durch ihr zügelloses und unzüchtiges Verhalten im Kontrast zu den jüdischen Geboten steht. Alle diese Komponenten qualifizieren den „Zar“ als Aussenstehenden und Fremden, mit dem eine drohende Gefahr verbunden wird.159 Diese vier Begriffe haben eine verwandte Bedeutung und werden gelegentlich als Synonyme verwendet.160 Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Begriffe bereits in der biblischen Literatur Grundbegriffe des Fremden sind.161 Anhand der vier Begriffe bestehen Kriterien für die Auswahl der Belegstellen, die ein Fokussierung erlauben. Auch Begriffe wie „ramy“ und „ domy“ lassen sich auf biblische Wurzeln zurückführen, weisen allerdings nicht den gleichen Grad an Abstraktion auf und haben keine zentrale Bedeutung.162 Die vier Begriffe verweisen nicht auf konkrete Fremde, Sklaven oder fiktive Völker des Alten Testaments, sondern sind wegen der abstrakten Bedeutung Grundbegriffe der Fremderfahrung. Ein weiteres Kriterium für die Auswahl ist die häufige 158 ThWAT, D. Kellermann, „Gur“, 980-991; in Jer 14,8 wird darüber hinaus auch JHWH als „Ger“ bezeichnet. Siehe dazu die Einstufung des „Ger“ in der LXX bei C. van Houten, The Alien in Israelite Law, 179-183. 159 Ebend., G. Snijders, „Sur“, 556-564. 160 Eine Analyse von „Ger“ und „Nori“ und ihre synonymen Bedeutungen findet sich bei M. Zehnder, Umgang mit Fremden in Israel und Assyrien, 279-287. 161 Bei Flavius Josephus lässt sich ebenfalls die Dichotomie von fremdem Schutzbürger und Ausländer verfolgen, was als Hinweis auf die grundlegende Bedeutung der Begriffe „Ger“ und „Goy“ gewertet werden kann; Flavius Josephus, Gegen Apion, 2. Buch 28, übers. H. Clementz, Wiesbaden 2005, 659. 162 Die Beschreibung des biblischen Esau (Edom) in der rabbinischen Literatur führt zu einer Perspektive, die weniger die abstrakte Bedeutung der Fremdheit hervorhebt, sondern das konkrete Feinbild, Rom. Die Figur Esau wird so zum Gegenüber Israels; C. Bakhos, Figuring (out) Esau: The Rabbis and their Others, in: JJS Vol. LVIII 2, 2007, 250-262.

58

und durchgehende Verwendung der Begriffe in der rabbinischen Literatur, wie durch die Voruntersuchung zu belegen war.163 Mit diesen Begriffen steht ausreichend Vergleichsmaterial zur Verfügung. Da die Häufigkeit allein kein Kriterium der Relevanz ist,164 wird behauptet, dass diese Begriffe in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen. Es kann mitunter von einer synonymen Verwendung der Begriffe ausgegangen werden. Ein Anhaltspunkt dafür sind Belegstellen, an denen zwei oder drei Begriffe gemeinsam in einer Halacha erwähnt werden. Für die vier Traktate ergeben sich acht gemeinsame Belegstellen im Traktat „Brachot“, für „Schabbat“ 13, für „Jebamot“ 31 und für Sanhedrin 12 Belegstellen. Weiter sind die Querverweise auf Belegstellen zwischen den Traktaten zu analysieren. Entsprechend werden die Begriffe nicht im strengen Sinn verstanden, sondern als Wortfeld interpretiert. So wird zu dem Begriff „Ger“ auch die weibliche Form und das Verb hinzugezogen. Neben „Zar“ wird auch der Begriff „Avoda Zara“ untersucht. Diese Wortfelder erweitern den Horizont der Untersuchung und zeigen inhaltliche Zusammenhänge auf. Ausgehend von diesen Belegstellen lassen sich weitere Begriffe der Fremdbeschreibung integrieren wie die „ Umot ha lam“ und der „Ben Noa“. Ein Hindernis für die Untersuchung stellt die Zensur der Talmudfolianten dar, die im babylonischen Talmud die Begriffe „Nori“ und „Goy“ unter anderem durch „kum“ [ ‘‘] ersetzt.165 Diese Maßnahmen lassen sich aber anhand der Handschriften korrigieren, so dass die Zensur relativ leicht umgangen werden kann.166 Die Kriterien für die vier Begriffe „Goy“, „Nori“, „Ger“ und „Zar“ stützen sich auf die Kontinuität der Verwendung, ihre häufige Verwendung 163 Die Analyse des Begriffs „ Umot ha lam“ zeigt, dass dieser Begriff zwar im Traktat „Brachot“ häufig angetroffen wird, aber selten in Schabbat, Jebamot und Sanhedrin. Für den babylonischen Talmud ergeben sich in Ber 16, Shab.. 3, Jeb. 5, San. 2 Stellen; vgl. Lieberman Text Datatbase. Durch die ungleichmäßige Verteilung wäre dieser Begriff für eine vergleichende Untersuchung ungeeignet. Die übrigen Begriffe wie „Ben Noa“ etc. weisen eine ähnlich unregelmäßige Verteilung auf. 164 S. Stern, Jewish Identity in Early Rabbinic Writings, xxxix. 165 Der Begriff „kum“ bedeutet eigentlich „     “, was „Astrologe“ oder „Sterndeuter“ bedeutet. Siehe auch E. Friedheim behandelt; Ders., Rabbinisme et Paganisme, 11-12; siehe auch: M. Cahana, The Relation towards the Gentiles during the Period of the Tannaim and Amoraim, in: Et Hada’at 3, 1999, 24-25. 166 Deshalb wird die bereits erwähnte „Lieberman Text Data Base“ zu Hilfe genommen. Sacha Stern zeigt, dass die Korrektur der Zensur mit Hilfe der Konkordanzen möglich ist, S. Stern, Jewish Identity in Early Rabbinic Writings, 9.

59

und ihre grundlegende Bedeutung für die Fremdbeschreibung. Die Methode, die sich aus diesen Kriterien ergibt, ist die Begriffsanalyse, die anhand der vier Begriffe in vier Traktaten die Fremdbeschreibung vergleicht.167 Die Begriffsanalyse impliziert den synoptischen Vergleich der Talmude.168 Auf diese Weise wird die Auslegung der Begriffe in der Gemara als Reaktion auf die Mischna gewertet. Sowohl der Einfluss der Mischna, als auch der Einfluss der palästinischen Gemara auf den babylonischen Talmud werden nachvollziehbar. Die Traktate lassen sich zwischen den Gemarot, aber auch untereinander vergleichen.169 Nicht immer wird in den beiden Gemarot in gleichem Maß auf die Fremdbeschreibung Bezug genommen, was gelegentlich zu einem gewissen Ungleichgewicht führt. Mit diesem Vorgehen sollen die Entwicklungslinien der Fremdbeschreibung in der rabbinischen Literatur nachgezeichnet werden. Die These ist, dass sich der Wandel des Judentums von der Zeit des zweiten Tempels bis in die Zeit des babylonischen Talmuds anhand der Fremdbeschreibung verfolgen lässt. Dieser Wandel, den Shaye Cohen und Martin Goodman an den „boundaries“ der jüdischen Gemeinschaft beobachten, beeinflusst die Begriffe und ihre Verwendung. Die Veränderung und die Entwicklung der Fremdbeschreibung kommt aber erst in den Gemarot völlig zum Tragen. Voraussetzung ist die Entwicklung der Texte, die sich mit historischkritischen Kriterien untersuchen lässt.170 Die Studie kann deshalb nicht den Anspruch erheben, einer Exegese im Sinne der jüdischen Tradition gerecht zu werden.

3.3 „Der, die, das Fremde“ als Paradigma des Fremden Die drei Kategorien „der, die, das Fremde“ sind das Ergebnis der Bemühungen um eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Fremderfahrung. Ob diese Kategorien mit den Begriffen in einem Zusammenhang stehen, soll im Folgenden überprüft werden. 167 An dieser Stelle orientiert sich die Untersuchung an der Methode von Margarethe Schlüter, Dies., „Deraqon“ und Götzendienst. Studien zur antiken jüdischen Religionsgeschichte, ausgehend von einem griechischen Lehnwort in mAZ III 3, 11-13. 168 Vgl. J. Neusner, The Two Talmuds Compared, 14 Bd., 1996. 169 Dies zeigt die Arbeit von A. Gray, A Talmud in Exile, 33-39. 170 C. Hayes, Between the Babylonian and Palestinian Talmuds, 8.

60

Da die exakte Datierung der rabbinischen Texte und ihre Redaktion große Probleme aufwerfen, ist die Anbindung einer Handschrift an ein historisches Umfeld und einen Autorenkreis schwierig bis unmöglich.171 Der Inhalt der Schriften kann auf den modernen Leser hermetisch wirken, da sie ihren Zweck und Sinn nicht eindeutig erklären. Vielmehr muss der Leser den Kontext bereits kennen, die Rhetorik verstehen und die Anspielungen einordnen können. Eine bloße Exegese dieser Literatur ist auch deshalb schwierig, weil der literarische Stil häufig aus der Abwägung von Meinungen besteht. Jede Aussage wird durch eine Gegenmeinung relativiert, was eine eindeutige Bestimmung von Konzepten oder Vorstellungen erschwert.172 Um diesen Schwierigkeiten angemessen zu begegnen, ist mit der Begriffsanalyse eine Methode festgelegt worden, deren Ausgangspunkte auf rationalen Kriterien, den Begriffen, gründen. Damit soll die Untersuchung auch für Historiker und andere Forscher der Altertumswissenschaften, die mit der rabbinischen Literatur nicht vertraut sind, nachvollziehbar werden. Um ein Bild der Fremdbeschreibung zu erhalten, das weder von Auslassungen, noch allzu sehr von einer Vorauswahl geprägt ist, wurden aus der Vielfalt der Quellen vier Traktate gewählt, die eine hohe Aussagekraft für die jeweilige Ordnung des Talmud haben. Da sich viele Aussagen zum Fremden wiederholen, ist es schon aus Gründen der Materialfülle notwendig, die Zitate synoptisch zu gliedern. Durch die Einschränkung lassen sich die Belegstellen der Fremdbeschreibung von der Mischna zu den Gemarot im Kontext des Traktats interpretieren.173 Die Methode besteht darin, die Verwendung der Begriffe zu vergleichen und zu prüfen, ob es sich um wesentliche Begriffe der Fremderfahrung handelt. Weiter wird der inhaltliche Zusammenhang dieser Begriffe auf die Probe gestellt. Mit der Untersuchung der Begriffe verbunden sind die drei Kategorien der Fremderfahrung. Dabei stellt sich die Frage, ob sich die Begriffe den drei Kategorien zuordnen lassen. Die Begriffe „Goy“, „Nori“, „Ger“ und 171 Über die genauen Umstände der Verschriftlichung der Talmude und ihre Redaktion gibt es bis jetzt divergierende Meinungen. Darüber hinaus ist über das historische Umfeld der Texte in Israel bzw. in Babylon unklar, vgl. G. Stemberger, Geschichte der jüdischen Literatur. Eine Einführung, 74. 172 Deshalb muss der „Code“ der Texte, mit dem sie entschlüsselt werden können, berücksichtigt und verstanden werden; vgl. A. Goldberg, Der Diskurs im babylonischen Talmud, 263-265. 173 Die einzelnen Belegstellen der Mischna werden in ihrem Kontext vorgestellt. Vgl. G. Porton, Goyim. Gentiles and Israelites in Mishna-Tosefta, 39-111.

61

„Zar“ werden nun an den Kategorien gemessen. Aus den Kriterien der Diversifikation, der Distanz und der Differenz ergeben sich die Kategorien „der, die, das Fremde“, die der fremden Person, dem fremden Ort und der fremden Tradition zugeordnet sind. Die Kategorie der Person ist die ergiebigste Kategorie, da sie den Begriffen „Goy“, „Nori“, „Ger“, „Zar“ direkt entspricht. „Goy“ und „Nori“ verweisen auf die fremde Person, den Ausländer, der im Kontakt zur jüdischen Gemeinschaft steht.174 Wie der „Goy“ vom „Nori“ zu unterscheiden ist, bleibt zu erörtern.175 Der „Ger“ bildet eine Zwischenstufe vom Fremden zum Juden, dessen Differenzierung gegenüber den anderen beiden Begriffen von Bedeutung ist.176 Weitere Formen von „Ger“ wie „Ger Toschav“ und „Ger edeq“ ergänzen das Wortfeld des Proselyten.177 Die Bedeutung des „Zar“ ist wohl am schwierigsten zu erfassen, da der Nichtpriester der Gesellschaftshierarchie des zweiten Tempels angehört. Die Fremdheit des „Zar“ beruht auf der Exklusivität des historischen Kults im Tempel, an dem nicht jeder teilnehmen darf.178 Besonders der Zusammenhang von „Goy“ und „Ger“ und der Wandel vom Fremden zum Proselyten sind von Interesse. Für die Kategorie „die Fremde“ kommt die Pluralform von „Goyim“ in Frage, die auf die fremden Völker und ihre fremde Herkunft verweist. Der Begriff „Zar“ hat durch seinen Bezug auf den Tempelkult ebenfalls eine räumliche Komponente, gerade im Hinblick auf den Zugang zu bestimmten Bereichen im Tempel.179 Weiter steht die „Avoda Zara“, der „fremde Kult,“ im Zusammenhang mit fremden Göttern und fremden Gepflogenheiten. Hier kann die dritte Kategorie, „das Fremde,“ eingegliedert werden, die auf den fremden Dienst verweist. Der Zusammenhang der fremden Bräuche mit den fremden Personen ist evident. In diese Kategorie fallen alle Hinweise auf religiöse und soziale Angewohnheiten, die nicht mit der rabbinischen Literatur in Einklang stehen. Offensichtlich lassen sich diese 174 Vgl. M. Jastrow, Dictionary ot the Talmud Babli, 912. 175 Auf den Zusammenhang von „Goy“ und „Nori“ verweist M. Jastrow, Dictionary of Talmud Babli, 220. 176 Ebend., 263. 177 Diese Begriffe lassen sich als der „ansässige Fremde“ bzw. der „gerechte Fremde“ übersetzen und werden v.a. im Traktat Jebamot untersucht; S. McKnight, A Light Among Gentiles, 97-98. 178 Die Bedeutungsebene im Talmud variiert zufolge Jastrow zwischen dem „Nichtpriester“ und dem „Feind“; Ders., Dictionary of Talmud Babli, 411. 179 Vgl. S. Krauter, Bürgerrecht und Kultteilnahme, 194-195.

62

Kategorien nicht immer klar trennen. Das Ziel der Erörterung ist, die Verflechtungen der drei Kategorien aufzuzeigen, die sich jeweils aus dem Wortfeld der Begriffe ergeben. In diesem Wortfeld werden alle weiteren Formen der Fremdbeschreibung integriert, die sich von den Radikalen der Begriffe ableiten lassen.180 Ein übersichtliches Bild der Fremdbeschreibung in der rabbinischen Literatur kann nur entstehen, wenn alle Aspekte der Fremdbeschreibung in ihrem Zusammenhang untersucht werden, deren Entwicklung Rückschlüsse auf die historische Wahrnehmung zulassen. Die Schnittmenge der Beschreibung und der Wahrnehmung von Fremden liegt in der Anwendung der Kategorien auf die Begriffe. Es gilt, zwischen einer Überbewertung der historischen Relevanz und dem exegetischen Solipsismus einen Mittelweg zu finden.181 Dementsprechend gibt es keinen einfachen Weg, aus dieser Literatur eine historische Realität abzuleiten. Die Interpretation des Diskurses in der rabbinischen Literatur gibt für diese Gradwanderung ein Beispiel. Der Text wird auf rhetorische und formale Stilmittel untersucht, um einen historischen Aussagegehalt zu rekonstruieren. Nur durch die Analyse der Texteinheiten und der zugehörigen Argumentstruktur kann der Text als „persuasive Rede“ aufgeschlüsselt werden.182 Die Voraussetzung ist, dass die Texte vorsätzlich in dieser überlieferten Form verfasst worden sind.183 Angesichts dieser Methode sollen einige grundsätzliche Fragen für die vorliegende Studie formuliert werden. An erster Stelle soll die Verwendung der Begriffe geklärt werden; und weiter, nach welchen Regeln und in welchen Kontexten sie in den Texten erscheinen. Ein Beispiel hierfür ist die Unterscheidung der Begriffe „Nori“ und „Goy“. Neben der Definition der 180 In dieser Untersuchung sind das v.a. die hebräischen Begriffe „Avoda Zara“, „Zarim“ , „Goya“ “Gioret“, “Norit“ ,“Zarut“. 181 Diese Ambivalenz bezeugen die besprochenen Arbeiten von Emmanuel Friedheim, Rabbinisme et Paganisme en Palestine romaine, und Sacha Stern, Jewish Identity in Early Rabbinic Writings. 182 A. M. Goldberg, Der Diskurs im babylonischen Talmud, in: Rabbinische Texte als Gegenstand der Auslegung, 270-295. Die von Goldberg vorgeschlagene Analyse der Texteinheit und der Argumentstruktur fließt in diese Untersuchung ein, während seine Annahmen einer synchronen Gestaltung der Texte im Hinblick auf Christine Hayes und die Diachronizität der Texte nicht beachtet werden. Siehe auch C. Hayes, Dies., Between the Babylonian and Palestinian Talmuds, 10. 183 Wenn man nicht von vorsätzlich verfassten Texten ausgeht, lassen weder literarkritische noch historisch-kritische Ergebnisse fassen. Der Zufall ist zwar eine historische Größe, aber kein Anhaltspunkt für eine philologische Untersuchung.

63

Begriffe sind die Motive der Fremdbeschreibung für diese Studie von Bedeutung. Anhand der Begriffe soll sich die gesamte Bandbreite der Fremdbeschreibung vorführen lassen, um zwischen unterschiedlichen Motiven zu differenzieren. Die Stimmung gegenüber Fremden kann von Feindschaft, Angst und Vorsicht bis zu Freundschaft, Respekt und Sendungsbewusstsein reichen. Diese Motive veranschaulichen die Fremderfahrung in der Fremdbeschreibung. Weiterhin soll zwischen der rabbinischen Verwendung der Begriffe und der Verwendung in Zitaten differenziert werden. Im Hinblick auf die These, der babylonische Talmud hätte eher erleichternde Entscheidungen für Fremde getroffen, ist zu klären, ob eher Kontinuität oder Wandel für die Beschreibung zutreffen. Im Verlauf dieser Arbeit soll aus der Beschreibung die Fremderfahrung rekonstruiert werden, um daran die historische Aussagekraft der rabbinischen Literatur zu messen.

64

II. Beschreibung und Wahrnehmung des Fremden in der rabbinischen Literatur

Die vier Traktate Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin des palästinischen und babylonischen Talmud zeichnen sich an vielen Stellen durch eine unklare Überlieferung aus. Für einen Vergleich der Fremdbeschreibung müssen die Handschriften konsultiert werden, um die Verwendung der vier Begriffe „Goy“, „Ger“, „Nori“ und „Zar“ zu klären. Die gedruckte Ausgabe des bT weicht häufig in der Verwendung von „Nori“ und „Goy“ ab und muss entsprechend den Handschriften rekonstruiert werden.1 Weiter sind einige Fragen der Terminologie vorwegzunehmen. Die Begriffe „Goy“ und „Nori“ werden im Verlauf der Untersuchung mit „Fremder“ beziehungsweise „Nichtjude“ übersetzt, der Begriff „Zar“ mit „Nichtpriester.“2 Die Übersetzung dieser Begriffe mit „Heide“ scheint zu stark auf den Kontext der Religion bezogen und beinhaltet außerdem eine pejorative Note. Der Begriff „Ger“ entspricht sowohl dem Fremden als auch dem „Proselyten.“ Der Begriff „ “, eigentlich „sich entfremden“, wird kontextabhängig als „konvertieren“ gedeutet.3 Der Begriff „Avoda Zara“ wird aber nicht wie häufig als Götzendienst, sondern seiner Bedeutung eher entsprechend mit „fremder Dienst“ oder „fremder Kult“ übersetzt. Zugunsten einer direkten Übertragung wird auf eine gefällige Interpretation verzichtet. Die materiellen Kulte werden neutral als „Idole“ und nicht als

1

2

3

Im Fall der gedruckten Ausgabe von A. S ainzal, Talmud Bavli. Menukad uMevoar, ist MS Wilna offenbar die Vorlage für die Verwendung der Begriffe „“ und „ “ gewesen. Die Gegenprüfung erfolgt mit der „Lieberman Text Database“ und den jeweiligen Handschriften wie MS München 95. Diese Übersetzung folgt der gängigen Übertragung, die sich in der „Übersetzung des Talmud Yerushalmi“ findet und von F. G. Hüttenmeister und G. Wewers verwendet wird. J. Kulp, The Participation of a Court in the Jewish Conversion Process, in: JQR 94, 2004, 457-458.

65

„Götzen“ bezeichnet.4 Eine abschließende Bewertung der Begriffe wird am Ende der Arbeit angestrebt.5 Mit dieser offenen Terminologie soll zum einen der Zusammenhang zwischen den Begriffen aufgezeigt, zum anderen die Neudefinition dieser Begriffe innerhalb des Wortfelds ermöglicht werden. Mit den Begriffen für Fremde stehen auch die Begriffe der Selbstbezeichnung in einem Zusammenhang. Dabei ist auffällig, dass in Inschriften und Fremdbeschreibungen häufig der Begriff „Judaios“ für die jüdische Gemeinde verwendet wird, während in der rabbinischen Literatur sowohl „Yehudi“ als auch „Israel“ verwendet wird.6 In dieser Studie werden die Begriffe „jüdisch“ und „Israel“ im Sinne des Talmud verwendet. Um diese Terminologie angemessen zu übersetzen, werden stets eigene Übersetzungen der Quellentexte angeboten. Für einen Vergleich der Texte des palästinischen und babylonischen Talmud werden zuerst die Belegstellen der Mischna überprüft. Daraufhin wird ein Überblick über die Belegstellen der Gemarot gegeben. Dem synoptischen Vergleich folgt eine Anwendung der Ergebnisse auf die Kategorien „der, die, das Fremde.“ Dieses Verfahren wird in den Traktaten Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin angewandt. Der Ordnung des Talmud entsprechend wird dabei chronologisch mit dem Traktat Brachot begonnen.

4

5

6

66

Das „Idol“ lässt sich direkt von der lateinischen bzw. griechischen Bedeutung (idolum bzw. eídolon) ableiten und bezeichnet einen Abgott. Die Übersetzung als Fetisch wäre ebenfalls möglich, lässt aber die psychologische Konnotation zu. Deshalb scheint „Idol“ der neutralste Begriff für diesen Gegenstand. Die Übersetzung von „“ und „ “ mit „Heide“ oder „Gentile“ sind wegen der wertenden Komponente verfänglich. „“ wird üblicherweise als „Nichtpriester“ gedeutet. Die Bezeichnung „Götzendienst“ für „   “ scheint veraltet und unpräzise in der Aussage. Schließlich ist nicht nur der Dienst an Götzen mit diesem Begriff gemeint, sondern der fremde Kult schlechthin. Für die Verwendung der Begriffe „Israel“ und „Yehudim“ schlägt Stern vor, dass „Yehudim“ in Bezug auf die äußere Welt verwendet worden wäre, während „Israel“ eine Selbstbezeichnung sei, die vor dem Zugriff der Fremden sicher sei; S. Sern, Jewish Identity in Early Rabbinic Writings, 222-223. Zur Bedeutung des Begriffs in Inschriften siehe R. S. Kraemer, On the meaning of the term „Jew“ in GraecoRoman Inscriptions, in: HTR 82:1, 1989, 35-53.

1. Traktat Brachot Das Traktat Brachot oder „Segenssprüche“ ist der Auftakt des Talmud, der mit der berühmten Frage anhebt, wann das „Shma“ am Abend zu beten ist. Ausgehend von der Mischna werden nicht nur die Arten der Gebete abgehandelt, sondern auch ihr ritueller Kontext besprochen. Die Intention der Betenden ist dabei von wesentlicher Bedeutung. Die Gebete der eizelnen Gläubigen haben in der rabbinischen Literatur besondere Bedeutung, da durch diese Rituale eine heilige Handlung vollzogen wird.7 Weiter werden in Brachot die Strukturierung des Tagesablaufs durch Gebete, die Ausgrenzung von Unreinem und der Segen über Speisen behandelt. Mit der Ausgrenzung der Unreinen vom Gebet können auch alle Arten von Fremden gemeint sein. Doch auf den ersten Blick spielt die Fremdbeschreibung in diesem Traktat keine besondere Rolle. In der Mischna finden sich lediglich drei Stellen, die zum Wortfeld des Fremden passen.8 Die palästinische und babylonische Gemara räumt der Bedeutung des Fremden im Vergleich eine größere Bedeutung ein, selbst wenn die Fülle des Materials berücksichtigt wird. Es bleibt zu klären, weshalb die Gemarot der Fremdbeschreibung eine größere Bedeutung verleihen und mit welchen Interpretationen die Fremdbeschreibung dort erläutert wird.9 Ob sich die Fremdbeschreibung inhaltlich verändert, ist zu überprüfen. Mit der Begriffsanalyse wird versucht, die vier Begriffe in ihrem Wortfeld nicht voreilig zu definieren, sondern diese erst gegenüberzustellen und über ihren Kontext zu erläutern. Häufig werden Themen nicht nur an einer Stelle behandelt, sondern im weiteren Verlauf des Traktats erneut aufgegriffen. Bestimmte Motive lassen sich auch über die Grenzen der Traktate verfolgen. Die Grundlage des synoptischen Vergleichs ist die Mischna, da sie die Texte des Talmud strukturiert. Anhand der Mischna kann eine mögliche Kontinuität oder Diskontinuität der Fremdbeschreibung in den Blick genommen werden.

7

8 9

Vgl. T. Zahavy, The Mishnaic Law of Blessings, 3-7. „We may conclude accordingly that the rabbis believed that through the recitiation of prayers with proper intention and action an ordinary householder transforms his locale, wherever that may be, into a place of sanctity.“ Ders., 3. C. Albeck,     .      , Tel Aviv 1952. In yT lassen sich 28, in bT 31 Belegstellen ausmachen. Die Menge des gesamten Materials ist in bT ebenfalls nur unwesentlich größer.

67

1.1 Ein Überblick über Mischna Brachot Für diese Untersuchung der Mischna wurde die Textausgabe von Chanoch Albeck konsultiert. Darüber hinaus lassen sich weitere Fragen anhand der Handschriften überprüfen.10 Die Rekonstruktion der Fremdbeschreibung orientiert sich an den vier Begriffen und ihrem Wortfeld im Traktat Brachot. Wie Gary Porton ausführt, ist die Behandlung des Fremden in der Mischna relativ sporadisch und unsystematisch.11 Meist ist der Anlass für die Fremdbeschreibung ein jüdisches Gebot, mit dem Fremde in Berührung kommen könnten. So scheinen die Fremden in der Mischna nicht um ihrer selbst willen erwähnt zu werden, sondern stets im Kontext der jüdischen Gebote zu stehen. Drei Belegstellen aus dem Wortfeld der Fremdbeschreibung lassen sich in der Mischna Brachot finden, die zwei Mal den Fremden als Person und einmal den fremden Kult betreffen. Diese Stellen stehen in keiner übergeordneten Beziehung zueinander und zeigen eine relativ willkürliche Verwendung der Begriffe. In der Mischna 7,1 findet sich folgende Stelle:               

                 

     

       

    .          Drei, die zusammen essen, sind wie jeder verpflichtet, den Segen zu sprechen. Einer der Zweifelhaftes gegessen hat, oder vom ersten Zehnten, von dem die Hebe entnommen wurde, oder den zweiten Zehnten [...], oder ein Diener, der soviel wie eine Olive davon gegessen hat, oder ein Samaritaner dürfen den Segen sprechen. Aber einer der Unverzehntetes gegessen hat [...], oder ein Diener, der davon weniger als eine Olive gegessen hat, oder ein „Nori“, sie dürfen nicht in den Segen eingeschlossen werden.12

10

11 12

68

M. Krupp, Einführung in die Mischna, 42-52. Die disparate Quellenlage führt dazu, als Ausgangspunkt Ed. Kaufmann und Ed. Parma zu verwenden, die über die Website „Online Treasury of Talmudic Manuscripts“ unter http://jnul.huji.ac.il/dl/ talmud/ frei zugänglich sind. Vgl. G. Porton, Goyim, 39: „The impression we have at this point is that the gentiles qua gentiles were of little concern to the compilers of Mishna-Tosefta [...].“ Die Übersetzung ist an die Übertraung von T. Zahavy, The Mishnaic Law of Blessings, 100, angelehnt. Die Belegstelle und der Begriff „Nori“ sind entsprechend MS Kaufmann A 50 und Ed. Cambride TS geprüft worden. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Seraim, 26: 

      

Der Segen über das Mahl muss von einer Gemeinschaft von mehr als drei Personen gesprochen werden; ein Vorgang, der „Simun“ „“ genannt wird. In diesem Abschnitt werden Kriterien dafür gesucht, wer unter welchen Umständen daran teilhaben darf und wer nicht. Der Kontext ist die angemessene Verzehntung von Speisen.13 Dabei wird zwischen unbedenklichen Personen und bedenklichen Personen unterschieden. Während der Samaritaner, der nicht als vollwertiger Israelit anerkannt wird, teilhaben darf, kommt ein Fremder offensichtlich für die Teilnahme an der Mahlzeit nicht Frage.14 Dieser Fremde [ ] steht damit außerhalb der jüdischen Ordnung, die durch den Segen repräsentiert ist. Die Distanz gegenüber Fremden während des Segensspruchs ist die Folge.15 Die Mischna 8,6 steht im Zeichen einer Debatte zwischen den Häusern von Hillel und Schammai. Die Schule Hillels schreibt vor:       

         .   

      

Man spricht einen Segen weder über das Licht noch über das Räucherwerk der „Goyim“, noch über Licht und Räucherwerk (zu Ehren der) Toten, noch über das Licht und Räucherwerk vor der (vor einem Idol).16

Im Kontext des Teilungssegens („Havdalah“) am Ende des Schabbat erfolgt das Verbot, weder einen Segen über Licht und Räucherwerk des „Goy“, noch über diese Dinge vor einem fremden Idol zu sprechen. Diese Verbote gelten über den Ablauf des Schabbat hinaus. Gary Porton weist auf die Unterscheidung der Verbote über das Licht und die Gewürze von einem

13

14 15

16

            

         . Von Speisen muss laut Lev 22 und 23 jeweils ein gewisser Teil abgeführt oder „verzehntet“ werden. In der rabbinischen Literatur wird die Gesetzgebung der Tora um ein komplexes Abgabensystem erweitert, das den ersten, zweiten und dritten Zehnten umfasst. Die Traktate Demai, Maaserot und Maaser Scheni in der Mischna und yT geben einen Überblick über die rabbinische Vorstellung zu diesen Abgaben. Vgl. T. Zahavy, The Mishnaic Law of Blessings, 101; G. Porton, Goyim, 40. Wenn auch den Fremden im Tempel der Zugang zu den Kulten und Opfern nicht verwehrt wurde, so lässt sich für die Mischna eine eindeutige Ablehnung der Kultteilnahme von Fremden feststellen; vgl. S. Krauter, Bürgerrecht und Kultteilnahme, 228-229. Vgl. T. Zahavy, The Mishnaic Law of Blessings, 114. Diese Belegstelle ist auf diese Weise in Ed. Kaufmann A 50 und Ed. Cambridge TS überliefert. Vgl. weiter C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna, 29-30.

69

Fremden und vor der „Avoda Zara“ hin. Entscheidend ist aber, dass die Juden nur über ihr eigenes Licht einen Segen sprechen dürfen, jedoch nicht über das der Fremden.17 Mit diesem Verbot werden Fremde von religiösen Ritualen ausgegrenzt. Die dritte Belegstelle in Mischna 9,1 ist in einem Kapitel über Segenssprüche für spezielle Gelegenheiten angesiedelt. Der fremde Kult wird auf folgende Weise thematisiert: .      ,       Ein Ort, an dem der fremde Dienst zerstört wurde, spricht man: „Gesegnet sei, dass der fremde Dienst aus unserem Land ausgerottet wurde.“18

Es besteht ein Gegensatz zwischen den Israeliten, dem Land Israel und dem Kult für fremde Götter und Idole. Diese Kulte werden offenbar als Konkurrenz wahrgenommen. Die Heiligkeit des Landes wird durch diese Kulte verunreinigt, und ist dementsprechend mit der Segnung der Vernichtung, das heißt mit einem Fluch belegt.19 Diese drei Belegstellen bezeugen das gemeinsame Interesse, sich von den nicht näher spezifizierten Fremden fern zu halten und von ihrem „fremdem Dienst“, dem Kult der Nichtjuden. Dieses Gebot kann durchaus auch als Verbot des fremden Dienstes verstanden werden. Die Unterscheidung von „Nori“ und „Goy“ an diesen Belegstellen ist auffällig und nicht ohne weiteres einleuchtend. Der Begriff „Goy“ wird im Plural verwendet, „Nori“ dagegen im Singular.20 Auch in der Struktur unterscheiden sich die drei Belegstellen, die ein Gebot, ein Verbot und eine Aufforderung zu einem Segensspruch zum Inhalt haben. Zwei Belegstellen regeln das Verhalten gegenüber Nichtjuden und eine das Verhalten gegenüber fremden Kulten. Ein übergeordneter Zusammenhang der Begriffe ist nur in Mischna 8,6 zu erkennen, weil dort die fremden „Goyim“ und der fremde Dienst in einem klaren inhaltlichen Bezug stehen. Fremde und ihr Kult werden gleichbedeutend als Quelle der Verunreinigung wahrgenommen 17 18

19 20

70

G. Porton, Goyim, 45. Vgl. T. Zahavy, The Mishnaic Law of Blessings, 120. Auch diese Stelle ist durch Ed. Kaufmann A 50 und Ed. Parma verifziert. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna, 30. Vgl. dazu G. Porton, Goyim, 241-242. Diese Verwendung von „Goyim“ und „Nori“ ist typisch für die gesamte Mischna. Damit lehnt sich die Mischna stark an die Begrifflichkeit der Bibel an.

und dementsprechend verurteilt, um Distanz zu ihnen wahren.21 Die ausgewählten Belegstellen sind in ihrem Kontext zu verstehen und liefern keine weitergehende Definition der Fremdheit. Die explizite Verwendung von „Goy“ und „Nori“ wirkt wie eine Aufforderung, zu dieser Verwendung der Begriffe in der Gemara Stellung zu beziehen.22

1.2 Das Verzeichnis der Belegstellen und die Überlieferung des Traktats Um den Vergleich auf ein solides Fundament zu stellen, ist ein Überblick über alle Belegstellen in den Gemarot notwendig. Im Vorfeld wird die Vergleichsebene zwischen den Traktaten festgelegt, da die Mischna im Original nicht immer zur Vorlage der Gemara passt und für die zeitgenössischen Drucke des Talmud aus anderen Vorlagen kopiert wurde. Die Synopse zum Talmud Yersuhalmi und ihre jeweilige Übersetzung liefert für die Aufteilung des yT anhand der Mischna Anhaltspunkte.23 In der babylonischen Gemara findet sich zwar die Mischna, die aber gelegentlich einer internen Überlieferung der Mischna entspricht. Die Handschriften geben im Zweifelsfall über diese Unterschiede im Text Auskunft.24

21

22 23

24

Die Grenzen der eigenen zur fremden Kultur werden dort gezogen, wo Gefahr für die eigene Identität droht. Weder ruft die Mischna zur Zerstörung der fremden Kulte auf, noch kann sie diese Kulte dulden, vgl. Mischna Avoda Zara 4,7; M. Halbertal, Jews and Pagans in the Mishna, in. Stanton, Tolerance and Intolarence in Early Judaism and Christinity, 170. Insofern sind die Überlieferung und Exegese ein bewusster Prozess, vgl. E. S. Alexaner, Transmitting Mishna, 220-223. In yT enthält die MS Leiden eine Mischna, die allerdings wohl von der Ed. Parma abgeschrieben wurde; vgl. M. Krupp, Einführung in die Mischna, 62. In dieser Studie wird auf die Rekonstruktion der Synopse zum Talmud Yersuhalmi zurückgegrif--fen, siehe Synopse, IX. In den meisten Übersetzungen wird die Mischna in den Text eingefügt, um den Bezug zwischen Mischna und Gemara zu verdeutlichen, siehe C. Horovitz, Der Jerusalemer Talmud in deutscher Übersetzung. Berakhot, Tübingen 1975. Es besteht laut M. Krupp ein merklicher Unterschied zwischen der Mischna im babylonischen Talmud und den Handschriften, die nur die Mischna enthalten; vgl. M. Krupp, Einführung in die Mischna, 64-65.

71

1.2.1 Das Verzeichnis der Belegstellen In diesem Kapitel gewährt eine Tabelle den Überblick über alle Belegstellen der vier Begriffe und ihr zugehöriges Wortfeld.25 Gleichwertig erwähnt werden die Belegstellen, in denen die vier Begriffe als Zitate aus der Tora verwendet werden. Die Mischna gliedert chronologisch die Belegstellen im Verlauf des Traktats. Besonders hervorgehoben werden Mischna 7,1, 8,6 und 9,1, da sie die Ausgangspunkte der Fremdbeschreibung in der Mischna bezeichnen. Darüber hinaus werden auch die Belegstellen, die außerhalb der Mischna stehen, in den Kontext einbezogen. Es ergibt sich eine Gliederung für den synoptischen Vergleich, die zwischen den Belegstellen im Rahmen der Mischna und außerhalb dieses Rahmens unterscheidet. Belegstellen mit einer Doppelnennung der Begriffe in einem Absatz sind hervorgehoben, wie dies im Fall von yT 8,7/5 für die Begriffe „Goy“ und „Zar“ zutrifft. Die Nummerierung der Belegstellen orientiert sich an der üblichen Zählung der Synopse des yT und des bT.26 Anhand dieser Kriterien lässt sich folgende Tabelle über die Belegstellen im Traktat Brachot erstellen: yT 1,1-7,1 zu M 7,1 zu M 8,6

zu M 9,1 9,1-9,8

25

26

72

Goy 1,9/5; 3,1/16; 4,3/2; 5,1/4 7,1/13 8,7/2; 8,7/4; 8,7/5; 8,7/11; 8,9/6 9,1/15-18; 9,1/32; 9,2/4; 9,2/5; 9,2/7 9,6/4

Nori

Ger

Zar

2,4/10; 4,3/4; 4,4/7

4,3/12

8,7/3; 8,7/5 9,1/15-18; 9,2/1; 9,2/3; 9,2/6 9,3/16

In diesem Wortfeld werden alle verwandten Begriffe einbezogen wie zu  ,  bzw. , ,  etc. Die synoptische Interpreation wird den Inhalt und die Verwendung der Belegstellen veranschaulichen, der aus Gründen der Übersichtlichkeit vernachlässigt wird. Die Zählung der Belegstellen wird in allen Traktaten aus der Synopse und der gedruckten Ausgabe übernommen. Diese Zählung deckt sich mit „The Sol and Evelyn Henkind Talmud Text Databank,“ CD Rom, New York 1994.

bT

Goy

1,1-7,1

6a, 7a, 7b, 8b, 9b, 17a, 18a, 20a, 25b, 31a, 32a

zu M 7,1 zu M 8,6 zu M 9,1 9,1-9,4

Nori

47b 52b, 53a 57b, 58a 54a

Ger

Zar

8b, 17b, 19a, 28a

12b, 31b

47b 57b 63b

52b, 53a 57b 61a

Insgesamt zeigt sich eine unregelmäßige Verteilung der Belegstellen, weil ein großer Teil nicht im Kontext von Mischna 7,1, 8,6 und 9,1 steht.27 Die Exegese der Gemarot erweitert den Kontext der Fremdbeschreibung, da die Begriffe an anderen Stellen erscheinen. Diese Belegstellen müssen zusätzlich in die Interpretation integriert werden. Während in yT der Schwerpunkt der Fremdbeschreibung auf den drei Belegstellen der Mischna liegt, scheint bT einen Schwerpunkt außerhalb dieser Stellen zu bilden. Vom Beginn der Gemara bis zu Mischna 7,1 zeigt sich eine Häufung von Belegstellen, für die es in der Mischna keine Anhaltspunkte gibt. Die Integration der Belegstellen außerhalb der Mischna scheint gerechtfertigt, da dieses Material beinahe die Hälfte der Belegstellen ausmacht. Die Rezeption der Mischna ist zwar in beiden Gemarot annähernd gleich verteilt, jedoch scheinen Mischna 7,1 und 8,6 in yT stärker repräsentiert und Mischna 9,1 in bT ausführlicher bearbeitet zu werden. Weiterhin lässt sich in Bezug auf die Verwendung der vier Begriffe erkennen, dass der Begriff „Goy“ am häufigsten genannt wird. An zweiter Stelle folgt der Begriff „Zar“, während die Bedeutung des Begriff „Ger“ in bT deutlich zuzunehmen scheint. Für „Nori“ lässt sich nur eine Belegstelle in bT finden. Obwohl in Mischna 7,1 dieser Begriff vorgegeben ist, wird der Begriff in yT zu „Goy“ abgewandelt.28 In Mischna 8,6 und 9,1 werden die gleichen Begriffe in beiden Gemarot verwendet. Zusätzlich erscheint in 27

28

Im folgenden werden nicht alle Belegstellen für den Vergleich herangezogen, da manche inhaltlich zu marginal erscheinen. In diesem Traktat gilt das für bT 54a und 61a. Inwiefern diese Abweichung mit der Verwendnung des Begriff „Ger“ zusammenhängt, wird der Vergleich zeigen.

73

Mischna 7,1 und 9,1 in bT der Begriff „Ger“, der in yT nur im ersten Abschnitt der Gemara zu finden ist. Die gemeinsamen Belegstellen der Begriffe steigern sich von drei Belegstellen in yT auf fünf Belegstellen in bT. Die Tabelle zeigt also eine Kontinuität für die Begriffe „Goi“ und „Zar“, nicht aber für „Nori“. Ob damit inhaltliche Abweichungen verbunden sind, bleibt zu analysieren.

1.2.2 Zu Problemen der Überlieferung in yT und bT Brachot Die Auswertung der Quellen wird anhand der hebräischen Texte und der Übersetzungen durchgeführt. Für yT wird die Übertragung von Charles Horowitz verwendet, der zugleich eine kritische Interpretation liefert. Im Fall des bT bildet die Übertragung von Lazarus Goldschmidt den Ausgangspunkt.29 Da diese Übersetzung gelegentlich zu ungenau oder sprachlich veraltet erscheint, werden stets eigene Übersetzungen verwendet. Die Originaltexte des yT Brachot stammen aus der kritischen Ausgabe der Synopse.30 Für das Traktat Brachot wird vorwiegend auf die „Edition Venedig“ zurückgegriffen. Die Quellentexte des bT werden aus der Gesamtausgabe von 1968 bezogen.31 Um Abweichungen zu erkennen und auszuwerten, werden im Fall von Brachot besonders die Handschriften MS Oxford Opp 23 und MS Firenze 9-7 konsultiert. In Fällen, in denen MS Firenze nicht überliefert ist, wird auf MS Paris 671 zurückgegriffen. Da in bT die Begriffe „Goy“ und „Nori“ durch die Zensur verändert wurden, muss die Handschrift in diesen Fällen immer zu Rate gezogen werden.32 Im folgenden sollen einige offensichtliche Probleme der Überlieferung kurz vorgestellt werden. In yT ergeben sich an einigen in der Tabelle angeführten Belegstellen Abweichungen. Besonders in „MS Vatikan“ sind einige Lücken in der Überlieferung zu verzeichnen, wie die Belegstellen yT 1,9/5, 2,4/10, 4,4/7, 5,1/4, 7,1/13, 8,7/3, 8,7/4, 8,7/11, 8,9/6, 9,1/15-17, 29

30 31 32

74

C. Horowitz, Berakhoth, Der Jerusalemer Talmud in deutscher Übersetzung I. Berakhot, Tübingen 1975. L. Goldschmidt, Berakhoth, Der Babylonische Talmud, Berakhot/Mishna Zeraim/Sabbath, Königstein 1980. Obwohl diese Übersetzung in vielen Fällen nicht mehr modern erscheint, ist sie dennoch weiterhin die einzige deutsche Standardübersetzung. P. Schäfer, Synopse zum Talmud Yerushalmi, I/1-2, Tübingen 1991. A. S ainzal, Talmud Bavli. Menukad u-Mevoar, Masekhet Brachot, Jerusalem 1967. Der Vergleich der gedruckten Ausgabe mit der elektronischen „Lieberman Text Data Base“ zeigt, dass vor allem MS Wilna die Spuren der Zensur enthält, während MS München 95 diese Spuren offenbar nicht aufweist.

9,1/32, 9,2/1, 9,2/4, 9,2/5, 9,2/6, 9,2/7 zeigen. In den meisten Fällen können diese Lücken durch andere Handschriften zuverlässig ergänzt werden. Weiter sind formale Abweichungen in yT 3,1/16, 5,1/4 und 8,7/4 zu erkennen, die an der jeweiligen Stelle abgehandelt werden. Da sich die vorliegende Arbeit vordringlich auf die „Edition Venedig“ und „MS Leiden“ stützt, werden die anderen Handschriften nur am Rand erwähnt.33 In der gedruckten Ausgabe des bT treten einige Unsicherheiten in der Verwendung von „Goy“ und „Nori“ auf. Die Stellen bT 17a, 18a, 20a, 25b, 47b, 52b, 53a mussten den Handschriften entsprechend von „Nori“ oder „Kuti“ zu „Goy“ abgeändert werden.34 Damit zeigt sich, dass die Verwendung von „Goy“ ursprünglich wesentlich ausgeprägter ist als die gedruckten Ausgaben auf den ersten Blick vermuten lassen. Weiterhin bleiben einige Schwierigkeiten, an manchen Belegstellen eine eindeutige Überlieferung zu rekonstruieren. Davon sind vor allem die Stellen bT 8b, 17a, 17b, 47b, 53a, 57b, 58a betroffen, an denen Worte fehlen oder Satzkonstruktionen abweichen. Diese Abweichungen werden an der betreffenden Stelle erläutert. Da sich diese Differenzen schwerlich endgültig entscheiden lassen, bleibt eine gewisse Unsicherheit der Interpretation bestehen.

1.3 Die Auswertung der Belegstellen in yT und bT Brachot Um ein umfassendes Bild der Fremdbeschreibung zu erhalten, werden im folgenden alle Belegstellen, die in der Tabelle aufgeführt wurden, in einen synoptischen Vergleich eingeordnet und interpretiert. Vor der Auswertung der Quellen soll ein kurzer inhaltlicher Überblick gewährt werden. In yT finden sich viele inhaltliche Bemerkungen, die über den Rahmen der Mischna hinausgehen. Die Fremdbeschreibung greift auf Zitate aus der Tora zurück, wie es die Verwendung des Begriffs „Goy“ veranschaulicht. Ohne eine offensichtliche Erklärung wird der Begriff „Ger“ in die Exegese eingefügt und diskutiert. Die Fremdbeschreibung konzentriert sich auf die Interaktion mit Fremden.35 Die Exegese von Mischna 7,2, 8,6 und 9,1 eröffnet eine Diskussion über den Inhalt der Halachot; beispielsweise wird in 33 34 35

P. Schäfer, Synopse zum Talmud Yerushalmi I/1-2, 210. Diese Rekonstruktion stützt sich auf die Beobachtung von S. Stern, Jewish Identity in Early Rabbinic Writings, 9. Dies wird im Artikel von G. Porton, Forbidden Transactions: Prohibited Commerce with Gentiles in Earliest Rabbinism, in: J. Neusner, „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 317-335, deutlich.

75

Mischna 7,2 der Status des Samaritaners mit dem des Fremden verglichen. In Mischna 8,6 wird die Nutznießung von Licht und Gewürzen im Kontext des Segens ausführlich thematisiert. In Mischna 9,1 wird der Segen über die Ausrottung der fremden Kulte besprochen. Verschiedene Begegnungen von Fremden und Juden gewähren einen Einblick in das Zusammenleben mit Fremden. Damit wird das Verhältnis der jüdischen Gemeinschaft zu den Fremden und ihren Kulten thematisiert, wie es die Nennung der Begriffe „Goy“ und „Zar“ bereits andeuten. In bT wird die Debatte um zusätzliche Argumente und Episoden erweitert. Es werden sowohl Debatten aus yT aufgegriffen als auch neue Elemente hinzugefügt. Auch die Debatte über die Nutznießung der Arbeit von Fremden wird ausführlich kommentiert. Damit ist die Fremdbeschreibung des bT etwas ausführlicher und vertieft die Schwerpunkte des yT. Beide Gemarot verdeutlichen, dass im Traktat Brachot besonders die vielfältigen religiösen Kontakte zwischen der jüdischen und der fremden Kultur abgehandelt werden. Das Verhältnis der Fremden zu jüdischen Segenssprüchen ist von zentralem Stellenwert, da der Segen, die „  “, nicht nur ein wichtiger Anteil der Liturgie ist, sondern auch ein Zentrum jüdischer Identität.36

1.3.1 Israel im Kontrast zu Fremden: von Mischna 1,1 bis 7,1 Dieser erste Abschnitt umfasst alle Belegstellen von Mischna 1,1 bis 7,1. Fortan bietet sich für alle Kapitel der formale oder thematische Vergleich der Belegstellen an. Während ein formaler Vergleich zuerst yT und dann bT abhandelt, ordnet der thematische Vergleich die passenden Belegstellen eines Abschnitts einander zu. In diesem ersten Kapitel wird wegen der Fülle des Materials von Mischna 1,1 bis 7,1 ein thematischer Vergleich bevorzugt. Zuerst werden die Belegstellen zum Begriff „Goy“ in yT und bT verglichen. Ein zweites Themenfeld bildet der Zusammenhang von fremden Personen und sexueller Unzucht. Drittens werden in einem Abschnitt verschiedene Kommentare zu den „Gerim“ gesammelt. In einem vierten Abschnitt werden einige Belegstellen zur Interaktion mit Fremden verglichen. 36

76

Den Zusammenhang von Gebet und Identität zeigt R. Grodner in seiner Exegese der Mischna Ber. 5,1 am Beispiel der „Amida“ auf. Für die Gebete sind die Wiederholung und eine individuelle Praxis grundlegend. Auf dieser Praxis beruht u.a. die jüdische Identität; R. Grodner, The Spirit of Mishnaic Law, Vol. 2, 262-291.

Der Begriff „Goy“ steht im Kontext der Exegese, wie die erste Belegstelle in yT 1,9/5 veranschaulicht:   .       .       37 .     

Wenn man (während des Simun) den Toravers (Dtn 8,10), der „Land“ enthält, nicht erwähnt hat, soll man ihn wiederholen. Was ist der Grund? Er wird ihnen die Länder der „Goyim“ geben, damit sie seine Gebote erfüllen und seinen Weisungen folgen (Ps 105,44).38

In dieser Belegstelle wird das Wort Land [ ] mit der Verheißung, das Land der fremden Völker zu erhalten, verknüpft. Die erwähnte Torastelle bezieht sich auf die Verleihung der Gesetze am Sinai, einem entscheidenden Bezugspunkt in der Heilsgeschichte. Die Textstelle der Propheten verbindet mit dem Begriff „Land“ [] die eschatologische Vision, in der fremde Völker in Psalm 105,44 zu Israel übertreten werden. Das Land Israel als Ort dieser prophetischen Heilsvision erhält gegenüber den fremden Ländern eine hervorragende Stellung.39 In diesem Zitat wird „Goy“ im Sinne des fremden Volks verwendet, während im Vergleich in bT 6a eine andere Bedeutung dieses Begriffs aufgezeigt wird:  “  ’  ’             40 .      Rav Nahman bar Jichaq sprach zu Hija bar Abin: Was steht in den Tefillin des Herrn der Welt geschrieben? Der erwiderte: Wer ist wie dein Volk Israel ein einziges „Goy“ auf Erden (I. Chr. 17,21).

Der Begriff „Goy“ wird für das Volk Israel verwendet, wie es den Zitaten aus I. Chronik 17,21 und Deuteronomium 1,8 bzw. 33,29 entspricht. Diese apologetische Episode verwendet den Begriff offensichtlich als ethnischen Begriff für Israel. Es zeigt sich, dass es keine durchgehende Kontinuität für 37 38 39

40

Hier entsprechend Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Vgl. die Übersetzung von C. Horowitz, Berakhoth, 40, der die Stelle dem Segen über das Mahl zuordnet. M. Smith, On the Differences Between the Culture of Israel and the Major Cultures of the Ancient East, in: S. J. D. Cohen, Studies in the Cult of Yahweh. Vol. 1. Studies in Historical Method, Ancient Israel, Ancient Judaism, 28-36. Hier nach MS Firenze 9-7, in MS Oxford Opp 23 mit minimalen Abweichungen überliefert.

77

die Bedeutung des Begriffs gibt und dass die Autoren den Zitaten entsprechend den Begriff unterschiedlich verstehen.41 Den Fremden scheint eher der Begriff „Völker der Welt“ zu entsprechen, wie bT 7a zeigt:      ’    

 ’   ’ “  ’   

    ’   ’   42 .     ’   ’  R. Yoanan sprach im Namen R. Yoses: Drei Dinge wünschte sich Mose vor dem Heiligen und er gewährte sie ihm. Er bat, dass die göttliche Anwesenheit auf Israel ruhen möge und er gewährte es, wie es heißt: Fürwahr, wenn du mit uns gehst (Ex 33,16). Er bat, dass die göttliche Anwesenheit nicht auf den „Umot ha Olam“ ruhen möge, und er gewährte es, wie es heißt: Damit wir ausgezeichnet sind, ich und dein Volk(Ex 33,16).

Während auf Israel der Segen Gottes ruht, sind die „Völker der Welt“ von der Präsenz der göttlichen Anwesenheit ausgeschlossen. „Goy“ kann sowohl für das rechtschaffene Israel als auch für die fremden Völker verwendet werden, wie eine Belegstelle in bT 7b zeigt. Der Krieg von Gog und Magog wird mit einem Zitat aus den Psalmen 2,1 erklärt.43 Der dort verwendete Begriff „Goyim“ lässt sich mit „fremde Völker“ übersetzen, was darauf hindeutet, dass mit den beiden Bedeutungen „fremdes Volk“ und „Israel“ gearbeitet wird. Diese Doppeldeutigkeit wird offenbar bewusst aus der biblischen Vorlage übernommen und findet sich häufiger in Brachot, wenn auch unter verschiedenen Vorzeichen.44 Zu diesem Begriff findet sich in bT 9b eine weitere Belegstelle, die gebietet, nicht nur den Königen Israels entgegen zu eilen, sondern auch den Königen der „  ,“ den Völkern der Welt, um in der messia-

41 42 43 44

78

R. Loewe, Gentiles as Seen by Jews after CE 70, in: W. Horbury, The Cambridge History of Judaism, 257. Hier entsprechend MS Oxford Opp 23. Das erste Zitat ist in MS Firenze 9-7 entstellt. Vgl. Ps 2,1: „Warum toben die Völker [], warum sinnen die Nationen [ ] Eitles.“ Zitate aus der Tora im Kontext des Achtzehn-Gebets belegen diese Einschätzung, wie z.B. in bT Ber 31a: „[...] da man unter den ‚Goyim‘ sprechen wird“ (Ps 126,2)“ oder vgl. bT Ber 32a: „[...] ich will dich zum großen ‚Goy‘ machen“ (Ex 32,10).

nischen Zeit zwischen den Königen unterscheiden zu können.45 Diese Argumentation stammt aus yT, allerdings dort nicht mit dem Begriff „Völkern der Welt.“46 Die Besonderheit Israels ist die Tora, das wesentliche Unterscheidungsmerkmal gegenüber Fremden.47 Der Gegensatz von Fremden und Israeliten steht in einem Spannungsverhältnis, das durch die ambivalente Bedeutung des Begriffs „Goy“ zum Ausdruck kommt. Ein zweiter Teil untersucht in bT Brachot Vergehen, die dem moralischen Standard Israels widersprechen. Eine Belegstelle in bT 8b bildet einen inhaltlichen Schwerpunkt über die Ehe mit fremden, nichtjüdischen Frauen:           

           

  [...] 

      ’                

   ’

   

   48 .        Setzt euch nicht auf das Bett einer Aramäerin. Und geht an keiner Synagoge vorüber, wenn die Gemeinde betet. [...] „Setzt euch nicht auf das Lager einer Aramäerin.“ Manche sagen: legt euch nicht nieder, ohne das „Höre Israel“ gelesen zu haben. Und manche sagen: heirate keine Proselytin. Und manche sagen: wirklich eine Aramäerin. Eine Erzählung von R. Papa. Einst besuchte R. Papa einen „Goy“, und sie (sic) baten ihn sich zu setzen. Er sprach er zu ihm: Ich setze mich nicht 45

46

47

48

Diese Stelle wiederholt sich in Ber bT 19b und 32b; in 19b darf man sich sogar dafür der Unreinheit der Toten aussetzen. In 32b wird dagegen untersucht, ob man für die Könige der weltlichen Völker das Gebet unterbrechen darf, was unter Umständen bejaht wird. „Es ist als geboten zu erachten, die großen königlichen Persönlichkeiten zu sehen, damit man, wenn das Königtum des Hauses David wieder eingesetzt wird, unterscheiden kann zwischen einem Königtum (Israels) und einem (anderen) Königtum“; vgl. yT Ber 3,1/19, C. Horowitz, Berakhoth, 88. Weitere Belegstellen werden im Verlauf der Erörterung aufgezeigt, wie yT Ber 9,3/22. Vgl. bT Ber 11b, L. Goldschmidt, Berakhoth, 48: „Der uns von allen Völkern [

   ] erwählt und uns seine Tora gegeben hat.“ Israel unterscheidet sich auch dadurch von anderen Völkern, dass es seinen Gott nur in Jerusalem verehrt. Diese Besonderheit betont M. Himmelfarb; dies., The Tora between Athens and Jerusalem: Jewish Difference in Antiquity, in: C. Bakhos, Ancient Judaism in its Hellenistic Context, 113-119. Hier nach MS Oxford Opp 23 und MS Paris 671 übersetzt; in MS Firenze 9-7 gibt es einige Lücken. In MS Firenze 9-7 steht abweichend: „[...] wirklich das Bett einer Aramäerin.“ Die Episode ist durch eine Singular-Plural Diskontinuität in beiden Handschriften entstellt. L. Goldschmidt führt an, dass dies ein Beweis dafür sei, dass die Episode später eingefügt wurde; L. Goldschmidt, Berakhoth, 32.

79

eher, bis ihr das Bett aufgedeckt habt. Als sie das Bett aufdeckten, fanden sie darin ein totes Kind.

In dieser Belegstelle wird zur Distanz gegenüber der fremden Frau aufgefordert, die als Aramäerin [„“] bezeichnet wird. So wie das Gebet eine tägliche Pflicht ist, das Israel von den Fremden unterscheidet, so ist auf die körperliche Distanz zu fremden Frauen zu achten. Der Text zeigt eine Unsicherheit in der begrifflichen Definition der Fremden, ob nur die fremde Aramäerin, oder auch die „Gioret“, die Proselytin, in das Verbot der Heirat mit einzubeziehen ist. Der Begriff „ “ („heiraten“) zeigt, dass es um die Heirat mit einer Fremden geht. Die anschließende Episode erläutert, dass wohl eher die Fremde als die Proselytin von der Heirat ausgeschlossen werden soll. Die Ursache ist die physische Verunreinigung durch den sexuellen Kontakt mit Fremden. Symbolisch wird dieses Motiv durch das tote Kind angedeutet. Das Verbot, das in Analogie zu einem Gebet steht, erhält dadurch eine besondere Bedeutung. Im Anschluss an diese Stelle werden fremde Meder und Perser für ihre vorbildliche Reinlichkeit gelobt.49 Die Überlieferung zeigt so nicht nur eine Unsicherheit, sondern bemüht sich um eine inhaltlich ausgewogene Fremdbeschreibung; denn Fremde sind an sich nicht unrein. Die vielfältige Verwendung von Begriffen, die in einem ähnlichen Kontext stehen, wird in bT Brachot besonders deutlich. In bT 12b folgt ein Abschnitt, der die Mischehe problematisiert. Das Schma’-Gebet lässt sich in fünf Kategorien unterteilen, „das Cicithgebot, der Auszug aus Ägypten, das Joch der Gesetze, die Häresie und die Gedanken an die Sünde und den fremden Dienst:“     

    

 [...]      ’              

  ’                      50 .                 ’ Und die Gedanken an den fremden Dienst [...] Nach euren Herzen und nach euren Augen. Nach euren Herzen (Num 15,39), das ist die Häresie, denn es heißt: der Verdorbene spricht in seinem Herzen: es gibt keinen Gott (Ps 14,1). Und nach euren Augen: das sind die Gedanken an die Sünde, denn es heißt: und Simson sprach zu seinem Vater: Nimm mir diese, denn sie ist schön in meinen Augen (Ri 14,3); vor 49 50

80

„Bei drei Handlungen liebe ich die Meder [...] Um drei Dinge liebe ich die Perser“; bT Ber 8b; vgl. L. Goldschmidt, Berakhoth, 32-33. Hier nach MS Oxford Opp 23 und MS Firenze 9-7.

denen ihr euch prostituiert. R. Huna bar Raba sprach: das sind die Gedanken an den fremden Dienst, denn es heißt: und sie prostituierten sich vor dem Baal (Ri 8,33).

An dieser Stelle wird die Verlockung zur Häresie durch das Zitat „nach eurem Herzen“ [

] veranschaulicht, da das Gebet vom Herzen des Menschen ausgehen soll.51 Damit verknüpft sind die sündigen Gedanken, die erneut auf die Mischehenproblematik verweisen. Das Zitat aus der Samsonerzählung in Richter 14,3 verweist unterschwellig auf diese Problematik. Dem schließt sich der Vorwurf der Prostitution an [ ] und verweist durch dieses Wort auf einen sexuellen Kontext [ ]. Der fremde Kult, nach Richter 8,33 eindeutig charakterisiert, steht auf einer Ebene mit der sexuellen Verfehlung. Das Herz und die Augen sind durch Fremdes doppelt bedroht, einmal durch die Verführung zur Ehe mit einer Fremden und durch die Verehrung des fremden Kults. In bT 31b wird deshalb die „Avoda Zara“ mit einem Gebet in Trunkenheit verglichen: ’     ’ “   

 

    “ 52 .“   “         R. Eleazar sprach: Deshalb: ein Betrunkener beim Gebet sei wie einer, der den fremden Dienst vollzogen hat. Es steht geschrieben: für ein nichtswürdiges Weib (I. Sam 1,16) und es steht geschrieben: es sind aus deiner Mitte nichtswürdige Leute hervorgegangen (Dtn 13,14). So wie dort der fremde Dienst gemeint ist, ebenso hier der fremde Dienst.

Der fremde Dienst ist als Übertretung der Gebote Israels zu verstehen, was mit der unpassenden Rezitation eines Gebets verglichen wird. Die Verse in I. Samuel 1,16, die auf den Alkoholkonsum verweisen, werden mit den Anhängern fremder Kulte in Deuteronomium 13,14 in einen Kontext gesetzt. Dadurch wird erneut die Verführung zu fremden und unpassenden Gebräuchen thematisiert. Der fremde Dienst, die „Avoda Zara“, birgt in Bezug auf Israel die Gefahr der Rechtsverletzung durch unpassendes Verhalten. Die Gleichsetzung des fremden Kults mit unangemessenem Benehmen und Unzucht zeigt die Bandbreite des Begriffs, der weit mehr als die konkrete Verehrung fremder Gottheit im Sinn der Tora ist.53 51 52 53

Das Herz ist ein wesentliches Körperteil in der biblischen Symbolsprache, wie Silvia Schroer zeigt; S. Schroer, T. Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 45-50. Hier zufolge MS Oxford Opp 23 und MS Firenze 9-7. Die Vielfältigkeit dieses Begriffs beschreibt Stern; S. Stern, Jewish Identity in Early Rabbinic Writings, 196.

81

Der dritte Abschnitt behandelt einige Belegstellen zu den „Gerim“ in yT und bT. Die folgende Belegstelle in yT 2,4/10 erklärt die Struktur und einzelne Passagen des Achtzehngebets:  .                

     

 

 .     

 



 54 .  Sobald die Vertrieben versammelt sein werden, wird man die Frevler demütigen und die Gerechten werden sich freuen. Es wird gelehrt: die Verse über die Ketzer und Bösewichter gehören zu dem Vers „der die Frevler demütigt“. Die für die „Gerim“ und die Ältesten gehören zu „Stütze der Gerechten“.

Dieser Abschnitt handelt von der eschatologischen Bestrafung der Ketzer und Frevler sowie der Belohnung der Gerechten. Die „Gerim“, die der Gemeinschaft Israels angehören, werden dabei den Häretikern der eigenen Gemeinschaft vorgezogen. Zusammengenommen werden die Ältesten und die „Gerim“ als „Zuversicht der Gerechten“ bezeichnet, was implizit auf den Begriff „Ger edeq“ verweist.55 Den Zusammenhang der Konversion mit diesen „Gerechten“ zeigt eine Stelle in yT 2,8/4:         ’’ 

      56 .            In der Stunde, in der die Israeliten den Willen des Heiligen, gepriesen sei er erfüllen, prüft er die ganze Welt. Und wenn er unter den Völkern der Welt einen Gerechten sieht, holt er ihn und ordnet ihn den Israeliten zu.

Mit dem Begriff „ “ ist im wahrsten Sinn der „Anschluss“ oder das „Anheften“ an die Gemeinschaft Israel ausgedrückt. Insgesamt zeigen diese beide Stellen eine soziale Offenheit gegenüber der Aufnahme von Fremden, die den Status eines „Ger“ haben. Auch das nächste Motiv der Fremd54 55

56

82

Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden, Schäfer, 60. Der „Ger edeq“ wird häufig als „echter Proselyt“ verstanden. Damit ist wohl eine fremde Person gemeint, die den Geboten Israels entsprechend lebt. Zur schwierigen Definition des „Ger edeq“, der zwar Jude, aber noch kein Israelit ist, vgl. V. Haarmann, Proselyten und Gerechte aus den Völkern“. Zwei rabbinische Kategorien der Akzeptanz von Nichtisraeliten, in: Trumah 13/2003, 163-164. Diese Kategorien lassen sich im allgemeinen schwer abgrenzen. S. J. D. Cohen bezeichnet sie als „sympathizers“; Ders., Crossing the Boundary and Becoming a Jew, HTR 82:1, 31. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

beschreibung behandelt das Achtzehngebet. In yT 4,3/2 wird leicht abweichend von 2,4/10 überliefert:

                      ’     

  

  57 .         . Und warum 18? R. Yehoschua ben Levi sprach: Wegen der 18 Psalmen, die geschrieben wurden vom Anfang bis: Gott erhöre dich am Tag deiner Not (Ps 20,2). Sollte jemand dir sagen, dass es doch 19 Psalmen sind, dann antworte: warum toben die „Goyim“ (Ps 2,1) zählt nicht dazu.

Der Psalm „warum toben die Völker“ ist in yT der Ausgangspunkt für eine Diskussion, da die beiden ersten Psalmen als ein Psalm gedeutet werden. Der Psalm über die fremden Völker wird an dieser Stelle ausgenommen. Weiter heißt es in yT 4,3/4:    

  .                ‘       ‘          

 

 .     

 



     58 .   

R. una sprach: wenn dir ein Mensch sagt, dass es doch 19 sind, dann antworte ihm: diejenigen für die Ketzer haben die Weisen in Jabne beschlossen. R. Elazar b. R. Yose fragte R. Yose: Es steht doch noch geschrieben: der Gott der Ehre donnert (Ps 29,3)? Er antwortete ihm: Es wurde doch gelehrt: Die Verse über die Ketzer und die Verbrecher gehört zu „der Frevler demütigt“. Die für die „Gerim“ und die Ältesten gehören zu „Stütze der Gerechten.“

Hier wird die erwähnte Belegstelle aus yT 2,4/10 wiederholt. Die verschiedenen Fremden werden differenziert betrachtet, da sie zum einen „Goyim“ und zum anderen „Gerim“, sind. Die „Gerim“ stehen, wie in yT 2,4/10, mit den ehrwürdigen Ältesten in einem Zusammenhang. In bT 9b wird ebenfalls das Achtzehn-Gebet thematisiert und die Psalmen „Heil dem Manne“ und „Warum toben die Völker“ zu einem Psalm zusammengefasst. Doch die Auslegung fällt im Vergleich zu yT kürzer aus.59 57 58 59

Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden, Schäfer, 120. Vgl. L. Goldschmidt, Berakhoth, 38: „Wieso achtzehn, es sind ja neunzehn? [Der Psalm] Heil dem Manne und [der Psalm] Warum toben die Völker [] (Ps 2,1) sind ein Abschnitt.“ Überliefert in MS Oxford Opp 23, in MS Firenze 9-7 lückenhaft.

83

Auffällig ist, dass in bT der letzte Vers dieser Belegstelle fehlt, der „Ketzer“ und „Frevler“ sowie „Älteste“ und „Proselyten“ betrifft.60 Im Vergleich mit yT 4,3/2 wird nur noch formal die Frage beantwortet, warum es achtzehn und nicht neunzehn Gebete sind und dafür das betreffende Zitat aus den Psalmen übernommen. Offenbar besteht in bT kein Anlass mehr, den Segen über die „Gerim“ beizubehalten. In Kontrast dazu findet sich in yT 4,4/7 ein Abschnitt zu Hiskia, in der die Anrechnung von Verdiensten früherer Generationen thematisiert wird. Hiskia wird folgender Satz in den Mund gelegt: „Meine Ahnen haben dir so viele Proselyten [] zugeführt [...]“.61 In der Retrospektive wird damit die Proselytenwerbung zum Verdienst. Eine Belegstelle in bT 17b bezieht sich auf den Vers in Jesaja 46,12 [   

      ] „Hört auf mich, ihr Hartherzigen, ihr seid fern von Gerechtigkeit“:         ’    

      ’     

          ’     62 .        ’

R. Yehuda sagte, mit den Hartherzigen sind die einfältigen Gobäer gemeint. R. Yoseph sagte: Man weiß, dass von ihnen noch nie einer konvertiert ist. R. Ashi sagte: Die Hartherzigen sind die Einwohner von Matha-Mehasja. Obwohl sie zwei Mal jährlich die Verherrlichung der Akademie sehen, konvertieren sie nicht.

Es wird zumindest deutlich, das die „Gerim“ in bT kein außergewöhnliches Phänomen sind. Es gibt eine gewisse Werbung für diese Fremden, damit sie sich um eine Konversion bemühen.63 Doch offenbar sind die Fremden in den genannten Orten nicht bereit zu konvertieren. Da es keinerlei weitere Erklärungen dazu gibt, bleibt nur festzustellen, dass es innerhalb der Rabbinen offenbar Stimmen gibt, die der Konversion positiv gegenüber stehen. In 60 61 62

63

84

Auch in bT 28a-29a wird dieser Segen nicht mehr erwähnt. Dafür findet sich dort die Debatte über den sog. „Ketzersegen“. Hier zitiert nach C. Horowitz, Berakhoth, 130. Hier nach MS Oxford Opp 23, denn MS Paris 671 ist lückenhaft. In MS Paris wird die Tora zwei Mal jährlich verherrlicht, und „dennoch konvertiert von ihnen kein einziger Proselyt.“ Y. Elman, Middle Persian Culture and Babylonian Sages: Accomodation and Resistance in the Shaping of Rabbinic Legal Tradition, in: C. E. Fonrobert, The Cambridge Companion to the Talmud, 166-168. Y. Elman argumentiert zugunsten einer hohen Konversionsrate zwischen Christen, Juden und Zoroastern zu dieser Zeit, was der Belegstelle historische Aussagekraft verleiht.

Verbindung mit dem genannten Vers von Jesaja, der sich im Original auf die Israeliten bezieht, lässt sich jedenfalls auf eine differenzierte Wahrnehmung der Fremden schließen. Die Nennung der Ortsnamen unterstreicht die lokale Wahrnehmung der Fremden.64 In bT 19a wird anhand des Sotarituals65 der ambivalente Status des Proselyten zwischen einem Fremden und einem Israeliten offensichtlich:   ’ ’            ’       

  ’        66 .    ’    Er hat gesagt: Weder eine „Gioret“ noch eine freigelassene Sklavin sollen [das Fluchwasser] trinken. Und die Weisen sagen, man lasse sie davon trinken. Sie sprachen zu ihm: Die Geschichte von Karkemith, einer freigelassenen Sklavin in Jerusalem, der Shemaya und Av olion davon zu trinken gaben. Er erwiderte ihnen: Ihresgleichen lassen (vom Fluchwasser) trinken.

Es ist strittig, ob Proselyten als gleichwertige Mitglieder der Gemeinde betrachtet werden oder nicht. Während die ungenannten Sprecher des Texts dem offenbar nicht zustimmen, sind die Weisen einer Meinung mit den bekannten Abkömmlingen von Proselyten, Shemaya und Av olion.67 Die soziale Stellung der Proselyten in der Gemeinde ist deshalb umstritten, denn selbst wichtige Autoritäten stammen von Proselyten ab und nehmen die Rechte von Israeliten in Anspruch.68 In bT 28a wird eine Belegstelle aus Mischna Jadaim 4,4 überliefert, die folgende Episode über Proselyten berichtet: 64

65

66 67 68

Die Stadt Mata-Mahasja war einer chrislichen Quelle aus dem 7. Jahrhundert fast völlig von Juden besiedelt, vgl. J. Neusner, A History of the Jews in Babylonia Vol. V, 23. Weitere Erklärungen zu den Gobäern finden sich in J. Obermeyer, Die Landschaft Babylonien, 287-304; 214. Da Gubba offensichtlich von Juden bewohnt wird, bleibt die Belegstelle widersprüchlich. J. Obermeyer hält die Stelle deshalb für einen launigen Kommentar. Das Sotaritual ist eine Prüfung für untreue Frauen, das speziell in Mischna Sot 4.3 abgehandelt wird. Weiter zu dieser Belegstelle B. Bamberger, Proselytism in the Talmudic Period, 94-95. Hier entsprechend MS Firenze 9-7; in MS Oxford Opp 23 nur geringfügige Abweichungen. Diese beiden Figuren werden hier nicht als Proselyten, sondern als Abkömmlinge verstanden; B. Bamberger, Proselytism in the Talmudic Period, 222-223. C. Hayes führt diese Unklarheit auf die Veränderung der Bedeutung der Genalogie zurück, C. Hayes, Gentile Impurities, 275, Nr. 12.

85

 

   ’ ’  

        

     “  ’      ’  ’   “ ’           ’  ’ “        ’  

     ’    

        ’        ’       ’       ’  ’ 

    

 

 ’  69 .  

   

      

 

 An jenem Tage stand Yehuda, ein ammonitischer Proselyt, vor ihnen im Lehrhaus und fragte: Kann ich in die Gemeinschaft [Israels] aufgenommen werden? R. Gamliel sagte ihm: du kannst nicht in die Gemeinschaft kommen. R. Yehoshua sagte ihm: Es ist dir erlaubt. Da sagte ihm R. Gamliel: Heißt es nicht schon lange: Ammoniter und Moabiter dürfen nicht in die Gemeinschaft des Herrn kommen (Dtn 23,4)? R. Yehoschua sagte zu ihm: Sind denn Ammon und Moab noch in ihrer Heimat? Schon vor langer Zeit kam Sanherib, König von Assyrien, und vermischte alle Völker, denn es heißt: ich habe die Grenzen der Völker eingerissen, ihre Vorräte geraubt; ich ließ die Macht der Bewohner sinken (Jes 10,13). Wer ausscheidet, scheidet aus der [zählbaren] Mehrheit [Israels] aus. R. Gamliel sprach zu ihm: Heißt es nicht schon lange: und ich lasse die Kinder Ammons aus der Gefangenschaft zurückkehren, spricht der Herr (Jer 49,6); sie sind also zurückgekehrt. R. Yehoschua sagte: Und es heißt auch schon lange: und ich lasse mein Volk Israel zurückkehren (Am 9,14); und sie sind noch immer nicht zurückgekehrt! Sofort erlaubten sie, ihn in die Gemeinschaft aufzunehmen.

In Deuteronomium 23,4 werden die Ammoniter und Moabiter deshalb nicht bis in die zehnte Generation in die Gemeinde aufgenommen, weil sie den Israeliten beim Auszug aus Ägypten weder Brot und noch Wasser anboten. Außerdem bestachen sie den Propheten Bileam, Israel zu verfluchen. In der nun folgenden Debatte versucht R. Yehoschua, das Verbot mit dem Argument aufzulockern, dass es offensichtlich zur Zeit der Rabbinen keine ethnische Gruppe der Ammoniter mehr gibt. Weniger der Streit um den ammonitischen „Ger“ als die Aufnahme von Proselyten an sich scheint im Mittelpunkt zu stehen. Proselyten, die nicht mehr im biblischen Sinn „Gerim“ sind, werden positiv bewertet. In der Debatte treten zwar widersprüchliche Meinungen über Proselyten zu Tage, die in diesem Fall aber erleichternd entschieden werden.70 69 70

86

Hier entsprechend MS Oxford Opp 23 und MS Firenze 9-7. Vgl. bT Ber 8b, 17b und 19a, die eine gewisse Unklarheit gegenüber Proselyten aufweisen, was auch an der historischen Entwicklung der Zeremonie liegen kann. Es ist davon auszugehen, dass sich erst in der Zeit der rabbinischen Literatur ein verbindliches Ritual entwickelte; S. J. D. Cohen, The Rabbinic Conversion Ceremony, in: JJS 41/1990, 195-196.

Der vierte Abschnitt in diesem Kapitel behandelt die Interaktion mit Fremden. In yT 3,1/16 ist diese Interaktion mit dem Ausland [ ] verknüpft:

                71 .        Es wurde gelehrt: Ein Priester darf unrein werden wenn er sich außerhalb des Landes begibt, um an Zivil- und Kriminalprozessen teilzunehmen, den Monat zu heiligen, das Jahr zu interkalieren und ein Feld aus der Hand eines „Goy“ zu retten.

Es ist anzumerken, dass die Unreinheit der fremden Länder die Reinheit der Priester befleckt. Die Reinheit des Landes Israel steht der nicht weiter erwähnten Unreinheit des Auslands gegenüber.72 Dem Priester wird dennoch erlaubt, sich unter verschiedenen Umständen in die Fremde zu begeben. Der Fall einer Auslösung von Land bezieht sich wohl auf Grundbesitz in Israel, das nach Auffassung der Rabbinen möglichst in der Hand Israels bleiben soll.73 Dementsprechend sind alle Mittel gerechtfertigt, dieses Feld mit rechtlichen Mitteln einzufordern [      ‘]. Dieser Text könnte der Tatsache entsprechen, dass nach der Niederschlagung der beiden Aufstände viel Land in römischen Besitz kam, das die Rabbinen, auch aus Gründen der Reinheit, wieder in jüdischer Hand wissen wollte.74 Zu erwähnen bleibt, dass dieser Absatz über die Unreinheit des Auslands in bT fehlt.75 Zur Kategorie des Orts findet sich in yT 4,3/12 ein spezieller Segen über Jerusalem:

71 72

73

74

75

Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Die Unreinheit des Auslands ist dem biblischen Kontext entnommen, wie C. Hayes für die rabbinische Literatur zeigt; Gentile Impurities, 43-44. Die Reinheit Israels geht auf die Gedankenwelt des 2. Tempels zurück; vgl. H. Lichtenberger, „Im Lande Israel zu wohnen wiegt alle Gebote der Tora auf“. Die Heiligkeit des Landes und die Heiligung des Lebens, in: Feldmeier, Reinhard, Die Heiden, Juden, Christen und das Problem des Fremden, 94. Entsprechend wird für die Belegstelle yT Ber 3,1/16 in MS Amsterdam an dieser Stelle „ “ eingefügt. Diese Abweichug findet sich ausschließlich in MS Amsterdam. Ein Grund dafür war die Reinheit des Lands, das durch den fremden Dienst verunreinigt wird. Zur Unreinheit des fremden Landes siehe C. Hayes, Gentile Impurities, 199-204. J. Neusner, The Two Talmuds Compared. Vol. A, Tractate Berakhot, 57-58.

87

               ’                 

   

            .                Erbarme dich, Herr unser Gott, in deiner großen Barmherzigkeit und in deiner liebevollen Treue über uns und dein Volk Israel, und über Jerusalem, deine Stadt, über Zion, die Stätte deiner Herrlichkeit, und über die in tiefe Trauer versetze, zerstörte, vernichtete und verwüstete Stadt in der Hand der „Zarim“, die von Gewalttätern niedergemacht wurde. Legionen haben sie besetzt, Diener von Idolen haben sie befleckt, und doch hast du sie Israel, deinem Volk, als Besitz gegeben und an die Nachkommen Jeschuruns vererbt.76

Bemerkenswert ist, dass dieser Segen über Jerusalem in bT nicht tradiert wurde. Außergewöhnlich ist die Verwendung des Begriffs „Zarim“, da an dieser Stelle eher der Begriff „Goyim“ zu erwarten wäre. Da die „Zarim“ dem Kontext zufolge keinenfalls „Nichtpriester“ bezeichnen, bleibt nur die Interpretation mit „die Fremden“. Auch die Formulierung [  ] lässt auf die Bedeutung des Fremden im biblischen Sinn schließen. Diese Lesung entspäche damit der historischen Situation nach 135 n. Chr. Ebenso ist der Begriff „    “, Diener von Idolen, ungewöhnlich. Der Begriff „     “, Diener des fremden Dienstes, ist in rabbinischen Texten wesentlich gebräuchlicher.77 Diese Verwendung seltener Begriffe zeigt, dass der Segen wohl die Sprache der Psalmen imitiert. Die Fremden [] werden aus der Perspektive der Eschatologie negativ konnotiert.78 In bT 17a gibt folgender Wahlspruch Abajes einen Einblick in die Interaktion mit Fremden:     

                                 

76 77 78

88

Vgl. die stimmige Übersetzung von C. Horowitz, Berakhoth, 126, an die diese Übertragung angelehnt ist. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Für diesen Begriff lassen sich in yT Ber, Shab, Jeb, San keine Belegstellen finden; auch in bT wird dieser Begriff laut der „Lieberman Text Database“ nicht verwendet. Vgl. bspw. den Vers in Jes 1,7, in dem „Fremde []“ das Land verzehren. Vgl. auch TWAT, G. Snijders, „Sur“, 559. Den Hinweis auf die Imitation der biblischen Sprache verdanke ich dem Forschungskolloquium von Ari Finkelstein und Jonathan Kaplan an der Harvard-Universität.



    

            79 .       Immer sei ein Mensch klug und (Gottes)fürchtig. Eine sanfte Antwort stillt den Zorn. Man mehre den Frieden mit seinen Brüdern und mit allen Menschen, sogar mit einem „Goy“ auf dem Markt, um im Himmel beliebt und auf Erden geschätzt zu sein und wohlbehalten unter den Menschen. Man erzählte von R. Yoanan ben Zakaj, dass ihm niemals ein Mensch mit einem Friedensgruss zuvorgekommen sei, nicht einmal ein gewöhnlicher „Goy“ auf der Strasse.

Abbajje ist nach Rav und Rabba ein häufig genannter Rabbine im babylonischen Talmud,80 dessen Wort einige Autorität hat. Allerdings ist mit dieser Meinung wohl weniger ein Gebot als eine einzelne Meinung verbunden. Zudem ist zu bemerken, dass die Höflichkeit gegenüber Fremden als gute Tat angerechnet wird [       ]. Nicht zuletzt geht es darum, wohlgelitten unter den Menschen zu sein. Der Ausdruck „Goy beShuq“ [ ] entspricht einem Fremden, der in Distanz zum eigenen Haus steht. In diesem fremden Umfeld, in dem die jüdische Gemeinde angesiedelt ist, kontrastiert die Höflichkeit eines Yoanan ben Zakaj mit den Fremden. Im Rahmen der persönlichen Interaktion mit Fremden ist Höflichkeit verlangt. Doch die Vorsicht im Umgang mit Fremden ist deshalb nicht aufgehoben. Eine Belegstelle in bT 18a erklärt, dass man aus Gründen des Anstands nicht Gebeine auf einen Esel laden darf. Wenn es aber aus Furcht vor „Goyim“ oder Räubern geschieht, ist es erlaubt.81 Die Angst vor Räubern und Fremden, die in einem Atemzug genannt werden, legitimiert dieses unschickliche Verhalten. Die Furcht führt zu Vorsicht und Distanz gegenüber Fremden, weshalb ein Gebot außer Kraft gesetzt wird.82 Eine Belegstelle in bT 20a zeigt eine weitere Facette der Interaktion:

79

80 81 82

Der Text orientiert sich an dieser Stelle an MS Firenze 9-7 und MS Paris 671; in MS Oxford Opp 23 ist anstelle der ersten Belegstelle überliefert: „    “. Vgl. die lange Liste der Nennung dieses Namens in bT; B. Kossowsky, Thesaurus Nominus quae in Talmude Babylonico I, 32-90. Vgl. L. Goldschmidt, Berakhoth, 78. Hier entsprechend MS Oxford Opp 23 und MS Paris 671. Diese Distanz steht im direkten Zusammenhang mit der rituellen Unreinheit, die teilweise die Nichtjuden betrifft, wie C. Hayes zeigt; Gentile Impurities, 143.

89

       

          ‘                83 .     R. Ada bar Ahaba sah eine „Goya“ eine „Karbalta“ auf der Strasse tragen. Da er annahm, sie sei eine Israelitin, stand er auf und riss ihn ihr ab. Es zeigte sich, dass sie eine „Goya“ war. Da bestrafte man ihn mit vierhundert Zuz. Da sagte er: Maton, Maton, das macht vierhundert Zuz.84

Die Zweideutigkeit des Aussehens führt offenbar zur Gefahr der Verwechslung, da R. Ada b. Ahaba die Frau für eine Israelitin hält.85 Weshalb allerdings der Rabbine der Frau die 86   herunterreisst, bleibt unklar. Goldschmidt schlägt an dieser Stelle das Verbot dieses Kleidungsstücks vor, um die Handlung des R. Ada bar Ahaba zu erklären. Diese Erläuterung bleibt aber unbefriedigend, da nicht eindeutig zu klären ist, weshalb die Frau durch das Kleidungsstück als Israelitin zu identifizieren ist. Jedenfalls zeigt sich die Schwierigkeit, Personen der eigenen Gemeinschaft von Fremden zu unterscheiden.87 Die Fremdbeschreibung konzentriert sich auch in yT auf das Verhältnis zu Fremden. Ein Beispiel gibt yT 5,1/4: .         .    

83 84

85

86

87

90

An dieser Stelle steht laut der gedruckten Ausgabe „ “, kann aber anhand von Ox. ADD 23 und MS Paris 671 rekonstruiert werden. Das Wort „“ [gelassen, ruhig] spielt auf „zweihundert“ an; deshalb „vierhundert.“ In der Übersetzung wird eingefügt, dass der Name der Fremden „Maton“ war. Es liegt zu dieser Episode keine weitere Erklärung vor. Siehe M. Jastrow, Dictionary of Talmud Babli, 860. Y. Elman, Middle Persian Culture and Babylonian Sages: Accomodation and Resistance in the Shaping of Rabbinic Legal Tradition, in: C. E. Fonrobert, The Cambridge Companion to the Talmud, 170-173. Elman unterstreicht, dass manche Juden einen Gürtel trugen, der der zorastrischen Tracht ähnlich sah. Es ist nicht völlig klar, was mit diesem Wort gemeint ist. Es ist wohl eine Art Helm, aber in diesem Fall schlägt Jastrow einen Mantel vor. Vgl, Dictionary of Talmud Babli, 664. Nach S. Krauss ist es ein rotes Kleid, das für Jüdinnen unangemessen ist; Ders., Talmudische Archäologie, Bd. I, 549, 606. So argumentiert S. J. D. Cohen, The Beginnings of Jewishness, 32.

Hat er (Jesaia) denn nicht mit Strafpredigten geendet? Es steht geschrieben: Und sie werden ein Abscheu für alles Fleisch sein (Jes 66,24). Dies bezieht sich auf die „Goyim“.88

Die fremden Völker sind laut Jesaja 66,24 ein Abscheu für alles Fleisch [ ]. Mit einem ähnlichen Ergebnis schließt bT 25b. Dort werden mögliche Formen der Verunreinigung durch körperliche Ausflüsse wie Speichel und Kot untersucht:     ’      ’’        ’  ’          ’    ’  89 .       ’  ’ ’ ’’    ’

R. Yehuda sprach: Es ist verboten, das Shma vor einem nackten „Goy“ zu lesen. Was ist der Grund? Vor einem „Goy“ gilt dies, aber auch vor einem Israeliten. Von einem „Goy“ muss man es notwendigerweise so lehren, denn es steht über sie geschrieben: deren Fleisch dem Fleisch des Esels gleicht (Ez 23,20). Man könnte meinen, er sei nur als Esel zu betrachten, aber auch sie haben Scham, denn es steht über sie geschrieben: und die Scham ihres Vaters sahen sie nicht (Gen 9,23).

Natürlich muss diese Stelle als Parabel und nicht als Gebot für eine realistische Situation verstanden werden. Der tiefere Sinn erschließt sich über die Zitate. In Ezechiel 23,20 wird von der Verunreinigung durch Prostitution gehandelt. Genesis 9,23 schildert die Entblössung Noahs, vor der Shem und Jafet gemeinsam den Rücken kehren. Damit kann das Gebet durch die Entblössung einer nackten Person entweiht werden. Weiter wird der „Goy“ mit einem Esel verglichen. Da der Anblick des Esels aber nicht grundsätzlich verunreinigt, gilt das Gebot für Israel wie für die Fremden, sich vor einander nicht zu entblössen. Das gilt besonders während des Gebets. So besteht nicht nur eine Differenz zu den Fremden, sondern es geht um ein verbindliches Verständnis von Scham.90 Damit sind die fremden Völker nur unter Umständen, aber nicht im allgemeinen zu verabscheuen.

88 89 90

Diese Version enstpricht Ed. princ. Venedig und MS Leiden, in MS Vatikan, MS Paris und MS London wird [   ] überliefert. Hier entsprechend MS Oxford Opp 23, in MS Paris 671 gibt es unbedeutende Abweichungen. Es gibt durchaus ethische Schnittflächen zwischen Fremden und Israel, wie der Aufsatz von Azzan Yadin über die Neoplatoniker im Vergleich zu den Rabbinen belegt, A. Yadin, Rabban Gamliel, Aphrodite’s Bath, and the Question of Pagan Monotheism, in: JQR, 96/2, 149-179.

91

In diesem Kapitel wurden vier Themen der Fremdbeschreibung aus yT und bT Brachot vorgestellt. Auf der Ebene der Thorazitate pendelt die Bedeutung von „Goy“ zwischen den „fremden Völkern“ und „Israel“.91 In yT wird der Begriff in 1,9/5 und 4,3/2 ausschließlich für fremde Völker verwendet. Dagegen wird in bT 6a und 31a dieser Begriff für Israel genannt, während in bT 7b und 32a der Begriff den fremden Völkern entspricht. Insgesamt scheint die Distanz in yT zwischen Israel und den Nichtjuden groß zu sein, wie der Segen über Jerusalem oder die Abscheu vor Fremden in yT 5,1/4 veranschaulichen. Die Proselyten werden dagegen drei Mal positiv erwähnt. Während in yT häufig eschatologische Kontexte die Fremdbschreibung bestimmen, beschränkt sich die Beschreibung in bT auf lebensnahe Kontexte. Die Fremden [] werden zwar aus einer distanzierten Position, aber nicht gänzlich ablehnend betrachtet. Zu den Proselyten werden widersprüchliche Kommentare abgegeben, die tendenziell positiv zu werten sind. Nur die Episode über den ammonitischen Proselyten äußert sich eindeutig positiv. Die Motive über sexuelle Unzucht beschränkten sich ausschließlich auf bT. Häufig scheint die Interaktion ein Anstoss für eine Debatte zu sein.

1.3.2 Der Segen über das Mahl mit Fremden: zu Mischna 7,1 Mischna Brachot 7,1 überliefert das Gebot, den Samaritaner in den Tischsegen aufzunehmen, nicht aber den „Nori“. Die gesellschaftliche Stellung des Fremden steht also im Verhältnis zu anderen Fremden. In yT 7,1/13 findet sich folgende Exegese zu dieser Mischna:                    92 .                   Es wird (in der Mischna) gesagt, dass man einen Samaritaner zum Segen auffordern darf. Gibt es denn bei einem Samaritaner keinen Zweifel? Rabbi Abba sagte: dies ist so zu lösen: es heißt, ein Samaritaner gleicht einem “Goy“ nach den Worten

91

92

92

Damit verbunden ist das „Gentile Problem“: Zum einen sind die Nichtjuden aus der Offenbarung ausgeschlossen, aber zum anderen steht ihnen durch die Konversion ein Weg zur Offenbarung offen. So beschreibt es R. Loewe, Gentiles as Seen by Jews after CE 70, in: W. Horbury, The Cambridge History of Judaism, 259. In yT wird in allen Handschriften nicht „ “, sondern „“ angeführt. Abweichungen betreffen v.a. die MS London, die aber nicht zu einer anderen Aussage führen. Hier nach Ed. princ. Venedig, vgl. P. Schäfer, Synopse, 184.

Rabbis. Raban Shimon ben Gamaliel sagt: Ein Samaritaner gleicht einem Israeliten in jeder Hinsicht.

Die Exegese beginnt mit der Diskussion der in der Mischna erwähnten „zweifelhaften Person,“ die vom gemeinsamen Segen auszuschließen ist. Auch der Samaritaner ist in dieser Perspektive eine „zweifelhafte Person.“ Aus dieser unklaren Ausgangslage ergeben sich zwei Meinungen, von denen die eine den Samaritaner dem Status des Fremden zuordnet93 und die andere ihn dem Israeliten gleichstellt. Da R. Schimon b. Gamliel die größere Autorität ist und an zweiter Stelle spricht, ist wohl seine Meinung verbindlich. Die Verwendung des Begriffs „Nori“ in der Mischna wurde durch „Goy“ ersetzt, was darauf hindeutet, dass dieser Begriff an dieser Stelle eher der Definition des Fremden entspricht. Durch die Gleichsetzung des Samaritaners mit dem Israeliten folgt yT der Vorlage der Mischna. Im Vergleich dazu wird in bT 47b ein anderer Begriff gewählt:  ‘                

         ‘ ‘     ‘ ‘   

94 .       „Und der „Nori“ wird nicht in den Tischsegen miteinbezogen.“ Sicher, da hier von einem „Ger“ gehandelt wird, der beschnitten und nicht untergetaucht ist. Nach R. Hyya bar Aba, denn Hyya bar Aba sagte im Namen R. Johanas: Er ist nicht eher „Ger“ [Proselyt], bis er beschnitten und untergetaucht ist. Solange er nicht untergetaucht ist, ist er ein „Goy.“

Überraschenderweise wird trotz der expliziten Vorlage der Mischna nicht mehr auf den Samaritaner Bezug genommen, sondern auf das Verhältnis von „Ger“ und „Goy“. Der Fremde wird nicht als „Goy“, sondern als Proselyt gesehen, der noch nicht alle Auflagen der Konversion erfüllt hat. Es wird angenommen, dass er durch die Beschneidung und das Untertauchen Proselyt geworden ist und damit am Tischsegen teilhaben darf. Offensichtlich hat der Samaritaner als Fremder an den Grenzen der jüdischen Gemein93

94

Andreas Lehnhardt zeigt die Häufigkeit dieses Vergleichs in seinem Artikel auf; vgl. A. Lehnhardt, The Samaritans (Kutim) in the Talmud Yerushalmi, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi III, 142-143. Diese Belegstelle variiert in den Handschriften. In MS Firenze 9-7 entspricht die Überlieferung dem vorliegenden Text; die gedruckte Ausgabe führt den Begriff „ “ an und nennt anstelle von R. yiah bar bà R. Zeira; in Ox. ADD 23 wird ebenfalls yiah bar bà genannt und die Frage auf Frauen, Sklaven und Kinder ausgedehnt. Auch in MS Paris 671 findet sich diese Überlieferung.

93

schaft in Babylonien an Bedeutung verloren. Da der Tischsegen häufig gesprochen wird, ist davon auszugehen, dass im täglichen Umgang der „Ger“ an Bedeutung gewonnen hat.95 So wird an dieser Stelle die Kontinuität der Begriffe unterbrochen, indem der Begriff „Ger“ aufgewertet wird.

1.3.3 Über die Nutznießung des fremden Lichts: zu Mischna 8,6 Mischna 8,6 verbietet den Segen über Licht und Gewürz der Fremden und vor einem Idol [   ]. Im weiteren Kontext der Mischna ist zu lesen, dass der Segen über das Licht erst gesprochen werden darf, wenn man das Licht benutzt hat [  ]. Die Bedeutung der Nutznießung ist so für das Verständnis der Mischna wichtig. Im Folgenden werden die Belegstellen des yT und des bT formal verglichen. Den Beginn macht yT 8,7/2 mit folgendem Einwand:    .  

             96 .   

R. Jaaqob lehrte vor R. Jirmeja: über die Gewürze der „Goyim“ spreche man einen Segen. Ist dies nicht ein Widerspruch [zur Mischna]? Es geht um einen, der vor seinem Laden Räucherstäbchen abbrennt.

Offenbar wird die Mischna in diesem Fall erleichternd ausgelegt, damit der Segen gesprochen werden darf, wenn sich die Räuchergewürze vor einem Laden befinden [    ]. Es kann geschlossen werden, dass damit der Laden eines Fremden gemeint ist. In yT 8,7/3 wird folgende Unterscheidung getroffen: . 

 .’  

 

97

Die Nutznießung einer glühenden Kohle des fremden Dienstes ist verboten. Die Nutznießung der Flamme ist erlaubt.

Auch an dieser Stelle wird die Aussage der Mischna weiter differenziert. Zwar ist die Kohle als Bestandteil des fremden Kults verboten, nicht aber 95 96 97

94

Zur Entwicklung einer festen Konversionszeremonie vgl. S. J. D. Cohen, The Rabbinic Conversion Ceremony, in JJS 41/1990, 177-203. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. In MS Vatikan wird überliefert: „  

 “. Da nur MS Vatikan abweicht, geht diese Variation wohl auf eine Auslassung zurück. Vgl. P. Schäfer, Synopse, 210.

die Flamme. Die Nutznießung des Lichts [  ] ist erlaubt, obwohl die der Kohle verboten ist. In yT 8,7/4 erfolgt schließlich eine genaue Regelung der Nutznießung des Lichts, über das ein Segen gesprochen werden soll:                                        ’

   

            ’  []  98 .

Es wird gelehrt: Ein „Goy“, der bei einem Israeliten das Feuer anzündet und ein Israelit, der bei einem „Goy“ das Feuer anzündet. Es stimmt, wenn ein „Goy“ von einem Israeliten anzündet. Dementsprechend sogar, wenn ein „Goy“ bei einem „Goy“ anzündet? Es wird gelehrt: Wenn ein „Goy“ bei einem „Goy“, darf man keinen Segen sprechen. Rabbi Abahu im Namen von Rabbi Yoanan: Wenn von einer ganz von „Goyim“ bewohnten Gasse, in welcher ein Israelit wohnt, ein Lichtstrahl ausgeht, spricht man einen Segen für den Israeliten, der dort ist.

An dieser Stelle wird konkret auf die Nutznießung eines Lichts, das ein „Goy“ angezündet hat, Bezug genommen. Nur der Fremde darf sich des Lichts des Israeliten bedienen und nicht umgekehrt. Offen ist, ob damit auch über das Licht eines Fremden, der sein Licht wiederum an dem eines Fremden angezündet hat, ein Segen gesprochen werden darf, was abschlägig beurteilt wird [      ]. Der Grund ist, dass mindestens ein Mitglied der Gemeinschaft involviert sein muss, wie der Vergleich mit dem Lichtstrahl in der Gasse zeigt. In yT 8,7/5 wird ausgehend vom Text der Mischna ein weiterer Aspekt in die Debatte integriert: 

 

    

      99 .  

   .  Und nicht über das Licht und über die Gewürze von einem Idol. Sind denn nicht (Licht und Gewürze) von „Goyim“ auch die von einem Idol? Man kann es so lösen, dass es sich um ein Idol von einem Israeliten handelt.

Durch die explizite Nennung besteht ein Zusammenhang zwischen dem Licht und den Gewürzen von Fremden und dem Licht und Gewürzen vor ei98

99

Hier nach Ed. princ. Venedig. Für „[...] in einem ganz von Heiden bewohnten Gässchen [...]“ wird nur in MS Vatikan „“ überliefert. Im folgenden weicht MS Vatikan häufig wegen Auslassungen ab. Da Ed. princ. Venedig und MS Leiden als Standardvorlagen gelten, wird darauf nicht mehr speziell eingegangen. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

95

ner „Avoda Zara.“ Das Idol wird einem Israeliten zugeordnet und deutet auf einen materiellen Kultgegenstand hin, der einem Israeliten gehört [ 

 

]. Ob dieser Fall als realistisch zu werten ist, muss offen bleiben. Offensichtlich befinden sich aber die Fremden in der Nähe Israels, wie der gesamte Kontext zeigt. Die Belegstelle yT 8,7/11 bestätigt dies:   .      .     .

                    .         

   .            .    100 .     Dort wurde gelehrt: vor den Iden101 der „Goyim“. Rav sagt „edehen“. Und Shmuel sagt „ dehen“. Derjenige, der „ dehen“ sagt: Denn es naht heran der Tag ihres Unheils ( dam) (Dtn 32,35). Derjenige, der „edehen“ sagt: Und ihre Zeugen (ihre Idole) sehen und merken nichts, sie sollen zu Schanden werden (Jes 44,9). Wie erklärt Schmuel das von Rab angeführte „edehen“? So, dass sie in Zukunft beim jüngsten Gericht ihre Verehrer beschämen werden.

Recht unvermittelt scheint die Auslegung dieser Mischna, die auf den ersten Blick nicht recht in den Kontext passen will. Doch die Nutznießung des Lichts kann mit den Festtagen der Fremden in einen direkten Zusammenhang gebracht werden. Wie in der Mischna „Man darf nur über das (eigene) Licht den Segen sprechen“ geht es um die theologische Bewertung der fremden Religiosität. Die genannten Festtage, die wohl aus dem römischen Kontext stammen,102 stehen symbolisch für den fremden Kult. Während es im Kontext der jüdischen Segenssprüche durchaus Interaktion und Nutznießung von Fremden geben kann, sind die Segenssprüche in einem Kontext der Fremden offensichtlich verboten. In das Umfeld von Mischna 8,6 passt eine weitere Belegstelle. In yT 8,9/6 wird der Segensspruch über fremde Personen diskutiert:       ‘ “      

 

“             .      .   .       .

   .    

100 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Das Zitat „Dort wurde gelehrt“ bezieht sich laut Horowitz auf Mischna Erub 5,1. Im Vergleich steht dazu die Auflistung und Diskussion der Festtage in yT A“Z 1,1/1. 101 Damit spielen die Autoren wohl auf die römischen Feiertage, die Iden, an. 102 So bewertet diesen Sachverhalt E. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme, 311.

96

      .  .        103 .    Es wurde gelehrt: Ein „Goy“, der bei einem Segen den Namen (Gottes) erwähnt hat, soll man mit einem „Amen“ antworten. R. Tanhuma sagte: Wenn ein „Goy“ dich gesegnet hat, antworte mit einem „Amen“, da geschrieben steht: Du wirst von allen Völkern gesegnet werden (Deut 7,14). Ein „Goy“ traf einst R. Jischmael und segnete ihn. Dieser sprach: Das, was du gesagt hast, steht bereits geschrieben. Nach einiger Zeit traf er einen anderen, der ihm fluchte. Er sprach zu ihm: Das, was du gesagt hast, steht bereits geschrieben. Da sagten seine Schüler zu ihm: Rabbi, das, was du diesem gesagt hast, hast du jenem gesagt. Darauf sagte er ihnen: Es steht doch geschrieben: Wer dir flucht, sei verflucht, und wer dich segnet, sei gesegnet (Gen 27,29).

Es wird deutlich, wie sehr sich in yT der Rahmen für Interaktion mit Fremden im Vergleich zur Mischna verändert hat. Den Autoren zufolge besteht durchaus die Möglichkeit, sich von Fremden segnen zu lassen, wobei der Euphemismus des Begriffs „ “ (u.a. „verfluchen“) zutage tritt. Dem bisherigen Kontext entsprechend wird der Fremde als „Goy“ bezeichnet. Damit ist durchaus die Möglichkeit für soziale Interaktion in einem vertretbaren Rahmen gegeben.104 Auf den ersten Blick scheint bT weniger ausführlich Stellung zu Mischna 8,6 zu nehmen, da der Kommentar auf bT 52b und 53a konzentriert ist. In bT 52b wird der Segen über das Licht, die Gewürze und das Räucherwerk behandelt:

         

    

       “                  

 “

                                “

.“      “

 Man spreche keinen Segen über das Licht. Hier bezüglich der Kerze, weil sie nicht im Kontext des Schabbat angezündet wurde. Weshalb aber nicht über das Räucherwerk? R. Yehuda sagte im Namen Rav Hunas: Hier geht es um eine Tischgesellschaft der „Goyim“, denn eine Tischgesellschaft von „Goyim“ ist gewöhnlich einem Idol gewidmet. Wenn aber im Schlusssatz gelehrt wird „Man spreche nicht den Segen über die Kerze noch über das Räucherwerk vor einem Idol“, so handelt die erste Mischna wohl nicht von einem Idol? R. Ashi sprach: Was ist der Grund? Wie es heißt: aus welchem Grund segne man nicht die Kerze und das Räucherwerk 103 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 104 Vgl. hierzu die Analyse von M. Goodman, Rome and Jerusalem, 116-121.

97

vor einem Idol? Weil normalerweise eine Tischgesellschaft der „Goyim“ einem Idol gewidmet ist.105

Im Vergleich zu yT wird das Verbot über Licht und das Räucherwerk nicht erleichternd, sondern erschwerend ausgelegt. Die Argumentation orientiert sich stärker an der Mischna und versucht einen plausiblen Grund für das Verbot zu finden, den schließlich das Gastmahl mit Fremden [  ] bietet.106 Weil das Gastmahl möglicherweise einer „Avoda Zara“ gewidmet ist, sind Licht und Räucherwerk verboten. Die Situation während des Gastmahls, bei dem auch Juden anwesend sind, erhält deswegen eine andere Bedeutung. In bT wird deshalb die unmittelbare Interaktion restriktiv gehandhabt.107 In bT 53a wird schließlich die Nutznießung des Lichts von Fremden diskutiert:                      

      

                                       

 108 .               Die Rabbanan lehrten: Wenn ein „Goy“ von einem Israeliten (eine Kerze) anzündet und ein Israelit von einem „Goy“ anzündet, darf man es segnen. (Das Licht) eines „Goy“ von einem „Goy“ darf man nicht segnen. Was ist der Unterschied? (Das Licht) eines „Goy“ von einem „Goy“ nicht, weil es nicht im Kontext des Schabbat steht; also von einem „Goy“ nicht, weil es nicht im Kontext des Schabbat steht. Und der, der es für verboten hält, meint, es sei geschwunden, und dieses (Licht) sei ein anderes, und im Besitz des Israeliten? Für denjenigen wird gelehrt, wer die Flamme hinausbringt in einen öffentlichen Bereich, der sei schuldig. Weshalb? Was er gelöscht hat, kann nicht verwendet werden, und was verwendet wird, darf nicht 105 Hier entsprechend MS Firenze 9-7. In MS Oxford Opp 23 ist der Text im letzten Vers offensichtlich unvollständig überliefert, denn die Namen der Rabbinen stimmen nicht überein. 106 L. Vana, Les relations sociales entre Juives et Paiens à l´époque de la Mischna. La question du Banquet privé, in: Revue des sciences religieuses 71/2, 1997, 147-170. Die Autorin untersucht dieses Phänomen in der rabbinischen Literatur und kommt zu dem Schluss, dass die Teilnahme am Gastmahl in den frühen Texten nicht untersagt wird. 107 Diese Beobachtung teilt auch C. Hayes, Between the Babylonian and Palestinian Talmuds, 169-170. 108 Hier nach MS Firenze 9-7. Die Überlieferung in MS Oxford Opp 23 gleicht dieser Überlieferung nur im ersten Vers, danach weicht der Text in dieser Handschrift deutlich ab und ist offenbar lückenhaft. Insgesamt ist die Überlieferung sehr schwer zu rekonstruieren.

98

gelöscht werden. So ist es weiter verboten. Es ist so, dass man das neu entstehende (Licht) segnet sowie das Erlaubte gesegnet wird.

Diese Auslegung führt wie yT an, dass die Flamme des Fremden zwar grundsätzlich erlaubt ist, aber das vom ihm entzündete Licht nicht für einen Segen geeignet ist. Dabei wird verstärkt darauf Wert gelegt, ob das Licht ”geruht“ [

] oder „nicht geruht“ hat [

 ]; das heißt, ob es im Kontext des Schabbat entstanden ist oder nicht. Nur das neu entzündete Licht ist erlaubt [   ]. Derjenige, der die Flamme aber in einen öffentlichen, fremden Bereich bringt, ist schuldig. Die Autoren versuchen, das erlaubte Licht in den Händen des Israeliten vom unerlaubten Licht in den Händen des Fremden zu unterscheiden. Die Argumentation des yT wird zwar weiter verfolgt, aber auf mögliche Schwierigkeiten untersucht:                  “ 109 .     Die Rabbanan lehrten: Wer außerhalb der Stadt spazieren geht und Lichter leuchten sieht: wenn die Mehrzahl „Goyim“ sind, spreche er keinen Segen, und wenn die Mehrzahl Israeliten sind, spreche er einen Segen.

Im Vergleich zur Halacha des yT, in der ein Segen über einen Israeliten in einer fremden Umgebung erlaubt ist, wird der Segen in bT verboten. Vielmehr muss die Mehrzahl der Einwohner der Gemeinschaft Israels angehören. Wenn die Hälfte Israeliten und die Hälfte Fremde sind, soll der Segen gesprochen werden. Diese Unterscheidungen sind an sich theoretischer Natur, zeigen aber die Präsenz der Fremden im Lebensumfeld Israels. Auch in der folgenden Belegstelle geht es um eine Differenzierung:  .                     

     ’    ’    ’   110 .              Jemand, der ein Kind mit einer Fackel sieht, spreche einen Segen, wenn es ein Israelit ist, und wenn es ein „Goy“ ist, so spreche er keinen Segen. Weshalb ein Kind, dies betrifft doch genauso einen Erwachsenen? R. Yehuda sagte im Namen Ravs: Dies gilt kurz vor Sonnenuntergang. Man muss prüfen, ob es ein ehrbares 109 Hier entsprechend Oxford OPP 23, MS Firenze 9-7 und MS Paris 671 mit Abweichungen der Satzstellung. 110 Hier entsprechend MS Oxford Opp 23 und MS Paris 671. In MS Firenze 9-7 fehlt der letzte Vers.

99

oder ein verdorbenes Kind ist. Ist es ein Erwachsener, wird es wahrscheinlich ein „Goy“ sein.

Es wird unterschieden, ob das Licht in den Händen eines Fremden ist oder nicht. Nur über das Licht eines Israeliten darf der Segen gesprochen werden. Weiter wird zwischen einem Kind und einem Erwachsenen differenziert, wobei im Fall des Erwachsenen immer negativ entschieden wird. Auch die jüdische Gemeinschaft des bT lebt in einem fremden Umfeld, die sich vor der Interaktion mit Fremden und ihren Kulten schützen möchte.111 Eine weitere Bemerkung über das Räucherwerk veranschaulicht die Gefahr der Interaktion:                

          

                                             112 .   Die Rabbanan lehrten: wenn jemand allein spazieren geht und einen Duft riecht und die Mehrheit [der Bewohner] „Goyim“ sind, spricht man keinen Segen. Besteht die Mehrheit aus Israeliten, spricht man einen Segen. R. Yosi sagt, sogar wenn die Mehrheit aus Israeliten besteht, spricht man den Segen nicht, weil die Töchter Israels wegen Zauberei räuchern. Räuchern alle wegen Zauberei? Eine Minderheit räuchert wegen Zauberei und eine Minderheit, um Gefäße zu reinigen. So räuchert die Mehrzahl nicht wegen des Geruchs, und wenn sie es nicht wegen des Geruchs tut, spreche man keinen Segen.

Die Verwendung von Räucherwerk als Mittel gegen Zauberei [  ] bringt die jüdische Gemeinschaft in die Nähe des fremden Diensts. Wesentlich ist dabei die Unterscheidung, dass diese „Gewürze“ nicht im Sinn eines Segens verwendet werden [     ]. Es muss nicht nur zwischen einem jüdischen Umfeld und einem nichtjüdischen Umfeld unterschieden werden, sondern auch zwischen der Intention der Verwendung. Da der Einzelfall schwer zu entscheiden ist, wird insgesamt restriktiv gegen den Segen entschieden, da die Verwendung des Räucherwerks stets im Sinn der „Avoda Zara“ sein könnte. Dementsprechend ist der Geruch von fremden Kulten verboten, und derjenige, der sich vorsätzlich in die Nähe des fremden Diensts begibt, ist ein Sünder: 111 J. Neusner, A History of the Jews in Babylonia Vol V., 24-29. 112 Hier zufolge MS Firenze 9-7 und MS Paris 671. In MS Oxford Opp 23 ist diese Stelle und die folgende nicht überliefert.

100

.       “       

113

Die Rabbanan lehrten: Wer auf einen Markt der Idole geht und mit Vorsatz den Duft einatmet, ist ein Sünder.

Die Autoren erweitern den Kontext von Mischna Brachot 8,6 und bewerten die Nutznießung von fremdem Licht und Räucherwerk anders als die Mischna. Die Distanz zu Fremden in Bezug auf den Segen scheint im Bavli größer geworden zu sein, und nicht ohne Grund wird in bT die Belegstelle yT 8,9/6 nicht weiter kommentiert. Auch die Interaktion mit dem fremden Umfeld wird in bT stärker hervorgehoben, was wohl der Diasporasituation geschuldet ist.114

1.3.4 Der jüdische Gott und der fremde Dienst: zu Mischna 9,1 Wie eingangs gezeigt, handelt Mischna 9,1 von einem Segen über die Ausrottung der fremden Kulte in Israel. Die folgenden Belegstellen sollen erneut formal verglichen werden. In yT 9,1/16 wird in einer exegetischen Debatte nach der Bedeutung des bereits zitierten Verses aus Deuteronomium 4,7 gefragt: „Was bedeutet das, was geschrieben steht: „Wo gibt es noch so ein so großes Volk [], das ‚Elohim‘ hätte, die ihm nahe ständen?“ Die Antwort darauf bezieht sich auf die Anrufung Gottes durch Israel, was zu folgender Auslegung führt:                        ’                       ’  

      .’ 115 .     “   Er sagte zu ihnen: Er (Gott) zeigt seine Anwesenheit auf verschiedenen Wegen, wie R. Pinchas im Namen des R. Yehuda ben Simon sagte: Das Idol scheint nahe zu sein und bleibt doch fern. Was ist der Grund? Er hebt ihn auf seine Schultern, trägt ihn umher (Jes 46,7). Am Ende befindet sich sein Gott mit ihm in seinem Haus und er schreit sich tot, doch der hört ihn nicht und kann ihm nicht helfen in seiner Not. Doch der Heilige, gepriesen sei er, scheint fern zu sein und ist doch nahe wie kein anderer.

113 Hier nach MS Firenze 9-7 und MS Paris 671. In MS Oxford Opp 23 fehlt die Belegstelle. 114 Diesen Schluss zieht auch C. Hayes in der Analyse des Gastmahls mit Fremden; Dies., Between the Babylonian and Palestinian Talmuds, 154-170. 115 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

101

Mit der Antwort wird eine Antithese eröffnet, die zum einen die greifbare, aber bedeutungslose Nähe der Idole beinhaltet [        ] und zum anderen die scheinbare Ferne Gottes, die in Wirklichkeit Nähe ist [     “  ]. Diese apologetische Verteidigung des jüdischen Gottes kontrastiert mit einem materiellen Idol, das umhergetragen wird. Dieser Kultgegenstand wird auch als „  ,“ ”sein Gott“, bezeichnet, was in Bezug auf die Person zu verstehen ist, die ihn anbetet. So stehen sich nicht nur Gottheiten gegenüber, von denen der eine hilfreich ist und der andere nicht, sondern auch religiöse Überzeugungen. Eine weitere Belegstelle in yT 9,1/32 veranschaulicht dies durch eine Episode:         

                         

.    

                    

           ’’      

   .        116 .     R. Tanhuma sagte: Eine Erzählung über ein Schiff von „Goyim“, das über das große Meer fuhr und auf dem sich ein jüdischer Knabe befand. Ein großer Sturm kam über dem Meer auf und jeder von ihnen stand auf, zog seinen Fetisch hervor, nahm ihn in die Hand und beschwor ihn, was aber nichts nutzte. Als sie erkannten, dass es nichts half, sagten sie zu jenem Juden: Mein Sohn, erhebe dich, und rufe deinen Gott an, denn wir haben gehört, dass er euch antwortet, wenn ihr ihn ruft. Er ist doch mächtig. Sofort stand der Knabe auf und rief aus ganzem Herzen und schrie. Der Heilige, gepriesen sei er, erhörte aber sein Gebet und beruhigte das Meer.

Wieder zeigt sich, dass im Vergleich nur der jüdische Gott in der Lage ist, den Bedrängten in Not zu helfen, wobei die Erzählung eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Buch Jona aufweist.117 Auch dort wird ein Israelit, der unter Fremden in Seenot gerät, durch die Hand Gottes gerettet. 116 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 117 Vgl. Jona 1,4-16: „Aber der Herr ließ auf dem Meer einen heftigen Wind losbrechen; es entstand ein gewaltiger Seesturm, und das Schiff drohte auseinanderzubrechen. Die Seeleute bekamen Angst, und jeder schrie zu seinem Gott um Hilfe. [...] Jona war in den untersten Raum des Schiffes hinabgestiegen, hatte sich hingelegt und schlief fest. Der Kapitän ging zu ihm und sagte: Wie kannst du schlafen? Steh auf, ruf deinen Gott an; vielleicht denkt dieser Gott an uns, so dass wir nicht untergehen.“

102

Die Abwertung fremder Götter wird in 9,1/33 durch eine fiktive Rede des Fremden noch bestätigt:       .

        

      .             118 .   Die einen sind hier, aber ihre Idole sind in Babylon, und andere sind hier, und deren Idole sind in Rom. Wieder andere haben ihre Idole sogar bei sich, aber sie helfen ihnen nichts. Aber du, wo immer du auch gehst, ist dein Gott mit dir.

Der Begriff „  “ bedeutet „Fehler“ oder „Irrtum“ und wird abschätzig für fremde Idole verwendet.119 Der jüdische Gott hat dieser Episode zufolge Israel nicht verlassen, selbst wenn die Israeliten in der Diaspora leben. Lokale Gottheiten und Kulte stehen in einem deutlichen Kontrast zu einem ortlosen, allgegenwärtigen Gott.120 Vor diesem Hintergrund wird Mischna 9,1 in yT 9,2/1 folgendermaßen ausgelegt: ’             ’        ’                     

121 .       Es wird gelehrt: Ein Ort, an dem der fremde Dienst ausgerottet wurde, spricht man: gelobt sei, dass der fremde Dienst aus unserem Land ausgerottet wurde. Dies wird gelehrt, wenn er (der fremde Dienst) an allen Orten des Landes Israel ausgerottet wurde. Aber wenn er nur an einem Ort ausgerottet wurde, sagt man: gelobt sei, dass der fremde Dienst an diesem Ort ausgerottet wurde. Wird er aber an einem Ort ausgerottet und an einem anderen etabliert: der Ort, an dem er neu errichtet wurde, sagt man: gelobt sei der Gutmütige.

Die Aussage der Mischna wird daraufhin präzisiert, dass dieser Segen für die endgültige Befreiung des Landes Israel von fremden Kulten gedacht ist. Da dieser Fall offenbar unwahrscheinlich ist, wie auch die archäologischen

118 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 119 Vgl. M. Jastrow, Dictionary of Talmud Babli, 542. 120 E. Friedheim, Rabbinisme et Pganisme, 248. Die Differenz zwischen den Völkern wird nach D. Flusser im allgemeinen über den Mythos erklärt; Ders., Paganism in Palestine, in: S. Safrai, The Jewish People in the First Century etc., 1083. 121 Ed. princ. Venedig und MS Leiden stimmen in diesem Fall weitgehend überein, allerdings liegen einige Abweichungen in MS Vatikan und MS Paris vor.

103

Quellen belegen,122 wird der Segen der Ausrottung für einen einzigen Ort in Israel umgewidmet. Es ist sogar an den Fall gedacht, dass eine neue Kultstätte eingerichtet werden könnte [   ]. In yT 9,2/2-3 wird die Exegese der Mischna fortgesetzt:    .                          ’  



       

                       .     123 .    .          . Und an dem Ort, an dem er (der fremde Dienst) ausgerottet wurde, sagt man: Gelobt sei, dass der fremde Dienst an diesem Ort ausgerottet wurde. Es sei dein Wille, Herr, unser Gott und unserer Väter, dass du ihn, wie du ihn an diesem Ort ausgerottet hast, auch an allen anderen Orten ausrotten mögest. Bekehre die Herzen der Fehlgeleiteten, damit sie dich anbeten. Betest du damit nicht für die Diener des fremden Diensts? Es wurde gelehrt: Rabbi Yshmael ben Gamaliel sagt: auch außerhalb des Landes sollte man es sagen. Rabbi Yoanan sagte: Wer sich dir anschließt (Koh 9,4). Lies „Yibchar“ (er wählt).

Der Zusammenhang zwischen der Vernichtung der Idole und der Bekehrung „seiner Diener“ [     ] wird aus dem Vers in Kohelet 9,4 und dem Wort „ “ bzw. „ “ abgeleitet. Es besteht offenbar eine Wahl zwischen dem richtigen und dem falschen Glauben, die sich in dem Gebet für die Bekehrung der Diener des fremden Dienstes ausdrückt [   

]. Es wird aber nicht der Begriff „ “ (konvertieren) verwendet, sondern „

 “, was mit „Umkehr“ gedeutet werden kann. Damit ist eher an das Interesse der Fremden am jüdischen Glauben oder eine Akzeptanz der Werte gedacht als an eine echte Konversion.124 Immerhin wird mit der Präzisierung dieses Segens verlangt, auch außerhalb des Landes Israel für die Umkehr zu beten, die sich damit auf alle fremden Völker beziehen kann. Der Gegensatz zwischen den Fremden und Israel wird weiter in yT 9,2/4 deutlich:

122 S. Schwartz, Imperialism and Jewish Society, 136-153 bzw. E. Urbach, The Rabbinical Laws of Idolatry, 156-158 bezeugen dies. 123 Hier nach Ed. princ. Venedig, in MS Leiden ist diese Überlieferung teilweise rekonstruiert. 124 Vgl. das Phänomen der Gottesfürchtigen, wie es von S. Krauter diskutiert wird; Ders., Bürgerrecht und Kultteilnahme, 214-228.

104

.  

      

      125 .   ’  ’    

 [...] Es wird gelehrt: Rabbi Yehuda sagt: drei Sprüche soll ein Mensch an jedem Tag sprechen: Gelobt sei, der mich nicht zu einem „Goy“ gemacht hat. [...] Gelobt sei, der mich nicht zu einem „Goy“ gemacht hat: weil die „Goyim“ nichts bedeuten: Alle „Goyim“ sind nichts vor ihm (Jes 40,17).

Dieser Segen, der R. Yehuda zugeschrieben wird, umfasst neben dem „Goy“ auch den Segen, nicht einfältig zu sein oder als Frau geboren zu sein. Ausgehend von dem Vers in Jesaja werden die fremden Völker als nichtswürdig bezeichnet [   ]. Nicht nur die Geburt ist die Ursache der Überlegenheit, sondern auch die vollständige Einhaltung der Gebote und die Vermeidung der Sünde. Im Anschluss an diese Belegstelle wird die Auffassung wiederholt, dass es für alle Fremden, sogar für diejenigen, die an der Zerstörung des Tempels beteiligt waren, noch Hoffnung gibt. Sie werden in der kommenden Welt weder gerettet noch gerichtet.126 Im Anschluss an diese Stelle werden in yT 9,2/6 weitere Segenssprüche überliefert:         ‘ .’               .             127 .              Wer an den Häusern des fremden Dienstes vorbeigeht, spricht: Das Haus der Hochmütigen wird niedergerissen (Spr 15,25). Rabbi Yosi be Rabbi Bun im Namen Rabbi Levis: Wer sieht, wie sie zu Ehren des Idols Weihrauch aufsteigen lassen, spricht: Wer Göttern opfert, wird gebannt (Ex 22,19). Wer einen Schwarzen, einen Rothäutigen, einen Weißen, einen Riesen oder einen Zwerg sieht, spricht: Gelobt sei, der die Lebewesen verschieden macht.

Diese Belegstelle macht deutlich, dass weniger die Diversifikation der Menschheit und damit rassistische Gründe für die Überlegenheit Israels herangezogen werden als die Differenz der Religionen. Der Dienst für fremde Götter ist wegen der Unvereinbarkeit mit dem Gott Israels die Ursache 125 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. In MS Vatikan sind einige Abweichungen zu beobachten. 126 Vgl. C. Horowitz, Berakhoth, 224-225: „Die Gelehrten von Cäserea sagten: Die Kleinen (= die unbedeutenden Männer) der Heiden [] und die Söldner Nebukadnezars werden nicht zum (ewigen) Leben eingehen und auch nicht gerichtet werden.“ 127 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

105

für die Differenz.128 Wie oben belegt, ist den Fremden die Hinwendung zum Gott Israels aber nicht verwehrt; im Gegenteil. Es wird zwar nicht aktiv um ihre Bekehrung gerungen, aber genauso wenig werden sie von vornherein ausgeschlossen. Das gerade nicht die Diversifikation der Grund für die Ablehnung ist, zeigt folgende Episode in yT 9,2/7-8:    ‘    .             .     .                

  ‘                 

   .    

                  .     129 .  



Eine Erzählung über Rabban Gamliel, der einst eine „Goya“ sah, die eine hübsche Frau war, und sie segnete. Hat nicht Rabbi Zeira im Namen von Rabbi Yosi bar anania, Rabbi Ba und Rabbi ia im Namen des Rabbi Yoanan gesagt: Du sollst dich nicht mit ihnen [den Fremden] verheiraten und sie nicht nicht schön finden. Was hat er denn dann gesagt? Er hat ihr kein Kompliment gemacht, sondern festgestellt, dass er schöne Geschöpfe für seine Welt geschaffen hat. Man soll doch auch wenn man ein schönes Kamel, ein schönes Pferd oder einen schönen Esel sieht, sagen: Gelobt sei, der für seine Welt so schöne Lebewesen geschaffen hat. Ist es denn die Art von Rabban Gamliel, schöne Frauen anzusehen? Vielmehr war es ein schmaler Weg wie in einem Winkel, so dass er sie ohne Vorsatz ansah.

Die umständliche Erklärung, weshalb R. Gamliel die fremde Frau segnete, ist wohl den rabbinischen Moralvorstellungen geschuldet. Diese Episode veranschaulicht, dass es neben der Differenz aus moralischen Gründen durchaus eine Wahrnehmung der Schönheit jenseits der eigenen Gemeinschaft gibt. Dabei bleibt das Problem, ob man diese Schönheit als Teil der Schöpfung segnen sollte, ungelöst. Vielmehr wird durch die Angabe, dass der Kontakt unvermeidlich war, eine ausweichende Erklärung gegeben und einem restriktiven Verhalten stattgegeben.

128 S. Schwartz, Gamaliel in Aphrodites Bath, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi Vol. I, 217: „Their [the rabbis] modified rigorism, with its uncompromising rejection of anything remotly connected to pagan cult, but acceptance of most noncultic manifestations of Graeco-Roman pagan culture, permitted the to live and function in the cities.” Diese Erklärung stellt die Beobachtung am Text in einen archäologischen Kontext. 129 Hier nach MS Leiden, in Ed. princ. Venedig liegen geringfügige Abweichungen vor. Diese Stelle wird auf ähnliche Weise in bT A“Z 20a überliefert.

106

Der Kommentar zur Mischna fällt in bT im Vergleich wesentlich kürzer aus. Im Kontext findet sich in bT 57b folgende Belegstelle, die von der Heilung der Kranken handelt:      ‘    ‘ 

    [...] 130 .        [...] denn es steht geschrieben: und Gott sprach zu ihr: Zwei Völker („Goyim“) sind in deinem Leib (Gen 25,23), und R. Yehuda sagte Namen Ravs: Man lese nicht „Goyim“, sondern „Geyim“ (Große). Das sind Antoninus und Rabbi.

Mit den beiden Völkern [] sind die beiden Protagonisten gemeint, von denen der eine ein fremder „Goy“ und Proselyt ist und der andere sein Lehrer. Verbunden mit dieser Geschichte ist die Konversion des „Antoninus“ oder auch „Antolinus“, die an unterschiedlichen Stellen erwähnt wird.131 Auch wenn keine Rede von einer Konversion ist, bietet sich die Auslegung an, die beiden als die Vertreter von Israel und den Fremden zu sehen, die von Israel akzeptiert werden können. Die Anerkennung wird in der Literatur meist mit der Konversion oder dem Bekenntnis zu Israel verbunden.132 In der bT 57b wird das Motiv der Konversion auf folgende Weise verwendet:  “     “   ‘ “            

   

           ‘       

            ‘ 



      ‘ 133 .         ‘ An einem Ort, an dem der fremde Dienst ausgerottet wurde, spreche man: gesegnet sei, dass der fremde Dienst aus unserem Land ausgerottet wurde, und wie der fremde Dienst aus unserem Land ausgerottet wurde, so möge er an allen Orten Israels ausgerottet werden. Und wende das Herz deiner Diener deinem Dienst zu. Und 130 Hier nach MS Oxford Opp 23; in MS Firenze 9-7 ist der Text lückenhaft überliefert. Der Inhalt bleibt davon unberührt. 131 Einen Überblick über diese Stellen gibt B. Bamberger, Proselytism in the Talmudic Period, 248-250. 132 S. J. D. Cohen, The Conversion of Antoninus, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture I, 141-171. Cohen zählt einige Belegstellen auf, an denen sich die Entwicklung des offensichtlich fiktiven Motivs zeigt. 133 Diese Belegstelle entspricht MS Oxford Opp 23; in Frienze II I 9-7 wird der Begriff “ nicht explizit verwendet, sonst folgt der Text der Vorlage von MS Oxford Opp 23.

107

außerhalb des Landes (Israel) muss man nicht sagen: Und wende das Herz deiner Diener deinem Dienst zu, weil dort die Mehrheit aus „Goyim“ besteht. R. Shimon ben Eliezer sagt, dass man auch außerhalb des Landes sagen muss: Und wende das Herz deiner Diener deinem Dienst zu, weil sie sich in Zukunft bekehren werden; wie es heißt: Und dann werde ich zu den Völkern mit deutlicher Sprache sprechen (Zeph. 3,9).“134

Der erste Absatz entspricht der Vorlage von yT 9,2/2, dann nimmt die Auslegung einen anderen Weg. Außerhalb des Landes gibt es keine Notwendigkeit, für eine Hinwendung zu Gott zu beten [  



], weil die Mehrheit der Menschen als Nichtjuden erachtet werden.135 R. Shimon b. Eleazar legt das Gebet in einer eschatologischen Perspektive aus, in der sich die fremden Völker in Zukunft bekehren [ ] werden. Der eindeutige Begriff für Konversion [] wird nur in dieser eschatologischen Perspektive verwendet, was darauf schließen lässt, dass es nicht um eine konkrete Mission für die Fremden geht. Insgesamt ist der Kommentar des bT hier wesentlich zurückhaltender gegenüber der Bekehrung als in yT. Auch in bT 58a wird diese defensive Haltung beibehalten:        ’        ’ 136 .        ’   R. Hamnuna sagte: Wer Scharen von Israeliten sieht, sagt: gelobt sei der Allwissende der Geheimnisse. Wer Scharen von den Völkern der Welt sieht, sagt: Eine Erniedrigung für eure Mutter, eine Schande, die euch geboren hat (Jer 50,12).

Israel bildet eine Antithese gegenüber den Völkern der Welt. Während Israel mit Gott verbunden ist, sind die Fremden eine Schande für die Welt. Diese deutliche Abwertung der Fremden ist allerdings eher selten anzutreffen. Im direkten Vergleich findet sich in yT 9,3/22 folgende Auslegung, die bT 58a ähnlich ist:

134 An dieser Stelle steht in der gedruckten Ausgabe wie in den Manuskripten: „           “ was bedeutet: „Wer eine Merkurstaue sieht, spricht: Gepriesen sei, der denen, die seinen Willen verletzen, Langmut gewährt.“ Laut E. Friedheim entspricht der Begriff „ “ dem römischen Gott Merkur; Ders., Rabbinisme et Paganisme, 227-230. 135 Diese Formulierung ähnelt der Fomulierung in yT, wenn auch „

“ statt „“ gewählt wurde. 136 Hier entsprechen sich MS Oxford Opp 23 und MS Firenze 9-7 mehrheitlich.

108

           .    ’’ 137 .’    Dies betrifft nur die toten Israeliten. Aber über die Toten der Völker der Welt sagt man: Eine Erniedrigung für eure Mutter, eine Schande, die euch geboren hat (Jer 50,12).

Diese Stelle spricht nicht von den Lebenden, sondern von den Gräbern der Toten. Der Segen, der Jeremia 50,12 entlehnt ist, kann auch als Fluch verstanden werden. Im weiteren Umfeld von bT 58a werden erneut die Könige der Völker der Welt erwähnt, denen man entgegen eilen soll, um sie in der kommenden Welt von den Königen Israels zu unterscheiden.138 In bT 58a lässt sich eine apologetische Tendenz der Autoren erkennen, israelitische Wertvorstellungen für überlegen zu halten:  “                ’  ’                   139 . “       R. Shila geißelte einen Mann, der mit einer „Goya“ geschlafen hatte. Da ging dieser Mann und verleumdete ihn beim König. Er sagte zum Kaiser: es gibt unter den Juden einen Mann, der ohne Genehmigung richtet. Da schickte der Kaiser nach ihm und ließ ihn rufen. Er sagte zu ihm: Warum hast du diesen Mann gegeißelt? Er antwortete: Er hat eine Eselin beschlafen.

Damit ist R. Shila von der Anklage befreit, da nach der Meinung der Beamten der jüdische Mann für das Vergehen den Tod verdient. Der sexuelle Verkehr eines Israeliten mit einer Fremden wird mit dem Verkehr von Mensch und Tier verglichen, wobei die Analogie zwischen den „Goyim“ und dem Eselfleisch erneut erscheint, die bereits in bT 25b genannt wurde. Die Konvention, den Geschlechtsverkehr zwischen verschiedenen Völkern zu unterbinden, ist der Kern dieser Episode. Sie soll wohl jüdische Moralvorstellungen aufzeigen, die auch von Fremden geachtet und akzeptiert werden.140 Somit bestätigt die Exegese der Mischna 9,1 die restriktivere Haltung des bT im Vergleich zu yT. 137 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 138 Vgl. Ber bT 58a; vgl. L. Goldschmidt, Berakhoth, 258. 139 Die Überlieferung entspricht mehrheitlich Fir. I II 9-7; in Ox. ADD 23 sind geringe Abweichungen zu erkennen. 140 Diese Gemeinsamkeit ist auf die Nähe des gemeinsamen Lebensumfelds zurückzuführen, wie M. Goodman schreibt: „In many aspects of live many Jews may behaved like Gentiles [...].“; M. Goodman, Jews, Greeks, and Romans, in: M. Goodman, Jews in a Graeco-Roman World, 13.

109

1.3.5 Fremde in der rabbinischen Exegese: von Mischna 9,1 bis 9,5 Das letzte Kapitel fasst die übrigen Belegstellen in yT und bT zusammen, um das Bild der Fremdbeschreibung im Traktat Brachot zu vervollständigen. Diese Belegstellen thematisieren mehrheitlich Fremde im Rahmen der Toraexegese und lassen sich schwer direkt vergleichen. In bT 63b wird während eines Gastmahls Deuteronomium 23,8 ausgelegt:

               ’ 

     

                           ’     141 .                  Zur Ehre des Gastgebers hob R. Nehemia an und interpretierte: Du sollst den Edomiter nicht verachten, denn er ist dein Bruder. Du sollst den Ägypter nicht veachten, denn du bist ein „Ger“ in seinem Land gewesen (Deut 23,8). Aus diesen Worten folgt ein Schluss vom Leichteren auf das Schwerere: Wenn dies von den Ägyptern gilt, die die Israeliten nur zu ihrem Nutzen aufgenommen haben, wie es heißt: und wenn du weißt, dass unter ihnen tapfere Männer sind, setze sie als Aufseher über meine Herde ein (Gen 47,6), um wie viel mehr gilt dies von dem, der Schüler der Weisen in seinem Haus bewirtet, ihnen zu essen und zu trinken gibt und sie von seinem Besitz genießen lässt.

Dieser Schluss vom Leichteren auf das Schwerere [ ] vergleicht den Schutz der Fremden in Israel mit der Bewirtung der Weisen durch den Gastgeber. Wenn schon die Fremden trotz ihrer Handlungsweise geschützt werden, um wieviel mehr diejenigen, die sich um die Weisen verdient gemacht haben.142 Das Exil in Ägypten wird mit der Behandlung von Fremden in Israel verglichen. Auffällig ist die Verwendung des Begriffs „Ger“, der in diesem Fall als Fremdling zu interpretieren ist. Offenbar enthält der Begriff „Ger“ verschiedene Facetten, die vordringlich auf Proselyten, aber auch auf Fremde anspielen können.

141 Hier entsprechend MS Oxford Opp 23 und MS Firenze 9-7. 142 In diesem Kontext scheint die Belegstelle yT Ber 9,2/5, C. Horowitz, Berakhoth, 224, zu passen: „Die Kleinen [ ] (= die unbedeutenden Männer) der Heiden und die Söldner Nebukadnezars werden nicht zum (ewigen) Leben eingehen und auch nicht gerichtet werden (erstere hatten keine Macht, den Juden Böses zuzufügen, letztere haben an der Zerstörung des Tempels nicht teilgenommen) [...].“ Auch in yT wird so zwischen verschiedenen Fremden unterschieden und keineswegs alle Fremden verurteilt. Auch hier zeigt sich eine Fremdbeschreibung, die um Ausgewogenheit bemüht ist.

110

Im Kontrast dazu wird in yT eine Episode zur Figur Gerschom aus Richter 18,30 überliefert. In yT 9,3/16-18 wird das Verhältnis Gerschoms zur „Avoda Zara“ besprochen:          .              .

      .

                   143 .                     Dieser war Priester des fremden Dienstes und lebte so lange? Er antwortete ihnen: Deswegen, weil er seinem Idol nicht gut gesinnt war. Woran war zu erkennen, dass er seinem Idol nicht gut gesinnt war? Wenn ein Mensch kam und dem Idol einen Ochsen, einen Widder oder ein Böckchen zum Opfer und zu ihm sagte: Versuche, ihn günstig zu stimmen, antwortete er ihm: was wird es dir nützen? Er sieht dich nicht und hört nicht, er isst und trinkt nicht, er kann dir weder Gutes noch Böses zufügen, und er kann nicht sprechen.

Der Kult an den Idolen kann Gerschom offenbar nicht überzeugen, weshalb der Priester die Speisen, die als Opfer dargebracht werden, selbst verspeist. Auf die Frage, weshalb er diesen Dienst verrichte, antwortet Gerschom, dass dies sein Lebensunterhalt sei. Daraufhin lässt König David ihn zu sich rufen:          .       

     

     .

             .

            .

         Du bist der Enkel dieses Gerechten und dienst dem fremden Dienst? Er antwortete ihm: Mir wurde vom Hause meines Großvaters überliefert: Verkaufe dich dem fremden Dienst, um nicht auf die Umwelt angewiesen zu sein. Er entgegnete ihm: Gott bewahre, so hat er es nicht gemeint. Vielmehr: verkaufe dich an einen Dienst, der dir fremd ist, damit du nicht auf die Umwelt angewiesen bist. Als David erkannte, dass er das Geld liebte, was tat er? Er ernannte ihn zu seinem Schatzmeister.144

Die Überlieferung des Spruchs des Vorvaters spielt mit der Bedeutung des Begriffs „Avoda Zara“. Der Ausdruck „Zara“ wird umgedeutet im Sinn einer Arbeit, die ungewohnt ist [    ]. Mit dieser Doppeldeutigkeit wird der Lebensunterhalt durch Fremde veranschaulicht und 143 Hier nach Ed. princ. Venedig. 144 Hier an C. Horowitz, Berakhoth, 231, angelehnt. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

111

zugleich die Bedeutungslosigkeit des fremden Diensts unterstrichen. Zusätzlich wird die Fremdheit der Dienste in Differenz zur Tradition Israels deutlich hervorgehoben.145 Das lange Leben Gerschoms ist laut den Rabbinen darauf zurückzuführen, dass er nicht an die Heilkraft der fremden Kulte glaubt und damit nicht wirklich von ihnen abhängig ist. In einer abschließenden Belegstelle zu Mischna 9,4 werden in yT 9,6/4 Segenssprüche für Reisende thematisiert: 

         

   ’              .

    

146 .

Ich danke dir, Herr, mein Gott, dass du mich in Frieden ausziehen ließest. Es möge ebenso dein Wille sein, dass du mich in Frieden nach Hause oder an einen anderen Ort führst. Dies wird an den Wohnorten der „Goyim“ gesagt, bei Israeliten muss man es nicht sagen.

Offenbar führt die Angst zur Vorsicht, einen Segen zu sprechen. Das Motiv für diesen Segen ist die Sorge vor Gefahren, die von räuberischen Fremden ausgehen, denn Fremde sind für Israel auch eine Bedrohung. Besonders in Gebieten, in denen Fremde leben, soll dieses Gebet gesprochen werden, aber nicht an Wohnorten Israels.

1.4 Der, die, das Fremde: Über die Interaktion mit Fremden Die Aufarbeitung der Belegstellen ergibt ein facettenreiches Bild der Fremdbeschreibung. In yT und bT führen die drei Begriffe „Goy“, „Ger“ und „Zar“ zu einer Reihe verschiedener Halachot und Episoden, die sich etwa zur Hälfte an den Vorgaben der Mischna orientieren. Dabei geben die Begriffe einen guten Überblick über die Fremdbeschreibung und integrieren weitere Begriffe wie „Kuti“ und „ Umot ha lam“. Innerhalb vielfältiger Aussagen zu Fremden bieten die Begriffe Orientierung und Struktur für die Untersuchung. Der folgende Überblick über die Fremdbeschreibung in

145 Diese Differenz fasst L. Wallach in der Nutzlosigkeit, Leblosigkeit und Sinnlosigkeit des Idols zusammen; Ders., L. Wallach, A Palestinian Polemic Against Idolatry, in: H. A. Fischel, Essays in Graeco-Roman and Related Talmudic Literature, 390. 146 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

112

Brachot zeigt, dass in diesem Traktat die Interaktion mit Fremden das Leitmotiv ist.147 Eine Zusammenfassung des Inhalts In einem ersten Abschnitt werden zum Begriff „Goy“, zur sexuellen Unzucht von Fremden, zu den „Gerim“ und zur Interaktion mit Fremden einige Belegstellen in yT und bT verglichen. In yT lassen sich nur Anmerkungen zur Fremdbeschreibung finden, die meist im Kontext anderer Themen stehen, wie der Exegese des Achtzehngebets. Dabei zeigen sich in yT sowohl eine gewisse Offenheit gegenüber Proselyten als auch eine eher feindliche Haltung gegenüber Fremden, die bis auf eine Stelle durch die „Goyim“ verkörpert werden.148 In bT wird eine Fremdbeschreibung überliefert, die an vielen Stellen eine eigene, vom Kontext unabhängige Stellungnahme bietet. Dort ist eher eine distanzierte und ambivalente Meinung zu den Proselyten zu beobachten. Die fremden Nichtjuden, die ausschließlich durch den Begriff „Goyim“ bezeichnet werden, hinterlassen ebenfalls einen ambivalenten Eindruck. Die Belegstellen bT 17a und 25b belegen diese moderate Haltung. Das zweite Kapitel zu Mischna 7,1 bespricht den Segen über das Mahl, wobei sich yT und bT auf verschiedene Aspekte konzentrieren. Die Belegstelle in yT vergleicht den „Goy“ mit dem Samaritaner, während in bT der Fremde mit dem Proselyten kontrastiert wird. In beiden Fällen steht der Status von fremden Personen zur Debatte, der in yT zugunsten des Samaritaners entschieden wird. Dagegen gewährt bT dem Proselyten nur eine gleiche soziale Behandlung, wenn er beschnitten und untergetaucht ist.149 Wie im ersten Teil scheint sich bT besonders auf die Proselyten und ihr Verhältnis zu Israel zu konzentrieren. Die folgenden Kapitel zu Mischna 8,6 und 9,1 werden in yT ausführlicher kommentiert. Die Nutznießung von fremdem Licht und Gewürzen für einen Segen werden in yT erleichternd und in bT erschwerend beurteilt. Dies belegen unterschiedliche Szenarien. In yT geben ein zufälliges Zusammentreffen mit Fremden und das Leben in einem fremden 147 In R. Loewes Vorstellung ist Israel von verschiedenen Gruppen fremder Personen umgeben, R. Loewe, Gentiles as Seen by Jews after CE 70, in: W. Horbury, The Cambridge History of Judaism, 262-263. 148 Nur in yT 4,3/12 wird für die Fremden der Begriff „“ verwendet. 149 Siehe den ausführlichen Kommentar von S. J. D. Cohen, The Rabbinic Conversion Ceremony, in: JJS 41/1990, 187-192.

113

Umfeld den Anstoss der Fremdbeschreibung, während in bT das gemeinsame Gastmahl für die Verschärfung der Differenz verantwortlich ist.150 Die Differenz zwischen Fremden und Israeliten scheint in yT eindeutig, während in bT das Gastmahl und die räumliche Nähe eine deutliche Distanz notwendig machen. Zu Mischna 9,1 lässt sich in yT eine abwertende Haltung gegenüber Idolen beobachten, die von einer Konkurrenz zwischen dem fremden Dienst und Israel berichtet. Die Distanz zu den Fremden speist sich aus der besonderen Beziehung Israels zu seinem Gott, wie die Erzählung über den Knaben auf dem Schiff der Fremden in yT 9,1/32 zeigt. Weniger die Diversifikation ist die Ursache für die Ablehnung als der fremde Kult. Ähnlich zu yT zeigt sich auch in bT eine deutliche Abneigung gegen fremde Kulte. Der Segen über die Bekehrung der fremden Völker wird in bT deutlich abgeschwächt und in eine eschatologische Zukunft verlegt. Dagegen wird in bT 58a auf gemeinsame moralische Vorstellung mit den Fremden verwiesen. Ein letztes Kapitel wiederholt in yT 9,3/16-18 das negative Bild der fremden Idole und verweist erneut auf ihre Bedeutungslosigkeit. Zuletzt wird ein Segen über die Reise zu Wohnorten der Fremden empfohlen. Im ganzen betrachtet besteht ein Zusammenhang zwischen yT und bT, da immer wieder Formulierungen und Zitate in bT aufgegriffen werden, die aus der Gedankenwelt des yT stammen. Beispiel dafür sind die Rezeption des Achtzehngebets, das Motiv des Israeliten, der in einem fremden Umfeld lebt oder die Verknüpfung der Ausrottung der fremden Dienste mit der Bekehrung der Fremden.151 Der Zusammenhang zwischen den beiden Gemarot geht über die Exegese der Mischna hinaus und trägt durch die Umformulierung zur Weiterentwicklung der Halacha bei.152 Einige Stellen werden in bT nicht weiter kommentiert. Nicht aus dem yT übernommen werden die Episode über die Unreinheit des Auslands in yT 3,1/16, die Zerstörung Jersualems in 4,3/12, die Feiertage der Fremde in yT 8,7/11, der Segen über den Fremden in 8,9/6, die Episode über den Knaben in 9,1/32, der 150 Fremde und Israeliten speisen häufig gemeinsam an einer Tafel, wie L. Vana in ihrem Artikel zeigt; Dies., Les relations sociales entre Juives et Paiens à l’époque de la Mischna. La question du Banquet privé, in: Revue des sciences religieuses 71/2, 169. 151 Vgl. yT 2,4/10 und 4,3/2 mit bT 9b; 8,7/4 und 53a; 9,2/2-3 und 57b. An diesen Stellen zeigt sich eine Rezeption in bT, die nicht aus der Mischna stammen kann. 152 Auf diese Weise lässt sich die These des funktionalen Zusammenhangs der Gemarot von Alyssa M. Gray über das Traktat „Avoda Zara“ hinaus belegen; A. M. Gray, A Talmud in Exile, 240.

114

Segensspruch nicht als Fremder [] geboren zu sein in 9,2/4, die Episode über die schöne Fremde und R. Gamliel in 9,2/7 und die Exegese zu Gerschom in 9,3/16. Ob diese Belegstellen bewusst oder unbewusst ausgelassen werden, muss offen bleiben. Die Begriffe „Goy“, „Ger“, „Nori“ und „Zar“ werden an acht verschiedenen Belegstellen und ausschließlich im Kommentar zur Mischna in einem gemeinsamen Kontext verwendet, was auf inhaltliche Schnittflächen schließen lässt. Die inhaltliche Verbindung von „Goy“ und fremdem Dienst, die bereits in der Mischna vorgegeben wird, wird in yT 8,7/5 und 9,1/15 wie bT 52b und 53a aufgegriffen. Auch darüber hinaus wird der fremde Kult häufig im Kontext der fremden Personen dargestellt, wie die Belegstellen yT 4,3/12 oder bT 12b veranschaulichen. Ein weiterer wichtiger Zusammenhang besteht zwischen „Goy“ und „Ger“, wie bT 8b, 47b und 57b und indirekt yT 9,2/2-3 zeigen. Eine andere Komponente ist die Kontinuität der Bedeutung der Begriffe. Schon zu Beginn zeigte sich eine gewisse Variation des Begriffs „Goy“, der auf der Ebene des Zitats sowohl für Israel als auch für fremde Völker verwendet wird. Der Begriff „Avoda Zara“ changiert zwischen dem fremden Kult und dem Kultgegenstand.153 Weiter werden die Begriffe „Zarim“ und die Diener fremder Kulte [     ] für Fremde verwendet. Der Begriff „Ger“ scheint auf der inhaltlichen Ebene auf den Proselyten festgelegt; es gibt aber eine Stelle in bT 63b, an der der Begriff im Sinn des Fremden verwendet wird. Der Begriff „Nori“ erscheint lediglich einmal im Kontext der Gemarot. „Der, die, das Fremde“ Um diese Ergebnisse der Fremdbeschreibung mit der Fremderfahrung zu verknüpfen, werden nun die Belegstellen den Kategorien „der, die, das Fremde“ zugeordnet. Die erste Kategorie betrifft die Person des Fremden, von der in Brachot am häufigsten gehandelt wird. Welche Eigenschaften den Fremden auszeichnen, in welchen Kontexten der Begriff erwähnt wird und welcher Unterschied zwischen yT und bT besteht, soll dieser kurze Vergleich der Belegstellen zur Person des Fremden verdeutlichen. 153 Die Bedeutungsebenen der „   “ werden deutlich in L. Wallach, A Palestinian Polemic Against Idolatry, in: H. A. Fischel, Essays in Graeco-Roman and Related Talmudic Literature, 389-404. Die Beschreibung von M. Hadas-Lebel greift zu kurz, da lediglich die Ebenen des Kults und des Idols herangezogen werden, Dies., Jérusalem contre Rome, 290-294.

115

In yT 4,3/12 werden die „Zarim“ als Fremde im biblischen Sinn und damit als Feinde in Verbindung mit der Zerstörung Jerusalems erwähnt. Diese Fremden, die über das Wort „ “ (Legionot) als Römer identifiziert werden können,154 werden auch als Diener von Idolen [    ] bezeichnet. Insgesamt fusst diese Beschreibung auf einer historischen Erfahrung, ist aber in einem eschatologischen Kontext dargestellt. Dementsprechend werden die fremden „Goyim“ in yT 5,1/4 als „Abscheu für alles Fleisch“ bezeichnet. In yT 7,1/13 werden die Samaritaner wie in der Mischna den Israeliten gleichgestellt. Da diese Stelle im Kontext der Mischna steht, ist schwer zu belegen, inwiefern diese Beschreibung auf ein historisches Vorbild zurückgeht.155 Dagegen scheint die Interaktion beim Anzünden des Lichts in yT 8,7/4 eher auf historischen Umständen zu beruhen. Wenn auch die Belegstelle keine gewöhnliche Situation schildert, so ist zumindest das Anzünden an einer fremden Flamme nicht völlig unrealistisch. Wenn man von einem nahen Kontakt zwischen Fremden und Israel ausgeht, gebieten diese Gebote Distanz zu einer vertrauten, aber fremden Umwelt.156 In yT 8,9/6 wird eine Begegnung zwischen Fremden und Israeliten geschildert, in der der wechselseitige Segen und Fluch das Verhältnis bestimmt. Auch yT 9,2/6 zeigt, dass Fremde bewusst wahrgenommen werden, da zwischen verschiedenen Gruppen von Menschen unterschieden wird. Die Episode von R. Gamliel und der Fremden in yT 9,2/7 ist möglicherweise fiktiv, aber der Kontext des Segens über die schönen Lebewesen zeigt erneut die konkrete Fremdwahrnehmung einer Person. Schließlich wird dem Rabbinen unterstellt, unabsichtlich in eine solche Situation gekommen zu sein. Auch in bT 8b ist die konkrete Wahrnehmung der Fremden Ausgangspunkt für ihre Beschreibung. Die explizite Diskussion der Mischehe mit Fremden verweist auf eine praktische Frage.157 In bT 17a wird der höfliche Umgang mit Fremden gefordert, was yT 8,9/6 entnommen ist. Weiter werden in bT 17b Orte benannt, an denen keine Proselyten übertreten und in 154 M. Jastrow spricht sich für die Übersetzung „römische Legion“ aus; Ders., Dictionary of Talmud Babli, 692. 155 A. Lehnhardt, The Samaritans (Kutim) in the Talmud Yerushalmi- Constructs of „Rabbinic Mind“ oder Reflections of Social Reality?, in: The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, 159-160. 156 Nach S. Schwartz, Imperisalism and Jewish Society, 165, besteht ein ständiger Austausch zwischen Fremden und Israeliten, der diese Distanz notwendig macht. 157 C. Hayes, The „Other“ in Rabbinic Literature, in: C. E. Fonrobert, The Talmud and Rabbinic Literature, 251-253.

116

bT 18a die Furcht vor Räubern und Fremden geschildert. Alle diese Situation beschreiben im Kern eine realistische Situation im Umgang mit Fremden. In bT 28a und in 47b werden die Aufnahme und der Status von Proselyten besprochen. Unabhängig von der Frage, in welchem Ausmaß Konversionen stattfanden, scheint gerade die Frage nach der Behandlung und sozialen Stellung der Fremden auf eine historische Problematik hinzuweisen.158 In bT 52b ist die Tischgesellschaft mit Fremden der Bezugspunkt der Debatte, was stärker als in yT auf eine Interaktion mit Fremden hindeutet. Gerade der Zweifel an ihrer Bekehrung in bT 57b zeigt die Wahrnehmung einer fremden Umwelt, die nach eigenen Vorstellung lebt.159 Obwohl die Fremdbeschreibung in yT und bT abstrakt bleibt, geht es um die konkrete Interaktion mit Fremden. Sie wohnen an bestimmten Orten, und tragen gelegentlich sogar Namen.160 Tischgesellschaften mit Fremden sind ein Indiz für eine historische Situation. Während in yT die eschatologische Perspektive wichtiger ist, werden in bT konkrete Begegnungen geschildert. Auffällig ist auch, wie häufig fremde Frauen erwähnt werden, die bis auf den Fall der Aramäerin in bT 8b positiv dargestellt werden. Die Beschreibung der fremden Personen an bestimmten Orten wirkt sich auf die Kategorie „die Fremde“ aus. Neben einzelnen Orten haben auch die fremden Länder, die in Konkurrenz zu Israel stehen, Bedeutung. In yT 1,9/5 wird der Psalm 105,44 mit der Verheißung verbunden, dem Volk Israel die Länder der fremden Völker zu übereignen. Auch in yT 3,1/16 geht es um die Bedeutung des Auslands [ ] und seine mögliche Unreinheit. Um ein Feld aus der Hand von Fremden zu retten, dürfen sich Priester trotz der möglichen Verunreinigung in das Ausland begeben.161 Jerusalem als heilige Stadt und Mittelpunkt Israels wird in yT 4,3/12 gedacht. Die Zerstörung dieses Orts durch Fremde steigert die eschatologische Bedeutung dieses Orts, die an vielen Stellen in der rabbinischen Literatur wieder auf-

158 Hier nach M. Goodman, Rome and Jerusalem, 383-394. 159 Diese Wahrnehmung der Unterschiede steht außer Zweifel nach M. Goodman, Jews, Greeks and Romans, 3-4; oder S. Krauter, Bürgerrecht und Kultteilnahme, 369-386. 160 Vgl. Ber bT 20b. Ob der Name „“ lediglich für das Wortspiel gewählt wurde oder ob der Name zu diesem Wortspiel führt, bleibt offen. Fest steht, dass die Beschreibung konkrete Züge trägt. 161 In C. Hayes, Gentile Impurities, 199, wird diese Form der Unreinheit nur knapp thematisiert.

117

genommen wird.162 Ein gewöhnlicher Ort der Fremderfahrung ist in yT 8,7/2 der Laden eines Fremden, in dem Gewürze verkauft werden. Grundsätzlich soll das Land Israel und seine Gemeinschaft von den fremden Kulten rein gehalten werden. Der Segen für eine sichere Reise durch die Wohnorte von Fremden verweist auf die Kenntnis der fremden Orte. Ebenso werden in bT fremde Orte als Erfahrung des Fremden geschildert, wie die Erwähnung der Gobäer und der Einwohner von MathaMehasja in bT 17b zeigen. Auch die Begegnung auf der Strasse ist in bT 20a Anlass für eine Verwechslung. Offensichtlich gibt es auch in Babylonien einen gemeinsamen öffentlichen Raum.163 In bT 53a und yT 8,7/4 teilen sich Israeliten und Fremde den Wohnraum, was Auswirkungen für den Segen über ein Licht hat. Eine weitere Stelle in bT 53a verbietet, an die Orte des fremden Kults zu gehen und ihren Geruch einzuatmen. Schließlich haben fremde Orte auch für die „Gerim“ in bT 28a Konsequenzen. Die Argumentation, dass die Orte nicht zwingend mit fremden Völkern verbunden werden können, wird als Erleichterung für die Aufnahme von Proselyten gewertet. Der fremde Raum bildet in yT und bT einen Gegensatz zu Israel und ist ein Ort der Fremderfahrung.164 Beide Gemarot rekurrieren auf die Distanz, die gegenüber der Fremde notwendig ist. In Verbindung mit dem Ort der Fremderfahrung steht die Kategorie des fremden Kults. Mit dem fremden Dienst werden nicht nur Kulte, sondern auch Gegenstände bezeichnet, wie in yT 8,7/3 die Kohle von einem Idol, an der die eigene Flamme angezündet wird. Dieses Idol kann sich nach yT 8,7/5 sogar in den Händen eines Israeliten befinden.165 Die Gegenstände, die einem beliebigen fremden Kult geweiht sind, werden aus der Sicht Israels als wertlos dargestellt. Der Fetisch in bT 9,1/15 ist dementsprechend nur ein lebloser Gegenstand ohne Bedeutung, was die Episode in bT 9,1/32 unterstreicht. Aus dieser Differenz erwächst ein theologischer Gegensatz, der die Fundamente des Glaubens betrifft. So trifft in yT 9,2/4 der Segen, nicht als 162 M. Goodman, Rome and Jerusalem, 67, widmet dem Gegensatz der Orte Jerusalem und Rom einen großen Abschnitt in seinem Werk. 163 Das bekennt auch J. Neusner, A History of the Jews in Babylonia Vol. V, 29. Vgl. auch dazu T. Rajak, die in der Diaspora viele Berührungspunkte Israels mit den Fremden erkennt; Dies., Jews and Christians as Groups in an Pagan World, in: „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 251. 164 Vgl. das Kapitel „Jewish Cities“ in: S. Schwartz, Imperialism and Jewish Society, 132-136. 165 Offensichtlich gibt es gewisse Berührungspunkte Israels mit fremden Kultgegenständen, E. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme, 52-67.

118

Fremder geboren zu sein, eher auf den Kult und weniger auf die Person zu. Dem zufolge wird ein Segen über die vernichteten fremden Kultstätten gesprochen, wie beispielsweise in yT 9,2/6 dargestellt wird. Die Auslegung der Episode zu Gershom in yT 9,3/18 veranschaulicht ein weiteres Mal den Gegensatz zwischen eigenen und fremden Moralvorstellungen. Dieser Gegensatz kommt auch in bT 25b zum Ausdruck. Dort wird ein Gebet vor nackten Fremden verboten. Eine Tischgesellschaft, die einem Idol oder Gott geweiht ist, zeigt in bT 52b die Bedeutung der verordneten Differenz. Das Dilemma, nicht über fremde Lichtquellen einen Segen zu sprechen, resultiert aus der Nähe und Allgegenwärtigkeit fremder Kulte. So kann der Segensspruch über den zerstörten Kult in bT 57b mit unterschiedlichen religiösen Überzeugungen erklärt werden. Über die physische Differenz konstituiert sich die theologische Identität Israels.166 Ein ständiges Anliegen der beiden Gemarot ist, wie viele Berührungspunkte die notwendige Differenz erträgt. Die Bedrohlichkeit des Fremden wird nicht nur durch die fremden Personen, sondern besonders durch „das Fremde“ deutlich. Anhand dieser Beispiele zeigt sich die Wahrnehmung der Fremden, ihrer Orte und Kulte. Die historische Wahrnehmung ist nicht allein, aber auch für die Gestaltung der Texte verantwortlich zu machen. Von der Mischna zum bT gewinnt die Fremdbeschreibung offenbar an Vielfältigkeit, entscheidet aber nicht grundsätzlich erleichternd. Berührungspunkte mit fremden Kulten werden in bT eher verschärfend beurteilt. Die Motive der Fremdbeschreibung im Traktat Brachot reichen von Angst und Vorsicht bis zu Toleranz und Höflichkeit. Den sozialen und religiösen Zusammenhalt Israels gegenüber den Fremden zu festigen, scheint das primäre Ziel der Fremdbeschreibung im Traktat Brachot zu sein.

166 S. J. D. Cohen, The Beginnings of Jewishness, 58-66.

119

2. Traktat Schabbat Der Schabbat, der im Talmud als erste Festzeit Israels genannt wird, ist ein Fixpunkt jüdischer Identität. Als Feiertag gestaltet der Schabbat den jüdischen Wochenrhythmus und erinnert an den Zeitraum, in dem Gott die Welt erschaffen hat. Der Schabbat ist bis zum heutigen Tag das Kennzeichen jüdischen Lebens. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit Fremden in diesem Themenfeld von besonderer Bedeutung für die Identität Israels. In der Mischna und den Gemarot werden alltägliche Kontakte mit Fremden dargestellt, die wie im Traktat Brachot Interaktion voraussetzen. Zum Schabbat gehören auch die Schabbatruhe und die Schabbatgesetze, woran die Frage anknüpft, ob Fremde von diesen Geboten Israels betroffen sind. Die Arbeit am Schabbat kann zuweilen der „Schabbes Goy“ übernehmen, der seit dem Mittelalter in manchen jüdischen Haushalten eine feste Institution war. Der Ursprung für diese Einrichtung ist unter anderem in diesem Traktat zu finden.167 So bietet dieses Traktat eine besonders große Schnittfläche für alltägliche Beziehungen zu Fremden. In den Quellen wird der Begriff „Nori“ häufig erwähnt. Ob dieser Begriff im biblischen Sinn dem Fremden entspricht, bleibt zu prüfen.168 Ausführlich werden in diesem Traktat die fremden Kulte besprochen. Der Umgang mit einem fremden Idol, der „Avoda Zara“, und der dadurch einhergehenden Verunreinigung ist ebenfalls ein wichtiges Thema im Traktat Schabbat. Diese Form der Fremdheit fällt in die dritte Kategorie „das Fremde.“ So liegt in diesem Traktat ein Schwerpunkt auf der Interaktion mit Fremden und ihren Kulten an einem jüdischen Festtag. Über das Motiv der Nutznießung fremder Arbeit hinaus gewährt dieses Traktat tiefere Einblicke in die Wahrnehmung des Fremden in der rabbinischen Literatur.

2.1 Ein Überblick über Mischna Schabbat Die Mischna zum Traktat Schabbat zeichnet sich durch inhaltliche Vielfalt aus. Die Verunreinigung durch Fremdes und die Nutznießung der Arbeit von 167 J. Katz, The „Shabbes Goy.“ A Study in Halakhic Flexibility, 9-17. 168 Vgl. ThWAT, H. Ringgren, B. Lang, „NKR“, 457. Siehe weiter dazu M. Guttmann, Das Judentum und seine Umwelt, 22-28.

120

Fremden sind die beiden wesentlichen Themenfelder. Wegen der umfangreichen Belegstellen der Mischna muss die Interpretation auf die wesentlichen Motive eingeschränkt werden. Deshalb werden die einzelnen Belegstellen der Mischna zu kleinen Einheiten zusammengefasst. Der erste Abschnitt umfasst drei Belegstellen zu Mischna Schabbat 1,7, 1,8 und 1,9. An dieser Stelle wird die Arbeit des Fremden am Schabbat geregelt, der mit dem Begriff „Nori“ bezeichnet wird. Die Regelung der konkreten Arbeitshandlung am Schabbat steht im Vordergrund:                    

.

     Die vom Haus Schmamais lehren: Man darf keinem „Nori“ etwas verkaufen, mit ihm aufladen oder ihm selbst aufladen, außer es ist genug Zeit, dass er einen nahen Ort erreicht. Die vom Haus Hillels erlauben es.169                   

.   

       Die vom Haus Schmamais lehren: Man darf einem Gerber keine Häute zum Gerben und dem nichtjüdischen Wäscher keine Wäsche zu Waschen geben, außer, er macht sie noch an diesem Tag fertig. Und alles dies erlauben die vom Hause Hillels, so lange die Sonne steht.170   



                              

  

  . R. Shimeon ben Gamliel sagte: Im Haus meines Vaters war es der Brauch, weisse Kleider dem nichtjüdischen Wäscher drei Tage vor dem Schabbat zu geben.171

Der Ausgangspunkt dieser Diskussion liegt im Verbot der Arbeit am Schabbat, da in Deuteronomium 5,14 der „Ger“ in die Schabbatruhe einbezogen 169 Mischna 1,7; Die Übersetzung der Mischna von A. Sammter, Mischnajot. Ordnung Festzeit, wirkt veraltet und wurde nur als Vorlage für die eigene Übersetzung verwendet. Alle Übersetzungen sind eigene Übersetzungen. Alle Begriffe für Fremdbeschreibung wurden nach Ed. Kaufmann und Ed. Parma korrigiert. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Moed. Bd. 2, 19. 170 Mischna 1,8. Vgl. A. Sammter, Mischnajot, 7. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Moed. Bd. 2, 19-20. Der Begriff „

 “ wird direkt mit „Haus“ übersetzt. Nach S. J. D. Cohen ist es unmöglich zu rekonstruieren, ob es sich um eine Schule, eine Priesterkaste o.ä. handelt. 171 Mischna 1,9. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Moed. Bd. 2, 20.

121

ist.172 Davon ausgehend werden die Bestimmungen über die Arbeit am Schabbat von den Häusern Schammais und Hillels unterschiedlich bewertet. Während das Haus Schammais die Arbeit, die vor dem Beginn des Schabbat nicht beendet werden kann, verbietet, erlaubt das Haus Hillels diese Arbeit durch einen Fremden.173 Die Uneinigkeit in der Behandlung der Fremden in Bezug auf die Schabbatruhe ist in diesem Abschnitt nur ein untergeordnetes Motiv, wird aber in den folgenden Belegstellen wie auch in der Gemara ausführlich diskutiert. In Mischna 2,5 wird das Motiv der Angst vor Fremden im Umfeld von verbotenen Arbeiten am Schabbat analysiert:                         

 .  Wer ein Licht auslöscht, weil er sich vor „Goyim“, vor Räubern oder vor einem bösen Geist fürchtet; oder wegen eines Kranken, damit er einschlafe, ist frei. Wenn aber wegen des Lichts, wegen des Öls oder dem Docht, ist er schuldig.174

Entschuldbar sind drei Fälle für das Auslöschen der Lampe, die in gewissem Sinn höhere Gewalt darstellen. Dagegen sind die persönlichen Motive für das Auslöschen nicht ausreichend. Das Motiv der Angst vor Fremden und Räubern, das an bT Brachot 18a erinnert,175 bezieht sich offenkundig auf die Lebensgefahr, die das Schabbatgebot verdrängt.176 Wie in Brachot werden auch die Begriffe „“ und „ “ verwendet. In Mischna 6,4 wird nach Jesaja 2,4 der Begriff „Goy“ zitiert, aber nicht als vollwertige Belegstelle gewertet. In Mischna 6,5 findet sich der Begriff „  “, was in diesem Kontext als „fremde Haare“ oder Perücke interpretiert werden kann.177 Da dieser zusammengesetzte Begriff nicht der abstrakten Definition von Fremdheit entspricht, wird diese Belegstelle ebenfalls nicht weiter verfolgt. 172 G. Porton, Goyim, 209. 173 J. Neusner, A History of Mishnaic Law, 28. 174 Vgl. A. Sammter, Mischnajot, 9. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Moed. Bd. 2, 23. 175 Vgl. bT Ber 18a: „Wer Gebeine von Ort zu Ort führt, darf sie nicht in einen Doppelsack legen, auf den Esel laden und darauf reiten, weil er dadurch mit ihnen in verächtlicher Weise verfährt; wenn er sich aber vor Nichtjuden [] oder vor Räubern [ ] fürchtet, so ist dies erlaubt.“ 176 J. Neusner, A History of Mishnaic Law, 37; G. Porton, Goyim, 50. 177 Vgl. M. Jastrow, Dicitionary of Talmud Babli, 1131.

122

Die nächste Einheit, bestehend aus Mischna 9,1 und 9,6, behandelt die Verunreinigung durch fremde Idole:                 .              R. Aqiba sagte: Woher (kommt der Lehrsatz), dass ein Idol wie eine Menstruierende verunreinigt? Wie es heißt: Wirf das Unreine hinaus wie eine Menstruierende. Hinaus, sage dazu! (Jes 30,22). Sowie die Menstruierende durch Berührung verunreinigt, so verunreinigt auch das Idol durch Berührung.178                   .    

R. Yehuda sagt: Auch wer vom Zubehör des Götzendienstes etwas hinausträgt (verunreinigt sich). Denn es heißt: An deiner Hand soll nichts vom Gebannten kleben (Dtn 13,18).179

Der Zusammenhang dieser beiden Stellen betrifft die Verunreinigung durch ein Idol und das Zubehör, die mit der Unreinheit einer menstruierenden Frau verglichen wird.180 Besonders hervorzuheben ist das Zitat aus Jesaja, das eine physische Distanz zu unreinen Gegenständen befiehlt. Die gebotene Distanz zur „Avoda Zara“ wird mit einem kryptisch anmutenden Vers belegt. Dieser Vergleich der Unreinheiten durch ein Idol und das Blut der Menstruierenden wird in den Gemarot weiter verfolgt und ist deshalb ein wichtiges Motiv für die Fremdbeschreibung. Die folgende Textstelle behandelt einen Aspekt der Nutznießung durch Fremde, von dem bereits in Mischna 1,7-9 gehandelt wurde. In Mischna 16,6 wird die Hilfeleistung von Fremden bei einem Brand und in Mischna 16,8 die Nutznießung des Lichts behandelt. Sowohl der Begriff „Nori“ als auch der Begriff „Goy“ werden erwähnt:

   

        

  .  

      

 Zu einem „Nori“, der (einen Brand) löschen kommt, sage man weder „Lösche“ noch „Lösche nicht“. Man ist nicht verpflichtet, ihn zur Ruhe (am Schabbat) 178 Hier Mischna 9,1. Vgl. die Übersetzung von A. Sammter, Mischnajot, 22. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Moed. Bd. 2, 39. Das Wortspiel mit „“ lässt sich nur schwer wiedergeben. 179 Mischna 9,6. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Moed. Bd. 2, 41. 180 Vgl. G. Porton, Goyim, 249.

123

anzuhalten. Aber auf ein Kind, das zum Löschen kommt, darf man nicht hören, weil man es zur Ruhe (am Schabbat) anhalten muss.181       

          

    

                  

       .           Wenn ein „Nori“ ein Licht (am Schabbat) angezündet hat, darf ein Israelit sich an diesem Licht bedienen. Wenn er es für den Israeliten (angezündet hat), ist es verboten. Wenn er Wasser auffüllte, um sein Vieh zu tränken, so darf ein Israelit nach ihm (sein Vieh) tränken. Wenn er es für einen Israeliten tat, so ist es verboten. Hat ein „Goy“ eine Treppe gemacht, so darf ein Israelit nach ihm herabsteigen. Wenn er es für einen Israeliten tat, so ist es verboten. Eine Erzählung von R. Gamliel und einigen Gelehrten, die mit einem Schiff reisten. Ein „Goy“ holte eine Treppe, um auszusteigen. Da stiegen auch R. Gamliel und die Gelehrten auf ihr aus.182

An dieser Stelle scheint die Mischna eher der Meinung des Hauses Schammais in Mischna 1,7 zu folgen, dass die Interaktion mit Fremden am Schabbat nicht erwünscht ist. Deshalb ist nur die Nutznießung der Arbeit erlaubt, die ein Fremder im Eigeninteresse geleistet hat. So wird die Schabbatruhe nicht verletzt. Auch in Mischna 23,4 und 24,1 wird von der Nutznießung fremder Arbeit gehandelt:              

     .        

            Die Flöten, die ein „Goy“ am Schabbat gemacht, darf ein Israelit nicht zur Totenklage verwenden; außer sie kommen von einem nahen Ort. Hat man einen Sarg gemacht und ein Grab gegraben, darf der Israelit in ihm begraben werden. Wenn es aber für einen Israeliten geschah, so darf dieser nie in ihm bestattet werden.183                   

    

       .        

181 Mischna 16,6. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Moed. Bd. 2, 55-56. 182 Mischna 16,8. Die zweite Belegstelle ist nur in Ed. Parma überliefert, in Ed. Budapest fehlt „Goy.“ C. Albeck folgt der vorliegenden Überlieferung, Ders., Shisha Sidrej Mishna. Seder Moed. Bd. 2, 56. 183 Mischna 23,4. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Moed. Bd. 2, 71.

124

Wer unterwegs in die Dunkelheit gerät, gibt seinen Beutel einem „Nori.“ Wenn kein „Nori“ bei ihm ist, lege er ihn auf den Esel. Ist er am äußersten Hof angelangt, nehme er die Geräte ab, die am Schabbat genommen werden dürfen. Und von denjenigen, die nicht genommen werden dürfen, löse er die Stricke, so dass die Säcke von selbst herunterfallen.184

Es wird wiederholt, dass nur Dinge, die im Eigeninteresse des Fremden entstanden sind, zu verwenden sind.185 Der zweite Fall handelt von der Arbeit des Fremden am Schabbat, der mit Einbruch der Dunkelheit beginnt. In diesem Kontext ist die Arbeit offensichtlich erlaubt. Damit bleibt die Nutznießung der Arbeit am Schabbat unentschieden. Auch an dieser Stelle werden die Begriffe „Goy“ und „Nori“ gemeinsam verwendet. Für diese uneinheitliche Verwendung scheint es keinen erkennbaren Grund zu geben. Zusammenfassend werden die Fremden in der Mischna Schabbat offensichtlich als Nichtjuden wahrgenommen. Wenn diese Fremden am Schabbat in Kontakt mit Israeliten treten, können laut dem Text beide Seiten zur Interaktion verpflichtet sein.186 Insgesamt betrachtet liefert die Mischna auf diese Weise eine formal und inhaltlich ambivalente Fremdbeschreibung.

2.2 Das Verzeichnis der Belegstellen und die Überlieferung des Traktats 2.2.1 Das Verzeichnis der Belegstellen Wie bereits in Brachot lassen sich alle einschlägigen Belegstellen der vier Begriffe in einer Tabelle darstellen. Die so eben besprochenen Belegstellen der Mischna strukturieren die Tabelle. Doppelnennungen der Begriffe sind hervorgehoben, um einen inhaltlichen Zusammenhang betonen. yT

Goy

Nori

1,1 - 1,7

1,7/2; 1,7/6; 1,7/7; 1,7/9; 1,7/11; 1,7/17; 1,10/2

1,7/4

Ger

Zar

184 Mischna 24,1. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Moed. Bd. 2, 72. 185 So nach J. Neusner, A History of Mishnaic Law, 200. 186 Dabei scheint dieses Zusammentreffen stets im Kontext jüdischer Gebote zu stehen; vgl. Porton, Goyim, 51. Die Auswirkungen der Präsenz von Fremden, die einen Regelungsbedarf auslösen, scheint bei Porton im allgemeinen unterbewertet.

125

M 1,7 M 1,8 M 1,9 M 2,5 2,5 - 9,1

1,11/1; 1,11/2; 1,11/3; 1,11/4

1,11/1 1,12/1

2,5/1

2,5/9; 2,5/10 6,10/2; 7,1/4; 5,1/2; 6,10/10; 7,1/5; 7,1/6; 7,2/8; 7,2/9; 7,1/9 7,5/1 9,1/1; 9,1/2; 9,1/3; 9,1/4; 9,1/7; 9,1/10

7,1/3; 7,1/8; 7,1/18

M 9,1 M 9,6 9,6 - 16,6

10,6/2; 14,4/12

14,4/7

M 16,6 M 16,8 16,8 - 23,4 M 23,4 M 24,1

19,2/2 -

bT

Goy

Nori

1,1 - 1,7 M 1,7-9 1,9 - 2,5 M 2,5

11a, 17b 18b, 19a 20a, 29a 31a 32a, 32b, 33a, 33b, 51a, 63a, 68a, 68b, 80b

17b

2,5 - 9,1

9,6 - 16,6

126

14,4/9; 16,1/12

16,7/1

M 9,1 9,1 - 9,6 M 9,6

1,11/2

19,2/4; 19,5/1

Zar

25b 31a 65b 82b, 83a

86b 105a, 119a, 119b

Ger

87a 105b

33a, 56b, 67b, 33b, 68a, 68b 68b, 69a, 72b, 73a 82a, 82b, 83a, 83b 89a 105b, 119b

M 16,6 16,6 - 16,8 M 16,8 16,8 - 23,4 M 23,4 M 24,1 24,1 - 24,5

121a 122a 122a, 122b 129a, 139a, 145b, 146a, 149b, 150a 151a 153a - 153b 156a

135a, 137b, 146a 153a - 153b

130a, 132a, 137a, 145a 153a - 153b

Im Traktat Schabbat befindet sich ungefähr die Hälfte der Belegstellen zur Fremdbeschreibung außerhalb der Belegstellen der Mischna. In yT bleiben Mischna 1,9, 9,6, 23,4 und 24,1 unkommentiert, was ein inhaltliches Ungleichgewicht zur Folge hat. Da die Exegese in yT ab dem 21. Kapitel abbricht,187 kann in einem abschließenden Kapitel nur bT vorgestellt werden. An dieser Stelle ist kein Vergleich möglich. In yT 16,8 wird anstelle einer der vier Begriffe der Fremdbeschreibung die Bezeichnung „“ verwendet. Deshalb erscheint diese Belegstelle nicht in der Tabelle. Mischna 9,6 wird sowohl in yT als auch in bT nicht weiter ausgelegt. Die Verteilung der Begriffe im Traktat Schabbat scheint in yT und bT ausgewogen zu sein. Aus der Tabelle lässt sich weiterhin erkennen, dass bT zwar dem Muster in yT folgt, die Verteilung der Begriffe aber ausgeglichener ist. Der Häufigkeit der Belegstellen entsprechend werden Mischna 1,7 und 9,1 am ausführlichsten kommentiert.188 Am häufigsten erscheinen die Begriffe „Goy“ und „Zar“, während der Begriff „Ger“ erst in yT verwendet wird. Der Kommentar zu diesem Begriff nimmt von yT und bT nur unwesentlich zu. In diesem Traktat wird zudem der Begriff „Nori“ ausführlich verwendet. Allerdings ist dieser Begriff deutlich häufiger in bT anzutreffen und steht nicht konsequent in einem Zusammenhang zur Mischna. Das Vorkommen dieses Begriffs geht somit über die Vorlage der Mischna hinaus. Die Kombination der Begriffe steigert sich von zwei Stellen in yT auf zwölf Stellen in bT. Während in yT eine Verbindung von „Goy“ mit den Begriffen „Zar“ und „Nori“ besteht, liegen in bT Kombinationen aller Begriffe vor. Wegen der Fülle des Materials wird in den folgenden Kapiteln 187 Die Kapitel wurden nicht überliefert; vgl. F. G. Hüttenmeister, Schabbat, Übersetzung des Talmud Yerushalmi, 458. 188 Damit stehen die beiden Themen der Mischna, Nutznießung und Verunreinigung durch Idole, im Zentrum der Auslegung.

127

eine Fokussierung auf die wesentlichen Motive notwendig. Deshalb werden nicht alle Belegstellen direkt zitiert, sondern gelegentlich nur am Rand erwähnt.189

2.2.2 Zu Problemen der Überlieferung in yT und bT Schabbat Wie im Traktat Brachot wird für den Text des yT die „Synopse zum Talmud Yerushalmi“ herangezogen. Dort bieten sich „Ed. princ. Venedig“ und „MS Leiden“ an.190 In bT bietet sich die gedruckte Ausgabe des babylonischen Talmud von 1957 als Grundlage an.191 Die Überlieferung lässt sich anhand der Handschriften MS München 95, MS Vatikan 127 und MS Vatikan 108 überprüfen.192 Da die Überlieferung der Handschriften für dieses Traktat besonders lückenhaft ist, muss gelegentlich auch auf MS Oxford Opp 23 zurückgegriffen werden. Die Quelle des yT scheint nur an wenigen Belegstellen korrumpiert. Der Vers in yT 1,10/2 wird nach F. Hüttenmeister rekonstruiert.193 Im weiteren wird der vorhandene Text entsprechend der Synopse wiedergegeben.194 In yT 14,4/9 ist die Überlieferung in „MS Leiden“ durch Lücken teilweise entstellt und wird zufolge „Ed. Venedig“ wiedergegeben. Die Belegstelle yT 16,3/4 lässt sich nach F. G. Hüttenmeister mit dem Begriff „“ anstelle von „“ („Räuber“) rekonstruieren:195                  196 .    

189 Folgende Belegstellen werden nicht weiter kommentiert, die v.a. Zitate der Exegese sind: bT 32b, 33b, 63a, 73a, 87a und 145a. 190 P. Schäfer, Synopse zum Talmud Yerushalmi II/1-4, VII-VIII. 191 A. Sainzal, Talmud Bavli. Menukad u-Mevoar. Masseket Schabbat, Bd. 1,2, Jersualem 1969. 192 Hier zufolge „The Sol and Evelyn Henkind Talmud Text Databank“, New York, 1994. 193 F. G. Hüttenmeister, Schabbat, Übersetzung des Talmud Yerushalmi. Schabbat II/1, Tübingen 2004. 194 F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 59-60; P. Schäfer, Synopse, 14. Nach Hüttenmeister heißt es: „Es ereignete sich, dass ein Nichtjude Rabban Gamliel an einem Feiertag Fische brachte und dieser ihm sagte: Sie sind erlaubt, aber ich möchte sie nicht von ihm annehmen.“ Hier nach mBez 3,2 rekonstruiert. 195 F. Hüttenmeister, Schabbat, 399. 196 Vgl. 16,3/4, P. Schäfer, Synopse zum Talmud Yerushalmi, 70.

128

Da die Synopse in Ed. princ. Venedig und MS Leiden „“ überliefert, wird diese Interpretation vernachlässigt. In bT Schabbat musste in 11a, 17b, 18a, 20a, 29a, 31a, 33b, 51a, 68a, 68b, 80b, 86b, 119a, 122a, 129a, 139a, 150a, 151a nach den Handschriften der Begriff „Goy“ eingefügt werden. Damit ist der Begriff „Goy“ eindeutig der herkömmliche Begriff der Fremdbeschreibung. An den Belegstellen 18b, 19a, 68a, 83a, 130a, 153a, 153b ließen sich zusätzlich Abweichungen feststellen. Die Belegstellen 18b und 19a zeichnen sich durch ihre lückenhafte Überlieferung aus. Eine eindeutige Überlieferung in einer Handschrift ist nicht vorhanden. Vielmehr werden die Handschriften kombiniert und mit der gedruckten Ausgabe verglichen. Eine Kontrolle der gedruckten Ausgabe mit MS Vatikan 108 und MS Oxford Opp 23 ist deshalb nur ansatzweise möglich. Speziell in bT 19a wird in MS München 95 der Begriff „Nori“ überliefert, für den sich sonst kein Beleg finden lässt.197 Auch in bT 83a wird die gedruckte Überlieferung mit den Handschriften rekonstruiert, da offensichtlich Abweichungen vorliegen. In bT 68a, 68b, 130a und 153a-b gibt es in Bezug auf die Überlieferung der Begriffe unstimmige Ergebnisse, die nur im Vergleich der Handschriften erläutert werden können. An diesen Stellen überliefern die Handschriften MS München 95 und MS Vatikan 127 unterschiedliche Begriffe oder eine veränderte Version. Meist handelt es sich um Abweichungen, die einzelne Buchstaben oder Satzteile betreffen.

2.3 Die Auswertung der Belegstellen in yT und bT Schabbat Die Fremdbeschreibung in diesem Traktat handelt mehrheitlich von Fremden und ihren Bräuchen im Kontrast zum Festtag Schabbat. Anders als in Brachot sind die Ritualgesetze Auslöser für eine Debatte über die Einhaltung der Schabbatruhe und die Vermeidung von Verunreinigung. Wie die Fremden in der Nähe der Gemeinschaft Israels wahrgenommen werden und auf welche Weise gegenüber fremden Kulten Distanz gewahrt werden soll, kann in diesem Traktat analysiert werden. In yT werden die Motive der Mischna großzügig um neue Themenfelder erweitert und ausgestaltet. Gerade die Differenz zwischen Fremden und Israel wird argumentativ ausgearbeitet. Die Verunreinigung durch fremde Speisen, Flüssigkeiten und Idole ist die Ursache für eine wesentliche 197 Die Überlieferung wird in Schabbat nach der Mehrheit der Handschriften entschieden, obgleich normalerweise MS München 95 bevorzugt wird.

129

Distanz zu Fremden. Weiter wird die Nutznießung fremder Arbeit unter verschiedenen Vorgaben beleuchtet. Darüber hinaus wird von der Grundregel des Schabbat gehandelt und unterschiedlichen Aspekten der „Avoda Zara“. Die Fremdbeschreibung der Mischna wird in yT zudem um das Thema der Konversion erweitert.198 In bT Schabbat werden keine neuen Themen aufgeworfen, aber das Material um einige Fallbeispiele erweitert. Die Behandlung fremder Speisen aus yT wird in bT neu formuliert. In bT scheint vor allem die Verunreinigung durch fremde Idole ein wichtiges Motiv zu sein. Das Thema der Konversion wird über die Vorlage des yT hinaus ausgestaltet und abermals erweitert. Insgesamt zeigt sich, dass in yT und bT nicht mehr die Beziehung zu fremden Personen wesentlich ist, sondern verwandte Themen wie die Verunreinigung durch fremde Dienste integriert werden.

2.3.1 Über fremde Speisen und Flüssigkeiten: von Mischna 1,1 bis 1,7 Zu Beginn des Traktats Schabbat wird in yT eine Liste verschiedener Motive der Fremderfahrung vorgestellt, mit der die kulturelle Differenz zwischen Israel und den Fremden beleuchtet wird. In diesem ersten Kapitel werden yT und bT formal verglichen. Im Kontext des ersten Abschnitts zu Mischna 1,7 werden in yT Arbeiten am Schabbat verhandelt, wie das Tragen von Speisen. Dabei ist vor allem von möglichen Verunreinigungen die Rede.199 Zwischen den Häusern Schammais und Hillels werden laut yT 1,7/2 achtzehn Fälle in Übereinstimmung festgelegt:   .        

     200 .        .      

198 Die Behandlung dieses Themas könnte an der größeren Zahl an Proselyten liegen und an dem damit einhergehenden Regelungsbedarf; M. Goodman, Jewish Proselytizing in the First Century, in: J. Lieu, The Jews among Pagans and Christians in the Roman Empire, 55. 199 Vgl. yT 1,7/3; 1,7/4; F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 44; P. Schäfer, Synopse, 11: “        [...]     [...] wer unreine Getränke trinkt [...] Speisen und Getränke, die durch Flüssigkeiten unrein geworden sind.“ 200 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

130

Diese (Regeln) legten sie fest: über das Brot der „Goiym“, ihren Käse, ihr Öl, ihre Töchter, ihren Samenerguss, ihren Urin, die Gebote über Samenfluss und die Gebote über das Land der Völker.

Diese Liste konzentriert sich vordringlich auf die Speisen von Fremden und auf unreine Flüssigkeiten. Das Land der Völker wird ebenfalls zu dieser Liste gezählt.201 Diese Gebote regeln damit vordringlich die mögliche Interaktion mit Fremden, wie den Genuss der Speisen. Diese Interaktion steht nicht zwingend im Zusammenhang mit den Schabbatgesetzen, kann aber in diesen Kontext integriert werden. In yT 1,7/4 wird über denjenigen, der vor Schabbatbeginn auf dem Weg ist und in die Dunkelheit gerät, bestimmt, dass er seinen Geldbeutel einem Nichtjuden [ ] geben soll.202 Es wird nicht nur der Kontext aus Mischna 1,7 übernommen, sondern auch der Begriff „Nori“. In yT 1,7/5 wird die bereits genannte Liste wiederholt und um einige neue Elemente bereichert, wie um ihre Sprache [

], über ihre Zeugenaussagen [ ], über ihre Geschenke [ ], über ihre Söhne und Töchter und über ihre Erstlingsgaben.“203 Neben den fremden Speisen scheint der Katalog einige mögliche Beziehungen zu fremden Personen zu umfassen, wie unter anderem auch Zeugenaussagen oder Mischehen. Das Feld der Interaktion besteht auf diese Weise aus fremden Speisen, der Kommunikation mit Fremden, ihren Opfergaben sowie gemeinsamen Nachkommen, was auf die Existenz von Mischehen hinweist.204 Dann werden die einzelnen Punkte dieser Liste kommentiert und in yT 1,7/7 die Speisen der Nichtjuden verhandelt. Die Verordnungen über das Brot der Nichtjuden scheinen unklar:            ‘ ‘                                                  ‘       

201 Die Heiligkeit und Reinheit des Landes Israel besteht in Kontrast zu den Ländern der Fremden; H. Lichtenberger, „Im Lande Israel zu wohnen wiegt alle Gebote der Tora auf“. Die Heiligkeit des Landes und die Heiligung des Lebens, in: Feldmeier, Reinhard, Die Heiden, Juden, Christen und das Problem des Fremden, 94. 202 Vgl. F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 44. 203 Vgl. F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 45. 204 C. Hayes bietet eine ausführliche Auslegung einer verwandten Stelle in A“Z 36b in Bezug auf die Mischehenfrage; Dies., Gentile Impurities, 146-154.

131

                   205 .     .             Sollen wir sagen: an einem Ort, an dem es jüdisches Brot gibt, sei es Recht, dass Brot von „Goiym“ verboten ist? Sie verdunkelten es aber ab und erlaubten es. Oder: an einem Ort, an dem es kein Brot von Juden gibt, sei es Recht, dass Brot von „Goyim“ erlaubt ist. Sie verdunkelten es aber ab und verbaten es. Rabbi Mana sagte: gibt es denn eine Verdunklung bei einem Verbot? Gehört denn das Brot nicht zu den gekochten Speisen der „Goyim“? Sollen wir so sagen: an einem Ort, an dem es keine gekochten Speisen von Juden gibt, sei es Recht, dass gekochte Speisen von „Goyim“ erlaubt sind. Sie verdunkelten es aber ab und verbaten es. Vielmehr verhält es sich so: an einem Ort, an dem es kein Brot von Juden gibt, sei es Recht, dass das Brot von „Goyim“ verboten ist und sie es verdunkelten. Aber letztlich erlaubten sie es, weil es lebensnotwendig ist.

Im folgenden Vers entscheiden die Rabbanan von Caesarea, dass man sich nach demjenigen richtet, der das Brot erlaubt, unter der Auflage, es bei einem Bäcker zu kaufen. Doch diese Bestimmung wird abschließend eingeschränkt: „   “ bzw. „man verfährt nicht so.“ Diese Bestimmung wird wegen der Lebensnotwendigkeit [   ] erleichternd entschieden. In yT 1,7/9 wird bekräftigt, dass alles, was man roh zu essen pflegt, nicht als von Fremden gekochte Speise gilt.206 Das Brot fällt mit dieser Entscheidung aber unter die gekochten Speisen. Deshalb ist die erleichternde Entscheidung aus Lebensnotwendigkeit bemerkenswert. In diesem Zusammenhang wird die Erlaubnis aus Deuteronomium 2,6 zitiert, Speisen von Fremden zu kaufen.207 Durch Speisen und Geld kann man Fremde gewogen machen, wie eine Episode in yT 1,7/10 berichtet.208 R. Yonatan schickt einem hochgestellten Mann [  ], wohl einem Fremden, Geschenke, um ihn vor Gericht für die

205 Hier nach Ed. princ. Venedig, in MS Leiden ist der erste Absatz rekonstruiert. 206 F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 47. 207 Vgl. Dtn 2,6: „Was ihr an Getreide zum Essen braucht, kauft von ihnen für Silber; selbst das Trinkwasser beschafft euch von ihnen gegen Silber.“ 208 F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 48. Der Zusammenhang besteht in einem Wortspiel: „Mit Speise sollst du ihn zerbrechen („tishbero“)! Indem du ihm zu essen gibst, zerbrichst du ihn. Wenn er nämlich hart zu dir ist, sollst du ihn durch Speisen zerbrechen, und wenn das nicht (hilft), zwinge ihn durch Silber in die Knie!“ Die Worte ergibt sich über das Wort „  “ - „erwerben“ bzw. „in die Knie zwingen.“ Der Austausch von Geschenken kann aber auch negative Folgen haben, wie S. Stern belegt; Ders., Misunderstanding in Jewish-Roman Relations, in: Goodman, Martin, Jews in a Graeco-Roman World, 246-249.

132

Witwen und Waisen Israel gnädig zu stimmen. Weiter wird in yT 1,7/11 über Käse und Milch der Fremden bestimmt: .           

  ’   

     .

    

         .       

             Ihr Käse: Rabbi Yirmeya sagte: warum ist die Milch eines „Goy“ verboten? Sie ist verboten wegen der Mischung mit unreinem Vieh. Aber es wird doch so gelehrt: Wenn ein Jude in der Herde steht und der „Goy“ melkt und bringt ihm dann (Milch), fürchte er nichts. Rabbi Ba im Namen des Rav Yehuda, Rabbi Simon im Namen des Rabbi Yehoshua ben Levi: Warum ist die Milch eines „Goy“ verboten? Wegen des Offenstehens.209

Die Milch ist offenbar nicht grundsätzlich unrein, wenn ein „Goy“ die Kuh gemolken hat. Die Milch ist wegen des Offenstehens verboten und der Sorge, das Getränk könnte verunreinigt oder vergiftet worden sein.210 Das Motiv für diese Handlung ist die Vorsicht. Im weiteren wird über das Öl von Fremden debattiert, und obwohl es von manchen Autoritäten erlaubt wird, gilt es in 1,7/15 als inakzeptabel. Die Rabbinen sind sich offensichtlich nicht völlig einig über diese Entscheidung. Über die Töchter der Fremden wird in 1,7/17 negativ entschieden, da es laut Deuteronomium 7,3 verboten ist, sich mit ihnen zu verheiraten.211 Diese Auslegung nach Rabbi Abin betrifft die sieben Völker.212 So wird die Unreinheit der Personen mit den fremden Speisen und Flüssigkeiten in Verbindung gebracht.213 Folglich wird weiter an dieser Stelle über die Unreinheit des männlichen Samens gehandelt: 

                 .   214 .      

    

209 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Vgl. die Übersetzung von F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 48. 210 Vgl. yT A“Z 2,9/1; „       

“: der ganze Abschnitt in yT A“Z lässt sich gut mit yT Shab vergleichen und weist die gleichen Argumente und Entscheidungen auf. 211 Vgl. Dtn 7,3: „Du sollst [...] dich nicht mit ihnen verschwägern. Deine Tochter gib nicht seinem Sohn, und nimm seine Tochter nicht für deinen Sohn.“ 212 Vgl. F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 52. 213 Diesen Zusammenhang zwischen Flüssigkeiten bzw. Ausscheidung der Fremden und ihrer Unreinheit beschreibt auch C. Hayes, Dies., Gentile Impurities, 108. 214 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

133

Ihr Samenerguss: Haben nicht Rabbi Aha, Rabbi Hinena im Namen des Rabbi Yoanan gesagt: der Samenerguss eines „Goy“ ist rein? Ein Samenerguss kann ohne Urin nicht austreten.

Der Samen ist unrein, weil er mit dem Urin in Kontakt kommt. So steht das Verbot der Mischehe im Kontext der Unreinheit des fremde Samens.215 Auf diese Weise zeigt sich, dass die Unreinheit ein Leitmotiv für das Verbot der konkreten Interaktion ist. Auch das Verbot des Landes der Nichtjuden in yT 1,7/19 hängt mit der Unreinheit der Gefässe zusammen. Ausschließlich in der Frage des Brotes besteht eine gewisse Erleichterung, weil es als lebensnotwendig eingestuft wird. Abschließend stellt sich die Frage, ob die Speisen der Fremden vorbereitet sein müssen oder nicht. In yT 1,10/2 findet sich dazu folgender Disput:      .     ‘         . Rabi Hiyya der Ältere und Rabi Shimeon be Rabbi; einer sagte: Etwas von einem „Goy“ muss zubereitet sein. Der andere sagte: Etwas von einem „Goy“ muss nicht zubereitet sein.216

An dieser Stelle gibt es offenbar keine Entscheidung über die Frage, ob Speisen von Fremden gekocht werden müssen. In bT wird diese Frage schließlich zugunsten der gekochten Speisen entschieden.217 Die weitere Diskussion versucht, diese Meinungen bestimmten Autoritäten zuzuordnen, was aber nicht zu einer abschließenden Auflösung führt. Es scheint, als ob die Entscheidung von den Nahrungsmitteln selbst abhängt.218 Die Diskus-

215 C. Hayes, Gentile Impurities, 158. Die körperliche Unreinheit führt zu einer „Genealogical Impurity“ bzw. der rituellen Unreinheit, die Fremde inkompatibel macht. 216 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 217 Vgl. bT 20a. L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 487: „R. Asi sagte im Namen R. Yoanans: Was [bei einem Israeliten] wie die Speise des Ben Drusaj angekocht hat, ist nicht mehr als Speise eines Nichtjuden [    ] zu betrachten.“ Weiter wird in bT 51a festgehalten, dass rohe Speisen nicht wegen den von Nichtjuden gekochten Speisen [    ] verboten sind. Offenbar besteht eine genaue Differenzierung, die sich nicht völlig aufklären lässt; S. Krauss, Talmudische Archäologie Bd. I, 504. 218 Vgl. F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 60-61; hier werden Trauben aus dem Weinberg des Nichtjuden verboten, vertrocknete Trauben aber erlaubt.

134

sion beginnt mit der Unreinheit, um auf die Lebensnotwendigkeit des Brots und die Furcht vor einer Vergiftung durch fremdes Essen zu stoßen.219 Auch in bT wird in diesem ersten Abschnitt die Unreinheit von fremden Speisen und Flüssigkeiten besprochen. Der Kommentar in 17b fasst die genannten Motive zu einem Kommentar zusammen.220 Die achtzehn Gebote der Häuser Schammais und Hillels strukturieren die Diskussion:

            ’                                                             .           



R. Aha b. Ada sagte im Namen R. Yaqs: Man hat über ihr Brot wegen ihres Öls, über ihr Öl wegen ihres Weins, und wegen ihres Weins über ihre Töchter (negativ) entschieden. Über ihr Brot wegen ihres Öls. Weshalb wird das Öl vom Brot abgeleitet? Ihr Brot von ihrem Öl wegen ihres Weins; und ihren Wein wegen ihrer Töchter und ihre Töchter wegen einer anderen Sache. Eine andere Sache aber wegen einer anderen Sache. Was ist diese andere Sache? R. Namann b. Yaq sagte: sie entschieden über ein Kind eines „Goy“, dass es wie eine Menstruierende verunreinigend sei, um ein Kind von Israeliten nicht an sexuelle Unzucht zu gewöhnen.221

In dieser Abhandlung werden Argumente aufgegriffen, die bereits in yT besprochen wurden. Die Nutzung der fremden Hilfe am Schabbat wird mit yT entschieden und ebenso der Begriff „Nori“ verwendet. Die Vorlage der Mischna ist wohl für die Verwendung dieses Begriffs verantwortlich zu machen. Im Gegensatz zu yT werden in diesem Abschnitt die Verbote von Brot, Öl, Wein und der Töchter in einen kausalen Zusammenhang gesetzt. Ausgehend von fremden Speisen und Flüssigkeiten wird auch über die Töchter erschwerend entschieden, wie über eine „andere Sache“ [  ]. Diese

219 Das Verbot der Milch und anderer Getränke, die durch Offenstehen vergiftet sein könnten, findet sich ausführlicher in yT A“Z 2,9/1. 220 Die Belegstelle 11a wurde ausgelassen, da sie keinen wesentlichen Beitrag zur Fremdbeschreibung leistet. 221 Hier der Übersetzung von L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Berakhot, Mishna Zeraim. Schabbat. Bd. 1, 480-481, entlehnt. Die Überlieferung deckt sich mit MS München 95, MS Vatikan 127 ist lückenhaft.

135

”Sache“ bezieht sich wohl auf die sexuelle Unzucht, weil der Kontakt mit einem „Goy“ ursächlich für die Verunreinigung ist.222 Damit berührt der Katalog möglicher Interaktionen mit Fremden die Verunreinigung, die im Fall der sexuellen Unzucht auch als moralische Unreinheit verstanden werden kann.223 Das Motiv der Unreinheit von Speisen und Flüssigkeiten wird in bT vergleichbar mit yT behandelt, bleibt aber durch die kausale Verknüpfung auf die Verbote beschränkt. Auch in bT wird eine inhaltliche Verbindung zu Mischehen mit Fremden hergestellt.224 Die Diskussion über das Brot und die Unreinheit des Samens von Fremden fehlt allerdings in bT. Auf diese Weise sind fremde Speisen und Flüssigkeiten ein Merkmal der Distinktion, weil damit die soziale Interaktion reglementiert werden kann.

2.3.2 Die Arbeit von Fremden am Schabbat: zu Mischna 1,7, 1,8 und 1,9 Mischna 1,7, 1,8 und 1,9, die in diesem Kapitel besprochen werden, handeln übereinstimmend von der fremden Arbeitsleistung für Israeliten am Schabbat. Dabei bleibt zwischen den Häusern von Schammai und Hillel ungeklärt, ob Fremde im Auftrag eines Israeliten auch am Schabbat arbeiten dürfen. In yT 1,11/1 wird die Mischna ausgelegt, die die Arbeit eines Fremden wegen der räumlichen Entfernung verbietet: .   .                  .      

           .              .

                

  .      . Was ist ein nahegelegener Ort? In Übereinstimmung mit dem, was Schmuel sagte: wie von Hutra nach Nehardea. Das gilt auch hier. Es gibt jemanden, der sagt, bis man zu seinem Haus gelangt und es gibt einen, der sagt, bis man zu seiner Stadt gelangt. Rabbi Aqiva sagt: dass man die Schwelle des Hauses überqueren kann und dann den Tag heiligt. Rabbi Yoanan sagte: nach den Worten Rabbi Yoses ent222 Diese Auslegung folgt C. Hayes, Palestinian Rabbinic Attitudes to Intermarriage in Historical and Cultural Context; in: R. Kalmin, Jewish Culture and Society unter the Christian Roman Empire, 24. 223 Gerade der Zusammenhang zwischen Unreinheit und dem Verbot der Mischehe, den C. Hayes als rabbinische Konstruktion betrachtet, lässt sich an dieser Stelle gut beobachten; Dies., Intermarriage and Impurity in Ancient Jewish Sources, HTR 92:1, 1999, 3-36. 224 S. J. D. Cohen, The Beginnings of Jewishness, 246. Der Kontakt zu Fremdem wird in yT und bT mit den gleichen Argumenten limitiert.

136

scheidet Rabbi Aqiva zugunsten von Hillels Schule. Man darf einem „Goy“ nicht etwas geben, damit er es beim Hinausgehen herumträgt. Wenn er es aber selbst genommen hat und hinausgegangen ist, trägt man keine Verantwortung. Einem Hund darf man nicht etwas geben, damit er es beim Hinausgehen herumträgt. Wenn er es aber selbst genommen hat und hinausgegangen ist, trägt man keine Verantwortung.225

Der erste Abschnitt scheint der Meinung des Hauses Shammais in Mischna 1,7 zu entsprechen, den Fremden keinen Arbeitsauftrag zu geben, der nicht vor dem Beginn des Schabbat beendet werden kann. Die potentielle Entfernung gibt dabei den Ausschlag. Die Schabbatgesetze sind deshalb auch für Fremde [] wirksam. Ein Vorschlag zur Güte ist, zwischen einem Auftrag an einen Fremden und seiner eigenen Intention zu unterscheiden, da für die Intention des Fremden keine Verantwortung besteht. Hierfür wird die abwertende Analogie zwischen „Goy“ und Hund verwendet, was den Fremden ein allgemeines Unverständnis für den Schabbat unterstellt. Es fällt auf, dass auch an dieser Stelle der Begriff „Nori“ offensichtlich durch „Goy“ ersetzt wurde.226 Im weiteren wird das genaue Maß der Arbeitsleistung in yT 1,11/2 bestimmt:       

              .      (!)        .        

      ’’ [...]  227 .     Es wird gelehrt: Handwerker der „Goyim“, die bei einem Juden arbeiten. Im Haus des Juden ist es verboten und in ihren Häusern erlaubt. Rabbi Shimon ben Leazar sagte: Auf welchen Fall beziehen sich diese Worte? Auf die vertraglich (vereinbarte Arbeit), aber bei einem Tagelöhner ist es verboten. [...] R. Shimon ben Bakqana im Namen des R. Aha: am Schabbat, bei einem Trauerfall und beim fremden Dienst entspricht die Halacha R. Shimeon ben Elazar.228

Es erfolgt das explizite Verbot, fremde Handwerker in einem jüdischen Haus arbeiten zu lassen. In anderen, nicht näher spezifizierten Häusern ist es 225 Vgl. die Übersetzung von F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 61-62. Hier nach Ed. princ. Venedig, in MS Leiden ist der Text lückenhaft überliefert. 226 Auch im Traktat Brachot zeigt sich, dass der Begriff „“ in der Exegese den Begriff „ “ verdrängt. Hierfür gibt mBer 7,1 ein Beispiel; vgl. Ber yT 7,1/13 und bT 47b. 227 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 228 Diese Halacha bezieht sich auf R. Shimon ben „Leazar“. Der Name ist an dieser Stelle wohl falsch überliefert.

137

offenbar erlaubt. Da der unter Vertrag stehende Handwerker nicht am Schabbat bezahlt werden muss, ergibt sich im Gegensatz zum Tagelöhner keine Übertretung des Ruhegebots.229 Ein Anlass für das Verbot der Arbeit von Fremden kann auch der fremde Dienst, die „Avoda Zara“, sein. Der Regelungsbedarf, der von den Ruhegeboten ausgeht, betrifft auf diese Weise auch die Fremden. Ein Beispiel dafür ist die Reglementierung von Botengängen in yT 1,11/3:    

    

     

      

  ‘   

       230 .    Man darf weder am Abend des Schabbat noch am Donnerstag Briefe durch einen „Goy“ versenden. Die Schule Schammais verbietet es sogar am Mittwoch, doch die Schule Hillels erlaubt es. Man sagte von Rabbi Yose Hakohen, dass sich niemals ein Schriftstück von ihm in der Hand eines „Goy“ befunden habe.

An dieser Stelle werden die Gebote der Mischna deutlich verschärft, auch wenn sie im Namen Hillels und Schammais ausgelegt werden. Es muss sichergestellt werden, dass die Arbeit nicht in den Schabbat fallen kann. Eine weitere Bestimmung in yT 1,11/3 ist, keine Seereise an einen fremden Ort anzutreten, die in den Schabbat fallen kann. In yT 1,11/4 wird beschlossen, dass mit der Belagerung einer fremden Stadt nicht weniger als drei Tage vor Schabbat begonnen werden darf. Da zwischen einem von der Tora gebotenen Krieg und einem freiwilligen Krieg unterschieden wird, ist die Belagerung einer fremden Stadt sogar am Schabbat erlaubt.231 In yT 1,12/1 wird nach Mischna 1,8 die Arbeit des nichtjüdischen Wäschers [    ] behandelt:        . 

                              .    232 .    

229 F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 62, F. 535. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Distanz gegenüber fremden Kulten eine andere, theoretische Bedeutung, wie R. Goldenberg erläutert; Ders., The Place of Other Religions in Ancient Jewish Thougt etc., in: M. E. Marty, Pushing the Faith etc., 28-29. 230 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 231 Diese Entscheidung geht auf Deuteronomium 20,10-20 zurück. Vgl. dazu M. Goodman, Rome and Jerusalem, 322-344; siehe bes. 340. 232 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

138

Hat man seine Kleidung dem nichtjüdischen Wäscher gegeben und findet ihn, wie er sie am Schabbat bearbeitet, ist es verboten. Rabbi Yudan sagte: Man kann ihm doch sagen, er solle sie nicht dann bearbeiten! Rabbi Yudan, der Vater des Rabbi Mattanya, sagte: Was du sagst, gilt, wenn es ein Gefallen war, aber wenn er Lohn erhält, gehört es zu seiner Arbeit.

Die Aussage gleicht dem oben genannten Argument, niemanden gegen Lohn am Schabbat arbeiten zu lassen. Wenn der Fremde die Arbeit allerdings freiwillig unternimmt, besteht keine Verantwortung. Die weitere Auslegung der Mischna 1,9 liefert keine verwendbaren Aussagen im Sinn der Fremdbeschreibung. So ist die Behandlung der Mischna in yT sowohl von einer Spezifizierung als auch von Verschärfung geprägt.233 Bis auf den festen Begriff des „    “ wird im allgemeinen der Begriff „Goy“ vorgezogen und anstelle von „Nori“ verwendet. Welche Unterschiede zwischen diesen Begriffen bestehen, bleibt weiter zu klären.234 Im Vergleich ist die Behandlung der Mischna 1,7, 1,8 und 1,9 in bT ebenso ausführlich. Der Kommentar zu Mischna 1,8 lautet in bT 18b:                             [  ]  

  

  [...] 

  .      Die Rabbanan lehrten: Ein Mensch verkaufe seine Sachen keinem „Goy“ und leihe ihm nichts, borge nichts und schenke ihm nichts, außer, er kann sein Haus erreichen [...]. Und die vom Haus Hillels sagen, so, dass er das Haus an der Stadtmauer erreichen kann. R. Aqiba sagt, so, dass er die Tür des Hauses verlassen kann.235

Im Gegensatz zu yT wird der Kommentar gestrafft und die Diskussion über den „  “, den nahegelegenen Ort, fehlt. Dafür werden drei ver233 Vergleichbar mit der Differenzierung der Speisen gibt es auch im Fall der Arbeit durchaus Möglichkeiten, mit Fremden in Kontakt und wirtschaftlichen Austausch zu treten; E. P. Sanders, Jewish Association with Gentiles and Galatians 2:11-14, in: R. Fortna, The Conversation Continues, 178. 234 Die zusammengesetzten Begriffe wie „    “ oder „   “ aus bT 65b werden als unveränderliche Begriffe aufgefasst, die im Rahmen der Tradition überliefert wurden und eine feste Bedeutung haben. In bT Shab 65a sollen sich Priestertöchter nicht an „fremde Körper“ [   ] gewöhnen; vgl. L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 630. 235 Hier nach MS München 95. In MS Oxford Opp 23 ADD 23 gibt es erhebliche Abweichungen, die auf einer korrumpierten Überlieferung beruhen. MS Vatikan 127 gibt diese Belegstelle stark verkürzt wieder:   

   

 

  

 .

139

schiedene Meinungen abgegeben, wie weit der Fremde mindestens entfernt sein muss. Die Meinung von R. Aqiba wird yT entsprechend wiedergegeben und eine erleichternde Regelung vorgeschlagen. Im folgenden Abschnitt bT 18b kommt ein neuer Aspekt zur bestehenden Debatte:     ‘    ’’          ’’ .      ’

  Die Rabbanan lehrten: man darf sein Gesäuertes keinem „Goy“ verkaufen, außer man weiß, dass es ihm vor Pessach ausgehen kann. Das sind die Worte der Schule Schammais. Die Schule Hillels sagt: Solange man es essen darf, darf man es auch verkaufen.236

An dieser Stelle wird die Thematik des Verkaufs von Gesäuertem an Pessach eingeführt, die eher zum Kontext des Traktats Pessachim zu gehören scheint.237 Wie in Pessachim wird der Verkauf des Gesäuerten eingeschränkt. Der Kontext ist der Handel mit einem Fremden an einem Feiertag, was zum Festtag Schabbat passt. Im Anschluss wird in bT 19a ein Motiv aus yT aufgenommen:          

                        .            Die Rabbanan lehrten: Man darf dem Hund (am Schabbat) Futter im Hof geben. Wenn er es nimmt und hinausträgt, so ist man nicht dafür verantwortlich. Daraus folgt, dass man dem „Goy“ Futter im Hof geben darf, und wenn er es nimmt, ist man dafür nicht verantwortlich. Und warum? Es ist ja das Gleiche. Man könnte von dem, den man ernähren muss, auf den schließen, den man nicht ernähren muss.238

236 Hier nach MS München 95, in MS Oxford Opp 23 nur durch eine geringfügige Auslassung verändert. In Handschrift München wird in 18b parallel der Begriff „Nori“ erwähnt, in den anderen Handschriften nicht. 237 Vgl. Pess bT 21a: „Die Schule Schammais sagt, man dürfe sein Gesäuertes einem Nichtjuden [ ] nur dann verkaufen, wenn man weiß, dass es vor dem Pessachfest zu Ende sein wird, die Schule Hillels sagt, solange man es essen darf, dürfe man es auch verkaufen.“ 238 Hier nach MS München 95, MS Oxford Opp 23; in MS Vatikan 127 fehlt die Stelle.

140

Vergleichbar mit yT wird ein Unterschied zwischen dem Auftrag an einen Fremden und seiner eigenen Intention gemacht.239 Die Analogie zwischen Hund und „Goy“ wird in dem Bewusstsein gezogen, dass es keine Verpflichtung gibt, Fremde zu ernähren. Weiter an dieser Belegstelle wird die Arbeit am Schabbat folgendermaßen reglementiert:           

                       

    

 .         

      Die Rabbanan lehrten: Man darf am Vorabend des Schabbat einem „Goy“ nicht seine Geräte vermieten. Am Mittwoch und Donnerstag ist es aber erlaubt. Daraus folgt, dass man keine Briefe in der Hand eines „Goy“ am Schabbat Abend verschicken darf. Am Mittwoch und Donnerstag ist es erlaubt. Man erzählte über R. Yose Ha-Kohen und einige sagen, über R. Yose Ha-asid, dass sich nie ein Schreiben aus seiner Hand in der Hand eines „Goy“ befunden habe.240

Im Gegensatz zu yT geht es nicht um die Arbeitsleistung eines Fremden, sondern um die Geräte [ ]. Das Versendung von Briefen vor dem Schabbat wird nach der Meinung des Hauses Hillels entschieden, während die Meinung des Hauses Schammais nicht weiter beachtet wird. Im folgenden wird ausführlich diskutiert, unter welchen Umständen man dennoch einen Brief senden darf. Nach der Meinung des bT darf man nur dann Briefe versenden, wenn eine Belohnung beziehungsweise eine Bezahlung ausgesetzt wird.241 Weitere Motive, die aus dem yT stammen, sind die Seereise, die nur unter bestimmten Umständen angetreten werden darf und die Belagerung einer fremden Stadt [

 ]. Im Unterschied zu yT wird entschieden, dass nach dem Beginn der Belagerung für den Schabbat keine Unterbrechung nötig ist. Im Sinne von Deuteronomium 20,20 wird festgelegt, dass die Stadt belagert wird, bis sie fällt.242

239 Grundsätzlich ist der Handel verboten, wenn die Gegenstände für den fremden Dienst verwendet werden; G. Porton, Forbidden Transactions: Prohibited Commerce with Gentiles in Earliest Rabbinism, in: „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 322. 240 Hier nach MS München 95, MS Oxford Opp 23, Soncino, und MS Wilna überliefern an der ersten Stelle „ “. 241 Vgl. L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 485. 242 Vgl. L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 485. Diese Stelle überliefert auch MS Vatikan 127 entsprechend MS München 95 und Ox. ADD 23.

141

Die Motive der Fremdbeschreibung ähneln auf diese Weise der Vorlage in yT, die sich zwar nicht immer der gleichen Argumente bedient, aber ähnliche Schlussfolgerungen zieht. Insgesamt wird die Halacha verschärft und die Distanz zu Fremden vergrößert. Die Regelung der Ausnahmen wird im Fall der Sendung von Briefen großzügiger gehandhabt. In bT wird dafür ausschließlich der Begriff „Goy“ verwendet.

2.3.3 Fremde und die Hierarchie Israels: zu Mischna 2,5 Die Erlaubnis, das Licht zu löschen, bezog sich in Mischna 2,5 auf das Motiv der Angst vor Fremden und Räubern. In diesem Kontext erscheint in yT der Begriff „Nichtpriester“ [], der schwer in diese Debatte zu integrieren scheint. Wenn der Nichtpriester aber entsprechend der ursprünglichen Bedeutung primär als Fremder eingestuft wird, geht es um eine soziale Hierarchie, in der Fremde einen eigenen Platz zugewiesen bekommen.243 In den Gemarot kontrastieren nichtjüdische Fremde [] mit jüdischen „Fremden“, die nicht der Priesterklasse angehören. In diesem Kapitel werden deshalb die Fremden innerhalb der sozialen Hierarchie Israels verortet. In yT 2,5/1 wird direkt zu Mischna 2,5 Stellung bezogen:     “ .’   ‘     ‘  ‘

     ‘ .  

  .  

  244 .          .    Es wird gelehrt: Löscht jemand die Kerze aus Furcht vor „Goyim“ etc. Rabbi Shmuel bar Rab Yishaq sagte: wegen gefährlichen „Goyim“, wegen gefährlichen Räubern. Rabbi Yose fragte: wenn wegen gefährlicher Räuber ist, ist es dann erlaubt? Die Rabbanan von Caesaria im Namen R. Yose ben aninas: es ist erlaubt.

Diese Auslegung präzisiert die Vorlage der Mischna, denn nur wegen gefährlicher Fremder [  

] wird das Löschen der Lampe gestattet. Die Aussage der Mischna wurde wohl als zu doppeldeutig empfunden und verlangt nach einer Erklärung. Das Motiv der Angst wird stärker hervorgehoben und der Zusammenhang zwischen Fremden und Räubern betont, da 243 Dies ist ein Beleg für ein konservatives, an der Tora orientiertes Gesellschaftsmodell, dem die rabbinische Literatur in weiten Teilen folgt. Vgl. S. Olyan, Rites and Rank, 27-35. Weiter dazu F. Siegert, Die Synagoge und das Postulat eines unblutigen Opfers, in: B. Ego, Gemeinde ohne Tempel. Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, 353-355. 244 Hier nach Ed. princ. Venedig.

142

offenbar beide „gefährlich“ [  

] sein können. So stimmen die verschiedenen Rabbinen überein, das Licht aus diesen Gründen löschen zu dürfen. Im Rahmen dieser Mischna findet sich in yT 2,5/9-10 eine ausführliche Abhandlung über den „Zar“. Der Kontext ist die verbotene Arbeitsleistung am Schabbat: .      .  

  

 

             .   

.     

   .      .           .      .   Ein „Zar“, der am Schabbat im Tempel Dienst getan oder ein Behinderter, der unrein Dienst getan hat. R. Hiyya der Ältere sagte, er ist zwei (Sündopfer schuldig), Bar Qappara sagte, eines. Bar Qappara erwiderte Rabbi Hiyya dem Älteren: wegen eines Dienstes, der einem Priester erlaubt ist, sollte ein „Zar“ schuldig sein? Er stellte die Frage und antwortete sie selbst: Wie die Handvoll (beim Mehlopfer), solange sie noch nicht ausgehoben ist, ist sie diesen wie jenen (verboten). Ist sie ausgehoben, ist sie „Zarim“ verboten und Priestern erlaubt. Dieser sagte: Hier ist es etwas anderes, denn es steht geschrieben: kein „Zar“ darf Heiliges essen (Lev 22,10).245

Ein Nichtpriester, der am Schabbat im Tempel Dienst getan hat, wird zu einem bestimmten Strafmass verurteilt, weil er nicht aus der Priesterkaste stammt und damit den Anforderungen für den Priesterdienst nicht entspricht. Die Diskussion entzündet sich an der Höhe des Strafmasses. Eine Analogie zum Mehlopfer, die auf den zeitlichen Ablauf des Opfers verweist, wird mit dem Zitat aus Levitikus 22,10 zurückgewiesen, dass kein Fremder das heilige Opfer essen dürfe. Dies entspricht dem Anspruch der Priester, allein Zugang zu den Opfern zu haben.246 Mit Levitikus 22,10 wird auf die soziale Differenz von Nichtpriestern und Priestern hingewiesen, wodurch der „Zar“

245 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 246 Vgl. In mKelim, 1,8 werden die zehn Grade der Heiligkeit beschrieben. K. H. Rengstorf, Die Mischna. Kelim (Gefässe), 81: „Heiliger als dieses [das Gebiet innerhalb der Mauer] ist der Tempelberg. Diesen dürfen (nämlich) Samenflussbehaftete und an Blutfluss erkrankte (Frauen), Menstruierende und Wöchnerinnen nicht betreten. Heiliger als dieser ist die Schanze. Diese dürfen Nichtjuden und Leichenunreine nicht betreten.“

143

zu einem Fremden innerhalb der jüdischen Gesellschaft gestempelt wird.247 In yT 2,5/10 wird anhand des Vogelopfers und dem oben genannten Zitat die Differenz zwischen Priestern und Nichtpriestern wiederholt. Auch ein Fall über unverzehntete Fürchte führt zur gleichen Entscheidung.248 Die Übertretung der religiösen Ordnung durch Fremde ist ein Angriff auf die Tradition und die Vorrechte der Priester. Die Einhaltung der Hierarchie garantiert die religiöse Ordnung Israels. Insofern sind die Belegstellen vergleichbar, da es um die Klassifizierung von Fremden geht, die durch ihre Anwesenheit beide Male die Ordnung Israels stören. Im Vergleich zu diesen Belegstellen lässt sich auch in bT Material zur Fremdbeschreibung finden, das dem Thema der sozialen Hierarchie entspricht. Dass Hierarchien von Bedeutung sind, zeigt ein knapper Kommentar in bT 11a, denn dort wird eine hierarchischen Liste mit verschiedenen Berufen überliefert.249 In bT 25b wird über die Hebe, das heilige Opfer, gehandelt und dabei das Verbot [ ], die Hebe zu entnehmen, erwähnt.250 Während des Opfers ist der Nichtpriester wegen seiner Vorfahren nicht zugelassen, wie in yT deutlich wurde. Die Behandlung des Nichtpriesters orientiert sich zwar an der Exegese, zeigt aber, dass der soziale Status des „Zar“ eine Facette in der Hierarchie Israels ist.

247 In Levitikus werden auch Beisassen und Gehilfen des Priesters ausgeschlossen. Der Deutung, dass es um Fremde geht, schließt sich F. Hüttenmeister an; Ders., Schabbat, 91. 248 Vgl. F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 91. 249 Vgl. L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 462. Hier nach MS München 95 und MS Vatikan 127:  ,   ,    ,         ,     ,      ,   ,    . „Unter einem Araber, nur nicht unter einem Nichtjuden, unter einem Nichtjuden, nur nicht unter einem Gerber [hier: Hexenmeister; nach J. Neusner], unter einem Gerber, nur nicht unter einem Schriftgelehrten, unter einem Schriftgelehrten, nur nicht unter einer Waise oder einer Witwe.“ Wenn auch die genaue Interpretation dieser Belegstelle unklar bleibt, gilt sie als indirekter Hinweis auf eine soziale Hierarchie. Der Vorschlag J. Neusners, einen Gegensatz zwischen der Herrschaft Roms und Babylons zu konstruieren, kann bezweifelt werden; Ders.; Jews in Babylonia, Vol. II, 37. 250 Vgl. L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 503.

144

Zu Mischna 2,5 findet sich in bT kein direkter Kommentar, sondern eine fiktive Kontroverse von Hillel und Schammai über Fremde und die Konversion. In bT 31a beantwortet Hillel Fragen, die das Aussehen bestimmter Ethnien betreffen.251 Diese ironischen Beschreibungen bestätigen die Diversifikation der Menschheit. Wie in Brachot yT 9,2/6 sind die Fremden nicht zwingend eine homogene Masse,252 sondern besitzen durchaus ein verschiedenes Aussehen. Im weiteren wird die Episode dreier Fremder berichtet, die bei Schammai und Hillel konvertieren möchten. Zuerst wird über einen „Goy“ gehandelt, der ausschließlich die schriftliche Tora studieren und konvertieren [  ] möchte. Da Schammai diese Bedingung nicht akzeptiert, geht der Fremde zu Hillel, der ihn zum Proselyten macht und ihm beide Lehren erläutert. Die nächste Herausforderung besteht darin, die Tora auf einem Bein zu erklären, die wiederum Shammai verweigert und nur Hillel vermitteln kann: „Was dir verhasst ist, füge deinem Nächsten nicht zu“ [        ]. Weiter wird folgendes berichtet:                  

’’       ’’           

            ‘    ’’   

          ’’   

       ’’ ‘       ’’

 

’’                            ’ ’’        

          

       

               ‘       ’’      .         

 ’’

 Eine weitere Erzählung von einem „Goy“, der an einer Synagoge vorüberging und die Stimme eines Vorlesers hörte, der folgendes sagte: „Dies sind die Kleider, die sie anfertigen sollen“ (Ex 28,4). Da trat er vor den Vorleser und fragte: Für wen sind diese? Er antwortete ihm: Sie sind für den hochwohlgeborenen Hohenpriester gedacht. Da dachte dieser „Goy“ bei sich: Ich will gehen und zu einem „Ger“ werden (konvertieren), damit man mich zum Hohenpriester macht. Er kam vor Schammai und sprach: Mache mich zum „Ger“ unter der Bedingung, dass du mich zum Hohenpriester machst. Der schlug ihn mit einer Elle, die er in der Hand hatte. Darauf kam er zu Hillel und sagte: Mache mich zum „Ger“ unter der Bedingung, 251 Vgl. 31a; L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 521: „[...] Weshalb sind die Köpfe der Babylonier rund? [...] Weshalb sind die Augen der Palmyrenser triefig? [...] Weshalb sind die Füße der Afrikaner breit?“ 252 Vgl. die Belegstelle yT Ber 9,6/2.

145

dass du mich zum Hohenpriester machst. Er sagte ihm: Man setzt niemanden anderes neben den König, als einen, der die Regierungsordnung kennt. Geh und lies (die Tora). Als er (der Fremde) an die Stelle kam: „ein „Zar“, der sich (dem Heiligsten) nähert, soll sterben,“ (Num 1,51) fragte er ihn: Auf wen bezieht sich dieser Vers? Er (Hillel) antwortete ihm: Selbst auf David, den König Israels. Da schloss dieser „Ger“ mit einem Schluss vom Leichteren auf das Schwerere auf sich selbst: Wenn es von den Israeliten, die als Kinder Gottes bezeichnet werden und die er (Gott) aus Liebe „meinen erstgeborenen Sohn Israel“ genannt hat, heißt: „ein „Zar“, der herantritt, soll sterben“, um wie viel mehr gilt dies von einem einfachen „Ger“, der mit Stab und Wandersack gekommen ist. Da kam er nochmals zu Schammai und sprach: Ich bin es nicht wert, Hohenpriester zu werden, denn es steht geschrieben: „ein „Zar“, der herantritt, soll sterben“. Dann kam er vor Hillel und sprach: Sanftmütiger Hillel, der Segen möge auf deinem Haupt ruhen, denn du hast mich unter die Fittiche der Gottesgegenwart gebracht.253

Diese Episode offenbart einige Motive der Fremdwahrnehmung, die den Zusammenhang der Begriffe „Goy“, „Ger“ und „Zar“ verdeutlicht. Alle drei Figuren sind Fremde, allerdings mit unterschiedlichen Konnotationen. Die Figur des „Goy“ ist in diesem Fall einfältig und eigennützig; ein fremder Nichtjude par exellence. Nur durch den guten Vorsatz Hillels kann dieser Fremde die nächste Stufe, den Status des „Ger“, erreichen und den Wert der Lehre erkennen. Das Zitat aus Nummeri 1,51 verbietet analog zu Levitikus 22,10 diesem „Zar“, dem Tempel zu nahe zu treten.254 Erneut wird die soziale Ordnung Israels verhandelt. Der Proselyt und der Nichtpriester sind Fremde in Israel und haben einen untergeordneten sozialen Status. Beide, sowohl der Proselyt als auch der Nichtpriester, sind im Vergleich zum Priester Fremde und doch keine Fremden wie der „Goy“. Die Autoren spielen an dieser Stelle offensichtlich mit den Bedeutungsnuancen der verschiedenen Begriffe. Es zeigt sich eine soziale Hierarchie, die Fremde in die eigene gesellschaftliche Struktur einbaut.255 In der sozialen Hierarchie ist der fremde „Goy“ ganz unten angesiedelt. Es folgt der „Ger“, der Proselyt ist, und der „Zar“, der Israelit ist, aber kein

253 Hier nach MS München 95, in MS Vatikan 127 mit geringfügigen Abweichungen überliefert. 254 Vgl. Lev 22,10: „Kein Laie darf Heiliges essen; weder der Hausgenosse eines Priesters noch sein Lohnarbeiter darf etwas Heiliges essen.“ 255 Die Abhängigkeit einer Gemeinschaft hängt stark von der Wahrnehmung der Fremden ab, wie W. S. Green in seinem Aufsatz zeigt; Ders., Otherness Within: Towards a Theory of Difference in Rabbinic Judaism, in: „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 50-52.

146

Priester.256 Diese Grade der Fremdheit manifestieren die Wahrnehmung einer bestimmten Hierarchie.

2.3.4 Über die Dimensionen der Differenz: von Mischna 2,5 bis 9,1 In diesem Kapitel werden Motive zusammengetragen, die sich im wesentlichen die religiösen Differenz zu Fremden thematisieren. Aus der Auswahl an Belegstellen in den Kapiteln von Mischna Schabbat 2,5 bis 9,1 scheinen einige Motive der Fremdbeschreibung besonders ergiebig.257 Die Gemarot werden nicht formal, sondern thematisch verglichen. Die Themen des Kapitels sind die „Gerim“, fremde Bräuche [   ], die Grundregel des Schabbat und schließlich einige Aspekte des fremden Diensts. Der erste Abschnitt behandelt in yT 5,1/2 Proselyten und die Konversion: .

               ’                ‘         .       .   258 . ’  Rabbi Yona sagte, Rabbi Hoshaya fragte: Muss man bei „Gerim“, die aus Libyen kommen, drei Generationen warten (bis sie Israeliten werden)? Rabbi Yona ben eruja sagte: das können wir anhand der ägyptischen Bohne entscheiden. Solange sie noch feucht ist, nennen wir sie „libysch“. Wenn sie trocken ist, nennt man sie „ägyptische Bohne“. Das besagt, dass ein Proselyt aus Libyen drei Generationen warten muss.

Die thematische Nähe der Unreinheit von Speisen zur Konversion der Proselyten ist auffällig. Da in Deuteronomium 23,8 die ägyptischen Proselyten erst nach der dritten Generation aufgenommen werden dürfen, wird in Analogie zur Bohne im Fall des lybischen Proselyten auf die gleiche Weise entschieden. Die Unreinheit der Speisen, die durch Wartezeit genieß256 Diese soziale Hierarchie wird in vielen kleinen Bemerkungen reflektiert, wie bT Shab 132a, L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 850, veranschaulicht. So ist gerade der „Zar“ eine Figur, die in erster Linie einen Gegensatz zu Priestern markiert. Im Gegensatz zu S. Fraade darf behauptet werden, dass die Fremden als „Gerim“ in den Gemarot einen Platz in der rechtlichen Ordnung Israels haben, Ders., Navigating the Anomalous: Non-Jew at the Intersection of Early Rabbinic Law and Narrative, in: L. J. Silberstein, The Other on Jewish Thought and History. Constructions of Jewish Culture and Identity, 158. 257 Aus Gründen der Stringenz werden hier die Belegstellen bT 32b, 33b, 63a, 73a, 80b nicht ausführlich zitiert. 258 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

147

bar werden, steht in Analogie zu den Proselyten. Damit wird aber nicht grundsätzlich die Heirat mit einer Proselytin verboten. Dies zeigt eine Belegstelle in 7,1/9, die die Heirat mit einer Proselytin erlaubt.259 Dass allerdings grundsätzlich eine kulturelle Differenz zu Fremden besteht, zeigt sich in yT 6,1/10. An dieser Stelle wird berichtet, im Hause Rabbis sei es aus politischen Gründen erlaubt gewesen, die griechische Sprache zu lernen und einen Qomi-Haarschnitt zu tragen.260 Dies mag als Beispiel für die Ambivalenz der rabbinischen Literatur gegenüber der griechischen Kultur gelten. Einerseits zeigt sich durch die Verwendung griechischer Vokabeln eine kulturelle Nähe, die aber durch die Ablehnung dieser Sprache und der fremden Bräuche konterkariert wird.261 Die Nähe zu Fremden wird in yT 6,10/10 in einer Episode offensichtlich, die wohl auf griechische Ursprünge zurückgeht:262                                     .              .         .      R. una berichtet folgende Geschichte. Ein „Ger“, der Sterndeuter war, wollte sich zu einer bestimmten Zeit auf den Weg machen. Er sprach: Soll ich mich jetzt auf den Weg machen? Er besann sich und sagte: Habe ich mich nicht diesem heiligen Volk angeschlossen, um diese Dinge zu unterlassen. Wir wollen im Namen des Schöpfers losziehen. Nahe dem Zoll bockte der Esel und warf ihn ab. Weshalb

259 F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 214: „Er kann sich eine Proselytin [] antrauen oder er kann sich eine Freigelassene antrauen.“ 260 Vgl. dazu F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 176; Vgl. auch die Anmerkung in Fußnoten 57 und 58, in der H. die griechische Sprache kommentiert. In bT Shab 32a findet sich eine ähnliche Belegstelle, in der es als Sünde des einfachen Volkes bezeichnet wird, die Heilige Lade [  ] Schrein [] zu nennen und das Bethaus [  ] als Volkshaus [  ]; vgl. L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 526. In yT und in bT wird der Distanz zur griechischen Lebensart deutlich Ausdruck verliehen. 261 Dies belegt ausführlich S. Lieberman, Greek in Jewish Palestine, 144-160. Darüber hinaus belegt Gideon Bohak mit vielen Beispielen, wie stark die rabbinsiche Literatur an hellenistische Vorbilder angelehnt ist; Ders. The Hellenization of Biblical History in Rabbinic Literature, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, 10-16. 262 Diese Geschichte geht offenbar auf Zenobius zurück, vgl. S. Lieberman, Greek in Jewish Palestine, 150.

148

stürzte er? Wegen seiner Gedanken. Weshalb wurde er gerettet? Weil er auf den Schöpfer vertraute.263

Für das Verständnis der Geschichte ist notwendig zu wissen, dass der Proselyt mit seinem Esel Waren schmuggeln möchte. Durch den Sturz bleibt der Schmuggel unentdeckt, wie eine andere Überlieferung der Geschichte veranschaulicht.264 An dieser Stelle wird die Differenz zwischen dem Glauben Israels und der Astrologie betont, was dazu führt, dass der Proselyt gerettet wird.265 Die Wahrnehmung der kulturellen Differenz trotz der Nähe zu Fremden wird auch in bT 33b deutlich. Dort wird folgender Kommentar über Proselyten abgegeben: ‘   ’            ‘  ‘   ‘  ’         

      (!)       ‘   ‘                       

(!)               266 .       Einmal saßen R. Yehuda, R. Yose und R. Shimon beisammen. Bei ihnen saß Yehuda ben Gerim. R. Yehuda hob an und sprach: wie wunderbar sind doch die Taten dieses Volks. Sie haben Straßen errichtet, Bäder errichtet und Brücken errichtet. R. Yose schwieg. Darauf nahm R. Shimon das Wort und sprach: Alles, was sie errichtet haben, geschah nur in ihrem eigenen Interesse. Sie haben Strassen errichtet, um Huren hin zu setzen, Bäder zu ihrem Wohlbefinden und Brücken, um Zoll zu erheben. Yehuda ben Gerim ging und berichtete ihre Worte, die der Regierung bekannt wurden. Diese sprach: Yehuda, der gelobt hat, wird befördert. Yosef, der

263 Vgl. hier die Übersetzung von F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 206. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 264 Vgl. diese Erzählung in Tanchuma Shoftim 10, 99a; F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 206, Fußnote 320. 265 Die Sterndeutung beruht auch auf griechischem Wissen und ist hier als Symbol für griechische Kultur zu verstehen. Laut bT Shab 156a unterliegt Israel keinem Glücksstern [ ], und soll deshalb auch den Gestirnen keine Beachtung schenken. Diese Stelle steht in einem gewissen Widerspruch zu archäologischen Funden, die Tierkreiszeichen enthalten; S. Schwartz, Imperialism and Jewish Society, 248-252. Vgl. auch Hasan-Rokem, Galit, An Almost Invisible Presence: Multilingual Puns in Rabbinic Literature, in: The Cambridge Companion to the Talmud and Rabbinic Literature, 365-392. 266 Hier zufolge MS München 95 und MS Vatikan 127. Die Abweichung wurden aus MS München 95 übernommen.

149

schwieg, wird nach Sepphoris verbannt. Shimon, der geschmäht hat, wird hingerichtet.

Diese Episode veranschaulicht die Wahrnehmung der fremden, in diesem Fall wohl römischen Kultur. Es gibt offensichtlich Stimmen unter den Rabbinen, die mit der Herrschaft und dem Einfluss der Fremden, symbolisiert durch Strassen, Brücken und Bäder, einverstanden sind. Der Einspruch von R. Shimon ben Yochai betont den Eigennutz der Fremden, die nicht den Geboten Israels entsprechend leben.267 Die Figur des Verräters wird an dieser Stelle nicht ohne Grund als ein Abkömmling von Proselyten [  ] dargestellt. Offensichtlich werden Nachkommen von „Gerim“ als politisch unzuverlässig gedeutet, denn nicht zuletzt korrespondiert dies mit dem Aufnahmeverbot der Proselyten.268 Der Verrat wiegt um so schwerer, als Yehuda seine Loyalität gegenüber der Gemeinschaft missachtet und die Weisen ausliefert. Die Differenz zu den Fremden und ihrer Kultur besteht auch aus Vorsicht.269 In bT 32a ist ebenfalls die Distanz gegenüber Fremden zu beobachten:                .

               Rav fuhr nicht mit einer Fähre, auf der ein „Goy“ war, denn wird über ihn das Strafgericht verhängt, bin ich betroffen. Shmuel fuhr nur, wenn auf der Fähre ein „Goy“ war. Er sagte: der Satan hat keine Gewalt über zwei Nationen.270

Ob es nun angemessen ist oder nicht, eine Fähre mit Fremden zu nutzen, bleibt ungeklärt. Die Erklärungen verweisen jedenfalls beide auf einen eschatologischen Kontext, der eine Bestrafung für Sünden impliziert. Um dieser Stelle Sinn zu verleihen, muss vorausgesetzt werden, dass es einen

267 Eine ähnliche Passage findet sich bT A“Z 2b, in der das Motiv des Eigennutzes in die messianische Zeit verlegt wird, womit die kulturelle Distanz zu Fremden eindeutig wird. 268 Dieses Motiv findet sich nicht nur in yT, sondern auch in bT Jeb 76b. Dort wird der Fall des Proselyten „Minjamin“ behandelt, der erst nach drei Generationen in die Gemeinde aufgenommen wird. 269 Dieses Motiv der Differenz zwischen Israel und den Fremden zeigt sich auch in bT 105a. Dort wird Israel als Königin, Auserwählte und Vertraute unter den Völkern [] bezeichnet. 270 Vgl. hier die Übersetzung von L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 525. Nach MS München 95 und MS Vatikan 127.

150

erkennbaren Unterschied zu den Fremden gibt.271 Der Satan bevorzugt offenbar eher die Fremden [

    ]. Im weiteren Verlauf dieser Textstelle wird davor gewarnt, sich an gefährlichen Orten aufzuhalten. Die Anwesenheit von Fremden wird so als Bedrohung für die körperliche und religiöse Wohlfahrt Israels gewertet. Der zweite Abschnitt dieses Kapitels handelt von den „   “, den „emoritischen Bräuchen“,272 die in den Kontext des fremden Diensts fallen. In yT 6,10/2 wird dieser Begriff spezifiziert:    ‘                                                             ‘  ‘   ‘ .   ‘         273 .          Rabbi Shmuel, Rabbi Abahu im Namen des R. Yoanan: Alles, was der Heilung dient, hat nichts mit „emoritischen Bräuchen“ zu tun. „Dargi dargivat“ aufgrund der „emoritschen Bräuche“. Rabbi Yehuda erklärte: wegen des Dagon ist es ein fremder Dienst: und der Kopf des Dagon und seine beiden Hände (I. Sam 5,4). „Dunu dani“ aufgrund der „emoritschen Bräuche“. Rabbi Yehuda erklärt: wegen des Dan ist es ein fremder Dienst: und sie sagten so wahr dein Gott Dan lebt (Am 8,14). „La la“ aufgrund der „emoritschen Bräuche“. Rabbi Yehuda erklärt: wegen des fremden Dienstes: Sie sprechen zu Gott: weiche von uns, an deinen Wegen haben wir keinen Gefallen (Hi 21,14).

Diese Stelle skizziert Bräuche aus lokalen Traditionen, im Falle einer Krankheit bestimmte Formeln zu sprechen, die als fremder Dienst aufgefasst werden können. Laut Emmanuel Friedheim bezieht sich jedenfalls die For271 Hier muss zwischen der Wahrnehmung der Autoren und der Wahrnehmung des täglichen Leben unterschieden werden. Da im täglichen Leben der Kontakt unvermeidbar war, fließt die Wahrnehmung der Fremden und ihrer Kultur in den Text ein. Sogar J. Neusner kann diesen Einfluss nicht vollständig leugnen. Ders., A History of the Jews in Babylonia, Vol. V, 29. 272 Eine knappe Erläuterung des Begriffs gibt M. Hadas-Lebel, die allerdings keine Interpretation der Belegstellen zu diesem Begriff gibt; Dies., Le paganisme à travers les sources rabbiniques des IIe et IIIe siècles. Contribution à l’étude du syncrétisme dans l’empire romain, in: ANRW II 19.2, 1979, 397-485. Diese Auslegung geht auf mShab 6,10 zurück, in der die    allerdings nur beiläufig erwähnt werden. Es gilt als „Heidensitte“ nach den Weisen, am Schabbat mit einem Fuchszahn u.ä. das Haus zu verlassen. Vgl. A. Sammter, Mischnajot, 17. 273 Es ist zur Übersetzung hinzuzufügen, dass an keiner Stelle explizit der Brauch verboten wird. Hier nach Ed. princ. Venedig, MS Leiden ist nur lückenhaft überliefert.

151

mel „   “ auf eine römische Gottheit, die allerdings unspezifisch im Rahmen der ”   “ auf einen fremden Kult hinweist.274 Dieser Begriff selbst steht in unmittelbarem Zusammenhang zu materiellen Idolen, wie der Begriff ”Avoda Zara“ veranschaulicht. Dies ist der Grund, weshalb diese Bräuche ausdrücklich verboten werden. In bT 67a und 67b wird genauer zwischen den „   “ und erlaubten Formeln unterschieden. Verschiedene Sprüche, wie beispielsweise über das Verschlucken von Gegenständen oder Trinksprüche, werden nicht als „Drakhi mori“ Bräuche gewertet. Dagegen fallen folgende gesprochene Formeln in diese Kategorie:     ’                          

    ’’ 

          ’               .        

  ’’ 

Wer sagt: „Gad Gadi, höre nicht auf Tag und Nacht,“ so ist dies als fremder Brauch zu betrachten. R. Yehuda sagt, „Gad“ sei nichts als die Sprache des fremden Dienstes, wie es heißt: die ihr den „Gad“ als Gast aufnehmt (Jes. 65,11). Wenn er in seinem Namen und sie in seinem Namen, so ist dies als fremder Brauch zu betrachten. Wer sagt: „Dunu Dani,“ so ist dies als fremder Brauch zu betrachten. R. Yehuda sagt: „Dan“ ist nichts als die Sprache des fremden Dienstes; wie es heißt: Die bei der Schuld von Schomron schwören: so wahr dein Gott Dan lebt (Am 8,14).275

Offensichtlich handelt es sich um Formeln, in denen fremde Ausdrücke wie „ “ vorkommen, die auf den Glücksgott „Gad“ verweisen. Dabei geht es an dieser Stelle nicht um ein materielles Idol, sondern um den Ausdruck an sich [’’ 

], der eine Facette des fremden Diensts sein kann.276 Weiterhin werden auch andere Rituale wie der Tausch der Namen und das Beschwören von Gegenständen und Tieren verboten. Die Nähe zu diesen fremden Ritualen reicht offenbar aus, um sie zu verbieten. Dennoch lässt sich anhand 274 E. Friedheim, Pagagnisme et Rabbinisme, 197-198. 275 Hier entsprechend MS Vatikan 108; in MS München 95 gibt es eine Abweichung für: “ 

; dort steht  

. Die Übersetzung der Formeln ist unsicher. L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 637, übersetzt “Gad“ wörtlich mit Glück und „Dan“ mit Faß. 276 E. Friedheim, Paganisme et Rabbinisme, 169; siehe Fußnote 576. Einen ausführlichen Kommentar zur Bedeutung dieser Namen liefert D. Flusser, Paganism in Palestine, Ders., Paganism in Palestine, in: S. Safrai, The Jewish People in the First Century etc., 1075.

152

dieser Verbote nur schwer eine Definition der emoritischen Bräuche erstellen.277 Während in der Mischna das Tragen eines fremden Gegenstands gemeint ist, werden mit diesem Begriff in den Gemarot gesprochene Formeln bezeichnet.278 Festzuhalten ist, dass es eine Wahrnehmung dieser Bräuche gibt und den Willen, sich dagegen abzugrenzen. Das nächste Thema betrifft die Grundregel des Schabbat, dem Ruhegebot und dem Verbot der Arbeit. In yT wird darüber debattiert, wie es möglich sein kann, dass diese Grundregel übertreten wird. In yT 7,1/3 wird bestimmt, dass derjenige, der die Grundregel des Schabbat nicht kennt, ein Kind sein muss, das von „Goyim“ gefangen gehalten wurde. Dieser Fall eines Israeliten, der von Fremden als Sklave gehalten wird und die jüdischen Gebote nicht kennt, wird in yT 7,1/8 wieder aufgenommen:   .

 

       

   279 .

 

 Wenn ein Erwachsener von „Goyim“ festgehalten wurde. Rav und Shmuel, einer sagte: er zählt sechs (Tage) und feiert Schabbat. Der andere sagte: er feiert Schabbat und zählt dann sechs (Tage).

Das Problem besteht in der exakten Einhaltung des Schabbat, für die die Wochentage gezählt werden müssen. Auf diese Weise ist sogar in einem fremden Umfeld zu verlangen, dass der Schabbat gefeiert wird. In yT 7,1/18 wird so beschlossen, dass ein Erwachsener, der bei den „Goyim“ in Gefangenschaft war, wegen jeder Übertretung des Schabbat schuldig ist. Für Israeliten besteht so die Verantwortung, auch in einem fremden Umfeld den Schabbat einzuhalten. Die Grundregel wird in bT 68a ebenfalls zum Ausgangspunkt für eine Debatte über den Schabbat in der Fremde. Rabh und Semuel sind sich dort einig, dass die Mischna von einem Kind handelt, dass unter „Goyim“ aufgewachsen ist oder von einem „Ger“, der in der Fremde konvertiert ist. Der 277 M. Hadas-Lebel, Dies., Le paganisme à travers les sources rabbiniques des IIe et IIIe siècles. Contribution à l’étude du syncrétisme dans l’empire romain, in: ANRW II 19.2, 1979, 397-485. S. Stern kommt zu dem Schluss, dass die „heidnischen Bräuche“ Aspekte fremder Kulturen symbolisieren und nicht konkret verkörpern; Ders., Jewish Identity, 181-184. 278 Vgl. A. Sammter, Mischnajot, 17. Nach D. Flusser beziehen sich diese Bräuche auf das alte Kanaan und damit auf die Umwelt der Tora; Ders., Paganism in Palestine, in: S. Safrai, The Jewish People in the First Century etc., 1080. 279 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

153

Bavli hält an dieser Stelle fest, dass derjenige, der das Gesetz kannte, für die Übertretung schuldig wird.280 Der „Ger“ wird als Fremder in die Debatte einbezogen, weil er in der Mischna wie das Kind wegen seiner Unkenntnis nur mit einem Sühneopfer belegt werden kann. Erschwerend wird der Fall des Israeliten beurteilt, der den Schabbat vergessen hat. Diese Halacha wird in bT 68b unter der Prämisse, welche Strafe angemessen ist, expliziert:  

   



  ’              ’    

      

   



    

 

     

   

  

    



         

        

      281 . ’’  

    Rav und Shmuel sagten beide: Derjenige, der als Kind unter „Goyim“ aufgewachsen ist oder ein „Ger“, der unter „Goyim“ konvertierte, sind wie einer, der (das Gesetz des Schabbat) kannte und es später vergaß. R. Yoanan und Shimon b. Laqish sagten beide, das (gelte nur für denjenigen), der es gekannt und später vergessen hat. Aber ein Kind, das unter „Goyim“ aufgewachsen ist und ein „Ger“, der unter „Goyim“ konvertierte, seien unschuldig. Es gab einen Einwand: Sie legten das grundlegende Gesetz über den Schabbat (folgendermaßen) fest: Jeder, der den Grundsatz des Schabbat vergessen hat und verschiedene Arbeiten an mehreren Samstagen verrichtete, ist nicht mehr als ein Sühneopfer schuldig. Daraus folgt: Wenn ein Kind, das unter „Goyim“ aufgewachsen ist, oder ein „Ger“, der unter „Goyim“ konvertierte, verschiedene Arbeiten an mehreren Samstagen verrichtet, sind sie nicht mehr als ein Sühneopfer schuldig. Und weiter sind sie einmal schuldig für (das Essen) von Talg und für den fremden Dienst.

Sowohl das Kind als auch der Proselyt sind von der Strafe auszunehmen und werden erleichternd behandelt; sogar im Fall des fremden Diensts. Das mag mit der in bT häufig geäußerten Einschätzung zusammenhängen, dass Proselyten mit den Geboten unzureichend vertraut sind und sich erst in der Praxis angemessen zu verhalten lernen.282 Ebenfalls im Kontext des Sühneopfers wird in einem vierten Abschnitt der fremde Dienst behandelt. Um den eigenen Kult von jeglichen fremden 280 Hier nach Soncino und MS Oxford Opp 23. In MS München 95 und MS Vatikan 108 steht für „der als Kind unter Nichtjuden geraten ist“ der Begriff „.“ In MS München 95 fehlt an der zweiten Belegstelle der Begriff „“. 281 Hier nach MS München 95 und MS Vatikan 108. 282 So nach S. J. D. Cohen, The Beginnings of Jewishness, 230.

154

Kulten abgrenzen zu können, sind eindeutige Regeln der Differenz notwendig. Deshalb wird in yT ausführlich besprochen, welches Sühneopfer im Fall des fremden Diensts darzubringen ist. In yT 7,1/4-5 wird bestimmt, dass in den Vers von Levitikus 4,2283 auch der fremde Dienst mit einzubeziehen ist. Wer dem fremden Kult ohne Absicht huldigt, ist damit schuldig. Auch die folgende Diskussion hält fest, dass im Fall des fremden Diensts jede einzelne Handlung strafbar ist, wie beispielsweise eine Verbeugung. In yT 7,1/6 wird genau geregelt, dass für ein Sühneopfer ein Farren und im Fall des fremden Diensts eine Ziege zu opfern sind.284 Darüber hinaus wird bestimmt, dass man wegen jeder einzelnen Übertretung im Fall des fremden Diensts schuldig ist. Damit enthält der fremde Dienst eine abstrakte Komponente und entspricht einem Strafmass. In yT 7,2/8-9 wird erklärt, dass man den fremden Dienst nach der allgemeinen Regel und der Spezifizierung [

] auslegen kann.285 Die Verletzung des Schabbat und der fremde Dienst werden in Bezug auf das Strafmass analog behandelt; auch wenn sie nicht direkt vergleichbar sind. Es hängt in beiden Fällen an der Reihenfolge, ob zuerst die allgemeine Regel und dann die Spezifizierung folgt oder umgekehrt. Das Ergebnis entspricht der Analogie von Schabbat und fremdem Dienst, allerdings nur in terminologischer Hinsicht:      

  .     



286 .   Beim Schabbat kommt zuerst die allgemeine Regel der Arbeiten und dann die Spezifizierung der Arbeiten. Beim der „Avoda Zara“ kommt zuerst die allgemeine Regel des Dienstes und dann die Spezifizierung der Anbetung des Höchsten.

Eine weitere Belegstelle, die außerhalb dieses Kontexts in Mischna 7,4 zu finden ist, belegt abermals die abstrakte Bedeutung des fremden Dienstes. Dabei handelt es sich in yT 7,5/1 um Dinge, die man am Schabbat hinaus283 Vgl. Lev 4,2-3: „Wenn einer ohne Vorsatz gegen eines der Gebote des Herrn sündigt und etwas Verbotenes tut, dann soll er, wenn es ein gesalbter Priester ist, der sündigt und dadurch Schuld auf das Volk lädt, dem Herrn für die von ihm begangene Sünde einen fehlerlosen Jungstier als Sündopfer darbringen.“ 284 Vgl. F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 212. Zu den Opfern vgl. M. Hadas-Lebel, Dies., Le paganisme à travers les sources rabbiniques des IIe et IIIe siècles. Contribution à létude du syncrétisme dans l’empire romain, in: ANRW II 19.2, 1979, 442-450. 285 Vgl. F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 225; P. Schäfer, Synopse, 39. 286 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

155

trägt und für die man ein Sühneopfer schuldig ist. Die Meinung der Rabbinen ist, dass dies für den fremden Dienst gilt wie für alle Dinge, von denen man keinen Nutzen ziehen darf.287 Auf diese Weise ist der fremde Kult nicht nur ein gegenständliches Objekt oder eine praktische Handlung, sondern wird als Rechtsbegriff in Relation zu anderen Vergehen gesetzt.288 In bT wird diese Entwicklung aufgenommen, indem bT 69a einige Vergehen mit dem fremden Dienst kontrastiert. Strafbar sind sowohl der Vorsatz als auch das Versehen. Dabei lassen sich alle Gebote der Tora nach den Rabbinen mit dem fremden Dienst [   ] vergleichen. Im Fall des fremden Dienstes wird man bei der vorsätzlichen Tat mit der Ausrottung bestraft und bei Versehen mit einem Sühneopfer.289 Der fremde Dienst [       ] wird mit anderen Vergehen verglichen und auf den Unterschied von Vorsatz und Versehen bezogen.290 In bT 72b wird wie in yT das Schabbatgesetz mit dem fremden Dienst in einen Zusammenhang gesetzt und diskutiert, wie viele Sühneopfer dafür gerechnet werden müssen: ’’                        

          ’     ’’      

291 .



   Wer ohne Vorsatz opfert, räuchert, und Gussopfer vollzieht, ist nur ein (Sühneopfer) schuldig. Was ist mit dem Schluss, wenn du ihn auf den fremden Dienst beziehst? Strenger ist es bei anderen Gesetzen. Wenn man andere Gesetze ohne Vorsatz und absichtslos übertreten hat, ist man schuldig. Das trifft nicht für den Schabbat zu. Wie kann der fremde Dienst ohne Vorsatz und absichtslos begangen werden? Wenn man im Glauben, es sei eine Synagoge, davor niedergekniet ist, hat man sein Herz ja doch dem Himmel zugewandt.

287 Vgl. F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 266. 288 So gleicht die „   “ in der rabbinischen Literatur auch einem abstrakten Konzept; S. Stern, Jewish Identity, 195-197. 289 Die Belegstelle wird in MS München 95 und MS Vatikan 108 überliefert. 290 Eine weitere Stelle, in der die Beschneidung am Schabbat als Übertretung mit der A“Z verglichen wird, findet sich in bT Shab 137a: „Beide folgern es vom fremden Dienst [   ]. R. Eliezer ist der Ansicht, dies gleiche dem fremden Dienst, wie man wegen fremdem Dienst, bezüglich dessen der Allmächtige gesagt hat, dass man es nicht tue, [ein Opfer] schuldig ist, wenn man es getan hat, ebenso auch hierbei.“ Vgl. L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 867. 291 Hier nach MS München 95 und MS Vatikan 108.

156

Im Vergleich mit yT führt die Analogie von Schabbat und fremdem Dienst zu einer Unterscheidung von Vorsatz und Versehen. Es bleibt die Frage, wie der fremde Dienst absichtslos geschehen kann. Ein Beispiel dafür ist die Verwechslung der Synagoge mit der Fürstenbüste. Dabei gibt die Intention des Betenden den Ausschlag. Wenn der Schuldige im Vergessensfall immer ein Sühneopfer darbringen muss und nie gänzlich frei gesprochen werden kann, führt dieser Fall zu einer kleinen Erleichterung, die bereits in yT zu beobachten war. Insgesamt lässt sich diese Differenzierung als Spezifizierung der „Avoda Zara“ verstehen, die ein eigenes Strafmass darstellt.292 Dennoch entspricht die „Avoda Zara“ an gleicher Stelle dem fremden Dienst, wie die Belegstelle bT 33a deutlich macht. Dort sind Raub, Meineid und Blutvergießen die Ursache für himmlische Strafen. Speziell für die Sünde des Blutvergießens sei der Tempel zerstört worden, und wegen der Verunreinigung des Landes Israel dauere das Exil Israels an:        ’     ’ ’      

293 .         ’  

  Wegen der Sünde der Unzucht, dem fremden Dienst und wegen des Erlasses im „Shmita“-Jahr kommt Verbannung über die Welt. Und es kommen die anderen und nehmen ihren Platz ein; wie es heißt: alle diese Greueltaten haben die Bewohner des Landes, die vor euch dort waren, verübt und haben (das Land) verunreinigt (Lev 18,27).

Dieser Abschnitt benennt den fremden Dienst und die einhergehende Verunreinigung des Landes als Ursache für Verbannung. Die „Avoda Zara“ als unreine Handlung hat die Zerstörung des Landes und das Exil für Israel zur Folge. Die Assimilation an die fremden Völker und ihre Kulte ist damit für die Rabbinen der wirkliche Grund für das Exil.294 Weniger fremde Völker tragen die Schuld an Israels Verbannung, sondern Israel selbst. Als Schriftbeweis werden im weiteren Levitikus 26,30 und 26,33 zitiert.

292 Vgl. S. Stern, Jewish Identity, 196: „Moreover, “foreign worship” (“avoda zara”) does not mean, in first instance, “foreign to Israel” (and hence “non-Jewish”), but rather “foreign to the Almighty.” This might suggest that dissociation and dissimilation proceed from a purely “religious” concern, […].“ 293 Nach MS München 95 und MS Vatikan 127. 294 Eine Folge ist eine klare Distanz zu den fremden Diensten, T. Rajak, Jews and Christians as Groups in an Pagan World, in: “To see ourselves as others see us.“ Christians, Jews, “Others“, in Late Antiquity, 252.

157

Eine weitere Belegstelle in bT 56b begründet diese Haltung, indem der Beginn der Verunreinigung Israels durch fremde Kulte in die Zeit der Könige David und Salomon verlegt wird:     ’’              

   295 . Hätte David keine Verleumdungen entgegengenommen, wäre das Reich des Hauses David nicht geteilt worden, die Israeliten hätten keinen fremden Dienst getrieben, und wir wären nicht aus unserem Land vertrieben worden.

Auf diese Weise beginnt die Verfehlung mit einer Schuld der Könige, deren fahrlässige Nähe zu Fremden zumindest für das erste Exil verantwortlich ist. Die Rabbinen argumentieren an dieser Stelle, Salomon hätte seine fremden Frauen den fremden Dienst verbieten sollen. Zusammen mit fremden Musikinstrumenten sei der fremde Dienst an den Hof gekommen, und der König habe nichts unternommen. Mit dieser Argumentation wird die „Avoda Zara“ zu einer Übertretung, die als religiöse Verfehlung Folgen für die nächste Generation hat und in reflexivem Bezug zu Israel steht.

2.3.5 Die Verunreinigung durch fremde Idole und ihr Zubehör: zu Mischna 9,1 In Mischna Schabbat 9,1 wird die Unreinheit der menstruierenden Frau [ ] mit dem Idol und seinem Zubehör gleichgesetzt. Dabei entscheidet eine Berührung, denn die Unreinheit wird über den physischen Kontakt übertragen. In diesem Abschnitt werden einige weitere theoretische Aspekte des fremden Diensts vorgestellt. Die Belegstellen in yT lassen sich als durchgehende Exegese der Mischna verstehen, die in diesem Fall formal vorgestellt werden. In yT 9,1/1 bildet der Begriff „ “, „Greuel“, den Ausgangspunkt:

 .    .      .       .            

     [...] .‘              .           296 .         

295 Hier nach MS München 95, in MS Vatikan 108 lückenhaft. 296 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

158

Bei den Menstruierenden steht [der Begriff] „Greuel“ geschrieben. Es steht „Greuel“ bei der „Avoda Zara“ geschrieben und es steht Greuel bei den Kriechtieren geschrieben. Bei der Menstruierenden steht „Greuel „geschrieben, weil „jeder, der etwas von all diesen Greueln tut“ (Lev 18,29). „Greuel“ bei der „Avoda Zara“: „Du sollst keinen Greuel in dein Haus bringen“ (Dtn. 7,26) [...] R. Aqiva sagt: Sie [die „Avoda Zara“] wird mit dem Greuel der Menstruierenden verglichen. So, wie die Menstruierende durch direktes Berühren verunreinigt, so verunreinigt auch die „Avoda Zara“ durch direktes Berühren.

So wie die Menstruierende durch ihre Unreinheit ein Greuel ist, wird diese Vokabel des emotionalen Abscheus auch für das Idol verwendet.297 Sowohl die Menstruierende, als auch die „Avoda Zara“ und das Kriechtier stehen über den Begriff des Greuels in einem Zusammenhang. Weil von diesen drei Begriffen laut den Torazitaten eine vergleichbare Verunreinigung ausgeht, lassen sich diese Begriffe wechselseitig definieren. Dabei ist der Aspekt des „Tragens“ [ ], das heißt die Berührung, von Bedeutung. So wird in yT 9,1/2 diskutiert, inwieweit das Idol auf einer Steinplatte darunter liegende Gegenstände durch Berührung verunreinigt. Dazu gibt es verschiedene Meinungen, die den zweiten Vergleich der „Avoda Zara“ mit dem „ “, dem Kriechtier, einleiten. Das wesentliche Ergebnis dieser Stelle ist, dass Kriechtier und Idol nur durch direkte Berührung [ ], und nicht durch die indirekte Berührung, das „Schütteln“ [ ], verunreinigen.298 Menge und Größe des Idols sind dafür maßgeblich, wie yT 9,1/3 zeigt:    [...] .         299 .         .      Wie Totes in Olivengröße verunreinigt, so verunreinigt auch die „Avoda Zara“ in Olivengröße. [...] Wie das Haus des Aussätzigen, wenn man seinen Kopf und den

297 Vgl. Dtn 29, 15-16: „Ihr wisst noch von unserem Aufenthalt in Ägypten und von unserem Zug mitten durch die Völker, deren Gebiet ihr durchziehen musstet. Ihr habt bei ihnen Scheusale und Götzen aus Holz und Stein, aus Silber und Gold gesehen.“ 298 Zu den Modi der Verunreinigung, die in der rabbinischen Literatur verwendet werden, vgl. C. Hayes, Gentile Impurities, 137. 299 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

159

Körper hineinsteckt, so auch die „Avoda Zara“, wenn man seinen Kopf und den Körper hineinsteckt.

Weiter wird in yT 9,1/4 verhandelt, inwieweit die Verunreinigung der Idole aus der Tora abzuleiten ist. Der Vergleich mit einem unreinen Kriechtier300 wird laut R. Mana nur gezogen, um davon Erleichterungen für zerbrochene Idole zu lernen. Während Bruchstücke erlaubt sind, verunreinigen auch kleinste Fetische. Es wird weiter versucht, der Empfindung des Abscheus für Idole einen klaren Ausdruck zu verleihen. Um die emotionale Distanz zu betonen, werden den Idolen abfällige Namen gegeben; sie sollen zum Beispiel nicht „Königsgesicht“ [  ], sondern „Hundegesicht“ [

] genannt werden.301 Eine mögliche Reaktion auf die bedrohliche Nähe der Idole wird in yT 9,1/7 geschildert:         ‘     .        302 .         Wie erklärt Rabbi Aqiba [den Vers] „Hinaus, sage dazu!“? R. Yose beRabbi Bun, Rav Huna im Namen des Rav Yosef: Deshalb: man sagt nicht zu einem Menschen „hinaus“, wenn er nicht schon den größeren Teil des Körpers hineingesteckt hat.

Die Aufforderung, das Idol zu meiden, ergibt nur Sinn, wenn eine gewisse körperliche Nähe zu Idolen besteht.303 Erneut zeigt sich, dass die Differenz zum fremden Dienst eine physische Distanz erfordert, da sich die Verunreinigung über Berührung vollzieht. Weiter wird in diesem Kontext verhandelt, inwieweit das Zubehör [   ] des Idols verunreinigt und ob es eher mit der Menstruierenden oder mit dem Kriechtier gleichgesetzt werden kann. Das Ergebnis ist, dass sowohl das Idol als auch das Zubehör wie eine Menstruierende verunreinigen. Es bleibt zu klären, inwieweit das Material des Idols und des zugehörigen Tempels verunreinigend sind. Häuser und Tempel können durch die Weihung für ein Idol verboten sein. In yT 9,1/10 300 Von den Kriechtieren geht laut der Tora Unreinheit aus. Vgl. Lev 11,43: „Macht eure Seelen nicht verabscheuungswürdig durch irgendein kriechendes Tier [ ] und verunreinigt euch nicht an ihnen, dass ihr durch sie verunreinigt werdet.“ 301 Vgl. 9,1/6; F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 290-291. Weiter zu dieser Metapher vgl. L. Wallach, A Palestinian Polemic Against Idolatry, in: Essays in Graeco-Roman and Related Talmudic Literature, 292-404. 302 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 303 Diese Nähe kann das Ergebnis alltäglicher Interaktion sein; S. Schwartz, Imperialism and Jewish Society, 165-167.

160

wird über das zerbrochene Idol und seine mögliche Verwendung debattiert. Nach Rabbi Yoanan ist auch das zerbrochene Idol verboten, während die Rabbinen die Teile erlauben, solange man sie nicht wieder zusammensetzt. Für diese Entscheidung ist die Intention wichtig, mit der die Bruchstücke verwendet werden. Sind sie aus ihrem sakralen Kontext herausgenommen, sollte kein Problem bestehen, sie weiter zu verwenden. Allerdings bestehen weiter Einwände, ob die Bruchstücke von ihrem ehemaligen Platz entfernt werden müssen. Inwieweit die Bruchstücke des Idols verwendet werden dürfen oder nicht, veranschaulicht den restriktiven Umgang mit Materialen, die aus einer fremden Umwelt stammen.304 Die Bandbreite des Begriffs „Avoda Zara“ integriert in diesem Abschnitt das materielle Idol und den abstrakten Rechtsterminus. Die Unreinheit kann mit anderen Unreinheiten, wie der Menstruierenden, verglichen werden. Mit Ausnahme des zerbrochenen Idols wird erschwerend entschieden und die Verunreinigung des Idols durch direkte Berührung betont. Aus diesen Vorgaben wird die Auslegung der Mischna 9,1 in bT leicht modifiziert. In bT 82a und 82b findet sich folgende Auslegung:    

               

 

      

                                                                   305 .           Wir haben gelernt: Wer sein Haus nahe an einem Idol hat und es einstürzt, ist es verboten, es wieder aufzubauen. Und was folgt daraus? Er zeichne in seinem Gebiet vier Ellen ab und baue es (dort). Gehört es ihm und dem Idol, so ist es (das Grundstück) in Hälfte und Hälfte zu teilen. Steine, Holz und Schutt davon verunreinigen wie ein Kriechtier wie es heißt: Grauen und Abscheu sollst du haben, denn es ist mit einem Bann belegt (Dtn 7,26). R. Aqiba sagt: Wirf sie hinaus wie eine Menstruierende (Jes 30,22). Wie eine Menstruierende durch Berührung verunreinigt, so verunreinigt auch das Idol durch Berührung. Raba sagte: Mit „entfremden“ meint 304 Auch in anderen Traktaten findet sich eine ähnliche Argumentation über Bruchstücke von Idolen; vgl. yT A“Z 3,2/3; bT A“Z 42a; 49b. Siehe auch E. P. Sanders, Jewish Association with Gentiles and Galatians 2:11-14, in: R. Fortna, The Conversation Continues, 180-185. 305 Hier nach MS München 95; in MS Vatikan 108 ist der Begriff „  “ rekonstruiert.

161

die Schrift „mache ihn fremd.“ Wie zu einem Fremden: „Geh hinaus!“, sage zu ihm. Sage nicht zu ihm: „Herein.“ Und Raba sagte: Über das Berühren stimmen alle überein, dass das Berühren verunreinigend ist, da es ja mit der Menstruierenden verglichen wird. Die Uneinigkeit besteht nur über die Steinplatte.

Die Verunreinigung von Steinen und Schutt und der Vergleich mit der Menstruierenden wird wiederholt. Obwohl Deuteronomium 7,26 zitiert wird, fehlt der Verweis auf das „Greuel.“ Das Wortspiel mit „“ in Ableitung von „Zar“ erhält durch den Begriff „Nori“ einen klaren Bezug zu Fremden.306 Mit der Ausweisung als fremdes Objekt soll auch in bT die körperliche Distanz zu den Idolen gewahrt werden. Weiter besteht Uneinigkeit zwischen Rabbi Aqiba und den Rabbinen, ob das Idol durch die Steinplatte, also durch Berührung, verunreinigend ist oder nicht. Es folgt eine ausführliche Diskussion, inwiefern sich die Elemente des Kriechtiers und die Menstruierende mit dem Zubehör und der Berührung in Einklang bringen lassen. In bT 83a wird festgelegt, dass die Glieder [  ] des Idols in Analogie zur Menstruierenden nicht als verunreinigend aufgefasst werden:      ’’ ’   ’       ’’     ’ ’     ’         ’ 

               .      Ein Einwand. Das Idol entspricht dem Kriechtier und dessen Zubehör entspricht einem Kriechtier. R. Aqiba sagte, das Idol entspreche einer Menstruierenden, und dessen Zubehör einem Kriechtier. So stimmt es nach R. Eleazar, aber es widerspricht Rabba. Rabba könnte dir sagen: Ist diese Lehre wichtiger als die Mischna? Wir haben gelernt: Holz, Steine und Schutt (von einem Idol) verunreinigen wie ein Kriechtier. Und wir schließen: So wie ein Kriechtier nicht durch eine Steinplatte verunreinigt, ebenso verunreinigt es (das Idol) auch nicht durch eine Steinplatte.307

Soweit werden die Ergebnisse des yT wiederholt. Diese Lehre lässt sich mit Mischna A“Z 3,6 vergleichen, in der festgelegt wird, dass die Materialien

306 Die konsequente Verwendung des Begriffs „ “ ist auffällig, da dieser Begriff im allgemeinen spärlich verwendet wird. 307 Hier nach MS München 95 und MS Oxford Opp 23, in MS Vatikan 108 lückenhaft.

162

der „Avoda Zara“ verunreinigen.308 In die Debatte um das Zubehör wird nun die mögliche Verunreinigung durch fremde Personen einbezogen:                                          

309                   .              „Nori“ und „Norit“, der fremde Dienst und die Geräte; sie (verunreinigen), aber nicht durch indirekte Berührung. R. Aqiba sagt, sie; durch indirekte Berührung. Ist das richtig? Nach R. Eleazar; gegen Raba gibt es einen Einwand. Raba würde dir erwidern: Und nach deiner Meinung: „Nori“ und „Norit“, sie; nicht durch indirekte Berührung, denn es wird gelehrt: Sprich zu den Kindern Israel (Lev 15,2); die Israeliten werden durch körperliche Ausflüsse unrein. Die „Goyim“ werden aber durch diese Ausflüsse nicht unrein. Aber die Weisen haben über sie bestimmt, dass sie wie durch körperliche Ausflüsse verunreinigen. 310

Der Einwand bezieht sich darauf, dass die Unreinheit der Israeliten in der Tora nicht ohne weiteres auf Fremde ausgedehnt werden kann. Dennoch wird angeordnet, dass Fremde [] (!) wie Flussbehaftete durch indirekte Berührung verunreinigen. Deshalb werden verschiedene Rabbinen konsultiert, die jeweils die Unreinheit durch die indirekte Berührung für den Fremden annehmen. Obwohl keine endgültige Entscheidung getroffen wird und die Meinungen gegeneinander abgewogen werden, besteht mehrheitlich die Auffassung, der „Nori“ sei durch direkte wie indirekte Berührung verunreinigend.311 Die inkonsistente Verwendung der Begriffe ist auffällig.

308 Vgl. mA“Z 3,6: „Wenn jemand ein Haus neben einem Götzentempel gebaut hat und es fällt ein, so darf er es nicht wieder aufbauen [...]. Gehörte die Wand zu seinem Haus und zum Tempel, wird sie als in zwei gleiche Teile geteilt betrachtet. Deren Steine, Holz etc. verunreinigen [...].“ 309 Dieser Begriff wird abweichend von der gedruckten Ausgabe in den MS München 95, MS Vatikan 108 und MS Oxford Opp 23 überliefert. 310 Hier nach MS Oxford Opp 23; in MS Vatikan 108 ähnlich. MS München 95 ist äußerst lückenhaft. 311 Vgl. bT Shab 83b, L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 682: Alle Unreinen, die [andere Gegenstände] schütteln, sind dadurch nicht verunreinigend, ausgenommen ist das Schütteln des Flussbehafteten, der in der Tora nicht seinesgleichen hat:“   



   ,       . Dies ist insofern eine Abweichung von den übrigen Meinungen, die übereinstimmend den „ “ als verunreinigend bezeichnen.

163

In bT 83b wird von der Menge gehandelt, die für eine Verunreinigung notwendig ist. Es wird gelehrt, dass ein Idol, das kleiner als eine Olive ist, nicht verunreinigend wirkt. Die Rabbanan vergleichen das Idol mit der Unreinheit eines Leichnams, der auch nur in Olivengröße verunreinigt.312 Damit wird die Verunreinigung durch ein Idol wie in yT am Volumen gemessen. Die gesamte Diskussion wird folgendermaßen beschlossen: .            ’  ’’  Die Unreinheit der „Avoda Zara“ stammt von den Rabbanan, und wenn wir erleichternd und erschwerend entscheiden können, entscheiden wir erleichternd und nicht erschwerend.

Damit ist die Debatte über die Unreinheit rabbinischer Herkunft und wird speziell im Bavli erleichternd entschieden. Insgesamt beruht diese Auslegung auf der Vorlage des yT und greift die gleichen Motive auf, erweitert diese Motive aber um einige Aspekte. Gerade in diesem Kapitel zeigt sich, dass der Begriff „Avoda Zara“ das Idol und den abstrakten Rechtsterminus umfasst. An dieser Stelle wird nicht nur den fremden Idolen eine unreine Wirkung attestiert, sondern auch fremden Personen.313

2.3.6 Über die soziale Differenz: von Mischna 9,1 bis 16,6 In diesem Abschnitt werden Belegstellen gesammelt, die sich zwischen Mischna 9,1 und 16,6 zum Fremden finden. Das Thema des Kapitels sind erneut Aspekte der Differenz, die auch den fremden Dienst betreffen. Dabei werden unterschiedliche Arten der Verunreinigung abgehandelt, wie durch Tote und Flüssigkeiten. Da sich die Motive von yT und bT nur an einer Belegstelle ergänzen, müssen die beiden Gemarot formal verglichen werden. In yT 10,6/2 wird die Verunreinigung durch Tote debattiert. Dabei ist wie im vorigen Kapitel das Maß der Verunreinigung entscheidend, das im Kontext der Debatte über den Schabbat steht. Die Übertretung des Schabbat wird mit der Verunreinigung durch den Leichnam eines Fremden [  ] verglichen, der in noch so geringem Maß unrein macht. Obwohl von der 312 Hier nach MS München 95, MS Vatikan 108 und MS Oxford Opp 23. 313 Dabei werden die Fremden im allgemeinen nicht als unrein betrachtet, da für sie die Reinheitsgesetze Israels nicht zutreffen. In diesem Zusammenhang steht die Unreinheit der Fremden in Analogie zu den fremden Kulten. Siehe dazu auch C. Hayes, Gentile Impurities, 125-126.

164

Verunreinigung gehandelt wird, wird nicht wie im vorigen Kapitel der Begriff „Nori“, sondern der Begriff „Goy“ verwendet.314 Zu Mischna 14,4 wird die Heilung mit Mitteln der „Avoda Zara“ diskutiert. In yT 14,4/9 werden einige Einschränkungen getroffen:      .           

     ‘            315 .       Man darf sich mit allen Mitteln heilen lassen, außer mit der „Avoda Zara“, Unzucht und Blutvergießen. Rabbi Pinhas fragte: wie weit reicht [das Verbot]? Wenn [der Kranke] er zu ihm sagte: bring mir ein Stück Holz von einem Idol [einem Fetisch] und er sie brachte. [Wenn] er sagte: Bring mir irgendwelche Blätter und er diejenigen der „Avoda Zara“ brachte.

Grundsätzlich darf man bei der Heilung nicht die Verbote des fremden Dienstes, der Unzucht und des Blutvergießens übertreten. Es ist entscheidend, ob es eine vorsätzliche Verwendung der verbotenen Medizin gibt, da fremden Kulten offenbar eine gewisse Heilkraft zugesprochen wird.316 Im weiteren Verlauf wird die vorsätzliche Verwendung zwar eingeschränkt, aber nicht eindeutig verboten.317 Zum Fall der Heilung durch Blutvergießen führt yT 14,4/12 den Fall einer schweren Geburt an. Das Kind darf nur im Leib der Mutter getötet werden, wenn ihr Leben in Gefahr ist. Im allgemeinen darf man nicht ein Leben anstelle eines anderen Lebens hingeben. Es wird gelehrt, dass ein „Goy“ keinen Israeliten ersetzen kann, aber ein Israelit einen „Goy“. Nicht nur der Mord, sondern auch die Anwendung der Gewalt wird erschwerend entschieden. Für Heilung darf kein anderes Leben gefährdet werden. Die Tötung eines Fremden wird nur im Vergleich mit der Tötung eines Israeliten erlaubt. So besteht eine Hierarchie für den Schutz des Lebens. In erster Linie ist das israelitische Leben zu schützen, und erst dann das Leben des „Goy“. 314 315 316 317

Vgl. F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 318. Hier nach Ed. princ. Venedig, in MS Leiden lückenhaft. E. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme, 100. Vgl. L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 673: In Shab bT 80b wird bei der Verwendung von Salben zwischen einem Fremden und einem Rabbinen verglichen. Es zeigt sich, dass nur der Rabbine die Salben anwenden kann und aus ihnen Nutzen zieht. Dennoch lehnen die Rabbinen diese Verwendung der Salben im allgemeinen ab. Zur Verwendung von fremden Salben siehe auch S. Krauss, Talmudische Archäologie, Bd. 1, 233-244.

165

Dass zwischen verschiedenen Gruppen von Fremden differenziert wird, verdeutlicht auch eine Belegstelle zu Mischna 16,1. In yT 16,1/12 werden die Diener der fremden Kulte [     ] mit den Ketzern [] verglichen:    .              

          .    

                          .

        318 .        .    Die „Gilionim“ und die Schriften der „Minim“: einer lehrt: Man lese die Gottesnamen und verbrenne sie dann. Ein anderer lehrt: Man verbrenne sie mit ihren Gottesnamen. R. Tarfon sagte: ich will meiner Kinder beraubt werden, wenn diese in mein Haus kämen. Ich würde sie mit ihren Gottesnamen verbrennen. Wenn mich ein Verfolger verfolgte, würde ich mich in die Häuser des fremden Dienstes retten, aber ich würde mich nicht in die Häuser der „Minim“ retten. Die Diener des fremden Dienstes kennen ihn nicht und verleugnen ihn, aber die „Minim“ kennen ihn und verleugnen ihn trotzdem.

Die „     “, die Diener des fremden Diensts, werden den Ketzern vorgezogen. Ob diese Ketzer frühe Christen sind oder nicht, bleibt umstritten.319 Da es um die Verleumdung Gottes geht, muss die Kenntnis des einen Gottes vorausgesetzt werden.320 Der fremde Dienst wird im Vergleich weniger bedrohlich als die Häresie geschildert, da der fremde Dienst in Distanz zu Israel steht und eindeutig verurteilt werden kann. Auch bT 116a überliefert an anderer Stelle bis auf kleine Abweichungen den gleichen Text:

 

   ’’ 

’          ’ 321 .     

     

  318 Vgl. die Interpretation von F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 395, der „Evangelien“ übersetzt. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 319 Die Übersetzung von „ “ ist nicht völlig eindeutig als „Evangelien“ zu übersetzen, vgl. F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 395. S. G. Wilson sieht in dieser Belegstelle einen Beweis, dass es sich um Christen und ihre Bücher handelt; Ders., Related Strangers, 176. 320 In der älteren und neueren Forschung ist unbestritten, dass es um einen religiösen Gegensatz geht. Vgl. T. Rajak, Jews and Christians as Groups in a Pagan World, in: „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 245-255. S. Kaatz, Talmudisch-rabbinische Sätze, 12-13. 321 Hier nach Soncino, in MS München 95 leicht entstellt und in MS Vatikan 108 nicht überliefert.

166

Selbst wenn einen jemand auf Leben und Tod verfolgt, oder eine Schlange ihn bedrängt, um ihn zu beißen, flüchte er sich lieber in einen Tempel des fremden Diensts als die Häuser von diesen [Ketzern] zu betreten. Diese kennen [Gott] und verleugnen ihn, während jene ihn nicht kennen und ihn verleugnen.

Damit wird grundsätzlich die gleiche Aussage wie in yT getroffen, dass die Ketzer durch ihre Leugnung Gottes verwerflicher sind als die Diener fremder Kulte. Wie in yT baut sich der Gegensatz über die Begriffe auf. Die Fremden werden in Bezug auf den Kult nicht als „Goyim“, sondern als Diener fremder Kulte bezeichnet. Ein wichtiges Motiv in bT Schabbat ist die Verunreinigung. Die Promiskuität führt in bT 86b zur Unreinheit eines fremden Körpers:      ’        

                     322 .        R. Papa: was ist mit dem Samen eines Juden in einer „Goya“? Die Juden, die sich um die Gebote kümmern, wärmt ihr Körper. Andererseits kümmern sich die „Goyim“ nicht um die Gebote, weshalb sie ihr Körper nicht wärmt. Oder andererseits: weil sie unkoscheres Fleisch essen, wärmt sie ihr Körper.

Die Verunreinigung durch den Samen, die nur Israeliten betrifft, lässt sich nicht ohne weiteres auf Fremde ausdehnen. Die Erwärmung des Körpers [   ] durch die Gebote oder durch den Genuss von unkoscheren Kriechtieren scheint zuerst schwer verständlich.323 Doch durch die Wärme soll wohl der Samen zerstört werden, was aber die Entscheidung über die Unreinheit der Fremden nicht erleichtert. Dementsprechend bleibt die Diskussion ungeklärt. Aus der Verunreinigung ergibt sich das Gebot der Distanz, wie in bT 89a anhand von Exodus 20,3 erklärt wird. Dort heißt es, dass man keine fremde Götter haben sollte, woraus die Frage abgeleitet wird, ob Israel zwischen Unbeschnittenen lebt, die fremden Dienst treiben.324 Die Aufforderung, keine anderen Götter [  ] anzubeten, wird zu einem 322 Hier nach MS München 95, in MS Vatikan 108 nur geringfügig verändert. 323 Vgl. hier J. Neusner, The Talmud of Babylonia II, 377: [...] because Israelites are anxious about keeping the religious duties, their bodies heat up [and ruin the semen in three days] [...]. Normalerweise ist der Samen des Israeliten unrein und der Samen des Fremden rein, wie bT Nid 34b festlegt. 324 Nach MS München 95 und MS Vatikan 108.

167

Gebot, nicht zwischen unreinen Fremden und ihren fremden Kulten zu leben. Ein anderer Aspekt des fremden Diensts findet sich in bT 105b:   ’’     

          ’’      ’’   ’     ’   

                     325 .       

Wer vor Wut seine Kleider zerreißt, Geld verschleudert oder Gefässe zerschlägt, ist wie einer, der fremden Dienst treibt. Denn das ist die Kunst des bösen Triebs, heute gibt er ihm ein, tue dies, und morgen sagt er, geh und opfere dem fremden Dienst. Und dieser geht und opfert dem fremden Dienst. Rabbi Yoanan sagt: wie in diesem Vers: Es soll kein fremder Gott mit dir sein, denn einen fremden Gott darfst du nicht anbeten (Ps 81,10). Was ist das für ein fremder Gott im Körper des Menschen? Sage: das ist der böse Trieb.

Der fremde Dienst entspricht dem bösen Trieb und gleicht einem fremdem Gott [ ], dessen Verehrung zu unangemessenem Verhalten führt.326 Damit hat der fremde Dienst eine reflexive Bedeutung, die sich auf das schlechte Verhalten Israels bezieht. Diese Sünde kann aber laut bT 119b durch ein Gebet zu Gott getilgt werden.327 Über diesen Segen und das „Amen“ konstituiert sich ,,das treue wahrende Volk []“ nach Jesaja 26,2. Auf diese Weise ist die Einhaltung der Gebote nicht nur ein Merkmal der Identität, sondern führt zur Erlösung. Diese Erlösung kann durchaus diesseitigen Charakter haben, wie die Geschichte in bT 119a über Joseph den Schabbatverehrer zeigt. Diesem fällt wegen seiner Frömmigkeit das Vermögen eines „Goy“ zu, was als Belohnung für die Einhaltung des Schabbat gewertet wird.328 325 Nach MS München 95 und MS Vatikan 108. Nur die Namen der Rabbinen variieren in den Handschriften. 326 Zum Konzept des bösen Triebs siehe G. Oberhänsli-Widmer, Der böse Trieb als rabbinisches Sinnbild des Bösen, in Judaica 3, 2007, 27-40. 327 Vgl. L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 804. 328 L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, bT 119a, 801-802: Joseph der Schabbatverehrer hatte einen Nichtjuden [] in seiner Nachbarschaft, der viele Güter besaß. Einst sprachen die Chaldäer zu ihm: all deine Güter wird Joseph der Schabbatverehrer verzehren. Da ging er und verkaufte all seine Güter, kaufte dafür eine Perle und setzte sie in seine Kopfbedeckung. Einst fuhr er in einer Fähre und ein Wind wehte sie hinunter und warf sie ins Wasser, und (die Perle) wurde von einem Fisch verschlungen. Als dieser (aus dem Wasser) gezogen wurde, und man ihn am Vorabend des Schabbat (zum Verkauf) brachte, fragten (die Fischer), wer einen solchen kaufen würde, und man erwiderte ihnen: Geht, bringt ihn zu Joseph

168

2.3.7 Die Hilfeleistung durch Fremde: zu Mischna 16,6 und 16,8 Mischna 16,6 und 16,8 werden in einem Kapitel abgehandelt, weil sie von der Nutznießung fremder Arbeit am Schabbat handeln. Es wird geboten, sich nicht von einem Fremden beim Löschen eines Hauses helfen zu lassen noch Gegenstände oder Leistungen zu nutzen, die von Fremden für Israeliten angefertigt wurden. In der Mischna werden dafür die Begriffe „Nori“ als auch „Goy“ verwendet. Zu Mischna 16,6 wird in yT 16/7,1 nur ein kurzer Kommentar abgegeben:                

 .                 .   329 .         In den Tagen des Rabbi Ammi brach ein Feuer in Kafra aus. Da schickte R. Ammi einen Boten zu den Wohnorten der Aramäer und ließ ausrichten: Wer hilft, soll keinen Schaden haben. R. Elazar beRabbi Yose vor Rabbi Yose sagte: weil Gefahr im Verzug war. Aber wenn Gefahr im Verzug war, hätte Rabbi Ammi selbst löschen dürfen.

Offenbar steht die Belohnung, die Rabbi Ammi den Fremden verspricht, im Widerspruch zur Mischna. Da Gefahr [  ] im Verzug ist,330 ist diese Bezahlung der Hilfeleistung zu rechtfertigen. Ein Einwand ist, ob R. Ammi nicht selbst löschen sollte. Die folgenden Episoden belegen, dass die Intention verurteilt wird. Angesichts eines brennenden Hauses verhindert Rabbi Yose ben Simai das Löschen, und daraufhin wird das Feuer durch den Regen beziehungsweise durch göttliche Fügung gelöscht. Dass aber besagter Rabbi den Fremden eine Belohnung schickt, wird von den Rabbinen nicht gut geheißen. Es bleibt in yT bei der restriktiven Auslegung, die Hilfe der

dem Schabbatverehrer, denn er pflegt solche zu kaufen. Da brachten sie ihn zu ihm, und er kaufte ihn. Als dieser ihn aufschlitzte, fand er in ihm die Perle, die er für 13 Maß Goldeinheiten verkaufte. Einst begegnete ihm ein Greis und sprach zu ihm: „Wer dem Schabbat leiht, den bezahlt der Schabbat.“ Hier nach MS München 95 und Soncino. 329 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 330 Entgegen der Übersetzung ist zu konstatieren, dass keine direkte Lebensgefahr besteht; da wohl R. Simai sonst selbst gelöscht hätte und nicht um Hilfe geschickt hätte. Der Begriff „  “ kann auch „Ärger“ oder „Verstimmung“ bedeuten; vgl. auch M. Jastrow, Dictionary of Talmud Babli, 992.

169

Fremden nicht in Anspruch zu nehmen und nicht zu entlohnen.331 Im Vergleich dazu wird in bT 121a folgendes bestimmt:  

          

       

                     332 .      Bei einem Hausbrand haben sie erlaubt zu sagen: Jeder, der löscht, wird keinen Schaden haben. Ihm wäre eine Stütze zu erbringen? Einen „Nori“, der kommt, um zu löschen, fordere man nicht zum löschen auf, noch halte man ihn davon ab, da er nicht zur Einhaltung des Schabbat verpflichtet ist. Deshalb darf man ihn nicht zum löschen auffordern, aber man darf sagen, jeder der löscht, soll keinen Schaden davon haben. Wie steht es mit dem Schlussvers? Man sage nicht „lösche nicht“ zu ihm; weiter ist daraus nichts abzuleiten.

In bT wird der gleiche Fall erleichternd entschieden und die Möglichkeit der Bezahlung offen angesprochen. Es wird nur nach der Mischna festgehalten, dass keine Aufforderung zum Löschen erfolgen darf. Auch der folgende Absatz über R. Yose ben Simai wird yT übernommen. An dieser Belegstelle gibt es offensichtlich keine Kontinuität der Begriffe, da in yT der Begriff „Arami“ und in bT der Begriff „Nori“ verwendet wird. Der Kommentar zu Mischna 16,8 erwähnt wie in der Mischna den Begriff „Nori“. In yT 16,8/4 wird über die Nutznießung des Lichts gehandelt. Die Unterscheidung zwischen dem Bedürfnis [ ] des Israeliten und des Fremden ist dabei nicht einfach zu treffen:333                               334 .                .  Shmuel wurde von einem Perser empfangen. Als die Lampe verlöschte, ging dieser Perser, um sie wieder anzuzünden. Shmuel wandte sein Gesicht ab. Als er aber sah, dass jener sich mit seinen Unterlagen befasste, wusste er, dass dieser sie nicht für 331 Die Belohnung durch Geld kann zu Missverständnissen führen. S. Stern führt dies anhand von bT AZ 6b aus; Ders., Misunderstanding in Jewish-Roman Relations, in: Goodman, Martin, Jews in a Graeco-Roman World, 246-250. 332 Hier nach MS München 95 und MS Oxford Opp 23, in MS Vatikan 108 lückenhaft überliefert. 333 Auch aus einem modernen Blickwinkel sind diese unterschiedlichen Bedürfnisse ausschließlich religiöser Natur; wie Y. Rash zeig. Ders., Attitudes juives a l’égard de non-juives, Recherches de science religieuse 85/2, 182-185. 334 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

170

ihn angezündet hatte. Da wandte Shmuel ihm sein Gesicht wieder zu. R. Yaqov bar Aa sagte: Das heißt, wenn jemand für sich und für einen Juden handelt, ist es verboten.

Die Diskussion beschränkt sich auf die Nutznießung des Lichts und verbleibt im wesentlichen im Kontext der Mischna. Das Licht ist nur dann erlaubt, wenn es für den Eigenbedarf des Fremden angezündet wurde. Im folgenden gibt es logische Einwände, die darauf zielen, dass am Schabbat niemand das Haus verlassen sollte. Im Vergleich dazu wird in bT 122a bis 122b die Auslegung spezifiziert:

  

          ’’                

        ’’                                

                    335 .            Komm und höre: Wenn in einer Stadt, in der Israeliten und „Goyim“ wohnen, eine Badeanstalt steht, die am Schabbat in Betrieb ist, darf man, falls die Mehrheit aus „Goyim“ besteht, sofort baden. Falls aber die Mehrheit aus Israeliten besteht, darf man es erst nach der Zeit, in der das Wasser heiß werden kann, da das Wasser für die Mehrheit aufgewärmt wird. Komm und höre: Wenn ein Licht in einer Gesellschaft brennt, die in der Mehrheit aus „Goyim“ besteht, ist es erlaubt, sich des Lichts zu bedienen. Falls die Mehrheit aus Israeliten besteht, ist es verboten; und wenn Hälfte gegen Hälfte, ist es ebenfalls verboten? Auch da wird sie für die Mehrheit angezündet. Einst kam Shmuel nach Abitoren. Als ein „Goy“ eine Lampe anzündete, wandte er das Gesicht ab. Dann sah er, dass dieser einen Zettel holte und las. Da wandte er das Gesicht wieder dem Licht zu, weil er wusste, dass er sich [die Lampe] für sich angesteckt hatte.

Der Fall der Nutznießung wird durch die Diskussion über die Mehrheit und Minderheit von Fremden und Israeliten modifiziert. Die tägliche Interaktion ist bei der Arbeit auf dem Feld und dem Besuch einer Badeanstalt [] gegeben. Die Episode über die Nutzung des Lichts ähnelt der Vorlage in yT. Durch das Abwägen der Mehrheiten besteht die Möglichkeit, sich auch in einem fremden Umfeld wie einem Badehaus für die Benutzung zu entscheiden.336 Auch wenn das Argument der Mischna bestehen bleibt, 335 Hier nach MS München 95 und MS Vatikan 108. 336 Laut M. Goodman war es durchaus üblich für Juden, die römischen Bäder zu besuchen; Ders., Rome and Jerusalem, 291-292.

171

kann mit dem Mehrheitsargument der konkrete Fall gewendet werden. So ist das Ergebnis dennoch im Sinn der Mischna, keine Arbeitsleistung von Fremden am Schabbat zu provozieren. Ein weiteres Beispiel für die Nutznießung fremder Arbeit wird in bT 129a gegeben, in der die Krankenpflege auch von einem Fremden [] verrichtet werden darf. Selbst wenn keine Gefahr besteht, ist es nach R. Hamnuna erlaubt, einen „Goy“ mit der Pflege zu beauftragen.337 Es gibt offenbar Ausnahmen wie die Krankenpflege, bei der die Arbeit einstimmig von einem Fremden verrichtet werden darf.338 Damit wandelt sich das ausdrückliche Verbot der Hilfeleistung durch Fremde von der restriktiven Bewertung in der Mischna zu einer erleichternden Haltung in bT.

2.3.8 Über Proselyten und ihre Beschneidung: von Mischna 16,8 bis 23,4 Der Abschnitt von Mischna 16,8 bis 23,4 hat die Konversion zum Thema. Der Kommentar zu Mischna 19,2 konzentriert sich auf die Beschneidung am Schabbat. Im Kontext zu yT 19,2/2 wird die Frage erörtert, welche Voraussetzungen für die Beschneidung notwendig sind:

 .              

     .      .  

      339 .  .     Rav sagte: „Beschnitten, er soll beschnitten werden“ (Gen 17,13). Deswegen muss man bei einem Neugeborenen, der beschnitten geboren wurde, das Blut des Bundes tropfen lassen. „Beschnitten, er soll beschnitten werden“: deswegen darf kein unbeschnittener Israelit beschneiden und auch kein unbeschnittener „Goy“. Rabbi Levi sagte: Es steht geschrieben: und du sollst meinen Bund halten (Gen 17,9): jeder, der wie du ist.

337 Hier nach MS Vatikan 108, in MS München 95 fehlt das Wort „  .“ 338 Im Vergleich dazu wird in yT 14,4/7 eine Episode erwähnt, in der R. Yoanan von einer Fremden geheilt wird, die daraufhin Proselytin wird [ ]. Entscheidend ist die Schlussfolgerung: „Wenn der Arzt (nichtjüdisch, aber) kundig ist, ist (die Heilung durch ihn) erlaubt.“ F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 377. 339 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

172

Ein grundlegendes Merkmal der Zugehörigkeit zu Israel ist die Beschneidung.340 Die Frage, wer beschneiden darf, ist damit ein Merkmal der Differenz. Deshalb darf die Beschneidung nicht von Fremden vollzogen werden. Die Beschneidung kann nur jemand durchführen, der „wie du“ [   ] ist. Weiter wird geboten, dass ein Samaritaner durch einen Israeliten beschnitten werden darf, aber nicht umgekehrt. Folgender Fall in yT 19,2/4 führt zu einer weiteren Schwierigkeit:  .                    

               

                

  .     ‘  341 .   Jemand, der die Haut heruntergezogen hat und jemand, der beschnitten geboren wurde und ein „Ger“, der beschnitten konvertiert ist, von diesen muss man Blut des Bundes fließen lassen. Es wird gelehrt: Rabbi Shimon ben Elazar sagte: Shammais Schule und Hillels Schule stritten nicht über den beschnitten Geborenen, dass man von ihm Blut des Bundes fließen lassen muss, da die Vorhaut verschoben ist. Worüber stritten sie? Über einen, der beschnitten konvertiert ist. Shammais Schule sagt, dass man von ihm Blut des Bundes fließen lassen muss und Hillels Schule sagt, dass man von ihm kein Blut des Bundes fließen lassen muss.

Im Fall des Proselyten, der bereits beschnitten übergetreten ist, wird trotzdem eine formale Beschneidung verlangt, wie sie auch von einem beschnitten Geborenen verlangt wird.342 Über den Fall des beschnittenen Proselyten gibt es zwischen Hillel und Schammai eine Meinungsverschiedenheit, die offenbar zugunsten der Schule Schammais entschieden wird. Die Symbolsprache der Beschneidung ist für die Konversion weniger eine körperliche Vorraussetzung, als eine Notwendigkeit der Konversionszeremonie.343 Eine weitere Schwierigkeit in yT 19,5/1 tritt bei der Konversion der Mutter auf, die ein Kind bekommt und zum Judentum konvertiert. 340 J. J. Collins, A Symbol of Otherness: Circumcision and Salvation in the First Century, in: „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 163-186. 341 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 342 In der rabbinischen Literatur ist das Untertauchen ein weiteres wesentliches Element; S. Cohen, The Rabbinic Conversion Ceremony, in: JJS 41, 1990, 184-186. 343 M. Goodman, Jewish Proselytizing in the First Century in: The Jews among Pagans and Christians in the Roman Empire, 68-69. Das Buch von S. Cohen, Why Arent Jewish Women Circumcised?, befasst sich ausführlich mit dieser Tradition; Ebend., 21-22.

173

Wenn die Mutter entbunden hat und danach konvertiert ist, wird das Kind an diesem Tag beschnitten. Ist sie aber konvertiert und hat danach entbunden, wird das Kind regulär am achten Tag beschnitten.344 Das Kind muss sofort beschnitten werden, um die neue Identität sicherzustellen. Da die Mutter vor der Konversion eine Fremde ist, ist auch das Kind, das vor der Konversion geboren ist, ein Fremder, und muss aus pragmatischen Gründen sofort beschnitten werden. Nur wenn das Kind nach der Konversion geboren wurde, ist seine Identität sichergestellt und die Beschneidung folgt den üblichen Regeln. Die Konversion markiert eine Grenze, der die Rabbinen einige Aufmerksamkeit schenken. Es werden vor allem Fälle geregelt, die zu Komplikationen führen könnten. Auch in bT werden in diesem Abschnitt einige Kommentare zur Beschneidung und Konversion gesammelt, die allerdings über die Vorlage des yT hinausgehen. In bT 130a ist die Beschneidung eine historische Tradition zur Stützung der jüdischen Identität:   [ ]   ’     ’    .    Jedes Gebot, für das die Israeliten zur Zeit der Verfolgung den Tod auf sich nahmen, wie  beispielsweise der fremde Dienst und die Beschneidung, wird von ihnen jetzt noch befolgt.345

Nicht nur die Beschneidung, sondern auch die Ablehnung des fremden Diensts werden als historische Tradition gewertet, die gerade in den Zeiten der Religionsverfolgung einen hohen Wiedererkennungswert für Israel bieten. Die Maßnahme der Beschneidung steht der Unbeschnittenheit der Fremden gegenüber. So ist die Beschneidung ein positives Gebot.346 Die Existenz der fremden Kulte und die Bedrohung Israels erinnern an die Geschichte Israels. Zusammengenommen veranschaulichen die beiden Gebote eine Identität, die auf Differenz zu Fremden ausgelegt ist. Zum Thema der Beschneidung von Proselyten wird in bT 135a folgendes festgelegt: 344 Vgl. F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 446. 345 An dieser Stelle fehlt in MS München 95, MS Vatikan 108 und MS Oxford Opp 23 der Zusatz „und die Beschneidung“. Hier nach MS Vatikan 108. Auch bei L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 843, ist die Beschneidung im Text zu finden. 346 Gerade in der Diaspora ist dieses Gebot von Interesse, wie J. J. Collins zeigt; Ders., A Symbol of Otherness: Circumcision and Salvation in the First Century, in: „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 174.

174

       

       

            

   

   .       .   Die Schule Hillels und die Shammais streiten nicht über den beschnitten Geborenen, von dem man einen Tropfen Bündnisblut fließen lassen muss. Dort handelt es sich nur um eine verschobene Vorhaut. Über was streiten sie? Über einen „Ger“, der beschnitten konvertiert ist. Die Schule Shammais sagt, man muss von ihnen Blut fließen lassen wegen des Bunds. Die Schule Hillels sagt, man muss kein Blut von ihnen fließen lassen.347

In bT wird lediglich der Streit zwischen den Schulen Hillels und Schammais überliefert, ohne eine eindeutige Position zu beziehen. Die Wortwahl, die sich fast völlig mit yT deckt, lässt das Problem des beschnittenen Proselyten ungelöst. In bT 137b wird ein Segen zur Konversionszeremonie hinzugefügt, der sich nur an dieser Stelle in bT findet und wohl in späteren Zeiten hinzugefügt wurde:348   ’    ’     ’ ’    ’    .           Wer „Gerim“ beschneidet, spreche: Gepriesen seist du, oh Herr, unser Gott, König der Welt, der du uns die Beschneidung [aufgetragen] hast. Der Segnende spreche: Gepriesen seist du, oh Herr unser Gott, der uns befohlen hat, die „Gerim“ zu beschneiden und von ihnen das Blut des Bundes fließen zu lassen.349

Der Segen über die Konversion hebt nochmals die Bedeutung der Beschneidung hervor, die ein Gebot Gottes ist. Auch wenn der Segen in späterer Zeit hinzugefügt wurde, lässt sich behaupten, dass die Beschneidung bereits in der rabbinischen Literatur als Kriterium der Differenz betrachtet wurde.350 347 Hier nach MS Vatikan 108, in MS München 95 fehlt der letzte Vers. 348 So argumentiert S. J. D. Cohen, weil sich ein weiterer Segen über Proselyten in der rabbinischen Literatur der Antike nicht finden lässt; Ders., Beginnings of Jewishness, 228. 349 Hier nach MS Vatikan 108. Die Überlieferungen der Handschriften variieren an dieser Stelle. Dies deutet ebenfalls daraufhin, dass der Text später ergänzt wurde. 350 Dafür spricht die uneinheitliche Überlieferung in den MS München 95 und MS Vatikan 108. Das Traktat Gerim, das aus dem frühen Mittelalter stammt, überliefert ebenfalls diesen Segen über die Konversion. Zur Konversion in der rabbinischen Literatur gehören die Beschneidung, die Taufe und das Opfer; J. J. Collins, A

175

So scheinen die Bestandteile der Konversion in bT eindeutig, wenn auch eine verbindliche Form der Konversion noch nicht festgelegt ist. Nach bT 146a geht von Fremden ein übler Geruch [ ] aus, der mit folgendem Verweis auf die jüdische Tradition erklärt werden kann:

   



    

         

           

                                       .‘        ‘ Weswegen riechen die „Goyim“? Weil sie nicht am Berg Sinai standen. Als die Schlange sich der Eva näherte, übertrug sie einen Geruch. Bei den Israeliten, die am Berg Sinai standen, verging der Geruch. Bei den „Goyim“, die nicht am Berg Sinai standen, verging der Geruch nicht. Rab Aha, der Sohn des Rabba, sagte zu R. Ashi: Was ist mit den „Gerim“? Er erwiderte ihm: Wenn sie auch nicht selbst anwesend waren, war doch ihr Geist anwesend, wie geschrieben steht: „mit denen, die jetzt hier vor dem Herrn, unserem Gott stehen, wie mit denen, die hier nicht stehen (Dtn 29,14).351

Dieser unreine Geruch, der den Nichtjuden als Erbsünde aus dem Paradies anhaftet, zeigt die Differenz zu Israel.352 Durch die Verleihung der Gebote wurde diese Unreinheit aufgehoben und Israel zu einer hervorragenden Nation. Im Hinblick auf diese Zweiteilung der Welt in Israel und Fremde ist der Status der Proselyten problematisch, denn die Proselyten haben keine genealogische Verbindung zum historischen Heilsgeschehen. Diese Schwierigkeit wird über den anwesenden Genius [ ] der Proselyten gelöst. Der Begriff „ “, der sich auch auf Sternenkonstellationen bezieht, deutet auf die Teilhabe der Prosleyten am Heil über die Vorsehung hin.353 Der rabbinischen Fremdbeschreibung gelingt auf diese Weise der Spagat zwischen der Erzählung der Tora und der Aufnahme von Proselyten. Symbol of Otherness: Circumcision and Salvation in the First Century, in: „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 171. 351 Hier nach MS München 95 und MS Vatikan 108. 352 Diese Differenz zeigt sich zum Beispiel in Shab bT 149b am Vorwurf der Homosexualität. „Dies lehrt, dass [Nebukadnezar] zu losen pflegte, wer von den Großen der Reichen an diesem Tag zum männlichen Beischlaf zu verwenden sei. Es heißt: alle Könige der Völker ruhten etc. (Jes 14,18). Dies erklärte R. Yoanan: Sie ruhten vom männlichen Beischlaf.“ Nach L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 914. 353 Nach M. Jastrow, Dictionary of Talmud Babli, 755.

176

2.3.9 Zur Arbeit am Schabbat: Einige Kommentare des Bavli Da sich zu Mischna 23,4 und 24,1 in yT kein Kommentar findet, werden abschließend einige Motive aus bT zusammengefasst. In bT 150a wird nochmals die Nutznießung fremder Arbeit am Schabbat thematisiert. Der Auftrag, Arbeitskräfte durch einen Nächsten [ ] anzumieten, ist umstritten:    ’   

           ’ ’  ’            ’’      .     Wer ist sein Nächster? R. Papa erwiderte: wenn der Nächste ein „Goy“ ist. R. Ashi wandte ein: Wird denn nicht gesagt, dass ein „Goy“ [am Schabbat] ruhen sollte? Weiter sagte R. Ashi: [das gilt auch], wenn der Nächste Israelit ist. Er lehrt uns folgendes: Ein Mensch darf nicht zu seinem Nächsten sagen: „Miete für mich Arbeitskräfte“, aber man darf sagen: „Wir werden sehen, ob du dich abends bei mir einfindest.“354

Der Mischna zufolge wird die Anmietung von Arbeitskräften verboten; nicht nur durch Israeliten, sondern auch durch Fremde. Nur durch eine indirekte Bitte an die Arbeitskräfte kann das Verbot umgangen werden. Offensichtlich kann der Fremde mit dem „Chaver“ gleichgesetzt werden, was bedeutet, das der „Chaver“ auch ein Fremder sein könnte. Zusätzlich wird das Gebot wiederholt, dass ein Fremder wegen des Schabbat [

] nicht zu einer Arbeitshandlung aufgefordert werden darf.355 In diesem Zusammenhang wird das Motiv des nackten Nichtjuden aus bT Brachot eingefügt. Das Verbot, vor einem nackten Nichtjuden das „Schma“ zu lesen, wird gemäß

354 Hier nach MS München 95, in MS Vatikan 108 lückenhaft. Ein weiteres Beispiel für die Bezahlung der Arbeit von Fremden am Schabbat findet sich in bT Shab 139a, L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 876: „R. Mesharshija gab einem nichtjüdischen Knaben [  ] eine Peruta, und dieser säte für ihn. Sollte er sie doch einem israelitischen Knaben geben!? Er könnte sich daran gewöhnen. Sollte er sie einem erwachsenen Nichtjuden [] geben? Es könnte zu einer Verwechslung mit einem Israeliten kommen.“ Nach MS München 95 und MS Vatikan 108. Weiter wird der Fall der Leichenpflege an einem Feiertag debattiert, die ebenfalls von Fremden ausgeführt werden darf. 355 Diese Thematik erlaubt wegen der Wechselwirkung mit der jüdischen Identität und der Abgrenzung gegen Fremde die Verbindung von Identität und Fremdbeschreibung. S. Stern zeigt diese Wirkung auf; Ders., Jewish Identity in Early Rabbinic Writings, 207-208.

177

bT Brachot 25b wiederholt.356 So werden bekannte Motive in neuen Kontexten wieder aufgegriffen, um die Argumentation zu stützen. Zu Mischna 23,4 wird in bT 151a die Benutzung der Badeanstalt am Schabbat erneut diskutiert. Die Auslegung aus bT 122a wird aufgenommen und mit einem Zusatz versehen. Wenn die Hälfte Fremde und die Hälfte Israeliten seien, müsse man ebenfalls auf die Erwärmung des Wassers warten.357 Da in Mischna 23,4 die Nutznießung fremder Arbeit am Schabbat besprochen wird, scheint dies eine andere Begründung für das Verbot zu sein. Der Kommentar zu Mischna 24,1, in der ein Fremder den Geldbeutel eines Israeliten am Schabbat tragen soll, ist ebenfalls eine Wiederholung aus dem ersten Kapitel. In bT 153a wird über das Tragen geboten:                   ’   .             Weshalb erlaubten die Rabbanan, seinen Geldbeutel einem „Nori“ zu geben? Weil die Rabbanan überzeugt waren, dass ein Mensch dem Geld nicht widerstehen kann. Hätten sie es nicht erlaubt, könnte es sein, dass man vier Ellen auf öffentlichem Gebiet tragen müsste.358

Diese Belegstelle knüpft an das Motiv in bT 17b an und liefert eine Erklärung für das Gebot, das Geld einem Fremden zu geben, der nicht durch das Ruhegebot betroffen ist. Die Verlockung des Geldes ist das Motiv, das offensichtlich zur Nutznießung fremder Hilfe berechtigt. Dies ist eine der wenigen Ausnahmen, in der diese Handlung gerechtfertigt ist:

   ’                 .

    

356 Vgl. bT Shab 150a. Hier nach MS Vatikan 108, in MS München 95 weicht die Wortstellung ab. Im Vergleich zu bT Ber 25b ist der Wortlaut im zweiten Vers verändert, aber es folgt der selbe Schluss:         ‘     ‘                           . 357 Vgl. L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 919. MS München 95 und MS Vatikan 108 überliefern diesen Text; in MS Oxford Opp 23 und MS Wilna wird der Begriff „ “ überliefert. 358 Hier folgt der Text MS Vatikan 108, da MS München 95 an dieser Stelle lückenhaft ist.

178

Wenn kein „Nori“ bei ihm ist.“ Nur, wenn kein „Nori“ mit ihm ist; ist aber ein „Nori“ bei ihm, gebe er ihm [den Geldbeutel]. Aus welchem Grund? Die Schabbatruhe des Esels musst du einhalten, aber die Schabbatruhe des „Goy“ (!) musst du nicht einhalten.359

Es wird explizit festgelegt, dass das Schabbatgebot nach der Tora nur die Arbeitstiere, die Sklaven und den „Ger“, nicht aber den „Goy“ betrifft. Auf diese Weise zeigt sich ein gewisser Widerspruch zur Auslegung von Mischna 1,7 sowie zu bT 153b, in denen das Ruhegebot auf den „Goy“ ausgedehnt wurde. Einmal wird der „Nori“ vom Ruhegebot ausgenommen und ein anderes Mal ist seine Arbeitsleistung am Schabbat verlangt.360 Da in diesem Abschnitt sonst ausschließlich der Begriff „Nori“ verwendet wird und es nur die eine Nennung des „Goy“ gibt, muss entweder von einem vorsätzlichen Widerspruch oder einer Änderung im Nachhinein ausgegangen werden.361 Für die Thematik des Fremden am Schabbat wird ansonsten der Begriff „Nori“ verwendet. Im Vergleich dazu wird in bT 29a in einem Vers der Fremde [] erwähnt, der am Schabbat in ein Holzscheit eine Vertiefung [     

] gegraben hat.362 Ob diese Vertiefung Arbeit ist oder nicht, wird nicht abschließend entschieden. Damit bleibt offen, ob das Ruhegebot selbst durch indirekte Arbeit verletzt werden kann. Dieser Fall veranschaulicht jedenfalls die Vorsicht, das Arbeitsverbot auch im Fall von Fremden anzuwenden. Zum Begriff „Nori“ findet sich weiter in bT 153b eine Belegstelle in Bezug auf das heilige Opfer, die „Hebe.“ Das Abheben des Opfers für einen Israeliten wird dem Fremden untersagt:                 .         

    

  Fünf dürfen die Hebe nicht abheben. Und haben sie die Hebe entnommen, ist sie ungültig. Diese sind: der Taube, der Einfältige, der Minderjährige, derjenige, der 359 Der Text entspricht MS Vatikan 108. MS München 95 ist von Auslassungen entstellt, überliefert aber die gleiche Aussage. 360 Vgl. bT Shab 150a, L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 915: „[...] R. Ashi wandte ein: Einen Nichtjuden zu beauftragen ist ja des Feierns wegen [verboten]!? [

    ].“ 361 Diese Spannung zwischen dem Toragebot der Ruhe und der rabbinischen Erleichterung lässt sich bei J. Katz, The Shabbes Goy, 228-229, nachvollziehen. 362 Vgl. bT 29a; L. Goldschmidt, Der babylonische Talmud. Schabbat, 512. Nach MS München 95 und MS Vatikan 127.

179

der nicht seine eigene Hebe abhebt, und wenn der „Nori“ die Hebe eines Israeliten abhebt. Selbst mit seiner Bevollmächtigung ist die Hebe ungültig.363

Der Fremde zählt zu einer Personengruppe, deren stellvertretendes Opfer ungültig ist. Obwohl grundsätzlich Fremde die Hebe abheben dürfen, wird eine wichtige Einschränkung vorgenommen. Die Fremden dürfen nicht an der Stelle eines Israeliten die Hebe abheben, was nichts mit der Reinheit, sondern mit der Zulässigkeit und Tauglichkeit für die Abhebung zu tun hat.364 Mit dieser Lehre wird indirekt auf Mischna Terumot 1,1 verwiesen.365 So ist den Fremden nicht grundsätzlich verboten, Hebe abzuheben.366 Zum Schluss findet sich ein weiterer Beleg für die Bedeutung der „Avoda Zara“ als Rechtsterminus:  ’’    ’’  ’’    .   Die ganze Tora wird mit dem fremden Dienst verglichen. Weshalb mit dem fremden Dienst? Wenn man eine Tat selbst begangen hat, [ist man verantwortlich], ebenso auch hier, wenn man eine Tat selbst begangen hat.367

Wie bereits ausführlich gezeigt wurde, ist der fremde Kult nicht nur ein materielles Idol und ein fremder Kult, sondern auch ein Strafmass. Die gesamten Straftatbestände der Tora lassen sich mit dem fremden Dienst in Bezug setzen, weshalb jede einzelne Handlung dazu in Analogie stehen 363 Der Text entspricht MS Vatikan 108; in MS München 95 gibt es nur geringe Abweichungen. 364 Hier macht das Abheben der Hebe des Fremden für den Israeliten einen Unterschied. Vgl. C. Hayes, Gentile Impurities, 113; 258, Fußnote 21. Es ist auf die komplexe Terminologie zu verweisen, die nicht stets die Unreinheit thematisiert. Es muss zwischen verschiedenen argumentativen Ebenen unterschieden werden, die auch auf den Tatbestand der Tauglichkeit verweisen. 365 Vgl. mTerumot 1,1. K. H. Rengstorf, Die Mischna. Terumot. (Priesterheben), 37: „[Folgende] fünf sollen keine Hebe absondern, und wenn sie [sie] abgesondert haben, ist ihre Hebe keine Hebe: Der Taubstumme und der Wahnsinnige und der Minderjährige und wer absondert, was ihm nicht gehört, ein Nichtjude, der abgesondert hat, was einem Israeliten gehört, selbst wenn [es] auf seine Ermächtigung [geschieht] seine Hebe ist keine Hebe.“                

    

. Der Wortlaut stimmt bis auf den ersten Vers mit der Gemara überein. 366 Dies bestätigt die Praxis, Fremde im Tempel opfern zu lassen; S. Safrai, Die Wallfahrt im Zeitalter des Zweiten Tempels, 111. 367 Hier nach MS München 95 und MS Vatikan 108.

180

kann. Insgesamt wirkt der letzte Abschnitt wie eine Zusammenfassung und Wiederholung wichtiger Motive der Fremdbeschreibung aus der Gemara, die einen ambivalenten Eindruck hinterlassen.

2.4 Der, die, das Fremde: Fremde an den Grenzen Israels Im Traktat Schabbat steht die Fremdbeschreibung im Rahmen der 39 verbotenen Arbeiten am Schabbat, die den wöchentlichen Feiertag auszeichnen.368 In den Gemarot werden diese Vorgaben der Mischna erweitert, um mit dem Schabbat verwandte Themen zu integrieren. In yT und bT Schabbat zeigen sich die verschiedenen Facetten der fremden Person und des fremden Kults in Bezug auf die Festzeit Schabbat. Das vorwiegende Thema ist die Arbeit des Fremden am Schabbat. Dazu kommt eine differenzierte Abhandlung der Konversion, des fremden Diensts sowie die Verunreinigung durch fremde Idole und Personen. Damit handelt das Traktat Schabbat von den Grenzen Israels gegenüber Fremden. Eine Zusammenfassung des Inhalts Das erste Kapitel zum Traktat Schabbat behandelt eine Liste von fremden Speisen und Flüssigkeiten. Der Auslöser für die achtzehn Regeln, in denen die Häuser Hillels und Schammais übereinstimmen, ist die Gefahr der Verunreinigung. Nur das Brot der Fremden wird in yT erlaubt, weil es als lebenswichtig eingestuft wird. Insgesamt wird die Interaktion mit Fremden, wie beispielsweise die Mischehe, restriktiv behandelt. Zu fremden Speisen, Flüssigkeiten und Ländern muss Distanz gehalten werden.369 Diese einzelnen Bestimmungen werden in bT pointiert wiederholt und kausal verknüpft. Zu diesem Katalog wird die Unreinheit der körperlichen Ausflüsse in Analogie gesetzt. In yT und bT ist jeweils geboten, am Schabbat den Geldbeutel einem „Nori“ zu geben. Das zweite Kapitel bestätigt das Verbot der Mischna, von Fremden keine Arbeitsleistung am Schabbat anzunehmen. In yT 1,11/1 wird dafür wie in bT 18b der Begriff „Goy“ verwendet. 368 The Mishna. Seder Moed. Tractate Shabbos, Artscroll Mishna Series, 3-17; T. Rajak, The Jewish Community and its Boundaries, in: The Jewish Community and its Boundaries, 17. 369 Die Bedeutung der Speisegesetze für die Fremdbeschreibung hebt auch E. P. Sanders hervor; Ders. Jewish Association with Gentiles and Galatians 2:11-14, in: R. Fortna, The Conversation Continues etc., 177.

181

Das dritte Kapitel vergleicht den Kommentar zu Mischna 2,5 und betont verschiedene Aspekte der sozialen Hierarchie. Sowohl in yT als auch in bT lassen sich an dieser Stelle die Begriffe „Goy“, „Ger“ und „Zar“ vergleichen. Es handelt sich um eine aufsteigende Hierarchie, die vom Fremden, zum Proselyten bis zum Nichtpriester ansteigt.370 Eine Episode über einen fremden „Goy“, der bei Hillel und Schammai konvertieren möchte, zeigt den Zusammenhang der Begriffe, die sich von „Goy“ über „Ger“ bis zu „Zar“ staffeln lassen. Diese soziale Hierarchie kann deshalb als relationale Fremdheit verstanden werden.371 So steht die Identität Israels in Bezug zur Wahrnehmung der Fremden. Im vierten Kapitel werden die Dimensionen der kulturellen Differenz vorgestellt, die vor allem religiöse Unterschiede betreffen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den „Gerim“, den „heidnischen Bräuchen“ [   ], der Grundregel des Schabbat und Aspekten des fremden Diensts. Gegenüber Proselyten zeigt sich sowohl in yT als auch in bT eine Distanz, die von Vorsicht geprägt ist. Dazu wird in bT 33b der Fall des unloyalen Proselytenabkömmlings Yehuda ben Gerim berichtet. Die heidnischen Bräuche werden in yT restriktiv behandelt und vor allem in bT als Teil des fremden Kults beschrieben.372 Dort wird versucht, genaue Grenzen gegenüber diesen Bräuchen zu formulieren. Zuletzt wird der fremde Dienst in diesem Kapitel nicht nur als materieller Kult, sondern als abstrakter Rechtsterminus definiert. Die praktische und die theoretische Seite der „Avoda Zara“ gehen in diesem Abschnitt ineinander über.373 Das fünfte Kapitel behandelt exemplarisch die Auslegung der Mischna 9,1 und die dort beschriebene Verunreinigung. Diese Verunreinigung droht durch fremde Idole und ihr Zubehör. In yT wird dabei der Aspekt der direkten und indirekten Berührung des Idols betont. In bT wird der Kom370 Die Fremden umgeben die Gemeinschaft Israels in konzentrischen Kreisen; V. Haarman, Proselyten und „Gerechte aus den Völkern“. Zwei rabbinische Kategorien der Akzeptanz von Nichtisraeliten, in: Trumah 13, 2003, 162-163. 371 Fremdheit ist so immer auf eine soziale Situation bezogen und spiegelt Gesellschaftsentwürfe wieder; W. S. Green, Otherness Within: Towards a Theory of Difference in Rabbinic Judaism, in: „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 49-69. 372 M. Hadas-Lebel, Le paganisme à travers les sources rabbiniques des IIe et IIIe siècles. Contribution à l’étude du syncrétisme dans l’empire romain, in: ANRW II 19.2, 1979, 441-442. 373 Sowohl E. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme, wie S. Stern, Early Jewish Identity, scheinen das Phänomen der „   “ nur teilweise zu erfassen. Wie sich hier zeigt, hat der fremde Dienst mehrere Dimensionen.

182

mentar dahingehend weiterentwickelt, dass auch die Fremden, in dem Fall „Nori“ und „Norit“, als Quelle der Verunreinigung durch direkte und indirekte Berührung gelten. Der Vergleich der Unreinheiten des Kriechtiers, der Menstruierenden und des Idols weist den fremden Dienst als theologisches Konzept aus. Im sechsten Kapitel geht es um soziale Aspekte der Differenz. In yT 10,6/2 wird die Verunreinigung durch den fremden Leichnam besprochen, und in yT 14,4/9 die Heilung durch den fremden Dienst abgehandelt. Der fremde Dienst wird an dieser Stelle mit dem bösen Trieb verglichen. So erhält dieser fremde Kult eine reflexive Note, der sich nicht auf Fremde, sondern auf Israeliten bezieht. Das siebte Kapitel konstituiert sich über das Motiv der Hilfeleistung durch Fremde am Schabbat. In yT 16,7/1 wird dabei erschwerend gegen die Hilfe entschieden. In beiden Gemarot wird die Möglichkeit erwogen, gegen Lohn das Löschen eines Feuers zu erlauben. Während in yT 16,7/1 für Fremde der Begriff „Arami“ verwendet wird, bleibt in bT 121a der Begriff „Nori“ erhalten. Insgesamt scheint es in diesem Kapitel keine Kontinuität der Begriffe für die Fremdbeschreibung zu geben.374 Die Exegese von Mischna 16,8 zeigt, dass yT und bT grundsätzlich die Haltung der Mischna übernehmen, keine Arbeitsleistung von Fremden zu akzeptieren. In bT wird für eine Erleichterung argumentiert, die Badeanstalt der Fremden zu benützen. Eine weitere Belegstelle in bT 129a über die Krankenpflege erlaubt explizit die Arbeitsleistung des Fremden. Im achten Kapitel werden verschiedene Motive der Konversion vorgestellt. Beide Gemarot erachten die Beschneidung als notwendige symbolische Handlung.375 Die Inklusion der Proselyten in die historische Genealogie Israels wird in bT 145b über den „Genius“ [ ] der Proselyten gelöst. Das neunte und abschließende Kapitel bietet einen Überblick über die Belegstellen in bT, wobei zum Ausdruck kommt, das in der Betrachtung der Fremden ein inhaltlicher Widerspruch besteht. In bT 153b scheint wie in bT 17b das Ruhegebot des Fremden im Fall des Geldbeutels nicht zu gelten, das auf den „Goy“ ausgedehnt wurde. Diese Aussagen können als Widerspruch 374 In yT werden an dieser Stelle der Begriff „“ bzw. „“ und in bT einmal „ “ und dann „“ verwendet. 375 J. J. Collins zeigt, wie umstritten diese Maßnahme ist. Die Beschneidung ist als alltägliches Unterscheidungskriterium eher ungeeignet und nur als Symbol von Bedeutung; Ders., A Symbol of Otherness: Circumcision and Salvation in the First Century, in: „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 175.

183

verstanden werden, die vor dem Hintergrund der übrigen Entscheidungen deutlich abweichen. Gerade in bT wird in wenigen Fällen die Arbeitsleistung des Fremden erlaubt, wie das Tragen des Geldbeutels, das Löschen des Feuers gegen Belohnung und die Pflege Kranker. In yT wird dagegen nur das Tragen des Geldbeutels durch den „Nori“ erlaubt, was bedeutet, dass unter bestimmten Umständen die Arbeit des Fremden am Schabbat erlaubt ist. Anhand der Hebe von Fremden lässt sich zwischen den Motiven der Unreinheit und der Untauglichkeit differenzieren.376 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im Vergleich von yT und bT eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung herrscht. Im ersten Kapitel werden in bT fremde Speisen und Flüssigkeiten aus yT übernommen und im zweiten Kapitel die Arbeitsleistung am Schabbat auf ähnliche Weise abgehandelt. Auch die Behandlung der Nichtpriester, die sich nicht in der Mischna findet, wird in bT 25b aufgegriffen. Das dritte Kapitel thematisiert in yT und bT die Grundregel des Schabbat. In beiden Gemarot werden die „emoritischen Bräuche“ und der fremde Dienst als Rechtsterminus diskutiert. Auch die Verunreinigung durch Idole und ihr Zubehör wird in Mischna 9,1 von beiden Gemarot aufgegriffen. Das Löschen des Feuers wird ebenfalls in yT und bT besprochen, auch wenn keine Kontinuität der Begriffe besteht. Im achten Kapitel ist die Konversion das gemeinsame Thema beider Gemarot. Darüber hinaus finden sich in der babylonischen Gemara eine Reihe von Episoden, die in yT keine Entsprechung haben, wie die Erzählung von Hillel und Schammai in bT 31a, der Verrat des Yehuda ben Gerim in bT 33b oder die Erzählung von Yoseph, dem Schabbatverehrer in bT 119a. Insgesamt ist die Kontinuität der Motive in diesem Traktat ausgeprägter als im Traktat Brachot. Für die Begriffe der Fremdbeschreibung lässt sich dagegen nur eine eingeschränkte Kontinuität feststellen. Wie oben bereits ausgeführt, ist besonders die Verwendung von „Nori“ und „Goy“ problematisch. Der Begriff „Nori“ steht in yT im Kontext der fremden Arbeitsleistung am Schabbat und ist meist aus dem Kontext der Mischna übernom-

376 C. Hayes, Gentile Impurities, 113. Nicht immer sind die Kategorien eindeutig zu trennen, und manchmal bedingen Faktoren der Unreinheit die Untauglichkeit. Im Ganzen müssen diese beiden Kategorien jedoch getrennt verfolgt werden, um der Argumentation der Fremdbeschreibung zu folgen. Ich danke Prof. Christine Hayes für die klärenden Hinweise zu diesem Sachverhalt.

184

men.377 Ebenso wird in bT zweimal das Tragen des Geldbeutels mit dem Begriff „Nori“ verbunden. Weiter steht der Begriff im Kontext der Verunreinigung durch Fremde, und wird auch für das Löschen des Feuers verwendet.378 Festzuhalten ist, dass die Mischna als Ausgangspunkt der Exegese eine ambivalente Fremdbeschreibung bietet. Aus dieser unregelmäßigen Verwendung lassen sich an zwei Stellen Rückschlüsse über die Begriffe „Goy“ und „Nori“ ziehen, wie in bT 83a: „Nori“ und „Norit“, sie, nicht durch indirekte Berührung, denn es wird gelehrt: Sprich zu den Kindern Israel (Lev 15,2); die Israeliten werden durch körperliche Ausflüsse unrein. Die “Goyim“ werden aber durch diese Ausflüsse nicht unrein.379

In bT 153a zeigt ein Zitat die synonyme Bedeutung der beiden Begriffe: „Wenn kein „Nori“ bei ihm ist.“ Nur, wenn kein „Nori“ mit ihm ist; ist aber ein „Nori“ bei ihm, gebe er ihm [den Geldbeutel]. Aus welchem Grund? Die Schabbatruhe des Esels musst du einhalten, aber die Schabbatruhe des „Goy“ musst du nicht einhalten.380

Der Begriff „Goy“ steht in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Begriff „Nori“. Ganz offenbar ist der Begriff „Goy“ die herkömmliche Bezeichnung des Fremden; der Begriff „Nori“ wird eher in theoretischen Fällen und Kontexten der Mischna verwendet. Jedenfalls entspricht „Nori“ nicht dem gewöhnlichen Begriff für Fremde. In yT wird der Begriff „Goy“ bevorzugt und dennoch in einigen Fällen andere Begriffe wie „Farsi“ [] verwendet. So wird der Begriff „Nori“ in yT 1,11/1 und 16,7/1 durch Begriffe wie „Goy“, „Arami“ und „Farsi“ ersetzt. In beiden Gemarot ist der Grundbegriff der Fremdbeschreibung „Goy“ und wird für den alltäglichen Umgang mit Fremden herangezogen. Die Begriffe „Ger“ und „Zar“ werden in yT und bT kontinuierlich verwendet und scheinen jeweils eine vergleichbare Bedeutung zu haben. Auch die verschiedenen Facetten des fremden Diensts werden kontinuierlich abgehandelt und zeigen keine inhaltliche Schwankungen. 377 Hier wird der Begriff in festen Formeln wie dem „    “ verwendet oder im Kontext der Mischna. Der Kommentar zu yT 1,11/1 und 16,7/1 sind hierfür ein Beispiel. So beruht das Problem des Begriffs auf der Wortwahl der Mischna. 378 Vgl. die Belegstellen bT 83b und bT 121a in Kap 2.3.5. Nur in bT 83a ist der Begriff „ “ nicht aus der Mischna übernommen. 379 Vgl. dazu den Kommentar in 2.3.5. 380 Vgl. Kap. 2.3.9 und die Auslegung zum Begriff „Nori.“

185

Die Kombination der Begriffe steigert sich von yT zu bT von zwei auf elf Stellen. Im Traktat Schabbat werden die personalen Begriffe der Fremdbeschreibung „Ger“ und „Goy“ am häufigsten kombiniert. Der Zusammenhang von fremden Personen mit fremden Kulten steht an zweiter Stelle. Vor allem in bT lässt sich so ein Zusammenhang der Begriffe der Fremdbeschreibung zeigen. „Der, die, das Fremde“ Um die Beschreibung der Wahrnehmung des Fremden zu zu ordnen, werden im folgenden die Belegstellen den drei Kategorien zugeordnet. Mit der Figur des Fremden wird im Traktat Schabbat vordringlich die Arbeitsleistung verknüpft. In beiden Gemarot wird entsprechend der Mischna die Arbeit von Fremden am Schabbat reglementiert. Darunter fallen handwerkliche Leistungen, Botengänge und Handel.381 Ausgenommen sind in yT und bT die Belagerung einer fremden Stadt und das Tragen des Geldbeutels durch einen Fremden am Schabbat. Es gibt einige Fälle, an denen die Arbeit erwünscht ist, die den Beginn der Tradition des „Schabbes Goy“ markieren.382 Diese Ambivalenz besteht kontinuierlich von der Mischna bis zu bT. Die soziale Hierarchie, die sich im dritten Kapitel zu Mischna 2,5 erkennen lässt, beschreibt offenbar eine differenzierte Wahrnehmung fremder Personengruppen. Weiter zeigt sich, dass es eine Wahrnehmung der Diversifikation gibt. Die Fremden sind in der Gemara jedenfalls keine abstrakte und homogene Gruppe, sondern werden differenziert wahrgenommen.383 In höchster Not werden laut yT 16,1/12 und bT 116a die Diener fremder Kulte [    ] den „Minim“, den Ketzern, vorgezogen. Dies zeigt die starke

381 Vgl. G. Porton zur Fremdbeschreibung der Mischna-Tosefta; Ders., Forbidden Transactions: Prohibited Commerce with Gentiles in Earliest Rabbinism, in: „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 317-335. 382 J. Katz, The „Shabbes Goy“, 14-17. 383 Die soziale Differenzierung des Judentums als Religion erfordert auch eine andere Definition der Begriffe für Fremde. Die Entwicklung eines religiösen Pluralismus in der rabbinischen Epoche fördert diesen Wandel; J. North, The Development of Religious Pluralism, in: The Jews among Pagans and Christians in the Roman Empire, 191.

186

Ablehnung der Häretiker, die auch Christen sein könnten.384 Eine Zwischenstufe sind die Nichtpriester, die von den Opferhandlungen ausgeschlossen werden. Wie der Proselyt ist der Nichtpriester Fremder und Israelit in einem. Die Episode über den Proselyten vor Hillel und Shammai in bT 31a veranschaulicht eine gewisse Durchlässigkeit der Grenzen Israels. Sowohl in yT als auch in bT veranschaulichen verschiedene fiktive Episoden, dass Proselyten zugleich als Bereicherung und als Gefahr empfunden werden.385 Von verräterischen Proselyten wie Yehuda ben Gerim geht jedenfalls eine Gefahr für Israel aus. Anhand der Beschneidung lässt sich die Notwendigkeit gewisser Voraussetzungen für die Konversion hervorheben. Der Umstand, als Israelit unter Fremden aufzuwachsen, repräsentiert die Exilssituation. Das Löschen des Feuers und die damit verbundene Hilfeleistung wird in yT und bT als unvermeidbar dargestellt, wenn auch nicht wünschenswert. Die stilistische Figur „ein Fremder, der...“ [... ] findet sich häufiger in bT Schabbat und kann als Muster der Fremdbeschreibung bezeichnet werden.386 Dieses Stilmittel belegt die Existenz einer stereotypen Fremdbeschreibung. Einige Episoden beziehen sich auf Fremde, die verunreinigen, Hebe abheben oder ein Feuer löschen.387 Die Kategorie „die Fremde“ wird bereits im ersten Kapitel thematisiert. In yT 1,7/18 wird die Unreinheit der fremden Länder mit der Unreinheit der Gefässe verglichen.388 Die räumliche Nähe der Fremden zu Israel wird auch anhand der verbotenen Speisen deutlich. Der Gebrauch des Lichts verweist auf die gemeinsame Nutzung von Räumen mit Fremden. Botengänge und Wäschewaschen durch Fremde deuten auf einen ökonomischen Austausch 384 Der Grund ist dafür die Bewahrung der eigenen Identität, wie T. Rajak argumentiert. Dies., The Jewish Community and its Boundaries, in: J. Lieu, The Jews amoung Pagans and Christian, 19-21. 385 Vgl. yT 5,1/2, in der ein libyscher Proselyt drei Generationen von der Gemeinschaft Israels ausgeschlossen ist. In yT 6,10/10 wird die Episode des Proselyten mit dem Esel berichtet, der durch seinen Glauben gerettet wird. 386 Vgl. die Belegstelle in yT 19,2/4; für den Begriff „“ bT 17b, 29a, 122a, 145b; für den Begriff „Ger“ bT 68a, 68b; für den Begriff „ “ bT 121a, 153a. 387 Vgl. bT 17b: dort ist ein fremdes Kind [    ] wie ein Mensch verunreinigend, der mit physischen Ausflüssen behaftet ist; Vgl. bT 29a [ ] und weiter: bT 121a [ 

 ] sowie in bT 145b [   

 ] und in bT 153a [  ]. 388 Hier lässt sich inhaltlich auf G. Porton verweisen, der an dieser Stelle die Bedeutung des Landes Israel im Vergleich zu fremden Ländern hervorhebt; Ders., Gentiles and Israelites; Ders., Gentiles and Israelites in Mishnah-Tosefta: A Study in Ethnicity, in: Bits of Honey. Essays for Samson H. Levey, 102-103.

187

hin, der eine gewisse Distanz notwendig macht. In bT 19b wird darüber hinaus angemahnt, keine Reise vor Beginn des Schabbat anzutreten, bei der man auf fremde Hilfe angewiesen sein könnte. Auch die Nutzung einer Fähre in bT 32a zeigt die Distanz zu Fremden. Einen Kontrast dazu bietet die mögliche Verunreinigung in bT 82b durch Berührung des „Nori“. Ebenso wird die Nähe zu Idolen und ihrem Zubehör reglementiert. Das Feuerlöschen in einem Dorf namens Kafra389 in yT 16,7/1 belegt die Interaktion mit Fremden, und in bT 122a wird sogar die Badeanstalt gemeinsam genutzt. Die Beschreibung fremder Orte kontrastiert mit dem Gebot der Distanz. Insgesamt kann eine Wahrnehmung der fremden Orte durch die Autoren voraussetzt werden. Die Facetten des fremden Diensts und der Idole werden in diesem Traktat auf vielfältige Weise deutlich. Die Speisegesetze in yT 1,7/6 und bT 17b belegen, dass eine kulturelle Differenz aufgebaut wird, auch wenn in yT das Brot der Fremden ausgenommen ist. Die heidnischen Bräuche [  ] in yT 6,10/2, bT 67a und 67b gebieten eine gewisse Distanz zu Volkstraditionen, da sie im Zusammenhang mit dem fremden Dienst stehen. Hinter diesen Beschreibungen könnte die Wahrnehmung konkreter fremder Bräuche und Beschwörungen stehen. Die Grundregel des Schabbat und ihre Einhaltung in der Fremde entsprechen dem Bekenntnis zur eigenen Gemeinschaft.390 Die Fremdbeschreibung stützt eine Identität, die auf Differenz beruht. Der fremde Dienst ist im Traktat Schabbat sowohl eine Handlung, die zur Heilung eingesetzt wird, ein materielles Idol und ein Strafmass im Vergleich zu anderen Vergehen. Dabei ist laut bT 82a der Begriff „Avoda Zara“ selbst der Ausdruck des Fremden. Diese Begriffe verdeutlichen die verschiedenen Beziehungen, die Fremde zu Israel haben. Diese Beziehungen reichen vom Fremden, der eine Arbeitsleistung am Schabbat erbringt, über den Proselyten zum Nichtpriester.

389 F. G. Hüttenmeister, Schabbat, 402. 390 So kann die rabbinische Fremdbeschreibung als Konzept der Distanzierung betrachtet werden, mit dem Fremde an eigenen Maßstäben gemessen werden; R. Goldenberg, The Place of Other Religions in Ancient Jewish Thought, in: Pushing the Faith. Proselytism and Civility in a Pluralistic World, 38.

188

3. Traktat Jebamot Das Traktat Jebamot oder „Schwägerinnen“ erörtert die rechtliche Grundlage der legitimen Ehe in Israel. In diesem Traktat wird die Schwagerehe diskutiert, mit der die Schwägerin verpflichtet werden kann, den Bruder ihres verstorbenen Manns zu heiraten.391 Das Ritual, die so genannte „alyah“, gibt der Frau die Möglichkeit, sich dieser Verpflichtung zu entziehen und statt dem Bruder ihres Mannes einen anderen Mann, einen Fremden, zu heiraten. Damit stehen alle möglichen Verwandtschaftsbeziehungen im Mittelpunkt des Traktats und die Frage, wer aus welchem Blickwinkel zum Fremden wird. Ausgehend von diesen Verwandtschaftsbeziehungen wird die soziale Hierarchie Israels erörtert, die sich an der Gesellschaft des zweiten Tempels und der Tora orientiert. Auf diese Weise entsprechen die Debatten dieses Traktats wohl eher der rabbinischen Wunschvorstellung als der Wirklichkeit.392 Wichtige Aspekte in diesem Traktat sind die Tauglichkeit und die Legitimität von Ehe und Nachwuchs. Die Fremdbeschreibung dieses Traktats konzentriert sich auf die Ehe mit Fremden und den Status des Nachwuchses. Es geht um „innere“ und „äußere“ Fremde und damit um eine soziale Hierarchie. Fremde stören diese soziale Hierarchie und müssen von der Priesterklasse ausgeschlossen werden. In diesem Teil lassen sich die Abstufungen zwischen „Goy“ und „Nori“ und „Ger“ und „Zar“ genauer beobachten. Das Verhältnis der Begriffe und ihre genaue Bedeutung werden diskutiert. Deshalb liefert dieses Traktat für die Bestimmung der fremden Personen wesentliche Einsichten. Durch die Thematisierung der weiblichen Fremden liegt ein Schwerpunkt

391 Y. Danziger, The Mishna, Artscroll Mishna Series, 3-11. Hier wird eine ausführliche Einleitung in die komplexe Materie des Eherechts und Wiederverheiratung geboten. Es bestehen einige Unterschiede zwischen der Tora und dem rabbinischen Rechtsverständnis. 392 Gerade das Thema der Verwandtschaftsbeziehung lässt sich nur schwer historisch verifizieren. Die Methode des intertextuellen Vergleichs kann kaum die fehlende Möglichkeit der „external verifictaion“ ersetzen. Vgl. C. Hayes, Between the Palestinian and Babylonian Talmuds, 23.

189

auf dem Unterschied der Geschlechter.393 Welche Entwicklung die Motive der Fremdbeschreibung in Jebamot vollziehen, soll anhand des umfangreichen Materials in yT und bT deutlich werden. Der Zusammenhang von Fremdbeschreibung und Fremdwahrnehmung wird in diesem Traktat besonders aufmerksam beobachtet, weil die meisten Motive offensichtlich fiktiv sind.

3.1 Ein Überblick über Mischna Jebamot In der Mischna Jebamot werden verbotene und erlaubte Eheverbindungen diskutiert. Dabei geraten Eheverbindungen mit Fremden und Proselyten ins Blickfeld. In den Belegstellen der Mischna werden vorwiegend die Begriffe für weibliche Fremde „Norit“ und „Gioret“ verwendet, abgesehen von zwei Belegstellen zu „Goy“. Die terminologische Bestimmung der Begriffe und ihre Abgrenzung ist ein inhärentes Problem des Traktats. Aus dem umfangreichen Material der Mischna lassen sich auch in diesem Fall thematische Einheiten bilden, die zusammenfassend interpretiert werden können. Im zweiten Kapitel der Mischna Jebamot werden die Bedingungen abgehandelt, unter denen keine Schwagerehe stattfinden darf. In Mischna 2,5 werden folgende Ausnahmen angegeben:

                                                               .      Wenn jemand einen Bruder von irgendwoher hat, so verpflichte dieser die Frau seines Bruders zur Leviratsehe. Dann gilt er als dessen Bruder in jeder Hinsicht, außer wenn er [der Sohn] einer Sklavin oder einer „Norit“ ist. Wenn jemand einen Sohn von irgendwoher hat, so befreit dieser die Frau seines Vaters von der Leviratsehe. Und er ist schuldig, wenn er ihn [den Vater] schlägt oder ihn beschimpft. Er

393 Dass sich die rabbinische Literatur im allgemeinen für eine „Gender“ bezogene Lesung eignet, zeigt ein Artikel von T. Ilan, „Stolen Water is Sweet“. Woman and their Stories between Bavli and Yerushalmi, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture, 190-195.

190

gilt als dessen Sohn in jeder Hinsicht, außer wenn er [der Sohn] einer Sklavin oder „Norit“ ist.394

Der wesentliche Unterschied besteht zwischen dem Bruder, der von einer israelitischen Mutter abstammt und demjenigen, der von einer Sklavin oder Fremden abstammt.395 Deshalb entbindet die Fremdheit von der Pflicht der Schwagerehe, die auch „Leviratsehe“ genannt wird. Weiter wird bestimmt, dass mögliche Befreiungen von der Schwagerehe nur Kindern von Israeliten möglich ist; die Kinder aus einer Mischehe mit einer Fremden [  ] kommen nicht dafür in Frage. Auf diese Weise macht die Abkunft von Fremden einen wesentlichen Unterschied für mögliche Eheschließungen. Folgende Bemerkung in Mischna 2,8 geht über den Rahmen der Schwagerehe hinaus, um eine Halacha über Mischehen festzulegen:                       

 .     Wer wegen einer Sklavin, die später freigelassen oder wegen einer „Norit“, die konvertierte, angeklagt wurde, darf sie nicht heiraten. Hat er sie dennoch geheiratet, wird die Ehe nicht getrennt.396

G. Porton betont, dass Mischehen mit Fremden oder Sklaven grundsätzlich inakzeptabel sind.397 In der Literatur wird allerdings dem Umstand keine Beachtung geschenkt, dass es der Mischna zufolge keine Konversion geben sollte, um eine Ehe zu schließen. Die Ehe wird deshalb nicht getrennt, wenn die Konversion bereits abgeschlossen ist und die Heirat darauf folgte. Konversionen sollen dementsprechend nicht wegen einer Eheschließung erfolgen.398 Eine Ehe, in der ein Partner fremdgeht, wird dagegen getrennt. Die folgende Einheit zu Mischna 3,6, 3,7 und 3,9 handelt von Verwandtschaftsverhältnissen und dem Ritual der „alyah“. Dieses Ritual geht auf Deuteronomium 25,5-10 zurück. Wenn eine Frau Witwe wird, soll sie den Bruder ihres Manns, ihren Schwager, heiraten. Wenn dieser Mann seine 394 Hier jeweils eigene Übersetzungen. Die deutsche Übersetzung von M. Petuchowski, Mischnajot. Teil III-Ordnung Naschim, wird als Vorlage verwendet. Der hebräische Text stammt aus C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nashim. Bd. 3, 21-22. Die Belegstellen werden mit Ed. Kaufmann und Parma abgeglichen. 395 Vgl. die Interpretation von G. Porton, Goyim, 68. 396 Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nashim. Bd. 3, 23. 397 G. Porton, Goyim, 223. 398 J. Neusner, A History of the Mishnaic Law of Women. Part One, 53. Zum Vergleich die Übersetzung: „[...] who subsequently converts [...]“.

191

Schwägerin nicht heiraten möchte, wird er vor Zeugen mit der Schwägerin konfrontiert. Die Schwägerin darf seinen Schuh nehmen und ihn anspucken, um der Entehrung Ausdruck zu verleihen. Zu diesem Gesetz bietet Mischna 3,6 folgenden Fall:                                        .               Drei Brüder: zwei von ihnen sind mit zwei Schwestern verheiratet, und einer ist mit einer „Norit“ verheiratet. Einer von den Männern der Schwestern stirbt, und der Mann der „Norit“ heiratet dessen Frau und stirbt. Die erste ist frei [von der Leviratsehe] als Schwester seiner Frau. Die zweite [ist frei] als Nebenfrau. Hat er ihr ein Eheversprechen gegeben und stirbt, dann vollzieht die „Norit“ die alyah und nicht die Leviratsehe.399

Ein zweiter Abschnitt wiederholt die Konstellation, allerdings stirbt in diesem Fall der mit der „Norit“ verheiratete Mann. Wurde die fremde Frau dann dem Bruder angetraut, vollzieht sie die „alyah“ und nicht die Leviratsehe. Der Grund für diese ausführliche Diskussion liegt in der bestehenden Verwandtschaft. Es soll keine Ehe zwischen nahen Verwandten geschlossen werden, wie im Fall der beiden Schwestern. Die Fremde kann, weil sie nicht blutsverwandt ist, die Schwagerehe vollziehen.400 Auch in Mischna 3,7 wird dieses Prinzip unter anderen Umständen wiederholt:                                      .                    Drei Brüder: zwei von ihnen sind mit zwei Schwestern verheiratet, und einer ist mit einer „Norit“ verheiratet. Einer von den Männern der Schwestern stirbt, und der Mann der „Norit“ heiratet dessen Frau und stirbt. Wenn der Mann der dritten [Schwester] stirbt, und nachher der Mann der Fremden, dann ist sie ihm für immer verboten.401

Aus diesem Fall lässt sich aus der einmalig verbotenen Ehe ein für immer währendes Verbot ableiten. Ein weiterer Fall nach dem gleichen Muster the399 Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nashim. Bd. 3, 26. 400 J. Neusner, A History of Mishnaic Law, 57; The Mishna, Artscroll Mishna Series, 81; 98. Hier erleichtert eine visuelle Darstellung das Verständnis der komplexen Beziehungen. 401 Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nashim. Bd. 3, 26.

192

matisiert die Stellung der fremden Frau, wenn ihr Mann geschieden und einer der Brüder geschieden wurde. In diesem Fall wären die Nebenfrauen erlaubt. So wird deutlich, wie durch den Umstand der Scheidung und durch die fehlende Verwandtschaft eine Frau zur Ehe freigegeben werden kann.402 Ein dritter Abschnitt in Mischna 3,9 behandelt die Frage, welches Vorgehen aus einem Fall zu folgern ist, wenn mehrere Brüder für die Schwagerehe in Frage kommen:                 .     Wenn drei Brüder mit drei „Noriot“ verheiratet sind und der eine von ihnen stirbt; dann verspricht der zweite ihr die Ehe und stirbt: sie müssen die alyah vollziehen und nicht die Leviratsehe.403

Da in dieser Situation die Frau bereits dem zweiten Bruder versprochen war, muss sie die alyah vollziehen.404 Jenseits der komplexen Verwandtschaftsverhältnisse und den wechselseitigen Verpflichtungen bezieht sich das Fremdsein auf den Clan, weshalb es im folgenden „Clanfremdheit“ genannt wird. Während in Mischna 2,5 und 2,8 die Fremde eindeutig Nichtjüdin war, ist sie in diesem Fall lediglich kein Mitglied der Familie, was Auswirkungen auf die Schwagerehe hat. Der Status des Fremdseins umfasst offenbar in einem Begriff mehrere Ebenen, die nicht zwingend religiöse oder ethnische Grenzen markieren, sondern dem Prinzip der relationalen Fremdheit folgen. Fremdheit definiert sich damit über soziale Beziehungen. Wie in Mischna 3,6-9 sind auch in 6,5 die Fremden Frauen. Unzulässige Partnerinnen für Priester sind Witwen oder eine unfruchtbare Frau: .                   Und die Weisen sagen: Eine Hure ist eine „Gioret“, eine Freigelassene und eine, mit der man sexuelle Unzucht getrieben hat.405

Die Proselytin wird zufolge Levitikus 21,7 „Sie sollen keine Hure zum Weibe nehmen“ als unzulässige Partnerin ausgewiesen. Verdächtig ist die Pro402 J. Neusner, A History of Mishnaic Law, 63. 403 M. Petuchowski, Mischnajot, 17. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nashim. Bd. 3, 27. 404 J. Neusner, A History of Mishnaic Law, 67-68. 405 Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nashim. Bd. 3, 37.

193

selytin wegen ihrer Vergangenheit als Nichtjüdin, was sie für eine Verbindung mit einem Priester untauglich macht.406 Auch in Mischna 7,5 ist von unzulässigen Verbindungen die Rede sowie über den Status des Nachwuchses. Ein „Mamser“ ist ein Kind aus einer unzulässigen Beziehung zwischen unterschiedlichen sozialen Kasten:                      .            Wenn die Tochter eines Israeliten mit einem Priester, oder eine Priestertochter mit einem Israeliten [verheiratet ist] und sie von ihm eine Tochter gebiert; und dann die Tochter einen Sklaven oder einen „Nori“ [heiratet] und einen Sohn bekommt, so ist dieser ein „Mamser“.407

In diesem Abschnitt werden Fälle aufgezählt, in denen die Mischehe mit Fremden den Genuss der Hebe ausschließt. Ein Kind aus einer solchen Verbindung kann für die Hebe untauglich machen und den sozialen Status des Priesters entweihen. Insofern kann mit Gary Porton geschlossen werden, dass Israeliten keine Mischehen mit Fremden [  ] eingehen sollten, um nicht Nachwuchs zu zeugen, der vom Genuss des heiligen Opfers ausgeschlossen ist.408 Auch an dieser Stelle wird der Begriff „  “ verwendet, wohl um die Störung des sozialen Status durch Fremde auszudrücken. In Mischna 8,2 wird zum Thema der Priesterschaft erörtert, wer Hebe genießen darf:                 . Einem durch Druck Verstümmelten und einem Verschnittenen sind eine „Gioret“ und eine Freigelassene erlaubt. Ihnen ist nichts verboten, außer in die Gemeinschaft Gottes zu kommen.409

Da ein verstümmelter Priester keine Hebe genießen darf, ist ihm erlaubt, eine Proselytin zu ehelichen, die eigentlich nicht seinem Status entspricht. Dieser Beschluss erfolgt in Anlehnung an Deuteronomium 23,2. Dort soll kein Verstümmelter in die Gemeinschaft Israels kommen. So dürfen diese 406 Deshalb hat das genealogische Element im Folgenden große Bedeutung; vgl. J. Neusner, A History of Mishnaic Law, 101-102. 407 Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nashim. Bd. 3, 41. Hier zufolge Ed. Kaufmann und Parma. Dagegen überliefert Albeck der Begriff „Goy“. 408 G. Porton, Goyim, 54. 409 Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nashim. Bd. 3, 42.

194

verstümmelten Priester Beziehungen zu Personen aufnehmen, die nicht in die Gemeinschaft aufgenommen werden können.410 Im weiteren Verlauf der Mischna 8,3 wird das Gebot aus Deuteronomium 23,4 wiederholt, das Eheschließung mit Ammonitern und Moabitern [  ] verbietet, aber ihren weiblichen Nachwuchs für die Ehe erlaubt. Ägyptern und Edomitern [  ] wird bis zur dritten Generation der Zutritt zur Gemeinschaft verboten, aber der weibliche Nachwuchs ist erlaubt. Diese Bestimmungen erlangen in der Gemara einige Bedeutung, da sie das Thema der Mischehen vertiefen. In Mischna 11,2 wird festgelegt, dass eine Proselytin nach der Konversion keine Verwandtschaftsbeziehungen aufrecht erhalten kann: .               Wenn mit einer „Gioret“ ihre Söhne konvertieren, dann vollziehen diese nicht die alyah und nicht die Leviratsehe.411

Da die Söhne der Proselytin nicht als Brüder betrachtet werden, erteilen sie keine alyah und werden nicht für die Schwagerehe zugelassen.412 Im 14. Kapitel finden sich einige Fälle, die erneut von der „  “, der Clanfremden, handeln. Mischna 14,3, 14,7, 14,8 und 14,9 bilden thematisch eine Gruppe und werden als Einheit behandelt. Der erste Fall bezieht sich auf zwei taubstumme Brüder, die mit zwei taubstummen Schwestern verheiratet sind. Eine Frage in Mischna 14,3 bezieht sich darauf, inwiefern die Brüder frei von der alyah und der Schwagerehe sind: .             Und wenn sie „Noriot“ sind (dh. nicht verwandt sind), so müssen jene sie heiraten; und wenn sie sie entlassen wollen, so können sie sie entlassen.413

Weil die Frauen einander fremd sind, ist eine Schwagerehe geboten.414 In Mischna 14,7 werden folgende Möglichkeiten ausgelotet:                    .               410 411 412 413 414

J. Neusner, A History of Mishnaic Law, 118. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nashim. Bd. 3, 52. J. Neusner, A History of Mishnaic Law, 150. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nashim. Bd. 3, 65. J. Neusner, A History of Mishnaic Law, 187.

195

Zwei Brüder: der eine ist taubstumm und der andere ist gesund. Diese sind mit zwei gesunden „Noriot“ verheiratet. Wenn der Taubstumme, der Gatte der Gesunden, stirbt, was macht dann der Gesunde, der Gatte der Gesunden? Er vollzieht die alyah oder die Schwagerehe.415

Mischna 14,8 wiederholt dieses Szenario. Die verschiedenen Kombinationen der Partner führen zu dem Ergebnis, dass die Schwagerehe einmal vollzogen wird und einmal nicht. Vergleichbar mit Mischna 3,6-9 ergibt sich, dass die Heirat mit einer Fremden das Gebot der Schwagerehe einschränken kann. Diese Fälle sind sowohl wegen des Eherechts, als auch wegen der Verwendung des Begriffs „Norit“ von Interesse. Mischna 14,9 bietet folgenden Fall, in dem eine der Fremden taubstumm ist:                     .           Zwei gesunde Brüder, die mit zwei „Noriot“ verheiratet sind. Die eine ist taubstumm und die andere ist gesund. Wenn der Gatte der Taubstummen stirbt, was macht dann der Gesunde, der Gatte der Gesunden? Er muss jene heiraten.416

Die Differenzierung dieser Fallstudien zur Schwagerehe belegen, dass die Rabbinen in der Periode der Mischna offenbar an genealogischen Fragen und legitimen Verbindungen interessiert sind. Fremde sind offenbar keine gleichwertigen Partner. Eine letzte Belegstelle in Mischna 16,5 thematisiert deshalb das Zeugnis von einem Fremden, einem „Goy“:                    . R. Yehuda, der Sohn Babas, sagt: Bei einem Israeliten gilt es [das Zeugnis], wenn er aussagt. Wenn ein „Goy“ aussagen möchte, gilt das Zeugnis nicht.417

Das Zeugnis eines Fremden, der abweichend als „Goy“ bezeichnet wird, wird im Kontext der Aussage über den Tod eines Ehemanns herangezogen. Seine Aussage kann dazu führen, die Frau wieder zu verheiraten. Im Fall des Fremden, der vorsätzlich ein Zeugnis ablegen möchte, ist diese Aussage

415 Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nashim. Bd. 3, 65-66. 416 Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nashim. Bd. 3, 66. 417 Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nashim. Bd. 3, 73.

196

ungültig.418 Offenbar entscheidet die Intention des Fremden. Die Belegstellen der Mischna Jebamot zeigen in der Verwendung der Begriffe eine inhaltliche und formale Stringenz, die offenbar in der Thematik begründet liegt.419

3.2 Das Verzeichnis der Belegstellen und die Überlieferung des Traktats 3.2.1 Das Verzeichnis der Belegstellen In dieser Tabelle wird ein Überblick über die Belegstellen der Fremdbeschreibung und ihre Verteilung gegeben. Die Struktur der Tabelle orientiert sich an den genannten Belegstellen der Mischna. Doppelnennungen der Begriffe, die einen Zusammenhang der Fremdbeschreibung aufzeigen, sind hervorgehoben. yT

Goy

Nori

1,1-2,5 zu M 2,5 2,5-2,8 zu M 2,8 zu M 3,6-9

2,6/1 2,6/3; 2,6/4

3,9-6,5

4,15/2

zu M 6,5 6,5-7,5 zu M 7,5

Ger

Zar

1,6/6; 1,6/8

1,1/10; 1,1/18; 1,6/1

2,6/3 2,10/2 3,1/1

2,10/2

3,4/4

4,1/7; 4,11/9

4,15/5; 5,1/5; 6,3/1

6,5/1; 7,1/8; 7,5/3-6; 7,6/2 7,7/1

7,5/3-6

7,4/3

418 G. Porton, Goyim, 75. Es geht damit um einen rechtlichen Unterschied, den auch S. Fraade betont; Ders., Navigating the Anomalous: Non-Jew at the Intersetion of Early Rabbinic Law and Narrative, in: L. J. Silberstein, The Other on Jewish Thought and History. Constructions of Jewish Culture and Identity, 145. 419 Vgl. zur Gestaltung der Mischna S. J. D. Cohen, The Judean Legal Tradition and the Halakhah of the Mishna, in: C. Fonrobert, The Cambridge Companion to the Talmud, 121-143.

197

7,5-8,2

8,1/8; 8,1/8-11; 8,1/1; 8,1/3; 8,1/11; 8,1/15; 8,1/8-11 8,1/18 8,/2/8; 8,2/9; 8,2/12; 8,2/13; 8,2/15

8,1/6; 8,1/8-11; 8,1/13; 8,1/17

zu M 8,2 8,2-11,2

zu M 11,2

8,3/3; 8,3/5-7; 9,6/1; 9,6/2; 8,3/7; 9,1/2 10,8/5

9,5/4

11,1/13; 11,1/14; 11,1/15; 11,1/16; 11,1/19

11,1/16

11,2-14,3

13,1/17

zu M 14,3-9

-

-

12,1/1; 12,1/2-3 -

14,3-16,5 zu M 16,5

12,1/14 16,1/8

16,1/24; 16,1/30

-

-

-

bT

Goy

Nori

Ger

Zar

1,1-2,5

16a, 16b, 17a

zu M 2,5 zu M 2,8 2,8-3,6 zu M 3,6 zu M 3,7 zu M 3,9

23a

16,5-16,11

198

10a, 12a, 13a, 16a, 16b, 22a 9a, 13b, 17a 18b 22b, 23a 24b 25b, 28b 25b 30a 30a 32b, 33a, 33b

3,9-6,5

34b, 35a, 37a, 42a, 46a, 46b, 47a, 47b, 48a, 48b, 52b, 57a, 60b 61b

34b, 44b, 45a, 45b, 46a, 47a, 48a, 48b, 53b, 61a

zu M 6,5 6,5-7,5 zu M 7,5

63a, 63b, 68b, 69a 70a

7,5-8,2 zu M 8,2

76b

8,2-11,2

97b

zu M 11,2

98a, 98b 99a, 100b, 101b, 103b

11,2-14,3 zu M 14,3-9 14,3-16,5 zu M 16,5 16,5-16,7

62a

62a, 68a

71a

71a, 72a

47b, 48b

67a, 68a, 68b, 69a 70b, 71a, 73a, 73b, 74b, 75a 76a, 76b

76a, 76b 77a, 77b, 78a, 78b, 79a, 79b, 78b, 85b, 86a, 78a 84b, 85a, 92b, 92b, 96b 93b 97b, 98a, 98b 110a, 110b, 99a, 101b, 103b, 109b 111a, 112b 102a, 109b 113a, 114a, 114b

115a 121b, 122a 122b

Die Verteilung der Belegstellen erstreckt sich yT und bT über die gesamte Gemara. Bei genauerer Prüfung zeigt sich, dass die Zahl der Belegstellen zur Fremdbeschreibung in bT leicht überwiegt. Sowohl in yT als auch in bT liegt die Mehrzahl der Belegstellen außerhalb der Mischna. Damit ist die Verteilung vergleichbar mit den Traktaten Brachot und Schabbat. Der Kommentar zur Mischna in yT beschränkt sich auf wenige Belegstellen, im Fall der Mischna 3,6-9 auf eine Stelle. Mischna 14,3-9 und Mischna 16,5 bleiben jeweils ohne direkte Auslegung. Lediglich Mischna 8,2 und 11,2 werden ausführlicher behandelt. In bT Jebamot scheint die Verteilung der Belegstellen ausgewogener zu sein, allerdings lässt sich auch beobachten, das der Großteil der Belegstellen nicht im Kontext der jeweiligen Mischna steht. Der überwiegende Teil gruppiert sich um Mischna

199

3,9 und 6,5 und Mischna 8,2 bis 11,2. Die Verteilung der Begriffe orientiert sich ebenfalls nicht an den verwendeten Begriffen der Mischna, da in den Gemarot der Begriff „Ger“ am häufigsten genannt wird. In yT wird der Begriff „Nori“ nur in Mischna 2,8 und Mischna 3,6-9 angetroffen, während dieser Begriff wesentlich häufiger in bT erscheint. Im Kontrast zur Mischna wird in beiden Gemarot der Begriff „Goy“ öfter erwähnt. Die Frage aus dem Traktat Schabbat nach den verschiedenen Nuancen dieser Begriffe stellt sich erneut. Der Begriff „Zar“, der in der Mischna nicht genannt wurde, wird in beiden Gemarot sehr ausgeprägt für die Fremdbeschreibung verwendet. Weiter ist eindeutig, dass sich die Fremdbeschreibung im Traktat Jebamot auf die Figur des Proselyten konzentriert.420 Die gemeinsamen Belegstellen spiegeln diese Bedeutung in der häufigen Kombination von „Goy“ und „Ger“ wieder. Für yT finden sich in diesem Fall mehr gemeinsame Stellen. In bT umfassen die gemeinsamen Stellen alle vier Begriffe. Im Unterschied zu yT besteht darüber hinaus ein Zusammenhang zwischen den Begriffen „Nori“ und „Ger“. Auf Grund der thematischen Beschränkung müssen auch im Traktat Jebamot bestimmte Belegstellen ausgelassen werden.421

3.2.2 Zu Problemen der Überlieferung in yT und bT Jebamot Im Traktat Jebamot wird für yT auf die „Synopse zum Talmud Yerushalmi“ zurückgegriffen. Wie in yT Schabbat werden die Handschriften Ed. princ. Venedig und MS Leiden für Unstimmigkeiten der Überlieferung herangezogen. Verbindlich ist im Zweifelsfall Ed. princ. Venedig.422 Da für das Traktat Jebamot bisher keine deutsche Übersetzung vorliegt, bietet die englische Übersetzung von Heinrich W. Guggenheimer eine Inter-

420 Für diesen Schwerpunkt gibt die Mischna keinen Anhaltspunkt, da dort die Belegstellen zu Proselyten Randbemerkungen entsprechen. Offenbar gewinnt die Figur des „Ger“ im Verlauf der rabbinischen Literatur an Bedeutung. 421 Folgende Belegstellen werden in yT, bT nicht weiter verfolgt: yT 8,3/3; 16,1/8; bT 28b, 63a, 63b, 69b, 96b, 112b. yT 8,3/3, 16,1/8, bT 63a und 63b kommentieren eine Exegese aus der Tora; bT 28a wiederholt einen Fall zur Schwagerehe und bT 96b vergleicht die „  “ mit einem Lehrhaus. 422 P. Schäfer, Synopse zum Talmud Yerushalmi Bd. III, Ordnung Nashim.

200

pretation.423 Um den schwierigen Sachverhalt besser zugänglich zu machen, sind alle Texte des yT vom Verfasser ins Deutsche übersetzt worden. Für bT wird an erster Stelle die gedruckte Ausgabe von 1986 herangezogen,424 und darüber hinaus die Handschriften MS München 95, MS München 141 und MS Oxford Opp 248.425 Da besonders in bT an eini-gen Stellen Widersprüchlichkeiten auftreten, werden zusätzlich MS Vatikan und MS Wilna konsultiert. Die Vorlage für die eigene Übersetzung liefert die Ausgabe von L. Goldschmidt.426 In yT sind die Belegstellen 2,6/1, 8,1/8, 8,2/15, 9,1/2 lückenhaft überliefert. Die Belegstelle yT 2,6/1 interpretiert H. W. Guggenheimer entgegen der Überlieferung, ebenso in yT 8,1/8 und 8,2/15. Hier sind jeweils Worte oder Buchstaben eingefügt, die den Sinn verändern und der Vorlage der Synopse nicht entsprechen. In yT 9,1/2 wird der Text nach H. W. Guggenheimer zugunsten einer eindeutigen Interpretation geringfügig verändert.427 Diese Veränderung hat keine direkte Auswirkung auf den verwendeten Text. In bT sind in diesem Traktat etliche Abweichungen zu verzeichnen. An den Belegstellen 16a, 16b, 17a, 23a, 34b, 44b, 45a, 45b, 46a, 48a, 48b, 53b, 61a, 68b, 69a, 70a, 97b, 98a, 100b, 101b, 115a, 121b, 122a, 122b musste im Vergleich zur gedruckten Ausgabe der Begriff „Goy“ eingefügt werden. Wie in Brachot und Schabbat kann anhand der gedruckten Ausgabe keine verbindliche Aussage über die Verwendung der Begriffe getroffen werden.428 In bT 10a, 16a, 17a, 23a, 25b, 45a, 45b, 46a, 48b, 68b, 77b, 85a, 101b und 121b besteht eine Differenz zwischen MS München 95 und MS Oxford Opp 248. Speziell die Belegstelle 25b wird in MS München 95, MS München 141 und MS Oxford Opp 248 verschieden überliefert. Da MS München 141 423 H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud. Third Order. Tractate Yebamot, Berlin 2004; der Titel wird im folgenden gekürzt zitiert. Hier käme auch die Übersetzung von Jacob Neusner in Frage, die allerdings keinen synoptischen Vergleich mit dem hebräischen Text gewährt. 424 A. Sainzal, Talmud Bavli. Menukad u-Mevoar, Masseket Yebamot; Bd. 1,2, Jerusalem 1986. 425 Die Handschriften wurden der „Lieberman Text Database“ entnommen, vgl. das Kapitel I.3.2. 426 L. Goldschmidt, Der Babylonische Talmud. Megilla, Moed Qatan, Hagiga, Jabmuth, 3. Aufl., Königstein 1980. 427 H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 379. Die Begriffe „ “ und „ “ sind an zwei Stellen vertauscht. 428 Vgl. die Belegstellen in A. Sainzal, Talmud Bavli. Masseket Yebamot; Bd. 1,2, 1986.

201

beide Versionen tradiert, ist eine Entscheidung in diesem Fall nur schwer möglich. In bT 46a ist ein Halbsatz in MS Oxford OPP 248 hinzugefügt, der Spekulationen über die ursprüngliche Gestalt des Texts aufwirft. In bT 47b besteht eine Differenz zwischen der Handschrift und der Übersetzung Goldschmidts, die sich offensichtlich an MS Wilna orientiert. MS München 95 und MS Oxford Opp 248 überliefern eine kürzere Fassung. In bT 98b überliefert MS München 95 anders als MS Oxford Opp 248 anstelle von „Ger“ den Begriff „Goy“, weshalb nur über den Kontext auf den Begriff geschlossen werden kann. Das gleiche Dilemma trifft für bT 101b zu. In bT 122b ist MS Oxford Opp 248 verkürzt wiedergegeben. In bT 78b, 98a, 99a ist der Text in beiden Handschriften lückenhaft wiedergegeben. Eine Belegstelle in bT 69b, die den Begriff „Nori“ verwendet, findet sich nur in MS Oxford Opp 248, aber nicht in MS München 95 und MS München 141. In der Übersetzung und der gedruckten Ausgabe fehlt die Stelle.429 Auch die Belegstelle bT 112b wird nur in MS Oxford Opp 248 überliefert.430 Dazu fehlt die Übersetzung; offenbar lag für die Übertragung L. Goldschmidts ein anderes Manuskript vor. Ebenso weicht die Belegstelle 114b zwischen MS München 95 und MS Oxford Opp 248 ab.

3.3 Die Auswertung der Belegstellen in yT und bT Jebamot In diesem Traktat werden die Quellen kondensiert und stärker zusammengefasst als bisher. Es wird versucht, die wesentlichen Motive aufzuzeigen, ohne die Redundanz des Quellenbestands zu übernehmen. Schließlich soll kein Überblick über das gesamte Traktat, sondern nur über die spezifische Fremdbeschreibung in yT und bT Jebamot gegeben werden. 429 MS Oxford Opp 248, MS Pisaro und MS Wilna überliefern folgende Belegstelle: [...]                  [...]. In MS Wilna ist der Begriff „  “ durch den Begriff „  “ ersetzt. Da diese Belegstelle eine bereits bekannte Halacha wiederholt, besteht keine Notwendigkeit, sie weiter zu verwenden. 430 Diese Belegstelle in bT 112b findet sich nur in MS Oxford Opp 248: [...]        ‘                                [...]         [...]. Da der Inhalt dieser Halachot an der Mischna orientiert ist und an anderen Stellen zitiert wird, muss auf die Stelle keine Rücksicht genommen werden.

202

Abweichend von der Mischna liegt in yT Jebamot der Schwerpunkt der Fremdbeschreibung auf dem Begriff „Ger“. Die Proselyten stehen stärker im Mittelpunkt der Erörterung und die Thematik der Mischna wird in den Hintergrund gedrängt. In yT werden vor allem die Voraussetzungen für die Schwagerehe im Kontext des allgemeinen Eherechts abgehandelt. Das Motiv der Verheiratung einer Frau mit einem fremden „Zar“ und der Status des Nachwuchses aus einer Verbindung mit einem „Goy“ zählen zu den wichtigen Themen.431 Auch in bT scheint das Thema der Konversion und der Proselyten im Mittelpunkt zu stehen.432 Auch hier erhält die Figur des „Zar“ einige Bedeutung. Die Bestimmungen zum Eherecht und zu Mischehen werden deutlich ausgedehnt und, wie in Schabbat, Motive wiederholt. Im direkten Anschluss an die Mischna werden in bT verschiedene Eheverbindungen mit fremden Frauen [  ] erörtert. Die zentrale Herausforderung in Jebamot besteht in der Interpretation des Begriffs „Norit“. Vor dem Hintergrund von Mischehen und der Konversion bestimmen legale und illegale Verbindungen mit Fremden die Argumentation. So ist die Fremdbeschreibung auf zwei Ebenen angesiedelt, in der zum einen die Fremdheit innerhalb der Gemeinschaft Israels und zum anderen die Abgrenzung gegenüber ethnischen Fremde diskutiert werden. Auf diese Weise prägt der Unterschied zwischen Clanfremden in Israel und Nichtjuden die Fremdbeschreibung des Traktat Jebamot.

3.3.1 Über die Terminologie in Jebamot: von Mischna 1,1 bis 1,7 Das erste Kapitel befasst sich mit der komplexen Terminologie des Traktats Jebamot und bietet eine Sammlung wichtiger Motive. Dieses Kapitel deckt inhaltlich zwei Bereiche ab, die zum einen von den Bedingungen und Implikationen der Schwagerehe handeln und zum zweiten von den Proselyten, den „Gerim“. Die Ausführungen über die Verwandtschaftsbeziehungen schließen direkt an die Thematik der Mischna an, während die Debatte über die Aufnahme und Konversion der „Gerim“ ein neues Motiv der Gemarot darstellen. In diesem Kapitel erfolgt ein thematischer Vergleich der 431 Die Mischehenproblematik geht laut C. Hayes nur indirekt auf biblische Quellen zurück und ist als eigenständiges rabbinisches Gesetz zu werten; Dies., Palestinian Rabbinic Attitudes to Intermarriage in Historical and Cultural Context, in: Jewish Culture and Society under the Christian Roman Empire, 35. 432 Insofern entspricht das Traktat Jebamot besonders der Thematik G. Portons, The Stranger in Your Gates, wie auch M. Goodman, Mission and Conversion.

203

Belegstellen. Um die spezielle Terminologie vorzustellen, wird vorwiegend die Darstellung und Bezeichnung für Fremde analysiert. Der erste Abschnitt handelt ausgehend von Deuteronomium 25,5 von zulässigen Eheschließungen zwischen gleichwertigen Partnern. Die Witwe darf sich nicht mit Fremden [ ] verbinden, wie in yT 1,1/10 geboten wird:                     433 .       .    R. Ayvu bar Nagari Qrispus im Namen des R. Simeon ben Laqish: Die Frau des Verstorbenen soll nicht [die Frau] eines „Zar“ [fremden Manns] außerhalb [der Familie] werden (Dtn 25,5). Das ist eine Frau, die ihm fremd ist.

Der Auslegung folgend, ist die Ehe mit einem Fremden, das heißt mit einem Mann, der nicht der gleichen sozialen Gruppe angehört, verboten. Die Bezeichnung für den Fremden ist aus dem Torazitat übernommen434 und bezieht sich offensichtlich auf einen fremden Israeliten. Diese Aussage wird in yT 1,1/18 wiederholt, indem dort die Familienbindung der Schwägerin hervorgehoben wird. Dementsprechend darf die Frau keinen anderen Mann [ ] heiraten.435 Für den Sachverhalt der Fremdheit geht es um mögliche Verbindungen, die der sozialen Hierarchie und der familiären Bindung widersprechen. In yT 1,6/1 wird für diesen Fall ein anderes Beispiel vorgelegt:             ‘              .          .      .                                        436 .             R. Simon im Namen Yosis im Namen Nehorays: Der Grund des Hauses Schammai ist: die Frau des Verstorbenen soll nicht [die Frau] eines fremden Manns [„Zar“] außerhalb [der Familie] werden (Dtn 25,5). Die außerhalb [der Familie] steht, soll 433 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 434 Vgl. Deut 25,5: „Wenn Brüder beieinander wohnen und einer von ihnen kinderlos stirbt, so soll das Weib des Verstorbenen nicht einen fremden Mann von auswärts nehmen, sondern ihr Schwager soll zu ihr kommen und sie zum Weibe nehmen und die Schwagerpflicht an ihr vollziehen.“ 435 Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 33. Dieser Fall, dass die Frau keinem Fremden angehören darf, ist nach H. W. Guggenheimer eine Doktrin des yT, die in bT hinterfragt wird. 436 Hier nach Ed. princ. Venedig, in MS Leiden lückenhaft überliefert.

204

nicht einen fremden Mann heiraten. Es zeigt sich, dass das Haus Schammai wie die Samaritaner verfährt, die eine Leviratsehe mit der Verlobten vollziehen, aber die Verheirateten ausschließen. Sie deuten „außerhalb“ als die „außerhalb [der Familie].“ Wie bestätigt das Haus Schmamais [den Satz] „wenn er kein Kind hat“? Rabbi Yakob aus Romaya sagte vor R. Yosi: Wenn er kein Kind von der Verheirateten hat; da sie außerhalb [der Familie] nicht einem fremden Mann angehören soll.

Nach der Wiederholung des bekannten Zitats wird genauer zwischen „außerhalb“ und „außerhalb der Familie“ differenziert. Erst wenn die Frau wieder verheiratet ist, wird sie als Teil der Familie betrachtet. So kann eine Heirat die Fremdheit auflösen oder verstärken.437 Diese Fremdbeschreibung stützt sich damit auf eine bestimmte Terminologie. Direkt zu diesen Motiven finden sich in bT einige Belegstellen, die ebenfalls die Fremdheit dieser „internal others“ behandeln.438 Eine Belegstelle in bT 10a handelt von der Vergewaltigung und konstruiert einen Fall, in dem ein Israelit mit zwei einander fremden Frauen geschlafen hat. Hier wird wie in der Mischna der Begriff „Noriot“ verwendet. Im weiteren ist allerdings von der Ehe mit „Anderen“ [ ] und nicht mit „Fremden“ die Rede. Diese Ambivalenz fehlt in der Übersetzung von L. Goldschmidt.439 Innerhalb des komplexen Sachverhalts der Schwagerehe arbeiten die Autoren mit einer definierten Terminologie, deren graduelle Unterschiede sich schwer übertragen lassen. Die Interpretation verbotener Eheverhältnisse schließt in bT 12a direkt an die Thematik von Mischna 3,9 an:  ‘                 440 .         R. Sheshet wandte ein: drei Brüder, die mit drei Noriot verheiratet sind. Wenn einer von ihnen stirbt, und der zweite von ihnen ihr einen Antrag gemacht hat und stirbt, dann ist die alyah zu vollziehen und nicht die Schwagerehe.

437 Vor einer Verheiratung ist die Konversion unumgänglich; M. Goodman, Mission and Conversion, 65. 438 Zu den inneren Fremden zählen nicht nur die Häretiker und das einfache Volk, sondern auch die „ “; C. Hayes, The „Other“ in Rabbinic Literature, in: E. Fonrobert, The Talmud And Rabbinic Literature, 57. 439 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 343f. Diese Belegstelle ist für Ox. OPP 248 und MS Vatikan 110-111 belegt; sie fehlt in MS München 95. 440 Nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248.

205

Da dieser Fall auf formale Weise Mischna 3,9 entspricht, wird er auch auf die gleiche Weise entschieden. Auch in bT 13a geht es um einen Fall, der inhaltlich mit Mischna 3,7 korrespondiert:                                          .‘       Drei Brüder: zwei von ihnen sind mit zwei Schwestern verheiratet und einer mit einer „Norit“. Einer von den Männern der Schwestern lässt sich von seiner Frau scheiden; und der mit der Fremden Verheiratete stirbt. Der Geschiedene heiratet sie [die Witwe] und stirbt. Das ist es, wovon sie sagen: wenn sie gestorben oder geschieden sind, bleiben die Nebenfrauen erlaubt.441

Und auch dieser Fall entspricht nicht nur der Mischna, sondern wird auf die gleiche Weise entschieden. Da die gleiche Terminologie verwendet wird, ist die Fremde [  ] wohl eine Clanfremde.442 Dazu wird in bT 13b die Argumentation des yT aufgegriffen:          ‘ “       “                                        .                    R. Shimon b. Pazi sagte: Was ist der Grund des Hauses Shammai? Die Schrift sagt: die Frau des Verstorbenen soll nicht [die Frau] eines fremden Manns [„Zar“] außerhalb [der Familie] werden (Dtn 25,5). „Außerhalb“; demnach müsste es auch eine „innerhalb“ geben. Und der Barmherzige sagt: so sei es nicht. Und das Haus Hillels forscht nach R. Yehuda im Namen Ravs; denn R. Yehuda sagte im Namen Ravs: Weshalb gibt es keine zusätzliche Verlobung bei der Schwägerin? Es heißt: die Frau des Verstorbenen soll nicht [die Frau] eines fremden Manns [„Zar“] außerhalb [der Familie] werden. Sie darf nicht mit einem „Zar“ zusammen sein.443

441 Vgl. mit der Übersetzung von L. Goldschmidt, Jabmuth, 352. Hier nach MS München 95, in MS Oxford Opp 248 ist der letzte Vers leicht verändert. 442 Eine weitere Belegstelle dazu findet sich bT 18b; L. Goldschmidt, Jabmuth, 373: „[...] wenn drei Brüder drei einander fremde Frauen [  ] geheiratet haben und einer von ihnen gestorben ist, und darauf der andere die Eheformel gesprochen hat und ebenfalls gestorben ist, so ist an ihnen die alyah zu vollziehen und nicht die Schwagerehe, denn es heißt: und einer von ihnen stirbt, so komme ihr Schwager zu ihr (Dtn. 25,5).“ 443 Vgl. mit der Übersetzung von L. Goldschmidt, Jabmuth, 354. Hier nach MS München 95, in MS Oxford Opp 248 ist die Überlieferung lückenhaft.

206

In diesem Kontext wird die Meinung vertreten, dass die Verlobung der Schwägerin wegen Fremdheit unwirksam werden kann. Auch wenn bT einen wesentlich komplexeren Weg der Auslegung vornimmt, ist die Fremdheit ein Gradmesser für die Eheschließung und die Verwandtschaftsverhältnisse der Schwagerehe geblieben.444 Ein anderes Motiv, das auch als terminologisches Problem verstanden werden kann, wird in bT 9a vorgestellt. Dort heißt es, dass man bei Ausübung des fremden Dienstes nur aus Vorsatz mit der Ausrottung bestraft wird und aus Versehen mit einem Sühneopfer. Dieses Sühneopfer erfordert je nach Stand ein anderes Tier. Entscheidend ist diese Passage:            ‘                           .             Ein Gesetz gelte bei euch für denjenigen, der aus Versehen [ein Gebot] übertreten hat, und für denjenigen, der es vorsätzlich tut (Num 15,29). Die ganzen Gebote der Tora werden mit dem fremden Dienst verglichen. Wie der fremde Dienst eine Handlung ist, bei der man wegen Vorsatz mit der Ausrottung bestraft wird und aus Versehen mit einem Sühneopfer, wird auch alles andere bei Vorsatz mit der Ausrottung und bei Versehen mit einem Sühneopfer bestraft.445

In diesem Absatz wird von der „Avoda Zara“ auf andere Vergehen geschlossen, was den fremden Dienst zu einem Maßstab für Rechtsfragen macht. Damit ist diese Auslegung mit den Ergebnissen in bT Schabbat 69a vergleichbar.446 Die Terminologie deutet auf eine genormte Auslegung hin, fremde Kulte von eigenen Kulten zu unterscheiden. Nicht nur die Intention für das Opfer ist dafür entscheidend, sondern die Handhabung der Toraexegese, um Fremdes aus der Ordnung Israels kategorisch auszuschließen. In einem zweiten Absatz wird die Problematik der Fremdbeschreibung mit den „Gerim“ verknüpft. In yT 1,6/6 wird dem Propheten Haggai zu-

444 An dieser Stelle existiert kein vergleichbares Dogma wie in yT, dass die Frau des Verstorbenen keinem fremden Mann [ ] angehören darf. Dagegen werden verschiedene Meinungen in die Debatte integriert, wie es dem Stil des bT entspricht. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 56 Fußnote 192. 445 Hier nach MS Oxford Opp 248; in MS München 95 sind geringe Abweichungen zu verzeichnen. 446 Vgl. 2.3.4 „Über die religiöse Differenz: von Mischna 2,5 bis 9,1“. Die Belegstellen in jenem Abschnitt zeigen, dass der fremde Dienst auch als Abstraktum verwendet wird und über die rein materielle Bedeutung hinausgeht.

207

gesprochen, dass die „Gerim“ aus Tadmor in die Gemeinschaft Israels kommen dürfen.447 Diese positive Entscheidung gesteht den Proselyten einen sozialen Status durch Verheiratung zu. Dadurch wird den „Gerim” aus Tadmor ein Status zugeschrieben, der in Konsequenz die Ehe mit Proselyten legitimiert. Da nicht alle Proselyten ohne weiteres in die Gemeinschaft aufgenommen werden dürfen, geht es um die terminologische Gleichsetzung der Proselyten mit Israeliten.448 In yT 1,6/8 wird die terminologische Frage anhand der Proselyten vertieft:    .                   .           .     .    R. Nahman bar Yakob sagte, dass man „Gerim“ von den Kurden und aus Palmyra aufnehme. R. Abbahu im Namen R. Yoanans: Eine Mischna besagt, dass „Gerim“ aus Palmyra erlaubt sind. Dort wurde festgelegt: alle Flecken aus Reqem sind rein. Deshalb sind auch die „Gerim“ aus Palmyra erlaubt.449

Ebenso werden kurdische und tadmorenische Proselyten als sozial gleichwertig definiert. Wenn diese Proselyten gleichwertig sind, ergibt sich für ihren Nachwuchs, dass dieser ebenfalls gleichwertig sein muss. Diese terminologischen Fragen nach dem Status und der Vergleichbarkeit von Fremden bestimmen wesentlich den Inhalt des Traktat Jebamot. So scheinen die Begriffe zwar einem terminologischem Konzept zu folgen, aber äußerst vielfältig verwendbar zu sein. In yT 2,2/2 wird beispielsweise der Begriff „   “ („Einer vom Markt“) verwendet, was ebenfalls dem Anderen entspricht. Der gesamte Abschnitt veranschaulicht somit die terminologische Vielfalt des Traktats.450 In bT 16a werden die drei Lehrsätze des Propheten Haggai wiederholt. Die Aufnahme der Proselyten wird folgendermaßen erläutert:                                ‘     ‘    447 Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 60-61. 448 Vgl. yT 5,1/2 zum lybischen Proselyten. Ob die Regelung auf eine historische Situation zurückgeht, wie H.W. Guggenheimer meint, bleibt aber zu bezweifeln. 449 Hier an der Übersetzung von H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 62, orientiert. Der hebräische Text folgt Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 450 Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 78. Deshalb wäre auch ein Lexikon rabbinischer Begriffe schwer zu erstellen, weil gerade die bewusste Doppeldeutigkeit der Begriffe verschiedene Deutungen und Interpretationen erlaubt.

208

              ‘ ‘                ‘           .       Man nimmt „Gerim“ von den „Karduim“ auf. Das ist nicht so, wie Rami bar Hesekiel lehrte: Man nimmt keine „Gerim“ von den „Karduim“ auf. R. Ashi sagte: Man lehrte dies von den „Kartuim“, wie die Leute sagen: unreine „Kartuim.“ Einige sagen: Rami bar Hesekiel lehrte: Man nehme von den „Kartuim“ keine „Gerim“ auf. Weshalb? „Kartuim“ und „Karduim“ sind wohl das gleiche. R. Ashi sagte: Nein. „Kartuim“ und „Karduim“ sind nicht das gleiche; wie die Leute sagen: unreine „Kartuim“.451

Es zeigt sich, dass vordringlich in bT die Frage der Terminologie bedeutungsvoll ist. Die beiden Bezeichnungen von Volksgruppen unterscheiden sich nur durch einen Buchstaben. In der Wahrnehmung der Rabbinen gehen die theoretische und praktische Ebene häufig fließend ineinander über, so dass sich der realistische Gehalt dieser Gebote nur schwer abschätzen lässt. Allerdings besteht eine gewisse Ambivalenz gegenüber „Gerim“ und der möglichen Verunreinigung durch sie. In bT 16a besteht eine Uneinigkeit, ob Flecken aus dem Ort Requem verunreinigen. Nach Rabbi Yehuda wird erklärt, dass irregeleitete „Gerim“ [   ] verunreinigen können, nicht aber „Goyim“.452 Der Ort Requem an der Grenze Israels steht in Analogie zu diesem Grenzfall, denn Israeliten können sich nur an „Gerim“ verunreinigen, nicht aber im Kontakt mit Fremden. Die „Gerim“ sind als Fremde mit den Feinheiten der Reinheitsgebote offenbar nicht genügend vertraut. Es zeigt sich, dass die Begriffe der Fremdbeschreibung differenziert verwendet werden und einem bestimmten Prinzip folgen. Die terminologische Vielfältigkeit von unterschiedlichen Begriffen für Fremde lässt an einem Beispiel aus bT 16b belegen:                     ‘      ‘              .    Es heißt: der Feind strecke seine Hand nach all ihren Herrlichkeiten aus (Thr 1,10). Das sind Ammon und Moab. Als die „Goyim“ in den Tempel eindrangen, stürzten 451 Bis auf eine weitere kleine Abweichung stimmen MS München 95 und MS Oxford Opp 248 überein. 452 Diese Stelle wird unterschiedlich überliefert. Hier nach MS Oxford Opp 248, da in MS München 95 in beiden Fällen der Begriff „ “ überliefert wird.

209

alle auf Silber und Gold. Sie aber stürzten sich auf die Tora. Sie sagten, das ist es, in dem geschrieben steht: es komme kein Ammoniter und Moabiter in die Gemeinde des Herrn (Dtn 23,4). Es werde verbrannt.453

Der tradierte Gegensatz zwischen Israel und den Fremden basiert auf dem Ausschluss bestimmter Völker aus der Gemeinschaft Israels. Als die Römer den Tempel in Jerusalem zerstören, erscheinen die Ammoniter und Moabiter aus der Frühzeit der Tora. Die Autoren kombinieren in einem fiktiven Szenario verschiedene Gruppen von Fremden, die unterschiedliche Bedeutung haben. Es zeigt sich, dass die Rabbinen die Exklusivität Israels als Grund für Ablehnung und Hass sehen. Die Schändung der Tora ist gravierender als der Raub des Goldes, da mit den Schriften die Identität Israels verbunden ist. Damit besteht jedoch kein grundsätzlicher Einwand gegen alle Fremden, wie es weiter in bT 16b heißt: ‘         ‘    .           R. Yehuda sagte im Namen R. Asis: Wenn ein „Goy“ sich heute verheiratet, akzeptiert man seine Heirat; denn er stammt von den zehn Stämmen [Israels] ab. Aber wer ausscheidet, gehört nicht mehr zur Mehrheit [Israels]? An den Orten, an denen sie [die Fremden] leben.454

Diese theoretische Lösung, Fremde als verlorene Nachkommen Israels zu zählen, greift erneut auf die Frage zurück, inwiefern Fremde Israeliten gleichen. Die Orte, an denen die Fremden ansässig sein sollen, werden an dieser Stelle den Königsbüchern entnommen.455 Im Anschluss wird in bT 17a folgender Widerspruch aufgeworfen:                                  ‘        ‘     .‘       Dein Sohn von einer Israelitin heißt „dein Sohn“, aber dein Sohn von einer „Goya“ heißt nicht „dein Sohn“, sondern “ihr Sohn.“ Es gab aber auch Töchter? Rabina 453 Die Handschriften MS München 95 und MS Oxford Opp 248 stimmen überein. 454 Hier nach MS Oxford Opp 248; MS München 95 weicht geringfügig ab. 455 Vgl. Kön II 18,11: „Und der König von Assyrien führte Israel nach Assyrien hinweg und siedelte sie in Chalach und Chabor, am Flusse Gosan, und in den Städten der Meder an.“

210

sagte: der Sohn deiner Tochter von einer „Goya“ heißt dein Sohn. Über die Töchter dieser Zeit wird überliefert, dass sie unfruchtbar waren.456

Kinder aus Mischehen mit Fremden [ ] sind verboten, nicht aber aus Ehen mit „Gerim“. Darauf beruht der Grundsatz, dass das Kind eines „Goy“ mit einer Israelitin ein „Mamser“ beziehungsweise ein Mischling ist.457 Dieser Lehrsatz wird im folgenden als Ausgangspunkt verwendet. Damit ist die terminologische Problematik zwar nicht gelöst, aber das inhaltliche Feld der Auseinandersetzung umrissen. Während in yT besondere Gruppen von Proselyten [  ] in Bezug auf die Mischehe analysiert werden, ist in bT von Interesse, wie sich Fremde [ ] und Proselyten zueinander verhalten. Durch die Verwendung der Begriffe „Goy“ und „Ger“ wird die terminologische Abgrenzung der Begriffe stärker als in yT betont. Vorrangige Bedeutung hat dabei, welche Grenzen die Gemeinschaft Israels haben sollte. In bT 22a wird der Schluss gezogen, dass der Proselyt den Status eines neugeborenen Kindes hat und deshalb für seine früheren Taten nicht belangt werden kann.458 Insofern wird der Status des Proselyten im Hinblick auf seine fremde Vergangenheit und seine fehlende Genealogie aufgewertet. Mit der Terminologie der Fremdbeschreibung in Jebamot wird versucht, Grade von Fremdheit über die soziale Gleichstellung oder Ungleichbehandlung zu klären. Es geht dabei weniger um die Antithese zu fremden Personen und Kulten, sondern um eine graduelle Differenzierung, die oft theoretischen Charakter hat.

3.3.2 Fremde und die Genealogie Israels: zu Mischna 2,5 Ein Aspekt der Fremdbeschreibung ist die fehlende Genealogie der Fremden angesichts ihrer Konversion. Damit bleibt der Status ihres Nachwuchses ungeklärt. In Mischna 2,5 ist die Abstammung von Fremden ein Aus456 Hier nach MS München 95. MS Oxford Opp 248 überliefert „ “ statt „   “, was in diesem Zusammenhang keinen Sinn ergibt. Weiter wird hier „    “ vom Begriff „ “ abgeleitet; wie M. Jastrow, Dictionary of the Targumim, 1301, vorschlägt. 457 C. Hayes zeigt, dass sich an dieser Stelle das matrilineare Prinzip erkennen lässt, weil es um einen Sohn und nicht um die Tochter geht; Dies., Palestinian Rabbinic Attitudes to Intermarriage in Historical and Cultural Context, in: R. Kalmin, Jewish Culture and Society under the Christian Roman Empire, 29. 458 Vgl. bT Jeb 22a, L. Goldschmitdt, Jabmuth, 386: „Eheangelegenheiten sind jedem überlassen, die Zeugenvernehmung ist dem Gericht anvertraut, und ein Proselyt [ ], der sich bekehrt hat, gleicht einem neugeborenen Kinde.“

211

schlusskriterium von der Schwagerehe. Demzufolge konzentriert sich die Interpretation in diesem Kapitel auf den genealogischen Status der Fremden. Der Kommentar in yT 2,6/1 erweitert den Inhalt von Mischna 2,5:               .‘                  .         .     .       .             459 .            .       „Jede Person, die ein Kind an irgendeinem Ort hat.“ R. Avin fragte: Ist es sein Kind in jedem Fall, sogar um fruchtbar zu sein und Nachwuchs zu zeugen? Gibt es denn keinen Unterschied zwischen einem „Goy“, der mit einer Israelitin sexuell verkehrt und sie ein Kind zur Welt bringt, und einem Israeliten, der mit einer „Goya“ sexuell verkehrt und sie ein Kind zur Welt bringt? Die Israelitin, die schwanger ist, gebiert einen Erstgeborenen für die Erbfolge, aber nicht für die Priesterschaft. Ein „Goy“ kommt zu einer „Goya“ und sie gebiert einen Sohn. R. Yoanan sagte, „Goyim“ haben eine Genealogie. R. Simeon ben Laqish sagte, „Goyim“ haben keine Genealogie.

An dieser Stelle wird das terminologische Problem aus bT 17a aufgegriffen, ob ein Unterschied bezüglich der Abstammung von einem fremden Vater oder einer fremden Mutter besteht. Der Interpretation H. W. Guggenheimers folgend macht es zwar einen Unterschied, ob die Mutter konvertiert, es wird aber dennoch kein Zugang zur Priesterklasse gewährt.460 Das Kind ist ihr anerkannter Erstgeborener, nicht aber im Sinn der Genealogie Israels. Im Vergleich zu einer Ehe von Fremden und ihrem Nachwuchs besteht die Frage, ob Fremde eine Genealogie im Sinne Israels erwerben können. Diese Frage bleibt in yT unentschieden, obwohl sie für die Wahrnehmung der Fremden bedeutsam ist. Auch verschiedene Beispiele aus der Tora können dieses Problem nicht abschließend lösen.461 Wenn die Fremden keinen

459 An dieser Stelle schlägt Guggenheimer diese Übersetzung vor, die anstelle von „ “ hier „“ verwendet. In der Synopse findet sich darauf aber kein Hinweis. Insgesamt scheint der Verweis auf mBekhorot 8,1 sinnvoll zu sein, da die Stelle sonst keinen Sinn ergäbe. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 460 Der Priesterklasse anzugehören ist das Ziel der gesellschaftlichen Hierarchie. Vgl. auch C. Hayes, Genealogy, Illegitmacy, and Personal Status, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, 74. 461 Vgl. Jes 39,1; dort hat der König von Babel Merodach-Baladan einen Sohn. In I. Kön 15,18 werden die direkten Nachkommen des Königs von Aram genannt. Beides ist ein Beweis für die Rabbinen, dass auch die „Goyim“ eine Genealogie haben.

212

„Yus“ [ ], keine Abstammung aufweisen, ist eine Heirat mit ihnen unmöglich. Diese Differenz führt zu einigen Schwierigkeiten. Die Behandlung der Mischehe ist in der rabbinischen Perspektive ein schwerwiegendes Problem, wie sich in yT 2,6/3 anhand der Nachkommen zeigt:     .                462 .            .         .     Eine „Norit“. R. Yoanan sagte im Namen Simeon ben Johais: es steht geschrieben: Du sollst dich nicht mit ihnen verheiraten (Dtn 7,3-4). Und es steht geschrieben: Und er wird deinen Sohn von mir abtrünnig machen (Dtn 7,4). Dein Sohn von einer Israelitin heißt „dein Sohn“, aber dein Sohn von einer „Goya“ heißt nicht „dein Sohn,“ sondern “ihr Sohn“.

Das Heiratsverbot beruht auf dem Problem des legitimen Nachwuchses, wie mit dem Zitat aus Deuteronomium 7,3 unterstrichen wird. Deshalb ist der Sohn der Fremden “Goya“ „ihr Sohn“. Es folgt, dass die Beschneidung des Sohns der Fremden verboten ist. Daraufhin wird die Halacha aus yT 2,6/4 wiederholt, dass der Sohn der Fremden nicht der Sohn des Israeliten, sondern „ihr Sohn“ ist.463 So ist die Ehe mit Fremden, den „Goyim“, wegen der illegitimen Kinder und der fehlenden Genealogie untersagt. Die Gemeinschaft Israels ist in der Wahrnehmung der Rabbinen durch diese Ehe in ihrem Bestand bedroht, weil sich ihre exklusive Differenz verliert.464 An dieser Stelle wird konsequent der Begriff „Goy“ verwendet, aber der Begriff der Mischna [  ] ausgeblendet. Die Exegese des bT zu Mischna 2,5 ist wesentlich ausführlicher und bietet einen detaillierten Kommentar. In bT 22b wird direkt auf die Mischna Bezug genommen. Nach Exodus 21,4 gehören Frau und Kinder ihrem Herrn, und so gehören die Kinder ihrer gemischten Abstammung ent-

462 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 463 H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 100: You shall not conclude marriage with them. And it is written: For he will divert your son from after me. Your son from a Jewish woman is called your son; but your son from a Gentile woman is not called your son but her son. 464 Dies hängt mit der Entwicklung Israels von einer ethnischen zu einer religiösen Gruppe zusammen, mit der auch die Adaption und Bewältigung der fremden Umwelt einhergeht, vgl. J. North, The Development of Religious Pluralism, in: J. Lieu, The Jews among Pagans and Christians in the Roman Empire, 191.

213

sprechend nicht zur direkten Verwandtschaft.465 Im gleichen Kontext wird nochmals die Ehe mit einer Fremden oder einer Sklavin ausgeschlossen und dafür indirekt der Status der Nachkommen verantwortlich gemacht. Insofern folgt bT der Überlieferung des yT und schließt einmal die „Norit“ und einmal den „Goy“ als mögliche Ehepartner aus. So ist die Ambivalenz der Begriffe aus der Mischna übernommen und setzt sich in bT 23a fort. Dort wird das Problem der Schwester aufgeworfen, die von Fremden abstammt:     [...]               ‘                   ‘   [...]                     ‘                         .                Es steht geschrieben: die Tochter der Frau deines Vaters; die dein Vater ehelichen kann. Ausgenommen sind [...] eine Sklavin oder eine „Norit“. [...] Und es steht geschrieben: Sie ist deine Schwester. Was ergibt sich daraus? Daher ist einleuchtend, dass die mit der Ausrottung Belegten einzuschließen sind, da ihre Verlobung mit anderen gültig ist. Auch die Sklavin und die „Norit“ sind einzuschließen. Wenn sie sich bekehren, ist aber die Verlobung gültig, weil sich nach der Konversion der Status verändert. Und aus welchem Grund schließen die Rabbanan die Sklavin und „Norit“ aus? Sie entnehmen es aus [dem Zitat]: Die Frau und ihre Kinder gehören ihrem Mann (Ex 21,4).466

Die Autoren stellen fest, dass die Konversion den Status der Person verändert und der Verlobung Gültigkeit verleiht. Während die Sklavin, die Fremde [  ] und ihre Kinder ausgeschlossen sind, wird der Status der Proselyten durch die Konversion transformiert und auf das legale Niveau Israels gehoben. Anders als in yT wird der fremden Frau [  ] eine eigene Abstammung zugesprochen; sie bleibt lediglich aus der religiösen Gemeinschaft ausgeschlossen. Damit kommt zum Ausdruck, dass den Fremden aus religiösen Gründen die Mischehe verboten wird.467 Weiter in bT 23a heißt es:

465 Vgl. die Übersetzung von L. Goldschmidt, Jabmuth, 387. 466 Vgl. hier die Übersetzung von L. Goldschmidt, Jabmuth, 389, die allerdings unvollständig ist. Der erste Abschnitt steht nur in MS Oxford Opp 248. Der zweite Absatz nach MS München 95 und Oxford. Insgesamt musste der Text rekonstruiert werden. 467 Diese Gründe ergeben sich beispielsweise aus dem Konzept der Unreinheit, das aus der Vorlage der Tora entwickelt wird; vgl. C. Hayes, Intermarriage and Impurity in Acient Jewish Sources, in: HTR 92:1, 1999, 3-14.

214

                ’   ’’ ’’                                                                   .   R. Yoanan sagte im Namen des R. Shimon ben Johaj: Die Schrift sagt: Und er wird deinen Sohn von mir abtrünnig machen (Dtn 7,4). Dein Sohn von einer Israelitin heißt „dein Sohn“, aber dein Sohn von einer „Goya“ heißt nicht „dein Sohn“, sondern “ihr Sohn“. Rabina sagte: Hieraus wird deutlich, dass der Sohn deiner Tochter von einem „Goy“ „dein Sohn“ genannt wird. Wie Rabina erklärte: Wenn ein „Goy“ und ein Sklave mit einer Israelitin sexuell verkehren, bringt sie ein legitimes Kind zur Welt. Zugegeben ist es nicht makellos, wenn es auch kein „Mamser“ ist. Es ist ein unreiner Israelit. Dieser Schriftvers spricht ja von den sieben Völkern [„Goyim“]: denn er wird abtrünnig machen (Dtn 7,4).468

Der Ausgangspunkt der Debatte ist die bereits bekannte Problematik aus yT, ob der Sohn eines Fremden ein Israelit ist. Die terminologische Frage nach dem Status des Kindes deutet auf die Ehe der Eltern hin. Dieses Kind ist als Kind einer Israelitin zwar kein Mischling, aber ein bemakelter Israelit [   ]. In der Genealogie Israels gleicht der Status des Kindes in Analogie zu Deuteronomium 7,4469 den dort genannten sieben Völkern [ ]. An dieser Stelle ist die Verwendung von „Goy“ von Interesse, weil damit Fremde bezeichnet werden. Den Ergebnissen in Schabbat zufolge ist dieser Begriff ein Symbol für fremde Personen im allgemeinen.470 Für die Diskussion über den Status der Fremden wird der Begriff „Goy“ ebenfalls in diesem Sinn verwendet. Im Vergleich zwischen yT und bT ist die Ehe mit Fremden aufgrund der Genealogie untersagt, da der Nachwuchs einen unklaren Status aufweisen würde. Fremde haben deshalb keine mit Israel vergleichbare Genealogie.

3.3.3 Über die Mischehe mit Fremden: zu Mischna 2,8 Mischna 2,8 handelt von der Konversion und der Eheschließung eines Fremden mit einem Israeliten. Folglich baut das dritte Kapitel auf den soeben besprochenen Halachot auf. Den Übertritt zum Judentum kann eine gesetzliche Eheschließung bestätigen, durch die der Status der Fremden neu 468 Hier stimmen MS München 95 und MS Oxford Opp 248 überein. 469 Vgl. Deut 7,4: „Und du sollst dich mit ihnen nicht verschwägern; du sollst deine Töchter nicht ihren Söhnen geben, noch ihre Töchter für deine Söhne nehmen“. 470 Vgl. Kapitel 2.4. Im Gegensatz zu M. Guttmanns These ist der Auslandsfremde in der rabbinischen Literatur der „Goy“, Ders., Judentum und Umwelt, 41-42.

215

definiert wird.471 Zu diesem Problem bezieht die Belegstelle yT 2,10/2 Stellung:   .                   

 .          .   Wenn jemand wegen einer Sklavin, einer Freigelassenen oder einer „Norit“, die konvertiert ist, angeklagt ist, darf er sie nicht heiraten. Hat er sie geheiratet, sind sie verheiratet. Wenn er verspricht, sie nicht zu heiraten und doch geheiratet hat, werden sie getrennt.472

So wird die Heirat mit einer konvertierten Fremden aufgelöst, wenn der Mann das Versprechen abgegeben hat, sie nicht zu heiraten [        ]. Dabei wird die Fremde ausdrücklich nicht Proselytin [  ] genannt. Weil es um die „Norit“ geht, stimmt diese Auslegung mit der Mischna überein.473 Auch eine Wiederverheiratung wird im Folgenden ausgeschlossen, da dieser Schritt den Status der Kinder in Frage stellen würde. Im direkten Vergleich dazu bietet bT 24b folgende Passage zu Proselyten:                                                                  “           .                 Ein Mann, der wegen einer Frau konvertiert und eine Frau, die wegen eines Mannes konvertiert, und diejenigen, die wegen der königlichen Tafel oder wie die Sklaven Salomos konvertieren, sind keine „Gerim“. So die Worte von R. Nehemia; denn R. 471 Die Eheschließung findet nicht in einem rechtlichen Vakuum statt, sondern im Kontakt mit fremden Kulturen. Diesen Zusammenhang hebt H. Cotton hervor; Dies., The Rabbis and Documents, in: Goodman, Martin, Jews in a Graeco-Roman World, 171-172. 472 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 108, übersetzt: „If he agreed lawfully not to marry her and married her, she is forcibly removed from him.” Durch die Einfügung des Worts „ ” aus MS München 95 17 kommt diese Übersetzung zustande. 473 C. Hayes verweist darauf, dass im Verlauf der rabbinischen Literatur zunehmend erleichternde Entscheidungen zugunsten der Mischehen getroffen werden; Dies., Genealogy, Illegitimacy, and Personal Status. The Yerushalmi in Comperative Perspective, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, 78-87.

216

Nehemia sagt: Sowohl die, die „Gerim“ werden wegen Löwen, wie diejenigen, die „Gerim“ werden aufgrund von Träumen, und die „Gerim“ von Mordechai und Ester, diese sind keine „Gerim“. Nur diejenigen, die zu dieser Zeit konvertieren, [sind „Gerim.“] Weshalb denn „zu dieser Zeit“? Man verstehe es als „wie zu dieser Zeit“. Es wird gelehrt: R. Jichaq bar Shmuel bar Martha sagte im Namen Ravs: Nach der Halacha sind alle „Gerim“.474

Nach dieser These sind die „Gerim“, die wegen einer Frau oder aus anderen Absichten konvertieren, keine Proselyten. Weiter wird das Problem des Zeitpunkts der Konversion aufgeworfen; aber kein allgemeiner Einwand gegen die Ehe mit Proselyten formuliert. Löwen- und Traumproselyten [        ] sind keine tatsächlichen Proselyten im Sinn des bT,475 sondern nur Figuren der Rhetorik. Sie gehören zur Gruppe der assoziierten Fremden. Demgegenüber wird entschieden, dass alle legale Proselyten sind. Damit wäre die Heirat zwischen dem Israeliten und der Proselytin erlaubt. Der nächste Absatz legt aber fest, dass die Konversion nur um des Himmels willen erfolgen darf. In messianischen Tagen sollen keine Proselyten mehr aufgenommen werden.476 Daraus lässt sich schließen, das die Konversion aus selbstlosen Motiven erfolgen sollte. Im weiteren wird in bT 25b die Heirat mit einer Proselytin erleichternd bewertet:                 

    ‘  477 .    

      

          Eine Mischna lehrt: Wer wegen [dem Umgang mit] einer Sklavin, die freigelassen wurde, oder einer „Norit“, die konvertierte, angeklagt wurde, darf sie nicht heiraten. Wenn er sie geheiratet hat, muss er sich nicht von ihr trennen. Da er sich in anderen [Fällen] wegen übler Nachrede nicht trennen muss, braucht er sich auch hier wegen übler Nachrede nicht trennen.

474 Die Übersetzung von L. Goldschmidt, Jabmuth, 394, übersetzt „Löwenproselyten“ und „Traumproselyten“. Damit bleibt jedoch die Bedeutung unklar. Hier nach MS Oxford Opp 248; in MS München 95 ist die Satzstellung verändert, der Inhalt ist gleich. 475 Vgl. II. Kön 17,25, Est 8,17; damit sind zum einen Proselyten aus Furcht und zum anderen auf Grund von Traumdeutung gemeint, M. Jastrow, Dictionary of Talmud Babli, 263. 476 Für die Konversion sind auch eschatologische Motive von Bedeutung. Vgl. S. J. D. Cohen, The Rabbinic Conversion Ceremony, in: JJS 41, 1990, 196-197. 477 Hier nach MS München 95. In MS Oxford Opp 248 ist der Abschnitt mit dem Begriff „ “ überliefert. MS München 141 überliefert beide Begriffe, sowohl „ “ als auch „  “.

217

Es wird konstatiert, dass die Ehe mit der fremden Proselytin nicht aufgelöst werden muss. Die üble Nachrede [

] hat keinen Einfluss auf die Halacha, nach der eine solche Verbindung nicht aufgelöst wird. Allerdings verleiht dies einen guten Einblick in die Wahrnehmung der Heirat mit Fremden, die offenbar auf allgemeine Ablehnung stösst. Im Vergleich der Gemarot wird in bT unter Umständen die Ehe mit einer Proselytin erleichternd entschieden. Die Konversion muss allerdings aus selbstlosen Motiven erfolgen.

3.3.4 Aspekte der sozialen Fremdheit: von Mischna 3,6 bis 3,9 Die Belegstellen von Mischna 3,6 bis 3,9 diskutieren ausführlich die verschiedenen Konstellationen von Eheleuten, durch die eine Schwagerehe möglich oder unmöglich wird. Fremdsein ist hier nicht im ethnischen Sinn, sondern als Clanfremdheit478 zu verstehen. In diesem Abschnitt werden Motive dieser gesellschaftlichen oder sozialen Fremdheit gesammelt. Fremde sind nicht ethnische Aussenseiter, sondern auch Mitglieder der Gemeinschaft Israels. Es geht zum einen um die „Norit“, zum anderen um die „Zarim“, die Nichtpriester. In yT 3,1/1 wird die wesentliche Aussage der Mischna wiederholt:     .                    .          .        .             Vier Brüder, von denen zwei mit zwei Schwestern verheiratet sind. Wären es vier Brüder, von denen zwei mit „Noriot“ verheiratet sind, würden sie nicht die Leviratsehe vollziehen? Es gibt einen Unterschied, da hier das Verbot der Schwestern gilt [da Blutsverwandte nicht verheiratet sein dürfen]. In diesem Fall müssen sie [die Schwestern] nicht die alya vollziehen. R. Matania sagte: Wegen der Beschränkung. Und das Verbot der Schwestern ist hier unklar.479

478 Damit ist eine Form der innergesellschaftlichen Fremdheit angesprochen, die auf einer Differenz zwischen verschiedenen Kasten wie den Priestern und den Israeliten beruht. Die gesellschaftliche Differenz in der rabbinischen Literatur ist kaum zu übersehen; W. S. Green, Otherness Within: Towards a Theory of Difference in Rabbinic Judaism, in: J. Neusner, „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 51-52. 479 Hier nach Ed. princ. Venedig. An dieser Stelle ist MS Leiden lückenhaft. Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 117-118.

218

Der Status der Fremdheit der Schwestern würde die Schwagerehe ermöglichen, aber ihre Verwandtschaft durch die Heirat macht die Verbindung unmöglich. Die Fremdheit steht im Kontrast zur Verwandtschaft und bildet eine Grenze, um Beziehungen zu ermöglichen oder zu verhindern. Das Fremdsein ist damit eine soziale Statusfrage und kein ethnisches Moment.480 In bT 30a werden zu diesem Thema jeweils kurze Kommentare abgegeben. Wie in yT steht die Frage im Mittelpunkt, inwiefern die Blutsverwandtschaft eine Schwagerehe verhindert. Es wird festgehalten, dass die Fremde [  ] nicht die Nebenbuhlerin der Schwester der Eherau sein darf.481 Damit ist die Fremdheit der ausschlaggebende Punkt für die halachische Entscheidung. Entsprechend der Mischna 3,6 geht es um eine Frau, an die die Eheformel gerichtet wurde, denn durch die Eheformel wird aus der Fremden eine Verwandte. Die soziale Fremdheit der der „Norit“ definiert ihre Position in der Familie. Deshalb wird in Mischna 3,7 der Status der Frau in der Familie hervorgehoben.482 An dieser Fremden muss das Ritual der alya vollzogen werden, wie bT 30a zeigt. Dort wird bestätigt, dass an der Fremden nur die alya und nicht die Schwagerehe zu vollziehen ist.483 Die alya der Frau ist auf diese Weise ein eigenes Grenzkonzept, das über die Familienzugehörigkeit entscheidet. Um alle Gesetze der Tora und der Mischna miteinander vereinbar zu machen, ist einige exegetische Spitzfindigkeit nötig. Meist wird der soziale Status der Personen verglichen. Durch diese Auslegung wird eine soziale Hierarchie diktiert, in der Fremde als Aussenseiter eine wichtige Funktion haben. Der zweite Abschnitt thematisiert den „Zar“, der ebenfalls ein Fremder ist. Zu diesem Thema finden sich ausschließlich Belegstellen in bT. In bT 32b wird diskutiert, wie viele Sühneopfer dieser Nichtpriester am Schabbat für den verrichteten Tempeldienst schuldig ist:

480 H. Münkler, B. Ladwig, Dimensionen der Fremdheit, in: H. Münkler, B. Ladwig, Furcht und Faszination, 14. 481 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 412. 482 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 413. Hier nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248: „Man könnte glauben, nur da, wo sie aus der Familie ganz verdrängt wurde, wenn sie aber aus der Familie nicht ganz verdrängt wurde, sei sie, da sie für den mit der Fremden [  ] Verheirateten geeignet war, auch für den anderen geeignet, so lehrt er uns.“ 483 An dieser Stelle sind geringfügige Abweichungen in MS Oxford Opp 248 zu verzeichnen.

219

              ‘                                         .  R. Hija begann: [die Arbeit] am Shabbat ist allen verboten, und wenn sie im Tempel den Priestern erlaubt worden ist, dann ist sie nur Priestern und nicht Zarim erlaubt worden. Es liegen hier also Fremdheit und der Schabbat vor. Bar Qappara begann: [Die Arbeit] am Shabbat ist allen verboten, aber im Tempel ist sie erlaubt worden. Deshalb liegt nichts vor außer Fremdheit.484

Die Debatte dreht sich um einen Ausspruch Rabbas, ob der „Zar“ ein oder zwei Opfer schuldig ist. Damit orientiert sich die Auseinandersetzung wesentlich an der bereits bekannten Diskussion des Traktats Schabbat.485 Durch die aktive Verletzung der Ordnung oder durch die Verletzung des Schabbat wird die soziale Hierarchie gestört.486 Der Begriff „Zarut“ deutet auf die Entfremdung von der herkömmlichen Ordnung hin. Ein Fall in bT 33a handelt von einem Nichtpriester, der Abgekniffenes gegessen hat. Der Nichtpriester hat somit die priesterlichen Vorrechte des Fleischverzehrs übertreten und eine verbotene Handlung begangen.487 Die Diskussion über das Strafmass lässt Rückschlüsse auf den untergeordneten Status des „Zar“ im Tempel zu. Es wird ausführlich debattiert, ob die Übertretung des Schabbat zusammen mit dem Tempeldienst als Vergehen gewertet werden kann.488 Wenn das der Fall ist, wäre die religiöse Verletzung des Gebots auch eine Verletzung der sozialen Ordnung. Von diesem Fall handelt auch bT 33b:

484 Nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248. 485 Vgl. Kapitel 2.3.3 zum Traktat Schabbat und der Frage nach der Position der Fremden in einer sozialen Hierarchie. 486 Diese Hierarchie drückt sich nicht allein durch Mischehen aus, sondern zeigt sich in der rabbinischen Rhetorik; C. Hayes, Genealogy, Illegitimacy, and Personal Status. The Yerushalmi in Comperative Perspective, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, 76. 487 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 422. 488 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 422: „Wieso ist es hierbei ein einbegreifendes Verbot? Allerdings bei einem Gemeinen: vorher war ihm die Arbeit erlaubt und der Tempeldienst verboten, und durch das Hinzukommen des Shabbat ist ihm die Arbeit verboten worden, somit auch der Tempeldienst.“ In der Belegstelle werden weitere Details genannt, die aus Gründen der Stringenz ausgelassen werden.

220

                        ’’         489 .   Ein „Zar“, der am Schabbat [das Opfer im Tempel] verrichtet oder ein Behinderter, der das Opfer in Unreinheit verrichtet. Hier [werden sie bestraft] wegen Fremdheit, wegen dem Schabbat, wegen der Behinderung und wegen der Unreinheit; nach den Worten R. Yoses. R. Shimon sagt: Hier ausschließlich wegen Fremdheit und wegen der Behinderung.

Damit bedingt das Fremdsein eine Verletzung der religiösen Ordnung und eine Störung der sozialen Ordnung. Während der Tempel in Jerusalem in der rabbinischen Epoche bereits zerstört ist, bleibt die soziale Ordnung in den Augen der Autoren lebendig, auch im Hinblick auf einen zukünftigen dritten Tempel. Auch eine weitere Textstelle thematisiert die Verletzung des Kults und die Übertretung des Schabbat.490 Der Vergleich zwischen dem Strafmass für eine Übertretung durch einen Nichtpriester und dem Ruhegebot am Schabbat entspricht der bereits bekannten Argumentation. Die soziale Fremdheit definiert unter anderem eine positive Ordnung und bestätigt die traditionelle Hierarchie.491 Die Begriffe „Zar“ und „Norit“ berichten über diese positive Ordnung.

3.3.5 Über die Konversion und den Status der Fremden: von Mischna 3,9 bis 6,5 In diesem Abschnitt werden ausführlich die „Gerim“ und ihre Konversion thematisiert, verschiedene Motive zu diesem Thema gesammelt und formal verglichen. Dabei ergeben sich drei Themenfelder, die sich in die Belegstellen zu Mischna 3,10, zu Mischna 4,1-3 und zu Mischna 5,1 bis 6,1 aufteilen lassen. In diesem Kapitel werden besonders die theologische Differenz und die Clanfremdheit behandelt. Es sollen nicht nur terminolo489 Hier nach MS München 95; in MS Oxford Opp 248 fehlen die letzen Worte im Zitat. 490 Die Bemühungen der Autoren konzentrieren sich darauf, die Übertretung zu erklären. Die Vorrechte bestimmter Handlungen, die nur ein Priester vollziehen darf, sind Laien verboten, weil sie keinen Priesterstatus innehaben. Diese Argumentation folgt stets der Tora. Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 423. 491 Diese Wirkung der Fremdheit macht die jüdische Gesellschaft mit anderen Kulturen der Antike vergleichbar. Gerade die Fokussierung des Judentums auf eine bestimmte Tradition macht aber die Differenz aus, die sich in der sozialen Ordnung widerspiegelt; M. Goodman, Jews, Greeks and Romans, in: Ders., Jews in a Graeco-Roman World, 3-4.

221

gische Erkenntnisse gewonnen werden, sondern auch die Unterschiede zwischen der theologischen und der sozialen Fremdheit analysiert werden. Der erste Abschnitt zu Mischna 3,4 behandelt im Kontext der Schwagerehe einen weiteren Fall der Clanfremdheit. In yT 3,4/4 wird der Unterschied zwischen den Schwestern und den fremden Frauen für die Schwagerehe bestätigt und erneut die soziale Differenz der Fremdheit betont.492 In bT wird der Fall einer Frau aufgeworfen, die mit einem Fremden geschlafen hat und schwanger wurde.493 Deshalb wird in bT 35a festgelegt, dass bis zur Verheiratung drei Monate zu warten sind. Ausgenommen sind die minderjährige Proselytin [    ] und die befreite Sklavin. Im Vergleich zu einer minderjährigen Israelitin zeigt sich, dass die Wartezeit wegen außerehelichen Geschlechtsverkehr festgesetzt wird. Bei der minderjährigen Israelitin ist der außereheliche Geschlechtsverkehr jedenfalls ungewöhnlich:                                            ’’                        ’’                         

    . Bei der „Gioret“ und der Freigelassenen ist die sexuelle Unzucht wahrscheinlich. Somit sollte man [die Wartezeit] bei ihnen anordnen? Er ist der Ansicht R. Yoses. Es wird nämlich gelehrt: Eine „Gioret“, eine Gefangene oder einen Sklavin, die freigekauft worden ist, sich bekehrt hat oder freigelassen wurde, müssen drei Monate warten. Dies nach den Worten R. Yehudas. R. Yose erlaubt ihnen, sich sofort zu verloben und zu verheiraten. Rabba sagte: Dies ist der Grund R. Yoses: Er ist der Ansicht, eine Frau verwende beim Huren Watte, damit sie nicht schwanger wird. Abjje sprach zu ihm: Allerdings ist eine „Gioret“, die sie sich zu bekehren

492 Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 138: „Rebbi Mattania said, are not sisters different from unrelated women? If you found a difficulty, find it in what Rebbi Zeira said in the name of Rav Seshet: They started there that Rebbi Simeon forbade them“. 493 Vgl. bT 34b; L. Goldschmidt, 427: „Einst kam eine Frau zu R. Joseph und sprach: Meister, ich war zehn Jahre ohne Mann und habe darauf geboren. Dieser erwiderte: Meine Tochter, diskreditiere nicht die Worte der Weisen. Da sprach sie: Ein Nichtjude [ ] beschlief mich.“

222

beabsichtigt, vorsichtig, um zwischen dem in Heiligkeit gesäten Samen und dem nicht in Heiligkeit gesäten Samen zu trennen.494

Der Proselytin wird wegen ihrer Vergangenheit als Fremde in der rabbinischen Wahrnehmung ein unmoralisches Verhalten attestiert. Dies stimmt mit der allgemeinen Annahme überein, das in Bezug auf die Sexualität zwischen den Fremden und Israel eine wesentliche kulturelle Differenz besteht.495 Die Wartezeit der drei Monate soll garantieren, dass der Status des möglichen Nachwuchses eindeutig bestimmbar ist. Die Kinder der Frau sind deshalb für die Rabbinen von besonderem Interesse. Im weiteren wird die Proselytin häufig mit einer anderen Fremden, der Sklavin, verglichen.496 Ein zweiter Abschnitt zu Mischna 4,1 sammelt in yT unterschiedliche Motive zu Proselyten. In yT 4,1/7 wird das Motiv der Aneignung von Eigentum behandelt. Dazu wird folgende Baraita zitiert:       .                   .             .     Wenn ein „Ger“ stirbt und Israeliten seinen Besitz plündern, und bekannt wird, dass er einen Sohn im Ausland hat oder [seine Frau] schwanger ist, sind alle verpflichtet, [alles] zurückzugeben. Was folgert R. Leazar? Es gibt einen Unterschied wegen des Kindes.497

Die Aneignung des Grundbesitzes ist wegen des legitimen Erben nicht erlaubt, da diesem der Besitz des „Ger“ zusteht. Wenn allerdings das Kind stirbt oder die Frau eine Fehlgeburt hat, ist die Aneignung erlaubt. Dieser Fall zeigt das Dilemma, was mit dem Besitz eines Proselyten geschehen soll, der keine natürlichen Verwandten in Israel hat.498 Jedenfalls werden die Proselyten durch das Recht geschützt, wenn sie legitime Nachkommen 494 Vgl. die Übersetzung von L. Goldschmidt, Jabmuth, 427-428. Entsprechend MS München 95; in MS Oxford Opp 248 fehlt der letzte Absatz. 495 Die Rabbinen bewerten die Fremden generell als sexuell zügellos; vgl. C. Hayes, The „Other“ in Rabbinic Literature, in HTR 92:1, 1999, 50-51. 496 Diesen Vergleich erarbeitet H. Sivan, Rabbinics and Roman Law: Jewish-Gentile/ Christian Marriage in Late Antiquity, in: Revue des études juives 156 1997, 67. 497 Die Aneignung des Guts ist ein Motiv, das immer wieder in der rabbinischen Literatur aufgeworfen wird, da offensichtlich die Rechtslage unklar ist. In bT Jeb 52b, L. Goldschmidt, Jabmuth, 492, wird geboten: „[...] dies ist ebenso, als würde jemand auf dem auf dem Grundstück eines Proselyten [ ] herumgraben, im Glauben, es sei seines, der es dadurch nicht erwirbt.“ 498 Vgl. dazu bT B“B 142a. Und weiter G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 108-110.

223

haben. In yT 4,11/9 wird ein Fall behandelt, der dem soeben besprochenen Fall in bT 35a ähnelt:                        .        . ‘  ‘  ‘ .      .     Es wurde gelehrt: Die „Gioret“, die Geisel, die Sklavin, die freigekauft wurden, konvertierten, und befreit wurden, müssen nach den Worten R. Yudas drei Monate warten [bis zur Wiederverheiratung]. R. Yose sagt, sie müssen nicht warten. R. Yuda sagt, ihr Blut verunreinigt zeitweise. R. Yose sagt, von dem Augenblick [der Wartezeit] an.499

Hier ist die Verunreinigung der Grund für die Frist von drei Monaten. Die weitere Diskussion zeigt allerdings, dass auch der mögliche Geschlechtsverkehr der Grund für die Frist sein kann. Die Promiskuität entspricht dem gewöhnlichen Verhalten eines Fremden in den Augen der Rabbinen, was sie gemeinsam mit Sklaven, die befreit wurden, zu untauglichen Personen macht. Diese Eigenschaften, die Proselyten als Fremde zugeschrieben werden, bestätigen ihre Außenseiterposition in der Gemeinschaft Israels. In 4,15/2-3 wird über das Kind von einer Israelitin und einem Fremden debattiert:                    .                  .                      ‘   .   ‘             .   500 .          Hat ein „Goy“ oder ein Sklave mit einer Israelitin sexuellen Verkehr, bringt sie ein legitimes Kind zur Welt. Wenn [das Kind] weiblich ist, stimmen sie überein, dass es für die Priesterkaste nicht in Frage kommt. Einer kam zu Rav und sagte: [wie ist es, wenn] die Söhne von dem Mann dieser Mutter von einem Aramäer stammen? Er sagte, sie sind legitim. Zu ihm sagte Rav Hamah bar Guria, nimm deine Füße in die Hand, bevor Shmuel kommt und dich für bemakelt erklärt. Auch wenn Rav sagte, 499 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 202, versteht das „ ” als rückbezügliche Zeitangabe. Dies lässt sich aber nur über den Kontext erschließen. Für Fremde gelten die Gesetze der Unreinheit nicht, und dennoch ist die Frage, was im Fall der Proselytin geschieht. Die Wartezeit von drei Monaten reflektiert dieses Problem, dass für eine konvertierte Fremde die jüdischen Reinheitsgebote gelten. In bT A“Z 36b wird beschlossen, dass die Töchter von Fremden im allgemeinen als menstruierend gelten. 500 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

224

dass ein „Goy“ oder ein Sklave, der mit einer Israelitin sexuellen Verkehr hatte, diese ein legitimes Kind zur Welt bringt, sind sie sich darüber einig, dass ein weibliches Kind für die Priesterkaste nicht in Frage kommt.

Diese Entscheidung bildet freilich nur eine Meinung in diesem Fall ab, denn schließlich wird in yT 7,6/2 entschieden, dass dieses Kind den Status eines Mischlings [ ] hat. Wichtig scheint, dass trotz dieser Entscheidung das weibliche Kind nicht zur Heirat mit einem Priester freigegeben wird. Damit ist die soziale Hierarchie grundsätzlich gewahrt, auch wenn sich die Rabbinen in yT offenbar nicht einig sind, was den sozialen Status des Nachwuchses betrifft beziehungsweise welchen terminologischen Stellenwert der Begriff des „Mamser“ hat. Weiter an dieser Stelle wird in yT 4,15/5 über die Ausrottung des Inzest gehandelt und folgende Analogie gezogen:                                         [...] 501 .  R. Yose im Namen von R. anina sagte, die Lehre „ein Ort, an dem der fremde Dienst abgeschafft wurde“ wurde gegeben, um über alle, die von der Ausrottung betroffen sind, zu lehren. [...] Der fremde Dienst wurde herausgegriffen, um zu lehren, wer zu einem Opfer verpflichtet ist. Was ist dazu zu sagen? Hier sind alle Inzestverbote in Bezug auf den „Mamser“ zusammengenommen.

Wie in bT Schabbat besteht zwischen dem fremden Dienst und dem Gebot der Ausrottung ein Zusammenhang. Der Verstoss gegen das Inzestverbot lässt sich auch in diesem Fall am fremden Dienst messen. Zuletzt kann sogar die Zeugung eines Mischlings in diese Kategorie integriert werden. So ist die Zeugung eines fremden Kinds mit dem fremden Dienst über das Strafmaß vergleichbar.502 In Analogie dazu wird in bT der Status des Proselyten definiert und die Diskussion um einige Aspekte bereichert.503 Zu Beginn wird in bT 37a der Entwurf einer sozialen Hierarchie vorgestellt: 501 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 502 Alle Übertretungen wie Inzest, fremder Dienst und der interethnische Geschlechtsverkehr haben etwas Fremdes an sich. Diese Fremdheit drückt sich auch durch die stereotype Wahrnehmung aus; M. Satlow, Fictional Woman: A Study in Stereotypes, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, 243. 503 Dafür ist auch die Entwicklung des Begriffs „Ger“ verantwortlich zu machen; J. Kulp, The Participation of a Court in the Jewish Conversion Process, in: JQR 94, 2004, 457-458.

225

                   504 .       Hillel lehrte, dass zehn Kasten aus Babylonien zurückgekehrt sind: Priester, Leviten, Israeliten, Entweihte, „Gerim“, Freigelassene, „Mamserim“, „Netinim“, Stumme und Findlinge, und alle sind sich untereinander erlaubt.

Diese zehn „Kasten“ [   ] oder besser „Genealogien“ beziehen sich auf die Rückkehr Israels aus dem Exil in Esra 2.505 Die Rabbinen erstellen eine Liste, die Priester, Leviten, Israeliten und Proselyten in eine soziale Hierarchie einbettet. Begriffe wie „  “ und „ “ verraten, dass es sowohl um Kategorien geht, die sich auf den Sachverhalt der Schwagerehe beziehen, als auch um „Gerim“. Entscheidend ist die Erlaubnis untereinander zu heiraten. Die Fremden sind nur als „Gerim“ Teil dieser Hierarchie. Dadurch wird eine soziale Hierarchie genormt, in der Fremde in die Gesellschaft integriert werden können.506 In bT 42a wird die Halacha wiederholt, nach der Proselyten drei Monate nach ihrer Konversion bis zur Zeugung eines Kindes warten müssen.507 Auf diese Weise lässt sich zwischen dem legitimen beziehungsweise illegitimen Nachwuchs unterscheiden. Der Zeitpunkt der Eheschließung gibt den Ausschlag, ob das Kind ein Mischling ist oder nicht, je nach dem, ob die Eltern bereits übergetreten waren. In bT 44b wird der Lehrsatz wiederholt, dass ein Sklave oder ein Fremder, der einer Israelitin beiwohnt, einen „Mamser“ zeugt.508 Eine Erklärung findet sich in bT 45a:                          ‘                ‘             ‘ ‘  .      ‘              

504 Hier übereinstimmend in MS München 95 und MS Oxford Opp 248. 505 Anhand Esra 2 konstruieren die Rabbinen das Heiratsverbot zwischen den Kasten, das sich aus dem Kontext des Buchs Esra ergibt. Vgl. C. Hayes, Inter-marriage and Impurity in Ancient Jewish Sources, in: HTR 92:1, 1999, 10. 506 Vgl. die Belegstellen in mQid 4,1 und yT Qid 4,1/4. Dort wird die Verheiratung der Kasten allerdings restriktiv gehandhabt. 507 L. Goldschmidt, Jabmuth, 454. 508 L. Goldschmidt, Jabmuth, 463. Hier ist die Überlieferung unsicher. In MS München 95 und Pisaro steht „Goy“, in MS Oxford Opp 248 „ “. Dem Verlauf folgend ist hier wohl „Goy“ richtig.

226

Shimon der Temanite sagt: ein „Mamser“ kommt nicht von einer verbotenen, unzulässigen [Person]. Dies trifft nur auf die verbotenen, unzulässigen [Personen] zu, deren Heirat legitim ist. Aber diejenigen, deren Heirat illegitim ist, gleichen denjenigen, die mit der Ausrottung bestraft werden. R. Shimon ben Yehud sagt im Namen R. Shimons: Wenn ein „Goy“ und ein Sklave mit einer Israelitin sexuell verkehren, gebiert sie einen „Mamser“. Und die Weisen sagen: Sie gebiert keinen „Mamser“, nur eine verbotene [Person], die wegen der Schande verboten ist und mit der Strafe der Ausrottung belegt ist. R. Yoseph sagte, dass darin alle übereinstimmen.509

Vergleichbar mit dem oben angeführten Diskurs in yT 4,15/2-5 kreist die Diskussion um den Standpunkt, inwiefern das Kind von Fremden ein Mischling ist. Diese Ambivalenz wird zugunsten der Halacha entschieden, das Kind von Fremden als „Mamser“ zu deklarieren.510 Der Vergleich der Lehrsätze ist auch ein Vergleich der Begriffe auf terminologischer Ebene. Wie in yT wird Rav die Meinung zugeschrieben, dass ein Kind von einem Fremden oder einem Sklaven tauglich ist. Die folgende Diskussion in bT 45a legt fest: ‘    ‘                     ’’         .            Im Namen unseres Meisters sagten sie: Wenn ein „Goy“ und ein Sklave mit einer Israelitin sexuell verkehren, gebiert sie einen „Mamser“. R. Yehoshua ben Levi sagt, sie bringt ein [Kind] zur Welt, dessen [Status] makelhaft ist. Weshalb ist es für die Gemeinde makelhaft? R. Yehoshua ben Levi sagte doch, sie bringt ein legitimes [Kind] zur Welt? Vielmehr gilt dies für den Priesterstand. Und alle Amoräer stimmen überein, dass sie ein nicht standesgemäßes Kind zur Welt bringt, dass für den Priesterstand ungeeignet ist.511

So ist das Kind für die priesterliche Hierarchie bemakelt, aber nicht unbedingt für Israel. Die Ursache für den Makel ist die Untauglichkeit der Fremden. Fremde Personen sind nicht ohne weiteres mit den kulturellen Normen Israels kompatibel. So wird überliefert, dass sie keine Witwenschaft

509 Hier nach MS München 95; geringfügige Abweichungen finden sich in MS Oxford Opp 248. 510 Damit wird die Integration von Kindern aus Mischehen abgelehnt; S. J. D Cohen, Crossing the Boundary and Becoming a Jew, in HTR 82:1 1989, 25. 511 Hier stimmen MS München 95 und MS Oxford Opp 248 überein.

227

und Scheidung hätten, doch vielmehr haben sie keine vergleichbare Scheidung im Sinne der Rabbinen.512 Grundsätzlich empfehlen R. Yehuda und Rabba, keine Mischehe mit Fremden einzugehen.513 In bT 45b wird hinzugefügt, dass die Verlobung von Fremden und Sklaven keine Gültigkeit hat und damit nicht vergleichbar mit dem System Israels ist.514 So sind Fremde [ ] auf legalem Weg nicht integrierbar und kommen für eine Mischehe nicht in Betracht. Deshalb wird der Frage große Bedeutung geschenkt, welchen Status das Kind aus einer solchen Verbindung hat. Immer wieder tauchen Bemerkungen auf, die das Kind für tauglich erklären; offenbar, um Kinder aus diesen Verbindungen zu integrieren oder „anzueignen“. In bT 46a geht es um die Aneignung von Sklaven und Nichtjuden unter der Prämisse von Levitikus 25,45:515                                                                516                     .             R. Saja sagte: Dies gilt nur, wenn man einen Sklaven von einem „Goy“ kauft. Wenn man aber den „Goy“ selbst [kauft], hat man ihn erworben. Es steht geschrieben: Und auch die Söhne der Halbbürger, die bei euch wohnen, dürft ihr erwerben (Lev 25,45). Ihr dürft sie erwerben, aber sie dürfen euch nicht erwerben. Genauso wenig können sie sich selbst erwerben. Weshalb dürfen sie euch nicht kaufen? Wenn durch das Vermögen der Hände, weshalb erwirbt ein „Goy“ einen Isrealiten nicht durch das Vermögen der Hände? Es steht geschrieben: einen Nachkommen aus dem Geschlecht der „Gerim“. (Lev 25,47). Und der Meister sagte: unter Geschlecht der 512 Vgl. bT 45a; L. Goldschmidt, Jabmuth, 465: „[...] ausgenommen ein Nichtjude [ ] oder ein Sklave, bei denen es keine Witwenschaft und keine Scheidung gibt.“ 513 Vgl. bT 45a; L. Goldschmidt, Jabmuth, 465: „Wenn ein solcher vor R. Jehuda kam, sprach er zu ihm: Geh und verbirg dich, oder nimm eine deinesgleichen. Wenn ein solcher vor Rabba kam, sprach er zu ihm: Entweder wandere aus, oder nimm eine deinesgleichen.“ Die Empfehlung auszuwandern bezieht sich wohl auf die Einschätzung, dass es keine soziale Akzeptanz für diese Verbindungen gibt. 514 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 466. Hier ausschließlich nach MS Oxford Opp 248, da MS München 95 lückenhaft überliefert ist. 515 Vgl. Lev 25,44f: „Willst du aber leibeigene Knechte und Mägde haben, so sollst du sie kaufen von den Heiden, die um euch her sind. Ihr könnt sie auch kaufen von den Kindern der Beisaßen, die sich bei euch aufhalten, und von ihren Geschlechtern bei euch, die in eurem Lande geboren sind; dieselben sollt ihr zu eigen haben, [...].“ 516 Da dieser Abschnitt in Mün. 95 fehlt, aber in MS Oxford Opp 248 zu finden ist, könnte er später einfügt worden sein.

228

„Gerim“ sei ein „Goy“ zu verstehen. Doch wohl die Person; und der Barmherzige sagt: ihr dürft sie erwerben, auch die Person.517

Es wird differenziert, dass man zwar Fremde selbst [ ] kaufen kann, diese aber wegen ihres unterlegenen Status keine Israeliten erwerben können. Auf der terminologischen Ebene ist zu beobachten, das „Goy“ und „Ger“ sich im Aspekt des „Toschav“, des Beisassen, überschneiden, denn die Fremden befinden sich in der Nähe Israels. Anhand der Thematik des Sklavenkaufs zeigt sich, dass auch der Begriff „Ger“ den Aspekt des Fremdseins in sich trägt.518 Der Proselyt steht an der Grenze zwischen dem Fremden und dem Israeliten. Deshalb besteht in bT 46a Klärungsbedarf an dieser Grenze:519                   ‘                  

      ’’  ’         ‘                            ’’    ’’     ’            ’’           520 .   R. Hija b. Abba ging einst nach Gabla und sah, dass Töchter Israels von beschnittenen und nicht untergetauchten „Goyim“ geschwängert wurden. Er sah, dass „Goyim“ Wein verschnitten und Israeliten ihn tranken. Er sah, dass Lupinen von Goyim gekocht wurden und Israeliten sie aßen. Und er sagte zu ihnen nichts. Als er zu R. Yoanan kam, sagte er ihm: Geh und kläre sie auf, dass ihre Kinder „Mamserim“ sind, ihr Wein Wein für die Libation ist und über ihre [von „Goyim“ gekochten] Lupinen, weil sie die Tora nicht kennen. Das ihre Kinder „Mamserim“ sind: Nach der Meinung R. Yoanans, denn R. Hijja b. Abba sagte im Namen R. Yoanans: Er ist solange kein „Ger“, bis er beschnitten und untergetaucht wurde. Ist er nicht untergetaucht, gilt er als „Goy“. R. Yoanan sagte: wenn ein „Goy“ oder ein Sklave, die mit einer Israelitin geschlafen haben, gebiert sie einen „Mamser“.

Mit diesen Halachot werden die Grundsätze der Fremdbeschreibung dargelegt, die mit dem Katalog der achtzehn Bestimmungen im Traktat Schab517 Hier insgesamt nach MS München 95. 518 Insofern gehören beide Begriffe zu den zentralen Grundbegriffen der Fremdbeschreibung; C. Hayes, The „Other“ in Rabbinic Literature, in: C. E. Fonrobert, The Talmud and Rabbinic Literature, 53-55. 519 Vgl. bT A“Z 59a. Diese Episode über R. Hija b. Abba wird dort auf die gleiche Weise überliefert. 520 Entsprechend MS München 95. In MS Oxford Opp 248 findet sich bis auf kleine Abweichungen der gleiche Inhalt.

229

bat verglichen werden können.521 Fremde müssen beschnitten und untergetaucht sein, um den Status des „Ger“ zu erhalten und zur Ehe mit Israelitinnen zugelassen werden. Verschnittener Wein, der Libationswein für den fremden Dienst sein könnte, und gekochte Speisen von Fremden sind wegen der möglichen Verunreinigung verboten. So sind die Fremden von Israel durch die Differenz der sozialen Lebensbereiche, nämlich Partnerschaft und Speisen, getrennt.522 Die Konversion markiert als Handlung eine Grenze, die in bT 46a genauer definiert wird:           ’   ‘                   ’  ’    

523 .              ’    Die Rabbanan lehrten: ein „Ger“, der beschnitten wurde, aber nicht untergetaucht ist: R. Eliezer sagt, er ist ein Proselyt [„Ger“], denn dies finden wir bei unseren Vorvätern, die beschnitten waren, aber nicht untergetaucht. Ist er untergetaucht und nicht beschnitten: R. Yehoshua sagt, er ist ein Proselyt [„Ger“], denn dies finden wir bei unseren Stammüttern, die untergetaucht waren, aber nicht beschnitten. Die Weisen sagen, wenn er untergetaucht und nicht beschnitten worden oder beschnitten worden und nicht untergetaucht ist, ist er kein Proselyt [„Ger“], bis er beschnitten und untergetaucht ist.

Auf diese Weise wird entschieden, das für die Konversion das Untertauchen [ ] und die Beschneidung [ ] notwendig sind. Weiterhin wird entschieden, das dies keine traditionellen Voraussetzungen sind, sondern der Proselyt seinen Status erst erhält, wenn er beschnitten und untergetaucht ist. Im folgenden werden Details einer Zeremonie vorgelegt, die über die Vorlage in yT hinausgehen.524 Ob der Proselyt am Schabbat beschnitten werden darf, erzeugt einige Uneinigkeit, während die Voraussetzungen, das Untertauchen und die Beschneidung, verbindlich sind. In bT 46b wird festgelegt, dass für eine Konversion drei Personen benötigt werden, Beschneidung und 521 Vgl. Kapitel 2.3.1. Dort strukturieren diese achtzehn Bestimmungen zu Speisen und Flüssigkeiten einen Katalog der Beziehungen zu Fremden. 522 Dies entspricht den Vorstellungen von S. Stern, Jewish Identity, 165. 523 Hier nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248. 524 Die genaue Abhandlung der Konversion in bT Jeb, die gekürzt ist, findet sich bei S. J. D. Cohen. Dort wird der gesamte Abschnitt mit dem späteren Traktat „Gerim“ verglichen, woran deutlich wird, dass in bT die Vorlage noch einige Unsicherheit im Zeremoniell aufweist. Offensichtlich wurde die Konversion bis zum frühen Mittelalter beständig weiterentwickelt; Ders., The Rabbinic Conversion Ceremony, in: JJS 41, 1990, 177-186.

230

Untertauchen zum Ritual gehören und die Zeremonie nicht nachts stattfinden darf.525 Diese drei Regeln geben der Konversion einen legalen Rahmen und standardisieren die Handlung. Die Anwesenheit der Zeugen ist wichtig, da sie den Übertritt bestätigen, und die Konversion darf nicht nachts stattfinden, weil das Gericht grundsätzlich nachts keine Entscheidungen trifft.526 Weiter ist für die Zeremonie die Nähe zu einer Gemeinde Israels wichtig, wie bT 46b bis 47a zeigt:          ’’         ’’      ’’            ’’    ’’          ’’                    ’      .    Die Rabbanan lehrten: Wenn jemand kommt und sagt, ich bin ein „Ger“, um ihn aufzunehmen, so heißt es: mit dir, damit man dich kennenlernt. Wenn er kommt und Zeugen mitbringt, heißt es: der „Ger“, der mit dir in deinem Land wohnt (Lev 19,33). Ich weiß nur vom Land [Israel], wie ist es mit dem Ausland? Es heißt: mit dir, an jedem Ort, an dem er bei dir ist. Warum heißt es „im Land“? Im Land muss er einen Bürgen bringen, im Ausland muss er keinen Bürgen bringen; nach den Worten von R. Yehuda. Und die Weisen sagen, sowohl im Land als auch im Ausland müsse er einen Bürgen bringen.527

Die Kategorie des fremden Orts wird verwendet, um Nähe und Ferne der Proselyten zu Israel abzumessen. Ein „Ger“ ist derjenige, der Beisasse ist [     ] und der mit der Gemeinschaft Israels lebt. Gerade die Nähe zum Land symbolisiert die Nähe zur Gemeinschaft. Es dürfen nicht gänzlich Unbekannte konvertieren, und die Zeugen müssen den guten Willen bekräftigen. Die Rabbinen argumentieren, dass Proselyten wegen des Reichtums des Landes Israel konvertieren könnten oder wegen der Gesetze, die Proselyten eine soziale Unterstützung garantieren.528 So sind die Motive 525 Belegt in MS München 95 und MS Oxford Opp 248. 526 Auch in yT 8,1/8 wird die Konversion zur Nachtzeit verboten. H. W. Guggenheimer versteht diese Halacha über ihren Kontext. Ders., The Jerusalem Talmud, 321. Jedenfalls darf ein Gericht nicht nachts urteilen und dementsprechend keine Konversion vornehmen. Deshalb darf auch die Beschneidung nicht nachts stattfinden. Weiter wird in bT Shab 132a bestimmt, dass Opfer am Tag und nicht in der Nacht darzubringen sind. 527 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 471-472. Entsprechend MS München 95; MS Oxford Opp 248 ist ähnlich und weicht nur in der Wortwahl ab. 528 Vgl. bT 47a, L. Goldschmidt, Jabmuth, 472: „Dies deutet darauf hin, dass man auch

231

für die Konversion entscheidend und die Zeugenaussage, die einer Bürgschaft gleicht. Weiter in bT 47a wird beschlossen:               ’’    ‘ ’’         ’’       ‘ ‘   .               ’’   R. Yehuda sagte: ein „Ger,“ der vor dem Gericht konvertierte, ist ein „Ger.“ Und wenn nur für sich selbst, dann sei er kein „Ger.“ Eine Episode von einem, der einst vor R. Yehuda kam und sagte: Ich bin für mich selbst konvertiert. Er sagte zu ihm: Hast du Zeugen? Der sagte: Nein. Hast du Kinder, sagte er weiter. Der sagte: Ja. Da sagte er zu ihm: Du bist glaubwürdig, dich selbst zu bemakeln, aber nicht deine Kinder zu bemakeln.529

Die Zeugenaussage eines Proselyten ist vor seiner Konversion unverbindlich, weil er zu diesem Zeitpunkt noch ein Fremder [ ] ist. Fremden wird in diesem Fall kein gültiges Zeugnis attestiert, das für die Zeremonie aber notwendig ist.530 Die Konversion wirft stets die Frage nach dem Status der Kinder auf. So ist für die Konversion auf jeden Fall ein Israelit notwendig, der dem Kandidaten einige Fragen über seine Gesinnung stellen muss:                  .                Die Rabbanan lehrten: Zu dem „Ger“, der konvertieren möchte, spricht man: Warum willst du konvertieren? Weißt du denn nicht, dass in dieser Zeit die Israeliten leiden, gestossen, gedemütigt und gequält werden?531

Nur wenn dem Proselyten diese Umstände bewusst sind, darf er aufgenommen werden. Es werden weitere dringliche Fragen gestellt und die Gesinnung geprüft, die selbstlose Motive beinhalten muss. Nur wenn sich der

im Land Proselyten [ ] aufnehme; man könnte annehmen, dass sie nur wegen des Wohlstands des Israellands, und auch jetzt, wo es keinen Wohlstand gibt, wegen der Nachlese, des Vergessenen, des Eckenlasses und des Armenzehntes Proselyten [ ] werden, so lehrt er uns.“ 529 Hier nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248. 530 Die Zeugenaussage markiert hier die Grenze zwischen Fremden und Proselyten. Proselyten wird kein Zeugnis attestiert, da sie eben noch Fremde sind. 531 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 473. Hier nach MS München 95, in MS Oxford Opp 248 bestehen nur geringe Abweichungen.

232

Proselyt für unwürdig hält, darf er in die Gemeinschaft Israels aufgenommen werden. Nach bT 47b muss jeder Proselyten belehrt werden:     ’’            .          ’’ Und man klärt ihn über einige der leichteren und einige der schwereren Gebote auf. Aus welchem Grund? Wenn er zurücktreten will, soll er zurücktreten. R. Helbo sagte, „Gerim“ sind für Israel unangenehm wie ein Ausschlag.532

Es wird auf diese Weise kein Zwang zur Konversion ausgeübt, sondern große Zurückhaltung, die sich durch das Zitat R. Helbos ausdrückt. Weiterhin ist der Proselyt mit einigen leichten und einigen schweren Geboten vertraut zu machen und wird darauf aufmerksam gemacht, dass der fremde Dienst, die „Avoda Zara“, verboten ist.533 Insgesamt lassen diese ausführlichen Details darauf schließen, dass die Konversion als Zeremonie in bT relativ weit entwickelt ist und im Gegensatz zu yT als Zeremonie geschildert wird.534 Die Aneignung von Fremden wirft die Frage auf, inwiefern sie regulär in die Gemeinschaft aufgenommen werden können. Deshalb wird in bT 48a gelehrt, dass dem Proselyten und dem von Fremden [ ] gekauften Sklaven die Konversion erteilt werden muss.535 Die Unterschiede, die im folgenden diskutiert werden, haben zum Ziel, keinen Fremden in der Nähe Israels wohnen zu lassen. Deshalb ist auch die Beziehung des Proselyten zu seinen Eltern in bT 48b von Bedeutung:       ‘   ’         ’’      ’   ’’     ‘   ’   .’ Die Rabbanan lehrten: Sie beweine ihren Vater und ihre Mutter (Dtn 21,13). R. Eliezer sagt, unter „Vater“ ist ihr wirklicher Vater und unter „Mutter“ ihre wirkliche

532 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 474. Hier nach MS München 95, in MS Oxford Opp 248 ist die Stelle nur lückenhaft überliefert. Die Stelle in Klammern findet sich nur in MS Wilna. 533 Es wird explizit darauf Wert gelegt, dass dem “Ger“ die „Avoda Zara“ verboten ist. Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 475. 534 Nach Goodman reagieren die Rabbinen auf die Mission der Christen; M. Goodman, Proselytising in Rabbinic Judaism, in: JJS 40 1989, 185. 535 L. Goldschmidt, Jabmuth, 476. Hier zufolge MS München 95, da in MS Oxford Opp 248 jeweils nur „ “ überliefert wird.

233

Mutter zu verstehen. R. Aqiba sagt, mit „Vater“ und „Mutter“ ist der fremde Dienst gemeint, wie es heißt: die zum Holz sagen: du bist mein Vater usw. (Dtn 21,13).536

Die problematische Abstammung der Proselyten führt zu der Ambivalenz, dass zum einen die biologischen Eltern, und zum anderen die fremden Kulte, die kulturelle Herkunft, gemeint sein können. Die Konversion verändert damit den sozialen Status eines Proselyten im Hinblick auf seine Herkunft. Im Kontext der Debatte um den Status von Sklaven wird in bT 48b definiert:                    .                Und der „Ger“ (Ex 23,12), das ist der „Ger Toschav.“ Du sagst: der „Ger Toschav“, vielleicht ist es der „Ger edeq“? Wie geschrieben steht: und dein „Ger“ in deinen Toren (Dtn 5,14). Dies ist der „Ger edeq“. Und wie kann ich es in Überstimmung bringen: der „Ger“ ist der „Ger Toschav.“537

Die terminologische Unterscheidung des „Ger Toschav“ und des „Ger edeq“ betont einen Unterschied zwischen dem „Ger“, der in Israel lebt und dem „Ger“, der konvertiert und ein echter Proselyt wird.538 Die Differenzierung des Begriffs vom Fremden zum Proselyten lässt auf diese Weise mehrere Abstufungen zu.539 In der rabbinischen Terminologie wird der Begriff zwar vordringlich in der Bedeutung des Proselyten verwendet, aber die Autoren sind sich offensichtlich der Ambivalenz des Terminus „Ger“ bewusst. Diese Facetten, die aus der Tora übernommen werden, veranschaulichen die inhaltliche Ambivalenz des Proselyten, der zugleich ein

536 L. Goldschmidt, Jabmuth, 477. Hier nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248. 537 L. Goldschmidt, Jabmuth, 478, übersetzt hier die Begriffe mit „Beisassproselyt“ und „wirklicher Proselyt“. Diese Deutung wird aber dem Wortspiel mit dem Begriff „ “ nicht gerecht. Hier nach MS Oxford Opp 248, in MS München 95 leicht verändert. 538 Der Begriff „ “ steht in einem rhetorischem Zusammenhang mit anderen Termini wie „  “ etc.; M. Goodman, Mission and Conversion, 113. Somit bezeichnen diese Begriffe Zwischenstufen vom Fremden zu einem Proselyten. 539 Dies lässt sich bei M. Goodman nachvollziehen; Ders., Proselytising in Rabbinic Judaism, JJS 40, 1989, 181: „Rabbis did in general assume that a gentile living within a Jewish community [...] is a potential convert (in halakhic terms, that a   is a potential  , cf. bAb. Zar. 65a) [...].“

234

Fremder ist.540 Proselyten sind im Gegensatz zu Fremden teilweise integriert. Deshalb müssen fremde Sklaven, die sich nicht beschneiden lassen, nach einer Frist von zwölf Monaten verkauft werden. Über diese Sklaven wird in bT 48b bestimmt, dass man sie nicht im Land Israel halte, weil sie reine Dinge verunreinigen könnten. In der Nähe der Grenze könnten Sklaven Geheimnisse ihren fremden Freunden [    ] weitererzählen.541 Es lässt sich folgern, dass Fremde als Sklaven nicht im Land und in der Nähe Israels wegen der möglichen Verunreinigung und mangelnder Loyalität geduldet werden sollten. Das Land Israel muss als Bezugspunkt der Gemeinschaft vor fremden Einflüssen geschützt werden. Deshalb heißt es in bT 48b:                             ‘  ‘         ’            542 .      Weshalb werden die „Gerim“ zu dieser Zeit unterdrückt und von Leiden heimgesucht? Weil sie die sieben Gebote, die die Söhne Noahs erhielten, nicht gehalten haben. R. Yose sagt: ein „Ger“, der konvertiert, gleicht einem neugeborenen Kind. Sie werden deshalb unterdrückt, weil sie die Einzelheiten der Gebote nicht kennen. Abba anan sagt im Namen R. Eleazars: Weil sie [die Gebote] nicht aus Liebe, sondern aus Furcht befolgen.

Durch die noaidischen Gebote wird ein gemeinsamer rechtlicher Rahmen zwischen Israel und den Fremden gespannt. Diese Gebote gelten als grundlegende ethische Übereinkunft.543 Proselyten müssen mindestens diese Gebote einzuhalten, die das Verbot des fremden Diensts beinhalten. Obwohl Proselyten einen völlig unbelasteten Status haben, sind sie den Israeliten nicht gleichzustellen, was die Kenntnis der Gebote anbelangt. Auch die 540 V. Haarmann unterscheidet zwischen den „Gerei Toschav“ und den „Gerei edeq“, je nach dem, wie und wo sie den Gott Israels verehren. Somit nehmen diese Fremden für Haarmann einen Zwischenstatus ein; Ders., Proselyten und „Gerechte aus den Völkern“. Zwei rabbinische Kategorien der Akzeptanz von Nichtisraeliten, in: Trumah 13, 2003, 165-168. 541 Nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248. 542 Hier nach MS München 95, in MS Oxford Opp 248 leicht verändert. 543 Es geht um die sieben noaidischen Gebote, die in der rabbinischen Literatur ein ethisches Grundgesetz für die gesamte Menschheit darstellen; vgl. R. Loewe, Gentiles As Seen by Jews After CE 70, in: W. Horbury, The Cambridge History of Judaism, 262-263.

235

Intention der Proselyten ist nicht immer angemessen, weshalb in den Augen der Rabbinen einen schlechten Stand haben. Hier wird nochmals der prekäre Status der Proselyten betont. Der dritte Abschnitt dieses Kapitels befasst sich mit Belegstellen zu Mischna 5,1 und 6,1. In yT 5,1/5 wird dabei erneut das Motiv der Schwagerehe aufgegriffen:

   .           .         544 .        Es steht geschrieben: Und sie soll keinem fremden Mann angetraut sein (Deut 25,5). Was haben wir davon? Wenn er mit ihr sexuell verkehrte, ist sie seine Frau. Wenn er die alya an ihr vollzog, darf sie einen fremden Mann heiraten [der kein Familienmitglied ist].

Es wird wiederholt, dass die Frau nicht einem fremden Mann angehören sollte. Das Ritual der alyah ist dabei ein Maßstab, wer zur Familie gehört. Die Autoren vertreten eine bestimmte Hierarchie, die in yT allerdings nicht so explizit formuliert ist wie in bT. In yT 6,3/1 wird als Grund die priesterliche Hierarchie angegeben:      .    ‘     .                   .     ’   ‘  

545 .    .   ‘     .  Wenn ein Mädchen mit einem Mann verlobt wird (Dtn 22,23). Sowie das „wird“ hier für die Verlobung verwendet wird, so auch dort für die Verlobung. Was ist der Grund R. Leazars und R. Simeons? „Wird“ ist hier erwähnt und dort erwähnt: Wenn die Priestertochter einem fremden Mann angetraut wird (Lev 22,12). So wie das „wird“ dort die Verheiratung bedeutet, so bedeutet es auch hier die Verheiratung.

Da es kein Sein [ ] bei einem Fremden gibt, sind Ehen zwischen Priestern und Israeliten offenbar nicht erwünscht. Bei einer Priestertochter, die nicht standesgemäß mit einem Israeliten verheiratet ist, kommt die Hierarchie zum Tragen. Mehr als in bT wird das Kastensystem der Tempelgesellschaft favorisiert. Clanfremde sind deshalb fremde Personen, die für Israeliten nicht standesgemäß sind. In bT wird diese Hierarchie allerdings aufgelockert. Ein Beispiel bietet dafür ein Kommentar zu Mischna 6,1, der die Thematik von verstümmelten 544 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 545 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

236

Priestern aufgreift. In bT 57a geht es um die Frage, ob dieser verstümmelte Priester nach der Heirat mit der Tochter eines Proselyten berechtigt ist, das Opfer zu genießen:   ‘             ‘ ‘          ’            ‘                .      Nach R. Yehuda: ob er den [Status der] Heiligkeit behält oder nicht den [Status der] Heiligkeit behält, darf sie nicht [die Hebe] essen. Behält er den [Status der] Heiligkeit, darf sie nicht [die Hebe] essen. Es wird gesagt: die Tochter eines männlichen „Ger“ gleicht der Tochter eines männlichen Entweihten. Und wenn er den [Status der] Heiligkeit nicht behält, darf sie nicht essen, denn es wird gesagt: die Tochter eines „Ger“, der eine „Gioret“ geheiratet hat, dürfen in die Priesterschaft [heiraten]. Und wenn er den [Status der] Heiligkeit nicht behält, darf sie nicht essen, denn die Kaste der „Gerim“ wird „Kaste“ genannt.546

Der Terminologie zufolge ist fraglich, ob der „Ger“ einem männlichen Entweihten [ ] gleicht oder nicht. Wenn das der Fall ist, gehört der „Ger“ einer eigenen Kaste [] an. Natürlich besteht auch die gegenteilige Auffassung, dass die Proselyten keiner Kaste angehören. Dies hat zur Folge, dass die Tochter eines Prosleyten die Hebe essen darf. Es geht somit um die Frage, welche Bedeutung diese gesellschaftliche Hierarchie hat. Offenbar gibt es Einwände gegen diese traditionelle Ordnung, die in bT 37a formuliert werden.547 Eine weitere Meinung besagt, dass die Tochter eines Proselyten nur dann einen Priester heiraten darf, wenn ihre Mutter Israelitin ist. In bT 60b wird einer Proselytin unter drei Jahren und einem Tag ein Priester erlaubt, weil sie sich noch nicht durch Geschlechtsverkehr verunreinigt hat.548 Insgesamt wird der priesterlichen Hierarchie in der rabbinischen Literatur viel Beachtung geschenkt, wohl unter anderem deshalb, um der Fremdbeschrei-

546 Hier nach MS München 95; in MS Oxford Opp 248 fehlt der dritte Vers und „Mar“ wird erwähnt. 547 Allerdings wird nicht „  “, sondern „“ verwendet, was einen terminologischen Unterschied macht. Während der „ “ sich auf die genealogische Verwandtschaft bezieht, ist die „“ wohl mit „Kaste“ zu interpretieren; vgl. M. Jastrow, Dictionary of the Targumim, 1322. 548 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 521.

237

bung einen klaren Rahmen zu geben.549 In bT 61a wird die Menschheit auf folgende Weise in Kategorien eingeteilt:                                     .  Die Gräber der „Goyim“ verunreinigen nicht durch Berührung, denn es heißt: ihr seid meine Herde, die Schafe meiner Weide, ihr seid Menschen (Ez 34,31). Ihr werdet „Menschen“ genannt; die Völker der Welt aber heißen nicht Menschen. Man wandte ein: und sechzehntausend Menschenseelen? (Num 31,40)? Wegen des Viehs.550

Da die Verunreinigung nach den Kriterien der Tora nur die Israeliten betrifft, können sich diejenigen nicht verunreinigen, die nicht zu Israel gehören. Darüber hinaus wird an dieser Stelle den Fremden der Status des Menschseins abgesprochen; allerdings nicht grundsätzlich, sondern in Bezug auf die Reinheitsgebote, die für Israel gelten.551 Die terminologische Überschneidung von „Goyim“ und weltlichen Völkern [ ] veranschaulicht eine gewisse Ambiguität, die die Terminologie der Fremdbeschreibung zwischen Clanfremdheit und theologisch fundierter Fremdheit auszeichnet.

3.3.6 Verschiedene Motive einer sozialen Hierarchie: Von Mischna 6,5 bis 7,5 In diesem Kapitel werden Mischna 6,5 und weitere Belegstellen bis Mischna 7,5 formal verglichen. Wie in den vorigen Kapiteln lassen sich weitere Details zur Konversion und zur sozialen Hierarchie Israels finden. Diese Details gewinnen im Vergleich zur Mischna wesentlich an Bedeutung. In Mischna Jebamot 6,5 wird die Proselytin mit der Prostituierten gleichgesetzt. Die Belegstelle yT 6,5/1 bietet dazu folgende Auslegung:

549 Vgl. G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 213: „[...] differentiating between native-born Israelites and converts in the context of Temple worship points to fundamental difference between these two groups within the People Israel.“ 550 Hier nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248. 551 Weiter zu dieser Stelle und der Definition der Menschen vgl. M. Smith, On the Shape of God and the Humanity of Gentiles, in: S. Cohen, Studies in the Cult of Yahweh. Vol 1. Studies in Historical Method, Ancient Israel, Ancient Judaism, 156-157.

238

    .    .                              552 .       Sollte das heißen, dass ein Israelit ohne Frau und Kinder sie heiraten darf? Sie ist immer noch verboten. Aber wir haben im Anschluss gelehrt: Eine Prostituierte nach den Worten der Tora kann nur eine „Gioret“ sein, oder eine Freigelassene oder eine, die sich in Unzucht prostituiert hat. All dies bezieht sich nur auf den bemakelten Priester, weshalb es [an dieser Stelle] nicht gelehrt wird.

Diese Belegstelle handelt ausschließlich von Heiratsverboten der einfachen Priester [   ]. Die Proselytin, die Freigelassenen und die Hure sind dementsprechend einem Priester verboten, und deshalb gilt dieses Gebot nur für Priester. Durch diesen Fall wird deutlich, dass eine soziale Ordnung in Israel existiert, die auf Heiratsbeschränkungen zwischen den Kasten beruht.553 Die Proselytin wird häufig mit einer Sklavin verglichen, weil sie den gleichen sozialen Status einnimmt. Weiter wird in bT 61b wird festgestellt, dass die Hure nur Priestern und nicht Israeliten verboten ist. Dabei wird der Begriff „Prostituierte“ [ ] als Terminus technicus verwendet. Nach der Meinung der Weisen entspricht die Prostituierte einer Proselytin [  ], einer freigelassenen Sklavin und der Frau, die sich prostituiert.554 Über die soziale Bedeutung des Begriffs „Prostituierte“ [ ] wird weiter debattiert, denn das Verbot bezieht sich nur auf Priester. In beiden Gemarot wird die Aussage der Mischna zugunsten einer Aussage über den sozialen Status der Proselytin abgeschwächt. Die Belegstellen von Mischna 6,5 bis 7,5 handeln von der Distanz zwischen gesellschaftlichen Schichten. In yT werden Heiraten eingeschränkt, denn eine Heirat mit einem Fremden in yT 7,4/3 kann für den Genuss der Hebe untauglich machen. Für die Priesterkaste können diese Verbindungen soziale Folgen haben. Wenn

552 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 553 Im Vergleich dazu lässt sich yT 7,1/8 anführen. Hier wird das Kaufrecht dem Eherecht parallel gesetzt: „There, we have stated: “If somebody receives (a flock) under mortmain conditions from a Gentile [ ], the young are free, the young´s young are obligated.” Rebbi Jeremiah asked: There you say, the young are for the first, and here you say, the young are for the second.” Nach H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 288. So gehört die Herde dem Fremden, die Kinder aber gehören zu Israel. 554 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth 525.

239

eine Priestertochter mit einem Israeliten verheiratet ist und Kinder geboren hat, hat sie allerdings nicht den Status der Fremden.555 So wirkt sich die Heirat eines Israeliten mit der Tochter eines Priesters nicht auf den Genuss der Hebe aus, allerdings könnte die Verbindung einer Israelitin mit einem Priester sehr wohl untauglich machen. Wenn Israeliten einen Priester heiraten, ist ihnen das Opfer verboten und die Hierarchie verletzt. Diese Standesunterschiede nehmen in den Debatten des yT großen Raum ein.556 Immer wieder wird auf die Differenz der einzelnen Kasten verwiesen. Dafür wird der Begriff „Zar“ verwendet, der dem Nichtpriester entspricht. Auch in yT 7,5/3-4 geht es um diese Problematik:            .                              .          .                 .          .          .            .           . Wenn sie keinen Israeliten heiraten können, machen sie untauglich. Und diese [Personen] sind: ein Kind, das neun Jahre und einen Tag alt ist, ein Ammoniter, ein Moabiter, ein ägyptischer „Ger,“ ein „Mamser“, ein Entweihter, ein „Natin“, ein Samaritaner und ein „Goy.“ Wenn diese mit einer Tochter Israels, einer Priestertochter oder einer Levitentochter sexuellen Verkehr hatten, haben sie diese für die Priesterschaft entweiht. R. Yose sagt, jeder, mit dem der sexuelle Verkehr untauglich macht, dessen Nachkommen machen untauglich. Und jeder, mit dem der sexuelle Verkehr nicht untauglich macht, dessen Nachkommen machen auch nicht untauglich. R. Simeon ben Gamaliel sagt, in jedem Fall ist es so, wenn die Tochter erlaubt ist, ist auch die Witwe erlaubt. Und wenn die Tochter nicht erlaubt ist, ist auch die Witwe nicht erlaubt. Und was trennt [diese Meinungen]? R. Yoanan sagt, dass ein ammonitischer oder moabitischer „Ger“ die Meinungen trennt. Nach demjenigen, der sagt, sowie der sexuelle Verkehr untauglich macht, so machen auch die Nachkommen [im Umkehrschluss] untauglich.557

Zum Themenkreis der Mischehen wird in dieser Belegstelle die rabbinische Hierarchie diskutiert. Eine illegitime Ehe macht den jeweiligen Partner un555 Vgl. Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 556 Aus der Perspektive dieser Standesunterschiede gibt H. Sivan einen Überblick über die Heiratsbestimmungen; Dies., Rabbinics and Roman Law: Jewish-Gentile/ Christian Marriage in Late Antiquity, in: Revue des études juives 156 1997, 63-81. 557 Hier an der Übersetzung von H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 303-304, orientiert. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

240

tauglich für den Priesterstand, und die Bemakelung durch eine solche Verbindung wird am Status der Nachkommen gemessen. Diese Hierarchie integriert nicht nur Fremde wie „Gerim“ und „Goyim“, sondern bezieht sich auch auf Israeliten. Die Terminologie selbst stammt aus dem Umfeld der Tora arbeitet mit den dort angegebenen Bedeutungen.558 Bemerkenswert ist, dass männliche und weibliche Fremde unterschiedlich wahrgenommen werden. Beispielsweise besteht über den Status der Tochter und der Witwe eine Uneinigkeit, denn für die Tochter eines ammonitischen oder moabitischen „Ger“ gilt, dass sie selbst erlaubt ist, nicht aber die Witwe.559 Welchen Status die Witwe gegenüber der Tochter eines Proselyten einnimmt, ist in erster Linie eine terminologische Frage. Es wird wie oben entschieden, dass die Verbindung an den Nachkommen gemessen wird, deren Status möglicherweise untauglich ist. Diese Debatte kann jedoch nicht abschließend klären, ob die Töchter der ammonitischen und moabitischen Proselyten untauglich sind. Die männlichen Nachkommen machen jedenfalls untauglich. Die gesamte Debatte ist von großer Zurückhaltung gegenüber Mischehen geprägt. Auch in yT 7,6/2 löst der unklare Status der Kinder Zurückhaltung aus:560    ‘   ‘                   .            .        .        561 .          In Gittin sprach er [R. Yoanan]: weshalb machen Samaritaner untauglich? R. Yoanan sagte im Namen R. Yshmaels: aus dem Grund, wenn ein „Goy“ oder ein Sklave mit einer Tochter Israels verkehren, bringt sie einen „Mamser“ [ein illegitimes Kind] zur Welt. In Kidduschim sprach er: R. Yoanan und R. Simeon ben Laqish sagten beide, dass sie einen „Mamser“ zur Welt bringt. Hier sagt er es in seinem eigenen Namen, und dort im Namen R. Ishmaels. Doch auch nach den Worten der Weisen ist das Kind ein „Mamser.“

558 G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 161. Ammoniter und Moabiter sind Fremde der Tora, mit denen paradigmatisch fremde Völker in der rabbinischen Literatur bezeichnet werden. 559 Hier nach der Übersetzung von H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 304. Guggenheimer ergänzt die lückenhafte Handschrift um einige Worte. 560 Damit ist die Genealogie ein wesentliches Argument für das Verbot der Mischehe; siehe G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 86-87. 561 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

241

Weil Samaritaner selbst den Status des Fremden haben, wird daran der Maßstab der Halacha angelegt. Es wird übereinstimmend geschlossen, dass ein Kind aus einer solchen Verbindung ein Mischling ist. Damit steht diese Belegstelle im Wiederspruch zu yT 4,15/2, in der dieser Nachwuchs als tauglich deklariert wurde. Im Vergleich mit anderen Traktaten zeigt sich die hohe Bedeutung dieser Halacha.562 Letztlich wird entschieden, dass das Kind untauglich ist. In bT wird eine ähnliche Diskussion geführt, in der der soziale Status der Proselyten in Israel thematisiert wird. Über die Genealogie der „Gerim“ wird in bT 62a folgende Aussage getroffen:                                                                                           .                      Es wurde gelehrt: Wenn er im [Status der] des Fremden Söhne hat und konvertiert. R. Yoanan sagte: Sobald er sich fortpflanzt, hat er für [legalen] Nachwuchs gesorgt. Und Resh Laqish sagte, sobald er sich fortpflanzt, hat er nicht für [legalen] Nachwuchs gesorgt. R. Yoanan sagte, er hat sich fortgepflanzt, weil er ja [Kinder] hat. Und Resh Laqish sagte, er hat sich nicht fortgepflanzt, weil ein „Ger“, der konvertiert, einem neugeborenen Kind gleicht. Sie vertreten ihre eigenen Meinungen; wie gelehrt wurde: Wenn er im [Status der] des Fremden Söhne hat und konvertiert. R. Yoanan sagte, er habe keinen Erstgeborenen hinsichtlich der Erbfolge, denn sein erster [Sohn] ist aus seiner Kraft gezeugt. Und Resh Laqish sagte, er habe einen Erstgeborenen für die Erbfolge, denn ein „Ger“, der konvertiert, gleicht einem neugeborenen Kind.563

Da der Proselyt nach seiner Konversion keine Erbfolge oder Genealogie aufweist, ist der Status des Nachwuchses ungeklärt. Ist der Vater konvertiert, bleibt offen, ob die Kinder, die er zuvor gezeugt hat, als legitime Nachkommen gezählt werden. Wenn aber die Proselyten den Status des Neugeborenen haben, zählen ihre Kindern nicht und werden nicht als Erstgeborene gerechnet. Nach Resch Laqish wird geschlossen, dass Fremde eine Genealogie haben, die mit der Konversion verfällt. So werden die

562 Vgl. yT Git 1,5/4, yT Qid 3,14/11. Auch an diesen Belegstellen überwiegt die Meinung, dass die Kinder aus diesen Mischehen „Mamserim“ sind. 563 Hier mehrheitlich nach MS München 95 141, da MS München 95 und MS Oxford Opp 248 nur eine lückenhafte Überlieferungen bieten.

242

Nachkommen von Proselyten immer wieder problematisiert und stellen wohl ein praktisches Problem dar.564 In bT 67a wird weiter über die Erbschaft und die Abstammung gehandelt. In bT 67a macht laut R. Yose der Fötus im Leib der Nichtpriesterin zum Genuss der Hebe untauglich, weil der Status der Mutter [ ] sich auf ihre Kinder überträgt.565 Die Mischehe macht für den Genuss der Hebe untauglich und bemakelt die Nachkommen. Die soziale Hierarchie des yT wird in bT 68a wiederholt:                                      .        Raba sagte: Wenn ein Kind von neun Jahren und einem Tag, ein „Ger“, ein Ammoniter, ein Moabiter, ein Ägypter, ein Edomiter, ein Samaritaner, ein Nathin, ein Entweihter oder ein „Mamser“ mit einer Priestertochter, einer Levitin oder einer Israelitin schlafen, so haben sie sie untauglich gemacht. Rabbi Yose sagt, dessen Nachkommenschaft bemakelt ist, macht untauglich, und dessen Nachkommenschaft nicht untauglich macht, macht nicht untauglich.566

Zwar werden nicht alle Begriffe aus yT angeführt, aber das Ergebnis bleibt, dass die Mischehe die Nachkommen untauglich macht. Auffällig ist, dass zwar die biblische Terminologie verwendet wird, allerdings der Fremde [ ] in dieser Liste fehlt. Weiter wird das Verbot der Tochter auf die Witwe übertragen, da die Tochter eines Priesters durch den Verkehr mit einem Nichtpriester untauglich wird und keine Hebe essen darf.567 In 68b wird dieses Verbot von Levitikus 22,10 aus dem Vers „kein Gemeiner darf Geheiligtes essen“ [   ] abgeleitet.568 So scheinen die Kasten inkompatibel zu sein. Auch eine Verbindung der Priestertochter mit einem Fremdem ist nicht zulässig. Weiter in bT 68a besteht die Meinung, dass ein „Goy“ und ein Sklave eine Priestertochter nicht untauglich machen:        ‘   ‘ ‘  ‘        ‘                564 So wertet S. J. D. Cohen diese Belegstellen; Ders., Crossing the Boundary and Becoming a Jew, in: HTR 82:1, 1989, 24-25. 565 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 547. 566 MS München 141 und MS Oxford Opp 248 stimmen hier überein; allerdings weicht die Übersetzung im ersten Vers leicht von der Vorlage ab. 567 Dazu siehe den ausführlichen Kommentar von S. Krauter, Bürgerrecht und Kultteilnahme, 201-202; hier sind besonders die Fußnoten zu beachten. 568 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 552.

243

                    .   Sie machen sie untauglich nach R. Yoanan, denn R. Yoanan sagte im Namen R. Yschmaels: weshalb machen ein „Goy“ und ein Sklave, die mit einer Priestertochter, einer Levitin oder einer Israelitin sexuellen Verkehr haben, diese untauglich? Wie es heißt: und die Priestertochter, die verwitwet oder geschieden ist (Lev 22,13). Bei demjenigen, bei dem es Witwenschaft und Scheidung gibt, ausgenommen ein „Goy“ und Sklave, bei denen es keine Witwenschaft und keine Scheidung gibt.569

Nur wenn es eine vergleichbare Institution der Witwenschaft und Scheidung beziehungsweise der Hebe gibt, besteht eine Möglichkeit zur Ehe. Ansonsten macht die Verbindung den Partner, in dem Fall die Priestertochter, untauglich. Die Fremdheit ist auf diese Weise ein relationaler Faktor zwischen ungleichen Partnern, wie bT 69a zeigt:   .                              ‘           .      Der Barmherzige sagt: bei einem, der ihr fremd ist: der ihr von Anfang an [fremd] war, während dieser ihr nicht von Anfang an fremd war. Macht der Entweihte, der ihr nicht von Anfang an fremd war, sie deshalb nicht untauglich? Die Schrift sagt: er soll seine Nachkommen [nicht] entweihen (Lev 21,15). Seine Nachkommenschaft gleichen ihm, wie er untauglich macht, so machen seine Nachkommen untauglich.570

Offensichtlich müssen sich die Partner nicht zu jedem Zeitpunkt fremd sein. Durch eine Heirat kann sich der Status der Partner verändern. Da aber der Entweihte seine Nachkommenschaft untauglich macht, ist der Zeitpunkt des Fremdseins unerheblich. Deshalb werden Mischehen, ob zwischen verschiedenen Kasten oder mit Fremden, unterbunden. Die Autoren wollen damit unstandesgemäße Beziehungen verhindern, die als „fremd“ [ ] wahrgenommen werden.

569 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 553. Hier nach MS München 141; MS Oxford Opp 248 weicht geringfügig ab. 570 Hier nach MS München 141 und MS Oxford Opp 248.

244

3.3.7 Über die Nachkommen der Fremden: zu Mischna 7,5 In Mischna 7,5 wird von unstandesgemäßen Beziehungen zwischen Priestern, Israeliten und Fremden gehandelt, deren Nachwuchs den Status des Mischlings hat. Diese Mischna handelt von Problemen, die soeben diskutiert wurden. In den Gemarot finden sich nur zwei kurze Absätze, die formal verglichen werden sollen. In der Belegstelle yT 7,7/1 findet sich eine Antwort auf die Mischna, die festlegt, dass ein „Mamser“ untauglich macht:   .                    571 .    Widerspricht das nicht Rav? Rav sagte: Wenn ein „Goy“ oder ein Sklave mit einer Israelitin sexuellen Verkehr haben, bringt sie ein legitimes Kind zur Welt. Man kann es so erklären, dass der [Kontakt mit dem] „Goy“ untauglich macht und dass der [Kontakt mit dem] Sklaven untauglich macht.

In Bezug auf den „Mamser“ wird die Meinung von Rav zitiert und die damit verbundene Ambivalenz. Offenbar überwiegt auch an dieser Stelle die Meinung, dass gerade der Kontakt mit einem Fremden oder Sklaven untauglich macht.572 Der Vergleich zwischen dem Fremden und dem Sklaven bezieht sich auf den Status des Nachwuchses. Somit gleichen sich auf der terminologischen Ebene die Begriffe des Sklaven und des Fremden, für den, anders als in der Mischna, der Begriff „Goy“ verwendet wird. In bT 70a wird auch von den bemakelten Nachkommen gehandelt:573           ‘      ‘ ‘  ‘  .                  ‘ ‘ So nach R. Aqiba, der sagt: ein „Mamser“ stammt aus einer verbotenen, unzulässigen [Beziehung]. Man kann dies auch nach den Rabbanan behaupten, die bei einem „Goy“ und einem Sklaven zustimmen. R. Izchaq bar Evdämi im Namen

571 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 572 M. Goodman, Mission and Conversion, 121. Einen ausführlichen Kommentar zu dem Vergleich von „ “ und Proselytin gibt C. Hayes, Palestinian Rabbinic Attitudes to Intermarriage in Historical and Cultural Context, in: R. Kalmin, Jewish Culture and Society under Christian Roman Empire, 42-44. 573 An dieser Stelle finden sich in der Übersetzung L. Goldschmidts zahlreiche Verweise auf den „Fremden“. Der Begriff „“ entspricht aber dem „Anderen“, nicht dem Fremden.

245

unseres Meisters: Wenn ein „Goy“ und ein Sklave mit einer Israelitin verkehren, gebiert sie einen „Mamser.“574

Zwischen yT und bT liegt damit keine Abweichung vor. Die bereits bekannte Halacha wird wiederholt sowie das Verbot der Mischehe zwischen einem Fremden und einem Sklaven. Auch in diesem Fall wird der Begriff „Goy“ verwendet.575 Während in yT noch eine gewisse Ambivalenz besteht, herrscht in bT grössere Klarheit über die Entscheidung der Halacha.

3.3.8 Die Beschneidung als Distinktionsmerkmal: von Mischna 7,5 bis 8,2 Von Mischna 7,5 bis 8,2 findet sich eine Sammlung an Motiven zur Konversion und zur Beschneidung. Ausgehend von den Erkenntnissen, die aus dem Textvergleich gewonnen wurden, ist die soziale Fremdheit das wesentliche Thema des Traktats Jebamot. Dabei geht es nicht nur um die Konversion, sondern auch um die kulturelle Einbindung der Proselyten in die neue Heimat. Die Fremdheit ist zwischen ethnischer und sozialer Fremdheit angesiedelt und bezieht sich auf Standesunterschiede, die in den vorigen Kapiteln thematisiert wurden. Im achten Kapitel wird entsprechend der Mischna576 von einem Verbot für unreine Personen gehandelt, Hebe zu genießen. Wer sich durch eine Verletzung oder durch Kontakt mit unreinen Personen untauglich macht, wird vom Genuss ausgeschlossen. In yT 8,1/1 wird definiert: .          .         .‘              .       ‘    ‘ 577 .      Der Unbeschnittene und alle Unreinen. „Jeder Mann“ (Lev 22,4), um die Unbeschnittenen mit einzubeziehen. Oder „jeder Mann“, um den Trauernden mit einzuschließen? R. Yose ben anina sagte: es steht geschrieben: „Kein „Zar“ darf 574 Hier nach MS München 141 und Oxford 248. 575 Unter welchen Umständen dieses Kind entsteht, ist nicht von Bedeutung. Immerhin steht in bT 53b, L. Goldschmidt, Jabmuth, 496f.: „Was heißt gezwungen in unserer Mischna: wollte man sagen, wenn er von Nichtjuden [ ] gezwungen ihr beigewohnt hat, so sagte ja Rabba, es gebe keinen erzwungenen Beischlaf, weil die Erektion nur bei Absicht erfolgt? Vielmehr, im Schlafe.“ 576 Vgl. mJeb 8,1 in M. Petuchowski, 39: „Der Unbeschnittene und alle Unreinen dürfen keine Hebe genießen; ihre Frauen und ihre Sklaven dürfen Hebe genießen.“ 577 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

246

Heiliges essen.“ (Lev 22,10). Wegen der Fremdheit habe ich es dir verboten, nicht wegen der Vorhaut.

Die Unbeschnittenheit ist offenbar für den Genuss nicht entscheidend, sondern die Fremdheit [ ]. Da kein Fremder Geheiligtes essen darf, ist in yT der soziale Status bedeutsam und weniger eine körperliche Entstellung, die in der Mischna thematisiert wird. In yT 8,1/3 wird differenziert, das ein „Zar“ zwar den Zehnten [ ] abgeben muss, aber dennoch nicht die Hebe genießen soll.578 So sind Statusfragen für den Genuss der Hebe entscheidend. In yT 8,1/6 bis 8,1/7 wird dabei eine neue Komponente eingeführt:    .                 .                               ‘        579 .        Nach der Meinung von R. Aqiba: weshalb steht der Beisasse und der Tagelöhner im Kontext der Hebe? Wie R. Ila im Namen von R. Yasa sagte: wenn jemand unbeschnittene Sklaven von einem „Goy“ gekauft hat und sie beschneiden wollte. R. Yose im Namen von R. Yoanan, Simeon bar Ba im Namen von R. Yoanan: Wenn jemand unbeschnittene Sklaven von einem „Goy“ gekauft hat und sie beschneiden wollte, dürfen sie auch als Beschnittene keine Hebe essen.

Die Verknüpfung der Begriffe „Beisasse“ [] mit „Mietling“ [ ] führt zu der bereits besprochenen Frage, ob angekaufte Sklaven nicht auf körperliche Weise in die Gemeinschaft integriert werden müssen, wie dies in der Tora bestimmt wird.580 Dabei reicht die Integration der Fremden nicht aus, sondern muss durch die Beschneidung bestätigt werden, sonst bleiben sie vom Genuss der Hebe ausgeschlossen. Den Sklaven wird eine bestimmte Frist gegeben, sich in die Gemeinschaft einzufügen und die Beschneidung vorzunehmen. Mit der Beschneidung geht es um ein Merkmal der Konversion, wie yT 8,1/8 verdeutlicht.581 Dort wird die Frage besprochen, ob man eine Proselytin [  ] nachts untertauchen lassen darf oder nicht, was aber

578 579 580 581

Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 316. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Vgl. Gen 17,10: „Alles, was männlich ist unter euch, muss beschnitten werden.“ Dieses Merkmal ist eine wesentliches Unterscheidungskriterium für die Konversion, M. Goodman, Mission and Conversion, 81-82.

247

ungeklärt bleibt.582 Überhaupt ist in yT die Uneinigkeit bezüglich des praktischen Vorgehens offensichtlich. In yT 8,1/8-9 wird folgende Definition des Beisassen gegeben:       .        .              583   ‘            .              .                      ‘        .    584 . 

       Ein Sklave kann ein dauerhafter „Toschav“ sein. Ein „Ger Toschav“ ist wie ein „Goy“ in jeder Hinsicht. R. Shmuel bar Yehuda im Namen R. aninas: Ein „Ger“ und ein „Toschav“ darf man zwölf Monate behalten. Wenn er [sich zum Judentum] bekehrt, ist es gut, und wenn nicht, ist er ein „Goy“ in jeder Hinsicht. R. Shmuel bar iyya bar Yehuda, R. Hanina um Namen Rabbis: Der „Ger Toschav“ muss akzeptieren, Fleisch von Kadavern zu essen. R. Hila sagte: man könnte sage, dass die Dinge so [ausgelegt werden], wie sie geschrieben stehen. Was bedeutet, dass die Dinge [ausgelegt werden], wie sie geschrieben stehen? R. Yose bar anina sagte: „Du sollst kein Fleisch von Kadavern essen. Dem „Ger“ in deiner Mitte kannst du es zu essen geben (Deut 14,21).

Der Sklave hat den Status des Beisassen, weil er mit Israeliten lebt; aber der Beisasse selbst kann ein Fremder [ ] sein. Wenn keine sichtbare Konversion wie die Beschneidung stattfindet, gleicht der Beisasse und der Sklave einem Fremden. Die Differenzierung der Begriffe führt dazu, dass die Beisassen und die Proselyten stets Fremden gleichen, wenn sie nicht die Beschneidung akzeptieren. Sie werden deshalb nicht in Israel integriert. Folglich haben sie laut Deuteronomium 14,21 den Status eines Fremden, dem Aas zum Verzehr gegeben wird. Um eine eindeutige Grenze zu ziehen, wird der „Ger Toschav“ in yT 8,1/10-11 dazu verpflichtet, die wesentlichen Gebote zu beachten: .                     .                   ’’ .  ’’                        .  ’’          .           .      582 H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 321. 583 Hier entscheidet sich H.W. Guggenheimer das „“ einzuklammern. Es wird der Synopse zufolge „und“ gelesen. 584 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

248

      .              .                  .                   . . Einige Tannaiten lehren: einen „Ger Toschav“ nehme man nur auf, wenn er alle Gebote, die in der Tora geschrieben stehen, akzeptiert hat. Und einige Tanniten lehren: Einen „Ger Toschav“ nehme man nur auf, wenn er vom fremden Dienst abschwört. R. Ba im Namen von R. Hyya bar Ashi: Man nehme einen „Ger Toschav“ nur auf, wenn dem fremden Dienst als „Goy“ abschwört. R. Zeira folgerte aus den Worten aller, dass er dem fremden Dienst als „Goy“ abschwören muss. Wenn es so ist, was folgt daraus? Da ihm der fremde Dienst per Gebot [verboten] ist, kann er sich nicht entweihen. Aber den „Goyim“ ist der fremde Dienst nicht verboten und sie können sich entweihen? R. Yose sagte, es wurde nicht behauptet, dass er dem Israeliten in den drei Dingen gleicht: er darf nicht unterdrücken, er darf nicht betrügen und er wird verbannt wie ein Israelit. „Er kann nicht entweiht werden“: Deshalb war es notwendig zu erklären, dass er (der „Ger Toschav“) Idole entweiht wie ein „Goy.“ Welcher Tanna lehrt: „er darf nicht unterdrücken“? Das ist R. Yose im Namen von R. Yuda, wie gelehrt wird: Der „Ger Toschav“ wird von diesem Verbot geschützt nach den Worten R. Yoses im Namen von R. Yuda.585

Um integriert zu werden, muss der „Ger Toschav“ die Gebote einhalten. Darüber hinaus muss er speziell als Fremder [ ] dem fremden Dienst entsagen, um aufgenommen zu werden. Damit steht „Ger Toschav“ mit dem „Goy“ auf einer Stufe.586 Unklarheit besteht bezüglich der Entweihung von Idolen. Nur Fremde [ ] können die Idole entweihen, aber der „Ger“ gleicht formal einem Israeliten, der nach Deuteronomium 23,16 einen rechtlichen Status in Israel einnimmt.587 Damit bestätigt sich auf andere Weise der Zwischenstatus des „Ger“, der auch ein „Ger Toschav“ sein kann. Anhand der hebräischen Terminologie zeigt sich die Ambivalenz des Begriffs „Ger“. Mit den Gesetzen der Tora wird versucht, diesen Status festzuschreiben, doch das Wortfeld des „Ger“ ist von inhaltlichen Differenzen geprägt. In yT 8,1/11-12 wird ein andere Definition des Beisassen gegeben:

585 Vgl. die Vorlage von H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 322-323. Der hebräische Text nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 586 Dazu siehe G. Porton, Stranger Within Your Gates, 128. 587 Vgl. Deut 23,16: „Er soll bei dir bleiben, in deiner Mitte, an dem Ort, den er erwählt in einem deiner Tore, wo es ihm gefällt, und du sollst ihn nicht unterdrücken.“

249

  .      .                  .                     .             .                      .                       .     588 .  R. Yehuda sagt: Der „Ger Toschav“ an einem Schabbat gleicht einem Israeliten an einem Feiertag. Wie ein Israelit darf er backen und kochen, aber alle Arbeit ist ihm verboten. Damit gleicht er dem „Ger Toschav.“ R. Yose sagt: Der „Ger Toschav“ ist wie ein Israelit zwischen den Feiertagen. Wie der Israelit zwischen den Feiertagen darf er am Rand des Felds sammeln, aber alle Feldarbeit ist ihm verboten. Damit gleicht der dem „Ger Toschav“ am Schabbat. R. Simeon sagt: Der „Ger Toschav“ an einem Schabbat ist wie ein Israelit an den normalen Tagen des Jahres. Wie ein Israelit an den normalen Tagen des Jahres, pflügt, säht und erntet er. Damit gleicht er dem „Ger Toschav“ am Schabbat. Rav Ada, Rav Hamnuna, Rav Ada Bar Ahawa im Namen Ravs: Die Halacha entspricht R. Simeon.

Der Vergleich des „Ger Toschav“ mit dem Israeliten zeigt, dass dieser Fremde eine unklare Beziehung zu den Schabbatgesetzen hat. Laut R. Shimon wird entschieden, dass der Beisasse sich nicht an die Schabbatgesetze zu halten braucht, was ihn nicht als Proselyten, sondern als Fremden auszeichnet. Offenbar werden durch die Analogie zum Schabbat die Ebenen des Begriffs „Ger“ ausgelotet, der wie in der Tora kein Proselyt, sondern Fremder ist. In yT 8,1/13 wird die Halacha wiederholt, dass die Sklaven, die von Fremden gekauft wurden, sich der Beschneidung unterziehen müssen.589 Dem Vorgang der Beschneidung wird großes Gewicht beigemessen, wie yT 8,1/15 zeigt. Dort wird der beschnitten Geborene und derjenige, der beschnitten konvertiert ist, vom Genuss der Hebe ausgeschlossen. Laut den Rabbinen ist die Beschneidung der „Zaun“, der die religiöse Grenze Israels bestimmt.590 Das wird auch in yT 8,1/17 deutlich:  .       .              591 .     .         

588 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 589 Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 326. 590 Hier wird der Begriff „ “ verwendet; vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 327. 591 Hier nach Ed. princ. Venedig, in MS Leiden ist der Text geringfügig lückenhaft.

250

„Beschnitten soll er werden“ (Gen 17,13). Von dieser Stelle, das ein unbeschnittener Israelit keinen Israeliten beschneiden darf. Und natürlich [darf diese Handlung] auch kein unbeschnittener „Goy“ [vornehmen]. R. Levi sagte: Es steht geschrieben: Du sollst meinen Bund bewahren (Gen 17,9). Du und alle, die zu dir gehören.

Diese Stelle folgt der bereits bekannten Auslegung in yT Schabbat 19,2/2, nach der die Beschneidung nur von Israeliten vorgenommen werden darf. In yT 8,1/18 wird die Unsicherheit über den beschnitten Geborenen wiederholt.592 Die Beschneidung ist eine Maßnahme, die sowohl den „Ger“ als auch den „Ger Toschav“ betrifft. Allerdings ist dieser „Ger Toschav“ kein vollwertiger Proselyt, sondern ein Beisasse, der sich nur an bestimmte Gesetze hält. Die Terminologie des yT mischt Begriffe der Rabbinen mit Begriffen der Tora. Dabei zeigt sich, dass der „Ger Toschav“ eine Zwischenstufe vom Fremden zum Proselyten ist. Die Terminologie der Fremdbeschreibung lehnt sich in yT stärker als in bT an die Tora an. In bT wird dagegen in Bezug auf den Proselyten eine neue Thematik entwickelt. Die Beschneidung spielt dabei eine tragende Rolle.593 Der Ausgangspunkt ist wie in yT die Frage, wer das Pessachopfer genießen darf und wer nicht. Laut Exodus 12,45 ist es dem Beisassen verboten. Es bietet sich in bT 70b ein terminologischer Vergleich mit dem „Zar“ und dem Leidtragenden [ ] an:   ‘  ’’  ’’             .         ‘             So wie einem Trauernden das Pessachopfer verboten ist, ist auch die Hebe einem Trauernden verboten. R. Yose b. R. anina sagte: Die Schrift sagt: und jeder „Zar“ (Lev 22,10). Von der Fremdheit habe ich es dir gesagt, und nicht von der Trauer.

592 Vgl. H.W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 331, yT Jeb 8,1/18: „One has to draw a drop of covenant blood from the drawn [circumcised], the one born circumcised, and the circumcised before he converted. Rebbi Simeon ben Eleazar stated: The House of Shammai and the House of Hillel did not disagree that one has to draw a drop of covenant blood from the one born circumcised since that is a compressed prepuce, what did they disagree about? About the convert [ ] who converted when already circumcised, for the House of Shammai said one has to draw a drop of covenant blood from him, but the House of Hillel say, one does not have to draw a drop of covenant blood from him.“ 593 Vgl. die historische Bedeutung der Beschneidung nach S. J. D. Cohen, Why arent Jewish Women circumcised?, 18-43.

251

Und weshalb nicht von der Unbeschnittenheit? Es steht geschrieben: „Toschav“ und Tagelöhner. (Ex 12,45).594

Offensichtlich lässt sich der Status des Trauernden, dem das Pessachopfer verboten ist, nicht mit dem Nichtpriester vergleichen. Jedenfalls müssen der „Toschav“ und der Tagelöhner beschnitten sein. Die Beschneidung ist für den Genuss der Hebe eine Voraussetzung. Die wesentliche Differenz zwischen Fremden und Israeliten ist die Berechtigung zu Hebe, Zehntem und Pessachopfer. So wird der Genuss dieser Speisen zu einem Distinktionsmerkmal. In bT 71a wird erörtert, ob der Beisasse vom Pessachopfer essen darf:                                                              .      Kein Unbeschnittener soll davon [der Hebe] essen (Ex 12,48). Weshalb? Davon darf er nichts essen, aber er darf Ungesäuertes und Bitterkraut essen. Sowohl der Vers über den Unbeschnittenen als auch der Vers über den „Ben Neqar“ sind notwendig. Der Barmherzige schrieb es über den Unbeschnittenen, weil er widerlich ist. Aber der „Ben Neqar“ ist nicht widerlich. Hätte es der Barmherzige nur den „Ben Neqar“ geschrieben, dann, weil er sein Herz nicht auf den Himmel gerichtet hat. Der Unbeschnittene hat sein Herz auf den Himmel gerichtet.595

Die Trennung zwischen dem Fremden [  ] und dem Unbeschnittenen ist eine theoretische Differenz, die auf den Genuss der Hebe bezogen ist. Der Fremde ist, dem Begriff zufolge, der Nichtjude, während der Unbeschnittene Israel einen Schritt näher steht.596 Der Unbeschnittene könnte sich dementsprechend der jüdischen Religion angenähert haben. Im Anschluss daran wird die Halacha aus yT wiederholt, die das Verbot auf die Fremdheit [ ] und nicht auf die Unbeschnittenheit zurückführt. In bT 71a zeigt sich erneut die Ambivalenz in Bezug auf die Beschneidung des beschnitten Geborenen: 594 Hier nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248. 595 Hier nach MS München 95; MS Oxford Opp 248 und MS München 141 weichen im ersten Vers ab. 596 J. J. Collins, A Symbol of Otherness: Circumcision and Salvation in the First Century, in: „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 179-185. Im Hinblick auf die „Phoboumenoi“, die Gottesfürchtigen, deutet Collins die Beschneidung als wesentliches Kriterium. Die Beschneidung ist eine wesentliche Voraussetzung für die Konversion, wie bereits in den vorigen Kapiteln deutlich wurde.

252

’                                        .          Ein „Ger“, der beschnitten und nicht untergetaucht ist, und Kind, das beschnitten geboren ist. Er erklärt, dass man von ihnen einen Tropfen vom Blut des Bundes fließen lassen muss. R. Eliezer hat seine eigene Meinung, denn er sagt: Ein „Ger“, der beschnitten und nicht untergetaucht ist, sei ein richtiger „Ger.“ Und er erklärt, dass man von einem Kind, das beschnitten geboren wurde, kein Blut des Bunds fließen lassen muss.597

Offensichtlich folgt bT der Problematik aus yT. Da die Beschneidung des „Ger“ ein wichtiges Ritual der Konversion ist, ist die Frage, ob dafür nicht eine symbolische Handlung notwendig ist. In bT 72a wird genauer ausgeführt, dass die Beschneidung der beschnitten Geborenen wie aller anderen Proselyten am Tag zu erfolgen hat.598 Auch an dieser Stelle liegen Meinungsverschiedenheiten vor. Alles deutet daraufhin, dass die Terminologie mit der Vorlage der Tora in Einklang gebracht werden soll. Insgesamt handelt dieser Abschnitt von einem Zwischenstatus, zudem auch der „Zar“ zählt. Im weiteren wird der Nichtpriester an drei verschiedenen Stellen mit dem Verbot der Hebe belegt.599 Damit ist der Genuss der Hebe nicht nur für „Ger“ und „Ger Toschav“ ein Kriterium der Ausgrenzung, sondern auch für den „Zar“. Abschließend wird in bT 74b-75a über die Hebe im Zusammenhang mit Proselyten gehandelt. Es wird an dieser Stelle erklärt, dass sich die Hebe nur auf Israeliten beziehe und eine „Gioret“ und eine freigelassene Sklavin nicht in das Verbot einbezogen seien. Nach Rabba sind aber durch den Vers in Levitikus 12,4 „sie darf nichts Heiliges berühren“ alle Frauen und auch die „Gioret“ in das Verbot eingeschlossen.600 In diesem Fall wird die Hebe auch der „Gioret“ verboten, da unreine Frauen nichts Heiliges berühren sol-

597 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 563. Hier nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248. 598 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 567. 599 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 570-575; Jeb bT 73a, 73b, 74b. Hier ein Beispiel aus bT Jeb 73a, Ders., 569f.: „[...] Ihr habt es gelernt: Wegen der Hebe und der Erstlinge macht man sich des Todes oder [der Zahlung] eines Fünftels schuldig, ferner ist sie Gemeinen [ ] verboten, unbeschränktes Eigentum des Priesters, [...].“ 600 Der Text folgt MS München 141; da MS Oxford Opp 248 lückenhaft ist. Diese Handschrift spricht nur von der „ “.

253

len. So ist nicht nur die Beschneidung ein Distinktionsmerkmal, sondern auch der Genuss der Hebe.601 Die „Gioret“ zählt damit in diesem Fall zu Israel. Die Belegstellen in bT verweisen auf einen sozialen Zwischenstatus, der Abstufungen von Fremden zu Israeliten erlaubt. Die Beschreibung könnte der Realität insofern entsprechen, da der Alltag häufig durch Ausnahmen bestimmt wird. In beiden Gemarot zeigt sich anhand der Beschneidung der ambivalente Status eines Fremden, der sich der Gemeinschaft Israels anschließen möchte.

3.3.9 Über die soziale Differenz in yT und bT: zu Mischna 8,2 Dem verstümmelten Priester wird in Mischna 8,2 erlaubt, eine Proselytin zu heiraten, auch wenn sie nicht zur Gemeinschaft Israels [] gehört. In den Gemarot wird nun der Standesunterschied zwischen Priestern und Proselyten diskutiert. Ausgehend von der Frage, welchen Status der verstümmelte Priester und der verstümmelte Israelit haben, wird in yT 8,2/8 diskutiert, ob eine Heirat mit einer Proselytin erlaubt ist. Dem verletzten Priester wird nicht erlaubt, eine Proselytin zu heiraten, da er durch diese Verbindung untauglich würde.602 In yT 8,2/9-10 wird weiter diskutiert, ob Proselyten und Mischlinge untereinander heiraten dürfen. Wenn diese Proselyten allerdings eine eigene Kaste [] in der Hierarchie bilden, dürften sie nicht besser gestellte Partner heiraten. Die Konsequenzen dieses Falles zeigen sich in diesem Auszug in yT 8,2/10:                      .                  .                       603 .           Benjamin, ein ägyptischer „Ger“, war ein Schüler R. Aqibas. Er sagte, ich bin ein ägyptischer „Ger“, der mit einer ägyptischen „Gioret“ verheiratet ist. Mein Sohn ist der Sohn eines ägyptischen „Ger“, den ich an eine ägyptische „Gioret“ verheiraten werde. Daraufhin ist den Enkeln erlaubt, in die Gemeinschaft [Israels] einzutreten. 601 Auch wenn S. J. D. Cohen in „The Beginnings of Jewishness“ die Beschneidung nicht als praktisches Distinktionsmerkmal gelten lässt, genießt sie in der Beschreibung und offensichtlich in der Wahrnehmung der Rabbinen einen hohen Stellenwert. Es stellt sich damit die Frage, wie praxisbezogen diese Distinktionsmerkmale sind; S. J. D. Cohen, The Beginnings of Jewishness, 39-49. 602 Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 345. 603 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

254

R. Aqiba sagte, nicht ganz, mein Sohn. Du verheiratest ihn mit der Tochter einer ägyptischen „Gioret“, damit auf dieser Seite drei Generation sind und auf der anderen Seite drei Generationen sind.

Diese Einschränkung der Verheiratung geht von einer Gemeinschaft Israels aus, von der Konvertiten drei Generationen lang ausgeschlossen sind.604 Damit soll im Kontext der Vorrechte der Priestern die Gemeinschaft von Fremden rein gehalten werden. In Bezug auf die zehn Kasten [   ] des babylonischen Exils heißt es in yT 8,2/12:  .   .   .           605 .   .   Wie R. Yehuda sagte: vier Kasten werden Kasten genannt. Die Kaste der Priester, die Kaste der Leviten, und die Kaste der „Gerim.“

Diese Meinung wird im Anschluss dahingehend revidiert, dass es nur die Kaste der Priester, der Leviten und der Israeliten gäbe. Die „Gerim“ sind für die Rabbinen in yT keine eigene Kaste, weil sie sonst bereits ein Teil Israels wären. Im Hinblick auf die Standesunterschiede sind die „Gerim“ deshalb nicht mit den Fremden der Tora vergleichbar. In yT 8,2/13 werden anhand verschiedener Beispiele die Standesunterschiede festgeschrieben. Beispielsweise wird die Frage aufgeworfen, ob ein Priester, dessen Geschlechtsteile verstümmelt sind, die Tochter von „Gerim“ heiraten darf. Da die „Gioret“ für einen Priester wie eine Prostituierte ist, bleibt die Verbindung verboten. So hat die Tochter eines Proselyten nicht den Status eines Israeliten, sondern den Status eines entweihten Israeliten. Obwohl dieser Standesunterschied sich auf die vergangene Tempelgesellschaft stützt, ist er für die Beschreibung der gesellschaftlichen Hierarchie unerlässlich. Die Belegstelle yT 8,2/15 zeigt die Bedeutung der Abstammung am Beispiel einer Familie in Rodos, die einen schlechten Ruf hat. Der Grund ist, dass die Großmutter der Familie konvertiert war, als sie jünger als drei Jahre und einen Tag alt war.606 Offensichtlich kann eine Konversion unter falschen 604 Hier wird der Fall besonders restriktiv entschieden. In mYad 4,5 dagegen wird der Fall erleichternd entschieden, dass jeder jeden aus einer solchen Familie heiraten darf. 605 Hier nach Ed. princ. Venedig. 606 Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 351f. An dieser Stelle fügt H. G. das Wort „  “ ein, das in P. Schäfer, Synopse, 44 bzw. yT 8,3/1, als „ “ überliefert ist. Das führt zu folgender Übersetzung:

255

Umständen dem Ansehen einer Familie Schaden zufügen. In diesem Fall könnte wohl eine Mischehe der Auslöser für die Schwierigkeiten sein. Weil der niedere Status der Proselyten die Ursache der Untauglichkeit ist, dürfen sie nicht mit Priestern verheiratet werden. Das Verhältnis eines verstümmelten Priesters mit einer „Gioret“ führt in bT 76a zu der Frage, ob diese Verbindung erlaubt ist. Es wird entschieden, dass einem Priester, der den Status der Heiligkeit verliert, diese Verbindung erlaubt ist.607 Ob einem verstümmelten Priester, dem der Genuss der Hebe versagt ist, eine Fremde erlaubt ist und ob er den Status der Heiligkeit behält, wird nicht abschließend geklärt. Grundsätzlich ist einem verstümmelten Priester eine Netina [  ] erlaubt.608 Die Proselytin, die Sklavin und die Netina haben häufig in der rabbinischen Literatur den Status des Fremden, und dennoch herrscht zwischen den Figuren eine gewissen Ungleichheit. Die Gefahr dieser Verbindungen ergibt sich wie so oft durch den illegitimen Nachwuchs:                  .               Raba sagte: Hier wird nicht zwischen [dem Status] der Heiligkeit und dem fehlenden [Status der] Heiligkeit unterschieden. Er könnte einen Sohn zeugen, der den fremden Dienst ausübt. Dies gilt nur vom [Status der] Fremdheit; wenn sie konvertieren, sind sie den Israeliten erlaubt.609

Den Rabbinen zufolge könnte sich der Nachkomme aus dieser Beziehung entfremden.610 Wenn sich die Frau „  “, wörtlich in der „Fremdheit“, befindet, kommt sie nicht als Partnerin in Betracht, während Proselyten

607 608

609 610

256

„Similarly, (Lev 21,14) only a virgin from among his people he shall take a wife, not a proselyte.“ Das bestätigt das Gebot, im Zweifelsfall keine Proselytin zu ehelichen. Überliefert in MS München 95, in MS Oxford Opp 248 findet sich die gleiche Aussage mit anderen Worten. Vgl. die Liste der Heimkehrer aus Babylon in Esra 2,43: „Die Tempeldiener: die Söhne Zihas, die Söhne Hasuphas, die Söhne Tabbaots.“ Die Netinim sind eine eigene Kaste von Tempelsklaven, die Fremde sind, aber dennoch eine nahe Verbindung zu Israel haben. J. Myers, The Anchor Bible. Ezra, 19. MS München 95 und Oxford 248 stimmen überein. In der Gemara wird wegen der Entwicklung des matrilinearen Prinzips differenzierter geurteilt als in der Mischna; vgl. H. Sivan, Rabbinics and Roman Law: Jewish/Christian marriage in Late Antiquity, in: Revue des études juives 156, 1997, 73-74.

grundsätzlich für Israeliten in Frage kommen. Die Konversion verändert nach bT 76a den Status des Fremden:                                             .        ‘    Während ihrer Fremdheit darf man sie nicht heiraten. Sind sie konvertiert, darf man sie heiraten. R. Yoseph wandte ein: Und Salomo verschwägerte sich mit dem Pharao, dem König von Ägypten (I. Kön 3,1): sie [die Töchter] waren konvertiert. In den Tagen Davids nahm man aber keine „Gerim“ auf, und auch in den Tagen Salomos nicht. Was ist der Grund? Sie wollten an die königliche Tafel, aber diese benötigte sie nicht.611

Eine Verlobung mit Fremden ist nur nach der Konversion möglich, die dann nach dem Recht Israels vollzogen wird. Mit einem Blick auf die Geschichte Salomos wird gemutmaßt, dass sich seine fremden Ehefrauen wohl bekehrt hätten. Da eine dieser Frauen aus Ägypten stammt612 und als Ägypterin der ersten Generation verboten ist, wird in bT 76b die Geschichte des ägyptischen Proselyten rekapituliert:                                 ‘                   ‘                        .  Ich bin Ägypter der ersten Generation und heirate eine Ägypterin der ersten Generation. Meinen Sohn werde ich mit einer Ägypterin zweiter Generation verheiraten, damit der Sohn meines Sohns in die Gemeinschaft [Israels] kommt. R. Papa sagte: Sollten wir uns nach Salomo richten? Salomo heiratete sie nicht, sondern lehnte es ab, andere [Frauen] zu heiraten. Es steht geschrieben: von den „Goyim“, von denen der Herr zu den Kindern Israels sagte, dass ihr nicht unter sie

611 Hier angelehnt an L. Goldschmidt, Jabmuth, 581. Hier nach MS München 95 und MS Oxford Opp248. Es sind nur unbedeutende Abweichungen zu verzeichnen. 612 Vgl. I. Kön 11,1: „Aber der König Salomo liebte viele ausländische Frauen neben der Tochter des Pharao: moabitische, ammonitische, edomitische, zidonische und hetitische [...].“

257

und sie nicht unter euch kommen sollen; denn sie würden eure Herzen ihren Göttern zuwenden. An diesen hing Salomo mit Liebe (I. Kön 11,2).613

Wenn Salomo die fremden Frauen nicht heiratete, kann das Verbot umgangen werden. Die Auslegung von Mischna und Tora wirft so einige Ambivalenzen in der Auslegung auf. Es bleibt bei der Entscheidung, dass dem verstümmelten und entweihten Priester die Proselytin erlaubt ist. Während in yT die Proselyten den Priester untauglich machen, ist in bT der verstümmelte Priester der Proselytin erlaubt. So besteht in der Wahrnehmung der Rabbinen eine soziale Differenz, die Fremde von Israeliten trennt.

3.3.10 Die Rhetorik der Fremdbeschreibung: von Mischna 8,2 bis 11,2 Dieses Kapitel bietet eine Sammlung verschiedener Motive von Mischna 8,2 bis 11,2, die sich besonders auf die Rhetorik der Fremdbeschreibung konzentrieren.614 Nachdem zu Beginn die Terminologie der Fremdbeschreibung analysiert wurde, sind nun die rhetorischen Mittel der Diskussion von Interesse, die halachische Entscheidungen strukturieren. Über die formale Gestaltung lassen sich Aussagen über Standesunterschiede und die soziale Hierarchie besser nachvollziehen. Diese Rhetorik ist nicht frei von Widersprüchen, sondern ist von einem dialektischen Interesse getragen. Thematisch schließt dieser Teil an das vorangegangene Kapitel an und behandelt die Untauglichkeit von Priestern und die Entstehung von Mischlingen, den „Mamserim“. Durch die Analyse der biblischen Kategorien wird in Mischna 8,3 betont, dass eine theoretische Differenz zwischen weiblichen und männlichen Proselyten besteht. Es geht um die Exegese des Toragebots, das männliche Ammoniter und Moabiter verbietet, nicht aber die Frauen.615 In yT 8,3/6 wird die Tochter des ammonitischen Proselyten als tauglich definiert, während die Tochter der Ammoniterin untauglich ist. Die Diskus-

613 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 582. Hier nach MS München 95; in MS Oxford Opp 248 fehlt der letzte Vers. 614 Die Idee der Rhetorik verwendet G. Veltri, um die rabbinische Ethik und Gemeindepolitik zu veranschaulichen; Ders., Römische Religion an der Peripherie des Reichs. Ein Kapitel rabbinischer Rhetorik, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture II, 132-133. 615 Vgl. Dtn 23,3: „Kein Ammoniter oder Moabiter soll in die Gemeinde des HERRN kommen; auch nicht das zehnte Glied soll in die Gemeinde des HERRN kommen.“

258

sion entspinnt sich über den Status des ammonitischen Proselyten, der von Deuteronomium 23,3 abgeleitet wird.616 Thema sind die Tauglichkeit und die Unreinheit:                                    .             .        . .      R. Simeon ben Laqish sagte aber nicht so, außer dass die Tochter von einem ammonitischen „Ger“ untauglich macht, weil sie von einem unreinen Tropfen [Samen] stammt. R. Yoanan sagte: wir haben doch gelehrt: Die, die [heiraten], ohne zu konvertieren, sind, wenn sie männlich sind, für immer verboten. Sind sie aber weiblich, sind sie sofort erlaubt. Wenn sie konvertieren, sind die männlichen [Fremden] für immer verboten und die weiblichen nach drei Generationen erlaubt.617

Nur mit den Mitteln der Rhetorik können die Vorlage der Tora und die Mischna in Übereinstimmung gebracht werden. Zwar machen die Nachkommen der Proselyten die Priester untauglich, und dennoch sind die Frauen sofort erlaubt, während die Männer verboten sind. So differenziert die rabbinischen Beschreibung zwischen männlichen und weiblichen Proselyten. Die beiden Ebenen von Mischna und Tora sind für die Fremdbeschreibung zu unterscheiden. Die Motive der Fremdbeschreibung in der Tora werden mit den Mitteln der rabbinischen Rhetorik zu einem neuem Ergebnis umformuliert. Diese Mittel reflektieren die Tauglichkeit und die notwendige Anzahl an Generationen, durch die Proselyten von der Gemeinschaft Israels ausgeschlossen werden. Diese Rhetorik der Tauglichkeit bestimmt weite Teile der Debatte in Jebamot.618 Ein Beispiel ist yT 8,3/7; dort wird über die Anzahl der Generationen debattiert, die ein ammonitischer Proselyt und eine ägyptische Proselytin 616 G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 86. Diese theoretische Diskussion verwendet Porton für Einblicke in die Genealogie. 617 Hier nach H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 357; nach Ed. princ. Venedig, in MS Leiden lückenhaft überliefert. 618 Gerade die Mischehendebatte ist davon geprägt, legale Beziehungen zu erlauben und illegitime Verbindungen zu untersagen, weil die Partner einander bemakeln würden; C. Hayes, Palestinian Rabbinic Attitudes to Intermarriage in Historical and Cultural, in: Jewish Culture and Society under the Christian Roman Empire, 45. Auch wenn die Rabbinen im allgemeinen Mischehen erleichternd begutachten, beherrscht die Rhetorik der Tauglichkeit die Debatte.

259

abwarten müssen, bis sie für die Gemeinde tauglich sind.619 Das Motiv der Tauglichkeit erscheint auch in yT 9,1/2:   .                                620 .       R. Yose im Namen von R. Bun sagte im Namen von Rav: Ein „Ger,“ ein Sklave, ein Freigelassener, ein Entweihter sind für die Priesterschaft zugelassen. Was ist der Grund? Die tauglichen Männer werden vor verunreinigenden Frauen gewarnt und unreine Männer vor tauglichen Frauen. Aber nicht unreine Frauen vor tauglichen Männern und taugliche Frauen vor unreinen Männern.

Da konsequent zwischen männlichen und weiblichen Personen unterschieden wird, sind zwar die Männer verboten, aber die Frauen erlaubt. Die Rhetorik erlaubt, Verbindungen zu konstruieren und die Aussage der Tora und der Mischna gegeneinander abzuwägen. Das praktische Ergebnis dieses Abschnitts ist, dass für Frauen ein anderer Maßstab besteht wie für Männer.621 Ebenso kann die Diskussion über die Priestertochter, die einem „Zar“ angetraut ist, als Teil der Rhetorik verstanden werden, da mit einem Maßstab verschiedene Sachverhalte gemessen werden. In yT 9,6/1 und yT 9,6/2 ist die Referenz die unstandesgemäße Ehe zwischen der Israelitin und dem Priester.622 Auch das Thema der Schwagerehe ist eine Plattform für vielfältige Diskussionen nach yT 10,8/5:       .               623 .           .  Das Verbot, durch dass er ihr verboten ist, ist größer als das Verbot, durch dass sie ihm verboten ist. Schließlich verbietet er ihr zu gehen und einen fremden Mann [„Zar“] zu heiraten. Sie ist ihm nur wegen ihrer Verwandten verboten.

Die Übersetzung der Feinheiten dieser Rhetorik, die mit der Bedeutung der Begriffe spielt, lässt sich nicht immer einwandfrei wiedergeben. So besteht 619 Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 359. 620 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 621 G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 162: „The major point of dispute is wether or not Ammonite and Moabite women can become valid converts.“ Die Diskussion bewertet die weibliche Abstammung erleichternd, was direkte Konsequenzen für eine einfachere Konversion der Frauen hat. 622 Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 389-391. 623 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

260

jedenfalls ein Unterschied zwischen Frauen und Männern. In bT ist die Differenz zwischen dem Ammoniter und der Ammoniterin der Ausgangspunkt der Debatte. In bT 77a wird eine vergleichbare Debatte überliefert: ‘  ’        ’’                ‘     ‘                      ‘       .  Die Tochter eines ammonitischen „Ger“ ist für Priester tauglich. Raba b. Ula nach Ula: Nach welcher Ansicht? Nach R. Yehuda, der sagt: Die Tochter eines männlichen „Ger“ gleicht der Tochter eines männlichen Entweihten. Und nach R. Yose ist es selbstverständlich, denn er sagt: Auch die Tochter eines „Ger“, der eine „Gioret“ geheiratet hat, ist für Priester tauglich. Wenn man sagt: [es geht um] diejenigen, denen erlaubt ist, in die Gemeinschaft [Israels] zu kommen. Aber diesem ist nicht erlaubt, in die Gemeinschaft [Israels] zu kommen.624

Dieser Ausschnitt zeigt, dass die Untauglichkeit der Ausgangspunkt für eine Diskussion ist, in der auf der einen Seite die Erlaubnis zur Ehe und auf der anderen Seite das Verbot steht. Die Integration in die Gemeinschaft Israels ist das Ziel für „Gerim“. Ob die Tochter des ammonitischen Proselyten im Vergleich zur Tochter eines Ägypters zweiter Generation tauglich ist oder nicht, bleibt zwischen R. Yoanan und Resh Laqish unentschieden. Resh Laqish behauptet, sie sei untauglich, während R. Yoanan sie in bT 77b für tauglich erklärt:                           ]  ’                              [  .                     Nur eine Jungfrau von seinem Volk darf er zur Frau nehmen (Lev 21,14). Dies ist eine „Gioret“ von Grund auf; so, dass sie für einen Priester tauglich ist. Und jener sagte: ich interpretiere „von seinem Volk;“ dies bezieht sich auf eine Jungfrau, die von zwei Völkern abstammt. Und du sagst von einer „Gioret“ von Grund auf und weiter keine? Was bedeutet „von zwei Völkern“? Für einen Ammoniter, der eine Ammoniterin geheiratet hat. Und deshalb „zwei Völker“, weil die Männer verboten

624 Hier nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248.

261

und die Frauen erlaubt sind. Dies ist eine „Gioret“ von Grund auf, so, [wie] ein Ammoniter eine Israelitin geheiratet hat.625

Wie in yT führt der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Ammonitern zu einer Unterscheidung der „Gerim“. Die Rhetorik der Tauglichkeit und der standesgemäßen Beziehung ergibt eine Differenzierung der Terminologie. Es bleibt eine grundsätzliche Frage, ob die Kaste [] der Proselyten als eigene Kaste gezählt wird, da die „Gerim“ auf diese Weise automatisch den Status eines Israeliten erhielten.626 In diesem Zusammenhang wird in bT 78a der Fall des ägyptischen Proselyten Minjamin und die Debatte um die dreimonatige Wartezeit wieder aufgegriffen. Damit gibt es ein bestimmtes Repertoire an Fällen und Argumentationsmuster, die häufig wiederholt werden.627 In yT 8,3/7 wird beschlossen:                  ‘             ’’  .       628 .  Deshalb kannst du sagen: Eine von allen Familien der Erde, die sich mit einer von den „Kanaanim“ verschwägern. Wenn sie einen Sohn zur Welt bringt, darf man diesen als Sklaven kaufen. Der Vers sagt: die sie in eurem Land zeugen (Lev 25,45); nicht von den „Gerim“, die im Land wohnen.

Im direkten Vergleich heißt es in bT 78b:       ’                  ’’               629 .              Und es heißt: und von den Kindern der „Toschavim“, die mit euch wohnen, sie dürft ihr erwerben (Lev 25,45). Es kann sogar sein, dass einer von den „Kanaanim“, 625 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 586. Hier nach MS München 95; die Stelle in Klammern findet sich in Oxford 248. Diese Belegstelle entspricht auch MS München 141. 626 Proselyten sind wohl in der historischen Wirklichkeit nie völlig in das Judentum aufgenommen worden. Eine Differenz blieb stets bestehen; S. Cohen, Crossing the Boundary and Becoming a Jew, HTR 82:1, 1989, 30. 627 Diese Fälle werden in der Zusammenfassung und im Schlusskapitel nochmals hervorgehoben. 628 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 629 Hier nach MS München 95. Das Zitat wird lückenhaft wiedergegeben. In MS Oxford Opp 248 ist der letzte Vers unvollständig.

262

der mit einer von den Völkern einen Sohn zeugt, diesen als Sklaven kaufen darf. Der Vers sagt: Die sie in eurem Land gezeugt haben (Lev 25,45); von denen, die in eurem Land gezeugt wurden und nicht diejenigen, die in eurem Land wohnen.

Offensichtlich ähneln sich die Argumentationsmuster, und weiter besteht eine Übereinstimmung der Terminologie. Im Gegensatz zu yT wird aber in bT entschieden, dass Kindern aus den Völkern [] dem Mann folgen und nach einer Konversion untauglich sind. Trotz der ähnlichen Rhetorik weichen die Entscheidungen ab. Der Begriff „Ger“ pendelt dabei, ebenfalls vergleichbar mit yT, zwischen der Bedeutung der Tora und der rabbinischen Bedeutung.630 Einige weitere Fälle veranschaulichen die Rhetorik der Tauglichkeit, die immer auf bereits besprochene Fälle zurückgreift. In bT 79b wird festgelegt, dass die Proselytin den Priester untauglich macht, wenn der Bruder eine „Gioret“ geheiratet hat. Nach Rabbi Aqiba ist an dieser Stelle die Kaste der „Gerim“ keine eigene Kaste.631 Wie auch der Fall in bT 84b belegt,632 wird damit ein terminologischer Zusammenhang zwischen verschiedenen Begriffen hergestellt. Offenbar sind diese Begriffe in der Rhetorik der Tauglichkeit austauschbar. Diese Beweglichkeit der Begriffe, die viele Episoden kennzeichnet, zeigt sich in bT 85a anhand der unterschiedlichen Kasten:                                   633 .   Zehn Kasten kehrten aus Babylon zurück: Priester, Leviten, Israeliten, Entweihte, „Gerim“, Freigelassene, „Mamserim,“ „Netinim“, Stumme und Findlinge. Priester,

630 Dh. zwischen dem Fremden und dem Proselyten. Vgl. bT 79a, L. Goldschmidt, Jabmuth, 595: „Sie vergriffen sich an eingewanderten Fremdlingen [ ]. Alsdann sprachen jene: Es gibt keine Nation, die gleich würdig ist, dass man sich ihr anschließe.“ 631 Überliefert in MS München 95 und MS Oxford Opp 248. 632 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 611. An dieser Belegstelle wird die Proselytin in Analogie zu den „ “ erster und zweiter Generation gesetzt. Es wird erörtert, wer bei solchen Verbindungen tauglich ist und wer nicht. 633 Hier weichen die Handschriften voneinander ab; während in MS München 95 die „ “ in die zweite Kategorie fallen, die „ “ und „  “ heiraten dürfen, werden sie in MS Oxford Opp 248 in die dritte Kategorie eingeordnet. Die Vorlage entspricht MS München 141. So überliefert jede Handschrift eine leicht veränderte Hierarchie, in der die „Gerim“ unterschiedliche soziale Positionen haben.

263

Leviten und Israeliten dürfen untereinander heiraten. Leviten, Israeliten, Entweihte, „Gerim“ und Freigelassene dürfen untereinander heiraten.

Wie in bT 37a werden die Proselyten einer Kaste zugeordnet. Die Rhetorik beruht in bT auf einer Dialektik, die aus dem Spannungsverhältnis von Tora, Mischna und rabbinischer Argumentation entsteht. An dieser Stelle besteht ein wesentlicher Unterschied zu bT 37a. Proselyten sind im traditionellen Sinn eine Unterklasse Israels, die durch Heiratsverbote von den oberen Klassen abgetrennt und deshalb Fremde sind.634 Damit führt diese Belegstelle zu einem anderen Ergebnis als bT 37a. Weiter wird von den Nichtpriestern und dem Genuss der Hebe gehandelt.635 In bT 86a wird festgehalten, dass eine Priestertochter, die mit einem Leviten verlobt ist, weder die Hebe noch den Zehnten essen darf. An dieser Stelle geht es um die soziale Fremdheit [ ], denn als Grund wird angegeben, dass sie keine Berechtigung zum Abheben hat.636 Die Diskussionen folgt dem bekannten rhetorischen Muster und variiert das grundlegende Thema. Dabei versuchen die Autoren, die Dialektik stets im Rahmen der Tora und der Mischna zu halten. Das Zitat aus Deuteronomium 25,5, in dem bestimmt wird, dass die Frau keinen „Zar“ heiraten darf, führt in bT 92b zu dieser Halacha:                         .          Wenn jemand zu einer Frau sagt: Ich werde dich heiraten, wenn ich konvertiert bin, oder wenn du konvertiert bist; oder wenn ich befreit wurde, oder wenn du befreit wurdest; sobald dein Mann gestorben ist; oder sobald deine Schwester gestorben ist; oder sobald dein Schwager an dir die alyah vollzogen hat, so ist sie nicht [mit ihm] verheiratet.637

So wird die Rhetorik in bT immer an einen Toravers zurückgebunden. Dabei bleibt die Entscheidung über die Halacha jeweils dem Kontext überlassen.

634 G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 102-104. 635 Vgl. bT 85b, L. Goldschmidt, Jabmuth: „Und wenn sie auch eine Gemeine [ ] ist, darf eine Gemeine [ ] denn nicht den Zehnten essen!?“ 636 Hier nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248. 637 Hier mit kleinen Abweichungen nach MS München 95 und MS München 141; MS Oxford Opp 248 schließt, dass die Frau angetraut ist; was aber auch ein Fehler der Überlieferung sein kann.

264

In bT 93b erfolgt zu dieser Halacha keine eindeutige Entscheidung, da R. Meir beschließt, dass in diesem Fall die Heirat gültig ist.638 Die Gesamtheit dieser Fälle führt selten zu eindeutigen Entscheidungen, sondern stets zu einer Dialektik, die auch abweichend entschieden werden kann. Im Sinne einer Rhetorik der Tauglichkeit zeigen sich viele Ähnlichkeiten zwischen yT und bT. Das Ergebnis der Rhetorik ist, dass ein theoretischer Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Proselyten besteht. Gelegentlich kann auf die Wahrnehmung der Autoren geschlossen werden, wie ein Rätsel über inzestiöse Verwandtschaftsverhältnisse in bT 97b zeigt. Ein „Goy“, der mit der Tochter des Sohns Kinder zeugt, stört die gesellschaftliche Vorstellung der Rabbinen. Es wird indirekt kritisiert, dass in diesem Fall keine soziale Verantwortung für die Kinder bestünde.639 Im Kontext von Inzestverboten wird auf fremde Figuren zurückgegriffen, die dem Stereotyp der sexuellen Zügellosigkeit entsprechen. Über die Rhetorik der Fremdbeschreibung, die besonders in Jebamot äußerst differenziert ist, lässt sich anhand der stereotypen Beschreibung die ambivalente Bewertung der Fremden erkennen. Diese Fremden stehen damit in Beziehung zu den sozialen Gesetzen Israels. Mit der Rhetorik der Fremdbeschreibung entsteht ein nachvollziehbares soziales Muster, das in den vorigen Kapiteln bereits veranschaulicht wurde.

3.3.11 Das soziale Umfeld der „Gerim“: zu Mischna 11,2 In Mischna 11,2 wird den Söhnen der Proselytin verboten, die alyah zu erteilen und die Schwagerehe zu vollziehen. Da eine Untersuchung der Fremdbeschreibung sich nicht nur auf die Terminologie und die rhetorischen Mittel beschränken kann, soll nun dem sozialen Muster der Fremdbeschreibung Rechnung getragen werden. Schließlich impliziert die theoretische Debatte der rabbinischen Literatur konkrete Handlungsanweisungen gegenüber Proselyten.640 Der Kommentar in yT 11,1/13 diskutiert anhand der Mischna die Konversion der Proselytin und die Bindung an die Eltern: 638 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 644. 639 Überliefert in MS München 141 und MS Oxford Opp 248, da MS München 95 nicht überliefert ist. 640 Teile dieser Handlungsanweisungen haben sich bis heute im Judentum erhalten. Die Behandlung von Proselyten, wie sie in bT Jeb 46b geschildert wird, ist in Grundzügen in der Orthodoxie bis heute verbindlich; M. Goodman, Mission and Conversion, 153.

265

   .                      .              .       Ist nicht der „Ger“ schuldig für seine Mutter, nicht aber für seinen Vater nach R. Yosi Hagelili? R. Aqiba sagt: Seine Mutter und seinen Vater hat er verflucht (Lev 20,9). Jemand, der für seine Mutter schuldig ist, ist auch für seinen Vater schuldig. Und jemand, der für seine Mutter nicht schuldig ist, ist auch für seinen Vater nicht schuldig.641

An dieser Stelle wird die Frage gestellt, ob der Proselyt, der keine vergleichbare Erbfolge wie ein Israelit hat, für Übertretungen gegenüber seinen Eltern schuldig ist. So stellt sich die Frage, ob es einen Unterschied zwischen Vater und Mutter gibt. Deshalb wird entschieden, dass es keine direkte Verantwortung des Proselyten gibt, da er ja keine Abstammung aufweist. Eine Streitfrage besteht im weiteren nur über den Status dessen, der vor der Konversion gezeugt wurde. Wenn der Proselyt nach der Konversion empfangen und geboren wurde, herrscht Einigkeit, da er den Status eines Israeliten hat. Dennoch wird er weiter „Ger“ genannt.642 Die soziale Konsequenz ist, dass der Proselyt den Status des Neugeborenen hat, was unvereinbar mit der Kaste des Proselyten ist. Wenn die Proselyten einen unbelasteten Status aufweisen, ist die Frage, ob sie die Schwagerehe vollziehen dürfen. Dieser Fall wird in yT 11,1/14-15 verboten, weil die Konversion den Status verändert:   ‘   .         .                     643 .     Sogar wenn es verboten ist, sollen die Leute nicht sagen, wir sahen eine Leviratsehe bei „Gerim.“ Weshalb wurde das festgelegt? Wenn er mit ihr zusammen ist, nachdem er konvertierte. Aber wenn er nicht mit ihr nicht zusammen ist und kon641 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 464. Dieser Abschnitt wird von Guggenheimer als “Mischna” bezeichnet, ist aber eine Halacha. 642 Das Kind ist deshalb bemakelt; vgl. yT Qid 3,14/12; bT Qid 66b. H. W. Guggenheimer zeigt die Parellele zu mQid 3,12 auf; Ders., The Jerusalem Talmud, 464. G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 116: „[...] the gemara cites a tannaitic tradition which emphasizes the change of status effected by conversion.“ Porton analysiert den Unterschied zwischen Fremden und Proselyten, aber der Unterschied zwischen Israeliten und Proselyten bleibt unterbelichtet. 643 Hier nach Ed. princ. Venedig.

266

vertierte, sind sich alle einig, dass es so ist, als ob er eine fremde Frau geheiratet hat.

Wenn der Proselyt nach seiner Konversion mit der Frau zusammenlebt, ist die Schwagerehe verboten, und wenn nicht, hat die Frau einen anderen Status. Die Konversion verändert deshalb den sozialen Stand der „Gerim“. Nach der Konversion sind Brüder im Sinne der rabbinischen Halacha keine Verwandte mehr und können auch keine reguläre Schwagerehe vollziehen.644 Die Frage dieser Statusveränderung betrifft auch die Familienverbindungen, die vor der Konversion bestanden. So wird in yT 11,1/15 beschlossen:                             .            645 .          .   Ein „Ger“, der konvertierte und verheiratet ist mit einer Frau und ihrer Tochter oder einer Frau und ihrer Schwester, heiratet eine und trennt sich von der anderen. Weshalb wurde das gesagt? Wenn er nicht mit ihr zusammen war, als er konvertierte. Wenn er aber mit ihr zusammen war, als er konvertierte, ist diejenige, mit der er zusammen lebt, seine Frau. Wenn er mit beiden zusammen war, seit er [mit ihr] zusammen lebte, ist er [nur mit ihr] zusammen.

Nach der Konversion muss der Proselyt sich von seiner bisherigen Familie trennen. Im Sinne der jüdischen Ehegesetze sollte der Proselyt eine Frau ehelichen, die seinem Status entspricht. Wenn er allerdings mit beiden Frauen Kontakt hatte, wird erleichternd entschieden. Um Proselyten in das soziale Muster Israels einzufügen, sind theoretische und praktische Maßnahmen notwendig, einen vergleichbaren Status herzustellen. Weiter wird in yT 11,1/16 bestimmt, dass sich der „Ger“ von seinen Halbschwestern trennen muss. Auch in dieser Belegstelle wird keine eindeutige Lösung des Problems gefunden. Die Unterscheidung zwischen väterlichen und mütterlichen Halbschwestern gewährt der Abstammung der Mutter aber den Vorrang. So wird bestimmt, dass die inzestiösen Beziehungen im Sinn der Tora nicht völlig verboten sind. Im folgenden wird diese Halacha auf einen Fremden angewandt, der noch den Status des „Goy“ hat. Der Fremde muss sich dann von den väterlichen und mütterlichen Halbschwestern trennen nach einem Vers in Genesis 2,24. Die Genealogie der fremden Eltern wird unterbrochen und die nahen 644 Diese Veränderung des Status bestätigt G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 115-116. 645 Hier nach Ed. princ. Venedig.

267

Beziehungen zu Blutsverwandten, die nach jüdischer Auffassung inzestiös sein können, verboten. Diese Bestimmung entspricht den noaidischen Geboten, und demzufolge wird ein Sohn Noas [  ] verwarnt, wenn er dagegen verstösst.646 So hat dieses Gebot einen allgemein verbindlichen Charakter, denn vor einem Gericht Israels ist die Übertretung des Inzestverbots [ ] ein Kapitalverbrechen. Weil dieses Gebot universelle Geltung hat, sind auch Proselyten dazu verpflichtet. Allerdings wurde in yT 11,1/16 bestimmt, dass dem Proselyten inzestiöse Verbindungen [ ] erlaubt sind. Es zeigt sich, dass auf rhetorischem Niveau Forderungen gestellt werden, die nicht immer direkt umgesetzt werden. Das soziale Muster scheint großzügiger zu sein als die Rhetorik vermuten lässt. Stets sind aber rhetorische Aspekte von Bedeutung, was beispielsweise in yT 11,1/19 deutlich wird.647 Die sozialen Rahmenbedingungen, die Heirat und Nachwuchs betreffen, setzen sich dagegen von der Rhetorik ab. Ob Proselyten den Status eines neugeborenen Kinds haben und welchen Status die Kinder aus Mischehen haben, verweist auf die sozial relevanten Aspekte der Konversion. In bT 97b wird bestimmt, das ein „Ger“ einem neugeborenen Kind gleicht. Wenn mit einer „Gioret“ auch ihre Söhne konvertieren, entfallen die alyah und die Schwagerehe, da die „Gerim“ diesen Gesetzen als ehemalige Fremde nicht unterliegen.648 Wie in yT wird festgestellt, dass die Proselyten dem Gesetz der Schwagerehe und der alyah nicht unterliegen, denn die konvertierten Söhne können nicht als Brüder gewertet werden. Deshalb wird gelehrt, dass zwei Zwillingsbrüder, die Proselyten oder freigelassen Sklaven sind, die alyah und die Schwagerehe nicht vollziehen, wenn ihre Zeugung vor der Konversion stattfand. Auch wenn die

646 G. Porton, Stranger Within Your Gates, 77-78. Anhand von G. Porton lässt sich diese Differenz auf den Unterschied von Proselyten und Israeliten zurückführen. Gerade im Hinblick auf die Eltern spielt die „fremde“ Vergangenheit des Proselyten eine große Rolle. 647 Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 470:                             : „Do we find in his relation to his mother that her converted aspect accompanies the unconverted aspect just as with a slave girl her converted aspect accompanies the unconverted aspect.“ 648 Überliefert in MS Oxford Opp 248; in MS München 141 lückenhaft. MS München 95 ist nicht überliefert.

268

Zeugung nach der Konversion stattfand, gelten sie nicht uneingeschränkt als Israeliten.649 Weiter in bT 98a heißt es:                  650 .‘       ’’      Die (Aussage) der Rabbanan, ein „Goy“ habe keinen Vater, begründe man nicht: „weil sie der Unzucht verfallen sind“; da man es nicht weiß. Wenn man es weiß, berücksichtige man dies. Aber selbst wenn man es weiß, berücksichtige man es nicht.

Die Problematik der Erbfolge darf offenbar nicht auf die Unzucht zurückgeführt werden, denn die fehlende Genealogie ist keine Frage des individuellen Verhaltens. Diese Meinung schließt sich an yT 11,1/16 an und die Erlaubnis, Beziehungen fortzuführen. Dennoch wird die Schwagerehe der zwei konvertierten Zwillingsbrüder verboten. Ein Beispiel bietet der Fall des Proselyten Niphates, der die Frau seines Bruders mütterlicherseits heiratet. Ihm wird in bT 98a beschieden, dass es in diesem Fall keine Heirat gäbe: ]              ’’       ’’                [  .               Ein „Ger“, der sich verheiratet. Es gibt die Meinung, dass bei ihnen die Heirat ungültig ist. Vielmehr kann man annehmen, dass das Verbot der Frau seines Bruders keine Geltung hat. Wenn sie seinen Bruder [im Status] des „Ger“ geheiratet hat? Nein, wenn er sie [im Status] des „Goy“ geheiratet hat. Weshalb muss dies gesagt werden? Man kann schließen, dass man den [Status des] „Goy“ für den [Status des] „Ger“ berücksichtigt.651

649 Die Verantwortung für die Frau des Bruders bleibt an dieser Stelle umstritten und eine abschließende Entscheidung wird nicht gegeben. 650 Hier nach MS Oxford Opp 248. MS München 141 ist lückenhaft überliefert, MS München 95 fehlt. 651 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 663. Hier nach MS Oxford Opp 248; der letzte Vers stammt aus MS München 141. Die Überlieferung ist in beiden Handschriften offenbar lückenhaft. Aus dem Zusammenhang lässt sich der Zusatz in Klammern erschließen, der L. Goldschmidts Übersetzung folgt.

269

Offenbar ist die Verlobung des Proselyten nicht in jedem Fall gültig, sondern hängt vom Zeitpunkt der Konversion ab.652 So ist bei Proselyten nicht der Status des Fremden zu berücksichtigen. Dem sozialen Muster entsprechend ist der Proselyt damit ein Teil Israels, auch wenn er in der Rhetorik nicht immer so behandelt wird. Ein zweiter Fall wiederholt, das ein Proselyt die Frau seines Bruders mütterlicherseits heiraten darf. Dafür wird der Status des Fremden nicht in Anschlag gebracht. Weiter werden in 98a-b inzestiöse Beziehungen behandelt, die den Status des Proselyten bemakeln können:            ‘     ’’ .              Komm und höre: Ein „Ger“, dessen Schwangerschaft nicht im [Status der] Heiligkeit verlief und dessen Geburt im [Status der] Heiligkeit verlief, hat eine Blutsverwandtschaft über die Mutter, aber nicht über den Vater. Daraus folgt: Heiratet er die Schwester seiner Mutter, muss er sich von ihr trennen; heiratet er die seines Vater, kann er sie behalten.653

Die Belegstelle gleicht yT 11,1/15 und der Aussage, die Blutsverwandtschaft übertrage sich mütterlicherseits. Deshalb ist die Verwandtschaft väterlicherseits erlaubt und mütterlicherseits verboten. In bT 98b wird gegen R. Meir entschieden, der ein strikte Haltung gegenüber inzestiösen Verbindungen einnimmt. Die Weisen entscheiden erleichternd zugunsten dieser Beziehungen, da der Status des Fremden für den Proselyten keine Bedeutung hat.654 Auch in bT überwiegen die erleichternden Entscheidungen zugunsten der Proselyten und ihren Verwandtschaftsbeziehungen, die jenseits der Rhetorik den „Ger“ als Teil Israels behandeln. Der wesentliche

652 Aus dieser Diskussion über den Zeitpunkt wird in bT 78a, L. Goldschmidt, Jabmuth, 590, geschlossen: „Raba sagte, wenn eine schwangere Nichtjüdin [  ] sich bekehrt hat, benötige ihr Sohn nicht des Untertauchens [...].“ Der Zeitpunkt entscheidet damit auch über den Status des Kindes. 653 Hier nach MS Oxford Opp 248. In MS München 141 sind einige geringfügige Abweichungen zu verzeichnen; MS München 95 ist nicht überliefert. 654 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 664. Hier zufolge MS Oxford Opp 248, da in MS München 141 die Überlieferung offenbar widersprüchlich ist und anstelle von „ “ der Begriff „ “ überliefert wird.

270

Unterschied liegt im Zeitpunkt der Konversion, da dies direkte Auswirkungen auf die Nachkommen hat.655

3.3.12 Zum Zeugnis von Proselyten: zu Mischna 11,2 bis 14,3 In diesem Abschnitt werden Aspekte der Zeugenschaft thematisiert. Ein zentraler Aspekt der Konversion ist die Zeugenschaft des Proselyten. Nach der Konversion, wenn der Proselyt den rechtlichen Status eines Israeliten erhalten hat, ist er in der Lage, ebenfalls ein Zeugnis abzulegen. Ein thematischer Vergleich zwischen yT und bT veranschaulicht einige Motive zur Zeugenaussage der „Gerim“. Ein zweiter Abschnitt erläutert einige weitere Motive zur Beschreibung fremder Personen. Vor dem Hintergrund der alyah und der Zeugenschaft, die dafür notwendig ist, wird in yT 12,1/1 folgendes festgelegt:  .         .          ‘  .                      .        ‘    .‘         .        .         .          Es gibt Tannaiten, die lehren, dass die alyah vor „Gerim“ gültig ist. Und es gibt Tannaiten, die lehren, dass die alyah vor „Gerim“ ungültig ist. Diejenigen, die sagen, dass die alyah vor „Gerim“ gültig ist, folgen denjenigen, die laut „in Israel“ die Proselyten einschließen. Diejenigen, die lehren, dass die alyah vor „Gerim“ ungültig ist, folgen denjenigen, die laut „in Israel“ die „Gerim“ ausschließen. Hier um die „Gerim“ auszuschließen, und dort um die „Gerim“ einzuschließen. Dort „der Bürger“ um die „Gerim“ auszuschließen, und laut „in Israel“ um die „Gerim“ auszuschließen. Eine Ausschließung nach einer Ausschließung um die „Gerim“ einzuschließen? Aber genau deswegen „in Israel“, nicht aber „Gerim.“656

Ob die Zeugenschaft von Proselyten gültig ist, hängt an der Aussage, ob Proselyten „in Israel“, also Teil von Israel sind. Wenn die Proselyten den Status eines Israeliten haben, ist ihre Zeugenaussage gültig. Gerade im Vergleich mit dem „Bürger“ [ ] scheinen die Proselyten nicht den glei-

655 C. Hayes, The „Other“ in Rabbinic Literature, in: C. E. Fonrobert, The Cambridge Companion to the Talmud, 53-55. 656 Hier nach Ed. princ. Venedig, in MS Leiden lückenhaft überliefert

271

chen Status aufzuweisen.657 Die Proselyten sind also de facto einem Israeliten nicht gleich. Obwohl sie selbst keine alyah vollziehen, ist der Fall ein Paradigma für ihren sozialen Status. In yT 12,1/2 wird die Zeugenaussage von zwei Männern im Vergleich zur Aussage von zwei Proselyten abgewogen:   .                    .                      .          .    Derjenige, der sagt, dass die alyah in Anwesenheit von zwei Männern ungültig ist, sagt, dass die alyah vor „Gerim“ ungültig ist. Und derjenige, der sagt, die alyah in Anwesenheit von zwei Männern sei gültig, meint, dass die alyah vor „Gerim“ gültig ist. Selbst derjenige, der die alyah vor „Gerim“ für gültig hält, stimmt überein, dass sie in Anwesenheit von zwei Männern ungültig ist, da die Zivilgerichtsbarkeit von „Gerim“ gültig ist, aber ungültig in Anwesenheit von zwei Männern.658

Für eine gültige Zeugenaussage sind laut dieser Stelle offenbar mehr als zwei Männer notwendig.659 So ist die Zeugenaussage von zwei Männern auf jeden Fall ungültig, während die Zeugenaussage von Proselyten nur im Zivilrecht [  ] gültig ist. So sind die Proselyten offenbar nicht in jedem Fall von der Zeugenaussage ausgeschlossen. Wenigstens gibt es dazu keine einheitliche Meinung in yT. Ein weiterer Vergleich zwischen der Zeugenaussage von Proselyten und der alyah bei Nacht kommt zu ähnlichen Schluss, dass die Zeugenaussage von Proselyten im Zivilrecht gültig sein kann. So können die Aussagen von Proselyten in manchen Fällen verbindlich sein. Auch in bT wird im Kontext der alyah die Zeugenaussage der Proselyten aufgegriffen. In bT 101b muss das Ritual in Israel vor Israeliten stattfinden, nämlich vor einem Gericht von Israeliten, nicht vor einem Gericht von „Goyim“. Genauso wenig darf es vor einem Gericht von „Gerim“ stattfinden.660 In bT wird nicht nur den Proselyten im Fall der 657 Nach S. J. D. Cohen ist der „Ger“ wie ein „native born“, d.h. er genießt trotzdem nicht die vollen Rechte; Ders., Crossing the Boundary, in: HTR 82:1, 1989, 28. 658 Vgl. H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 492-493. Hier nach Ed. Venedig, da MS Leiden im letzten Vers eine unklare Überlieferung aufweist. 659 Hier nach G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 214. 660 Hier nach MS Oxford Opp 248. MS München 95 und MS München 141 stimmen nicht in der Verwendung der Begriffe überein. Diese Überlieferung scheint im Kontext am sinnvollsten zu sein.

272

alyah die Zeugenaussage verboten, sondern auch den Fremden. Es wird wesentlich genauer die Zusammensetzung des Gerichts und der Stand der Richter definiert.661 Beispielsweise darf kein Laie [  ] dem Gremium angehören, und es müssen mindestens drei Männer anwesend sein. Zur Zeugenschaft von Proselyten wird in bT 102a folgendes beschlossen:                                            .                     Raba sprach: Ein „Ger“ richtet seinesgleichen, wie die Tora spricht, denn es heißt: und setze einen König ein aus der Mitte deiner Brüder (Dtn 17,15). Über dich aus der Mitte deinesgleichen, aber ein „Ger“ richtet seinesgleichen, einen „Ger.“ Wenn seine Mutter jüdisch ist, entspricht er sogar einem Israeliten. Im Fall der alyah ist nur derjenige zulässig, dessen Vater und Mutter Israeliten sind; wie geschrieben steht: und sein Name werde in Israel genannt (Dtn 25,10).662

Dieser Stelle zufolge kann ein Proselyt seinesgleichen richten, nicht aber Israeliten in Bezug auf die alyah. Deshalb macht die Erbfolge, die ein Proselyt wegen des Status als Neugeborener nicht hat, einen wesentlichen Unterschied. Wenn die Mutter Israelitin ist, wird ihm erlaubt, auch Israeliten zu richten. Für die alyah müssen jedoch beide Eltern aus Israel stammen. Dem Proselyten wird also nicht die volle Rechtsgleichheit mit Israeliten eingeräumt. In bT 109b findet sich folgende Bemerkung zur Zeugenaussage von Proselyten:                                  [     ]  .                   Von Bürgschaften und von Bürgschaften in Zion. Wie R. Izchak sagte: Deshalb heißt es: Wer für einen „Zar“ bürgt, dem wird es schlecht ergehen (Spr 11,15). Unglück über Unglück kommt über die, die „Gerim“ aufnehmen, Bürgschaften in

661 Zusätzlich wird in bT festgelegt, dass die Konversion vor einem Gericht stattfinden muss; J. Kulp, The Participation of a Court in the Jewish Conversion Process, in: JQR 94, 2004, 469-470. 662 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 677. Hier nach MS München 141 und MS Oxford Opp 248, MS München 95 weicht geringfügig ab.

273

Zion abschließen und die sich an die Lehre herandrängen. Die „Gerim“ aufnehmen nach R. Helbo; denn R. Helbo sagte: „Gerim“ sind für Israel wie ein Ausschlag.663

Auch wenn nicht eindeutig ist, was mit den „Bürgschaften in Zion“ gemeint ist,664 stellt die Bürgschaft von Fremden wie die Aufnahme der Proselyten eine Gefahr dar.665 Im Kontext der Stelle ist eindeutig, dass Proselyten zwar konvertieren, aber die Gebote möglicherweise nicht ausüben könnten. Mit dem Begriff „Zar“ wird auch dem „Ger“ eine restriktive Bedeutung verliehen. Die berüchtigte Aussage des R. Helbo, die an verschiedenen Stellen der rabbinischen Literatur erscheint, ist dementsprechend negativ.666 Im Zusammenhang von Geldangelegenheiten und Zeugenaussagen berühren Fremden jedenfalls wichtige Interessen Israels, die nach einer Differenz verlangen. In diesem Sinn kann auch das Gebot verstanden werden, das Ritual der alyah nicht im Namen des fremden Diensts zu vollziehen. In bT 103b wird der Schwägerin verboten, die alyah mit einem Idol zu vollziehen.667 Rituale, die Israel betreffen, dürfen nicht von Fremden oder im Namen von etwas Fremden gehalten werden. Auch in yT findet sich eine entsprechende Belegstelle.668 In einem zweiten Abschnitt werden Motive genannt, die einen Überblick über die Terminologie geben und Definitionen der Begriffe ermög-

663 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 709. Bis auf die Einfügung in den Klammern stimmen MS München 95 und MS Oxford Opp 248 überein. 664 Den traditionellen Auslegungen zufolge bedeutet dieser Begriff nur, sich von Bürgschaften im allgemeinen fernzuhalten; M. Jastrow, Dictionary of Talmud Babli, 1113. Über Bürgschaften im allgemeinen gibt J. Neuser in „History of the Jews in Babylonia“, Vol. V, 315-318, Auskunft. 665 Die ökonomische Seite der Bürgschaft wird in yT Jeb 7,1/8 anhand eines Vermögens von Fremden verdeutlicht. 666 Zumindest die Evidenz aus den Texten scheint zu beweisen, dass es keine Bestrebung einer Mission unter Fremden in der rabbinischen Literatur gab. Gegen die Existenz einer Mission, die vielfach diskutiert wird, argumentiert M. Goodman, Jewish Proselytizing in the First Century, in: J. Lieu, The Jews among Pagans and Christians, 60-72. 667 Überliefert in MS München 95, in MS München 141 fehlt diese Stelle. 668 H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 503; yT 12,1/14: „If she performed alyah with a sandal that was not his etc. Rebbi Eleazar said, a ram’s horn belonging to idolatry [  ] or to a seduced city is valid.“

274

lichen. In yT 13,1/17 wird das Abheben der Hebe durch „Goyim“ behandelt, das bereits in bT Schabbat 153b669 einige Fragen aufwarf:     .                    .           .             .          .                 .        670 .    Derjenige, der schuldig wird, darf die Hebe abheben; derjenige, der nicht schuldig werden kann, darf die Hebe nicht abheben. Sie warfen ein: Aber ein „Goy“ kann nicht schuldig werden, und er darf Hebe abheben? R. Yose sagte im Namen von R. Hila: „Das soll als eure Hebe angerechnet werden“ und „ihr sollt abheben“ (Num 18,27). Jeder, für den „Gedanke“ geschrieben ist, darf abheben. Und derjenigen, für den nicht „Gedanke“ geschrieben ist, darf nicht abheben. Sie warfen ein: Aber „Gedanke“ wurde nicht für „Goyim“ geschrieben, und sie dürfen Hebe abheben. R. Hoshiah lehrte: „Goyim“ verschwenden keinen Gedanken an die Vorbereitung noch an die Hebe.

Ob ein Fremder, der keine Schuld auf sich laden kann, auch die Hebe abheben darf, wird negativ entschieden. Theoretisch scheint diese Möglichkeit zu bestehen, aber die praktische Entscheidung orientiert sich am „Gedanken“ [ ], das bedeutet an der Intention. Da die Fremden keine Gedanken an die Hebe und an das jüdische Opferwesen verschwenden, wird das Abheben der Hebe an dieser Stelle ablehnend entschieden.671 Wenn auch die Mischna die Hebe von Fremden erlaubt, zeigt sich in bT eine Ambivalenz. Das gesellschaftliche System Israels ist ein weiteres Mal mit Fremden inkompatibel. Dennoch versuchen die Autoren in bT 99a, fremde Personen zu definieren:                                                                            672 .          

669 Dort war Fremden [  ] verboten, die Hebe im Namen von Israeliten abzuheben; vgl. hier und dort C. Hayes, Gentile Impurities, 113-114. 670 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 671 G. Porton, The Stranger Within Your Gate, 134-135. 672 Hier nach MS Oxford Opp 248, da MS München 95 nur lückenhaft überliefert ist.

275

Es kann vorkommen, dass Mann und Frau zweimal fünf Nationalitäten erzeugen. Wie das? Ein Israelit kauft einen Sklaven und eine Sklavin auf dem Markt und diese bekommen zwei Kinder, [von denen einer „Ger“ wird]: so sind hier „Ger“ und „Goy“ vorhanden. Wenn er [der Besitzer] sie wegen der Sklaverei untertauchen lässt und sie einander begatten, so sind hier „Ger“, Sklave und „Goy“ vorhanden. Wenn er darauf die Magd freilässt und der Sklave ihr beiwohnt, so sind hier „Goy“, Sklave und „Mamser“ vorhanden. Wenn er beide freilässt, und sie einander heiraten, so sind hier „Ger“, „Goy“, Sklave, Mischling und Israelit vorhanden. Was lehrt er uns damit? Wenn ein „Goy“ oder ein Sklave mit einer Israelitin schlafen, ist das Kind ein „Mamser.“673

Das Konzept der Terminologie wird anhand eines theoretischen Falls vorgestellt. Die Rhetorik der Tauglichkeit erlaubt, genaue Abstufungen vorzunehmen. Die Kinder von Sklaven sind vorerst Fremde, „Goyim.“ Nach einer Konversion des einen Partners haben die Kinder den Status eines Mischlings, und in der zweiten Generation werden sie in die Gemeinschaft Israels aufgenommen. Dieser theoretische Fall veranschaulicht eine Abstufung der Begriffe und der sozialen Relationen. Alles mündet in die Halacha, dass die Nachkommen aus einer Mischehe zwischen einem Fremden und einer Israelitin Mischlinge sind. In bT 100b wird die Mischehe mit einem Toravers verboten:                 ‘    .              ‘  Über Abraham steht geschrieben: dir ein Gott zu sein und deinen Nachkommen nach dir (Gen 17,7). Was gebot der Barmherzige damit? Er meinte es so: du sollst keine „Goya“ und keine Sklavin heiraten, damit deine Nachkommen nicht ihr folgen.674

Wie in allen anderen Fällen wird die Mischehe wegen den Nachkommen verboten. Diese Stelle kann als Beleg dafür gewertet werden, dass das matrilineare Prinzip nicht völlig unbestritten im Talmud besteht. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die fremden Partner, die männliche

673 L. Goldschmidt verwendet eine andere Vorlage, da die Übersetzung nicht zur Vorlage passt. Vgl. Ders., Jabmuth, 666. 674 Vgl. die Übersetzung von L. Goldschmidt, Jabmuth, 672. Hier nach MS München 95; MS Oxford Opp 248 weicht leicht ab, aber nicht in der Aussage.

276

Fremde sind, den Status der Israeliten gefährden.675 In bT 103b wird die Differenz zwischen Fremden und Israeliten bestätigt:                 ’’ .             So sagte R. Yoanan: Als die Schlange sich der Eva näherte, übertrug sie einen Geruch. Bei den Israeliten, die am Berg Sinai standen, verging der Geruch. Bei den „Goyim“, die nicht am Berg Sinai standen, verging der Geruch nicht.676

Wie in bT Shab 146a besteht die Differenz zwischen Fremden und Israeliten in Bezug auf die Gebote, die nur von Israeliten ausgeübt werden. Die Fremden haben keinen Sinn für die Gebote und Opfer Israels. Deshalb soll man sich nicht mit ihnen verschwägern, da die soziale Grenze Israels nicht ohne Grund zwischen dem Status des Fremden und dem Proselyten verläuft.677

3.3.13 Zum Zeugnis von Fremden: zu Mischna 14,3-9, Mischna 16,5 und weiteren Belegstellen In diesem abschließenden Kapitel werden einige Motive zu Mischna 14,3-9, 16,5 und weitere Belegstellen vorgestellt. Da der Kommentar nicht allzu ausführlich ist, lassen sich diese Belegstellen in einem Kapitel zusammenfassen. Ein erster Teil handelt von verschiedenen Motiven des Begriffs „Nori“, ein zweiter Teil vom Zeugnis des Fremden. Zu Mischna 14,3 werden erneut die verschiedenen Kombinationen von verwandten und fremden Frauen mit Geschwistern diskutiert. In Bezug auf die Fremde, die „Norit“, liefert yT keinen speziellen Kommentar. In bT wird dieser Sachverhalt ausführlich ausgelegt und wiederholt bereits bekannte Motive. Die Belegstellen in bT 110a, 110b, 112b678 und 114b orientieren sich stark an der Mischna. Das Paradigma sind zwei Brüder, von 675 Wie E. P. Sanders zeigt, hängt dies auch mit der Bewertung der Unreinheit zusammen, über die zwischen den Rabbinen einige Uneinigkeit besteht; Ders., Jewish Associations with Gentiles and Galatians 2:11-14, in: R. Fortna, The Conversation Continues. Studies in Paul & John, 174-175. 676 Hier nach MS München 141; in MS München 95 nur leicht verändert. MS Oxford Opp 248 ist nicht überliefert. 677 Die Belegstellen 110a, 11b, 111a und 112a werden wegen ihrer thematischen Zugehörigkeit im nächsten Kapitel behandelt. 678 Dieser Fall findet sich nur in Handschrift MS Oxford Opp 248, in L. Goldschmidt, Jabmuth, fehlt diese Stelle.

277

denen der eine gesund und der andere taub ist, die mit zwei Schwestern verheiratet sind, von denen eine gesund und die andere taub ist. Es ist unklar, ob im Fall der Schwagerehe der Bruder die Frau behalten kann oder sich von ihr trennen muss, was fallweise entschieden wird.679 Der Begriff „Norit“ wird an diesen Stellen im Sinn der Clanfremden verwendet, wie 111a zeigt.680 Anhand des Beispiels einer Tauben und einer Minderjährigen wird entschieden, dass der spezielle Status der Fremdheit mit der Aneignung des Partners verknüpft ist. Die Fremdheit steht deshalb im Gegensatz zur Aneignung. Direkt zu Mischna 14,3-9 wird folgender Kommentar in bT 113a gegeben:                          ‘               . Fünf dürfen die Hebe nicht abheben. Und haben sie die Hebe entnommen, ist sie ungültig. Diese sind: der Taube, der Einfältige, der Minderjährige, derjenige, der nicht seine eigene Hebe abhebt, und wenn der „Nori“ die Hebe eines Israeliten abhebt. Selbst mit seiner Bevollmächtigung ist die Hebe ungültig.681

Wie in bT Schabbat 153b wird die Entnahme der Hebe im Auftrag eines Israeliten verboten. Auch an dieser Stelle wird der Begriff „Nori“ verwendet.682 Eine weitere Wiederholung aus bT Schabbat wird in bT 114a in Analogie zur Schabbatruhe gesetzt:

679 Da sich die Fälle verhältnismäßig ähnlich sind und dem bekannten Paradigma der Mischna folgen, wird nicht auf alle vier Belegstellen Bezug genommen. Vgl. 110a, L. Goldschmidt, Jabmuth, 712: „Wenn zwei Brüder, ein Vollsinniger und ein Tauber, mit zwei einander fremden [  ] [Frauen], einer Vollsinnigen und einer Tauben, verheiratet sind, und der mit der Tauben verheiratete Taube stirbt, was tue der mit der Vollsinnigen verheiratete Vollsinnige? Er heirate sie, und wenn er will, entferne er sie.“ Die Fälle werden entsprechend der Mischna aufgenommen und abgearbeitet. Inhaltlich wurden diese Fälle bereits in Kapitel 3.3.1 besprochen. 680 „[...] ist sie ihm angeeignet, so ist sie ihm ja angeeignet, und ist sie ihm nicht angeeignet, so ist sie ihm ja eine Fremde [    ]“; Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 714. Hier nach MS München 95; in MS Oxford Opp 248 sind einige Worte hinzugefügt. 681 Hier nach MS München 95, MS München 141 und MS Oxford Opp 248. Der hebr. Text ebend. in bT Shab 153b; Kap. 2.3.9. 682 Vgl. mTer 1,1. Dieser Fall wurde bereits im Kapitel Schabbat 2.3.9 exemplarisch abgehandelt.

278

                                                  .    Komm und höre: Ein „Nori“, der kommt, um zu löschen, fordere man nicht zum löschen auf, noch halte man ihn davon ab, da er nicht zur Einhaltung des Schabbat verpflichtet ist. Wenn ein Kind kommt, um zu löschen, halte man es vom löschen ab, da es zur Einhaltung des Schabbat verpflichtet ist. R. Yoanan sagte: Wenn es mit der Kenntnis seines Vaters geschieht [ist es erlaubt]. Genau so bei einem „Nori“, wenn er es mit der Kenntnis des Israeliten tut. Ist das erlaubt? Ein „Nori“ handelt aus eigenem Ermessen.683

Wie in bT Schabbat besteht der Unterschied zwischen einem Fremden und einem Israeliten in der Einhaltung des Schabbat. Da der Fremde aus eigenem Ermessen handelt, gibt es für ihn kein explizites Ruhegebot. So zeigt sich, dass sich bestimmte Halachot wiederholen und eine Stabilität in der Verwendung der Begriffe besteht.684 Der männliche Terminus „Nori“ entspricht damit dem Nichtjuden, während sich die weibliche Form „Norit“ auf die Clanfremdheit bezieht. So changiert der Begriff im jeweiligen Umfeld der Halacha. Der zweite Abschnitt des Kapitels thematisiert das Zeugnis des Fremden. Mischna 16,5 thematisiert den Tod eines Gatten, der durch Zeugen bestätigt werden muss.685 In bT 115a wird ein Fall entwickelt, in dem der Ehemann im Ausland stirbt. In der Folge wird zwischen glaubhaften und nicht glaubhaften Fällen unterschieden. Glaubhaft ist der Tod des Manns durch einen Überfall von Fremden [ ] im Ausland, was speziell bezeugt werden muss.686 Die Zeugenaussage des Fremden wird nach bT 121b akzeptiert, bis auf den Fall, wenn der Fremde einen Nutzen daraus ziehen 683 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 727. Hier nach MS München 95; MS Oxford Opp 248 weicht nur geringfügig ab. 684 Ein weiterer Zusatz an dieser Stelle bezieht sich auf Verunreinigungen. Vgl. L. Goldschmitdt, Jabmuth, 728. Hier nach MS Oxford Opp 248; in MS München 95 nur geringfügig verändert:   ‘         “                 . „Komm und Höre: Man darf ein Kind von einer Norit und einem unreinen Vieh saugen lassen, ohne dabei die Verunreinigung von Ekeltieren zu berücksichtigen, aber man darf ihm nicht Aas, Totverletztes, Widerliches oder Kriechtiere zu essen geben.“ 685 Die Thematik der „gunah“, einer Frau, deren Mann verstorben und verschwunden ist, wird im Traktat Jebamot ausführlich behandelt. Y. Danziger, The Mishna, Artscroll Mishna Series, 18. 686 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 731.

279

könnte. Wenn ein Fremder vorsätzlich den Tod eines Manns bezeugen möchte, ist sein Zeugnis zu bezweifeln. Weiter wird beschlossen:                 .        Wie kann die Mischna lehren, dass das Zeugnis von einem „Goy,“ wenn er es ablegen möchte, ungültig ist? Wenn er es auf einfältige Weise berichtet.687

Die Auslegung folgt dem Prinzip, dass die Intention des Fremden für seine Zeugenschaft wichtig ist, denn grundsätzlich ist sein Zeugnis nicht verboten. Das Erzählen auf einfältige Weise [  ] weckt offenbar das Misstrauen.688 Die Frage ist, inwieweit die Aussage eines Fremden glaubhaft ist. Wenn die Fremden den Israeliten zwingen wollen, den Schabbat zu übertreten,689 muss dem kein besonderer Glauben geschenkt werden, wie ein Vergleich in bT 122a zeigt. Wenn ein „Goy“ Früchte auf dem Markt mit dem Hinweis bewirbt, sie seien aus dem vierten Jahr, will er den Autoren zufolge seine Ware preisen.690 So sind die Fremden sicher nicht immer glaubwürdig und die Drohung, den Schabbat zu übertreten, ist nicht ernst zu nehmen. Demgegenüber gibt es aber Fälle, in denen Fremde glaubwürdig sind:      ‘    ‘         ‘    691 .        

687 Vgl. L. Goldschmidt, Jabmuth, 757. Hier nach MS München 141; in MS Oxford Opp 248 mit leichten Abweichungen. MS München 95 überliefert diese Stelle abweichend und ohne den Begriff Goy:               .    ‘           [...]                                . 688 Hier bedeutet der Begriff eher „einfältiges Sprechen“, da „“ sowohl Einfalt wie Integrität bedeutet; siehe M. Jastrow, Dictionary of Talmud Babli, 1653. 689 Vgl. 121b; L. Goldschmidt, Jabmuth, 758: „Einst sagte ein Nichtjude [ ] zu einem Israeliten: Schneide am Schabbat Futtergras und wirf es dem Vieh vor, sonst erschlage ich dich, wie ich jenen Israeliten erschlagen habe, den ich für mich am Schabbat eine Speise kochen hieß und der es nicht getan hat.“ 690 Überliefert in MS Oxford Opp 248; in MS München 95 leicht verändert. 691 In diesem Fall stimmen MS München 95 und MS Oxford Opp 248 überein.

280

Eine Erzählung von einem Juden und einem „Goy“, die zusammen unterwegs waren. Der „Goy“ kam sagte: Schade um den Juden, der mit mir unterwegs war. Er starb unterwegs und ich begrub ihn. Man erlaubte seiner Frau zu heiraten.

Wenn der Israelit Augenzeuge der Aussage des Fremden ist, wird ihm in diesem Fall offenbar Glauben geschenkt und die Frau zur Wiederverheiratung freigegeben. Zwei weitere Fälle des gleichen Inhalts werden dementsprechend entschieden. Mit dem Thema des Zeugnisses steht die Vertrauenswürdigkeit des Fremden zur Debatte. In yT 16,1/24 wird der Fall des verlorenen Scheidebriefs behandelt:692                     .                Was ist, wenn ein „Goy“ vorbeikommt? Wir hören es von folgendem: Abba bara Hana brachte einen Scheidebrief und verlor ihn. Ein „Sarkai“ fand ihn. Die Angelegenheit kam vor die Weisen und sie erklärten ihn für gültig. Daher heißt es, wenn ein „Goy“ vorbeikommt, ist es gültig.693

Das Zeugnis, selbst wenn es in den Händen eines Fremden war, ist gültig. Sonst wäre auch das Senden einer Botschaft durch einen Fremden nicht möglich. Eine Episode aus Mischna 16,7694 veranschaulicht den Fall eines Israeliten, der auf der Reise gestorben ist. Die Gastwirtin bezeugt in yT 16,1/30 den Tod mit den die Habseligkeiten:   ‘ .                       ‘ ’’ .               .     Die Wirtin holte seinen Stock, seine Schuhe, seinen Geldbeutel und die Tora, die in seinen Händen war. R. Aha im Namen R. aninas: Sie behandelten sie in diesem Augenblick wie eine Angestellte. R. Samuel bar Sosarta sagte: Sie behandelten sie wie einen „Goy“, der einfältig spricht.695

692 In yT Jeb 9,5/4, H. W. Guggenheimer, The Jerusalem Talmud, 386, heißt es weiter: „There, we have stated: A forced bill of divorce is valid in Israel, it is invalid from Gentiles [ ]. Samuel said, it is invalid and disqualifies for the priesthood.“ Ein von Fremden erzwungener und beglaubigter Scheidebrief hat so keine Gültigkeit. 693 Hier nach Ed. princ. Venedig. 694 Hier nach der herkömmlichen Zählung. J. Neusner, A History of the Mishnaic Law of Women, Vol. I, 210. 695 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

281

Auf die Zeugenaussage der Wirtin hin wird die Verheiratung erlaubt. Unter bestimmten Umständen darf der Zeugenaussage der Fremden vertraut werden, auch wenn sie harmlos oder einfältig spricht [ ]. Diese Episode wird in bT 122b auf ähnliche Weise aufgelöst:                    ‘ .        R. Kahana sagte: Es war eine fremde Gastwirtin, die voller Einfalt berichtete: das ist sein Stock, da ist sein Gepäck, und da ist das Grab, in dem ich ihn begraben habe.696

Auch in bT wird der nichtjüdischen Gastwirtin Glauben geschenkt, obwohl sie harmlos berichtet. Die Zeugenaussage der Fremden wird sowohl in yT als auch in bT unter Umständen berücksichtigt, besonders, wenn es um Tod des Gatten geht und man offenbar auf die Zeugenschaft der Fremden angewiesen ist.

3.4 Der, die, das Fremde: Facetten der sozialen Fremdheit Die Wahrnehmung des Fremden im Traktat Jebamot beinhaltet verschiedene Aspekte der sozialen Hierarchie. Während die Traktate Brachot und Schabbat von der ethnischen und religiösen Fremdheit geprägt sind, überwiegt in Jebamot die soziale Fremdheit oder „Clanfremdheit.“ Fremde können damit auch Israeliten selbst sein. Die Konversion der „Gerim“ verlangt die Behandlung und Abgrenzung gegen andere Fremde. Die rhetorische und terminologische Komponente der Fremdbeschreibung kommt in diesem Kapitel besonders zum Tragen.697 Eine Zusammenfassung des Inhalts Ein erstes Kapitel befasst sich mit der Terminologie der Fremdbeschreibung in Jebamot. „Zar“ und „Ger“ bilden in Jebamot die Grundbegriffe einer differenzierten Terminologie. Zum einen gehören diese Fremden zu Israel, 696 Hier nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248. In MS München 95 wird der Vers noch einmal wiederholt. 697 Die Terminologie und die Rhetorik der Fremdbeschreibung darzustellen, war das Ziel der Analyse. Wie C. Hayes bereits vorführte, ist die rabbinische Hermeneutik zwischen der Exegese der Mischna und der Tora angesiedelt; Dies., Between the Palestinian and Babylonian Talmuds, 120.

282

auf der anderen Seite sind sie kein Teil der Priestergesellschaft. Die Abstufung und Differenzierung der Terminologie folgt dem Interesse, Grenzen gegenüber Fremden zu ziehen, die sowohl ethnische Fremde als auch Israeliten sein können. Im zweiten Kapitel wird der Nachwuchs aus einer Mischehe zwischen Fremden und Israeliten debattiert. Wenn ein Fremder mit einer Israelitin ein Kind zeugt, ist das Kind untauglich. Der Sohn der Fremden mit einem Israeliten wird dementsprechend als „ihr Kind“ gewertet. Eine Anmerkung in bT zeigt, dass nur durch die Konversion das Kind einen legalen Status erhält. Deshalb ist im dritten Kapitel von der Ehe der „Gerim“ und der Fremden mit Israeliten die Rede. Die Bestimmungen dazu sind im allgemeinen erleichternd, wenn auch in bT darüber ausführlicher gehandelt wird.698 An dieser Stelle wird über die Intention der Konversion gehandelt, die nur aus selbstlosen Motiven erfolgen darf. Ein vierter Abschnitt betont die sozialen Aspekte der Fremdheit. In beiden Gemarot werden die Begriffe „Zar“ und „Norit“ dazu verwendet, eine gesellschaftliche Hierarchie zu formulieren, die der Tempelgesellschaft entspricht. Durch den Ausschluss der Clanfremden wird der genealogische Zusammenhalt von Familien garantiert. Fremdheit ist ein Störfaktor für die Ordnung der Gesellschaft Israels. In der Wahrnehmung der Rabbinen wird damit die soziale Stellung von Priestern und Israeliten bedroht. Im fünften Kapitel werden in yT Motive der Clanfremdheit analysiert. Die Proselyten, ihr Nachwuchs und die Aneignung der Erbschaft stehen zur Debatte. Demgegenüber wird in bT eine Konversionszeremonie entwickelt.699 Dort werden die Elemente der Konversion wie die Beschneidung, die Taufe und die Zeremonie ausführlich diskutiert. In yT wird eine priesterliche Gesellschaftsordnung reflektiert, die zwar offenbar Proselyten kennt, ihnen aber keine rechtsgleichen Status einräumt. In bT erhalten die Proselyten einerseits einen gleichwertigen Status, der ihnen den Eintritt in die

698 G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 146. G. Porton geht im weiteren nicht davon aus, dass es eine Zeremonie für die Konversion gab. Dies widerspricht zumindest dem Befund des Kapitels 3.3.5 und auch dem Aufsatz von S. J. D. Cohen, The Rabbinic Conversion Ceremony. 699 In diesem Kapitel wurden nicht alle Elemente der Konversion in bT besprochen, sondern nur die wesentlichen Elemente im Kontext der Fremdbeschreibung angesprochen. Ausführlicher dazu S. J. D. Cohen, The Rabbinic Conversion Ceremony, in: JJS 41, 193-201; vgl. auch G. Porton, Stranger Within Your Gates, 93-101.

283

Gemeinschaft Israels ermöglicht, aber nicht für die Ehe mit Priestern tauglich macht. Die widersprüchlichen Angaben zur Kaste der „Gerim“ machen dies deutlich.700 Nach einigen Rabbinen halten sich Proselyten nicht an die noaidischen Gebote, das heißt an die verbindlichen Anforderungen, weil sie ungenügend mit den Geboten vertraut sind oder aus Furcht handeln. Im sechsten Kapitel werden diese sozialen Unterschiede weiter verfolgt. Im Rahmen der sozialen Hierarchie wird in yT der Fall des ammonitischen Proselyten diskutiert. Proselyten haben keinen rechtsgleichen Status, weil sie höher gestellte Partner wie Priester und Israeliten untauglich machen. Dem Proselyten wird in bT der Status eines neugeborenen Kindes verliehen, was ihm einen neuen Anfang nach der Konversion ermöglicht. Wie in yT wird der Aspekt der Untauglichkeit durch eine Mischehe thematisiert. Dem entsprechend wird das Verbot von Mischehen zwischen den Kasten in bT wiederholt. Im siebten Kapitel wird der Nachwuchs von einem Fremden oder einem Sklaven übereinstimmend als „Mamser“ klassifiziert. Im achten Kapitel wird die Beschneidung als wesentliches Distinktionsmerkmal in yT und bT herausgearbeitet. Beide Gemarot stimmen darin überein, dass die Beschneidung die Mindestanforderung für die Annäherung an die Gemeinschaft Israels darstellt. Der Genuss der Hebe kann wegen einer Mischehe mit Fremden verboten werden.701 So sorgen die Beschneidung und der Genuss der Hebe für eine soziale Differenz. Das neunte Kapitel thematisiert den Standesunterschied zwischen Proselyten und Priestern. In yT machen die Proselyten den Priester in einer Mischehe untauglich, in bT ist die Proselytin dem verletzten Priester erlaubt. Somit wird in bT tendenziell erleichternd entschieden. Um die Grundzüge einer Rhetorik der Tauglichkeit bemüht sich das zehnte Kapitel. Offensichtlich besteht eine gewisse Diskrepanz zwischen der Regelung von alltäglichen Beziehungen zu Fremden und der Exegese von Tora und Mischna zu diesem Thema. Das Traktat Jebamot beherrscht eine Rhetorik der Tauglichkeit, die sich vor allem auf theoretische Fälle wie die

700 In diesem Abschnitt werden in yT und bT einmal die Proselyten in die „  “ eingeordnet und einmal nicht. Diese Ambivalenz trägt in den Augen von M. Goodman dazu bei, dass es keine ernsthafte Mission der Fremden gegeben habe, Ders., Mission and Conversion, 85. 701 Vgl. die Debatte um Priester und Mischehen mit Proselyten in C. Hayes, Gentile Impurities, 171-173, hinzuzufügen.

284

ammonitischen und ägyptischen Proselyten stützt.702 Dabei werden in der Exegese die Bestimmungen der Tora und der Mischna verglichen, die sich nicht immer optimal vereinbaren lassen. Die Argumentation ist oft von einer Dialektik geprägt, da aus dem gleichen Sachverhalt positive und negative Entscheidungen abgeleitet werden. Ein Ergebnis dieser Rhetorik ist ein gewisser Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Proselyten in yT und bT.703 Im elften Kapitel wird das soziale Umfeld der Proselyten und ihre neue gesellschaftliche Stellung analysiert. Der Zeitpunkt der Empfängnis eines Kindes von Proselyten ist entscheidend, da sich davon der soziale Status ableiten lässt. In yT wie bT hat der Proselyt den Status eines Neugeborenen, ist deshalb aber nicht völlig rechtsgleich mit dem Israeliten.704 Während auf rhetorischem Niveau dem Proselyten inzestiöse Beziehungen vor seiner Konversion verboten werden, sind sie wohl faktisch erlaubt. Die letzten beiden Kapitel befassen sich mit der Zeugenschaft. In beiden Gemarot wird den Proselyten zwar grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt, Zeugnis abzulegen, aber nicht im Fall der alyah.705 Schließlich sind Proselyten nicht zur alyah zugelassen, weil sie keine direkten Verwandten haben. Ein zweiter Abschnitt des zwölften Kapitels veranschaulicht in yT und bT die soziale Hierarchie in Israel. In bT 99a werden alle Abstufungen vom Fremden über den Sklaven und den Proselyten als terminologische Differenzierung der Gesellschaft ausgewiesen. Die Grenze zwischen den Fremden und Israeliten verläuft in yT und bT eindeutig auf der Höhe der Proselyten.706 Das dreizehnte Kapitel zeigt in einem ersten Abschnitt die Vielfältigkeit des Begriffs „Nori“. Der zweite Abschnitt fasst Motive zum Zeugnis des 702 Hier sind die Fälle des „ “ und „ “ und die Debatte um die Konversion der Ammoniter und Moabiter nach yT 8,3/5 und bT 16b bzw. 68a zu berücksichtigen. Das Konzept der rabbinischen Rhetorik wird im Vergleich zu G. Veltri, Römische Religion an der Peripherie des Reiches, modifiziert. 703 Diesen Unterschied, der in Bezug auf die Genealogie bedeutsam ist, beobachtet auch C. Hayes, Gentile Impurities, 169. 704 G. Porton, Stranger Within Your Gates, 80-83. Dazu ist anzumerken, dass der Proselyt zwischen einem Fremden und einem Israeliten angesiedelt ist. 705 Das bestätigt B. Bamberger, Proselytism in Talmudic Period, 54-55. 706 S. Cohen, The Beginnings of Jewishness, 339. Wie nahe Fremde und Proselyten mit Israel verbunden sind, zeigt auch die Teilnahme an den Wallfahrten; vgl. S. Safrai, Die Wallfahrt im Zeitalter des Zweiten Tempels, 105-111.

285

Fremden zusammen, die die Wiederverheiratung einer Frau betreffen. Dabei wird das Zeugnis von Fremden [ ] unter bestimmten Umständen als gültig erachtet. Die Motive der Fremdbeschreibung in yT und bT weisen im Traktat Jebamot einige Parallelen auf. In diesem Traktat werden aus der Mischna Motive übernommen, wie das Beispiel der Clanfremden, der Norit, zeigt. Die Clanfremdheit und die Verwandtschaftsbeziehungen, die in den Gemarot aufgearbeitet werden, lassen sich so direkt auf die Mischna zurückführen. Die Behandlung der Halacha über den Status der Frau nach Deuteronomium 25,5 wird in beiden Gemarot aufgegriffen.707 Genauso wird die Halacha „Der Sohn der Fremden wird nicht dein Sohn genannt, sondern ihr Sohn“ an verschiedenen Stellen erneut aufgegriffen. Auch das Motiv des ammonitischen und moabitischen Proselyten ist offenbar ein Gemeinplatz in den Gemarot. Der Genuss der Hebe und die Beschneidung des Proselyten wird ebenfalls in yT und bT besprochen, sowie der Proselyt im allgemeinen nicht für die Ehe mit Priestern zugelassen wird.708 Die Ambivalenz zwischen den Kasten wird in bT deutlich abgemildert. Die Zeugenschaft von Proselyten und Fremden werden in beiden Gemarot ähnlich entschieden. Keine Übereinstimmung gibt es in der ausführlichen Schilderung der Konversion von bT 45a bis 48b. Auch die Abgrenzung von „Ger edek“ und „Ger Toschav“ scheint ein Thema des bT zu sein. Dennoch besteht eine weitgehende Übereinstimmung der Motive im Traktat Jebamot. Die Begriffe der Fremdbeschreibung sind in diesem Teil von der Differenz der ethnischen Fremdheit und der Clanfremdheit geprägt. Die Begriffe „Goy“ und „Nori“ entsprechen in diesem Fall ethnischen Fremden, die Ausländer und Nichtjuden bezeichnen. Während „Nori“ im Kontext bestimmter Halachot verwendet wird, ist der Begriff „Goy“ die gewöhnliche Bezeichnung des Fremden. In beiden Gemarot kann oft nur über den Inhalt zwischen den Bedeutungsebenen von „Norit“ differenziert werden. Die Begriffe „Ger“ und „Zar“ verweisen auf den Klassenunterschied und die Clanfremdheit. Mischehen betreffen so nicht nur Fremde und 707 Vgl. Deut 25,5: „Wenn zwei Brüder zusammen wohnen und der einen von ihnen stirbt und keinen Sohn hat, soll die Frau des Verstorbenen nicht die Frau eines fremden Mannes außerhalb der Familie werden.“ 708 Diese Unterscheidung von israelitischen Fremden und ethnischen Fremden bestätigt C. Hayes, Genealogy, Illegitimacy, and Personal Status. The Yerushalmi in Comperative Perspective, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, 74.

286

Israeliten, sondern auch Priester und Israeliten.709 Die Institution der Schwagerehe hat zum Ziel, die Witwe keinem Fremden anzutrauen. Die fehlende Verwandtschaft zwischen Fremden wird wie in der Mischna mit dem Terminus „Norit“ ausgedrückt. Deshalb muss zwischen der männlichen und der weiblichen Formen unterschieden werden. Darüber hinaus gibt es Fälle, in denen dieser Begriff auch im Sinne der Fremden verwendet wird.710 Weiter ist auffällig, dass in diesem Traktat der Begriff „Avoda Zara“ selten erwähnt wird, dafür aber in bT der Begriff „Zar“ ausgiebig verwendet wird. Der Begriff des „Ger“ scheint in yT wie in der Mischna weniger den Konvertiten als den Fremden einer bestimmten Klasse zu bezeichnen.711 In bT ist diese Ambivalenz noch zu spüren, die aber eindeutig zugunsten des Proselyten entschieden wird. So gibt es eine spürbare Entwicklung des „Ger“ von yT zu bT. Die Bandbreite der Terminologie ist in bT zwar nicht größer, wird aber differenzierter ausgearbeitet. In yT stehen die Begriffe noch im Kontext der Mischna.712 Die gemeinsame Verwendung von Begriffen im Kapitel Jebamot zeigt einen deutlichen Zusammenhang von „Goy“ und „Ger“. In bT besteht dieser Zusammenhang zwischen allen vier Begriffen. Die Verbindung von „Zar“ und „Ger“ ist besonders ausgeprägt, wobei der Begriff „Zar“ in diesen Fällen die Bedeutung des Fremden hat. „Der, die, das Fremde“ Die Einordnung des Materials in die drei Kategorien „der, die, das Fremde“ stellt den Zusammenhang zwischen der Beschreibung und der Wahrnehmung der Fremdbeschreibung her. Über die Begriffe kann die Wahrnehmung der personalen, räumlichen und kulturellen Fremdheit ausgelotet werden. Die Kategorie der fremden Person besteht in Jebamot in dem Geflecht der Begriffe „Nori“, „Norit“, „Goy“, „Goia“, „Ger“, „Gioret“, „Zar“, 709 Vgl. H. Sivan, Rabbinics and Roman Law: Jewish-Gentile/Christian Marriage in Late Antiquity, in: Revue des études juives 156, 1997, 65. 710 Diese Verwendung des Begriffs „  “ zeigen die Belegstellen San yT 2,6/3 und 2,10/2 bzw. bT San 22b und 25b. 711 Insofern widerspricht diese Meinung der Ansicht G. Portons, Stranger Within Your Gates, 88-89, der „ “ in jedem Fall als Proselyten definiert. 712 Auch die Mischna und ihre Verwendung der Begriffe gibt den Anstoss für die Gemara, eigene Lösungen zu suchen. Damit bleibt die Verwendung der Begriffe in der Mischna jedoch völlig unklar; M. Halbertal, Coexisting with the Enemy: Jews and Pagans in the Mishna, in: G. N. Stanton, Tolerance and Intolerance in Early Judaism and Christianity, 160.

287

„Zara“. Die weibliche Form von „Norit“ steht wie in der Mischna im Kontext von Verwandtschaftsbeziehungen; diese Belegstellen sind auch thematisch verwandt. Nur yT 2,6/3 und 2,10/2 sowie bT 23a stellen eine Ausnahme dar, da dort dieser Begriff als Ausdruck für die fremde Frau benutzt wird. In 25b und 78a findet sich die seltene Kombination „     “ (die Fremde, die konvertiert). Auch dort ist der Begriff im Sinne einer Fremden zu verstehen. Über die Begriffe berühren sich die theologisch fundierte Fremdheit und die Clanfremdheit, da die Bezeichnungen absichtlich doppeldeutig bleiben. Die passende Übersetzung dieses Begriffs ist jedenfalls beide Male „die Fremde“. Der Begriff „Nori“ wird nur im Kontext bestimmter Halachot verwendet. In bT 16b steht dieser Begriff in Bezug zu Reinheit und Unreinheit von Blutflecken. Sowohl bT 113a als auch bT 114a werden Halachot aus bT Schabbat und der Begriff „Nori“ wiederholt. Der Begriff „Goy“ dominiert eindeutig die Fremdbeschreibung. Dieser Fremde ist derjenige, der mit Israeliten Kinder zeugt und Mischehen eingeht.713 Er ist auch der Partner von Handelsbeziehungen und der Fremde, der konvertieren möchte und Zeugenaussagen für Israeliten trifft. Die weibliche Form „Goya“ ist die illegitime Geschlechtspartnerin eines Israeliten. In 4,11/9 und 35b werden fremden Frauen freizügige sexuelle Beziehungen nachgesagt.714 In beiden Gemarot treffen nicht nur Männer Zeugenaussagen, sondern auch fremde Frauen. Der Begriff „Ger“ wird in diesem Traktat je nach Kontext unterschiedlich verwendet. Entweder geht es um den Fremden, der einer Kaste angehört, oder der Begriff bezeichnet einen Proselyten. Der Fall der Proselytin, die eine Mischehe mit Priestern eingeht, zeigt, dass Proselyten bestimmter Völker erst nach drei Generationen aufgenommen werden dürfen. In bT wird dementsprechend den „Gerim“ die Mischehen mit Priestern und der Genuss der Hebe untersagt. Meist dreht sich die Debatte um die Frage, unter welchen Umständen Proselyten die Heirat erlaubt ist und wann sie in die Gemeinde Israels aufgenommen werden dürfen.715 Die Diskussion, ob Proselyten einer Kaste [] angehören, unterstreicht die Restriktionen. Es ist plausibel, dass weibliche Proselyten leichter integriert werden können, da in bT von echten Proselyten die Rede ist und nicht von Fremden. Schließlich sind Frauen 713 Diese Deutung geht über die enge Definition des Begriffs von S. Stern hinaus, Ders., Jewish Identity, 7. 714 Die stereotype Wahrnehmung der fremden Frau konnte bereits im Traktat Schabbat beobachtet werden; vgl. G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 27. 715 Diese Thematik schildert G. Porton ausführlich; Ders., The Stranger Within Your Gates, 195.

288

wegen der Matrilinearität die Träger der Identität. Ein Grund, weshalb in Jebamot die „Gerim“ häufig erwähnt werden, ist ihre Bedeutung als Clanfremde. Auch der männliche und weibliche Begriff „Zar“ wird im Zusammenhang der Clanfremdheit benutzt. Der Begriff wird bei H. W. Guggenheimer treffend mit „Outsider“ übersetzt. Vor allem in bT wird dieser Begriff im Zusammenhang mit dem Tempeldienst verwendet und bedeutet dementsprechend „Nichtpriester“. In bT 67a wird der Fall der weiblichen Nichtpriesterin behandelt, deren Kind diesen Status erbt. Es zeigt sich, dass die Wahrnehmung der Fremden insgesamt einer Terminologie folgt, die an die inhaltlichen Vorgaben der Halacha gebunden ist. Offensichtlich vertreten die Rabbinen ein sehr konservative Gesellschaftsvorstellung, die auf einer hierarchischen Tempelgesellschaft basiert. Die Beschreibung der Konversionszeremonie zeigt einige Bewegung in diesem starren System.716 Die noaidischen Gebote, die im fünften und elften Kapitel im Zusammenhang der Konversion erwähnt wurden, verweisen auf allgemeine ethische Gebote, die auch für Fremde gültig sind. Die Bedeutung der Noaiden als fremde Personen ist im Rahmen dieser Gebote zu verstehen. Ein Teil der formalen Rhetorik im Traktat Schabbat war die Formel „ein Fremder, der...“ [ ]. Diese Formel wird besonders ausgeprägt in bT Jebamot verwendet. Damit wird die stereotype Beschreibung der fremden Personen unterstrichen.717 „Die Fremde“ hat in Jebamot verschiedenen Facetten, die im Zusammenhang mit der Konversion stehen. In yT 1,6/6 und 16a werden „Gerim“ aus Tadmor thematisiert. Im weiteren verweisen ammonitische, moabitische und ägyptische Proselyten auf eine gewisse räumliche Vorstellung von Konversion. Die Frage ist, was damit bezweckt werden soll. Aus dem Kontext der Tora lässt sich erschließen, dass Ammon und Moab direkte Nachbarn Israels sind. Offenbar werden diese Proselyten durch ihre Nähe als „Beisassen“ gewertet. Wie die Ägypter haben sie einen historischen Status als feindliche Nachbarn. Durch die Konversion lässt sich die Feindschaft überwinden. Zugleich sind sie deshalb aber mit besonderer Vorsicht zu behandeln. So scheint die Terminologie in diesem speziellen Fall symbolischen Charakter zu haben. Die Debatte um den Beisassen in bT veran716 Diese Entwicklung veranschaulicht J. Kulp, The Participation of a Court in the Jewish Conversion Process, in: JQR 94, 2004, 437-470. 717 Vgl. das Motiv „   “ wird in Jeb yT 2,6/1; 6,5/1; 7,4/3; 8,2/13 und bT 44b, 63a, 76a, 99a, 103b angetroffen; das Motiv „ “ in Jeb yT 2,6/1; 7,5/3 und bT 16b und 122a. Das Motiv „  “ wird nur in Jeb bT 113a und bT 114a verwendet.

289

schaulicht die Sorge, ihn beschneiden zu lassen. Aufgrund von Vorsicht sollen keine Fremden in der Nähe Israels geduldet werden. Überhaupt ist das Land Israel für die Konversion von Bedeutung, wie 47a zeigt: Ich weiß nur vom Land [Israel], wie ist es mit dem Ausland? Es heißt: mit dir, an jedem Ort, an dem er bei dir ist. Warum heißt es „im Land“? Im Land muss er einen Bürgen bringen, im Ausland muss er keinen Bürgen bringen; nach den Worten von R. Yehuda. Und die Weisen sagen, sowohl im Land als auch im Ausland müsse er einen Bürgen bringen.

Die Konversion im In- und Ausland macht wegen der Zeugenschaft einen Unterschied. Die Rabbinen mutmaßen, dass für eine Konversion im Ausland eine stärkere Motivation nötig ist. Auch die Verse in yT 8,3/7 und bT 78b zeigen, dass die Zeugung von Nachwuchs durch Fremde im Land Israel eine besondere Bedeutung hat.718 Speziell in bT 16b wird das Motiv der „Goyim“, die den Tempel in Jerusalem schänden, wiederholt.719 Und nicht zuletzt hat die Zeugenaussage eine räumliche Komponente, da an Orten, wo sich Fremde und Israeliten begegnen, im Zweifelsfall auf das Zeugnis der Fremden zurückgegriffen werden muss. Die dritte Kategorie fokussiert Differenzen zwischen den fremden Kulten und der Tradition Israels. Da in diesem Kapitel der fremde Dienst bis auf wenige Ausnahmen kaum thematisiert wird, bleiben einige Differenzen in Bezug zur Konversion. Nur in bT 9a wird der fremde Dienst als Strafmass verwendet, wie dies bereits im Traktat Schabbat erkennbar war. In Jebamot wird die Existenz der Scheidung und der Heirat bei fremden Völkern beobachtet. Es ist weniger die Frage, ob diese Einrichtungen in fremden Kulturen existieren, sondern ob sie vergleichbar sind. In yT 2,6/1 steht geschrieben: Ein „Goy“ kommt zu einer „Goya“ und sie gebiert einen Sohn. R. Yoanan sagte, „Goyim“ haben eine Genealogie. R. Simeon ben Laqish sagte, „Goyim“ haben keine Genealogie.

Im Vergleich dazu wird in bT 45a festgestellt:

718 In Kapitel 3.3.10 wurde der Unterschied deutlich, der zwischen der Zeugung und dem Aufenthalt im Land Israel besteht. Dieser Unterschied ist in erster Linie theoretischer Natur und verweist auf den Status der Fremden aus rabbinischer Sicht. 719 Die Zerstörung Jerusalems wurde bereits in Ber yT 4,3/12 thematisiert. Allerdings waren es dort die „Zarim“, die den Tempel zerstörten.

290

Weshalb machen ein „Goy“ oder ein Sklave, die mit einer Priesterin, einer Levitin oder einer Israelitin schlafen, diese untauglich? Es heißt: wenn die Tochter eines Priesters verwitwet oder geschieden wird (Lev 23,13). Bei dem, der Witwenschaft und Scheidung kennt, ausgenommen ein „Goy“ oder ein Sklave, bei denen es Witwenschaft und Scheidung nicht gibt.720

Nicht nur in diesen beiden Fällen wird die Vergleichbarkeit der Institutionen negativ entschieden.721 Offenbar gibt es in der Wahrnehmung der Rabbinen keine gemeinsamen religiösen Einrichtungen, was als weiteres Argument gegen interkulturelle Verbindungen zu zählen ist. In Bezug auf das heilige Opfer besteht eine kulturelle Grenze, die mit Zitaten aus der Tora bestärkt wird.722 Der Genuss der Hebe ist ein Distinktionsmerkmal, das Fremde und auch Proselyten auf Distanz halten soll. Die Grenze verläuft zwischen der Hebe und dem verbotenen Aas. So überquert die Konversionszeremonie einen kulturellen Graben, der nicht völlig geschlossen werden kann. Der Proselyt hat den Status des Neugeborenen und sollte seine Familienverhältnisse hinter sich lassen, wie bT 48b zeigt. Nicht nur die Familienverhältnisse werden für den Übertritt aufgegeben, sondern auch die fremden Dienste.723 Die zehn genealogischen Klassen in bT 37a und 85a konstruieren einen Klassengegensatz,724 der zu einer Abstufung und Differenzierung von Fremden führt. Fremdheit ist eine Störung der eigenen Ordnung, aber auch eine notwendige Differenzierung. Die konservative, an der Tempelgesellschaft orientierte Gesellschaftsvorstellung zeichnet ein restriktives Bild von Fremden. Die Fremden sind, jenseits von Tora und Mischna, offenbar nur teilweise integrierbar und schwer zu vermitteln. Aus allen Definitionen der Begriffe, die sich aus dem Traktat Jebamot herauslesen lassen, ergibt sich eine soziale Hierarchie, in der verschiedene Formen der Fremdheit nebeneinander bestehen.

720 Nach MS München 95 und MS Oxford Opp 248. 721 Dieser Meinung ist auch R. Katzoff, Children of Intermarriage: Roman and Jewish Conceptions, in: C. Hezser, Rabbinic Law in its Roman and Near Eastern Context, 286. 722 So wird der Sachverhalt auch bei R. Goldenberg gedeutet; Ders., The Nations That Know Thee Not, 105-197. 723 Damit gleicht der Proselyt tatsächlich einem neugeborenen Kind; vgl. G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 121. 724 Dieser Begriff ist wörtlich zu verstehen und steht in keinem Bezug zur Marxismusdebatte. Vgl. E. Fromm, Entfremdung. Vom Alten Testament bis zur Gegenwart, in: H. H. Schrey, Entfremdung, 60-61.

291

4. Traktat Sanhedrin Der vierte Teil behandelt das Traktat Sanhedrin, in dem vor allem die „Goyim“ und ihre fremden Dienste [  ] thematisiert werden. „Sanhedrin“ [  ] deutet auf die Institution des Gerichtshofs, griechisch , hin. In diesem Traktat, das zur Ordnung der „Schadensfälle“,   , gehört, stehen Verbrechen und Strafe im Mittelpunkt. Wie im Traktat Jebamot ist die Wahrnehmung der Fremden von theoretischen Debatten geprägt. Der fremde Dienst „Avoda Zara“ ist in diesem Traktat die Kontrastfolie und der Ausdruck dessen, was Israel von anderen Völkern unterscheidet. Es ist bemerkenswert, dass sich nicht viele Völker in der Antike so radikal und grundsätzlich von fremden Kulten abgrenzen wie Israel. In der rabbinischen Literatur tritt ein ausgeprägtes Bewusstsein des Fremdseins in der griechisch-römischen Kultur zu Tage.725 Somit ist die wesentliche Frage, ob der fremden Dienst nur ein rhetorisches Problem ist oder inwieweit damit die Kultur der Fremden selbst gemeint ist. Laut Sacha Stern der fremde Dienst lediglich ein rhetorisches Motiv der Exegese. Der fremde Dienst sei eine Konstruktion, mit der die Dichotomie zwischen „Fremdem“ und „Eigenem“ gestützt würde und damit die jüdischen Identität.726 Die Arbeit von Emmanuel Friedheim scheint das Gegenteil zu bestätigen.727 Ausgehend von den Resultaten der Traktate Brachot und Schabbat werden die drei Dimensionen des fremden Diensts weiter verfolgt. Der fremde Dienst setzte sich dort aus der Handlung, dem materiellen Idol und dem Strafmass zusammen. Eine eindeutige Definition dieses Begriffs ist deshalb schwer zu leisten. Weiter ist fraglich, ob die Diener der fremden Kulte [   ] ein konkretes Vorbild in fremden Personen und Gruppen haben. In wieweit ein stereotypes Denken der Fremdbeschreibung vorherrscht oder ein differenziertes Bild, bleibt in diesem Traktat zu analysieren. Ein nicht geringer Teil der Belegstellen in den Gemarot kon725 M. Goodman, Rome and Jerusalem, 260-285. Gerade die unterschiedliche Kosmologie und Ethik mag ein Grund für diese Differenz sein. 726 S. Stern, Jewish Identity, 124-127. Auch S. Stern bekennt, dass Grauzonen der Fremdbeschreibung existieren, die vor allem „Gerim“, aber auch Begriffe wie „

“ betreffen. Stern lässt deshalb allerdings nicht von der Dichotomomie zwischen Fremden und Israel ab. 727 E. Friedheim, Paganisme et Rabbinisme, 3-9. Dort hebt Friedheim die thematische Nähe zur griechisch-römischen Kulten hervor.

292

zentriert sich auf die Exegese der Tora. Die Fremden und ihre Dienste verweisen im Traktat Sanhedrin nicht zuletzt auf eine Terminologie und Rhetorik, die bereits im vorigen Kapitel thematisiert wurde.

4.1 Ein Überblick über Mischna Sanhedrin Der Text der Mischna Sanhedrin gibt einen strukturierten Überblick über die Institution des Gerichts, das „Synhedrion,“ und die gerichtlichen Entscheidungen. Es wird zwischen Zivil- und Strafrecht unterschieden, wobei die Fremdbeschreibung fast ausschließlich in den Bereich des Strafrechts fällt. Dieses Rechtssystem basiert auf der Vorlage des Deuteronomiums und entwickelt daraus das rabbinische Recht, indem verschiedene Meinungen abgewogen werden.728 Die Mischna handelt meist von konkreten Fällen und Tatbeständen und bietet Lösungen durch ein vorgeschriebenes rechtliches Procedere. Ein nicht geringer Teil der Belegstellen handelt von Ritualgesetzen, auf denen die Tempelgesellschaft basiert. Insgesamt orientieren sich die Autoren an der Definition und Verurteilung des fremden Diensts. Das Verfahren für den Prozess umfasst einige wesentliche Fragen zum Tatbestand des fremden Diensts, der als Straftat gewertet wird. In Mischna 5,1 wird dazu folgende Frage gestellt: .         Der Diener des fremden Dienstes: Wem hat er gedient und durch was hat er ihm gedient?729

Im weiteren werden die Antworten vorgegeben, um den Sachverhalt vor Zeugen ausreichend zu klären.730

728 J. Neusner, A History of Mishnaic Law of Damages, 131-136. Hier wird ein Überblick über die wesentlichen Belegstellen der Tora gegeben, wie Deut 16,18; 17,8; 17,14; 21,22, die die Vorlage der Mischna sind. 729 Die Übersetzungen der Mischna orientieren sich an D. Hoffmann, Mischnajot. Teil IV - Seder Nesikin. Die hebräische Vorlage stammt aus C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nezikin, Bd. 4, 183. Die Belegstellen sind mit Ed. Kaufmann und Parma geprüft worden. Die Zählung des Traktats richtet sich nach D. Hoffmann. In den Gemarot bestehen Abweichungen, aber für die Tabelle in 4.2.1 bildet die vorliegende Zählung der Mischna die Grundlage. 730 J. Neusner, A History of Mishnaic Law, 181.

293

Die folgenden Belegstellen stehen alle im Kontext der Todesstrafe. In Mischna 6,4 wird festgelegt, dass die Gesteinigten im Anschluss gehenkt werden. Dagegen wird folgender Einwand erhoben: .             Die Weisen sagen: Nur der Gotteslästerer und der Diener des fremden Dienstes werden gehenkt.731

In dieser Mischna werden der Gotteslästerer und die Diener der fremden Dienste gemeinsam genannt, was bedeutet, dass die Lästerung und die Verehrung fremder Kulte über ihren Tatbestand vergleichbar sind.732 Auch im weiteren werden diese beiden Begriffe gemeinsam verwendet. Für diese Vergehen muss eine angemessene Strafe festgelegt werden. Welche Personen die entehrende Todesstrafe der Steinigung zu erleiden haben, wird in Mischna 7,4 in einer Liste zusammengefasst:                                                   .          Folgende werden gesteinigt: Wer mit seiner Mutter, der Frau seines Vaters, seiner Schwiegertochter, einem Mann, oder einem Vieh sexuellen Kontakt hat. Ein Weib, das Vieh über sich kommen lässt, der Gotteslästerer, der Diener des fremden Dienstes, und wer von seinem Samen dem Molekh opfert, der Totenbeschwörer, der Wahrsager, wer den Schabbat entweiht, wer seinem Vater oder seiner Mutter flucht, wer einem verlobten Mädchen beiwohnt, wer verführt, wer überredet, der Zauberer und der wilde und widerspenstige Sohn [werden gesteinigt].733

Diese Liste ist offenbar eine thematische Zusammenstellung, die durch die verschiedenen Tatbestände einen heterogenen Eindruck hinterlässt. Der Vergleich zwischen den Vergehen umfasst das Verbot des Inzests, sexuelle Vergehen, die Lästerung des Gottesnamens, religiöse Übertritte, die Ent-

731 Vgl. D. Hoffmann, Mischnajot, 168. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nezikin, Bd. 4, 187. 732 G. Porton, Goyim, 37. 733 Vgl. D. Hoffmann, Mischnajot, 173. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nezikin, Bd. 4, 190-191. Die Aufzählung weicht in Albeck geringfügig ab.

294

weihung des Schabbat, und verschiedene Respektlosigkeiten gegenüber Älteren.734 Diese Fälle werden im Folgenden genauer spezifiziert. Über den Diener der fremden Kulte [   ] wird in Mischna 7,6 bestimmt:                                   .             Der Diener des fremden Dienstes. [Das ist] einer, der dient, Opfer schlachtet, räuchert, Trankopfer spendet, sich niederwirft, ihn für einen Gott annimmt und zu ihm sagt: „Du bist mein Gott.“ Wer aber den Götzen umarmt, küsst, [vor ihm] fegt, spritzt, [ihn] badet, salbt, bekleidet oder beschuht, übertritt bloß ein Verbot.735

Die Person, die fremde Kulte verehrt, wird anhand konkreter Handlungen definiert, die sich auf materielle Idole beziehen. Dabei wird zwischen den Opferhandlungen für einen fremden Gott unterschieden und den Handlungen, die das Idol als Gegenstand schmücken. Inwiefern sich diese Unterscheidung bewährt, wird weiter in den Gemarot diskutiert.736 Im weiteren wird der Schwur im Namen dieser fremden Dienste verboten. Verschiedene Handlungen wie das Bewerfen einer Statue mit Steinen wird verboten. Der Kult des „Molekh“ und die Beschwörung von Toten gelten explizit als fremde Kulte, die in Anlehnung an die Tora untersagt werden.737 Diese Namen der fremden Götter wie „Baal Peor“ und „Molekh“ werden in den Gemarot erneut aufgegriffen. In Mischna 7,10 spezifizieren die Autoren konkrete Handlungen, die den fremden Dienst umfassen. Zu diesem Dienst gehört das Opfer, das Aufräuchern, das Trankopfer und die Verbeugung. Die Person, die zu diesen Handlungen verleitet, wird so definiert:

734 J. Neusner, A History of Mishnaic Law, 193. Die Übersetzung von Neusner gibt einen Überblick über die Tatbestände. 735 Vgl. hier die Übersetzung von D. Hoffmann, Mischnajot, 175. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nezikin, Bd. 4, 192. 736 Diese Unterscheidung korrespondiert nicht zuletzt mit den Argumenten von S. Schwartz, der zwischen Handlung und Rhetorik unterscheidet; Ders., Imperialism and Jewish Society, 165-167. 737 Der Molekhkult wird mehrmals in der Bibel erwähnt. Für diese Stelle ist wohl Lev 20,2 das Vorbild. Dazu nimmt J. Milgrom, The Anchor Bible. Leviticus 17-22, 1738, ausführlich Stellung. Ebend.: „That Molek is always preceded by a definite article is proof that Molek was a god, at least according to the Masoretes.“

295

.         Der Verführer: Das ist der, der sagt: lasst uns gehen und die „Avodah Zara“ ausüben.738

Diese Person, die den genannten Kriterien entspricht, kann für die Verführung bestraft werden. Da manche Vergehen wie Inzest oder Mord mit dem Tod bestraft werden, darf man auch um den Preis des Lebens diese Handlungen verhindern. In Mischna 8,7 wird der fremde Dienst davon ausgenommen:                 .    Wer einem Vieh nachläuft, wer den Schabbat entweihen oder fremden Dienst treiben will, darf man nicht um sein eigenes Leben willen retten.739

Nur in bestimmten Fällen ist es erlaubt, um des Lebens willen einen Übertritt zu verhindern, aber nicht im Fall des fremden Dienstes. Auf diese Weise ist die Durchführung der Todesstrafe in diesen Fällen ungeklärt, da es sich um schwerwiegende Vergehen handelt.740 Bereits in der Mischna scheint die Debatte auf einem rhetorischen Niveau angesiedelt und weniger die praktische Anwendung zu behandeln. Der folgende Fall in Mischna 9,2 gibt dafür ein Beispiel. Für die Strafe der Enthauptung kommen Tatbestände in Frage, in denen unbeabsichtigt ein Verbot übertreten wurde:                       .    Wenn er ein Tier töten wollte und einen Menschen tötete; oder einen „Nori“ und einen Israeliten tötete, oder eine Frühgeburt und er tötete ein lebensfähiges Kind, so ist er frei.741

Da die Tötung eines Fremden nicht strafwürdig ist, kann der Schuldige freigesprochen werden. Nach Gary Porton entspricht dieser doppelte Standard

738 739 740 741

296

Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nezikin, Bd. 4, 194. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nezikin, Bd. 4, 198. Vgl. hier den Kommentar in The Mishna Artscroll, Seder Neziqin, Vol. II (a) 151. Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nezikin, Bd. 4, 199.

für Menschen und Fremde dem Unterschied von Tier und Mensch.742 Offensichtlich ist in diesem Fall nicht an ein anwendbares Gesetz gedacht, sondern an eine rhetorische Figur. In dieser Halacha scheint nicht ohne Grund der Begriff „Nori“ verwendet zu werden, der nach dem biblischen Gebrauch einen Feind bezeichnet. Die Frage der Kontinuität dieses Begriffs bleibt in den Gemarot zu analysieren. Die rhetorische Aufarbeitung der Fremdbeschreibung zeigt sich auch in Mischna 9,3. Dort wird darüber debattiert, ob die Strafe der Verbrennung oder der Steinigung schwerer wiegen. In Analogie zum Diener fremder Kulte wird folgendes beschlossen: .                 Wenn das Steinigen nicht eine härtere [Strafe] wäre, so würde sie nicht für den Gotteslästerer und den Diener fremder Dienste vorgesehen worden sein.743

Somit definiert sich die schwerere Strafe über das schwerere Vergehen. In Analogie dazu steht die Verbrennung der Priestertochter, die eine sexuelle Verfehlung begangen hat. Die inhaltliche Nähe des fremden Diensts und der illegitimen sexuellen Verbindung wird auch in Mischna 9,5 bestätigt. Wer der Fremden [  ] beiwohnt, darf von Eiferern [  ], die nicht näher definiert werden, getötet werden.744 Eine Liste ritueller Vergehen, die auf Kriterien der Tauglichkeit und Reinheit beruhen, wird in Mischna 9,6 vorgestellt: .                  Wenn ein „Zar“ [Nichtpriester] im Heiligtum den Dienst verrichtet, so sagt R. Aqiba: [Er wird] mit Erdrosselung [bestraft]. Die Weisen aber sagen: [Er erleidet den Tod] durch Gottes Hand.745

742 G. Portom, Goyim, 222; siehe va. Fußnote 12. Dieser Unterschied beruht laut Porton auch auf einem ethnischen Unterschied; Ders., Gentiles and Israelites in Mishna-Tosefta etc., in: J. Neusner, „To see ourselves as others see us.“ Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 109. 743 Vgl. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nezikin, Bd. 4, 200. 744 G. Porton, Goyim, 60. 745 Hier nach D. Hoffmann, Mischnajot, 188. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nezikin, Bd. 4, 201.

297

Diese Halacha nach Numeri 18,4 wurde bereits in den anderen Traktaten mehrfach zitiert.746 Für die Strafe ist allerdings nach den Weisen nicht das irdische, sondern das himmlische Gericht verantwortlich, was bedeutet, dass der Schuldige zwar verurteilt, aber nicht gerichtet wird.747 Die Einhaltung der bereits bekannten genealogischen Hierarchie von Priestern, Israeliten und Fremden wird in Mischna Sanhedrin verlangt. Mit dem Begriff „  “ wird in Mischna 10,1 ein griechischer Philosoph bezeichnet. Nach den Autoren hat derjenige, der ketzerische oder fremde Bücher [    ] liest, keinen Anteil an der kommenden Welt.748 Auch die falschen Propheten und Gelehrten werden bestraft, wie in Mischna 11,1 zeigt:                       .          Folgende sollen erdrosselt werden: Wer seinen Vater oder Mutter schlägt, wer eine Person aus Israel entführt, ein sich gegen die Entscheidung des Gerichts auflehnender Gelehrter, ein Lügenprophet, und wer im Namen eines Idols prophezeit.749

Die Prophezeiung im Namen der „  “ ist ein schwerwiegender Tatbestand, wie Mischna 11,6 deutlich macht:                    .           Wer im Namen eines fremden Gottes prophezeit: das ist derjenige, der sagt: So hat der fremde Gott gesagt. Wenn es auch mit der Halacha übereinstimmt, indem er das Unreine für unrein und das Reine für rein erklärt, [ist es nichtig].750

746 Vgl. Num 18,4: „Sie sollen sich dir [Aaron] anschließen und sich beim ganzen Dienst am Zelt an die Ordnung halten, die am Offenbarungszelt gilt. Kein Unbefugter darf in eure Nähe kommen.“ 747 Vgl. G. Porton, Goyim, 60. 748 D. Hoffmann, Mischnajot, 189. 749 Vgl. D. Hoffmann, Mischnajot, 194-195. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nezikin, Bd. 4, 206. 750 Vgl. D. Hoffmann, Mischnajot, 197-198. C. Albeck, Shisha Sidrej Mishna. Seder Nezikin, Bd. 4, 208.

298

Nach J. Neusners Übersetzung ist damit nicht der fremde Gott, sondern die Verkörperung des Gottes in einem materiellen Idol gemeint.751 Diese Prophezeiungen sind wegen des fremden Diensts verboten, selbst wenn sie mit den jüdischen Gesetzen übereinstimmen. Die Fremdbeschreibung in Mischna Sanhedrin fokussiert bis auf zwei Belegstellen mit den Begriffen „Nori“ und „Zar“ den fremden Dienst und die Diener desselben. Dabei steht in der Mischna die konkrete Ausübung der Tat im Vordergrund und weniger die materiellen Kulte. Die legale Terminologie, die in den Gemarot weiter entwickelt wird, liegt in der Mischna begründet. Die Entwicklung und die Kontinuität dieser Motive bleibt zu analysieren.

4.2 Das Verzeichnis der Belegstellen und die Überlieferung des Traktats 4.2.1 Das Verzeichnis der Belegstellen Eine Tabelle zu yT und bT verleiht einen Überblick über die Verteilung der Begriffe. Die Struktur orientiert sich an den besprochenen Belegstellen in der Mischna. Doppelnennungen der Begriffe in einer Halacha sind hervorgehoben und verweisen auf den Zusammenhang der Begriffe. In diesem Traktat stehen Mischna 10 und Mischna 11 in bT in verkehrter Reihenfolge. Während sich die Zählung von yT an der Mischna orientiert, ist Mischna 10 in bT mit Mischna 11 vertauscht. Deshalb kommt es in der Tabelle in bT zu Abweichungen. yT

Goy

zu M 5,1 zu M 6,4

1,2/49; 2,3/4; 3,6/10; 3,6/13 5,1/3 -

6,4 - 7,4

6,1/1

zu M 7,4 7,4 - 7,6 zu M 7,6

7,10/6

1,1 - 5,1

Nori

Ger

Zar

2,6/2

3,10/2

3,6/10

-

6,9/16

-

-

5,1/8 6,9/10; 7,1/4; 7,1/5 7,5/7 7,11/1; 7,11/2

751 J. Neusner, A History of Mishnaic Law, 229.

299

7,6 - 7,10 zu M 7,10 7,10 - 8,7 zu M 8,7 zu M 9,2 zu M 9,3 zu M 9,6

9,6 - 11,1

7,13/1 8,6/5

-

-

9,11/3

-

-

10,2/14; 10,2/55; 10,6/2; 10,6/3; 10,7/1

10,2/27; 10,2/30; 10,6/6

7,13/3; 7,13/5; 7,13/6 8,8/2 8,9/3 9,11/4; 10,1/2; 10,2/2; 10,2/6; 10,2/21; 10,3/4; 10,6/5 11,7/7; 11,7/8 11,8/1

zu M 11,1 11,1 - 11,6 zu M 11,6

11,7/5

-

-

bT

Goy

Nori

Ger

Zar

11a

36b, 39b

15b, 39b

1,1 - 5,1 zu M 5,1 zu M 6,4

14b, 16b, 20b, 21a, 25b, 38b, 39a, 39b 40b 47a

40b 46a, 47b, 48a 49b, 50a, 50b, 51a

6,4 - 7,4 zu M 7,4 7,4 - 7,6 zu M 7,6

54a, 54b, 55a, 55b 56a, 57a, 57b, 58b, 59a, 60a 61a, 64a

7,6 - 7,10 zu M 7,10

300

67a

56a, 58a

56a, 56b, 57a, 59a 60b, 61a, 61b, 62a, 62b, 63a, 63b, 64a 64a, 64b, 65a, 67a

7,10 - 8,7 zu M 8,7 8,7 - 9,2 zu M 9,2 zu M 9,3 9,3 - 9,6

74b 76b 79a -

79a -

zu M 9,6

82a

82a

[zu M 11,1] [11,1 - 11,6] [zu M 11,6]

-

-

zu M 10 [M 11]

68b, 71b

94b, 95b, 97b, 101a,104a, 104b,105a, 106a, 108b, 110b

73b, 74a

112a

-

85b

94a, 96b, 109a

81a 82a, 82b, 83a, 83b, 84a 89a, 90a 91b, 92a, 93b, 96a, 97b, 99a, 101b, 102b, 103b, 107a, 109a,113a

Wie in den anderen drei Traktaten befindet sich die Mehrzahl der Belegstellen nicht im Rahmen der besprochenen Belegstellen der Mischna. Das Traktat Sanhedrin zeichnet sich durch eine relativ unregelmäßige Verteilung der Belegstellen aus. Es besteht ein deutliches Übergewicht an Belegstellen im Talmud Bavli. Eine weitere Besonderheit ist die unregelmäßige Kommentierung der Mischna in der Gemarot. In yT wird in sechs Fällen die Mischna nicht besprochen, dagegen in bT nur in zwei Fällen. Mischna 9,3 und 11,1 werden in beiden Gemarot nicht weiter behandelt. Ein starkes Ungleichgewicht des Kommentars zwischen yT und bT ist die Folge. Dieses Problem kann durch die Komprimierung der Belegstellen gelöst werden. Ein spezielles Problem in diesem Traktat ist die Zählung der Mischna. Als Grundlage der Zählung wird die Ausgabe von D. Hoffmann verwendet.752 Die jeweilige Zählung in yT und bT wird dem Maßstab der Quellentexte angepasst. Im elften Kapitel werden die Belegstellen der Mischna thematisch verglichen. Entgegen der Zählung wird der Kommentar des bT mit den Belegstellen des yT kombiniert. Die Verteilung der Begriffe in Sanhedrin bildet in yT einen Schwerpunkt auf der vierten Spalte, in der der Begriff „Zar“ verzeichnet wird. An zweiter Stelle steht der Begriff „Goy“, während die Begriffe „Ger“ und 752 Siehe die Zählung in D. Hoffmann, Mischnajot. Teil IV - Seder Nesikin.

301

„Nori“ deutlich seltener erwähnt werden. In bT ist die Verteilung nur geringfügig ausgeglichener. Ein gemeinsamer Schwerpunkt an Belegstellen findet sich im Umfeld von Mischna 9,6 bis 11,1. Mischna 7,6 weist nur in bT eine größere Anzahl an Belegstellen auf. Die Verteilung der gemeinsamen Belegstellen erinnert an die Traktate Brachot und Schabbat. Während nur eine Belegstelle in yT zwischen „Goy“ und „Zar“ ausgewiesen ist, finden sich in bT elf Belegstellen. Dort besteht auch eine Verbindung von „Ger“ und „Zar“ beziehungsweise „Goy“ und „Nori“. Diese Verbindungen zeigen vorab eine gewisse Erweiterung des Spektrums der Fremdbeschreibung, die sich auch in den anderen Traktate feststellen ließ.753 Es bleibt zu untersuchen, ob damit eine inhaltliche Entwicklung verbunden ist. Um den Vergleich auf die wesentlichen Motive zu konzentrieren, werden in Sanhedrin nicht alle Belegstellen kommentiert.754

4.2.2 Zu Problemen der Überlieferung in yT und bT Sanhedrin Für die hebräische Originalvorlage wird die „Synopse zum Talmud Yerushalmi“ verwendet. Dort geben Ed. princ. Venedig und MS Leiden über Abweichungen Auskunft.755 In bT bildet die gedruckte Ausgabe des babylonischen Talmud von 1957 die Textgrundlage.756 Weitere Probleme der Überlieferung lassen sich anhand der Handschriften von MS München 95 und MS Firenze 9-7 klären, die in erster Linie konsultiert werden.757 Da nicht für alle Belegstellen MS Firenze verwendet werden kann, wird in manchen Fällen auch MS Karlsruhe herangezogen. Eine Vorlage für die

753 In Schabbat und Jebamot wurde die Fremdbeschreibung im Vergleich zur Vorlage der Mischna wesentlich erweitert. Vgl. Kapitel 2.2.1 und 3.2.1. 754 Folgende Belegstelle werden nicht weiter verfolgt, da sie für die Fremdbeschreibung inhaltlich marginal erscheinen: yT 10,3/4; 10,6/6; bT 47a, 95b, 96a, 108b, 110b, 112a, 113a. 755 P. Schäfer, Synopse zum Talmud Yerushalmi Bd. IV. Ordnung Neziqin. Ordnung Toharot: Nidda, Tübingen 1995. 756 A. S ainzal, Talmud Bavli. Menukad u-Mevoar, Masseket Sanhedrin, Bd. 1,2, Jerusalem 1974. 757 Die Handschriften werden entsprechend der „Lieberman Text Database“ abgeglichen; vgl. die Kapitel zu Brachot, Schabbat und Jebamot.

302

Übersetzung liefert die kritische Übertragung von Gerd A. Wewers,758 in bT die Übertragung von L. Goldschmidt.759 Die Überlieferung des yT bietet nur geringe Probleme. Abgesehen von den Belegstellen yT 7,13/3, 9,11/4 und 11,8/1 sind keine größeren Abweichungen zu verzeichnen. Die Belegstelle yT 7,13/3 wird von G. Wewers mit einem Verweis auf Tosefta Sanhedrin interpretiert. In yT 9,11/4 gleicht der Text der Synopse nicht der Übersetzung, die einen veränderten Ablauf der Sätze vorlegt. G. Wewers liefert gute Argumente, in yT 11,8/1 ein Wort im überlieferten Text zu verändern.760 In bT Sanhedrin sind wie in den anderen Traktaten die Begriffe „Goy“ und „Nori“ in der gedruckten Ausgabe von der Zensur betroffen. An den Belegstellen bT 14b, 16b, 25b, 38b, 40b, 54a, 55a, 55b, 56a, 56b, 57a, 57b, 58b, 59a, 60a, 60b, 63b, 64a, 67a, 74b, 76b, 79a, 82a, 94b, 101a, 104a, 104b, 105a und 106a mussten andere Begriffe durch „Goy“ ersetzt werden. Das Verhältnis der Begriffe verschiebt sich auf diese Weise deutlich zugunsten von „Goy“. Darüber hinaus sind an den Belegstellen bT 38b, 39a, 45b, 46a, 47b und 56a Abweichungen zu bemerken. Eine unterschiedliche Überlieferung in den Handschriften MS München 95 und MS Firenze 9-7 lässt sich in bT 38b, 39a, 45b, 46a, 47b, 50a, 56a, 58b, 59a, 61b, 62a, 63b, 64a, 64b, 71b, 73b, 83a, 83b und 104a beobachten. Die Ursache für die Differenz zwischen den Handschriften in bT 47b und 58b ist ein gekürzter Torabeleg. An den meisten Belegstellen wie in bT 56a fehlt ein Vers an der betreffenden Belegstelle, was die Rekonstruktion des Originals erschwert. Gelegentlich ist nur ein Wort hinzugefügt oder verändert, wie in bT 38b und 45b. Wie immer sind diese Abweichungen für die Interpretation zu berücksichtigen, können aber kaum endgültig entschieden werden.

4.3 Die Auswertung der Belegstellen in yT und bT Sanhedrin Die Fremdbeschreibung des yT geht über die Vorlag der Mischna deutlich hinaus, denn die Motive im Zusammenhang mit dem fremden Dienst wer758 G. Wewers, Sanhedrin. Gerichtshof. Übersetzung des Talmud Yerushalmi, Tübingen 1981. 759 L. Goldschmidt, Der Babylonische Talmud. Baba Batra. Synhedrin, Bd. 8; Ders., Der babylonische Talmud, Sanhedrin. Makkot, Shebuot etc., Bd. 9, Königstein 1981. 760 Hier verändert G. Wewers aus inhaltlichen Gründen das Wort „Po erin“ in der Synopse zu „ oneqin“. Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 316, F. 91.

303

den genauer spezifiziert. Die Autoren des yT bemühen sich, eine inhaltliche Definition des fremden Dienstes zu geben. Doch im Gegensatz zur Mischna basiert das Konzept der „Avoda Zara“ auch auf den biblischen Quellen. Deshalb ist die Exegese der Mischna stark mit der Exegese der Tora verknüpft, was eine gewisse Rhetorik erfordert. Die Terminologie der Fremdbeschreibung wird wesentlich erweitert, um den Spielraum der Rhetorik zu vergrößern. Die Verwendung der Begriffe „Goy“ und „Ger“ zeigen, dass in yT eine Anzahl neuer Motive und Themen in die Fremdbeschreibung einfließen. Dabei ist die Exegese der Tora ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Mischna.761 Im Vergleich werden in bT viele Anregungen aus yT übernommen und weiter ausformuliert. Die große Anzahl der Belegstellen veranschaulicht, dass die Behandlung des fremden Dienstes in bT eine tragende Bedeutung hat. Die Rhetorik wird im Hinblick auf die Fremdbeschreibung abermals erweitert. In bT wird nach den Gründen für die Verurteilung des fremden Diensts gesucht. Welche Beziehung diese Kulte zu Israel haben, wird ausführlich erörtert. Wie in Jebamot Ehe und Scheidung exklusive Institutionen Israels sind, werden in Sanhedrin exklusive Gerichtsverfahren geschildert.762 Die Terminologie in Sanhedrin fokussiert nicht nur den Begriff „Zar“. Der Gebrauch von „Nori“ und „Goy“ bleibt zu analysieren und die Halachot zu prüfen, in denen diese Begriffe verwendet werden. Auch die Belegstellen zu „Ger“ müssen auf ihre Funktion und Bedeutung untersucht werden. Der Kommentar zu den Noaiden ist in bT Sanhedrin mit der Figur des „Ger“ verknüpft. Zudem wird in bT die Exegese der Tora um einige Motive erweitert. Ob die Exegese in bT auch qualitativ zu unterschiedlichen Ergebnisse führt, bleibt zu überprüfen.

4.3.1 Über das Verhältnis zu Fremden: von Mischna 1,1 bis 5,1 Das erste Kapitel konzentriert sich auf das Verhältnis zwischen Israel und den Fremden. Zugleich soll in diesem Kapitel die Terminologie der Fremdbeschreibung auf die Frage untersucht werden, auf welche Weise die Begriffe verwendet werden. In diesem Abschnitt sind sowohl in yT als auch in bT alle vier Begriffe der Fremdbeschreibung enthalten. Deshalb werden 761 Insofern besteht im Vergleich zur Mischna ein wesentlicher Unterschied der Fremdbeschreibung, der besonders in der Handhabung der Exegese besteht. Die Exegese spielt in der Mischna kaum eine Rolle. Vgl. G. Porton, Goyim, 132. 762 Vgl. hierzu G. Wewers, Sanhedrin, 117.

304

in diesem Kapitel die Belegstellen thematisch anhand der drei Kategorien „der, die, das Fremde“ verglichen. Zur fremden Person finden sich die meisten Belegstellen. Die fremde Frau [ ] wird wie in Jebamot mit verschiedenen Begriffen bezeichnet. In yT 2,3/4 wird über die Witwe des Königs debattiert und dafür die Geschichte von König David herangezogen. Die Genealogie in I. Chronik 2,9 erwähnt die Figur Yerahmel763, die aber laut Ruth 4,19 nicht weiter erwähnt wird. Dafür muss ein plausibler Grund gefunden werden. Die Rabbinen argumentieren, er habe eine fremde Frau geheiratet, um sich mit ihr zu schmücken.764 Die Heirat mit einer fremden Frau ist ein Grund für die Autoren, aus der biblischen Geschichte entfernt zu werden. Der Begriff für die fremde Frau ist wie üblich „Goya.“ Diese Bezeichnung steht häufig im Zusammenhang mit Mischehen.765 In yT 2,6/2 wird das Verbot der Mischehe aus der Geschichte Salomos abgeleitet: 

.         .           ‘   .                        .       766 .   Und König Salomo hat fremde Frauen [„Noriot“] geliebt (1. Kg 11,1). Rabbi Shimon ben Yochai sagte: Er liebte sie nur wegen der Unzucht. ananya, der Sohn des Bruders des Rabbi Yehoshua, sagt: deswegen: Du sollst dich nicht mit ihnen vermählen (Dtn 7,3). Rabbi Yose sagt: [er tat es], um sie den Worten der Tora näher zu bringen und sie unter die Flügel der Gottesgegenwart zu führen. Rabbi Liezer sagt: Deswegen: Die fremden Frauen [„Noriot“] verführten ihn zur Sünde (Neh 13,26).

Wie in Jebamot bT 76b ist Salomo eine Figur, die gerne als gängiges Beispiel für die Heirat mit Fremden verwendet wird. Die Toraexegese dient dazu, ein inhaltliches Problem und diverse Meinungen zu erläutern. Offenbar scheint es für das Verbot der Mischehe mehrere Erklärungen zu geben. Unzucht und die Veranlassung zur Sünde [ ] scheinen das Verbot zu bestätigen; und nur nach Rabbi Yose kann die Nähe zu Fremden auch zu ei763 Vgl. I. Chr 2,9: „Dem Hezron wurden Söhne Jerachmeel, Ram und Kaleb geboren.“ 764 Siehe G. Wewers, Sanhedrin, 65. 765 M. Satlow zeigt diesen Zusammenhang auf, betont aber auch, dass Frauen aus der männlichen Perspektive wahrgenommen werden. Ders., Fictional Women. A Study in Stereotypes, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture, 233-234. 766 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

305

ner Annäherung an die Tora führen. Allerdings scheinen in diesem Fall die negativen Kommentare zu überwiegen. Im Hinblick auf die Terminologie zeigt sich ein weiteres Mal, dass der Begriff „Norit“ im jeweiligen Kontext betrachtet werden muss. Auch in bT 11a wird über eine fremde Frau gehandelt und festgehalten, dass eine Heirat aus körperlichen und niedrigen Beweggründen geschieden werden darf. Über den Toravers in Esra 10,2 wird das Verbot der Mischehe abgeleitet. Dort bekennt Sekhanja, der Sohn Yehiels, fremde Frauen [  ] geheiratet zu haben.767 Auch an dieser Stelle bedeutet der Begriff „Noriot“ „fremde Frauen“ und ist aus dem Torazitat übernommen. Wie in yT ist der Kontext das Verbot der Mischehe mit fremden Frauen. Es wird gefolgert, dass mit Fremden keine Ehe geschlossen werden kann. Die religiöse und kulturelle Differenz zwischen Israel und den Fremden ist zweifellos schwerwiegend.768 In yT 3,6/13 lässt sich zu diesem Motiv folgende Halacha finden:      .                                  769 . Rabbi Abina fragte Rabbi Ammi: Ist den „Goyim“ die Heiligung des Namens geboten? Er sagte zu ihm: Und ich werde inmitten der Kinder Israels geheiligt (Lev 22,32). Von den Israeliten ist die Heiligung des Namens verlangt, aber den „Goyim“ ist die Heiligung des Namens nicht geboten.

Die Frage, ob Fremde [ ] den Name Gottes heiligen müssen, wird über die Exklusivität Israels entschieden.770 Der Segen ist den Fremden nicht geboten, weil sie nicht zu Israel zählen. Als fremde Personen haben sie einen anderen Status, wenn sie auch grundsätzlich Israeliten segnen dürfen, wie das Traktat Brachot belegt.771 Im Anschluss wird die Halacha wiederholt, dass den Fremden wenigstens nicht positiv geboten ist, den

767 Hier nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 768 M. Goodman, Mission and Conversion, 121. Diese Differenz ist auch für die Definition der Identität Israels von wesentlicher Bedeutung, wie Goodman zeigt. 769 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 770 Darauf verweist Lev. 22,32: „Ihr sollt meinen heiligen Namen nicht entweihen, damit ich inmitten der Israeliten geheiligt werde [...].“ 771 Vgl. Ber yT 8,9/6: „Es wurde gelehrt: Wenn ein Heide eine Benediktion unter Erwähnung des Gottesnamens gesprochen hat, darf man ‚Amen‘ respondieren.“

306

Namen zu heiligen.772 Der Segen eines Fremden ist nicht äquivalent mit dem eines Israeliten.773 Diese Ambivalenz der Segenssprüche besteht aufgrund der religiösen Differenz. In bT 38b wird diese Differenz anhand eines Ketzers, der als „Epikuräer“ [  ] bezeichnet wird, greifbar.774 Um für die Angriffe der Ketzer gerüstet zu sein, muss die Tora studiert werden. Es gilt, die passenden Gegenargumente bereitzuhalten: .   ’’   ‘     ‘   ‘     ’’ R. Yoanan sagte: Es gab keinen Zweifel bei einen fremden „Epikuros“, aber ein israelitischer „Epikuros“ würde in seiner skeptischen Haltung bestärkt.775

Der Begriff „Epikuros“ kann offenbar einen israelitischen Ketzer oder einen Fremden mit griechischer Prägung bezeichnen. Während die Auseinandersetzung mit dem Fremden für sinnvoll erachtet wird, ist die Auseinandersetzung mit ketzerischen Israeliten offenbar sinnlos. Dennoch werden im Namen R. Yoanans einige Gegenargumente zur Exegese der Ketzer vorgestellt, denn die theologischen Dogmen Israels sollen gegen abweichende Meinungen verteidigt werden.776 Allerdings darf den Ketzern nur geantwortet werden, wenn genügend rhetorische Kompetenz vorhanden ist. Im Kontext dieser Stelle finden sich fiktive Auseinandersetzungen mit Fremden und Ketzern, denen jeweils provozierenden Fragen in den Mund gelegt werden. Der Streit des Kaisers [  ] mit Rabban Gamliel über theologische Probleme wie die Allmacht und Allwissenheit Gottes veranschaulichen allerdings eher eine Auseinandersetzungen mit rabbinischen Problemen wie der Theodizee.777 Diese Kombination der Fremden mit kri772 Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 91. 773 Vgl. dazu Meg yT 1,11/8: „Hat ein Nichtjude einen Segenspruch gesprochen, so darf man ihm (mit Amen) respondieren. Hat er den Gottesnamen gesagt, darf man ihm nicht mit Amen respondieren.“ Vgl. auch Tos Ber 5,20-23. 774 In diesem Zusammenhang sei auch auf mSan 10,1 und die Auslegung in San yT 10,1/1 verwiesen, die H. J. Becker anführt; Ders., „Epikureer“ im Talmud Yerushalmi, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture I, 400-402. 775 Hier nach MS München 95; in MS Firenze 9-7 ist das erste „Epikuros“ ausgelassen. 776 Die Darstellung der Christen als Fremde im Kontext der „ “ entsteht laut D. Boyarin in diesem Zeitraum; Ders., Border Lines, 220-225. 777 Vgl. 39a; L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 613: „Der Kaiser sprach zu R. Gamliel: Ich weiß, was euer Gott tut und wo er sich befindet. Darauf seufzte dieser und stöhnte. Jener fragte: Weshalb dies? Dieser erwiderte: Ich habe einen Sohn in

307

tischem Gedankengut gleicht einem bestimmten rhetorischen Muster, das immer wieder aufgegriffen wird. Die Fremden scheinen Stellvertreter zu sein, um theoretische Probleme gleichsam in Distanz zu diskutieren.778 Wesentlich für die Fremdbeschreibung ist die Frage, inwieweit Israel eine exklusive Stellung unter den Völkern einnimmt.779 In bT 39a wird darauf diese Antwort gegeben:        ‘     ‘   ‘     ‘ ‘              ‘       .     Ein Ketzer sprach zu R. Abina: Wer ist wie dein Volk, wie Israel, ein einzigartiges Volk [„Goy“] auf Erden (2. Sam 7,23). Weshalb seid ihr im Vorteil, ihr seid uns ja gleich, wie es heißt: alle Völker [„Goyim“] sind wie nichts vor ihm (Jes 40,17). Er sagte ihm: ihr berichtet über uns: das sich unter die Völker [„Goyim“] nicht zählt (Num. 23,9).780

Die exklusive Stellung Israels unter den Völkern wird mit der Aussage des fremden Propheten Bileam gestützt.781 Israel steht nicht nur im theologischen Sinn im Kontrast zu den Völkern, sondern auch durch die Terminologie. Israel ist kein „Goy“ wie jedes andere, obwohl es formal in der Tora als „Goy“ bezeichnet wird. Die besonderen Beziehung zu Gott zeichnet Israel vor den Fremden aus. Die Terminologie des Fremdseins stützt sich auf die Exegese und zeigt in beiden Gemarot die verschiedenen sozialen Ebenen der Fremdbeschreibung.

778

779

780 781

308

den überseeischen Ländern und habe Sehnsucht nach ihm; ich wünschte, dass du mir ihn zeigest. Jener sprach: Weiß ich denn, wo er weilt!? Da erwiderte dieser: Du weißt nicht, was auf der Erde vorgeht, und was auf dem Himmel vorgeht [sic], willst du wissen!?“ An dieser Stelle finden sich weitere Gleichnisse, die die Überlegenheit der Rabbinen darstellen. So die Meinung von G. Oberhänsli-Widmer, Der böse Trieb, in: Judaica 3, 2007, 21. M. D. Herr gesteht diesen Episoden nur eine begrenzte historische Aussagekraft zu; Ders., The Historical Significance of the Dialogues between Jewish Sages and Roman Dignitaries, in: J. Heinemann, Studies in Aggadah and Folk Literature, 149-150. Vgl. 39a; L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 614: „Der Kaiser sprach zu R. Tanhum: Komm, wir wollen alle zu einem Volk [] werden. Dieser erwiderte ihm: Gut, aber wir, die wir beschnitten sind, können nicht werden wie ihr, daher müsst ihr euch beschneiden lassen und wie wir werden.“ Hier nach MS Firenze 9-7; in MS München 95 nur lückenhaft überliefert. M. Guttmann, Das Judentum und seine Umwelt, 101, F 1. Guttmann erklärt die Exklusivität mit den schlechten Erfahrungen Israels mit Fremden.

Ebenfalls zur Kategorie der fremden Person gehört der Begriff „Ger“. In yT 3,10/2 wird von Dingen, die sich gleichen, auf den Rechtsstreit zweier Männer, der gleich ist, geschlossen:      .        .        782 .       .    Weshalb lehrt die Schrift „zwei“? Dass sie sich gleichen. Und es steht geschrieben: Du sollst das Recht des „Ger“ und der Waisen nicht beugen (Dtn 24,17). Hier wird der „Ger“ wie einer gerichtet, der kein „Ger“ ist; die Waise wie eine gerichtet, die keine Waise ist.

In diesem Fall wäre der soziale Unterschied zwischen dem „Ger“ und der Waisen aufgehoben. Doch die Autoren bekennen, dass es sich nur um einen rhetorischen Analogieschluss handelt. So wenig wie die Frauen den Männer entsprechen, so wenig gleichen sich der Fremde und die israelitische Waise. Diese Belegstelle bestätigt den speziellen Status des „Ger“ im rabbinischen Sinn. Innerhalb der Terminologie kann der Begriff eben auch „der Fremde“ bedeuten, worin die Ambivalenz dieses Begriffs zum Ausdruck kommt.783 Inwiefern diese „Gerim“ zu einem legalen Urteil zugelassen sind, wird in bT 36b verhandelt. Grundsätzlich kann nur derjenige über die Todesstrafe urteilen, der zulässig ist, das Zivilrecht auszulegen:  ‘     ‘   ’    ‘    ‘ ‘      ‘  ‘   ‘  ‘       .‘   ‘  ‘  Einmal geht es um den „Mamser“ und einmal um den „Ger“. Beides ist notwendig festzustellen. Bezieht es sich nur auf den „Ger,“ weil er nicht in die Gemeinschaft [Israels] aufgenommen werden darf, nicht aber auf den „Mamser“. Und bezieht es sich auf den „Mamser“, weil er eine unbedenkliche Herkunft hat, nicht aber auf den „Ger“, der keine unbedenkliche Herkunft hat.784

So wie der „Mamser“ nur zivilrechtlich urteilen darf, so darf auch der Proselyt nur in diesen Fällen urteilen. Damit entspricht der „Ger“ dem sozialen Rang eines „Mamser,“ was den untergeordneten gesellschaftlichen Status 782 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 783 M. Goodman, Mission and Conversion, 137. Diese Ambivalenz ist für M. Goodman das Ergebnis der unklaren Bedingungen der Konversion in der rabbinischen Literatur. Für Goodman spiegelt der Begriff damit die historische Situation. 784 Hier nach MS München 95; in MS Firenze 9-7 nur geringe Abweichungen.

309

belegt.785 Für diese soziale Abstufung ist die fehlende Abstammung verantwortlich zu machen. Auch im Traktat Sanhedrin ist die soziale Hierarchie mindestens rhetorisch von Bedeutung, wie diese Belegstellen zeigen. Die zweite Kategorie der Fremdbeschreibung bezieht sich auf das Land Israel und die fremden Orte. In yT 1,2/49 wird über den Fall der abtrünnigen Stadt verhandelt und eine mögliche Definition diskutiert. Die geographische Lage der Städte ist dabei von Bedeutung, denn es wird angenommen, dass „Goyim“ in das Land Israel kommen könnten. Eine andere Stimme behauptet, dass Feinde das Land heimsuchen könnten. Städte an der Grenze werden deshalb mit besonderem Misstrauen beobachtet, weil sie der Fremde näher sind. Offenbar ist die Nähe und Entfernung zum Zentrum Israels, das in jedem Fall Jerusalem ist, entscheidend. Je weiter die Stadt entfernt ist, desto eher gilt sie als abtrünnig. Die Vorstellung von Fremden, die in das Land einfallen, vermittelt ein historisches Bewusstsein über die Nähe Israels zu Fremden.786 In bT 16b findet sich eine ähnliche Debatte, in der zwei oder drei Städte in Israel, die nebeneinander liegen, nicht als abtrünnig erklärt werden dürfen: ‘    ‘                  ‘                  .‘            ‘  Im Land Israel dürfen keine drei Städte abtrünnig werden, aber zwei; [beispielsweise] eine in Judäa und eine in Galiläa. Zwei in Judäa und zwei in Galiläa darf man nicht [abtrünnig] erklären. Auch nahe der Grenze darf man nicht einmal eine [abtrünnig] erklären. Die „Goyim“ könnten es hören und kommen, um das Land Israel zu zerstören.787

Die Nähe zur Grenze [ ] impliziert, dass die Fremden die Abtrünnigkeit ausnützen könnten. Für die Belegstellen in yT und bT gilt das Motiv der

785 Mit M. Satlow, Jewish Marriage in Antiquity, 134 bzw. 320 F. 6 muss angemerkt werden, dass die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs „ “ unklar ist. Dennoch bezeichnet der Begriff kontinuierlich eine sozial untergeordnete Personengruppe. 786 Diese Bemerkungen können sowohl im Kontext der Exegese gedeutet werden als auch auf die historische Situation bezogen werden. Für beide Deutung gibt es Anhaltspunkte, da in der Exegese wie in der Geschichte Israels die Fremden besonders an den Grenzen das Land Israel bedrohen. 787 Hier nach MS München 95 und MS Firenze 9-7.

310

Vorsicht gegenüber Fremden, da die Geschlossenheit Israels auch im übertragenen Sinn an den Grenzen bedroht ist.788 Die dritte Kategorie betrifft Aspekte der fremden Kultur in Beziehung zu Israel. In yT 3,6/10-11 wird die Einhaltung des Siebentjahrs diskutiert. Dazu wird folgende Erläuterung abgegeben:   “            ‘          .       .          .        Wenn ein „Goy“ zu einem Israeliten sagt, er solle eines von allen Geboten, die in der Tora aufgezählt werden, übertreten, außer fremder Dienst, Unzucht und Blutvergießen, übertrete er und lasse sich nicht töten. Was du sagst, gilt zwischen dem anderem und ihm selbst. Aber bei vielen [Geboten] hört er nicht auf ihn, sogar bei einem leichten Gebot.789

Dieses Motiv wurde bereits auf ähnliche Weise in anderen Traktaten erwähnt.790 Auch dort erzwingt ein Fremder die Übertretung eines Gebots aus der Tora. An dieser Stelle wird zwischen der Drohung einer einzelnen Person und einer Menge Personen unterschieden. Das Ergebnis ist, dass die Drohung des einzelnen Fremden ernst zu nehmen ist, während die Menge, die ab zehn Personen als Menge gilt, nicht als bedrohlich eingestuft wird. Nur unter bestimmten Umständen dürfen die Gebote Israels übertreten werden. Als besonders erschwerend gilt der Sammelbegriff „Avoda Zara“, der gleich dem Verbot der Unzucht und des Blutvergießens als grundlegendes Verbot der Tora verstanden wird. Damit wird eine wesentliche kulturelle Differenz zu den Fremden angezeigt.791 Eine Episode zu diesem Thema wird in yT 3,6/14 geschildert. Dort wird R. Ba bar Zemina unter Todesandrohung unkoscheres geschlachtetes Fleisch vorgesetzt. Als sich der Rabbi dennoch weigert, eröffnet ihm der Gastgeber, dass er ihn bei Genuss des Fleisches auch als Fremden getötet

788 Damit werden theologische und soziale Grenzen gegenüber Fremden gezogen; W. S. Green, Otherness Within: Towards a Theory of Difference in Rabbinic Judaism, in: J. Neusner, „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 50. 789 Vgl. die Interpretation von G. Wewers, Sanhedrin, 89. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 790 Vgl. die Drohung von Fremden in bT Jeb 121b. Siehe Kap. 3.3.13. 791 M. Hadas-Lebel, Jérusalem contre Rome, 294. Die moralische Komponente der „Avoda Zara“ wird aus der biblischen Literatur übernommen.

311

[  ] hätte.792 Eine weitere wichtige Belegstelle in yT 4,8/2 stellt „unsere Gerichtsverfahren“ [ ] „ihren Gerichtsverfahren“ [  ] gegenüber. Es wird entschieden, dass die Gerichtsverfahren Israels denen der Fremden äquivalent sind.793 Die Belegstelle lässt sich so verstehen, dass es im Vergleich der Torastellen eine formale Übereinstimmung gibt.794 Diese Gegenüberstellung ist insofern erstaunlich, da in Jebamot Fremden kein vergleichbares Eherecht zugestanden wurde.795 In bT werden verschiedene Motive der kulturellen Differenz vorgestellt, die jeweils auf der Toraexegese beruhen. Der bereits erwähnte Gegensatz zwischen Israel und den Völkern wird dabei besonders hervorgehoben. Die Einsetzung eines Königs wird in bT 20b zum Ausgangspunkt folgender Debatte: ‘           ‘      ‘  ‘ .        ‘   Die Altvorderen dieser Generation benahmen sich wie es sich gehört, denn es heißt: Gib uns einen König, damit er uns regiert (I. Sam. 8,6). Aber die Leute aus dem einfachen Volk verdarben es, denn es heißt: Auch wir wollen wie alle „Goyim“ sein (I. Sam. 8,20).796

Während die Altvorderen eine angemessene Forderung stellen, wollen die einfachen Israeliten den Völkern [ ] gleichen. Damit gerät die Exklusivität Israels in Gefahr, die über die soziale Hierarchie zum Tragen kommt. In der Terminologie der Fremdbeschreibung entspricht das „gemeine Volk“ den Nichtpriestern, den „Zarim“, die laut I. Samuel 8,20 den Habitus der 792 Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 91: „Er sagte zu ihm: von jetzt ab soll es dir bekannt sein: wenn du gegessen hättest, hätte ich dich getötet, entweder Jude, dann Jude, oder Heide, dann Heide [  ].“ 793 Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 117: „Der, der sagte, unsere Gerichtsverfahren seien wie ihre (der Heiden) Gerichtsverfahren - das ist richtig. Wie interpretiert der, der sagte, unsere Gerichtsverfahren seien nicht wie ihre (der Heiden) Gerichtsverfahren (die Verse): Und Juda sprach (Gen 37,26) und Memuchan sprach (Est 1,16)? (So:) sieh die (Bedeutung der) Worte der von Juda und sieh die (Bedeutung der) Worte von Memuchan!“ 794 Gen 37,26 „Und Juda sprach“ und Est 1,16 „Und Memuchan sprach“ zeigen laut G. Wewers die Analogie der Verfahren; vgl. Ders., Sanhedrin, 117, F. 36. 795 Vgl. Jeb yT 2,6/1 und bT 45a, in denen Fremden weder eine Genealogie noch die Einrichtung von Witwenschaft und Scheidung zugestanden wird. 796 L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 535. Hier nach MS München 95, in MS Firenze 9-7.

312

Fremden, der „Goyim“, annehmen. Über die Terminologie lässt sich die soziale Differenz Israels erkennen. Darüber hinaus gibt es aber auch physische Unterschiede, die Israel von den Fremden abgrenzen.797 Ein weitere Differenz zwischen Israel und den Fremden besteht in der Handlungsweise. Die Intention für das heilige Opfer, das entweder im Namen des Himmels oder im Namen der „Avoda Zara“ abgehalten werden kann, ist die Ursache in bT 39b: ‘  ‘  ‘                  ‘      ‘  ‘ ’’  ‘      ‘        ’’  ‘                ‘    ‘ ‘    ‘ .           ‘   Er nahm seinen erstgeborenen Sohn, der nach ihm herrschen sollte, und brachte ihn auf der Mauer als Brandopfer dar (II. Kg 3,27). [Dazu] Rav und Shmuel: einer sagt, im Namen des Himmels, und einer sagt, im Namen des fremden Dienstes. Weshalb? Wenn es heißt „im Namen des Himmels,“ dann steht geschrieben: es kam ein gewaltiger Zorn über Israel (II. Kg 3,27). Weshalb kommt ein großer Zorn über Israel nach dem, der sagt, „im Namen des fremden Dienstes“? Nach R. Yehoshua ben Levi, denn R. Yehoshua ben Levi zeigt einen Widerspruch. Es heißt: Nach den Gesetzen der „Goyim“ um euch habt ihr nicht gehandelt (Ez 5,7); und es steht geschrieben: [Nach den Gesetzen der „Goyim“] habt ihr gehandelt (Ez 11,12)? Ihr habt nicht wie die Guten unter ihnen gehandelt, sondern wie die Schlechten unter ihnen habt ihr gehandelt.798

Gerade in der Intention scheint der wesentliche Unterschied zu den Fremden [ ] zu liegen. Die rhetorische Differenz zwischen Ezechiel 5,7 und Echeziel 11,12 besteht in der Nachfolge der Schlechten [ ]. Somit beruht der Unterschied zwischen Israel und den Völkern auf einer religiösen Differenz, die terminologisch über den Begriff „Avoda Zara“ ausgedrückt werden kann. Anhand der drei Kategorien „der, die, das Fremde“ ließen sich einige Übereinstimmungen zwischen den Gemarot feststellen. Ohne Zweifel ist für

797 Vgl. bT San 21a; Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 538: „[...] Raba trug ja vor: Es heißt: und dein Ruhm erscholl unter den Völkern [ ] wegen deiner Schönheit; die Töchter Israels haben Haare weder in der Achselhöhle noch an der Scham.“ 798 Hier nach MS Firenze 9-7, in MS München 95 nur geringfügige Lücken. Das Zitat ist beiden Quellen stark gekürzt, in der Übersetzung aber ausgeschrieben, um den Sinn wiederzugeben.

313

das Kapitel die Exegese der Tora entscheidend.799 Grundsätzlich herrscht Übereinstimmung über die Mischehe, den Status der Proselyten und die Verurteilung des fremden Diensts. Nur die Frage der Gerichtsverfahren wird in yT erleichternd entschieden. Das Verhältnis von Fremden und Israeliten ist von Differenz und Distanz bestimmt, und dieses Kapitel bildet keine Ausnahme.

4.3.2 Über die Entwicklung einer Rhetorik: zu Mischna 5,1 und 6,4 Das zweite Kapitel fasst die Kommentare zu Mischna 5,1 und 6,4 in einem Kapitel zusammen. Die Auslegung von Mischna 5,1 lässt sich formal vergleichen, während Mischna 6,4 nur in bT überliefert ist. Das Thema dieses Kapitels ist die spezielle Rhetorik in Sanhedrin, die in den Gemarot entwickelt wird. Mischna 5,1 beschreibt die Befragung des Anklagten, der der Ausübung des fremden Diensts beschuldigt wird. Es wird gefragt, welche Gottheit er verehrte und womit er diesem Idol diente. In yT 5,1/3 wird diese Befragung folgendermaßen modifiziert:       .            800 .             [Man fragt die Zeugen:] Kennt ihr ihn? Was war er, war er ein „Goy“ oder ein Israelit? Wir hören dies von dem, was Rabbi Yohanan sagte: wurde einer zwischen Tiberias bis Sepphoris getötet, ist anzunehmen, dass es ein Israelit war.

Diese Befragung der Mischna wird in yT um den Vers erweitert, ob der Getötete ein Israelit oder ein Fremder war. Für den Mord ist die Zeugenschaft und die Klärung der Umstände unerlässlich. Im weiteren Kontext wird die Notwendigkeit der Zeugenschaft bestätigt. Der Ort, an dem der Getötete gefunden wurde, kann offensichtlich Aufschluss über seine Zugehörigkeit geben.801 So wird der Kontext der Mischna um eine neue Thematik 799 Dazu vgl. N. Dohrmann, The Boundaries of the Law and the Problems of Jurisdiction in an Early Palestinian Midrash, in: C. Hezser, Rabbinic Law in its Roman and Near Eastern Context, 86. Siehe dazu auch P. Schäfer, Zur Geschichtsauffassung des rabbinischen Judentums, in: P. Schäfer, Studien zur Geschichte und Theologie des Rabbinischen Judentums, 34-37. 800 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 801 Die Zugehörigkeit zeigt sich offenbar anhand der Wohnorte, obwohl dies mit archäologischen Quellen schwer belegt werden kann. Vgl. S. Schwartz, Imperialism

314

und spezielle Fragen erweitert. In yT 5,1/8 wird erneut die Vorlage der Mischna aufgegriffen: .       .      .       “              802 .                Wen betete er an, den Peor oder den Merkulis? Wie betete er [den Gott] an, mit einem speziellen Dienst oder mit einem Dienst, der Gott reserviert ist? Wir hören das von diesem: Eine Erzählung von zwei Männern, die kamen und sagten: Wir haben gesehen, wie jener fremden Dienst trieb, aber wir wissen nicht, ob es für Peor oder Merkulis war. Man richtet diesen wegen der zwei [Zeugen], aber dort, wo er unschuldig war, sprach man ihn frei.

Diese Belegstelle ist an den Inhalt der Mischna und ihre Auslegung gebunden. Allerdings wird das Motiv der Zeugenaussage eingeführt und der Dienst spezifiziert, der entweder für die „Avoda Zara“ oder für den „Höchsten“ [], das heißt Gott, geleistet wurde. Die vorliegende Episode schildert, dass es ohne Aussage der Zeugen keine Verurteilung geben kann. Das Konzept des fremden Diensts hängt nicht zuletzt von der konkreten Definition dieser Handlung ab, die an rhetorische Vorgaben gebunden ist. Die biblische Gottheit Baal Peor803 und der römische Merkur werden deshalb nicht unterschieden, weil die Autoren sie als gleichwertig auffassen.804 Durch die literarische Gleichsetzung kann auf eine bestimmte Wahrnehmung der Umgebung geschlossen werden. Dagegen lässt sich einwenden, dass aus den Vorgaben der Mischna eine Rhetorik entwickelt wird, die der Auslegung der Belegstelle dient. Auch in bT liegt der Schwerpunkt auf der Erforschung des Tatbestands. Im Gegensatz zur Mischna wird der rechtliche Sachverhalt geklärt. In bT 40b wird dabei die Analogie zwischen dem fremden Dienst und der abtrünnigen Stadt gewählt. Offenbar gleichen sich die Tatbestände nicht, da im Fall der abtrünnigen Stadt die Bestrafung durch Enthauptung vorgesehen and Jewish Society, 132-136. Im Vergleich dazu J. Obermeyer, Die Landschaft Babylonien. Das Beispiel Matha Mehasja aus Ber bT 17b belegt die Bedeutung der Orte, Ders., 287-301. 802 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 803 Dieser Begriff lässt sich neben anderen Belegstellen in Deut 4,3 auf die Belegstelle Num 25,3 zurückführen. Vgl. den Kommentar in B. Levine, The Anchor Bible. Numbers 21-36, 282-303. Dem Kommentar zufolge ist damit wohl eine lokale Gottheit gemeint; Ebd., 284. 804 E. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme, 236.

315

ist.805 In bT ist die Analogie ein rhetorisches Mittel, um die Wertigkeit und Bedeutung der Terminologie zu ermitteln. Die Mischna wird in bT 40b auf folgende Weise ausgelegt:                              ’’            806 .              Die Rabbanan lehrten: [Man muss fragen:] Kennt ihr ihn? Hat er einen „Goy“ getötet? Hat er einen Israeliten getötet? Habt ihr ihn darüber aufgeklärt? Hat er die Aufklärung akzeptiert? Ist er auch über die Todesstrafe aufgeklärt worden? Hat er getötet, während man es erklären kann? Über den Diener des fremden Dienstes: Welchen [Gott] hat er verehrt? Den „Peor“? Verehrte er den „Merkulis“? Und durch was verehrte er ihn? Durch Räuchern, durch Libation oder durch eine Verbeugung?

Obwohl ähnliche Fragen gestellt werden, zeigen sich doch einige Unterschiede zu yT. Die Zeugenschaft ist nicht mehr das vorherrschende Thema. Vielmehr werden das Verhör und der Tatbestand thematisiert, und der fremde Dienst und die Tötung [ ] in einer Textstelle kombiniert. Vergleichbar mit yT haben auch in bT die Autoren kein Interesse an der Spezifizierung der Götzen.807 Obwohl der fremde Dienst durch die Handlungen der Opferung, der Libation und der Verbeugung angedeutet werden, wird offenbar mit rhetorischen Vorgaben gearbeitet. Bis auf die historische Deutung der Namen steht offenbar kein konkreter Dienst im Vordergrund, sondern ein vager Tatbestand, der nach rhetorischen Maßgaben ausgelegt wird.808

805 Vgl. bT 40b; L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 619: „Sie gleichen ja aber nicht einander, [der Fall von der] abtrünnigen Stadt gleicht jenen beiden nicht, denn bei jenen bleibt das Vermögen [der Verurteilten] verschont, bei dieser aber nicht, der Götzendienst [  ] gleicht jenen beiden Fällen nicht, denn bei jenen werden [die Verurteilten] durch das Schwert hingerichtet, [...].“ 806 Hier nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 807 E. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme, 235. 808 Sowohl S. D. Fraade als auch R. Goldenberg beobachten dieses Vorgehen. S. D. Fraade, Navigating the Anomalous: Non-Jew at the Intersetion of Early Rabbinic Law and Narrative, in: L. J. Silberstein, The Other on Jewish Thought and History. Constructions of Jewish Culture and Identity, 149-152. R. Goldenberg, The Place of Other Religions in Ancient Jewish Thought, With Particular Reference to Early Rabbinic Judaism, in: M. E. Marty, Pushing the Faith. Proselytism and Civility in a Pluralistic World, 27-30. Beide Autoren belegen die Bedeutung der Tora für die Exegese des fremden Dienstes.

316

Mischna 6,4 bestimmt, dass der Gotteslästerer und Diener fremder Kulte zu hängen ist. In bT 45b bis 46a wird analysiert, ob und inwieweit sich diese Begriffe wirklich gleichen. Die rhetorischen Mittel der Generalisierung und Spezialisierung [  ] und der Einschließung und Ausschließung [    ] werden auf den Lästerer809 und den Diener fremder Kulte [   ] angewandt. Der gesamte Abschnitt vermittelt die Komplexität der Belegstelle:                         ‘                   ‘  ‘        ’’ ‘     ’’              .          Die Rabbanan legen es mit einem Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere aus: „wenn er getötet und erhängt wird“: Das ist die allgemeine [Annahme]; und weil er gelästert hat: das ist das Besondere. Wenn es zusammen genannt wird, dann richtet es sich nicht nach dem Allgemeinen, sondern nach dem Besonderen. Hier wird es aber nicht zusammen genannt, und deshalb wird der fremde Dienst einbezogen, der dem entspricht. R. Eliezer legt es mit der Regel der Einschließung und Ausschließung aus: „wenn er getötet und erhängt wird“: Das bedeutet die Einschließung; und weil er gelästert hat: Das ist die Ausschließung. Wenn es zusammen genannt wird, würde der fremde Dienst dort mit einbezogen werden. Sie werden aber nicht zusammen genannt, deshalb werden diejenigen, die gesteinigt werden, mit einbezogen.810

Es ist die Frage, ob generell von der Lästerung auf den fremden Dienst geschlossen werden kann, denn durch diese Generalisierung gehört der fremde Dienst zu diesem Tatbestand. Mit der „Einschließung“, die R. Eliezer vollzieht, werden in die Bestrafung auch andere Tatbestände integriert. So führen die beiden rhetorischen Stilfiguren zu einem jeweils anderen Ergebnis, da einmal der fremden Dienst eingeschlossen und einmal ausgeschlossen wird. Die Analogie wird möglich, weil zwischen den verschiedenen Übertretungen über das Strafmass Gemeinsamkeiten bestehen. Durch die rhetorische Argumentation wird zwischen den Begriffen eine Analogie möglich, mit der auf den Inhalt geschlossen werden kann. Über die Verwesung der Toten wird in bT 47b auf das Thema der Verunreinigung durch Idole und Gräber verwiesen: 809 Der Lästerer wird hier abweichend von der Mischna als „“ bezeichnet. 810 Hier ist der Text aus Gründen der Verständlichkeit frei interpretiert und leicht gekürzt worden. Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 642-643. Hier nach MS Firenze 9-7, da MS München 95 einige Lücken aufweist.

317

 ‘  ‘       ’’  ’’                          .          Er vergleicht die Gräber des einfachen Volks mit den Idolen. Die Idole sind nicht verboten, wenn sie mit der Erde verbunden sind, denn es heißt: die Götter auf den hohen Bergen (Dtn 12,2). Die Götter sind auf den Bergen, die Berge sind aber nicht ihre Götter. Und deshalb ist das mit der Erde verbundene nicht verboten.811

Die Gleichsetzung der Idole mit natürlichen Gegebenheiten führt zu einer erleichternden Entscheidung. Da nur materielle Idole verboten sind, sind die Gräber wie alles, was mit dem Erdboden verbunden ist, erlaubt. Die Grenzen des Vergleichs liegen in der Definition des jeweiligen Begriffs. Selbst anhand eines Worts kann in 48a eine Analogie gezogen werden. Laut Abajje darf man von Dingen, die häufig sind, nur auf Dinge, die häufig sind, schließen. Da der fremde Dienst nicht häufig ist, darf man ihn nicht für den Rückschluss verwenden.812 Dieser Vergleich stützt sich nur auf das Wort „“. Obwohl der Tatbestand der „Avoda Zara“ selten scheint, wird er an anderer Stelle für eine Analogie herangezogen. Schließlich entspricht der fremde Dienst einem allgemeinen Strafmass. Diese rhetorischen Analogien zwischen Begriffen findet in diesem Ausmaß nur in bT. Dabei behandelt diese Rhetorik nicht nur die Vorgaben der Mischna, wie die letzten Belegstellen zeigen, sondern vermittelt das Anliegen der Autoren nach einer Klärung der Begriffe. Die Rhetorik der Fremdbeschreibung kommt erst in bT zum Tragen. Die Fremdbeschreibung verlässt ihren Kontext und wird mit ähnlichen, theoretischen Fällen in Verbindung gebracht. Insofern kann in bT von einer Entwicklung der Rhetorik gesprochen werden.813

4.3.3 Fremde und die rechtliche Ordnung Israels: von Mischna 6,4 bis 7,4 In diesem Kapitel wird die Rolle des Fremden in der rechtlichen Ordnung Israels näher betrachtet. Die gesellschaftliche Position beruht nicht zuletzt 811 Hier nach MS Karlsruhe, in MS München 95 und MS Firenze 9-7 fehlt der Torabeleg. 812 L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 651-652. Hier nach MS München 95; in MS Firenze 9-7 fehlt der zweite Abschnitt. 813 Diese Entwicklung einer Rhetorik bestätigt auch C. Hayes, die für die Entwicklung die Vorlage der Mischna mit der Gemara vergleicht. Vgl. C. Hayes, Between the Babylonian and Palestinian Talmuds, 120-121.

318

auf der Entwicklung der Rhetorik. In eingeschränkten Maße ist damit eine Aussage über die Wahrnehmung der Fremden möglich. Dazu werden die Belegstellen von Mischna 6,4 bis 7,4 zusammengefasst. Wie im ersten Kapitel hat der fremde Ort einige Bedeutung. Die Konfrontation mit einer Umgebung, in der Fremde leben, spiegelt sich in diesen Texten.814 So wird in yT 6,1/1 im Fall des Verurteilten beschlossen, dass er an der Tür des Vaterhauses zu steinigen ist. Wenn sich dieser Fall in einer Stadt ereignet, in der mehrheitlich Fremde wohnen [   ], ist er dort zu bestrafen.815 Diese Auslegung wird mit dem Zitat des „Fremden in deinen Toren“ aus Deuteronomium 17,5 bestätigt. Wie in anderen Texten besteht damit eine räumliche Nähe zu Fremden. Es wird gefordert, selbst in einer fremden Stadt das Recht Israels zu vollziehen. Im Rahmen der rechtlichen Ordnung Israels spielen Fremde als Proselyten eine wichtige Rolle. Im Fall der Entweihung des Namens Gottes wird in yT 6,9/16 folgendes beschlossen:    ’’    .                     .                               .   .  Und man sagte ihnen: Weil sie die Hände nach „Gerim“ ausstreckten, die sich aufgedrängt haben. Dies sind Worte vom Leichteren auf das Schwerere. Wenn diese [Gibeoniten], die nicht um des Himmels willen konvertiert sind, sehen durften, wie der Heilige, gepriesen sei er, [die Bekehrung] von jenen forderte, ist es nicht bei denen, die um des Himmels willen konvertieren, erst recht so? An jenem Tag konvertierten viele „Gerim“, wie geschrieben steht: Und Salomo zählte alle Fremdlinge [„Gerim“] im Lande Israel (II. Chr. 2,16).816

Die Anwerbung von Proselyten, die sich aufdrängen, wird offenbar negativ bewertet. Nur um des Himmels willen dürfen sich die „Gerim“ Israel anschließen, und so ist die Aufnahme von Fremden an gewisse Bedingungen geknüpft. Gerade der Übertritt von Fremden in die Rechtsordnung Israels berührt einen sensiblen Bereich. Die Erzählung über die Gibeoniten in Josua

814 Dieses Umfeld beschreibt S. Schwartz; Ders., Imperialism and Jewish Society, 158-161. 815 Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 138. 816 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Die Übersetzung ist an G. Wewers, Sanhedrin, 155, angelehnt.

319

9 bildet den Hintergrund der Argumentation.817 Die Männer einer abtrünnigen Stadt werden in yT 7,1/4 für folgende Debatte zum Anlass:            “                                          .     .          Die Männer einer abtrünnigen Stadt fallen unter die Regel der Diener des fremden Kults und sind durch Steinigung hinzurichten. Sie könnten aber ausgenommen sein, um durch eine leichtere Todesart, nämlich durch Verbrennen, hingerichtet zu werden. Es ist nicht genug, dass du sie von der leichtere Todesart, nämlich durch Verbrennen, ausnimmst, sondern du nimmst sie aus, um sie durch eine leichtere Todesart, die Erdrosselung, hinzurichten. R. Shimon legte aus: Ein Lügenprophet fällt unter die Regel der Diener des fremden Kultes. Er ist durch Verbrennung [hinzurichten]. Er könnte ausgenommen sein, um ihn durch eine leichtere Todesart, die Steinigung, hinzurichten.818

Die Männer einer abtrünnigen Stadt fallen in die gleiche Kategorie wie die Diener fremder Kulte [   ]. Schließlich drücken beide Begriffe eine Abwendung von Israel aus, die als Entfremdung gewertet werden kann. Über das jeweilige Strafmass lassen sich diese Tatbestände vergleichen. Im Vergleich dazu werden in yT 7,1/5 der Abtrünnige, der Lügenprophet und der Diener fremder Kulte gleichgesetzt. Damit ist der rechtliche Rahmen der Fremdbeschreibung stets der Tora entlehnt.819 In bT 49b bis 50a wird diese Debatte um das Strafmass aufgegriffen und intensiviert. Die Steinigung wird als schwerere Todesart bestimmt, da sie für den Gotteslästerer und Götzendiener bestimmt ist. Das Verbrechen ist in beiden Fällen gravierend, weil beide eine Übertretung gegen Gott be817 Die Gibeoniten schließen einen Bund mit Israel bei der Landnahme. Diese Stelle wird in der rabbinischen Literatur mit der Aufnahme von Proselyten verglichen. Vgl. die Erzählung von der List der Gibeoniter, die im Land Israel das Siedlungsrecht erwerben und einen Vertrag mit den Israeliten schließen, wofür sie aber zu Wasserträgern und Holzfällern erniedrigt werden. 818 Hier an der Interpretation von G. Wewers, Sanhedrin, 163-164, angelehnt. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 819 Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 163: „Rabbi Shimon trug vor: der Lügenprophet fällt unter die allgemeine Regel der Diener des Götzendiensts [   ]. Er wäre (demnach) durch Steinigung (hinzurichten). [...] R. Shimon trug vor: die Männer einer abtrünnigen Stadt fallen unter die allgemeine Regel der Diener des Götzendienstes [   ]. Sie wären (demnach) durch Verbrennung (hinzurichten).“

320

gehen. Wie in der Mischna bedeutet die „Avoda Zara“ eine Lästerung des göttlichen Namens. Die Diskussion des Strafmasses in bT 50a ist unschwer als Definition mit rhetorischen Mitteln zu erkennen:                                     .                   Die Steinigung ist härter als die Verbrennung, da sie für den Lästerer und den Diener fremder Kulte bestimmt wurde. Und weshalb härter? Wie wir bereits gesagt haben: Im Gegensatz dazu ist die [Strafe] mit dem Schwert härter, weil sie für die Einwohner der abtrünnigen Stadt bestimmt wurde. Und weshalb härter? Weil ihr Vermögen zu vernichten ist. Ich sage: Was wiegt schwerer, der verführt oder der verführt wird? Er sagte: der verführt.820

Wie in yT werden die Männer der abtrünnigen Stadt mit den Dienern fremder Kulte in Analogie gesetzt. Der fremde Dienst wird damit in gewisser Hinsicht vergleichbar. Die Position des Verführers [ ] zur Abtrünnigkeit und zum fremden Kult wird verständlicher Weise erschwerend beurteilt. Weiter wird in bT 50a geschlossen, dass die Verbrennung schwerwiegender als die Steinigung sei, da sie für die straffällige Priestertochter bestimmt ist, die ihren Vater entweiht. Im Gegensatz dazu scheint aber die Steinigung schwerwiegender, die für Gotteslästerer und die Diener fremder Kulte bestimmt ist, die Blasphemie üben.821 Das Strafmass orientiert sich an der Steinigung, die für Gotteslästerer und Diener fremder Kulte festgesetzt wurde. Die Blasphemie wiegt auf diese Weise schwerer als die Entweihung des Priesterstands. Die vorliegende Halacha wird in bT 50b wiederholt.822 In diesem Kontext wird das Motiv der Mischehen wieder aufgegriffen und in bT 51a von der Ehe der Priestertochter mit Fremden gehandelt.823 Eine Halacha, die bereits aus dem Traktat Jebamot bekannt ist, wird an dieser 820 Hier nach MS München 95. In MS Firenze 9-7 wird der Vergleich mit dem Schwert und nicht mit der Verbrennung ausgeführt. 821 Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 822 Vgl. 50b, L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 662: „Die Steinigung ist eine schwerere [Todesart] als die Erdrosselung, denn diese wurde für den Gotteslästerer und Götzendiener [   ] bestimmt, deren [Verbrechen] sehr schwer ist, wie wir bereits erklärt haben.“ 823 Vgl. bT San 51a: „Die Tochter eines Priesters; ich weiß dies nur von dem Fall, wenn sie mit einem Priester verheiratet ist, woher dies von dem Fall, wenn sie mit einem Leviten, einem Israeliten, einem Samaritaner, einem Entweihten, einem Hurenkind oder einem Nathin verheiratet ist.“

321

Stelle wiederholt.824 Nach Levitikus 22,12 ist die Priestertochter, die mit einem „Zar“ verkehrt, entweiht. Wenn sie also mit einem Untauglichen schläft, gilt sie dementsprechend als entweiht.825 Die Entweihung geschieht durch den sexuellen Kontakt mit einem fremden Israeliten, der nicht den Priestern angehört. Sexuelle Verfehlungen werden auch im Kontext von Mischna 7,4 behandelt. Der Kommentar in bT handelt von einem Vergleich der Steinigung des Dieners fremder Kulte mit anderen Verurteilten. Auf diese Vorlage stützen sich die genannten Belegstellen in yT und bT. In bT 54a werden sexuelle Verfehlung am Beispiel von Fremden diskutiert:                                          .             Ein „Goy“, der mit seinem Vater sexuell verkehrt, ist zweimal schuldig. Wenn er mit dem Bruder seines Vaters verkehrt, ist er zweimal schuldig. Raba sagte: Mit diesem Vers wollte R. Yehuda von einem Israeliten [sprechen], einem Versehen und einem Opfer. Er spricht nur beschönigend von einem „Goy“, denn wenn er von einem echten „Goy“ spräche, wie würde er gerichtet werden? Er müsste zweimal mit dem Tod bestraft werden.826

Die Verurteilung des Inzest wird auf fremde Personen projeziert und die Belegstelle interessanterweise von Raba als Rhetorik bezeichnet. Deshalb könnte diese Stelle auf einen sündigen Israeliten verweisen und als Euphemismus verstanden werden,827 denn Fremde können für dieses Vergehen nicht zweimal getötet werden. Der Sinn der Diskussion liegt darin, die Differenz zwischen Israel und den Fremden zu bestätigen. Weiter ist in bT 54b explizit festgehalten, dass Israel einen Moralkodex hat, der von den Sitten der Fremden abweicht.828 Die Gefahr der Imitation der Völker verlangt, die rechtliche Stellung des Fremden in Israel zu klären. In bT 55a wird der Fall aufgeworfen, in dem ein Fremder [ ] mit 824 Vgl. Jeb yT 7,4/3 und 7,5/3 und bT 67a. Dort wird festgelegt, dass der niedere Status eines Partners die Frau und das Kind bemakeln. 825 Überliefert in MS München 95 und MS Firenze 9-7. 826 Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 827 Nach S. Stern, Jewish Identity in Early Rabbinic Writings, 7, Fussnote 36. 828 L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 679: „[...] Es heißt: es soll keine Schandbuben unter den Israeliten geben, ferner heißt es: auch waren Schandbuben im Lande, sie ahmten all die Greuel der Völker [ ] nach, die sie vertrieben hatten (I. Kg 14,24).“

322

einem Tier geschlafen hat. Das „Straucheln“ und die „Schande“ [ ] sind in Betracht zu ziehen, die mit dem Tod geahndet werden. Weiter heißt es:     ‘     ‘                     ‘            .  Ein „Goy“, der sich vor einem Tier verbeugt, macht es verboten und [es muss] getötet werden. Gibt es etwas, was einem Israeliten erlaubt und einem „Goy“ verboten wäre? Einem Israeliten sollte es verboten werden, wie der Geschlechtsverkehr. Abiye sagte: In dem einen Fall ist es eine große Schande und in dem anderen Fall eine geringe Schande.829

Der Fall des Fremden, der mit dem Tier geschlafen hat, muss ebenfalls euphemistisch verstanden werden. Das Maß der Schande und des Strauchelns stehen jeweils in direkter Verbindung mit dem Begriff des „Goy“. In bT 55b wird dieser Zusammenhang nochmals wiederholt.830 So bilden die Fremden einen Ausgangspunkt für eine theoretische Diskussion und liefern den Begriff für die rechtliche Debatte. Die Wahrnehmung des Fremden ist an die Terminologie gebunden, die im Kontext der Tora steht, womit die Exegese eine weitreichende Bedeutung für die Beschreibung der Fremden hat. Diese Wahrnehmung wirkt in manchen Fällen stereotyp und bleibt häufig an das argumentative Interesse gebunden.

4.3.4 Die Bedeutung der Exegese für die Fremdbeschreibung: von Mischna 7,4 bis 7,6 In den vorangegangenen Kapiteln war die Exegese eine wesentliche Komponente der Fremdbeschreibung.831 Wie aus der Vorlage der Mischna und der Tora von den Autoren eine eigene, rabbinische Fremdbeschreibung 829 Nach MS Firenze 9-7, in MS München 95 kleine Abweichungen. 830 L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 685: „Wenn nun im Schlußsatz mit Straucheln und Schande begründet wird, wahrscheinlich handelt der Anfangssatz von dem Fall, wenn nur das Straucheln und nicht die Schande zu berücksichtigen ist, wenn nämlich ein Nichtjude ein Tier beschlafen hat!?“ Hier geht es um die rhetorische Möglichkeit, die Mischna mit der Tora in Einklang zu bringen. Insofern ist die Exegese der Mischna von zentraler Bedeutung. 831 Die Tora hat nicht nur die Bedeutung einer Vorlage für die Exegese, sondern hat nach A. M. Goldberg auch eine „metasprachliche Aussage“. Damit ist eine Klärung der Textaussage durch die Autoren verbunden; Ders., Die Schrift der rabbinischen Schriftausleger, in: Rabbinische Texte als Gegenstand der Auslegung, 230-231.

323

entwickelt wird, soll in diesem Abschnitt näher untersucht werden. Zwischen Mischna 7,4 und 7,6 werden Belegstellen der Fremdbeschreibung mit dem Ziel gesammelt, die Struktur der Argumentation herauszuarbeiten. Durch die dialektische Argumentation ist nicht immer eindeutig, ob die Fälle positiv oder negativ entschieden werden. Häufig scheint es in yT und bT vielmehr um die Festlegung und Bestimmung von Sachverhalten in einer bestimmten Terminologie zu gehen. Beginnend mit den Belegstellen in yT wird in yT 7,9/7 die Steinigung definiert: .                  .                Aus ihrem Silber und ihrem Gold machten sie sich Idole (Hos 8,4). „Damit sie ausgerottet werden“ steht nicht geschrieben, sondern: damit es ausgerottet wird (Hos 8,4). Wie ein Mensch, der sagt: dessen Knochen mögen vernichtet sein, der seinen Sohn zu einem schlechten Dienst gehen lässt.832

Die Belegstelle in Hosea 8,4 handelt von einer Verfehlung Israels durch die Anfertigung von Idolen. Israel hat die Tora vernachlässigt und ist den fremden Völkern ähnlich geworden.833 Der Vers in Hosea 9,4 wird aber nicht auf die Idole bezogen, sondern auf die Person, die das Verbot übertritt. So bestätigt der Toravers die Verurteilung der fremden Kulte. In Mischna 7,5 wird das Zerreißen der Gewänder bei der Lästerung des Gottesnamens geboten. Diese Mischna wird in yT 7,10/6 folgendermaßen erklärt:            .            .        .               ‘  .        ‘  .                    .    .     Muss man wegen der Verfluchung des Namens [seine Kleider] zerreißen? Wir hören das von diesem: Als König Hiskia die Worte des Rav Shaqe hörte, zerriss er seine Kleider [nach II. Kg 19,1]. Muss man sie wegen der Verfluchung eines „Goy“ zerreißen? Nach dem, der sagte, Rav Shaqe sei ein „Goy“ gewesen, muss man sie zerreißen. Nach dem, der sagte, er sei ein Israelit gewesen, muss man sie nicht zerreißen. R. Hoshaya lehrte: Sowohl der, der die Verfluchung des Namens von einem 832 Hier an der Interpretation von G. Wewers, Synhedrin, 187, orientiert. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 833 Vgl. Hosea 8,4: „Sie machten sich Götzen aus ihrem Silber und Gold; wohl damit es vernichtet wird.“

324

Israeliten hört, als auch der, der sie aus dem Mund eines „Goy“ hört, muss seine Gewänder zerreißen. Was ist der Grund? Ich bin der Herr, der Gott allen Fleisches, sollte mir etwas unmöglich sein? (Jer 32,27).834

Der Vers aus II. Könige 19,1 erklärt das Zerreißen der Kleider mit der Lästerung Gottes. Während der Belagerung Jerusalems durch die Assyrer lästert Rav Shaqe vor den Einwohnern Gott. Da Rav Shaqe ein „Goy“ ist, scheint es der Belegstelle zufolge geboten, die Kleider zu zerreißen. Doch eine weitere Stimme macht keinen Unterschied zwischen Israeliten und Fremden. Die Belegstelle aus Jeremia 32,27 thematisiert die Einnahme Jerusalems durch die Fremden und bietet eine inhaltliche Parallele zu II. Könige 19,1. Weiter wird geboten, dass auch im Fall des Samaritaners, der Gott lästert, die Kleider zu zerreißen sind.835 Die Einschränkung für dieses Gebot ist „zu dieser Zeit“ [ ], was die Mischna in den Kontext der Tora versetzt. Vergleichbar dazu wird in bT 56a ebenfalls von der Lästerung gehandelt:     ‘                                    .  Die Rabbanan lehrten: Ein Mann. Was sagt der Vers: „Jeder Mann“ (Lev 22,4)? Dies schließt die „Goyim“ mit ein, dass ihnen die Gotteslästerung verboten wurde. Und diese werden nur mit dem Schwert hingerichtet, denn überall, wo die Todesstrafe in Bezug auf die Noaiden genannt wird, ist [die Hinrichtung] mit dem Schwert gemeint.836

An dieser Stelle wird zu Levitikus 24,15 ein inhaltlicher und formaler Bezug hergestellt.837 Aus dem Zitat „   “ wird abgeleitet, dass damit „jeder Mann,“ auch der Fremde, gemeint ist. Insofern werden Fremde an dieser

834 Vgl. die gelungene Übersetzung dieser Stelle von G. Wewers, Synhedrin, 190-191; hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 835 Diese Belegstelle und ihren weiteren Kontext bewertet A. Lehnhardt als realistisch. Die Samaritaner fluchen dort mit dem Gottesnamen, was die Rabbinen verbieten. Die Samaritaner sind dementsprechend Fremde; Ders., The Samaritans (Kutim) in the Talmud Yerushalmi, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, 150-153. 836 Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 837 Vgl. Lev 24,15: „Sag den Israeliten: Jeder, der seinem Gott flucht, muss die Folgen seiner Sünde tragen“:             .

325

Stelle ebenfalls zu den Menschen [ ] gezählt,838 da auch ihnen als Söhne Noahs die Lästerung verboten ist. Die Gebote für die Söhne Noahs, die bereits im Traktat Jebamot erwähnt wurden, umfassen in bT 56a eine Liste, zu denen die Rechtspflege und das Verbot der Gotteslästerung, des fremden Diensts, der Unzucht, des Blutvergießens, des Raubs und des Gliedes von einem lebenden Tier zählen.839 Diese Gebote bilden einen Referenzrahmen für fremde Personen und vermitteln eine kulturelle Differenz. Spezifischer als in yT wird die Lästerung des Gottesnamens durch einen Noaiden, einen „Ger“ und einen „Goy“ interpretiert. Wenn ein Noahide Gott verflucht, macht er sich in bT 56a strafbar:       ‘                                            ’’                               840 . Die Schrift sagt: wie ein „Ger“ oder wie ein Bürger. Ein „Ger“ oder ein „Bürger“, wenn er den Namen [Gottes] lästert. Bei den „Goyim“ wird sogar die Umschreibung des Namens [geahndet]. Und R. Meir? Für was verwendet er wie ein „Ger“ und wie ein Bürger? Er folgert: ein „Ger“ und ein Bürger werden durch die Steinigung [bestraft]; die „Goyim“ aber mit dem Schwert. Er lehrt: man könnte annehmen, weil man sie einbezieht, sind sie einbezogen. Wofür verwendet R. Ychaq der Schmied nach den Rabbanan wie ein „Ger“ und wie ein Bürger? Er folgert: Bei einem „Ger“ und einem Bürger muss die Lästerung des Gottesnamens durch den Gottesnamen erfolgen. Aber bei den „Goyim“ muss [die Lästerung] des Gottesnamens nicht durch den Gottesnamen [erfolgen].841

Das Motiv „  “ aus Levitikus 24,16 vergleicht den Bürger mit dem Fremden in Bezug auf die Lästerung.842 Die Nennung des „Goy“ liegt nahe, 838 Die Menschheit setzt sich aus Fremden und Israeliten zusammen. Insofern widersprechen diese Stellen der Argumentation S. Sterns, die Rabbinen entwickelten ein bipolares Fremdbild; S. Stern, Jewish Identity, 7. 839 N. Dohrmann, The Boundaries of the Law and the Problem of Jurisdiction in a Early Palestinian Midrash, in: C. Hezser, Rabbinic Law in its Roman and Near Eastern Context, 90. 840 Der letzte Abschnitt fehlt in MS München 95. 841 Hier nach MS München 95; dort fehlt der letzte Vers, der sich in MS Firenze 9-7 findet. Der Anfang von MS Firenze ist entstellt. 842 Vgl. Lev 24,16: „Und wer den Namen des HERRN lästert, der soll unbedingt sterben! Die ganze Gemeinde soll ihn steinigen, er sei ein Fremdling oder ein Einheimischer; wenn er den Namen lästert, so soll er sterben!“

326

da es um die terminologische Bewertung von Fremden geht. Es stellt sich heraus, dass offenbar alle Fremden vom Verbot der Lästerung betroffen sind. Dies betrifft die „Gerim“ und die „Goyim“ nur, wenn explizit der Name Gottes gelästert wird. Das Konzept der Lästerung erhält damit eine allgemein verbindliche Note. Die Grenze der Verbindlichkeit verläuft zwischen den Begriffen „Ger“ und „Goy.“ Der „Ger“ ist zwar ein Fremder, aber ein Angehöriger Israels, weswegen er strenger behandelt wird als der Fremde. Diese Stelle entspricht der traditionellen Hierarchie, in der ein „Ger“ ein Fremder und nicht zwingend Proselyt ist. Weiter in bT 56b werden die noaidischen Gebote auf die Zauberei ausgedehnt. Die Noaiden dürfen, wie die Israeliten, nach Deuteronomium 19,19 keine Kleidung aus zweierlei Stoffarten tragen.843 Anhand des Verses „Und Gott, der Herr, gebot dem Menschen“ aus Genesis 2,16 wird den Noaiden die Rechtspflege, das Verbot der Lästerung und des fremden Dienstes auferlegt. Speziell der Gottesname wird zum Auslöser für diese Auslegungen. Die Verehrung Gottes durch Israel ist eine Komponente der Differenz. Der Zusammenhang mit dem fremden Dienst wird in bT 56b auf diese Weise belegt: ‘   ‘   ‘     ‘   ‘    ‘      ‘   ’’ ‘    ‘        ‘    ‘  ‘      ‘   ’’   ‘  ‘  ’’  ’’ ‘    ‘   ’’ ‘  ’’ ‘    ‘      ‘   ’’  ‘  ‘      ‘   ’’     ’’   ‘      ‘   .    ‘  ‘  ‘ Einer sagte: schnell sind sie vom Weg abgekommen, den ich ihnen geboten habe, denn sie haben sich gemacht [...] (Ex 32,8). Und einer sagte: Ephraim wird unterdrückt; durch das Strafgericht zertreten, denn es folgt dem Schmutz (Hos 5,11.) Was unterscheidet [die Verse]? Sie unterscheidet: Ein „Goy“, der ein Idol gemacht hat und es nicht verehrt hat. Nach demjenigen, der es aus dem [Wort] „gemacht“ ableitet, ist es [dieses Idol] verboten, wenn er es gemacht hat. Und nach demjenigen, der es aus dem [Wort] „folgt“ ableitet, erst wenn er [dem Kult] folgt und es anbetet. Raba sagte: Wer meint, dass ein „Goy“, der ein Idol gemacht hat und es nicht verehrt hat, strafbar ist? Es wird vom fremden Dienst gelehrt, das Handlungen, für die ein israelitisches Gericht verurteilt, einem Noaiden verboten sind. Handlungen, für die ein israelitisches Gericht nicht hinrichtet, sind einem Noaiden nicht verboten. Ist dies nicht der Ausschluss [des Falls], wenn ein „Goy“

843 Vgl. Lev 19,19: „Du sollst kein aus zweierlei Fäden gewebtes Kleid anlegen.“

327

ein Idol macht und es nicht verehrt? R. Papa sagte: Nein, dies schließt nur Umarmen und Küssen [des Idols] aus.844

In Exodus 32,8845 und Hosea 5,11846 verweisen zum einen die Anfertigung des goldenen Kalbes und zum anderen die Imitation der Fremden auf den fremden Dienst. Der wesentliche Unterschied zwischen den Versen besteht in der Anfertigung von Idolen [“] durch einen „Goy“, die aber nicht als solche verehrt wurden. Die Frage ist, ob bereits die Fertigung strafbar ist oder erst die Verehrung. Offensichtlich ist ein Noaide in diesem Abschnitt durch das Verbot des fremden Diensts nur graduell von einem Fremden zu unterscheiden, da beiden die Verehrung der Idole grundsätzlich verboten ist. So ist der „Goy“ dem Noaiden rechtsgleich, wenn er das Idol nicht verehrt. Da Umarmen und Küssen [ ] nicht als Verehrung gewertet wird, ist von einer Erleichterung auszugehen. Die Noaiden stehen zwischen Fremden und Israeliten, indem ihnen in bT 56b grundlegende Verbote vorgeschrieben werden:847     ‘  ‘    ‘    ’’    ‘ ‘ ‘   ‘ ‘  ’’  ‘ ‘     ‘  ‘ ‘ ‘ ‘  848 .    ’’  ‘ ‘    ‘ Sieben Gebote wurden den Noaiden auferlegt: der fremde Dienst, die Unzucht, das Blutvergießen, der Raub, das Glied eines lebendigen Tiers, die Kastration und die Vermischung. R. Yehuda sagt: dem ersten Menschen war nur der fremde Dienst verboten. R. Yehuda b. Bethara sagt: auch die Gotteslästerung; andere sagen, auch die Gesetze.

Offensichtlich sind die Elemente dieser Liste und ihre Bedeutung nicht völlig unumstritten. Lediglich der fremde Dienst ist in jedem Fall verboten. Das Konzept der noaidischen Gebote bezieht sich eindeutig auf alle Menschen, die „“, Mensch, genannt werden. Somit geht es nicht zwingend 844 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 688. Übereinstimmend nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 845 Hier der gesamte Vers aus Ex 32,8: „Schnell sind sie vom Weg abgewichen, den ich ihnen vorgeschrieben habe. Sie haben sich ein Kalb aus Metall gegossen und werfen sich vor ihm zu Boden. Sie bringen ihm ein Schlachtopfer dar und sagen: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägypten herausgeführt haben.“ 846 Vgl. Hos 5,11: „Ephraim wird unterdrückt, das Recht wird zertreten. Denn sie waren darauf aus, dem Unflat zu folgen.“ 847 Es wird aber davon ausgegangen, dass die Fremden diese Gebote nicht einhalten; M. Goodman, Proselytising in Rabbinic Judaism, JJS 40, 1989, 177. 848 Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7.

328

um die Fremden und einen ethischen Standard für Nichtjuden, sondern eher um die Entwicklung einer Art von Naturrecht.849 Dieses Naturrecht enthält grundlegende Gebote, die für die Menschheit allgemein verbindlich sind und widerspricht einer starren Hierarchie der Priestergesellschaft, die die Menschheit in Priestern, Israeliten, „Gerim“ und „Goyim“ einteilt. Deshalb entspricht in bT 57a der fremde Dienst der Unzucht, also unmenschlichem Verhalten. Ein Noaide ist wegen Unzucht, Blutvergießen und Lästerung hinzurichten.850 Der Vers „jeder Mann“ „   “ wird erneut herangezogen, um zu klären, ob jedem Menschen der fremde Dienst verboten ist:     ‘   ’’ ‘  ’’ ‘     ’’     ‘    ‘  ‘     ‘  ‘   ‘    ‘      ‘            ‘            ‘        ’’ ‘  ‘    ‘   ‘  ‘   ‘ ‘       ‘   ‘ .  ‘    ‘   ‘  ‘     ‘ Ist ein Noaide wegen des fremden Dienstes hinzurichten? In Bezug auf den fremden Dienst wird gelehrt, dass Handlungen, für die ein israelitisches Gericht verurteilt, einem Noaiden verboten sind. Sie sind ihm nur verboten; aber ist er nicht hinzurichten? R. Nahman bar Ychaq sagte: Ein Verbot für sie ist die Todesstrafe. R. Hona und R. Yehuda und alle Schüler Ravs sagten: Wegen der sieben Gebote sei ein Noaide hinzurichten; wie es der Barmherzige bei einem [bestimmte], so gilt es für alle. Ein Noahide ist wegen Raub hinzurichten. Es wird über den Raub gelehrt, dass dies Diebstahl, Raub und der [Raub] einer Schönen sei. Und daraus folgt, dass es einem „Goy“ gegenüber einem „Goy“ und einem „Goy“ gegenüber einem Israeliten verboten ist. Einem Israeliten gegenüber einem „Goy“ ist es dagegen erlaubt. Und wenn es so gelehrt wird, ist er dann strafbar? Wenn er zuletzt lehrt, dass es einem Israeliten gegenüber einem „Goy“ erlaubt ist, lehrt er zu Beginn, dass es einem „Goy“ gegenüber einem Israeliten verboten ist.851

Die sieben Gebote wie der Raub der Kriegsgefangenen in Deuteronomium 21,11 bezieht sich ursprünglich nur auf die Israeliten. Allerdings ist Raub nach Auffassung der Rabbinen auch zwischen Fremden verboten, eine Auf849 Den Gedanken eines ethischen Standards vertreten C. Hayes und D. Novak; C. Hayes, The „Other“ in Rabbinic Literature, in: C. E. Fonrobert, The Talmud and Rabbinic Literature, 57. 850 Auch M. Goodman verweist auf die inklusive Bedeutung des Noaiden, was sich besonders anhand des Verbots der „  “ zeigt. Ders., Mission and Conversion, 112. 851 Hier nach MS München 95; in MS Firenze 9-7 geringe Abweichungen.

329

fassung, die den Gedanken des Naturrechts unterstützt. Eine Ausnahme bildet der erlaubte Raub eines Fremden durch einen Israeliten, weil dieser in der rechtlichen Hierarchie höher angesiedelt ist.852 Im Anschluss wird in bT 57a gelehrt: ‘        ‘  ‘   ‘      ‘  ‘  .      ‘ ‘ ‘     ‘  ‘ Das Blutvergießen ist bei einem „Goy“ gegenüber einem „Goy“ und bei einem „Goy“ gegenüber einem Israeliten strafbar. Ein Israelit gegenüber einem „Goy“ ist straffrei. Wie wird hier gelehrt? Es wird gelehrt „verboten“ und „erlaubt;“ bei „Goyim“ und Kleinviehhirten wird gesagt, dass man ihnen weder helfen noch sie behindern soll.853

Fremden soll im allgemeinen keine besondere Hilfestellung erwiesen werden; man darf sie aber auch nicht vorsätzlich behindern. Die Argumentation für das Naturrecht muss zugleich die Ungleichheit zwischen Fremden und Israeliten berücksichtigen, die sich aus der Exklusivität Israels ergibt. Im weiteren wird dieser Unterschied durch ein Beispiel zementiert.854 Der Rechtsvergleich zeigt, dass dieses Konzept keineswegs realistisch gedacht ist, sondern ethische und rechtliche Grundlagen mit Hilfe der Tora schaffen möchte. In bT 57b wird erneut die Frage gestellt, weshalb es „jeder Mann“ heißt. Die Antwort ist, dass damit auch die „Goyim“ eingeschlossen sind, denen wie den Israeliten die Unzucht verboten ist.855 Aus dem Vers „jeder Mann“ wird geschlossen, dass es ein generelles Verbot der Unzucht gibt. Die Unzucht mit „ihren Frauen“ [    ] und „ihre Unzucht mit unseren Frauen“ [   ] [sic]856 ist dafür ein Beleg. Im weiteren wird die Rechtssprechung Israels vom Recht der Noaiden unterschieden. So sollte das Naturrecht für alle Menschen gelten und lediglich für Israeliten strenger ausgelegt werden. 852 Diese Idee orientiert sich u.a. an der Schilderung M. Guttmanns, der die noaidischen Gebote als humanitäre „Grundforderungen“ versteht; vgl. Ders., Das Judentum und seine Umwelt, 113. 853 Hier nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 854 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 689. Der Fall des Lohns, der an einen sogenannten „Mietling“ [ ] zu bezahlen ist, dient als Beispiel, dass Israeliten gegenüber Fremden nicht strafbar sind. 855 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 692-693. Nach MS München 95; in MS Firenze 9-7 eine geringfügige Abweichung. 856 So überliefert in MS München 95 und MS Firenze 9-7.

330

In bT 58a führt die Definition der Unzucht in Verwandtschaftsbeziehungen zu folgender Halacha. Bei einem „Ger“, der vor der Konversion gezeugt und nach der Konversion geboren wurde, besteht eine Blutsverwandtschaft mütterlicherseits, aber nicht väterlicherseits.857 Indirekt ist damit auf die Debatte aus Jebamot 3.3.11 verwiesen, in der eine Heirat mit einer Schwester mütterlicherseits verboten und väterlicherseits erlaubt ist.858 So ist der Noahide nicht nur mit dem „Goy“, sondern in dieser Hinsicht auch mit dem „Ger“ vergleichbar. Für die Noaiden werden Gebote veranschlagt, die auch für andere Fremde gelten. In bT 58b werden verbotene Verwandtschaftsbeziehungen anhand der Figur Adams erläutert. Der Noaide gleicht dem ersten Menschen:                   ‘     ‘  ‘ ‘ ‘                 ‘                         ‘      .  ‘   R. Huna sagte: Einem „Goy“ ist seine Tochter erlaubt. Und weshalb? Adam heiratete seine Tochter nicht, damit Qain seine Schwester heiraten konnte; weil: Die Welt wird durch Gnade aufgebaut (Ps. 89,3). Es gibt einige, die sagen: R. Yehuda sagte: Einem „Goy“ ist seine Tochter verboten; daraus kann man erkennen, dass Adam seine Tochter nicht heiratete. Und nicht wegen der Tochter Adams; der Grund ist, damit Qain seine Schwester heiraten konnte, weil die Welt durch Gnade aufgebaut wird. R. Huna sagte: Einem Sklaven ist seine Schwester und seine Mutter erlaubt. Er hat den Status des „Goy“ verlassen, aber noch nicht den Status des Israeliten erlangt.859

Ausgehend von Psalm 89,3 wird problematisiert, dass die Verbindung der ersten Menschen offenbar nicht mit den Inzestgeboten überein stimmt. Es wird geschlossen, dass dieser Fall eine Sonderstellung einnimmt und keine Aussagekraft für Fremde besitzt. In diesem Abschnitt wird zugleich der Begriff „Goy“ über den Begriff des Sklaven definiert. Die Zwischenstellung des Sklaven zwischen Fremden und Israeliten definiert sich über den Status der Fremden [  ]. Mit diesem Begriff ist wohl vor allem der rechtliche Referenzrahmen gemeint. 857 Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 858 Vgl. Jeb yT 11,1/16 und bT 98a-b. 859 Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7.

331

Wenn das Naturrecht für alle Menschen gilt und für Israeliten im Besonderen, kommt die Frage auf, ob es etwas gebe, für das Israeliten straffrei und „Goyim“ strafbar seien. Es wird festgestellt, dass ein Noahide, der mit der Frau eines anderen sexuell verkehrt, straffrei bleibt.860 Die Straffreiheit des Noaiden besteht nur im Kontext dieser Auslegung und bestätigt, dass es keinen Fall gibt, in dem ein Israelit im Vergleich mit einem Fremden straffrei wäre. Der Fremde und der Noaide scheinen in rechtlicher Hinsicht auf einem Niveau zu stehen. Deshalb versuchen die Autoren, die Differenz Israels hervorzuheben. Über den Rahmen des Naturrechts hinaus nimmt Israel eine exklusive Position ein, wie in einer weiteren Belegstelle zu lesen ist. Von Moses und dem Ägypter in Exodus 2,12 lässt sich ableiten, dass ein „Goy“, der einen Israeliten schlägt, den Tod verdient.861 Ausgehend von der Episode über Moses wird ein Gegensatz zwischen den Fremden und Israel aufgebaut, der im Umkehrschluss diesen Mord rechtfertigt.862 Schließlich bleibt ein Israelit gegenüber einem Fremden straffrei, was umgekehrt nicht der Fall ist. Weiterhin manifestiert sich in bT 58b die Differenz anhand der Festtage Israels. Resh Laqish erklärt, dass ein „Goy“, der den Schabbat feiert, die Todesstrafe verdient, denn sie sollen „Tag und Nacht nicht ruhen“.863 Die zugehörige Belegstelle in Genesis 8,22864 schildert die Wiederbesiedelung der Erde nach der Sintflut. Im Kontext der Stelle sollen dementsprechend die Menschen, die „Goyim“, nicht ruhen. Erst mit der Verleihung der Gebote am Sinai manifestiert sich der Unterschied zwischen den Fremden und Israel. In bT 59a wird deshalb argumentiert:            ‘     ‘        ‘  ‘                ‘                ‘     ‘ ‘ ‘ ‘         ‘   ‘                     .           Ein „Goy“, der sich mit der Tora befasst, verdient die Todesstrafe, denn es heißt: Mose übergab uns eine Lehre als Erbe für die Gemeinde Jakobs (Dtn 33,4). Sie ist 860 861 862 863 864

332

Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. Hier nach MS Firenze 9-7, in MS München 95 ist das Zitat aus Ex 2,12 abgekürzt. So zufolge S. Stern, Jewish Identity, 41. Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. Vgl. Gen 8,22: „Solange die Erde besteht, sollen nicht aufhören Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“

unser Erbe und nicht ihres. Zählt sie denn zu den sieben Gesetzen? Nach dem, der „Erbe“ versteht, wäre es Raub. Und nach dem, der „Meorasha“ [= Verlobte] versteht, ist es wie der Verkehr mit einer Verlobten, was zur Steinigung führt. Es ist einzuwenden: R. Meir sagt: Weshalb gleicht selbst ein „Goy“ einem Hohenpriester, wenn er sich mit der Tora befasst? Es heißt: Der Mensch, der sie einhält, wird durch sie leben (Lev 18,5). Priester, Leviten und Israeliten wird nicht gesagt, sondern nur „ein Mensch“. Daraus kannst du sehen, dass ein „Goy“ einem Hohenpriester gleicht, wenn er sich mit der Tora befasst. Dies bezieht sich auf die sieben Gebote.865

Die Belegstelle in Deuteronomium 33,4 besagt, dass die Tora das Erbe für Israel und nicht für die Fremden ist. So führt das Wortspiel mit „ “ zur Bestrafung für den, der sich der „Verlobten“ [ ] Israels nähert. Allerdings ist die Gültigkeit des Naturrechts in Frage gestellt, weil sich der Mensch [] mit diesen Gesetzen befassen soll und damit auch Fremde. Zuletzt wird das Problem dadurch gelöst, dass es sich lediglich um das Studium der betreffenden Gebote handelt. So ist die Tora als Eigenschaft Israels ein Merkmal der Differenz, aber diese Differenz bleibt nicht unangetastet.866 Diese Argumentation, die aufgrund des Torastudiums den Fremden mit Israel gleichsetzt, findet sich auch anderen Stellen.867 Der wesentliche Unterschied zwischen Fremden und Israel ist aus rabbinischer Perspektive in bT 59a aber die Verleihung der Gebote am Sinai:                  ‘               ‘       .    ’’   Der Meister sagte: Jedes Gebot, das den Söhnen Noahs auferlegt und am Sinai wiederholt worden ist, ist beiden [Israel und den Söhnen Noahs] auferlegt worden. Im Gegenteil, wenn es am Sinai wiederholt worden ist, gilt es nur für Israel. Auch der fremde Dienst wurde am Sinai auferlegt und da die „Goyim“ deswegen bestraft wurden, ist zu entnehmen, dass er beiden auferlegt worden ist.868

Mit der Wiederholung der Gebote, die bereits in Genesis 9,1-17 genannt werden, ist der Rahmen für das Naturrechts festgelegt. Diese Wiederholung deutet daraufhin, dass diese Gebote für alle Menschen grundsätzlich ver865 Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 866 S. Stern, Jewish Identity, 74. 867 Das Motiv, das ein Fremder einem Hohenpriester gleicht, wenn er die Tora studiert, findet sich bspw. in bT A“Z 3a. 868 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 698. Hier nach MS Firenze 9-7; MS München 95 ist lückenhaft.

333

bindlich sein sollten. So sind „Goyim“ und Noaiden grundsätzlich rechtsgleich, was darauf schließen lässt, dass eine inhaltliche Verbindung zwischen den Begriffen besteht. Im weiteren Verlauf wird endgültig festgehalten, dass es nichts gäbe, was den Israeliten erlaubt und den Nichtjuden verboten wäre.869 Das Konzept der Noaiden ist als Produkt der Exegese zu verstehen, den Fremden in der theologischen und räumlichen Nähe Israels eine rechtliche Position zu verleihen.870 Abschließend wird in bT das Zerreißen der Kleider thematisiert. In bT 60a wird wie in yT nach II. Könige 18,37 geurteilt, dass bei Lästerung die Kleider einzureißen sind. Eine weitere Lösung bietet R. Yehuda an, indem er schließt, dass man bei einer Lästerung durch einen Fremden das Gewand nicht einzureißen braucht. Die Figur Rav Shaqe sei lediglich ein abtrünniger Israelit gewesen.871 So wird gefolgert, dass man das Gewand nicht wegen einer Umschreibung des Namens einreiße, sondern nur wegen des exakten Namens. Es besteht folgender Unterschied:        ‘          ‘                   ‘               ’’      .  Wer zu dieser Zeit der Jetztzeit eine Lästerung hört, braucht (seine Kleider) nicht zu zerreißen. Wäre dies der Fall, so würde die ganze Kleidung nur aus Rissen bestehen. Bei wem [gilt dies]? Wenn man dies von den Israeliten annimmt, so sind sie unbelastet. Selbstverständlich gilt dies von einem „Goy“. Weshalb? Wenn, dann nur beim genauen Namen, der ihnen nicht geläufig ist; eher durch eine Umschreibung. Daraus kann man schließen, dass man zu dieser Zeit sie nicht zu zerreißen braucht, auch wenn man sie früher zerreißen musste.872

Der Gegensatz aus Heute und Früher entspricht dem Gegensatz von Exegese und praktischer Anwendung. So ist dieses Gebot keineswegs als Aufforderung zu verstehen, sondern als Exegese. Es scheint realistisch, dass den Fremden der Name Gottes nicht geläufig ist. Wenn diese Belegstelle in Bezug zu den Noaiden gesetzt wird, zeigt sich, dass diesem Konzept keineswegs reale Personen entsprechen. Die 869 L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 699. Es wird ausgeführt, dass die Beschneidung den Noaiden nicht ausdrücklich auferlegt wurde. 870 M. Goodman, Mission and Conversion, 113. Laut Goodman werden mit dem Begriff des Noaiden in erster Linie andere Begriffe und Konzepte erläutert. 871 L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 702. 872 Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7.

334

Noaiden ergänzen das Konzept des „Goy“, um die Auslegung der Tora rabbinischen Interessen anzupassen. Ein rabbinisches Interesse ist sowohl die Exklusivität Israels zu bestätigen als auch die allgemeine Verbindlichkeit der Tora zu betonen. Diese beiden Interessen widersprechen sich und müssen rhetorisch in Einklang gebracht werden. Die Exegese folgt im Traktat Sanhedrin dem Ziel, die Terminologie und die rabbinischen Konzepte mit Hilfe der Tora zu stützen. Diese Argumentation entwickelt sich von yT zu bT weiter.873 Dadurch werden rabbinische Anliegen wie die rechtliche Position der Fremden in Israel geklärt.

4.3.5 Die Spezifizierung des fremden Diensts: zu Mischna 7,6 In Mischna 7,6 wird der fremde Dienst durch bestimmte Handlungen wie Opfern und Räuchern, aber auch durch Salben, Kehren und Umarmen definiert. Das Opfer, das Räuchern und die Libation gelten dabei in der Mischna erschwerend, während die Umarmung und jede Form der Reinigung des Idols erleichternd entschieden werden. In diesem Kapitel wird der zugehörige Kommentar in yT und bT formal verglichen. Die wesentliche Frage für diesen Abschnitt ist, welcher Umgang mit den Idolen angemessen ist und ob sich eine Entwicklung in den Gemarot feststellen lässt. In yT 7,11/1 wird über den Diener der fremden Kulte [   ] beschlossen: .         .                                            .    .                 .          Weshalb besteht eine Verwarnung für den Diener fremder Kulte? Du sollst nicht dienen (Ex 20,5). Weshalb wird er mit der Ausrottung bestraft? Wer den Herrn lästert, soll ausgerottet werden (Num 15,30). Aber an dieser Stelle steht nur „wer lästert“ geschrieben. Wie ein Mensch zu seinem Freund spricht: du hast die ganze Schüssel ausgekratzt und nichts übrig gelassen. Ein Gleichnis von Rabbi Shimon ben Leazar, der sagt: Wie zwei Menschen, die vor einer Schüssel Graupen sitzen, die zwischen ihnen steht. Einer streckt seine Hand aus, kratzt die ganze Schüssel

873 Während die Fremden in der frühen rabbinischen Literatur noch keine definierte Position haben, ändert sich das offensichtlich in den Gemarot; S. D. Fraade, Navigating the Anomalous, in: L. J. Silberstein, The Other on Jewish Thought and History. Constructions of Jewish Culture and Identity, 158.

335

aus und lässt nichts übrig. So lassen der Lästerer und der Diener fremder Kulte kein Gebot aus.874

Wie bereits in der Mischna deutlich wurde, steht der Diener fremder Kulte im engen Kontakt zur Gotteslästerung. Folglich wird eine Parallele zwischen Exodus 20,5 und Numeri 15,30 gezogen. Das Wort „“ dient dazu, eine literarische Analogie zwischen der Lästerung und dem „auskratzen“ einer Schüssel herzustellen, was in dieser Episode veranschaulicht wird.875 Der fremde Dienst schließt alle Übertretungen ein, und wird auf den Lästerer und den Diener fremder Kulte bezogen.876 Diese Halacha richtet sich vordringlich an Israeliten und hat deshalb reflexive Bedeutung. Auch in yT 7,11/2 zeigt sich diese reflexive Bedeutung. Laut Exodus 20,5 wird das Verbot überliefert, fremden Göttern zu dienen. Theoretisch wäre das Verbot aber erst übertreten, wenn ein Israelit einen beliebigen fremden Dienst ausgeübt hätte. Doch in Exodus 20,5 wird zugleich die Verbeugung vor fremden Göttern verboten, was einer allgemeinen Regel und damit einem Verbot entspricht.877 Die Verehrung leitet sich aus der Verbeugung [ ] ab, die direkt der Belegstelle in Exodus entnommen wird. Im weiteren ist ein Israelit auch schuldig, wenn aus Unachtsamkeit für die Idole geschlachtet wurde. Die Grenze zwischen den Opfern für fremden Kulte und dem eigenen Kult, der in Levitikus beschrieben wird, ist dennoch denkbar schmal. Da die Opferung von Tieren formal kaum Abgrenzungsfläche zu Fremden bietet, müssen die Unterschiede besonders betont werden. In Deuteronomium 12,4 wird die Vernichtung der fremden Kulte beschrieben, die im Gegensatz zum vorgeschriebenen Dienst stehen. Die Autoren betonen die Grenze zu den fremden Kulten, um einer Verwechslung

874 Vgl. hier mit der Übersetzung von G. Wewers, Synhedrin, 192. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 875 In bT 92a, L. Goldschmidt, Synhedrin Bd. 2, 39, heißt es: „R. Eleazar sagte ja aber, wenn jemand Brocken auf seinem Tisch zurücklässt, sei es ebenso, als hätte er Götzen [  ] gedient, denn es heißt: die ihr dem Glücksgott einen Tisch zurichtet und dem Verhängnis Mischtrank einschenkt!? (Jes 65,11).“ 876 Vgl. G. Wewers, Synhedrin, 151-152; yT Sanh 6,9/10: „David sagte: durch drei Sündendinge wird der Regen [im Himmel] verschlossen: [durch] Götzendienst, Unzucht und Blutvergießen.“ Dieser Kombination der drei Übertretungen ist häufig und belegt, dass die „  “ als übergeordneter Begriff verwendet wird. 877 Vgl. G. Wewers, Synhedrin, 192.

336

vorzubeugen.878 Dieses Interesse kommt durch die Exegese der Autoren zum Ausdruck, die Nähe zu Fremden zu verhindern und die Exklusivität Israels zu betonen. So wird in der Diskussion vom Besonderen [ ] auf das Allgemeine [] geschlossen. In yT 7,11/5 bezeichnet der Vers aus Deuternomium 12,4 mit dem Verbot das „Allgemeine,“ während Exodus 22,19 das „Besondere“ darstellt.879 So lassen sich Verbote der Mischna durch Torastellen belegen:                 .     .             .‘      Weshalb diese Strafe für den, der sagt: Du bist mein Gott. Rav Abbun im Namen der Rabbanin von Babylon: Und sie warfen sich vor ihm [dem goldenen Kalb] nieder, schlachteten ihm und sagten: Das sind deine Götter, Israel etc. (Ex 32,8). Deshalb: Man wird erst schuldig, wenn man schlachtet, räuchert und [einen Segen] spricht.880

Das kryptische Zitat „ “ aus der Mischna lässt sich über Exodus 32,8 erklären. Es besteht offenbar der Versuch, den fremden Dienst auf bestimmte Handlungen zu reduzieren. Damit wird ein Konzept des fremden Diensts entworfen, dass im folgenden durch weitere Belege aus der Tora gestützt wird. Mit dem Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere und der Einschließung [  ] gibt es verbindliche rhetorische Regeln für die Auslegung des Sachverhalts. In der Halacha ist diese Auslegung allerdings umstritten, wie yT 7,11/7 zeigt. In bT stellen sich die Autoren offensichtlich die Aufgabe, die Mischna mit Hilfe der Tora unter Einbeziehung bestimmter rhetorischer Regeln auszulegen. In bT 60b wird in Bezug auf Mischna 7,6 zwischen einzelnen Handlungen unterschieden: ’’  ‘   ‘   ‘     ‘      .’’  ‘ 

878 Diese Grenze spezifiziert P. Schäfer mit den vier Merkmalen des Libationsweins, der fremde Feiertage, der sexuellen Unzucht und der Idole; Der., Jews and Genitles in Yerushalmi Avodah Zarah, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and GraecoRoman Culture III, 337-352. 879 Vgl. G. Wewers, Synhedrin, 194. 880 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Vgl. die Übersetzung von G. Wewers, Synhedrin, 194.

337

Die Rabbanan lehrten: Wenn es hieße: Wer opfert, wird gebannt (Ex 22,19): Dann würde ich sagen, die Schrift spricht davon, das heilige Opfer außerhalb [des Tempels] zu schlachten. Die Schrift sagt aber: Den Göttern. Es geht also darum, dem fremden Dienst zu schlachten.881

Nicht nur die Handlung ist für den fremden Dienst bedeutsam, sondern auch die Intention. Diese Intention kann auf das Idol oder die fremden Götter gerichtet sein. Doch das Opfer, die Libation und die Räucherung dürfen nur im Namen Gottes allein gespendet werden. Der Unterschied zwischen der Verbeugung [  ] und dem Opfer ist, dass sich das Opfer auf den gesamten Dienst bezieht.882 Für die Autoren zählt, welche rhetorischen Elemente in der Exegese kombiniert werden dürfen. Die Abgrenzung der Kulte und die einzelnen Handlungen, die das Vergehen ausmachen, werden in bT 61a und 61b verglichen und diskutiert.883 Das Ziel ist eine Differenzierung der einzelnen Handlungen. Wie zu erwarten, besteht hierüber keinerlei Einigkeit unter den Rabbinen. Der Fall des vorsätzlichen Opfers sorgt auch in bT 61a für eine Debatte:          ‘   ’’      ‘        ‘ ‘ ‘   .  ‘ ‘     ‘           Wir haben gelernt: Der Diener fremder Dienste; nur wenn er ihm dient, nicht wenn er es nur sagt. Wir haben gelernt: [Das ist, wenn] derjenige sagt: „Ich möchte gehen und ihm dienen“ und „lasst uns gehen und ihm dienen.“ Er sagte: Wenn er sagt, ich diene ihm nur durch den Dienst. R. Yosef sagte: Soll man die streitenden Tannaiten aus der Welt schaffen? Die Tannaiten lehren: Derjenige, der sagt: „Kommt und verehrt mich“ ist nach R. Meir strafbar und nach R. Yehuda straffrei.884

Besonders die Elemente wie das Sprechen [  ] von Beschwörungen im Sinne des fremden Dienstes sind umstritten. Jedenfalls markieren „Tun“ und „Sagen“ einen Grenzfall, der ein Einverständnis mit dem fremden Kult signalisieren kann. Das Verleiten zu einem fremden Dienst ist strafbar und zeigt erneut die reflexive Bedeutung des fremden Diensts, denn damit sind 881 Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 882 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 704. 883 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 705. Hier werden die Elemente der    genauer definiert und in Opferung, Räucherung, Libierung und Verbeugung aufgeteilt. Diese Aufteilung bezieht sich auf die Tora, womit die Belegstelle der exegetischen Debatte entspricht. 884 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 706. Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7.

338

abtrünnige Israeliten [   ] gemeint.885 Nicht zuletzt sind die Motive für den fremden Dienst von Interesse, die in bT 61b aufgezeigt werden: ‘    ‘  ‘ ‘   ‘  ‘   ’’  ’’  ‘  [...]  ‘      ‘  ‘   ‘ ‘  .   Wer einem Idol aus Furcht oder Liebe dient, ist nach Abiye schuldig und nach Rabba frei. Abiye sagt, er ist schuldig, weil er ihn verehrt. Rabba sagte, er ist frei, weil er ihn als Gott anerkennen muss, sonst ist er nicht [schuldig]. Woran erkennt man das? Abiye sagte: Wir haben gelernt: Der Diener fremder Dienste; einer, der ihm dient.886

Die Debatte über mögliche Motive für die Ausübung des fremden Diensts bezeugt das kreative Interesse der Autoren. Ob das Motiv der Angst oder Zuneigung im Zusammenhang mit dem fremden Dienst steht, bleibt unentschieden. Von Bedeutung ist allerdings die Intention, mit der geopfert wird, da daran in bT 61b die Differenz zwischen den Kulten gemessen werden kann:    ‘ ‘    ‘ ‘ ’’         ’’             ‘                         ‘  ‘ ‘  ‘  ‘  ‘           .‘  Es wird gelehrt: der gesalbte Hohenpriester, [der sein Opfer] dem fremden Dienst bringt. Rabbi sagte, wenn er es unvorsätzlich getan hat; und die Weisen sagen, wenn ihm der Ablauf entfallen ist. Sie stimmen überein, dass er wie eine reguläre Person eine Ziege opfern soll. Außerdem stimmen sie darin überein, dass er ein Schuldopfer opfern muss. Wie kann der fremde Dienst unvorsätzlich geschehen? Er erklärt: Wenn er sich vor einer Synagoge verbeugt hat, ist sein Herz dem Himmel zugewandt; und wenn er eine Statue sah, sie verehrte und als Gott anerkannte, hat

885 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 707. S. Stern definiert diese Begriffe und ihre Entwicklung, Ders. Jewish Identity, 106-107. Es besteht kein Zweifel, dass es sich um hierbei um Feinde der Autoren handelt, die durch diesen scharfen Gegensatz nicht direkt mit dem „ “ oder „  “ verglichen werden können. 886 Nach MS Firenze 9-7; in MS München 95 weicht der zweite Vers ab.

339

er es vorsätzlich getan. Wenn er es nicht getan hat, folgt daraus nichts; nur, wenn er es aus Liebe oder Furcht getan hat.887

Diese Belegstelle zeigt, wie nahe in der Wahrnehmung der Rabbinen die Opfer der Tora dem fremden Dienst stehen. Aus diesem Grund wird genau zwischen Versehen und Vorsatz unterschieden. Die Intention, mit der das Herz dem Himmel zugewandt ist oder die Handlung aus Furcht geschieht, bietet zumindest eine Unterscheidung. Insgesamt entsteht durch die Debatte über die Intention der Eindruck, dass erleichternde Entscheidungen getroffen werden. Weiter wird in bT 62a der Dienst als Handlung spezifiziert, die aus mehreren Elementen besteht. Die Teilung der Dienste in einzelne Schritte ermöglicht eine genaue Aufarbeitung, was erlaubt und was verboten ist:                 “                          “          [“]        . Die Aufteilung der Dienste beim fremden Dienst folgt aus [den Worten] „eine von diesen“ (Lev 4,2). „Eine“: das ist das Schlachten. Von einer: [das ist das Durchschneiden] des Organs. „Von diesen“: die Hauptdienste, die Opferung, das Räuchern, die Libation und die Verbeugung. „Von diesen“: die Vorbereitungen, wenn man vor [dem Idol] einen Stock zerbricht. „Eine wie diese“: wenn es in Bezug auf den fremden Dienst vorsätzlich und hinsichtlich der Dienste unvorsätzlich getan wurde. „Diese, die wie eine ist“: wenn der fremde Dienst unvorsätzlich und die Dienste vorsätzlich ausgeführt wurden.888

Die vorsätzliche und unvorsätzliche Leistung des Diensts macht für die Intention einen wesentlichen Unterschied, denn die Absicht kann immer erschwerend ausgelegt werden. Durch die Aufteilung in einzelne Handlungen wird das Konzept des fremden Diensts mit konkreten Handlungen bereichert. Auf diese Weise deuten die Rabbinen den fremden Dienst in der Tora als exakte Handlungsanweisung. Für bestimmte Vergehen sind Opfer zu erbringen, die sich in Analogie zueinander setzen lassen. Den einzelnen Kasten entsprechend, müssen verschiedene Sühneopfer dargebracht wer-

887 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 708. Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 888 Vgl. die Übersetzung von L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 709-710. Hier nach MS Firenze 9-7; in MS München 95 lückenhaft.

340

den.889 In bT 62b werden Analogien zwischen dem fremden Dienst und anderen Verboten gezogen, wie der Übertretung der Schabbatruhe und dem Inzest.890 Nicht zuletzt können die Elemente wie die Verbeugung in Bezug zu bestimmten Verboten stehen, wie bT 63a zeigt. Dort werden beim fremden Dienst verschiedene Arten der Verbeugung unterschieden.891 Diese drei Arten deuten auf Exodus 20,5, 23,24 und 34,14 hin.892 In diesen Versen wird das Verbot der Verehrung fremder Götter mit dem Begriff der Verbeugung [ ] kombiniert. Damit lassen sich die drei Kategorien der Dienste und ihre Teilung belegen. Dieses Konzept des fremden Diensts basiert somit auf der Auslegung der Tora. Im Zuge dieser Differenzierung wird in bT 63b der Schwur im Namen eines Idols behandelt. Da ein Israelit nach Exodus 23,13 den Namen fremder Götter nicht erwähnen sollte, ist es verboten, sich in der Nähe eines Idols zu verabreden. Zudem soll im Namen des Idols kein Schwur abgelegt oder jemand dazu aufgefordert werden.893 Aus dieser Belegstelle lässt sich ableiten, dass es ein allgemeines Gebot der Distanz gegenüber Idolen gibt. Die Anweisung, keinen Schwur beim Namen des fremden Gottes abzulegen, scheint ein praktisches Gebot zu sein. Immerhin entspricht dies der Tora in Exodus 23,13, den Namen der Idole nicht zu erwähnen.894 Daraus lässt sich folgender Schluss ziehen: ‘               ‘                     .         ’’  

889 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 710: „Wieso kannst du diesen Schriftvers (Lev 4,2) auf den Götzendienst beziehen, bei diesem heißt es ja, der Gesalbte habe einen Farren, der Fürst einen Ziegenbock und der Private ein Schaf oder eine Ziege darzubringen, während hinsichtlich des Götzendienstes gelehrt wird, dass, wie alle übereinstimmen, auch jene gleich einem Privaten eine Ziege darzubringen haben!?“ 890 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 711. 891 Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 892 Hier nach L. Goldschmidt, Synhedrin, 712; F. 379. Allerdings ist die zweite Belegstelle falsch ausgewiesen; es handelt sich nicht um Ex 24,24, sd. um 23,24. 893 Diese Belegstelle entspricht MS München 95 und MS Firenze 9-7. 894 Die Aufarbeitung des Themas ist bei S. Lieberman, Greek in Jewish Palestine, 115-143, zu finden. Dort zeigt sich, dass Schwüre besonders oft fremde Angewohnheiten repräsentieren und deshalb von den Rabbinen abgelehnt werden. Aus diesem Sachverhalt kann eine gewisse Nähe zu Fremden abgeleitet werden.

341

Man darf andere nicht veranlassen, in seinem Namen einen Schwur abzulegen oder zu erfüllen. Dies ist eine Stütze für den Vater Shmuels, denn der Vater Shmuels sagte: Es ist einem Menschen verboten, mit einem „Goy“ Geschäfte zu machen, denn er könnte gezwungen sein, ihm einen Eid zu leisten und im Namen seines Idols zu schwören. Und die Tora sagt: er soll aus deinem Mund nicht gehört werden (Ex 23,13).895

Mit Fremden soll kein Handel getrieben werden, um nicht in die Verlegenheit zu geraten, einen Schwur leisten zu müssen. Diese Halacha muss nicht zwingend theoretischer Natur sein.896 Es wird weiter festgelegt, dass nur Namen von Idolen, die in der Schrift erwähnt werden, genannt werden dürfen. Manche der folgenden Belegstellen scheinen eine gewisse Ironie zu enthalten,897 da die Schlachtung der Kälber für den fremden Dienst offensichtlich eine humorvolle Komponente enthält.898 Die gesamte Abhandlung des fremden Dienstes steht im Kontext der Exegese der Tora, weshalb in bT 63b das Perfekt [   ] verwendet wird:   ’’      ’’ ‘     ‘ ‘  ‘ .     

895 Hier an der Übertragung von L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 714, orientiert. Die Vorlage orientiert sich an MS München 95 und MS Firenze 9-7. 896 Diese Stelle trifft auf G. Portons Beschreibung der ökonomischen Beziehungen zu Fremden zu; Ders., Forbidden Transactions: Prohibited Commerce with Gentiles in Earliest Rabbinism, in: J. Neusner, „To see ourselves as others see us.“ Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 323-324. 897 Vgl. bT Sanh 63b; L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 715: „R. Nahman sagte: Jede Spötterei ist verboten, ausgenommen die Spötterei über den Götzen, die erlaubt ist. [  “           ]. 898 Vgl. bT Sanh 63b, L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 715: „R. Jichaq sagte: Es heißt: und nun sündigen sie immer; sie haben sich aus ihrem Silber Gußbilder gemacht nach dem Muster von Götzen etc. (Hos 13,2) Was heißt: nach dem Muster von Götzen? Dies lehrt, dass jeder sich die Figur seiner Gottheit anfertigt und in seinen Busen getan hat, und so oft er sie nannte, nahm er sie aus dem Busen und küsste sie. - Was heißt: Menschen schlachten sie und Kälber küssen sie (Hos 13,2)? R. Jichaq aus der Schule R. Amis erklärte: Wenn die Pfaffen ihre Augen auf die Besitzenden richteten, ließen sie die Kälber aushungern und stellten das Bild jener neben ihre Krippe; sodann führten sie sie hinaus, und sobald sie jene bemerkten, liefen sie ihnen nach und beschnupperten sie. Darauf sprachen sie zu ihnen: Der Götze hat Wohlgefallen an dir gefunden, komm und lass dich ihm schlachten.“

342

R. Yehuda sagte im Namen Ravs: Die Israeliten (der Tora) wussten, dass am fremden Dienst nichts ist. Sie dienten den Idolen nur, um sich in der Öffentlichkeit unsittlich zu benehmen.899

Offensichtlich wird nach den angeführten Beispielen den Israeliten zugestanden, dass sie diese Kulte als sinnlos erachteten. Vielmehr sei die Unzucht die Triebfeder für den fremden Dienst gewesen. Wie oben bereits gezeigt, bilden in der Exegese der fremde Dienst, die Unzucht und das Blutvergießen eine thematische Gruppe. Auch hier zeigt sich die reflexive Bedeutung des fremden Diensts. Eine Episode über ein jüdisches Kind und das Idol belegt diese Einschätzung.900 Entsprechend der Vorlage in der Tora sind die Israeliten diejenigen, die fremde Kulte ausüben. Eine der Episoden in bT 64a behandelt den Trieb zum fremden Dienstes [     ]. Diese Erzählungen zeichnen sich durch eine starke apologetische Note aus: ’’  ‘       ‘  ‘   ‘      ‘  ‘ ‘      ‘ ’’  ‘ ‘ ‘ ‘     ‘               ‘  .         ’’       Eine Episode von einer „Goya“, die äußerst schwer krank war. Da sagte sie, wenn ich von der Krankheit genese, gehe ich und diene allen Idolen der Welt. Sie wurde gesund, und ging, um allen Idolen der Welt zu dienen. Als sie zum „Peor“ kam, fragte sie die Priester, womit dieser verehrt würde. Sie sagten ihr, dass man Mangold esse, Met trinke und dann vor ihm urinieren müsse. Da sagte die Frau: Lieber werde ich wieder krank, als ein Idol so zu verehren. Nur ihr vom Haus Israel seid nicht so.901

In diesen Episoden wird das Abstossende und Obszöne dieser Kulte hervorgehoben.902 Das Idol „Baal Peor“ ist an dieser Stelle nichts als eine 899 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 716. Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 900 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 716-717. Hier wird eine Episode berichtet, in der Eliahu im zerstörten Jerusalem einem Kind das Schma beibringen möchte. Das Kind, das nicht im jüdischen Glauben erzogen wurde, umarmt anstatt dessen ein Idol, woraufhin ihm der Bauch platzt. Auch diese Geschichte veranschaulicht die reflexive Komponente des fremden Dienstes. 901 Nach MS Firenze 9-7, in München sind die letzten beiden Verse leicht verändert. 902 Nach bT Sanh 64a, L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 717f.: „Einst vermiete Sabta aus Ulam einen Esel an eine Nichtjüdin und als sie an einen Peorgötzen herankamen, sprach sie zu ihm: Warte, bis ich hineingehe und wieder herauskomme.

343

Metapher. Obwohl bestimmte Handlungsanweisungen, wie das Werfen von Steinen nach einer Merkurstatue historisch verifiziert sind, werden keine konkreten Kulte portraitiert.903 Für die Behandlung der fremden Dienste scheint die Exegese das wesentliche Instrument zu sein, denn Israel soll mit dieser Argumentation von den fremden Kulten klar geschieden werden. Von diesem Vorhaben sind beide Gemarot geleitet, wenn auch in bT die Bedeutung der Intention für den Dienst genauer spezifiziert wird. Die Fremdheit, die mit dem Begriff „Avoda Zara“ zum Ausdruck kommt, ist überwiegend reflexiv auf Israel bezogen. Nur am Rande werden in bT einige fremde Personen angeführt. Die rabbinische Exegese zeichnet sich durch eine bestimmte Rhetorik aus, die in bT weiter entwickelt wirkt.

4.3.6 Der Molekh als fremder Dienst: von Mischna 7,6 bis 7,10 In diesem Abschnitt werden Motive vorgestellt, die sich um die Mischnastelle 7,7 und den Kommentar zur biblischen Gottheit „Molekh“ gruppieren. Das Thema des Molekhkults wird in Mischna 7,7 vorgegeben und bestimmt, dass derjenige, der das Kind diesem Idol übergibt, erst schuldig wird, wenn er es ausgeliefert hat und durch das Feuer gehen ließ.904 In yT 7,13/1 wird auf diese Mischna Bezug genommen, die offenbar nicht völlig eindeutig formuliert ist. Derjenige, der sein Kind dem Molekh übergibt, erhält laut dieser Belegstelle eine Verwarnung entsprechend Levitikus 18,21 und 20,3.905 Die weitere Auslegung orientiert sich am Vorbild von Levitikus 20,2, und die Strafe wird nach dieser Belegstelle bemessen. Dort heißt es, dass ein Israelit oder ein „Ger“, der sein Kind dem Molekh gibt, gesteinigt werden soll.906 Es scheint, als ob das Thema des Molekh

903 904

905

906

344

Nachdem sie herausgekommen war, sprach er zu ihr: Warte nun auch du, bis ich hineingehe und wieder herauskomme. Da sprach sie zu ihm: Bist du denn nicht Jude? Dieser erwiderte: Was geht dich das an. Darauf ging er hinein und entleerte sich vor ihm und wischte sich an seiner Nase ab. Da lobten ihn die Pfaffen, indem sie sprachen: Noch nie hat jemand ihn auf diese Weise verehrt.“ Diese Beispiele führt E. Friedheim aus, Ders., Rabbinisme et Paganisme, 383. G. Porton argumentiert an dieser Stelle für eine symbolische Verwendung des Begriffs „Molekh“, mit dem Ziel, die Israeliten von der Verehrung anderer Religionen abzuhalten; Ders., Goyim, 242-243. Vgl. Lev 18,21: „Von deinen Nachkommen keinen für Molekh darbringen.“ Lev 20,3: „Ich richte mein Angesicht gegen einen solchen und merze ihn aus seinem Volk aus, weil er eines seiner Kinder dem Molekh gegeben, dadurch mein Heiligtum verunreinigt und meinen heiligen Namen entweiht hat.“ Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 197.

insgesamt auf Levitikus 20,2 zurückgeht.907 Dabei handelt es sich um ein Motiv der Exegese, das keinen historischen Anknüpfungspunkt in der rabbinischen Zeit hat. Deshalb wird dieser Begriff in der rabbinischen Literatur vorerst über die Exegese bestimmt. Dieser Kult scheint als Platzhalter für fremde Dienst verwendet zu werden, und zugleich kann über den Molekh der fremden Dienstes definiert werden.908 In yT 7,13/2 wird im Kontext des fremden Diensts über das Verbot gehandelt und folgende Analogie gezogen: .   [’’]     .                  .   .  ‘     .      Die Schrift lehrt: Bei dir soll niemand gefunden werden, der seinen Sohn oder seine Tochter durch das Feuer gehen lässt (Dtn 18,10). Dies gilt im Analogieschluß [auch für den fremden Dienst]. So wie dort Vorübergehen ein Gehen durch das Feuer gemeint ist, bedeutet es auch hier ein Vorübergehen durch das Feuer. Daraus folgt, dass einer erst für immer schuldig wird, wenn er es [das Kind] übergibt und es durch das Feuer des Molekh gehen lässt.909

Der Analogieschluss verbindet den fremden Dienst mit dem Kult des Molekh, denn offenbar ist die thematische Nähe zum fremden Dienst ausschlaggebend für den Vergleich. Es wird festgestellt, dass nur die aktive Verehrung schuldig macht. So wird man erst schuldig, wenn das Kind fremden Priestern [ ] übergeben wurde, und einer von diesen es durch das Feuer gehen ließ. Diese Belegstelle hat einen hohen symbolischen Gehalt, da durch den Kult die Abtrünnigkeit von Kindern thematisiert wird. So wie das Kind von einer Fremden „ihr Sohn“ ist, ist der Aspekt der Ver-

907 Der Kommentar in J. Milgrom, The Anchor Bible. Leviticus 17-22, 1729-1738, liefert einige Belege dafür, dass der Kult in den Bereich des fremden Dienstes gehört und zudem im Kontext von Lev 20,2 eine Verbindung zur sexuellen Unzucht besteht. 908 M. Hadas Lebel, Jérusalem contre Rome, 295. Laut E. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme, 62-63, besteht ein Zusammenhang zwischen diesem symbolischen Kult und der   . 909 G. Wewers, Sanhedrin, 197, fügt an dieser Stelle dem Kontext entsprechend den Begriff „Avodah Zara“ ein. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

345

führung naher Verwandter problematisch.910 In yT 7,13/3 wird dieser Aspekt betont:    .         .       ’’ .       .         .          ’’   ‘    Rabbi Leazar be Rabbi Shimon hält ihn für schuldig, einmal für den Molekh und einmal für [jedes] andere Idol. Rabbi Leazar be Rabbi Shimon sagt: Er ist nur für den Molekh allein schuldig. Ist er nur wegen der Nachkommen schuldig? Rabbi Yohanan sagte: der Grund von Rabbi Leazar be Rabbi Shimon stammt von hier: Bei dir soll niemand gefunden werden (Dtn 18,10).911

Das Argument der Verführung von direkten Nachkommen steht im Gegensatz zu den übrigen Diensten. Man kann nur spezifisch für diesen Kult verantwortlich gemacht werden. Wer dagegen nur vor dem Molekh spazieren geht, kann wie in der Mischna nicht für schuldig erklärt werden, denn die Intention ist für die Übertretung zu berücksichtigen. So lässt sich dieser Kult als materielle Variante der Idole begreifen. In yT 7,13/3 wird der fremde Dienst nach Levitikus 20,3 in die Ausrottung [ ] mit eingeschlossen. Die Strafe wird dementsprechend erneut Levitikus 20,2 entnommen.912 Auch in einer Wiederholung dieser Stelle wird die allgemeine Todesstrafe für alle fremden Dienste befürwortet. So kann der Molekh durchaus in eine allgemeine Definition des fremden Diensts einbezogen werden. Dieser Kult selbst wird in yT 7,13/4 über den Wortsinn erläutert. Der Molekh [] sei alles, „was du über dich herrschen lässt [    ], auch ein Splitter, auch ein Steinchen.“913 Diese wörtliche Erklärung zeigt eine abstrakte Gefahr der Verführung. Der Molekh steht auch im Zusammenhang mit dem bösen Trieb.914 Die Strafe für diesen fremden Kult in yT 7,13/5 wird so bemessen:

910 Vgl. das bereits angeführte Zitat aus Jeb yT 2,6/3: „And it is written: For he will divert your son from after Me. Your son from a Jewish woman is called your son, but your son from a gentile woman is not called your son but her son.“ 911 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Vgl. die Übersetzung von G. Wewers, Sanhedrin, 198. 912 Dies ist nach G. Wewers als Bruchstück zu behandeln; Ders., Sanhedrin, 198. 913 G. Wewers, Sanhedrin, 199. 914 Dieser Zusammenhang wird über die Rhetorik hergestellt. Der Molekh ist an und für sich ein Symbol für eine schlechte Handlung. Vgl. E. Friedheim, Paganisme et Rabinisme, 39-40.

346

    .         .              .           .             Und ich werde ihn aus der Mitte seines Volkes ausrotten (Lev 20,3), um den übrigen fremden Dienst in die Ausrottung einzuschließen. Rabbi Nissa im Namen von Rabbi Leazar: um den übrigen fremden Dienst auf Söhne und Töchter zu erweitern. Es ist gelehrt worden: Man ist einmal wegen des Molekh und einmal für [jedes] andere Idol schuldig, ob man ihm mit Söhnen und Töchtern dient oder ihm mit Vätern und Müttern dient.915

Da die Verführung von Familiengehörigen besonders schwerwiegend ist, wird die der Kinder besonders geahndet. Nach Levitikus 20,3 wird der Schuldige von seinem Clan ausgeschlossen, und analog gilt für den fremden Dienst die gleiche Strafe. Diese Nähe zum fremden Dienst zeigt sich ein weiteres Mal in einer Halacha in yT 7,13/6, die drei Mal wiederholt wird. Dort wird der Molekh den Dienern fremder Kulte zugeordnet, aber die Erleichterung beschlossen, dass die Übertretung nur die Nachkommen betrifft.916 Das Ergebnis der rabbinischen Exegese ist, dass nur für die Verführung der Nachkommen Verantwortung besteht. Das primäre Interesse der Autoren richtet sich nicht auf einen historischen oder real existierenden Kult, sondern auf die Exegese der Mischnastelle in der Perspektive der Tora. Diese Auslegung und ihre prominente Behandlung in yT leiten zu einem ausführlichen Kommentar in bT über. Direkt zu Mischna 7,4-7 wird in bT 64a folgendes beschlossen:                                      .      Es wird vom fremden Dienst gelehrt und vom Molekh gelehrt: R. Abin sagte: Wir haben gelehrt wie gesagt wurde, dass der Molekh nicht zum fremden Dienst gehört. Es wird gelehrt: Ob für den Molekh oder für den fremden Dienst, er ist schuldig. R. Eleazar ben Shimon sagt: Für den Molekh ist er schuldig; und wenn nicht für den Molekh, ist er frei.917

915 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Die Übersetzung ist an der Interpretation von G. Wewers, Sanhedrin, 199, angelehnt. 916 Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 200. 917 Nach MS München 95, in MS Firenze 9-7 ist der erste Vers leicht verändert überliefert.

347

Das Verhältnis des fremden Dienstes zum Molekh wird überprüft und festgestellt, dass es eine Lehre gibt, die diesen Kult nicht als Teil des fremden Dienstes anerkennt. Die thematische Verbindung, die in yT hergestellt wurde, wird wieder in Frage gestellt. Immerhin wird die Erklärung für den Begriff „Molekh“ wiederholt, dass alles, was man über sich herrschen lässt [    ], „selbst ein Steinchen oder ein Splitter,“ diesem Kult entspricht.918 In bT 64b wird weiter wie in yT definiert, ab wann in diesem Fall von Schuld gesprochen werden kann. Es werden genauere Definitionen veranschlagt, dass dieser Dienst sich auf die legitimen Kinder bezieht. So besteht die Schuld im Fall der direkten Nachkommen, wie dem Sohn oder der Tochter. Dagegen ist man für die Eltern nicht verantwortlich, da allein die Verführung der Kinder die Genealogie bedroht. Inwiefern man für die Verehrung des Molekh nun schuldig ist oder nicht, bleibt widersprüchlich: ‘    ‘ ‘ ’’ ‘ ‘   ‘     ‘  ‘   .          ‘  ‘ ‘ ‘  ‘ R. Eleazar ben Shimon: Er ist einmal für den Molekh und einmal für [jedes] andere Idol schuldig. Ula sagte: Was ist der Grund für R. Eleazar ben Shimon? Die Schrift sagte: Es soll bei dir keinen geben (Dtn 18,10). Bei dir, [das bedeutet] bei dir selbst. Die Rabbanan legen das „dir“ nicht weiter aus.919

Offenbar ist R. Eleazar b. Shimon der Meinung, dass ausschließlich die Verehrung der spezifischen Kulte strafbar ist. Dies führt zu einer restriktiven Auslegung von Deuteronomium 18,10. Im Gegensatz dazu legen die Rabbinen das „dir“ [] offenbar nicht reflexiv aus. Insgesamt besteht eine inhaltliche Ähnlichkeit zu yT, auch wenn nicht immer die gleichen Schlüsse gezogen werden. Weiter wird in bT 64b beschlossen:         ’’     ’               ’’                    ’’       .‘  ‘ ‘       R. Yose ben anina sagte: Weshalb gibt es beim fremden Dienst drei Ausrottungen? Einmal wegen der herkömmlichen Art [der Verehrung], einmal wegen der ungewöhnlichen Art, und einmal wegen des Molekh. Und was soll nach dem, der den Molekh als fremden Dienst bezeichnet, die Ausrottung? Wenn er seinen Sohn auf 918 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 719. 919 Hier nach MS München 95, in MS Firenze 9-7 liegen einige Auslassungen vor.

348

ungewöhnliche Art [am Molekh] vorbeiführt. Und was soll nach dem, der den Lästerer als fremden Dienst bezeichnet, die Ausrottung für den Lästerer? So wie gelehrt wird: er muss absolut ausgerottet werden (Num 15,31); auch in der kommenden Welt wird er ausgerottet nach R. Aqiba.920

Die im vorigen Kapitel zitierte Halacha wiederholt die drei Dimensionen der „Avoda Zara“. Die Verehrung auf gewöhnliche und ungewöhnliche Weise wird um den Molekh erweitert. Wenn dieser Kult zur allgemeinen Definition des fremden Diensts gehört, muss der Täter das Kind auf ungewöhnliche Weise [  ] vorüberführen. An dieser Stelle wird wieder auf die Lästerung verwiesen, was die terminologische Nähe dieser Übertretungen untereinander belegt. Diese fremden Dienste werden nicht nur auf dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen Welt bestraft. So kann vom Molekh über die Ausrottung auf fremde Dienste geschlossen werden. Das argumentative Ergebnis ist vergleichbar mit yT, da dort der Molekh als abstrakte Größe gewertet wird, die in den Kontext der fremden Dienste gehört. Über diese Belegstellen hinaus findet sich in bT 65a eine vergleichbare Belegstelle, die den fremden Dienst in den Kontext von Beschwörungen und Zauberei setzt. Dort ist fraglich, ob das Räuchern für einen Geist [  ] bereits dem fremden Dienst entspricht. Analog zum fremden Dienst können diese Vergehen mit der Steinigung geahndet werden.921 In bT 67a wird die Definition des Verführers wiederholt, der zur Verehrung der Idole auffordert. Nach einer anderen Meinung sind damit die Verführer einer abtrünnigen Stadt angesprochen. Insgesamt zeigt sich die reflexive Bedeutung dieser Debatte, die auf den biblischen Konflikt Israels mit den fremden Kulten zurückgreift. In diesem Kontext wird das Verhör des Dieners fremder Kulte wiederholt: ‘    

   ‘     ‘    ‘  ‘         ‘     ‘  ’’ ‘    ‘ ‘ .  ’’    ‘     Er soll zu ihm sprechen: Sage mir, was du mir im Vertrauen gesagt hast. Sagt er es, spricht man zu ihm: Wie könnten wir unseren Vater im Himmel aufgeben und Idole verehren? Wenn er aufgibt, ist es gut. Sagt er aber, dass dies unsere Verpflichtung

920 Nach MS München 95, in MS Firenze 9-7 gibt es einige Auslassungen. 921 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 722.

349

und gut für uns sei, bringen ihn die Zeugen, die ihn von draussen gehört haben, zum Gericht und man steinigt ihn.922

Die Schilderung des Verhörs gehört ebenfalls zur Rhetorik der fremden Kulte. Die Gegenüberstellung des fremden Diensts mit dem Vater im Himmel gleicht einer Antithese der religiösen Überzeugungen. Es wird ein fiktives Tribunal beschrieben, mit dem die Autoren den Verboten eine gewisse reale Konsequenz verleihen.923 Zu Mischna 7,10 findet sich in bT 67a eine weitere Gegenüberstellung von Israeliten und „Goyim“. Bei Israeliten gibt es verschiedene Todesstrafen, bei den Fremden ist nur eine Todesstrafe vorgesehen.924 Der Vergleich ist damit rein exegetischer Natur, da die Auslegung des Molekhkults nicht nur eine rhetorische Übung ist, sondern auch die Bewertung der Rechtssysteme erfordert. Die Autoren konstruieren ein abstraktes Gegenüber, das die eigene Rechtssprechung stützt. In diesem Sinn sind „Goy“ und „Israel“ nicht nur literarische Figuren, sondern Rechtssubjekte, die durch ihren unterschiedlichen Status in Tora und Mischna eine theoretische Explikation verlangen.

4.3.7 Über das Geld der Fremden: von Mischna 7,10 bis 8,7 In diesem Kapitel werden die Belegstellen von Mischna 7,10 bis 8,7 analysiert. Da in den nächsten beiden Kapiteln jedoch unverhältnismäßig mehr Belegstellen zu bT vorhanden sind, wird jeweils ein thematischer Vergleich bestimmter Belegstellen und Motive vorgenommen. Hierzu werden Stellen aus dem ganzen Traktat herangezogen, die zum Thema der fremden Person passen. Ein erstes Motiv ist die Darstellung des „Goy“ in Verbindung mit Geldangelegenheiten. Dieses Motiv, indem Fremde und Geld kontrastiert werden, erscheint in den anderen drei Traktaten unter verschiedenen Umständen, die nicht nur in einen ökonomischen Bezug stehen.925 In yT 8,6/5 922 Vgl. die Interpretation von L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 730. Nach MS München 95, in MS Firenze 9-7 fehlt der erste Vers. 923 Damit ist keine Bewertung verbunden, inwiefern dieses Tribunal realistisch ist. Diesen Unterschied betont auch R. Goldenberg, The Nations That Know Thee Not, 81-82. 924 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 731. 925 Vgl. folgende Motive: yT Ber 9,3/16 betrifft den geldgierigen Gerschom; in yT Shab 1,7/4 und bT Shab 153b soll der Geldbeutel einem „  “ gegeben werden; bT Jeb 109b handelt von Bürgschaften; yT Jeb 7,1/8 von der Bürgschaft an einen

350

wird aufgeworfen, ob in Abwesenheit des Ehemanns Schulden zu zahlen sind:   .      .            .     Rabbi Yirmya sagte: Das ist verständlich bei einem Schuldschein, an dem Zinsen zehren. Das Gerichtshaus fordert doch Zinsen? Das ist erklärbar, wenn ein „Goy“ für ihn bürgt.926

Für den Kontext der Fremdbeschreibung ist notwendig zu wissen, dass der Fremde als Geldgeber nicht dem jüdischen Gesetz unterworfen ist. Insofern verändert die Sicherheit von einem Fremden den gesamten Sachverhalt.927 Der ökonomische Austausch befördert die materielle Abhängigkeit von Fremden, verweist aber auch auf die notwendige Interaktion. Im Vergleich wird in bT 25b ein ähnlicher Sachverhalt geschildert:                       .         Und diejenigen, die sowohl auf Wucher verleihen oder leihen: Wie vollziehen sie die Umkehr? Wenn sie ihre Schuldscheine zerreißen und sich davon vollständig abwenden; so dass sie nicht einmal einem „Goy“ [Geld] leihen.928

Für die „Umkehr“ muss man sich vom Geldverleih und anderen Sünden wie dem Glücksspiel und dem Handel mit Siebenjahrfrüchten lossagen. Nicht nur den Israeliten, sondern nicht einmal Fremden darf Geld auf Wucher geliehen werden. Die Fremden sind offenbar auch die Empfänger von Geld. Im Kontext der Belegstelle kann geschlossen werden, dass der Geldverleih an Fremde von rabbinischer Seite in bT nicht gerne gesehen wird. Fremde „ .“ So zeigen sich völlig unterschiedliche Motive, die von der Geldgier der Fremden über den Geldverleih bis zu Bürgschaften verschiedene Facetten aufweisen. Diese Motive ergänzen das Bild, das G. Porton zeichnet; Ders., Forbidden Transactions: Prohibited Commerce with Gentiles in Earliest Rabbinism, in: J. Neusner, „To see ourselves as others see us.“ Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 318-320. Nach R. Loewe entsprechen diese ökonomischen Beziehungen der historischen Wirklichkeit; Ders., Gentiles as Seen by Jews after CE 70, in: W. Horbury, The Cambridge History of Judaism, 253. 926 Hier an die Vorlage von G. Wewers, Sanhedrin, 222, angelehnt. Nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 927 Hier zufolge der Interpretation von G. Wewers, Synhedrin, 222, F 84. 928 Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7.

351

übernehmen sowohl die Funktion von Geldleihern, aber bekommen auch Geld geliehen. Diese Beschreibung deckt sich mit der Beobachtung, dass die Fremden in historischer Hinsicht eine wichtige ökonomische Funktion übernehmen. Dieser Zusammenhang deckt sich mit einer Anmerkung in bT 14b, in denen Fremde die Partner von Geschäften sind.929 Verdorbene Speisen, die während der Pilgerfahrt nach Jerusalem verzehrt werden sollen, müssen durch bestimmte Personen ausgelöst werden. Da der Zehnt aber einen heiligen Status hat, darf er nicht in Berührung mit Fremden kommen. Heiliges darf nicht in Abhängigkeit von ökonomischen Überlegungen geraten. Deshalb wird in bT 94b die Überlegung angestellt, dass sogar Geld den Status der Reinheit haben kann:                    .             Wie die Bäche springen springt es da (Jes 33,5). So wie die Bäche einen Menschen von der Unreinheit zur Reinheit bringen, wird auch das Geld der Israeliten rein, wenn es in die Hände der Völker der Welt fällt.930

Im Kontext der Plünderung und der Verteilung von Beute nach Jesaja 33,4 gelangt das Geld wieder in den Zustand der Reinheit. Das durch Plünderung verunreinigte Vermögen wird durch seine Rückführung in den wirtschaftlichen Kreislauf in den Händen der Fremden [ ] wieder rein. Der Zusammenhang von Geld und Fremden im Kontext von Verleih, Schuldverschreibung und Wucher ist in der rabbinischen Literatur offenbar ausgeprägt.931 Da dieses Motiv häufig verwendet wird, lässt sich auf eine

929 „Die Rabbanan lehrten: Einen zweiten Zehnten, dessen Wert unbekannt ist, löse man durch drei Kaufleute aus, nicht aber durch drei, die keine Kaufleute sind, selbst wenn einer unter ihnen ein Nichtjude oder der Eigentümer ist.“; L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 511-512. Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 930 Vgl. die Übertragung von L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 52. Diese Übersetzung des Jesajaverses ist eine Interpretation, die sich an Goldschmidt anlehnt und durch den nachfolgenden Vers und den Bezug auf die „Bäche“ sinnvoll scheint. Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 931 Hier nur einige ausgewählte Beispiele. In yT A“Z 5,1/4 schuldet ein Fremder einem Israeliten Geld; in bT A“Z 71b geht es um Geld und Handel. V.a. in A“Z hat das Geld große Bedeutung. Weitere Stellen betreffen yT B“Q 4,3/2; yT B“M 5,7/4; 5,7/8 und 5,7/9; 5,13/2; bT B“M 61b; 71a, 72a, 75b, bT B“B 54b; bT Git 43b, 46b, bT Ket 86a; 26b, bT Pes 31a. Es zeigt sich, dass gerade das Geldleihen und Wucher eine besondere Bedeutung im Kontext der Fremdbeschreibung hat.

352

gewisse historische Bedeutung schließen. Die Rabbinen stehen dieser ökonomischen Allianz distanziert bis neutral gegenüber.932 Auch die „Gerim“ können sich verschulden, wie anhand von Mischna 8,1 untersucht wird. Da es nach Numeri 5,8 Personen ohne Verwandtschaft gibt,933 wird in bT 68b-69a festgestellt:                                          .                    Wenn ein Mann keine Verwandten [bzw. Schuldner] hat, dem er seine Schuld zurückzahlen kann (Num 5,8). Gibt es in Israel einen Mann, der keine Verwandten hat? Dieser Vers handelt von der Beraubung des „Ger“. Der Barmherzige sagte „jeder Mann“, damit man untersuchen soll, ob ein Mann Verwandte hat. Bei einem Kind muss man es nicht untersuchen, weil man sicher sein kann, dass es keine Verwandte hat.934

Das Problem, dass Proselyten nach ihrer Konversion keine verwandtschaftlichen Bindungen aufweisen, wurde bereits in bT Jebamot 22a aufgeworfen. Für die Rückzahlung der Schulden sind offenbar direkte Verwandte nötig, die ein „Ger“ als Konvertit nicht besitzt. Zumindest bei einem konvertierten Kind kann davon ausgegangen werden, dass es keine Verwandte hat. Weiter wird an dieser Stelle der Raub an einem „Ger“ thematisiert, bei dem ebenfalls die fehlende Verwandtschaft eine Rolle spielt.935 Somit ist von der Transformation des sozialen Status die Rede, von der weiter in bT 71b gehandelt wird: 932 In bT 76b wird die Rückgabe eines Funds an einen Fremden verboten. Dieses Thema berührt auch S. Fraade in seinem Artikel über die rechtlichen Grenzen Israels zu Fremden; Ders., Navigating the Anomalous: Non-Jew at the Intersetion of Early Rabbinic Law and Narrative, in: L. J. Silberstein, The Other on Jewish Thought and History. Constructions of Jewish Culture and Identity, 157. 933 Vgl. Num 5,8: „Wenn aber der Anspruchsberechtigte keinen Löser hat, dem der Schuldige Ersatz leisten könnte [...]“: die Belegstelle handelt ursprünglich von der Wiedergutmachung. 934 Hier ist die Übersetzung von „“ (eigentl. Schuldner, Erlöser) eine Interpretation, die L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 736 folgt. Bei der Thematik des „Ger“ kommt die Problematik der Verwandtschaft zum Tragen. Der Text orientiert sich an MS München 95 und MS Firenze 9-7. 935 Ein ausführlicher Kommentar zur Beraubung des Proselyten wird in mB“Q 9,11 und weiter in B“Q yT 9,15/2 und bT 109a gegeben. Die Beraubung des Proselyten ist in yT Anlass für die Debatte um das Abschwören [ ] des Raubs und wird in bT um das Motiv der Aneignung von Raubgut erweitert.

353

  ‘        ‘  ‘        ‘ ’’      ‘     ‘   ‘     ’’ [...] .   R. anina sagte: Ein Noachide, der Gott lästert und konvertiert ist, bleibt straffrei, da sich das rechtliche Verfahren und die Todesstrafe geändert haben [...] Komm und höre: Ein Noachide, der seinen Freund erschlagen oder mit der Frau seines Freundes geschlafen hat, und dann konvertiert, bleibt straffrei. Wenn er dies aber einem Israeliten antut und konvertiert, ist er strafbar.936

Der Sohn Noahs verändert durch die Konversion seinen Status, weshalb er ein anderes rechtliches Verfahren erhält. Da „Gerim“ nach der Konversion den Status der Neugeborenen haben, kann auf eine Straferleichterung geschlossen werden. Selbst bei schweren Vergehen wie Mord oder sexuellen Vergehen kann erleichternd entschieden werden, solange kein Israelit betroffen ist. Dementsprechend bewirkt die Konversion eine Verbesserung des sozialen Ansehens. Damit verbunden ist eine Veränderung der rechtlichen Situation, da Israeliten anders abgeurteilt werden als Fremde. Durch die Konversion steigt der soziale Status des Fremden in der Wahrnehmung der Rabbinen.937

4.3.8 Die Rettung vor dem fremden Dienst: zu Mischna 8,7 und 9,2 Die beiden Belegstellen in Mischna 8,7 und 9,2 behandeln die Rettung eines Israeliten vor dem fremden Dienst. Während sich zu Mischna 8,7 in yT und bT jeweils ein Kommentar findet, wird Mischna 9,2 nur kurz in bT erwähnt. Zu Mischna 9,3, in der die Steinigung als erschwerende Strafe betrachtet wird, gibt es in beiden Gemarot keinen Kommentar. Die Rettung vor dem fremden Dienst steht im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen fremde Kulte in der Tora.938 In yT 8,8/2 werden Einbrüche unter dem Tatbestand des Mords analysiert. Da das Leben bedroht ist, wird folgende Analogie gezogen:

936 Nach MS München 95; in MS Firenze 9-7 fehlt diese Belegstelle. 937 Vgl. S. J. D. Cohen, Crossing the Boundary and Becoming a Jew, in: HTR 82:1, 1989, 13-14. Immerhin hatte dieser Schritt auch soziale Folgen; wie bspw. die Besteuerung, der Juden zeitweise ausgesetzt waren. 938 Diesen Zusammenhang zeigt M. Hadas-Lebel auf, Jérusalem contre Rome, 294-300. Dies betont auch P. Schäfer für die Figur Enosch; Ders., Der Götzendienst des Enosch, in: P. Schäfer, Studien zur Geschichte und Theologie des rabbinischen Judentums, 134-139.

354

                         .             939 .       Damit schließt du auf die Rettung des Lebens, indem du sagst: Wie der fremde Dienst besondere Bedeutung hat, weil er das Land verunreinigt, den Namen entweiht, die Gottesgegenwart vertreibt und man seinetwegen den Zweifel unterdrückt, gilt dies erst Recht für die Rettung des Lebens, dass man ihretwegen den Zweifel unterdrückt.

Vom Mord kann auf die Rettung des bedrohten Lebens geschlossen werden und weiter auf den Terminus des fremden Diensts. Wie bei fremdem Dienst der Zweifel verdrängt wird, so auch bei der Rettung des bedrohten Lebens. Die Übertretung durch den fremden Dienst ist so schwerwiegend wie Mord. Nicht nur die Verunreinigung und die Entweihung des göttlichen Namens sind zu bedenken, sondern auch die Gottesgegenwart schwindet. So ist das Leben durch den fremden Dienst bedroht. Diese Mischna wird in yT 8,9/3 folgendermaßen kommentiert:                  940 .                Es wurde gelehrt: Rabbi Leazar be Rabbi Shimon sagt: Wer sich aufmacht, um fremden Dienst zu üben, den muss man bei seinem Leben und wegen der Ehre von Fleisch und Blut retten. Wenn man ihn um des Lebens willen rettet, dann besonders wegen Gott und seiner Schöpfung.

Es wird entgegen der Mischna entschieden, dass die Rettung des Lebens bei der Ausübung des fremden Dienstes geboten ist. Die Gründe sind die Ehre von Fleisch und Blut [  ], und damit indirekt die Problematik der Genealogie. Der fremde Dienst, der verunreinigt und die Gottesgegenwart schwinden lässt, ist mit der Mischehe mit Fremden vergleichbar. Die Symbolik von Fleisch und Blut ist ein aussagekräftiges Indiz. Die physische und die geistige Entfremdung sind gleichermaßen bedrohlich. Somit können mit dem Begriff der „Avoda Zara“ auch andere Elemente der Entfremdung substituiert werden.

939 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 940 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Die Korruption des Wortes „ “ zu „“ nach Wewers lässt sich in der Synopse nicht nachvollziehen.

355

In bT wird die Rettung des Lebens in Belegstelle bT 73b abgehandelt. Dort wird von der Lebensrettung in Inzestfällen und den zugehörigen Strafen gehandelt: ’’               ’’       ‘ ‘ ’’ ‘ ‘  ’’       .’’           Wenn jemand den fremden Dienst ausübt, muss man ihn bei seinem Leben zurückhalten. Weshalb? Eines schließt [das Gesetz] von einem Tier aus und das andere schließt [das Gesetz] vom Schabbat aus. Er erklärt, dass man die Entweihung des Schabbat von der Entweihung des fremden Dienst ableitet. Und R. Eleazar sagt im Namen R. Shimons, dass man die Entweihung des Schabbat beim Leben zurückhalten muss, weil man die Entweihung des Schabbat von der Entweihung des fremden Dienstes ableitet.941

An dieser Stelle werden Übertretungen wie Inzest, die Entweihung des Schabbat, die Lästerung und der fremde Dienst kombiniert. Aufgrund der Analogien muss eine inhaltliche Nähe zwischen diesen „fremden“ Übertretungen bestehen, die eine Abweichungen vom Normalmaß bedeuten. Besonders die sexuelle Unzucht mit einem Tier ist ein Beispiel. Die Lebensrettung kann in all diesen Fällen angewandt werden, besonders aber im Fall der Entweihung der Gottesgegenwart oder des Schabbat. So wird die Lebensrettung im Fall des fremden Dienstes in bT 74a gegen die Mischna entschieden:           ’’  ‘   ‘ ‘   .             Es wird gelehrt: R. Shimon b. Yochai sagt: Den Diener fremder Kulte muss man um den Preis seines Lebens davon abhalten, denn es wird vom Leichteren auf das Schwerere geschlossen: Wenn man die Herabwürdigung eines einfachen Menschen um den Preis seines Lebens verhindert, um wie viel mehr die Herabwürdigung Gottes.942

941 Nach MS München 95; MS Firenze 9-7 fehlt. 942 L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 759. Nach MS München 95 und MS Karlsruhe.

356

Die Bemakelung und Lästerung Gottes ist Grund genug, um mit dem Schluss vom Leichten auf das Schwere [   ] den Menschen von dieser Übertretung abzuhalten.943 Auf diese Weise ähnelt die Argumentation stark der Belegstelle in yT. Es ist Gott selbst, der durch den fremden Dienst verletzt und entehrt wird, weshalb die Maßnahme, jemanden bei seinem Leben zurückzuhalten, gerechtfertigt scheint. So wird die Mischna in beiden Fällen wesentlich verschärft, da eine Entfremdung von den Grundlagen des Glaubens verhindert werden soll. Im Anschluss wird beschlossen, eine Entweihung des Schabbat unter Einsatz des Lebens zu verhindern. In bT 74a wird deshalb bestimmt, dass man für die positiven Gebote mit seinem Leben einstehen muss: ’’            ‘        ‘   ‘ ‘ ‘      ’’         .  ’’         ’’   Wenn man jemanden auf Leben und Tod zwingt, alle Übertretungen, die in der Tora [stehen], zu vollziehen, so übertrete man und lasse sich nicht töten. Ausgenommen sind der fremde Dienst, die Unzucht und das Blutvergießen. Der fremde Dienst etwa nicht? Es wird gelehrt: R. Yschmael sagte: Deshalb; wenn jemand einen auf Leben und Tod zwingen will, den fremden Dienst auszuüben, so tue man es und lasse sich nicht töten. Denn es heißt: Und du sollst durch sie leben (Lev 18,5).944

Ausschließlich der fremde Dienst wird im Gegensatz zu Unzucht und Blutvergießen erleichternd eingestuft. Bereits in yT 3,6/10 wurde entschieden, dass nach Levitikus 18,5 die Einhaltung der Gebote Leben spenden soll, weshalb man keinen Mord bei Todesandrohung begehen darf. In bT 74a wird im Kontrast dazu in der Zeit religiöser Verfolgungen geboten, sich eher töten zu lassen als das leichteste Gebot zu übertreten. In dieser Situation scheint es angebracht, öffentlich für die Gebote einzutreten. Diese Öffentlichkeit besteht aus mindestens zehn Personen, selbst wenn sich ein Fremder in der Gruppe befindet. Diese Einhaltung der Gebote in höchster Not wird in bT 74b differenziert. Ein Israelit darf bei Androhung des Todes am Schabbat für einen „Goy“ Gras schneiden und verfüttern, aber

943 Diese Halacha ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die fremden Kulte traditionell für das Fremde schlechthin stehen. So werden sie auch in bT wahrgenommen; vgl. dazu D. Flusser, Paganism in Palestine, in: S. Safrai, The Jewish People in the First Century, 1085-1088. 944 Nach MS München 95 und MS Karlsruhe.

357

nicht in einen Fluss werfen.945 Die Todesandrohung wird nur erleichternd entschieden, wenn es sich um normale, zielgerichtete Arbeit handelt. So wird jeweils genau unterschieden, für welche Handlung der Einsatz des Lebens angebracht ist. Immerhin ist die Arbeit am Schabbat eine eindeutige Verletzung des Ruhegebots. Die Autoren versuchen, klare Grenzen im Fall der Lebensrettung zu ziehen. Der Fall, ob ein Noaide und damit alle Fremden den Gottesnamen heiligen sollten, zeigt dieses Bedürfnis nach Abgrenzung.946 Der Aspekt des Widerstands gegen Fremde zeigt sich auch im Kommentar zu Mischna 9,2 in bT 79a. Dort wird zunächst die Aussage der Mischna wiederholt, dass bei der versehentlichen Tötung eines Israeliten ein Freispruch folgt. Es werden Erklärungen für die Mischna gesucht und ein hypothetischer Fall mit den Figuren Reuben und Simon durchgespielt. Weiter heißt es an dieser Stelle:     ‘               ‘  ‘ ‘          ‘    ‘     ‘                          .   ‘             Die Schrift sagt: Wenn er ihm auflauerte und ihn überfiel (Dtn 19,11); nur wenn er es vorsätzlich getan hat. Und die Rabbanan sagen nach R. Jannai: Dies schließt [den Fall] aus, wenn man einen Stein wirft. Wie das? Wenn es neun „Goyim“ sind und ein Israelit zwischen ihnen steht und auch wenn es in der Mehrzahl „Goyim“ sind, wie ist es dann? Im Zweifelsfall wird zugunsten des Lebens erleichternd entschieden. Das ist nicht notwendig, wenn es neun Israeliten sind und ein „Goy“ zwischen ihnen steht: Der „Goy“ macht hier den Unterschied; und in all diesen Fällen wird es als „Hälfte gegen die Hälfte“ eingestuft.947

Es bleibt zu ergänzen, dass der vorsätzliche Wurf in die Menge eine Untersuchung der Mehrheitsverhältnisse zur Folge hat. Wenn nach der Mehrheit geurteilt wird, verschiebt ein Fremder das Verhältnis. Die Entscheidung fällt erleichternd aus, da stets die Regel der „Hälfte gegen Hälfte“ angewandt wird.948 Der Terminologie entsprechend wird der Begriff „Nori“ aus der 945 Überliefert in MS München 95 und MS Karlsruhe. 946 G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 102. Nach Porton liegt die Ursache für die Abgrenzung nicht zuletzt in der Willensfreiheit der „Gerim“. Dadurch entsteht ein gewisses Misstrauen gegenüber Proselyten. 947 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 777, der hier näher am Text übersetzt. Nach MS München 95 und MS Karlsruhe. 948 Vgl. bT San 15b, L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 515: „Welche Sünde soll der

358

Mischna übernommen, um dann in der Diskussion mit dem Begriff „Goy“ fortzufahren. Dies ermöglicht, die beiden Begriff als Synonyme zu verstehen. Insgesamt werden im Fall der Rettung in den Kontext des fremden Diensts andere schwerwiegende Vergehen einbezogen. Deshalb wird die Mischna erschwerend ausgelegt. Es geht letztlich um eine exegetische Explikation der Normen anhand theoretischer Fälle, wie bT 81a veranschaulicht.949 Wer zu den fremden Idolen seine Augen erhebt [      ], begeht nicht nur im übertragenen Sinn fremden Dienst. Die soziale Konsequenz des fremden Dienstes ist der Ausschluss aus der Gemeinschaft Israels.

4.3.9 Über die Merkmale einer sozialen Hierarchie: zu Mischna 9,6 Mischna 9,6 veranschlagt das Erdrosseln des „Zar“, der im Tempel Dienst getan hat. Nach R. Aqiba wird der Nichtpriester erdrosselt, und nach der Meinung der Weisen erleidet er den Tod durch Gottes Hand. Ebenfalls wird der Verkehr mit einer Fremden [  ] durch Eiferer [  ] bestraft. Im folgenden werden die Kommentare in yT und bT in einem thematischen Vergleich vorgestellt. Zuerst bietet sich an, den Fall der fremden Frau zu untersuchen, da er chronologisch an erster Stelle steht. In yT 9,11/3 wird dieser Fall auf folgende Weise gelöst:                  .      .  .           .   950 .             

Stamm begangen haben: wollte man sagen, wenn ein Stamm den Schabbat entweiht hat, so hat ja der Allbarmherzige zwischen einem einzelnen und einer Mehrheit nur beim Götzendienst unterschieden, hat er es etwa auch bei anderen Gesetzen!?“ Die Abwägung von Mehrheiten ist eine Stilfigur, um Rechtsentscheidungen zu klären. 949 L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 781: „Es heißt: er erzeugt einen gewalttätigen Sohn der Blut vergießt etc. auf den Bergen isst und die Frau seines Nächsten verunreinigt etc. und zu den Götzen seine Augen erhebt. Er erzeugt einen gewalttätigen Sohn, der Blut vergießt (Ez 18,10ff), [dieser wird hingerichtet] durch das Schwert, die Frau seines Nächsten verunreinigt, also ein Ehebruch, durch Erdrosselung, zu den Götzen seine Augen erhebt, also Götzendienst, durch Steinigung, und darauf heißt es: er soll sterben, sein Blut komme über ihn (Ez 18,13), durch Steinigung.“ 950 Hier an G. Wewers, Sanhedrin, 249, orientiert. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

359

Wer mit einer Aramäerin schläft. Rabbi Yishmael lehrte: das ist einer, der eine „Goya“ heiratet, mit ihr Söhne zeugt und Feinde vor Gott erstehen lässt. Es steht geschrieben: Und Pinhas ben Elesar ben Aaron, der Priester sah (Num. 25,7). Was sah er? Er sah das Geschehen und erinnerte sich an die Halacha: Wer mit einer Aramäerin schläft, den schlagen die Eiferer nieder.

Die Mischna, die unspezifisch den Kontakt mit der Fremden verboten hat, wird in Bezug auf Mischehen spezifiziert. Da die Kinder aus Mischehen den Status eines Mischlings haben, ist der sexuelle Kontakt mit Fremden verboten.951 Die Kinder aus solchen Beziehungen werden nicht nur als Fremde, sondern als Feinde [  ] Israels betrachtet. Die Belegstelle in Numeri 25,7 berichtet von den Mischehen der Israeliten mit den Midianiterinnen, die eine Plage unter den Israeliten auslösen. Insofern scheint es gerechtfertigt, dass die Eiferer [  ] solche Beziehungen rächen, und wie der Priester Pinchas die Betreffenden mit dem Tod bestrafen.952 Allerdings geschieht diese Bestrafung „ohne den Willen der Weisen.“ Deshalb wird der Fall des Pinchas als Ausnahme gewertet. Im direkten Vergleich dazu lässt sich bT 82a anführen. Dort wird nach Maleachi 2,11 auf den Treuebruch durch den Verkehr mit der Tochter eines fremden Gottes hingewiesen.953 Dieser Treuebruch umfasst nicht nur die Unzucht mit einer Fremden, sondern auch der Tatbestand des fremden Diensts. Deshalb wird daraus geschlossen:                    ’’ .               R. Hija b. Abuja sagte: Jeder, der mit einer „Goya“ sexuellen Kontakt hatte ist wie einer, der sich mit dem fremden Dienst verlobt hat; denn es heißt: Der mit der 951 C. Hayes, Palestinian Rabbinic Attitudes to Intermarriage in Historical and Cultural Context, in: R. Kalmin, Jewish Culture and Society under the Christian Roman Empire, 36-37. C. Hayes bemerkt zu dieser Belegstelle, dass die Weisen explizit die Zeugung von Nachwuchs verbieten und so die Mischna einschränken. 952 Vgl. Num 25,7: „Als Pinhas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, des Priesters, solches sah, stand er auf inmitten der Gemeinde und nahm einen Speer in seine Hand und ging dem israelitischen Mann nach, hinein in das Gemach, und durchstach sie beide, den israelitischen Mann und das Weib, durch den Bauch.“ Vgl. hierzu auch bT 82b, L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 787. Pinchas wird dort als „Puti-Sohn, dessen Großvater mütterlicherseits Kälber für Götzen mästete“ bezeichnet. 953 Vgl. Mal 2,11: „Juda hat treulos gehandelt und einen Greuel verübt in Israel und Jerusalem; denn Juda hat das Heiligtum des HERRN entweiht, welches er liebte, und hat die Tochter eines fremden Gottes gefreit.“

360

Tochter eines fremden Gottes geschlafen hat (Mal 2,11). Hat der fremde Gott eine Tochter? Das ist derjenige, der mit einer „Goya“ sexuellen Kontakt hatte.954

Erneut kommt ein Motiv zum Tragen, das bereits in den vorigen Kapiteln angeklungen ist. Der Verkehr mit einer Fremden gleicht dem fremden Dienst und ist der Ausdruck der Entfremdung schlechthin. Dieser sexuelle Kontakt weist sowohl auf die Bedeutung der Genealogie als auch auf die soziale Hierarchie hin, weshalb die Fremden keine Partner für eine Ehe sind. Da diese Auslegung nicht nur die Fremdbeschreibung, sondern auch die gesellschaftliche Vorstellung der Autoren berührt, wird diese Halacha in die Zeit der Hasmonäer zurückverlegt:    ’’                                     ’’  .    Das Gericht der Hasmonäer legte fest: wer mit einer „Goya“ schläft, ist wegen [Ehebruch] mit einer Menstruierenden, Sklavin, „Goya“ und Ehefrau schuldig. Rabin sagte: Wegen einer Menstruierenden, Sklavin, „Goya“ und einer Prostituierten, aber eine Ehe gibt es bei ihnen nicht. Und der andere? Ihre Ehefrauen prostituieren sich natürlich nicht.955

Während Einigkeit in Bezug auf die Unreinheit und die Verletzung des sozialen Status besteht, herrscht in Bezug auf die Vergleichsfälle Uneinigkeit. Eine Stimme nimmt die Ehefrau aus diesem Kontext heraus. Da es bei Fremden keine Scheidung und keine Verheiratung gibt, wie in bT Jebamot 45a und 76a festgestellt wurde, kann es dementsprechend auch kein Äquivalent zur Ehefrau geben. Der Einwand dagegen hält den Fremden zugute, dass sich ihre Frauen nicht prostituieren würden und damit doch von Ehefrauen die Rede sein könnte.956 So bleibt der Fall letztlich ungeklärt. Die Fremden eignen sich dennoch nicht für eine Verbindung, da aus diesen Beziehungen Kinder entstehen, die nicht den Status des Israeliten haben. Nicht nur die Fremden außerhalb Israels, auch die Fremden in Israel sind für die Hierarchie der Rabbinen von Bedeutung. In Mischna 9,6 werden die „Zarim“ im Kontext von Mischehen thematisiert. Diesen Kontext über954 Nach MS München 95 und MS Karlsruhe. 955 Nach MS München 95 und MS Karlsruhe. 956 Die Mischehenproblematik war offensichtlich nicht unbedeutend. Nicht zuletzt ist deshalb wichtig, ob die Ehe eine vergleichbare Institution zwischen den Kulturen war; vgl. M. Satlow, Jewish Marriage in Antiquity, 136.

361

nehmen sowohl yT als auch bT. In yT 9,11/4 wird über die Mischna folgende Diskussion angestossen:          .                .        .‘   957 .            . Was ist der Grund von R. Aqiva? Hier wird gesagt: Er soll sterben. (Dtn 13,6). Und dort wird gesagt: Jeder, der sich der Wohnung Gottes nähert, wird sterben etc. (Num 17,28). Was ist der Grund der Rabbanin? Hier wird gesagt: Er soll sterben. Und es wird dort gesagt: Der „Zar“, der sich nähert, soll sterben. Es ist besser, dass man „er soll sterben“ von „er soll sterben“ lehrt, und nicht „er soll sterben“ von „er wird sterben“ (Num 17,28).

Ausgangspunkt für diese Debatte ist die Annahme des Weisen, dass ein Nichtpriester durch die Hände des Himmels [   ] umkommen soll, also kein Todesurteil über ihn gesprochen wird. Die Analogie zwischen den beiden Stellen Deuteronomium 13,6 und Numeri 18,7 lässt sich nur über das „ “ herstellen. Einmal ist in Deuteronomium der Verführer zum fremden Dienst angesprochen, und in Numeri der Fremde, der dem Heiligsten zu nahekommt. Der feine Unterschied zwischen „er soll sterben“ [  ] und „er wird sterben“ [ ] macht auf die Differenz der irdischen Strafe und dem himmlischen Gericht aufmerksam.958 Im direkten Vergleich mit bT 82a bis 83b zeigt sich, dass dort weniger die sprachlichen Feinheiten als die konkreten Übertretungen des „Zar“ diskutiert werden. So wird festgelegt, dass Handlungen außerhalb des Tempels wie das Herrichten des Tischs keine rechtlichen Folgen haben. Auch ein Nichtpriester oder ein Unreiner werden als unschuldig betrachtet und nicht wegen Fremdsein [ ] verurteilt. So bleibt in 83a zu klären, wer konkret für den Dienst zu bestrafen ist:                                       .            Folgende werden hingerichtet: Derjenige, der Unverzehntetes isst, ein unreiner Priester, der reine Hebe ist, ein „Zar“, der Hebe isst, ein „Zar“, der den Tempeldienst verrichtet, ein Unreiner, der den Tempeldienst verrichtet, der am selben Tag 957 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 958 Weiter wird in yT 7,5/7 über das heilige Öl bestimmt, dass es nicht in die Hände des „ “ gelangen darf nach Ex 30,33.

362

untergetaucht ist und den Tempeldienst verrichtet, der die Dienstkleider nicht anhat, der nicht entsühnt ist, der Hände und Füße nicht gewaschen hat, der Wein getrunken hat und der das Haar ungepflegt lässt.959

Es wird eine Liste der Personen erstellt, die der sozialen Hierarchie entsprechend für den Tempeldienst ungeeignet sind und deshalb mit dem Tod bestraft werden. Die Verletzung des Heiligsten ist der Grund für die Strafe. Die Ursache für den Ausschluss ist grundsätzlich die Unreinheit, aber auch das soziale Vorrecht der Priesterklasse. So bedingen Unreinheit und Untauglichkeit die soziale Differenz.960 Laut bT 83b gibt es einen Einwand gegen diese Halacha:  ‘                    ‘                 ‘                         .    ‘   Rav sagte: Ein „Zar“, der die Hebe isst, wird ausgepeitscht. R. Kahana und R. Asi sagten zu Rav: Weshalb? Nach Mar wird er getötet, wie geschrieben steht: Kein „Zar“ darf Heiliges essen (Lev 22,10). Der Vers: Ich bin der Herr, der sie heiligt (Lev 22,10) unterbricht den Zusammenhang. Man wandte ein, dass diejenigen zum Tod verurteilt werden: Ein „Zar“, der Heiliges isst. Nach dieser Lehre ist gegen Rav nichts Widersprechendes vorzubringen; aber Rav ist ein Tanna und er streitet: Ein „Zar“, der [Tempeldienst] verrichtet; denn es heißt: der „Zar“, der sich nähert, soll sterben (Num 18,7).961

Der Einwand, dass der Nichtpriester erleichternd zu behandeln ist, kann offensichtlich zurückgewiesen werden. Dem Einwand wird nicht stattgegeben, sondern nach dem Wortlaut in Numeri 18,7 entschieden. Eine weitere bemerkenswerte Halacha, die den sozialen Unterschied zwischen Priestern und „Fremden“ markiert, bezieht sich auf die Kleider. Auf den

959 Hier an die Vorlage von L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 789, angelehnt. Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. In MS München liegt eine Auslassung vor. 960 Nach C. Hayes wird so zum einen das biblische Ehegesetz gewahrt und zum anderen der Ausschluss der Fremden von der priesterlichen Hierarchie vorgenommen; C. Hayes, Gentile Impurities, 164-165. Damit ist die theoretische Diskussion kein Selbstzweck, zumindest laut C. Hayes. 961 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 791. Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. In München gibt es eine Auslassung.

363

Priestern, die ihre Kleider nicht anhaben, ruht nicht die Priesterschaft und sie gelten deshalb als „Zarim“, als Fremde.962 Das bedeutet, dass die Fremdheit eine äußerliche Differenz ist. Mit dem Nichtpriester wird ein Konzept favorisiert, dass sich nicht nur auf den Status der Geburt bezieht, sondern auch äusserliche Merkmale beinhaltet. Zuletzt wird in bT 84a die irdische und himmlische Gerichtsbarkeit abgehandelt:                   ’’                    ‘ ‘ ‘                 .‘    ‘    Der „Zar“, der Tempeldienst verrichtet. Dazu lehrt R. Ishmael: An dieser Stelle heißt es: Der „Zar“, der sich nähert, soll getötet werden (Num 18,7). Und dort heißt es: Jeder, der sich dem Heiligtum Gottes nähert, soll sterben (Num 17,28). Wie an dieser Stelle durch die Hände des Himmels, auch dort durch die Hände des Himmels. R. Aqiba sagt: An dieser Stelle heißt es: Der „Zar“, der sich nähert, soll getötet werden (Num 18,7). Und dort heißt es: Dieser Prophet oder Traumdeuter soll getötet werden (Dtn 13,6). Wie an dieser Stelle durch die Steinigung, auch dort durch die Steinigung.963

Im Vergleich zu yT wird für die Aussage R. Aqibas eine Stütze gesucht. Im Gegensatz zu yT ist der Nichtpriester mit einem Träumer oder Propheten laut Numeri 18,7 und 17,28 zu vergleichen. Zuletzt beschließen die Autoren nicht die Erdrosselung als Strafe, sondern die Strafe für den fremden Dienst, die Steinigung. Es bleibt offen, ob von einem Laien, dem „  “, auf einen Propheten geschlossen werden darf. Insgesamt bleibt die Debatte über diese Zusammenhänge unentschieden. Es ist bemerkenswert, dass die Nomenklatur zwischen „Zar“ und dem Begriff „  “ völlig durchlässig ist.964 Im Hinblick auf die Terminologie lässt sich auf eine synonyme Verwendung der Begriffe schließen. In der sozialen Hierarchie werden nichtjüdische und jüdischen Fremde gleichermaßen restriktiv behandelt. Nicht nur die äußeren Fremden bleiben 962 L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 792. Vgl. S. Krauss, Talmudische Archäologie, 131. Der Priesterstatus ist in der Tradition der Tora an äußerliche Unterscheidungsmerkmale gebunden. 963 Hier MS München 95; in MS Firenze 9-7 leicht verändert. 964 An dieser Stelle stehen beide Begriffe nebeneinander, die sonst getrennt verwendet werden. Auch wenn die Bedeutung ähnlich ist, verweist „  “ auf den sozialen Status, während „ “ ein Nichtpriester ist. In der Übersetzung L. Goldschmidts wird kein Unterschied gemacht und beide Begriff mit „der Gemeine“ übersetzt.

364

ausgeschlossen, sondern auch die inneren Fremden. Die soziale Hierarchie zeigt sich damit an den graduellen Abstufungen der Fremdheit.

4.3.10 Fremde in der rabbinischen Exegese: von Mischna 9,6 bis 11,6 In diesem Kapitel werden abschließend ausgewählte Belegstellen vorgestellt und interpretiert, die zum elften Abschnitt der Mischna gehören. Entgegen der Zählung soll zuerst der Kommentar zu Mischna 11,6 angeführt und in einem zweiten Schritt die übrigen Belegstellen des 10. Kapitels thematisch verglichen werden. Die meisten Belegstellen in diesem Kapitel lassen sich der Toraexegese zuordnen. Da die Exegese im Kontext der Fremdbeschreibung ein wichtiger Aspekt in Sanhedrin ist, werden nochmals einige rhetorische und terminologische Probleme behandelt. In Mischna 11,6 wird die Prophezeiung im Namen der „Avoda Zara“ für nichtig erklärt, selbst wenn sie mit der Lehre Israels übereinstimmt. Über die Prophezeiung im Namen des Idols wird in yT 11,8/1 folgendes beschlossen:     .                      .                            .     .  Rabbi Yose ben anina sagte: alles fällt unter diese Regel: Du sollst nicht deinen Nächsten belügen. Er [der falsche Prophet] ist davon ausgenommen, um zu beschließen: [Er wirkt] durch ein Zeichen, durch ein Wunder, durch den fremden Dienst und alle übrigen Gebote. Wenn er mit dem fremden Dienst die Hauptsache des Texts treffen möchte oder auch nicht die Hauptsache des Texts treffen möchte, erdrosselt965 man ihn nach den Worten des Rabbi Shimon. Nach den Worten der Weisen steinigt man ihn.966

An dieser Stelle wird die Verdrehung der Toragebote als fremder Dienst interpretiert. Der fremde Dienst ist auf diese Weise eine Art der Lüge, die sich reflexiv auf einen israelitischen Lügenpropheten bezieht. Diese Mischna wird mit dem Lügenpropheten, der in Deuteronomium 18,21 bestraft

965 Nach G. Wewers hier „ oneqin“ anstelle von „Po erin“, da man den Frevler eben nicht freispricht. Der Lügenprophet ist so auf jeden Fall schuldig. Vgl. Tos San 14,13: „             [...]“. 966 Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 315-316; hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

365

wird, in Verbindung gebracht.967 Die Intention, mit der bestimmte Teile aus dem Textkörper entstellt werden, ist für die Strafe nicht von Bedeutung. Die Handlung gilt als Gotteslästerung, weshalb die Strafe der Erdrosselung gewählt wird. Wenn die Tat als fremder Dienst gerechnet wird, ist der Prophet zu steinigen. Der Inhalt von Mischna 11,6 wird in bT auf ähnliche Weise mit dem fremden Dienst verknüpft. In bT 89a wird die Mischna auf folgende Weise ausgelegt:                   ’’ .     ’’        Die Rabbanan lehrten: Drei werden durch Menschenhände zum Tod verurteilt und drei werden durch den Himmel zum Tod verurteilt: Wer prophezeit, was er nicht vernommen hat oder was ihm nicht gesagt wurde, und der im Namen eines Idols prophezeit: Diese sterben durch Menschenhände.968

Wer eine Prophezeiung zurückhält, die Worte der Propheten missachtet oder übertritt, wird verurteilt. Ähnlich wie in yT wird entschieden, dass aber der Prophet, der im Namen eines Idols wahrsagt, zu töten ist. Da im allgemeinen der fremde Dienst mit dem Tod geahndet wird und nicht am Tag des jüngsten Gerichts bestraft wird, scheint diese Entscheidung konsequent.969 Die Übersetzungen von G. Wewers und L. Goldschmidt deuten schlüssig den Begriff „   “ als „im Namen des Götzen“, das heißt im Namens eines Idols. An dieser Stelle ist so wenig wie in der Mischna ein echter fremder Gott gemeint.970 Mit einer Belegstelle aus Deuteronomium 18,20 wird nochmals der Lügenprophet erwähnt.971

967 Vgl. zu dieser Thematik besonders die Propheten; Jer 14,14 und 27,9-18 handeln von Lügenpropheten. Auch Ez 13 erwähnt Lügenpropheten. 968 Nach MS München 95; in MS Firenze 9-7 mit leichten Abweichungen. 969 Vgl. hier bT San 89b; L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 25: „Die Rabbanan lehrten: Ein Prophet, der [zum Götzendienst] verleitet, wird durch Steinigung hingerichtet; R. Simon sagt, durch Erdrosselung.“ 970 Vgl. die Übersetzung von D. Hoffmann, Mischnajot, 197-198, der ebenfalls „im Namen des fremden Gottes“ übersetzt. 971 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 21; nach MS München 95 und MS Firenze 9-7: „Die Schrift sagt: aber der Prophet, der sich vermessen sollte, etwas in meinem Namen zu verkünden (Dtn. 18,20), der das prophezeit, was er nicht vernommen hat, dessen Verkündigung ich ihm nicht aufgetragen habe wohl aber seinem Kollegen, wer also das prophezeit, das nicht ihm gesagt worden ist, oder der im Namen anderer Götter reden sollte, der im Namen eines Götzen weissagt. (Dtn 18,20).“

366

Im folgenden werden verschiedene Prophetengestalten aus der Tora als Beispiele angeführt. Für die konkrete Weissagung im Namen eines fremden Idols wird der „Baal Peor“ als Beispiel angeführt. Im weiteren geht es in bT 90a um den Fall, wenn dieser Lügenprophet das Verbot des fremden Dienstes [   ] verwirft, womit das Konzept des fremden Dienstes an sich gemeint ist. So wird in bT 90a zwischen Geboten und Verboten unterschieden:        ‘     ‘    ’’ ‘ ’’ ’’           ’’       .       ’’ Weshalb bezieht sich das auf den fremden Dienst; wie wird es beim fremden Dienst [...] ausgelegt? R. Hisda sagte: Ihr sollt zerschmettern (Dtn 12,3). R. Hamnuna: Es geht um die Aufteilung der wesentlichen Gesetze beim fremden Dienst oder bei anderen Geboten, ob er sie teilweise einhält oder teilweise übertritt; wie der Barmherzige sagte: Vom Weg (Dtn 13,6).972

Die Autoren bieten Definitionen, was unter einer falschen Prophezeiung zu verstehen ist. Wenn ein Prophet auffordert, ein Gesetz zu übertreten, wenn er an einem Tag zum fremden Dienst ausübt und ihm am nächsten Tag entsagt, ist er nach der Meinung der Rabbinen schuldig. Der Zusammenhang besteht zwischen der Übertretung von Torageboten und dem fremden Dienst. An dieser Stelle weist der Text eine gewisse Redundanz auf. Diese Halacha scheint die Quintessenz zu sein: ’’    ‘     ‘       ’’  ’’ .         ‘  ‘  R. Abahu sagte, R. Yoanans sagte: In jedem Fall musst du, wenn dir der Prophet befiehlt, die Worte der Tora zu übertreten, ihm gehorchen. Davon ausgenommen ist der fremde Dienst; selbst wenn er für dich die Sonne in der Mitte des Himmels anhält, höre nicht auf ihn.973

Die Autoren argumentieren, dass die Tora den fremden Dienst begriffen [         ] und verboten habe. Sowohl in yT als auch in bT zeigt sich, dass mit Hilfe der Tora und den dort vorhandenen Belegstellen die Mischna gedeutet werden kann. In beiden Gemarot wird dabei die Ablehnung des fremden Diensts zum Ausdruck gebracht. 972 Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 973 Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7.

367

Wie bereits in 4.3.4 deutlich wurde, bieten gerade biblische Heroen und Übeltäter eine geeignete Vorlage für die Autoren, um Aspekte des fremden Dienstes zu klären. Eine geeignete Einleitung dafür bietet eine Belegstelle in yT 10,1/2: .      .                .               974 .             Was ist mit dem fremden Dienst und Unzucht? R. Yona und R. Yose, einer sagte: sie fallen unter die leichteren [Übertretungen]. Und einer sagte: unter die schwereren [Übertretungen]. Wie interpretieren wir das? Für den, der Umkehr tut: Es besteht dann kein Unterschied zu allen Meistern der Umkehr. Es wird vielmehr so interpretiert: Für den, der keine Umkehr tut und durch Ausrottung stirbt.

Für den fremden Dienst und die Unzucht scheint es keine wirkliche Umkehr zu geben. Das Anrecht auf die kommende Welt hat verloren, wer keine Umkehr tut und die Strafe der Ausrottung stirbt.975 Für die Exegese ist bedeutungsvoll, welche biblischen Figuren durch ihre Taten das Anrecht auf die kommende Welt erworben oder verwirkt haben. Das Standardbeispiel für die Sünde von Prominenten in der Bibel ist der fremde Dienst. In yT 10,2/2 wird Ahab aus I. Könige 16,31 vorgeworfen, eine fremde Gottheit [   ] für den fremden Dienst ausgewählt zu haben.976 Damit haben die Verfehlungen Ahabs, die im Buch Könige beschrieben sind, einen Ursprung.977 So wird Ahab in yT 10,2/6 die Blasphemie zugeschrieben, keinen fremden Dienst der Welt [        ] ausgelassen zu haben.978

974 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 975 Das prominenteste Beispiel über die Fremden in der kommenden Welt findet sich in bT A“Z 2b; L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 434. Dort wird geschildert, wie die fremden Völker vor Gott treten. Rom, das personifizierte Unrecht, kann vorbringen, durch den Erwerb von Silber und den Bau von Brücken und Strassen den Israeliten das Studium der Tora erleichtert zu haben. Doch Gott erwidert, dass sie dies nur aus Eigennutz getan hätten. Auch den Persern ergeht es nicht besser. Dadurch wird deutlich, dass den Fremden im allgemeinen keine Umkehr zugestanden wird. 976 Hier nach dem griechischen Wort „tim “ laut G. Wewers, Sanhedrin, 267. 977 Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 267. Vgl. I. Kön 16,31: „Er (Ahab) nahm Isebel, die Tochter Etbaals, des Königs der Sidonier, zur Frau, ging hin, diente dem Baal und betete ihn an.“ 978 Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 269.

368

In yT 10,2/23 wird König Manasse aus der II. Chronik 33,10 als Frevler dargestellt. Als er in der Gewalt der Fremden schließlich Umkehr tun will, verschließen die Dienstengel den Himmel:          ’’               .        979 .         Und die Dienstengel sprachen vor dem Heiligen, gepriesen sei er: Herr der Welt, ein Mensch, der den fremden Dienst geübt und ein Götterbild im Tempel aufgestellt hat, willst du die Umkehr gewähren? Er sagte zu ihnen: wenn ich ihm die Umkehr nicht gewähre, müsste ich die Tür für alle Meister der Umkehr verschließen.

Auf diese Weise ist die Umkehr allen möglich, sogar den Dienern des fremden Diensts. Diese Aussage steht im Wiederspruch zu der Feststellung, dass Umkehr bei Unzucht und fremdem Dienst prinzipiell nicht möglich ist. In yT 10,2/27 wird der Zusammenhang von Alkoholgenuss und fremden Dienst beschrieben. Der ammonitische Wein verführt die Israeliten in Numeri 25 nicht nur zur Unzucht mit fremden Frauen, sondern auch zum fremden Dienst. So enthält der fremdem Dienst auch den Aspekt der sexuellen Verfehlung. Als Grund für die Verfehlung wird angegeben, dass der Libationswein der Fremden [    ] zu dieser Zeit noch nicht verboten war.980 Diese Erzählung wird in bT 106a wiederholt und mit dem Argument versehen, dass die Vergehen nur aufgrund des fehlenden Verbots möglich waren.981 In diesem Abschnitt finden sich einige Wiederholungen. In yT 10,2/30 steht eine Belegstelle, die bereits in bT 64a zitiert wurde:                 .                     Eine Erzählung von Sovta aus Ulam, der seinen Esel an eine „Goya“ vermietet hatte, die sich vor dem Peor verbeugen wollte. Als sie zum Haus des Peor ge-

979 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 980 Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 276. Dieses Verbot des Weins wird in bT A“Z 72a im Zusammenhang mit der Libation diskutiert. Stets ist dabei entscheidend, dass Wein für den fremden Dienst als Libationswein verwendet werden könnte. Diese moralische Konnotation in Verbindung mit Alkohol ist eher selten. In bT Jeb 46a wurde eine Belegstelle vorgestellt, in der dieser Zusammenhang zwischen Unzucht und Wein deutlich wurde. 981 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 110.

369

langten, sagte sie zu ihm: Warte hier auf mich, bis ich eingetreten bin und mich vor dem Peor verbeugt habe.982

Diese Episode erinnert an die Belegstelle in bT 64a und könnte deren Vorlage sein. Auch in yT 11,7/7-8 wird eine Episode angeführt, die bereits in yT Ber 9,3/16 vorgestellt wurde. Die Belegstelle in yT 11,7/8 zu Yonatan, der ein Priester des fremden Diensts gewesen sein soll, wiederholt, was bereits im Traktat Brachot berichtet wurde.983 Besonders aussagekräftig ist ein Ausschnitt in yT 11,7/7:       .                    .            .              .    Du bist der Enkel dieses Gerechten und dienst dem fremden Dienst? Er antwortete ihm: Mir wurde vom Hause meines Großvaters überliefert: Verkaufe dich dem fremden Dienst, um nicht auf die Umwelt angewiesen zu sein. Er entgegnete ihm: Gott bewahre, so hat er es nicht gemeint. Vielmehr: verkaufe dich an einen Dienst, der dir fremd ist, damit du nicht auf die Umwelt angewiesen bist.984

Auch in bT werden die biblischen Figuren zu Projektionsflächen für die Fremdbeschreibung. In bT 101b wird König Jerobeam als Musterbeispiel des Frevlers vorgestellt, der nicht nur den fremden Idolen folgte, sondern dazu verführte.985 Ahab und seine Vergehen werden in bT 102b analysiert. Wenn auch die Verehrung von Idolen schwerwiegend ist, werden dennoch seine Verdienste gewürdigt. Die Verdienste und Sünden scheinen sich zuletzt aufzuwiegen. Offensichtlich besteht zu dieser Figur in bT eine ausgewogene Meinung, wenn auch festgehalten wird, dass Ahab Gott leugnete.986 982 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. Vgl. die Übersetzung von G. Wewers, Sanhedrin, 276-277. 983 Vgl. yT San 11,7/8, G. Wewers, Sanhedrin, 312f.: „[...] ein Götzenpriester war er (=Jonathan) und er hat so lange gelebt? Er sagte zu ihnen: (er hat so lange gelebt,) weil er seinem Götzen missgünstig war. Und wiefern war er seinem Götzen missgünstig? Kam ein Mensch und brachte ihm einen Ochsen oder ein Lamm oder ein Böckchen (als Opfer) für den Götzen, und er sagte zu ihm: bitte für mich!, sagte er zu ihm: warum? was wird dir (dieses Opfer) nützen? Der (Götze) isst nichts und trinkt nichts, er bewirkt nichts Gutes und bewirkt nichts Böses!“. 984 Auch dies ist eine Wiederholung aus yT Ber 9,3/16-18. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 985 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 89. 986 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 92-94.

370

In bT 103b wird Yehojaqim aus II. Chronik 36,8 die Übertretung zugeschrieben, den Namen eines Idols auf sein Glied tätowiert [       ] zu haben.987 Selbst König David scheint in bT 107a der Versuchung des fremden Diensts ausgeliefert. Der Vers „als David auf dem Gipfel angelangt war“ [      ] aus II. Samuel 15,32 wird als Verehrung eines Idols gewertet. Der fremde Dienst ist das Symbol der Verfehlungen, die König David im Laufe seines Leben beging. So wird David mit einem samaritanischen Kaufmann verglichen; das heißt mit einem Fremden, der unwissentlich Verfehlungen begeht.988 Der fremde Dienst ist nicht nur eine Sünde, sondern die Antithese gegen Gott schlechthin. Das belegt eine Umdeutung der Episode über den Turm von Babel in bT 109a. Die Anmaßung des Menschen mit Gott zu kämpfen, ist der fremde Dienst.989 Darüber hinaus wird an einigen Stellen der Begriff „Avoda Zara“ als Zeichen der Ungerechtigkeit verwendet.990 In bT 99a wird der Gegensatz zwischen Torasstudium und fremdem Dienst wiederholt,991 denn der fremde Dienst symbolisiert dort die Verachtung der Lehre Israels. Auch die „Gerim“ werden im Zusammenhang der Exegese erwähnt. In yT 10,2/14 wird der Vers aus I. Könige 5,29 als Verdienst Hiskias ausgelegt.992 Hiskia kann sich darauf berufen, dass die im Vers aufgezählten Arbeiter „Gerim“ seien, die seine Väter geworben haben.993 Während an dieser Stelle die Werbung von Proselyten ein Verdienst ist, wird in yT 10,2/55 eine Auslegung zu den Figuren Elisha und Gehasi geboten. Gehasi wird von den Rabbinen als Proselyt gewertet, der aber der Ketzerei anhängt:

987 988 989 990

Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 98. Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 116. Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 128. Vgl. In bT 93b wird eine Belegstelle aus Jesaja 9,6 besprochen. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 46. Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7: „Einleuchtend ist dies nach demjenigen, der erklärte, in ihren Tagen wurde der Götzendienst kastriert, der Schriftvers: so spricht der Herr von Kastraten, die meine Schabbate halten (Jes 56,4).“ In bT 97b wird der Vers aus Jesaja 52,3 über die Bedeutung des fremden Dienstes erklärt. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 68: „Umsonst wurdet ihr verkauft (Jes 52,3), wegen des Götzendienstes [  ], und ohne Geld sollt ihr erlöst werden, ohne Busse und gute Handlung.“ 991 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 76. 992 Vgl. I. Kön 5,29: „Der König Salomo hob auch aus ganz Israel Fronarbeiter aus, und es waren ihrer dreißigtausend Mann.“ 993 Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 271-272.

371

     [...] .             .        R. Yoanan sagte: Deshalb stößt man einen „Ger“ mit der Linken fort und holt ihn mit der Rechten heran. [...] Nicht wie es Elisa tat, der den Gehasi mit seinen beiden Händen wegstieß.994

Die Werbung von Proselyten beinhaltet einen Widerspruch, da sie sowohl Ablehnung als auch Nähe impliziert. Jedenfalls ist die reine Zurückweisung des Gehasi nicht angebracht. Die Zwischenstellung des Proselyten, der zum Teil ein Fremder ist, wird durch diese Stelle bestätigt. So werden in yT 10,7/1 Abtrünnige mit Proselyten verglichen:                .       995 .       .      Zwei, die zwei abtrünnig machen, die wieder zwei abtrünnig machen: Gilt für sie das Gebot derer, die abtrünnig machen, oder das Gebot derer, die abtrünnig gemacht werden? Es handelt sich um „Gerim“ und Toschavim.

Diese Belegstelle passt in die Gruppe der misstrauischen Bemerkungen gegenüber Proselyten. Manche Proselyten scheinen Figuren der Rhetorik zu sein, wie in yT 10,6/2 die Figur des Antolinus veranschaulicht.996 Dort lässt sich lesen, dass zu den echten Proselyten [ ] auch Antolinos gehört und in die kommende Welt aufgenommen werden wird.997 Dieses Privileg kommt nur Fremden mit außergewöhnlichen Verdiensten zu. In yT 10,6/3 scheint unsicher, ob Antolinus überhaupt Proselyt war: . 

        . 

           ‘             ‘ ’    

 .                   ‘ .      .      ‘           ‘    ‘ ‘            . 

      .               ‘ .   . 

  

994 Hier an G. Wewers, Sanhedrin, 286, angelehnt. Nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 995 Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 996 B. Bamberger stuft diese Figur als historisch ein; Ders., Proselytism in the Talmudic Period, 248-250. 997 Vgl. G. Wewers, Sanhedrin, 292.

372

Es gibt Indizien, die besagen, dass Antolinos nicht konvertiert ist und Indizien, die besagen, dass er konvertiert ist. Einmal kam Antolinos zu Rabbi und sprach zu ihm: Wirst du mich in der kommenden Welt vom Leviatan essen lassen? Er sagte ihm: Ja. Er sprach zu ihm: Du lässt mich nicht vom Pessach Lamm essen, aber vom Leviatan willst du mich in der kommenden Welt essen lassen? Er sagte zu ihm: Was soll ich für dich tun? Über das Pessachlamm steht geschrieben: Kein Unbeschnittener soll davon essen (Ex 12,48). Das besagt, dass Antolinos nicht konvertiert ist. Als er das vernahm, ging er und konvertierte sich selbst. Er kam zu Rabbi und sprach zu ihm: Schau, ich haben mich beschnitten. Er sagte zu ihm: Nie in meinem Leben habe ich meine [Beschneidung] angesehen, und nun sollte ich deine ansehen? Das heißt, dass Antoninos konvertiert ist.998

Dieser Diskurs veranschaulicht, dass es nicht um eine reale Person, sondern um eine rhetorische Debatte handelt. Es besteht ein Unterschied zwischen der Rangordnung in dieser Welt, in der ein Proselyt kein Pessachopfer essen darf, und der zukünftigen Welt, in der die Hierarchie offensichtlich keine Bedeutung hat. Durch die Beschneidung wird die Konversion bestätigt, und dennoch möchte sie Rabbi nicht ansehen, vermutlich aus Scham.999 Das unzüchtige Verhalten des Proselyten passt in das Schema der sexuellen Zügellosigkeit. Eine weitere Figur im Zusammenhang mit der Konversion ist Jona, dem in yT 11,7/5 folgende Worte zugeschrieben werden:1000                   .          ’’   Jona sprach: Mir ist bewusst, dass die „Goyim“ der Umkehr nahe sind. Siehe, wenn ich komme und ihnen prophezeie und sie umkehren, wird der Heilige, gepriesen sei er, kommen und diejenigen, die Israel hassen, bestrafen.1001

Da Jona sich um die Umkehr der Fremden bemüht, sollen diejenigen, die Israel hassen, bestraft werden. In diesem Zusammenhang scheinen die „Fremden“ nahe der Umkehr [] zu sein, was zeigt, dass an dieser Stelle Israeliten gemeint sind. Somit können selbst Israeliten mit dem Be998 Vgl. hier die Interpretation von G. Wewers, Sanhedrin, 292. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden. 999 S. J. D. Cohen, The beginnings of Jewishness, 48-49. S. Cohen sieht dies als Beweis an, dass die Beschneidung kein Distinktionsmerkmal ist. 1000 Vgl. Jona 1,2: „Mache dich auf den Weg, und gehe nach Ninive, in die große Stadt, und drohe ihr (das Strafgericht) an! Denn die Kunde ihrer Schlechtigkeit ist bis zu mir gedrungen.“ 1001 Vgl. mit der Übersetzung von G. Wewers, Sanhedrin, 311. Hier nach Ed. princ. Venedig und MS Leiden.

373

griff „Goyim“ bezeichnet sein. Auch in bT sind „Gerim“ im Umfeld der Exegese anzutreffen. In bT 85b heißt es: .              Die Samaritaner sind echte „Gerim“. Mar erklärte: Die Samaritaner werden wegen Löwen zu Proselyten.1002

Der Streit entzündet sich über das Urteil, ob Samaritaner Fremde oder Proselyten sind. Terminologisch betrachtet zeigt diese Stelle, dass es offensichtlich echte Proselyten und Scheinproselyten gibt. Über die „  “ wurde bereits in bT Jebamot 24b gehandelt.1003 Der Status der Samaritaner ist, wie auch im Trakat Brachot gezeigt wurde, häufig auf der Ebene des Fremden angesiedelt.1004 Ein Ausspruch in bT 94a besagt, dass „Gerim“ der zehnten Generation vor keinem Aramäer beschämt werden dürfen, um ihre Fremdheit zu betonen.1005 In bT 96b wird eine Liste mit „Gerim“ überliefert, die sich auf die biblische Literatur bezieht:               []                               .    Die Rabbanan lehrten: Naaman war „Ger Toschav“, Nebuzaradan war ein echter „Ger“. Die Kindeskinder Sisras lernten das Gesetz in Jerusalem, und die Kindeskinder des Sanherib lehrten öffentlich das Gesetz. Wer sind sie? Shemaya und Av olion.1006

1002 Hier nach MS München 95 und MS Firenze 9-7; es gibt leichte Abweichungen in Firenze. 1003 Vgl. Kap. 3.3.3. Dort wurden diese Proselyten als Teil einer Rhetorik entlarvt, die auf biblischen Fundamenten wie Est 8,17 beruht. So gehören Löwenproselyten in das Reich der Literatur, während echte Proselyten im Fall der Samaritaner ein soziales Verhältnis ausdrücken. Der Terminologie zufolge sind diese Proselyten eher assoziierte Fremde, die zur Kaste der „ “ gehören. 1004 Vgl. Kap. 1.3.2. Dort blieb unentschieden, ob der Samaritaner einem Fremden gleichzustellen ist oder nicht. 1005 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 48. 1006 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 62. Nach MS Firenze 9-7 und MS München 95. Vgl. zu den Begriffen auch V. Haarmann, Proselyten und „Gerechte aus den Völkern“. Zwei rabbinische Kategorien der Akzeptanz von Nichtisraeliten, in: Truma 13, 2003, 169-171.

374

Diese Figuren werden in der Exegese aus unterschiedlichen Gründen als Proselyten eingestuft.1007 Damit ist eine Genealogie der Proselyten beschrieben, in der „Gerim“ von Feinden zu Freunden Israels werden. Diese Abstufung zeigt, dass es um die Zuordnung dieser Figuren zu einer untergeordneten Klasse geht. Eine andere Stelle wertet Obadja als edomitischen Proselyten und belegt ihn mit einer deutlich negativen Konnotation.1008 Abschließend finden sich in diesem Abschnitt einige Motive zu fremden Personen. In bT 91b wird der Vers Jesaja 25,8 ausgelegt, in dem es heißt: „als Hundertjährige werden die Jünglinge sterben; nicht soll es dort einen Säugling geben“:                  .             Hier gibt es keinen Widerspruch, denn das eine gilt von den Völkern der Welt und das andere von den Israeliten. Und weshalb das? Diejenigen, von denen es heißt: „Zarim“ werden euer Vieh weiden und Fremde werden eure Bauern sein (Jes 61,5).1009

Die Fremden werden als „Völker der Welt“ bezeichnet, die mit den „Zarim“ kontrastieren1010 und unterschiedliche Begriffe für die Beschreibung von Fremden verwendet. Der „Zar“ muss als Fremder gedeutet werden, was die ambivalente Bedeutung des Begriffs aufzeigt. In bT 104a wird davor gewarnt, mit Fremden zu speisen. Hizqia wird in den Mund gelegt, dass jeder, der „Goyim“ in sein Haus einlädt und sie bewirtet, für das Exil seiner Kinder verantwortlich ist.1011 Im Kontext der

1007 Um diese Personen als Proselyten zu verstehen, sind einige Hintergrundinformationen notwendig. Naaman wird durch Elisha vom Aussatz befreit; II. Kön 5,11. Nebuzaradan lässt Jeremia frei; Jer 40,1-4; Sisera ist Feldherr des kanaanitischen Königs Hazor, der von Jael getötet wird; Ri 4; Sanherib ist ein Feind Israels und scheitert an der Erorberung Israels, II. Chr 32. Shemaya und Av olion ist das erste der historischen Paare; vgl. B. Bamberger, Proselytism in the Talmudic Period, 222-223. 1008 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 616; bT San 39b: „Obadja war ein edomitischer Proselyt [  ], das ist es also, was die Leute sagen: Vom Wald selber kommt der Axtstiel.“ 1009 Nach MS Firenze 9-7, in MS München 95 ist das Zitat verkürzt wiedergegeben. 1010 Im Vergleich dazu yT 10,6/5, in dem Hos 5,7 zitiert wird. 1011 Nach MS Firenze 9-7, in MS München 95 lückenhaft.

375

Exegese besteht nach I. Könige 20 so ein Grund für das Exil Israels.1012 Anders gewendet geht es um das Gebot der Distanz, sich von Fremden fern zu halten. In einem Gleichnis in bT 104b wird der kulturelle Unterschied, der Israel von den Fremden trennt, deutlich.1013 Diese Distanz lässt sich auch in bT 105a veranschaulichen: ‘                           ‘ ‘  ‘   ‘            ‘      ‘              ‘ ‘  ‘ ‘  ‘  .            Bileam wird nicht in die kommende Welt gelangen; aber andere „Goyim“ werden dorthin kommen. Dies wird nach R. Yehoshua gelehrt, der nach R. Eliezer lehrt: Alle Verbrecher müssen in die Unterwelt, alle gottvergessenen „Goyim.“ (Ps 9,18) „Alle Verbrecher“, das sind sind die Gesetzesbrecher Israels. „Alle gottvergessenen „Goyim“: Das sind die Völker der Welt. So nach R. Eliezer. R. Yehoschua sagte: Und es heißt: „Goyim“; heißt es denn nicht: „Alle Goyim“? Alle Verbrecher müssen in die Unterwelt. Wer sind diese? Alle gottvergessenen „Goyim.“1014

Während Bileam als Gotteslästerer keinen Anteil an der kommenden Welt hat, können andere Fremde sehr wohl Anteil an der kommenden Welt haben. Dabei ist der Aspekt der Gottlosigkeit der ausschlaggebende Punkt, weshalb die fremden Völker verurteilt werden. Da es offenbar Fremde gibt, die nicht gottlos sind, müssen nur die Fremden, die Nichtjuden sind, in die Unterwelt. In bT 101a gleichen die Israeliten selbst den Fremden. Wer einen Schriftvers zur unpassenden Zeit verliest, bringt Unglück über die Welt, woraufhin folgendes geschieht:          ‘  ’’        .      

1012 Der Kontakt zu Fremden unter Salomo nach I. Kg 11,1 wird häufig in der rabbinischen Debatte als Ursache für das Exil betrachtet. 1013 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 101. Diese Episode berichtet, dass ein gewisser Israelit allein aus den Spuren Aussagen über eine Karawane treffen kann: „Von den beiden Männern, die es führen, ist der eine Israelit und der andere Nichtjude [ ], denn der Nichtjude [ ] verrichtet seine Notdurft in der Mitte des Wegs, der Israelit aber wendet sich nach der Seite.“ Dies manifestiert einen kulturellen Unterschied im Hinblick auf das Benehmen von Fremden und Israeliten. 1014 Hier nach MS Firenze 9-7, in MS München 95 weicht der Text leicht ab. Der Sinn bleibt allerdings unangetastet.

376

Die Tora zieht ein Trauergewand an und tritt vor den Heiligen, gepriesen sei er, und spricht zu ihm: Herr der Welt, deine Kinder machten mich zur Zither, auf der die „Goyim“ spielen.1015

Die Einhaltung der Gebote bewirkt das Gegenteil, denn ein Vers zur passenden Zeit bringt Güte in die Welt. Das fremde Verhalten ist eine Antithese zu Israel, wie die Entweihung der Tora als weltliches Musikinstrument veranschaulicht. Durch die Exegese werden Motive der Fremdbeschreibung bestärkt und wiederholt. Der fremde Dienst ist nicht nur eine Sünde, sondern gleicht einem Straftatbestand, der exemplarisch an biblischen Figuren gemessen wird. In yT und bT sind die biblischen Figuren die Projektionsfläche für die Exegese und den fremden Dienst .1016

4.4 Der, die, das Fremde: Die Bedeutung der fremden Kulte Die Fremdbeschreibung des Traktats Sanhedrin bietet vielfältige Einblicke in die Thematik der Exegese. Rhetorik und Terminologie konzentrieren sich in diesem Teil auf Aspekte des fremden Diensts. Die Beschreibung des fremden Diensts veranschaulicht die reflexive Bedeutung des Konzepts. Mit den Mitteln der Rhetorik werden Fälle der Mischna mit Hilfe der Tora geklärt. In diesem Teil stand besonders die Wahrnehmung des fremden Diensts im Mittelpunkt. Eine Zusammenfassung des Inhalts In einem ersten Kapitel wird Terminologie und die Bedeutung der Exegese im Traktat Sanhedrin anhand ausgewählter Belegstellen veranschaulicht. Mit Hilfe von „der, die, das Fremde“ lassen sich viele inhaltliche Übereinstimmungen zwischen den Gemarot feststellen. Die Exegese wird sowohl in yT als auch in bT für die Klärung der Mischna verwendet und führt zu vergleichbaren Ergebnissen. Die Differenz und Distanz Israels zu den Fremden wird durch die Exegese argumentativ belegt. Eine Besonderheit sind die fiktiven Zwiegespräche zwischen dem Kaiser und Yehuda haNasi über religiöse Angelegenheiten, wobei die Differenz sich in der Überlegenheit des 1015 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 85. Nach MS München 95 und MS Firenze 9-7. 1016 Vgl. die Arbeit von G. Oberhänsli, Biblische Figuren in der rabbinischen Literatur. Gleichnisse und Bilder zu Adam, Noah und Abraham im Midrasch Bereschit Rabba, Bern 1998.

377

Rabbinen ausdrückt. Der terminologische Vergleich der vier Begriffe zwischen yT und bT veranschaulicht eine breite Übereinstimmung. Besonders der Unterschied von „Goya“ und „Norit“ zeigt, dass die Verwendung dieser Begriffe offenbar kontextabhängig ist. Das zweite Kapitel versucht nachzuvollziehen, inwiefern von yT zu bT eine Entwicklung der Rhetorik zu beobachten ist. In yT wird der inhaltliche Kontext der Mischna wesentlich erweitert und ausgedehnt.1017 Durch die rhetorische Aufarbeitung sind die Götternamen „Baal Peor“ und „Merkur“ als Symbole für den fremden Kult zu verstehen.1018 In bT werden möglichst genaue Fragen zum Sachverhalt des fremden Diensts formuliert und der Kontext spezifiziert. Die Auslegung zu Mischna 6,4 veranschaulicht die Wirkung der rhetorischen Stilmittel. Ein drittes Kapitel verortet Fremde im Rahmen der rechtlichen Ordnung Israels. Sowie in Jebamot die Fremdbeschreibung ein Teil der Diskussion über die alyah war, werden die Fremden als [   ] „Diener fremder Kulte“ bezeichnet. Alle Bemerkungen über die Fremden drücken die Gefahr aus, Israel zu fremden Kulten verführen. Die Wahrnehmung der Fremden wird über die Linse der Tora gefiltert und ist deswegen deutlich stereotyp.1019 Die Fremden und der fremde Dienst sind eine Art argumentatives Gegengewicht gegenüber den Geboten Israels. Folglich werden im vierten Kapitel die Exegese und die Bedeutung für die Fremdbeschreibung genauer betrachtet. Zu einem rechtlichen Problem muss eine Torastelle konsultiert werden, die häufig einen neuen Einblick gewährt. In diesem Fall besteht vor allem in bT eine terminologische Nähe von „Goy“, „Ger“ und den „  “, den Noaiden. Anhand der Tora werden ethische und nomative Grundlagen diskutiert, die Israel von den Fremden trennen. Dabei steht nicht die Beschreibung realer Personen im Vordergrund,

1017 Damit wird nicht zuletzt das Interesse bedient, die Mischna zu verstehen und auszulegen, S. Cohen, The Judean Legal Tradition and the Halakha of the Mishnah, in: C. E. Fonrobert, The Cambridge Companion to the Talmud and Rabbinic Literature, 138-140. 1018 Diese Gottheiten gehören jedenfalls nicht zu denjenigen, die sich archäologisch oder anderweitig erklären lassen; E. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme, 248. 1019 Dabei ist diese Wahrnehmung sicher kein Zufall, sondern intendiert. Die Bedeutung der Tora für die Fremdbeschreibung wie für jedes andere Thema ist nicht zu unterschätzen, weil sie das theologische Gerüst liefert. A. Goldberg, Die Schrift der rabbinischen Schriftausleger, in: Ders., Rabbinische Texte als Gegenstand der Auslegung, 230-241.

378

sondern die Entwicklung eines theoretischen Konzepts.1020 Der Begriff Noaide ist demzufolge ein Fremder mit einem eigenen sozialen Status. Das fünfte Kapitel fokussiert schließlich den Umgang mit dem fremden Dienst. Die drei Ebenen des fremden Dienstes umfassen das Idol, den Kult und einen rechtlichen Terminus. In yT und bT ist in erster Linie von Interesse, wie der fremde Dienst definiert ist und gegen die Opfer, die in der Tora beschrieben werden, abgegrenzt werden kann. Räucherung, Libation und die Verbeugung werden in bT als Teile des fremden Dienstes betrachtet. Innerhalb der rhetorischen Erörterung finden sich vereinzelte praktische Hinweise wie die restriktive Behandlung von wirtschaftlichen Interessen oder das Verbot, einen Schwur im Namen der „Avoda Zara“ abzulegen. Dabei zeichnen die Autoren häufig ein absurdes Bild von fremden Kulten und zeigen, dass es ihnen um eine rhetorische Auslegung geht. So ist der fremde Dienst ein rabbinisches Konzept, das sich auf Exegese stützt.1021 Einen besonderen Aspekt des fremden Dienstes schildert das sechste Kapitel. Der Molekhkult ist eine fiktive Gottheit aus der Bibel, der zu einem Symbol für fremde Kulte wird. Die Mischna, die den Anstoss für diese Auslegung gibt, wird wesentlich erweitert. Besonders in bT wird versucht, diesen Dienst genauer zu spezifizieren. In beiden Gemarot ist der Aspekt der Verführung der eigenen Kinder entscheidend. Damit ist dieser Kult ein Symbol für die fehlende Loyalität gegenüber Israel.1022 Im siebten Kapitel wird der Zusammenhang von Fremdbeschreibung und Geld analysiert. Immer wieder erscheinen Belegstellen, die Geldverleih und Wucher an Fremde und von Fremden thematisieren. Auffällig ist das

1020 Die Signifikanz des Konzepts zeigt M. Goodman anhand des Verbots des fremden Diensts; Ders., Jews and Judaism in the Mediterranean Diaspora in the Late-Roman Period: The Limitations of Evidence, in: Bakhos, Carol, Ancient Judaism in its Hellenistic Context, 190. Eine Einordnung des Begriffs „  “ in eine Liste von Freunden, Verehren und Anhängern Israels, wie sie S. J. D. Cohen entwirft, ist deshalb nicht völlig problemlos möglich. Ders., The Beginnings of Jewishness, 141-162. 1021 Insofern besteht eine Kontinuität von der Mischna bis zu den Gemarot, nicht nur wirkliche Kulte zu beschreiben, sondern „about what attitude Jews should have to the ethos and physical trappings of paganism;“ S. Schwartz, Imperisalism and Jewish Society, 166. 1022 Der Zwiespalt beginnt mit dem Gegensatz zwischen verschiedenen kosmologischen Vorstellungen. Vgl. M. Goodman, Rome and Jerusalem, 260-277.

379

Missfallen, mit dem diese ökonomischen Beziehungen geschildert werden.1023 Das achte Kapitel thematisiert die Rettung vor dem fremden Dienst aus Mischna 8,3. Dabei wird die Vorlage der Mischna in yT und bT entscheidend verschärft und in beiden Fällen eine Lebensrettung verlangt. Der Zusammenhang von sexuellen Verfehlungen mit dem fremden Dienst sind ein Argument für eine gesetzliche Verschärfung. Der versehentliche Mord an einem Fremden wird in bT entsprechend der Mischna gelöst. Insgesamt ist der Kommentar an dieser Stelle rein exegetisch fundiert. Einige Merkmale einer sozialen Hierarchie werden im neunten Kapiteln anhand von fremden Frauen und Nichtpriestern entwickelt. So wird in bT 82a der Verkehr mit fremden Frauen als Verschwägerung mit einem fremden Gott gewertet. Die Belegstellen über den Nichtpriester fokussieren die Ambivalenz der Torastellen im Vergleich zur Mischna. Im allgemeinen wird eine Bestrafung durch das jüngste Gericht favorisiert. In bT wird der Priesterstatus über eine äußerliche Differenz festgeschrieben.1024 Die soziale Hierarchie unterscheidet zwischen ethnischen und sozialen Fremden; also zwischen Nichtjuden und Nichtpriestern. Zuletzt wird ein Überblick über exegetische Motive im zehnten Kapitel gegeben. Zu Mischna 11,6 wird in beiden Gemarot die Strafe für eine Prophezeiung im Namen der „Avoda Zara“ mit der Entstellung der Tora verglichen. So kann durch die Exegese eine unklare Mischna eine eindeutige Aussage erhalten. Weiter werden biblischen Figuren besprochen, die im Kontext des fremden Dienstes stehen. Ebenso werden einige biblische Figuren mit der Konversion in Verbindung gebracht.1025 Weitere Bemerkungen über fremde Personen reflektieren bereits bekannte Halachot. Die biblischen Figuren dienen der Veranschaulichung der Entscheidungen. Ausführliche Zitate und eine Auslegung, die stellenweise an den Midrasch

1023 Im Vergleich dazu kann die Auslegung von C. Hayes, Between the Palestinian and Babylonian Talmuds, 68-78, über die wirtschaftlichen Beziehungen in mA“Z 1,1 und den jeweiligen Kommentar in yT und bT herangezogen werden. Auch dort kommt das Missfallen zum Ausdruck, das allerdings in Verbindung mit fremden Festtagen steht. 1024 Über die Kleidung drückt sich im allgemeinen der soziale Status aus, wie in S. Krauss, Talmudische Archäologie, 127-133, deutlich wird. 1025 B. Bamberger, Proselytism in the Talmudic Period, 174-208. Hier werden beispielsweise Figuren wie Abraham und Noah als Proselyten bezeichnet.

380

erinnert, führen besonders im letzte Kapitel zu dem Eindruck, dass auch ein sprachlicher Einfluss der Tora auf die rabbinische Literatur besteht.1026 In den meisten Fällen lässt sich eine Kontinuität von Motiven der Fremdbeschreibung im Traktat Sanhedrin feststellen. Das Thema der fremden Frauen, die sowohl mit „Goya“ als auch mit „Norit“ bezeichnet werden, finden sich im ersten Kapitel wie im neunten Kapitel. Die Motive zu den Idolen wie dem Molekh werden in beiden Gemarot aufgenommen. Insgesamt scheint der fremde Dienst in yT und bT vergleichbar abgehandelt zu werden. Auch zu Motiven wie dem Geldleihen gibt es Übereinstimmungen, wie das achte Kapitel zeigt. Keine Kontinuität innerhalb des Traktats scheint es im Fall von Antolinus in yT 10,6/2-3 zu geben. Auch die Auslegung zu Gershom in yT 11,7/7 beschränkt sich auf yT. Da das Material in bT wesentlich ausgiebiger ist, werden einige Motive hinzugefügt. Bereits im ersten Kapitel haben die Bemerkungen zu den Ketzern und die Debatten zwischen dem Kaiser und Rabbi aus bT 38b keine Entsprechung.1027 Die Behandlung der Noaiden im vierten Kapitel ist ausschließlich ein Thema in bT.1028 Weiter haben einige Motive zur Toraexegese kein Vorbild in yT, wie sich in bT 103b und 104b zeigt.1029 Dafür werden einige Motive aus anderen Traktaten in Sanhedrin wiederholt.1030 Die vier Begriffe der Fremdbeschreibung sind in Sanhedrin deutlich auf den Begriff „Avoda Zara“ ausgerichtet. Die Terminologie erweitert sich von der Mischna zu den Gemarot. Der Begriff „   “ wird ver1026 P. Schäfer, Jews and Gentiles in Yerushalmi Avodah Zarah, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, 351-352: „[...] we may conclude that the cultural space of Rabbinic Judaism not only shaped the Rabbis understanding of the Bible, but their reading of the Bible shaped the way they perceived their own cultural space.“ 1027 Diese Zwiegespräche werden ausführlich von M. D. Herr analysiert. Ders., The Historical Significance of the Dialogues between Jewish Sages and Roman Dignitaries, in: J. Heinemann, Studies in Aggadah and Folk Literature, 132-144. 1028 M. Goodman, Mission and Conversion, 112-116. Dazu ist anzumerken, dass die „  “ in der Tosefta zum ersten Mal erwähnt werden. 1029 Motive, die bestimmte biblische Figuren betreffen, sind aus dem Kontext des bT zu erklären, auch wenn sie grundsätzlich auf die Exegese in yT zurückgehen. Die Episode in San bT 140b über den spurenlesenden Israeliten hat keine Entsprechung in yT. 1030 Wiederholungen betreffen die Belegstelle yT 11,7/7, die mit Brachot vergleichbar ist. Die Belegstelle bT 51a lässt sich mit Jebamot vergleichen. Die Entweihung des Schabbat und die Erwähnung der Noaiden lassen sich auch in den Traktaten Schabbat und Jebamot finden.

381

hältnismäßig selten verwendet und gegen den Begriff „Goy“ getauscht. Die Kontinuität der Verwendung der Begriffe von der Mischna bis zu bT trifft nur für den Begriff „Avoda Zara“ zu. Ansonsten wird bereits in yT der Kontext um den Begriff „Ger“ erweitert. Insofern besteht eine größere Kontinuität der Fremdbeschreibung zwischen yT und bT. Speziell die Ambivalenz der Terminologie ist im Trakat Sanhedrin bemerkenswert. Die Begriffe „Aramit“, „Goya“, „Zar“, „Hediut“, „Goy“, „Nori“ zeigen diese Durchlässigkeit.1031 Diese Begriffe lassen sich an der jeweiligen Stellen synonym verstehen. Der Begriff „Avoda Zara“ wird im Vergleich zu Brachot und Schabbat über die Exegese definiert. In diesem Begriff fließen die Aspekte von materiellem Idol, Kult und Rechtsterminus zusammen. Es geht um einen kollektiven Begriff, der aus der Mischna übernommen und durch die Tora gestützt wird. Die volle Entfaltung des Begriffs lässt sich erst in yT und bT beobachten. Dabei unterscheidet sich das Konzept kaum zwischen yT und bT, wird allerdings in bT genauer spezifiziert, wie das fünfte Kapitel zeigt. Ein eigenes Thema sind die „Zarim“, die in beiden Gemarot behandelt werden. Der Begriff „Goy“ wird in yT als eigenständiger Terminus für die Beschreibung von Fremden und in bT auch auf der Ebene von Zitaten verwendet. Die kontinuierliche Verwendung von „Goy“ wird nur durch die gelegentliche Verwendung von „Nori“ unterbrochen. Grundsätzlich gilt, dass im Zweifelsfall der Begriff „Goy“ herangezogen wird, wie das siebte Kapitel belegt. Der Begriff des „Ger“ wird in bT mit dem Noaiden kontrastiert. Proselyten stehen gelegentlich im Zusammenhang zu bestimmten biblischen Figuren oder Völkern.1032 Die Stellen, an denen die vier Begriffe in einem Vers verwendet werden, beschränken sich fast ausschließlich auf bT. Insgesamt folgt die Verteilung der gemeinsamen Stellen dem bereits bekannten Muster in Brachot und Schabbat. Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen der fremden Person und dem fremden Dienst wie in yT 3,6/10. Weiter besteht in bT ein Zusammenhang zwischen „Ger“ und „Goy“. Die gemeinsamen Stellen in bT bringen zum Ausdruck, dass über das Konzept des fremden Diensts auch andere Begriffe integriert werden 1031 In der Belegstelle yT 9,11/3 wurde der Begriff „  “ anstelle von „ “ verwendet. In bT 84a zeigte sich die Ambivalenz zwischen den Begriffen „ “ und „  “. 1032 G. Porton weist auf diese Stellen im Zusammenhang mit Proselyten hin; Ders., Stranger Within Your Gates, 124-125.

382

können.1033 Auf diese Weise liefert das Traktat Sanhedrin eine Fremdbeschreibung, die ausgehend vom fremden Dienst auch andere Begriffe ins Visier nimmt. „Der, die, das Fremde“ Über die drei Kategorien „der, die, das Fremde“ lässt sich ein Zusammenhang zwischen Beschreibung und Wahrnehmung herstellen. Die rhetorischen Motive geben einen Einblick in die Wahrnehmung der Autoren, da die Exegese auch ein Mittel zum Zweck sein kann. Die Kategorie der fremden Person bildet im Traktat Sahedrin einen Schwerpunkt auf dem Begriff „Goy“. Die anderen Begriffe für fremde Personen sind demgegenüber deutlich untergeordnet. Eine Anzahl an Belegstellen befassten sich mit der fremden Frau. Alle Stellen verbindet, dass fremde Frauen als Partner für Mischehen betrachtet werden.1034 Die fremde Frau scheint im Kontext der Exegese eine Versuchung zu sein, die Unglück heraufbeschwört. Ein Beispiel sind die Frauen Salomos in I. Könige 11,1. Die Belegstellen in bT 11a und 82a bestätigen diese Interpretation; der Kommentar zu bT 82a setzt die Verlobung mit fremden Frauen mit der Verehrung der fremden Götter gleich. Ein anderes Motiv schildert eine fremde Frau, die in bT 64a ein Idol verehrt. Dies zeigt, dass in der rabbinischen Wahrnehmung nicht nur fremde Männer den fremden Dienst ausüben. Diese Frauen werden als mögliche Ehepartner zurückhaltend bis ablehnend wahrgenommen, da ihre Kinder im Sinn der Matriliniarität keine Israeliten sind. Die Fremden werden in beiden Gemarot in den Kontext des fremden Dienst gestellt. Diese Verbindung gibt einen Einblick in die Wahrnehmung der Fremden, die nicht nur ethnisch, sondern auch kulturell als Fremde eingestuft werden. Die Heiligung des Gottesnamens durch Fremde stellt in yT 3,6/13 und 7,10/6 einen Kontrast her. Dagegen ist in bT die Rolle des Fremden etwas großzügiger angelegt. Ein wesentlicher Teil der Belegstellen steht im Kontext von Torazitaten, die komprimiert vorgestellt wurden.1035 Die Fremden sind laut bT 40b „Diener der fremden Kulte“. Sie fertigen 1033 Die Mehrzahl der gemeinsamen Stellen in yT und bT verbinden die Begriffe „ “ und „ “. Nur fünf Belegstellen weichen von diesem Muster ab. 1034 So zeigt es auch M. Satlow; Ders., Fictional Woman: A Study in Stereotypes, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, 235. 1035 In beiden Gemarot werden sowohl die Tora als auch die Propheten am häufigsten zitiert. Auszugsweise lassen sich dafür San yT 7,10/6 und 7,11/1 sowie bT 21a und 39a anführen.

383

Idole an wie in bT 56b und zwingen Israeliten in 74b zum fremden Dienst. Fremde werden laut bT 54a, 55a-b und 58b in sexueller Hinsicht als Beispiele der Zügellosigkeit und der Unzucht dargestellt. In diesen Fällen haben die Fremden Verkehr mit Blutsverwandten. Ein Argument, dass es sich nicht nur um einen Euphemismus für Israeliten handelt, bietet bT 57b. Dort wird ein allgemeines Inzestverbot für Fremde und Israeliten postuliert. Die kulturelle Differenz zwischen Israeliten und Fremden kommt im Umfeld von bT 59a zum Tragen. Dort werden die Tora und der Schabbat als Vorrechte Israels den Fremden verboten. So scheint es konsequent, dass die Fremden, die gottlos sind, in 104b keinen Anteil an der kommenden Welt haben. Zwar sind sie Partner von Geschäftsbeziehungen und Geldhandel, wie im achten Kapitel gezeigt wurde, aber das gemeinsame Mahl mit ihnen verursacht Verbannung nach bT 104a.1036 Die Auseinandersetzung zwischen Rabbi und dem Kaiser ist anderer Beleg, dass es eine Wahrnehmung fremder Personen gibt.1037 Mit den Noaiden wird in bT ein rechtlicher Referenzrahmen für Fremde gesteckt. Dieses Konzept ist als Erweiterung des Begriff „Goy“ zu verstehen, wie eine Belegstelle in bT 57a zeigt.1038 Insofern ist das Bild des Fremden in bT wesentlich differenzierter und ambivalenter als in yT. Die Wahrnehmung des „Ger“ in yT wirkt unausgewogen. Die Belegstelle yT 10,2/55 veranschaulicht diese Ambivalenz mit dem Ausdruck, die „Gerim“ mit der Linken fortzustoßen und der Rechten heranzuholen. Proselyten können zwar eine Vorbildfunktion haben wie die Figur des Antolinos in yT 10,6/3, aber auch abtrünnig werden wie in 10,7/1. In bT werden die „Gerim“ im Rahmen von Zitaten gelegentlich als Fremde bezeichnet. Darüber hinaus stehen sie laut bT 56a in einem argumentativen Zusammenhang mit den Fremden:1039 Die Schrift sagt: wie ein „Ger“ oder wie ein Bürger. Ein „Ger“ oder ein „Bürger“, wenn er den Namen [Gottes] lästert. Bei den „Goyim“ wird sogar die Umschreibung des Namens [geahndet]. Und R. Meir? Für was verwendet er wie ein „Ger“ 1036 Auf diese Weise ist die Fremdbeschreibung stark kontextabhängig. Es wird situativ entschieden, ob der Kontakt wünschenswert ist oder nicht. Y. Rash, Attitudes juives a l égard de non-juives. Références bibliques, talmudiques et actuelles, RSR 85/2, 1997, 177-197. 1037 Dafür plädiert M. D. Herr, The Historical Significance of the Dialogues between Jewish Sages and Roman Dignitaries, in: J. Heinemann, Studies in Aggadah and Folk Literature, 125-126; 130-131. 1038 Diesen Zusammenhang zeigt auch G. Porton, Stranger Within Your Gates, 102. 1039 Vgl. zu dieser Stelle auch G. Porton, The Stranger Within Your Gates, 313, F. 261.

384

und wie ein Bürger? Er folgert: ein „Ger“ und ein Bürger werden durch die Steinigung [bestraft]; die „Goyim“ aber mit dem Schwert. Er lehrt: man könnte annehmen, weil man sie einbezieht, sind sie [immer] einbezogen.

Die Nichtpriester werden in yT 7,5/7 und 9,11/4 sowie bT 83b und 84a auf die bereits bekannte Weise kommentiert. Die Darstellung dieser Fremden dient der Zementierung einer Hierarchie, die zwar der Vergangenheit angehört, aber in der Wahrnehmung der Rabbinen eine wichtige Bedeutung einnimmt. Ein Teil der formalen Rhetorik in den anderen Traktaten war die Formel „ein Fremder, der“ [ ]. In Sanhedrin wird diese Formel nur spärlich verwendet und findet sich ausschließlich in bT.1040 Auch deshalb wirkt die Rhetorik in bT weiter entwickelt als in yT. Die Kategorie des fremden Orts spielt in diesem Traktat eine untergeordnete Rolle. Immerhin wird in yT 1,2/49 und bT 16b von den Grenzen des Israels gehandelt. Die Abtrünnigkeit steht in Zusammenhang mit Fremden, die in das Land einfallen und es verwüsten könnten. Die geographische Integrität wird nicht über die Reinheit, sondern über das Territorium konstruiert. Damit ist wohl eine gewisse Wahrnehmung der Exilsituation verbunden.1041 Weiter wird in yT 6,1/1 über ein Gerichtsurteil gehandelt, dass in einer Stadt von Fremden [   ] verhängt wird. In der Wahrnehmung zeigt sich eine deutliche Differenz zwischen Israel und den Orten, an denen Fremde leben. Auch die Episode in 10,2/30, die in Sovta in Galiläa spielt, deutet auf die Anwesenheit von Fremden in Israel hin. In bT 64a wird diese Episode mit der selben Ortsangabe wiederholt. Die Idole des fremden Kults sind insofern geographisch zu verstehen, da sie das Land Israel verunreinigen.1042 Die physische Annäherung des „Zar“ an das Allerheiligste ist eine Grenzverletzung und wird in bT 84a dementsprechend bestraft. Das Motiv des fremden Diensts ist über die Exegese mit dem Ort Israel verknüpft. In

1040 Das Motiv „ “ wird in San bT 56b, 58b, 59a, 63b verwendet. Das Motiv „   “ ist nur in bT 59a und 68b anzutreffen. 1041 R. Goldenberg, The Nations That Know Thee Not, 106. Eine Folge des Exils war, dass „all Jews accepted by now that their own sacred way of life entailed a degree of alienation from that larger world [...].“ 1042 Im Zusammenhang mit den archäologischen Erkenntnissen scheint dies sinnvoll; S. Schwartz, Imperialism and Jewish Society, 132-136.

385

bT 102b wird Ahab beschuldigt, in jeder Feldfurche ein Idol aufgestellt zu haben.1043 Mit dieser Belegstelle ist „das Fremde“ in das Blickfeld gerückt. Insgesamt ist nicht zu übersehen, dass der fremde Dienst in den unterschiedlichen Dimensionen ein Gegengewicht zu Israel, seinen Opfern und seinem Kult darstellt. Dieser Gegensatz manifestiert sich in der Verehrung Gottes und der leblosen Idole. Die Fremdwahrnehmung baut in yT und bT zwei Pole auf, die aus der Verehrung der Tora und der Entweihung durch Lästerung bestehen. Für Lästerung und Verehrung kommen sowohl Fremde wie Israeliten in Fragen. Die Heiligung des Gottesnamens ist Fremden nicht geboten, wie in bT 60a festgelegt wird. Dabei ist das Zerreißen der Kleider ein Gebot der Tora, dass zur Zeit der Rabbinen keine reale Bedeutung hat.1044 Häufig scheint der fremde Dienst in yT und bT reflexiv und damit in Bezug zu Israel zu stehen. Die verschiedenen Motive zu biblischen Figuren wie Jerobeam, Ahab und Gehazi, die in beiden Gemarot als Diener des fremden Dienstes betrachtet werden, zeigen eindrücklich, dass die Gefahr der Entfremdung besonders für Israeliten besteht.1045 Die Motive der Exegese wie 107a oder 11,7/5 veranschaulichen, dass mit dem fremden Dienst eine abstrakte Entfremdung von Israel und seinen Werten angezeigt ist. Die Anwesenheit fremder Personen ist dafür ursächlich. Nicht nur Produkte wie der fremde Wein, sondern auch der Zwang, den fremden Dienst auszuüben sind in yT 3,6/10 und bT 74a der Ursprung der Entfremdung: Jeder, der mit einer „Goya“ sexuellen Kontakt hatte ist wie einer, der sich mit dem fremden Dienst verlobt hat; denn es heißt: der mit der Tochter eines fremden Gottes geschlafen hat (Mal 2,11). Hat der fremde Gott eine Tochter? Das ist derjenige, der mit einer „Goya“ sexuellen Kontakt hatte.

1043 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 2, 92: „R. Jochanan sagte: Du hast keine Feldfurche im Israelland, auf der Ahab nicht einen Götzen [  ] aufgestellt und ihn verehrt hätte.“ 1044 Vgl. L. Goldschmidt, Synhedrin, Bd. 1, 703: „Wer in der Jetztzeit den Gottesnamen lästern hört, braucht das Gewand nicht einzureißen, denn wäre dies der Fall, so würde die ganze Kleidung nur aus Rissen bestehen.“ 1045 S. Stern, Jewish Identity, 28: „This simply implies that denial of avodah zara is constitutive of Jewish Identity.“ In der Tat ist die reflexive Wahrnehmung des fremden Kults für die Identität entscheidend. Allerdings ist das nur eine Facette des fremden Dienstes.

386

Das siebte Kapitel über den „Molekh“ deutet auf die Verführung der Nachkommen hin. In der Wahrnehmung ist der fremde Dienst mit einer Mischehe gleichzusetzen, die eine Entfremdung schlechthin ist. Allerdings gibt es die Möglichkeit eines kulturellen Ausgleichs mit den Fremden, wie das Konzept der Noaiden zeigt. Gerade über das Verbot des fremden Diensts für diese besondere Gruppe von Fremden besteht die Möglichkeit einer Annäherung. Die genannten Idole wie „Merkurius,“ „Baal Peor“ und andere sind nur Platzhalter für den fremden Dienst. Die Schilderung des Verhörs des Dieners der fremden Kulte in yT und bT veranschaulicht, dass es letztlich unwichtig ist, welchem Idol geopfert wird. Deshalb geben sich die Rabbinen wenig Mühe, fremde Götter der Römer konkret zu beschreiben, da überhaupt keinem Idol geopfert werden soll.1046 Aus allen aufgezählten Gründen folgt, dass der fremde Dienst das Paradigma für „das Fremde“ ist und daraus der Ausschluss aus der kommenden Welt resultieren kann.

1046 Zu diesem Schluss kommt E. Friedheim, Rabbinisme et Paganisme, 236.

387

III.Vergleich der Traktate Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin

Anhand der Traktate Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin wurde ein repräsentativer Überblick über die Fremdbeschreibung der rabbinischen Literatur gegeben. Ausgehend von den knappen Darstellungen des Fremden in der Mischna wurden eine große Anzahl an Belegstellen im palästinischen und babylonischen Talmud aufgearbeitet.1 Die Belegstellen der Mischna ließen sich in den meisten Fällen in beiden Gemarot verfolgen. Dabei zeigte sich, dass sich in einigen Fällen der babylonische Talmud am Text der palästinischen Gemara orientiert. Die Abweichungen und Zusätze, die in der babylonischen Gemara hinzukommen, belegen die Entwicklung der Fremdbeschreibung. Von der Mischna bis zum palästinischen Talmud ist eine Entwicklung der Fremdbeschreibung festzustellen, die zum einen die Menge des Materials und zum anderen dessen Qualität betrifft. Durch die diachrone Einstufung der literarischen Motive und den Vergleich der beiden Textkörper liessen sich sowohl Unterschiede wie Gemeinsamkeiten herausarbeiten.2 Anhand verschiedener Themen ließ sich beweisen, dass es einen gewissen festen Bestand an Fremdbeschreibung in den Traktaten gibt. Diese Motive der Fremdbeschreibung reichen von der offenen Ablehnung bis zu Akzeptanz und Toleranz.3 Die Nähe Israels zu den Fremden und ihren Kulten führten in den Quellen aber auch zu Differenz und Distanz. Der 1

2

3

Die Belegstellen wurden möglichst umfassend vorgestellt. Im ganzen wurden nur wenige Belegstellen ausgelassen, um keine unnötige Redundanz zu erzeugen. Im Traktat Brachot wurden zwei Belegstellen ausgelassen; in Schabbat sechs, in Jebamot sechs, in Sanhedrin neun Belegstellen. Hier wurde C. Hayes Ansatz zum Vorbild genommen, die vor allem die Differenz der Halachot von yT und bT hervorhebt. Dies., Between the Babylonian and Palestinian Talmud, 180-181. Dieses ambivalente Bild der Fremdbeschreibung wird im allgemeinen in der Forschung bestätigt, wie die Arbeiten von G. Porton, C. Hayes, S. J. D. Cohen und M. Goodman zeigen. Darüber hinaus verweist diese Arbeit auf die Zusammenhänge zwischen den Begriffen, die ein neues Licht auf die Bewertung der Proselytenfrage werfen sowie auf die Wahrnehmung von Fremden im allgemeinen.

389

Diskurs der Fremdbeschreibung orientiert sich deshalb häufig an einer Gegenüberstellung von „der, die, das Fremde“ mit dem Volk, dem Land und der Kultur Israels. So ist die Wirkung der Fremdbeschreibung auf das jüdische Selbstverständnis nicht zu unterschätzen. Allerdings ist dieses Verhältnis keineswegs immer als Antithese zu bewerten. Besonders in den Traktaten Jebamot und Sanhedrin konnte eine bestimmte Terminologie und Rhetorik beobachtet werden, die zwischen der Exegese der Mischna und der Tora vermittelt. Der fremde Dienst stand nicht selten in einem reflexiven Bezug zu Israel, und mit Hilfe der Exegese konnten Mischna und Tora versöhnt und erklärt werden. Ein weiteres Ziel dieser Arbeit war, die Verwendung der Begriffe „Goy“, „No ri“, „Ger“ und „Zar“ in ihrem Wortfeld zu analysieren. Durch die Evaluierung dieser vier Begriffe war es möglich, die gesamte Bandbreite der Fremdbeschreibung vorzuführen. Die Frage nach Kontinuität oder Wandel der Fremdbeschreibung kann in Bezug auf die Begriffe zugunsten der Kontinuität beantwortet werden. Diese Kontinuität ist allerdings der Terminologie geschuldet und wohl weniger der Fremderfahrung. Die Erfahrung des Fremden, die stets orts- und zeitabhängig ist, unterliegt damit lokalen Einflüssen.4 Es bleibt, die Fremdbeschreibung der Traktate Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin systematisch zu vergleichen. Dieser zusammenfassende Vergleich soll die verschiedenen strukturellen und inhaltlichen Merkmale der Traktate betonen. Die Übersetzung der Begriffe, die vorerst zurückgestellt wurde, soll nun unter Berücksichtigung ihrer Verwendung und der drei Kategorien „der, die, das Fremde“ geleistet werden. Besonders die Verwendung der Begriffe im Querschnitt der Traktate ist von Interesse. Die Begriffe lassen sich im Sinne von „der, die, das Fremde“ deuten, um ihren Zusammenhang besser zeigen zu können.5 Die vier Traktate sind in verschiedenen Themengebiete angesiedelt und verfolgen jeweils eine eigene Fremdbeschreibung. In allen vier Traktaten stehen die Motive in yT und bT im Zusammenhang mit einer übergeordneten Thematik. Während die Traktate Brachot und Schabbat eher 4

5

390

Insofern ist J. Neusners These zur Fremdbeschreibung zuzustimmen, wenn sich auch eine Entwicklung der Fremdbeschreibung schwer bestreiten lässt; J. Neusner, Stable Symbols in a Shifting Society: The Delusion of the Monolithic Gentile in Documents of Late Fourth-Century Judaism, in: Ders., „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 394-396. Diese gemeinsame Verwendung resultiert aus der Doppelnennung von Begriffen in einer Halacha und der thematischen Erweiterung der Fremdbeschreibung.

praktische Themengebiete wie die Gebete und Segenssprüche beziehungsweise den Festtag Schabbat verfolgen, zeigt sich in Jebamot und Sanhedrin ein starkes Interesse an theoretischen und exegetischen Motiven.6 Dies gilt zwar nicht für alle Belegstellen gleichermaßen, aber es ist eine Tendenz zu verzeichnen, nach der die Fremdbeschreibung des jeweiligen Traktats mit speziellen Motiven verknüpft ist. Als erstes soll ein Vergleich der Belegstellen gezogen und die Bedeutung der Begriffe „Goy,“ „No ri,“ „Ger,“ und „Zar“ in den vier Traktaten analysiert werden. Auch die Ergebnisse zu den drei Kategorien „der, die, das Fremde“ lassen sich für einen Vergleich heranziehen. Zuletzt wird die Fremdbeschreibung der vier Traktate kurz charakterisiert. Der direkte Vergleich der vier Tabellen führt vor Augen, dass sich die Zahl der Belegstellen von yT zu bT konsequent steigert. Die Traktate Jebamot und Sanhedrin werden ausführlicher kommentiert als Brachot und Schabbat und sind dementsprechend ausführlicher zu interpretieren. Die Verteilung der Begriffe im jeweiligen Traktat ist in bT etwas ausgeglichener als in yT. Das mag daran liegen, dass die Fremdbeschreibung in yT noch stärker mit der jeweiligen Mischna verbunden ist. Weiter ist auffällig, dass in yT bis auf das Traktat Brachot selten alle Belegstellen der Mischna kommentiert werden.7 So muss in yT von einem selektiven Kommentar gesprochen werden. Die Begriffe der Mischna, die keinem besonderen Muster folgen,8 münden in yT in ein Wortfeld der Fremdbeschreibung. Die textuelle Vernetzung dieses Wortfelds wird in bT wesentlich erweitert.9 In den Traktaten Brachot und Schabbat wird am häufigsten der Begriff „Goy“ genannt, der damit der eigentliche Grundbegriff der Fremdbeschreibung in den Gemarot ist.10 Diese Verteilung beruht auf der Auswertung der Handschriften, da die gedruckten Ausgaben das Ergebnis

6

7 8 9 10

Die jeweilige Mischna gibt einen guten Einblick in die Relevanz. Die Behandlung des alyah Rituals in Jebamot und der Gerichtsbarkeit in Sanhedrin handeln von nicht mehr existenten Einrichtungen zu rabbinischen Zeiten und sind damit exegetische Motive. G. Stemberger, Geschichte der jüdischen Literatur, 76-78. In yT Schabbat werden 5 Mischnastellen in den Gemarot nicht kommentiert, in Jebamot 2 und in Sanhedrin 6. G. Porton, Goyim, 15-37. In mBer, mShab, mJeb und mSan werden alle vier Begriffe verwendet. In yT Ber ergeben sich 14 Belegstellen und in bT Ber 17; in yT Schab 18 und in bT Schab 32; in yT Jeb 17 und in bT Jeb 31; in yT San 15 und in bT San 27.

391

verfälschen, indem zu häufig der Begriff „Goy“ durch andere Begriffe ersetzt wird.11 Am zweithäufigsten ist der Begriff „Zar“ mit dem zugehörigen Wortfeld anzutreffen. Im Traktat Sanhedrin ist dieser Begriff sogar häufiger als „Goy“.12 Der Begriff „Ger“ wird im Traktat Jebamot am häufigsten erwähnt, wenn er auch in den Traktaten Brachot, Schabbat und Sanhedrin den dritten Platz in der Häufigkeit einnimmt. Der Begriff „No ri“ wird am seltensten verwendet und ist in seiner Bedeutung am schwierigsten abzugrenzen. Alle Begriffe werden aus dem Kontext der Mischna übernommen und in den Gemarot weiter verwendet.13 Eine kontinuierliche Verwendung der Begriffe besteht zumindest zwischen yT und bT. Folgende Tabelle veranschaulicht die Häufigkeit der Begriffe in den Traktaten: yT Ber bT Ber yT Schab bT Schab yT Jeb bT Jeb 11

12 13

392

Goy

No ri

Ger

Zar

16

-

3

8

16

1

7

6

18

4

6

18

32

10

7

21

17

4

28

15

31

20

42

27

Die verwendete Ausgabe von A. Sainzal, Talmud Bavli. Menukad u-Mevoar, zeigt diese Problematik deutlich. Jeweils in den Kapiteln 1.2.2, 2.2.2, 3.2.2 und 4.2.2 ließen sich im Vergleich zu den Handschriften für die Verwendung des Begriffs „Goy“ erhebliche Abweichungen feststellen. Die jeweilige Thematik des Traktats, die sich aus der Vorlage der Mischna ergibt, setzt einen eigenen Schwerpunkt der Fremdbeschreibung. Damit ist auch die Frage verbunden, wieso die Mischna diese Begriffe verwendet. Dieser Frage ist die Arbeit nicht wirklich näher gekommen, denn hier fehlt das Vergleichsmaterial. Der Beginn der rabbinischen Literatur bleibt nach wie vor rätselhaft, auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass bestimmte Begriffe im Rahmen bestimmter Halachot verwendet werden. Einige Vorschläge bietet S. J. D. Cohen, The Judeam Legal Tradition and the Halakha of the Mishna, in: C. E. Fonrobert, The Cambridge Companion to the Talmud, 138.

yT San bT San

13

1

8

23

37

4

10

48

180

44

111

166

Auffällig ist, dass sich die Verteilung der Begriffe in yT und bT selten entsprechen.14 Vor allem „Goy“ und „Zar“ scheinen Grundbegriffe der Fremdbeschreibung zu sein. In der Mischna kann dieses Ergebnis nicht ohne weiteres nachvollzogen werden, was für eine spezifische Fremdbeschreibung der Gemarot spricht.15 Anhand der gemeinsamen Belegstellen wird ersichtlich, inwiefern ein Zusammenhang zwischen den Begriffen besteht. Die Vernetzung der Begriffe und ihre Verwendung in einer Halacha steigt von yT zu bT deutlich an. Es werden an dieser Stelle nur die gängigen Kombinationen vorgestellt:16

yT Ber bT Ber yT Schab 14

15

16

Goy + Zar

Goy + No ri

Goy + Ger

Ger + Zar

2

-

1

-

4

-

2

1

1

1

-

-

Das Übergewicht an Belegstellen in bT ist schlicht der Anzahl und der Materialfülle geschuldet, die besonders in Schab, Jeb und San zum Vorschein kommt. Insofern kann nicht von einer gleichmäßigen Verteilung gesprochen werden. In der Mischna verhält sich die Verteilung der Begriffe folgendermaßen: Goy

No ri

Ger

Zar

Ber

1

1

-

2

Schab Jeb San

4 1 -

7 18 1

5 -

3 11

Offensichtlich wird der Begriff „Ger“ in diesen Traktaten nur selten verwendet. Die Verbindung von „Ger“ und „No ri“ ergibt keinen nennenswerten Belegstellen. Lediglich für bT Ber ergibt sich eine und für yT und bT Jeb vier Belegstellen. Auch die Verbindung von „Zar“ und „No ri“ ist zu vernachlässigen.

393

bT Schab yT Jeb bT Jeb yT San bT San

5

3

4

1

1

1

3

-

7

1

12

9

1

-

-

-

9

2

2

3

30

8

24

14

Die meisten gemeinsamen Stellen zu allen vier Kombinationen finden sich im Traktat Jebamot. Insgesamt ist die Verbindung von „Goy“ und „Zar“ am häufigsten, entsprechend der Häufigkeit der Belegstellen, gefolgt von der Verbindung von „Goy“ und „Ger“. Auch zwischen „Ger“ und „Zar“ besteht ein Zusammenhang. Die Verbindung von „Goy“ und „No ri“, die inhaltlich zu erwarten wäre, liefert im Rahmen dieses Vergleichs keinen ausgeprägten Hinweis auf eine synonyme Bedeutung. Abweichungen beschränken sich auf wenige Fälle, so dass insgesamt von einer kontinuierlichen Fremdbeschreibung gesprochen werden kann.17 Da die numerische Auswertung der Belegstellen kein endgültiges Urteil über die Fremdbeschreibung liefert, konzentriert sich der Vergleich nun auf die Inhalte. Im weiteren wird eine repräsentative Auswahl an Motiven in yT und bT einen Überblick über den Inhalt der Traktate verleihen. Diese Motive können den drei Kategorien der Nutznießung, der Interaktion und der Exegese zugeordnet werden. Die erste Kategorie betrifft die Nutznießung jeglicher fremder Arbeit oder Gegenstände. Besonders in den Traktaten Brachot und Schabbat wird diese Nutznießung diskutiert. In Brachot yT 8,7/4 und bT 53a wird die Nutznießung des Lichts von Fremden für einen Segensspruch thematisiert. In bT wird dabei grundsätzlich strenger entschieden als in yT. Auch im Traktat Schabbat wird diese Fragestellung ausführlich behandelt. Zu 17

394

Nur im Traktat Schabbat wird die Kontinuität der Begriffe im Kommentar von yT zu Mischna 16,8 durch den Begriff „“ unterbrochen. Gelegentlich ist die Verwendung der Begriffe „Goy“ und „No ri“ nicht durchgehend, wie im Kommentar zu Mischna 7,1 in yT Ber.

Beginn wird festgelegt, dass der Handel mit Fremden am Schabbat verboten ist, keine Wäsche gewaschen werden darf noch Briefe durch Fremde versendet werden dürfen. Diese Motive werden verkürzt in bT aufgenommen.18 Die Nutzung einer Badeanstalt am Schabbat wird erleichternd entschieden, da sie nicht für Israeliten beheizt wird. Die Ambivalenz der Nutznießung zeigt sich an der Frage, ob dem Fremden [No ri] ein Geldbeutel am Schabbat gegeben werden darf. Die Tätigkeit des Shabbes Goy, der am Schabbat die Arbeit für Israeliten verrichtet, besteht nicht unangefochten. Letztlich bleibt unentschieden, ob Fremde in das Ruhegebot am Schabbat einbegriffen sind oder nicht. Der Fremde ist in diesem Fall der „No ri“, aber nicht der Fremde der Tora, der „Ger“.19 Die Kontakte zu Fremden haben gelegentlich praktische Konsequenzen, wie die Hilfeleistung bei einem Feuer am Schabbat in yT 16,7/1 und bT 121a zeigt. Eine direkte Aufforderung zur Hilfeleistung wird in yT verboten. Während in yT die Hilfe gegen Bezahlung abgelehnt wird, ist in bT die Hilfe gegen Geld erlaubt.20 Die Heilung durch Fremde ist sowohl in yT wie in bT erlaubt; vorausgesetzt, es gibt keine Alternative und der fremde Arzt ist vertrauenswürdig.21 In Jebamot besteht die Hilfeleistung der Fremden in einer Zeugenaussage vor einem israelitischen Gericht. In yT und in bT wird diese Form der Hilfeleistung akzeptiert, allerdings muss darauf geachtet werden, ob die Fremden die Aussage vorbehaltlos tätigen.22 Im Kontext der Nutznießung der fremden Arbeit sind auch ökonomische Motive angesiedelt.23 Die Arbeitsleistung der Fremden muss nach Schabbat 150a bezahlt werden. Schon das Tragen des Geldbeutels impliziert indirekt eine gewisse ökonomische Beziehung, die durch das Wäschewaschen und ähnliche Tätigkeiten konkretisiert wird. Die An18 19 20 21

22 23

Diese Motive finden sich im Kommentar zu mShab 1,7 und den Belegstellen yT 1,11/1-4 und 18b bis 19a. In Exodus 20,10 wird das Ruhegebot für den „Fremden in deinen Toren“ [] festgeschrieben. Vgl. 2.3.7 In bT wird offensichtlich eine Erleichterung der Hilfeleistung im Fall von Gefahr beschlossen, die durch Bezahlung geregelt wird. Vgl. Schab bT 129a und yT 14,4/7. Siehe weiter dazu C. Hayes, Between the Babylonian and Palestinian Talmuds, 116-118. Auch in bT A“Z 27a wird die Bezahlung der Heilung verhandelt. Vgl. Kapitel 3.3.13 zum Traktat Jebamot. Wesentlich ist, dass der Fremde die Aussage ohne Vorsatz [   ] tätigt. Vgl. G. Porton, Forbidden Transactions: Prohibited Commerce with Gentiles in Earliest Rabbinism, in: J. Neusner, „To see ourselves as others see us.“ Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, 332-335.

395

eignung eines Grundstücks von einem „Ger“ in Jebamot bT 52b zählt ebenfalls zu den ökonomischen Tätigkeiten. Da ein Proselyt keine Verwandten in Israel hat, kann der Besitz unter Umständen verteilt werden. Ein Beispiel für ökonomische Kontakte gibt Sanhedrin yT 10,2/30, wenn dort ein Israelit seinen Esel an eine Fremde vermietet. Insgesamt wird die defensive Haltung gegenüber der Nutznießung deutlich. So darf die Arbeit nie für Israeliten geschehen sein, wie Schabbat yT 16,8/4 und bT 122b belegen. Auch Sanhedrin bT 74b zeigt, dass sich ein Israelit unter Umständen zu einer Arbeitsleistung zwingen lassen darf, nicht aber zu einer Sünde. Die Nutzung einer Fähre mit Fremden in Schabbat bT 32a deutet ebenfalls auf eine distanzierte Haltung.24 Das Motiv der Nutznießung, das die Hilfeleistung und die ökonomischen Beziehungen beinhaltet, verweist auf eine konkrete Wahrnehmung der Fremden, aber auch auf die Distanz zu ihnen. Diese Tätigkeiten bedingen die Interaktion mit Fremden, die nächste inhaltliche Kategorie. Ob diese Interaktion in allen Fällen auf historische Situationen zurückgeht, ist völlig offen, da nur die Wahrnehmung der Fremden in den Texten zu beobachten ist. Die Schilderung von Reisen durch das Gebiet von Fremden belegt eine Wahrnehmung fremder Orte, die in Brachot yT 9,6/4 mit einem Segen bedacht werden. Israeliten können in Gefangenschaft bei Fremden leben, wie Schabbat yT 7,1/8 und bT 68a deutlich macht. In den vier Traktaten wird das Bedürfnis artikuliert, alle möglichen Formen der Interaktion zu regeln. Der Segen über Fremde in Brachot yT 8,9/6 macht deutlich, dass die Möglichkeit positiver Interaktion besteht. In Sanhedrin yT 3,6/13 sind die Fremden zwar nicht zu einem Segensspruch verpflichtet, aber der Segen bleibt ihnen freigestellt. Weiter ist es Fremden möglich, unter bestimmten Umständen zum Judentum zu konvertieren. Ein negatives Beispiel ist die versehentliche Tötung von Fremden. Hier kommt eine soziale Hierarchie zum Tragen, in der das Leben der Fremden zwar untergeordnet ist, der vorsätzliche Mord dennoch verboten bleibt. Ein weites Feld der Interaktion ist im Traktat Brachot das Gastmahl mit Fremden. Das Festmahl zu Ehren eines materiellen Idols, das heißt einem Fetisch, und der Segen über dieses Mahl scheinen in yT eher

24

396

Vgl. 2.3.4 An dieser Stelle war nicht eindeutig zu ermessen, ob die Anwesenheit des Fremden von Vorteil ist oder nicht. Rav meint, besser nicht mit einem Fremden zu reisen, da man auf diese Weise von der Vorsehung betroffen werden könnte.

akzeptiert als in bT.25 Daraus folgt die Reglementierung von fremden Speisen und Flüssigkeiten. In Schabbat yT 1,7/2 und bT 17b stehen die Speisegebote im Kontext möglicher Verunreinigungen. Die Speisen von Fremden sind in den meisten Fällen verboten, da sie nicht koscher sind. Eine Ausnahme bildet in yT lediglich das Brot.26 Daraus folgt ein zentraler Aspekt der Interaktion, nämlich die Unreinheit, die viele Motive der Fremdbeschreibung berührt. In Schabbat werden in diese Thematik auch die Mischehen mit Fremden einbezogen. Eine Episode in Jebamot 46a wiederholt den Zusammenhang von unreinen Speisen und Mischehen. Der zweite wichtige Aspekt ist die generelle Untauglichkeit der Fremden, die ihre Abwertung in der sozialen Hierarchie bewirkt. Die Fremden [  ] sind nicht rechtsgleich mit Israeliten, und deshalb ist die Interaktion mit ihnen von Ambivalenz geprägt. Zwar gibt es in Brachot yT 9,2/4 einen Segen, kein „Goy“ zu sein, aber zugleich zeigt eine Episode über Rabban Gamliel und die schöne Fremde [    ] eine positive Wahrnehmung fremder Frauen. Da man Fremden im allgemeinen sexuelle Unzucht und unmoralisches Verhalten unterstellt, sind Mischehen zwischen Fremden und Israeliten unerwünscht.27 Der Lehrsatz, dass das Kind aus einer solchen Beziehung ein Mischling [ ] ist, wird im Traktat Jebamot an vielen Stellen wiederholt.28 Darüber hinaus ist der Gender Aspekt dieser Debatte nicht zu unterschätzen. Vor fremden Frauen und einer Beziehung mit ihnen wird ausdrücklich gewarnt.29 Diese fremden Frauen [ ] können sowohl sozial fremd als auch ethnisch fremd sein. Die fremde Nichtjüdin wird häufig mit dem Begriff „Goya“ bezeichnet. Der sexuelle Kontakt mit Fremden ist ein wesentlicher Aspekt der Interaktion, der wegen

25 26 27 28 29

Im direkten Vergleich wurde deutlich, dass in bT strenger entschieden wird. Vgl. C. Hayes, Between the Babylonian and Palestinian Talmuds, 169-170. Vgl. yT Ber 1,7/7. Die Lebensnotwendigkeit ist der Grund, eine Speise unter diesen Umständen zu erlauben. Eine Auswahl an Beispielen sind Schab bT 56b, Jeb yT 4,11/9 und bT 35b, 76a und 61b sowie San 2,6/2 und bT 58a und 82a. Einschlägige Stellen sind Jeb yT 2,6/3 und bT 23a. Vgl. das Kapitel 3.3.2. Diese Stereotype passen gut in das Bild von Frauen, das der Talmud zeichnet. Nach M. Satlow ist diese Problematik ein Teil der Fremdbeschreibung, in dem sich Männer über das Gegenüber von Frauen stilisieren. M. Satlow, Fictional Women. A Study in Stereotypes, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture, 227-231.

397

der Unreinheit, der Untauglichkeit und nicht zuletzt wegen moralischer Unverträglichkeit verboten wird.30 Die soziale Hierarchie beruht in der rabbinischen Wahrnehmung auf der Tempelgesellschaft, die Priestern eine hervorragende Stellung einräumt. Diese Hierarchie wird in Jebamot bT 37a besonders an der Behandlung der „Gerim“ deutlich. Im allgemeinen finden sich über Proselyten positive wie negative Bemerkungen. Im Traktat Brachot ergibt sich in yT und bT kein eindeutiges Bild. In Schabbat werden die Voraussetzungen für die Konversion diskutiert, die vor allem die Beschneidung darstellt. Die Episode aus Schabbat bT 31a zeigt trotz allem eine gewisse Offenheit gegenüber Proselyten, die allerdings nicht zu einer offenen Werbung für die Konversion führt.31 Im Traktat Jebamot werden vor allem in bT die Voraussetzungen zur Konversion vorgestellt. Ausgehend von bT 46a entwickeln die Autoren Bedingungen einer Konversionszeremonie, die in yT in dieser Art fehlen. Es steht fest, dass der „Ger“ in beiden Gemarot dem Israeliten nicht gleichgestellt ist. Dafür liefert die Zeugenaussage des Proselyten ein gutes Beispiel.32 Insgesamt sind im Kontext der Konversion stets die Genealogie, die Heirat, die Beschneidung und der Status der Nachkommen von Bedeutung. Der Kommentar in bT ist wesentlich ausführlicher, wenn auch die ambivalenten Kommentare überwiegen. In yT herrscht eine ausgewogene, moderat positive Betrachtung der Proselyten vor. Insgesamt pendelt der Begriff „Ger“ zwischen der biblischen Bedeutung des Fremden und dem Proselyten.33 Auch der Umgang mit den fremden Kulten fällt in das Feld der religiösen Interaktion. Die Definition und Verurteilung des fremden Diensts ähnelt sich in allen vier Traktaten. In Brachot ist besonders das Gleichnis 30

31 32

33

398

Hier muss besonders zwischen dem Motiv der Untauglichkeit und der Unreinheit unterschieden werden. Diese Abstufung zwischen den Kategorien ist wesentlich für ein angemessenes Verständnis der rabbinischen Debatte. Dieser Unterschied zeigt sich anhand der Mischehenfrage, C. Hayes, Gentile Impurities, 157-163. M. Goodman, Mission and Conversion, 129-131. Dieses Ergebnis entspricht damit grundsätzlich der Theorie M. Goodmans. Vgl. das Kapitel 3.3.12, in dem den Proselyten die alia und die Zeugenaussage bis auf die Zivilgerichtsbarkeit verweigert werden. G. Porton, Stranger Within Your Gates, 102-103. In der Mischna sind Stellen wie mJeb 8,2 nicht zwingend ein Beleg für die Bedeutung des Proselyten, während mJeb 2,8 Proselyten thematisiert. Erst in yT wird eindeutig von der Konversion gehandelt; G. Porton, Stranger Within Your Gates, 17.

über die Wirkung der materiellen Idole in yT 9,1/15 und 9,1/32 zu beachten, die im Vergleich zum jüdischen Gott wirkungslos und sinnlos sind. In bT Schabbat wird geboten, sich von den Kulten und ihren Gerüchen fern zu halten. Die Behandlung der Idole in Schabbat überschneidet sich mit anderen Kulten wie den „emoritischen Bräuchen“ [  ], die ebenfalls verurteilt werden. In beiden Gemarot ist der Begriff „Avoda Zara“ [   ] auch ein Strafmass. Im fünften Kapitel wird die Verunreinigung durch Fetische und ihre Bruchstücke aufgeworfen. Analog wird in bT die Verunreinigung auf fremde Personen ausgedehnt, die sowohl mit „Goy“ wie mit „No ri“ bezeichnet werden.34 Das Traktat Jebamot bestätigt, dass der fremde Dienst auch ein Strafmass sein kann. Das Traktat Sanhedrin behandelt in den beiden Gemarot am ausführlichsten den fremden Dienst und seine verschiedenen Ebenen. Dem Molekhkult wird ein ganzer Abschnitt gewidmet und jegliche Interaktion verboten.35 Dabei werden verschiedene rhetorische Stilfiguren zur Auslegung des fremden Diensts herangezogen. Die Debatte über die verschiedenen Sühneopfer zeigt den rhetorischen Charakter dieser Debatte. Nicht zuletzt bezieht sich der fremde Dienst reflexiv auf Israel und kann als Entfremdung von der eigenen Kultur begriffen werden. Die dritte Kategorie betrifft die Exegese der Tora durch Zitate oder inhaltliche Motive. In den vier Traktaten ist die Exegese ein wichtige Kategorie der Fremdbeschreibung. Von allen Zitaten werden besonders häufig die Tora, die Psalmen und die Propheten für die Fremdbeschreibung angeführt. Diese Belegstellen sind entweder ein Ausgangspunkt für die Diskussion oder unterstützen eine bestimmte Meinung.36 Die Gesetzgebung der Tora bildet die Kontrastfolie der Gemara. Wie die einzelnen Traktate verdeutlichen, wird diese Gesetzgebung im Fall des „Goy“ und „Ger“ weiter differenziert. Die prophetische Literatur enthält Bemerkungen zu fremden Personen und ihren Kulten, die wegen ihrer eschatologischen Bedeutung von den Rabbinen bevorzugt zitiert werden. Besonders die Propheten 34

35

36

Es bleibt zu bemerken, dass in diesem Fall die Fremden nicht „wie physischer Ausfluss“ verunreinigen, sondern konkret durch Berührung. Vgl. dazu C. Hayes und die Diskussion der Verunreinigung; Dies., Gentile Impurities, 124-126. Der Molekhkult stammt aus der Tora (u.a. Lev 20,2) und bezeichnet einen fremden Kult, der schwer zu rekonstruieren ist. Vgl. J. Milgrom, The Anchor Bible. Leviticus 17-22, 1738. Aus der Tora werden va. die Bücher Levitikus, Nummeri und Deuteronomium herangezogen. Für haggadische Episoden werden dagegen eher die Psalmen oder die Propheten verwendet.

399

Jeremia und Jesaja, aber auch kleinere Werke wie Hosea oder Jona, werden herangezogen.37 Ein Beispiel für die Imitation der prophetischen Sprache ist der Segen über Jerusalem in Brachot yT 4,3/12.38 Auch in Brachot wird die Fremdbeschreibung im ersten Kapitel durch Torazitate unterstützt. Das fünfte Kapitel bietet ein Beispiel für eine haggadische Auslegung der Fremdbeschreibung. Die Figur Gerschom aus Richter 18,30 wird als Diener der fremden Kulte interpretiert, und sprengt damit den Rahmen der ursprünglichen Geschichte. Im Traktat Schabbat wird die halachische Kontroverse mit Schriftbelegen aus der biblischen Literatur unterlegt, wie das Kapitel 2.3.5 über den fremden Dienst zeigt. Aus der Vorlage der Mischna und der Tora wird ein neuer Inhalt geformt, was als eigenständige rabbinische Rhetorik verstanden werden kann. In bT 56b ist König Salomo ein schlechtes Vorbild, da er sich laut der Tora mit fremden Frauen liiert. Auch in Jebamot bT 24b und 76b wird die Figur Salomos für die Debatte über Mischehen herangezogen.39 Besonders im Traktat Jebamot wird die Exegese als Unterstützung der Halacha herangezogen. Die Debatte in yT 7,5/3 und bT 68a veranschaulicht dieses Vorgehen. Nach Deuteronomium 23,4 dürfen keine männlichen Ammoniter in die Gemeinschaft Israels aufgenommen werden, was zu der Frage führt, ob davon die Ammoniterinnen betroffen sind. Durch die Rhetorik, die besonders die Tauglichkeit in den Mittelpunkt stellt, lässt sich der soziale Status der Ehepartner vergleichen.40 Im Traktat Sanhedrin wird die Exegese sowohl als Legitimation als auch für Beispiele verwendet. Die Kommentare über Proselyten konzen37

38 39

40

400

Die Verwendung prophetischer Literatur in der Fremdbeschreibung ist wohl durch eine bewusste inhaltliche Nähe zu verstehen. Deshalb sind für die Fremdbeschreibung keineswegs der ganze Tanach, sondern nur bestimmte Teile von Interesse; S. Stern, Jewish Identity in Early Rabbinic Writings, 74-76. Vgl. Ber yT 4,3/12. Die Verwendung der Begriffe „  “ und „   “ deutet auf diese Imitation hin. David und Salomo scheinen die beliebtesten Figuren der Exegese zu sein, siehe G. Oberhänsli-Widmer, Biblische Figuren in der rabbinischen Literatur, 36-41. Auch die Figuren Noah und Adam, die in dieser Arbeit besonders thematisiert werden, sind Teil der Fremdbeschreibung. Diese Rhetorik der Tauglichkeit stützt sich auf immer wiederkehrende Motive und Figuren, die besonders die Tauglichkeit von Ehepartnern unter verschiedenen Gesichtspunkten analysiert. Sie unterstützt eine bestimmte Gesellschaftsvorstellung und zeigt nicht zuletzt die Bemühung, die Tora mit der Mischna zu versöhnen. Vgl. A. Goldschmidt, Die Schrift der rabbinischen Schriftausleger, in: Rabbinische Texte als Gegenstand der Auslegung, 232-233.

trieren sich in Sanhedrin auf verschiedene symbolische Vorbilder wie die Figur Antolinus.41 Die Belegstelle bT 96b zählt die Genealogie der Proselyten auf, zu der Naaman, Nabuzaradan und nicht zuletzt Shemaya und Avolion gehören.42 Die Verurteilung des Lügenpropheten und des Molekhkults aus der Mischna werden mit Torastellen wie Levitikus 20,2 erklärt. Das gesamte letzte Kapitel in Sanhedrin widmet sich der Fremdbeschreibung im Kontext der Tora. Dort werden biblische Figuren wie Ahab mit dem fremden Dienst in Zusammenhang gebracht. In yT wird erneut die Geschichte um Gerschom aus yT Brachot aufgenommen, die allerdings auf den Priester Yonatan zugeschnitten ist. Sogar König David wird des fremden Diensts bezichtigt. Die Figuren scheinen jeweils nur eine Kontrastfolie für den Inhalt zu sein. Im Fall der Könige David und Salomo werden bekannte Figuren gewählt, die mit ihren Handlungen ein praktisches Beispiel geben. Das schlechte Handeln der biblischen Figuren wird als Grund für das Exil Israels gewertet.43 Im ganzen ergeben sich zwischen yT und bT nur graduelle Unterschiede, die auch die formale Differenz der Gemarot spiegeln. Insgesamt scheint es sich in vielen Fällen um eine Entwicklung der Motive zu handeln. Die Diskussion der inhaltlichen Motive zeigt, dass die Kategorien der Nutznießung und der Interaktion in der Fremdbeschreibung überwiegen. Die Exegese der Tora ist deutlich seltener anzutreffen. Problematisch ist, dass die Grenzen zwischen diesen Motiven fließend sind, was die Rekonstruktion der historischen Wahrnehmung schwierig macht. Dazu gibt es ein kleines Repertoire an Fällen, die in den vier Traktaten wiederholt werden.44 Nach diesem Vergleich der literarischen Motive folgt ein Vergleich der drei Kategorien „der, die, das Fremde“ und eine abschließende Bewertung des Wortfelds zu „Goy“, „Ger“, „No ri“ und „Zar“. „Der Fremde“ ist die 41 42

43 44

Vgl. die ausführliche Analyse von S. J. D. Cohen, The Conversion of Antoninus, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture, 168-171. Die beste Analyse dieser haggadischen Motive bietet B. Bamberger, Proselytism in the Talmudic Period, 174-259. Fragwürdig an dieser umfassenden Sammlung an Motiven ist lediglich die Einteilung in biblische und historische Motive. Ob eine Figur wie Antolinus ein historisches Vorbild hat, muss wohl offen bleiben. Ein Beispiel bietet Schab bT 56b. Dort wird argumentiert, dass auf die „Avoda Zara“ Exil und Verbannung für Israel folgen. Dazu gehören die Episode über Gershom, den Diener der fremden Kulte; das Tragen des Geldbeutels am Schabbat durch einen Fremden; das Feuerlöschen durch Fremde; das Abheben der Hebe durch einen Fremden; das Gebet vor einem nackten Fremden; und zum fremden Dienst von Fremden gezwungen werden.

401

Figur, der nicht nur alle vier Begriffe entsprechen, sondern auch am häufigsten erwähnt wird. Der wichtigste Terminus ist „Goy“, der wegen der allgemeinen Bedeutung in fast allen Kontexten, ob sie auf Nutznießung, Interaktion oder Exegese beruhen, herangezogen wird. Der Begriff „Goy“ lässt sich mit „der Fremde“ treffend übersetzen, weil damit die allgemeine Bedeutung zum Ausdruck kommt. Eine weitere Ebene des Begriffs „Goy“ ist die biblische Bezeichnung für Israel, wie vor allem im ersten Kapitel zum Trakat Brachot deutlich wird.45 In dieses Umfeld fallen alle weiteren Begriffe, die fremde Personen bezeichnen.46 Nicht zuletzt gehört zu dieser Gruppe auch der Begriff „No ri“, der seine Bedeutung und Verwendung in den meisten Fällen aus der Mischna bezieht.47 Da dieser Begriff durch eine spezifische Verwendung geprägt ist, die nicht immer nachvollziehbar ist, bietet sich die Übersetzung „Nichtjude“ an, denn meist bildet dieser Begriff eine religiöse Antithese zu Israel. Der weibliche Begriff „No rit“ im Traktat Jebamot muss dagegen mit „die Clanfremde“ übertragen werden, da die soziale Fremdheit ausgedrückt werden soll. Gerade die verschiedenen Bedeutungsebenen dieses Begriffs müssen je nach Belegstelle situativ entschieden werden. Dagegen ist die Übertragung des „Zar“ als „Nichtpriester“ in allen Belegstellen relativ eindeutig. Die Bedeutung dieses Begriffs beruht auf der Gegenüberstellung von Priestern und Laien und impliziert eine soziale Hierarchie. Nur selten wird auf die biblische Bedeutung zurückgegriffen. Die Ambivalenz des Begriffs „Ger“ liegt in der Deutung des Begriffs als „der Fremde“ und „der Proselyt.“ Die gesamte Problematik der Genealogie, die besonders im Traktat Jebamot hervortritt, changiert zwischen dem Fremden und dem Proselyten. Darüber hinaus kann der Begriff nur als „der Fremde“ aufgefasst werden, wie Brachot bT 63b zeigt. Auch für den weiblichen Begriff [ ] besteht diese Ambivalenz. Diese Begriffe für die personale Fremdheit sind durch eine starke Ambivalenz zwischen Integration und Exklusivität gekennzeichnet. Zu „die Fremde“, die Kategorie der räumlichen Fremdbeschreibung, lassen sich in allen Traktaten Belegstellen finden. Anhand der fremden 45 46

47

402

Im Kapitel 1.3.1 zum Traktat Brachot zeigt sich die Durchlässigkeit am Begriff „Goy“, der für Israel und für Fremde verwendet wird. Dazu gehören die Begriffe   ,,  ,    . Die Kapitel 1.3.1, 2.3.7, 3.3.12, 4.3.9 zeigen die ambivalente Verwendung von Begriffen. An diesen Stellen werden diese Begriffe als Synonyme verwendet. Wie die Verteilung des Begriffs „No ri“ in den Tabellen zeigt, wird dieser Begriff vordringlich in der Mischna verwendet.

Räumlichkeit kommt die Distanz gegenüber Fremden zum Ausdruck. Im Traktat Brachot bilden in yT und bT eigene und fremde Orte einen Kontrast, wie das Beispiel Jerusalems in yT 4,3/12 und die Wohnorte der Fremden in bT 53a verdeutlichen. Diese fremden Orte, die auch eine Badeanstalt oder ein Markt sein können, werden in Schabbat weiter thematisiert. Die Distanz zu Fremden an einem Feiertag ist entscheidend, da die Nähe zu Idolen und fremden Kulten eine verunreinigende Wirkung haben kann.48 In Jebamot haben das In- und Ausland in Bezug auf die Konversion und die Zeugenaussage einen besonderen Stellenwert. Auch dort besteht ein Kontrast zwischen Israel und der Fremde, der sich besonders in Jebamot bT 47a anhand der Zeugenschaft der Proselyten zeigt. Dabei macht die räumliche Nähe zu Israel einen wesentlichen Unterschied.49 Auch der Übergriff der Fremden auf das Land Israel ist ein räumliches Motiv. In Sanhedrin yT 1,2/49 und bT 16b wird die Integrität des Landes Israel bestätigt. Gerade die Verunreinigung des Landes durch die fremden Kulte ist eine wesentliche Gefahr.50 Insgesamt zeigt sich in Bezug auf die Kategorie „die Fremde,“ dass der sakrosankte Status Israels durch fremde Personen und Kulte in Gefahr ist. Während die Grenze zu fremden Personen durchlässiger ist, besteht eine deutliche Antithese zwischen In- und Ausland, obwohl fremde Orte bekannt sind und frequentiert werden. Am stärksten ist die Antithese zu fremden Kulten ausgeprägt, die durch die Kategorie „das Fremde“ symbolisiert wird. Hier steht der Gott Israels konträr zum fremden Dienst. Bemerkenswert ist die klare Abgrenzung der fremden Dienste gegen den eigenen Kult und die Tradition.51 In den Traktaten werden der fremde Dienst und die fremden Idole aus verschiedenen Gründen verworfen. Ein Grund in Brachot yT 9,1/32 ist die Wirkungslosigkeit der Idole. Gegen den jüdischen Glauben und den jüdischen Gott sind alle fremden Kulte machtlos, wie Sanhedrin yT 10,2/2 und weitere Stellen im Anschluss zeigen. 48

49 50 51

Diese Unreinheit besteht nur in einem Vergleich, da der Fremde sich nicht wie ein Israelit verunreinigen kann: „When the Rabbis assert that Gentiles defile like zavim in every respect, it might be supposed that Gentiles are to be treated as if they defile by various modes of defilement [...].“ C. Hayes, Gentile Impurities, 124. M. Goodman, Mission and Conversion, 137. Die Ausrottung des fremden Diensts aus dem Land Israel wird besonders im Kapitel 1.3.3 abgehandelt. Diese Antithese wird durch die reflexive Bedeutung der „Avoda Zara“ begünstigt, die sich auf ein Fehlverhalten Israels bezieht.

403

Ursächlich für die Ablehnung ist die Verunreinigung, die besonders im Traktat Schabbat thematisiert wird. Der Distanz zu den Idolen folgt eine Befremdung, die durch den Befehl „Geh hinaus“ [   ] konkretisiert wird. In diesem Zusammenhang steht die räumliche Distanz, die bereits in „die Fremde“ thematisiert wurde. So geht die Definition des fremden Diensts stets von einem fremden Kult aus, also einer Handlung für eine nicht näher spezifizierte Religionsgemeinschaft. Ob diese Gemeinschaft im griechisch-römischen Kontext angesiedelt ist, bleibt offen.52 Beispiele sind die Heilung durch diese Kulte oder die Beschwörung bestimmter Mächte.53 Der Proselyt muss vor seinem Übertritt diesen Kulten entsagen, wie in Jebamot yT 8,1/10 festgehalten wird. Insofern ist die Übersetzung des Begriffs „Avoda Zara“ als „der fremde Dienst“ zutreffend, da die Handlungen eine beachtliche Differenz des Glauben darstellt, ohne auf einen bestimmten Kult hinzuweisen. Weiter wird dieser Begriff auch als Strafmass verstanden, wie die Traktate Schabbat, Jebamot und Sanhedrin zeigen. Auch dort ist dieser Begriff der abstrakte „fremde Kult“, der sich an den Vorgaben der Tora orientiert.54 Dieser Begriff lässt sich mit anderen Übertretungen in Analogie setzen. Das Vergehen des fremden Diensts ist die Entfremdung von der Gemeinschaft Israels schlechthin.55 Zum Abschluss des Vergleichs soll die Darstellung von „der, die, das Fremde“ charakterisiert werden. Das Traktat Brachot konzentriert sich stark auf die Beschreibung von fremden Personen und ihren Kulten. Insgesamt sind die positiven und negativen Bemerkungen ausgeglichen. Im Traktat Schabbat werden fremde Personen beschrieben, die in diesem Fall häufig „Gerim“ sind. Der fremde Kult wird als Quelle der Verunreinigung und als Strafmaß betrachtet. Das Traktat Jebamot, das von Clanfremden und ethnischen Fremden handelt, diskutiert die Nähe und Distanz zu Proselyten. Die Facetten der sozialen Fremdheit stützen die priesterliche Hierarchie. In Sanhedrin wird die Bedeutung der fremden Kulte für das rabbinische Rechtssystem verhandelt. Während in yT die Ablehnung undurchdringlich scheint, wird in bT das Strafmaß der Kulte zum Teil erleichtert und modifiziert. Dabei ist die Exegese für die Fremdbeschreibung von wesentlicher Bedeutung. 52 53 54 55

404

Hier zufolge J. Neusner, A History of the Jews in Babylonia, Vol IV, 58. Hier sind die „  “ zu nennen, die in Kapitel 2.3.4 erwähnt werden. Die Rabbinen entwickeln dabei aus der Exegese eigene Konzepte der „Avoda Zara“; R. Goldenberg, The Nations That Know Thee Not, 87. O. Schatz, Entfremdung als anthropologisches Problem, in: H. H. Schrey, Entfremdung, 129.

IV. Von der Beschreibung zur Wahrnehmung: Eine Zusammenfassung

Die Fremdbeschreibung in der rabbinischen Literatur ist längst nicht nur ein wissenschaftliches Thema, sondern seit vielen Jahrhunderten von Polemik geprägt. Seit jeher ist besonders der Talmud Anschuldigen der Xenophobie und der Christenfeindlichkeit ausgesetzt gewesen.1 Der Aufsatz des Tübinger Theologen Gerhard Kittel wiederholt stellvertretend die wesentlichen Anschuldigen: Es ist in der Tat kein Zweifel möglich, dass hier [im Talmud] vielfach ein abgrundtiefer Hass gegen Nichtjuden zum Ausdruck kommt, und dass daraus auch alle Konsequenzen gezogen werden, bis hin zur Freiheit der Tötung; etwa wenn es heißen kann: Sogar den besten unter den Gojim darfst du töten; auch der besten unter den Schlangen sollst du das Gehirn zertreten [hier zit. nach Mekhilta Ex 14,7].2

Der häufigste Vorwurf gegen die rabbinische Literatur ist die Fremdenfeindlichkeit. Doch gerade das Postulat einer eindeutigen Antithese von Juden und Fremden ist schlicht falsch. Weder ist die Fremdbeschreibung auf wenige Begriffe festgelegt, noch werden die Nichtjuden zu einem Objekt degradiert und unmenschlich behandelt. Anhand der Ergebnisse dieser vorliegenden Studie, die nur einen Ausschnitt der rabbinischen Literatur auswerten konnte, lassen sich diese Vorwürfe entkräften. Die Fremdbeschreibung des Talmud ist weder dezidiert fremdenfeindlich noch „von einem 1

2

Bekannte Beispiele dafür sind der Reuchlin-Pfefferkorn Streit oder die Schriften des Orientalisten Johann Andreas Eisenmenger. Die Talmudverbrennungen und Zensuren stehen in direktem Zusammenhang zu diesem Verhalten. G. Kittel, Die Behandlung des Nichtjuden nach dem Talmud, 7. Gerade die theologische und orientalistische Forschung hat sich häufig durch Vorurteile und Ablehnung der rabbinischen Literatur ausgezeichnet. Zu dieser Tätigkeit vgl. P. v. Papen, Schützenhilfe nationalsozialistischer Judenpolitik. Die Judenforschung des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland 1935-1945, in: Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust 1998/99, Darmstadt 1999, S. 17-42. Hier wird die Geschichte des Reichsinstituts kurz geschildert und auch Gerhard Kittel erwähnt; 30,33.

405

abgrundtiefen Hass geprägt“3; vor allem, wenn auf die gesamte Bandbreite der rabbinischen Literatur Bezug genommen wird. Insgesamt liegt eine gemäßigte und ausgewogene Fremdbeschreibung vor, die häufig moderatere Töne anschlägt als die zeitgenössische römische oder griechische Literatur.4 Da die Exegese selektiver Belegstellen nur die emotionale Voreingenommenheit bestätigt, können die Ergebnisse Kittels mit gutem Gewissen verworfen werden. In diesem abschließenden Kapitel soll nun ein Überblick über die Ergebnisse der vorliegenden Studie gegeben werden. Wie die Beschreibung von „der, die, das Fremde“ mit der historischen Erfahrung von Fremden und ihren fremden Kulten zusammenhängt, soll ausgebreitet werden. Bereits in der Einleitung wurde die Darstellung des Fremden von der Fremderfahrung geschieden, um die Beschreibung von der Wahrnehmung zu unterscheiden. Im Verlauf dieser Arbeit sollte aus der Fremdbeschreibung die Wahrnehmung der Fremden rekonstruiert werden, wobei die Beschreibung an die Aussagen der Quellen gebunden bleibt. Inwiefern die Fremdbeschreibung über die Wahrnehmung einer historischen Situation Auskunft gibt, kann nur spezifisch entschieden werden. Welchen Stellenwert die „praktische“ Seite der Fremdbeschreibung hat und wie sich die Beschreibung und die Erfahrung verbinden lassen, soll abschließend geklärt werden. Im Vergleich der Fremdbeschreibung kommt eine Vielfalt an Motiven zum Vorschein, die im Zusammenhang mit der Fremderfahrung stehen. Zuerst soll zur Terminologie der Fremdbeschreibung und ihrer historischen Aussagekraft Stellung bezogen werden. Gerade an den drei Kategorien „der, die, das Fremde“ zeigt sich zumindest eine einseitige Wahrnehmung der fremden Personen, ihrer Orte und Kulte.5 Die fremde Person ist für den Zusammenhang von Beschreibung und Fremderfahrung ein wesentlicher Anhaltspunkt, da davon ausgegangen werden muss, dass fremde Personen 3 4

5

406

Ebend., 9-11. Dazu R. Loewe, Gentiles as Seen by Jews after CE 70, in: W. Horbury, The Cambridge History of Judaism, 266: „The Jewish attitude to Gentiles after CE 70, and indeed throughout Jewish history until the rise of emancipation and secularism in modern times, has been a guarded one; but it was an attitude resting upon axioms regarding the nature and the purpose of God, both in creation and in the election of Israel, that render it, despite appearances, essentially positive.“ „Outsiders may been uncertain whether any particular individual should be considered a Jew, but the individual himself would always know whether he was bound by the covenant between God and Israel.“ Nach M. Goodman, Jews and Judaism in the Mediterranean Diaspora in the Late-Roman Period: The Limitations of Evidence, in: Bakhos, Carol, Ancient Judaism in its Hellenistic Context, 186.

die Darstellung wesentlich beeinflusst haben.6 Die Diversifikation der Menschheit in verschiedene Gruppen und Kulte ist in der Wahrnehmung der Rabbinen fest verankert.7 Auf diese Weise bestimmen verschiedene Ethnien und Gruppen von Menschen das Weltbild der Rabbinen. Die Belegstelle Schabbat bT 31a zeigt die Wahrnehmung verschiedenartiger Menschen. Die Menschheit, die im jüdischen Umfeld aus einer Vielzahl an Gemeinschaften und Glaubensrichtungen besteht, wird dementsprechend wahrgenommen.8 Allerdings ist das Aussehen von Juden und Fremden so ähnlich, dass Missverständnisse auftreten können. Die Belegstelle in Brachot bT 20a zeigt diese Verwechslungsgefahr.9 Die vielfältige Terminologie der Fremdbeschreibung in der rabbinischen Literatur ist einer Kontinuität der Begriffe geschuldet. Basierend auf den biblischen Begriffen werden allerdings eigene Ausdrucksformen gefunden und neue rhetorische Konzepte entwickelt. Diese Entwicklung ist eine historische Folge der Interaktion mit der griechischen und römischen Kultur, die seit dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert die Kultur Israels wesentlich beeinflusste.10 Auch die Sprache der rabbinischen Literatur ist geprägt von griechischen Lehnworten, die im Kontext griechisch-römischer Kultur steht.11 Offenbar wird sogar ein griechisches Wort für Synagoge [  ] verwendet.12 So soll wohl die Terminologie der Fremdbeschreibung, die im Fall der vier Grundbegriffe auf die biblische Sprache zurückgeht, nach aussen Distanz gewähren und nach innen die eigene Kultur schützen. Wesentlich ist, dass die Begriffe auf praktische Sachverhalte deuten, wie beispielsweise das Thema der Konversion. Die Terminologie pendelt auf diese Weise zwischen der Toleranz gegenüber Fremden, die Proselyten 6

7 8 9 10 11 12

Eine Beschreibung von Fremden, die nur auf der Exegese beruht, scheint unrealistisch. Sowohl die Kategorien der Nutznießung wie der Interaktion verweisen auf das Gegenteil. Es ist vielmehr die Frage, inwieweit die Fremdbeschreibung auf der Wahrnehmung beruht. G. Porton veranschlagt dafür lediglich ein Drittel aller Stellen in der Mischna-Tosefta; Ders., Goyim, 285. Vgl. die Belegstelle in yT Ber 9,2/6 in Kap. 1.3.4. Dort werden physische Unterschiede zwischen Menschen konstatiert. Auf der anderen Seite gibt es auch eine ausgeprägte Wahrnehmung der Israeliten, die in verschiedene Kategorien wie „“ oder „ “ eingeteilt werden. Dort bedrängt ein Rabbine eine fremde Frau in der Annahme, sie sei eine Israelitin; vgl. S. J. D. Cohen, The Beginnings of Jewishness, 66-68. E. Gruen, Heritage and Hellenism. The Reinvention of Jewish Tradition, 246-291. S. Lieberman, Greek in Jewish Palesine, 15-28. Vgl. Schabbat bT 32a, S. 124 in Kap. 2.3.4.

407

werden, und dem feindlichen Einfluss von Fremden. Da die „Gerim“ auch Fremde sind, kann auf ihre ambivalente Position in der Gesellschaft geschlossen werden. Die sukzessive Entwicklung eines Konversionsrituals veranschaulicht, dass keineswegs durchgehend von einer Missionsbewegung gesprochen werden kann. Vielmehr deutet die Beschreibung auf eine gewisse Anzahl von Fällen hin, die in yT keineswegs einheitlich entschieden werden. Gerade vor dem Hintergrund einer priesterlichen Gesellschaft, die auf der Genealogie beruht, ist die Aufnahme von Proselyten problematisch.13 Die Belegstelle in bT Schabbat 146a zeigt exemplarisch, dass die Eingliederung von Proselyten nicht nur ein praktisches, sondern auch ein theologisches Problem ist. Die Debatte um sexuelle Kontakte gibt einen Hinweis auf die praktischen Folgen. Das Verbot der Mischehe resultiert aus dem unklaren Status der Kinder, die nicht eindeutig in die Gemeinschaft Israels eingeordnet werden können. Da Israel kein Territorium hat, sind Mischehen potentiell bedrohlich. Insgesamt zeigt die Häufigkeit dieses Motivs, dass wohl nicht von einem gänzlich unbedeutenden Sachverhalt die Rede ist. Auch aus diesem Grund kann nicht von einer ausgeprägten Konversionsbewegung gesprochen werden.14 Die distanzierte Wahrnehmung der Fremden, die Nichtjuden sind, trifft auf die Mehrzahl der Belegstellen zu. Doch die negative Wahnehmung der Fremden überwiegt nur auf den ersten Blick. In der jüdischen Geschichte scheint es genügend schlechte Erfahrungen gegeben zu haben, um ein Feindbild zu konstruieren und aus der historischen Erfahrung lässt sich sicher manches Vorurteil erklären.15 Die Beschreibung von Fremden direkt an die historische Erfahrung zu binden, ist dennoch problematisch, da nur manche Belegstellen negativ sind.16 Weiterhin werden keine konkreten Individuen mit den Begriffen „Goy“ oder „Nori“ bezeichnet, sondern ein Konzept, das in vielen Fällen eine kulturelle Antithese darstellt. Insgesamt 13 14

15

16

408

Deshalb wird dem Proselyten auch gelegentlich der Status eines Neugeborenen verliehen. Vgl. B. Bamberger, Proselytism in the Talmudic Period, 63. Insofern unterstützt diese Arbeit die These M. Goodmans, Mission and Conversion, 129-153, dass eine offensichtliche Ambivalenz gegenüber der Konversion besteht. Diese Ambivalenz zeigt sich jedoch nicht nur an Begriffen wie „  “, sondern auch am Begriff „Ger“ selbst. M. Guttmann, Das Judentum und seine Umwelt, 101 F1. J. S. Raisin, Gentile Reactions to Jewish Ideals, 207. Beide Autoren sehen hier die negative Erfahrung als Auslöser für solche Belegstellen. Ein Beispiel dafür ist die Meinung R. Helbos, der die „“ mit einem Ausschlag vergleicht; siehe Jeb bT 109b in Kap. 3.3.12.

besteht wohl eine Verbindung zwischen der historischen Erfahrung der Zerstörung des Tempels und der Fremdbeschreibung.17 Die Belegstelle in Brachot yT 4,3/12 veranschaulicht den Zusammenhang zwischen der Zerstörung des Tempels und den Fremden. Auch die Beschreibung der Fremden, die das Land Israel bedrohen, ist ein Indiz. Allerdings sind Fremde nicht zwingend bösartig. Der Respekt gegenüber Fremden ist für die Rabbinen das Ziel der gegenseitigen Wahrnehmung, wie der Segen über Fremde in Brachot yT 8,9/6 und die Bekehrung von Fremden am Schabbat bT 31a veranschaulichen. Wenn dieser gegenseitige Respekt aber fehlt, kann die jüdische Seite ihre Feinde kaum zum Respekt zwingen.18 Die stereotype Darstellung abstrahiert nicht zuletzt von der Wahrnehmung der römischen oder babylonischen Fremden. Gerade anhand des Traktats Jebamot zeigt sich, dass die Fremdbeschreibung eine reflexive Note hat. Die Fremdbeschreibung in der rabbinischen Literatur konzentriert sich eben nicht nur auf äußere Fremde, sondern impliziert auch eine gesellschaftliche Hierarchie. Diese innere und äußere Fremdheit kommt im Fall der Clanfremdheit zum Ausdruck und zeigt das breite Spektrum der Terminologie. Auf diese Weise gibt es einen starken Unterschied zwischen der sozialen Fremdheit und den äußeren Feinden.19 Auch im Traktat Sanhedrin kommt die reflexive Bedeutung der Fremdheit zum Tragen. Fremde stehen in einem definierten Zusammenhang mit Israel, als ob sie unverzichtbar für die Abgrenzung der eigenen Kultur sind. Das Traktat Avoda Sara mit seiner starken Konzentration auf fremde Kulte berichtet von dieser reflexiven Wahrnehmung fremder Kulte.20 Darüber hinaus gibt es auch in yT und bT Anzeichen dafür, dass die jüdische Mehrheit ein nahes Verhältnis zu Fremden und ihren Kulten pflegt. Das Gastmahl und die Beschreibung der Idole im Traktat Brachot und die Belegstellen in Schabbat yT 6,1/10 und bT 32a können nicht als direkte 17 18

19 20

Dieser Bruch hat nicht ohne Grund weitreichende Auswirkungen auf das Judentum, wie u.a. S. Schwartz meint; Ders. Imperialism and Jewish Society, 103-105. Vgl. M. Goodman, Mission and Conversion, 114-116. Gerade die kulturelle Differenz als „Avoda Zara“ wird zur wesentlichen Hemmschwelle in der rabbinischen Literatur. Diese Einteilung stützt sich auf die Definition der Begriffe „Nori“ und „Ger“ von M. Guttmann, Das Judentum und seine Umwelt, 20-65. Vgl. das yT und bT A“Z . Dabei ist die Erklärung, dass diese Kulte lediglich aus moralischen Gründen verurteilt werden, fragwürdig. Dagegen ist mit R. Goldenberg, The Nations That Know Thee Not, 90, anzunehmen, dass die Darstellung der fremden Kulte in der biblischen Literatur ein Ausgangspunkt der Fremdbeschreibung ist.

409

Beweise für Kontakte gelten, aber weisen zumindest auf einen räumlichen Kontakt hin. Mindestens wird die Anwesenheit von Fremden in die eigenen Überlegungen einbezogen. Gerade der Zusammenhang zwischen dem Festtag Schabbat und den Fremden zeigt einen gewissen Kontakt, der über die Regelung der gemeinsamen Arbeit hinausgeht. Die spätere Entwicklung des „Shabbes Goy“ belegt zumindest, dass diese Gebote praktische Folgen hatten.21 Nach J. Katz besteht gerade in der Ambivalenz dieser Regelung ein Beleg für den Wandel des jüdischen Lebensumfelds. Doch die Abgrenzung gegen Fremde lässt sich nicht allein aus der Begriffsgeschichte erklären. So ist das stärkste Argument gegen die solipsistische Fremdbeschreibung die ambivalente Reglementierung der Arbeit am Schabbat.22 Die permanente Abgrenzung gegen fremde Kulte im Zusammenhang mit Märkten und Gastmahlen ist ohne die Erklärung einer gewissen räumlichen Nähe kaum verständlich. Sacha Stern argumentiert dafür, dass die fremden Kulte keine direkte Bedeutung für die rabbinische Epoche gehabt hätten.23 Weshalb der fremde Dienst nicht ausschließlich ein Rechtsterminus ist, sondern auch eine konkrete Quelle der Verunreinigung sein kann, ist damit kaum zu erklären.24 Immerhin können materielle Idole auch Israeliten gehören, wie Brachot yT 8,7/5 zeigt. Demgegenüber scheint es gewagt, eine konkrete Verbindung zwischen den römischen Göttern und dem fremden Dienst herzustellen. Die erwähnten Namen römischer Gottheiten verweisen allerdings auf eine gewisse Wahrnehmung. Ob man allerdings wie E. Friedheim daraus in allen Fällen die Wahrnehmung rekonstruieren kann, scheint problematisch.25 Schließlich bedeutet die Kenntnis einer Sache noch nicht deren direkte Abbildung. Der Zusammenhang zwischen den historischen Kulten und der Beschreibung ist keinesfalls immer eindeutig.26

21 22 23 24

25

26

410

J. Katz, The Shabbes Goy, 217-225. S. Stern, Jewish Identity in Early Rabbinic Writings, 257. Ders., aaO., 28: „This implies that denial of avodah zara is constitutive of Jewish identity.“ M. Goodman, Mission and Conversion, 112. Diese Regeln betreffen die Fremden in der rabbinischen Zeit, was allerdings nicht bedeutet, dass die „Avoda Zara“ stets ein konkretes Idol sein muss. E. Friedheim, Paganisme et Rabbinisme, 161-162: „Il est logique de supposer que les Sages de la Mishna et du Talmud avaient essentiellement connaissance des cultes qui furent observés dans leur entourage immédiat.“ M. Hadas-Lebel auf, Jérusalem contre Rome, 309.

Weniger das Aussehen macht eine Person zum Fremden, als aktive Handlungen und Bräuche. Die rabbinische Literatur reflektiert die Tempelgesellschaft; und so ist die Wahrnehmung der Autoren grundsätzlich an der Tradition ausgerichtet, wenn sich auch der Prozess der Ablösung von traditionellen Strukturen zeigt. Spätestens mit dem rabbinischen Judentum sind die Grenzen für Proselyten geöffnet und erlauben einen Übertritt von rechtgläubigen Fremden. So entspricht die Ambivalenz zwischen dem Priestersystem und einer neuen, flachen Hierarchie dem historischen Übergang von der Gesellschaft des zweiten Tempels zum rabbinischen Judentum.27 Die Grenzkonzepte wie die Zeremonie der Konversion sind als theoretische und rhetorische Übungen zu verstehen, die biblische Fremdbeschreibung an eine veränderte Realität anzupassen. Diese kontinuierliche Entwicklung lässt sich in einer Graphik darstellen, in der die graduelle Steigerung der Begriffe und ihre Zusammenhänge deutlich werden. Das erste Bild zeichnet ein vereinfachtes Bild der Priestergesellschaft, wie sie der Tora entspricht:

Abb. 1: Die soziale Hierarchie der Tora 27

Dieser Übergang, der die Frage nach der Kontinuität jüdischer Geschichte in der Antike impliziert, kann anhand der Arbeit von S. Schwartz nachvollzogen werden. So besteht die Frage, was die jüdische Gesellschaft nach den zwei großen Kriegen verbindet: „Indeed, if there was anything at all holding Palestinian Jewish Society together, it may have been no more than an attenuated sense of a common past, a mild feeling of separation of their neighbors that the latter, who had shared memories of their own, may have conspired to maintain.“ Ders., Imperialism and Jewish Society, 103.

411

Abb. 2: Die rabbinische Gesellschaftsvorstellung Die zweite Abbildung deutet mit einer dynamischen Struktur an, dass zwischen den Kasten der Priester, der Israeliten und der Fremden fließende Übergänge bestehen. Dafür stehen die verschiedenen Begriffe und eine Terminologie, die in der Rhetorik der rabbinischen Literatur absichtlich doppeldeutig ausgelegt werden. In diesem Schaubild wird nicht weiter zwischen yT und bT unterschieden. Es ist erstaunlich, dass sich die jüdische Beschreibung von Fremden in Israel um 135 n. Chr. und in Babylon um 500 n. Chr. nur graduell unterscheiden. In bT scheint der Regelungsbedarf der Interaktion größer zu sein, aber die Kontinuität der Begriffe sorgt dennoch für eine einheitliche Fremdbeschreibung. Die Aufnahme und die Behandlung der Proselyten ist in bT allerdings wesentlich weiter entwickelt.28 Obwohl unterschiedliche Verhältnisse herrschen, ist die Wahrnehmung der Fremden ähnlich. Die eigentliche Entwicklung der Fremdbeschreibung liegt in der sukzessiven Reformierung der Reinheitsgebote, der Ehegesetzgebung und der priesterlichen Genealogie, mit der die Autoren der rabbinischen Literatur langsam aus dem alten Israel das Judentum formen. In vielen Fällen scheint yT zwar stärker in Kontakt mit der fremden Umwelt zu stehen, aber der biblischen Priestergesellschaft mehr zu entsprechen. Insofern sind die

28

412

Dies belegt detailliert J. Kulp, The Participation of a Court in the Jewish Conversion Process, in: JQR 94, 2004, 469-470.

Mischna, yT und bT als Etappen einer kontinuierlichen Veränderung zu bewerten. Insgesamt bildet die Terminologie historische Umstände ab und lässt sich für konkrete Aussagen über das Umfeld verwenden. Dies ist jedoch nicht im Einzelfall, sondern nur durch die Auswertung der Traktate möglich. Gerade der Begriff „Israel“ steht in Differenz zu den Fremden [ ], aber „Israel“ steht in gleicher Weise im Kontrast zu den Priestern. Deshalb ist Israel von einer sozialen Hierarchie getragen. Zweifellos nehmen die Rabbinen auch auf konkrete Fremde und ihre Kulte sowie fremde Orte Bezug, auch wenn sie diese nicht spezifizieren. Die Spannung zwischen Universalismus und Solipsismus kann nur fallweise entschieden werden. Ohne die Differenz und Distanz kann es keine Wahrnehmung der Fremde geben. Damit ist aber keineswegs eine völlig Abschottung von der Welt gemeint. Im Vergleich zum römischen Recht ist die Fremdbeschreibung der Rabbinen äußerst heterogen.29 Mit diesen Aussagen ist allerdings die Bedeutung der Exegese für die Terminologie der Fremdbeschreibung keineswegs zu unterschätzen. Die Exegese von Mischna und Tora gleicht einer rhetorischen Aufarbeitung der eigenen Geschichte.30 Für die Fremdbeschreibung wird die Exegese herangezogen, weil damit eine bestimmte Anbindung an die Tradition und ihre Weiterentwicklung möglich wird.31 Vor allem die Traktate Brachot und Sanhedrin zeichnen sich durch eine rhetorische Aufarbeitung der Mischna aus, die die Inhalte strikt an die Tradition zurückbindet. Die rekonstruierbare Wahrnehmung der Fremdbeschreibung in den Gemarot stützt sich auf die Exegese der Mischna. Am Ende der Arbeit stellt sich die kaum lösbare 29

30 31

Einen Einblick in diese Thematik bietet C. Hezser, Roman Law and Rabbinic Legal Composition, in: The Cambridge Companion to the Talmud, 144-162 und C. Hayes, Genealogy, Illegitimacy, and Personal Status. The Yerushalmi in Comperative Perspective, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, 78-87. Vgl. die Einleitung und den Sammelband von H. J. Gehrke, Geschichtsbilder und Gründungsmythen, in: Ders., Geschichtsbilder und Gründungsmythen, 9-18. In einem anderen Aufsatz präzisiert H.J. Gehrke den Gedanken: „Sie versetzen die Juden in die Lage, mit einer ganz einzigartigen Tiefenschärfe von ‚Wir‘ zu sprechen, von ‚unserem‘ Auszug aus Ägypten in das Gelobte Land, von ‚unserer‘ babylonischen Gefangenschaft, ‚unserem‘ Kampf gegen die hellenistischen Monarchen und römischen Imperatoren, von ‚unserer‘ Zerstreuung und Verfolgung bis hin zum Holocaust und der Gründung eines neuen Staates.“ Ders., Mythos, Geschichte, Politik - antik und modern, in: Saeculum 45, 1994, 257-258.

413

Frage, woher die Verwendung der Begriffe in der Mischna und ihre Inhalte stammen.32 Es ist auffällig, dass die Christen in der Fremdbeschreibung der rabbinischen Literatur keine besondere Rolle einnehmen, selbst wenn sie mit den Ketzern [] identifiziert werden. Die Eigenart der rabbinischen Fremdbeschreibung zeigt sich in einem Vergleich mit der Fremdbeschreibung im Neuen Testament. Der wesentliche Unterschied zwischen der rabbinischen Literatur und dem Neuen Testament ist die Behandlung von fremden Personen. Während eine gemeinsame Ablehnung der fremden Kulte feststellbar ist, herrscht gerade in Bezug auf die Konversion eine andere Einstellung. Zu den Christen können sich die Fremden frei bekennen, aber zum rabbinischen Judentum nicht ohne weiteres.33 Die Christen suchen die Heiden zu missionieren, was das rabbinische Judentum in diesem Ausmaß sicher nicht versuchte.34 Die grundsätzliche Frage der Fremdbeschreibung berührt die historische Herausforderung, mit der die jüdische Gemeinschaft in der Fremde konfrontiert war. Die Heimat Israels liegt zwischen der Fremde und dem Gelobtem Land. Insofern kreist die Beschreibung der Fremden in der rabbinischen Literatur um die modernen Begriffe der Heimat, Identität und Religion. Da diese Begriffe den Inhalt der Fremdbeschreibung abbilden, ist die Fremde eine zeitlose Erfahrung. Die gemeinsame Sprache Israels, die in der rabbinischen Literatur entwickelt wird, überwindet Gräben und zeigt Grenzen auf. Mit der rabbinischen Fremdbeschreibung zeigen sich Konturen dieser Sprache, die Brücken zu Fremden baut und eigenen Grenzen festlegt. So beruht die Fremdheit immer auf einer bestimmten Wahrnehmung der Welt und ihren Menschen. Mit S. J. Agnon gesprochen beinhaltet die Fremderfahrung drei Perspektiven: Drei Wesen hat der Mensch in sich: Das erste Wesen ist das, welches er selber sieht; ein zweites das, als das ihn anderer Augen sehen; ein drittes Wesen, das erste vor allen anderen, das, zu dem sein Schöpfer ihn erschaffen hat.35

32

33 34 35

414

Auch G. Porton, Goyim, 13-37, gibt darauf keine befriedigende Antwort. Die Verwendung der Begriffe indiziert, dass es sich mit der Mischna um eine Sammlung verschiedener Halachot aus unterschiedlichen Quellen handeln muss. M. Goodman, Mission and Conversion, 105. Vgl. Lk 17, 11-19 und 18,9. Dort sind Samaritaner und Zöllner die Fremden. S. J. Agnon, Im Herzen der Meere. Nach dem Ende des Mahls, Zürich 1966, 431.

V. Register und Literaturverzeichnis

1. Die Quellen Albeck, C., Shisha Sidrej Mishna. Seder Seraim, Seder Moed, Seder Nashim, Seder Nesiqin, Bd. 1-4, Tel Aviv 1952. (hebr.) Danby, Herbert (Hg), The Mishnah, Oxford 1933. Danziger, Yehezkel, The Mishnah. Artscroll Mishnah Series. Seder Nashim Vol. I (a): Tractate Yevamos, Brooklin 1984. (engl., hebr.) Danziger, Yehezkel, The Mishnah. Artscroll Mishnah Series. Seder Nezikin. Vol. II (a). Tractate Sanhedrin, Brooklin 1987. (engl., hebr.) Danziger, Yehezkel, The Mishnah. Artscroll Mishnah Series. Seder Mo´ed. Vol. I (a) Tractate Shabbos, Brooklin 2006. (engl., hebr.) Deissler, Alfons, Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel, Freiburg 1985.3 Fisch, Harold (Hg), The Holy Scriptures, Jerusalem 1969. (engl., hebr.) Ginzberg, David, The Holy Scriptures. Hebrew and English, Hertfordshire 2003. Goldschmidt, Lazarus, Der Babylonische Talmud. Baba Bathra. Synhedrin (1. Hälfte), Königstein/Ts. 1981. Der Babylonische Talmud. Berakoth. Mishna Zeraim. Shabbat, Königstein/Ts. 1980. Der Babylonische Talmud. Megilla. Moed Qatan. Hagiga. Jabmuth, Königstein/Ts. 1980. Der Babylonische Talmud. Synhedrin (2. Hälfte). Makkoth. Shebuoth. Edijoth. Aboda Zara. Aboth. Horajoth, Königstein/Ts. 1981. Guggenheimer, Heinrich W., The Jerusalem Talmud. Third Order: Nashim. Tractate Yebamot, Berlin 2004. (engl., hebr.) Hoffmann, D., Mischnajot. Die sechs Ordnungen der Mischna. Teil IV. Seder Nesikin, Berlin 1924. (dt., hebr.) Horowitz, Charles, Der Jerusalemer Talmud in Übersetzung. Bd. I. Berakhoth, Tübingen 1975. Hüttenmeister, Frowald Gil, Übersetzung des Talmud Yerushalmi. Shabbat. Schabbat, Tübingen 2004. Levine, Baruch M., The Anchor Bible. Numbers 21.36. A New Translation with Introduction and Commentary, New York 2000. Milgrom, Jacob, The Anchor Bible. Leviticus 17-22. A New Translation with Introduction and Commentary, New York 2000. Myers, Jacob M., The Anchor Bible. Ezra. Nehemiah. Introduction, Translation and Notes, New York 1965.

415

Neusner, Jacob, A History of the Mishnaic Law of Women. Vol. I. Yebamot. Translation and Explanation, Leiden 1980. A History of Mishnaic Law of Appointed Times. Vol I. Shabbat. Translation and Explanation, Leiden 1981. A History of the Mishnaic Law of Damages. Vol III. Baba Batra, Sanhedrin, Makkot. Translation and Explanation, Leiden 1984. The Talmud of Babylonia. An Academic Commentary, Vol 1-36, Atlanta 1994. The Two Talmuds Compared, Vol I-XIV, Atlanta 1996. Petuchowski, M., Mischnajot. Die sechs Ordnungen der Mischna. Teil III. Ordnung Naschim, Wiesbaden 1933. (dt., hebr.) Rengstorf, K. H., Die Mischna. VI. Seder. Toharot. Kelim (Gefässe), Berlin 1972. (dt., hebr.) Rengstorf, K. H., Die Mischna. I. Seder. Zeraim. Terumot (Priesterheben), Berlin 1969. (dt., hebr.) Sammter, A., Mischnajot. Die sechs Ordnungen der Mischna. Ordnung Festzeit, Berlin 1927. (dt., hebr.) Schäfer, Peter, Hans-Jürgen Becker (Hg), Synopse zum Talmud Yerushalmi. Bd. III. Ordnung Nashim, Tübingen 1998. (hebr.) Synopse zum Talmud Yerushalmi. Bd. II/1-4. Ordnung Moed: Shabbat, Eruvin, Pesahim und Yoma, Tübingen 2001. (hebr.) Synopse zum Talmud Yerushalmi. Bd. IV. Ordnung Neziqin. Ordnung Toharot: Nidda, Tübingen 1995. (hebr.) Synopse zum Talmud Yerushalmi. Bd. I/1-2. Ordnung Zeraim: Berakhot und Pea, Tübingen 1991. (hebr.) Sainzal, Adin, Talmud Bavli. Menukad u-Mevoar, Masekhet Brachot, Jerusalem 1967. (hebr.) Talmud Bavli. Menukad u-Mevoar, Masseket Sanhedrin, Bd. 1,2, Jerusalem 1974. (hebr.) Talmud Bavli. Menukad u-Mevoar, Masseket Schabbat, Bd. 1,2, Jerusalem 1969. (hebr.) Talmud Bavli. Menukad u-Mevoar, Masseket Yebamot; Bd. 1,2, Jerusalem 1986. (hebr.) The Saul Lieberman Institute of Talmudic Research of the Jewish Theological Seminary, The Saul and Evelyn Henkind Talmud Text Databank, New York 2002. Wewers, Gerd A., Übersetzung des Talmud Yerushalmi. Sanhedrin. Gerichtshof, Tübingen 1981.

416

2. Sekundärliteratur 2.1 Literatur zu „der, die, das Fremde“ Assmann, Jan, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992.4 Derrida, Jacques, Babylonische Türme. Wege, Umwege, Abwege, hg. von Alfred Hirsch, Übersetzung und Dekonstruktion, Frankfurt a. Main 1997, 119-165. Grammatologie, Frankfurt a. Main 1974.2 Theologie der Übersetzung, hg. von Alfred Hirsch, Übersetzung und Dekonstruktion, Frankfurt a. Main 1997, 15-36. Fabian, Johannes, Time and The Other. How Anthropology Makes its Object, New York 1983. Foucault, Michel, Andere Räume, hg. von Bark, Karlheinz, Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1998. Fromm, Erich, Entfremdung. Vom Alten Testament bis zur Gegenwart, in: Schrey, HeinzHorst, Entfremdung, 60-91. Grünschloss, Andreas, Interreligiöse Fremdwahrnehmung als Thema von Religionswissenschaften und Theologie, in: Schultze, Andrea, Vom Geheimnis des Unterschieds. Die Wahrnehmung des Fremden in Ökumene-, Missions-, und Religionswissenschaft, Münster 2002, 37-61. Hahn, Alois, „Partizipative“ Identitäten, in: Münkler, Herfried, Bernd Ladwig (Hg), Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit, Berlin 1997, 115-158. Münkler, Herfried, Bernd Ladwig, Dimensionen der Fremdheit, in: Münkler, Herfried, Bernd Ladwig (Hg), Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit, Berlin 1997, 11-44. Saalman, Gernot, Fremdes Verstehen. Das Problem des Fremdverstehens vom Standpunkt einer „metadisziplinären“ Kulturanthropologie, Aachen 2005. Schatz, Oskar, Entfremdung als anthropologisches Problem, in: Schrey, Heinz-Horst, Entfremdung, 115-179. Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich, Verstehen und Verständigung. Ethnologie. Xenologie. Interkulturelle Philosophie, Würzburg 2002. Schütz, Alfred, Der Fremde. Ein sozialpsychologischer Versuch, in: Brodersen, A., Alfred Schütz. Gesammelte Aufsätze II. Studien zur soziologischen Theorie, Den Haag 1972, 70-84. Spann, Korbinian, Das, der, die Fremde. Juden und jüdische Religion als Paradigma einer Philosophie des Fremden, Berlin 2006. Das, der, die Fremde. Un étranger, avec, sous le bras, un livre de petit format von Edmond Jabès, in: Freiburger Universitätsblätter, 133-142. Stagl, Justin, Grade der Fremdheit, in: Münkler, Herfried, Bernd Ladwig (Hg), Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit, Berlin 1997, 85-114. Sundermeier, Theo (Hg), Den Fremden wahrnehmen. Bausteine für eine Xenologie, Gütersloh 1992.

417

Waldenfels, Bernhard, Phänomenologie des Eigenen und des Fremden, in: Münkler, Herfried, Bernd Ladwig (Hg), Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit, Berlin 1997, 65-84. Topographie des Fremden. Studien zur Phänomenologie des Fremden 1, Frankfurt a. M. 1997. Vielstimmigkeit der Rede. Studien zur Phänomenologie des Fremden 4, Frankfurt a. M. 1999.

2.2 Sekundärliteratur zu den rabbinischen Quellen Alexander, Elisabeth Shanks, Transmitting Mishnah. The Shaping Influence of Oral Tradition, New York 2006. Bakhos, Carol, Figuring (out) Esau: The Rabbis and their Others, in: JJS 58:2, 2007, 250-262. Baltrusch, Ernst, Die Juden und das römische Reich: Geschichte einer konfliktreichen Beziehung, Darmstadt 2002. Bamberger, Bernhard, Proselytism in the Talmudic Period, New York, 1968. Baumgarten, Albert, Graeco-Roman Voluntary Associations and Ancient Jewish Sects, in: Goodman, Martin, Jews in a Graeco-Roman World, Oxford 1998, 93-110. Becker, Hans-Jürgen, Die großen rabbinischen Sammelwerke Palästinas. Zur literarischen Genese von Talmud Yerushalmi und Midrash Bereshit Rabba, Tübingen 1999. „Epikureer“ im Talmud Yerushalmi, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture I, Tübingen 1998, 397-421. The Magic of the Name and Palestinian Rabbinic Literature, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, Tübingen 2001, 391-407. Belayche, Nicole, Judaea-Paleastina. The Pagan Cults in Roman Palestine (Second to Fourth Century), hg. v. Cancik, Hubert, Tübingen 2001. Bertholet, Alfred, Die Stellung der Israeliten und der Juden zu den Fremden, Freiburg 1896. Birnbaum, Ellen, Portrayals of the Wise and Virtuous in Alexandrian Jewish Works: Jews Perceptions of Themselves and Others, in: Harris, Wiliam V., Ancient Alexandria between Egypt and Greece. Columbia Studies in the Classical Tradition, Leiden 2004, 125-160. Blaufuss, Hans, Römische Feste und Feiertage nach den Traktaten über fremden Dienst in Mischna, Tosefta, Jerusalemer und babylonischer Talmud, in: Bayerische Schulprogramme, München/Zweibrücken 1909, 1-39. Bohak, Gideon, The Hellenization of Biblical History in Rabbinic Literature, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, Tübingen 2002, 3-16. Boyarin, Daniel, Border Lines. The Partition of Judaeo-Christianity, Philadelphia 2004. Bultmann, Christoph, Der Fremde im antiken Juda. Eine Untersuchung zum sozialen Typenbegriff „ger“ und seinem Bedeutungswandel in der alttestamentlichen Gesetzgebung, Göttingen 1992.

418

Cohen, S. J. D., The Beginnings of Jewishness. Boundaries, Varieties, Uncertainties, Berkely 2000. Crossing the Boundary and Becoming a Jew, in: HTR 82:1, 1989, 13-33. The Conversion of Antoninus, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture I, Tübingen 1998, 141-171. The Rabbinic Conversion Ceremony, in: JJS 41, 1990, 177-203. The Judean Legal Tradition and the Halakha of the Mishna, in: Fonrobert, Charlotte Elisheva, The Cambridge Companion to the Talmud and Rabbinic Literature, Cambridge 2007, 121-143. Why Aren’t Jewish Woman Circumcised? Gender and Covenant in Judaism, Berkely 2005. Collins, John J., A Symbol of Otherness: Circumcision and Salvation in the First Century, in: Neusner, Jacob, „To see ourselves as others see us“. Christians, Jews, „Others“, in Late Antiquity, Chico 1985, 163-186. Cotton, Hannah M., The Rabbis and the Documents, in: Goodman, Martin, Jews in a Graeco-Roman World, Oxford 1998, 167-179. Deines, Roland, Die Abwehr der Fremden in den Texten aus Qumran. Zum Verständnis der Fremdenfeindlichkeit in der Qumrangemeinde, in: Feldmeier, Reinhard, Die Heiden, Juden, Christen und das Problem des Fremden, Tübingen 1994, 59-91. Dohrmann, Natalie B., The Boundaries of the Law and the Problem of Jurisdiction in a Early Palestinian Midrash, in: Hezser, Catherine, Rabbinic Law in its Roman and Near Eastern Context, Tübingen 2003, 83-103. Eichhorn, D. M. (Hg), Conversion to Judaism. A History and Analysis, New York 1965. Elman, Yaakov, Middle Persian Culture and Babylonian Sages: Accomodation and Resistance in the Shaping of Rabbinic Legal Tradition, in: Fonrobert, Charlotte Elisheva, The Cambridge Companion to the Talmud and Rabbinic Literature, Cambridge 2007, 165-197. Feldman, Louis H., Jew and Gentile in the Ancient World. Attitudes and Interactions from Alexander to Justinian, Princeton 1993. Feldmeier, Reinhard, Die Christen als Fremde. Die Metapher der Fremde in der antiken Welt, im Urchristentum und im 1. Petrusbrief, Tübingen 1992. Figueras, Paul, Epigraphic Evidence for Proselytism in Ancient Judaism, in: Emmanuel 24/25, 1990, 194-206. Flavius Josephus, Geschichte des jüdischen Krieges. Kleinere Schriften, Wiesbaden 2005. Flek, Siv, Der Fremde [] und der Ger Toschav im jüdischen Gesetz, Mahalkhim 2 1969, 9-15 (hebr.). Flusser, David, Paganism in Palestine, in: Safrai, Shmuel, The Jewish People in the First Century. Historical Geography, Political History, Social, Cultural, and Religious Life and Institutions, Van Gorcum 1976, 1065-1100. Fraade, Steven D., Navigating the Anomalous: Non-Jew at the Intersetion of Early Rabbinic Law and Narrative, in: Silberstein, Laurence J., The Other on Jewish Thought and History. Constructions of Jewish Culture and Identity, New York 1995, 145-165.

419

Friedheim, Emmanuel, Rabbinisme et Paganisme en Palestine romain. Etude historique des Realia talmudiques (Ier-IVème siècles), Leiden 2006. Gafni, Isaia, Babylonian Jewry and its Institution in the Period of the Talmud, Jerusalem 1975. (hebr.) Gauthier, Philippe, Symbola. Les étrangers et la justice dans les cités grecques, Nancy 1972. Gehrke, Hans-Joachim, Geschichtsbilder und Gründungsmythen, in: Gehrke, HansJoachim, Geschichtsbilder und Gründungsmythen, Würzburg 2001, 9-11. Mythos, Geschichte, Politik - antik und modern, in: Saeculum 45, 1994, 239-264. Goldberg, Arnold, Rabbinische Texte als Gegenstand der Auslegung. Gesammelte Schriften II, hg. v. Margarete Schlüter und Peter Schäfer, Tübingen 1997. Goldenberg, Robert, The Place of Other Religions in Ancient Jewish Thought, with Particular Reference to Early Rabbinic Judaism, in: Marty, Martin E., Pushing the Faith. Proselytism and Civility in a Pluralistic World, New York 1988, 27-40. The Nations that Know Thee Not. Ancient Jewish Attitudes toward Other Religions, New York 1998. Goodman, Martin, Jews and Judaism in the Mediterranean Diaspora in the Late-Roman Period: The Limitations of Evidence, in: Bakhos, Carol, Ancient Judaism in its Hellenistic Context, Leiden 2005, 177-203. Jewish Proselytizing in the First Century, in: Lieu, Judith, The Jews among Pagans and Christians in the Roman Empire, London 1992, 53-78. Jews, Greeks, and Romans, in: Goodman, Martin, Jews in a Graeco-Roman World, Oxford 1998, 3-14. Mission and Conversion. Proselytizing in the Religious History of the Roman Empire, Oxford 1994. Palestinian Rabbis and the Conversion of Constantine to Christianity, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture II, Tübingen 2000, 1-10. Proselytising in Rabbinic Judaism, in: JJS 40, 1989, 174-185. Rome and Jerusalem. The Clash of Ancient Civilizations, New York 2007. Graf, Fritz, Roman Festivals in Syria Palestina, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, Tübingen 2002, 435-451. Gray, Alyssa, A Talmud in Exile. The Influence of Yerushalmi Avodah Zarah on the Foundation of Bavli Avodah Zarah, Providence 2005. Green, Wiliam Scott, Otherness Within: Towards a Theory of Difference in Rabbinic Judaism, in: “To see ourselves as others see us”. Christians, Jews, “Others”, in Late Antiquity, Chico 1985, 49-69. Grodner, Reuven, The Spirit of Mishnaic Law. Tractate Berachot. Vol. 2, Jerusalem 1989. Gruen, Erich S., Heritage and Hellenism. The Reinvention of Jewish Tradition, Berkely 1998. Guttmann, Michael, Das Judentum und seine Umwelt. Eine Darstellung der religiösen und rechtlichen Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden mit besonderer Berücksichtigung der talmudisch-rabbinischen Quellen, Berlin 1927. Haarmann, Volker, Proselyten und „Gerechte aus den Völkern“. Zwei rabbinische Kategorien der Akzeptanz von Nichtisraeliten, in: Trumah 13, 2003, 155-173.

420

Hadas-Lebel, Mireille, Le paganisme à travers les sources rabbiniques des IIe et IIIe siècles. Contribution à l´étude du syncrétisme dans l´empire romain, in: ANRW 19.2, 1979, 397-485. Jérusalem contre Rome, Paris 1990. Halbertal, Moshe, Coexisting with the Enemy: Jews and Pagans in the Mishna, in: Stanton, Graham N., Tolerance and Intolerance in early Judaism and Christianity, Cambridge 1998, 159-172. Hasan-Rokem, Galit, An Almost Invisible Presence: Multilingual Puns in Rabbinic Literature, in: Fonrobert, Charlotte Elisheva, The Cambridge Companion to the Talmud and Rabbinic Literature, Cambridge 2007, 222-242. Hayes, Christine, Between the Babylonian and Palestinian Talmuds. Accounting for Halakhic Difference in Selected Sugyot from Tractate Avodah Zarah, New York 1997. Genealogy, Illegitimacy, and Personal Status. The Yerushalmi in Comperative Perspective, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, Tübingen 2002, 73-89. Gentile Impurities and Jewish Identities. Intermarriage and Conversion from the Bible to the Talmud, Oxford 2002. Intermarriage and Impurity in Ancient Jewish Sources, in: HTR 92:1, 1999, 3-36. Palestinian Rabbinic Attitudes to Intermarriage in Historical and Cultural Context, in: Kalmin, Richard, Jewish Culture and Society under the Christian Roman Empire, Leuven 2003, 11-64. The „Other“ in Rabbinic Literature, in: Fonrobert, Charlotte Elisheva, The Cambridge Companion to the Talmud and Rabbinic Literature, Cambridge 2007, 243-269. Hengel, Martin, Zum Problem der „Hellenisierung“ Judäas, in: Hengel, Martin, Judaica et Hellenistica. Kleine Schriften I, Tübingen 1996, 1-90. Herr, Moshe David, The Historical Significance of the Dialogues between Jewish Sages and Roman Dignitaries, in: Heinemann, Joseph, Studies in Aggadah and FolkLiterature, Jerusalem 1971, 123-150. Hezser, Catherine, Classical Rabbinic Literature, in: Goodman, Martin (Hg.), The Oxford Handbook of Jewish Studies, Oxford, 2002, 115-140. Interfaces between Rabbinic Literature and Graeco-Roman Philosophy, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture II, Tübingen 2000, 161-188. The (In)Significance of Jerusalem in the Talmud Yerushalmi, in: P. Schäfer, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture II, Tübingen 2000, 11-50. The Social Status of Slaves in the Talmud Yerushalmi and in Graeco-Roman Society, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, Tübingen 2002, 91-138. Roman Law and Rabbinic Legal Composition, in: Fonrobert, Charlotte Elisheva, The Cambridge Companion to the Talmud and Rabbinic Literature, Cambridge 2007, 144-163. Slaves and Slavery in Rabbinic and Roman Law, in: Hezser, Catherine, Rabbinic Law in its Roman and Near Eastern Context, Tübingen 2003, 133-176.

421

Himmelfarb, Martha, The Torah between Athens and Jerusalem: Jewish Difference in Antiquity, in: Bakhos, Carol, Ancient Judaism in its Hellenistic Context, Leiden 2005, 113-129. Hoenig, Sidney B., Conversion during the Talmudic Period, in: D. M. Eichhorn, Conversion to Judaism. A History and Analysis, New York 1965, 33-66. Hoffmann, David, The First Mishna and the Controversies of the Tannaim. The Highest Court in the City of the Sanctuary, New York 1977. Horbury, Wiliam, Antichrist among Jews and Gentiles, in: Goodman, Martin, Jews in a Graeco-Roman World, Oxford 1998, 113-134. Ilan, Tal, „Stolen Water is Sweet“. Woman and Their Stories Between Bavli and Yerushalmi, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, Tübingen 2002, 185-224. Jacobs, Martin, Pagane Tempel in Palästina, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture II, Tübingen 2000, 139-160. Römische Thermenkultur im Spiegel des Talmud Yerushalmi, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture I, Tübingen 1998, 219-311. Theatres and Performances as Reflected in the Talmud Yerushalmi, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture I, Tübingen 1998, 327-347. Kaatz, S., Talmudisch-rabbinische Sätze über Rechtsbeziehungen zu Nichtjuden, Breslau 1924, 5-28. Kahana, Menaem, Die Genealogie der „Norim“ in den Epochen der Tannaiten und Amoräer, in:   Vol. 3, 1999, 22-35. Katz, Jacob, The „Shabbes Goy“. A Study in Halakhic Flexibility, Philadelphia 1989. Katzoff, Ranon, Children of Intermarriage: Roman and Jewish Conceptions, in: Hezser, Catherine, Rabbinic Law in its Roman and Near Eastern Context, Tübingen 2003, 277-286. Kaufmann, Yehezkel, Christianity and Judaism. Two Covenants, Jerusalem 1988. Kittel, Gerhard, Die Behandlung des Nichtjuden nach dem Talmud, in: Archiv für Judenfragen, Berlin 1943, 7-17. Kraemer, Ross S., On the Meaning of the Term „Jew“ in Graeco-Roman Inscriptions, in: HTR 82:1, 1989, 35-53. Krauss, Samuel, Talmudische Archäologie. Bd. I-III, Leipzig 1910-1912. Krauter, Stefan, Bürgerrecht und Kultteilnahme. Politische und kultische Rechte und Pflichten in griechischen Poleis, Rom und antikem Judentum, Berlin 2004. Krupp, Michael, Einführung in die Mischna, Frankfurt a.M. 2007. Kulp, Joshua, The Participation of a Court in the Jewish Conversion Process, in: JQR 94, 2004, 437-470. Lapin, Hayim, Rabbis and Cities: Some Aspects of the Rabbinic Movement in its Graeco-Roman Environment, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture II, Tübingen 2000, 51-80. Lehnhardt, Andreas, The Samaritans (Kutim) in the Talmud Yerushalmi- Constructs of “Rabbinic Mind” oder Reflections of Social Reality?, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, Tübingen 2002, 139-160.

422

Lichtenberger, Hermann, „Im Lande Israel zu wohnen wiegt alle Gebote der Tora auf“. Die Heiligkeit des Landes und die Heiligung des Lebens, in: Feldmeier, Reinhard, Die Heiden, Juden, Christen und das Problem des Fremden, Tübingen 1994, 92-107. Lieberman, Saul, Greek in Jewish Palestine. Studies in the Life and Manners of Jewish Palestine in the II - IV Centuries, New York 1942. Jewish Life in Eretz Yisrael as Reflected in the Palestinian Talmud, in: Lieberman, Saul, Israel. Its role in Civilization, New York 1977, 82-91. How much Greek in Jewish Palestine?, in: Fischel, Henry A., Essays in GraecoRoman and Related Talmudic Literature, New York 1977, 325-141. Loewe, Raphael, Gentiles as Seen by Jews after CE 70, in: The Cambridge History of Judaism, Oxford 1999, 250-266. MacMullen, Ramsey, Enemies of the Roman Order. Treason, Unrest, and Alienation in the Empire, Cambridge 1966. McKnight, Scot, A Light Among the Gentiles. Jewish Missionary Activity in the Second Temple Period, Minneapolis 1991. Millar, Fergus, The Jews of the Graeco-Roman Diaspora between Paganism and Christianity. AD 312-438, in: Lieu, Judith, The Jews among Pagans and Christians in the Roman Empire, London 1992, 97-123. Montefiore, Claude, Herbert Loewe (Hgg), A Rabbinic Anthology, Philadelphia 1960. Neusner, Jacob, A History of the Jews in Babylonia, 5 Bd., Leiden 1965-1970. Stable Symbols in a Shifting Society: The Delusion of the Monolithic Gentile in Documents of Late Fourth-Century Judaism, in: Neusner, Jacob, “To see ourselves as others see us”. Christians, Jews, “Others”, in Late Antiquity, Chico 1985, 373-396. Noethlichs, Karl Leo, Die Juden im christlichen Imperium Romanum (4.-6. Jahrhundert), Berlin 2001. North, John, The Development of Religious Pluralism, in: Lieu, Judith, The Jews among Pagans and Christians in the Roman Empire, London 1992, 174-193. Novak, David, Gentiles in Rabbinic Thought, in: Katz, Steven T., The Cambridge History of Judaism. The Late Roman-Rabbinic Period, Cambridge 2006, 647-662. The Image of the Non-Jew in Judaism. An Historical and Constructive Study of the Noahide Laws, Toronto 1983. Oberhänsli-Widmer, Gabrielle, Biblische Figuren in der rabbinischen Literatur. Gleichnisse und Bilder zu Adam, Noah und Abraham im Midrasch Bereschit Rabba, Bern 1998. Der böse Trieb als rabbinisches Sinnbild des Bösen, in: Judaica 3, 2007, 18-43. Obermeyer, Jacob, Die Landschaft Babylonien im Zeitalter des Talmudes und des Gaonats. Geographie und Geschichte nach talmudischen, arabischen und anderen Quellen, Frankfurt a.M. 1929. Olyan, Saul, Rites and Rank. Hierarchy in Biblical Representations of Cult, Princeton 2000. Porton, Gary, Forbidden Transactions: Prohibited Commerce with Gentiles in Earliest Rabbinism, Neusner, Jacob, “To see ourselves as others see us”. Christians, Jews, “Others”, in Late Antiquity, Chico 1985, 317-335.

423

-

Gentiles and Israelites in Mishnah-Tosefta: A Study in Ethnicity, in: S. F. Chyet, Bits of Honey, Atlanta 1993, 93-111. Goyim. Gentiles and Israelites in Mishna-Tosefta, Atlanta 1988. The Stranger Within Your Gates. Converts and Conversion in Rabbinic Literature, Chicago 1994. Pucci ben Zeev, Miriam, Did the Jews enjoy a Privileged Position in the Roman World?, in: Revue des études juives, 154, 1995, 23-42. Raisin, J. S., Gentile Reactions to Jewish Ideals. With a Special Reference to Proselytes, New York, 1953. Rajak, Tessa, Jews and Christians as Groups in an Pagan World, in: Neusner, Jacob, “To see ourselves as others see us”. Christians, Jews, “Others”, in Late Antiquity, Chico 1985, 247-262. The Jewish Community and its Boundaries, in: Lieu, Judith, Lieu, Judith, The Jews among Pagans and Christians in the Roman Empire, London 1992, 9-28. Rash, Yehoshua, Attitudes juives a l’égard de non-juives, in: Recherches de sience religieuse 85/2, 1997, 177-197. Rokeah, David, Jews, Pagans and Christians in Conflict, Leiden 1982. Zur Unterscheidung der Abstammung der Weisen von den Fremden und den Proselyten, in: Mahalkhim 5 1971, 68-75. (hebr.) Safrai, Shmuel, Das jüdische Volk im Zeitalter des Zweiten Tempels, Neukirchen-Vluyn 1978. Die Wallfahrt im Zeitalter des Zweiten Tempels, Neukirchen-Vluyn 1981. Sanders, Ed P., Jewish Association with Gentiles and Galatians 2:11-14, in: Fortna, Robert T., The Conversation Continues. Studies in Paul & John. In Honor of J. Louis Martyn, Nashville 1990,170-188. Jewish Law from Jesus to the Mishna. Five Studies, Southampton 1990. Paul and Palestinian Judaism. A Comparison of Patterns of Religions, Philadelphia 1977. Satlow, Michael L., Fictional Woman. A Study in Stereotypes, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, Tübingen 2002, 225-243. Jewish Marriage in Antiquity, Princeton 2001. Schäfer, Peter, Jews and Gentiles in Yerushalmi Avodah Zarah, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, Tübingen 2002, 335-352. Studien zur Geschichte und Theologie des rabbinischen Judentums, Leiden 1978. Schlüter, Margarete, „Deraqon“ und Götzendienst. Studien zur antiken jüdischen Religionsgeschichte, ausgehend von einem griechischen Lehnwort in mAZ III 3, Frankfurt a.M. 1982. Schreiner, Stefan, Wo man Tora lernt, braucht man keinen Tempel. Einige Anmerkungen zum Problem der Tempelsubstitution im rabbinischen Judentum, in: Ego, Beate, Gemeinde ohne Tempel. Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, Tübingen 1999, 371-389. Schroer, Silvia, Staubli, Thomas, Die Körpersymbolik der Bibel, Gütersloh 2005. Schuster, Meinhard, Die Begegnung mit dem Fremden. Wertungen und Wirkungen in Hochkulturen vom Altertum bis zur Gegenwart, Stuttgart 1996.

424

Schwartz, Seth, Gamaliel in Aphrodite’s Bath. Palestinian Judaism and Urban Culture in the Third and Fourth Centuries, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture I, Tübingen 1998, 203-217. Imperialism in Jewish Palestine, in: Bakhos, Carol, Ancient Judaism in its Hellenistic Context, Leiden 2005, 53-84. Historiography on the Jews in the „Talmudic Period“ (70-640 CE), in: Goodman, Martin (Hg.), The Oxford Handbook of Jewish Studies, Oxford, 2002, 79-114. Imperialism and Jewish Society. 200 BCE. to 640 CE., Princeton 2001. The Political Geography of Rabbinic Texts, in: Fonrobert, Charlotte Elisheva, The Cambridge Companion to the Talmud and Rabbinic Literature, Cambridge 2007, 75-96. Setzer, Claudia, „Talking their Way into Empire:“ Jews, Christians, and Pagans Debate Resurrection of the Body, in: Bakhos, Carol, Ancient Judaism in its Hellenistic Context, Leiden 2005, 155-175. Siegert, Volker, Die Synagoge und das Postulat eines unblutigen Opfers, in: Ego, Beate, Gemeinde ohne Tempel. Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, Tübingen 1999, 335-356. Sivan, Hagith, Rabbinics and Roman Law: Jewish-Gentile/Christian Marriage in Late Antiquity, in: Revue des études juives 156, 1997, 59-100. Smith, Morton, On the Differences Between the Culture of Israel and the Major Cultures of the Ancient East, in: Cohen, Shaye J. D., Studies in the Cult of Yahweh. Vol 1. Studies in Historical Method, Ancient Israel, Ancient Judaism, Leiden 1996, 28-36. On the Shape of God and the Humanity of Gentiles, in: Cohen, Shaye J. D., Studies in the Cult of Yahweh. Vol 1. Studies in Historical Method, Ancient Israel, Ancient Judaism, Leiden 1996, 150-160. The Gentiles in Judaism 125 BC - AD 66, in: Cohen, Shaye J. D., Studies in the Cult of Yahweh. Vol 1. Studies in Historical Method, Ancient Israel, Ancient Judaism, Leiden 1996, 192-249. Stein, S., Interest Taken by Jews From Gentiles. An Evaluation of Source Material (Fourteenth to Seventeenth Centuries), in: JSS I, 1956, 141-164. Stemberger, G., Einleitung in Talmud und Midrasch, München 1992.8 Geschichte der jüdischen Literatur. Eine Einführung, München 1977.1 Stern, Sacha, Dissonance and Misunderstanding in Jewish-Roman Relations, in: Goodman, Martin, Jews in a Graeco-Roman World, Oxford 1998, 241-250. Jewish Identity in early Rabbinic Writings, Leiden 1994. Stevens, Matry E., Temples, Tithes, and Taxes. The Temple and Economic Life of Ancient Israel, Peabody 2006. Urbach, Efraim E., The Rabbinical Laws of Idolatry in the Second and Third Centuries in the Light of Archaeological and Historical Facts, in: Israel Exploration Journal 9, 1959, 149-165, 229-145. Vana, Liliane, Les relations sociales entre Juives et Paiens à l’époque de la Mischna. La question du Banquet privé, Revue des sciences religieuses 71/2, 1997, 147-170. Veltri, Giuseppe, Greek Loanwords in the Palestinian Talmud: Some new Suggestions, in: JJS XLVII/1, 2002, 237-240.

425

-

Römische Religion an der Peripherie des Reichs. Ein Kapitel rabbinischer Rhetorik, in: Schäfer, Peter, The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture II, Tübingen 2000, 81-138. van Houten, Christiana, The Alien in Israelite Law, Sheffield 1991. von Papen, Patricia, Schützenhilfe nationalsozialistischer Judenpolitik. Die „Judenforschung“ des „Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschland“ 1935-1945, in: Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust 1998/99, 17-42. Wallach, Luitpold, A Palestinian Polemic Against Idolatry, in: Fischel, Henry A., Essays in Graeco-Roman and Related Talmudic Literature, New York 1977, 111-126. Werblowsky, Zwi R. J., Greek Wisdom and Proficiency in Greek, in: Marcel, Simon, Paganisme, Judaisme, Christianisme. Influences et affrontements dans le monde antique, Paris 1978, 55-60. Will, Eduard, Claude Orrieux, „Proselytisme juif“. Histoire d’une erreur, Paris 1992. Wilson, Stephen G., Related Strangers. Jews and Christians 70 - 170 C.E., Minneapolis 1995. Yadin, Azzan, Rabban Gamliel, Aphrodite´s Bath, and the Question of Pagan Monotheism, in: JQR 96/2, 2006, 149-179. Zahavy, Tsvee, The Mishnaic Law of Blessings and Prayers. Tractate Berakhot, Atlanta 1987. Zehnder, Markus, Umgang mit Fremden in Israel und Assyrien. Ein Beitrag zur Anthropologie des „Fremden“ im Licht antiker Quellen, Stuttgart 2005. Zgoll, Anette, Menschen-Götter-Konflikte. Systematische Überlegungen zur Feindschaft im antiken Mesopotamien und der Modellfall einer Priesterin im Kampf gegen einen Usurpator aus dem 23. Jahrhundert v. Chr., in: H. Felber, Feinde und Aufrührer. Konzepte von Gegnerschaft in ägyptischen Texten besonders des Mittleren Reichs, Leipzig 2005, 283-301. Zohar, vi, Abraham Sagi, Konversion und jüdische Identität. Ein Einblick in die Grundlagen der Halacha, Jerusalem 1997. (hebr.) Zuntz, G., Greek Words in the Talmud, JSS I, 1956, 129-140.

426

3. Register Aas, 248, 279, 291 Abstammung, 20, 36, 211-214, 234, 243, 255, 260, 266, 267, 310 Abraham, 276, 377, 380 Aer, 15, 55, 56 Antolinus, 107, 372, 401 Angst, 64, 89, 102, 112, 119, 122, 142, 339 Ammon, 86, 92, 195, 209, 210, 240242, 257-261, 283-285, 289, 369, 400 Avoda Zara, Traktat, 14, 15, 23, 31, 43, 46, 52, 71, 114, 162, A“kum, auch Oved kochavim u Maslot, 59 Aramäer, 79, 80, 117, 169, 224, 360, 374 Astrologie, 148 Arbeit am Schabbat, 120, 122, 125, 141, 168, 176-180, 358, 410 Ausland, 32, 87, 114, 117, 223, 231, 279, 289, 403 Baba Batra, Traktat, 53, 303, 415, 416 Badeanstalt, 171, 177, 183, 188, 395, 403 Beisasse, 19, 39, 143, 228, 229, 231, 247-252, 289 Beschneidung, 33, 37, 39, 93, 156, 172-176, 183, 187, 213, 230, 231, 246-254, 283-285, 334, 373, 398 Beschneidung der Proselyten, 172-176 Ben Noa, 33, 55, 59, 235, 268, 289, 304, 326, 328-334, 336, 337, 354, 361, 382, 385-387 Bileam, 86, 308, 376 Böser Trieb, 42, 56, 168, 183, 346 Brot, 86, 131, 132, 134, 135, 181, 188, 397

Christen, 23, 28, 30, 48, 56, 84, 87, 166, 186, 307, 405, 414 Clanfremdheit, 193, 218, 221, 222, 238, 279, 282, 283, 285-288, 409 David, 79, 111, 145, 157, 158, 257, 305, 336, 371, 400, 401 Drakhi mori, 152 Edomiter, 110, 195, 243 emoritische Bräuche, 151, 152, 184, 399 Esel, 89, 91, 106, 109, 122, 125, 148, 149, 179, 185, 187, 343, 370, 396 Esra, 20, 226, 256, 306 Entweihte, 226, 237, 240, 243, 244, 255, 258, 260, 261, 263, 321 Flavius Josephus, 40, 58 Fremde Frau, 20, 58, 106, 117, 206, 266, 287, 192, 305, 306, 383 Fremder Gott, 81, 298, 299, 361, 387 Gad, 152 Geld, 111, 132, 167, 169, 178, 350-354, 371, 380, 395 Gershom, 119, 381 Ger Toschav, 20, 34, 55, 62, 234, 235, 248, 224-251, 254, 286 Gioret, 63, 80, 85, 190, 193-195, 222, 224, 237, 239, 253, 254-256, 261, 263, 268, 287 Gottesfürchtige, 104, 252 Gotteslästerer, 294, 297, 317, 320, 321, 376 Gottesnamen, 166, 294, 306, 307, 324-326, 358, 383, 386 Griechen, 21, 22, 27, 34 alyah, 189, 191-193, 195, 196, 205, 206, 236, 264, 265, 268, 270-274, 284, 378, 391

427

Häresie, 23, 26, 80, 81, 166 Hebe, 68, 144, 179, 180, 184, 188, 194, 237, 239, 240, 243, 244, 246, 247, 250-255, 256, 264, 274, 275, 278, 284, 285, 288, 291, 362, 363, 401 Heiligkeit des Landes, 70, 87, 131 Hillel und Shammai, 69, 144, 173, 182, 184, 186 Hilfeleistung durch Fremde, 169-172, 183 Hiskia, 84, 324, 371 Hosea, 400, 324, 328 Identität Israels, 19, 119, 120, 182, 210, 306 Inzest, 225, 265, 267, 268, 270, 284, 294, 296, 322, 331, 341, 356, 384 Jadaim, Traktat, 85 Jesaja, 84, 85, 91, 105, 122, 123, 168, 400, 352, 371, 375 Jeremia, 109, 239, 325, 375, 400 Jerusalem, 22, 25, 31, 40, 41, 55, 56, 79, 85, 87, 88, 92, 116, 117, 221, 290, 310, 325, 343, 352, 360, 375, 400, 403 Jona, 102, 373, 400 Kaiser, 23, 109, 307, 308, 378, 381, 384 Karbalta, 90 Konversionszeremonie, 50, 94, 175, 283, 291, 398 Kriechtier, 158, 159, 160-162 Laie, 58, 146, 221, 272, 364, 402 Leviratsehe, 190-193, 195, 205, 218, 266 Lieberman, Saul, 34, 42, 44, 55 Löwenproselyten, 217, 374 Mamser, 194, 211, 215, 225-227, 229, 240-243, 245, 246, 258, 263, 275, 283, 309 Matha-Mehasja, 84, 118, 315

428

Min, 27, 55, 166, 186 Moab, 86, 195, 209, 210, 240, 241, 243, 257, 258, 260, 284, 285, 289 Natin, Netina, 240, 256 Naturrecht, 329, 330, 332, 333 Norit, 63, 163, 182, 185, 190-192,196, 203, 206, 213, 214, 216-219, 220, 276, 277, 278, 283, 285-287, 306, 378, 381, 402 Noa, 55, 59, 235, 267, 283, 288, 304, 325-332, 334, 335, 358, 378, 380, 381, 382, 384, 387 noaidische Gebote, 235, 267, 283, 288, 327, 328 Öl, 133, 135, 362 Opfer, 25, 33, 111, 143, 154-157, 179, 207, 219-221, 225, 231, 237, 240, 251, 252, 276, 290, 313, 328, 338-340, 373, 395, 399 Pessachim, Traktat, 14, 53, 140 Priesterklasse, 142, 189, 212, 363 Priestertochter, 194, 321, 326, 240, 243 Räucherwerk, 69, 97, 98, 100, 101 Rav, 89, 97, 99, 107, 150, 153, 154, 172, 206, 217, 224, 227, 245, 250, 260, 313, 329, 343, 363, 396 Rav Shaqe, 324, 325, 334 Raub, 210, 328, 329, 330, 353 R. Aqiba, 123, 139, 160-163, 234, 254, 263, 265, 359, 364 R. Ashi, 84, 97, 177, 179, 209 Rabban Gamliel, 43, 86, 106, 115, 116, 124, 128, 307, 397 R. Helbo, 233, 273 R. Huna, 97, 148, 160, 331

R. Papa, 79, 177, 257, 328 R. Yehoshua, 86, 133, 227, 230, 313, 376 R. Yehuda, 84, 91, 97, 99, 101, 105, 107, 123, 149, 151, 152, 196, 209, 210, 232, 250, 255, 322, 328, 329, 331, 334, 338, 343 R. Yohanan, 78, 89, 95, 104, 106, 134, 136, 151, 161, 168, 171, 176, 241, 242, 244, 278, 307, 314, 346, 367, 372 R. Yose, 83, 142, 149, 169, 222, 224, 225, 235, 240, 243, 247, 249-251, 260, 261, 274, 305, 348 R. Yuda, 224, 249 Rhetorik der Tauglichkeit, 259, 261, 263, 275, 284, 400 Rom, 21, 22, 40, 41 Satan, 150 Salomo, 157, 158, 216, 257, 258, 305, 319, 372, 376, 383, 400, 401 Peor, 295, 315, 316, 343, 367, 370, 378, 387 Samariter, 27, 55, 68, 69, 76, 92-94, 113, 116, 173, 205, 240-243, 321, 325, 374, 414 Samen, 133, 134, 167, 223, 294 Schabbatruhe, 120-122, 124, 129, 178, 185, 278, 341 Segensspruch, 69, 70, 96, 115, 119, 394, 396 Shemaya und Avolion, 85, 375, 401

Shmuel, 96, 150, 154, 170, 171, 224 soziale Hierarchie, 142, 144, 146, 147, 182, 189, 204, 219, 220, 225, 226, 238, 243, 258, 283, 285, 310, 312, 361, 363-365, 380, 396-398, 411, 413 Sühneopfer, 154-157, 207, 219, 340, 399 Tischgesellschaft, 97, 98, 117, 119 Toschav, 20, 34, 55, 62, 229, 234, 235, 248, 249-253, 262, 286, 372, 375 Tötung eines Fremden, 165, 296, 316, 358, 396, 405 Umkehr, 104, 368, 369, 374 Untauglichkeit, 184, 227, 256, 258, 261, 283, 397, 398 Unzucht, 81, 92, 135, 136, 164, 193, 222, 239, 269, 305, 311, 330, 331, 336, 337, 343, 345, 356, 357, 360, 368, 369, 384 Urbach, Ephraim, 35, 42 verstümmelter Priester, 194, 195, 236, 237, 254, 256, 258 Völker der Welt, 78, 109, 238, 352, 375, 376 Wein, 135, 229, 230, 363, 369 Yehuda ben Gerim, 149, 182, 184, 187 Yehuda haNasi, 378 Zauberei, 100, 327, 349 Zeugnis, 196, 232, 270, 277, 279, 285, 290

429

Verena Lenzen (Hrsg.)

Erinnerung als Herkunft der Zukunft Zum Jubiläumssymposium des Instituts für Jüdisch-Christliche Forschung an der Universität Luzern (17.-19. September 2006) Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2008. 169 S. Judaica et Christiana. Bd. 22 Herausgegeben von Simon Lauer und Clemens Thoma ISBN 978-3-03911-502-0 br. sFr. 51.– / €* 35.20 / €** 36.20 / € 32.90 / £ 29.60 / US-$ 50.95 * inkl. MWSt. - gültig für Deutschland / ** inkl. MWSt. - gültig für Österreich / € exkl. MWSt.

Woran erinnern wir uns? Was fällt dem Vergessen zum Opfer? Das Thema «Erinnern, Gedenken, Vergessen» hat in den letzten Jahren grosse Aufmerksamkeit in Wissenschaft und Gesellschaft erfahren, ist aber aus der Sicht der Judaistik noch wenig bearbeitet worden. In diesem Buch wird die Frage nach dem Umgang mit Geschichte und Vergangenheit aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, welche für die jüdischen Studien interessant sind. Welchen Zugang bietet der methodische Schlüssel des Erinnerns zum Alten Testament des Christentums und zur Hebräischen Bibel des Judentums? Wie wirkt und was bewirkt Erinnerung in der frühjüdischen Zeit? Welche Funktion hat das Vergessen in der rabbinischen Literatur? Welches Gewicht, welchen Wert haben Erinnern und Gedenken nach der Shoah? Kann die deutsch-jüdische Literatur als Überlebensstrategie gedeutet werden? Wie gehen Länder wie Italien oder die Schweiz mit der eigenen Geschichte der Jahre 1933-1945 um? Welche Rolle spielt das Gedächtnis in der jüdisch-maghrebinischen Literatur? Die Diskussion dieser Fragen erzeugt ein Kaleidoskop von Einsichten und Erkenntnissen, die eine der zentralen Debatten in Wissenschaft und Politik der letzten Jahre in ihrer Vielschichtigkeit beleuchten. Das Judentum erweist sich dabei als Erinnerungsethik und Gedächtniskultur par excellence. Inhalt: Verena Lenzen: «Die Zukunft hat ein altes Herz.» (Walter Benjamin). Festvortrag zum Symposium «Erinnerung als Herkunft der Zukunft» – Edmund Arens: Gemeinschaften der Erinnerung und Hoffnung. Jüdische und christliche Zugänge – Christoph Dohmen: Erinnerungsgemeinschaft als hermeneutischer Schlüssel zur Bibel Israels – Daniel R. Schwartz: Remembering the Second Temple Period: Josephus and the Rabbis, Apologetics and Rabbinical Training – Aram Mattioli: Die Resistenza ist tot, es lebe Onkel Mussolini! Vom Umdeuten der Geschichte im Italien Berlusconis – Thomas Maissen: Konfrontation der Erinnerungen. Jüdische und schweizerische Selbst- und Fremdbilder in der Weltkriegsdebatte der 1990er Jahre – Jakob Hessing: Die deutsch-jüdische Literatur als traumatisierte Erinnerung – Judith N. Klein: Der feine Sand des Gedächtnisses. Spuren verlorener Sprachen in der jüdischmaghrebinischen Literatur.

PETER LANG Bern · Berlin · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford · Wien

Mélanie Adda (éd.)

Textes sacrés et culture profane : de la révélation à la création Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2010. XIV, 321 p., 17 ill., 2 tabl. et graph. Recherches en littérature et spiritualité. Vol. 17 Directeur de collection : Gérard Nauroy ISBN 978-3-0343-0316-3 br. sFr. 84.– / €* 57.90 / €** 59.50 / € 54.10 / £ 48.70 / US-$ 83.95 * comprend la TVA - valable pour l‘Allemagne / ** comprend la TVA - valable pour l‘Autriche / € ne comprend pas la TVA

Cet ouvrage, partiellement issu de réflexions engagées lors du colloque interdisciplinaire « Textes sacrés, Arts et Sciences » (dirigé par Mélanie Adda, INHA, Paris, 11-12 janvier 2008), traite dans une double perspective de la relation entre les textes sacrés et la culture profane qui s’y rapporte ou qui s’y heurte. Les auteurs se sont d’abord interrogés sur la possibilité d’une définition en intension de la sacralité textuelle. En observant le devenir de critères propre à la définir (comme l’origine divine) dans des contextes aussi différents que le judaïsme hellénistique, le Moyen Âge chrétien ou encore le confucianisme, les études de ce volume mettent en lumière la complexité de la notion de texte sacré, qui ne peut sans doute recevoir d’autre définition qu’en extension. L’autre objectif de ce recueil est d’étudier la réception des textes sacrés dans les civilisations et les cultures profanes dont ils sont les principaux fondements, en observant non seulement le statut que l’objet profane reconnaît au texte sacré auquel il emprunte, se consacre ou s’oppose, mais aussi le statut que ce même objet profane s’attribue alors à lui-même ou se voit attribuer. Ce double aspect de la réception du texte sacré est étudié à travers diverses productions culturelles, des plus directement liées à la source sacrée – comme les apocryphes, les traductions, l’exégèse et les enluminures –, aux plus indépendantes – comme la création littéraire –, en passant par celles qui, comme certaines sciences positives, doivent contourner le texte sacré, ou encore celles qui le détournent à des fins polémiques ou politiques. Contenu : François Bœspflug – Melanie Adda – Lydie Lansard – Géraldine Hertz – Alexandre Solignac – Frédéric Tixier – Delphine Bellis – Mickaël Ribreau – Jean-Baptiste Delzant – Irène Fabry-Tehranchi – Melanie Adda – Nicolas Idier. La responsable de la publication : Agrégée de lettres modernes, Mélanie Adda est Attachée temporaire d’enseignement et de recherche en littérature comparée à l’Université Paris-Sorbonne. Ses recherches portent sur la Bible dans le roman moderne, notamment chez Albert Cohen, William Faulkner, Graham Greene et Augusto Roa Bastos.

PETER LANG Bern · Berlin · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford · Wien

Joseph Alobaidi (ed.)

Old Jewish Commentaries on the Song of Songs I The Commentary of Yefet ben Eli Edited and translated from Judeo-Arabic by Joseph Alobaidi Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2010. XII, 340 pp. Bible in History. Vol. 9 Edited by Joseph Alobaidi ISBN 978-3-0343-0452-8 pb. sFr. 87.– / €* 60.– / €** 61.70 / € 56.10 / £ 50.50 / US-$ 86.95 * includes VAT - only valid for Germany / ** includes VAT - only valid for Austria / € does not include VAT

The commentary of Yefet ben Eli the Karaite (second half of the tenth century) on The Song of Songs is example of an exegetical work obeying two imperatives: The explanation of the divine message of Salvation mixed with the assiduous Karaite effort to prove wrong their adversaries, the Rabbanites, with the help of the Bible. In so doing Yefet ben Eli wrote a thoughtful and original commentary on the very symbolic Song of Songs. Indeed, according to Yefet ben Eli nothing in the Book should be taken realistically. The ability of Yefet to replace symbols by historical events is one of the many marks that show Yefet’s mastery and the originality of his commentary. Contents: Yefet’s translation of the Song of Songs – The Judeo-Arabic text of Yefet’s commentary – The English Translation of Yefet’s commentary. The Editor and Translator: Joseph Alobaidi is professor of Bible Theology and Languages at the Pontifical Faculty of the Immaculate Conception, Dominican House of Studies, Washington, D. C. USA. His publications deal mainly with the Judeo-Arabic literature.

PETER LANG Bern · Berlin · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford · Wien