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German Pages 86 [92] Year 1991
Paul Tillich
Liebe - Macht Gerechtigkeit
w DE
G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1991
Die Schrift „Liebe, Macht, Gerechtigkeit" ist ein unveränderter photomechanischer Nachdruck aus dem XI. Band (Sein und Sinn) der „Gesammelten Werke" von Paul Tillich, erschienen 1969 im Evangelischen Verlagswerk, Stuttgart.
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Tillich, Paul: Liebe, Macht, Gerechtigkeit / Paul Tillich. - Unveränd. photomechanischer Nachdr. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1991 ISBN 3-11-013383-0
© Copyright 1991 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Buchbinderische Verarbeitung: Dieter Mikolai, Berlin 10
L I E B E , MACHT, G E R E C H T I G K E I T
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I PROBLEME UND
MISSVERSTÄNDNISSE
Die innere Problematik
der Begriffe
Liebe,
Macht und Gerechtigkeit Weder in der Theologie noch in der Philosophie ist ein fruchtbares Arbeiten möglich, ohne auf Schritt und Tritt den Begriffen zu begegnen, die den Gegenstand dieser Vorlesungen ausmachen: Liebe, Macht und Gerechtigkeit. Sie begegnen uns an den entscheidenden Stellen in der Lehre vom Menschen, in der Psychologie und Soziologie; sie haben eine Schlüsselstellung in der Ethik und Rechtswissenschaft inne, aber sie spielen auch eine große Rolle in der politischen Theorie und der Pädagogik, und selbst in den medizinischen Wissenschaften muß man sich mit ihnen auseinandersetzen. Jeder der drei Begriffe ist für sich von allgemeiner Bedeutung, und das gleiche gilt auch von ihrem Verhältnis zueinander. Darum ist es nötig, jeden einzelnen Begriff gesondert zu untersuchen, obgleich eine solche Trennung fast unmöglich ist. Es ist notwendig, weil keine wissenschaftliche Forschung in irgendeinem der Bereiche, in denen sie begegnen, es umgehen kann, sich in bedeutungsvoller und oft sogar in entscheidender Weise auf sie zu beziehen. Und doch ist das fast unmöglich, weil niemand ein Fachmann auf allen Gebieten ist, wo die drei Begriffe eine überragende Rolle spielen. Deshalb ist zu fragen, ob nicht jedem dieser Begriffe eine gemeinsame Bedeutung zugrunde liegt, die ihre Verwendung in so unterschiedlichen Zusammenhängen ermöglicht. Die logische Gültigkeit einer solchen Grundbedeutung würde über der Vielfalt der Bedeutungen stehen, die aus ihr abgeleitet werden können. Daher muß diese Untersuchung mit der Frage nach der Grundbedeutung beginnen, die Liebe, Macht und Gerechtigkeit an sich haben, und diese Frage muß wiederum mit dem Aufsuchen der Grundbedeutung all jener Begriffe verknüpft werden, ohne die der Mensch seine Welt nicht denkend erfassen kann. Gewöhnlich werden sie Prinzipien, Strukturelemente oder Seinskategorien genannt. Ihre genaue Bestimmung ist die Aufgabe der Ontologie. Ontologie ist die Methode, mit deren Hilfe sich die Grundbedeutung aller Prinzipien und somit auch der drei Begriffe unserer Untersuchung bestimmen läßt. Nach dieser Methode gedenke ich zu verfahren. Wir werden also ontologisch nach der Grundbedeutung von
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Liebe, Macht und Gerechtigkeit fragen. Und auf diese Weise erschließt sich uns vielleicht nicht nur die besondere Bedeutung dieser drei Begriffe, sondern auch ihr Strukturverhältnis zueinander und ihr Zusammenhang mit dem Sein als solchem. Falls wir auf diesem Wege Erfolg hätten, wären wir in der Lage, die mannigfaltigen Auffassungen zu beurteilen, in denen sowohl die innere Problematik der drei Begriffe an sich wie auch ihr gegenseitiges Verhältnis bisher erschien. Und wir könnten dann auch zu einer besser begründeten Vorstellung ihres gegenseitigen Verhältnisses gelangen. Was dieses Vorhaben so unendlich schwierig macht, ist nicht nur die Vielfalt der Bedeutungen, in denen die Begriffe Liebe, Macht und Gerechtigkeit gebraucht werden, sondern auch die allgemeine Verwirrung in der Erörterung ihres gegenseitigen Verhältnisses. Dennoch müssen wir den Versuch unternehmen. Zunächst gilt es, einen Uberblick über die Problematik und die Mißverständnisse zu gewinnen, denen wir bei unserer Untersuchung auf Schritt und Tritt begegnen werden. Es ist ungewöhnlich, das Wort „Mißverständnisse" in die Überschrift eines Kapitels zu setzen. Aber wenn man die Aufgabe hat, über Liebe, Macht und Gerechtigkeit zu schreiben, dann wird das Ungewöhnliche fast selbstverständlich. Die Mahnung zur Vorsicht und die Hilfe des Semantikers sind vielleicht nirgends so nötig wie in dem Dschungel der Zweideutigkeiten, der sich aus dem Mangel an begrifflicher Klarheit und übergroßer Gefühlsbetontheit auf dem Gebiet von Liebe, Macht und Gerechtigkeit ergeben hat. Die hier vorherrschenden Mißverständnisse beziehen sich teils auf das Verständnis der einzelnen Begriffe, teils auf ihr Verhältnis zueinander. Trotz allem Mißbrauch, dem das Wort Liebe in der Literatur und im täglichen Leben ausgesetzt ist, hat es seine Wirkung auf unsere Gefühle nicht verloren. So oft es gebraucht wird, erweckt es ein Empfinden der Wärme, der Leidenschaft, des Beglücktseins, der Erfüllung. Es erinnert uns an die Glückseligkeit des Liebens und Geliebtwerdens, die wir erfahren haben oder erhoffen. Die Grundbedeutung von Liebe scheint somit ein gefühlsmäßiger Zustand zu sein, der sich wie alle Gefühle einer begrifflichen Bestimmung entzieht und nur in seinen Qualitäten und Ausdrucksformen beschrieben werden kann. Er kann darum auch nicht erstrebt oder gefordert werden, sondern ist etwas, das geschieht oder geschenkt wird. Wäre die Liebe nur gefühlsbedingt, könnte sie auf die Sphäre der Gemütsbewegungen beschränkt und als ein Gefühl unter anderen behandelt werden, wie das z.B. Spinoza tat. Aber es ist doch bezeichnend: wenn Spinoza das Letzte aussagen will über die Natur der göttlichen 144
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Substanz und die mannigfache Weise, in der der Mensch an ihr teilhat, dann spricht er von der intellektuellen Liebe des Menschen zu Gott als der Liebe, mit der Gott sich selbst liebt. Das bedeutet aber, daß er die Liebe von der emotionalen auf die ontologische Ebene hebt. Es ist ja auch genügend bekannt, daß von Empedokles und Plato bis zu Augustin und Pico sowie zu Hegel und Schelling, bis zum Existentialismus und der Tiefenpsychologie die Liebe eine beherrschende ontologische Rolle spielt. Es gibt eine andere Deutung der Liebe, die weder emotional noch ontologisch, sondern ethisch ist. In einem der entscheidenden Dokumente des Judentums und Christentums, ja, aller abendländischen Kultur überhaupt, wird das Wort „Liebe" mit dem Imperativ „du sollst" verbunden. Das „vornehmste Gebot" fordert von jedem Menschen die ganze Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten in einem Maße, daß sie nicht hinter seiner natürlichen Selbstbejahung zurückbleibt. Wenn aber Liebe nur Gefühl ist, wie kann sie dann gefordert werden? Wir können sie ja nidit einmal von uns selbst fordern. Versuchen wir es dennoch, so entsteht etwas Künstliches, hinter dem das sichtbar wird, was bei seiner Erzeugung unterdrückt werden mußte. Bewußt erzeugte Reue verdeckt entartete Selbstzufriedenheit, bewußt erzeugte Liebe verrät Gleichgültigkeit oder gar Feindschaft in pervertierter Form. Das bedeutet: Liebe als ein Gefühl kann nicht befohlen werden. Entweder ist also die Liebe mehr als ein bloßes Gefühl, oder das „vornehmste Gebot" ist sinnlos. Der Liebe als einem Gefühl muß etwas zugrunde liegen, was sowohl ihre ethische als audi ontologische Deutung rechtfertigt. Und es ist durchaus möglich, daß die ethische N a t u r der Liebe von ihrer ontologisdien N a t u r abhängt, wie audi, daß die ontologische N a t u r der Liebe durch ihren ethischen Charakter näher bestimmt wird. Aber wenn das alles zutrifft - und wir werden den Nachweis versuchen, daß es der Fall ist - , dann erhebt sich die Frage, wie diese Deutungen der Liebe mit der Tatsache vereinbar sind, daß die Liebe als das leidenschaftlichste aller Gefühle auftritt. Diese Frage kann jedoch nicht beantwortet werden, ohne auf eine andere Problemreihe einzugehen, die nicht nur an sich außerordentlich wichtig ist, sondern die seit einigen Jahrzehnten im Vordergrund des theologischen und ethischen Interesses steht. Es handelt sich um die Frage nach den Qualitäten der Liebe. In der allgemeinen Erörterung des Unterschiedes zwischen eros und agape (der irdischen und himmlischen Liebe in der Symbolik der Renaissance) erscheinen diese Qualitäten der Liebe als Typen der Liebe, wobei man sogar gelegentlich so weit geht, die Verwendung ein und desselben Wortes „Liebe" f ü r diese ge145
gensätzlichen Typen abzulehnen. Aber es ist mir bei der Abfassung dieser Vortrage klar geworden, daß es keine verschiedenen Typen, sondern nur Abwandlungen der Liebe gibt, denn die verschiedenen Qualitäten sind in jeder Bekundung der Liebe enthalten, entweder als wirkende Kraft oder in der Form des Mangels. Diese Einsicht macht jedoch die Unterscheidung der Qualitäten der Liebe keineswegs zu einer nebensächlichen Angelegenheit. Wenn man, wie ich vorschlagen möchte, zwischen der Libido-, der Philia-, der Eros- und der AgapeQualität der Liebe zu unterscheiden hat, muß man fragen: In welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Was bedeutet es, wenn man von der Liebe ohne jede nähere Bestimmung spricht? Welche Eigenschaft der Liebe entspricht dem „vornehmsten Gebot"? Welche ihrem gefühlsmäßigen Charakter? Wann immer das Wort „Liebe" gebraucht wird, spricht man auch von Selbstliebe. In welchem Verhältnis steht nun die Selbstliebe zu den Qualitäten der Liebe, zu ihrem ontologischen und ihrem ethischen Charakter? Vor allem muß gefragt werden, ob es überhaupt einen Sinn hat, von Selbstliebe zu sprechen. Liebe setzt doch eine Trennung des liebenden Subjekts von einem geliebten Objekt voraus; aber gibt es eine solche Trennung in der Struktur des Selbstbewußtseins? Ich habe starke Bedenken, den Ausdruck „Selbstliebe" zu verwenden, und, wenn dies geschieht, ihn anders als im bildlichen Sinn zu gebrauchen. Abgesehen von dieser terminologischen Frage muß untersucht werden, wie sich die verschiedenen Qualitäten der Liebe zu dem verhalten, was in übertragenem Sinn Selbstliebe genannt wird, und in welchem Verhältnis diese zur ethischen und ontologischen Natur der Liebe steht. Die Problematik und die Mißverständnisse, die mit der Verwendung des Wortes „Liebe" verknüpft sind, wiederholen sich bei der allgemeinen Erörterung des Begriffes „Macht". So wird der Ausdruck power = Macht oder Kraft in der Bedeutung von Kraft auf alle physikalischen Ursachen angewandt, obwohl die theoretische Physik dieses anthropomorphe Symbol über Bord geworfen und durch mathematische Gleichungen ersetzt hat. Doch spricht auch die heutige Physik immer noch von „Kraftfeldern", um die Grundstrukturen der Materie zu beschreiben. Das ist zumindest ein Hinweis auf die Bedeutung, die der Ausdruck power selbst in der abstraktesten Analyse physikalischer Vorgänge hat. Die Physiker sind sich gewöhnlich der Tatsache bewußt, daß sie mit dem Ausdruck power eine anthropomorphe Metapher verwenden. Denn power im Sinne von Macht ist zunächst eine soziologische Kategorie, und aus dem gesellschaftlichen Bereich ist der Begriff auf 146
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die Natur übertragen worden (das gleiche gilt von „Gesetz", wie wir später sehen werden). Aber es löst das Problem nicht, wenn wjr das Wort als Metapher bezeichnen. Wir müssen vielmehr fragen, wie es möglich ist, daß sowohl die Physik wie auch die Soziologie das gleiche Wort gebrauchen. Es muß also etwas Gemeinsames in der Struktur der sozialen und der unbelebten Welt geben. Und diese Übereinstimmung muß sich in dem gemeinsamen Gebrauch des gleichen Wortes erweisen. Es gibt jedoch nur einen Weg, um die Grundbedeutung von Macht zu erfassen, nämlich den, nach ihrer ontologischen Grundlage zu fragen. Und das ist natürlich eine der Aufgaben dieser Vorträge. Innerhalb des sozialen Bereichs ist die Bedeutung von Macht durch eine weitere Zweideutigkeit belastet, nämlich das Verhältnis von Macht zu Gewalt. Diese Spaltung in der Wortbedeutung ist fast ausschließlich auf die menschliche Sphäre beschränkt. Denn der Unterschied zwischen Macht und Gewalt ist nur beim Menschen sinnvoll als dem Seienden, dessen Natur endliche Freiheit ist. Man spricht von „Machtpolitik", und zwar häufig im Tone moralischer Entrüstung. Aber das ist ein großes Mißverständnis. Politik und Machtpolitik sind ein und dasselbe, denn es gibt keine Politik ohne Macht, weder in der Demokratie noch in der Diktatur. Politik und Machtpolitik weisen auf dieselbe Wirklichkeit. Es ist völlig gleichgültig, welchen der beiden Ausdrücke man verwendet. Unglücklicherweise wird jedoch der Ausdruck Machtpolitik für eine besondere Form der Politik gebraucht, nämlich für die, bei der Macht ohne jede Bindung an Gerechtigkeit und Liebe auftritt und somit nichts anderes ist als Zwang. Dieses Mißverständnis erklärt sich daraus, daß tatsächlich in der Wirklichkeit der Macht ein Element des Zwanges vorhanden ist. Aber das ist nur ein Element, und wenn die Macht darauf beschränkt wird und die Form der Gerechtigkeit und die Substanz der Liebe verliert, zerstört sie sich selbst und die Politik, die auf ihr begründet ist. Diese Unklarheiten im Verhältnis von Macht und Zwang lassen sich nur ausschalten, wenn wir bis zu den ontologischen Wurzeln der Macht vorstoßen. Wenn ein Unterschied gemacht wird zwischen Macht und Zwang, ergibt sich die Frage, ob es eine Form der Macht gibt, die weder physisch noch seelisch, sondern geistig ist. Der Zwang gebraucht sowohl physische wie psychologische Mittel, um Macht auszuüben; am offensichtlichsten geschieht das in den Terrormethoden der Diktaturen. Dagegen wird jeglicher Zwang bei der Macht des Geistes ausgeschlossen. Dennoch glaubt man allgemein, daß die geistige Macht die stärkste, ja die absolute Macht ist. Man bekennt sich jedesmal zu diesem Glauben, wenn gesagt wird, daß Gott Geist ist. Das führt uns zur Frage:
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Wie wirkt die Macht des Geistes? In welchem Verhältnis steht sie zur physischen und seelischen Macht und wie zum Element des Zwanges in der Macht? Jahrhundertelang erörtern nun schon die Menschen die Bedeutung unseres dritten Begriffes, der „Gerechtigkeit". Seit den frühesten Zeiten wurde die Idee der Gerechtigkeit in Mythos und Dichtung, in Werken der Plastik und Baukunst symbolisch dargestellt. Dennoch ist ihre Bedeutung nicht scharf umrissen. Im Gegenteil, ihre Bedeutung in der Rechtsprechung scheint zu ihrer ethischen im Widerspruch zu stehen, und beide scheinen mit ihrer religiösen Bedeutung im Konflikt zu liegen. Juristisch bestimmte Gerechtigkeit, moralische Rechtschaffenheit und religiöse Rechtfertigung sind offensichtlich schwer zu vereinbaren. Aristoteles bezeichnet die Gerechtigkeit als ein rechtes Maß und unterscheidet dabei „austeilende" und „ausgleichende" Gerechtigkeit. Daraus ergeben sich verschiedene Probleme. Zunächst ist zu fragen, ob die Begriffe „austeilende" und „ausgleichende" Gerechtigkeit als eine zutreffende Unterscheidung anzusehen sind. Austeilende Gerechtigkeit gibt jedem das Seine gemäß seinem gerechten Anspruch, und sein gerechter Anspruch wird durch seinen gesellschaftlichen Rang bestimmt. Dieser Rang wiederum hängt teilweise von der Stellung ab, die ihm durch geschichtliches Schicksal in der Welt und Gesellschaft zugewiesen worden ist, teilweise von seiner eigenen Leistung bei der Verwirklichung der Möglichkeiten, die in seiner Stellung liegen. Ausgleichende Gerechtigkeit tritt auf den Plan, wenn der Mensch seinen Status und die mit ihm verknüpften gerechten Ansprüche dadurch schwächt, daß er dessen Möglichkeiten nicht verwirklicht, oder dadurch, daß er gegen die soziale oder kosmische Ordnung verstößt, in der sein Stand verwurzelt ist. Ausgleichende Gerechtigkeit erscheint dann als Strafe, und damit entsteht das Problem des eigentlichen Sinnes der Strafe und ihres Verhältnisses zur Gerechtigkeit. H a t Strafe einen eigenen Zweck im Rahmen der ausgleichenden Gerechtigkeit, oder ist sie nur die negative Seite der austeilenden Gerechtigkeit und somit durch sie bestimmt? Nur eine ontologische Betrachtung der Gerechtigkeit kann hier eine Antwort finden. Das gleiche gilt von der Bedeutung der Gerechtigkeit als eines rechten Maßes. Der Ausdruck „zumessende Gerechtigkeit" ist nur sinnvoll, wenn man verschiedene Grade in der Berechtigung von Ansprüchen anerkennt. Er setzt eine Hierarchie der Stände und auch in den berechtigten Ansprüchen voraus. Andererseits umschließt aber der Begriff der Gerechtigkeit auch die Vorstellung der Gleichheit. Wie verhält sich nun das hierarchische Element im Begriff der „zumessenden Gerechtigkeit" zu dem Gleichheitsprinzip? Die Frage wird noch 148
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schwieriger, wenn wir uns klarmachen, daß die Stellung eines Wesens in Universum und Gesellschaft ständigem Wandel unterworfen ist. Der dynamische Charakter des Lebens scheint den Begriff eines gerechten Anspruchs auszuschließen. Er scheint sogar die ganze Idee einer zumessenden Gerechtigkeit in Frage zu stellen. Gibt es nun einen Typ der Gerechtigkeit, der über die Gerechtigkeit im Sinne des Aristoteles hinausgeht und sie zugleich begrenzt? Kann nicht vielleicht das zumessende Element der aristotelischen Auffassung in einen dynamischschöpferischen T y p der Gerechtigkeit hineingenommen werden? Das verlangt wiederum bestimmte Annahmen über das Verhältnis des statischen zum dynamischen Charakter des Seins; es erfordert die Anerkennung ontologischer Voraussetzungen. Ohne eine ontologische Analyse ihrer Grundbedeutungen kann keiner der drei Begriffe Liebe, Macht und Gerechtigkeit in seinen mannigfachen Bedeutungen definiert, beschrieben und verstanden werden. Es kann keine Unklarheit und Zweideutigkeit im Gebrauch der drei Begriffe beseitigt, keines ihrer eigentlichen Probleme gelöst werden, bevor die Frage beantwortet ist: Wie sind Liebe, Macht und Gerechtigkeit in der Natur des Seins als solchen verwurzelt? 1
Die Problematik in der Beziehung der Begriffe
zueinander
Die Zweideutigkeiten in der Verwendung der Begriffe Liebe, Macht und Gerechtigkeit schaffen manche Verwirrung und bringen neue Probleme mit sich, sobald man sich einer Untersuchung ihrer gegenseitigen Beziehungen zuwendet. Liebe und Macht werden oft dergestalt einander entgegengestellt, daß Liebe mit einem Verzicht auf Macht und Macht mit einer Verneinung der Liebe gleichgesetzt werden. Machtlose Liebe wird liebloser Macht gegenübergestellt. Das ist natürlich unvermeidbar, wenn Liebe nur als Gefühl und Macht als Zwang verstanden werden. Aber solch eine Auffassung ist irrig und schafft Verwirrung. Diese Fehldeutung ließ den Philosophen des „Willens zur Macht", Nietzsche, die christliche Idee der Liebe radikal verwerfen. Und die gleiche Fehldeutung lag dem Kampf zugrunde, den christliche Theologen im Namen des christlichen Liebesbegriffs gegen Nietzsches Philosophie vom „Willen zur Macht" führten. In beiden Fällen zeigt sich das Fehlen einer Ontologie der Liebe, und dazu wird auf christlicher Seite Macht eben mit Zwang verwechselt. Zu jener Zeit wurde die protestan1
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Für eine volle Entwicklung der drei Begriffe siehe die späteren Kapitel. 149
tische Theologie von der Schule Albrecht Ritschis beherrscht. Der metaphysikfeindlichen Einstellung dieser Richtung erschien die Liebe Gottes in einem solchen Gegensatz zu seiner Macht, daß diese völlig übersehen und Gott mit einer ethisch verstandenen Liebe gleichgesetzt wurde. Das führte zu einem ethischen Theismus, der das göttliche Mysterium und die Majestät Gottes fast gänzlich vernachlässigte. Die Vorstellung von Gott als Macht des Seins wurde als ein Einbruch heidnischen Denkens verworfen. Damit war die Symbolik der Dreieinigkeitslehre aufgelöst, das Reich Gottes auf das Ideal einer ethischen Gemeinschaft beschränkt. Die Natur wurde ausgeschlossen, weil die Macht ausgeschlossen wurde, und die Macht wurde ausgeschlossen, weil die Seinsfrage ausgeklammert blieb. Denn nur wenn die Frage nach dem Sein gestellt wird und Begriffe wie Liebe und Macht im Lichte der ontologischen Frage gesehen werden, tritt die Einheit ihrer Grundbedeutung hervor. Von höchster Wichtigkeit aber sind die sozialethischen Probleme, die sich aus der Gegenüberstellung von Liebe und Macht ergeben. Man darf vielleicht sagen, daß eine fruchtbare Sozialethik unmöglich ist, solange Macht mit Mißtrauen betrachtet und Liebe auf das rein Gefühlsmäßige und Ethische beschränkt wird. Eine solche Sicht führt dazu, daß man auf seiten der Religion die Politik ablehnt oder ihr zumindest gleichgültig gegenübersteht. Sie führt damit zur Trennung des Politischen vom Religiösen und Ethischen, d. h. zu einer Politik, die nur den Zwang kennt. Eine sinnvolle Sozialethik setzt die Einsicht voraus, daß Machtstrukturen ein Element der Liebe enthalten müssen, wie auch, daß in der Liebe ein Element der Madit vorhanden sein muß, ohne das die Liebe zur chaotischen Hingabe wird. Und diese Einsicht kann nur durch eine ontologische Analyse von Liebe und Macht gewonnen werden. Die Probleme und Mißverständnisse, die die Erörterungen über das Verhältnis von Liebe und Macht kennzeichnen, beherrschen auch die Erörterungen über das Verhältnis von Liebe und Gerechtigkeit. Diese werden gewöhnlich nicht in einem solchen Gegensatz gesehen, wie das bei Liebe und Macht der Fall ist. Aber man erkennt allgemein an, daß die Liebe zur Gerechtigkeit etwas hinzufügt, was diese aus sich heraus nicht hervorbringen kann. Gerechtigkeit, so heißt es, fordert ζ. B., daß ein ererbtes Vermögen zu gleichen Teilen unter jene verteilt wird, die den gleichen rechtlichen Anspruch darauf haben. Aber die Liebe kann einen der Erben veranlassen, sein Recht einem der anderen Erben abzutreten. In diesem Fall wird sein Verhalten nicht von der Forderung der Gerechtigkeit bestimmt, sondern von dem Gebot der Liebe. Die Liebe geht über die Gerechtigkeit hinaus. Das erscheint ziemlich 150
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selbstverständlich, ist es aber nicht. Wenn Gerechtigkeit nicht nur dem Prinzip der abwägenden Zuteilung folgt, dann kann dieser Verzicht entweder ein Akt liebevoller Gerechtigkeit sein oder eine Ungerechtigkeit gegen sich selbst, wie das im ersten Aufzug von Shakespeares „König Lear" der Fall ist, wo Lear alle seine Macht an die Töchter abtritt. Das Verhältnis der Liebe zur Gerechtigkeit kann nicht so verstanden werden, als ob jene zur Gerechtigkeit etwas hinzufügt, ohne deren Charakter zu verändern. Aber nur eine Ontologie der Gerechtigkeit kann das wahre Verhältnis der beiden Grundbegriffe herausstellen. Diese Ansicht wird durch ein weiteres Beispiel gestützt. Ein Mensch kann zu einem anderen sagen: „Ich weiß, was für ein Verbrechen du begangen hast, und die Gerechtigkeit verlangt eigentlich, daß ich dich vor Gericht bringe, aber aus christlicher Nächstenliebe will ich dich laufen lassen." Durch eine solche Nachsicht, die nichts mit Liebe zu tun hat, kann ein Mensch für immer auf die Bahn des Verbrechens gedrängt werden. Das heißt, ihm ist weder Gerechtigkeit noch Liebe zuteil geworden, sondern Ungerechtigkeit im Gewände der Sentimentalität. Er hätte vielleicht gerettet werden können, wenn man ihn nach seiner ersten Verfehlung vor Gericht gestellt hätte. In diesem Fall wäre also die Ausübung der Gerechtigkeit ein Akt der Liebe gewesen. In der klassischen Theologie wird die Spannung zwischen Liebe und Gerechtigkeit in der Lehre von der Versöhnung symbolisiert, wie sie Anselm von Canterbury entwickelt hat. Nach Anselm muß Gott selbst einen Weg finden, um den Folgen seiner vergeltenden Gerechtigkeit zu entgehen, die im Widerspruch zu seiner barmherzigen Liebe stehen. Gott ist gebunden an das Gesetz der Gerechtigkeit, das er selbst gegeben hat. Aber dieses Gesetz würde allen Menschen nur Verdammnis bringen, obgleich Gott in seiner Liebe will, daß der Mensch gerettet werde. Der Ausweg aus diesem Widerspruch ist der unverdiente, stellvertretende Tod des Gottmenschen Jesus Christus. Wegen ihrer psychologischen Stärke wurde diese Lehre trotz ihrer theologischen Schwäche im westlichen Christentum allgemein anerkannt. Sie enthält unausgesprochen die ontologische Einsicht, der sie ausdrücklich widerspricht, daß nämlich letztlich die Liebe der Gerechtigkeit Genüge tun muß, um wahre Liebe zu sein, und daß die Gerechtigkeit zur Einheit mit der Liebe erhöht werden muß, um der Ungerechtigkeit ewiger Vernichtung zu entgehen. Aber in der juristischen Ausprägung dieser Lehre tritt das nicht zutage. Die Unhaltbarkeit der „Additionstheorie" in bezug auf Liebe und Gerechtigkeit erweist sich ferner in dem Bezogensein von Liebe und Gerechtigkeit auf eine konkrete Situation. Gerechtigkeit findet ihren
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Ausdruck in Prinzipien und Gesetzen, die niemals der Einmaligkeit einer bestimmten Lage gerecht werden können. Jede Entscheidung, die allein auf einer abstrakten Formulierung der Gerechtigkeit beruht, ist darum notwendigerweise ungerecht. Gerechtigkeit ist nur dann möglich, wenn sowohl die Forderung des allgemeingültigen Gesetzes wie auch die der bestimmten Lage anerkannt und auf die konkrete Situation angewandt werden. Aber es ist die Liebe, die das Eingehen auf die konkrete Situation bewirkt. Es wäre jedoch vollkommen falsch, zu behaupten, daß die Liebe zur Gerechtigkeit hinzugefügt werden müsse, um die Einmaligkeit der Situation zur Geltung zu bringen. Denn das hieße, daß Gerechtigkeit als solche unmöglich ist. Tatsächlich zeigt die bestimmte Situation, daß die Gerechtigkeit gerecht ist eben durch die Liebe, die in ihr enthalten ist. Das kann jedoch nur im Zusammenhang einer ontologischen Analyse der Grundbedeutung von Liebe und Gerechtigkeit ganz verstanden werden. Die Schwere der Problematik und die Gefahr verworrenen Denkens werden gleichermaßen deutlich, wenn wir schließlich Macht der Gerechtigkeit gegenüberstellen. Hier geht es um das Verhältnis von Gesetz und Ordnung zur Gerechtigkeit und ihrer aller Verhältnis zur Macht. Auch auf diesem Gebiet herrscht mehr Verwirrung als Klarheit. Die erste Frage lautet: Wer gibt das Gesetz, in dem die Gerechtigkeit zum Ausdruck kommen soll? Gesetze zu geben ist die grundlegende Bekundung der Macht. Aber wenn eine Gruppe, die im Besitze der Macht ist, die Gesetze erläßt, wie verhalten sich diese dann zur Gerechtigkeit? Verkörpern sie nicht bloß den Machtwillen dieser Gruppe? Die marxistische Staatstheorie behauptet das, indem sie erklärt, daß die Gesetze von der herrschenden Klasse nur als Werkzeug zur Aufrechterhaltung ihrer Macht über die Gesellschaft benutzt werden. Die Macht kann auf militärische Eroberung zurückgehen oder sich aus gesellschaftlich-wirtschaftlichen Gegebenheiten herleiten. In beiden Fällen ist Gerechtigkeit nur dann möglich, wenn sich der Staat aufgelöst hat und durch eine Verwaltung ohne politische Macht ersetzt worden ist. Die Gerechtigkeit einer herrschenden Klasse ist Ungerechtigkeit, und die Verteidigung dieser Ungerechtigkeit ist Ideologie. Die Gesetze, die von ihr gegeben werden, sichern eine bestimmte soziale Ordnung, und solange es keine Alternative zu dieser Ordnung gibt, sind die Gesetze der herrschenden Klasse besser als das Chaos. Die zynischen Vertreter dieser Theorie verstehen Gerechtigkeit ausschließlich als eine Funktion der Macht und keineswegs als deren Richter. Sie stimmen der marxistischen Analyse zu, ohne die marxistische Erwartung zu haben, und machen die Gerechtigkeit lediglich zu einer Funktion der Macht. In der Abwehr gegen diese Aus152
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Schaltung der Gerechtigkeit als eines unbedingten Prinzips ist eine Theorie auf den Plan getreten, die die Gerechtigkeit völlig von der Macht zu trennen versucht und sie als ein autonomes System gültiger Urteile begründen möchte. In dieser Sicht ist Gerechtigkeit ein Absolutes, ohne jede Verbindung mit bestimmten Machtstrukturen. Das positive Recht, das aus den Prinzipien des Natur- oder Vernunftrechts abgeleitet wird, drückt nicht aus, was ist, sondern fordert, was sein sollte. Ohne Rücksicht auf Macht fordert und erwartet es Gehorsam aufgrund der ihm innewohnenden Gültigkeit. Es ist nicht ein Ausdruck der Macht, sondern richtet über sie. Die Kluft zwischen diesen beiden Theorien über das Verhältnis der Macht zur Gerechtigkeit zeigt die Schwierigkeit des Problems und die Notwendigkeit einer ontologischen Untersuchung der Grundbedeutungen von Macht und Gerechtigkeit. Wie von mir angekündigt wurde, habe ich in einen Dschungel von Problemen und Mißverständnissen geführt, aber an jeder entscheidenden Stelle habe ich einen Ausweg aufzeigen können, nämlich die ontologische Analyse von Liebe, Macht und Gerechtigkeit. Im folgenden Kapitel soll das Wesen dieser Methode erörtert und zugleich versucht werden, das Wesen der Liebe ontologisch zu deuten.
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II DAS S E I N U N D D I E L I E B E Die ontologische
Frage
Sämtliche Probleme, die mit Liebe, Macht und Gerechtigkeit verknüpft sind, führen uns zu einer ontologischen Analyse. Ohne Beantwortung der Frage: Wie ist jeder dieser Begriffe im Sein-Selbst verwurzelt? können weder die bestehenden Unklarheiten beseitigt noch die Probleme selbst gelöst werden. Und die Frage nach dem Sein-Selbst ist die ontologische Frage. Aber bevor wir uns mit den ontologischen Wurzeln eines jeden unserer Begriffe befassen, ist es angebracht, die Frage zu stellen: Was besagt in diesem Zusammenhang „Wurzel"? Was ist überhaupt die "Grundbedeutung" eines Begriffs? Wie soll die ontologische Frage gestellt und wie soll sie beantwortet werden? Ontologie ist die Erfassung des „logos" im „on", d. h. des „vernünftigen Wortes", welches das „Sein als solches" begreift. Der moderne Geist hat es schwer, das lateinische esse ipsum, Sein-Selbst oder das griechische dv fj öv, „das Seiende, insofern es Seiendes ist", zu verstehen. Wir alle sind von Hause aus Nominalisten, und als solche sind wir geneigt, nur Dinghaftes in unserer Welt anzuerkennen. Aber diese Einstellung erklärt sich aus einem Zufall der geschichtlichen Entwicklung und ist keine innere Notwendigkeit. Den sogenannten Realisten des Mittelalters ging es darum, die Gültigkeit der Allgemeinbegriffe als echter Erscheinungsformen des Seins zu erhärten. Ich will nun keineswegs, daß Sie den naiven Nominalismus der modernen Welt aufgeben und sich dem Realismus zuwenden; sondern ich möchte Sie auf etwas hinweisen, was älter ist als Nominalismus und Realismus, nämlidi auf die Philosophie, die die Frage nach dem Sein vor der Spaltung in allgemeine Wesenheiten und besondere Inhalte stellt. Diese Philosophie ist älter als jede andere. Sie ist das mächtigste Element in allen großen philosophischen Lehren der Vergangenheit, und in den bedeutenden philosophischen Bemühungen unserer Zeit ist ihre Bedeutung wieder voll erkannt worden. Es handelt sich um die Philosophie, die die Frage stellt: Was bedeutet es, daß etwas ist? Was sind die charakteristischen Merkmale von allem und jedem, das am Sein teilhat? Das aber ist die Frage der Ontologie. Die Ontologie versucht nicht, die Natur des Seienden zu beschrei154
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ben, handele es sich nun um seine allgemeinen Gattungseigenschaften oder um seine individuellen geschichtlichen Erscheinungsformen. Sie fragt nicht nach Sternen und Pflanzen, Tieren und Menschen. Sie fragt auch nicht nach Ereignissen und nicht nach denen, die in diesen Ereignissen handelnd auftreten. Das ist die Aufgabe naturwissenschaftlicher Forschung und der Geschichtsschreibung. Die Ontologie stellt dagegen die einfache und doch unendlich schwierige Frage: Was heißt das, zu sein? Welches sind die Strukturen, die allem Seienden, allem, das am Sein teilhat, zugrundeliegen? Man kann dieser Frage nicht dadurdi ausweichen, daß man das Bestehen solcher gemeinsamer Strukturen einfach bestreitet. Es läßt sich nicht leugnen, daß das Sein eins ist und daß die Merkmale und Elemente des Seins ein Gewebe von miteinander verbundenen und einander widerstrebenden Kräften bilden. Dieses Gewebe ist eins, insofern es ist, und verleiht die Macht zu sein jeder seiner Qualitäten und jedem seiner Elemente. Es ist eins, aber es ist weder eine tote Identität noch eine sich ewig wiederholende Gleichheit. Es ist eins in der Mannigfaltigkeit seines Gewebes. Ontologie ist der Versuch, dieses Gewebe zu beschreiben, seine verborgene Natur durch das Wort zu enthüllen, das zum Sein gehört und in dem das Sein zu sich selbst kommt. Doch geben wir uns keiner Täuschung hin. Die Ontologie beschreibt nicht die unendliche Mannigfaltigkeit des Seienden, des lebenden oder toten, des außermenschlichen oder menschlichen. Die Ontologie charakterisiert das Gewebe des SeinsSelbst, das in allem Seienden wirksam ist, in lebendem oder totem, außermenschlichem oder menschlichem. Die Ontologie geht jedem anderen Versuch voraus, die Wirklichkeit erkennend zu erfassen. Sie geht allen Wissenschaften voraus, nicht immer im Sinne des zeitlichen Ablaufs, aber stets an logischem Gewicht und grundlegender Bedeutung. Man braucht sich nicht vergangenen Jahrhunderten oder entlegenen Gegenden der Welt zuzuwenden, um den Vorrang der ontologischen Frage bestätigt zu finden. Die beste Methode, sich dieses Vorranges heute bewußt zu werden, ist eine sorgfältige Analyse der Schriften führender anti-ontologischer Philosophen oder anti-philosophischer Naturwissenschaftler und Historiker. Man wird dann leicht entdekken, daß diese Männer fast auf jeder Seite ihrer Schriften eine ganze Reihe grundlegender ontologischer Begriffe verwenden, aber nicht offen, und darum oft fälschlich. Man kann der Ontologie nicht ausweichen, wenn es um Erkenntnis geht. Denn erkennen heißt, etwas als Seiendes zu erfassen. Das Sein aber ist ein unendlich verwickeltes Gewebe, dessen Beschreibung die niemals endende Aufgabe der Ontologie ist. Von entscheidender Bedeutung für unser Vorhaben ist die Feststel155
lung, daß die frühen Philosophen auf Wörter wie Liebe, Macht und Gerechtigkeit oder Synonyme für sie angewiesen waren, wenn sie den Versuch unternahmen, das Sein begrifflich zu erhellen. Unsere Dreiheit von Begriffen weist auf eine Dreiheit in der Struktur des Seins-Selbst hin. Metaphysisch gesprochen sind Liebe, Macht und Gerechtigkeit so alt wie das Sein-Selbst. Sie gehen allem Seienden voraus und können nicht von irgendetwas Seiendem abgeleitet werden. Sie haben ontologische Würde. Und bevor sie diese ontologische Würde empfingen, hatten sie mythische Bedeutung. Sie waren Götter, bevor sie rationale Wesensmerkmale des Seins wurden. Die Substanz ihrer mythischen Bedeutung spiegelt sich in ihrem ontologischen Gewicht wider. Dike, die Göttin der Gerechtigkeit, empfängt Parmenides, als er in die Wahrheit selbst eingeführt wird. Denn es gibt keine Wahrheit ohne die Form der Wahrheit, nämlich Gerechtigkeit. Und nach demselben Philosophen ist das Sein-Selbst ewigen Gesetzen unterworfen. Nach Heraklit ist der logos des Seins die Macht, die die Welt bewegt und den Staat erhält; und Xenophanes sieht im Geist die göttliche Macht, die das Rad des Seins in Schwung hält. In der Schau des Empedokles bestimmen Haß und Liebe, Trennung und Wiedervereinigung die Bewegungen der Elemente. Liebe, Macht und Gerechtigkeit sind also die Gegenstände, denen wir immer wieder in der Ontologie begegnen. Es gibt kaum einen Denker von Rang, der sie nicht in den Grundlagen seines Denkens verankert. Bei Plato finden wir die Lehre vom eros als der Macht, die zur Einigung mit dem Wahren und Guten an sich treibt. In seiner Auffassung von den Ideen als den Wesenheiten aller Dinge erscheinen sie als die eigentlichen „Seinsmächte". Und Gerechtigkeit ist für ihn nicht eine besondere Tugend, sondern die zusammenhaltende Kraft im einzelnen Menschen wie auch in einer Gemeinschaft. Bei Aristoteles finden wir die Lehre vom weltumfassenden eros, der alles Seiende zu seiner höchsten Vollendung treibt, die Lehre von der reinen Aktualität, die die Welt bewegt, und zwar nicht als eine bloße Ursache (kinoumenon), sondern als Liebe zur Welt (eromenon). Und die Bewegung, die er beschreibt, ist eine Entwicklung von der Potentialität zur Aktualität, von dynamis zu energeia, zwei Begriffe, die die Vorstellung der Macht mit einschließen. In der Denkrichtung, die von Augustin zu Böhme, Schelling und Schopenhauer führt, bleibt das Element der Macht in dem halbsymbolischen Gebrauch des Begriffes „Wille" bewahrt, während die nachdrückliche Betonung des logos des Seins durch all diese Denker das Element der Gerechtigkeit zur Geltung bringt. Hingegen zeigt die Ontologie der Liebe bei Augustin und all seinen Nachfolgern den Vorrang der Liebe im Verhältnis zu Macht und Gerechtigkeit. 156
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Allen Kennern Hegels ist es wohl bekannt, daß er in seinen frühen Fragmenten als ein Philosoph der Liebe begann, und es kann ohne Obertreibung gesagt werden, daß sein dialektisches Schema eine Abstraktion aus seiner intuitiven Erfassung der Liebe als Trennung und Wiedervereinigung ist. Es darf auch erwähnt werden, daß in der jüngsten psychotherapeutischen Literatur die Beziehung zwischen Machttrieb und Liebe im Vordergrund des Interesses steht. Die Liebe erscheint immer mehr als die Lösung der Probleme, die sich in der Angst und Neurose bekunden. Dieser geschichtliche Uberblick zeigt die grundlegende ontologische Bedeutung der Dreiheit der Begriffe, die hier zur Erörterung stehen. Nun erhebt sich die methodische Frage: Wie unterscheidet sich die Ontologie von dem, was man Metaphysik nennt? Die Antwort darauf lautet, daß die Ontologie die Grundlage der Metaphysik, aber daß sie selbst nicht Metaphysik ist. Die Ontologie stellt die Frage nach dem Sein, d. h. nach etwas, das in allem und jedem in jedem Augenblick gegenwärtig ist. Sie ist niemals „spekulativ" in dem (ganz ungerechtfertigt) abwertenden Sinn des Wortes, sondern sie ist immer deskriptiv, denn sie beschreibt die Strukturen, die in jeder Begegnung mit der Wirklichkeit vorausgesetzt sind. Die Ontologie ist also deskriptiv, nicht spekulativ. Sie versucht, die Grundstrukturen des Seins zu erfassen. Und Sein ist allem gegeben, was ist und damit am Sein-Selbst teilhat. Ontologie in diesem Sinne ist analytisch. Sie zerlegt die vorgefundene Wirklichkeit und versucht, die Strukturelemente zu ergründen, die ein Seiendes zur Teilhabe am Sein befähigen. Sie scheidet die Elemente des Wirklichen, die gattungsbedingt oder individuell sind, von denen, die alles Seiende erst ermöglichen und daher universalen Charakter haben. Jene überläßt die Ontologie den Einzelwissenschaften oder metaphysischen Konstruktionen, während sie diese durch eine kritische Analyse herausarbeitet. Diese Aufgabe kommt offensichtlich niemals zu einem Abschluß, weil die möglichen Formen der Begegnung mit der Wirklichkeit unerschöpflich sind und immer wieder Seinseigenschaften enthüllen, deren ontologische Grundlage untersucht werden muß. Und dann muß die Frage gestellt werden: Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, ontologische Urteile als wahr zu erweisen? Gewiß gibt es keinen experimentellen Weg dahin, aber es gibt den Weg der Erfahrung. Es ist der Weg einer einsichtigen Erkenntnis der grundlegenden Strukturen in der begegnenden Wirklichkeit einschließlich des Prozesses der Begegnung selbst. Die einzige, aber durchaus befriedigende Antwort auf die Frage, wie sich ontologische Aussagen bestätigen lassen, ist, wie gesagt, die Methode einsichtiger Erkenntnis. Die folgende Analyse fordert dazu auf. Aber letztlich gilt es, daß [17]
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die Frage nach der Berechtigung einer Methode vor ihrer erfolgreichen oder mißglückten Anwendung nicht beantwortet werden kann. Die Methode läßt sich nicht von der behandelten Sache trennen. Eine Ontologie der Liebe Alle Probleme, die sich auf das Verhältnis der Liebe zu Macht und Gerechtigkeit beziehen - und das gilt sowohl für das Leben eines Einzelnen wie auch einer ganzen Gemeinschaft - werden unlösbar, wenn Liebe im Grunde als Gefühl verstanden wird. Denn dann wäre Liebe nichts als eine sentimentale Zutat zu Macht und Gerechtigkeit, letztlich ohne Bedeutung und unfähig, die Gesetze der Gerechtigkeit oder die Strukturen der Macht zu ändern. Die meisten Fehlschlüsse in der Sozialethik, der politischen Theorie und der Pädagogik lassen sich aus einem Mißverständnis des ontologischen Charakters der Liebe erklären. Versteht man dagegen die Liebe in ihrer ontologischen Natur, dann erscheint ihr Verhältnis in einem Lichte, das die grundlegende Einheit der drei Begriffe und den bedingten Charakter des Konflikts zwischen ihnen sichtbar macht. Leben ist verwirklichtes Sein, und die Liebe ist die bewegende Macht im Leben. In diesen beiden Sätzen wird die ontologische Natur der Liebe erfaßt. Sie besagen, daß das Sein nicht zur Verwirklichung kommt ohne die Liebe, die alles Seiende zu allem anderen Seienden hinzieht. Im Erfahren der Liebe offenbart sich dem Menschen das Wesen des Lebens. Liebe ist das Verlangen nach der Einheit des Getrennten. Wiedervereinigung aber setzt Trennung dessen voraus, was seinem Wesen nach zusammengehört. Es wäre jedoch irrig, der Trennung dieselbe ontologische Endgültigkeit zuzuschreiben wie der Wiedervereinigung. Denn der Begriff der Trennung setzt eine ursprüngliche Einheit voraus. Die Einheit des Seienden umfaßt sich selbst und die Trennung, geradeso wie das Nichtsein im Sein enthalten ist. Es ist ganz unmöglich, das zu vereinen, was sich seinem Wesen nach ausschließt. Ohne eine letzte Zusammengehörigkeit läßt sich keine Vereinigung eines Seienden mit einem anderen Seienden denken. Das einander absolut Fremde kann keine Gemeinschaft eingehen. Wohl aber strebt nach Wiedervereinigung, was sich gegenseitig fremd geworden ist. In der liebenden Freude über den Anderen ist auch die Freude über die eigene Seinserfüllung durch den Anderen gegenwärtig. Was mir aber absolut fremd ist, kann nicht zu meiner Seinserfüllung beitragen; es kann mich nur zerstören, wenn es in den Kreis meines Daseins eindringt. Darum kann die Liebe nicht als die Vereinigung des sich Fremden betrachtet 158
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werden, sondern nur als die Wiedervereinigung des Entfremdeten. Entfremdung setzt ursprüngliches Einssein voraus. Die Liebe beweist da ihre größte Macht, wo sie die größte Trennung überwindet. Und die größte Trennung ist die Trennung eines Selbst vom Selbst. Jedes Selbst ist auf sich selbst bezogen, und ein vollkommenes Selbst ruht gänzlich in sich selbst. Es ist eine unabhängige Mitte, unteilbar und undurchdringlich, und wird daher mit Recht ein Individuum genannt. Die Trennung eines Wesens, das die höchste Stufe der Vereinzelung erreicht hat, von einem anderen solchen Wesen ist vollständig. Die Mitte eines völlig individualisierten Seienden bleibt jedem anderen Seienden dieser Art verschlossen, und es kann nicht zu einem bloßen Bestandteil einer machtvolleren Einheit gemacht werden. Selbst als Teil ist das Individuum unteilbar, denn auch in dieser Rolle ist es mehr als ein Teil. Liebe führt zur Wiedervereinigung dessen, was eine eigene Mitte hat und unteilbar ist. Die Macht der Liebe ist nicht etwas, das zu einem sonst vollendeten Prozeß hinzutritt, sondern das Leben birgt die Liebe in sich als eines seiner grundlegenden Elemente. Die Erfüllung und der Triumph der Liebe zeigen sich darin, daß sie imstande ist, das am radikalsten getrennte Seiende, nämlich einzelne Personen, wieder zu vereinen. Die Person in ihrer individuellen Eigenart ist das am stärksten getrennte Wesen, zugleich aber auch der Träger der mächtigsten Liebe. Wir haben den Versuch zurückgewiesen, die Liebe auf das rein Gefühlsmäßige zu beschränken. Aber es gibt andererseits keine Liebe ohne ein emotionales Element, und eine Analyse, die dieses Element übersieht, wäre gänzlich verfehlt. Das Problem ist nur, wie es mit der ontologischen Bestimmung der Liebe zu vereinbaren ist. Man kann sagen, daß die Liebe als ein Gefühl die Vorwegnahme der Wiedervereinigung ist, die in jeder Liebesbeziehung stattfindet. Wie alle Gemütsbewegungen ist die Liebe ein Ausdruck der restlosen Teilhabe dessen, der von diesem Gefühl erfüllt ist. Sobald man liebt, wird die Erfüllung des Verlangens nach Wiedervereinigung vorweggenommen und das Glück dieser Vereinigung in der Vorstellung erlebt. Das bedeutet, daß das Gefühlselement in der Liebe nicht ihren anderen Elementen ontologisch vorausgeht, sondern daß die ontologisch begründete Bewegung zum anderen hin im Gefühl zum Ausdruck kommt. Die Liebe ist eine Leidenschaft. Diese Aussage schließt die Feststellung mit ein, daß es ein passives Element in der Liebe gibt, nämlich den Zustand des zur Wiedervereinigung Getriebenwerdens. Die unendliche Leidenschaft in der Hingabe an Gott, wie sie Kierkegaard beschreibt, ist nicht weniger als die sexuelle Leidenschaft eine Folge der objektiv gegebenen Situation, [19]
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nämlich des Zustandes der Trennung derer, die zusammengehören und durch die Liebe zueinander getrieben werden. Die ontologische Auffassung der Liebe muß sich in der Erfahrung der erfüllten Liebe bewähren. Aber dieser Erfahrung haftet eine tiefe Zweideutigkeit an. Erfüllte Liebe ist höchstes Glück und zugleich das Ende des Glückes. Die Trennung ist überwunden, aber ohne Trennung gibt es keine Liebe und kein Leben. Die Würde des personalen Verhältnisses zwischen zwei Menschen äußert sich jedoch gerade darin, daß es wohl das Fürsichsein des in sich ruhenden Selbst bewahrt, aber dennoch eine Vereinigung mit dem anderen in Liebe verwirklicht. Die höchste Form der Liebe, die Form, in der sich die westliche Kultur von der östlichen unterscheidet, ist die Liebe, die das Individuum bewahrt, das sowohl Liebe gibt wie Liebe empfängt. In der Liebesbindung von Person zu Person offenbart das Christentum seine Überlegenheit gegenüber jeder anderen Religion. Die Ontologie der Liebe erschließt uns die Grundeinsicht, daß Liebe in sich eins ist. Das steht im Widerspruch zur Hauptströmung in den jüngsten Untersuchungen über das Wesen der Liebe. Diese waren insofern nützlich, als sie die verschiedenen Qualitäten der Liebe herausstellten. Aber sie stifteten und stiften insoweit Verwirrung, als sie die verschiedenen Qualitäten zu unterschiedlichen Typen der Liebe machten. Der Irrtum bestand nicht darin, daß man überhaupt Qualitäten der Liebe unterschied, im Gegenteil, man hätte noch mehr unterschiedliche Züge an dem komplexen Tatbestand herausarbeiten sollen, der gewöhnlich mit dem Namen eros bezeichnet wird. Der Irrtum bestand einfach darin, daß man nicht davon ausging, die Liebe als eine Einheit aufzufassen. Eine solche Auffassung hätte natürlich zu einer ontologischen Analyse der Liebe geführt. Denn der eigentliche Charakter der Liebe erschließt sich nur dann, wenn diese zum Sein als solchem in Beziehung gesetzt wird. Wenn Liebe in all ihren Formen der Drang zur Wiedervereinigung des Getrennten ist, werden die verschiedenen Qualitäten der in sich einheitlichen Natur der Liebe verständlich. Gewöhnlich wird epithymia (Begierde) als die niedrigste Form der Liebe betrachtet. Sie wird mit dem Verlangen nach sinnlicher Selbsterfüllung gleichgesetzt. Philosophische und theologische Moralisten möchten gern eine unüberbrückbare Kluft aufreißen zwischen dieser Seite der Liebe und jenen Qualitäten, die für edler und wesensmäßig verschieden gehalten werden. Andererseits haben gewisse Anhänger des philosophischen Naturalismus die Tendenz, von allen Qualitäten der Liebe nur die Epithym/d-Qualität gelten zu lassen. Diese ganze Frage läßt sich nur im 160
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Lichte einer ontologischen Deutung der Liebe entscheiden. Zunächst einmal muß gesagt werden, daß die libido, um das lateinische Wort zu gebrauchen, mißverstanden wird, wenn man sie als Verlangen nach Lust definiert. Diese hedonistische Auffassung beruht wie der Hedonismus überhaupt auf einer falschen Psychologie, die wiederum auf eine falsche Ontologie zurückgeht. Den Menschen verlangt es nach Wiedervereinigung mit dem, zu dem er gehört und von dem er getrennt ist. Und das gilt nicht nur vom Menschen, sondern von allen Lebewesen. Sie begehren Nahrung, Bewegung, Entfaltung, Teilhabe am Leben einer Gruppe, geschlechtliche Vereinigung usw. Die Befriedigung all dieser Triebe ist lustbetont. Aber es wird nicht die Lust als solche erstrebt, sondern die Vereinigung mit dem, was das Begehren erfüllt. Gewiß ist erfülltes Verlangen Lust und unerfülltes Verlangen Unlust. Aber es ist eine Verzerrung des wirklichen Lebens, wenn man aus diesem Tatbestand schließen wollte, das Leben bestünde seinem Wesen nach aus der Flucht vor der Unlust und dem Streben nach Lust. Wo das der Fall ist, wird das Leben verfälscht. Nur ein verdorbenes Leben läßt sich vom Lust-Unlust-Prinzip leiten. Unverdorbenes Leben strebt nach dem, was ihm mangelt, es strebt nach Vereinigung mit dem, von dem es getrennt ist, obgleich es zu ihm gehört. Diese Analyse ist vielleicht geeignet, das Vorurteil gegenüber der libido aus dem Wege zu räumen; sie kann uns ferner Kriterien dafür liefern, wieweit Freuds Libidotheorie anzunehmen und wieweit sie abzulehnen ist. Wenn Freud die libido als Verlangen des Individuums beschreibt, sich von seinen Spannungen zu befreien, dann handelt es sich um eine entartete Form der libido. Und er hat das unausgesprochen (wenn auch nicht mit vollem Bewußtsein) dadurch zugegeben, daß er den Todestrieb aus der unendlichen, niemals erfüllten libido ableitet. Freud beschreibt die libido des Menschen in ihrem pervertierten, selbstentfremdeten Zustand. Aber seine Beschreibung, die mit der Auffassung vieler Puritaner übereinstimmt (alter und neuer, die insgesamt wenig erbaut wären von dieser Geistesgemeinschaft), verfehlt den Sinn der libido als des natürlichen Triebes zu vitaler Selbsterfüllung. Aufgrund dieser Analyse erscheint die Feststellung berechtigt, daß epithymia eine Qualität ist, die in keiner Liebesbeziehung fehlt. Insoweit hat der philosophische Naturalismus recht. Aber er irrt, wenn er die libido oder epithymia als das Streben nach Lust rein um der Lust willen erklärt. Das Bemühen, agape und eros als einen unvereinbaren Gegensatz zu erweisen, beruht gewöhnlich auf einer Gleichsetzung von eros und epithymia. Gewiß ist epithymia in jeder Form des eros enthalten. Aber eros ist mehr als epithymia. Der eros strebt nach Vereinigung mit [21]
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einem Wesen, das Werte verkörpert, und zwar um dieser Werte willen. Das gilt für das Schöne in der Natur, das Schöne und Wahre in der Kultur und schließlich für die mystische Vereinigung mit dem Ursprung des Schönen und Wahren. Die Liebe treibt zur Vereinigung mit den Schöpfungen der Natur und Kultur und deren göttlichem Ursprung. Dieser eros ist mit epithymia verbunden, sofern diese das Verlangen nach vitaler Selbsterfüllung ist und nicht nur Begierde nach der Lust, die aus dieser Vereinigung erwächst. Diese Bewertung des eros wird von zwei Seiten angegriffen. Die Liebe als eros wird einmal von jenen Theologen verworfen, die auch die Kultur verwerfen, und auch von jenen, die jedes mystische Element im Verhältnis des Menschen zu Gott leugnen. Aber es ist ein recht widerspruchsvolles Unterfangen, die Kultur zu verwerfen und sich dabei auf die Werte der Kultur zu stützen, so z. B. wenn die in Jahrtausenden erreichte sprachliche Kultur dazu gebraucht wird, um die Ablehnung der Kultur zu begründen. Ohne den eros zur Wahrheit könnte keine Theologie bestehen, und ohne den eros zum Schönen gäbe es keine Riten. Noch bedenklicher ist die Ablehnung der ErosQualität der Liebe im Verhältnis zu Gott. Eine solche Ablehnung ersetzt die dann unmöglich gewordene Liebe zu Gott durch Gehorsam gegenüber Gott. Aber Gehorsam ist nicht dasselbe wie Liebe. Er kann sogar das Gegenteil von Liebe bedeuten. Ohne die Sehnsucht des Menschen nach Wiedervereinigung mit seinem Ursprung wird die Liebe zu Gott zu einem leeren Wort. Die £ro5-Qualität der Liebe steht in einem polaren Verhältnis zu dem, was man die Philia-Qy&YvÖA der Liebe nennen könnte. Während eros den transpersonalen Pol darstellt, vertritt philia den personalen Pol. Keiner von beiden ist ohne den anderen möglich. In der philia ist £ro5-Qualität und im eros ist /'¿¿/¿¿-Qualität enthalten. Sie sind gegenseitig voneinander abhängig in der Weise der Polarität. Das bedeutet zugleich, daß ohne die radikale Vereinzelung des in sich geschlossenen Selbst weder der schöpferische noch der religiöse eros möglich ist. Wesen ohne personhafte Mitte sind ohne eros, wenngleich sie epithymia haben mögen. Wer zu einer Ich-Du-Beziehung unfähig ist, hat kein Verhältnis zum Wahren und Guten und zum Grund des Seins, in dem sie verwurzelt sind. Wer den Freund nicht lieben kann, vermag auch nicht die Kunst zu lieben, in der die letzte Wirklichkeit Gestalt annimmt. Kierkegaards Stufen des Ästhetischen, Ethischen und Religiösen sind in Wirklichkeit nicht Stufen, sondern Qualitäten, die in gegenseitiger struktureller Abhängigkeit erscheinen. Andererseits ist philia auch vom eros abhängig. Begriffe wie Teilhabe und Gemeinschaft weisen auf die £ros-Qualität in jeder Philia-Beziehung hin. Es handelt sich 162
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hier um das Verlangen nach Vereinigung mit einer Seinsmacht, die zugleich unendlich getrennt und doch wieder ganz nahe ist und die in der Entfaltung ihrer einmaligen Individualität Möglichkeiten und Verwirklichungen des Guten und Wahren ausstrahlt. Aber eros und philia sind nicht nur in den Beziehungen zwischen Individuen vereint; sie sind das auch in dem Zusammenleben von sozialen Gruppen. In Familien und Völkern richtet sich das Verlangen nach Teilhabe auf die Seinsmächtigkeit, die in der Gruppe verkörpert ist, wenn auch hier das Philia-Îlement fehlen sollte. Bereits die Tatsache, daß solche Gruppen aus Individuen bestehen, die alle die Möglichkeit einer Ich-Du-Beziehung haben, unterscheidet den eros innerhalb einer Gruppe von dem eros, wie er z. B. in künstlerischen Schöpfungen wirksam ist. Liebe als philia setzt eine gewisse Vertrautheit mit dem Gegenstand der Liebe voraus. Aus diesem Grunde vertrat Aristoteles die Ansicht, daß philia nur zwischen Gleichen möglich ist. Das ist richtig, wenn man den Begriff „gleich" weit genug faßt und die Ausschließlichkeit esoterischer Gruppen vermeidet. Wie wir bereits angedeutet haben, enthalten sowohl eros wie philia ein Element der epithymia. Das wird vor allem in den Fällen deutlich, wo eine Philia- und Erosbeziehung mit geschlechtlicher Anziehung oder Erfüllung verbunden ist. Aber es trifft nicht nur in diesen Fällen zu; es ist stets der Fall. In dieser Hinsicht hat die Tiefenpsychologie eine Seite der menschlichen Existenz enthüllt, die niemals wieder durch idealistische oder moralistische Befürchtungen und Forderungen verdeckt werden sollte. Das natürliche Verlangen eines jeden Wesens, sich durch die Vereinigung mit anderen Wesen zu erfüllen, ist universal und liegt sowohl der Eros- wie audi der Philia-Qualität der Liebe zugrunde. Selbst in den höchsten Formen geistiger Freundschaft oder asketischer Mystik ist ein Element der libido enthalten. Ein Heiliger ohne alle libido würde aufhören, Geschöpf zu sein. Aber einen solchen Heiligen gibt es nicht. Bisher ist von der Qualität der Liebe, die das Neue Testament beherrscht, nämlich der Agape-QnzYitit, noch nicht die Rede gewesen. Das geschah nicht deswegen, weil agape die letzte und höchste Form der Liebe ist, sondern weil sie von einer anderen Dimension her das Ganze des Lebens und alle Qualitäten der Liebe durchdringt. Man könnte agape die Tiefendimension der Liebe oder Liebe in der Bezogenheit auf den Grund des Lebens nennen. Man könnte auch sagen, daß sich in der agape die letzte Wirklichkeit offenbart und Leben und Liebe verwandelt. Agape ist Liebe, die in die Liebe einbridit, gerade so wie Offenbarung Vernunft ist, die in die Vernunft einbricht, und das Wort [23]
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Gottes das Wort ist, das in alle Worte einbricht. Das soll jedoch das Thema des letzten Kapitels sein. In diesem Zusammenhang müssen wir die Fragen beantworten, die im ersten Kapitel bei der Erörterung des Begriffs der Selbstliebe berührt wurden. Wenn Liebe der t)rang nach Wiedervereinigung des Getrennten ist, hat es wenig Sinn, von Selbstliebe zu sprechen. Denn innerhalb des Selbstbewußtseins gibt es keine wirkliche Trennung, die der Trennung eines in sich geschlossenen Selbst von allen anderen Wesen vergleichbar wäre. Gewiß befindet sich das völlig selbstzentrierte Seiende, der Mensch, nur deshalb in diesem Zustand, weil sein Selbst gespalten ist in ein Selbst, das Subjekt, und in ein Selbst, das Objekt ist. Aber in dieser Struktur gibt es weder Trennung noch Sehnsucht nach Wiedervereinigung. Selbstliebe ist eine Metapher und sollte nicht wie ein Begriff gebraucht werden. Der Mangel an begrifflicher Klarheit in der Verwendung des Ausdrucks „Selbstliebe" zeigt sich darin, daß er in drei verschiedenen und teilweise sich widersprechenden Bedeutungen gebraucht wird. Man verwendet ihn, um die natürliche Selbstbejahung zu bezeichnen (etwa im Sinne der Wendung: seinen Nächsten lieben wie sich selbst). Er wird zur Benennung von Selbstsucht gebraucht, d. h. des Strebens, alle Dinge an sich zu ziehen. Schließlich braucht man ihn auch im Sinne der Selbst-Annahme, d. h. der Bejahung seiner selbst, so wie Gott uns bejaht. Es wäre für die Klärung unserer Begriffe sehr dienlich, wenn man den Ausdruck „Selbstliebe" überhaupt aus unserem Wortschatz streichen würde, um ihn je nach dem Zusammenhang durch Selbstbejahung, Selbstsucht oder Selbstannahme zu ersetzen.
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III
DAS S E I N UND D I E MACHT Das Sein als Seinsmächtigkeit Wir haben es als das eigentliche und niemals abgeschlossene Geschäft der Ontologie hingestellt, die Struktur des Seins als Sein zu beschreiben oder als das, an dem alles, was ist, teilhat. Es erhebt sich jedoch die Frage, ob man nicht etwas Grundlegenderes über das Sein sagen kann, als nur die Kategorien und Polaritäten herauszuarbeiten, die seine Struktur bestimmen. Die Antwort darauf lautet: nein und ja. Das Nein ergibt sich aus der Tatsache, daß das Sein nicht definiert werden kann. Denn in jeder Begriffsbestimmung ist Sein schon vorausgesetzt. Das J a ist gerechtfertigt, weil das Sein durch Begriffe näher gekennzeichnet werden kann, die zwar von ihm abhängen, aber die es in bildhafter Weise erhellen. Die Frage, was für Begriffe diese Funktion zu erfüllen vermögen, kann nur versuchsweise beantwortet werden, und die Brauchbarkeit der gewählten Begriffe muß sich an ihrem Vermögen erweisen, die Begegnung des Menschen mit der Wirklichkeit verständlich zu machen. Der Begriff, der mir für eine grundlegende Beschreibung des Seins an sich am geeignetsten erscheint, ist der Begriff der Macht. Bei der Erörterung über das Wesen der Ontologie und die Bedeutung von Liebe, Macht und Gerechtigkeit in der Ontologie früherer Zeiten habe ich bereits darauf hingewiesen, daß der Machtbegriff eine wichtige Rolle bei der Beschreibung der letzten Wirklichkeit spielt. Sowohl in der aristotelischen als auch in der augustinischen Uberlieferung werden für die grundlegende Charakterisierung des Seins an sich Begriffe verwendet, die das Element der Macht enthalten. Am bemerkenswertesten in dieser Hinsicht ist Nietzsches Lebensphilosophie, die als „Wille zur Macht" auftritt. In einer ontologisdien Untersuchung der Macht, wie wir sie uns vorgenommen haben, muß kurz gesagt werden, wie sein Wille zur Macht eigentlich zu verstehen ist. Ich fühle mich in meiner Auffassung durch die tiefsinnige Analyse bestätigt, die Martin Heidegger in seinem Buch „Holzwege" gibt. Nietzsches „Wille zur Macht" bedeutet danach weder Wille noch Macht im herkömmlichen Sinne des Wortes. Nietzsche meint nicht das psychologische Phänomen, das Wille genannt wird, obgleich sich der Wille zur Macht durchaus im bewußten Han-
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dein des Menschen bekunden kann, ζ. B. in der Selbstbeherrschung, wie sie vom befehlenden Willen ausgeübt wird. Aber letztlich bezeichnet der Wille zur Macht bei Nietzsche wie auch bei Schopenhauer die dynamische Selbstbejahung des Lebens. Wie überall, wo es um die letzte Wirklichkeit geht, sind die gebrauchten Begriffe mehr symbolisch als wörtlich zu verstehen. Das gilt natürlich auch für die Bedeutung von „Macht" in dem Begriff „Wille zur Macht". Hier ist nicht die soziologische Funktion der Macht gemeint, obgleich soziologische Macht als eine der Manifestationen der ontologischen Macht mit dazu gehört. Aber soziologische Macht als die Möglichkeit, seinen Willen gegen den Widerstand der Gesellschaft durchzusetzen, ist nicht der Kern des Willens zur Macht. Der besteht vielmehr in der Dynamik alles Lebendigen, sich mit wachsender Stärke nach innen und außen zu verwirklichen. Der Wille zur Macht ist nicht der Wille des Menschen, Macht über andere Menschen zu gewinnen, sondern er ist die Selbstbejahung des Lebens, das dynamisch über sich hinausdrängt und dabei inneren und äußeren Widerstand überwindet. Diese Deutung von Nietzsches „Wille zur Macht" führt uns von selbst zu einer systematischen Ontologie der Macht. An den Anfang dieses Kapitels stellten wir die Frage, was wir grundlegend über die Natur des Seins aussagen können. Die Antwort lautete: gar nichts durch Definitionen, wohl aber einiges durch verdeutlichende Metaphern. Und wir schlugen in diesem Zusammenhang den Begriff der Macht vor. Danach ist Sein gleichbedeutend mit Seinsmächtigkeit, es ist die Macht zu sein. Aber selbst bei einem bildlichen Gebrauch des Wortes gilt für „Macht" eine Voraussetzung, nämlich daß etwas da ist, worüber sie ihre Macht beweist. Wir sprachen über die dynamische Selbstbejahung des Lebens bei der Überwindung innerer und äußerer Widerstände. Aber, so müssen wir fragen, was kann der Macht des Seins Widerstand leisten, wenn alles, was ist, an ihm partizipiert? Wo ist der ontologisdie Ort dessen, was von der Macht des Seins überwunden werden kann, wenn alles Seiende erst durch diese Macht seinen Standort zugewiesen erhält? Was kann das sein, was das Sein zu verneinen sucht und selbst von ihm verneint wird? Darauf kann es nur eine Antwort geben. Was von der Seinsmächtigkeit überwunden wird, ist das Nichtsein. Das ist eine uralte Antwort, wie sie im Mythos vorliegt, lange vor den Anfängen der Philosophie. Die Philosophen aller Kulturkreise und aller Zeiten haben sie ins Rationale übertragen, und heute ist sie von den führenden existentialistischen Philosophen erneut in den Mittelpunkt unseres Interesses gerückt worden. Versucht man jedodi, diese Antwort erneut zu formulieren, muß man sich dessen bewußt 166
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sein, daß man hier an das tiefste Geheimnis des Seins rührt und daß es unmöglich ist, das Rätsel des Nichtseins anders zu erklären als durch Begriffe, die selbst die Zeichen des Nichtseins aufweisen, d. h. man muß die Sprache der Paradoxie gebrauchen. Jedermann wird dem die Frage entgegenstellen: Wie kann das Nichtsein die Macht haben, dem Sein zu widerstehen? Erscheint in der Feststellung, daß das Sein das Nichtsein überwindet, das Nichtsein nicht vielmehr als Teil des Seins-Selbst, und wenn das der Fall ist, geht es nicht gänzlich im Sein auf, sodaß die Metapher von der Seinsmächtigkeit sinnlos wird? Es ist begreiflich, daß die Anhänger der modernen analytischen Logik bei solchem Sprachgebrauch ungeduldig werden und hier von leeren Aussagen sprechen. Aber wenn die analytische Logik die heutige Ontologie ablehnt, muß sie die Ontologie überhaupt ablehnen und damit das Denken fast aller Philosophen der Vergangenheit und Gegenwart verwerfen. Das haben die logischen Positivisten auch getan. Aber eine solche Einstellung vermag die frühere Philosophie nicht zu widerlegen, sie widerlegt vielmehr die Gegner dieser Philosophie. Die Antwort auf die Frage, wie das Nichtsein der Seinsmächtigkeit Widerstand entgegenzusetzen vermag, kann nur lauten, daß das Nichtsein dem Sein nicht fremd ist, sondern daß es jene Qualität des Seins darstellt, die alles, was am Sein teilhat, verneint. Das Nichtsein ist die Verneinung des Seins innerhalb des Seins-Selbst. Natürlich ist jedes dieser Wörter als Metapher gebraucht. Aber metaphorische Sprache kann wahre Sprache sein und auf etwas hinweisen, was in dieser Sprache zugleich verborgen und enthüllt ist. Sein, das Nichtsein in sich birgt, ist endliches Sein. „Endlich" bedeutet, daß das betreffende Sein das Schicksal hat, dem Nichtsein zu verfallen. Der Ausdruck bezeichnet eine begrenzte Seinsmächtigkeit, eine solche, die eingeschränkt ist zwischen einem Anfang und einem Ende, zwischen dem Nichtsein zuvor und dem Nichtsein danach. Das ist jedoch nur ein Teil der Antwort. Es muß noch erklärt werden, warum die Waagschale des Seins ein größeres Gewicht hat als die des Nichtseins. Die Antwort hierauf ist sowohl logisch wie existentiell. Logisch (und auch sprachlich) ist es offensichtlich, daß das Nichtsein nur als Verneinung des Seins möglich ist. Das Sein geht logisch dem Nichtsein voraus. Das, was besteht und dann wieder vergeht, geht logisch dem Ende voraus. Das Negative „lebt" von dem Positiven, das es verneint. Aber wie einleuchtend solche Antworten auch erscheinen mögen, sie befriedigen dennoch nicht die Frage nach dem Übergewicht des Seins über das Nichtsein. Könnte hier nicht von einem Gleichgewicht gesprochen werden, in dem keines von beiden überwiegt? Darauf ist nur eine existentielle Antwort möglich, die Ant[27]
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wort des Glaubens oder Mutes. Mut und das im Glauben, was an ihm Mut ist, bejaht den schließlichen Sieg des Seins über das Nichtsein. Dieser Mut bejaht die Gegenwart des Unendlichen in allem Endlichen. Und eine Theologie, die sich auf einen solchen Mut stützt, versucht den Nachweis, daß gerade so, wie das Nichtsein von dem Sein abhängt, das es verneint, auch das Bewußtsein der Endlichkeit einen Ort außerhalb alles Endlichen voraussetzt, von dem erst das Endliche als solches begriffen wird. Aber einen solchen Standort einzunehmen, verlangt einen mutigen Entschluß und nicht so sehr logisches Denken. Alles Seiende bejaht sein eigenes Sein. Sein Leben ist seine Selbstbejahung, auch wenn diese die Form der Selbstpreisgabe annimmt. Jedes Wesen wehrt sich gegen die Verneinung seiner selbst. Die Selbstbejahung eines Wesens entspricht der in ihm verkörperten Seinsmächtigkeit. Im Menschen ist sie größer als im Tier, aber natürlich ist sie nicht in allen Menschen gleich stark. Ein Lebensprozeß ist um so machtvoller, je mehr Nichtsein er in seine Selbstbejahung hineinnehmen kann, ohne davon zerstört zu werden. Der Neurotiker kann nur wenig Nichtsein in sich aufnehmen, der Durchschnittsmensch ist dazu im begrenzten Umfang befähigt, aber der schöpferische Mensch vermag ein großes Maß und Gott, symbolisch gesprochen, ein unendliches Maß von Nichtsein in sich zu tragen. Die Selbstbejahung eines Wesens trotz der Bedrohung durch das Nichtsein drückt den Grad seiner Seinsmächtigkeit aus. Damit sind wir zu den Wurzeln des Machtbegriffs gelangt. Macht ist die Möglichkeit der Selbstbejahung trotz innerer und äußerer Verneinung; sie ist die Möglichkeit, den Widerstand des Nichtseins zu überwinden. Menschliche Macht ist die Möglichkeit des Menschen, das Nichtsein unaufhörlich zu überwinden. In der Geschichte der Philosophie, vor allem in der platonischen Schule, ist wiederholt von „Stufen des Seins" die Rede. Das ist ein schwieriger und umstrittener Begriff. Er erscheint sinnlos, wenn Sein und Existenz in Raum und Zeit gleichgesetzt werden. Es gibt keine Stufen des Existierens, sondern nur ein Entweder - Oder. Der Begriff der Seinsstufen verliert jedoch seine Schwierigkeit, wenn Sein als Seinsmächtigkeit verstanden wird. Denn es gibt sicherlich Abstufungen der Seinsmächtigkeit gemäß dem Vermögen, Nichtsein in die eigene Selbstbejahung hineinzunehmen. Eine Phänomenologie der Macht Wenn es nun Stufen der Seinsmächtigkeit gibt, erhebt sich die Frage: Wo offenbart sich die Seinsmächtigkeit, und wie kann sie gemessen 168
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werden? Die Antwort lautet, daß sich die Macht des Seins nur in dem Prozeß zeigt, in dem es seine Macht verwirklicht. In diesem Prozeß erscheint seine Macht, und zwar in einer solchen Form, daß sie gemessen werden kann. Macht ist nur in ihrer Aktualisierung wirklich, in der Begegnung mit anderen Trägern von Macht und in dem sich ständig verändernden Gleichgewicht, das sich aus diesen Begegnungen ergibt. Das Leben ist dynamische Verwirklichung des Seins. Es ist kein System von Regeln, die aus einer Grundauffassung des Lebens abgeleitet werden könnten. Nichts läßt sich in einem Lebensprozeß eindeutig ableiten, nidits ist hier a priori bestimmt, und nichts ist endgültig außer jenen Strukturen, die die Dynamik des Lebensprozesses ermöglichen. Das Leben ist eine Sache ununterbrochener Entscheidungen, die nicht immer bewußt getroffen werden, sich aber doch in der Begegnung von Seinsmächtigkeiten vollziehen. In jeder Begegnung eines Wesens von einer bestimmten Seinsmächtigkeit mit einem anderen solchen Wesen entscheidet sich das Maß an Macht, über das beide verfügen. Solche Entscheidungen können nicht von vornherein bestimmt werden. Das Leben bleibt immer offen. Jedes Wesen hat Chancen und muß Wagnisse auf sich nehmen, weil seine Seinsmächtigkeit verborgen bleibt, solange sie sich nicht in wirklichen Begegnungen erweist. Die typischen Formen, in denen Seinsmächtigkeiten einander begegnen, sind ein faszinierender Gegenstand für eine phänomenologische Darstellung. Alles Leben, vor allem das in einem menschlichen Individuum, drängt über sich selbst hinaus. Es stößt vorwärts, es schreitet aus und begegnet dabei Leben in einem anderen Individuum, das ebenfalls vorwärts stößt, sich zurückzieht oder an seinem Platz verharrt und sich gegen fremde Macht wehrt. In jedem einzelnen Fall solcher Begegnungen ergibt sich eine andere Machtkonstellation. Man zieht eine andere Seinsmächtigkeit in sich hinein und wird dadurch entweder gestärkt oder geschwächt. Man verwehrt der fremden Seinsmächtigkeit jegliches Eindringen in das eigene Wesen oder eignet sie sich völlig an. Man formt die widerstrebende Seinsmacht um oder paßt sich ihr an. Man wird von ihr absorbiert und verliert dabei die eigene Seinsmächtigkeit; man wächst mit ihr zusammen und stärkt sich gegenseitig in der Macht seines Seins. Solche Prozesse gehen in jedem Augenblick des Lebens vor sich und begegnen in allen Beziehungen zwischen Seiendem. Sie vollziehen sich in der Welt der Dinge, die wir Natur nennen, zwischen Mensch und Natur, Mensch und Mensch, zwischen Individuen und Gruppen sowie auch zwischen einzelnen Gruppen. Sartre beschreibt in seinem Buch „Das Sein und das Nichts" den Machtkampf, der sich in der Begegnung zwischen Menschen abspielt. [29]
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Die Beispiele, die er dafür gibt, erstrecken sich von der Art und Weise, wie ein Mensch zufällig auf einen anderen aufmerksam wird, bis zu den verwickeltsten Formen von Liebesbeziehungen. In diesen Beispielen wird der ständige Kampf zwischen Seinsmächtigkeiten auf eine Art beschrieben, die gar nicht auf Feindseligkeiten, Neurosen oder Ideologien einzugehen braucht. Es handelt sich lediglich um eine Darstellung von Lebensprozessen, die sich auf allen Stufen des menschlichen Daseins abspielen. Sie sind bedingt durch die Struktur des Seins. Eine verwandte Schau des Lebens begegnet uns in Toynbees „Der Gang der Weltgeschichte", wo mit Hilfe einer Phänomenologie der Machtbeziehungen alle wichtigen geschichtlichen Bewegungen gedeutet werden. Toynbee verwendet dabei Begriffe wie Herausforderung. Antwort, Rückzug und Wiederkehr. Und er entwickelt seine Phänomenologie der Begegnungen nicht nur zur Kennzeichnung der Beziehungen zwischen Gruppen, sondern auch der zwischen Gruppen und der Natur. Überhaupt finden wir in den Werken der Historiker und Tiefenpsychologen genügend Material für eine vollständige Phänomenologie der Machtbeziehungen. Toynbees Beispiel führt zu einer Analyse der Beziehungen zwischen der Seinsmächtigkeit eines Individuums und der einer ganzen Gruppe. Gemäß der Polarität, die zwischen „Individuation" und „Partizipation" besteht und die charakteristisch für das Sein als solches ist, ist alles Wirkliche eine individuelle Seinsmächtigkeit innerhalb eines umfassenden Ganzen. Im Rahmen des Ganzen der Macht kann das Individuum Seinsmächtigkeit gewinnen oder verlieren. Was im Einzelfall tatsächlich geschieht, kann niemals im voraus gesagt werden, denn es ist das Ergebnis ständiger konkreter Entscheidungen. Ein Kind z. B. hat zunächst nur innerhalb der Familie Seinsmächtigkeit. Aber in einem bestimmten Augenblick regt sich in den meisten Kindern das Bedürfnis, sich von der Familie zurückzuziehen, um ihr eigenes Wesen zu entfalten. Sie haben das Empfinden, daß die Bindung an das Familienleben eine Schwächung ihrer eigenen Seinsmächtigkeit bedeutet. So ziehen sie sich zurück, meistens nur innerlich, gelegentlich auch in sichtbarer Form. Sie wollen ihre Seinsmächtigkeit vermehren, die nach ihrer Ansicht innerhalb der Gruppe zu sehr eingeengt ist. Aber es kann durchaus geschehen, daß sie naich einer gewissen Zeit in den Kreis der Familie zurückkehren, weil sie verspüren, daß ihre eigene Seinsmächtigkeit außerhalb der Gruppe ernsthaft gefährdet ist. Und möglicherweise empfinden sie danach abermals, daß sie dem Einfluß der Gruppe zu sehr nachgegeben haben und daß diese Preisgabe von Eigenem nicht nur ihr Sein, sondern auch das ihrer Gruppe schwächt. Dann ziehen sie 170
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sich aufs neue zurück, und die Konflikte wiederholen sich in gewissen Abständen. Diese ganze Problematik, so wie sie in der soeben beschriebenen Lage zur Geltung kommt, erfährt durch die hierarchische Struktur des Lebens noch eine Verschärfung. Je stärker ein Seiendes auf sich bezogen ist, desto mehr Seinsmächtigkeit ist in ihm verkörpert. Das völlig auf sich selbst zentrierte und seiner selbst bewußte Wesen, der Mensch, hat die größte Seinsmächtigkeit. Er hat nicht nur Umgebung, sondern er hat eine Welt und damit unbegrenzte Möglichkeiten der Selbstverwirklichung. Die Tatsache, daß er um ein Zentrum strukturiert ist, macht ihn zum Herrn seiner Welt. Aber wo sich alles um ein Zentrum aufbaut, liegt eine hierarchische Struktur der Macht vor. Je näher ein Element dem Mittelpunkt ist, desto stärker hat es teil an der Macht des Ganzen. Die alte Fabel vom Aufstand der Glieder des Körpers gegen den Magen und die Antwort des Magens, daß ohne seine zentrale Stellung die Glieder alle absterben müßten, zeigt die entscheidende Bedeutung des Zentrums für die Existenz jedes einzelnen Teils. Strukturen mit einem Zentrum gibt es nicht nur im organischen, sondern auch im anorganischen Bereich, nicht zuletzt in der atomaren und subatomaren Welt der Materie. Selbst in einer weitgehend auf dem Grundsatz der Gleichheit aufgebauten Gesellschaft gibt es Zentren der Macht und Entscheidung, an denen die Mehrheit des Volkes nur mittelbar und in abgestufter Form teilhat. Diese Zentren werden in dem Augenblick gestärkt, wo eine soziale Gruppe die höchste Machtentfaltung benötigt, in Zeiten höchster Gefahr. Die Notwendigkeit des Vorhandenseins einer zentralen Instanz, die Entscheidungen zu treffen vermag, gibt selbst einer auf dem Prinzip der Gleichheit aufgebauten Gesellschaft eine hierarchische Struktur. Aber das Zentrum der Macht kann nur so lange der Mittelpunkt des Ganzen sein, wie es nicht seine Stellung zur Förderung von Sonderinteressen mißbraucht. In dem Augenblick, wo sie die Macht des Ganzen für eigennützige Zwecke mißbrauchen, hören die Repräsentanten des Zentrums auf, der eigentliche Mittelpunkt zu sein, und ohne einen solchen zerfällt das Ganze. Gewiß ist es einer herrschenden Gruppe möglich, ihren Willen der Gesamtheit aufzuzwingen, selbst wenn dieser nicht mit dem Ganzen im Einklang steht. Aber das ist nur für eine begrenzte Zeit möglich. Schließlich verliert das Ganze seine Macht, sei es nun durch innere oder äußere Ursachen.
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Macht und Zwang Das führt zu der entscheidenden Frage nach dem Verhältnis von Macht zu Gewalt und Zwang. Wie das bereits in dem einleitenden Abschnitt hervorgehoben wurde, haben die bestehenden Begriffsverwirrungen bisher die Ausbildung einer befriedigenden Theorie der Macht verhindert, und das gilt vor allem für das Verständnis der Macht im sozialen und politischen Bereich. Unsere Auffassung von der Macht als Seinsmächtigkeit ist der erste Schritt zu größerer Klarheit in dieser Problematik. Aber es bleibt hier noch mehr zu tun. Vor allem verlangt die schwierige Frage, ob es überhaupt Macht ohne Gewalt und Zwang gibt, eine Antwort. Sollte sie nein lauten, dann wäre es nicht Unklarheit, sondern Realismus, Macht mit Gewalt gleichzusetzen. Der Ausdruck „Gewalt" weist auf die Stärke hin, die ein Ding an sich und ferner in der Einwirkung auf andere Dinge hat. Diese Stärke zwingt die einzelnen Dinge zu einer Bewegung oder ganz allgemein zu einem bestimmten Verhalten, ohne daß dabei deren eigene Mitwirkung in Anspruch genommen wird. Natürlich kann kein Ding zu etwas gezwungen werden, das seiner Natur widerspricht. Wenn man das versucht, wird der betreffende Gegenstand vernichtet oder allenfalls zu etwas anderem umgeformt. In dieser Hinsicht gibt es eine äußerste Grenze für jede Gewaltanwendung. Das, was gezwungen wird, muß seinen Wesenskern bewahren, sonst wird es nicht nur gezwungen, sondern zerstört. Auf dem Gebiet der Physik werden die Dinge gezwungen, sich zu bewegen oder so zu verhalten, wie es ihren eigenen Möglichkeiten und den auf sie einwirkenden Kräften entspricht. Das Ergebnis ist in jedem Fall berechenbar; es ergibt sich als Ausgleich der verschiedenen wirksamen Kräfte. Im Bereich des Organischen zeigen sich die gleichen Möglichkeiten und die gleichen Grenzen der Gewalt. Aber es besteht hier doch ein Unterschied zum Anorganischen. Solange ein Lebewesen nicht zu einem Mechanismus gemacht worden ist, reagiert es spontan, und zwar entweder im Einklang mit den Kräften, die auf es einwirken, oder in Abwehr dagegen. Aber natürlich kann man kein Lebewesen in einen reinen Mechanismus verwandeln, ohne seine Mitte zu zerstören, und das bedeutet nichts anderes, als sein Leben auszulöschen. Man kann die meisten seiner Reaktionen abrichten, aber es bleiben stets noch Teilbereiche übrig, die spontan reagieren, solange nicht alles Leben durch rein chemische Prozesse verdrängt ist. Spontaneität bedeutet, daß eine Reaktion zwar durch einen Reiz angeregt, aber nicht erzwungen wird; diese kann somit auch nicht im voraus berechnet werden. Denn eine 172
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ganzheitliche Reaktion wirkt immer vom Zentrum her, das sich jeder Berechnung entzieht, weil es unteilbar ist und das eigentliche Wesen eines Individuums ausmacht. Soweit die Gewalt in ihrer Einwirkung auf Lebewesen nicht ohne Spontaneität auskommt, wäre es vielleicht besser, von Zwang oder Nötigung zu sprechen. Das ist sicherlich der Fall in den Begegnungen zwischen Menschen. Denn in den Ausdrücken „Zwang" oder „Nötigung" liegt die Vorstellung eines psychologischen Widerstands, der überwunden werden muß. Und diesen Widerstand muß die Macht brechen, wenn sie es mit Menschen zu tun hat. Macht verwirklicht sich durch Gewalt und Zwang; aber sie ist weder das eine noch das andere. Macht ist Sein, das sich gegen die Drohung des Nichtseins behauptet. Sie gebraucht und mißbraucht den Zwang, um diese Drohung zu überwinden. Sie gebraucht und mißbraucht Gewalt, um sich zu verwirklichen. Aber sie ist, wie gesagt, weder das eine noch das andere. Darum muß das Verhältnis zwischen Macht und Zwang folgendermaßen beschrieben werden: Macht ist auf Zwang angewiesen; aber Zwang kann von ihr nur so lange wirksam ausgeübt werden, wie er ein Ausdruck des wirklichen Machtverhältnisses ist. Wenn der Zwang diese Grenze überschreitet, kehrt er sich gegen sich selbst und untergräbt die Macht, der er dienen soll. Nicht der Zwang an sich ist schlecht, sondern ein Zwang, der nicht mit der Seinsmächtigkeit übereinstimmt, in deren Namen er angewandt wird. Macht braucht Zwang, aber dieser Zwang muß sich vor den tatsächlich gegebenen Machtverhältnissen rechtfertigen. Die sozialen und politischen Folgen dieser Auffassung sollen später aufgezeigt werden. Die ontologische
Einheit von Liebe und Macht
Wenn in jeder Verwirklichung von Macht ein Element des Zwanges enthalten ist, wie kann dann Macht mit Liebe in Einklang gebracht werden? Diese Frage wird von all denen gestellt, die um der Liebe willen die Macht ausschalten wollen. Und in der Tat, wenn die Macht zu ihrer Selbstverwirklichung nicht ohne Gewalt und Zwang auskommt, schließt sie dann nicht die Liebe aus? Die ontologische Antwort auf diese brennende Frage des praktischen Lebens ergibt sich aus unserer Auffassung von Liebe und Macht. Macht des Seins ist gleichbedeutend mit ihrem Vermögen, sich gegen das Nichtsein zu behaupten, das in ihm enthalten ist und ihm widersteht. Je mehr Nichtsein das Lebendige in sich bewältigen kann, um so größer ist [33]
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seine Seinsmächtigkeit. Die Macht des Seins ist keine tote Identität, sondern ein dynamischer Prozeß, in dem es sich von sich selbst trennt und zu sich selbst zurückkehrt. Je größer die zu überwindende Trennung ist, desto größer ist die wirkende Macht. Der Prozeß, in dem das Getrennte sich wiedervereinigt, ist die Liebe. Je stärker die Liebe ist, desto mehr Nichtsein vermag sie zu überwinden, desto mehr Seinsmächtigkeit bekundet sie. Die Liebe ist das Fundament, nicht die Verneinung der Macht. Ob man nun sagt, daß das Sein das Nichtsein in sich birgt oder daß das Sein sich von sich selbst trennt, um sich wieder mit sich zu vereinigen, ist völlig gleichgültig. Die Grundformel, mit der man den Prozeß in der Liebe und in der Macht wiedergeben kann, ist identisch: Trennung und Wiedervereinigung oder Sein, das Nichtsein in sich hineinnimmt. Aufgrund dieser letzten Einheit von Liebe und Macht läßt sich die Frage beantworten, wie das Element des Zwanges in der Macht mit der Liebe vereint werden kann. Niemand verspürte die Schwere dieser Frage mehr als Luther, der seine vergeistigte Liebesethik mit einer höchst realistischen Auffassung von der Rolle der uneingeschränkten Madit in der Politik in Einklang bringen mußte. Luther antwortete mit der Feststellung, daß Zwang das „fremde Werk" der Liebe sei. Nach ihm sind Sanftmut, Hingabe und Barmherzigkeit die eigentlichen Werke der Liebe, während Härte, Töten und Verurteilung ihr fremdes Werk sind; aber Liebe liegt ihnen allen zugrunde. Was er meinte, ließe sich auch so ausdrücken, daß es das fremde Werk der Liebe ist, zu zerstören, was gegen die Liebe ist. Das setzt jedoch die Einheit von Liebe und Macht voraus. Um ihr eigentliches Werk (nämlich Nächstenliebe und Vergebung) verrichten zu können, muß die Liebe sich einen Raum schaffen, in dem das möglich ist, und zwar durch das fremde Werk des Richtens und Strafens. Um zu überwinden, was gegen die Liebe ist, muß sich die Liebe mit der Macht verbinden, und zwar nicht nur mit der Macht als solcher, sondern auch mit der Macht, insofern sie Zwang ausübt. Das führt zu einer neuen Frage: Wenn Liebe mit dem Element des Zwanges in der Macht verbunden ist, wo liegen dann die Grenzen einer solchen Verbindung? Wann steht der Zwang im Widerstreit mit der Liebe? Ein solcher Widerstreit liegt vor, wenn sich der Zwang dem Ziel der Liebe, nämlich der Wiedervereinigung des Getrennten, entgegenstellt. Liebe muß durch Gewalt das niederzwingen, was gegen die Liebe gerichtet ist. Aber die Liebe kann nicht den Menschen vernichten, der gegen die Liebe verstößt. Selbst wenn sie sein Tun zunichte macht, vernichtet sie nicht ihn selbst. Sie versucht, ihn zu retten und ihm zur 174
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Selbsterfüllung zu verhelfen, indem sie das in ihm auslöscht, was gegen die Liebe ist. Das Kriterium, nach dem hier entschieden wird, ist: Alles, was eine Wiedervereinigung unmöglich macht, ist gegen die Liebe. Es wird uns aus dem Mittelalter berichtet, daß während eines Gerichtsverfahrens gegen einen Massenmörder die Verwandten der Ermordeten auf die Knie fielen und für die Seele des Mörders beteten. Seine physische Vernichtung wurde nicht als eine Verletzung, sondern als eine Bestätigung der Liebe empfunden. Sie machte die Wiedervereinigung der Seele des Verbrechers, die sich aufs äußerste von der Liebe getrennt hatte, sowohl mit sich selbst wie auch mit den Seelen seiner natürlichen Feinde möglich. Das vollkommene Gegenbeispiel hierzu ist die Art und Weise, wie heutzutage totalitäre Systeme Macht ausüben, indem sie ihre Opfer durch Ermüdung, Drogen und ähnliche Mittel in bloße Sachen verwandeln. Dabei wird nicht einmal den Freunden und Verwandten erlaubt, bei ihrer Zerstörung zugegen zu sein, deren Zweck es ist, ihr ganzes Sein zu vernichten, ohne eine Spur wiedervereinigender Liebe. Vielleicht gibt es hier einen Punkt, den Luther nicht klar genug gesehen hat, nämlich daß das „fremde Werk" der Liebe, das Element des Zwanges in der Macht, nicht nur der „fremde", sondern auch der tragische Aspekt der Liebe ist. Dieses Element des Zwanges stellt den Preis dar, der für die Wiedervereinigung des Getrennten gezahlt werden muß. Und darüber hinaus hat Luther sicherlich nicht genügend beachtet, daß diejenigen, die an der Macht sind, das „fremde Werk" der Liebe als ein Mittel verwenden können, um sich an der Macht zu behaupten, und nicht, um die einander Entfremdeten wieder zu vereinigen. Luther stellte sich nicht die Frage, wie diese Verzerrung der Lehre vom „fremden Werk" der Liebe zu verhindern sei. Darum hat man ihm oft vorgeworfen, daß er in Fragen der Macht einen machiavellischen Zynismus an den Tag lege. Das ist sicher unberechtigt, was Luthers eigene Einstellung betrifft, aber doch nicht ganz unbegründet, wenn man an die Auswirkungen seiner Lehre denkt. Nun erhebt sich die Frage, wie Liebe und Macht zu vereinen sind, wenn man Liebe und Macht als Einheit betrachten muß, Zwang aber in keiner Verwirklichung der Macht zu vermeiden ist. Die Antwort darauf bildet das Thema des Kapitels über die Ontologie der Gerechtigkeit. Wir haben den Ausdruck „Selbstliebe" erörtert und sind zur Ansicht gekommen, daß man ihn am besten überhaupt nicht gebraucht. Gleiches gilt vom Ausdruck „Selbstmächtigkeit", den man allerdings nicht verwendet; aber doch gebraucht man die Wendung „Selbstbeherr175
schung" in dem Sinne, daß man sich in der Gewalt hat. Wieder müssen wir fragen, ob die Struktur der Selbstbezogenheit so etwas wie die Macht des Selbst über das Selbst zuläßt. Die Frage muß in gleicher Weise entschieden werden wie im Falle der „Selbstliebe". Es handelt sich um einen bildlichen Ausdruck, denn es gibt ja kein Selbst, das mit einem anderen Selbst im Kampfe liegt, mit dem es im übrigen identisch ist. Die Macht des Selbst liegt in seiner Selbstzentriertheit. Selbstbeherrschung ist daher die Bewahrung der eigenen Mitte gegen auseinanderstrebende Tendenzen, und diese kommen aus den Elementen, die die Mitte des eigenen Wesens ausmachen. Man darf vielleicht sagen, daß zwischen diesen Elementen ein Kampf im Gange ist, weil ein jedes von ihnen versucht, das Zentrum zu beherrschen. Aber ein solcher Kampf setzt voraus, daß es ein selbstbezogenes Ich gibt, innerhalb dessen einander widerstrebende Triebe walten können. Logisch gesehen, geht das Zentrum jedem Teil voraus, das es zu bestimmen sucht. Sich in der Gewalt haben meint die Tatsache, daß die Macht des Selbst größer ist als die einzelnen Kräfte, die das Selbst ausmachen und die alle versuchen, es zu beherrschen. Wir müssen jedoch fragen: Wie kann ein Mittelpunkt (ein Symbol der Geometrie) Macht haben über die Macht der Elemente hinaus, deren Mitte er ist? Die Antwort darauf lautet, daß er keine unabhängige Macht besitzt, sondern daß seine Macht ausschließlich auf einem ausgewogenen Gleichgewicht zwischen den Elementen beruht, die auf ihn als ihre Mitte bezogen sind. Dieses ausgewogene Gleichgewicht zwischen seinen unentbehrlichen Elementen, das ist die Macht des Zentrums. In diesem Gleichgewicht haben einige Elemente Vorrang, andere treten an Bedeutung zurück, ohne jedoch alles Gewicht zu verlieren. Selbstbeherrschung ist der Prozeß in dem zentrierten Selbst, der das einmal hergestellte Gleichgewicht gegen zerstörerische Kräfte bewahrt und stärkt. Das kann dadurch geschehen, daß Elemente, die im Selbst vorhanden sind, aus dem Zentrum entfernt werden. Es ist aber auch dadurch möglich, daß im Zentrum eine große Zahl von Elementen in einer solchen Weise vereinigt wird, daß sich keine Gefahr für das Gleichgewicht im Selbst ergibt. Ob Selbstbeherrschung in jenem oder in diesem Sinne ausgeübt wird, entscheidet über den ethischen Charakter der Selbstbeherrschung, und zwar im Sinne einer mehr puritanischen oder romantischen Ethik. Aber in beiden Fällen ist die Grundstruktur die gleiche. Ein aus einer Mitte lebendes Selbst setzt eine Macht voraus, die das Selbst durch ein stabiles Gleichgewicht zwischen seinen einzelnen Elementen über jedes einzelne dieser Elemente ausübt. In diesem Sinne ist jedes Selbst eine Machtstruktur. 176
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IV DAS SEIN U N D DIE GERECHTIGKEIT Gerechtigkeit als die Form des Seienden Verwirklichtes Sein oder Leben verbindet Dynamik mit Form. Alles Wirkliche hat eine Form, sei es ein Atom oder der menschliche Geist. Was keine Form hat, ist ohne Sein. Gleichzeitig strebt alles Wirkliche über sich hinaus. Es begnügt sich nicht mit dem Zustand, in dem es sich befindet. Es drängt zu einer umfassenderen Form, schließlich zu der allumfassenden Form. Alles Bestehende will wachsen. Es will seine Seinsmächtigkeit vermehren, indem es Formen annimmt, die mehr Nichtsein in sich hineinnehmen und überwinden. In bildlicher Sprache könnte man sagen, daß das Molekül Kristall werden will, das Kristall Zelle, die Zelle ein Zentrum von Zellen, die Pflanze Tier, das Tier Mensch, der Mensch Gott, das Schwache stark, das Isolierte Glied einer Gemeinschaft, das Unvollkommene vollkommen und so fort. In dem Drang dieser Bewegung kann es geschehen, daß ein Seiendes sich selbst verliert, indem es seine Grenzen überschreitet. Es kann geschehen, daß es seine gegebene Form zerstört, ohne eine neue zu gewinnen, und sich so selbst vernichtet. Das Leben begegnet dieser Drohung, indem es Formen des Wachstums schafft. Ein Seiendes überschreitet seine gegebenen Grenzen in Formen, die den Prozeß der Selbsttranszendenz bestimmen. Aber diese Bestimmung ist niemals vollständig. Wäre das der Fall, dürfte nicht von Selbsttranszendenz die Rede sein; man müßte dann vielmehr von Selbstbekundung sprechen. Die Lücken, die die Wachstumsgesetze lassen, stellen alles Lebendige unter ein Wagnis. Die Selbsttranszendenz eines Seienden kann zur Selbsterfüllung, aber auch zur Selbstzerstörung führen. Man könnte hier vom Risiko der schöpferischen K r a f t sprechen. Symbolisch könnte man sagen, daß selbst Gott in seinem Schöpfungswerk das Wagnis auf sich nahm, daß sich seine Schöpfung in Selbstzerstörung verkehrt. In jener Vision, in der Parmenides die Antwort auf die philosophische Frage nach der Wahrheit erhält, ist es Dike, die Göttin der Gerechtigkeit, die ihn in die Wahrheit über das Sein einführt. Gerechtigkeit ist nämlich keine soziale Kategorie, die wenig mit der ontologischen Fragestellung zu tun hat, sondern eine Kategorie, ohne die überhaupt keine Ontologie möglich wäre. In dem dichterischen Fragment [37]
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des Parmenides haben wir eine archaische Ontologie der Gerechtigkeit. In seinen Ausführungen über den logos, d. h. das Gesetz, das das Leben des Kosmos bestimmt, wendet Heraklit den Begriff des logos sowohl auf die Naturgesetze als audi auf die Gesetze der polis an. Nach Plato ist Gerechtigkeit die einigende K r a f t in jedem Individuum wie auch in sozialen Gruppen. Sie ist in beiden Fällen die umfassende Form. Seinsmächtigkeit beruht danach auf Gerechtigkeit. In der Stoa wirkt der gleiche logos in den Naturgesetzen wie im Sittengesetz. Er ist als Prinzip der Gerechtigkeit Maßstab f ü r alle bestehenden Gesetze. Er gibt den römischen Stoikern den Prüfstein f ü r die Ausgestaltung und H a n d habung des römischen Rechts. Er wurde als unbedingt und als im ganzen Weltall gültig angesehen, unabhängig von den Folgen seiner Anwendung in der Praxis. Jedesmal, wenn die ontologische Grundlage der Gerechtigkeit zugunsten einer positivistischen Auffassung des Rechts preisgegeben wurde, fehlte ein Kriterium gegen tyrannische Willkür oder utilitaristischen Relativismus. In dem Kampf des Sokrates mit den Sophisten war das der entscheidende Punkt. In der Verteidigung der „Menschenrechte" gegen Zynismus und Diktatur wiederholt sich der gleiche Kampf in unserer Zeit. Er kann nur gewonnen werden, wenn es uns gelingt, eine neue Grundlage f ü r das Naturrecht und die Gerechtigkeit zu finden. Ein Blick auf das Alte Testament zeigt uns, daß in ihm trotz des unmetaphysischen Charakters des prophetischen Denkens das gleiche Prinzip der Gerechtigkeit nicht nur für Israel, sondern f ü r die ganze Menschheit und auch die N a t u r gilt. Im Spätjudentum wird das Recht im Bereich des Ewigen verankert, nur seine Erscheinungsform ist zeitlich bedingt. Das bedeutet letztlich, daß Gerechtigkeit die Form des Seins ist, die zu allen Zeiten f ü r alles Bestehende gültig ist. Gehorsam gegenüber dem Recht verleiht Seinsmächtigkeit, Ungehorsam führt zur Selbstzerstörung. Wenn Gerechtigkeit die Form ist, in der sich die Macht des Seins verwirklicht, so muß, wie das bereits erwähnt wurde, die Gerechtigkeit der Dynamik des Seins angemessen sein. Sie muß z. B. imstande sein, den zwischenmenschlichen Beziehungen eine Form zu geben. Das Problem der Gerechtigkeit in der Begegnung von Seinsmächtigkeit mit Seinsmächtigkeit ergibt sich aus der Tatsache, daß im voraus unmöglich gesagt werden kann, wie sich das Machtverhältnis innerhalb der Begegnung gestalten wird. Jeder Augenblick eröffnet neue Möglichkeiten. Jede dieser Möglichkeiten verlangt eine eigene Form. Ein falsches, ungerechtes Machtverhältnis vermag das Leben zu zerstören. Jeder Akt der Gerechtigkeit erfordert Wagemut und ist unvermeidlich mit einem 178
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Risiko verknüpft. Es gibt hier keine Prinzipien, die sich mechanisch anwenden ließen und in jedem Fall Gerechtigkeit gewährleisten könnten. Und dennoch gibt es gewisse Prinzipien der Gerechtigkeit, die die Form des Seins in seinem allgemeingültigen und ewigen Charakter widerspiegeln. Prinzipien
der
Gerechtigkeit
Auf der Grundlage einer Ontologie der Liebe ist es offensichtlich, daß die Liebe das Grundprinzip der Gerechtigkeit ist. Wenn Leben als sich verwirklichendes Sein wesensgemäß der Drang nach Wiedervereinigung des Getrennten ist, dann folgt daraus, daß die Gerechtigkeit des Seins die Form ist, die dieser Bewegung entspricht. Die weiteren Prinzipien, die sich aus dem genannten Grundprinzip ergeben, vermitteln zwischen ihm und der konkreten Situation, in der das Wagnis der Gerechtigkeit gefordert wird. Die folgenden vier Prinzipien erfüllen diese Aufgabe der Vermittlung. Das erste Prinzip ist das der Angemessenheit zwischen Form und Inhalt. Solange es menschliche Gesetze gibt, ist immer wieder die Klage laut geworden, daß Gesetze, die früher einmal angemessen waren, noch zu einer Zeit gelten, wo das nicht mehr der Fall ist. Sie vermitteln dann nicht mehr die Form, in der schöpferische Begegnungen möglich sind, solche, aus denen sich eine bestimmte Seinsmächtigkeit ergibt. Überholte Gesetze verhindern, daß Begegnungen schöpferisch werden oder daß sie das Getrennte wieder vereinen, um einen Begriff aus der Ontologie der Liebe zu gebrauchen. Gesetze, die in einer früheren Zeit dem Bestand der Familie oder einem gesunden Wirtschaftsleben dienten, können heute Familien zerstören und die Struktur der Gesellschaft zersetzen. Die Möglichkeit solcher Widersprüche zwischen Gesetz und konkreter Situation beruht auf der Tatsache, daß die Formen, die einmal bestimmten Seinsmächtigkeiten entsprachen, sich auch dann noch behaupten möchten, wenn sie nicht mehr angemessen sind. Das ist sogar in der Natur der Fall, wie die Überreste früher biologischer Entwicklungsstufen in späteren Stadien der Entwicklung zeigen. Dieser Tatbestand wird ferner durch das Beharrungsvermögen von kulturellen und sozialen Einrichtungen der Menschheit bestätigt. In beiden Fällen ist es die Scheu vor dem Wagnis der Selbsttranszendenz, die das Leben in den Fesseln bewährter Einrichtungen festhält. Aber der Preis für die Sicherheit in der alten Form ist Ungerechtigkeit. Und die Ungerechtigkeit, die sich aus der Unangemessenheit der Form ergibt, untergräbt letztlich die Sicherheit, so daß der Preis umsonst bezahlt wurde. Das zweite Prinzip der Gerechtigkeit ist Gleichheit. Sie wird in [39]
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jedem Gesetz vorausgesetzt, insofern das Gesetz in gleicher Weise für eine Gruppe von gleichen gültig ist. Aber hier stellt sich die Frage: Wer sind die gleichen? Wie ist die Gleichheit gemeint? In Piatos „Staat", dessen eigentlicher Kern die Idee der Gerechtigkeit ist, bleibt eine große Gruppe von Menschen, nämlich die Sklaven, von der vollen Menschlichkeit und der entsprechenden Gerechtigkeit ausgeschlossen. Unter den drei Ständen, die als Bürger gleichberechtigt sind und als vollwertige Menschen betrachtet werden, besteht große Ungleichheit hinsichtlich ihrer Ansprüche auf „zuteilende Gerechtigkeit". Das Christentum hat die grundsätzliche Ungleichheit der Antike eingeschränkt, indem es die Unterschiede zwischen Menschen mit voller und solchen mit begrenzter Menschlichkeit aufhob. Vor Gott sind letztlich alle Menschen gleich, und seine Gerechtigkeit wird ihnen ohne Unterschied gewährt. Rang und Stand gelten nichts im Urteil Gottes; aber sie sind doch sehr wichtig für die zwischenmenschlichen Beziehungen. Die frühe Kirche schaffte die Sklaverei nicht ab, und die Ordnung der mittelalterlichen Gesellschaft beruhte auf dem Feudalsystem mit seinen abgestuften Rechten gemäß der sozialen Stellung des Einzelnen. Das Prinzip der Gleichheit war auf die Standesgenossen beschränkt, die gleichsam denselben ontologischen Rang hatten, und zwar innerhalb wie außerhalb der menschlichen Gesellschaft. Die Gerechtigkeit jener Zeit beruht auf einer kosmischen Hierarchie. Sie ist die Form, in der diese Hierarchie ins Leben tritt. Das Prinzip der Gleichheit kann aber auch ganz anders verstanden werden, indem es in demokratischer Weise auf alle Menschen angewandt wird. In diesem Falle verweist man auf die Vernunft, an der jeder teilhat, der den Namen „Mensch" verdient. Die Fähigkeit zur Vernunft macht alle Menschen gleich. Diese Fähigkeit muß in Wirklichkeit umgesetzt werden, wenn tatsächliche Gleichheit entstehen soll. Aber im Prozeß der Verwirklichung der Vernunft treten zahllose Unterschiede zu Tage, Verschiedenheiten in den Naturanlagen der einzelnen Menschen, Verschiedenheiten in ihren sozialen Aussichten, Verschiedenheiten in ihrer schöpferischen Kraft, kurz, Verschiedenheiten in allen Bereichen ihrer Seinsmächtigkeit. Diese Unterschiede bedingen Abstufungen in dem gesellschaftlichen Einfluß des Einzelnen und folglich in seinem Anspruch auf „zuteilende Gerechtigkeit". Aber diese Unterschiede sind geschichtlich und nicht ontologisch bedingt, wie ζ. B. in den Systemen, die auf hierarchischem Denken beruhen. Sie sind dem Wandel unterworfen, aber dennoch verhindern sie ein egalitäres Gesellschaftssystem. Tatsächlich gibt es auch kein System, in dem das Gleichheitsprinzip restlos verwirklicht ist. 180
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Das Verhältnis von Gleichheit zur Gerechtigkeit ist abhängig von der Seinsmächtigkeit eines Menschen und dem dadurch bestimmten Anspruch auf Gerechtigkeit. In der Festlegung dieses Anspruchs bestehen beträchtliche Unterschiede. Es ist etwas völlig anderes, ob ein Mensch einen bestimmten Platz in einer hierarchischen Struktur hat und die Gerechtigkeit erwartet, die seinem gesellschaftlichen Rang zukommt, oder ob er als einmaliges und unvergleichliches Wesen betrachtet wird und eine Form der Gerechtigkeit beansprucht, die seiner besonderen Seinsmächtigkeit entspricht. Und die Lage ist wiederum anders, wenn der Mensch als potentieller Träger von Vernunft gesehen wird und als solcher die Gerechtigkeit erwartet, die seiner Würde als Vernunftwesen auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung entspricht. In all diesen Fällen ist Gleichheit vorhanden, aber eine abgewandelte, keine starre Gleichheit. Jede Lösung des Problems der menschlichen Freiheit ist annehmbar, sofern sie mit den hier erörterten Grundsätzen übereinstimmt. Ausschlaggebend ist nur, daß der Mensch als ein denkendes, sich entscheidendes und verantwortliches Wesen betrachtet wird. Es wäre darum vielleicht besser, das Persönlichkeitsprinzip als ein Prinzip der Gerechtigkeit aufzufassen. Der Kern dieses Prinzips ist die Forderung, jede Person auch als Person zu behandeln. Gegen die Gerechtigkeit wird immer verstoßen, wenn mit Menschen umgegangen wird, als wären sie Dinge. Dieses Verhalten hat man Verdinglichung oder Vergegenständlichung genannt. Jedenfalls widerspricht es der Gerechtigkeit des Seins, dem inneren Anspruch jeder Person, als solche behandelt zu werden. Dieser Anspruch umfaßt und bestimmt das Verhältnis der Freiheit zur Gerechtigkeit. Freiheit kann die innere Überlegenheit der Person über die Versklavung bedeuten, in die er durch äußere Umstände geraten ist. Der stoische und der christliche Sklave glichen sich in ihrer Unabhängigkeit von den sozialen Verhältnissen, die zwar ihrer äußeren Freiheit entgegenstanden, aber nicht notwendigerweise ihre innere Freiheit oder ihren Anspruch auf Behandlung als Person ausschlossen. Der Stoiker hat teil an der Gerechtigkeit des Universums und der in ihm waltenden Vernunft; der Christ erwartet die Gerechtigkeit des Reiches Gottes. Das soziale Schicksal eines Menschen bedeutet somit nicht zugleich eine Versklavung der Person. Geistige Freiheit ist auch „in Ketten" möglich. Im Gegensatz zu diesem Ideal einer von den politischen Verhältnissen unabhängigen Freiheit versucht der Liberalismus, Verhältnisse, die Unfreiheit zur Folge haben, zu beseitigen. Der Ubergang von jener zu dieser Idee der Freiheit vollzieht sich in der Einsicht, daß es soziale Bedingungen gibt, die geistige Freiheit unmöglich machen, und zwar ganz allgemein oder [41]
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für eine große Anzahl von Menschen. Das war das Argument der revolutionären Wiedertäufer der Reformationszeit. Darauf stützten sich viele Sozialreformer in der Geschichte des Christentums, und dieses Argument wurde schließlich von den humanistischen und religiösen Sozialisten in unserer Zeit vorgebracht. Aber in dem liberalen Kampf um politische Freiheit geht es um mehr. Freiheit gilt in dieser Sicht als ein wesentlicher Bestandteil der Gerechtigkeit, weil die Freiheit zu politischer und kultureller Selbstbestimmung als ein wesentliches Element persönlicher Existenz betrachtet wird. Die Sklaverei widerspricht in jeglicher Gestalt der Gerechtigkeit, selbst wenn Herr wie Sklave an der transzendenten Freiheit teilhaben können. Diese liberale Lehre von der Gerechtigkeit bildet allerdings eine Ausnahme in der Geschichte der Menschheit, und ihr Einfluß geht heute zurück. Gibt nun unsere ontologische Analyse eine Antwort auf die Frage nach der Freiheit im Liberalismus? Und enthält sie eine Lösung des oben berührten Problems, wie sich die aristokratische und die demokratische Idee der Gleichheit zur Freiheit verhält? Die Ontologie der Liebe gibt in der Tat die Antwort. Wenn die Gerechtigkeit die Form ist, in der sich die Wiedervereinigung des Getrennten vollzieht, muß sie sowohl die Trennung umfassen, ohne die es keine Liebe gäbe, als auch die Wiedervereinigung, in der die Liebe sich verwirklicht. Aus diesem Grund hat man häufig den Grundsatz der Brüderlichkeit, des Gemeinsinns, der Kameradschaft oder besser noch der Gemeinschaft mit den Prinzipien der Gleichheit und Freiheit gekoppelt. Diese Verbindung ist jedoch im Namen eines rein formalen Begriffs der Gerechtigkeit zurückgewiesen worden. Das geschah in der Annahme, daß Gemeinschaft eine vom Gefühl bestimmte Vorstellung sei und somit nichts Wesentliches dem rationalen Begriff der Gerechtigkeit hinzufüge, sondern im Gegenteil seine Strenge gefährde. Die Klärung all dieser eng miteinander verflochtenen Probleme erfordert eine Erörterung der Qualitäten der Gerechtigkeit und der Beziehung der Gerechtigkeit zu Macht und Liebe. Bedeutungsschichten der Gerechtigkeit Wir haben verschiedentlich von „austeilender" und „ausgleichender Gerechtigkeit" gesprochen, von Aristoteles geprägten Begriffen. Um diese Unterscheidung verstehen zu können, müssen wir sie in dem größeren Zusammenhang der Mehrschichtigkeit der Gerechtigkeit erörtern. Die Grundlage der Gerechtigkeit ist der Anspruch auf Gerechtigkeit, 182
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der allem Seienden zusteht. Der wesensgemäße Anspruch eines Baumes unterscheidet sich von dem wesensgemäßen Anspruch einer Person. Die Ansprüche auf Gerechtigkeit sind unterschiedlich, da sie auf den verschiedenen Formen beruhen, in denen sich die Macht des Seins verwirklicht. Aber sie sind dennoch gerecht, wenn sie der Seinsmächtigkeit entsprechen, auf der sie beruhen. Gerechtigkeit ist in erster Linie ein Anspruch, der von einem Seienden stillschweigend oder vernehmlich aufgrund seiner Seinsmächtigkeit erhoben wird. Sie ist ein innerer Anspruch, aus dem die Form spricht, in der sich ein Ding oder eine Person verwirklicht. Ansprüche auf Gerechtigkeit können der jeweiligen Seinsmächtigkeit angemessen sein, aber das ist nicht immer der Fall. Ob nun der Betroffene selbst oder andere für ihn die Stimme erheben, um seinen Anspruch auf Gerechtigkeit anzumelden, in keinem dieser Fälle ist die Berechtigung des Anspruchs verbürgt. Eine der Ungerechtigkeiten, die sich bei der juristischen Verwirklichung des inneren Anspruchs auf Gerechtigkeit ergeben, ist die Verkennung des dynamischen Charakters alles Lebens. Die entgegengesetzte Ungerechtigkeit ergibt sich aus der Mißachtung der statischen Struktur des Seienden, innerhalb derer das dynamische Element erst wirksam werden kann. Die zweite Form der Gerechtigkeit ist die „zumessende" oder „abwägende Gerechtigkeit". Sie tritt als „austeilende" oder „ausgleichende" Gerechtigkeit" 1 in Erscheinung und gibt jedem nach seinem Verdienst, im positiven wie auch im negativen Sinne. Es handelt sich um eine berechnende Gerechtigkeit, die die Seinsmächtigkeit aller Dinge unter dem Gesichtspunkt bemißt, was ihnen gegeben oder vorenthalten werden soll. Ich habe diese Form der Gerechtigkeit „zumessend" genannt, weil sie über den Anteil oder „Tribut" 1 entscheidet, den ein Ding oder eine Person gemäß ihrer besonderen Seinsmächtigkeit erhalten sollte. Tribut wird von besiegten Völkern den Herrschern der siegreichen Staaten gezollt. Er wird von dankbaren Menschen überragenden Persönlichkeiten oder ganzen Gruppen geleistet. Vertreter von Macht erhalten ihn als ein Zeichen der Dankbarkeit aus den Händen derer, die ihrer Macht unterworfen sind. Austeilende Gerechtigkeit gibt jedem Menschen den Anteil an Gütern, der ihm zusteht, ausgleichende Gerechtigkeit tut das gleiche, aber in negativer Weise, nämlich durch Entziehung von Gütern oder Bestrafung. Diese Tatsache macht deutlich, daß kein wesentlicher Unterschied zwischen austeilender und ausgleichender Gerechtigkeit besteht. Beide Formen der Gerechtigkeit wägen 1 Die englischen Worte für „austeilend" und „ausgleichend" lauten distributive und retributive; daher die Bezugnahme auf das verwandte Wort „Tribut". (D. Hrsg.)
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ab und werden durch den Begriff der Quantität bestimmt. Im Bereich des Rechts und der Gesetzesvollstreckung ist die zumessende Form der Gerechtigkeit die Norm. Aber es gibt doch Ausnahmen, und die weisen auf eine dritte Form der Gerechtigkeit hin. Idi sdilage vor, diese dritte Form der Gerechtigkeit die „verwandelnde" oder „schöpferische Gerechtigkeit" zu nennen. Sie beruht auf der Tatsache, die ich bereits hervorgehoben habe, daß nämlidi die innere Gerechtigkeit dynamisch ist. Als solche läßt sie sich nicht in starre Begriffe bannen. Aus diesem Grunde kann ihr auch die zumessende Gerechtigkeit nicht Genüge tun, da diese sich nach festen Maßstäben richtet. Man weiß aber nie von vornherein, wie die Begegnung von Seinsmächten verlaufen wird. Wenn man eine Begegnung auf der Grundlage früherer Machtverhältnisse beurteilt, ist man zwangsläufig ungerecht, selbst wenn man dem Buchstaben des Gesetzes nach im Recht ist. Diese Erfahrung können wir tagtäglich machen. Hier ist z. B. auf alle Verstöße gegen bestehende Gesetze zu verweisen, die im Namen eines höheren Rechts geschehen, das noch nicht formuliert und gültig ist. Hierher gehören auch Machtkämpfe, die im Konflikt mit nicht genügend klaren oder veralteten Satzungen stehen und die schließlich Siegern wie auch Besiegten zugute kommen. Hier ist schließlich auf jene Fälle zu verweisen, in denen um der Gerechtigkeit willen auf Gerechtigkeit verzichtet wird, ein Verhalten, ohne das keine menschliche Beziehung und keine menschliche Gruppe Bestand haben könnte. Man sollte in diesem Zusammenhang eigentlich vom Verzicht auf zumessende Gerechtigkeit um der schöpferischen Gerechtigkeit willen sprechen. Was ist aber der Prüfstein für schöpferische Gerechtigkeit? Um diese Frage beantworten zu können, muß man sich vor Augen halten, was letztlich der innere Anspruch eines Wesens auf Gerechtigkeit ist. Die Antwort hierauf lautet: Selbsterfüllung in einem Rahmen, der allem Seienden Erfüllung ermöglicht. Das religiöse Symbol hierfür ist „Reich Gottes". Die dritte Form der Gerechtigkeit fand ihren klassischen Ausdruck in den Schriften der Bibel, und zwar im Neuen und Alten Testament. Es trifft allerdings nicht zu, daß die biblische Vorstellung von der Gerechtigkeit eine Ablehnung der zumessenden Gerechtigkeit bedeutet. In beiden Testamenten gibt es unzählige Stellen, in denen Gott oder auch Christus als Richter erscheint. Und es gibt auch andere Stellen, wo die Ungerechtigkeit menschlicher Richter entlarvt und schärfer gegeißelt wird als fast jede andere Sünde. Dennoch weist das Hauptanliegen der Bibel in eine andere Richtung. Die zadikim, d. h. die Gerechten, sind jene, die sich der göttlichen Ordnung unterwerfen, die in Natur und 184
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Geschichte waltet und nach der alles lebt. Aber diese Unterwerfung bedeutet nicht die bloße Annahme von Geboten, sondern sie ist ein liebender Gehorsam gegenüber dem, der Ursprung aller Gesetze ist. Daher verbindet der Begriff des zadik Unterwerfung unter das Gesetz mit Frömmigkeit gegenüber dem, der die Gesetze gibt. Hinter der personalistischen Terminologie des Alten Testaments verbirgt sich eine tiefe Einsicht in den ontologischen Charakter des Rechts. Im Spätjudentum trat es zutage und förderte das Verständnis von Christus als dem logos in der frühen Kirche. Sowohl in bezug auf den Menschen wie auch in bezug auf Gott bedeutet wahre Gerechtigkeit mehr als zumessende Gerechtigkeit. Sie bedeutet schöpferische Gerechtigkeit und findet ihren Ausdruck in der göttlichen Gnade, die vergibt, um wieder zu vereinen. Gott ist nicht an ein festes Verhältnis zwischen Verdienst und Belohnung gebunden. Er kann das Maß schöpferisch ändern und tut das, um jenen Erfüllung zu gewähren, denen nach dem Maßstab zumessender Gerechtigkeit die Erfüllung ihres Wesens versagt bliebe. Daher kann es geschehen, daß die göttliche Gerechtigkeit geradezu als Ungerechtigkeit erscheint. In dem Paradox der „Rechtfertigung aus Gnade durch den Glauben", wie es Paulus formuliert, offenbart sich die göttliche Gerechtigkeit in dem göttlichen Akt, der den Ungerechten gerecht macht. Das kann wie jeder Akt der Vergebung nur aus der Idee der schöpferischen Gerechtigkeit verstanden werden. Aber schöpferische Gerechtigkeit ist die Form der wiedervereinigenden Liebe.
Die ontologische Einheit von Gerechtigkeit, Macht und Liebe Wir haben Gerechtigkeit als die Form bestimmt, in der sich die Macht des Seins in der Begegnung von Seiendem verwirklicht. Gerechtigkeit wohnt notwendig der Macht inne, da es keine Seinsmacht ohne die ihr angemessene Form gibt. Aber wann auch immer eine Begegnung von Seinsmächtigkeiten stattfindet, ist auch Zwang mit im Spiele. Das führt zur Frage: In welchem Verhältnis steht nun die Gerechtigkeit zum Element des Zwanges in der Macht? Die Antwort muß lauten: Nicht Zwang an sich ist ungerecht, sondern nur eine Form des Zwanges, die ein Wesen vernichtet, statt zu seiner Selbstverwirklichung beizutragen. Wenn der totalitäre Staat diejenigen entmenschlicht, gegen die er seine Gesetze vollstreckt, wird ihre Person zerstört und ihr innerer Anspruch auf Gerechtigkeit verneint. Nicht aller Zwang verletzt also die Gerechtigkeit, sondern nur ein solcher, der den inneren Anspruch eines Seienden auf Entfaltung seines Wesens im Zusammenhang mit allem Lebendigen in der Welt mißachtet. Es kann sehr wohl sein, 185
daß ein Zwang, der die Bestrafung eines Verbrechers verhindert, seine Seinsmächtigkeit zerstört, anstatt sie nach dem Maßstab der zumessenden Gerechtigkeit einzuschränken, worauf er einen Anspruch hat. Das ist der wahre Kern in Hegels Formulierung, daß der Verbrecher ein Recht auf Strafe habe. Wo Zwang sich gegen das innere Recht der einzelnen Bestandteile einer Machtstruktur auswirkt, wird diese nicht gestärkt, sondern geschwächt. Nicht anerkannte, aber gerechtfertigte Ansprüche verschwinden nicht einfach dadurch, daß sie unterdrückt werden. Sie wirken gegen das Ganze, indem sie unterdrückt werden, und können schließlich zum Untergang eines Machtgebildes führen, das sich als unfähig erweist, die Träger solcher Ansprüche am Leben des Ganzen teilnehmen zu lassen oder sie als Fremdkörper abzuscheiden. Der begründete Rechtsanspruch eines Seienden kann nicht verletzt werden, ohne daß der Verletzende selbst dadurch verletzt wird. Das gilt gleichermaßen für biologische, psychologische und für soziologische Machtstrukturen. Die geistige Macht eines Menschen kann sich ζ. B. in drei Formen geltend machen. Sie kann Kräfte seines Selbst unterdrücken, etwa bestimmte Begierden, Hoffnungen oder Ideen. In diesem Fall hören aber die unterdrückten Kräfte nicht auf zu existieren, sie stürzen vielmehr den Geist in einen Zwiespalt und drängen ihn auf den Weg des Zerfalls. Oder aber die geistige Macht eines Menschen kann widerstrebende Kräfte in sein Inneres aufnehmen und so mit dem Ganzen zu einer höheren Einheit verschmelzen. Schließlich kann die geistige Macht sie als Fremdkörper ganz und gar ausstoßen und damit ihren Anspruch, am Ganzen teilzuhaben, erfolgreich zurückweisen. In den beiden letztgenannten Fällen wirkt die Gerechtigkeit des menschlichen Geistes gegenüber widerstrebenden Kräften in gegensätzlicher Richtung; im ersten Fall verletzt er den inneren Anspruch einer vorhandenen Kraft und gefährdet sich dadurch selbst. Dieses Beispiel aus der Psychologie gilt auch für biologische und soziologische Machtstrukturen, was später noch zu erörtern sein wird. Wie die Gerechtigkeit der Macht immanent ist, so ist sie auch ein notwendiger Zug der Liebe. Jegliche Form der Liebe, ja, Liebe überhaupt, ist chaotische Selbstpreisgabe, wenn sie sich von Gerechtigkeit löst. Sie zerstört dann den Liebenden wie auch den, der solche Liebe annimmt. Liebe ist das Verlangen des Getrennten nach Wiedervereinigung. Sie setzt also voraus, daß es etwas gibt, das wiedervereinigt werden soll, etwas, das in gewisser Hinsicht unabhängig ist und für sich bestehen kann. Gelegentlich ist die Liebe in der Form der rückhaltlosen Selbsthingabe als die eigentliche Erfüllung der Liebe gepriesen worden. Aber es muß doch gefragt werden, was für eine Hingabe das ist und 186
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was dabei hingegeben wird. Wenn ein Selbst, dessen Seinsmächtigkeit geschwächt oder im Schwinden begriffen ist, sich hingibt, dann ist seine Hingabe nicht viel wert. Es ist ein Wesen, das sich selbst nicht gerecht geworden ist und seinen eigenen inneren Anspruch auf Gerechtigkeit verleugnete. Die Hingabe eines solchen verkümmerten Selbst ist keine echte Liebe, weil sie das Entfremdete nicht vereint, sondern zerstört. Liebe dieser Art ist nichts als ein Trieb, das eigene verantwortliche und schöpferische Selbst zu vernichten, um sich mit einem anderen Selbst zu vereinen, dem bei dem vermeintlichen Akt der Liebe die Verantwortung für sich und den anderen zugeschoben wird. Die chaotische Selbstpreisgabe wird dem Partner nicht gerecht, weil der, der sich hingibt, nicht sich selbst gerecht wird. Gerechtigkeit gegen sich selbst heißt, die eigene Seinsmächtigkeit zu bejahen und den Anspruch auf Gerechtigkeit zu erfüllen, der mit dieser Macht verknüpft ist. Ohne solche Gerechtigkeit gibt es keine wiedervereinigende Liebe, weil es dann nichts gibt, was zu vereinigen ist. Das führt zur Frage nach der Gerechtigkeit gegen sich selbst, eine Frage, die mit dem Problem der Selbstliebe und Selbstbeherrschung verwandt ist. Wir stellten fest, daß diese beiden Begriffe bildlich zu verstehen sind. Das gleiche gilt von der Gerechtigkeit gegen sich selbst. Es gibt natürlich kein unabhängiges Selbst, das über den Anspruch eines anderen Selbst entscheiden könnte, mit dem es identisch ist. Aber man kann doch in einem sehr bestimmten Sinne von Gerechtigkeit gegen sich selbst sprechen, nämlich in dem Sinne, daß das entscheidende Zentrum gerecht ist gegenüber den Elementen, deren Mittelpunkt es ist. Gerechtigkeit gegen sich selbst befindet ζ. B. in diesem Sinne, daß die puritanische Form der Selbstbeherrschung ungerecht ist, weil sie Elemente des Selbst unterdrückt, die einen berechtigten Anspruch darauf haben, in das Gefüge der anerkannten Bestrebungen und Triebe aufgenommen zu werden. Verdrängung ist Ungerechtigkeit gegen sich selbst, und sie führt zu den Folgen aller Ungerechtigkeit, nämlich zur Selbstzerstörung durch den Widerstand der Elemente, die unterdrückt werden. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Gerechtigkeit gegen sich selbst gleichbedeutend ist mit einem zuchtlosen Nachgeben gegenüber allen Trieben. Im Gegenteil, das kann höchst ungerecht sein, da es ein ausgewogenes Gleichgewicht im Zentrum unmöglich macht und das Selbst in einen Prozeß unverbundener Impulse auflöst. Das ist die Gefahr der romantischen oder offenen Form der Selbstbeherrschung. Diese kann sich als ebenso ungerecht gegen sich selbst erweisen wie der puritanische oder geschlossene Typus der Selbstbeherrschung. Sich selbst gegenüber gerecht zu sein bedeutet, die größtmögliche Zahl von [47]
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gegebenen Anlagen zu verwirklichen, ohne sich in Zerrissenheit und Chaos zu verlieren. Das ist eine Warnung davor, (in der Liebesbeziehung) sich selbst gegenüber ungerecht zu sein. Denn das bedeutet immer zugleich eine Ungerechtigkeit gegenüber dem, der die Ungerechtigkeit hinnimmt, die wir gegen unser eigenes Ich ausüben. Es wird ihm verwehrt, gerecht zu sein, denn er wird dazu gezwungen, Böses zu tun, indem er selbst Böses an sich zuläßt. Die Liebe tut nicht mehr, als die Gerechtigkeit fordert, aber die Liebe ist das höchste Prinzip der Gerechtigkeit. Liebe führt zur Wiedervereinigung; Gerechtigkeit aber bewahrt, was vereinigt werden soll. Sie ist die Form, in der und durch die die Liebe ihr Werk verrichtet. Gerechtigkeit ist letztlich schöpferische Gerechtigkeit, und schöpferische Gerechtigkeit ist die Form der wiedervereinigenden Liebe.
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ν D I E E I N H E I T VON G E R E C H T I G K E I T , LIEBE UND MACHT IN ZWISCHENMENSCHLICHEN BEZIEHUNGEN Ontologie und Ethik Bisher habe ich versucht, ontologische Grundfragen zu klären und damit das Fundament zu legen, das die nun folgenden ethischen Erörterungen unterbauen soll. Das ist nicht so zu verstehen, als ob es hier eine reinliche Trennung zwischen Unterbau und Oberbau gäbe. Denn man kann nicht über die ontologische Grundlage von Liebe, Macht und Gerechtigkeit sprechen, ohne ihre ethische Bedeutung im Auge zu haben, und wiederum läßt sich diese Bedeutung nicht erörtern, ohne ständig auf ihre ontologische Verwurzelung zu verweisen. Ethik ist die Wissenschaft vom moralischen Verhalten des Menschen. Sie fragt nach den Wurzeln des Sittengesetzes, dem Prüfstein seiner Gültigkeit, den Quellen, aus denen es sich speist, und den Kräften, die zu seiner Verwirklichung erforderlich sind. Stets ist die Antwort auf diese Fragen unmittelbar oder mittelbar abhängig von der jeweiligen Auffassung vom Sein. Die Wurzeln des moralischen Imperativs, die Kennzeichen seiner Gültigkeit, seine inhaltliche Bestimmung und die Kräfte des sittlichen Wollens, dies alles kann nur durch eine Analyse des menschlichen Seins und der Struktur der Welt bestimmt werden. Ethische Probleme lassen sich nicht behandeln, ohne zugleich in irgendeiner Form etwas über die Natur des Seins auszusagen. Der bedeutendste Versuch, die Ethik von der Ontologie zu lösen, liegt in der Wertphilosophie vor. Aber wenn je eine Philosophie zeitgebunden war, so trifft das für die Theorie der Werte zu, wie sie um die Mitte des 19. Jahrhunderts aufkam. Die Gründe für ihr Auftreten und ihre beherrschende Stellung liegen auf der Hand. Nach dem sogenannten Zusammenbruch der klassischen deutschen Philosophie, vor allem aber von Hegels System, wurde die Deutung von Natur und Mensch einer mechanistischen Naturwissenschaft und einer rein materialistischen Ontologie überlassen. Die Ethik wurde als ein Teilgebiet der Biologie, Psychologie und Soziologie betrachtet. Jedes „Seinsollen" wurde in ein „Ist" verwandelt, jede Norm in ein Faktum, jede Idee in eine Ideologie. In dieser Lage bemühten sich verantwortungsbewußte Phi[49]
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losophen darum, den Elementen der Wirklichkeit, von denen die Menschenwürde und ein sinnvolles Dasein abhängen, allgemeine Geltung zu verschaffen. Sie fanden die Lösung in der Lehre von den Werten. Praktische wie theoretische Werte, so argumentierten sie, seien eigene Wesenheiten. Sie sind nicht von der Ordnung des Seins abhängig, wie sie die philosophische Richtung des Naturalismus verstand. Und da die Ontologie ihrer Zeit materialistisch war, verwarfen sie jeden Versuch einer ontologischen Begründung des Reiches der Werte. Das Gute, das Schöne, das Wahre sind danach jenseits des Seins. Sie haben den Charakter des Seinsollens und nicht den des Seins. Das war ein geistvoller Versuch, die Gültigkeit ethischer Normen zu retten, ohne mit dem einseitigen Wirklichkeitsbegriff des Naturalismus in Konflikt zu geraten. Aber dieser Ausweg wurde von zwei Seiten her versperrt. Auf seiten der Naturwissenschaft verbanden sich Biologie, Psychologie und Soziologie in der Weigerung, ihren beherrschenden Einfluß im Reich der Werte aufzugeben, weil er nach ihrer Auffassung wissenschaftlich begründet schien. Sie versuchten den Nachweis, daß biologische, psychologische und soziologische Gesetze völlig ausreichten, um die Geltung von Werten sowohl im persönlichen wie auch im gesellschaftlichen Bereich zu erklären. Werte, so schlossen sie, seien Wertungen. Nicht ihre Gültigkeit, sondern ihre Entstehung, Entfaltung und ihr Verfall verlangten eine Erklärung. Je tiefer diese Philosophen in die Dynamik der Lebensprozesse eindrangen, desto mehr Gründe fanden sie zur Bekräftigung ihrer Thesen. Der Sicherheitsabstand zwischen Sein und Wert schien zu verschwinden. Werte erschienen als Ausdruck der Existenz und daher unfähig, diese von einem Ort jenseits der Existenz kritisch zu beurteilen. Der Widerstand der Wertphilosophie gegen diese Gefahr wurde zunehmend schwächer. Aber noch entscheidender war der Angriff von der entgegengesetzten Seite. Er gewann seine Kraft aus einer Analyse der Werte selbst. Werte wollen in der Existenz und durch die Existenz verwirklicht werden. Dann aber erhebt sich die Frage: Wie ist das möglich, wenn es keinerlei ontologische Partizipation der Werte an der Existenz gibt und eine unüberbrückbare Kluft Existenz und Werte trennt? Wie kann ein von jenseits der Existenz kommendes Gebot irgendeinen Einfluß auf sie haben? Auf diese Frage gibt es in der Tat keine Antwort, wenn die Existenz ausschließlich unter dem Gesichtspunkt mechanischer Notwendigkeit gesehen wird. Aber selbst wenn man um der Werttheorie willen den naturwissenschaftlichen Determinismus mit ontologischen Waffen bekämpft und die Möglichkeit der Freiheit bejaht, bleibt doch die Frage bestehen, wie Gebote, die von jenseits der Existenz kommen, 190
verpflichtenden Charakter für Wesen haben können, zu deren Sein sie in keiner wesentlichen Beziehung stehen. Auch hier blieb die Wertphilosophie die Antwort schuldig. So konnten die folgenden Fragen nicht mehr länger überhört werden: Wie steht es um die ontologische Grundlage der Werte? Wie ist das, was man Wert nennt, im Sein als solchem verwurzelt? Und nodi gewichtiger: Ist es überhaupt sinnvoll, die Werttheorie aufrecht zu erhalten? Ist es nicht vielmehr richtiger, die Strukturen der Wirklichkeit zu untersuchen, auf denen die Ethik beruht? Mit anderen Worten: Verlangt nicht die Werttheorie selbst nach ihrer Ablösung durch die Ontologie? Jedoch selbst wenn man die Berechtigung dieser Kritik an der Werttheorie anerkennt, mag man der Versuchung unterliegen, der ontologischen Alternative durch andere Lösungen auszuweichen. Da gibt es zunächst den pragmatischen Weg. Ethische Normen, so argumentiert der Pragmatismus, sind lediglich die Objektivierung menschlicher Erfahrungen. Sie stellen Regeln dar, die das in praktischer Hinsicht angemessenste Verhalten aufzeigen. Aber man fragt sich hier sofort, welche konkrete Bedeutung dieses Angemessensein hat. In ihrem ethischen Aspekt ist doch jede Situation zweideutig und läßt somit verschiedene Antworten auf die Frage nadi dem sittlich angemessenen Verhalten zu. Das pragmatische Ausweichen vor der Ontologie - vor bewußter Ontologie natürlich, denn unbewußte Ontologie ist immer im Spiel wird durch die Frage nach den Kriterien der pragmatischen Angemessenheit versperrt. Einen zweiten, in gewisser Hinsicht gegensätzlichen Ausweg bietet uns die Theologie an. Sittliche Normen sind danach von Gott gegeben, und darauf beruht ihre Gültigkeit. Diese Lösung scheint jener Qualität der sittlichen Erfahrung Rechnung zu tragen, für die weder der Pragmatismus noch die Werttheorie eine Erklärung haben, nämlich dem Charakter der Unbedingtheit des Sittengesetzes. Aber kommt nun die Theologie ohne Ontologie aus? Die theologische Alternative kann in zweifacher Weise verstanden werden. Die eine würde ich die heteronome, die andere die theonome nennen. Die erste begreift die sittlichen Gebote als Ausdruck eines göttlichen Willens, der souverän ist und keinerlei Rechtfertigung bedarf. Dieser Wille kann nicht danach beurteilt werden, wieweit er der menschlichen Natur angemessen ist. Man muß ihm in der Form gehorchen, wie er uns durch Offenbarung vermittelt wurde. Aber dann ergibt sich die Frage, warum ein Mensch den Geboten dieses göttlichen Gesetzgebers gehorchen soll. Wie unterscheiden sie sich von den Geboten eines menschlichen Tyrannen? Gewiß, er ist stärker als ich; er kann mich vernichten. Aber muß nicht ein Mensch sehr viel mehr jene Vernichtung fürchten, die sich aus der 191
Unterwerfung seiner personalen Mitte unter einen fremden Willen ergibt? Würde diese Unterwerfung nicht gerade die Verneinung des moralischen Imperativs bedeuten? Die andere Möglichkeit einer theologischen Begründung des Sittengesetzes stellt die theonome Lösung dar. Sie vermeidet die zerstörerische Wirkung des heteronomen Verfahrens. Aber aus eben diesem Grunde wird sie ontologisch. In Übereinstimmung mit der vorherrschenden Richtung der klassischen Theologie betont sie, daß Gottes Gesetz im Einklang mit der eigentlichen Natur des Menschen steht, die ihm nun als Forderung begegnet. Wäre der Mensch nicht sich selbst entfremdet, wäre seine ursprüngliche Natur nicht in seiner wirklichen Existenz verletzt, würde ihm kein Gesetz gegenüberstehen. Das Gesetz ist dem Menschen nicht wesensfremd. Es ist ein natürliches Gesetz, denn es verkörpert seine wahre Natur, von der er entfremdet ist. Jedes gültige sittliche Gebot ist ein Ausdruck der wesensgemäßen Beziehung des Menschen zu sich selbst, zu anderen und zur Welt. Das allein macht es verpflichtend und seine Ablehnung zu einem Akt der Selbstzerstörung. Das allein rechtfertigt die unbedingte Gültigkeit des Sittengesetzes, so fragwürdig und bedingt auch sein Inhalt im einzelnen sein mag. Die theonome Lösung führt zwangsläufig zu ontologischen Problemen. Wenn Gott nicht als ein fremder und willkürlicher Gesetzgeber verstanden wird, wenn seine Autorität nicht heteronom, sondern theonom ist, dann werden damit ontologische Voraussetzungen anerkannt. Eine theonome Ethik schließt Ontologie ein. Und sie bestätigt zugleich die Richtigkeit der ontologischen Grundlagen, auf denen sie beruht. Die ontologischen Aussagen über die Natur von Liebe, Macht und Gerechtigkeit erfahren ihre Bestätigung, wenn sie imstande sind, die sonst unlösbaren Probleme im Bereich von Liebe, Macht und Gerechtigkeit zu lösen. Um das zu erweisen, müssen wir die ethische Funktion von Liebe, Macht und Gerechtigkeit in den Bereichen der persönlichen Beziehungen, der sozialen Einrichtungen und des Heiligen untersuchen. Im ersten Bereich herrscht die Gerechtigkeit vor, im zweiten die Macht und im dritten die Liebe. Aber in jedem dieser Bereiche sind die Prinzipien von Liebe, Macht und Gerechtigkeit wirksam. Auch das Heilige ist ein Element in jedem der drei genannten Bereiche und stellt nur in gewisser Hinsicht eine eigene Sphäre dar. Daher werden wir zunächst von Gerechtigkeit, Liebe und Macht in den zwischenmenschlichen Beziehungen sprechen, uns dann der Rolle von Macht, Gerechtigkeit und Liebe im sozialen Leben zuwenden, um schließlich die Frage zu erörtern, in welchem Verhältnis Liebe, Macht und Gerechtigkeit zum Heiligen stehen. 192
Von der Gerechtigkeit in persönlichen Begegnungen Der Mensch wird zum Menschen in persönlichen Begegnungen. Erst in der Berührung mit einem „Du" erfährt er, daß er ein „Ich" ist. Auf der ganzen Welt gibt es nichts anderes, das ihm diese Erfahrung vermitteln könnte. Der Mensch vermag nach allen Seiten die Grenzen seines Wissens und seiner Herrschaft zu überschreiten. Er kann alles seinen Zwecken dienstbar machen. Nur seine Endlichkeit setzt ihm eine Grenze. Aber alle dem Menschen gesetzten Begrenzungen lassen sich stetig erweitern. Niemand vermag zu sagen, wo die letzten Grenzen des menschlichen Vermögens liegen. In seiner Begegnung mit dem Weltall ist der Mensch imstande, jede nur denkbare Grenze zu überschreiten. Aber es gibt dennoch eine Grenze für den Menschen, die unverrückbar ist und auf die er immer wieder stößt, und das ist der Mitmensch. Der Andere, das „Du", ist wie eine Mauer, die nicht beseitigt, nicht durchbrochen und nicht für eigene Zwecke dienstbar gemacht werden kann. Wer das versuchen sollte, zerstört sich selbst. Das „Du" fordert durch seine bloße Existenz, daß es als ein „Du" für ein „Ich" und als ein „Ich" in seiner eigenen Einschätzung anerkannt wird. Das ist der Anspruch, der mit seinem Sein gesetzt ist. Wir können uns weigern, den inneren Anspruch des Anderen zu beachten. Wir können sein Verlangen nach Gerechtigkeit mißachten, wir können ihn beseitigen oder ihn ausnützen. Wir können auch versuchen, unseren Mitmenschen zu einem gefügigen Objekt, einem Ding oder einem Werkzeug zu machen. Aber wenn wir das tun, stoßen wir auf den Widerstand dessen, der einen Anspruch darauf hat, als ein „Ich" anerkannt zu werden. Und dieser Widerstand zwingt uns, entweder dem Anderen als einem „Ich" zu begegnen oder unsere eigene Natur als ein „Ich" zu verleugnen. Ungerechtigkeit gegenüber dem Anderen ist immer auch Ungerechtigkeit gegenüber sich selbst. Der Herr, der den Sklaven nicht als ein „Ich", sondern wie eine Sache behandelt, gefährdet sein eigenes Wesen als ein „Ich". Durch seine bloße Existenz verletzt der Sklave seinen Herrn ebensosehr, wie er durch ihn verletzt wird. Die Ungleichheit zwischen Herrn und Sklaven wird ausgeglichen durch die Zerstörung der IchQualität des Herrn. Das führt zur Frage, ob die „Goldene Regel" der Bibel (Matth. 7 , 1 2 ) als das Prinzip der Gerechtigkeit in der Begegnung von Personen betrachtet werden kann. Diese Regel wird ja selbst von Jesus befolgt. Auch verrät es gewiß Lebensklugheit, wenn wir uns den Mitmenschen gegenüber so verhalten, wie wir es von ihnen erwarten. Aber diese „Goldene Regel" ist nicht der Prüfstein der Gerechtigkeit in zwi193
schenmenschlichen Beziehungen. Denn es ist ja denkbar, daß man sich Wohltaten erwünscht, die im Widerspruch zur Gerechtigkeit gegenüber sich selbst stehen und die ebenso der Gerechtigkeit gegenüber dem Anderen widersprächen, wenn sie ihm zuteil würden. Sie sind ungerecht, ob sie nun gewährt oder empfangen werden. Wenn man sie von uns erbittet, sollten wir sie ablehnen. Das ist verhältnismäßig leicht, wenn Dinge erbeten oder gewährt werden, die offensichtlich böse sind. Aber die Sache wird schwierig, wenn wir uns verpflichtet fühlen, einen scheinbar gerechten Anspruch zu erfüllen, einen Anspruch, den auch wir erheben würden. Dennoch haben wir Hemmungen. Wir mißtrauen dem Anderen ebenso, wie wir uns selbst mißtrauen würden. Wir haben den Verdacht, daß sich hinter dem offensichtlichen Sinn der Forderung etwas verbirgt, das eigentlich zurückgewiesen werden müßte, ζ. B. unbewußte Feindseligkeit, Herrschsucht, die Absicht der Ausbeutung, der Trieb zur Selbstzerstörung. In all diesen Fällen kann die Gerechtigkeit in persönlichen Begegnungen nicht im Sinne der „Goldenen Regel" bestimmt werden. Wir haben oben das unbedingt gültige formale Prinzip der Gerechtigkeit in jeder Begegnung von Personen gefunden, nämlich die Anerkennung des Anderen als Person. Aber wir haben vergeblich versucht, für dieses formale Prinzip bestimmte Forderungen aus der „Goldenen Regel" abzuleiten. Wir müssen uns daher die Frage stellen, ob es andere Möglichkeiten gibt, das Prinzip der Gerechtigkeit konkreter zu bestimmen. Eine scheinbar unanfechtbare Antwort lautet, daß die Entfaltung der Kultur uns den Inhalt für das formale Prinzip der Gerechtigkeit in den menschlichen Beziehungen liefert. Ein solcher Inhalt liegt vor in der Erfahrung der Menschheit, wie sie ihre Ausprägung in Gesetzen, Überlieferungen, den Urteilen von Autoritäten und auch im individuellen Gewissen findet. Wer dieser Richtschnur und der Stimme seines Gewissens folgt, steht auf festem Grund, was die Begegnung von Person zu Person betrifft. Die Menschheit kann nicht auf einen gewissen Schatz an ethischer Weisheit verzichten, der ihre Selbstzerstörung verhindert und der, religiös gesprochen, auf allgemeingültiger Offenbarung beruht. D a Gerechtigkeit die Form ist, in der sich die Macht des Seins verwirklicht, hätte die Menschheit nicht einen Augenblick bestehen können ohne bestimmte Formen der Gerechtigkeit in der Begegnung von Mensch zu Mensch. Die alltäglichen menschlichen Beziehungen werden überwiegend durch Grundsätze geregelt, die den oben angeführten Quellen der Gerechtigkeit entnommen sind. In manchen Fällen bestimmen Gesetz, Überlieferung und Autorität, in anderen Fällen ist das individuelle Gewissen maßgebend. Das ist ein gewichtiger 194
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Unterschied, der zu tragischen Konflikten führen kann, wie das in klassischer Form in der „Antigone" des Sophokles dargestellt ist. Aber für unsere Problematik ist dieser Gegensatz nicht entscheidend. Denn objektive Regeln und individuelles Gewissen bedingen sich gegenseitig. In dem Prozeß, der Gesetze, Überlieferungen und Autoritäten zu Richtlinien der Gerechtigkeit machte, sind ja stets auch individuelle Gewissensentscheidungen am Werke gewesen. Andererseits wurde das individuelle Gewissen durch die Einwirkungen von Gesetzen, Überlieferungen und Autoritäten geformt. In diesem Prozeß sind diese verinnerlicht und zu solchen Regeln der Gerechtigkeit geworden, die äußeren Zwang unnötig machen. In etwas paradoxer Form könnte man also sagen, daß die Gesetze die äußere Ausprägung des Gewissens, das Gewissen aber die verinnerlichte Form der Gesetze ist. Regeln der Gerechtigkeit entstehen durch die wechselseitige Beeinflussung von Gesetz und Gewissen. Ist ein anderer Zugang zur Gerechtigkeit möglich? Gibt es einen anderen Weg als das Wechselspiel von Gesetz und Gewissen, um der Idee der Gerechtigkeit in der Begegnung von Personen einen bestimmten Inhalt zu geben? Die einzige Antwort, die hier noch zu erörtern wäre, ist die klassische Theorie des Naturrechts, der Glaube, daß es möglich sei, Strukturen der menschlichen Beziehungen aufzuzeigen, die allgemein, unveränderlich und in jedem einzelnen Fall gültig sind. So werden die Zehn Gebote von der klassischen Theologie als Aussagen des Naturrechts betrachtet, und das gleiche gilt für die Auslegung, die ihnen in der Bergpredigt gegeben wird. Die katholische Kirche fügt die kirchenamtliche Auslegung in beiden Fällen hinzu. Die katholische Kirche leugnet nicht, daß die Zehn Gebote und die Bergpredigt Naturrecht darstellen. Aber weil das Bewußtsein hiervon zu schwach ist und außerdem mannigfach getrübt wurde, muß die Kirche dieses Naturrecht neu formulieren. Aber es bleibt dennoch Naturrecht, das grundsätzlich von der Vernunft erschlossen werden kann. In unserer Analyse von Gleichheit und Freiheit, zwei wesentlichen Grundsätzen der Naturrechtstheorie, haben wir den Nachweis versucht, daß diese Prinzipien in dem Augenblick unbestimmt, wandelbar und relativ werden, wo sie in konkreten Entscheidungen zur Geltung kommen sollen. Das gilt von allen Bestimmungen des Naturrechts. Sie gleichen in dieser Hinsicht den Prinzipien, die die Beziehungen zwischen den Geschlechtern regeln sollen und die als geschichtlich bedingt oft im krassen Widerspruch zu der inneren Gerechtigkeit dieser Beziehungen stehen. Die Naturrechtstheorie kann die Frage nach dem konkreten Inhalt der Gerechtigkeit nicht beantworten. Und es läßt sich erweisen, daß diese 195
Frage unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit allein überhaupt unlösbar ist. Die Frage nach dem Inhalt der Gerechtigkeit führt uns zu den Prinzipien von Liebe und Macht. Die Einheit von Gerechtigkeit und Liebe in persönlichen
Begegnungen
Gerechtigkeit in ihrer abwägenden Form kann dem Anruf, der in einer konkreten Situation vorliegt, nicht Genüge leisten, aber die Liebe vermag das. Man sollte niemals sagen, daß das Werk der Liebe da beginnt, wo die Gerechtigkeit aufhört. Denn erst die Liebe zeigt, was in einer konkreten Situation gerecht ist. Nichts wäre aber verkehrter, als jemandem zu sagen: „Da ich dich liebe und du mich liebst, brauche ich keine Gerechtigkeit von dir oder du von mir, denn Liebe macht Gerechtigkeit überflüssig." So reden Menschen, die sich der Verpflichtung zur Gerechtigkeit entziehen wollen. Das ist die Sprache von Tyrannen gegenüber ihren Untertanen und von tyrannischen Eltern gegenüber ihren Kindern. Und selbst wenn sie nicht so reden, handeln sie doch so. Das ist eine ausgeklügelte Methode, der Verantwortung und Selbstbeschränkung auszuweichen, die von der Gerechtigkeit gefordert werden. O f t ist eine solche Liebe, die angeblich über die Gerechtigkeit hinausgeht, nichts anderes als eine Gefühlsaufwallung, in der Selbsthingabe und Feindseligkeit aufeinander folgen. Denn es ist falsch zu meinen, daß die Liebe gewährt, was die Gerechtigkeit nicht geben kann, daß die Liebe zu einer Selbsthingabe führt, die über den Anspruch der Gerechtigkeit hinausgeht. Es gibt mancherlei Selbsthingabe, die im Einklang mit der abwägenden Gerechtigkeit steht, ζ. B. den Tod für eine Sache, von der die eigene Existenz abhängt. Aber daneben stehen andere Formen der Selbsthingabe, die von der abwägenden Gerechtigkeit nicht gefordert werden, wohl aber von der Liebe. Wenn sie aber von der Liebe verlangt werden, geschieht das im Namen der schöpferischen Gerechtigkeit. Denn das schöpferische Element in der Gerechtigkeit ist die Liebe. Die Liebe verhält sich in dieser Hinsicht zur Gerechtigkeit wie die Offenbarung zur Vernunft. Und das ist keine zufällige Analogie. Sie beruht auf dem, was sowohl der Offenbarung wie auch der Liebe eigentümlich ist. Beide gehen über die Normen der Vernunft hinaus, ohne sie auszulöschen. Beide enthalten ein ekstatisches Element. Die Liebe kann in einigen ihrer Erscheinungsformen, wie sie ζ. B. Paulus in 1. Kor. 13 preist, durchaus als Gerechtigkeit in der Form der Ekstase bezeichnet werden, wie auch die Offenbarung als Vernunft in der Form der Ekstase betrachtet werden kann. Das wird auch von Paulus bestätigt, 196
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wenn er sowohl die Offenbarungserfahrung wie auch das Wirken der Liebe auf die Macht des göttlichen Geistes zurückführt. Und wie uns die Offenbarung keine zusätzlichen Erkenntnisse in dem Bereich vermittelt, in dem die erkennende Vernunft entscheidet, so sind auch von der Liebe keine zusätzlichen Antriebe in dem Bereich zu erwarten, in dem die praktische Vernunft vorherrscht. Beide geben der Vernunft eine neue Dimension, die Offenbarung der erkennenden, die Liebe der praktischen. Weder Offenbarung noch Liebe verneinen die Vernunft, der sie die Dimension der Tiefe geben. Wie die Offenbarung nicht der Struktur der erkennenden Vernunft widerspricht - sonst könnte keine Offenbarung vernommen werden - , so widerspridit die Liebe nicht der Gerechtigkeit, sonst könnte sie nicht verwirklicht werden. Diese Überlegung weist auf etwas hin, mit dem wir uns im letzten Kapitel zu befassen haben, nämlich auf die Abhängigkeit alles sittlichen Handelns von der Mitwirkung der Macht des göttlichen Geistes.1 Das Verhältnis von Gerechtigkeit und Liebe in zwischenmenschlichen Beziehungen kommt in drei Funktionen schöpferischer Gerechtigkeit voll zur Geltung, nämlich im Zuhören, Schenken und Vergeben. In keinem dieser Bereiche tut die Liebe mehr, als von der Gerechtigkeit gefordert wird, aber in jedem von ihnen erkennt die Liebe die Forderungen der Gerechtigkeit an. Man kann nicht erfahren, was in einer Begegnung von Person zu Person gerecht ist, wenn nicht die Liebe zuhört. Das ist ihre vornehmste Aufgabe. Es gibt in der Tat keine menschliche Beziehung, vor allem keine vertraute, ohne gegenseitiges Zuhören. Vorwürfe, Vergeltung und Abwehr mögen nach dem Gesetz der abwägenden Gerechtigkeit ihre Berechtigung haben. Aber sie würden sich doch vielleicht als ungerecht erweisen, gäbe es mehr gegenseitiges Zuhören. Von allen Dingen und allen Menschen werden wir gleichsam mit leiser oder lauter Stimme angerufen. Sie haben das Verlangen, daß wir auf sie hören; sie wünschen, daß wir ihren inneren Anspruch, ihre Seinsberechtigung verstehen. Sie fordern Gerechtigkeit von uns. Aber wir können sie ihnen nur gewähren, wenn wir in Liebe zuhören. Die Liebe, die sich um ein Verstehen des Mitmenschen bemüht, ist damit keineswegs irrational. Sie wendet alle verfügbaren Mittel an, um die dunklen Gründe seiner Motive und Hemmungen zu erhellen. Sie verwendet ζ. B. die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie, die uns unerwartete Möglichkeiten zur Erschließung der inneren Ansprüche eines Menschen an die Hand geben; von ihr haben wir gelernt, daß die 1 Der englisdie Ausdruck Spiritual power wurde hier in Anlehnung an „Systematische Theologie", Bd. III, mit „Macht des göttlichen Geistes" übersetzt. (D.Hrsg.)
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menschlichen Ausdrucksformen etwas ganz anderes meinen können, als sie zu meinen scheinen oder gar aussagen wollen. Sie mögen aggressiv wirken, aber dahinter steht vielleicht eine durch Scheu gehemmte Liebe. Sie können sanft und gutartig erscheinen, aber in Wirklichkeit spricht aus ihnen eine feindselige Gesinnung. Gut gemeinte, aber ungeschickt geäußerte Worte können zu einer völlig ungerechten Reaktion führen. All diese Situationen erfordern eine zuhörende Liebe, die den ersten Schritt zur Gerechtigkeit in den zwischenmenschlichen Beziehungen darstellt. Und diese Liebe hat auch ihre Bedeutung in den Begegnungen mit der lebenden Natur wie mit der Natur überhaupt. Aber wollten wir versuchen, das Problem der menschlichen Gerechtigkeit gegenüber der Natur zu behandeln, eröffnete sich uns ein neues Feld, das den Rahmen unserer Untersuchung sprengen würde. Vor allem wären für ein solches Unternehmen, das sich auf eine ontologische Analyse stützen müßte, zu viele Belege aus dem Gebiete der bildenden Kunst und Dichtung erforderlich. Die zweite Aufgabe der schöpferischen Gerechtigkeit in persönlichen Begegnungen ist das Schenken. Jeder Mensch, dem wir begegnen, hat das Recht, etwas von uns zu fordern, zumindest dies, daß er als Person anerkannt wird, und zwar selbst in den äußerlichsten Beziehungen. Aber wenn wir uns im Schenken auf ein solches Mindestmaß beschränken, befriedigt uns das nicht. Die Bereitschaft zum Schenken strebt nach mehr; sie kann bis zur Selbstaufopferung führen, wenn es die Lage erfordert. Schenken ist ein Ausdruck der schöpferischen Gerechtigkeit, wenn es im Dienste der wiedervereinenden Liebe steht. In dieser Sicht kann es zweifellos die Forderung bedeuten, Widerstand zu leisten, Schranken zu setzen und bestimmte Dinge zu entziehen. Psychologische Einsicht kann uns dabei helfen, das zu tun, was als Gegenteil schenkender Liebe erscheint. Denn schöpferische Gerechtigkeit schließt die Möglichkeit in sich ein, den Anderen in seiner Existenz, wenn auch nicht in seinem Sein als Person zu opfern. Die dritte und paradoxeste Form, in der die Einheit von Gerechtigkeit und Liebe erscheint, ist das Vergeben. Diese Einheit zeigt sich in der paulinischen Wendung von der Rechtfertigung durch Gnade. Rechtfertigung bedeutet zunächst „gerecht machen", und im Zusammenhang mit der paulinischen und lutherischen Lehre bedeutet sie, den als gerecht anzunehmen, der ungerecht ist. Nichts scheint in schrofferem Gegensatz zur Idee der Gerechtigkeit zu stehen als diese Lehre, und jeder, der sie bisher verkündet hat, mußte sich den Vorwurf gefallen lassen, der Ungerechtigkeit und Amoralität Vorschub zu leisten. Es erscheint ja so gänzlich ungerecht, den Ungerechten für gerecht zu er198
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klären. Aber gerade das ist in der christlichen Verkündigung als frohe Botschaft gemeint. Und gerade das ist die Erfüllung der Gerechtigkeit. Denn hier eröffnet sich der einzige Weg zur Wiedervereinigung derer, die sich durch Schuld voneinander entfremdet haben. Ohne Versöhnung gibt es keine Wiedervereinigung. Vergebende Liebe ist die einzige Möglichkeit, dem inneren Anspruch jedes Wesens gerecht zu werden, nämlich dem Begehren, wieder in die Einheit aufgenommen zu werden, zu der er gehört. Schöpferische Gerechtigkeit verlangt, daß dieser Anspruch erfüllt und daß der angenommen wird, der nach dem Maßstab der abwägenden Gerechtigkeit verworfen werden müßte. Indem die Liebe ihn in die Gemeinschaft der Vergebenden aufnimmt, macht sie zweierlei deutlich, nämlich einerseits die ihr durchaus bewußte Verletzung der Gerechtigkeit mit all ihren Folgen für den Schuldigen und auf der anderen Seite dessen unaufhebbaren Anspruch darauf, als gerecht erklärt und gerecht gemacht zu werden durch Wiederaufnahme in die Gemeinschaft.
Die Einheit von Gerechtigkeit und Macht in persönlichen
Begegnungen
In jeder Begegnung von Mensch zu Mensch ist Macht wirksam, die Macht der persönlichen Ausstrahlung, wie sie sich in Sprache und Gebärde bekundet, im Leuchten der Augen und im Klang der Stimme, im Gesichtsausdruck, in Gestalt und Bewegung. In dieser Ausstrahlung kommt das zur Geltung, was man als Person ist und was man im Verband der Gesellschaft darstellt. Jede Begegnung, sei sie nun freundlich oder feindselig, wohlwollend oder gleichgültig, ist bewußt oder unbewußt ein Machtkampf. In diesem Kampf fallen ständig Entscheidungen über die relative Seinsmächtigkeit, die jeweils in den Betroffenen verwirklicht ist. Schöpferische Gerechtigkeit übersieht keineswegs den Charakter dieser Begegnungen und die Konflikte, die sie stets auch mit sich bringen. Denn diese Konflikte sind der Preis, der für schöpferisches Leben gezahlt werden muß. Solche Kämpfe beginnen für einen Menschen bereits im Augenblick seiner Empfängnis und hören erst auf, wenn er seinen letzten Atemzug tut. Sie beeinflussen seine Beziehungen zu allen Dingen und allen Menschen, denen er begegnet. Die Form, in der diese Kämpfe zu immer neuen Entscheidungen über die Seinsmächtigkeit der einzelnen Menschen führen, ist die Gerechtigkeit. Aus dieser Auffassung, deren Richtigkeit schwerlich zu bestreiten ist, kann sich der Eindruck ergeben, als ob die Gerechtigkeit in persönlichen Begegnungen ganz und gar von dem Machtgefälle abhängt, das zwischen den betroffenen Personen besteht. Aber dieser Eindruck ist falsch, weil 199
dabei übersehen wird, daß jedes Seiende, das in den Machtkampf verwickelt wird, bereits eine bestimmte Seinsmächtigkeit hat. Es handelt sich um eine Pflanze und keinen Stein, ein Tier und keinen Baum, einen Menschen und keinen Hund, eine Frau und keinen Mann. Diese Wesensmerkmale und zahlreiche andere dazu sind gegeben, bevor der Machtkampf in den einzelnen Begegnungen beginnt, und sie sind die Grundlage für den inneren Anspruch auf Gerechtigkeit, den alles Seiende hat. Aber dieser Anspruch bleibt weithin unbestimmt, und das ist durch den dynamischen Charakter jeder Seinsmächtigkeit bedingt. Und dieses Element des Unbestimmten in der Macht alles Seienden erfordert stets neue Entscheidungen. Hierin liegt natürlich auch der Grund für alle Ungerechtigkeit. Wenn die neuen Entscheidungen den Wesensanspruch eines Seienden verletzen, so sind sie ungerecht. Es bedeutet allerdings noch keine Ungerechtigkeit, wenn in dem Kampf zwischen zwei Mächten die eine der anderen überlegen ist. Daß sich das so verhält, ist nicht ungerecht, sondern davon geht eine schöpferische Wirkung aus. Aber Ungerechtigkeit liegt vor, sobald in diesem Kampf die überlegene Macht ihre Überlegenheit dazu mißbraucht, um die Seinsmächtigkeit des Unterlegenen zu beeinträchtigen oder gar zu zerstören. Das kann in allen Formen menschlicher Beziehungen geschehen, und am häufigsten geschieht es, wenn sich diese persönlichen Begegnungen in einem Rahmen vollziehen, der durch die Struktur bestimmter gesellschaftlicher Einrichtungen gesetzt und wo das Interesse dieser Einrichtungen zum Vorwand für ungerechten Zwang wird. Es gibt ungerechten seelischen Zwang im Leben der Familien, auf dem Gebiet der Erziehung und überall da, wo eine Autorität wirksam ist. Nicht selten geschieht es, daß Eltern, die ein kleines Kind übermäßig streng oder zornig anblicken, in dem Kind für die Dauer seines ganzen Lebens eine ungewöhnliche Angst erzeugen. Es fühlt sich verstoßen und verliert jegliches Zutrauen zur Macht und Gerechtigkeit seines eigenen Seins. Seine gerechten Ansprüche werden unterdrückt oder verwandeln sich in ungerechte Ansprüche, d. h. solche, die sich unbewußt zerstörerisch gegen das eigene Ich oder seine Umgebung auswirken. Das gibt wiederum den Eltern das Gefühl, daß das Kind ihnen trotzt oder ihnen aus dem Weg geht. So bleibt auch der in der Stellung der Eltern begründete Anspruch unerfüllt. Jede Autorität kann neben äußerem Zwang auch einen psychologischen Druck ausüben, der im Gegensatz zur Gerechtigkeit in den menschlichen Beziehungen steht. Hier ergibt sich das schwierige Problem, ob es eine Form der Autorität gibt, die bereits ihrer Natur nach ungerecht ist, und eine andere, die 200
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von Natur aus gerecht genannt werden muß. Das scheint der Fall zu sein. Es gibt nämlich „prinzipielle Autorität" und „faktische Autorität". Prinzipielle Autorität bedeutet, daß eine Person Autorität besitzt aufgrund der Stellung, die sie einnimmt, und daß sie aus diesem Grunde über aller Kritik steht. So ist, um das bekannteste Beispiel anzuführen, der Papst als Papst die letzte Autorität für jeden gläubigen Katholiken. Ebenso ist die Bibel als Bibel die höchste Autorität für jeden strenggläubigen Protestanten. In diesem Sinne ist der Diktator als Diktator die entscheidende Autorität in einem totalitären System. So sind die Eltern Autorität für ihre unmündigen Kinder, und sie versuchen nicht selten, diese Stellung zeitlebens zu behaupten. Auf der Grundlage dieses Prinzips werden Lehrer Autoritäten für ihre Schüler, ohne den Versuch zu machen, diese von ihrer Autorität zu lösen. All diese „prinzipielle Autorität" ist ungerechte Autorität. Sie mißachtet den inneren Anspruch der Menschen, selbst verantwortlich für wesentliche Entscheidungen zu werden. Im scharfen Gegensatz dazu steht die „faktische Autorität", die jeder von uns fortwährend ausübt und auch anerkennt. Sie entspricht der gegenseitigen Abhängigkeit, der wir alle unterworfen sind, dem endlichen und bruchstückhaften Charakter unseres Seins, der Begrenztheit unseres Vermögens, für uns allein zu bestehen. Darum ist sie gerechte Autorität. Diese Lage spiegelt sich in unserem Erziehungswesen wider. Man muß sich fragen, ob nicht die Erziehung zur Anpassung eine Ungerechtigkeit darstellt, da sie den mit unserer Geburt gegebenen Anspruch auf Unabhängigkeit beständig unterdrückt. Man muß sich ferner fragen, ob Anpassung nicht eine Form der Vergewaltigung und somit ihrem Wesen nach ungerecht ist. Dazu kann nur gesagt werden, daß Erziehung zur Anpassung insofern gerecht ist, als sie eine Möglichkeit der Formung des Individuums darstellt. Sie ist jedoch insofern ungerecht, als sie es dem Individuum erschwert, neue Formen zu schaffen. Am Ende dieses Kapitels möchte ich hervorheben, daß der existentialistische Protest im kulturellen Schaffen der letzten hundert Jahre in vieler Hinsicht einen Versuch darstellt, dem Individuum gerecht zu werden, indem er dessen berechtigtes Verlangen unterstützt, die bloße Anpassung durch das Prinzip der schöpferischen Erneuerung zu überwinden.
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VI D I E E I N H E I T VON MACHT, G E R E C H T I G K E I T UND L I E B E IN D E N B E Z I E H U N G E N ZWISCHEN SOZIALEN GRUPPEN Im vorigen Kapitel haben wir uns mit der Rolle von Gerechtigkeit, Liebe und Macht in den menschlichen Beziehungen befaßt. Immer ging es dabei um die Beziehungen von Mensch zu Mensch, die wir in ihren verschiedenen Erscheinungsformen und ihrer mannigfachen Problematik erörtert haben. Aber keine menschliche Beziehung entfaltet sich in einem leeren Raum. Stets wird sie von der bestehenden gesellschaftlichen Struktur mitbestimmt. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, über Machtstrukturen in Natur und Gesellschaft zu sprechen. Machtstrukturen
in Natur und Gesellschaft
Bei der Analyse der Macht ging es um die Macht von Einzelwesen in ihrem Verhältnis zu anderen solchen Wesen. Dabei stießen wir immer wieder auf umfassende Ganzheiten, die dem Individuum Gerechtigkeit gewähren oder verweigern und Regeln für ein gerechtes Verhalten festlegen, so wie sie uns in Uberlieferungen, Sitten und Gebräuchen sowie in Gesetzen begegnen. Aber wir waren in diesen Erörterungen nicht am Leben der Gruppen als soldier interessiert. Jetzt müssen wir unsere Aufmerksamkeit diesem äußerst wichtigen Gebiet zuwenden. Sowohl im Anorganischen (ζ. B. bei Kristallen, Molekülen und Atomen) wie auch im Bereich des Organischen bauen sich Machtstrukturen immer um einen Mittelpunkt herum auf. In organischen Lebewesen nimmt der Grad der Bezogenheit auf eine Mitte zu, bis im Menschen die Stufe des Selbstbewußtseins erreicht ist. Darauf erscheint eine neue, um einen Mittelpunkt aufgebaute Struktur, die soziale Gruppe oder der soziale Organismus, wie man in den Fällen sagt, wo die Bedeutung der Mitte besonders stark hervortritt. Ein Organismus ist um so höher entwickelt und kraftvoller in seiner Seinsmächtigkeit, je mehr verschiedenartige Elemente um eine alles belebende Mitte vereint sind. Darum bildet der Mensch die reichsten, umfassendsten und mächtigsten gesellschaftlichen Organismen. Aber die Individuen, die diese Organismen 202
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bilden, stellen jeweils eigene unabhängige Einheiten dar, und darum können sie den sozialen Organismen, zu denen sie gehören, Widerstand leisten. Damit kommen wir an den Punkt, an dem die Verwandtschaft zwischen biologischen und sozialen Organismen aufhört. In einem biologischen Organismus sind die Teile nichts ohne das Ganze, zu dem sie gehören. Das trifft aber auf soziale Organismen nicht zu. Zwar kann das Schicksal eines Einzelnen, der außerhalb seiner Gruppe lebt, recht jämmerlich sein, aber diese Trennung bedeutet nicht unbedingt die Vernichtung seiner Existenz. Ein Glied, das von seinem lebendigen Organismus abgetrennt wird, muß dagegen verwesen. Insofern ist also keine menschliche Gruppe ein Organismus im biologischen Sinne. Das gilt sowohl für die Familie wie für ein Volk. Diese Feststellung ist in politischer Hinsicht von besonderer Bedeutung. Wo mit Vorliebe von gesellschaftlichen Organismen gesprochen wird, geschieht das gewöhnlich mit einer reaktionären Tendenz. Man will Gruppen mit unabhängiger Denkweise am Zügel halten, und zu diesem Zwecke verwendet man eine biologische Metapher im wörtlichen Sinn. Preußischer Konservativismus und die katholische Lehre vom Wesen der Familie stimmen in diesem Punkt überein. Aber die individuelle Person ist etwas anderes als das Glied eines Körpers ; sie ist eine letzte unabhängige Wirklichkeit von sowohl individueller wie auch sozialer Bedeutung. Der Mensch ist ein soziales Wesen, aber die Gesellschaft erschafft nicht das Individuum. Beide bedingen sich gegenseitig. Das spricht auch gegen das häufig angewandte Verfahren, eine soziale Gruppe wie eine Person zu beurteilen. So ist der Staat oft betrachtet worden, als ob er wie ein Individuum Gefühle, Gedanken und Pläne hegen sowie Entscheidungen treffen könnte. Aber dabei wird ein Punkt übersehen, der solche Gleichsetzung nicht zuläßt : der soziale Organismus hat keine organische Mitte, in der das Sein des Ganzen in einer solchen Weise zusammengefaßt ist, daß zentrale Erwägungen und Entscheidungen möglich werden. Das Zentrum einer sozialen Gruppe wird von jenen gebildet, die sie vertreten, also von den Regierungen, Parlamenten oder wer sonst auch immer die wirkliche Macht hinter den Kulissen ohne offiziellen Auftrag ausübt. Setzt man diese repräsentativen Zentren von sozialen Machtgebilden dem erwägenden und entscheidenden Zentrum einer Person gleich, erliegt man einer Täuschung durch die Metapher. Denn die entscheidende Mitte einer Gruppe ist stets ein Teil dieser Gruppe. Nicht die Gruppe in ihrer Gesamtheit entscheidet, sondern jene entscheiden, die die Macht haben, für die Gruppe zu sprechen und ihre Entscheidungen gegenüber allen [63]
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Mitgliedern der Gruppe durchzusetzen. Aber sie könnten das nicht tun, ohne wenigstens die stillschweigende Zustimmung der Gruppe zu haben. Die Bedeutung dieser Analyse wird klar, wenn man ζ. B. eine Gruppe für das verantwortlich macht, was ihre Führung ihr aufgezwungen hat. Hier liegt die Lösung für die schmerzliche Frage nach der moralischen Schuld eines Volkes, wie sie sich für Deutschland unter dem Nationalsozialismus stellt. Niemals ist ein Volk als unmittelbar schuldig anzusehen für seine Taten; die Verantwortung hierfür liegt stets bei der herrschenden Gruppe. Aber jeder Einzelne in einem Volk ist mitverantwortlich dafür, daß es von einer bestimmten Gruppe beherrscht wird. Es gibt nicht sehr viele Deutsche, die eine unmittelbare Schuld an den Grausamkeiten der Nationalsozialisten trifft. Aber das ganze Volk ist dafür verantwortlich, daß es eine Regierung duldete, die willens und fähig war, solche Verbrechen zu begehen. Diejenigen, die die Macht einer sozialen Gruppe verkörpern, bilden ein repräsentatives, aber kein wirkliches Zentrum. Eine Gruppe ist eben keine Person. Trotzdem hat die Gruppe eine bestimmte Machtstruktur. Sie ist auf eine Mitte bezogen. Aus diesem Grunde ist gesellschaftliche Macht hierarchische, d. h. abgestufte Macht. Gesellschaftliche Macht, ihrem Wesen nach zentriert und darum hierarchisch, tritt in vielen Formen auf. Sie kann sich geltend machen in der Beherrschung einer Gesellschaft durch eine feudale Gruppe, eine Militärkaste, die oberste Schicht einer Bürokratie, eine mächtige Wirtschaftsgruppe, eine Priesterkaste, einen starken Mann an der Spitze mit oder ohne verfassungsmäßige Machtbeschränkung, die maßgebenden Ausschüsse eines Parlaments oder auch eine revolutionäre Avantgarde. Jede herrschende Gruppe ist den Spannungen der Macht unterworfen, vor allem aber der Spannung zwischen der Macht, die aus Zustimmung, und solcher, die aus Zwang kommt. Beide Formen der Macht sind stets gleichzeitig wirksam, und keine Machtstruktur hat Bestand, wenn eine von ihnen fehlt. Die schweigende Zustimmung des Volkes zeigt sich ζ. B. in Überlegungen wie dieser: „Die uns regieren, tun das aufgrund einer göttlichen Berufung oder eines bestimmten geschichtlichen Schicksals. Daran ist nichts zu ändern und zu kritisieren." Oder: „Unsere Abgeordneten sind von uns gewählt worden. Nun müssen wir uns mit ihnen abfinden, solange ihr Mandat läuft, selbst wenn sie es mißbrauchen, sonst bricht das ganze System mit allen Segnungen zusammen, die wir von ihm haben." Die Stellung der herrschenden Gruppe ist solange gesichert, wie diese Art von Zustimmung unbewußt oder auch nur halb bewußt gegeben wird. Es ist bildlich gesprochen eine stillschweigende Zustimmung. Eine Gefahr ergibt sich 204
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für das System erst dann, wenn man sich allgemein bewußt wird, daß es der Zustimmung der Mehrheit bedarf und Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Herrschaft laut werden. Dann kann der Fall eintreten, daß die Unterdrückung nicht länger hingenommen wird und sich eine revolutionäre Situation ergibt. Es ist bemerkenswert, daß selbst in einer solchen Lage das Gesetz gültig bleibt, wonach Macht immer von einem Zentrum ausgeht und hierarchischen Charakter hat. Die eigentlichen Träger des revolutionären Willens sind eine kleine Gruppe von Menschen, die sich dazu entschlossen haben, die bestehende Ordnung nicht mehr länger hinzunehmen. Marx hat sie mit einer Wendung aus der militärischen Sprache als die „Avantgarde" bezeichnet. Sie sind das Machtzentrum in einer revolutionären Situation, die Opfer härtester Verfolgung im vorrevolutionären Stadium, die herrschende Gruppe nach der erfolgreichen Revolution. Zwang ist also die andere Seite der hierarchischen Machtstruktur. Er wirkt so lange reibungslos, wie er sich bei der überwiegenden Mehrheit der betreffenden Gruppe unbemerkt zur Geltung bringt. Das geschieht durch eine Gesetzgebung, die auf allgemeine Zustimmung rechnen kann, eine gute Verwaltung und die Pflege konformistischen Denkens. Aber das ist ein Idealfall, der das Vorhandensein vieler günstiger Umstände voraussetzt, wie ζ. B. in England. Gewöhnlich tritt das Element des Zwanges viel stärker in Erscheinung. Idealisten erliegen hier leicht einer Selbsttäuschung. Sie bemerken ζ. B. nur die kleine Zahl von Polizisten in einer Großstadt und erleben außerdem, daß diese wenigen Polizisten nur selten Zwang anwenden müssen. So sehen sie mehr das Fehlen als das tatsächliche Vorhandensein des Zwanges. Aber Zwang wird in den meisten Fällen allein durch die Drohung der Anwendung von Zwang ausgeübt, vorausgesetzt natürlich, daß die Drohung ernst gemeint ist. Das ließe sich leicht durch eine Fülle von Beispielen erhärten, denken wir doch nur an unsere hochgebildeten Bürger und ihre Einstellung zum Steuerbescheid. Kein Machtsystem kann also ohne schweigende Anerkennung und das sichtbare Vorhandensein des Zwanges auskommen. Die in einer sozialen Gruppe herrschende Minderheit braucht einerseits schweigende Zustimmung durch die Mehrheit der Bürger, andererseits ist sie aber ausführendes Organ bei der Vollstreckung der Gesetze gegen Willkür und Ungesetzlichkeit einzelner. Aus diesem Tatbestand ergeben sich Probleme, die einem sozialen Organismus zu schaffen machen und vielleicht gar für ihn verhängnisvoll werden. Die Lage wäre einfach, wenn das Recht, das die herrschende Gruppe zu vertreten und in seiner Geltung zu sichern hat, eindeutig wäre. Aber in Wirk[65]
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lichkeit ist es mit allen Zweideutigkeiten der Rechtspflege behaftet. Diese Tatsache spiegelt sich in der archaischen Ansicht wider, daß der Herrscher über dem Gesetz steht, weil es seine Aufgabe ist, in den Fällen Rechtsprechung auszuüben, wo das Gesetz notwendig Lücken hat. Wenn auch die modernen Verfassungen nichts über eine solche rechtsschöpferische Befugnis aussagen, können sie doch Handlungen der herrschenden Gruppe, die diesem Prinzip folgen, nicht verhindern. Und diese Stellung „über dem Gesetz" bedeutet auch weder im Altertum noch in unserer Zeit eine Absage an die Gültigkeit des Rechts. Im Gegenteil, sie ist als eine Voraussetzung gemeint, die die Anwendung des Gesetzes ermöglicht. Gesetze müssen in einem schöpferischen Akt gegeben werden, und das geschieht durch Mitglieder der herrschenden Gruppe. Sie müssen der jeweiligen Lage in einer mutigen Entscheidung angepaßt werden, und diese Entscheidung obliegt Angehörigen der herrschenden Gruppe. Sie müssen in vorausschauendem Wagemut geändert werden, und Menschen der herrschenden Gruppe nehmen dieses Wagnis auf sich. Diese Erörterung zeigt, daß diejenigen Kreise, die an der Macht sind, immer zweierlei tun: sie vertreten einerseits die Macht und das Lebensrecht der ganzen Gruppe, andererseits bringen sie als herrschende Gruppe ihre eigene Macht und ihr eigenes Lebensrecht zur Geltung. Diese Lage hat christliche und marxistische Anarchisten dazu verleitet, das Ideal einer Gesellschaft ohne Machtstruktur aufzustellen. Aber Sein ohne Machtstruktur bedeutet ein Sein ohne handlungsfähige Mitte. Es bedeutet eine Anhäufung von Einzelwesen ohne eine zusammengefaßte Seinsmächtigkeit und ohne die verbindende Wirkung der Gerechtigkeit. Keine menschliche Gesellschaft kann ohne staatliche Organisationsformen bestehen. Und wo sie einmal bestehen, können weder Kontrollen noch Gegengewichte, nicht einmal solche, wie sie in die amerikanische Verfassung eingebaut sind, die herrschenden Schichten daran hindern, das Recht und die Macht der Gesamtheit ihrer eigenen Macht und ihrem eigenen Recht dienstbar zu machen. Wer zur herrschenden Schicht gehört, muß dafür einen Preis zahlen, und er muß diese Zugehörigkeit auch rechtfertigen. Sein Preis besteht darin, daß er sein eigenes Schicksal mit dem der ganzen Gruppe identifiziert. Die Seinsmächtigkeit der Gesamtheit begründet seine eigene Seinsmächtigkeit; mit ihr steht und fällt er. Und er erfährt seine Rechtfertigung dadurch, daß er von der gesamten Gruppe anerkannt wird, in welchen verfassungsmäßigen Formen das auch geschehen mag. Den in einer Gesellschaft führenden Individuen ist die Grundlage ihrer Existenz entzogen, wenn die ganze Gruppe ihnen endgültig ihre Anerkennung entzieht. Sie können 206
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zwar ihre Macht durch physischen und psychischen Zwang eine gewisse Zeit verlängern, aber nicht für immer. Die schweigende Anerkennung, die eine herrschende Gruppe von der Gesamtheit erfährt, läßt sich nicht ohne die Berücksichtigung eines Elementes verstehen, das weder aus der Gerechtigkeit noch aus der Macht, sondern aus der Liebe stammt, und zwar aus ihren Eros- und PhiliaQualitäten. Es handelt sich hier um das Gemeinschaftserlebnis innerhalb einer Gruppe. Jede soziale Gruppe ist potentiell oder aktuell eine Gemeinschaft; und die herrschende Minderheit vertritt nicht nur die Macht und das Lebensrecht der Gruppe, sondern sie verkörpert auch ihren Gemeinschaftsgeist, ihre Ideale und ihre Wertvorstellungen. Jeder natürliche oder soziale Organismus stellt eine gewisse Seinsmächtigkeit dar und ist Träger eines inneren Anspruchs auf Gerechtigkeit, weil er auf irgendeiner Form der wiedervereinigenden Liebe beruht. Als Organismus hebt er die in einem begrenzten Bereich der Welt bestehende Getrenntheit auf. Die Zellen eines Lebewesens, die Mitglieder einer Familie, die Bürger eines Staates können als Beispiel hierfür genannt werden. Diese gemeinsame Selbstbejahung äußert sich auf der Ebene menschlichen Zusammenlebens als Gruppengeist. Dieser Geist der Gruppe bekundet sich in all ihren Lebensäußerungen, in ihren Gesetzen und Einrichtungen, in ihren Symbolen und Mythen, in ihren Sitten und ihrer Kultur. Er wird gewöhnlich von der führenden Schicht verkörpert. Und das ist vielleicht die eigentliche Grundlage ihrer Macht. Jedes Glied der Gruppe sieht in dem Angehörigen der herrschenden Minderheit die Verkörperung jener Ideale, für die er eintritt, wenn er sich für seine Gruppe einsetzt. Könige oder Bischöfe, Großgrundbesitzer oder Vertreter des Großkapitals, Gewerkschaftsführer oder Revolutionshelden können die gemeinsamen Ideale verkörpern. Darum bewahrt und pflegt jede herrschende Minderheit die Symbole, in denen der Gruppengeist zum Ausdruck kommt. Sie gewährleisten weit mehr als die härtesten Zwangsmaßnahmen den Bestand einer Machtstruktur. Sie sichern die schweigende Anerkennung der herrschenden Gruppe durch die Gesamtheit. So hängen Macht und Gerechtigkeit in einer sozialen Gruppe vom Gemeinschaftsgeist ab, und das heißt von der vereinigenden Liebe, die die Gemeinschaft begründet und erhält.
Macht, Gerechtigkeit und Liebe in der Begegnung sozialer Gruppen In unserer Darstellung der Begegnungen von Seinsmächtigkeiten haben wir bisher nur Begegnungen zwischen Individuen untersucht. [67]
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Wir müssen nunmehr unsere Analyse auf die Begegnungen zwischen sozialen Gruppen ausdehnen. Wenn wir das tun, treffen wir auf die bekannten Kennzeichen aller Machtbegegnungen, das Vorstoßen und das sich Zurückziehen, die Aufnahme oder Absonderung von Elementen, Prozesse der Verschmelzung oder Trennung. Das alles ist unvermeidlich, denn jede Gruppe erfährt Wachstum und Verfall; sie will sich fortentwickeln und zugleich den erreichten Zustand bewahren. Nichts ist in diesem Prozeß im voraus entschieden. Alles ist Versuch, Wagnis und Entscheidung. Und dabei verschmelzen sich Elemente innerer Macht mit Zwang, ob das nun die Gruppe und ihre Repräsentanten wollen oder nicht. Die Begegnungen zwischen sozialen Gruppen liefern den eigentlichen Stoff der Geschichte. In ihnen entscheidet sich das politische Schicksal der Menschheit. Was ist nun über das Wesen dieser Begegnungen zu sagen? Die Grundlage aller Macht einer Gruppe ist der Raum, den sie braucht. Leben heißt Raum haben oder genauer gesagt, sich Raum schaffen. Hierin liegt die ungeheure Bedeutung des geographischen Raums und des Kampfes um seinen Besitz, wie er von allen Gruppen ausgetragen wird. Unsere Zeit liefert uns hierfür ein überzeugendes Beispiel. Der zionistische Kampf wurzelt in der Notwendigkeit, Raum zu besitzen. Israel verlor seine Seinsmächtigkeit und vielfach auch seine Existenzmöglichkeit, als es seinen Raum verlor. Nun hat es seinen Raum, und in diesem Besitz hat es eine starke Seinsmächtigkeit bewiesen. Aber vielleicht ist dabei auch etwas verloren gegangen, nämlich die enge Beziehung zur Dimension der Zeit, die Israel zum auserwählten Volke machte und die mit dem Verzicht auf Macht verknüpft ist. Der Kampf um Raum ist nicht einfach der Versuch, eine andere Gruppe aus einem bestimmten Raum zu verdrängen. Das wahre Ziel hierbei ist, diesen Raum in einen größeren Machtbereich einzubeziehen und ihm seinen eigenen Mittelpunkt zu nehmen. Geschieht das, so hat sich nicht die individuelle Seinsmächtigkeit geändert, sondern das Verhältnis des Einzelnen zur Mitte, die Art, wie er das Gesetz und die geistige Substanz des neuen, größeren Machtgebildes beeinflussen kann. Aber die Macht und der Bestand einer sozialen Gruppe hängen nicht nur vom geographischen Raum ab. Hier zählt auch die Machtausstrahlung in den umfassenderen Raum der Menschheit. Eine dieser Ausstrahlungen, die den eigenen Raum erweitert, ohne den anderer einzuschränken, ist die wirtschaftliche Ausdehnung. Auch die technische Entfaltung oder die Verbreitung von Wissenschaft und Kultur sind hier zu nennen. Auf diesem Gebiet läßt sich nichts im voraus berechnen. Alle Gegebenheiten verändern sich ständig, die Stärke der Bevölkerung, die 208
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Produktionskraft, neue Entdeckungen, Entwicklungen, Auswanderung, Konkurrenz, das Entstehen neuer und der Verfall bestehender Staaten. Die Geschichte probiert dabei gleichsam ihre nächste Machtkonstellation aus. Und in diesem Prozeß werden Staaten und Weltreiche geopfert und neue ins Leben gerufen. Die Seinsmächtigkeit jeder politischen Macht erweist sich in ihren Begegnungen mit der Stärke anderer sozialer Gruppen. Aber jetzt müssen wir uns vergegenwärtigen, daß Macht nicht nur physische Gewalt ist, sondern daß sich die Lebenskraft einer sozialen Gruppe auch in Symbolen und Ideen ausdrückt. Das Bewußtsein einer solchen geistigen Substanz kann das Gefühl einer Sendung annehmen, und den bedeutendsten geschichtlichen Leistungen liegt auch ein Sendungsbewußtsein zugrunde. Wenn wir die europäische Geschichte verfolgen, begegnen wir solchem Sendungsbewußtsein nicht selten, und wir müssen feststellen, daß dieses Bewußtsein einen gewaltigen Einfluß auf den Gang der Geschichte hatte. In einer unlösbaren Einheit von Machtstreben und Sendungsbewußtsein unterwarfen die Römer das Mittelmeerbecken dem römischen Recht und der Ordnung ihres Weltreiches, die auf diesem Recht beruhte. In gleicher Weise brachte Alexander die griechische Kultur zu Völkern, die durch Waffengewalt wie auch durch die Verbreitung der griechischen Sprache unterworfen wurden. Wenn wir bedenken, daß diese beiden Reichsgründungen die oikumene und damit die Voraussetzungen und den Rahmen für die Ausbreitung des Christentums schufen, können wir kaum sagen, daß das ihnen zugrundeliegende Sendungsbewußtsein unbegründet war. Das gleiche gilt vom mittelalterlichen deutschen Reich, das, gestützt auf das Machtstreben der germanischen Stämme und das Sendungsbewußtsein der germanischen Könige, die Lebensformen für die gesamte Christenheit schuf mit all dem Glanz der mittelalterlichen Religion und Kultur. Zu Beginn der Neuzeit verbanden die europäischen Völker ihr Machtstreben mit einer neuen Art von Sendungsbewußtsein. Spaniens weltweiter Imperialismus war mit dem fanatischen Glauben verknüpft, das göttliche Werkzeug der Gegenreformation zu sein. Englands Sendungsbewußtsein wurzelte teils in der calvinistischen Vorstellung einer Weltpolitik im Dienst des reinen Christentums, teils in einem christlich-humanistischen Verantwortungsgefühl für die Kolonialländer und für ein stabiles Gleichgewicht der Kräfte zwischen den Kulturvölkern. Das war unlösbar mit wirtschaftlichem und politischem Machtstreben verbunden und schuf das größte Weltreich in der Geschichte, wie es auch für lange Zeit Europa den Frieden sicherte. Frankreichs Sendungsbewußtsein beruhte auf seiner kulturellen Uber[69]
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legenheit im 17. und 18. Jahrhundert. Das moderne Deutschland blieb im Banne der sogenannten Realpolitik ohne Sendungsbewußtsein. Seine Ideologie war der Kampf um Lebensraum, zum Teil im Wettstreit mit den Kolonialvölkern und darum im Gegensatz zu ihnen. Hitlers offensichtlich absurdes Sendungsbewußtsein, das auf der Verherrlichung des nordischen Blutes beruhte, wurde dem Volke künstlich aufgezwungen und von ihm nur widerwillig übernommen, weil es keinen Ausdruck in einem echten Symbol finden konnte. Heute ringen nun zwei große imperialistische Systeme miteinander und gebrauchen dabei die Waffen ihrer Macht und ihres Sendungsbewußtseins: Rußland und Amerika. Das russische Sendungsbewußtsein wurzelte zunächst in dem religiösen Bewußtsein, daß Rußland gegenüber dem Westen eine Sendung zu erfüllen habe, nämlich die zerfallende westliche Kultur durch das mystische Christentum des Ostens zu retten. Das war die Parole der slawophilen Bewegung im 19. Jahrhundert. Das heutige Rußland hat ein ähnliches Sendungsbewußtsein gegenüber dem Westen wie auch gegenüber dem Fernen Osten. Sein Machtstreben, das von seinen Gegnern als Drang zur Weltherrschaft gebrandmarkt wird, bleibt ohne sein fanatisches Sendungsbewußtsein unverständlich, und damit stellt es sich allen anderen imperialistischen Bewegungen an die Seite. Amerikas Sendungsbewußtsein hat man den „amerikanischen Traum" genannt, der darauf zielt, mit erneuter Kraftanstrengung das Reich Gottes auf Erden zu errichten. Die alten Formen der Unterdrükkung hatte man hinter sich gelassen, und nun wurde ein neuer Anfang gemacht. In der Verfassung und der lebendigen Demokratie - beide haben in den Vereinigten Staaten gleichsam religiöse Weihe - kommt der Wille zum Ausdruck, die amerikanische Sendung zu verwirklichen. Das war ursprünglich nur für Amerika gedacht. Jetzt gilt es in erklärter Form für eine Hälfte der Welt, unausgesprochen aber für die ganze Welt. Noch ist das tatsächliche Machtstreben im Verein mit diesem Sendungsbewußtsein nicht voll entfaltet. Aber die geschichtliche Lage verstärkt es in zunehmendem Maße, und es ist schon heute berechtigt, von einem halbbewußten amerikanischen Imperialismus zu sprechen. Ein Sendungsbewußtsein findet seinen Ausdruck auch in Gesetzen. In diesen Gesetzen sind sowohl Gerechtigkeit wie Liebe wirksam. Das von den Weltreichen geschaffene Recht ist nicht nur Ideologie oder Ausdruck zweckmäßigen Denkens. Die großen Reiche unterwerfen nicht nur, sie vereinigen auch. Und soweit sie dazu imstande sind, sind sie nicht ohne Liebe. Daher erkennen die Unterworfenen stillschweigend an, daß sie nun an einer überlegenen Seinsmacht und an überlegenen geistigen Zielsetzungen teilhaben. Wenn diese Anerkennung
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schwindet, weil die einigende Kraft des Reiches, seine Stärke und sein Sendungsbewußtsein schwinden, sind die Tage dieses Reiches gezählt. Seine Seinsmacht zerfällt, und Angriffe von außen vollenden nur, was im Grunde schon entschieden ist. Der in unseren Tagen zu beobachtende Abbau staatlicher Souveränität, das Entstehen großer Machtgruppen und die Spaltung der Welt in zwei gewaltige politische Machtsysteme werfen natürlich das Problem auf, ob und wie die Menschheit politisch geeint werden kann. Welchen Beitrag können unsere Feststellungen über das Wesen von Macht, Gerechtigkeit und Liebe zur Klärung dieses Problems leisten? Auf diese Frage sind bisher drei Antworten gegeben. Die erste erkennt den endgültigen Charakter der gegenwärtigen Entwicklung zu größeren Machteinheiten nicht an und erwartet eine Rückkehr zu verhältnismäßig unabhängigen Machtzentren, die nicht unbedingt nationalen Charakter haben müssen, sondern vielleicht kontinentales Ausmaß haben werden. Die zweite Antwort zielt auf eine Lösung im Rahmen eines Weltstaates, der als eine Art bundesstaatlicher Vereinigung der gegenwärtigen Großmächte gedacht wird, die sich der Zentralgewalt, an der alle Gliedstaaten teilhaben, freiwillig unterwerfen. Die dritte Antwort beruht auf der Erwartung, daß sich eine der Großmächte zur beherrschenden Weltmacht entwickelt, die die anderen Staaten in liberaler Weise und nach demokratischen Methoden beherrscht. Ob die erste Antwort richtig ist, hängt davon ab, welche Beurteilung der Zukunft zutrifft. Es kennzeichnet die Entwicklung sozialer Organismen, daß einer zentralisierenden Tendenz stets eine dezentralisierende entgegenwirkt. Die Frage ist also, welche Tendenz in unserer Zeit überwiegt. Die Einheit der Welt, wie sie in technischer Hinsicht besteht, begünstigt die Zentralisierung. Aber daneben sind andere Kräfte wirksam, vor allem psychologische, die sich als stärker erweisen können. Die zweite Antwort, die Erwartung eines Weltstaates, steht im Widerspruch zur Analyse der Macht, wie wir sie gegeben haben. Ein Machtzentrum, das Stärke mit einem Sendungsbewußtsein verbindet, kann sich nicht einer künstlich geschaffenen Weltregierung unterwerfen, der beides fehlt. Die Voraussetzung für eine politische Einheit der Welt ist das Bestehen einer geistigen Einheit, die ihren Ausdruck in Symbolen und Mythen findet. Nichts Derartiges besteht heute. Und ehe es nicht besteht, hat ein Weltstaat nicht die Macht, sich allgemeine Anerkennung zu verschaffen. Die dritte Antwort scheint die größte Wahrscheinlichkeit für sich zu [71]
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haben. Es kann nämlich durchaus geschehen, daß nach einem Stadium der Weltgeschichte, in dem sich eine Machtstruktur zu einer Weltmacht mit einem Mindestmaß an Unterdrückung entfaltet, das Gesetz, die Gerechtigkeit und die vereinigende Liebe, die in dieser Macht verkörpert sind, von der gesamten Menschheit anerkannt werden. Aber auch dann wird das Reich Gottes noch nicht verwirklicht sein. Denn auch dann wird es Zerfall und Revolutionen geben. Es werden sich vielleicht neue Machtzentren bilden, zunächst im Verborgenen, dann offen, und das kann zu einer Abspaltung vom Ganzen oder zu seiner radikalen Umgestaltung führen. Und diese neuen Machtzentren werden wahrscheinlich ein eigenes Sendungsbewußtsein entwickeln. Dann beginnt der Machtkampf von neuem, und die Periode eines segensreichen Weltstaates wird genauso vorübergehen, wie das mit dem Friedensreich des Augustus geschah. Aber kann denn die vereinigende Liebe die Menschheit niemals zur Einigung führen? Kann die Menschheit als ein Ganzes niemals eine einzige Machtstruktur bilden und damit weltweite Gerechtigkeit verbürgen? Mit dieser Frage haben wir jedoch das Feld der Geschichte verlassen; wir stoßen hier auf das Problem, wie sich Liebe, Macht und Gerechtigkeit zum Unbedingten verhalten.
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VII D I E E I N H E I T V O N LIEBE, MACHT U N D GERECHTIGKEIT I N DER B E Z I E H U N G ZUM U N B E D I N G T E N Die ersten vier Kapitel dieses Buches entwickelten unsere H a u p t these unmittelbar. In ihnen wurde der Nachweis versucht, daß ohne ontologische Grundlegung weder Liebe noch Macht oder Gerechtigkeit recht verstanden werden können. Die beiden darauffolgenden Kapitel bestätigten diese These mittelbar, indem sie die Fruchtbarkeit der ontologischen Analyse f ü r die Problematik der Gerechtigkeit in den zwischenmenschlichen Beziehungen und für das Problem der Macht in den Beziehungen zwischen sozialen Gruppen erwiesen. Aber nachdem auf diese Weise der ontologische Charakter von Liebe, Macht und Gerechtigkeit dargelegt worden ist, erhebt sich nun die Frage nach ihrem theologischen Charakter. Denn Ontologie und Theologie berühren sich in einem Punkt: beide haben es mit dem Sein als solchem zu tun. Die erste Aussage, die wir über Gott zu machen haben, ist die, daß er das SeinSelbst ist. Wir sind der theologischen Fragestellung in unserer Erörterung bereits mehrmals begegnet. Sie klang an bei der Beschreibung des Lebens als Trennung und Wiedervereinigung oder als Liebe. Eine solche Auffassung vom Leben entspricht genau der Lehre, die den lebendigen Gott als Dreifaltigkeit begreift. In seinem Sohn trennt sich Gott von sich selbst, und im Heiligen Geist vereint er sich wieder mit sich. Das ist natürlich symbolisch zu verstehen, aber diese Auffassung soll doch die Christenheit stets auf die Wahrheit hinweisen, daß Gott keine tote Identität, sondern der lebendige Urgrund alles Lebens ist. Darüber hinaus verwiesen wir auf die Agape-Qualität der Liebe, die im Neuen Testament so nachdrücklich betont wird. Wir sprachen ferner von der göttlichen Gerechtigkeit, und zwar sowohl unter ihrem natürlichen Aspekt, nach dem alles Seiende einen wesensgemäßen Anspruch auf Gerechtigkeit hat, wie auch unter dem Aspekt der vergebenden und wiedervereinigenden Gerechtigkeit. Wir verwiesen auf den Widerstand des Menschen gegen die wiedervereinigende Liebe, seine Entfremdung von sich selbst, von anderem Seienden und vom Urgrund seines Seins. Und wir verwahrten uns gegen einen Gottesbegriff, durch den Gott [73]
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seiner Macht beraubt wird, denn Sein muß als Seinsmächtigkeit verstanden werden. Das alles zeigt, daß Begriffe wie Liebe, Macht und Gerechtigkeit gar nicht geklärt werden können, ohne in die Dimension dessen vorzustoßen, was uns unbedingt angeht, ohne die Sphäre des Heiligen zu betreten. Aber es gibt noch einen tieferen Grund für die Notwendigkeit, in diesen Bereich vorzustoßen. Wir bemühten uns um den Nachweis, daß ihrem ursprünglichen Wesen nach und gemäß ihrer geschaffenen Natur Liebe, Macht und Gerechtigkeit eine Einheit sind. Das war jedoch nicht möglich, ohne zu zeigen, daß sie sich in der Wirklichkeit voneinander getrennt haben und im Widerstreit miteinander stehen. Daraus ergibt sich die Frage: Wie kann ihre wesensgemäße Einheit wiederhergestellt werden? Zweifellos gibt es darauf nur eine Antwort: durch das Offenbarwerden des Grundes, in dem sie vereint sind. Liebe, Macht und Gerechtigkeit sind eins in ihrem göttlichen Ursprung, und sie sollen wieder eins werden in der menschlichen Existenz. Das Heilige, in dem sie vereint sind, soll sich verwirklichen in Raum und Zeit. Aber wie und in welchem Sinne ist das möglich? Gott als die Quelle von Liebe, Macht und
Gerechtigkeit
Die grundlegende Aussage über das Verhältnis Gottes zu Liebe, Macht und Gerechtigkeit ist die Feststellung, daß Gott das Sein-Selbst ist. Denn nach unserer ontologischen Analyse umschließt das Sein als solches sowohl Liebe wie Macht und Gerechtigkeit. Gott ist das grundlegende und allumfassende Symbol für das, was uns unbedingt angeht. Als das Sein-Selbst ist er letzte Wirklichkeit, das wahrhaft Wirkliche, der Grund und Abgrund alles dessen, was ist. Als der Gott, zu dem ich ein persönliches Verhältnis habe, ist er das Du, auf das sich alle symbolischen Aussagen beziehen, die das zum Ausdruck bringen, was mich unbedingt angeht. Alles, was wir über das Sein-Selbst aussagen, über den Grund und Abgrund des Seins, kann nur symbolisch verstanden werden. Es ist unserer Erfahrung der endlichen Wirklichkeit entnommen und wird auf das übertragen, was alles Endliche transzendiert. Darum sind unsere Aussagen nicht wörtlich zu verstehen. Irgend etwas über Gott im buchstäblichen Sinne des üblichen Wortgebrauchs aussagen zu wollen, heißt etwas Falsches über ihn aussagen. Die symbolische Aussage über Gott ist nicht weniger wahr als eine wörtliche, und abgesehen davon stellt sie die einzige angemessene Form dar, von Gott zu sprechen. 214
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Das gilt auch für die drei Begriffe, von denen hier die Rede ist. Wenn wir sagen, daß Gott ein liebender Gott ist, oder noch besser: daß er die Liebe ist, so verwenden wir unsere Erfahrung der Liebe und unsere Weise, das Leben zu begreifen, gleichsam als den Stoff, der uns hier allein zur Verfügung steht. Aber wir wissen auch, daß wir unsere Vorstellung von der Liebe in das Geheimnis der göttlichen Tiefe tauchen, wenn wir sie auf Gott übertragen. Und in dieser Tiefe wird sie verwandelt, ohne ihren Sinn für uns zu verlieren. Es ist noch Liebe, aber es ist nun göttliche Liebe. Das soll nicht heißen, daß ein höheres Wesen das, was wir Liebe nennen, in größerer Fülle besäße, sondern es bedeutet, daß unsere Liebe ihre Wurzeln im göttlichen Leben hat, d. h. in etwas, das unser Leben unendlich an Sein und Sinn übersteigt. Dasselbe gilt von der göttlichen Macht. Auch die Wendung von der göttlichen Macht ist symbolisch gemeint. Wir erleben Macht in physischem Geschehen, ebenso aber auch in der Fähigkeit, unseren Willen gegen einen fremden Willen durchzusetzen. Auf diese Erfahrung stützen wir uns, wenn wir von der göttlichen Macht sprechen. Wir sprechen von seiner Allmacht und rufen ihn als den Allmächtigen an. Im wörtlichen Sinne würde das bedeuten, daß Gott das höchste Wesen ist, der tun kann, was ihm gefällt, was zugleich besagt, daß es eine Menge Dinge gibt, die er nicht tun will, eine Vorstellung, die uns in einen Nebel absurder Hirngespinste führt. Der wahre Sinn der Allmacht liegt darin, daß Gott die Macht des Seins ist in allem, was ist. Diese Macht geht über jede andere Macht unendlich hinaus, ist aber zugleich ihr schöpferischer Grund. In der religiösen Erfahrung führt die Macht Gottes zu dem Gefühl, in der Hand einer Macht zu sein, die stärker ist als jede andere Macht, oder, ontologisch gesprochen, die der unendliche Widerstand gegen das Nichtsein und der ewige Sieg über das Nichtsein ist. Teilzuhaben an diesem Widerstand und an diesem Sieg wird als die Möglichkeit empfunden, die Bedrohung durch das Nichtsein zu überwinden, eine Bedrohung, der alles Endliche unterworfen ist. In jedem Gebet zum allmächtigen Gott wird Macht im Lichte der göttlichen Macht gesehen. Sie wird als die letzte Wirklichkeit erfahren. Auch der Begriff der Gerechtigkeit wird auf Gott in einem unbedingten und daher symbolischen Sinne übertragen. Gott erscheint im Symbol des gerechten Richters, der nach dem Gesetz richtet, das er selbst gegeben hat. Das ist eine Vorstellung, die aus unserer Erfahrung erwachsen ist. Auch sie muß in das Geheimnis des göttlichen Lebens getaucht werden und dort ihre Bewahrung, aber zugleich auch ihre Verwandlung erfahren. Sie ist so zu einem wahren Symbol geworden 215
für das Verhältnis des letzten Seinsgrundes zu dem, was in ihm gegründet ist, und das gilt vor allem für den Menschen. Das göttliche Gesetz steht jenseits der Spaltung zwischen Naturrecht und positivem Recht. Es ist die Struktur der Wirklichkeit und alles dessen, was wirklich ist, einschließlich der Struktur des menschlichen Geistes. In dieser Hinsicht ist das göttliche Gesetz Naturrecht, das Gesetz der unaufhörlichen Schöpfung, der Seinsgerechtigkeit alles Geschaffenen. Zugleich ist es aber positives Recht, gegeben von Gott in seiner Freiheit, die von keiner Struktur außerhalb ihrer selbst abhängt. Insofern es Naturrecht ist, können wir das göttliche Recht aus seinem Walten in der Natur und Menschheit verstehen und deduktiv ableiten. Insofern es positives Recht ist, müssen wir das uns empirisch Gegebene hinnehmen und es auf induktivem Wege erfassen. Beide Seiten des Rechts wurzeln in dem Verhältnis Gottes zu dem Lebensrecht aller Dinge. Liebe, Macht und Gerechtigkeit als wahre Symbole des göttlichen Lebens zu sehen, heißt ihre letzte Einheit zu erkennen. Einheit ist nicht Identität. Wenn wir von Einheit sprechen, setzen wir ein Element der Trennung voraus. In der symbolischen Anwendung unserer drei Begriffe auf Gott sind auch Symbole der Spannung enthalten. Da ist zunächst die Spannung zwischen Liebe und Macht. Immer wieder ist die quälende Frage laut geworden, und sie wird auch nie verstummen: Wie kann ein allmächtiger Gott, der zugleich der Gott der Liebe ist, so viel Elend zulassen? Entweder hat er nicht genügend Liebe oder nicht genug Macht. Als ein reiner Gefühlsausbruch ist solche Frage durchaus verständlich. In theoretischer Hinsicht steht sie dagegen auf sehr schwachen Füßen. Wenn Gott eine Welt geschaffen hätte, in der es nichts Böses gibt, weder in physischer noch in moralischer Hinsicht, würden die Menschen nicht jene Unabhängigkeit besitzen, ohne die es keine Erfahrung der wiedervereinigenden Liebe gäbe. Die Welt wäre dann ein Paradies träumender Unschuld, ein Paradies für unmündige Kinder; aber weder Liebe noch Macht noch Gerechtigkeit würden jemals als wirkende Kräfte erscheinen. Die Verwirklichung der eigenen Möglichkeiten schließt mit Notwendigkeit die Entfremdung ein, Entfremdung von der ursprünglichen Wesensbestimmung, auf daß wir als Gereifte zu ihr zurückfinden. Nur ein Gott, der einer törichten Mutter gleicht, die in ihrer Sorge um das Wohlergehen ihrer Kinder diese in einem Zustand aufgezwungener Unschuld und erzwungener Abhängigkeit von ihr festhält, könnte seine Geschöpfe in das Gefängnis eines erträumten Paradieses einschließen. Und wie im Falle der törichten Mutter wäre das im Grunde ein Akt der Feindseligkeit, aber nicht Liebe. Und von Macht könnte dann auch nicht die Rede sein. Die Macht Got216
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tes zeigt sich darin, daß er die Entfremdung überwindet, nicht darin, daß er sie verhindert. Diese Macht besteht darin, daß er, symbolisch gesprochen, die Entfremdung auf sich nimmt, und nicht darin, daß er in toter Identität mit sich selbst verharrt. Das ist der eigentliche Sinn des uralten Symbols des Gottes, der am Leiden der Kreatur teilhat. Dieses Symbol wurde vom Christentum auf die Deutung dessen, von dem gesagt wird, daß er der Christus sei, bezogen. Das ist die Einheit von Liebe und Macht in der Tiefe der Wirklichkeit selbst, da Macht nicht nur dem Werke der Schöpfung dient, sondern auch als Zwang wirkt und damit zu Zerstörung und Leiden führt. Diese Überlegungen liefern der Theologie einen Schlüssel zum uralten Problem der Theodizee, der Frage nach dem Verhältnis der göttlichen Liebe und der göttlichen Macht zum Nichtsein, nämlich Tod, Schuld und Sinnlosigkeit. Die ontologische Einheit von Liebe und Macht ist der Schlüssel, der gewiß nicht das letzte Geheimnis des Seins erschließt, der aber doch einige verrostete Schlüssel überflüssig machen kann, die zudem nur für falsche Türen passen würden. Während sich die Spannung zwischen Liebe und Macht im Grunde auf die Schöpfung bezieht, muß die Spannung zwischen Liebe und Gerechtigkeit vor allem im Hinblick auf die Erlösung gesehen werden. Unsere Deutung der verwandelnden Gerechtigkeit als eines Zeichens schöpferischer Liebe erspart uns die Widerlegung des gewöhnlich angenommenen Gegensatzes zwischen abwägender Gerechtigkeit und zusätzlicher Liebe. Nach der dargelegten Auffassung kann es in Gott keinen Widerstreit zwischen Gerechtigkeit und Liebe geben. Aber in einem anderen Sinne wäre ein solcher Widerstreit wohl möglich, nämlich in der Weise, wie Liebe und Macht einander gegenübergestellt wurden. Die Liebe vernichtet, was der Liebe widerstrebt, und verrichtet damit ihr „fremdes Werk". Sie tut das im Sinne der Gerechtigkeit, ohne die sie zu chaotischer Preisgabe jeglicher Seinsmacht führen würde. Aber gleichzeitig rettet die Liebe durch Vergebung das, was sich der Liebe entgegenstellt, und verrichtet damit ihr eigentliches Werk. Hier vollzieht sich das Paradox der Rechtfertigung, das die Liebe davor bewahrt, reiner Gesetzesmechanismus zu werden. Wie können diese beiden Werke der Liebe eine Einheit sein? Sie sind es, weil die Liebe die Erlösung nicht erzwingen will. Täte sie das, würde sie eine doppelte Ungerechtigkeit begehen. Sie mißachtete den Anspruch eines jeden Menschen, nicht als Sache, sondern als ein auf eine eigene Mitte bezogenes, sich frei entscheidendes und verantwortliches Selbst behandelt zu werden. Da Gott Liebe ist und seine Liebe eins ist mit seiner Macht, verschmäht er es, jemanden zu der von ihm bestimmten Erlösung zu [77]
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zwingen. Er würde sich sonst selbst widersprechen. Und das kann Gott nicht tun. Außerdem würde solch ein Akt das „fremde Werk" der Liebe mißachten, nämlich die Zerstörung dessen, was die Liebe zerstört. Er würde der Liebe das Unbedingte nehmen und damit die göttliche Majestät verletzen. Die Liebe muß vernichten, was der Liebe widerstrebt, aber nicht den Menschen, der das tut. Denn als Geschöpf bleibt er eine Seinsmächtigkeit oder eine Schöpfung der Liebe. Aber die ursprüngliche Einheit seines Willens ist dann zerstört, er ist in einem inneren Konflikt mit sich selbst, und der Name hierfür ist Verzweiflung, mythologisch gesprochen: die Hölle. Dante hatte recht, als er sogar die Hölle eine Schöpfung der göttlichen Liebe nannte. Die Hölle der Verzweiflung ist das „fremde Werk", das die Liebe an uns tut, um uns für ihr eigentliches Werk zu öffnen, nämlich die Rechtfertigung dessen, der ungerecht ist. Aber selbst die Verzweiflung verwandelt uns nicht in einen toten Mechanismus. Sie ist ein Prüfstein unserer Freiheit und Würde als Person, auch in unserem Verhältnis zu Gott. Das Kreuz des Christus ist das Symbol der göttlichen Liebe, die teilhat an der Vernichtung, in die sie den stößt, der gegen die Liebe handelt. Das ist der Sinn der Versöhnung. Liebe, Macht und Gerechtigkeit sind in Gott eins. Aber wir müssen fragen, wie es damit in einer entfremdeten Welt bestellt ist. Liebe, Macht und Gerechtigkeit
in der
Geistgemeinschaft1
Liebe, Macht und Gerechtigkeit sind in Gott unlösbar vereint, und sie sind in Gottes neuer Schöpfung auch in der Welt geeint. Der Mensch ist vom Grunde seines Seins entfremdet, von sich selbst und von seiner Welt. Aber er ist immer noch Mensch. Er kann nicht völlig die Bindung an seinen schöpferischen Urgrund lösen, er ist noch eine zentrierte Person und als solche mit sich geeint. Er hat auch noch Anteil an seiner Welt. Das heißt: die wiedervereinigende Liebe, die Macht, dem Nichtsein zu widerstehen, und die schöpferische Gerechtigkeit sind in ihm noch wirksam. Das Leben ist nicht nur unzweideutig gut, sonst wäre es nicht Leben, sondern nur mögliches Leben. Aber das Leben ist nicht nur unzweideutig böse, denn das wäre der Triumph des Nichtseins über das Sein. Das Leben ist vielmehr in all seinen Erscheinungsformen zweideutig. Es ist auch im Hinblick auf Liebe, Macht und Gerechtigkeit zweideutig. Wir sind im Laufe unserer Erörterungen häufig auf diese Tatsache gestoßen. 1
Das Wort „Geist-Gemeinschaft" steht hier für „holy community". Es wurde von Tillidi erst später geprägt, aber trifft die gemeinte Sache. Siehe Syst. Theologie, Bd. III. (D. Hrsg.) 218
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Wir müssen sie nun im Rahmen einer entfremdeten Welt im Lichte der neuen Schöpfung betrachten, und diese neue Schöpfung möchte ich die Geistgemeinschaft nennen. In einer vorläufigen Zusammenfassung möchte ich sagen: in der Geistgemeinschaft durchdringt die ^4gape-Qualität der Liebe die Libido-, Eros- und /^¿/¿¿-Qualitäten der Liebe und erhebt sie über die Zweideutigkeiten ihrer Vereinzelung. In der Geistgemeinschaft erhebt die Macht des göttlichen Geistes über die Zweideutigkeiten, die die Macht in ihrer dynamischen Verwirklichung aufweist; sie tut das, indem sie allen Zwang fahren läßt. In der Geistgemeinschaft erhebt die Rechtfertigung durch Gnade die Gerechtigkeit über alle Zweideutigkeiten ihres abstrakten und berechnenden Wesens. Das bedeutet, daß in der Geistgemeinschaft Liebe, Macht und Gerechtigkeit wohl in ihrer ontologischen Struktur bestätigt werden, aber daß sich ihre entfremdete und zweideutige Wirklichkeit in eine Bekundung ihrer Einheit im Schöße des göttlichen Lebens verwandelt. Betrachten wir zunächst die Zweideutigkeiten der Liebe und das Werk der Liebe als agape in der Geistgemeinschaft. Libido ist an sich gut. Wir haben sie gegen Freud verteidigt und gegen seine Abwertung dessen, was er als die unaufhörlich drängende sexuelle Triebhaftigkeit mit all ihren unausweichlichen Folgen, dem Unbefriedigtsein und dem Todestrieb, beschreibt. Wir haben Freuds These als eine Beschreibung der libido in der Entfremdung anerkannt; aber diese These übersieht dodi die schöpferische Bedeutung der libido. Denn ohne libido würde das Leben stillstehen. Die Bibel weiß das ebensogut wie die moderne Tiefenpsychologie. Und wir sollten dafür dankbar sein, daß unsere neuen Einsichten in die tieferen Schichten der menschlichen Natur den biblischen Realismus wieder entdeckt haben, nachdem er so lange durch mehrere Schichten idealistischer und moralistischer Selbsttäuschung über die Natur des Menschen verdeckt war. Der biblische Realismus weiß, daß die libido zu der von Gott geschaffenen guten Natur des Menschen gehört, aber er ist sich zugleich dessen bewußt, daß sie im Stande der Entfremdung des Menschen in verzerrter und zweideutiger Form erscheint. Die libido ist maßlos geworden und ist der Tyrannei des Lustprinzips zum Opfer gefallen. Sie mißbraucht den Mitmenschen als ein Mittel seiner eigenen Lust, statt die Wiedervereinigung mit ihm zu suchen. Sexuelles Begehren ist an sich nicht böse, das gilt auch für die Verletzung konventioneller Gesetze. Aber sexuelle Lust und die Lösung des Sexuellen von allen Bindungen sind böse, insofern sie das innerste Wesen der anderen Person verletzen, mit anderen Worten, wenn sie nicht mit den zwei anderen Qualitäten der Liebe zu[79]
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sammengehen und wenn sie nicht dem Kriterium der agape unterworfen werden. Agape sucht den Anderen in seinem eigentlichen Wesen. Agape sieht ihn, wie Gott ihn sieht. Agape erhebt die libido in die göttliche Einheit von Liebe, Macht und Gerechtigkeit. Das gleiche gilt vom eros. In Übereinstimmung mit Plato haben wir eros als die treibende Kraft in allem kulturschöpferischen Wirken bezeichnet; das gleiche gilt auch für jede Form mystischer Vereinigung mit Gott. In diesem Sinne hat der eros die Würde einer göttlichmenschlichen Kraft. Er hat teil an der Schöpfung und an der natürlichen Unverdorbenheit alles Geschaffenen. Aber er hat auch teil an den Zweideutigkeiten des Lebens. Die £>os-Qualität der Liebe kann mit der Libido-Qualität verwechselt und in ihre Zweideutigkeiten hineingezogen werden. Ein Beispiel hierfür ist die Tatsache, daß das Neue Testament das Wort eros nicht mehr verwenden konnte, weil es zu stark mit sexuellen Nebenbedeutungen belastet war. Und selbst der mystische eros drückt sich zuweilen in Symbolen aus, die nicht nur der sexuellen Sphäre entlehnt sind, sondern auch die Liebe zu Gott auf eine scheinbar asketische, im Grunde aber sexuelle Ebene stellen. Aber es geht noch um mehr, wenn wir von der Zweideutigkeit der Eros-Qualität sprechen. Vor allem die ästhetische Unverbindlichkeit kann unsere Einstellung zur Kultur beherrschen und damit den eros zweideutig machen. Wir haben das vor allem von Kierkegaard gelernt. Was er die ästhetische Stufe in der religiösen Entwicklung des Menschen nennt, ist nicht eine Stufe, sondern eine allgemeine Qualität der Liebe, die den Gefahren, wie Kierkegaard sie beschreibt, ausgesetzt ist. Die Gefahr des kulturschöpferischen eros ist seine Loslösung von der eigentlichen Wirklichkeit und somit das Schwinden aller existentiellen Bindungen und der letzten Verantwortung. Die Flügel des eros werden zu Flügeln der Flucht. Die Kultur wird ohne jegliches Verantwortungsbewußtsein genossen. Ihr widerfährt nicht die Gerechtigkeit, die sie erwarten muß. Agape durchdringt die unbekümmerte Sicherheit eines bloß ästhetischen eros. Sie ist nicht gegen die Sehnsucht nach dem Guten und Wahren und ihrem göttlichen Ursprung, aber sie verhindert, daß diese Sehnsucht zu einem ästhetischen Genießen ohne letzten Ernst entartet. Agape zwingt den kulturschöpferischen eros in die Verantwortung und zwingt den mystischen eros in die Gemeinschaft von Person mit Person. Die Zweideutigkeiten der Philia-QnzWiix der Liebe begegneten uns bereits, als wir sie als persönliche Zuneigung zwischen gleichrangigen Menschen bestimmten. Aber wie groß auch immer die Gruppe der Gleichen sein mag, die Pbilia-Qualität der Liebe führt zu Begünstigung. 220
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Einige werden auserwählt, die Mehrheit aber bleibt ausgeschlossen. Das gilt offensichtlich nicht nur für so enge Beziehungen, wie sie in der Familie und Freundschaft vorherrschen, sondern auch für die mannigfachen Formen der Sympathie in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Die ausgesprochene oder unausgesprochene Zurückweisung all derer, denen keine Zuneigung geschenkt wird, ist negativer Zwang und kann ebenso grausam sein wie jeder andere Zwang. Aber solche Zurückweisung ist eine unvermeidliche Tragik. Niemand kann sich der Notwendigkeit solcher Zurückweisung entziehen. Es gibt bestimmte Formen der pbilia, die der Psychoanalytiker Erich Fromm als symbiotische Beziehungen charakterisiert hat und die diese tragische Notwendigkeit sehr deutlich machen. Wird in einer /^///«-Beziehung der eine Partner vom anderen mißbraucht um einer masochistischen Abhängigkeit willen oder zum Zwecke einer sadistischen Beherrschung, bzw. liegt beides in wechselseitiger Verquickung vor, so ist das, was als höchste Form der Freundschaft erschien, in Wirklichkeit Zwang ohne Gerechtigkeit. Und wiederum verneint die agape nicht die auswählende Liebe der philia, aber sie befreit sie von einer würdelosen Knechtschaft und erhebt sie zur allumfassenden Liebe. Die agape lehnt eine auswählende Freundschaft nicht ab; aber es widerspricht ihr, wenn in einer Art aristokratischer Absonderung alle anderen von vornherein ausgeschlossen werden. Nicht jeder kann zum Freund werden, aber jeder ist als Person zu bejahen. Agape hebt die Scheidung zwischen gleich und ungleich, Zuneigung und Abneigung, Freundschaft und Gleichgültigkeit, Begehren und Widerwille auf. Sie bedarf keiner Sympathie, um zu lieben; sie liebt dort, wo die philia abweist. Agape liebt in jedem und über jeden einzelnen hinaus die Liebe selbst. Wie agape die Zweideutigkeiten der Liebe auf eine neue Ebene hebt, so geschieht das mit den Zweideutigkeiten der Macht durch die Macht des göttlichen Geistes. Die Zweideutigkeiten der Macht wurzeln in dem dynamischen Charakter der Macht und in der unlösbaren Verbindung von Macht und Zwang. Die Macht des göttlichen Geistes überwindet diese Zweideutigkeiten nicht durch Verzicht auf Macht, weil das die Preisgabe des Seins überhaupt bedeuten würde. Es wäre der Versuch, sich selbst auszulöschen, um der Schuld zu entfliehen. Die Macht des göttlichen Geistes leugnet nicht die Dynamik in der Entfaltung der Macht. In vielen biblischen Berichten über das Wirken der Macht des göttlichen Geistes werden körperliche Wirkungen erwähnt, wie z. B. Emporgehobenwerden, Fortbewegung an einen anderen Ort, Erschütterung und Schrecken. Psychologische Einwirkungen werden stets festgestellt. Das bedeutet, daß Geist Macht ist, die aus der Dimension [81]
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des Unbedingten kommt und wirkt. Er ist nicht identisch mit dem Reich der Ideen oder der Begriffe. Er ist eine dynamische Kraft, die Widerstände überwindet. Wodurch unterscheidet er sich aber dann von anderen Formen der Macht? Die Macht des göttlichen Geistes wirkt weder durch physischen noch psychischen Zwang. Sie wirkt durch die ganze Persönlichkeit des Menschen, und das heißt durch ihn in seiner endlichen Freiheit. Sie hebt seine Freiheit nicht auf, sondern sie macht seine Freiheit frei von den Elementen des Zwanges, die sie begrenzen. Die Macht des göttlichen Geistes gibt der Persönlichkeit eine Mitte, die sie ganz und gar durchdringt und überschreitet und daher von jedem ihrer Elemente unabhängig ist. Und das ist letztlich der einzige Weg, auf dem die Person zur Einigung mit sich selbst kommen kann. Wenn das geschieht, wird die natürliche oder soziale Seinsmächtigkeit eines Menschen belanglos. Er mag sie behalten, er kann aber auch ganz oder teilweise auf sie verzichten. Die Macht des göttlichen Geistes kann durch jede Form der Seinsmächtigkeit wirken, aber sie kann auch gerade durch den Verzicht auf sie wirken. Der Mensch vermag durch Worte oder Gedanken zum Medium des göttlichen Geistes zu werden; durch das, was er ist, und durch das, was er tut, oder aber durch den Verzicht auf all das, schließlich sogar durch das Opfer seiner selbst. Das alles sind Möglichkeiten, die Wirklichkeit zu verändern, indem man Ebenen des Seins erreicht, die gewöhnlich verborgen bleiben. Hier zeigt sich die Macht, die die Geistgemeinschaft über die Zweideutigkeiten der Macht stellt. Uber das Verhältnis von Gnade und Macht brauche ich nicht viel zu sagen. Der Akt der Vergebung ist erwähnt worden, als von den zwischenmenschlichen Beziehungen die Rede war. Gegenseitige Vergebung ist die Erfüllung schöpferischer Gerechtigkeit. Aber sie ist nur dann Gerechtigkeit, wenn sie auf wiedervereinigender Liebe beruht, auf der Rechtfertigung durch Gnade. Nur Gott kann wahrhaft vergeben, weil in ihm allein Liebe und Gerechtigkeit in vollkommener Weise vereint sind. Die Ethik der Vergebung wurzelt in der Botschaft der göttlichen Vergebung. Sonst ist sie den Zweideutigkeiten der Gerechtigkeit preisgegeben und schwankt zwischen Gesetzesanbetung und Sentimentalität. In der Geistgemeinschaft ist diese Zweideutigkeit überwunden. Agape überwindet die Zweideutigkeiten der Liebe; die Macht des göttlichen Geistes überwindet die Zweideutigkeiten der Macht, Gnade überwindet die Zweideutigkeiten der Gerechtigkeit. Das gilt nicht nur von den Begegnungen der Menschen untereinander, sondern auch für die Begegnung des Menschen mit sich selbst. Der Mensch kann sich nur lieben, d. h. sich innerlich bejahen, wenn er sicher ist, daß er angenom222
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men ist. Sonst ist seine Selbstbejahung Selbstgefälligkeit und Willkür. Nur im Lichte und unter dem Einfluß der „Liebe von oben" kann er sich lieben. Hier liegt auch die Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit des Menschen gegen sich selbst. Er kann gegen sich selbst nur insofern gerecht sein, als ihm selbst die letzte Gerechtigkeit widerfährt, nämlich das verdammende, vergebende und schenkende Urteil der „Rechtfertigung". Das verdammende Element in der Rechtfertigung schließt Selbstgefälligkeit aus, das vergebende Element bewahrt vor Selbstverdammung und Verzweiflung, das schenkende Element schafft eine geistige Mitte, die die Elemente unserer Person eint und Herrschaft über uns selbst ermöglicht. Gerechtigkeit, Macht und Liebe gegen sich selbst wurzeln in der Gerechtigkeit, Macht und Liebe, die wir von dem empfangen, das uns transzendiert und bejaht. In welchem Verhältnis wir zu uns selbst stehen, hängt von unserem Verhältnis zu Gott ab. Die letzte Frage, die uns zu behandeln bleibt, wurde am Ende des Kapitels gestellt, das sich mit den Beziehungen zwischen sozialen Machtgruppen befaßte. Es handelte sich da um die Frage nach der Wiedervereinigung der Menschheit im Zeichen von Liebe, Macht und Gerechtigkeit. Auf der Ebene der Politik konnte diese Frage nicht gelöst werden. Kann sich nun eine Lösung aus dem Verhältnis zum Unbedingten ergeben? Es ist das Verdienst des Pazifismus, daß er trotz seiner Schwächen in theologischer Sicht diese Frage in der heutigen Christenheit lebendig erhalten hat. Ohne ihn würden die Kirchen wahrscheinlich vergessen haben, eine wie qualvolle Sache jede religiöse Rechtfertigung des Krieges ist. Andererseits hat der Pazifismus gewöhnlich ein viel umfassenderes Problem menschlicher Existenz auf die Frage des Krieges eingeengt. Aber es gibt hier andere Fragen von zumindest gleicher Dringlichkeit. Da ist ζ. B. das Problem von Konflikten, die innerhalb einer sozialen Gruppe mit Waffengewalt ausgetragen werden. Solche Konflikte sind immer da möglich, wo Polizei und bewaffnete Streitkräfte zur Aufrechterhaltung der Ordnung eingesetzt werden, und sie treten manchmal in Revolutionskriegen offen zutage. Sind diese Kriege erfolgreich, spricht man nachträglich von „glorreichen Revolutionen". Bedeutet die Einigung der Menschheit nun, daß damit nicht nur nationale, sondern auch revolutionäre Kriege ausgeschlossen sind? Und wenn das der Fall sein sollte, ist dann die Dynamik des Lebens und damit das Leben selbst zum Stillstand gekommen? Man kann die gleiche Frage im Hinblick auf die Dynamik des Wirtschaftslebens stellen. Selbst in einer statischen Gesellschaft, wie sie im [83]
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Mittelalter bestand, war diese Dynamik von großer Bedeutung und hatte ungeheure Folgen für den Gang der Geschichte. Man sollte sich auch immer die Tatsache vor Augen halten, daß Wirtschaftskämpfe oft zu größerer Zerstörung und größerem Leid führen als kriegerische Auseinandersetzungen. Sollte darum die wirtschaftliche Dynamik zum Stillstand gebracht und statt dessen ein statisches System der Gütererzeugung und des Verbrauchs für die ganze Welt eingeführt werden? Geschähe das, würde auch aller technischer Fortschritt unterbunden werden, und in den meisten Bereichen ergäbe sich die Notwendigkeit, das Leben als sich ewig wiederholenden Prozeß zu gestalten. Jede Störung müßte vermieden werden. Wiederum würde dann die Dynamik des Lebens und damit alles Leben selbst zum Stillstand gekommen sein. Nehmen wir einmal an, das wäre möglich. Es ergäbe sich dann folgende Lage: Unter einer unveränderlichen zentralen Autorität sind alle Machtverhältnisse festgelegt. Nichts wird gewagt, alles ist im voraus entschieden. Das Leben hat aufgehört, sich zu entfalten. Jedes schöpferische Tun ist erloschen. Die Geschichte der Menschheit ist damit abgeschlossen; die nachgeschichtliche Zeit hat begonnen. Die Menschheit wäre eine Herde glückseliger Tiere ohne jegliche Unzufriedenheit, aber auch ohne jegliches Streben in eine bessere Zukunft. Man würde aufgrund ihrer Schrecken und Leiden die geschichtliche Zeit als das finstere Zeitalter der Menschheit bezeichnen. Aber dann könnte es geschehen, daß den einen oder den anderen dieser glückseligen Menschen ein Gefühl der Sehnsucht nach diesem vergangenen Zeitalter beschleicht, ein Verlangen nach ihrem Elend und ihrer Größe. Und solche Menschen könnten den übrigen einen neuen Anfang geschichtlichen Daseins aufzwingen. Dieses Bild will zeigen, daß eine Welt ohne die Dynamik der Macht und ohne die Tragik des Lebens und der Geschichte nicht das Reich Gottes und auch nicht die Erfüllung des Menschen und seiner Welt ist. Erfüllung ist an das Ewige gebunden, und keine Phantasie kann das Ewige ermessen; aber einiges können wir doch erahnen. Die Kirche ist in dieser Hinsicht eine fragmentarische Vorwegnahme der Ewigkeit. Und es gibt Gruppen und Bewegungen, die zwar nicht zur „manifesten" Kirche gehören, jedoch etwas verkörpern, was man eine „latente" Kirche nennen darf. Aber weder die manifeste noch die latente Kirche sind das Reich Gottes. Viele Probleme, die in den Rahmen des weitgespannten Themas dieses Buches gehören, sind von mir nicht erwähnt worden. Andere wurden nur flüchtig berührt, und wiederum andere sind recht unzulänglich behandelt worden. Ich hoffe jedoch, daß meine Darstellung eine 224
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Grundtatsache deutlich gemacht hat, daß nämlich die Probleme von Liebe, Macht und Gerechtigkeit unbedingt eine ontologische Grundlegung und theologische Betrachtungsweise erfordern, um sie dem vagen Gerede, einem falschen Idealismus und auch dem Zynismus zu entziehen, die sich gewöhnlich in ihrer Behandlung breitmachen. Der Mensch kann keines seiner brennenden Probleme lösen, wenn er sie nicht im Lichte seines eigenen Seins und des Seins-Selbst sieht.
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BIBLIOGRAPHISCHE
ANMERKUNGEN
DER MUT ZUM SEIN. Ubers, von: The Courage to Be. New Haven: Yale-University Press 1952. IX, 197 S. - „The Dwight Harrington Terry Foundation Lectures" über „Religion in the Light of Science and Philosophy" an der Yale-University Oktober/November 1950. In dtsch. Ubers.: Stuttgart: Steingrüben-Verlag 1953. 142 S. LIEBE, MACHT, GERECHTIGKEIT. Übers, von: Love, Power, and Justice. New York, London: Oxford University Press 1954. VIII, 127 S. - „The Firth Lectures" in Nottingham/Engl. und „The Sprunt Lectures" in Richmond/Va. In dtsch. Ubers.: Tübingen: Mohr 1955. VIII, 134 S.
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PAUL TILLICH
Main Works / Hauptwerke Edited by / Herausgegeben von Carl Heinz Ratschow with the collaboration of / unter Mitwirkung von John Clayton, Gert Hummel, Theodor Mahlmann, Michael Palmer, Robert P. Scharlemann, Gunther Wenz 6 Bände. Groß-Oktav. Ganzleinen Bereits
erschienen:
Volume 1 / Band 1:
Philosophical Writings / Philosophische Schriften Editor / Herausgeber: Gunther Wenz 1989. XIV, 424 Seiten. DM 1 3 4 , - ISBN 3-11-011533-6 Volume 2 / Band 2:
Writings in the Philosophy of Culture / Kulturphilosophische Schriften Editor / Herausgeber: Michael Palmer 1990. XIV, 380 Seiten. DM 1 3 8 , - ISBN 3-11-011535-2 Volume 4 / Band 4:
Writings in the Philosophy of Religion / Religionsphilosophische Schriften Editor / Herausgeber: John Clayton 1987. IV. 422 Seiten. DM 1 1 8 , - ISBN 3-11-011342-2 Volume 5 / Band 5:
Writings on Religion / Religiöse Schriften Editor / Herausgeber: Robert P. Scharlemann 1988. XVI, 325 Seiten. DM 9 8 , - ISBN 3-11-011541-7 Im
Druck:
Volume 6 / Band 6:
Theological Writings / Theologische Schriften Editor / Herausgeber: Gert Hummel 1992. Etwa 450 Seiten. Etwa DM 1 6 4 , - ISBN 3-11-011539-5 In
Vorbereitung:
Volume 3 / Band 3:
Writings in Social Philosophy and Ethics / Sozialphilosophische und ethische Schriften Editor / Herausgeber: Theodor Mahlmann Preisänderungen vorbehalten
Walter de Gruyter
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Berlín · New York
PAUL TILLICH GESAMMELTE WERKE Oktav. Gebunden Lieferbare
Bände:
Frühe Hauptwerke 440 Seiten. 1959. DM 9 6 , - (Band 1) Die Frage nach dem Unbedingten Schriften zur Religionsphilosophie 268 Seiten. 1964 DM 5 8 , - (Band 5) Der Widerstreit von Raum und Zeit Schriften zur Geschichtsphilosophie 230 Seiten. 1963. DM 5 0 , - (Band 6) Begegnungen Paul Tillich über sich selbst und andere 407 Seiten. 1971. DM 8 8 , - (Band 12) Schlüssel zum Werk von Paul Tillich Textgeschichte und Bibliographie sowie Register zu den Gesammelten Werken (Gesammelte Werke, Band 14) — 2., neubearbeitete und erweiterte Auflage von Renate Albrecht und Werner Schüßler 344 Seiten. 1990. DM 8 8 , - ISBN 3-11-012039-9 Ergän^ungs-
und Nacblaßbände
den Gesammelten
Werken:
An meine deutschen Freunde Politische Reden 367 Seiten. 1973. DM 7 8 , - (Band 3) Ein Lebensbild in Dokumenten Briefe, Tagebuch-Auszüge, Berichte 396 Seiten. 1980. DM 8 8 , - (Band 5) Briefwechsel und Streitschriften Theologische, philosophische und politische Stellungnahmen und Gespräche 387 Seiten. 1983. DM 8 4 , - (Band 6)
Preisänderungen vorbehalten
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